Grundlagen der Soziolinguistik - Ein Arbeitsbuch mit Aufgaben 9783110938463, 9783484220577

The book is a systematic and presentation of the theoretical, methodological and terminological fundamentals of modern s

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Grundlagen der Soziolinguistik - Ein Arbeitsbuch mit Aufgaben
 9783110938463, 9783484220577

Table of contents :
0 Vorwort
1 Einführung: Wissen und Varietäten im sozialen Kontext
2 Soziolinguistik: Gegenstand und Forschungsparadigmen
2.1 Gegenstand der Soziolinguistik
2.2 Ist die Linguistik eine ‘autonome’ oder eine Sozialwissenschaft?
2.3 ‘Allgemeine’ oder ‘sprachraumspezifische’ Soziolinguistik? Reflexionen zu den wissenschaftsgeschichtlichen Wurzeln der Disziplin
2.4 Die drei konzeptuellen ‘Wurzeln’, aus denen die Frage Stellungen der modernen Soziolinguistik entstanden sind
2.5 Vier methodologische Paradigmen der Soziolinguistik
2.6 Zusammenfassung
2.7 Arbeitsaufgaben
3 Sprachsoziologische Grundlagen
3.1 Erkundungen zu einer Theorie der Soziolinguistik
3.2 Sprache und soziale Ungleichheit
3.3 Sprache und Raum
3.4 Sprachgemeinschaft
3.5 Linguistisches Repertoire
3.6 Diglossie
3.7 Soziolinguistische Sprach- und Varietätentypologie in mehrsprachigen Gesellschaften
3.8 Normen
3.9 Ausblick
3.10 Arbeitsaufgaben
4 Grundbegriffe der Varietätenlinguistik
4.1 ‘Varietäten’ und ‘Varietätenraum’
4.2 Varietäten einer Einzelsprache (synchrone Perspektive)
4.3 Einordnung und Bestimmung von Varietäten
4.4 Ausblick: Das Problem der Abgrenzung und Ordnung von Varietäten
4.5 Arbeitsaufgaben
5 Soziolinguistische Regeln
5.1 Problemfeld
5.2 ‘Regelhaftes Verhalten’ vs. ‘Regeln folgen’ aus der Perspektive der Erklärungsadäquatheit
5.3 ‘Apriorische’ vs. ‘Korpusgrammatiken’
5.4 Variation und regulative Regeln
5.5 Qualitative Beschreibungen der gesprochenen Sprache unter Berücksichtigung des funktionalen Zusammenhangs von Syntax, Semantik und Pragmatik
5.6 Zusammenfassung
5.7 Arbeitsaufgaben
6 Ausblick
7 Verzeichnisse
7.1 Abbildungsverzeichnis
7.2 Tabellenverzeichnis
8 Literatur
9 Register
9.1 Autorenregister
9.2 Schlagwortregister

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Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft

Herausgegeben von Peter Eisenberg und Helmuth Kiesel

Norbert Dittmar

Grundlagen der SoziolinguistikEin Arbeitsbuch mit Aufgaben

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1997

Dieses Buch widme ich Dir, lieber Eugen, damit Du zwischen Autoren, die Wortfolgen wie einen „Zug von müden Gefangenen ... in den Fußketten einer korrekten Syntax" an Dir vorbeiziehen lassen, von solchen unterscheiden lemst, „die mit Verben radschlagen und mit einer Unzahl von Adjektiven jonglieren" und als lustvolle „Springer auf dem Trampolin der Sprache" spürbar machen möchten, „wie die Sprache sich dehnt und in Bewegung gerät, wie am Trapez einer Konstruktion geturnt wird ..." (Zitate aus Ursula ZŒBARTH, „Hexenspeise", Pfullingen : Neske, 1976: 156)

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Dittmar, Norbert : Grundlagen der Soziolinguistik : ein Arbeitsbuch mit Aufgaben /Norbert Dittmar. - Tübingen : Niemeyer, 1997 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft ; 57) ISBN 3-484-22057-0

ISSN 0344-6735

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1997 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Industriebuchbinderei Hugo Nädele, Nehren

Α. Inhaltsverzeichnis

Ο

Vorwort

IX

1 2 2.1 2.2

Einführung: Wissen und Varietäten im sozialen Kontext Soziolinguistik: Gegenstand und Forschungsparadigmen .... Gegenstand der Soziolinguistik Ist die Linguistik eine 'autonome' oder eine Sozialwissenschaft? 'Allgemeine' oder 'sprachraumspezifische' Soziolinguistik? Reflexionen zu den wissenschaftsgeschichtlichen Wurzeln der Disziplin Die drei konzeptuellen 'Wurzeln', aus denen die Frage Stellungen der modernen Soziolinguistik entstanden sind Sprachliche Relativität Das Verhältnis von Hochsprache und Dialekt Zwei- und Mehrsprachigkeit Vier methodologische Paradigmen der Soziolinguistik Gesellschaftspolitische Hintergründe Soziale Dialektologie oder Variationslinguistik (korrelativer Ansatz) Sprachsoziologie Die Ethnographie der Kommunikation Interaktionale Soziolinguistik Zusammenfassung Arbeitsaufgaben Sprachsoziologische Grundlagen Erkundungen zu einer Theorie der Soziolinguistik Vorüberlegungen zu einer soziolinguistischen Theorie Sozialwissenschaftliche Erklärung Sprache und soziale Ungleichheit Linguistischer Relativismus vs. sozialer Konflikt Benachteiligung: Sprache als 'Torhüter' der Institution Der Anteil sprachlicher 'Vorurteile' an der sozialen Ungleichheit: Der sozialpsychologische Ansatz von Hudson Der sprachliche Markt Sprache und Raum Sprachgemeinschaft Linguistisches Repertoire

1 19 19

2.3

2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.5 2.5.1 2.5 .2 2.5.3 2.5.4 2.5.5 2.6 2.7 3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3 .2.1 3.2.2 3.2.2.1

3.2.2.2 3.3 3.4 3.5

27

30 33 33 40 42 43 43 48 70 81 87 98 102 107 107 107 114 119 119 122

123 125 129 131 137

VI 3.6 3 .7 3.7.1 3.7.2

3.7.3 3.7.4 3.7.5 3.8 3.8.1 3.8.2 3.9 3.10 4 4.1 4.2 4.3 4.3.1 4.3 .2 4.3 .3 4.3.4 4.3.4.1 4.3 .4.2 4.3.4.3 4.3.5 4.3.6 4.3.6.1 4.3.6.1.1 4.3.6.1.2 4.3.6.2 4.3.6.2.1 4.3.6.2.2 4.3.6.3 4.3.7

Diglossie Soziolinguistische Sprach- und Varietätentypologie in mehrsprachigen Gesellschaften Die 'Europäische' Dimension der Begriffsbestimmungen .... Funktionen und sozialer Status von 'Nationalsprache', 'offizieller Sprache', 'Territorialsprache', 'Regionalsprache', 'Verkehrssprache' und 'Minderheitensprache' Relationen zwischen den Begriffen: Ähnlichkeit vs. Distanz Diskussion Perspektiven Normen Sprachnormen im Spiegel der linguistischen Forschung Die soziolinguistische Rekonstruktion des Normbegriffs durch Bartsch (1987) Ausblick Arbeitsaufgaben Grundbegriffe der Varietätenlinguistik 'Varietäten'und'Varietätenraum' Varietäten einer Einzelsprache (synchrone Perspektive) Einordnung und Bestimmung von Varietäten Personale Dimension: Individuelle Varietät ('Idiolekt') Diatopische Variation: Lokale / regionale Varietäten (Dialekte) Diastratische Dimension: Gruppen- und schichtspezifische Varietäten (Soziolekte) Die Verschränkung von diatopischer und diastratischer Variation Stadtsprachen ('Urbanolekte') Umgangssprache (Regiolekt) Substandard Normativ-präskriptive Dimension: Standardvarietät Diaphasische Dimension ('Situolekte') Register Fremdenregister oder Xenolekt? Sondersprachen [Argot(olekt)/Slang] Soziolinguistischer Stil 'Sexolekte': geschlechtsspezifische Stile oder Varietäten? .. 'Jugendsprache': Gerontolekt, Varietät oder Stil? Schwierigkeiten mit der Bestimmung der diaphasischen Dimension Kontaktvarietäten

139 152 152

153 160 162 162 163 163 166 169 170 173 173 180 181 181 183 189 193 193 195 198 201 206 207 216 218 222 228 229 231 233

VII 4.3.7.1 4.3.7.2 4.3.7.3 4.4

235 239 240

4.5

Pidgin Kreolische Varietäten Lernervarietäten/'Interimlekte' Ausblick: Das Problem der Abgrenzung und Ordnung von Varietäten Arbeitsaufgaben

5

Soziolinguistische Regeln

253

5.1 5.2

253

5.5.1 5.5.2 5.5.3 5.6 5.7

Problemfeld 'Regelhaftes Verhalten' vs. 'Regeln folgen' aus der Perspektive der Erklärungsadäquatheit 'Apriorische' vs. 'Korpusgrammatiken' Variation und regulative Regeln Koexistierende Grammatiken Variablenregeln Varietätengrammatik (Syntax) Implikationsanalyse Einführung Grundlagen Implikationsskalen in Kreolistik und Zweitspracherwerb Die Korrektur der Schwächen der Implikationsskalenanalyse durch die Variablenregelanaylse Qualitative Beschreibungen der gesprochenen Sprache unter Berücksichtigung des funktionalen Zusammenhangs von Syntax, Semantik und Pragmatik Konnektoren: Zur Syntax von weil-Sätzen Zum Gebrauch der Modalpartikeln eben und halt Gesprächswörter Zusammenfassung Arbeitsaufgaben

6

Ausblick

309

7

Verzeichnisse

315

7.1

Abbildungsverzeichnis

315

7.2

Tabellenverzeichnis

316

5.3 5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4 5.4.4.1 5.4.4.2 5.4.4.3 5.4.4.4 5.5

244 249

261 267 268 268 269 273 277 277 278 282 283

287 289 295 300 304 306

8

Literatur

319

9

Register

351

9.1 9.2

Autorenregister Schlagwortregister

351 355

0 Vorwort

Von meiner ursprünglichen Absicht, den Wissensstand der Soziolinguistik umfassend fur alle Bereiche aufzuarbeiten und darzustellen (wie in Dittmar 1973), habe ich über die jahrelange Dokumentation methodischer, empirischer und theoretischer Forschungsarbeiten, die eine Reihe von Ordnern und Schubfächern füllen, schließlich nur noch das bescheidene Anliegen gerettet, die wissenschaftsgeschichtlichen, sprachsoziologischen und varietätenlinguistischen Grundlagen der Disziplin darzustellen. Nur zögernd habe ich mich darüber hinaus dem heiklen Thema der soziolinguistischen Regeln gewidmet; es zeigt sich, daß die Forschung dieses Gebiet weitgehend vernachlässigt hat. Die „Grundlagen der Soziolinguistik" sollen denen als Einfuhrung und Orientierung dienen, die die gesellschaftlichen Anlässe soziolinguistischen Forschens kennenlernen und sich die Grundbegriffe soziolinguistischer Methodik und Theorie erschließen möchten. Die Darstellung der Wirkungsgeschichte der Soziolinguistik in Form von Forschungsparadigmen soll einen lebendigen Zusammenhang zwischen Konzepten und ihrer Umsetzung in Forschungsprojekte schaffen. Die bereits im zweiten Kapitel benutzten Begriffe werden gelegentlich durch Exkurse näher erläutert. Im Zusammenhang mit der jeweiligen Entstehungsgeschichte von Paradigmen stehen Fragen der soziologischen Theoriebildung, des Zusammenhangs von Sprache und sozialer Ungleichheit, des Zusammenhangs von Sprache und Denken (These von der sprachlichen Relativität) sowie der Beschreibungstechniken und Erklärungsansätze. Aufbauend auf den Forschungsparadigmen der Soziolinguistik in den letzten 40 Jahren werden in den Kapiteln 3 und 4 die sprachsoziologischen und varietätenlinguistischen Grundlagen geliefert. Dabei widmet sich der Makrobereich der Soziolinguistik (oft Sprachsoziologie genannt) den Parametern, die Status und Funktionen von Sprachen und Varietäten erklären sollen. Der komplementäre Versuch, Varietäten auf mikro-soziolinguistischer Grundlage zu bestimmen, findet sich in Kapitel 4 unter dem Stichwort 'Varietätenlinguistik'. Hier geht es darum, die Funktionen von Varietäten in einem Varietätenraum genauer zu bestimmen und mit sprachlichen Merkmalen in Beziehung zu setzen. Ausgewählte soziolinguistische Eigenschaften können für jede Varietät als typisch gelten. Dabei läßt sich das Profil einer spezifischen Varietät in Abgrenzung von anderen Varietäten auf dem lexikalischen, phonologischen, morphologischen, syntaktischen und semantischen Niveau zur Zeit nicht sehr genau erfassen. Manche Varietäten wie Dialekte z.B. weisen vor allem Unterschiede im Bereich der

χ Phonologie, Grammatik und Lexik auf. Andere Varietäten (z.B. Register) zeigen syntaktische, semantische und pragmatische Unterschiede. In dem einfuhrenden Kapitel 1 gebe ich Beispiele für das Zusammenspiel von Form und Funktion bei der Varietätenbestimmung. In Kapitel 4 geht es mir dann um die Darstellung der Bestimmungsgrößen einer jeden Varietät im einzelnen. In solche Bestimmungen gehen formale und funktionale Kriterien nebeneinander ein. Der Balanceakt zwischen 'traditioneller' und neuerer Forschung war nicht immer leicht, aber notwendig, um eine Art 'kanonisches Wissen' der Soziolinguistik zu erarbeiten. Dem Zusammenhang von Diglossie und Mehrsprachigkeit, verankert im Konzept der Sprachgemeinschaft, ist die exemplarische Status- und Funktionsanalyse von Sprachbegriffen (Nationalsprache, Regionalsprache, Lingua Franca, Minderheitensprache u.a.) in Kapitel 3 gewidmet. Kapitel 4 baut auf den grundlegenden Begriffen diatopisch, diastratisch und diaphasisch auf. Dabei werden Überlappungen und Mehrfachfunktionen von Varietäten diskutiert. Besondere Aufmerksamkeit wird der diaphasischen Dimension und den Begriffen Register und Stil gewidmet, deren terminologischer Status in der Forschung bisher eher vernachlässigt wurde. Abschließend diskutiere ich das Problem der Ordnung/Architektur von Varietäten. Im letzten Kapitel werden die wichtigsten Möglichkeiten der grammatischen Variationsbeschreibung zusammengefaßt. Nach wie vor ist die Formulierung einer Varietätengrammatik ein aus soziolinguistischer Perspektive begehrtes, aber äußerst schwieriges Problem. Daher habe ich qualitative Beschreibungen der gesprochenen Sprache den quantitativen Korpusbeschreibungen als Komplement hinzugefügt. Die einzelnen Teile dieses Buches sind zu recht unterschiedlichen Zeiten entstanden.1 Einen Zusammenhang zwischen den wie Jahresringe übereinander liegenden Arbeitsschwerpunkten zu stiften, war nicht immer einfach. Wenn ein Forschungsgebiet keine Einzeldarstellung erfahren konnte (z.B. die Einstellungsforschung), habe ich mich bemüht, viele Querverweise auf die relevante Literatur zu geben (vgl. auch Dittmar 1996a). Auch der Stil der einzelnen Kapitel ist nicht einheitlich; manche Ausführungen sind schwerer, andere leichter zu verstehen. Welche elementaren linguistischen und soziologischen Kenntnisse kann man für ein Buch wie den 'Grundlagen' voraussetzen? Grundlegende linguistische Termini mußten oft als bekannt vorausgesetzt werden. Zur Erleichterung des Verständnisses möge man/frau bei der Lektüre im Selbststudium das 'Lexikon der Sprachwissenschaft' (Bußmann 19902) und/oder das 'Studienbuch Linguistik' (Linke, Nussbaumer & Portmann 19942) zur Konsultation heranziehen. Im übrigen gehe ich davon aus, daß Dozenten in Kursen und Seminaren HilfestellunEinzelnen Unterkapiteln liegen Aufsätze oder Vorträge zugrunde.

XI gen zur Lektüre und zur Lösung der Aufgaben geben. Die Aufgabenstellungen sind so gehalten, daß das Verständnis der zentralen soziolinguistischen Gegenstände der einzelnen Kapitel überprüft werden kann. Da die Lösungen der Aufgaben qualitativer Natur sind und in der (korrekten) Darstellung unterschiedlich ausfallen können, habe ich auf „Standardlösungen" im Anhang des Buches verzichtet2. Gelegentlich habe ich es für sinnvoll erachtet, die Lösung einer Aufgabe mit der Konsultation eines Nachschlagewerkes zu verbinden (z.B. Handbuch der Soziolinguistik, hrsg. Ammon, Dittmar & Mattheier, 1987 und 1988). Bei der Aufgabenlösung ein soziolinguistisches Handbuch kennenzulernen und sich bei relevanten Fragen selber weiterhelfen zu können, betrachte ich als günstigen didaktischen Nebeneffekt. Das Register zu Fachtermini und Namen von Soziolinguisten, deren Forschungen vorgestellt werden, soll das rasche Auffinden relevanter Lektürestellen erleichtern (die Seitenzahlen grundlegender Sachverhaltsdarstellungen/ Definitionen erscheinen im Register fett gedruckt). Ohne die tatkräftige Unterstützung von Jule Bolm, Bettina Liedtke und Ulrike Müller, die mir bei der druckreifen technischen Herstellung des Manuskripts als effizientes Team, jede einzelne aber auch mit besonderen, spezialisierten Kenntnissen behilflich waren, wäre aus der Veröffentlichung dieses Buches nichts geworden. Gaetano Berruto, Peter Koch, Uwe Naumann, Margret Selting und Romuald Skiba haben einzelne Teile des Buches, die u.a. in Vorträge einflossen, konstruktiv kommentiert. Den Studenten meiner Soziolinguistik-Seminare, insbesondere Alkisti Fleischer, verdanke ich kritische Anmerkungen zu den Aufgaben. Ihnen allen danke ich sehr herzlich für ihre Hilfestellungen und Hinweise. Alle Fehler und Unzulänglichkeiten in der vorliegenden Fassung habe ich selbstverständlich allein zu verantworten.3 Über kritische Kommentare von Lesern zur Arbeit mit diesem Buch, die ich zu seiner Verbesserung nutzen könnte, würde ich mich sehr freuen. Nichts wünsche ich mir mehr als einen nützlichen und didaktischen Einsatz dieses Buches zugunsten einer erfolgreichen Lehre soziolinguistischer Konzepte4. In vielen Fragen gibt es leider keinen Konsens und auch keine 'dogmatische' Lehrmeinung; auf dem Hintergrund der Lektüre der einzelnen Kapitel lassen sich jedoch alle Fragen klar beantworten. Z.B. die Vernachlässigung expliziter Markierungen geschlechtsspezifischer Unterschiede in manchen grammatischen und lexikalischen Kodierungen. Bei genetischer Verwendung eines Ausdrucks unterstelle ich gleichwertige Anteile von Männern und Frauen. Adresse des Autors: Norbert Dittmar, Institut für allgemeine und deutsche Linguistik, Fachbereich Germanistik der Freien Universität Berlin, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin (Fax: 838 67 49; e-mail: [email protected]).

1 Einführung: Wissen und Varietäten im sozialen Kontext

Jeglicher Sprachgebrauch, selbst das Selbstgespräch und das Testament, stehen im sozialen Kontext intersubjektiver Kommunikation. An individuellen und gruppenspezifischen Repertoires der Sprachverwendung interessieren uns in diesem Buch vor allem jene Spielarten oder Existenzformen des Sprechens, die als 'Varietäten' systemische oder als 'Stile' pragmatischexpressive Züge aufweisen. Solche 'Varietäten' (und 'Stile') mittels sprachlicher und außersprachlicher Parameter zu identifizieren, voneinander abzugrenzen und in die Architektur eines Gesamtsystems einzubringen, ist die leitende Forschungsfrage, für die wir in den folgenden Kapiteln die Grundlagen erarbeiten wollen. In einem ersten Schritt soll in diesem Kapitel der Zusammenhang von 'Varietäten' und 'Wissen' (sprachliches, normatives und Handlungswissen) am Beispiel des Deutschen thematisiert werden. Ich gehe von dem natürlichen Wissen jedes einzelnen Sprechers in einer Sprachgemeinschaft aus, der weiß, daß ein und dieselbe Sprache (z.B. Deutsch) in Abhängigkeit von Sprechern und Hörern, Umständen, Zeit und Ort, also verschiedenen sozialen und Interaktionsbedingungen, unterschiedlich verwendet wird. „Jede dieser verschiedenen Spielarten, in denen eine historisch-natürliche Sprache in Erscheinung tritt, kann man zweckmäßigerweise mit dem Namen Varietät bezeichnen" (Berruto 1987: 363). In einer zunächst informellen Annäherung können wir Varietät nach Berruto folgendermaßen charakterisieren: „In der Tat zeichnet sich eine sprachliche Varietät dadurch aus, daß gewisse Realisierungsformen des Sprachsystems in vorhersehbarer Weise mit gewissen sozialen und funktionalen Merkmalen der Sprachgebrauchssituationen kookkurrieren" (1987: 264). Wie wir weiter unten an Beispielen genauer feststellen werden, können wir diese „gewissen Realisierungsformen des Sprachsystems" nur auf der Ebene des tatsächlichen Sprechens in konkreten sozialen Situationen untersuchen und beschreiben. Dabei stoßen wir auf bestimmte lexikalische Wahlen, eine Reihe rekurrenter syntaktischer Regeln, den Aufbau spezifischer Bedeutungsfelder im Rahmen zweckbedingter, in der Perspektive bestimmter Handlungen geäußerter Diskurse. Solche Diskurse sind, wie wir aus praktischen Interaktionen wissen, durch Wiederholungen, Korrekturen, redundante und redegliedernde Ausdrücke (Synsemantika) gekennzeichnet, die der berüchtigten „allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden" nach Kleist geschuldet sind. Ein Textproduktionsmodell ist nicht das Anliegen dieser Einfuhrung, aber die Unterscheidung zwischen (1) sprachlichem Wissen, (2) normativem Wissen und (3) praktischem Handlungswissen.

2 1. Sprachliches Wissen bezieht sich auf die Gesamtheit der einem Sprecher zur Verfügung stehenden Regeln (sowie des Lexikons) zu einem gegebenen Zeitpunkt; in dieses Wissen ist auch ein Wissen über varietätenspezifische Unterschiede und über die Strukturen anderer Sprachen eingeschlossen. Dieses Wissen umfaßt neben dem aktiven, jederzeit abrufbaren Wissen auch passives, langzeitgespeichertes Wissen über sprachliche Strukturen. Zu diesem Wissen gehört z.B.: (a)

(b) (c)

die Kenntnis der Wortstellungsregeln im Deutschen im Haupt- und im Nebensatz, die Verwendungsbedingungen der Partikeln halt, eben, eigentlich und wohl sowie der Genusregeln des Deutschen; die Kenntnis zahlreicher Fachwörter und ihrer speziellen Syntax in Fachworttexten, die nur gelegentlich gebraucht werden; die Kenntnis von idiomatischen Wendungen, Wörtern und Sprachgebrauchsweisen aus früheren Jahrhunderten, z.B. der folgenden Äußerung von Goethe: und laß das Büchlein deinen Freund seyn (Werthers Leiden), die den heutigen Regeln der Sprachverwendung nicht mehr entspricht, von uns aber ohne weiteres verstanden wird.

2. Das normative Wissen bezieht sich auf die tatsächlich in einer Sprache möglichen und im Alltag realisierten Formen und Muster, die zur legitimierten Sprache gehören, in der Regel durch Normen wie den DUDEN kodifiziert sind bzw. durch weithin akzeptierte dialektale Verwendungsweisen in der gesprochenen Sprache bzw. in den Medien. Das normative Wissen erleichtert es uns, aus den grammatisch und logisch möglichen Formen des Deutschen die gebräuchliche schriftliche oder mündliche Verkehrsvariante auszuwählen. Der Bezugspunkt des normativen Wissens sind konkrete Sprecher und Sprechergruppen, Autoritäten wie Schule, Gericht, Verlage und Zeitungen etc. Zum Sprachgebrauch über das Sprachsystem (sprachliches Wissen) gelangen wir nur über das normative Wissen (vgl. Coseriu 1988). Das normative Wissen impliziert für die Varietäten, denen wir uns widmen wollen, kognitiven Halt (Entscheidungen über das Richtige) und Konflikt (welche Varietät ist für den gegebenen Zweck angemessen, „funktional richtig"?). Wie Sprecher in der alltäglichen Interaktion normative „Konflikte" austragen und entscheiden, ist Gegenstand der Soziolinguistik, die sich um die Dynamik der Unterschiede und Veränderungen im Sprachgebrauch kümmert. 3. Praktische Anwendungen des Handlungswissens·. In konkreten Situationen des sprachlichen Handelns, vor allem in Interaktionen mit Partnern, greifen Individuen in der Regel auf ein abnifbares Handlungswissen (Habitus) zurück, das aus kommunikativem Musterwissen für die jeweiligen Situationen und den dafür angemessenen sprachlichen Ausdrücken besteht (weiter unten behandle ich dieses Musterwissen im Zusammenhang mit Registern). Die in Interaktionen freigesetzten sprachlichen und kommunikativen Praktiken bilden Teilräume des sprachlichen Wissens in der Rede ab und zeigen in ihren jeweiligen Realisierungsformen im Prozeß der Rede (hier als Form der Interaktion verstanden) das je nach Interaktionsperson, Umständen und Themata angewandte Normwissen.

Soziolinguistik ist die Untersuchung der Sprache in ihren sozial und funktional verschieden ausgeprägten Spielarten, denen ein sprachliches, normatives und Handlungswissen jeweils entspricht. Der Zugang zum sprachlichen Wissen geschriebener Texte ist eindeutiger als zu dem entsprechenden Wissen in der gesprochenen Sprache, da gesprochene Diskurse der Spontaneität der verbalen Interaktion unterliegen und heterogenen Varietä-

3 ten bzw. Sprachgebrauchsregeln. Im Schriftlichen dagegen sind klare Normen vorgegeben, auch wenn sie im persönlichen Schriftverkehr (Briefe Vertrauter untereinander) nicht immer eingehalten werden. Das Verhältnis von gesprochener Sprache (= Sprache der Nähe) und geschriebener Sprache (= Sprache der Distanz) ist komplex (vgl. Koch & Oesterreicher 1990). Sicher bilden beide funktionale Verschränkungen und beeinflussen sich gegenseitig. Das Spannungsverhältnis zwischen soziokulturellem Varietätengefiige und Einzelsprache wollen wir nun an einigen Beispielen erläutern und, was läge näher, mit der formalen Spielart des Sprachgebrauchs beginnen, jener, die dem Schriftsprachlichen am nächsten liegt. Beispiel 1: Überregionaler Standard Kaum jemand wird bestreiten, daß Dagmar Berghoff, jahrzehntelange Nachrichtensprecherin der staatlichen deutschen Fernsehanstalten, der Idealnorm des Standarddeutschen sehr nahe kommt. Wenn wir Frau Berghoff hören, sagt uns unser sprachliches Wissen, daß ihr Sprachgebrauch keinem Dialekt oder Soziolekt zuzuordnen ist. Ihr Stil (situationsbezogene Sprechweise) ist die formale, distanzierte, sachbezogene neutrale Ebene der Mitteilung, die möglichst viele verstehen sollen. Unser normatives Wissen sagt uns, daß diese Stilebene prestigebesetzt ist, da mit ihr eine überregionale, höchst breite Kommunikations- und Sprachgemeinschaft erreicht werden kann. Zahlreiche Sprecher des Deutschen können den wohlartikulierten Stil von Frau Berghoff nicht produzieren (eingeschlossen Bundeskanzler Kohl), fur viele ist die hochsprachliche formale Präsentation ein Darstellungsakt, der mit der schriftlichen Sprache viele Struktureigenschaften gemeinsam hat. Unser Handlungswissen informiert uns, daß der Diskurs von Frau Berghoff typisch fur das Muster monologischer Vermittlung von Sachinformationen ist: Intonatorische und gestische Expressivität ist auf dem Minimum zu halten, die Aussprache hat so deutlich wie möglich zu sein, die Informationseinheiten des Textes sollen möglichst vollständig abgeschlossen und voneinander abgegrenzt sein, Thema und Fokus der Äußerungen müssen optimal verständlich sein. Morphophonologische Regeln des individuellen Repertoires von Frau Berghoff entsprechen in etwa dem Kernbereich der Aussprachenormen, die König, W. (1989) empirisch ermittelt hat. Die soziolinguistische Frage wer spricht? gibt Auskunft über persönliche, lokale und soziale Identität. Die Sprache gibt uns keinerlei Hinweise auf die Frage, aus welcher Gegend Frau Berghoff kommt. Die Sprachlage ist //ocMetttecA/BRD-Standard. Die Persönlichkeit von Frau Berghoff hat sehr geringes Gewicht: Sie vermittelt Nachrichten einer Nachrichtenredaktion, ihre persönlichen Einstellungen hierzu spielen keine Rolle. Zu wem sie

4 spricht ist von Bedeutung für die Stilwahl: Sie soll überall verstanden werden, daher die dem Schriftlichen nahekommenden Produktionseigenschaften. Das zahlenmäßig große und weitgestreute Publikum nimmt die Rolle von Frau Berghoff auf der Folie gewisser Normen wahr: Würde sie Dialekt, Soziolekt, Jugendsprache oder „Fachchinesisch" reden oder ihre Persönlichkeit (Ausstrahlung etc.) in die Nachrichtenübermittlung legen wollen, würde die Rolle des neutralen, sachbezogenen Nachrichtenmittlers nicht mehr glaubhaft sein. Das gesprochene Hoch-/Standarddeutsche ist eine Varietät, die prototypisch für formale Situationen gilt, in denen weitgehend nach kodifizierten Vorschriften gesprochen wird. Das Musterwissen kommt im wesentlichen aus der geschriebenen Sprache - daher soll die Wirkung des Kontextes auch so klein wie möglich gehalten werden. Da die Formalität der Situation gerade daraufhin wirkt, daß der die Äußerungen begleitende Gefühlsausdruck so gering wie möglich gehalten wird, ist diese Varietät der Einzelsprache weitgehend gegen subkulturelle, gruppenspezifische Sprachwandeltendenzen abgeschottet. Vorschriften für Präsentationen in der Öffentlichkeit (Medien, institutionelle Kommunikation) prägen hier einen gewissen Wandel; die formalen Stilkonzepte der Zeit (Vortrag, Darstellungsformen vor Publikum) filtern das reiche umgangssprachliche und subkulturelle Angebot, das die Standardvarietät „von außen umbrandet". Beispiel 2: Dialekt (1) su ham sich die Leut oumüßploug - so haben sich die Leute abplagen müssen (2) ...hot na sei Ella die Flausn auswölltreib - ...hat ihm seine Ella die Flausen austreiben wollen (3) Die Fraa hot uns dach dan Krtippl gaam un fortloußschlöpp - Die Frau hat uns doch den Krüppl gegeben und fortschleppen lassen (4) Es Festla heiit aakiinngegih - Das Festchen hätte angehen (anfangen) können (5) wall mir...eihammüßkeäf - weil wir...haben einkaufen müssen (6) wos da sich ölles aahotmüßhör! - was der sich alles hat anhören müssen! (Belege aus Werner 1994)

An der Aussprache und der Syntax erkennen wir aufgrund unseres sprachlichen Wissens eindeutig, daß es sich um dialektale Äußerungen handelt (Ostfränkisch/Thüringisch). Die Ausspracheregeln entsprechen dem Fränkischen und haben einiges mit dem Bayrischen gemein. Die Syntax zeigt etwas innerhalb des deutschen Sprachraums Einmaliges: Präfix und Verb „klammern" Hilfsverben bzw. Modalverben ein, selbst in ihrer finiten Realisierung (vgl. Äußerungen (5) und (6)). Diese verbalsyntaktische Klammerstruktur signalisiert hohe lokale Identität - die eigenwillige Aussprache unterstreicht dies. Können Sprecher solcher dialektalen Äußerungen mehr Persönlichkeit einbringen als die Nachrichtensprecher? Sicher nicht, der Unterschied ist aber: Die varietätenspezifischen Strukturen rufen für einen

5 auswärtigen Hörer stereotype Reaktionen hervor; erst hinter der soziokulturellen Maske dialektaler Performanz wird die Persönlichkeit sichtbar, d.h. ihr Spielraum bezieht sich auf eine enge regionale Eingrenzung. Gegenüber dem Beispiel (1) markiert das Beispiel (2) somit Engräumigkeit, tradierte Sprachverhaltensweisen, die nicht schriftlich kodiert sind, und eine Reihe von Abweichungen gegenüber dem Standarddeutschen. Zwei Punkte möchte ich in diesem Zusammenhang anmerken: (i)

(ii)

Niemand spielt, scherzt, schimpft, liebt mit den sprachlichen Formen der Standardsprache - sie ist eine Sammlung kodifizierter Vorschriften, die im schriftlichen Sprachgebrauch eingelöst werden können, denen man jedoch im mündlichen Sprachgebrauch nur annäherungsweise nachkommt. Die Varietät des täglichen Handelns ist jene einer gegebenen Region, einer gegebenen sozialen Gruppe und der mit ihr verbundenen Themen und Ereigniswelten. Die in den Alltagsbeziehungen benutzte Varietät ist die für die in ihr Handelnden spezifische Grundsprache. Sprachwandel von unten betrifft meistens bodenständige Varietäten. Sprachwandel von oben ist der, der mit schriftlichem, meist reflektiertem Sprachgebrauch, Fachsprache und formalen Innovationen zusammenhängt. Da lokale/regionale Varietäten auf mündliche Konventionen zurückgehen und ihr Bezug zu den schriftlich kodifizierten Normen der Standardsprache einen ständigen Bezugspunkt darstellen, können wir lokale/regionale Varietäten (Dialekte) nicht ohne die Relation zum Standard beschreiben.

Folgende Passagen stammen aus dem Beitrag von Günter Bergmann, „Upper Saxon: 5 S wor emal e chunger Mann. Dar kunnte sich nie zun Heiraten entschlissen. Keene stand'n ahn (HD keine gefiel ihm). Na, un derbei da wor er ahlt und graab (HD grau) gewurn. Nachen (HD nachher) muchten (HD wollte ihn) glei gar keene miehe han (HD mehr haben). Na, un in Harbste, da hat er sich ma entschlussen seine Schwaster zu besuchen. Die wohnte in der Gähne (HD Jahna, ein Nachbardorf) un da rahntes tichtch (HD regnete es sehr). Na, un da spricht die uamds (HD abends)·. 'Nu, da kannte nich heemgiehn, da tuste bei uns iwwernachten. ' Die giehet (HD geht) un machts Bette fartch, un wie se vurkimmt, nu, da is er wag. 'Na', denkt se, 'der Rahn (HD Regen) kann dan nich furtgeschwemmt han. Er ward schun widderkumm.' Nach enner Stunde da kommt er, mistmuadennaß (HD völlig durchnäßt). 'Nu', spricht se, 'wu kimmst denn du gewasen?' - 'Na, du weeßt do, daß'ch ohne Mitze nich schluafen kann. Da bin ich arscht heeme (HD daheim) gewasen un hab mer meine Zippelmitze gehult.' (Text aus der Region NordMeißnisch; HD = Hochdeutsch. Herr Ehrlich aus Goselitz nahe Döbeln; siehe Günter Bergmann, „Upper Saxon", in Charles V. Russ, Hg. (1990: 297)). Im 17. Jahrhundert war das Obersächsische die Grundlage fur die Standardisierung der deutschen Nationalsprache. Damals hatte die Varietät des Sächsischen weithin Prestige; heute sieht das anders aus: Sächsisch ist nach Die dialektalen Merkmale des Sächsischen sind ausfuhrlich in Bergmann (1990) erläutert. Sie für den zitierten Text dort zu entdecken, ist eine spannende Aufgabe, die Sie im Selbststudium lösen sollten!

6 Statistiken aus den letzten Jahren die am meisten stigmatisierte Varietät des Deutschen (Bezugspunkt: Aussprache). In den 30er und 40er Jahren des Jahrhunderts scheint die Stigmatisierung nicht so ausgeprägt gewesen zu sein wie heute. Sicher ist daran die Identifizierung des Sächsischen mit den Kaderpersönlichkeiten der DDR in den letzten 50 Jahren Schuld. Sehr schön nachgewiesen ist in einer Studie über sächsische Sprecher in Berlin, daß letztere sich sehr stark (vor allem die Kinder) an die Sprecher des Berlinischen angepaßt haben, da sie die Stigmatisierung ihres Dialektes als Belastung empfunden haben. Wenn Sie die sächsischen Äußerungen mit der in Beispiel 5 (Soziolekt) zitierten Passage aus dem Berlinischen vergleichen, stellen Sie sicher fest, daß Berlinisch der überregionalen Umgangssprache sehr viel näher steht als das Sächsische. Diesen Sachverhalt kann man auch so formulieren: In den meisten deutschsprachigen Regionen wird Berlinisch aufgrund seiner Standardnähe leicht verstanden; das Umgekehrte gilt für das Sächsische: In norddeutschen Regionen wird es sicher nur zu 70 bis 80 % verstanden. Linguistische Unterschiede zwischen einer lokalen Varietät (Dialekt) und dem Standard bzw. der Umgangssprache festzumachen, ist die eine Analysemöglichkeit, die andere besteht in der Beschreibung des Grades der Verständlichkeit. Das Beispiel der deutschsprachigen Schweiz ist hier einschlägig: IF

ö i haz bremgarte d prim gmacht + un ha ddänkt i wöu ö ich hab in Bremgarten die Primar(schule) gemacht und hab gedacht, ich wolle

IF

öppis leere won i nüm ζ flu i d schueu mues + u nid ζ flu etwas lernen wo ich nicht zu viel in die Schule muss und nicht zu viel

IF

rächne for auem unäh 'i outomech wöue oder Rechnen vor allem dann h'ich Automechaniker wollen oder

Pm

(LACHT) (leicht lachend)

IF

dekoratöörin + oder gguaffööse + u di zwöi erschte sache si mer mee oder Dekorateurin oder Frisörin un die zwei ersten Sachen sind mir mehr oder

IF

weniger use + gschnuret worde wiìu me aus frou fasch ke schääse het weniger aus gequatscht worden weil man als Frau fast keine Chance hat

(Sprecher der Stadtsprache Bern, aus: Iwar Werlen (Hrsg.) Verbale Kommunikation in der Stadt, Tübingen: Narr, 1995, Beispiel Nr. 17, S. 203).

Es gibt lokale Varietäten, die von einem gegebenen Standard, z.B. dem bundesrepublikanischen, so weit entfernt sind, daß ihre semantische Transparenz gering ist. In der Regel können Angehörige der BRD-Gemeinschaft des Deutschen höchstens etwa 50 % des Schweizerdeutschen verstehen, wenn sie mit dieser Varietät nicht vertraut sind. Wenn wir uns die zitierte Passage anschauen, ist dies ja auch verständlich: Die lexikalischen, mor-

7 phosyntaktischen, idiomatischen und phonetischen Eigenschaften des Schweizerdeutschen (Helvetismen) markieren den mündlichen Sprachgebrauch als hochgradig abweichend vom bundesrepublikanischen Standard (entsprechend weniger abweichend vom schweizerdeutschen Standard). In der Tat bestehen zwischen der gesprochenen lokalen/regionalen schweizer Varietät und dem hochdeutschen Standard nur wenige Gemeinsamkeiten. Man nennt eine solche Situation, in der die Domänen des informellen Sprechens stark dialektalisiert sind und zum schriftorientierten Standard kaum Übergangsregeln bestehen, eine mediale Diglossie. Diese Diglossie ist im wesentlichen durch eine funktionale Trennung der beiden Varietäten nach formellen vs. informellen Gebrauchsdomänen sowie nach schriftlich vs. mündlich gekennzeichnet. Ammon (1992) faßt das Schweizerdeutsche unter die 'nationalen Varietäten des Deutschen', d.h. das Berndeutsche ist ein lokaler Dialekt, der von dem Schweizerdeutschen Standard überdacht wird; die durch unterschiedliche nationale Normsysteme (= Standard) überdachten Varietäten des Deutschen in der BRD, Österreich und der Schweiz weisen 'Deutsch' als polyzentrische Sprache aus (Französisch ist dagegen monozentrisch). Was die räumlichen Varietäten des Deutschen anbetrifft, so wird uns weiter unten beschäftigen, warum sie standardnah sind wie die Varietäten Norddeutschlands, vielfältige Übergangsformen zwischen Dialekt und Standard aufweisen wie in Süddeutschland oder recht verschiedene sprachlich-kommunikative Mittel umfassen, die unter den Begriff der medialen Diglossie gefaßt werden. Beispiel 3: Rußlanddeutsch Je nach Gebiet der Einwanderung (Wolga vs. Kasachstan etc.) und der eingewanderten Gruppe haben sich Varietäten des Deutschen im ehemaligen Rußland gebildet. Wir wollen uns einige typische Eigenschaften des Rußlanddeutschen wiederum an einem Beispiel verdeutlichen:6 L: no una dan da moundax sins ma da morent gaga m halb siva solda ma Jun driva sin η dem - no Sina ma ax niva gaga no hena ma gluat bis siva no hen za ufgmaxt uno hen za uns *omMenaüm* ge:it nax leibax ~hen za uns di (...) alas

I:

Na und dann der Montag sind wir den Morgen gegangen; um halb sieben sollten wir schon drüben sein, in dém... Dann sind wir auch hinüber gegangen, iadann haben wir gelurt (gewartet) bis sieben, dann haben sie aufgemacht und *omnpaeA¡tüm* bis nox dem ba:nho:f do dann haben sie uns *registriert* "ihr geht nach Lebach." Haben sie uns die ... — sina ma fot alles *auf den Weg gebracht* nach dem Bahnhof. Dann sind wir fort. Seid ihr wohl bis hin? saida voi bis hin

Das Transkriptionsbeispiel verdanke ich Nina Berend (Institut für deutsche Sprache, Mannheim); die Transkription ist nach dem Alphabet der IPA gemacht; in *xxxx* sind russische Wörter und ihre Übersetzung eingeschlossen.

8 Oh*, ich sage doch. Wir haben so L: *où* iç sa: dox mi hen so *nepecadKu*

gmaxt *jiadHo* mia sin nox juq *u mo* *Umsteigungen* gemacht, *na gut*, wir mi hen-s net *ycneeaüm* nina — veiça sind noch jung *und da* wir haben's e:i *ocmaHoem MU He ycnejiu* naigeanicht * geschafft*. Nina, wegen einer •Haltestelle wir haben es nicht geiz-a abgatp schafft* hineinzugehen, ist er abgegangen.

Es ist schwer zu sagen, ob die transkribierte Passage einen Hunsrück-, hessischen, pfälzischen oder fränkischen Dialekt darstellt. Konsultieren wir die einschlägige sprachhistorische Literatur (z.B. Berend und Jedig 1991), so wird deutlich, daß die aus einer bestimmten Region Deutschlands Ende des 19. oder im Beginn des 20. Jahrhunderts nach Rußland ausgewanderten Dialektsprecher untereinander in vielfältigem Kontakt standen. Daß sich aufgrund der Sprachinselexistenz des Deutschen in Rußland ein sogenannter Koinédialekt herausgebildet hat, geht auf soziale und kommunikative Netzwerke sowie auf das Prestige eines der beteiligten Dialekte bzw. auf die zahlenmäßige Präsenz der Sprecher einer bestimmten Varietät zurück. Die Entwicklung eines dachlosen Außendialekts (eines Dialekts ohne Anbindung an einen überregionalen Standard) unterliegt anderen varietätenspezifischen Gesetzen als die Varietäten, die sich unter dem Dach eines Standards in einem Land wie der Bundesrepublik oder Österreichs befinden. Wie verkraften solche Varietäten den Druck einer anderen überregionalen und Standardsprache (hier: das Russische)?7 Welche sprachlichen Überlebenschancen habe diese Varietäten? Was können wir aus dem Vergleich des Wandels solcher Varietäten mit der Entwicklung bzw. dem Wandel von Varietäten einer Einzelsprache unter dem Dach eines Standards schließen? Bei den Beispielen, die ich vorgestellt habe, fällt auf, daß die räumliche Dimension eine zentrale Bestimmungsgröße ist, diese jedoch ohne die soziale Dimension, d.h. die Schichtung, den sozialen Kontext und den Kontakt der Sprecher untereinander, nicht hinreichend erklärt werden kann. Beispiel 4: Soziolekt Trivialerweise gibt es nicht nur die lokalen und regionalen, sondern auch die sozialen, schichtspezifischen Spielarten des Sprachgebrauchs. Viel diskutierte Fragen sind, ob untere Schichten ein schmaleres Vokabular und grammatisches Regelrepertoire haben als die „elaborierteren" Mittelschichtund Oberschichtsprecher. Oft wird auch behauptet, die syntaktischen und semantischen Muster von Unterschichtsprechern seien leichter vorhersagbar, redundanter und stereotyper, während bei Mittelschicht- und OberSprachentlehnungen und häufiger Sprachwechsel sind fur solche 'Außendialekte' typisch, vgl. Milroy & Muysken (1995)

9 Schichtangehörigen mehr Innovation, mehr verschiedene Muster und ein differenzierteres Lexikon aufscheine. Ich will die soziale Schichtung der Sprache, ihre diastratische Dimension, an einem Beispiel aus dem Berlinischen aufzeigen. Der folgende Gesprächsausschnitt stammt von einer jungen Berlinerin aus dem Norden von Berlin.8 f: g:

hast du hier angefangen +?und wie hast du den/ dis hier gekriegt die ausbildungsstelle? dit war eigentlich + mehr oder wenjer + zufall jewesen +1+ eh ick hab ja schon mal ne lehre jemacht + als Schneiderin + und + ja denn jingen die betriebe eben bankrott weil se ebend + äh keene Produktion mehr machen konnten %weil se ebend% +1+ dit jing eben allet nich mehr so jut und denn + hab ick mir ooch jedacht naja dann + wenn se hier alle zumachen ja dann mußte dir eben wat änderet suchen dann ne A + ja und dann hab ick ma eben de bz geholt und + pipapo + und dann allet durchjewühlt die ganzen annoncen und + (h) wenn dit ebend + weeß ick ne frisörstelle freijeworden wäre oder ne kindergarten + stelle denn hätt ick eben sowat jemacht also ick hatte keene konkreten Vorstellungen halt ne A + und dann hab ick ebend ooch jesehen daß zahnarzthelferin ooch so fille jesucht werden und dann hab ick verschiedene überall anjerufen (Gina, Β Ol OF, Ostberlinerin, Korpus „9. November 1989", Aufnahme von 1993).

Die Sprache von Gina ist informell: Sie ist breit von Berlinismen durchsetzt, z.B. durch langes [o:] in einkoofen oder ooch, was auf dem sprachlichen Markt der Varietäten in Berlin als nachlässig bis ordinär eingestuft wird; auslautendes [s] wird oft zu [t] wie in sowat; die velare Spirans [g] wird palatalisiert zu [j] in jingen (vor allem vor hellen Vokalen); [ei] in keine oder eine wird zu [e:]; das [a] in dai wird zum [ι] gehoben. Dann kommen eine ganze Reihe von semantisch vagen und redundanten Gliederungssignalen hinzu: weeß ick, oder so etc. Es gibt auch einige Füllwörter, Adverbien oder Partikeln. Dann gibt es auch einige stereotype Wendungen, die ein einfaches soziales Berliner Milieu erkennen lassen: Dai is mir einfach wurscht oder dit war ja nu albern. Die Varietät von Gina weist typische Merkmale und soziale Stereotype des Berlinischen auf, die die Sprecherin als der Unterschicht oder höchstens unteren Mittelschicht zugehörig erscheinen lassen. Viele Merkmale ihrer Äußerungen werden von den „gebildeteren" Berlinern als unfein angesehen. Dagegen ist das Berlinische, das die Sozialministerin von Brandenburg, Regine Hildebrandt, in öffentlichen Fernsehauftritten spricht, zwar auch deutlich als „Berliner Schnauze" identifizierbar, in der Aussprache aber weniger negativ soziolektal markiert; im Unterschied zu Gina ist die Syntax In dieser Passage wird eine literarische Umschrift verwendet. Alle Wörter werden kleingeschrieben. Nur auffällige Unterschiede zum Standard werden durch Abweichungen in der Schreibweise markiert (jewesen statt gewesen). Im übrigen bedeutet: „+" = kurze Pause; „+1+" = Pause von einer Zehntelsekunde; „(lacht)" = Kommentar; „/" = Redeabbruch; „%...%" = leise gesprochen; ,,Λ" = Heben der Stimme; „ " = Senken der Stimme; „xxx" = unverständliche Morpheme.

10 von Frau Hildebrandts Äußerungen recht komplex, ihr Wortschatz sehr differenziert. Ihre Rede ist zwar auch durch typische morphophonologische Merkmale des Berlinischen markiert, diese sind jedoch in einen mit typischer Berliner Prosodie realisierten Allegro-Stil eingebunden, mit dem sie zugleich kühl und engagiert argumentiert. Frau Hildebrandt verbindet in ihrer Rede den volksnahen schnodderigen Berliner Sprechstil mit der Rhetorik einer Politikerin. Sie spricht ein Berlinisch der gehobenen oberen Mittelschicht. Soziolekt ist eine Varietät, die den Aspekt der sozialen Schichtung zum Ausdruck bringt durch sozialsymbolische Formen der Aussprache, die Organisation von Parataxe und Hypotaxe, eine gewisse Nachlässigkeit in der formalen Organisation der Sprache, durch bestimmte Gliederungssignale und Gesprächswörter. Der Soziolekt verweist auf die soziale Identität und ist stark mit Einstellungen, Stereotypen, Prestige vs. negativer Bewertung verbunden. Beispiel 5: Register Sehen wir uns die folgende Transkription an:9 S Β

S Β S Β

Β

S Β S Β S

Ja hm (sp) Ja so isses, so, wenn du jetzt so hier kommst, kommste dahin, da mußte aber wieder umkehren, sonst gehste wieder weg, ja? kumma, gesenkte Spitze (sp) jetzt raus mit' m Arm! raus mit'm Arm! (S sp) soo isses und da hab ich gern den Daumen drauf, ohne Rutscher (sp), wenn de ihn schön vibrierst so isses Und dann weiter ach so, wieder den Daumen Natürlich! Ja, ja Weißte, das war das erste schöne Vibrato und das war das zweite schöne Vibrato, die da oben meckern ein bißchen (S sp) Laß den Daumen ruhig los beim Vibrieren sooo-o (beide sp) So, jetzt will ich dir auch mal ein Bild geben, wat da los ist, da is ein to-o-osender Sturm und ein Wasserfall bllllll\ so-o, und irgendwelche gro-o-ßen Rufe, ja, in in irgendeiner zackigen - Felslandschaft, könn'sich irgendetwas vorstellen, ja? [lacht] j-ja :: Sowas is das un nu-un wirds weich, lieblich, ja bis dahin muß man es wirklich rausstemmen aus dem Cello, ja::? Ja, ja :: DA-TAM-PA-DI! Das ist eine Überleitung , oder gehn se da rüber jetzt (sp) [Fingersatzproblem: a- oder d-Saite?] (sp) hm?

Transkriptionsausschnitt aus einer Cellostunde. Literarische Umschrift ohne besondere Konventionen; isses = ist es; kommste = kommst du; kumma = guck mal etc.; [...] = Kommentare; Großbuchstaben = laut gesprochen; kursiv = nachdrücklich gesprochen, hervorgehoben.

11 Β S Β S Β S Β

Was sinds denn? Sinds immer Sechzehntel, sinds immer Achtel? Wat sinds denn?:: Sechzehntel sinds imma:: Und der letzte auch: : ? Ja:: [singt] Ooch noch? :: Ja:: Dann kommen Achtel das α is dann 'η Achtel.

Die umgangssprachlichen Charakteristika des Textes (Ellipsen etc.) sind im wesentlichen durch die handelnden Personen, die Situation und den fachlichen Anlaß der Interaktion bestimmt. Verstehensprobleme sind nicht durch dialektale oder soziolektale Eigenschaften der sprachlichen Äußerungen hervorgerufen. Vielmehr ist die Verständlichkeit beeinträchtigt dadurch, (a)

(b) (c) (d)

daß wir die Personen nicht vor uns sehen, sondern uns die Bedeutungen ohne Kontext, Gesten oder intonatorische Begleiterscheinungen des Sprechens erschließen müssen; daß viele Äußerungen elliptisch sind, d.h. bestimmte verbale Teile sind ausgelassen; daß Elemente aus der Fachsprache im Text nicht immer leicht verständlich sind, vor allem die Lautimitationen; daß die besondere Prosodie der Äußerungsorganisation expressive Züge verleiht.

Typisch ist fur die Fachsprache der transkribierten Passage die Metaphorik, die auf die durch die Musik ausgeübte Gemütslage verweist, aber auch das Verhältnis des Körpers zum Musikinstrument thematisiert. Die Sprache ist gleichzeitig durch die Personifizierung des Cellobogens, der Saiten, kurz: der Objekte, die an den musikalischen Tönen begleitet sind, charakterisiert. Auffällig sind die vielen deiktischen Ausdrücke schließlich, die auf den Kontext und die unmittelbare Handlungssituation verweisen (Unterschied zum Schriftlichen!). Register ist somit eine Varietät, die in erheblichem Maße durch die Situation (Cellolehrer mit Schülerin während einer Unterrichtsstunde in der Musikhochschule), das Interaktionsverhältnis (Meister lehrt Schülerin), den Gesprächsgegenstand (Fachunterricht im Cellospielen) gekennzeichnet ist. Sprechweise, Thema, Interaktanten und Situation konvergieren in der Varietät Register. Wenn wir uns diesen Text genauer ansehen, stellen wir zunächst fest, daß er sich auf ein spezifisches Sprachgebrauchsfeld (Thema) bezieht. Das Thema virtuos Cellospielen lernen ist eng an die Rollenkonstellation Lehrer (der berühmte Cellist Boettcher) - Schülerin (eine Studentin) gebunden. B, der Cellolehrer, hat eine dominante Rolle über alle Redebeiträge hinweg. S, die Studentin, stimmt zu (Ja, hm) oder beantwortet eine Frage (Sechzehntel sinds immer). Sie ist die Rezipientin, die den Unterrichtsstoff und die Initiativen des Lehrers verarbeitet. Um seiner Rolle im Unterricht einer Meisterschülerin gerecht werden zu können, bedient sich Β

12 eines fachspezifischen Vokabulars (Vibrato, Achtel, Sechzehntel, vibrieren), körper- und ausfiihrungsbezogener idiomatischer Wendungen (gesenkte Spitze, /'e/z/ raus mit'm Arm, da hab ich gern den Daumen drauf, ohne Rutscher, bis dahin muß man es wirklich rausstemmen aus dem Cello), ikonischer (lautmalerischer) Ausdrücke (to-o-o-sender Sturm, Wasserfall bllllll!, gro-o-ß-en Ruf, da-tam-par-di) und lebendiger Metaphern: (i) die da oben meckern ein bißchen (= die hohen Töne des gerade gespielten Vibratos ähneln der Lautfolge des Meckerns); (ii) da ist ein to-o-o-sender Sturm und ein Wasserfall bllllll (= hier muß Vivace gespielt werden, es muß ein „großartiger" Ausdruck beim Spielen geschaffen werden); (iii) irgendwelche gro-o-ß-en Rufe, ja in irgendeiner zackigen Felslandschaft (= die mit dem Cello hervorgerufenen Tonfolgen sollen Analogien zu einer zackigen Felslandschaft hervorrufen).

Mit den Bildern, die der Meister wählt, möchte er bei der Schülerin eine musikalisch-stilistische Sensibilität erreichen, die die Technik des richtigen Spielens mit visionärer Gestaltung verbindet. Sehr auffällig sind in dem Text die lokaldeiktischen Ausdrücke, die nur in der Situation mit Bezug auf die Körperhaltungen und das Cello verstanden werden können: Wenn du jetzt so hier kommst, kommste dahin, da mußte aber wieder umkehren, sonst gehste wieder weg. Diese Passage ist nur in Verbindung mit einer kontextuellen demonstratio ad oculos zu verstehen. Ähnlich ist es mit der Passage da hab ich gern den Daumen drauf, ohne Rutscher, die nur in Verbindung mit einer demonstrierten Körperhaltung verstanden werden kann. Schließlich weisen auch die Ellipsen einen ähnlichen Kontextbezug auf: Ausgelassene Elemente werden durch den Kontext spezifiziert (und dann weiter, ach so, wieder den Daumen, bis dahin muß man es wirklich rausstemmen aus dem Cello, oder gehn se da rüber). Dem pädagogischen Lehreffekt sind damit typische Stilausprägungen geschuldet: Fokussierungen und Intonation (musikalische Parallelinformationen), Ellipsen im Zusammenhang mit Bewegungsverläufen und Körperhaltungen, Metaphern zur Verdeutlichung einer Zielgröße des musikalischen Stils etc. Zweck des Diskurses (Thema), Diskursmodus (typische Eigenschaften der gesprochenen Sprache, Ellipsen etc.) und Modulation der Interaktionsbeziehung (intonatorische Gestaltung der Lehrsequenzen, demonstratio ad oculos etc.) legen hier den Rückgriff auf den dem Orgelspielen entlehnten Begriff 'Register' nahe: Die Sprache wird wie bei der musikalischen Tonabstimmung reguliert, das sprachlich-kommunikative Verhalten wird situativ und kontextspezifisch kalibriert. Der Begriff 'Register' läßt sich auf konventionelle und institutionelle Diskurse anwenden. Er bezieht eine gegebene Tätigkeit auf das durch die

13 Tätigkeit begrenzte semantische Feld und entsprechende interaktionsspezifische Schritte. Beispiel 6: Jugendsprache Sprachliche Varietäten haben auch mit dem (sozialen) Alter und den Generationen zu tun. Ältere Leute sagen guten Morgen oder guten Tag, jüngere begrüßen sich mit Hey, Leute mittleren Alters häufig mit hallo. Ältere Leute bilden in der Regel durch weil eingeleitete Teilsätze mit dem finiten Verb in Endstellung - jüngere Leute formulieren das gleiche mit dem finiten Verb in zweiter Position. Für unwillkommene Ereignisausgänge benutzen ältere Leute Ausdrücke wie schlimm, schlecht, Mist, jüngere Leute Scheiße.

Folgende Beispiele liefern uns verschiedene Facetten der Jugendsprache (West- und Ostberliner Jugendliche):10 (1) die leute...also echt voll krass also weil + richtig so aalglatt + damit se mal wieder ihm mietvertrag verlängern können (2) sgibt η paar wessis die ich also absolut nich mag die nun mal wessis sind die könntn kaum ossis sein + die irgendwo nich gut drauf sind also die also + so wessitypisch scheiße drauf sind... so richtig spießermäßig... (3) ich verpiß mir am liebsten schnell von zu hause (4) naja damals wars lustig... mensch geil hast mal was gemacht... war echt nett von dir, so richtig cool... die find ick echt affig... die ham total viele lehrsteilen frei (5) tiirken ick meine manche sind ursê1 komisch okay ick kenn ja auch welche + aber... (6) kino dit is okee aber seit der wende war ick och nicht mehr + damals 2,50 eintritt oder eene mark... und jetzt 10 mark ey Wahnsinn

Typisch fur die Jugendsprache sind Intensivierungen wie echt, voll, total, Adjektive (Prädikate) wie geil, affig und cool {das ist cool), idiomatische Wendungen wie scheiße drauf sein (2), sich verpissen (3), Gesprächswörter wie ey (siehe hierzu die Analyse in 5.3.3). Hinzukommen noch verbale Neuschöpfungen (z.B. etwas spannen = mitbekommen; ablochen = 'Dampf ablassen' durch Lachen etc.), aus dem Englischen entlehnte Ausdrücke {down sein, fuck, Macker etc.) und Wendungen aus der Scene-Sprache (vgl. Schlobinski et al. 1994 fur viele weitere Beispiele). Sprachliche Repertoire (individuelle und soziale) variieren mit dem Alter. Altersspezifische Varietäten, auf die ich am Beispiel 'Jugendsprache' in 4.3.6.2.2 eingehe, werden auch 'Gerontolekte' genannt.

10

11

Die Belege (1) bis (6) stammen aus dem jugendsprachlichen Korpus von Christine Zwack, der ich für die Erlaubnis danke, diese Beispiele aus ihrer Magisterarbeit „Jugendsprache in Ost- und Westberlin" (1994) zitieren zu dürfen; die Sprecher sollen anonym bleiben. urst ist eine spezifische ostberliner Variante, sie bedeutet sehr (Steigerung von urig).

14

Stehen nun die anhand der sechs Beispiele illustrierten Sprachgebrauchssysteme (Varietäten) isoliert nebeneinander oder lassen sie sich in einem Varietätengefuge verorten? Damit wende ich mich der Frage zu: Architektur der Varietäten oder Varietäten in Abhängigkeit von Variablen? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir das Varietätenproblem als Teil des Problems der Entwicklungsgeschichte einer Einzelsprache, d.h. der 'historischen Sprache', sehen. Coseriu (1988: 24) schreibt: „Wir verstehen unter einer 'historischen Sprache' eine Sprache, die als historisches Kulturprodukt vorhanden ist und von ihren eigenen Sprechern und denen anderer Sprachen als S p r a c h e anerkannt wird. Wir erkennen eine historische Sprache vor allem daran, daß sie einen eigenen Namen hat, durch ein adjectivum proprium bezeichnet wird, z.B. die deutsche, französische, italienische Sprache. Eine historische Sprache beruht nicht auf konventioneller Abgrenzung. Wir können die Sprache einer Familie, einer Stadt, einer Gruppe von Schriftstellern konventionell abgrenzen, nicht aber historische Sprachen wie das Deutsche und das Französische, die historisch mit bestimmten Grenzen schon gegeben sind (auch wenn wir fragen können, ob die Grenzen diese oder jene sind, ob z.B. eine Mundart χ zu einer Sprache y gehört). Eine historische Sprache ist nie ein einziges Sprachsystem, sondern ein Gefüge von - teilweise - verschiedenen Sprachsystemen. Es bestehen Unterschiede in phonetischer, grammatischer und lexikalischer Hinsicht. Die teilweise divergierenden, aber historisch zusammenhängenden Sprachsysteme innerhalb einer historischen Sprache unterscheiden sich grundsätzlich in dreierlei Hinsicht [...]: 1. Sie unterscheiden sich im Raum, d.h. sie bilden verschiedene Dialekte. Wir bezeichnen die Verschiedenheit im Raum als di atopisch', die Einheitlichkeit in räumlicher Hinsicht nennen wir dagegen syntopisch. 2. Sie unterscheiden sich soziokulturell, d.h. sie konstituieren verschiedene soziokulturelle Sprachschichten und Sprachniveaus. Wir nennen diese Art der Verschiedenheit diastratisch (von lat. Stratum 'Schicht') und die entsprechende Einheitlichkeit synstratisch. 3. Sie unterscheiden sich in expressiver Hinsicht, d.h. hinsichtlich verschiedener Situationen des Sprechens und der darauf bezogenen Sprachstile. Diese Art der Verschiedenheit heißt diaphasisch, die entsprechende Einheitlichkeit synphasisch. In dieser Hinsicht ist die historische Sprache ein Art Konnexion, ein Gefiige von Mundarten, von Sprachniveaus und von Sprachstilen. Wir gehen syntopisch vor, wenn wir die Sprache in einem bestimmten Raum betrachten, z.B. das Schwäbische als besondere Form des Deutschen. Wir gehen synstratisch vor, wenn wir ein bestimmtes Sprachniveau untersuchen, z.B. die Sprache der Gebildeten. Unsere Untersuchung ist synphasisch, wenn sie sich auf einen bestimmten Sprachstil richtet, z.B. die Sprache in der Familie. Wir erfassen noch nicht ein einheitliches Sprachsystem, wenn wir syntopisch, synstratisch und synphasisch vorgehen. Die gleiche Mundart kann nämlich ihrerseits diatopische und diaphasische

15 Verschiedenheiten aufweisen. Ein bestimmtes Sprachniveau, z.B. das der Gebildeten, kann andererseits mundartlich sein und stilistische Differenzierungen aufweisen. Ein bestimmter Sprachstil, z.B. die Sprache in der Familie, wird wiederum räumlich und soziokulturell differenziert sein.... Eine 'funktionelle Sprache' ist eine Sprache, die in jeder Hinsicht einheitlich, d.h. zugleich syntopisch, synstratisch und synphasisch ist. Mit anderen Worten: Sie ist eine vollkommen bestimmte Mundart auf einem vollkommen bestimmten Sprachniveau in einem vollkommen bestimmten Sprachstil. Wir nennen die Sprache, die die drei Typen der Einheitlichkeit aufweist, darum funktionell, weil sie die Sprache ist, die jeweils unmittelbar beim Sprechen funktioniert [...] Eine historische Sprache im ganzen wird niemals als solche gesprochen. Niemand kann das Deutsche als historische Sprache sprechen, d.h. niemand kann z.B. zugleich Bayrisch, Schwäbisch und Alemannisch sprechen. Wenn jemand spricht, so spricht er eine bestimmte Mundart auf einem bestimmten Niveau in einem bestimmten Sprachstil. Man kann nicht zugleich am gleichen Punkt der Rede mehrere verschiedene Sprachniveaus realisieren, und man spricht immer einen besonderen Sprachstil und nicht zugleich verschiedene. Die historische Sprache wird im Sprechen nicht unmittelbar realisiert, sondern nur über die funktionellen Sprachen, aus denen sie zusammengesetzt ist. An jedem Punkt des Sprechens kann man also nur eine bestimmte funktionelle Sprache realisieren. Man kann aber sehr wohl im Sprechen mehrere funktionelle Sprachen realisieren, und zwar an verschiedenen Punkten der selben Rede oder des selben Textes. Man kann z.B. in einem hochdeutschen Text an einem bestimmten Punkt etwas Schwäbisches verwenden, um eine bestimmte Textfunktion auszudrücken... Die funktionelle Sprache ist hinsichtlich ihrer Abgrenzung ein Idealobjekt. Das heißt jedoch nicht, daß die verschiedenen funktionellen Sprachen den Sprechern nicht bekannt wären: In diesem Falle würde gerade die Variation innerhalb eines Textes nicht mehr funktionieren. Wir erkennen sehr wohl, ob ein Ausdruck einer Mundart entspricht; wir weisen Ausdrücke einem bestimmten Sprachniveau zu, wenn wir sie z.B. als vulgär, oder einem bestimmten Sprachstil, wenn wir sie z.B. als familiär identifizieren. Solche Identifizierungen spielen bei der unmittelbaren Interpretation stets eine Rolle" (Coseriu 1988: 24-27).

Aus den Ausführungen von Coseriu geht hervor, daß die sprachliche Produktion, da zeitlich in Sequenzen nacheinander geordnet, aus der Realisierung funktioneller Sprachen (also Varietäten) innerhalb einer Einzelsprache bestehen. Demonstrieren wir dies an einem Beispiel: Nehmen wir an, das Deutsche als historische Sprache zerfalle in acht Dialekte und drei Schichten sowie drei Stile, dann hätten wir eine Auswahl aus 8 x 3 x 3 Varietäten = 72 (siehe Tab. 1-1): Dialekte Unter1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Schicht Mittel-

Ober-

formell

Alemmanisch Bayrisch Berlinisch Frankisch Pfälzisch Plattdeutsch Sächsisch Schwäbisch

Tabelle 1-1: Matrix für 72 Varietäten des Deutschen

Stil halbformell

informell

16

Eine funktionelle Sprache im Sinne Coserius ist dann jeweils eine Kombination aus den drei Listen: Bayrisch, Mittelschicht, formelle Sprache oder Sächsisch, Unterschicht, informelle Sprache. Die Mischungen, die in der Rede als Abfolge erscheinen, sind einerseits qualitativ („kategorisch"), andererseits quantitativ („statistisch"). Wenn wir bestimmen wollen, wie die Kompetenz eines einzelnen Sprechers bezüglich der Realisierung funktioneller Sprachen strukturiert ist, müssen wir individuelle Repertoire untersuchen. Solche Untersuchungen sind Längsschnittanalysen (über mehrere Monate und Jahre), die die Variation nach Situation und sozialem Kontext erfassen. Ohne solche Untersuchungen würden wir nicht wissen können, wie „schmal" oder „breit" die einzelne sprachliche Kompetenz in Bezug auf Variation angelegt ist. Wenn Sprecher nur auf eine funktionelle Sprache begrenzt sind, ist ihre Kompetenz insgesamt eingeschränkter als bei Sprechern, die über mehrere funktionelle Sprachen verfugen. Solche sprachkompetenzbezogenen Untersuchungen setzen immer eine genaue Kenntnis des individuellen Repertoires voraus. Wenn ich mehrere Sprecher in ihrer Rede dokumentiere, so kann ich sowohl nach Gemeinsamkeiten als auch nach Unterschieden suchen - erstere würden dann Aussagen über einen Dialekt oder Soziolekt ermöglichen, letztere über das individuumspezifische Verhalten als von der Gruppe unterschiedliches Verhalten. Daher kann man zwei Tendenzen empirischer Untersuchungen unterscheiden: 1. Sprachkompetenzstudien, die auf die Variationsbreite des Individuums abzielen und 2. Varietätenuntersuchungen, die auf Gruppensprachen, ihre Konventionen und ihre Abgrenzung gegenüber anderen Varietäten angelegt sind. Daraus ergeben sich für die Varietätenlinguistik zwei Ordnungsprinzipien: 1. Sprachkompetenz: In welcher Reihenfolge werden Varietäten erworben - gibt es eine Erwerbsfolge: situative Varietäten räumliche ->· schichtspezifische (in dieser Reihenfolge)? In welchem Abhängigkeitsverhältnis stehen formelles vs. informelles Sprechen und Dialektgebrauch? Gibt es „ärmere" und „reichere" Phasen des Sprachgebrauchs im Lebenszyklus? Welche Register werden im Zusammenhang mit Beruf und Lebenserfahrung ausgebildet? Die eine Dimension der Untersuchung ist die varietätenspezifische Kompetenz, die andere Dimension ist der Zeitparameter früher - später. 2. Auf der Ebene der Sprachgemeinschaft (definiert durch eine historische Sprache) fragt sich, aus welchen und wie vielen Varietäten diese besteht und welche Sprechergruppen welche Varietäten verwenden. Ist die Sprachgemeinschaft monoglossisch, diglossisch oder polyglossisch? Gibt es Dialekte, Umgangssprachen und einen Standard? Wie ist das Verhältnis von lokalen/regionalen Dialekten, Umgangssprache und Standardsprache in der alltäglichen Rede, differenziert nach informellen und formellen Kontexten? Wie wirken bestimmte Parameter, soziologische und psychologische, zusammen, so daß Sprecher nur Dialekt, teilweise Dialekt und teilweise Umgangssprache oder Standard etc. in ihrer Rede realisieren? Hier stellt sich die

17 Frage der Architektur von Varietäten: Bauen Varietäten aufeinander auf, gibt es kleinere und größere Varietäteneinheiten? Kann man die Varietäten wie in einem Stammbaum von oben nach unten gliedern? An welchen Parametern orientieren sich große Sprechergruppen: Medien, unmittelbare Peergroup, Familie und Nachbarschaft, Gebildetensprache, regionale Umgangssprache?

2 Soziolinguistik: Gegenstand und Forschungsparadigmen

Die Genese einer Disziplin hat ihre wissenschaftshistorischen Wurzeln. Diese sollen im folgenden grosso modo für die Soziolinguistik rekonstruiert werden, denn der Nährboden für die Vitalität einer Disziplin ist der Konflikt zwischen theoretisch motivierten Forschungsparadigmen einerseits und sprachgebrauchsbezogenen Anwendungen andererseits. Der Gegenstand der Soziolinguistik soll daher aus dem Nebeneinander konkurrierender Ansätze verstanden werden. Dieses Vorgehen halte ich im Unterschied zur voreiligen Ausrufung einer einzelnen Methodik zum Kronzeugen der Disziplin für konstruktiv, denn erst die Berücksichtigung verschiedener Ansätze wird es ermöglichen, aus dem ideologischen Schatten einzelner Paradigmen herauszutreten und tragfähige Grundlagen einer Erforschung von Varietäten und soziolinguistischen Stilen zu entwickeln. Die Auswahl der vier Paradigmen12, die ich in diesem Kapitel mit unterschiedlicher Gewichtung als die Grundpfeiler der Soziolinguistik vorstelle, rechtfertigt sich nicht aus einem Anspruch der Vollständigkeit heraus; sie steht vielmehr symbolisch für das konstruktive Spannungsverhältnis zwischen den methodischen Ansprüchen einer Soziologie der Sprache, der Variations-/Varietätenlinguistik und der kulturvergleichenden Pragmatik verbaler Interaktion; eine weitere Unterdifferenzierung dieser Ansätze würde von der Tatsache ablenken, daß die genannten Strömungen Triebfedern der Entwicklung der Disziplin sind. Zunächst werde ich allgemeine Wesensmerkmale einer integrativen soziolinguistischen Wissenskultur herausarbeiten.

2.1 Gegenstand der Soziolinguistik Der Terminus 'Soziolinguistik' wurde nach bisherigen Erkenntnissen erstmalig von Haver C. Currie 1949 in einem Vortrag verwendet, der 1952 in der Zeitschrift Southern Speech Journal erschien (vgl. H C. Currie 1981: 36, 39). Currie schlug 'Soziolinguistik' programmatisch als eine selbständige Disziplin vor:

12

Berruto (1995: 13-18) unterscheidet periphere und Kerngebiete, die zur Soziolinguistik beitragen, während die vier SL konstituierenden Paradigmen hier wissenschaftsgeschichtlich entwickelt werden.

20 "The present purpose is to suggest... that social functions and significations of speech factors offer a prolific field of research... This field is here designated sociolinguistics." (Currie 1952, zitiert in Williamson & Burke 1971: 40) Der Terminus setzt sich in den sechziger Jahren dann als Bezeichnung einer Disziplin durch, die sich mit dem Zusammenhang von Sprache und Gesellschaft befaßt. 'Soziolinguistik' wird verstanden als "the study of language in relation to society" (Hudson 1980: 1), '"socially constituted linguistics'... with social as well as referential meaning, and with language as a part of communicative conduct and social action" (Hymes 1974: 197), „das Studium der Sprache im sozialen Kontext" (Labov 1972a: 183) oder als eine empirisch orientierte Disziplin im 'Zwischenbereich' von Soziologie und Linguistik, die die in der Linguistik wachsende Distanz zwischen theoretisch und empirisch orientierter Sprachforschung abbauen und der Sprachtheorie neue Erklärungsdimensionen für Sprachvariation und Sprachwandel bieten will. Trudgill bezeichnet zwei Aspekte des Sprachverhaltens als bedeutungsvoll von einem sozialen Gesichtspunkt aus: "first, the function of language in establishing social relationships; and, second, the role played by language in conveying information about the speaker" (1974: 14). Unter den zahlreichen Definitionsversuchen von 'Soziolinguistik' 13 ist die von Fishman (1972a: 45 f.) die am weitesten verbreitete 14 : "the sociology of language examines the interaction between these two aspects of human behaviour: use of language and the social organization of behaviour. Briefly put, the sociology of language focusses upon the entire gamut of topics related to the social organization of language behaviour, including not only usage per se but also language attitudes, overt behaviour towards language and toward language users." Fishman unterscheidet Sprachsoziologie:

dann zwischen deskriptiver

und

dynamischer

"... descriptive sociology of language seeks to provide an answer to the question 'who speaks (or writes) what language (or language variety) to whom and when and 13

14

Vgl. hierzu Dittmar (1973: 160-167); wir wollen hier davon absehen, unterschiedliche Auffassungen von 'Soziolinguistik' auf eine jeweils gegebene linguistische, soziologische, anthropologische, ethnographische oder sozialpsychologische Tradition zurückzuführen. Engere und weitere Paraphrasen laufen darauf hinaus, daß es sich um den Forschungsgegenstand 'Sprache und soziale Bedeutung' handelt. Die durch die erwähnten wissenschaftlichen Traditionen bedingte unterschiedliche methodische Auffassung von dem Forschungsgegenstand wird in 2.5 deutlich. Wir machen hier keinen Unterschied zwischen 'Soziolinguistik' und 'Sprachsoziologie'. Eine solche Unterscheidung hat eher im Sinne strategischer wissenschaftlicher Argumentation abgrenzende Funktion, die langfristig künstlich erscheinen muß (vgl. Mattheier 1983).

21 to what end?'. Descriptive sociolinguistics tries to disclose the language usage norms, i.e. the generally accepted and implemented social patterns of language use and of behaviour toward language, for particular larger or smaller social networks and communities. Another part of sociolinguistics - dynamic sociology of language - seeks to provide an answer to the question 'what accounts for the differential changes in the social organization of language use and behaviour toward language?'. Dynamic sociology of language tries to explain why and how the social organization of language use and behaviour toward language have become selectively different in the same social networks or communities on two different occasions. Dynamic sociology of language also seeks to explain why and how two once similar social networks or communities have arrived at a quite different organization of language use and behaviour toward language." (1972a: 46 f.).

Mit Fishmans Fragestellung ist ein komplexes Forschungsprogramm formuliert. Was und wie (Gesichtspunkte der sprachlichen Form und Bedeutung) in Abhängigkeit von einem spezifischen Kontext (Situation, soziale Umstände) und den sozialen Merkmalen der Sprecher in einer bestimmten Sprache geäußert wird, soll einschließlich der von den Interaktionspartnern verfolgten Handlungsabsichten und den hieraus resultierenden sozialen Folgen beschrieben werden. Ich fasse zusammen: Der Gegenstand der Soziolinguistik ist die soziale Bedeutung (von Varietäten) des Sprachsystems und des Sprachgebrauchs15. Dieser Problemstellung wird vorherrschend unter vier verschiedenen Fragestellungen nachgegangen. Die Verwendung eines sprachlichen Kodes (genetisch verschiedene Sprachen wie Spanisch, Baskisch, Deutsch ...) oder Subkodes (Varietäten einer Einzelsprache wie Pfälzisch, Westfälisch, Bayrisch ... im deutschen Sprachraum) durch Sprecher unterliegt sozialer Bewertung und Kontrolle. Das .soziale Image' (Prestige, Stigmatisierung) dieser Kodes und Subkodes kann man primär unter soziologischem Gesichtspunkt untersuchen. Diese Forschungsrichtung nennt man 'Sprachsoziologie': Soziologie ist das Kerngebiet, Linguistik ihr methodisches Instrumentarium. Ihr Wegbereiter ist seit den sechziger Jahren Joshua A. Fishman, der durch Überblicksartikel (1971a; 1972a; 1973; 1974), programmatische Schriften (1968a; 1972b; 1975) und die Herausgabe von Sammelbänden (u.a. 1968b; 1971b; 1972b; 1974) und der Zeitschrift International Journal of the Sociology of Language diesen Teilbereich theoretisch und methodisch stark geprägt hat. Die europäische Tradition sprachsoziologischer Forschung wird durch das

15

Vgl. die Arbeitsdefinitionen von Baylon (1991: 25) „la SL englobe [...] tout ce qui est étude de la langue ou de la parole ou du langage dans un contexte sociale culturel ou comportemental" und Berruto (1995: 10): „la SL è un settore delle science del linguaggio che studia le dimensioni sociali della lingua e del comportamento linguistico, vale a dire i fatti e fenomini linguistici che, e in quanto, hanno relevanta e significato sociale."

22 von Klaus Mattheier und Ulrich Ammon herausgegebene und seit 1989 erscheinende Jahrbuch Sociolinguistica repräsentiert. Die soziale Bedeutung alternativer Strukturen des Sprachgebrauchssystems untersucht die zweite Forschungsrichtung. Die Verwendung koexistierender sprachlicher Varianten in Sprachgemeinschaften gilt als auffälliges Merkmal sozialer Zugehörigkeit. Sprachformen werden als notwendige Abgrenzungssymbole räumlicher und sozialer Territorien betrachtet. Diese gemeinhin soziale Dialektologie oder Variationslinguistik genannte Richtung untersucht sprachliche Variation als Gattungsspezifikum der Kommunikation und erklärt diese unter Rückgriff auf soziologische Kriterien. Linguistische Differenzierungen stehen im Vordergrund, die Soziologie fungiert als Hilfswissenschaft, die der Linguistik zuarbeitet. Der Wegbereiter dieser Richtung ist William Labov, der die theoretischen und methodischen Fundamente fur diesen Teilbereich in seiner 1966 erschienen Dissertation The Social Stratification of English in New York City geschaffen hat (vgl. auch Labov 1972a, b). Sowohl Fishman als auch Labov sind in der Ausarbeitung ihrer Methodik durch Uriel Weinreich, insbesondere sein Buch Languages in Contact (engl. 1953, dt. 1977), entscheidend beeinflußt worden. Labov hat Weinreichs linguistische, Fishman seine soziologischen Ideen umgesetzt. Das durch Fishman geprägte Paradigma fühlt sich der klassischen Soziologie verpflichtet. Soziologische Termini und Kategorien werden als 'Konstrukte' aufgefaßt, mit deren Hilfe die soziale Wirklichkeit durch vom Forscher 'von außen' angelegte Kategorien segmentiert wird ('Schicht', 'Rolle', 'Status', 'Prestige' etc.). Die Gültigkeit von Aussagen soll durch Hypothesenbildung formal überprüft werden. Begriffe werden mittels 'Indikatoren' operationalisiert und statistischen Verfahren unterworfen. Gängige statistische Verfahren sind (vgl. Schlobinski 1996): Signifikanztest, multivariate Analyse, Faktorenanalyse (u.a.). Übersichtliche Darstellungen über den Stand der 'klassischen' Soziologie finden sich in Opp (1970) und Friedrichs (1973). Labov dagegen bedient sich der 'klassischen' Soziologie in begrenztem Maße. In den späten Arbeiten greift er auf kulturanthropologische Konzepte zurück. In der 'sozialen Dialektologie' werden überwiegend einfache Versionen der Statistik angewandt. Die Anwendung komplexerer statistischer Prozeduren wird nicht für notwendig gehalten, da Sprache diskreter strukturiert sei als andere soziale Phänomene. Die von Labov geprägte Soziolinguistik ist in der Schriftenreihe des Center for Applied Linguistics in Washington breit dokumentiert (Labov 1966; Wolfram 1969; Alatis 1970; Shuy 1972; Wolfram 1974 und zahlreiche weitere Sammelbände und Monographien). Publikationsorgane neuester Forschungsergebnisse sind die von Dell Hymes (neuerdings W. Bright) herausgegebene Zeitschrift Language in Society (seit 1972; dominant

23 'ethnographisch' orientiert, jedoch finden sich in der Zeitschrift auch zahlreiche variationslinguistische Aufsätze) und die von Labov und Sankoff herausgegebene Zeitschrift Linguistic Variation and Change (seit 1989). In der Tradition der Anthropologie befaßt sich die dritte Forschungsrichtung, die Ethnographie der Kommunikation, mit dem Zusammenhang von kultureller Verschiedenheit und Sprache, d.h. der angemessenen Verwendung sprachlicher Ausdrücke. Die kommunikative Kompetenz zu adäquatem Sprach- und Interaktionsverhalten wird unter Rückgriff auf das soziale Wissen der an der Kommunikation Beteiligten und mithilfe teilnehmender Beobachtung beschrieben. Ziel der Ethnographie ist die Erklärung sprachlich gebundenen Wissens von Gesellschaftsmitgliedern. Darstellungen finden sich in Conklin (1968), Hymes (1964), Erickson (1988) und Kallmeyer (1994). Als Publikationsorgane sind vor allem die Zeitschriften American Anthropologist und Language in Society zu nennen. Eine vierte Forschungsrichtung im Schnittpunkt von Soziologie und Linguistik befaßt sich mit der sozialen Bedeutung von verbaler Interaktion. Im Zentrum steht die handlungs- und interaktionsorientierte Sprachverwendung. Untersucht wird, wie im Prozeß der verbalen und nicht-verbalen Interaktion soziale Ordnung hergestellt wird. Sprache wird nicht als System, sondern ausdrücklich als Handlungspotential verstanden. Diesem Bereich sind drei Forschungsrichtungen zuzurechnen, die ich unter dem Oberbegriff'soziale und interaktive Pragmatik' zusammenfasse (vgl. Kallmeyer/Schütze 1975: 5; Turner 1974 und Levinson 1983/1990, Kapitel 6; Verschueren 1991; Blommaert & Verschueren 1991). Sie gehen auf die philosophischen Arbeiten von Alfred Schütz und Harold Garfinkel (1967) zurück (Garfinkel prägte für die von ihm gegründete Schule den Begriff 'Ethnomethologie ' ) . 1. Die 'formale' Konversationsanalyse ist durch die empirischen und methodischen Arbeiten des Garfinkel-Schülers Harvey Sacks geprägt (vgl. die Beschreibung des Sprecherwechsels in Sacks, Schegloff und Jefferson (1978) und Schenkein (1978)). Sie befaßt sich mit der Organisation verbaler Interaktion durch Sprecherwechsel, Redekorrekturen, Gesprächseinleitungs- und -abschlußsequenzen etc. Die formalen Organisationsprinzipien werden als Mikrokosmos sozialen Handelns verstanden. 2. Die 'kognitive' bzw. 'interpretativ-ethnomethodologische' Richtung der Konversationsanalyse untersucht vor allem die Prozesse der Bedeutungskonstitution und Interpretation in verbalen Interaktionen. In Anlehnung an Garfinkel sind hier die Arbeiten von Aaron Cicourel, Bud Mehan, Don H. Zimmermann (u.a.) relevant. Cicourel (1973a,b) führte das Konzept der 'Basisregeln' ein, die universelle, handlungsleitende Maxime der Bedeutungskonstitution und -interpretation darstellen und von den konkreten Eigenschaften der semantischen Organisation von Diskursen

16

Diesen Terminus prägte Garfinkel eher zufällig zum Ausdruck für 'interpretative Verfahren zur Beschreibung von Fremdverstehen' (vgl. auch Schwartz & Jacobs 1979:210 und Streeck 1987: 672)

24 ('indexikalische' sprachliche Ausdrücke des Kontextbezuges), semantischer Vagheit etc. zu unterscheiden sind. 3. Die 'ethnographische' Konversationsanalyse, die sich mit dem Problem der sozialen Bedeutung der Wahl sprachlicher Varianten beschäftigt, wurde in den letzten Jahren von John Gumperz (und anderen) ausgearbeitet. Ihr Gegenstand sind Kontextualisierungshinweise, die die angemessene Interpretation des Handlungspotentials von Sprechakten in verbalen Interaktionen aufgrund des gemeinsamen sozialen Wissens und ähnlicher kommunikativer Erfahrungen und Werte möglich machen. Theoretische Implikationen und Techniken der Methodik werden in Gumperz (1975, 1982a,b) ausführlich dargestellt.

Die neuesten Forschungsergebnisse zu den genannten Richtungen der Pragmatik finden sich in den Zeitschriften Language in Society, Journal of Pragmatics, Discourse Processes und Discourse and Society sowie in den Publikationsreihen Working Papers of Sociolinguistics und Pragmatics & Beyond. Die genannten vier Hauptströmungen der Soziolinguistik haben trotz vieler Unterschiede gemeinsam, daß sie sich mit dem Zusammenhang von Sprache und sozialer Bedeutung bzw. Handlung befassen. Wir haben es mit einer Linguistik des Sprechverhaltens zu tun. Auf diesen gemeinsamen, übergeordneten Sachverhalt beziehe ich mich im folgenden mit dem Terminus 'Soziolinguistik'17. Von einer systematischen Erforschung des Zusammenhangs von Sprache und sozialem Kontext kann man erst seit etwa 30 Jahren sprechen. Seit den Veröffentlichungen von Ferguson (1959) zu 'Diglossie', Ferguson und Gumperz (1960) zu Aspekten von Sprache und Kultur, Weinreichs Theorie der soziokulturellen Bedingungen von Zweisprachigkeit (Weinreich 1953, 1977) und Bernsteins ersten Arbeiten zum schichtspezifischen Sprachverhalten in England (Bernstein 1960, 1981) ist die Untersuchung des Zusammenhangs von Sprachsystem/ -gebrauch und Sozialstruktur zu einem wichtigen Schwerpunkt der Linguistik geworden. Dies bedeutet jedoch nicht, daß der soziale Aspekt der Sprache in der historischen Entwicklung der Linguistik unbeachtet geblieben ist. Man kann sich rasch davon überzeugen, daß Linguisten des 19. Jahrhunderts (z.B. Steinthal, Humboldt, Schuchardt) und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (z.B. Saussure, Sapir, Whorf, Lasch) die sozialen Aspekte und Eigenschaften von Sprache hervorgehoben haben. Sie stellten diese jedoch eher in globalen Formulierungen, philosophischen Betrachtungen und Programmentwürfen (z.B. Polivanov 1929) dar, die dem heutigen Erkenntnisstand der Soziolin17

Einführungen und Übersichtsartikel zur Soziolinguistik sind: Schlieben-Lange (1973), Hager, Haberland und Paris (1973), Dittmar (1973, 1976), Schütze (1975), Kallmeyer/ Schütze (1975), Trudgill (1974), Fishman (1975), Hudson (1980), Mattheier (1980), Downes (1984), Löffler ([1985] 2 1994), Dittmar und Schlobinski (1988c), Ammon, Dittmar & Mattheier (1987) und (1988), Baylon (1991), Williams (1992) und Berruto (1995).

25 guistik nicht mehr gerecht werden können. Bedeutsam fur die Entwicklung der Soziolinguistik ist, daß der soziale Aspekt von Sprache in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts vernachlässigt wurde (vgl. Becker, Dittmar, Klein 1978) zugunsten von strukturimmanenten Sprachbeschreibungen. Dies fiel zusammen mit der weitgehenden Ausklammerung empirischer Untersuchungen, so daß die Schere zwischen theoretischem und empirischem Erkenntnisstand in der Linguistik zunehmend größer geworden ist. In den letzten Jahren steht jedoch der Konzeption von einer 'autonomen' Linguistik zunehmend die einer interdisziplinär orientierten gegenüber. 'Soziolinguistik' versteht sich als eine vor allem empirisch orientierte Disziplin im 'Zwischenbereich' von Soziologie und Linguistik, die strukturelle Eigenschaften sowie Status und Funktion der gesprochenen Sprache beschreibt, die wachsende Distanz zwischen theoretisch und empirisch orientierter Sprachforschung abbauen und der Sprachtheorie neue Erklärungsdimensionen für Sprachvariation und Sprachwandel bieten will. Der Gegenstand der Soziolinguistik läßt sich in Anlehnung an Fishman (1975a: 15) in der Frage zusammenfassen: Wer spricht was und wie mit wem in welcher Sprache und unter welchen sozialen Umständen mit welchen Absichten und Konsequenzen?

Mit Fishmans Fragestellung ist ein komplexes Forschungsprogramm formuliert. Was und wie (Gesichtspunkte der sprachlichen Form und Bedeutung) in Abhängigkeit von einem spezifischen Kontext (Situation, soziale Umstände) und den sozialen Merkmalen der Sprecher in einer bestimmten Sprache geäußert wird, soll unter Einschluß der von den Interaktionspartnern verfolgten Handlungsabsichten und den hieraus resultierenden sozialen Folgen beschrieben und erklärt werden. Ausgehend von dieser Problemstellung läßt sich der soziale Bezug der Sprache in folgende Teilbereiche gliedern: 1. Die soziale Dimension der Sprecher/Hörer (Interaktanten): Welche durch Merkmale wie Alter, Geschlecht, Schichtzugehörigkeit, ethnischer Hintergrund, Familienstand etc. charakterisierbaren sozialen Eigenschaften haben die an der Interaktion Beteiligten und welchen Interaktionsnetzen in der Sprachgemeinschaft gehören sie an? 2. Die sprachliche Dimension: Welche sprachlichen Systeme, Register und Stile verwenden die Interaktionspartner? Was wird wie mitgeteilt? Welche expressiven Mittel werden angewandt, um referentielle oder emotionale Botschaften zu vermitteln? 3. Die interaktive Dimension: Welche Absichten gehen wechselseitig in die Interaktion ein und welche Ziele werden verfolgt? Wie organisieren die Interaktanten ihre Interaktion mit verbalen und nicht-verbalen Zeichen? Welche soziale Ordnung bringt der Prozeß der Interaktion hervor? 4. Die Kontextdimension: Unter welchen (sich verändernden) kontextuellen Bedingungen und Einflüssen (räumlicher, zeitlicher, situativer Art) wird die Interaktion initiiert, fortgeführt und vollendet? 5. Die evaluative Dimension der sprachlichen Mittel: Werden Eigenschaften der Sprache 'effektiver' oder 'weniger effektiv' genutzt? Wie bewerten die Aktanten die je-

26 weils benutzten Varietäten, Register, konversationellen Stile des Sprachgebrauchs? Wie verändern Bewertungen den Verlauf der Interaktion?

Diese fünf Dimensionen spielen fur die Beschreibung soziolinguistisch relevanter Sprachgebrauchsweisen eine entscheidende Rolle. Will man allerdings nicht nur bei Beschreibungen stehenbleiben, sondern auch tiefere Erklärungen für soziolinguistisches Verhalten finden, muß man noch zwei weitere Dimensionen berücksichtigen: 6. Die historische Dimension: Die Sprachgemeinschaft und ihre Sprecher haben eine regionale und soziokulturelle Geschichte. Diese geht in komplexerer Weise in die Interaktionen ein. 7. Die biographische Dimension·. Die Sprecher haben ihre spezifische individuelle (und soziale) Geschichte, die gegenüber der Geschichte der Gruppe bzw. Sprachgemeinschaft unverwechselbare eigenständige Züge aufweist (vgl. 4.3.1 'Idiolekt').

Die Hauptrichtungen der Soziolinguistik sollen im folgenden in ihren theoretischen, methodischen und empirischen Arbeitsweisen näher erläutert werden, und zwar unter Gesichtspunkten des allgemeinen Forschungsstandes aus der Sicht der Allgemeinen Sprachwissenschaft und unter Vernachlässigung nationalwissenschaftlicher Ausprägungen (vgl. aber 2.3) 18 . Ohne Rückgriff auf die wissenschaftsgeschichtlichen Wurzeln (kulturspezifische und sprachsoziologische Reflexionen im 19. Jahrhundert) und empirische Einzelstudien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert wird die Kontinuität in der Erforschung von Ursache und Wirkung sprachlicher und kommunikativer Variation (Grundfragen der menschlichen Verständigung) nicht sichtbar; die in 2.4 vorgestellten Kontroversen um • • • •

das 'Prinzip der sprachlichen Relativität', Vor- und Nachteile sprachlicher Vielfalt (Hochsprache vs. Dialekte), Zwei- und Mehrsprachigkeit ('macht das Erlernen von zwei Sprachen nebeneinander den menschlichen Geist krank?') die Rolle der Sprache im menschlichen Handeln

betreffen Grundfragen der Variation und legen die sprachwissenschaftlichen Triebfedern der modernen Soziolinguistik offen.

IS Uber die sowjetische Soziolinguistik informieren Girke/Jachnow (1974), über die französische Dittmar & Schlieben-Lange (1982b), Marcellesi & Gardin (1980), Gadet (1989) und Baylon (1991), über die englische, kanadische und amerikanische Trudgill (1974), Downes (1984), Thibault und Vincent (1990), die katalanische Valverdiú (1980) und die italienische Berruto (1974, 1987, 1995). Dabei beschränke ich mich in diesem Buch auf die weltweit praktizierte 'hard core methodology' eine Aufzählung der nationalen Varianten soziolinguistischer Überblicke und Methodologien gehört nicht zu den Zielen dieses Buches (siehe hierzu aber Ammon, Dittmar und Mattheier 1987 & 1988).

27 2.2 Ist die Linguistik eine 'autonome' oder eine Sozialwissenschaft? Die Anerkennung der Linguistik als einer wissenschaftlichen Kerndisziplin im Rahmen der Sozialwissenschaften ist vor allem auf ihre technologische Entfaltung zurückzuführen. Die vorherrschende linguistische Lehre im 20. Jahrhundert ist die der 'autonomen Sprachwissenschaft', einer languespezifischen Methodik, die die Linguistik als eigenständige, von anderen Disziplinen klar abgegrenzte Wissenschaft ausweist. Die 'autonome Linguistik' hat einen starken Grad der Formalisierung erreicht. Mit der Exaktheit ihrer Methoden stieg ihre Glaubwürdigkeit. Wie die Psychologie über Experimente und die Soziologie über Statistik ihre Anerkennung durchsetzte, gelang es der Linguistik, ihren Status als Wissenschaft dadurch zu festigen, daß sie sich schwerpunktmäßig den inneren Formgesetzen des Sprachbaus zuwandte. Ein wissenschaftsgeschichtliches Studium der Sprachwissenschaft zeigt, daß die sprachinternen Strukturen, losgelöst von den auf sie einwirkenden außersprachlichen Kräften, zunehmend das vorherrschende Interesse der Linguistik fanden (vgl. Lang 1977). Der ursprünglich oft betonte soziale Aspekt der Sprache trat hinter die mit formalen Methoden betriebene Aufdeckung sprachinterner Gesetze zurück und gewann den Charakter legitimierender Vorworte. 'Natürliche' Sprache, so wie sie gesprochen in der sozialen Realität vorkommt, wurde in zunehmendem Maße mit standardisierter, künstlich herstellbarer Sprache gleichgesetzt. Montague (1974: 222) schreibt z.B.: "There is in my opinion no important theoretical difference between natural languages and the artificial languages of logicians; indeed, I consider it possible to comprehend the syntax and semantics of both kinds of languages within a single natural and mathematically precise theory."

Wegbereiter einer solchen Auffassung war die Theorie von der internen Struktur der Sprache wie sie u.a. von Hjelmslev formuliert wurde: "Linguistics must attempt to grasp language, not as a conglomerate of nonlinguistic (e.g. physical, physiological, logical, sociological) phenomena, but as a self-sufficient totality, a structure sui generis" (Hjelmslev 1963: 5 f.) Gegenüber den Forderungen einer rigorosen, formalen Sprachanalyse erwiesen sich solche nach psychologischer oder soziologischer Orientierung als weitgehend wirkungslos. Ein Grund hierfür ist u.a. wohl darin zu sehen, daß soziologische und psychologische Betrachtungen über die Sprachstruktur meist spekulativen - weder durch Theorie noch durch empirische Untersuchung abgesicherten - Charakter hatten. Die im Gegenstand eingeschränkte, methodisch aber präzise durchfuhrbare Analyse sprachinterner Strukturen gewann dagegen das Prestige der exakten Wissenschaft.

28 Der Grad der durch Formalisierung erreichten Idealisierung der Sprachtheorie wuchs derart, daß die Loslösung von den Fakten der variierenden natürlichen Sprache immer augenfälliger wurde. Erst unter Rückgriff auf einen ziemlich weit entwickelten Beschreibungsformalismus (Chomskys Theorie der Transformationsgrammatik) gelang es soziologisch orientierten Linguisten im Laufe der sechziger Jahre, formale Instrumente fur die Beschreibung der Kovariation von Sprache und gesellschaftlichen Parametern zu entwickeln (vgl. 2.5.1 Variationslinguistik). Fishman und Labov verhalfen der soziologisch orientierten Linguistik in den sechziger Jahren zum entscheidenden Durchbruch. Labov entwickelte einen Regeltyp, der es erlaubt, sprachliche Varianten als durch gesellschaftliche Faktoren determiniert zu beschreiben und zu erklären. Fishman entwickelte das Konstrukt der 'Sprachverhaltensdomänen', das sich auf Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens und der in ihnen verwendeten sprachlichen Varietäten bezieht. Nach Martin Lang (1977) läßt sich der Streit, ob die Linguistik als eine Natur- oder Sozialwissenschaft zu verstehen sei, bis auf das 19. Jahrhundert zurückverfolgen. In diesem Sinne ist die formale Linguistik, wie sie von Saussure begründet und von Hjelmslev, Chomsky, Montague u.a. ausgeführt wurde, auf die Intentionen Schleichers (1821-1868) zurückzuführen, der die Sprachanalyse auf die Beschreibungsmethodik der Phonetik reduzierte und fur die Lautbeschreibung ein der Chemie verwandtes Vorgehen forderte (1865). Daher betrachtete er die „Glottik" (Wissenschaft der Sprache) als eine den Naturwissenschaften vergleichbare wissenschaftliche Disziplin (1863: 6f). Für Steinthal (1833-1899) standen dagegen die psychologischen Eigenschaften der Sprache im Zentrum der Sprachbetrachtung. Für ihn ist 'Sprache' der „gesamte Inbegriff des Sprachmaterials eines Volkes" (1855: 137). Er betrachtete die Rekonstruktion der historischen, sozialen und kulturellen Bedeutung von sprachlichen Eigenschaften als eine Aufgabe hermeneutischer Methodologie. Steinthals sozialpsychologische Sicht wird am Beispiel seiner Auffassung von sprachlicher Verschiedenheit deutlich: „Die Sprachen sind so verschieden wie das Bewußtsein der verschiedenen Volksgeister" (1850: 63). Hier wird Sprache als Abbild des Bewußtseins aufgefaßt. Die Gleichsetzung von Sprache und Bewußtsein kann als Vorläufer der These von der sprachlichen Relativität gelten (vgl. hierzu 2.4.1). Schleichers naturwissenschaftliche Auffassung von der Sprachbeschreibung läßt sich Steinthals sozialpsychologische gegenüberstellen. Da nach Steinthal „die Sprache Inneres so (dar)stellt, daß es Äußeres bedeutet" (1862: 231 f.), ist es Aufgabe der Linguistik, die sozialpsychologische Bedeutung der Realität mithilfe hermeneutischer Methoden zu rekonstruieren. So haben Kulturen und Sprachen ihr eigenständiges soziales Leben und ihre

29 eigene Psychologie; die Unterschiede zwischen ihnen sind verstehbar, aber nicht direkt miteinander vergleichbar. Die methodische Kontroverse Schleicher - Steinthal wurde über ein Jahrhundert lang fur Schleicher entschieden. Über die Junggrammatiker, Saussure, Hjelmslev, die Strukturalisten, Chomsky und Montague wurde die sprachinterne Struktur im Sinne formaler Methoden untersucht. Dieses Vorgehen belege ich mit dem Terminus 'autonome Linguistik'. Andererseits gab es jedoch auch sozialwissenschaftlich orientierte Sprachwissenschaftler. Ein exponierter, international beachteter Vertreter der sozialwissenschaftlichen Orientierung war Hugo Schuchardt (18421927)19. In seiner bekannten Schrift „Uber die Lautgesetze: Gegen die Junggrammatiker" von 1885, in der er sich gegen das Verdikt der „ausnahmslosen Wirkung der Lautgesetze" durch die Junggrammatiker wendete, fuhrt Schuchardt u.a. 4 Punkte an, die die Berücksichtigung von Variation fordern und auch heute noch fur die Linguistik beachtenswert sind: 1. „Sprachmischung nehme ich ... auch innerhalb der homogensten Verkehrsgenossenschaft an" ([1885] 1972: 20). 2. „Jedes Stadium der Sprache ist ein Übergangsstadium, ein jedes ebenso normal wie irgendein anderes". 3. „Wunderbar dünkt es mich, daß man ... den gesellschaftlichen Charakter der Sprache, die fließenden Grenzen ihrer räumlichen und zeitlichen Verschiedenheiten so deutlich wahrnehmen kann" (loc. cit. 31) 4. „Die Geschichte dieses blendenden Sophismus (die Ansicht der Junggrammatiker von der 'ausnahmslosen Wirkung der Lautgesetze' - N.D.), welcher weite Kreise in Verwirrung gebracht hat, ist bemerkenswert. Er wurzelt in der früheren Ansicht, welche die Sprachen vom Menschen loslöste, ihr ein selbständiges Leben lieh und welche zuerst in romantisch-mystischer, dann in streng naturwissenschaftlicher Färbung auftrat" (loc cit. 33).

Für das folgende lege ich eine sozialwissenschaftliche Orientierung zugrunde. Sprache ist heterogen. Da sie sich zweckgebunden an die Unterschiede menschlicher Tätigkeiten anpaßt, kann man ihre funktionale Variation nur verstehen, wenn man den sozialen Kontext in die Sprachbeschreibung einbezieht. Gerade aufgrund der sprachlichen Variation können für verschiedene kommunikative Zwecke flexibel stilistische Varianten gewählt werden. Dies hat einige Soziolinguisten zu der Schlußfolgerung geführt, daß die sozialen Belange der Kommunikation geradezu drastisch beeinträchtigt wären, wenn es keine Variation in der Sprache gäbe. Variation ist eine notwendige Bedingung für das Funktionieren von Kommunikation.

19

Es bleibt das Buch über die Geschichte der Soziolinguistik im deutschsprachigen Raum zu schreiben. Verschiedene Hinweise finden sich in den Schriften von Löffler, Mattheier und Maas. Natürlich wären an dieser Stelle im gleichen Atemzug Namen wie v. Humboldt, Agathe Lasch, Leo Weisgerber und andere zu nennen.

30 Eine sozialwissenschaftlich orientierte Linguistik hat f o l g e n d e Fragen zu beantworten: 1. Welche Regeln gelten für sprachliche Varietäten, Register und Stile in Sprachgemeinschaften? 2. Welchen Regeln folgen Sprecher, wenn sie mithilfe gleicher oder unterschiedlicher Sprachen/Varietäten/Register/Stile miteinander interagieren? 3. Wie lassen sich die variierenden verschiedenen Regelsysteme in einen vergleichbaren und bewertbaren Zusammenhang bringen? 4. Welche außersprachlichen Faktoren bedingen die verschiedenen Sprachverwendungsweisen? Welche sozialen Kräfte bringen sie hervor, wie tragen sie zum Fortbestand sozialer Ordnung bei? 5. Wie und aufgrund welcher Kräfte wandeln sich sprachliche Verhaltensweisen und Regularitäten im historischen Prozeß?

2.3

'Allgemeine' oder 'sprachraumspezifische' Soziolinguistik? R e f l e x i o n e n z u d e n w i s s e n s c h a f t s g e s c h i c h t l i c h e n W u r z e l n der Disziplin

Sicher ist der Behauptung zuzustimmen, daß der Wert einer Wissenschaft ihren allgemeinen Erkenntnissen, nicht aber den Vertretern einer bestimmten N a t i o n geschuldet sei. Sprach- und Kulturräume haben aber auch ihre tiefverwurzelten geisteswissenschaftlichen Traditionen. D i e s e sind gerade in der Soziolinguistik v o n Bedeutung, da e s sich u m eine empirische Wissenschaft handelt. Liefert nicht die 'unhintergehbare' sprachliche Relativität eines j e d e n Kulturraumes (vgl. hierzu 2 . 5 . 1 ) die Evidenz dafür, daß verschiedene sprachliche Realitäten unterschiedlicher M e t h o d e n und Theorien bedürfen? M ü ß t e n wir nicht infolge solcher Überlegungen besser v o n einer ( z . B . ) 'germanistischen', 'romanistischen', 'anglistischen' Soziolinguistik 2 0 ausgehen?

20

Mit seinem Buch Germanistische Soziolinguistik hat Heinrich Löffler diesen Versuch gemacht und das relevante Wissen für den deutschsprachigen Raum zusammengetragen. Was umfaßt jedoch das Atrribut 'germanistisch' im einzelnen? Österreich, Schweiz und die ehemalige DDR werden dazu gerechnet (Löffler 1985: 13), warum aber nicht auch die verwandten Sprachen 'Niederländisch', 'Schwedisch', 'Dänisch' oder 'Norwegisch', die auch zur Germanistik gezählt werden können? Liest man Löfflers 'germanistische' Forschungsübersicht genau, erkennt man ein Übergewicht der BRD-Soziolinguistik. Sicher wäre demgegenüber eine jeweils auf die Schweiz (die ja nur zum Teil 'germanophon' ist) oder auf Österreich bezogene Darstellung des Forschungsstandes ebenso legitim ...

31

Ich will zu diesem Problem einige Thesen formulieren und kurz diskutieren. These 1: Ziel der 'Soziolinguistik' muß es sein, eine empirisch verifizierbare allgemeingültige Theorie des Verhältnisses von Sprache und Gesellschaft zu formulieren. These 2: Eine soziolinguistische Theorie fußt auf einer auf verschiedene soziokulturelle Sprachverhältnisse allgemein anwendbare Methodologie. Diese muß in überprüfbarer, expliziter Form vorliegen und unabhängig von Einzelpersonen anwendbar sein. These 3: Verschiedene geistes- und erfahrungswissenschaftliche Traditionen sowie ihre jeweiligen auf einzelsprachliche Gegenstände zugeschnittenen Beschreibungs- und Erklärungsleistungen konkurrieren um den angemessenen (und besten) Weg zu einer Theorie.21 Mit diesen Thesen postuliere ich, daß es nicht ausreicht, gute Ideen und Einzelbeobachtungen zum Gegenstandsbereich zu formulieren; vielmehr müssen sie theoretisierbar sein; Voraussetzung für letzteres ist jedoch eine explizite Methodologie. Sie ist à la longue das rationale Gütekriterium fur den Entwicklungsstand einer Disziplin.22 Welche Bedeutung haben sprachsoziologische Beobachtungen in germanistischen Schriften des 19. und frühen 20. Jahrhunderts? Machen wir uns dies am Beispiel von Georg von Gabelentz {Die Sprachwissenschaft, 1891) klar. Von Gabelentz sieht in „Sitte und Satzung" (etwa : Kultur, Religion und Recht) sprachsoziologische Steuerungsfaktoren, die sich in Form und Funktion sprachlicher Ausdrücke und Strukturen niederschlagen und sprachvergleichend untersucht werden müssen (245ff ). Den Ansatz zum Vergleich von japanischen, koreanischen, polynesischen und Kri-spezifischen Höflichkeitsformen könnte man durchaus als 'ethnographisch' bezeichnen. Auf die Richtigkeit dieser Zuordnung weisen Beobachtungen zu kulturgebundenen Sprechakten des Fluchens, des Respekts, der Höflichkeit in verschiedenen Gesellschaften hin (248 f.). Offenbar sind hier anthropologische Gedankengänge der Sprachwissenschaftler des 19. Jahrhundert wiederzufinden.

21

22

Daß wir weit von einer solchen Theorie entfernt sind (vgl. Becker, Dittmar & Klein 1978:164-166), ändert nichts an ihrer Relevanz und Notwendigkeit (vgl. auch Bernito 1995). Zur Entwicklung soziolinguistischen Gedankenguts seit dem 17. und 18. Jahrhundert (Herausbildung der deutschen Nationalsprache) informieren Löffler (1985: 27-31), Werlen (1989: 22-42), Barbour & Stevenson (1990: 23-54) und Dieckmann (1989). Das Problem der Theoriekonstruktion will ich am wissenschaftshistorischen Beispiel des Germanisten von Gabelentz im 19. Jahrhundert im folgenden kurz streifen.

32 „Classen" bezeichnet von Gabelentz als „Triebfeder" sozialen Wandels (konkret z.B. manifest in dem „Bedürfnis der höheren Classen, vor den unteren etwas voraus zu haben" (249). Den von Labov in den sechziger Jahren soziolinguistisch beschriebenen Mechanismus der 'Hyperkorrektur' (die untere Mittelschicht 'übertrifft' sprachlich die prestigebesetzte Aussprache der oberen Mittelschicht und Oberschicht, vgl. 2.5.2) umschreibt v. Gabelentz so: „Seit die Zeiten der Kleiderordnungen vorüber sind, verbietet nichts mehr den geringen Leuten, es den Vornehmen nachzumachen. Nur nachkommen können sie ihnen nicht; denn wessen sie sich einmal bemächtigt haben, das gilt in den oberen Kreisen für entwerthet" (250). Als 'Triebfeder' des (sozialbedingten) Sprachwandels sieht von Gabelentz die „Sprachmischung" (273), als seinen Ort die „Sprachgemeinschaft", die „so weit reicht, wie die Möglichkeit des sprachlichen Verkehrs": „Jeder hat seine Individualsprache, jeder seinen sprachlichen Verkehrskreis, dem er mittheilt, von dem er empfängt. Die Kreise seiner Genossen schneiden sich mit den seinigen und mit den Kreisen Anderer, die ihm fremd sind. Und so geht es weiter, von A durch B, C usw. bis Z, bis zu einer Entfernung, in der die Gemeinschaft der Mundart oder gar der Sprache mit A aufgehört hat"(275) 23 . Man vergleiche mit dieser Bestimmung von Sprachgemeinschaft die in Kapitel 3 angeführten der modernen Soziolinguistik - sie sind auch nicht wesentlich genauer. Überraschend finden sich auch Bemerkungen zur sprachlichen Anpassung in der Interaktion: „Der Anzuredende ... sei... ein Ungebildeter, so werde ich mich zu ihm herabstimmen und meine Rede seinem Verständnis anpassen" (259). Von Gabelentz kennt auch 'Männersprachen' und 'Weibersprachen', deren Unterschiede er an verschiedenen Beispielen illustriert, z.B. folgendermaßen: „Bei den Chiquitos in der Provinz Santa Cruz besteht gleichfalls ein scharfer Unterschied zwischen der Sprache der Männer und der Weiber. Letztere haben sich fur gewisse Begriffe besonderer Wörter zu bedienen; in anderen Fällen kürzen sie die Wörter um den Anlaut, die Suffixe um die letzte Silbe oder gebrauchen auch grundverschiedene Formen" (248). Die Frage, wie die Schriften von v. Gabelentz im 19. Jahrhundert zur Schicht-, geschlechts- und kulturspezifischen Theorie der Soziolinguistik Ende des 20. Jahrhundert beitragen, läßt sich nun auf der Folie der oben genannten Thesen so beantworten: •

die Überlegungen sind in jedem Falle 'heuristisch' interessant; sie müssen jedoch explizit rekonstruiert werden, um ihren Wert für eine Theorie zu erkennen; anschließend sind sie dann zu bewerten;

23

Hier sind im Prinzip Überlegungen sprachsoziologischer Verbreitung angesprochen, die z.B. durch Bailey Anfang der siebziger Jahre im sogenannten Wellenmodell formalisiert wurden.

33 •

sie bekommen erst dann einen wissenschaftlichen Status, wenn die sprachlichen und sozialen Begriffe zum Zwecke empirischer Forschung operationalisiert werden.

