Ein österreichischer General gegen Hitler: Feldmarschalleutnant Alfred Jansa. Erinnerungen 9783205790068, 9783205781486

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Ein österreichischer General gegen Hitler: Feldmarschalleutnant Alfred Jansa. Erinnerungen
 9783205790068, 9783205781486

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Ein österreichischer General gegen Hitler

Feldmarschalleutnant Alfred Jansa Erinnerungen Nach den Vorarbeiten von Herta und Claude-Maria-Alfred Jansa Eingeleitet und herausgegeben von Peter Broucek

Böhlau Verlag Wien · Köln · Weimar

Gedruckt mit der Unterstützung durch  :

Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung in Wien

Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport

Österreich-Kooperation Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http  ://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78148-6 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, ­insbesondere die der Über­setzung, des Nachdruckes, der Entnahme von A ­ bbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf ­fotomechanischem oder ­ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Daten­ver­arbeitungsanlagen, ­bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2011 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. und Co.KG, Wien · Köln · Weimar http  ://www.boehlau-verlag.com Umschlaggestaltung  : Michael Haderer Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier. Druck  : Széchenyi István Nyomda Kft., Győr

Vorwort

Die Erinnerungen des Feldmarschalleutnants Alfred Jansa, Edlen von Tannenau, sind aus mehreren Gründen bedeutsam. Als österreichischer Chef des Generalstabs war Jansa 1935–38 „Architekt“ eines militärischen Widerstandes gegen einen zu erwartenden Angriff des nationalsozialistisch gewordenen Deutschlands, wobei er freilich mehr an einen Einfall der „Österreichischen Legion“ und ähnlicher NS-Formationen dachte als an einen Angriff der deutschen Wehrmacht. Vor seiner Bestellung zum Chef des Generalstabs war Jansa Militärattaché in Berlin gewesen und hatte daher die Schattenseiten des Nationalsozialismus früher kennengelernt als die meisten Österreicher. Obwohl selbst – wie wohl sehr viele Österreicher jener Zeit – im Grunde deutschnational eingestellt, hatte er in Berlin erkannt, wie der Nationalsozialismus brutal die eigenen Interessen durchsetzte und mit aller Gewalt politische Gegner und Andersdenkende bekämpfte  ; die Vorherrschaft der Partei über den Staat betraf auch das Militär. So wurde er – auch gegen Widerstände in den eigenen Reihen und bürokratischen Zwistigkeiten zum Trotz – zum wichtigen Warner vor den Gefahren des Nationalsozialismus. Die Gefahr eines Einmarsches deutscher Truppen war Jansa wohl bewusst  ; Nachrichten aus Geheimdienstquellen schienen dies zu bestätigen. Was lag also näher, als die Kräfte gegen einen Angriff aus dem nationalsozialistischen Deutschland zu konzentrieren  ? Sein Hauptgedanke war die Verzögerung eines deutschen Vorstoßes auf Wien, um den Westmächten Zeit zum Eingreifen zu geben. Der Grenzschutz sollte durch ein tief gestaltetes System von Sperren im Raum zwischen Inn, Salzach und Enns Widerstand leisten, mit der oberösterreichischen Division als Rückhalt. Diese hatte den Auftrag, die Traun-Übergänge zu sichern und bis zum Eintreffen der Westarmee zu halten. Als weitere Widerstandslinien waren die „Traun-Kerschbaumer-Sattel-Stellung“ und die „Enns-Aist-Stellung“ geplant. Dadurch sollte genügend Zeit gewonnen werden, um italienischen Einheiten den Aufmarsch über Brenner bzw. durch das Kanaltal zu ermöglichen, wie dies Jansa im Frühjahr 1936 in Rom vereinbart hatte. An der Verbesserung dieses Planes wurde bis ins Jahr 1938 ständig gearbeitet, insgesamt sind acht Varianten bekannt. Bei internen Sitzungen wurde die Hinwendung Mussolinis zu Hitler besorgt beobachtet. Wenig Grund zur Sorge betraf die Bereitschaft der österreichischen Soldaten zur bewaffneten Verteidigung des Landes gegenüber deutschen Truppen. Alfred Jansa bekannte sich in seinen zahleichen Ansprachen zur völligen Unabhängigkeit gegenüber allen Seiten  ; dabei setzte er voraus, dass sich Österreich gegen

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Vorwort

alle Seiten verteidigen können müsse  ; um dies erreichen und durchsetzen zu können, verlangte er eine enge Zusammenarbeit mit dem Außenamt und mit den diversen Geheimdiensten. Mitte Jänner 1938 wurde Jansa vom Staatssekretär für Heereswesen im Bundes­ kanzleramt, General Wilhelm Zehner, mitgeteilt, dass er mit Rücksicht auf sein Dienstalter mit Ende März aus dem Aktivdienst auszuscheiden habe, was ihn, laut eigener Aussage, nicht überrascht habe. Das Dienstalter war aber sicher nur ein Vor­ wand  ; Jansa zählte im Jahr 1938 54 Lebensjahre, sein designierter Nachfolger war ein Kriegsschulkamerad, der dieselbe Anzahl von Dienstjahren hatte. Man wollte ihn von der deutschnationalen Seite aus weghaben, was sich beim Besuch Schuschniggs bei Hitler am Berghof in Berchtesgaden bestätigte, als dieser ultimativ die Ablöse Jansas verlangte  ; dies sagte Schuschnigg unter Hinweis auf die sowieso geplante Pensionie­ rung Jansas zu, was dazu führte, dass Alfred Jansa am 15. Februar 1938 sein Pensionie­ rungsgesuch beim Staatssekretär für Heereswesen einreichte und seinen Schreibtisch sofort räumte. Über seinen „Jansa-Plan“ wurde seither viel debattiert  : Wie weit hätte es gelin­ gen können, ihn im Ernstfall umzusetzen  ? Welche Chancen hätte ein österreichischer militärischer Widerstand tatsächlich gehabt  ? Dabei ging es Jansa nicht um eine ent­ scheidende Abwehrschlacht, sondern um eine Verzögerung des deutschen Vorgehens, in der Hoffnung, dass durch den Truppenaufmarsch die Großmächte zum Eingreifen gezwungen worden wären. Im März 1938 jedenfalls war Jansa bereits im Ruhestand und alle Verteidigungspläne von der politischen Realität überholt. Dabei wäre es falsch, Jansas Bedeutung auf die Dreißigerjahre zu reduzieren. Viel­ mehr – und gerade deshalb ist die Publikation dieser Memoiren so wichtig – war er si­ cher einer der fähigsten Generalstabsoffiziere seiner Generation. Seine Erinnerungen erlauben daher neue Einsichten und eine Abrundung unseres Bildes sowohl von der k. u. k. Armee wie von der Zeit danach, darüber hinaus aber auch der Donaumonarchie sowie der folgenden Republik Österreich insgesamt, und stellen daher über das Mili­ tärische hinaus eine wertvolle Quelle dar. Prof. Dr. Peter Broucek, wohl einem der bedeutendsten österreichischen Militär­ historiker seiner Generation, ist daher zu danken, dass er – nach den Aufzeichnungen zweier anderer Generalstabsoffiziere der k. u. k. Armee – nun auch die Memoiren Al­ fred Jansas in der ihm eigenen präzisen und detailreichen Art ediert und damit einer breiteren Leserschaft zugänglich gemacht hat. Ebenso wie die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau und Theodor Ritters von Zeynek erscheint auch dieser Band im Böhlau-Verlag, dem Dank gebührt für diese, im Grunde – um einen leider etwas aus der Mode gekommenen Ausdruck zu verwenden – sehr patriotische Leistung. Nicht zu vergessen gebührt aber auch der Tochter Herta und dem Enkel Claude-Maria-

Vorwort

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Alfred Jansa Dank, die die Memoiren ihres Vaters und Großvaters und noch zahlreiche, bisher unbekannte Schriftstücke von ihm dem Autor zur wissenschaftlichen Verwertung überlassen haben. Wien, im September 2009 Dr. Bernhard Stillfried und Prof. Dr. Michael Dippelreiter

Inhaltsverzeichnis

Einleitung und Danksagung des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Einführung in die militärisch-politische Lage Österreichs . . . . . . . . . . . . . 27 Aus meinem Leben Vorwort des Autors.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107

I.

Kindheit (Stanislau – Wien – Lemberg – Prag – Wien, 1884–1898). . . .

111

II.

Militärische Erziehung (Wien/Breitensee, 1898–1902). . . . . . . . . . .

136

III. Beim Infanterie-Regiment Nr. 72 (Wien – Pressburg, 1902–1907). . . . .

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IV. Kriegsschule (Wien 1907–1910). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sarajevo (1910–1914) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Der Erste Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A Beim 6. Armeekommando (25. 7. 1914–25. 12. 1914) . . . . . . . . . B Beim 5. Armeekommando, dann beim Kommando der Südwestfront (25. 12. 1914–24. 9. 1915) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C Beim Oberkommando Mackensen (24. 9. 1915–5. 2. 1916) . . . . . . D Verbindungsoffizier bei der 1. bulgarischen Armee, dann beim Oberkommando v. Below in Makedonien (6. 2. 1916–31. 3. 1917). . . E Bei der 18. Gebirgsbrigade und beim XXVI. Korpskommando an der russischen Front (1. 4. 1917–9. 10. 1917) . . . . . . . . . . . . . . F Beim deutschen Armeeoberkommando 14 in Italien, dann Urlaub in Wien und Verlobung (9. 10. 1917–15. 3. 1918) . . . . . . . . . . . . . G Bevollmächtigter Stabsoffizier des AOK beim 6. k. u. k. Armeekommando in Italien, dann Krankenurlaub, schließlich Generalstabschef der 10. Kavalleriedivision und Kriegsende (15. 3. 1918–15. 11. 1918) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

227 227

V.

247 274 303 336 357

404

10

Inhaltsverzeichnis

VII. Stabschef und Brigadekommandant (Wien – Salzburg – St. Pölten, 1918–1932) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

427

VIII. Vorstand der 1. Abteilung im Bundesministerium für Landesverteidigung und Militärischer Vertreter bei der Abrüstungskonferenz in Genf (Wien, 1932–1933) . . . . . . . . . . . .

496

IX.

Militär- und Luftattaché für Deutschland und die Schweiz (Berlin, 1933–1935).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

X.

Leiter der Sektion III im Bundesministerium für Landesverteidigung und Chef des Generalstabes für die Bewaffnete Macht (Wien, 1935–1938) .. 585

XI.

Nachwort zur Dienstzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

672

XII. Im Ruhestand (Wien – Erfurt – Wien, 1938–1962). . . . . . . . . . . .

675

Anhang  : Dokumente aus dem Nachlass Alfred Jansa . . . . . . . . . . . . . . . I Denkschrift über den Ausbau des Bundesheeres, 2. 10. 1934.. . . . . . . . . II Dokumentation des Österreichischen Staatsarchivs/Kriegsarchivs : Abschriften von Korrespondenzen, die von FML a. D. Alfred Jansa übergeben worden sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

741 741

Abkürzungsverzeichnis. . . . . . . . Quellen- und Literaturverzeichnis. . Abbildungsnachweis . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . Ortsregister. . . . . . . . . . . . . .

761 767 817 821 829

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Einleitung und Danksagung des Herausgebers

Goethes Ausspruch „Verachtet mir nicht Kunst und Wissenschaft, der Menschen aller­­höchste Kraft“ ermutigt dazu, die Lebenserinnerungen eines bedeutenden Mannes, Mitteleuropäers und Österreichers wissenschaftlich zu bearbeiten. Die Autobiografie des Chefs des Generalstabes der (österreichischen) Bewaffneten Macht Alfred Jansa ist aussagekräftig für die Geschichte des österreichischen Staatswesens, der Monarchie und der Republik im 20. Jahrhundert. Dies auch dann, wenn man den Titel eines mehrbändigen Werkes des berühmten deutschen Historikers Gerhard Ritter bedenkt. Es handelt von „Staatskunst und Kriegshandwerk“ im Ersten Weltkrieg, jenem Krieg, den Jansa bereits in der mittleren Führungsebene der k. u. k. Armee erlebt hat. Jener Autor hat ja in der zweiten Überschrift hinzugefügt „Das Problem des Militarismus in Deutschland“ und er hat ein weiteres Werk 1948 herausgebracht  : „Dämonie der Macht“. Jansa war sehr wohl geistig in der Lage, die Forderungen politischer Ethik zu erkennen, Liberalismus, Demokratie und Freiheit anzuerkennen und mit der Praxis der ihm als hohem Generalstabsoffizier aufgetragenen Landesverteidigung zu vereinen. Von Verherrlichung der Macht oder des Militarismus ist denn auch in vorliegendem Werk nicht die Rede, sondern zunächst einmal vom Berufs- und Familienleben eines Österreichers im 20. Jahrhundert. Carl von Clausewitz postuliert, dass der Krieg – also auch die militärische Landesverteidigung – „die Fortsetzung der Politik“ – also auch der Sicherheitspolitik – „unter Beimischung anderer Mittel“ sei. Die Fragen von Tapferkeit, Treue und Gehorsam bleiben im Verteidigungskrieg Selbstverständlichkeiten und Prioritäten. Jedenfalls ist es Aufgabe des Archivars, Quellen praktizierter Ethik ganz besonders zu sammeln, zu inventarisieren sowie für den Forscher oder Interessenten bereitzustellen. Er sollte sie auch editorisch bearbeitet herausgeben, noch dazu einen teilweise so exzellent erzählten Text, wie es die Autobiografie des Soldaten und des Familienvaters Jansa ist.1 1 Biografien  : Ludwig Jedlicka, Alfred Jansa 1884–1963, in  : Neue Österreichische Biographie, Bd. XIX, 1976, S.  77–87  ; Johann Hafner, Feldmarschalleutnant Alfred Jansa Edler von Tannenau, Maschinschriftliche Dissertation an der philosophischen Fakultät der Universität Wien, Wien 1990  ; Nachrufe  : Ludwig Jedlicka, War Österreich 1938 zu verteidigen  ? in  : Die österreichische Nation, 16. Jg./März 1964, Heft 3, 33 f.; auch  : in  : ÖStA/KA, NLS, sign. B/656, nr. 6. Ein weiterer bemerkenswerter Nachruf im Mitteilungsblatt des Vereins Alt-Neustadt 1/1964,4 stammt von einem ungenannten Kameraden. Sie alle schätzen Jansa als Persönlichkeit, erwähnen auch die Tätigkeit im Ersten Bundesheer, würdigen diese aber keineswegs.

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Einleitung und Danksagung des Herausgebers

Sein Lebenslauf in Kürze  : Besuch von vier Realschulklassen in Wien nach der Volksschule in Lemberg und Prag (1892–1898), Besuch der Infanteriekadettenschule Wien bis zur Ausmusterung 1902, fünf Jahre Dienst bei IR 72 in Pressburg als Zugskommandant, auch als Rekruteninstruktor usw. Er absolvierte die Generalstabsausbildung an der Kriegsschule in Wien 1907 bis 1910, wurde am 1. 11. 1910 dem Generalstab zugeteilt und eingeteilt als Brigadegeneralstabsoffizier beim Kommando der 9. Gebirgsbrigade in Sarajewo. Im Weltkrieg erlebte er entscheidende Tage beim Feldzug gegen Serbien in der Operationsabteilung der 6. Armee und diente sodann beim 5. Armeekommando, dem späteren Kommando der Südwest-Front in Marburg/Maribor 1914/1915. Es folgten weitere wichtige und interessante Dienstleistungen beim deutschen Oberkommando Mackensen in Südungarn, und als Verbindungsoffizier bei der 1. bulgarischen Armee in Makedonien 1916/1917 im Feldzug gegen die französische Orientarmee. Als Truppengeneralstabsoffizier kämpfte Jansa sodann bis zur 2. Jahreshälfte 1917 in Ostgalizien gegen die Offensive Kerenskis. Er wurde dann vom deutschen General v. Below als Verbindungsoffizier erbeten und tat unter dessen Kommando Dienst in der 12. Ison­zoschlacht gegen Italien. Er wurde nach kaum überwundener Krankheit und nach seiner Verlobung mit der ungarischen Offizierstochter Judith v. Revicky 1918 weiter in Italien eingesetzt und wirkte schließlich gegen Kriegsende bei der 10. Kavalleriedivision. Vom Balkan kommend, erlebte er den bereits vollzogenen Umsturz in Budapest. Bei der Heimkehr Anfang November meldete er sich in Wien für die Aufnahme in eine neue Wehrmacht Österreichs. Er bekam zunächst nur Stellen bei liquidierenden Behörden der alten Armee und tat 1919 Dienst als Zensuroffizier in Salzburg, dann bei der Heimkehrerzerstreuungsstation in Innsbruck. In diese Zeit fällt auch seine Hochzeit. Um für alle Fälle als Erhalter einer zukünftigen Familie vorbereitet zu sein, besuchte Jansa Kurse an der Handelschule und an der Staatsgewerbeschule in Salzburg bis August 1920. Er dachte an den Beruf eines Steinmetzes, sollte er den von ihm bevorzugten Offiziersdienst nicht mehr ausüben können. Aber dann war es doch so weit  : Jansa wurde als Stabschef der 3. Brigade in St. Pölten eingeteilt, deren Kommando er 1930 auch übernahm. In diese Zeit fiel ebenso die Geburt zweier Töchter und überhaupt großes Familienglück. Hier erlebte er nun in wichtiger Position den beschleunigten Aufbau des Heeres nach der Katastrophe der blutigen Unruhen um den Brand des Justizpalastes 1927 sowie anderer Assistenzleitungen anlässlich der Aufmärsche der Selbstschutzverbände der drei politischen Lager. Nach beruflicher Bewährung anlässlich der Mitwirkung an den ersten größeren Manövern des Bundesheeres 1930 kam er in jene Position, die seiner Laufbahn die entscheidende Wende gab. Es war die des Leiters der 1. Abteilung der Sektion I im Bundesministerium für Heerwesen. Sie wurde intern mit der – im Friedensvertrag von

Einleitung und Danksagung des Herausgebers

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St-Germain verbotenen – Stellung eines Generalstabschefs des kleinen Bundesheeres in Verbindung gebracht. Doch er hatte die Funktion kaum angetreten, als er bereits den Auftrag erhielt, als militärischer Sachverständiger bei der Genfer Abrüstungskonferenz 1932/33 zu fungieren. Die dort gemachten Erfahrungen waren für ihn ebenso unschätzbar wie die darauf folgende Tätigkeit in Berlin und in Bern als österreichischer Militärattaché. Nicht so sehr die blutigen Ereignisse des Februar 1934 als der Putsch der Nationalsozialisten samt der Ermordung des Bundeskanzlers Dollfuß im Juli jenes Jahres berührten und beschäftigten ihn sehr. Sie scheinen der Wendepunkt in seinem Berufsleben gewesen zu sein. Nach und nach konnte Jansa erkennen, dass die Generalität der deutschen Reichswehr und die deutsche Diplomatie stark vom Gedanken einer Revanche für die Niederlage von 1918 beeinflusst waren. Er sah, dass sie sich von einem skrupellosen und machtgierigen Führer einer rechtsextremen politischen Partei missbrauchen ließen. Dass sie sich ebenso sehr über das Aufkommen eines Linksextremismus angesichts der Weltwirtschaftskrise sorgten, widersprach jener Sicht keineswegs. Jansa sah die Verletzung der politischen Ethik sehr wohl – und nicht nur im Interesse seines Landes – als schwerwiegend an. Und er erkannte, dass die Verletzung der politischen Ethik im eigenen Land auf die Verletzung des Völkerrechts übertragen werden konnte. Es war dann die Zeit des dritten Ereignisses von 1934, der Ermordung König Alexanders von Jugoslawien, das dazu führte, dass nach dem Abschluss der sogenannten Römischen Protokolle die österreichische Regierung sich zum Bündnis mit Italien und Ungarn, aber auch zu einer Kehrtwende in der Militärpolitik entschloss. Jansa hatte sich im Ausland profiliert und wurde zur Mitwirkung an der Herbeiführung der allgemeinen Wehrpflicht und der Vergrößerung des Heeres sowie zur Intensivierung der militärischen Beziehungen zu Italien herangezogen. Er trat den Posten des Chefs einer neuen Sektion III an und wurde dann ab 13. 6. 1936 zum Chef des Generalstabes der Bewaffneten Macht bestellt.2 Privat verlor er in dieser Zeit seine Frau durch eine plötzliche schwere Erkrankung. 2 In der k. u. k. Monarchie  : Chef des Generalstabes der Gesamten Bewaffneten Macht. Zur Einführung in die Geschichte des Generalstabes der Heere Habsburgs siehe die Literatur und den Text in der Einleitung zu  : Theodor Ritter von Zeynek. Ein Offizier im Generalstabskorps erinnert sich, eingeleitet und herausgegeben von Peter Broucek, Wien 2009, S. 8–61. Eine Gesamtgeschichte bietet  : Hubert Zeinar, Geschichte des österreichischen Generalstabes, Wien/Köln/Weimar 2006. Zu den Chefs des Generalstabes bis 1918 siehe  : Oskar Regele, Generalstabschefs aus 4 Jahrhunderten. Das Amt des Generalstabes in der Donaumonarchie. Seine Träger und Organe von 1529 bis 1918, Wien/München 1966 (dort die ältere Literatur). Oskar Regele, Der österreichische Hofkriegsrat 1556–1848 (= Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Ergänzungs-Band I., 1. Heft, Wien 1949). Wichtige weitere Literatur  : Janko Musulin, Degen und Waage. Schicksal und Gesetz europäischer Politik, München 1954  ; Gordon A.

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Was er in dieser Position angesichts der eklatanten Bedrohung durch die massiv aufrüstende Reichswehr bzw. Deutsche Wehrmacht leisten konnte und unternahm, um es seinem Land zu ermöglichen, in der nächsten Krise eine bewaffnete Neutralität zu bewahren, um die österreichische Integrität und Souveränität zu sichern, ist das Herzstück der Erinnerungen. Jansa trat am 16. Februar 1938 vorzeitig von seinem Amt zurück. Die Pensionierung hätte mit 1. März 1938 erfolgen sollen, wie dem Chef des Generalstabs im Jänner vom Staatssekretär mitgeteilt worden war. Der einzige ernannte Chef des Generalstabes fand nicht den gewaltsamen Tod, wie sein unmittelbarer Vorgesetzter, Staatssekretär General Zehner, nach der deutschen Okkupation. Er entging auch – dank Mussolinis Forderung an Hitler „Jansa darf kein Haar gekrümmt werden“ – der Einlieferung in ein Konzentrationslager, das mehrere Generäle und Offiziere unter teils qualvollen Umständen das Leben kostete. Doch wurde er von der Gestapo am 23. September 1938 gezwungen – mit den Töchtern –, in Erfurt, Thüringen, Zwangsaufenthalt zu nehmen und sich sich dort täglich und später wöchentlich bei der Gestapo zu melden. Seine Pension wurde um 30, dann um 40 Prozent gekürzt. Er musste, um seine Familie erhalten zu können, den Beruf eines Vertreters ergreifen. Jansa fand Anschluss an die Erfurter Gesellschaft, seine Kinder gingen in Erfurt zur Schule. Judith Jansa heiratete 1942 den Offizier Dr. Karl Florer, der jedoch bereits 1943 bei Stalingrad als vermisst gemeldet wurde und nicht mehr aus dem Krieg zurückkehren sollte. Die ältere Tochter Jansas musste samt ihrem Kleinkind bei Kriegsende aus Prag zu ihrem Vater flüchten. Der Enkel starb zu Weihnachten 1945.3 Nach Kriegsende nahm Jansa den Kontakt zur Heimat auf und konnte 1946 mit seinen Töchtern in das von den Alliierten besetzte Land zurückkehren  : zunächst nach Graz, dann nach Wien. Er hatte seinen Lebensmut und seine Tatkraft nicht verloren und die Familie schaffte es, wieder Fuß zu fassen. 1947 wurde mit ihm, wie er in seinen Erinnerungen schreibt, von Bundeskanzler Figl Verbindung aufgenommen, da ihn die Österreichische Volkspartei als Landesverteidigungsminister in Erwägung zog. Es kam nicht dazu. Aber Jansa arbeitete nunmehr wieder nahe seinem ehemaligen Beruf. Er war 1947 im Hochverratsprozess gegen den ehemaligen Staatssekretär bzw. letzten Außenmi

Craig, Krieg, Politik und Diplomatie, Wien/Hamburg 1968  ; Johann Christoph Allmayer-Beck, Militär, Geschichte und Politische Bildung. Aus Anlass des 85. Geburtstages des Autors. Herausgegeben von Peter Broucek und Erwin A. Schmidl. Eine Publikation der Landesverteidigungsakademie Wien und der Österreichischen Gesellschaft für Heereskunde, Wien/Köln/Weimar 2003. 3 Neben den Memoiren siehe vor allem  : Herta Jansa und Rudolf Benl, Erfurt als Verbannungsort Feld­ marschalleutnants Alfred von Jansa, in  : Jahrbuch der Erfurter Geschichte, Band 1 2006, S. 77–93.

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nister Dr. Guido Schmidt der Ersten Republik als wichtiger Zeuge neben anderen Generalstabsoffizieren herangezogen worden. Er hat diese Zeugenaussage bereits zu Aufzeichnungen genützt.4 Dies geschah in den Jahren bis Ende 1953. Im Jänner 1954 hinterlegte er einen maschinschriftlichen Durchschlag seiner Arbeit im Kriegsarchiv, ließ sie aber für eine Einsichtnahme sperren. Ein Schlusskapitel, mit November 1954 datiert, kam dann noch hinzu. Der Arbeit waren neun Beilagen, darunter eine Anzahl von Gratulationsschreiben zur Ernennung zum Chef des Generalstabes, beigegeben, auch zwei Abschriften von Berichten des ehemaligen Oberst i. G. des Bundesheeres Dr.rer.pol. Emil Liebitzky. Dieser arbeitete damals bereits intensiv an der Aufstellung eines neuen Heerwesens im Rahmen eines Komitees von Vertretern der ÖVP und SPÖ  : Die sogenannte B-Gendarmerie war im Entstehen. Jansa wirkte auch bei einem Historikerkreis der Katholischen Akademie in der Schottenabtei in Wien mit und lernte dort den Beamten des Heeresgeschichtlichen Museums, Dr. Ludwig Jedlicka, kennen, der sich an der Philosophischen Universität Wien mit einem militärhistorischen Thema zur Österreichischen Zeitgeschichte habilitieren wollte. Jansa half Jedlicka durch vielerlei Anregungen, Gespräche, Telefonate, Korrekturen usw. und ließ ihn auch in sein Manuskript über seine Tätigkeit als Generalstabschef des Bundesheeres Einsicht nehmen. An dieser weitgehenden und durch Sympathie geprägten – fast könnte man sagen – Zusammenarbeit war schließlich auch Rudolf Kiszling, der ehemalige Direktor des Kriegsarchivs, durch schriftliche Anmerkungen und Korrekturen beteiligt. Jansa übergab an Jedlicka nun auch ein kurzes Manuskript über seine Tätigkeit bei der Genfer Abrüstungskonferenz. Es ist nicht ganz klar, ob er zu diesem Zeitpunkt bereits an einer Autobiografie arbeitete, die dann auch den Abschnitt – allerdings ausführlicher – über die Genfer Abrüstungskonferenz enthielt. Ebenso wie in seinem Manuskript über den Höhepunkt seiner Amtszeit, hat er bei dieser Tätigkeit keine Zweifel an seiner Gesinnung und seinem Standpunkt aufkommen lassen, aber wenig mit scharfen Urteilen oder mit Kritik agiert, persönliche Angriffe möglichst vermieden. Jedlickas Werk  : „Ein Heer im Schatten der Parteien. Die militärpolitische Lage Österreichs 1918–1938“, Verlag Hermann Böhlaus Nachf. Graz/Köln, erschien 1955. Brieflich blieb Jansa bis zu seinem Tod 1962 mit Jedlicka in Verbindung.5 4

Der Hochverratsprozess gegen Dr. Guido Schmidt vor dem Wiener Volksgericht. Die gerichtlichen Protokolle mit den Zeugenaussagen, unveröffentlichten Dokumenten, sämtlichen Geheimbriefen und Geheimakten, Wien 1947, hier  : S. 217–222 Zeuge Feldmarschalleutnant a.D. Alfred Jansa. Weitere Offiziere  : S. 222–224 Zeuge Dr. Emil Liebitzky, S. 224 f.: Zeuge Theodor Iglseder, S. 125–127  :  Zeuge Generalmajor a.D. Ing. Anton Pohl, S. 125–127. 5 Siehe auch  : Universitätsdozent Dr. Ludwig Jedlicka, Feldmarschalleutnant Alfred Jansa – 75 Jahre,

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Am 15. Mai 1955 wurde der österreichische Staatsvertrag unterzeichnet. Am 26.  Oktober 1955 verabschiedete der österreichische Nationalrat mehrheitlich das Bundesverfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität Österreichs. Am 15. Juli war das Amt für Landesverteidigung im Bundeskanzleramt geschaffen worden. Die Leitung wurde bis zur Bestellung des Politikers Ferdinand Graf zum Minister dem aktivierten Generalmajor Dr. Emil Liebitzky übertragen. Damit kommen wir rückblickend und vorausblickend zu Jansas sonstiger interessanter schriftstellerischer Tätigkeit. Jansa hatte in einem Grundsatzreferat an der Katholischen Akademie dazu sehr positiv Stellung genommen und Meinungen geäußert sowie Beispiele über eine gute und eine weniger gute Zusammenarbeit zwischen Generalstab und Diplomatie oder Außenministerium angeführt, vor allem Beispiele aus der Zeit der k. u. k. Monarchie, aber auch aus seiner Amtszeit.6 In einem weiteren Beitrag zur Militärpolitik hat dann Jansa für einen möglichen Generalstab des neuen Bundesheeres einige praktische, aber auch grundsätzliche Hinweise oder Ratschläge gegeben.7 Weiters verfasste er eine ausführliche Rezension der Biografie seines ehemaligen Untergebenen, des nunmehrigen Direktors des Kriegsarchivs GM i. R. Dr. Oskar Regele über Franz (Graf ) Conrad von Hötzendorf für die Zeitschrift der Wiener Katholischen Akademie.8 Religion Wissenschaft Kultur. Vierteljahrsschrift der Wiener Katholischen Akademie, 10. Jahrgang 1959, Folge III, S. 281–284. Im Nachlass Ludwig Jedlickas im Kriegsarchiv findet sich daher Material über Alfred Jansa. 6 Feldmarschalleutnant i. R. Alfred Jansa, Wien, Über die Einheit der Handlung in der Politik. Referat, gehalten in der Historischen Arbeitsgemeinschaft der Wiener Katholischen Akademie am 16. November und 21. Dezember 1955, in  : Religion – Wissenschaft – Kultur. Vormals Mitteilungen der Wiener Katholischen Akademie, 7. Jahrgang, Januar/Februar/März 1956, S. 14–31. 7 Alfred Jansa, Zum Begriff Landesverteidigung, in  : Der nächste Schritt. Werkblatt der Katholischen Männerbewegung Österreichs. Landesverteidigung geht alle an. Christliche Verantwortung in der Wehrfrage, Wien – Dezember 1957, S. 5–7. Von Jansa heißt es dort  : „… die öffentliche Auseinandersetzung über die Vorbereitung der Landesverteidigung, innerhalb welcher die bewaffnete Macht nur einen Teil bedeutet, ist notwendig, um die öffentliche Meinung zielführend zu bilden. Es wäre unrichtig, zu glauben, daß die öffentliche Meinung für die Selbstbehauptung nur vom männlichen Teil des Staatsvolkes zu formen sei. Die Frau hat bei uns in Österreich nicht nur durch das allgemeine Wahlrecht gleichen Einfluß auf alles Staatsgeschehen, sondern sie ist als Mutter Schöpferin und ewige Erneuerin des Staatsvolkes und wird dadurch zum bewahrenden, zum konservativen, an der Lebens- und Existenzsicherung naturnotwendig interessierten Element im Völkerleben …“ Ein zweiseitiges Geleitwort zur dieser Broschüre schrieb Kardinal Franz König. „Es stehen nicht mehr nur materielle Werte im Vordergrund der Landesverteidigung, sondern immer mehr geistige Werte, geistige Güter und geistige Grundlagen eines Volkes, es sind die allgemeinen Menschenrechte, eine natürliche Sittenordnung, hinter denen sich letzte Freiheiten des Geistes auftun …“ 8 In  : Religion – Wissenschaft – Kultur. 9. Jg., 1958, Folge 1, S. 55–57. Jansa schreibt darin, indem er Regele ausdrücklich für seinen „Mut“ dankt  : „Es war darum notwendig, einmal die planmäßige Herab­setzung

Einleitung und Danksagung des Herausgebers

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Jansa machte 1956 die Bekanntschaft von Oskar Wolf-Schneider (Freiherr von Arno). Er gab auch ihm seine Ausarbeitung über seinen Dienst als Generalstabschef zu lesen und Wolf-Schneider reagierte darauf. Er hatte seit 1940, damals im „Auftrag“ des OKW, eine groß angelegte Geschichte des österreichischen Generalstabes begonnen und auch nach dem Zweiten Weltkrieg fortgesetzt. Er war damit bis zum Ende der Dienstzeit des Feldzeugmeisters Friedrich Graf von Beck-Rzikowsky gelangt, hatte aber in zahlreichen Exzerpten und Korrespondenzen mit Augenzeugen auch darüber hinaus Material gesammelt. Er sah sich aus Altersgründen aber nicht in der Lage, dieses Werk bis zum Kriegsbeginn 1914, wie geplant, zu führen. Der ehemalige Chefredakteur der Militärwissenschaftlichen Mitteilungen, der Nachfolgerin der Öster­reichischen Militärischen Zeitschrift, General (des österreichischen Bundesheeres) Emil Ratzenhofer hatte sich auch nach dem Kriege bereit erklärt, eine derartige Arbeit zu verlegen. Wolf-Schneider fragte nun Jansa, ob es diesem nicht möglich wäre, die Arbeit bis zum Beginn des Weltkrieges fortzuführen. Mit ihm, Wolf-Schneider, in kameradschaftlichem Kontakt war auch der bereits erwähnte Generalstaatsarchivar i. R. Oberstleutnant d. G. in Ruhe Prof. Rudolf Kiszling, der Redakteur und Mitautor des Generalstabswerkes „Österreich-Ungarns letzter Krieg“, der den Part über den Ersten Weltkrieg verfassen sollte. Wolf Schneider schrieb zwar bis zu seinem Tode 1958 noch einige Studien über den Aufmarsch 1914, die er Jansa übergab. Kiszling steuerte zur Arbeit Jansa, die offenbar 1958 noch nicht abgeschlossen war, ein Manuskript „Bemerkungen zur Arbeit Jansas“ bei, die dieser seinen Notizen gemäß in sein Manuskript einarbeitete. Zur Drucklegung dieses wichtigen Werkes ist es jedoch weder vor dem Tod Jansas noch vor dem Ableben Kiszlings gekommen.9 Kiszling aber hat die Arbeit Jansas von den Töchtern erhalten. Er hat sie im Kriegsarchiv hinterlegt und fortgesetzt. Knapp vor seinem Tod hat er sie an das Bundesministerium für Landesverteidigung übergeben, das für eine Drucklegung der Arbeit unter dem Titel „Die Hohe Führung der Heere Habsburg [sic  !] im Ersten Weltkrieg“, herausgegeben vom Büro für Wehrpolitik des Bundesministeriums für Landesverteidigung, gesorgt hat. Redakteur der Arbeit war aller österreichisch-ungarischen Leistungen ebenso aufzuzeigen, wie das zähe deutsche Streben, sich den österreichisch-ungarischen Bundesgenossen zu unterwerfen, die preußisch-deutsche Bereit­schaft, österreichisch-ungarische Interessen bedenkenlos zu schädigen, wenn das einen Vorteil für Deutschland bringen konnte, österreichisches Ländergebiet dem Feinde anzubieten und die Monarchie dauernd unter Druck zu stellen. Diese Tatsachen waren und sind bis heute nur wenigen bekannt gewesen. Ihre allgemeine Kenntnis wird nicht nur manche Vorgänge während der Okkupation Österreichs durch Deutschland in den Jahren 1938 bis 1945 verständlicher machen, sondern auch das Selbstgefühl für die eigenständige österreichische Leistung und den bewiesenen österreichischen Opfermut, namentlich bei unserer Jugend, in ein helleres, zuversichtlicheres, stolzeres Bekenntnis zu Österreich wandeln …“ 9 Es erliegt nunmehr in ÖStA/KA, NLS, sign. B/655, nr.1.

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Ministerialrat Oberst d. Res. Dr. Peter Fiala, auch Mitglied der Stiftung-LudwigJedlicka-Preis und der Schüler dieses Historikers.10 Erst nach jener Arbeit, nach 1958, hat sich dann Jansa entschlossen, für die Familie die oben genannte memoirenhafte Denkschrift um seine Lebenszeit vor und nach der Dienstzeit als Leiter der Sektion III zu ergänzen. Er hat diese Arbeit, wie die Datierung zeigt, erst mit 27. Februar 1962 abgeschlossen. Es ist anzunehmen, dass er diese Arbeit, weil sie das Privatleben gebührend berücksichtigt, zunächst für die Familie vorgesehen hatte – wie auch Frau Dr. Herta Jansa immer wieder ausdrücklich betont hat. Es sind ja auch in diesem Werk Meinungen und Ansichten geäußert worden, die den Widerspruch oder die Kränkung noch lebender Persönlichkeiten, wie zum Beispiel Kurt Schuschnigg oder Leopold Figl, eventuell hervorrufen hätten können, was Jansa wohl fernelag. Ebenso war die Veröffentlichung mancher Tatsachen, besonders die frühe Westorientierung Österreichs, damals außenpolitisch gewiss nicht opportun. Jansa ist im März 1963 Ehrenpräsident und Vorstandsmitglied des neu gegründeten Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes geworden.11 Er war bereits Ehrenmitglied der Österreichischen Offiziersgesellschaft und Konsultor der Wiener Katholischen Akademie. Jansa war auch Ehrenmitglied der KatholischÖster­reichischen Landsmannschaft Leopoldina, für deren Arbeitskreis er Referate und „Gedanken“ verfasste.12 Jansa starb am 20. Dezember 1963 und wurde am 27. Dezember 1963 nach einem Begräbnis mit allen militärischen Ehren im Familiengrab am Hietzinger 10 Fiala hat als Beamter im Bundesministerium für Landesverteidigung/Abteilung Bildung und Kultur Staatsbürgerliche Erziehung 1968 den Band  : Traditionspflege im Bundesheer – Allgemeine Einführung, Heft 1 herausgegeben und dazu auch den „Teil I. Einführung in die Traditionspflege“ verfasst. Den Teil II  : Einführung in die Heeresgeschichtliche Erziehung schrieb dann Ludwig Jedlicka  : Einführung in die heeresgeschichtliche Erziehung, de facto eine kurz gefasste Militärgeschichte Österreichs. Siehe auch Ludwig Jedlicka, Politische Parteien, Heer und Staat in Österreich 1918–1938, in  : Herbert St. Fürlinger – Ludwig Jedlicka (Hg.), Unser Heer, Wien/München/Zürich 1963, S.  315–341  ; Ludwig Jedlicka, Die Republik Österreich, in  : Arbeitsgemeinschaft Truppendienst (Hg.). Die Nachkriegszeit 1918–1922. Kämpfe, Staaten und Armeen nach dem Ersten Weltkrieg, (= Truppendienst-Taschen­ bücher Band 22) Wien 1973, S. 249–262. Ansonsten zahllose Aufsätze in wissenschaftlichen Organen, zahlreiche Aufsätze und Rezensionen in der Zeitschrift „Die Furche“ (zum Teil unter verschiedenen Pseudonymen, siehe den Nachlass im Kriegsarchiv). 11 Präsident wurde Universitätsprofessor D. August Maria Knoll, Vizepräsident Oberstleutnant Dr. Fer­ dinand Käs. Dem Vorstand gehörten weiters an  : Generaldirektorstellvertreter Dr. P. Schärf und Dr. L. Soswinski als Kassiere, als Sekretär Heribert Steiner, weiters die Herren Sektionsrat Dr. F. Grimburg, Regierungsrat W. Krell, Dr. Robert Prantner und Leitender Sekretär des ÖGB A. Ströer. 12 Maschinschriftliche Durchschläge im Nachlass im Kriegsarchiv als Donation von Dr. Herta Jansa. Datierung in einem Fall  : 17.5.1953.

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Friedhof beigesetzt. Er hinterließ seine beiden Töchter und den Enkel ClaudeMaria-Alfred. Noch ein Versuch, Jansa zu würdigen und auf die Geschichtsschreibung über den Generalstab hinzuweisen. Bevor auf eine Einführung in die militärische, vor allem militärpolitische Lage Öster­reichs nach dem Zerfall der Donaumonarchie eingegangen wird, ein Rückblick auf Alfred Jansas Referat in der Katholischen Akademie. Anhand von vielen Beispielen tritt er dafür ein, dass das „Korps“ der Politiker, der Diplomaten und eben der Offiziere gemeinsam dafür sorgen müsste, eine politisch-militärische Gefahr vorauszusehen und gegen sie vorzusorgen. Daher tritt er für Schulung ein, eben auch an einer Diplomatischen Akademie, für Schulung der Öffentlichkeit etwa an den Hochschulen und für Höhere Militärschulen, im Grunde dann für einen Landesverteidigungsrat und gegen das Beispiel in der Monarchie, in der seiner Meinung nach die Mahnungen des Generalstabschefs, vor allem Conrads, zu wenig beachtet worden seien. Er trat also in der Praxis dafür ein, dass das Vortragsrecht, das Conrad beim Kaiser 1913 erlangt hatte, auch in der Republik für das Amt des wiedergeschaffenen Chefs ebenso wie für den Außenminister gelten müsste, da der Generalstabschef infolge Nachrichtendienst und Nachrichtenauswertung bzw. größtmögliche Schulung die besseren Kenntnisse auf bestimmten Gebieten hätte. Durch die Bemühungen um die Errichtung eines Landesverteidigungsrates, der allerdings in der Schlussphase der 1. Republik ebenso wenig gehört wurde wie der Chef des Generalstabes selbst, und durch die „Enttarnung“ oder Wiedererrichtung „höherer“ Offizierskurse hat Jansa in der Erreichung dieser Ziele Erfolge erzielt oder auch Vorarbeiten für spätere Zeiten geschaffen.13 Jansa sah sich in der Tradition des Generalstabes der k. u. k. Armee sowie der k. k. Landwehr. Die Traditionspflege der Heere der Nachbarn Österreichs wurde schon in der Zwischenkriegszeit und wird heute wieder entweder auf Landwehren (Ungarn) oder auf der Tradition des Heeres eines Nationalstaates vor oder nach 1918 aufgebaut.14 Auch Österreich betont heute das Heer der 1. Republik als Traditionsträger, hat aber auf die Bewaffnete Macht der österreichisch-ungarischen Monarchie nicht vergessen. Politisch kommt der Gedanke zumindest in der Geschichtsschreibung des 13 Siehe Matthias Hoy, Geschichte der Landesverteidigungsakademie und ihrer Vorgängerorganisationen. Zum 150. Jahrestag der Gründung der Kriegsschule am 14. Februar 1852 und zum 35. Jahrestag des Bestehens der Landesverteidigungsakademie seit 1. Jänner 1967. Schriftenreihe der Landesverteidigungs­ akademie Wien – Sonderpublikation, Wien 2001. ISBN 3-901328-61-0  ; Peter Broucek, Die Ausbildung für den höheren Militärdienst bis 1938, in  : Bundesministerium für Landesverteidigung/Landesvertei­ digungsakademie (Hg.), Festschrift 30 Jahre Landesverteidigungsakademie 1967–1997, Wien 1997, S. 103–107. 14 Rolf M. Urrisk, Die Traditionspflege des österreichischen Bundesheeres 1918–1998, Graz 1997.

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In- und Auslandes wieder zur Geltung, dass es Gegensätze gab, die nicht überbrückt werden konnten, dass aber eine Schicksalsgemeinschaft der Völker der Monarchie bestand. Die Gegensätze aber sind beim Auseinandergehen 1918 durchaus nicht in einen größeren „Bürgerkrieg“ ausgeartet. Gewisse Ausnahmen hinsichtlich der Traditionspflege finden sich bis 1989 bei Jugoslawien und schließlich nach der Trennung von Tschechien bei der Slowakei, wo sich im Geschichtsbild großungarische beziehungsweise großmährische Traditionen widerspiegeln.15 Ein Vergleich zwischen den Heeren Österreichs und Deutschlands ist von Johann Christoph Allmayer-Beck vorgenommen worden, er ist für die Zeit nach 1918 angesichts des Unterschieds im Kräftepotenzial für Heereskundler interessant.16 Johann Christoph Allmayer-Beck ist aber auch der Vertreter der gemeinsamen Wurzeln der Heerwesen Österreichs und Deutschlands im Spätmittelalter und in der Neuzeit bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches sowie der Gemeinsamkeit im Deutschen Bund.17 Er hat die österreichischen Militärhistoriker der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts – man kann ruhig sagen – ebenso geprägt wie die Anfänge der Generalstabsausbildung im operativen Generalstabsdienst in der Zweiten Republik.18 15 Die Stellung von Österreich und seinen Nachbarn im Nordosten, Osten und Südosten wird auch im Ausland in der Geschichtsschreibung oftmals so gesehen, bei aller Betonung der Anerkennung der politischen Unabhängigkeit und Eigenständigkeit nach 1919  ; siehe etwa  : Bruce F. Pauley, The Habsburg Legacy 1867–1939, New York et al. 1972. Siehe auch  : Arnold Suppan, Missgünstige Nachbarn. Geschichte und Perspektiven der Nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Tschechien und Österreich (= Schriftenreihe Club Niederösterreich 8/9/2005), Heidenreichstein/Wien 2005  ; Stanislav J. Kirschbaum, A History of Slovakia. The Struggle for Survival, New York 1995  ; Noel Malcolm, Bosnia. A Short History, London 1994. 16 Johann Christoph Allmayer-Beck, Das Heerwesen in Österreich und in Deutschland, in  : Robert A. Kann und Friedrich E. Prinz, Deutschland und Österreich. Ein bilaterales Geschichtsbuch, Wien/München 1980, S. 490–517  ; ders, Der Generalstabsoffizier. Ansprache anläßlich der feierlichen Übernahme des 7. Generalstabskurses in den Generalstabsdienst, in  : ÖMZ, XIII. Jg. 1975, S. 461–464  ; siehe auch  : Hubert Winglbauer, Der Generalstabsoffizier im österreichischen Bundesheer. Ansprache des Generaltruppeninspektors anläßlich der Übernahme der Hörer des 8. Generalstabskurses in den Generalstabsdienst am 27.9.1978 an der Landesverteidigungsakademie, ÖMZ, Jg. 1978, S. 453 ff. 17 Wilhelm Brauneder – Lothar Höbelt (Hrsg.), Sacrum Imperium. Das Reich und Österreich 996–1806, Wien/München/Berlin 1996. 18 Siehe die Bibliografie des Œuvres Allmayer-Becks in  : Joh. Christoph Allmayer-Beck, Militär, Geschichte und Politische Bildung. Aus Anlass des 85. Geburtstages des Autors herausgegeben von Peter Broucek und Erwin A. Schmidl, Wien/Köln/Weimar 2003  ; darunter besonders  : Johann Christoph Allmayer-Beck, Die Bewaffnete Macht in Staat und Gesellschaft, in  : Österreichische Akademie der Wissenschaften (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band V, Die Bewaffnete Macht, Wien 1987, S.  1–141. Siehe auch  : Peter Broucek, Konservatismus in den Armeen des Hauses Österreich und der Republik Österreich, in  : Robert Rill – Ulrich Zellenberg (Hg.), Konservatismus in Österreich. Strömungen, Ideen, Personen und Vereinigungen von den Anfängen bis heute, Graz/Stuttgart 1999, S. 164–182.

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Einen Vergleich zwischen der Ausbildung des Generalstabskorps der 1. Republik und jener in der Reichswehr, der sehr schätzenswert ist, hat uns der israelische Militärhistoriker mitteleuropäischer Herkunft Marcel Stein geschenkt. Er beruht, was den österreichischen Teil betrifft, auf einer gedruckten Dissertation des ehemaligen Offiziers Heribert Kristan.19 Stein betont aber ausdrücklich und zu Recht, dass es sich um zwei Armeen handelte, die sowohl in ihrer Größenordnung wie in ihrer Zielsetzung grundverschieden waren. Insgesamt gab Stein der deutschen Ausbildung den Vorzug und ist wohl damit grundsätzlich auf dem richtigen Weg. Er hält einen Vergleich, nur was die Ausbildung betrifft, für sinnvoll und nicht mehr der vielfältigeren Möglichkeiten in einem größeren Heer wegen.20 Damit gilt wohl der umgemodelte Satz eines finnischen Generalstabschefs  : „Jeder Staat hat einen Generalstab (recte Heer), einen eigenen oder einen fremden. Der eigene ist besser …“ Das Generalstabskorps der Nachfolgestaaten der Monarchie ist bis 1938 in Österreich und Ungarn aus Militärschulen bzw. -akademien und/oder Landwehrschulen bzw. Akademien sowie der Kriegsschule in Wien hervorgegangen. Was die General­ stabsausbildung betrifft, so wurden in der Tschechoslowakei ab einem gewissen Zeitraum nach der Gründung der Republik,die Offiziere, die nach 1920 eine französische Generalstabsausbildung genossen hatten, ebenso bevorzugt herangezogen wie zunächst in den unteren Rängen die „Legionäre“. Dies war in der Zeit um 1938 in den höchsten Rängen bereits fast durchgehend der Fall.21 In Jugoslawien wurden so gut wie ausschließlich Offiziere der serbischen Armee aus deren Generalstabsausbildung bevorzugt, Militärpersonen kroatischer Herkunft wurden in den höheren Rängen nur in der Kriegsmarine verwendet. Einige wenige Offiziere slowenischer Herkunft mit österreichischer Generalstabsausbildung traten in Erscheinung.

19 Heribert Kristan, Der Generalstabsdienst im Bundesheer der Ersten Republik (Militärgeschichtliche Dissertationen österreichischer Universitäten, Band 10), Wien 1990. 20 Othmar Hackl, Generalstab, Generalstabsdienst und Generalstabsausbildung in der Reichswehr und Wehrmacht 1919–1945. Studien deutscher Generale und Generalstabsoffiziere in der Historical Division der US-Army in Europa 1946–1961, Osnabrück 1999  ; Othmar Hackl, Die Generalstabsausbildung des Heeres vom Sommer 1944 bis Frühjahr 1945, Bissendorf 2001. 21 Eduard Stehlik, The Heart of the Army. General Staff 1919–2004, Praha 2004  ; Sándor Szakály, A magyar katonai felsö vezetés 1938–1945 Lexikon és Adattár, Budapest 2001  ; József Zachar, Von der „Monarchie mit vakantem Thron“ zur Volksdemokratie  : Ungarn 1937 bis 1956, in  : Erwin A. Schmidl (Hg.), Die Ungarnkrise 1956 und Österreich, Wien/Köln/Weimar 2003, S. 33–52  ; Friedrich Wiener, Partisanenkampf am Balkan. Die Rolle des Partisanenkampfes in der Jugoslawischen Landesverteidigung, Wien 1976, 70 ff.; Erwin Steinböck, Das Königreich Jugoslawien, in  : Arbeitsgemeinschaft Truppendienst (Hg.), Die Nachkriegszeit 1918–1922 (= Truppendienst Taschenbuch Band 22), Wien 1973, S. 287–300  ; Janez J. Švajncer, Vojna Zgodovina, Ljubljana 1998.

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Es gibt wertvolle Arbeiten über die „Väter“ des modernen operativen Denkens in Berlin, Paris und Wien.22 Für Österreich hat sie Manfried Rauchensteiner näher betrachtet.23 Vorübergegangen soll auch an den Werken eines ausländischen Historikers nicht werden. Es sei hingewiesen auf die Aufsatzsammlung von Gordon A. Craig, von dem sowohl ein Buch über das Kriegsjahr 1866 als auch ein Werk über das deutsche Heerwesen der letzten Jahrhunderte vorliegen.24 Wenn auch nicht direkt zum Thema der Memoiren Jansas gehörend, so dürfen doch die Publikationen und Forschungsarbeiten Prof. Dr. Erwin Steinböcks nicht vergessen werden. Er veröffentlichte seine ungezählten Aufsätze zur Heereskunde und auch Geschichte der Deutschösterreichischen Volkswehr sowie des Österreichischen Bundesheeres hauptsächlich in den Publikationen der Arbeitsgemeinschaft Truppendienst. Er hat sie dann in einem Druckwerk zusammengefasst und in seinem Nachlass ein großes Manuskript, das für ein Truppendienst-Taschenbuch zu umfangreich war, hinterlassen.25 Er schrieb auch Memoiren über seine Erlebnisse als Unteroffizier bei der Deutschen Luftwaffe. Dem Werk Jansas vergleichbare oder Memoiren eines Generalstaboffiziers aus der Zeit des Österreichischen Bundesheeres liegen im Übrigen nicht vor. Zwei Manuskripte von General Artur Schiebel sind eher als reine Rechenschaftsberichte zu werten und die Memoiren von Lothar Rendulic sollten in diesem Zusammenhang wohl nicht zum Vergleich herangezogen werden, wie bereits vor Jahren Kurt Skalnik in einem Artikel „Jansa oder Rendulic“ in der Furche bemerkt hat.26 Über den deutschen Einmarsch in Österreich 1938 selbst und seine unmittelbare Vorgeschichte haben in den letzten beiden Jahrzehnten vor allem Wolfgang Etschmann und Erwin Schmidl Publikationen vorgelegt, die kaum Wünsche offenlassen.27 22 Rauchensteiner, Manfried (Red.), Clausewitz – Jomini – Erzherzog Carl. Eine geistige Trilogie des 19. Jahrhunderts und ihre Bedeutung für die Gegenwart. Johann Christoph Allmayer-Beck zum 70. Geburtstag. Herausgegeben von der Gesellschaft für politisch-strategische Studien in Wien in Zusammenarbeit mit der Clausewitz-Gesellschaft e.V. und der Landesverteidigungsakademie in Wien, Wien 1988. Dort auch  : Manfried Rauchensteiner, Erzherzog Carl und der Begrenzte Krieg, S. 149–167. 23 Manfried Rauchensteiner, Prinz Eugen und das Denken über den Krieg, in  : ÖMZ, XXIV. Jg., 1986, S. 305–311  ; ders., Zum „operativen Denken“ in Österreich 1814–1914, in  : ÖMZ, 1974, S. 121–127, 207–211, 285–291, 379–384, 473–478  ; Jg. 1985, S. 46–53  ; ders., Zum „Operativen Denken“ in Österreich 1918–1938, in  : ÖMZ, 1978, S. 107–116. 24 Gordon A. Craig, Krieg, Politik und Diplomatie, Wien/Hamburg 1968  ; siehe auch  : Scott W. Lackey, The Rebirth of the Habsburg Army. Friedrich Beck and the Rise of the General Staff, Westport USA 1995. 25 Siehe vor allem  : Erwin Steinböck, Österreichs militärisches Potential im März 1938, Wien 1988. 26 Kurt Skalnik, Jansa oder Rendulic  ? , in  : Die Furche, 5/1965, S. 3 f. 27 Siehe zuletzt  : Wolfgang Etschmann, Österreich und die Anderen unter deutschem Expansionsdruck. Eine militärhistorische Betrachtung im Kontext des Scheiterns europäischer Sicherheitspolitik in den 1930er-Jahren, in ÖMZ Jg. 2008, S. 419–430  ; Erwin A. Schmidl, Gott schütze Österreich – das Bun-

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Die Österreichische Akademie der Wissenschaften hat schon im Jubiläumsjahr 1988 einen wissenschaftlichen Kongress mit einem Referat von Gerhard L.Weinberg abgehalten, der den Anschluss in Zusammenhang mit der Weltpolitik darstellte.28 Die umfassendste Darstellung und Analyse der österreichischen Stellung stammt nach Meinung des Herausgebers von Gottfried Karl Kindermann.29 Dazu gibt es eine sorgfältig gearbeitete Dokumentation, ebenfalls aus dem Jubiläumsjahr, herausgegeben vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes.30 Der österreichische Historiker Walter Rauscher hat im Untertitel seines Buches „Hitler und Mussolini. Macht, Krieg und Terror“ bereits vieles angeführt, was zu diesen beiden Diktatoren zu sagen ist.31 Mussolini dachte zumindest an das Venetianische Reich, das er gerne wieder ins Leben gerufen hätte. Wie weit er in seinem Größenwahn doch auch das Römische Reich gemeint hat, mag offenbleiben. Die Wortwahl „Drittes Reich“ Adolf Hitlers, von wem immer diese gekommen sein mag, ist nur zu gut bekannt. Wilfried Daim hat Hitler, nicht aber Mussolini, auch als Mann bezeichnet, der in seiner Entwicklung vom Anhänger eines religiösen Sektierers zum Vertreter des Rassenwahns fortschritt.32 Hitler hatte durch eine Mordserie sondergleichen alle „seine“ SA-Führer hinrichten lassen, mit seinem Kampfgefährten Röhm an der Spitze. Er hatte dabei seinen Vorgänger als Reichskanzler, General v. Schleicher, ebenso wenig verschont wie dessen Chef des Ministeramtes General v. Bredow. Wie wir heute wissen, hatte er nichts dagegen, dem österreichischen Bundeskanzler Dollfuß und später auch noch dem Staatssekretär für Heerwesen General Zehner das gleiche Schicksal zu bereiten. Die Generalstabsoffiziere Liebitzky und Jahn mussten 1938 flüchten. Aber andere bereits in Pension befindliche Generäle des Bundesheeres traf auch hier zum Teil die Rache desheer durfte es nicht  ! Eine militärpolitische Betrachtung im Kontext des März 1938 und dessen Folgen für das Bundesheer der Zweiten Republik, in  : ÖMZ, Jg. 2008, S. 431–438. 28 Gerhard L. Weinberg  ; Die deutsche Außenpolitik und Österreich, in  : Gerald Stourzh und Birgitta Zaar (Hg.), Österreich, Deutschland und die Mächte. Internationale und österreichische Aspekte des „Anschlusses“ vom März 1938 (= Veröffentlichungen der Kommission für Geschichte Österreichs, Band 16), Wien 1990, S. 61–74  ; ebendort  : Gottfried-Karl Kindermann, Der Feindcharakter Österreichs in der Perzeption des Dritten Reiches. Bemerkungen zu dem Beitrag von Gerhard L. Weinberg, S. 75–97  ; ebendort  : Diskussion zu den Beiträgen Weinberg, Kindermann, S. 97–110. An jener Diskussion haben Frau Dr. Herta Jansa und der Herausgeber teilgenommen. 29 Gottfried-Karl Kindermann, Österreich gegen Hitler. Europas erste Abwehrfront 1933–1938, München 2003. 30 Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (Hg.), „Anschluß“ 1938, Wien 1988. 31 Walter Rauscher, Hitler und Mussolini. Macht, Krieg und Terror, Graz/Wien/Köln 2001. 32 Wilfried Daim, Der Mann, der Hitler die Ideen gab. Von den religiösen Verirrungen eines Sektierers zum Rassenwahn des Diktators, München 1958  ; siehe auch  : Ernst Nolte, Der Nationalist und der Ideologe, in  : Rudolf Augstein (Hg.), 100 Jahre Hitler, S. 34–37.

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für den missglückten Putschversuch und sie landeten im Konzentrationslager, wo ihnen gegen Kriegsende ein grausamer Tod bereitet wurde.33 Alfred Jansa hat sich zur deutschen Kulturgemeinschaft bekannt und im Dienste seines Vaterlandes dem Totalitarismus in der Form des Nationalsozialismus Widerstand geleistet34 Getreu dem Spruch seines Zeitgenossen Bundeskanzler Julius Raab  : „Deutsch ist unsere Muttersprache, unser Vaterland ist Österreich.“ Es ist zu würdigen, dass Feldmarschalleutnant Jansa der Ermordung 1938 oder später ebenso standhaft ins Auge sah wie der drohenden Einlieferung ins Konzentrationslager. Die Angst seiner Kinder um den Vater aber wird nicht gering gewesen sein. ***

33 Der Philosoph Ernst Topitsch hat in einem Grundsatzartikel für das (2.) Bundesheer „Zwischen Militarismus und Pazifismus“ die österreichische Landesverteidigung sowie die Bekämpfung von unmenschlicher Ideologie zusammengefasst  : „… Doch auch auf philosophischer Ebene gibt es Theorien, die dem Militarismus zugeordnet werden können. Vor allem der so genannte Sozialdarwinismus hat vom Ende des vorigen Jahrhunderts bis fast in die Gegenwart den weltanschaulichen Hintergrund für eine einseitige Verherrlichung militärischer Machtentfaltung gebildet. Diese Lehre behauptet, daß alles Leben und besonders das menschliche unter dem Gesetz des „Kampfs ums Dasein“ stehe, in welchem nur das Beste und Tüchtigste überlebe, wodurch die Höherentwicklung der Arten gewährleistet sei. … Aus dieser Universalität des Kampfes wurde sodann der Schluss gezogen, der Krieg sei der Normalzustand der zwischenstaatlichen Verhältnisse und der militärische Erfolg der Maßstab für den Wert einer Nation. Dabei wendete man den Begriff des Naturgesetzes in eigenartiger Weise ins Politische  : man suchte die Volksvermehrung mit allen Mitteln künstlich zu erzielen, behauptete aber gleichzeitig, sie trete naturnotwendig ein, und erhob im Namen dieses „biologischen Drucks“ – der selbstverständlich das Ergebnis „natürlicher Volkskraft“ war – territoriale Forderungen. Solche Taschen­spielerkniffe – die übrigens nicht nur in Deutschland praktiziert wurden – sind leicht zu durchschauen, doch ist auch der Trugschluss, welcher den sozialdarwinistischen Gedankengängen in ihrer Gesamtheit zugrunde liegt, nicht verborgen geblieben …“ Ernst Topitsch, Zwischen Militarismus und Pazifismus, in  : Der nächste Schritt. Werkblatt der Katholischen Männerbewegung Österreichs. Landesverteidigung geht alle an. Christliche Verantwortung in der Wehrfrage, Wien – Dezember 1957, S.  8–18. Ernst Topitsch veröffentlicht auch  : „Barbarossa“- ein Präventivkrieg, in  : Geschichte und Gegenwart. Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Gesellschaftsanalyse und politische Bildung, 8. Jg., Heft 1, Februar 1989, S. 3–15. 34 Siehe  : Heinrich Lutz, Katholizismus und Faschismus. Beobachtungen und Reflexionen, in  : Beiträge zur Historischen Sozialkunde, 2. Jg./Nr.2, April–Juni 1972, S. 21–25, darinnen S. 23 ff.: „Kurzer Ausblick auf Österreich“. Weiters  : Karl Stuhlpfarrer, Zur Entstehung des italienischen Faschismus, ebendort, S. 25–28 (in diesem Beitrag die Abschnitte  : Wahlrecht und politische Parteien  ; Streiks und Fabriksbesetzungen  ; Die Rolle des Imperialismus in den Vorstellungen der Faschisten  ; Ländlicher Terror …  ; … „Nationaler Block“ und Marsch auf Rom  ; dort auch der Aufsatz  : Ernst Bruckmüller, Das Landesbewusstsein der österreichischen Länder im Mittelalter, S.  29–33 (letzter Abschnitt  : Ausblick – Die „österreichische Nation“).

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Der Familie Jansa gilt auch der erste Dank des Herausgebers, der zweite dem Verlag Böhlau, vor allem dessen Leiter, Herrn Dr. Peter Rauch, und namentlich Frau Prokurist Ulrike Dietmayer sowie dem ganzen Verlagsteam. Frau Ministerialrat in Ruhe Dr. Herta Jansa und Frau Judith Florer haben die Manuskriptteile ihres Vaters in Verwahrung genommen und sie behütet. Der Herausgeber hat bereits um 1970 mit ihnen Kontakt aufgenommen. Zu einer Zustimmung zur vorliegenden Edition haben sie sich erst 2006 entschlossen. Inzwischen war die Dissertation von Johann Hafner, Feldmarschalleutnant Alfred Jansa Edler von Tannenau, Wien 1990, 613 Seiten Maschinschrift, erarbeitet worden. Der Senior-Dissertant hat Jansas Aufzeichnungen im Österreichschen Staatsarchiv/ Kriegsarchiv nicht eingesehen. Bis 2004 hat Frau Dr. Jansa die Manuskriptteile genauestens nochmals abgeschrieben. Sie hat sich dafür der großen Mühe unterzogen, mit dem Computergebrauch vertraut zu werden. Gleichzeitig hat sie die Arbeit auf grammatikalische und stilistische Ungereimtheiten durchgesehen. Herr Claude Marie Albert Jansa, ihr Sohn, hat die Abschrift zum 120. Geburtstag seines Großvaters unter http  ://www.diemorgengab. at/fmljansa ins Internet gestellt. Im Jahre 2006 hat dann Frau Dr. Jansa weitere bisher nicht publizierte Teile der Memoiren dem Herausgeber überantwortet, nämlich jene, die als Kapitel XI (Nachwort zur Dienstzeit) bis XII (Im Ruhestand) die Memoiren bis zum Jahre 1962 weiterführen. Gleichzeitig hat Frau Dr. Jansa nunmehr die schriftliche Erlaubnis zur Publizierung der Memoiren an Peter Broucek erteilt. Des Weiteren hat sie aus einem privaten Fotoalbum Bildmaterial zum Zweck der Publizierung zur Verfügung gestellt, ebenso wie gewisse Vorarbeiten für eine Edition, die sie offensichtlich in früherer Zeit selbst durchführen wollte. Jansa hat noch zu seinen Lebzeiten mit der Bitte um Hinterlegung dem Kriegsarchiv eine Anzahl von Korrespondenzen übergeben. Eine Auswahl aus jenem Material wurde den Memoiren in einem Anhang ebenso angeschlossen wie eine erst um 2002 unter unbearbeitetem Material des Kriegsarchivs aufgefundene Denkschrift aus dem Jahre 1934. Alle an der Arbeit Beteiligten sind froh und dankbar, dass sich Herr Sektionschef i. R. Dr. Bernhard Stillfried entschlossen hat, der vorliegenden Arbeit seine Unterstützung zu gewähren. Ohne sein Verständnis und seine Ermunterung wäre die Arbeit nicht gelungen und hätte nicht erscheinen können. Ein ganz besonderer Dank gilt auch dem Mitarbeiter in der Österreich-Kooperation in Wissenschaft, Bildung und Kunst, Herrn Dippelreiter. Der Bearbeiter hat schon in den Achtziger- und Neunzigerjahren mehrmals im Bundesarchiv/Militärarchiv, im Institut für Zeitgeschichte in München und im Bundesarchiv Koblenz für mehrere Projekte zunächst an der Herausgabe der Memoiren

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Einleitung und Danksagung des Herausgebers

des Edmund Glaise von Horstenau gearbeitet, aber immer auch Materialien durchgesehen, die sich mit der militärischen Situation Österreichs vor 1938 befassen, nicht nur, was das Eindringen nach Österreich von der Seite des Deutschen Reiches betrifft. Hier waren besonders die Berichte des Militärattachés in Wien, Generalleutnant Wolfgang Muff, von Interesse. Inzwischen hatte um 1985 auch eine Delegation des Zentralarchivs der Deutschen Demokratischen Republik anlässlich eines Besuches in Wien dem Kriegsarchiv einen Mikrofilm mit Kopien von Archivalien, welche die Militärpolitik und die Außenpolitik des Deutschen Reichs vor 1938 betrafen, zum Geschenk gemacht. Schließlich stellten noch die Archivkollegen Dr. Gerhard Artl (Muff-Berichte) und Dr. Rudolf Jeřábek Kopien ihrer Achivreisen ins Bundesarchiv/ Militärarchiv beziehungsweise Archiv des Auswärtigen Amtes, damals noch in Bonn, höchst dankenswerterweise zur Verfügung. Dem hoch geschätzten Kollegen und Freund Dr. Rudolf Jeřábek ist auch für die entsagungsvolle Arbeit der Durchsicht und der Korrektur der Edition herzlichst zu danken. Mit vielen guten und wertvollen Ratschlägen zur Edition hat er nicht gespart. Der Autor selbst hat noch eine Reise zum Service historique der französischen Armee in Vincennes bei Paris unternommen. Allen Institutionen und den Kollegen aufrichtigsten Dank. Der Herausgeber möchte seine Zuneigung zu seiner Familie zum Ausdruck bringen, welche die Arbeit der vergangenen Jahre ertragen hat  : seiner Gattin, den Kindern und Enkelkindern, dem Bruder Walter und dessen Gattin Bärbel Broucek sowie seiner Schwiegermutter Maria Muschl. Es darf aber auch zu guter Vorletzt einem Vorgesetzten, stellvertretend für eine ganze Anzahl weiterer Lehrer der Geschichte an Universitäten und Schulen, gedankt werden. Der Vater des Herausgebers hat an Volkshochschulen die Vorlesungen des Generaldirektors des Österreichischen Staatsarchivs, Universitätsprofessor Dr. Hanns Leo Mikoletzky, besucht. Der Bruder hat eines seiner Werke als Schriftsetzer betreut  : das Buch „Geschichte lebt“. Das ist es ja, was wir alle wollen, in Erinnerung bleiben, mit einer Leistung für die Allgemeinheit, einer Form des Einander-zugeneigt-Seins und sich daran respektvoll erinnern, das wollte auch Alfred Jansa von Tannenau für sein Werk. Der Herausgeber widmet die Edition in memoriam seinem Lehrer, Universitätprofessor P. Dr. Hugo Hantsch O.S.B., dem FML. Jansa verbunden war. Eine weitere Widmung gilt Universitätsprofessor P. Dr. Isnard Wilhelm Frank O. P. (†), dem sich der Herausgeber verbunden fühlt und der auch der Familie des Autors wohlbekannt ist. Wien, im April 2009

Peter Broucek

Einführung in die militärisch-politische Lage Österreichs

Ab der Oranischen Heeresreform des 15./16. Jahrhunderts und der Einrichtung von Schulen für den Soldaten ist dieser vom Fürstendiener zum Staatsmitarbeiter oder Staatsmann im weitesten Sinne des Wortes geworden.1 Die Staatskunst und die Kriegskunst – Kunst von „Können“ – änderte sich zum Kriegshandwerk (Kriegführung) oder zur Kriegswissenschaft, zum Staatshandwerk (Politik) oder zur Staatswissenschaft. Der ausgebildete Politiker oder Soldat wurde zunächst Mitarbeiter – Beamter oder Diplomat – des Staatsoberhaupts, der Soldat ebenfalls zum Amtsträger, nämlich Offizier (von  : officium).2 Seit der Epoche des aufgeklärten Absolutismus im Reich des Hauses Österreich erfolgte die Ausbildung der Staatsdiener an Schulen, Akademien und schließlich Hochschulen bzw. Universitäten.3 Die höchste Form der Ausbildung war die zu Offizieren der Stäbe auf dem Gebiet des Operationswesens und der Logistik (Generalstabsoffizier, Intendanzoffizier), der Militärtechnik (Geniewesen, Artilleriewesen) sowie des Seewesens.4 Der Vorgesetzte dieser Offiziere, der unter dem Staatsoberhaupt und als 1 Paul Schmitthenner, Krieg und Kriegführung im Wandel der Weltgeschichte, Potsdam 1930  ; Cyril Falls (Hg.), Große Landschlachten, London 1964  ; Oliver Warner, Große Seeschlachten, Frankfurt am Main 1963  ; Theodor Fuchs, Geschichte des europäischen Kriegswesens, 3 Bände, Teil I, Wien 1972  ; Teil II  : Wien 1974  ; Teil III  : München 1977, [Teil I  : Truppendienst-Taschenbuch, Bd. 19, Teil II  : Truppendienst-Taschenbuch, Bd. 24], Anthony E. Sokol, Wechselnde Konzeption der Seekriegführung, in  : Arbeitsgemeinschaft Truppendienst (Hg.), Moderne Seemacht. Zur Lage auf den Weltmeeren (Truppendienst-Taschenbuch, Band 21), Wien 1972  ; George Bruce, Lexikon der Schlachten, übersetzt und bearbeitet von Gerhard Hartmann, Graz/Wien/Köln 1984. 2 Johann Christoph Allmayer-Beck, Das Heerwesen in Österreich und in Deutschland, in  : Robert A. Kann und Friedrich G. Prinz, Deutschland und Österreich. Ein bilaterales Geschichtsbuch, Wien/München 1980, S.  490–517  ; Peter Broucek, Konservatismus in den Armeen des Hauses Österreich und der Republik Österreich, in  : Robert Rill/Ulrich E. Zellenberg (Hg.), Konservatismus in Österreich. Strömungen, Ideen, Personen und Vereinigungen von den Anfängen bis heute, Graz/Stuttgart 1999, S. 163–182  ; Gordon A. Craig, Die preußisch-deutsche Armee 1640–1945. Staat im Staate, Düsseldorf 1960. Adam Wandruszka/Peter Urbanitsch (Hg.), Die Bewaffnete Macht (= Die Habsburger Monarchie 1848–1916, Band V), Wien 1987. 3 Hubert Zeinar, Alma Mater Theresiana. Geschichte und Geschichten rund um die Theresianische Militärakademie in Wiener Neustadt, Graz 1999  ; Béla K. Király and Walter Scott Dillard (eds.), the East central European officer Corps 1740–1920  : Social Origins, Selection, Education, and Training (= East European Monographs No. CCXLV), Boulder Colorado 1988. 4 Peter Broucek, Die Ausbildung für den höheren Militärdienst bis 1938, in  : Bundesministerium für Landesverteidigung/Landesverteidigungsakademie (Hg.), Festschrift 30 Jahre Landesverteidigungs­

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für sein Ressort verantwortlicher Minister als General, Spitzenbeamter oder Politiker zu wirken hatte, war der „Chef des Generalstabes“ (in Österreich  : „… der Gesamten Bewaffneten Macht“).5 Von 1935 bis 1938 war dies im Österreichischen Bundesstaat Feldmarschalleutnant Alfred Jansa.6 Er hatte es ebenso wie einige seiner Kollegen mit der „Habsburg Legacy“ zu tun, mit deren Verteidigung nach der Aufteilung von 1919. Es war Politik und Heerführung nach einer Niederlage und einem Umsturz mit den Fragen der Friedenserhaltung, Restauration oder Revolution, militärisch gesehen mit Angriff und/ oder Landesverteidigung.7 Der ehemalige Direktor des österreichschen Kriegsarchivs, GM a. D. Dr. Oskar Regele stellt in seinem Abriss einer Geschichte des österreichischen Generalstabes bis 1918 einem Kapitel über „Bindungen des Chefs“ ein Kapitel über „Unterstellungen“ gegenüber. Bei Unterstellungen führt er an  : 1913/1914  : Monarch bzw. Generalinspektor mit Militärkanzlei  ; ab 1914  : Monarch mit Militärkanzlei – Armee-Oberkommando (im Krieg). Und Regele erörtert ausführlich die Bindungen an Regierungen und Parlamente sowie an Verbündete. Alles dieses kommt in der vorliegenden Einführung und in Jansas Memoiren ausführlich zur Sprache. Die bisherige wissenschaftliche Gesamtdarstellung hat ihre akademie 1967–1997, Wien 1997, S. 103–107  ; Peter Broucek, Logistische Fragen der Türkenkriege des 16. und 17. Jahrhunderts, in  : Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hg,), Die Bedeutung der Logistik für die militärische Führung von der Antike bis in die Neueste Zeit (= Vorträge zur Militärgeschichte 7) Herford/Bonn 1986, S. 35–60  ; Walter Hummelberger, Kriegswirtschaft und Versorgungswesen von Wallenstein bis Prinz Eugen, ebendort, S. 61–87. 5 Oskar Regele, Generalstabschefs aus 4 Jahrhunderten. Das Amt des Chefs des Generalstabes in der Donaumonarchie. Seine Träger und Organe von 1529 bis 1918, Wien/München 1966  ; Peter Broucek (Hg.), Theodor Ritter von Zeynek. Ein Offizier im Generalstabskorps erinnert sich. Wien/Köln/Weimar 2009, S. 862 (Das sind die Kapitel der Einleitung  : Die habsburgische Armee und ihre Verwaltung  ; Das Generalstabskorps im 19. und 20. Jahrhundert  ; Im Ersten Weltkrieg  ; Generalstabskorps und Geschichtsschreibung zum Ersten Weltkrieg.) 6 Heribert Kristan, Der Generalstabsdienst im Bundesheer der Ersten Republik (= Militärgeschichtliche Dissertationen österreichischer Universitäten, Band 10), Wien 1990  ; Heeresgeschichtliches Museum (Hg.), Die Streitkräfte der Republik Österreich. Katalog zur Sonderausstellung, Wien 1968  ; Johann Bartl, Higher Officer Training in Austria after World War I, in  : Viribus Unitis. Austrian National Defence Academy Vienna, Vienna 2003, S. 75–90. Siehe weiters  : Marcel Stein, Österreichs Generale im Deutschen Heer 1938–1945. Schwarz/Gelb – Rot/Weiß/Rot – Hakenkreuz, Bissendorf 2002. Stein bespricht in diesem Buch den österreichischen Generalstab bis 1938 in einem eigenen ausführlichen Kapitel und widmet auch Jansa speziell einen Abschnitt, S. 72 ff. 7 Bruce Pauley, The Habsburg Legacy 1867–1939, New York/Chicago et al. 1972. Siehe auch  : Bruce F. Pauley, Der Weg in den Nationalsozialismus. Ursprünge und Entwicklung in Österreich. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Gertraud und Peter Broucek. Vom Autor revidierte und ergänzte Ausgabe, Wien 1988.

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Aufmerksamkeit, was die Katastrophe von 1938 für Österreich und dann die Tschechoslowakei, schließlich bald auch für Polen (1939), Ungarn (1944), Kroatien und Slowenien(1945) angeht, zu sehr auf Außen- und Innenpolitik sowie Wirtschaftspolitik aufgebaut – dies betrifft ganz besonders Österreich. Deren Primat wird nicht infrage gestellt, nur relativiert und vor allem durch die Geschichte des Militärwesens ergänzt.8 Die österreichische Staatsführung und Jansa waren im 20. Jahrhundert in eine Zeit gestellt, in der die Machthaber der benachbarten Großmächte Deutsches Reich, Sowjetrussland und Italien den Anspruch auf Herbeiführung des „Kampfes ums Dasein“, des Kampfes um Machterweiterung, des Kampfes um permanente Revolution erhoben. Sie alle wollten Revanche, Revision, Revolution. War dann das Jahr 1989, das Jahr des Ausklangs von „Stalins Krieg“, eine Wende  ?9 Zumindest zur „Zerstörung Euro8 Das Hauptwerk ist  : Gottfried-Karl Kindermann, Österreich gegen Hitler. Europas erste Abwehrfront 1933–1938, München 2003. 9 Ernst Topitsch, Kriegstheorie und Kriegführung, in   : Landesverteidigung, Österreichische Militärische Zeitschrift, 1. Jg., 1960/61, S. 49–61  ; Johann Christoph Allmayer-Beck, Erzherzog Carl und die Gegen­wart, in  : Landesverteidigung. Österreichische Militärische Zeitschrift, 1. Jg. 1960/61, S. 13–21  ; J.C. Allmayer-Beck, P. Broucek, M. Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg in der österreichischen Geschichtsschreibung zwischen 1914 und 1984, in  : Jürgen Rohwer (Hg.), Neue Forschungen zum Ersten Weltkrieg. Literaturberichte und Bibliographien von 30 Mitgliedstaaten der „Commission Internationale d’Histoire Militaire Comparée“ (= Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte, Band 25), Koblenz 1985, S. 267–285  ; Günter Brüning, Militär-Strategie Österreichs in der Zeit Kaiser Franz II. (I.), Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophischen Fakultät der westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster (Westf.), Masch. 1982, 396 S. Dieter Degreif, Operative Planungen des k. u. k. Generalstabes für einen Krieg in der Zeit vor 1914 (1880–1914). Inaugural-Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Dr.phil., vorgelegt dem Fach­bereich Geschichtswissenschaft der Johannes-Gutenberg-Universität zu Mainz, Wiesbaden 1983. ISBN 3-923552-03–4  ; Graydon A. Tunstall jr., Planning for War against Russia and Serbia. Austro-Hungarian and German Military Strategies, 1871.1914 (= War and Society in East Central Europe, Vol. XXXI  ; East European Monographs, No. CCCLXXIV), New York 1993  ; Manfried Rauchensteiner, Zum „operativen Denken“ in Österreich 1814–1914, in  : ÖMZ, Jg. 1974, S. 121–127, 207–211, 285–291, 378–384, 473–478 und Jg. 1975, S.  46–53. Stig Förster (Hg.), Vom Kabinettskrieg zum Volkskrieg. Eine Werkauswahl, Bonn/Berlin 1992  ; Franz Uhle-Wettler, Erich Ludendorff in seiner Zeit. Soldat – Stratege – Revolutionär, 2. Aufl. Berg 1996  ; Ludger Meyer-Arndt, Die Julikrise 1914. Wie Deutschland in den Ersten Weltkrieg stolperte. Mit einem Geleitwort von Immanuel Geiss, Köln/Weimar/Wien 2000. Andreas Hillgruber, Der 2. Weltkrieg. Kriegsziele und Strategien der großen Mächte, Stuttgart et al. 1982  ; ders., Die Zerstörung Europas. Beiträge zur Weltkriegsepoche 1914 bis 1945, Frankfurt am Main 1988  ; Wolfgang Michalka (Hg.), Der Zweite Weltkrieg. Analysen – Grundzüge – Forschungsbilanz. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, München 1989  ; David Irving, Hitlers Weg zum Krieg, München/Berlin 1978  ; [dazu  : Andreas Hillgruber  : Hitler – nie eine Bedrohung für England  ? FAZ  : 19.6.1979], Werner Maser, Der Wortbruch. Hitler, Stalin und der Zweite Weltkrieg, München 1994  ; Erich E. Sommer, Das Memorandum. Wie der Sowjetunion der Krieg erklärt wurde, München 1981  ; Geoffrey Roberts, Stalins Kriege. Vom Zweiten Weltkrieg zum Kalten Krieg, Bielefeld 2008. Helmut Rumpler und Jan Paul Niederkorn (Hg.), Der „Zweibund“ 1879. Das deutsch-österreichisch-ungarische Bündnis und die

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pas“ war es nicht gekommen.10 Wenigstens ein „Nachfolgekrieg“ ist noch nicht durch einen Frieden abgeschlossen, jener um die Anerkennung der Staatlichkeit Israels, der alten und neuen Heimat des jüdischen Volkes.11 Die Anerkennung der Staatlichkeit der Länder der „Habsburgischen Erbschaft“ scheint gesichert in dem weitgehend zusammengeschlossenen Europa. Es kann nicht Absicht dieser kurzen Einführung sein, in das Umfeld der gesamten Lebenszeit Jansas, seiner Erziehung, seiner Tätigkeit als Truppenführer, als Militärdiplomat, als Chef des Generalstabes, als Internierter und als Heimkehrer in das befreite Österreich und als ein Soldat, der den Staatsvertrag von 1955 mit einem neuen österreichischen Heerwesen noch erleben konnte, einzutauchen. Betrachtet wird in der Folge nur der Zeitraum der Dienstzeit von 1918 bis Februar 1938.12 I. Nach dem Kaisermanifest vom 16. Oktober 1918 beschloss die Provisorische Nationalversammlung Deutschösterreichs die Einsetzung eines Vollzugsausschusses. Dieser übernahm am 30. Oktober als Provisorische Staatsregierung die Macht von der österreichischen Regierung der k. u. k. Monarchie. Das Armeeoberkommando der gesamten Bewaffneten Macht Österreich-Ungarns schloss in der Nacht zum 3. November 1918 einen Waffenstillstand mit dem Kommando der italienischen Armee, das namens des Alliierten Kriegsrates dazu befugt war, und dieser trat am 4. 11. 1918 in Kraft.13 Den k. u. k. Streitkräften waren seit dem Angriff vom 24. 10. 1918 51 italienische, drei englische und zwei französische Divisionen mit insgesamt 7.700 Geschützen sowie ein europäische Diplomatie, Wien 1996  ; Gerald Stourzh und Brigitte Zaar, Österreich, Deutschland und die Mächte. Internationale und Österreichische Aspekte des „Anschlusses“ vom März 1938, Wien 1990. Michael Gehler, Europa. Ideen, Institutionen, Vereinigung, München 2005. 10 Andreas Hillgruber, Zweierlei Untergang. Die Zerschlagung des Deutschen Reiches und das Ende des europäischen Judentums, Berlin 1986. 11 Hans Jansen, Der Madagaskarplan. Die beabsichtigte Deportation der europäischen Juden nach Madagaskar. Vorwort von Simon Wiesenthal, München 1997 [Revision der Übersetzung aus dem Niederländischen durch Peter Broucek]  ; Hellmut Andics, Die Juden in Wien, Wien 1988. 12 Erika Weinzierl/Kurt Skalnik (Hg.), Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik, 2 Bde., Graz/Wien/Köln 1983  ; Erika Weinzierl/Kurt Skalnik, Österreich, Die Zweite Republik, Graz/Wien/ Köln 1972  ; Ludwig Jedlicka, Vom alten zum neuen Österreich. Fallstudien zur österreichischen Zeitgeschichte 1900–1975, St. Pölten/Wien 1975. 13 Walter Kleindel, Der Erste Weltkrieg. Daten – Zahlen – Fakten, Wien 1989  ; Wilhelm Brauneder – Norbert Leser (Hg.), Staatsgründungen 1918 (= Rechts- und Sozialwissenschaftliche Reihe Band 24), Frankfurt a. M. 1999.