Ich halte es für geboten, den geistesgeschichtlichen Anteil verschiedener Wissenschaftler und Wissenschaftlergruppen an der Entwicklung sprachsoziologischen Denkens zu rekonstruieren und heuristisch für Theoretisierungen zugänglich zu machen. Dazu können verschiedene Philologien und geisteswissenschaftliche Traditionen beitragen. An der Aufgabe, eine allgemeine soziolinguistische Theorie und Methodologie zu formulieren, können wissenschaftsgeschichtliche oder einzelphilologische Beiträge jedoch nicht vorbeigehen, ganz gleich, ob gehaltvolle explizit überprüfbare Theorieteile in der X-Nation oder der Y-Kultur formuliert wurden 24 . Auch wenn die hispanophone, frankophone, katalanische, brasilianische ... Soziolinguistik aufgrund der (a) ihr jeweils eigenen Sprachprobleme und (b) einer eigenen spezifischen Wissenschaftsgeschichte bestimmte eigenständige Einzelentwicklungen und -lösungen vorschlägt, ist mir keine Soziolinguistik bekannt, die die modernen methodologischen Anforderungen an empirische Forschung, die in den vier Kernbereichen der SL gelten (vgl. 2.5), vernachlässigen kann25.

2.4 Die drei konzeptuellen 'Wurzeln', aus denen die Fragestellungen der modernen Soziolinguistik entstanden sind 2.4.1 Sprachliche Relativität Eine Herausforderung soziolinguistischer Beschreibung ist der Vergleich gesellschaftlich bedingten Sprachgebrauchs. Läßt sich der ' S t o f f , aus dem die Sprachen gemacht sind, in seinem Gewebe vergleichen und symbolisiert er gleiche oder jeweils unterschiedliche Ideen bzw. Gedanken?

„Erst nach der voreiligen Rezeption amerikanischer und englischer Ergebnisse ... wurde der Blick wieder auf die eigene Tradition und die Methoden empirischer Sprachforschung gelenkt, an die man weitgehend anknüpfen konnte..." (Löffler 1985:31). Ich glaube nicht, daß die empirische Soziolinguistik im deutschsprachigen Raum 'kraft eigener geistesgeschichtlicher Tradition' zu den Ergebnissen geführt hätte, die sie infolge der anregenden Rezeption angloamerikanischer Forschung vorzuweisen hat. Es ist eine Tatsache, daß die Innovationen empirischer Sozialforschung nach dem zweiten Weltkrieg aus den USA kamen. 25

Einen Überblick über 'soziolinguistische Problemregionen' und die in ihnen geltenden Methodologien gibt das Handbuch für Soziolinguistik, hrsg. U. Ammon, N. Dittmar & K. Mattheier, Bd. 2 (1988) in dem Teil „IX. Problemregionen" (24 Artikel).

34 Die Tatsache, daß ein Schlüssel mit der Tür derart verbunden ist, daß sie mit seiner instrumenteilen Hilfe geöffnet werden kann, drücken wir im Deutschen und Französischen unterschiedlich aus: (a) der Schlüssel steckt in der Tür (b) la clé est sur la porte

Der konzeptuelle Unterschied zwischen (a) und (b) besteht darin, daß das Thema von (a) - der Schlüssel - mit dem Relatum 'die Tür' durch eine Relation 'ENTHALTENSEIN-IN' verbunden ist, während es im Falle (b) die Relation 'KONTAKT-MIT' ausdrückt. Prägt hier der sprachliche Ausdruck der räumlichen Relation sprachabhängige Denk- und Wahrnehmungsweisen? Drückt der Sachverhalt in (a) und (b) gleiches oder verschiedenes aus? Bestimmen die Bedeutungen sprachlicher Zeichen und ihre grammatischen Kombinationen unsere Erkenntnis und unser „Bild von der Welt"? Das Nachdenken über 'sprachliche Relativität' 26 (verkürzt: 'sprachlicher Ausdruck und Grammatik in Lx determinieren unser Denken') fuhrt Bally (1944: 196ÍF.) zu der Schlußfolgerung, daß Französisch in wesentlichen Zügen 'analytisch' („caractère analytique") und Deutsch 'synthetisch' („caractère synthétique") sei. Folgende Kontraste stehen sich gegenüber: Französisch Geringer Ausbau der Flexion

Deutsch Starker Ausbau der Flexion

Denkadäquate Wortfolge

Disjunktion von Zusammengehörigem

Ν + A (la maison grise)

Α + Ν {das graue Haus)

wenig Wortstellungsfreiheit

grolle Wortstellungsfreiheit

Leichterer Wortartenwechsel

schwierigerer Wortartenwechsel

Einfache, klare Phoneme

komplexe Phoneme und Phonemgruppen

oxytoner Rhythmus

barytoner Rhythmus

Tabelle 2-1: Deutsch und Französisch im Kontrast Betrachten wir von dieser Liste nur kurz die 'Relativität' der Wortstellung. Mark Twain zitiert in „Die schreckliche deutsche Sprache" einen Satz aus Goethe: „Die Koffer waren gepackt, und er REISTE, nachdem er seine Mutter und seine Schwester geküßt und noch ein letztes Mal sein angebetetes Gretchen an sich gedrückt hatte ... AB". Parenthesen, wie Twain sie nennt, würden bei der Benutzung durch Engländer „einen ungeübten Schreiber oder einen unklaren Geist" verraten, „während sie bei den Deutschen zweifellos das Zeichen für eine geübte Feder und das Vorhandensein eines lichten geistigen Nebels sind, der bei diesem Volk als Klarheit gilt" (Twain 1967:455). Zweifellos operieren Sprecher/Hörer des Deutschen bei diesen Stellungsmustern mit anderen kogni26

Unsere Ideen und Vorstellungen von der Welt sind vom Ausdruck und der Grammatik einer Einzelsprache abhängig und werden erst in der Begegnung mit anderen Sprachen 'relativiert'.

35

tiven Strategien, die schon in der Kindheit psycholinguistisch ausgeprägt werden (Habitus). Das 'Prinzip der sprachlichen Relativität' hat Whorf im Anschluß an die Vorstellung verschiedener Beispiele in einer berühmt gewordenen Veröffentlichung so formuliert: "We are thus introduced to a new principle of relativity, which holds that all observers are not led by the same physical evidence to the same picture of the universe, unless their linguistic backgrounds are similar, or can in some way be calibrated" (Whorf 1956:214). Dies ist die einzige Stelle, wo Whorf den Terminus 'Relativitätsprinzip' benutzt, dem dann in den fünfziger und sechziger Jahren der voreilige Status einer 'Theorie' bzw. einer empirisch überprüfbaren 'Hypothese' unterstellt wurde. Werlen (1989:15 lf.) kommentiert die Whorfsche Formulierung in Anspielung auf die Einsteinsche Relativitätstheorie wie folgt: „Es geht Whorf darum klarzumachen, daß es keine absolute wissenschaftliche Kenntnis überhaupt geben kann; zu den Bedingungen der Interpretation der Welt gehört für ihn wesentlich der jeweilige sprachliche Hintergrund. Das sprachliche Relativitätsprinzip entspricht also der Einsteinschen Relativitätstheorie insofern, als der Beobachter innerhalb eines inertialen Systems (hier innerhalb seiner Sprache) die Relativität seiner Bewegung (hier seines Weltbildes) nicht erkennen kann; erst die Relativierung auf ein anderes System macht ihm die Eigenbewegung (hier die Sprachabhängigkeit) erkennbar. Daß Whorf hier von 'picture of the universe' spricht und nicht etwa von 'view of the world' oder ähnlich, hängt einerseits mit der Anspielung auf die Relativitätstheorie zusammen und andererseits mit der Metapher vom Kaleidoskop. Denn beim Kaleidoskop entsteht j a aus der zufälligen Lage der farbigen Teilchen und ihrer Spiegelung ein Bild, das der Betrachter für sich als Bild interpretiert. Man muß weiter beachten, daß Whorf nicht von 'Theorie' oder 'Hypothese', sondern von einem 'Prinzip' spricht, also einer Voraussetzung. Das hat seine Konsequenzen - eine Theorie oder eine Hypothese könnte man in einem Beweisverfahren bestätigen oder widerlegen - ein Prinzip kann man höchstens illustrieren" (Werlen 1989:152).

Werten zeigt an anderer Stelle auf, daß Reflexionen zur 'sprachlichen Relativität' in Originalität und Fülle im 19. Jahrhundert von Humboldt27 und zu Beginn des 20. Jahrhundert von den Sprachanthropologen Boas und Sapir (von dem Whorf lernte) gemacht worden sind. Um den tatsächlichen erkenntnistheoretischen und sprachsoziologischen Wert der nicht in einem zusammenhängenden Gedankengebäude von Humboldt, Whorf und anderen formulierten Überlegungen zur Sprachgebundenheit des Denkens für 27

Werlen widmet Humboldt ein ganzes Kapitel (43-90), in dem seine Positionen durch Zitate herausgearbeitet werden; Schlüsselausdrücke in im übrigen philosophischkomplexen Gedankengebäude sind „das Sprechen eine nothwendige Bedingung des Denkens", „die intellectuelle Thätigkeit und die Sprache sind daher Eins und unzertrennlich von einander; man kann nicht einmal schlechthin die erstere als das Erzeugende, die andre als das Erzeugte ansehen"; daher betrachtet Humboldt mehr oder weniger die Sprache als „das bildende Organ des Gedanken" (der Einfachheit halber zitiere ich Humboldt nach Werlen (1989:53)).

36 eine theoretische Reflexion fruchtbar zu machen, müßten diese Ansätze sorgfaltig - wie durch Werlen (1989) bereits begonnen - explizit 'rekonstruiert' werden. Eine andere Lösung der nur in impliziter Form vorliegenden Überlegungen liegt mit der expliziten 'Hypothesenformulierung' von Roger W. Brown vor 28 : 1. "Structural differences between language systems will, in general, be paralleled by non-linguistic cognitive differences, of an unspecified sort, in the native speakers of the two languages. 2. The structure of anyone's native language strongly influences or fully determines the world-view he will acquire as he learns the language" (Brown 1976:128). Diese Hypothese enthält einen Teil, der das Verhältnis von Sprache und Kognition betrifft (letztere wird als von der Einzelsprache abhängig bezeichnet 29 ), und einen zweiten, der die durch den Spracherwerb bedingte Determinierung einer spezifischen Weltsicht annimmt. Beide Hypothesen faszinieren heute noch: (a) Anthropologen und Linguisten setzen sich in jüngster Zeit mit der ' Sapir-Whorf-Hypothese' im Rahmen der modernen 'kognitiven Anthropologie' auseinander (vgl. Lucy 1992); (b) Psycholinguisten diskutieren kognitive Determinanten im Erwerb grammatischer Strukturen durch das Kind 30 (siehe Slobin 1996). Auch der Erziehungswissenschaftler Basil Bernstein hat in Anlehnung an die 'Relativitätsthese' den deterministischen Zusammenhang von Sprache, sozialer Schicht und Kognition in den sechziger Jahren theoretisch und in Form von Hypothesen formuliert. Es hat sich bei den Überprüfungen der durch Bernstein aufgestellten Hypothesen gezeigt, daß ihre Verifizierung von der Klärung vieler Einzelfragen, z.B. des Zusammenhangs von Sprache und Handeln, abhängt. 31 28

29

30

Erste Tests zur Uberprüfung der seit 1954 (Erscheinen des von J. Hoijer herausgegebenen Sammelbands Language in Culture) aufgestellten 'Sapir-WhorfHypothese' schlägt Hoijer in 5 Schritten vor: „1. Struktur der Sprache bestimmen, 2. semantisches System bestimmen, 3. Unterschiede zwischen aktiven und nichtaktiven strukturalen Kategorien feststellen, 4. aus den aktiven strukturalen Kategorien sind die 'Arten des Sprechens' („fashions of speaking") zu ermitteln, 5. 'taken together the fashions of speaking found in a language comprise a partial description of the thought world of its speakers'" (zit. nach Werlen 1989:164). Man beachte, daß es bei Piaget genau umgekehrt ist: Sprache ist der 'Kognition' nachgeordnet. Es handelt sich hier um Fragen, die bereits die Auseinandersetzung um die Arbeiten von Piaget einerseits und Vygotsky andererseits seit Jahrzehnten bestimmen, allerdings mit anderen Vorzeichen und in einem breiteren 'Komplex' von Fragen. Dabei ist wissenssoziologisch m.E. interessant, daß der Anstoß zur Beschäftigung mit den mehr oder weniger deterministischen Zusammenhängen zwischen Sprache und Kultur bzw. Denken im wesentlichen von wissenschaftlich Interessierten außerhalb der an Universitäten organisierten Sprachwissenschaft kam (vgl. u.a. die

37 Die empirische Überprüfung der 'S-W-Hypothese' nach dem zweiten Weltkrieg hat auf die anthropologische Überprüfung in den letzten 50 Jahren vor allem folgende Auswirkungen (vgl. Werlen 1989:158): 1. Überprüfung der kognitiven Komponenten durch empirische Forschung im Rahmen der 'kognitiven Anthropologie': besteht Kognition unabhängig von der Sprache? Die Entdeckung der Tatsache, daß Farbwahrnehmungen von Sprechern unabhängig von der jeweiligen lexikalischen Kodierung einer Einzelsprache geleistet werden (vgl. die Experimente von Lenneberg und anderen in Werlen: 1989:160-179), führte gegenläufig zur Entdeckung von Universalien in den 'basic color terms' der Farbbezeichnungen (Berlin & Kay: 1969). Die Hypothesenüberprüfung hat hier also zu einem neuen Paradigma der 'kognitiven Anthropologie' geführt. 2. Whorf forderte eine Kultursemantik aus der Perspektive der Sprachbenutzer. Diese wurde in Form der Ethnosemantik (Ethnolinguistik) (vgl. 2.5.3) systematisch entwickelt (siehe die Arbeiten von Conklin, Frake und anderen). 3. Neuinterpretationen des 'Relativitätsprinzips' führten zur ethnographischen Erforschung von 'fashions of speaking' ('Weisen des Sprechens', 'Sprechstilen', vgl. Dell Hymes 1979:166) unter dem Etikett 'Ethnographie der Kommunikation'. In dieser Forschungsrichtung wird die 'Andersartigkeit', aber 'Gleichwertigkeit' soziokultureller Sprachverwendung in ihrer Verschiedenartigkeit zum Gegenstand qualitativer Untersuchungen gemacht. Diese vor allem von der Anthropologie geprägte semantische und pragmatische Untersuchungsperspektive ist von der 'Varietätenlinguistik' zu unterscheiden (vgl. 2.5.2), die 'Varietäten' innerhalb von Einzelsprachen auf vergleichbaren grammatischen Niveaus beschreibt. Jedenfalls haben sich die Untersuchungen zur 'S-W-Hypothese' als fruchtbar für die Entwicklung der 'Soziolinguistik' erwiesen. - Aus der Perspektive der neueren 'Soziolinguistik' weist denn einer ihrer prominenten Vertreter, Joshua Fishman, den 'wissenschaftlich-rationalen Kern' der Hypothese zurück: „Man habe hier (a) die Unterschiedlichkeit der Sprache falsch gesehen, (b) die Existenz von Sprachen in Gesellschaften falsch gesehen (Unilingualism ist die Ausnahme), c) die Fähigkeit der Sprache zur Veränderung unterschätzt, d) die Ursache-Wirkung-Beziehung zu Unrecht von der Sprache aus gesehen, e) das Modell menschlicher Kommunikation verfälscht (Sprachen sind nicht vollkommene, sondern unvollkommene Systeme, die variabel angewandt werden), f) das kognitive Modell vereinfacht" (Fishman nach Werlen 1989:185 f.). 4. Ganz anders als Fishman für sprachsoziologische Belange formuliert, sieht die moderne Spracherwerbsforschung das Problem, die es vor allem 'kognitiv' wendet. Ausgehend von Talmy's (1985) Feststellung, daß „die grammatischen Markierungen in einem Satz ...einen konzeptuellen Rahmen darstellen bzw., bildlich gesehen, ein Kurzbiographien in Werlen 1989): Humboldt war im preussischen Staatsdienst tätig und entwickelte seine Auffassungen von der Sprache als eine Art 'Privatgelehrter', Whorf war „Versicherungsexperte für Brandverhütung, insbesondere bei großen Chemiefirmen" (Werlen 1989:141), Bernstein ist Erziehungswissenschaftler. Es wäre interessant zu untersuchen, welches Gedankengut mit welchen Konsequenzen für die Sprachwissenschaft von außerhalb der Disziplin eingebracht wurde. Soweit ich sehe, gibt es dazu keine systematische Arbeit. Worauf ist es zurückzuführen (oder ist es Zufall?), daß sich Sprachwissenschaftler den 'sozialen Problemen' zuwandten? Was ist das 'Fenster der sozialen Realität', durch das sie den Sprauchgebrauch beobachtet und bewertet haben? - Einer der bekanntesten Soziolinguisten, William Labov, kam von der Chemie zur Sprachwissenschaft.

38 strukturelles, skelettartiges Gerüst für den lexikalisch spezifizierten konzeptuellen 'Stoff", führt Slobin (1996) spracherwerbsvergleichende Untersuchungen zur Aneignung des Konzepts 'Temporalität' durch, die ihn zu einer neuen, 'dynamischen' Auffassung der (wie er es nennt) 'Humboldt-Whorf-Position' anregen. Nicht die statische Relation 'Gedanke' im Verhältnis zur 'Weltsicht', sondern die dynamischen Prozesse 'Denken' und 'Sprechen' seien kognitive Vorgänge, die den sprachlich relativierenden' Einfluß der Einzelsprachen zum Ausdruck bringen würden. Im Rückgriff auf Äußerungen von Humboldt, Boas und Whorf (Slobin 1996: 71 f.) interessiert sich Slobin für die 'mentalen Bilder', die, wie Kleist es ausdrücken würde, „die allmähliche Verfertigung der Gedanken bei der Rede" begleiten: "I propose to replace thought and language with a related but rather different pair of terms: thinking and speaking" (71). Denken um zu sprechen (thinking for speaking) impliziert demnach, charakteristische Eigenschaften von Gegenständen und Ereignissen auszuwählen, die die Konzeptualisierung eines Ereignisses/Vorganges erfüllen und mit den Mitteln einer Sprache kodierbar sind. Man kann nun diese Fragestellung mithilfe von Übersetzungen eines gleichen zugrundeliegenden Textes genauer überprüfen, nur nicht bei Kindern. Als gangbarer Weg erwies sich daher das Erzählen einer vergleichbaren Bildergeschichte durch Kinder in verschiedenen Sprachen (Englisch, Deutsch, Hebräisch, Isländisch, Japanisch, Mandarin, Russisch, Spanisch, Türkisch). Die Ergebnisse belegen nach Slobin (1996: 7096 ff.) sprachspezifische Muster von 'Denkvorgängen für das Sprechen', und diese haben seiner Meinung nach Auswirkungen auf die Entwicklung des 'rhetorischen Stils'32. Unter anderem findet Slobin heraus, daß vier Sprachen: Hebräisch, Deutsch, Englisch und Spanisch, in Bezug auf (morphologische) Aspektmarkierungen der Erzähläußerungen ein implikatives Kontinuum ausmachen: Sprache Hebräisch Deutsch Englisch Spanisch

Grammatischer Aspekt keiner Perfekt Perfekt, 'progressive' Perfekt, 'progressive', perfektiv/imperfektiv

Tabelle 2-2: Sprache und grammatischer Aspekt (nach Slobin 1996) E s zeigt sich so, daß englischsprachige Kinder häufig Handlungen berichteten und Ergebnisse dabei implizierten und genau umgekehrt spanischsprachige Kinder Ergebnisse berichteten und Handlungen dabei implizierten 33 . Interessanterweise k o m m t nun Slobin anhand seiner empirischen Studie zu dem Schluß, d a ß Abbilder von Gegenständen oder Vorgängen in der Welt, die wir in der außersprachlichen Welt sehen und verifizieren können, z.B. kein Lernproblem f u r 'Zweitspracherwerber' im späteren Lebensalter sind, j e d o c h Differenzierungen und Markierungen von ' A s p e k t ' , 'definiteness', ' G e n u s verbi' (und dergleichen), weil sie nur in der Sprache existieren,

32

33

Leider kann ich die Ergebnisse der Beschreibung in diesem Kapitel nicht im einzelnen referieren, vgl. aber im Detail hierzu Slobin (1996). Slobin weist den Leser hier explizit daraufhin, daß es ihm nur um Feststellungen zum Bereich 'thinking for speaking' und nicht um die Erzählweisen von Millionen verschiedener Muttersprachler geht.

39 sonst keine andere Bedeutung haben und nur durch Sprache gelernt werden können. Slobin schreibt zusammenfassend: "we can only talk and understand one another in terms of a particular language. The language or languages that we learn in childhood are not neutral coding systems of an objective reality. Rather, each one is a subjective orientation to the worlds of human experience, and this orientation affects the ways in which we think while we are speaking" (91).

Um die mit dem 'Prinzip der sprachlichen Relativität' verbundenen kritischen Fragen zu klären, reicht eine punktuelle Verifizierung oder Falsifizierung einzelner sprachwissenschaftlicher Aspekte nicht aus. Daher fordert Werlen zurecht (1989: 1-8), daß nur übergreifendes interdisziplinäres Klären der verschiedenen Implikate der Hypothese in Form von Teiltheorien weiterfuhrt, zumal sich die empirische Überprüfung überhaupt als Schwierigkeit darstellt: „Der ... empirische Zugang sieht sich gezwungen, das Problem zu faktorisieren, in Elemente zu zerlegen, deren Beziehung zueinander sich in Termini unabhängiger und abhängiger Variablen begreifen läßt" (3). Werlen diskutiert die linguistischen, kulturellen, sozialen, anthropologischen und kognitiv-psychologischen Teiltheorien34, die notwendig zu formulieren sind, will man das Problem der 'sprachlichen Relativität' jemals klären. Die Rolle der Sprache bzw. der Sprachfähigkeit müßte dabei geklärt werden 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

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der Sozialisation des Individuums, der gesellschaftlichen Wirklichkeitskonstruktion, der Kategorisierung der Welt, der Wahrnehmung der Welt, der Verarbeitung der wahrgenommenen Informationen, der Speicherung der wahrgenommenen Informationen, des Problemlösens, des Imaginierens, Konstruierens und Entwerfens, des Agierens und Handelns in der Welt (6),

Heutzutage haben Fragestellungen dieser Art, vor allem (3) bis (8), im Zusammenhang mit der 'kognitiven Linguistik' wieder große Aktualität. Es scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen, daß es universelle kognitive Schemata oder mentale Konzepte gibt, die einzelsprachspezifisch durch grammatische und sprachliche Mittel 'ausgestaltet' sind, d.h. mit denen sich Menschen als soziale Gruppen in der Wirklichkeit der Welt einrichten. Hervorgetreten sind Lakoff und Johnson (1980) durch eine kognitive 34

Wie man schnell einsehen wird, liegen konkrete Ausarbeitungen solcher Theorien in utopischer Ferne - wir sollten uns jedoch darüber klar sein, daß wir die 'Hercules'Aufgabe erst dann erkennen, wenn wir sinnvolle Reduktionen zur Erfüllung der Gesamtaufgabe vornehmen.

40 Theorie primärer und sekundärer Orientierungssysteme durch Sprache und Talmy (1985) durch die Auffassung grammatischer Kategorien als kognitive Strategien („strukturale Schematisierung, Ermöglichung von Perspektiven (unter denen man eine Szene sieht), Verteilung der Aufmerksamkeit, Dynamik der beteiligten Kräfte" (Werlen 1989.208). Auf die Implikationen dieser neuen Entwicklung können wir hier leider nicht eingehen. Seine „reformulation of the linguistic relativity hypothesis" schließt Lucy (1992) mit einem Schaubild ab, das den Kontrast zwischen Whorfs ursprünglichen Überlegungen und dem heutigen Erkenntnisstand illustrativ erfaßt:

Abbildung 2-1: Methodik bei der Erforschung 'linguistischer Relativität' nach Lucy (1992: 276) Sprache ist in diesem Schaubild eine variable Bezugsgröße im Verhältnis zu 'Realität' und 'Gedanke' (thought). Dadurch soll verdeutlicht werden, daß Sprache die Interrelation Realität - Gedanke beeinflußt. Ein neuer Zugang scheint über die Beschreibung von Referenz gegeben zu sein. Vielversprechend sieht die Perspektive aus, die Variation sprachlicher Systeme mit den damit verbundenen kognitiven Leistungen in einen Zusammenhang zu bringen. 2.4.2

Das Verhältnis von Hochsprache und Dialekt

Die Soziolinguistik der 70er Jahre untersuchte, ob und in welchem Maße Dialektsprecher in der Schule benachteiligt sind. Haben Kinder, die früh mit der Hochsprache in Berührung kommen und damit die Varietät des Prestiges und der Mobilität lernen, Vorteile gegenüber dialektsprechenden

41 Kindern, die eine lokale Varietät lernen, die vom Standard abweichend gebraucht wird? Das Problem, ob es 'bessere' und 'schlechtere' Varietäten gibt (je nach Form und Funktion), gab es auch schon im 18. und 19. Jahrhundert - zu dieser Zeit ging es allerdings um Nationalsprachen und ihre Vorteile als überregionale Hochsprachen, die einer weiträumigen Kommunikation besser dienen als kleinräumige Dialekte. Schlieben-Lange (1983) hat die politischen Auswirkungen des frühen Reflektierens über die Vereinheitlichung der Sprache am Beispiel der französischen Revolution dargestellt. „Egalité" wurde auch mit 'über gleiche sprachliche Mittel verfugen' gleichgesetzt. Es entstand eine Bewegung, die zur Standardisierung des Französischen und zur Verdrängung der Dialekte führte. Ziel war es, während und nach der Revolution, eine Art Bürgerfranzösisch zu schaffen, das alle gleich gut sprechen, verstehen und schreiben können sollten. Damit setzte ein Zurückdrängen der Dialekte ein, das noch heute in Frankreich wirkt. Die einheitliche Nationalsprache wurde zum Symbol der vereinten Nation. Im nicht-vereinigten Deutschland des 19. Jahrhunderts wurde die Schaffung einheitlicher Normen für eine überregionale Nationalsprache zum Symbol der zu schaffenden vereinten Nation. Im 18. und 19. Jahrhundert reagierten zahlreiche deutsche Intellektuelle auf die kulturelle Arroganz der französischen Intelligenz, die ihre Sprache und Kultur als überlegen darstellten. Die wichtigsten Autoren, die sich mit dem Problem beschäftigt haben, ob das Deutsche dem Französischen in Ausdruckskraft und Darstellungsfahigkeit unterlegen sei, sind in Dieckmann (1989) zusammengetragen. Ob sprachliche Systeme gleichwertig oder, gemessen an Leistungen, die sie zu bewältigen haben, unterschiedlich gut sind, ist eine Frage, die mit dem Aufkommen der Nationalstaaten in Europa thematisiert wurde und bis heute eine Triebfeder soziolinguistischer Untersuchungen darstellt (siehe auch: Unterschicht· vs. Mittelschichtsprache, Männer- vs. Frauensprache; die Sprache der Jugendlichen etc.). In ihrem Buch The social life of language (1980) schreibt Gillian Sankoff, daß tolerante Koexistenz zwischen den Sprachen der verschiedenen ethnischen Gruppen in Neuguinea um die Jahrhundertwende vorherrschte. Man hielt die eigene Sprache für die beste, wies gleichzeitig aber daraufhin, daß es auch andere, durchaus ebenbürtige Sprachen auf der Insel gäbe. Diese anderen Sprachen wurden nicht diskriminiert. In der industriellen und dann post-industriellen Gesellschaft hat sich das Verhältnis der Menschen zu ihrer Sprache verändert: Sprachstolz ist nicht mehr selbstverständlich; die Landbevölkerung sowie Gruppen aus den unteren Milieus empfinden ein regelrechtes Schuldbewußtsein, wenn sie ihre Sprache in anderen Kontexten als unter sich selbst benutzen. Wie kommt es zu solchem Schuldbewußtsein? Medien, Tele- und elektronische Kommunikationsmittel tragen heutzutage den Standard in die abgelegensten Wohnstuben und damit zur Anpassung der lokalen Dialekte an

42 weiträumige Regionalsprachen bei. Das Resultat ist z.B. erheblicher Dialektschwund im Norden und (in geringerem Maße) im Süden Deutschlands (vgl. Mattheier 1990). Die damit entstehende sich genauer Definitionen entziehende umgangssprachliche 'Grauzone' wird heute auch 'Substandard' genannt (vgl. Holtus & Radtke 1986, 1988, 1990). 2.4.3 Zwei- und Mehrsprachigkeit „Zwei oder mehr Sprachen [werden] als miteinander in Kontakt stehend bezeichnet, wenn sie von einunddenselben Personen abwechselnd gebraucht werden. Die die Sprachen gebrauchenden Individuen sind somit der Ort, an dem der Kontakt stattfindet. Die Praxis, abwechselnd zwei Sprachen zu gebrauchen, soll Zweisprachigkeit heißen, die an solcher Praxis beteiligten Personen werden zweisprachig genannt" (Weinreich 1977: 15). Weinreichs Bestimmung von Zweisprachigkeit ist psycholinguistisch, denn sie ist auf das Innenleben der Individuen bezogen, wenn sie zwei oder mehr Sprachen sprechen. Sprachkontakt kann man jedoch auch soziolinguistisch fassen, wenn man den Begriff auf Gruppen in Gesellschaften anwendet, die miteinander über zwei Sprachen in Kontakt stehen. Man kann dann mit Bechert & Wildgen (1991: 1) sagen, daß „zwei oder mehr Sprachen in Kontakt miteinander stehen, wenn sie in derselben Gruppe gebraucht werden". Dieses Verständnis wird durch den Hinweis von Weinreich erleichtert, daß der abwechselnde Gebrauch zweier Sprachen eine soziale Praxis sei. An dieser Praxis muß natürlich nicht jedes Individuum einer Gruppe teilhaben, vielmehr beinhaltet die Zuordnung des Prädikats zwei- oder mehrsprachig, daß sich eine Gruppe mehrheitlich in zwei oder mehr Sprachen verständigt. Die Pionierarbeit von Weinreich (auf Englisch 1953, auf Deutsch 1977 veröffentlicht) hat neue Wege der soziolinguistischen Beschreibung von Zwei- und Mehrsprachigkeit eröffnet: er entdeckte dynamische Parameter für die Entwicklung von Sprachen und Sprachkorrosion. Um die Art von Sprachkontaktsituationen genauer soziolinguistisch bestimmen zu können, untersuchte Weinreich • • •



die Rolle der soziokulturellen Situationen (gesellschaftliche Nützlichkeit der Sprache, ihre Rolle für soziale Mobilität, Institutionen und künstlerische Kontexte etc.); die Funktionen zweier Sprachen in bilingualen Gruppen/Gesellschaften (stabile Koexistenz vs. asymmetrische Verteilung etc.); die Übereinstimmung zwischen linguistischen und sozio-kulturellen Unterschieden: hier geht es darum, mit welchen anderen außersprachlichen Parametern ein bestimmter Sprachtyp mit Zwei- und Mehrsprachigkeitsverhältnissen einhergeht (solche Parameter sind: Religion, Rasse, Geschlecht, Alter, sozialer Status, geographische Grenzen etc.); die Sprachloyalität (insbesondere bei Standard- und Nationalsprachen von Bedeutung);

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• •

die Dauer des Kontaktes zwischen zwei und mehr Sprachen (in Südtirol verstärkt die Dauer des Kontaktes die Bedeutung des Deutschen, im Elsaß nimmt das Deutsche mit zunehmender Dauer des Kontaktes ab); das Aufkommen neuer Sprachen (z.B. die Pidgin-Sprache Tok Pisin in Neuguinea in den letzten 20 Jahren); Sprachverlust (Sprach- und Varietätenkorrosion).

Den soziolinguistischen Stand unseres heutigen Wissens in der Erforschung der genannten Parameter hat Preston (1989) in seinem Buch Sociolinguistics and Second Language Acquisition zusammengefaßt. Während zur Zeit Weinreichs noch die naive Auffassung herrschte, Einsprachigkeit sei die Regel und Zwei- und Mehrsprachigkeit die Ausnahme, ist heute allgemein akzeptiert, daß Zwei- und Mehrsprachigkeit die Regel, Einsprachigkeit aber die Ausnahme ist.

2.5 Vier methodologische Paradigmen der Soziolinguistik Der Darstellung des Zusammenhangs von linguistischen und soziologischen Tatsachen sowie von ausgewählten Ergebnissen der Soziolinguistik stelle ich zwei Thesen voran35; 1. Das Problem der sprachlichen Verschiedenheit wird von Gesellschaftsmitgliedern subjektiv erfahren. In der anthropologischen Tradition werden solche Erfahrungen durch einzelne Denker (z.B. Humboldt, Whorf) oder akademische Schulen untersucht. 2. Das Problem der sprachlichen Verschiedenheit ist in der Gesellschaft objektiv vorhanden und von Individuen und Gruppen als konfliktbesetztes Problem erfahrbar.

Bei der Ausbildung soziolinguistischer Forschungsparadigmen ist (2) konstitutiv, (1) häufig vermittelnde, erklärungsbemühte Philosophie. Die folgenden Reflexionen beziehen sich auf (2). 2.5.1 Gesellschaftspolitische Hintergründe Die soziale Dialektologie hat im wesentlichen zwei gesellschaftshistorische Wurzeln. Sie entsteht Ende der fünfziger Jahre in den USA, bringt ihre wesentlichen Untersuchungen in den sechziger Jahren hervor und zieht in den siebziger Jahren methodisch ähnliche Untersuchungen in zahlreichen Län-

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Im folgenden geht es mir darum, einen problemorientierten Aufriß dessen zu geben, was ich als 'Grundzüge soziolinguistischen Arbeitens und Denkens' bezeichnen möchte. Dieser Problemaufriß hat Einführungscharakter. Kapitel 3 und 4 führen dann die soziolinguistische Terminologie im Detail ein. Die vorgestellten methodischen Instrumente werden in Dittmar (1998) auf das 'soziolinguistische Profil des Deutschen' angewandt.

44 dem der Welt nach sich. Ein gesellschaftspolitisches Desiderat und eine methodische Sackgasse verhelfen der sozialen Dialektologie zum Durchbruch. Der gesellschaftspolitische Aspekt ist die zunehmende Urbanisierung in den USA nach dem zweiten Weltkrieg; Wanderungsbewegungen von Schwarzen in die Industriestädte des Nordens machen soziologische Stadtforschung dringend, um Lösungsmöglichkeiten fur die entstandenen sozialen Probleme und Konflikte in den Städten finden zu können. Ein gravierender Teil dieser soziokulturellen Probleme ist das Sprachproblem (Alphabetisierung, Zwei- und Mehrsprachigkeit, subkulturelle und Gettokodes, abweichende Dialekte). Die ethnische Mischung in den Städten hat derart zugenommen, daß Schule und Behörden vor den neuen Anforderungen versagen. Dieses Versagen wird der Auslöser zu detaillierten Untersuchungen ethnisch verschiedenen (kulturellen und sprachlichen) Verhaltens. Um den hilflosen Schulunterricht wieder effektiv zu gestalten, soll das Verhalten verschiedener sozialer und ethnischer Gruppen wissenschaftlich dokumentiert werden, um angemessene pädagogische Maßnahmen daraus abzuleiten. In den administrativ und industriell zunehmend differenzierten Städten entstanden komplexe Kommunikationsformen und Anforderungen an multikulturelle Verständigung, die die in den städtischen Sprachgemeinschaften lebenden Menschen relativ zu ihrer jeweiligen Ausgangsvarietät zu lösen haben: Entweder besitzen sie eine genügend breite kommunikative Kompetenz, um sich an die jeweiligen Situationsanforderungen anzupassen oder sie müssen an den komplexen zu bewältigenden Anpassungsleistungen scheitern. In diesem Sinne wird die Mehrsprachigkeit in Stadtregionen zur Quelle sozialer Konflikte, zu deren Lösung von der Soziolinguistik umsetzbare Ergebnisse erwartet werden. Wissenschaftsgeschichtlich gesehen hat die Dialektologie durch das Attribut 'sozial' eine Dimension gewonnen, die im Laufe der Stadtsprachenforschung notwendig war. Die Dialektologie war nämlich vom 19. Jahrhundert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts eine auf die Beschreibung 'horizontaler Variation' abzielende Wissenschaft, d.h. nur räumliche Parameter der Sprachvariation waren die Bezugsgrößen von Beschreibungen. Solange man sich in ländlichen Gegenden bewegte und Städte aufgrund ihrer meist geringen Ausdehnung meiden konnte, ergaben sich keine wesentlichen methodischen Probleme. Die zunehmende Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert ließ nun einerseits ganze Stadtregionen zu breiten Landstrichen zusammenfallen (z.B. New York, Paris oder Berlin), andererseits konnten die sprachlichen Varietäten auf dem Lande ohne den Einbezug der rasch voranschreitenden Urbanisierungsprozesse nicht angemessen erfaßt werden. Man ging daher dazu über, die 'vertikale' Dimension - die soziale also - als Determinante der Sprachvariation in Beschreibungen und Erklärungen einzubeziehen. Dies ist nur zu verständlich, denn die sprachliche

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Variation in den Städten kann eher durch sich überlagernde soziale und ethnische Schichten in einem komplexen Gefüge erklärt werden als durch geographische Kategorien. Später ging die soziale Dialektologie in den Begriff 'Soziolinguistik' ein, die unterschiedliches Kommunikationsverhalten relativ zum jeweiligen sozialen Kontext und Hintergrund erfassen soll. Im Unterschied dazu ist die Stadtsprachenforschung nur einer der Hintergründe für das Entstehen der 'Sprachsoziologie'. So beschreibt Fishman (1969 et al.) die sozialen Auswirkungen der Zwei- und Mehrsprachigkeit in New York City. Die Sprachsoziologie ist eine breite Reaktion auf das zunehmende soziale Gefalle zwischen : Stadt und Land, Zentrum und Peripherie, 'unteren ' und 'oberen ' Schichten, hochentwickelten und weniger entwickelten Gesellschaften. Sprache als Widerspiegelung des sozialen Gefälles steht im Vordergrund. Neben der Mehrsprachigkeit in Städten gerät auch das 'KommunikationsprofiF verschiedener sozialer Schichten ins Blickfeld. Die Legitimationskrise der sogenannten 'offenen Gesellschaft' (Habermas 1973) in westlichen Ländern wird als ein Problem der sozialen Reproduktion über Sprache identifiziert. Die Reproduktion des ungleichen Schichtgefüges wird auf unterschiedliche und verschieden effektive Kommunikationsstile in der Sozialisation von Kindern zurückgeführt. Es wird argumentiert, daß Sozialisationsunterschiede via Sprache Schichtunterschiede festschreiben und die so erworbenen schichtspezifischen Verhaltensweisen wieder schichtspezifisch verschiedene, symbolisch vermittelte Sozialisationsverläufe determinieren etc. Diese Spielart der Sprachsoziologie hatte immense bildungspolitische Auswirkungen (vgl. Dittmar 1973, Kapitel 3 und 7). Die zum schichtspezifischen Sprachverhalten durchgeführten Untersuchungen zielten auf eine Korrektur der negativen Auswirkungen marktspezifischer Gesellschaftsprinzipien auf den Bildungsbereich ab36. Ein zweites soziales Gefalle, das von der Sprachsoziologie aufgegriffen wird, bezeichnet die Koexistenz von Sprachen und Varietäten relativ zu den Kategorien 'Zentrum' und 'Peripherie'. Man nehme Frankreich, die Sowjetunion oder China: Die dominante Varietät ist das Pariser Französisch, das Pekinger Chinesisch ('Puthongua') oder das Moskauer Russisch. Damit ist die Sprache des Zentrums symbolischer Ausdruck von Macht. Die Gruppen der sozio-ökonomischen Peripherie weichen in Kultur und Sprache vom 'Zentrum' ab. Oft verschwinden sie unter dem Assimilationsdruck des Zentrums. Minoritäten oder Regionalismusbewegungen sind ein Ausdruck des sozialen Gefälles zwischen Zentrum und Peripherie. Ein aus36

Wird man Kommunikationsbarrieren zwischen Ost- und Westdeutschen nach der 'Wende' durch sprachsoziologische Untersuchungen erfassen und daraus resultierende Unterschiede durch geeignete Schulungsprogramme aufheben müssen? Hier zeigt sich ein aktuelles neues Anwendungsgebiet der Forschung (vgl. Dittmar 1997).

46 geprägtes Beispiel ist Frankreich. Die Minoritätensprachen Katalanisch, Okzitanisch, Bretonisch und Elsässisch wurden jahrhundertelang stark unterdrückt (vgl. Dittmar & Schlieben-Lange 1982b). Die Sprachsoziologie untersucht das Verhältnis von Zentrum und Peripherie unter dem Gesichtspunkt des durch Sprache symbolisierten sozialen und machtpolitischen Konflikts. Ein drittes soziales Gefalle, das sich ebenfalls in Kategorien von Zentrum und Peripherie fassen läßt, besteht in dem internationalen Gewicht von Sprachen in Ländern mit unterschiedlich ausgebauter sozioökonomischer Struktur. Es besteht ein wesentliches Gefalle zwischen ökonomisch starken Ländern und Entwicklungsländern. Die Arbeit der Sprachsoziologie konzentriert sich hier auf Sprachplanung. In den Entwicklungsländern werden Typologien und Profile koexistierender Sprachen erstellt. Ihre Effektivität und Angemessenheit als Kommunikationsmittel wird ermittelt, ihr soziales Prestige und ihre Akzeptabilität unter den Sprechern der entsprechenden Gesellschaft untersucht. Soziolinguistische Vergleiche zwischen den konkurrierenden Sprachen und Varietäten fuhren dann zu einer Entscheidung, welche von ihnen zum überregionalen Standard ausgebaut werden soll. Sprachsoziologische Untersuchungen haben hier vor allem einen praktischen Wert: Sie tragen zur Effektivierung der Kommunikation in sich entwickelnden Gesellschaften bei. Einen Überblick über diese Problematik vermittelt Fishman (1974) sowie die seit 1976 erscheinende Zeitschrift Language Planning Newsletter. Das Programm der Sprachsoziologie wurde bereits in den Schriften von Kloss (1952/1978) vorgezeichnet, die Entwicklung als Disziplin jedoch erst in den sechziger Jahren in den USA vorangetrieben. Die Ethnographie (einschließlich ihres Zweiges 'Ethnosemantik') ist eine in den USA entwickelte Teildisziplin der Anthropologie. Ihr Ziel ist eine sprachbezogene Kulturtheorie unter besonderer Beachtung der Verschiedenheiten soziokultureller Bedeutungen in Diskursen (z.B. Beratung, ärztliche Visite, Gerichtsverhandlung, Erzählung, interkulturelle Begegnung). Regeln des Sprachgebrauchs werden aus teilnehmenden Beobachtungen in natürlichen Kontexten gewonnen. Die von John Gumperz entwickelte ethnographische Diskursanalyse arbeitet die interpretativen 'Schlußverfahren' ('conversational inferences') der an einer Interaktion beteiligten Interaktionspartner auf der Folie sogenannter 'Kontextualisierungshinweise' ('contextualization cues') heraus (siehe 2.5.4). Die 'Ethnographie' ist als Teil der Anthropologie eine Reaktion auf gesellschaftspraktische Probleme: In den ethnisch heterogenen USA des 19.Jahrhunderts (zahlreiche Indianerstämme, große Bevölkerungsanteile von Schwarzen und Immigranten) bestand das durch den neu entstandenen Staat gesteuerte gesellschaftliche Bedürfnis, Kultur und Sprache zu vereinheitlichen, um zu einer integrierten amerikanischen Gesellschaftsform zu

47 gelangen37. Dieses Ziel wurde im wesentlichen durch die Assimilation von Minderheiten erreicht, wobei das Gelingen der assimilierenden Integrationspolitik des weißen und dominanten amerikanischen Zentrums in entscheidendem Maße auf wissenschaftliche Untersuchungen zur Kultur, Sprache und Sozialstruktur ethnischer Gruppen durch die Anthropologie zurückzuführen ist (siehe die kritische Aufarbeitung und Darstellung der anthropologischen Serviceleistungen für die staatliche Politik durch Darneil 1969). Schließlich ist die gesellschaftspolitische Wurzel der in den sechziger Jahren im Anschluß an die 'ordinary language philosophy' (Philosophie der Alltagssprache) entstandenen 'sozialen Pragmatik' mit ihren kreativen Zweigen der Sprechakttheorie und verschiedener Spielarten der Gesprächsanalyse am wenigsten evident. Es scheint, als sei die Sprechhandlungsphilosophie von John Austin (erstmalig veröffentlicht 1962) typisch für These (1), sind doch aufgrund ihrer stimulierenden Wirkung eine Flut von Arbeiten entstanden, die die Auswirkung von sozialrelevanten Sprechhandlungen im Gerichtssaal, in der ärztlichen Visite, in der institutionellen Beratung unter interaktionsspezifischen Gesichtspunkten untersucht haben. Indirekt ist die Gesprächsanalyse jedoch eine Antwort der handlungsbezogenen Sozialwissenschaften auf die ständig komplexer werdenden Kommunikationsanforderungen, auf die Vielschichtigkeit der Alltags- und institutionellen Kommunikation38. Aus einer anfänglichen Theorie des Fremdverstehens (Ethnomethodologie) hat sich die Soziologie der Konversation (= des Alltagsgesprächs) entwickelt. Natürlich bestand ein Bedürfnis für eine solche Soziologie. In der modernen Gesellschaft ist Entfremdung im institutionellen Diskurs eine gängige Erfahrung und die Rückgewinnung der diskursiven 'Normalität' häufiger denn je eine Aufgabe der Psychotherapie. Der einzige Schlüssel zur Therapie ist die Konversation, die in bestimmten regelhaften Strukturen abläuft. Eine von der Alltagskommunikation abgehobene institutionelle Sprache schafft Kommunikationsbarrieren. Hier setzt die Konversationsanalyse ein, um Gesprächsstrukturen im Alltag und in Institutionen genauer zu erfassen und Beziehungsverhältnisse im institutionellen wie im privaten Bereich zu verbessern. Die Konversationsanalyse (von engl, 'conversation analysis') ist jedoch auch eine Antwort auf den gegenwärtigen wissenschaftlichen Stand der Soziologie, die versucht, mit naturwissenschaftlichen Begriffen die Kräfte des Sozialgefuges zu erfassen. So galt der Schichtbegriff lange als eine 37

Diese auf Kosten der Minderheiten eher 'schmerzhaft' gelungene Integration ist als 'American melting pot' (Schmelztiegel) bekannt. 38 Man beachte die vielen konkreten Auswirkungen dieses neuen Zweiges, z.B. in Michel Foucault, Les mots et les choses, Paris 1966 oder in der von Teun van Dijk herausgegebenen Zeitschrift Discourse and Society.

48 Universale in der Soziologie. Doch konnte immer wieder nachgewiesen werden, daß das Konstrukt der Schicht weder allgemeingültig zu definieren ist noch die Phänomene der differenzierten sozialen Wirklichkeit angemessen erfaßt. In einem zunehmenden Methodenstreit in der Soziologie hat die u.a. durch Alfred Schütz, Harold Garfinkel, Thomas Luckmann und Harvey Sacks begründete verstehende Soziologie Position für eine dokumentarisch beschreibende alltagsweltliche Soziologie bezogen, die den Mikrobereich der sozialen Interaktion zum Gegenstand hat. Die Aufstellung vorgefaßter konstruktivistischer Kategorien in der Soziologie wird als fundamentaler Fehler bezeichnet, der den Blick auf die alltagsweltliche Entstehung sozialer Ordnung verdeckt. Diese Neuorientierung einer Grundlagensoziologie (in den Begriffen von Luckmann eine 'Proto-Soziologie', siehe auch die gleichnamige Zeitschrift) ist letztlich eine Antwort auf das Versagen einer an den Naturwissenschaften orientierten Soziologie, die soziale Phänomene meßbar machen will wie in der Physik oder in der Chemie. Eine umfassende Übersicht über den Stand dieser 'qualitativen Soziologie' findet sich in Schwartz & Jacobs (1979). 2.5.2 Soziale Dialektologie oder Variationslinguistik (korrelativer Ansatz) Zur Orientierung Während wir die soziale Dialektologie erst seit etwa 40 Jahren kennen, ist die Untersuchung räumlicher Variation unter dialektologischem Gesichtspunkt bereits im 19. Jahrhundert begonnen worden. Bei der Aufstellung ausschließlich geltender Lautgesetze entstand im 19. Jahrhundert unter den deutschen Sprachwissenschaftlern ein zunehmendes Interesse an der Art und Anzahl unterschiedlicher Dialekte im deutschsprachigen Raum. Zunächst ging man davon aus, daß sich die Dialekte wie Sprachen verhalten: Sie wurden als in sich homogen angenommen - in diesem Sinne kam es Wenker darauf an, die einzelnen Dialekte gut zu dokumentieren, vielleicht mit dem Ziel, die ausnahmslose Gültigkeit der Lautgesetze streng empirisch beweisen zu können. Daß sich im Laufe der Untersuchung zeigte, daß wir es mit einer Vielzahl von phonologischen und lexikalischen Variationen zu tun haben, löste dann ein in sich motiviertes Studium der Dialekte aus. Während Wenker 1876 mit dem Erheben von 5000 Fragebögen begann (4500 wurden tatsächlich von Lehrern ausgefüllt), startete 1896 Jules Gilliéron den Atlas linguistique de la France. Anders als Wenker, der sich fur Fragebogen und eine hohe Belegdichte entschied, konzipierte Gilliéron ein Erhebungsinstrument, das 1500 linguistische Einzelaspekte umfaßte und von einem in Phonetik und Lexikologie ausgebildeten und linguistisch unterwiesenen Feldforscher erhoben werden sollte. Edmond Edmont fuhr zwischen 1896 bis 1900 mit dem Fahrrad durch ganz Frankreich und erhob

49 Daten in 700 Interviews an 639 verschiedenen Orten. Durch die Art, mit der er Fragen stellte und beharrlich seine Daten sammelte, schaffte er eine relativ homogene und in die Tiefe gehende Datenerhebung, wobei er aufgrund seiner persönlichen linguistischen Kompetenz jeweils darüber urteilen konnte, ob die Antworten und die Kategorisierung angemessen oder nicht angemessen waren. Genau in diesem Punkte liegen die Schwächen des Wenker-Atlasses: Die Lehrer füllten die Fragebögen aufgrund ihrer Einschätzung der Dialektsprecher in einem Ort aus, wobei sie als linguistische Laien oft alltagsweltliche Kategorisierungen gaben. Während also Wenker eine hohe Belegdichte und damit eine größere Übersicht mit seinen Fragebogen erreichen konnte, erreichte Gilliéron qualitativ bessere, verläßlichere Resultate, konnte diese allerdings landschaftlich nicht breit belegen. Ahnlich wie Wenker begann Marius Kristensen per Fragebogen Daten zur dänischen Dialektgeographie in Dänemark zu erheben, er begann 1898 und beendete sein Projekt 1912. Später wurde der Fragebogen nur als eine vorläufige und erste Datenerhebung eingesetzt. Der von Angus Mcintosh initiierte Survey of Scottish Dialects bediente sich bei seiner 1952 beginnenden Untersuchung zu schottischen Dialekten in Schulen verteilter Fragebögen. Diese dokumentierten bestimmte Typen räumlicher Variation und waren die Grundlage für vertiefende auf den Fragebogen aufbauende Interviews. Im europäischen und internationalen Maßstabe blieb Jules Gilliéron der methodisch einflußreichste Dialektologe. Seine beiden Schüler, Karl Jaberg und Jakob Jud, widmeten sich dem italienischen und Schweizer Sprachatlas. Die ersten Atlanten, Sprach- und Sachatlas Italiens und der Südschweiz, erschienen 1931, die letzten 1940. Einer der Mitarbeiter von Jakob Jud, Paul Scheuermeier, bildete in den USA Fieldworker für den Linguistic Atlas of the United States and Canada aus; der amerikanischkanadische Sprachatlas wurde 1930 begonnen, der Koordinator des Projekts der ersten Stunde für die New England-Staaten war Hans Kurath; es wurde ein Teilatlas der Vereinigten Staaten erstellt, der methodisch mit den Atlanten in Europa sehr gut vergleichbar ist. Kuraths Word Geography of the Eastern United States erschien im Jahre 1949, the Pronunciation of English in the Atlantic States, bearbeitet von Kurath und Raven McDavid, erschien erst 1961. Später folgten weitere Atlanten in den USA, der Atlas des „Upper Midwest" wurde in drei Bänden 1973 bis 1976 veröffentlicht. Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war für die Dialektforschung von höchster Bedeutung. In Spanien, England und Rumänien wurden ebenfalls nach der Methode Gilliérons Varianten zur räumlichen Variation erhoben; die meisten nationalen Atlanten erschienen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

50 Wichtigste Prinzipien der dialektologischen Forschung sind, in vereinfachender Übersicht, folgende: •



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Über den zu erhebenden Sprachraum wurde ein Netz von Quadraten gelegt; an jedem Schnittpunkt der Quadrate sollten in der Regel zwischen drei und fünf Aufnahmen/Fragebögen erhoben werden; es sollten nach qualitativen Gesichtspunkten solche Sprecher ausgewählt werden, die in der Meinung der Bewohner eines Dorfes oder eines kleinen Städtchens, „perfekte" Dialektsprecher des jeweils lokalen Dialekts waren; mit Vorzug wurden ältere Sprecher gewählt, da sie die größte Gewähr boten, den lokalen Dialekt vollständig und homogen zu sprechen; man ging davon aus, daß die einzelnen Dialekte in sich homogen seien und daher weder ein statistisches noch ein soziologisches Kriterium der Validität bzw. Repräsentativität benötigt würde; Dialekte sollten in einer prototypischen Form dokumentiert werden und damit eine Einzelsprache wie Deutsch oder Englisch als eine aus einer Vielzahl homogener Dialekte zusammengesetzte Gemeinsprache charakterisiert werden; Variation und Wandel waren nicht das Anliegen der Dialektologen - dann hätten Alter, Geschlecht, Schichtzugehörigkeit, soziale Netzwerke einschlägiger berücksichtigt werden müssen; die Kartographie der dialektalen Varianten war eindimensional: Pro Ort wurden die erhobenen Varianten eingetragen, so daß sprachgeographische Karten für Ausspracheregeln und lexikalische Varianten entstanden; bei der Erhebung wurde auf Vergleichbarkeit geachtet: Ein vorgegebener Text, bestehend aus verschiedenen Sätzen, sollte von allen reproduziert werden; die daraus resultierenden Varianten konnten im strengen Sinne verglichen werden; im übrigen wurden lexikalische Varianten systematisch abgefragt (way ist ein kleines Brot: Brötchen, Semmel, Schrippe...'})] daß die Varietät der Dialektsprecher je nach Formalität oder Informalität der Situation unterschiedliche Stile aufweisen könne, wurde nicht beachtet; viele ältere Dialektologen haben gegenüber Labov und anderen Soziolinguisten ihre Erhebungsmethode verteidigt: Die Informanten seien nicht zimperlich gewesen, niemand habe die Interviewsituation als formal verstanden etc. Heute jedoch wissen wir, daß unterschiedliche Stile zum natürlichen Sprachverhalten gehören.

Die Ergebnisse der Dialektologen am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts entsprachen weithin und relativ objektiv den sprachlichen Gegebenheiten in Europa. Die große, überwiegende Mehrheit der Sprecher befand sich in kleineren oder mittleren Ortschaften in landwirtschaftliche, handwerkliche oder kleinindustrielle Gemeinschaften eingebunden. Solche Gemeinschaften, die Städte ausgenommen (vgl. Dittmar & SchliebenLange 1982a), waren häufig relativ homogen in ihrer Mundart; aufgrund eingeschränkter Mobilität und Reisemöglichkeit bilden relativ stabile Netzwerke relativ stabile Varietäten aus, ohne von der überdachenden Standardsprache zu schnell und wirksam verändert zu werden. Zwar spielten schichtspezifische Unterschiede, zumindest in den Städten, auch im späten 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts sicher eine Rolle, jedoch fielen solchen Gesichtspunkten gemessen an der Aufgabe, die Dialekte fur einen

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ganzen Sprachraum überhaupt erst einmal zu erheben, nur geringe Bedeutung zu. Demgegenüber werden heutzutage die zu Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts erhobenen Dialekteigenschaften mehr und mehr in regionale Umgangssprachen mit einer gewissen Nähe zum sprachlichen Standard integriert. Die Auflösungserscheinungen der lokalen Dialekte sind unübersehbar und werden von zahlreichen Untersuchungen, auch in der multidialektalen und mehrsprachigen Schweiz, registriert. Sprachliche Variation läßt sich heute nur mit differenzierten, Situation, Sprecher, Schicht und Alter (u.a.) berücksichtigenden Faktoren beschreiben. Für die gegenwärtigen soziolinguistischen Untersuchungen sind die Sprachatlanten eine wichtige Grundlage zur Beschreibung von Sprachwandel. In der Tat gibt es heutzutage eine Reihe von Projekten, die ausgehend von früheren Sprachzuständen neue Daten erheben, um Sprachwandel in Intervallen von 10, 20, 30 oder 40 (und mehr Jahren) beschreiben zu können. Das Interface von Dialektologie und Soziolinguistik wird in vorbildlicher Weise in Chambers & Trudgill (1980) beschrieben. Die 'soziale Dialektologie' (von Linguisten 'pragmatischer' Orientierung auch als 'korrelative Soziolinguistik' im Unterschied zur 'interaktionsbezogenen interpretativen Soziolinguistik' bezeichnet) hat ihre entscheidenden Impulse in den sechziger Jahren durch die empirischen Arbeiten von William Labov erhalten, der 1966 mit The Social Stratification of English in New York City bei Uriel Weinreich promovierte und dessen intellektuelles 'Vermächtnis' zusammen mit Joshua Fishman in die Diskussion um die Prinzipien einer Allgemeinen Sprachwissenschaft wirksam einging. Wichtige äußere und biographische Koordinaten sind nicht zu übersehen: beide sind jüdisch-slawischer Herkunft; der mit 40 Jahren früh verstorbene Weinreich hatte aufgrund seiner Studien zum Jiddischen und zum Sprachkontakt in der Schweiz (u.a.) die „Notwendigkeit eines breiten Ansatzes" in Sprachtheorie und -beschreibung hervorgehoben (ein „doppelgleisiger Ansatz" sollte „unterschiedlichste strukturelle wie soziokulturelle Faktoren" berücksichtigen, vgl. Weinreich 1953, 1977: 147) und betrachtete es als eine „Hauptaufgabe der Forschungsplanung", für die „benutzten sprachwissenschaftlichen Verfahren und die sozialwissenschaftlichen Ausrichtungen ... allgemeine Normen der Beschreibung" aufzustellen und damit „die Koordination auf diesem Feld... voranzutreiben" (Weinreich 1953, 1977: 150). Weinreich hatte der 'autonomen deskriptiven Linguistik' Bloomfieldscher Prägung einen um die 'diachrone Dimension' bemühten breiteren Ansatz gegenübergestellt, der die Dialektologie fruchtbar erweiterte und den sozio-kulturellen Rahmen von Sprachkontakt präzisierte (1977: 239 ff.). Labov setzte Weinreichs Ideen empirisch um: •

Er bediente sich zur Erklärung von Variation sozialer Faktoren wie z.B. 'Sozialer Status', 'Beruf, 'Geschlecht', 'Alter', 'Rasse', 'Bodenständigkeit', 'Sprachloyalität';

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er unterschied zwischen Querschnittsstudien (solchen in 'relativer Zeit') und Längsschnittstudien (solchen in 'absoluter Zeit') (vgl. Weinreich 1977: 137); er forderte die präzise Beschreibung gradueller sprachlicher Unterschiede und ihre Auswirkungen auf den Sprachwandel.

Die Beeinflussung Labovs durch Weinreich und mittelbar durch den in Columbia lehrenden 'europäischen' Linguisten Martinet machen eine jüdisch-osteuropäische Orientierung40 in der amerikanischen Sprachwissenschaft sichtbar, die sich über 'Sprachkontakt-' und 'Mehrsprachigkeitsforschung' soziolinguistischen Fragestellungen zuwandte. Mit Labov, der selbst als Chemiker erst spät zur Sprachwissenschaft stieß und sich als experimenteller Naturwissenschaftler der vernachlässigten empirischen Seite der Linguistik widmete41, entstand eine 'variationslinguistische', der Soziologie Parsons verpflichtete Schule in den USA (vgl. Dittmar 1975), die in den siebziger Jahren durch die jährlich stattfindenden Symposia 'New Ways of Analyzing Variation' (NWAV) bekannt geworden ist. Labov realisiert Weinreichs 'Desiderat' „genauer sprachsoziologischer Untersuchungen" von Stadtgemeinschaften, denn für diesen lag es auf der Hand, „daß mehrsprachige Städte ohne Kerngebiete fur die einzelnen Sprachen Brennpunkte des ausgedehntesten und engsten zwischensprachlichen Kontaktes sind, in der Alten Welt wie in der Neuen" (Weinreich 1953, 1977: 122). Die sprachwissenschaftlichen Herausfoderungen, unter deren Einfluß Labov maßgeblich 'Soziolinguistik' entwickelt, stehen im Zusammenhang mit Bestrebungen, die in Schwarze und Weiße geteilte amerikanische Gesellschaft zu einer Gesellschaft der 'Gleichberechtigten' zu machen42. In seiner Dissertation (1966) hatte Labov bewiesen, daß das Schichtgefuge der New Yorker Stadtsprache nicht mehr mit traditionellen Methoden der

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Die Begriffe 'Querschnitt' vs. 'Längsschnittstudie' werden ausfuhrlich erläutert in Milroy (1987). Die Verankerung der neueren soziolinguistischen und sprachsoziologischen Forschung im osteuropäischen und jüdischen Denken wäre wissenschaftsgeschichtlich genauer zu untersuchen. Soweit ich sehe, fehlt eine solche Arbeit bisher. 41 Gibt es einen Zusammenhang zwischen 'von außen zur Sprachwissenschaft kommen' und 'empirische Soziolinguistik betreiben'? Eine genauere Untersuchung des Zusammenhangs 'biographische und lebensweltliche Orientierung' und 'sprachwissenschaftliches Paradigma' wäre wünschenswert. 42 Die große politische Offensive in den sechziger und Anfang der siebziger Jahre lief in den USA unter dem Stichwort 'equal opportunity' und an einer Verbesserung 'gleicher Chancen' für alle wurde in zahlreichen interdisziplinären Projekten gearbeitet (das größte 'joint venture' auf diesem Gebiet war das sogenannte 'Headstart Projekt', dessen bekanntestes Arbeitsergebnis, das Fernsehprogramm 'Sesam Street', von Pädagogen, Psychologen und Linguisten ausgearbeitet wurde). 40

53 Dialektologie beschreibbar war; er bediente sich daher innovativ der Methoden der neu aufgekommenen deskriptiven Soziologie. Sein soziolinguistisches 'Jahrhundertwerk' besteht - auf der Folie der in der Dissertation gewonnenen deskriptiven Techniken - in der Beschreibung des Sprachverhaltens von Schwarzen und Weißen in Gettobezirken43. Die These der sprachlichen Relativität (vgl. 2.4.1) löste Labov nicht in eine unüberwindliche Sprach- und Kommunikationsbarriere auf, sondern belegte induktiv, daß das Englisch von Schwarzen und Weißen ein Kontinuum von Varietäten darstellt, die in den Formen erhebliche Kontraste aufweisen, aber gleichwertigen kommunikativen Funktionen/ Normen entsprechen. Am Beispiel grammatischer Regularitäten und pragmatischer Prinzipien des sprachlichen Handelns zeigt Labov das 'formale' Kontrastgefuge und sein funktionales Konfliktpotential auf. Er vertritt ethisch den Standpunkt des anthropologisch aufgeklärten Soziolinguisten: die vorbehaltlose Anerkennung fundamentaler, aber sich ebenbürtiger Verhaltensunterschiede fuhrt zu größerer symbolischer Gerechtigkeit und Chancengleichheit, nicht dagegen ein Verhaltenstraining der unteren Schichten zur Überwindung offenbar vorhandener sprachlicher und kommunikativer Defizite, die sie angeblich gegenüber den mittleren und oberen Schichten aufweisen44. Labov hat sich fur die Korrektur der Unterschiede durch soziale Gesetzgebung, nicht durch 'Nachhilfeunterricht' ausgesprochen. Diese Auffassung hat er mithilfe seiner empirisch gewonnen Daten gestützt und in Aufsätzen und Gerichtsprozessen vertreten45. Es ist ihm zu verdanken, daß soziolinguistische Arbeiten grammatische Beschreibungen fruchtbar beeinflußt und auch breite gesellschaftliche Anwendung erfahren haben (vor allem in Institutionen). Labovs erster Aufsatz, "The Social Motivation of a Sound Change" ([1963], 1972a: 1-42), behandelte fortschreitenden Sprachwandel ('language change in progress'). Der späte Labov kehrt zu seinem Lieblingsthema, dem Sprachwandel, in den achtziger Jahren zurück: anhand von sogenannten 'Mega-Korpora' in Sprachgemeinschaften (= statistisch reprä43

Den besten Überblick über diese Forschungen gibt der 1972b erschienene Band Language in the Inner City, die meisten Aufsätze aus diesem Band sind ins Deutsche übersetzt und 1976 bzw. 1978 in den von Dittmar und Rieck herausgegebenen zwei Bänden W. Labov, Sprache im sozialen Kontext, erschienen (gekürzte Taschenbuchausgabe 1980).

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Bezeichnend für diese Phase des soziolinguistisch motivierten gesellschaftspolitischen Engagements Labovs ist der Aufsatz "The Logic of Nonstandard-English", der 1970 erschienen ist und nur in Auszügen ins Deutsche übersetzt wurde in: Klein & Wunderlich (Hgg.) Aspekte der Soziolinguistik, 1972 Das beste Zeugnis dieser Aktivität ist der Aufsatz "Objectivity and Commitment in Linguistic Science: The Case of the Black English Trial in Ann Arbor" von 1982 (übersetzt auch ins Französische 1986).

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54 sentative Sprachdatenkorpora) will er systemlinguistische Wege des Sprachwandels auf der Folie von 'Paneluntersuchungen' (vgl. Wintermantel 1988: 961-65) soziolinguistischer Querschnittsuntersuchungen in 'real time' herausfinden und darauf eine Sprachwandeltheorie gründen. Welche konzeptuellen Wege geht die labovianische Soziolinguistik? Ich fasse die Grundzüge des variationslinguistischen Paradigmas ('W-L-Konzepte) in der folgenden Übersicht zusammen. Übersicht:

VARIA TIONSLINGUISTISCHE

KONZEPTE

Tradition & Innovation: Dialektologie, Sprachkontaktforschung, Systemlinguistik gehen ein in eine sprachsoziologisch gewendete soziale Dialektologie, die die Variation und Mehrsprachigkeit in Städten mithilfe moderner soziologischer Methoden beschreibt. Die dialektologische Homogenitätsannahme, daß lokale Eigenschaften intern homogen sind (= fur jeden Ort gibt es genau einen lokalen Dialekt), verhinderte eine Beschreibung von Stadtsprachen. Statt Variation 'zweidimensional' zu sehen (Zusammenhang von 'Raum' und 'Sprache'), wird sie nun als 'mehrdimensional' betrachtet (Funktion räumlicher, sozialer und situativer Parameter). • •



Methodik', induktives Vorgehen; empirische Erhebung von Korpusdaten: soziologisch geschichtete Stichprobe von Sprechern nach Alter, sozialer Status, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit etc. ('Zufallsstichprobe') repräsentative Dokumentation des Sprachverhaltens für verschiedene verbale Ausdrucksbereiche und des Einstellungsverhaltens gegenüber ausgewählten sprachlichen Variablen (Prinzip der sprachlichen Validität: jene ausgewählten linguistischen Eigenschaften, die beschrieben werden sollen, müssen auch angemessen erhoben worden sein) Authentische Dokumentation 'natürlichen' Sprachverhaltens in Kommunikationssituationen verschiedenen Formalitätsgrades; zentrale Aufgabe: Überwindung des Beobachterparadoxons - der Soziolinguist muß das Sprachverhalten von Personen in Situationen dokumentieren, in denen diese sich völlig unbeobachtet fühlen, jedoch kann dieses nur durch systematische Beobachtung geschehen (Prinzip der situativen Validität von Sprachdaten: die 'Güte' von Sprachdaten hängt von ihrer - möglichst 'natürlichen' - Authentizität ab)

Beschreibung: Beschreibung der Häufigkeit und sozialen Funktion von sprachlichen Varianten (definiert als linguistische Variablen), die sich für zwei oder mehr Varietäten (Dialekte, Soziolekte) in ihrer morphophonologischen und grammatischen Form, nicht jedoch in ihrer referentiellen Bedeutung unterscheiden; die Vorkommenshäufigkeiten von Varianten in den Varietäten werden mit operationalisierten soziologischen Indizes korreliert (Intervallskalen von 'Alter', Ordinalskalen von 'sozialem Status' oder 'Netzwerken', Nominalskalen von 'Geschlecht' u.a.) und in quantitativen 'Zusammenhangsmaßen' erfaßt. Erklärung: Unterschiede in den Vorkommenshäufigkeiten der sprachlichen Varianten werden als Funktion von außersprachlichen Variablen im Rahmen strukturfunktionalistischer soziologischer Modelle46 erklärt (= soziale Bedeutung der quanti-

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Es handelt sich um das gesellschaftliche Modell von Talcott Parsons, das, in Analogie zu biologischen Organismen, institutionalisierte soziale Konstrukte als

55 tativen Ausprägung der untersuchten Variation), d.h. die Erklärung beruht auf soziologischen Konstrukten, die sozialen Gruppen durch die 'Brille des Forschers von außen' angelegt werden und nicht der natürlichen sozialen Wahrnehmung der Betroffenen entsprechen (müssen). Es gilt das Gesetz der statistischen 'Schwerkraft': je mehr sprachliche Daten für um so dichtere Streuungen sozialer Variablen / Größen in einer Sprachgemeinschaft erhoben werden, desto genauer werden strukturelle Tendenzen der Variation erfaßt und desto besser können auf dieser breiten quantitativen Basis die Mechanismen des Sprachwandels erklärt werden (daher auch die Bedeutung des Terminus 'Mega-Korpus'). Theorie·. Nur solche Sprachtheorien haben langfristig Bestand, die empirisch ausreichend breit belegt sind und aufgrund der Beschreibung und Erklärung von 'MegaKorpora' (sprachlicher Oberflächenstrukturen) überhaupt legitimiert sind, zwischen 'falsch' und 'richtig' zu unterscheiden. Die 'sprachlichen Tatsachen', in der sozialen Wirklichkeit nachgewiesen, sind für Labov der Prüfstein jeglicher Theorie - ob die Theorie unter formalen Gesichtspunkten ökonomisch, vollständig und widerspruchsfrei formuliert ist, wird als 'Beiwerk' oder 'Mitgift' empirischer Beschreibung verstanden. In der Sprach- oder Grammatiktheorie ist Labov nicht kreativ - er übernimmt weitgehend den Beschreibungsapparat der generativen Grammatik47 oder des Strukturalismus. Gegen ein größere Relevanz von Theorien - außer für die sprachpraktische Beschreibung - immunisiert er sich dadurch, daß er aufgrund der empirischen Datenbeschaffenheit die zur empirischen Beschreibung jeweils adäquateste Methodik auswählt48; die Grammatik wird jedoch durch quantitative Bewertungen von Regeln, sogenannten 'Variablenregeln' (siehe 5.4.2), erweitert, die auf einem generativen Strukturmodell beruhen. Sprache wird dabei nicht als 'autonomes', sondern als 'System adaptiver Funktionen' betrachtet. Zwei Gesichtspunkte sind für das Paradigma von Bedeutung: (a) die Korrelation sprachlicher Daten mit soziologischen Konstrukten wie 'Schicht', 'sozialer Status'49 etc. wird theoretisch durch die Möglichkeit der empirischen Replikation von Untersuchungen in 'realer Zeit' (= PanelUntersuchung) nach expliziten formalen Kriterien gerechtfertigt; die Handlungsmaxime für die korrelationslinguistische Spielart der Soziolinguistik lautet daher: 'synchrone Beschreibung von Variation im Dienste der systemlinguistischen Beschreibung und Erklärung von Sprachwandel' (= Erklärung des Vergangenen durch das Gegenwärtige), (b) Quantitative Instrumente sind die conditio sine qua non der Variationsbeschreibung, d.h. sogenannte 'Mega-Korpora' von Daten

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sich selbstregulierende Mechanismen im Dienste von Systemerhaltung und Gleichgewichtsherstellung versteht. Es handelt sich bei diesen Beschreibungen um das Modell der Transformationsgrammatik, das Chomsky in seinem Buch von 1965 formuliert hat. Man beachte auch die Phonologie dazu in Chomsky & Halle (1968). In der Tat vermißt der Leser der Labovschen Schriften den Hinweis auf die soziolinguistische 'Tauglichkeit' und 'Güte' gängiger linguistischer Beschreibungsmodelle. Es besteht ein großer Unterschied zwischen einer Beschreibung von Variation mit einem Modell des 'parameter setting' oder der 'LFG' (lexical functional grammar). Wegen dieses Vorgehens wird das Paradigma oft auch als (quantitative) 'Korrelationale Soziolinguistik' bezeichnet und methodisch der (qualitativen) 'Interaktionalen Soziolinguistik' gegenübergestellt. Persönliche Mitteilung von David Sankoff.

56 ('Großkorpora') allein sind in der Lage, umstrittene Fragen der Sprachbeschreibung der 'richtigen' Lösung zuzuführen; 'qualitative' Daten gelten daher für Variationslinguisten als eine 'Metapher für nicht genug Daten' 50 . Der Prozeß der 'Interaktion' spielt jedoch für Erklärungen des korrelativen variationslinguistischen Ansatzes keine Rolle. Anwendung·. Labov bekennt sich zum Dienst der Linguistik an der Gesellschaft. Der Linguist klärt wissenschaftlich Fragen der Variation, der Norm, des alltäglichen Sprachgebrauchs, des Sprachwandels und gibt das, was er zunächst der Gesellschaft 'genommen' hat, an diese zurück, indem er die gesammelten Erkenntnisse und Einsichten zur Aufklärung über sprachliche Verhältnisse benutzt (Schulen und Institutionen sind die Adressaten) und auch für die Rechtsprechung fruchtbar macht (vgl. Anm. 45).

Feldforschung Es ist das - vielleicht größte - Verdienst Labovs, in der soziolinguistischen Feldforschung vielseitige Wege und Möglichkeiten aufgezeigt zu haben, wie das sogenannte 'Beobachterparadoxon' (siehe 'Methodik', Übersicht 2-1) überwunden werden kann. Der Linguist sieht sich dem Widerspruch gegenüber, für seine wissenschaftliche Forschung höchste technische und formale Standards zu garantieren (daher der Vorteil von Experimenten) und gleichzeitig alle künstlichen, von außen einwirkenden Störfaktoren bei der Tonbanddokumentation von Kommunikation in sozialen Situationen auszuschalten, um den Belegwert der Aufnahmen durch ihre Qualität unverfälschter Natürlichkeit ('kontextuelle und situative Validität') zu erhöhen. Überspitzt kann man sagen, daß Labov 30 Jahre soziolinguistischer Forschung der Überwindung des Beobachterparadoxons durch den Einsatz von verschiedenen Interviewstilen, Techniken teilnehmender Beobachtung und ethnographischen Methoden gewidmet hat. Drei Beispiele: (a) Die ersten Schritte zur Überwindung des die Natürlichkeit der Rede einschränkenden Beobachtereffekts stellt seine originelle Studie zur sozialen Stratifikation des Irl in New Yorker Kaufhäusern dar (Labov 1972a; 1976). Um in einem explorativen Stadium der Stadtsprachenuntersuchung festzustellen, ob die /^/-Aussprache in New York soziale Bedeutung hat, fragte er Verkäufer in drei verschiedenen Kaufhäusern nach einer im vierten Stock des jeweiligen Kaufhauses gelegenen Abteilung ("Where are the shoes?" - Die Standardantwort lautete dann "on the fourth floor"). Nach der ersten Antwort der Verkäufer tat Labov so, als ob er die Äußerung nicht verstanden habe, worauf die Äußerung meist in formeller Sprechweise wiederholt wurde. Auf diese natürliche Weise erhielt Labov eine informelle und eine formelle Variante der linguistischen Variablen Irl. Er notierte den jeweiligen Aussprachewert und konnte eine rasche Auswertung vornehmen. Als sich die soziale Bedeutung der Variablen als gegeben herausstellte, wurde sie an einem größeren Korpus systematisch untersucht. (b) Im Rahmen seiner Untersuchung des Sprachverhaltens von Jugendlichen in Harlem entwickelte Labov (1972b) spezielle kontextsensitive Techniken. Er organisierte Spiele, die bei den Jugendlichen beliebt waren, und konnte dadurch natürliche Interaktion aufnehmen. Außerdem führte er mit jedem Jugendlichen Einzelinterviews

57 durch. Eine Reihe von ihnen wurde sogar unter quasi-natürlichen Bedingungen getestet, so daß Lücken in den Sprachaufnahmen (Belege für bestimmte grammatische Formen, z.B. Modalausdrücke, die Negation, das Passiv etc., die in natürlichen Interaktionen nur unter bestimmten Bedingungen vorkommen) gefüllt werden konnten. (c) In neueren Untersuchungen51 wendet Labov das 'Schneeballprinzip' der teilnehmenden Beobachtung an. Interaktionsnetze in Wohnvierteln und Straßenzügen werden dadurch herausgefunden, daß ein in der Umgebung bekannter Feldforscher, der sich dort ständig aufhält, mit bekannten Personen in Geschäften und auf der Straße beginnt, deren Freunde kennenlernt, mit ihnen ähnliche Kontakte aufbaut und sich so schließlich die gesamte Nachbarschaft erschließt52. In diesem Sinne ist die soziale Dialektologie dazu übergegangen, den „Insider" einzusetzen, um möglichst natürliche Sprachdaten zu erhalten. Eine solche Feldforschung ist zeitaufwendig. Da die Daten authentisches Sprachmaterial für unterschiedliche Situationen dokumentieren, haben sie ethnographischen Beleg- und Erklärungswert. Diese Methode der langfristigen teilnehmenden Beobachtung wurde auch in Milroy (1980) angewandt (vgl. auch die Einführung in empirische Feldforschung in Milroy 1987). Beschreibung In der soziolinguistischen Beschreibung vertritt Labov einen strukturfunktionalistischen Ansatz (vgl. Dittmar 1975). Sozial signifikante linguistische Variablen 53 werden definiert und in sprachlichen Korpora unter Angabe ihrer unmittelbaren phonologischen Umgebung links und rechts der Variablen isoliert; die Vorkommenshäufigkeit der Variablen (Realisierung oder NichtRealisierung in den Kontexten, in denen sie vorkommen kann) wird pro Sprecher/in ermittelt und mit dessen/deren sozialen Merkmalen korreliert. Das Konzept der 'soziolinguistischen Variablen' läßt sich somit definieren als 'Menge alternativer Möglichkeiten, sprachlich das gleiche zu sagen, damit aber unterschiedliche soziale Identitäten/ Hintergründe/ Bedeutungen zum Ausdruck zu bringen'. Die Summe der realisierten Varianten einer linguistischen Variablen 54 bezogen auf alle möglichen Realisierungen im Korpus wird dann z.B. mit der Schichtzugehörigkeit des Sprechers in einen Zusammenhang gebracht. Der numerische Wert dieser Korrelation zeigt die soziale Bedeutung des linguistischen Merkmals an. Nehmen wir einmal an,

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Untersuchungen zum Sprachwandel: sogenannte 'large scale community studies' (Untersuchungen von Sprachgemeinschaften in großem Maßstab), die zum Ziel haben, den allgemeinen Wandel der sprachlichen Normen zu erfassen. Siehe die Übersicht über die Techniken der Feldforschung in Milroy (1987). Sprachliche Einheiten, die in auffälliger Weise soziale Bedeutung in der Sprachverwendung markieren: apikales Irl konnotiert z.B. die Herkunft aus der Nürnberger, uvulares /r/ die aus dem norddeutschen Räume. Die gewählte Variable kann auch 'Arbeitermilieu' oder 'Unterschicht' konnotieren in er liebt mir nicht (Berliner Variante von er liebt mich nicht). z.B. der Anteil des uvularen und des apikalen an der Variable (r) im Beispiel der Anmerkung 51.

58 die Aussprache des Irl im Englisch von New York City ist ein Prestigemerkmal. Die Realisierung des Irl können wir dann als (r-1) und die Nichtrealisierung als (r-0) bezeichnen55. Man vergleiche nun beispielsweise die variablen Ausprägungen der linguistischen Variable (r) im Korpus eines Unterschichtsprechers mit denen eines Mittelschichtsprechers. Gebraucht der Mittelschichtsprecher häufig (r-1) und nur in geringem Maße (r-0), während der Unterschichtsprecher häufiger (r-0) und weniger häufig (r-1) benutzt, so können wir die quantitativen Werte für die linguistische Variable (r) mit dem sozio-ökonomischen Status der Sprecher in Zusammenhang bringen. Der im Vergleich mit den Unterschichtsprechern hohe Wert von (r-1) fur die Mittelschichtsprecher zeigt, daß es sich hier um ein signifikant sozial unterscheidendes Merkmal handelt. Häufig gilt eine Variante, die viel von der Unterschicht benutzt wird, als 'stigmatisiert', eine von der Mitteloder Oberschicht verwendete Variante dagegen als 'prestigebesetzt'. Als linguistische Variable können nach Labov alle jene Segmente einer Sprachstruktur betrachtet werden, die durch alternative Varianten in der Sprachgemeinschaft realisiert werden können und sich dabei in der Form des Ausdrucks, nicht aber in seiner Bedeutung unterscheiden. Bei der Auswahl einer linguistischen Variablen sollen sich Soziolinguisten von folgenden Kriterien leiten lassen: Das Segment soll häufig in der Kommunikation vorkommen. (1) Es soll sich um ein Segment handeln, das in ein breites Spektrum funktionaler Einheiten integriert ist56. Je besser eine Variable diese Bedingung erfüllt, desto größer ist ihre Relevanz für die soziolinguistische Beschreibung. (2) Die alternativen Varianten der Variablen sollen zwischen Sprechern verschiedener sozialer Merkmale (z.B. unterschiedliche regionale Herkunft, Geschlecht, Alter, soziale Schicht, ethnische Zugehörigkeit) sowie verschiedener Sprechstile (formelle und informelle) differenzieren. (3) Es soll sich möglichst um ein im Alltagsgespräch 'auffalliges' Merkmal handeln. Andererseits soll es unterhalb der Schwelle bewußter Sprechkontrolle liegen.

Unter den vier Kriterien hat (3) eine besondere Stellung. Im wesentlichen ist die Wahl einer Variante und deren quantitative Realisierung eine Funktion von außersprachlichen/stilistischen Parametern. Die Abb. 2-3 illustriert diesen Sachverhalt.

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Dies wurde z.B. in der Kaufhausuntersuchung, Labov 1972a, dt. 1976, gemacht. Dies trifft z.B. auf die Negation im Englischen zu, die mit Hilfsverben in verschiedener Weise kontrahiert wird und sowohl morphophonologischen als auch syntaktischen Beschränkungen unterworfen ist. Die Funktionen der Negation sind vielseitig. Im Deutschen haben die Hilfsverben sein und haben z.B. ein breites Formen- und Furiktionsspektrum.

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UUS/LWC = untere Unterschicht OUS/UWC= obere Unterschicht UMS/LMC = untere Mittelschicht OMS/UMC = obere Mittelschicht. Niveau der linguistischen Variable

Abbildung 2-2: Die Realisierung der Varianten einer linguistischen Variablen als Funktion von Kontextstilen und Schichtzugehörigkeit (unterschiedliche Gewichtungen aufgrund verschiedener quantitativer Ausprägungen) nach Labov (1972d) Die Anwendung einer Variablen und ihre Auftretenswahrscheinlichkeit werden durch die 'Vertrautheit mit Normen' und den Grad der 'Kontrolle des Sprechstils' eingeschränkt. SOS Index 0-1 2-4 5-6 7-8 9

UUS OUS UMS

SOS/SES = sozioökonomischer Status A = zwangloses Sprechen Β = gewähltes Sprechen C = Lesestil D = Wortlisten

OMS

Abbildung 2-3: Soziale und stilistische Stratifizierung der Variablen (th)57 für 5 soziale Schichten (unterschieden nach sozioökonomischem Status) und 4 Stilen (unterschieden nach dem Formalitätsgrad des Sprechens) in der New Yorker Studie von Labov Wenn eine linguistische Variable Unterschiede in ihrer Distribution über einen soziologischen Parameter indiziert (z.B. 'soziale Schichtung'), wird sie ein 'sozialer Indikator' genannt. Indiziert sie zusätzlich auch noch Unter57

Bei der Variablen (th) sind im wesentlichen zwei Varianten zu unterscheiden: (th-0) ist der 'interdentale Frikativ' (die bekannte /th/ Aussprache im Fremdsprachenunterricht) und (th-2) ist ein 'lenisierter Verschlußlaut' ('Dental'-Aussprache). Die dritte Variante, der Affrikat 'dentaler Verschlußlaut' + 'interdentaler Frikativ', wird als (th-1) definiert, weist aber im Korpus insgesamt geringere Vorkommen auf.

60 schiede im Sprechstil, markiert sie die Sprechweise von Individuen und wird als 'soziolinguistischer Marker' bezeichnet. Die Variable (th) stratifiziert die Sprecher regelhaft, wie Abb. 2-4 zeigt, nach 'Schichtung' und 'Stil'. Je nachdem ob die Variante 'interdentaler Frikativ' (th-0) oder 'lenisierter Verschlußlaut' (th-2) benutzt wird, lassen sich die Sprecher sowohl nach sozialer Schicht als auch nach Sprechstil unterscheiden. Für die Oberschicht (SÖS 0-1) bedeutet das z.B.: hohes Auftreten von interdentalem Frikativ überhaupt, insbesondere in formalen Sprechstilen; fur die Unterschicht (SÖS 7-9) gilt das Umgekehrte: geringe Realisierung des interdentalen Frikativs überhaupt, aber immerhin in höherem Maße bei formellem als bei informellem Sprechen. Vorbedingung für die Formulierung einer linguistischen Variablen ist, daß ihre Varianten formal verschieden, aber bedeutungsgleich sind. Labov hat häufig darauf hingewiesen, daß die unterschiedlichen Varianten einer Variablen (ob man beispielsweise das Irl im Wortanlaut apikal wie die Nürnberger oder uvular wie die Westfalen ausspricht) stets das gleiche bedeuten oder den gleichen Referenten haben müssen (daher hat die Variable soziale und nicht linguistische Bedeutung). Die damit an die linguistische Variable gestellte Anforderung nenne ich Bedingung der vollständigen Synonymie (vgl. hierzu Thibault 1982 und meine Auseinandersetzung mit der Labovschen Definition von Stil in Dittmar 1989). Geht es jedoch um eine Aufforderung zum Hinüberreichen der Suppe beim Mittagessen, die durch den Mittelschichtsprecher mit Hilfe des Sprechaktes „Würdest du mir bitte mal die Suppe herüberreichen?" und durch den Unterschichtsprecher mit Hilfe der Äußerung „Suppe bitte!!" realisiert würde, so kann man nach Labov die beiden Sprechakte deswegen nicht als Varianten der gleichen Variablen behandeln, weil sie (semantisch und pragmatisch gesehen) unterschiedliche linguistische Bedeutung haben, d.h. es liegen ihnen verschiedene Sprecherintentionen zugrunde. Damit wird zugleich deutlich, wo die Grenzen der linguistischen Variablen liegen. Die Beschreibung der Variation samt ihrer sozialen Bedingtheit wird mit Hilfe von sogenannten 'Variablenregeln' durchgeführt. Eine solche Regel beschreibt genau das, was wir oben dargestellt haben: mit welcher quantitativen Gewichtung Varianten einer Variablen (z.B. , , von h f ) unter Bedingungen des linguistischen Kontextes (vorausgehende und folgende lautliche Umgebung der Variablen) und des sozialen Kontextes (Sprecher- und Stilmerkmale) in einer Sprachgemeinschaft angewendet werden. Sie wurden von Labov (1969) zum ersten Mal formuliert und inzwischen technisch verfeinert (Labov 1972b und Cedergren/Sankoff 1974). Es handelt sich um Regeln der generativen Transformationsgrammatik nach Chomsky (Modell 1965), die so formuliert sind, daß sie die Wahrscheinlichkeit der Anwendung oder Nichtanwendung der Regel aufgrund der im

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Korpus vorgefundenen Häufigkeiten spezifizieren58. Solche Regeln, die die Anwendungshäufigkeiten von Varianten im manifesten Sprachverhalten von Sprechern ermitteln, reflektieren das konkrete Verhalten in Situationen unter Kommunikationsdruck (o«-//«e-Situationen, wie der Psycholinguist sagen würde). Eine lange sprachtheoretische Kontroverse ist in den siebziger und achtziger Jahren über den grammatiktheoretischen Status dieser Regeln gefuhrt worden. Die Frage, ob es sich um reine 'Oberflächen-' bzw. Produktionsregeln handelt oder solche, die der Kompetenz (= Sprachwissen) von Sprechern zuzuordnen sind, ist immer noch in Ermangelung einer expliziten Theorie sprachlicher Variation unentschieden. Die meisten Linguisten betrachten Variablenregeln als Beschreibungen 'äußerer Aspekte' des Sprachverhaltens. Die Anwendung der Regeln unterliegt bestimmten Beschränkungen. Eine Klasse der Beschränkungen stellen die unmittelbaren linguistischen Kontexte der untersuchten Variablen dar. Eine zweite Klasse von Beschränkungen sind die außersprachlichen Variablen. Die Regel ist so formuliert, daß die linguistischen Eigenschaften von sprachlichen Varietäten eine Funktion sozialer Faktoren sind. Sprache wird somit als 'adaptive Funktion' betrachtet. Damit wird auch deutlich, welche Faktoren die soziolinguistische Beschreibung im Sinne des Strukturfunktionalismus liefert: Die durch die Regel festgestellte (und damit festgeschriebene) Variation gilt durch die variierenden sozialen Faktoren als erklärt. Der Zusammenhang zwischen Sprachstruktur und Sozialstruktur wird durch sogenannte Korrelationsmaße ('Zusammenhangsmaße') ermittelt (vgl. auch Schlobinski 1996: 107-118). Sie indizieren, wie stark die Kovariation zwischen den Ausprägungen der linguistischen und der soziologischen Variablen ist. Darstellung und Diskussion der Beschreibung mithilfe von Variablenregeln finden sich in Labov (1969) und (1972b), Klein (1974) und (1975), Cedergren/Sankoff (1974), Dittmar (1976: 134-143), Sankoff und Labov (1979), Fasold (1990: 223-268). Variationslinguistische Erklärungsansätze anhand ausgewählter Ergebnisse Da den Pionierarbeiten Labovs im variationslinguistischen Paradigma die Bedeutung soziolinguistischer 'Gründerzeiten' zukommt, beziehe ich mich im folgenden exemplarisch auf seine Untersuchungen59 (vgl. auch die Übersicht 2-1). 58

Eine Darstellung der technischen Aspekte der Regelschreibung und eine Diskussion 59 ihres Status aus grammatiktheoretischer Sicht findet sich in Sankoff (1978). In der Tat orientierten sich sehr viele anglophone Untersuchungen an den Labovschen Prinzipien; die Ergebnisse fallen daher auch häufig ähnlich aus. Im

62 Mithilfe vielseitiger Elizitierungsmethoden und detaillierter quantitativer Darstellungstechniken kann Labov nachweisen, daß die Sprache ein heterogenes }Continuum ineinander übergehender Varietäten darstellt. Um das soziale Territorium der eigenen Kommunikation aufrechterhalten und das der 'fremden Anderen' identifizieren zu können, grenzen sich Sprecher u.a. durch sprachliche Merkmale voneinander ab. Aber nur ein Teil der sprachlichen Merkmale verweist auf die lokale Herkunft der Sprecher. Die regionalen Merkmale werden (u.a.) durch geschlechts-, Schicht- und altersspezifische Sprechermerkmale überlagert. Sprache variiert mit den sozialen Faktoren regelhaft. Nicht der Idiolekt scheint daher das primäre Objekt der Linguistik zu sein, sondern der Soziolekt, das gruppenspezifische Sprachverhalten relativ zu bestimmten sozialen Situationen und Normen. Die sozial bedingte Sprachvariation macht gleichzeitig die Beschreibung und Erklärung von Sprachwandel möglich. Wandel kann man nämlich nicht nur in realer Zeit, sondern auch in relativer/scheinbarer Zeit erfassen. Durch die Dokumentation des Sprachverhaltens ganz unterschiedlicher Altersgruppen kann man offenbar die Richtung eines Wandels simulieren60. So konnte Labov eindrucksvoll nachweisen, daß die r-lose Aussprache in New York vornehmlich bei den Älteren zu finden war, die nachdrückliche Bevorzugung der [r]-Aussprache jedoch für die jüngeren Sprecher galt, so daß sich eindeutig auf ein soziales Prestige der [r]-Aussprache schließen läßt. Labov stellte fest, daß sich das Prestige der [r]-Aussprache von den oberen zu den unteren Schichten ausbreitete. In übereifriger Nachahmung der von der Oberschicht praktizierten [r]-Normen zeigt die Mittelschicht 'Hyperkorrektheit', mit der sie ihre Aufstiegsabsichten deutlich manifestiert.

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deutschsprachigen Raum ist Schlobinski (1987) eine durch Labov inspirierte Untersuchung. Wohl das treffendste Beispiel einer Sprachwandeluntersuchung ist die von Martha's Vineyard, in der Prestige und Stigmatisierung von Varianten feinsinnig beschrieben und erklärt werden: W. Labov (1963), "The Social Motivation of a Sound Change", in: Word 19 : 273-309

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Abbildung 2-4: Schichtspezifische Verteilung der Variablen (r) in guard, car fur New Yorker Erwachsene: 'Hyperkorrektes' Verhalten der unteren Mittelschicht (nach Labov 1966) Formal gesehen 'überkreuzen' die Werte der [r]-Aussprache der unteren Mittelschicht (sozioökonomischer Status 6-8) die der Oberschicht (SÖS 9) für das 'formale' Spektrum der Redestile (Lektürestile D und D'); damit kann die UMS als Anführer in dem Sprachwandel gelten61 (vgl. Labov 61

Diese 'Überkreuzungsstruktur' herausgefunden zu haben, wie in Abb. 2-5 deutlich illustriert, gilt als eine der großen Leistungen Labovs. Vergessen wir jedoch nicht, daß die expliziten empirischen Belege diese großartige Leistung ausmachen, weniger die Originalität der Beobachtungen; von Gabelentz bezeichnet schon 1891 „das Bedürfnis der höheren Classen, vor den unteren etwas voraus zu haben" als eine soziale „Triebfeder" (zit. in 1984: 249). Und das 'Katz-und-Maus-Spiel' zwischen oberen und unteren Schichten, in dem die oberen Schichten ihr 'Bessersein' aufrechterhalten, die unteren ihr dieses jedoch durch eifriges Nachmachen der Prestigeformen streitig machen, worauf sich erstere durch Innovationen wieder von den einfachen Schichten 'abgrenzen' (Grenzziehungen zwischen sozialen Territorien), beschreibt er treffend wie folgt: „Und dies Bedürfniss ('der höheren Classen, vor den unteren etwas voraus zu haben' - ND) wird überall da wirken, wo etwas wie ein aristokratisches Gefühl vorhanden ist. Schon im engen Zusammenschlüsse der Kaste muß ja nie Sprache ein eigenes Gepräge annehmen. Aber auch ohnedem ist es natürlich, dass man sich denen auch in der Rede überlegen zeigen will, denen man sich sonst überlegen dünkt. So verwelschten unsere Vorfahren ihr Deutsch. So vermeiden wir noch heute gewisse Redensarten, die wir gewöhnt sind, von den Leuten im Kittel zu hören - zum Theile höfliche Redensarten von bester Herkunft; unsere Großväter haben sie gebraucht, aber ihre Diener haben sie ihnen abgelernt, und nun sind sie uns verleidet. Man sagt dann : 'Das Wort hat einen Stich ins Kleinbürgerliche, ça sent le petit bourgeois', und die Unwissendsten sind hier wie immer am Absprechendsten. Seit die Zeiten der Kleiderordnungen vorüber sind, verbietet nichts mehr den geringen Leuten, es den Vornehmen nachzuahmen. Nur nachkommen können sie ihnen nicht; denn

64 1972a; 1978a). Eine weitere wichtige Rolle im Sprachwandel scheinen Frauen zu spielen. Nach Meinung Labovs (1980b: 131-134) sind Frauen deshalb im Sprachwandel führend, weil sie Kinder aufziehen und sozialisieren. Aufgrund der von ihnen übernommenen Verantwortung neigen sie offenbar dazu, dem Prestige des überregionalen Standards mehr Bedeutung beizumessen als den lokalen sprachlichen Varietäten. Trudgill (1974) stimmt dieser Auffassung aufgrund eigener Untersuchungen zu. Andere, von Frauen durchgeführte Untersuchungen kommen jedoch zu anderen Ergebnissen und Schlußfolgerungen (vgl. Klann-Delius 1987; Hellinger 1995). Wir wollen daher lediglich zur Kenntnis nehmen, daß eine soziolinguistische Aussage des Strukturfünktionalismus Labov'scher Prägung darin besteht, Frauen im Sprachwandel eine Veränderungen auslösende Rolle einzuräumen aufgrund der Tatsache, daß sie sich gegenüber dem prestigebesetzten Standard sensibler verhalten als Männer. Strukturfünktionalismus meint ja: in der Form unterschiedlich ausgeprägte und manifeste Verhaltensweisen erfüllen Funktionen, die soziale Organismen holistisch als strukturell gleichwertige 'Ganze' umfassen und steuern. In diesem Sinne charakterisieren Labov's Untersuchungen jeweils zwei Aspekte. Der eine betrifft die Sprachproduktion. Die Realisierung sozial signifikanter Varianten in einem Korpus der Sprachproduktion wird 'objektiv' gemessen. Man hat zwar eine Hypothese darüber, welche Varianten Sprecher sozial differenzieren, aber welcher soziale Wert ihnen jeweils entspricht, geht aus den 'objektiven' Messungen nicht hervor. Daher besteht der zweite Aspekt darin, daß Labov Informanten Passagen gesprochener Sprache vorgelegt hat, in denen bestimmte Variablen besonders konzentriert vorkamen. Nach Abhören der Gesprächsausschnitte sollten die Informanten die Variablen sozial bewerten. Unabhängig von sozialer Schicht, Geschlecht und anderen sozialen Faktoren und auch unabhängig davon, ob sie die Varianten selber benutzten, bewerteten die Informanten diese auf einem Kontinuum zwischen 'stigmatisiert' und 'prestigebesetzt'. Die Tatsache, daß solche Bewertungen von Sprechern im Sinne von 'über die gleichen Normen verfügen' geteilt wurden, hat Labov als Zeichen dafür gewertet, daß Sprecher zwar objektiv durch die Benutzung verschiedener Varianten sozial differenziert sind, diesen Differenzierungen jedoch subjektiv einheitliche Wertvorstellungen und Normen entsprechen. Hinsichtlich der in der Sprachgemeinschaft geltenden Normen kommt Labov daher zu dem Schluß: „Innerhalb einer Sprachgemeinschaft sind die sozialen Einstellungen der Sprache gegenüber äußerst einheitlich ... Das Korrelat regelwessen sie sich einmal bemächtigt haben, das gilt entwerthet" (zit. nach dem Nachdruck 1984: 249 f.). Sachverhalt nicht darstellen. Darüberhinaus ist jedoch Mechanismus der 'Überkreuzungsstruktur' Vorbilder funktionalistischen amerikanischen Soziologie fand.

in den oberen Kreisen für Besser kann man m.E. den zu sehen, daß Labov für den in der modernen, struktur-

65 mäßiger Schichtung einer soziolinguistischen Variable im Verhalten ist die einheitliche Übereinstimmung der subjektiven Reaktion auf diese Variable" ( L a b o v 1972d: 188). Gemeinsam geteilte Normvorstellungen macht L a b o v daher z u m Definitionskriterium fur Sprachgemeinschaften (vgl. Parsons 1964). W e l c h e allgemeinen sprachwissenschaftlichen Schlüsse zieht L a b o v aus seinen Untersuchungen? In den beiden A u f s ä t z e n „ D a s Studium der Sprache im sozialen Kontext" und „Einige Prinzipien linguistischer M e t h o d o l o gie" ( 1 9 7 2 c , d) formuliert er einige soziolinguistische Prinzipien, die als Resultate seiner Untersuchungen gelten können. E s handelt sich unter anderem u m f o l g e n d e Prinzipien, die die Variation gesprochener Sprache in typischer W e i s e charakterisieren: 1. „Stile lassen sich innerhalb einer einzigen Dimension ordnen, entsprechend dem Maß an Aufmerksamkeit, das dem Sprechen gewidmet wird" (1972d: 146; vgl. auch Fig. 2-1). Dies bedeutet, daß das Extrem eines solchen Kontinuums die informelle, das andere die formelle Sprechweise ist. Das Kriterium für die Ordnung der Sprechweisen ist der Grad der Selbstkontrolle. Diese allgemeine Feststellung läßt sich dahin unterdifferenzieren, daß J e d e systematische Beobachtung eines Sprechers zur Feststellung eines formalen Kontextes führt, in dem dem Sprechen mehr als das Minimum an Aufmerksamkeit gewidmet wird" (1972d: 147). 2. Den Dialektwechsel kennzeichnet folgendes Prinzip: „Immer, wenn ein untergeordneter Dialekt mit einem übergeordneten Dialekt in Kontakt ist, werden sich die in einer beliebigen Testsituation gegebenen Antworten vom untergeordneten Dialekt zum übergeordneten Dialekt hin bewegen, und zwar auf unregelmäßige und unsystematische Art und Weise" (Labov 1972d: 152). Diesem Prinzip liegt der soziologische Tatbestand zugrunde, daß Sprecher vom lokalen Dialekt zum Dialekt mit höherem sozialen Prestige in formalen Situationen wechseln. 3. Eine Hypothese zur Beschreibung sozialer Variation der Sprache besagt, „daß die Dialekte einer Sprache sich wahrscheinlich in niedrig-stufigen Regeln voneinander unterscheiden, und daß die Oberflächenunterschiede größer sind als diejenigen, die, wenn überhaupt, in ihren Tiefenstrukturen festgestellt werden" (Labov 1972d: 171). Hier wird die Annahme gemacht, daß Dialekt und Standard sich in den meisten zugrundeliegenden Formen gleichen, und eine sozial signifikante Variation auf der sprachlichen Oberfläche auftritt. Diese Behauptung wurde bereits von Chomsky vertreten. Es bleibt hier allerdings auch die Frage, ob Variation nicht auch semantische und pragmatische Implikationen hat. So müssen wir es dahingestellt sein lassen, ob diese These nicht eine Immunisierung gegenüber einer notwendigen semantischen und pragmatischen Beschreibung der Variation darstellt (vgl. hierzu Dittmar 1983/1996). 4. Der modernen Grammatiktheorie, die mit einem eingeschränkten und aufgrund von Intuitionen gewonnenen Korpus sprachlicher Daten arbeitet, setzt Labov das Prinzip der Kumulation entgegen: „Je mehr über eine Sprache bekannt ist, desto mehr können wir über sie herausfinden" (Labov 1972d). Hier wird schlicht dafür plädiert, Daten im sozialen Kontext der 'Normalität' via Tonbandaufnahmen zu erheben, anstatt sie sich, wie bei der generativen Grammatik üblich, im intellektuellen Elfenbeinturm des Forschers auszudenken. Diesen Gesichtspunkt hat Labov auch in eine polemische Formulierung eingehen lassen als Prinzip der bevorzugten Ignoranz: „Je

66 weniger der Linguist über eine Sprache weiß, desto genauer (objektiver?, wissenschaftlicher?) wird seine Beschreibung sein" (Labov 1980b: 8).

Sprachwandel: die Perspektive der Erklärungen Ein Hauptanliegen Labovs ist die Korrektur der 'autonomen', 'theoretischen', 'introspektiv' orientierten Linguistik durch eine auf die primären sprachlichen Daten in der Sprachgemeinschaft gegründete (empirische) Soziolinguistik. Enttäuschungen, von den Theoretikern nicht gehört zu werden, mögen den Rückzug Labovs auf die physikalisch-phonetischen Prinzipien des Sprachwandels und seine mit Methoden korrelativer Messung entdeckbaren sozialen Ursachen mitbewirkt haben. War der Labov der sowohl ethnographischen als auch quantitativen Studie über das städtische Sprachverhalten in den Gettos von New York noch auf alle Aspekte des kommunikativen Verhaltens orientiert (Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik, Diskurs), wendet sich der Labov der 80er und 90er Jahre der physikalischen Seite des sprachlichen und sozialen Verhaltens in Sprachgemeinschaften zu. Warum ist der korrelative Zugang zur Beschreibung von Variation prädestiniert für tiefere Einsichten in die Mechanismen des Sprachwandels? Labov interessiert sich für das Sprachverhalten des Individuums nur mittelbar auf der Folie seiner sozialen Rollen in (den Gruppen) der Sprachgemeinschaft, und sollte es das 'sprachliche System' im Sinne Saussures geben, dann hat dieses seinen Platz einzig und allein in der Sprachgemeinschaft62. Man mag nominalskalierbare Variablen wie Geschlecht oder ethnische Zugehörigkeit, ordinalskalierbare wie 'Status' oder 'Schicht', metrische Variablen wie Alter aus der neueren Sicht soziologischer Theorien fur nicht angemessen halten - für Untersuchungen zum Sprachwandel sind sie fraglos von hoher Relevanz, da Studien in 'realer (absoluter) Zeit' in gewissen Zeitabständen mit den gleichen Variablen, die mit den gleichen Kriterien zu operationalisieren sind, wiederholt werden müssen, um diachronisch vergleichbare synchrone Schnitte zu erhalten. Die Operationalisierung der Variablen ist daher von hohem Wert für die Vergleichbarkeit von im Wandel befindlichen Sprachzuständen ('change in progress')63. So weisen 62

Mit seiner Studie von 1989 will Labov belegen, dafl das Individuum (also 'Idiolekte') nicht der Gegenstand der Linguistik ist; er betont am Ende seines Forschungsberichtes: "As far as I can see, the individual speaker is not such an object. This essay, like other studies of sociolinguistic variation, shows that individual behavior can be understood only as a reflection of the grammar of the speech community. Language is not a property of the individual, but of the community" (Labov 1989:52). 'Sprachwandel' wird hier als die klassische Domäne des grammatischen Wandels verstanden; gemeint ist, wie bereits grammatikalisierte Formen (vgl. Hopper & Closs-Traugott 1993) in der Sprachgemeinschaft 're-analysiert' werden und über

67 Variation und Wandel einen engen Zusammenhang untereinander auf, der sich in der Richtung eines Wandels manifestiert. Jeglicher Wandel geht aus Variation hervor, aber längst nicht alle Erscheinungen der Variation fuhren zu Wandel. In seinem Aufsatz "Exact description o f the speech community: short /a/ in Philadelphia" ( 1 9 8 9 ) illustriert L a b o v in eindrucksvoller W e i s e seine Arbeitsprinzipien: 1. Gegenstand der Linguistik ist die Sprachgemeinschaft, die er definiert als "aggregate of speakers who share a set of norms for the interpretation of language, as reflected in their treatment of linguistic variables: patterns of social stratification, style shifting, and subjective evaluations" (1989:2). 2. Beschreibungen beziehen sich auf ein Korpus elizitierter sprachlicher Daten, d.h. grundlegend für jede soziolinguistische Beschreibung ist das Prinzip der Beïegbarkeit: Regeln beruhen auf Regularitäten im Korpus. Die 6.233 Tokens (hier: Belege für die Ausprägung der Variablen 'kurzes a') weisen die 100 weißen Sprecher 64 als eine quer zu sozialen Schichten, ethnischen Gruppen, Familien und Freundeskreisen bestehende sprachlich vereinheitlichte Gruppe aus. 3. Um die Einheit der heterogenen sozialen Gruppen in Bezug auf das kurze a erkennen zu können, müssen Sprecher in ihren alltäglichen Umgebungen in ihrem natürlichen Sprachverhalten dokumentiert werden 65 . Wir müssen auch genaue Sprechermerkmale erheben, um feststellen zu können, ob (und in welchem Maße) diese die Typen der Variation (die Varianten) affizieren oder nicht. 4. Die linguistische Beschreibung muß unter Einbezug der gesamten Literatur umfassend sein (im Falle des kurzen a umfaßt sie mindestens: die zugrundeliegende Phrasenstruktur, die grammatischen Kategorien, das Inventar der Phoneme und deren Distribution in lexikalischen Einheiten). 5. Einheitlichkeit oder Variation der Variablen 'kurzes a' muß für Sprechstile und Sprechermerkmale geprüft und vergleichend ermittelt werden. L a b o v m ö c h t e die Linguistik v o n der Spielwiese und v o m 'Elfenbeinturm' in das Vorzimmer der 'exakten' Wissenschaft fuhren: solange die B e l e g e einer Sprachbeschreibung nicht flächendeckend und 'dicht' sind ( = über Zufälle erhaben), können Beschreibungsalternativen mangels überzeugender B e l e g e in der Wirklichkeit nicht ernsthaft entschieden werden; genau dieses ist sein deskriptiver Anspruch: auf der Folie soziolinguistischer D a ten z w i s c h e n richtig und falsch entscheiden zu können. variable Zustände zu diskreten grammatischen Formen gerinnen. Nur das Resultat des Wandels interessiert, nicht die Interaktion, die nach pragmatischen Prinzipien dazu führte. 64

65

Diese Studie ist repräsentativ für ca. eine Million Weiße in Philadelphia, nicht aber für die 'schwarze' Gemeinschaft in Philadelphia, die eine "radically different organization of the short a class" aufweist. Hier übt Labov Kritik an "formal elicitations", beispielsweise an der Lektüre von Wortlisten oder Texten. Solche formalen Erhebungsmethoden stiften seiner Meinung nach Verwirrung in der Sprachbeschreibung. "They have produced the illusion that the linguistic community is an aggregate of individuals with an unlimited number of different systems in their heads" (1989:2).

68 Ist das Problem mit der Masse der Daten und Belege wirklich gelöst? Haben wir es hier vielleicht mit einem konsequenten, aufgeklärten, aber arroganten Behaviorismus zu tun? Wieviele Daten braucht ein Soziolinguist, um etwas 'beweisen' zu können? Und kann er im strengen Sinne überhaupt Beweise fuhren?66 Die empirischen Langzeitstudien von Sprachgemeinschaften in Echtzeit fuhren Labov zu vorsichtigen Antworten auf die in Weinreich, Labov und Herzog (1968) bereits formulierten Grundfragen des Sprachwandels, nämlich zu erklären, (i) welche Faktoren Sprachwandel auslösen (Problem der Auslösung) (ii) wie sich die Übergänge von einem Stadium zum nächsten vollziehen - in kontinuierlicher, abrupter, wellenförmiger Weise? (Problem der Übergangsstadien) (iii) in welche Matrix sprachlicher und außersprachlicher Größen Sprachwandelprozesse eingebettet sind (Problem der Einbettung) (iv)wie Eigenschaften des fortschreitenden Wandels in der Gesellschaft bewertet werden - welche Rolle spielen dabei Alter, Prestige und Stigmatisierung, obere und untere soziale Schichten, Frauen und Männer? (Problem der bewußten und unbewußten Bewertung von Wandelprozessen). Wie eng die variationslinguistischen Beschreibungen nun mit der Diagnose von Sprachwandel zu tun haben, soll am Beispiel der Phasen erläutert werden, die der (fortschreitende) Sprachwandel durchläuft. Labov hat seine empirischen Arbeiten vor allem der Klärung des Einbettungsproblems (iii) gewidmet (bereits deutlich in dem Aufsatz "The social setting of linguistic change" von 1972a). Der Prozeß der Auslösung des Wandels, ein Problem, das Labov häufig implizit mitanspricht, bis zu seinem Vollzug läßt sich dann folgendermaßen begreifen (vgl. Labov 1978, dt. Ausgabe, 163-183 und 259-318):

66

Bei dem gegenwärtigen Stand der Forschung kann niemand endgültige Antworten auf diese Fragen geben. Die konventionelle Statistik bietet uns Signifikanzniveaus als Geltungskriterium an. Wie wir jedoch aus einer Fülle von empirischen Untersuchungen wissen, werden Erklärungen infolge statistischer Beschreibungen in der Regel nicht ohne Rückgriff auf lebensweltliche Sinngebungen gegeben. Mögen 6233 Tokens als Belege zutiefst eindrucksvoll sein: Ob die Beschreibung deswegen exakt genannt werden kann, muß fraglich bleiben. Bei den Ausdrücken 'MegaKorpus' und 'exakt' sowie den 6233 Belegen als Beweisargumente drängen sich Vergleiche mit der auf flächendeckende Belegdichte bedachten Dialektologie und der behavioristisch orientierten Sprachforschung im Rahmen des amerikanischen Strukturalismus (Hockett, Harris etc.) auf. Spätestens hier wird der Variationist Labov, der einst der Soziolinguistik das Fenster zur Pragmatik und zum Diskurs öffnete, von dem übermächtigen Erbe des Korpusstrukturalismus und dem naturwissenschaftlichen Anspruch auf 'Exaktheit' eingeholt.