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US-amerikanisches Regiment gegenübergestanden. Der Kaiser und König verzichtete am 11. 11. für Österreich und am 13. 11. für Ungarn auf seinen Anteil an den Regierungsgeschäften. Erste zurücktransportierte Truppen trafen bereits am 3.11.1918 in Innsbruck ein. Am 6. November marschierten deutsche Truppen aus Bayern in Salzburg und Tirol ein, um einem eventuellen Angriff auf Deutschland zuvorzukommen. Ein Waffenstillstand zwischen Deutschland und den Entente-Mächten wurde am 11. November in Compiègne unterzeichnet. Es wurde die Hauptaufgabe der Armeekommanden, den Abtransport per Bahn aus den Kampfräumen hinter die festgelegte Demarkationslinie vorzubereiten. In Wien, Klagenfurt und Bad Gastein, den Demobilisierungsstationen für den Westen, trafen die Truppen ein. Der Demobilisierungsbefehl der Staatsregierung erging am 7. November 1918.14 Schon ab 4. November griff das neu geschaffene Staatsamt für Heerwesen zu Werbemaßnahmen für ein Freiwilligenheer. Vorsorglich hatte die Staatsregierung schon am 5. November die Aufstellung einer deutschösterreichischen Volkswehr befohlen. Am 8. November wurden von der provisorischen Staatsregierung die „Richtlinien für die Aufstellung der Volkswehr“ erlassen. Es erwies sich bald, dass diese in Aufstellung befindliche Formation die befohlene Ordnung würde aufrechterhalten müssen, da die zurückkehrenden Truppen nach Ausstellung der Urlaubsscheine auseinanderliefen. Freiwillige konnten bei den liquidierenden Truppenkörpern und -kommanden weiterbeschäftigt werden. Mit den Richtlinien erhielt die Volkswehr auch einen Befehlshaber, es war FML. Adolf v. Boog, bisher Kommandant der 45. ID. Dazu war es auch höchste Zeit. Denn den heimkehrenden Truppen und der Garnison Wien stand eine direkt-demokratische Bewegung gegenüber, ein „Erster deutschösterreichischer Soldatenrat“. Daneben bildete sich bereits eine „Rote Garde“, die auf einen gewaltsamen Umsturz abzielte und Sitz und Stimme im Staatsrat forderte.15 Am 12. November erfolgte die Ausrufung der Republik Österreich in einer Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung und die Erlassung eines Gesetzes über die Staatsreform mit Art. 2  : „Deutschösterreich ist ein Bestandteil der deutschen Re14 Wolfgang Etschmann, Theorie, Praxis und Probleme der Demobilisierung 1915–1921, Wiener masch. Dissertation 1979  ; ders, Demobilisierung und Abrüstung in Österreich 1917–1920, in  : Heeresgeschichtliches Museum/Gesellschaft für öst. Heereskunde, Weltkrieg 1914–1918, Heereskundliche – Kriegsgeschichtliche Betrachtungen siebzig Jahre danach. Materialien zum Vortragszyklus 1988, Wien 1988, S. 55–81. 15 Karl Glaubauf, Die Volkswehr 1918–1920 und die Gründung der Republik (= Österreichische Militär­ geschichte, Sonderband 1933 – Folge 1) Wien 1993  ; Martin Prieschl, Das erste Heer der Ersten Republik, in  : Truppendienst, Jg. 2009, S. 214–219.

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publik“. Staatskanzler Renner nannte dieses Gesetz eine Lex Imperfekta, um damit anzudeuten, dass die Vollziehung erst erfolgen müsse, denn noch war man sich weder über den Staatsumfang noch über die zukünftigen Kontakte mit der Außenwelt im Klaren. Offiziell wurden diese Kontakte ja nur über die Alliierte Militärmission getätigt, die in Wien ihren Dienst aufnahm. Die provisorischen Landesversammlungen der ehemaligen deutschen Kronländer und auch die deutsch-böhmische Landesversammlungen deklarierten ihren Eintritt in die Deutschösterreichische Republik im November 1918.16 Was Böhmen und Mähren betrifft, so besetzten die Garnisonstruppen dieser Länder mit den Soldaten überwiegend tschechischer Nationalität sowie die aus Italien dorthin heimkehrenden Truppen, böhmische und mährische Regimenter beziehungsweise tschechische Legionäre bis Anfang Dezember das gesamte Gebiet der Kronländer Böhmen, Mähren und Österreichisch-Schlesien. Die österreichische Regierung hatte auch dort versucht, Volkswehr-Formationen aufzustellen, diese mussten aber in Westböhmen, Nord- und Südmähren mit stärkerer deutscher Bevölkerung der Übermacht der zurückkehrenden Legionäre weichen. Am 15. November ging an die zuständige Abteilung des Staatsamtes für Heerwesen der Auftrag zur Bildung eines neuen Heeres aus Kader-formationen der k. u. k. Bewaffneten Macht, und gleichzeitig setzten die Vorarbeiten für ein neues Wehrgesetz ein. In den ersten Tagen federführend war der Organisationsreferent des in Liquidierung begriffenen AOK. Mjr.i.G. Robert Rr.v. Srbik. Doch es gab auch andere Tendenzen, die der Weiterentwicklung der Volkswehr zu einem Milizheer. Denn die Sozialdemokraten hatten auf ihren Parteitagen und durch ihre Organe neben pazifistischem Denken auch wiederholt ihre Fachleute des Militärwesens zu Wort kommen lassen, die immerhin einen Friedrich Engels und den gemäßigten französischen Sozialdemokraten Jean Jaurès als ihre Vorläufer hatten.17 Sie befürworteten ein Milizheer, das 16 Walter Goldinger, Die Stellung der Länder in der Verfassung der Republik Österreich, in  : I­nstitut für Österreichkunde (Hg.), Der österreichische Föderalismus und seine historischen Grundlagen, Wien 1969, S. 117–122  ; Harald Bachmann, Rudolf Lodgman von Auen und die Landesregierung für Deutschböhmen 1918/19, in  : Staatsamt für Heerwesen. Der Auftrag zur Bildung eines neuen Heeres aus Kaderformationen der k. u. k. Bewaffneten Macht und die Vorarbeiten für ein neues Wehrgesetz setzten gleichzeitig ein. In den ersten Tagen federführend war der Organisationsreferent des in Liquidierung begriffenen AOK. Mjr.i.G. Robert Srbik Informationen für sudetendeutsche Heimatsammlungen, Folge 29/30, Dezember 1988, S. 33–42. 17 Für die folgenden Ausführungen wurde besonders herangezogen  : Peter Broucek, Heerwesen, in  : Erika Weinzierl/Kurt Skalnik (Hg.), Österreich 1918–1938, Graz/Wien/Köln 1983, S. 209–224  ; Peter Broucek, Über Prätorianergarden und Legionen in und um Österreich, in  : ders, Militärischer Widerstand. Studien zur österreichischen Staatsgesinnung und NS-Abwehr, Wien/Köln/Weimar 2008, S. 178–309. Grundsätzlich  : Lothar Brosch-Fohraheim, Die militärische Landesverteidigung. Der österreichische Weg und seine Entwicklung, in  : ÖMZ, Jg. XXI/1983, S.  101–108. Ferner folgende Manuskripte aus

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durch Politiker, die dem Parlament verantwortlich waren, kontrolliert werden sollte – mit möglichst kurzer Dienstzeit und weitgehenden Rechten und Freiheiten für die Heeresangehörigen.18 Es sollte ein Heer sein, das sich für eine gewaltsame Gegenrevolution oder Diktatur nicht verwenden ließ. Die Volkswehr wurde in diesem Sinne als Übergang angesehen, die linksradikale Elemente durch geschlossene Aufnahme und Isolierung unter Kontrolle halten würde. Sie sollte gegen restaurative Tendenzen dadurch immun gemacht werden, dass die schon in der Monarchie vom Mitglied des Parteivorstandes Dr. Julius Deutsch geschaffene Vertrauensmännerorganisation der Sozialdemokratie in den Soldatenräten, unter Chargen und Unteroffizieren Schlüsselstellungen besetzt hielt und Interessenten ihrer Parteirichtung zum Eintritt aufforderte. In der Folge sollten jenem Ziel geeignete Erziehungsmaßnahmen dienen, durch welche Heeresangehörige möglichst bald einer Schulung in Fragen des neuen Staates und seiner Träger unterzogen werden sollten. Die anderen Parteien, Deutschnationale und Christlichsoziale, hatten zunächst nur über Staatssekretär Mayer und den zweiten Unterstaatssekretär neben Julius Deutsch, Dr. Waihs (auch Waiss), sowie über das am 20.11.1918 geschaffene Zivilkommissariat Einfluss auf diese im Dezember 1918 eingeleitete Entwicklung. Im Amt vertreten wurde die Sozialdemokratie durch den zunächst die Fachgruppe IV im Staatsamt leitenden, dann zum Amtsleiter (Präsidialchef ) aufgestiegenen Oberst d. G. Theodor Körner. Er war für eine Art totaler Abrüstung „zugunsten der Volkswirtschaft“ gewonnen worden und sprach von „Dreschflegeln“, mit denen man sich gegebenenfalls verteidigen müsse. Die große Passivität der Vertreter der „Bürgerlichen“ ging neben momentaner Resignation, Plan- und Ratlosigkeit, auch Militärfeindlichkeit unter der Bauernschaft, auf den Umstand zurück, dass vor allem die deutschnationalen Parteien zunächst offenbar den ihnen nahestehenden Offizieren und Polizeibeamten das Feld der Zukunftsplanung und der Bewältigung der militärischen Tagesfragen anvertrauten, also Demobilisierung und Neuformierung sowie erste Einsätze. Die christlichsozialen Politiker dachten zunächst an eine Staatsschutzwache zum Schutz vor Plünderungen und Revolution. Andererseits waren alle Parteien einverstanden, dass durch die Aufstellung der Volkswehr vor allem die Arbeitslosen aus den bisherigen Rüstungsbetrieben in der Volkswehr Aufnahme finden konnten, soweit sie dies wollten und es möglich war. dem Nachlass Ludwig Jedlicka ÖStA/KA/NLS  : Österreich im Spannungsfeld der Großmächte (1927– 1933), 11 S. Association Européenne d’Histoire Contemporaine. Colloque de Poznán, novembre 1973  ; ders.: Österreich und die Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs, Vortrag im Innsbrucker Musikvereinssaal, Maschinschrift, 18.4. (1976), 41 S. 18 Karl Haas, Zur Wehrpolitik der österreichischen Sozialdemokratie in der Ersten Republik, in  : Truppendienst, Jg. 1973, S. 105–108.

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Sie ließen es auch zu, dass die Gendarmerie, die ja bisher ein militärischer Körper gewesen war, durch Gesetz demilitarisiert und nur zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung herangezogen wurde, während nach ihrer Ansicht der Wirtschaft eine Atempause zu gönnen sei, bis man an den Aufbau eines echten Heerwesens schreiten könne. Dieses sollte wohl – unausgesprochen – irgendwie an das alte Wehrpflichtheer anknüpfen, welches man ja als staatserhaltende Partei gestützt habe. Dass man aber „die Herren mit den roten Lampassen davongejagt hätte“, damit brüstete sich vor seinen Wählern im Frühjahr 1919 auch der Unterstaatssekretär Dr. Waihs.19 So überließen es die bürgerlichen Parteien zunächst den Offizieren, die sich für eine republikanische Armee zur Verfügung gestellt hatten, über die organisatorischen und ausbildungstechnischen Fragen eines Rahmenheeres, Wehrpflichtheeres oder Berufsheeres und – nur zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht – Milizheeres Erörterungen und Berechnungen anzustellen. Sie saßen in der Organisationsabteilung des Staatsamtes, hatten aber auch die Frage des deutschen Wehrwesens im Auge zu behalten. Jedenfalls sollte die 1917 zum Bedauern vieler Offiziere aufgelöste Organisationsform der „Gebirgsbrigade“ als Grundlage genommen und vielleicht später zur Infanteriedivision ausgebaut werden.20 Daneben gab Körner einer Gruppe von ehemaligen jungen Generalstabsoffizieren innerhalb der Fachgruppe I, genauer der Abteilung 5/N des Staatsamtes, die dann „Staatsvertragsgruppe“ genannt wurde, einen anderen Auftrag. Sie sollten aufgrund des Studiums der Waffenstillstandsbedingungen deren laufende Verletzungen aufzeigen, aber auch den Volkswehreinheiten und den Milizen zur Verfügung stehen, die sich dagegen wehren würden. Ferner sollten aber auch die politischen und militärischen Wünsche des neuen Staates bezüglich der beanspruchten Gebiete und der Grenzziehung studiert werden. Chef dieser Gruppe wurde der Obstlt. d. G. Karl Schneller, besonders unterstützt von den Generalstabsoffizieren, die der Alliierten Militärmission in Österreich beigegeben worden waren.21 19 Laut verschiedenen Quellen sind in der Zeit der Volkswehr insgesamt fünf Stabsoffiziere der alten Armee in den Generalsrang erhoben worden, darunter auch der Kommandant der Volkswehr von Nieder­ österreich und Wien GM Haas v. Haagenfels. Dieser wurde nach Überführung der Volkswehr nicht ins Bundesheer übernommen und schloss sich 1932 der Österreichischen Legion an, vorher wahrscheinlich der NSDAP. Er wurde als deren militärischer „Kampfkommandant“ in Bayern bezeichnet, also nicht als politischer Führer, gemeint SA-Führer. 20 ÖStA/KA, NLS, sign. B/1041 (= Nachlass Bornemann), Nr. 61  : Karl Bornemann, Die Entwicklung des österreichischen Bundesheeres vom Ausklang der k. u. k. Wehrmacht 1918 bis zur gewaltsamen Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich 1938 im Rahmen der geschichtlichen Entwicklung der 1. Republik, Maschinschrift, 13 S., hier S. 5. 21 Peter Broucek, Die österreichischen militärischen Vorbereitungen für die Friedenskonferenz von SaintGermain, in  : Saint Germain 1919 (= Wissenschaftliche Kommission zur Erforschung der Geschichte

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Am 16. 2. 1919 fanden Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung statt, die den Sozialdemokraten vor den Christlichsozialen eine knappe Mehrheit von drei Mandaten brachten. Die Nationalversammlung erklärte am 12. März neuerlich Deutschösterreich zu einem Teil der deutschen Republik. Doch bereits am 15. März entschied die Pariser Kommission für die territorialen Friedensbestimmungen, eine der Vorkommissionen für die kommenden Friedensverhandlungen, dass die Grenzen zwischen Deutschösterreich und Deutschland aufrechterhalten werden müssten. Die führenden Staatsmänner der Alliierten, an der Spitze Präsident Wilson, stimmten diesem Verbot des Anschlusses zu. Bereits dadurch wurden die Geheimverhandlungen, die der Staatssekretär des Äußern Otto Bauer in Berlin Ende Februar 1919 über den Anschluss geführt hatte, gegenstandslos“22. Was die Wehrpolitik betrifft, so hatten vorher die Vorstellungen von Deutsch und Körner die Nase vorne und es kam nicht zu einer angestrebten Wehrreform oder den Abbau der Volkswehr durch das Wehrgesetz vom 6. Februar 1919. Dieses setzte die Allgemeine Wehrpflicht bei Einberufung von höchstens 24.000 Mann und als Zweck die „Verteidigung gegen äußere Feinde“, dann Mitwirkung an der Aufrechterhaltung der Sicherheit im Innern und Hilfeleistung zum Schutz gegen Naturgewalten fest. In Wirklichkeit schlug jedoch eine Einberufung Wehrpflichtiger in Kärnten aufgrund dieses Gesetzes im April 1919 fehl, und die Soldatenräte leisteten gegen das Gesetz Widerstand. Die Volkswehr blieb also, und es war dem außerordentlichen Geschick des nunmehr alleinigen Staatssekretärs Julius Deutsch und seinen Helfern überlassen, im Frühjahr und Sommer 1919 die Soldatenräte der Partei zu unterstellen, eine Spaltung in der Volkswehr zu vermeiden und sie zu konsolidieren.23 Diese Bewaffnete Macht gliederte sich in Bataillone à drei Kompanien, die von jedem politischen Bezirk gebildet wurden und Landesbefehlshabern unterstanden. Doch gab es einige Bezirke ohne Volkswehrbataillone oder mit nur einer Kompanie sowie in anderen Orten Infanterieeinheiten über das Soll. Weiters wurder Republik Österreich, Veröffentlichungen Bd. 11), Wien 1989, S. 201–228  ; Stefan Karner, Grenzziehungsfragen der Republik Österreich nach den beiden Weltkriegen in ihrer ökonomisch-politischen Relevanz, in  : Erich Zöllner (Hg.), Österreichs Erste und Zweite Republik. Kontinuität und Wandel ihrer Strukturen und Probleme. (= Schriften des Instituts für Österreichkunde  : 47), Wien 1983, Wien 1985, S. 17–42  ; Lajos Kerekes, Wirtschaftliche und soziale Lage Österreichs nach dem Zerfall der Doppelmonarchie, in  : Rudolf Neck und Adam Wandruszka. Beiträge zur Zeitgeschichte. Festschrift Ludwig Jedlicka zum 60. Geburtstag, St. Pölten 1976, S. 81–94. 22 Stephan Verosta, Joseph Schumpeter gegen das Zollbündnis der Donaumonarchie mit Deutschland und gegen die Anschlusspolitik Otto Bauers (1916–1919), in  : Michael Neider (Hg.), Festschrift für Chris­ tian Broda, Wien 1976, S. 373–404. 23 Anton Staudinger, Julius Deutsch (1884–1968), in  : Neue Österreichische Biographie ab 1815, Bd. XX, Wien 1979, S. 50–58.

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den in jedem Bundesland Volkswehrartillerieabteilungen aufgestellt, und es gab auch dürftige kavalleristische und technische Abteilungen sowie eine Volkswehr-FliegerTruppe. Die Stärke dieses Söldnerheeres wechselte ständig, die Infanterie war etwa am 1. 12. 1918 46.000 Mann, am 1. 7. 1919 27.600 Mann stark. Im Mai 1919 hatte Deutsch unter dem Druck der Alliierten Kommission die Reduktion der Volkswehr auf 12.000 Mann bekannt gegeben. Die Volkswehr und später das Bundesheer standen mit Freiwilligenverbänden aus Kärnten, dann aus der Steiermark und aus Tirol, später auch Freiwilligen aus Deutschland, im Einsatz. Sie kämpften und wachten ab 7. 11. 1918, dem Erscheinen von Truppen des slowenischen Nationalrates im Miestal, bis zum 6.6. 1919, dem Tag des zweiten Waffenstillstandes. Die Männer hatten am 24. 11. 1918 den ersten Gefallenen, wehrten ab 29. 4. 1919 den ersten slowenischen Großangriff ab und mussten sich mit den Heimatschützern vor dem zweiten südslawischen Großangriff ab dem 28. 5. 1919 kämpfend zurückziehen. Die Volkswehr Kärntens wurde durch Alarmkompanien verstärkt, später Heimwehrkompanien genannt. Darunter waren auch Arbeiterkompanien, die als Zivilisten nach örtlicher Alarmierung meist nur zur Verteidigung ihrer unmittelbaren Heimat zur Waffe griffen. Der Kampf der Volkswehr und der Kärntner – wenn auch rein militärisch letztlich ohne Erfolg – führte den in diesem Fall für Österreich nicht ungünstigen Vormarsch italienischer Truppen in Kärnten am 12. 6. 1919 aufgrund der Waffenstillstandsbestimmungen vom 3. 11. 1918 herbei. Vor allem aber verhalf er der österreichischen Staatsregierung zu Verhandlungspositionen und Argumenten, um die Kärntner Volksabstimmung zu erreichen. Von der Waffenstillstandsgruppe des Staatsamtes war der Generalstabsoffizier Sigismund Knaus in der letzten wichtigsten Phase zum Kärntner Abwehrkampf detachiert worden und fungierte als Chef des Stabes des Oberkommandos.24 Es kam weiters zu kleinen Kampfhandlungen im steirischen Grenzgebiet, an der Mur und in der Soboth von Jänner bis März 1919. Dabei scheiterte der Versuch zur Einnahme von Radkersburg durch einen Freiwilligenverband. Die Ungewissheit über die Absichten der Südslawen und der Ungarn führte aber zum Aufbau bäuerlicher Freiwilligenverbände in den Grenzgebieten, die man als Anfänge des Steirischen Heimatschutzes bezeichnen könnte. Schießereien gab es im südmährischen Raum, bis sich die Einheiten der Volkswehr auf Befehl der österreichischen Staatsregierung in Wien vor den anrückenden Tschechen zurückziehen mussten. Ebenso kam es in Innsbruck und Stadlau bei Wien im November/Dezember 1918 zu Gefechten zwischen Bahnhofswachen und in die böhmischen Länder zurückkehrenden Waffenträgern. Parallel 24 Peter Bauda, GdI. Siegmund Knaus (1889–1971). Bearbeitung ausgewählter Texte seines Nachlasses, Wiener Magisterarbeit 2001.

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zu diesen Kampfhandlungen wurde die Bewältigung vieler Probleme bei der Demobilisierung der Menschen und der Sachgüter in Angriff genommen. Bis zum Juli 1919 dürften rund 200.000 Militärpersonen, in neue Verhältnisse – Pensionierung, anderer Beruf, Arbeitslosigkeit, neues Heer – übergeleitet worden sein. Von den rund 16.400 Offizieren und Militärbeamten, die sich im November 1918 zum Staat Deutschösterreich bekannten, waren nach Pensionierungen und Entlassungen etwa die Hälfte im Dezember 1918 für ein neues Heer in Evidenz  ; ein Drittel davon diente in der Volkswehr. Sachgüter wurden zum Teil überhastet verkauft, wobei man für 50.000 Mann Ausrüstung zurückbehalten wollte. Ungeheuer war auch die Menge an Waffen aller Art, die bei Kriegsende nach Hause mitgenommen, als schrottreif im Rahmen der Sachdemobilisierung verkauft, verschoben oder nach Bekanntwerden der Bestimmungen des Vertrages von Saint-Germain der Abgabe an die Interalliierte Kommission durch Zuteilung an bewaffnete Wehrverbände (Arbeiter- ebenso wie Bürgerwehren) entzogen wurden. Es dürften sich um etwa 200.000 Handfeuerwaffen, dann Maschinengewehre, Minenwerfer und sogar Geschütze gehandelt haben. Aufgrund des Waffenstillstandes von Villa Giusti bei Padua war die Demarkationslinie so gezogen worden, dass Südtirol, und von diesem nicht nur das Trentino, von den Italienern besetzt werden konnte und Teile Kärntens ebenfalls in den italienischen Bereich fielen. Die Demarkationslinie ging weiter quer durch slowenisches Gebiet und verlief sodann eng an der dalmatinischen Küste, um etwa bei Fiume (kroat. Rijeka) das Meer zu erreichen. Somit sollten alle im Londoner Pakt von 1915 versprochenen, ehemals österreichisch-ungarischen Gebiete in den vorläufigen Machtbereich Italiens fallen. Das Aufbrechen der Monarchie in Nationalstaaten, die Behandlung Österreichs als Rest, der Kampf um Kärnten und vor allem der schon Ende 1918 merkbare Antagonismus zwischen Frankreich und Italien und besonders zwischen Italien und den südslawischen Völkern bestimmten die weitere Handlungsweise der Alliierten und Assoziierten. Von diesen sollten in der Österreich-Frage drei entscheidend die Außenpolitik der jungen Republik beeinflussen  : Italien, Frankreich, in dessen Gefolge die Kleine Entente, vornehmlich die Tschechoslowakei, sowie zeitweise Großbritannien.25 25 Gordon Brook-Shepherd, England und das Europäische Gleichgewicht – Gestern und Heute, in  : Virtute Fideque. Festschrift für Otto von Habsburg zum fünfzigsten Geburtstag, Wien/München 1965, 15–22, hier S. 17 ff. Im Allgemeinen verfolgte England in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen durchwegs die Politik, ein verhältnismäßig starkes Deutschland zu schaffen, um sowohl eine französische Hegemonie in Europa zu verhindern, als auch Russland in Schach zu halten. Frankreich hingegen wollte zwar denselben Prellbock gegen den Kommunismus haben, trachtete aber stets, Deutschland schwach genug zu belassen, dass eine eigene Vorherrschaft auf dem Kontinent gesichert bleibe. In diplomatischer Hinsicht geht diese unausgesprochene Rivalität zwischen England und Frankreich auf das Jahr 1917 zurück, als die Franzosen in Petrograd hinter dem Rücken der Engländer mit dem letzten zaristischen Außenminister über eine gemeinsame französisch-russische Zerstückelung Deutschlands verhandelten. Nach dem Krieg

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Die militärischen Vertreter der Siegermächte in Wien, die sogenannten Militärmissionen, begannen schon im Frühjahr 1919 einen erbitterten Kampf um den Einfluss im Donaubecken, wobei Italien nicht allein die Positionen in Österreich und Ungarn aufrechterhalten, sondern noch zusätzlich Gebiete an der österreichischen Südgrenze für sich gewinnen wollte. Namentlich Frankreich, das unter dem Gesandten Allizé eine hervorragende Mission in Wien besaß, bekämpfte mit allen Mitteln Otto Bauer und das Anschlusstreben der Sozialdemokratie.26 Der Gesandte versuchte vor allem, weite Kreise des Bürgertums, aber auch der ehemaligen österreichischen Aristokratie für den Gedanken eines unabhängigen und neutralen Österreichs zu gewinnen.27 Der Gedanke einer Donaukonföderation tauchte damals erstmals auf. Die neu gegründeten Nationalstaaten standen diesen Absichten höchst ablehnend gegenüber. Jugoslawien hegte vor allem den Verdacht, dass Österreich eines Tages aus wirtschaftlichen oder militärischen Gründen gezwungen sein könnte, eine Allianz mit Italien einzugehen. Für diesen Fall bot sich das Klagenfurter Becken als die ideale Aufmarschbasis an der so empfindlichen Nordflanke des jugoslawischen Nationalitätenstaates an, ganz abgesehen davon, dass gloste diese grundlegende Rivalität sogar während der gemeinsamen Besetzung Deutschlands durch die Alliierten weiter  : Ob es um das Ausmaß der neuen Reichswehr, um die Versorgung mit Rohstoffen ging, immer verfolgten die Franzosen den harten Kurs, um Deutschland schwach zu halten, und die Briten den milden Kurs, um Deutschland zu helfen, ein solides Maß an Stärke zu erlangen. Dieser Streit innerhalb eines Kampfes um Bewahrung des politischen Gleichgewichts auf dem Kontinent führte den britischen Grundsatz vom Gleichgewicht der Mächte in seiner reinsten Bedeutung fort. Das Unglück erreichte ihn freilich, als Hitler auf der Szene erschien. Mit seinem gewohnten unbarmherzigen Opportunismus gelang es ihm, sowohl die Angst vor dem Kommunismus, die Frankreich und Britannien miteinander verband, wie auch die Rivalität auf dem Kontinent, die sie unterschied, wenn nicht trennte, auszunützen. In gewissem Sinn stellte das Übereinkommen der Münchener Konferenz von 1938 einen Sieg für Hitlers zweiten Annäherungsversuch dar. Wie dreizehn Jahre zuvor in Locarno bestand für die westlichen Demokratien die Anziehungskraft zum Teil darin, dass die europäischen Schwierigkeiten ohne Russland geregelt wurden. Das fast genauso berüchtigte englisch-deutsche Flottenabkommen vom Jahr 1935 bedeutete den Sieg des ersten Annäherungsversuchs. In diesem Bündnis revanchierte sich England bei den Franzosen für Petrograd 1917 und ermutigte vorsätzlich ein „gefahrloses“ Anwachsen der Stärke Deutschlands als Gegengewicht zur französischen wie auch zur russischen Militärmacht. Zerstört wurde dieses Gleichgewicht durch die grobe Fehlkalkulation, was nun eigentlich „gefahrlos“ sei. Doch im Zusammenhang mit der Europapolitik, die England seit Generationen, ja seit Jahrhunderten, verfolgte, betrachtet, richteten sich dieser Pakt und das „appeasement“ nur an die falsche Person  : Hitler. Das Land – Deutschland – war das richtige. Ausführlich besprochen wird die britische und die französische Deutschland-Politik in  : Robert Ingrim [Pseudonym für Heinrich Klein. Dieser war im Ersten Weltkrieg Angehöriger des Evidenzbüros des AOK, sodann Journalist und im Zweiten Weltkrieg Berater von Dr. Otto Habsburg], Hitlers glücklichster Tag, London, am 18. Juni 1935, Stuttgart 1962. 26 Stephan Verosta, Die österreichische Sozialdemokratie und die Außenpolitik. Versuch einer Übersicht 1889 bis 1955, in  : Die Ära Kreisky. Schwerpunkte der österreichischen Außenpolitik, Wien/Zürich 1983, S. 15–60. 27 Stephan Verosta, Das französische Angebot der dauernden Neutralität an Österreich im Jahre 1919, in  : Festschrift für Rudolf Bindschedler, Bern 1980, S. 31–68.

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sowohl Italien als auch Österreich im Verlauf der weiteren Ereignisse vor allem kroatischen Emigranten die Möglichkeit gaben, auf österreichischem Boden teilweise mit ungarischer Unterstützung eine subversive Tätigkeit gegen Jugoslawien zu entfalten.28 Italien sah dieses Treiben höchst ungern, beschränkte sich aber auf die Erreichung sehr realer Ziele  : Zurückdrängung der jugoslawischen Ansprüche auf Südkärnten, Verbesserung der Entwürfe für den späteren Frieden von Saint-Germain zugunsten Österreichs, und zwar durch Zuteilung von Deutsch-Westungarn, dem späteren Burgenland, und Ausbau der italienischen Wirtschaftspositionen im Donauraum, schon damals mit den beiden Stützpunkten Budapest und Wien. Die britische Politik bekämpfte den Anschluss zwar nur mäßig, war aber hauptsächlich besorgt, dass anlässlich der Ausrufung der Räteregierung in Ungarn der Kommunismus siegen könnte. Daher stützte sich die britische Militärmission stark auf konservative Kreise in Österreich. Auf die Tätigkeit des Obersten Cunningham, als Leiter dieser Mission, gehen die ersten Ansätze zur Aufstellung von Offiziersdetachements zur Besetzung von Westungarn und zur Aufstellung von Freiwilligenverbänden zurück. Jene Maßnahmen bildeten dann alle eine Wurzel für die Bildung von Frontkämpferverbänden und Heimwehren – natürlich neben den höchst unsicheren Verhältnissen in Österreich selbst.29 Staatskanzler Dr. Renner erkannte während der Verhandlungen in Paris, dass der Kurs Otto Bauers gescheitert war, ja, dass der Anspruch des neuen Staates auf alle deutschbesiedelten Gebiete eine Illusion war, so schmerzlich für ihn der Verzicht auf seine Heimat Südmähren ebenso wie der auf Südtirol gewesen ist.30 Schon vor den Anschlussverboten in den Verträgen von Versailles und Saint-Germain hatte auch die Deutsche Botschaft in Wien und in den Alpenländern eine heftige Propaganda für den Anschluss entfaltet – und diese blieb immer gleich  : Vorbereitung eines möglichen Anschlusses durch administrative, außenpolitische, wirtschaftliche und, wenn möglich, auch geheime militärische Kooperation mit Österreich, um das französische oder italienische Vordringen in den Donauraum zu verhindern.31 28 Arnold Suppan/Carl Gustav Ströhm, Jugoslawien – Historische Entwicklung und gegenwärtige Situation (= Studien und Berichte – September 1990 – Institut für Strategische Grundlagenforschung an der Landesverteidigungsakademie Wien). Als Manuskript vervielfältigt, Wien 1990, 50 Seiten  ; Rudolf Kiszling, Die Kroaten. Der Schicksalsweg eines Südslawenvolkes, Graz/Köln 1956, S. 128 ff. 29 Robert Hoffmann, Die Mission Sir Thomas Cunninghams in Wien 1919. Britische Österreichpolitik zur Zeit der Pariser Friedenskonferenz, Salzburger Dissertation 1971. 30 Edward Keleher, Deutschland, Deutschösterreich und die Anschlussfrage in den letzten Wochen des Ersten Weltkrieges, in  : ÖGL, 12. Jg/1968, 132–147  ; Ludwig Jedlicka/Anton Staudinger, Ende und Anfang. Österreich 1918/19. Wien und die Bundesländer, Salzburg 1969. 31 Theo Schäfer, Die Genesis der Anschlussbewegung und die Anschlussdiplomatie 1918–1919. Wiener masch. Dissertation 1970.

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Militärisch gesehen arbeitete der ehemalige Vertreter der Deutschen Obersten Heeresleitung beim k. u. k. Armeeoberkommando, Glt. August von Cramo, auch nach dem Zusammenbruch weiter, nunmehr mit der Abteilung 5/N des Staatsamtes für Heerwesen und mit der dort errichteten Staatsvertragsgruppe. Dazu ein kurzer Rückblick. Es war das Bestreben Bismarcks, zumindest den österreichischen und auch den böhmischen Teil der k. k. Monarchie, durch ein „Schutzund Trutzbündnis“ nach dem Vorbild des Bündnisses mit Bayern dem „Norddeutschen Bund“ als vermeintlichen Nachfolger des Deutschen Bundes zu unterstellen.32 Das Defensivbündnis von 1879, der Zweibund, war schon problematisch genug, wie sich im Verlaufe der folgenden Jahrzehnte erwies, und mündete im Ersten Weltkrieg zunächst einmal im Bestreben nach Abschluss einer Militärkonvention und eines Wirtschaftsbündnisses. Schon Feldmarschall Franz Freiherr Conrad von Hötzendorf widerriet der Zustimmung zu einer OKL, einer Obersten Kriegsleitung (Deutscher Kaiser und Chef des Generalstabes des Feldheeres samt Generalquartiermeister) und berichtete an die Militärkanzlei des Kaisers Franz Joseph I. im Frühherbst 1916  : Es sei von Ludendorff auf die Auflösung („Vernichtung“) der Donaumonarchie abgesehen. Kaiser Karl I. wechselte Conrad gegen GdI. Arz von Straußenburg aus und unternahm starke personelle Veränderungen im AOK. Mehr konnte er aber nicht riskieren, da Wilhelm II. und seine militärischen Untergebenen sofort auf „Verrat“ zu sprechen kamen und entsprechende Gegenmaßnahmen ernsthaft und offiziell androhten. Das erfolgreiche Anlaufen der großen Schlacht in Frankreich jedoch und besonders die schwer erschütterte Stellung Kaiser Karls durch das Hochspielen der sogenannten „Mission Sixtus“ erlaubte es der Führung des Deutschen Reiches, den k. u. k. Außenminister und den k. u. k. Chef des Generalstabes samt dem Monarchen ins deutsche Große Hauptquartier nach Spa zu zitieren. Dort wurde am 12. 5. 1918 eine Absichtserklärung über ein langfristiges politisches Bündnis unter der Voraussetzung der Lösung der polnischen Frage unterzeichnet. Daneben sollten ein Zoll- und Wirtschaftsbündnis und ein „Waffenbund“ ausgearbeitet werden. Zufolge der ohne 32 Hans Meier-Welcker, Deutsches Heerwesen im Wandel der Zeit, Frankfurt am Main 1956, S.  40 ff.: Kapitel  : Von der Vereinigung der deutschen Kontingente unter preußischer Führung bis zum Ende des Ersten Weltkrieges  ; Stephan Verosta, Probleme des österreichisch-ungarisch-deutschen Beistandsund Neutralitätsvertrages vom 7. Oktober 1879, in  : Festschrift Hans Kelsen zum 90. Geburtstag, hg. v. Adolf J. Merkl, Alfred Verdroß, René Marcic, Robert Walter, Wien 1971, S. 285–308  ; Fritz Fellner, Perspektiven für eine historiographische Neubewertung des Deutschen Bundes, in  : Helmut Rumpler (Hg.), Deutscher Bund und deutsche Frage 1815–1866. Europäische Ordnung, deutsche Politik und gesellschaftlicher Wandel im Zeitalter der bürgerlich-nationalen Emanzipation (= Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit, Band 16/17), Wien/München 1990, S.  21–30. Für die Zeit vor 1914 siehe auch  : Günther Kronenbitter, Falsch verbunden  ? Die Militärallianz zwischen Österreich-Ungarn und Deutschland 1906–1914, in  : ÖMZ, Jg. 2000, S. 743–754.

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Wissen des Kaisers in den Wochen zuvor geführten Verhandlungen zwischen Arz und Cramon war die Waffenbund-Vereinbarung unterzeichnungsreif  : Sie enthielt die Verpflichtungen auf völlige Ausschöpfung der Wehrkraft, Angleichung von Vorschriften, Bewaffnung, wirtschaftliche Kriegsvorbereitung und Angleichung im Eisenbahnnetz, enge Zusammenarbeit zwischen den Generalstäben und Kriegsministerien bei den „Vorbereitungen für den Krieg“ und wechselseitige Kommandierung von Offizieren. Ende Juni 1918 hatte Cramon dann an Generaloberst Erich Ludendorff wichtige Erweiterungen dieses Waffenbundentwurfes vorgelegt. Der Schwerpunkt lag nun beim umfangreichen und genau festgelegten Offiziersaustausch und – im zweiten ergänzenden Entwurf Cramons – bei der Einrichtung von personalstark festgelegten Militärmissionen, die bei der „Durchführung der Bestimmungen helfen, alle Auskünfte erhalten und in den Dienstbetrieb des Vertragspartners Einblick nehmen“ sollten. Die Einzelheiten gingen bis zur Verpflichtung zum Ausbau des Eisenbahnnetzes und der Landesbefestigungen. In persönlichen Vereinbarungen zwischen den Generalstabschefs sollten österreichische Offiziere jüdischer Abstammung vom Austauschprogramm ausgeschlossen werden. Der zweite Entwurf rechnete für die Zeit nach dem Krieg auch mit zwei Armeen, einer österreichischen und einer ungarischen, sowie mit gemeinsamen zentralen Generalstabsbüros, weiters mit einer Ausbildung der österreichischen und der ungarischen Generalstabsoffiziere an der preußischen Kriegsakademie in Berlin. Am 28. Oktober sodann standen Cramon und auch das bayerische Kriegsministerium mit der provisorischen deutschösterreichischen Nationalversammlung in Verbindung. Am 31. 10. 1918 machte die DOHL an den Staatsrat „Vorschläge über eine deutschösterreichische nationale Armee“. Man erwartete, dass diese in der Stärke von etwa neun Divisionen an der Verteidigung der Brennergrenze mithelfen würde und die deutschen Vertreter in Wien erbaten vom Staatsrat mehrmals die Genehmigung zum Einmarsch deutscher Truppen. Diese Erlaubnis wurde vom deutschösterreichischen Staatsrat, vor allem auch, da sie als Bruch des am 3. November geschlossenen Waffenstillstandes ausgelegt worden wäre, nicht gegeben. Doch am 5. November rückte eine bayerische Division zur Sicherung der Südwestflanke des Reiches nach Tirol vor und wurde erst nach Bekanntwerden der Waffenstillstandsbedingungen für das Deutsche Reich am 10. November wieder zurückgezogen – wie bereits hier geschildert. Schon am 26. 2. 1919 wurde ein Protokoll „betreffend die Vereinigung des deutsch­ österreichischen mit dem reichsdeutschen Nachrichtendienst“ mit Wissen des Staatssekretärs Mayer aufgenommen. Wien sollte bei Einverleibung Deutschösterreichs als Bundesstaat in das Deutsche Reich Zentrale des Nachrichtendienstes gegen Südosten werden  : als Zweigstelle der Abteilung „Fremde Heere“, die, wie vorher in der DOHL, nunmehr wieder in einem Oberkommando des Reichsheeres errichtet werden sollte.

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Die Idee eines österreichischen Kontingents des Reichsheeres wurde dann im Protokoll vom 2. 3. 1919 über die Vereinbarungen zwischen Otto Bauer und Ulrich Graf Brockdorff-Rantzau in Paragraf 7 ausdrücklich erwähnt. Über Angleichung von Uniformierung, Ausbildung, Ausrüstung und Besoldung traf General Cramon mit Staatssekretär Deutsch im März 1919 vorläufige Vereinbarungen, wobei ein deutscher Offizier für diese Zwecke zugeteilt werden sollte.33 Einen gewissen Höhepunkt fand diese Entwicklung mit der vom österreichischen Gesandten in Berlin – Ludo Moritz Hartmann – empfohlenen Entsendung einer österreichischen Abordnung ins preußische Kriegsministerium zwecks Teilnahme an Beratungen über die Organisation der Wehrmacht in Weimar. In Abänderung dieser Vorschläge erteilte Oberst Körner der Delegation, die aus dem Major i. G. im ehemaligen AOK Edmund Glaise v. Horstenau, dem Adjutanten Körners, Lt. Julius Braunthal, und einem Hauptmann Latscher als Vertreter der Großdeutschen bestand, den „Auftrag“ zur zunächst passiven Teilnahme an den Verhandlungen. Als die Männer jedoch Mitte Juni nach Berlin gelangten und bei dem Minister der „Vorläufigen Reichswehr“ sowie bei Generalmajor Hans von Seeckt vorsprachen, wurden gerade die am 16. Juni in Paris überreichten Friedensbedingungen bekannt. Die Österreicher mussten heimkehren. Was die politischen Nachrichtendienste des österreichischen Innenministeriums und des k. u. k. Ministeriums des Äußern betraf, so wurden diese ab 1920 bei der Zentralen Evidenzstelle (ZEST) der Bundespolizeidirektion Wien zusammengezogen. Sie bearbeitete unter Polizeipräsident Schober den politischen Informationsdienst, die Spionageabwehr und den offensiven Kundschaftsdienst. Daneben gab es aber weiterhin als wichtige Informationsquelle die Meldungen der österreichischen Vertretungen im Ausland an das Staatsamt bzw. Bundesministerium für Äußeres. Ab 1. 4. 1920 wurde im Heeresministerium dann eine Abteilung 2 (Internationale Angelegenheiten) aufgestellt, die einen gewissen Informationsdienst aufrechterhielt. 1925 folgte aber dann doch die Neuaufstellung einer Abteilung 1 (Evidenzabteilung) mit Obst. Hans Wittas an der Spitze.34 Die Koordination des gesamten Nachrichtenwesens, des militärischen wie des politischen offensiven und defensiven Kundschaftsdienstes hatte ab 1920 Generalmajor Maximilian Ronge über, der wahrhaft berühmte österreichische militärische und eben auch zivile Leiter des offensiven und des defensiven Kundschaftsdienstes. Er hatte sich bereits vor 1914 beim Aufdecken des Falls Redl 33 Siehe Roman Eccher, Uniformen des österreichischen Bundesheeres 1918–1938, in  : Militär-Edition, Österreich, o.J [um 2005]  ; Erwin Steinböck, Die Uniformierung der Soldaten des Bundesheeres, in  : Gesellschaft für österreichische Heereskunde (Hg.), Das Bundesheer der Ersten Republik 1918–1938, Wien 1990, S. 147–198. 34 Erwin Steinböck, Der militärische Nachrichtendienst Österreichs 1918–1938, in  : Blätter für österreichische Heereskunde 1986 [Redaktion  : Dr. Peter Broucek], S. 53–61.

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und später als Leiter der Nachrichtenabteilung des AOK einen Namen gemacht.35 Als Generalmajor i. R. und Vertragsbediensteter der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit im Bundeskanzleramt war er ein Fels in der Brandung gegen alle deutschen Bestrebungen der „Übernahme“ des gesamten österreichischen Staates in den deutschen Machtbereich. Die Reichswehr versteckte jedoch ihre militärischen Bestrebungen der Revision des Friedensvertrages, was Österreich betrifft, nach 1919 zunächst im Attachédienst36 sowie in der geheimen nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit mit einzelnen Landesregierungen über deren „landeseigene“ Selbstschutzorganisationen gegen das „Rote Wien“ einerseits und gegen den ehemaligen und für sie noch gegenwärtigen Feind von auswärts.37 Die Reichswehr wünschte dann die Zusammenarbeit mit dem Bundesheer auf dem Gebiet des Chiffrenwesens und des Funkhorchdienstes. Da dies alles bereits weit in die Geschichte des Bundesheeres hineinreicht, sei deren kurze Darstellung nun vorgenommen. II. Der österreichische Militärexperte in der Delegation bei den Friedensverhandlungen Oberst i. G. Karl Schneller ging mit Entwürfen für eine Milizarmee, Argumenten 35 Albert Pethö, Agenten für den Doppeladler. Österreich-Ungarns Geheimer Dienst im Ersten Weltkrieg, Graz 1998  ; Gerhard Jagschitz, Die politische Zentralevidenzstelle der Bundespolizeidirektion Wien. Ein Beitrag zur Rolle der politischen Polizei in der Ersten Republik, in  : Jahrbuch für Zeitgeschichte 1978, S. 79–95. 36 Manfried Kehrig, Zwischen Anpassung und Widerstand. Die Militärbeziehungen zwischen Österreich und Deutschland 1918 bis 1938, in  : Blätter für österreichische Heereskunde 1987, S. 45–60. 37 Mit Erich Rodler (Innsbruck), Jaromir Diakow (Graz) und Robert Osler-Toptani (Klagenfurt) gab es drei Generalstabsoffiziere der k. u. k. Armee, die in der Volkswehr dienten, dann in den Ruhestand versetzt oder in das Beamtenverhältnis der Landesregierungen übernommen und schließlich vor 1938 noch vom Österreichischen Bundesheer als Offiziere oder als Beamte (Osler-Toptani) wieder eingestellt wurden. Rodler wurde 1938 in das Amt Ausland/Abwehr übernommen, ging 1944 in Pension, fiel aber 1947 infolge unvorsichtigen Verhaltens in Niederösterreich den Sowjets in die Hände und ist seither verschollen geblieben (angeblich in Moskau liquidiert worden). Osler-Toptani kam 1938 in ein KZ, wurde jedoch später entlassen und starb in Klagenfurt nach dem Krieg. Diakow wurde 1947 von den Sowjets in Wien gefasst und erst nach dem Abschluss des Staatsvertrages wieder freigelassen. Sowohl er als auch Rodler haben hochinteressante Memoiren hinterlassen (im Kriegsarchiv). Siehe  : Walter Blasi, Vom Fin de Siècle bis zur Ära Kreisky. Erlebte österreichische Geschichte am Beispiel des Jaromir Diakow (=  Beiträge zur Neueren Geschichte Österreichs, hg.v. Bertrand Michael Buchmann, Bd.5), Frankfurt am Main 1996; o.V, Der Spionageabwehr-Offizier des Kaisers. Das ereignisreiche Leben eines österreichischen Offiziers – Erinnerung an Oberst Osler-Toptani, Kärntner Volkszeitung, 19.4.1953, 4  ; Peter Broucek, Erich Rodler, in  : ÖBL, IX. Bd. Wien 1988, S, 197.

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für eine auch militärischen Schutz gewährende Grenzziehung und der Hoffnung des Zusammenschlusses mit einem unter demokratischer Kontrolle stehenden deutschen Heerwesen nach Saint-Germain.38 Die vorgelegten Vertragsbestimmungen der alliierten Mächte konnten durch die Österreicher überhaupt nicht, durch die eher von Österreich beeinflussbaren alliierten Militärvertreter in Wien nur unwesentlich geändert werden.39 Schnellers Reaktion, die sich wohl kaum von der Oberst Körners unterschied, nahm auf den Staat Österreich gar keinen Bezug  : höchste Erbitterung über das Verbot des Anschlusses. In einem Memorandum, das Schneller nach seiner Rückkehr aus SaintGermain verfasste, meinte er, „daß das deutsche Volk die ihm zukommende Weltgeltung durch eine neuen Kampf wird erringen müssen. Siegreich kann es einen solchen Kampf nur auf neuer revolutionärer Grundlage als Volk des Fortschritts, und erst nach längerer Ruhe vollständiger Gesundung und Kräftigung führen“. Schneller war damals eindeutig als Linksliberaler zu bezeichnen und wurde noch in seiner Dienstzeit Sozialdemokrat und (geheimer) Vertrauensmann des Republikanischen Schutzbundes. Er hat sich nach seiner Versetzung in den Ruhestand als General nicht demonstrativ für die Sozialdemokratie betätigt, war aber Dichter der Parteihymne. Er schrieb mehrere Zeitungsartikel mit Erinnerungen an seine Dienstzeit im AOK 1914 und bei den Waffenstillstandsverhandlungen 1918. Es gab in dieser ausdrücklichen Aussage nur den Zeitfaktor, der sie von jener des ehemaligen Kommandanten der Kriegsschule, General der Infanterie Alfred Krauss, unterscheidet. Dieser schrieb in seinem Memoiren- und Hauptwerk mit Bezug auf den Weltkrieg immer wieder auf ähnliche Weise  : „Ein Volk, das leben will, das wachsen und blühen will, muss den Kampf um sein Recht annehmen und durchführen, mit allen Mit teln. Darum bleibt der alte Römerspruch in Kraft  : Willst Du den Frieden, bereite den Krieg vor – und, muss man hinzusetzen, führe ihn rechtz eitig herbei.40 38 Broucek, Militärische Vorbereitungen für die Friedenskonferenz (Anm. 9), S. 224 f. 39 Siehe Norbert Schausberger, Österreich und die Friedenskonferenz, in  : Wissenschaftliche Kommission zur Erforschung der Geschichte der Republik Österreich (Hg.), Saint-Germain 1919, Wien 1989, S. 229–264. 40 Alfred Krauß, Die Ursachen unserer Niederlage. Erinnerungen und Urteile aus dem Weltkrieg, 3. durchgesehene Auflage, München 1923. Alfred Krauß war am 13. März 1938 Ehrengast bei der Parade auf der Ringstraße, wurde ehrenhalber zum deutschen General der Infanterie charakterisiert und erhielt im Herbst 1938 nach seinem Tode ein Staatsbegräbnis in Goisern, Oberösterreich. Seine späteren einschlägigen Werke unter seinen insgesamt 12 Büchern und Broschüren waren  : Der Irrgang der deutschen Königspolitik, München 1927, Führertum, Bern 1931, Theorie und Praxis in der Kriegskunst, München 1936 und Stalin ante portas, Herrsching 1937. (Die gesperrt zitierten Sätze so auch im Original.) Siehe auch  : Willi Drofenik, General Alfred Krauß. Eine Biographie. Wiener Dissertation 1967.

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Jansa hat, wie aus seinen Memoiren hervorgeht, für die Leistung des Generals Krauß im Weltkrieg als Chef des Generalstabes der Heeresgruppe FM Erzherzog Eugen große Wertschätzung gehabt und hat auch mit vielen anderen Österreichern aus wirtschaftlichen Gründen am Beginn der Zwanzigerjahre einen Zusammenschluss mit Deutschland vertreten  : nicht weniger, aber auch nicht mehr. Er hat sich aber zu jeder Zeit und bis in die des Zweiten Weltkrieges, das lässt sich aufgrund der Memoiren nicht widerlegen, als treuer und gehorsamer österreichischer Patriot erwiesen – bei aller Wertschätzung der deutschen Kultur.41 Der Historiker Bruce Pauley zitiert einen amerikanischen Experten in Paris, Charles Seymour, der in einem Privatbrief bemerkte  : „Everything that had been done in Paris has tended to force Austria into the arms of Germany. A little more tact and diplomatic skill and Austria could have been kept absolutely free from German influence … A really wise policy would have been to place German Austria on the same plane as Yugoslavia and Czechoslovakia – not regarding it as an enemy state – but this would have been a policy demanding more foresight and intelligence than anybody connected with the French Foreign Office possesses.“42

41 Peter Broucek (Hg), Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau, Band 1. K.u.k. Generalstabsoffizier und Historiker (= Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs, Band 67), Wien/Köln/Graz 1980, S. 191 f.: „Wenn ich sonst unter den Jahrgangsschicksalen Umschau halte, so sehe ich, vor mir sitzend, den vorletzten Generalstabschef des österreichischen Bundesheeres vor dem Anschluß, Alfred Jansa v. Tannenau. Er war im ersten Kriege sehr viel bei deutschen Stäben und gehörte Anfang der zwanziger Jahre zur radikal – nationalen Offiziersgruppe, die sich um Alfred Krauss gesammelt hatte. Als österreichischer Militärattaché in Berlin erlebte er den nationalsozialistischen Umsturz und den 30. Juni 1934 mit. Er sah die schweren Mängel des Systems und machte in seiner Berichterstattung kein Hehl daraus. Nach seiner Rückkehr an die Spitze des Generalstabes in Wien gestellt, wurde er in militärischen Kreisen einer der schärfsten Vorkämpfer der antideutschen oder, besser gesagt, antinationalsozialistischen Richtung, die Art, wie er dieser Gesinnung in der Wehrpolitik Ausdruck lieh, war kaum mehr realpolitisch zu nennen. Er stürzte am 12. Februar 1938 und wurde durch General Böhme ersetzt.“ Diese Sätze sind so nicht beweisbar und eher auf die durchgängige Tendenz der Rechtfertigung von Glaise-Horstenaus Verhalten in der Zwischenkriegszeit zurückzuführen. Jansa mag ein- oder zweimal beim Umsturz von Glaise-Horstenau und seinen Freunden wahrgenommen worden sein. Er war dann aber, wie wir ja wissen, in Salzburg und Innsbruck und kümmerte sich um seine Verlobte in Ungarn. Er musste sich um den Unterhalt seiner Familie bemühen. Korrespondenzen Jansas mit diesem Personenkreis sind keine überliefert. 42 Siehe Bruce F. Pauley, The Habsburg Legacy, 1867–1939, New York etc. 1972. Was Clemenceaus Ausspruch betrifft, Österreich sei das, was [vom Staatsgebiet] der Doppelmonarchie übrig bleibe, so schrieb jenem Staatsmann, vor allem aber Sieger, der Historiker Berenger zu, dass er bewusst dieses Rest-Österreich der „Balkanisierung“ preisgeben wollte. Von Thomas G. Masaryk überlieferte Adam Wandruszka den Ausspruch aus der damaligen Zeit  : „Wir können warten, bis am Platz am Hof in Wien das Gras wächst.“

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Die Friedensbedingungen und Staatsvertragsvoraussetzungen waren für Österreich also äußerst belastend. Zu den ungerechten Grenzziehungen kamen die drückenden wirtschaftlich-finanziellen Bedingungen und die wirtschaftliche Not, was Nahrung, Beheizung und Wohnraum betrifft, gewiss nicht allein für die Großstadt Wien, sondern für das gesamte Staatsgebiet.43 Es bedurfte erst der Leistungen der Staatsmänner Ignaz Seipel und Johann Schober, aus den beiden Lagern der Bürgerlichen, sowie des ersten Staatskanzlers Karl Renner und des ersten Parlamentspräsidenten Karl Seitz. Deren Staatsgesinnung führte die Österreicher geistig von den Umwälzungen von 1804 und 1809 (Stadion  : „Wir haben 43 Norbert Schausberger, Der Weg nach St. Germain, in  : A.E.I.O.U. Allen Ernstes Ist Österreich Unersetzlich, Neue Reihe, 7. Jg., Band 1, März 1990, S. 25–31, hier S. 25 f. zitiert  : „Der Zusammenbruch der Donaumonarchie im Ersten Weltkrieg hinterließ der jungen Republik auf wirtschaftlichem Gebiet bedeutende Strukturschwierigkeiten. Die inflationäre Entwicklung im Krieg hatte die Währung völlig derangiert, der kleine Nachfolgestaat konnte sich vorläufig nicht durch die eigene Landwirtschaft ernähren, und besonders die Industrie geriet in eine verhängnisvolle Krise. Sie hatte die meisten Rohstoffquellen – vor allem die Kohlenbasis – verloren und verfügte über eine Kapazität, die weit über den neuen geschrumpften, für Massenproduktion kaum geeigneten Binnenmarkt hinausreichte. Dazu kam, dass infolge der 1914–1918 eingeschränkten Investitionstätigkeit die meisten Maschinen abgenützt oder veraltet waren. Bei dieser tristen Ausgangsbasis war die überwiegende Mehrzahl der österreichischen Betriebe gezwungen, schlagartig von einer geschützten Binnenindustrie auf eine konkurrenzumtoste Exportindustrie umzuschalten. Das erforderte Rationalisierung und Erhöhung der Produktivität. Zur Reorganisierung wären große Kapitalmittel notwendig gewesen, und es ist eine der tragischen Wendemarken in der Geschichte der Ersten Republik, daß es nicht gelang, die entsprechenden Gelder im Inland flüssig zu machen. … Die Umstellungsschwierigkeiten vom Großwirtschaftsraum ÖsterreichUngarn auf die unsichere kleinstaatliche Situation von 1918 ließ viele Österreicher daher an der Lebensfähigkeit der Republik verzweifeln und die einzige Grundlage für ein Weiterleben im Anschluß an Deutschland sehen. Am Anfang standen also ein Minderwertigkeitskomplex und wenig Vertrauen in die eigenen wirtschaftlichen Möglichkeiten. Diese waren tatsächlich keineswegs so schlecht, wie es den Anschein hatte – das hatten schon damals Ökonomen wie Friedrich Hertz nachgewiesen. In einer seiner analytischen Vergleiche mit der Schweiz kam Hertz zu dem Schluß, daß Österreich zum Beispiel eine zweite Schweiz werden könne, wenn nur die Österreicher an sich selbst glauben und ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten nützen würden. Die Lebensfähigkeit war eben mehr ein psychologisches Problem als ein auf fehlendes Potential oder mangelnde Fähigkeiten begründetes. Dazu kam, daß es die ganze Erste Republik hindurch keinen wirtschaftspolitischen Konsens gab und man lieber nach Hilfe aus dem Ausland schielte – sei es nach Deutschland, sei es nach dem Völkerbund –, anstatt die eigenen Kräfte zu mobilisieren. So entstand die Legende von der Lebensunfähigkeit Österreichs, deren Hauptursachen wie folgt zusammengefa?t werden können  : Viele Menschen gingen bei der Beurteilung der Lebensfähigkeit nicht von wirtschaftlichen Faktoren aus, sondern von Gefühlen  ; gewohnt in Großräumen zu denken, waren es vor allem auch Wirtschaftskreise, die meinten, daß die Zukunft eines Kleinstaates wie Österreich nicht gesichert und daher der Anschlu? an einen wirtschaftlichen Großraum notwendig sei  ; die Legende von der Lebensunfähigkeit Österreichs führte schließlich dazu, daß in die eigene Wirtschaft nicht mehr investiert wurde und ein Teil des in der österreichischen Wirtschaft erarbeiteten Kapitals ins Ausland flo?, wo bessere Anlagemöglichkeiten bestanden.“

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uns als Nation konstituiert“) zur Verfassung von 1920 und weiter zur Verfassungsreform von 1929.44 Dem österreichischen Staat wurde eine Ordnungstruppe von 30.000, nämlich 26.500 Mann Berufssoldaten sowie Gendarmerie und Zollwache gewährt. Man konnte also nicht von einer Armee, sondern nur von einem Armeekorps sprechen. Zugestimmt wurde der Stärke von 1.500 Offizieren, 450 Maschinengewehren, 60 Minenwerfern und 90 Geschützen. Ein Generalstab, eine Luftwaffe und die Waffeneinfuhr 44 Siehe die Aufsätze in  : Wissenschaftliche Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 (Hg.), Die österreichische Verfassung von 1918 bis 1938. Protokoll des Symposiums in Wien am 19. Oktober 1977, Wien 1980. Dort besonders relevant  : Norbert Leser, Die Rolle der Sozialdemokratie bei der Verfassungsreform 1929, S. 69–75 u. S. 243–256. Ignaz Seipel im Speziellen gelang die Gewinnung einer Auslandsanleihe (Völkerbundanleihe) in der Höhe von etwa 650 Millionen Goldkronen nach sehr gut durchgeführten diplomatischen Aktionen. Das diesbezügliche sogenannte Genfer Protokoll wurde am 4.10.1922 unterzeichnet. Mithilfe der Völkerbundanleihe, durch radikale Sparmaßnahmen (z. B. Abbau von 100.000 Staatsbeamten) und strenge Kontrolle der Notenpresse gelang es schließlich der Regierung Seipel, das Gleichgewicht im Staatshaushalt wiederherzustellen und die Grundlage für die Einführung der wertbeständigen Schillingwährung („Alpendollar“) zu schaffen. Der Preis für diese Sanierung war allerdings sehr hoch. Rund 10 % Zinsen waren zu zahlen, außerdem musste Österreich nicht verwendete Teile des Anleiheerlöses bei ausländischen Banken zu einem Bruchteil dieses Zinssatzes anlegen. Das internationale Finanzkapital hatte eindeutig die Zwangs- und Notlage Österreichs ausgenützt. Für das Heerwesen hatte die Sanierung, die durch ein eigenes Völkerbund-Kontrollkomitee und einen Generalkommissär überwacht wurde, die baldige Auswirkung, dass in hohen Beamten- und Militärbeamtenkreisen neuerlich über eine Auflösung des Bundesheeres nachgedacht und ernsthaft diskutiert wurde. Vaugoin hat derartige Diskussionen schließlich abgeschnitten. Eine weitere groteske Auswirkung war, dass eine Anzahl von Majoren des Heeres zum „Stabshauptmann“ gewissermaßen degradiert wurde, um das Kontingent der Gehälter der Stabsoffiziere zu beschneiden. Nach wenigen Jahren wurde dann diese Zurücksetzung wieder rückgängig gemacht. Die Beförderungsverhältnisse blieben aber bis 1938 ungewöhnlich schlecht. Die Interalliierte Militärkontrolle in Österreich endete mit 31.1.1928. Seipel selbst wurde im Zusammenhang mit jener Sanierung der Vorwurf gemacht, er treibe Wirtschaftspolitik mit Moraltheologie, da von ihm das bekannte Wort von der „Sanierung der Seelen“ stammte, die er anstrebe. Er wollte damit zum Ausdruck bringen, dass das österreichische Volk aus dem moralischen Tiefstand der Nachkriegszeit herausgehoben werden müsste und auch wieder Mut und Vertrauen zu sich selbst finden solle. Was das Militärwesen betrifft, so wurde ihm weiters vorgeworfen, dass er am 18.12.1928 in Graz erklärt hatte, er sehe in der Heimwehr mit gewissen Einschränkungen einen Bundesgenossen der bürgerlichen Parteien. Dies wurde ihm ebenso wie bei den Ereignissen von 1927, als er als „Prälat ohne Milde“ verunglimpft wurde, als Liebäugeln mit dem Faschismus ausgelegt. Dazu siehe auch  : Anton Staudinger, Christlichsoziale Partei und Heimwehren bis 1927, in  : Die Ereignisse des 15. Juli 1927. Protokoll des Symposiums in Wien am 15. Juni 1977 (Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission, Band 5), Wien 1979, S. 110–136 u. S. 250–254. Bundeskanzler Schober gelang es durch Verhandlungen, dass am 30.1.1930 auf der Haager Konferenz des Völkerbundes Österreich von seinen Reparationsverpflichtungen, den Forderungen der Nachfolgestaaten und vom Generalpfandrecht befreit wurde. Die Reparationen waren in erster Linie an Italien zu leisten gewesen.

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blieben verboten. Die geografische und die politische Gliederung der Republik ließen eine Einteilung dieses Heeres in sechs Brigaden und nicht in Divisionen als angezeigt und einzig möglich erscheinen. Im Verhältnis zur Stärke waren dem österreichischen Heer weniger Waffen zugestanden worden als dem deutschen – anscheinend aufgrund des Einflusses der Kleinen Entente. An Heerestruppen gab es ein selbstständiges Artillerieregiment und die Vereinigten Brückenzüge sowie einen Pionierverband in Bataillonsstärke. Ebenso ergab sich sehr bald aus der weitgehend Versorgungscharakter tragenden Übernahme von Offizieren im Jahre 1923 etwa die bezeichnende Situation, dass 923 Stabsoffizieren 494 Oberoffiziere, darunter nur ein Leutnant, gegenüberstanden. Bis 1933 konnte die im Staatsvertrag erlaubte Heeresstärke aus Gründen der schlechten wirtschaftlichen Lage nie erreicht werden. Eine wesentliche Krise gab es nach der Wirtschaftsreform von 1922, als angesichts der strengen Kontrolle der Geldgeber für die Schillinganleihe durch den Völkerbund ernsthaft an eine Abschaffung des Bundesheeres gedacht wurde, zumindest in der höheren Beamtenschaft. Es ist sehr wohl dem Ministerrat und vor allem dem Heeresminister Karl Vaugoin zu danken, dass es dazu nicht kam. Die Zahl der Angehörigen des Bundesheeres schwankte immer zwischen 22.000 und 24.000 Mann. Bei Kriegsende gab es in Österreich-Ungarn 187 Generalstabsoffiziere, 139 dem Generalstab zugeteilte Offiziere, 67 Artilleriestabsoffiziere, 32 dem Artilleriestab zugeteilte Offiziere und 52 Geniestabsoffiziere.45 Die Fluktuation im Staatsamt 1918/19 war groß, immerhin scheint es so, dass Geniestabsoffiziere und überhaupt Offiziere aus technischen Einheiten des Truppendienstes, also Pionieroffiziere etc., bevorzugt aufgenommen wurden. Der Historiker Erwin Steinböck hebt auch die Zahl der Ritter des Militär-Maria-Theresien-Ordens hervor, die sich dem neuen Staat zur Verfügung stellten. Ferner ist es hier am Platz auf die Ernennung der 122 Volkswehrleutnante aus dem Unteroffiziersstand – aber auch aus solchen Unteroffizieren, die sich als Soldatenräte zur Verfügung gestellt hatten – hinzuweisen. Sie hatten keine Offiziersausbildung, mussten allerdings später – soweit sie ins Bundesheer übernommen wurden – diverse vorgeschriebene Prüfungen nachholen, um in einen Stabsoffiziersrang aufsteigen zu können.46 45 Das Folgende in erster Linie nach  : Heribert Kristan, Der Generalstabsdienst im Bundesheer der ­Ersten Republik. (= Militärgeschichtliche Dissertationen österreichischer Universitäten 10), Wien 1990, S. 66 ff. 46 „Volkswehrleutnant“ waren etwa der spätere ns. Gauleiter Österreichs, Hauptmann des Bundesheeres Josef Leopold (im Zweiten Weltkrieg als Major gefallen) sowie der ehemalige Unterstaatssekretär im Bundeskanzleramt/Staatsamt für Heerwesen, 1918/19 Stellvertretender Vorsitzender des Reichsbundes der Soldatenvertreter, Unteroffizier Karl Winterer. Er wurde im Bundesheer noch Major, in der Deutschen Luftwaffe Oberstleutnant und am Beginn der Zweiten Republik, vom Bürgermeister Wiens Ge-

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In die neue Wehrmacht, das Österreichische Bundesheer, wurden 69 Generalstabsoffiziere übernommen, 52 dem Generalstab zugeteilte Offizier, 25 Artilleriestabsoffiziere, 12 dem Artilleriestab zugeteilte Offiziere und 19 Geniestabsoffiziere. Von ­allen diesen waren 107 im Ministerium, 46 bei den Brigadekommanden, 24 bei den Infanterie-Regimentern eingeteilt. Gemäß dem Autor Kristan kann die Hauptarbeit für die Abteilung 5 des Ministeriums „Heeresaufbau“ angenommen werden (Oberst Rettl), der zehn Generalstabsoffiziere zu seiner Verfügung hatte. Große Bedeutung, wie wir gleich noch erörtern werden, kam der Amtsleitung – Abteilung 1  : „Zwischenstaatlicher Verkehr“ zu, die zunächst der Zivilbeamte Dr. Egbert Mannlicher leitete, sowie dem ebenfalls in der Amtsleitung wirkende Obst. Otto Kick als Chef des Nachrichtendienstes47. Man wird also insgesamt sagen können, dass – wie übrigens auch im Deutschen Reich – nur die Beifügung zur Rangbezeichnung weggelassen wurde. Der sogenannte Truppengeneralstab blieb ja weiter bestehen und um die Stabsangehörigen zu bezeichnen, musste die Persönlichkeit eben nur mit ihrer Stellung als Kommandant oder als „Gehilfe der Führung“ benannt werden.48 Das Bild des Generalstabsoffiziers hatte sich nicht geändert, im Gegenteil. Der „Nachfolger“ des bedeutendsten und berühmtesten Chefs des Generalstabes des Feldheeres der preußischen Armee, dann der Deutschen Armee Helmuth von Moltke, nämlich der Chef der Heeresleitung der Reichwehr General Hans von Seeckt, schrieb am 29.8.1919, was er von den Generalstäblern erwartete  : die Mitarbeit an einem „Führerheer“ auf taktischem und operativen Gebiet.49 neral i. R. Theodor Körner gefördert, Unterstaatssekretär für Heerwesen in der ersten Regierung Renner ab April 1945. Er wurde Ende 1945 in dieser Funktion noch zum Generalmajor befördert. Eine ganz besondere Karriere eines Volkswehrleutnants  : Alois Rosenwirth, geb. 19.6.1895 in Graz, 21.6.1915 eingezogen zu Feldhaubitzenrgt.13, bei Kriegsende Offiziersstellvertreter, 1.9.1919 mit der ersten Gruppe Volkswehrleutnant, blieb Soldatenrat, 1920 im Landessoldatenrat der Stmk., 1.1.1921 Titular-Oblt., 1.5.1924 Oblt., Besuch der Heeresschule, 22.6.1932 Hptm. und Vertrauensmann der 5. Brig., 1923–1934 Landesobmann des sozialistischen Militärverbandes, Bundesrat für die Stmk, 1.12.1933 mit Wartegeld beurlaubt, 20.6.1936 Ruhestand  ; 1945 ordnete Gauleiter Uiberreither seine Erschießung an, der er sich durch Flucht entziehen konnte, 1945 Militärkommandant, Sicherheitsdirektor und Polizeipräsident in Graz, 1947 gestorben in Graz. 47 Über Egbert Mannlicher siehe nunmehr  : Renate Bedall, Egbert Mannlicher in Dokumenten und Erinnerungen, Privatdruck Stephanskirchen 2007. 48 Marcel Stein, Österreichs Generale im Deutschen Heer 1938–1945. Schwarz/Gelb – Rot/Weiß/Rot – Hakenkreuz, 84 ff. 49 Rainer Wohlfeil/Hans Dollinger, Die deutsche Reichswehr, Bilder, Dokumente Texte. Zur Geschichte des Hunderttausend-Mann-Heeres 1919–1933. Wiesbaden 1977, S. 58: Aus einem Brief Seeckts an den Preußischen Kriegsminister, Oberst Reinhardt, vom 29. August 1919  : „Es ist mir mitgeteilt worden, daß dem berechtigten Streben, möglichst viele Generalstabsoffiziere in den neuen Ämtern weiter zu verwenden, von Seiten des Personalamtes mit dem Schlagwort ,die bewährten Frontoffiziere müßten in erster Linie berück-

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sichtigt werden‘ oder mit Redensarten wie ,der Generalstab sei zur Zeit sehr unpopulär und bedeute nichts mehr‘ entgegengetreten wird. Dem hierin hervortretenden Bestreben, die Generalstabsoffiziere zu benachteiligen, muß ich mit allem Nachdruck entgegentreten. Ich behaupte im Gegenteil dazu, daß die bewährten Generalstabsoffiziere in erster Linie berücksichtigt werden müssen. daß kein Teil der alten Armee in allen aufgeklärten Teilen des Volkes solche berechtigte Hochachtung genießt wie der Generalstab und daß die Erhaltung des Generalstabes die Erhaltung des Geistes der Armee bedeutet. Ich stelle ferner in Abrede, daß zwischen Generalstabsoffizier und Frontoffizier überhaupt ein innerer Gegensatz besteht, und ich halte das Bestreben für bedauerlich und verwerflich, einen solchen Gegensatz künstlich zu konstruieren. Dieser Gegensatz zwischen Generalstab und Truppe ist der Tod der österreichisch-ungarischen Armee gewesen, der deutschen Armee aber bisher ferngeblieben. Wo ein solcher Gegensatz bisher bestand, entsprang er kleinlichen Motiven. Der Generalstabsoffizier ist Frontoffizier, und zwar hervorgegangen unter den besten Frontoffizieren.“ Die hier ganz offen geäußerte Kritik am österreichischen-ungarischen Generalstabskorps geht einerseits auf die scharfe und ungerechtfertigte Kritik ungarischer nationaler Kreise zurück, die auch Jansa in seinen Memoiren durchaus anspricht. Seeckt hat sie, wie deutlich aus seiner Korrespondenz mit FM Ezhg. Joseph August hervorgeht, von diesem im Krieg erfolgreichen, aber einseitig für Ungarn eintretendem Mitglied der Dynastie, vor allem nach der Piave-Schlacht, brieflich zur Kenntnis bekommen. Sie ist aber auch darauf zurückzuführen, dass die ö.-u. Armee von sich aus kein Pendant zu den sogenannten Sedan-Kursen des Deutschen Heeres aufweisen konnte und die Informationskurse für Kriegsschulaspiranten, die 1917 und 1918 in Laibach bzw. in Belgrad abgehalten wurden, viel zu wenig praktische und taktische Ausbildung enthielten. Ebenso wurden die Kriegserfahrungen zu wenig in moderne Vorschriften gegossen. Auch dies bringt Jansa in seinen Memoiren zur Sprache. Und noch ein Weiteres  : Es lässt sich aus den Personaldokumenten und Offiziersmemoiren nachweisen, dass jene bekannt praxisnahe und militärisch hervorragende Ausbildung von jenen Offizieren, die vor 1938 besonders mit dem Deutschen Heer sympathisierten, im Zuge ihrer Kriegsdienstleistung während der zahlreichen Abkommandierungen geschätzt und anerkannt worden ist und für die Wertschätzung des Deutschen Heeres wichtig war. Siehe etwa die ungedruckten Memoiren des Hptm. zugeteilt dem Generalstab Andreas Mailáth-Pokorny im Kriegsarchiv, die Schriften des FML Maximilian Csicserics v. Bacsány vor und nach 1918, ebenfalls im Kriegsarchiv, oder die (sicher ziemlich polemische) Schrift Fabius [Pseudonym für Leopold Kann, Kdt. IR 89], Mit Blitzlicht durch Kriegserotik, Generalstab u.a. Leipzig/Wien o.J. [1918 oder 1919, jedenfalls nach Kriegsende]. Siehe aber auch die Antwort  : o.V., Gedenkschrift zur Enthüllung des Ehrenmals der im Weltkrieg gefallenen Generalstabsoffiziere der bewaffneten Macht Österreich-Ungarns (= auch Sonderdruck aus dem Juni-Heft 1934 der Militärwissenschaftlichen Mitteilungen, eigene Paginierung 40 S.). Sie enthält die Liste der gefallenen Generalstabsoffiziere und den Hinweis, dass zwölf weitere an Strapazen und Kriegsseuchen starben. Zitat  : „Nach seiner ganzen Bestimmung mit vielen seiner Tätigkeiten an den grünen Tisch gewiesen, hat er doch die Verbindung mit dem Leben der Truppe im Frieden und mit dem Kampf im Krieg gesucht. Nach der Einteilungsliste vom Mai 1918 standen von den gesamten 1.028 Generalstäblern und Kommandierten 540 bei operativen Kommandos und bei der Truppe. Diese arbeiteten und wirkten vielfach im Gefahrenbereich feindlicher Einwirkung und 36 besiegelten ihre Pflichttreue – ebenso wie Truppenoffiziere – mit dem Leben.“ Schließlich soll nicht verschwiegen werden, dass es eine Parlamentarische Kommission zur Erhebung militärischer Pflichtverletzungen gab, die nach einem Gesetz vom 19.12.1918 gebildet wurde und die auch eine ganze Anzahl von militärischen Pflichtverletzungen, von Massenerschießungen bis zu einzelnen Morden, untersuchte. Von GdI. Kasimir Frh. v. Lütgendorf bis zu Subalternoffizieren mussten sich viele verantworten. Siehe  : Wolfgang Doppelbauer, Zum Elend noch die Schande. Das altösterreichische Offizierskorps am Beginn der Republik (= Militärgeschichtliche Dissertationen österreichischer Universitäten, Band 9), Wien 1988, S. 155 ff.

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Er fügt diesem Bestreben nach dem Qualitätsheer allerdings zugleich die Planung für ein Quantitätsheer hinzu, nur notdürftig versteckt im politischen Wunsch der Herstellung und der Wiedergewinnung der Wehrhoheit. Er dachte – wie fast selbstverständlich angesichts des weiterhin herrschenden „Militarismus“ auch die Zivilisten – nicht nur an „Revisionismus“, wie die Außenpolitiker dies nannten, sondern ebenso an „Revanche“.50

50 Der britische Historiker Nicholas Reynolds, Beck. Gehorsam und Widerstand. Das Leben des deutschen Generalstabschefs 1935–1938, Wiesbaden und München 1977, S. 72 f. Seeckts Strategie nach 1918 verfolgte das Ziel, Deutschland wieder den Rang einer Großmacht zu verschaffen. „Wir müssen unsere Macht wiedergewinnen“, erklärte Seeckt, „und sobald dies geschehen ist, werden wir uns natürlich alles zurückholen, was wir verloren haben.“ Dazu müsse Deutschland erst einmal wieder bündnisfähig werden, Verträge schließen und auch garantieren können. Daher die Ablehnung des Versailler Vertrages, der Deutschland große Gebiete genommen und es seinen Gegnern wehrlos ausgeliefert hatte. Hauptgegner war Frankreich, das am härtesten auf die Erfüllung des Vertrages bestand. Seeckt war der Auffassung, dass Frankreich seine Politik nie ändern werde und ein „rapprochement“ deshalb unmöglich sei. Das gleiche galt für die Tschechoslowakei und Polen, die Deutschland im Osten bedrohten  : In Versailles geschaffen bzw. wiederhergestellt, waren sie die natürlichen Verbündeten Frankreichs. Aufgrund dieser Konstellation war Deutschland nach Seeckts Vorstelllungen gezwungen, Freundschaft mit Russland zu suchen, Russland war von den Diplomaten in Versailles übergangen worden und hatte nicht das geringste Interesse, die dort geschaffenen Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten, besonders da es Deutschlands Antipathie gegen Polen teilte. Aus ähnlichen Gründen riet Seeckt den deutschen Politikern, sich um Großbritannien zu bemühen, das kein so starkes Interesse zu haben schien, Deutschland auf die Dauer politisch auszuschalten. Im Grunde handelte es sich um ein sehr einfaches Konzept  : Deutschland musste zwischen Ost und West balancieren und Unterstützung gegen die Garantiemächte von Versailles suchen. Schließlich musste dieser Vertrag selbst revidiert werden. Wiederaufrüstung war dabei für Seeckt keineswegs nur eine Frage der Zahl. Im Gegenteil hielt er die Massenarmeen von 1914 für überholt. Er verwarf sie als unbeweglich, schlecht ausgebildet und unverhältnismäßig kostspielig. Er sagte voraus, dass in einem zukünftigen Krieg der Sieg kleineren und manövrierfähigeren Armeen zufallen werde, die den anderen durch bessere Ausrüstung und Ausbildung überlegen seien. Nur solche Armeen könnten jene komplizierten Operationen durchführen, die notwendig seien, um stärkere Streitkräfte zu schlagen Besondere Bedeutung maß Seeckt dabei der Motorisierung und der Luftwaffe bei. Dementsprechend plante er eine Armee aus lang dienenden Berufssoldaten von ungefähr 200.000 Mann und als Ergänzung dazu eine Reserveorganisation. Diese Vorstellungen Seeckts wurden von vielen prominenten Politikern der Weimarer Republik geteilt. Stresemann und Brünings Außenpolitik trug deutlich revisionistische Züge. Stresemann war vielleicht etwas maßvoller und realistischer als Seeckt, aber im Prinzip waren seine Ziele die gleichen. Er hoffte, nicht nur Danzig, den Polnischen Korridor und Oberschlesien wiederzugewinnen, sondern plante auch den Anschluss Österreichs, und, wie es scheint, die Rückgewinnung Elsass-Lothringens. Allerdings hatten seine Bemühungen, die demütigenden Bedingungen von Versailles zu mildern, nur geringen Erfolg. Siehe, was die englischen Urteile betrifft, vor allem auch  : Basil H. Liddell-Hart, Deutsche Generale des Zweiten Weltkrieges. Aussagen, Aufzeichnungen und Gespräche, veränderte und erweiterte Ausgabe, München 1965  : Kapitel  : Die Seecktsche Prägung, S. 19 ff.

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Doch auch Marschall Foch, der Chef des Generalstabes der französischen Armee, war höchst unzufrieden über den militärisch ungenügenden Versailler Friedensvertrag. In einem berühmten Zitat sprach er von einem 20-jährigen Waffenstillstand und prophezeite sodann einen neuen Waffengang mit dem Deutschen Reich. Seiner Meinung nach wäre es notwendig gewesen, dass – in Mitteleuropa keine zentrale Militärmacht wieder entstehen könne, – am Rhein das eindeutige Übergewicht der französischen Armee hergestellt werde und am besten der Rhein überhaupt durchgehend die „natürliche Grenze“ Frankreichs werde oder kleine Satellitenstaaten unter französischem Einfluss entstünden (was sich nur bezüglich des Saarlandes eine Zeit lang als relativ erfolgversprechend erwies), – die Flankenstellung des italienischen Bündnispartners möglichst weit im Norden liege, – der russische Koloss, durch einen Riegel kleiner – aber von der Entente abhängiger – Staaten von Mitteleuropa getrennt werde. Weiters wünschte er sich einen „Kreuzzug gegen den Bolschewismus“, der ja dann bis 1924 durch die Interventionstruppen geführt wurde und kläglich scheiterte, den russischen Nationalismus aber kräftigst anspornte.51 Für ihn war der Sieg von 1918 und auch die Schöpfung des Völkerbundes nicht genug an „Sicherheit“ für Frankreich und seine Eroberungen. Österreich war zunächst nur am Aufbau seiner Landesverteidigung interessiert, die aber durch die Friedensbedingungen stark behindert wurde, da eben die Siegermächte und die sich ihnen angeschlossen habenden neuen Staaten den Österreichern und den Ungarn nur eine Ordnungstruppe zuzugestehen bereit gewesen waren. Von diesen beiden waren Ungarn wie Deutschland besonders auf Revisionismus aus, der in der Reihenfolge hinter Gebieten von Rumänien, Tschechoslowakei und Jugoslawien (Serbien und Kroatien) auch die Wiedergewinnung des Burgenlandes betraf. Blieb nur Italien, das ja Südtirol und von Kärnten das oberste Kanaltal (Val Canale) samt Tarvis sowie Raibl bereits erworben hatte. Dieser grundsätzliche Wunsch der Wiedererlangung der Allgemeinen Wehrpflicht bestand auch in Österreich, allerdings in der Form des Wunsches nach Wiedererlangung der Selbstbehauptung. Manche Generalstabsoffiziere hielten Österreich für „nicht lebensfähig“ und die Grenzen nicht für „verteidigbar“. Sie sahen eine Lösung 51 Siehe diesbezüglich  : Anton Wagner, Der Erste Weltkrieg. Ein Blick zurück (= Truppendienst-Taschenbücher, Band 7), 1. Aufl., Wien 1968.

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des politisch-militärischen Problems nur in der Form eines Paktes, wie ihn Bayern 1867 in der Form des „Schutz- und Trutzbündnisses“ mit dem Norddeutschen Bund abgeschlossen hatte, sahen in Deutschland den Kameraden des Weltkrieges, nur dort das notwendige „Potenzial“ für Machtpolitik und den „Raum“ für „Geopolitik“.52 Der Begriff der „Landesverteidigung“ ist zumindest in Österreich auf das „Kronland“ zurückzuführen, 1919 dann auf das Bundesland und dessen „Landeshauptmann“, auf dessen starke politische Stellung am Beginn der Republik. So mag es auch gekommen sein, dass, parallel mit dem Provisorium „Volkswehr“ beim Militärliquidierungsamt in Wien, eine Geschichte der österreichischen Landwehr von 1867 weitergeführt und 1920 fertiggestellt, aber nicht gedruckt wurde.53 Gleichzeitig gab es jedoch am Beginn des neuen Bundesheeres den Kritikpunkt, dass die Landeshauptleute mit der Errichtung der Heeresverwaltungsstellen eine zentrale Leitung des Heeres erschwerten. Es gab aber doch eine ganze Anzahl von Berufsoffizieren, die sich für die Verteidigung der einzelnen Länder auch nach den „Abwehrkämpfen“ interessierten und erst von diesen ausgehend wieder für die Staatsverteidigung – wenn schon die „Nationsverteidigung“ nicht erlaubt war und ein Zusammenschluss überhaupt in weiter Ferne zu liegen schien – eintraten. Jansa war einer von denen, der sozusagen für fast zehn Jahre in die Dienste des Landes Niederösterreich trat, sich sodann – wie gleich zu schildern sein wird – für die Verteidigung Kärntens zu interessieren hatte. Er dachte daran und erst davon ausgehend an die „Landesverteidigung“ des Staates – aber eben nicht an Revision oder Revanche mit „großartigen“ strategischen Überlegungen.54 Die erst Ende 1920 begonnene Aufstellung der Truppen war noch kaum abgeschlossen, als schon am 29. 8. 1923 angesichts des Fehlschlages der Besetzung des Burgenlandes durch die zivilen Behörden Marschbereitschaft befohlen werden musste. Am 5. 9. 1921 hatten Teile der 3. Brigade (Niederösterreich), unter Stabschef Obstlt. Jansa bei Kirchschlag in der Buckligen Welt ein Gefecht gegen angreifende ungarische 52 Manfried Rauchensteiner, Zum „operativen Denken“ in Österreich 1918–1938. Pazifismus – statt Kriegs­theorie, in  : ÖMZ., Jg. 1978, S.  107–116  ; Heinz Magenheimer, Renaissance der Geopolitik, Deutschland und Mitteleuropa 1890–1990, OMZ, Jg. 1991, S. 131–139. 53 Landwehrgruppe des Militärliquidierungsamtes, Die Geschichte der k. k. öst. Landwehr (1858–1914, bearbeitet im Auftrag des k. k. Öst. Min. f. Lv. von Obstlt. Julius Lederer u. Hauptmann Lothar Rendulic, Wien 1919, Wien, am 5. Dezember 1918 [459 Seiten Maschinschrift]. Die Schrift könnte ein Beweis dafür sein, dass von der Seite Kaiser Karls auf einer Friedenskonferenz eine Anzahl von Landwehren des Staatenbundes Groß-Österreich als Bewaffnete Mächte angeboten worden wäre. 54 Siehe Ernst Bruckmüller, Das Landesbewusstsein der österreichischen Länder im Mittelalter, in  : Beiträge zur historischen Sozialkunde, 2. Jg., Nr. 2, April–Juni 1972, S. 29–33 [mit den Abschnitten  : Der „rechte“ Österreicher  : Landessitte …, Landrecht und Landesgemeinde  ; Land und Ethnos  ; Die österreichischen Länder  ; Land und Nation  ; Umkehrung der Ethnogenese  : Der moderne Nationalismus  ; Ausblick – die „österreichische Nation“].

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Freischärler zu bestehen. In Niederösterreich und der Steiermark musste sodann eine Grenzsicherung aufgebaut werden, die in der Steiermark nach damaligem deutschen Vorbild „Grenzschutzkommando Südost“ bezeichnet wurde. Bis 1922 hinein hatte dieses immer wieder Feuerüberfälle zu bestehen. Erst am 1. 11. 1921, nach Unterzeich­ nung des sogenannten Protokolls von Venedig, begann der Einmarsch von über 8.000 Mann des Bundesheeres ins Burgenland, mit Ausnahme des Abstimmungsgebietes von Ödenburg (Sopron). Italien hatte als Schiedsrichter vermittelt. Indirekt hat auch die Tschechoslowakei zu dieser, was Ödenburg betrifft, wenig befriedigenden, aber angesichts der Verhältnisse zwingenden Lösung beigetragen, indem es im Staatsvertrag von Lana (16. 12. 1921) die Pläne eines slawischen Korridors, dem das westungarische/ burgenländische Gebiet hätte dienen können, aufgab und sogar ein Bündnis zur Erreichung der ungarischen Ziele anbot. Diesem Vorschlag wurde angesichts der ausdrücklich friedlichen und schon auf den italienischen Kompromiss ausgerichteten Politik nicht nähergetreten.55 Aber natürlich sah man auch nach dem Vertrag von Venedig im ungarischen Revisionismus eine ungeheure Gefahr, namentlich wenn sich dieser, was ja dann auch geschah, mit deutschen oder italienischen Bestrebungen ­liierte. Eine gewisse Erbitterung Ungarns blieb aber auch bestehen nach der friedlichen Abtretung des Grenzstreifens Westungarns mit deutschsprachiger und geringer kroatischer sowie minimaler ungarischer Bevölkerung, Sopron/Ödenburg ausgenommen. Keine ungarische Regierung hat je versucht, ihre wirklichen Absichten für den – wenn auch nicht erwünschten – Zeitpunkt eines Zerfalls Österreich, was jenes Bundesland Burgenland betrifft, ganz zu verbergen  : Noch nach dem Anschluss 1938 verlangte die ungarische Regierung durch Mittelsmänner von Hitler für das Wohlverhalten anlässlich des Anschlusses die Abtretung des Burgenlandes. Sie mischte sich aber schon vorher, nämlich nach dem Abschluss der Militärkontrolle anlässlich des Friedensvertrages von Trianon 1920, in Österreich gemeinsam mit Italien ein. Bis 1926 wurde anlässlich immer wieder auftretender Gerüchte und Nachrichten die Grenzabwehr an der burgenländischen-ungarischen Grenze geübt und gerade auch im Burgenland standen sehr patriotisch-österreichisch ausgerichtete Heimwehr- und Frontkämpferverbände bereit.56 55 Eduard Hochenbichler, Republik im Schatten der Monarchie. Das Burgenland, ein europäisches Problem, Wien/Frankfurt/Zürich 1971. 56 Franz v. Adonyi-Naredy, Ungarns Armee im Zweiten Weltkrieg (= Die Wehrmacht im Kampf, Band 47), Neckargemünd 1971  ; Peter Gosztony, Miklós von Horthy. Admiral und Reichsverweser (= Persönlichkeit und Geschichte, 3. Bd. ), Göttingen 1973. József Zachar, Von der „Monarchie mit vakantem Thron“ zur Volksdemokratie Ungarn 1937 bis 1956, in  : Erwin A. Schmidl (Hg), Die Ungarnkrise 1956 und Österreich, Wien/Köln/Weimar 2003, S. 33–53, hier S. 33  : „Alle politischen Gruppierungen hielten in der damaligen Terminologie eine ‚Revision‘ für absolut notwendig. Diese nationale Überzeugung wurde

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Die gesetzliche Grundlage für dieses neue Heer war durch das am 18. März 1920 beschlossene Wehrgesetz geschaffen worden. Dieses kam erst nach langen, zunächst ergebnislosen Verhandlungen zustande  : unter dem Druck der Furcht vor der Erregung über den Kapp-Lüttwitz-Putschversuch in Deutschland und auf der Grundlage des sozialdemokratischen Entwurfes.57 Zweck des Heeres war weiterhin der Schutz der Grenzen. Die Verfügungsgewalt des Nationalrates blieb erhalten, seine Kontrolle wurde durch eine – seit 1923 so genannte – Ständige Parlamentskommission ausgeübt. Auf einen militärischen Oberbefehlshaber wurde verzichtet. Jährlich konnten die Soldaten Vertrauensmänner zur Wahrung ihrer Interessen wählen  ; sie behielten das Wahlrecht und erhielten auch staatsbürgerkundlich-republi­ kanische und zivilberufliche Ausbildung. Die Christlichsoziale Partei bzw. die Ländervertreter konnten die Rekrutierung von Landeskontingenten und die Einflussnahme der Länder, wenn schon nicht durch Landesbefehlshaber, so durch Heeresverwaltungsstellen, in jedem Bundesland durchsetzen. Das Heer wurde eindeutig von der Sozialdemokratischen Partei dominiert, wie die Wahl der Vertrauensmänner, die zunächst überwiegend aus ihrer Organisation kamen, zeigte.58 Als Gegenorganisation wurde 1920/21 der „Wehrbund“ unter christlichsozialer Patronanz gegründet, der sich als „nichtpolitische Gewerkschaft“ bezeichnete. Eine „Entpolitisierung“ des Heeres war denn auch der Schlachtruf des Politikers Carl Vaugoin, eines ehemaligen k. u. k. Berufs-, dann Reserveoffiziers, der nach dem Bruch der Koalition im Jahre 1920 lange Jahre, erst kurze Zeit schon Mitte 1921, dann vom September 1922 bis September 1933, als Bundesminister für Heerwesen fungierte. In die Zeit seiner Tätigkeit fällt also dieser erbitterte Kampf um den Einfluss im Heer, der erst mit dem Beginn des autoritären Regiments 1933 abgebrochen wurde. Man ging mit massiver Einflussnahme auf die jährlichen Neuanwerbungen vor, mit der durch das Ergebnis der Volksabstimmung in Ödenburg 1921 und durch die Grenzberichtigung an der Eipel 1924 verstärkt. Maximalziel der ‚Revision‘ war die Wiederherstellung des historischen Staates Ungarn  ; Minimalziel war die Rückgewinnung der Grenzstreifen mit überwiegend ungarischer Bevölkerung.“ Siehe weiters Béla v. Lengyel, Die Entwicklung der ungarischen Streitkräfte 1918–1941, ÖMZ, 1965, S. 469–473, 57 Zur Einführung über die Verhältnisse im Deutschen Reich  : Adolf Gaspari, Deutsches Reich und Baltikum 1918–1920, in  : Die Nachkriegszeit 1918–1922. Kämpfe, Staaten und Armeen nach dem Ersten Weltkrieg (= Truppendienst-Taschenbuch, Band 22, Wien 1973, S. 145–164  ; derselbe, Vom Kaiserheer zur Reichswehr, ebendort, S. 373–392, bes. S. 389 f.; Sebastian Haffner, 1918/19. Eine deutsche Revolution, (ro-ro-ro-Sachbuch 7455), Reinbek 1981. 58 Friedrich Rennhofer, Ignaz Seipel. Mensch und Staatsmann. Eine biographische Dokumentation (= Böhlaus Zeitgeschichtliche Bibliothek, Band 2), Wien/Köln/Graz 1978. Klemens von Klemperer, Ignaz Seipel 1876 bis 1932, in  : Friedrich Weissensteiner und Erika Weinzierl (Hg.), Die österreichischen Bundeskanzler. Leben und Werk. Wien 1983, S. 92–118.

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Wiedereinführung der Traditionspflege der k. u. k. bewaffneten Macht, der Teilnahme von Heeresangehörigen an kirchlichen Feiern und mit Propagandaaktionen. Die wichtigsten Erlässe der folgenden Jahre zeigten die Richtung an, bei deren Einhaltung der Minister durch seine beiden einflussreichen – ihrem Selbstverständnis nach unpolitischen – Helfer unterstützt wurde  : der Leiter des Rechtsbüros, Sektionschef Rudolf Hecht, und dem Chef der dem Minister direkt unterstehenden Präsidialsektion Oberst (später General der Infanterie) Arthur Schiebel. Bald gab es das Verbot der Teilnahme in Uniform an öffentlichen Aufzügen, Grußpflicht auch außer Dienst, Verbot öffentlicher parteipolitischer Agitation, punktweise Regelung des Wirkungsbereichs der Vertrauensmänner, Verbot der Mitwirkung der „Schutzorganisationen“, Erschwerung des Auflegens periodischer Druckschriften in Kasernen und gezieltes Verbot der Verbreitung diverser Flugschriften. Die wichtigsten Abbaumaßnahmen für Offiziere waren jedoch solche politischer Natur, denen etwa auch GM Theodor Körner 1924 zum Opfer fiel. Er war mit der Funktion des Heeresinspektors betraut, aber dazu nicht ernannt worden. Eine erste kleine Maßnahme zur späteren Wiedererlangung der vom Offizierskorps erstrebten Allgemeinen Wehrpflicht waren die 1923 herausgegebenen „Richtlinien für die Anstellung ausgedienter Soldaten“. Das geringe Interesse, das vom Minister abwärts in vielen Abteilungen des Heeresministeriums an der Landesverteidigung bestand, erbitterte gerade die Stabsoffiziere und machte sie auch gerade gegenüber dem Bestand des Staates skeptisch bis abwartend.59 Ab 1929 gab es mehr als zehnmal so viel Vertrauensmänner vom Wehrbund als vom sozialdemokratischen „Militärverband“ nach der Wahl, es war aus der „Entpolitisierung“ deutlich eine „Umpolitisierung“ geworden. Der seit 1924 als stellvertretender Parlamentskommissär wirkende Theodor Körner, das agilste Mitglied der Kommission, versuchte aus ideologischen Gründen, aber durchaus auch mit militärfachlichen und juridischen Argumenten, gegen diese Entwicklung anzukämpfen. Auf der parlamentarischen Ebene wurde ihm jedoch auch von seiner Partei ein energischer, besonders den juridischen Kleinkrieg führender Beistand versagt. Neben dem staatlichen Heerwesen hatten sich als Reaktion auf die zunächst sozialdemokratische Dominanz auf der Straße und im Heerwesen eine Anzahl von rechtsgerichteten konservativ und reaktionär gesinnten, zum Teil untereinander konkurrierenden Verbänden, Heimwehren und Frontkämpfern aufgebaut.60 Sie waren 59 Johann Christoph Allmayer-Beck, Das Österreichische Bundesheer, in  : 1918–1968. Österreich – 50 Jahre Republik, Wien 1969, S. 369–381. 60 Otto Naderer, Die österreichische Heimwehr, in  : Pallasch, Heft 15/Sommer 2003, S. 2–20  ; Peter Broucek, Über Prätorianergarden und Legionen in und um Österreich, in  : derselbe, Militärischer Widerstand. Studien zur österreichischen Staatsgesinnung und NS-Abwehr, Wien/Köln/Weimar 2008, S. 178–309.

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vor allem putschbereit. Sie waren bewaffnet mit den vor den Alliierten verborgen gehaltenen Waffen und wurden durch militante Politiker in München, Wien, Graz und Budapest politisch gestützt und geführt. Am Beginn der Zwanzigerjahre noch war die Reichswehr erst im Entstehen begriffen, stützten sich mehrere der streng länderweise organisierten Heimatschutzverbände vor allem auf die sogenannten Einwohnerwehren in Bayern. Diese hatten mit ihren beiden Anführern Kanzler und Escherich vor allem nach Innsbruck und Graz, den Hauptstädten der von Süden her in ihrer Existenz bedrohten Bundesländern, Kontakte geknüpft. Deren Landesregierungen fürchteten zeitweise auch sehr das Übergreifen von linksradikalen Unruhen und suchten Schutz, aber auch Brennmaterial, Waffen und Nahrungsmittel. Sie waren dazu bereit, den Heimwehrorganisationen, wie das Beispiel der Tiroler Teilorganisation des Freikorps Oberland zeigte, die Beteiligung an der Bekämpfung einer Münchner Räterepublik zu gestatten. Aber auch die Teilnahme am Kampf gegen die polnischen Bestrebungen auf Teile Oberschlesiens 1920/21 wurde erlaubt. Die Bayern verlangten damals bei den von ihnen finanziell und materiell geförderten Heimwehren der österreichischen Länder eine Gesamtführung. Doch es stellte sich heraus, dass es wesentliche Kontakte der bayerischen Wehren zur Reichswehrführung gab. Am Beginn dieser Kontakte, 1920, waren ehemalige k. u. k. Offiziere, wie Alfred Krauß und sein Stabschef FML Metzger, mit General Ludendorff in München in Verbindung getreten, wo für das Frühjahr 1921 aus München und Budapest ein Marsch auf Wien durch einen vereinigten „Heimwehrverband“ geplant worden war.61 Nach den schweren und mit vielen Toten und Verletzten sowie dem Brand des Justizpalastes endenden Unruhen in Wien am 15. Juli 1927 bekamen gegenüber den „Roten“ die Heimwehren Oberwasser. Es gelang ihnen erstmals mit ihrer Technischen Nothilfe einen von den Sozialdemokraten in ganz Österreich ausgerufenen Verkehrsstreik unwirksam zu machen. Sie hatten damit die Wiener Polizei, das Bundesheer und einige Landesregierungen unterstützt. Nun kam es dazu, dass der Tiroler Heimwehrführer Dr. Steidle in Budapest 1928 ein Abkommen mit den Vertretern der italienischen und der ungarischen Regierung abschließen konnte. Gegen das schriftliche Versprechen dieses Angehörigen der Tiroler Landesregierung, in der Südtirol-Frage stillzuhalten, erhielt Steidle Geld, Waffen und Ausrüstung zugesagt. Die Versprechun61 Ludwig Jedlicka, Die Anfänge des Rechtsradikalismus in Österreich 1919–1925, in  : derselbe, Vom alten zum neuen Österreich. Fallstudien zur österreichischen Zeitgeschichte 1900–1975, St. Pölten/Wien 1976, S.  195–213  ; Ludwig Jedlicka, Die österreichische Heimwehr, in  : Internationaler Faschismus 1920–1945, S. 178–209 u. 288–292, München o.J.; Ludger Rape, Die österreichischen Heimwehren und die bayerische Rechte 1920–1923. Mit einem Vorwort von Ludwig Jedlicka †, Wien 1977  ; F. L. Carsten, Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu Hitler, München 1977.

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gen wurden bis 1934 immer wieder aktualisiert, eingehalten und schließlich auf die autoritäre Regierung mit neuen Bedingungen sozusagen „übertragen“.62 Noch im Juli 1928 kam es dann neuerlich zu einem Zusammenschluss aller Landesheimwehrverbände und zur Wahl einer vollständigen Bundesführung mit zwei Bundesführern, dem Tiroler Dr. Steidle und dem Steirer Dr. Pfrimer, sowie zur Wahl von nacheinander drei ehemaligen k. u. k. Generälen zu militärischen Führern, untergeordnet dem Vorstand. Zum einzigen Bundesstabsleiter wurde der bisherige Tiroler Stabschef der Heimwehr, der ehemalige preußische Generalstabsoffizier und Freikorpskämpfer Waldemar Pabst gewählt Er hat auch die oben genannten Beziehungen zu Ungarn hergestellt und trat auch in der Frühzeit der NSDAP – später nicht mehr – für engere Beziehungen zu den Nationalsozialisten ein. Er hatte gute Kontakte zur Führung der Reichswehr und war ein V-Mann des Deutschen Auswärtigen Amtes sowie des Deutschen Militärischen Nachrichtendienstes.63 Das Gegengewicht zu den Heimwehren bildete zunächst noch etwa zur Zeit der Gründung des Bundesheeres der „Rote Frontkämpferbund“ und dann ab der offiziellen Gründung 1923 die aus den Arbeiterordnern hervorgegangenen ersten Formationen des Republikanischen Schutzbundes der Sozialdemokraten. Ebenso lagerten und versteckten sie Waffen, etwa im Wiener Arsenal, sie veranstalteten militärische Übungen und Aufmärsche. Zusammengenommen waren Heimwehren und Schutzbund etwa fünfmal stärker als die staatliche Exekutive, vor allem das Bundesheer, insgesamt etwa 90.000 Mann. Auch an Generalstabsoffizieren fehlte es nicht ganz. Dem Vorstand des Schutzbundes, Obmann Julius Deutsch, gehörten streng geheim, aber schriftlich festgelegt, insgesamt vier Generäle des Bundesheeres, drei ehemalige Generalstabsoffiziere und ein Artilleriestabsoffizier an, alle bereits noch in ihrer Dienstzeit (auch Schneller). Körner blieb als Angehöriger der Ständigen Parlamentskommission für Heeresangelegenheiten dem Heer verbunden – bis diese 1932 durch den 62 Ungarn (Ministerpräsident Graf István Bethlen) wollte eine Revision des Vertrages von Trianon durch geschickte Ausnützung von Mussolinis aggressiver Außenpolitik erreichen und ebenso die Einbeziehung Österreichs in eine Dreierkombination, deren Führung aber bei Ungarn und Italien liegen sollte. Eine der Grundvoraussetzungen hiefür war die Unterstützung österreichischer Mitte-Rechts-Gruppen. Ausgehend von dem italienisch-ungarischen Freundschafts- und Schiedsgerichtsabkommen vom 5.4.1927 wurde auch ein politisches Geschäft für den Fall eines Eingreifens in Österreich abgeschlossen  : Garantie der Brennergrenze für Italien und das Burgenland für Ungarn. (Wulf-Dieter Schmidt-Wulffen, Deutschland – Ungarn 1918–1933. Wiener Dissertation 1969, S. 462 ff.) Weiters  : Milkos Szinai, Ungarn und der Anschluß 1918, in  : Österreichische Osthefte, Jg. 1988, S. 168–177. Siehe auch  : Emilio Vasari, Ein Königsdrama im Schatten Hitlers, Wien 1968. 63 Waldemar Pabst war an der Erschießung ohne Verfahren der kommunistischen Parteifunktionäre Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht durch Regierungstruppen am 15.1.1919 in Berlin unmittelbar beteiligt gewesen.

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Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurde.64 1928 – der Schutzbund war etwa 80.000 Mann stark – verbesserte der Militärkommandant des Schutzbundes, Alexander Eifler, die Kommandostruktur und die „Mobilmachung“ des Schutzbundes, geriet aber mit dem „Berater“ und zeitweise auch Vorstandsmitglied Körner in Konflikt. Dieser forderte eine Art Guerillakrieg. Er befürwortete – auch zufolge seines unnachgiebigen und streitsüchtigen Charakters – mehr revolutionäres Denken und Handeln für den „Ernstfall“, den Ausbruch eines Bürgerkrieges. Eifler hatte jedoch das größere Vertrauen des Parteivorstandes und setzte sich mit dem Plan eines wohl vorbereiteten, machtvollen Vormarsches von den Außenbezirken auf die Wiener Innenstadt durch.65 Die außenpolitische Isolierung Österreichs nach dem Friedensvertrag vergrößerte die Gefahr, dass der Staat ein Opfer von Einmarsch- und Aufteilungsplänen werden könnte  ; seine militärische Schwäche lud ebenfalls zur Unterstützung und Heranziehung der Wehrverbände ein. Die reguläre Bewaffnete Macht konnte dieser Situation als einzige Maßnahme nur die Organisierung einer „Grenzbeobachtung“ für die Alarmfälle T(schechoslowakei), U(ngarn), S(HS) und I(talien) entgegensetzen.66 Dadurch sollten dem Völkerbund Anhaltspunkte für das vom Gründer des Bundes, Woodrow Wilson, grundsätzlicher- und idealistischerweise erwartete Eingreifen geliefert werden. Aber die USA waren „weit weg“, hatten die Friedensverträge nicht ratifiziert – und die Realpolitik oder reine Interessenspolitik sowie die Revisionspolitik oder Revanchepolitik sahen anders aus. Im konkreten Fall von Österreich verbot ja der Friedensvertrag eine Mobilisierung. Erst ab 1927 konnte an gewisse Truppenzusammenziehungen, die unter der Bezeichnung „Grenzschutz“ liefen, gedacht werden, trotz des immer um etwa 22.000 64 ÖStA/AdR, Bestand Landesverteidigung, Schriften zur Geschichte des Bundesheeres, Nr. 74  : Erwin Mairamhof, Ein verunglückter Versuch der demokratischen Kontrolle des österreichischen Heeres (Das Zivilkommissariat bzw. die „Ständige Parlamentskommission für Heeresangelegenheiten“), Ms. 25 Seiten. 65 Helmut Tober, Alexander Eifler. Vom Monarchisten zum Republikaner, Wiener phil. Dissertation 1966, 207 ff. Erwin Tramer, Der Republikanische Schutzbund. Seine Bedeutung in der politischen Entwicklung der Ersten Österreichischen Republik. Inaugural-Dissertation der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität zu Erlangen-Nürnberg. Als Manuskript gedruckt, Erlangen 1969. [Hilfe Prof. Jedlickas, besondere Hilfe durch Julius Deutsch]. Otto Naderer, Der bewaffnete Aufstand. Der Republikanische Schutzbund der österreichischen Sozialdemokratie und die militärische Vorbereitung auf den Bürgerkrieg (1923–1934), Graz 2004. Siehe auch  : Ilona Duczynska (Hg.), Theodor Körner. Auf Vorposten. Ausgewählte Schriften 1928–1938, Wien 1977. 66 Helge Lerider, Die Wehrpolitik der ersten österreichischen Republik im Spiegel der operativen Vorbereitungen gegen die Nachfolgestaaten der Monarchie, in  : Militärgeschichtliche Mitteilungen 2/1978, S. 49–69. Dieser Aufsatz ist eine gekürzte, zum geringen Teil aber auch erweiterte Fassung von  : Helge Lerider, Die operativen Maßnahmen gegen die Nachfolgestaaten der Monarchie von 1918 bis 1938 unter besonderer Berücksichtigung der Ära Jansa, Masch. Prüfungsarbeit am 7. Generalstabskurs der Landesverteidigungsakademie, Wien 1975.

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Mann liegenden Gesamtstandes des Heeres und der geringen Beweglichkeit der Truppe. Darüber hinaus wurden einzelne vorsorgliche organisatorische Maßnahmen zum Schutz Kärntens gesetzt und die 3. Brigade (Niederösterreich) als der Lage nach einzige operative Reserve ohne unmittelbare Grenzschutzfunktion gegen Norden für einen Kärntner Verteidigungsfall vorgesehen.67 Wir blicken zurück. Als um die Jahreswende 1925/26 ein italienischer Einmarsch nach Tirol von Mussolini angedroht worden war, wurden erfolgversprechende Gespräche mit den Wehrverbänden beider Seiten zur Landesverteidigung geführt, und zwar durch den Leiter der Abteilung 1 im Ministerium, Oberst Hans Wittas. Um diese Zeit befürchtete auch die Schweiz einen Angriff auf ihr Territorium. Gemeint war natürlich – eventuell unter Verletzung der österreichischen Souveränität – ein Einmarsch nach Nordtirol.68 Es war dies, so meinen manche Historiker, eine Reaktion Mussolinis 67 Deswegen wurden ja der Kommandant der dritte Brigade, GM Janda und sein „Gehilfe der Führung“, Obstlt. Jansa nach Kärnten abgeordnet, um einen aktuellen Verteidigungsplan zu entwerfen. Wie wir aus einem Aktenvorgang von 1936 sehen, den Jansa bei seinem Dienstantritt als Chef des Generalstabes anforderte, hat es sich 1926 um eine Verteidigungslinie an der Drau gehandelt. Ludwig Jedlicka, Aufteilungs- und Einmarschpläne um Österreich, 1918–1934, in  : derselbe, Vom alten zum neuen Österreich, S.  141–165, hier S.  151 f., schrieb darüber  : „Der ehemalige Klagenfurter Rechtsanwalt und spätere Landespräsident von Krain, Dr. Janko Brejć, hätte sich zu Anfang 1927 in der Wissenschaftlichen Zeitschrift der Laibacher Leo-Gesellschaft geäußert … über die Frage der Fortexistenz Österreichs. Er kam dabei zu dem Schluß, daß Österreich in seiner jetzigen Form nicht bestehen bleiben könnte, sondern der Anschluß an Deutschland kommen würde, wobei allerdings die europäische Sicherheit durch eine Trennung von Nord- und Südslawen gefährdet wäre.“ Die Lösung wäre  : Italien erhält das Gebiet von Lienz bis West-Kärnten, Spittal und Hermagor mit der Tauernbahn  ; Jugoslawien erhält das südliche Kärnten  ; Deutschland wird Vorarlberg, Nordtirol, Salzburg, das Ennstal und Oberösterreich zugesprochen  ; aus dem Rest Österreichs, Wien, Niederösterreich, Steiermark ohne Ennstal, Burgenland und einem Streifen von Kärnten, wäre ein Pufferstaat „Wien“ zu schaffen, wobei diesem Staat als berufene Zentrale von „Paneuropa“ eine glänzende Zukunft prophezeit wurde. Der damalige österreichische Obstlt. Mauritz Wiktorin, ehemals Mjr. i. G. der k. u. k. Armee, war der oben erwähnte damalige geheime Verbindungsoffizier des Bundesheeres zur Reichwehr. Er schrieb nach 1945, in Nürnberg lebend, seine Erinnerungen bis 1945. Er nannte dieses bruchstückhafte Werk  : „Soldat in 3 Armeen“. Er hat ein Kapitel über seine Dienstzeit in der Volkswehr und im Bundesheer nur stichwortartig konzipiert, zum Unterschied von dem über die Zeit bis 1918 und ab März 1938, die von ihm ausgearbeitet worden sind. Er schrieb Stichworte über das Jahr 1926 und fährt dann fort  : „1925 [Irrtum  ?] – Vortrag bei Seeckt mit Kundt [Obstlt. Jaspar Kundt, der geheime Verbindungsoffizier oder Militärattaché in Wien]. Unterstützung zugesagt. Gute Zusammenarbeit. Passierschein. Gemeinsame Erprobungen – gegenseitige Abkommandierungen – Austausch von Vorschriften.“ Seeckt wurde 1926 verabschiedet. Er hat jedenfalls wieder das zur Sprache gebracht, was schon 1918 vor der Tür stand, nämlich die sehr weitgehende Zusammenarbeit oder Unterstellung österreichischer Streitkräfte oder der ganzen Armee unter einen deutschen Oberbefehl. 68 Ab Juli 1925 war es zur Räumung des Ruhrgebiets durch die französische und die belgische Besatzungsmacht gekommen. Und Ministerpräsident Briand hatte auf einer deutschen Note zu erkennen gegeben, dass er zu einer Verständigungspolitik mit Deutschland (Außenminister Stresemann) bereit

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auf die Ergebnisse der Konferenz von Locarno, die Befürchtung einer Missachtung italienischer Interessen. Doch gerade diese Sorge blieb zunächst Episode, denn Italien hatte seit dem Renner-Nitti-Abkommen von 1920 und den darauf folgenden Fühlungnahmen Österreich als einen Pufferstaat gegen das Deutsche Reich und die Kleine Entente, als Brücke zum Donauraum angesehen. Anfang 1927 trat Jugoslawien plötzlich mit neuen Aufteilungsplänen auf, in denen es, wie später noch öfter, Deutschland den größten Anteil, Italien Nordtirol und sich selbst natürlich Teile Kärntens zusprach. Vom Ministerium wurden der Kommandant der 3. Brigade, Obst. Janda, und sein Stabschef, Obstlt. Jansa, beauftragt, an Ort und Stelle in Kärnten einen aktuellen Abwehrplan auszuarbeiten. Wir kennen diesen Plan nicht, und wissen nur aus späterer Zeit, dass er im Wesentlichen eine Verteidigung entlang der Drau beinhaltete. Wir wissen nur aus Informationen, die ca. 1930 aus Innsbruck stammen, dass die 6. Brigade, Innsbruck, für diesen Fall sofort nach Kärnten geschafft werden sollte, offenbar mit der 3. (niederösterreichischen) Brigade. Die Gefahr ging vorüber, doch Deutschland war eingeschaltet worden – und Italien mischte sich ein, aus naheliegenden militärischen Gründen.69 sei. Vom 1. bis 4.9.1925 und 5. bis 10.10.1925 fand die Konferenz von Locarno statt, unter Teilnahme des deutschen Reichskanzlers Luther, des deutschen Außenministers Stresemann, der weiteren Staatsmänner Chamberlain (Großbritannien), Briand (Frankreich), Vandervelde (Belgien), Mussolini (Italien, nur ganz kurz einen Tag anwesend), Skrzyński (Polen), Beneš (Tschechoslowakei) und Rechtssachverständigen. Der Vertrag von Locarno garantierte die Unverletzlichkeit der Französischen Ostgrenze (Elsass-Lothringen) und der belgischen Ostgrenze (Eupen-Malmedy); Garantiemacht war England, die Rheingrenze wurde entmilitarisiert. Deutschland verpflichtete sich, keine Änderung der polnischen Grenze mit Gewalt vorzunehmen. Es gab aber keinerlei Garantie Englands für die deutsche Ostgrenze und auch nicht für die deutsche Südgrenze, oder umgekehrt  : Deutschland behielt sich in beiden Fällen eine Revision vor. Jürgen Nautz (Hg.), Unterhändler des Vertrauens. Aus den nachgelassenen Schriften von Sektionschef Dr. Richard Schüller (= Studien und Quellen zur österreichischen Zeitgeschichte. Herausgegeben im Auftrag der Wissenschaftlichen Kommission zur Erforschung der Geschichte der Republik Österreich von Isabella Ackerl und Rudolf Neck, Band 9), S. 200  : „Lunch bei Hindenburg, freundlicher, schwerer, sehr gealterter Mann. Machte uns aufmerksam auf den Wein, von dem er nur mehr wenige Flaschen habe. Stresemann entwickelt uns sein Programm, das nach Locarno in friedlichen Verhandlungen durchführbar sein werde  : Räumung des Rheinlandes, Deutschland gleichberechtigt in Rüstungen, die Saar, Anschluß Österreichs, der polnische Korridor und Danzig, Oberschlesien. Ich erschrak. – Und das war Stresemann, vernünftig und mit Verständnis für internationale Beziehungen  ! Sein Äußeres unvorteilhaft, wie ein echter Piefke, mutig und bereit, sich zu opfern. Bei einem Empfang die deutschen Ministerfrauen groß, blond, in meist blauen langen Kleidern, die wie Nachthemden an ihnen herabhingen. Nur Stresemanns sehr hübsche, dunkle jüdische Frau in eleganter Toilette. Ich bekam ein Bild Hindenburgs mit Aufschrift in silbernem Rahmen und eine silberne Stehuhr von Stresemann.“ 69 Hingewiesen sei noch auf den Einsatz bei Elementarkatastrophen  : im Jahr 1923 24 Fälle von Assis­ tenzen, 1925 38 Fälle mit mehr als 100.000 Arbeitsstunden, 1927 Bergstürze und Überschwemmungskatastrophen mit mehr als 122. Arbeitsstunden. Siehe auch  : Peter Payer, Der Gletscher vor Wien. Vor 80 Jahren. Ein mächtiger Eisstoß baut sich auf von Hainburg kommend, erreicht die Reichsbrücke, zwei

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III. Nach dem Ende der alliierten Kontrolle wurden, so gut es ging, die Voraussetzungen für die Modernisierung und eine angestrebte Umgestaltung des Heerwesens in Richtung auf die Allgemeine Wehrpflicht geschaffen. Den Rahmen gaben organisatorische Änderungen bei der Infanterie sowie die Aufstellung motorisierter Infanterieverbände ab.70 Es erfolgte die Erneuerung des Kraftfahrzeugparks,71 des Messwesens der Artillerie, erste Einschulung und Vorbereitungen zum Aufbau von Luftstreitkräften.72 Es konnten endlich vermehrt Rahmenübungen und Manöver im Verband abgehalten werden. Ab 1930 gab es auch die Einführung neuer und moderner Waffen.73 Gemäß der Verfassungsreform von 1929, die bezüglich des Heerwesens 1930 durch eine von Sektionschef Dr. Robert Hecht konzipierte Wehrgesetznovelle ergänzt werden konnte, wurde dem Nationalrat die Verfügung über das Heer entzogen. Der Oberbefehl wurde nominell dem Bundespräsidenten übertragen. Dies kam einer Stärkung des Ministers Vaugoin gleich, der nach Ermächtigung durch die Regierung die Befehlsgewalt Tage später Kritzendorf, dann Tulln und Krems. Die Donau ist erstarrt – zugefroren auf einer Länge von 40 Kilometern. Der Februar 1929  : eine Erinnerung, in  : Die Presse, 31.1.2009, Spectrum, V. 1926 wurde das erste Heeres-Sportfest des Bundesheeres abgehalten. Einzelne Spitzensportler des Heeres erwarben Medaillen bei den Olympischen Spielen. Kurt Ahammer, Ein Blick in Österreichs Militär-(Sport-) Geschichte 1848 bis 1938. Sport und Militär – eine untrennbare Achse. Ein sportjournalistischer Sidestep von Reg.-Rat Kurt Ahammer, gewidmet dem Österreichischen Heeressportverband zu seinem 30-JahrVerbandsjubiläum 1997, Wien 1997. 70 Mayer, Wehrpolitik, 26 f. Die ersten Versuche zur Motorisierung wurden 1931 gemacht  : Bei drei Regimentern wurden motorisierte Kompanien gebildet, mit 1.3.1934 wurden vier motorisierte Truppenkörper in Kraftfahrbaone umgewandelt. „Es war dies der Beginn der späteren vier Kraftfahrjägerbataillone, die mit Recht als die ersten vollmotorisierten Infanterietruppenköper der Welt bezeichnet werden können … Ab 1. Juni 1934 gab es das Kommando einer Kraftfahrjägerbrigade, Schnelle Brigade genannt, die aber im folgenden Jahr in das Kommando der ‚Schnellen Division‘ umgewandelt wurde. Sie wurde im Herbst 1934 den Militärattachés erstmals vorgeführt.“ Der Kommandant GM Kubena wurde, wie Militärattachés berichteten, „Böhmischer Napoleon“ genannt. 71 Siehe  : Fritz Baer, Fahrzeuge zu Lande, auf dem Wasser und in der Luft, in  : Gesellschaft für Österreichische Heereskunde (Hg.), Das Bundesheer der Ersten Republik 1918–1938. Materialien zum Vortragszyklus 1990, Wien 1990, S. 97–132. Eine besondere Entwicklung war die 1935 bis 1938 gebaute Steyr-Daimler-Puch-ADMK-Motorkarette, von der 302 Stück im Bundesheer vorhanden waren. 72 Das Bundesheer hatte 1938 260 Flugzeuge einschließlich 95 Kampfflugzeuge. Siehe die gedruckten Publikationen in  : ÖStA/AdR, Schriften zur Geschichte des Bundesheeres, Nr. 7  : Erwin Pitsch, Der geheime Aufbau der österreichischen Luftstreitkräfte vor 1934, in  : Austroflug, 30. Jg., 1980, Hefte 1, 2, 3, 4  ; Erwin Pitsch, 50 Jahre österreichische Luftstreitkräfte 1935–1985, Wien 1985. Siehe weiters  : Erwin Steinböck, Die österreichischen Luftstreitkräfte, in  : Truppendienst, Jg. 1977, S. 267–269, 348–350. 73 Franz Jordan, Das österreichische Panzerwagenbataillon 1935 bis 1938, in  : Pallasch, Heft 12, Frühjahr 2002, S. 79–103, Heft 13, Herbst 2002, S. 109–117.

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ausübte.74 Allerdings kam es nicht zur Installierung einer militärischen Spitze, die insbesondere von Offizieren, die aus dem ehemaligen Generalstab hervorgegangen waren, erwartet wurde. Überhaupt stand das Offizierskorps, das zu einem Großteil in der „Österreichischen Heeresoffiziersvereinigung“ zusammengeschlossen war, den Maßnahmen Vaugoins zunehmend kritisch gegenüber. Es hatte eine „Entpolitisierung“ begrüßt. Es hatte anlässlich der Räumung des Wiener Arsenals von Waffenbeständen im März 1927 und der Unruhen im Juli dieses Jahres in Wien, in die das Bundesheer nur am Rande eingriff, festgestellt, dass es die Truppe fest in der Hand hatte. Eine „Umpolitisierung“ der Armee zu einem Instrument christlichsozialen Suprematiestrebens lehnte der größere Teil des Offizierskorps jedoch ab. Vaugoin war es zwar nicht nur gelungen, eine – einerseits infolge der Finanzlage von bürgerlichen Politikern und andererseits angesichts ihres im Heer schwindenden Einflusses von der Sozialdemokratie geforderte – Verringerung der Armee auf vier Brigaden zu verhindern. Im Zuge der Abrüstungsverhandlungen in Genf im Jahre 1932/33 erlangte die österreichische Verhandlungsdelegation vielmehr die Zustimmung zur Aufstellung des Militärassistenzkorps, das aus fünf bis sechs Monate – später ein Jahr – dienenden Soldaten bestehen würde und das Heer auf den bisher nie erreichten erlaubten Höchststand auffüllen sollte. Obst. Jansa hatte großen Anteil an diesem Erfolg, der dem Bundesheer, dem Staat und später auch Jansa persönlich die Abneigung der gesamten Reichswehrführung einbrachte. Er konnte damals auch eine fast freundschaftliche und kollegiale Beziehung zu dem Diplomaten anknüpfen, der seit 1930 ein enger Berater des Bundeskanzlers Dr. Dollfuß war, zu Dr. Theodor Hornbostel. Mit diesem arbeitete er, wie ihre Korrespondenz erweist, bis 1938 fruchtbar zusammen.75 Die Aufstellung erfolgte im November 1933 und bildete einen Schritt zu der von Vaugoin angestrebten Mischung von Miliz und Kaderheer.76 Schon vorher waren aller74 Siehe diesbezüglich vor allem  : Friedrich Mayer, Wehrpolitik und militärische Landesverteidigung in Österreich 1920 bis 1938, Wiener Magisterarbeit, Wien 2001. 75 Christian Dörner/Barbara Dörner-Fazeny, Theodor Hornbostel 1889–1973, Wien/Köln/Weimar 2006. Dieses schätzenswerte Werk ist in erster Linie die Zusammenfassung von Memoirenfragmenten Hornbostels im Rahmen einer Biografie. Hornbostel war ab 1930 im Bundeskanzleramt tätig, ab 1932 bei Fortsetzung der Verhandlungen der Regierung Buresch über eine zweite Völkerbundanleihe der von Sektionschef Schüller empfohlene Berater des Bundeskanzlers Dollfuß, ab 1933 Leiter der Politischen Abteilung im Bundeskanzleramt/Auswärtige Angelegenheiten bis 1938. 76 Aufgrund eines Ministerratsbeschlusses vom 10.4.1933 kam es am 11.9.1933 zur Aufstellung eines „Assistenzkörpers“ von 10.000 kurzfristig (ein halbes Jahr) dienenden Wehrmännern im Rahmen des Bundesheeres. Das entsprach auch dem Ergebnis, das von Obst. Jansa bei der Abrüstungskonferenz in Genf erreicht worden war. Diese Truppe wurde dann „Freiwilliges Assistenzkorps“ genannt und setzte sich aus Angehörigen der Wehrverbände zusammen. Es war in Unterbringung, Ausbildung und Finanzierung dem Bundesheer unterstellt.

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dings unter dem Duck der in der Regierungskoalition befindlichen Heimwehrvertreter und bereits ohne parlamentarische Deckung die drei Assistenzkörperverordnungen erlassen worden, die aus den Wehrverbänden der Koalitionspartner (Christlichsoziale Partei, Heimwehr und Landbund) eine Art Hilfstruppe machten, wenn sie zur Erfüllung der Aufgaben des Heeres gemäß § 2 des Wehrgesetzes in Anspruch genommen werden sollten. So entstand neben und mit dem „Assistenzkorps“ noch das „Freiwillige Schutzkorps“.77 Die Julierhebung von 1927 hatte eine weitere Verschärfung der innenpolitischen Gegensätze erbracht. Einen ersten, besonders blutigen Zusammenstoß gab es 1929 im steirischen Ort St. Lorenzen. Es war immer noch eine Auseinandersetzung zwischen den auf dem Papier zwar wieder geeinten, in Wirklichkeit aber weiterhin nach dem Willen der Landeskommandanten der Heimwehren vorgehenden Kontingenten der Heimwehren und, auf der anderen Seite, des Schutzbundes. Doch am 18. Mai 1930 verkündete der Bundesführer (und Tiroler Heimwehrführer) Dr. Richard Steidle das sogenannte Korneuburger Programm  : „Wir greifen nach der Macht im Staate. Demokratie und Parlamentarismus lehnen wir ab. Wir bekennen uns zu den Grundsätzen des Faschismus.“ Dies war gleichzeitig ein Angriff auf die Verfassung und die politische Ordnung. Die Heimwehr spaltete sich. Die Niederösterreichische Heimwehr unter der Führung von Julius Raab trat aus. Die Christlichsoziale Partei hatte schon im Frühjahr 1928 den Freiheitsbund (christliche Arbeiterwehr) gegründet, nahestehend dem christlichsozialen Arbeiterführer Leopold Kunschak. Und die Niederösterreichische Heimwehr hatte schon etwa seit derselben Zeit, aber nach 1930 noch mehr, ein Naheverhältnis zum Niederösterreichischen Bauernbund. 1930 rief nun Dr. Kurt Schuschnigg, damals Unterrichtsminister, die Ostmärkischen Sturmscharen ins Leben und schließlich entstanden die Wehrzüge der „Christlich-deutschen Turnerschaft“. An die Seite der Christlichsozialen stellten sich weiters noch die „Burgenländischen Landesschützen“. Der Landbund, eine eigene im Parlament vertretene liberale Bauernpartei, gründete 1930 noch unter seiner Ägide in mehreren Bundesländern „Bauernwehren“. 77 Der Erfolg des Heeresministers Vaugoin ließ den Sicherheitsminister Fey nicht ruhen und schon am 30.6.1933 fasste der Ministerrat den Beschluss, auch eine ganz andersartige Truppe ins Leben zu rufen, das „Freiwillige Schutzkorps“. Darüber wurden zunächst Verordnungen und 1935 ein Gesetz erlassen. In Wien wurden vier Regimenter aufgestellt und im 1. Wiener Gemeindebezirk kaserniert  ; in den Landeshauptstädten gab es kleinere Einheiten. Zahlreiche Gendarmerieposten wurden durch Schutzkorpsmänner verstärkt und im Grenzschutz kamen größere Abteilungen zum Einsatz. Der Höchststand der aufgebotenen Mannschaften wurde im März 1934 mit 42.000 Mann samt 3.000 weiteren Freiwilligen (davon 20.000 Arbeitslosen) erreicht. Fey hatte weitere große Pläne mit diesem Korps, schied aber am 17.10.1935 aus der Regierung aus. Nun erfolgte ein teilweiser Abbau des Schutzkorps und eine Zusammenfassung aller Wehrverbände als „Freiwillige Miliz – Österreichischer Heimatschutz“ (alles gemäß  : Walter Wiltschegg, Die Heimwehr, S. 296 f.)

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Die Krise in der 1928–1930 so machtvoll erscheinenden Heimatschutzbewegung erreichte eine neue Spitze, als Bundeskanzler Schober, Vorsitzender einer Koalitionsregierung aus Christlichsozialen, Großdeutschen und Landbund, 1929 den Stabschef der Heimwehrbewegung, Major Pabst des Landes verwies. Er sah in dessen Person mit Recht ausländische Einmischung und inländisches außerparlamentarisches Machtstreben vereinigt.78 Schobers Regierung hatte vorläufig, nach dem Zusammenbruch der Boden-Creditanstalt – in Österreich das erste Alarmzeichen für die Weltwirtschaftskrise – aufgefangen,79 eine Investitionsanleihe erlangt und die Regierung hatte auch mit den Sozialdemokraten die Verfassungsreform paktiert. Dies tat sie eben nicht im Sinne der Heimwehren, die nach ausländischem, nach italienischem Muster ein Präsidialregime, also eine Art Vorstufe zum Faschismus, gewünscht hatten. In Absprache mit den Sozialdemokraten war die Autorität des Bundespräsidenten gestärkt worden (Ernennung und Enthebung der Regierung, Erlassung von Notverordnungen und – wie bereits erwähnt – Oberbefehl über das Bundesheer). Am 21. 6. 1930 hatte der Oberösterreichische Heimwehrführer Ernst Rüdiger (Fürst) Starhemberg das Korneuburger Programm „als „recht unklar und phrasenhaft“ bezeichnet.80 Er wurde im September 1931 „Führer des gesamten österreichischen 78 Pabst wurde noch von der Regierung Schober im November 1930 die Einreise wieder erlaubt. Er war inzwischen als eine Art „Gesandter“ der Heimwehr in Berlin vom Deutschen Auswärtigen Amt unterstützt worden. Nach seiner Rückkehr nach Österreich (Innsbruck, nicht Graz) erlangte er seinen Einfluss nicht wieder. Er nützte sehr seine Kontakte zur deutschen Industrie, und überlebte als Waffenhändler den 2. Weltkrieg. 79 Die Creditanstalt hatte ein Defizit von 140 Millionen Schilling, für das zum größten Teil der Bund die Haftung übernehmen musste. Die österreichische Währung geriet in Gefahr und konnte nur durch ausländische Hilfe vor dem Verfall gerettet werden. England gewährte der österreichischen Nationalbank am 13.6.1931 einen Kredit von 150 Millionen Schilling. Aber mit dem Zusammenbruch der Creditanstalt verschärfte sich in Österreich die Wirtschaftsnot, die in engstem Zusammenhang mit der allgemein herrschenden Weltwirtschaftskrise stand, durch welche seit 1930 fast alle Staaten der Erde in Mitleidenschaft gezogen wurden (Oktober 1929  : Zusammenbruch der Boden-Creditanstalt und Übernahme dieser Bank auf Druck der öst. Regierung durch die Österreichische Creditanstalt). Am 16. Juni gewährte England der Öst. Nationalbank einen Kredit von 150 Millionen Schilling. An diesem Tag trat auch die Regierung Ender infolge der Differenzen unter den Parteien wegen der Sanierung des Bundeshaushaltes und der Creditanstalt zurück. Die Arbeitslosigkeit in Österreich erreichte im Dezember 1931 den Stand von 303.000 unterstützten Personen  ; die Zahl erhöhte sich bis 1. März 1932 auf 362.000 und erklomm am 15. Februar 1933 den absoluten Höchststand von 402.000. Die Anzahl der nicht unterstützten („ausgesteuerten“) Personen betrug zusätzlich jeweils etwa 40 bis 50 Prozent der angegebenen Ziffern. Die Steuereinnahmen gingen wesentlich zurück, ebenso der Außenhandel. Am 9.10.1931 wurde eine einschneidende Devisenverordnung erlassen. 80 Gudula Walterskirchen, Starhemberg oder Die Spuren der „30er-Jahre“. Mit einem Vorwort von Gottfried-Karl Kindermann, Wien 2002. Starhemberg war Teilnehmer von Hitlers „Marsch auf die Feldherrnhalle“ am 8.1.1923 in München. Adolf Hitler hatte einige Zeit vorher ein Gespräch mit dem Beamten

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Heimatschutzes“, lehnte jeden Putsch ab, vollzog eine Annäherung an die Christlichsoziale Partei und ging als Innenminister in eine Christlichsoziale Minderheitsregierung unter einem Bundeskanzler Vaugoin. Bei den darauf folgenden Wahlen kandidierte der gesamte „Heimatschutz“ zu den Nationalratswahlen als „Heimatblock“, hatte aber nur geringen Erfolg. Die Sozialdemokratie wurde stärkste Partei, weigerte sich aber auch in jener immer stärkere Ausmaße annehmenden Krise, in eine Koalitionsregierung einzutreten. Noch 1928 setzte sich am Parteitag der rechte Flügel der Partei für eine Beteiligung an der Staatsgewalt ein. Dr. Otto Bauer befürwortete die Beibehaltung des bisherigen Oppositionskurses und setzte sich durch. Er erklärte noch 1931, nach mehreren Angeboten, eine Koalitionsregierung zu bilden, „daß die sozialistische Partei nicht dazu da sei, der Tiroler Landesregierung und Vorstandsmitglied der Tiroler Heimwehr sowie ehemaligen Generalstabsmajor Erich Rodler. In dessen noch unpublizierten Memoiren gibt es ein Gespräch, das Rodler mit Hitler 1922 führte, um sich der militärischen Hilfe jener damals kleinen bayerischen Organisation, vor allem ihres Selbstschutzverbandes SA, zu versichern. Rodler hat nach Angaben aus seinem Freundeskreis an den Herausgeber dieses vorliegenden Werkes jene Unterredung bald, nachdem sie erfolgte, niedergeschrieben und dann diese Niederschrift für seine 1944/45 entstandenen Erinnerungen verwendet. Danach hätte Hitler sich von Mussolinis erfolgreichen Marsch auf Rom höchst beeindrucken lassen. Wie mehrere Historiker der NSDAP gut nachweisen, war auch der „Marsch auf die Feldherrnhalle“ von Hitler nur als eine Möglichkeit gedacht, um in einer Art „Marsch auf München“ den bayerischen „Separatismus“ zu beenden und dann in einem „Marsch auf Berlin“ die Macht in Deutschland mit seinem Mitstreiter Ludendorff und für sich selbst zu erringen. Als Starhemberg Ende 1930 der Heimwehrführer Österreichs wurde, hatte er eine Unterredung mit Hitler, in der ihn dieser aufforderte, die Hilfe Mussolinis für den Ausbau der Heimwehr zu suchen. Starhemberg erklärte Hitler, dass ihm dies angesichts der Abtrennung Südtirols sehr schwer falle. Hitler meinte zu Starhemberg nach dessen Aufzeichnungen. „Ihr Standpunkt ist falsch. Die Politik darf nicht von gefühlsmäßigen Momenten beeinflußt werden. Eine Verbindung mit dem faschistischen Italien bzw. eine Unterstützung von Seiten Mussolinis kann für Ihre Bestrebungen von ausschlaggebender Bedeutung sein. Es ist falsch, auf diese wichtige Unterstützung nur aus Rücksicht auf 200.000 so genannter Deutscher und Südtiroler zu verzichten, deren Deutschtum übrigens zweifelhaft erscheint. Die Südtirol­frage wird niemals das deutsche und das italienische Volk entzweien, wohl wird es aber andere Probleme geben, die im Sinne der deutschen Forderungen geregelt werden müssen. Da ist der Zugang zum Adriatischen Meer. Triest muß ein deutscher Hafen werden. Zu dem, was ich den Habsburgern am meisten vorzuwerfen habe, gehört die Tatsache, daß es ihnen trotz jahrhundertelanger Herrschaft über die adriatischen Küsten nicht gelungen ist, Triest und die Küste zu germanisieren. So hat das deutsche Volk keinen Zugang zum Mittelmeer. Dieser Zugang muß aber, sei’s im Guten, sei’s mit anderen Mitteln, geschaffen werden, diese Auseinandersetzung ist aber selbstverständlich für einen späteren Zeitpunkt vorbehalten. Jetzt rate ich Ihnen, fahren Sie zu Mussolini, er wird sicher an Ihren ‚Bestrebungen in Österreich‘ Interesse nehmen.“ Starhemberg schreibt sodann, was ihm Mussolinis erklärte, und wovon sich Starhemberg beeindrucken ließ  : „An dem Tag, an welchem Österreich untergeht und von Deutschland verschluckt würde, beginnt die Auflösung Europas. Und kulturell muß Österreich bleiben … da es die Bastion der Mittelmeerkultur ist. Deutschland ist von Preußen geführt. Preußen bedeutet aber Ordnung und militärische Tüchtigkeit. Bedeutet aber auch Krieg und Brutalität. Preußen ist Barbarei … Sie sollten auch Verbindung mit Hitler halten, aber bleiben Sie unabhängig von ihm.“

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den bankrotten Kapitalismus zu administrieren“.81 Es kam zu einer neuerlichen Dreiparteien-Koalition – und zu einem Putschversuch der steiermärkischen Heimwehr am 13.9.1931. Das Bundesheer beendete diesen Putschversuch ohne Blutvergießen binnen einem Tag, nachdem der mittlerweile aus privaten Gründen zurückgetretene Starhemberg nach einigen Monaten wieder, zum zweiten Mal, die Bundesführung übernahm. Er hatte noch in seiner Amtsperiode ein neues Programm mit konzipiert, dessen zweiter Punkt lautete  : „Die Heimwehrbewegung will in langsamer Evolution den Staat erneuern.“ Er bekannte sich aber später trotzdem zum faschistischen Gedanken – was in diesem Fall in erster Linie eine spezielle Sympathie für die Bewegung Benito Mussolinis bedeutete. Es war also keine „Machtübernahme“, wie sie anlässlich des „Korneuburger Programms oder „Korneuburger Eides“ vorgesehen war, von ihm geplant. Er war und blieb ein loyaler Prinz bzw. „Fürst“. Am 26. 2. 1925 gab Adolf Hitler in der Tageszeitung der NSDAP „Völkischer Beobachter“ eine Neugründung der Partei bekannt. Sie verfügte damals über vier Reichstagsmandate, ab 1927 über sieben. Am 9. 11. 1925 erfolgte die Gründung der SS (Schutzstaffel) als Stabswache zum Schutz der Parteiführerschaft, am 1. 11. 1926 wurde Hptm. a. D. Franz v. Pfeffer Leiter der neu geschaffenen Obersten SA-Führung, der auch SS und Hitlerjugend (HJ) unterstanden. Im gleichen Jahr wurde Josef Goeb­ bels Gauleiter von Berlin. Dort wurde 1927 die NSDAP wegen Gewalttaten der SA fast ein Jahr verboten. Am 11. Juli 1931 waren die sechs unabhängigen Gauleitungen der NSDAP in Österreich durch die neue oberste Parteibehörde „Landesleitung Österreich“ mit dem Sitz in Linz ersetzt worden. Dadurch waren bei dieser bisherigen ­rechtsradikalen, deutschnationalen, rassistischen und vor allem auch antisemitischen Splitterpartei Führungsschwächen und Spaltungen beseitigt worden. Landesleiter war der Linzer Gemeinderat Alfred Proksch82. Sein Stellvertreter und gleichzeitig Landesgeschäftsführer wurde der Abgeordnete zum deutschen Reichstag Theo Habicht. Er wurde dann am 17. August 1932 Landesinspekteur der österreichischen NSDAP. Es hatte aber bereits 1927 von der Seite der Steiermärkischen Heimwehr einen offenbar wichtigen Kontakt mit dem Führer der NSDAP, Adolf Hitler, gegeben. Der 81 Hans Reichmann, der 12. Februar. Vorletzter Akt eines Schicksalsdramas, in  : A.E.I.O.U. Allen Ernstes ist Österreich unersetzlich, Neue Reihe, 2. 82 Proksch war seit 1919 Ortsvertrauensmann der DNSAP (Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei), die damals vier von 60 Sitzen im Linzer Gemeinderat hatte  ; von 1926 bis 1928 oberösterreichischer Gauleiter der NSDAP (Hitlerbewegung). 1923 gab es an NS-Geheimbünden in Österreich die „Trutztruppe Nowosad“ und die „Schlageter-Brigade“. Siehe  : Bruce F. Pauley, Der Weg in den Nationalsozialismus. Ursprünge und Entwicklung in Österreich. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Gertraud und Peter Broucek, Wien 1988.

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Führer des steirischen Heimatschutzes Dr. Pfrimer, der Gendarmeriemajor v. Meyszner, ein ehemaliger Berufsoffizier und der Stabschef des steiermärkischen Heimatschutzes seit 1921, Hans Rauter83, kamen nach Reichenhall. 83 AdR, Schriften zur Geschichte des Österreichischen Bundesheeres, Nr.65  : Konvolut Rauter, dabei Lebenslauf  : Geb. 4.2.1895 in Klagenfurt, Vater Forstrat, Kriegsfreiwilliger 1914, Oblt. i. d. Res. Auszugsweise Wiedergabe  : Im Ersten Weltkrieg, zuletzt Einsatz in Albanien mit der 9 KD. (Rückzugskämpfe 1918), Führer einer „Studentenkompanie“ bei den Grazer Unruhen vom 19.2.1919, Teilnehmer und Führer von zwei Grazer und Leobener Studentenbataillonen „bei den Kärntner Kämpfen“, Führer der beiden „steyrischen Studenten-Legionen als Abstimmungsterrorgruppe im Abstimmungsgebiet“. Im Mai 1921 Führer der „steierischen Legion im Anschluß an das Freicorps Oberland in Oberschlesien“  ; bis Juli 1921 Führer der „gesamten österreichischen Freicorps unter Hauptmann a.D. Dr. Ernst Gruber (derzeit Oberscharführer/SS)“ im Burgenland 1921. „An den Putsch-Besprechungen im Jahre 1923 ([Fridolin] Glass, Adolf Hitler) nahm ich in Berlin und München mehrmals teil. Bei der Gründung des ‚Steirischen Heimatschutzes‘ nahm ich als Führer der nat. Studenten-Baone führend Anteil. Im Gegensatz zu den übrigen HW-Verbänden wurde der ‚Steierische Heimatschutz‘ auf antisemitische Basis gestellt. Die Standarten trugen das Hakenkreuz und die Farben schwarz-weiß-rot. Kampf gegen Marxismus, bürgerliche Demokratie, Schaffung eines autoritären Staates und der Anschluss an das Reich waren die Kampfziele. Den Mitgliedern wurde verboten, marxistischen oder bürgerlichen Parteien anzugehören. Im November 1922 trat der Obersteirische Heimatschutz das erste Mal in Waffen dem damals übermächtigen Republikanischen Schutzbund gegenüber. Das erste Mal gelang es, Rot niederzuringen. Seit dem Herbst 1921 war ich als Stabschef des ‚Steierischen Heimatschutzes‘ tätig. Das zweite große Aufgebot erfolgte im Juli 1927. Damals führte ich selbst 2 Jägerbaone und drang mit ihnen ins Industrie-Gebiet vor. Die Wiener Führung des Austromarxismus mußte die rote Revolte liquidieren. In unerhörtem Angriff wurde das ganze obersteierische, niederösterreichische und Wiener Industrie-Gebiet durchorganisiert. Eine Kampfversammlung jagte die andere. Zusammenstösse, Hunderte von Verwundeten sind die Zeugen dieses Kampfes. Mit dem Führer Ad. Hitler fand im Mai 1927 eine Aussprache in Freilassing statt, an der Dr. Pfrimer, Gend.-Major v. Meyszner und ich teilnahmen. Seit diesem Tage bestanden zwischen reichsdeutscher NSDAP und dem ‚Steierischen Heimatschutz‘ gute Beziehungen. Der damalige Führer der SA, Obergruppenführer Pfeffer, unterstellte zweimal die SA von Steiermark und Kärnten dem ‚Steierischen Heimatschutz‘. Auch Gregor Strasser weilte damals, wenn er in Österreich war, immer bei den Führern des ‚Steierischen Heimatschutzes‘. Im Jahre 1929 wurde der Führer des „Steierischen Heimatschutzes“ Dr. Pfrimer 2. Bundesführer, gleichberechtigt mit dem 1. Bundesführer [Dr. Steidle, Tirol] und ich 2. Bundesstabsleiter [1. war der Deutsche Pabst]. Der Kampf um eine neue Verfassung, bei dem der Heimatschutz Träger des Angriffes war, erschütterte ganz Österreich. Der große Wiener-Neustädter-Aufmarsch, den ich als Org. Leiter führte, war ein Zeichen der Stärke des ‚Steierischen Heimatschutzes‘. Mit dem Gend.-Major v. Meyszner verschleppten wir an die 20.000 Gewehre und 400 MG aus staatlichen Kasernen und bewaffneten den ‚Steierischen Heimatschutz‘. Im Juli 1930 wurde ich 1. Bundesstabschef der Heimatschutzverbände. Major Fey, Raab, Dr. Steidle mit ihrem klerofaschistischen [sic] Anhang wurden ausgeschlossen, die gesamte Bewegung sollte damals nach dem Muster des ‚Steierischen Heimatschutzes‘ reorganisiert werden. Im September 1931 erfolgte der Dr.-Pfrimer-Putsch … Trotz allen Versuchen, die Aktion dennoch zum Ziele zu führen, scheiterte sie, da Fürst Starhemberg uns in den Rücken fiel. Kerker, Hochverratsverfahren, Prozeß, Liquidation des Putsches und seiner Folgen schalteten den ‚Steierischen Heimatschutz‘ aus. Er konnte sich in der Gesamtbewegung nicht mehr durchsetzen. Starhemberg nahm wieder Dr. Steidle und Fey

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Noch ergab sich kein Zusammenschluss, doch beim sogenannten Pfrimer-Putsch, eine Art „Marsch auf Wien“, könnte möglicherweise die noch kleine steirische SA dem „Steierischen Heimatschutz“ unterstellt gewesen sein. 1932 war das Jahr des „Einbruchs der NSDAP in kleinbürgerliche und mittelständische Schichten, zum Teil auch in der Industriearbeiterschaft, 1933 auch in der Angestelltenschaft und den bäuerlichen Gebieten. Das war die Folge der großen Währungs- und Wirtschaftskrise ab 1929. Schon im Oktober 1931 wurde eine „Kampfgemeinschaft“ zwischen „Steierischem Heimatschutz“ und der SA geschlossen. Sie zerfiel zwar bald wieder, aber 1932 trat Pfrimer auch als Ehrenführer der Heimwehr, der er nach seinem Freispruch im Putschprozess geworden war, zurück. Der Heimwehrführer Konstantin Kammerhofer wurde neuer Landesleiter, die aufsteigende Figur in der Führung wurde der Landesstabschef Ing. Hanns Baptist Rauter, der noch 1934 bei der SS landete. Was der deutschen NSDAP gelungen war, die wesentliche Vermehrung ihrer Stimmen, gelang auch ab 1931 der NSDAP  : Die Wirtschaftskrise war an ihrem Höhepunkt. Bei den Landtagswahlen in Wien, Niederösterreich und Salzburg im April 1932, dann im November in Vorarlberg verlor die Großdeutsche Volkspartei sehr viele auf, verbündete sich mit Mussolini und Seipel und begann jene politische Entwicklung einzuleiten, die heute aufscheint. Im November 1931 schlossen Pg. Habicht, Meyszner und ich die 1. Kampfgemeinschaft mit der NSDAP, die ein gewaltiges Erstarken der NSDAP einleitete. Noch einmal marschierte der ‚Steierische Heimatschutz‘ in Graz mit all’ seinen Jägerbaonen auf. Es war ein Kampfaufmarsch gegen Starhembergs Politik, 20.000 Mann Sturmformationen zogen durch Graz. Das ganze Jahr 1932 war erfüllt von Kämpfen wegen des Lausanner Abkommens, Kreditanstaltsskandal und Starhemberg. Im Frühjahr 1933 wurde zwischen NSDAP und ‚Steierischem Heimatschutz‘ das 2. Kampfgemeinschaftsabkommen abgeschlossen, das die Überführung einleitete. Großdeutsche Volkspartei und andere völkische Verbände wurden in die nationalsozialistische Front gezwungen. Am 19. Juni 1933 erfolgte die Auflösung des ‚Steierischen Heimatschutzes‘ und der NSDAP, die Ausweisung des Pg. Habicht und die Verlegung der Landesleitung nach München. Als Stabschef des ‚Deutschösterreichischen (Steierischen) Heimatschutzes‘ wurde ich sowohl von PG. Habicht als auch von meinen Kameraden im ,Steirischen Heimatschutz‘ nach München beordert um in der Landesleitung der NSDAP die Interessen des ,Steierischen Heimatschutzes‘ zu vertreten und die Überführung durchzuführen. Im November 1933 kam es zum Venediger Abkommen – d.h. zu völligen Überführung in die NSDAP und SA – Obergruppenführer Reschny übernahm mich damals als Standartenführer zum Stabe der Obergruppe, doch ließ ich mich sofort zur Landesleitung beurlauben, nahm an allen Gauleitersitzungen teil. Habicht übertrug mir die Führung des ,Kampfringes der Deutsch-Österreicher im Reiche‘, den ich aufbaute und dem ich bis zum 17. Oktober 1934 als Führer angehörte. Am 4. August 1934 berief mich SS-Gruppenführer Rodenbücher als seinen Stellvertreter zu sich in die Abwicklungsstelle der Landesleitung Österreich bzw. in das ,Hilfswerk für Flüchtlinge und Hinterbliebene‘ … Obergruppenführer Reschny ernannte mich zum Obersturmbannführer, was aber nie erfolgte. Ich selbst drang auch nicht darauf. Im ,Steierischen Heimatschutz‘ bekleidete ich den 2.höchsten militärischen Rang (Brigadeführer).“ … Berlin, den 15.2.1935. Hans Rauter m. p.

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Landtagssitze. Bei Anteilen bis zu 20 % kamen die Nationalsozialisten in den drei erstgenannten Ländern in den Landtag und gewannen auch Stimmen bei Gemeinderatswahlen  : am meisten von den Großdeutschen, dann von den Christlichsozialen, in Wien auch von den Sozialdemokraten. Bei einem kläglich gescheiterten Volksbegehren im Deutschen Reich gegen den sogenannten Young-Plan machte Hitlers Partei ab 1929 höchst erfolgreich auf sich aufmerksam. Es war ein zunächst vorübergehendes Bündnis mit der DNVAP (Deutschnationalen Volkspartei) gegen die planmäßige Zahlung der Reparationen gemäß dem Friedensvertrag gewesen. 1931 jedoch sollte der Zusammenschluss der vereinigten Rechten, vor allem der Soldatenorganisation „Stahlhelm“, in der „Harzburg-Front“ mit einem Großaufmarsch gefeiert werden. Der Parteiführer Hugenberg, Chef des größten Medienkonzerns Deutschlands, trat 1933 in das Koalitionskabinett Hitlers ein, musste aber schon im Juni dieses Jahres auf Druck der NSDAP zurücktreten.84 Am 22. 4. 1933 schlossen der Führer des „Steierischen Heimatschutzes“ Konstantin Kammerhofer und die NSDAP eine „Kampfgemeinschaft“, das sogenannte Liezener Abkommen, und am 1. 5. 1933 flogen die steirischen Heimwehrführer Meyszner und Kammerhofer, wahrscheinlich auch Rauter, nach Berlin, um Hitler „bedingungslose Treue“ zu schwören.85 Die Großdeutschen gingen mit der NSDAP am 15. 5. 1933, also bereits nach dem „Tag der Machübernahme“ im Deutschen Reich, einen „Kampfbund“ ein und bildeten die „Großdeutsche Front“. Die Großdeutschen anerkannten Hitler als Führer des gesamtdeutschen Volkes und nahmen für sich eine Umbenennung in „Deutscher Volksbund“ vor. Ein besonderes Alarmzeichen waren jedoch die Innsbrucker Gemeinderatswahlen, bei denen die Nationalsozialisten 41% der Stimmen erreichten. In Deutschland hatte die SS inzwischen 1929 etwa 280 Mitglieder, im September 1930 über 2.700, im Dezember 1932 50.000. Die SA hatte 1934 bei der Mordaktion „Röhm-Putsch“ einen Stand von etwa 300.000 Mann. Was das sogenannte „kämpfende Potenzial“ betrifft, so waren dies Teile des Kärntner Heimatschutzes, der Tiroler Bund „Oberland“, Teile des „Steierischen Heimatschutzes“. Dies bereits nach der Krise des Parlamentarismus in Österreich, die mit dem Rücktritt der Präsidenten des österreichischen Nationalrates und der Verhinderung der neuerlichen Einberufung durch den damaligen Bundeskanzler Dr. Dollfuß eingetreten war.86 84 Heidrun Holzbach, Hitlers erster Sieg, … als eine Kampagne der Rechten gegen den Young-Plan die Nazis groß machte, in  : Die Zeit, 21.2.2002, Zeitläufte. 85 Siehe Hans Schafranek, 1934  : SS-Wölfe im SA-Pelz, in  : Der Standard, 18.7.2009, A 1 u. A2. Das hier zitierte und vor Kurzem erschienene Buch Schafraneks, „Sommerfest mit Preisschießen. Die unbekannte Geschichte des NS-Putsches 1934“ konnte nicht mehr berücksichtigt werden. 86 Laut Wolfgang Etschmann, Die Kämpfe in Österreich im Juli 1934 (Militärhistorische Schriftenreihe,

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Diese Männer hatten inzwischen bereits unter ihren Führern zu Terror, Propaganda und schließlich Wirtschaftskrieg immer schlimmeren Ausmaßes gegriffen.87 Es war zu Attentatsversuchen auf die Heimatschutzführer Steidle und Fey gekommen. Ab 11. Juni 1933 wurde mit bis zu 140 Sprengstoffanschlägen im Monat begonnen. Der Sprengstoff wurde zum Teil aus Beständen der Reichswehr entwendet, wahrscheinlich aber auch von ihr zur Verfügung gestellt. Eine neue Terrorwelle begann zunächst mit der sogenannten Saalschlacht in Hötting bei Innsbruck am 27. 5. 1932. Es gab einen Toten sowie 60 Verletzte und sie fand ihre Fortsetzung mit dem schweren Zusammenstoß zwischen Schutzbund und Nationalsozialisten in Simmering.88 Nach dem Handgranatenanschlag vom 18. Juni 1933 gegen eine Marschübung christlich-deutscher Turner bei Krems am 19. Juni 1934 wurde sowohl die NSDAP als auch der „Steierische Heimatschutz“ verboten.89 Schon am 14. Mai dieses Jahres wurde anlässlich der „Türkenbefreiungsfeier“ von der Heimwehr in Wien ein Großaufmarsch veranstaltet, an dem Bundeskanzler Dr. Dollfuß und andere Regierungsmitglieder mit dem Heimwehrführer Starhemberg teilnahmen und Einheit demonstrierten. Heft 50), Wien 1984, S. 14 ff., hatten die Heimwehren im Juli 1934 etwa 40.000 Mitglieder. Die sogenannten Kanzlerverbände (Ostmärkische Sturmscharen, Christlich-deutsche Turner und Freiheitsbund) dürften ca. 20.000 Mitglieder umfasst haben, die erst 1931 in Österreich aufgetretene bzw. aufgestellte SS etwa 2.000 Mitglieder. Auch die Bauernwehren des verbotenen Landbunds kämpften im Juli 1934 in der Stärke von etwa 3.000 bis 4.000 Mann in Kärnten und in der Steiermark auf der Seite der Putschisten. 87 Siehe den wichtigen Aufsatz  : Hans-Adolf Jacobsen, Krieg in Weltanschauung und Praxis des Nationalsozialismus (1919–1945) – Eine Skizze, in  : Rudolf Neck und Adam Wandruszka, Beiträge zur Zeitgeschichte. Festschrift Ludwig Jedlicka zum 60. Geburtstag, St. Pölten 1976, S. 237–246. Der Aufsatz hat die Abschnitte  : Zum Anspruch  : Krieg als Naturgesetz des Stärkeren („Gerechter Krieg“)  ; Krieg als Mittel zur Eroberung von Lebensraum  ; Krieg als „totaler Gegenstoß“ gegen die „Weltfeinde“ Bolschewismus und Judentum  ; Zur Praxis  : Erziehung zum Kampf, Von der Volksgemeinschaft zur Wehrgemeinschaft  ; Militärische Gewalt als Mittel der Drohpolitik – Von der Strategie grandioser Selbstverharmlosung bis zum Beginn der Expansion  ; Krieg als Instrument der Politik – Vom „Blitzkrieg“ zum ideologischen Vernichtungs- und wirtschaftlichen Ausbeutungskrieg (1939/41)  ; Krieg als Instrument der Kriegsverlängerung – Vom „totalen Krieg“ bis zur Strategie der Selbstzerstörung  ; Bewertung im Zusammenhang mit modernen Faschismus-Theorien. Ein weiterer wichtiger Aufsatz des Archivars Joseph Franz Desput  : Bemerkungen zum österreichischen Ständestaat und Hitlers Kabinett der nationalen Erhebung, in  : Geschichte und Gegenwart, Jg. 1988, 292–300. 88 Rudolf Neck, Simmering – 16. Oktober 1932 (Symptom und Auftakt der österreichischen Tragödie), in  : Rudolf Neck und Adam Wandruszka, Beiträge zur Zeitgeschichte. Festschrift Ludwig Jedlicka zum 60. Geburtstag, St. Pölten 1976, S. 95–112. 89 Gerhard Zeillinger. „Starb für Österreich“. Es ist heiß an diesem Nachmittag in Krems. – Alauntal. Die Männer, christlich deutsche Turner kommen gerade von einer Waffenübung. Plötzlich werden drei Handgranaten gegen sie geschleudert. Vor 75 Jahren  : Der Naziterror in Österreich beginnt. In  : Die Presse, 21.6.2008, Spectrum, III f.