69 Der Wandel nimmt seinen Ausgang in dem fluktuierenden, unregelmäßigen Sprachgebrauch bestimmter Varianten einer (subkulturellen) Gruppe (Untergruppe, 'Subgroup'), die aus verschiedenen Gründen - bewußt oder unbewußt - ihre distinktive Identität in der Sprachgemeinschaft gefährdet sieht. Die sich wandelnden sprachlichen Eigenschaften werden Indikatoren57 genannt, wenn diese unter allen Mitgliedern der gruppenspezifischen Subkultur Verbreitung gefunden haben. Die Gruppenmitglieder, die an der Verbreitung des Wandels maßgeblich beteiligt sind, sind sich dessen nicht bewußt; die betroffene linguistische Variable ist daher auch nicht stilistisch stratifiziert. Die Verbreitung des Wandels geht nun über diese Gruppe hinaus und erreicht auch andere Gruppen in der Sprachgemeinschaft. Damit werden die Werte der wandelinitiierenden Gruppe auch von anderen Gruppen akzeptiert. Die Wandel auslösende Gruppe und die diesen indizierende Variable wird somit zum Fokus der sozialen Aufmerksamkeit. Wenn nun der Wandel die äußeren Grenzen seiner Verbreitung erreicht hat und durch die größere Sprachgemeinschaft übernommen worden ist, markiert sie ihre Sprecher sozial durch die Verwendung der Variablen (soziolinguistischer Marker). Die Variable weist in diesem Stadium auch schon stilistische Stratifikation auf, wird aber unterhalb der Bewußtseinsschwelle verwendet. Gleichzeitig affiziert die sich in Wandlung befindliche Variable auch andere Elemente des Sprachsystems; so beobachtete Labov in seiner Studie von 1963 (siehe Labov 1972a) auf Martha's Vineyard, daß die Hebung des [a] in /ay/ auch die Qualität des [a] in /aw/ affizierte. Die bisher dargestellten Stadien sind solche des Wandels unterhalb der Schwelle des Bewußtseins ("change from below"). Wenn der Wandel nicht in der höchsten Statusgruppe (Mittel- oder Oberschicht) seinen Ausgang nahm68 und diese ihn nicht stillschweigend ratifiziert und übernimmt, werden die veränderten Formen stigmatisiert (= negativ bewertet), d.h. sie werden als 'ungrammatisches', inkorrektes Sprechen betrachtet. 'Stigmatisierung' setzt also 'Wandel von oben' ("change from above") ingang, wobei 'Wandel von oben' gleichbedeutend ist mit 'bewußt angestrebter Wandel' im Gegensatz zum 'Wandel von unten' (= unterhalb der Schwelle des Bewußtseins)69. Sprecher meiden infolgedessen von den 67

69

Vgl. auch die weiter oben erläuterte Funktion von 'Indikatoren' in der Varietätenbeschreibung von New York: sie verwiesen auf die Zugehörigkeit zur sozialen Schicht. Untersuchungen zeigen, daß diese Gruppen oder Schichten selten wandelauslösend sind. Manchmal wird 'Wandel von unten' und 'Wandel von oben' mit 'Wandel, der in den unteren Schichten seinen Ausgang nimmt' bzw. 'Wandel, der in den oberen Schichten seinen Ausgang nimmt' gleichgesetzt. Mit 'oben' und 'unten' ist jedoch 'unterhalb' und 'oberhalb der Schwelle des Bewußtseins' gemeint.

70 höchsten Statusgruppen zunächst akzeptierte Varianten, vor allem in formal kontrollierten Stilen. Die Variable markiert nun in verstärktem Maße soziale und stilistische Stratifikation. Bei auffälliger Stigmatisierung kann die Variante zum Gegenstand von Diskussionen werden; in dieser Weise thematisierte Variablen werden ' Stereotypen' genannt. Im Verlauf gegenläufiger Wandeltendenzen kann die Form wieder verschwinden oder als Variable fortbestehen (beispielsweise ohne im Wandel weiter fortzuschreiten). Wenn der Wandel allerdings von den höheren Statusgruppen ausgeht, werden die betroffenen Varianten in der Regel jedoch nicht stigmatisiert, sondern mit 'Prestige' besetzt. Das 'PrestigemodeH' wird dann eher für formale (kontrollierte) Stile benutzt und von den oberen Schichten bevorzugt. Es ist auch möglich, daß ein im Wandel befindliches Merkmal unauffällig von den oberen Schichten akzeptiert wird, seine Stigmatisierung verliert und selbst Prestige erlangen kann. Diese Stadien machen erneut deutlich: Ohne Variabilität gibt es keinen Sprachwandel. Damit soll die Darstellung der sozialen Dialektologie abgeschlossen werden. Eine Übersicht über ihre wichtigsten Prinzipien findet sich in den beiden Sammelbänden der ins Deutsche übersetzten Schriften von Labov (1976 und 1978; Taschenbuchausgabe 1980) sowie in Dittmar (1973). 2.5.3 Sprachsoziologie Ziele Die Sprachsoziologie70 (auch: Soziologie der Sprecher von Sprachgemeinschaften) amerikanischer Prägung antwortet nach ihrem Wegbereiter Fishman auf die Frage: „Wann und zu welchem Zweck spricht (oder schreibt) wer welche Sprache (oder welche Sprachvarietät) mit wem (an wen) unter welchen sozialen Umständen und mit welchen sozialen Konsequenzen?" (Fishman 1975: 15)

Die Sprachsoziologie hat nach Fishman die Aufgabe, „den allgemein akzeptierten systematischen Sprachgebrauch innerhalb einer Sprachgemeinschaft .. . zu beschreiben. Die deskriptive Soziologie der Sprache versucht, die Normen des Sprachgebrauchs sichtbar zu machen, das heißt, die 70

Im deutschsprachigen Raum findet sich unter dem Terminus 'Sprachsoziologie' auch der der Ethnomethodologie nahestehende phänomenologische Ansatz von Thomas Luckmann (1979). Es handelt sich um einen interaktionistischen Ansatz sprachsoziologischer Grundlagenforschung (Luckmann rechnet ihn zur 'ProtoSoziologie') auf der Folie des phänomenologischen Ansatzes von Alfred Schütz. Diesen Ansatz stellen wir in 2.6.5 unter 'Interaktionale Soziolinguistik' dar. - Im Gegensatz hierzu handelt es sich im vorliegenden Kapitel um einen korrelativen Ansatz.

71 Strukturen des sprachlichen Verhaltens und der Einstellungen gegenüber der Sprache, und zwar sowohl für bestimmte größere als auch bestimmte kleinere soziale Netzwerke und Gemeinschaften. Ein anderes Teilgebiet der Soziologie der Sprache - die dynamische Soziologie der Sprache - will die folgende Frage beantworten: Woher kommt der unterschiedliche Veränderungsgrad im sozialen System des Sprachgebrauchs und des Verhaltens gegenüber der Sprache? Die dynamische Soziologie der Sprache versucht zu erklären, wie und warum das sozial organisierte System des Sprachgebrauchs und des Verhaltens gegenüber der Sprache innerhalb desselben sozialen Netzwerkes oder derselben sozialen Gemeinschaft in zwei verschiedenen Situationen spezifisch verschieden sein kann ... Diese beiden Teilgebiete, das heißt die deskriptive Soziologie der Sprache plus die dynamische Soziologie der Sprache, bilden die Soziologie der Sprache, ein Ganzes, das größer ist als die Summe seiner Teile" (Fishman 1975: 1415). Ausgehend von dieser Fragestellung schlägt Ammon (1987: 236) vor, „die Vielfalt gängiger Funktionstypen (Statustypen) von Sprachsystemen" nach dem Schema „Sprachsystem χ hat Funktion (Status) y in Sozialsystem z" zu untersuchen. Methodologie Wenn Fishman eine interdisziplinäre Sprachsoziologie mit „mehreren Ebenen und Ansätzen für die soziolinguistische Beschreibung" postuliert, von denen jede wieder eine „Unmenge von linguistischen, sozialpsychologischen und gesellschaftlichen Konstrukten" umfaßt (Fishman 1975: 59), so ist dies seine methodische Antwort auf die Grundüberzeugung, daß „Sprache selbst Inhalt ist", insofern sie auf „Loyalitäten und Animositäten weist, den sozialen Status und persönliche Beziehungen anzeigt und die Situationen kennzeichnet, die Themen sowie die gesellschaftlichen Ziele und die umfassenden, von Werten bestimmten Bereiche der Interaktion, welche jede Sprachgemeinschaft charakterisieren" (Fishman 1975: 15) Mit interdisziplinärer Sprachsoziologie sind alle Verhaltenswissenschaften angesprochen, die funktionale oder statusmäßige Typen von Sprachsystemen genauer erfassen wollen. Mit 'Status' ist gemeint, daß ein sprachliches System Nationalsprache, Dialekt, Minderheitensprache etc. sein kann - je nach den kommunikativen Funktionen, die Varietäten haben. Mit systemlinguistischen Eigenschaften haben diese Status- und Funktionsbestimmungen nichts zu tun; denn ob Sprachen eine reiche oder arme Morphologie haben, agglutinierend, synthetisch oder analytisch sind, hat mit der Beschreibung ihres Status bzw. ihrer Funktionen wenig zu tun. Im Vordergrund steht vielmehr eine Sprecher- oder Gebrauchssoziologie von Sprachen/V arietäten. Status und Funktion des Französischen sind verschie-

72

den in der Nationalversammlung in Paris, im Elsaß und in der Bretagne, im europäischen Postwesen, in Guadeloupe und in Westafrika (Elfenbeinküste, Burkina Faso, Senegal). Unterschiede ergeben sich im schriftlichen und im mündlichen Gebrauch, in Gremien, als Lingua Franca, als Heimsprache oder Mediensprache etc. Für die vielfaltigen Funktionen und Statuseigenschaften von Varietäten/Sprachen hat es bei Saussure und dann (präzisiert) bei Weinreich nur eine Sammlung verschiedener Labels gegeben, jedoch weder strukturelle Differenzierungen noch theoretisch fundierte Parameter. Unter der leitenden Frage welches Sprachsystem χ hat die Funktion bzw. den Status y fuhrt Ammon (1987: 236 ff.) 16 Parameter an, die zu einer Status- bzw. Funktionsbestimmung fuhren können und von der internationalen sprachsoziologischen Forschergemeinschaft herausgearbeitet wurden: • • • • • • • • • • • • • • • •

Sprecherzahl Art und Anzahl der sozialen Systeme soziale Ungleichheit/Dominanz sonstige soziologische Sprechereigenschaften (Gruppensprachen) linguistische Distanz zwischen den Sprachsystemen Region (Territorium, Gebiet) Primärsprachlichkeit Domänenspezifik Institutionen, Betriebe, Gremien, Konferenzen Verschriftung Ausbau im engeren Sinne Kodifizierung/Standardisierung Autonomie/Heteronomie Tradition/Geschichte juristischer Status Einschätzung/Bewertung

Als Beispiel einer funktionalen Bewertung sprachlicher Varietäten dient die Diglossie, die Fishman im Anschluß an Ferguson als erster sprachsoziologisch beschrieben hat (vgl. Beschreibung weiter unten sowie Kapitel 3 .3). Feldforschung Die unverfälschte, natürliche Sprachdatenaufnahme lokaler Dialekte steht in der Sprachsoziologie weniger im Zentrum als in der sozialen Dialektologie. Fishman's Untersuchungen bezogen sich im wesentlichen auf Gemeinschaften, in denen zwei und mehr Sprachen nebeneinander existieren, zum Beispiel Englisch und Spanisch in New York oder Katalanisch und Kastilisch in Spanien. Die traditionellen soziologischen und psychologischen Erhebungsmethoden nehmen eine zentrale Stellung ein: Fragebögen, strukturierte Interviews, Selbstbeobachtungen ('self-reports'), Tagebuchaufzeichnungen, Sprachtests, Einstellungsmessungen, demographische Erhebungen. Obwohl auch den sozialen Status von Sprechern dif-

73 ferenzierende phonologische Variablen im Sprachgebrauch untersucht wurden (vgl. Ma/Herasimchuk 1972), ist doch die wesentliche Datenquelle der Sprachsoziologie das strukturierte Interview und die Selbsteinschätzung der Sprecher (Fragebogenerhebung). Traditionelle Befragungstechniken wurden benutzt, um nach Kriterien der statistischen Gültigkeit und Zuverlässigkeit zu signifikanten Aussagen zu gelangen (vgl. hierzu Schlobinski 1995: 87 ff.). Die Kompetenz des Sprechers, seine eigene Situation in der Sprachgemeinschaft beschreiben und bewerten zu können, wird als Möglichkeit genutzt, rasch die wichtigsten Informationen zu bekommen. Was also jemand mit wem wie unter welchen sozialen Umständen und Konsequenzen spricht, soll durch gezielte Befragung herausgefunden werden. In der Untersuchung „Bilingualism in the Barrio" streben Fishman und seine Mitarbeiter an (Fishman et al. 1969), Kommunikationsprofile von zweisprachigen Sprechern in der New Yorker Sprachgemeinschaft zu erstellen. Die umfangreichen Erhebungen betrafen linguistische, psychologische und soziologische Aspekte. Zu den soziologischen Aspekten gehörten u.a. die Fragekomplexe: Sprachwahl in öffentlichen oder privaten Bereichen; themengebundener Sprachwechsel; Spracheinstellungen; Einfluß der Medien auf den Sprachgebrauch. Psychologische Tests zielten auf die Fragestellung ab, ob jemand zwei Sprachen unabhängig voneinander je nach Erfordernissen der Situation benutzen kann (koordinierter Bilingualer) oder ob das eine Sprachsystem auf der Basis des anderen benutzt wird ('zusammengesetzter' Bilingualer). Dieser Problematik wird auch vertiefend in Romaine (1989) nachgegangen. Tests bestanden u.a. darin, wieviel Wörter für einen thematischen Bereich in der einen und in der anderen Sprache aufgezählt werden können; was mit den Ausdrücken der einen und was mit den Ausdrücken der anderen Sprache assoziiert wird; wie rasch Zweisprachige in der einen und in der anderen Sprache planen und produzieren können etc. Im linguistischen Bereich wurden strukturierte und unstrukturierte Sprachdaten erhoben zur Lexik, Grammatik, Produktionsund Verstehenskompetenz in beiden Sprachen. Die elizitierten Daten wurden multivariaten und Faktorenanalysen unterzogen (eine geeignete Einfuhrung in die statistischen Methoden ist Hatch und Farhady 1982). Ähnliche Methoden wie die von Fishman benutzten wurden in Untersuchungen zum Bilingualismus jugoslawischer Kinder und Jugendlicher in der Bundesrepublik angewandt (siehe Stölting et al. 1980). Beschreibung und Erklärung Fishman hat sich bemüht, einige Begriffe der Linguistik soziologisch zu wenden. Als deskriptive (wertneutrale) Termini gehören sie zu den Grundlagen der Sprachsoziologie: Varietät, Dialekt, Standardisierung und Sprachgemeinschaft.

74 Varietät: Hiermit ist die kohärente Sprechsprache eines Sprechers gemeint. Da der Ausdruck „Sprache" bereits eine soziale Wertung impliziert, wird „Varietät" als neutraler Terminus vorgezogen. Varietäten können in bezug auf ihre räumliche Geltung, ihren sozialen Status, ihre historische Rolle und ihre Funktion in der Kommunikation unterschieden werden. Eine durch einen geographischen Raum definierte Varietät nennt man Dialekt. Eine Varietät mit einem ganz bestimmten sozialen Status in einer Hierarchie des sozialen Prestiges nennt man Soziolekt. Eine durch die Interaktionssituation bedingte Varietät kann als situative Varietät bezeichnet werden, während funktionale Varietäten für besondere situative Umstände der Kommunikation gelten, z.B. fur Fachsprachen, Sondersprachen, spezialisierte Tätigkeiten etc. (zur begrifflichen Differenzierung von Varietäten als soziolinguistischen Grundbegriffen siehe Kapitel 3). Standardisierung: Nach Stewart (1968) ist die Standardisierung Resultat der „Kodifizierung und Billigung eines formalen Katalogs von Normen innerhalb einer Gemeinschaft von Sprechern, die den 'richtigen' Sprachgebrauch definieren". Sie ist eine kollektive gesellschaftliche Handlung, die auf das Produkt der Sprache im historischen Prozeß Einfluß nimmt. Sprachen mit deutlicher linguistischer Distanz werden in der Regel als separat und autonom angesehen. Im Falle nah miteinander verwandter Varietäten ist die Autonomie oder die Bewertung der Varietäten einer Sprache problematisch (vgl. Katalanisch und Kastilisch). Hätten die Katalanen das Katalanisch nicht sprachplanerisch vitalisiert und die Grammatik und Lexik ausgebaut, hätte es den niederen sozialen Status eines Dialekts bekommen können. Bei eng miteinander verwandten Sprachen besteht also die Gefahr, daß die eine der anderen sozial untergeordnet wird. Autonomie kann hier nur durch Funktionsverbesserung und Erhöhung des sozialen Prestiges einer Varietät erreicht werden. Standardisierung von Sprachen oder Varietäten wird notwendig, wenn überregionale und interpersonelle Verständigung effektiviert und abgesichert werden soll (siehe hierzu im Detail auch: Bartsch (1987)). In der Regel geht damit einher, daß die Sprache oder Varietät in alle Bereiche des sozialen Lebens eindringt. Eine in diesem Sinne standardisierte sprachliche Varietät oder Sprache ist in der Regel autonom, geschichtlich und vital. Sprachgemeinschaft: es reicht nicht aus, unter Sprachgemeinschaften Gruppen von Menschen zu verstehen, die „eine einzige Sprachvarietät und die Regeln für deren angemessenen Gebrauch gemeinsam haben" (Fishman 1975: 32). Wesentliche Kriterien einer Bestimmung von Sprachgemeinschaft durch Fishman sind: Interaktionsnetze, Kommunikationsdichte, Rollenrepertoire, Kraft der symbolischen Integration durch die sprachlichen Varietäten. Die dargestellten Begriffe lassen sich in Unterbegriffe differen-

75 zieren und sind nicht die einzigen, die in der Sprachsoziologie benutzt w e r den (siehe Fishman 1975: 3 4 - 3 5 s o w i e Kapitel 3.3). W e d e r hat die S o z i o l o g i e der Sprache nach Fishman einheitliche und f e s t g e l e g t e Forschungsmethoden noch kann sie e s sich leisten, einseitig auf der Mikro- oder M a k r o e b e n e zu beschreiben. S o haben S p r a c h s o z i o l o g e n grundsätzlich d a v o n auszugehen, „daß es mehrere Ebenen und Ansätze für die soziolinguistische Beschreibung und innerhalb jeder von ihnen eine Unmenge von linguistischen, sozialpsychologischen und gesellschaftlichen Konstmkten gibt. Welche von ihnen man wählt, hängt von dem speziellen Problem ab, das zur Untersuchung ansteht, und zwar notwendigerweise. Die Soziologie der Sprache ist sowohl für die Untersuchung kleiner Gesellschaften als auch für die Untersuchung nationaler und internationaler Integrationsprozesse wichtig. Sie muß dazu beitragen, den Wechsel von einer unmittelbar gegebenen Situation zur anderen zu erklären. Ebenso muß sie dazu beitragen, die verschiedenen, mit der Sprache in Beziehung stehenden Glaubensund Verhaltensweisen ganzer sozialer Gruppen und Klassen zu erklären. [...] Es wäre verwegen, wollte man verlangen, daß ein und dieselbe Methode der Materialsammlung und Datenanalyse für eine solche Vielzahl von Problemen und Untersuchungszielen angewendet werden kann. Eines der Kennzeichen einer sozialwissenschaftlichen Untersuchung ist, daß die Methoden aufgrund der spezifischen Problemstellung und nicht unabhängig von ihr ausgewählt werden. Die Soziologie der Sprache ist weder methodologisch noch theoretisch einheitlich." (Fishman 1975: 59). D i e B e z i e h u n g z w i s c h e n der makro- und der mikrosprachsoziologischen E b e n e sieht Fishman in einer Hierarchie v o n Konstrukten höherer und niederer Ordnung verwirklicht, die aufeinander b e z o g e n sind. D i e s e Hierarchie soziologischer Konstrukte wird bei der Analyse ' v o n oben nach unten' oder ' v o n unten nach oben' den v o r k o m m e n d e n Sprechweisen/Varietäten/Stilen zugeordnet, indem bestimmte Rollenbeziehungen in bestimmten sozialen Situationen aktualisiert w e r d e n und zu spezifischen Interaktionstypen fuhren. V o n der Sprachgemeinschaft (Makroebene) gelangt man also zu Interaktionsformen und Sprechakten (Mikroebene). Fishman schreibt dazu: „Genauso wie es keine von der Gesellschaft unbeeinflußte verbale Interaktion gibt, gibt es auch keine umfassenderen Beziehungen zwischen Sprache und Gesellschaft, die in ihrer Realisierung nicht von individueller Interaktion abhängen. Obwohl es keine mechanische Teil-Ganzes-Relation zwischen Mikroebene und Makroebene in der Soziologie der Sprache gibt, sind sie gedanklich und methodologisch komplementär." (1975: 59)

76 Die Relation zwischen Konstrukten höherer und niederer Ordnung ist exemplarisch in Abb. 2-5 dargestellt.

Abbildung 2-5: Mehrebenenanalyse: Beziehung zwischen sprachsoziologischen Konstrukten höherer und niederer Ordnung nach Fishman; Pfeilrichtung: top-down-Einwirkung höherer und niederer Konstrukte In Abb. 2-5 ist mit 'Bündel von Werten ' die Ebene der Sprachgemeinschaft gemeint. In ihr gibt es bestimmte soziale Bereiche des Verhaltens (Domänen). In konkreten sozialen Situationen werden bestimmte Interaktionsnetze in diesen Verhaltensbereichen aktiviert. Letztere sowie die Domänen schaffen Rollenerwartungen, die die Rollenbeziehungen prägen. Die genannten Bedingungen lassen sich als offen (Varietätenstile lassen sich nicht voraussagen) oder geschlossen (die Interaktion ist auf eine Varietät festgelegt) ausweisen. Die unterste Ebene der Abbildung sind die konkreten Sprechereignisse oder -akte. Auf sie wirken sich die Werte der Sprachgemeinschaft aus, umgekehrt leisten sie einen Beitrag zur Konstitution von Normen in einer Sprachgemeinschaft. Mit Hilfe der dargestellten Konstrukte kann nun genauer bestimmt werden, welche soziale Auswirkung (Stigmatisierung vs. soziales Prestige) der Gebrauch einer bestimmten sprachlichen Varietät in einem gegebenen Kontext einer Sprachgemeinschaft hat.

77 Die am besten sprachsoziologisch erforschte Kontaktsituation in einer Sprachgemeinschaft ist die der 'Diglossie'. Der Begriff 'Diglossie' (lat. diglossia) wurde 1959 von Ferguson eingeführt (vgl. im einzelnen hierzu Kapitel 3.3). Wie in der folgenden Passage deutlich wird, hat Fishman den funktional-linguistischen Diglossie-Begriff von Ferguson sprachsoziologisch gewendet: „Er wurde ursprünglich in Verbindung mit einer Gesellschaft verwendet, die zwei (oder mehr) Sprachen oder Varietäten für die Kommunikation innerhalb der Gesellschaft kannte. Man fand heraus, daß der Gebrauch mehrerer verschiedener Codes innerhalb einer einzigen Gesellschaft (die eher konstant beibehalten wurde als daß die eine im Laufe der Zeit durch die andere ersetzt wurde) abhängig war von der Funktion, die jeder dieser Codes innehatte, und die verschieden war von der Funktion, die für den anderen Code als angemessen angesehen wurde. Während eine Menge von Verhaltensweisen, Einstellungen und Wertbegriffen die eine Sprache unterstützte und durch sie ausgedrückt wurde, unterstützte eine andere Menge von Verhaltensweisen, Einstellungen und Wertbegriffen die andere Sprache und wurde durch sie ausgedrückt. Beide Mengen von Verhaltensweisen, Einstellungen und Wertbegriffen galten voll und ganz als kulturell legitimiert und komplementär (das heißt, nicht miteinander in Konflikt stehend), und in der Tat war selten, wenn überhaupt, ein Konflikt zwischen ihnen möglich, wenn man sich die funktionale Differenzierung zwischen ihnen vergegenwärtigte. Diese Trennungslinie verlief sehr häufig auf der einen Seite entlang den Grenzen einer H(och)-Sprache, die in Verbindung mit der Religion, der Bildung und anderen Aspekten der hohen Kultur verwendet wurde, und auf der anderen Seite entlang einer L(= niederen)-Sprache, die in Verbindung mit den alltäglichen Betätigungen am Herd, im Heim und in der Sphäre der ungelernten Arbeit verwendet wurde. Ferguson nannte H eine .überlagernde Sprache', da sie normalerweise später und in einer formelleren Umgebung als L gelernt wird und aus diesem Grunde L überlagert." Mittlerweile ist man sich der Tatsache bewußt, „daß Diglossie weder nur in mehrsprachigen Gesellschaften, die offiziell verschiedene 'Sprachen' anerkennen, noch lediglich in Gesellschaften, die Volkssprachen und klassische Varietäten verwenden, vorhanden ist, sondern auch in Gesellschaften, die verschiedene Dialekte, Register oder funktional differenzierte Sprachvarietäten irgendwelcher Art benützen." (Fishman 1975: 95f) Diglossie bezeichnet also eine Situation, in der zwei Sprachen/ Varietäten in einem soziokulturellen Kontakt zueinander stehen (vgl. hierzu 3.3). Die beiden Sprachen oder Varietäten sind durch ihre Verwendungsbereiche und durch ihre Funktionen (geschrieben vs. gesprochen) unterschieden. Der Dialekt des Schweizerdeutschen ist somit eine L-Variante gegenüber der H-Variante des Hochdeutschen, das in der Schweiz in öffentlichen Bereichen und in den Medien verwendet wird. L hat die Konnotation des subkulturellen Milieus, des Arbeitsbereichs, des Kulturlebens und der lebendigen

78 sozialen Alltagsinteraktion. H hat die Konnotation des offiziellen, formellen Prestiges, eines hohen Bildungsanspruchs und der formellen Interaktion. In einer Situation der Diglossie befinden sich aber auch Katalanisch und Kastilisch in Spanien, Volkssprache und gehobene Sprache in Griechenland, Elsässisch und Französisch im Elsaß, das eingeborene Haitisch und Standardfranzösisch in Haiti etc. Die mit sozialem Prestige und Macht korrelierenden Diglossiesituationen in aller Welt sind von der Sprachsoziologie in den letzten 20 Jahren am gründlichsten erforscht worden. Je nachdem, ob eine Diglossiesituation mit echter Zweisprachigkeit (Verwendung von zwei Sprachen nebeneinander in verschiedenen sozialen Bereichen) einhergeht, hat Fishman vier Typen des Zusammenhangs von Zweisprachigkeit und Diglossie unterschieden (siehe für Details 3.6): • • • •

Diglossie und Bilingualismus Bilingualismus ohne Diglosssie Diglossie ohne Bilingualismus Weder Diglossie noch Bilingualismus.

Nach diesen vier Typen sollen Sprachgemeinschaften beschreibbar sein. Obwohl man geglaubt hat, die Typen 1, 3 und 4 häufig in Sprachgemeinschaften vorzufinden, konnte die neuere Forschung eher nur Mischtypen herausfinden. Ein 'reiner' Typ im Sinne von 1-4 ist selten anzutreffen. Sie können als idealtypische Charakterisierungen gelten. Der sprachsoziologische Versuch, eine Übersetzung zwischen Konstrukten der Makroebene und solchen der Mikroebene zu leisten, ist konstruktiv. Integrative Modelle dieser Art wurden in der Soziolinguistik bisher nicht aufgestellt. Man muß sich jedoch fragen, ob nicht mit der Differenzierung der Ebenen auch eine Differenzierung in der Methodik einherzugehen hat. Untersuchungen im Fishman-Paradigma sind auf herkömmliche Methoden der quantitativen Psychologie und Soziologie ausgerichtet. Zwar sollen laut Programm qualitative Aussagen gemacht werden, praktisch jedoch wird fast nur quantitativ gearbeitet. So wird zum Beispiel eine hohe Anzahl von Sprechpausen, bezogen auf eine einstündige Konversation, statistisch erfaßt und dann qualitativ z.B. als kommunikative Unsicherheit interpretiert. Gerade im Bereich der Interaktion stellt sich die Frage, ob man mit Modellen der quantitativen Soziologie den Strategien des Handelns auf die Spur kommen kann (vgl. Dittmar [1983] 1996). Das interdisziplinäre und integrative Konzept der Beschreibung und Erklärung von Fishman ist im wesentlichen an der quantitativ messenden Soziologie orientiert; die einzelnen Konstrukte werden operationalisiert, d.h. es gibt Indikatoren für die Konstrukte, die quantifiziert werden und für den gegebenen Bereich statistisch signifikant oder nicht signifikant ausfallen. Beschreibung und Erklärung sind statisch. Zwei Mengen von Aussagen werden jeweils für sich erhoben, quantifiziert und dann miteinander korre-

79 liert. Wie im Falle der sozialen Dialektologie drückt das Korrelationsmaß den Zusammenhang zwischen den beiden Aussagemengen aus. Die wissenschaftstheoretischen Grundlagen der hier referierten Sprachsoziologie finden sich in den soziologischen Übersichtsdarstellungen von Opp (1970), Friedrichs (1973) und Schlosser (1976). Ergebnisse Die Art und das Ausmaß des sozialen Gefálles in Sprachgemeinschaften steht bei den meisten Studien im Vordergrund. Das Verdienst der Sprachsoziologie besteht darin, Sprachgemeinschaften sprachsoziologisch zu typologisieren und zu vergleichen (siehe hierzu die unter Sektion XI aufgefìihrten Typologien in Ammon, Dittmar & Mattheier 1988). Die Sprachsoziologie hat detaillierte Zusammenhänge zwischen Sozioökonomie, geographischer Lage, Geschichte, Kultur, ethnischer Differenzierung, sozialer Schichtung und Sprache bzw. deren Varietäten hergestellt. Wie sich vor allem in der dritten Welt gezeigt hat, sind empirische Untersuchungen eine unabdingbare Voraussetzung fur die sprachliche Planung einer angemessenen Kommunikation in jungen Nationen. Repräsentative Übersichten über die Ergebnisse und Perspektiven der Sprachsoziologie vermitteln die Sammelbände und Monographien Fishman (1968b), (1971b), (1972b), (1974), (1975), Haarman (1975, 1990), Ammon, Dittmar & Mattheier (1987, 1988) und die seit 1975 erscheinende Zeitschrift The International Journal of the Sociology of Language. Während der sprachsoziologische Ansatz von Fishman weltweit Untersuchungen zu Zwei- und Mehrsprachigkeitsprofilen von anglophonen Sprachgemeinschaften ausgelöst hat (Ferguson & B. Heath (1981) zu den USA und Trudgill (1984) zu Großbritannien) und differenzierte Untersuchungen zu den Faktoren durchgeführt wurden, die die Ausbreitung des Englischen als Weltsprache bedingen (Fishman, Cooper & Conrad (1977)), wurden kaum Untersuchungen zur Stellung des Deutschen als Weltsprache durchgeführt. Status und Funktion des Deutschen, insbesondere seine internationale Stellung, wurden jedoch seit Anfang der 90er Jahre in ganzer empirischer Breite von Ulrich Ammon sprachsoziologisch unter die Lupe genommen. Mit Ammon (1991) wird erstmalig eine umfangreiche Bestandsaufnahme der ökonomischen, sozialen und pragmatischen Funktion des Deutschen im internationalen Sprachraum vorgelegt. Ammon beschreibt anhand einer Reihe einschlägiger, die mündliche und schriftliche Kommunikation betreffender Parameter den Gebrauch des Deutschen auf unterschiedlichem Sprachstandsniveau sowie in unterschiedlichen Situationen in einer repräsentativen Anzahl von Gesellschaften. Handelsbeziehungen, die Präsenz von Goethe-Instituten, kulturelle Aktivitäten, elektronische Vernetzungen sowie die Unterrichtspraxis werden berücksichtigt. Hier

80 handelt es sich um eine detaillierte Soziologie der Sprecher, die das Deutsche mit unterschiedlichem Nutzen und mit unterschiedlichen Motivationen verwenden. Zielt diese Untersuchung auf Status/Funktionen des Deutschen im internationalen Kommunikationsraum ab, beschäftigt sich seine 1995 erschienene Untersuchung zur Sprache in der BRD, Schweiz und Österreich mit Konvergenz und Divergenz der Status- und Kommunikationsfunktionen des Deutschen innerhalb des deutschsprachigen Raumes. Es gelingt ihm zu zeigen, daß Deutsch - im Gegensatz zum monozentrischen Status des Französischen - eine polyzentrische Sprache ist. Nationale Norminstanzen in der BRD, in der Schweiz und in Österreich sorgen für Spezifika in der Orthographie, Orthogrammatik, Ortholexik und Orthopragmatik. Zwar ist die Transparenz des Deutschen als schriftliche Sprache weitgehend gewahrt, nationale Eigenheiten werden jedoch andererseits durch Akademien und Regelwerke als Symbole der nationalen Eigenständigkeit aufrecht erhalten; besonders einschlägig sind in diesem Zusammenhang die - von Ammon sogenannten - Teutonismen, Helvetismen und Austriazismen. Die Situation des Deutschen in den genannten drei Ländern wird verschieden eingeschätzt. So gibt es beispielsweise in Österreich zwei unterschiedliche Lager: Das eine verbindet Austriazismen und Regelabweichungen vom Standarddeutschen bundesrepublikanischer Prägung mit dem Status des Österreich-Deutschen als Nationalsprache in langer historischer Tradition; das andere Lager macht kontinuierliche dialektale Übergänge geltend, die den Sprachgebrauch in Österreich und z.B. in Bayern als relativ homogen ausweisen; das „nationale Element" gilt daher eher als aufgesetzt und von der Alltagskommunikation nicht genügend beachtet. Ohne Frage besteht jedoch ein Unterschied zwischen der bundesrepublikanischen und österreichischen Spielart des Deutschen auf der einen und den Entwicklungstendenzen des Schweizerdeutschen (Hoch-Allemannisch) auf der anderen Seite. In neueren Untersuchungen hat Helen Christen (1988) festgestellt, daß das gesprochene Schweizerdeutsch nicht nur erhebliche Unterschiede zum bundesrepublikanischen Standard aufweist, sondern auch innerhalb der Schweiz (zahlreiche unterschiedliche lokale und regionale Dialekte). Allerdings stellt sie unter dem Vorbehalt einer Reihe geltender Einschränkungen vorsichtig fest, daß es eine leichte Tendenz zur Entwicklung einer überregionalen schweizerdeutschen Umgangssprache auf hochallemannischer Basis gibt. In sprachsoziologischen Termini: Große Divergenz zu dem bundes-republikanischen und österreichischen Standard, Konvergenz zwischen den letzteren beiden.

81 2.5.4 Die Ethnographie der Kommunikation Die Ethnographie im Rahmen der SL hat ein umgekehrtes Verhältnis zur sozialen Welt wie die Variationslinguistik. Mithilfe teilnehmender Beobachtung und Tiefeninterviews sucht sie vorrangig die Werte und Normen von Gruppen in einer Sprachgemeinschaft herauszufinden (Grenzen zwischen den durch ich/ wir vs. du! ihr symbolisierten sozialen Territorien, soziale Identität von Gruppen mittels Stereotypen, soziokulturelle Orientierungen und Traditionen, konventionelle Umgangs- und Verkehrsformen, Sozialisationsmuster etc.), um diese dann an sprachlichen Mustern zu identifizieren, zu denen die soziokulturellen Alltagserfahrungen geronnen sind. Die 'Ethnographie der Kommunikation' (EK) beschäftigt sich mit Gesprächspraktiken von Gesellschaftsmitgliedern, insbesondere mit den Alltagsgewohnheiten und den spezifischen sprachlichen und Verhaltensroutinen in sozialen Situationen in kulturvergleichender Perspektive. Der soziale Fokus sind ethnisch verschiedene Gruppen in unterschiedlichen Kontexten, der linguistische soziale Bedeutung im sprachlichen Handeln. Die EK ist anthropologisch (d.h. qualitativ) orientiert; darin unterscheidet sie sich von der korrelativen, quantitativen Variationslinguistik und Sprachsoziologie; von letzterer hebt sie sich auch durch ihr radikales Interesse an natürlichen Kommunikationssituationen ab, d.h. die Dokumentation natürlicher Alltagssituationen ist ihr oberstes Anliegen. 'Ethnographie' bedeutet eigentlich schreiben für die anderen, worunter die Griechen Äußerungen über die Thrazier, Perser etc. verstanden. Der Terminus erhielt Ende des 19. Jahrhunderts seine charakteristische Bedeutung: er bezeichnete die wissenschaftlich motivierte narrative Dokumentation der Lebensweisen nicht-westlicher Völker (d.h. ethnographische Studien zeigten die Kontraste zwischen den soziokulturellen Normen von ethnisch verschiedenen Kulturen auf). Malinowski hat fur die EK eine etwa ebenso große Bedeutung wie Saussure fur die Linguistik.71 Der Fokus auf dem Besonderen läßt sich in der EK nur durch teilnehmende Beobachtung und sorgfältige Befragungen zum Insiderwissen einlösen; der Fokus bei allgemeinen Aussagen liegt auf 'holistische Beschreibung' und 'Vergleich (barkeit)'. Eine 'holistische' Beschreibung berücksichtigt den gesamten Lebensweg von Individuen im Verbund mit ihren jeweils verschiedenen Tätigkeiten und Handlungsroutinen. Lebenszyklen von Individuen werden ökologisch verstanden, 'Vollständigkeit' ist somit ein Anspruch der EK (der freilich nicht

71

Vgl. hierzu auch Hartmut Haberland (1996) "Communion or communication? A historical note on one of the 'founding fathers' of pragmatics", in: Festschrift für Hans-Heinrich Lieb, hrsg. Robin Sackmann, Amsterdam (Benjamins).

82 erfüllt werden kann). Der EK liegt eine soziale Konflikttheorie zugrunde, die sich ökologisch und dialektisch versteht (Erickson 1988). Die ethnographische Beschreibung bezieht sich auf (1) die soziale und metaphorische Bedeutung sprachlicher Äußerungen und (2) die Identifizierung von Einstellungen zu und Bewertungen von Handlungen durch die 'Akteure' im sozialen Kontext. Die EK ist besonders an jenen Äußerungen interessiert, die nicht direkt (z.B. durch Fragebögen) elizitiert werden können. Teilnehmende Beobachtung ist hier die geeignete Methode. Die grundlegende Beobachtungseinheit der EK ist die Situation, die häufig mit der "scene of speech performance" identifiziert wird. In der Situation kommen Sprechereignisse vor (Witz, Beratung, Erzählung , etc.). Gegenüber den stark strukturierten Sprechereignissen (z.B. dominante temporale Struktur bei Erzählungen, modale bei Argumentationen) werden die Sprechaktivitäten als schwach strukturierte Tätigkeiten verstanden (Problemlösungsdiskussionen, diskursives Aushandeln etc.). Der von Hymes geprägte Begriff'Spielarten des Sprechens' (ways of speaking) bezieht sich auf Dimensionen stilistischer Variation des Sprechens und die sie begleitenden nicht-verbalen Paralellinformationen. Mit 'kommunikativer Kompetenz' wird das Wissen um und die Fähigkeit zu situationsangemessener Kommunikation bezeichnet.

Ρ

setting scene participants

E

ends

A Κ I

act sequence key instrumentalities

Ν

norms

G

genres

S

physical circumstances subjective definition of an occasion speaker/sender/addressor hearer/receiver/audience/addressee purposes and goals outcomes message form and content tone, manner channel (verbal, nonverbal, physical) forms of speach drawn from community repertoire norms of interpretation norms of interaction categories such as poem, myth, tale, riddle, lecture etc.

Tabelle 2-3: Ethnographisches Analyseraster SPEAKING (nach Hymes) Das Ziel der ethnographischen Analyse, "to learn what members of a culture know about how to 'make sense' out of experience and how they communicate those interpretations" sieht Hymes in einer Methodologie eingelöst, die kommunikative Einheiten wie bei der Lautanalyse nach -etischen (phonetischen) Prinzipien beschreibt und diese dann - analog zur phonemischen Methode - mithilfe -emischer Prinzipien in eine endliche Menge von Komponenten zerlegt. Das diesem Zweck dienende Klassifikationsschema ist als das sogenannte SPEAKING-Raster bekannt. Jeder Buchstabe steht

83 fui eine andere mögliche Komponente der Kommunikation (vgl. auch Downes 1984: 257). Der Begriff der 'kommunikativen Gattung' (genre) impliziert nach Hymes (1974: 61) die Möglichkeit, formale Eigenschaften von Gattungen für eine Typologie sprachlicher Interaktionsformen heranzuziehen. 'Gattungen' fallen oft mit 'Sprechereignissen' zusammen (Erzählung, Vortrag, Sprichwörter, Streitgespräch, Zeremonie etc.), sollten jedoch aus analytischen Gründen unabhängig voneinander betrachtet werden. Hymes hält Gattungen für einen integralen Bestandteil des kommunikativen Gesamtbudgets einer Sprachgemeinschaft. So wurden im Rahmen der Ethnographie der Kommunikation viele empirische Studien durchgeführt, die mithilfe des Begriffs 'Genre' (Gattung) verbale Praktiken in verschiedenen Sprachgemeinschaften zu klassifizieren suchen. Eine theoretische Auseinandersetzung mit dem soziolinguistischen Begriff des 'Genre' findet sich in Günthner & Knoblauch (1995). Unter den Datenerhebungsmethoden werden teilnehmende Beobachtung, Interview und Selbstaufnahme bevorzugt (eine Übersicht über ethnographische Besonderheiten der Erhebungsmethode findet sich in Erickson 1971 und Saville-Troike 1982). Die Datenauswertung wird nicht als von der Datenerhebung isolierte Tätigkeit betrachtet. Die Datenanalyse verfolgt drei wesentliche Ziele: (1) Auffindung rekurrenter Muster und Themen (Gebrauch eines typischen Registers, Verwendung spezifischer narrativer Techniken); (2) Auffindung von Strukturen, die sich nicht in die Muster unter (1) einordnen lassen und (3) die Identifizierung von Veränderungen in der Forscherperspektive während der Feldarbeit (u.a.). Die soziolinguistische Mikroanalyse soll dann Registermerkmale, Tonhöhenverläufe, semantische Wohlgeformtheitsbedingungen etc. erfassen. In der EK stehen kulturvergleichende und vor allem soziale Werte und Normen reflektierende Aspekte im Vordergrund. Die vielfältigen Arten, sprachlich zu handeln, sollen zu einer kulturvergleichenden, relativen Theorie sozialsymbolischen Handelns beitragen (vgl. Lucy 1992 und Gumperz & Levinson 1996). Die Ethnographie der Kommunikation ist ökologisch orientiert: Es geht ihr um die Beschreibung und Bewußtmachung sprachlicher Praktiken als funktional angemessene Antworten auf zu bewältigende umweltbedingte Lebensaufgaben. Daher fragt der Ethnogaph nicht danach, was besser oder schlechter, vielfältiger oder eingeschränkter ist; Sprachvarietäten sind funktional angemessene Systeme, die eigenständige kommunikative Leistungen aufweisen. Einen breiten Überblick über ethnographische Methodologie findet sich in Hymes (1974), Saville-Troike (1982), Erickson (1988) und Auer & DiLuzio (1992); als exemplarische empirische Einzelstudie, die gleichzeitig eine Fülle methodischer und anwendungsbezogener Einsichten vermittelt,

84 ist die Lektüre der longitudinalen ethnographischen Studie von Heath (1983) zu empfehlen. Das ethnographische Verständnis des Kommunikationsprozesses nach John Gumperz ist in der Abb. 2-6 dargestellt (Äußerungs-, Verstehensakt). Enkodierung

Verhaltensnormen und Inhalt nicht-verbale Zeichen

Kodes lÜbertragungskanal Umgebung

ISyntax ¡Phonologie

soziale Identitäten

Handlungsort

Erfahrung und Ökologie

Ereignisse Informationen

Inhalt Laute und andere Zeichen

Abbildung 2-6: Kommunikationsprozeß in ethnographischer Perspektive (nach Gumperz 1967: 13) Wie die Normen die Selektion verbaler Zeichen steuern, ist in Abb. 2-6 dargestellt. Kommunikation wird als je einmaliger Prozeß verstanden, in dessen Verlauf Sprecher Stimuli der äußeren Umgebung gemäß ihrem kulturellen Hintergrund verarbeiten und daraus die kommunikativen Normen für die betreffende Situation ableiten. Die doppelte Linie repräsentiert die Unterscheidung zwischen dem eigentlichen Kommmunikationsprozeß und den äußeren Stimuli, die durch kognitive Kategorisierung in kommunikative Symbole transformiert werden. Nach dieser ersten Kategorisierung wird jeder Informationsgehalt, den ein Sprecher mitteilen will, von sozialen und situativen Restriktionen überformt; diese Restriktionen konstituieren die soziale Identität des Sprechers, seine Rechte und Pflichten bei bestimmten Ereignissen und zu bestimmten sozialen Anlässen an einem konkreten Handlungsort. Aus diesem Konstitutionsprozeß leitet sich dann über die Verhaltensnormen die Selektion eines angemessenen sprachlichen Kode (Sprachvarietät) ab und damit die konkrete Wahl der Informationsübermittlung (mündlich, schriftlich) und der grammatischen Regeln, mit denen Sprechakte kodiert werden. Den ökologischen Prozeß der De- und Entkodierung nenne ich ethnographische Synthese und Analyse. Beim Verstehen von Äußerungen geht der Ethnogaph zunächst von den Erfahrungen und der sozialen Identität der Sprecher im Verhältnis zu Handlungsort (Szene), sozialen Ereignissen und thematischen Anlässen aus, in die das Hervorbringen und Interpretieren von Äußerungen eingebettet ist. Gumperz nennt diese 'ökologischen Zeichen' der sozialen Einbettung Kontextualisierungshinweise (vgl. Auer & di Luzio 1992).

85 In den neueren Arbeiten von John Gumperz sind Prozesse der 'Kontextualisierung' von Äußerungen und ihr Potential an 'Kontextualisierungshinweisen' in das Zentrum des theoretischen Interesses gerückt (Gumperz 1992). Den Begriff der 'Kontextualisierung' hat Auer (1992: 4) folgendermaßen rekonstruiert: "Contextualization therefore comprises all activities by participants which make relevant, maintain, revise, cancel... any aspect of context which, in turn, is responsible for the interpretation of an utterance in its particular locus of occurrence". Ein Aspekt des Kontextes mag eine größere Sprechtätigkeit von Teilnehmern („Sprechereignis") oder eine kleinere („Sprechakt") sein, es kann sich um die Kommunikationsrollen der Teilnehmer handeln („Sprecher", „Empfanger", „Dabeistehender" etc.), das Thema oder die Relation zwischen Sprecher und der Information, die er/sie über die Sprache vermittelt. Für konkrete Untersuchungen hat sich die Kategorie 'Kontextualisierung' als zu umfassend erwiesen. Daher haben Gumperz, Auer und andere sich zunächst darauf beschränkt, 'Kontextualisierungshinweise' zu beschreiben. Während Gumperz die 'orchestralen' Kontextualisierungsmittel vor allem in den Bereichen ' Sprachwechsel' und 'Prosodie' an vielen konkreten Diskurspassagen untersucht hat (vgl. auch Kallmeyer 1994), versucht Auer neuerdings eine Modellierung des Konzeptes 'Kontextualisierungshinweise' in Form des folgenden Baumes (1992: 28): Kontextualisierungshinweise (KH) extern antizipierend

intern

retrospektiv initial singular

final

singulär

rekurrent

permanent

rekurrent

Abbildung 2-7: Modellierung hinweise nach Auer (1992: 28)

des Konzeptes

Kontextualisierungs-

Externe KH können z.B. in Form von Gesten/Körperhaltungen vor der sprachlichen Botschaft positioniert sein oder post factum (retrospektiv) erfolgen. Interne KH sind peripher, wenn sie zu Beginn (initial) oder zum Ende (final) einer kontextualisierten Einheit auftauchen; Beispiele sind prosodische Markierungen eines beginnenden oder auslaufenden Themas. Nicht-periphere KH können singuläre, rekurrente oder permanente Qualität haben. Singuläre nicht-periphere KH sind in der Regel von beträchtlicher Größenordnung (Beispiel: eine Geste oder Körperhaltung, die die Äußerung begleitet.) Rekurrente KH können die Gültigkeit und Relevanz eines Kontextes unterstreichen und erneuern (so kontrollieren Berater oder Ärzte den Sprecherwechsel und das Thema in professionellen Interaktionen).

86 Permanente KH können in Form von Stimmqualität oder bestimmten Körperhaltungen manifest sein. Die Untersuchung von 'Kontextualisierungshinweisen' nimmt in neueren soziolinguistischen Untersuchungen im deutschsprachigen Raum eine wichtige Rolle ein (vgl. Mannheimer Stadtsprachenuntersuchung, Kallmeyer 1994). Ein Teilgebiet der Ethnographie der Kommunikation ist die Ethnosemantik. Die Ethnosemantik untersucht den Niederschlag ethnischer und kultureller Verschiedenheit in der Bedeutung. Ihr gesellschaftlicher Bezug liegt in der sozialen Kompetenz, Dinge, Sachverhalte, Eigenschaften und Erscheinungen angemessen zu benennen und in einen adäquaten Wert- und Normenzusammenhang zu bringen. Das Ziel, unterschiedliche Klassifikationssysteme zu vergleichen, richtet sich auf die mit Bedeutungsunterschieden einhergehenden unterschiedlichen sozialen Handlungsperspektiven und -Orientierungen. Das in den Klassifikationssystemen gespeicherte Wissen der Gesellschaftsmitglieder soll via Intuition expliziert werden. Darstellungen der Ethnosemantik finden sich in Goodenough (1956 und 1964), Frake (1968), Conklin (1968) und Wieder (1970). Die Ethnosemantik steht in der Tradition der Ethnographie und lehnt sich an die Methodik des anthropologischen Strukturalismus der vierziger und fünfziger Jahre an. Um die kulturspezifische Bedeutung sprachlicher Ausdrücke zu ermitteln, will der Ethnosemantiker mittels langzeitlicher teilnehmender Beobachtungen das Insider-Wissen von gesellschaftlichen Gruppen erlangen. Da das mit sprachlichen Bedeutungen einhergehende soziale und kognitive Wissen nicht direkt erschlossen werden kann, müssen gesellschaftliche Mitglieder nach der Angemessenheit des sprachlichen Gebrauchs befragt werden. Vorläufig erstellte Klassifikationen des Farbsystems oder der Trink- und Eßkonventionen werden z.B. durch detaillierte Befragungen und Bewertungen von Gruppenmitgliedern überprüft. Gegenstand der Feldforschung ist somit die kommunikative Kompetenz der Klassifikation von Wirklichkeit. Der Beweis fur das Beobachtete ist dann erbracht, wenn es sich durch die unverfälschte Intuition der befragten und bewertenden Sprecher belegen läßt. In der Ethnosemantik werden Taxonomien aufgestellt; sie sind das Ergebnis von Prozeduren, nach denen Eigenschaften segmentiert und nach Prinzipien minimaler Kontraste klassifiziert werden. Praktisch geht man folgendermaßen vor: Eine Reihe von Objekten faßt man unter dem Begriff einer Kategorie zusammen, die 'Segregai' genannt wird; dies ist ein Oberbegriff (Hyperonym), der Unterbegriffe (Hyponyme) hat (vgl. Frake 1973). Beschreibungen werden in Form von konstitutiven Regeln gefaßt, die die Form X gilt im Kontext Ζ als Y haben (vgl. 5.2): Die Regeln, nach denen in der Ethnosemantik Taxonomien aufgestellt werden, sind den von Searle formulierten Sprechaktregeln verwandt. Sie beziehen sich auf den Kontext und seine semantische Angemessenheit. Sie

87 gelten „im allgemeinen", nicht aber - wie etwa in der Ethnomethodologie für „besondere Situationen". Taxonomien bilden unterschiedliche Klassifikationssysteme ab, indem sie das intuitive Wissen der Gesellschaftsmitglieder über die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke widerspiegeln. 2.5.5 Interaktionale Soziolinguistik Im folgenden geht es um drei soziolinguistische Spielarten, die Pragmatik der verbalen Interaktion zu beschreiben (vgl. hierzu ergänzend Downes 1984, Kapitel 8, 9 und 10; Levinson 1983, dt. 1990, Kapitel 6; Fasold 1990, Kapitel 3, 5 und 6; Schiffrin 1994, Kapitel 4 und Kapitel 5)). Unter dem Dach der Interaktionalen Soziolinguistik72 werden Termini wie Gesprächsanalyse, Diskursanalyse und Konversationsanalyse benutzt. Im folgenden will ich nur grob die für die Entwicklung der Soziolinguistik direkt relevanten Spielarten der Konversationsanalyse anfuhren. Hier die verschiedenen Ansätze zur Beschreibung von Diskursen vorzustellen, würde den Rahmen des Überblicks über methodische Orientierungen in diesem Kapitel sprengen. Eine umfassende Übersicht bietet Schiffrin (1994) in Approaches to Discourse. Besondere Beachtung verdient das Kapitel 6 'Variation Analysis'. Mit 'Konversationsanalyse' bezeichne ich allgemein die 'soziale Organisation der Rede durch Sprecher in natürlichen Kontexten', indem sie bei der Produktion und Interpretation von Äußerungen bestimmten Prinzipien und Regeln folgen. Ich unterscheide im folgenden (1) die 'formale', (2) die 'interpretativkognitive' und (3) die 'ethnographische' Konversationsanalyse. Da diese drei Richtungen entscheidend durch die .Ethnomethodologie' geprägt wurden, die in Garfmkel (1967) dargestellt wird, charakterisiere ich zunächst grob die ethnomethodologische Auffassung von Sozialwissenschaft. Das Erkenntnisinteresse der Ethnomethodologie richtet sich nach George Psathas (1973: 271) darauf, 72

'Interaktionale Soziolinguistik' können wir mit Schiffrin (1994: 134) folgendermaßen verstehen: "... interactional sociolinguistics views discourse as a social interaction in which the emergent construction and negotiation of meaning is facilitated by the use of language... Situations, occasions, encounters, participation frameworks, and so on, have forms and meanings that are partially created and/or sustained by language. Similarly, language is patterned in ways that reflects those contexts of use. Put another way, language and context co-constitute one another: language contextualizes and is contextualized, such that language does not just function „in" context, language also forms and provides context. One particular context is social interaction."

88 „die 'Methoden' zu entdecken, die Menschen in ihrem Alltagsleben in der Gesellschaft einsetzen, um soziale Wirklichkeit zu konstruieren, und weiterhin darauf, die Art der sozialen Wirklichkeiten zu bestimmen, die Menschen konstruieren und konstruiert haben. Wenn der Ethnomethodologe z.B. die Art und Weise untersucht, in der Geschworene die 'Richtigkeit' eines Urteils bestimmen, dann konzentriert er sich darauf herauszufinden, wie sie ihre Tätigkeit als Geschworene zur 'normalen' machten - wie die moralische Ordnung ihrer Welt hervorgebracht wird. Die Geschworenen werden daraufhin betrachtet, wie sie durch ihre Aktivitäten vertraute Szenarien und Prozeduren entwickeln, die von ihnen wahrgenommen werden als die Welt, die sie gemeinsam kennen und die sie gemeinsam als gesichert und selbstverständlich ansehen - und durch die und in der die 'Richtigkeit' eines Urteils bestimmt wird." Der Ethnomethodologe verfolgt also sein Ziel, „die Welt so zu verstehen, wie sie vom Menschen im Alltagsleben gesehen und ausgelebt wird" (Psathas 1973: 271). Die in den U S A entstandene und auf den Philosophen Alfred Schütz zurückgehende Ethnomethodologie kann insofern als grundlegend für die Konversationsanalyse verstanden werden, als sich das Untersuchungsinteresse auf die Herstellung sozialer Ordnung in verbaler Interaktion richtet. Die Ethnomethodologie versteht sich als auf die Beschreibung verbal vermittelter Interaktionspraktiken ausgerichtete Soziologie, die sich von der Soziologie Dürkheims, die die soziale Realität als gegebene, 'natürliche Tatsache' ('brute facts') betrachtet und für diese kausale Erklärungen im Sinne der Naturwissenschaften zu geben trachtet, dadurch unterscheidet, daß sie herauszufinden sucht, wie soziale Ordnung durch verbale Interaktionen der Gesellschaftsmitglieder hergestellt, aufrechterhalten und fortgeführt wird. In diesem Sinne betrachtet sich die Ethnomethodologie als soziologische Grundlagenwissenschaft. Die von Garfinkel (1967) beschriebene 'dokumentarische Methode' der Ethnomethodologie zielt darauf ab, möglichst alle Details einer Interaktion zu erfassen, durch die in Kontexten handlungsspezifische Bedeutung hergestellt wird. Es geht im wesentlichen um die Erfassung des Wechselspiels von Intention und Interpretation durch die an der Interaktion Beteiligten. Das Herstellen der wechselseitigen Perspektive nennt Garfinkel 'recipient design' (rezipientenspezifischer Zuschnitt). „Unter 'recipient design' verstehen wir die Summe der Gesichtspunkte, die für die Konstruktion der Redebeiträge von Teilnehmern an einer Konversation relevant sind, um kommunikative Orientierung und Sensitivität gegenüber den anderen Konversationsteilnehmern zu verdeutlichen. In unseren Untersuchungen konnten wir den 'rezipientspezifischen Zuschnitt' belegen für die Wort- und Themenwahl, die Angemessenheit sequenzieller Redebeiträge, die obligatorischen und fakultativen Elemente für die Anfangs- und Schlußphase einer Konversation, etc.. " (Sacks, Schegloff und Jefferson 1978: 43; Übersetzung von mir, ND).

89 Jede Interaktion hat somit ihre eigene Bedeutung, und diese wird samt der durch sie hergestellten sozialen Ordnung immanent in ihr selbst realisiert. 'Verstehen' in der Ethnomethodologie heißt 'durch inferenzielles Schließen herausfinden, was einer meint'. Garfinkel (1967: 31) schreibt, daß „normales Verstehen, das einen 'inneren' temporalen Verlauf interpretativer Arbeit gewöhnlich nachsichzieht, notwendigerweise eine operationeile Struktur hat". Die Beschreibungen der Ethnomethodologen beziehen sich damit auf die formalen alltäglichen Praktiken von Gesellschaftsmitgliedern, die nach allgemeinen organisatorischen Handlungsprinzipien erfolgen. Die dem Alltagshandeln und Verstehen zugrundeliegenden Regularitäten stellen interaktive soziale Bedeutung her und beziehen sich nicht auf die internen psychologischen Zustände der Sprecher. Regeln für die Initiierung und den Vollzug sozialer Praktiken in der Interaktion stellen für die Ethnomethodologen eine Erklärung in sich dar. Ein korrelativer Zusammenhang zwischen sprachlichen und sozialen Erscheinungen, wie er im Paradigma der sozialen Dialektologie oder der Sprachsoziologie gesucht wird, wird als konstruktivistischer, statischer Irrweg betrachtet. Es gibt keinen Unterschied zwischen verbalen und nichtverbalen Faktoren. Via Interaktion hat Sprache direkt soziale Bedeutung, und via Sprache stellt sich soziale Ordnung her. Die alltägliche Interaktion ist also in der Verflechtung von sprachlichen und sozialen Ereignissen ein Ordnung herstellender Mikrokosmos. Diese vereinfachende und zwischen Beschreibung und Erklärung nicht differenzierende Sichtweise, die sich erklärtermaßen einem gängigen wissenschaftstheoretischen Zugriff entzieht, habe ich in Dittmar (1988) zum Gegenstand kritischer Reflexionen gemacht. (1) 'Formale Konversationsanalyse ' Regeln für die Herstellung sozialer Ordnung in verbalen Interaktionen haben Sacks, Schegloff und Jefferson (1978) (u.a.) für die Organisation und den Wechsel von Redebeiträgen geschrieben. Die Regeln sind als Anweisungen von Interaktanten aneinander formuliert und beschreiben, wer unter welchen Umständen einen Redebeitrag übernehmen kann bzw. abzugeben hat. Zur Formulierung von Regeln für Redebeiträge, verfährt man in drei Schritten: (a) Das zu untersuchende Verhalten ist in der verbalen Interaktion, d.h. im Korpus, zu lokalisieren. (b) Die strukturellen Merkmale des Verhaltens sind zu beschreiben. (c) Die ordnungsstiftende interaktive Organisation der Rede im Handeln ist durch einen möglichst einfachen Regelmechanismus zu repräsentieren.

Der Regelmechanismus soll möglichst alle einzelnen Vorkommen des betreffenden Verhaltens erklären. Der Apparat ist kategorisch, d.h. er läßt keine Wahrscheinlichkeitsargumente zu. Die Regeln sollen so formuliert sein, daß sie zugleich kontextfrei und kontextsensitiv sind. 'Kontextfrei'

90 bedeutet: Die Regel ist insofern universal, als das ihr zugrundeliegende Ordnungsprinzip auf alle Konversationsformen zutrifft. Sie ist insofern partikular istisch, als sie je nach spezifischem Kontext lokale Variation erlaubt. Um den besonderen Status solcher Regeln zu verstehen, muß man sich noch einmal vergegenwärtigen, daß in der Linguistik Regeln geschrieben werden, die die Generalisierung eines Verhaltens fur alle Kontexte verlangen. Demgegenüber formulieren die Regeln der hier vorgestellten Konversationsanalyse allgemeine formale Praktiken, durch die spezifische einzelne Handlungsschemata vollzogen werden (siehe auch Kallmeyer/Schütze 1975; Sacks, Schegloff und Jefferson 1978 und Levinson [1983] 1990: 293 ff.). Als Beispiel für einen einfachen Regelapparat, der die Übernahme von Redebeiträgen im Gespräch gemäß gängiger Alltagspraktiken organisiert, führe ich die von Sacks, Schegloff und Jefferson (1978) formulierten Regeln zur Organisation von Redebeiträgen in Gesprächen an: Regel 1 (wird bei dem ersten TRP eines Redebeitrages angewandt)73: (a) Wenn C im Laufe eines Redebeitrages Ν als nächsten Sprecher wählt, dann muß C zu reden aufhören und Ν als nächster reden, wobei die Redeübergabe bei dem ersten TRP nach der N-Wahl erfolgt. (b) Wenn C Ν nicht wählt, kann sich jeder beliebige andere Teilnehmer selbst wählen; der erste beste gewinnt das Recht auf den nächsten Redebeitrag. (c) Wenn C Ν nicht gewählt hat und sich kein anderer Teilnehmer gemäß (b) selbst wählt, kann C (ist jedoch nicht verpflichtet) den Redebeitrag fortsetzen (d.h. das Recht auf eine weitere einen Redebeitrag projizierende Einheit beanspruchen).

Regel 2 (wird bei allen folgenden TRPs angewandt): Wenn C Regel 1 (c) angewandt hat, dann gelangen die Regeln 1 (a) - (c) zur Anwendung und dies geschieht rekursiv an dem nächsten TRP, solange bis der Wechsel vollzogen ist.

73

Abkürzungen: TRP = Transition Relevant Point (= der für die Abgabe des Rederechts, -beitrags relevante Zeitpunkt); C = Current speaker (= aktueller Sprecher); Ν = nächster Sprecher

91

A b b i l d u n g 2-8: Die Organisation des Sprecherwechsels in Gesprächen Ähnlich der Systematik für die Regeln des Sprecherwechsels haben die E t h n o m e t h o d o l o g e n Regeln f ü r Nachbarschaftspaare (adjacency pairs) und Präferenz - Strukturen für bevorzugte vs. nicht - bevorzugte Redebeiträge formuliert (siehe f ü r einen guten Überblick Levinson 1990, Kapitel 6 sowie D o w n e s 1984: 231 ff.).

Kleines Lexikon wichtiger Begriffe der Gesprächsanalyse/Konversationsanalyse (nach Brinker, K. & S.F. Sager (1989) Linguistische Gesprächsanalyse. Eine Einführung, Berlin (Erich Schmidt Verlag) 'Accounts': Accounts dienen dem Hervorbringen, Sichern und Wiederherstellen von sozialinteraktivem Verhalten; sie sichern den permanenten Verlauf des Gespräches. Der Terminus ist schwer übersetzbar; er ist der zusammenfassende Begriff für alle jenen kommunikativen Handlungen, durch die die Gesprächsteilnehmer sich gegenseitig den Sinn des Gesprächshandelns aufzeigen bzw. die anderen dazu anhalten, diesen Sinn offen zu legen oder den in bestimmten Situationen kritisch gewordenen Sinn wieder in Ordnung zu bringen. Der Kontext ist für 'Accounts' sehr wichtig. Adjacency pair (Paarsequenz): siehe 'Sequenztyp' Gesprächsphase: Gespräche lassen sich prinzipiell in drei Phasen gliedern: Eröffnungsphase, Kernphase und Beendigungsphase. Die Eröffnungsphase dient dazu, die Vorstellungen hinsichtlich der Gesprächssituation zu koordinieren („Situationsdefinition") und wechselseitig Gesprächsbereitschaft herzustellen. In der Kernphase - je nach Gesprächstyp - werden kommunikative Gegenstände (Themen), Ziele und Zwecke abgehandelt. Die Beendigungsphase dient schließlich dem Abschluß des Gespräches und der gemeinsamen Auflösung der Gesprächsbereitschaft/kommunikativen Kooperationszwecke und -ziele. Am besten untersucht sind Eröffnungs- und Beendigungsphasen, da ihre Struktureigenschaften gut überschaubar sind. Kernphasen dagegen sind schwierig zu beschreiben, da sie lang, komplex, thematisch häufig heterogen etc. sind. Ge-

92 sprächseröffnungen sind besonders gut fur Telefongespräche beschrieben (vgl. Schegloff 1968). Kernphasen wurden von Brinker & Sager (1989: 103-109) am Beispiel von Telefonanrufen und Beratungen genauer erfaßt. Gesprächsschritt („Turn"): Grundeinheit des Dialogs, „alles das, was ein Individuum tut und sagt, während es an der Reihe ist" (Goffmann). Gesprächsschritte können initiierend, respondierend oder reaktivierend sein. Diese Begriffe dienen auch der Klassifikation von Gesprächsschritten (initiierend: meist auffordernd); zu den Basisregeln der Kommunikation gehört es, daß auf initiierende Äußerungen Antworten erfolgen (respondierend). Auf einen initiierenden Schritt gibt es drei Möglichkeiten: Akzeptierung, Zurückweisung und Selektion (Erfüllung bestimmter Erwartungen, anderer aber nicht). Die Gesprächsschrittverknüpfung innerhalb eines Gesprächsbeitrages kann grammatisch oder thematisch erfolgen. Gesprächsschritte weisen auch eine Binnenstruktur auf: Sprechakte, Äußerungseinheiten, die durch Gliederungssignale/Sprechersignale (äh, oh, aha, hm) begrenzt sind. Zu Gesprächsschritten bzw. Gesprächsbeiträgen gehören => Hörersignale und => Sprecherwechsel. Gesprächssequenz : Folge von Gesprächsschritten, die in vielfältiger Weise aufeinander bezogen sind („Gesprächskohärenz"). Gesprächssequenzen hängen von der Geltung des Kooperationsprinzips als gemeinsame Basis der Kommunikation ab und sie ermöglichen die Einordnung eines jeden Gesprächsschritts in den inhaltlichen und kommunikativen Rahmen, der durch die vorausgehenden Gesprächsbeiträge geschaffen wurde. Jeder Gesprächsschritt wird als Reaktion auf die durch andere Gesprächsteilnehmer unmittelbar vorher geäußerten Schritte interpretiert: So entstehen Gesprächssequenzen. Die Gesprächssequenzen sind in spezifischer grammatischer, thematischer und kommunikativ funktionaler Hinsicht in eine Gesprächskohärenz eingebunden. Hörer sign ale: Kurze sprachliche und nicht-sprachliche Äußerungen des Hörers, die nicht auf eine Übernahme der Sprecherrolle zielen. Mit ihnen teilt der Hörer dem Sprecher mit: Aufmerksamkeit, ggf. Zustimmung oder Ablehnung (ja, mhm, stimmt, genau, ich weiß, ja gut, eben, naja, ich weiß nicht etc.). Es gibt auch gestische Hörersignale (Kopfnicken, Kopfschütteln, Blickkontakt etc.). Diese Hörersignale gehören zum 'Rückmeldeverhalten'. Zu den Höreräußerungen (Rückmeldeäußerungen) gehören auch: Einstellungsbekundung (das ist ja interessant, das glaube ich nicht, ach Gott etc.). Mit diesen Bekundungen intendiert der Hörer ebenfalls nicht einen Wechsel der Sprecherrolle. Schließlich gehört zu den Hörersignalen auch die 'Gesprächsschrittbeanspruchung': Mit Signalen (z.B. ja aber, ich will sagen) möchte der Hörer selber die Sprecherrolle einnehmen und kündigt dies mit solchen Signalen an („claimingof-the-turn-signals"). Ob er den Redebeitrag bekommt, hängt davon ab, er sich durchsetzen kann.

93 Indexikalität: Linguistische/kommunikative Merkmale oder formale Eigenschaften von Gesprächsbeiträgen. Man kann zwischen thematischer, aktionaler und personaler Indexikalität unterscheiden -, aktionale: (a) Beiträge werden grundsätzlich als gültig angesehen (b) die Gültigkeit wird aufgrund spezieller situativer Umstände ganz oder vorübergehend außer Kraft gesetzt (Scherz, Ironie, Wortspiele). Unter diesem Stichwort ist auch zu klären, welche kommunikativen Normen gelten oder außer Kraft gesetzt werden (Frage der Gültigkeit). Wir können diesen Bereich auch mit Validität bezeichnen. Die aktionale Indexikalität betrifft auch die Relevanz der Äußerung (qualitatives Merkmal des Stellenwertes (sozial, individuell) eines Beitrages). -, personale : Bezug auf die aktuellen am Gespräch beteiligten Personen. Personale Indexikalität sichert die Markierung der Intentionalität; zum andern verdeutlicht der personale Bezug, an wen der Beitrag gerichtet ist (Adressierung). Diese Markierung kann man auch Direktionalität nennen. Intentionalität und Direktionalität müssen ständig verdeutlicht und gesichert werden. -, thematische: Die Gesprächspartner müssen ihre Beiträge so einrichten, daß sie für die anderen jeweils so informativ und verständlich sind, daß diese sie situationsadäquat auf ein gegebenes Thema beziehen und damit für den gemeinsamen sinnkonstituierenden Prozeß nutzbringend verwenden können. Thematische Indexikalität ist die grundlegende formale Eigenschaft, die ein Gesprächsbeitrag haben muß (Sinnhaftigkeit). Die Partner müssen ihre Gesprächsschritte themenprägnant einrichten. Zusammenfassend. Fünf zentrale Merkmale: Thematische Prägnanz, Intentionalität, Direktionalität, Validität und Relevanz. Management: -, lokales·. Ausgangspunkt ist der einzelne Gesprächsschritt als ein im Prinzip offener Sinnkomplex; bei der Analyse darf das kommunikative Geschehen nur bis zu jenem Zeitpunkt berücksichtigt werden, das den gegenwärtigen Gesprächsschritt darstellt. Damit werden nur solche Schritte fiir die Analyse berücksichtigt, die den beteiligten Gesprächspartnern selbst für ihre Sinnkonstituierung und ihre Interpretation zur Verfügung stehen (siehe zu den fünf wesentlichen Merkmalen von Gesprächen (lokales Management) das Schema in Brinker & Sager, 1989, 151) Präferenz-Organisation: Es werden bevorzugte zweite Redebeiträge und bevorzugte Sequenzen unterschieden (vgl. für eine ausführliche Darstellung Levinson 1990: 331 ff.). Die Idee ist folgende: Zweite Teile, die auf erste folgen, haben nicht den gleichen Status; vielmehr sind sie bevorzugt (unmarkiert; kurze Form; minimaler kommunikativer Aufwand) oder nicht-bevorzugt (markiert; langer, kommunikativ aufwendiger Beitrag). Bevorzugte und nicht-bevorzugte Beiträge als Folge initiierender Beiträge haben eine Reihe distinktiver linguistischer Merkmale (siehe Levinson 1990: 331 ff.). Präsequenzen: Vorankündigungen von Handlungen (siehe Levinson 1990: 343-361). Reparaturen/Korrekturen: Wir unterscheiden zwischen selbstinitiierten und fremdinitiierten Reparaturen (unaufgeforderte Korrektur durch einen Sprecher vs. Korrektur nach Aufforderung durch einen Hörer); zweitens unterscheiden wir zwischen Selbstkorrektur,

94 d.h. einer Korrektur, die der Sprecher der problematischen oder zu korrigierenden Einheit vornimmt, und der Fremdkorrektur, die durch eine andere Partei vorgenommen wird. Beispiele finden sich in Levinson (1990: 338/339). Für den sogenannten Korrekturapparat gibt es Präferenzen: Die PräferenzRangordnung ist kurz gesagt so (vgl. Levinson 1990: 339): „Präferenz 1 gilt für selbstinitiierte Selbstkorrektur bei Gelegenheit 1 (eigener Redebeitrag) Präferenz 2 gilt für selbstinitiierte Selbstkorrektur bei Gelegenheit 2 (Übergangsraum) Präferenz 3 gilt für Fremdinitiierung durch NTRI bei Gelegenheit 3 (im nächsten Beitrag), der Selbstkorrektur (im Beitrag danach) Präferenz 4 gilt für fremdinitiierte Fremdkorrektur bei Gelegenheit 3 (im nächsten Beitrag)" [NTRI: next turn repair initiator - Reparatur-Initiator im nächsten Beitrag] Reziprozität (der Perspektiven): Die Partner gehen in der Regel davon aus, daß die Position, die sie im Gespräch beziehen, auch ohne Schwierigkeiten von den anderen eingenommen werden könnte bzw. daß sie die Position der anderen einzunehmen in der Lage wären (wechselseitige Unterstellung einer für alle gleichermaßen verbindlichen Sichtweise: Erst auf diesem Hintergrund ist es möglich, gemeinsamen Sinn zu konstituieren). Sequenztyp: Paarsequenz (adjacency pair): Sie sind durch die konditioneile Relevanz gekennzeichnet. Es handelt sich um Äußerungspaare, deren Glieder unmittelbar aufeinander folgen und sich gegenseitig kommunikativ-funktional bedingen (Frage-Antwort, Gruß-Gruß, Angebot-Annahme/Ablehnung, Abschied-Abschied, Bitte-Versprechen, Vorwurf-Rechtfertigung, Vorwurf-Entschuldigung etc.). Paarsequenzen sind durchgängig zweigliedrige Sequenzen, die jeweils nur aus einem initiierenden und einem respondierenden (reaktiven) Gesprächsschritt bestehen. Es gibt gereihte, eingebettete oder gekoppelte Paarsequenzen (Schlobisnki 1996: 213). Es gibt ebenso Dreiersequenzen (Lehrer: Wer schrieb Alexis und Dora?; Schüler: Goethe; Lehrer: Gut). Diese Sequenzmuster oder -typen kann man auch formal in Strukturschemata erfassen. In der Regel sind sie durch Rahmen eingebunden. Nebensequenzen: Fragen, die zur Beantwortung der konditionellen Relevanz notwendig sind, können geklärt werden (Einbettungen), um zu der gewünschten Antwort gelangen zu können. Dies führt zu mehrgliedrigen Sequenzen. Die genannten Sequenztypen können strukturell genannt werden. Sprecherwechsel: Regeln, die den Übergang des Rederechts vom Sprecher an den Hörer betreffen. Gespräche sind durch mehr als eine Sprecherperspektive gekennzeichnet; die Beteiligten müssen stets neu überprüfen, inwieweit die gemeinsame Basis hinsichtlich des Gespräches trägt und in welcher Weise sich die Beziehungskonstellationen erhalten oder verändert haben. Sprecherwechsel entstehen durch Aufforderung („Fremdzuweisung") oder durch Selbstwahl („Selbstzuweisung"). Ob ein Sprecherwechsel zusammenkommt, hängt vom TRP (transition relevance point) ab. Nach Brinker & Säger (1989) gibt es glatte Wechsel, Sprecherwechsel nach Pause und Sprecherwechsel nach Unterbrechung. Stets geht es darum, ob der bereits im Besitz des Redebeitrags befindli-

95 che Sprecher weiterredet oder übergibt. Die Übergabe kann geschehen durch Äußerungen wie das kann uns Peter erklären (Fremdwahl) oder lassen Sie mich bitte dieses noch mal genauer ausßihren (Erhaltung des Redebeitrags, Selbstzuweisung). Nach Pausen ist die Sprecherwahl oft offen. Selbstverständlich gibt es auch Unterbrechungen, während jemand redet - hier ist die Frage, wer sich durchsetzt (vgl. auch die schematische Übersicht in Schlobinski 1996: 209). Typologisierung von Gesprächen: Hier lautet die Frage: Welche Merkmale können überhaupt fur eine Typologisierung von Gesprächen zentral sein? Das Freiburger Modell nach Steger hat folgende Kriterien für die Redekonstellation: Sprecherzahl, Zeitreferenz, Verschränkung von Text und sozialer Situation, Rang, Grad des Vorbereitetseins, Zahl der Sprecherwechsel, Themafixierung, Modalität der Themenbehandlung, Öffentlichkeitsgrad. Redekonstellationstyp : „Interview" : Teilnehmerzahl: zwei Sprecher Rang: ein Sprecher privilegiert Öffentlichkeitsgrad: öffentlich Kommunikationsmedium: face-to-face-Interaktion (mit massenmedialer Verbreitung) Themenbehandlung: argumentativ-deskriptiv Zeitreferenz: nicht-simultan Es werden 6 Redekonstellationstypen unterschieden: Vortrag, Erzählung, Diskussion, Smalltalk, Interview, Alltagsgespräch. Henne & Rehbock (1982) unterscheiden verschiedene Arbeitsbereiche, die mehr oder weniger instrumentelle oder persönliche etc. Funktionen erfüllen.

Weitere wichtige Ergebnisse sind: 1. Schenkein (1978a) konnte zeigen, wie Identitäten in Kontaktkommunikationen ausgehandelt werden. 2. Schegloff (1968) und (1979) beschreibt Kontaktaufnahme und Gesprächsbeendigung in Telefonkonversationen. Ein umfassendes Korpus erlaubt es ihm, für die Redeeröffnung, die gegenseitige Identifizierung der Sprecher und den Redeabschluß explizite Regeln zu schreiben. Diese Untersuchung ist eine der ertragreichsten in methodischer Hinsicht. 3. Ein weiterer Schwerpunkt der Konversationsanalyse ist die Untersuchung von Erzählungen im Rahmen verbaler Interaktion. Sacks (1971/1994) legte in seinen Vorlesungen die Grundlagen für derartige Untersuchungen dar. Die Erzählanlässe, Fortsetzungsraster beim Erzählen, die Verknüpfung von Ereignissen, die Expansion von Elementarereignissen zu Episoden wurden von ihm detailliert beschrieben (vgl. auch Jefferson (1978)). 4. Sacks (1978) zeigt die konversationelle Struktur von dreckigen Witzen auf. 5. Verschiedene Untersuchungen zu verbalen Handlungsschemata in institutionellen Konversationen wurden durchgeführt. Für institutionelle Interaktionen wurden spezifische Handlungsmuster formuliert (vgl. Atkinson & Heritage 1984).

96

(2) 'Interpretativ-kognitive ' Konversationsanalyse Circourel verstand Garfinkeis Programm der Ethnomethologie in einem breiteren Sinne als die Schule der „formalen" Konversationsanalyse. Wenn „normales Verstehen, das einen 'inneren' temporalen Verlauf interpretativer Arbeit nachsichzieht, notwendigerweise eine operationelle Struktur hat" (Garfinkel 1967: 31), so kann letztere im Sinne von .Instruktionen' verstanden werden, die sich Interaktionspartner gegenseitig im Verlauf der Interaktion geben. Cicourel vertritt die Auffassung: „Das sprachliche und nicht-sprachliche Verhalten von Interaktionsteilnehmern wird mittels interpretativer Verfahren und ihrer reflexiven Merkmale in Instruktionen für Teilnehmer transformiert. Die sich entfaltende Interaktion fuhrt zu einer ständigen Programmierung der an ihr Teilnehmenden" (Cicourel 1973b: 62). Die den interpretativen Verfahren zugrundeliegenden Prinzipien werden von Cicourel 'Basisregeln' genannt. Sie sind Idealisierungen der Verhaltensweisen von Interaktionspartnem. Diese Idealisierungen können im Sinne von Instruktionen nach Eglin (1980: 15) folgendermaßen formuliert werden: (i) Finde heraus, daß irgendein lokales Szenarium Χ Ζ ist, und stelle fest, daß χ im Kontext Ζ als Y gilt.

Ein Beispiel für (i) ist (ii): (ii) Finde heraus, daß das, 'was-hier-los-ist ' (a), ein Streit Ζ ist, und verstehe die Äußerung χ im Kontext des Streites Ζ als eine Beleidigung Y.

Es handelt sich bei (i) und (ii) nicht um bloße Lesarten von Bedeutungen, sondern um Anweisungen zum Verständnis von Bedeutungen. Diese Version der Konversationsanalyse ist somit eine Rekonstruktion des interaktiven Verständnisprozesses: Basisregeln und ihre Umsetzung in bedeutungskonstituierende sprachliche Ausdrücke sind wesentliche Bestandteile der Interaktion. Hinzukommt, daß sprachliche Zeichen im Verständigungsprozeß essentiell vage sind und ihre Kontextbindung durch ,indexikalische' Ausdrücke erfolgt. Indexikalische Ausdrücke sind in der Terminologie Bühlers 'Zeigewörter', die eine Relation zwischen Sprache und Kontext herstellen. Die sprachliche 'Zeigegeste' auf personenspezifische, zeitliche, räumliche, diskursive und soziale Kontextdimensionen bezeichnet man in Anlehnung an das altgriechische Wort als 'Deixis'. In diesem Sinne unterscheiden wir (a) Personendeixis (der Verweis auf Sprecher- und Teilnehmerrollen in Gesprächen) (b) Zeitdeixis (Bezug auf absolute und relative Zeitintervalle) (c) Raumdeixis (das Sprechereignis in Bezug zum räumlichen Koordinatensystem: „Spezifizierung von Standorten relativ zu Ankerpunkten im Sprechereignis" (Levinson 1990: 81))

97 (d) Diskursdeixis (hierzu gehören die anaphorischen Ausdrücke wie den in koreferentiellem Bezug zu der beste Witz in der Äußerung das war der beste Witz, den ich seit langem gehört habe; das ist dabei der diskursdeiktische Verweis auf die vorausgegangene Rede, was nahelegt, anaphorische und diskursdeiktische Verweise auseinanderzuhalten) (e) Sozialdeixis (Kodierung von auf den sozialen Status von Sprechern bezogenen Informationen; Höflichkeitsformen; Formen, die Vertrautheit mit oder Distanz zu Personen indizieren).

Die kognitiv orientierte Gesprächsanalyse exploriert insbesondere die indexikalischen Dimensionen des Diskurses. (3) 'Ethnographische ' Konversationsanalyse Im folgenden gehe ich kurz auf die Arbeiten von John J. Gumperz zur interaktionalen Soziolinguistik ein, die auf sprachsoziologische, ethnosemantische und konversationsanalytische Methoden zurückgreifen. Gumperz hat sich u.a. mit der Mehrsprachigkeit in ländlichen und städtischen Regionen in Industrie- und Entwicklungsgesellschaften auseinandergesetzt. Insofern Teilnehmer an Gesprächen aus Sprach- und Varietätenwechseln soziale und Kontextinformationen erschließen, haben diese soziokulturelle Bedeutung. Ethnographische Fallstudien lassen Gumperz zwischen situativem und metaphorischem Sprachwechsel unterscheiden (Gumperz 1975: 51). ' Situative' Sprachwechsel konnten für Situationen belegt werden, in denen ein Wechsel in der Definition von Rechten und Pflichten zwischen Teilnehmern erfolgte. 'Metaphorischer' Sprachwechsel tritt demgegenüber als Folge eines Themawechsels auf. So wechselt ein Elsässer, der im Alltag Allemanisch redet, z.B. ins Französische, wenn das Thema des Gesprächs auf Einzelheiten der Steuererklärung fur die französische Zentralverwaltung übergeht.74 Grundlegende Komponente in dem ethnographischen Modell sind die in einer Sprachgemeinschaft geltenden Normen und Werte, die in bestimmten Szenarios des Verhaltens mit spezifischen, verbindlichen Regeln und in bestimmten (offenen vs. geschlossenen) Typen von Interaktionsnetzen (uniplexe und multiplexe Rollenbeziehungen) aktualisiert werden. Sprechereignisse und Sprechakte werden dann in Abhängigkeit von sozialen Situationen (Umgebung, zeitlicher Rahmen und Rollenbeziehungen) durch die personale bzw. transaktionale Art der Interaktion (Art und Weise, wie Teilnehmer in sozialen Situationen sich gegenseitig Rechte und Pflichten zuweisen) gesteuert (auf der Folie von Werten, Domänen und Interaktionsnetzen). Gumperz wählt Sprecher, deren Verhalten er beschreiben will, nicht - wie Labov - nach Kriterien der Stichprobe aus; statt dessen geht er 74

Zu Sprachwechselverhalten (code-switching), auf das ich in diesem Zusammenhang nicht näher eingehen kann, siehe Romaine (1989, Kapitel 4), Haust & Dittmar (1996) und Milroy & Muysken (1995).

98 ihnen in ihren alltäglichen Interaktionsnetzen mithilfe teilnehmender Beobachtung nach. Dem Verständnis von Sprachgemeinschaft liegt Gumperz' ethnographische Auffassung zugrunde, daß Teilnehmer an einer Konversation sich letztlich nicht aufgrund von Grammatikregeln, sondern auf der Folie gemeinsam geteilten Wissens verstehen, d.h. sie ordnen aufgrund gemeinsam geteilter sozio-kognitiver Interpretationsregeln sprachlichen und nicht-sprachlichen Zeichen konvergente bzw. divergente soziale Bedeutungen zu (vgl. 3.4). Mißverständnisse in der interkulturellen Kommunikation haben ihre Ursache daher in den unterschiedlichen Konventionen inferenziellen Schließens, das sich in Kontextualisierungshimveisen (contextualization cues) manifestiert (Gumperz 1975: 85f; 1992). Für seine Analysemethode mittels Kontextualisierungshimveisen hat Gumperz keine explizite Theorie entwickelt (vgl. Auer 1992). Anhand verschiedener Beispiele fuhrt er uns jedoch vor, wie aus Kontextualisierungshimveisen von Äußerungen Handlungskonsequenzen gezogen werden. Eines seiner bekanntesten Beispiele ist das eines westindischen Busfahrers in London, der die Fahrgäste mit der periodisch wiederholten Äußerung "Exact change, please" dazu auffordert, das nötige Kleingeld bereitzuhalten (Gumperz 1982b). Hielt nun ein Fahrgast das entsprechende Kleingeld nicht bereit oder bot ihm einen Geldschein an, so wiederholte er (mürrisch) den gleichen Sprechakt, wobei er das please recht laut und mit gehobener Stimme artikulierte und zwischen change und please eine Pause machte. Ein Fahrgast, an den sich die Äußerung richtete, zeigte ein verärgertes Verhalten: „Warum sind diese Leute so grob und unhöflich?" Die Schlußfolgerung des Fahrgasts beruhte auf seinem durch britische Dialekte vorgegebenen Interpretationskonventionen. Die Pause zwischen change und please sowie die Tonhöhe und die Lautstärke der Artikulation von please signalisieren einem britischen Hörer 'Unfreundlichkeit'. Mißverständnisse entstehen nach Gumperz somit auf dem Hintergrund unterschiedlicher Interpretationen von Kontextualisierungshimveisen. Seine Analysen sollen dazu beitragen, kulturbedingte Störquellen im interkulturellen Verstehen zu beheben.

2.6 Zusammenfassung Der Gegenstand der Soziolinguistik ist die soziale Bedeutung des Sprachsystems und seines Gebrauchs. Dabei läßt sich die untersuchungsleitende Frage: Wer spricht/schreibt was und wie mit wem in welcher Sprache und unter welchen sozialen Umständen mit welchen Absichten und Konsequenzen in 7 Teildimensionen aufschlüsseln: (i) die soziale, (ii) sprachliche, (iii) interaktive, (iv) kontextspezifische, (v) evaluative, (vi) historische und (vii) biographische Dimension. Die Aufgaben, die die genannten Dimensionen

99

an eine Beschreibung und Erklärung stellen, lassen sich angemessen nur in einem interdisziplinären theoretischen Ansatz einlösen. Dieser setzt voraus, Sprache als adaptive Funktion zu verstehen und außersprachliche Parameter in die linguistische Beschreibung einzubeziehen. Für das Programm einer nicht-autonomen, die Sprache im sozialen Kontext funktional beschreibende Linguistik standen eine Reihe bedeutender Sprachwissenschaftler im 19. und 20. Jahrhundert ein. Eindrucksvolle Beobachtungen zu 'Sprachen im Kontakt' machte bereits der Sprachwissenschaftler Hugo Schuchardt gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Die neuere Soziolinguistik entwickelt sich im Spannungsverhältnis ihrer vier sich gegenseitig ergänzenden wie auch teilweise überlappenden Paradigmen. Soziale Dialektologie (oder auch Varietätenlinguistik), Sprachsoziologie, Ethnographie der Kommunikation und Konversationsanalyse stellen Etikette einer unterschiedlichen methodologischen und theoretischen soziolinguistischen Orientierung dar. Die Abbildung 2-4 faßt einige charakteristische Unterschiede noch einmal in einer schematischen Übersicht zusammen. Einige Bemerkungen hierzu in Stichpunkten. Das Erkenntnisinteresse ist in der Varietätenlinguistik eng an wohldefinierten grammatischen Segmenten der Sprachstruktur (Variation von Konsonanten, Vokalen, Morphemen, referenzidentischen syntaktischen Formvarianten in distributioneil definierten sprachlichen Kontexten) orientiert, während die Sprachsoziologie im Kontrast dazu an globalen sozialen Funktionen von Sprache interessiert ist. Ethnographie und Konversationsanalyse liegen mit ihrem Hauptinteresse an der pragmatischen Beschreibung von Kommunikationsverläufen zwischen diesen Extremen. χ

Paradig· \ ma

Soziolinguistische Paradigmen im Vergleich soziale Dialekto- SprachEthnographie der Interaktionale logie/Varietäten- soziologie Kommunikation guistik linguistik

wiss.schtlN Dimension Gegengrammatische Vastand riation/ Variation sprachlicher Mittel im Diskurs/ Spracheinstellungen ErkenntKonstruktion eines nisleitende Zusammenhangs Prinzipien soziologischer und (Theorie) linguistischer Kategorien (Korrelation) Feldforschung

Status und Funktion von Sprache und Varietäten

Domänenspezifischer Sprachgebrauch (Soziologie des Sprech- & Kommunikationsverhaltens) soziolinguFragebogen/ istisches Interview Interview (Quer(Querschnittsschnittsstudien) studien)

Soziolin-

Ways ofSpeateig/soziolinguistische Stile und Register

interaktive Konstruktion/ Organisation des Diskurses

Kontextspezifische Angemessenheit kommunikativer und sprachlicher Mittel im Rahmen von Diskursgattungen/welten Teilnehmende Beobachtung (längerfristiges Teilnehmen an sozialen Aktivitäten natürlicher Gruppen)

Diskursorganisation als interaktives soziales Handeln

Dokumentation sprachlichen und nichtsprachlichen Interaktionsverhaltens in institutioneilen/ formellen und informellen (natürlichen) Kontexten

100 Beschreibung

systemlinguistische Beschreibung (qualitative und quantitative regulative Regeln) unter Rückgriff auf außersprachliche Faktoren

Erklärung

Soziale Dynamik von Varietäten in Sprachgemeinschaften/ Sprachwandel

Muster/ Regeln des Sprachwahlverhaltens (auch: Varietätenwahl) unter domänenspezifischen Gebrauchsbedingungen (Sprecher-/Kontextvariablen) Status- und Funktionsunterschiede von Sprachen und Varietäten (Parameter, die Gleichheit vs. Ungleichheit erklären)

Kontextsensitive, paralinguistische und non-verbale Ausdrucksseiten berücksichtigende konstitutive/semantisch-pragmatische Sprachgebrauchsregeln für Diskurse

Instruktionsregeln zur kooperativen, angemessenen Organisation der Rede/des Diskurses durch Synchronisierung kommunikativer Mittel in Interaktionen

Funktionale Angemessenheit kommunikativen Verhaltens in unterschiedlichen sozialen Kontexten

Kommunikative Kompetenz: Wie (und mit welchen Mitteln) gelingt die Synchronisierung verbaler und nicht-verbaler Verhaltensweisen (Fähigkeiten) in Interaktionen mit unterschiedlichen Zielen/ Zwekken sozialen Handelns

Tabelle 2-4: Soziolinguistische Paradigmen im Vergleich In der Feldforschung berücksichtigt die Sprachsoziologie am wenigsten Sprachdaten nach Gesichtspunkten linguistischer Qualität und Validität, letzteres ist das Hauptanliegen der Varietätenlinguistik in der Feldforschung: wie läßt sich am angemessensten der 'unmarkierte' (= von äußeren Faktoren unbeeinflußte) Sprechstil eines Sprechers erfassen? Während die Elizitierung des 'local vernacular' (Labov) fur den Varietätenlinguisten eine Kunst der Interviewführung darstellt, ist der Ethnograph und Konversationsanalytiker ohne große technische oder testspezifische Vorbehalte an verschiedenen natürlichen Gesprächsformen interessiert. Die Unterschiede in der Datenbeschreibung beziehen sich vor allem auf die Arten von Aussagen, mit denen die Variation sozialen Verhaltens, das Prestigegefälle und das Konfliktpotential von Sprachen/Varietäten in Gesellschaften, die Sequenzen in Konversationen und die variierenden grammatischen Einheiten (= Variablen) in Äußerungskorpora gesprochener Sprache beschrieben werden. Die von Labov inspirierten Variationslinguisten schreiben regulative (variable) Regeln, welche spezifizieren, welche soziokulturelle (statische) Bedeutung alternative sprachliche Formen in Sprechereignissen haben. In der Konversationsanalyse sind Regeln als Instruktionen der Teilnehmer aneinander verstehbar. Für wechselseitig einzunehmende Perspektiven in der Interaktion aktualisieren Interaktanten mittels Äußerungen (soziales) Gesprächswissen, das in bestimmten Formaten organisiert wird. Mit ihren extra-linguistischen Kontingenzaussagen ist die Sprachsoziologie ein Paradigma, in dem kommunikationsspezifische Regeln die geringste Rolle spielen. Damit komme ich abschließend zur Erklärung. Hier ähneln sich die Erklärungsschemata von Sprachsoziologie und Varietätenlinguistik. Beide erklären korrelativ, d.h. Erklärungsmuster stellen die quantitativen (= sta-

101 tistischen) Korrelationsmaße zwischen Variablen, z.B. linguistischen/ sprachcodebezogenen und außersprachlichen/soziologischen, dar. Im Rahmen des variationslinguistischen Paradigmas billigt man allerdings der internen linguistischen Datenstruktur mehr eigenständige, selbstregulierte Aussagekraft zu (nach dem Motto: sprachliche Daten sind die in den Sozialwissenschaften intern am besten strukturierten Daten). Der Erklärungsstatus der sprachsoziologischen Daten hängt demgegenüber mehr von den gemeinhin üblichen statistischen Signifikanzniveaus ab, deren Interpretation eine professionelle Kunst fur sich ausmacht. Die Erklärungen im ethnographischen und konversationsanalytischen Paradigma sind qualitativer Natur (vgl. Dittmar 1988). In der Ethnographie ist die Erklärung angemessen, wenn die Daten authentisch und valide die zu beobachtende ethnische/ kulturelle Gruppe repräsentieren und genügend soziales Wissen der Gruppenmitglieder selbst die Korrektheit der Ergebnisse bestätigt. Das Scheinverhalten von Gesellschaftsmitgliedern, das sie im Rahmen eines Interviews zeigen können, soll zugunsten der Beobachtung ihres natürlichen, authentischen Verhaltens über längere Zeiträume von Erklärungen ausgeschlossen werden (Erklärungen aufgrund von Interviewverhalten würden Ethnographen Pseudoerklärungen nennen). Am wenigsten eindeutig bestimmt scheint die Erklärung in der Konversationsanalyse zu sein. Die formale Konversationsanalyse nach Schegloff & Sacks lehnt einen solchen theoretischen Begriff ab, da die Beschreibung von Datenkollektionen in ihrem alltäglichen Vorkommen fur sie erklärtermaßen keiner weiteren Explikation bedarf. Pragmatische, soziokognitive Erklärungsmuster werden demgegenüber von ethnographisch und diskursanalytisch orientierten Gesprächsforschern in den Vordergrund gestellt, wobei dem Zusammenhang zwischen der sprachlichen Sequenzierung der Äußerungen und dem damit verbundenen Wissenspotential besondere Aufmerksamkeit gilt. Den in Tabelle 2-5 dargestellten Unterschieden entspricht auf einer höheren Ebene die unterschiedliche Orientierung an quantitativen vs. qualitativen Methoden. Die Unterschiede zwischen quantitativen und qualitativen Methoden haben wir fur sechs zentrale Dimensionen in Tab. 2-5 zusammengefaßt. 1 Perspektive der Beobachtung

2 Informantenwahl

Quantitative Methoden 'Soziale Tatsachen' erheben, 'Selbstexploration' der Informanten; kontrollierte, standardisierte, wiederholbare Beobachtungen; Beobachtungsraster nach Theorievorgabe Stichprobe; Zufallsauswahl; statistisch repräsentativ; Vorgabe sozialer Merkmale

Qualitative Methoden 'Binnenperspektive' erschließen; teilnehmende Beobachtimg; Handeln, Normen, Werte aus der Interaktion erschließen; Beobachtungsraster während der Beobachtung gewinnen Teilnahme an bestimmten Netzwerken, Handlungen, Interaktionen; Fallauswahl; repräsentativ im Sinne von 'typische Fälle'

102 3 Ait der Datenerhebung

4 Beobachtungssprache

5 Auswertungsverfahren

6 Art der Aussagen

teilnehmende Beobachtung; Tagebuch; natürliche Handlungen/Interaktionen; Daten über Binnenperspektive (Werte, Normen) der Informanten Alltagssprache; Protokolle; Dokumente, Biographien; Lebensgeschichte; Begriffe, Formulierungen, Stereotypen der Teilnehmer Obersetzung der Rohdaten in Zuordnung der Beobachtungen zu Verstehensbeschreibungen; Variable, Skalen; Zählen und Typen, Messen; statistische Verfah- konstitutive Regeln ren; Variablenregeln, probabilistische Grammatiken, Implikationsskalen (vgl. Kapitel 5) qualitativ distinktive Typen von Hypothesenüberprüfung; signifikante vs. nichtHandlungen, Interaktionsweisen, signifikante Ergebnisse etc. Werten, Normen, Beziehungen etc.

standardisierte Befragungen nach vorgegebenen Kategorien; Daten müssen 'meßbar' sein (Skalen etc.); 'äußere' Beobachtungen festgelegte, operationalisierte Beobachtungsterme auf der Folie der Theorie; Konstrukte

Tabelle 2-5: Gegenüberstellung exemplarischer Unterschiede zwischen qualitativen und quantitativen Methoden75 (nach Dittmar 1988: 883) Wollten wir die vier Paradigmen auf einer Skala 'quantitativ vs. qualitativ' ordnen, so befanden sich 'Sprachsoziologie' und 'Variationslinguistik' nahe am Extrem 'quantitative Methoden', 'Konversationsanalyse' nahe am Extrem 'qualitative Methoden'. Die 'Ethnographie der Kommunikation' wäre zwischen diesen Extremen anzusiedeln. Die qualitative Methodik ist in ihr jedoch deutlich stärker ausgebildet.

2.7 Arbeitsaufgaben: 1. Mit welchen Argumenten stützen Anthropologen und Linguisten die These von der sprachlichen Relativität? Erläutern Sie den soziologischen und psychologischen Anteil der Argumente an dieser These und formulieren Sie diese in Form von Aussagen, die - jede für sich - empirisch überprüft werden müssen. Welche Argumente sprechen flir und gegen diese These? Welche soziolinguistischen „Beweise" müssen geführt werden? 2. Welche grundlegende Frage umreißt den Gegenstand der Soziolinguistik? Welche Forschungsdimensionen hat der Gegenstand und welcher interdisziplinäre Zusammenhang besteht zwischen diesen? 3. Ist die Linguistik eine autonome oder eine Sozialwissenschaff! Begründen Sie Ihre Position! 75

Auf eine systematische Darstellung soziolinguistischer Datenerhebungsmethoden im Rahmen dieses Buches haben wir verzichtet. Sie gehört in den Bereich „Anwendung (auf das Deutsche)", der sich Dittmar (1998) widmen wird (Datenerhebungsverfahren, Transkriptionssysteme, Leistung von Beschreibungsmethoden in empirischen Untersuchungen zum gesprochenen Deutsch). Soziolinguistische Datenerhebungsmethoden werden auch dargestellt in Milroy, Lesley (1987).

103 4. Der Gegenstand der Soziolinguistik wurde für gesprochene Sprache formuliert; reformulieren sie die sieben Untersuchungsdimensionen der Soziolinguistik für den Gegenstand geschriebene Sprache und zeigen Sie den Unterschied zum Gegenstand gesprochene Sprache auf. 5. Eignet sich Ihrer Meinung nach die gleiche Methodik für die Beschreibung einer natürlichen und einer künstlichen Sprache? Kann man das Objekt der Sprachwissenschaft mit dem der künstlichen Sprache gleichsetzen? 6. Was ist der Unterschied zwischen der seit Ende des 19. Jahrhunderts bestehenden Dialektologie und der Variationslinguistik Labovscher Prägung? Über welche neuen Beschreibungs- und Erklärungsweisen verfügt die amerikanische Soziolinguistik seit den 70er Jahren? 7. Geben Sie ein kurzes Portrait der Stadtsprachenbeschreibungen von New York durch Labov: (a) Welche Daten liegen zugrunde und wie wurden sie erhoben? Benutzen Sie die Fachtermini! (b) Was ist eine linguistische Variable? Welche Variablen wurden in New York untersucht? (c) Erläutern Sie den Unterschied zwischen soziolinguistischen Indikatoren und Markern. (d) Was ist ein soziolinguistisches Interview? (e) Welche Stile werden in einem soziolinguistischen Interview unterschieden? (f) Wie wird die soziale Schicht von Sprechern ermittelt? (g) Erläutern Sie 'soziolinguistische Stratifizierung von linguistischen Variablen'. (h) Was ist eine regelhafte soziolinguistische Stratifizierung und wie unterscheidet sich davon Hyperkorrekturl 8. Erläutern Sie am Beispiel der Alternation der velaren Spirans (g) mit der palatalen Spirans (j) das Prinzip der Variablenregel; unterscheiden Sie dabei Stellung des Konsonanten im Wortanlaut, -inlaut und -auslaut, vokalische/konsonantische Qualität des vorausgehenden bzw. folgenden Konsonanten. Zu welchen Ergebnissen kommen Sie mithilfe der Variablenregel für die Vorkommen der Spirans im folgenden Text? Berücksichtigen Sie die Stellung der velaren bzw. palatalen Spirans (g vs. j) am Wortanfang, in der Wortmitte und am Wortende. Bei der Durchführung der Analyse können Sie auf Schlobinski (1987: 98 ff.) zurückgreifen. dit war eigentlich + mehr oder wenjer + zufall jewesen +1+ eh ick hab ja schon mal ne lehre jemacht + als Schneiderin + und + ja denn jingen die betriebe eben bankrott weil se ebend + äh keene Produktion mehr machen konnten %weil se ebend% +1+ dit jing eben allet nich mehr so jut und denn + hab ick mir ooch jedacht naja dann + wenn sie hier alle zumachen ja dann mußte dir eben wat änderet suchen dann neA + ja und dann hab ick ma eben de bezet geholt und + pipapo + und dann allet durchjewühlt die ganzen annoncen [Korpus '9. November 1989', Β 01 OF, Gina] 9. Der Labovsche Ansatz wird häufig auch als korrelative Soziolinguistik bezeichnet. Was heißt Korrelation in dieser Methodologie? Nach welchen Kriterien unterscheidet man eine mikro-soziolinguistische Varietätenlinguistik von einer makro-

104 soziolinguistischen Sprachsoziologie? Welchen Schwerpunkt verfolgt die von Fishman begründete Sprachsoziologie? 10. Nennen Sie wesentliche Parameter der Bestimmung von Status und Funktion von Sprachen und Varietäten nach sprachsoziologischer Diagnose. Welche Parameter sind dabei von zentraler und welche eher von peripherer Bedeutung? 11. Was ist nach Fishman eine Varietät? Was unterscheidet den Begriff Varietät von 'Dialekt', 'Soziolekt', 'Register' etc. (vgl. Kapitel 4)? 12. Fishmans Mehrebenenanalyse ist das zur Zeit einzige sprachsoziologische Modell, das eine explizite Relation zwischen Dimensionen der Makro- und der MikroSoziolinguistik herstellt. Erläutern Sie, wie die soziolinguistische Analyse von sprachsoziologischen Konstrukten höherer Ordnung zu Konstrukten niederer Ordnung (konkrete verbale Interaktion) durchgeführt wird. Nehmen wir an, Sie sollen die Kommunikationsgemeinschañ des Stadtbezirkes Kreuzberg in Berlin beschreiben. Am 30. November 1995 waren in Berlin-Kreuzberg 155.597 Einwohner melderechtlich mit Hauptwohnung registriert. 51.968 Einwohner waren davon Ausländer. Den bei weitem größten Anteil an diesen 52.000 Ausländern stellen die Türken. Es folgen (mit weitem Abstand) Angehörige des ehemaligen Jugoslawien und schließlich Polen. Beschreiben Sie skizzenhaft, wie die Kommunikationsgemeinschaft von Kreuzberg mit dem Mehrebenenmodell zu erfassen wäre und deuten Sie mögliche Ergebnisse mit diesem Modell für Kreuzberg an. Berücksichtigen Sie dabei die dort lebenden Generationen. 13. Erläutern Sie stichwortartig, welche Ziele, Prinzipien der Feldforschung, der Beschreibung und der Erklärung das Paradigma der Ethnographie der Kommunikation verfolgt. Welche Unterschiede bestehen zwischen dieser Forschungsrichtung und der sozialen Dialektologie à la Labov? 14. Versetzen Sie sich in die Rolle von Forschern in den 50er und 60er Jahren: Nach dem 2. Weltkrieg spricht es sich unter Anthropologen herum, daß die Eipo auf Neuguinea eine in ihrem verbalen und non-verbalen Verhalten unbeschriebene Gruppe darstellen. In den 60er Jahren bietet Ihnen die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) an, den Sprachgebrauch der Eipo auf Neuguinea zu erforschen. Sie entschließen sich, ethnographische Methoden anzuwenden. Wie gehen Sie vor, um die sprachlichen Regeln und das kommunikative Verhalten der Eipo, das bisher nirgendwo dokumentiert ist, zu erfassen? Skizzieren Sie die dabei üblichen ehtnographischen Begriffe. 15. Was sind Kontextualisierungshinweise im Rahmen der ethnographischen Methodik von John Gumperz? Erläutern Sie die Bedeutung von Kontextualisierungshinweisen an einem Beispiel der interkulturellen Kommunikation. 16. Erläutern Sie die ethnomethodologischen Grundlagen der amerikanischen Konversationsanalyse. Was wird unter 'Herstellung sozialer Ordnung', 'natürliche Tatsachen', 'dokumentarische Methode', 'recipient design' und 'formale interaktive Alltagspraktiken' verstanden? 17. Spezifizieren Sie die Regeln für den Sprecherwechsel nach Sacks und Schegloff. Haben diese Regeln universelle Gültigkeit? Diskutieren Sie die kulturspezifische vs. universelle Reichweite des 'turn-taking mechanism'. 18. Nennen Sie Beispiele für sogenannte Paarsequenzen (adjacency pairs), d.h. Äußerungen, die nicht alleine, sondern nur in Paaren auftreten können.

105 19. Beschreiben Sie den folgenden Dialog konversationsanalytisch: A: Kommst Du heute abend mit zum Vortrag von Schegloff? B: Wann fängt er denn an? A: Um 20.00 Uhr, wie immer. B: Ist der Vortrag auf Englisch oder auf Deutsch? A: Auf Deutsch. B: Okay, wir sehen uns nachher - ich komme mit. Erläutern Sie an diesem Beispiel die Begriffe konditionelle Relevanz, Linearität und lokales Management. 20. Beschreiben Sie die folgende Gesprächspassage konversationsanalytisch: A: Ich habe Lust, ins Kino zu gehen, kommst Du mit? B: Ganz tolle Idee, aber ausgerechnet heute abend habe ich mich mit Peter zur Vorbereitung meiner Klausur verabredet - tja, schade, leider kann ich nicht. A: Na, aber macht nichts, schade. Legen Sie an diesem Beispiel den Unterschied zwischen präferierten und nichtpräferierten zweitplazierten Äußerungen dar. 21. Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten bestehen grosso modo zwischen Sprachsoziologie, Varietätenlinguistik/soziale Dialektologie, Ethnographie der Kommunikation und interaktionaler Soziolinguistik/Konversationsanalysel Welche dieser vier Paradigmen spielen Ihrer Meinung nach für die Soziolinguistik eine zentrale Rolle? Charakterisieren Sie die 4 Paradigmen nach der Bedeutung, die Sie den Sprachbeschreibungsebenen Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik, Pragmatik beimessen. 22. Nennen Sie Unterschiede in Art der Datenerhebung, Beobachtungssprache, Auswertung und Art der Aussagen zwischen quantitativen und qualitativen Methoden. Nehmen wir an, Sie sollen im Auftrage des Berliner Senats charakteristische Eigenschaften der Berliner Jugendsprache erheben. Wägen Sie die Vor- und Nachteile qualitativen vs. quantitativen Vorgehens ab. Wofür würden Sie sich - mit welchen Gründen - entscheiden? Spekulieren Sie darüber, welche Methoden Ihnen vielleicht der Berliner Senat aus politischem Interesse vorschreiben würde. Würden Sie den Auflagen folgen?

3 Sprachsoziologische Grundlagen

3 .1 Erkundungen zu einer Theorie der Soziolinguistik Allgemeine Grundbegriffe der Sozio- und Varietätenlinguistik sind solche, die die sprachliche Variation und ihre außersprachlichen Bedingungsfaktoren erfassen. Wir gliedern sie in drei Gruppen: (a) sprachspezifische, (b) soziologische und (c) sozialpsychologische. Die Termini unter (a) sind überwiegend beschreibende, die in (b) und (c) überwiegend erklärende. Sie werden in ihren grundlegenden, konsensfähigen Bedeutungen erläutert, ohne ihrer spezifischen Anwendung vorzugreifen. Explizite Definitionen, setzen ihren genau festgelegten Status in einer Theorie voraus. Explizite Theorien wie etwa Chomsky (1981) oder Montague (1974) gibt es in der Soziolinguistik noch nicht (vgl. jedoch DeCamp 1970; Becker, Dittmar & Klein 1978).76 Da formale Sprachtheorien umstritten sind und eine soziologische Theorie weit davon entfernt ist, Konturen der Explizitheit zu zeigen (vgl. Habermas 1981), messen wir empirisch gehaltvollen Beschreibungen oberste Priorität zu. 3.1.1 Vorüberlegungen zu einer soziolinguistischen Theorie Zielsetzung Bei dem gegenwärtigen Stand der soziolinguistischen Forschung ist an die Formulierung einer expliziten Theorie nicht einmal in Ansätzen zu denken. Logischerweise hängt die Formulierung einer solchen Theorie von der Theoriefähigkeit der beiden Disziplinen Linguistik und Soziologie ab. Daher sollten zunächst die Dimensionen ins Blickfeld geraten, die in einen theoretischen Ansatz einzubeziehen sind. Dabei bleiben konkrete Ausführungen zu Methodik und Beschreibungsverfahren offen.

Vgl. die unterschiedlichen Theorien der Soziolinguistik in Kapitel 2, die in Bezug auf Explizitheit, Genauigkeit und Überprüfbarkeit nicht das anspruchsvolle Niveau formaler Theorien erreichen.