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Der Propagandakrieg begann am 7. Juli 1933 mit feindseligen Sendungen des deutschen Rundfunks, der Wirtschaftskrieg mit der Verhängung der „Tausend-MarkSperre durch die deutsche Regierung zur Schädigung des österreichischen Frem­den­ verkehrs“.90 Dollfuß verkündete am 20. Mai 1933 die Gründung einer „Front“, der „Vaterländischen Front“ (V.F.). Es war die von ihm gewünschte „überparteiliche“ Front. Man müsste sie wohl besser als „Nicht-Parteien-Organisation“ bezeichnen, da sich Dollfuß mit Zustimmung des christlichsozialen Parteivorstandes vom Demokraten zum Chef eines autoritären Staates gewandelt hatte, mit dem Bundespräsidenten als Staatsoberhaupt und dem Bundeskanzler, der laut neuer Verfassung die Politik des Staates ­führte.91 Am 1. 5. 1934 wurde die neue Verfassung 1934 „im Namen Gottes, von dem alles Recht ausgeht“ verkündet. Eine besondere Stütze des „Ständestaates“ war die römisch-katholische Kirche, mit der am 5. Juni 1933 ein Konkordat, unterzeichnet von Dr. Dollfuß und Bundesminister Dr. Schuschnigg, geschlossen worden war. Die Enzyklika „Quadragesimo anno“ war eine gegenüber der Demokratie skeptischen, diese jedoch nicht mehr ablehnende geistige Richtlinie des Staates. Ein besonderer geistiger Führer war der kämpferische Emigrant aus Deutschland, Dietrich von Hildebrand, der Herausgeber der Zeitschrift „Der Christliche Ständestaat“.92

90 Gustav Otruba, Hitlers „Tausend-Mark-Sperre“ und Österreichs Fremdenverkehr 1933, in  : Rudolf Neck und Adam Wandruszka, Beiträge zur Zeitgeschichte. Festschrift Ludwig Jedlicka zum 60. Geburtstag, St. Pölten 1976, S. 113–162. 91 Siehe unter anderem  : R. John Rath, The First Austrian Republic – totalitarian, fascist, authoritarian, or what  ?, in  : Festschrift Jedlicka (Anm. 76), S. 163–188  ; Ludwig Jedlicka, Das autoritäre System in Österreich, in  : derselbe, Vom alten zum neuen Österreich, St. Pölten/Wien 1975, S. 215–236  ; 92 Dietrich von Hildebrand, 1889 bis 1977, Katholischer Philosoph und Soziologe, Universitätsprofessor, Wien und New York. Siehe  : Dietrich von Hildebrand, Memoiren und Aufsätze gegen den Nationalsozialismus 1933–938. Mit Alice von Hildebrand und Rudolf Ebnet herausgegeben von Ernst Wenisch, Mainz 1994  ; ansonsten vor allem  : Maximilian Liebmann, Theodor Innitzer und der Anschluß. Österreichs Kirche 1938, Graz/Wien/Köln 1988. Hier die Kapitel  : Der Abwehrkampf der Bischöfe, insbesondere Johannes Maria Gföllners, gegen den Nationalsozialismus  ; Das Juliabkommen 1936 und Kardinal Innitzer  ; Bischof Alois Hudals „Brückenbau“  ; Friede mit dem Nationalsozialismus ist der Tod – Der „Brückenbau“ scheidet die Geister  ; Der Antiklerikalismus des Nationalsozialismus wirkt auf den Austromarxismus anziehend. Siehe auch  : Robert Prantner, Die Geschichte der katholischen Bewegung in Österreich, in  : Generalsekretariat der Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände. Gestaltung  : Hans Magenschab (Hg.), Die Geschichte der katholischen Bewegung in Österreich, S. 18–27. Der Kanzler selbst hatte in einer programmatischen Rede vom 11.9.1933 deklariert  : Gegen Kapitalismus, Liberalismus, Marxismus, Nationalsozialismus und Parteienherrschaft  ; für die Errichtung eines sozialen, christlichen Staates Österreich auf ständischer Grundlage unter starker autoritärer Führung.

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Die Sozialdemokratie, dies sei nochmals betont, hatte sich nach dem Parteitagsbeschluss von 1928 aus ihrer Selbstisolierung und Zuversicht, die fast permanente Staats- und Wirtschaftskrise durch Sozialismus lösen zu können, nicht herausbegeben und auch nach den Erfolgen der Nationalsozialisten immer wieder Neuwahlen verlangt.93 Doch noch schien ein gemeinsames Vorgehen der Wehrverbände möglich, als sozialdemokratische Führer dem Heeresminister Vaugoin im September 1933 trotz des bereits bestehenden Verbotes des Schutzbundes vom 16.3.1933 ihre militärische Hilfe beim Kampf um die Unabhängigkeit des Staates anboten. Wenige Tage später jedoch zog Bundeskanzler Dollfuß durch eine Regierungsumbildung, auch aus dem wachsenden Anspruch der Heimwehr auf Einfluss im Heerwesen, Konsequenzen.94 Er übernahm selbst das Heeresressort, stützte sich aber nunmehr auf einen bekannten Offizier der alten Armee, Generaloberst i. R. Aloys (Fürst von) Schönburg Hartenstein, der als Staatssekretär, dann sogar als Landesverteidigungsminister, das Offizierskorps hinter die Politik des Kanzlers scharen sollte.95 93 Eine ausgezeichnete Studie über die Fehler in der Innenpolitik auf christlichsozialer und sozialdemokratischer Seite ist  : Franz Goldner, Dollfuß im Spiegel der US-Akten. Aus den Archiven des Secretary of State, Washington – bisher unveröffentlichte Berichte der US-Botschaften Wien – Berlin – Rom – London – Paris – Prag, Wien 1970. 94 Major a.D. Fey, der Führer der Wiener Heimwehr, war bereits vom 17.10.1932–10.5.1933 nach Bundesminister Hermann Ach (einem Ministerialrat) Staatssekretär für die Öffentliche Sicherheit gewesen, er wurde mit 10.5.1933 Bundesminister, mit 21.9.1933 bei einer Regierungsumbildung auch Vizekanzler. Ab 1.5.1934 wurde jedoch Starhemberg Vizekanzler und Fey blieb nur Sicherheitsminister. Dies fasste Fey als schwere Zurücksetzung auf. 95 Unter ihm wurde im September 1933 das Bundesministerium für Heerwesen in Bundesministerium für Landesverteidigung umbenannt. Der Direktor des Kriegsarchivs Edmund Glaise von Horstenau bemühte sich darum, unter seinem „alten“ Kommandanten von 1914, Schönburg-Hartenstein, die Beraterfunktion als Präsidialchef zu erlangen. Er stellte sich offenbar etwas Ähnliches vor wie das Minis­ teramt der Reichswehr, in dem so bekannte Leute wie der spätere kurzfristige Reichskanzler Kurt von Schleicher (Ende 1932) Militärpolitik gemacht hatten. Im März 1933 war dies im Deutschen Reich der höchst ehrgeizige und von Hitler sehr beeindruckte Obst. Werner v. Reichenau geworden, der mit seinem Chef GO v. Blomberg das Seine tat, um die Reichswehr Hitler zuzuführen. Glaise-Horstenau konnte sein Ziel nur für vier Wochen erreichen, da kam es zu mehrtätigen Unruhen in Graz infolge von tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Heimwehrangehörigen und Soldaten der Grazer Garnison. Die Heimwehr erzwang die Pensionierung des Grazer Brigadekdt. GM Chlodwig (v.) SchwarzleitnerDomonkos. Bundeskanzler Dollfuß musste sich auch von Schönburg-Hartenstein trennen und wiederum selbst das Landesverteidigungsressort übernehmen. Neuer Staatssekretär wurde GM Zehner, der sich bei der Niederschlagung des Schutzbund-Aufstandes in Linz als so loyal erwiesen hatte. Wichtig ist weiter noch, dass gerade nach Schönburg-Hartensteins Dienstantritt sowohl das Reichswehrministerium als auch das deutsche Auswärtige Amt Berichte über den Legitimismus und über monarchistische Organisationen in Österreich und in Ungarn anforderten und Spekulationen bzw. Gerüchte über die Frage der Restauration in Staaten des Donauraumes, nicht nur in Österreich, in die Akten dieser Ministerien Eingang fanden. Schönburg-Hartenstein hatte sich sowohl in den Zwanzigerjahren für die

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1933 war als äußeres Zeichen, das den Willen zur Rückbesinnung auf eigene Traditionen, aber auch Verpflichtung nur gegenüber dem Staat und nicht einer Partei betonte, die Adjustierung des k. u. k. Heeres und der k. k. Landwehr wieder eingeführt worden.96 Hinter allen diesen Maßnahmen stand jedoch nicht nur das kaum verhüllte – auch von der Sorge vor einer Revolution genährte – Suprematiestreben des langjährigen Heeresministers aus der Christlichsozialen Partei, Vaugoin, der Selbstbehauptungswille des Bundeskanzlers und der militant antidemokratische Geist der Heimwehren. Immer stärkeren Druck übte auch die nunmehrige „Schutzmacht“ Italien aus. Nunmehr ein Rückblick. Bereits vor dem Ende der Interalliierten Militärkontrolle und auch vor dem bereits erwähnten Hilferuf von 1926 war der spätere Heeresinspektor Obst. Eimannsberger mit seinem Gehilfen der Führung, Obstlt. Hugo Schäfer, nach Deutschland gereist.97 Sie blieben dort mehr als zwei Monate, hatten Verbesserung der finanziellen Verhältnisse der Familie des verstorbenen Kaisers Karl eingesetzt als auch für die Abänderung der Ausnahmegesetze betreffend die Familie Habsburg-Lothringen im Staatsrat. 96 Österreichisches Bundesministerium für Heerwesen (Hg.), Überlieferungspflege im Bundesheer. Durch die Jahrhunderte österreichischen Soldatentums. Verfasst von Obstlt. Dr. Oskar Regele, Leiter des Pressedienstes des Bundesministeriums für Heerwesen, und Mjr. Josef Hellrigl des IR Nr. 2 bei Verwertung von Beiträgen der Truppen und Benützung sonstiger Quellen. Begutachtet von GM d. R. Hugo Kerchnawe, Wien 1928. Dieses reich bebilderte Werk beinhaltet Vorworte von Bundespräsident Miklas, Heeresminister Vaugoin, dem Präsidenten des Reichskameradschafts- und Kriegerbundes Alois (Fürst) Schönburg-Hartenstein, dem General der Infanterie, Artur Schiebel, und dem General der Infanterie und Heeresinspektor des Bundesheeres Siegmund Knaus. Gleichsam im Gegenzug verfasste später der Direktor des Österreichischen Kriegsarchivs, Hofrat Oberst i.d. Evidenz des Bundesheeres, Edmund Glaise (von) Horstenau, eine Anzahl von Werken, die gleichsam eine Antwort im großdeutschen Geist gewesen sind. Hervorgehoben sei  : Georg Nitsche, Österreichisches Soldatentum im Rahmen deutscher Geschichte. Mit einer Einführung „Alt-Österreichs Heer im deutschen Schicksal von Bundesminister Edmund Glaise von Horstenau“, Berlin und Leipzig 1937. In dem deutschen Standardwerk  : Karl Linnebach (Hg.), Deutsche Heeresgeschichte, Hamburg 1935 [sic  !] gibt es 16 Beiträge verschiedener Autoren neben Beiträgen des Herausgebers. Sie reichen vom „Germanischen Heer“ bis zum „Reichsheer von 1919 bis 1935. Nach Beiträgen über die Reichskriegsverfassung des 16. Jahrhunderts, die preußische Armee, das bayerische Heer, die sächsische Armee, die württembergische Armee, das Heerwesen des Deutschen Bundes, „Das deutsche Heer von 1867 bis 1918“ folgt von Edmund Glaise von Horstenau  : „ÖsterreichUngarns Völkerheer 1866–1918 im deutschen Schicksaal“. Glaise-Horstenau war damals bereits der Autor des bedeutenden zeitgeschichtlichen Werkes „Die Katastrophe“. 97 Rudolf R. v. Eimannsberger war andererseits auch für die Reichswehr als Vorkämpfer der Panzerwaffe interessant, die auf seinen Kriegserfahrungen ebenso wie auf seiner eigenständigen und zunächst nicht hauptsächlich deutschen Denk- und Erprobungsarbeit beruhten. Eimannsberger war 1926/27 mit den Agenden des Artillerieinspektors betraut und 1929/30 Heeresinspektor. Er wurde in der Deutschen Wehrmacht kurze Zeit GdA z.V. Schäfer war seit 1922 Kdt. der Heeresschule Enns. Als wichtigster österreichischer Autor über Infanterietaktik kann der ehemalige k. u. k. Generalstabsoffizier und spätere Oberst des Bundesheeres sowie Generaloberst der Deutschen Heeres Dr. rer. pol. Lothar Rendulic

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Besprechungen mit dem Chef der Ausbildungsabteilung Obst. von Blomberg über die Generalstabsausbildung und nahmen an Unterrichtsveranstaltungen, Besprechungen von Taktikaufgaben, Vorträgen über Außenpolitik von Universitätsprofessoren, applikatorischen Übungen usw. teil.98 Auch wurden über einen Austausch von Vorschriften Abmachungen getroffen, es ist seit damals der Name mindestens eines Instruktionsoffiziers bekannt. Ganz besonders wichtig dürfte jedoch eine erst nach 1928 fassbare Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Nachrichtenwesens gewesen sein, und zwar aus offenbar ideologischen und strategischen Gründen in erster Linie gegen die Tschechoslowakei gerichtet, dem Verbündeten Frankreichs, Mitglied der Kleinen Entente und Musterbeispiel eines demokratischen, parlamentarischen Systems mit starker Stellung des Präsidenten Thomas G. Masaryk. Dieser Nachfolgestaat hatte ein bis 1928 von französischen Generalinspektoren aufgebautes Heer mit einigen noch in der k. u. k. Armee ausgebildeten Generalstabsoffizieren, die aber nach und nach durch Offiziere, welche die französische Generalstabsausbildung absolviert hatten, ersetzt wurden.99 Laut Aussage des Offiziers im Chiffrierdienst und späteren Majors Wilhelm Ergert hätte er mit dem „Reichswehrministerium zwischen 1928 und 1934 „wissenschaftliche Daten“ ausgetauscht. Ronge konnte feststellen, dass dieser Offizier, der von sich angab, Mitglied der SA zu sein, das gesamte Funknetz der SA in Österreich aufgebaut hatte.100

angesehen werden. Siehe über ihn die Urteile im ersten und dritten Band der Memoiren Glaise-Horstenaus. Siehe weiters über ihn  : Marcel Stein, Österreichs Generale im Deutschen Heer 1938–1945. Schwarz/Gelb – Rot/Weiß/Rot – Hakenkreuz, Bissendorf 2002, S. 167–184 und passim  ; Heeresgeschichtliches Museum/Militärhistorisches Institut (Hg.), Einmarsch ‘38. Militärhistorische Aspekte des März 1938, S. 204.  98 Heribert Kristan, Der Generalstabsdienst im Bundesheer, S. 86 ff. Eine Folge dieser Besuche war die Generalstabsausbildung durch Selbststudium und Abschluss, die vor einer „Prüfungskommission Schäfer“ abgehalten wurde. Es folgte die Militärische Fachprüfungskommission, schließlich ab 1930 der Höhere Offizierskurs, der ab 1.1.1936 als Generalstabskurs enttarnt wurden. Die Militärische Fachprüfungskommission fiel seit damals weg. Zu Blomberg siehe  : Kirstin A. Schäfer, Werner von Blomberg – Hitlers erster Feldmarschall. Eine Biographie. Paderborn 2006.  99 Walter Hummelberger, Die tschechoslowakische Armee 1918–1920, in  : Arbeitsgemeinschaft Truppendienst (Hg.), Die Nachkriegszeit 1918–1922. Kämpfe, Staaten und Armeen nach dem Ersten Weltkrieg (= Truppendienst-Taschenbuch Band 22), S. 393–416, Wien 1973. Arnold Suppan, Die Außenpolitik der ersten Tschechoslowakischen Republik aus Wiener Sicht, in  : Arnold Suppan/Elisabeth Vyslozil, Edvard Beneš und die tschechoslowakische Außenpolitik 1918–1948, 2. durchgesehene Auflage, Frankfurt am Main et al. 2003. 100 Wilhelm Ergert, geb. 10.6.1895 in Wien, 15.10.1914 ausgemustert aus der Infanteriekadettenschule Brünn als Fähnrich, ab 1918 Depotwache Klosterneuburg, Übernahme ins Bundesheer, 8.7.1921 Hptm., Dienst in Telegraphenkompanien und der Heeresschule/Telegraphenfachschule, 15.8.1928 Major, war seit 1928 Leiter der Entzifferung- und Auswertungsstelle im BmfHw., 25.8.1933 Major, 26.8.1934 außer Stand gebracht, 11.7.1936 aus der Bewaffneten Macht entlassen. SA-Mitglied seit  ?  ;

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Noch eine Folge jener Zusammenarbeit mit Deutschland war ein offizieller Ankauf von Konstruktionsplänen eines weiteren Panzerautospezialisten, des Militärbeamten und Mjr. d. Res. des Bundesheeres Dipl.-Ing. Fritz Heigl, im Jahre 1928.101 Mussolini hatte in einer Unterredung mit Bundeskanzler Seipel bereits 1923 einen Vorschlag gemacht, der von Seipel damals abgelehnt wurde. Er wollte die Eisenbahnstrecke Brenner – Kufstein kaufen und mit einem italienischen Bahnhof in Innsbruck versehen. Er gab auch zu verstehen, dass er österreichische Befestigungen in Nordtirol als unfreundlich ansehe. Es folgten die Krise 1925/26 und der Beginn der finanziellen Zuwendungen und Waffenlieferungen an die Heimwehr 1928. Ende dieses Jahres trat der italienische Militärattaché in Prag an den österreichischen Gesandten mit der Versicherung heran, dass Italien in einem Konflikt mit dem SHS-Staat die Neutralität respektiere, aber eine österreichisch-italienische Freundschaft „bei gemeinsamem Feind im beiderseitigen Interesse liege“.102 Wie wir heute wissen, wurde dann Bundeskanzler Schober anlässlich des Abschlusses eines Schiedsgerichts- und Freundschaftsvertrages mit Italien am 6. 2. 1930 in Rom ein Militärbündnis angetragen. Auf dieses ging Schober nicht ein, wohl aber wurde ein Ausbau der Packstraße vereinbart. Es war bekannt, dass Jugoslawien im Falle eines militärischen Eingreifens, etwa wegen einer Restauration in Österreich, die Bahnlinie Marburg/Maribor – Graz – Wien zu gewinnen trachten würde.103 Über den Packsattel konnten italienische Truppen aus Osttirol und aus dem ab November 1931 Nachrichtenreferent der SA-Gruppe Österreich, auch nach dem Parteiverbot, bis Ende 1934, 25.8.1934 Flucht nach Deutschland (nach seiner Flucht soll er im Stab des SA-Obergruppenführers Reschny gewesen sein), vor 1938 Führer der Brigade 3 der Österreichischen Legion, ab 1936 deutscher Staatsbürger, 1938 aus der Deutschen Wehrmacht entfernt (wegen des Verhaltens gegenüber seiner Ehefrau), VI./1939–1941 in der Industrieabwehr in Prag tätig, seit Ende 1941 bis 1945 bei der Abwehrstelle Prag für die Entzifferung des im Protektorat Böhmen und Mähren angefallenen Materials zuständig  ; 1951 soll er in Braunau am Inn als Portier gearbeitet haben, nach 1958 soll er für einen österreichischen Nachrichtendienst tätig gewesen sein, 10.6.1966 gestorben in München, Deutschland (Angaben des Bundesarchivs/Militärarchivs Freiburg im Breisgau). 101 Siehe Walter A. Schwarz, Fritz Heigl und die Schulpanzerautos des Bundesheeres, in  : Pallasch, Heft 30, Juli/August 2009, S. 111–119.Die selbstfahrenden Panzerautoattrappen Heigls wurden beim Infanteriekurs 1923/1925 und bei den Übungen 1926 erstmals am Brucker Truppenübungsplatz vorgeführt. Heigl gab auch ab 1925 das „Taschenbuch der Tanks“, 3 Bände, heraus. Zum Ankauf siehe die Aktennotiz in Bundesarchiv/Militärarchiv, RW 5. 102 Institut für Zeitgeschichte München, Mikrofilmsammlung, sign. MA 280  : Records of Headquarters German Army High Command T-78 Roll Nol. 457, 4348650 Bericht Kundts, 18.12.1928. 103 Was Italien betrifft, so war das Ansiedlungsverbot Jugoslawiens für Italiener in Dalmatien und in Krain die Ursache für die Spannungen. Italien zog auch Nutzen aus der Einführung der Königsdiktatur König Alexanders angesichts der laufenden Schwierigkeiten mit dem Verlangen der Kroaten nach Autonomie. Das Bündnis Jugoslawiens mit Frankreich am 11.11.1927 war auch Anlass für jene weitere Annäherung Italiens an den Donauraum.

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Kanaltal (Udine) dieser Absicht zuvorkommen und Italien konnte den Jugoslawen eventuell in die Flanke fallen. Am 26. 1. 1931 wurde dann noch ein österreichischungarischer Freundschafts- und Schiedsgerichtsvertrag abgeschlossen und es ist zu vermuten, dass bei dieser Gelegenheit die Lieferung von Waffen und die Rückgabe von erbeuteten Waffen der k. u. k. Armee von Italien an Ungarn, an die österreichische Heimatschutzbewegung und schließlich auch an das Bundesheer ins Auge gefasst worden sind. Doch auch die Mächte rührten sich in der Wirtschaftskrise und ihre Anliegen waren auch durch die Wirtschaftskrise akzentuiert. Auf die Initiative Deutschlands wurden im März 1931 Besprechungen über den Abschluss einer österreichisch-deutschen Zollunion abgeschlossen. Am 19.3.1931 unterzeichneten die Außenminister Curtius und Schober einen solchen Vertrag. Er musste jedoch auf Einspruch Frankreichs, Italiens und der Tschechoslowakei zurückgenommen werden  : Jene Mächte erhielten recht, dass dieser Vertrag dem Genfer Übereinkommen von 1922 mit dem langjährigen Verzicht auf einen Anschluss Österreichs an Deutschland widerspreche. Im September erklärte Schober, das Projekt nicht weiter zu verfolgen.104 Im Februar 1932 regte der französische Ministerpräsident Tardieu den Zusammenschluss Österreichs und Ungarns mit der Kleinen Entente, also der Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien, zu einer Donauföderation mit Vorzugszöllen an. Deutschland wollte sich hineindrängen oder zumindest Ungarn in dieser Pakt sofort aufnehmen lassen, die Schweiz wurde von Frankreich ebenfalls kontaktiert. Im März lehnten schließlich Deutschland und vor allem Italien ab.105 104 Nautz, Unterhändler des Vertrauens. Aus den nachgelassenen Aufzeichnungen von Sektionschef Dr. Schüller, 160  : „Nach Neujahr [1931] kam Ritter zu mir  ; er habe den Auftrag, mit mir den Entwurf zu machen. Ich verfaßte ihn rasch. Österreich und Deutschland gleichberechtigt, nach dem Muster des österreichisch-ungarischen Ausgleichs. Ritter war mit allem einverstanden. Doch sagte ich, die Sache sei nicht aktuell. Bald darauf (im März  ?) machte Curtius seinen Gegenbesuch und überraschte Ender, Schober und mich mit der Erklärung, der Moment für die Zollunion sei gekommen. Er habe mit den deutschen Botschaftern in Paris, London und Rom gesprochen, die ihn informierten, es werde keinen ernsten Widerstand geben. Ender sagte nichts und ging. Schober war verlegen. Ich sagte, daß ich glaube, die Botschafter irren sich. Ich wisse, daß die Großmächte sehr dagegen seien. Wir brauchten ihre Zusage, nicht die der deutschen Botschafter. Curtius bedauerte meinen Pessimismus, doch sei er mit der Prozedur einverstanden. Er kehrte nach Berlin zurück und ließ sofort durch die Zeitungen ankündigen, in Wien sei die Zollunion beschlossen worden. Schober und die österreichische Regierung wagten nicht zu widersprechen, was Curtius vorausgesehen hatte. Und der Sturm ging los. Wir hatten arge Tage, wurden arg beschimpft und auch geschädigt … Der Haager Gerichtshof sprach dann mit acht gegen sieben Stimmen ein überzeugendes Urteil aus, daß die Union Österreichs internationale Verpflichtungen verletze, was dem Sinn nach wahr war.“ 105 Siehe  : Arnold Suppan, Mitteleuropa-Konzeptionen zwischen Restauration und Anschluß, in  : Mitteleuropa-Konzeptionen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, hg. v. Richard G. Plaschka, Horst Ha-

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Im Mai bildete der bisherige Landwirtschaftsminister Dollfuß seine erste Regierung. Er wollte eine neue Völkerbundanleihe und erhielt sie. Am 15. 7. 1932 wurde der Vertrag für eine Anleihe von 300 Millionen Schilling mit einer Laufzeit von 20 Jahren unterzeichnet. Österreich verzichtete unter Erneuerung der finanziellen und politischen Klauseln der Genfer Protokolle von 1922 für diese Zeit auf den „Anschluss“ und auf eine Zollunion mit Deutschland. Am 23. August 1932 wurde der Lausanner Vertrag mit 82  : 80 Stimmen vom Nationalrat – nach Einspruch des Bundesrates – durch Beharrungsbeschluss endgültig angenommen. In Deutschland kam Hitler nach den Reichstagswahlen vom 5. 3. 1933 innerhalb von vier Monaten endgültig an die Macht und die Nationalsozialisten richteten ihre Offensive gegen Österreich. Einen Tag vor jenem Datum waren alle drei Parlamentspräsidenten zurückgetreten. Am 7. 3. 1933 begann durch einen Aufruf der Regierung in Österreich das „autoritäre Regime“. Es war zugleich das Ende der parlamentarischen Republik.106 selsteiner, Arnold Suppan, Anna M. Drabek und Birgitta Zaar (= Zentraleuropa-Studien, Bd.1), Wien 1995, S. 171–198. Suppan stellt mit Recht nüchtern fest, dass die Mitteleuropa-Politik der sogenannten Kleinen Entente nur aus dem Abschluss von Militäkonventionen zur Abwehr einer Restauration der Habsburger bestanden habe. Es wurden Verträge abgeschlossen  : 14.8.1920  : ČSR – Jugos­lawien  ; 7.6.1921  : Jugoslawien – Rumänien  ; 23.4.1923 Rumänien – ČSR und – nur gegen Österreich – am 12.11.1920  : Italien – Jugoslawien. Der Historiker Francesco Leoncini vertrat in seinem Beitrag  : Die Mitteleuropapolitik Italiens, S. 221–226, die Meinung, Mussolini hätte glaubte, er würde in der Lage sein, die österreichische Sozialdemokratie zu vernichten, Jugoslawien niederzuwerfen, die Kleine Entente zu zerschlagen. Mussolini hätte weiters gedacht, er könne auch verhindern, dass das Deutsche Reich gegen den Brenner und bis zur Adria vordringe. Als er dies nicht erreichen zu können glaubte, wandte er seinen Blick Afrika, der Türkei, Syrien und Palästina zu. 106 Ludwig Jedlicka, Das autoritäre System in Österreich, in  : Vom alten zum neuen Österreich. Fallstudien zur österreichischen Zeitgeschichte 1900–1975, 1. Aufl., St. Pölten/Wien 1975, S. 215–236. „Gewisse Hinweise, die sich schon in den Militärakten über Dr. Dollfuß finden, zeigen, daß dieser Mann von einer ungeheuren Kühnheit, ja geradezu von einer Besessenheit seiner Aufgaben und Ziele erfüllt war und schon im Schützengraben von einer zukünftigen politischen Rolle zur Umgestaltung der bestehenden Verhältnisse träumte. Sein zäher Aufstieg vom Studentenfunktionär über die Bauernorganisation zum europäischen Agrarfachmann, dessen Bedeutung sogar Dr. Otto Bauer anerkannte, führte zielstrebig in die Bundespolitik, ohne daß Dr. Dollfuß jemals Mandatar der Christlichsozialen Partei gewesen wäre. In seiner Gestalt verkörperte sich im Jahre 1932 die Frontsoldatengeneration des Ersten Weltkrieges, die nun überall in Europa zum Zuge kam und in der ihr eigenen „Schützengrabenmentalität“ Politik zu machen versuchte  : Julius Gömbös in Ungarn, Hitler in Deutschland und dazu noch die autoritären Strömungen in Polen und Jugoslawien – das waren gewisse ‚Leitbilder‘ in der ‚politischen Umgebung‘ Österreichs.“ Siehe auch  : Maser, Anfänge des Dritten Reiches, Frankfurt am Main 1996. Siehe weiters auch  : Emmerich Tálos, Zum Herrschaftssystem des Austrofaschismus  : Österreich 1934–1938, in  : Erwin Oberländer (Hg.), Autoritäre Regime in Ost- und Südosteuropa 1919–1944, Paderborn 2001, S. 143–162.

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Dollfuß hatte am 13. 4. 1933 Mussolini in Rom besucht und wiederholte diesen Besuch am 20. August 1933 im Badeort Riccione.107 Der Kanzler erhielt bereits beim ersten Besuch das Versprechen der militärischen Hilfe und diese wurde offenbar beim zweiten Besuch näher erörtert, ohne dass österreichische Militärexperten eingeschaltet wurden und vom Inhalt dieser Gespräche erfuhren.108 Sicher war und ist nur, dass Mussolini auch Bedingungen stellte, nämlich die machtmäßige Ausschaltung der Sozialdemokratie, eine innenpolitische Angleichung Österreichs an den italienischen Faschismus gleichsam als Vorleistung für eine Hilfe Italiens. Wir wissen heute, dass Dollfuß und seine Partei „nur“ an das „Autoritär-Regieren“ ohne Parlament glaubten. Dollfuß gab aber dem „notwendigen“ Regierungspartner, der Heimwehr, freie Hand zur Demütigung und Entwaffnung der Sozialdemokratie. Der Kanzler schritt dann nach deren Niederwerfung weiter zur Ständischen Verfassung, die im Parteiprogramm der Christlichsozialen verankert war. Dollfuß ließ sich tatsächlich Zeit, aber im Jänner 1934 fand der Besuch des italienischen Unterstaatssekretärs für Äußeres, des ehemaligen österreichischen Staatsbürgers und Irredentisten Fulvio Suvich, der einen Brief Mussolinis mitbrachte, statt. Den Versuchen der Heimwehr, bei mehreren Landesregierungen autoritäre Landtagsausschüsse einzusetzen, wurde von der autoritären Bundesregierung kein Widerstand entgegengesetzt und die zermürbenden und provokatorischen Waffensuchen lösten in Linz die Erhebung des Republikanischen Schutzbundes aus. Diese mündete im Bürgerkrieg vom 12. bis 15. Februar. Das Heer, zum Assistenzeinsatz befohlen, tat seine bittere Pflicht. Ohne das Militärassistenzkorps und das Schutzkorps sowie ohne die Heranziehung der Österreichischen Heimwehr hätten diese Gegenmaßnahmen nicht so rasch gegriffen, dass der Bürgerkrieg innerhalb weniger Tage abgeschlossen werden 107 Goldinger gab in seinem Beitrag zu  : Heinrich Benedikt (Hg.) Geschichte Österreichs, S. 162 ff., keine Quellen an für seine Darstellung, Schuschnigg wäre, als er anlässlich seines Antrittsbesuchs bei Mussolini mit den Zusagen des Bundeskanzlers Dollfuß in Riccione und dann in Rom konfrontiert worden sei, erschrocken gewesen. Er habe gemeint, er wäre nicht zu Mussolini gefahren, wenn er davon Kenntnis gehabt hätte. Daraus entstand 1963/64 eine schriftliche Auseinandersetzung in höflicher Form zwischen Goldinger einerseits, Schuschnigg, Hornbostel und Jedlicka andererseits, die nicht abgeschlossen werden konnte, da Goldinger damals nicht in der Lage war, die von ihm angeführten Quellen, vor allem Aussagen eines von Goldinger nicht genannten Zeugen, beizubringen. 108 Später glaubte auch Jedlicka  : Es dürfte tatsächlich so gewesen sein, dass Dollfuß „kurz vor seinem Tode … mit Italien außerordentlich weitgehende militärische Abmachungen ausgearbeitet [hatte]. In ihnen war auf Eingreifen des Bundesheeres gegen einen ital. Aufmarsch in Richtung Jugoslawien verzichtet und Südkärnten und Südsteiermark für den Entscheidungsfall förmlich an Italien überlassen [worden].“ (Aktenzitat ex 1935, Anm. 111). Über die 1963 geführte briefliche Auseinandersetzung zwischen Schuschnigg, Hornbostel, Goldinger und Jedlicka, die auch für 1933 bis 1935 von Interesse ist, siehe  : KA, sign. B/1465, Nr. 39.

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konnte.109 Hitler hatte inzwischen zwei Mal einen Einsatz der österreichischen Legion in Betracht gezogen, aber in Beratungen mit Habicht davon Abstand genommen, wie Hornbostel beide Male von seinen Informanten ebenso rasch erfuhr.110 England, Frankreich und Italien gaben für Österreich eine Garantie ab, überließen aber alles weitere Italien, und Mussolini handelte sehr schnell. Es wurde in einer Konferenz der Regierungschefs der drei Staaten, Mussolini, Dollfuß und Gömbös in den sogenannten Römischen Protokollen eine wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit auf der Basis der Aufrechterhaltung der österreichischen Unabhängigkeit vereinbart. Höchst geheim und ohne militärische österreichische Berater ist aber damals eine Militärische Konvention zwischen Österreich und Italien zustande gekommen, die eine Aufrüstung Österreichs durch Italien in Aussicht nahm, vielleicht unter Beteiligung Ungarns. Sie enthielt vor allem aber auch die Bewilligung für Operationen des italienischen Heeres auf österreichischem Boden gegen einen deutschen Angriff oder gegen einen Einmarsch und gegen einen Angriff von Truppen der Kleinen Entente, also gegen beide Mächte bzw. Mächtekonstellationen.111 Diese Konven109 In dem Werk  : Wissenschaftliche Kommission zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938 (Hg.), Das Jahr 1934  : 12. Februar (= Veröffentlichungen, Band 2), Wien 1975, finden sich die folgenden relevanten Aufsätze zum Thema  : Verena Lang, Die Haltung des Bundespräsidenten Miklas gegenüber der Sozialdemokratischen Partei 1933/34, S. 9 ff  ; Rudolf Neck, Thesen zum Februar. Ursprünge, Verlauf und Folgen  ; Kurt Peball, Februar 1934  : Die Kämpfe, 25 ff  ; Walter Hummelberger, Österreich und die Kleine Entente. Vor und nach dem Februar 1934, S. 34 ff  ; Everhard Holtmann, Politische Tendenzjustiz während des Februaraufstands 1934, S.  45 ff  ; Norbert Leser, 12 Thesen zum 12. Februar 1934, S. 38 ff  ; dazu die Diskussionen, S. 65–135. 110 Dieter A. Binder, Dollfuß und Hitler. Über die Außenpolitik des autoritären Ständestaates in den Jahren 1933/34, Dissertation an der Universität Graz 1984. 111 Darüber hat der ehemalige Generaldirektor des Öst. Staatarchivs und Direktor des Abteilung Allgemeines Verwaltungsarchiv, Dr. Walter Goldinger, dem Herausgeber des vorliegenden Werkes mit Privatbrief vom 21.12.1977 die Ablichtung eines Aktenstückes des Leiters des Informationsdienstes im Generalsekretariat der Vaterländischen Front übersandt. Zitat aus dem Akt  : ÖStA/AVA, sign. B/1794  :11  : Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, 325882/35 G.D. v. 12.4.1935, Herrn GM Ronge zur Verwertung  : „… Anlässlich der Verhandlungen über die römischen Protokolle wurde auch das Militärabkommen unterzeichnet, aber nun in einer noch erweiterten Form. Nach diesem Abkommen haben sich die österr. Streitkräfte im Falle eines ital. Vormarsches nach Jugoslawien über österr. Gebiet nicht nur zurückzuziehen, sondern auch die Versorgung der vorrückenden ital. Truppen mit Brennstoff, Lebensmittel u.s.w. soll sichergestellt werden. Die ital Heereseinheit, die zuerst die Kärntner Grenze überschreiten wird, ist die sogen. ,schnelle Division‘ von Udine. Die ,schnellen Divisionen‘, von denen es gegenwärtig zwei gibt, sind doppelt gegliedert. Sie umfassen sowohl Kavallerie, Reitende Artillerie und Radfahrer als auch Schnellkampfwagen, Motorradkompagnie, motorisierte Artillerie und Infanterie auf leicht bepanzerten Kraftwagen. Man hat behauptet, daß die Wiener Regierung das Militärabkommen mit Italien gleichzeitig zur Rückendeckung nach Prag mitgeteilt hat. Wie dem auch sei  : Die Mobilisierungspläne der Kleinen Entente sind auf den Fall eingestellt, der in dem ital.-österr. Militärabkommen vorgesehen ist. Der Tschechoslowakei z. B. ist ein Gegenstoß

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tion wurde dann beim zweiten Besuch des neuen Bundeskanzlers in Rom, Dr. Kurt v. Schuschnigg, bekräftigt.112 Hitler hatte seit der sogenannten Machtübernahme in der Österreich-Politik die Niederlage hinnehmen müssen, dass sich Bundeskanzler Dollfuß anlässlich der Verhandlungen über eine Anleihe nicht erpressen ließ. Über Vizekanzler v. Papen hatte der Österreicher dem Reichkanzler vorgeschlagen, Deutschland möge sich an der Anleihe beteiligen oder diese selbst gewähren  : Hitler hatte dafür sofortige Neuwahlen und die sofortige Hineinnahme von Nationalsozialisten ins Kabinett verlangt. Da sich Dollfuß zum zweiten Mal an den Völkerbund wandte und Erfolg hatte, aber das Anschlussverbot wie Seipel akzeptierte, wurde er in einer beispiellosen Kampagne der Nationalsozialisten als Verräter Deutschlands gebrandmarkt. Der am 15. Juli unterzeichnete Vertrag von Lausanne gewährte eine Anleihe von 300 Millionen Schilling. Am 23. August 1933 nahm der österreichische Nationalrat den Vertrag an. Eine zweite Terrorwelle begann im Jänner 1934, eine dritte dann im Juni 1934. Hitler hatte aber auch einen überraschenden Erfolg, das Freundschaftsabkommen mit Polen, mit Pilsudski, am 28. Jänner 1934. Er knüpfte daran sehr bald fast unglaubliche Erwartungen, die von anscheinend sehr vertrauenswürdiger Seite wieder an Hornbostel herangetragen wurden,113 von ihm an das Landesverteidigungsminisauf der Linie Retz – Villach zugeteilt. Mag sein, dass bei einer tschechisch-italienischen Verständigung aus dem Gegenstoß eine Hilfsaktion wird. Die Bedrohung des deutschen Volks in Österreich bleibt dieselbe. Die Abhängigkeit der Heimwehren von Italien ist bekannt. Dennoch stellt man sich noch immer nicht genug vor, wie weit das ital. Kommando geht. Z. B. verleiht der italienische Gesandte Preziosi beständig Orden, die die Mitglieder der HW für ihr Verhalten anlässlich des Juli-Aufstandes auszeichnen. Der italienische Polizeidienst in Österreich bediente sich des Büros des Vizekanzlers Starhemberg zur Durchführung der ihm (nicht zuletzt aus militärischen Gründen) notwendig erscheinenden Verhaftungen und … [unleserlich]. Direkte Inspektionen italienischer Generalstäbler erfolgen in den vorgesehenen Aufmarschgebieten. Erleichtert wird diese Arbeit durch die zahlreichen Fabriken, Sägewerke, großen und kleinen Landgüter, die vor allem in der Steiermark und in Kärnten in den letzten Jahren in italienischen Besitz übergegangen sind. Die Aufmarschlinien Italiens in Österreich sind  : Brenner – Innsbruck – Arlberg – Oberrhein – Bodensee, Brenner – Innsbruck – Scharnitz Tarvis – Villach – Tauernstraße – Salzburg Tarvis – Villach – Packstraße – Grazer Feld – Jugoslawische Grenze Tarvis – Villach – Klagenfurt – Oberes Murtal – Semmering – Wiener Becken … Österreich wird von Italien als sein natürliches Ausdehnungsgebiet beansprucht, unter dem Vorgeben einer Schutzmission für den angeblich vom romanischen Geist geprägten Teil des deutschen Volkstums …“ 112 ÖStA/AVA, sign. E/1722, Nr. 2 Mündlich seien lt. Nachlass Hornbostel vier Möglichkeiten der Hilfe Italiens festgelegt worden  : „Deutscher Angriff gegen Österreich  ; Staatsstreich durch die österreichischen Nazis  ; einen Krieg, in welchem die Tschechoslowakei und Jugoslawien versuchen sollten, über österreichisches Gebiet ihre Kräfte zu vereinigen  ; ein Aufstand durch die österreichischen Arbeiter.“ 113 ÖStA/AVA, E/1722, Nr. 2  : Hornbostel an Landesverteidigungsministerium, 2.10.1934  : aus privater Berliner Quelle (nämlich Hornbostels persönlichen Nachrichtendienst der beiden Informanten mit den beiden Decknamen Florian bzw. Martin)  : … Es sei zwischen Warschau und Berlin ein Offen-

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terium weitergegeben wurden und von dort aus zu dem seit August 1933 amtierenden deutschen Militärattaché GM Wolfgang Muff ihren Weg fanden.114 Angeblich schon im Sommer 1933, nach anderen Quellen erst im Oktober dieses Jahres, wurde ein Putschplan gefasst und schließlich Hitler vorgetragen. Der Landesinspekteur Habicht wollte das Kabinett Dollfuß gefangen nehmen lassen. Möglicherweise ist dazu noch aus Italien die Idee hinzugefügt worden, dieses Unternehmen mit einem neuen Kabinett, dem der ehemalige christlichsoziale steiermärkische Landeshauptmann Dr. Rintelen vorstehen sollte, zu krönen. Rintelen hatte nämlich noch Anfang der Zwanzigerjahre die Idee verlauten lassen, die Steiermark könnte sich Italien anschließen. Er hatte wohl die Hoffnung gehabt, die alten Grenzen „seines“ Landes wiederzuerlangen. Der italienische Militärattaché Obstlt. Fabbri sprach jedenfalls darüber mit Mussolini.115 Tatsächlich versuchte Hitler, bei seiner zweitägigen Begegnung mit Mussolini in Venedig am 14. Juni 1934 dem Duce den Bären sivabkommen abgeschlossen worden. „Das Ziel ist die Eroberung Litauens, Weißrusslands und eines Teils der Ukraine durch Polen und des Memellandes, Estlands und Lettlands durch Deutschland. Aus diesem Grunde verweigern beide Staaten den Beitritt zum Ostpakt.“ „Ein Geheimanhang“ befasse sich „mit der evtl. Aufteilung der Tschechoslowakei. Danach kommen die sudetendeutschen Gebiete an Deutschland, die Slowakei und Karpatho-Russland sollen zwischen Ungarn und Polen aufgeteilt werden. Polen hat die Annexion Österreichs durch das Reich bereits anerkannt. Der Vorstoß Bethlens gegen Gömbös ist ein abgekartetes Spiel, um die Reise Gömbös’ nach Warschau zu rechtfertigen, wo die Vorbesprechungen mit Ungarn eingeleitet werden sollen. Vorläufig bereitet Polen Provokationen in Litauen (Schließung der litauischen Schulen im Wilna-Gebiet) und Deutschland solche im Memelland vor. Im Falle eines Krieges Sowjetrussland-Japan wollen Polen und Deutschland offensiv eingreifen, Polen in Richtung Kiew, Deutschland in Richtung Leningrad.“ Diese Nachricht gab Muff bereits am 1.11.1934 an das Wehrmachtsamt (Gm. Reichenau) weiter, die Abteilungen Ausland/Abwehr und die Abt. Landesverteidigung sowie das Truppenamt (Generalstab) erfuhren davon. Der Akt wurde auch Min. Blomberg persönlich vorgelegt. Er liegt jetzt in  : BA/MA, RW 5 (31.10.1934). 114 Gerhard Artl, Zur Tätigkeit des deutschen Militärattachés in Wien General Wolfgang Muff (1933– 1938), in  : MÖStA, 47/1999, S. 197–247. Hitler hatte für die NSDAP einen Landesinspekteur eingesetzt und man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass vom Reichswehrministerium in der Person Muffs eine Art Inspekteur für das Bundesheer eingesetzt wurde, so verhielt sich Muff nach kurzer „Zurückhaltung“ am Beginn seiner Wiener Dienstzeit. Er knüpfte hinter dem Rücken des Heeres- bzw. des Verteidigungsministeriums Kontakte zu allen möglichen Persönlichkeiten des Bundesheeres, hatte zumindest bei der 6. Brigade Zuträger und Kontakte zu mehreren Offizieren im Ministerium, die weit über eine übliche und erlaubte Einholung von Informationen hinausging. Er war zumindest Mitwisser des Putsches der illegalen SS. Er war ebenso Kommentator der österreichischen Entwicklung wie ein ganz ordinärer Spion. Seine Berichte sind grundsätzlich eine ausgezeichnete Quelle, da er ein guter Beobachter war, auch wenn er Informationen und Gerüchte wiedergab, die nicht nur nicht zutreffend gewesen sind, sondern auch ganz einfach falsch. Siehe auch  : ÖStA/KA, Manuskripte – Allgemeine Reihe, Nr. 125, Hptm. Michael Klaus, Der Deutsche militärische Geheimdienst und seine Tätigkeit gegen Österreich in den Jahren zwischen 1934 und 1938, Masch. Prüfungsarbeit zum 5. Generalstab, Wien 1969, 77 Seiten. 115 ÖStA/KA, sign. B/1465, Nr. 39  : Abschrift eines Berichtes des GM Muff, 9.4.1934.

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aufzubinden, er wolle in Wien nur die Beteiligung der Nationalsozialisten an der Regierung erlangen und diskutierte mit Mussolini ansonsten über die Bekämpfung des Kommunismus.116 Die oberste Führung und Koordination wurde dem Stabschef Habichts, dem ehemaligen bayerischen Offizier und späteren Geschäftsmann Weydenhammer, übertragen. Viele Einzelheiten des Eindringens ins Kanzleramt planten die beiden SS-Führer Otto Gustav Wächter und Fridolin Glass und diese konferierten in Genf und München miteinander. Ein Offizier, der bereits genannte Chiffrier-Spezialist Mjr. Ergerth vom Bundesheer, war bei mehreren Zusammenkünften dabei, einmal in Genf als Begleiter des Obstlt. Sinzinger, Gehilfe der Führung der 1. (burgenländischen) Brigade mit dem Kommando in Wien. Die „Österreichische Legion“ in Bayern hätte dann sogleich helfend einzurücken und die SA sollte in Österreich bereitstehen.117 Zwei Ereignisse verzögerten möglicherweise nicht die Vorbereitungen, müssen aber erwähnt werden. Einmal die große Mordaktion in Deutschland an dem Stabschef der SA und einer großen Anzahl von SA-Führern am 30. Juni 1934, wobei gleichzeitig eine Anzahl von Rivalen und persönlichen Feinden der NSDAP ums Leben gebracht wurden zu nennen ist zum Beispiel der Vorvorgänger Hitlers als Reichskanzler, General Schleicher, aber auch der Generalstaatskommissar Bayerns von 1923, Gustav R. v. Kahr.118 Die zweite Angelegenheit waren die Verhandlungen des aus Deutschland nach Kärnten gekommenen Gauleiters von Kothen mit der Kärntner slowenischen Partei über ein Bündnis gegen eine Aberkennung der nationalsozialistischen Landtagsmandate, das den Slowenen Grenzkorrekturen, wenn auch nicht die Draugrenze bringen sollte. Sie wurden im Juli 1934 nur vertagt, nicht abgebrochen.119 116 Walter Rauscher, Hitler und Mussolini. Macht, Krieg und Terror, Graz/Wien/Köln 2001, S. 211–214. 117 In den Vorerhebungen für einen Kriegsverbrecherprozess gegen den deutschen GM Wolfgang Muff, den deutschen Militärattaché in Wien 1933 bis 1938, vor dem Volksgericht Wien finden sich die beiden von Weydenhammer verfassten Berichte. Sie wurden 1934 bzw. 1939 verfasst und geben Aufschluss über die Organisierung des Putsches. Sie wurden von Dr. Gerhard Artl, ÖStA, für dessen geplante Edition der Muff-Berichte in seinem Aufsatz herangezogen  : Der Herausgeber dankt Dr. Artl wie so oft für die Übermittlung von Kopien aus  : Archiv des Landesgerichts Wien, Vg 6289/48. Das Werk  : Die Erhebung der österreichischen Nationalsozialisten im Juli 1934 (Akten der Historischen Kommission des Reichsführers SS) Prag 1985, wurde dafür nicht verwendet. 118 Eleanor Hancock, Ernst Röhm. Hitler’s Chief of Staff, New York, 2008. Siehe auch, Heinz Höhne, Mordsache Röhm, Serie in  : Der Spiegel, Jg. 1984, Nr. 23, 24, 25, 26  ; Heinrich Bennecke, Die Reichswehr und der „Röhm-Putsch“ (= Beiheft 2 der Zweimonatsschrift Politische Studien), München/Wien 1964, Kapitel 6: Die Reichswehr bereitet Hitlers Engreifen gegen die SA vor, S. 45 ff. 119 Erwin Steinböck, Die Verhandlungen zwischen den Nationalsozialisten und jugoslawischen Stellen vor dem Juliputsch, Österreich in Geschichte und Literatur, 12. Jg./1968, S.  533–538. Eine weitere Quelle für jene Verhandlungen sind die Memoiren des Mjr.i.G. Rodler. Der Tiroler Heimwehr boten

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Die Reichswehr hatte die Niederschlagung des sogenannten Röhm-Putsches, in Wirklichkeit eine blutige Intrige der SS, unterstützt, der Chef des Ministeramtes des Reichswehrministeriums, GM v. Reichenau – er hatte für die Bewaffnung der SS und anderes mehr gesorgt – war ein tätiger Mitwisser. Auch bei der letzten Unterredung vor dem Putschversuch in Österreich war er anwesend und nahm zur Kenntnis, dass es eine Erhebung des Bundesheeres gegen die Regierung und deren Bündnis mit der nicht-patriotischen Heimwehr geben sollte.120 Die Gefangennahme des Ministerrates am 25. 7. 1934 schlug fehl, doch Dollfuß fiel zwei Schüssen der Putschisten zum Opfer, der Bundespräsident konnte ebenfalls nicht an seinem Urlaubsort gefangen genommen werden.121 Heer und die Alarmabteilung der Wiener Polizei blieben passiv, hielten sich angeblich nur bereit  : Der Ministerrat war nach einer Warnung auseinandergegangen. Noch am Nachmittag jenes Tages, als die Putschisten im Bundeskanzleramt erst eingeschlossen, aber noch nicht zur Aufgabe gezwungen waren, war der Wiener Heimwehrführer und Innenminister ohne Sicherheitsressort, Fey, nach Verhandlungen mit Weydenhammer für eine Regierung Fey-Rintelen bereit gewesen.122 Der Bundesführer-Stellvertreter des Heimatschutzes, Justizminister Egon Berger Waldenegg, ordnete in Vertretung Starhembergs, der sich in Rom befand, die Generalmobilmachung der „österreichischen“ Heimwehr und einen Marsch der Niederösterreichischen Heimwehr nach Wien an.123 Der Staatssekretär für Landesverteidigung, Generalmajor Zehner, holte die Wiener Garnison von einer Übung im Brucker Lager zurück.124 Die Reichswehrführung sorgte in erster Linie dafür, dass die Österreiin zeitlich fast überlappenden Verhandlungen die Slowenen militärische Unterstützung in der SüdtirolFrage an. 120 Hans Werner Scheidl, Ein Putsch statt Hanteln, Reck und Barren, 25. Juni 1934. Vor 75 Jahren probten Österreichs Nazis die Machtübernahme – Kanzler Dollfuß starb als Märtyrer, in  : Die Presse, 25.7.2009, S. 28. 121 Sven Felix Kellerhoff, Schüsse am Ballhausplatz. Der Putsch gegen Österreichs Kanzler Dollfuß 1934, in  : Alexander Demandt (Hg.), Das Attentat in der Geschichte, Köln/Weimar/Wien 1996, S. 345–360  ; Gordon Shepherd, Engelbert Dollfuß, Graz/Wien/Köln 1962. 122 ÖStA/KA, sign. B/844, Nr. 34, Interview Heydendorff durch Dr. Isabella Ackerl, 1934 als Obstlt. i. G. a. D. Regimentskommandant im Militärassistenzkorps, später 1937 Obstlt. i. d. Evidenz des Bundesheeres. 123 Georg Christoph Berger-Waldenegg (Red.)  : Egon und Heinrich Berger-Waldenegg, Biographie im Spiegel. Die Memoiren zweier Generationen, Wien/Köln/Weimar 1998. 124 Zur Teilnahme und Mitwisserschaft der aktiven Generalstabsoffiziere und der ehemaligen k. u. k. Generalstabsoffiziere ist aufgrund der Weydenhammer-Berichte und aufgrund des Gauaktes Jäger zu sagen  : Bei der Vorbereitung des Putsches arbeiteten Obstlt. Sinzinger und Mjr. Ergerth mit und dürften das Mitwirken des Bundesheeres versprochen haben. In der Nacht vor dem Putsch traf Weydenhammer im „Hafen Klosterneuburg“ drei Personen, von denen er Sinzinger und Obstlt. de Angelis

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erkannte. Es wurde ausgemacht, dass sich diese Offiziere ab 16 Uhr im Stadtkommando bereithalten würden – der Erfolg der Gefangennahme der Regierung stillschweigend vorausgesetzt. In den Berichten Weydenhammers kommt die Versicherung vor, GM Brantner, der Präsidialchef des Ministeriums, sei informiert worden. An anderer Stelle des Berichtes steht  : „… kommt als Heeresminister in Frage.“ Wie wir aus einer Zeugenaussage des damaligen Militärakademikers Helmut Krauhs, des späteren sehr bekannten Figurenbildners, wissen, der damals mit seinen Kameraden bei einer Übung der Wiener Garnison im Brucker Lager in der Offiziersausbildung war, sei seine Einheit an jenem Vormittag alarmiert und in die Stiftkaserne transportiert worden Wie sich später herausstellte, wurden die Offiziersschüler in jene Turnhalle gebracht, die wenige Zeit vor ihrem Eintreffen, den Putschisten der SS als Versammlungsort für ihre Fahrt ins Bundeskanzleramt gedient hätte. Dort hätten sie gewartet, hätten im Hof der Stiftkaserne Offiziere mit Hakenkreuz-Armbinden gesehen, seien aber dann am Nachmittag mit Militärtransporten wieder fortgebracht worden. (Krauhs war im Zweiten Weltkrieg Hauptmann). Eine andere Ausführung ergänzt diese Mitteilungen aus dem Weydenhammer-Bericht  : Danach hätte ein Offizier des Bundesheeres, Emil Jäger, der zeitweise auch Untergebener Jansas bei der Brigade war, eine „S. [Spezial]“-Gruppe der SA innerhalb der 5. und der 6. Brigade gebildet. Das Leben und Wirken des Emil Jäger, Offizier der k. u. k. Armee, des Bundesheeres und des Deutschen Heeres bis zu seinem Tode (zuletzt Inselkommandant von Korfu) hat Roman Eccher vom Österreichischen Staatsarchiv/Archiv der Republik in seiner Diplomarbeit zum Mag. phil. erforscht  : „Die SA-Brigade Jäger“. Gemäß dieser Forschungsarbeit wären in jener S-Gruppe u.a. die öst. Generäle Mauritz Wiktorin und Konrad Thomas, die Offiziere Karl Hegedüs (später GM der Deutschen Wehrmacht), Josef Magoy, Johann Mudrich, Johann Paris, Alexander Petrini, Rudolf Prochaska, Kamillo Ruggera und Anton Vinek gewesen. Daneben aber auch ehemalige oder auch damals aktive Berufsoffiziere und zugleich Angehörigen des Kriegsarchivs, darunter Ernst Wisshaupt. Gemäß dem sogenannten Gauakt Jäger kann noch das Folgende festgestellt werden  : Der Akt enthält auch einen Tätigkeitsbericht, den Eccher für seine Arbeit herangezogen hat. In diesem behauptete Jäger, er hätte mit dem späteren SA-Brigadeführer und damaligen Kriegsarchivdirektor Edmund Glaise-Horstenau und seinem Stellvertreter Rudolf Kiszling Kontakt gehabt, die beide erlaubt und ermöglicht hätten, dass Akten jener S-Gruppe im Kriegsarchiv aufbewahrt werden könnten. Am 23. Juli 1934 hätte im Amtszimmer des damaligen ins Kriegsarchiv für wissenschaftliche Arbeiten kommandierten Mjr. Prohaska, wo „der Putsch erläutert und auch daselbst ein Teil der Pistolen und Munition versteckt gehalten worden war … Wichtiges illegales Aktenmaterial konnten wir außerdem Pg. Staatsarchivar Dr. Taras von Borodajkewycz … zur Verwahrung in den Geschoßen des Haus-, Hof- und Staatsarchiv anvertrauen. Damit war im Haus des Bundeskanzlers selbst ein sicheres illegales Geheimdepot für die Bewegung errichtet …“ Nach 1945 fiel der Tätigkeitsbericht Jäger, anscheinend nicht der Gauakt, dem GMd.R. Ronge in die Hände. Er hat diesen maschinschriftlich vervielfältigten Tätigkeitsbericht Alfred Jansa vorgelegt und dieser hat ihn für Ronge kommentiert. Frau HR. Jansa hat dieses Dokument dem Herausgeber der Memoiren zur Verfügung gestellt. Auch Mag. Eccher hat in das Dokument Einsicht genommen. Ein weiteres Exemplar jenes Tätigkeitsberichts erhielt der Hausgeber bereits vor vielen Jahren für den Nachlass des oben genannten Offiziers Prochazka-Czech-Czechenherz von dessen Witwe. Insgesamt wird man feststellen können, dass auch gemäß der sogenannten Eferdinger Liste der Nationalsozialistischen Betriebsorganisation des Bundesheeres die drei an erster Stelle genannten Offiziere Angelis, Sinzinger und Ergert am 25. Juli 1934 sich abwartend verhalten und Versprechungen gegeben haben. Die Einheit, die in die Stiftkaserne transportiert worden ist, kann von Angelis unter irgendeinem Vorwand abgezweigt worden sein, da sich dieser damals im Stab der 1. (burgenländischen) Brigade befand. Laut Angaben in seinem Gauakt hätte er sich am 25. Juli in

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chische Legion, von einer Ausnahme in Oberösterreich abgesehen, nicht die Grenze überschreiten konnte und auch nicht Waffen aus Beständen der Reichswehr erhielt, wie offenbar geplant und zugesagt war. Die italienische Armee war mit den ersten Schnellen Truppen am Brenner aufmarschiert und zur Intervention bereit, welche von der Reichswehr befürchtet, aber noch knapp abgewendet werden konnte.125 Der neue Staatssekretär, der ehemalige Kommandant der Linzer Brigade GM Zehner, saß einem Militärgerichtshof vor, das elf standgerichtliche Todesurteile aussprach, die vollstreckt wurden. Wieder konnten das Heer und die Exekutive, verstärkt durch Assistenz-und Schutzkorps den Aufstand, nach schweren Kämpfen vor allem in Kärnten bis 30. Juli niederschlagen, etwa 2.000 Aufständische flohen nach Jugoslawien.126 Beide Male, insbesondere im Juli, hat der rasche und blutige Einsatz des Heeres und der Exekutive verhindert, dass Italien, Ungarn und in der Folge zumindest die Kleine Entente zum Schutz, zum Kampf, zur der Nähe des Bundeskanzleramtes, bewaffnet mit einer Pistole, aufgehalten. Er war später Ringführer des Nationalsozialistischen Soldatenringes. Adolf Sinzinger befand sich 1938 im Kommando der 4. (Linzer) Division und hat nach Angaben des Divisionärs (Manuskript im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes) um den 11. März 1938 dort versucht, das Kommando zu übernehmen. Über diese Offiziere sowie auch über die Generäle des Deutschen Heeres Wiktorin, und Ringel siehe das Kapitel 5 von Stein, Österreichs Generale im Deutschen Heer 1938–1945, Bissendorf 2002. Eine weitere, nicht ganz zuverlässige Quelle (Dr. Gerhard Hermann †, Verbindung Aargau im Wiener Cartellverband Katholischer Hochschulstudenten, Die von Hitler befohlene Ermordung von Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß F-B, Franco-Bayern-Briefe Jänner 2001) habe von einem der Söhne des Bundespräsidenten Miklas eine Aussage erhalten  : Miklas hätte an der Universität sehr früh erfahren, dass sich am Ballhausplatz gerade etwas Merkwürdiges ereigne. Er sei hingeeilt und habe die Polizei beobachtet, wie diese dabei gewesen sei, das Bundeskanzleramt abzuriegeln. Wie Miklas beobachtete, hätte sich auf einmal die Eingangstür des Haus-, Hof- und Staatsarchivs geöffnet und der Miklas wohlbekannte Glaise-Horstenau sei mit dem Legationsrat der Deutschen Botschaft Altenburger sowie zwei weiteren Persönlichkeiten, an deren Stiefel Miklas SS-Angehörige zu erkennen glaubte, seien herausgekommen. Altenburger, der Miklas bekannt war, hätte einen Ausweis gezeigt, den die Polizei akzeptiert habe, und die vier Personen seien daraufhin mit einem Auto der Deutschen Gesandtschaft abgefahren. Dazu kann der Herausgeber der vorliegenden Erinnerungen nur noch bekannt geben, dass ihm eine andere Persönlichkeit ebenfalls mitgeteilt habe, er hätte an diesem Tage Glaise-Horstenau im Haus-, Hof- und Staatsarchiv gesehen. Es ergibt sich somit ein Zusammenhang mit den Aufzeichnungen Jägers und mit einem Bericht des Glt. Muff einige Zeit vor dem Putschversuch. In diesem hielt Muff fest, Glaise-Horstenau hätte ihm in einem Zwiegespräch die Meinung mitgeteilt, es müsste ein Militärputsch veranstaltet werden, da es mit den Heimwehren und deren provozierenden Verhalten gegenüber dem Bundesheer nicht so weitergehen könne. 125 Die Reichswehr erhielt laut den Akten fast stündlich Meldungen über die Bewegungen der Italieni­ schen Armee. 126 Wolfgang Etschmann, Die Kämpfe in Österreich im Juli 1934 (= Militärhistorische Schriftenreihe, Heft 50), Wien 1984  ; Gerhard Jagschitz, Der Putsch. Die Nationalsozialisten 1934 in Österreich, Graz/Wien/Köln 1976.

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Besetzung, Aufteilung oder Landnahme einmarschierten. Die Quellen sprechen hier eine ziemlich deutliche Sprache. Nicht der Heimwehrführer und Vizekanzler Ernst Starhemberg, sondern der christlichsoziale Unterrichtsminister Dr. Schuschnigg bildete am 30. Juli seine erste Regierung mit starker Beteiligung der Heimwehr. GM Zehner blieb Staatssekretär für Landesverteidigung. Starhemberg hatte noch ab dem 26. Juli die Geschäfte des Landesverteidigungsministers übernommen und mit Zehner also Heer, Gendarmerie und Heimatschutz koordiniert. Minister aber wurde er nicht, auch Fey wurde dann bei der zweiten Regierungsbildung Schuschniggs auf einen unwichtigen Posten abgeschoben. Es oblag dem Militärattaché Jansa und dem Gesandten Tauschitz, in Berlin nicht nur zu protestieren, sondern – im Fall Jansas – die Auflösung des ­sogenannten „Kampfringes“ nationalsozialistischer Österreicher in Deutschland und der „Österreichischen Legion“ zu verlangen. Die Reichswehr – und insbesondere General Reichenau – leugneten jede vergangene und zukünftige Ausbildung der Legion durch das Heer. Die für Militärattachés zuständigen Offiziere hatten aber schließlich doch den Auftrag zu erklären, dass die Legion in Norddeutschland für landwirtschaftliche Arbeiten verwendet werden würde. Nicht durch Reichenau, sondern durch den damaligen Chef der Abteilung „Fremde Heere“, General Karl Heinrich von Stülpnagel – übrigens später in der Offiziersopposition des 20. Juli 1944 –, konnte dem Reichswehrminister ein gewisses Einvernehmen mit Jansa nahegebracht werden.127 Auch das Auswärtige Amt trug dazu bei. Die dritte Krise dieses Jahres, die durch den Königsmord von Marseille am 9. 10. 1934 ausgelöst wurde und zu höchster Kriegsgefahr in Österreichs Nachbarschaft führte, dürfte schon laufende Verhandlungen zwischen Italien, Österreich und Ungarn beschleunigt und zum Abschluss gebracht haben.128 Das Attentat, bei dem auch der 127 Alle Akten in BA/MA, RW 5/420, RW 5/421. 128 Wir kennen dieses Abkommen gemäß den Forschungen von Helmut Pirkl, Anhangband zur Dissertationsarbeit am Institut für Zeitgeschichte/Wien über das Thema „Militärische Abwehrmaßnahmen Österreichs gegen den Anschluß an das Deutsche Reich von 1933 bis 1938“, Wien 1978/79, S. 136 f. Inhaltlich genauer bekannt sind nur  : „Richtlinien für die Ausarbeitung eines Referats über die außenpolitischen und militärischen Grundlagen des am 11. November 1934 zwischen dem Königreich Italien, dem Bundesstaat Österreich und dem Königreich Ungarn geschlossenen Geheimabkommen“, Wien 8.1.1935. Diese Richtlinien sind in sechs Punkte gegliedert, die in Schlagworten hier wiedergegeben werden  : Politik des gemeinsamen Interesses  ; Sollte Jugoslawien einen Bündnispartner angreifen, so wird ein Oberkommando unter italienischen Vorsitz geschaffen  ; Verpflichtung einer gemeinsamen Vorgangsweise gegenüber Jugoslawien und gegen alle, die sich auf die Seite Jugoslawiens stellen  ; Gemeinsame Leitung der Kriegswirtschaft  ; Gemeinsamer Ausbau und Erneuerung der Kommunikationen (Flugwesen, Schifffahrt, Kfz-Verkehr, Eisenbahn, Funk, Telefon)  ; streng reservat, zur besonderen Verfügung des Staatssekretärs. [Die Dissertation von Pirkl wurde infolge des plötzlichen Todes des

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französische Staatspräsident sowie der Außenminister Frankreichs ums Leben kamen, sollte von den radikalen kroatischen Bekämpfern des jugoslawischen Staates, die sich in Italien für einen Krieg bereithielten und in einem Lager leben konnten, für kriegerische Verwicklungen genutzt werden – wie beim Sarajevoer Attentat. Das Gerücht ging um, dass kroatische Revolutionäre über Österreich in den Rücken einer jugoslawischen Front gegen Italien eingesetzt werden könnten. Außerdem war ihr geistiges Oberhaupt, der k. u. k. Generaloberst i. R. Stefan Sarkotić, österreichisch-ungarischer Gesinnung, ebenso ein weiterer hervorragender Soldat des Ersten Weltkrieges, Obstlt. Stevo Duić.129 Beide lebten in Österreich. Die Attentäter wurden in Ungarn instruiert, soweit dies noch notwendig war, und konnten dort üben. Als ein Ergebnis der Ereignisse wurde am 11. 11. 1934 anlässlich eines Besuches Bundeskanzlers Schuschnigg in Rom ein Geheimabkommen zwischen Italien, Österreich und Ungarn für den Fall eines jugoslawischen Angriffs abgeschlossen und die Bildung eines Oberkommandos festgelegt. Am 17. 11. 1934 wurde dieser Vertrag durch ein Rüstungsabkommen Österreich-Italien ergänzt. In der Folge gewährte Italien, möglicherweise unterstützt durch Frankreich, Öster­ reich Kredite und übernahm insgesamt etwa drei Fünftel der österreichischen Aufrüstung in Form von Sachlieferungen und finanziellen Zuschüssen.130 Zur Durchführung des Mussolini-Laval-Abkommens vom 7. 1. 1935 und der Erklärung von Stresa vom 14. 4. 1935 traf der französische Generalstabschef General Gamelin getrennt mit seinen italienischen und jugoslawischen Amtskollegen zusammen. Bei diesen Treffen wurden einerseits die beiderseitigen Aufmarschpläne und eine Luftunterstützung für ein Vorgehen gegen Deutschland als Folge eines Einfalls in Österreich beraten, die am Rhein und in den Alpen eine Kooperation erbringen sollten. Andererseits wurde der Versuch unternommen, die feindselige Haltung der jugoslawischen politischen und militärischen Führung bei einer Intervention jener Verbündeten in Österreich oder ein jugoslawisches Vordringen im Verein mit deutschen Streitkräften, etwa anlässlich eines Restaurationsversuches, hintanzuhalten.131 Als diese Besprechungen liefen, wurde Autors nicht fertiggestellt. Die Arbeit war in drei Bände gegliedert  : Hauptband  : verschollen  ; 2 Band. Anlageband, 3. Band  : Das Kriegsbild.] 129 Siehe  : Lucian O. Meysels. Morde machen Geschichte. Politische Gewaltakte im 20. Jahrhundert, Wien/München 1985. Dort S. 36–48  : Alexander I. von Jugoslawien (1888–1934)  ; Ernest Bauer, Der letzte Paladin des Reiches. Generaloberst Stefan Freiherr Sarkotić von Lovćen, Graz/Wien/Köln 1988. 130 Zahlenangaben bei Mayer, Wehrpolitik, S. 31 f. 131 BA/MA, RW 5/419, Muff berichtet über einen Aufsatz eines Journalisten vom 9. 6. 1934, es gäbe einen neuen Operationsplan der Kleinen Entente. Er beinhalte  : 1. Hauptstoß der Rumänen und Tschechen auf Budapest  ; 2. Jugoslawien wird seine Grenze mit Freiwilligen decken  ; 3. Es sei fraglich, ob Jugoslawien einen Stoß nach Triest und Görz unternehmen wird, sondern es wird eher die Grenze verteidigen  ; 4. Jedenfalls wird Jugoslawien die Bahnlinie Wien-Marburg zu gewinnen suchen, um eine

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Italiens Intervention in Abessinien bereits vorbereitet. Im Frühjahr 1935 kam der italienische Generalstabschef Roatta nach Salzburg und informierte oder besprach sich mit österreichischen Generalstabsoffizieren132 Mit Jansa  ? Wahrscheinlich noch nicht, doch dürfte dieser früher oder später von Liebitzky informiert worden sein. Spätestens seit einem Besuch des Oberst Basler in Budapest entstand der Entwurf eines Planes „Mit I + U gegen J + ČSR“, der seit Frühjahr 1934 die politisch-militärische Konstellation wiedergab, aber bereits Ende 1935 Schnee von gestern sein sollte.133 IV. Bald nach dem Ende der Interalliierten Militärkontrolle in Deutschland hatte die Reichswehr im Oktober 1934 eine Stärke von 250.000, bis 1938 sollten es 300.000 Mann Aktivstand sein. Hitler wollte ein Offensivheer von 300.000, die Reichswehrführung den langsameren Aufbau eines Defensivheeres. Am 16. 3. 1935 wurde die allgemeine Wehrpflicht verkündet, nun konnte auch an der Ausbildung von Reserven gearbeitet werden. Was Österreich betrifft, so wurde der deutsche Militärattaché mehrmals gedrängt, er möge herausbekommen, ob zwischen Italien, Ungarn und Österreich eine Militärkonvention bestehe. Erst im Frühjahr 1935 kam Muff dahinter. Es kam am 17. 4. 1935 vom Wehrkreis VI München ein „Befehl über den Einsatz und die Kampfführung der 7. Division bei der Grenzsicherung Süd“ für die Sicherungsabschnitte von Lindau bis Passau.134 Ihr folgte aus Berlin im Juli 1935 die Aufmarsch- und Kampfanweisung an das Korpskommando VII für die Südund Ostgrenze, nämlich gegen Österreich und die Tschechoslowakei. Polen würde vorläufig neutral bleiben, als Gegner „können“ Italien, Österreich, die Tschechoslowakei, Polen, Litauen und Lettland in Betracht kommen. Die Tschechoslowakei würde wahrscheinlich erst die Erfolge der Bundesgenossen, vor allem Frankreichs abwarten, bevor es die Grenze überschreite. Was Österreich betrifft, so wurde ein Zusammenarbeit entlang der Südbahnlinie herzustellen  ; 5. Angeblich hätte Jugoslawien erklärt, Italiens Einmarsch nach Nordtirol sei ihm gleichgültig, aber der Einmarsch Italiens nach Kärnten und Osttirol nicht. 132 Diese Information stammt aus dem Werk des Gordon Brook-Shepherd und dürfte wie manche andere auf Information von General Dr. Liebitzky beruhen. 133 Helge Lerider (Hauptmann, Landesverteidigungsakademie, 7. LAVAK-Generalstabskurs), Die operativen Maßnahmen gegen die Nachfolgestaaten der Monarchie von 1918 bis 1938 unter besonderer Berücksichtigung der Ära Jansa, Wien im Mai 1975, Maschinschrift, S. 109–111, 134 ÖStA/KA, E/1794  :10 Kopien von BA/MA, RH 2/32.

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„überfallsartiger Einmarsch in Tirol“ vorgesehen, um den Italienern zuvorzukommen, weiters die Wegnahme von Kufstein, ein Vorstoß auf St. Johann in Tirol sowie von Teilen der Gebirgsbrigade ein Überfall auf die Stadt Salzburg durch Übergang über die Salzach westlich und östlich der Stadt und Vorstoß von Süd nach Nord (beigelegte Geländeskizzen).135 Als dann GM Jansa im Mai 1936 offenbar eine Notmobilmachung zur Probe anordnete und ein baldiges mögliches Eindringen von Panzern annahm, dazu aber auch den Grenzschutz in Kärnten aktivierte, gab es eine aufgeregte deutsche Berichterstattung von Konsulaten in Graz und SA-Sammelstellen nach Deutschland, dies sei ein Ernstfall und Österreich mobilisiere.136 Es ist natürlich möglich, dass dies alles eine Art Vorspiel für das sogenannte Verständigungsabkommen vom Juli 1936 war, das Italien den Österreichern seit Spätsommer 1935 immer dringender empfahl. Die Enttarnung der Wiederaufrüstung Österreichs begann mit der Schaffung des entsprechenden Mobilmachungsrahmens ab 1. 6. 1935, als Jansa aus den sechs Brigaden sieben Divisionen, die achte Brigade und die Schnelle Division, weitere Heerestruppen sowie das Kommando der Luftstreitkräfte bildete. Am 1. 4. 1936 wurde sodann – bei schwachem Protest der Kleinen Entente und im „Windschatten“ der Rheinlandbesetzung – die Bundesdienstpflicht von einem Jahr eingeführt, die dann am 12. 2. 1938 auf 18 Monate verlängert wurde. Im Zuge des Ausbaues erreichte das Bundesheer bis Ende März 1938 einen Ist-Stand von 61.000 Mann mit hohem Ausbildungsniveau. Zu diesem Zeitpunkt war eine Mobilmachungsstärke des Heeres von fast 127.000 Mann vorbereitet. Mittlerweile war es Bundeskanzler Schuschnigg gelungen, die Heimwehren innenpolitisch zurückzudrängen und sie für die Landesverteidigung als Kern einer Miliz heranzuziehen.137 Am 2. 12. 1935 schlossen sich die noch bestehenden Wehrverbände zur „Freiwilligen Miliz – Österreichischer Heimatschutz“ zusammen, und nach Auflösung der einzelnen Wehrverbände am 10. 10. 1936 wurden diese in eine „Frontmiliz“ der Vaterländischen Front überführt. Im Juli 1937 wurde diese als eine Teilstreitmacht, 135 BA/MA, RH 2/16, Kopien im ÖStA/AVA, E/1794, Nr. 19. Der Herausgeber kannte die A ­ kten zunächst aus einem Mikrofilm des Militärarchivs der Nationalen Volksarmee, Potsdam, sign. H 15.7. 01/43, Akten der 7. Division, Gutachten an den Artillerieführer VII GM Halder (was den Überfall auf Salzburg betrifft), Juli/August 1935. 136 BA/MA, RH 2/v. 1733, Zahlreiche Meldungen von V-Männern über öst. Truppenbewegungen ab 28.4.1936 und Rückverlegungen im Mai 1936. Wiedergabe eines Befehls Jansas vom 26.5.1936. 137 Ludwig Jedlicka, Die Auflösung der Wehrverbände und Italien im Jahre 1936, in  : Wissenschaftliche Kommission zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938, (Hg.), Das Juliabkommen von 1936 (= Veröffentlichungen Band 4), Wien 1977, S. 104–118 u. S. 387–392.

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de facto Landwehr, der Bewaffneten Macht eingegliedert. Damit war also endgültig der Weg zur Schaffung einer Miliz mit freiwilligem Kader und unter dem Kommando von zum Teil frühpensionierten Generälen mit aktiven Generalstabsoffizieren in den Kommanden beschritten worden.138 Im Allgemeinen sollte in jedem politischen Bezirk ein Jägermilizbataillon für mobile Verwendung (meist Grenzschutz) und ein Standmilizbataillon für den Raumschutz aufgestellt werden. Daneben gab es noch Sondermilizen. Die Gesamtstärke der Frontmiliz betrug im Jahre 1938 100.935 Mann. Insgesamt sollte um 1939 durch das Heer, die Frontmiliz, die Exekutive (58.000 Mann) sowie zusätzlich mobilisierbare Heeresarbeiter und Rekruten (24.000 Mann) eine Mobilmachungsstärke von 310.000 Mann erreicht werden.139 Die Sperrkommandos der Frontmilz stützten sich im Verein mit der Stellungsartillerie des Heeres auf die seit Oktober 1935 projektierten, im Bau befindlichen und fertiggestellten ständigen Anlagen (befestigte Räume, Straßensperren, Donaubrückenköpfe) und feldmäßige Raumsperren. Sie hatten auch vorbereitete Eisenbahnlinienunterbrechungen zu aktivieren und Verminungen durchzuführen. Die operativen Vorbereitungen für die Verwendung dieser Streitmacht zum Schutz der Grenzen gingen von der Sektion III des Ministeriums aus, deren Leiter, Alfred Jansa, zuletzt Feldmarschalleutnant, mit 1. 4. 1936 zum Chef des Generalstabes der Bewaffneten Macht ernannt wurde. Er hatte die außen- und militärpolitische Konstellation und die neuesten militärtheoretischen Überlegungen des Vorstoßes „schneller Kräfte“, unterstützt durch Luftstreitkräfte, zu bedenken. Er musste also, vor allem in der Aufbauphase des Heeres, gemäß dem ihm vom Bundeskanzler und Verteidigungsminister Schuschnigg erteilten Auftrag durch seine Vorbereitungen eine „Politik der vollzogenen Tatsachen“ zu verhindern trachten. Die Aggression und die Bildung einer „Gegenregierung“ waren und wurden weiterhin ein beliebtes politisches Mittel der Diktatoren.140 138 Lothar Brósch-Fohraheim, Die Österreichische Frontmiliz der Ersten Republik, in  : ÖMZ, Jg. 1988, S. 313–318. 139 Schwere Kritik an der Einsatzbereitschaft der Frontmiliz bei  : Johann Hafner, Feldmarschalleutnant Alfred Jansa Edler von Tannenau, Wiener Dissertation 1990, S. 188 ff. und passim. Johann Hafner übt nicht nur schwere Kritik an der Unfertigkeit des Jansa-Planes, sondern bezweifelt auch grundsätzlich die Durchführbarkeit und die politische Opportunität  : Hafner, Jansa, S. 266 ff. Alle anderen genannten Autoren üben konstruktive Kritik. Es gibt aber niemanden unter den oben genannten Experten, der zwei bis drei Tage militärischen und politischen Widerstand ebenso grundsätzlich für unmöglich gehalten hätte. Dem Seniorstudenten Herrn Dr. Hafner wird man die verzweifelte Stimmung, die 1938 herrschte, sehr zugutehalten müssen. Dem „Großen Rausch“ war er offenbar nicht verfallen. 140 Gerd Kaminski, Der Neutrale als Aggressionsziel. Voraussetzungen und Folgen des Angriffs auf einen dauernd neutralen Staat, demonstriert am Beispiel Belgiens, Verleger, Österreichische Gesellschaft für Politik, Wien um 1972, 152 Seiten.

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Als Schuschnigg im Mai 1935 mit Mussolini die laufende Aufrüstung besprach, hatte der Kanzler zwar auf eine ausdrückliche Anfrage über eine Intervention Italiens erklärt, dass sich die österreichische Bewaffnete Macht gegen die „Österreichische Legion“ und gegen Aufständische selbst helfen würde, allerdings gegen einen Angriff Deutschlands „sich nicht halten könne“. Daher begrüße er einen „Accord“ ItalienJugoslawien, strebe ein Abkommen über gegenseitige militärische Hilfeleistung mit Ungarn an, hoffe aber, dass auch andere europäische Mächte für die Aufrechterhaltung des Status quo eintreten würden und die Pakte „in erster Linie wegen ihrer Präventivwirkung … für Österreich von Bedeutung seien“.141 Da auch Italien wegen seines wachsenden Engagements in Abessinien den Rücken möglichst frei zu haben wünschte, befürwortete es bald den Ausgleich Österreichs mit Deutschland, den Schuschnigg vornehmlich aus innenpolitischen Gründen anstrebte und der durch das Abkommen vom 11.7.1936 zustande gekommen schien. Doch auch Hitler hatte bei den Vorberatungen zu diesem Vertrag gegenüber Papen erklärt, es bestehe die Gefahr, dass die österreichische Armee „ein Stützpunkt kommender Verschweizerung“ werden könnte. Gerade dies aber strebte die Regierung an – eine Friedens- und Neutralitätspolitik. Mussolini aber, als er sich in Abessinien dann gemeinsam mit Hitler in Spanien engagierte, meinte gegenüber dem Militärattaché Österreichs, Dr. Liebitzky, Österreich möge weiter rüsten und „Politik machen“. Er verstand darunter sehr früh  : mit den Wölfen (Deutschland und Ungarn) heulen, wobei er offensichtlich zunächst an seine guten Dienste dachte, damit er nicht Deutschland als Grenznachbarn gewinne. Noch Ende August 1935, bei den Manövern in Südtirol, bei denen Jansa und Liebitzky dabei waren, hatte Mussolini mit dem italienischen König die „Wacht am Brenner“ demonstriert. In dieser Phase setzen die Planungen für die Fälle D(eutsches) R(eich) einerseits und dann T(schechoslowakei) + J(ugoslawien) andererseits ein, für die bis 1938 Mobilisierungs- und Aufmarschpläne vorbereitet bzw. fertiggestellt wurden.142 Sie sahen in dem einen Fall den Kampf an der oberösterreichischen und salzburgischen Grenze zur Ermöglichung eines Aufmarsches an der Traun, dortigen nachhaltigen

141 Institut für Zeitgeschichte, München, Mikrofilmsammlung, T-120/1448/568076 ff. Aufzeichnung über die Unterredung Schuschniggs mit Mussolini, Rom, 11.5.1935. 142 Peter Broucek, Die militärpolitische Situation Österreichs 1938 und die Entstehung der Pläne zur Landesverteidigung, in  : Wissenschaftliche Kommission…(Hg.), Anschluß 1938 (= Veröffentlichungen Bd. 7), Wien 1981, S. 135–163, 344–367  ; Muff meldete 1937 Probemobilisierungen bei der 4. Linzer Division, die ja auch in beiden „Fällen“ an die deutsche Grenze zu gehen bzw. den Linzer Brückenkopf Richtung Norden zu verteidigen gehabt hätte.

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Widerstand und dann das Ausweichen auf die Linie Enns-Aist vor.143 Wie im Jahr 1936 besprochen, sollten fünf italienische Divisionen über den Brenner, das Pustertal und das Kanaltal, also über Kärnten und Tirol, den Österreichern zu Hilfe kommen. Ebenso hätten zunächst ungarische Streitkräfte bei einem Vorstoß von Truppen der Österreich benachbarten Staaten der Kleinen Entente Hilfe zu gewähren. Dabei würden die Österreicher vorerst versuchen, durch einen Verzögerungskampf nördlich der Donau und südlich des Semmerings sowie durch eine Abriegelung des Engerauer Brückenkopfes bei Hainburg eine Vereinigung tschechoslowakischer und jugoslawischer Angreifer im ersten Anlauf zu verhindern. Die Pläne waren realistisch, solange mit Recht eine Bindung ansehnlicher Kräfte der potentiellen Gegner an anderen Fronten angenommen werden durfte. Ihre Problematik lag auf militärischem Gebiet in dem geringen Luftschutz-, insbesondere beim Aufmarsch „DR“-, der kargen Munitionsausstattung eines Teils der Frontmiliz sowie der vorläufig für den Verzögerungskampf noch zu geringen Beweglichkeit der Truppen. Eine besondere Achillesferse bildete jedoch die Dauer des Aufmarsches von fünf Tagen, der nur durch die 4. Division und dann möglichst bald die „Schnelle Division“ gedeckt werden konnte. Es fehlte zunächst auch an Rahmenübungen und Manövern zwecks Übung einer Zusammenarbeit zwischen Bundesheer, Exekutive und Frontmiliz, wobei Letztere von den anderen Teilen der bewaffneten Macht bezüglich der Kampfkraft noch recht abschätzig und als unzuverlässig betrachtet wurde. Vor allem aber bereitete der Mangel an Munition Kopfzerbrechen. Auf der lokalen Ebene in Linz wurde allerdings gegen Ende 1937 von Angehörigen des NS-Soldatenringes begonnen, einen Aufstand einzelner Truppenkörper – angeblich nur für den Fall eines Restaurationsversuches – in Zusammenarbeit mit der NSDAP-Landesleitung vorzubereiten und dafür einen Kontakt zur Abwehrabteilung des Reichswehrministeriums herzustellen.144 Die Bedrohung von der Seite der Kleinen Entente trat nur noch einmal auf, als am 13. Juli die Abänderung der Ausnahmegesetze gegen das Haus Habsburg 143 Wolfgang Etschmann, Österreich – Die Erste Republik. Zur wehrpolitischen Entwicklung, in  : ÖMZ, Jg. 1988, S. 121–129  ; Hubertus Trauttenberg, Die Abwehrvorbereitungen gegen einen deutschen Angriff im Bereich der 4. Division zwischen 1936 und 1938, ebendort, S. 130–138  ; Wilfried Aichinger, Österreichs wehrpolitische Lage in der Zwischenkriegszeit, ÖMZ, Jg. 1985, S.  112–121  ; Bruno W. Koppensteiner, Der Fall „DR“ (Deutsches Reich). Verteidigungs- und Sperrvorbereitungen in Salzburg, Tirol und Vorarlberg 1935 bis 1938 („Jansa-Plan“), in: Pallasch, Heft 2009/März 2009, S. 133– 150. 144 Deutsches Zentralarchiv, Persönliche Akten des Reichsaußenministers Neurath, Aktennotiz des Chefs der Abwehr (Canaris, Berlin 22.11.1937)  ; Dokumentationsarchiv des öst. Widerstandes, sign. 5150, Foto eines Aktenvermerks über Besprechung Leiter Abwehr-Leiter Ausland, Berlin, 2.2.1938.

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durchgeführt wurde.145 Sie betraf die Außerkraftsetzung der Landesverweisung und eine vorläufige Teilrückgabe des habsburgischen Privatvermögens.146 FM Erzherzog Eugen kam damals nach Österreich und der Bruder Erzherzog Ottos, Felix, besuchte ab Herbst 1937 die Theresianische Militärakademie. Mehr geschah vorläufig nicht. Vielmehr protestierte der Thronprätendent heftig gegen das sogenannte „Verständigungsabkommen“ zwischen Österreich und Deutschland am 11. Juli 1936. Beim ersten Besuch des neuen italienischen Außenministers Graf Ciano, das der Verständigung über die Hilfe für General Franco im Spanischen Bürgerkrieg galt, äußerste jener die „Genugtuung“ Italiens über jenes Abkommen. Am 1. November 145 Auszüge aus  : Emilio Vasari, Dr. Otto Habsburg oder die Leidenschaft für Politik, 191 f. Schuschnigg und Starhemberg waren Monarchisten und Legitimisten. Schuschnigg kam mit Erzherzog Otto viermal zusammen, zuletzt im November 1937 in der Schweiz, im Kloster Einsiedeln, wobei Schuschnigg in Begleitung des damaligen Staatssekretärs im Bundeskanzleramt/Auswärtige Angelegenheiten auftrat. „Nachdem Otto und der Bundeskanzler festgestellt hatten, daß die Lage besorgniserregend sei, fragte Otto ohne Umschweife, ob Schuschnigg sich darauf vorbereitet habe, im Falle eines deutschen Angriffs bewaffneten Widerstand zu leisten. Der Bundeskanzler gab eine ausweichende Antwort. Er ließ erkennen, daß er sich selber nicht im Klaren sei, ob er im gegebenen Fall mobilisieren werde. Er hoffte, wenn er nur Zeit gewinnen konnte, daß Italien sich eines Tages mit den westlichen Demokratien versöhnen und Mussolini dann nicht mehr auf Hitler angewiesen sein werde. Doch gab Schuschnigg auch zu, daß Italien sich im Lauf des vergangenen Jahres als Schutzmacht enttäuschend verhalten habe. Otto wiederholte, daß man sich in um so stärkerem Maß auf Frankreich stützen müsse, als der französische Generalstab in den vergangenen Monaten wiederholt seine Entschlossenheit bekundet habe, im Falle eines Angriffs auf Österreich Hitler mit Waffengewalt zu antworten. Schuschnigg blieb ablehnend und sagte, er glaube nicht, daß mit Frankreich ,etwas anzufangen‘ sei. Im weiteren Verlauf des Gesprächs versuchte er darzulegen, daß der innen- und außenpolitische Weg Österreichs kein anderer hätte sein können als jener, den er, Schuschnigg beschritten habe. In der gegebenen Situation sei dies die einzig mögliche Politik, alle anderen Lösungen würden zur Katastrophe führen. Er sei immer noch der Meinung, daß man sich mit Hitler einigen könne, man könne immer noch ein Abkommen treffen, das Hitler respektieren werde.“ Später bezeichnete Dr. Otto Habsburg Schuschnigg als einen Phantas­ ten, der das Heilige Römische Reich wiederherstellen wollte. S.193  : Schuschnigg selbst bezeichnete die Restauration im Jänner 1938 als eine „verrückte und selbstmörderische Idee. Doch fügte er alsbald hinzu  : ‚Wir haben das Ideal der Restauration nicht aufgegeben und behalten diese Möglichkeit als letzten Trumpf.‘“ 146 Dazu Lucian O. Meysels, Der Austrofaschismus. Das Ende der ersten Republik und ihr letzter Kanzler, Wien/München 1992, S.  134  : Am 11. September 1935 trafen die Außenminister Jugoslawiens, der Tschechoslowakei und Rumäniens im slowenischen Kurort Bled zusammen und verabschiedeten eine Resolution, die Hitler selbst nicht besser hätte formulieren können. Sie drohten allen Ernstes, einer Restauration in Österreich „mit allen Mitteln“ entgegentreten zu wollen. Nun könnte man darüber streiten, ob das österreichische System vulgo Austrofaschismus zu jenem Zeitpunkt noch zu retten war. Kein Zweifel besteht jedoch an der Tatsache, daß sich die Länder der Kleinen Entente ihr Grab selber schaufelten. Es ist nachweisbar, dass damals die Generalstabschefs der Länder der Kleinen Entente ihre Aufmarschpläne neuerlich aufeinander abstimmten, auch revidierten.

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1936 sprach Mussolini in einer öffentlichen Rede erstmals von einer „Achse Berlin– Rom“.147 Wir kennen einfach nicht die militärischen Bedingungen, die in jenem „Juli-Abkommen“ vereinbart worden sind. Möglicherweise ist dies wieder einmal nur mündlich geschehen. Der deutsche Generalstab, wie sich aus einer Anfrage an Muff entnehmen lässt. zeigte sich befriedigt, dass es in der Folge des Abkommens zu einer Zusammenarbeit mit Österreich auf dem Gebiet des militärischen Nachrichtendienstes gegen die Tschechoslowakei gekommen sei. Der Generalstab wollte aber nunmehr wissen, wie sich Österreich zu einem militärischen Unternehmen gegen die Tschechoslowakei

147 Der Journalist und Historiker Heinz Höhne schreibt in seinem Werk „Gebt mir vier Jahre Zeit“. Hitler und die Anfänge des Dritten Reiches, Berlin/Frankfurt am Main 1996, S. 451 f  : „Gravierender war freilich, was in einem Zusatzabkommen stand, das auf Verlangen des Bundeskanzlers Kurt von Schuschnigg … geheim blieb  : Abbruch des deutschen Wirtschaftskrieges gegen Österreich, Einstellung der nationalsozialistischen Propaganda auf österreichischer Seite, ‚Bedachtnahme‘ der Wiener Außenpolitik ‚auf die friedlichen Bestrebungen der Außenpolitik der deutschen Reichsregierung‘, Amnestie für österreichische Nazis mit Ausnahme ‚schwerer Fälle‘. Das war ein so massiver Einbruch in die österreichische Souveränität, daß Schuschnigg schon von einem ‚wirtschaftlichen Anschluß an das Reich‘ sprach. Die ökonomische Lage Österreichs ließ ihm kaum einen anderen Ausweg. Der schikanöse Wirtschaftskrieg des Reiches hatte nicht nur die österreichische Fremdenverkehrsindustrie nahezu ruiniert, sondern sie behinderte auch jeden Versuch der Alpenrepublik, aus der Depression herauszukommen. Da hatte es kaum noch des Drängens Mussolinis bedurft, Österreich müsse unbedingt versuchen, sich mit dem Reich zu verständigen. Schuschnigg wußte allein, daß ihm keine ernsthafte Alternative blieb, was auch Franz von Papen, Hitlers Botschafter, meinte, der als erster einen Modus vivendi zwischen den beiden Regimen vorgeschlagen hatte. Womit Wien dem Dritten Reich vollends den Weg nach dem Balkon frei machte. Der Julivertrag sicherte Deutschlands wirtschaftlich-politischem Expansionsdrang den Zugang zu einem Aktionsraum, der nun gleichsam in einem geschlossenen Stück von Berlin nach Teheran reichte – ‚erster Schritt zur Gründung eines Mittel- und Südosteuropa umfassenden Wirtschaftsreiches‘, wie ein nationalsozialistisches Wirtschaftsblatt frohlockte. Die Potentaten auf dem Balkan aber wussten nur zu gut, was die Südostpolitik eines zusehends stärker werdenden Deutschen Reiches für sie bedeutete. Fast panikartig pendelten sie sich auf Berlin ein  : Ungarns Reichsverweser Nikolaus von Horthy fuhr auf eigene Faust am 22. August zu Hitler, um ihn für die Unterstützung der ungarischen Revisionspolitik zu gewinnen, während sich Rumäniens König Carol I. eine Woche später seines profranzösischen Außenministers Nicolae Titulescu entledigte, des führenden Kopfs der Kleinen Entente, der nun als ‚Belastung‘ für das Techtelmechtel mit Berlin galt. Als jedoch Horthy seinem unfreiwilligen Gastgeber in Berchtesgaden gleich ein fertiges Aktionsprogramm vorlegte, darunter auch ein gemeinsamer Krieg gegen die Tschechoslowakei, letzte Hochburg des Antirevisionismus in Osteuropa, wich Hitler ins Unverbindliche aus. Ein konkretes Handlungskonzept besaß er noch nicht. Zudem war sein Blick auf Rußland gerichtet – Südosteuropa lag nur am Rande von Hitlers außenpolitischer Vorstellungswelt. Es war auch ‚nie Hitlers Methode, die Initiative zu ergreifen … Schon Papens Drängen zu dem Arrangement mit Schuschnigg war ihm wider den Strich gegangen, und noch am Tag der Vertragsunterzeichnung hatte er am Telefon seinen ehemaligen Vizekanzler mit Vorwürfen überhäuft  : Papen habe ,ihn verleitet, viel zu weitgehende Konzessionen zu machen.‘“

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stelle.148 Er richtete eine diesbezügliche Anfrage an Muff, dessen Antwort wir nicht kennen. Jansa, an den diese Anfrage de facto gerichtet war, erkannte sogleich, dass sich Österreich nunmehr mit diesem Akt der innen- und außenpolitischen Befriedung in einer aussichtslosen Lage befand. Dies war der Fall, wenn Deutschland die De-factoNeutralität Österreichs, die durch den Vertrag über eine Angleichung an eine friedliche Politik Deutschlands, wie es ja in dem geheimen Gentleman-Agreement zum Juli-Abkommen hieß, nicht zur Kenntnis nehmen würde. Jansa zweifelte nicht daran, dass Hitler und der Generalstab so dachten. Dies zeigten Jansas Unterredungen mit dem französischen Militärattaché nach jenem Abkommen.149 Dazu ein kurzer Rückblick. Die Beziehungen Österreichs zu Frankreich waren seit dem Februar-Putsch, nachdem ein Tiefpunkt erreicht worden war, wieder besser geworden. Frankreich hatte keinen Mitteleuropa-Plan durchbringen können, aber schon der Außenminister Barthou, der Unterredungen mit Dollfuß und bei einer Durchfahrt durch Wien auch mit Schuschnigg hatte, versprach, mit der Kleinen Entente über eine Verbesserung der Beziehungen mit Österreich zu verhandeln, wie dies sowohl Dollfuß als auch Schuschnigg vorgeschlagen hatten. Diesbezüglich lagen sie beide nicht auf der Linie Mussolinis. Barthou wurde ermordet. Doch Laval, sein Nachfolger, nahm Barthous Linie, den Versuch eines Ostpakts, wieder auf, hatte aber ebenso wie bei Rumänien und Polen auch bei Österreich kaum Erfolg Was Österreich betrifft, so noch eher bei Außenminister Berger-Waldenegg, nicht aber bei Jansa. Es war die Aufgabe des Militärattachés Obstlt. Salland, mit dem österreichischen Generalstabschef engere Fühlung zu halten.150 Das Deutsche Reich wäre bei engeren Fühlungnahmen sofort mit der Beschuldigung der Beihilfe zur neuerlichen Einkreisung bei der Hand gewesen. Dass dies reinste Heuchelei war, dazu muss man auch den ersten Plan kennen, der nach der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland (16.3.1935) durchgespielt worden ist. Er hatte die Militärkonventionen, die Frankreich und Tschechoslowakei mit Sowjetrussland abgeschlossen hatte, zur Voraussetzung. 148 Für das Folgende siehe  : Klaus Michaelis, 1938. Krieg gegen die Tschechoslowakei. Der Fall „Grün“, Berlin 2004  ; Peter Broucek, Österreich und Tschechoslowakei. Zur militärischen Nachbarschaft im 20. Jahrhundert bis „Berchtesgaden“ und „München“, in  : derselbe, Militärischer Widerstand … Wien/ Köln/Weimar 2008. 149 BA/MA, RW 2/1054. 150 Georges Castellan, Ein Vorspiel zum Anschluß (1935–1937), nach der Korrespondenz des französischen Militärattachés in Wien Oberst Salland, in  : Gerald Stourzh/Birgitta Zaar (Hg.), Österreich, Deutschland und die Mächte. Internationale und österreichische Aspekte des „Anschlusses vom März 1938, Wien 1990, S. 147–166 u. S. 167–176.

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Dieser Plan nahm einen Angriff von Russland, der Tschechoslowakei und Litauen bei vorläufiger Neutralität Polens und wahrscheinlichem Eingreifen Frankreichs an und wollte die damalige politische Haltung Englands gegenüber dem Deutschen Reich ausnützen.151 Dazu wurde die „Wehrmachtsstudie“ erstellt und 1936/37 durchgespielt. Sie sah eine Teilnahme Österreichs und Ungarns sowie pro forma auch Italiens vor und dazu einen Einmarsch in Österreich sowie eine Kriegsteilnahme Österreichs. Bei der Besprechung des Kriegsspiels meinte das angenommene deutsche Oberkommando, dass es auch ohne Italien ginge. Der österreichische Generalstab hatte eindeutig von diesem Plan keine Ahnung. Jansa war aber auch strikt gegen die Gewährung von Durchmarschrechten, wie er dem französischen Militärattaché unmissverständlich, aber – wie dieser berichtete, fast verzweifelt –, erklärte. Ein militärisches Bündnis mit der Tschechoslowakei kam für Jansa ebenfalls nicht infrage. Er meinte jedoch, dass Österreich der Tschechoslowakei, soweit das Bundesheer dazu in der Lage wäre, ja ebenfalls Schutz gewährte, indem es fest an der Ablehnung des Durchmarsches festhielt und sich dagegen mit der Waffe zur Wehr setzen würde – wie aus dem Memoiren Jansas und dessen Gutachten hervorgeht. Eine besondere Schwierigkeit dabei war auch der polnisch-tschechoslowakische Gegensatz, der noch auf die Zeit von 1918/1919 zurückdatiert, als um das sogenannte Teschener Ländchen zwischen Polen und der Tschechoslowakei eine kurze kriegerische Auseinandersetzung geführt worden ist, und die Russophilie.152 Aber es gab auch Rivalitäten und Animositäten, die sich politisch auswirkten.153 151 Siehe Genaueres bei Peter Broucek, Österreich und Tschechoslowakei. Zur Militärischen Nachbarschaft im 20. Jahrhundert bis „Berchtesgaden“ und „München“, in  : derselbe, Militärischer Widerstand … Wien/Köln/Weimar 2008. 152 Walter Hummelberger, Die Kämpfe in der Slowakei und um Teschen in den Jahren 1918–1919, Arbeitsgemeinschaft Truppendienst (Hg.), Die Nachkriegszeit 1918–1922. Kämpfe, Staaten und Armeen nach dem Ersten Weltkrieg, Wien 1973, S. 82–112, 153 Gabriel Puaux, Mort et Transfiguration de l’Autriche 1933–1955, Paris 1968, S. 139 ff. (Übersetzung Regina Tserbadetjan) : Es gab zwischen Warschau und Prag eine andere permanente Quelle des Missverständnisses  : den Grad des beinahe exklusiven Einflusses, den der tschechoslowakische Staatschef in Paris zu erlangen verstanden hatte. Hingegen fanden die polnischen Machthaber, dass ihr Land, eine Nation von 30 Millionen Einwohnern, ausgestattet mit einer Armee, die sich 1920 bereits bewiesen hatte, für Frankreich den Hauptverbündeten darstellte und dementsprechend zu Rat gezogen und angehört werden sollte  : sobald sich europäische Probleme ergaben. Zur Entlastung von Edvard Beneš kann gesagt werden, dass ein an die Macht gekommener Diktator wie Piłsudski das demokratische tschechische System verachtete, und dass ein so eitler und so unsicherer Außenminister wie Oberst Beck die Reibungsflächen und Konflikte noch verschärfen musste. Angesichts des Scheiterns einer freundschaftlichen tschechisch-polnischen Politik und der daraus folgenden strategischen Isolierung blieb der Tschechoslowakei nur eine Position des Rückzugs gegenüber dem Pangermanismus. Dies war ein Bündnis mit Österreich und Ungarn, die ebenso von der wachsenden Stärke des Dritten Rei-

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Das für Österreich bedeutsamste Ereignis war die Annäherung Mussolinis an Hitler nach der deutschen (Nicht-)Sanktionspolitik im Abessinienkonflikt und dem Zusammengehen in den Fragen des Spanischen Bürgerkrieges. Sie manifestierte sich im Besuch Mussolinis in Deutschland (25. bis 28. 9. 1937). Bei jener Gelegenheit deutete Mussolini an, er wünsche nur eine „formale“ österreichische Unabhängigkeit, „hinter welcher sich das Verhältnis zwischen dem Reich und Österreich sehr eng gestalten könne“.154 Dazu kamen nun eine offizielle franzöches bedroht waren. Diese Lösung wurde ganz bewusst von Edvard Beneš abgewehrt und er spielte damit unbewusst Hitler in die Hände  : Er sah darin einen Schritt in Richtung einer Auferstehung der ihm verhassten Donaumonarchie [Confédération danubienne]. Er wollte immer ignorieren, dass der Vertrag von Saint-Germain im Teil X (Art. 222) die Möglichkeit einer gemeinsamen ökonomischen Politik und eines Zollbündnisses zwischen den Nachfolgestaaten vorsah. Präsident Masaryk hatte in einem Interview vom 13. Februar 1919 betont, dass hier die erste Bedingung für eine politische Konföderation lag, Aber in dieser Frage dachte der Außenminister nicht wie der Staatsschef und es scheint, als hätte Masaryk in diesem Zusammenhang seinen Mitarbeiter nicht beeinflussen können. „Lieber den Anschluss als die Habsburger“, dieser historische Ausspruch lastet schwer auf dem Andenken Edvard Beneš’. Ich habe ihn aus dem Mund des Gesandten der Tschechoslowakei in Wien gehört, des Herrn Zdeněk Fierlinger. Dieser sollte, nachdem er Botschafter in Moskau gewesen war, der Fourier des Kommunismus in seinem Land werden, war aber zu dieser Zeit der Vertraute und einer der intimsten Freunde von Edvard Beneš. Sie besaßen in Tabor aneinandergrenzende Landhäuser und hatten zur selben Zeit die Bäume in ihren Gärten gepflanzt. Ich weiß nicht, ob es der Wahrheit entspricht, wenn erzählt wurde, dass Edvard Beneš vor seinem Tod den Wunsch ausgedrückt hat, er wolle seinen ehemaligen Freund an einem der Äste von dessen Garten hängen sehen, aber zu jener früheren Zeit vertrat Herr Fierlinger exakt die Ansichten und Gedanken seines Chefs. Er hatte in Wien keine andere Sorge, als die Extremisten der sozialistischen Partei zu unterstützen und sie sogar gegen die Dollfuß-Regierung aufzuhetzen. Dadurch fühlten sich diese ermutigt, den Gewaltstreich vom Februar 1934 zu versuchen, nachdem sie über die tschechische Grenze mit Waffen versorgt worden waren. Ihre Chefs, Otto Bauer und Julius Deutsch, die in der Tschechoslowakei Zuflucht gefunden hatten, organisierten fast offiziell in Brünn eine Zentrale des Aufruhrs gegen die Bundesregierung in Wien. Als Hitler den Duce auf die Position eines strahlenden Zweiten reduziert hatte, machte er die Unternehmung nach Wien mit einer Leichtigkeit, die ihn selbst überraschte. Am Tag des deutschen Ultimatums ging ich in Begleitung des polnischen Gesandten an der Gesandtschaft der Tschechoslowakei vorüber und mein Kollege sagte mir  : „Das ist ein Wappen und eine Fahne, die in einem Jahr verschwunden sein werden.“ – „Und danach“, sagte ich, „seid ihr an der Reihe.“ Für die, die in Zentraleuropa die Nachkriegszeit erlebt haben, war es leicht, bei Abstandnahme von jeglicher ideologischen Parteiergreifung, sich eine klare Vorstellung von der zwangsläufigen Abfolge an Fehlern zu machen. Als Herr von Wien konnte Adolf Hitler nunmehr als Herr von Europa sprechen. Für den Westen blieb kein anderes Mittel als die Vorbereitung auf den Krieg. Die einzige Frage, die sich stellte, war, ob man ihn für die Tschechoslowakei oder für Polen würde führen müssen. Die Frist musste je nach dem Tempo der Wiederbewaffnung berechnet werden, aber in Paris und in London lebte man in der Illusion, dass man einen Kampf vermeiden könnte und man verharrte in dieser Hoffnung bis Mai 1940. 154 Deutsches Zentralarchiv, Akten des Auswärtigen Amtes, Pol-Abt. – Italien, Aufzeichnung Ulrich v. Hassels über Unterredungen mit Mussolini, Rom 7.10.1937.

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sische Anfrage, was Österreich bei einer Durchmarschforderung Deutschlands und Italiens zu tun gedenke,155 und zwei drängende ungarische Aufforderungen vonseiten des Reichsverwesers und des Generalstabschefs, an Beratungen mit dem ungarischen und dem deutschen Generalstabschef über ein angriffsweises Vorgehen gegen die Tschechoslowakei teilzunehmen.156 Jansa hatte bei früheren Besprechungen mit Ungarn keinen Zweifel daran gelassen, dass Österreich seine Unabhängigkeit gegenüber allen Seiten und Angriffen verteidigen würde  : Er beantragte nunmehr eine umfassende Aussprache mit der deutschen Heeresleitung, um dieser die Vorteile einer bewaffneten Neutralität Österreichs mithilfe einer intakten Armee darzulegen und gleichzeitig über ihre Haltung gegenüber den Aktivitäten der österreichischen Nationalsozialisten Klarheit zu gewinnen.157 Er glaubte nicht, dass eine österreichische Neutralität respektiert werden würde, um deren Beachtung im vorliegenden Fall militärisch erzwingen zu können. Trotzdem empfahl er, „eine sofortige militärische Bindung zu einem Angriffe auf die Tschechoslowakei wäre unbedingt abzulehnen“, sie wäre „… Selbstmord an der österreichischen Idee und dem Unabhängigkeitsgedanken“. Er hielt Deutschland ebenso wie Ungarn erst in zwei bis drei Jahren für kriegsbereit und empfahl, eine Entscheidung bis dahin hinauszuzögern. Insgesamt täuschte er sich also – trotz aller Erfahrungen – über den überfallsartigen Charakter der von Hitler bereits für 1938 ins Auge gefassten Angriffshandlungen. Er schätzte – was Jansa ehrt – den Einfluss und die Position des deutschen Chefs des Generalstabes des Heeres, den er besonders über die mangelnde Kriegsbereitschaft der Westmächte ansprechen wollte – weniger über die Haltung Italiens, dessen versprochene Geschützlieferungen ab der zweiten Jahreshälfte 1937 ausgeblieben waren.158 Dazu kam noch die Außenpolitik des Staatssekretärs Dr. Guido Schmidt, des einen Garanten des Juliabkommens. Dieser war ein militärischer Ignorant und glaubte eine Politik des „Mit-den-Wölfen-Heulens“ bis zur Wiederaufrüstung Englands führen und durchhalten zu können. Er erklärte bald seinem Pendant in Deutschland, Staatssekretär Weizsäcker, dass er eine möglichst enge Beziehung Österreichs mit dem Deutschen Reich befürworte. Weizsäcker zeigte sich darüber befriedigt, meinte aber, dass dies nicht möglich sei, wenn Männer wie Jansa und Zehner in ihren hohen Äm

155 ÖStA/KA, Bundesheer, Int. Zl.354/Op/37, Amtsvortrag mit Bezug auf die Anfrage des französischen Militärattachés vom 10.11.1937, 25.11.1937. 156 ÖStA/KA, NLS, T-120/1447/568507 f., Bericht des Militärattachés in Budapest, 23.11.1937  ; ebdt. T/120/1447/568510 ff., Bericht des öst. Gesandten Baar-Baarenfels, Budapest, 21.12.1937. 157 ÖStA/KA, NLS, T-129/1448-568095 ff., Referat Jansa für den Bundeskanzler, Wien 16.12.1937. 158 Siehe den Anhang.

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tern blieben. Schmidt kannte die Ansicht Jansas, setzte sich aber über diese hochmütig und hinter Jansas Rücken hinweg.159 Am 5. November 1937 sprach Adolf Hitler in der Berliner Reichskanzlei vor dem Außenminister, dem Kriegsminister und dem Oberbefehlshaber sowie seinem Adjutanten Oberst Hoßbach, welcher das Protokoll führte. Er kündigte die Einverleibung der Tschechei und Österreichs an.160 Hermann Göring hatte bei der in Berlin laufenden Deutschen Jagdausstellung Unterredungen mit dem österreichischen Staatssekretär Schmidt und dem Sicherheitsdirektor für Oberösterreich, Peter (Graf ) Revertera-Salandra. Dieser berichtete an seinen Vorgesetzten, den Staatssekretär für Sicherheit Dr. Skubl und von ihm erhielt auch Gesandter Hornbostel den Text. Auch Schmidt wird Schuschnigg berichtet haben, mit welchen drohenden und witzigen Bemerkungen Göring, der als Beauftragter für den Fünfjahresplan dringend für die Aufrüstung Geld brauchte, vom baldigen Verschwinden Österreichs als souveräner Staat geschwärmt hatte. Auch Lord Halifax, konservativer Politiker, Lordsiegelbewahrer und Vertrauter Premierminister Chamberlains, besuchte um diese Zeit Deutschland und traf Hitler in Berchtesgaden.161 159 Zu Schmidt siehe auch die Memoiren  : Max Löwenthal, Doppeladler und Hakenkreuz. Erlebnisse eines österreichischen Diplomaten, Innsbruck 1985, S. 119 ff. 160 Walter Kleindel, „Gott schütze Österreich  !“ Der Anschluß 1938, Wien 1988, S. 36  ; Alfred Kasamas, Österreich-Chronik, Wien o.J. [1949]  : „Die Einverleibung der Tschechei und Österreichs könne den Gewinn von Nahrungsmitteln für 5 bis 6 Millionen Menschen bedeuten, unter Zugrundelegung, daß eine zwangsweise Emigration aus der Tschechei von zwei, aus Österreich von einer Million Menschen zur Durchführung gelangt. Die Angliederung der beiden Staaten an Deutschland bedeutete militärpolitisch eine wesentliche Entlastung infolge kürzerer, besserer Grenzziehung, Freiwerdens von Streitkräften für andere Zwecke und die Möglichkeit der Neuaufstellung von Truppen bis in der Höhe von etwa zwölf Divisionen.“ Dr. Otto von Habsburg erfuhr von dem Inhalt durch einen ihm zugesandten Boten und gab ihn an den amerikanischen Botschafter in Paris weiter. 161 A. J. P. Taylor, Die Ursprünge des Zweiten Weltkriegs. Die Jahre 1933–1939 (= Heyne – Geschichte 40), München 1961, S. 162 f.: „Am 19. November 1937 traf Halifax mit Hitler in Berchtesgaden zusammen. Bezeichnenderweise war es ein Stegreifbesuch  : offiziell war Halifax in Deutschland, um in Berlin eine Jagdausstellung zu besichtigen. Halifax sagte alles, was Hitler gern hören wollte Er pries NaziDeutschland als ,Europas Bollwerk gegen den Bolschewismus‘. Insbesondere wies er auf bestimmte Fragen hin, wo ,Änderungen … wahrscheinlich früher oder später eintreten würden‘. Als da waren  : Danzig, Österreich und die Tschechoslowakei. England sei ,nur daran interessiert, daß diese Änderungen im Wege friedlicher Evolution zustande gebracht‘ und daß Methoden vermieden würden, die weitergehende Störungen verursachen könnten. Hitler hörte zu und wanderte auf und ab. Er verhielt sich nach seiner üblichen Methode passiv. Er nahm Angebote anderer entgegen und stellte selbst keine Forderungen. Jetzt erhielt er durch Halifaxens eigene Worte die Bestätigung für das, was er vierzehn Tage früher den Generälen gesagt hatte  : England würde die bestehende Regelung in Mitteleuropa nicht zu erhalten suchen. Aber eine Bedingung war angefügt worden  : die Änderungen müßten sich ohne

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Bei Gelegenheit dieser Ausstellung scheint eine Aussprache zwischen Göring und Schmidt vereinbart worden zu sein, die dann, wie ein handschriftlicher Brief Görings erweist, verschoben wurde, aber gegen Jahresende in Karinhall, dem Landsitz Görings, zustande kam. Geplant oder nicht geplant wurde sie zu einer Vorverhandlung für ein Zusammentreffen Hitlers mit dem Bundeskanzler. Denn Göring forderte im Sinne Hitlers den anschlussfreundlichen Innenminister mit Sicherheitsressort (SeyßInquart), den anschlussfreundlichen Verteidigungsminister (Glaise-Horstenau) und einen unpolitischen Generalstabschef. Dafür hatte Muff einen Mitarbeiter Jansas empfohlen, wie ein Bericht erweist und wie wohl auch Canaris inspiriert hatte, nämlich den Chef der Nachrichtenabteilung der Sektion III, GM Böhme. Das Wichtigste war aber wohl die Zulassung der NSDAP und militärisch der Offiziersaustausch und die Befehlsausgabe in Berlin, für die der nicht geschätzte, aber als loyal in jeder Richtung akzeptierte General Zehner gut genug war. Am 14. 2., zwei Tage nach der dann zustande gekommenen Kapitulation Schuschnigg-Schmidt und der mit der Ausnahme Glaise-Horstenaus, der nur Minis­ter ohne Portefeuille ohne Sicherheit blieb, nach Übereinkommen tatsächlich erfolgten Regierungsumbildung, lag für die Generalstabsreise 1938 (27. 4.–10. 5. 1938) eine Ausarbeitung des Oberst i. G. Hauffe von der Kriegsschule Dresden vor  : In dieser Studie erscheint Österreich dem Namen nach nicht.162 Doch der eine Parteikommandant, der einen allgemeinen Krieg vollziehen (,weitergehende Störungen‘). Doch das entsprach genau dem, was Hitler selbst wollte. Halifaxens Bemerkungen luden, falls sie überhaupt einen praktischen Wert hatten, Hitler dazu ein, anzunehmen, daß der deutschen nationalistischen Agitation von außen kein Widerstand entgegengesetzt werden würde. Auch gingen diese Anregungen nicht von Halifax allein aus. In London sagte Eden zu Ribbentrop  : Im Übrigen sehe ,man in England ein, daß eine engere Verbindung zwischen Deutschland und Österreich einmal kommen müsse‘. Dieselben Nachrichten kamen aus Frankreich. Der in Paris zu Besuch weilende Papen ,war erstaunt festzustellen‘, daß Chautemps, der Premierminister, und Bonnet, der spätere Finanzminister, ,eine Neuorientierung der französischen Politik in Zentraleuropa für durchaus diskutabel hielten …‘ Sie hatten ,auch nichts‘ gegen eine auf dem Wege der Evolution zu gewinnende starke Erweiterung des deutschen Einflusses in Österreich einzuwenden, auch nicht in der Tschechoslowakei ,auf Grund einer Umbildung zum Nationalitätenstaat‘. Alle diese Bemerkungen verstärkten Hitlers Überzeugung, daß er von Großbritannien und Frankreich wenig Widerstand zu gewärtigen haben würde. Sie sorgen sich nicht um eine Lösung des praktischen strategischen Problems  : wie man es anfangen sollte, die Ausdehnung der deutschen Macht als das Ergebnis ,vernünftiger Abmachungen, die auf vernünftigem Wege erreicht wurden‘, um mit Halifaxens Worten zu reden, ,erscheinen zu lassen‘. Denn es mochte Deutschland zwar gelingen, die Tschechoslowakei und Österreich zu ­erobern, aber es war nicht so einfach zu erreichen, daß diese beiden Länder Selbstmord begingen, was genau genommen die britischen und französischen Staatsmänner wollten …“ 162 BA/MA, RH 64/28. „Führung des Feldzuges gegen die Tschechoslowakei einschl. Aufmarsch mit kurzer Begründung  : a) Vorbemerkung  : Ein erfolgreicher Angriffsfeldzug gegen die Tschechoslowakei ist nur möglich, wenn man die Haltung Frankreichs, Polens und Ungarns, die raumgreifende Wirkung der Luftwaffen sowie die wechselseitige Abhängigkeit dieser Faktoren voll in Rechnung stellt. Jeder

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für die Generalstabsreise vorgesehen war, General Thomas, nahm in seinem Beitrag vom 15. 2. 1938 bereits an  : Angriffsbeginn 6. 7. 1938. Am … Tag tritt die österreichische Armee in Richtung Brünn mit deutscher Hilfe an.163 Dieses Kriegsspiel wurde dann erst am 30. April fortgesetzt. Jansa blieb bei seiner Linie der Verteidigung der De facto-Neutralität und ließ weiterarbeiten an Grenzbefestigungen und Sperren, nunmehr auch an Eisenbahn-Schienensperren, und Glt. Muff berichtete darüber und protestierte auch dagegen. Anfang Jänner korrespondierte Jansa darüber mit Hornbostel und versicherte ihm, dass er diese Arbeiten nicht einstellen lasse. Im Jänner kam es noch zu einer Besprechung mit dem Generaltruppeninspektor und allen Divisionären, die offenbar die beiden Pläne deutsche Angriff auf die Tschechei bedeutet mit Sicherheit Krieg mit Frankreich  ; und so wird jeder deutsche Feldzug gegen die Tschechoslowakei eine exzentrische Operation. Je mehr diese mit dem Rücken gegen den starken Gegner Frankreich geführt werden muß, umso gefährlicher ist sie für Deutschland. Je länger dieser Stoß dauert, umso größer die Handlungsfreiheit der unzureichend gebundenen Franzosen. Gewiß ist die Haltung Polens auch nicht zu übersehen. Polen ist jedoch – militärisch wie politisch – anders zu werten wie (sic  !) Frankreich. Abgesehen von den zu stellenden – hier nicht zu erörternden – politischen Forderungen ergeben sich folgende grundsätzliche Überlegungen  : Der Angriffsfeldzug muß im Großen innerhalb 3 Wochen nach Kriegsbeginn beendet sein. Nur so lange kann die deutsche Westfront mit ihren schwachen Kräften ihre Abwehraufgabe erfüllen, soll nicht auch die Tschechei ernstlich gefährdet werden. Diese verfügbare kurze Zeitspanne erfordert unverzüglichen Kriegsbeginn und Beschränkung des Zieles  : Wegnahme der Tschechei bis etwa zur March-Oder-Linie und Vernichtung der darin sammelnden Feindkräfte. Ob mit Rücksicht auf Ungarn später weiter nach der Slowakei vorgegangen werden soll und kann, steht zurzeit nicht zur Frage. Auch bei Beschränkung auf die March-Oder-Linie ist darauf zu achten, daß eine unmittelbare Bedrohung (einschl. der rückwärtigen Verbindungen) durch Frankreich vermieden wird … Der Feldzug muß so geführt werden, daß sogleich ein durchschlagender – Ungarn mitreissender und Polen abschreckender – Erfolg erreicht wird. Ein Erfolg, der die tschechischen Verteidigungsabsichten von vornherein und entscheidend zerschlägt. Losschlagen in der Vorhand sowie gemeinsames, auf ein Ziel gerichtetes Handeln von Heer und Luftwaffe sind hierzu vorteilhaft.“ 163 BA/MA, RW 19/243. „Leitung Gm. v. Salmuth. Entschluß und Befehl des OB des Heeres am 2.7. abends  : Infolge des Bündnisses mit Österreich haben sich die Erfolgsaussichten verbessert … Entschluß  : Der bisherige Operationsplan wird durchgeführt … Die durch deutsche Truppen verstärkte österreichische Armee wird in ihn eingegliedert. Vorläufiger Auftrag an österreichische Armee  : Vorläufige Belassung der Sicherung gegen Südslawen und Schutz gegen Preßburg. Durch deutsche Truppen verstärkte österreichische Armee richtet sich darauf ein, am 11.7. vormittags mit Schwerpunkt auf Brünn die tschechischen Befestigungen zu durchstoßen. Österreichischem Heer ist es gelungen, durch Angriff starke Feindkräfte zu binden … (es ist) anzunehmen, daß sie beschleunigt zurückgeführt werden, um an anderer Stelle … OB des Heeres  : Öst. Armee führt Angriff durch, es kommt darauf an, möglichst starke Feindteile zu erreichen und vor den Befestigungen zu vernichten. Öst. Arme hat den erwarteten Angriff erfolgreich aufgefangen … Angriff gegen Linie Laa an de Thaya–Haugsdorf. Erstes Ziel  : Durchstoßung der Befestigungen südwärts Znaim … Öst. Armee führt Angriff ab 6. 7. aus … wird gebeten, auch die Grazer und Klagenfurter Kräfte an die tschechische Grenze zu führen (aufgrund der Neutralitätserklärung Jugoslawiens).“

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zur Landesverteidigung betrafen. Muff bemühte sich um Nachrichten darüber, hat sie aber nicht erhalten. Doch am 18. Jänner teilte Staatssekretär General Zehner dem Chef des Generalstabes mit, dass er aus Altersgründen mit 1. April in den Ruhestand zu treten habe, aber gebeten werde, bis 1. März im Dienst zu bleiben. Jansa schloss seine Arbeiten mit dem Chef der Operationsabteilung GM Basler ab. Generalleutnant Muff hatte den seiner Meinung nach „passenden“ Nachfolger für Jansa längst gefunden und auf ihn hingewiesen. Es war der Chef der Nachrichtenabteilung in der Sektion III, Oberst Böhme. Aus einem Dokument im Schriftennachlass dieses Offiziers wissen wir, dass er sich im Jänner in Berlin bekannt machte oder auch zitiert worden war und danach ab 21. Februar nach Ungarn reiste. Der italienische Militärattaché erfuhr von der Designierung Böhmes zum österreichischen Chef des Generalstabes der Bewaffneten Macht mit 1. April. Jansa wurde von der Reise Schuschniggs zu Hitler und von den Ergebnissen der Besprechungen nicht informiert, trat aber am 16. Februar, also noch früher als geplant, zurück. Der neue Außenminister seit der Kabinettsumbildung vom 15. Februar, Guido Schmidt, gab an das Ministerium, an die Operationsabteilung, Ende Februar den Auftrag für eine „Studie über die Möglichkeit eines Angriffes gegen die Tschechoslowakei“, die der Mobilisierungsreferent der Abteilung, Oblt. Weninger, bis 16. März fertigstellte. Am 17. Februar 1938 richtete Dr. Otto v. Habsburg an Bundeskanzler Dr. Schuschnigg einen schriftlichen Appell, ihm die Regierung in Österreich zu übergeben.164 Schuschnigg lehnte ab. Soviel wir wissen, hatte Dr. Otto v. Habsburg sowohl Kontakt mit dem Bürgermeister von Wien, Richard Schmitz, wegen einer Regierungsbildung aufgenommen als auch anlässlich jenes Briefes Kontakt mit dem letzten gewählten Bürgermeister und Sozialdemokraten, Dr. Karl Seitz. Schmitz soll bereit gewesen sein, eine Regierungsbildung vorzunehmen. In diesem Zusammenhang ist das Ansinnen zu verstehen, das an Jansa in diesen Tagen herangetragen worden ist, nämlich in sein Amt zurückzukehren. Am 11. März wurde der Jahrgang 1915 der Wehrpflichtigen zu einer „Waffenübung“ einberufen und die „Frontmiliz“ war aufgeboten worden. Zum Beginn einer geordneten Mobilisierung kam es nicht und konnte es infolge der Unruhen in Graz, die sich bereits zu einem Aufstand ausgewachsen hatten, nicht kommen.165 Rein militärisch gesehen hatte also die subversive Kriegführung des Chefs der deutschen Si164 Dazu  : Gordon Brook-Shepherd, Otto von Habsburg. Biographie, Graz 2002. 165 Kurt Peball, Die militärische Situation in Wien im März 1938, in  : Felix Czeike (Hg.), Wien 1938 (= Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, Band 2), Wien 1978, S. 50–59.

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cherheitspolizei (SIPO) und Chefs des SD SS-General Reinhard Heydrich Erfolg gehabt. Die offensive Kriegführung des neuen Oberkommandos der Wehrmacht, mit Adolf Hitler an der Spitze, hatte Österreich überwältigt.166 Der Journalist Guido Knopp hat in der Reihe seiner Werke einen Band herausgebracht  : über des Reichskanzlers Männer, nämlich „Hitlers Krieger“. Österreich kann sich glücklich schätzen, so meint der Herausgeber, einen Mann zu besitzen, den man den „Landesverteidiger“ des Bundeskanzlers Dollfuß nennen könnte  : den Chef des Generalstabes der Bewaffneten Macht, Feldmarschalleutnant Alfred Jansa (von Tannenau). Jansa wurde wie viele potenzielle Widerstandskämpfer mit Aufenthaltsverbot in seiner Heimat belegt. Er konnte das überstehen und seine Familie zurückbringen. Zwei Familienmitglieder waren nicht mehr am Leben. Er stellte sich auf Bitten des Bundeskanzlers Leopold Figl im Frühjahr 1947 nochmals für eine militärische Funktion zur Verfügung, wie er in seinen Memoiren erzählt. Zu einem neuerlichen Dienstantritt kam es nicht.167

166 André Brissaud, Die SD-Story. Hitlers Geheimarmee, Zürich 1980, S. 186 f.; Peter Black, Ernst Kaltenbrunner – Vasall Himmlers  : Eine SS-Karriere, Paderborn/München/Wien/Zürich 1984, S. 83 ff. 167 Manfried Rauchensteiner/Wolfgang Etschmann (Hg.), Österreich 1945. Ein Ende und viele Anfänge (= Forschungen zur Militärgeschichte 4), Graz/Wien/Köln 1997  ; Erwin A. Schmidl (Hg.), Österreich im frühen Kalten Krieg 1945–1958. Spione, Partisanen, Kriegspläne, Wien/Köln/Graz 2000  ; Walter Blasi/Erwin A. Schmidl/Felix Schneider unter Mitwirkung von Edda Engelke (Hg.), B-Gendarmerie, Waffenlager und Nachrichtendienste. Der militärische Weg zum Staatsvertrag, Wien/Köln/Weimar 2005.

Im Atemholen sind zweierlei Gnaden  : Die Luft einziehen, sich ihrer entladen  ; Jenes bedrängt, dieses erfrischt  ; So wunderbar ist das Leben gemischt. Du danke Gott, wenn er dich presst, und dank ihm, wenn er dich wieder entlässt. Johann Wolfgang v. Goethe

Vorwort des Autors

Nun also habe ich mein siebzigstes Lebensjahr beendet und bin – wie manche eingegangenen Glückwünsche es ausdrücken – in das Patriarchenalter eingetreten. Ich habe diese Zäsur auch zum Anlass genommen, um meine zur Ausgleichung der durch die Hitlerzeit erlittenen materiellen Einbußen ausgeübte Tätigkeit einzustellen. Die Firma Siems & Klein KG, in der ich genau acht Jahre als Konsulent und Handelsvertreter gearbeitet hatte, entließ mich nur ungern, jedoch auf noble Weise. Oft bin ich von verschiedenen Seiten aufgefordert worden, über die vergangenen Jahre – die eine reichlich bewegte Zeit umschließen – schriftliche Aufzeichnungen zu machen. Das habe ich bisher nie getan, weil ich mich stets nur als winziges Rädchen in dem unendlich großen Getriebe betrachtet habe, dessen Erlebnisse und Darstellungen herzlich unbedeutend und uninteressant sein würden. Mich hat vom Schreiben aber auch meine merkwürdig kritische Lebensbetrachtung abgehalten  : Einerseits zählte ich mich immer zu den Menschen, die jedem anderen von Haus aus offen, ehrlich und vertrauend entgegenkommen, andererseits bin ich im Eingehen auf Freundschaften und Bindungen aller Art höchst zurückhalten gewesen, mit einer einzigen Ausnahme, meinem ersten Kompaniekommandanten, dessen Nichte später auch meine Frau und das einzig wirklich geliebte weibliche Wesen in meinem Leben wurde. In einer mir selbst unverständlichen Paradoxie habe ich aber sonst bei allen Menschen und Ereignissen die unguten, schwachen fehlerhaften Momente viel schärfer gesehen und empfunden als die guten. Vielleicht darum, weil ich mich selbst immer mit großer Gewissenhaftigkeit analysierte und dabei immer viel mehr Negatives als Positives feststellte  : Ich fürchte darum, dass meine etwaigen schriftlichen Aufzeichnungen mehr schaden als nutzen könnten  ; denn gegenüber meiner kritischen Anschauung schönfärbend unwahr werden, wollte ich nicht. Wenn ich nun als Greis doch zu schreiben beginne, so tue ich es nur für mich und nicht für die Öffentlichkeit. Ich will sehen, was

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Vorwort des Autors

dabei herauskommt. Vielleicht werden der Abstand von den Zeiten und Dingen und die Lebensreife mich das Gute und Schöne an allem heute mehr betonen lassen, als ich es früher getan hätte. Ich will es hoffen. Wenn ich nun rückblickend mein Leben überschaue, so erfüllt mich zunächst eine zutiefst empfundene Dankbarkeit meinen Eltern gegenüber, die mich trotz ihres vorgerückten Lebensalters (mein Vater zählte bei meiner Geburt 54, meine Mutter 37 Jahre) gesund und widerstandsfähig in die Welt setzten. Weiters bin ich in tiefster Demut Gott dem Allmächtigen dankbar, dessen unendliche Gnade mich so sichtbar und fühlbar in entscheidenden Stunden den richtigen Weg finden ließ und dort, wo ich fehlte, mich stets vor den bösen Folgen der Fehler bewahrte. Die gelegentlich hingeworfene Bemerkung eines mir wohlgesonnenen Kameraden – es war der hochverdiente Generalstabsoberst Hubka –, dass ich gleich einer Katze aus den verwickeltsten Lagen immer auf den Pfoten zu stehen komme, brachte in heiterer Form zum Ausdruck, was ich mir selbst sowie meinen Kameraden allem Protektionismus zum Trotz immer wieder einzuschärfen bemüht war  : Der wirklich Tüchtige ringt sich im Leben durch. Sowohl väterlicher-, als auch mütterlicherseits aus Offiziersfamilien stammend, habe ich mit 18 Jahren als kaiserlicher Fähnrich meine Laufbahn begonnen und nach 52 Jahren Arbeit in einer zum zweiten Mal gewordenen Republik als Kaufmann geendet. Diese Jahre sehen mich in Frieden und Krieg im Truppendienst und Generalstab, als Maurer gedingt und als Baumeisterschüler, beim Aufbau des Bundesheeres der Ersten Österreichischen Republik, als Stabschef und Kommandanten einer Brigade, als österreichischer General bei der Weltabrüstungskonferenz in Genf, als Militärattaché, als Sektionschef im Heeresministerium, als Chef des Generalstabes, ausgewiesen aus Österreich, für unwürdig erklärt, ein deutsches Ruhegehalt zu beziehen, und konfiniert in Erfurt, als Versicherungsvertreter, Handelsangestellter und nach dem Ende des „tausendjährigen“ Nazi-Traumes wieder rehabilitiert in Wien. : vergrämt und verbittert   ? Und meine Gemütsverfassung, mein Seelenzustand   Nein  ! Es erfüllt mich ruhige Ausgeglichenheit. Wohl habe ich meine geliebte Frau schon nach 16-jähriger Ehe verloren  ; aber meine Töchter sind trotzdem brave, tüchtige, zuverlässige Menschen geworden. Es lastet kein Druck auf meinem Gewissen  : Ich habe niemandem bewusst geschadet, aber ich durfte öfter helfen. Mich erfüllte nie ein streberischer Drang, irgendetwas zu erreichen  ; mein Ehrgeiz bestand nur darin, auf jedem Posten, auf den ich gestellt wurde, das Beste, was aus mir herauszuholen war, zu leisten. Meine Laufbahn im öffentlichen Dienst ist von selbst geworden, ohne dass ich mich je um irgendeinen Posten oder eine Garnison beworben hätte. So hat mir das Schicksal nichts versagt. Im Gegenteil, es hat mich schon in frühen Jahren und später immer wieder auf verantwortliche, interessante Posten voll Bewe-

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gung geführt und mich schließlich zur nie erträumten höchsten militärischen Würde eines Chefs des Generalstabes für die gesamte bewaffnete Macht Österreichs erhoben. Die darauf folgende Verurteilung durch Hitler und seine Schergen habe ich nie als Kränkung empfunden. Im Gegenteil, ich war stolz und bin es noch, dass ich diese Inkarnation des Bösen frühzeitig in ihrer ganzen Erbärmlichkeit erkannt und in meinem Wirkungskreis unter Anspannung aller meiner Kräfte das Möglichste getan habe, um den Einbruch dieses Ungeistes nach Österreich zu verhindern. Dass es schließlich anders kam, lag nicht an mir. Der Gedanke allerdings, dass möglicherweise durch den mutigen Einsatz des Heeres das grauenhafte Geschehen des II. Weltkrieges hätte abgewendet werden könne, wird mich bis an mein Lebensende begleiten.

I.

Kindheit Stanislau 1884–1888 Ich wurde am 16. Juli 1884 in Stanislau1 geboren, wo mein Vater als Rittmeister und Abteilungskommandant der Landesgendarmerie in Garnison war.2 Mein väterlicher Großvater, Wagnermeister im k. u. k. Fuhrwesenkorps, wurde in St. Marein im Mürztal begraben.3 Mein Eintritt ins Leben stand mit einem großen, dauernden Familienunglück im Zusammenhang  : Während der Niederkunft meiner Mutter stürzte der um fünf Jahre ältere Bruder im Garten so unglücklich von einer Schaukel, dass seine rechte Kniescheibe gebrochen wurde.4 Der zugezogene Regimentsarzt legte das Bein in Gips, in dem der Heilungsvorgang durch fehlerhaftes Zusammenwachsen sich so unglücklich vollzog, dass mein Bruder für sein ganzes Leben ein steifes, in der Entwicklung zurückgebliebenes Bein hatte, das besonders für ihn und meine arme Mutter, aber auch für meinen Vater und später für mich zu einer Quelle dauernder Betrübnis wurde. Trotzdem war die Liebe rührend, mit der mein Bruder während seines ganzen Lebens an mir hing  ; meine geraden Glieder waren sozusagen sein Stolz geworden. 1 Stanislau (poln., Stanisławów, heute ukrain. Iwano-Frankiwsk), Vorland der östlichen Beskiden. Damals Hauptort einer galizischen Bezirkshauptmannschaft mit ca. 15.000 Einwohnern, gelegen an der Bistritza und an der Eisenbahnlinie Lemberg-Czernowitz, von diesem Ort Abzweigung der Eisenbahnlinie nach Stryj  : In Stanislau gab es um 1900 ein Kreis- und Bezirksgericht, eine Oberrealschule und eine Lehrerbildungsanstalt. Der ganze Bezirk hatte mehr als 72.000 Einwohner. 2 Daten aufgrund der Qualifikationsliste im ÖStA/KA sowie aufgrund des Werkes  : Johann Hafner, Feldmarschalleutnant Jansa Alfred Edl. von Tannenau, Maschinschriftliche Dissertation an der philosophischen Fakultät der Universität Wien, Wien 1990. Emanuel Jansa (Prag, 25.12.1829– 9.6.1916, Wien) Zögling des Regimentserziehungshauses des IR 21, 26.1.1848 als Gemeiner zum Rgt., 31.1.1848 zum Militär-Fuhrwesen-Korps, Feldzug 1849 in Ungarn, Absolvierung der dortigen Korpsschule, 1.11.1851 zu LandesGendKdo. 10, 1.11.1872 zum LandesGendKdo. 5, bis 1872 Tätigkeit als Zugskdt., dann als Abteilungskdt., 1.11.1873 Oblt. u. Abteilungskdt. In Stanislau, 1.7.1876 Landes-Gendarmerie-Kommando-Adjutant, 1.11.1883 Rtm. 5.7.1886 Erhebung in den Adelsstand mit dem Prädikat Edler von Tannenau und Verleihung eines Wappens aufgrund eines Ansuchens mit der Begründung  : Über 40 Dienstjahre und Teilnahme an den Feldzügen von 1849  ; 1.5.1893 Mjr., 26.6.1894 Stellvertretender Landesgendarmeriekdt. in Prag, 1.5.1896 Ruhestand, 1.5.1898 Obstlt. 1878 Verehelichung. 3 Wagnermeister des k. k. Militär-Fuhrwesen-Korps. Weitere Daten noch nicht erforscht. 4 Heinrich Eduard Guido Jansa (Lemberg 23.8.1879–23.10.1945 Wien), Absolvent der Technischen Hochschule in Wien mit dem akademischen Titel eines Diplom-Ingenieurs, dann Staatsdienst.

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Von den ersten vier Lebensjahren habe ich in Erinnerung behalten, dass wir eine recht große Wohnung im ersten Stock eines Hauses bewohnten. Die breite Holztreppe, die ohne Winkelung gerade abwärts führte, war ein häufiger Spielplatz von mir. Ein großes, recht dunkles Zimmer hatte seine Fenster in dieses Treppenhaus und wurde als Besuchsempfangsraum benützt. Vom Küchenfenster konnte man über den Hof in einen Garten sehen. In dem Hof schlachtete ein älterer Kaftanjude Gänse, die er mit durchschnittenem Halse zum Ausbluten auf die Gartenzaunhecke warf. Auch Schweine wurden da wiederholt geschlachtet. Deren angstvolles Quieken ließ mich trotz Mutters Abmahnung immer ans Fenster eilen, an dem mich weniger Schaulust als mehr Empörung über die mir grausam scheinende blutige Tätigkeit erfüllte. Das Fenster, aus dem ich blickte, gehörte zur Küche, in der sich meine viel beschäftigte Mutter oft aufhielt. Meine Mutter war aber auch eine ausgezeichnete Pianistin, und ihr Spiel bändigte am besten die Ausgelassenheit der beiden Buben. Dann ist mir von Stanislau noch in Erinnerung, dass mein Vater und ich die Mutter auf den Bahnhof begleiteten, von dem sie in einem engen Abteil mit meinem Bruder zu Professor Billroth nach Wien fuhr.5 Vor Einfahrt des Zuges wurde damals ein Gitterstreifen vor dem Bahnsteig zur Sicherung des Publikums herabgelassen. Auch eine große Glocke ist mir in Erinnerung, deren mit einem Lederriemen versehenen Klöppel ein Eisenbahnbediensteter in Abständen dreimal in Anschlag brachte  : Das erste und zweite Läuten, von Stationsausrufen begleitet, galt der Vorbereitung zum Einsteigen, das dritte der Abfahrt des Zuges. Als ich im Ersten Weltkrieg durch Stanislau kam und meine Kindheitserinnerungen am Ort zu rekonstruieren versuchte, war dies ein ganz vergebliches Bemühen. Nach vier ruhigen Jahren wurde mein Vater nach Wien versetzt. Wien 1888–1892 In Wien blieb mein Vater vier Jahre in Garnison. Wir wohnten in dem bis heute unverändert gebliebenen Gebäude des Landesgendarmeriekommandos in der Landstraßer Hauptstraße Nr. 68, ich glaube, im zweiten Stock. Sehr gespannt verfolgte ich täglich vom Fenster das mir als Wettrennen erschienene Jagen der schön bespannten Fleischerwagen vom Schlachthaus in St. Marx an unseren Fenstern vorbei zur Innenstadt.6 5 Theodor Billroth (Bergen auf der Insel Rügen, 24.4.1829–6.2.1894 Abbazia, Istrien  ; heute Opatija, Kroatien), bedeutender Chirurg, beteiligt an der Einrichtung der Wiener Freiwilligen Rettungsgesellschaft. 6 Mit dem Bau städtischer Schlachthäuser in Wien wurde 1846 begonnen. Das Haus zu St. Marx und

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Aus dieser Zeit in Erinnerung geblieben ist mir auch je ein Besuch der Brüder meiner lieben Mutter. Einmal kam der Ältere, der als Husarenoberstleutnant in Debrecen diente, im Rahmen einer Regimentsdeputation anlässlich der Beerdigung eines hohen Generals nach Wien.7 Er war bei uns abgestiegen und seine glänzende Husarenuniform machte auf mich einen sehr großen Eindruck  ; so groß, dass mein Onkel sich bestimmt fühlte, mir jeden Gedanken, selbst einmal bei der Kavallerie zu dienen, mit dem Hinweise darauf aus dem Kopf zu nehmen, dass bei der Kavallerie nur Söhne reicher Eltern dienen sollten. Er scheint da trübe eigene Erfahrungen gemacht zu haben. Mein Großvater mütterlicherseits stammte aus Hessen, war Kriegskommissar (Intendanturbeamter) beim Dragoner-Rgt. Nr. 2, trat nach 1866 ganz in österreichische Dienste und wies seine beiden Söhne – wie mir das die Onkeln übereinstimmend erzählt hatten – wiederholt an, ihr Glück im Osten zu suchen. Das veranlasste beide Brüder meiner Mutter, ungarische Frauen zu heiraten und die ungarische Staatsbürgerschaft zu erwerben. Der ältere Bruder, der Husar, den meine Mutter wegen seiner Herzensgüte und Familienanhänglichkeit offenbar mehr liebte, hatte eine Ferenczy aus sehr wohlhabender Gutsbesitzerfamilie geehelicht, die streng katholisch war. Die Ehe war aber – wie ich es Mutters Erzählungen entnommen hatte – nicht sehr glücklich, da die Frau mit einem das Gehör immer ungünstiger beeinflussenden Ohrenleiden beschwert war, was meinen Onkel zur Konsultation aller berühmten Fachärzte veranlasste, ohne dass die Familie seiner Frau finanziell irgendetwas dazu beigesteuert hätte. Diese Ehe brachte mir eine sehr schöne Cousine, Therese, die älter war als ich und meine Kindheitsliebe ganz erfüllte, zwei Vettern, von denen einer, Béla, röm. kath. Priester im Erlauer Domkapitel wurde, während der andere, Guido, die richterliche Laufbahn einschlug und als hoher Richter beim ungarischen Verfassungsgerichtshof in Budapest endete.8 Den Onkel Guido lernte ich in dieser Zeit durch einen Familienbesuch kennen, den er, damals Regimentskommandant des ungarischen Inf. Rgt. Nr. 33 in Arad9, mit ein zweites in Gumpendorf waren bereits 1848 fertiggestellt. Die Anlage zu St. Marx wurde zunächst als Notstandsbau errichtet. Sowohl der Zentralviehmarkt als auch der Schlachthof wurden während des Zweiten Weltkrieges größtenteils zerstört, dann modernisiert und wieder aufgebaut. 7 Guido Meyer v. Fekete-Ardó und Nagy-Tarna (Poděbrad 12.9.1845–12.12.1914 Leutschau bzw. Lőcse, heute Levoča, Ungarn bzw. heute Slowakei), 1.9.1864 als Theres. Milakad. zum IR 37, 13.5.1866 Lt., 8.7.1866 Oblt., 1.11.1872 zugeteilt dem Glstb. 1.5.1876 Hptm.i.G., 1.5.1882 transferiert zum IR 39, 1.11.1894 Obst., 15.10.1895 zum IR 33, 30.1.1896 Rgtskdt., 15.10.1895 übersetzt zur k.u. Landwehr. 1.5.1900 GM, 30.12.1901 zum k.u. II. LwDistriktsKdo. versetzt, 1.3.1903 pensioniert. 8 Dr. Guido Meyer v. Mada (Érmihályfalva, Komitat Debrecen, heute Valea lui Mihai, Rumänien 11.6.1876–  ?) 1902 kgl. Ung. Notar beim Gericht in Fiume, 1897 Einjährig-Freiwilliger in der k. u. k. Armee. 9 Arad, seit 1920 zu Rumänien gehörig, war damals kgl. ung. Freistadt und Komitatshauptstadt am Fluss

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Frau und den drei Töchtern der Stadt Wien machte, um sie seinen Töchtern zu zeigen. Sie waren damals im Hotel Wandel hinter der Peterskirche abgestiegen.10 Während sie meine Eltern nur zwei- oder dreimal besuchten, wurde ich vom Onkel, der, selbst nur mit Töchtern gesegnet, mich kleinen Buben offenbar lieb gewann, zu allen Besichtigungen mitgenommen. Seine jüngste Tochter Ada, um ein Jahr älter als ich – sie mochte damals 8 und ich 7 Jahre gezählt haben – okkupierte mich als ihren Ritter und behielt mir in späteren Jahren diese freundliche Gesinnung über ihre Ehe mit dem ungarischen Liederkomponisten Dóczy11 hinaus bis an ihr Lebensende im Jahre 1948. Lebhaft aus dieser Zeit ist mir mein Staunen in Erinnerung, dass beide Onkel grau als Kennfarbe ihrer Regimenter hatten  : der Husar am Czako, der Infanterist am Rockkragen und Ärmelaufschlag. Onkel Guido, der jüngere Bruder meiner Mutter (gemeint ist dabei jünger als der Husar, denn meine Mutter war das jüngste Kind meiner Großeltern gewesen), hatte sehr wohlhabend geheiratet und lebte offenkundig unbeschwert von materiellen Sorgen. Seine Frau Marie, gleichnamig mit der anderen Tante, der Ede-Marie, wie die Husarentante genannt wurde, war die Tochter des Vizegespans, d. i. des höchsten politischen Beamten des oberungarischen Zipser Komitates, eines lutherischen Herrn von Breuer. Die religiösen Bindungen in der Familie Meyer – das war der Name meiner aus dem Bistum Fulda stammenden mütterlichen Familie – müssen sehr stark gewesen sein, denn ich erinnere mich gut an die Erzählungen meiner Mutter über die schweren Kämpfe Onkel Guidos mit seinen Eltern anlässlich seines Übertrittes zum Protestantismus. Denn der Herr v. Breuer, auch Kirchenoberhaupt der durchwegs protestantischen deutschen Bevölkerung in der Zips12, soll geäußert haben, dass er seiner Maros (dt. Mieresch), in den Türkenkriegen des 16. Jh. ebenso wie 1849 umkämpft. Auf Befehl General Haynaus starben in der Festung am 6.10.1849 eine Anzahl der aus dem kaiserlichen Dienst zur Honvéd übergegangenen Generäle am Galgen. 10 Hotel Wandl, Wien 1, Petersplatz 9 – Kühfußgasse 2. 1851 wurde das dort befindliche Haus „Zu den vier Jahreszeiten“ zu einem Hotel adaptiert, das mit einem in Wien bis dahin noch nicht gesehenen Komfort nach neuestem Pariser Muster, ausgestattet war, so auch mit Chambres séparées. Ab 1854 war es im Besitz der Familie Wandl und blieb dies bis 1895. 11 József Dóczy (Miskolc, 11.5.1863–1.7.1913, Budapest), Musiklehrer in Debrecen, Temesvár u. Großwardein, Komponist von Operetten und Singspielen, u.a. Kurucvilág (1898) und Liliom Klári (1901). 12 Zips, (comitatus Scebusiensis, ung. Szepes, slowak. Spiš  ; Zipser Gespanschaft, Spišská stolica), heute Slowakei, geschichtl. Landschaft am Fuß der Hohen Tatra (Zipser Becken). Dort wurden im 12./13. Jh. von den ungarischen Königen in der Oberzips, der Durchgangslandschaft zwischen Ungarn, Polen und Schlesien, Deutsche angesiedelt, die mehrere Städte und Dörfer anlegten. Bergleute gründeten später die sieben Bergstädte. Die Gemeinschaft der 24 Zipser Städte hatte Selbstverwaltung. Im 19. Jh. rückten Slowaken nach, als viele Zipser auswanderten. 1876 hob Ungarn diese Selbstverwaltung auf und eine wachsende Madjarisierung setzte ein. 1920 kam die Zips zur Tschechoslowakei, 1944/45 wurde ein Großteil der „Zipser Sachsen“ vertrieben.

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Stellung und seines Ansehens wegen seine Tochter keinem Katholiken geben könne. Da sich die jungen Leute sehr liebten, wurde Onkel Guido halt Lutheraner. Er war zur Zeit seiner Eheschließung Generalstabshauptmann, mit dem Verdienstkreuz für Tapferkeit im Gefechte bei Schweinsschädel 1866 ausgezeichnet, und ist – wie ich später erzählen werde – ein sehr frommer, in seinen alten Tagen täglich in der Bibel lesender Christ gewesen. Das Verhältnis Guidos und seiner Frau zu meiner Mutter war kühl. Die Tante Guido-Marie hatte etwas Deutsch-Forsches in ihrem Wesen und muss – soweit ich mich entsinnen kann – einmal brieflich über meinen armen körperbehinderten Bruder eine die liebende Mutter schwer verletzende Äußerung getan haben. Aber nicht nur zwischen meiner Mutter und der Tante Guido-Marie bestand ein kühles Verhältnis, sondern sehr gespannt war es auch zwischen den beiden Schwägerinnen Ede-Marie und Guido-Marie. Das Missgeschick wollte es, dass einmal vor der geschilderten Zeit beide Brüder zugleich in Debrecen in Garnison standen.13 Die behaglich und sorglos lebende Familie Guidos war der Schwägerin, deren Haus, von ihren Eltern finanziell im Stiche gelassen, nur mühsam den Anforderungen gerecht werden konnte, ein Dorn im Auge. In wenig taktvoller Weise wurde das lutherische Bekenntnis der Familie Onkel Guidos benutzt, um die Kinder Edes gegen ihre drei Cousinen aufzureizen, die natürlich mit gleicher Münze zurückzahlten. Es wird hierher vielleicht auch ganz gut passen, wenn ich über die religiöse Haltung in meinem Elternhaus erzähle. Mein mütterlicher Großvater Eduard, der Kriegskommissar war in seinem letzten Garnisonsort, Lemberg14, im Ruhestande verblieben. Er scheint, nach der Haltung seiner beiden Söhne und auch meiner guten Mutter zu schließen, ein guter Katholik gewesen zu sein. Das Gleiche muss ich wohl auch von meiner Großmutter, einer Mediziner-Tochter aus Pardubitz annehmen, die zur Zeit meiner Geburt leider nicht mehr am Leben weilte.15 Lemberg, wo meine Mutter aufgewachsen war und auch ihre Ehe mit meinem damals dort in Garnison gewesenen Vater geschlossen hatte, war eine religiös geteilte Stadt  : die Polen römisch-katholisch, die Ruthenen griechisch-katholisch und von den zahlreichen Deutschen so viele protestantisch, dass sie die einzige deutsche Schule aus eigenen Mitteln erhalten konnten  ; dazu natürlich viele Juden, teils liberal, teils orthodox. Es muss also, diesen Verhältnis13 Debrecen, deutsch früher auch Debreczin, ung. Stadt im nördlichen Theißtiefland  ; gilt seit dem 17. Jh. als geistiger Mittelpunkt der ung. Kalvinisten, war 1848/49 Mittelpunkt der revolutionären Regierung des Lajos Kossuth. 14 Lemberg, ukrain. Lwiw, russ. Lwow, poln. Lwów. Um 1279 von den ukrain. Fürsten von Halicz gegründet, 1340 an Polen, 1772–1918 Hauptstadt des öst. Kronlandes Galizien, 1919–1939 polnisch. 15 Pardubitz, heute Pardubice, Hauptort einer böhm. Bezirkshauptmannschaft, gelegen an der Mündung der Chrudimka in die Elbe, bekannt durch seine alljährlichen Jagden und schweren Pferderennen, ein Hauptort der böhm. Zuckerindustrie, an der Bahnlinie Wien – Prag liegend.

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sen, dem liberalen Zeitgeist und der gesamtösterreichischen Haltung in der Armee entsprechend, trotz eigener Frömmigkeit eine verträgliche religiöse Duldung geherrscht haben. Mein Vater hingegen war nur nominell Katholik, und ich kann mich mehrfacher sehr freier Äußerungen in religiösen Dingen entsinnen. So wurden mein Bruder und ich katholisch in Haus und Schule erzogen, ohne dass aber das religiöse Erziehungsmoment eine besondere Unterstreichung erfahren hätte. Mit dem Kirchenbesuch an Sonntagen, den vierteljährlich vorgeschriebenen Schulbeichten und dem Kommunionempfang war das Programm im Wesentlichen erschöpft. Da in unserem Hause die finanziellen Möglichkeiten sehr beschränkt waren, weshalb wir Buben unter dem vom Großvater hergeleiteten Ausspruche „Der Fresser wird nicht geboren, sondern erzogen  !“ in der Verpflegung in spartanischer Einfachheit gehalten wurden, konzentrierte sich der Sinn an den Oster- und Weihnachtsfeiertagen, an denen es reichlich Gutes zu essen gab, mehr auf das Essen als auf den religiösen Gehalt der Feier. Besonders das Osterfest sah bei uns – dem polnischen Osterbrauch abgeschaut – durch Tage einen mit allen denkbar guten Dingen gedeckten Tisch, der auch den Gästen zur Verfügung stand. Gleichfalls polnischer Sitte abgeschaut, war es in meinem Elternhause üblich, dass Vater und Söhne zur Osterzeit alle Bekannten besuchen gingen, während die Frau daheim die Tafel für die Gegenbesuche betreute. Dass wir am Karfreitag und -samstag bis zur Auferstehung fasteten, war ebenso selbstverständlich wie der Besuch der heiligen Gräber in vielen Kirchen und die Teilnahme an einer Auferstehungsprozession. An den Besuch einer Christmette zu Weihnachten kann ich mich hingegen nicht erinnern. Wir nahmen an der frühjährlichen Fronleichnamsprozession teil. Das war eine große Sache für uns Buben, weniger als religiöses Fest, sondern weil die Schaulust ausgiebige Befriedigung fand, von der Ausschmückung der Straßen bis zu dem überwältigenden Gepränge von Kirche und Bevölkerung, weißgekleideten Mädchen, Paradeuniformen aller Art, festlichen Zivilkleidern und marschierenden Musikern. Ich besuchte in dieser Zeit zuerst einen im Sünnhof 16 gelegenen Kindergarten sowie die erste und zweite Klasse der Volksschule in der Pfarrhofgasse. Mein Bruder hatte – verursacht durch die schwachen polnischen Unterschulen in Stanislau und wahrscheinlich auch infolge der häufigen Unterbrechung des Unterrichtes wegen der immer wieder versuchten Besserung seines Fußleidens – die Aufnahms­ prüfung in das Gymnasium nicht bestanden und besuchte eine Vorbereitungsschule Rainer in der Rasumofskygasse und dort später auch die unteren Klassen der Real16 Sünnhof  : Landstraßer Hauptstraße 28 bzw. Ungargasse 3 im 3. Wiener Bezirk. Reizvolles und nunmehr wieder revitalisiertes Alt-Wiener Durchhaus. Ein Bürgerhaus, das 1823 von Peter Gerl für Carl und Rudolf Sünn erbaut wurde und bereits 1837 durch Seitentrakte erweitert wurde. Es wurde 1845 bis zur Ungargasse verlängert, sodass sich eine großzügige Anlage ergab. 1983 wurde die Anlage grundlegend restauriert und als „Biedermeierhotel“ adaptiert.

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schule. Lebhaft in Erinnerung ist mir ein neuer Unfall meines von einer Pechsträhne verfolgten Bruders. Er sollte zur Besserung seines Fußleidens mit der Mutter in das weltberühmte Schlammheilbad Pistyan fahren.17 Gelegentlich der für eine solche Zeit üblichen Umstellung der Wohnungseinrichtung zur Sicherung gegen Sonnenbestrahlung, Motten usw. stürzte mein Bruder über einen zusammengerollten Teppich und brach sich den Oberschenkel seines steifen Beins. Aus dem Heilbade wurde nichts, und mein armer Bruder musste durch acht Wochen mit geschientem Bein in der Gluthitze Juli–August im Bette liegen. Ich habe noch deutlich vor Augen, wie der sehr geschickte Arzt Dr. Krahulec in die Fußwand des Bettes zwei Rollenschrauben eindrehte, über die er eine Schnur mit einem Gewicht führte, das den geschienten Fuß unter dauernder Zugspannung hielt. Damals dachte man noch nicht an ein Spital  ; alles wurde daheim erledigt, was für unsere gute Mutter statt der erhofften Badeerholung erhöhte Arbeit und Sorge brachte. Aber etwas Gutes ließ der Beinbruch zurück  : Die starke Verkürzung wurde während der Bruchheilung um etwa 5 cm verbessert, sodass mein Bruder nach der Genesung den hässlichen durch einen hohen Kork verunstalteten rechten Schuh durch einen normalen, nur mit einer Einlage versehenen vertauschen konnte. Aus diesem ersten Wiener Aufenthalt habe ich noch die Erinnerung an uns Buben entsetzlich langweilende Besuche bei Verwandten meiner Mutter. Da war einmal auf der Wiedner Hauptstraße 67 der unverheiratete Cousin meiner Mutter, der praktische Frauenarzt Dr. Koblitz, dem seine Schwester das Haus führte, während dessen zweite Schwester mit dem schon im Ruhestand lebenden Stabsarzt Dr. Leyerer verheiratet war und in der Wohllebengasse wohnte18. Beide Häuser waren unendlich gütig und bedachten uns immer mit reichen Jausen  ; aber wir mussten uns da besonders still, artig und wohlerzogen benehmen, was besonders mir schwer fiel. Ganz anders hingegen war es bei einem zweiten Cousin meiner Mutter, dem kaiserlichen Notar Dr. Denkstein, der unmittelbar neben der Rochuskirche19 Büro und 17 Pistyan (heute Slowakei  : Piešťany) an der Waag gelegen  : Weltbekanntes Bad mit besonders starken Quellen und Schlammvorkommen gegen rheumatische Erkrankungen und Schäden am Bewegungsapparat. Seit 1840 dort ein ständiger Badearzt. Das Geschlecht der Grafen Erdődy verpachtete 1889 die Badeeinrichtungen an Alexander Winter, der das Bad durch viele bauliche Verbesserungen umgestaltete, sodass es den Hochadel, prominente Personen sowie Könige und Kaiser anzog. 18 Dr. med. Anton Leyerer (Litschau, NÖ, 13.6.1828–2.9.1897, Litschau), 5.7.1850 als Unterarzt zum IR 37, Regimentsarzt, Stabsarzt in Garnisonsspital Sarajevo, 1.5.1886 Oberstabsarzt beim Militärinvalidenhaus Tyrnau, 1.11.1888 Ruhestand. 19 Rochuskirche ist im 3. Bezirk Wiens, Landstraßer Hauptstraße bei 56. Ab 1642 wurde an der Stelle der 1529 (1. Wiener Türkenbelagerung) abgebrannten Kirche eine Augustinereremitenkirche samt Kloster errichtet. Sie wurde zu Ehren der Pestpatrone Rochus und Sebastian geweiht, 1683 neuerlich schwer beschädigt, neue Einweihung 1727. Das Kloster wurde 1812 aufgehoben und die Kirche Weltgeistlichen übertragen.

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Wohnung hatte. Dessen Frau war eine Ungarin, die das leicht verdiente Geld ihres Mannes in sonntäglichen Unterhaltungen in ihrem Hause an viele Gäste – oft fragwürdiger Herkunft – verschwendete. Da ging es sehr lustig zu. Aber gerade deshalb durften wir nur sehr selten und nur, um der Konvention Genüge zu tun, dort erscheinen. Mutter wachte streng darüber, dass wir nicht mit manierlosen Menschen zusammenkamen. Eine Tochter Denksteins, die schöne Cora, hat den Tierarzt und späteren Hochschulprofessor Dr. Schnürer geheiratet.20 Aus der in Lemberg durchlebten Mädchenzeit meiner lieben Mutter sind mir zwei ihrer lebenslänglichen Freundschaften in Erinnerung  : Die eine war die sehr früh verwitwete, fast ständig in Frankreich und Luxemburg lebende Gräfin Mier,21 die als Taufpatin meines Bruders, in Unglücksfällen wie dem geschilderten, immer wieder mit Geschenken aller Art zu helfen bereit war. Die zweite Freundin war ebenfalls Polin und an den Gendarmerieobersten v. Appel verheiratet, der in der Gendarmeriesektion des Landesverteidigungsministeriums eine sehr maßgebliche Stellung bekleidete.22 Dieser Herr erschien im Februar des Jahres 1892 plötzlich ganz unerwartet zu Besuch und beglückwünschte meinen Vater vor uns allen, dass er auf einen MajorsPosten komme, dieser Posten jedoch beim Landesgendarmerie-Kdo. Nr. 5 in Lemberg neu geschaffen wurde, weshalb mein Vater in längstens vierzehn Tagen nach Lemberg übersiedelt sein müsse. Da war natürlich Eile geboten. Am nächsten Tage wurde mit dem Packen begonnen und alles in Kisten verstaut  ; denn Möbelwagen galten damals noch als ein von der Militärverwaltung nicht vergütbarer Luxus. Für mich war diese entstandene Bewegung eine Quelle des Jubels  ; ich glaubte, bestens zu helfen, und stand natürlich immer nur im Wege. Trotzdem fühlte ich mich ungeheuer wichtig, weil ich nach Lemberg mitkommen sollte, während mein Bruder im Interesse der Kontinuität seines deutschsprachigen Realschulstudiums in das Pensionat der Schule Rainer kam. Das bedeutete für meine Eltern eine arge finanzielle Belastung, doch in Lemberg gab es keine deutsche Mittelschule. 20 Josef Schnürer (Wien, 19.5.1873–5.2.1937, Wien), eigentlicher Gründer und Organisator des Instituts für Bakteriologie und Tierseuchen an der Tierärztlichen Hochschule, organisierte 1904 mit neuen Methoden die Rotzbekämpfung der Militärpferde und wandte im Ersten Weltkrieg neue Methoden zur Bekämpfung von Tierseuchen erfolgreich an. 21 Felicie Gräfin v. Mier, geb. Gräfin Starzeńska (Olejów, 13.12.1830–9.3.1900, Lemberg), verehelicht mit dem aus schottischen Geschlecht stammenden Felix Adalbert Grafen von Mier (Brüssel, 8.8.1820– 25.1.1870, Lemberg), k. u. k. Kämmerer. 22 Über Johann Frh. v. Appel (1826–1906) siehe Glaise-Broucek I, S. 129, Anm. 210. Johann Appel war ab 1882 Kdi.Gen. in Sarajevo und Chef der Landesregierung von Bosnien und Herzegowina. Der AppelKai, auf dem 1914 die Attentate auf den Thronfolger stattfanden, war nach ihm benannt.