108

soziolinguistische Theorie

Reicti weite

Beschreibunaen „System" (invariant)

Phonologie Morphologie Syntax Semantik Pragmatik

„Gebrauch" (variabel)

Theorien über die Beziehungen der Theorien Theorien über die Beziehungen der Datenmengen Abbildung 3-1: Dimensionen einer proto-soziolinguistischen Theorie Abb. 3-1 setzt voraus, daß wir mit soziolinguistischen Beschreibungen etwa systemische Feststellungen folgender Art treffen wollen: (a) (b) (c) (d)

Sozialstruktur X determiniert Sprachstruktur Y Sozialstruktur X und Sprachstruktur Y determinieren sich gegenseitig Sprachstruktur Y bedingt Sozialstruktur X Sprachstruktur Y reflektiert Sozialstruktur X

109 Becker, Dittmar und Klein (1978:164-166) haben nun gezeigt, daß Feststellungen der Art (a) bis (d) höchstens eine didaktisch-expositorische, praktisch-politische oder heuristische Funktion erfüllen können, nicht jedoch eine deskriptive oder explanative (Erläuterungen a.a.O.). Welche Voraussetzungen fur die Erfüllung der explanativen Funktion erfüllt sein müssen, erläutern die Autoren (Formulierung von Wolfgang Klein) so: „... eine solche Funktion ist in zweierlei Hinsicht möglich: einerseits können soziale Fakten unter Rückgriff auf sprachliche Gegebenheiten erklärt werden - z.B. soziale Benachteiligung aus Nichtbeherrschung eines bestimmten Wortschatzes, wenn man dies als strukturelle Eigenschaften ansieht - oder aber strukturelle Züge einer Sprache unter Rückgriff auf soziale Gegebenheiten - etwa, wenn gesagt wird, das komplexe System der Anredeformen im Japanischen erkläre sich aus einer stark hierarchischen Gesellschaftsform. Ob man solche Aussagen als Erklärungen akzeptiert, hängt davon ab, was man unter Erklärungen versteht. Der bekannteste Typ von Erklärungen, das HO-Schema (Stegmüller 1969, Kapitel 1), setzt beispielsweise voraus, daß bereits ein gesetzesartiger Zusammenhang - hier zwischen sprachlichen und sozialen Gegebenheiten - erwiesen ist, in den dann die zu erklärende Gegebenheit einzuordnen ist. Diese Bedingung ist aber bei Zusammenhängen zwischen Sprachstruktur und Sozialstruktur kaum zu erfüllen, soweit man sehen kann. Wenn man z.B. in der Tat festgestellt hat, daß (a) es in Japan ein komplexes System von Anredeformen zu einer Zeit gibt, in der (b) ebenfalls in Japan komplexe hierarchische Strukturen in der Gesellschaft bestehen, ist dies zunächst einmal die Beschreibung eines Einzelfaktums; (a) durch (b) zu erklären, oder (b) durch (a), würde aber den Nachweis voraussetzen, daß die Komplexität der Anredeformen regelhaft mit der Komplexität und Ausgeprägtheit der hierarschischen Beziehungen schwankt, d.h. daß es eine entsprechende Gesetzmäßigkeit gibt, unter die der Einzelfall subsumierbar ist. Für eine Erklärung müssen noch andere Bedingungen erfüllt sein, aber nicht einmal diese liegt vor..." (Becker, Dittmar & Klein 1978:165). Welche Voraussetzungen im einzelnen innerhalb und 'zwischen' den beiden Disziplinen Linguistik und Soziologie geklärt werden müssen, soll nun am Beispiel der Abb. 3-1 diskutiert werden. Ähnlich wie in der Soziologie (vgl. Habermas 1981; Luhmann 1971) muß die Reichweite einer soziolinguistischen Theorie bestimmt werden. Sie kann sich auf „große" (Makro-) oder „kleine" (Mikro-) Beschreibungsebenen gesellschaftlicher Strukturen beziehen. Soll natürliches Verhalten beschrieben oder die Steuerung eines solchen Verhaltens durch systemische Faktoren, die Konstrukte des beschreibenden Forschers, dargestellt werden? Sicher müssen systemische und lebensweltliche Größen in einer Theorie, die zwischen Mikro- und Makrobereichen verbinden soll, aufeinander bezogen werden. Dabei ist auch zu entscheiden, ob pragmatische Dimensionen des Sprachgebrauchs {parole) oder nur systemische grammatische Eigenschaften (langue) berücksichtigt werden sollen. Wie auch immer unsere Entscheidungen bezüglich der Reichweite einer soziolinguistischen Theorie aussehen sollen, wir müssen eine Sprach- und Gesellschafts-

110 theorie auswählen, um aus der Koordination der Beschreibungsverfahren der beiden beteiligten Disziplinen konkrete Beschreibungen ableiten zu können. Die Sprachtheorie ist danach zu befragen, welche Theoreme (Grammatiktheorie) bestehen, welche Relevanz diese empirischen Daten zumessen und welche Wechselwirkungen zwischen Theorieaufbau und empirischen Beschreibungen auf der Grundlage von Daten vorgesehen ist. Die Theorie der formalen Semantik nach Montague wäre zur Korrelation mit soziologischen Beschreibungsverfahren besser geeignet als die Konzeption der Kerngrammatik von Chomsky (1981), die weitgehende theoretische Vorannahmen über die genetische und psychologische Determination der Sprache formuliert (sozialen Kräften nur ein sehr geringer Stellenwert eingeräumt). Die funktionale Grammatik dagegen stellt Beschreibungsbegriffe und -Operationen zur Verfugung, die sich durch außersprachliche Parameter sinnvoll erweitern lassen. Die Offenheit für kommunikative und soziale Funktionen des Sprachgebrauchs erweist sich für eine interdisziplinäre Theoriekonstruktion als vorteilhaft. Die Vorgaben grammatiktheoretischer Positionen wirken sich auf die empirischen Daten (Äste der Kategorie „Sprachtheorie" in Abb. 3-1) aus. Hier geht es um die Qualität der erhobenen gesprochenen Sprache (Varietäten, Li-/ L2-Erwerb, Sprachgemeinschaft etc.). Theoreme und Daten gehen ein in Beschreibungen, die auf unterschiedlichen linguistischen Niveaus mehr systembezogen (z.B. der Ansatz der sozialen Dialektologie/Varietätenlinguistik) oder gebrauchsbezogen (Pragmatik des Sprechens) durchgeführt werden können. Ähnlich komplex verhält es sich mit der Gesellschaftstheorie (rechter Teil des Schaubilds). Die Theoreme können strukturfunktionalistische, systemtheoretische, phänomenologische, interaktionistische oder wissenssoziologische Grundlagen haben. Manche theoretischen Prämissen (wie im Falle des Strukturfunktionalismus) streben ein Gebäude struktureller gesellschaftlicher Aussagen an, andere (die den Gegenstand „Verhalten in Interaktionen" zugrundelegen) zielen auf eine lebensweltlich konzipierte Gesellschaftstheorie ab, die - auf der Basis einer Fülle empirischer Daten zur Interaktion, die uns in unvollständigem Maße zur Verfügung stehen - zur Zeit nicht mehr als eine Art Protosoziologie sein kann (d.h. die grundlegenden Annahmen, die eine Theoriekonstruktion erlauben, müssen erst einmal aus den empirischen Befunden extrahiert werden).77 Ähnlich wie im linguistischen Bereich muß die Qualität empirischer Daten spezifiziert werden; während interaktionsbezogene Daten (verschie77

Mit den theoretischen Ansätzen in der Soziologie verbinden sich Namen wie Parsons (Strukturfunktionalismus), Luhmann (Systemtheorie), Mead (Interaktionismus), Schütz und Luckmann (Phänomenologie) und Garfinkel (Ethnomethodologie). Im Literaturverzeichnis finden sich die einschlägigen Schriften dieser stellvertretend genannten Autoren aufgeführt.

Ill dene Domänen des kommunikativen Verhaltens) direkt als solche ohne komplexe Konstrukte und formale Transformationen in abstraktere Kategorien zur Beschreibung genutzt werden können, müssen Aussagen zum Funktionieren des Staates oder zur Bildung und Auswirkung von Schichten mittels formaler Indikatoren formuliert werden, die eine Operationalisierung bestimmter Eigenschaftsattribute von Gesellschaftsmitgliedern darstellen. Der Soziolinguist benötigt sprachverhaltensspezifische Parameter, die die Ausbreitung sprachlicher Muster, Prestige und Stigmatisierung sprachlicher Varianten erklären. Die soziologische Theorie der sozialen bzw. interaktionalen Netzwerke hat sich dabei als sehr fruchtbar erwiesen (vgl. Milroy 1980). Für Beobachtungen zur konkreten sprachlichen Variation (VarietätendifFerenzierung, Sprachwechselverhalten) bieten sich gruppenund netzwerkspezifische Konzepte an, für die Erklärung der Stellung des Deutschen als internationale Sprache dagegen Makrokonstrukte der Soziologie (Domänen, Parameter des kulturellen und wirtschaftlichen Marktes etc.). Was Kallmeyer (1994) u.a. für Erklärungen des Sprachwechselverhaltens Mannheimer Sprecher im Rahmen einer Stadtuntersuchung an Gruppenkonzepten berücksichtigt, ist radikal verschieden von der Art der Parameter, die Ammon in seinem Buch von 1991 zur Diagnose der internationalen Stellung der deutschen Sprache heranzieht (vgl. hierzu meine Ausführungen in 3.4). Auch bei den gesellschaftsbezogenen Beschreibungen ergibt sich eine Klammer zwischen System (abstrakten Ebenen) und gesellschaftlichem Verhalten (konkrete Interaktionen). Daran wird ersichtlich, daß bereits innerhalb einer der beiden beteiligten Disziplinen erhebliche Unterschiede in der Konzeption theoretischer Modelle bestehen. In der soziolinguistischen Theoriekonstruktion ist dies jedoch nur der Beginn eines Dialogs: Wir brauchen eine Theorie über die Beziehungen sprachlicher und interaktionaler/sozialer Daten; schließlich benötigen wir eine Metatheorie für die Beziehung zwischen soziologischer und linguistischer Theorie sowie den Daten, die für eine solche interdisziplinäre Theorie einschlägig sind. Von einer solchen interdisziplinären Theorie sind wir weit entfernt; allerdings gibt es Untersuchungen, die für die Konstruktion einer soziolinguistischen Theorie mit einem integrierten Beschreibungsmodell wegweisend sind. Auch wenn der rasche Erfolg einer interdisziplinären Soziolinguistik skeptisch eingeschätzt werden muß (vgl. Berruto 1995: 36-39), dürfte eine gegenüber der jeweils anderen Disziplin abgeschottete einzeldisziplinäre Entwicklung unfruchtbar werden, wenn sie nicht aufmerksam die Entwicklung theoretisch relevanter Konzepte in der anderen Disziplin zur theoretischen Weiterentwicklung nutzt. Mit dem Hallidayschen Konzept der sozialen Semiotik (1978) und Hymes Überlegungen zu einer Ethnographie der Kommunikation (1974) liegen zwei methodisch reflektierte Vorschläge für

112 die Untersuchung von Sprache im sozialen Kontext vor. Interessanterweise lassen sich die Vorstellungen von Gumperz zu einer Theorie der Kontextualisierung im Rahmen einer interaktionalen Soziolinguistik mit einigen semiotischen Aspekten der Sprachtheorie von Halliday kombinieren (vgl. Auer 1992). Der Aufbau einer soziolinguistischen Theorie sollte daher mit Bescheidenheit und Augenmaß für die bereits vorliegende Substanz erfolgen: Es zeichnen sich bereits eine Reihe von Konzepten ab, die der Soziolinguistik selbst - und nicht im engeren Sinne einer der beteiligten Disziplinen - zuzuschreiben sind. Zwei methodische Prinzipien müssen einer Theorie zuarbeiten: Anhand (i) empirischer Beschreibungen sollten Prinzipien formuliert werden, die den Zusammenhang von Sprachgebrauch und sozialem Kontext in theoretischen Termini erfassen und (ii) Beschreibungsmodelle sprachlicher Variation ausgearbeitet werden. Sie sollten flankiert werden durch kritische Reflexionen über die Leistungsfähigkeit und theoretische Reichweite bestehender soziolinguistischer Grundbegriffe. Solchen grundlegenden Begriffen wollen wir uns in diesem und im folgenden Kapitel widmen. Abschließend können wir die Beziehung zwischen Linguistik und Soziolinguistik als Interaktion zwischen kontextfreien und kontextsensitiven Sprachgebrauchsregeln charakterisieren. Ein Teil struktureller Regeln des Deutschen ist von Gebrauchskontexten nicht beeinflußt. Die Verbzweitstellung des Verbs in Hauptsätzen bzw. die VerbletztsteHung in Nebensätzen aus dem Bereich der Syntax gehört hierzu, natürlich auch die Entwicklung der Kasusmorphologie sowie Rektionsbedingungen von Verben, Nomina und Präpositionen. Diesen Teil identifiziert Labov (1969, 1972b) weitgehend mit kategorischen Regeln. Ein weiterer wichtiger Teil sprachlicher Regeln erklärt sich aus allgemeinen menschlichen Handlungsbedingungen. Zur Abschwächung oder Verstärkung von Mitteilungen werden z.B. im Deutschen Partikeln benutzt, die für das interaktive Handeln systemische Bedeutung haben, aber vom sozialen Kontext relativ unabhängig sind. Schließlich gibt es Sprachgebrauchsregeln, die vom sozialen Kontext selbst (kommunikative Netzwerke, Rolle und Status der Sprecher, Struktur der Gesellschaft, sozio-kulturelle Faktoren des Sprachgebrauchs in Domänen) abhängen. Sie überlappen sich teilweise mit den zuvor genannten pragmatischen Regeln (vgl. hierzu Berruto 1995: 22, der (a) kontextunabhängige, (b) kontextsensitive pragmatische und (c) soziale Sprachgebrauchsregeln unterscheidet).78 78

Die Beziehungen zwischen Linguistik, Soziologie und anderen Nachbarwissenschaften (Dialektologie, Kreolistik, Ethnolinguistik, Anthropologie) hat Berruto (1995: 16) in einem Schema festgehalten, in dem er einen engen und einen weiten soziolinguistischen Untersuchungsbereich unterscheidet. Seine Position (S. 17), daß in der Soziolinguistik Sprache und ihre Variabilität im Zentrum steht (in der Determinativkomposition ist Linguistik das 'Determinatum'), wobei die Verbindung

113 Welche Konzepte haben sich nun bewährt und sind vielversprechend für eine theoretische Fundierung? Da unser explizites und theoriefähiges Wissen über die folgenden Grundbegriffe vorläufig ist, bezeichnen wir sie als 'Arbeitsbegriffe', d.h. sie stellen bei dem gegenwärtigen Erkenntnisstand sinnvolle Konzepte der Beschreibung und Erklärung dar, die einen überwiegend vortheoretischen Status haben. Ihre formallogische Explizierung kann im Sinne einer Kontrolle ihrer Leistungsfähigkeit nützlich sein; vordringlich ist jedoch eine Klärung ihrer Substanz 79 , d.h. des Begriffsinhalts (Intension). In diesem Sinne sind Arbeitsbegriffe „offene" Definitionen. Das grundlegende Begriffsinventar der Linguistik und Soziologie müssen wir fur das Folgende voraussetzen. 80 Im übrigen sei noch einmal darauf verwiesen, daß die einzuführenden Begriffe vor allem eine Grundlage für das Verständnis soziolinguistischer Forschungsergebnisse darstellen, jedoch nicht einen wie auch immer gearteten Zusammenhang zwischen Datenerhebung, -auswertung, Beschreibung und Erklärung präjudizieren. Die jeweilige Sinnstiftung dieses Zusammenhangs erfolgt im theoretischen und empirischen Rahmen.

zur Soziologie darin besteht, erklärungsstarke Modelle des sozialen Kontextes für die Variation heranzuziehen (das Präfix sozio- ist 'Determinane' der Komposition); wenn Linguistik der Rahmen der Bezugsdisziplin ist und sich in diesem Sinne der Nutzen soziologischer Konzepte aus dieser Perspektive betrachten läßt, so heißt das jedoch nicht, daß gesellschaftliche Modelle, wie in Abbildung 3-1 dargestellt, nicht sorgfältig auf ihre Brauchbarkeit für die Konstruktion eines Zusammenhangs zwischen Sprache und sozialem Kontext geprüft werden müssen. Die linguistische Methodologie kann daher nur soweit Vorrang haben, wie ein gut begründeter Zusammenhang zu einem gegenwärtigen soziologischen Modell hergestellt werden kann; die dienende Funktion der Soziologie für Variations- und Varietätenanalysen darf nicht willkürlich sein und ist auch nicht zum Nulltarif zu haben. Die Soziolinguistik stellt sich Berruto in ihrem gegenwärtigen Zustand - analog zu der Labovschen Konzeption - als eine Unterdisziplin der Linguistik dar, die auffallige soziale Faktoren filr Beschreibung und Erklärung berücksichtigt. Diese Überlegungen können sich nur in dem Maße als richtig oder falsch herausstellen, wie eine soziolinguistische Theorie formuliert und in einer Dialektik von Axiomatik und empirischen Erkenntnissen aufgebaut wird. Vgl. hierzu die explizite Definition von 'Dialekt' durch Ammon (1983). Formal gesehen ist sie korrekt. Sie ist nur wenig hilfreich, weil alle Variablen unbestimmt bleiben. Eine stetige Wechselwirkung von Idealisierung und gehaltvoller empirischer Beschreibung ist notwendig. Siehe hierzu für die Linguistik Linke, Nussbaumer und Portmann (19942), Lyons (1970, 1981), Crystal (1995) und für die Soziologie Fürstenberg (1978), König, R. (1973 ff), Reimann, Giesen, Goetze & Schmidt (1977) und Opp (1970). Wo beispielsweise zum Verständnis der linguistischen Argumentation Hintergrundlektüre vonnöten ist, werden wir geeignete bibliographische Angaben machen. Linguistische Grundbegriffe wie 'Phonem', 'Morphem', 'Konstituentenstruktur', 'Referenz', 'anaphorisch' etc. können natürlich im Rahmen dieses Buches nicht erläutert werden (siehe Bußmann 1990).

114 3.1.2 Sozialwissenschaftliche Erklärung Die vier soziolinguistischen Paradigmen (siehe Kapitel 2) und die Überlegungen zu einer soziolinguistischen Theorie haben uns mit verschiedenen Begriffen aus der Soziologie und Kulturanthropologie konfrontiert. Es war dabei deutlich geworden, daß wir vier Grundbegriffe unterscheiden müssen: (1) Soziales System (Vielfalt der Möglichkeiten, Individuen in eine Gesellschaftsordnung zu integrieren), (2) kulturspezifische Lebenswelt (kulturelle Reproduktion via „face-to-face" Interaktionen), (3) Sprachsystem (geltende sprachliche Normen, einschließlich präskriptiver Grammatik) und (4) sprachliche Interaktion und diskursives Verhalten (Pragmatik) „System" und „Lebenswelt" - sowohl in der Soziologie als auch in der Linguistik - verlangen in der Analyse verschiedene Beschreibungs- und Erklärungsmodelle, die - wie wir gesehen haben - nicht leicht miteinander in Verbindung zu bringen sind. Grundlagenprobleme, mit denen sich die Soziologie, aber auch die Linguistik, zu befassen hat, sind daher: (a)

das Individuum als Ausgangspunkt der Gesellschaft; im umgekehrten Sinne ist die Gesellschaft Ausgangspunkt, von dem das Individuum abgeleitet wird; (b) Gründungen von Beschreibungen und Erklärungen auf die Binnenperspektive vs. die Außenperspektive des Forschers; (c) der Unterschied zwischen phänomenologisch verstehendem vs. naturwissenschaftlich-systemischem Beschreibungs- und Erklärungsansatz; (d) die methodische Diskrepanz zwischen mikroanalytischen Fallstudien vs. repräsentativen Makrostudien; (e) die Frage der Sinnstiftung: Welchen Zusammenhang gibt es zwischen der alltagsweltlichen Bewältigung von Aufgaben/Handlungen und den durch sie 'hindurchgreifenden' institutionellen, den Sog sozialer Integration ausübenden gesellschaftlichen Kräften, die als Faktoren zweiter Ordnung in das vorherige Geschehen der Kräfte erster Ordnung a tergo dann eingreifen, wenn alltagsweltliche Spielarten brüchig werden, alternative Entscheidungen verlangen, Routinen hinterfragt und Konflikte gelöst werden müssen (vgl. Habermas 1981)? Prima facie haben wir es mit verständigungsorientierten alltagsweltlichen Handlungen zu tun, die kulturell vermittelt und erneuert werden, secunda facie mit Kräften gesellschaftlicher Legitimität, die ein System sozialer Integration auf der Grundlage normativer Ordnungen prägen, das je nach relevanter soziologischer Kategorie 'Zentrum' und 'Peripherie' umfaßt.

In der folgenden Übersicht stelle ich einige bekannte makro-soziologische Erklärungsmodelle dar. Ich stütze mich dabei auf Reimann u.a. (1977). Die Modelle lassen sich in zwei Gruppen ordnen: jene, die der gesellschaftlichen Ordnung ein System von Werten, Normen, Positionen, Rollen, Schichten und Handlungen unterstellen und jene, die sich auf die alltagsweltlichen In-

115

teraktionen gründen und die soziale Konstitution von Verhalten in der Koordination von Interaktionen sehen (verstehende, mikroanalytische Soziologie). In meiner Übersicht trage ich nur ersteren Rechnung, da sie in soziolinguistischen Untersuchungen eine zentrale Rolle spielen. Als weiterführende Lektüre sei empfohlen: (a) Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (1973) Alltagswissen. Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit. Symbolischer Interaktionismus und Ethnomethodologie, Bände 1 und 2, Reinbeck bei Hamburg (Rowolt) (b) Berger, Peter L. & Luckmann, Thomas (1969) Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt/Main (Fischer) (Phänomenologische und verstehende Soziologie im Anschluß an Alfred Schütz) (c) Habermas, Jürgen (1981) Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bände, Suhrkamp: Frankfurt/Main (Versuch einer Integration soziologischer Modelle; Ansatz einer kritischen Soziologie) (d) Luhmann, Niklas (1985) Soziale Systeme, (kybernetischer Ansatz; Gesellschaft als System)

Suhrkamp:

Frankfurt/Main

(e) Reimann, H., Giesen, B., Goetze, Dieter B. & Schmid, M. (1977) (f) Reimann, H., Giesen, B., Goetze, D„ Kiefer, K., Meyer, P., Mühlfeld, C. & Schmid, M. (1977) Basale Soziologie: Hauptprobleme, Westdeutscher Verlag: Opladen (Beide Bücher sind Einführungen und geben einen Überblick über soziologische Fragestellungen und Modelle).

Kurzübersicht über (nicht-interaktive) makrosoziologische Modelle nach Reimann et al. (1977) 1. Funktionalismus und System theorie Bezugspunkt in der Soziolinguistik: Schichtspezifisches Sprachverhalten (Labov, Oevermann, Bernstein), Untersuchungen zum Gegensatz Stadt-Land (soziale Dialektologie). Grundlegende Annahmen: Ausgegangen wird von den objektiven Konsequenzen, die soziale Sachverhalte innerhalb von Gesellschaften nach sich ziehen. Die sozialen Normen und Verhaltensweisen werden auf ihre kohäsionsstiftende Funktion untersucht. Die objektive Konsequenz gilt als gesellschaftliche Funktion. So hat etwa die Erziehung mittels Imperative (sozialer Sachverhalt) zur Folge, daß Schichten entstehen (Teilannahme einer schichtenspezifischen Theorie, die sich auf soziolinguistische Argumente stützt). Begriff 'Funktion ' (S. 148): „Objektive Konsequenzen, die ein sozialer Sachverhalt in einer Gesellschaft nach sich zieht." Sind sie den Handelnden bewußt, „so spricht man von der manifesten Funktion ihres Handelns...", andernfalls „von der latenten Funktion". Dysfunktion liegt vor, wenn die objektiven Konsequenzen das Auftreten des Sachverhalts verhindern. Sachverhalte, die die gleiche Funktion erfüllen, werden als diesbezüglich funktional äquivalent bezeichnet. Eine funktionale Äquivalenzklasse (z.B. Monogamie oder Polygamie) wird

116 bestimmt durch eine spezifische funktionale Voraussetzung (z.B. Fortpflanzung). Bei funktionalistischen Aussagen ist der funktionale Bezug stets auf seine funktionalen Voraussetzungen zu prüfen. Beispiel: Die unterschiedliche Realisierung des Phonems Irl in New York City konnte Labov mit sozialen Schichten in Zusammenhang bringen. Die Sachverhalte, Varianten r ] ; r2 und r3, galten ihm als funktional äquivalent. Ihr funktionaler Bezug ist die soziale Schicht. Die sprachliche Stratifizierung bildet somit die soziale Stratifizierung der Gesellschaft ab. Es ist somit eine funktionale Differenzierung entstanden. Dysfunktion: Die funktionale Beziehung zwischen zwei sozialen Sachverhalten kann „positiv" oder „negativ" ausfallen. Eine dysfunktionale Beziehung zwischen einem Sachverhalt a und einem (dys-)funktionalen Bezug b (Gesamtgesellschaften, Institutionen, Handlungen usw.) liegt dann vor, wenn die Existenz von a die von b beeinträchtigt oder verhindert. Für obiges Beispiel bedeutet dies: Die äquivalenten Varianten des /r/ (Oberschicht, Mittelschicht, Unterschicht) beeinträchtigen sicher nicht das Funktionieren der Gesamtgesellschaft und können deswegen funktional und nicht dysfunktional genannt werden. Anders jedoch in diesem Beispiel: Imperative Erziehungsstile in der Unterschicht können dazu führen, daß die Bildungsreserven einer Gesellschaft unter Ausschluß dieser Schicht mobilisiert werden und damit das Funktionieren der Gesamtgesellschaft beeinträchtigt wird (vgl. die Theorie Bernsteins). In diesem Falle wären die Erziehungs-Anteraktionsstile der Unterschicht dysfunktional. Latente und manifeste Funktionen: Wenn die Handelnden um die objektiven Folgen eines sozialen Sachverhaltes wissen, spricht man von manifesten Funktionen (Gegenteil: latente Funktionen). Beispiel: Daß sich Dialektsprecher in der modernen Gesellschaft selbst oft eines schlechten Sprachgebrauchs bezichtigen, ist eine manifeste Funktion. Schichtenspezifisches Sprachverhalten dagegen gehört oft zu den latenten Funktionen (Sprecher sind sich nicht über die sozialen Konsequenzen bewußt). Das Interesse gilt also der Anpassung an die Gesellschaft und Umwelt im Rahmen eines gesamtgesellschaftlichen Gleichgewichts (vgl. Labov 1966 und Dittmar 1975). Systemtheorie\ Weiterentwicklung der funktionalistischen Auffassung, vgl. hierzu Luhmann (1985). Systemartigkeit heißt Interdependenz. Systembildung ist ein Prozeß, der bisher unverbundene Sachverhalte in einen Zusammenhang bringt, so daß Veränderungen eines Sachverhaltes solche für andere nach sich ziehen. Vergesellschaftung heißt die soziale Verbindung von Individuen in gegenseitiger Abhängigkeit und kann in diesem Sinne als ein Systembildungsprozeß verstanden werden. Die Variablen, die im gesellschaftlichen System interdependent sind, heißen Elemente; ihre geordnete Beziehung untereinander wird Struktur des Systems genannt. Die Struktur ermöglicht die Veränderung der Elemente in bestimmten Grenzen (Prozeß des Systems, z.B. Bedürfnissystem, Wertsystem, Handlungssystem etc.). Primäre Strukturen entwickeln sich aus den Beziehungen der Handelnden zueinander. Daraus entstehen die Gruppen, Schichten, Klassen, die sekundäre Strukturen genannt werden.

117 Ordnung und Komplexität: Soziale Systeme weisen niemals einen deterministischen Systemprozeß vollständiger Ordnung auf. Auf eine Handlung können grundsätzlich immer mehrere andere folgen, die funktionalen Voraussetzungen eines funktionalen Bezuges sind grundsätzlich durch mehrere äquivalente Sachverhalte erfüllbar, und die Institutionen einer Gesellschaft sind nicht nur auf eine einzige Weise kombinierbar. Die Strukturen sozialer Systeme enthalten eine gewisse Vielfalt oder Komplexität (mehrere unterschiedliche Ereignismöglichkeiten). In der Systemtheorie spricht man von struktureller Komplexität, wenn ein System mehrere unterschiedliche Möglichkeiten in der Abfolge von Systemen und Zuständen besitzt. System und Umwelt: Da soziale Systeme nicht isoliert, sondern in einer Umwelt existieren, bezeichnet man sie als offene Systeme; ihr Problem: den Bestand an Elementen innerhalb der durch ihre Struktur vorgegebenen Grenzen zu erhalten, obwohl Umweltereignisse in der Regel Veränderungen der Systemelemente auslösen. Bestandserhaltung, Stabilität, Gleichgewicht oder Anpassung gelten als zentrale Probleme der Theorie sozialer Systeme. Das offene System kann auf dreierlei Weisen reagieren: (a) die Auswirkungen des Umweltereignisses auf das System zu neutralisieren, (b) sich ganz oder teilweise aufzulösen und (c) seine Struktur zu wandeln. Gleichgewicht und kybernetische Systeme: Im Fall (a) spricht man von Gleichgewicht des Systems (häufigster Fall). 'Gleichgewicht' kann man durch kybernetische Systeme erfassen. Man beschreibt ein solches sich selbst regulierendes System durch eine Reihe von „Sollwerten" und Abweichungen von diesen, die mit Hilfe von „Regelmechanismen" auf die Sollwerte eingeschränkt werden können. In gleichgewichtigen Systemprozessen werden Abweichungen von den Sollwerten des Systems durch kybernetische Regelmechanismen wieder reduziert (als Kontrollressourcen oder Steuerungsmedien in sozialen Systemen gelten Macht, Geld, Liebe (Wertschätzung)). Anpassung und System: Eine System S gilt solange als an seine Umwelt U angepaßt, wie diese keine Ereignisse auslöst, die unkorrigierbare Sollwertabweichungen zur Folge haben. Die Vielfalt der Systemstrategien muß der Vielfalt der Umweltereignisse entsprechen. Anpassung ist die Fähigkeit offener Systeme, auf unterschiedliche Umweltereignisse mit Systemprozessen derart zu reagieren, daß die Ziele, Sollwerte oder das Gleichgewicht der Systeme erhalten bleiben. Die Beziehung zwischen Systemen oder Subsystemen und ihrer jeweiligen Umwelt lassen sich als Austausch- oder Transferprozesse darstellen. Der Transfer von der Umwelt in das System wird dabei 'Input', der vom System in die Umwelt Output' genannt. Die Umwelten des sozialen Systems: 1. Die äußere Natur. Austauschprozesse durch menschliche Arbeit, Mittel zur Sicherung menschlicher Bedürfnisse etc. 2. System der Anpassung an die äußere Natur. Das ökonomische Subsystem. 3. Die innere Natur. Das biologische Verhalten, Trieb und Bedürfnispotential der Menschen. Die Austauschbeziehungen des sozialen Systems mit dem biologischen Antriebssystem laufen über

118 Sozialisationsprozesse (Output) und Motivationsprozesse (Input). 4. Persönlichkeitssystem oder das psychische System der handelnden Individuen: Die Beziehungen zwischen Persönlichkeitssystemen und sozialem System werden durch Zielverwirklichung und Motivation bestimmt. 5. Das kulturelle System: Wert, Weltbilder und Sinndeutungen. Das kulturelle System liefert Legitimation für die Normen des sozialen Systems, d.h. es verleiht ihnen Sinn und unverbindliche Gültigkeit. Man kann versuchen, die Umweltsysteme in eine Art Kontrollhierarchie zu bringen, um die Möglichkeiten und Richtungen strukturellen Wandels für soziale Systeme zu erfassen. Als oberste Struktur der Kontrollebene gelten dabei meist die Werte des kulturellen Systems (Legitimation und Kontrolle der gesellschaftlichen Normen). Unter Integration versteht man (1) die konsens- oder konflikterfiillten Bindungen zwischen Mitgliedern des sozialen Systems und die Übereinstimmung zwischen tatsächlichem und gefordertem Handeln und (2) die funktionalen oder dysfunktionalen Beziehungen der Systemstrukturen untereinander (Systemintegration). Integration ist neben Gleichgewicht, Bestandserhaltung und Anpassung einer der wichtigsten Begriffe der Systemtheorie. Während 'Anpassung' die Beziehung des Systems zu seiner Umwelt, 'Gleichgewicht' die Regelung von Sollwertabweichungen und 'Bestandserhaltung' die Fähigkeit des Systems meint, angesichts einer vielfältig bedrohenden Umwelt seine Grenzen zu wahren, bezieht sich 'Integration' auf die Beziehung zwischen den einzelnen Strukturen oder Elementen des sozialen Systems selbst. 2. Konflikttheorie Als Zusammenschluß von Individuen können Gesellschaften und soziale Organisationen als „vergesellschaftet" gedacht werden. In Gesellschaften werden Güter erzeugt, wie Nahrungsmittel und Werkzeuge, Behausungen, Kleidung und Fahrzeuge etc. Dadurch werden die Bedürfnisse der Mitglieder befriedigt. Jedoch sind die Güter und Mittel zur Bedürfnisbefriedigung knapp. Hieraus entsteht das Problem der zufriedenstellenden Verteilung von knappen Gütern. Da nicht alle Bedürfnisse aller Mitglieder restlos erfüllt werden können, entstehen Frustrationen. Ein sozialer Konflikt liegt immer dann vor, wenn Personen oder Gruppen in einer Gesellschaft unverträgliche Auffassungen über die Verteilung und Erzeugung von knappen Gütern zugeschrieben werden können. Soziale Konflikte lassen sich bestimmen durch die Konfliktgruppen und Konfliktziele. Ein Konflikt bezeichnet die Unverträglichkeitsbeziehung zwischen den Auffassungen mehrerer Konfliktgruppen. Beziehen sich diese Auflassungen auf die Verteilung knapper Güter, spricht man von einem Verteilungsfew/7/A:/. Ein konjunktureller Konflikt entsteht aus unverträglichen Auffassungen über die effektivste soziale Organisation zur Befriedigung von anerkannten Bedürfnissen, während ein Wertkonflikt sich auf die unterschiedliche Bewertung von Konflikten oder Gütern zu ihrer Befriedigung bezieht. Gesellschaften erscheinen aus konflikttheoretischer Perspektive vorwiegend als Herrschaftsverbände. Diese Herrschaftsverbände setzen sich aus zwei Gruppen zusammen: den Herrschenden und den Beherrschten. Die Herrschenden (= Träger der positiven Herrschaftsrollen) sind innerhalb eines Herrschaftsverbandes berechtigt, den Beherrschten bestimmte Verhaltensvorschriften zu machen und ein Nichtbefolgen dieser Vorschriften zu sanktionieren. Meist stützt ein Rechtssystem die Herrschaft und verleiht ihr Legitimität. Die Beherrschten (= Träger der negativen Hen-

119 schaftsrollen) in einem bestimmten Herrschaftsverband haben ein latentes oder manifestes Interesse an der Änderung der Herrschaftsstruktur zu ihren Gunsten, ebenso wie die Herrschenden ein latentes oder manifestes Interesse an der Beibehaltung der Herrschaftsstruktur besitzen. Aus diesen grundsätzlichen Interessen von Herrschenden und Beherrschten entstehen soziale Konflikte. Interesse: Beziehung der Konfliktgruppen zu ihren Konfliktzielen und den empirischen Bedingungen, um diese zu erreichen. Manifeste Interessen sind den jeweiligen Konfliktgruppen bewußt, latente Interessen beziehen sich auf die Bedingungen zur Erreichung der Konfliktziele und sind den jeweiligen Konfliktgruppen nicht bewußt.

3.2 Sprache und soziale Ungleichheit 3.2.1 Linguistischer Relativismus vs. sozialer Konflikt Während soziologisches Denken die Herstellung sozialer Ordnung in Gesellschaften überwiegend als Konflikt zwischen Prinzipien der „Gleichheit" und „Ungleichheit" betrachtet (daher die zentralen Begriffe wie „Konflikt", „Hierarchie", „Prestige", „Macht", etc.), besteht in der Linguistik / Anthropologie Einigkeit darüber, daß Sprachen gleichwertig sind, d.h. für die jeweils zu erfüllenden Zwecke und Funktionen angemessene Zeichensysteme darstellen. Während die Gesellschaftsmitglieder im sozialen Raum (vgl. 3 .3) - sichtbar - ärmer oder reicher sind, mehr oder weniger Macht ausüben, höheren oder niedrigeren sozialen Status haben, etc., kommunizieren sie für den Linguisten in Sprachen oder sprachlichen Varietäten, die grammatisch verschieden, aber nicht sinnvoll auf den Dimensionen „besser - schlechter", „ärmer - reicher", „logischer - weniger logisch" vergleichbar sind. Seit Bestehen der strukturalistischen Schulen in den dreißiger Jahren gilt der Grundsatz: Linguistik ist deskriptiv, nicht präskriptiv, d.h. Sprache wird untersucht als kognitives Werkzeug in der Kommunikation, nicht als „symbolisches Kapital" auf dem Markt sozialen Verhaltens (Bourdieu 1977, 1980: 191ff.) oder Gegenstand stereotyper Einstellungen und Bewertungen, aus denen sprachliche Vorschriften abgeleitet werden können. Die Grundannahme des „linguistischen Relativismus" (vgl. 2.4.1) ist nach G. Sankoff (1976: 284) die Auffassung „that all natural languages are on an equal footing in terms of their capacities for human communication. There is no denying, of course, that some languages are used in cultural contexts and for purposes for which other languages are not, and that they are to some extent adapted or specialized to these purposes and contexts. This adaptation is, however, largely a matter of lexical proliferation and stylistic elaboration; there is no evidence that in terms of the basic machinery of a language considered as a code for transmitted messages, i.e. the phonology, morphology, syntax, or even the overall semantic organization, any one language is inherently

120 superior, more logical, accurate or efficient, or in any way preferable to any other language. Thus stereotypes such as that French is a particularly beautiful or precise language, that English is inherently better suited to scientific thinking, that nonstandard English is illogical, etc., have no basis in linguistic science. No language, by virtue of its inherent structure, bestows any general cognitive advantage on its speakers."

Versuchen wir, uns die Reichweite dieser Aussage an einem Beispiel klar zu machen. Unter den Tausenden von Sprachen, die sich genetisch zu Sprachfamilien zusammenfassen lassen, und ihren dialektalen Ausprägungen, die zumeist regionalspezifische, gesprochene Varianten der geschriebenen Standardformen sind, gibt es kreolische und Pidgin-Sprachen, die aus kolonialen Sprachkontaktsituationen als Produkt kommunikativer Anpassung zwischen Kolonialisten und einheimischen Gruppen (meist Sklaven) hervorgegangen sind. Die Eigenschaften der zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert entstandenen Pidgin-Varietäten, die sich in einer Art sprachlichem „Lebenszyklus" zu kreolischen und teilweise Standardsprachen weiterentwickelten, sind in 4.3.7 dargestellt. Zu ihnen zählen: begrenztes Vokabular, fehlende grammatische Markierungen (z.B. Genus und Numerus), drastische Reduktion redundanter morphosyntaktischer Merkmale. Zunächst einmal scheint es kühn, eine aus mehr oder weniger unmarkierten lexikalischen Einheiten bestehende Sprache mit einem Minimum an Grammatik als mit Standardsprachen „gleichwertig" anzusehen. In zahlreichen Arbeiten ist jedoch belegt worden, daß sich in pidginisierten oder Pidgin-Varietäten die notwendigen alltäglichen kommunikativen Bedürfnisse ausdrücken lassen (vgl. G. Sankoff 1976 und 1980). Betrachtet man Sprachen und sprachliche Varietäten als adaptive Funktionen, so finden ihre Gebrauchskontexte in ihrem grammatischen und lexikalischen Ausbau einen gewissen Niederschlag. „Kognitive Landkarten" (G. Sankoff 1980:169ff), die die meisten Kulturen teilen, werden sprachlich verschieden kodiert. Diese relativistische Position der meisten Linguisten gegenüber den grammatischen Systemen von Sprache gründet sich auf das Axiom der intrinsischen Symmetrie: Alle Sprachen sind für die Bewältigung der für die zwischenmenschliche Verständigung relevanten kommunikativen Zwecke gleich gut ausgestattet. Gestützt auf zahlreiche empirische Untersuchungen haben Soziolinguisten demgegenüber deutlich gemacht, daß diese „neutrale", deskriptive Auffassung von der sozialen Bewertung sprachlicher Varietäten absieht, die die Dynamik des Sprachwandels (Sprachentwicklung, Sprachverfall, etc.) wesentlich beeinflußt (vgl. Weinreich, Labov & Herzog 1968). Die Geschichte lehrt, daß die Evolution von Sprachen nicht „naturwüchsigegalitär" erfolgte, sondern stets mit der politischen und ökonomischen Macht ihrer Sprecher verknüpft war. Die adaptive Funktion der Sprache erscheint daher, soziologisch betrachtet, in einem anderen Licht. Niemand

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wird behaupten wollen, daß die germanischen Dialekte besser für die Kriegführung geeignet waren und deswegen die Kelten erfolgreich unterworfen werden konnten. Eher wird man politische, ökonomische und soziale Verhältnisse als unabhängige und Sprache als abhängige Variable betrachten müssen. Französisch, Englisch, Deutsch (u.a.) setzten sich als überregionale Hochsprachen durch, weil ihre Sprecher, zunächst nur eine lokale Gruppe mit beschränktem Einfluß, politische und ökonomische Macht gewannen. Sowie sich die Rolle des Latein als europäische „lingua franca" zur Zeit des Augustus aus der Machtfülle der Römer erklärt, läßt sich die Kreolisierung des Lateinischen im späteren italienischen, spanischen und französischen Sprachraum auf Machtzerfall zurückfuhren. Die ausschließliche Untersuchung von Sprachen als intrinsisch symmetrische und naturwüchsig an den jeweiligen Kontext funktional angegpaßte Systeme gilt dem Soziolinguisten als statisch, weil sie Sprachentwicklung und Sprachverfall, Entstehen und Verschwinden von sprachlichen Varietäten ('Sprachgeburt' und 'Sprachtod'), kurz: den sprachlichen Wandel, nicht adäquat erfaßt. Die sprachlichen Systeme befinden sich via Sprachgebrauch, -variation und -wandel in ständiger Bewegung. Der „Motor" dieser Bewegung sind zu einem beträchtlichen Anteil gesellschaftliche Kräfte. Sprachliche Variation ist die Vorbedingung sprachlichen Wandels: "It is almost an axiom of human society that differentiation is evaluated and ranked. Hierarchy is found everywhere superimposed upon difference..:various linguistic devices can be used to symbolize the presence or absence of difference and, hence, of hierarchy or equality" (O'Barr 1976:415f., Hervorhebung von mir). Den statischen linguistischen Relativismus von der funktionalen Gleichwertigkeit der sprachlichen Systeme habe ich deswegen mit der soziologischen Auffassung von der konfligierenden Dynamik sozialer Systeme konfrontiert, weil es der Soziolinguistik bisher nicht gelungen ist, zwischen beiden Polen eine integrierende Brücke zu schlagen. Mit Gillian Sankoff teile ich die Auffassung, daß es eine wichtige Aufgabe der Soziolinguistik ist, "to reconcile the essentially neutral, or arbitrary, nature of linguistic difference and of linguistic change, with the social stratification of languages and levels of speech unmistakeable in any complex speech community" (1976:283). Wir müssen uns u.a. folgende Frage stellen: In welchen Variationen werden zugrundeliegende kognitive Konzepte oder Prototypen sprachlich ausgedrückt? Wie sind die Entstehensbedingungen solcher Variationen? Wie werden sie bewertet? Welche Identität verbinden ihre Sprecher mit diesen Varietäten? Welche Rolle spielen sie in der sozialen Wahrnehmung und Hierarchisierung ihrer Sprecher?

122 3.2.2 Benachteiligung: Sprache als 'Torhüter' der Institution Da 'Chancengleichheit' leider weit weniger verbreitet ist als 'Benachteiligung' beim Zugang zu Positionen, wollen wir in diesem Abschnitt auf die längerfristigen benachteiligenden sozialen Folgen von Sprachverwendung eingehen. Der Gebrauch von Varietäten kann deswegen zu Benachteiligungen führen, weil (i) sprachliche Differenzierungen immer mit Bewertungen und diese mit der Herstellung hierarchischer sozialer Rangordnungen einhergehen und (ii) materiell attraktive, prestigebesetzte Positionen in einer Gesellschaft begrenzt sind. Individuen sind benachteiligt, wenn sie aufgrund eines bestimmten, im Laufe der Sozialisation erworbenen Verhaltens keinen Zugang zu höheren Positionen haben. Im Sinne von Kafkas Metapher vom Torhüter, der entscheidet, wer zu Gesetz und Gericht Zugang hat, haben Erickson & Shultz (1982) die Zugang kontrollierende Funktion der Sprache „gate-keeping" genannt. Beispiele für Benachteiligung aufgrund von Sprachgebrauch gibt es unzählige. (i) Varietäten, die nicht dem offiziellen, institutionellen oder prestigebesetzten Standard entsprechen, werden in der Regel schlechter bewertet, zumindest in den relevanten gesellschaftlichen Institutionen. Betroffen sind alle Varietäten, die vom Standard abweichen: Dialekt, Soziolekt, Pidgin, Lernervarietäten. (ii) Das durch schichtenspezifische Sozialisation erworbene Sprachverhalten wirkt sich für viele sozio- oder dialektsprechende Unterschichtkinder als „Barriere" aus (Oevermann 1972; Neuland 1975; Ammon 1972; Auwärter 1983). In langfristigen Interaktionsprozessen erfahren Unterschichtkinder nicht nur, daß ihr Sprachverhalten anders ist, sondern viele lernen auch - im Sinne selbsteifiüllender Prophezeiungen - sich selbst als minderwertig einzustufen. Wenn auch Beschreibungen und Erklärungen des schichtspezifischen Sprachverhaltens im einzelnen umstritten sind, so gilt doch der Zusammenhang von Sprachgebrauch, Schichtzugehörigkeit und Schulerfolg (oder Kommunikationserfolg) als gut belegt. (iii)Die in industrialisierten Ländern lebenden Arbeitsmigranten und ihre Kinder sind häufig aufgrund ihrer Sprache benachteiligt. Die Art der Zweisprachigkeit, mit der Kinder ethnisch verschiedener Gruppen in fremden Kulturen aufwachsen, bezeichnet Lambert (1974) als additiv, wenn sich die Sozialisation in zwei Sprachen und Kulturen fur das Kind kognitiv und sozial als Gewinn auswirkt, und subtraktiv, wenn sie die Entwicklung des Kindes eher behindert. Diese Benachteiligung wurde vor allem und immer wieder bei Kindern von Arbeitsmigranten nachgewiesen. Sie ist als „Halbsprachigkeit" bekannt. Darunter versteht man eine im Vergleich zum durchschnittlichen Entwicklungsstand von Kindern mangelnde Beherrschung zweier Sprachen sowohl im Schriftlichen als auch im Mündlichen. Diese „Halbsprachigkeit" wirkt sich offenbar besonders stark aus, wenn die Kinder zum Zeitpunkt von sechs Jahren vom Ausgangsland in das Gastland kommen und mit einer neuen Sprache und Kultur in der Schule konfrontiert werden, anstatt die Muttersprache zunächst im mündlichen und schriftlichen Gebrauch gebührend zu festigen. Hier ist Sprache ein entscheidender Faktor, der die sozialen Chancen des Kindes determiniert.

123 (iv) Stil und sprachliches Register entscheiden häufig über den Zugang zu Gruppen und bestimmten Kontexten. Oft hat dies mit „Fachsprache" zu tun. Will man zu den Seglern, Anglern, etc. gehören, muß man sich der unter ihnen üblichen Ausdrücke bedienen. Man bleibt sonst Außenseiter.

Bei Interviews, Prüflings- und Einstellungsgesprächen schließlich ist die Stil- und Registerwahl von entscheidender Bedeutung. Erickson & Shultz (1982) haben gezeigt, wie Bewerber, die den Stilerwartungen ihrer Berater nicht entsprachen, geringere Chancen hatten, bei Stellenbesetzungen berücksichtigt zu werden. Schließlich ist bekannt, daß der Zugang zu und Erfolg bei Anwälten, Ärzten, Komitees, Institutionen oft in beträchtlichem Maße von der verbalen Selbstdarstellung der Betroffenen abhängt (Leodolter 1975). Zahlreiche Belege und Beispiele für die Funktion der Sprache als Instrument der sozialen Kontrolle finden sich in Ferguson & Heath (1981), Edwards (1979) und Hymes (1983). Wir hatten ein Grundproblem der Soziolinguistik darin gesehen, daß Linguisten Grammatiken schreiben, die soziale Bewertung ihrer Regeln und ihren kommunikativen Nutzen in gesellschaftlichen Kontexten aber weitgehend außer acht lassen. Soziolinguisten haben die Diskrepanz von Linguistik und Soziologie zunehmend thematisiert und Lösungen zu ihrer Aufhebung vorgeschlagen. Im folgenden wollen wir den sozialpsychologischen Ansatz von Hudson (1980) mit dem konfliktsoziologischen von Bourdieu (1977, 1983) konfrontieren. 3.2.2.1 Der Anteil sprachlicher 'Vorurteile' an der sozialen Ungleichheit: Der sozialpsychologische Ansatz von Hudson Hudson geht von dem Grundsatz der Linguisten aus, "that all normal people are equal with regard to their grammars" (1980:191) und hält dieser Position entgegen, "that it deflects attention from language as a possible source of social inequality" (192). Die Soziolinguistik habe jedoch überzeugend sprachliche Unterschiede und Ungleichheiten auf mehreren linguistischen Ebenen nachgewiesen und vor allem gezeigt, daß diese über die Familie (Eltern) und die Schule (Lehrer) als wichtigsten Sozialisationsinstanzen perpetuiert werden. Hudson unterscheidet drei Arten sprachlicher Ungleichheit: 1. die subjektive, 2. die sprachliche im engeren Sinne und 3. die kommunikative. In allen drei Fällen wird sprachliche Ungleichheit als eine Ursache sozialer Ungleichheit, aber ebenso als ihre Folge gesehen, "because language is one of the most important factors by which social inequality is perpetuated from generation to generation" (193). Zu 1. Subjektive Ungleichheit beruht auf Vorurteilen und Stereotypen von Gesellschaflsmitgliedern. In einigen Gesellschaften werden bestimmte Varietäten für „freundlicher", „intelligenter", „richtiger" gehalten als andere, obwohl Urteile

124 dieser Art keine objektive Grundlage haben. So trägt die sprachliche Variation zu sozialer Ungleichheit bei, indem sie als eine Art „Elle zur Bewertung von Gesellschaftsmitgliedern benutzt wird, einer allerdings ganz unzuverlässigen Elle" (194, Übersetzung von mir - ND). Zu 2. Sprachliche Ungleichheit im engeren Sinne bezieht sich auf das sprachliche Wissen, über das Sprecher verfügen. Das sprachliche Wissen ergibt sich aus den Erfahrungen, die Sprecher gemacht haben, und verschiedene Erfahrungen konstituieren verschiedene Niveaus sprachlichen Wissens. Dies trifft am augenscheinlichsten für das Lexikon zu. Fach- und Freizeitwortschatz sind je nach Interesse und Erfahrungen ausgeprägt. Das sprachliche Wissen ist im breitesten Sinne von Bedeutung, wenn Kinder mit Erwachsenen und Ausländer mit Einheimischen kommunizieren. Jede soziale Situation ist daher - im logischen Sinne - aufgrund der Voraussetzungen des ungleichen sprachlichen Wissens „ungleich". Einige sind aber exponierter als andere - z.B. Einstellungsgespräch, Patienteninterview, Zeugenvernehmung - und eine Vielzahl solcher sozialer Situationen führt, langfristig gesehen, zu Chancenungleichheit. Zu 3. Kommunikative Ungleichheit bezieht sich schließlich auf die erfolgreiche Nutzung und Anwendung des sprachlichen Wissens in der Kommunikation. Sie umfaßt den Einsatz von verschiedenen Strategien, mit denen Sprecher ihr „Image" in Interaktionen aufbauen und schließt soziale Bewertung, also subjektive Ungleichheit, mit ein. Sie verklammert sprachliche und soziale Ungleichheit, da sie die interkulturelle Relativität der Diskursorganisation in Rechnung stellen muß. Sieht man einmal von Hudsons Ausführungen zu (2) und (3), „sprachliche" und „kommunikative Inkompetenz" ab, die sich im wesentlichen auf Bernsteins Theorie der sprachlichen Kodes (vgl. Bernstein 1987) und die kulturell verschiedene Organisation von Erfahrungen in Diskursschemata beziehen, so erklärt Hudson soziale Ungleichheit aufgrund des Sprachgebrauchs durch 'sprachliche Vorurteile'. Die 'sprachlichen Vorurteile' sind aus folgenden Gründen fur die alltägliche Abwicklung sozialer Interaktionsprozesse notwendig: (a) Sprache wird von Gesellschaftsmitgliedern benutzt, „um sich in einem multidimensionalen sozialen Raum zu lokalisieren" (195, Übersetzung von mir). Sie achten daher in beträchtlichem Maße auf die sozialen Informationen in der Kommunikation. Diese kann man als Quellen „sprachlicher Vorurteile" bezeichnen (a.a.O). (b) Das Bedürfnis, sich über „den Anderen" rasch soziale Informationen zu beschaffen, wird mit geringer Toleranz gegenüber kognitiver Ungewißheit begründet. (c) Kognitive Ungewißheit kann unter Rückgriff auf Prototypen reduziert werden, die uns über Gegenstände, Sachverhalte und Verhaltensweisen perzeptive, kognitive, soziale, etc. Grundinformationen vermitteln, die in Unerreichbarkeit anderer Informationen als erste greifbare Hypothesen für eine rasche Handlungsorientierung nützlich sind. In diesem Sinne machen wir uns ein Bild von den sozialen Charakteristiken eines prototypischen Sprechers aufgrund einzelner sprachlicher Formen (196). (d) Der Gebrauch einzelner sprachlicher Formen wird bewertet, um rasch einen Hinweis darüber zu haben, wie der Sprecher in der gesellschaftlichen Rangordnung einzustu-

125 fen ist; "...if a characteristic like toughness is associated with a particular form of speech (such as a dialect), people who use that form of speech will be highly valued where toughness is respected, and rated negatively where it is not" (197). (e) Schließlich ist die Bewertung sprachlicher Formen an die Tatsache geknüpft, dafl Sprache als Symbol der Gruppenzugehörigkeit benutzt wird; "...the characteristics we attribute to another person are simply aspects of the prototype-member of the group to which we think he belongs" (a.a.O.). (f) Mitglieder einer Gruppe hegen die Vorstellung - zumindest zu einem gewissen Grade - , daß ihre Gruppe im Vergleich zu anderen wenigstens in einigen Bereichen besser ist. Die Selbstachtung hängt somit teilweise von der gesellschaftlichen Achtung der ganzen Gruppe ab. (g) Diese theoretischen, teilweise aber auch empirisch nachgewiesenen Züge der sozialpsychologischen Theorie des „sprachlichen Vorurteils" erklären nun die „sprachliche Unsicherheit" von Teilen der Mittel- und Unterschicht, die gerne so sprechen möchten wie die über Sozialprestige verfügenden Sprecher der dominierenden Schichten, aber objektiv anders bzw. „schlechter" sprechen. Auch die in der Soziolinguistik häufig benutzten sozialpsychologischen Begriffe des „offenen" und „verdeckten Prestiges" erhalten auf diese Weise eine gehaltvolle Interpretation: Die höchste Statusgruppe kontrolliert „offen" via Machtausübung die Prestigewerte des Verhaltens; insofern diese jedoch beispielsweise von den unteren Schichten als „unfreundlich", „kalt" oder „farblos" bewertet werden, können andere, abweichende Verhaltensweisen „verdecktes Prestige" erlangen. Diese sozialpsychologische Erklärung der an Sprache gebundenen sozialen Ungleichheit bietet gehaltvollere Erklärungen zum Zusammenhang von sprachlichem und sozialem Verhalten als Ansätze der behavioristischen Psychologie, der Ethnographie oder der sozialen Dialektologie. Allerdings kann sie nur unbefriedigende Erklärungen für das Aufkommen und Verschwinden von prestigebesetzten und stigmatisierten Verhaltensweisen bieten. Sie verweist hier ohne weitere Explikation auf „die höchste Statusgruppe" oder „die über Macht verfugende Gruppe". Für die Dynamik der sozialen Kräfte im Zusammenhang mit der Übernahme, Ausübung und dem Verlust von Macht hat sie jedoch keine erklärende Perspektive. Wir wollen daher im folgenden Bourdieus Theorie des sprachlichen Marktes vorstellen, die mit den Begriffen 'symbolisches Kapital', 'Markt', 'Habitus' und 'Abgrenzung' ('distinction') eine sinnvolle Ergänzung des sozialpsychologischen Ansatzes darstellt. 3.2.2.2 Der sprachliche Markt Kognitive Ungewißheit, das Bedürfiiis nach sozialer Identifizierung und die Neigung, sich selber möglichst einer Statusgruppe mit Prestige zurechnen zu dürfen (auch und gerade, wenn man ihr nicht angehört) sind erklärende Mechanismen der auf Hyperkorrektur, „offenem" und „verdecktem Prestige" beruhenden Verhaltensweisen zur Herstellung der „feinen Unterschiede" (Bourdieu 1979) zwischen Individuen und Gruppen.

126 Um jedoch das Bedürfnis nach Unterscheidung in der komplexen Interaktion sozialer Gruppen in seiner zugrunde liegenden Dynamik zu verstehen, sind Nutzen und Kosten des Verhaltens in ihrem symbolischen und materiellen Wert in unsere theoretischen Überlegungen einzubeziehen. In einer Reihe von Aufsätzen hat Pierre Bourdieu die Theorie des 'sprachlichen Marktes' entwickelt (1977; 1983). Ihr zufolge sind die Beziehungen in der Kommunikation, die auf sprachlichem Austausch („échanges linguistiques") beruhen, in erheblichem Maße Beziehungen symbolischer Macht. Die Legitimität einer Varietät leitet sich aus dem Status des Sprechers und den Umständen der Interaktionssituation ab. Die „Ökonomie des sprachlichen Austausches" betrachtet die „sprachliche Kompetenz" als ein „symbolisches Kapital" im Verhältnis zu einem „sprachlichen Markt" (1977:651). In diesem Sinne kann jeder Sprechakt oder jede Handlung als ein Zusammentreffen einer Reihe ursächlich unabhängiger Umstände betrachtet werden. Sprechen und Handeln werden einerseits durch sozial geformte „Dispositionen" des „sprachlichen Habitus" und andererseits durch die Strukturen des „sprachlichen Marktes" wesentlich gesteuert. Unter den Dispositionen des „sprachlichen Habitus" ist zu verstehen: (i) ein expressives Interesse, d.h. sprechen und sich ausdrücken zu können; (ii) eine sprachliche Fähigkeit, unendlich viele mit den Regeln der Grammatik übereinstimmende Diskurse hervorzubringen; (iii)eine soziale Fähigkeit, die sprachliche Kompetenz in einer gegebenen Situation adäquat zu nutzen.

„Sprachliche" und „soziale Fähigkeit" gehören untrennbar zusammen. Die Dispositionen des Habitus treffen nun in aktualisierten Verhaltensakten auf die Strukturen des sprachlichen Marktes, die aus einem System spezifischer Sanktionen und Zensuren bestehen. Eine soziologisch gewendete Linguistik ersetzt nach Bourdieu „Grammatikalität" durch „Akzeptabilität", das Konzept „die Sprache" („langue") durch „legitime Sprache", „kommunikative Beziehungen" (symbolische Interaktion) durch „Beziehungen symbolischer Macht", die Frage nach der „Bedeutung" der Rede durch die des „Wertes", bzw. der „Macht" und „sprachliche Kompetenz" durch „symbolisches Kapital". Bourdieu begründet seine Kritik an herkömmlichen linguistischen Konzepten durch Beispiele und theoretische Ausführungen. "Language is a praxis: it is made for saying, i.e. for use in strategies which are invested with all possible functions and not only communication functions. It is made to be spoken appropriately" (1977:646). In dieser Perspektive zieht Bourdieu kritische Folgerungen fur den Gegenstand einer sozialen Linguistik:

127 1. Der „communisme linguistique qui hante toute la théorie linguistique" (1983:1) ist eine Illusion: die durch Saussure und Chomsky vorgenommenen Idealisierung in der Sprachtheorie abstrahieren von der Variation, der Dynamik der Spracherlernung und ihrer sozialen Verankerung. Das Objekt der Linguistik wird „von außen" bestimmt, d.h. die Praxis der Sprecher außer acht gelassen. Wenn lediglich die aufgrund bestimmter sozioökonomische und politischer Verhältnisse einer Gesellschaft übergestülpte offizielle Sprache (= „Hochsprache" oder „Standardsprache") Gegenstand der Linguistik ist, dann unterstützt diese Auffassung die gesellschaftliche Definition der offiziellen Sprache als legitime Sprache, mit der Kontrolle und Herrschaft ausgeübt wird. „Parier de la langue, sans autre précision, comme tous les linguistes c'est accepter facilement la définition de la langue officielle d'une unité politique: cette langue est celle qui, dans les limites territoriales de cette unité, s'impose à tous les ressortissants comme la seule légitime, et cela d'autant plus impérativement que la circonstance est plus officielle..." (1983:4). Daher hat die Linguistik die Sprache nicht nur als Kode zu untersuchen, sondern auch als ein System von Normen, das die sprachlichen Praktiken steuert. 2. Produktion und Reproduktion der legitimen Sprache werden durch symbolische Herrschaft gesteuert: „Pour qu'un mode d'expression parmi d'autres (une langue dans le cas du bilinguisme, un usage de la langue dans le cas d'une société diviseé en classes) s'impose comme seul légitime, il faut que le marché linguistique soit unifié et que les différents dialectes (de classe, de région ou d'ethnie) soient pratiquement mesurés à la langue ou à l'usage legitime. L'intégration dans une même „communanté linguistique", qui est un produit de la domination politique sans cesse reproduit par des institutions capables d'imposer la reconnaissance universelle de la langue dominante (notamment le système scolaire), est la condition de l'instauration de rapports de domination linguistique" (a.a.O.) Institutionen wie z.B. Wissenschaft und Schule (u.a.) tragen somit entscheidend zur Produktion und Reproduktion sozialer Ungleichheit via Sprache bei, wobei die Mechanismen des sprachlichen Marktes den jeweiligen Wert der Varietäten festlegen. 3. Das System der relevanten sprachlichen Oppositionen ist aus soziologischer Sicht verschieden von der linguistischen. Die soziologischen Oppositionen gehen in das System der sprachlichen Oppositionen als ein System ein, das die sozialen Unterschiede „rückübersetzt". Eine strukturelle Sprachsoziologie hat daher zum Gegenstand „la relation qui unit des systèmes structurés de differences linguistiques sociologiquement pertinentes et des systèmes également structurés de différences économiques et sociales" (a.a.O.: 7). Der soziale Sprachgebrauch ist also eine „Rückübersetzung" gesellschaftlicher Unterschiede durch die Herstellung einer symbolischer Ordnung der Abweichungen. Objekt einer „Soziologie der Sprache" ist somit die Konstitution und Reproduktion der legitimen Sprache in ihrer Relation zu anderen Varietäten nach dem symbolischen Kurs des Marktwertes.

128 Die dominante Kompetenz sichert nun nur dann einen Profit der Unterscheidung in ihrer Position zu anderen Kompetenzen, wenn bestimmte notwendige Bedingungen erfüllt sind: eine ist die Vereinheitlichung des Marktes, d.h. das Ausmaß, in dem die Kompetenz der dominanten Gruppe als legitim oder Standardwert der sprachlichen Produkte gilt, eine andere der unterschiedliche Zugang zur instrumentellen Aneignung der legitimen Kompetenz und damit des sprachlichen Kapitals. Fassen wir die zentralen Begriffe Bourdieus noch einmal zusammen: (a) „Sprache" ist soviel wert wie die Sprecher wert sind, die sie sprechen (1977:652). (b) „Sprachliches Kapital" ist der soziale Wert einer „linguistischen Kompetenz" auf dem „sprachlichen Markt". Es hängt von den sozialen Bedingungen der Produktion und Reproduktion der Sprachbenutzer ab. Ohne Markt gibt es kein Kapital: man kann nicht die Kompetenz retten ohne den Markt zu retten (1977:650). (c) Der „sprachliche Markt" handelt den Wert der „Kompetenzen" nach Prinzipien der objektiven Konkurrenz. Dieser Wert ist das sprachliche Kapital und resultiert aus der Fähigkeit, über die legitime Sprache zu verfügen. Die Varietäten haben auf diesem Markt eine Art Kurswert: jede soziale Interaktion ist ein Gewinn oder Verlust, d.h. es geht um den „Profit der Unterscheidung". Notwendige Voraussetzungen hierfür sind: (i) der Grad der allgemeinen Anerkennung der legitimen Sprache und (ii) der unterschiedliche Zugang zu ihrer Aneignung. (d) Die in der Sozialisation erworbenen Dispositionen determinieren den „sprachlichen Habitus": die verinnerlichte und im wörtlichen Sinne „verkörperte" sprachliche und soziale Kompetenz („hexis"), in der sich der Bezug zur sozialen Welt äußert (1977:660). Jeder Sprechakt ist damit ein Produkt des Habitus einerseits und des Marktes andererseits. (e) Art und Ausmaß des Profits via Unterscheidung hängen von der gesamten sozialen Persönlichkeit des Sprechers ab (die gleichen sprachlichen Formen bringen daher sehr unterschiedlichen Gewinn ein). Entscheidend ist, daß die Sprachbenutzer einen bestimmten Habitus wahrnehmen und bewerten. Diese „praktische Erwartung" (1977:655), ein Produkt aus objektiven und von Dispositionen gesteuerten Erfolgsaussichten, nennt Bourdieu die „Antizipation des Profits" (1977:653 ff.; 1983:12 ff.), d.h. die Preiserwartung für den eigenen Diskurs. (f) Was und in welcher Form gesagt werden kann, hängt von dem sprachlichen Habitus (internalisiertes System von Normen und Sanktionen) und dem durch Akzeptabilitätstoleranz und Korrektheitsnormen definierten sprachlichen Markt ab. Der Einsatz sprachlicher Mittel in Interaktionen - Bourdieu spricht von „sprachlicher Investition" (1977:657) - wird nun je nach Marktlage zensiert oder autorisiert und damit selektiv verstärkt oder sanktioniert. Bourdieu illustriert seine Ausführungen an Beispielen aus der Soziolinguistik. Die schichtenspezifische Verteilung phonetischer Varianten (vgl. Labov 1966) ist ein Produkt des Habitus. Das Aufkommen und Verschwinden von Sprachen und Varietäten hängt mit ihrer Abwertung auf dem Markt zusammen. Erscheinungen der „Hyperkorrektur" (unangemessen häufige Verwendung eines Prestigemerkmals oder 'legitimen Sprache'), der negati-

129

ven Bewertung des eigenen Dialekts, des Kodewechsels, der Wahl von Stilvarianten („kommen Sie!", „Würden Sie bitte kommen?", „Sie kommen doch, nicht wahr?", „Hierher!" etc.) erklären sich aus der Anerkennung der geltenden Prinzipien des symbolischen Marktes (z.B. Schuldgefühl gegenüber der eigenen Varietät). Dabei räumt Bourdieu auch einen „Metadiskurs" ein, in dem die sozialen Bedingungen und Bedeutungen des Diskurses ausgehandelt werden (1983:14). Bourdieus theoretischer Ansatz ist in dreierlei Hinsicht attraktiv: (1) Durch das Konzept des sprachlichen Marktes entsteht ein Zusammenhang zwischen materieller und symbolischer Ungleichheit. (2) Soziale Bewertungen des Sprachgebrauchs werden in Begriffen der internalisierten Normen der Sprachbenutzer und der Abweichungen von der legitimen Sprache verstanden. Jeder (sprachlichen) Handlung lassen sich daher - grob vereinfacht - zwei Resultatzustände zuordnen: (i) „bewirkt Zugang zu X oder nicht" (ii) „eröffnet Gewinn im Ausmaß Y oder nicht" (3) Produktion und Reproduktion soziolinguistischer Ungleichheit vollzieht sich in der Praxis gesellschaftlichen Handelns. Macht und Kontrolle werden von den Gesellschaftsmitgliedern in praktischen Handlungen geschaffen, gesichert und durch Verhaltensweisen abgrenzend symbolisiert. Stereotypen sind nach dieser Auffassung sekundäre, aus den Handlungen abgeleitete Effekte, die in den durch den Markt konstituierten Konfliktprinzipien erst positiv oder negativ markiert werden.

Dieser Ansatz liefert zunächst nur ein - häufig vages und metaphorisches Begriffsgerüst. Die einstellungsbedingten Bewertungen und Stereotypen in ihrer sozialpsychologischen Funktion werden vernachlässigt zugunsten dichotomischer Begriffe wie: „dominant" vs. „dominiert" (herrschende vs. beherrschte Gruppen), „legitim" vs. „illegitim", „zensiert" vs. „autorisiert", „formal" vs. „informal", „Gewinn" vs. „Verlust". Eine differenzierte Ausarbeitung müßte unter Berücksichtigung kulturanthropologischer und sozialpsychologischer Konzepte erfolgen, ohne dabei die gehaltvolle Erklärungsdimension des Konfliktes einzubüßen.

3 .3 Sprache und Raum 'Sprache' ist in der Regel ein mehrdimensionaler Raum von Varietäten, je nach der Geschichte und dem sozialen Gefuge der Sprachgemeinschaften, in denen sie lokalisiert wird. Die Varietäten sind in diesem mehrdimensionalen Raum Schnittpunkte (Produkte) historischer, regionaler, sozialer und situationsbedingter Faktoren. 81 Andere Varietäten entstehen in besonderen 81

Der Einfachheit halber nehmen wir hier nur 4 Faktorenbündel Varietätenraum ist sicher noch komplexer.

an.

Der

130 Kontaktsituationen (z.B. Erwerb einer Fremd- oder Zweitsprache). Schließlich gibt es die Variation im Diskurs, die sich je nach Typ, Situation und Interaktionskonstellation in Stil- und Varietätenwechseln äußert. Sprachliche Variation läßt sich in einem 'historischen', 'geographischen', 'sozialen' und 'kulturellen' Raum lokalisieren. Betrachtet man Verhalten als Produkt der Interaktion dieser Räume, ist die Isolierung eines einzelnen nur methodisch zu rechtfertigen. Räume haben 'Zentren' und 'Peripherien'; ihre soziale Bedeutung ergibt sich aus den durch sie bedingten Disparitäten. Der 'historische' Raum ist durch die chronologische Matrix bestimmt: Jahre, Monate, Wochen, Tage, Minuten. Schnitte entlang der Zeitdimension geben Einblick in den sozialen und sprachlichen Wandel. Eine soziolinguistische Perspektive bietet Romaine (1982b). 'Raum' im geographischen Sinne ist von der 'Dialektologie' (Besch et al. 1982/83) oder 'Geolinguistik' (Chambers & Trudgill 1980) untersucht worden. Räume sind mehr oder weniger durchlässig fur soziale und sprachliche Informationen. Räumliche Barrieren wie Flüsse, Gebirge, Meere etc. bedingen Isolation in einem bestimmten Grade der Durchlässigkeit: Sie wirken sich als Beschränkungen von Diffusionsprozessen aus. Sprachlich gesehen unterscheidet man 'gleiche' und 'verschiedene' geographische Räume mittels 'Isoglossen', die sich häufig auch komplex überlagern können (vgl. Chambers & Trudgill 1980: 103ff ). Variation und Wandel lassen sich auf drei grundlegende Faktoren zurückfuhren: (1) isolierte vs. zugänglichere Gebiete (2) zentrale vs. periphere Regionen (3) großer vs. kleiner geographischer Raum.

Die neuere soziologische Forschung hat nachgewiesen, daß die Trennung des 'horizontalen' (= geographischen) und 'vertikalen' (= sozialen, rangordnungsspezifischen) Raumes die modernen Gesellschaftsstrukturen nicht angemessen erfaßt (Kreckel 1983). Die Kovarianz beider Ebenen, die am Gegensatz von Stadt und Land besonders deutlich wird, faßt man unter dem Begriff „sozialräumliche Strukturen" zusammen (Fürstenberg 1978). Auch die anthropologische Forschung hält diese Auffassung für sinnvoll. Erickson (1971) spricht von 'sozialsymbolischen Territorien', die Individuen in komplexen städtischen Sozialräumen besetzen, um sich voneinander abzugrenzen. Solche Territorien werden nicht nur durch physische Räume, sondern auch durch Körperhaltungen und -bewegungen konstituiert. Den Zusammenhang von 'Raum' und 'Kultur' schließlich hat Yamamoto (1979) untersucht: "We define such physio-temporal spaces in which individuals are experiencing their daily life as 'culture spaces'. That is, a culture space is a dynamic, composite and particular physical space where

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actual human activities take place at a given time" (159 f.). Seine Auffassung von 'kulturellem Raum' stützt Yamamoto auf folgende Annahmen: (1) When two or more individuals carry out the same kind of activity, they share some physical space on this earth. (2) Since the group is an existent, it occupies one space at a given time. (3) As human beings form dynamic groups, they share many spaces with the same and/or different human beings. (4) Individuals develop a sense of belonging to certain spaces. (5) The space, in turn, comes to be identified as cognitive reality which requires appropriate membership. (6) Membership requirements in general consists of such factors as: (a) sex, (b) age, (c) ethnicity, (d) occupation, (e) status and (f) others. (A space may ignore some of the above or none of the above). (7) The place which provide a place where a social life takes place, therefore, imposes some restrictions on what activities are to be carried out in it. The space may also impose how activity or activities are to be carried out." (159)

'Raum' wird als theoretischer Begriff benutzt, mit dessen Hilfe komplexe Verhaltensweisen relational geordnet (beschrieben und erklärt) werden können. Eine erste Möglichkeit, die historischen und soziotopologischen Dimensionen des soziolinguistischen Raumes zu erfassen, bietet das Konzept der 'Sprachgemeinschaft'.

3.4 Sprachgemeinschaft Der Begriff 'Sprachgemeinschaft' unterstellt, daß soziale, geographische und kulturelle Räume, in denen Menschen leben, mittels sprachlicher Normen in sozialen Kontexten unterschieden werden können. Begriffsbestimmungen unterscheiden sich danach, ob sie sich auf (a) von außen beobachtetes Verhalten oder die Selbsteinschätzung von Gruppen, (b) sprachliche oder außersprachliche Kriterien, (c) vorgefaßte theoretische Konstrukte oder alltagsweltliche Kategorien sozialen Lebens

stützen. Die einfachsten Bestimmungen orientieren sich an Kriterien homogenen Verhaltens. Wir fassen sie unter SG-182 zusammen. SG-Dj 82

'SG-Dn' = 'Definitionstyp η des Terminus Sprachgemeinschaft (SG)'

132 (i) "A speech community is a group of people who interact by means of speech" (Bloomfield 1933: 42). (ii) "Each language defines a speech community: the whole set of people who communicate with each other, either directly or indirectly, via the common language" (Hockett 1958: 8). (iii)"This universe (linguistic phenomena within a socially defined universe -ND) is the speech community: any human aggregate characterized by regular and frequent interaction by means of a shared body of verbal signs and set off from similar aggregates by significant differences in language usage" (Gumperz 1972: 219). (iv)„P ist eine endliche natürliche Sprachgemeinschaft. G ist eine endliche Menge von grammatischen Regeln. Gp ist die Menge der Regeln aus G, die von ρ befolgt werden" (Kanngiesser 1972: 81). (v) "speech community: All people who use a given language (or dialect)" (Lyons 1970: 326). Wir nennen SG-Di 'naive' Bestimmungen. Das Kriterium der 'Interaktion' (i, ii, iii) unter dem Gesichtspunkt der 'Extension' gibt fur die Ausgrenzung einzelner Sprachgemeinschaften keine hinreichende Basis ab; (iv) geht davon aus, daß sich eine durch eine Einzelsprache definierbare Sprachgemeinschaft in disjunkte Teilgemeinschaften oder Varietätenmengen zerlegen läßt (Koexistenzmodell, vgl. Klein 1974: 22 ff ), (v) ist so global gefaßt, daß es fur die Abgrenzung von Sprachgemeinschaften untauglich ist. Dies fuhrt uns zu der Schlußfolgerung: Weder die Häufigkeit von Interaktionen noch die beobachtbaren Unterschiede im Sprachgebrauch geben eine angemessene Grundlage fur die Definition ab; von außen an die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft angelegte Kriterien fuhren nicht zu sinnvollen sozialen Untergliederungen. SG-D2 'Gemeinschaft', das auf althochdt. gemeini zurückgeht und lat. communis gleicht, ist sinngemäß das, 'was vielen gemeinsam ist'. In SG-Dl wird als 'Gemeinsames' die Tatsache der Häufigkeit der Interaktion von Sprechern oder die gemeinsam geteilten Regeln einer Sprache genannt. Hymes hält eine Definition der Sprachgemeinschaft mithilfe sprachlicher Merkmale für unzureichend: "the linguistic and communicative boundaries between communities cannot be defined by linguistic features alone" (Hymes 1974: 47). Demgegenüber lautet sein Vorschlag folgendermaßen: "A speech community is defined, then, tautologically but radically, as a community sharing knowledge of rules for the conduct and interpretation of speech. Such sharing comprises knowledge of at least one form of speech, and knowledge also of its patterns of use. Both conditions are necessary...An adequate theory of language requires additional notions such as language field, speech field and speech network and requires the contribution of social science in characterising the notions of community, and of membership in a community" (a.a.O. 51).

133 Fishmans Begriffsbestimmung (vgl. auch 2.5.3) ist von dieser nicht sehr verschieden: "A speech community is one all of whose members share at least a single speech variety and the norms for its appropriate use. A speech community may be as small as a single closed interaction network, all of whose members regard each others in but a single capacity" (1971a: 232).

Hymes and Fishman räumen ein, daß eine Definition von 'Sprachgemeinschaft' zur Zeit aufgrund unzureichender soziokultureller Kriterien 'offen' gehalten werden muß. Hymes fordert die Berücksichtigung zusätzlicher Kriterien, die sich aus der Pragmatik der Kommunikation ergeben. Fishman hält das Kriterium 'Sprechen der gleichen Sprache' für unzureichend. Sprachgemeinschaften seien besser abgrenzbar durch "density of communication or/and...symbolic integration with respect to communicative competence regardless of the number of languages or varieties employed" (1971a: 234). Das verbale Repertoire eines Sprechers, d.h. das Varietätenprofil, über das er verfugt, wird mit seinem Rollenrepertoire gleichgesetzt, d.h. dem Profil der sozialen Rollen, die er/sie einnimmt. SG-D3 Ein dritter Definitionstyp berücksichtigt 'soziale Identität' als grundlegendes Kriterium. Eine starke Version vertreten (i) Labov (1972a) und (ii) Halliday, Mcintosh & Strevens (1968): (i) "The speech community is not defined by any marked agreement in the use of language elements, so much as by participation in a set of shared norms; these norms may be observed in overt types of evaluative behaviour, and by the uniformity of abstract patterns of variation which are invariant in respect to particular levels of usage. In fact, it seems plausible to define a speech community as a group of speakers who share a set of social attitudes towards language" (Labov 1972a: 120f. und 248, Fn. 4 ). (ii) "The language community is a group of people who regard themselves as using the same language. In this sense, there is a language community 'the Chinese', since they regard themselves as speaking 'chínese', and not Pekinese, Cantonese and so on. There is no language community 'the Scandinavian language' even though they are by and large all mutually intelligible..." (Halliday, Mcintosh & Strevens 1964: 140).

Während Halliday et al. keine methodischen Hinweise dazu geben, wie man zu Selbsteinschätzungen der Art "who regard themselves as using the same language" kommt, bezieht sich Labov konkret auf subjektive Reaktionstests (1972a: 248). Einheitliche Reaktionen lassen auf identische Normen schließen. Romaine nennt 'Sprachgemeinschaften' im Sinne Labovs "prototype variable rule communities" und kritisiert den Isomorphismus von Regelanwendung und Norm.83 Ihrer Meinung nach ist es möglich, "to 83

Sie vertritt die Auffassung, die auf Hudson (1980) zurückgeht, daß das Labovsche Prinzip der Beschreibung von Varietäten ein Konzept des Zusammenhangs von

134

share the norms and rules of a language without using the language in the same way", wenn man mit Hymes zwischen "kinds of language and uses of language" unterscheidet (Romaine 1982a: 23). Eine schwache Version der Definition durch Identität ist die von LePage (1968): "Each individual creates the systems for his verbal behaviour so that they shall resemble those of the group with which from time to time he may wish to be identified, to the extend that (a) (b) (c) (d)

he can identify the groups he has both opportunity and ability to observe and analyse their behavioural systems, his motivation is sufficiently strong to impel him to choose, and to adapt his behaviour accordingly, he is still able to adapt his behaviour" (LePage 1968).

Diese Definition ist nicht direkt an sprachliche Varianten gebunden und macht den individuellen Prozeß der sozialpsychologischen Anpassung in und an Gruppen zum zentralen Kriterium. Die Definition bietet folgende Vorteile: (i) sie geht von dem Individuum aus, das sich selbst in einem mehrdimensionalen Raum lokalisiert; (ii) sie ist nicht statisch, sondern dynamisch; (iii)sie ist auf keine bestimmte soziologische Größe wie 'Nation', 'Gruppe', 'Norm', 'die Menge η der die Varietät X sprechenden Individuen' etc. festgelegt, sondern schließt ihr Zusammenwirken (Überlappung) nicht aus; vielmehr ist sie flexibel: ganz verschiedene Kombinationen sozialer Faktoren können 'gemeinschaftsbildend' sein.84

LePages Definition läßt die Möglichkeit der Zugehörigkeit eines Individuums zu verschiedenen Gemeinschaften zu und löst damit viele Probleme anderer Definitionen, die bisher vorgestellt wurden; allerdings ist sie auch problematisch: (i) sie setzt ganz bestimmte - ethnographische - Methoden voraus; (ii) Anzahl und Grenzen von Gruppen sind schwer zu ermitteln, da (a) die Zugehörigkeit zu verschiedenen Gruppen gleichzeitig möglich ist und (b) das Bewußtsein von Gruppenzugehörigkeit sicher sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Es wäre zu früh, von den Schwierigkeiten der Definition auf die Brauchbarkeit des Begriffs 'Sprachgemeinschaft' zu schließen (vgl. Hudson 1980: 30). Es zeichnet sich ab, daß eine gehaltvolle Definition die Variasprachlichen Varietäten und sozialen Gruppen impliziert, das den Begriff der Sprachgemeinschaft unangemessen einengt. "For instance a child may identify groups on the basis of sex, age, geography and colour, and each grouping may contribute something to the particular combination of linguistic items which he selects as his own language" (Hudson 1980: 27 f.). Unter „linguistic items" versteht Hudson (a) lexikalische Einheiten, (b) Regeln verschiedener Art, um Form und Bedeutung zu Sätzen zu kombinieren und (c) Regelbeschränkungen verschiedener Art.

135 bien (a) 'Individuum', (b) 'soziale Interaktionsnetze', (c) 'mehrfache und überlappende Zugehörigkeit zu Gruppen', (d) 'Identität', (e) 'Normen' und (f) 'sprachliche Varietäten' berücksichtigen muß. In dem Bemühen um eine soziale Realität der Sprachgemeinschaft angemessener repräsentierende Definition zeichnen sich bei dem gegenwärtigen Forschungsstand folgende Richtungen ab: (1) Die sozialpsychologische Fundierung des Konzepts (LePage): Bestimmung nach den Kriterien der Identität und dem Gruppenzugehörigkeitsgefühl; überlappende Gruppenzugehörigkeiten sind zugelassen; 'Gemeinschaften' können flexibel differenziert werden; problematisch ist, ob und in welchem Maß den Gesellschaftsmitgliedern die Gruppenzugehörigkeiten bewußt sind. (2) Die empirische Lösung des Problems: Labovs Annahme einer monolithischen, natürlichen Sprachgemeinschaft könnte ein Referenzpunkt für Vergleiche und zunehmende Generalisierungen auf dem Hintergrund empirischer Untersuchungen sein. Alles deutet jedoch daraufhin, daß es ebensowenig eine einheitliche Sprachgemeinschaft gibt wie "a single set of people" (Hudson 1980: 30). In jedem Fall gilt: „Konkrete Einzeluntersuchungen sind durchzuführen" (Becker, Dittmar & Klein 1978: 166). (3) Die 'prototypische' Sicht: "It is possible that speech communities do not really exist in society except as prototypes in the mind of people, in which case the search for the true definition of 'speech comunity' is just a wild goose chase" (Hudson 1980: 30). Die Perspektive ist dann die Erforschung von 'Prototypen': "If the conclusion that all such concepts are prototypes is correct, it follows that linguists should give high priority to developing theories which are compatible with prototypes as analyti85 cal categories, which is not the case with any of the existing theories" (a.a.O. 234). (4) Versuch, 'Sprachgemeinschaften' nach dem Grad ihrer 'Durchlässigkeit', Interaktionsdichte und Gruppengrenzen zu typologisieren (Saville-Troike): Unterscheidung von 'durchlässigen' und 'abgeschütteten' Sprachgemeinschaften relativ zu Merkmalen sprachlicher Varietäten, die soziale Grenzen markieren; 'durchlässige' Sprachgemeinschaften sind solche, in denen eine der Weltsprachen gesprochen wird, die wiederum von vielen anderen Sprechern als Zweitsprache benutzt wird; 'abgeschüttete' Sprachgemeinschaften sind solche, deren Sprache außerhalb ihres Geltungsbereiches fast niemand versteht (z.B. Finnland, Mongolei). Bei Sprechern, die mehreren Sprachgemeinschaften angehören, ist zwischen primärer, sekundärer etc. Zughörigkeit zu unterscheiden. Die in einer Sprachgemeinschaft geltenden Synchronisierungen von sozialen Mehrfachidentitäten und sprachlichem Repertoire müssen erkannt werden: "To understand this phenomena, it is necessary to recognize that each member of a community has a repertoire of social identities, and each identitiy in a given context is associated with a number of appropriate verbal and nonverbal forms of expression" (Saville-Troike 1982: 21 f.). Im Unterschied zu LePage, der das Gruppenzugehörigkeitsgefiihl als entscheidendes Kriterium heranzieht, stützt sich Saville-Troike auf das sprachliche Repertoire der Sprecher. 85

Daß ein solches Unternehmen schwierig ist, bezieht Berruto (1995: 71) auf die konkreten Beschreibungsleistungen eines 'prototypischen' Verständnisses; eine formale 'Operationalisierung' des Konzeptes liegt nicht vor. Dieser Mangel werde durch die soziologische Relevanz der Begriffsbestimmung nicht aufgewogen.

136 (5) Unterscheidung von 'Sprachgemeinschaft' und 'Kommunikationsgemeinschaft': „Eine Sprachgemeinschaft ist die Gesamtheit der Sprecher, die eine Sprache (in der Regel) als Muttersprache sprechen und die sich (in der Regel) der ethnischen und /oder kulturellen bzw. historischen Zusammengehörigkeit, die in dieser muttersprachlichen Gebundenheit liegt, bewußt sind." (Härtung et al. 1981a: 14) Wichtige Kriterien dieser Bestimmung sind: historische Zusammengehörigkeit und die durch die unterschiedlichen Grade der Beherrschung von Sprachen/Varietäten vermittelten sozialen Informationen in ihrer Relevanz für die Zuordnung von Sprechern. Demgegenüber wird der Begriff der Kommunikationsgemeinschaft so erläutert: „Wenn kommunikative Beziehungen ein Aspekt gesellschaftlicher Beziehungen sind, folgt daraus, daß die jeweils miteinander kommunizierenden Individuen in dem Maße konstante (tatsächliche oder potentielle) Kommunikationspartner bleiben, in dem sie eine soziale Einheit bilden, für deren Bestand die sprachliche Kommunikation eine wesentliche Rolle spielt. Wenn wir also die verschiedenen Klassen, Schichten und sozialen Gruppen unter dem Gesichtspunkt ihrer kommunikativen Beziehungen betrachten, dann sehen wir sie als ein Gefuge unterschiedlicher und sich überschneidender Kommunikationsgemeinschaften an. Kommunikationsgemeinschaften entsprechen somit Einheiten auf den verschiedenen Ebenen der Gesellschaftsstruktur, nur rücken sie deren kommunikativen Aspekt in den Vordergrund." (Neumann et al. 1976: 234). Was gewinnen wir durch die Unterschiede zwischen 'Sprachgemeinschaft' und 'Kommunikationsgemeinschaft'? „Erstens gibt es Kommunikationsgemeinschaften (vor allem auf der Ebene des Staaates), die sich mehrerer Sprachen bedienen; andererseits aber gliedert sich jede Sprachgemeinschaft in eine Vielzahl von Kommunikationsgemeinschaften, insbesondere, wenn wir die komunizierenden Gruppen auf den verschiedenen Ebenen der Gesellschaftsstrukur betrachten; es kann aber auch der Fall eintreten, daß eine Sprachgemeinschaft aufhört, eine Kommunikationsgemeinschaft zu sein. Folglich ergibt sich aus in der Sache liegenden Gründen die Notwendigkeit, die beiden Begriffe 'Kommunikations- und Sprachgemeinschaft' zu unterscheiden." (Härtung et al. 1974: 538). Zurecht betonen Härtung et al. (1974), daß der Begriff der Sprachgemeinschaft in unzulässiger Weise auf kommunikative und pragmatische Aspekte sprachlicher Tätigkeiten ausgedehnt wurde. Zugleich geben sie ein Kriterium für die Definition von Sprachgemeinschaften an, das die anderen Bestimmungen weitgehend übersehen: den historischen Aspekt. Zusammenfassend ergibt sich folgendes Bild: „Die Sprachgemeinschaft ist also für uns eine im wesentlichen historische Kategorie, die sich auf das Zusammengehen von politischen, ökonomischen und sprachlichen Integrationsprozessen bezieht und außerhalb ihren Sinn verliert. Die Kommunikationsgemeinschaft ist dagegen eine Kategorie, die jene Einheiten auf den verschiedenen Ebenen der Gesellschaftsstruktur faßbar macht, in denen die reale Kommunikation vollzogen wird." (Härtung et al. 1974: 539).

137 Die Unterscheidung von 'Sprachgemeinschaft' und 'Kommunikationsgemeinschaft' reflektiert den Unterschied zwischen "kinds of language" and "usage of language" (Hymes). Sie eröffnet neue Forschungsperspektiven.86

3.5 Linguistisches Repertoire Die Gesamtheit der den Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft für sozial bedeutungsvolle Interaktion zur Verfugung stehenden Ressourcen bezeichnen wir als das Repertoire dieser Sprachgemeinschaft. Die sprachlichen Ressourcen schließen dabei unterschiedliche Sprachen, Dialekte, Register, Stile und Routinen, Schreibvarietäten als auch andere Modalitäten kommunikativer Kodes mit ein. "The notion of repertoire takes an interacting group as the point of departure and asks: How do speakers allocate their linguistic means to the situations, events, and social relationships recognized in the community? The linguistic varieties in a repertoire are defined not by their origins or structure unity but by their differing uses or functions in the social life of a particular group" (Gal 1987: 286).

Das Konzept geht auf die Einfuhrung in den Band Linguistic Diversity in South Asia im Jahre 1960 durch Charles Ferguson und John Gumperz zurück. Für die Entwicklung zwei- und mehrsprachiger Typologien von Sprachgemeinschaften ist es höchst einflußreich gewesen. Es markiert eine neue Perspektive: Nicht Einzelsprachen oder Dialekte werden als Untersuchungseinheiten in sich verstanden, sondern Gruppen von Sprechern, die über alternative Ausdrucksmöglichkeiten für kulturell relevante Kommunikationsanlässe in sozialen Kontexten verfugen. Grundlegend ist die soziale Bedeutung struktureller linguistischer Heterogenität, der Sprach- und Stilwahlen im besonderen. In diesem Sinne ist der Begriff linguistisches Repertoire anthropologischem und ethnographischem Denken verpflichtet: In der Fokussierung auf soziale Interaktion und den Gebrauch der Sprache für kommunikative Zwecke wird Sprache und soziale Lebenswelt als eine Einheit gesehen. Referentiell äquivalente sprachliche Variation kann auf allen Ebenen der Sprachstruktur auftreten, z.B. auf den Ebenen Phonologie, Morphologie, Syntax und Lexikon. 'Referentiell äquivalent' ist hier im Sinne der strukturellen Linguistik auf das Kriterium Distribution gegründet, umfaßt aber auch - in einem weniger restriktiven Sinn als die linguistische Variable von Labov - stilistisch bedeutungsgleiche Ausdrücke; die seman86

Allerdings: Welche Konsequenzen hat diese Auffassung für die jüngste soziolinguistische Diagnose, das Deutsche sei eine 'polyzentrische' Sprache? Haben wir dann, parallel zu den drei kodifizierten Standards der BRD, der Schweiz und der Republik Österreich drei Kommunikationsgemeinschaften, jedoch nach wie vor eine Sprachgemeinschaft?

138 tische und pragmatische Variation ist in diesem Ansatz auf dem Hintergrund zugelassen, daß sprachliche Äußerungen/Ausdrücke nicht nur produziert, sondern ihre soziale Bedeutung auch interpretiert wird. Interpretative Leistungen werden in dem Labovschen Ansatz zur Beschreibung von Variation vernachlässigt; in dem ethnographischen Ansatz wird die Interpretation der sozialen Bedeutung für unverzichtbar gehalten. Grundlegend ist die Methodik, Sprecher als kommunizierende Interaktanten zu sehen, die durch sprachliche Wahlen in der Produktion von Äußerungen relativ zu Sprechsituationen Bedeutungen herstellen. Die durch die Wahl bedingten Beschränkungen konstituieren unterschiedliche soziale und Kontextbedeutungen und damit verschiedene Perspektiven. Die miteinander vorkommenden (= kookkurrenten) prototypischen Strukturen von Äußerungen konstituieren dabei Varietäten (Kovariation von sprachlichen Merkmalen und sozialen Kontexten). Von den üblichen Ansätzen zur Beschreibung sprachlicher Variation (Labov, Variablenregeln; Klein, Varietätengrammatik) unterscheidet sich die Konzeption des linguistischen Repertoires durch Offenheit bezüglich der Qualität und Quantität von Varietäten sowie ihre jeweiligen sozialen Bedeutungen, d.h. es wird nicht von einem vorgängig definierten Varietätenraum ausgegangen, dessen varietätenspezifische Ausprägungen dann anhand sprachlicher Ausdrücke operationalisiert werden müssen, sondern von den spezifischen lokalen und regionalen Verhältnissen in einem ganz konkreten Fall. Dies fuhrt unter anderem zu der Einsicht, daß z.B. große linguistische Distanz zwischen Varietäten nur triviale soziale Bedeutung hat, während triviale linguistische Unterschiede eben im Gegensatz dazu große soziale Konsequenzen haben können. Gegenstand der Untersuchung sprachlicher Repertoires sind auch Spracheinstellungen, die "tacid conventions for using varieties and the interpretive strategies associated with speaking" (Gal 1987: 287). Die mit Varietäten verbundenen Einstellungen sind integraler Bestandteil von Untersuchungen. Das Verhältnis von Solidaritätsgemeinschaften und Prestigegemeinschaften wird sowohl nach Maßgabe einer Konflikttheorie (Bourdieu) als auch nach soziologischen Maßstäben schichtenspezifisch organisierter Gesellschaften untersucht. Eine Schlüsselrolle spielt dabei das soziale und kommunikative Netzwerk, dem Sprecher unterschiedlicher Kontexte angehören. Die jeweils in solchen Kontexten in Gebrauch befindlichen Varietäten werden als den jeweiligen lebensweltlichen Umständen funktional angemessen betrachtet, was jedoch nicht ausschließt, daß Gesellschaftskritik zugunsten stigmatisierter Gruppen artikuliert wird (vgl. Gal 1987: 288289). Mithilfe der Konzepte Diglossie und Poliglossie werden im Sinne der Beschreibung linguistischer Repertoire qualitative Sprach- und Varietätentypologien formuliert, die die soziale Dynamik in Sprachgemeinschaften

139 thematisieren. Im Rahmen sozialer Praktiken des Sprachgebrauchs ist der Ansatz des Studiums linguistischer Repertoire mit der Beschreibung von Sprachwechsel (Code-Switching) eng verbunden. Eine Übersicht über zentrale Ansätze in der soziolinguistischen Beschreibung des Sprachwechselverhaltens findet sich Romaine (1989) und Haust (1993).

3.6 Diglossie Typologien von Sprachgemeinschaften lassen sich mithilfe der fünktionsspezifischen sozialen Verteilung von Varietäten erstellen. Das Konzept 'Diglossie' hat sich hierbei als hilfreich erwiesen. Der Terminus 'Diglossie' (griech. diglossos: 'zwei Sprachen sprechend') wurde von Ferguson (1959) zur Beschreibung von Sprachgemeinschaften eingeführt. "Diglossia is a relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standard), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superimposed variety, the vehicle of a large and respected body of literature (written) either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most written and formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation" (Ferguson 1959).

'Diglossie' bezeichnet eine relativ stabile Sprachsituation mit einem primären regionalen Dialekt, der L-Varietät ('Low-Variety' = niedere Varietät), und einer überlagernden Sprachvariante, der Η-Varietät ('High-Varity' = gehobene Varietät). Die H-Varietät wird geschrieben und vor allem in formalen Redesituationen gebraucht; sie wird in den Bildungsinstitutionen regelhaft als Register erlernt und besitzt hohes Prestige. Grammatisch unterscheidet sie sich von der L-Varietät, die als informelles Konversationsmedium gilt. L wird als Muttersprache erworben und unterliegt keiner institutionellen Kontrolle. H und L sind nach ihren Funktionen komplementär verteilt. So gilt H etwa für Rundfunknachrichten, öffentliche Institutionen, Literatur, politische Reden, die Kirche etc.; L dient als Verständigungsmittel in allen informellen, unstrukturierten Situationen: z.B. für die Unterhaltung mit Freunden und Kollegen, innerhalb der Familie oder als Instruktionssprache für Angestellte und Arbeiter. H und L wirken lächerlich, wenn sie nicht funktions- und situationsspezifisch verwendet werden. H gilt als Prestigesprache. Unterschiede zwischen H und L manifestieren sich in (i) Grammatik, (ii) Lexikon und (iii) Phonologie:

140 (i) L besitzt weniger grammatische Kategorien und ein reduziertes Flexionssystem; die grammatische Komplexität von H ist größer. (ii) H und L haben ein weitgehend komplementäres Lexikon. Es ist jedoch ein besonderes Merkmal der Diglossie, daß lexikalische Paare mit gleicher Bedeutung situationsspezifisch entweder im System der H- oder der L-Varietät angewendet werden. (iii)Das Lautsystem von H und L besteht aus einer einheitlichen phonologischen Struktur, in der die L-Phonologie das Basissystem darstellt und die abweichenden Merkmale der Η-Phonologie ein Sub- oder Parasystem bilden.

Die spezifischen Funktionen von H und L werden in der Tab. 3-1 illustriert. Situation Predigt in der Kirche Anweisungen an Bedienstete, Kellner, Arbeiter, Angestellte Persönlicher Brief Politische Rede (z.B. im Parlament) Universitätsvorlesung Gespräch in der Familie oder mit Freunden/Kollegen Rundfunknachrichten Rundfunk/Fernsehen: 'Rührseliges Familiendrama' Herausgeberstatement, Kommentare, Untertitel auf Bildern Untertitel auf politischen Karikaturen Poesie/Literatur Volksliteratur/-lieder

L

H X

X X X X X X X X X X X

Tabelle 3-1: H- und L-Varietäten (hochsprachliches vs. lokales Prestige) als kommunikativ-komplementäre Gebrauchsdomänen in diglossischen Sprachgemeinschaften (nach Fasold 1984: 35)) Die Diglossie-Situation unterscheidet sich in zwei wesentlichen Aspekten von der Relation zwischen Standard und regionalen Dialekten: (a) In der Diglossie-Situation wird H von niemandem in der gewöhnlichen Alltagskommunikation benutzt. (b) In der 'Standard-Dialekt'-Situation ist der Standard oft identisch mit der Varietät einer regionalen oder sozialen Gruppe. Als Beispiel typischer Fälle von Diglossie führt Ferguson klassisches und umgangssprachliches Arabisch, Katharevousa und Demotike (gehobene und Volkssprache) in Griechenland, Standarddeutsch und Schweizerdeutsch, Standardfranzösisch und kreolisiertes Französisch auf Haiti an. In der Literatur werden inzwischen zahlreiche weitere Beispiele genannt (Trudgill 1974: 117-128; Fasold 1984: 34-60). „Wesentlich für das Diglossie-Modell ist, daß es sprachlich unterscheidbare Varietäten gibt, die auf alternative Situationstypen oder Werte bezogen werden

141 können...In der Wirklichkeit finden wir aber nun zahlreiche Übergänge im sprachlichen Bereich, und die Bezugsebenen bedürfen zusätzlicher Bestimmungen, ehe mit ihnen zu arbeiten ist; dabei aber zeigt sich, daß wir es nicht immer mit einfachen Zweiteilungen zu tun haben, daß sich vielmehr verschiedene solcher Bezugsebenen überlagern. Die entstehenden Schwierigkeiten begrifflicher Art lassen sich reduzieren, wenn man nur die nachhaltig unterschiedenen Varietäten für das Diglossie-Modell zuläßt, ihm also eine Quasi-Zweisprachigkeit zugrundelegt..." (Härtung & Schönfeld 1981: 98). D a s K o n z e p t der Diglossie, wie es von Ferguson als Situation zweier stabiler Varietäten einer Einzelsprache im Kontext beschrieben w o r d e n ist, w o bei die H-Varietät als überlagernde, öffentliche Sprache gilt und die L Varietät als unkodifizierte Variante f ü r den informellen Familien- u n d Freundesbereich, ist von Fishman (1971b: 286 ff.) zur Charakterisierung v o n Sprachgemeinschaften ausgeweitet worden. Diglossie ist das Beispiel f ü r die Koexistenz zweier Sprachen, deren W e r t e zueinander komplementär sind: "This separation was most often along the lines of a H(igh) language, on the one hand, utilized in conjunction with religion, education, and other aspects of high culture, and a L(ow) language, on the other hand, utilized in conjunction with everyday pursuits of heart, home, and lower work sphere" (Fishman 1971b: 287). D a s Verhältnis v o n Diglossie und Bilingualismus ist durch eine vierfache Beziehung gekennzeichnet, die wir in Tabelle 3-2 wiedergeben: DIGLOSSIE BILINGUALISMUS

+ + -

Diglossie und Bilingualismus Diglossie ohne Bilingualismus

Bilingualismus ohne Diglossie Weder Diglossie noch Bilingualismus

Tabelle 3 - 2 : Beziehungen zwischen Bilingualismus und Diglossie nach Fishman (1971b: 288) 1. Diglossie

und

Bilingualismus

Die Koexistenz beider Formen, die stabile Verteilung von Sprachvarietäten nach Funktionen und die Koexistenz zweier Sprachen, findet sich vor allem in großen Gesellschaften. Es gibt wenige Sprachgemeinschaften, in denen bilinguales und diglossisches Sprachverhalten voll entfaltet sind (Beispiele: USA, Indien, Paraguay, Schweiz). 2. Diglossie

ohne

Bilingualismus

In Sprachgemeinschaften dieses Typs sind Sprachvarietäten komplementär funktional nach H- und L-Varietäten geschieden. Oft handelt es sich um intragruppenspezifisches Verhalten herrschender Eliten (H-Varietät), die in Distanz von den Volksmassen leben (z.B. Französisch an deutschen und slawischen Höfen im 19 Jahrhundert; heute noch u.a. in afrikanischen Staaten). Dieser Diglossie-Typ findet sich häufig in ehemals kolonialisierten Gesellschaften.

142 3. Bilingualismus ohne Diglossie In dieser Sprachsituation, in der Bilingualismus vorfindbar, Diglossie aber abwesend ist, zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen Bilingualismus und Diglossie: letztere ist charakterisiert durch eine komplementäre soziale Verteilung der Funktionen von Varietäten, während Bilingualismus j e nach individuellen und sozialen Umständen in verschiedener Weise auftreten kann. Bilinguales Sprachverhalten tritt relativ zu Situation, Rollen, Themen und Kommunikationszielen auf; Bilingualismus ohne Diglossie findet sich in den meisten Gesellschaften; diese Situation ist in keiner Weise stabil, sondern vielmehr auf der Folie verschiedener sozialer Parameter (Umsiedlung, Einwanderungen, Gastarbeitertätigkeiten etc.) rascher Wandlung unterworfen. 4. Weder Bilingualismus noch Diglossie Dieser Typ trifft auf isolierte, undifferenzierte Sprachgemeinschaften zu, die geringe Kontakte nach außen unterhalten; er ist nur noch selten anzutreffen und hat die Tendenz, sich selbst aufzulösen. Dieser V o r s c h l a g zur Klassifizierung v o n Sprachgemeinschaften nach d e m Kriterium der funktionalen Komplementarität und des sozialen Status v o n Sprachen und Varietäten hat inzwischen breite Anwendung gefunden, obwohl keine Klarheit darüber besteht, (i) ob es legitim ist, den Terminus 'Diglossie' auch auf die soziale Verteilung von zwei Sprachen bruchlos zu übertragen (z.B. Paraguay, wo H (Spanisch) die Sprache der Schule und Regierung ist, Guarani (L) aber in der Familie gesprochen wird); (ii) ob die vier 'Idealtypen' von Sprachgemeinschaften nach Fishman (s. Abbildung 3-2) empirisch belegbar sind (vgl. die Kritik in Eckert 1980 oder Berruto 1995); (iii)ob kulturelle Aspekte aus der Bestimmung von Sprachgemeinschaften ausgeschlossen bleiben sollen (Kritik von Saville-Troike 1982: 56-71). Die vorliegenden empirischen Studien, die die soziale Verteilung v o n Sprachen und Varietäten in verschiedenen Gesellschaften mit dem Ziel

der

sprachgemeinschaftsspezifischen Typisierung untersuchen, lassen ein K o n tinuum vermuten, das sich v o n monolingualen zu multilingualen Sprachund Kommunikationsgemeinschaften erstreckt.

87

In der neueren soziolinguistischen F o r s c h u n g zeichnet sich j e n a c h Orientierung a m ursprünglichen oder weiterentwickelten Modell ( F e r g u s o n vs. F i s h m a n ) ein ' e n g e r e r ' gegenüber einem 'weiteren' B e g r i f f v o n Diglossie ab. H u d s o n w e n d e t sich g e g e n eine Erweiterung des Begriffes 'Diglossie' a u f j e d e Gesellschaft, 8 8 in der zwei oder mehr Sprachen unter verschiedenen U m s t ä n d e n benutzt werden: "This may be a regrettable development as it would seem to make every society diglossie, including even English-speaking England...where different so-called 87

88

Ein solches Kontinuum hat Liidi (1990b) für sechs Dimensionen (Polarisierungsachsen) ausgearbeitet, siehe weiter unten. Ähnlich äußert sich Trudgill (1974: 117).

143 'registers' and 'dialects' are used under different circumstances...The value of the concept of diglossia is that it can be used in sociolinguistic typology - that is, in the classification of communities according to the type of sociolinguistic set-up that prevails in them - and 'diglossia' provides a revealing contrast with the kind of setup found in countries such as Britain and the United States, which we might call 'social-dialectia' to show that the 'varieties' concerned were social dialects, not registers" (1980: 55).

Der Nutzen, eine 'diglossische' von einer zwei- oder mehrsprachigen Gemeinschaft zu unterscheiden, liegt darin, daß wir relativ zur Kommunikationssituation zwei distinkte, nicht-überlappende Mengen sprachlicher Einheiten isolieren können, die uns zwei funktional komplementäre Varietäten einer Sprache als 'diglossisch' klassifizieren läßt. In diesem Sinne bietet das Merkmal 'diglossisch ' schärfere Abgrenzungsmöglichkeiten gegenüber einer nicht-diglossischen Sprachgemeinschaft "where each item has its own unique social distribution" (a.a.O.). Saville-Troike (1982) hält demgegenüber Fishman's Erweiterung des Begriffs fur akzeptabel: "Most (but not all) of the features by which Ferguson characterized monolingual diglossia are also true of multilingual situations. There is a comparable specialization of function for H and L languages; the H language generally has more prestige; and L is learned at home and H at school. Also, although the L language in a multilingual society may well have a literary heritage, a tradition of grammatical study, and established norms and orthography, these often are not known to its speakers in a diglossie situation. The only clear difference between monolingual and multilingual diglossia are those that relate to the structures of the codes themselves: i.e. the relationship of their grammars, vocabularies, and phonological systems" (1982: 58).

Fishmans Schema (vgl. Abbildung 3-2) scheint Saville-Troike jedoch insofern unzureichend, als es sich zu eng auf 'Sprache' bezieht; um aber auch die sozialen und kulturellen Systeme bei der Klassifizierung von Sprachgemeinschaften zu berücksichtigen, die den Sprachgebrauch steuern, führte sie das Konzept 'Dinomia' (griech. 'zwei Systeme von Gesetzen') ein (Saville-Troike 1982: 58). Sie sieht deutliche Parallelen zwischen (a) sprachspezifischen Domänen und Varietätenwahl auf der einen, kulturellen Domänen und kulturspezifischen Wahlen auf der anderen Seite und (b) kulturell angemessenem Sprachgebrauch und dem Wechsel zwischen alternativen kulturellen Systemen. 'Dinomia' charakterisiert vor allem hochindustrialisierte Gesellschaften mit Minderheiten aufgrund von Arbeitsmigration: "Dinomia may thus be defined as the coexistence and complementary use within the same society of two cultural systems, one of which is the dominant culture of the larger society and the other a subordinate and less prestigious subculture from within that same society" (1982: 59).

144 Wir gelangen somit zu folgendem Schema:

GESELLSCHAFT INDIVIDUUM

SPRACHLICHER KODE

KULTUR

Diglossie Zweisprachigkeit

Dinomie Bikulturalität

Tabelle 3-3:'Diglossie' und 'Dinomie' überwiegend sozial, 'Zweisprachigkeit' und 'Bikulturalität' überwiegend individuell verteilt Eine Gesellschaft ist 'dinomisch', wenn in ihr eine distinktive Menge kultureller Normen im Heim- und Familienmilieu gelten. Beispiele sind: die türkische Gemeinschaft in West-Berlin, die Gemeinschaft der Navajo in den USA, Gesellschaften in Afrika und Asien, die westliche Bildungssysteme ohne Anpassung an die Eingeborenenkultur übernommen haben. Das 'Umschalten' von einem System kultureller Werte zu einem anderen in kommunikativ angemessener Weise verlangt mehr als nur sprachliche Veränderungen, wenn die Sprecher nicht nur als 'zweisprachig', sondern auch als 'kompetent in zwei Kulturen' betrachtet werden sollen: Zweisprachige und in zwei Kulturen kompetente türkische Individuen können bei Ortsveränderungen ihre sprachlichen Varietäten einschließlich der Grußformeln, nicht-sprachlichem und paralingualem Verhalten etc. ändern (Sprechen ist mit kulturellem Wissen verbunden). Der Unterschied zwischen 'Diglossie' und 'Dinomie' verläuft parallel zur Unterscheidung von 'sprachlichen Varietäten' und 'Arten ihres Gebrauchs' durch Hymes: "Part of my intent in coining the term 'dinomia' is to separate language code from pattern of use of the language code (and other means of communication) at the societal level; it is quite possible for language codes and rules of communicative behaviour (as part of culture) to be distributed differently in the society" (SavilleTroike 1982: 60).

Fishman (1980) akzeptiert die parallelen Begriffspaare 'Diglossie/Bilingualismus', hält jedoch einen engeren Begriff als 'Dinomie' fur nützlicher und schlägt 'Diethnie' (zwei Ethnien) vor. "Ethnicity is a narrower concept, particularly in modern times. It focuses on 'peopleness relatedness'... i.e. to membership in a particular people and its defining tradition...It is in this connection that I would like to tentatively suggest the term 'diethnia'. Like bilingualism, biculturalism is an individual asset or debit that corresponds to no particular societal institutions or concerns...Like diglossia, diethnia is a socioculturel pattern that is maintained by means of specific institutional arrangements" (Fishman 1980: 10).

Welcher Begriff sich durchsetzt, hängt im wesentlichen von konkreten Erkenntnissen in empirischen Untersuchungen ab.

145 Das Konzept der 'Diglossie' ist ein Grundbegriff der Soziolinguistik geworden. In diglossischen Sprachgemeinschaften erwerben die Sprecher eine Kompetenz für den angemessenen situationsspezifischen Gebrauch von Varietäten bzw. für den Sprachwechsel. Konversationelles Codeswitching ist daher nach Gumperz besonders charakteristisch für diglossische Sprachgemeinschaften: "In diglossia, code alternation is highly of the situational type...Distinct varieties are employed in certain settings (such as home, school, work) that are associated with separate, bounded kinds of activities (public speaking, formal negotiations, special ceremonials, verbal games etc.)" (1982a: 60).

Hudson subsumiert in diesem Sinne 'Diglossie' unter 'Registervariation' (1980: 53ff). Abschließend seien einige Arbeiten erwähnt, die in letzter Zeit zur Differenzierung des Diglossie-Konzeptes beigetragen haben: 1. Unterscheidung von 'Mikro- ' und 'Makrodiglossie ' Unter 'Mikrodiglossie' verstehen Mioni & Arnuzzo-Lanszweert (1979)eine dem patois in Frankreich vergleichbare Situation, "where the dialect is tendentially used only within the village/network of interaction between relatives and close friends. In these instances the formation of a regional dialectal koiné did not take place. . . These areas are characterized by a narrow overlapping of functional uses of the two languages..." (1979: 94). 'Makrodiglossie' kennzeichnet demgegenüber eine Situation, "where the Standard is accompanied by some kind of dialectal koiné and, in many instances, also by local dialects. In such situations, the importance of dialect within the repertoire is particularly strong, so that the situations in which dialect can be used are numerous" (a.a.O. 94). Mioni (1987) unterscheidet sieben Typen eines sprachlichen Repertoires einer Sprachgemeinschaft ( Prototyp Italienisch): (a) (b)

(c)

(d) (e)

(f)

Standardvarietät A und Regionalsprache oder Dialekt Β (BRD, Italien) Standardvarietät A und Minderheitensprache sowie der Dialekt der umgebenden Zone bilden Varietät Β (europäische Länder mit dachlosen Dialekten/Fremdsprachen; auch: Friesisch in Norddeutschland) nationale Standardvarietät A und Standard der Minderheitensprache A sowie der Dialekt der Minderheitensprache als Varietät Β (Katalanisch oder Deutsch in Südtirol) nationale Standardvarietät A und Substandard Β (monolinguale Gesellschaften wie England und Frankreich, entspricht der Bidialektalität) Exolingua (von einer Elite aufgezwungene Kolonialsprache) A und die Verkehrssprache überregionaler Verbreitung Β sowie die lokale Umgangssprache Β (viele Beispiele im mittleren Afrika) die Exolingua A sowie die Nationalsprache A und die lokalen Umgangssprachen Β (afrikanische Gesellschaften mit einer offiziellen Standardsprache: Tunesien, Marokko, Algerien, Tansania, Somalia etc.)

146 (g)

Exolingua A und lokale Umgangssprachen Β (afrikanische Gesellschaften ohne eigene nationale Standardsprache und überregionale Verkehrssprachen: Liberia, Tschad, Burkina Faso etc.)

Diese Typologie ist reich, weil sie verschiedene Gesichtspunkte, soziale und linguistische, von Sprachgemeinschaften berücksichtigt. Allerdings hat sie mit der Fergusonschen Trennungsschärfe des Diglossiebegriffs nicht mehr viel gemein. Schließlich gelangt Trumper (1989) zur Unterscheidung von Makrodiglossie (wahrhaftige Diglossie) und Mikrodiglossie (Pseudodiglossie). Der Unterschied findet sich in Tab. 3-4:



• •

• •

Makrodiglossie beide sprachliche Kodes sind über eine breite Anzahl von Domänen gleich verteilt Herausbildung einer Dialektkoiné breite Überlappung zwischen den beiden Sprachkodes in funktional zweideutigen Texten gemischtsprachliche Äußerungen in der Alltagskommunikation die Dialekte sind sozial stratifiziert (Soziolekte)



Mikrodiglossie ein Sprachkode wird in wenigen Domänen gebraucht

• •

Abwesenheit der Dialektkoiné eindeutige funktionale Trennung zwischen den beiden Sprachkodes



die beteiligten Varietäten werden gewöhnlich nicht vermischt die Dialekte sind sozial nicht differenziert



Tabelle 3-4: Makro- und Mikrodiglossie nach Trumper (1989) Trumpers Unterscheidungen sind nicht sehr erhellend: Der Fergusonschen Konzeption von Diglossie entspricht die Makrodiglossie von Trumper überhaupt nicht; der ursprünglichen Konzeption kommt die Mikrodiglossie schon näher. Insgesamt ist jedoch eine Verbesserung der Konzeption von Ferguson nicht festzustellen. 2. Enge und breite Diglossie Parallel zu Mikro- vs. Makrodiglossie unterscheidet Fasold (1984: 42-54) den Begriff "broad diglossia" und definiert ihn folgendermaßen: "Broad diglossia is the reservation of highly valued segments of a community's linguistic repertoire (which are not the first to be learned, but are learned later [...] usually through formal education), for situations perceived as more formal and guarded; and the reservation of less highly valued segments (which are learned first [...]) of any degree of linguistic relatedness to the higher valued segments, from stilistic differences to separate languages, for situations perceived as more informal and intimate" (Fasold 1984: 53).