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Mir wurde während der Reise die Obsorge für den Kanarienvogel zugeteilt. Es war damals so üblich, dass alle Kameraden meines Vaters uns mit ihren Frauen auf den Bahnhof geleiteten. Während meine Eltern im Wartesaal des schönen Nordbahnhofes mit den konventionellen Verpflichtungen sehr in Anspruch genommen waren, wollte ich dem Kanarienvogel in seinem kleinen Reisekäfig das Wasser im Schälchen wechseln. Das tat ich so ungeschickt, dass der kleine Vogel aus dem Käfig schlüpfte und zur allgemeinen Erheiterung im Wartesaal herumflog. Ich war mir der Lächerlichkeit meiner Lage bewusst, wollte mir aber nichts anmerken lassen und lehnte alle Tröstungen mit dem großsprecherischen Bemerken ab, dass ich nach Beendigung des Wasserwechsels den Vogel schon zurückrufen werde. Ich hob schließlich den Käfig und rief das Vöglein, ohne zu ahnen, was geschehen werde. Und das Wunder geschah  : Das Vöglein kam, setzte sich auf meine Schulter und hüpfte von dort in den vorgehaltenen kleinen Käfig. Aus der Blamage war ein Fall allgemeiner Anerkennung geworden, die Katze auf die Pfoten zu stehen gekommen. Von der Reise selbst weiß ich nur mehr, dass wir am Abend abreisten und ich nach anscheinend gut durchschlafener Nacht am Morgen staunte, die vielen Juden im Zuge an den Fenstern der Sonne zugewendet stehen und beten zu sehen. Lemberg 1892–1894 Schließlich kamen wir in Lemberg an und nahmen zunächst im Hotel Europe in einem schönen großen Zimmer Logis. Dort blieben wir bis zum Zeitpunkt des Eintreffens des Möbeltransportes, der als Stückgut eine gute Weile für die Reise brauchte. Da meine Eltern sehr sparen mussten, nahmen wir nur die Mittagsmahlzeit im Hotel-Restaurant, während Mutter Frühstück und Nachtmahl aus selbst eingekauften Sachen richtete. Die köstliche polnische Wurst und ein in Wien nicht üblich gewesenes Weißgebäck mit etwas aufgestreutem Anis sind mir als besondere Köstlichkeit bis heute im Gedächtnis geblieben. Bald wurde ich in die einzige deutsche (evangelische) Schule gebracht, die einen etwa halbstündigen Anmarsch erforderte, mich aber in helles Erstaunen versetzte, weil Knaben und Mädchen in jeder Klasse gemeinsam, die Mädchen in der rechten, die Buben in der linken Bankreihe sitzend, unterrichtet wurden. Diese Schule war sehr gut und streng  ; ja ich musste deutsche Grammatik mit einer Intensität auswendig lernen, wie man sie in Wien nicht gekannt hat. Nur der katholische Katechismus wurde von einem Priester für uns wenige katholische Kinder gesondert unterrichtet, bei Weitem nicht mit dem Eifer der übrigen von deutschen Lehrern unterrichteten Fächer. Ebenso unangestrengt wirkte der Lehrer für die zwei Wochenstunden in polnischer Sprache,

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ein älterer Mann, der mir – obwohl er für alle katholischen Kinder später summarischer Firmpate wurde – keinen Eindruck hinterließ. Der Klassenlehrer Decker war streng, aber ruhig gelassen. Direktor Niemec hingegen sprühte vor Temperament. Er überraschte uns Buben und auch die Mädeln bei seinen häufigen Inspektionen immer mit neuen Dingen und brachte einen Appell, eine Beweglichkeit und Wendigkeit in den Unterricht, der jedwede Schläfrigkeit oder Unaufmerksamkeit sofort verbannte. Dieser lebhafte Direktor hielt uns auch zu Gartenarbeiten an. Jeder bekam ein kleines Beet und der Wetteifer ums schönste Beet war wohl eine ständige Belastung der elterlichen Taschen nach neuen Samen und Blumen, machte aber den Garten, für die Schule kostenlos, zu einem kleinen Paradies. Bald bezogen wir in dem hochgelegenen, eine schöne Aussicht gewährenden Offizierspavillon der Gendarmeriekaserne eine „kompetenzmäßige“, große Fünfzimmerwohnung. Bei der Gendarmerie bestand damals, um die häufigen Garnisonswechsel der Offiziere zu erleichtern, die Einführung, dass der Offizier nur einen Teil der Wohnungseinrichtung als Eigentum benötigte, weil der andere vom Militärärar beigestellt wurde. Der leichteren Verpackung wegen bestand bei uns die persönliche Habe vornehmlich aus Teppichen, Bildern, Silber, Porzellan, Küchengeschirr und nur einigen recht ärmlichen Möbelstücken, während die großen sperrigen Möbel beigestellt wurden. Da mein Vater in Lemberg auf einen neu geschaffenen Stabsoffiziersposten gekommen war, wurden für ihn auch ganz neue Möbel beschafft, die meine Mutter beim Möbelhändler selbst wählen durfte. Mir kommen zwei sechs- oder achtteilige Sitzgarnituren in den Sinn, die eine goldgrün im Empfangssalon, die andere bordeauxrot im Herrenzimmer, und ein einfaches Speisezimmer, da der bewilligte Betrag für Besseres wohl nicht ausreichend war. Dann war das Wohn- und Schlafzimmer meiner Mutter mit eigenen Sachen möbliert, während mein Bubenzimmer nur eine eiserne Bettstatt, einen großen ungestrichenen Arbeitstisch und einen kleinen Waschtisch bekam. Dafür hatte ich aber einen herrlich großen Balkon, der nicht nur eine schöne Aussicht, sondern auch die Unterhaltung mit den Kindern anderer Offiziere auf anderen Balkons ermöglichte. Auf einem solchen Balkon spielte ein kleiner Junge, Walter Adam, der spätere tüchtige Generalstabsoffizier und schließlich Heimatkommissär, d. h. Propagandachef der Regierung Schuschnigg.23 Mein Bruder kam von Wien nur über die großen Ferien zu uns. Dafür konnte ich näher an meine gute Mutter heran. Während bisher ihre größere Aufmerksamkeit 23 Über Walter Adam (1886–1947), siehe Glaise-Broucek I, S. 528, Anm. 22. Oberst des Bundesheeres Walter Adam, vor 1918 k. u. k. Generalstabsoffizier, war 1934–1936 Generalsekretär der Vaterländischen Front, dann Leiter des Bundespressedienstes im Bundeskanzleramt und 1938–1945 Häftling im KZ Dachau.

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und gequälte Sorge begreiflicherweise ihrem so schwer geprüften, körperbehinderten Erstgeborenen zugewendet war, konnte sie sich nun ganz mir widmen. Sie tat dies in rührender Weise und half mir stundenlang, die trockene deutsche Grammatik, die in der Schule mit eiserner Strenge gefordert wurde, auswendig zu lernen. Sehr bestimmenden Einfluss nahm sie auf meine gesellschaftliche Erziehung wie Sprache, Haltung, Verbeugungen machen, korrekte Tischmanieren, Sauberkeit, Nettigkeit und musikalische Vertiefung. In Letzterem leider ganz vergebens  ; denn so eine wunderbare Künstlerin meine Mutter selbst am Klavier war, so sehr fehlte mir jegliches Gehör. Das empfand ich bitter, weil dadurch auch die sonst so schönen Gesangstunden in der Schule in mir statt Freude einen Minderwertigkeitskomplex schufen. Ebenso war ich, schmächtig und dünnarmig gebaut, ein schlechter Turner, was mich sehr verdross, weil in der Klasse die guten Turner den Mädchen weit mehr imponierten. Hinsichtlich des Pflichtgefühles und der Pünktlichkeit sowie der Schonung meiner Bekleidung bedurfte es keiner Nachhilfe. Allen guten Wollens zum Trotz musste ich meiner lieben Mutter nach einem Semester eine Enttäuschung bereiten  : Ich brachte das Zeugnis mit einer Drei in sittlichem Betragen nach Hause. Die Mutter war entsetzt und ich, das Entsetzen meiner Mutter begreifend, nach und nach auch. Nur konnte ich keinen Grund für diese schlechte Beurteilung angeben, was die Mutter begreiflicherweise den Charakterfehler einer garstigen Verstocktheit bei mir vermuten ließ. Die prompte Nachfrage und Besprechung mit dem temperamentvollen Direktor brachte folgende Klärung  : Neben mir in der Bank saß der recht dämliche, rothaarige Sohn eines Artilleriehauptmannes, der öfter die Zielscheibe mehr oder weniger harmloser Bübereien war, an denen ich mich anfangs auch beteiligt hatte. Seit wir aber die Familie des Hauptmanns kennengelernt hatten, der mir gute Kameradschaft zu seinem Sohne abforderte, half ich dem tapsigen Jungen durch Erklärung seiner oftmaligen Fragen und Einsagen bei den Prüfungen, so gut ich konnte. Da ergab es sich einmal, dass sein rechter Nachbar (ich saß zu seiner Linken) oder sein Hintermann – ich weiß es ehrlich nicht – dem Jungen, nachdem er aufgerufen war, die Faust mit einem kurzen Bleistift unter den Sitz hielt, sodass sich der gute Schmidt, so hieß der Junge, beim Setzen sehr weh tat. Diese Geschichte hatte ich zunächst gar nicht bemerkt. Als dem Jungen dann aber das Gesäß zu eitern begann, nannte er mich als jenen, der ihm die Faust untergehalten hätte. Bei der folgenden hochnotpeinlichen Untersuchung, die der Schuldirektor selbst führte, konnte ich wahrheitsgemäß nur sagen, dass ich es nicht gewesen wäre und auch nicht angeben könne, wer es gewesen sei. Der Schuldige meldete sich nicht. Da des Rothaarigen Hinterteil bald wieder in Ordnung war, maß ich der ganzen Geschichte keine Bedeutung bei. Als nun der Direktor meiner nachfragenden Mutter diese Geschichte erzählte und sagte, dass ich die Drei wegen des Lügens bekommen

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hatte, konnte ich meiner lieben Mutter immer wieder nur versichern, dass ich es nicht gewesen war. Die weitere Aussprache meiner Mutter mit dem Direktor scheint dann diesen überzeugt zu haben, dass ich Opfer seines Justizirrtums geworden war. Daheim und in der Schule wurde nichts mehr gesprochen. Ich dagegen sagte dem guten Schmidt in Gegenwart seines Vaters, dass er ein Tepp24 sei und dazu noch ein hinterhältiger, weil er mich als Täter verklagt habe, und ich von ihm nichts mehr wissen wolle. Die Drei war aber vom Direktor in meinem Schlusszeugnis gelöscht worden. Dieser Fall festigte in mir für mein ganzes Leben die Überzeugung, dass der Mensch ohne die Gnade Gottes nichts vermag. Denn wie wollte ich in diesem Fall oder in anderen ähnlichen Fällen ohne Möglichkeit von Beweisen die Beurteilung meiner Person in den Augen anderer beeinflussen  ? Ich wurde dadurch nicht ängstlich, aber in mir verhärtete sich eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Urteil anderer über mich, die sich später auch auf Belobungen und äußere Auszeichnungen erstreckte. Mir wurde immer mehr nur mein eigenes Gewissen für mein Tun und Lassen maßgeblich. In diese Zeit fällt auch mein Bekanntwerden mit Ludwig Prinz von WindischGraetz25, dem nachmaligen ungarischen Minister und später unter Horthy26 in die großes Aufsehen erregende Fälschungsaffäre der französischen Banknoten in großem Umfange verwickelt. Die Bekanntschaft war so zustande gekommen  : In der k. u. k. Armee wurde als Folge der aus dienstlichen Gründen gepflegten Kameradschaft eine viele bedürftige Offiziersfamilien finanziell stark belastende repräsentative Geselligkeit gefordert. So war es gekommen, dass meine Eltern auch dem Kommandanten des XI. Korps und kommandierenden General in Lemberg, Windisch-Graetz, Ludwig Prinz zu Windisch-Graetz Aufwartung gemacht hatten.27 Bei deren Gegenbesuch 24 Tepp oder umgangssprachlich auch Depp  : Dummkopf, Trottel. 25 Über Ludwig Prinz Windisch-Graetz  : (Krakau, 1882–1968, Wien) siehe Glaise-Broucek I, S.  377, Anm. 307. Er war 1909–1918, dann wieder ab 1920 Mitglied des ung. Abgeordnetenhauses, 1918 auch k.u. Minister ohne Portefeuille („Ernährungsminister“). 1925 war er im Auftrag von Reichsverweser Horthy in die ung. Geheimdienstoperation verwickelt, die durch groß angelegte Fälschung von FrancBanknoten das Währungssystem Frankreichs und Englands erschüttern sollte. Als diese Aktion fehlschlug, ließen Horthy und seine Berater den Prinzen fallen, der aus ungarischem Patriotismus gehandelt hatte. Siehe darüber ausführlich  : Walter Hagen, Unternehmen Bernhard. Ein historischer Tatsachenbericht über die größte Geldfälschungsaktion aller Zeiten, Wels/Starnberg 1955. Walter Hagen ist ein Pseudonym für Dr. Werner Höttl, Historiker, SD-Offizier und seit den Fünfzigerjahren kaufmännischer Leiter einer privaten Mittelschule mit Öffentlichkeitsrecht in Bad Aussee. 26 Über Nikolaus Horthy de Nagybánya (1868–1957) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 191, Anm. 181. Er war seit Frühjahr 1918 Flottenkdt., seit 1.11.1918 k. u. k. Vizeadmiral und 1920–1944 ung. Reichsverweser. Siehe über ihn die div. Lexikonartikel sowie  : Emilio Vasari, Ein Königsdrama im Schatten Hitlers, Wien 1968. 27 Ludwig Prinz zu Windisch-Graetz (Wien, 13.5.1830–14.3.1904.Wien) 20.5.1847 als Marine-Kadett in die Bewaffnete Macht eingetreten, 1.4.1848 Lt. IR 49, Karriere als Truppenoffizier (Infanterie und Ka-

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wurde die Fürstin auf mich aufmerksam und sagte zu meiner Mutter, dass ich gut zu ihrem um zwei Jahre älteren Sohne Ludwig passen würde und sie mich an den Sonntag-Nachmittagen als Spielkameraden zu ihrem Sohne holen lassen werde. Angesichts des großen Rang- und Standesunterschiedes der Familien war es begreiflich, dass meine Mutter mir mit allem Nachdruck tadellos artiges und bescheidenes Benehmen einschärfte und ich mich streng an Mutters Gebot hielt. Außer mir war nur noch der gleichfalls etwas ältere Sohn des Korpsintendanzchefs Damisch28 – ein zügelloser Lausbub – von der Fürstin ausgesucht worden. Wir drei kamen im Garten des Korpskommandos oder in den Zimmern Ludwigs zusammen, und das mir damals noch neue Indianerspiel, für das Ludwig außer einem großen Zelt alle Waffen, Kochgeräte und Bekleidungen hatte, beherrschte diese Zeit. In äußerst laxer Art übte Ludwigs Erzieher, ein junger Priester, die Aufsicht. Die Fürstin erinnere ich mich nur, das eine oder das andere Mal gesehen zu haben. Wir bekamen stets eine gute, reichliche Jause, und am Abend geleitete mich der Abbé heim. Einmal machten wir unter seiner Führung sogar einen mehrtägigen Ausflug nach dem polnischen Königsschloss Podgórze bei Krakau29. Ich kann nicht behaupten, dass ich mir damals oder später auf diese auszeichnende Spielkameradschaft irgendetwas eingebildet hätte  ; eher im Gegenteil, ich empfand sie die als lästig, weil die oft rüden Lausbübereien der beiden mich abstießen. Ich selbst bin Ludwig erst wieder 1958 und Damisch nie mehr begegnet. Ich hatte nur im Ersten Weltkrieg seine Nachfolge bei der 1. bulgarischen Armee anzutreten, um einige aufgetretenen Unstimmigkeiten in Ordnung zu bringen. Wir begegneten uns persönlich aber nicht, weil der Prinz Monastir30 bereits verlassen hatte, als ich eintraf. Aber er hat mir in nobler und wohltuender Weise seine persönliche Verpflegungsreserve an guten Konserven überlassen. vallerie), 13.12.1865 Obst. UR 7, 28.4.1872 GM, Brigadier, Divisionär, 8.4.1881 Militärkdt. in Krakau, 1.1.1883 Kdt. I. Korps, 1.5.1888 GdK., 13.9.1889 Kdt. XI. Korps und Kdi.Gen. in Lemberg, 14.5.1895 Generaltruppeninspektor. Sein Schriftennachlass  : ÖStA/NLS, sign. B/995. 28 Johann Damisch (Pettau Steiermark, heute Ptuj, Slowenien, 3.8.1840–  ?), 20.8.1856 aus der MarineSchul-Kp. als Gefr. zur Marine-Infanterie, 18.6.1866 Lt., 1869 zum FJB 9,1874 Frequentant des Intendanzkurses, 1.11.1894 als Militärintendant bei der Intendanz des 15. Korpskommandos in den Ruhestand und Verleihung des Titels eines Militär-Oberintendanten. 29 Krakau, poln. Kraków, Hauptstadt der Wojwodschaft, liegt an der oberen Weichsel, war 1320–1609 poln. Hauptstadt, fiel nach der dritten poln. Teilung von 1795 bis 1809 an Österreich, gehörte dann zum Herzogtum Warschau, wurde 1815 neutrale Freistadt, die aber 1846 einverleibt wurde. Am anderen Ufer, der Stadt gegenüber, liegt die ehemalige Vorstadt Krakaus, Podgórze, die in jenem Jahr bei einem Polenaufstand eine nicht unbedeutende Rolle gespielt hatte. Jansas Erinnerung an einen mehrtägigen Ausflug könnte auf einem Irrtum beruhen. 30 Monastir, türkische Stadt bis zu den Balkankriegen, heute Bitola, Handelsstadt und zweitgrößte Stadt von Makedonien, gelegen in der fruchtbaren Pelagonischen Ebene. Im dortigen Kadettenhaus war Kemal Pascha Atatürk Militärschüler.

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Als ich im I. Weltkrieg nach etwa 25 Jahren durch Lemberg kam, besuchte ich natürlich die Stätten meiner Kindheit, einschließlich der Gräber meiner mütterlichen Großeltern. Ich fand sie alle unzerstört und war nur erstaunt, wie klein ich als Erwachsener alle Gebäude, Plätze und Straßen fand, die mir aus der Kindheit groß und mächtig in Erinnerung standen. Eine Einzelheit möchte ich noch erwähnen, weil sie für meine Achtung vor dem Patriotismus der Polen von grundlegender Bedeutung war  : Lemberg hatte einen Hügel, den Sandberg, auf dessen mit der alten polnischen Fahne geschmückten höchsten Punkt ein als Spirale angelegter Weg hinaufführte. Von diesem Sandberg, der auch nach dem polnischen Freiheitshelden Kościuszko-Hügel genannt wurde, erzählte mir meine Mutter, dass die Polen diesen Hügel als Mahnmal für die ungerechte Teilung und Zerreißung Polens künstlich errichtet hätten, indem jeder Pole und jede Polin, einschließlich der Damen der höchsten Gesellschaft, einen Schubkarren voll Sand hinaufgeführt hätten. Das imponierte mir Buben gewaltig und regte meine Sympathie für dieses von der ganzen Welt betrogene Volk an.31 In die Lemberger Zeit fällt auch meine Firmung, die ich mit noch nicht ganz zehn Jahren empfing. Es war das eine Großaktion für die katholischen Zöglinge der Evangelischen Schule, denen allen gemeinsam eben der polnische Sprachlehrer Pate stand. Sinn und Bedeutung dieses für Katholiken doch so hochbedeutsamen Sakramentes zu erfassen, war ich nicht in der Lage. Die Schuld liegt da wohl beim Elternhause, aber nach meinem Dafürhalten vor allem bei der Kirche, die es richtig findet, dieses Sakrament an Kinder in einem Lebensalter zu spenden, in dem die wenigsten die geistige Reife besitzen, die Bedeutung des Sakramentes und die daraus für den Empfänger entstehende Verpflichtung, selbst nach vorangegangenem Unterricht, zu erfassen. Prag 1894–1896 Nach knapp zweijähriger Garnisonierung in Lemberg wurde mein Vater im Frühsommer 1894 bei Ernennung zum Stellvertreter des Kommandanten des Landesgendarmerie-Kdo. Nr. 2 nach Prag versetzt. Ich konnte gerade noch die vierte Volksschulklasse beenden und bekam ein Vorzugszeugnis mit auf den Weg. 31 Der bekannteste derartige Hügel wurde jedoch der Kościuszko-Hügel bei Krakau, zum Teil errichtet nahe von österreichischen Befestigungen der 1. Hälfte des 19. Jh. Nach 1945 wurde auf die gleiche Weise auf einem diesem Hügel nahen Bergrücken der Piłsudski-Hügel geschaffen. In Lemberg gab es jedenfalls – wie beispielsweise auch in Innsbruck über die Berg-Isel-Schlacht von 1809 – ein riesiges historisches Rundpanorama, das an die Schlacht bei Raclawice am 4.4.1794 erinnert. Die polnischen Milizen unter Führung des Tadeusz Kościuszko gewannen diese Schlacht gegen russische Truppen. Das Panorama war 1893/94 zum Jahrestag der Schlacht geschaffen worden.

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Wie sich der Abschied von Lemberg und die Übersiedlung nach Prag vollzogen, ist meiner Erinnerung gänzlich entschwunden. Diese beginnt erst wieder mit unserem Eintreffen in Prag, wo wir zunächst ein Hotel auf der Kleinseite bezogen, das in nächster Nähe der Gendarmeriekaserne lag. Dieses Gendarmeriehaus machte auf mich einen ehrfurchtsvollen Eindruck, denn es war eine aufgelassene, für Militärzwecke umgebaute Kirche, deren erhalten gebliebene Mittelhalle mit einem im Scheitel aus Glas gefertigten Dache versehen und dreifach je in Stockwerkhöhe mit rundlaufenden offenen, mit Eisengittern bewehrten Gängen ausgestattet worden war. Von diesen Gängen führten Türen in die Kanzlei- und Unterkunftsräume, welche in die Seitenschiffe verlegt waren. Immer wenn ich dieses große, zur Halle gewordene Kirchenschiff betrat, um in die Kanzlei des Vaters zu gelangen, ergriff mich eine für einen 10–12-jährigen Buben ungewöhnlich feierliche Stimmung. Schon nach kurzer Zeit bezogen wir an der schönen Moldau am Ferdinandskai Nr. 13, gerade gegenüber der Judeninsel,32 eine riesige Wohnung, deren Mietzins höher war als das meinem Vater gebührende Quartiergeld, aber mangels anderer Auswahl genommen wurde, weil selbst die Zuzahlung aufs Quartiergeld billiger kam als das Leben im Hotel. Schön war das Wiedersehen mit meinem Bruder, der jetzt von Wien zu uns stieß. Jedes Familienmitglied bekam sein eigenes Zimmer, und es blieben trotzdem noch ein Speisezimmer und zwei Salons. Auch hier halfen die ärarischen Möbel, um die Zimmer halbwegs einzurichten  ; gemütlich war es in dieser Wohnung allerdings nie. Ich profitierte nur insofern, als ich mir bisher unbekannte Sportarten sehen konnte, da die Judeninsel fast zur Gänze von Sportklubs besetzt war  ; Rudern sah ich, dann Hochradfahren und verschiedene Ballspiele. Dennoch bedauerten wir es nicht, als sich nach einem halben Jahre die Möglichkeit bot, in eine viel behaglichere Wohnung im Hause des Handschuhmachers Haberkorn in der Všehrgasse auf der Kleinseite gleich am Ausgang der Kettenbrücke umzusiedeln.33 32 Die Judeninsel, Židovský ostrov, eine kleine Insel nördlich der Jirásek-Brücke, wird heute Dětský ostrov, Kinderinsel, genannt. Sie wird bereits im Jahr 1355 erwähnt, ist jedoch infolge der Überschwemmungen im Laufe der Geschichte mehrmals verschwunden. Bis ins 18. Jh. hinein hieß sie Malteserinsel (Maltézský ostrov) nach ihrem Eigentümer, dem Haus der Malteser in der Prager Kleinseite an der Kirche Maria unter der Kette. Später wurde die Insel nach den Angehörigen der Prager Judengemeinde, die die Insel in ihrem Besitz hatten, Hykš-Insel, Funke-Insel oder Judeninsel genannt. Ein letzter Namenswechsel erfolgte am Anfang der 60er-Jahre des 20. Jh. In jener Zeit wurde hier ein Areal von Kinderspielplätzen errichtet. Im nördlichen Teil der Insel steht ein Pylon mit einer allegorischen Statue. Er repräsentiert den Fluss Moldau (Vltava) mit seinen Zuflüssen Sázava (Sasau), Lužnice (Lainsitz), Berounka (Beraun) und Otava (Wottawa). Am Vorabend von Allerheiligen wird dort alljährlich der „Opfer“ des Flusses Moldau gedacht. 33 Die Franzensbrücke wurde als zweite „Smetanabrücke“ errichtet, sie hieß während der sogenannten Zwischenkriegszeit Legionenbrücke.

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Mein Bruder und ich wurden in der II. deutschen Realschule auf der nahe gelegenen Kampainsel34 eingeschult. Dank der Vorzüglichkeit der Lemberger evangelischen Schule bestand ich die Aufnahmsprüfung spielend. Während ich an Lemberg nur schöne, harmonische Erinnerungen habe, in deren Mitte die polnische Bevölkerung als ritterlich-freundlich und zuvorkommend-liebenswürdig dasteht, bleibt mir vom größeren und härteren Prag, dass dort alles auf Kampf gestellt war, auf Probleme, die ich damals nicht erkennen und begreifen, wohl aber fühlen konnte. Das begann schon in der Familie des unmittelbaren Vorgesetzten meines Vaters, des Landesgendarmeriekommandanten, den eigentlich auch der einzige gesellschaftliche Verkehr während der beiden Jahre war, die wir in Prag erlebten. Brachte die große Stadt diese Zurückhaltung mit sich oder lag sie an der unfreundlichen Zweigeteiltheit der Menschen  ? Meines Vaters Kommandant hatte den urdeutschen Namen Kraft v. Helmhacker  ; er war aber der Gesinnung nach überzeugter Tscheche.35 Seine kleine, schmächtige Frau sprach Deutsch mit stark tschechischer Betonung, das, sobald sich ihre Worte von uns weg an ihre Familienmitglieder richteten, sofort ganz ins Tschechische wechselte. Allerdings war sie nicht in Böhmen, sondern in Persien aufgewachsen, wo ihr Vater durch lange Jahre in irgendeiner diplomatischen Funktion gewirkt hatte. Ihre damals schon verwitwete, bei ihnen lebende Mutter erzählte fast immer nur von Persien, was für uns Buben durch ihr böhmakelndes Deutsch stets erheiternd wirkte. Gaben sich also die Eltern und die Großmutter ganz als Tschechen, so waren die Kinder betont deutsch gesinnt, was in der Familie trotz unserer Gegenwart zu häufigen Auseinander­ setzungen führte. Der älteste Sohn lernte damals an der Wiener Neustädter Militärakademie, der nächste an der Militäroberrealschule  ; dann kam eine wenig ansprechende Tochter und schließlich ein noch jüngerer Bub als ich. Alle vier Kinder waren literarisch hochinte34 Kampainsel  : größere Insel in der Moldau unterhalb der Karlsbrücke, von der Kleinseite durch einen künstlichen Flussarm getrennt, der seit 1842 Čertovká (Teufelsbach) genannt wird. 35 Hermann Kraft Edl. v. Helmhacker, (Rokitzan, Böhmen, 1.4.1836–  ?), 5.7.1854 freiwillig als Rekrut zum IR 28, 1.5.1866 zum Landesgendarmeriekdo. 9, 1.6.1867 Lt., 1.5.1892 Major im Landesgendarmeriekdo. 5, 17.4.1894 Stellvertreter des Landesgendarmeriekdten in Lemberg, 9.4.1896 Landesgendarmeriekdt. in Prag, 1.5.1897 Obst., 8.4.1898 Vorstand des Departement III im k. k. Min. f. Landesverteidigung, 1.7.1899 pensioniert. Ein Sohn wurde ebenfalls Offizier und dann Lehrer der deutschen bzw. der tschechischen Sprache an Militärschulen. Vgl. zu diesem Problem die 17 Aufsätze tschechischer und österreichischer Autoren in der Publikation  : ObstdhmfD. Dr. Josef Ernst (Hg.), 250 Jahre Fremdsprachenausbildung im österreichischen Militär am Beispiel des Tschechischen (Symposion 2.–4. Oktober 2002), (= Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie Wien LVAk 8/2003) Wien 2003. Darunter  : Petr (sic  !) Broucek, Die Mehrsprachigkeit und Sprachenpolitik in den Einheiten der k. u. k. Armee in den böhmischen Ländern, S.16–S.21.

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ressiert. Während der großen Ferien, wenn die Militärzöglinge daheim waren, wurde fast täglich Theater gespielt. Dadurch lernte ich Grillparzer, aber auch Schiller gut kennen. Wenn Obst. Kraft und seine Frau ihre Kinder ermahnten, doch auch tschechische Dichter zu rezitieren, ernteten sie bloß höhnische Ablehnung. Aber dafür waren alle vier begeisterte Verehrer Richard Wagners und ließen sich keine solche Opernaufführung entgehen. Meinem Wunsch, mich irgendeinem Turn- oder Sportverein anzuschließen, wurde nicht gewillfahrt, mit der Erklärung, die Sokoln seien rein tschechisch und die nicht tschechischen zu radikal deutsch oder jüdisch. Es gab wohl einen Geselligkeitsverein „Austria“, der war aber nur für Erwachsene. Unsere Realschule hingegen auf der Kampainsel war rein deutsch und die E ­ rziehung erfolgte sehr patriotisch-österreichisch. Da Kaisers Geburtstag in die großen Ferien fiel, wurden die in den Oktober und November fallenden Namenstage des Herrscherpaares festlich begangen. Wir versammelten uns in der Schule und wurden geschlossen von dem an diesen beiden Tagen in seine Beamtenuniformen gekleideten Lehrkörper und dem Direktor in die uns durch den reichen Wappenschmuck sehr beeindruckende Malteserordenskirche zur heiligen Messe geführt.36 Nachher wurden wir wieder in die Schule zurückgeführt, wo uns der Direktor im großen Zeichensaal eine stets sehr zu Herzen gehende Ansprache hielt. Diese patriotische Erziehung fand im lehrplanmäßigen Religionsunterricht ihre regelmäßige Wiederholung und Vertiefung. Bis heute klingt mir der Beginn jeder Religionsstunde durch den kleinen, schwer gichtischen geistlichen Professor Dr. Malecek im Ohr, wenn er seine erste Frage stellte  : „Auf wen haben wir unser Hauptaugenmerk zu richten  ?“ Der aufgerufene Schüler hatte wörtlich genau zu antworten  : „Auf Seine Majestät, unseren allergnädigsten Herrn, Kaiser und König Franz Joseph I.“ – „Weshalb  ?“, lautete die zweite Frage, auf die der befragte Schüler zu antworten hatte  : „Seine Majestät ist uns ein leuchtendes Vorbild in allem.“ – „Wodurch  ?“, war die dritte Frage, auf die zu antworten war  : „Seine Majestät erhebt sich täglich schon um halb 5 Uhr früh von seinem einfachen Feldlager, verrichtet kniend vor dem gekreuzigten Gotte sein Morgengebet usw.“ So wurde das ganze Tagesprogramm des Kaisers durchgefragt und beantwortet. Dabei musste jedes Wort in immer genau gleichen Sätzen richtig gesetzt und ausgesprochen sein, sonst gab es sofort einen Strafpunkt. Und der Erfolg dieser scharfen Disziplinübung  ? Wunderbar  ! Höchst selten, dass sich ein Schüler in einer Pause eine unpassende Bemerkung erlaubt hätte. Im Gegenteil, wir waren immer gespannt, weil nach den formalen Einleitungsfragen und -antworten Prof. Malecek 36 Die Malteserkirche zur hl. Maria unter der Kette am Ende der Brücke, Praha I – Malá Strana, Lázeňská 4/287.

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die jeweilige Stellungnahme des Monarchen zu den verschiedenen Tagesproblemen in kurzen prägnanten Sätzen darstellte und uns wiederholen ließ. Dann erst begann der Religionsunterricht. Wenn wir später daheim erzählten, was uns Prof. Malecek gelehrt hatte, erfüllte es uns mit Stolz, über unseren Monarchen mitunter mehr zu wissen als unsere Eltern. Ich habe eine so konsequente Vertiefung der monarchisch-dynastischen Erziehung leider nie mehr in meinem Leben wieder gefunden, nicht in Zivil-, nicht in Militärschulen, nicht bei der Truppe und schon gar nicht im Generalstab. Ich war vielleicht der einzige, der seine Rekruten beim slowakischen Inf. Rgt. Nr. 72 nach diesem Muster schulte. Auch sonst habe ich die Prager Realschuljahre in lieber Erinnerung. Meine Klassenzimmer hatten die Fenster auf die Moldau gerichtet, die gerade in dieser Blickrichtung von einem Wehr gestaut wurde, das nur eine schmale Durchfahrt offen ließ, durch welche die Flößer ihre schweren Holzmassen mit viel Kraft und Geschick in rasender Fahrt hindurchschleusen mussten. In ganz seltenen Fällen gelang dies nicht  ; dann zersplitterte das Floß wie eine ausgeleerte Streichholzschachtel. Da lernte ich „geteilte Aufmerksamkeit“  : dem Unterricht folgen und dennoch die erregende Durchfahrt der Flößer beobachten. Einmal gab es sogar eine Überschwemmung der Insel durch Hochwasser, sodass Pioniere und Pontons uns aus der Schule herausholen mussten. Auch die ersten nationalen Keilereien lernte ich in Prag kennen, wenn an irgendwelchen politisch aufgeregten Tagen tschechische Gewerbeschüler uns an dem von der Insel zur Kleinseite führenden Steg den Weg verlegten. Da wurden Reißschienen zu Schwertern. Kam ich mit einer Schramme heim, so fragte mich mein Vater nur  : „Hast du den andern ordentlich verhauen  ?“ Wenn ich Ja sagen konnte, war die Sache erledigt.37 37 Der 1908 aus der Technischen Militärakademie als Leutnant zum Eisenbahn- und Telegraphenregiment ausgemusterte Leutnant Ernst Frh. v. Jedina-Palombini ist später, 1912, auch in die Kriegsschule aufgenommen wurde, wie vorher bereits Jansa. Er gibt in seinen maschinschriftlich nach 1945 niedergelegten Memoiren „Erinnerungen“, die er dann bis Juni 1918 fortgesetzt hat, eine hierher passende Erinnerung zum Jahr 1910 (NLS, sign. B/959, fol. 110)  : „So war denn der erste Monat dahingegangen und die Sudetendeutschen des 9ten Korpsbereiches rüsteten ab. An ihrer Stelle rückten Mannschaften des 8ten (Prager) Korps ein. Auch zwei neue Reserveoffiziere. Da wehte nun ein anderer Wind. Jetzt sollte ich das tschechische Volk, dessen nationalem Erwachen ich bisher duldsam gegenübergestanden war, näher kennen lernen. Schon als ich das erste Mal die Front meiner Leute im Kasernenhof abschritt, erschrak ich  : Abgrundtiefer Haß schlug mir aus den Augen der Neueingerückten entgegen. Es zeigte sich bald, daß sie nur darauf lauerten, uns, ihre Vorgesetzten, zu irgendeiner unbedachten Äußerung oder Handlung zu verleiten um darauf ein Gerichtsverfahren wegen Mannschaftsmißhandlung zu begründen. Darin hatten die Leute allerdings kein Glück, ich konnte mich beherrschen und meine Reserveherren und Unteroffiziere konnten es auch. Bald wurde mit der Ausbildung auf dem Exerzierplatze begonnen. Doch auch

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Während mir aus meinen ersten zehn Jahren nur meine gute Mutter als Erzieherin vor Augen steht, tritt in der Prager Zeit mehr mein Vater in den Vordergrund. Er war – wie alle Gendarmerieoffiziere – durch die regelmäßige Inspizierung der vielen zerstreut liegenden Gendarmerieposten fast jeden zweiten Monat abwesend. Wenn er heimkam, war es immer ein Jubel  : Er brachte für Mutter und uns Buben stets irgendeine kleine Überraschung mit. Er war ein schlichter, seelensguter Mensch von beispielhafter Lebensführung und eisernem Pflichtgefühl. Ich kann mich an keinen einzigen Fall erinnern, da Vater uns hart angelassen oder gar gezüchtigt hätte. Immer appellierte er nur – so wie auch die gute Mutter – an unser Ehrgefühl, obwohl wir durchaus keine Musterknaben waren und besonders ich in meinen Flegeljahren ein oft recht rüder Geselle war. Von seinen Eltern erzählte uns Vater nie. Er hatte seine Mutter sehr früh verloren, und sein eigener Vater scheint sich wenig um ihn bekümmert zu haben. Dieser war kaiserlicher Wagnermeister im böhmischen Fuhrwesenkorps und kam zum Schluss in das Fuhrwerksdepot in St. Marein.38 Mein Vater wurde zum Inf. Rgt. 21 assentiert, machte in diesem Verband die Feldzüge 1848/49 in Ungarn mit, stand 1853/54 bei der mobilisierten Armee in Siebenbürgen und kam von dort zur berittenen Gendarmerie. In Prag lernte ich die Witwe nach dem jüngeren Bruder meines Vaters kennen, auf den mein Vater nicht gut zu sprechen war, da er das väterliche Haus in Körbern bei Prag39 eigenmächtig verjubelt hatte. Dadurch war auch das Verhältnis zur Schwägerin kühl. Diese entstammte einem der vielen Prager jüdischen Häuser. Ihren Bruder, den hier zeigte sich ein gewaltiger Unterschied gegenüber dem ersten Turnus  : Die Tschechen bemühten sich krampfhaft, unmilitärisch zu erscheinen und beanspruchten die Geduld der meist sudetendeutschen Unteroffiziere bis aufs Äußerste … Auf Grund irgendwelcher Nachrichten hatten sich da plötzlich Dutzende von Händlern am Rande des Übungsplatzes versammelt, die Tragen von Bierkrügeln und kleine Fäßchen mit Essiggurken herbeigeschleppt hatten. Die wurden nun mit unglaublicher Geschwindigkeit geleert. Ich staunte, doch einer meiner Herren, der die Verhältnisse kannte, erklärte mir, daß ein Prager Tscheche ein Dutzend Krügel als tägliche Normalleistung ansehe …“ – „Ich erfuhr dann weiter, daß das ‚Pravo lidu‘ (Volksrecht), das sozialdemokratische Blatt Prags, in einem Artikel „od telegrafniho stanice zelezního pluku“ (über die Telegraphenabteilung des Eisenbahnregiments) bitter beklagt hätte, daß wir ‚Arbeiterfamilienväter‘ durch die Dörfer der Prager Umgebung ‚jagten‘ (der Leitungsbau konnte nur in ganz langsamen Schritt vor sich gehen  !) und dabei den Bedauernswerten nur ein Stück Wurst (kousek vur´stu) und ein wenig Kaffee als Mundvorrat zubilligten …“ Jedina lud einen älteren tschechischen Reserveoffizier ein. „So kam ich auf diese Wese in Berührung mit Gaststätten in der Umgebung Prags. Da entdeckte ich mit Entsetzen, auf welche Weise dort Volksverhetzung getrieben wurde. Überall hingen Bilder aus den Hussitenkriegen, von den Gottesstreitern (boží bojovníci) oder von den Hundsköpfen (psehlavci), den Teilnehmern an einer Steuerrevolte der Tauser (‚Choden‘) zur Theresianischen Zeit. Dies waren die Beispiele, welche den Leuten vorgehalten wurden.“ Taus ist eine Gemeinde im Böhmerwald. 38 Gemeint ist wahrscheinlich St. Marein im Mürztal nördlich von Kapfenberg, Steiermark. 39 Körbern, heute Praha-Košíře.

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reichen praktischen Arzt Dr. Stern, mussten wir ab und zu besuchen, ebenso wie die Tante Fanny. Diese lebte in sehr dürftigen Verhältnissen, da mein Onkel auch ihr Heiratsgut verschwendet und ihr, nach seiner Dienstzeit in einem Husaren-Regiment Beamter der Buštěhrader Eisenbahn geworden, nur eine kleine Rente hinterlassen hatte.40 Meine Mutter schätzte diese leidgeprüfte Schwägerin und half ihr öfter mit kleinen Geldbeträgen aus, was Vater nicht billigte, weil er in seiner Schwägerin eine Mitschuldige seines Bruders sah, der ihn um den väterlichen Hausanteil gebracht hatte. Da war noch deren abstoßende Tochter Hedwig, die als Volksschullehrerin tätig war  ; sie muss um 15 bis 20 Jahre älter gewesen sein als ich. Ihre hübsche Cousine Ida indes, Dr. Sterns Tochter, hat einen Geniestabsmajor Ellbogen geheiratet. In Prag begann auch der planmäßige Musikunterricht. Mein Bruder wählte Geige  ; mir bestimmte die Mutter Klavier in der Hoffnung, dass mein Gehör sich durch planmäßige Arbeit bessern werde. Ich will nicht behaupten, dass ich ein sehr fleißiger Klavierschüler gewesen bin, aber ich habe mich immerhin bemüht und geübt, bis die liebe Mutter und ich – schon viel früher – die Überzeugung gewannen, dass dort, wo nichts ist, nichts verfeinert werden kann. Gleiche Unbegabtheit erwies sich bei mir auf dem Gebiet der Sprachen. Und das ist zeitlebens mein schmerzlichster Mangel geblieben, denn gerade in der vielsprachigen österreichisch-ungarischen Monarchie war Sprachenkenntnis von ungeheurer Bedeutung. Schulmäßig habe ich nacheinander Polnisch, Böhmisch und Französisch gelernt, bin aber über die notdürftigsten Anfänge nie hinausgekommen. Beim Regiment musste ich später Slowakisch und Ungarisch lernen. Ungarisch habe ich neben Französisch noch am besten, jedoch weit entfernt von vollkommen gekonnt. Mein Bruder hingegen hat Sprachen mit Leidenschaft und gutem Erfolg gelernt  ; Englisch sprach er fast perfekt. In der Prager Zeit, und zwar beim Wohnungswechsel, befiel meinen Vater, den wir nur voll strotzender Gesundheit kannten und der bei allen schweren Arbeiten selbst Hand anlegte, ein Schwächezustand, der uns mit großer Besorgnis erfüllte, stand Vater damals doch schon im 65. Lebensjahre. Dieser Schwächezustand ging bald vorüber, führte aber zur sehr offenen Besprechung unserer Zukunft im Falle seines Ablebens. Die Witwenpensionen waren sehr dürftig – das schöne Bild Fendis „Die Offizierswitwe“ ist durchaus lebenswahr.41 Die rund fünftausend Gulden Wertpapiere, die 40 Buštěhrad, Stadt in Böhmen 15 km nordwestlich von Prag mit sehr reichen Kohlengruben. Von diesem Ort hatte ein Eisenbahnkomplex den Namen erhalten, der Prag mit den wichtigsten Kohlengruben des Landes bei Kladno, Rakonitz (Rakonice), Komotau (Komotov), Eger (Cheb) verband und zugleich den Anschluss an die bayerischen und sächsischen Staatsbahnen vermittelte. 41 Peter Fendi (1796–1842), mit seinen Genrebildern einer der beliebtesten Maler und Grafiker des Wiener Biedermeier.

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meine Mutter in die Ehe gebracht hatte, trugen nur 200 Gulden Zinsen  ; das genügte kaum zur Deckung der Erziehungskosten meines Bruders. Vater machte also den Vorschlag, mich in eine Militärunterrealschule zu geben, in denen die Offizierskinder fast ganz auf Staatskosten ausgebildet wurden. Meine Mutter verwarf diesen Gedanken  ; die völlige gesundheitliche Erholung des Vaters erfüllte sie mit der Zuversicht, dass ich bis zur Matura im Elternhause werde bleiben können. Sie wollte ihren Einfluss auf meine Erziehung nicht vorzeitig ausgeschaltet wissen, weil sie nach den Erfahrungen mit ihren Brüdern der Auffassung war, die frühe, rein militärische Erziehung verhärte Gemüt und Seele vorzeitig. So blieb ich also in der Realschule und kam dort gut vorwärts. Aber unsere Prager Garnisonierung sollte nicht von langer Dauer sein. In irgendeinem Zusammenhang mit den in Reichenberg42 ausgebrochenen Unruhen, bei denen die Gendarmerie zur Wiederherstellung der Ordnung von der Schusswaffe Gebrauch machen musste, wurde mein Vater in den Ruhestand versetzt.43 Er bekam zum Abschiede die gekrönte Medaille mit dem Kaiserbild, das Signum laudis. Die Pensionierung aber bedeutete eine starke finanzielle Einbuße, und ich hörte meine Eltern, die nun schon alle wichtigen Angelegenheiten vor ihren Söhnen besprachen, erwägen, ob man in Prag bleiben oder sich anderswo zur Ruhe setzen solle. Die Wahl fiel schließlich auf Wien. Wien 1896–1898 Meine Mutter war vorausgefahren, um mit ihrer Freundin, der Generalswitwe v. Zipperer, eine möglichst billige Wohnung zu suchen. Eine solche Vierzimmerwohnung fand sich in dem alten, die Baulinien Seidel- und Kegelgasse Nr. 6 im III. Bezirke überragenden, aber unverändert noch heute stehenden Hause.44 Da es im Ruhestand 42 Reichenberg (tsch. Liberec), Kreisstadt an der Görlitzer Neiße zwischen Jeschken ( Ještěd) und Isergebirge ( Jizerské Hory). Seit mehr als 100 Jahren bedeutender Sitz der Textilindustrie (Tuchmacherei) Nordböhmens. Stadt seit Ende 16. Jh. 1938–1945 Sitz der Verwaltung des Reichsgaus Sudetenland. Bis 1945 größte Stadt im deutschsprachigen Bereich Böhmens bzw. Tschechiens. 43 Gemeint sind vielleicht die schweren Unruhen, die allerdings erst im politischen Lager der Deutschen nach Erlassung der zwei Sprachenverordnungen für Böhmen und Mähren durch Ministerpräsident Graf Kasimir Badeni am 5. April 1897 ausbrachen. 44 Der dritte Wiener Bezirk ist der Bezirk Landstraße. Er umfasst die ehemaligen Vorstädte Landstraße, Erdberg und Weißgerber. Die Vorstadt Landstraße entwickelte sich aus der Niederlassung, die am Anstieg zur Terrasse des Wientals entstanden war. Dort befand sich das urkundlich im 12. Jh. erwähnte Nikolai-Nonnenkloster, dessen Lage heute nicht mehr erkennbar ist und von den Türken 1529 verwüstet wurde. Ab dem 15. Jh. findet sich die Bezeichnung „An der Landstraß“ für die Siedlung.

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keine ärarischen Möbel mehr gab, musste das Notwendigste nachgeschafft werden. In unserem Hause ging es nun noch knapper zu, doch konnte alles Lebensnotwendige dank der wunderbaren Wirtschaftskunst meiner Mutter beschafft werden. Die Lebensführung der Staatsbeamten und Offiziere, besonders wenn sie einmal in den Ruhestand getreten waren, ohne reiche Frauen geheiratet zu haben, ist nach unseren heutigen Begriffen wirklich dürftig zu nennen. Und an irgendeinen Nebenverdienst dachte mein nun 66 Jahre alt gewordener Vater nach 48 Arbeitsjahren nicht mehr. Im Haus befreundeten wir uns nun bald mit der einen Stock tiefer wohnenden Familie Walldorf, die aus den alten Eltern und ihren drei ledig gebliebenen Kindern, zwei Söhnen und einer Tochter, bestand. Obwohl die Söhne dreimal älter waren als ich, gewannen sie uns sehr lieb. Viele Stunden verbrachte ich in ihrem Hause und hörte und lernte dort allerhand fürs Leben. Der eine Sohn war Versicherungsbeamter und von heiterer Natur. Der andere, nachmals Polizeipräsident von Wien, damals jedoch im Polizeipräsidium tätig, konnte viel erzählen, während er daheim, Bier trinkend und Pfeife rauchend, wunderschöne Bildchen auf Porzellantassen malte, die dann eingebrannt und von ihm als Geschenke vergeben wurden. Mein Bruder und ich besuchten die nahe gelegene Radetzky-Realschule.45 Jetzt, da ich von meinen Wohnungsfenstern aus diese Schule täglich vor Augen habe, steht mir auch der Schulbetrieb wieder lebhaft vor Augen. Drei Professoren ragen in meiner Erinnerung besonders hervor, weil ihre Art des Unterrichtens nicht bloß schlummernde Fähigkeiten zu wecken und bilden wusste, sondern mir für ihre Fächer auch Interesse und Liebe zu wecken vermochte, die für meinen weiteren Bildungsgang und das ganze Leben maßgeblich blieben. Da war zunächst mein Klassenvorstand, Prof. Milan, ein älterer, schon ergrauter Herr mit jugendlicher Schwungkraft. Er lehrte deutsche Sprache, Geographie und Geschichte, die er so meisterhaft zu verbinden verstand, dass ich in der kurzen Zeit, die ich seinem Unterricht folgen durfte, tief beeindruckt wurde, wie sehr die geographischen Verhältnisse bestimmend sind für die sprachliche, charakterliche, künstlerische, kriegerische und damit gesamthistorische Leistung und Bedeutung eines Volkes. Wie seherisch hat dieser Mann damals, in den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts vorgetragen, als er von dem bevorstehenden bestimmenden Eindringen Russlands mit seinem unverbrauchten Volkstum in das mittel- und westeuropäische Geschehen sprach. Ganz anderer Art war der aus der Marine hervorgegangene Prof. Schiffner, der uns durch seine unnahbar strenge Unterrichtsweise in Geometrie und geometrisch Zeich45 Radetzky-Realschule  : Heute Bundes-Realgymnasium, 3. Bezirk, Radetzkystraße 24. 1938 wurde diese Schule für einige Zeit in eine sogenannte „jüdische Sammelschule“ verwandelt.

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nen lehrte, mathematisch-logisch zu denken und der dadurch gewonnenen Erkenntnis die kürzeste, prägnanteste, dennoch bildhafte Ausdrucksform zu geben. Ähnlich wie der Religionsprofessor in Prag beim patriotisch-dynastischen Unterricht, begann bei Prof. Schiffner jede Unterrichtsstunde mit einer den Gesamtstoff immer wiederholenden Fragestellung  : „Was ist der Punkt  ? Die Gerade  ? Der Kreis  ? Wann sind Gerade parallel  ? usw.“ Die Fragen wurden in rascher Folge bei dem in der ersten Bankreihe am Flügel sitzenden Schüler begonnen und durchliefen alle Bankreihen rückwärts und wieder vorwärts. Die Antworten mussten ebenso rasch, kurz und klar folgen. Sobald ein Schüler unsicher zu stottern begann, deutete Prof. Schiffner schon auf den nächsten. Jede richtige Antwort vermerkte er in seinem Notizbuch mit einem Plus, jede unsichere oder falsche mit einem Minus. Die Summe dieser Zeichen war für die Klassifikation bei Semesterschluss maßgeblich. Das ergab einen Appell in der Klasse von wunderbarer Aufmerksamkeit und Präzision. Der dritte Professor schließlich war ein körperlich ebenso kleiner Mann wie Schiffner, aber mit einem kugelrunden, von kurzgeschorenem, stachlig rot-weiß-meliertem Haar bedeckten Kopf. Auf seiner winzigen roten Nase saß eine goldgeränderte Brille, hinter der zwei große blaue Augen mit einer Leuchtkraft hervorblitzten, die uns unweigerlich in ihren Bann zog. Und dieser grandiose Pädagoge bereitete mit dem dicken Schuldiener als Assistenten jede Physikunterrichtsstunde fast ebenso lange vor. Immer wenn wir seinen theaterhaft ansteigenden Lehrsaal betraten, war der lange Experimentiertisch schon zurechtgemacht und jedes Wort seines Vortrages wurde sofort durch das vorgeführte Experiment bewiesen. Sein Unterricht war so aufregend spannend, dass wir stets ungern die Stundenglocke schrillen hörten und mit seinem Einverständnis oft auf die Pause verzichteten, um einen vorbereiteten Versuch noch auslaufen zu sehen. Das war Prof. Moritz Glöser, der nie gern prüfte, weil das sein Unterrichtspensum kürzte  ; trotzdem glaube ich, dass keiner der Schüler je unvorbereitet in der Physikstunde erschien. Die Aufopferung des Lehrers beeindruckte uns so nachhaltig, dass jeder Radetzky-Realschüler weit mehr wusste als irgendein anderer. Unsere dauernd angespannte finanzielle Lage, die durch den erforderlich gewordenen Nachhilfeunterricht für meinen Bruder in Mathematik und Darstellender Geometrie durch einen Professor einer anderen Realschule verschärft wurde, machte die Erörterung meines Eintritts in eine Militärerziehungsanstalt wieder aktuell. Da ich hierzu durchaus bereit war und in der Realschule mit Vorzug lernte, lag es nahe, mich um Aufnahme in die einzige Militäroberrealschule in Mährisch-Weißkirchen46 zu bewerben, von der man nach drei Jahren in die Theresianische Militärakademie nach 46 Mährisch-Weißkirchen, heute Hranice, Bezirk Prerau (Přerov), Mähren. Standort der einzigen MilitärOberrealschule der Doppelmonarchie und der Kavalleriekadettenschule der Monarchie.

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Wiener Neustadt und nach weiteren drei Jahren als Leutnant in das kaiserliche Heer gelangen konnte. Diese einzige Militäroberrealschule wurde aber von mehreren Militärunterrealschulen wie St. Pölten, Eisenstadt, Güns47 usw. so vollständig aufgefüllt, dass eine Aufnahme von einer Zivilrealschule nur in ganz seltenen Ausnahmefällen geschah. Darum sahen sich meine Eltern um eine machtvolle Unterstützung um, die deshalb nahelag, weil der seinerzeitige Korpskommandant von Lemberg, Fürst Windisch-Graetz, jetzt als Generaltruppeninspektor in Wien domizilierte. Meine Mutter sprach also bei der Fürstin vor, und ihr Gemahl unterstützte tatsächlich mein Aufnahmegesuch. Trotzdem wurde das Gesuch wegen Platzmangels abschlägig beschieden. Das war übrigens die einzige Protektion, die in meinem ganzen Leben für mich erbeten wurde – und die schlug fehl. Nun kam nur noch eine Kadettenschule infrage. Es gab da eine Reihe von Infanteriekadettenschulen, eine Kavallerie-, eine Artillerie- und eine Pionierkadettenschule. Der Husarenonkel Ede Meyer hatte ja strikt abgeraten, ohne ausgiebige geldliche Unterstützung zu einer berittenen Waffe zu gehen, somit fielen Kavallerie und Artillerie aus  ; zur Wahl standen lediglich Infanterie- oder Pionierkadettenschule. Da die Infanteriekadettenschulen insofern einen schlechten Ruf hatten, als sie zum Horte aller jener Lausbuben aus dem Kleinbürgertum geworden waren, die mangels Fähigkeiten an einer zivilen Mittelschule nicht weiterkonnten, lehnte ich als Vorzugschüler eine Bewerbung dorthin ab und verlangte meine Einschreibung in die Pionierkadettenschule in Hainburg. Zu der hatten mir auch meine Professoren geraten, obwohl sie über meine Absicht, Offizier zu werden, erstaunt waren, weil ich damals ein hochaufgeschossener, blasser, nur mittelkräftiger und auch stiller, in mich gekehrter Bub war. Da ergab es sich, dass mein Onkel Guido, der zum Generalmajor und HonvédBrigadier in Neutra48 ernannt worden war, mit seiner Familie zu einem längeren Urlaubsaufenthalt nach Wien gekommen war. Dieser Onkel, der mich gut leiden konnte und auf dessen Urteil als Generalstabsoffizier, Regimentskommandant und nun General ich sehr viel gab, riet von der Pionierkadettenschule ab mit der Begründung, dass ich dort einseitig zu einem Techniker erzogen würde. Für ein Vorwärtskommen in der Armee sei die Ausbildung für die Infanterie als „Königin der Waffen“ viel vorteilhaf47 St. Pölten  : NÖ Industriestadt an der Traisen und Verkehrsknoten, heute die Landeshauptstadt  ; Eisenstadt, heute Landeshauptstadt des Burgenlandes. Seit 1648 kgl. ung. Freistadt Kismarton, seit 1623 Sitz der Herrschaft der Grafen bzw. Fürsten Eszterházy  ; Güns (ung. Község), Städtchen an der Gyöngyös, am Ostfuß des Günser Gebirges, ganz nahe der heutigen österreichischen (burgenländischen)-ungarischen Grenze. 48 Neutra, slowak. Nitra, ung. Nyitra, am Fluss Neutra und am Fuße des Zobor (Tribetzgebirge), erste christliche Kirche und erster Bischofssitz der Slowakei, Sitz der Verwaltung eines der ältesten Komitate Ungarns. Der Fluss Nitra mündet kurz vor Komorn in die Waag.

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ter. Meine Bedenken wegen des schlechten Rufs der Infanteriekadettenschulen wies der Onkel ab und meinte  : „Geh‘ du nur ruhig in die Infanteriekadettenschule  ; deine Vorzugszeugnisse sollen dich nicht stören. Du wirst unter Einäugigen der König sein, und das wird dein Fortkommen nur fördern.“ So biss ich denn in den mir noch immer sauer erscheinenden Apfel. Erst in den folgenden Jahren kam ich darauf, wie klug Onkels Rat gewesen war. Mein Vater stellte also das Gesuch um meine Aufnahme auf einen vollen Freiplatz in der Infanteriekadettenschule nach Wien, und dieses Ansuchen wurde – ohne Protektion – glatt bewilligt. Bevor ich in die Militärerziehung kam, wechselten meine Eltern in ein schöneres Haus mit mehr Komfort am Kolonitzplatz Nr. 8. In dieser Wohnung gab es schon einen Wasserleitungsauslauf in der Küche, und das Klo lag innerhalb der Wohnung. Auch Gasrohre waren im Haus schon eingeführt und das Stiegenhaus war mit Gasflammen beleuchtet. In der Wohnung gab es aber noch Petroleumbeleuchtung. Elektrisches Licht begann gerade erst seinen Eroberungszug durch die Stadt, die sich um die Jahrhundertwende unter Bürgermeister Lueger in großem, alles verschönerndem und modernisierendem Umbau befand.49

49 Karl Lueger (1844–1910), Rechtsanwalt, Führer der Christlichsozialen Partei, 1897–1910 Bürgermeister von Wien.

II.

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Wien/Breitensee 1898–1902 Anfang September 1898 bestand ich in der Stiftskaserne, wo die Wiener Infanteriekadettenschule bis dahin untergebracht gewesen war, die Aufnahmsprüfung und wurde, nach der ärztlichen Untersuchung als „mittelkräftig“ bezeichnet, mit neunzig anderen jungen Burschen aufgenommen.50 Am 15. September rückte ich in das neue, gerade fertig gewordene Heim der Schule in Breitensee ein. Das war ein ganz moderner, luftiger Bau mit einem großen Exerzierplatz und einem ansprechenden Park. Es gab schöne Schlafsäle für je 20 Zöglinge, zwischen je zwei Schlafsälen einen großen Waschraum mit je zehn Wasserausläufen an jeder Seite, sodass in je zwei Partien alle sich gründlich und rasch reinigen konnten. Einen Stock tiefer lagen die hellen Lehrsäle mit großen Tischen und bequemen Stühlen, erleuchtet von vielen Gaslampen, die das Licht zur Decke strahlten und, nach unten abgeschirmt, eine ruhige schattenfreie Beleuchtung schufen. Es war auch an Zeichen-, Physik-, und Chemie-Lehr- und Experimentiersäle gedacht worden. Im Hochparterre befanden sich ein riesiger, für 400 Benützer berechneter Speisesaal, eine Kantine, je ein Fechtund Turnsaal, ein Musikzimmer mit einem großen Festsaal, während das Erdgeschoß neben Depoträumen ein geräumiges Schwimmbad umschloss. Stiegenhäuser und Gänge waren breit und durch viele Fenster ebenfalls hell gehalten. Im Garten gab es einen Teich, Tennisplätze und einen Pionierübungsplatz für Erdarbeiten sowie ein schönes Zöglingsspital. Es gab weiters ein Pferdestall-, Werkstätten- und Arrestgebäude, schließlich einen Unteroffiziers- und Mannschaftspavillon, in dem das Personal wohnte, dem Küche, Bedienung, Reinigung und Instandhaltung des ganzen Komplexes oblag. All das machte auf mich einen mächtigen Eindruck, viel schöner, als ich es erwartet hatte. Außerhalb dieses Komplexes, jenseits der Straße gelegen, gehörte noch ein großes Offizierswohnhaus zu dieser ansprechenden Anstalt. 50 Infanteriekadettenschule Wien-Breitensee. Diese 1875 gegründete Schule war eine der größten Militärschulen der Monarchie, sie übersiedelte 1898 aus der Stiftkaserne in den fertigen Neubau im Wiener 14. Bezirk, Hütteldorferstraße 126, heute Kommandogebäude Theodor Körner. Die Schule war nach 1918 die 1. Bundeserziehungsanstalt für Knaben, in der NS-Zeit eine Nationalsozialistische Politische Lehranstalt und diente 1945 bis 1955 der französischen Besatzungsmacht.

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Schulkommandant war bei meinem Eintritt und während der ersten beiden Jahre Obst. Zednik v. Zeldegg, eine imponierende Erscheinung.51 Die Zöglinge waren, entsprechend den vier Lehrjahrgängen, in vier Kompanien gegliedert. Was in den Zivilschulen der Klassenvorstand bedeutete, war hier ein Hauptmann-Kompaniekommandant mit einem zugeteilten Oberleutnant und einem Rechnungsunteroffizier. Diesem Führungskörper oblag auch die Bekleidung und Bewaffnung der Zöglinge sowie neben der Kontrolle des theoretischen und praktischen Unterrichtes die moralische Erziehung, körperliche Ertüchtigung, Anhaltung zu Zucht und Ordnung, Pünktlichkeit, Sauberkeit, Artigkeit. Als Gehilfen stellte der IV. Jahrgang für die ersten drei Monate eine Anzahl von sogenannten Rekruteninstruktoren, die uns außerhalb der lehrplanmäßigen Unterrichtsstunden von der Tagwache bis zur Retraite betreuten. Ihre Aufgabe war unsere Einkleidung in Uniform, unsere Belehrung und Kontrolle über Lüftung und Aufbau der Betten, Körperreinigung, Ordnung in den großen Nachtkästen und den Schubladen im Lehrsaal, die Sauberhaltung von Wäsche und Bekleidung, Unterricht im Benehmen in Uniform und die ganze praktische erste militärische Ausbildung beginnend mit der Körperhaltung über Körperwendungen, Gehen, Laufen, im Gliede antreten, Leistung der Ehrenbezeigung, Gelenkübungen, Übungen mit dem Gewehr, die Grundbegriffe des Dienstreglements bei Meldungen, Bitten, Beschwerden, Benehmen beim Rapport und bei der das Tagewerk abschließenden Befehlsausgabe. Diese ersten Wochen, in denen mir mit Wohlwollen, aber oft auch mit Härte deutlich gemacht wurde, was für ein dürftiger Knabe ich war, der ohne diese Rekrutenausbildung nie hätte hoffen dürfen, ein richtiger Mann zu werden, waren gar nicht leicht. Häufig hieß es die Zähne zusammenbeißen, um die Müdigkeit zu überwinden, den Willen und Eifer nicht zu verlieren. Die Erziehung erstreckte sich sogar auf die Mahlzeiten. Wir wurden im Speisesaal je 20 an große Tische mit Hockern gesetzt. An den beiden Tischschmalseiten nahm je ein Rekruteninstruktor, und zwar nach je vierzehn Tagen wechselnd, Platz. Dieser leitete die Tischgespräche, sah auf gerade Haltung beim Sitzen, korrekten Gebrauch des Essbestecks und der Servietten und bestimmte abwechselnd jenen, der als erster zulangen durfte. Das Als-Erster-nehmen-Dürfen hatte natürlich seine Vorteile. Sobald die Bedienungsordonnanzen die stets für 12 Personen berechneten Schüsseln zur Bedienung und Weitergabe überreichten, war es das unbestrittene Recht des jeweils ersten, sich mit einem so genannten Kontrawirbel aus der Suppenterrine das dickste 51 Oskar Zednik v. Zeldegg (Krakau, 13.7.1855–26.10.1922,  ?), heimatzuständig nach Troppau, 1.9.1874 aus der Theres. Milakad. ausgemustert zum IR 25, 1.11.1874 Lt., 1.11.1880 zugeteilt Glstb., 1.11.1888 wieder Truppenoffizier. 1.9.1895 Kdt. IKSch. Wien und im Stand des IR 18, 1.5.1896 Obstlt., 1.5.1899 Obst., 2.2.1900 Kdt. IR 43, 13.4.1905 Brigadier, 17.10.1908 zugeteilt XIV. KKdo., 1.5.1909 FML, sodann Kdt. 21. Lw.ITD, 28.6.1913 Ruhestand, 10.5.1914 GdI. mit Titel und Charakter.

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der Einlage, nachher von den Schüsseln das beste Stück Fleisch und die schönste Mehlspeise zu nehmen. Die Verpflegung war außerordentlich reich und kräftig. Zum Frühstück gab es zwei Stück Gebäck und Milchkaffee in so großen Zinnkrügen, dass sich jeder die Schale zweimal füllen konnte. Um 10h wurde im Lehrsaal zu Beginn der großen Pause durch eine Ordonnanz aus einem großen Korb eine Semmel gereicht. Das Mittagessen bestand aus einer Suppe mit viel Einlage, dann einem Stück gekochtem oder gebratenem Fleisch mit zwei reichlich bemessenen Beilagen und schließlich einer gekochten oder gebackenen Mehlspeise. Um 17h gab es wieder eine Semmel und um 19h30 das Nachtmahl, ein ordentlicher Gang wie Gulasch, Reisfleisch, Frankfurter Würste mit gerösteten Erdäpfeln, Leber, Beuschel mit Knödeln usw. Die Zubereitung war etwas derb, aber trotzdem sehr sorgfältig und wurde vom Ökonomieoffizier dauernd überwacht, während der Inspektionsoffizier die richtige Verteilung und das Benehmen bei Tisch prüfte und dann selbst an einem Tisch Platz nahm. Besondere Wünsche zum Speisezettel konnten während des Essens dem Tischvorsitzenden vorgetragen werden, der sie mit seiner zehnköpfigen Tischrunde gleich besprach und zustimmendenfalls dem Inspektionsoffizier meldete. In der Kantine wurden unter strenger Qualitäts- und Preiskontrolle feilgeboten  : Butter, Käse, Wurstwaren, süße Bäckereien, Semmeln, Brot, aber auch Bier, Sodawasser, Limonaden und Obst. Wer Geld hatte, konnte sich noch Zubußen kaufen. Ich selbst hatte mit der Normalversorgung überreich genug  ; denn daheim im Haushalte eines pensionierten Stabsoffiziers gab es durch Mutters Koch- und Backkunst wohl ab und zu besondere Leckerbissen, aber so regelmäßig reichlich und kräftig wie in der Schule war das Essen nicht. Außerdem bekam ich von meinem Vater monatlich nur die vorgeschriebenen 6 Kronen Zulage, die gerade für die Straßenbahn an den Sonntagen und die Bezahlung der Stehparterrekarten für die Hoftheater reichten. Ab und zu bekam ich vom Vater für das Jausenbrot 4–5 Knackwürste für die Woche mit. Sonst kostete meine Erziehung die Eltern keinen Heller, war also nicht nur für meine, sondern für Tausende andere Eltern eine Wohltat, die umso mehr wog, als die Familien kinderreich waren und die Väter in Garnisonen Dienst tun mussten, in denen es keine deutschen Schulen gab. Die einzige Dankschuld war die Verpflichtung, für jedes Ausbildungsjahr in der Schule später im Heer ein Jahr über die gesetzlich geregelte Wehrpflicht hinaus länger zu dienen. Die Heeresverwaltung sicherte sich durch diese großzügige militärische Jugenderziehung einen ausreichenden Offiziersnachwuchs für die Armee. Wer kennt die Völker, nennt die Namen, die gastlich da zusammenkamen  ? In jedem Korpsbereiche, außer Bosnien und Herzegowina, gab es so eine Infanteriekadettenschule mit einer Gesamtschülerzahl in einem Jahrgang von etwas über Tausend. In meinem Jahrgang

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waren meist Wiener und Niederösterreicher, aber auch einige Ungarn, Tschechen, Polen und Serbokroaten. Die Kenntnisse der deutschen Sprache waren anfangs verschieden, aber nach den vier Jahren des Beisammenseins konnten auch die Nichtdeutschen die deutsche Sprache in Wort und Schrift gut beherrschen. Dabei wurde auf die Nichtdeutschen von Lehrern und Kameraden viel Rücksicht genommen, was oft zu heiteren Missbräuchen führte. Wusste so ein Bub, und besonders groß waren darin die Ungarn, bei der Prüfung nichts zu antworten, so lag das selbstredend an den „Sprachschwierigkeiten“, die es dem Armen nicht gestatteten, sein an sich enzyklopädisches Wissen entsprechend auszudrücken. Derlei Ausreden wurden übrigens später in der Kriegsschule auch von werdenden ungarischen Generalstäblern benützt. Immer führte das allerdings nicht zum Erfolg, besonders dann nicht, wenn der Lehrer den Prüfling aufforderte, die gestellte Frage z. B. ungarisch zu beantworten. Im Allgemeinen jedoch war die Toleranz gegenüber den Nichtdeutschen recht groß. Gewissenlos log, wer, wie es von Seite professioneller Politiker und da wieder vornehmlich von ungarischen geschah, behauptete, die Fremdsprachigen würden in den Militärschulen entnationalisiert  ! Dass politisch verhetzte Buben ohne besondere Absicht, einfach durch das Zusammenleben der chauvinistische Schleier von den Augen fiel und sie Toleranz im Interesse der großen Gemeinschaft lernten, war bei der k. u. k. Großzügigkeit selbstverständlich, aber keine Entnationalisierung. Das Herkunftsmilieu, das sich in meinem Jahrgange zusammengefunden hatte, war eher einfach. Es war im wahrsten Sinne des Wortes das ganze Volk aller Nationalitäten, das seine Söhne in die Offiziersausbildung schickte  : Wir waren nur vier Offizierssöhne, darunter ein Generalssohn, der in der Militärunterrealschule so versagt hatte, dass er in die Kadettenschule überstellt wurde, wo er durch vier Jahre beharrlich der Letzte blieb, sonst aber ein netter Kerl war. Drei oder vier Buben waren Söhne von Mittelschulprofessoren, einer aus reichem Bürgerhause, die meisten jedoch Kinder von niederen Beamten, Unteroffizieren des Heeres und der Polizei, kleinen Geschäftsleuten und Gewerbetreibenden. Fast alle hatten in der ersten Klasse der Obermittelschule in irgendeinem Gegenstand versagt, wobei meist Griechisch, Latein und Mathematik die Fallstricke gewesen waren, oder kamen als Lernschwache aus Militärunterrealschulen. Mit einem Vorzugszeugnis aus der bekannt strengen Radetzky-Realschule kommend, wurde ich von Lehrern und Kameraden mit einem mir während aller vier Ausbildungsjahre zum Vorteil gereichenden Staunen aufgenommen. Trotzdem ich an Alter weitaus der jüngste meines Jahrganges war, ist das Wort meines Onkels wahr geworden, nachdem der Einäugige unter Blinden König wäre, ohne je ein streberischer Ehrgeizling zu sein. Stets war ich allerdings bemüht, das Beste zu leisten, das ich eben konnte.

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Derlei Einzelheiten berichte ich, weil ja bald alle verstorben sein werden, die diesen Werdegang erlebt hatten. So war die Tageseinteilung in der Schule in großen Zügen folgende  : Im Winter um 6h, im Sommer um halb 6h blies ein Hornist, das Schulgebäude umwandernd, die Tagwache. So unausgeschlafen man sich auch öfter fühlte, hieß es, mit einem Ruck aus dem Bett herauszuspringen und das Bett zur Lüftung zu öffnen. Mit dem ersten Ton des Tagwache-Signals begannen der Inspektionsoffizier und der Inspektionsunteroffizier (das war ein im Truppendienst erfahrener und bewährter Feldwebel) die Schlafräume zu durchschreiten und wehe dem, der sich noch im Bette finden ließ  ; der wurde unweigerlich zum Rapporte gemeldet und von seinem Kompaniekommandanten bestraft. Die Strafen bestanden aus ermahnenden Rügen, Verweisen, Streichung von Sonntagsausgängen, Theaterbesuchen, in Wiederholungsfällen aber auch aus Arreststrafen bei Wasser und Brot. Die nächste Stunde gehörte der Körperreinigung, der Kleiderreinigung und der Ordnung um die Bettstatt. Wir waren streng gehalten, uns Sommer und Winter mit voll entblößtem Oberkörper unter dem leicht temperierten Fließwasserstrahl mit Seife und Bürste zu reinigen. Leider wurde die allgemeine tägliche Waschung der Füße nicht mit gleichem Nachdruck gefordert, obwohl es sich in der ersten Zeit vielfach als notwendig zeigte, dass Hals, Ohren und Fingernägel von den Rekruteninstruktoren auf ihre Sauberkeit geprüft wurden. An einem Spätnachmittag jeder Woche durften wir im warmen Schwimmbassin ein Reinigungsvollbad nehmen und hatten nachher kalt zu duschen. Das Bettenmachen und die Herstellung der Ordnung in den großen Nachtkästen zwischen den Betten waren anfangs meistens qualvoll, weil die Instruktoren mit eiserner Konsequenz nicht die leiseste Unordnung duldeten. Decken und Leintücher mussten im zusammengelegten Aufbau in der Breite haargenau mit dem Kopfkissen übereinstimmen  ; der Strohsack – Matratzen gab es nur im Spital – musste richtig geformt und gebürstet sein  ; die Stöße der Leibwäsche im Nachtkasten hatten so aufgebaut zu sein, dass der Prüfende mit dem Lineal zwischen den Stößen glatt durchstreifen konnte  ; und Zahnbürsten, Kämme und Kopfbürsten mussten so tadellos rein gehalten werden wie Kleiderbürste und Schuhputzzeug. Die Schuhe wurden uns zwar durch Ordonnanzen vom gröbsten Staub oder Straßenkot gereinigt, gewichst und einmal in vierzehn Tagen mit Fett geschmiert, aber den letzten Glanz hatten wir selbst zu geben. An Wäsche und Uniformen mussten alle Knöpfe sitzen und blank geputzt sein. Zu all dem war wohl einmal in der Woche eine Putzstunde, namentlich zum Entfernen von Flecken auf der Uniform, bestimmt, sonst aber musste alles in der gewährten Morgenstunde gemacht sein. Da lernte man flink und geschickt werden. Was anfangs nicht und nicht gelingen wollte, gedieh durch Konsequenz im Laufe der Jahre

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zur Perfektion  ; wir lernten, uns abends vor dem Schlafengehen alles für den Morgen vorzurichten, und ich habe mir diesen wohltuenden Reinlichkeits- und Ordnungssinn bis auf den heutigen Tag bewahrt. Es kam wohl vor, dass der eine oder andere raubeinige Instruktor mehr Krach schlug, als nötig gewesen wäre, wie es ja auch unter den Zöglingen Schmierfinke und Faulpelze gab, die zum Beispiel versuchten einen abgerissenen Knopf mit einem Zündholz durch die Öse zu fixieren. Im Allgemeinen wurden wir mehr durch zähe Konsequenz als durch Strenge erzogen. Ja, ich möchte sogar behaupten, dass größere Strenge in dem Sinn am Platz gewesen wäre, als Zöglinge, deren Charakter- und Gesinnungsmängel im Verein mit moralischen Defekten übel waren, rigoroser aus der Schule hätten entfernt werden müssen. Solche nur durch Zwang gebändigte Menschen versagten bald beim Eintritt ins Leben, und der Prozentsatz der später von der Armee durch ehrenrätliche Verfahren Ausgestoßenen oder gar durch Selbstmord Geendeten hätte herabgedrückt werden können, wenn die Auslese in der Schule gründlicher erfolgt wäre. Nach dieser Abschweifung will ich zur Tagesordnung zurückkehren. Um 7 Uhr, im Sommer um halb 7 Uhr, traten wir bei trockenem Wetter am Exerzierplatz, bei Regen und Schnee auf den Gängen vor den Schlafsälen zu den Gelenkübungen und solchen mit dem Gewehr an, durch die uns die letzte Schläfrigkeit aus den Augen getrieben und unsere jungen Körper geschmeidig gemacht und gekräftigt wurden. Nach dieser halbstündigen Morgengymnastik stellten wir die Gewehre auf den Rechen vor den Schlafsälen ab und eilten in den Speisesaal, wo uns schon die großen Zinnkannen mit dem dampfenden Kaffee erwarteten. Um 8h, im Sommer eben eine halbe Stunde früher, begann, wie an allen Schulen üblich, der planmäßige Unterricht jahrgangsweise in zwei Parallelklassen zu je 45 Schülern. Er wurde von 10 bis halb 11 durch eine längere Pause unterbrochen, die alle beim Rapport nicht benötigten Zöglinge zu freier Erholung im Garten zu verbringen hatten. Der Rapport galt der Erledigung des Dienstbetriebs, wie Meldungen der Übernahme und Übergabe des Inspektionsdienstes der Zöglinge für ihre Klassen, Vorbrin­ gung von Bitten und Beschwerden, Untersuchung von Ungehörigkeiten sowie Belobungen und Bestrafungen. In besonderen Fällen wurde der Rapport vor der versammelten Kompanie gehalten  ; eine Vorführung zum Schulkommando-Rapport geschah nur selten in besonders gelagerten Fällen. Der Rapport galt nicht nur der Erledigung der Dienstgeschäfte, sondern war durch das Erscheinen vor dem streng prüfenden Auge des Kompaniekommandanten, in dessen Folge der eingeteilte Kompanieoffizier und der Rechnungsunteroffizier auch ihrerseits Beobachtungen machten, ein sehr wirksames Disziplinierungsmittel von meist nachhaltigem Einfluss.

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Die Zeit von halb 11 Uhr bis halb 1 Uhr galt an fünf Wochentagen wieder dem theoretischen Unterricht und einmal in der Woche dem Exerzieren. Für dieses Exerzieren wurde nach Beendigung der Rekrutenausbildung die Schule nicht jahrgangsweise, sondern alle Jahrgänge planmäßig durcheinandergemischt, in 4 Kompanien gegliedert. Die Flügelchargen und Zugskommandantenplätze besetzten die Zöglinge des IV. Jahrganges. Die Kompanien wurden von den vier Hauptleuten-Kompaniekommandanten befehligt, von denen zu meiner Zeit nur der Rangälteste beritten war. Das Zöglingsbataillon kommandierte der Schulkommandant persönlich. Zu Schulungsund Prüfungszwecken wurden öfter auch Zöglinge des IV. Jahrgangs als Kompanieund Bataillonskommandanten eingeteilt. Im Sommerhalbjahr wurde dem Exerzieren und der praktischen Felddienstausbildung ein ganzer Vormittag pro Woche gewidmet. Für mich war dieses Exerzieren stets die Quelle ganz besonderer Freude, namentlich als ich, nach meiner Aufrückung in den IV. Jahrgang, das Kommando von Kompanie und des Bataillons so ruhig und sicher führte, dass ich wiederholt die Belobung unseres strengsten und gefürchtetsten Exerzierlehrers, Hptm. v. Móga, erringen konnte.52 Vor dem Mittagstisch um dreiviertel 1h wurde rasch in die Waschräume zwischen den Schlafsälen geeilt, um Hände zu waschen und die Haare in Ordnung zu bringen. Nach dem Mittagstisch war fast eine Stunde der freien Erholung im Garten gewidmet  ; bei Schlechtwetter wurde der breite Gang vor dem Speisesaal als Promenade benützt. Nur auf diesem Gang, in der Kantine und im Garten durfte geraucht werden. In der Mittagspause kamen wir, sonst beim Unterricht und in den Schlafsälen nur jahrgangsweise vereint, mit allen Jahrgängen in Fühlung. Dieser Verkehr war, von einzelnen Landsmannschaften abgesehen, nicht sehr rege  ; die Interessensgemeinschaft lag doch mehr innerhalb der Jahrgänge. Lediglich die Egerländer aller Jahrgänge sind mir durch ihren besonders engen Kontakt in Erinnerung.53 Als der bestklassifizierte, dem Lebensalter nach jüngste, aber im Schuljargon „der Jahrgangsälteste“ genannt, war ich sehr zu meinem Unbehagen, das sich eigentlich während der ganzen Schulzeit nicht verlor, der laut Tradition vom Kompaniekommandanten berufene Leithammel 52 Viktor Móga v. Broczko (Pressburg, 31.8.1864–22.2.1932,  ?), 1.9.1884 aus der Theres. Milakad. als Lt. ausgemustert, nach Absolvierung der Kriegsschule nicht in den Generalstab übernommen, 1.9.1995 zugeteilt der IKSch. Wien, dann Karriere als Truppenoffizier in den Regimentern IR 101 und IR 39, 1.11.1908 Major, 1.5.1912 Obstlt. i. R. und Kdt. der IKSch. Budapest, 6.5.1914 zum Regiment Nr. 39 eingerückt, 9.6.1914 zum IR 50, Feldzug gegen Russland, 26.5.1915 Kdt. Kriegsgefangenenlager Purgstall, 1.11.1916 Ruhestand als zum Kriegsdienst untauglich und belassen in Purgstall bis Kriegsende, 1.11.1918 befördert zum Generalmajor mit Titel und Charakter. 53 Egerland hieß die Landschaft im nordwestlichen Böhmen an der oberen Eger (Ohři). Sie ist eingerahmt von Erzgebirge (Krušné Hory)und Kaiserwald (Císařský Les), Böhmerwald (Šumava) und Fichtelgebirge. Mittelpunkt ist die Stadt Eger.

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meiner Klasse und meines Jahrganges, der durch Beispiel und eigene Autorität guten Einfluss zu nehmen hatte und letzten Endes alles Schlechte und das wenige Gute, das sich unter Burschen im Alter von 14 bis 20 Jahren ereignete, verantworten musste. So wurde ich schon in sehr jungen Jahren gewöhnt, Verantwortung zu tragen, und bin auch im späteren Leben früh und immer wieder auf verantwortliche Posten gestellt worden. Das schob unsichtbar, doch merklich eine gewisse Distanz zwischen meine Kameraden und mich. Nur mit zweien war ich enger verbunden, die beide im Leben ausgezeichnete Stellungen gewannen, aber leider, wie so viele meiner frühen und späteren Kameraden, nicht mehr unter den Lebenden weilen  : Adametz, ein begeisterter Wagnerianer und guter Klavierspieler, Intendanturbeamter und schließlich Direktor einer Versicherung geworden, war der eine. Und Aichinger, ein feiner musischer Kopf, Sohn eines reichen Käse- und Salamihändlers, also mit allen Vorteilen eines Altwiener Bürgerhauses erzogen und schließlich gleich mir Generalstabsoffizier geworden, war der andere.54 Von 2 bis halb 5 Uhr nachmittags war dann wieder stundenplangemäß theoretischer Unterricht, dem die „Befehlsausgabe“ folgte. Diese wurde durch 20 Minuten Appell- und Salutierübungen in kleinen Gruppen eingeleitet, bei denen immer wieder die Kopf- und Körperhaltung, die Fußstellung, das Wenden des Körpers, Gehen, Laufen und schließlich das deutliche Sprechen bei Vorbringung von Meldungen oder Bitten überwacht und verbessert wurden. Dann trat die ganze Kompanie geschlossen an, und es wurde dem diensttuenden Offizier die Anzahl der Angetretenen gemeldet, worauf dieser nach einer kurzen Prüfung der Haltung und des Aussehens der Kompanie die Befehle für den folgenden Tag sowie notwendige Verlautbarungen verlas. Nach dem Abtreten war eine Stunde Erholung, die vornehmlich im Freien verbracht wurde, aber auch von den Musik-Lernenden zu Gesangsproben und Spielen der Instrumente benützt wurde. Der Besuch der Kantine war erlaubt. Um 18h hatten alle wieder in den inzwischen gut durchlüfteten Lehrsälen zu sein. Die Zeit bis halb auf 20h hieß „Wiederholung“ und war für das Studium und die Lösung der im Unterricht gestellten Aufgaben bestimmt. In den höheren Jahrgängen durften in der Zeit vor den Abschlussprüfungen die Lehrsäle zum Studium auch nach dem Abendessen, längstens bis 23h benützt werden. Diese Wiederholungszeit brachte mich oft in arge Verlegenheit  ; denn es gab neben den arbeitsamen Zöglingen richtige Lauser, die nicht nur selbst nichts lernten, sondern durch ihre laute Unterhaltung 54 Friedrich Aichinger (Wien, 15.3.1883–  ?), 18.8.1902 als Kadett-Offiziersstellvertreter aus der IKSch. zum 4.TKJR ausgemustert, 1907–1911 Frequentant der Kriegsschule, 1.5.1914 Hptm. i.G., Dienst im Truppengeneralstab im Weltkrieg, 17.1.1918 Generalstabsoffizier des Abschnittes Judikarien, dann Kampfgruppenkommandant im XX. Korps, 1.11.1918 Mjr. i.G., 1.1.1921 pensioniert, 24.11.1921 Titular-Obstlt.

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und den unter jungen Leuten üblichen Schabernack die Arbeitsamen störten, und hier ohne Angeberei einen leidlich befriedigenden Zustand zu schaffen, war, neben dem eigenen Studium, die dem „Jahrgangsältesten“ auferlegte Pflicht. Wenn der Inspektionsoffizier, vom Lärmen angezogen, die Klasse zur Ordnung rief, dann bekam stets ich die Rüge, ich wisse mich nicht durchzusetzen. Das war besonders im Anfang schwer für mich. Nach und nach gewann ich durch drei Umstände doch einen leidlichen Einfluss  : Erstens gewährte ich jedem meine Hilfe, der bei Aufgaben danach verlangte, zweitens bot ich den ärgsten Lausern in der Erholungszeit im Garten für handgreifliche Zurechtweisung Satisfaktion nach den von uns fleißig studierten Duellregeln und drittens verklagte ich keinen. Da siegte schließlich doch immer mehr das Anständigkeitsgefühl, mir keine Scherereien zu bereiten, besonders wenn bekannt unnachsichtig strenge Offiziere Inspektionsdienst hatten. Dennoch war mir der gute Schulerfolg sehr oft mehr Last als Freude, und ich hätte häufig viel lieber mitgetollt, als den beispielgebenden Musterknaben gespielt. Eine Unterstützung fand ich im „Klassen-Inspektionsdienst“, in welchen täglich alle Zöglinge abwechselnd, paarweise für je 24 Stunden kommandiert wurden. Diese beiden Inspektionszöglinge waren für die Zucht und Ordnung ebenso verantwortlich wie ich als „Klassenältester“. Sie wurden gegebenenfalls noch schärfer angefasst als ich. Überdies übernahmen nach und nach die ernsteren Kameraden, die sich an meine Seite stellten, von den älteren Jahrgängen den „Kotzen“, eine Art Lynchjustiz. Kotzen war der Kommissausdruck für schwere Bettdecken. Hatte nun einer der Rowdies uns zu arge Verlegenheiten bereitet, besonders durch irgendeine Gemeinheit, Unkameradschaftlichkeit oder Angeberei, so bekam er abends beim Betreten des Schlafraumes „die Kotzen“, das heißt, es wurde ihm seine schwere Bettdecke über den Kopf geworfen, er wurde niedergerissen und fest verprügelt, worauf die Strafenden sich rasch zerstreuten, sodass der Delinquent, als er sich mühselig aus der Decke gewickelt hatte, nie feststellen konnte, wer ihm die Prügel versetzt hatte. Dieses Vorgehen war toleriert  ; die Inspektionsoffiziere übersahen solche Vorfälle bewusst. Da ich gerade vom Betreten des Schlafraumes erzähle, werde ich nun auch die Schilderung des normalen Tagesablaufes abschließen. Um 19h30 bekamen wir im Speisesaal das Abendessen. Bis 21h, der Stunde des Retraite-Signals, erholten wir uns wieder im Freien, auf dem Gang vor dem Speisesaal, in der Kantine bei Brettspielen oder im Musikzimmer, manchmal aber auch schon im Schlafsaal beim Ordnung machen im Nachtkasten, Knöpfe annähen, Schuhriemen richten und anderen für den kommenden Morgen zu zeitraubenden Tätigkeiten. Mit dem letzten Ton des Retraite-Signals wurde das Licht bis auf eine Notbeleuchtung gelöscht und alle hatten im Bett zu sein. Es trat auch immer sehr rasch Ruhe ein, denn wir waren alle müde. Natürlich gab es ab und zu im Schlafsaal Ulk. Besonders wenn ein Zögling, der zum Theaterbesuch frei

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bekommen hatte, sich nicht genügend rücksichtsvoll auf den Schlaf der anderen zu Bett legte, wurde ihm bei Gelegenheit ein sogenanntes „spanisches Bett“ bereitet, was heißt, dass die Sicherungshaken der Bettstatt so gelockert wurden, dass das Bett beim Niederlegen zusammenrumpelte  ; oder er bekam einen nassen Schwamm unters Leintuch. Das besserte zwar nicht die Ruhe der Allgemeinheit in solcher Nacht, verfehlte aber für die Zukunft seine Wirkung auf den Rücksichtslosen nicht. Der Sonntag galt zunächst dem Gottesdienst  ; die weitaus überwiegende Mehrzahl der Zöglinge war römisch-katholisch. Während die wenigen Protestanten, Griechischkatholischen und Muslime in geschlossenen Gruppen in die Stadt in ihre Kirchen oder zum Militär-Imam fuhren, marschierte das Zöglingsbataillon unter Kommando des Inspektionsoffiziers in die der Anstalt nahe gelegene Breitenseer Kirche55, in welcher der zur Kadettenschule gehörige Militärsuperior Msgr. Heggelin die heilige Messe las. Als Ministranten fungierten Zöglinge. Die ganze Schule sang, von unserem Gesangslehrer einstudiert, die heilige Messe. Der Schulkommandant und alle Offiziere waren fast jeden Sonntag vollzählig mit uns in der Kirche. Nach dem Gottesdienst nahmen der Schulkommandant und die Offiziere die Defilierung des Zöglingsbataillons ab. In die Anstalt zurückgekehrt, erhielten wir von 9h15 bis 10h15 Sonntagsschule, die hauptsächlich dem Anstandsunterricht galt. Das Benehmen außerhalb der Schule wurde abwechselnd vom Kompaniekommandanten und dem eingeteilten Kompanieoffizier, ab und zu auch vom Anstaltsarzt sehr gründlich durchgesprochen für alle nur denkbaren Möglichkeiten auf der Straße, im Restaurant, zu Hause, in der Straßenoder Eisenbahn, im Theater, in Konzerten, auf Unterhaltungen und Bällen, bei offiziellen Besuchen, insbesondere auch das Verhalten gegenüber der Weiblichkeit sowie das Leisten der Ehrenbezeigung in den verschiedensten Fällen. Das Erkennen besonders hochgestellter Offiziere und der Mitglieder des allerhöchsten Kaiserhauses wurde anhand von Bildern ebenso angebahnt wie die solchen Persönlichkeiten gebührenden Titel gelehrt. Schließlich wurden wir mit den Begriffen Notwehr, Ehrennotwehr, Duell und ihren Regeln bekannt gemacht. Nach Beendigung der ersten Ausbildung etwa acht Wochen nach der Einrückung in die Schule hatte auch der I. Jahrgang gleich den übrigen freien Ausgang von 14 bis 21 Uhr. Wollte man die Anstalt schon früher verlassen, was „Ausspeisen“ hieß, so war das besonders zu erbitten, gleich einer späteren Heimkehr wegen Theaterbesuchs, Familienfesten und anderem. Nur wenige Zöglinge blieben am Sonntag in der 55 Breitenseer Kirche Hl. Laurentius. Die Kirche trat an die Stelle einer 1751 vergrößerten Schlosskapelle, die seit 1740 öffentlich zugänglich war, aber Ende des 19. Jh. demoliert wurde. An ihre Stelle trat ein neugotischer Backsteinbau. Der Bau liegt bei Kendlerstraße Nr. 26, 1895 1. Spatenstich, 1897 Grundsteinlegung, 8.10.1898 Weihe der Kirche, Baumeister war Ludwig Zatzka.

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Schule. Die Wiener besuchten regelmäßig ihr Elternhaus, die Auswärtigen meist ihre in Wien lebenden Verwandten. Ganz Einsame wurden in Gruppen zu Besichtigungen der Stadt und ihrer Sehenswürdigkeiten geführt. Diese Sonntagsausgänge waren für mich eine besondere Freude. Ich suchte fast immer nur mein Elternhaus auf, in dem die liebe Mutter stets eine Überraschung an besonderen Leckerbissen bereithatte und wo am Nachmittag das Erzählen über die Begebenheiten der Woche die Stunden verfliegen ließ. Meine arme Mutter war dabei mit dem Ausbessern von Wäschestücken, die ich zur Reinigung nach Hause brachte, und besonders durch das Flicken der sehr stark beanspruchten weißen Rehlederhandschuhe sehr beschäftigt, aber auch stets bemüht, meine in der Schule den höheren Jahrgängen abgehorchte bramarbasierende Sprache auf ein vernünftiges Maß der Wohlerzogenheit zurückzudämmen, während der Vater leicht schmunzelnd zuhörte und wenig sprach. Mein Bruder war zu dieser Zeit schon Hörer der Technischen Hochschule an der Lehrkanzel für Bauingenieure, und der wechselseitige Austausch unseres Wissens und unserer Eindrücke war bei dem herzlichen brüderlichen Einvernehmen sehr anregend  ; dazu trug auch der Umstand bei, dass mein Bruder, nur durch sein steifes Bein an der militärischen Laufbahn verhindert, allem Militärischen regstes Interesse entgegenbrachte. In dieser Zeit wurde die neu erbaute Wiener Stadtbahn dem Verkehr übergeben und galt für mich trotz des ohrenzerreißenden Quietschens der Dampflokomotiven beim Bremsen als wunderbares Verkehrsmittel, da ich gegenüber der Straßenbahn eine halbe Stunde gewann.56 Zur Weihnachts- und Osterzeit verlängerten sich diese mir so lieben Besuche daheim auf mehrere behagliche Tage ohne Reveille- und RetraiteSignal, die ich beide leicht entbehren konnte. Der Lehrplan für den theoretischen Unterricht lehnte sich mit Ausnahme der Darstellenden Geometrie und der englischen Sprache fast ganz jenem der zivilen Oberrealschulen an  ; diese beiden Gegenstände wurden leider gar nicht gelehrt, wofür aber eine erkleckliche Menge rein militärischer Fächer hinzukam. Wenn ich zurückdenkend mir vergegenwärtige, dass unsere Lehrer in der Hauptsache ohne Ausbildung für den Lehrberuf uns nur aus ihrem selbsterarbeiteten Wissen und den Erfahrungen des Truppendienstes heraus unterrichteten, so kann ich den erzielten Resultaten meine Hochachtung nicht versagen. Dass die Kadettenschulen, angesichts der wissenschaftlich-technischen Entwicklung auf allen Gebieten und in der Erkenntnis, dass die Armee ein einheitlich akademisch erzogenes Offizierskorps 56 Der Bau der Wiener Stadtbahn wurde nach zwanzigjähriger Planungsphase 1892 sanktioniert. 1895 bis 1898 wurden die Brücken der Gürtellinie gebaut, 1898 wurden die Obere Wientallinie und die Gürtellinie eröffnet, am 30.6.1899 die Untere Wientallinie.

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brauche, vom Kriegsministerium in der Folge ganz zu Oberrealschulen mit Matura als Vorbereitung für die militärisch-akademische Weiterschulung in den Militärakademien umgebaut wurden, war richtig und gut. Diese Tatsache kann aber das Verdienst des Lehrkörpers in den Schulen des alten Systems nicht schmälern. Aus meinem Kadettenschuljahrgang sind außer einer großen Zahl tüchtiger Truppenoffiziere immerhin 4 Generalstabsoffiziere, 4 Militärintendanten, 3 Geodäten am Militärgeographischen Institut und 1 freischaffender Maler und Kunstkritiker hervorgegangen. Der Unterrichtsvorgang war im Gegensatz zur Zivilrealschule nicht so gehalten, dass ihm nur die Begabten folgen konnten. Die Lehrer waren vielmehr bemüht, alle ihre Zöglinge auf ein Mittelniveau zu bringen, was den Begabten eine noch sicherere Beherrschung des Stoffes bei Ausfeilung aller Unebenheiten ermöglichte. Das Lernen fiel mir verhältnismäßig leicht  ; ich erhielt nach dem ersten Semester die doppelte und nach Abschluss des ersten Jahres die dreifache Auszeichnung, die ich durch alle Jahre, als Erster meines Jahrganges rangiert, beibehielt. An diese erste Vorzugsauszeichnung knüpft sich eine kleine Episode  : Ich legte auf äußere Auszeichnungen schon in der Schule keinen Wert und unterließ nach der Verlautbarung des Studienerfolges die sofortige Anbringung der vier Messingknöpfe auf den Litzen der doppelten Auszeichnung. Der Zufall wollte es, dass ich im Stiegenhause dem Schulkommandanten begegnete, der diesen Mangel sofort wahrnahm, mich zum Schulkommandorapporte befahl und dort mit einem Verweis wegen mangelnden Ehrgeizes bestrafte. Das war die einzige Strafe, die ich in meinem Leben erhalten habe. Unter den Lehrern hatten wir für Schönschreiben und Freihandzeichnen in Oblt. Brüch eine hervorragende Persönlichkeit als Offizier und Künstler.57 Als Offizier forderte er Disziplin, Zucht und Ordnung bis in die kleinste Kleinigkeit mit unnachsichtiger Strenge, als Zeichenlehrer war er mit Eifer bemüht, jeden, auch den ganz Unbegabten das Schauen zu lehren, das Schöne zu erfassen und wenigstens mit ein paar, wenn auch unbeholfenen Strichen festzuhalten. Er führte uns frühzeitig in den Garten und ließ uns nach der Natur zeichnen. Selbst war er ein grandioser Porträtist, der während des I. Weltkrieges durch seine an Charakteristik unübertroffenen Porträtzeichnungen der Heerführer der Verbündeten weit bekannt wurde. Von überragendem Einfluss auf mich war der von allen Jahrgängen ob seiner Strenge gefürchtete Lehrer des Waffen- und Schießwesens sowie Exerzierreglement, Hptm. 57 Oskar Brüch (Wien, 1.7.1869–31.3.1943, Melide bei Lugano, Schweiz),18.8.1891 aus der Theres. Milakad. als Lt. zum IR 6, 1.9.1897 in den Stand der IKSch. Wien, 1.11.1895 Oblt., 1904 versetzt in die Reserve, sodann Maler und Zeichner, im Ersten Weltkrieg Schöpfer eines Albums mit Rötelzeichnungen aller Persönlichkeiten des k. u. k. AOK. Siehe auch  : Das k. u. k. Heer 1895. Eine Bildserie von Oskar Brüch, kommentiert von Günter Dirrheimer (= Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums – Militärwissenschaftliches Institut – in Wien, Band 10), Wien 1983.

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Viktor v. Móga, eine schöne, martialische Erscheinung, deren Haltung zu Fuß und zu Pferd, Säbelführung bei Kommandos und Ehrenbezeigungen, metallklare Kommandosprache und Präzision in jeglicher Ausdrucksweise uns allen zum Inbegriff des erstrebenswerten Beispiels wurde. Er weckte in mir durch seine vornehme Ritterlichkeit frühzeitig Verständnis und Sympathie für die ungarische Wesensart. Ein kleines Wort der Anerkennung aus seinem Munde galt mir mehr als jedes andere Lob. Durch ihn lernte ich, die militärischen Vorschriften nach Wort und Geist erfassen, herauszufinden, was wortwörtlich ohne die geringste Abweichung zu gelten hatte und was als Richtlinie den jeweils veränderlichen Umständen durch eigene Geistesarbeit anzupassen war. Als Heerwesen- und Taktiklehrer hatte ich den im I. Weltkriege leider sehr früh gefallenen, aus der Pioniertruppe hervorgegangenen GenStabsHptm. v. Bisenius, eine vornehme, großzügige Persönlichkeit, die wir erst im dritten und vierten Schuljahr als Lehrer erhielten.58 Er behandelte uns bereits wie junge Männer, vielleicht weil wir schon über die ersten militärischen Dummheiten hinaus waren. Wie ich das später auch an der Kriegsschule erlebte, lag das Wesen seines Unterrichts nicht im systematischen Stoffaufbau vom Kleinen zum Großen, sondern in der Schaffung von Lagen, die man mit seinem Hausverstande irgendwie auflösen musste. Diese Bemühungen und die dabei erzielten Ergebnisse arbeitete er in dauernder Zwiesprache mit uns durch, und wir lernten dieserart scheinbar systemlos, aber mit dauernder Spannung das Wesentliche erfassen, was sich in der Taktik nur zum geringen Teil als absolut richtig oder falsch beurteilen lässt. Erwägungen über die Erfolgswahrscheinlichkeit waren maßgeblicher, und zu denen traten noch eine Reihe unwägbarer Voraussetzungen geistiger, seelischer, physischer Kräfte, der Geistesgegenwart und des Temperaments der beiden den Kampf vorbereitenden oder in ihm stehenden Teile. Um von Fall zu Fall das Gewollte auch in kurzer, klarer, zweifelsfreier Sprache ausdrücken zu können, was als „Befehlstechnik“ bezeichnet wird, waren mir mein Geometrieprofessor in der Radetzkyrealschule und Hptm. v. Móga als Exerzierlehrer wunderbare Vorbereiter gewesen. Der Taktik-Unterricht erfolgte häufig im Gelände, das in schöner, reicher Bewegtheit, damals noch unverbaut, unmittelbar nahe an die Schule heranreichte. Hptm v. Bisenius war es auch gewesen, der meine ersten Schritte in die gute und wohlhabende Gesellschaft Wiens lenkte, in welcher oft flotte Tänzer mit gutem Benehmen gebraucht wurden. Das erste Haus, in das mich Bisenius noch als Zögling einführte, war das des Kommerzialrats Franz Joseph Stiebitz, in dem sich alles schön, reich und vornehm abspielte, wie ich es noch nie gesehen hatte. 58 Eduard Edl. v. Bisenius (Hermannstadt, Siebenbürgen, ung. Nagyszeben, heute Sibiu, Rumänien 10.7. 1868–24.8.1914, gefallen an der Nordostfront), 18.8.1890 aus der Techn. Milakad. als Lt. zum IR 2, Karriere als Truppenoffizier, 1.5.1910 Mjr. im bosn.-hzgow. IR 4, 1.11.1913 Obstlt.

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Viel lernten wir in Geographie, Geländekunde und Geländedarstellung. Unsere Vorbereitung durch Hptm. Steindle auf die nach Abschluss des III. Jahrganges bei Wilhelmsburg an der Traisen stattgefundene Geländeaufnahme war so gründlich, dass der Großteil sofort mit der Arbeit beginnen konnte.59 Diese „Mappierung“ der Militärzöglinge vertiefte das Verständnis für das Lesen der Geländekarten. Ich konnte später mit Freude feststellen, dass wir an der Kadettenschule in manchem weiter waren als mein Bruder, der gerade in dieser Zeit niedere Geodäsie an der Technischen Hochschule belegt hatte. Das größte Jahresereignis für uns war die Frühjahrsparade auf der damals noch ganz unverbauten, weiträumigen Schmelz, die von Seiner Majestät dem Kaiser und Apostolischen König Franz Joseph I. persönlich abgenommen wurde. Die Übungen zu diesem Zwecke und die Vorparade vor dem Korpskommandanten FZM Graf ÜxküllGyllenband nahmen viele vorangehende Tage in Anspruch.60 Dass die Überprüfung der Uniformen, das Putzen des Lederzeugs und der Schuhe uns fieberhaft beschäftigte, wird jeder begreifen, der die militärische Betriebsamkeit vor Paraden kennt. Als dann die Ausrückung erfolgte, war es für uns immer ein leichter Schauer der Erregung, wenn die Kirchturmuhr die neunte Stunde schlug und beim letzten Schlag auch schon das Avertissement-Signal61 für seine Majestät erscholl, dessen auf den Bruchteil von Minuten abgestimmte Pünktlichkeit mich in Gedanken meinen Prager Religionsprofessor grüßen ließ. Die Brust wollte sich fast zum Zerspringen wölben, als des greisen Kaisers ergreifende Majestät auf prachtvollem Pferde knapp an unserem in eine lange Front eingepassten Bataillon vorbeikam und die Zufriedenheit über die Präzision unserer Aufstellung durch leichtes Kopfnicken andeutete. Die Garnison war groß und die Besichtigung nahm reichlich Zeit in Anspruch, die unsere durch das lange Stehen steif gewordenen Beine ermüdete. Als dann durch den Abmarsch zur Defilierung Bewegung in uns kam, wurde sie wie eine Erlösung empfunden, die die Glieder so geschmeidig machte, dass jeder bei der Defilierung vor dem Monarchen schwungvoll seine ganze Kraft einsetzte, um dem Kaiser zu gefallen. Fast ängstlich spähten unsere Augen dabei auf ein erhofftes Kopfnicken. Fehlte das einmal, so war der Heimmarsch eine bange Zeitspanne. Wenn das Bataillon auf dem Anstaltsexerzierhof wieder aufmarschiert war, erwarteten wir in größter Spannung, was der Schulkommandant nun sagte. In allen vier Jahren war es immer Gutes  : Der 59 Wilhelmsburg an der Traisen, Industrieort in der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten, NÖ, benannt nach Markgraf Wilhelm, der hier im 9. Jh. eine befestigte Anlage errichtete. 60 Über Alexander Graf v. Üxküll-Gyllenband (1836–1915), siehe  : Zeynek-Broucek, S. 92, Anm. 34. Er war als GdK. von 1894 bis 1905 Kdt. d. II. (Wiener) Korps. 61 Das Avertissement-Signal war in der öst.-ung. Bewaffneten Macht ein Ankündigungssignal beim Erscheinen von Vorgesetzten vom Generalmajor aufwärts in Kasernen und auf Übungsplätzen.

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Kaiser war zufrieden gewesen. Zur Belohnung wurde uns nachmittags freier Ausgang gewährt, und ich kann das Glücksgefühl heute nicht mehr richtig schildern, das damals die junge Brust über das Ereignis errungener kaiserlicher Zufriedenheit erfüllte. Aber nicht nur wir, ganz Wien war nach so einer Frühjahrsparade wie elektrisiert. Überall wurde das von ungezählt vielen Zuschauern beobachtete Vorbeikommen der Truppen streng kritisiert. Die Wiener verstanden da keinen Spaß, sie verlangten von den Soldaten das Äußerste. Für Angehörige von Truppen, mit denen die Wiener zufrieden waren, fanden sich überall Gönner für Freibier und Gulasch und Rauchwaren. Diese harmlose Einigkeit und stolze Freude über das Gute, gleichgültig ob es heimische Truppen oder Ungarn, Böhmen, Polen, Bosniaken oder andere waren, zauberte Grillparzers Spruch an Radetzky in die blutwarme Gegenwart  : „In deinem Lager ist Österreich  !“ Eine einmalige Parade war die Enthüllung des dem Kaiser von der Armee gewidmeten Reiterstandbildes Erzherzogs Albrecht, zu der nur die Militärschulen ausgerückt waren. Noch heute blicke ich mir im Vorbeigehen gern das Denkmal von der Opernecke am Mozartplatz an, wo unser Bataillon damals gestanden war und die Generaldecharge abgegeben hatte.62 Gern gingen wir am Ende jedes Schuljahres für etwa drei bis vier Wochen ins Militärlager Bruck an der Leitha63, wo es keinen theoretischen Unterricht, sondern nur praktische Gefechtsausbildung und Scharfschießen aus Gewehr und Pistolen gab. Auf diesem abwechslungsreichen Übungsplatz brannte die Sonne meist mächtig und machte alle Übungen zu ansehnlichen Leistungen, die uns nach oft sehr hart empfundenen Stunden viel Kraft und Selbstvertrauen gaben. Schwimmen konnten wir in der Leitha. Nach meinem heutigen Wissen ist es sehr zu bedauern, dass man uns wohl Fechten, Turnen und Tanzen lehrte, aber die Ausbildung in der Waffenlosen Verteidigung nicht betrieb. Was für mutigere und festere Kerle wären aus uns geworden, wenn wir systematisch Jiu-Jitsu und Boxen gelernt hätten  ! Auch wurde uns wohl Gelegenheit zum Tennis, nicht aber zu Hand- und Fußball gegeben, und der Skilauf war militärisch noch nicht entdeckt worden. Diese Mängel habe ich zeitlebens mit einer gewissen Beschämung gegenüber dies könnenden Zivilisten empfunden. Ich habe darum später als Brigadier in St. Pölten meine Offiziere und Mannschaft durch Zuwendung besonderer Mittel in Jiu-Jitsu und Boxen gründlich schulen lassen. Allerdings glaube ich, dabei auf weiter Flur der einzige Kommandant mit solchen Interessen gewesen zu sein. 62 Als Generaldecharge bezeichnete man in Österreich-Ungarn die Abgabe einer Salve als Ehrenbezeugung bei kirchlichen Feierlichkeiten und bei Begräbnissen. 63 Siehe die nächste Anmerkung. Bruck an der Leitha  : Stadt im nö. Viertel unterhalb des Wienerwalds.

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Das Brucker Lager war außerdem durch das Zusammenleben mit verschiedenen Truppenkörpern und den in der Armeeschießschule aus der ganzen Monarchie vereinigten Offizieren und Unteroffizieren interessant.64 Hart an der Grenze gelegen, hörte ich in Királyhida auch erstmalig waschechte Zigeunermusik und sah ab und zu auch gut gelaunte Offiziere Csárdás tanzen, den wir in Breitensee nicht lernten.65 Mit dem Lager war das Schuljahr beendet, und wir bekamen bis Mitte September lange Ferien. Während der ersten Ferien beschenkte mich meine gute Mutter – so hart ihr auch das Zusammenkratzen des Geldes gewesen sein muss – mit einem Fahrrad, mit dem ich bald zu meinem in Neutra66 als Brigadier in Garnison stehenden Onkel auf Besuch fuhr. In den nächsten Ferien war meine Mutter wegen heftiger Ischiasschmerzen mit meinem Bruder zur Kur in Pistyan, während mein Vater und ich den schon im Ruhestande in Erlau lebenden und in bescheidenem Umfang Weinbau treibenden Husarenonkel Ede besuchten.67 Der ältere seiner Söhne, zu dem wir auch fuhren, war in sehr jungen Jahren Pfarrer in Ónod in Oberungarn geworden.68 64 Brucker Lager  : Nach dem Sieg über Napoleon fand im Brucker Lager 1814 ein großes Sappeur-Mineur-Manöver statt, dem Kaiser Franz I., Alexander v. Russland, die Könige Friedrich Wilhelm von Preußen, Max Josef v. Bayern, Friedrich von Dänemark und viele andere Fürsten von der Stelle aus zusahen, an der man später ein kleines Ruhmeshäuschen, Gloriette, errichtete. Dieser Sappeur-Übungsplatz wurde lange Zeit benützt. 1847 nahm die Gemeinde Bruck an der Leitha den Übungsplatz zurück und teilte ihn auf. 1863–65 begannen offizielle Geländevermessungen zur Errichtung eines Truppenlagers. Am 20.4.1866 erfolgte die kaiserliche Genehmigung. Bald nach dem Kriegsausbruch 1914 wurden auch mehrere Baracken errichtet, da das bisherige Spitalsgebäude in keiner Weise genügte. Obwohl das Lagergebäude sich am rechten Ufer der Leitha erstreckte ist es allgemein als Brucker Lager bekannt. Es ist bis heute ein Truppenübungsplatz des österreichischen Bundesheeres. 65 Királyhida, heute Bruckneudorf im Burgenland, südliche Nachbargemeinde von Bruck an der Leitha, aber bereits jenseits der nö. Landesgrenze, bis 1920/21 bei Ungarn. 66 Neutra, ung. Nyitra, heute slowak. Nitra, viertgrößte Stadt der Slowakei, beherbergt die erste noch erhaltene Kirche der Slowakei und den frühesten Bischofssitz der Slowakei im Rahmen des Mährerreiches (9. Jh.), dann den Sitz der Verwaltung eines der ältesten Komitate Ungarns. 67 Erlau, ung. Eger, Komitatshauptstadt 130 km nordöstlich von Budapest am rechten Ufer des gleichnamigen Flüsschens und am Südfuß des Bükkgebirges. Mittelpunkt eines berühmten Weinbaugebietes („Erlauer Stierblut“, Kadarka-Weine). 1009 gründete hier der ungarische König Stephan der Heilige eines der ersten fünf Bistümer, 1214 fiel die Stadt dem Mongolensturm zum Opfer. 1552 belagerten die Osmanen in einer sehr berühmt gewordenen Belagerung die Stadt vergeblich („Die Sterne von Eger“). 1596 bis 1687 war die Stadt türkisch. Während der Erhebung unter Ferenc II. Rákóczy war die Stadt die Hauptstadt der Aufständischen und wurde 1710 von den Kaiserlichen zurückerobert. 1804 Erzbistum. 68 Ónod  : Dorf am rechten Ufer des Sajó, 21 km südöstlich von Miskolc. Hier schlugen 1241 die Mongolen die ungarischen Truppen des Königs Béla IV. bis zur Vernichtung. 1707 hielten hier die Anhänger des Fürsten Franz II. Rákóczy einen Landtag ab, auf dem die Habsburger Kaiser (König) Joseph I. abgesetzt haben und Rákóczy zum König von Ungarn proklamiert wurde.

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Die Jahre waren in dieser keine träge Minute kennenden Zeitausnützung sehr rasch vergangen, und ich sah mich bald nahe dem Ende des IV. Jahrganges. Damals galt es als Vorrecht der besten drei bis vier Zöglinge des Jahrganges, sich den Truppenkörper, zu dem man ausgemustert werden wollte, zu wählen. Nicht Wiens wegen, aber um mit meinen schon in die Jahre gekommenen Eltern noch eine Weile vereint sein zu können, wählte ich das im Frühjahr von Pressburg69 nach Wien in Garnison verlegte slowakische Inf. Rgt. Nr. 72 mit hellblauem Kragen- und Ärmelaufschlag und goldenen Bärentatzen am Ärmel.70 In diesem letzten Schuljahr folgte der Lagerperiode in Bruck eine hübsche kleine taktische Übungsreise ins Triesting-, Piesting- und Schwarzatal am Ostfuß der Alpen. Meine Uniformierung fürs Regiment war zwar die einzige größere Ausgabe, die meine Eltern für meine militärische Laufbahn zu leisten hatten, trotzdem jedoch eine gewichtige Belastung. Am 18. August waren wir zur großen Parade auf der Schmelz71 noch in der Zöglingsuniform ausgerückt. Nach der Heimkehr gaben wir ohne große Formalitäten die Anstaltsuniformen ab und zogen zum ersten Mal unsere jeweiligen Regimentsuniformen als Kadett-Offiziersstellvertreter an. Dann gingen wir in den Hof hinunter, wo uns Eltern, Geschwister und übrige Angehörige mit dem ganzen Lehrkörper erwarteten. Der von der Mappierung heimgekehrte III. Jahrgang formierte eine Ehrenkompanie, Msgr. Heggelin zelebrierte eine Feldmesse mit Predigt. Einer kurzen Ansprache unseres Schulkommandanten, Obstlt. Bayer72, folgte die Eidesleistung auf die vom Inf. Rgt. Nr. 8 beigestellte Fahne, darauf ein Hoch auf den allerhöchsten Kriegsherrn, zu dem wir die Säbel entblößten. Damit war der Eintritt ins Leben vollzogen. Ich glaube, behaupten zu können, dass mich nicht jubelnde Freude, sondern ernste Besinnlichkeit erfüllte. Sie löste sich erst etwas, als ich während des uns noch von der Schule servierten Festessens gewahr wurde, wie sehr mich meine Lehrer und der für 69 Pressburg, ung. Pozsony, heute Bratislava, Hauptstadt der Slowakei. 907 als Brezelauspurc erstmals erwähnt, auch Braslawsburch, d.i. „Burg des Brazlaw“, 1002 auch schon als Poson. 1291 kgl. ung. Freistadt, seit 1536 Hauptstadt und Krönungsstadt Ungarns, 1920 wurde zur Erinnerung an Fürst Brazlaw der heutige Name amtlich eingeführt. 70 Das 72. ungarische Infanterie-Regiment FZM Emil David Edl.von Rhonfeld ist 1860 errichtet worden und hatte das Ergänzungs-Bezirks-Kommando in Pressburg. 71 Schmelz  : eine durch viele Jahrhunderte unverbaute Wiesenfläche außerhalb der Stadt, heute im 15. Wiener Gemeindebezirk, 1847 wurde ein Teil vom Ärar gekauft und seither zur Abhaltung militärischer Paraden und Übungen verwendet. Heute Kleingärten und Areal der Universitätsturnanstalt usw. 72 Karl Bayer (Stockerau, NÖ, 18.7.1854–17.8.1919, Graz), ausgemustert 30.8.1874 aus der Theres. Milakad. als Lt. zum IR 4, nach Absolvierung der Kriegsschule nicht in den Glstb. übernommen, daher Karriere als Truppenoffizier, 1.11.1900 Obstlt. IR 100, 1.5.1904 zum IR 22, 17.4.1905 zum IR 98, 1.5.1910 GM, 17.8.1911 aus Gesundheitsrücksichten enthoben, 27.2.1912 pensioniert.

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uns immer unerreichbar fern erschienene Schulkommandant in ihr Herz geschlossen hatten. Nachdem ich den Dank meines Jahrgangs an die Schule und ihre Leitung ausgesprochen hatte, schlossen mich zuerst Obstlt. Bayer und der strenge Exerzierlehrer Hptm. v. Móga in die Arme und forderten von mir das Versprechen, dass ich weiterarbeiten und mich zur Ausbildung für den Generalstab in die Kriegsschule melden müsse. Diese kameradschaftliche Einschätzung, auch von meinem Kompaniekommandanten Hptm. Weber und dem Taktiklehrer Hptm. v. Bisenius, übertraf weitaus meine Erwartungen. Und als meine Jahrgangskameraden gleichfalls zustimmten, da war ich einen Augenblick wirklich glücklich.

III.

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Wien 1902–1906 Gleich an dem der Ausmusterung folgenden 19. August 1902 fuhr ich mit zwei Schulkameraden, Schwarz73 und Kretschmer74, die gleich mir zum Inf. Rgt. Nr. 72 gekommen waren, zur ersten Vorstellung ins Lager nach Bruck an der Leitha, in dem sich unser Regiment gerade befand. Ich erfuhr meine Einteilung zur 4. Feldkompanie und konnte mich bei deren Kommandanten, Hptm. Adam v. Reviczky melden.75 Der musterte mich streng und fragte, ob ich Ungarisch spreche, was ich leider verneinen musste. Dennoch hieß er mich herzlich willkommen und nahm mich, da gerade Essenszeit war, gleich als seinen Gast in die Offiziersmesse mit, wo er mich dem Bataillons-Kommandanten Obstlt. Wayer76 und dem in Kürze scheidenden Regimentskommandanten Obst. Franceschini77vorstellte. Mein Hauptmann wies mich nicht zu den Leutnants und Kadetten, sondern platzierte mich im oberen Teil des Hufeisens, sich gegenüber, wo ich bald wahrnahm, mitten unter kernmagyarischen Offizieren zu sitzen, die mich, dem Beispiel meines chevaleresken Hauptmanns folgend, freundlich aufnahmen. Dieser freute sich offenkundig, den Kadett-Offiziersstellvertreter, der als zweitbester unter fast tausend ausgemusterten Kadetten rangierte, in seine Kompanie zu bekommen. (Rang eins hatte der Absolvent der Pressburger Kadettenschule,

73 Friedrich Schwarz, (Wien, 10.12.1882–  ?), 18.8.02 aus IKSch. Wien zum IR 72, 1.11.1903 Lt., später beurlaubt und ab 1909 Beamtenaspirant, 1.11.1912 Oblt., 1.2.1913 zu Intendanz II. Korps. 74 Gustav Kretschmer  : scheint bereits 1904 im Schematismus nicht mehr auf. 75 Adam v. Revicky (Tiszacsege, Kom. Zemplén, Ungarn, 19.10.1866–  ?), Absolvent der IKSch. Pressburg, Karriere als Truppenoffizier in den IR 102 u. 72, 1.11.1900 Hptm., 1.5.1912 Mjr. IR 69, 1.3.1915 Obstlt., 1.11.1917 betraut mit Kdo. IR 5, 1.8.1917 Obst. im IR 73, im Weltkrieg zuletzt bis September 1918 Unterabschnittskommandant an der Süd-West-Front. 76 Karl Wayer Edl. v. Stromwell (Veszprém, Ungarn, 27.11.1851–  ?), 1.9.1871 aus Theres. Milakad. zum IR 32, Karriere als Truppenoffizier im IR 72, 1.5.1901 Obstlt. 1.4.1905 mit Wartegebühr beurlaubt, 1.5.1907 pensioniert. 77 Friedrich Franceschini (Wien, 30.7.1845–2.4.1906, Wien), besuchte dreieinhalb Jahre die Akademie der Bildenden Künste, dann die Regimentskadettenschule und wurde 6.12.1860 ausgemustert als Kadett zum IR 54, Karriere als Truppenoffizier, 1.11.1896 Obst. IR 72, dann Kdt. 27. IBrig., 1.11.1902 GM, 1.5.1904 pensioniert.

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Avemária78, erhalten.) Er ließ Wein bringen und zeichnete mich mit einem kurzen Toaste aus. Nach dem Essen verabschiedeten wir uns und fuhren nach Wien zurück, um unseren bis Ende September gewährten Urlaub zu konsumieren. Meine beiden Kameraden waren wesentlich kühler aufgenommen worden. Ich kam beglückt zurück, denn in mir hatte ein Funke schwärmerischer Sympathie gezündet  : Mein Kompaniekommandant war der äußeren Erscheinung und dem Auftreten nach das fast brüderliche Ebenbild meines Ideals, des Exerzierlehrers Hptm. v. Móga. Daheim erzählte ich – wohl strahlend – mein Glück, aber meine Mutter – von den Ehen ihrer Brüder mit ungarischen Frauen durchaus nicht begeistert – goss etwas Wasser in mein brausendes Gemüt und sagte abschließend  : „Heirate Du einmal nur keine Ungarin  !“ Ich lachte, weil ja daran gar nicht zu denken war, und ging schnurstracks auf den Graben in die Berlitz-School, wo ich einen eben beginnenden ungarischen Sprachkurs mit zwei Wochenstunden belegte. Dafür reichte gerade meine erste Löhnung als Kadettoffiziersstellvertreter, ja, es blieben, weil ich bei meinen guten Eltern umsonst wohnen und essen durfte, noch ein paar Kronen für den Photographen, einen Wochenendabstecher nach Mauer-Öhling79, wo mein Bruder beim Bau der Landesirrenanstalt sein Ingenieurspraktikum absolvierte, und anschließend für drei Tage nach Salzburg, wohin ich vom seinerzeitigen Vorgesetzten meines Vaters, dem pensionierten Gendarmerieobersten Kieslinger, in dessen Haus eine hübsche kleine Marianne erwuchs, eingeladen worden war, um mich zu präsentieren. Die Stadt entzückte mich, und mir tat in diesen Tagen fast leid, mich nicht zum Salzburger Regiment beworben zu haben. Als ich die kleine Marianne nach dem Ersten Weltkrieg in Salzburg wieder sah, war sie verheiratet und ich konnte ihr meine junge Frau, eine Ungarin, und meine erstgeborene Tochter80 als Baby vorstellen. Die Urlaubstage in Wien vergingen im Flug. Das Studium der ungarischen Sprache betrieb ich mit einem Ernst und Eifer wie noch nie zuvor das Erlernen einer Sprache. Am 1. Oktober meldete ich mich zum Dienstantritt in der Heumarktkaserne, in der mein Regiment untergebracht war.81 Die alte Heumarktkaserne besteht heute nicht mehr  ; sie ist der Stadtverschönerung gewichen. Es war ein mächtiger Bau 78 Rudolf Avemária (Ókér, Kom. Rácz-Bodrogh, Ungarn, 27.7.1884–  ?), 18.8.1902 aus IKSch. Pressburg zum IR 46, 1.11.1902 Lt., ergriff bald die Laufbahn eines Ökonomieoffiziers und diente in Truppenspitälern. Er scheint ab 1908 als Truppenoffizier nicht mehr auf. 79 Die beiden Gemeinden Mauer und Öhling, Bezirk Amstetten, NÖ, nahe dem Fluss Url, erhielten anlässlich des Baus der Westbahn die Bahnstation Mauer-Öhling, 1898–1902 wurde in Mauer eine Landes-Irrenanstalt errichtet. 80 Judith Anna Henriette Jansa, geb. 7. 3. 1920 in Salzburg, Dr. phil., lebt in Wien. 81 Die Heumarktkaserne in Wien, 3. Bezirk, Am Heumarkt 27–29, wurde 1741 als Reiterkaserne errichtet und 1783 umgebaut, 1841 bis 1844 wurde das Gebäude zur Gänze neu errichtet, 1901 von der Gemeinde Wien übernommen und 1910 demoliert.

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mit drei Stockwerken und schönen, großen, lichten Zimmern für je 24 Männer  ; die breiten Gänge, auf welche die Zimmertüren führten, waren durch ellipsoide offene Bogen zwischen tragenden Pfeilern gut durchlüftet und angesichts des verhältnismäßig sehr kleinen Hofes für einen Teil der Ausbildungstätigkeit gut geeignet. Der hintere Trakt der Kaserne enthielt viele große Stallungen und war mit dem Div. Art. Rgt. Nr. 6 belegt. Meine 4. Feldkompanie hatte im höchsten Stockwerk ihre Ubikation. Als ich mich beim Hauptmann meldete, war seine erste Bemerkung, dass ich nun rasch ungarisch lernen müsse. Ich konnte darauf antworten  : „Evel már megkezdettem, Kapitányúr  !“82 Damit hatte ich sein Herz erobert. Er legte mir nahe, dem von ihm hochgeschätzten dienstführenden Feldwebel fleißig alles abzuschauen, und teilte mich dem mit der Rekrutenausbildung befassten Lt. Mathes zu. Das war ein vor Jahresfrist aus der Wiener Neustädter Militärakademie zum Regiment ausgemusterter, lieber, kameradschaftlicher und, als Sohn des Brauereidirektors aus Wieselburg stammend, etwas behäbiger Herr, aber trotzdem passionierter Jäger. Wie ich nach Kurzem wahrnehmen konnte, war die Harmonie zwischen dem Hauptmann und seinem Leutnant nicht sehr groß. Einerseits lag dies in dem sogleich auffälligen Unterschied zwischen dem streng konventionellen Gehaben des ungarischen Edelmannes und der etwas rustikalen Gemütlichkeit des Österreichers. Andererseits konnte ich früh genug zu meinem nicht geringen Erstaunen erfahren, dass da auch Gegensätze nationaler Art eine bedeutsame Rolle spielten. Das Regiment hatte westungarische Mannschaft aus der nördlichen Donaulandschaft und dem südlichen Waagtal83, die etwa zu 80 % slowakisch war  ; der Rest waren deutsche Pressburger und nur ganz vereinzelt gab es Ungarn, die weder Deutsch noch Slowakisch verstanden. Obwohl als Regimentssprachen Slowakisch und Ungarisch vorgeschrieben waren, genügten praktisch Deutsch und Slowakisch für die schulmäßige Unterrichtung der Mannschaft  ; die sporadisch vorkommenden Rekruten, die nur Ungarisch verstanden, lernten in kürzester Zeit so viel deutsche und slowakische Worte, dass sie dem Deutsch und Slowakisch gehaltenen Unterricht glatt folgen konnten. Der vom Hauptmann geschätzte Feldwebel war ein Vollblutslowake aus Malacka, der kein Wort Ungarisch konnte  ; auch der Leutnant und Rekruteninstruktor sprach nicht Ungarisch – beide hatten auch gar nicht die Absicht, diese Sprache zu lernen. Für eine geeignete Dienstbeschreibung genügte die Kenntnis einer Regimentssprache, und etwas Slawisch konnte fast jeder österreichische Offizier. 82 „Herr Hauptmann, im Vorjahr habe ich schon damit begonnen.“ 83 Waag, ung. Vág, slow. Váh, Nebenfluss der Donau bildet in der Mittelslowakei mit der Kleinen Donau die Waag-Donau.

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Die wenigen kernmagyarischen Offiziere des Regiments waren vom Bestreben der ungarischen Regierung, alle Bewohner dieses Staatsgebietes möglichst zu magyarisieren, so angesteckt, dass sie es zumindest unrichtig fanden, die wenigen nur Ungarisch könnenden Leute zur Erlernung der slowakischen Sprache zu veranlassen. Ihrer Auffassung nach wäre es Aufgabe des Heeres gewesen, in allen Truppenkörpern der ungarischen Reichshälfte der Mannschaft während der dreijährigen Dienstzeit neben der Kenntnis der deutschen Kommandosprache auch die Kenntnis des Ungarischen zu vermitteln  ; die jeweils angestammte Muttersprache sollte eben nur Muttersprache in der Familie bleiben. Die bei den nichtmagyarischen Offizieren aus der Überlieferung des ungarischen Verhaltens im Jahre 1848 und trotz des dualistischen Aufbaus der Monarchie im Jahre 1867 nicht wesentlich freundlicher gewordene Gesinnung der ungarischen Politiker gegenüber Monarchie und Dynastie im Allgemeinen und Österreich im Besonderen gewachsene Abneigung gegen alles betont Ungarische schuf für mich, der ich als richtiges Tornisterkind die nationale Toleranz mit der Muttermilch eingesogen hatte, eine oft außerordentlich schwierige Lage.84 Denn meine von 84 Jansa wird auch von den Vorfällen erfahren haben, die sich im Kriegsschulkurs ab 1912, der im zweiten Jahrgang 1914 abgebrochen werden musste, abspielte, wieder stand der Frequentant Oblt. Gyula Gömbös de Jákfa, der spätere Gegenrevolutionär, ung. Landesverteidigungsminister und Ministerpräsidenten 1932 bis 1936 im Mittelpunkt und zwar im Schuljahr 1913/14 (siehe KA, NLS, sign. B/959, nr.2, fol. 147)  : „Kurz vorher hatte sich in unserem Kreise etwas ganz Bemerkenswertes begeben. Wir saßen ((n Unterkrain) im Weichselburger Gasthaus beim Abendessen. Das Gespräch kam auf kriegsgeschichtliche Dinge. Da meinte unser Kamerad Gömbös in nicht sehr feinfühliger Wiese aus seiner ‚kernmagyarischen Einstellung‘ heraus  : Eigentlich sei es keine besondere Auszeichnung, der österreichischungarischen Armee anzugehören. Diese habe ja im Laufe der Zeiten nur allzu oft Niederlagen erlitten. Empört erhoben wir Einspruch. Unser Hauptmann zog es bezeichnenderweise vor, diese Bemerkung zu überhören. Er hätte auch schwer als Schiedsrichter auftreten können, da sein Ansehen in unserem Kreise sehr gering war. Sachlich wäre hiezu zu bemerken, daß Gömbös’ Bemerkung, seine Taktlosigkeit einige Körnchen Wahrheit enthielt. Die Schuld an den Mißerfolgen des österreichischen Heeres ist aber nicht diesem allein anzulasten, denn gerechter Weise muß zugestanden werden, daß es fast stets sein bestes gegeben hat. Ein wohlgerütteltes Maß an den Unglücksfällen trägt das Herrscherhaus, das Rechtsverträgen meist mehr Aufmerksamkeit zu schenken pflegte als dem Wehrwesen.“ Ein weiterer diesbezüglicher Zeitzeuge ist der Jahrgangskamerad von Jedina-Palomini, Walter Auspitz (ab 1920 durch Namensänderung Walter Heydendorff ). Er war Rang 1 im Jahrgang der Kriegsschule, im Weltkrieg Hauptmann, zugeteilt dem Generalstab. Er schreibt in seinem Manuskript „Kriegsschule 1912–1914“ (KA. NLS., sign. B/844, Nr. 74, S. 43 f.)  : „Ein weiterer Gegenstand meiner Berichterstattung ist der ,Gömbös-Konflikt‘. Vorausgeschickt sei, daß sich damals österreichische Patrioten, und dazu gehörte ein nennenswerter Teil von uns Kriegsschülern, als Anwärter auf hohe Staatsstellungen oder sogar aus Idealismus, auf scharfe Ablehnung des Chauvinismus der Magyaren besonnen hatten. Verweigerung der Rekruten, Ablehnung aller Maßnahmen zur Modernisierung der Bewaffnung und Ausrüstung des gemeinsamen Heeres, wohin anders mußte dies alles führen als zum Untergang des Donaureiches  ? Dann mußte aber auch die nationale Zwangsjacke zerreißen, mit der die Ungarn die vielen Völker ihres Landes in einen nationalen Einheitsstaat preßten. Ich selbst hatte im Offizierskorps eines vorwiegend ungarischen Jägerbataillons

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der Kadettenschule mitgebrachte Sympathie für das chevalereske Auftreten der fast durchwegs der Gentry, also dem Kleinadel, entstammenden ungarischen Offiziere konnte die Tatsache nicht aus der Welt schaffen, dass die Masse der slowakischen Mannschaft wohl gern deutsch lernte, aber gar kein Interesse zeigte, sich ungarische Sprachkenntnisse zu erwerben. Das wäre geeignet gewesen, meinen persönlichen Eifer an der Erlernung der ungarischen Sprache herabzudrücken. Erst als ich nach und nach wahrnahm, wie einige tschechische Offiziere im Regiment begannen, eine slowakischtschechische Gemeinschaft zu stipulieren, und einmal ein tschechischer Kaplan bei der österlichen Predigt die Mannschaft in panslawistischem Sinne so zu verhetzen versuchte, dass ich ihn dienstlich zur Anzeige bringen musste, glaubte ich zu erkennen, dass die ungarische Unterrichtung der Mannschaft besser sei, als sie widerstandslos solchen Einflüssen zu überlassen. So setzte ich meine ungarischen Lehrstunden bei Berlitz mit Eifer fort  ; zudem nahm ich dort später im Gedanken an die Kriegsschule auch französischen Fortbildungsunterricht. In der Offiziersmesse hatte mich mein wirklich von ganzem Herzen hochverehrter und bewunderter Hauptmann, wie nach meiner ersten Meldung im Brucker Lager, gegenüber seinem Platze im oberen Teil der Tafel unter die ungarischen Offiziere gesetzt, deren Unterhaltung in der Messe usancegemäß in deutscher Sprache geführt und nur ab und zu mit ein paar ungarischen Redewendungen gewürzt wurde. Das trennte mich wohl etwas von meinen gleichaltrigen Kameraden, die mir das aber nicht verübelten, weil sie wussten, dass diese Scheidung nicht von mir verlangt, sondern vom allgemein mit viel Respekt betrachteten Hptm. v. Reviczky verfügt worden war. Da ich in der Folge von meinem Hauptmann und den anderen ungarischen Offizieren, die alle Junggesellen waren, oft auch privat zu Spaziergängen und einfachen Abendessen der gemeinsamen Armee mit Schrecken die Fortschritte des magyarischen Chauvinismus wahrnehmen müssen. Nun begann sich dieser Geist auch in der Kriegsschule im Kreise der k.u. Honvédoffiziere ungescheut zu äußern. Unbestrittener geistiger Führer dieser kleinen Gruppe war in meinem Jahrgang Oberleutnant Julius Gömbös, der nachmalige ungarische Ministerpräsident. Wir hatten für ihn wenig übrig, denn er war – im Gegensatz zu den meisten der Honvéds – ein schlechter Kamerad, der in Diskussionen vor dem Lehrer schonungslos Schwächen des Anderen aufdeckte … Und dieser Mann, der offenbar schon das Gedankengut der späteren ,erwachenden Magyaren‘ (felébredö magyarok) im Kopfe trug, fand es im Heeresunterricht für angemessen, unter Bruch des Gastrechts ein fulminantes Plädoyer für die Teilung der Armee in einen ungarischen und einen österreichischen Teil zu halten. Diese Forderung der magyarischen Ultras bewegte damals alle Gemüter, verletzte die Rechte der Krone und war nach allgemeiner Meinung das Ende jeder Gemeinsamkeit. Der Lehrer, Major v. Lorx, ließ die Zügel schleifen, er war ja selbst Ungarn aber wir konnten diesen Rede-Exzess unmöglich dulden. Matthias Tschurtschenthaler, meine Wenigkeit, vielleicht auch andere, sprangen auf und erhoben mit erregter Stimme Protest. Die Sache erweiterte sich, da das Kriegsschulkommando von dem Vorfall erfuhr. Nach außen hin war nun ein tiefer Spalt zwischen uns und Gömbös wahrzunehmen, aber dieser Heißsporn bekam sichtlich die Ungnade der Allgewaltigen zu verspüren, was er aber mit Fassung aufnahm.“

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eingeladen wurde, wobei sie Spaß daran fanden, mit mir ungarisch zu sprechen und mein Interesse für diese Sprache zu befördern, machte ich gute Fortschritte, was mir in meiner weiteren Laufbahn sehr zum Vorteil wurde. Das Einleben in den Truppendienst und das Auftreten vor der Front bereiteten mir – dank der vorzüglichen praktischen Vorbereitung der Kadettenschule – keinerlei Schwierigkeiten  ; ja, ich war in allen praktischen Kenntnissen sogar den aus der Wiener Neustädter Akademie neu zum Regiment gekommenen Offizieren überlegen, was mir darin bald eine gute Position über den Rahmen der Kompanie schuf. Als mit 1. Januar 1903 im Regiment für drei Monate eine Unteroffiziersbildungsschule zur Aufstellung gelangte, nahm mich deren Kommandant Mjr. Weihs v. Mainprugg85, eine glänzende soldatische Erscheinung, neben einem Oberleutnant als Lehrer zu sich. Der Lehrplan war so erstellt, dass meine Fächer (Geländelehre, Pionierdienst, Schreiben, Lesen und Rechnen) auf den späten Vor- und den Nachmittag fielen. Das erlaubte mir, einen ganz tollen Fasching zu durchleben  ; fast jeden Abend war ich – ein leidlich guter Tänzer – von einem Kreis schöner und lustiger Mädeln auf Haus- und öffentliche Bälle geladen. Außer einem erhöhten Verbrauch an Wäsche kostete mich das nichts, denn es war damals üblich, dass die Tänzer von den Eltern der einladenden jungen Damen bei Hauseinladungen selbstverständlich, aber auch auf öffentlichen Bällen freigehalten wurden. Wir waren, vom Haus des Kommerzialrats Stiebitz ausgehend, ein geschlossener Kreis von etwa zwölf jungen Damen und etwas mehr Herren, davon nur ich in Uniform, die anderen schon fertige Juristen, Ingenieure und Fabrikantensöhne, die gemeinsam alle Hausunterhaltungen und Bälle besuchten, wobei fremde Damen gar nicht und fremde Herren nur ausnahmsweise in unseren Kreis zugelassen wurden. Es war das mein einziger richtiger Fasching. Denn im Herbst 1903 starb meine gute Mutter und ich begann mit dem Studium für die Kriegsschule, 85 Franz R. Weihs-Tihányi v. Mainprugg (St. Pölten, NÖ, 30.5.1860–3.3.1951,Wien), 18.8.1879 aus Theres. Milakad. als Lt. zum IR 28, Karriere als Truppenoffizier, 1.5.1914 Obst. u. Kdt. IR 61, 26.9.1914 betraut mit Kdo. der 29.IBrig., 1.1.1915 GM, 19.2.1915 ung. Staatsbürger, 28.9.1916 betraut mit dem Kdo. der Ausbildungs- und Marschformationen der 9. dt. Armee, 23.8.1917 Kdt. 47. ID. in Albanien, 1.11.1917 FML, 1.8.1919 pensioniert. Er war sodann ein führendes Mitglied der „Frontkämpfervereinigung“. Der Sohn des Generals, Gustav Weihs-Mainprugg, geb. 12.10.1918, zog sich bei der Ausbildung in der Dt. Wehrmacht 5.9.1939–29.6.1940 den Bruch eines Rückenwirbels zu und wurde entlassen. Er war in der Folge ab 1943 ein besonders militanter Führer einer Widerstandsgruppe im Ausseer-Land und auch sehr mutig im Rahmen der Widerstandsgruppen, die sich am Kampf um Wien im April 1945 beteiligten. Dieser Sohn berichtete dem Herausgeber, dass er 1937/38 bemerken konnte, wie die Generäle Zehner und Jansa in die Privatwohnung des Generals in Baden kamen und – seiner Information nach – über die Führung monarchistischer Kampfverbände durch FML i. R. Weihs-Tihány-Mainprugg bei einem Einsatz gegen Angreifer sprachen. Der Inhalt des Schriftennachlasses des Generals im KA, NLS, sign. B/175, berührt die oben angedeuteten Mitteilungen nicht.

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das mir für solche Freuden keine Zeit mehr ließ. Auch zerstob dieser reizende Kreis nach den noch üblichen Frühjahrs- und Sommereinladungen nach Abbazia86, Lovrana87, in die Wachau und auf den Semmering durch Verlobungen und Heiraten in alle Winde, und bei den sporadischen Ballbesuchen in den folgenden Jahren gewann ich nicht mehr den richtigen Anschluss an die immer neuen Tanzgenerationen. Vor einer zu frühen Heirat hatte mich die Klugheit einer bildschönen jungen Dame bewahrt, die meinen schüchternen Antrag lachend mit der Meinung ablehnte, dass ein angehender Offizier ein geschätzter Tänzer, aber kein Heiratspartner sei. Sie heiratete auch einen sehr wohlhabenden Fabrikanten. Mjr. v. Weihs, der sehr viel in der Wiener Gesellschaft verkehrte, sah mich oft im Ballsaal und gönnte seinem Kadettoffiziersstellvertreter diesen Wirbel. So prächtige Hauptleute mein Regiment hatte, so dürftig und überaltert waren unsere Bataillonskommandanten. Als Regimentskommandanten hatten wir einen grundgescheiten, mir auch seinem Äußeren und seinem Auftreten nach sehr imponierenden Obst. Ulrich v. Trenkheim, von dem wir – wenn seine Frau nicht gewesen wäre – nie geglaubt hätten, dass er ungetaufter Jude war.88 Er hat viel für das Regiment getan, es überall in Ehren geführt. Und wenn ich über den Zentralfriedhof gehe, so lege ich in dankbarer Erinnerung immer gern einen Stein auf sein Grabdenkmal. Mit dem kernmagyarischen Erlauer Inf. Rgt. Nr. 60 bildeten wir eine Brigade. Dieses Regiment lag in der Rossauer Kaserne. Für beide Regimenter war der nahe gelegene Prater der gegebene Übungsraum. Da beobachteten wir uns gegenseitig immer genau  ; wir wetteiferten einander zu übertreffen, und praktisch ergab sich stets ein Unentschieden, denn beide Regimenter waren eifrig und ehrgeizig. Korpskommandant Graf Üxküll-Gyllenband, der fast täglich seinen rassigen Fuchsen im Prater ritt, lobte auch stets unsere Arbeit. Er hatte beide Regimenter sichtlich lieb gewonnen. Zur Frühjahrsparade vor dem Kaiser auf der Schmelz war ich nach der Beendigung der Unteroffiziers-Bildungsschule wieder bei meiner Kompanie. Es folgten die Lagerperiode in Bruck und die Manöver im Waldviertel. Meine Mutter, die jahrelang an schwerer Migräne gelitten hatte, bekam im Sommer einen besonders schweren Anfall, der allmählich in eine Gehirnhautentzündung überging, die meine sonst so kräftige und lebensmutige Mutter zu wochenlanger Agonie niederzwang. Wir hatten einen 86 Abbazia, heute Opatija in Kroatien  : einer der bedeutendsten Kurorte an der Adria, an der Ostküste Istriens am Kvarner gelegen, von Angehörigen der Wiener Gesellschaft besonders gerne aufgesucht. 87 Lovrana, heute Lovran in Kroatien, ein beliebter Bade- und Winterkurort an der Ostküste Istriens. 88 Heinrich Ulrich v. Trenkheim (Lemberg, 13.2.1847–14.10.1914, Wien), israelitische Konfession, 1.9.1865 aus der Pionier-Schulkompanie als Gefr.-Vize-Korporal zum IR 53 ausgemustert, 14.5.1866 Lt., Karriere als Truppenoffizier, 1.11.1900 Obst, 1.11.1906 GM u. Kdt. 69. IBrig., 1.4.1907 mit Wartegebühr beurlaubt, 1.8.1909 pensioniert.

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tüchtigen Hausarzt, dessen einzig mögliche Hilfe aber nur in der Schmerzlinderung durch einen Wasserzirkulationsapparat bestand. Meine Mutter kam in kein Spital, sondern blieb, wie das damals üblich war, daheim und bekam eine geistliche Pflegeschwester. Im Manöverfeld erreichte mich die befürchtete Nachricht, dass das Herz zu versagen begann. Mir wurde generös sofort Urlaub gewährt. Dennoch konnte ich von meiner guten Mutter nicht Abschied nehmen, da die Agonie keine Unterbrechung erfuhr. Am Spätabend meines Ankunftstages erlosch das uns drei Männern so kostbare, geliebte Leben. Und am 12.9.1903 trugen wir sie auf dem Zentralfriedhof zur Ruhe. Ich kehrte gleich anschließend aufs Manöverfeld zurück. Die Teilnahme meines prächtigen Hauptmanns, aber auch der Mannschaft der Kompanie war rührend. Es hatten sich in der kurzen Zeit eines gemeinsamen Arbeitsjahres Bande zwischen uns geschlungen, derer ich mir erst angesichts dieses traurigen Anlasses bewusst wurde. Im Oktober bekam ich vom Hauptmann die Ausbildung der Rekruten übertragen, was mich mit mächtigem Stolz erfüllte. Da er mir viel Selbständigkeit beließ, legte ich meinen ganzen Eifer und auch meine ganze Zeit vom frühen Morgen bis in den späten Abend in die praktische und schulmäßige Ausbildung der mir anvertrauten Männer. Ich hatte bei der Schlussinspizierung die große Freude, dass meine Rekrutenabteilung zu den besten des Regimentes gezählt wurde. Am 1. November 1903 erfolgte meine Beförderung zum Leutnant. Ich glaube, mit knapp 19¼ Lebensjahren der jüngste Leutnant Seiner Majestät geworden zu sein. Das war eine große Auszeichnung, die nur den besten Absolventen meines Kadettenschuljahrganges zuteil wurde, während alle anderen erst nach eineinhalb, zwei oder gar drei Fähnrichsjahren zum Offizier ernannt wurden. Schon am Vortag erhielt ich von meinem Kompaniekommandanten seine Photographie mit einer Widmung, was ein Leutnant nach einem Jahr Dienstzeit nicht oft erhalten haben wird. Das Bild hat mich meinen ganzen Lebensweg begleitet. Das Jahr 1904 brachte den Ausbruch des russisch-japanischen Kriegs, den ich mit brennendem Interesse verfolgte. Ich besorgte mir alle darüber nach und nach erscheinenden Druckschriften, besuchte alle darüber im Militärwissenschaftlichen Kasino gehaltenen Vorträge und erblickte in der Vertiefung in dieses Geschehen den besten Beginn für die Vorbereitung zur späteren Aufnahmsprüfung in die Kriegsschule. Aber auch sonst gab es in meiner Leutnantszeit viele mich bewegende Ereignisse  : die ersten selbstständigen Wachdienste am Neugebäude, ein Waffen- und Munitionslager gegenüber dem Zentralfriedhof, das einem jungen Offizier die erste bewusste Alleinverantwortung auf die Schultern legte , die selbstständigen Wachdienste in Schönbrunn und am Burgtor  ; und, gemeinsam mit meinem Hauptmann, die Burghauptwache, ein immer wieder wegen seiner höchsten Präzision in jeder Hinsicht zum prickelnden Ereignis werdender Dienst.

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Wer diesen Dienst nicht selbst einmal mitgemacht hat, kann sich kaum eine richtige Vorstellung davon machen. Die Ablösung der Burghauptwache mit Musik und Fahne war ein Geschehen, das sich im Zeitmaß mit jedem Schritt und jeder Wendung in uralter Tradition unter den streng prüfenden Augen des stets ans Fenster seines Arbeitsraumes tretenden Allerhöchsten Kriegsherrn vollzog, aber auch unter den sehr kritischen Augen der Spezialisten im Wiener Publikum, die die geringste Abweichung von der in Jahrzehnten geübten Regel sofort wahrnahmen und mit lauten Missfallensäußerungen kritisierten. Darum wurde außer der eingehenden Belehrung jedes Mannes über seinen Dienst als Wachposten der ganze Vorgang jedes Mal vor Beziehen der Burghauptwache im Kasernenhof an einer Feuerleiter als Gewehrschranken geübt. Die denkbar beste Anpassung der Uniform und Ausrüstung für Offizier und Mann wurde schärfstens kontrolliert, vom Feldwebel, vom Leutnant, vom Hauptmann und bei dem mit Musik im Kasernenhof erfolgenden Abteilen der Wachen durch den Regimentskommandanten persönlich. Wegen des häufigen Aufreißens der Straßen zu irgendwelchen Bauzwecken wurde der von der Wache zu nehmende Weg oder der erforderliche Umweg mit der Uhr in der Hand eine Stunde vor dem Abmarsch der Wache überprüft. Wenn alles stimmte, durchschritt 13 Minuten vor 1h die Regimentsmusik und hinter ihr die ablösende Burghauptwache das Tor der Heumarktkaserne, vor dem sich schon eine mehr oder weniger große Menge von Wienern aller Stände versammelt hatte, die als kritische Begleitung rechts und links der Regimentsmusik unserem Marsche folgte und sich unterwegs immer vermehrte. Der Marsch geschah über den Schwarzenbergplatz, die Schwarzenberg-, Walfisch-, Philharmonikerstraße, den Albertinaplatz, die Augustinerstraße, den Michaelerplatz und die Schauflergasse mit klingendem Spiel. Die Fenster flogen auf  : Keine Frau, kein Mädchen und kein Mann, mochten sie jung oder alt sein, ließen sich den Vorbeimarsch entgehen. Das Militär war beliebt in Wien  ; es wurde gewunken und ihm zugejubelt. Wie schwoll da die Brust jedes einzelnen Mannes und besonders eines Leutnants, der doch eine Menge Mädeln kannte  ! Mit dem ersten Schlag auf eins der Uhr am Amalientrakt89 musste der Einmarsch durch das Schaufler Tor in den Burghof und ohne Kommando der Aufmarsch der neuen Wache, nur durch einen an die Wand gemalten roten Punkt für den einschwenkenden Hauptmann dirigiert, erfolgen. Das Wachlokal befand sich dort, wo heute die große Klosettanlage installiert ist  ; davor der schwarz-gelbe Schranken, an den die Gewehre der vor dem Wachelokal auf einer Bank sitzenden Wachmannschaft angelehnt 89 Der Amalientrakt ist ein Teil der Wiener Hofburg. Er wurde anstelle des Hauses der Grafen von Cilli 1575–1577 errichtet und im 17. Jh. zu einem Burgtrakt umgestaltet. Als ihn seit 1711 die Witwe ­Josephs I., Amalie Wilhelmine von Braunschweig, bewohnte, erhielt er den Namen Amalientrakt.

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wurden. Jeder wusste, dass hinter ihm am Fenster der Reichskanzlei der greise Monarch mit seinen Falkenaugen zusah. Wie flogen da die Beine, wie flogen die Köpfe der alten und der neuen Wache bei der kommandierten Ehrenbezeigung  ! Stolz und präzis wie zwei Ballettmeister schritten unter den Klängen der Volkshymne vor den Fronten beider Wachen die beiden Leutnants mit den Fahnenträgern einander entgegen. Ohne Kommando mussten alle vier Männer im gleichen Augenblick und in richtiger Entfernung voneinander halten, gleichzeitig die Säbel senken, während die Wachfahne vom alten Träger dem neuen übergeben wurde, gleichzeitig die Kehrtwendung machen und in ihre Einteilung zurückschreiten. Nun formierte die Musik einen Kreis und trug ein bis zwei beliebte Konzertstücke oder Opern- und Operettenweisen vor. Ihre sorgfältige Wahl war mitbestimmend für die Beliebtheit eines Regiments bei den so sehr musikbegabten Wienern, und es war nicht immer leicht, den Kapellmeister zu bestimmen, ein von einer schönen Frau dem Leutnant oder Hauptmann aufgegebenes Verlangen nach einem bestimmten Stück zu realisieren. Währenddessen begaben sich die Hauptleute und die Feldwebel in die Wachzimmer zur Besprechung und Erledigung der Übergabsbestimmungen, die Anführer vollbrachten die Postenablösung und die Leutnants übernahmen den Befehl über die restlichen Teile der Wachen. Nach etwa einer halben Stunde waren diese Vorgänge beendet. Die alte Wache vollzählig und die neue, vermindert um die aufgestellten Posten, leisteten einander die Abschiedsehrenbezeigung, worauf die alte Wache mit der Regimentsmusik durch das Schaufler Tor in ihre Kaserne marschierte, während sich die neue hinter den Schranken begab, dort die Gewehre ansetzte und ihren 24-stündigen Dienst begann. Nach kurzer Zeit erschien ein Hofbediensteter und brachte das vom Hofärar festgesetzte Wachdeputat  : für den Hauptmann und den Leutnant je zwei Handtücher, je eine Zweimannflasche Wein und – trotz der inzwischen längst eingeführten elektrischen Beleuchtung – auch je zwei sehr große Wachskerzen zur Beleuchtung der Wachzimmer. Die Mannschaft bekam ebenso Deputatwein, alle außerdem noch eine vom Hofärar bestrittene Wachzulage in klingender Münze, die für den Leutnant, wenn ich mich recht erinnere, 2 Kronen und einige Heller betrug. Dann wurde sogleich mit dem den Burgplatz fegenden Straßenkehrer durch ein entsprechendes Trinkgeld Verbindung aufgenommen, damit er die Wache rechtzeitig von bevorstehenden Durch- oder Auffahrten höchster und allerhöchster Herrschaften wegen des Antretens der Wache zur Ehrenbezeigung verständige. Dieser Straßenkehrer war ein Weiser  ; er wusste alles und reagierte, sooft ich auf Wache war, immer richtig. Wirklich großartig waren nur zwei Momente  : wenn Seine Majestät, meist gegen halb 9h aus Schönbrunn kommend, in die Burg einfuhr und wenn Sie nachmittags, meist nach 5h, wieder nach Schönbrunn hinausfuhr. Im Winterhalbjahr hingegen beobachteten wir wie die Luchse das Fenster, an dem der Kaiser kurz nach 4h morgens

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den Vorhang seines Gemaches leicht beiseiteschob und seinen ersten Blick am neuen Tage auf die Wache ihm gegenüber warf. Das hatten wir in Wien garnisonierenden Infanterieoffiziere allen unseren Kame­ raden anderer Waffen und in der Provinz voraus  : Für uns war der Allerhöchste Kriegsherr nicht legendär, sondern von leibhaftiger Persönlichkeit  ; wir kannten jede Bewegung des Monarchen beim Ein- und Aussteigen in seine Equipage, seine Haltung darin, seine Art des Grüßens und Dankens, aber auch seine scharfe Beobachtungsgabe, da beim geringsten Versäumnis oder der geringsten Änderung gegenüber dem Herkömmlichen sofort eine Anfrage der Militärkanzlei Seiner Majestät beim Wachkommandanten eintraf. So weiß ich mich selbst an Folgendes zu erinnern  : Ich war Wachkommandant am Burgtor. Der Wachraum befand sich damals dort, wo heute die Krypta des Heldendenkmales ist. Ringstraßenseitig stand ein Avisoposten, hinter dem eine elektrische Klingel angebracht war, mit der er durch ein-, zwei- oder dreimaliges Drücken des Tasters der mit ihrer Front zum Heldenplatz untergebrachten Wache das Zeichen zum Antreten zur Ehrenbezeigung zu geben hatte, je nachdem ob ein General, ein Erzherzog oder der Kaiser von der Ringstraße aus das Tor passieren wollte. Entgegen der Bestimmung des Dienstreglements, wonach der einzelne Soldat bei Begegnung mit Erzherzogen und dem Kaiser vor Leistung der Ehrenbezeigung zu diesen zuerst Front machen musste, hatte der Posten am äußeren Burgtor mit der Schulterlinie parallel zur Mauer stehen zu bleiben und die Ehrenbezeigung nur durch Kopfwendung und Salutieren zu leisten. Da zur Erkennung verschiedener Persönlichkeiten eine gewisse Intelligenz notwendig war, die der einfache slowakische Bauer nicht immer besaß, hatte ich zu diesem Avisoposten den aus kaufmännischem Berufe stammenden, schönen, großen jüdischen Infanteristen Falk bestimmt und ihn über seine Obliegenheiten genau unterrichtet. Der Mann war ehrgeizig und mir ergeben  ; ich verließ mich auf ihn. Ab 8h war die Wache bereit, den von Schönbrunn erwarteten Kaiser zu begrüßen. Ich besah mir den Anzug meiner Leute, band meine Feldbinde fester, der Tambour spannte das Trommelfell schärfer, und ganz ordnungsgemäß kurz vor halb 9h schrillte die Alarmglocke dreimal. Der Schnarrposten brüllte dreimal „Gewehr heraus“, die Wache trat an, ich kommandierte das „Wache rechts schaut“, senkte dreimal den Säbel und die Equipage Seiner Majestät passierte den Torbogen, der Kaiser dankte. So war der große Moment in Ordnung vorbeigegangen  ; bis zur Ablösung um die Mittagszeit waren keine besonderen Begebenheiten zu erwarten. Ich setzte mich zu einer Druckschrift und las, wie die Japaner die Russen am Yalu geschlagen hatten.90 90 Über die Art und Weise wie der Russisch-Japanische Krieg 1904 bis 1905 in Österreich-Ungarns Generalstab aufgenommen und in den Militärschulen gelehrt wurde siehe  : Adolf von Horsetzky, Kriegsge-

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Auf einmal klingelte das Telefon von der Burghauptwache und der Hauptmann fragte in scharfem Ton, was das für eine Schlamperei im Wachdienst sei  : Seine Majestät habe beanstandet, dass der Avisoposten am Äußeren Burgtor zur Ehrenbezeigung Front zur Equipage gemacht habe. Ich konnte nichts wissen, da der Posten und die Wache Rücken gegen Rücken, getrennt durch das dicke Gemäuer des Burgtors standen. Meine Antwort konnte nur sein, dass ich die Sache prüfen und dann melden werde. Als um 9h nach der Postenablösung mein guter Falk stolz im Wachzimmer zu mir sagte  : „Nu, Herr Leutnant, das hat doch schön gestimmt  ; ich habe Seine Majestät rechtzeitig erkannt und sogar Front zum Wagen gemacht, also mehr für Sie getan, Herr Leutnant, als ich hätte müssen  !“, musste ich sehr ärgerlich den guten Falk verdonnern  : „Der Teufel hole Sie mit ihrem Frontmachen  ; das durften Sie doch nicht tun. Das war Pflichtverletzung im Wachdienst, das hat Seine Majestät sofort wahrgenommen und beanstandet  !“ – „Gott der Gerechte  ! Was wird jetzt geschehen, Herr Leutnant  ?“ – „Das wollen wir abwarten. Sie kommen jedenfalls zum Kompanierapport  !“ Dem Hauptmann auf der Burghauptwache meldete ich, dass der sonst brave, ausreichend belehrte und verlässliche Avisoposten aus Übereifer tatsächlich, entgegen den Wachverhaltungen, Front zu Seiner Majestät gemacht habe. Der Vormittag war mir jedenfalls verdorben und mir ging im Kopfe die Möglichkeit um, dass es mit dem Streben nach der Generalstabsausbildung vorbei sein könnte, denn einen wegen Versagens im Wachdienst bestraften Offizier nimmt man nicht in den Generalstab. Ja, so nahe nebeneinander liegen im militärischen Leben Erfolg und Misserfolg  ! Aber es geschah nichts. Der Korpskommandant, dem die Militärkanzlei Seiner Majestät den Anstand pflichtgemäß mitgeteilt hatte, überließ die Austragung dem Regimente. Und beim Regimentsrapport sagte der Oberst einfach zu mir  : „Das hätte nicht vorkommen dürfen  ! Sie haben Pech gehabt, der Soldat muss Glück haben  ! Kümmern Sie sich darum  !“ Das war mein jüdischer Oberst – Ehre seinem Angedenken  ! Sein Nachfolger hätte mich sicher bestraft. Es ist im Regiment und überhaupt in der Armee viel über Sinn und Zweck solcher und ähnlicher Formalitäten im Wachdienste debattiert worden und über die Zweckmäßigkeit der Garnisonierung in Haupt- und Residenzstädten. Ich kann aus der Erfahrung meiner Dienstzeit nur die Auffassung unterstreichen, dass der Wachdienst im Frieden eines der besten Erziehungs- und Disziplinierungsmittel für Mann und Offizier ist. Auch der übrige „Zwirn“ in einer großen Garnison ist für die Disziplinierung schichtliche Übersicht der wichtigsten Feldzüge seit 1792, 7. Auflage, Wien 1913, S. 632–674. Der Krieg begann mit dem Überfall der Japaner auf die Flotte der Russen vor Port Arthur (ab 8.2.1904) und endete mit der Niederlage der russischen Flotte bei Tsuschima (27.5.1905). Im Landkrieg standen die Besitznahme von Korea durch die Japaner und der Übergang über den Fluss Jalu (ab 1.5.1904) am Beginn der Operationen. Höhepunkt der Kämpfe war die Schlacht bei Mukden (Februar bis März 1905).

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der Truppe nur vorteilhaft und kommt der Genauigkeit in der Felddienstausbildung zugute. Von besonders gelagerten Ausnahmefällen für die hochalpine Ausbildung abgesehen (und selbst da darf man nicht generalisieren) sind im Formalen tüchtig durchgearbeitete Truppen den sogenannten nur feldmäßig ausgebildeten gegenüber nie zurückgestanden. Das habe ich in meinem Regiment beobachtet, als wir in unsere Heimatgarnison Pressburg zurückkamen, später in Bosnien, im Kriege, dann als Brigadier, dessen Regimenter in Wien und in der Provinz lagen, und schließlich als Militärattaché auch in Deutschland, wo das Berliner Wachregiment im Frieden und im Kriege brillant entsprach. Für die männliche Erziehung namentlich in jungen Jahren, ist ein mit Vernunft und selbstverständlich ohne Sekkatur und die menschliche Persönlichkeit verletzender Rüdheit betriebener Drill nur vorteilhaft und bereitet, meiner nicht geringen Erfahrung nach, den so Geschulten selbst Freude. Im Regiment wurde ich nach und nach neben meinem Dienst bei der ­Kompanie verschiedentlich zusätzlich verwendet  : Im ehrenrätlichen Ausschuss, in der Regi­ ments­adjutantur für die Mitarbeit am Mobilisierungsplan, und für Vorträge der Stabsoffiziere hatte ich die Skizzen zu zeichnen. Ich wurde in einen Regiments-Scharfschützenkurs befohlen, in dem wir täglich jeder über 100 Patronen (bei der sparsamen allgemeinen Dotation war das eine sehr große Menge) verschossen. Auch wurde ich in die Infanterieequitation abkommandiert, wo ich in der am Donauufer gelegenen Wilhelmskaserne beim Div. Art. Rgt. Nr. 42 reiten lernte.91 Daneben nahm ich aus Gesprächen mit den jeweilig zum Regiment neu ausgemusterten Wiener Neustädter Akademikern wahr, wie viel mir an militärwissenschaftlicher Bildung, besonders an Kriegsgeschichte, fehlte und wie viel ich in den kargen freien Stunden lernen musste, wenn ich bei der Prüfung für die Kriegsschule eine Chance haben wollte. Das Studium der ungarischen und französischen Sprache setzte ich an der Berlitz-School trotzdem fort. In dieser Zeit war FML Conrad Chef des Generalstabs geworden. Er erließ die sehr kluge Bestimmung, dass Aufnahmen in die Kriegsschule nicht wie bisher nach mindestens drei, sondern erst nach vier Offiziersdienstjahren bei der Truppe geschehen dürften. Für meine Vorbereitung war das ein wunderbarer und sehr nötiger Zeitgewinn. Denn die innenpolitische Lage der Monarchie hatte meine dienstliche Beanspruchung noch gesteigert. Das kam so  : Die ungarische, man kann ruhig sagen revolutionäre Regierung forderte die Zerreißung der einheitlichen Armee und versagte zur Erzwingung der ungarischen Kommandosprache bei den aus Ungarn sich er91 Equitationsinstitut war in Österreich und Bayern die Militär-Reitschule. Die Erzherzog-Wilhelm-Kaserne im 2. Bezirk, Vorgartenstraße 223, war eine Artilleriekaserne. Sie war 1894 bis 1896 im Stil der Renaissance erbaut worden und konnte ein Divisions-Artillerie-Regiment aufnehmen.