Auch bei Fasold finden wir eine semantische Verdünnung des von Ferguson geprägten Terminus. Zentraler Parameter ist für ihn die sprachliche

147 Sozialisation; hinzugezogen werden Sprecherbewertungen von Varietäten und Typen von Kommunikationssituationen. Mithilfe seiner "broad diglossia" kann Fasold weitere Typen der Diglossie unterscheiden (multiple strukturelle Komposition). Zwei Typen möchten ich hier anfuhren: Die doppelt überlappende Diglossie {double overlapping diglossia, Fasold 1984: 54 f.) ist typisch für afrikanische Länder wie Burkina Faso (Französisch als offizielle Verkehrssprache, Mooré als Regionalsprache, die jedoch gegenüber Djula und weiteren in Burkina Faso vertretenen Sprachen die übergeordnete nationale Varietät darstellt) und Tansania (die nationale afrikanische Sprache Swahili, die überregionale Verkehrs- und Bildungssprache Englisch). Dieser Strukturtyp ist in Abb. 3-2 dargestellt. A: Englisch H L

|

B: Swahili Vernacular

Abbildung 3-2: Doppelt überlappende Diglossie in Tansania nach Fasold (1984: 45) Einen anderen Fall stellt die doppelt eingebettete Diglossie {double-nested diglossia, Fasold 1984: 46 f f ) gemäß der Abb. 3-3 dar. formaler akademischer Stil Hindi konversationeller Alltagsstil Saf boli -KhalapurMoti boli

H

Abbildung 3-3: Doppelt eingebettete Diglossie nach Fasold (1984) Ein Beispiel für diese Situation wäre die von Gumperz (1964) beschriebene indische Sprachsituation in Khalapur mit Hindi als Prestigesprache, die in einen formalen akademischen Stil h und einen konversationeilen Alltagsstil / zu unterteilen ist, und den lokalen Dialekt Khalapur mit einer gehobenen, feinen Varietät Saf boli und einer groben, ungebildeten Varietät Moti boli. Gerade in Bezug auf die hier unterschiedenen Stile bleibt die Frage, in welchem Maße hier nicht Registerunterschiede beschrieben werden, die nicht in den Bereich diglossischer Beschreibungen fallen. Anstatt den Begriff durch Überdehnung unbrauchbar zu machen, sollten gegebenenfalls neue terminologische Differenzierungen eingeführt werden, um die ursprüngliche Trennschärfe der diglossischen Beschreibung zu erhalten.

148 3. 'Stabilität ' vs. 'Instabilität ' der Das Norfolk Island English Sprachgemeinschaft :

Diglossiesituation

beschreibt Flint als eine stabile diglossische

"This pattern of diglossia is stable: the L form has persisted despite economic change and extensive outside contact, because it is not used for intergroup communication with outsiders...The stability of the diglossie situation on Norfolk Island is to be explained by the appropriation of the L form to intragroup communication in the home domain and of the H form to the intergroup communication with non-Islanders" (1979: 295 und 323). Zu dem entgegengesetzten Schluß kommt Eckert am Beispiel des Gascognischen (Frankreich) in ihrem Aufsatz "Diglossia: Separate and Unequal" (1980). Die Diglossie 'Gascognisch - Standardfranzösisch' ist nicht im strukturfiinktionalistischen Sinne 'statisch', sondern initiierte Sprachverlagerung: "There is a wide variety of situations of diglossia throughout the world, each with its own particular history, and some apparently more stable than others. The abandonment of vernaculars is clearly a survival strategy employed with an intensity that varies from case to case according to a wide range of social and economic factors. But in any situation in which linguistic labour is divided according to domain, any gain for the High must be, by structural definition, a loss for the Low. It is clear, then, that the only circumstances under which the use of two languages within a community can be 'separated but equal' is when equal means the same domain, but not the number of domains. If the language of a community does not serve all the needs of that community, and express all the interests of its people, there is a serious danger of division and ultimate dissolution of the community" (Eckert 1980: 1063). Eine vergleichende Typologie verschiedener Sprachgemeinschaften dürfte zur Klärung des Begriffs beitragen. Ausgehend von Fergusons Begriffsbestimmung sind inzwischen verschiedene Beziehungsverhältnisse zwischen H- und L-Varietäten/Sprachen untersucht worden (vgl. Fishman 1980: 4). 4.

Polyglossie

Platt (1977) hat die Mehrsprachigkeit in Singapur und Malaysia als Polyglossie charakterisiert. Das Varietätenrepertoire einst in englischer Sprache erzogener Chinesen in Malaysia würde etwa folgende Varietäten einschließen: (1) Die Muttersprache (eines der in Malaysia gesprochenen Idiome); (2) eine oder mehrere andere südchinesische Varietäten, einschließlich jener in der Region dominanten Varietät unter der Bedingung, daß es nicht die Muttersprache ist; (3) formales malaiisches Englisch;

149 (4) umgangssprachliches malaiisches Englisch; (5) eine gewisse Kenntnis des Bahasamalaiischen (die kürzlich standardisierte nationale Sprache); (6) Bazaarmalaiisch (eine Verkehrssprache mit geringem Prestige).

Dieses Bild fugt sich nach Platt (1977: 366 f.) in ein diglossisches Modell, welches eine bzw. mehrere H-Varietäten und eine bzw. mehrere LVarietäten umfaßt. Eine Übersicht über die komplizierten poliglossischen Verhältnisse findet sich in Fasold (1984: 48-50, schematische Übersicht auf S. 50). Diese Situation ist komplexer als die genannten, die Beschreibungen gehen jedoch über die bisher berücksichtigten Vorschläge und deren Mónita nicht hinaus. Auch bezüglich der Plattschen Beschreibung des mehrsprachigen Malaysia wäre zu klären, inwieweit Registerunterschiede im Spiel sind, nicht jedoch die engeren Kriterien der diglossischen Situation nach Ferguson. Lüdi (1990b) stellt Diglossie/Polyglossie als durch ein Kontinuum von 6 polaren Achsen charakterisierbar dar. Die Markierung spezifischer Positionen auf den Achsen als diglossisch ist nach Lüdi heuristisch wertvoll, da das sprachliche Repertoire von Gemeinschaften in seinem Profil angemessener erfaßt werden könne. Ich nenne daher den Ansatz von Lüdi Vorschlag zur Beschreibung von Sprachgemeinschaftsprofilen. Dieser Oberbegriff paßt besser als die Charakterisierung als diglossisch/poliglossisch; die folgenden Dimensionen sind nach Lüdi (312-321) zu berücksichtigen: (1) Linguistische Distanz (Familienähnlichkeit zwischen Sprachen und Varietäten mit vielen Unterdifferenzierungen). (2) Verbreitung in der Sprachgemeinschaft (lokal bis zu überregional und national; keine, mittlere bis verbreitete Zweisprachigkeit; Minderheitensprachen im Verhältnis zu Mehrheitensprachen; diglossische Existenzformen vom Individuum über die Familie zur Kleingruppe bis zu größeren Gemeinschaften). (3) Funktionale Komplementarität (geringfügige, mittlere bis überwiegende Überlappimg sprachlicher/kommunikativer Funktionen, minimale über mittlere bis zu weitgehender Stabilität). (4) Standardisierung (Entwicklung einer Schrift, Reichweite von einem Minimum bis zu einer maximalen Ausgestaltung (literarische Werke); Ausbau (im Sinne von Kloss) von einem geringen bis zu einem hohen Grade etc.). (5) Spracherwerbstypen (minimale bis maximale Beherrschung nach institutionellem, gesteuertem oder natürlichem, spontanem Spracherwerb). (6) Prestigegefälle zwischen den Varietäten (von einem Minimum bis zu einem Maximum).

Man kann nun die einzelnen vom Minimum bis zum Maximum graduell geordneten Attribute einer jeden Dimension dazu nutzen, für eine Sprachgemeinschaft X ein Profil Y zu schreiben. Sehr schnell stellt sich jedoch bei

150 der Praktizierung einer solchen Profilbeschreibung heraus, daß die Attribute über die Ebenen nicht frei kombinierbar sind. Und hier stellt sich eine Schwäche des Ansatzes heraus: Er ist als ein ungeordnetes Nebeneinander von Dimensionen und qualitativen Attributen konzipiert, das keinen Fokus und kein konzeptuelles Zentrum erkennen lassen. Insofern mag dieser Ansatz zwar einer detaillierten Beschreibung gerecht zu werden, gleichzeitig scheint er den Bezug zur ursprünglichen Diglossiekonzeption verloren zu haben. 5. Dilalie: Ein Ausweg aus dem Dilemma? Die Überlegungen, eine exzessive Verbesserung des Fergusonschen Diglossiekonzeptes nicht zu akzeptieren, haben Soziolinguisten wie Berruto dazu geführt, den Geist der F-Diglossie (Ferguson-Diglossie) zu erhalten und andere relevante soziolinguistische Begriffe zu entwickeln, die jene sozialen Differenzierungen innerhalb von Sprachgemeinschaften erfassen, die Diglossiesituationen in stetiger Erweiterung eines an sich dafür nicht vorgesehenen Konzeptes unterschoben werden. Als eine taugliche neue Kategorie fuhrt Berruto (1995: 243 ff.) provisorisch den Begriff Dilalie ein als einen der Diglossie entgegengesetzten Begriff ein, der als einer der vier Unterscheidungen Diglossie, sozialer Bilingualismus und Bidialektalität in der Tab. 3-5 vier Typen des sprachlichen Repertoires charakterisiert. Das Wort Dilalie ist komponiert aus di- (zwei) und -laléó (gr. sprechen, reden, sich unterhalten). Dilalie würde als eines der vier Kriterien zur Beschreibung von sprachlichen Repertoires herangezogen: Soziale Zweisprachigkeit, Diglossie, Dilalie und Dialektalität (oder Polydialektalität oder soziale Dialektalität nach Hudson 1980). Berruto versucht, die vier genannten Parameter mithilfe von 13 Kriterien zu differenzieren (Zutreffen oder NichtZutreffen eines Kriteriums gibt letztlich die wesentlichen Merkmale für einen gegebenen Parameter ab). Folgende Kriterien schlägt Berruto vor (siehe Tab. 3-5 für eine Übersicht): (1) Koexistenz von zwei Sprachen (im Sinne von Abstandsprachen und Ausbausprachen nach Kloss) (2) beträchtliche Unterschiede zwischen Varietät (oder Kode) A und Varietät (oder Kode) Β (3) Gebrauch beider Kodes/Varietäten in der Alltagskonversation (4) klare funktionale Differenzierungen zwischen den beiden Kodes (die ihren jeweiligen Charakter A und Β determinieren) (5) Domänenüberlappung zwischen den beiden Kodes (6) Standardisierung der Varietät (oder des Kodes) Β (7) Varietät (oder Kode ) Β ist sozial markiert und/oder stratifiziert (8) Existenz eines Kontinuums von Varietäten zwischen A und Β

151 (9) hohes Prestige der Varietät (oder des Kodes) A (10) beide Varietäten sind in der primären Sozialisation einschlägig (11) Möglichkeit, dafl sich Varietät (oder Kode) Β zu einer Alternative für A entwickelt (12) Häufigkeit des Sprachwechsels und des gemischtsprachlichen Diskurses (13) Tradition, die Varietät (oder den Kode) Β auch literarisch zu nutzen.

Nach diesen 13 Kriterien erhalten wir die in Tab. 3-5 aufgeführte Verteilung. Kriterien 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

soziale Zweisprachigkeit +

Diglossie -

-

+

+ + + +

+

-

-

+

+

-

Bidialektalität -

? +

+

-

-

-

+

-

+

+ + + +

+/-

+ +

Dilalie

-

+/-

+ + + + +

-

? -

Tabelle 3-5: Diglossie und Zweisprachigkeit nach Berruto (1995: 244) Soziale Zweisprachigkeit ist demnach eine Situation, in der zwei elaborierte Kultursprachen nebeneinander benutzt werden ohne funktionale Unterordnung des einen Kodes unter den anderen; beide werden sowohl in der schriftlichen als auch in der informellen Kommunikation benutzt und sind gleichwertig. Typische Beispiele sind die Sprechgemeinschaft von Montréal (Kanada) mit sozialer Zweisprachigkeit Französisch-Englisch, ebenso das Aostatal mit Italienisch-Französisch etc. Schwieriger wird die Charakterisierung der drei weiteren Typen, da bei ihnen hierarchische Beziehungen zwischen den Kodes im Spiel sind. Zwischen sozialer Zweisprachigkeit und den anderen drei Parametern (Diglossie, Dilalie und Bidialektalität) gibt es nach Joseph (1987) eine Beziehung der Überlagerung (superposition). Dilalie unterscheidet sich grundlegend von der Diglossie, weil der Kode A, zumindest zu einem guten Teil, auch in Alltagskonversationen genutzt wird; so werden beide Varietäten alternativ oder nebeneinander genutzt. Dilalische Verhältnisse sind typisch fur den italienisch-romanischen Raum, aber auch für Deutschland mit so unterschiedlichen Varietäten wie Platt-

152 deutsch und Bairisch gegenüber der Standardvarietät. 89 Schließlich sind mit der bi- oder polidialektalen Situation jene soziolinguistischen Verhältnisse gemeint, in denen es eine Standardvarietät und diverse regionale und soziale Varietäten gibt; zwischen den beteiligten Varietäten gibt es einen mehr oder weniger großen Unterschied, alle werden jedoch auch in Alltagskonversationen benutzt. Die strukturelle Ähnlichkeit verhindert ein Bewußtsein vom sozialen Aufstieg der Varietät Β und begünstigt die gemischte Verwendung der Varietäten. Diese Situation ist typisch für England, aber auch fur Frankreich; in Italien findet man diese Situation in der Toskana und voraussichtlich in Rom. Im Gegensatz zu Fishmans Ansatz schließen sich die vier Parameter aufgrund ihrer Kriterien gegenseitig aus, d.h. soziale Zweisprachigkeit und Diglossie können nicht kombiniert auftreten.

3.7

Soziolinguistische Sprach- und Varietätentypologie in mehrsprachigen Gesellschaften 9 0

Im folgenden versuche ich eine soziolinguistische Bestimmung folgender Begriffe zu geben, auf die ich mich im laufenden Text unter ihren jeweiligen Abkürzungen beziehe: • • • • • •

„Nationalsprache" (NL) „Offizielle Sprache" (OL) „Territorialsprache" (TL) „Regionalsprache" (RL) „Verkehrssprache" (VL) „Minderheitensprache" (mL) [vs. „Mehrheitensprache" (ML)].

3.7.1 Die 'Europäische' Dimension der Begriffsbestimmungen Die soziolinguistische Terminologie in Europa ist nicht einheitlich.91. Ein Studium der einschlägigen Literatur zeigt, daß die soziolinguistischen Be89 90

Beriuto erläutert am Beispiel der Dilalie detailliert die soziolinguistische Situation in Italien (vgl. S. 246-247).

Dieses Unterkapitel ist eine überarbeitete und gekürzte Fassung meines Aufsatzes „Probleme der soziolinguistischen Sprach- und Varietätentypologie in mehrsprachigen Gemeinschaften", in: C. Truchot (Hg.): Le plurilinguisme européen. Théories et pratiques en politique linguistique. Paris: Editions Champion, 1994, S. 91 69-96 Gesellschaftliche 'Mehrsprachigkeit' scheint in Frankreich erst neuerdings ein relevantes soziolinguistisches Thema zu sein (vgl. G. Vermès und J. Boutet 1987). In der BRD sind Arbeiten hierzu in dem von Ammon, Dittmar und Mattheier herausgegebenen Handbuch der Soziolinguistik breit rezipiert (neuerer Forschungs-

153 griffe je nach sprachpolitischen, sprachsoziologischen oder wissenschaftstheoretischen Hintergründen der landesspezifischen nationalen und kulturellen Besonderheiten recht unterschiedlich behandelt werden. In den romanischen Ländern überwiegt eine sprachpolitisch bewußte Aktionsforschung, während in anglophonen und germanophonen Forschungen eine Art „deskriptivistische" Tendenz zu sprachsoziologischen Beschreibungen und Erklärungen im Rahmen einer soziolinguistischen Theorie der Varietäten und Sprachgemeinschaften Vorrang hat. Mein folgender Ansatz fühlt sich der deskriptiv orientierten, funktionalistischen Tradition der europäischen (Sozio-)Linguistik verpflichtet.92 Ich orientiere meine Überlegungen an expliziten Kriterien wissenschaftlicher Argumentation und an Modellen und Methoden der (Sozio-) Linguistik, die die Verbindung gehaltvoller Theorien mit empirisch angemessenen Datenbeschreibungen anstreben.93 Ich bin an der Entwicklung einer Typologie mehrsprachiger Gemeinschaften interessiert, die langfristig zu Modellen und Theorien fuhrt, die praktische Interventionen in Kenntnis der relevanten Parameter erleichtern. 94 3.7.2

Funktionen und sozialer Status von 'Nationalsprache', 'offizieller Sprache', 'Territorialsprache', 'Regionalsprache', 'Verkehrssprache' und 'Minderheitensprache'

Die zu bestimmenden Begriffe von L weisen teilweise nur minimale Unterschiede auf („RL" und „TL", „NL" und „OL"), teilweise wird nur ein Begriff eines Begriffspaares in der Forschung untersucht („mL" findet breites stand); die 'Arbeitsstelle Mehrsprachigkeit' in Hamburg (Jochen Rehbein et al.) widmet viele Arbeitspapiere diesem Bereich. In Italien hat sich Alberto Mloni mit einer Klassifikation mehrsprachiger Sprachgemeinschaften und mit der Typologie von Sprachen befaßt (siehe Bibliographie); im übrigen beschäftigt sich die italienische Soziolinguistik mit der begrifflichen Fassung des 'italiano regionale' und ihrem Umfeld (vgl. Berruto 1987). In England ist die soziolinguistische Bestimmung von Minoritätensprachen mit großer Aufmerksamkeit diskutiert worden. Im übrigen reflektieren die soziolinguistischen Begriffsbildungen/-bestimmungen die sprachsoziologischen und -politischen Kontakt- und Konfliktsituationen in den europäischen Ländern: Katalanisch-Kastilisch in Spanien (u.a.), Wallonen - Flamen in Belgien (u.a.), Bretonen, Elsässer, Katalanen in Frankreich (u.a.); Schweizerdeutsch, Französisch und Italienisch in der Schweiz (vgl Haas 1988 für einen detaillierten Überblick) ... Diese gemessen an der Realität nur bescheidene Liste wäre durch viele weitere Angaben zu ergänzen. Zu nennen sind der „Prager Stukturalismus", die funktionalen Beschreibungen von Meillet und Martinet, die sprachsoziologischen Überlegungen von Terraccini und Kloss (u.a.). 93 Siehe zu Einzelheiten Dittmar (1995a). 94 Zur Erleichterung dieser Zielsetzung im europäischen Rahmen wäre die terminologische Vereinheitlichung der verschiedenen Ansätze der Sprachkontaktforschung geboten. Ansätze hierzu finden sich in Bechert & Wildgen (1991).

154 soziolinguistisches Interesse, „ML" wird lediglich als symbolischer „Kontrastbegriff' benutzt). Keiner der sieben Begriffe läßt sich unabhängig von (mindestens) den folgenden Konzepten definieren: 'Sprecher', 'Typen von Sprachgemeinschaften', 'sprachliche Eigenschaften von Varietäten' und 'Kommunikativitätspotential' 95 einer Sprache oder Varietät, 'Sprachbewußtsein'. Diese Parameter sind für die Begriffsbestimmungen in ganz unterschiedlichem Maße relevant. Bestimmen wir die Begriffe nach der sprachlichen Form , so kommen wir in Schwierigkeiten, NL, OL oder TL eindeutig nach Kriterien des Sprachgebrauchs zu unterscheiden. Für die Bestimmung des Begriffs 'Verkehrssprache' ist diese Dimension aber wesentlich, da das Attribut 'nicht-muttersprachlich verwendet' für die Definition von Verkehrssprache ein wesentliches Merkmal ist. Die (soziologische) Dimension 'Sprecher' erlaubt es nun, sowohl Individuen als auch Gruppen für die Bestimmungen zu nutzen (sinnvoll für RL, mL, ML, VL), vernachlässigt aber andere relevante distinktive Merkmale (juristische, nationale, institutionsspezifische Parameter). Ähnliches gilt für 'Typen von Sprachgemeinschaften' : sie lassen sich für 'Minderheitensprache' (mL), VL und RL gut anwenden; diese Begriffe erlauben es allerdings nicht, NL, OL und TL in geeigneter Weise voneinander zu trennen. Die meist auf Zensusdaten basierenden Messungen sprachlicher Verschiedenheit bzw. interkommunikativer Verständlichkeit schließlich, die in angesprochen sind, haben für die soziolinguistische Erfassung von Mehrsprachigkeit eine wichtige Zukunft. Da die statistischen Grundlagen häufig unklar sind und solche quantitativer Untersuchungen für Europa nicht vorliegen (siehe dagegen die 'kommunikativen Indices' für Singapur, die in Kuo (1979) erarbeitet sind), kann ich den Parameter im folgenden nicht berücksichtigen. Der Parameter schließlich, der sicher am schwierigsten zu operationalisieren ist, spielt in unterschiedlichem Maße bei der Bestimmung von „NL", „OL" und „mL" insofern eine Rolle, als die Parameter und nicht hinreichend sind, nah verwandte Begriffe voneinander abzugrenzen. 96

Dieser von Kuo (1979) entwickelte Begriff wird in Fasold (1984:132 ff.) explizit dargestellt. Kuos Formeln (1) / am = (P am)2 und (2) / amn = (P am) (P an) geben die Verständlichkeit einer Sprache (Formel 1) bzw. die Nützlichkeit einer Sprache für interethnische Kommunikation (Formel 1) wieder (Pam ist die Proportion einer Population m, eine Sprache a zu verstehen; m und η in (2) geben zwei Populationen mit ihrer respektiven Kenntnis/Verstehbarkeit der Sprache a an). Im übrigen wird das Problem der 'Verständlichkeit' von Sprachen und Varietäten für interethnische und interkulturelle Kommunikation ausführlich diskutiert in Hudson (1980: 35-37). Bei der Bestimmung von „NL" können wir uns z.B. des Attributs „von der Mehrheit der Bevölkerung fließend geschrieben und gesprochen" (vgl. Tabelle 3-6, unten) bedienen; obwohl diese Bedingung in den „deutschen Landen" im 19. Jahrhundert noch nicht erfüllt wurde, benutzte man gemeinhin den Begriff „Nationalsprache". Hier muß das „Sprachbewußtsein" eine wichtige Rolle gespielt haben.

155 Von Bedeutung ist weiterhin die Größenordnung der Beschreibungsebene, der zufolge „globale" < „makro-soziolinguistische" > oder „feine/detaillierte" < „mikro-soziolinguistische" > Parameter differenziert werden können. Im Unterschied zu 'sprachpolitischen' und 'sprachgeographischen' Begriffsbestimmungen sind 'Sprecher(gruppen)', ihre sozialen und kommunikativen 'Netzwerke' ('networks', 'réseaux', 'reti') sowie ihre funktionale Verteilung in 'Typen von Sprachgemeinschaften' distinktive sprachsoziologische Größen. Die Relevanz dieser sprachsoziologischen Größen wird sofort klar, wenn wir uns die Unterschiede der Beschreibung auf makro- bzw. mikro-soziolinguistischer Ebene verdeutlichen. 'NL', 'OL' und 'TL' sind auf dem Hintergrund makro-soziolinguistischer Parameter bestimmbar (im wesentlichen geht es um Größen der 'sozialen Integration', die durch Institutionen, Gesetze, öffentliche Regelungen wirken und kurz die 'Gesamtheit der systemischen institutionellen Kräfte in einer Gesellschaft mit sozial-integrativer Wirkung' genannt werden können). 'RL' und 'mL' wird man andererseits nicht ohne Bezug auf die Dichte sozialer Netzwerke, kulturelle Interaktionsformen und -arten in informellen Kontexten, identitätsbezogene Funktionen des Sprachgebrauchs (u.a.) erfassen können. Die mikrosoziolinguistische Ebene ist die Dimension der LEBENSWELT, in der Sprach- und Kulturformen alltagsweltlich reproduziert werden. Konsequenzen der Unterscheidung einer MAKRO- und einer MIKRO-Dimension der Beschreibung und Erklärung durchzieht die wissenschaftstheoretische und methodologische Diskussion der neueren Soziolinguistik. So werden 'Minderheitensprachen' auf makro-soziolinguistischer Ebene mithilfe der Begriffe 'Sprachgemeinschaft', 'Diglossie' etc. erfaßt (vgl. hierzu die zahlreichen Arbeiten von Fishman, die in Kapitel 2 und 3 dargestellt werden); auf mikro-soziolinguistischer Ebene wird das konkrete Interaktionsverhalten von Sprechern einer Minderheitensprache (in Interaktion z.B. mit Sprechern einer Mehrheitssprache) beschrieben, das diese Sprecher sozusagen 'inszenieren', um 'minorisiert' zu werden; das komplementäre Verhalten ist das 'majorisierende' von ML-Sprechern 97 . Die vielfältigen Erscheinungsformen der 'Minorisierung' bzw. 'Majorisierung' werden in Py & Jeanjearet (1990) als Ergebnis von Interaktionsverhalten beschrieben.

97

Ein ähnliches Verhalten beobachten wir jetzt auch bei Sprechern des Deutschen aus Ostdeutschland: in der Interaktion 'ossisieren' sich Sprecher aus der ehemaligen DDR häufig gegenüber Sprechern aus den alten westdeutschen Bundesländern (es handelt sich hier um konversationelle Verfahren der Unterordnung der nichtdominanten Gruppe unter die dominante Gruppe).

156 Die dynamische lebensweltliche Dimension wird im folgenden vernachlässigt. 98 Meine Begriffsbestimmungen sind somit „makrosoziolinguistischer" Natur und damit in ihrer explikativen Kraft „unterdeterminiert"99: Die Dynamik z.B. von 'mL' können wir nämlich nur angemessen beschreiben und erklären, wenn wir das Interaktionsverhalten von 'mL'- und 'ML'Sprechera berücksichtigen. Folgende Anforderungen stelle ich an eine adäquate Bestimmung der Begriffe 100 : (i) Der Gegenstand der Begriffsbestimmung muß 'beobachtbar' sein (im Franz. 'observable', im Englischen 'principle of naturalism', "the object of study is to be taken as an observable phenomenon", Fasold 1984:68)101; mit anderen Worten: der Begriff muß durch beobachtbare Indikatoren 'operationalisiert' sein. (ii) Die Begriffsbestimmungen sollen 'Voraussagekraft' ("predictive force") haben, d.h. sie sollen nicht nur aus einer Ansammlung arbiträr gefundener Merkmale bestehen, sondern einen gültigen Status in einer (allgemeinen) Theorie haben. Hieraus folgt: Die Begriffsbestimmungen sollten 'Attribute' oder 'wesentliche Eigenschaften' umfassen. (iii)Die Begriffsbestimmungen sollen durch skalare Eigenschaften operationalisiert werden (anstelle von kategorischen Bestimmungen). Begriffsbestimmungen können dann (z.B.) die Form annehmen: Die Funktion Ό'(offiziell) einer Sprache L ist erfüllt, wenn sie einer Reihe von optionalen und wesentlichen Eigenschaften genügt. Die 'optionalen' und 'wesentlichen' Eigenschaften sind durch 'Skalen' (Kontinuum) definiert 102 . Ich unterscheide vier Skalen, deren optionale und wesentliche Eigenschaften sich auf einem Kontinuum (linear oder implikativ) ordnen lassen 103 : (1) KORPUSDIMENSION104: Sprachstand von L oder V (=Varietät) unter dem Gesichtspunkt der Normierung und Kodifizierung der gesprochenen und geschriebenen Sprache. Diese Skala berücksichtigt diachrone und synchrone sprachliche Daten. 98

Beim gegenwärtigen Stand der einzelfallbeschreibenden ethnographischen Forschung wäre es utopisch, Begriffsbestimmungen auf „mikro-soziolinguistischer" Ebene vornehmen zu wollen. 99 „Unterdeterminiert" heißt in diesem Zusammenhang, daß notwendige erklärende Parameter in der gegenwärtigen Forschung nicht genügend bekannt sind. Ich greife bei meiner Beschreibung insbesondere auf Fasold (1984) und Ammon (1987) zurück. 101 Ralph Fasold (1984) In dem Ansatz von Fasold (1984) entsprechen den Eigenschaften 'Attribute' Die Forderung nach der skalaren Ordnung erhebe ich hier, kann sie im Rahmen dieser vorläufigen Skizze aber nicht einlösen. Umfangreiche und zeitraubende Kleinarbeit ist vonnöten. 104 In Anlehnung an Leopold Auburger, Linguistic Minority Relations, in: Sociolinguistica 4, Themenheft: Minderheiten und Sprachkontakt, 1990, 169-190

157 (2) SPRACHFUNKTIONEN (institutioneller vs. lebensweltlicher Gebrauch) : Grad der (ζ. B. diglossischen) Verbreitung/Vitalität/Verankerung in 'Domänen' öffentlicher, kultureller und privater Verhaltens- und Interaktionsbereiche105. Zu dieser Dimension gehören sowohl gesetzliche Grundlagen der Sprachverwendung als auch intemalisierte, habitusbezogene Sprachgebrauchsvorschriften. (3) SKALA DER AUTORITÄT/LEGITIMITÄT: Rolle der Sprache als 'legitime' und gesetzlich verankerte Autorität (vgl. Bourdieu 1982); sozialpsychologisches Prestige von L und ihr 'Nutzwert', die sich positiv auf die Erlernung als L2 auswirken (herausragende vs. niedere Position auf dem „marché linguistisque"). (4) SPRACHLICH-KOMMUNIKATIVES REPERTOIRE: Repertoire an Varietäten, die der L-Begriff umfaßt (muttersprachliche, zweit- oder mehrsprachige Ausprägungen). (5) Das soziolinguistische Profil der Begriffe ergibt sich im wesentlichen aus (1) bis (4). Um die Ähnlichkeit bzw. Distanz der Begriffe untereinander zu verdeutlichen, habe ich die Kategorie RELATION (Kommentare zu begrifflichen Unterschieden) hinzugefügt: sie thematisiert z.B. die Beziehung des Begriffs 'mL' zu 'OL, NL, RL & ML', unterstreicht aber auch, daß 'mL'-Sprecher in bestimmten Situationen 'ML'Sprecher sein können.

Am Ende einer jeden Bestimmung fasse ich unter 'Begriffliches Skript' die minimalen, wesentlichen Attribute eines jeden Begriffes zusammen. 10 Die folgenden Tabellen geben einen Überblick über soziolinguistische Bestimmungsgrößen der sechs Begriffe von 'L' anhand von relevanten107 Eigenschaften.

105 106

'Domänen' verstehe ich hier im Sinne von Fishman als soziologische Konstrukte (vgl. Kapitel 2). 'Skript' ist ein Begriff der kognitiven Psychologie (vgl. Schänk & Abelson 1977). In unserem Zusammenhang stellt er so etwas wie einen 'konzeptuellen Geheimcode' dar. Fasold (1984) spricht von "required attributes" (77); der Terminus "required" ist nicht explizit. Ich spreche daher von 'relevant'. Die folgenden tabellarischen Beschreibungen sind emplarisch. Es fehlt die Explikation der Varietätenbegriffe (Dialekt, Soziolekt etc.), die allerdings in Kapitel 4 vorgenommen wird.

158

1.

2a. 2b. 3a. 3b. 3c. 4a. 4b. 5a. 5b. 5c. a. b. c. d.

Relevante Eigenschatten (Attribute) In signifikantem Ausmaß dokumentierte sprachgeschichtliche Wurzeln (Märchen, Literatur, schriftliche Dokumente der Vergangenheit «Archive», MetaDiskurse über Art und Rolle der L, mündl./schriftl. überlieferte Kulturformen) große Verbreitung in Institutionen verbreiteter Gebrauch bei feierlichen, nationalen Anlässen sowie in einer Reihe alltagsweltlicher Kontaktsituationen akzeptiert als 'authentisch' es gibt keine Alternative zu NL gilt als Symbol der nationalen/geschichtlichen Identität für einen bedeutenden Anteil in der Bevölkerung Endolingual miteinander verwandte dialektale und soziolektale Ausprägungen von Varietäten literarische Gattungen, breites schriftliches Varietätenprofil oft mit OL identisch (Status verschieden) supra-regionale Reichweite (Inklusionsbeziehung zu RL, mL, TL) Koexistenz zu VL Begriffliches Skript Einheitssprache breite Venwendung im Alltag von der Mehrheit der Bevölkerung fließend geschrieben und gesprochen Symbol nationaler (sozialer, historischer) Identität

Tabelle 3-6: Die 'nationale' Funktion von L 1. 2a. 2b. 2o. 3a. 3b. 4a. 4b. 4c. 5a. 5b. 5c. a. b. c.

Relevante Eiqenschaften (Attribute) in hinreichendem Maße standardisiert (u.a. Orthographie; fixierte Normen; grammatische und fachspezifische Referenzwerke) Gebrauch in Schulen, gesetzgebenden und richterlichen Institutionen eines signifikanten Territoriums (sowie in signifikanten weiteren Institutionen) beherrscht von einem signifikanten Teil der Bildungs- und Berufskader Gebrauch in den Medien gesetzlich vorgeschrieben Beherrschung Voraussetzung für öffentliche Schlüsselpositionen formale und feierliche Register, obligatorisch für Schulen, Institutionen etc. gute Beherrschung ist Voraussetzung für beruflichen Erfolg umfassende, differenzierte schriftliche Varietäten mit institutioneller Verbindlichkeit in enger Relation zu NL, rigider kodifiziert und für den Gebrauch operationalisiert schließt TL in Hauptfunktionen ein VL und RL in normativer Geltunq entqeqengesetzt Begriffliches Skript hohes Niveau der Standardisierung wird sicher/gut beherrscht von Kadern der Bildungs- und Verwaltungsinstitutionen weitverbreitete rechtlich-verbindliche Geltung

Tabelle 3-7: Die 'offizielle' Funktion von L 1. 2a. 2b. 3. 4. 5a. 5b. 5c. 5d. a. b.

Relevante Eigenschaften (Attribute) wie OL Amtssprache (=0L) für ein gesetzlich definiertes Territorium gesetzliches Recht der TL bricht Geltung anderer offizieller Sprachen wie OL Bedingungen (a) bis (d) wie unter OL mit der Einschränkung: Geltung in 'kleinerem' Maße als OL, teilweise koexistierend mit OL und NL Intensionsgleich mit OL, Geltungsbereich eingeschränkt wie OL, 5 (c) koexistent mit NL von OL und NL meistens verschieden; kein Dialekt Begriffliches Skript territorial eingeschränkte rechtliche Verbindlichkeit eingeschränkter Begriffsumfang von OL

Tabelle 3-8: Die 'territoriale' Funktion von L

159

1. 2a. 2b. 3a. 3b. 4a. 4b. 5a. 5b. 5c.

a. b.

Relevante Eigenschaften (Attribute) es gibt Gelegenheiten/Materialien, zu denen/durch die L als Zweitsprache gelernt werden kann Interdomanenspezifischer und interkultureller Gebrauch Vitalitat und Verbreitung entscheidet sich in konkreten Interaktionssituationen: direkter Nutzen ist ausschlaggebend Nutzwert Einfachheit (in der Erlernung oder aufgrund historischer Vertrautheit) und kulturelles, wirtschaftliches, technisches Prestige der VL breite kommunikative Reichweite als Zweitsprache interethnische, interkulturelle Kontaktregister spezifisches Verhältnis von Erstsprachen (Li) und Zweitsprachen (L2) vermittelnde Funktion zwischen 'mL' und 'ML', verschiedenen NL und OL je nach Sprachgemeinschaft; spezifisches Verhältnis zu der ursprünglichen nationalen oder ethnischen Sprachgemeinschaft, aus der die VL für andere Territorien/Domänen übernommen wurde Begriffliches Skript VL muß leicht erlernbar sein: Kontinuum zwischen muttersprachlichen und nicht- muttersprachlichen Varietäten muß toleriert werden

Tabelle 3-9: Die 'verkehrssprachliche' Funktion von L 1a. 1b. 1c. 2a. 2b. 2c.

2d. 3.

4a. 4b. 5a.

5b.

a. b. c. d.

Relevante Eigenschaften (Attribute) sprachliche Spuren von ML in mL (Lehnwörter, Übernahmen, Deformierungen, Assimilation) Probleme in der Standardisierung und dem überregionalen Ausbau (Referenzwerke wie Grammatiken, Wörterbücher, Lehrwerke als L2, Zeitungen, Übersetzungen in der Literatur etc.) Kodifizierung/Normierung der Unterschiede zur evt. 'Dach'- oder Bezugssprache (z.B. Elsässisch im Verhältnis zu Standarddeutsch) verschiedene Ausprägungen von Diglossie und Zweisprachigkeit institutioneller Gebrauch der mL reicht von OL (wenige Sprecher in einzelnen Institutionen) bis zu TL oder OL im allgemeinen meist angemessen/geeignet für Sprachspiele, emotionale und soziale Bedürfnisse (Primärbedurfnisse für soziale Netzwerke), oft unzureichend für bestimmte technologische und fachspezifische Bedürfnisse, wissenschaftliche Register (u.a.) sozialsymbolische Funktion in der Namengebung (Personen, Straßen, Plätze etc.) Kontinuum von lebensweltlicher Legitimität (volle Vitalität in den Netzwerken der kulturellen Reproduktion) über obligatorischen Gebrauch in wenigen/einigen Institutionen/Domänen bis hin zu öffentlich- rechtlichen Regelungen (OL oder TL) signifikante sprachliche Unsicherheit in einigen formalen/fachspezifischen Kontexten signifikante Ungleichgewichtigkeit in dem Sprech-, Schreib- und Lektürerepertoire komplementär zu ML; 'kleinere' Sprachgemeinschaft gegenüber ML im Sinne 'Anzahl der Sprecher' (Elsässer in Frankreich oder Katalanen in Spanien) oder 'nicht-dominant' gegenüber der 'dominanten' ML (afrikanische Sprachen in Mittel- und Südafrika) Sprecher einer mL können für andere Minderheiten ML-Status haben (Andalusier in Barcelona), d.h. Minderheitensprachen haben in einigen Fällen einen Doppelstatus; Minderheiten lassen sich nach Dimensionen wie Territorium, Sprachgemeinschaft, Siedlungsgebiet (Wohnviertel), Gruppen/Netzwerke, Familien implikativ nach dem Grad ihres 'Minderheitenstatus' in Mi > M 2 > M3 > M«> Ms...Mn ordnen. Begriffliches Skript nicht-dominant (in numerischer oder machtpolitischer Hinsicht) verschiedene diglossische Ausprägungen domänenspezifischen Gebrauchs (institutionelle vs. kulturspezifische Domänen) steht ständig unter Druck/Einfluß der dominanten Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft, der durch mL verarbeitet, kompensiert' werden muß (Konfliktpotential) mL-Handlungsmaxime: fluctuât nec mergitur, daher ist die Entwicklung besonderer sprachökologischer Schutzmaßnahmen vonnöten (vgl. auch die zum Überleben von mL notwendigen "19 critical subsystems", die in Auburger (1990) zitiert werden).

Tabelle 3-10: Die 'minoritäre' Funktion von L (mL= 'Minderheitensprache') 108

Der komplementäre, hier nicht explizierte Begriff ist 'Mehrheitensprache', häufig identisch mit OL, NL oder RL.

160 Relevante Eigenschaften (Attribute) in der Regel wenig geschriebene Manifestationen gar keiner oder gerinqer Grad an Normierung niedrige Variante gegenüber der Standardvarietät Funktion der 'Umgangssprache' in der entsprechenden Region (mehr oder weniger auch in Institutionen) 'Vernacular' (= VL) in den 'niedrigen' Domänen relativ zu kommunikativen/sozialen Netzwerken kultureller Reproduktion gesprochene Variante einer NL, OL oder TL existiert nicht ohne Bezug zu einer Standardsprache/OL, TL (von diesen abhängig) gesprochene Umgangssprache regionale Ausprägung von NL, OL, TL/Standardsprache (nicht-autonome Inklusionsbeziehung) Begriffliches Skript nicht geschrieben; in niedrigen Domänen verankert, Gebrauch der gesprochenen Varietät reicht in Η-Domänen hinein

1a. 1b. 2a. 2b. 2c. 3a. 3b. 4. S.

a.

Tabelle 3-11: Die 'regionale' Funktion von L (RL)

3.7.3 Relationen zwischen den Begriffen: Ähnlichkeit vs. Distanz NL, OL und TL haben den offiziellen (H-) Status gemeinsam. Sie sind in Nationen/Territorien mehr oder weniger explizit gesetzmäßig verankert. Während es für die Vitalität der NL-Funktion häufig genügt, sie zu nationalstaatlicher Symbolik feierlich zu praktizieren, wobei ihre normative Kraft sich auf sozialpsychologischen Druck hin entfaltet, ist die OL reglementierend auf gesetzlicher Grundlage normativ prägend. OL muß strikt operationalisiert sein, da sie effizient für öffentliche Zwecke funktionieren muß. TL ist häufig mit der Funktion der OL identisch, hat jedoch in der Regel einen kleineren Geltungsbereich und kann von einer OL überlagert werden. NL kann mit OL und TL koexistieren, NL kann jeweils auch in bestimmten Fällen mit OL und TL zusammenfallen (Beispiel Schweiz). Funktion, Status und Geltung von OL und TL fallen oft zusammen. NL unterscheidet sich von letzteren vor allem in geringer Kodifizierung und in ihrer geistig-moralischen Funktion. SPRACHE

NL

H-Status 1 0 9

+

OL

+

TL

+/-

Identifikatorische Kraft

rechtlich einklagbar

+

+/-

Kodifizierung

-

+

+

+ < +rigide>

+

+/-

Tabelle 3-12: NL, OL und TL im Vergleich

109

H-Status ('High'-Status = Prestigestatus) impliziert im Sinne von Ferguson: , d.h. die institutionellen, gesellschaftlich dominanten Domänen stehen gegenüber den lebensweltlichen (Familie, Freundschaft) klar im Vordergrund.

161 RL und VL haben gemeinsam, daß ihre Varietäten von soziolinguistischen 'L(ow)'-Energien genährt werden (kulturelle Reproduktion, wichtige Funktionen in der spontanen Kommunikation, Aufrechterhaltung nicht über öffentliches Recht/Ideologien/Vorschriften, sondern durch Art/Intensität/Dichte von sozialen und kommunikativen Netzwerken). Im Gegensatz zu NL, OL und TL wird RL durch Habitus und lokale Identität, VL durch Nützlichkeit aufrechterhalten. VL ist im Unterschied zu RL an die Bedingung geknüpft, daß sie leicht erlernbar ist. SPRACHE RL VL

τL-Status c. • Hl

+ +/-

Medium interethn./interkult. Kommunikation

leicht erlernbar

-

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Tabelle 3-13: Unterschiede/Gemeinsamkeiten zwischen RL und VL Die Minderheitssprache (mL) hat mit RL und VL gemeinsam, daß sie nicht-dominant in einer Gesellschaft ist. Darüber hinaus verbindet die VL mit der mL, daß beide in der Regel eine von der ML verschiedene Sprache (L2 im Falle der VL) darstellen und auch (fur einen signifikanten Bereich der Gesellschaft) nicht-offiziell sind. RL ist von mL und VL 111 dadurch verschieden, daß sie eine Varietät innerhalb einer gegebenen Standardsprache darstellt. Die mL unterscheidet sich von den anderen L darin, daß sie weder durch die genetische Nähe zu einer NL oder OL „geschützt" oder „überdacht" ist (wie z.B. die RL) noch (wie in den meisten Fällen) einen politisch-rechtlichen Status hat. Selbst wenn ihr der Status der TL zugesprochen wird, ist ihr Geltungsbereich eingeschränkter als der der ML. In diesem Sinne ist das Rätoromanisch in der Schweiz dem Geiste nach eine mL, durch ihren Status als NL und TL jedoch als 'gleichberechtigte, koexistierende' Sprache etabliert. Nicht-Dominanz und besondere ökologisch bedingte Überlebensanstrengungen (z.B. die Abwehr des von der MLOutgroup ausgehenden ständigen Drucks auf die normativ nicht gefestigte Ingroup der Minderheit) charakterisieren die mL; verlieren mL- oder MLSprecher ihre Sprache, ist dies in der Regel mit massivem Identitätsverlust verbunden; beim Verschwinden einer RL oder VL kann man dies nicht sagen, da die RL meist einer Standard-L nahesteht und die VL verschwinden kann, ohne Identitätsprobleme auszulösen (instrumentelle Sprache). Damit haben auch NL, OL und ML gemeinsam, daß sie fur das individuelle als auch kollektive Bewußtsein der Sprecher identitätsstifiende Bedeutung haben. 110

L-Status (= niedriger Status) impliziert, daß diese Varietäten in der Gesellschaft nicht-dominant sind. Hier als Lingua Franca verstanden, vgl. auch Florian Coulmas (1985).

162 3.7.4 Diskussion Die oben via Attribute und Skalen vorgeschlagenen Begriffsbestimmungen sind tentativ und müssen durch weitere Differenzierungen ergänzt bzw. korrigiert werden. Parameter der potentiellen Entwicklung sind zu wenig berücksichtigt.112 Die Dynamik ökologischer Systeme (Faktoren ihrer Stabilität vs. Instabilität) ist genauer zu bestimmen. Meine begrifflichen Operationalisierungen dürften jedoch insgesamt hinreichend und partikularistisch sein, um die Mehrsprachigkeit in der Schweiz, die Minderheiten Südtirol in Italien, Elsaß in Frankreich, Katalonien in Spanien (um nur einige wenige zu nennen) typologisch genauer erfassen zu können. Der nächste Schritt wäre nun eine Anwendung der deskriptiven Termini auf einzelne europäische Sprachgebiete. Dem Einwand gegen die vorgeschlagene Klassifikation, sie sei zu allgemein, um die Unterschiede zwischen den „Einzelfällen" genügend deutlich hervortreten zu lassen, beuge ich vorsorglich mit dem Hinweis vor, daß zwischen allgemeinen und einzelfallspezißschen Bedingungen unterschieden werden muß. Für ein besseres Verständnis der Sprachverhältnisse in Europa scheint es mir sehr wichtig, empirisch fundierte Kenntnisse über „Sprachgemeinschaften" und ihre „einsprachigen", „zweisprachigen" und „mehrsprachigen" Repertoires sowie über die damit verbundenen 'sozialen und kommunikativen Netzwerke' zu erarbeiten. Dabei kämen die Auswirkungen von 'Seßhaftigkeit' vs. 'Pendlertum/Migration' auf das sprachliche und kommunikative Verhalten deutlicher zum Vorschein. 3.7.5 Perspektiven Anstatt uns zu fragen, wie wir als Soziolinguisten kartesianisch den Sprachen- und Varietätenraum in Europa definieren können, sollten wir uns auch einmal die 'komplementäre' Aufgabe stellen, wie der 'mehrsprachige' europäische Raum von den Sprechern selber gesehen wird. Es ist gut vorstellbar, daß die Bewohner des Oberrheingebietes eher am Lebensraum Oberrhein' und an seinen alltagsweltlichen Varietäten des Alemannischen orientiert sind als an ihren jeweiligen deutschen, schweizerdeutschen und französischen Nationalsprachen. Ähnliches mag fur Katalonien (Südfrankreich, Nordspanien) oder das Grenzgebiet Belgien, Holland, BRD gelten. Ein Europa der Regionen könnte die nationalstaatlichen und nationalsprachlichen Orientierungen zugunsten direkter Verantwortlichkeit geSiehe hierzu die vier Aspekte, die nach Hymes (1974: 95) die Sprachkompetenz auszeichnen: „(a) systemic potential... (b) appropriateness... (c) occurrence... (d) feasibility"; unter „systemic potential" versteht Hymes „whether and to what extent something is not yet realized, and, in a sense, not yet known..." (95).

163 genüber dem Europarat bzw. dem Europäischen Parlament 'entemotionalisieren'. Überlegenswerte soziolinguistische Grundlagen für eine solche Konzeption hat der britische Soziolinguist LePage113 formuliert. Nach LePage positionieren sich Sprecher selbst in einem multidimensionalen sprachlichen Raum. Relativ zu ihren Positionierungen nehmen sie an verschiedenen Sprach- und Kommunikationsgemeinschaften teil, die in Form von Gruppen ihrer Umwelt 'wählbar' sind. So wählen die Sprecher je nach ihrer Gruppenzugehörigkeit jene Varietäten, mit denen sie sich identifizieren möchten. Die sozialpsychologischen Motivationen, die Sprecher zur Wahl und Übernahme von Sprachnormen fuhren, nennt LePage Identitätsakt - er vollzieht sich im wesentlichen durch das soziale Medium der Rede. In den zu erwartenden vorherrschend mehrsprachigen europäischen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts werden solche Identitätsakte fur Individuen und Kollektive von grundlegender sozialer und sprachpolitischer Bedeutung sein.

3.8 Normen 3.8.1 Sprachnormen im Spiegel der linguistischen Forschung114 Der Terminus 'Norm' geht zurück auf lat. norma 'Winkelmaß, Richtschnur, Regel'. In den Geistes- und Sozialwissenschaften wird er zur Beschreibung von Grundlagen und Voraussetzungen, von leitenden Grundsätzen und Mustern menschlichen Handelns genutzt, die auf Vereinbarungen (Konventionen) beruhen und deren Befolgung zu empirisch feststellbaren Regelmäßigkeiten im Sozialverhalten der Menschen fuhrt. Normen können als Orientierungshilfen betrachtet werden, nach denen der Mensch sein Verhalten ausrichtet. In diesem Sinne sind sie präskriptiv. Ihre Nichtbefolgung zieht Sanktionen nach sich, d. h. ihre Befolgung ist durch sozialen Zwang gesichert und wirkt normstabilisierend. Jedoch ist die explizite Kodifiziertheit keine notwendige Bedingung ihrer Existenz, da sie ζ. T. auch als u. U. unbewußtes Normwissen tradiert und weitergegeben werden. Sie existieren genau dann, wenn sie von den Mitgliedern einer sozialen Gemeinschaft als handlungsleitend akzeptiert werden. Das Kriterium für die Bewertung von Normen ist das der Angemessenheit oder Adäquatheit.

113

114

Siehe hierzu Le Page (1968). Den Ausführungen in 3.8.1 und 3.8.2 liegt der Beitrag Dittmar, N. & SchmidtRegener, I. (1997) 'Normen und soziale Varianten' zugrunde, der in dem Handbuch Deutsch als Fremdsprache (Berlin: de Gruyter) demnächst erscheinen wird.

164 Da das Sprachverhalten des Menschen integraler Bestandteil seines Sozialverhaltens ist, können Sprachnormen als Teilbereich der Sozialnormen betrachtet werden, die das menschliche Zusammenleben regeln. In der Linguistik werden im wesentlichen zwei Normkonzepte vertreten. Die eine Betrachtungsweise geht aus der primär innerlinguistischen Perspektive an das Phänomen heran und fragt unter funktionalsystemhaften Aspekten danach, was grammatisch korrekt und semantisch interpretierbar ist (Gloy 1987). Ihr Normbegriff ist die 'Regel'. Der sogenannte koexistierende Ansatz (verschiedene Normen koexistieren gleichzeitig nebeneinander) geht von einem weiter gefaßten Begriff der Norm aus und bezieht die sozialen Kontexte sprachlichen Handelns in die Argumentation mit ein. Der zugrundeliegende Normbegriff ist im Sinne von 'Kommunikationsnormen' soziolinguistisch geprägt. Linguistische Normen als Ausdruck von Sprachregeln existieren fur alle Varietäten. Über die verbindlichsten, weil kodifizierten Normen verfugt die Standardvarietät. Verstöße gegen das Prinzip der Korrektheit bzw. der sprachlichen Richtigkeit werden auf der grammatisch-semantischen Ebene deshalb am strengsten sanktioniert. Von Sanktionen gegen Normverstöße zu unterscheiden sind objektive Folgen der Befolgung oder Nicht-Befolgung von Normen (Gloy 1987), die vorrangig in der Beurteilung der sozialen und intellektuellen Kompetenz der Sprecher/Schreiber zum Ausdruck kommen. Die funktional-systemische Argumentation arbeitet mit den Termini 'Sprachsystem', 'Norm' und 'Sprachgebrauch' (oder 'Verwendung', 'Rede'), mittels derer sie erklärt, wie Regelmäßigkeiten in der Auswahl aus zunächst systemisch mehr oder weniger gleichwertigen Varianten entstehen und zu Normen, d. h. verbindlichen Vorschriften, werden können. Diese Betrachtungsweise abstrahiert weitgehend von den Produktions- und Rezeptionsbedingungen sprachlicher Äußerungen und konzentriert sich vorrangig auf die Beschreibung der Normen der Standardvarietät, die Mechanismen ihrer Herausbildung und Veränderung im Spannungsfeld zwischen Deskription und Präskription, zwischen Sprachsystem und -Verwendung. Den ersten theoretischen Zugang entwickelte Paul (1880), der die Normentwicklung der 'Gemeinsprache' ('Standardvarietät') über statistische Durchschnittsbildungen aus der 'individuellen Sprechtätigkeit' (Sprachgebrauch) heraus erklärte. Dieser Ansatz verweist bereits auf das Verhältnis zwischen dem System einer Einzelsprache und der Verwendung dieses Systems in der Kommunikation, das von de Saussure (1916) mit den Termini 'langue' und 'parole' klassisch fixiert wurde. Eine neue Perspektive formuliert Coseriu (1952, 1975), der den de Saussureschen Ansatz auf seine normtheoretischen Konsequenzen hin befragt. Er kritisiert die de Saussuresche Antinomie zwischen langue und parole: es handele sich bei diesen Modellen eher um zwei verschiedene

165 Standpunkte, für die unterschiedliche Abstraktionsgrade wesentlich seien. Ausgehend von der parole, von der Sprechtätigkeit, setzt Coseriu eine erste Abstraktionsstufe an, die das umfaßt, was Wiederholung früheren Sprechens ist. Diese Abstraktionsstufe nennt er 'Norm', bestehend aus individuellen, sprachlichen Varianten, und einer sozialen, sprachsystemnahen Ausprägung. Das Sprachsystem entsteht auf der zweiten Formalisierungsstufe und umfaßt nur das für das System funktional Relevante. Umgekehrt kann der Weg vom System zum Sprechen als zunehmend (normgerechte) Realisierung bzw. Konkretisierung beschrieben werden. Damit hat Coseriu das dynamische Verhältnis zwischen System und Norm auf eine theoretische Grundlage gestellt: das Sprachsystem ist sowohl weiter als auch enger als die Norm. In der Soziolinguistik werden unter Normen Bewußtseinsinhalte, also Abstraktionen, verstanden, die auf Erwartungshaltungen hinsichtlich situationsadäquaten Sprachverhaltens bezogen sind. Sie entstehen durch kommunikative Erfahrungen, die bewertet werden (erfolgreich vs. nicht erfolgreich) und so Leitbildcharakter fur künftiges Sprachverhalten erhalten. Einbezogen wird die Komplexität aller situativen und sprachlichen Determinanten, die in der Kommunikation eine Rolle spielen. Der soziale Charakter der Normen besteht darin, daß ihre Befolgung einerseits von anderen gefordert wird und andererseits den Bestand einer sozialen Ordnung garantieren soll (Gloy 1987). Außerdem besitzen sie einen sozialen Geltungsbereich: Es existieren unterschiedliche gruppenspezifische Normen bzw. Normvorstellungen in einer Sprachgemeinschaft. Einen einflußreichen Ansatz zur Beschreibung soziolinguistischer Normen hat Härtung (1977) vorgelegt, dessen Argumentation eine Vermittlung zwischen einer im strengeren Sinne linguistischen und einer im weiteren Sinne soziolinguistischen Definition von Sprachnormen ermöglicht. Er betrachtet Normen als geronnene, bewertete kommunikative Erfahrungen, die als Abstraktionen im Bewußtsein der Sprecher/Hörer existieren und deren Befolgung die Produktion bzw. Rezeption normgemäßer sprachlicher Äußerungen ermöglicht. Diese individuellen Erfahrungen der Sprecher/Hörer in der Kommunikation und die Verinnerlichung dieser Erfahrungen als Normwissen sind eine Funktion ihrer sozialen Zugehörigkeit. Das Sprach(norm)wissen des Individuums erstreckt sich grosso modo auf zwei Teilbereiche, den der i. e. S. linguistischen, der grammatisch-semantischen Normen, und den der i. w. S. pragmatisch-kommunikativen Normen, der Normen also, die sich direkt auf den sozialen Kontext und die jeweilige Kommunikationssituation beziehen (z. B. wann ist eine Kommunikation überhaupt angebracht? Wer darf sie eröffnen? Welche Varietät ist auszuwählen?). Eine soziolinguistische Explikation des Normbegriffs hat Gloy (1987: 120fF.) vorgeschlagen; unter Norm versteht er einen modalen Sachverhalt: „Ein bestimmter (Handlungs-, Wert-, Denk-...) Inhalt und die Form seiner

166 Äußerung sind nach dem Willen einer Instanz A fur einen Personenkreis Β unter den Situationsbedingungen C in Bezug auf einen Zweck D mit der Begründung E erlaubt, ge- oder verboten " (Gloy 1987: 121). Gloy kommentiert seine Begriffsbestimmung folgendermaßen: „Unter die so definierten sozialen Normen fallen als Teilmenge die Sprachnormen; sie und nicht die linguistischen Regeln sollten Gegenstand soziolinguistischer Forschung und Theoriebildung sein. Sprachnormen in diesem Sinne sind also Erwartungen und/oder explizite Setzungen modaler Sachverhalte, die ihrem Inhalt zufolge die Bildung, Verwendungsabsicht, Anwendung und Evaluation sprachlicher Einheiten der verschiedensten Komplexitäten regulieren (sollen). Diese Bestimmung geht über den Normbegriff Coserius hinaus, der innerhalb der strukturellen Sprachwissenschaften noch am deutlichsten eine soziale Interpretation versucht. Coseriu (1970) zufolge charakterisiert 'Norm' die Menge des in einer Gemeinschaft 'Normalen', des (z.B. regionalvariierenden) Allgemeinen. Die Tatsache aber, daß eine (Sprach-) Norm ein intentionaler Sachverhalt und folglich interpretativ zu rekonstruieren ist, bleibt unberücksichtigt." (Gloy 1987: 121).

3.8.2

Die soziolinguistische Rekonstruktion des Normbegriffs durch Bartsch (1987)

Zu ähnlichen soziolinguistischen Befunden kommt Bartsch (1987) von einem sozialtheoretisch-philosophischen Ausgangspunkt. Sie definiert Sprachnormen als die soziale Realität sprachlicher Korrektheitsbegriffe, die aufgebaut werden über die Wahrnehmung fremden vorbildlichen Sprachgebrauchs, aus dem der Sprecher durch Abstraktion der relevanten Merkmale die Inhalte der jeweiligen sprachlichen Norm konzipiert. Normen fungieren als notwendige Regulatoren menschlichen Handelns, als Konventionen, die Koordinationsprobleme lösen helfen. In diesem Sinne sind sie sowohl Koordinations- als auch Kommunikationsnormen. Die Priorität wird dabei von der höchsten Kommunikationsnorm gesetzt, die darin besteht, rational, d. h. zielgerichtet und zieladäquat in bezug auf das Ziel „EinanderVerstehen" zu handeln. Eine sinnvolle Annäherung an den Begriff der Norm stellt die empirisch geleitete Rekonstruktion von Sprachnormen dar, mit der ermittelt werden soll, „welche Normen in einer Sprachgemeinschaft gelten, oder eine Praxis sind. Man kann diese Normen beschreiben, ohne sie zugleich zu vertreten. Es wird lediglich festgestellt, daß in der Gemeinschaft X die Normen A und in der Gemeinschaft Y die Normen Β gelten, oder eine Praxis sind, oder akzeptiert werden. Hiermit wird eine soziale Tatsache berichtet, die eine empirische Tatsache ist" (Bartsch: 4 f.). Wenn es also nicht um Präskription, sondern um Deskription geht, müssen Korrektheitsbegriffe fur sprachliche Mittel und deren Anwendung in der Kommunikation herausgearbeitet werden, denn: Normen sind die so-

167 ziale Realität der Korrektheitsbegriffe. Sie „existieren in einer Sprachgemeinschaft als die Inhalte von Normen" (Bartsch: 5). Unter 'Korrektheit sprachlicher Mittel' gehören die linguistischen Eigenschaften der lautlichen, lexikalischen und syntaktischen Ebene; unter 'Korrektheit des Sprachgebrauchs' werden textuelle, semantische und pragmatische Eigenschaften des Sprachgebrauchs subsumiert, die auch die Korrektheit des Gebrauchs sprachlicher Mittel, aber vor allem jene von Handlungen und Folgen von Handlungen zum Gegenstand haben. 1. Korrektheit sprachlicher Mittel Bartsch diskutiert unter diesem Korrektheitsbegriff phonetische, lexikalische und syntaktische Korrektheit. Auf der phonetischen Ebene stellt die 'Norm' nur das Resultat eines Artikulationsvorgangs fest: Z.B. muß im Deutschen jeder Verschlußlaut am Silbenende ein stimmloser Verschlußlaut sein. „Diese Normen regulieren oder normieren nur das Produkt, aber nicht die Produktion" (Bartsch 1987: 6). Es gibt somit eine gewisse Bandbreite, in der die phonetische Produktion akzeptiert werden kann, wird sie jedoch überschritten, so nimmt sie eine für die Sprachgemeinschaft untypische Qualität an (die Henry Kissinger und Alfred Grosser z.B. als Nicht-Muttersprachler erkennbar machen). Auch fur Tonhöhe und Lautstärke gibt es auf der Folie der auditiven Phonetik Korrektheitsbegriffe. So symbolisieren lautstarke Rede im britischen Englisch die Varietät der Unterschicht; eine solche Norm muß abgelegt werden, wenn Sprecher höhere Statuspositionen erreichen wollen. Nicht zufällig mußte Frau Thatcher als Regierungschefin ihre (entsprechend der britischen Frauensozialisation) „hohe" Frauenstimme zu niederen Tonstufen absenken, um mit diesem „sehr auffälligen Merkmal von Fraulichkeit ihrer politischen Botschaft" nicht zu schaden, da sie damit „Menschen vom Inhalt der Rede abgelenkt hätte, der in seinem Ausdruck zu sehr als 'women's talk' abgestempelt würde durch die Tonhöhe" (a.a.O.: 8). Syntaktische Korrektheit wird vor allem für schriftsprachlichen Gebrauch verlangt. Dagegen ist in der gesprochenen Sprache das wichtigste Kriterium: Verständlichkeit, d.h. die kommunikative Absicht, Verständlichkeit, Expressivität des Mitgeteilten etc. stehen im Vordergrund der Interaktions- und Sprechsituation. Ob und warum durch weil eingeleitete Kausalsätze mit Verbzweit- oder Verbendstellung verbunden werden, die Modalpartikeln halt und eben einzeln oder nebeneinander verwendet werden, bestimmte Teile der verbalen Botschaft aus dem verbalen Rahmen (Verbklammer) ausgegliedert werden oder nicht, ist eine an den kommunikativen Bedürfnissen orientierte Frage: Die kommunikative Funktion prägt die Form, der Grad der Korrektheit der

168 Äußerung ist dem kommunikativen/expressiven Bedürfnis der Mitteilung in der Regel untergeordnet. Darüber hinaus differenziert Bartsch mündlichen Sprachgebrauch, der • inkorrekt bezüglich der Schriftsprache, korrekt aber in der Umgangssprache ist; • inkorrekt in der Schrift- bzw. Umgangssprache, akzeptabel aber in der Kommunikation mit Fremden (Xenolekte) und Kindern ('Motherese'); • akzeptabel in bestimmten Situationen und zu bestimmten Gelegenheiten, sofern die Normverstöße die Verständigung nicht behindern (Bartsch 1987: 20 f.). Als umgangssprachlich korrekt (bzw. akzeptabel) würde man die Sätze (i) bis (iv) betrachten. (i) Ich hab ihm die Karte schon zurückgegeben, neulich bei unserer letzten Unterhaltung am Freitag (ii) Der Eugen, der hat noch keinen Pudding bekommen (iii)Dem sein Auto möchte ich nicht geschenkt haben! (iv) Peter trinkt heute nichts, weil + er ist nicht gut drauf

In (i) handelt es sich um einen an das Partizip zurückgegeben angeschlossenen pragmatischen 'Nachtrag' im Nachfeld der Äußerung, (ii) ist eine Linksherausstellung, wobei die extraponierte Konstituente topikalisiert ist. (iii) betrifft das Akkusativobjekt „das Auto des X", wobei dem ein attributiv gebrauchtes obliques Pronomen ist, das mit det + Ν zu einem syntaktischen Muster verschmolzen ist (vgl. Henn-Memmesheimer 1989, die die überregionale Existenz dieser Muster nachweist). Die Verbzweitstellung in dem mit dem Hauptsatz koordinierten we/7-Satz in (iv) wird heute zu 80 % von Jugendlichen bereits in der alltäglichen Rede realisiert. Lexikalische Korrektheit Die Menge der tatsächlich benutzten Wörter des Deutschen ist eine Teilmenge der möglichen Wörter, ergänzt durch eine weitere Teilmenge von Lehnwörtern, die in ihrer morphologischen Form an das Deutsche angepaßt sind. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von aktuell benutzten Wörtern, die im Begriffe sind, deutsche Lehnwörter zu werden, aber noch nicht an die deutsche Morphologie angepaßt sind. Die 'korrekten' Wörter des Deutschen sind in Listen zur 'Ortholexik' zusammengefaßt. Solche Listen sind in Lexika repräsentiert, die eine Art „kollektives Gedächtnis" (Bartsch: 10) darstellen. Lexika spezifizieren, ob Wörter einer älteren oder einer neueren Sprachstufe angehören, in welchen Kontexten sie angemessen oder unangemessen sind, welche semantischen

169 und pragmatischen Restriktionen mit ihnen verbunden sind. Sprecher des Deutschen verfugen nicht über den gleichen Wortschatz: Sie teilen einen gemeinsamen Alltagswortschatz, haben darüber hinaus aber einen Fachwortschatz, den andere Sprecher nicht kennen. Da fast jeder Beruf seinen eigenen Sonderwortschatz kennt, kann man den gesamten Wortschatz des Deutschen in Teilwortschätze unterteilen, deren jeweilige Korrektheit von den Fachspezialisten kontrolliert wird. Putnam (1975) spricht von „division of linguistic labor", also von einer mit bestimmten Arbeitsbereichen korrelierenden sprachlichen Arbeitsteilung. 2. Korrektheit des Sprachgebrauchs Die Korrektheit von Texten („einschließlich stilistischer Aspekte und der Textkorrektheit", Bartsch: 22) bezieht sich auf die semantische Kohäsion und die pragmatische Kohärenz von Texten (wobei die thematische Gestaltung von zentraler Bedeutung ist). Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf Mötsch (1996), wo vielfältige textlinguistische Faktoren für die Gestalt und Gestaltung von Texten linguistisch beschrieben werden. Textkorrektheit hängt natürlich eng zusammen mit semantischer und pragmatischer Korrektheit. Sinnvolle müssen von sinnlosen Äußerungen unterschieden werden; sinnvolle Äußerungen liegen nur dann vor, wenn konventionelle Bedeutungen im Zusammenwirken von Ausdrücken in Äußerungen (1) erkennbar, (2) korrekt formuliert (sie sind ehrlich gemeint etc.) und (3) gültig sind (nach spezifischen Gültigkeitskriterien) sowie (4) akzeptiert werden können (Bedingungen fur das rationale Handeln von Sprecher und Hörer). Die in (1) bis (4) angeführten Punkte knüpfen an die Sprechakttheorie (Austin, Searle, Wunderlich etc.) an. Pragmatische Korrektheitsbedingungen haben mit Prinzipien der Kooperation im Handeln zu tun (Grice 1975). Bartsch beruft sich auf die von Grice formulierten Maxime der (a) Qualität, (b) Quantität, (c) Relevanz und (d) der Modalität. Sie fugt den bekannten Griceschen Prinzipien die Maxime hinzu: Respektiere die Normen der Kommunikation/Interaktion! Verhalte Dich korrekt im Sinne objektiver gesellschaftlicher Kriterien! (Bartsch 1987: 51 ff). Die Explikationen der genannten Korrektheitsbegriffe dürften für eine 'Deutsch als Fremdsprache'-Diagnose des Stellenwertes sozialer Varianten und Normen im Unterricht nützlich sein.

3.9 Ausblick Was ist die die verschiedenen theoretischen wie makrosoziolinguistischen Gegenstände dieses Kapitels umfassende und kohärenzstiftende Klammer?

170 Die gesuchte Größe könnte 'Norm' heißen. Wie die Ausführungen in 3.8 gezeigt haben, ermöglicht uns der Bezug zu normativen Korrektheitsbegriffen eine Typologie von Sprachen und Varietäten nach ihren Funktionen und sozialem Status. Der Bezug zu mündlichen und schriftlichen Normen in unterschiedlichen Ausprägungen der Diglossie und Polyglossie könnte zu einer Typologie verschiedener Kommunikations- und Sprachgemeinschaften fuhren. Normskalen würden Beschreibungen von Sprach- bzw. Kommunikationsgemeinschaften nach domänenspezifischen Profilen ermöglichen. Wie solche Profile aussehen können, wurde in 3.7 am Beispiel von sechs Sprachbegriffen vorgeführt. Damit wird exemplarisch ein Weg aufgezeigt, in der zukünftigen soziolinguistischen Forschung zu einer Sprachund Varietätentypologie zu gelangen, die sich nicht auf innerlinguistische, sondern auf Status- und Funktionskriterien bezieht."5 Untersuchungen zum Arbeitsfeld 'Sprache und soziale Ungleichheit' können sich in Zukunft auf Normenkonflikte konzentrieren. Mithilfe des Begriffs 'Normkonflikt' haben wir einen deskriptiven Zugriff auf die vielen sozialen Situationen sprachlicher Benachteiligung, die häufig mit Ansätzen der Aktionsforschung bearbeitet, jedoch mithilfe eines geeigneten normativen Instrumentariums genauer diagnostiziert werden könnten, um darauf Möglichkeiten pragmatischer Inventionen zu gründen.

3.10 Arbeitsaufgaben 1. Diskutieren Sie den Status der folgenden vier Feststellungen, die häufig in soziolinguistischen Veröffentlichen erscheinen: (a) Sozialstruktur X determiniert Sprachstruktur Y (b) Sozialstruktur X und Sprachstruktur Y determinieren sich gegenseitig (c) Sprachstruktur Y bedingt Sozialstruktur X (d) Sprachstruktur Y reflektiert Sozialstruktur X Welche theoretischen Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit solche Feststellungen überhaupt sinnvoll getroffen werden können? Skizzieren Sie bitte den Unterschied zwischen einer Soziolinguistik, die als Teildisziplin der Linguistik gilt und einer interdisziplinären Soziolinguistik. Welche Entscheidungen müssen getroffen werden, wenn die soziolinguistische Theorie interdisziplinär sein soll? Können Sie sich ein konkretes theoretisches Modell vorstellen und wie würde dieses aussehen? 2. Erläutern Sie die wichtigsten Begriffe der Konflikttheorie und zeigen Sie an Beispielen aus der soziolinguistischen Forschung, wie sie in Kapitel 2 dargestellt wurden,

115

Vgl. im Unterschied hierzu die mehr auf linguistischen Kriterien beruhende Abgrenzung von Varietäten in Kapitel 4.

171 wie Begriffe der Konflikttheorie auf Bereiche der sprachlichen Variation angewandt werden können. 3. Auf Sprache zurückgehende soziale Ungleichheit kann durch 'Vorurteile' oder 'marktspezifische' Kräfte des Sprachgebrauchs (Bourdieus Konzeption des sprachlichen Marktes) erklärt werden. Begründen Sie, welche der beiden Explikationen Sie für angemessen halten. 4. Der Begriff des 'sprachlichen Marktes' bei Bourdieu ist unzureichend soziolinguistisch definiert. Versuchen Sie darzustellen, welche Varietät mit welchen linguistischen Eigenschaften auf dem sogenannten sprachlichen Markt miteinander konkurrieren; dabei sollten in Ihre Diagnose soziale Merkmale der Sprachgebrauchssituation (institutionelle, private, formale und informale etc.) eingehen. 5. Diskutieren Sie die Brauchbarkeit der in 3.4 vorgestellten Kriterien zur Definition von Sprachgemeinschaften an zwei Beispielen: Wählen Sie bitte eines der Bundesländer der BRD und nennen Sie die primären und sekundären Bestimmungsmerkmale, die für dieses Bundesland angeführt werden könnten, um als eine Sprachgemeinschaft (oder wieviele Kommunikationsgemeinschaften?) zu gelten. Konfrontieren Sie Ihre soziolinguistische Diagnose mit dem Fall der Sprachgemeinschaft 'Schweiz'. Stellt die Schweiz eine Sprachgemeinschaft mit mehreren Kommunikationsgemeinschaften oder eine Gesellschaft bestehend aus mehreren Sprachgemeinschaften dar? Informieren Sie sich zur Beantwortung dieser Frage bei Haas, Walther (1988) Schweiz, in: Ammon, Dittmar & Mattheier (Hgg.) Handbuch der Soziolinguistik, Bd. 2, 1365-1383. 6. Stellen Sie die deutschsprachige Schweiz als Diglossie dar, indem Sie sich auf den in Aufgabe (5) angeführten Artikel von Haas stützen. Ist die deutschsprachige Schweiz, wie Ferguson noch meinte, eine klassische Diglossisituation? Spezifizieren Sie die Gebrauchsdomänen für standardnahes vs. dialektales Deutsch. Zu welchem Ergebnis kommen Sie hinsichtlich der funktional komplementären Verteilung von H- und L-Varietäten? 7. Erläutern Sie die Begriffe „doppelt überlappende" Diglossie und „doppelt eingebettete Diglossie". Führen Sie für jeden der beiden Begriffe ein Beispiel an. Als Ausweg aus den Engpässen der Diglossie- und Polyglossiedefinition schlägt Berruto vor, das Phänomen der 'Dilalie' zu berücksichtigen. Wenden Sie dieses Kriterium auf die Varietäten des Deutschen an. Trifft Dilalie - wie in Italien - auch auf die BRD zu? Was spricht für und gegen die Kategorie 'Dilalie' auf der Folie der deutschen Sprachverhältnisse? Versuchen Sie, die Unterschiede zur Schweiz aufzuzeigen! 8. Wenden Sie die Definition der Diglossie auf das Elsaß, Katalonien, die Provinz Québec (Kanada) und Südtirol an. Konsultieren Sie unter einschlägigen Stichwörtern das Handbuch der Soziolinguistik (vgl. Bibliographie). Welche Unterschiede bestehen beispielsweise zwischen der Diglossiesituation im Elsaß und in Südtirol? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es zwischen Katalonien und der Provinz Québec in Kanada? Reflektieren Sie bitte auch, nach welchen Kriterien jeweils Sprachen und Varietäten unterschieden werden können. 9. Bestimmen Sie, anhand des bereits zitierten Aufsatzes von Haas über die Schweiz in dem Handbuch fiir Soziolinguistik, was in der Schweiz Nationalsprache, offizielle Sprache, Regionalsprache, Territorialsprache und Minderheitensprache ist. Treffen die in 3.7 vorgenommenen Definitionen/Festlegungen auf die Schweizer Situation zu? Welche Probleme gibt es mit der Bestimmung eines spezifischen Sprachtyps,

172 z.B. Minderheitensprache, wenn die sprachsoziologischen Realitäten der Schweiz berücksichtigt werden? 10. Welche wesentlichen und fakultativen Eigenschaften von Sprache und ihren Funktionen müssen berücksichtigt werden, um Sprachtypen wie Standardsprache, Nationalsprache etc. definieren zu können? Nennen Sie mindestens vier solcher Bestimmungsgrößen und diskutieren Sie nach Möglichkeit an Beispielen, wie angemessen diese Bestimmungsgrößen sind. 11. In Tab. 3-9 wird die verkehrssprachliche Funktion von L erfaßt (Verkehrssprache, Lingua Franca). Überlegen Sie, welche Rolle das Englische als Verkehrssprache in der BRD spielt. Welche relevanten Eigenschaften für 1, 2, 3, 4 und 5 können Sie feststellen und anhand von Beispielen belegen? Läßt sich die Rolle des Englischen als Lingua Franca in der BRD anhand der Tab. 3-9 hinreichend spezifizieren oder fehlen weitere Kategorien? Stützen Sie sich möglichst konkret auf empirische Daten. 12. Erläutern Sie Sprachnormen für das Deutsche (BRD) für die Bereiche (a) der Orthographie, (b) der Orthosyntax (Wortstellung), (c) der Ortholexik (Fachausdrücke in der Wirtschaft in einem Zweig der Industrie, in der Verwaltung), (d) für den Geschäftsbrief, (e) für die Begrüßung und die Verabschiedung im Alltag (formale und informale Situation). Führen Sie für jeden der fünf Bereiche einige Beispiele an und charakterisieren Sie den jeweiligen Typ der Norm. Kontrastieren Sie Ihre Ergebnisse mit den normativen Anforderungen in den gleichen Bereichen in der Schweiz oder in Österreich (nach Ihrer Wahl). Greifen Sie dabei auf Ammon (1995) zurück.

4 Grundbegriffe der Varietätenlinguistik

4.1 'Varietäten' und 'Varietätenraum' Zur Abgrenzung des Begriffs Varietät schreibt Berruto im Handbuch Soziolinguistik (1987: 263): „der vortheoretisch beobachtenden allgemeinen Erfahrung ist bekannt, daß eine und dieselbe Sprache verschieden gesprochen (und z.T. geschrieben) wird, in Abhängigkeit von Sprecher, Umstand, Zeit und Ort, oder, allgemeiner, von den spezifischen sozialen Bedingungen, in denen sie verwendet wird. Jede dieser verschiedenen Spielarten, in denen eine historisch-natürliche Sprache in Erscheinung tritt, kann man zweckmäßigerweise mit dem Namen Varietät bezeichnen". Sprachliche Variation ist vielschichtig und in eine mehrdimensionale personale, räumliche, historische, soziale und situative Matrix eingebettet. Das sprachliche Was einer Einbettung in eine solche mehrdimensionale Matrix bezeichnen wir als ' Varietäten'(1), ihre explikativen Bezugsgrößen als 'Varietätenraum' (2), wie Varietäten in einem Varietätenraum geordnet sind, ergibt sich aus der (theoretischen) Rekonstruktion relevanter Ordnungsdimensionen (3). (1) Varietäten Wie sich Sprachen zunächst idealisierend als homogene Systeme untersuchen lassen (vgl. Chomsky 1965, 1981), kann man auch ihre Subkodes Idiolekte, Dialekte, Soziolekte etc. - als Systeme beschreiben. Was man unter Sprache und ihren Subkodes - im folgenden Varietäten genannt versteht, d.h. wie man sie definiert, hängt im wesentlichen von der theoretischen und methodischen Perspektive ab, in der dies geschieht. So läßt sich die deutsche Sprache als Vereinigungsmenge aller Varietäten des Deutschen verstehen, Hochdeutsch und Pfälzisch als Varietäten in diesem Varietätenraum. Mattheier hebt hervor, daß Varietäten - er bezieht sich auf Dialekte nur relativ zu ihrer soziohistorischen Entwicklung, dem sich wandelnden Forschungsinteresse an ihnen, grammatiktheoretisch fundierten Modellen zur Messung linguistischer Distanz zwischen Varietäten und der subjektiven Beurteilung ihrer Sprecher definiert werden können (1983: 141-151). Wenn Mattheier fordert, daß der „Gegenstandsbereich der Dialektologie der Dialekt in der Gesamtheit seiner Beziehungen zu Sprache und Gesellschaft ist" (1983: 152), so sind wir in der Tat von Definitionen des Terminus weit entfernt.

174 Man braucht nicht unbedingt so weit zu gehen wie Mattheier. Idealisierungen und ein eingegrenzter Begriffsumfang sind forschungsstrategisch fruchtbar. Letztlich müssen sie sich jedoch an Mattheiers weitgefaßter Zielvorstellung messen lassen. Ähnlich sieht es fur andere Begriffe aus, die die sprachliche Variation betreffen (z. B. 'Soziolekt', 'Standard' etc.). Daraus leiten wir drei Konsequenzen ab: 1. Wir fuhren Termini wie 'Dialekt', 'Soziolekt', 'Register'... als Arbeitsbegriffe ein, die je nach Forschungsziel und -interesse einen bestimmten Umfang haben und eine präzisere Definition vorbereiten helfen; 2. bei dem bescheidenen Kenntnisstand über Eigenschaften und Abgrenzungen von Varietäten kommt ihrer detaillierten empirischen Beschreibung Priorität zu; 3. Fortschritte in der Theorie und Beschreibung von Varietäten sind nur in einer engen Wechselwirkung von Idealisierung und empirischer Beschreibung möglich. Das heißt: die vielerorts angewandten Immunisierungsstrategien gegenüber empirischen Untersuchungen durch Theoretiker (vgl. Dittmar 1983) sind ebensosehr abzubauen, wie die botanomanische Faktenhuberei mancher empirischer Forscher.

Zwei Gesichtspunkte sollten bei der folgenden Darstellung von Varietäten nicht aus den Augen verloren werden: Einerseits werden Varietäten als Systeme erworben und stehen ihren Sprechern als kognitive Wissensbestände zur Verfügung; andererseits unterliegen sie diskurs-, interaktionsund situationsbedingten Beschränkungen. Beide Aspekte tragen in einer spezifischen Weise soziale Bedeutung. (2) Varietätenraum Es ist leicht zu sagen, daß 'Varietäten' zugleich ähnliche und verschiedene Ausprägungen einer 'Sprache' relativ zu außersprachlichen Dimensionen darstellen. Wenn es jedoch bisher keine gültigen und expliziten Definitionen von 'Sprache' gibt, wie lassen sich dann sprachliche Varietäten definieren? Eine Definition des Begriffes 'Sprache' kann mit der Geschichte der Sprachwissenschaft gleichgesetzt werden. In der neueren Linguistik ist 'Sprache' das, was man darunter in einer Sprachtheorie versteht. Für Chomsky (1965: 15) ist das Explikandum einer 'Sprache' ihre Grammatik, die „sich als Beschreibung der immanenten Sprachkompetenz des idealen Sprecher-Hörers (versteht)" (15). Für Montague ist 'natürliche' mit 'formaler' Sprache gleichzusetzen: "There is in my opinion no important theoretical difference between natural language and the artificial languages of logicians; indeed, I consider it impossible to comprehend the syntax and semantics of both kinds of languages within a single natural and mathematical precise theory."' (1974: 222)

Soziolinguisten sind mit Klein (1974: 7) der Auffassung, daß „die 'Sprache' kein Gegenstand (ist), der unmittelbar gegeben ist, sondern eine

175 Konstruktion, in der auf nicht sehr klare Weise Verschiedenes zusammengefaßt ist". So versteht der Brockhaus (Wiesbaden 1968, Bd. 4) unter der Einzelsprache Deutsch „eine Gesamtheit von Erscheinungsformen, die in der neuhochdeutschen Schriftsprache, der Hochsprache, örtlich abgewandelten Umgangssprachen, einer Reihe von Standardsprachen, Sondersprachen und der Fülle der Deutschen Mundarten vorliegen." Diese und ähnliche Charakterisierungen sind vage und mehrdeutig. Wir wollen daher unter 'Sprache' eine Menge von 'Varietäten' (= verschiedene Sprachgebrauchssysteme) verstehen, deren Eigenschaften in einem mehrdimensionalen Raum - beispielsweise als Schnittpunkte historischer, regionaler, sozialer und situativer Koordinaten - festgelegt sind. Die Beschreibung eines Varietätenraums ist wesentlich an die Beobachtung sprachlichen Verhaltens und sprachlicher Regelhaftigkeiten gebunden. Diese Argumente fuhren zu dem Schluß, daß 'Sprache' per se fur die Soziolinguistik irrelevant ist: "the concept 'language χ' has no part to play in sociolinguistics - nor, for this reason, can it have any place in linguistics. All we need is the notion 'variety x', and the obvious and unsurprising observation that a given variety may be relatively similar to some other varieties and relatively different from others." (Hudson 1980: 37) Wir beziehen uns daher im folgenden auf sprachliche Existenzformen wie 'regionale', 'soziale', 'situative', 'funktionale' und 'Standard-' Varietäten. Daß die Übergänge zwischen Einzelsprachen im Sinne des Varietätenkonzeptes fließend sind, zeigt deutlich die Variationsbreite des Deutschen. Das 'Nieder-' oder 'Plattdeutsche' ist dem Holländischen näher als dem Hochdeutschen, das gesprochene Schweizerdeutsch steht dem Holländischen in grammatischer und lexikalischer Eigenständigkeit in vielem nicht nach, obwohl es, da nicht standardisiert, nicht als eigenständige Sprache gilt. Kein Linguist vermag heute sprachtheoretisch wohlfundierte diskrete Grenzen zwischen Holländisch, Friesisch, Holsteinisch, Bayrisch, Hochdeutsch und Schweizerdeutsch anzugeben. Wir betrachten daher das Deutsche als einen Varietätenraum, in dem jede Varietät in einer mehrdimensionalen Matrix lokalisierbar ist. Varietäten wie 'Dialekte', 'Soziolekte' etc. können als einstellige oder zweistellige Begriffe definiert werden. Erstere gründen auf Eigenschaften (Merkmale in einer Taxonomie), letztere definieren Varietäten in ihrer Beziehung zueinander ('Varietät' als Relatum). Die Varietätenbestimmungen erfolgen nach genus proximum und differentia specifica. 'Varietäten' treffen wir in größeren oder kleineren Sprachgemeinschaften an, je nach dem Ordnungskriterium, das wir ihnen zugrunde legen. Sie verkörpern den sprachspezifischen sozialen Organismus, in dem sich Varietäten vereinheitlichen, differenzieren und wandeln.

176 Zuweilen finden wir anstelle von 'Varietät' auch den Terminus 'Lekt', der als Grundbegriff im Zusammenhang mit den Präfixen 'dia-', 'sozio-' und 'idio-' gewählt wird (Bailey 1973, 1980). Die Fähigkeit der Beherrschung verschiedener Varietäten wird 'panlektale Kompetenz' genannt. Gegenüber diesem synonymen Terminus hat sich im deutschsprachigen Raum Varietät durchgesetzt. Zur Identifizierung einer Varietät werde ich sie im folgenden mit einem spezifischen Attribut versehen; gibt es bereits einen eingeführten, mit '-lekt' gebildeten Terminus, werde ich 'Varietät' als logisches Akronym, die Begriffsbildung mit '-lekt' als geläufigen Gebrauchsbegriff benutzen. 'Varietät' wurde als neutraler Terminus zur Bezeichnung bestimmter mit außersprachlichen Bedingungen variierenden Sprech- und Sprachgebrauchsstilen durch Fishman (1971a) folgendermaßen definiert: "The term 'variety' is frequently utilized in sociology of language as a nonjudgemental designation. The very fact that an objective, unemotional, technical term is needed in order to refer to 'a kind of language' is in itself an indication that the expression 'a language' is often a judgemental one, a term that is indicative of emotion and opinion, as well as a term that elicits emotion and opinion...As a result, we will use the term 'variety' in order not to become trapped in the very phenomena that we seek to investigate, namely, when and by whom is a certain variety considered to be a language and when and by whom it is considered something else" (1971a: 226). Fishman fuhrt 'Varietät' als Fachterminus ein, der von den historischen, sozialen, regionalen und evaluativen Bedeutungen von Sprache zum Zwekke wissenschaftlicher Beschreibung entlastet ist. In diesem Sinne wird der Terminus auch von Dittmar (1973) und Klein (1974) benutzt. "The term 'variety of language'... can be used" - so schreibt Hudson (1980) - "to different manifestations of it, in just the same way as one may take 'music' as a general phenomenon and then distinguish different 'varieties of music'. What makes one variety of language different from another is the linguistic items that it includes, so we may define a variety of language as a set of linguistic items with similiar social distribution...The defining characteristic of each variety is the relevant relation to society - in other words, by whom, and when, the items concerned are used. It is an empirical question to what extent the traditional notions of 'language', 'dialect' and 'register' are matched by varieties defined in this way" (24 f.). Weitgehend synonym, aber im Unterschied zu Fishman und Hudson betrachtet Saville-Troike (1982) Varietäten im Sinne von Gumperz (1975) nur dann als sprachliche Existenzformen, wenn sie von den Mitgliedern einer Gesellschaft als solche wahrgenommen werden: "Identification of the varieties which occur in any community requires observation and description of actual differences in pronunciation, grammar, lexicon, styles of speaking, and other communicative behaviors which are potentially available for differentiation, but must ultimately depend on the discovery of which differences are recognized by members of the group as conveying meaning of some kind" (5 If.).

177 Diese Definition bindet die Legitimität der Bezeichnung Varietät an das Bewußtsein und die soziale Wahrnehmung von Sprechern einer Sprachgemeinschaft. Im Einklang mit Fishman und Hudson will ich Varietäten als Menge sprachlicher Strukturen (Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik, Lexikon, Pragmatik) verstehen, die relativ zu außersprachlichen Faktoren (z.B. Alter, Geschlecht, Gruppe, Region, historische Periode, Stil etc.) in einem Varietätenraum geordnet sind (vgl. Klein 1974: 59; Klein & Dittmar 1979). 116 Eine Präzisierung und Einschränkung dieser Auffassung von Grammatik ist Kleins Definition einer Varietätengrammatik als „eine Funktion Τ von Ρ χ Α χ S χ D auf G", wobei Ρ eine „Menge von Perioden", A „eine Menge von geographischen Räumen", S „eine Menge von Schichten", G „eine Menge von bewerteten Grammatiken" darstellen. Der hier gewählte Umfang des Varietätenraums ist exemplarisch. Seine Komplexität richtet sich nach dem Forschungsgegenstand. (3) Das Problem der Ordnungsdimensionen

für den

Varietätenraum

Varietäten können durch nach bestimmten Kriterien operationalisierte distinktive extra-linguistische Variablen festgelegt werden; dann entspricht den Variablen Gruppe/Schicht, Geschlecht, Alter, geographischer Raum, Institution... je eine Varietät (vgl. auch Lieb 1993). Als einflußreich und fruchtbar hat sich die Auffassung Coserius erwiesen: „Eine historische Sprache (d.h. eine historisch abgegrenzte und normalerweise mit einem 'adjectivum proprium' identifizierte Sprache: z.B. 'deutsche Sprache', 'französische Sprache', 'englische Sprache') ist [...] keine homogene Technik der Rede, sondern normalerweise ein kompliziertes Gefüge von z.T. übereinstimmenden und z.T. voneinander abweichenden Sprechtraditionen; sie weist Unterschiede im Räume, zwischen den soziokulturellen Schichten und zwischen Situationen bedingten Typen von Ausdrucksmodalitäten (diatopische, diastratische und

116

Zwischen sprachlichen Strukturen und außersprachlichen Faktoren oder zwischen linguistischen Argumenten und Argumenten anderer Wissenschañsdisziplinen werden von den vorliegenden Sprachtheorien unterschiedliche Beziehungen angenommen. Für Chomsky sind linguistische mit psychologischen Argumente symbiotisch verwoben. Bisher ist es nicht gelungen, die mehrdimensionale außersprachliche Matrix der sprachlichen Existenzformen durch die Beziehung zu einer einzigen, ausgezeichneten Disziplin zu erklären. Für das folgende teile ich daher die Meinung von Christoph Schwarze (Einführung in die Sprachwissenschaft, 1980), der die Relation der Linguistik zu einer anderen Disziplin unter dem Gesichtspunkt der Fruchtbarkeit der durch diese Relation erreichten Explikationen betrachtet. Für diesen Gesichtspunkt liefert die Soziologie für die Probleme sprachlicher Varietäten in Sprachgemeinschaften interessantere Konzepte als die Psychologie (die Sozialpsychologie allerdings ist wiederum für die Dynamik sprachlicher Varietäten relevant).

178 diaphasische Unterschiede) auf und ist deshalb ein Gefuge von Mundarten, Sprachniveaus und Sprachstilen" (Coseriu 1976: 14f.).

Den drei genannten Dimensionen ist als vierte die diachrone Dimension hinzuzufügen (nach ihr lassen sich Stadien oder historische Perioden einer Einzelsprache unterscheiden, z.B. Altdeutsch, Mitteldeutsch, Mittelneuhochdeutsch etc.). Die vier Dimensionen haben ein erhebliches Erklärungspotential, da Raum, soziokulturelles Milieu und Situation wesentliche Koordinaten für die Lokalisierung/Beschreibung von Variation liefern. Ich bezeichne sie daher als Ordnungsdimensionen der sprachlichen Variation. Erstmalig wurden die diachrone, diatopische, diastratische und diaphasische Dimension von Nabrings (1981) zur Erstellung einer Varietätentypologie genutzt. Zahlreiche in den 80er und zu Beginn der 90er Jahre entstandenen soziolinguistischen Untersuchungen arbeiten inzwischen mit den vier Koordinaten, wobei über die Empirie hinaus gehaltvolle Schritte unternommen wurden und werden, um die Abgrenzung von Varietäten im Rahmen einer variationslinguistischen Theorie zu leisten. Dabei stehen drei Grundfragen im Vordergrund: 1. Gibt es zur Beschreibung und Erklärung sprachlicher Varietäten prototypische, primäre Ordnungsdimensionen? Um welche handelt es sich und in welchen Relationen stehen sie zueinander (unabhängig voneinander und gleichberechtigt; hierarchisch... etc.)? 2. Welche Relationen bestehen zwischen den abzugrenzenden Varietäten und 'Sprache' einerseits, unter ihnen selbst jedoch andererseits? Hiermit verbunden ist ein nicht unerhebliches Problem: Lassen sich Varietäten V¡, V2... V n jeweils einer der vier Dimensionen zuordnen (nach welchen expliziten Kriterien?). Gibt es gegebenenfalls Mehrfachzuordnungen bzw. nach welchen Kriterien soll entschieden werden, ob eine Varietät zu Dimension X oder Dimension Y gehört, wenn sie gewisse Merkmale von beiden Dimensionen teilt (gibt es eine Dominanzkonfiguration?). 3. Welche linguistischen Eigenschaften haben diese Varietäten? Lassen sie sich systemisch voneinander abgrenzen? Oder sind einige unter ihnen Systeme, während andere eher systemperiphere pragmatisch/situationsbedingte Varianten darstellen? Das gleiche Problem läßt sich auch anders fassen: Gibt es einheitliche linguistische Gesichtspunkte, nach denen Varietäten charakterisiert werden, oder weisen sie recht heterogene linguistische Merkmale auf? Heterogenität außersprachlicher Faktoren ist dabei naturgemäß gegeben, wobei außersprachliche Faktoren möglichst so spezifiziert werden sollten, daß sie Varietäten als Ausprägungen eines Kontinuums von starkem vs. schwachem Gewicht zu isolieren ermöglichen.

Zweifelsohne gibt es bei den meisten Soziolinguisten einen Konsens in der Kernfrage: Variation läßt sich grosso modo in einem geographischen und sozialen Raum lokalisieren, Varietäten sind Koordinaten auf einer horizontalen und einer vertikalen Achse. Wie die neuere Forschung jedoch gezeigt hat, muß dieser zweidimensionale Raum auf Verwendungssituationen ab-

179 gebildet werden, so daß wir mindestens einen dreidimensionalen Raum erhalten (in synchroner Perspektive, in diachroner hätten wir dann einen vierdimensionalen Raum). Die Differenzierung von Varietäten gehe ich im folgenden auf zwei Ebenen an: In Kapitel 4.2 stelle ich den Forschungsstand (traditionelle und neuere Überlegungen) zu den einzelnen Varietäten dar, um den Lesern grundlegende Informationen über Unterschiede in den Definitionen von Varietäten an die Hand zu geben. In 4.3 erfolgt dann der Versuch, die Relationen zwischen den einzelnen Varietäten sowohl untereinander als auch in Bezug auf mögliche Ordnungsdimensionen theoretisch zu ergründen. Die folgende Übersicht über Varietäten läßt sich für ihre Bestandsaufnahme von einem Ordnungsschema leiten, was vortheoretisch ist und eine plausible Einteilung nach der gegenwärtigen Forschungslage darstellen soll (die Problematisierung erfolgt in 4.3). Die Ordnungsdimensionen sind folgende: PERSON, RAUM, GRUPPEN, KODIFIZIERUNG, SITUATION, KONTAKT (militärischer, politischer, wirtschaftlicher). Jeder Ordnungsdimension wird ein geborenes charakteristisches Merkmal zugeordnet, das eine ausgezeichnete Eigenschaft der Dimension darstellt, die unter den Zuordnungskriterien nicht aufgeführt wird, jedoch so etwas wie eine Klassifizierungshilfe (den Kriterien gemeinsames Merkmal) abgibt. 1. Ordnungsdimension:

PERSON geborenes Merkmal: einmalige individuelle Identität Varietäten: individuelles Repertoire (Idiolekt) Lernervarietät (Lernerlekt)

2. Ordnungsdimension:

RAUM geborenes Merkmal: lokale Identität Varietäten: - lokale Varietät - regionale Varietät (Dialekt) - städtische Varietät (Urbanolekt) - überregionale Varietät (Umgangssprache, Regiolekt)

3. Ordnungsdimension:

GRUPPE geborenes Merkmal: (Werte-)Konflikt Varietäten: - schichtspezifische Varietät (Soziolekt) - geschlechtsspezifische Varietät (Sexolekt oder MW-Lekt) - altersspezifische Varietät (Gerontolekt, Jugendsprache) - gruppenspezifische Varietäten (Argot, Rotwelsch, Slang, Obdachlosensprache...)

4. Ordnungsdimension:

KODIFIZIERUNG geborenes Merkmal: normative Korrektheit (schriftlicher, mündlicher Gebrauch)

180 - Standardvarietät - standardnahe Umgangssprache 5. Ordnungsdimension:

SITUATION geborenes Merkmal: Kontext-/Musterwissen Varietäten: - Register - Stile - Fachsprache (?)

6. Ordnungsdimension: KONTAKT geborenes Merkmal: Macht (politische, militärische, wirtschaftliche oder kulturelle) - Pidgin - Kreolsprachen - Dialekte prestigebesetzter Weltsprachen außerhalb des Mutterlandes

Nur die Kernvarietäten werden vorgestellt; weitere werden in der Forschung berücksichtigt; wir stehen jedoch erst am Anfang ihrer Untersuchung. Die historische Dimension muß vernachlässigt werden (darüber wäre ein eigenes Buch zu schreiben). Schließlich beziehe ich mich im wesentlichen auf gesprochene Sprache, also nur auf einen Teil der Medaille langue. Die Entscheidung, zunächst nur gesprochene Sprache zu berücksichtigen, orientiert sich an der Komplexität der Dimension geschrieben vs. gesprochen. Koch & Oesterreicher (1990) legen dem medialen Unterschied gesprochen-geschrieben die Dialektik Nähe vs. Distanz zugrunde. Es ist m.E. fruchtbar, beide Dimensionen in Bezug auf Varietäten erst einmal getrennt zu bearbeiten, um ihre jeweiligen Eigenständigkeiten angemessen zu erfassen. Von der integrierten Behandlung gesprochener und geschriebener Varietäten wären dann neue Anstöße fur die Theorie zu erwarten. 4.2 Varietäten einer Einzelsprache (synchrone Perspektive) Im folgenden wollen wir einzelne Varietäten in ihren bisher in der Literatur bekannt gewordenen typischen Eigenschaften voneinander abgrenzen. In 4.1 hatten wir 'Varietät' als nicht wertenden (neutralen) Grundbegriff der Soziolinguistik eingeführt. Gegenüber dem synonymen Begriff 'Lekt', der aus Zusammensetzungen im Griechischen und Lateinischen ('dialectos/-us' = regionale Variante der Sprache) als deskriptiver Terminus von Bailey (1973) isoliert wurde und durch Präfixe wie 'Sozio-', 'Historio'- und 'Regio'- eine spezifische Lesart erhält, ist 'Varietät' neueren Ursprungs und hat sich als Grundbegriff durchgesetzt (vgl. auch Löffler 1983: 458).

181 Die Entscheidung fur 'Lekt' oder 'Varietät' ist ein nominalistisches Problem. Im Sinne dieser Ausführungen betrachten wir 'Varietät' und 'Lekt' als Synonyme. Aus praktischen Gründen (nicht für jede Varietät gibt es eine korrespondierende Begriffsbildung mit '-lekt') benutze ich Varietät als Grundbegriff der Terminologie.

4.3 Einordnung und Bestimmung von Varietäten 4.3.1 Personale Dimension: Individuelle Varietät ('Idiolekt') 'Idiolekt' ist dem Terminus Dialekt nachgebildet. Er bezeichnet die unverwechselbare Sprache eines Individuums: "The totality of the possible utterances of one speaker at one time in using a language to interact with one other speaker is idiolect...The phrase 'with one other speaker' is intended to exclude the possibility that an idiolect might embrace more than one style of speaking: it is at least unlikely that a given speaker will use two or more styles in addressing a single person...Phonological analysis of a given idiolect does not reveal the phonological system of any idiolect belonging to a different dialect" (Bloch 1948: 7-9).

Der erstmalig von Bloch eingeführte Begriff leistete im wesentlichen die methodische Immunisierung gegen die Einbeziehung sprachlicher Variation in die linguistische Beschreibung, d.h. stilistische Variation in unterschiedlichen Kontexten wurde damit ausgeklammert. Dennoch ist die Blochsche Bestimmung von Idiolekt für weiterführende Arbeiten grundlegend geblieben. Daher geht auch Oksaar (1987: 293ff.) bei ihrer Definition von Idiolekt von Bloch aus. Allerdings gelangt sie zu eigenen, weitreichenden Schlußfolgerungen, die Lieb (1993) dazu geführt haben, seine "unified theory of linguistic variation" auf den Begriff Idiolekt zu gründen. Unter Idiolekt (gr. idios „persönlich, eigentümlich, privat") versteht Oksaar „im weiteren Sinne den Sprachbesitz und die sprachliche Verhaltensweise (Sprachäußerung eines Individuums)" und dann im engeren Sinne die „individuelle Realisierung des Sprachsystems" (Oksaar 1987: 293). Für die Beschreibung von Variation, aber auch allgemein für die Sprachtheorie, hat Idiolekt nach Oksaar (1987) folgende Bedeutung: (a)

„Idiolekt (wird) auf die Gesamtheit sprecherunterscheidender sprachlicher Besonderheiten bezogen, seien diese sozial, professional, areal oder psycho-physisch" (293). Die Bedeutung dieser Aussage für eine Theorie der Variation ließe sich (meine Interpretation - N.D.) so paraphrasieren: Die übliche Varietätenanalyse seziert ein Individuum in Anteile an Soziolekten, Dialekten, Registern, geschlechtsspezifischen Varietäten etc., d.h. der Sprecher wird verbal-anatomisch zerlegt; demgegenüber fokussiert Idiolekt die Einheit der Persönlichkeit, die als

182

(b)

(c) (d)

(e)

eine und nur diese persönliche Identität in diesem und jenem Ausmaße räumliche, soziale und situative Varianten benutzt. 117 Oksaar beansprucht für Idiolekt einen besonderen Platz in dem Varietätenkontinuum: „da Sprache, Dialekt, Soziolekt als kollektive Größen angesehen werden, ist Idiolekt, als individuelle Größe, der notwendige Ausgangspunkt für die Untersuchung kollektiver Verhaltensweisen." (294) Dieses Argument veranlaßt Lieb (1993), Idiolekt seiner Variationstheorie axiomatisch zugrunde zu legen. Darüber hinaus sieht Oksaar im Gegenstand Idiolekt eine Herausforderung für die moderne Linguistik: Da er „nicht statisch, sondern dynamisch ist, fordert seine Untersuchung Methoden der Erfassung der dynamischen Synchronie" (a.a.O.). Idiolekt wurde bisher nur auf Produktionsprozesse, nicht auf Verstehensprozesse bezogen. Letztere sind selbstverständlich in Untersuchungen einzubeziehen. Die Untersuchung des Idiolekts umfaßt alle Ebenen der sprachlichen und nichtsprachlichen Verhaltensweisen (Grammatik, Semantik, Pragmatik; parasprachliches und non-verbales Verhalten). Mithilfe des Begriffs sei es möglich, „partner-, rollen-, themen- und situationsspezifische Idiolekte festzustellen. Zu den verschiedenen Typen markanter Idiolekte gehört die Verhaltensweise gegenüber Kleinkindern, zu guten Freunden, zu Fremden; in der Rolle des Vorgesetzten, Lehrers, Vaters, Chefs, Richters u.s.w., ferner nach Gesprächsbereichen und Kulturenrealisierungen" (296f.). Darüber hinaus komme Idiolekten in der Soziolinguistik eine wichtige Rolle zu, da sie „andere Sprecher/Hörer beeinflussen können" und ihnen damit auslösende Funktion „bei Sprachveränderungen einerseits und Gruppenbildungen andererseits" zukomme (296).

Forschungspraktisch ist Idiolekt in diesem Sinne bisher kaum untersucht worden. Wir haben allerdings aufschlußreiche Untersuchungen zu den angesprochenen Bereichen in dem Untersuchungsgebiet von Lernervarietäten (vgl. 4.3.7.3). Tatsächlich würde die Untersuchung von Idiolekten Längsschnittuntersuchungen verlangen, die bisher lediglich im Spracherwerb gemacht wurden, von einigen Paneluntersuchungen zu dem Sprachverhalten von Jugendlichen einmal abgesehen (vgl. Romaine, 1984). In der neueren soziologischen, ethnomethodologisch orientierten Forschung wurden allerdings auch Untersuchungen zum Alltagsverhalten von Individuen (z.B. im Rahmen von Familienuntersuchungen) angestellt. Aus solchen Studien ließen sich sprachgebrauchsbezogene situative Unterschiede ableiten, die auf den Sprachbesitz von Individuen schließen lassen. Teile dessen, was man nach Oksaar an Sprachbesitz für Idiolekte untersuchen sollte, werden allerdings in anderen Variationsbereichen durchaus in Angriff genommen: z.B. durch die Beschreibung von Jugendsprache und der Sprache älterer Menschen (kontrastive Aspekte ermöglichen Rückschlüsse auf Lebenszyklen von Idiolekten); im Bereich der teilnehmenden Beobachtung wurden hier und da auch Tagesabläufe von Dialektsprechern (Wackernagel-Jolies 1971) oder auch Familienabläufe (Interaktion von El117

Diesen Sachverhalt vermag allerdings der Begriff 'individuelles Repertoire' besser zu erfassen.

183 tern und Kindern) erhoben. Leider hat Oksaar die Chance, die in den bereits vorliegenden Daten für Rückschlüsse auf den Idiolekt bestehen, nicht genutzt. 'Idiolekt' isoliert also aus dem mehrdimensionalen Sprachraum jenen Sektor, der Individuelles in Abgrenzung vom Räumlichen, Sozialen, Historischen, Situativen etc. markiert. In der Auseinandersetzung um die Frage, ob der Soziolinguist seinen Beschreibungen eine Individuen- oder Gruppengrammatik zugrundelegen soll, hat auch die Abgrenzung von Idiolekt gegenüber Dia- und Soziolekt ihren Platz (vgl. Bickerton 1981). Im Sinne der Beschreibung individueller Register fordert Fischer (1958) eine "comparative idiolectology", die zum Ziel hat, das Sprachverhalten einzelner Informanten zu erfassen "and not changes in his speech in different settings and situations and with different conversants." Giles & Powesland haben in diesem Sinne gezeigt, "that each individual has its own habitual accent (or idiolect)" (1975: 172) und daß dieser Akzent im Laufe einer Interaktion vom Sprecher modifiziert werden kann, wenn die Aussprache des Hörers im Vergleich zum eigenen Idiolekt als prestigebesetzt wahrgenommen wird (a.a.O. 174).118 4.3.2 Diatopische Variation: Lokale/regionale Varietäten (Dialekte) Die Einordnungsinstanz der Varietäten Dialekt und Umgangssprache ist der Raum. Die Untersuchung diatopischer Variation erfolgt mit dem Ziel, Varietäten räumlich, z.B. nach Maßgabe der Größenordnung von Räumen, voneinander abzugrenzen. Raum ist dabei der maßgebliche primäre Faktor, der jedoch, wie wir später sehen werden, durch weitere ergänzt werden muß, um typologische Abgrenzungen von Varietäten nach eindeutigen Kriterien zu ermöglichen. Gemäß der Raumskala 'kleinräumig - mittelräumig - großräumig' unterscheiden wir lokale, Stadt- und regionale Dialekt/Umgangssprachen. Mit den lokalen, regionalen und überregionalen Varianten einer Einzelsprache (z.B. Deutsch, Französisch, Englisch, Dänisch etc.) assoziieren die Sprecher in der Regel raumbezogene, regionale, überregionale und kulturelle Identität. Die Auflösungserscheinungen kleinräumiger Identität zugunsten großräumiger Identität und die damit verursachten „Mischungen" auf den gehobeneren Niveaus des Sprachgebrauchs zwischen lokalem Dialekt und Standard hat Soziolinguisten zur Prägung der Begriffe 'Substandard' (Kontinuum der Varietäten unterhalb des Standards) oder 'Interdialekt' (Wortbildung ähnlich wie interlanguage) veran-

118

Die Beschreibung individueller und gruppenspezifischer Repertoire ergänzt sich somit.

184 laßt. Auf die damit verbundenen terminologischen Probleme, methodischen und theoretischen Schlußfolgerungen gehe ich in 4.3.4 ein. Dialekt ist unter allen Begriffen der Variation der älteste. Aus diesen, aber auch dem Gegenstand inhärenten Gründen hat er eine Vielzahl schillernder Facetten. Die von Psychologen vielbeklagte Feststellung, daß es so viele Begriffe von Intelligenz gibt wie Einzeluntersuchungen, kann man auch auf die Problematik der Dialektdefinition übertragen. Dialekt - wie die anderen Varietäten - läßt sich als Punkt auf den Kontinua der polaren Paare eindimensional vs. mehrdimensional, synchron vs. diachron, sprachliche vs. außersprachliche Merkmale, Individuum vs. Gruppe, System vs. Gebrauch, Selbsteinschätzung durch die Sprecher vs. Fremdeinschätzung durch den Forscher, mündlich vs. schriftlich, lokale vs. überregionale Verbreitung, niedrige vs. hohe kommunikative Leistungsfähigkeit, positive vs. negative Bewertung bestimmen. Man sieht bereits an dieser unvollständigen Liste von Dimensionen, die in eine Definition von Dialekt Eingang finden müssen, daß seine Bestimmung prinzipiell nicht weniger schwierig ist als die Definition von 'Sprache' überhaupt. Zunächst soll jedoch von gängigen Dialektbestimmungen ausgegangen werden. In Bußmann (1990: 177) finden wir Dialekt [gr. : dialectos (phoné) 'die im Umgang gesprochene Sprache', lat.: dialectus] definiert als „Sprachsystem (i.S. von 'langue'), das (a) zu anderen Systemen eine hohes Maß an Ähnlichkeit aufweist, so daß eine - zumindest partielle - wechselseitige Verstehbarkeit möglich ist; (b) regional gebunden ist in dem Sinne, daß die regionale Verbreitung dieses Systems nicht das Gebrauchsgebiet eines anderen Systems überlappt; (c) keine Schriftlichkeit bzw. Standardisierung im Sinne offiziell normierter orthographischer und grammatischer Regeln aufweist". Ammon (1987: 330) schreibt: "Dialects are in most cases traditionally understood to be varieties that are (1) non-standardized and (2) regionally restricted in contrast to the standard variety or to the entire language". Dialekte befinden sich unter dem (metaphorischen) Dach einer Standardvarietät, wobei je nach Ausdehnung verschiedene Typen von Dialekten unterschieden werden können (vgl. 1987: 330).

Abbildung 4-1: Mehrfache Überdachung eines Dialektes Di durch weitere Dialekte und den Standard D t = Dialekt 1. Grades; D2 = Dialekt 2. Grades; D„ = Dialekt n-ten Grades; S = Standardvarietät

185

Man kann diese Graphik auch so verstehen, daß Dialekte mehrfach überdacht sein können. Demgegenüber hat Trudgill Dialekt eher im Sinne von Varietäten definiert: "The term dialect refers, strictly speaking, to differences between kinds of language which are differences of vocabulary and grammar as well as pronounciation [...] the term dialect can be used to apply to all varieties, not just to non-standard varieties" (Trudgill 1974: 17). Nach Russ (1990) ist - in typisch pragmatisch-britischer Denkweise "the quest for an all-embracing definition of the dialect [...] to my mind rather sterile" (1990: XXI). Dialekt nach Mattheier ist „ein historisches Phänomen, das seine Natur im Laufe der Zeit verändert und für jedes Land in unterschiedlicher Weise definiert werden kann" (1980: 12f.). Danach gibt es drei Arten von Dialekten: Dialekt als Relikt (er wird nur noch von älteren Leuten gesprochen), Dialekt als soziales Symbol und Dialekt als Hauptvarietät (mit positiven Konnotationen im Alltagsgebrauch). Es gibt also verschiedene Spielarten der Definition von Dialekt. Eine explizite Definition von 'Dialekt' ist nur in Relation zu einer Sprach- und Dialekttheorie möglich. Manches, was fur die Formulierung einer Sprachtheorie grundsätzlich zu klären ist, wird von Dialektologen mit theoretischem Anspruch häufig übersehen: 1. Die Relation von Theorie und sprachlichen Daten; 2. das Verhältnis von diskreten und variablen Eigenschaften der Sprache; 3. die Kriterien für Beobachtungs-, Beschreibungs- und Erklärungsadäquatheit; 4. das Verhältnis von natürlicher und formaler Sprache (vgl. hierzu Klein 1977).

In Becker, Dittmar & Klein (1978) haben wir deutlich gemacht, welche Anforderungen an eine soziolinguistische Theorie zu stellen sind. Analoges gilt für eine Theorie des Dialekts. Welchen Stellenwert haben dann im gegenwärtigen Forschungskontext Definitionsversuche von Dialekt? Sie verlangen 1. eine Rekonstruktion des Dialektbegriffs quer durch die Forschungsliteratur (vgl. Löffler 1983); 2. eine Synopsis einzelsprachlicher Untersuchungen mit dem Ziel der Isolierung universeller Eigenschaften und 3. die Vorbereitung einer Dialekttheorie als Teil einer Sprachtheorie. Die Forschung ist bisher kaum über (1) hinausgelangt. Dies hat mindestens vier Gründe: 1. Empirische Untersuchungen sind aufwendig und langwierig. 2. Es fehlt an Linguisten mit polylektaler Kompetenz (= Kompetenz in mehreren unterschiedlichen Dialekten), die überhaupt fähig wären, übereinzelsprachliche, interdialektale Vergleiche anzustellen (vgl. für Versuche Ammon 1983 und Chambers & Trudgill 1980).

186 3. Neue Konzepte in der Sprachtheorie setzen sich erfahrungsgemäß erst nach Jahrzehnten in der dialektologischen Forschung durch; überspitzt formuliert: Dialektologie ist ein zeitlich versetztes Epiphänomen der Sprachtheorie. Viele der in der Dialektologie angewandten Methoden sind im Lichte der linguistischen und sozialwissenschaftlichen Theoriebildung oft unzureichend, zumindest unterentwickelt (vgl. Labov 1972a,b). 4. Dialekte sind einfach weniger gut beschrieben als Standardsprachen. Untersuchungen zu Semantik und Pragmatik fehlen weitgehend, solche zur Syntax sind spärlich (siehe aber Abraham und Bayer 1993). Eine Begriffsbestimmung von Dialekt ist in diesem Sinne abhängig vom Stand der Entwicklung einer Theorie der Variation und vom Stand einzelsprachlicher Beschreibungen. Die folgenden Ausführungen verstehen sich als Prolegomena zu einer präziseren Bestimmung des Begriffs 'Dialekt'. Die Geschichte des Dialektbegriffs wird in Haugen (1966) und Löffler (1983) rekonstruiert. Löffler findet „gut 50 Namen und Bezeichnungen für Dialekt" (442). Haugen findet den Begriff zuerst in der Renaissance, 1563 in englischen und 1579 in französischen Dokumenten (Haugen [1966] 1972: 98). In der deutschsprachigen Literatur ist 'Dialekt' erstmalig für 1649 belegt (Löffler, a.a.O.). Neben 'Dialekt' ist in der deutschsprachigen Literatur auch 'Mundart' oder 'Platt', in der französischen Literatur 'Patois' gebräuchlich. In der europäischen Dialektologie haben sich die Varianten des lateinischen 'dialectus' durchgesetzt. Geschichte, Inhalt und wissenschaftliche Bearbeitung des Dialektbegriffs fällt einzel- und nationalsprachlich verschieden aus (Trudgill 1982; Ammon 1983; Löffler 1983). Löffler gebührt das Verdienst, die Geschichte des Dialektbegriffs mit dem richtigen Augenmaß erfaßt und für eine systematische Rekonstruktion fruchtbar gemacht zu haben. Löffler unterscheidet acht Traditionsstränge der Gegenstandskonstitution dialektologischer Forschung: 1. „Dialektforschung als Teil der Landesbeschreibung - Dialekt als landschaftskonstituierender Faktor... 2. Dialektforschung als Sprachgeschichte - Dialekt als kontinuierliche Fortsetzung eines früheren Sprachzustandes... 3. Dialektforschung als Experimentierfeld der phonetischen (lautphysiologischen) Sprachwissenschaft - Dialekt als natürlich reagierende Sprache mit störungsfreien Lautgesetzen... 4. Dialektforschung als Sprachgeographie - Dialekt als raumbildender Faktor... 5. Dialektforschung als historische Hilfswissenschaft - Dialekt als Symptom und Bestandteil einer kulturräumlichen, geographischen und politischen Sprachlandschaft... 6. Dialektforschung als empirische Linguistik - Dialekt als klassisches Objekt für eine Linguistik der natürlichen Sprache...

187 7. Dialektforschung als Sozialforschung - Dialekt als Soziolekt oder als pragmatische Variante innerhalb eines vielregistrigen Sprachkontinuums... 8. Dialektforschung als Hilfsdisziplin der Sprachdidaktik - Dialekt als Substrat des muttersprachlichen Unterrichts" (1983: 445-452).

Was können wir aus der Tradition dialektologischer Forschung für die Begriffsbestimmung lernen? Es spricht vieles dafür, daß ein einstelliger Dialektbegriff (inhärente sprachliche Merkmale) zugunsten eines zweistelligen, relationalen (Merkmale, „die die Beziehung zu etwas anderem charakterisieren...z.B. 'älter als', 'abgeleitet', 'weniger weit reichend', 'verwandt mit'" (Löffler, a.a.O. 452)) aufzugeben ist: „Auch wenn es so scheint, als sei eine Merkmalsbestimmung an sich möglich, so muß doch festgestellt werden, daß Dialekt nirgends allein vorkommt. Er existiert immer nur als Komplement zu seinem Gegenpol, dem Nicht-Dialekt, einer Über- oder Hauptsprache, auch wenn die Merkmalsbestimmung nicht immer ausdrücklich auf den Gegenpol bezogen ist" (a.a.O. 453). Ammon (1983: 64) gibt eine Explizitdefinition von Dialekt in der folgenden Formel: 3χ

= Lx DEF

Λ

By (Ly

Λ

Äx,y

Λ

Χ

Φ

y)

Λ

~ 3ζ

(Lz λ Τζ,χ λ χ * ζ) λ ~ (Rx ν Ρχ ν Wx ν

Υχ)

(Bereich : unspezifiziert)

In Worten: Ein Dialekt ist eine langue, für die gilt: 1. es gibt mindestens eine weitere langue mit hoher grammatischer Ähnlichkeit, 2. es gibt eine langue, die gebietsmäßig echt in ihr enthalten ist und 3. weder ihre Schreibweise und ihre Lautung noch ihr Lexikon und ihre Syntax sind amtlich normiert (vgl. Ammon 1983: 64). Die Hauptkriterien der zuletzt genannten Definition sind: linguistische Ähnlichkeit zum Standard, „kleinste" langue im Raum einer Einzelsprache und fehlende Normierung/Kodifizierung (vgl. 4.3.5). Die dialektologische Forschung der letzten Jahre hat gezeigt, daß die Merkmale linguistische Ähnlichkeit, Kleinräumigkeit und Nichtnormiertheit nicht für eine gehaltvolle Bestimmung von Dialekt ausreichen. Zumindest muß noch unterschieden werden zwischen Binnendialekten (von einer Standardsprache überdachte Varietäten) und Außendialekten (von der Standardsprachgemeinschaft isolierte Varietäten). Unterschiede zwischen diesen beiden Dialektmengen gäbe es in der linguistischen Ähnlichkeit, die auf den Faktor Überdachung vs. NichtÜberdachung zurückzuführen ist. Für eine Einbeziehung der Außendialekte in die gängigen Dialektdefinitionen reicht jedoch das Kriterium Überdachung nicht aus. Während sich die Mehrheit der Rußlanddeutschen der deutschen Sprachgemeinschaft zuge-

188

hörig fühlt (vgl. Berend und Mattheier 1994), würden sich die Elsässer, Sprecher des vom Standarddeutschen nicht überdacht allemannischen Dialekts im Elsaß, eher der französischen Sprachgemeinschaft zugehörig empfinden. Es gibt eine gewisse Hinwendung, allerdings von sekundärer Bedeutung, zur standarddeutschen Sprachgemeinschaft, da viele Elsässer Pendler sind, für die das Deutsche Markt- und Gebrauchswert hat. Daher muß ein an die verwandte Sprachgemeinschaft angrenzender Außendialekt (Beispiel Elsaß) von linguistisch verwandten, aber sehr entfernt liegenden Außendialekten („Sprachinseln") unterschieden werden (vgl. Dittmar 1998). Im Vergleich von 5 deutschsprachigen Dialekten, die sich in ihrem Status und in ihrer Funktion erheblich unterscheiden, kommt Ammon zu dem Schluß, daß das Kriterium linguistische Ähnlichkeit durch die Kriterien für die Art der Überdachung und das Zugehörigkeitsurteil der Sprecher ergänzt werden muß. Die Einstufüng der 5 „Testdialekte" ermöglicht die gehaltvolle Bestimmung unterschiedlicher Dialektprofile (ein besonders interessanter Testfall ist nach wie vor die Dialektlandschaft in der Schweiz mit ihrer besonderen Beziehung zu dem eigenständigen Standard des S chweizerdeutschen). Betrachten wir jedoch die von Löffler (1983: 453-458) formulierten begrifFskonstituierenden Dimensionen einer Dialektdefinition, so reichen die von Ammon gewählten drei Merkmale sicher nicht aus. Folgende Dimensionen sind zu berücksichtigen: (i) (ii)

(iii)

(iv) (v)

(vi) (vii) (viii) (ix) (x)

Vorkommensbereich (lokal vs. überregional); typologische Hierarchie (Beziehung von Hyperonym (Sprache, Kode, übergeordnetes System) und Hyponym (Dialekt, Subkode, untergeordnetes System); Relation 'Teil-Ganzes '); linguistischer Status (Dialekt als Übergangssystem in Relation zu anderen (sub)sprachlichen Systemen; Beschreibungen in Begriffen der Familienähnlichkeit); Benutzerkreis (Arbeiter und Bauern vi. Intellektuelle; untere soziale Schicht vs. höhere; Einheimische vs. Zugereiste, Fremde); Verwendungsebene (mündlicher vs. schriftlicher Gebrauch; formelle vs. informelle Situationen; öffentliche vs. nicht-öffentliche; private vs. institutionelle Thematik etc.); Kommunikative Leistungsfähigkeit (eingeschränkte vs. breitere kommunikative Leistung; distanzmindernd vs. distanzfördernd etc.) Kommunikative Reichweite (kleiner vs. großer kommunikativer Radius; hoher vs. niedriger Grad interdialektaler Verstehbarkeit); Einstellungen (positive vs. negative Bewertung; Prestige vs. Stigma; 'schön, gepflegt, richtig ' vs. 'schlecht, ungebildet, falsch '); Standard vs. Nonstandard (Dialekt vs. Hochsprache; Dialekt als das, „ was die Dialektsprecher dafür halten" (a.a.O. 457)); Metasprachliche Ebene (Theorie vs. Empirie; Sprachwirklichkeit vs. theoretisches Konstrukt etc.).

189 Seine Schwierigkeiten mit einer vereinfachenden und möglicherweise universell gültigen Dialektdefinition formuliert Löffler so: „Dialekt setzt eine irgendwie geartete Zweisprachigkeit voraus, die historisch, politisch oder linguistisch eine gemeinsame Basis hat. Alle weiteren Merkmale wie: räumliche Erstreckung, geringe Reichweite, soziale Zuordnung, sprachliche Ausstattung, pragmatischer Status, informatorische und kommunikative Leistungsfähigkeit oder Bewertungen müssen einzelsprachlich innerhalb einer bestimmten Sprachgemeinschaft oder Nationalsprache und bezogen auf ein bestimmtes gesellschaftliches System kleinräumlich ermittelt und festgestellt werden. Nicht einmal ein universelles Merkmal, daß Dialekt in der Zweierskala die niedrigere Stufe darstelle, ist überregional gültig. So ist Dialekt beinahe in jeder Region und an jedem Ort, insbesondere innerhalb einer größeren Sprachgemeinschaft nicht nur den äußeren Erscheinungsformen nach, sondern auch dem Begriff nach etwas jeweils anderes." (Löffler 1983: 458).

Ausgewählte Ergebnisse der deutschen Dialektforschung werden in Dittmar 1998 dargestellt. 4.3.3

Diastratische Dimension: Gruppen- und schichtspezifische Varietäten (Soziolekte)

Die 'soziale' Dimension der Variation hat man auch vertikale genannt. Schon im 19. Jahrhundert wurde beobachtet, daß die soziale Schichtung eine die räumliche Gliederung von Dialekten in verschiedenen Ausdrucksformen ergänzende ist. Soziale Schichten, wie auch immer im einzelnen definiert, gelten als prototypischer diastratischer Faktor der Variation. Während 'Schicht' eine von Gruppen und Individuen abstrahierende soziologische Größe ist, werden andere soziale Gruppen nach Berufs-, Tätigkeitsoder Statusmerkmalen zusammengefaßt (häufig als 'Sondersprachen' bezeichnet: Standes-, Berufs-, Fach- und Gruppenvarietäten). Die zu explizierenden sozialen Varietäten sind - wie Dialekt - relationale Begriffe in Bezug auf die ' Standardvarietät'. In der Regel kookkuriert eine diastratische Varietät auch mit einem lokalen/regionalen Dialekt. Berücksichtigt man weiter die Tatsache, daß Gruppenvarietäten (z.B. Vereins- bzw. Berufsvarietäten) nur in bestimmten Situationen benutzt werden und schichtenspezifische Varietäten nach dem Formalitätsgrad der Situation ausgeprägt sind (vgl. hierzu die Untersuchungen von Labov), so wird die Überlappung diaphasischer Faktoren mit diastratischen deutlich. Nabrings (1981: 89) ist daher zuzustimmen, wenn sie unterstreicht, „daß die Trennung der verschiedenen Dimensionen nur heuristischen Wert haben und eine reinliche Scheidung verschiedener Dimensionen und sprachlicher Varietäten recht problematisch ist". Zwar ist die Ordnung der Varietäten nach grundlegenden Dimensionen ein erhebliches empirisches und theoretisches Problem; trotz dieser

190

Schwierigkeiten ziehe ich den Einordnungsversuch vor, da er gegenüber einer reinen Liste von Variablen den Vorzug hat, prototypische Dimensionen/kognitive Orientierungen isolieren zu helfen. Wenn Kubczak (1979: 95) daher „allein die Spezifizierung nach Schichten (Zughörigkeit) als eine Bezugnahme auf die diastratische Dimension" fordert und letztere damit von dem Dilemma „einer 'Allerwelts-Dimension'" befreien will, so bleibt er damit die Antwort auf die Frage schuldig, was das „idealtypischsoziale/schicht-/gruppenspezifische" gegenüber der räumlichen oder situativen Variation ausmacht. Ich halte daher die heuristische Strategie, „zunächst möglichst weitgefaßte Dimensionen zu unterscheiden, innerhalb derer sich einzelne Varietäten (wie z.B. der Soziolekt) gegeneinander abgrenzen lassen" (Nabrings 1981: 89), für fruchtbarer. Der grundlegende Bezug der diastratischen Dimension zur Variation ist die Gruppe"9. Mithilfe von Operationalisierungen soziologischer Konstrukte lassen sich Schicht- oder Statusgruppen unterscheiden. 'Geborenes Merkmal' der diastratischen Dimension - und insofern der Begriffsbestimmung inhärent - ist 'Wertekonflikt'. Das Typische an diastratischen Varietäten ist ihre Symptomfunktion auf der vertikalen Skala der Werte mit den Extremen gut vs. schlecht, prestigebesetzt vs. stigmatisiert etc. Schichtspezifische Varietäten stehen potentiell in einem gewissen Wertekonflikt zueinander. In der Tat läßt sich dies auch empirisch erhärten: Unterschichtvarietäten werden - verglichen mit der Oberschicht - oft mit negativen Vorurteilen verbunden. Akzeptieren wir das geborene Merkmal, so fragt sich natürlich, ob es sozial unmarkierte diastratische Varietäten gibt. Meine Hypothese ist, daß der unmarkierte Fall der Wertekonflikt ist, während der markierte das Fehlen eines solchen inhärenten Merkmals wäre. Fazit: Diastratische Varietäten sind der sprachliche Niederschlag manifester sozialer Ordnung und der aus ihr resultierenden Wertekonflikte. Kubczak (1987: 269) betrachtet eine „Konzeption, wonach als Soziolekt nur ein solches Subsystem bzw. eine solche Varietät zu gelten hat, dessen/deren Sprechergruppe gerade mit einer oder mehreren soziologisch ermittelten Sozialschicht(en) identisch ist", als für eine Begriffsbestimmung von Soziolekt grundlegend.120 Nach Kubczak darf „die Existenz von Soziolekten vom Vorliegen metasprachlicher positiver oder negativer Bewertun119 Es ist eine offene Frage, ob nach dem Kriterium 'natürlicher Merkmale' alters- und geschlechtsspezifische Varietäten unter 'diastratisch' zu fassen wären. Da die Faktoren 'Geschlecht' und 'Alter' quer zur vertikalen und horizontalen Dimension liegen, habe ich sie unter 'Stile' gefaßt (4.3.6.2.1 und 4.3.6.2.2). Möge die 120 Grundlagenforschung über die Korrektheit dieser Einteilung debattieren! Er merkt allerdings an, daß eine solche Bestimmung nur unter der Voraussetzung gelten kann, „daß es der Soziologie entgegen manchen Skeptikern noch gelingt, wirklich überzeugende Schichtdefinitionen vorzulegen" (Kubczak 1987: 269).

191 gen" nicht abhängig gemacht werden (269). Da mir Fälle wertneutraler Schichten nicht bekannt sind, gehe ich davon aus, daß Wertekonflikte mit Schichtdifferenzierungen einhergehen. Soziolektale (schichtspezifische) Varietäten müssen jedoch empirisch eindeutig isoliert werden - erst auf dieser Basis können Bewertungen über den objektsprachlichen Varianten berücksichtigt werden. Das geborene, inhärente Merkmal 'Wertekonflikt' gehört zur theoretischen Fundierung des Begriffs, nicht jedoch zur Methodologie. Synonym mit 'Soziolekt' wird in der englischsprachigen Literatur auch 'sozialer Dialekt' gebraucht; auf den untrennbaren Zusammenhang räumlicher (horizontaler) und sozialer (vertikaler) dialektaler Variation weisen Chambers & Trudgill hin; "All dialects are both regional and social , since all speakers have a social background as well as a regional location. The concentration of work on the language of the peasantry and the working class, it was therefore realised, had led to considerable ignorance about the dialects spoken by other social groups." (1980: 54). Im Rahmen der soziologischen, bildungspolitischen Untersuchung schichtspezifischen Sprachgebrauchs (Bernstein 1981 ; Dittmar 1973: 1 -96) wird die soziale Prägung einer Varietät als 'Soziolekt' bezeichnet (Steinig 1976). "Social dialects or sociolects" beziehen sich nach Hudson auf "nonregional differences" (Negativdefinition). "Because of these other factors, a speaker may show more similarity in his language to people from the same social group in a different area than to people from a different social group in the same area. Indeed, one of the characteristics of the hierarchical social structure of a country like Britain is that social class takes presidence over geography as a determinant of speech, so that there is far more geographical variation among people in the lower social classes than there is amongst those at the 'top' of the social heap." (1980: 43).

Hudsons Ausführungen enthalten eine interessante Hypothese: für eher traditionelle, weniger industrialisierte Gesellschaften ist die dialektale und für moderne, hochindustrialisierte Gesellschaften die soziolektale Variation ein dominantes Merkmal. Mit „nicht-regional" ist ein Bündel von Faktoren wie 'Mobilität', 'Schicht', 'Status', 'Geschlecht', 'Alter' etc. gemeint. Über die Trennschärfe des Kriteriums 'nicht-regional' liegen uns jedoch keine Validitätsprüfungen vor. Das derzeit trennschärfste Kriterium der differentia specifica von 'Dialekt' und 'Soziolekt' ist nach Steinig die „spezifische Art der Bewertung sprachlicher Varietäten" (1976: 15). Hierzu führt er aus: „Während die Bewertung eines Dialekts eine vornehmlich neutrale Einstellung von einem regionalen Unterschied hervorruft, d.h. ein Sprecher erfahrt einen fremden Dialekt als 'anders', 'fremdartig' in Bezug zu seiner eigenen Varietät, so wird eine soziolektale Bewertung durch eine negative bzw. positive Einstellung gegenüber

192 einer Varietät gekennzeichnet, die an die Bewertung sozialer Positionen gekoppelt ist" (1976: 16). H ä r t u n g hält diese „Unterscheidung im Prinzip f ü r berechtigt" und begründet dies: „Durch sie wird zweierlei deutlich: (1) Regional definierte Varietät und Soziolekt stehen einander nicht sehr fern...(2) Ein Soziolekt-Begriff dieser Art ist nur auf dialekt-ähnliche Gebilde anwendbar, also kaum auf Berufssprachen u.ä.- Diese Nähe von regionalem Dialekt und Soziolekt macht tatsächlich die 'soziale Bedeutung' von Varianten zum Hauptunterscheidungskriterium..." (Härtung 1981b: 95). Anschließend wollen wir das Verhältnis v o n Dialekt und Soziolekt an einem Schaubild verdeutlichen.

4

horizontale Bewertungsdimension ('anders als')



A b b i l d u n g 4-2: D a s Verhältnis von Dialekt und Soziolekt nach Steinig (1976: 17) Steinig kommentiert die Abbildung 4-2 folgendermaßen: „Man sieht, daß ein Soziolekt sich nicht auf eine dialektale Region beschränken muß. Der Soziolekt auf der obersten Ebene (Sl) wird beispielsweise in allen drei Dialektgebieten (Dl, D2, D3) ähnlich hoch bewertet. In den meisten Fällen ist ein Soziolekt, der sich in relativer Unabhängigkeit von Dialekten über das gesamte Sprachgebiet erstreckt, mit der kodifizierten Standardnorm einer Sprachgemeinschaft weitgehend identisch. Die Standardnorm ist in unserem Modell jedoch eine quasi idealtypische Varietät, da sie in ihren Realisationen fast immer regional gefärbt erscheint und somit von uns als ein Soziolekt mit einem meist hohen Prestige aufgefaßt wird, der einen Rangplatz in einer soziolektalen Stufenleiter erhält, die man jeweils für eine bestimmte regionale Einheit erstellen kann. Während Sl eine dialektübergreifende Geltung besitzt, findet man in Dl und D3 zwei unterschiedlich stigmatisierte Soziolekte, nämlich S2 und S3 sowie S'2 und S'3. In D2 kann man nur einen stigmatisierten Soziolekt (S2) nachweisen." (a.a.O.) Soziolekte weisen schichtspezifische Merkmale auf (vgl. L a b o v 1966, aber auch Auer 1990); die subjektiven B e w e r t u n g e n von Varianten sind in ihren schichtenspezifischen Ausprägungen soziolinguistische Indikatoren (vgl. Labov, Kapitel 2). Danach w e r d e n schichtenspezifische Varietäten in Richtung „ B o d e n s a t z " der Gesellschaft zunehmend stigmatisiert, während die Varianten der oberen Schichten (obere Mittelschicht, Oberschicht) prestigebesetzt sind. Z u m Abschluß soll auf eine Variante des Soziolekts eingegangen w e r den, die sich aus der Postulierung schichtenspezifischer K o d e s durch B. Bernstein ergibt (Bernstein 1988: 563-578). In Dittmar & Klein (1972, 26-

193 27) und Dittmar (1973: 12-13) wird in einer formalen Rekonstruktion des schichtenspezifischen Kodes nach Bernstein festgelegt, daß ein Unterschichtsoziolekt sich von einem Mittelschicht-/Oberschichtsoziolekt dadurch unterscheidet, daß Sprecher des ersteren im Vergleich mit dem letzteren weniger verschiedene Wörter und syntaktische Regeln verwenden, diese jedoch häufiger (umgekehrt verwenden Sprecher des Mittelschichtsoziolektes mehr Wörter und verschiedene syntaktische Regeln, die sie differenzierter und weniger häufig als die Sprecher des Unterschichtsoziolekts verwenden. Fällt aber die linguistische Diagnose, über die gleichen Themen mit mehr oder weniger Wörtern/syntaktischen Regeln zu reden, unter 'Soziolekt'? Was Bernstein soziolinguistische Kodes nennt, sind nach Halliday semantische und pragmatische Register, d.h. Spuren und Resultate des sozialen Prozesses (siehe 4.3.6.1): Als typischer Soziolekt mag das Ruhrgebiet gelten. Die Eigenschaften des Ruhrgebietsdeutschen, das im übrigen durchaus standardnah ist und überregionale Spezifika aufweist, ist in Mihm (1985) zusammenhängend dargestellt. Ich beschränke mich hier darauf, einige Beispiele aus dem Gebrauch von Adverbien (Adverbphrasen) zu zitieren. (i) da war der Wilhelm noch am ruder, da durften sie nicht so drin hemm machen wie heute (ii) da finde ich mich selber nicht mehr zurecht drin (iii)wir mußten in der küche essen, da war kein platz für im guten zimmer (iv) wo bleiben wir da [mit dem hof] letzten endes mit (v) bin ich an die Volkshochschule gegangen und da bin ich dann so bis 1951 bei geblieben

Die Beispiele zeigen, daß deiktische Ausdrücke in Verbindung mit einem anderen deiktischen Ausdruck {da...drin) oder mit einer Präposition in Distanzstellung erscheinen {da...für, da...mit, da...bei). 4.3 .4 Die Verschränkung von diatopischer und diastratischer Variation 4.3.4.1 Stadtsprachen ('Urbanolekte') Stadtsprachen befinden sich in der gleichen Relation zum Standard wie Dialektvarietäten; sie lassen sich räumlich einordnen und sind in der Regel sozial stratifiziert. Stadtsprachen (oder Urbanolekte) wurden z.B. in der deutschen Dialektologie als inhomogene „Mischsprachen" angesehen und hinterließen „weiße Flecken" in den Dialektlandschaften (vgl. fur eine detaillierte Darstellung Dittmar & Schlieben-Lange 1982a). Damit wurde aber etwa ein Fünftel der Fläche der Bundesrepublik Deutschland aus der Dialektologie ausgeklammert; dabei stellen die ständig wachsenden städtischen

194 Zentren sprachliche Märkte und Umschlagplätze fur relativ große geographische Räume in einzelnen Ländern dar (z.B. Berlin in Brandenburg, München in Bayern, Frankfurt in Hessen, Köln im Rheinland etc.). Erst die Öffnung der Forschung fur die Tatsache, daß die Dynamik der Sprachvariation und des Sprachwandels mit den Städten als sozialen Zentren von Kulturräumen zu tun hat, führte zur Einbeziehung diastratischer Variation (dialektsoziologische Untersuchungen ab 1966, der Pionieruntersuchung von W. Labov in New York). Wenn Soziolinguisten in den 90er Jahren der Ansicht sind, daß das Kontinuum von lokalen über regionale Dialekte bis hin zum Standard in den meisten europäischen Sprachen besser als Substandard bezeichnet werden sollte (vgl. Holtus und Radtke 1986, 1989, 1990, Band I, II, III), da sich die klaren Abgrenzungen zwischen lokalen Dialekten, regionalen Umgangssprachen und standardnahen Stadtsprachen verwischen, so geht dieser gesellschaftliche Akkomodationsprozeß sicher in erheblichem Maße auf das Konto stadtsprachlicher Umschlagplätze. Da sich Stadtsprachen im Zuge von Wanderungsbewegungen entwickelten und damit auch einen erheblichen Einfluß auf die Standardisierung von Dialekten ausüb(t)en, wird „die städtische Sprache [...] hier als 'Ausgleichssprache' aufgefaßt, die die Unterschiede zwischen verschiedenen Dialekten einebnet und eine mittlere Sprachschicht zwischen Dialekt und Standardsprache bildet - die städtische Umgangssprache" (Kallmeyer 1994: llf.). Die aus der dialektologischen Forschung heraus entstandene Stadtsprachenforschung soll am Beispiel Berlins kurz skizziert werden. Das Beispiel macht deutlich, daß sich Stadtsprachen historisch aus Dialekten entwickelten und auf diese wiederum zurückwirkten (Bildung von 'Ausgleichssystemen'). Schönfeld (1987: 226) zeichnet im Zeitraffer die Entwicklung vom Niederdeutschen zur Berlinischen Umgangssprache beispielhaft nach: „Die älteste gesprochene Sprache der Berliner Bürger war die auch in der Umgebung übliche niederdeutsche Mundart, und zwar der mittelbrandenburgische Dialekt. Deutsche Siedler aus dem westelbischen Raum hatten die nd. Mundart mitgebracht. Ihr spezifsches mittelbrandenburgisches Gepräge erhielt sie durch den sprachlichen Einfluß der hier im 12. Jahrhundert siedelnden Niederländer. Diese Mundart (= Dialekt) wurde im 19. Jahrhundert auch noch in den Berlin umgebenden Dörfern und in mehreren der 1920 eingegliederten Stadtteile gesprochen. Durch die Übernahme der Schriftsprache auf ostmitteldeutscher Grundlage im 16./17. Jahrhundert wurden viele niederdeutsche Eigenheiten abgelegt und überregionale auch obersächsische - Formen aufgenommen. Es entstand eine Stadtsprache mit zahlreichen Mundartmerkmalen, die sich allmählich - vor allem in Anlehnung an die Schriftsprache - von einer Halbmundart bzw. Standmundart zu einer städtischen Umgangssprache mit vielen lokalen Besonderheiten entwickelte. Diese Umgangssprache, die sich organisch herausbildete, wurde von den Berlinern geschaffen. Sie ist ein sprachliches System mit eigenen sprachlichen Regeln, in dem die einzelnen Elemente nicht wahllos verwendet werden können. Um 1830 war zwar bei diesen

195 Prozessen im Kern - vor allem in der Lautung - weithin der heutige Stand erreicht; das Berlinische hat aber seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine weitere Entwicklung durchgemacht, und zwar auf den einzelnen Sprachebenen in unterschiedlichem Umfang. Es wurden alte Elemente, die aus verschiedenen Quellen stammen, in großer Zahl bewahrt. Andere wurden abgelegt und neue geschaffen. Wir verstehen also unter Berlinisch die Berlinische Umgangssprache, die von den in Berlin Aufgewachsenen vor allem im zwanglosen Gespräch verwendete Sprache. Sie wurde und wird von Berlinern unterschiedlicher sozialer Gruppen (nach Beruf, Schulbildung, Alter u.s.w.) in verschiedenartigen Situationen gebraucht".

Neuere Untersuchungen zeigen, daß sich die Berlinische Umgangssprache nahezu auf ganz Brandenburg ausgedehnt hat. Mit anderen Worten: Hier liegt nicht nur eine räumliche Dynamik zwischen Stadt und Land vor, sondern vor allem auch eine soziale/diastratische, die Pendler nach Berlin und in das Umland tragen. Dabei sollte vor allem auch der Prozeß der sozialen Bewertung des Berlinischen beachtet werden. Bereits zu Ende des 19. Jahrhunderts wurden die ausgeprägten stadtdialektalen Merkmale stigmatisiert - ihre Sprecher finden sich bis heute eher in den unteren Schichten oder in den unteren Mittelschichten. Die diastratischen Wurzeln stadtsprachlicher Variation führten, wie man auch am Beispiel des Ruhrgebiets deutlich sehen kann (Mihm 1985), zu ausgeprägten Negativbewertungen: In diesem Sinne sind Urbanolekte häufig gleichzeitig Soziolekte (vgl. 4.3.3). Städtische Varietäten weisen sowohl eine diatopische als auch eine vertikale diastratische Dimension auf. Der diastratische Bezugspunkt fehlt in der Definition von Dialekt in Ammon (1983 bzw. 1992) ganz. Demnach wären Stadtsprachen keine Dialekte. Stadtsprachen stehen jedoch im Schnittpunkt diatopischer und diastratischer Kräfte - nur ihr komplexes Zusammenwirken erklärt die Dynamik von Sprachveränderungen. Stadtsprachen sind prototypische Substandards. 4.3.4.2 Umgangssprache (Regiolekt) Der Grundidee des Raumes folgend, können wir der Umgangssprache diatopisch den mittleren Bereich zwischen kleinräumigen (lokalen) Dialekten und dem großräumigen Standard zuweisen: „Vorwiegend in der deutschen Germanistik gebrauchter Terminus für den großen und heterogenen Bereich von Sprachvarietäten zwischen Hochsprache/ Standardsprache einerseits und kleinräumig gebundenen Dialekten andererseits (Umgangssprache als eine Art 'Ausgleichsvarietät' zwischen Hochsprache und Dialekt, die zwar deutliche regionale Färbung, jedoch keine extremen Dialektismen aufweist)" (Bußmann 1990: 814). Munske versucht eine impressionistische Charakterisierung der Umgangssprache: „Einmal als an eine bestimmte informelle, dialogische Kommunikationssituationen gebundene Redeweise

196 verstanden [...], zum anderen werden mit diesem Sammelbegriff die zahlreichen regionalen Varianten gesprochener Sprache bezeichnet, die nicht mehr Dialekt und noch nicht Hochsprache sind: Sprachformen mit weitgehend überregionaler Verstehbarkeit, doch zugleich erkennbar regionalem Charakter. Diese beiden Bedeutungen von Umgangssprache lassen sich grob als eine diasituativ geprägte Existenzform gesprochener Sprache einerseits und als eine aus dem Kontakt von Dialekt und Hochsprache erwachsene diatopisch und diastratisch variierende Form gesprochener Sprache andererseits charakterisieren" (1983: 1002). Mit dieser Bestimmung kommen nicht nur räumliche und soziale (diastratische) Faktoren in den Blickpunkt, sondern auch situative (formelle vs. informelle Sprachgebrauchsstile). Aus der Sicht des lokalen Dialekts könnte man die Umgangssprache als tendenzielle Dialektstandards bezeichnen, aus der Sicht der Standardsprache wäre sie eine den zwanglosen und informellen Umständen einer Situation angepaßte saloppe, unkontrolliert gebrauchte Varietät (vgl. Domaschnev 1987: 308). Der im anglophonen Sprachraum häufig verwendete Begriff Vernacular ist mit dem der 'Umgangssprache' nicht synonym. Labov versteht darunter die von dia- und soziolektalen Eigenschaften geprägte Alltagsvarietät, in der „der Sprache nur ganz minimale Aufmerksamkeit gewidmet wird. Auf dieser Ebene hat das Sprachverhalten am meisten Systemcharakter und ist von größtem Interesse für den Linguisten, der die Struktur und Entwicklung von Sprache erklären will" (1976: 271). Für Labov ist Vernacular die durch Gruppeninteraktion systematisch geprägte Grundsprache schlechthin. Unter Rückgriff auf auffällige Merkmale des Dialektabbaus im phonologischen, morphologischen und lexikalischen Bereich (Darstellung durch Regeln) versucht Munske folgende vorläufige Bestimmung von Umgangssprache: „Umgangssprachen sind in wesentlichen Zügen ihres phonologischen, morphologischen und semantischen Systems das Resultat eines strukturellen Ausgleichs zwischen Dialekt und Hochsprache, wobei komplexere dialektale Strukturen einfacheren hochsprachlichen angepaßt werden. Phonologische Kontraste werden dabei geduldet, soweit sie lediglich Oberflächenerscheinungen sind und durch einfache Umsetzungsregeln (auf der Basis gleicher Tiefenstrukturen) ineinander überführbar sind. Dadurch wird Umgangssprache auch überregional verstehbar, ihr bleibt als Charakteristikum nurmehr ein regionaler Akzent. Sprachhistorisch läßt sich dieser Vorgang wie folgt bewerten: Durch solchen Sprachwandel wird die genuine Entwicklung der Dialekte abgebrochen, sie verlieren ihre sprachgeschichtliche Selbständigkeit und treten nunmehr in ein abhängiges, ein deszendentes Verhältnis von Hochsprache" (Munske 1987: 1009).

Die genannten dynamischen Ausgleichsprozesse sowie die Angleichung der Dialekte an den Standard (Perspektive der Akkommodation) sind der Grund, warum die vielerorts anzutreffenden Zwischenbereiche zwischen Dialekt und Standard mit dem Begriff'Substandard' belegt werden.

197 Wie fruchtbar ein Vergleich zwischen dem Gebrauch des Terminus 'Umgangssprache' in der Germanistik und in der Romanistik sein kann, zeigt der Aufsatz von Holtus und Edgar Radtke (1984). Während die Germanistik nach 1950 Umgangssprache als „Zwischenschicht" zwischen Volkssprache (Grundsprache) und Hochsprache (Schriftsprache) und in diesem Sinne als „sozial-vertikale Schichtung" (= diastratisch) betrachtet (Ingulf Radtke 1973), haben viele Romanisten die breit gefächerte, der Alltagssprache nahestehende Umgangssprache als Prototyp der gesprochenen Sprache diaphasisch beschrieben. Vor allem formelle und informelle Stilniveaus werden zur näheren Bestimmung von Umgangssprache (Regiolekt) angeführt (vgl. vor allem die französische Soziolinguistik der gesprochenen Sprache, vgl. Ager 1990; Sanders 1993). Dabei hat sich eine klare Opposition zwischen regionalen romanischen Umgangssprachen (français courant, italiano regionale/populare etc.) als Prototypen gesprochener Sprachen einerseits und der Schriftsprache andererseits herausgestellt. Umgangssprachen werden daher in den romanischen Ländern als Systeme der gesprochenen Sprache unvoreingenommen und als empirisches Faktum per se mit strukturalistischen Methoden beschrieben. Im deutschen Sprachraum ist das nicht der Fall. Führte der die Germanistik seit dem 19. Jahrhundert dominierende nationale und 'romantische' Geist des cuius regio, eius religio zur bevorzugten Untersuchung der kleinräumigen Sprachvarianten gegenüber den durchschnittlichen umgangssprachlichen Standards? Warum wurde die durchschnittliche deutsche Umgangssprache bisher nicht für die wichtigsten Großstädte dokumentiert, wie dies de Mauro et al. (1993) für italienische Großstädte mit dem Ziel gemacht haben, das gesprochene „Durchschnittsitalienisch" zu erfassen?121 Ingulf Radtke (1973) sichtet die in der germanistischen Forschung vorhandenen Untersuchungen zur Umgangssprache und faßt die Ergebnisse wie folgt zusammen: „1. Die Umgangssprache kann als überregionale, allgemein verständliche und allgemein gebräuchliche Kommunikationsform angesehen werden. 2. Im Gegensatz zu Hochsprache und Mundart ist das Spektrum der Umgangssprache ungleich breiter: Sie ist horizontal und vertikal strukturiert, sozial und stilistisch differenziert, besitzt eine historische Dimension, d.h., sie ist dem gesellschaftlichen, ökonomischen und technologischen Wandlungsprozeß unterworfen. 3. In Bezug auf ihren areal bedingten Kommunikationsradius wird ihr entweder ein kleinlandschaftlicher (Stadtsprache, Halbmundart) oder großlandschaftlicher Geltungsbereich bis hin zum 121

Eine rühmliche Ausnahme ist König, W. (1989), der die morphophonologischen Ausspracheeigenschaften des Schriftdeutschen in einem 'Atlas' zusammenfaßt. Wenn seine Untersuchung auch keine große Belegdichte aufweist und im wesentlichen auf Leseproben beruht, kommt ihr doch das große Verdienst zu, Aussprachenormen des Schriftdeutschen empirisch erfaßt zu haben.

198 gesamten deutschen Sprachgebiet zugesprochen. Damit ist der Gesamtbereich zwischen normativer Hochsprache und regionaler Mundart ausgefüllt. 4. Die Umgangssprache ist im wesentlichen gesprochene Sprache, da sich geschriebene Sprache tendenziell an der hochdeutschen Norm orientiert. 5. Untentschieden bleibt, ob der Umgangssprache Systemcharakter zugeschrieben werden kann. 6. Unentschieden bleibt ferner, ob Umgangssprache überhaupt definitorisch zu erfassen ist" (I. Radtke 1973: 168).

Abschließend kommt I. Radtke zu einer Definition von Umgangssprache: „Wir bezeichnen mit Umgangssprache die gesprochene deutsche Sprache eines jeweiligen synchronen Zeitabschnitts (darin ist also auch die sprachhistorische Komponente enthalten), die überregional gesprochen und verstanden wird, nicht fachgebunden (Fachsprache) und verhüllend (Sondersprache) ist, aber durchaus landschaftliche Züge (etwa in den Intonationsverhältnissen) aufweisen kann" (I. Radtke 1973: 170).

Die neuere soziolinguistische Forschung verwendet statt 'Umgangssprache' den Terminus 'Substandard'. 4.3.4.3 Substandard Unter Substandard (vgl. auch Holtus & Radtke 1986-89) verstehen wir das standardnah gesprochene Deutsch, das einer Reihe von Korrektheitsbedingungen des schriftlichen Standard nicht genügt, überregionale Eigenschaften/Merkmale aufweist (mehr oder weniger der Durchschnitt der Großstadträume), in halböffentlichen und öffentlichen Situationen gesprochenen wird, und zwar von Sprechern, wie sie von Werner König in seinem „Atlas zur Aussprache des Schriftdeutschen in der Bundesrepublik Deutschland" (1989) dokumentiert wurden. Zunächst wollen wir einige Merkmale nennen, die als prototypische Merkmale des überregionalen, gesprochenen Substandard angesehen werden können: 1. Morphologie In Hartmann (1990: 52) wird z.B. die Verschmelzung als typisches Phänomen des Substandard betrachtet: •

im Garten vs. in dem Garten;



ins Kino vs. in das Kino;



zur Straße vs. zu der Straße;



wir kaufen das Fleisch beim Metzger und nicht beim Konsum;



Alfred geht aufs Gymnasium.

Spezifische Verteilungen von Verschmelzungstypen können nach sozialer Markiertheit klassifiziert werden (vgl. Hartmann 1990).

199 2. Syntax • weil mit Verbzweitstellung (vgl. ausfuhrlich hierzu Wegener 1993 und 5.5.1) in z.B. einkaufen geh ick doch lieber im westteil weil + da is ürgentwie mehr vakaufskultur (Berlin-Korpus „9. November 1989"); • Ausgliederung·. z.B. können einem Satz Partikeln wie indessen, freilich, immerhin, nur, echt, also vorangestellt werden; die ausgegliederten Partikel sind dann modale Operatoren, die auf dem Satz operieren. • Extrapositionen. In der Äußerung den Tisch, den laß mal dort drüben stehen ist das Thema links herausgestellt, mithilfe der flektierten Proform wird an das Thema anaphorisch angeknüpft. Die Linksherausstellung ist auch ein Mittel der Fokussierung. Mit der Rechtsherausstellung wie z.B. in er hat wieder einmal kein Glück gehabt, der Peter wird Peter rhematisch hervorgehoben. In den öffentlichen Medien finden sich zahlreiche solche Herausstellungen. • Ausrahmung·. Hierunter versteht man den meist pragmatisch bedingten Nachtrag nach dem rahmenschließenden infiniten Verbteil: sie ist dann wieder nach Hause zurückgekehrt, nach vielen Umwegen und mit der Bahn statt mit dem Auto. In der Regel werden in einer Art Kommentar Umstände nachgetragen. • VerbSpitzenstellung. Nach Auer (1993) in der überregional gesprochenen Sprache sehr häufig anzutreffen; in der mündlichen Rede fallen häufig die Expletivpronomina es/das weg; ebenso kann das finite Verb (anstelle von anaphorischem/deiktischem Personalpronomen oder satzanaphorischem das) die Äußerung direkt einleiten. Prototypisch werden mit finitem Verb in Spitzenstellung Äußerungen eines bestimmten Handlungscharakters eingeleitet: Modalisierende Bezugnahmen, Bewertungen und andere Kommentierungen, Elaborierungen, konversationelle Antworten und Darstellungen von Handlungsschritten in Erzählungen. Damit ist die Funktion der Verbspitzenstellung eine starke Bindung des Syntagmas an die Äußerung. (In narrativen Kontexten bewirkt sie allerdings eine Betonung des Handlungscharakters der Proposition). Die Verbspitzenstellung ist schließlich ein spezifisches Mittel, mit dem zwei benachbarte Syntagmen „gerafft" werden können. Der Raffungseffekt steht im größeren Zusammenhang der mündlichen Strategie zur Verdichtung (vgl. den Effekt der syntaktischen Subordination) sowie zur Fragmentierung. • Nonstandardmuster mit mehr oder weniger überregionaler Reichweite (vgl. Henn-Memmesheimer (1986)): Es gibt Beispiele, in denen das flektierte Pronomen oder die flektierte Pronominalphrase (ihm, ihr...) vom Substantiv abhängig ist: dem sein Sohn oder dem seine Tochter hat dann geheiratet oder wem sein Hut ist das? (Henn-Memmesheimer 1986: 144).In diesen Beispielen ist das Fragepronomen bzw. das défini-

200 te/indefinite Pronomen abhängig von der Nominalphrase; die entsprechenden Standardäußerungen wären: Der Sohn von X oder die Tochter von ihm hat dann geheiratet oder wessen Hut ist das? Nach HennMemmesheimer werden diese Konstruktionen überregional benutzt (vgl. die Karten in ihren Veröffentlichungen). Es stellt sich hier allerdings die schwierige Frage, ob diesen Ausdrücken nicht bereits negative soziale Konnotationen anhaften. 3. Lexik Die umgangssprachliche Lexik wurde im Atlas für Umgangssprache von Eichhoff (1978) festgehalten. Die dort angegebene areale Verteilung trifft heute nur noch teilweise zu. Hentschel (1986) und Dittmar (1997) belegen z.B., daß die nur für den süddeutschen Raum empirisch ausgewiesene Modalpartikel halt inzwischen neben eben im norddeutschen Raum weiträumig und systematisch verwendet wird. Allerdings werden in Dittmar (1997) auch erhebliche Sprachgebrauchsunterschiede zwischen den 'alten' und den 'neuen' (BRD vs. ehemalige DDR) Ländern festgestellt. 4. Aussprache/Phonetik Das empirisch fundierteste Werk ist derzeit König, W. (1989). Ziel der Untersuchung von König ist es, „großlandschaftliche Unterschiede in der Aussprache des Schriftdeutschen zu erkunden und darzustellen. Das betrifft vor allem die Phonetik des Deutschen." (8). Aus der BRD wurden 44 Aufnahmen ins Korpus aufgenommen (BRD vor der Wiedervereinigung, Österreich und Schweiz fehlen). Im wesentlichen wurden Städte berücksichtigt. Die Stichprobe entspricht dem gehobenen sozialen Mittelstand (Voraussetzung: Abitur). Folgende Kriterien sollten die ausgewählten Sprecher erfüllen: •

Homogen im Alter: 95 % der Informanten wurden zwischen 1948 und 1956 geboren;



homogen im Bildungsstand: Alle Sprecher hatten Abitur (waren im Studium oder hatten dieses abgeschlossen);



homogen in der sozialen Herkunft: Von allen Sprechern hatte mindestens ein Elternteil Abitur. Außerdem wurde darauf geachtet, daß die ausgewählten Sprecher nicht auffallend dialektal von einem gewissen Durchschnitt abwichen.

Folgende Kontextstile wurden erhoben: (a) (b) (c) (d) (e)

Spontane Sprechweise, Vorlesesprache eines zusammenhängenden Textes, Vorlesesprache Wortliste, Vorlesesprache Minimalpaare, Vorlesesprache Einzellaute.

201 Die in König zusammengestellten Übersichten über Konsonanten- und Vokalverwendungen in der ehemaligen BRD stellen die erste empirisch ermittelte überregionale Beschreibung von Ausspracheregeln dar und sind direkt einschlägig für Deutsch als Fremdsprache. Im Falle der von König ermittelten Ausspracheregeln können wir von standardnaher Umgangssprache oder standardnahen Regionalaussprachen sprechen. Den Terminus Substandard können wir als sozial markierenden Begriff verstehen. Standardnahe Aussprache wird demnach sozial hoch oder niedrig markiert. In diesem Sinne haben wir es bei Königs Untersuchungen mit „hoch" markierten Regeln zu tun, die ein weitverbreitetes Prestige haben. Sie sind für Deutsch als Fremdsprache als Richtnormen zu verstehen, die die traditionellen Siebschen Ausspracheregeln ablösen. 4.3.5 Normativ-präskriptive Dimension: Standardvarietät122 Für 'Standardvarietät' wird in der Literatur auch 'Standardsprache', 'Hochsprache', 'Literaturssprache', 'Gemeinsprache', 'Einheitssprache' und 'Nationalsprache' verwendet (Schildt et al. 1983: 415 ff ). 'Standard' wird geschrieben, er ist schriftlich kodifiziert (System von Vorschriften), besitzt überregionale Reichweite und Gültigkeit, wird vorzugsweise in institutionellen Kontexten und offiziellen Kommunikationssituationen benutzt und erscheint in der Alltagssprache (= Summe der Varietäten in einem bestimmten Varietätenraum) niemals in ihrer idealtypisch kodifizierten Norm. Die 'Standardvarietät' (= SV) dient als intersubjektive Verkehrssprache und findet ihre häufigste Anwendung im Rahmen gesellschaftlicher Institutionen, sowie in allen formalen Kontexten, die Sanktionen befurchten lassen, wenn sie nicht korrekt benutzt wird. Der Standard wird in den Schulen gelehrt, sein Gebrauch verschafft in der Regel Prestige und begünstigt den Erwerb sozialer Privilegien. Zur Bestimmung des Standardisierungsgrades einer SV können nach Garvin (1964) drei Arten von Kriterien dienen: (i) die linguistischen Eigenschaften einer Standardsprache, (ii) ihre Funktionen innerhalb der Kultur einer Sprachgemeinschaft und (iii)die Einstellungen der Sprachgemeinschaft ihr gegenüber (Garvin 1964: 522).

122 Eine Begriffsbildung mit '-lekf ist mir nicht bekannt. 'Standardvarietät' führe ich hier als die im Gebrauch befindliche Varietät an, die in ihrer Nähe zu expliziten Korrektheitsbegriffen die anderen Varietäten im Sinne einer 'Richtnorm' überdacht. 'Status und Funktion' des Standard hätten auch unter 3.7 abgehandelt werden können - allerdings dann ohne linguistische Merkmale im engeren Sinne.

202 Als wichtige Eigenschaften der SV gelten ihre „flexible Stabilität" und der Grad ihrer „Intellektualität". Im Sinne von (ii) kann sie nach vier Funktionen beurteilt werden. (a) ihrer einigenden Funktion (Kontrolle verschiedener Dialektbereiche durch eine SV), (b) ihrer separierenden

Funktion (Abgrenzung gegenüber anderen Sprachen),

(c) ihrer /Vetf/gefunktion und (d) ihrer Funktion als normativer (Korrektheitsnormen).

Bezugsrahmen für die Orientierung ihrer Sprecher

Die Einstellungen der Sprecher gegenüber der SV (iii), die sich an ihrer Sprachtreue, ihrem Sprachstolz und ihrem Normbewußtsein bemessen, beziehen sich auf diese 4 Funktionen: 'Sprachtreue' auf die einigende und separierende Funktion (und damit auch auf den Grad des Nationalbewußtseins), ' Sprachstolz' auf die Prestigefunktion und 'Normbewußtsein' auf ihre Funktion als orientierender normativer Bezugsrahmen (Garvin: a.a.O.). Die vier wesentlichen Aspekte, die die SV vom 'Dialekt' unterscheiden, sind nach Haugen: "(a) selection of norm, (b) codification of form, (c) elaboration of function, and (d) acceptance by the community" (1972:110). Von diesen vier Aspekten entsprechen (a) und (b) der Form, (c) und (d) der Funktion der Varietät; (a) und (d) wiederum beziehen sich auf die Gesellschaft, (b) und (c) auf sprachliche Eigenschaften. Dies fassen wir in einer Vier-Felder-Tabelle 4-1 zusammen. Form

Funktion

Gesellschaft

Selektion

Übernahme

Varietät

Kodifizierung

Ausbau

Tabelle 4-1: Der Prozeß der Standardisierung einer Varietät nach Haugen (1972: 110) Haugens Darstellung legt das Hauptgewicht auf die Charakterisierung des Prozesses, weniger auf die Definition der SV. Unter konkurrierenden Varietäten muß eine ausgewählt werden ('Selektion'). Die ausgewählte Varietät muß durch legitimierte Institutionen (z.B. eine Akademie) in Wörterbüchern, Grammatiken etc. normiert werden ('Kodifizierung'). Schließlich müssen die Funktionen der SV ausgebaut werden, damit sie in den relevanten Kontexten (Institutionen, Literatur, Medien, überregionale Öffentlichkeit etc.) zweckfunktional genutzt werden kann ('Ausbau', "elaboration"). Schließlich muß die SV von einem relevanten Anteil der Bevölkerung mit positiven Einstellungen angenommen werden ('Übernahme', "acceptance"), um ihre einigende, Unabhängigkeit und Unterschiede zu anderen Gesellschaften fordernde und dokumentierende Kraft ausüben zu können. Welche

203 einschlägigen weiteren Funktionen die SV ausüben kann, illustriert die Abbildung 4-3. Symbol fur Prestige

Vitalität

nationale

/

Integration

\

Historiztät Imagebildung der Sprache nationale Eliten °ffent iche Institutionen

Autonomie Nützlichkeit/ gesellschaftlicher Nutzen

literarische Tradition Korrektheit/normative Vorschriften

Abbildung 4-3: Funktion der SV nach Downes (1984: 35) Den Versuch einer operationalen Definition der SV, geltend für einen bestimmten Raum, für eine bestimmte Zeit und für bestimmte Sprecher, haben Deutrich und Schänk am Beispiel des Deutschen vorgenommen: (1) (2) (3) (4)

(5)

(6)

C) (8)

(9)

Operationalisierunqsvorschlag Staatsangehörigkeit, Bezugsperson mit Deutsch als Primärsprache Zeit Nach 1945 gesprochenes Deutsch von Sprechern, die unter (1) fallen Passive Beherrschung Nachweis des Bildungsweges mit 'Deutsch' als Primärsprache Verhältnis zu Normierungen: Sprache in Phonetische Hochlautung: Offiziell' kodifizierte enger Anlehnung an kodifizierte Normie- Sprachnormierung, z.B. Duden-Grammatik, Schulrungen (mit teilweise nicht sanktionierten grammatiken. grolllandschaftlichen Sonderregelungen) Aktive Verwendung (I): Eingeschränkt auf Sprecher mit Positionen und Rollen (...): z.B. bestimmte Sprecher unter den Bedingun- Textproduzenten, Lehrer, Funkkollegautoren, Politigen von 7 und 8 (besondere Beschrän- ker, Journalisten, Gewerkschaftsfunktionäre, Makungen für die dt. Schweiz) nager, Pfarrer, Richter, Ärzte Aktive Verwendung (II): Orientierung für Alle nicht unter (5) erfaßten Positionen und Rollen, aktive Venwendung bei den übrigen Spre- insbesondere Sprecher mit geringen überregionalen chern unter der Bedingung von 7 und 9 in und/oder Intergruppaien Sprachkontakten, z.B. Kommunikation mit den unter (5) genann- bäuerliche Landbevölkerung und kleingewerbliche ten Sprechern (besondere Beschränkung Landbevölkerung u.a. für die Schweiz) Merkmal Gebiete mit Deutsch als Primärsprache

Uberregionalität Anwendung in Massenmedien Verwendung in öffentlichen Kommunikati- Öffentliche Kommunikationsakte, z.B. Vorträge, öfonsakten zwischen verschiedenen sozia- fentliche Diskussionen, Parlamentsdebatten len Sprechern Verwendet bzw. angestrebt in öffentlichen Beispiele vgl. (6) Kommunikationsakten zwischen verschiedenen sozialen Sprechern, vorwiegend in I aufsteigender Richtung

Tabelle 4-2: Operationale Definition der SV nach Deutrich & Schänk (1972: 15 f.)

204 Der Terminus 'Literatursprache', genauer: der historische Werdegang des literarischen Schriftdeutschen, wird umfassend in Schildt et al. (1983: 675694) dargestellt. In seinem Versuch, 'Standardvarietät' mit Mitteln der formalen Logik zu rekonstruieren, unterscheidet Ammon zwischen 'Sprache' (= Oberbegriff für eine Menge von Varietäten) und 'Varietät' (Teilmenge oder Element von 'Sprache') und zwischen den für eine Definition notwendigen und potentiellen Eigenschaften der Definition. Eine kummulative Definition (Zusammensetzung aus einer maximalen Liste von Prädikaten) läßt eine Unterscheidung zwischen notwendigen und graduell gewichteten Prädikaten nicht zu. Wie können nun Linguisten entscheiden, in welchem Maße Eigenschaften wie überregional, oberschichtlich, invariant, geschrieben, kodifiziert das Definiens 'Standardvarietät' hinreichend erfüllen? Gegenüber der Tatsache, daß eine wesentliche Eigenschaft der Standardvarietät ihre Kodifizierung und die Befolgung ihrer Normen (Gebote, Verbote) darstellt (vgl. Bartsch 1987) nehmen sich die De/iraens-Merkmale überregional, oberschichtlich, invariant, ausgebaut und geschrieben als notwendige Definitionskriterien aus. Im unmarkierten Fall können wir davon ausgehen, daß die Standardvarietät andere Varietäten und deren kleinere Räume überdacht. Die Überregionalität trifft jedoch nicht ausschließlich zu: Hier und da mag es Gruppen oder kleine Räume geben, für die Ausnahmen gelten. Insofern würde das Merkmal nur tendenziell oder 'für die meisten Fälle' gelten. Mithilfe einer schwachen und einer starken Version prüft Ammon, ob die angeführten Merkmale notwendig sind. Da es für alle Attribute Ausnahmen gibt (somit „Allpropositionen" nicht haltbar sind), sind sie für eine Kerndefinition von ' Standardvarietät' nicht unbedingt erforderlich, da es kontextuelle und registerspezifische Variation gibt. Ähnlich verhält es sich für das Merkmal geschrieben. Standardvarietät kann eben nicht mit geschriebener Sprache gleichgesetzt werden, da Gebrauchskontexte identifiziert werden können, in denen sie normgerecht gesprochen (aber nicht geschrieben wird). Unter Rückgriff auf Bartsch (1987) 123 versucht Ammon eine „provisorische Lösung" des Definitionsproblems. Die Kodifizierung einer Standardvarietät besteht demnach aus „Kodexteilen" (Ammon 1995: 53). Wir können „Kodexteile für die Schreibung, die Lautung, die Grammatik (Morphologie und Syntax), das Lexikon und eventuell für Registerspezifika (Stilistik)" unterscheiden. Dann läßt sich für 'Standardvarietät' ein „klassifikatorischer Begriff' folgendermaßen festlegen (Ammon 1994: 53):

123

Die normativen Korrektheitsbegriffe nach Bartsch (1987) werden ausführlich in 3.8.2 erläutert.

205

(1) Minimal standardisierte Varietät (2) Vollständig standardisierte Varietät

mindestens 1 Kodexteil liegt annähernd vollständig vor alle vier (bzw. 5) Kodexteile liegen annähernd vollständig vor

Tabelle 4-3: Klassifikatorischer Begriff f ü r 'Standardvarietät' (nach A m nion 1994: 53) E s gäbe weitere Festlegungen, auf deren M e n g e und genaue Formulierung A m m o n sich noch nicht festlegen will. Hierzu gehören •

die Anzahl eventuell weiterer standardisierter Varietäten der betreffenden Sprache (dann wäre diese Standardsprache n-zentrisch);



die Anzahl der nicht-standardisierten Varietäten im Gebiet jeder standardisierten Varietät der betreffenden Sprache;



die linguistische Distanz zwischen SV und nicht-standardisierter Varietät (größte Distanz, gewichtete Distanz);



Angaben zur Gültigkeit von „Kodexteilen" für Personen in bestimmten Situationen; kodifizierte Eigenschaften können offiziell gültig sein, die Kommunikation in einer Standardvarietät kann ohne die Gültigkeit solcher Gebote stattfinden.

A m m o n s Definition von S V liegen die beiden notwendigen Merkmale Grad der Kodifizierung und Gültigkeitsbereiche von Geboten/Verboten zugrunde. Letztere Dimension ist tatsächlich eine wesentliche Bedingung der D e finition v o n SV. D e n Definitionsvorschlag halte ich f ü r verdienstvoll, da Kriterien der Überprüfbarkeit vorliegen und eine fruchtbare Diskussion über sinnvolle, notwendige, hinreichende Merkmale gefuhrt w e r d e n kann. Allerdings gebe ich dabei folgendes zu bedenken: 1. Eine Abkoppelung von der empirischen Realität darf nicht erfolgen; die 'Idealisierung' muß schrittweise durch empirische Verifizierung zurückgenommen werden; 2. Genauer zu klären ist, was unter 'Kodifizierung' oder 'Kodexteile' zu verstehen ist; es gibt auch für mündliche Verwendungen von Sprache mehr oder weniger strenge gültige Gebote/Verbote (geregelt durch Sanktionen, die allerdings anders sind als Verstöße gegen die Rechtschreibung im Schulunterricht über Standardsprache, vgl. 3.8.2); das Merkmal geschrieben wird von Ammon als 'potentiell' qualifiziert; wenn man jedoch Gebote/Verbote für die SV als verbindlich erklärt, dann muß ihr Gegenstandsbereich genauer gefaßt werden (die Extension der G/V sind ganz sicher auch andere Varietäten als die Standardvarietät, allerdings sind die Arten und Qualitäten von G/V verschieden, nicht jedoch die Wirkungsweise). 3. Das empirische Problem der Reichweite (räumlich wie sozial definierter Umfang von Sprechern) der Standardvarietät bleibt weiterhin ungelöst: Die durch Kodifizierungen gegebene Menge an Geboten und Verboten ist sozusagen ein Teil des Problems, ein anderer Teil ist jedoch, in welchem Maße/Umfange/Grade z.B. schriftlich vorgegebene Normen in der gesprochenen Sprache realisiert werden (sollte allein

206 die kodifizierte Norm mit der Definition von 'Standardsprache' gemeint sein, wäre die Definition sicher zu eng; bezieht man andererseits die Sprecher und ihr Verhältnis zur Norm mit ein, erhält man einen wesentlich umfangreicheren Definitionsbereich, der ohne empirische Untersuchungen nicht hinreichend und sinnvoll gefüllt werden kann).

'Überregionalität' ist m.E. ein weiterhin wesentliches Merkmal: Die Standardvarietät stellt sowohl räumlich wie sozial ein Dach dar, sowohl in der Kodifizierung von Geboten und Verboten als auch in ihrer mentalen Internalisierung in der Sozialisation. 4.3.6 Diaphasische Dimension ('Situolekte') Die diaphasische oder diasituative (Nabrings 1981: 140) Dimension bezieht sich auf situative bzw. domänenspezifische Konstellationen. Wer mit wem wie in welchem sozialen Kontext (Kaufhaus, Straßenbahn, Schule, Kirche, Jugendzentrum, Privathaushalt etc.) über was (Thema) redet, ist eine Frage der Redekonstellation und der Domäne des Sprachgebrauchs. Solche Domänen (vgl. Fishman 1971a) bestehen aus sozialen Situationen, in denen Interaktionspartner qua soziale Rollen (verstanden als Menge kulturell definierter gegenseitiger Rechte und Verpflichtungen) in einem spezifischen sozialen Umfeld (Setting) in privater oder geschäftlicher Beziehung interagieren. Mit dem wie der Kommunikation ist das Medium gemeint: schriftliche oder mündliche Kommunikation, wobei register- und stilspezifische Varianten zu beachten sind. Wer mit wem betrifft die Interaktionspartner/Gesprächsteilnehmer, die als Sprecher und Hörer jeweils unterschiedliche lokale und soziale Identität haben, über verschiedenes sprachliches und Weltwissen verfugen und je nach sozialer Situation unterschiedlichen sozialen Status haben. Auch die Vertrautheit zwischen den spielt Partnern eine Rolle. Das soziale Umfeld (häufig auch Setting genannt) definiert für die Interaktionspartner Handlungsräume und Lebenswelten (-bereiche), in denen je nach sozialen Rollen - Rechte und Pflichten zu beachten sind. Solche Normierungen betreffen die Beziehungsverhältnisse Käufer-Verkäufer, Patient-Arzt, Kirchgänger-Pfarrer, Kinder-Eltern (Familie) etc. Soziale Rollen entsprechen institutionellen Normen, sind jedoch auf diese nicht festgelegt (auch die Freizeitbereiche gehören zu den genannten sozialen Situationen). Zwischen sozialem Umfeld, Gesprächspartnern, den Themen und ihren interaktiven Funktionen besteht in der Regel eine domänenspezifische Kongruenz. Sie wird durch spezifische soziokulturelle Normenbündel gesichert.

207 4.3.6.1 Register Forschungsgeschichte des Begriffs An der Quelle des Registerbegriffs in der modernen Linguistik ist die sprachtheoretische Perspektive von Firth (1957) zu sehen: Im Unterschied zu der formalistischen Linie des amerikanischen Strukturalismus postulierte Firth einen Bedeutungsbegriff, in dem sprachliche Zeichen direkte Beziehungen mit dem Kontext eingehen, d.h. erstere werden in direkter Abhängigkeit von der Situation und dem Kontext gebraucht. Die Beispiele von Firth sind häufig dem Bereich der "Restricted Languages" entnommen: Die Sprache zur Regelung des Luftverkehrs, die Wetterberichte, die Glückwunschkarten/-sendungen, spielbegleitende simplifizierte Register (Skat, Schach, Bridge). Bei diesen Beispielen ist die unauflösliche Verbindung von Kontext und sprachlich-kommunikativen Mustern evident. Firth geht es um eine integrierte Theorie der Bedeutung, in die die Sprachbenutzer und ihr Sprachgebrauch zu gleichen Teilen eingehen sollen. Seine erste begriffliche und theoretische Ausarbeitung erfuhr der Registerbegriff in Halliday, Mcintosh & Strevens (1964), einem Buch zur angewandten Linguistik. Die Grundidee dieses Aufsatzes, der Varietät Dialekt die Dimension Sprachbenutzer und der Varietät Register die Dimension Sprachgebrauch zugrunde zu legen, wird in Hallidays 1978 erschienenem Buch Language as Social Semiotic geleistet. Der Register-Begriff ist hier einer der tragenden Pfeiler der Hallidayschen Konzeption von Soziolinguistik. Halliday unterscheidet Dialekt als Varietät der Sprachbenutzer von 'Register' als Varietät des Sprachgebrauchs (Halliday 1978: 110): "The dialect is what a person speaks, determined by who he is; the register is what a person is speaking, determined by what he is doing at the time". Es gibt eine Reihe von Definitionsversuchen für 'Register' im Laufe der 12 Kapitel des Buches. Eine typische Kernaussage ist die folgende: " A register can be defined as the configuration of semantic ressources that a member of a culture typically associates with the situation type. It is the meaning potential that is accessible in a given social context. Both the situation and the register associated with it can be described to varying degrees of specificity; but the existence of registers is a fact of everyday experience - speakers have no difficulty in recognizing the semantic options and combinations that are 'at risk' under particular environmental conditions. Since these options are realized in the form of grammar and vocabulary, the register is recognizable as a particular selection of words and structures." (111) 124 .

124

Die varietätenlinguistischen Konsequenzen dieser Bestimmung werden weiter unten erörtert (Probleme der varietätenlinguistischen Einordnung). Der Begriff Register ist abzugrenzen von Kode, Dialekt, Stil.

208 Sprachlich-kommunikative Register sind nach Halliday lexikogrammatische Varietäten gemäß unterschiedlichen situativen Kontexten. Daher müssen Typen von Sprechsituationen unterschieden werden; sie variieren in dreierlei Hinsicht (Halliday 1978: 31): "First, what is actually taking place; secondly, who is taking part; and thirdly, what part the language is playing. These three variables, taken together, determine the range within which meanings are selected and the forms which are used for their expression. In other words, they determine the 'register'" (31). {Sprech-) Situationstypen werden bestimmt durch sprachlich-kommunikative Muster des Diskursfeldes, des (diskursiven) Tenors und des Diskursmodus. Diese drei Komponenten aktivieren bestimmte "networks of semantic options" (123), also semantische Wahlen, die zur sprachlichen Vernetzung eines Tätigkeitsmusters fuhren. Dieser textspezifische Prozeß semantischer Wahlen wird auch "range of meaning potential" (123) genannt. Drei Parameter erlauben die Vorhersage der linguistischen Ausprägungen des 'Registers' auf einem Kontinuum: 1. Diskursives oder Sprachgebrauchsfeld, 2. 'Tenor' oder Diskursstil und 3. 'Modus' oder Diskursmodus. 1. 'Field' (diskursives Sprachgebrauchsfeld) Mit den Typen unserer Handlungen variiert auch die Sprache. Unterschiedliche lexiko-grammatische Muster gehen mit Unterschieden in den Handlungsmustern einher. Ein Teil unserer Tätigkeiten ist ihr Gegenstand ('subject matter', Thema). Das diskursive Feld ist also in erster Linie ein Handlungsfeld. Bei der Tätigkeit Fußball (Gesprächsgegenstand) kann über das Wetter gesprochen werden, ohne daß das gegenwärtige Tätigkeitsfeld mit einer Reduzierung auf Unterthemen Meteorologie genannt werden könnte. Allerdings sind die verbalen Tätigkeiten beim Spiel zu unterscheiden von der Diskussion über Fußball am runden Tisch: Dem Unterschied trägt der Begriff Diskursmodus Rechnung. 2. 'Tenor ' (Diskursstil) Hierunter ist zunächst das Medium der Kommunikation zu verstehen: schriftlich vs. mündlich; mitverstanden sind gleichzeitig die mit der Vertrautheit der Interaktionspartner und anderen einhergehenden formalen bis hin zu informalen Stilen (Kontinuum). Die Rollenbeziehungen haben also verschiedene Stilausprägungen auf der Skala der Formalität zur Folge. Typisch sind hierfür institutionelle Rollenverhältnisse (z.B. Lehrer-Schüler, Eltern-Kindern, Arzt-Patient, Verkäufer-Käufer etc.). Institutionelle Rollenbeziehungen qualifiziert Halliday als "stabilized pattern of the tenor of discourse" (222). In der pragmatischen Forschung würde man hier von

209 kommunikativen Gebrauchsmustern sprechen, denen jeweils ein Musterwissen zugeordnet werden kann. 3. Diskursmodus Hiermit ist die sprachliche Gestaltung des Diskurses gemeint: Das Medium der schriftlichen Form ist von dem der mündlichen Form zu unterscheiden; zentral ist aber auch, welche Funktion die Sprache im sozialen Kontext erfüllen soll: Ein "particular rhetorical channel" (222) wird gewählt, um als Lehrer oder Dichter zu sprechen, um Werbung durchzufuhren oder Aufträge bzw. Befehle zu erteilen. Funktionen der Erzählung sind von solchen der Instruktion zu unterscheiden etc. 'Register' ist ein Begriff, der dem Orgelspielen entlehnt ist: Die Sprache wird wie bei der musikalischen Tonabstimmung der Orgel geregelt, das sprachlich-kommunikative Verhalten wird situativ und kontextspezifisch kalibriert. Zusammenfassend meint Register im Sinne dieser Hallidayschen Konzeption: Kongruenz zwischen einer situativen Ausprägung (Parameter auf einem Kontinuum), einem Diskursmodus (Medium der Kommunikation), einer Befindlichkeitsebene ('Tenor') und in die Kommunikation involvierten sozialen Rollen (institutionelle und gruppenspezifische Rollenbeziehungen). Auf linguistischer Ebene ist die Kongruenz zwischen den vier Parametern über sprachliche Mittel (vor allem lexiko-grammatische) zu denken. Der Register-Begriff hat in der anglophonen Forschung weite Verbreitung gefunden. Eine andere Spielart wurde über die Rezeption des Register-Begriffes durch Ferguson in den USA entwickelt. Rollenkonstellation, funktionale Angemessenheit des kommunikativen Kodes (Diskursmodus) und Situation haben Ferguson dazu gefuhrt, BabyRegister (Motherese, Fremdenregister (Foreigner Talk) und Register der Sportberichterstatter (Sport Announcer Talk) zu unterscheiden (Ferguson 1977). Als Beispiel mögen hier die ersten beiden Registertypen ausgewählt werden. Es handelt sich um eine typische asymmetrische Situation: Die Eltern (voll entwickelte sprachliche Kompetenz) verständigen sich mit dem Kleinkind (bis zu drei-vier Jahren) oder ein Muttersprachler verständigt sich mit einem Nicht-Muttersprachler. Aufgrund großer Unterschiede in Bezug auf Lexikonumfang, Verfugen über grammatische Regeln etc. findet eine Anpassung statt: Die sprachlichen und grammatischen Mittel werden stark vereinfacht, andere Bereiche des sprachlichen Kodes werden mit dem Ziel höherer Verständigungseffizienz überdeutlich artikuliert (Merkmallisten im Sinne linguistischer Taxonomie werden aufgestellt). Die Register haben situative und rollenspezifische Relevanz: Sie erfordern das situationsbedingte Zusammentreffen der vorgegebenen Rollen aufgrund von

210 Kompetenzunterschieden. Fergusons empirische und theoretische Arbeiten zu seinem originellen Registerbegriff haben in der soziolinguistischen Fachliteratur positives E c h o gefunden. Für den Bereich des Fremdenregisters lehnt die neueste umfangreiche empirische Arbeit v o n Jörg R o c h e jed o c h den v o n Ferguson geprägten Registerbegriff als zu weit, zu v a g e und zu undifferenziert ab (vgl. R o c h e 1987). R o c h e findet eine heterogene V a riation in den diskursiven Ausprägungen v o n Fremdenregistern vor; dies veranlaßt ihn, die grundlegenden - situativen - Parameter in das Zentrum seiner Arbeit zu stellen. Schließlich ist die Tradition des Registerbegriffs in der francophonen Forschung zu erwähnen. Einen Überblick geben Ager (1990) und Sanders (1993). Im folgenden stütze ich mich auf Sanders (1993), Kapitel 2: "Sociosituational Variation". Der französische Begriff registre wurde in den 70er Jahren geprägt und unterscheidet sogenannte niveaux de langue: populaire, familier, courant, soutenu, académique/litéraire. Man kann diese Niveaus nach dem Grad der Formalität der Sprechsituation unterscheiden (gleichzeitig hat der Grad der Formalität natürlich mit sozialen und kommunikativen Rollen in der Interaktion zu tun, mit vernachlässigter Aussprache und NichtStandardregeln); grammatische Abweichungen von der französischen Hochsprache machen das vulgäre Französiche aus (unterstes Niveau). Das niveau familier kann man mit „Vertrautheit zwischen den Gesprächspartnern" übersetzen; gemeint ist die Alltagssprache zwischen vertrauten Personen (z.B. würde man sagen Tu peux me donner un conseil? anstelle von Peuxtu me donner un conseil?). Das niveau courant läßt sich mit Alltagsstil wiedergeben (Umgangssprache). Für die Frageform würde man hier sagen Est-ce-que tu peux me donner un conseil? Schließlich wird in dem anspruchsvollen, pretentiösen Sprachstil (soutenu) die Inversion verlangt: Peux-tu me donner un conseil? Das höchste Niveau, der akademische oder literarische Sprachgebrauch, verlangt bestimmte konventionelle Formeln, die sich aus der französischen Klassik herleiten. Hervorstechendes Merkmal des französischen Registerbegriffs ist seine Definition durch das Kontinuum formal-informal der Situation, wobei den jeweiligen Stillagen grammatische und vor allem lexikalische Unterschiede zugeordnet werden können. Eine Übersicht über verschiedene Merkmale findet sich in Sanders (1993: 33).

Systematisierung

des

Begriffs

Definition v o n Register: 'Register' (auch 'diatopische Varietät') aktiviert eine semantische Konfiguration in einer g e g e b e n e n sozialen Situation in Abhängigkeit v o n einer spezifischen kommunikativen A u f g a b e (thematischer Gegenstand, Z w e c k , Skript), der Beziehungsqualität (Rollenbeziehungen erster und zweiter Ordnung) und der Diskursmodalitäten (Gattungen, Austauschstruktur und kulturelles Wissen). In der Abb. 4 - 4 habe ich die Registerkonzeption in der Art eines Schaubildes dargestellt. D a z u im f o l g e n d e n einige Kommentare: •

Über Normen sind Register mit Sprach- und Kommunikationsgemeinschaften verbunden (ihr prototypischer Anwendungsbereich ist die soziale Situation);

211 •

für die Durchführung situationsadäquater interaktiver und kommunikativer Aufgaben müssen Wissen, Zweck und Perspektiven der sprachlichen Tätigkeit, die Beziehungsqualität und die affektiven Zustände berücksichtigt werden: Diese vier Größen wirken sich bis auf die lautliche Realisierung von Äußerungen aus (struktureller Zusammenhang zwischen soziopragmatischen Faktoren und der Sprachproduktion); auf der Diskursebene wird die Austauschstruktur in Verbindung mit dem jeweils durch die Aktanten evozierten Wissen in der Gestaltung von 'Genres' organisiert, wobei spezifische pragmatische und semantische Restriktionen für diese Genres im Registerrahmen gelten; je nach den spezifischen Anforderungen an und Ausprägungen der Register- und Diskursebene werden die Äußerungen grammatisch kodiert und nach Prinzipien der Kohäsion und Kohärenz zu Texten/Diskursen gestaltet.





Die genannten Ebenen interagieren miteinander (Interrelation pragmatischer, semantischer und grammatischer Faktoren).

_L affektive Zustände Wissen • Scripts-/Muster-W. sprachl. Wissen

kommunikative Aufgabe • sprachl. Tätigkeit/Thema « Zweck/Perspektiven

Beziehungsqualität (symmetrisch vs. asymmetrisch)

Diskursebene 'Genres' • Verkaufsgespräch > Einstellungsgespräch > institutionelle Arbeits-/ Planungssitzung > Rechte einklagen > Beschweren . Erzählen • Streiten

Austauschstruktur • Sprecherwechsel • etc.

sprachl. Kode (Grammatik, Phonologie)

gemeinsames Wissen (•evoziert) • Diskurskontext • Kontext der Situation • kultureller Kontext

Kodierungsebene

I

andere Kodes

kinesischer Kode

A b b i l d u n g 4-4 : Modellierung der Registerkonzeption Diskussion Im folgenden mache ich einige Anmerkungen zur Abgrenzung des Registerbegriffs v o n anderen Begriffen. (a)

Dialekt·. Die gängigen Merkmale sind: kleinräumig,

nicht kodifiziert,

nur gesprochen.

Ich

würde hier gerne hinzufügen: Habitusvarietät (Gewohnheiten der Formorganisation).

212 Demgegenüber stellt Register den tätigkeitsbezogenen sozialen Prozeß dar (individuelle Handlungen gemäß sozialer Arbeitsteilung). Wesentliche Merkmale des Registers sind daher: +/- wissensbezogen (kommunikative Muster), + situations- und Tollengebunden, schwach normiert (mündliche Register), stark normiert (schriftliche Register). Die Einhaltung normativer Vorschriften, die mit Registern einhergehen (Regeln der Redekohärenz und der Höflichkeit etc.), sind in institutionellen Kontexten größer als in individuellen Gesprächskontexten. (b)

Stil: Eng verknüpft mit dem Registerbegriff ist der Stilbegriff ('Registerstil'). Die Durchführung kommunikativer Aufgaben und sprachlicher Tätigkeiten ist als eine Art dynamischer Prozeß zu verstehen, der durch semantische und pragmatische Feinabstimmungen (unterschiedliche Granularitäten) organisiert werden muß. Ein Sportkommentar muß vor allem in seiner sprachlichen Organisation die jeweils relevanten Sportereignisse in nachvollziehbarer Folge für den Hörer gut verständlich darstellen - wobei die Kommentatoren je nach Geschlecht, Alter oder sozioregionaler Herkunft unterschiedliche Stile verwenden können. Stile verbinden sich daher prototypisch mit der personen- oder gruppenspezifischen Expressivität der jeweils durchzuführenden kommunikativen Aufgabe. Aus sozio-kognitiver Perspektive vermitteln Stile Sprecherinformationen (Geschlecht, Alter, Herkunft etc.), während Register in erster Linie je nach Kontext, Situation und Aufgabe sprachgebrauchsbezogene Informationen liefern. Die erfolgreiche Anwendung von Registern läßt sich an der angemessenen Folge und Kohärenz von Handlungen ablesen; darüber hinaus mögen Sprecher aufgrund unterschiedlicher Stile in der Durchführung der einzelnen Handlungen mehr oder weniger erfolgreich sein (soziale Wirkung, Image etc.). Im erläuterten Sinne sind Register und Stil eng miteinander verschränkt - Stil ist jedoch Register (qua Tätigkeit) nachgeordnet. Register sind enger an soziale Normen gebunden als Stile. Der Bezug von Registern zu Normen ist komplex; schriftliche Register sind eindeutiger an Korrektheitsnormen gebunden als mündliche (vgl. für Details 3.8). Die Normgebundenheit mündlicher Rede sollte jedoch nicht unterschätzt werden. Register sind kommunikative Praktiken (Bewerbungs-, Beratungsgespräch etc.), deren Erfolg an der Nähe zu den 'legitimen' Normen gemessen wird.

(c)

Fachsprache'. Register läßt sich nicht auf Fachsprache begrenzen, da dabei der Typ der Tätigkeit verloren geht. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß es viele verschiedene an Sprache gebundene soziale Tätigkeiten gibt, die z.T. ein Sondervokabular aufweisen, aber nicht gleich unter Fachsprache zu fassen sind. Gleichwohl besteht eine Beziehung zur Fachsprache (vgl. Skiba 1996).

(d)

Legitime Sprache: „Die offizielle Sprache ist den gleichen Interessen verpflichtet wie der Staat, und zwar sowohl ihrer Genese als auch ihrem gesellschaftlichen Nutzen nach. Mit der Konstituierung des Staates werden auch die Bedingungen für die Konstituierung eines einheitlichen, von der offiziellen Sprache beherrschten sprachlichen Marktes geschaffen: Diese für offizielle Räume (Bildungswesen, öffentliche Verwaltungen, politische Institutionen usw.) obligatorische Staatssprache wird zur Norm, an der objektiv alle Sprachpraxen gemessen werden. Unkenntnis schützt auch hier vor Strafe nicht, bei einem Strafgesetz, das seine eigenen Juristen hat, die Grammati-

213 ker, und seine Vollzugs- und Kontrollbeamten, die Schulmeister, belehnt mit der Macht, die sprachliche Leistung der sprechenden Subjekte allgemein der Prüfung zu unterziehen und durch Bildungstitel rechtlich abzusegnen, sollte sich eine von mehreren Sprachpraxen... als die einzig legitime durchsetzen, müssen der sprachliche Markt vereinheitlicht und die verschiedenen Dialekte (von Klassen, Regionen oder ethnischen Gruppen) praktisch an der legitimen Sprache oder am legitimen Sprachgebrauch gemessen werden" (Bourdieu 1992: 21). Die Umsetzung öffentlicher Interessen durch die Sprache vollzieht sich in 'Registern'. Sie stellen gesellschaftliche Praktiken dar und werden in der Sozialisation vermittelt. Führt der Zugang zur Arbeit über Einstellungsgespräche, muß dieses Register gut beherrscht werden. Je nachdem wie Register nach den legitimen Normen praktiziert werden, sind Sprecher erfolgreich. (e)

Welche Anschlußmöglichkeiten bietet der Registerbegriff an andere soziolinguistische Konzepte?



Die 'formale Konversationsanalyse' bietet sich zur Beschreibung der Austauschstruktur an, da sie die formale Organisation des Diskurses untersucht und dabei eine Kombination zwischen Grammatik und formalen konversationeilen Prinzipien möglich macht (vgl. 2.5.5). Für die Beschreibung der Austauschstrukturen läßt sich auf das Genfer Modell (Eddi Roulet) zurückgreifen, das die Austauschstrukturen im Sinne eines systemischen Ansatzes (ähnlich wie Halliday) beschreibt. Koch & Oesterreichers Konzeption der Verschränkung von mündlicher und schriftlicher Rede findet in dem Registerkonzept eine gute Anwendung: In der Tat zeigt diese Verschränkung, daß schriftliche (z.T. ritualisierte) Phraseologismen in die mündliche Sprache wie auch mündliche Redewendungen in die schriftliche Sprache aufgenommen werden (können). Hier bietet die Registerkonzeption ein einheitliches begriffliches Dach für das Kontinuum jeweils integrierter mündlicher oder schriftlicher Anteile. In der Tat ist ja die bürokratische Kommunikation, obwohl sie mündlich ist, häufig formal, steif und ritualisiert. Andererseits gibt es schriftliche Kommunikation, in der die unterschiedlichsten, teilweise der mündlichen Sprache entlehnten Mittel benutzt werden, um Nähe herzustellen. Nähe und Distanz sind daher eine wichtige Dimension und die diaphasische Markierung niedrig-hoch kann man auf die Nähe-DistanzDimension übertragen. Verschiedene Fragen der Diskursorganisation können mithilfe des QuaestioModells (Klein & v. Stutterheim 1987) beschrieben werden. Dies ist natürlich nur ein Modul im Gesamtzusammenhang der Registerbeschreibung. Register unterliegen verschiedenen Traditionen des Sprechens (Schlieben-Lange 1983) (vgl. die Untersuchungen zu kommunikativen Praktiken in der Ex-DDR: Dittmar 1997): Traditionen des Sprechens bedeutet: Die Aneignung syntaktischer und kommunikativer Muster in andere Register zu übertragen, ggf. Registerkonfusionen aufgrund anderer Traditionen des Sprechens. Hier kann es zu Kontaminationen und Stilbrüchen kommen.









Neuere Literatur zur Registerforschung findet sich in Biber & Finegan (1994) sowie in Dittmar (1996b und 1997).

214 Perspektiven Anstatt 'Register' bei der Varietätenbestimmung unter 'diaphasisch' einzuordnen, diskutiert Nabrings die „Register-Konzeption" unter dem Gesichtspunkt „neuere methodische Ansätze zur Erfassung innersprachlicher Variabilität"125. Die primäre Einordnungsinstanz für Register ist dann die situative Variation (diaphasisch), wobei sie im Sinne Hallidays (1978) durch diastratische Faktoren ergänzt werden muß (soziale Rollen). Für die soziolinguistische Erforschung von Registern wird in Zukunft die linguistische Pragmatik, die interkulturelle Kommunikation und die Varietätenlinguistik von besonderer Bedeutung sein. 1. Interkulturelle Kommunikation Im Sinne ethnographischer und konversationsanalytischer Methoden hat sich John Gumperz im Rahmen seiner Theorie der Kontextualisierung mit Fehlleistungen in der Interkulturellen Kommunikation befaßt. Gumperz hat die Kommunikation zwischen Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern im Auge - wobei die Nicht-Muttersprachler meistens schon einen erheblichen Zeitraum in dem Gastland bzw. Integrationsland leben und in der Regel sehr weit fortgeschrittene Sprecher der Zielsprache sind. Aufgrund von Kontrasten zwischen Werten und Normen in der Muttersprache und der Zielsprache führen unterschiedliches pragmatisches Musterwissen, verschiedene Routinen im Rückgriff auf Gesten und Prosodie, unterschiedliche kommunikative Formeln und Sprachgebrauchsmuster zu Mißverständnissen. Aus den aufgedeckten Mißverständnissen und Fehlleistungen in der Kommunikation (qualitative ethnographische Beschreibungen) kann man auf spezifische Sprachgebrauchsmuster bzw. Registereigenschaften (z.B. bei Einstellungsgesprächen) schließen. 2. Linguistische Pragmatik In einer Vielzahl von Arbeiten hat Rehbein (teilweise in Zusammenarbeit mit K. Ehlich) kommunikative Muster in der institutionellen Kommunikation untersucht. Die Interaktion zwischen Lehrern und Schülern, Richtern, Verteidigern und Zeugen bei Gerichtsprozessen, von Ausländern und Einheimischen in Arbeitsprozessen, von Arzt und Patient in der Institution Krankenhaus wurde unter Rückgriff auf soziale/institutionelle Rollen und die konkrete Situation im sprachlich-kommunikativen Ablauf in Form von Sequenzen und Sprachgebrauchsmustern exemplarisch beschrieben. Der 125

Nabrings Variation: phasische; es erlaubt,

isoliert, in Anlehnung an Coseriu, vier Dimensionen sprachlicher die diachronische, die diastratische, die diatopische und die diamithilfe dieser vier Dimensionen entwirft sie ein Koordinatensystem, das einzelne Varietäten diesen Dimensionen zuzuordnen.

215 Unterschied dieser Arbeiten zu solchen, die den Begriff Register nutzen, liegt offenbar darin, daß nicht mit taxonomischen Merkmalen gearbeitet diesen Forschungen ist das Musterwissen, welches die Grundlage für die Realisierung der Rede im Diskurs/in der Interaktion darstellt. Der Begriff Musterwissen ist auf kognitive Prozesse bezogen (psycholinguistische Grundlage), demgegenüber Registerbeschreibungen Oberflächenbeschreibungen sind. Typische institutionelle Interaktionsmuster werden von Rehbein (1983) isoliert: Das Verhalten wird nicht nach vorgegebenen Parametern strukturalistisch beschrieben, sondern als ein nur der Beobachtung zugängliches offenes System. Weitere einschlägige Literatur findet sich in Dittmar (1996a) Studienbibliographie Soziolinguistik. 3.

Varietätenlinguistik

Die Frage, welchen Platz Register in dem Gefiige von bisher isolierten Varietäten einnehmen könnte (kurzum: wie sich die gleichzeitige Zugehörigkeit zu diaphasisch und diastratisch auflösen läßt), beschäftigt Berruto (1995); er diskutiert zwei mögliche interessante Perspektiven: Beide legen nahe, daß die Dimensionen hierarchisch miteinander verbunden sind, also nicht den gleichen Status haben. (a)

(b)

(c)

• • •

Der Erwerb von Registern würde interessanten Aufschluß bringen. Die Hypothese ist, daß das Kind zunächst die diatopische Dimension erwirbt, dann die diastratische und schließlich situationsspezifische Unterschiede (Register) erlernen kann. Wenn dies der Fall ist, dann würde es naheliegen, eine hierarchische Relation zwischen diatopisch > diastratisch > diaphasisch zu formulieren. Eine zweite Möglichkeit wurde von Wunderli (1992) formuliert. Die Variation stellt sich Wunderli modular organisiert vor. Es gibt ein Modul der primären Manifestationsebene, das sich auf die Sprachbenutzer bezieht: Sie besteht aus zwei primären Achsen, der horizontalen diatopischen und der vertikalen diastratischen. Die primäre Manifestationsebene wird differenziert durch die Parameter der kommunikativen Situation (diaphasische Dimension). Dieses zweite Modul strukturiert Wunderli nach den drei Parametern von Halliday: Gesprächsgegenstand („Feld"), Diskursmodus (etwas breiter verstanden als bei Halliday) und Diskursstil („Tenor" bei Halliday; in der modernen soziolinguistischen Forschung der Unterschied zwischen formalen und informalen Stilen). Diese dann insgesamt fünf Dimensionen erlauben es nach Berruto, Sprachproduktionen auf den zwei Ebenen der Module zu klassifizieren. Der Gedanke der Integration der gegebenen Ebenen (hierarchische Struktur) ist durchaus weiterführend; nicht gelöst in dem Vorschlag von Wunderli (aufgegriffen durch Berruto) ist jedoch die interne Struktur des Moduls „diaphasische Dimension". In der Tat ist pragmatische Grundlagenforschung durchzufuhren, die den Zusammenhang von Sprachgebrauch und Situationstypen, Sprachgebrauch und sozialen/institutionellen Rollen, Sprachgebrauch und unterschiedliche Gefühlslagen/Befindlichkeiten der Sprecher genauer erfassen.

216 Es empfiehlt sich, bei der Untersuchung dieser drei grundlegenden Bereiche einen skalaren Ansatz (Kontinuum) zu verfolgen. 4.3.6.1.1 Fremdenregister oder Xenolekt? Aus eigener Erfahrung und aufgrund der Beobachtung von anderen wissen wir, daß Muttersprachler in der Interaktion mit Nicht-Muttersprachlern ihre Sprache in Form und Funktion vereinfachen, um sich verständlich zu machen und bei der Bearbeitung notwendiger Themen Sprachbarrieren zu überwinden. Diese Art des Sprechens ist schon durch Karl May dokumentiert worden. Ähnliche Züge finden sich auch in der Art und Weise, wie Eltern mit ihren Kleinkindern sprechen.126 Je nach dem Feld der Rede (wissenschaftliche Themen vs. Sprechhandlungen mit dem Ziel der Durchführung praktischer Ziele), dem Stil der Rede (höflich und kooperativ gegenüber Ausländern vs. arrogantes, abweisendes Verhalten) fällt der Modus™ unterschiedlich aus (verschiedene Grade von gerade noch grammatischer oder schon ungrammatischer, gerade noch akzeptabler und schon nicht mehr akzeptabler Äußerungen). Die auf Seiten des Muttersprachlers kompetenzausgleichenden Vereinfachungen gelten natürlich in der Firthschen Tradition, die ja gerade unter Register Vereinfachungen untersucht hat, als besonders registerträchtige Varietät. Sie ist in die diaphasische Dimension einzuordnen, da sie situativ bedingt ist. Vereinfachungen gehen mit dem Sprach- und Weltwissen einher, da sie natürliche Ressourcen der Kompensation von Kompetenzunterschieden bereitstellen. Anders formuliert: Das Fremdenregister kann auf eine Art natürliches Musterwissen zurückgreifen, das in der aktuellen Situation die angemessenen Sprachgebrauchsmuster zur Verfügung stellt. Als "foreigner talk" bezeichnen Ferguson und De Bose "A variety of language that is regarded by the speech community as primarily appropriate for addressing foreigners." (1977: 103) Obwohl der Terminus zuerst von Ferguson benutzt wurde, geht er bereits auf Ausführungen von Schuch126

Dieses Phänomen des 'Mutter-' oder 'Eltern-Register' könnte man auch Bambinolekt nennen. Dieses Register wurde von Ferguson beschrieben; im folgenden gehen wir darauf nicht ein (vgl. aber Ferguson 1977).

127

Modus der Rede bezieht sich ja bei Halliday auf das Kontinuum geschriebengesprochen. In der Tat ist zwischen expliziten oft komplex formulierten schriftlichen Äußerungen und umgangssprachlich nachlässig formulierten, je nach Kontextwissen der Teilnehmer extrem elliptischen Äußerungen eine sehr große Bandbreite anzusetzen. Die Tatsache dieser Bandbreite unterschiedlicher sprachlicher Mittel auf dem Kontinuum zwischen den Polen geschrieben und gesprochen hat manche Soziolinguisten dazu veranlaßt, eine sogenannte diamesische Dimension einzuführen (vgl. Berretta 1988: 770). Diese Dimension bezieht sich dann auf Vereinfachung vs. Komplexität sprachlicher Mittel. Eine Kritik an der Unterscheidung einer solchen Dimension formuliert Albrecht (1990: 44-127).

217 hardt zu Beginn des Jahrhunderts (1909) zurück. Das 'Fremdenregister' charakterisieren Ferguson und De Bose folgendermaßen: "Ft features...include the following: slow, exaggerated enunciation; greater overall loudness; use of full forms instead of contractions; short sentences; parataxis (pure or with adverbial connectives such as may be, by-and-by); repetition of words, analytic paraphrases of lexical items and certain constructions; reduction of inflections (often by the selection of one or two allpurpose forms e.g. me for I, my for me, in English; infinitive for all known past verb forms in Italian; die for all forms of definite article in Geman); lack of function words (e.g. articles, prepositios, auxiliaries); use of feedback devices such as invariable questions; avoidance of stronger dialect or slang forms in favor of more standard forms; limited number of phonological simplifications, e.g. dialect or slang forms in favor of more standard forms; limited number of phonological simplifications (e.g. occasional addition of vowels to final consonants in English, b for ρ in Italian); special lexicon quantifiers, intensifiers, and modal particles used in constructions not matching 'normal' language; use of foreign or foreign-sounding words" (1977: 104). Dieser eher merkmalsorientierten Bestimmung des 'Fremdenregisters' hat Dittmar aufgrund einer teilnehmenden Beobachtung in einem Industriebetrieb, in dem deutsche und ausländische Arbeiter kooperierten, folgende funktionale Bestimmungen hinzugefugt: (a) „Das 'Fremdenregister' ist eine Mischvarietät, die Ergebnis einer kommunikativen Annäherung zwischen ausländischem und einheimischem Sprecher ist und sich in interferenziellem Gebrauch von Dialekt und pidginisierten Sprachformen niederschlägt. (b) Über die Mischung von pidginisierten und Dialektformen hinaus ist die ausgezeichnete Eigenschaft dieser Varietät der Gebrauch hyperkorrekter Formen, die weder im Dialekt noch in der pidginisierten Varietät der Ausländer vorkommen. (c) Die Realisierung hyperkorrekter Formen sowie typischer syntaktischer und semantischer Eigenschaften in dem 'Fremdenregister' durch den deutschen Sprecher hängt von dem Willen ab, zu rascher und optimaler Verständigung zu gelangen, und damit unmittelbar vom Sprechertempo und von der der Rede geschenkten Aufmerksamkeit. Daher gilt: Je langsamer das Sprechtempo und je größer die Sprechkontrolle, (i) desto mehr hyperkorrekte Formen gelangen zur Anwendung; (ii) desto mehr nähert sich der Sprecher den systematischen Eigenschaften der pidginisierten Varietäten der Ausländer an; (iii)desto mehr tritt der Dialekt in den Hintergrund. (d) Die Tendenz einheimischer Sprecher zur Vereinfachung der Kommunikation mittels pidginisierter Varietäten kann weniger durch Imitation als vielmehr durch den Umstand erklärt werden, daß sie bestimmte, dem praktischen Tätigkeitsbereich der Kommunikation angemessene, Vorteile für die Verständigung bietet, die eine Reihe

218 pragmatischer Konsequenzen für die Kommunikation haben" (mit leichten Modifikationen zitiert aus: Heidelberger Forschungsprojekt 'Pidgin-Deutsch' [HPD] 1975: 96)."

Roche verwendet statt 'Register' den Varietätenterminus Xenolekt. Die Einordnung in eine Dimension der Variation erfolgt dabei nicht. Mit 'Xenolekt' wird jedoch nahegelegt, daß es sich um eine systemlinguistisch beschreibbare Varietät handelt. Zum Stand der Erforschung des Fremdenregisters schreibt Roche: „Im Zusammenhang mit der Verwendung des Begriffs Register ist die Gültigkeit der fur Xenolekte konstitutiven Merkmale im interpersonalen Vergleich noch eine völlig offene Frage. Aus dem derzeitigen Forschungsstand ergeben sich stark divergierende Schlußfolgerungen" (1987:12). Seiner Meinung nach „läßt sich aus den vorliegenden Untersuchungen die Existenz eines ausgeprägten, konsistenten und interpersonal übereinstimmenden Registers nicht ableiten" (a.a.O.). Roche stellt eine große Bandbreite themen-, personen- und situationsspezifischer nolektaler Variation fest. Dieser Bandbreite von Variationen kann kaum qualitative Interpersonalität zugesprochen werden. Die Dynamik des Interaktionsverlaufs ist offenbar Ursache für unterschiedliche Formen und Funktionen der Vereinfachungen (die typologisiert werden). Roche hat viele kleine Einzelfälle mit begrenzter Dauer aufgenommen. Demgegenüber wären Langzeitstudien vorzuziehen, die längerfristige Kontakte und Gesprächsroutinen von Interaktionen zwischen Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern erfassen. Es bleibt festzuhalten: Starke Modulation des Sprechtempos, Fokus auf dem Modus der verbalen Kooperation und situationsangepaßte grammatische/ stilistische Vereinfachungen sind Eigenschaften eines Registers, das mit dem kulturellen Umfeld variiert.

4.3.6.1.2 Sondersprachen [Argot(olekt)/Slang] Sogenannte Gruppen-, Standes- oder Berufssprachen (in unserer Terminologie 'Varietäten') werden in der Literatur auch als sozialgebundene Sondersprachen (im Gegensatz zu sachgebundenen Sondersprachen als 'Fachsprachen') bezeichnet. „Die Unterschiede zur Standardsprache liegen vor allem in dem nach gruppenspezifischen Interessen und Bedürfnissen entwickelten Sonderwortschatz, wie er sich besonders auffällig bei Jägern, Fischern, Bergleuten, Weinbauern, Druckern, Studenten, Bettlern und Gaunern (Rotwelsch) nachweisen läßt" (Bußmann 1990: 690). Die bisher wenigen soziolinguistischen Untersuchungen zu sozial gebundenen Sondersprachen (am ehesten gelungen in historischen Rekonstruktionen, vgl. Henne 1986) lassen keine Schlüsse auf distinktive Varietäteneigenschaften (z.B. ihren Anteil an einem eigenen Lexikon, eigenständiger Syntax etc.)

219 zu. Eine Übersicht ist zu finden in Bausani (1970) und Domaschnev (1987). Das sprachliche Verhältnis zu einem bestimmten Lebenskreis und der damit verbundenen besonderen Lebensart wird in der Literatur in recht widersprüchlicher Weise als 'Jargon' (Domaschnev 1987) oder 'Slang' (Sornig 1981) bezeichnet. 'Jargon' bestimmt Domaschnev (1987:313) folgendermaßen: „In Gemeinschaften von Menschen, die eine gemeinsame berufliche oder außerberufliche Betätigung ausüben, die ständig miteinander verkehren oder enger zusammenleben, entstehen Wörter und Wendungen, mit welchen die Sprechenden die gewöhnlichen Ausdrücke ersetzen. Man nennt ihre Gesamtheit Jargon [...] das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe und zugleich eine gewisse Absonderung zu den übrigen Teilen der Gesellschaft spielen dabei bewußt oder unbewußt eine Rolle. Diese Absonderung fuhrt keineswegs zur Abschließung nach außen, wie es bei der Bildung von verschiedenen Formen der 'Geheimsprache' (Rotwelsch, Argot) der Fall ist." Die Abgrenzung zwischen Jargon und Argot (Rotwelsch, Slang) ist offenbar schwierig. In der Darstellung des französischen Argot, den George (1993) von Jargon abgrenzt, lesen wir: "Jargon is a sine qua non (for empie each plant must have one and only one official name, which is universally excepted and used throughout the botanical world), argot is an adjunct and allows a degree of subjectivity (nanna, julie, gonzesse, frangine, meuf, poupée, pouliche, etc. are all potentially available as alternatives to femme). Of course, argot can exist within the jargon. The surgeon will write in his report about the results of a nécropsie (post mortem) but may well use the abbreviated form nécrops when shatting informally with the colleague" (George 1993: 159).

Daher läßt sich Argot von Jargon dadurch abgrenzen, daß ersterer mehr oder weniger manifest intendiert, Nicht-Gruppenmitglieder auszuschließen, indem gleichzeitig die interne Gruppenidentität erhalten und verstärkt wird. Argot ist außerdem - gerade verglichen mit Jargon - kreativ, indem zum konventionellen Wortschatz unkonventionelle Alternativen erfunden werden, z.B. alternative Bezeichnungen für spezifische Berufsgruppen (Soldaten, Studenten, professionelle Sportler, Musiker, Drucker, Gefangene, Drogensüchtige etc.). Aus dieser Feststellung ergibt sich auch der Hauptunterschied zwischen Argot (Rotwelsch) und Jargon: Während Jargons zur interprofessionellen Verständigung zwischen Kollegen innerhalb gleicher Arbeitsfelder oder zur Entwicklung von technologischer und wissenschaftlicher Forschung unentbehrlich sind, ist Argot durch ein Merkmal 'entbehrlich' in der Kommunikation gekennzeichnet. Auf der einen Seite wird Argot in der französischen Soziolinguistik stark mit Studentensprache/jugendliche Varietäten gleichgesetzt (mec, pot, jules, piaule, flotte, marrant, sympa, emmerdant, pascon, vachement, avoir raslebol, avoir de la veine, marcher à coté de ses pompes (= Individuum, Kamerad, kleiner

220 Freund/Ehemann, Zimmer/Appartement, Wasser/Regen, amüsant, sympathisch, langweilig, nicht blöd, sehr, genug von etwas haben, Glück haben, sich schlecht fühlen), was dafür spricht, ihn eher als eine auf bestimmte Gruppen beschränkte Umgangssprache zu verstehen (das entspricht etwa der deutschen Szenesprache, wie sie im Deutschen Hinrichs (1983/84), Schmidt (1990), Greule (1983/84) und Braun (1987) beschrieben haben).128. Dieses umgangssprachlich gefärbte Argot, das etwa dem entspricht, was in der BRD unter Jugendsprache untersucht wird, ist eine gruppenspezifische Umgangssprache, die ein typisches Lexikon hat (kreative Alternativen für etablierte Begriffe) und morpho-syntaktische Vereinfachungen/Verschleifungen aufweist (vgl. Schwitalla 1995). Argot im traditionelleren, eingeschränkteren Sinne enthält nicht-transparente (nicht in den allgemeinen sprachlichen Wissensbeständen enthaltene) Bedeutungen. Wenn man mit Polizei oder dem Gefangenendasein in Gefangnissen nicht vertraut ist, kann man passé au piano nicht als 'Fingerabdrücke nehmen' verstehen oder un toubou als 'eine Reise machen ohne Taxameter' (Argot der Taxifahrer). So weist Argot ein extensives alternatives Lexikon für Standardbegriffe/-wörter auf. Beispielsweise findet man in Argotwörterbüchern etwa 30 Alternativen zu dem Wort mourir (sterben). Was die Romanistik Argot nennt, wird in der anglophonen Soziolinguistik als Slang bezeichnet. Sornig (1981) hält folgende Eigenschaften dieser Varietät für typisch: (a)

(b)

(c)

"Slang is...a language in statu nascendi, a language (or at least a lexicon) in the making. Slang is essentially an experimental...spoken language..., so that one reason for its instability may be sought in its whole (dialogical) character " (20) "...slangism occupy a transitory area between language and parole, area of tentative experimental language use, where occasional creations are adopted in their way to conventionalization; they give a chance of being used a second time in a similar context with a similar meaning, and with an intention of being understood by one's partner as something he has already come across, which is no longer idiolectal and which, therefore, has a chance of being recognized and, consequently, accepted." (21) "Slang and colloquial speech differ from other language variants such as dialect and original standards, insofar as they usually do not affect most of the existing rules beyond those that apply in the standard language. But in the first place, what is different about slang obviously concentrates on the semantic, esp. the connotative restructuring of lexical items". (23)

An zahlreichen Beispielen aus dem deutsch-österreichischen, italienischen und französischen Sprachbereich schlüsselt Sornig „Slangismen" (Slangausdrücke) nach konnotativen Feldern lexikalischer Ausdrücke auf. Gordon 128 Leider

liegen zu Argot oder subkulturellen Varietäten im Deutschen keine einheitlichen Bezeichnungen vor. Der Terminus Argot wäre recht treffend mit Milieuvarietät oder subkulturelle/Szenevarietät wiederzugeben.

221 (1983) gelingt am Beispiel einer Beschreibung des sogenannten "hospital slang" (Klinikslang) des Pflegepersonals über Patienten folgende allgemeinere Charakteristika von Slang herauszuarbeiten: "What is true of hospital slang for patients in the negotiation of rapport at distance is probably true of slang in general. Slang, as we distinguish it from colloquialism and taboo expressions, is a speech register that identifies speakers and hearers as members of a particular in-group or subculture. Slang expressions typically deal with routinized procedures or activities, and the object routinely involved in them (restaurant or other work-place slangs, thieves' slang, etc.), and provide labels for members of the in-group, and for outsiders with whom there is a routine contact (customers, victims, patients)" (1983: 182f.).

Radtke (1984) betrachtet Argot, Jargon und Slang als Sondersprachen. Allerdings möchte er auf Sondersprachlichkeit das ausschließliche Kriterium der Lexik angewendet wissen, „die in eine mehr oder weniger substandardsprachlichen" Syntax eingebettet ist. Unter Sondersprachlichkeit ist dabei als die Eigenschaft lexikalischer Elemente zu verstehen, 1. gruppensprachlich eingegrenzt zu sein in Bezug auf den Verständlichkeitsgrad (soziolektale Einschränkung); 2. sich keinerlei festgelegten, präskriptiven Normparametern zu beugen, so daß ein Maximum an lexikalischer Kreativität eingebracht wird (Zurückweisen standardsprachlicher Normansprüche); 3. die Schnellebigkeit lexikalischer Innovationen (Sornig 1981) der standardsprachlichen Konstanz im Wortschatz gegenüberzustellen (lexikalische Dynamik) (Radtke 1984: 64).

Am Beispiel des Buches von Christiane F. Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (1978) (vergleichbar mit Raymond Quéneaus Buch Zazi dans le métro oder Jürgen Plenzdorfs Die Leiden des Jungen W. (1972) stellt Radtke die soziale Markierung der Lerne in dem genannten Buch (prototypische Lexik der Szene- und Sondersprachen) dar. Was im Französischen Argot genannt wird, wird hier Jargon genannt. Die „Szenejargons" werden abgeleitet von der Umgangssprache, die diastratisch wiederum markiert sein kann. Radtke bezieht in seine Darstellung das Kriterium Verständlichkeit ein, was der Varietätenbestimmung von Sondersprachen ein weiteres wichtiges Unterscheidungskriterium liefert. Beide Aspekte, die im Argot anklingende gruppenspezifische Milieusprache und die im Slang konnotierte gruppenspezifische Routinesprache (mit der Funktion, fachspezifischen Kräften Distanz zu ihren Rollen und zu ihren Tätigkeiten zu verschaffen) gehören zu der diastratischen Dimension 'Gruppensprachen'. Wiederum ist die Nähe zu Umgangssprache/Soziolekt wie auch zu Registern (diaphasische Variation) manifest. Von besonderer Bedeutung dürfte der Bezug zur Situation sein.

222 4.3.6.2 Soziolinguistischer Stil 'Stil' wird in der Soziolinguistik in der Regel als individúen- bzw. gruppenspezifische expressive Kategorie des Verhaltens auf der diaphasischen Ebene behandelt. 'Stile' verkörpern charakteristische Züge sozialer Identität qua Ausdrucksverhalten. Im folgenden sichte ich engere und weitere soziolinguistische Stilbegriffe. Labov hat in seinem Aufsatz „Die Isolierung von Kontextstilen"129 ein enges Verständnis von Stil. Die umgangssprachliche Assimilation von haben zu ham würde der Tendenz zwanglosem Sprechens entsprechen (Stile werden bei Labov dementsprechend morphophonologisch definiert). Abgesehen davon, daß Wortlisten mit minimalen phonologischen Kontrasten von der verbalen Tätigkeit her etwas anderes sind als kontrollierter vs. unkontrollierter Stil im Gespräch130, bezeichnet Labov die dem Formalitätsgrad der Situation geschuldeten Varianten entsprechend als 'Kontextstile'. Labovs Begriff des Kontextstils ist von der traditionellen dialektologischen Sehnsucht bestimmt, die 'natürliche Nullage' der Informanten von stilistischen Abweichungen von dieser Nullage zu unterscheiden. Die Nullage wäre dann die unmarkierte, zwanglose Sprechweise der Informanten, die letztlich als Grundsprache oder Basisdialekt zu bezeichnen wäre (vgl. hierzu auch Löffler 19942: 163). Diese enge Auffassung von Stil - lediglich operationalisiert für grammatische Variablen - nenne ich die systemlinguistische Reduktion des Begriffs. Demgegenüber basiert der Stilbegriff von Sandig (1995) auf einer pragmatisch orientierten breiten Definition: „Sprachlicher Stil ist die sozial relevante Art der Durchführung einer Handlung mittels Text oder interaktiv als Gespräch. Diese Art der Handlungsdurchfuhrung wird durch Eigenschaften des Textes oder des Gesprächs im Kontext ausgeführt und ist bezogen auf Komponenten der Interaktion; in Bezug auf diese wird die Handlung mit stilistischem Sinn angereichert" (28). Die Einbeziehung von Handlungen in die Interaktion von Gesprächspartnern in sozialen Situatio129

lj0

Ich beziehe mich auf die deutsche Fassung des Aufsatzes in der Taschenbuchausgabe W. Labov, Sprache im sozialen Kontext (1989) und damit auf sprachliche Indikatoren des Kontinuums 'formell' in Situationen, die von zwanglosem, entspanntem Sprechen bis zu zu stark kontrolliertem, gewähltem Stil manifest werden. Auer (1990: 192) bemerkt hierzu: „Labovs Vorgehen ist von verschiedener Seite kritisiert worden; inssbesondere läßt sich die Tatsache, daß sich die meisten von Labov untersuchten Variablen entlang dieser Stildimension nicht kontinuierlich entwickelten, sondern vor allem der Übergang 'Interview' zu 'Lesen' signifikante Unterschiede erbrachte, als Indiz dafür werten, daß statt eines Stil-Kontinuums zwei verschiedene Modalitäten (Interview/freie Konversation einerseits, Text lesen/Listen lesen andererseits) untersucht wurden, innerhalb derer gegebenenfalls kontinuierliche Abstufungen möglich sind".

223

nen infolge von Themabearbeitungen macht deutlich, daß zu einem tieferen Verständnis von Stil eine differenzierte Berücksichtigung pragmatischer Parameter vonnöten ist. An dem Begriff Stil polarisiert sich somit der Unterschied zwischen der traditionellen systemlinguistischen Methodologie und der neueren pragmatischen Herangehensweise. Die neuere pragmatische Sicht von Stil, die Sandig (stellvertretend für viele andere) gegen die systemlinguistische selbst (Streit zwischen Traditionalisten und Sezessionisten, vgl. Dittmar 1995a), zeigt eine deutliche Tendenz, Stile als Aktivitäten beschreiben zu wollen. Ein zentraler Punkt der Stilbestimmung von Sandig ist die Beziehungsgestaltung zwischen Produzent und Rezipient. In diesem Sinne ist für Sandig „Stil das Mittel der Individuierung und Situationsanpassung von Handlungen" (1995: 32). Stile als Aktivitäten zu beschreiben wäre so ähnlich wie menschliche Charaktere nach ihren Kleidungen zu erfassen. Grundlegend für meine Differenzierung zwischen Register und Stil ist der Unterschied zwischen der Nutzung sprachlicher Mittel für zweckbestimmte Handlungen im Rahmen spezifischer Diskurstypen (oder diskursiver Gattungen) und der Variation in der expressiven Gestaltung einzelner Handlungsschritte oder -muster. In diesem Sinne ist für mich Stil eine vom Handlungstyp (im soziolinguistischen Sinne Register) abhängige Variable; ich spreche daher von 'Registerstil' (siehe hierzu weiter unten). In ihrem Überblicksartikel „Tendenzen der linguistischen Stilforschung" differenziert Sandig (1995) nicht weniger als 19 textlinguistische, diskurspragmatische oder konversationsanalytische bzw. soziolinguistische Stilarten der Stilforschung. Für unseren Zusammenhang ist die gesprochene Sprache und der soziolinguistische Bezug entscheidend. Während die „traditionellen" Soziolinguisten einen formalen Stilbegriff (Unterschiede in den sprachlichen Mitteln nach Formalitätsgrad der Situation, insbesondere morphophonologische und lexikalische Differenzen) und die „pragmatisch" orientierten Sezessionisten Stile als Modalitäten des Handelns betrachten (Sandig 1978; Levinson 1988), gehe ich im folgenden eher von einem arbeitsteiligen 'joint venture' von Stil und Register auf der Ebene der sozialen Interaktion aus. Damit wende ich mich einigen Rahmenüberlegungen zu 'Registerstil' zu. Rahmenüberlegungen Interagierende bringen bestimmte Voraussetzungen in jede aktuelle Interaktionssituation mit. Diese sind im wesentlichen durch ihr Alter, ihr Geschlecht und die Sozialisationsbedingungen in Kindheit und Jugend geformt. Das, was sich via Sozialisation gestaltet hat, nennt Bourdieu (1982) Habitus. Dieser geht als sprachliche und non-verbale Gestalt in den Stil eines Individuums in einer konkreten Situation ein. Nach John Gumperz

224 (1992) signalisieren Sprecher mit bestimmten Anordnungen sprachlicher Merkmale auf der Oberfläche von Äußerungen, wie sie eine Handlungsaktivität symbolisch verstanden wissen möchten. "These features are referred to as contextualization cues. For the most part they are habitually used and perceived but rarely consciously noted and almost never talked about directly" (Gumperz 1982: 131). Gestalt (im Sinne von Habitus) geht also im Sinne von Kontextualisierungshinweisen in die Interaktion ein, gleichzeitig gestaltet sich aber im Prozeß der Interaktion zwischen Sprecher und Hörer ein Stil, der die Anpassung der Partner aneinander sowie an die gegebene soziale Situation zum Ausdruck bringt (dieser Aspekt ist Gestaltung). Die gegenseitige Anpassungsleistung, die sich als Stil gelingender oder auch mißlingender Verständigung herausstellen kann, stellt sich so dar: Mit seinen Äußerungen vermittelt der Sprecher bestimmte Kontextualisierungshinweise (ob etwas ernst oder ironisch zu verstehen ist; ob er kooperativ oder nicht kooperativ ist etc.); der Hörer wiederum zieht aus den Äußerungen und den Kontextualisierungshinweisen gewisse konversationeile Schlüsse ("conversational implicatures"). Letztere wiederum gehen zusammen mit seinen eigenen Intentionen und den ihm zur Verfugung stehenden habituellen Kontextualisierungshinweisen in neuere Äußerungen ein. Je nach Thema, Register und situativen Vorgaben 'gestaltet sich' ein Stil, der eine Anpassung an diese Bedingungen darstellt und somit auch ein Ausdruck des Problemlösungsverhalten ist. Stile können somit als Erwartungshaltungen verstanden werden, die aus sprachlichen Formulierungen erschlossen werden ("conversational inference"). Um einer Äußerung die stilistische Bedeutung „ironisch", „aggressiv", „schlagfertig" etc. zu geben, müssen sprachliche Mittel durch Filter, die ihr stilistisch angemessenes Miteinandervorkommen beschränken, koordiniert werden. Sprechaktivitäten bestehen par excellance aus solchen Koordinierungsleistungen. Daher ist die Gründung des Stilbegriffs auf Erwartungen des Miteinandervorkommens (Kookkurrenz) von sprachlichen Mitteln attraktiv; ein Beschreibungsapparat steht allerdings hierfür noch aus. Die genannten ethnographischen Grundlagen für einen Stilbegriff werden von anderen Autoren geteilt. „Die Perspektive auf die Untersuchung von Stilen, gleichgültig auf welcher konkreten Analyseebene betrachtet, stellt die Frage nach dem für die Beteiligten sinnvollen/bedeutsamen Gebrauch kookkurrierender sprachlicher Gestaltungs- und Ausdrucksmittel im Vergleich zu paradigmatischen Alternativen (mit natürlich nie genau derselben Bedeutung) in der sich entwickelnden Aktionssituation ins Zentrum" (Hinnenkamp & Selting 1989:5)131. 131 Der

Prozeßcharakter der Interaktion und der in diesem Prozeß zu erfassende individuelle wie interaktive Stil lassen es nach Hinnenkamp & Selting (1989) nicht zu, Stile als Varietäten aufzufassen. Da sie nicht losgelöst von konkreten

225 Nach Kallmeyer (1994: 3Of.) „entsprechen Stile Verhaltensmodellen, die das Ergebnis der Auseinandersetzung mit spezifishen Lebensbedingungen sind. Sie machen die für das Selbstverständnis der Gemeinschaftsmitglieder ausschlaggebende Orientierungen als Prinzipien sprachlichen Verhaltens erkennbar. Stile sprachlichen Verhaltens sind ein wesentliches soziales Unterscheidungs-merkmal, und ihre Ausprägung ist mit der Ausbildung sozialer Welten und der sozialen Identität von Gruppen und größeren Gemeinschften verbunden. Ihre Analyse gestattet die Aufdeckung der sprachlichen Mechanismen von sozialer Trennung und Integration".

Insofern Stile an soziale Kontexte angepaßte, institutionelle und alltagsweltliche Ausdrucksweisen darstellen, untersuchen wir sie als soziolinguistische Manifestationen. Sie legen der Vielfalt ein erkennbares, erwartbares Maß an. Sie dienen im wesentlichen der Gestaltung menschlicher Beziehungen und geben uns die Mittel an die Hand, grundlegenden Bedürfnissen Ausdruck zu verleihen, u.a. dem Bedürfnis nach Austausch und Ausgleich, Zugehörigkeit und Trennung. Als Hilfe zur angemessenen Auswahl aus einem stilistischen Repertoire stehen (kommunikative) Normen zur Verfugung (vgl. Härtung 1977), die als Maßstab zur Lösung von kommunikativen Aufgaben angelegt werden können. Sie regeln die stilistische Angemessenheit der Darstellung grundlegender Bedürfnisse. In welchen Stilen werden Austausch- und Ausgleichsprozesse geregelt? Welche sprachlichen Mittel, Formen und Strukturen sind daran beteiligt? Welcher Nutzen oder Schaden ergibt sich aus extremen stilistischen Abweichungen und Divergenzen zwischen identischen Registern - fur Sprecher, Gruppen und Sprachgemeinschaften? Diese Fragen gehen weit über das hinaus, was die Varietätenlinguistik als eher systemlinguistisches Programm verfolgt. Entwicklung eines soziolinguistischen

Stilbegriffs

In der traditionellen Stilforschung und in der neueren variationistisch orientierten Soziolinguistik wird Stil als variable Menge alternierender Formen (Varianten) für funktionale Bedeutungsäquivalente verstanden. Ich betrachte Stil in ökologischer und systemischer Sicht (vgl. Dittmar 1989: 224f.) als ein auf Wirkung und Expressivität ausgerichtetes System tendenzieller Gebrauchspräferenzen (von Sprechern), die kontextgebunden und gefiltert durch Registeranforderungen aus den verschiedenen Ebenen des einzelsprachlichen Varietätenraumes Ausdrucksformen selektieren und diese mittels Kookkurrenzrestriktionen zu einer spezifischen Stillage kombinie-

Verwendungssituationen beschrieben werden können, seien sie pragmatischer Natur und nicht systemlinguistischer. Dieses Argument spricht für die Lösung, Register systemlinguistisch als Varietät und Stil pragmatisch als Registers/;/ (expressiver Aspekt des Registergebrauchs) miteinander in Beziehung zu setzen.

226 ren. 'Gebrauchspräferenzen' meint die sprachliche Wahl aus einer Menge gegebener Alternativen für bestimmte Ziele und Zwecke. 'Stil' ist somit Handlungszielen und -zwecken untergeordnet und teils strategischer, teils habitueller Natur (vgl. Dittmar & Schlobinski 1988). Stile stellen Anpassungen an die Rollen der Interaktionspartner in alltagsweltlichen und institutionellen Diskursen dar und erfüllen entsprechend Persönlichkeits- und interaktionsbezogene Funktionen bei der Regelung von Austausch, Ausgleich, Rangdifferenzen und der Kontinua 'Nähe-Distanz', 'Verbindlichkeit-Vagheit'. Solche 'Stile' haben ihre Funktion und Wirkung innerhalb bestimmter Register und deren Rahmen (Goffmann 1980: 53 Iff). Eine Einordnung von Stilen in Gruppenstile setzt zunächst einmal die Analyse individueller Stile und ihrer gemeinsam geteilten Normenbestände voraus. In diesem Sinne äußert sich auch Kallmeyer (1994: 31): „Die Spezifika der Kommunikationsformen machen Eigenschaften des sozialen Stils aus, d.h. die Tatsache, daß in einem bestimmten Milieu oder in einer sozialen Welt bestimmte Ereignistypen und Handlungsformen für die Herstellung von sozialem Zusammenhalt (bzw. für andere Ziele) entwickelt, präferiert und ggf. normiert werden. Die Verwendung der unterschiedlichen Symbolisierungsformen entspricht allgemeineren, situationsttbergreifenden und längerfristig stabilen Orientierungen der Sprecher. Aufgrund dieser inneren Zusammengehörigkeit sind sie als Aspekte eines sozialen Stils aufzufassen".

Gruppenstile, so könnte man Kallmeyer interpretieren, sind langfristige Prägungen, die das individuelle Verhalten durch Gruppennormen überformt. In diesem Sinne sind Gruppenstile Habitusausprägungen von Stilen unter dem Gesichtspunkt regelmäßiger, langfristiger Interaktion bei geteilten Normen nach innen und Abgrenzung von anderen Normen nach außen. Natürlichkeit und Stil Auer (1989) sieht in dem Spannungsfeld von symbolischen Zeichenbildungsverfahren (konventionalisierte, grammatikalisierte und relativ kontextfreie sprachliche Eigenschaften), ikonischen Zeichenbildungsverfahren (hörerunterstützend) und indexikalischen Zeichenbildungsverfahren (sprecherunterstützend) „eine wichtige strukturelle Potentialität für Stil" (Auer 1989: 34/48). 'Konventionalisierte Stile' sind dann solche, die - wie etwa im schriftlichen Sprachgebrauch - kontextfreie, in sich explizite und kohärente sprachlich-grammatische Mittel verwenden. Den konventionalisierten Sprachgebrauch kann man auch als schriftsprachenah bezeichnen. Demgegenüber werden die ikonischen und indexikalischen Zeichenbildungsverfahren als natürlich bezeichnet. Ikonische Gebrauchsweisen erfordern häufig höheren sprachlichen Aufwand; aufgrund ihrer besonderen Transparenz im Kontext ist das Verstehen für den Hörer leichter (z.B. Wiederholen von Namen/Bezeichnungen bei der Produktion eines kohärenten Textes anstelle eines Pronomens; die Wiederholung ist konkreter, erfordert aber mehr arti-

227

kulatorischen Aufwand). Die indexikalische Formulierungsweise wiederum nutzt den vorhandenen, wahrnehmbaren Kontext, indem Ausdrücke ökonomisch in ihrer möglichst kurzen Form benutzt werden (anstelle von Wiederholungen werden Proformen bevorzugt, was artikulatorisch entlastet, jedoch die Identifizierung mit einem Kontext verlangt). Auer zeigt, daß der Unterschied indexikalisch vs. ikonisch fast auf allen Ebenen der Grammatik zu finden ist. Er folgert daraus: „Ein konkreter Stil kann dabei mehr oder weniger nah an den drei Polen lokalisiert werden, und zwar oft durchgängig auf allen grammatischen Ebenen in ähnlicher Weise, manchmal auch auf den einzelnen Ebenen unterschiedlich" (48). Die drei Säulen seines Stilbegriffs: ikonische, indexikalische und konventionalisierte Zeichenbildungsverfahren würden es möglicherweise erlauben, ein Kontinuum von natürlichen zu weniger natürlichen Stilen zu isolieren. Systematische Ausarbeitungen stehen noch aus. Ausblick Es dürfte deutlich geworden sein, daß Stile mehr sind als operationalisierbare Varianten nach dem Grad der Formalität der Situation (vgl. Labov 1980). Diaphasischer Sprachgebrauch ist an Situationen gebunden; diese bestehen jedoch immer aus einem Ort, einem sozialen Umfeld und Interaktionspartnern, die über bestimmte Themen (kommunikative Ziele und Zwecke) in einem bestimmten Medium (schriftlich vs. mündlich) kommunizieren. Varietäten werden jedoch in der Regel als relationale sprachliche Systeme bezeichnet „mit relativ scharfen tatsächlichen und wahrgenommenen Grenzen, die im Regelfall eine eindeutige Entscheidung darüber erlauben, ob gerade Varietät a gesprochen wird; zum anderen sind Varietäten ausschließlich durch grammatische Merkmale definiert, während Stile auch Merkmale aus anderen kommunikativen Systemen (Turn-taking, Gestik) mitumfassen können" (Auer 1989: 30). Damit könnte die Gretchenfrage der Soziolinguistik lauten: Sollen wir Varietäten oder Stile als Grundbegriffe der Variation betrachten? Für Nabrings (1981: 249) sind Varietäten „konventionalisierte Realisationsformen des Systems", die nach Berruto (1995) ein Modell rekurrenter, im System angelegter sprachlicher Konkretisierungen darstellen, welche in einem bestimmten sozio-situationalen Kontext aktualisiert werden. Hymes (1979: 177) geht den umgekehrten Weg: „Größere Sprechstile, die an soziale Gruppen gebunden sind, können Varietäten genannt werden und solche, die an rekurrente Situationstypen gebunden sind, Register'". Am Beispiel von Register und Stil habe ich in 4.3.6.1 und 4.3.6.2 nachzuweisen versucht, daß 'Raum', 'soziale Gruppe' und 'Handlungssituation/-typ' primäre Bestimmungsgrößen von Varietäten darstellen, 'Stile' dagegen durch sekundäre Bestimmungsgrößen eher auf

228 pragmatischer (nicht systemlinguistischer) Ebene konstituiert werden. In diesem Sinne würden wir von dialektalen, gruppenspezifischen und Registerstilen sprechen. 4.3.6.2.1 ' Sexolekte' : geschlechtsspezifische Stile oder Varietäten? Viele Soziolinguisten teilen die Meinung von Berruto (1995), daß ,,'socioletto' viene usato per indicare varietà tipiche di un gruppo sociale, che abbiano un valore fortemente simbolico per il gruppo e siano sottoposte in quanto tali a nette valutazioni sociali negative (o positive)" (1995: 148). In diesem Sinne gehören geschlechtsspezifische Varietäten (im folgenden 'fm-Varietäten' nachgebildet nach feminin vs. maskulin) zur diastratischen Dimension im zu Beginn des Kapitels dargelegten Sinne. FmVarietäten sind durch die natürlichen Geschlechterrollen der Sprecherinnen bestimmt. Ob es jedoch systemische geschlechterrollenspezifische Unterschiede gibt und diese verdienen, Varietäten genannt zu werden, ist in der Forschung umstritten. Zwei Zitate aus dem Forschungsbericht über "Sex and language" von Klann-Delius (1987) mögen dies unterstreichen: "Summing up the given review of empirical studies investigating sex differences in the domaine of phonology, syntax and semantics one can state that there are only very few sex related differences in language use, but there is no evidence at all for a difference in linguistic competence which would justify the often cited notion of women's vs. men's language" (771).

Mit Bezug auf empirische Untersuchungen zum geschlechtsspezifischen Spracherwerb schlußfolgert Klann-Delius (1987): "In general, the findings of sex differences in language acquisition show once more, that there are no sex differences with respect to basic linguistic capacities but that there are differences with respect to the uses of language structure and social interaction. The quality of reported differences indicates that it is not the biological difference of the ses but the social experience of specific interpretation of biology that are made which gives rise to linguistic variation. This is most clearly and solidly established within the field of conversation in child language acquisition too" (774).

Im weiteren macht Klann-Delius (1987) methodische (und auch theoretische) Unzulänglichkeiten dafür verantwortlich, daß systemische, die Geschlechtsvariablen explizit kontrollierende Unterschiede bisher nicht nachgewiesen werden konnten; andererseits gibt es in Labov (1966) und Trudgill (1974: 84-102) empirische Belege für unterschiedlichen Sprachgebrauch von Männern und Frauen. Dabei spielen soziolektale Markierungen eine Rolle; Frauen sind im Gebrauch des Formeninventars (vor allem phonologische und morphologische Varianten) „näher" an der Standardnorm als Männer; mit anderen Worten: In dialektologischen Studien wird belegt (Labov, Trudgill), daß Frauen sich eher an prestigebesetzten Gebrauchs-

229 weisen orientieren als an stark abweichenden, stigmatisierten Varietäten. Trudgill (1974: 94) schreibt: "Linguistic sex varieties arise because, as we have already seen, language, as a social phenomenon, is closely related to social attitudes. Men and women are socially different in that society lays down different social roles for them and expects different behaviour patterns from them. Language simply reflects this social fact. Men and women's speech, as we have demonstrated is not only different: Women's speech is also (socially) 'better' than men's speech. This is a reflection of the fact that, generally speaking, more 'correct' social behaviour is expected of women". Ein Überblick über die empirischen (1998). Wir halten folgendes fest:

Untersuchungen findet sich in Dittmar

1. Die soziale Bedeutung der Variablen 'Geschlecht' gilt als belegt; ob aus dem Varietätenspektrum jedoch geschlechtsspezifische Varietäten anhand distinktiver linguistischer Merkmale isoliert werden können, ist umstritten. 2. Als belegt gilt der Einfluß der Variable 'Geschlecht' in Kovariation mit dialektaler und soziolektaler (räumlicher und schichtspezifischer) Variation. Ausgeprägt kleinräumige, lokale Dialekte oder unterschichtspezifische Soziolekte werden von Frauen offenbar in geringerem Ausmaße als von Männern benutzt. Des weiteren sind diskursbezogene Unterschiede belegt: Die Geschlechter verfolgen offenbar unterschiedliche konversationelle Stile. 3. Daß Fm-Varietäten eigenständige linguistische Merkmale aufweisen, gilt als nicht eindeutig belegt; in Analogie zu 4.3.3 (Soziolekt) könnte es fruchtbar sein, geschlechtsspezifische Register, d.h. ihr Entstehen im Prozeß der Sozialisation, zu beschreiben. 4. Für die Zugehörigkeit von potentiellen Fiw-Varietäten zu der diastratischen Dimension (Überlappung mit der 'diaphasischen' Dimension!) führe ich wiederum das zu Beginn dieses Kapitels postulierte Merkmal 'Wertekonflikt' an. Es reicht, daß eine Gruppe im Verhältnis zu einer weiteren oder mehreren weiteren Gruppen einen sozialen Wertekonflikt im Sprachgebrauch sieht.

4.3.6.2.2 'Jugendsprache': Gerontolekt, Varietät oder Stil? Die Isolierung von A V (= altersspezifische Varietäten) setzt voraus, daß der Lebenszyklus einer Individualsprache (Idiolekt) periodisiert werden kann (z.B. 1-6, 6-12, 12-18, 18-24...60-66, 66-72 etc.). Weder gibt es eine soziologische Fundierung der Differenzierung von Altersstufen noch eine psychologische oder medizinische (wobei die letztere möglich wäre, unter Umständen jedoch keinen signifikanten Einfluß auf Sprachverhalten haben würde). In Psycho- und Neurolinguistik sind Altersunterschiede in der Regel eindeutiger als neurolinguistische Unterschiede erfaßt. Im soziolinguistischen Bereich wurde bisher lediglich die Jugendsprache genauer untersucht. Eine Definition von „Jugend" ist dabei bisher nicht gelungen, obwohl grosso modo eine Altersphase zwischen etwa 15 und 25 gemeint ist. Die

230 apodiktische Schlußfolgerung von Scheuch „Jugend gibt es nicht" (zitiert in Schlobinski 1989: 3) gründet sich auf folgende recht heterogene Parameter, auf die die Definition von Jugendsprache gegründet werden kann: (1) Jugend als biologische Altersphase bei Einsetzen der Pubertät (la)Jugend als soziale Altersphase mit rechtlich festgelegter Teilreife wie z.B. Strafmündigkeit, Eidesfahigkeit etc. und damit verbundenen Übergangsriten (z.B. Konfirmation) (2) Jugend als soziale Altersgruppe der 13- bis 25jährigen (peer group) (3) Jugend als Subkultur (4) Jugendgruppen als Problemgruppen (5) Teilhabe von Jugendlichen an spezifischen Organisationsformen (z.B. Sportjugend) (Schlobinski 1989: 3)

Hier gibt die Soziologie ein ähnliches Dilemma vor wie bei der Definition der sozialen Schicht. Langfristig wird die Soziolinguistik allerdings über die Varietätenanalyse zur Definition von 'Jugend' beitragen können. Die meisten Autoren betrachten Jugendsprache als ein gruppenspezifisches Phänomen in Abhängigkeit von situativen Kontexten. „Der größte Teil dessen, was unter dem Phänomen Jugendsprache gefaßt ist, läßt sich auf der Folie von Sprechstilen analysieren. Dem Konstrukt Jugendsprache liegt in diesem Sinne eine Unifizierung von Sprechstilen zugrunde" (Schlobinski 1989: 6). Als Sprechstile bezeichnet Schlobinski in einer ersten Annäherung „gruppenspezifische und situativ gebundene Sprechweisen" (a.a.O. 6). Stile sind jedoch nicht gleich Varietäten (vgl. 4.3.6.2). Betrachtet man individuelle Repertoire als in ihren Erscheinungsformen sozialer Variation zugrundeliegende Basisvarietäten, könnte man Jugendsprache als einen gruppen- und altersspezifischen Ausschnitt aus dem Lebenszyklus von solchen Repertoires betrachten. Als entwicklungsspezifische Übergangsphase (verschiedene Lebens- und Sprachmodelle ausprobieren, um das Richtige und Lebenswerte herauszufinden) baut die Jugendsprache auf bereits erworbene dialektale und soziolektale Varietäten auf; andererseits werden bestimmte Teile des bestehenden Registers innovativ verändert (Lexikon, aber auch syntaktisch-semantische Strukturen). Altersspezifische Unterschiede in der Realisierung von Phonemen wurden von Labov und anderen als Teil regelhafter Variation in der Sprachgemeinschaft beschrieben. Bisher wurden diese empirischen Ergebnisse jedoch nicht mit dem Phänomen Jugendsprache an sich verbunden. Überlappt wird die soziologische Kategorie Jugend von Geschlecht, Schicht und Region. Aus der Matrix verschiedener variationslinguistischer Einflußgrößen konnte eine systemisch und distinktiv definierte Varietät 'Iuventolekt' bisher nicht iso-

231 liert werden. Ohne Rückgriff auf diaphasische Faktoren (Situation, Teilnehmer) wird dies nicht möglich sein. Abschließend sei noch einmal eine methodologische und theoretische Frage angesprochen. Aus der Perspektive des individuellen Repertoires betrachtet, ist die jugendsprachliche Varietät ein Abschnitt auf dem Weg des Individuums zur gefestigten Erwachsenengrammatik. Was sich in dieser Periode innerlich festigt und noch zum Erwerb gehört, wäre psycholinguistisch zu erfassen. Dagegen interessiert sich die Soziolinguistik für den gruppenspezifischen Charakter der jugendsprachlichen Varietät, die Antwort auf ein soziales Umfeld ist und gleichzeitig Innovationen bringt, die gegebenenfalls Sprachveränderungen und Sprachwandel in der Alltagssprache herbeiführen (vgl. die Rolle der 68er-Generation für den Sprachwandel der heutigen jugendlichen Varietäten). Aus idiolektaler soziolinguistischer Perspektive stünde im Vordergrund, welche kommunikativen Funktionen Einfluß auf die Ausbildung des Registers von Jugendlichen haben im Verhältnis zu kommunikativen Funktionen der Sprecher im mittleren und späteren Alter (30-50, 50-80). Der Registerumfang einzelner Sprecherinnen (familiäre, formelle, informelle, freizeitspezifische Gebrauchssituationen) sollte - im Zusammenhang mit kognitiven Orientierungen - longitudinal untersucht werden. Eine solche Untersuchungsstrategie könnte das Profil der sozialen Orientierungen von der Innenseite her isolieren. Viele solcher Untersuchungen zusammengenommen, könnten uns einen Eindruck davon vermitteln, was gerontolektale Register im Zusammenhang mit kommunikativen Funktionen für den jungen, mittleren und älteren Menschen darstellen. Solche Untersuchungen würden es auch erleichtern einzuschätzen, welche Typen soziolinguistischer Aussagen mithilfe bestimmter altersspezifischer Informantengruppen gemacht werden können. Anders gewendet: Die dominanten Daten der Dialektologie sind die Varietäten alter Informanten. In der Perspektive des Sprachwandels würde der konservative Aspekt der Sprachbewahrung durch die Gruppe der älteren Sprecher diatopisch beschrieben; in der Perspektive einer an individuellen Repertoires orientierten Soziolinguistik würde ein gewisses statisches Endstadium (mit leichten Verlusterscheinungen) im Lebenszyklus von solchen Repertoires beschrieben, das - aufgrund der dadurch gewonnenen Profile - vermutlich als eine Varietät gekennzeichnet werden könnte, von der kein Wandel und keine Innovation im Varietätenraume mehr ausgeht. Beide Aspekte sind von Bedeutung. 4.3.6.3 Schwierigkeiten mit der Bestimmung der diaphasischen Dimension „Situativ bestimmte Variation ist bis jetzt weder im Konzept der Funktionalstile noch im Konzept der Register befriedigend beschrieben worden" (Härtung & Schönfeld 1981: 98).

232 Im folgenden versuche ich zu zeigen, daß soziolinguistische Stile vor allem Gruppen markieren, wobei die Situation eine untergeordnete Rolle spielt; Register dagegen haben es prototypisch mit dem Muster- und Gebrauchswissen von (insbesondere: institutionellen) Situationen zu tun. Folgende Argumente sprechen dafür, Register als prototypische diaphasische Varietät anzusetzen: •

Register sind sprachliche Varietäten, die sich von anderen Varietäten - z.B. Dialekt - durch den handlungsspezifischen Gebrauch unterscheiden.



Register können „als charakteristische, grammatische und lexikalische Muster aufgefaßt werden, die situationsangemessen verwendet werden. Es wird eine Verbindung zwischen formalen linguistischen und situationsbezogenen extralinguistischen Kriterien hergestellt" (Härtung & Schönfeld 1981: 293).



Register beziehen sich auf die Gesamtheit sprachlicher Tätigkeit: „Register stellen nicht Rand- oder Sondervarietäten der Sprache dar. Zusammengenommen nehmen sie den Gesamtbereich unseres sprachlichen Tuns ein. Ihr Funktionieren und ihre Wirkung können wir jedoch nur im Zusammenhang mit verschiedenen Situationen und Situationstypen verstehen, in denen man Sprache gebraucht..." (Halliday/Mclntosh/Strevens 1972: 96).



Mit den drei Begriffen Feld der Rede (Thema; Redegegenstand; das für eine typische praktische Tätigkeit relevante Sprachverhalten), Modus der Rede (geschrieben vs. gesprochen) und Stil der Rede (Verhältnis zwischen den beteiligten Personen, z.B. höflich oder ungezwungen) wird ein einfaches, systematisches Raster vorgegeben, mit dem Äußerungen z.B. in institutionellen Diskursen relativ genau beschrieben werden können: „Für die sprachliche Ausformung ist es eben wichtig, ob es sich um die mündliche oder schriftliche Kommunikationsform handelt (Modus), ob ein offizielles oder nicht offizielles Verhältnis zwischen den Kommunikationspartnern besteht (Stil), ob ein Text aus der Naturwissenschaft oder ein Gespräch bei einer praktischen Tätigkeit behandelt wird (Feld)" (Härtung & Schönfeld 1981: 294).

'Stil' ist im RegisterbegrifFals Marker der Förmlichkeit einer Situation enthalten (als Teilgröße des Registerbegriffs). Es spricht vieles dafür, Register als prototypisch für institutionelle Situationen anzusetzen. In der institutionellen Kommunikation, die aus prozeßhaften, aber stark normierten Situationen besteht, verfügen die Interaktionspartner je nach ihren sozialen Rollen über ein Musterwissen und die angemessenen Sprachgebrauchsmuster (vgl. Rehbein 1983). Für die Varietätenspezifik des Registerbegriffs spricht auch, daß „Äußerungen mit gleichen bzw. ähnlichen sprachlichen (grammatischen und lexikalischen) Merkmalen auch dann ein- und demselben Register zugeordnet [werden], wenn sie in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen vorkommen. Der Registerbegriff muß also polysem aufgefaßt werden. Einem sprachlichen Register können mehrere 'Untergruppen' zugeordnet werden, wenn sie über die gleichen sprachlichen Merkmale verfügen, aber in Bezug auf Feld/Modus/Stil der Redner unterschiedliche außersprachliche Bezüge besitzen. Der Sprecher kann also

233 aus ein- und demselben sprachlichen Register auswählen und damit in unterschiedlichen Kommunikationssituationen sprachlich wirksam werden" (Härtung & Schönfeld 1981: 295). Somit trägt der Registerbegriff dem Umstand Rechnung, daß in unterschiedlichen Situationen gleiche linguistische Mittel verwendet werden können - es stehen systemische Mittel im Vordergrund. Demgegenüber wird 'soziolinguistischer Stil' oder 'Sprechstil' in erster Linie für Gruppenstile oder Beziehungsstile angewandt: •

Schlobinski, Kohl & Ludewigt (1993) untersuchten Jugendsprache „gruppenspezifische Sprechstile", die situative Dimension bleibt untergeordnet;

als



Kotthoff (1991) untersucht „interaktionsstilistische Unterschiede im Gesprächsverhalten der Geschlechter: Unterbrechungen und Themenkontrolle als Stilmittel"; hier geht es um Unterschiede im Verhalten der Gruppe der Männer vs. der der Frauen; der Terminus 'weiblicher Gesprächsstil' oder 'männlicher Gesprächsstil' taucht übrigens bei einer ganzen Reihe von Autorinnen und Autoren auf;



'sozialer Stil' ist ein Grundbegriff der vierbändigen Ausgabe Kommunikation in der Stadt (1994/95). „Stile sprachlichen Verhaltens sind ein wesentliches soziales Unterscheidungsmerkmal, und ihre Ausprägung ist mit der Ausbildung von sozialen Welten und der sozialen Identität von Gruppen und größeren Gemeinschaften verbunden. Ihre Analyse gestattet die Aufdeckung der sprachlichen Mechanismen von sozialer Trennung und Integration" (Kallmeyer 1994: 31);



typisch für die die soziale Identität (Gruppenidentität) indizierenden Stilmittel sind auch die Verweise auf nicht-sprachliches Verhalten, die Art der Kleidung etc.: „Zum sozialen Stil gehören ebenso Eigenschaften des nicht-sprachlichen Verhaltens, der körperlichen Bewegung, des Distanzverhaltens, der Kleidung, der Einrichtung, der Ernährung u.s.w." (Kallmeyer 1994: 31). Daraus wäre der Schluß zu ziehen, daß (a) es so viele Stile wie Gruppen gibt und damit eine Varietät 'Stil' kaum zu isolieren wäre; (b) prototypische gruppenspezifische Stile (z.B. die Hyperkorrektur der unteren Mittelschicht) als diastratische Varietäten isoliert werden könnten.

4.3.7 Kontaktvarietäten Durch Kontakt können Sprach- und Varietätenmischungen entstehen. Sie bestehen aus einer Vielfalt sprachlicher Formen und kommunikativer Funktionen (vgl. Bechert & Wildgen 1991). Als prototypische Beispiele sollen im folgenden 'Pidgin', 'Kreol', 'Lernervarietäten' und 'nolekte' vorgestellt werden. Kontaktvarietäten sind das Ergebnis interlingualer und interkultureller Verständigung unter den Bedingungen teilweise erheblicher Divergenzen in der kommunikativen Kompetenz; sie erfordern sprachliche und kommunikative Anpassung unter schwierigen Kommunikationsbedingungen; solche Anpassungen erfolgen meist in ausgeprägter Weise im Lexikon zu Lasten einer zum Teil erheblich, zumindest je nach Umständen graduell vereinfach-

234 ten Grammatik. Als allgemeine Merkmale solcher Kontaktvarietäten können in erster Annäherung gelten: (i) (ii) (iii)

(iv)

(v) (vi)

Es besteht sozialer Druck, sich rasch und effizient zu verständigen; die sprachlichen, kommunikativen und Wissenskompetenzen der Interaktionspartner sind ungleich verteilt; die entstehenden Ausdrücke und ihre spezifischen Konnotationen sind oft nur für 'eingeweihte Insider' verständlich; Interaktionspartner stehen in einem 'Lernverhältnis' zueinander; die Kontaktvarietäten sind an bestimmte, meist eingeschränkte Themen- und Kommunikationsbereiche gebunden; sie übernehmen daher nur - im Vergleich mit Standardsprachen und Dialekten - kommunikative und kognitive Teilfunktionen; sie sind instabil: Veränderungen in den Kontakt- und Kommunikationsbedingungen fuhren zu raschem Wandel, oft zum Verschwinden der Varietäten; sie sind typische Varietäten der gesprochenen Sprache und verlieren den spezifischen Charakter von 'Kontaktvarietäten', wenn sie verschriftlicht werden, wie dies bei einigen Pidgins (z.B. Tok Pisin, vgl. Sankoff 1980) oder einer ganzen Reihe kreolischer Sprachen der Fall ist.

Weinreich (1953), der den Terminus 'Sprachen im Kontakt' prägte, verstand darunter sprachliche Anpassungsprozesse (Typen verschiedener Interferenzen) in Kontaktsituationen wie z.B. Französisch, Deutsch und Italienisch in der Schweiz. Dialekte und Soziolekte sind natürlich in einem bestimmten Sinne auch Kontaktsprachen, jedoch von den hier gemeinten 'Kontaktvarietäten' darin verschieden, daß sie in einer wesentlich engeren Relation zu einer übergeordneten Standardsprache stehen, regelhafter grammatisch markiert sind, in der Regel höhere Stabilität aufweisen, sich weniger rasch wandeln und für ein größeres Spektrum polyfunktionaler Kommunikationszwecke gebraucht werden. Am nächsten kommt unserem Verständnis von 'Kontaktvarietät' der von Kay & Sankoff geprägte Terminus "contact vernaculars": "...contact vernaculars are functional adaptations to particular communicative situations. Where the required communication is limited, and participants have no prior common linguistic ground, contact vernaculars are also structurally limited...If contact vernaculars prove not only to have survival value but to be useful for their speakers for broader communicative purpose, they tend to loose these distinguishing features and become more like natural languages. It appears that there is a gradation of contact vernaculars.. .This is a functionalist view, where language structure is seen as a dependent variable and its communicative functions fulfilled by contact vernaculars are minimal, these languages may possibly reveal in a more direct way than do most natural languages the universale of cognitive structure that underly all human language ability and language use" (1974: 61f.). Als „geborenes Merkmal" der Dimension Kontakt habe ich unter 4.3 'Macht (politische, wirtschaftliche, kulturelle...)' angeführt. Unter sicherlich vielen Faktoren, die Kontaktsprachen/-varietäten bestimmen, ist Macht ein nach Habermas (1981) systemischer Faktor, der breite Auswirkungen

235 auf verschiedene Gruppen einer Gesellschaft ausüben kann. Pidgins sind in Kontexten der Kolonisation entstanden (daher sind sie 'Kreuzungen' mit den europäischen Sprachen Spanisch, Portugiesisch, Englisch und Französisch). Kreolische Sprachen sind dann als 'Ausbausprachen' in der 2. Generation aus den Pidgins hervorgegangen. Wenig untersucht sind heutzutage Pidgins, die als Handelsverkehrssprachen aus dem Kontakt der übermächtigen Handelssprache Englisch mit einem abhängigen kleinen Handelspartner entstanden sind. Daher können wir uns im folgenden nur mit einigen prototypischen Varietäten dieser Art beschäftigen. Lernervarietäten sind individuell variierende zweitsprachliche Repertoire (vgl. 4.3.7.3), die aus den verschiedensten Gründen als Zweitsprachen erworben werden. Im soziolinguistischen Zusammenhang interessieren wir uns hier für gruppenspezifische Lernervarietäten, die aus der sogenannten 'Arbeitsmigration' resultieren. In der Regel leben diese immigrierten Gruppen in den sogenannten 'hochentwickelten' Gesellschaften als lower working class (untere Arbeiterschicht) zusammen. Ihr Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung ist in der Regel eher gering, so daß sich fossilierte Varietäten verschiedenen Niveaus bilden, die aber deutlich ethnisch markiert sind. Natürlich könnte man sagen, daß die Migrantengruppen aus freiem Entschluß und mit einer bestimmten persönlichen Motivation in das wirtschaftlich 'reichere' Land gekommen sind. Daß es sich hier jedoch um meist ausweglose strukturelle Zwänge handelt, ist vielerorts ausführlich beschrieben worden und soll hier nicht dargelegt werden. Wir können mit einem anderen Terminus auch von 'nicht-muttersprachlichen Varietäten' sprechen. Xenolekte sind wiederum das Spiegelbild der 'nicht-muttersprachlichen Varietäten' auf Seiten der einheimischen Muttersprachler. Zwar gibt es so viele unterschiedliche muttersprachliche Verhaltensweisen gegenüber Fremden/Migranten, wie es im einzelnen Begegnungen gibt (vgl. Roche 1987); doch gibt es vor allem im Bereich der Arbeitskooperation gewisse soziale Regeln/Standards, die solche Xenolekte zu 'muttersprachlichen Jargons gegenüber Ausländern' machen. Die Vereinfachungen, die muttersprachliche gegenüber nichtmuttersprachlichen Sprechern vornehmen, werden sicher nicht nur aus ikonischen Bedürfhissen der besseren Verständlichkeit vorgenommen; sie weisen gleichzeitig den Ausländern, mehr oder weniger subtil, einen niederen Rang zu und drücken damit auch indirekt die zumindest symbolische Macht der Einheimischen aus. Insofern trifft auch auf die nolekte das 'geborene Merkmal' Macht in seiner spezifischen Spielart zu. 4.3.7.1 Pidgin Die Etymologie des Begriffs 'pidgin' verweist auf das sprachlich deformierte Wort "business" in dem Ausdruck des Pidgin-Englisch [de? ju pidjln] (that's your business) „das geht dich was an, das ist deine Angelegenheit".

236 Diese verbreitete Meinung geht auf den ersten Beleg für Pidgin-Englisch an der chinesischen Küste zurück (Valdman 1978). Allerdings gibt es konkurrierende Auffassungen, von denen u.a. die zwei folgenden genannt sein sollen: (a)

(b)

Aus einem Beleg von 1876 schließen Hancock & Todd (1973), daß 'Pidgin' eine Verschmelzung von engl, „business" und port, „ocupaçao" ist, die im Rahmen einer portugiesisch basierten pidginisierten Handelssprache im Vorderen Orient und in Afrika benutzt wurde; eine andere Hypothese besagt, daß es aus portugiesisch „pequeño" (klein), einer Abkürzung von „pequeño portugués" analog zu „petit nègre" (vereinfachte Form) entstanden sei.

Keine der vorliegenden Hypothesen gilt als gesichert (Valdman 1978: 3-5). Dennoch läßt sich festhalten: Der Terminus ist als Handelskontakt europäischer Kolonialmächte mit nicht-europäischen Einheimischen entstanden und bezeichnet eine grammatisch reduzierte, lexikalische Hilfssprache in der Funktion der kommunikativen Bewältigung von Handelskontakten. Es liegen verschiedene Definitionsversuche von 'Pidgin' vor. Einen konsensfähigen, minimalen Querschnitt formuliert Valdman folgendermaßen: „Tout pidgin, dans le sens strict de ce term, est caractérisé par la présence de la totalité des traits suivants: (1) Simplification de la forme extérieure; (2) réduction de la forme interne; (3) emploi bilatéral ou multilateral dans un contexte multilingue; (4) interpénétration des systèmes linguistiques en présence; (5) réduction des domaines d'emploi" (1978: 5). Bauer (1987: 345) versucht eine komplexere Bestimmung von Pidgin: „Der Versuch, eine Pidginsprache zu definieren, muß notwendigerweise immer drei Aspekte berücksichtigen: den linguistischen, den sozialen und den historischen. Linguistisch gesehen läßt sich für Pidginsprachen, die als Zweitsprachen im Vergleich mit den jeweiligen Muttersprachen verstanden werden, folgender Kriterienkatalog anfuhren: Stark reduzierter Wortschatz, Tendenz zu Umschreibungen, ausgedehnte Metaphorik; gegenüber den Spendersprachen vereinfachtes verändertes Phoneminventar; Flexionsverlust; starke syntaktische Reduktion gegenüber den Muttersprachen, z.B. Fehlen von Genusunterscheidungen, Vereinheitlichung von Präpositionen, Artikeln und Konjunktionen, Abbau von Konjugationsmustern, Reduktion des Tempus- und Modussystems [...] im Hinblick auf einen allgemeinen Begriff 'Pidginsprache', der auf alle einzelnen Erscheinungen anwendbar ist, hat man in der linguistischen Terminologie folgendes Muster vorgeschlagen: X - Pidgin Y. Darunter versteht man einen Pidgintypus, der auf Y als der dominanten Sprache (etwa derjenigen der Kolonialisten) basiert, aus der zumindest der größte Teil des Wortschatzes entnommen ist, während X den zweitwichtigsten linguistischen kontributiven Faktor (z.B. die Sprache der Eingeborenen) darstellt". Abgesehen von den ersten strukturalistischen Versuchen von Bloomfield, Hockett und Hall, den Terminus 'Pidgin' näher zu bestimmen (vgl. HPD

237 1975: 27f.), können wir drei verschiedene Positionen der Begriffsbestimmung unterscheiden: (i) (ii) (iii)

die universalistische, die funktionalistische und die genetisch-ökologische.

I Die universalistische Position Stellvertreter dieser Auffassung sind u.a. DeCamp (1971a: 15), Labov (1978b: 216ff.) und Kay und Sankoff (1974). Repräsentativ sind die von Kay und Sankoff formulierten Hypothesen, die aus dem Vergleich von Pidginvarietäten mit Standardsprachen gewonnen werden: (a)

(b)

(c)

„die Distanz zwischen phonologischer Tiefenstruktur und phonologischer Oberflächenstruktur ist bei den Pidgin-Sprachen in charakteristischer Weise geringer als bei 'entwickelten' Sprachen; im Extremfall fallen im Pidgin beide Ebenen zusammen. Satzprädikate stehen außerhalb der Sätze, über die sie prädiziert werden. Generell gesehen ist der Abstand zwischen der Tiefenstruktur (im Sinne der generativen Semantik) und der syntaktischen Oberflächenstruktur gering. Die semantischen Funktionen, die in vielen (besonders in den europäischen) Sprachen durch Flexionsformen angegeben werden, sind im Pidgin häufig durch freie Morpheme markiert. Außerdem werden häufig nur die zentralen Funktionen markiert."

(Kay & Sankoff 1974, zit. nach HDP 1975: 30)

II Die funktionalistische Position Die einschlägigen Autoren gehen mit Samarin davon aus, daß Pidgin die Funktion hat "to talk about less topics, or in fewer contexts, to indicate fewer social relations" (1971:126). Die Redeweise von 'Pidgin' als einer funktional eingeschränkten Sprache hat Smith durch die Unterscheidung von einer „kommunikativen", „integrativen" und „expressiven" Sprachfunktion zu präzisieren versucht (1972: 48). Nach Smith (a. a. O.) bleiben pidginisierte Varietäten auf die „kommunikative Funktion" ("conveying basically denotative information between social identities") beschränkt, während die „integrative Funktion" (Interaktionstyp: Person qua soziale Identität) und die „expressive Funktion" (Interaktionstyp: Person qua Person) nur den ausgebauten Sprachvarietäten mit genügend stilistischer Flexibilität vorbehalten bleiben.

III Die genetisch-ökologische Position Eine dynamische, entwicklungsgeschichtliche Konzeption von Sprachen im Kontakt mit besonderer Berücksichtigung von Pidgins vertritt Whinnom (1971), indem er sich Analogien zu biologischen Prozessen der Ausdifferenzierung und Hybridisierung von Spezies zunutze macht. Unter 'Hybridi-

238 sierung' versteht Whinnom den Prozeß der Umstrukturierung von Sprachen, aus dem neue Sprachen/Varietäten hervorgehen. Primäre Hybridisierung, vergleichbar einer Mutation, erfolgt, wenn sich eine Sprache, in Abhängigkeit von bestimmten Kontaktstrukturen, in dialektale Subkodes ausdifferenziert. Die sekundäre Hybridisierung tritt bei einem engen Kontakt zweier verschiedener Sprachen mit entsprechendem Druck auf kommunikative Anpassung ein. Ist die Kontaktsituation asymmetrisch, so tendiert die schwächere Gruppe dazu, sich an die stärkere anzupassen. Dabei lernen die Erwachsenen die Sprache der dominanten Gruppe nur bis zu einem bestimmten Grade (also unvollständig), während sie von den Kindern in der zweiten Generation weitgehend übernommen wird. Die in der Phase der 'sekundären Hybridisierung' entstehende Kontaktsprache erzeugt durch neu hinzukommende Sprecher die Illusion, sich auf längere Zeit zu stabilisieren. Tatsächlich ist sie aber kurzlebig, da der sprachliche Anpassungsprozeß der schwachen an die starke Gruppe zum Verschwinden der Kontaktvarietät fuhrt, wenn man die Sprechergruppe konstant hält. „ Tertiäre Hybridisierung tritt ein, wenn sich Sprecher aus verschiedenen Sprachgemeinschaften, die nicht schon über eine ausgeprägte Kontaktsprache (durch sekundäre Hybridisierung) verfugen, an die Sprache einer dominanten Sprachgemeinschaft anpassen, ohne jedoch mit dieser in häufigem und intensivem Kontakt zu stehen" (HPD 1975: 33). Die aus verschiedenen Gruppen mit unterschiedlichem sprachlichem Hintergrund bestehende dominierte Mehrheit verständigt sich - mit mehr oder weniger pidginisierten Varietäten - in der „aufgepfropften" Kontaktsprache mit der dominanten Minderheit. „Die Konventionen und Normen, die entstehen, sind entsprechend autonom und lassen eine durchaus eigenständige Sprachform entstehen, die für Sprecher der dominierten Sprachgemeinschaft nicht mehr ohne weiteres verständlich ist. Diese Situation kann, wenn die neue Sprachform genügend Prestige erhält, um die jeweiligen Ausgangssprachen der dominierten Gruppe zu verdrängen, zur Entwicklung eines Kreol führen. Das Kreol ist im Gegensatz zu dem durch tertiäre Hybridisierung entstandenen Pidgin eine neue Spezies, so daß der Hybridisierungszyklus von neuem ansetzen kann" (HPD: 33).

Hybridisierungen entstehen nach Whinnom durch ökologische Barrieren (soziale oder geographische Distanz) oder emotionale Barrieren (kulturelle Identität, positive oder negative Einstellungen gegenüber den Werten und Normen der anderen Gruppe). Whinnoms theoretische Skizze gibt zweifellos eine interessante Erklärung für Pidgins und ihr Entstehen. Damit ist jedoch nicht viel über ihre Eigenschaften gesagt. Unter Rückgriff auf einschlägige Arbeiten des Heidelberger Projektes beziehe ich 'Pidgin' auf eine Sprachform, die

239 1. „niemandes ersterlernte Sprache ist; 2. in speziellen Kontaktsituationen gesprochen wird; 3. eine ethnisch gemischte Sprachgemeinschaft voraussetzt; 4. Ergebnis ungesteuerter Lernprozesse alltäglicher Kommunikationsnotwendigkeiten ist; 5. in ihren inhaltlichen und thematischen Ausdrucksfiinktionen beschränkt ist; 6. bestimmte systematische Vereinfachungen in Morphologie, Syntax und Semantik aufweist und ein sehr begrenztes Lexikon umfaßt; 7. eigene Normen der Kommunikation entwickelt; 8. von eingeschränkter Lebensdauer ist, d.h. die Sprachform verschwindet, wenn die Kontaktsituation aufhört oder das Pidgin sich z.B. zu einer kreolischen Sprachform weiterentwickelt, die von Kindern als Erstsprache erworben wird; 9. von Angehörigen der unteren sozialen Schichten gesprochen wird, d.h. von solchen Mitgliedern einer Gesellschaft, die den niedrigsten sozialen Status haben und die geringste Bildung besitzen." (HPD 1975: Kapitel 1) 4.3.7.2 Kreolische Varietäten Es wird häufig hervorgehoben, daß man 'Pidgin-' und 'kreolische Sprachen' am ehesten durch den Terminus 'Lebenszyklus' gerecht wird. Ganz im Sinne Whinnoms können Pidgins entstehen und rasch wieder verschwinden (z.B. Tay B ö in Vietnam; ein deutschsprachiges Pidgin in Neu Guinea war nur in Ansätzen erkennbar) oder zu einer kreolischen Sprache ausgebaut werden, die wiederum zur Standardvarietät einer Gesellschaft ausgewählt werden kann. Diesen Zyklus hat Hymes (1971) als einen kontinuierlichen Sprachwandelprozeß beschrieben: Pidginisierung - » Pidgin —> Entpidginisierung —> Kreolisierung - » Kreol - » Entkreolisierung —> Standardisierung - » Standard. Jede neue Kategorie hat einen Input, der Output kann ein positiver oder negativer Zustand sein. Was unterscheidet eine kreolische von einer Pidgin-Sprache? Das wichtigste Kriterium ist wohl, daß kreolische Sprachen von Kindern als Muttersprache gelernt werden. Insgesamt gesehen sind sie 'stabiler' als PidginSprachen. Der Begriff (engl, „creole" und franz. „créole") geht, Valdman (1978: lOf.) zufolge, zurück auf port, crioulo oder criolo „passé au français par l'intermédiaire de l'espagnol et est dérivé vraisemblablement du participe passé criado du verbe criar (Latin creare) signifiant 'élève dans le foyer du maitre, domestique'. Dans les Amériques ce terme prit d'abord le sens d'enfant né aux colonies de parents européens. Son sens s'élargit pour se référer: Als charakteristische Züge kreolischer Sprache betrachtet Valdman die folgenden:

240 „Un créole est, dans un certain sens, l'opposé d'un pidgin et caractérisé par 1. la complication de la forme externe; 2. l'expansion de la forme interne; 3. l'expansion des domaines d'emploi. Comme c'est le cas pour un pidgin, toutefois, le développement d'un créole comprend l'interpénétration et la convergence de systèmes linguistiques" (1978: 11).

Eine Kreolsprache entsteht also, „wenn ein ursprünglich als Pidgin konstituiertes Verständigungssystem zur Muttersprache einer Gesellschaft wird" (Bauer 1987: 349). Diese Bestimmung mag im Rahmen dieses Buches genügen; für eine vertiefte Lektüre sei der Leser weiterverwiesen an Hymes (1971), DeCamp & Hancock (1974), Valdman (1977 und 1978), Highfield & Valdman (1977), Hellinger (1985) und Bauer (1987). 4.3.7.3 Lernervarietäten/'Interimlekte' Unter dem Begriff 'Lernervarietät' wird die erfolgreiche bzw. nichterfolgreiche Dynamik der Aneignung einer zweiten Sprache in verschiedenen Übergangsstadien von der Ausgangssprache bis hin zur Zielsprache verstanden. Sprecher mit einer bestimmten bereits erlernten Ausgangssprache, die eine andere Zielsprache erlernen, entwickeln sukzessive eine Kompetenz in der Zweitsprache; die Interlanguages, die bei der Erlernung der Zielsprache jeweils zur Verfugung stehen, nennt man 'Lernervarietäten'. Es handelt sich um Übergangssysteme, die durch spezifische, phonologische, morphologische, semantische, syntaktische und pragmatische Regeln ausgezeichnet sind. Solche Lernervarietäten (oder Interimlekte) haben mit Pidgin- und Kreolsprachen (vgl. 4.3.7.2) gemeinsam, daß ihre Sprecher über zeitliche Intervalle mehr oder weniger ausgebaute sprachliche und kommunikative Kompetenzen („Zwischensysteme") entwickeln, die einer großen Veränderungsdynamik unterliegen. Während Pidgin- und Kreolsprachen soziale Erscheinungen eines kollektiven, durch Sprachkontakt bedingten Lernprozesses darstellen, werden Lernervarietäten in der neueren Forschung sowohl als Soziolekte wie auch als Idiolekte untersucht, deren Dynamik relativ zu Motivation, sozialem Kontext und Sprachlernvermögen je nach Übergangsstadium einen unterschiedlichen Sprachstand ('Sprachbesitz') kennzeichnet. Eine Parallele zwischen Idiolekt und Lernervarietät (Lernerlekt) ist darin zu sehen, daß Lerner, z.B. erwachsene Zweitsprachenlerner, sich ihre zweite Sprache in mehr oder weniger großen Zeitspannen als Individuen mit besonderen Persönlichkeitsmerkmalen in Abhängigkeit vom sozialen Kontext erwerben. Abgesehen davon, daß es natürlich ein Unterschied ist,

241 welchen Sprachbesitz ein Sprecher in der Muttersprache und in der Zweitsprache aktualisieren kann (Unterschiede in der kommunikativen Kompetenz), gibt es in der Forschungspraxis viele Gemeinsamkeiten: Zur Verfugung stehende sprachliche Mittel werden über kommunikative Aufgaben beschrieben, dynamische Veränderungen über gewisse Zeitperioden müssen auf allen linguistischen Ebenen erfaßt werden. Die Fossilierung von Lernervarietäten ist ein bekanntes Phänomen. Man kann sie psycho- und neurolinguistisch an Idiolekten studieren, soziolinguistisch wird sie jedoch als Gruppenphänomen erfaßt. 95 % (oder mehr?) von Zweitspracherwerbsverläufen in der Geschichte der Menschheit verlief 'natürlich' - durch Akkusationsprozesse infolge von Eroberungen, Kolonialisierungen, Assimilationen etc. Sprachmischungen oder fossilierte Zweitsprachen stellen auch die Varietäten des Latein in Kontakt mit europäischen ethnischen Gruppen dar, die zu den romanischen Sprachen führten. Kurz: „Die Art und Weise, in welcher der Mensch Sprache verarbeitet, damit auch, wie er Erst- und Zweitsprachen lernt, hat sich über Hunderttausende, vielleicht Millionen von Jahren entwickelt, und zwar, soweit wir wissen, bis vor kurzem (d.h. bis vor ein paar Jahrtausenden), ohne systematischen Unterricht" (Klein 1984). Daß erwachsene Lerner auf einem bestimmten (meist den Normen der Zielsprache angenäherten) Niveau stehen bleiben (fossilieren), ist in der Regel dem Kontakt während der Arbeit und in der Freizeit geschuldet (vgl. Klein & Dittmar 1979). Soziolinguistisch von Bedeutung sind jene Interimlekte, die von Arbeitsmigranten über längere Zeiträume erworben werden (Migrantengruppen, die oft auch 'long residents' genannt werden). Je nach Kontaktmöglichkeiten entwickelt sich eine Pidginsprachen vergleichbare elementare Lernervarietät (auch Basilekt) genannt, eine den kreolischen Sprachen vergleichbare ausgebaute Varietät (Mesolekt) und eine zielsprachennahe Varietät (Akrolekt), die jeweils Folgen von Akkulturationsbedingungen sind (vgl. Heidelberger Forschungsprojekt HPD 1975, Schumann (1978, 1981)). Jene Kontaktvarietäten, die der Zielsprache (= Umgangssprache) relativ nahe kommen, aber in ihren linguistischen Abweichungen ethnisch und sozial markiert sind, können als Soziolekte betrachtet werden, die eine mehr oder weniger heterogene Gruppe repräsentieren. Da diese Varietäten aufgrund von Kontaktparametern erheblicher Dynamik unterliegen, ordnen wir sie eher unter 'Kontakt' als unter 'diastratisch' ein. Die zuständige soziolinguistische Subdisziplin wird als Migrationslinguistik bezeichnet - Zweitspracherwerb wird eher mit dem idiolektalen Lernschicksal des Individuums verbunden. Im folgenden einige kurze Anmerkungen zur Entwicklung des Begriffs Interlanguage. Es ist das Verdienst von Corder (1967), Nemser (1971) und Selinker (1972), die erfolglose, auf den Fremdsprachenunterricht fixierte kontrastive

242 Linguistik durch einen theoretischen Ansatz abgelöst zu haben, der eine systematische Beschreibung und Erklärung von Übergangsvarietäten im Zweitspracherwerbsprozeß ermöglicht. Corder (1967) unterschied 'Irrtümer' (errors) von 'Fehlern', indem er deutlich machte, daß diese 'Irrtümer' produktive und kreative Funktionen im Lernprozeß fur weitere zu erlernende Strukturen übernehmen. Corder plädierte für eine konzeptuelle Trennung von 'Irrtümern' und 'Fehlern'. Die Psycholinguistik des Zweitspracherwerbs habe es mit der Beschreibung und Erklärung von "errors" zu tun. Als Objektbereich des L 2 -Erwerbs schlägt Corder die "transitional competence" bzw. den "idiosyncratic dialect" vor (Corder 1967, 1971). Etwa zur gleichen Zeit schlug Nemser den Begriff "approximative systems" und Selinker den der "Interlanguage" vor. Für 'Interlanguage' prägte Raabe (1974) in der deutschsprachigen Literatur den Terminus 'Interimsprache'. Bausch und Kasper haben versucht, eine explizite Version der sogenannten Hypothese so zu formulieren: „Beim Erwerb einer zweiten Sprache bildet der Lerner ein spezifisches Sprachsystem (Interlanguage) heraus, das Züge von Grund- und Zweitsprache sowie eigenständige, von Grund- und Zweitsprache unabhängige sprachliche Merkmale aufweist. Das Zusammenwirken verschiedener lernerspezifischer Prozesse, Strategien und Regeln bestimmt die Dynamik der Interlanguage, die als variabel und systematisch zugleich charakterisiert werden kann." (1979: 15). Eine Ausarbeitung der 'Interlanguage-Hypothese' in expliziter Form liegt mit der Theorie der Lernervarietäten in Klein (1974) vor. Diese Theorie hat sich bei der Beschreibung breiter Datenkorpora bewährt (Klein & Dittmar 1979). Becker, Dittmar und Wildgen stellen den Grundgedanken dieser Theorie der Lernervarietäten vereinfacht so dar: „Man kann sich den Prozeß des Zweitspracherwerbs als ein Durchlaufen verschiedener sprachlicher Varietäten (V¡) in Richtung auf eine Zielvarietät (Vn) vorstellen - von den meisten Deutschen vermutlich als 'richtiges' Deutsch bewertet - die allerdings in der Regel von den Sprachlernern nicht erreicht wird. Die Varietäten, die untersucht werden sollen, werden mithilfe außersprachlicher Faktoren bestimmt, die für den Spracherwerbsprozeß von Bedeutung zu sein scheinen, wie Herkunft, Alter, Aufenthaltsdauer und andere. Unterscheidet man z.B. bei der Herkunft Spanier und Italiener, beim Alter zwei Gruppen und bei der Aufenthaltsdauer vier Gruppen (2, 4, 6 und 10 Jahre), so erhält man 2x2x4 = 16 Varietäten Den Varietäten entspricht eine Menge von Äußerungen, die durch eine Grammatik zugeordnet werden, die man Übergangsgrammatik nennen kann. Diese Grammatiken werden nun folgendermaßen aufeinander bezogen: Man bildet die Vereinigung aller Regeln, die zur Beschreibung jeder einzelnen Varietät erforderlich sind, so daß man eine übergeordnete Bezugsgrammatik erhält. Nun gibt man für jede Varietät die Wahrscheinlichkeit an, mit der die Regeln der Bezugsgrammatik in dieser Varietät vorkommen.... Jeder Varietät entspricht also eine probabilistisch bewertete Grammatik bzw. eine Bewertung der Bezugsgrammatik" (Heidelberger Forschungsprojekt 'Pidgin-Deutsch' (= HPD) 1975: 44).

243 Die soziolinguistische Untersuchung von Lernervarietäten bezog sich in den letzten Jahren vor allem auf die Erlernung einer zweiten Sprache durch Migranten (ausländische Arbeiter und ihre Familien). Die Forschung konzentrierte sich dabei auf verschiedene Strategien (Übergeneralisierung, Transfer aus der Ausgangssprache, Reduktions- und Vermeidungsstrategien, Kodewechsel der Zweitspracherlernung, vgl. fur eine Übersicht Klein 1984). Darüber hinaus hat man versucht, die Fossilierung des Lernprozesses (Lernstillstand) in psycholinguistischen und soziolinguistischen Termini zu erfassen (vgl. Dittmar 1995b). 'Lernervarietäten' als Schnittstelle zwischen 'individuellem und 'Soziolekt'

Repertoire'

Die Beschreibung von individuellem Repertoire und Lernervarietäten ist durch die Dimension Sprecher mit personaler Identität festgelegt. Gemeinsamer Gegenstand ist der (mehr oder weniger stark) sich verändernde Sprachstand relativ zu Interaktionspartnern, sozialen Kontexten, Situationen, Rollen und Themen. In der jeweiligen Untersuchungsperspektive muttersprachliche vs. zweitsprachliche Kompetenz sind die sprachlichen und nicht-sprachlichen Äußerungsvorkommen von Individuen im Rahmen ihrer Einheit als Personen zu dokumentieren. Dabei ist die umfassende Dokumentation prototypischer Fälle erkenntnisleitendes Interesse, das davon ausgeht, die Vielfalt im Einzelfall finden und den so beschriebenen Einzelfall in eine zu erstellende Varietätentypologie einordnen zu können. Die sogenannte Gastarbeitersprache gibt hierfür ein gutes Beispiel: Die im Heidelberger Forschungsprojekt 'Pidgin-Deutsch' (1975) untersuchten Lerner sind Individuen und wurden auch als solche beschrieben (Lernervarietäten, Interimlekte). Mithilfe der Implikationsskalenanalyse, mit der der unterschiedliche Sprachstand von Sprechern erfaßt werden kann, konnte Dittmar (1980) zeigen, daß 22 Sprecher von insgesamt 48 untersuchten Zweitspracherwerbern im Deutschen einen Akrolekt (zielsprachennahes Niveau) erreichten, 16 einen Mesolekt (ausgebaute Varietäten, mittleres Niveau) und 10 Sprecher über einen sogenannten Basilekt (elementares Niveau) verfugten. Diesen Niveaus konnten soziale Merkmale zugeordnet werden. Es zeigte sich, daß die sogenannte Gastarbeitersprache als gruppenspezifische Lernerlekte im soziolinguistischen Sinne anhand linguistischer und soziologischer Kriterien isoliert werden konnte.132

132

Der Gastarbeitersprache entsprechen linguistische Merkmale des Basilekts und des Mesolekts sowie, auf der soziologischen Ebene, spezifische Bedingungen der Akkulturation (vgl. die Akkulturationstheorie von Schumann (1978). Von idiolektalen oder interimlektalen Grammatiken kann man also durchaus zu Gruppengrammatiken kommen.

244 Abschließend sei auf ein methodisches Problem aufmerksam gemacht. Die Dynamik in Erwerbsprozessen oder besonderen Lernkontaktsituationen ist in der Regel so groß, daß man über kleinere Zeiträume bedeutende Entwicklungen und Veränderungen machen kann (was für den Sprachwandel von Einzelsprachen nicht möglich ist). Veränderungen bei Idiolekten oder bei Sprachen in Sprachgemeinschaften über die Jahrhunderte zu beobachten, ist wesentlich aufwendiger und verlangt großräumigere Schnitte als bei der Untersuchung von Erwerbsverläufen. Nehmen wir das Beispiel des Erwachsenen zwischen 20 und 50 Jahren. Veränderungen im Idiolekt sind von feiner Granularität (feinkörnige sprachliche Indikatoren, vgl. Habel: 1991). Die Veränderungen in Erwerbsprozessen weisen dagegen hohe Granularität (auffällige grobkörnige Strukturen) auf. Um die feinen Unterschiede erfassen zu können, ist es daher z.B. notwendig, Zeitintervalle relativ groß zu fassen (z.B. Dokumentationen über Fünfjahresperioden). Es bleibt festzuhalten, daß die in der Erforschung des Zweitspracherwerbs und der Zweisprachigkeit genutzten Methoden eine reiches Methodeninventar für dialektale Untersuchungen bieten. In beiden Fällen handelt es sich um Untersuchungen zum Sprachstand von Personen. So wie man Lernervarietäten mehr psycholinguistisch oder eher soziolinguistisch untersuchen kann, kann man auch bei Idiolekten deutliche soziolinguistische Schwerpunkte setzen.

4.4

Ausblick: Das Problem der Abgrenzung und Ordnung von Varietäten

Die Frage, wie Varietäten intensional und extensional bestimmt werden können, und in welcher Beziehung sie zueinander stehen, erfreut sich zunehmend theoretischer Aufmerksamkeit; Lösungen wird es jedoch nur bei einer engen Verzahnung von Theorie und empirischen Untersuchungen geben. Drei Vorgehensweisen können zum Fortschritt beitragen: 1. Sichten des vorhandenen empirischen Materials (Varietätenbeschreibungen) in der Absicht, linguistische Ähnlichkeiten und Unterschiede festzustellen (Vergleich von Varietätengrammatiken). 2. Funktionsbestimmung von Varietäten anhand der für ihre Ausgrenzung wesentlichen Faktoren in der Reihenfolge ihrer Wirkung (Rangskala). Solche Funküonsbestimmungen müssen empirisch validiert werden. 3. Theorie sprachlicher Variation auf axiomatischer Grundlage (Lieb 1993); eine solche Theorie wäre empirisch zu prüfen.

Eine Differenzierung und Abgrenzung von Varietäten aufgrund nur innerlinguistischer Merkmale ist zum Scheitern verurteilt: Alternativen, das gleiche zu sagen, oder verschiedene Wege der Bedeutungsorganisation lassen

245 sich sinnvoll nur durch die Berücksichtigung außersprachlicher Parameter erfassen. So sollte z.B. die Syntax der gesprochenen deutschen Alltagssprache durch die Zusatzspezifikation ergänzt werden: differenziert nach diaphasischen, diastratischen oder diatopischen Gesichtspunkten. Nehmen wir einmal an, ein Linguist schreibt auf der Grundlage von in einem TanteEmma-Laden erhobenen Daten gesprochener Sprache eine Syntax mit dem Anspruch „Syntax des gesprochenen Deutsch". Möglicherweise (und dafür gibt es Beispiele) ist die Syntax von Äußerungen aufgrund der hohen Routiniertheit und des hohen Anteil gemeinsam geteilten Wissens zwischen Verkäufern und Kunden, die sich seit vielen Jahren kennen, stark elliptisch und oberflächenreduziert. Die aufgrund spezifischer Merkmale des sozialen Kontextes geltenden Beschränkungen sollten in Varietätenbegriffen präzisiert werden. Solche Präzisierungen würden schließlich dazu beitragen, jenen Teil der Regeln des gesprochenen Deutsch zu isolieren, der für viele Deutsche in durchschnittlichen sozialen Kontexten gilt (Ansatz, um die Umgangssprache zu erfassen). Mit den folgenden Stichworten werden Probleme der Varietätenlinguistik thematisiert, fur die es Perspektiven zu erarbeiten gilt. Umfang Die Frage, wie viele Varietäten es gibt, ist nach oben offen. Sie hängt im wesentlichen von der Entwicklung der Gesellschaft ab. Zu erwarten wäre in den nächsten 50 Jahren die Entwicklung einer Behindertenvarietät, einer PC-Verkehrssprache (Mischung aus schriftlich und mündlich) oder einer „gay"-Sprache (bei Jean Genet in Ansätzen schon vorhanden). Gerade weil bestimmte Varietäten verschwinden und neue aufkommen können, ist aus funktionalistischen Gründen die Unterteilung in diatopische, diastratische und diaphasische Varietäten sinnvoll. Beispielsweise könnte die räumliche Dimension mehr und mehr durch soziale und andere Aspekte ersetzt werden bzw. sich von einer zunächst stark varietätengliedernden Funktion in eine Mischfunktion (der Faktor Raum kommt als gliedernder Faktor nicht mehr alleine vor) entwickeln. Es liegt nahe, zunächst an der Theorie einer Varietät zu arbeiten, die besonders gut empirisch belegt ist. Dies trifft für Dialekt zu, obwohl sich heutzutage herausstellt, daß die meisten vor langer Zeit erhobenen Daten nicht mehr valide sind, um eine Dialekttheorie darauf zu gründen (vgl. Mattheier & Wiesinger 1994). Präferenz gilt also den empirisch besonders gut dokumentierten Varietäten vor den eher wenig bearbeiteten Varietäten (vgl. jedoch unsere Ausführungen zu Idiolekt weiter unten).

246 Soziopolitische Relevanz Sollen Varietäten, an denen sich gesellschaftliche Konflikte kristallisieren, vordringlich bearbeitet werden? Wie die Geschichte der Soziolinguistik zeigt, ist dies eine naive Frage. Schichtenspezifische Unterschiede wurden in den 60er und 70er Jahren untersucht, weil sie der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit unterlagen und das Problem soziopolitisch relevant war. Daß die Schichtenspezifik von dem geschlechtsspezifischen Wertekonflikt so rasch abgelöst wurde, ist dem Umstand geschuldet, daß sich der sozialpolitische Fokus verschoben hat. Für beide Fälle ist zu sagen: Die Aktualität setzt große intellektuelle Ressourcen frei, die zu teilweise erstaunlichen Ergebnissen in kurzer Zeit fuhren. Aus Wertekonflikten entstehende soziolinguistische Forschungen sind somit ein wichtiger Motor der Disziplin. Das heißt aber auch, daß die Forschung offenbar partiell von gesellschaftspolitischen Interessen abhängt - wenn es also aus forschungslogischen Gründen geraten wäre, die Varietät einer Elitegruppe oder „der obersten Fünftausend" einer Gesellschaft zu untersuchen, würden sich für eine solche Forschung vielleicht keine Gelder finden. Andererseits ist den sogenannten wissenschaflichen „Moden" eine deutliche Absage zu erteilen. Daß der Untersuchung der Schichtenspezifik des Sprachgebrauchs erhebliche Förderung zukam, der Fortgang der Untersuchungen dann aber abrupt abgeblockt wurde, wirkt sich auf die Kontinuität einer Disziplin sehr schlecht aus. Hier sollte mehr auf Kontinuität geachtet werden. Festlegung/Abgrenzung von Varietäten Dialekträume lassen sich immerhin noch deutlich durch morphophonologische, syntaktische und lexikalische Eigenschaften abgrenzen. Allerdings gibt es Überlappungen zum diastratischen Varietätengebrauch. Die rein systemische Abgrenzung kommt ohne Berücksichtigung von statistisch fundierten Gebrauchstendenzen nicht aus. Daß in einer Varietät bestimmte Regeln mehr als in einer anderen gebraucht werden, unterliegt ab einer bestimmten Schwelle des Vorkommens der Aufmerksamkeit. Am leichtesten sind zur Zeit die Abgrenzungen zwischen Standard und Dialekt (trotz der relativ breiten Zwischenschicht Umgangssprache). Es bleibt ein Desiderat der Forschung, die Korrelation zwischen betroffener sprachlicher Ebene und Typ der Varietät genauer zu erfassen. Die RegisterVarietät ist sicher mehr durch pragmatisch beeinflußte Regularitäten konstituiert als die dialektale. Die Sondersprachen wie Jargon sind offenbar stark durch Wortbildung und Lexikon markiert. Man kann das Problem auch so fassen: Auf welchen Ebenen drückt sich in welchem Maße und in welchen Formen diatopische, diastratische oder diaphasische Markiertheit aus?

247 In jedem Falle ist eine Hierarchie der Varietäten anzunehmen: Diastratische Markierungen finden sich relational zu Sozio- oder Dialekten (aber nicht umgekehrt). Standard ist aufgrund der Reichweite und der logischen Priorität allen Varietäten übergeordnet. Allerdings gestaltet sich die Abgrenzung von jugendlichen und geschlechtsspezifischen Varietäten als problematisch. Die soziolektalen Ausprägungen der Jugendsprache operieren auf der Folie diatopischer Verhältnisse; diatopische und diastratische Aspekte sind ineinander verschränkt (Ehmann 1992). Bei geschlechtsspezifischen Varietäten konnten bisher keine distinktiven Merkmale isoliert werden: Die Unterschiede sind Tendenzen im Gebrauch phonologischer Varianten (vgl. die Arbeiten von Labov & Trudgill). Andererseits wurden viele Unterschiede auf pragmatischer Ebene herausgearbeitet, ohne daß jedoch ersichtlich wäre, daß diese Systemstatus haben. Mit anderen Worten: Es handelt sich offenbar eher um 'Stile'. Ordnung von Varietäten Hier sind mehrere Szenarien möglich. 1. Variablen ersetzen die Ordnung Die außersprachlichen Faktoren, die Variation bedingen (Geschlecht, Alter, Schicht etc.) sind qualitativ so verschieden, daß eine Gewichtung nach Dimensionen oder Faktorenbündeln nicht sinnvoll erscheint. Wenn man sich die Sprache als einen monolitischen Block vorstellt, dann stellen die Varietäten darin verschieden große Segmente oder Teildomänen dar. Die Variation wird als multidimensional aufgefaßt. Diese Sicht hat den Vorteil, daß Vorkommenswahrscheinlichkeiten zwischen 0 und 1 auf den Anteil verschiedener Variablen an diesem Gebrauch untersucht werden können. Geht man allerdings davon aus, daß Varietäten von Sprechern produziert und wahrgenommen werden, ist langfristig für die Variationsforschung wenig Qualität gewonnen. 2. Individuelles Repertoire als 'Nabel' der Variationsforschung Das individuelle Repertoire (Idiolekt), bisher sträflich vernachlässigt, wird zum Angelpunkt der Variationsforschung gemacht. In Längsschnittuntersuchungen werden Profile diatopischen, diastratischen und diaphasischen Sprachgebrauchs in der Tradition der Ethnographie erstellt. Dabei wird sorgfältig auf die Gruppenwerte/-orientierungen des Individuums geachtet. Eine Vielzahl von Einzelstudien ermöglicht dann die Erstellung eines dreidimensionalen diatopischen, diastratischen und diaphasischen Idiolektprofils relativ zu verschiedenen Altersstufen. Indem Prototypen auf niederen und höheren Ebenen zu Gruppen zusammengefaßt werden, ergeben sich auch tiefere soziolinguistische Einsichten.

248 In der Heuristik ist Idiolekt gegenüber den anderen Varietäten insofern als „axiomatischer Nullpunkt" (Sockel) ausgezeichnet, als (a) alle unsere Kenntnisse über Variation aus der Erhebung von Individuen stammen, (b) Sprachwandel letztlich immer von einem einzelnen ausgeht (vgl. die Theorie der unsichtbaren Hand von Keller 1982), (c) jedes Individuum in der Regel sprachliche Varietäten diastratisch, diatopisch und diaphasisch markiert, also Ort der gleichzeitigen Verwendung von Variation ist. Dieser letzte Gesichtspunkt, nämlich das 'Nebeneinanderverwenden' von Varietäten, ist bisher gänzlich unbeachtet geblieben; an den Individuen wird immer ein isoliertes Segment des individuellen Gesamtblocks Variation erhoben; dadurch entsteht, was das Individuum betrifft, ein schiefes Bild seines Gebrauchs im Verhältnis zu anderen Varietäten. Soweit ich sehe, hat Lieb (1993) die historische und origospezifische Rolle des Idiolekts fur die Variationstheorie hervorgehoben. Wollte man den hier vorgetragenen Überlegungen folgen, würde dies eine soziolinguistische Grundlagenforschung erfordern, die mit bisher verfolgten Forschungsstrategien brechen und ein neues Paradigma zu schaffen hätte. 3. Das Konzept der Gruppengrammatiken Die Vorgabe 'Varietät X' zieht das Validitätskriterium 'Informant A liegt im Geltungsbereich der Varietät X' nach sich. Dieses Vorgehen erfordert eine Reihe von Vorentscheidungen. Nach gewissen Gültigkeitskriterien kann man Individuen zusammenstellen, deren Varietät als „Gruppengrammatik" interpretiert werden kann (vgl. verschiedene Arbeiten von Labov). Die sogenannte Netzwerkanalyse hat dem Problem dadurch Abhilfe geschaffen, daß Sprecher über einen gewissen Bekanntheits- und Vertrautheitsgrad miteinander eine mehr oder weniger natürliche Gruppe bilden. Hier sind erhebliche Unterschiede zwischen Insidern und Outsidern manifest. Gruppengrammatiken haben folgende Voraussetzungen zu beachten: Es sollten natürliche Gruppen sein, deren Sprachverhalten über teilnehmende Beobachtung in Längsschnittstudien beschrieben werden sollte. Dies geschieht bei den meisten vorliegenden Varietätenbeschreibungen nicht: Die Sprecher werden über das Konstrukt 'Varietät' zu einer Art Gruppe gebündelt. Dieses Verfahren genügt zumindest nicht Natürlichkeitsprinzipien. 4. Hierarchisches Ordnungsprinzip Man kann wie Bynon (1977) einen Stammbaum der Sprachen Englisch, Deutsch, Französisch und Walisisch nach Familienähnlichkeiten aufstellen. Lassen sich derartige lineare Stammbäume auf die Soziolinguistik übertragen? Eine solche lineare, hierarchische Anordnung muß fehlschlagen, da (z.B.) Dialekte, Soziolekte und Register segmentale Überlappungen aufweisen. 'Reichweite', auf Sprecher oder Räume bezogen, ist auch kein hin-

249 reichend explizites Kriterium. Es ist ein Desiderat der Forschung, empirische Voraussetzungen einer Varietätenarchitektur zu erarbeiten. Hierzu gehört es, die Polyfunktionalität einer jeden Varietät durch die sie konstituierenden soziolinguistischen Segmente zu spezifizieren. 'Varietäten' wären dann als polyfunktionale, soziolinguistisch segmentierte sprachliche Existenzformen zu erfassen. Ein Zweig der varietätenlinguistischen Forschung gilt dem Substandard, den sich überlappenden diatopischen, diastratischen und diaphasischen Varietäten unterhalb des Standards, der in seiner langfristigen historischen Normierung sich von den weniger normierten (aber in welchem Maße?) Varietäten, die hier dem Substandard zugeordnet werden, unterscheidet. „Der sprachliche Substandardbegriff ist eng gekoppelt an die Normausprägung einer Einzelsprache, er wird oftmals nur von einer Normvorgabe her verständlich" (Holtus & Radtke 1990:X). Im Rahmen der Substandardforschung stellt Albrecht (1990: 60) fest: „Diatopische Ausprägungen einer Einzelsprache können auch als diastratische und/oder diaphasische fungieren, diastratische als diaphasische, aber nicht umgekehrt. Nun besteht zwischen den beiden ersten und der dritten Dimension der Variation ein bedeutsamer Unterschied: Man spricht die Dialekte und/oder die Soziolekte, die man, kraft Zugehörigkeit zu einer Gruppe, gelernt hat, man wählt den geeigneten 'Sprachstil' mehr oder weniger bewußt in Abhängigkeit von den Umständen des Sprechens." Hier werden Versuche gemacht, Relationen zwischen den Varietäten zu formulieren. Diese Forschung ist ganz am Anfang; sie sollte sich verstärkt der Frage widmen, wie Ordnungsrelationen zwischen den Dimension der Variation und den einzelnen Varietäten nach linguistischen und außersprachlichen Kriterien formuliert werden können.

4.5 Arbeitsaufgaben 1. Grenzen Sie den Begriff 'Varietät' von dem Begriff 'Sprache' ab. Welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit ein bestimmtes Sprachverhalten 'Varietät' genannt werden kann? 2. Welche Rolle spielt der Begriff 'Varietätenraum' für die Ausgrenzung/Isolierung von Varietäten? Kann man 'Varietätenraum' mit 'Sprache' L gleichsetzen? Diskutieren Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede! 3. Eine zentrale theoretische Frage der Soziolinguistik besteht darin, eine 'Architektur der Varietäten' wissenschaftlich zu begründen. Welche Ordnungsdimensionen bieten sich für eine solche Architektur an? Welche Vorteile hat eine hierarchische Ordnung der Varietäten nach außersprachlichen Dimensionen (welche?) und welche Probleme sind mit einer solchen Ordnung verbunden? Gibt es zwischen den in 4.1 genannten sechs Ordnungsdimensionen Interrelationen? Machen Sie ein soziolin-

250 guistisches Gedankenexperiment·. Welche theoretischen Konsequenzen hätte es, wenn außersprachliche Parameter nicht in Begriffen von Ordnungsdimensionen, sondern von einzelnen Variablen formuliert wären. 4. Welche Bedeutung hat der Begriff 'Idiolekt' fur die soziolinguistische Theorie und Beschreibung? Begründen Sie, warum das individuelle Sprachrepertoire (Idiolekt) grundlegend für jede Varietätenbeschreibung ist. Sollen die Soziolinguisten idiolektale oder gruppenspezifische Grammatiken schreiben? Diskutieren Sie die Frage möglichst anhand von Beispielen! 5. Ammon hat eine Explizitdefinition von Dialekt vorgelegt (4.3.2). Diskutieren Sie die Angemessenheit dieser Diskussion auf der Folie der durch die Dialektologie zur Verfügung gestellten empirischen Bestimmungselemente für eine Definition des Dialekts. Welche Relation besteht zwischen 'Dialekt' und 'Standard'? Was ist der Unterschied zwischen 'Binnendialekten' und 'Außendialekten'? In Barbour und Stevenson (1990: 76) finden Sie eine Einteilung der deutschen Dialekte nach Regionen. Nach welchen Kriterien wird eine solche Einteilung vorgenommen? Geben Sie linguistische Beispiele für Kriterien der Abgrenzung dialektaler Varietäten und problematisieren Sie die auf der Grundlage der genannten linguistischen Kriterien vorgenommenen Abgrenzungen. 6. Was unterscheidet Dialekt und Soziolekt? Welche Argumente lassen sich für eine Begrenzung des Soziolekts auf schichtenspezifisches Sprachverhalten anfuhren? Welche Argumente lassen sich gegen eine solche Beschränkung anführen, wenn wir beispielsweise die soziale Funktion von Sondersprachen, geschlechts- und altersspezifischem Sprachverhalten berücksichtigen? Problematisieren Sie die Einordnung von Sondersprachen sowie geschlechts- und altersspezifischem Sprachverhalten in die diaphasische Dimension (Register vs. Stile). Welche Gesichtspunkte würden eine Einordnung geschlechts- und altersspezifischen Sprachverhaltens in die diastratische Dimension rechtfertigen? Diskutieren Sie den Unterschied zwischen situativen Sprachgebrauchsmerkmalen und gruppenspezifischen Determinanten von Sprachverhalten am Beispiel von Sondersprachen. 7. Welcher (theoretische wie empirische) grundlegende Unterschied besteht zwischen 'Standard' auf der einen und ¿¡atopischen, diastratischen und diaphasischen Varietäten auf der anderen Seite, wenn der Sprachgebrauch in konkreten sozialen Situationen und die Normgebundenheit der Sprachverwendung berücksichtigt wird? Nach welchen Kriterien definieren wir 'Standard' im Unterschied zu anderen Varietäten einer Einzelsprache? Welche Rolle spielt 'Standard' für die Definition von Varietäten einer Einzelsprache? 8. Nehmen wir an, Sie möchten eine weitere europäische Sprache als Zweitsprache erwerben. Sollte die Erlernung einer zweiten Sprache am Standard oder an den gesprochenen Varietäten dieser Einzelsprache orientiert sein? Diskutieren Sie die Vorund Nachteile, die Standardvarietät vs. regionale/soziale Varietäten zur Zielsprache ihrer Lernbemühungen zu machen. 9. Mit Blick auf die Bundesrepublik, Österreich und die Schweiz wird das Deutsche auch als polyzentrische Sprache bezeichnet. Was ist der Unterschied zwischen öster-

251 reichischem, schweizerdeutschem und bundesrepublikanischem Standarddeutsch? Konsultieren Sie zur Beantwortung dieser Frage Ammon 1995. 10. Diskutieren Sie die Möglichkeit, 'Umgangssprache' nach geographischen und sozialen Gesichtspunkten zu bestimmen. Welche Dimension ist Ihrer Meinung nach wichtiger: die horizontale (räumliche) oder die vertikale (soziale)? Welcher Unterschied besteht zwischen den Begriffen 'Umgangssprache' und 'Substandard'? Nennen Sie einige überregionale sprechsprachliche Merkmale des Substandard (s. 4.3.4.3). 11. Erläutern Sie am Beispiel ausgewählter sprachlicher Tätigkeiten den diaphasischen Begriff 'Register'. Erläutern Sie am Beispiel des Registers 'Fußballspielen' (Beteiligte: zwei Mannschaften) den Unterschied zu den Begriffen 'Dialekt', 'Soziolekt', 'Stil', 'Sondersprache'. Greifen Sie auf die in Kapitel 1 angeführte Diskurspassage aus einer Unterrichtsstunde für Cello zur linguistischen Charakterisierung von 'Register' zurück. 12. In welchem Sinne kann der Begriff 'Fremdenregister' mit der traditionellen Hallidaysehen Konzeption von 'Register' in Verbindung gebracht werden? Welche Ähnlichkeiten und Unterschiede bestehen zwischen dem Register 'Fußballspielen' und dem 'Fremdenregister'? Geben Sie Beispiele für Äußerungen im Fremdenregister und führen Sie linguistische Merkmale eines solchen Registers an. 13. Jugendsprache sowie Frauen- vs. Männersprache sind besonders aktuelle Forschungsgegenstände der modernen Soziolinguistik. Diskutieren Sie anhand von linguistischen Merkmalen jugend- bzw. geschlechtsspezifischen Sprachverhaltens, ob es sich hierbei um 'Varietäten' oder 'Stile' handelt. Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit die Anwendung des Begriffs 'Varietät' gerechtfertigt ist? Welche linguistischen Argumente (Grammatik vs. Pragmatik) sprechen für eine Einordnung unter 'Stile'? 14. Erläutern Sie (anhand von Beispielen aus dem Deutschen) den Unterschied zwischen 'Lernervarietäten' auf der einen und 'Pidgin' und 'Kreol' auf der anderen Seite. In der Bundesrepublik wurde in den siebziger Jahren intensiv diskutiert, ob die elementaren Varietäten von Gastarbeitern 'pidginisierte' Varietäten genannt werden können. Diskutieren Sie diese Frage im Lichte der Theorie von Whinnom. Berücksichtigen Sie die Positionen des Heidelberger Forschungsprojektes (1975) und die von Meisel (1980). 15. Welche Perspektiven scheinen Ihnen für die Architektur von Varietäten erfolgversprechend? Diskutieren Sie Probleme einer architektonischen Ordnung von Varietäten und versuchen Sie, Lösungswege zu skizzieren.

5 Soziolinguistische Regeln

5.1 Problemfeld Wie schwierig es ist, Alltagssprachverhalten regelhaft zu beschreiben, soll zunächst an Beispielen aus dem Deutschen diskutiert werden. Dabei kommen allgemeine sprachwissenschaftliche Beschreibungsprobleme in den Blick. Im Alltag scheinen wir oft ziemlich genau zu wissen, was 'Deutsch' ist. Wir scheiden zwar 'gutes' und 'schlechtes' Deutsch voneinander - relativ zu der 'deutschen Grundsprache', in der wir sozialisiert sind, aber wir haben eine Intuition für die 'Randzonen', für die 'Deutsch' vs. 'NichtDeutsch' gelten. Als Soziolinguisten wollen wir genauer bestimmen, wer wie Deutsch spricht mit wem und unter welchen sozialen Umständen und Konsequenzen (Vgl. Kapitel 2). Sobald wir jedoch nach präzisen wissenschaftlichen Kriterien suchen, begegnen wir nahezu unüberwindlichen Schwierigkeiten, Eigenschaften des 'Deutschen' linguistisch und soziologisch zu definieren. Erste Überlegungen führen uns zu vier sprachlichen und außersprachlichen Möglichkeiten, Sprecher und sprachliche Varietäten als 'Deutsch' zu klassifizieren: (a) (b) (c) (d)

das das das das

Nationalitäts- und Staatsangehörigkeitsprinzip Territorialprinzip Abstämmlings- und Erwerbsprinzip Sprachstandsprofil

Nach (a) würden wir erwarten, daß Staatsangehörige der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz sowie von Österreich und Liechtenstein Deutsch als Grundsprache133 sprechen. Das Kriterium 'Nationalität' ist einfach. Sicher würde es die überwiegende Anzahl der Fälle korrekt erfassen. Für eine soziolinguistische Beschreibung ist es jedoch nicht akzeptabel, weil (u.a.) 133

Mit 'Grundsprache' meine ich die ersterlernte Sprache einer/s Sprecher/s/in, mit deren kompetentem soziokulturellem Gebrauch er/sie sich identifiziert. Zur Bezeichnung dieses Sachverhalts ziehe ich den Begriff 'Grundsprache' dem der 'Muttersprache' vor, weil letzterer (i) durch die mit ihm verbundene Nazi-Ideologie belastet ist (ii) zu objektiven Bestimmungskriterien 'quer' liegt: er bezieht sich weder hinreichend auf Erwerbsstadien noch auf eine operationalisierbare objektive Bestimmung des Sprachstandes (der Kompetenz); daß die Kompetenz für eine Sprache nicht weitgehend angeboren ist, haben empirische und neurolinguistische Untersuchungen zur Zwei- und Mehrsprachigkeit gezeigt (vgl. auch Dietrich 1988).

254 • •

• •

Sprecher mit Schweizer Nationalität auch Französisch, Italienisch oder Rätoromanisch als erste Sprache sprechen in der BRD z.B. sogenannte 'Volksdeutsche' aus Polen oder Rußland leben, die einen deutschen Paß haben, aber Deutsch nur unvollständig als zweite Sprache beherrschen viele Sprecher mit Deutsch als Grundsprache als Angehörige anderer Staaten im Ausland leben Immigranten in den deutschsprachigen Ländern leben, deren Grundsprache Deutsch ist, die aber keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.

Dennoch wird dieses Kriterium häufig zum sogenannten 'Sprachzensus' verwendet (vgl. auch Fasold 1984, Kapitel 5). Nach dem Territorialprinzip (in der Schweiz als sprachliche Rechtsgrundlage festgeschrieben) würde man einen geographischen Raum A als 'Deutsch' bestimmen und zu einer regionalen Bestimmung von Deutsch kommen. Auch dieses Raster ist vage, denn die regionale und soziale Mobilität von Sprechern ist heute so groß, daß wir nahezu in jedem Territorium vielschichtige zwei- und mehrsprachige Verhältnisse vorfinden - von den Minderheiten mit Deutsch als Erstsprache in Ländern wie Ungarn, Brasilien, Argentinien oder der Sowjetunion einmal ganz abgesehen: Cuius regio, eius lingua trifft also heute nicht mehr zu. Nun könnten wir vielleicht unter Rückgriff auf (c) Sprecher des Deutschen mit größerer Genauigkeit als solche bestimmen, die von deutschen Eltern abstammen oder Deutsch in den ersten fünf Jahren ihres Lebens erworben haben. Die länderspezifischen Gebietsregelungen sowie massive Migrationsbewegungen nach dem zweiten Weltkrieg fuhren jedoch auch hier in die Sackgasse. Viele Deutschstämmige, die z.B. in Polen aufgewachsen sind (diese Gruppe dient hier nur als ein Beispiel unter vielen), sprechen Deutsch nicht mehr oder noch nicht wieder als erste Sprache. Der Schluß von den Eltern auf die Kinder fuhrt also hier in die Irre. Geeignet scheint demgegenüber das Kriterium 'Erlernen des Deutschen in der frühen Kindheit' zu sein. Aber auch diesem Kriterium gegenüber sind Vorbehalte anzumelden. Eine zunehmende unter Migrationsverhältnissen lebende Anzahl von Kindern wächst beispielsweise mit Türkisch als erster Sprache in den ersten fünf Lebensjahren auf und macht dann erklärtermaßen während der Schuljahre in der deutschen Schule 'Deutsch' zu ihrer bevorzugten 'Grundsprache'. Die Erwerbschronologie ist also kein sicherer Faktor zur Bestimmung der Grundsprache eines Sprechers. Gerade die zuletzt angestellten Überlegungen führen zu dem naheliegenden Schluß, •



den Sprachstand im Deutschen zur Bestimmung der Grundsprachenkompetenz zu messen (nach welchen objektiven Kriterien formulieren wir aber 'regelhaftes Verhalten'?); das sprachliche und soziokulturelle Zugehörigkeitsurteil der Sprecher heranzuziehen (subjektives Kriterium).

255 Nur mithilfe dieser beiden Kriterien dürfte sich die Bestimmung der Grundsprache von Sprechern valide bestimmen lassen. Das 'subjektive' Kriterium ist notwendig, weil die Wahl der Grundsprache und die Zugehörigkeit zu einem Sprachraum zu den Grundrechten von Sprechern gezählt werden muß (man denke daran, daß viele Juden nach dem zweiten Weltkrieg Deutsch als ihre Grundsprache vollkommen aufgegeben und sich mit einer anderen Sprache, die die erste ersetzt hat, identifiziert haben). Ob diese Grundsprachenwahl dann von der Sprachgemeinschaft akzeptiert wird, hängt natürlich von der normgerechten, „objektiven" Beherrschung der gewählten Zielsprache ab (vgl. das Problem der Schlesier nach dem zweiten Weltkrieg und der Rußlanddeutschen zur Zeit in verschiedenen Bundesländern; was die Einwanderer für 'Grunddeutsch' halten, kann in ihrem Aufenthaltsgebiet als 'Deutsch als Fremdsprache' gelten). Damit bin ich bei dem von (a) bis (c) so unterschiedlichen, sprachspezifischen Kriterium (d) angelangt. Was Deutsch ist und wer Deutsch kompetent spricht, können wir von der Ermittlung eines Sprachstandsproflles abhängig machen. Um das Problem nicht unnötig zu komplizieren, befasse ich mich im folgenden nicht mit geschriebenen Texten des Deutschen in synchroner oder diachroner Perspektive134, sondern lediglich mit dem gesprochenen Deutsch in der Gegenwart. Man kann zunächst mal das, was als 'Deutsch' gelten soll, mit den 'Normen' einer Grammatik gleichsetzen (z.B. Heidolph, Fläming & Mötsch 1981, Eisenberg 1986; Duden 1984; Heibig & Buscha 1986 etc.). In der Tat geben Grammatiken die Regeln des Deutschen für die Schriftsprache oder die gemeinhin geteilte Umgangssprache (= gemäßigte Standardsprache) wieder. Wenn wir nur solche Sprecher als 'Deutsch sprechende' einstufen, die in ihrem Sprachgebrauch den Regeln des DUDEN folgen, würde eine große Anzahl von Sprechern durch das 'Sieb' fallen, weil sie Varietäten (= regelhaft mit dem sozialen Kontext variierende kommunikative Spielarten) des Deutschen sprechen, die man, gemessen an den Vorschriften des Standard, als regional, sozial und situativ abweichend bezeichnen kann. Für die Sprecher lokaler Kommunikationsgemeinschaften oder Gruppen sind diese Varietäten allerdings die in ihrem Kontext normgerechten und üblichen Sprachverwendungsweisen; aus ihrer Perspektive ist das überregionale Standarddeutsch eher eine befremdliche Abweichung. Einige Beispiele sollen die unterschiedlichen sozialen Kontexte vom Standard divergierender Varietäten illustrieren: 1 (a) Wir harn sie runter laß muß fahren (Masbach, Franken) (b) wir haben sie herunterfahren lassen müssen 134

Verschiedene diachrone Stufen dessen, was man 'Deutsch' nennen könnte, finden wir am Beispiel der Übersetzung der Bibel ins Deutsche vom 9.Jhrd. nach Chr. bis heute vor, vgl. Polenz (1978).

256 2 (a) Der im Kanton Zürich immatrikulierte Autocar verweigerte dem Velofahrer den Vortritt und drängte ihn über das Straßenbord hinaus (Schweizer Schriftdeutsch) (b) Der im Kanton Zürich angemeldete Bus verweigerte dem Radfahrer die Vorfahrt und drängte ihn über den Straßenrand hinaus 3 (a) Mini sprach die gheert mir, di isch nit ze verschanke (Elsässisch) (b) Meine Sprache gehört mir, die ist nicht zu verschenken 4 (a) die kriecht so'n Oelfmeter dass die ja nich aus de Oogn kieken kann (Berlinisch) (b) der haue ich eine runter daß sie mit ihren Augen nicht mehr normal sehen kann 5 (a) Die Wohnraumlenkerin orientierte auf die Lösung, den Kredit abzuändern (Ostdeutsch, ehemalige DDR) (b) Die entscheidungsbefugte Sachbearbeiterin im Wohnungsamt schlug die Lösung vor, den Kredit über das Kindergeld abzuzahlen 6 (a) die Frau is nimmer dahäm, die is schun unnerwegs, net, komm mer laafe mal vor 'n de markplatz un gugge no un 'an hamma se aa getroffe (Pfalzisch) (b) die Frau ist nicht mehr zuhause; die ist schon auf dem Weg, nicht; komm, wir laufen mal zum Marktplatz und schauen nach - und dann haben wir sie auch getroffen 7 (a) Das Antörnen der Teenies ist für unser Land eine echt tolle Sache. Auch wird jeder eine geile Azubistelle raffen können, nur nicht immer dort, wo seine Alten rumhängen. Ein so aufgemotztes und ausgepowertes Land muß es checken, diesen Brassel zu schnallen (Jugendsprache) (b) Unser Staat braucht die zupackende Mitarbeit der jungen Generation. In diesem Jahr werden alle Jugendlichen, die ausbildungswillig und ausbildungsfáhig sind, eine Lehrstelle erhalten können. Allerdings wird nicht jeder - dies sage ich schon seit Monaten - seinen Wunschberuf erlernen und nicht jeder dort in die Lehre gehen können, wo er möchte, wo er wohnt. Ein hochentwickeltes Industrieland wie die Bundesrepublik muß es möglich machen, diese schwierige Aufgabe zu lösen (Helmut Kohl, aus. Der Sprachdienst 1/2, 1984.). 8 (a) der war da so am malochen und da kommt die zur Tür rein, und sachtse 'Wo bist du denn wech ' sachter da 'du hastse wohl nich alle, mach ne fliege ' (Ruhrgebietsdeutsch/Westfälisch) (b) Der Kollege hat dort gearbeitet und da kam eine Kollegin zur Tür herein und fragte ihn: 'Wo kommst Du denn her?' und er antwortete: 'Was erlaubst du dir, mich das zu fragen; beschäftige dich besser mit anderen Sachen'.

257 9

(a) die Samstag, ich, wann ich komme Feierabend und komme zuhause, sage zu mir „ich niks ganz gut, habe fieber... " (Lernerdeutsch, LI —> Italienisch) (b) Als ich am Samstag Feierabend hatte und nach Hause kam, sagte meine Frau zu mir „mir geht's schlecht, ich habe Fieber" 10 (a) ich hab nichts gegen Türkischmann Türkischfrau ... nur ihr anders sprechen wie wir ... andere Sprache ... oben meine Schrank is eine Türkischmann immer beten machen (Fremdenregister, Xenolekt; vgl. Roche 1989:165) (b) ich habe nichts gegen türkische Männer oder Frauen ... nur ihr redet anders Deutsch als wir... eine andere Sprache ist das ... da oben, wo mein Kleiderschrank ist, habe ich einen türkischen Nachbarn, der betet immerzu 11 (a) C: Bir tane ögretmen. Arabas ι var. Sie ist so . .((stottert)), hep Greenpeace und so. Hep Greenpeace $eyleri aliyo, aber die hat η Auto ((lacht)) onun arabas in in arkasina tuttuk und gleich am nächsten Tag ((lacht)) alle Blumen krepiert, echt !135 11 (b) Eine Lehrerin, die hat"η Auto; kauft immer so Sachen bei Greenpeace ... wir haben ((sie)) hinten an ihr Auto gehalten und gleich am nächsten Tag waren alle Blumen krepiert... 12 (a) Thö sie thar uuarun, wuröun taga gifulte, thaz siu bari (Frühes 9. Jahrhundert) 12 (b) Und gesehen ist, dö so da wären, do sint irfullit ire tage, daz si gebire (1343) 12 (c) Und es begab sich, ynn dem sie daselbst waren, kam die zeyt, das sie geperen solte (1522) 12 (d) und als sie daselbst waren, kam die zeit, daß sie gebühren sollte (1739) 12 (e) Als sie in Bethlehem waren, kam die Zeit für sie zu gebären (1963) [Beispiel (12) stammt aus Barbour & Stevenson 1990: 2f.]

In den (a) Sätzen kommen verschiedene vom Standarddeutschen abweichende Varietäten zum Zuge. Die (b) Sätze stellen die normgerechte Standardversion (der BRD Norm) dar. Die Beispiele (1) bis (6) illustrieren in unterschiedlicher Weise die diatopische Variation. Wer annimmt, die eigenartige Verbstellung des Deutschen (finîtes Verb im Hauptsatz an zweiter, im Nebensatz an letzter Stelle) sei ein quer durch die dialektale Variation konstantes grammatisches Merkmal, sieht sich beim Beispiel (1) getäuscht. Verbzusatz und Verb 135

Beispiel aus Akyol, Rengin (1989) Grammatische und diskurs-pragmatische Determinanten im Sprachwechselverhalten türkischer Jugendlicher in Kreuzberg. Magisterarbeit, FU-Berlin (nicht veröffentlicht), S. 52 f.

258 (irunter + fahren), die normalerweise nach dem Prinzip 'stelle zusammen, was zusammengehört' nebeneinander positioniert werden, bilden im fränkischen Dialekt von Masbach (Kreis Schweinfiirt) um die modalen Verben lassen (permissiv) und müssen (deontisch) eine Klammer. Ein in der Regel als zuverlässig eingeschätzter grammatischer Indikator wie die Wortstellung operationalisiert also 'folgt den Regeln des Deutschen' nicht einheitlich. Die Variation ist hier syntaktischer Natur. Lexikalischer Natur dagegen ist die Variation von (a) in (2). (a) ist der geschriebene Schweizer Standard, der mit dem bundesrepublikanischen Standard in (b) kontrastiert. Beispiel (3) aus dem Elsässischen illustriert lexikalische, morphologische, phonologische und syntaktische Abweichungen. Mit dem Beispiel (2) hat (3) gemeinsam, daß Französisch als Kontaktsprache (velo, immatrikulieren, bord) die Variation mitbedingt. Ähnliche Varietätenausprägungen wie (3) hat (6): morphosyntaktische, phonologische und lexikalische weisen das aus Mannheim stammende Beispiel des Ostpfälzischen als von dem Allemannischen im Elsaß weniger abweichend aus. Während (3) und (6) zum Standarddeutschen die größte Distanz aufweisen, zeigt das dem Berliner Stadtdialekt in (4) entlehnte Beispiel nur einen geringen Abstand zur standardnahen Umgangssprache auf: phonetisch - phonologische Unterschiede (e—> ö, g—> j, au—> o) sowie lexikalische (kieken) sind gering genug, um die Verständlichkeit der Äußerung zu gewährleisten. (Das Beispiel bedeutet: 'diese Frau bekommt eine Ohrfeige in der Stärke eines Elfmeterballes auf ein Tor, so daß sie anschließend nicht mehr normal stehen kann' und ist zitiert aus dem Forschungsbericht Dittmar & Schlobinski 1988: 56ff). Der Beleg (5) dokumentiert Unterschiede auf der 'Ost-West'-Ebene, wobei die bestehenden Unterschiede sich im Prozeß der deutschen Wiedervereinigung aufzulösen im Begriff sind. Es reicht offenbar nicht aus, Unterschiede im Falle von (2) und (5) nur als diatopisch (räumlich) zu charakterisieren. Es kommt der Einfluß einer staatlich gelenkten Norm hinzu. BRD und Schweiz haben zwei verschieden kodifizierte nationalstaatliche Standards und stellen damit zwei verschiedene Sprachgemeinschaften dar (vgl. hierzu die Problematisierung des Begriffes 'Sprachgemeinschaft' in Kapitel 3). Demgegenüber gibt es normspezifische Sprachgebrauchsunterschiede in der ehemaligen DDR, die aber nicht in einer kodifizierten Standardnorm festgeschrieben waren. Ich bezeichne daher den 'Ost-West'-Unterschied im Sprachgebrauch als Ergebnis verschiedener Gebrauchsnormen in zwei unterschiedlichen Kommunikationsgemeinschaften. Diese Unterschiede werden mit der Überwindung der Teilung in wenigen Jahren verschwunden sein, abkindern in (5a) bedeutet, einen Kredit mit Hilfe der für Kinder in der ehemaligen DDR gewährten finanziellen Unterstützung abzuzahlen.136 136

Der Beleg stammt aus der Mitte der achtziger Jahre. Das Verbpräfix 'ab'- ist im gegenwärtigen Umgangsdeutsch produktiv: vgl. 'ablachen' (mit großer Intensität

259 Zwar können die Beispiele (1) bis (6) der diatopischen (räumlichen) Variation subsumiert werden, doch sollten wir dabei nicht übersehen, daß die Unterschiede zwischen ihnen auch Unterschiede in den Sprachgemeinschaften widerspiegeln. Die Dialekte in der BRD und der ehemaligen DDR werden von bundesrepublikanischen Normen überdacht. Diese Überdachung, die Kloss (1952/1978) durch die Begriffe 'Abstand-' und 'Ausbausprachen' erfaßt hat, bezeichnet den soziologischen Sachverhalt, daß sich die lokalen Dialekte auf einen nationalsprachlichen 'Schutzschirm' beziehen und in diesem Kommunikationsrahmen der Sprachgebrauch bestimmte Normen ausbildet. Die schweizerdeutschen Dialekte sind vom Schweizer Standard überdacht. Der allemannische Dialekt im Elsaß wird dagegen vom Standardfranzösischen überdacht; hier gibt es also erhebliche Normenkonflikte und diese finden ihren spezifischen Ausdruck in der dialektalen Kontaktvarietät. Trotz gemeinsamer Überdachung durch den DUDEN - Standard haben sich zwischen BRD und ehemaliger DDR aufgrund einer 40jährigen Isolation der DDR unterschiedliche Sprachgebrauchskonventionen herausgebildet. Die Beispiele (7) und (8) markieren gruppenspezifischen Sprachgebrauch; diesen im wesentlichen sozial geprägten Variationstyp bezeichnet man als diastratisch (bedingt durch soziale Gruppen oder Schichten). Die jugendsprachliche Version von 7 (a) kontrastiert mit der das gleiche ausdrückenden Fassung von Bundeskanzler Kohl in 7 (b). Englische Lehnwörter wie wol, anecken und auspowern fallen auf; Ausdrucksintensität wird in der Jugendsprache durch Bedeutungsverstärkungen erreicht {echt, geil, aufgemotzt, ausgepowert). Diese in Schlobinski et al. (1993) ausfuhrlich beschriebene Jugendsprache kann als 'soziale' Varietät (Gruppe der Jugendlichen) mit dem 'Soziolekt' von Unterschicht und Mittelschicht im Beispiel 8 auf der Ebene der 'vertikalen' (sozialen) Variation lokalisiert werden. 8 (a) stellt 'prototypisch' das unterschichtspezifische Ruhrgebietsdeutsch dar. Gängig sind die morphologischen Zusammenziehungen von Verb und Pronomina sowie die kontextabhängige Verwendung deiktischer Ausdrücke (der, die), hinzu kommt die idiomatische Verwendung verbaler Stereotypen. 9 (a) stellt die Äußerung eines Italieners (INNOCENTE Ζ.) in der Zweitsprache Deutsch dar. Das dialektal gefärbte 'zwischensprachliche' Deutsch des Immigranten (Pfälzisch) (5 Jahre Aufenthaltsdauer) läßt sich dem lernersprachlichen Kontinuum der interlingualen Variation zuordnen. Je nach sozialen Kontakten und ökologisch stimulierbarer Sprachlernbegabung verfugen Sprecher des Deutschen als Zweitsprache über mehr oder weniger an den Standard angenäherte Kompetenzen im Deutschen (vgl. lachen bei Tendenz zur Abnahme dieser Intensität) oder 'das kann er sich abschminken' (das kann er aufgeben/unterlassen).

260 4.3.7.3). Merkmale der Lernervarietät von Innocente Ζ. sind u.a. die Übergeneralisierung des Verbs kommen und der Negation (niks), die fehlende Präposition und die fehlende Kopula, schließlich die abweichende Markierung des vorangestellten temporalen Nebensatzes. 10 (a) ist der Studie von Jörg Roche (1989) zu 'Xenolekten' entnommen. Die Varietät, in der Einheimische mit Ausländern reden, wird im deutschsprachigen Raum auch 'Fremdenregister' (im Englischen 'Foreigner Talk') genannt. Statt 'Türke/in' wird, mit sozial abschätziger Konnotation, 'Türkischmann/-frau' als Karikatur aus dem sogenannten 'Gastarbeiterdeutsch' der Immigranten übernommen. Vereinfachungen des Deutschen sind typisch für 'Xenolekte': Nichtmarkierung des Verbs {sprechen im 'Infinitiv'), Weglassen grammatischer Anschlüsse, semantische Simplifizierung der Bedeutung deutscher Verben (beten machen). 'Xenolekte' ist eine unter anderen Varietäten, die wir dem diaphasischen Variationstyp zurechnen (vgl. 4.3.6). Je nach Situation haben Erwachsene ein Register als Reaktion auf bestimmte Interaktionspartner ('Canolekt' mit Hunden, 'Bambinolekt' mit Kindern, 'Xenolekt' mit Ausländern) oder Kommunikationsbedingungen ('Telegrammstil', 'Sportreporterjargon'). 11 (a) dokumentiert Sprachwechsel (codeswitching) zwischen Deutsch und Türkisch innerhalb und zwischen Sätzen im Diskurs; intra- und interphrastischen Sprachwechsel lassen sich als von Interaktionspartnern (Voraussetzung: Beherrschung zweier Sprachen) und Sprechsituationen (Themenspezifik, Ausdrucksintention) abhängige diastratische Variation auffassen (vgl. Haust und Dittmar 1997).137 Mit dem Beispiel 12 wende ich mich vier Versionen des gleichen Inhalts (Bibel, Lukas, Kapitel 2, Verse 4-6) in der Perspektive diachroner Variation zu. 12 (a) ist Gotisch, 12 (e) Hochdeutsch. Zwischen diesen im Abstand von 10 Jahrhunderten formulierten Texten kann man eigentlich kaum einen Zusammenhang sehen - und doch handelt es sich in 12 (a) um die früheste Vorstufe des Deutschen. Je weiter die geschichtliche Epoche zurückliegt, desto ferner ist die in ihr benutzte Varietät dem uns geläufigen Deutsch; so haben wir es ab 1343 mit Varietäten zu tun, die im Intervall von rund 2 Jahrhunderten verschiedene Distanzvarietäten zum heutigen Deutsch darstellen. 'Deutsch' ist damit auch ein dem Prozeß der historischen Entwicklung unterworfener Begriff. Diese historische Reflexion besagt u.a. auch, daß 'in einer deutschsprachigen Familie aufgewachsen' keine klaren Voraussagen über das Deutsch von Kindern der zweiten Generation erlaubt. Die Frage 'was ist Deutsch?', ist der Soziolinguist versucht so zu beantworten: eine Menge von durch Koordinaten in einem vierdimensionalen Von 1989-1991 hat die Europäische Forschungsgemeinschaft ein Projekt zur Bestandsaufnahme des Sprachwechselverhaltens im Europäischen Sprachraum finanziert, siehe auch Milroy & Muysken (1995).

261

Varietätenraum festgelegten Varietäten, z.B. das Deutsch um 1870 (diachrone Dimension) in Berlin (diatopische Dimension) eines Türken der 2. Generation der Unterschicht (diastratische Dimension) in Interaktion mit seinem dreijährigen Kind (diaphasische Dimension). Im folgenden soll es darum gehen, wie die oben exemplarisch vorgestellte sprachliche Variation soziolinguistisch beschrieben werden kann.

5.2

'Regelhaftes Verhalten' vs. 'Regeln folgen' aus der Perspektive der Erklärungsadäquatheit138

Die Soziolinguistik ist eine empirische Wissenschaft. Über Hypothesenbildung fuhrt sie Untersuchungen in der Realität durch, um aus induktiven Schlüssen eine Theorie über den Zusammenhang von Sprache und Gesellschaft zu formulieren (vgl. Kapitel 3). Jedermann ist klar, daß Soziolinguisten die Variation in einer Sprachgemeinschaft beschreiben wollen, um die relevanten, die Diffusion und Veränderung von Varianten bestimmenden Parameter zu isolieren und mit ihrer Hilfe Sprachwandel vorauszusagen. Es ist nun ein Unterschied, ob ich aufgrund von Beobachtungen Bedingungen fur die Wirkung von Regeln im Sinne von „wenn .dann" Sätzen oder statt dessen Handlungsbedingungen beschreibe, unter denen Sprecher einer bestimmten Regel folgen. Die linguistische Beschreibung bezieht sich ja auf IST-Zustände sprachlicher Verhaltensweisen und will diese von SOLLZuständen getrennt wissen, die normativen Sätzen gleichzusetzen sind. Wenn der Gebrauch sprachlicher Ausdrücke regelhaft beschrieben werden soll, so verstehen viele Linguisten darunter Regeln wie „das finite Verb im deutschen Hauptsatz steht an zweiter Stelle" oder „der velare Verschlußlaut des wortanlautenden Partizip Perfekt Präfixes wird palatal (=j) ausgesprochen, wenn es sich um einen Berliner handelt und dieser aus einem Arbeiterviertel kommt". Feststellungen oder Regeln dieser Art beschreiben das Verhalten aus der „Außenperspektive" - die jeweilige Erscheinung wird von außen beobachtet und klassifiziert, seine im jeweiligen Sprachspiel bedeutungskonstituierende „innere" Bedeutung wird oft als „psychologisierend" beiseite gelassen. Fragen dieser Art werden grundlegend in Wunderlich (1976) diskutiert; im folgenden gehe ich auf ausgewählte Beschreibungs- und Erklärungsprobleme ein. Die meisten Wissenschaftler stimmen darüber überein, daß Regeln Verhalten beschreiben sollen; weithin Uneinigkeit besteht jedoch darüber, (1) wie Regeln formuliert werden sollten, (2) in welcher Weise sie dem Verhalten Rechnung tragen: Sollen sie für alle oder nur einige Fälle gelten? Beziehen sie sich auf interne oder externe Zustände? 138

Siehe zu den folgenden Ausführungen auch Dittmar (1983, 1996).

262 (3) aufgrund welcher Kriterien und theoretischer Grundlagen solche Regeln sogenannte Regularitäten beschreiben: Gründen sie sich auf EGO- oder ALTERBeobachtungen? Werden sie auf der Grundlage objektiver Daten (Beobachtungen) oder (subjektiver) Intuitionen formuliert?

Bei Regelformulierungen interessieren sich nun die Soziolinguisten für die historischen, regionalen, situations- und gruppenspezifischen Beschränkungen, die auf solchen sogenannten kategorischen oder „idealisierten" Regeln („Das finite Verb steht im deutschen Hauptsatz an zweiter Stelle, das infinite Verb an Endposition") operieren. So hört man beispielsweise in Unterfranken, im Raum Coburg, den Satz Wir haben sie runter laß muß fahren (vgl. oben 1 (a)). Natürlich steht das finite Verb, hier das Hilfsverb, an zweiter Stelle, jedoch ist die Reihenfolge der infiniten Verbkonstituenten ungewöhnlich. Im Hochdeutschen würde man sagen „...runter fahren lassen müssen". Die ungewöhnliche Folge der infiniten Formen „runter laß muß fahren " evoziert hier die lokale Bedeutung „Unterfranken" und weist dem Sprecher damit eine Herkunft zu. Wie können solche Restriktionen durch soziolinguistische Regeln formuliert werden? Eine Regel aus der Handlungsperspektive der Beteiligten zu formulieren (konstitutive Regel) oder aus der Außenperspektive als eine beobachtbare habituelle Erscheinung zu erfassen, scheint verschiedenen wissenschaftstheoretischen Konzepten zu entsprechen. Was sagen die Philosophen zu diesem Problem? Wir können zunächst zwischen menschlichem Verhalten und dem Verhalten der Materie unterscheiden. Das Verhalten der Materie kann von Forschern „von außen" so manipuliert werden, daß unter identischen und kontrollierten Bedingungen der Ausgang eines Experiments stets gleich und daher vorhersagbar ist. Dagegen kann menschliches Verhalten zumindest aus zwei Gründen im Bereich der Verhaltens- und Sozialwissenschaften nicht in gleicher Weise manipuliert werden: (1) Menschen sind in einem Experiment Handlungsträger in einem bestimmten sozialen Kontext und als solche können sie auf den Verlauf des Experiments einen unerwarteten Einfluß nehmen; (2) Experimente mit Menschen stellen eine Intervention in die einzigartigen unwiederholbaren historischen Verläufe gesellschaftlichen Lebens dar.

(1) stellt fest, daß Menschen aufgrund ihrer Handlungsfähigkeit und ihres Bewußtseins als Handelnde niemals „störungsfrei" in sozialen Kontexten (auch in Experimenten) agieren. (2) thematisiert das Risiko, das alle Experimente in sich bergen, daß Experimente das gesellschaftliche Leben in nicht gewünschter Weise beeinflussen könnten. Die dahinter sich verbergende Dichotomie der Naturwissenschaften und der Sozialwissenschaften wurde am klarsten von van Wright (1971) thematisiert: "The systems (fragments of the history of a world) which experimental science studies can be manipulated by an outside agent. This agent has learnt to reproduce the initial states of the systems under conditions where they would not otherwise originate. From repeated observations he then gets to know the possibilities of

263 development inherent in the system. The systems which social scientists study cannot, as a rule, be manipulated by outside agents. Instead, they can be manipulated by agents inside. This means that predictions about the systems' development can, within the limits of human know how, be made to come true, but can also be made to come false." (S. 164) Van Wright fragt sich, wie man Ereignisse, seien sie sprachlicher, historischer oder sozialer Art, erklären und beschreiben kann. Als Beispiel beschreibt er den Ausbruch des ersten Weltkriegs als Kette von Motiven (Handlungsauslöser und -reaktionen), die Ketten von Handlungen auslösen und damit Erklärungen darstellen (1971: 139 ff). Van Wright fragt sich: Welches sind die Spielarten der Erklärung? Er kommt zu der folgenden Schlußfolgerung: "To call the shots at Sarajevo a cause of the 1914-1918 war is a quite legitimate use of the term "cause" - only we must remember that we are not now speaking about the human causes and nomic connections. And to call the explanation "causal" is also quite in order so long as we do not assimilate it to explanations which fit the covering law model. To call the explanation "teleological" would certainly be a misnomer, although teleology essentially enters into the practical inferences which link the explanans to the explanandum. When, faute de mieux, I call it quasi-causal this does not imply any value judgement or imperfection of it as an explanation. I use the term because the explanation does not depend for its validity on the truth of general laws." (142) Erklärungen fußen somit auf „praktischen Prämissen" und können „quasikausale Erklärungen" genannt werden. Ursachen sozialer oder historischer Tatsachen können nicht ohne eine Rekonstruktion menschlichen Handelns erklärt werden. Diese Erkenntnis ist es, die van Wright dazu fuhrt, zwischen zwei Arten von Normen bzw. Regeln zu unterscheiden: "It is important to distinguish between norms which regulate (enjoin, permit or prohibit) conduct and rules which define various social practices and institutions. Both are called "norms" or "rules"...Norms of the first kind tell us that certain things ought to be done. Norms of the second kind tell us how certain acts are performed. Often, but not in all cases, a norm of the second kind is needed in order to make compliance with a norm of the kind possible." (151) In der neueren wissenschaftstheoretischen Diskussion wird der hier von van Wright formulierte Unterschied als einer zwischen regulativen Regeln und konstitutiven Regeln aufgegriffen (siehe Searle 1969, Kapitel 2.4 und 2.5). Eine nur diesem Problem gewidmete Untersuchung zu Typen von Regeln, die soziales Verhalten erklären können, findet sich in Colett (1977). Entsprechend den drei Regeltypen: regulative Regeln, konstitutive Regeln und Regeln gegenseitiger Verhaltensinstruktionen können wir auch drei Arten von Soziologie unterscheiden (vgl. Eglin 1980): (1) die positivistische Soziologie (regulative Regeln) (2) die Soziologie sozialer Bedeutimg oder kurz: semantische Soziologie (konstitutive Regeln)

264 (3) die inteipretierende bzw. rekonstruierende Soziologie (Regeln gegenseitiger Verhaltensinstruktionen) .

Regulative Regeln haben die Form wenn X dann Y [oder] wenn χ dann y.

Regulative Regeln werden also nach dem Modell von wenn...dann Sätzen (Bedingungssätzen) formuliert und sind typisch für Aussagen in deduktiven Theorien. Die Regelformulierung mit Großbuchstaben stellt eine „universale" Proposition dar, die einen abstrakten, theoretischen Status hat. Die kleinen Buchstaben dagegen sind die konkreten, empirischen Einzelhypothesen, die von den theoretischen Sätzen abgeleitet werden. In der Soziologie werden Studien zum regulativen Verhalten vorzugsweise in Kleingruppen mit experimentellem Design durchgeführt. Diese empirischen Studien entsprechen dann dem Modell der 'Soziologie als Naturwissenschaft'. Die 'universellen' und die 'Einzelaussagen' werden durch sogenannte 'Korrespondenzregeln' (vgl. die wissenschaftstheoretischen Auffassungen des Wiener Kreises, insbesondere Carnap) miteinander verbunden, die die Verbindung zwischen abstrakten und konkreten Konzepten herstellt (die Korrespondenzregeln 'übersetzen' von dem abstrakten zu dem konkreten Niveau der empirischen Analyse). Die Verhaltensregularitäten, die auf einem abstrakten Niveau formuliert sind und Übersetzungen aus empirischen Einzelvorkommen darstellen, nennen wir 'institutionelle Tatsachen'. Es handelt sich bei diesem Ansatz um eine logische Lösung. Tatsächlich besteht kein notwendiger direkter Zusammenhang zwischen den Begriffen der konkreten Realität und den Begriffen der abstrakten Aussagen. Die Korrespondenzregeln sagen nichts über die Angemessenheit der begrifflichen Entsprechungen aus. So wundert es nicht, daß die abstrakten Begriffe nur teilweise für die vorgefundenen empirischen Phänomene aussagekräftig sind (vgl. hierzu z.B. die Diskussion um die Kategorie 'Schicht'). Insofern die konstitutiven Regeln bestimmen, was als Tätigkeit in einem bestimmten Kontext gilt, leisten sie mehr als die operationalen Definitionen und Korrespondenzregeln des auf die Beschreibung der Realitäten von außen gerichteten „objektivistischen" Paradigmas. Denkt man nun im Sinne der konstitutiven Regeln noch ein bißchen weiter, so muß man auch die Tätigkeit des Wissenschaftlers, Korrespondenzregeln zwischen universellen und Einzelaussagen herzustellen, als eine 'konstituierende Tätigkeit' mit einbeziehen. Wir kommen zu dem Schluß, daß den Verhaltensregularitäten, die Gegenstand der Erklärung der 'objektivistischen' Soziologie sind, mehrere konstitutive Regeln zugrunde liegen, einschließlich jener, die die Formulierung von Korrespondenzregeln durch den Soziologen betreffen. 'Institutionelle Tatsachen' können daher besser durch konstitutive Regeln beschrieben werden. Sie haben die allgemeine Form χ gilt im Kontext Ζ als Y.

265 Konstitutive Regeln stellen also fest, welche soziale Bedeutung ein kontextspezifisches Verhalten im Rahmen einer menschlichen Institution hat, für die bestimmte Normen gelten. In diesem Sinne können Institutionen Systeme konstitutiver Regeln genannt werden. Institutionelle Tatsachen unterliegen einem System von Regeln der Form 'x gilt als Y im Kontext C. 'Als Stürmer dem gegnerischen Torwart mit dem Ball im Strafraum allein gegenüberstehen' bedeutet daher im Fußball „abseits". Diese Regeln leisten also eine Umformulierung von 'Rohdaten oder elementaren Ereignissen' in institutionelle Tatsachen eines spezifischen sozialen Kontextes: Zufälliges Verhalten wird sozio-kulturell bedeutungsvolles Handeln. Dabei geht man davon aus, daß konstitutive Regeln weitere Regeln determinieren (vgl. Searle 1969: 69). Sind konstitutive Regeln eine angemessene Lösung fur die Beschreibung und Erklärung institutioneller Tatsachen? Bei näherem Hinsehen sind diese Regeln kontextfrei: Sie berücksichtigen nicht den spezifischen sozialen Kontext, der - über die allgemeine Bedeutung hinaus - die kontextspezifische Interpretation der konstitutiven Regel sichert. So bleibt der in der Formulierung der konstitutiven Regel oben aufgeführte Ausdruck „im Kontext Z" unterspezifiziert. Damit die konstitutiven Regeln des Versprechens unabhängig von unterschiedlichen Kontextbedingungen zur Anwendung gelangen können, braucht Searle eine Reihe von Zusatzbedingungen, die Fehlinterpretationen einer konstitutiven Regel ausschließen. Die Kontextinformation, die für jede Interpretation von Bedeutung notwendig ist, ist der Schlüssel zum Verstehen, zu dem heuristischen Vorgang „herausfinden was etwas bedeutet". Im Sinne des Verstehens als kontextabhängiger Vorgang sind konstitutive Regeln indexikalisch und sind nach Garfinkel so zu verstehen: "common underdstanding entailing as it does an 'inner' temporal course of interpretive work necessarily has operational structure" (1967: 31). Intersubjektives Verstehen gründet sich somit auf interpretative Arbeit in der Zeit und hat notwendigerweise eine operationeile Struktur. Auf dem Hintergrund dieser Erläuterung durch Garfinkel schlägt Eglin (1980: 15) vor, die operationeile Struktur der interpretativen Rekonstruktion als eine Lesart (Produktion und Verstehen) der Interpretation von intersubjektiven Instruktionen zu verstehen. In diesem Sinne kann der dritte Regeltyp, der der intersubjektiven Instruktionen, folgendermaßen formuliert werden: Finde heraus, welches durch einen Kleinbuchstaben repräsentierte Ereignis Ζ repräsentiert und stelle fest, daß χ in diesem Kontext Ζ als Y gilt.

Eine Illustration dieser Regel wäre das folgende Beispiel: Finde heraus, daß das was-hier-los-ist (c), ein Streit (Z) ist und verstehe in dem Kontext des Streits (Z) die Äußerung χ als eine Beschimpfung (Y).

266 Instruktionsregeln sind Vorschriften für die Interpretation. Sie erlauben es uns, bedeutungsvolle Handlungen über eine gegebene Information hinaus zu verstehen. Während die positivistische Soziologie Verhalten nach Prinzipien der Naturwissenschaften mit Hilfe regulativer Regeln und die semantische Soziologie die Intentionen von Handelnden mit Hilfe von konstitutiven Regeln beschreibt, informieren Instruktionsregeln die Handelnden darüber, wie spezifische Verhaltensweisen (Äußerungen) im Prozeß verstanden werden, ohne hierfür ein festgelegtes Ergebnis in „so und so vielen Worten" festzuhalten. Dieses in der Konversation übliche Verhalten nannten Garfmkel und Sacks (1970) 'Reflexivität'. Zusammenfassend lassen sich die drei Regeltypen folgendermaßen charakterisieren: 1. Regulative Regeln beschreiben Verhaltensweisen, welche abhängig von einer Außenperspektive beschrieben werden (zwischen Regel und Verhaltensweisen gibt es eine nur durch den Forscher konstruierten Zusammenhang); solche Regeln werden auch behavioristisch genannt (Wittgenstein (1958); Searle (1969)). 2. Konstitutive Regeln bringen neue Verhaltensweisen hervor und regulieren Verhalten, welches von den Regeln logisch abhängig ist. Diese Regeln beziehen sich auf universelle Kontexte und beschreiben einseitig die intentionsbezogenen semantischen Aspekte der Perspektive der Handelnden nach Maßgabe der Intuition des Forschers. 3. Intersubjektive Instruktionen sind kontextsensitive Regeln und beschreiben Handlungen als "displays of meaningful items" (Eglin 1980: 17) in reziproken Interaktionen; in diesem Sinne beschreiben sie interaktive Bedeutung, d.h. sie schließen die Effekte der intendierten Bedeutung auf das Verstehen durch den Hörer (interprétatives Ergebnis) mit ein.

Nun ist folgende Frage zu klären: Sollen sprachliche Regeln als von sozialen Regeln verschieden betrachtet werden? Können wir annehmen, daß sprachliche Regeln der Struktur sozialer Regeln ähnlich sind? Wenn wir als grundlegendes soziolinguistisches Problem die Frage betrachten: "Why anyone says anything" (warum überhaupt jemand etwas sagt, Labov 1972a: 207), dann ist das sprachliche Verhalten ein integrierter Bestandteil des sozialen Verhaltens (vgl. Dell Hymes (1979), Downes (1984: 387flf.) und Romaine (1981)). Ich fasse meine Position in folgenden Thesen zusammen: 1. Es gibt keinen substantiellen Unterschied zwischen sprachlichen und sozialen Regeln; 2. ob wir nun die täglich zu leistende praktisch interpretative Arbeit in Interaktionen Instruktionen oder Maximen (Grice 1975) nennen, es sollte deutlich geworden sein, daß beide grundlegender Gegenstand der Soziologie sind; 3. Regeln für intersubjektives Instruieren haben einen höheren Erklärungswert als regulative Regeln; konstitutive Regeln sind zwischen diesen beiden Polen angesiedelt.

Im folgenden befasse ich mich mit soziolinguistischen Regeln für grammatische, semantische und pragmatische Variation. Dazu muß ich aber zunächst auf'Korpusgrammatiken' eingehen.

267 5.3 'Apriorische' vs. 'Korpusgrammatiken' Die Karikatur des Linguisten, der in seinem wissenschaftlichen Elfenbeinturm sitzt und für seine kognitiv orientierten Grammatiken idiolektale Belege mit seiner eigenen Intuition erfindet', geht auf Labov zurück, der dem Kult realitätsferner Beispielsätze zum Zwecke der Regelformulierung in Grammatiken eine 'profane', auf empirische Belege gegründete Linguistik gegenüberstellte. Auf intuitive Beispielsätze gegründete Beschreibungen möchte ich apriorisch nennen, da sie authentisch und im Sinne empirischer Anforderungen an die Adäquatheit von Beschreibungen nicht valide und zuverlässig sind. Der Stand der Informatik erlaubt es heute, große Korpora nach vielfältigen Gesichtspunkten ökonomisch zu explorieren. Diese neue Entwicklung eröffnet die Möglichkeit, ein hohes Argumentationsniveau in der Präsentation von Belegen zu erreichen. Die Vorteile einer Korpusgrammatik liegen auf der Hand: 1. Die Frage, welche linguistische Beschreibung die beste und angemessenste ist, läßt sich anhand der in der Wirklichkeit vorkommenden Belege entscheiden. 2. Authentische Belege haben höhere Validität, Zuverlässigkeit und Repräsentativität als 'erfundene'. 3. Die angeführten Korpusbelege entlasten von der subjektiven Intentionalität der erfundenen Beispielsätze, die oft eine bestimmte ideologische Lebenshaltung oder sonstige Präferenzen und Werte des introspektiven Linguisten widerspiegeln (siehe beispielsweise die Kritik an der geschlechtsspezifischen Verzerrung in Beispielsätzen). 4. Der Zugriff auf Kernstrukturen (vs. marginale Strukturen) wird durch die Analyse gesprochener Sprache geschärft; eine Grammatik nach Einfachheitskriterien aufzubauen, kommt damit in greifbare Nähe. 5. Dem dynamischen Aspekt des Sprachgebrauchs wird Rechnung getragen: Sprachwandel, Sprachvariation und Spracherwerb können mit Korpusgrammatiken adäquater dargestellt werden.

Der Vorwurf der Intuitionisten (Chomsky u.a.), ein erheblicher Teil der gesprochenen Sprache sei elliptisch, nicht regelhaft und durch Versprecher gekennzeichnet, wurde von empirischen Linguisten widerlegt. Nur ein unbedeutender Prozentsatz von Äußerungen konnte nach Anwendung von sogenannten Editionsregeln nicht eindeutig rekonstruiert werden (vgl. Labov 1972d). Die Annahme von der Unreinheit' der gesprochenen Sprache wird schnell hinfällig, wenn man konkret an einem Korpus gesprochener Sprache arbeitet. Die empirische Sprachforschung hat nachgewiesen, daß das metakommunikative Wissen über sprachliche Regularitäten nicht verläßlich ist. Der Satz Sprecher verhalten sich regelhaft ist zutreffender als die oft gemachte Annahme Sprecher wissen Regeln. Ein verbreiteter Irrtum ist die Annahme, daß man von einem Korpus auf die Regeln einer Sprache schlechthin schließt. Das vielfaltige korrekte Bild

268 vom Sprachgebrauch ergibt sich erst, wenn viele verschiedene Korpora relativ zu Kontexten, Situationen und Personenmerkmalen von Sprechern erhoben wurden.

5.4 Variation und regulative Regeln In dem Paradigma der Beschreibung grammatischer Variation findet sich nur die Anwendung regulativer Regeln. Sie folgen der Form von Bedingungssätzen, die in deduktiven Theorien wohlbekannt sind: Wenn A, dann B. Modelle für diesen Typ von Regeln finden sich in vielen Einfuhrungstexten zur Linguistik oder zur Logik. Regulative Regeln haben die Form 'WennX, dann Τ 'wenn x, danny\ Je nach Grammatikmodell und formalen Konventionen der Regelformulierung sind verschiedene Modelle für die formale Notation von 'Antecedens' und 'Consequens' bei soziolinguistischen Regeln vorgeschlagen worden. In der Chomsky Grammatik haben Regeln beispielsweise folgende allgemeine Form: A~>B/ X_Y (wenn A im Kontext von X und Y vorkommt, dann ersetze es durch B). Es gibt fünf Vorschläge, mit Hilfe solcher Regelschemata grammatische Variation zu beschreiben; vier bedienen sich der Regelapparate der generativen Transformationsgrammatik; das Modell von Bailey legt sich darauf nicht fest, sondern arbeitet mit Phrasenstrukturregeln. Die in Anlehnung an die generative Grammatik vorgeschlagenen Regelmodelle beziehen sich auf die GTG wie sie vor 1980 formuliert wurde. Die neueren Entwicklungen von Government and Binding (Chomsky 1981) und der x-Bar-Theorie haben bisher keinen Eingang in die Beschreibung grammatischer Variation gefunden. Die Regelformulierungen unterscheiden sich in Bezug auf das Kriterium für die Vergleichbarkeit variierender Elemente und in den Techniken der Anordnung von Sprechern nach dem Gebrauch sprachlicher Varianten. 5.4.1 Koexistierende Grammatiken Chomskys berühmtes Axiom, der Gegenstand der Linguistik sei der „ideale Sprecher/Hörer, der in einer vollkommen homogenen Sprachgemeinschaft lebt" (Chomsky 1965:13) wird zurückgenommen. Die vielmehr als heterogen geltende Sprachgemeinschaft gliedert sich in Varietäten, die eine Reihe ähnlicher und unterschiedlicher Regeln umfassen. Jede Varietät muß in einem ersten Schritt generativ für sich beschrieben werden. In einem zweiten Schritt sind die außersprachlichen Determinanten jeder einzelnen Varietät (geographische, soziale Distanz; Geschlechtsunterschiede etc. ) zu bestimmen. In einem dritten Schritt sind die gemeinsam geteilten vs. unterschied-

269 lichen Regeln verschiedener Varietäten einer Sprache zu identifizieren. Dieses Konzept wurde zuerst von Chomsky (1964) vorgeschlagen und dann von Loflin (1969) und Kanngießer (1972) ausgearbeitet. Die aktuellste Version im Rahmen dieses Paradigmas ist die sogenannte Konnotationsgrammatik von Bierwisch (1976), in der für jede grammatische Regel eine Menge von Konnotationen angenommen wird, welche Sprecher sozialer Gruppen mit Regelanwendungen assoziieren. Diese Ansätze heben die Idealisierung von Chomsky nur theoretisch, nicht jedoch praktisch auf. Wie modellhaft an der Beschreibung des Schwäbischen durch Frey (1975) deutlich wird, wird die dialektale Varietät nach den gleichen Prinzipien beschrieben wie eine Einzelsprache durch Chomsky. Zwar wurden Varietäten auf diese Weise z.B. in ihrer Syntax oder Phonologie beschrieben, jedoch nirgendwo sinnvoll miteinander verglichen; in der Tat wurden explizite Kriterien für einen systematischen Vergleich gar nicht entwickelt. Der Bezug auf soziale Kategorien ist ein reines Lippenbekenntnis und erfolgt in der naivsten und unkritischsten Weise. Daher sind diese in mancher Hinsicht technisch interessanten Ansätze Beiträge zu einer „autonomen" Linguistik, indem sie diese durch eine inhaltlich weitgehend leerbleibende Kategorie 'Variation' formal erweitern. Einen Überblick über die Analyse koexistierender Systeme gibt Thelander (1988:1007-1014). 5.4.2 Variablenregeln Variablenregeln (zuerst von William Labov formuliert) stellen eine Antwort auf fünf wesentliche Probleme grammatischer Beschreibung dar: 1. "What is the most general form of linguistic rule? that is, notations, conventions, schemata allow us to account for productive Diven and regular pattern of linguistic behavior? 2. What relations hold between rules and a system? 3. How are systems of rules related? What is the range of possible differences of mutually intelligeble dialects? How do languages, originally diverse, combine within a bilingual speech community? 4. How do systems of rules change and evolve? This historical question is of course closely related to the last point: 5. How are rule systems acquired? How does the individual's system of rules change and develop as he acquires the norms of the speech community?" (Labov 1969:760).

Grammatiken, die mithilfe von Variablenregeln geschrieben werden, wollen wir raumzeitliche (im Gegensatz zu apriorischen Grammatiken) nennen. Variablenregeln (=VR) bilden die Wahl zwischen zwei oder mehr diskreten Alternativen im Laufe der Rede ab, wobei die Wahl der Varianten durch verschiedene Faktoren wie Merkmale der phonologischen Umgebung, syntaktischer Kontext, diskursive Funktion der Äußerung, Themakonstitu-

270 tion, Stil, Interaktionssituation, personenbezogene oder soziodemographische Merkmale von Sprechern beeinflußt wird. Die Konzeption der VR wird deutlicher, wenn wir zunächst drei Typen von Regeln in einer Grammatik unterscheiden: 1. Kategorische Regeln Die meisten Regeln einer Grammatik sind kategorisch. Da sie niemals verletzt werden, sind sie schwer auszugrenzen. Sie sind für Sprecher häufig nicht 'sichtbar'. Ein gutes Beispiel sind Fokuspartikeln, ein Gegenstand der neueren linguistischen Forschung. Hören Sprecher Sätze, die ihren kategorischen Sprachgebrauch verletzen, so wissen sie nicht zu erklären, „was es bedeutet, so zu sprechen"; ihre Reaktion ist meistens, daß „man das im Deutschen nicht so sagen kann" (stereotype Urteile). 2. Semi-kategorische Regeln Verletzungen semi-kategorischer Regeln werden wahrgenommen und können formuliert werden. Obwohl sie nicht häufig vorkommen (sie sind bedingt durch Expressivität, Emotionalität, Emphase etc.) werden sie zum potentiellen Ausdrucksbereich einer Sprache gerechnet. Sie kommen häufig genug vor, um aufzufallen und bemerkt zu werden; die angemessene Antwort auf Berichte über den Gebrauch semi-kategorischer Regeln lautet „Wirklich, so redete der? Das sagte der?" 3. Variablenregeln Die Regeln dieses Typs können durch einzelne Äußerungen nicht verletzt werden. Sie sind dem Linguisten als Ergebnis seiner Untersuchungen zugänglich. Vom Hörer werden sie unbewußt wahrgenommen und liefern soziolinguistische Informationen über den Sprecher (Herkunft, Bildung, Geschlecht, Alter etc. ). Normalerweise können Sprecher über diese Regeln keine expliziten Urteile fallen.

Die VR entstand in Anlehnung an die Regelschemata der generativen Grammatik und wurde zunächst fast ausschließlich auf phonologische und morphologische Variation angewandt. Verdeutlichen wir uns die drei Regeltypen an einem Beispiel. Schlobinski (1987: 75ff.) hat die Rundung des [i] im Berlinischen unter dem Einfluß situativer und kontextueller Faktoren beschrieben. Eine kategorische Regel würde folgendermaßen aussehen: /--> Y/Jr,

m, /, s)

Diese Regel liest man folgendermaßen: i wird zum gerundeten y vor den Konsonanten r, m, l, s. Die optionale (semi-kategorische) Regel setzt dann (?) - das Regelschema bleibt wie unter der kategorischen Regel bestehen, lediglich das „Y" wird in runde Klammern gesetzt. Die Regel drückt damit aus, daß unter bestimmten Umständen ίιί vor /, r, m, s gerundet wird. Die variable Regel schreibt man nun, indem man das gerundete i (= [Y]) und die Konsonanten < r , m , l , s > in spitze Klammern setzt. Die spitzen Klammern bedeuten, daß der Vokal i variabel gerundet ausgesprochen wird, je nach dem prozentualen Gewicht der Konsonanten r, m, l, s, die auf das [i] folgen. Wir können den Sachverhalt der VR anhand unseres Beispiel folgendermaßen ausdrücken: Im Redefluß wählen Sprecher zwischen dem nicht gerundeten und dem gerundeten [i] relativ zu der internen linguisti-

271 sehen Umgebung des Vokals und den sozialen Merkmalen der Sprecher und der Sprechsituation. Eine linguistische Variable (x) ist damit die Funktion /innerlinguistischer und extralinguistischer Parameter. Es ist nicht zufällig, daß gerade die Laut- und Morphemvariation mit Hilfe der regulativen Regeln befriedigend beschrieben werden kann. Die Phoneme und Morpheme (bzw. ihre Varianten) werden automatisiert unterhalb der Schwelle des Bewußtseins produziert. Überspitzt könnte man sagen, daß jemand seine Sprachproduktion nur begrenzt unter Einflußnahme des Bewußtseins kontrollieren kann. Nach moderner Auffassung kann man Grammatik als ein strukturelles Regelsystem auffassen, das den sprachlichen Produktions- und Verstehensprozessen zugrunde liegt. In ein solches Verständnis von Grammatik ist auch die Phonologie einbezogen, die in der traditionellen Grammatikauffassung eher marginal ist (Morphologie und Syntax sind die Kernbereiche, Phonetik, Phonologie und Semantik periphere Bereiche). Betrachten wir nun eine weitere lautliche Eigenschaft des Deutschen und ihre Variation: In den Grundzügen einer deutschen Grammatik (Heidolph, Flämig & Mötsch 1981) wird ein ganzes Kapitel der Phonologie. Segmentale Struktur gewidmet. Der Laut /g/ wird in dieser Grammatik als velarer, stimmhafter Verschlußlaut (Obstruent) beschrieben (dabei ist die Artikulationsart der 'Verschlußlaut' und die Artikulationsstelle 'velar, stimmhaft'). Im beschriebenen Sinne ist das /g/ eines von 24 Phonemen, die das System der deutschen Konsonanten ausmachen. Der abstrakte Wert, den das /g/ im Konsonantensystem hat, hat es jedoch nicht in der mündlichen Rede. Das [g] wird im Berlinischen als Reibelaut (Spirans) gesprochen, wobei die Aussprache palatal (/') in jejend und dental in sa yen ausfallen kann. Der dentale Reibelaut entspricht dem im Berlinischen gesprochenen r zwischen Vokalen. Je nach der Stellung am Anfang des Wortes, inlautend oder auslautend können die phonetischen Werte des [g] variieren. Die Variation hängt vom Sprechfluß, formalen und informalen Bedingungen der Redesituation sowie sozialen Merkmalen ab. Wir schreiben nun eine soziolinguistische Regel so, daß g —> j/

(Wortanfang, Vokal oder Konsonant, auslautend)

In Worten: velares g wird zu palatalem j am Wortanfang, vor Vokalen und Konsonanten, im Wortauslaut. Wenn wir nun das j vor dem Schrägstrich in spitze Klammern setzen, so soll damit ausgedrückt sein, daß die velare und die palatale Spirans je variabel unter Kontextbedingungen der Lautumgebung (vorausgehender und folgender Vokal bzw. Konsonant) realisiert wird. In seiner Promotion über die lautliche Variation des Berlinischen stellt Schlobinski (1987: 111) fest, daß die Anwendung der Regel durch nachfolgende helle Vokale begünstigt wird (wobei noch ein Unterschied

272 zwischen hellen und dunklen Vokalen besteht), durch Konsonanten wie r jedoch behindert wird. So ergibt sich die folgende Skala, die ich in der folgenden Abbildung 5-1 wiedergebe. Folgender Kontext zunehmender Effekt

M ¥ Iii

Signifikante Interaktionen

#Xh/ #Χ/ε/ + X/y/

/u:/

W lai /ε/ /a:/ /e:/

h! Abbildung 5-1: Variablenregel g —> ]! (V, Κ). Rangfolge der Konsonanten und Vokale, die die palatale Spirantisierung begünstigen (nach Dittmar & Schlobinski 1988: 51 und Schlobinski 1987: 111 fF.) Die Abbildung 5-1 belegt, daß ein Schwa die Anwendung der Palatalisierungsregel am meisten begünstigt, der Konsonant [r] diese am meisten behindert. Zwischen beiden Polen finden wir die dunklen Vokale, die mit einem „mittleren Einfluß" die Realisierung der Regel begünstigen. Die aufgeführte Skala ist durch eine quantitative Analyse der (g)-Variablen belegt. Das Vorgehen ist folgendes: Die Gesamtzahl der zu realisierenden (g) im In- und Auslaut wird festgehalten. Dann werden die Varianten ermittelt: Die Anzahl jener Varianten, die eine Palatalisierung der Spirans darstellen; die Anzahl derjenigen Varianten, die einen dentalen Reibelaut darstellen sowie die Anzahl der Realisierung der velaren Spirans. Das Ergebnis stellt die innerlinguistische Beschreibung dar; die extra-linguistische bezieht sich auf soziale Merkmale: Unterschichtsprecher und Angehörige des Bezirks Wedding bzw. Prenzlauer Berg realisieren die palatale Variante signifikant häufiger als Mittelschicht- bzw. Oberschichtangehörige z.B. aus dem Bezirk Zehlendorf (vgl. Schlobinski 1987). Die soziale Motiviertheit von Varianten beruht auf dem Grundsatz, daß diese keine bedeutungsunterscheidende Funktion haben. Daher wurden mit der von Labov entwickelten Variablenregel (ein Typ der regulativen Regel) vor allem phonologische und morphologische Varianten beschrieben (Schlobinski ist ähnlich für Varietäten des Berlinischen verfahren). Formvarianten haben dann eine außersprachliche Funktion: Sie indizieren die soziale Zugehörigkeit der Sprecher zu einer Gruppe, sie verweisen auf das weibliche oder männliche Geschlecht, auf das Alter, auf lokale oder regionale Sprechgemeinschaften bzw. auf bestimmte soziale Netzwerke.

273 Die jeweilige im Korpus vorkommende Anzahl dialektaler Varianten ist dann auf den Sprechstil (formal vs. informal) oder soziale bzw. regionale Faktoren zurückzufuhren. Soziolinguistisch relevant ist nun der Sprachwandel, der zur Zeit massiv im Osten Deutschlands voranschreitet (Richtung Prestigemodell des Westens, Verlust dialektaler Merkmale und solcher der engräumigen Kommunikation in geschlossenen Netzwerken). Längsschnittuntersuchungen im Räume Berlin könnten uns Aufschluß geben über 1. die Relation der umliegenden Landschaften, Dörfer und Städte zu dem städtischen Zentrum Berlin (Stichwort Ausstrahlung der Stadtkultur auf das Land), 2. sprachwandeldeterminierende soziale Faktoren, die in einer Drucksituation (geschaffen durch die Wiedervereinigung) wirken. 5.4.3 Varietätengrammatik (Syntax) In den siebziger Jahren war das Interesse an der Beschreibung soziolinguistischer Variation groß; gleichwohl fand die 'Variablenregel' keine Verwendung in der germanistischen Linguistik.139 Alle Anstrengungen waren darauf gerichtet, die Syntax, Semantik und Pragmatik sogenannter (schichtspezifischer) 'restringierter' und 'elaborierter' Kodes zu beschreiben. Explizite varietätengrammatische Verfahren wurden dabei jedoch nicht entwickelt. Die Konzeption der 'Varietätengrammatik' (Klein 1974) wurde als linguistische Antwort auf die Herausforderung entwickelt, die stark vereinfachte Syntax (und Grammatik) Deutsch erwerbender spanischer und italienischer Arbeitsmigranten zu beschreiben („extreme restringierte Kodes"). Die 'Varietätengrammatik' (VG) besteht aus einer die Regularitäten sprachlichen Verhaltens abbildenden probabilistisch bewerteten Grammatik und dem 'Varietätenraum', von dessen außersprachlichen Parametern die Realisierung grammatischer Regularitäten abhängt. Für die grundlegenden vier Parameter 'Raum', 'Sprechsituation', 'soziale Gruppe' und 'historische Periode' wurde die Konzeption der VG ausgearbeitet. Die VG ist eine kontextfreie Phrasenstrukturgrammatik, deren Beschreibungsleistung flexibel an die Granularität der vorliegenden zu beschreibenden Varietäten angepaßt werden kann. Die VG wurde erfolgreich zur Beschreibung von Lernervarietäten (HPD 1975; Klein & Dittmar 1979) und dialektaler Variation (Senfi 1982) angewandt.140 Sie ist eine Alternative zu dem Konzept der 'Variablenregel' in folgenden Punkten: (a) mit der VG können 139

Erst die Beschreibung von Stadtsprachen in den achtziger Jahren motivierte dazu, Schlobinski (1987). In aktueller soziolinguistischer Forschung wird sie offenbar nicht benutzt. Dies mag an der Unkenntnis der Konzeption, vielleicht aber auch an der Zersplitterung soziolinguistischer Schulen liegen.

140 vgl.

274 Varietäten zusammenhängend und in Form kohärenter Grammatiken beschrieben werden. 'VR' (= Variablenregeln) erlauben dagegen nur die Beschreibung alternierender einzelner Varianten); (b) der einzelne linguistische oder soziologische Beitrag zur Wahrscheinlichkeit der Anwendung einer Regel kann jeweils isoliert fur sich beschrieben werden, da alternative Regeln in einem festgelegten Regelblock korreliert werden; durch dieses Verfahren kann der Einfluß des linguistischen Kontextes besser kontrolliert werden. Eine vollständige Varietätengrammatik, die die Varietäten für 48 Lerner des Deutschen beschreibt, wird in Klein & Dittmar (1979) und Senft (1982) vorgestellt. Die grundlegenden Begriffe einer VG sind 'Varietätenraum', 'Referenzgrammatik' und 'probabilistische Gewichtung von Regeln'. Der 'Varietätenraum' ist eine geordnete Menge zu beschreibender Varietäten. Ein Beispiel mag dies erläutern. Nehmen wir an, wir wollen syntaktische Unterschiede beschreiben •

zwischen 'Kriegsbriefen' und 'Reisebriefen' (also Unterschiede zwischen zwei 'Registern' Ri und R2) für die Jahre 1917, 1942 und 1967 (Faktor 'Zeit' mit den Werten T,, T 2 und T 3 ) von Bauern im Unterschied zu bürgerlichen Intellektuellen (Faktor 'soziale Schicht' mit den Werten S] und S2).

• •

In diesem Fall handelt es sich um einen dreidimensionalen Varietätenraum mit 2 χ 3 χ 2 = 12 Varietäten. Eine Varietät ist z.B. {Ri, T 2 , S2}: Kriegsbriefe um 1942 bei bürgerlichen Intellektuellen. Die 'Referenzgrammatik' ist nicht auf eine generative, funktionale oder relationale (u.a.) grammatiktheoretische Position festgelegt; allerdings muß sie explizit formulierte (operationalisierbare) grammatische Regeln enthalten, die die relevanten Daten eines Korpus angemessen beschreiben. Sie isoliert individuelle Repertoire durch Regelanwendungen mit spezifischen probabilistischen Gewichtungen. Die probabilistische Gewichtung von Regeln kann am Beispiele kontextfreier Phrasenstrukturregeln illustriert werden14I(vgl. Tab. 5-3). Übersicht: GRUNDLAGEN DER VARIETÄTENGRAMMATIK Eine natürliche Sprache ist ein System von Varietäten. Die Festlegung einer Varietät erfolgt mit Hilfe nichtsprachlicher Faktoren. Sie erfolgt unabhängig von den sprachlichen Formen, die die einzelnen Varietäten charakterisieren. Zum Verhältnis zwischen Varietät und nichtsprachlichen Faktoren: Jeder außersprachliche Faktor bildet eine Koordinatenachse in einem Koordinatenraum. Angenommen, man wählt drei Faktoren: Dialektgebiet, Schicht, Situation, dann ist eine Varietät ein Punkt in einem dreidimensionalen Koordinatenraum, der durch eine geordnete Menge {ai, a2, a 3 } 141

Selbstverständlich kann man auch eine VG mit kontextsensitiven Regeln schreiben; solche Beschreibungen sind lediglich wesentlich aufwendiger (vgl. Klein 1974).

275 von Koordinaten festgelegt wird. Die Dialektachse sei etwa unterteilt in drei Dialektgebiete, die Schichtachse in vier Schichten und die Situationsachse in zwei Situationen. Durch die Angabe eines Dialekts, einer Schicht und einer Situation wird ein Punkt bestimmt, dem eine Varietät zugeordnet wird. In unserem Fall ergeben sich 3 χ 4 χ 2 = 24 mögliche Varietäten. Die Menge der Varietäten bildet den Varietätenraum. Jeder Varietät kann man eine Menge von Äußerungstypen zuordnen, die durch ein Regelsystem, also eine Grammatik, beschrieben werden können. Will man nun die Wahrscheinlichkeit der Anwendung einer Regel bestimmen, so geht man davon aus, daß zunächst die Häufigkeit der Regelanwendung im Korpus bestimmt wird. In einem weiteren Schritt ist dann der Übergang vom tatsächlichen Verhalten der Regel zum erwarteten Verhalten festzustellen (Wahrscheinlichkeit). Es gilt: Je größer das Korpus, desto mehr nähern sich die relativen Häufigkeiten den Wahrscheinlichkeiten an. Wahrscheinlichkeiten drückt man durch Zahlen zwischen null und eins aus. 1 bezeichnet das sicher eintretende Ereignis, 0 das unmögliche. Die Ereignisse sind in unserem Zusammenhang die Anwendungen der Regel. Wenn in einem repräsentativen Korpus eine Regel lOOmal angewendet werden könnte, aber nur 27mal angewandt wurde, dann ist die relative Häufigkeit des Regelvorkommens 27:100 oder 0,27 (= Wahrscheinlichkeit der Regelanwendung). Man legt nun eine Grammatik fest, in der alle Regeln erfaßt werden, die zur Beschreibung der einzelnen Varietäten notwendig sind. Man berechnet nun die Wahrscheinlichkeit, mit der die Regeln der Bezugsgrammatik in den Varietäten vorkommen können. Jeder Varietät entspricht eine bewertete Grammatik. Eine bewertete Grammatik besteht aus mehreren Regelblöcken. Für jeden Regelblock werden die Häufigkeiten der Regelanwendungen ermittelt. Ein konkretes Beispiel fur einen Regelblock mit Anwendungswahrscheinlichkeiten gibt Tab. 5-1. Tab. 5-1 zeigt, wie sich die Nominalphrase ( N P ) über die Varietäten (sechs verschiedener Sprecher) Vi bis VÔ von einer elementaren zu einer komplexen Struktur entwickelt. Die Anwendungswahrscheinlichkeiten der fünf Regeln (= Regelblock) addieren sich pro Varietät zu 1.

NP NP NP NP NP

-> Ν -> Det Ν -» Det Adj Ν -» Det Ν Adj -> Det Ν Adv

V, 0.9 0.1 0 0 0

V2 0.6 0.3 0 0.1 0

v3 0.3 0.3 0 0.3 0.1

Tabelle 5-1: Varietätengrammatik: 'Regelblocks' (nach Klein 1988: 1000)

v4 0.2 0.3 0 0.4 0.1

V5 0.2 0.3 0.4 0 0.1

hypothetisches

V6 0.2 0.3 0.4 0 0.1 Beispiel

eines

Allerdings ist die Verteilung der Anwendungswahrscheinlichkeiten f u r j e d e der sechs Varietäten verschieden. In Vi können im wesentlichen nur einfache Nomina, manchmal mit Artikel, produziert werden; in V 2 w e r d e n schon öfter N P ' s mit Artikel gebildet, in einigen (wenigen) Fällen auch die 'falsche' Regel ' d a s Adjektiv folgt dem N o m e n ' . Diese 'falsche' Regel wird in V 3 n o c h stärker übergeneralisiert; im übrigen wird z u m ersten Male die

276 Regel der post-nominalen Attributstellung angewandt. Die 'falsche' Regel Rt (Det Ν Adj} wird in V5 eliminiert. V6 kann als 'standardnah' bezeichnet werden. Die VG bildet den Entwicklungsprozeß offenbar flexibel und präzise ab; das gleiche Verfahren kann mit ähnlicher Präzision auf andere Beschreibungsebenen142 angewandt werden. Der in Tab. 5-1 dargestellte Regelblock ist durch die syntaktische Kategorie 'NP' kontrolliert; die Anwendungswahrscheinlichkeiten der Regeln eines Blocks addieren sich stets zu 1. Daß die Summe variabler Anteile an der Anwendungswahrscheinlichkeit einer Regel über oder unter 1 ist, wie dies im Falle der Variablenregel anzutreffen ist, ist damit ausgeschlossen. Eine VG ist somit {Definition, vgl. Klein und Dittmar 1979:31) eine Funktion von «PxAxSxG>xR>

in das reale Intervall (0,1), wobei

Ρ = (pi, ρ2, ..., pn¡) eine endliche Menge von Perioden, A = (a¡, a2, ..., anJ eine endliche Menge von geographischen

Räumen,

S = (ti, t¡, ..., tn3) eine endliche Menge von Sprechsituationen

,

G = (s¡, s2 r

sn [+M2] markiert ein Element der Tiefenstruktur als [+M2] oder [-M2], Alle späteren Regeln können durch diese beiden Merkmale ausgelöst oder blockiert werden. Die gesamten Derivationen, Transformationen und lexikalischen Selektionen sowie die phonologischen,

281 syntaktischen und semantischen Regeln können durch dieses Merkmal kontrolliert werden. Theoretisch ist es möglich, daß ein Sprecher unbegrenzt viele Wechsel zwischen Stilen und sprachlichen Varietäten vollziehen kann; jeder dieser Wechsel ist jedoch in der Praxis mit der Kontrolle über zahlreiche sprachliche Varianten verbunden, die unbewußt ausgeübt wird. Die Ausübung dieser Kontrolle ist nur dadurch möglich, daß Stilmerkmale hierarchisch geordnet sind. DeCamps Definition der Implikationsskala lautet folgendermaßen: "An implicational analysis is a binary relation between linguistic features and language varieties (dialects, styles etc.) so selected and so arrayed in order, as to result in a triangular matrix" (1971, 33).

Eine Anwendung dieser Definition auf (Sprach-)Daten findet sich in der Tabelle 5-4. Wenn der Wert eines beliebigen Schnittpunktes der Matrix, das Produkt von Μ χ V, 1 ist, so impliziert dies, daß jeder Wert, der über oder links neben diesem Wert liegt, auch 1 ist. Ein Wert 0 impliziert, daß jeder rechts oder unter ihm liegende Wert ebenfalls = 0 ist. "Such a triangular matrix obviously does not accomodate just any random set of features. Every pair of features implies an empty cell, i.e. for any pair of features Mi, Mj (ie«-Benutzer' alle wesentlichen kommunikativen Funktionen mit der MP eben ausdrücken; wenn auch der Interaktionspartner ' nur-cò^n-Benutzer' ist, ist auch Symmetrie gegeben. Sobald jedoch ein 'nur-cie«-Benutzer' mit einem 'halt und eèe/î-Benutzer' interagiert, macht sich die Verwendung des halt bei dem Interaktionspartner als differenzierter kommunikativer/rhetorischer Mehrwert bemerkbar. Mit halt kann nämlich der Sprecher sein Register stilistisch freundlicher und persönlicher gestalten und damit in der Kommunikation Pluspunkte machen. In der soziolinguistischen Funktion des kommunikativen Mehrwerts liegt also die Erklärung für den überall im Norden voranschreitenden Sprachwandel. Wir sind noch von der Formulierung einer Regel weit entfernt: Die außersprachlichen Parameter, die die Sprachveränderung bewirken, müssen anhand von größeren Korpora strenger isoliert werden. Zweierlei haben die Daten jedoch klar gemacht: 1. semantisch-pragmatische Eigenschaften lassen sich qualitativ und soziolinguistisch sinnvoll beschreiben; 2. Korpusbeschreibungen eröffnen neue Einsichten in fortschreitenden Wandel.

5.5.3 Gesprächswörter Die Partikel ey Ein Topos in der Soziolinguistik ist der Status von Varietäten: Manche werden als „ärmer", andere als „reicher" bezeichnet. Mit empirischen Un148

Daß in diesen drei Tonbandaufnahmen kein eben erscheint, muß nicht bedeuten, daß eben im Repertoire dieser Sprecher nicht vorhanden ist. In elliptischen Äußerungen kann als Antwort auf eine Frage ja eben geäußert werden, ja halt ist dagegen nicht möglich, eben kann außerdem noch temporal und adjektivisch benutzt werden.

301 tersuchungen können die Soziolinguisten zur Status-Diagnose von Varietäten entscheidend beitragen. Betrachten wir den Fall 'Jugendsprache' (vgl. 4.2.6.2.2). In den 70er und 80er Jahren hatte die Jugendsprache eine schlechte Presse; selbst Linguisten haben diese Varietät oft als defizitär eingestuft. Solchen Urteilen (Defizienz einer Varietät) liegen meist ungenaue, dilettantische Beschreibungen/Beobachtungen zugrunde. Wenn die Struktur sprachlicher Eigenschaften und ihre Funktionen genau beschrieben werden, zeigt sich oft ein anderes Bild. Stellvertretend fur eine ganze Reihe jugendsprachlicher Eigenschaften (vgl. die Untersuchungsergebnisse in Schlobinski, Kohl & Ludewigt 1993) soll im folgenden Struktur und Funktion der jugendsprachlichen Partikel ey im mündlichen Sprachgebrauch unter die soziolinguistische Lupe genommen werden. Macht der Gebrauch von ey anstelle von ne, nicht wahr etc. die Varietät der Jugendlichen ärmer als die der Erwachsenen? Sind ey und ne gegenseitig substituierbar? Ausdrücke wie ey werden manchmal Interjektionen genannt. Wir wollen die Partikel in unserem Zusammenhang als Gesprächswort betrachten (vgl. Burckhardt 1982). Solche Gesprächswörter sind Ausdrücke der Rückversicherung beim Hörer (auch als tag questions bekannt). Typische deutsche Ausdrücke des gesprochenen Deutsch sind ne, nicht wahr oder wa (Berlinisch). Eine strukturelle Analyse des ey nach Position im Satz und Beziehung zu anderen Gesprächswörtern zeigt schnell, daß ey (vor allem im Westfälischen, wo es besonders typisch ist) die Funktion von Rückkoppelungswörtern in der Erwachsenensprache (siehe oben) ersetzt. Sehr häufig tritt ey in der Funktion des Gliederungssignales auf, mehr als doppelt soviel als in der Funktion (a) der Adressierung der an der Interaktion Beteiligten, (b) des attention getter oder (c) der Bewertung. Die Tab. 5-8 Verteilung von ey nach Sprechhandlungsfunktionen (Schlobinski et al. 1993: 163) zeigt diese Verteilung deutlich. Wenn wir nun aber gemäß Tab. 5-9 Verteilung von ey in Abhängigkeit von Positionen und Sprachhandlungs/unktion (Gruppen I und II) initiale, mediale und finale Position der Partikel ey unterscheiden, sehen wir deutlich, daß ey im Nachfeld der Äußerung Nachdruck verleihende, ausleitende oder themabeendende Funktion hat und den üblichen Ausdrücken ne, wa etc. in ihrer Funktion entspricht.

Gliederungsfunktion Adressierung attention getter Bewertung Intensivierung

Gruppe I 44,6 20,8 12,5 17,3 4,8

Gruppe II 56,0 8,0 9,9 18,4 7,7

Gesamt 50,3 14,4 11,2 17,8 6,3

Tabelle 5-8: Verteilung von ey nach Sprechhandlungsfunktionen (%) (aus: Schlobinski et al. 1993: 163)

302 initial

medial

final

I Gliederungsfunktion Adressierung attention getter Bewertung Intensivierung

5,9 17,3 10,7 2,4 0,6

5,4 1,2 1,2 0,6 —

33,3 2,4 0,6 14,3 4,2

II Gliederungsfunktion Adressierung attention getter Bewertung Intensivierung

3,1 6,0 8,9 0,5 0,5

10,1 0,5 0,5 1,9 0,7

42,8 1,5 0,5 15,9 6,5

Tabelle 5-9: Verteilung von ey in Abhängigkeit von Positionen und Sprechhandlungsfunktionen in den Untersuchungsgruppen I und II (%) (aus: Schlobinski et al. 1993: a.a.O.) Redebeitragseinleitend jedoch sind die Funktionen der Adressierung, der Aufmerksamkeitserheischung (attention getter) von wichtigster Bedeutung. Folgende Übersicht macht dies deutlich: präferierte Position im Satz einleitend einleitend medial

Hauptfunktion

Beispiel

aufmerksamkeiterheischend Anredesignal Gliederungssignal

Endposition Endposition

Intensivierer Bewertung

ey, wann kommst 'n? ey, schulze wenn wir malochen, ey, kommen wir dahin echt geil ey! scheiße, ey!

Tabelle 5-10: Partikel ey (Stellung im Satz, Hauptfunktionen) nach Schlobinski et al. (1993, a.a.O.) Die soziolinguistische Analyse zeigt, daß die Distribution des Gesprächswortes ey sowohl in Form als auch Funktion von der Verteilung der Gesprächswörter in der Erwachsenensprache verschieden ist. Dies unterstreicht die Eigenständigkeit der oft zu einem Stadium des Sprachverfalls degradierten Jugendlichenvarietät. Ideologische, empirisch nicht belegte Entwertungen einer sprachlichen Varietät können somit mithilfe soziolinguistischer Beschreibungen entlarvt werden.

303 Sprachliche Indikatoren kognitiver Unsicherheit (so, sowat, irgendwie etc.) Adverbien oder indefinite Ausdrücke wie so, sowas, irgendwie werden in der Literatur oft auch als Füllwörter, Gliederungssignale, Indikatoren der verbalen Planung bezeichnet. Übersehen wurde bisher die kommunikative Funktion solcher Ausdrücke in sprachlichen Umbruchsituationen. Daß sprachliche Umbruchsituationen mit kognitiven Lockerungen des Sprachgebrauchs einhergehen (vgl. ausführlich hierzu Dittmar 1997), belegen Vagheitsausdrücke wie so, sowat, weeß ick nich, weeß ickΛ, irgendwie... in unserem Korpus mit Ostberliner Sprechern. Wir folgen hier der Hypothese von Kokemohr (1989), der am Beispiel von Interviews mit Studenten schreibt. „Textuelle Unbestimmtheit soll zunächst heißen, daß von den Informanten Ellipsen vollzogen, Handlungsträger textlich unmotiviert gewechselt („ich"/„wir"/„man" u.a.) oder Unbestimmtheitspartikel („irgendwie" u.a.) so genutzt werden, daß semantische Beziehungen der Raum- oder Zeitkonstitution oder andere Kategorien der Erfahrungsverarbeitung ihre Klarheit verlieren. Diese vorläufige Bestimmung gibt schon zu erkennen, daß Unbestimmtheit als kontextuelle, nicht als morphologische, sondern als syntaktische oder als abstrakt (textfrei) semantische Qualität zu verstehen ist...." (Kokemohr 1989, 231).

Solche Indikatoren sprachlicher und kognitiver Unsicherheit werten wir im Korpus „9. November 1989" derzeit systematisch aus. Das folgende Beispiel aus dem Gespräch mit Gina (Β 01 OF) soll exemplarisch die Rolle solcher Ausdrücke der sprachlichen Unbestimmtheit verdeutlichen. Gina äußert sich in ihrer Antwort auf die Frage, wie 'Ossis' von 'Wessis' abgewertet werden, folgendermaßen (G = Gina, F = Interviewerin):149 g:

f: g:

also (irgendwie wird man denn ooch η bißchen für blöd abjestempelt ürjendwie + /+ %von den janzen Situationen her% +2+ aber wat mich 'hier ooch 'ärgert denn EBEND HALT + daß man + daß se denn ürgendwie sacht denn naja + sie kommt ja ausm osten + ürjendwie kommt man sich ürjendwie so 'abjestempelt vor hm ?wo/ wie wird dis gesagt also in welchem Zusammenhang denn? na zum beispiel als ick + + + als ick über ürgendwelche wenn wa über ürgendwelche Jullungen quatschen oder ürgendwat + na klar sajen wa wir hatten nich die materialien dazu um + ürjendwelche + schönfiillungen zu machen jaΛ + nja ebend denn sehn se ebend sowat najaA + na die im osten und + die ham dit ja so und so jemacht + und die helferinnen die ick hier habe sind ja ooch nur ausm osten +1+ na ick weeß ni + ¡weeß ooch nich! + dit is ürgendwie so abjestempelt so + naja die sind ja ausm osten is ja

149 Literarische Umschrift des Projektes „9. November 1989: Perspektivität im Diskurs". Erläuterung einzelner Symbole: < > Kommentar, + kurze Pause, Λ Heben der Stimme, _ Senken der Stimme, +2+ Pause von zwei Zehntelsekunden, %...% leise gesprochene Passage.

304 ok billje arbeitskraft sozusajen jaΛ +/ + also so empfinde ick dit jedenfalls ¡IrgendwieΛ +5+ hm

Eine auffällige Rolle spielen in dieser Passage die Vagheitsausdrücke ürjendwie, sowat, so, ick weeß nich und ^irgendwelche (u.a.). Die Erfahrung, von 'Wessis' mit niedrigem sozialen Status eingestuft oder abgewertet zu werden, formuliert Gina vage, unscharf und emotional-impressionistisch. Dazu tragen vor allem die genannten Unbestimmtheitswörter bei. Gina ist kein Einzelfall; wir finden bei vielen Sprechern ein ähnliches Repertoire von hochfrequenten Vagheitsausdrücken. Sie sind verläßliche Indikatoren kognitiver Belastung, aber auch typischer kognitiver Lockerungen in Bezug auf die verbale Präzision des Ausdrucks. Wiederholungen unterstützen die Wirkung der unverarbeiteten, unbestimmten, aber doch starken Gefühle. Korpusanalysen können die Funktion solcher Ausdrücke in Varietäten des sprachlichen Umbruchs genauer erfassen.

5.6 Zusammenfassung Regeln fur die alltägliche Verwendung der gesprochenen Sprache zu schreiben, ist vor allem aus vier Gründen wichtig: (a)

(b)

(c) (d)

Sprache sollte als ein dynamisches, sich veränderndes System beschrieben werden. Regeln sollten dabei sowohl dem habituellen als auch dem Situationsund Handlungskontext des Verhaltens Rechnung tragen. Die Regelanwendungen (qualitative Eigenschaften, quantitative Gewichtungen) liefern explizite Kriterien zur Unterscheidung und Abgrenzung von Varietäten. Die regelhaften Eigenschaften der gesprochenen Sprache sollten der Grammatikschreibung als Grundlage dienen. Die Schulgrammatiken sollten die Normen und Tendenzen des mündlichen Sprachgebrauchs stets berücksichtigen, damit diese in den Unterricht einbezogen werden können.

Zu Beginn des Kapitels wurde der Unterschied zwischen regulativen, konstitutiven und interaktionsspezifischen Regeln herausgearbeitet. Diese Unterschiede können wir uns am Beispiel folgender Äußerung klarmachen: A sagt zu B: Zeigen Sie mir mal Ihren Ausweis\ Unabhängig vom Inhalt dieser Äußerung könnte B, wenn A sie in sächsischem Dialekt hervorbringt, dieser Aufforderung nicht folgen wollen, da Β alles, was in diesem Dialekt geäußert wird, nicht ernstnimmt. Hier impliziert die äußere Form eine negative Einstellung gegenüber der auffordernden Person. Regulative Regeln beschreiben dann den äußeren (formalen) Anlaß für einstellungsmotivierte Handlungen. Konstitutive Regeln spezifizieren dagegen die linguistischen und Kontextbedingungen, unter denen die obige Äußerung als erfolgreich oder nicht

305 erfolgreich gilt. Die Autorität der fragenden Person wäre hier zu berücksichtigen. Mithilfe der Kontextbedingungen kann verallgemeinert werden, welche Faktoren in welchem Maße zum Gelingen einer Aufforderung beitragen. Instruktionen oder interaktionsspezifische Regeln sind stets induktiv, kontextspezifisch und auf den konkreten empirischen Einzelfall bezogen. Allgemeine Aussagen zum Gelingen der zur Diskussion stehenden Äußerung werden zugunsten konkreter Umstände und Bedingungen der Interaktion vernachlässigt. Nicht nur Status und explizit geltende Normen werden geprüft, sondern auch die partikulären dynamischen Aspekte sind von Bedeutung. Der Handlungsaspekt ist jedoch dem äußeren Aspekt des Sprechens, der habituellen Aussprache oder Syntax nachgeordnet. Trotz der einleuchtenden Relation HANDLUNG > HABITUELLE VERHALTENSASPEKTE wird im Alltag oft von der „äußeren" Form der Rede auf den Inhalt geschlossen. Ein solches Vorgehen hat nicht die Handlung selber, sondern den Handlungsträger und seine Merkmale im Auge. Wir schlagen vor, regulative und konstitutive Regeln eng an interaktionsspezifische zu binden. Daraus ergibt sich eine Relevanzskala sozialer Bedeutung, die die Handlungsdynamik vorgeordnet, habituelle Routinen nachgeordnet sieht: INTERAKTIONSSPEZIFISCHE > KONSTITUTIVE > REGULATIVE REGELN

Auch wenn Handlungen gegenüber grammatischen Routinen als sozial stärker markiert betrachtet werden, sind grammatische Regularitäten fur die Abgrenzung von Varietäten doch ein zentrales explizites Kriterium. 'Variablenregeln' und 'Varietätengrammatiken' bilden über quantitative Gewichtungen von Regelanwendungen flexible Beschreibungsmöglichkeiten - allerdings stets unter der immunisierenden Prämisse, daß die Sprachgebrauchsmuster kontextfrei beschrieben werden. 'Pragmatik' bleibt also von diesen Analysen ausgeschlossen, obwohl auch pragmatische Verhaltensmuster im Prinzip quantitativ beschrieben werden können, wenn die zu untersuchenden Phänomene (z.B. Anredeformen) explizit operationalisiert werden. Das Instrument der 'Implikationsskala' setzt eine Regelbeschreibung wie die der 'VR' voraus, fugt ihr aber ein innovatives Prinzip der Anordnung von Sprechern nach Maßgabe der Regelanwendungen hinzu. 'Verfugen über Art und Anzahl' von morphophonologischen oder grammatischen Regeln ist das linguistische Ausgrenzungskriterium, das gleichzeitig auch mit einer qualitativen Einschätzung der kommunikativen Kompetenz gekoppelt werden kann. Diese Verfahren der Beschreibung habitueller, routinierter Variation haben sich auf der phonologischen und morphophonologischen Ebene bewährt. Ihre Erklärungskraft muß durch den ver-

306 stärkten Einbezug semantischer und pragmatischer Parameter verbessert werden. Das wichtigste Forschungsdesiderat besteht jedoch in der theoretischen Klärung der Frage, welche gegenwärtigen konkurrierenden grammatiktheoretischen Modelle für die Beschreibung von sprachlicher Heterogenität die beste Grundlage abgeben. Habel (1979) hat dies theoretisch diskutiert. Eine Validierung unter empirischen Gesichtspunkten steht noch aus. Daß die elektronische Datenverarbeitung der Korpuslinguistik neue Möglichkeiten der Beschreibung von Regularitäten eröffnet, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Berücksichtigung des funktionalen Zusammenhangs von Syntax, Semantik und Pragmatik der neueren linguistischen Forschung ein zentrales Anliegen ist. In diesem Sinne wurde am Beispiel ausgewählter Konnektoren, Modalpartikeln und Gesprächswörtern ihre spezifische kommunikative Leistung als Ergebnis ihrer Form-FunktionEntsprechungen exploriert. Dabei zeigte sich, daß Konnektoren wie weil oder Modalpartikeln wie eben und halt komplexe Beschreibungsprobleme aufwerfen, deren Lösung gleichzeitig einen theorierelevanten Beitrag zum Interface von Syntax, Semantik und Pragmatik darstellt.

5 . 7 Arbeitsaufgaben 1. Versuchen Sie, die Beispiele 1-10 in dem Abschnitt 5.1 nach linguistischer Ähnlichkeit und Distanz zu ordnen. Verwenden Sie als Ordnungskriterium: Nähe zum Standarddeutschen. Welche linguistischen Kriterien führen zu einer differenzierten Ordnung der Belege auf der Skala Nähe vs. Distanz? Gibt es periphere und Kernmerkmale/-eigenschaften? Gibt es Argumente, eine der durch die Belege repräsentierten Varietäten als „nicht mehr Deutsch" zu klassifizieren? Vergleichen Sie die Nähe der Belege 1-10 zum Standarddeutschen mit Varietäten anderer Einzelsprachen je nach Ihrer Vertrautheit mit anderen Sprachen. Findet man in Italien eher ein Varietätenkontinuum oder unterschiedliche sprachliche Kodes? Ist sprachliche Distanz ein gutes trennendes linguistisches Kriterium, wenn Sie Holländisch, Schweizerdeutsch und Hochdeutsch mit Kastilisch, Katalanisch und Galizisch (in Spanien) vergleichen? Welche grundsätzlichen Probleme wirft eine Ordnung nach Distanz vs. Nähe auf? 2. Erläutern Sie den Unterschied zwischen 'regelhaftem Verhalten' und 'Regeln folgen'. Was ist die Form regulativer und konstitutiver Regeln? Welchen Erklärungswert messen Sie diesen beiden Regeltypen zu? Erläutern Sie den explikativen Status dieser beiden Regeltypen anhand von Beispielen. 3. Sind konstitutive Regeln eher semantische oder pragmatische Regeln zu nennen? Begründen Sie Ihre Position, indem Sie das Buch von John Searle, Sprechakte (1971, dt. Fassung) berücksichtigen bzw. das Kapitel über „Sprechakte" in Linke/Nussbaumer & Portmann (19942). 4. Erläutern Sie den Unterschied zwischen konstitutiven Regeln und intersubjektiven Instruktionen (interaktionistischen Regeln). Im folgenden Beispiel findet sich ein

307 Sprechakt, der mithilfe einer konstitutiven Regel beschrieben werden kann oder durch seine Eigenschaften als intersubjektive Instruktion. Machen Sie am Beispiel den Unterschied in der Beschreibung des Sprechaktes und seines Kontextes nach dem jeweiligen Regeltyp klar und begründen Sie, welche Position Sie selber einnehmen würden und mit welchen linguistischen Argumenten Ihre Position gestützt werden kann. i: wie habt ihr +1 + den neunten november + verbrachtΛ + nu erzählt ma was über die tage danach k: soll ick anfang? g: jo_ k: na dann fang ick ma an_ also neunten november + neunundachtzig jaA + (B 0 13, Korpus „9. November 1989") 5. Prüfen Sie vier einschlägige moderne Grammatiken des gegenwärtigen Deutsch auf ihre Berücksichtigung von Äußerungen/Sätzen aus Korpora: 1. Eisenberg, Peter (31994) Grundriß einer deutschen Grammatik 2. Duden (31973) Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, Mannheim: IdS 3. Grundzüge einer deutschen Grammatik (1981) Von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Karl-Erich Heidolph, Walter Flämig und Wolfgang Mötsch, Berlin 4. Heibig, G. & Buscha, J. (101986) Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig Prüfen Sie die Authentizität der zitierten Beispiele in diesen Grammatiken und ordnen Sie die Grammatiken nach „eher natürliche, authentische Belege" vs. „eher künstliche, erfundene Belege". Welche Bedeutung messen Sie dem Unterschied zwischen diesen beiden Polen in der Belegung von Beschreibungen bei? Prüfen Sie auch, wie die Geschlechter in den Beispielen verteilt sind und ob diese angemessen vertreten sind. Geben Sie abschließend eine Bewertung der Grammatiken in Bezug auf „authentische Belegung" der Beschreibungen ab. 6. Diskutieren Sie Möglichkeiten und Grenzen der Korpusgrammatik. Wollten wir für eine Grammatik nur Korpusbelege berücksichtigen, würde diese Grammatik dann vollständig sein? Erläutern Sie den Unterschied zwischen sprachlichem Wissen und Gebrauch sprachlicher Ausdrücke in Diskursen. Würden Sie, als Belege für grammatische Regeln, eher mündliche oder eher schriftliche Daten oder beide berücksichtigen? Begründen Sie Ihre Position! 7. Die folgende Tabelle gibt Ihnen eine Übersicht über die in drei Bezirken von Berlin realisierten Häufigkeiten für die Varianten [das], [dis], [dat], [dit] (Schlobinski 1987)

Zehlendorf Wedding Prenzlauer Berg

[das] 216 48 16 280

Beobachtende Werte [dis] [dat] 85 5 22 5 4 5 14 112

[dit] 44 267 306 617

Σ 350 342 331 1023

Versuchen Sie, für diese vier Varianten, deren Gesamtvorkommen Sie jeweils in der rechten Spalte der Tabelle haben, eine Variablenregel zu schreiben. Dabei sollten Sie berücksichtigen, daß es sich um die Variation des auslautenden Konsonanten

308 sowie um die Variation des interkonsonantischen Vokals handelt. Bei der Regelformulierung können Sie folgende weiteren einschlägigen Schriften konsultieren: Schlobinski, Peter (1987) Stadtsprache Berlin, Berlin (de Gruyter), 72 ff. Sankoff, David (1988) Variable Rules, in: Ammon, Dittmar & Mattheier (Hgg.) Soziolinguistik. Ein internationales Handbuch zur Wissenschaft in Sprache und Gesellschaft, Berlin (de Gruyter, Band 2, 984-997) 8. Interpretieren Sie die folgende Tabelle, die auf einer Analyse mit Regeln der Varietätengrammatik beruht: Anwendung von Regeln zur Verbgruppe des Deutschen durch vier Gruppen nichtmuttersprachlicher Migranten und eine Gruppe einheimischer Heidelberger Sprecher (je 12 Sprecher pro Gruppe) Regeln der verbalen Gruppe Gruppen I π m rv HD

VG-+VP 0.96 0.91 0.73 0.43 0.44

VG-»PRC VG—»AuxVP 0.03 0.00 0.04 0.02 0.14 0.03 0.22 0.27 0.18 0.25

VG->MV VP 0.01 0.03 0.10 0.07 0.12

VG-»AuxMWP VG->Aux PRC 0.00 0.00 0.00 0.00 0.00 0.00 0.00 0.00 0.01 0.00

Aux = Auxiliar; MV = Modalverb; PRC = prädikative Kopula; VG = Verbgruppe; VP = Verbalphrase Schreiben Sie für die Regeln der Tabelle einen Regelblock. Aus dem Regelblock ersehen Sie, wenn Sie ihn richtig geschrieben haben, daß die Verbalgruppe jeweils aus nur einem Verb, einer Kopula, um Auxiliar und/oder Modalverb erweiterte Verbalphrase besteht. Für die einzelnen Regelvorkommen gibt es dann Anwendungswahrscheinlichkeiten, die Sie in der Tabelle finden. Was sagt die Tabelle aus? Interpretieren Sie die Anwendungswahrscheinlichkeiten in Bezug auf die jeweilige Regel zur Verbgruppe im Deutschen sowie die „sprachlichen Fähigkeiten" der Heidelberger sowie der Gruppen I-IV (I: niedrigstes Niveau im Deutschen als Zweitsprache, IV: höchstes Niveau im Deutschen als Zweitsprache). 9. Welche Unterschiede bestehen zwischen Variablenregel und Varietätengrammatik? Geben Sie solche Unterschiede am Beispiel der Aufgaben 7 und 8 wieder. 10. Im Abschnitt 5.4.2 war die Rundungsregel fur kurzes / im Berlinischen vor r, /, m, s als Variablenregel erläutert worden. In der Tabelle 5-4 werden 10 Sprecher nach ihrer Realisierung des i als /y/ (gerundetes i) implikativ geordnet. Formulieren Sie auf der Folie dieses Beispiels (Tab. 5-4) mit Ihren eigenen Worten, welche Vorteile die implikative Anordnung gegenüber einer reinen quantitativen Aussage durch die Variablenregel bedeutet. Erläutern Sie, was die quantitativen Werte in der Tabelle bedeuten.

6 Ausblick150

In diesem Buch wurde die eine Seite der Medaille Soziolinguistik bearbeitet: Die Grundlagen (Konzepte, Grundbegriffe, theoretische Probleme). Die andere Seite der Medaille - den Grundlagen nachgeordnet - ist die Anwendung dieser Konzepte: Die Darstellung der Datenerhebungstechniken, der zur Verfugung stehenden Transkriptionssysteme zur Verschriftlichung von Daten, der Anwendung von Beschreibungsinstrumenten in empirischen Untersuchungen und die kritische Bilanz der Ergebnisse solcher empirischen Untersuchungen. Diese Fragen werden mich in Dittmar (1998) beschäftigen. Anstelle einer Zusammenfassung der in den fünf Kapiteln zusammengetragenen Grundlagen sollen im folgenden Forschungsdesiderate formuliert werden, die eine kritische Durchsicht soziolinguistischer Konzepte im Laufe unserer Ausführungen als Forschungsdefizit ausgewiesen hat. Dabei kann es selbstverständlich nur um eine Auswahl relevanter Forschungsfragen gehen, die ich im folgenden unter einem vorangestellten Stichwort diskutiere. 1. Forschungsparadigmen Ich habe mich im wesentlichen auf die vier in der amerikanischen Forschung ausgewiesenen Paradigmen bezogen, die ich auch für die international relevanten Paradigmen halte. Es ist nicht ausgemacht, daß ein Paradigma aufgrund seines Prestiges in den USA (und deswegen auch in anderen Ländern) forschungslogisch richtig liegt. Die sprachsoziologischen Ansätze im Deutschland des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts sollten rekonstruiert und auf neue theoretische Einsichten hin befragt werden. Eine solche wissenschaftsgeschichtliche Rekonstruktion würde Ideen für neue Teiltheorien liefern und damit die Verbindung zu einem wissenschaftlichen Erbe herstellen können, das die Identität einer kulturspezifischen Forschung darstellt. Das gleiche gilt z.B. für Japan, das offenbar ebenso unveröffentlichte wichtige sprachsoziologische Traditionen hat.151 Kulturspezifische wissenschaftliche Ansätze stehen in Konkurrenz zu uni-

150

151

Im folgenden formuliere ich einige Forschungsdesiderate, die sich aus den Ausführungen in diesem Buch ergeben. Dabei sollte nicht übersehen werden, was in diesem Buch fehlt: Eine Darstellung der Ziele und Leistungen der Einstellungsforschung; eine systematische Darstellung der empirischen Ergebnisse zur Variation des Deutschen; beides wird in Dittmar (1998) nachgeholt. Persönliche Mitteilung von Sachko Ide (1995).

310 verseilen Methoden. Die Konkurrenz um Anteile an den universellen Methoden ist eine gute Voraussetzung fur den Fortschritt im allgemeinen. Die vier Forschungsparadigmen habe ich als solche vorgestellt, die auch heute wesentliche Tendenzen der aktuellen Forschung bestimmen. Einer Bewertung, welche Instrumente überholt sind und welche vielversprechende neue Perspektiven eröffnen, habe ich nicht vorgenommen (obwohl ich zu verschiedenen Methoden kritische Anmerkungen gemacht habe). Dazu ist die Geschichte der Soziolinguistik noch zu jung. Jede der genannten vier Paradigmen hat über die letzten 30 Jahre erhebliche theoretische und empirische Detaillierungen erfahren. In dem Spannungsverhältnis von Makround Mikrokonzepten, konzeptuellen Konstrukten und interaktiven Realitäten ist die Aufgabe in dem nächsten Jahrzehnt die Erstellung eines integrativen Modells. Ein solches ist zur Zeit nicht in Sicht, sollte aber Gegenstand zukünftiger Forschung sein. 'Grundlagen' entstehen in der Dialektik sukzessive aufeinander aufbauender Forschungsarbeiten. Ihre Genese, die mit Eliminierungen von Begriffen, neuen und in Intension und Extension veränderten Begriffsbestimmungen einhergeht, habe ich in Kapitel 2 nachzuzeichnen versucht, um darauf Begriffsexplikationen aufzubauen. Dieses Vorgehen halte ich auch in Zukunft für sinnvoll, um eine von Moden unabhängige Entwicklung soziolinguistischer Konzepte zu ermöglichen. 2. Soziolinguistische Theorie Der Erfolg der letzten Jahrzehnte versetzt manche Soziolinguisten in die Hoffnung, die nun konstituierte Disziplin könne aus sich heraus eine Theorie entwickeln. Meistens wird diese Hoffnung von Vertretern der Linguistik geäußert (vgl. Berutto 1995). Eine einseitige Vereinnahmung der Soziolinguistik durch die Linguistik könnte jedoch zu ernsthaften Defiziten im Makro-Bereich, dem der gesellschaftlichen Erklärung, fuhren. Ein Dialog mit den Sozialwissenschaftlern, wie er beispielsweise in den 70er Jahren gefuhrt wurde, ist nützlich und notwendig, um die Möglichkeiten und Grenzen einer Theorie zu erkunden. In der Spezifizierung soziologischer Parameter, die Status und Funktion von Sprachen erklären können, ist großer Fortschritt gemacht worden. Nun steht eine Sortierung dieser Parameter nach zentraler vs. peripherer Erklärungskraft an. Sprachgemeinschaftsvergleichende Untersuchungen fuhren hier weiter. Es ist durchaus denkbar, Kernkonzepte zu formulieren, deren Ausprägungen in Sprachgemeinschaften verglichen werden. Mit einem auf Vergleich angelegten Raster könnten Stärken und Schwächen einzelner Konzepte besser getestet und die Theoriebildung vorangetrieben werden. Welche soziologischen Modelle sprachsoziologischen Bedürfnissen entgegenkommen, wäre theoretisch zu klären. Fritz Schütze hat den Prozeß

311

einer Klärung mit seinem Monumentalwerk zur Sprachsoziologie (Schütze 1975) begonnen. Die Weiterfuhrung solcher Arbeiten ist wünschenswert. Die Angemessenheit einer soziolinguistischen Theorie wird sich auch an der Berücksichtigung von Konflikten im Bereich 'Sprache und Ungleichheit' bemessen lassen. Empirische Arbeiten müssen aus ihnen so ableitbar sein, daß ihre Ergebnisse wiederum zu einer Minderung der durch Sprache verursachten Ungleichheiten beitragen können. Eine der besterforschten Begriffe der Makrosoziolinguistik ist Diglossie. Die Forschung zeigt, daß dieser Begriff strenger definiert werden muß, um für empirische Untersuchungen valide zu bleiben. Sowohl Intension als auch Extension des Begriffes müssen klar umrissen sein. Soziolinguistische Theorie könnte auch schwerpunktmäßig darin bestehen, die vorliegenden bewährten Begriffe auf der Folie empirischer Untersuchungen expliziter zu fassen und theoretisch in einem Gesamtmodell zu verankern. Ähnliche Desiderate ergeben sich für nach Status und Funktion differenzierte Sprachbegriffe wie Standardsprache, Umgangssprache oder Lingua Franca (u.a.). Sie können mithilfe von Attributen oder logischen Prädikaten als Profile definiert werden, die aus obligatorischen und optionalen Prädikaten bestehen. Vergleichende Profilbeschreibungen tragen zur Validierung der Formeln bei. In welchem Maße variationistische Beschreibungen in Status- und Funktionsbestimmungen von Sprachen eingehen bzw. makrosoziolinguistische Parameter variationslinguistische Beschreibungen beeinflussen, ist in der aktuellen Forschung wenig geklärt. Z.B. führt Kuo (1979) 'Verständlichkeit' als einen Parameter zur Bestimmung von Mehrsprachigkeitsprofilen in Sprachgemeinschaften an. Das Konzept 'Verständlichkeit' ist dabei linguistisch ungenügend expliziert. Nach wie vor ist unklar, warum Kastilisch, Galizisch und Kastilisch in Spanien als unterschiedliche Sprachen gelten, Friaulisch, Piemontesisch und Sizilianisch in Italien jedoch als Dialekte. Trotz vergleichbarer linguistischer Distanz ist der Status der genannten Sprachen/Varietäten sehr verschieden. Ebenso wäre zu fragen, warum Holländisch eine eigene Sprache, Schweizerdeutsch jedoch nicht ist. Verschiedene Gesichtspunkte müssen auseinandergehalten werden: 1. daß verschiedene Sprachen durchaus wechselseitig verständlich sein können (vgl. die skandinavischen Sprachen); 2. daß wechselseitige Verständlichkeit nur partiell sein kann, d.h. es gibt nur punktuelle Überlappungen und 3. daß wechselseitige Verständlichkeit oft ein Problem der Motivation der involvierten Sprecher ist (vgl. z.B. Katalanisch und Kastilisch). Es geht hier um schwer vergleichbare Qualitäten; empirische Forschungen sollten darauf ausgerichtet werden, unterschiedliche Qualitäten der Verständlichkeit von Varietäten und Sprachen herauszuarbeiten.

312

3. Varietätenbestimmung Die Ausführungen in Kapitel 4 widmen sich zwei zentralen Fragen: 1. Welche Faktoren ordnen den Varietätenraum? 2. Wie lassen sich Varietäten voneinander abgrenzen?

Die Ordnung von Varietäten betrachte ich als eine nicht-triviale Frage. Ob Varietäten zu einem gegebenen Zeitpunkt die gleiche Chance haben, erworben zu werden, oder ob es eine Reihenfolge in ihrem Erwerb gibt, scheint ein wichtiger Gesichtspunkt zu sein. Ebenso gibt es Gesichtspunkte der kommunikativen Reichweite, des kleineren oder größeren Funktionsumfanges, den eine Varietät haben kann, und ihres mehr oder weniger gewichtigen Status in einer Sprachgemeinschaft. Ich habe klargestellt, daß zunächst Handlungsschemata in Form von Registern in Situationen mit einer gewissen stilistischen Variation erworben werden; dialektale und soziolektale Eigenschaften sind habituelle Überformungen der Registerkompetenz, die über die soziale und regionale Identität der Sprecher etwas aussagen. Große Forschungsdefizite bestehen in der funktionalen Differenzierung der Varietäten: In welchem Maße können Registereigenschaften je nach Situation mit Standard oder Dialekt einhergehen? Wie beschreiben wir Überlappungen zwischen Varietäten? Mit welchen Begriffen trennen wir Stil und Register in einem Kommunikationsereignis? Ein weiteres Problem der Bestimmung von Varietäten im Varietätenraum besteht darin, gewisse linguistische Eigenschaften im Sprachverhalten (bezogen auf einen dominanten Dialekt oder den überdachenden Standard) als Varietät von anderen Varietäten abzugrenzen. Dialekte lassen sich als Sprachgebrauchssysteme relativ konsistent erfassen, obwohl auch dies in der Praxis extrem schwierig ist. Kann man nun geschlechtsspezifische Unterschiede als unterschiedliche Sprachgebrauchssysteme beschreiben? Die vorliegenden empirischen Untersuchungen erlauben keine schlüssige Antwort auf diese Frage. Wenn wir nun geschlechtsspezifische Unterschiede mit dem Konzept des Stils beschreiben, dann fragt sich, wie Stile von Varietäten abgegrenzt werden können. Damit rückt die Abgrenzung von Varietäten in den Mittelpunkt weiterführender Forschung. Kann ein mit bestimmten sprachlichen Mitteln realisierter Diskurs gleichzeitig Register und Dialekt und Gerontolekt (Jugendsprache) sein? Kann also ein Sprech- oder Kommunikationsereignis die Funktion mehrerer Varietäten zugleich erfüllen? Diese Frage muß theoretisch mit ja beantwortet werden. In der Beschreibungspraxis müßte jedoch differenziert werden nach: 'Dominante Anteile an der Varietät X,

313

auffällige Anteile an der Varietät Y und Spuren der Varietät Z'. In welcher „Reinheit" oder Mischung tauchen Varietäten auf?152 Die Beschreibungsinstrumente zur Abgrenzung von Varietäten sind bisher schwach entwickelt. Die Variablenregeln beschreiben nur punktuelle Eigenschaften von Varietäten, die Varietätengrammatik, die ganze Varietäten miteinander vergleichbar machen könnte, ist bisher wenig auf die großflächige Beschreibung verschiedener Varietäten angewandt worden. Es fehlt an einem Beschreibungsmodell, das Phonologie, Morphologie, Syntax und Semantik in einem integrierten Modell beschreibbar macht. Nicht selten wird der funktionalen Grammatik eine Schlüsselrolle fur ein solches Beschreibungsmodell zugewiesen. Wie ein solches Modell jedoch aussehen soll, welche Regeln für Form-Funktionsentsprechungen angewandt werden können, ist alles andere als klar. Überhaupt liegt meines Wissens keine Arbeit vor, die die gegenwärtigen Grammatiktypen darauf untersucht, mit welcher Angemessenheit sie grammatische Variation erfassen können.153 Die meisten soziolinguistischen Beschreibungen einzelner sprachlicher Phänomene/V ariablen werden nach keiner expliziten Modellwahl durchgeführt. Die Anfang der 70er Jahre heftig geführte Diskussion nach Möglichkeiten soziolinguistischer Grammatik sind in den 80er und 90er Jahren nicht weitergeführt worden. Hier gibt es erheblichen Nachholbedarf. Es bleibt fraglich, ob wir aufgrund von Produktionsregeln (vorhandene vs. nicht-vorhandene Eigenschaften) Varietäten voneinander abgrenzen können. Häufig (und zu Recht) wird kritisiert, daß die Verständlichkeit von Varietäten zu ihrer Bestimmung nicht genügend berücksichtigt wird. Nun ist 'Verständlichkeit' als Kriterium für Nähe vs. Distanz von Dialekten zum Standard ein einsehbares Kriterium. Wie bereits oben für die Bestimmung von Status und Funktion von Sprache erwähnt, ist eine offene Frage, wo eine Varietät aufhört und eine Sprache beginnt. Schweizerdeutsche Dialekte werden von Norddeutschen in der Regel nicht verstanden; sie gelten aber als Dialekte. Schweden, Norweger und Dänen können sich mit ihrer jeweiligen skandinavischen Sprache relativ gut untereinander verstehen - es handelt sich hier jedoch um Sprache und nicht um Dialekte. 'Verständlichkeit' für empirische Untersuchungen besser zu operationalisieren, ist sicher ein besonders aktuelles Forschungsdesiderat. Regeln der Produktion müssen mit Maßen des Grades der Verständlichkeit zur Bestimmung von Varietäten besser koordiniert werden. 152

153

In Kapitel 1 hatte ich ja die Position von Coseriu erläutert. Danach wird zu einem Zeitpunkt t¡ nur in einer Varietät gesprochen, zu einem Zeitpunkt t2 möglicherweise in einer anderen Varietät. Die Frage aber ist, inwieweit können sich Varietäten im Ausdruck überlagern? Habel (1979) und Lieb (1993) widmen sich theoretischen Vorklärungen dieses Problems, schlagen jedoch keine konkreten Lösungen vor.

314 'Verständlichkeit' ist jedoch in einem ganz anderen Sinne ein Problem für Rotwelsch, Argolekte und möglicherweise andere Sondersprachen. 'Verständlichkeit' hängt hier von Wissen ab: Den Chefarztslang kann man eben nur verstehen, wenn man die fachsprachlichen Anteile verstehen kann. Ebenso steht es mit dem Register des Staatsanwalts bei Gericht. Ohne juristisches Wissen ist die (hier: semantisch und pragmatisch bestimmte) Verständlichkeit nicht gegeben. Mit anderen Worten: Es reicht nicht, Produktionsregeln und Verständlichkeitsmaße zu berücksichtigen, sprachliches und Weltwissen spielten auch eine Rolle. Welche Möglichkeiten der Regelformulierung für die Beschreibung von Sprachverhalten bestehen, habe ich in Kapitel 5 dargestellt. Die etablierten Beschreibungsmodelle erfassen, soweit ich sehe, nur ausgewählte Bereiche der Grammatik. Die neuere Forschung muß sich darum bemühen, angemessene Instrumente zur Beschreibung der Variation semantischer und pragmatischer Eigenschaften zu entwickeln. Zur Zeit sind qualitative Beschreibungen diesbezüglich fruchtbar.

7 Verzeichnisse

7.1 Abbildungsverzeichnis

Abbildung 2-1 : Methodik bei der Erforschung 'linguistischer Relativität' nach Lucy (1992: 276) Abbildung 2-2: Die Realisierung der Varianten einer linguistischen Variablen als Funktion von Kontextstilen und Schichtzugehörigkeit (unterschiedliche Gewichtungen aufgrund verschiedener quantitativer Ausprägungen) nach Labov (1972d) Abbildung 2-3: Soziale und stilistische Stratifizierung der Variablen (th) für 5 soziale Schichten (unterschieden nach sozioökonomischem Status) und 4 Stilen (unterschieden nach dem Formalitätsgrad des Sprechens) in der NewYorker Studie von Labov Abbildung 2-4: Schichtspezifische Verteilung der Variablen (r) in guard, car fur New Yorker Erwachsene: 'Hyperkorrektes' Verhalten der unteren Mittelschicht (nach Labov 1966) Abbildung 2-5: Mehrebenenanalyse: Beziehung zwischen sprachsoziologischen Konstrukten höherer und niederer Ordnung nach Fishman; Pfeilrichtung: top-down-Einwirkung höherer und niederer Konstrukte Abbildung 2-6: Kommunikationsprozeß in ethnographischer Perspektive (nach Gumperz 1967: 13) Abbildung 2-7: Modellierung des Konzeptes 'Kontextualisierungshinweise' nach Auer (1992: 28) Abbildung 2-8: Die Organisation des Sprecherwechsels in Gesprächen Abbildung 3 -1 : Dimensionen einer proto-soziolinguistischen Theorie Abbildung 3-2: Doppelt überlappende Diglossie in Tansania nach Fasold (1984:45) Abbildung 3 -3 : Doppelt eingebettete Diglossie nach Fasold ( 1984) Abbildung 4-1: Mehrfache Überdachung eines Dialektes Dl durch weitere Dialekte und den Standard Abbildung 4-2: Das Verhältnis von Dialekt und Soziolekt nach Steinig (1976: 17) Abbildung 4-3 : Funktion der SV nach Downes ( 1984: 3 5) Abbildung 4-4: Modellierung der Registerkonzeption Abbildung 5-1: Variablenregel g -> j/ (V, K). Rangfolge der Konsonanten und Vokale, die die palatale Spirantisierung begünstigen (nach Dittmar & Schlobinski 1988: 51 und Schlobinski 1987: 111 ff.) Abbildung 5-2: Implikationsskala als Wellenmodell (nach Dittmar & Schlobinski 1988: 1023)

40

59

59

63

76 84 85 91 108 147 147 184 192 203 211

272 286

316 7.2 Tabellenverzeichnis Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle

1 -1 : Matrix für 72 Varietäten des Deutschen 2-1 : Deutsch und Französisch im Kontrast 2-2: Sprache und grammatischer Aspekt 2-3 : Ethnographisches Analyseraster SPEAKING (nach Hymes) 2-4: Soziolinguistische Paradigmen im Vergleich 2-5: Gegenüberstellung emplarischer Unterschiede zwischen qualitativen und quantitativen Methoden (vgl. Dittmar 1988: 883) Tabelle 3-1 : H- und L-Varietäten (hochsprachliches vs. lokales Prestige) als kommunikativ-komplementäre Gebrauchsdomänen in diglossischen Sprachgemeinschaften (nach Fasold 1984: 35)) Tabelle 3-2: Beziehungen zwischen Bilingualismus und Diglossie nach Fishman (1971b: 288) Tabelle 3-3: 'Diglossie' und 'Dinomie' überwiegend sozial, 'Zweisprachigkeit' und 'Bikulturalität' überwiegend individuell verteilt Tabelle 3-4: Makro- und Mikrodiglossie nach Trumper (1989) Tabelle 3 -5 : Diglossie und Zweisprachigkeit nach Berruto (1995: 244) Tabelle 3-6: Die 'nationale' Funktion von L Tabelle 3-7: Die 'offizielle' Funktion von L Tabelle 3-8: Die 'territoriale' Funktion von L Tabelle 3-9: Die 'verkehrssprachliche' Funktion von L Tabelle 3-10: Die 'minoritäre' Funktion von L (mL= 'Minderheitensprache') Tabelle 3-11: Die 'regionale' Funktion von L (RL) Tabelle 3-12: NL,OL und TL im Vergleich Tabelle 3-13: Unterschiede/Gemeinsamkeiten zwischen RL und VL Tabelle 4-1 : Der Prozeß der Standardisierung einer Varietät nach Haugen (1972:110) Tabelle 4-2: Operationale Definition der SV nach Deutrich & Schänk (1972: 15 f.) Tabelle 4-3: Klassifikatorischer Begriff für 'Standardvarietät' (nach Ammon 1994:53) Tabelle 5-1: Varietätengrammatik: hypothetisches Beispiel eines 'Regelblocks' (nach Klein 1988: 1000) Tabelle 5-2: Ideales Modell der Guttman-Skala (nach Hatch & Farhady) Tabelle 5-3 : Kombinationen eines Merkmalpaares mit leerem Feld Tabelle 5-4: Dreiwertige Implikationsskalenbeschreibung (nach Dittmar & Schlobinski 1988: 1022) Tabelle 5-5: Variable und kategoriale Gebiete nach Eliminierung von 7 scaling errors (nach Dittmar & Schlobinski 1988: 1022) Tabelle 5-6: Verteilung der Verbzweit- und Verbendstellung im weil-Satz bei Ost-und Westberlinern (absolute Häufigkeiten) Tabelle 5-7: Der Gebrauch der Modalpartikeln halt und eben durch je 16 Ost- und Westberliner Sprecher Tabelle 5-8: Verteilung von ey nach Sprechhandlungsfunktionen (%) (aus: Schlobinski et al. 1993: 163) Tabelle 5-9: Verteilung von ey in Abhängigkeit von Positionen und Sprechhandlungsfunktionen in den Untersuchungsgruppen I und II (%) (aus: Schlobinski et al. 1993: a.a.O.)

15 34 38 82 100 102

140 141 144 146 151 158 158 158 159 159 160 160 161 202 203 205 275 279 281 285 286 294 298 301

302

317 Tabelle 5-10: Partikel ey (Stellung im Satz, Hauptfiinktionen) nach Schlobinski et al. (1993, a.a.O.)

302

8 Literatur

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9 Register153

9.1 Autorenregister

—A— Abelson, R.P. 157 Abraham, W. 186 Ager, D.E. 197; 210 Alatis, J.E. 22 Albrecht, J. 216; 249 Ammon, U. II; V; 7; 22; 24; 33; 71; 72; 79; 111; 113; 122; 152; 156; 171; 172; 184; 185; 187; 188; 195; 204; 205; 250; 251; 308 Arens 174 Auburger, L. 156; 159 Auer, P. I; 83; 84; 85; 98; 112; 192; 199; 222; 226; 227; 288 Auwälter, M. 122 —Β— Bailey, Ch. J. 32; 176; 180; 268; 281; 282; 285 Bally, Ch. 34 Barbour, S. 31; 250; 257 Bartsch, R. 74; 166; 167; 168; 169; 204 Bauer, Α. 236; 240 Bausani, Α. 218

153

Bayer, J. 186; 298; 299 Baylon, Ch. 21; 26 Bechert, J. 42; 233 Becker, A. 25; 31; 107; 109; 135; 185 Berend, N. 7; 8; 188 Berger, P L. 115 Bernstein, B. 24; 36; 37; 115; 124; 192 Berretta, M. 216 Berruto, G. II; V; 1; 19; 21; 26; 31; 111; 112; 135; 142; 150; 151; 152; 153; 171; 173; 215; 227; 228 Besch, W. 130 Betten, Α. 288 Biber, D. 213 Bickerton, D. 183; 282;284 Bierwisch, M. 269 Bloch 181 Bloomfield, L. 131; 236 Boas 35; 38 Bourdieu, P. 119; 123; 126; 128; 138; 157; 171; 213; 223 Boutet, J. 152 Braun, V. 220 Brinker, K. 91; 92; 93 ; 94 Brown, R.W. 36

Buscha, J. 255; 307 Bußmann, Η. IV; 113; 184; 195;218 Bynon 248

—c— Cedergren, H. 60; 61 Chambers, J. 51; 130; 185; 191 Chomsky, N. 28; 29; 55; 60; 65; 107; 110; 127; 173; 174; 177; 267; 268; 269 Christen, H. 80 Cicourel, A. 23; 96 Conklin, H.C. 23; 37; 86 Conrad, E. 79 Corder, P. 242 Coseriu, E. 2; 14; 15; 164; 166; 178; 214; 313 Coulmas, F. 161 Crystal, D. 113 Currie, H.C. 19,20 —D— DeBose, Ch.E. 216 DeCamp, D. 107; 237; 240; 278; 280; 281 Deutlich, K.H. II; 203 Dieckmann, W. 31; 41

Bei sehr häufig verwendeten Termini wie ζ. B. 'Diglossie', 'Register' oder 'Varietät' werden nur jene Seiten aufgeführt, auf denen Begriffsexplikationen gegeben werden.

352 Dijk, T. 47 DiLuzio, Α. 83 Dittmar, Ν. I; II; III; IV; V; 20; 24; 25; 26; 31; 33; 43; 45; 50; 52; 53; 57; 60; 65; 70; 78; 79; 89; 97; 101; 102; 107; 109; 135; 152; 163; 171; 174; 176; 177; 185; 188; 189; 191; 192; 193; 200; 213; 215; 217; 223; 225; 229; 241; 242; 243; 258; 260; 261; 272; 273; 276; 277; 281; 282; 283; 285; 286; 287; 289; 296; 298; 299; 303; 308; 309 Donath, J. 283 Downes, W. I; 24; 26; 83; 87; 91; 203; 266 DUDEN 2; 255; 259 —E— Eckert, R. 142; 148 Edwards, J.R. 123 Eglin, P. 96; 263; 265; 266 Ehmann, H. 247 Eichhoff, J. 200; 296 Eisenberg, P. 255; 307 Engel, U. 290 Erickson, F. 23; 82; 83; 122; 123; 130 —F— Farhady, H. 73; 278; 279 Fasold, R. I; II; 87; 140; 146; 149; 154; 156; 157; 254; 283 Ferguson, Ch. 24; 72; 77; 79; 123; 137; 139; 140; 142; 146; 150; 160; 171; 209; 216 Finegan, E. 213

Firth, J.R. 207 Fischer, J.L. 115; 183 Fishman, J. I; II; 20; 21; 22; 24; 25; 28; 37; 45; 46; 51; 70; 71; 72; 73; 74; 75; 76; 77; 78; 79; 104; 133; 141; 142; 144; 148; 155; 157; 176; 177; 206 Flämig, W. 255; 271; 307 Flint, E.H. 148 Foucault, M. 47 Frake, Ch. 37; 86 Frey, E. 269 Friedrichs, J. 22; 79 Fürstenberg, F. 113; 130 —G— Gabelentz, G. von 31; 32; 63 Gadet, F. 26 Gal, S. 137; 138; 286 Garfinkel, H. 23; 48; 87; 88; 89; 96; 110; 265; 266 Garvin, P. 201; 202 Gaumann, U. 289 George, Κ. 219Giles, Η. 183 Gilliéron 48; 49 Girke, W. 26 Gloy, Κ. 164; 165; 166 Goetze, D. 115 Goodenough, W. 86 Gordon, D P. 220 Greule, A. 220 Grice, H.P. 169; 266 Gumperz, J.J. I; 24; 46; 84; 85; 97; 98; 105; 112; 137; 145; 147; 176; 214; 223 Günthner, S. 83; 292; 294; 295 Guttman, L. II; 278; 279

—H— Haas, W. 153; 171 Habel, Ch. 244; 306; 313 Haberland, H. 24,81 Habermas, J. 45; 107; 109; 114; 115; 234 Hager, F. 24 Hall 236 Halle, M. 55 Halliday, M.A.K. 112; 133; 193; 207; 208; 213; 215; 216; 232 Hancock, I. 236,240 Harris, Z. 68 Hartmann, G. 198 Härtung, W. 136; 141; 165; 192; 225; 231; 232 Hatch, E.M. II; 73; 278; 279 Haugen, Ε. II; 186; 202 Haust, D. 97; 139; 260 Heath, S. 79; 84; 123 Heidolph, Κ.-E. 255; 271; 307 Heibig, G. 255; 307 Hellinger, M. 64; 240 Henne, H. 95; 218 Hentschel, E. 200; 296; 297; 299 Herasimchuk, E. 73 Herzog, M.J. 68; 120 Highfield, Α. 240 Hinnenkamp, V. 224 Hinrichs, U. 220 Hjelmslev, L. 27; 28; 29 Hockett, Ch.F. 68; 132;236 Hoijer, H. 36 Holtus, G. 42; 194; 196; 198; 249 Hopper, P. 66 Humboldt, W. von 24; 29; 35; 36; 38; 43 Hymes, D. I; 20; 22; 23; 37; 82; 83; 112; 123; 132; 134; 137;

353 144; 162; 227; 239; 240; 266 —J— Jaberg, Κ. 49 Jachnow, Η. 26 Jacobs, J. 23; 48 Jeanjearet, P. 155 Jefferson, G. 23; 88; 89; 90; 95 Joseph, J. 151 Jud, J. 49 —K— Kallmeyer, W. 23; 24; 85; 86; 90; 111; 194; 225; 226; 233 Kanngießer, S. 269 Kay, P. 37; 234; 237 Keller, R. 248 Kiefer, K. 115 Klein, W. II; 25; 31; 53; 61; 107; 109; 132; 135; 138; 175; 176; 177; 185; 192; 213; 241; 242; 243; 273; 274; 275; 276; 282 Kloss, H. 46; 149; 153; 259 Koch, P. V; 3; 180; 213 Kohl, G. 3; 233; 256; 259; 301 Kokemohr 303 König, W. 197 Kotthoff, H. 233 Kreckel, R. 130 Kristensen, M. 49 Kubczak, H. 190 Kuo, J. 154; 311 Küper, Ch. 289 Kurath, H. 49

Labov, W. I; 20; 22 28; 32; 50; 51; 52 53; 54; 55; 56; 57

58; 59; 60; 61; 62; 63; 64; 65; 66; 67; 68; 69; 70; 97; 100; 103; 104; 112; 116; 120; 129; 133; 137; 186; 189; 192; 194; 196; 222; 227; 228; 230; 237; 247; 248; 266; 267; 269; 272; 277;281 Lakoff, G. 39 Lambert, W. 122 Lang, M. 27; 28 Lasch, A. 24; 29 Leodolter, R. 123 LePage, R. 134; 135; 163 Lieb, H.H. 81; 177; 181; 182; 245; 248; 313 Linke, Α. IV; 113; 306 Löffler, H. 24; 29; 30; 31; 33; 180; 185; 186; 187; 188; 189; 222 Loflin, M. 269 Luckmann, Th. 48; 70; 110; 115 Lucy, J. I; 36; 40 Ludevvigt, I. 233; 301 Lüdi, G. 143; 149 Luhmann, Ν. 109; 110; 115; 116 Lyons,! 113; 132 —M— Ma, R. 73 Maas, U. 29 Marcellesi, J.-B. 26 Martinet, A. 52; 153 Mauro, T. de 197 McDavid, R. 49 Mcintosh, A. 49; 133; 207; 232 Mead, M. 110 Meillet, A. 153 Meisel, J. 251 Meyer, P. 115 Mihm, A. 193; 195

Milroy, L. 8; 52; 57; 97; 102; 111; 260 Mioni, A.M. 145; 153 Montague, R. 27; 28; 29; 107; 110; 174 Mötsch, W. 169; 255; 271; 307 Mühlfeld, C. 115 Munske, H.H. 195; 196 —N— Nabrings, K. 178; 189; 190; 206; 213; 214; 227 Nemser, W. 242 Neuland, E. 122 Neumann, W. 136 Nussbaumer, M. IV; 113; 306 — o — O'Barr, W.M. 121 Oesterreicher, W. 3; 180 Oevermann, U. 115; 122 Oksaar, E. 181; 182 Opp, K.-D. 22; 79; 113 —P— Paris, R. 44; 47; 72 Parsons, T. 52; 54; 65; 110 Paul, H. 49; 164 Piaget, J. 36 Piatt, J. 149; 186 Polenz, P. von 255 Polivanov, E.D. 24 Portmann, P.R. IV; 113 Powesland, P.F. 183 Preston, D R. 43 Psathas, G. 87; 88 Putnam, H. 169 Py, B. 155

354 —R— Raabe, H. 242 Rath, R. 287,288 Redder, Α. 290 Rehbein, J. 153; 214; 232 Rehbock, Η. 95 Reimann, Η. 114; 115 Rickford, J.R. 282 Rieck, Β.-O. 53 Roche, J. 210; 218; 235; 257; 260 Romaine, S. 73; 97; 130; 133; 139; 182; 266 Rousseau, P. 284; 285; 287 Rudolph, E. 290 Russ, Ch.V. 5; 185 —S— Sacks, H. 23; 48; 89; 90; 95; 101; 105; 266 Sager, S.F. 91; 92; 93; 94 Sanders, C. 197,210 Sandig, B. 222; 223 Sankoff, D. 22; 55; 60; 61; 234; 237; 284; 285; 287; 308 Sankoff, G. 41; 119; 121; 234; 237; 284; 285; 287; 308 Sapir, E. 24; 35; 36 Saussure, F. 24; 28; 29; 72; 81; 127 Schegloff, E. 23; 88; 89; 90; 92; 95; 101; 105 Schenkein, J. 23; 95 Scheuermeier, P. 49 Schiffrin, D. 87 Schildt, J. 201; 204 Schleicher, A. 29 Schlobinski, P. I; II; 13; 22; 24; 61; 62; 73; 95; 103; 225; 229; 230; 233; 258;

259; 270; 271; 272; 273; 281; 283; 285; 286; 287; 289; 290; 292; 293; 294; 301; 302; 308 Schlosser, O. 79; 298 Schmidt, H. 91; 163; 220 Schönfeld, H. 141; 194; 231; 232 Schuchhardt, H. 216 Schumann, J. 243 Schütz, A. 48; 70; 88; 110;115 Schütze, F. 23; 24; 90; 310 Schwartz, H. 23; 48 Schwarze, Ch. 177 Schwitalla, J. 220 Searle, R. 86; 169; 263; 265; 266;306 Selinker, L. 242 Selting, M. V; 224 Senft, G. 273 Shultz, J. 122; 123 Shuy, R. 22 Skiba, R. V; 212 Slobin, D.J. 37; 38; 39 Smith, D.M. 237 Sornig, K. 219; 220; 221

Steger, H. 95; 288 Stegmüller, W. 109 Steinig, W. I; 191; 192 Steinthal, H. 24; 28; 29 Stevenson, P. 31; 250; 257 Stewart, W. 74 Stölting, W. 73 Streeck, J. 23 Strevens, P. 133; 134; 207; 232 —T— Talmy, L. 37; 39 Thelander, M. 269 Thibault, P. 26; 60 Thurmair, M. 297; 299

Todd, L. 236 Tropf, H. 276 Trudgill, P. 20; 24; 26; 51; 64; 79; 130; 140; 143; 185; 191; 228; 247 Trumper, J. II; 146 Turner, R. 23 Twain, M. 34 —V— Valdman, A. 235; 236; 239; 240 Valverdiú, F. 26 Vermès, G. 152 Vincent, D. 26 —W— Wegener, H. 198; 289; 291; 292 Weinreich, U. 22; 24; 42; 51; 52; 68; 72; 121; 234 Wenker, G. 48; 49 Werlen, I. 6; 31; 35; 36; 37; 39; 40 Whinnom, K. 237; 238; 251 Whorf, B. 24; 35; 36; 37; 38; 43 Wieder, D L. 86 Wiesinger, P. 245 Wildgen, W. 233 Wolfram, W. 22 Wright , G. van 262; 263 Wunderli, P. 215 Wunderlich, D. 53; 169 —Y— Yamamoto, Α. 130 —Ζ— Zimmermann, D.H. 23

355

9.2 Schlagwortregister

—A— Abstandsprachen 150 Accounts 91 Argot 180; 218-221 Atlas linguistique de la France 48 Atlas, Sprach- 49 Ausbausprachen 150; 235; 259 —B— Bedeutung, soziale 20; 21; 22; 54; 56; 57; 81; 89; 98; 130; 137; 174; 192; 229; 265 Beobachterparadoxon 56 Beobachtung, teilnehmende 81; 82; lOlf; 249 Beschreibung, ethnographische 82; 214 Beschreibung, holistische 81 Beschreibung, soziolinguistische 58; 61; 67; 71; 75; 295; 298 Bilingualismus, s.a. Zweisprachigkeit 73; 78; 141

Dinomie 144 Diskursanalyse 46; 87 Domäne 66; 206 —E— Erklärung, Spielarten der - 263ff. Ethnographie, der Kommunikation 23; 37; 81-87; 99; 102; 104; 105; 112 Ethnomethodologie 47; 70; 87 - 89; 110;115 Ethnosemantik 37; 46; 86 —G— Genre 83 Gerontolekt 179; 229; 312 Gesprächsanalyse 47; 87; 89 -97 Gesprächsanalyse, Begriffe der 91 - 95 Gesprächsphase 91 Gesprächsschritt 92; 93; 94 Gesprächssequenz 92 Gesprächswörter 10; 13; 289; 300 302 Gewichtung, probabilistische 274 Grundsprache 5; 197; 222; 253-255

—D— Deixis 96 Dialekt, Außen- 188 Dialekt, -Wechsel 65 Dialektologie 22; 43; 44; 48 - 54; 57; 70; 72; 79; 89; 99; 103; 104; 105; 110; 115; 125; 130; 173; 186; 193; 231 Dialektologie, soziale 22; 43; 44; 48 54; 57; 99; 105; 115 diastratisch 14; 189 - 201; 215; 221; 249; 259 diatopisch 14; 183 -189; 195; 215; 231; 249; 258f. Diethnie 144 Diglossie 7; 24; 72; 77-78; 138-151; 159; 170; 171 Diglossie, doppelt eingebettete 147 Diglossie, doppelt überlappende 147 Dilalie 150; 151; 171

—H— Habitus 2; 35; 125; 128; 129; 161; 224 Hörersignale 92; 288 Hyperkorrektur 32; 103; 125; 128; 233 —I— Identität, soziale 3; 10; 57; 81; 84; 133; 206; 233 Idiolekt 26; 62; 181 - 183; 229; 241; 246; 247; 248; 250 Implikationsskala 277 - 287; 308 Indexikalität 93 Instruktionen 263-266 Interlanguage 243; 244 Interview 73; 83; 95; 99; 222 —J— Jargon 219; 221; 246

356 —Κ— Kodifizierung 72; 74; 156; 160; 202; 204 - 206 Kommunikation, interkulturelle 154; 214 Kommunikationsgemeinschaft 104; 136 Kompetenz, kommunikative 23; 44; 86; 241 Konflikttheorie 82; 118; 170 Konnektoren 289-295 Kontextualisierangshinweise 24; 46; 84 - 86; 105; 224 Kontinuum von Varietäten 53 Kontinuum, heterogenes 62 Konversationsanalyse 23; 24; 47; 87 98; 99; 100; 101; 102; 105; 213; 288 Konversationsanalyse, formale 101; 213 Korpusgrammatiken 267 Korrektheitsbegriffe 167 - 170 Kreol 233; 239-240; 251 Kreolistik 277; 282 Kreolsprache 240 —L— Längsschnittstudien 52; 248; 280 Lernervarietät 180; 240 - 244 lingua franca 121 Linguistik, autonome 27; 29 Linguistik, Variations- 22; 28; 48; 81; 102; 103

Musterwissen 231

2; 4; 180; 214 - 216;

—N— Nachbarschaftspaare 91 Nationalsprache 5; 31; 41; 71; 80; 145; 152; 153-158; 171; 201 Nonstandardmuster 199 Norm, sprachliche 114; 163-170 Normen, soziale 212 — o — Ordnung von Sprechern 277; 284 286 Ordnung von Varietäten 177-180; 244249 Ordnung, soziale 23; 25; 88; 89 —P— Pidgin 235-239 Pidginsprachen 241; 282 Pidginvarietäten 237 Polyglossie 148-150; 171 Praktiken, kommunikative 212 Praktiken,formale 90 Prestige 5; 8; 10; 21; 22; 27; 46; 62; 64; 65; 68; 70; 76; 78; 111; 119; 125; 139; 140; 149; 151; 157; 160; 188; 192; 201; 238; 297; 299 Prinzipien, der dialektologischen Forschung 50 Prinzipien, soziolinguistische 65 Produktionsregeln 61;313-314

—M— Makrodiglossie 145 -146 Marker, soziolinguistischer 60; 69 Mega-Korpus 54; 55; 68 Mehrsprachigkeit 26; 42; 43; 44; 45; 54; 97; 148; 153; 154; 162; 279 Methode, dokumentarische 88; 105 Methoden, qualitative 102 Methoden, quantitative 102 Mikrodiglossie 145 - 146 Minderheitensprache 71; 145; 154; 155; 159; 171 Modalpartikeln 167; 288; 289; 295300; 308

-

Q

-

Querschnittsstudien 52; 280 —R— Redebeitrag 89; 90; 92; 94 Regelblock 275-276 Regeln, kategorische 270 Regeln, konstitutive 102; 263-266 Regeln, regulative 100; 263-266 Regeln, soziale 237 Regiolekt 180,195-198 Regionalsprache 145; 147; 152; 153

357 Register 10; 11; 12; 16; 25; 26; 30; 99; 104; 122; 137; 139; 159; 174; 180; 183; 193; 207-215; 223-227; 246 251; 262; 299; 302; 314; 316; 317 Register, Fremden- 209; 216 - 218; 260 Registerstil 212; 223 Relativität, sprachliche 30; 34; 35 Relevanz, konditioneile 94; 105 Repertoire, linguistisches 137 Rolle, soziale 206; 214 Rotwelsch 179; 218-221 —s— Schicht, soziale 9; 58; 59; 68; 116; 188; 189; 274 Situation, soziale 124; 210; 224 Slang 180; 218-221 Sondersprache 198 Sozialwissenschaft 27; 28; 87; 102 Soziolekt 3; 4; 6; 8; 10; 16; 62; 74; 104; 122; 175; 180; 182; 183; 187; 189-193; 221; 228; 259 Soziolinguistik, Gegenstand der 2; 1921; 25; 98; 102; 103 Soziolinguistik, korrelative 51; 104 Soziolinguistik, Makro- 311 Soziologie, der Sprache 19; 70; 75; 127 Soziologie, der Sprecher 70; 80 Sprache, Jugend- 4; 13; 105; 179; 182; 220; 229-233; 247; 251; 256; 259; 301,312 Sprache, legitime 126; 128 Sprache, Nationals. Nationalsprache Sprache, offizielle 127; 171; 212 Sprache, polyzentrische 7; 80; 251 Sprache, Regional- 146; 147; 152; 154; 171 Sprache, Stadt- 6; 52; 193-195; 308 Sprache, und soziale Ungleichheit 119; 170 Spracheinstellungen 73; 138 Sprachgebrauch 1; 2; 3; 5; 7; 69; 70; 73; 74; 80; 99; 104; 112; 121; 122; 127; 132; 143; 164; 168; 207; 210; 213; 215; 226-229; 250; 255; 258; 259; 268; 270; 281; 301

Sprachgemeinschaft 1; 3; 16; 25; 26; 32; 54; 55; 58; 64-77; 81; 83; 97; 110; 131-136; 143-177; 187; 188; 201; 202; 238; 255; 258; 261; 268; 286; 296; 312 Sprachkontakt 42; 51; 52; 241 sprachliche Vorurteile 124 Sprachloyalität 42 Sprachmischung 29; 32 Sprachsoziologie 20; 21; 45; 46; 7078; 79; 81; 89; 99; 100; 102; 104; 105; 127;311 Sprachstandsprofil 255 Sprachwahl 73; 287 Sprachwandel 5; 20; 25; 51-55; 62-70; 100; 196; 231; 244; 248; 261; 267; 273; 286; 291; 297; 300 Sprachwandel, von oben 5 Sprachwandel, von unten 5 Sprachwechsel 73; 85; 97; 139; 145; 260; 286 Sprechereignis 85; 96 Sprecherwechsel 23; 85; 92-94; 95; 105 Standardisierung 5; 41; 72; 74; 149; 150; 158; 159; 184; 194; 202; 239 Standardsprache 5; 8; 50; 127; 160; 161; 171; 186; 194; 195; 201; 205; 206; 218; 234; 255; 311 Standardsprache, Substandard 42; 145; 183; 194; 196; 198-201; 249 Standardvarietät 4; 145; 160; 164; 180; 184; 189; 201-206 Stil, soziolinguistischer 212; 221-227 Stil, Sprech- 10; 59; 60; 100; 221-227 Stratifikation, stilistische 59-70 Strukturfunktionalismus 61; 64; 110 Subkodes 21; 173 Substandard s. Standardsprache Synonymie 60 —Τ— Territorialsprache 152-158 Theorie, soziolinguistische 185

107-119;

—u— Umgangssprache 6; 16; 80; 145; 160; 168; 179-180; 195- 201

358 Ungleichheit, soziale 72; 119-130 Ungleichheit, sprachliche 123 Urbanolekt 193-195 — V — Validität 50; 54; 56; 93; 100; 267 Variable 58-70; 268-286 Variable, metrische 66 Variable, phonologische 73 Variablenregeln 54f.; 57-61; 269-273 Varietät 1-14; 74; 173-249 Varietät, dialektale 271 Varietät, geschlechtsspezifische 190; 228-299 Varietät, gruppenspezifische 180 Varietät, regionale 160; 183ff. Varietät, schichtspezifische 189-193

Varietät, städtische 193f. Varietäten, -typologie 152-163 Varietätengranunatik 273-277 Varietätenraum 174-177; 274-276 Verkehrssprache 153-161 — w — Wellenmodell 282f.; 286 — Z — Zeit, relative 96 Zweisprachigkeit s. auch Bilingualismus 24; 42; 78; 122; 141-145; 149-152 Zweisprachigkeit, soziale 151f.