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gänzenden Truppen nicht nur jede, so dringend nötige Erhöhung des Heeresbudgets, sondern sogar die Bewilligung des jährlichen Rekrutenkontingents. Das führte zu der Notmaßnahme, dass die Infanterie ihre jungen Jahrgänge an die berittenen Truppen abgeben musste und dafür aus der durch das jahrelange ungenügende Heeresbudget groß angeschwollenen unausgebildeten Ersatzreserve in achtwöchigen Turnussen solche Ersatzreservisten bekam, deren Einberufung zu Waffenübungen das Wehrgesetz ermöglichte. Wir hatten sonach im Regiment permanent Rekrutenausbildung, die mich vom frühen Morgen bis in den späten Abend beschäftigte, sodass ich mir die Zeit für meine militärische Fortbildung von den Nachtstunden absparen musste. Diese unglücklichen politischen Verhältnisse brachten aber auch viel Unruhe ins Regiment. In der Offiziersmesse kam es zu scharfen Auseinandersetzungen zwischen magyarischen und nichtmagyarischen Offizieren und in deren Folge öfter zu DuellForderungen. Dann hatten wir als zweiten Obersten eine sehr unangenehme Persönlichkeit ins Regiment bekommen und als Kommandanten des ersten Bataillons einen soldatisch sicher tüchtigen, aber gesellschaftlich sehr einfachen Ruthenen, die beide wenig Feingefühl gegenüber den magyarischen Gentryoffizieren zeigten und das so vorzüglich gewesene Regiment sehr erschütterten. Das führte zu einem mir auch heute noch lebhaft vor Augen stehenden Ereignis  : Der Entwurf des neuen Exerzierreglements war erschienen.92 Mir, der ich in der Schule von meinem trefflichen Exerzierlehrer gelernt hatte, Reglements zu lesen und zu verstehen, machten die Neuerungen keinerlei Beschwernis. Ich nahm aber mit Befremden wahr, wie ungeheuer konservativ und schwerbeweglich die Truppe in der Annahme neuer Kommandos, Formänderungen und Vereinfachungen ist  ; es gab da 92 In Bezug auf das konservative Beharrungsvermögen nicht nur der unteren Ebene der Truppen, sondern auch der höchsten Organe berichtet der bereits genannte Staatsarchivar i. R. Dr. Walter Heydendorff (ehemals Auspitz) in seinen Erinnerungen als Frequentant der Kriegsschule („Kriegsschule 1912–1914“, Masch. Manuskript, KA, NLS, sign. B/844  :74), über die Kaisermanöver in Böhmen bei Tabor 1913 auf S. 41  : „Der 17. September war dann der Tag der berühmten Übung gegen Markierung, die der Initiative des Erzherzog-Thronfolgers entsprungen war und von dessen Stab geleitet wurde. Sie sollte offenbar der Erprobung der im Jahre 1911 ausgesprochenen Vorschriften für den Angriff dienen. Man achtete aber nicht darauf, daß sich der Angriff einer Division im offenen Gelände, zusammengezogen auf eine Frontbreite von 3–4 km, unter völliger Missachtung des Feuers der feindlichen Artillerie zu einer entsetzlichen Schlächterei entwickeln mußte, wie es dann ein Jahr später tatsächlich der Fall war. Wieder kam wie 1866 die überlegene feindliche Waffenwirkung wegen der falschen taktischen Leitsätze zu voller Auswirkung. Das, was wir 1913 in Südböhmen sahen, mußte entsetzliche Vorahnungen bei jenen entstehen lassen, die beim Studium der Erfahrungen auf den mandschurischen Schlachtfeldern ein zutreffendes Bild über die Wirkungen moderner Schnellfeuerartillerie gewonnen hatten.“ Im Generalstab wurde das geschilderte Ereignis herabsetzend „Sophienschlacht“ genannt, mit Bezug auf die Gattin des Erzherzog-Thronfolgers, die am letzten Tag des Manövers zeitweise ihren Mann als Zuseher begleitete.

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langwierige Uneinigkeiten mit dem neuen Bataillonskommandanten, die schließlich zu einer üblen Unsicherheit führten. In dieser Periode wurde die Besichtigung des Regiments im Prater durch Seine Majestät den Kaiser, der damals schon 75 Jahre zählte, angesagt. Unser 1. Baon wurde als erstes zur Vorführung befohlen, wobei die Kommandos des ruthenischen Bataillonskommandanten, von den Kompaniekommandanten fehlverstanden, ein unsicheres Schwanken in der Ausführung brachten. Da galoppiert Seine Majestät scharf an das Bataillon heran und ruft in dieses hinein  : „Aber doch nicht so schlampig  !“ Das schlug ein wie ein elektrischer Schlag. Wenn irgendjemand gedacht hätte, dass auf dem Throne eine alte, müde und gleichgültig gewordene Persönlichkeit säße, war der nun vor Scham und Schrecken aufgerüttelt. Mit der kaiserlichen Missbilligung waren alle Missverständnisse zwischen Bataillonsund Kompaniekommandanten ausgelöscht und alle folgenden Bewegungen rollten in alter Präzision und Strammheit ab. Da ritt der Allerhöchste Kriegsherr langsam an das Bataillon heran und rief ihm zu  : „Jetzt war ich zufrieden, megelegedtve voltam  !“93 Wir waren trotzdem wie begossene Pudel, durch Wochen tief unglücklich. Aber auch in politische Gebräuche begann ich in dieser unguten Zeit einen düsteren Einblick zu gewinnen  : In Ungarn waren Wahlen zum Parlament ausgeschrieben, wozu meine Kompanie als Wahlassistenz in das slowakische Dorf Kosztolna verlegt wurde. Ich dachte, dass dort irgendwelche Unruhen ausgebrochen wären. Wie groß war mein Erstaunen, das Dorf fast ohne Männer zu finden, die – wie das damals üblich war – als Arbeiter in Amerika werkten, während die Frauen, unterstützt durch die von den Männern heimgesendeten Geldbeträge, neben der Arbeit auf den Großgrundbesitzen, ihre winzigen eigenen Grundstückchen bestellten. Was sollten wir da als Wahlassistenz zu tun haben  ? Nach und nach kamen wir dahinter  : Die slowakischen Frauen und die wenigen Männer waren mit dem Stuhlrichter (Bezirkshauptmann) unzufrieden, der nur ungarisch mit ihnen verkehren wollte, woraus eine Art passiver Resistenz der Frauen entstand. Um die Bevölkerung gefügiger zu machen, nützte der Stuhlrichter offenbar die Zeit der Wahlen aus, um die Militärassistenz anzufordern, deren Kosten die Bevölkerung zu bezahlen hatte. Das war auch meinem gut ungarischen Hauptmann zu viel und er berichtete darüber. Wir wurden bald wieder abgezogen, aber uns blieb ein unguter Geschmack über solche Verwaltungspraktiken. Auf einmal verstand ich sehr gut, warum Seine Majestät zur Brechung der ungarischen Cliquenherrschaft sich so sehr für das allgemeine Wahlrecht exponierte.

93 Wiederholung von „Ich war zufrieden“ in ungarischer Sprache.

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Pressburg 1906–1907 Im Frühjahr 1906 war wieder Garnisonswechsel und mein Regiment wurde nach Pressburg zurückverlegt, wo meine Kompanie in der auf imponierender Berghöhe über dem breiten Donaustrom gelegenen Schlosskaserne Unterkunft bezog. Unser guter und hochverehrter Regimentskommandant Obst v. Ulrich führte das Regiment noch nach Pressburg, aber übergab es bald dem schon als zweiten Obersten unbeliebt gewordenen Obst. v. Strasser.94 Ich selbst fand unterhalb des Schlossberges am Wödritz eine hübsche, möblierte Zweizimmerwohnung, für die mir mein guter Bruder als Arbeitstisch ein riesiges, auf zwei Böcken ruhendes Reißbrett beigestellt hatte, auf dem sich Bücher, Karten und Druckschriften zur Durcharbeitung türmten, weil ich mich zur Vorprüfung für die Kriegsschule angemeldet hatte. In dieser Zeit war die Zusammenstellung sogenannter Jagdkommandos in den Bataillonen modern geworden und ich wurde von unserem prächtigen neuen Bataillonskommandanten, Obstlt. v. Iwański95, einem „Herrn“ im wahrsten Sinne des Begriffes, zum Patrouillenoffizier und damit zum Kommandanten dieses fallweise zusammengezogenen Jagdkommandos bestimmt. Wir bekamen auch einen neuen Divisionär in FML Terkulja96, dem der Ruf äußerster Strenge und militärischer Härte voranging, ohne dass wir ihn noch zu Gesicht bekommen hatten. Gelegentlich einer mehrtägigen Übung meines Jagdkommandos gegen zwei andere sehe ich plötzlich eine Reitergruppe um einen General, der unsere Arbeit beobachtete. Ob das wohl der neue Divisionär ist  ? Ich springe aus meiner Deckung und erstatte, der Vorschrift gemäß, mit gezogenem Säbel die Ehrenbezeigung leistend, Meldung über Auftrag, Stand, taktische Lage und meine nächste Absicht. Der General stellt einige Fragen, die ich erschöpfend beantworten kann. Darauf nickt er, entlässt mich, sieht unserem weiteren 94 Josef Strasser Edl. v. Obenheimer (Wien, 28.1.1857–28.9.1934, Wien), Absolvent des Militärkollegiums in St. Pölten und der Theres. Milakad. 1.9.1877 als Lt. zum IR 4, Kdt. von Feldjägerbaonen, 1.11.1901 Obst. u. Kdt. IR 72, 1910 Kdt. 89. IBrig., 1.11.1910 GM, Divisionär, 1.11.1913 FML, 1.7.1914 pensioniert. 95 Artur Iwański v. Iwanina (Fiume, heute Rijeka, 21.1.1858–8.6.1926, Wiener Neustadt), 24.4.1879 aus der Techn. Milakad. ausgemustert, Absolvent des höheren Geniekurses, 1.8.1907 Oberst, Dienst bei Genieregimentern und Pionierbaonen, ab 1910 im dt. IR 83, 1.11.1914, im Ersten Weltkrieg die meiste Zeit Kdt. 33. ID. an der Russischen Front, 1.11.1917 FML. 96 Johann Terkulja (Makovorselo in der Militärgrenze, 8.12.1853–15.12.1933 Ptuj, ehemals Pettau, Jugoslawien, ehemals Stmk.), 1.9.1873 aus der Artillerieabteilung der Techn. Milakad. als Lt. zum 3. Festungsartilleriebaon ausgemustert, nach dem Besuch des Höheren Artilleriekurses Karriere als Glstbsoffizier, 1.5.1896 Obst. i. G., 1.11.1901 GM, Divisionär, 15.4.1910 Festungskdt. v. Przemysl, 1.5.1911 pensioniert.

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Vorgehen noch eine Weile zu und reitet dann weiter. Ich dachte mir noch, dass ich mich jedenfalls richtig verhalten habe, gleich ob das der neue Divisionär war oder nicht. Als ich nach drei Tagen nach Pressburg einrückte, wurde ich zum Regimentsrapport befohlen, wo mir unser guter scheidender Oberst sagte, dass ich das Regiment beim neuen Divisionär gut eingeführt hätte, FML Terkulja habe sich über mich und die Arbeit meines Jagdkommandos sehr befriedigt geäußert. Glück muss der Soldat haben  ! Mein Gesuch um die Zulassung zur Vorprüfung für die Kriegsschule bekam vom Divisionär eine persönliche Befürwortung. Ich aber bekam reichlich zusätzliche Arbeit  : Wenn in der Divisionskanzlei jemand fehlte, wurde ich hinkommandiert. Bisher nie mit Verpflegungsaufgaben beschäftigt, wurde ich zum Divisionsübungsritt der Stabsoffiziere als Quartiermacher und Proviantoffizier kommandiert, lernte aber auch beim berühmten Generalstabschef Mjr. Landwehr v. Pragenau97 und seinem Gehilfen, Hptm. v. Tlaskal98 viel praktische Generalstabsarbeit abschauen. Ich wurde sogar ins Haus des Divisionärs zu Abendgesellschaften geladen, eine Auszeichnung, die sonst nur Stabsoffizieren, nie aber einem Leutnant zukam. Dies alles als Folge einer simplen Patrouillenübung. Auch sonst stellte das gesellschaftliche Leben in Pressburg größere Anforderungen an meine knappe Zeit, die ohnehin schon kaum ausreichte für die viele Prüfungsvorarbeit und den Riesenstoff, den ich als Kadettenschüler aufzuholen hatte, um mit den Akademikern in Konkurrenz treten zu können. Wie viel Nachtstunden gehörten der Arbeit  ! Nach Pressburg war in dieser Zeit auch der Bruder meines mir in väterlicher Freundschaft verbundenen Hauptmanns, Laszló v. Reviczky, zum Honvéd-Rgt. Nr. 13 versetzt worden.99 Er war mit einer wohlhabenden, uradeligen ungarischen Dame von imponierender, herber Schönheit vermählt, welche die große Wohnung über jener unseres Divisionärs gemietet hatte. Sie führte dort ein großes Haus, in das mein lediger Hauptmann nun seinen Leutnant einführte. Der Sohn des Hauses wurde im Theresianum in Wien erzogen, während die Tochter, ein damals zehnjähriges, ungewöhnlich zartes Geschöpf mit prachtvoll großen Augen, von mir nur mit jener herzlichen 97 Über Ottokar Landwehr v. Pragenau (1868–1944) siehe Glaise-Broucek I, S. 455, Anm. 551. Landwehr war ab 27.2.1917 bis Kriegsende Vorsitzender des Gemeinsamen Ernährungsausschusses. 98 Ludwig Tlaskal Edl. v. Hochwall (Przemyśl, Galizien, 21.1.1872–6.5.1962, Wien), 18.8.1892 aus der Techn. Milakad. zum Eisenbahn- und Telegraphenrgt. ausgemustert, ab 1.11.1901 als Hptm. i. G. im Eisenbahnbüro des Glstb.; um 1903 konstruierte er einen Kraftwagen mit Vorderradantrieb, der ab 1904 von der Raaber Waggonfabrik erzeugt wurde, 1.1.1914 Oberst, 1.11.1920 Titular-Generalmajor. 99 Ladislaus v. Revicky (Tiszadob, 3.5.1864–  ?), Sohn eines Grundbesitzers, Absolvent von drei Jahrgängen der Technischen Hochschule in Budapest, 12.1.1883 als Einjährig-Freiwilliger zu einem Feldjägerbaon assentiert, 1.1.1888 Lt. i. d. Res. 1.5.1889 Berufsoffizier im IR 89, weitere Karriere nach 1900 in der ung. Landwehr.

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Höflichkeit beachtet wurde, wie man sie hübschen Kindern entgegenbringt.100 Der Aufwand in diesem Hause war nicht alltäglich  ; wenn ich z. B. ins Theater in die im ersten Rang gelegene Abonnementloge geladen war, so servierte ein livrierter Diener den Gästen der Frau v. Reviczky in der Loge auf großer silberner Tasse Erfrischungen. Nach dem Theater waren wir Gäste im ersten Pressburger Hotel Palugyay, wo schon eine gedeckte Tafel und ein vorbestelltes Diner uns erwarteten. Die innenpolitische Hochspannung der vergangenen Jahre begann etwas abzuklingen. Das Garnisonsleben in Pressburg hätte für längere Zeit sehr nett werden können. Ich wurde in der Gesellschaft gern weitergereicht und lernte viele neue Häuser kennen wie Bartal, Jankovich, Pallavicini, Tlaskal usw. und in der Gesellschaft auch den damaligen Korpskommandanten Steininger101 und den Honvéddistriktskommandanten FML v. Rupprecht.102 Im Regiment hingegen wurden die Verhältnisse weniger nett. Der neue Regimentskommandant hatte keine glückliche Hand und weckte in uns häufig den Eindruck boshafter Kleinlichkeit ohne Wohlwollen. So zum Beispiel hatte sich mein Hauptmann – um mir mehr Zeit zum Studium zu schaffen – schweren Herzens entschlossen, mir im Herbste 1906 einmal keine Rekruten zur Ausbildung zu geben. Kaum hatte dies der Oberst erfahren, so versetzte er mich mit der ausdrücklichen Bestimmung als Rekruteninstruktor zur Nachbarkompanie und stieß dadurch den dortigen Leutnant, einen Akademiker, vor den Kopf. Den Einspruch meines Hauptmanns wies er mit dem Bemerken ab, dass ein Offizier, der die Generalstabsausbildung anstrebe, mehr belastet werden müsse als ein anderer. Nun, ich habe bis Ende Dezember die Rekruten der fremden Kompanie mit dem schon gewohnten Erfolg ausgebildet und bin trotzdem – inzwischen zur Vorprüfung für die Kriegsschule einberufen – im Januar 1907 zur 100 Judith v. Reviczky (Großwardein, ung. Nagyvárad, heute Oradea, Rumänien, 24.6.1896–30.11.1935, Wien) Am 8.4.1919 verehelichte sie sich mit Alfred Jansa in Salzburg. 101 Karl Frh. v. Steininger (Triest, 16.5.1847–25.2.1929, Graz), nach Reife- und nach Kadettenprüfung Eintritt ins IR 11, 1865 Lt. Generalstabslaufbahn, 1880 Mjr. i. G. und Flügeladjutant des k. u. k. Militärbevollmächtigten in Berlin, Vertrauensverhältnis zu Kronprinz Rudolf, 1.5.1894 GM, ab 2.1.1895 Brigadier, dann Divisionär, 11.4.1905 Kdt. des V. Korps und Kdi.Gen. in Pressburg, Verfasser eines Erziehungsprogramms für Erzherzog Karl Franz Joseph, den späteren Kaiser im Auftrag der kaiserlichen Militärkanzlei, 29.3.1909 aus Gesundheitsrücksichten enthoben, 1.7.1909 pensioniert. Vgl. Peter Broucek, Steininger Karl (III.) Frh. v., in  : ÖBL, 60. Lieferung, Wien 2008, S. 190 f. Sein Schriftennachlass in  : NLS, sign. B/708. 102 Heinrich Rupprecht v. Virtsolog (Budapest, 25.1.1854–20.1.1928,  ?), Zögling des Eisenstädter Kadetteninstituts, 1.9.1872 aus der Theres. Milakad. als Lt. zum HR 13, Glstbslaufbahn, aber 1886 definitiv zum Truppendienst, 19.5.1896 Kdt. IR 76, dann Kdt. k.u. 81. LwIBrig. 1.11.1901 GM, 11.5.1904 Kdt. VI. LwDistrikt, 27.12.1905 Kdt. IV. LwDistrikt, 1.5.1906 FML, 18.6.1911 Stellvertreter des Kdt. d. k.u. Landwehr, 1.11.1911 GdK., 13.5.1913 pensioniert.

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Prüfung angetreten. Es war dies erstmalig ein Vorgang nach den neuen, von FML Conrad erlassenen Weisungen, welche im Interesse viel kleinerer Kriegsschuljahrgänge als bisher schon bei der Vorprüfung eine scharfe Auslese verlangte. Von mehreren Hundert zur Vorprüfung einberufenen Offizieren sollten nur höchstens 100 zur Hauptprüfung zugelassen werden, von denen dann bloß etwa 40 die Aufnahme in die Schule fanden. Die Vorprüfung geschah korpsweise bei den Korpskommandos. In Pressburg waren wir etwa dreißig Offiziere. Der Umschlag mit den von Wien vom Kommando der Kriegsschule zugestellten Prüfungsaufgaben wurde von dem die Aufsicht der Klausur führenden Generalstabshauptmann vor uns eröffnet. Wir erhielten von diesem Offizier das einheitliche Schreibpapier, auf das kein Name geschrieben werden durfte. Nach Ablauf der vorgeschriebenen Arbeitszeit versah der überwachende Offizier jede Arbeit mit einer Chiffre, die weder wir noch der in Wien die Arbeiten beurteilende Rezensent wissen durften. Jede Arbeit wurde vor uns in einem Umschlag verschlossen, auf den die gleiche Chiffre kam. Das Chiffreverzeichnis mit den zugehörigen Namen wurde beim Korpskommando versperrt. Der erste Prüfungstag brachte mehrere Themen des allgemein-militärischen Wissens, von denen jeder eines nach eigenem Gutdünken wählen konnte. Ich wählte jenes, das die Frage stellte, ob bei künftiger Truppenorganisation das Schwergewicht auf ein Plus an Munition oder an technischer Ausrüstung gelegt werden soll. Der zweite Tag brachte Fragen aus der Waffenkunde, die Lösung gestellter Schießaufgaben, während aus Geographie Böhmen graphisch und textlich zu beschreiben war. Der dritte und letzte Tag brachte mehrere Themen zur freien Wahl aus allgemeiner Geschichte. Ich hatte nach Ende der Prüfung ein lausiges Gefühl und konnte den vielen Fragern weder ein Ja noch ein Nein sagen. Ich nahm den mir vom Div.GenStabsChef aufgegebenen Leitsatz zur Richtschnur, dass die Prüfung, wie immer ihr Ergebnis sein werde, nie meine Lust und Freude am Truppendienste mindern solle. Da mein lieber Hauptmann von der 4. Kompanie in dieser Zeit zum detachierten II. Bataillon nach Budva103 in Süd-Dalmatien versetzt worden war, bewarb ich mich zu dem damals gerade in Errichtung gewesenen ersten Maschinengewehrzug des Regiments, trotzdem ich mir hätte denken können, dass mein Regimentskommandant das sicher nicht bewilligen würde. Er schlug meine Bitte tatsächlich ab. Dabei fällt mir ein für die damalige budgetäre Enge sehr charakteristisches Vorkommnis ein  : Die der Feuerwirkung immer mehr zugemessene Bedeutung hatte die 103 Budva, heute Montenegro, früher südlichste Stadt Dalmatiens auf einer Landzunge südlich von Cattaro. Im 16. Jh. von den Türken zeitweise erobert, im 17. Jh. wieder venezianisch (bis 1797), dann zu Österreich. Nachdem die bis dahin zum Osmanischen Reich gehörende Stadt Spizza aufgrund der Abmachungen des Berliner Kongresses 1878 Dalmatien zugeschlagen wurde, stellte diese die südlichste Stadt Dalmatiens dar.

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Optik durch die ersten Prismenglaskonstruktionen begleitet. Es war bedeutsam, die Armee mit guter optischer Ausrüstung zu versorgen, wofür aber die Gelder fehlten. Da trug unser Regimentskommandant gelegentlich einer Offiziersversammlung in dringender Form seinen Wunsch vor, dass das Offizierskorps zur Hebung des Ansehens des Regimentes sich selbst zu eigenen Kosten Zeiss-Feldstecher beschaffen soll. Ein solcher Feldstecher kostete damals über 200 Kronen, während die Monatsgage eines Leutnants nur 140 Kronen betrug. Aber der Opfersinn des Offizierskorps war so groß, dass die Bestellung je eines Feldstechers für jeden Offizier gegen monatlichen Ratenabzug von der Gage beschlossen und auch durchgeführt wurde, während die Parlamente weiterhin jede Budgeterhöhung obstruierten. Im Mai wurden im Verordnungsblatt die Namen der Offiziere verlautbart, die zu der im Herbste stattfindenden Hauptprüfung für die Kriegsschule nach Wien einberufen wurden. Von drei 72ern, die bei der Vorprüfung waren, standen zwei in dieser Liste  : Lt. v. Ghyczy104, der Akademiker, und ich. Ich nahm dieses Faktum gern, aber durchaus ruhig auf. Nun vermehrte ich meine Studien unter Absage aller Gesellschaften und sonstiger Zerstreuungen. Ich machte meinen Dienst bei der Kompanie, dann saß ich über meinen Büchern. Für die Monate Juli und August bat ich um den mir gebührenden Erholungsurlaub, welchen mir mein Regimentskommandant notgedrungen bewilligte, weil das Kriegsministerium ausdrücklich angeordnet hatte, solchen Urlaubsansuchen stattzugeben. Anfang September betrat ich das alte, wenig ansehnliche Kriegsschulgebäude in der damaligen Dreihufeisengasse. Kommandant war FML Puhallo v. Brlog.105 Die Hauptprüfung umfasste die schriftliche Bearbeitung einer mehrstündigen Taktikaufgabe, deren einzelne Fragepunkte in jeweils knappst bemessener Zeit zu beantworten waren, und einer folgenden mündlichen Prüfung aus Taktik, allgemeiner und Kriegsgeschichte. Meine mündliche Prüfung war auf Freitag, den 13. 9. festgesetzt worden. Zu dieser hatten wir in Parade anzutreten und die Fragen angesichts des versammelten Lehrkörpers aus Urnen zu ziehen. Nach kurzer, uns gewährter Überlegungszeit wurden wir aufgerufen, hatten die Frage vorzulesen, die Zettel, auf dem sie stand, zur Kontrolle dem Prüfenden zu übergeben und sofort mit der Antwort zu beginnen. Für etwaige graphische Erläuterungen standen Tafeln und farbige Kreiden zur Verfügung. In allgemeiner und Kriegsgeschichte fielen meine gezogenen Fragen zufällig zusammen  ; die eine betraf die Vorgeschichte des Krieges von 1805, die andere den Vormarsch Napoleons auf Ulm. 104 Über Nikolaus v. Ghyczy (1892–1938), Offizier und Diplomat, siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 192, Anm. 186. Er war 1913–1917 Chef des Direktionsbüro d. Glstb. bzw. der Detailabteilung des AOK. 105 Über Paul Frh. Puhallo v. Brlog (1856–1926) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 169, Anm. 110 Puhallo war 1904–1905 Chef des Operationsbüros d. Glstb., 1906–1910 Kdt. d. Kriegsschule, 1916 GO.

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In Taktik zog ich eine Skizze, auf der ein Fluss mit einer Brücke und auf jeder Seite mit kleinem Abstand von der Brücke eine Reiterabteilung eingezeichnet war. Die Frage forderte den Entschluss des Kommandanten der südlichen Reiterabteilung, den ich mit Absitzen zum Feuergefecht und Schießen kundgab, was ja heute lächerlich selbstverständlich ist, damals aber für eingefleischte Kavalleristen eine fast revolutionäre Handlung war. Die Besprechung aller meiner Fragen wurde von FML Puhallo stets schon nach kurzer Zeit abgebrochen. Ich nahm ein gutes Bewusstsein aus dem Prüfungssaal mit. Trotzdem waren die anderen Herren und ich vor Verlautbarung des Ergebnisses recht erregt. Dies geschah einige Tage später. Wir, an die hundert Geprüfte, versammelten uns wieder im Paradeanzug in einem Lehrsaal und wurden nach dem Alphabet einzeln in ein kleines Nebenzimmer gerufen, in dem nur mehr Puhallo und sein Adjutant standen. Bald erkannten wir Wartenden, dass die aufgerufenen Herren mit verschiedenen Papieren aus dem Zimmer zurückkamen  ; die einen mit einem einfachen Einrückungsbefehl zu ihrem Truppenkörper, die anderen mit einem ziemlichen Wust an Papieren, welche die Einberufung in die Kriegsschule, die Schulordnung und sonstige Weisungen enthielten. Als ich in immer stärker werdender Spannung aufgerufen wurde, erspähte ich während meiner Verbeugung vor dem Exzellenzherrn, dass der Adjutant nach einem dicken Papierwust griff, und hörte gleich darauf FML Puhallo sagen  : „Sie haben eine sehr gute Prüfung gemacht, Herr Leutnant. Halten Sie sich auf dieser Höhe  !“ Das war weit mehr, als ich je zu hoffen gewagt hatte. Ich eilte heim, um meinem guten alten Vater als Erstem die frohe Kunde zu bringen, der sie mit fast enttäuschend stoischem Gleichmut aufnahm, mich aber doch zum Frühschoppen in sein Stammlokal einlud, wo er seiner aus lauter alten Offizieren bestehenden Runde nun doch mit Befriedigung von dem Ereignis Mitteilung machte. Dann fuhr ich zu meinem lieben Bruder nach Deutsch-Altenburg, der dort als Ingenieur bei der Stromregulierungskommission tätig war und mich mit Freudentränen in seinen treuen Augen belohnte, weil – wie er begründete – ich ihm, dem Akademiker, erst jetzt ebenbürtig geworden wäre. Mein folgender Abschied in Pressburg war mit Ausnahme jenes vom Regimentskommandanten überall von Herzlichkeit und Wohlwollen getragen. Die kleine Judith v. Reviczky lag erkältet zu Bett. Als ich eintrat, um ihr Adieu zu sagen, strahlten mich ihre großen Augen an, sie zog mich zu sich, gab mir einen Kuss und sagte Bravo  ! Alles lachte, und ich quittierte diese Auszeichnung durch einen Kuss auf die kleine heiße Hand. Ich sah die Kleine erst nach elf Jahren wieder, und da verlobten wir uns.106 106 Für das Jahr 1908 liegt die erste Beurteilung für Jansa als Offizier im Personalakt, der sogenannten

IV.

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Wien 1907–1910 In der Lehárgasse im VI. Bezirk steht neben dem auffallend großen Gebäude für die Kulissen der Hoftheater ein schlichtes, zweistöckiges Haus, das heute der Technischen Hochschule gehört. Dieses Haus war die k. u. k. Kriegsschule, die Pflanzstätte für den k. u. k. Generalstab.107 Es hatte keinerlei Tradition  : Es war von FZM Beck dazu bestimmt worden.108 Die Gasse hieß zu meiner Schulzeit noch nicht Lehár-, sondern Dreihufeisengasse  ; Lehárs Stern begann zu dieser Zeit erst aufzugehen, nämlich mit seiner glänzenden Operette „Die lustige Witwe“, die vom benachbarten Theater an der Wien aus die Welt eroberte. Ich fand in der Köstlergasse 6 als Hauptmieter eine Zweizimmer-Hof-Wohnung mit Vorzimmer und Küche, in welcher der Offiziersdiener wohnte, da ja das Kochen sich auf Kaffee und Tee beschränkte. Ich möblierte die Wohnung mit meinen schon in Pressburg gehabten Sachen. Dazu stellte mir mein guter Bruder Heinrich wieder ein Riesen-Reißbrett auf zwei Böcken als Arbeitstisch bei. Eine große, flache Gummiwanne im Schlafzimmer ersetzte den fehlenden Baderaum. Während der drei anstrengenden Kriegsschuljahre behielt ich diese Wohnung bei. Qualifikationsliste vor (Signatur  : KA, Qualifikationslisten, Alfred Jansa). Daraus beispielhaft ein kurzer Auszug  : Gesundheitsverhältnisse, Kriegstauglichkeit  : groß, schlank, kräftig, kriegsdiensttauglich. Kurze Charakteristik  : fester, gediegener, zuverlässiger Charakter, ruhig, offen, ernst. Sehr gute Fähigkeiten und rascher, richtiger Auffassung. Ein in jeder Beziehung vorzüglicher Subalternoffizier, der auch bei Führung einer Kompanie sehr gut entspricht. Für selbständige Verwendungen hervorragend geeignet  ; sehr gewandter Patrouilleur und vorzüglicher Schießinstruktor, schießt selbst hervorragend gut. Guter Reiter. Sehr fleißiger, strebsamer Offizier, sehr geschickt in graphischen Arbeiten. Erzielt in der Kriegsschule sehr befriedigende Studienerfolge und erwies sich als sehr eifrig. Eignung…  : entschieden und konsequent, dabei wohlwollend, versteht Mannszucht und Dienstordnung einzuführen und zu erhalten, wirkt auf den Geist der Untergebenen sehr vorteilhaft ein, sehr fürsorglich, besitzt ihr volles Vertrauen und ihre Anhänglichkeit. Eignung für Spezialdienste…  : für den Generalstab zu erwarten. Anmerkung  : ein sehr guter, viel versprechender Offizier. Paul von Puhallo, GM, Kommandant der Kriegsschule. 107 Die Kriegsschule wurde 1851 errichtet und war zunächst in der Stiftkaserne untergebracht, bis sie 1880 in das oben genannte Gebäude Lehárgasse 2–4 im Wiener 6. Bezirk kam. 108 Die Daten über GO Friedrich Graf Beck-Rzikowsky (1830–1920) siehe bei Glaise  : Memoiren I, S. 76, Anm. 49. Beck-Rzikowsky war 1881–1906 Chef des k. u. k. Generalstabes.

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Finanziell stand ich außerordentlich knapp, denn die 24 Kronen Kriegsschul-Zulage monatlich reichten nicht einmal aus, um die jeden Monat neu zu beschaffenden Skripten, Papiere, Landkarten, Tusche, Farben, Zeichenstifte usw. zu erstehen. Da es an der Kriegsschule keine Offiziersmesse gab wie beim Regiment, in der man sich wenigstens einmal am Tag gut und billig satt essen konnte, waren wir auf die für die Bezüge eines Leutnants viel zu teuren Restaurants angewiesen. So blieben mir nach strenger Kalkulation bloß 20 Heller für das Nachtmahl, was heute etwa 2 Schilling entspricht, um welche der Offiziersdiener abwechselnd Brot und Butter oder Brot und Fleisch-Abschnitzel, wie man sie in den Selchereien bekam, besorgte und mir dazu in meiner Nonplusultra-Maschine 2 Schalen Tee kochte. Zum Frühstück brachte er mir ¼ l Milch und 2 Semmeln. Der Tag begann für uns recht früh. Schon um 6h mussten wir in der Reitschule sein, in der wir täglich durch eine Stunde scharf hergenommen wurden. Oft hatte man kaum Zeit, das verschwitzte Hemd zu wechseln, da der Unterricht im Lehrsaal schon um halb 8h begann und mit ganz kurzen Atempausen bis etwa 3h nachmittags währte. Dann erst konnten wir mittagessen und etwas spazieren gehen. Nachher wurde bis Mitternacht zu Hause gelernt und Aufgaben gemacht. Leichter war es nur alle vierzehn Tage einmal, wenn wir mittags nach Mödling zum Unterricht in Naturwissenschaften zu fahren hatten, der wegen des Experimentier-Lehrsaales an der dortigen Technischen Akademie erfolgte. Da aßen wir in dem ausgezeichnet geführten Restaurant am Südbahnhof zu Mittag und kamen gegen 6h Nachmittag nach Wien zurück. An Samstagen schloss der Unterricht – wenn nicht Taktikaufgaben im Gelände zu bearbeiten waren – gegen 13h. Für mich waren es drei aufreibend harte Lehrjahre. Immer wieder musste ich erkennen, um wie viel leichter sich die zurechtfanden, die aus der Akademie in Wr. Neustadt kamen, besonders jene, die bei der Kavallerie dienten. Zunächst mussten wir Kadettenschüler so vieles, was die Neustädter in ihrer Akademie gelernt hatten, erst noch nachholen, und dann konnten sich die von der Kavallerie kommenden Offiziere – durchwegs wohlhabenderen Familien entstammend – viel leichter ernähren, was bei der enormen geistigen und physischen Beanspruchung bedeutsam war. Anderseits hat die spartanische Lebens- und Arbeitsweise uns Kadettenschüler bessere Prüfungserfolge erzielen lassen als die wegen ihrer besseren Bedingungen oft leichtsinnigeren Akademiker  : bei Beendigung der Kriegsschule waren unter den sechs Bestbeurteilten denn auch nur 2 Neustädter, jedoch 4 Kadettenschüler. Unter zweiundvierzig Frequentanten absolvierte ich selbst die Kriegsschule mit „vorzüglichem“ Erfolg als Viertbester.109 109 Es mögen jene von Jansa geschilderten Umstände sein, die den Jahrgangskameraden Eugen Hirsch

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Die Hauptunterrichtsfächer waren  : a) Taktik, das ist die Truppenführung im Kampf  ; b) Operativer Generalstabsdienst, d. i. die Heranführung der Truppen aufs Kampffeld und ihre materielle Versorgung  ; c) Kriegsgeschichte, das ist die hohe Führung im Zusammenspiel mit der Politik  ; d) Militärgeographie, di. die genaue geographische und topographische Kenntnis der ö.-u. Monarchie, und e) Befestigung und Festungskrieg. Diese fünf Fächer liefen durch alle drei Jahre und wurden im Lehrsaal durch Vorträge und schriftliche Aufgaben sowie durch Aufgaben im Gelände bearbeitet. Alle Aufgaben, besonders jene im Gelände und auf den jährlichen Übungsreisen, wurden unter großen physischen Anstrengungen und starkem Zeitdruck bei der Beantwortung von Haupt- und Zwischenfragen gelöst, um den Verhältnissen in einem Krieg möglichst nahezukommen. von Stronstorff, Sohn eines Generals und Absolventen der Theresianischen Militärakademie, veranlasst haben, in seinen um 1970 in hohem Alter geschriebenen Memoiren zu dem folgenden Urteil über Jansa und auch über seinen Kriegsschuljahrgang zu kommen. Wie sich aus den Memoiren Jansas noch ergeben wird, traf dieser mit Hirsch-Stronstorff noch um 1960 in der sogenannten Generalstabsrunde zusammen. In seinen handschriftlichen Memoiren (KA, NLS, sign. B/1003, nr. 25, fol. 196 f.) schreibt dieser  : „Mit solchen oder ähnlichen Mitteln wurde von einigen Frequentanten gearbeitet. Die zahlreichen richtigen Streber bemühten sich, die von den Lehrern vermutlich erwünschten Antworten zu erraten, sie aus gelegentlich von ihnen geäußerten Ansichten abzuleiten oder schließlich sie von Angehörigen der höheren Jahrgänge zu erfahren. Die Erarbeitung einer eigenen Lösung und deren Begründung versuchten sie erst gar nicht, umso mehr solche im allgemeinen auch von den Lehrern wenig goutiert wurden, da sich damit zu befassen zusätzliche Gehirntätigkeit erforderte. Die vorgeschriebenen Stellungnahmen und Beurteilungen der Lehrer wurden nämlich von General Puhallo, der sich viele Arbeiten vorlegen ließ, kontrolliert. Mich empörte diese ganze Art, was mich leider manchmal veranlaßte, bewußt eine andere Lösung zu suchen und zu vertreten, als sie sich wortgetreu aus den Vorträgen ergab  : was sich dann häufig als für mich höchst unzweckmäßig erwies. Typisch für den erfolgreichen Streber war das Benehmen von Leutnant Jansa, einem Kadettenschüler mit wenig Allgemeinbildung, der vor mir saß  : Über ihn berichtete ich Mama in einem Briefe  : ‚Er macht besonders stramme und tiefe Verbeugungen und ist immer dienstbereit, Lehrern einen Mantel zu halten oder eine Kappe zu reichen. Für seine schriftlichen Arbeiten kann er sich vor uns streng geheim gehaltene Tipps von einem Freund im 2. Jahrgang holen, da alle Prüfungsarbeiten sich im gleichen Jahrgang zu mindesten ähnlich sind und prinzipiell gleiche Fragenkomplexe behandeln. Er schreibt möglichst wenig, dafür aber kalligraphisch und in schönster äußerer Form und vermeidet es, eigene Ideen zu äußern. Bei mündlichen Prüfungen hält er sich sklavisch an die Vorträge, die er mitschreibt und auswendig lernt. Über jeden Witz eines Lehrers, so matt er auch sein mag, bricht er in begeistertes, dabei aber wohlanständiges Lachen aus. Manchmal möchte ich ihm wenigstens moralisch eine schmieren. Es hat aber keinen Zweck sich so einen Lieblingsschüler und Speichellecker auch noch zum Feind zu machen …‘“

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Die anderen auf die drei Jahre verteilten Unterrichtsfächer geringerer Bedeutung waren  : a) Heerwesen, d. i. die Kenntnis der Zusammensetzung der eigenen und fremden Heere im Frieden und Krieg  ; b) Allgemeiner Generalstabsdienst, d. i. die kanzleitechnische Arbeit bei den höheren Kommandos im Frieden und Krieg, von uns Frequentanten „Haarschneiden und Frisieren“ genannt  ; c) Croquieren und Kartenwesen, das bedeutsam war, weil FM Conrad großen Wert auf graphische Darstellungen an Stelle langatmiger Erklärungen legte  ; d) Marinewesen  ; e) Staats- und Völkerrecht, vorgetragen von Dr. Fuhrmann, der gelegentlich einmal in einem Vortrage die schwierigen politischen Verhältnisse der Monarchie als unlösbare Probleme bezeichnet und so den Untergang der Monarchie vorausgesagt hatte  ; f ) Staatswissenschaftliche Vorträge, gehalten von dem bedeutenden Staatsrechtslehrer Hofrat Guglia110  ; g) Naturwissenschaften und h) Reiten. Sehr instruktiv und für unsere Beurteilung und Klassifikation bedeutsam waren die jährlichen Übungsreisen, und zwar im ersten Jahrgang in die Karpaten und nach Galizien, im zweiten Jahr in den italienischen Grenzraum mit alpinen Fußtouren und im dritten Jahr auf den Balkan nach Bosnien-Herzegowina sowie Dalmatien. Diese Reisen geschahen unter Lösung von taktischen und operativen Aufgaben, wie sie ein Krieg stellen konnte, wieder unter Forderung angespannter physischer und geistiger Leistungen. Schließlich gab es noch Reisen zur Besichtigung von Fabriken wie Škoda in Pilsen111, Steyr112, Werften in Triest113 und Pola114, Lagerhäuser und den Donau-Schiffpark. 110 Eugen Guglia (Wien, 1.8.1857–8.7.1919, Graz)  ; Historiker und Publizist, 1893–1901 Professor für Geschichte und deutsche Literatur am Wiener Theresianum, 1901–1909 Chefredakteur der Wiener Zeitung, seit 1902 Lehrer an der Kriegsschule.1910 Dozent für allgemeine neuere Geschichte an der (Wiener) Technischen Hochschule. Sein Hauptwerk ist  : Maria Theresia, ihr Leben und ihre Regierung, Wien 1917. 111 Pilsen (tschechisch Plžen), Stadt am Zusammenfluss von Mies (tschechisch Mže), Radbusa, Úhlava und Úslava zur Berounka, Hauptstadt im Südwestböhmischen Gebiet, Wirtschaftsmittelpunkt, Škodawerke mit Stahlwerk, Schmieden und Pressen, Gießereien, Lokomotiv-, Fahrzeug- und Maschinenbauwerken, Waffenfabrik, vier große Brauereien usw. 112 Steyr, Stadt an der Enns und der Steyr in Oberösterreich, Werke der späteren Steyr-Daimler-Puch AG, darunter Erzeugung von Lastkraftwagen, Traktoren, Waffen. 113 Triest, Stadt am Golf von Triest, 1382–1918 bei Österreich, bedeutendster Hafen der Donaumonarchie. 114 Pola, kroatisch Pula, Stadt im südlichen Istrien, die mit Istrien 1797 zu Österreich kam, heute Kroatien, Seefestung ersten Ranges, war Kriegshafen und Zentralpunkt der k. u. k. Kriegsmarine.

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Nach dem 1. Jahrgang wurde ich für sechs Wochen zum Div. Art. Rgt. Nr. 6 in Wien eingeteilt, nach dem 2. Jahrgang zum Dragoner-Rgt. Nr. 2 nach Ostgalizien, nach dem 3. Jahrgang zur 3. Inf.  Div. in Linz für die Manöver. Denke ich heute nach fünfzig Jahren an diese Zeit zurück, so muss ich feststellen, dass diese Generalstabsschule ganz ausgezeichnet war, weil wir dort nicht nur fachlich unendlich viel gelernt, sondern auch die Sicherheit erworben hatten, vor keiner Aufgabe im späteren Leben des Krieges und Friedens zurückzuschrecken, vielmehr sie mit Ruhe zu betrachten und folgerichtig zu lösen. Wir entsprachen darum im Kriege durchwegs so gut, dass selbst die reichsdeutschen Generale, die alles Österreichische gern heruntermachten, uns Generalstabsoffiziere ausgezeichnet beurteilten. Und auch nach dem Zusammenbruch der Monarchie haben wir sowohl in den Nachfolgestaaten gute Armeen neu geschaffen, wie im zivilen wirtschaftlichen Leben solide Arbeit geleistet und vielfach angesehene Positionen gewonnen.115 Dabei hatten wir an der Kriegsschule keine überragenden Persönlichkeiten als Lehrer  ; es waren vorwiegend gut beurteilte, aber durchschnittliche Stabsoffiziere. Auf diese ist es wohl auch zurückzuführen, dass die Folgerungen aus dem russisch-japanischen Krieg 1904/05, die vielfach auch für Europa gültig waren, nicht in jenem Maße erkannt und gelehrt wurden, wie sie dann im Weltkrieg 1914–18 zutage traten. 115 Nochmals eine völlig gegensätzliche Ansicht Hirsch-Stronstorffs (siehe Anm. 113, nunmehr fol. 251)  : „Meine Qualifikation beim Abschluss lautete  : ‚Erfolg sehr gut, Eignung zum Generalstab sehr gut.‘ Ich war froh als die Kriegsschule beendet war, nicht nur wegen der Plage und mancher Enttäuschung, sondern weil ich nun den Kreis dieser Mitschüler verlassen konnte. Ich hatte mich dort nie wohl gefühlt. Diese widerliche, mit allen Mitteln betriebene Streberei, die gelegentlich von bestimmten Frequentanten bis zur Entwürdigung des Offizierscharakters ging, die krasse Unkameradschaftlichkeit, die keinen Beistand, keine Hilfeleistung kannte, sondern nur Schadenfreude – leises Lachen wenn ein Mitschüler bei einer Prüfung eine falsche beziehungsweise keine Antwort gab, der offensichtliche Neid, die bei jeder Gelegenheit zutage tretende Mißgunst, das alles widerte mich an und empörte mich. Als unser klassenältester Hauptmann Pager vorschlug, einen gemeinsamen Abschiedsabend zu feiern, konnte ich mich nicht zurückhalten und lehnte schärfstens ab. Ich sei gezwungen gewesen, hier drei Jahre mit Herren zu verbringen, mit denen ich nicht länger als notwendig und schon gar nicht bei einem freundschaftlichen Fest beisammen sein möchte. Ich würde daher keinesfalls erscheinen. Nach dieser meiner eigentlich unmöglichen Erklärung wurde kein Wort mehr darüber gesprochen. Nur in dieser Schule und nur in dieser bösartigen, ja krankhaft verpesteten Atmosphäre konnte ein so monströser Plan wie der des Oberleutnant Hofrichter, er war zwei Jahre vor mir, geboren und zur Tat werden. Da Hofrichter erkannte, daß er bei seiner erworbenen Rangnummer kaum Aussicht haben würde, in das Generalstabs­ korps übernommen zu werden, beschloß er das Schicksal durch Beseitigung einige Vordermänner zu korrigieren. Er sandte daher mehreren Kameraden entsprechend verpackte Medikamente, angeblich gegen Neurasthenie und allgemeine Erschöpfung, die in Wirklichkeit starkes Gift enthielten. Soviel ich mich erinnere, warfen es die meisten weg, einige erkrankten, einer starb. Die sofort eingeleitete Untersuchung klärte alles auf und entlarvte den Täter, der eine vieljährige Kerkerstrafe erhielt. Glücklicher Weise gab es unter meinen Mitschülern auch eine ganze Anzahl netter und anständiger Menschen …“

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Das kameradschaftliche Verhältnis unter uns Frequentanten war gut. Es gab keine wetteifernde Streberei, weil unser Jahrgang so klein war, dass fast jeder mit seiner Übernahme in den Generalstab rechnen konnte. Diese gute Kameradschaft hat uns Generalstabsoffiziere während unseres ganzen Lebens begleitet. Wir fühlten uns der Dynastie besonders verpflichtet und stützten auch nachher einer den anderen, wann und wo immer, bis in unsere alten Tage. Eigens erwähnen möchte ich das noble Verhalten meines Bruders Heinrich während meiner ganzen Kriegsschulzeit. Er, der sich danach gesehnt hatte, selbst Offizier zu werden, aber durch seinen zertrümmerten Fuß daran gehindert war, nahm an meinem militärischen Werdegang innigsten Anteil. In die Zeit meiner Kriegsschuljahre fiel sein Dienst bei der Donau-Regulierungskommission, und seine Verwendung im Strom-Baudienst brachte ihm verhältnismäßig hohe Zulagen ein, die er teils für seine elegante Garderobe, teils für seine und meine wöchentliche Entspannung nützte. So war ich an jedem verfügbaren Samstagabend sein Gast in einem der Wiener Theater und anschließend meist im Opern-Restaurant zum Souper. An den Sonntagen waren wir beide bei meinem Vater zum Mittagstisch geladen. Er wohnte damals immer noch im III. Bezirk am stillen Kolonitzplatz. Eine hervorragend kochende böhmische Dienstmagd betreute den 1903 zum Witwer gewordenen alten Herrn aufs Beste. Nachmittags fuhr Heinrich dann wieder an seine Donau-Außendienststelle, und ich kehrte in meine Wohnung zurück, um weiterzulernen. Im Herbst 1910 schloss ich die Kriegsschule ab. Mit 1. November wurde ich „dem Generalstabe zugeteilt“ und zur 9. Gebirgsbrigade in Sarajevo abkommandiert. Die Einteilung zu einer Gebirgsbrigade galt als Auszeichnung, und ich war mit ihr fürs erste voll zufrieden.116 Diese große Veränderung in meinem Lebenslauf trug mir überdies 800 Kronen zur Pferdbeschaffung und 600 Kronen für Sattel- und Zaumzeug ein. Letzteres kaufte ich in hoher Qualität in Wien. Den Ankauf eines Pferdes hob ich mir jedoch für die Zeit nach meinem Einrücken in den Südosten der Donaumonarchie auf.

116 Sarajevo, früher Bosna-Serail, war seit 1463 unter osmanischer Herrschaft, 1697 von den Kaiserlichen für kurze Zeit erobert, 1851 Hauptstadt der türkischen Provinz Bosnien, 1878 unter österreichisch-ungarischer Verwaltung, 1908 Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina, 1918 Anschluss an das Königreich Jugoslawien, 1941–1945 zum faschistischen Staat Kroatien gehörig, dann wieder zu Jugoslawien, heute Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina. Siehe auch  : Noel Malcolm, Bosnia. A Short History, London 1994  ; Raimund Baron Stillfried und Max Aufischer (Hg.), Bosna i Hercegowina 1888–2008. Bosnien und Herzegowina 1888–2008. Auf der Suche nach Atlantis, Graz 2008.

V.

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1910–1914 Nach Abschluss der Manöver in Oberösterreich hatte ich den Oktober über Urlaub. Ich nützte ihn, um meinem inzwischen als Feldmarschalleutnant in den Ruhestand getretenen Onkel Guido in seinem Domizil Leutschau im Zipser Komitat meine Aufwartung zu machen.117 Der alte Herr lebte dort behaglich im eigenen einstöckigen, massiv gebauten Haus am Rathausplatz mit seiner Gemahlin und ihrer inzwischen geschiedenen Tochter Else Stelzel, deren Ehe mutmaßlich des Mannes wegen kinderlos geblieben war. Herzlich wurde ich aufgenommen und erhielt vom Onkel gute Ratschläge für mein künftiges Verhalten. Ein Ausflug mit Wagen in die Tatra mit der bis 2.000 m aufragenden Gerlsdorfer Spitze eröffnete mir eine schöne, bisher noch nicht gekannte Landschaft.118 Im Haus des Onkels, das zu seinem Heiratsgut gehörte, beeindruckte mich die von der Tante mit deutscher Gründlichkeit gehaltene Ordnung. Das Haus enthielt 4 Wohnungen. Die größte bewohnte der Onkel selbst, während die anderen für die drei Töchter und deren Familien reserviert waren. Obwohl er keine Pferde hielt, hatte er einen lichten Raum als Sattelkammer eingerichtet, in der auch seine prächtige ungarische Generalsgalauniform hing, in einem Schrank mit großer Glastür wie in einem kleinen Museum. Der Onkel besaß keine Zivilkleidung  ; bis zu seinem kurz nach Beginn des Weltkrieges an Herzasthma eingetretenen Tod trug er Uniform. Wenn ich Hoffnung gehegt hätte, von der reichen Sattelkammer etwas Reitzeug zu erhalten, wäre ich enttäuscht worden  ; gut, dass ich mich schon in Wien damit versehen hatte. Die Familie war tief lutheranisch. Sehr beeindruckte mich, wie der Onkel nach Mittag- und Abendessen die große Hausbibel nahm und in ihr las. Dabei meinte er einmal zu mir, ich möge ebenfalls oft die Bibel zur Hand nehmen, man könne sehr viel aus ihr lernen. 117 Leutschau, Oberungarn. Heute ist Levoča in der Zips Bezirkshauptstadt in der Ostslowakei. Die Jacobs­kirche mit ihren 5 Altären gehört zu den Spitzenwerken der europäischen Kunst. 118 Die Gerlsdofer Spitze, heute Gerlachovský štít oder kurz Gerlach, ist der höchste Berg der Hohen Tatra, der Slowakei und der Karpaten 2655 m. Er hatte früher auch die Namen Franz-Joseph-Spitze bzw. Stalin-Spitze. Er ist vom Hauptkamm etwas nach Süden vorgeschoben.

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Dies war das letzte Mal, dass ich den Onkel, die Tante und Cousine Else gesehen hatte. Sie bewogen mich, auch zu ihrer Tochter Ada auf Besuch zu reisen, die mit dem Liederkomponisten Dóczy verheiratet in Nagykároly lebte,119 wo ihr Mann beim Finanzamt irgendeine ihn wenig interessierende Stellung hatte. Dort wurde ich genauso freundlich aufgenommen. Die Eheleute hatten zwei Kinder  : Lórand und ein Mädchen, welches jedoch im zweiten Lebensjahr an Diphtherie starb. Auch diese von Ada gegen den Willen ihrer Eltern erzwungene Ehe war nicht glücklich. Nach Wien zurückgekehrt konnte ich gerade noch Lt. v. Rohm, der nach seinem Urlaub im Begriff stand nach Sarajevo aufzubrechen, bitten, sich dort um eine Wohnung für mich umzusehen. Dann kündigte ich meine Wiener Wohnung und deponierte die Einrichtungsgegenstände bei Vater und Bruder am Kolonitzplatz. Im Glauben, höchstens zwei Jahre in Sarajevoer Garnison zu bleiben, reiste ich bloß mit einem großen Schiffskoffer, der Sattelzeugkiste und zwei Handkoffern. Während der sommerlichen Übungsreise der Kriegsschule hatten wir uns zwei Tage in Sarajevo aufgehalten  : Die schöne Lage der im Miljacka-Tal eingebetteten Stadt hatte ich in guter Erinnerung. Die Reise war lang  : Am Morgen vom Wiener Ostbahnhof abfahrend kam ich mittags in Budapest an und hatte dort gleich Anschluss nach Bosnisch Brod 120, das ich gegen 9h abends nach reizloser, wegen der früh eintretenden Dunkelheit auch sehr langweiliger Fahrt erreichte. Mit dem Lesen während der Fahrt war das damals noch gar nicht leicht  : Die Beleuchtung der Waggons war so dürftig, dass die Lektüre die Augen sehr anstrengte  ; man döste lieber im Halbdunkel vor sich hin. Hingegen gefiel mir die bosnische Landesbahn, deren Waggons bloß auf 70-cmSpur liefen und 4 sehr bequeme Sitze je Abteil enthielten. Bei geringer Passagierzahl, wie das im November der Fall war, wurden vom Schaffner gegen ein geringes Entgelt zwei gegenüber befindliche Sitze zu einer angenehmen Liegestätte zusammengezogen, mit einem Leintuch bedeckt und einem Kopfpolster versehen  ; ein seitlich angebrachter schwerer Vorhang schloss das Lager gegen den Mittelgang ab. Ich schlief bis zum Morgen. Die schmale, in unzähligen Windungen das Bosna-Tal aufwärts führende und mit verhältnismäßig großer Geschwindigkeit befahrene Spur bringt die Waggons in eine solche Schwingung, dass man liegend glauben könnte, auf hoher See zu fahren. In Zenica121 bekam ich guten Kaffee ins Abteil gereicht, das jetzt wieder seine vier Sitze annahm. Gegen 10h vormittags rollte der Zug in Sarajevo ein. Der Bahnhof liegt ziemlich weit außerhalb der Stadt. Von ihm führte die Bahn einerseits in südwestlicher Rich119 Nagykároly, auch Großkárol, heute Carei, Rumänien, Stadt sö. von Szatmár (heute Satu-Mare). 120 Bosnisch Brod, heute Bosanski Brod, Ort am rechten Ufer der Save in Bosnien-Herzegowina. 121 Zenica, Ort an der Bosna in Bosnien-Herzegowina, heute Industriestadt (Kohlerevier).

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tung nach Mostar – Ragusa – Castelnuovo122 weiter, anderseits gelangte man ostwärts durch das Prača-Tal nach Višegrad.123 Eine kurze Strecke führte in den Badeort Ilidže.124 Am Bahnhof erwartete mich der gute Lt. Rohm, führte mich mit einem Fiaker ins Hotel Zentral und zeigte mir dann ein möbliertes Zimmer in einem alten, nahe dem Korpskommando gelegenen Türkenhaus, das die geschiedene oder verwitwete Frau eines Wiener Arztes mit vielen Töchtern und Nichten bewohnte. Fürs Erste war nichts Besseres zu finden gewesen. Die Wohnung lag in einer kleinen, im November knöcheltief morastigen Gasse und war von meinem Brigadekommando, das sich im Defensionslager zwischen Bahnhof und Stadt befand, so ungünstig gelegen, dass ich sofort Besseres suchte. Am folgenden Tage begann ich mit meinen dienstlichen Meldungen und Vorstellungen, die eine lange Zeit in Anspruch nahmen, weil Sarajevo eine große Garnison mit vielen Befehlsstellen hatte. Die 9. Gebirgsbrigade, deren Generalstabsoffizier ich nun war, bestand aus dem mährischen Baon I/99, das aber bald vom ungarischen Inf. Baon I/12 abgelöst wurde, den niederösterreichischen Bataillonen III/49 (St. Pölten) und IV/84 (Krems–Wien) sowie dem nordböhmischen Baon III/74, ¼-Ulanen Eskadron vom kroatischen Rgt. 12, einer Gebirgsbatterie vom ruthenischen GebirgsArt. Rgt. 11 und einer bosnischen Gebirgstrain-Eskadron. Das war im Verhältnis zu den anderen Gebirgsbrigaden nicht einmal ein zu großes Sprachenbabel. Ihr Kommandant war ein alter Oberst, Nickel v. Opavár125, der am 1. November General geworden war und dann in Pension gehen sollte  ; ein nur in der Truppe gedienter und dem Generalstab misstrauisch gegenüberstehender Herr.

122 Castelnuovo, heute Herceg Novi, Ort an der Nordküste der Boka kotorska, im 16. Jh. zeitweise spanischer Seestützpunkt gegen die Osmanen. 123 Višegrad, Ort an der Mündung der Rzav in die Drina, Bosnien-Herzegowina, nach 1918 zeitweise auch zu Serbien gehörig, heute wieder Bosnien. Geburtsort des Großwesirs Mehmed Pascha-Sokolović, der bedeutendsten Persönlichkeit des europäischen Südostens im 16. Jh. Er war als Kind entführt worden und trat zum Islam über. Die „Geschichte“ der Brücke über die Drina wurde vom jugoslawischen Schriftsteller und Nobelpreisträger Ivo Andrić als Grundlage für seinen Roman „Die Brücke über die Drina“ verwendet. 124 Bad Ilidže, auch Ilidža, Thermalbad nahe von Sarajevo und auch nahe der Quelle der Bosna. 125 Wilhelm Nickl v. Oppavar (Troppau, 12.3.1850– 8.8.1928, Wien), 1.9.1868 als Korporal-quasi-Feldwebel aus der Truppendivisions-Schule zu Hermannstadt zum IR 55 ausgemustert, 1.11.1871 Lt. Karriere als Truppenoffizier, 14.3.1909 Kdt. 9. GebBrig., 1.11.1909 GM, 1.4.1911 pensioniert, ab 4.8.1914 auf Kriegsdauer aktiviert und Kdt. v. Ersatzformationen, zuletzt bis Kriegsende in Leitmeritz, Böhmen, 1.11.1917 FML.

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Der Kommandant der vorgesetzten 1. Inf. Div. war FML Michael v. Appel126, aus dem Generalstab hervorgegangen und als Oberst-Kommandant der glänzenden bosn.-hzgow. Gendarmerie gewesen, also mit dem Land, seiner Bevölkerung und den Truppen voll vertraut. Sowohl er wie sein Generalstabschef, der brillante autochthone Serbe Mjr. Dragutin Csoban127, empfingen mich sehr herzlich und kameradschaftlich. Das Korpskommando führte GdI. v. Auffenberg128 mit Obst v. Boog129 als Generalstabschef. Armeeinspektor und zugleich politischer Landeschef war GdI. Marian v. Varešanin130, sein Flügeladjutant der vorher lange in Persien als Militärattaché tätig gewesene Obst. Heller131. Generalstabschef beim Armeeinspektor war Obst. Lipoščák.132 Das Korpskommando war in einem stattlichen Gebäude untergebracht, und ich musste sehr schmunzeln, als ich an den Büro-Türschildern lauter auf -ić endende Namen fand, wie Sekulić, Majetić, Gjebić-Marusić usw. Das waren hervorra126 Michael Edl. v. Appel (Wien, 21.2.1856–1.2.1915, Erdevik in Slawonien), ausgemustert aus der Theres. Milakad. am 1.11.1871 als Lt., Generalstabskarriere, 1.11.1892 Hptm. im Gendarmeriekorps, 1.5.1898 Obst. und Kdt. IR 34, 22.10.1903 Kdt. d. Gendarmeriekorps von Bosnien-Herzegowina, 1.11.1904 GM, Brigadier, Divisonär, 1.10.1912 Kdt. d. XV. Korps und Kdi. Gen. in Sarajevo. 1.5.1913 GdI, Ritter des Militär-Maria-Theresien-Ordens post mortem für die erfolgreichen Kämpfe des Korps bei Višegrad im August 1914 und bei Zvornik am 9.9.1914. 127 Über Dragutin Csoban (1871 –  ?) vgl. die Daten bei Zeynek-Broucek, S. 225, Anm. 316. Von 1.5.1913– 1.5.1915 Flügeladjutant des Kriegsministers FZM Krobatin. 128 Über Moritz Frh. Auffenberg v. Komarów siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S.199, Anm. 205. Auffenberg war von 24.9.1911 bis 12.12.1912 Kriegsminister, ab 24.12.1912 Armeeinspektor und ab Kriegsbeginn Kdt. 4. Armee, 9.10.1914 enthoben. Er schrieb zugunsten einer Erhaltung des (1.) Bundesheeres die viel beachtete Broschüre  : Österreich und das Problem seiner Landesverteidigung, Verlag Josef Lenobel, Wien 1925. Gen. Körner dankte Auffenberg dafür in einem längeren Brief. Siehe  : Ludwig Jedlicka, Ein Heer im Schatten der Parteien, Graz/Köln 1955, S. 62 f. 129 Über Adolf v. Boog (1866–1929) siehe die Daten in Glaise-Broucek I, S. 263, Anm. 444. Boog war ab 18.10. 1913 Kdt. 8. IBrig., 1.8.1914 GM, im 1. Weltkrieg Divisionär, zuletzt seit 13.5.1918 Kdt. 4. ID, 31.7.1918 enthoben, 15.11.1918–1.7.1919 Kdt. der Deutschösterreichischen Volkswehr. 130 Über Marian Frh. Varešanin v. Vareš (1847–1917) siehe die Daten in Glaise-Broucek I, S. 204, Anm. 220. Er war 1909–1911 als FZM Generaltruppeninspektor, Kdt. d. XV. Korps und Kdi.Gen. in Sarajevo. 131 Wolfgang Heller (Wien, 25.10.1870–23.9.1951, Wien) 18.8.1893 als Lt. aus der Theres. Milakad. ausgemustert zum IR 18, Karriere als Generalstabsoffizier, 1.11.1907 im Landesbeschreibungsbüro des Glstb., 19.11.1909 Flügeladjutant des Armeeinspektors GdI. Marian Varešanin v. Vareš, 9.12.1915 Glstbs 25. ITD, 1.5.1915 Obst. i. G. 19.4.1915 ernannt zum Militärattaché in Teheran, 1916 von russischen Kosaken aus Persien verschleppt, 15.4.1918 aus der russischen Kriegsgefangenschaft geflohen, 2.5.1918 neuerlich abgegangen ins Feld als Kdt. bosn.-hrzgw. IR 2, 4.11.1918 ital. Kriegsgefangenschaft, 13.8.1919 heimgekehrt, 9.10.1919–1921 Vorsitzender der Kommission zur nachträglichen Beurteilung von Belohnungsanträgen („Heller-Kommission“) des döst. Staatsamtes für Heerwesen, 16.11.1921 GM mit Titel und Charakter. Sein Nachlass im KA, NLS, sign. A,B,C/92. 132 Über Anton Lipoščak (1863–1924) siehe die Daten in: Zeynek-Broucek, S. 288, Anm. 433. Lipoščak war als Obst. i. G. von 8.10.1909–22.1.1911 Glstbschef des Armeeinspektors in Sarajevo.

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gend eingearbeitete Fachreferenten aus dem Truppen- und Armeestand133, während die Generalstabsoffiziere zumeist deutsche Namen hatten wie Lassy134, Pletzner135, Rettel136, Tarbuk.137 133 Da diese angeführten Namen keine nähere Beziehung zu Jansa hatten, wie sich im Folgenden ergibt, wurden ihre Daten nicht erhoben. 134 Theodor Lassy (Wien-Meidling, 13.12.1870–  ?), 18.8.1891 aus der Techn. Milakad. ausgemustert zum Geniergt. 2 als Lt., 1.5.1903 zugeteilt dem Glstb. 1.5.1909 zur Glstbsabt. XV. Korps in Sarajevo, 1.5.1910 Mjr. i.G., 28.6.1912 Glstbschef 26.ITD, 1.8.1913 Obstlt., 1.5.1915 Obst. i. R. und aktiviert auf Mobdauer als Glstbschef des Milkdo. Nagyszeben (d.i. Hermannstadt) Siebenbürgen. 135 Karl R. Plentzner v. Scharneck (Komorn, 25.2.1878–  ?) 18.8.1899 aus Theres. Milakad. als Lt. zu FJB 7, 1.11.1904 zugeteilt Glstb. und eingeteilt im Eisenbahnbüro d. Glstb., dann Brigadeglstbsoffz., 10.2.1909 Mobilisierungsreferent Glstbsabt. XV. Korps, ab 1.5.1912 Truppendienst bei FJB 19 ab 1914 rasch aufeinander folgende div. Glstbsdienstleistungen, 1.8.1914 Mjr.i.G, 1.2.1916 Obstlt.i.G, 16.9.1916 Chef des Feldeisenbahnwesens beim Heeresfrontkommando GO Erzherzog Karl Franz Joseph, 6.3.1917 Chef der Transportleitung und Vorstand der Abt. 5/EB des Kriegsministeriums, 1.10.1919 pensioniert. 136 Josef Rettel (Klagenfurt, 26.5.1876–1949, wahrscheinlich Wien) 1.9.1894 als EF zum IR 17, 22.12.1896 Lt.i.d.Res., 1.11.1901 Oblt. aktiv beim IR 17, nach Besuch der Kriegsschule zugeteilt dem Glstb., 1.11.1904 zugeteilt Glstb., 23. IBrig, 13.10.1908 zugeteilt dem XV. Korpskdo., 1.11.1909 Hptm.i.G., 31.10.1911 versetzt in die 5. Abt. KM als Referent für Organisation und Mobilisierung, ab 1.5.1914 Truppendienst bei IR 47, ab 1.8.1914 Dienst beim VIII. Korpskdo. und bei der 28.ITD., 28.12.1914 eingeteilt beim Kdi. General in Bosnien-Herzegowina, Genstabsabt., 11.3.1916 Verbindungsoffz. bei der Dt. Südarmee, ab 30.8.1916 wieder im KM, 1918 übernommen ins Deutschösterreichische Staatsamt für Heerwesen und Leiter der Abt. 5, 1.9.1920 Obst. Rettel versuchte mehrfach vom Bundesministerium für Finanzen eine Erhöhung seiner Pension zu erreichen und schrieb beispielsweise in einem Gesuch ex 1937 über seine Dienstzeit 1918/1919  : „Ich faßte meine Aufgabe als Abteilungsvorstand in dem Sinne auf, daß ich mich in dieser turbulenten Zeit nicht bedingungslos der damals ausschließlich einseitigen parteipolitischen Diktatur fügte, sondern frei von persönlichen und parteipolitischen Rücksichten nur die fachmännischen und daher im Sinne der Allgemeinheit gelegenen Interessen zu vertreten bemüht war. Mein Verhalten fand daher die Mißbilligung des damaligen Leiters des Heeresamtes. Und als ich schließlich von der Amtsleitung beauftragt wurde zum militärischen Teil der Friedensbedingungen Stellung zu nehmen, [als ich] in dem bezüglichen Referat ungeschminkt und wahrheitsgetreu die unhaltbaren Zustände in der damaligen Volkswehr beleuchtete und wie schon so oft auf die unabweisliche Notwendigkeit hinwies – wenn überhaupt – so nur eine außerhalb der Parteien stehende disziplinierte Wehrmacht zu schaffen, so wurde das nach Monaten zum Anlass genommen, gegen mich in den Zeitungen eine tendenziöse Hetze einzuleiten. In deren Folge wurde ich dann aus parteipolitischen Gründen vorzeitig abgebaut.“ 137 Karl Tarbuk v. Sensenhorst (Krems, NÖ, 7.4.1881–22.12.1966, Wien), 18.8.1901 aus der Techn. Milakad. als Lt. zum Eisenbahn- und Telegraphenrgt. ausgemustert, ab 1906 Glstbslaufbahn, 1.11.1910 als Hptm.i.G. eingeteilt in der Glstbsabt. XV. KKdo. 1.9.1915 Mjr.i.G, ab 15.6.1916 Divisionsglstbschef an der Isonzo-Front, 27.3.1916 Verbindungsoffizier des AOK beim Flottenkdo. in Pola, 1.11.1917 Obstlt. i. G., 1.3.1919 pensioniert, aber Vertrauensmann des Glstabskorps bei der Kommission für die Überprüfung der Nationalität und zur Regelung der Rangfragen in der 1. Abt. des Staatsamtes für Heerwesen, IX/1919–30.6.1920 bei der Organisationsgruppe des Amtsleiters des Staatsamtes für

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Generalstabsoffizier der 10. Gebirgsbrigade war der Oblt. Neugebauer138, Sohn des reichen Prager Buchhändlers. Damit waren meine Vorstellungen aber noch lange nicht beendet. Denn Sarajevo war nicht nur eine große Garnison, sondern auch Festung mit einem Festungskommando und einer Geniedirektion  ; dann waren noch die 48. Division, die Artilleriebrigade, das Militär-Knaben-Pensionat da, und schließlich war es üblich, dass die Generalstabsoffiziere auch bei den hohen Beamten der Landesregierung, dem Kommandanten der Gendarmerie und der Militär-, Post- und Telegraphendirektion ihre Aufwartung machten. Alles in allem bestanden in Sarajevo Verhältnisse wie sonst nirgends in der Monarchie  : Es gab im Staatsdienst wie im Offizierskorps sowohl österreichische als auch ungarische Beamte mit Familien, zu denen noch die einheimisch serbokroatischen christlichen und muslimischen Bekenntnisses kamen. Als im Dezember der Armeeinspektor und Landeschef im Konak – das war der ehemalige Pascha-Wohnsitz – einen gesellschaftlichen Empfang gab, war ich entzückt über die vielen schönen Frauen und Mädchen fast aller Nationen der Monarchie, die hier einträchtig und lebensfroh zusammentrafen. Außerdem gab es für den gesellschaftlichen Verkehr ein ansprechendes Militärkasino mit Garten und einen zivilen Herrenclub, in dem die Generalstabsoffiziere summarisch Mitglieder waren. Da es keine Regimentsmusiken in Sarajevo gab, war eine ausgezeichnete „Garnisons-Musik“ gebildet worden, die nicht nur bei militärischen Paraden spielte, sondern oft auch im Militär-Kasino Abendkonzerte gab. Militärisch verlief das Jahr 1910/11 ruhig mit Rekrutenausbildung und militärischen Übungen aller Art, offiziersapplikatorischen139 Übungen, Divisions- und Festungskriegsspielen. Zunächst erwarb ich mir ein bosnisches Gebirgs-Reitpferd, zu dem ich später das edle große Halbblutpferd „Ada“ kaufte. Wenn keine Truppenübungen im Gelände waren, so ritt ich täglich in der Ebene gegen Ilidže. Auf diesen Ritten begegnete man vielen reitenden Frauen wie der Bürgermeisterin Mandić mit ihrem kleinen Sohn oder den Frauen von Heerwesen, bereits 1.1.1920 Übernahme ins Bundesheer und im Laufe des Jahres eingeteilt als Vorsteher der 23. Abt. der BMfHw. (Organisation, Stellenplan, Dislokation, 1921 Vorstand der 1. Abt. im BMfHw., 1.10.1922 Leiter des Subreferates 0 (Organisation, Stellenplan, Abbaumaßnahmen an Dienstposten aller Art, Dienstpostenplan und Dislokation, Vorsitzender der Stellenplankommission), 23.6.1923 Obst. 1.12.1925 Stabschef des Heeresinspektors, 30.9.1932 als GM-Titular-FML pensioniert, 25.8.1939 als dt. Genlt. zur aktiven Dienstleistung einberufen. Sein Nachlass über die Zeit im (1.) Öst. Bundesheer in der NLS, sign. B/478. 138 Viktor Neugebauer (Prag, 26.8.1880–  ?)18.8.1902 aus Techn. Milak. zu Korpsartrgt. 8 als Lt., ab 11.11.1907 Glstbslaufbahn, ab 30.10.1909 Genstabsoffz. d. 10. GBrig., 1.5.1911 Hptm.i.G. und ins Etappenbüro d. Glstbs. versetzt, 1.9.1915 in Glstbsabt. 3. ITD, 1.11.1915–1918 Leiter der Organisationsgruppe im Etappen-Oberkommando. 139 Applikatorisch  : für die Befehlsgebung der Offiziere belehrend oder zur Anwendung beispielgebend.

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Hussarek140, Veith141 und Gaudernak142. Finanziell stand ich durch die rund 40 Kronen betragende bosn.-hzgow. Zulage wesentlich besser als in Wien. Den Mittagstisch nahm ich abwechselnd bei den Bataillonsmessen meiner Brigade, im Herrenclub und im Militärkasino bis zu dem Augenblick, da der dem Generalstab sehr wohlgesinnte Korpskommandant die Aufstellung und nette Einrichtung einer Generalstabsmesse für Mittags- und Abendtisch verfügte. In diese Messe kamen auch die Artillerie- und Geniestabsoffiziere. Dort hatten wir eine ausgezeichnete ungarische Köchin und einen wohlbestallten Keller, in dem es aus der Wiener kaiserlichen Hofkellerei auch französischen Champagner zu trinken gab. Im Durchschnitt nahmen rund zwanzig Offiziere an dieser Messe teil. Sarajevo ist eine herrlich gelegene Stadt mit vielen Ausflugsmöglichkeiten nach allen Seiten in die Ebene und ins Gebirge. Die religiöse Zusammensetzung der Bevölkerung war so vielseitig wie nirgends sonst  : ein römisch-katholisches Bistum mit schöner, in modernem Stil erbauter Kathedrale, ein evangelischer Pfarrer, serbisch-orthodoxe Geistlichkeit, der Reïs-ül-Ülema für die zahlreichen Muslime sowie Rabbiner für die spaniolischen und die europäischen Juden, die sich streng schieden, wobei die spaniolischen die europäischen als nicht ebenbürtig betrachteten. Eine der ersten großen religiösen Feiern, bei der ich den ganzen Prunk Sarajevos sah, war die anfangs Jänner bei schneidender Kälte erfolgte serbisch-orthodoxe Wasserweihe, zu der die ganze Garnison ausgerückt war. Die Truppen in Bosnien – Herzegowina und Dalmatien hatten keine Paradeuniformen, wie diese ansonsten in der ganzen Monarchie mit Federhüten, Czakos und Waffenröcken vorgeschrieben waren und ein beliebtes farbenprächtiges Bild abgaben. Alles war in der hechtgrauen, einheitlichen Felduniform, aber mit den erhöhten Friedensständen, wie sie in Bosnien-Herzegowina und Dalmatien vorgeschrieben waren, aufmarschiert. Gerade diese schlichte feldmäßige Einheitlichkeit wirkte auf mich mehr als das bunte Gepränge. Nur der aus der Armee des FM Grafen Radetzky überkommene Brauch, auf die Kappen aller Soldaten „Feldzeichen“ – je nach Jahreszeit aus Tannengrün oder Eichenlaub – zu stecken, war auch hier gültig. 140 Über Franz R. Hussarek v. Heinlein (Lemberg, 1873–1945, Wien) siehe die Daten bei Zeynek-Broucek S. 98, Anm. 103. Hussarek war vom 1.4.1915–14.12.1915 Glstbschef des Festungskdo. Sarajevo. 141 Über Georg Veith (1875–1925) siehe die Daten in Glaise-Broucek I, S. 349 f. Veith war 1918 Rgtskdt. in Albanien und 1919–1923 als Titular-Obst. Beamter des Kriegsarchivs. Siehe auch  : Gernot Sattler, Oberst Georg Veith (1875–1925), Magisterarbeit Wien 1991. 142 Josef Gaudernak v. Kis-Demeter (Alt-Bunzlau bzw. Stará Boleslav, Böhmen, 4.1.1848–25.2.1924 Budapest), 1.9.1868 aus Theres. Milakad. zu DR.1 als Lt. ausgemustert, ab 1875 Glstbslaufbahn, Kdt. 67. IBrig., 1.11.1895 GM, 4.12.1895 Kdt. 1. HIBrig, 21.12.1898 zugeteilt 4.KKdo., 1.5.1899 FML, 11.12. 1902 Kdt. k.u.V.Lw.-Distrikt, 24.6.1904 Inspektor der k.u. Landwehr u. GdK 15.8.1906 Inhaber des IR 85, 21.6.1911 Gardekapitänleutnant und Hauskdt. der k.u. Landwehr, 13.12.1912 Kapitän der ung. Trabanten-Leibgarde, 31.8.1918 auf eigenes Ansuchen enthoben.

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Die Wintermarsch- und Schießübungen wurden, so wie in der ganzen Monarchie, aber angesichts der beschränkten Straßenverhältnisse unter weit schwierigeren Bedingungen vorgenommen  ; die Generalstabstechnik der Errechnung der Marschzeiten für jede einzelne Kolonne fand hier ihre Perfektion in den Marsch-Dispositionen  ; die in der Kriegsschule genossene Ausbildung kam zu entscheidender Geltung. Die Durchbildung der Truppen stand höher als sonst in der Monarchie. Allerdings fand man hier auch leichter passendes Gelände für kriegsmäßige und scharfe Schießübungen. Die Kanzlei-Beanspruchung eines Brigadegeneralstabsoffiziers war nicht groß  ; es blieb genug Zeit fürs Reiten und das Studium von Dienstvorschriften. Auch das Lesen von Belletristik war möglich. Um die Osterzeit fand ich im westlichen Teil Sarajevos, in dem moderne Neubauten entstanden, ein angenehmes, möbliertes Zimmer bei einem Eisenbahnbeamten. Die verheirateten Generalstabsoffiziere luden uns Junggesellen regelmäßig zu sich. Ein besonders schöner Weihnachtsabend bei Oblt. Neugebauer (der nach dem Krieg eine Spielwarenhandlung in Salzburg übernahm) ist mir bis heute in lieber Erinnerung geblieben. Wir revanchierten uns da meist gemeinsam durch Schenkung schöner Teppiche oder Vorhänge, die man in Sarajevo aus der landeseigenen Teppichweberei oder bei den vielen sehr gut und reich sortierten spaniolischen oder türkischen Händlern in der „Tscharschia“ preiswert kaufen konnte. Der Name „Tscharschia“ galt der seit Jahrhunderten unverändert gebliebenen türkischen Altstadt, die einen eigenen Reiz ausübte. Man konnte das ganze Leben der Handwerker und Kaufleute beobachten, das sich – mit Mahlzeiten, rituellen Gebeten und Waschungen – auf der Straße abspielte. Alle Türken folgten strenggläubig den Gebetsrufen der Muezzins von den schlanken Minaretten der zahlreichen Moscheen. Die Sitten der Türken, aber auch aller anderen, katholischen und orthodoxen Einwohner Bosniens und der Herzegowina wurden mit allergrößtem Takt geehrt. Mir ist in den vier Jahren meiner Tätigkeit in diesen Ländern kein einziger Fall einer Störung durch Soldaten bekannt geworden  ; die verschleierten Türkinnen wurden niemals behelligt. Offiziersdamen wurden hie und da in einen Harem geladen, wo sich nach ihren Erzählungen die Unterhaltung mit den dort unverschleierten Damen fast ausschließlich um Kinder und deren Erziehung bewegte. Die europäischen Damen suchten und erfuhren dort die kosmetischen Geheimnisse des Orients. Denn damals färbten sich die europäischen Damen noch nicht die Lippen und Fingernägel, die Türkinnen hingegen schon. Zu den übrigen alltäglichen Beobachtungen des muslimischen Lebens gehörten die gegenseitigen türkischen Besuche. Geschahen diese am späten Nachmittag in Begleitung des Familienoberhauptes, so ging dieses mit einer Laterne voran  ; ihm folgten im Gänsemarsch die verschleierten Frauen, dann die Kinder. Machten die türkischen

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Frauen allein Besuche, so mussten sie bei Tageslicht ans Ziel gelangen. Da türkische Frauen allein bei Dunkelheit nicht auf die Straße dürfen, trugen sie ihr Bettzeug auf dem Rücken zu ihren Bekannten, bei denen sie die Nacht verbrachten, um erst bei Tageslicht heimzukehren. So konnte man in allen bosnischen Städten und Orten während des ganzen Tages Frauen mit ihrem Bettzeug wandern sehen. Eine zweite, täglich zu sehende türkische Eigenheit waren die Begräbnisse. Leichenwagen kennen die Moslems nicht. Voran geht der Geistliche (Imam), ihm folgt die nur aus Männern bestehende Trauergemeinde. Der Tote liegt in einem offenen Sarg, den Männer auf den Schultern tragen, die in rascher Folge von den von hinten nach vorn laufenden Trauernden abgelöst werden. Dadurch bekommt der ganze Trauerzug den Anschein, als ob das Begräbnis im Laufschritt erfolgen würde. Die Türken waren gewohnt, ihre Toten in der nahen Umgebung ihrer Wohnhäuser zu bestatten. Darum gibt es in jeder Stadt sehr viele kleine Friedhöfe. Der politischen Verwaltung, für die größte Schonung des konservativen (grundbesitzenden) Türkentums Gebot war, gelang es nur sehr langsam, mitten in den Städten liegende Friedhöfe allmählich von der Bestattung auszunehmen. In Begleitung des Korpskommandanten durften alle Generalstabsoffiziere einmal in der Dzamja (Moschee) der heulenden Derwische (Mitglieder eines muslimischen religiösen Ordens) bei einer Gebetsübung anwesend sein. Beim Eintritt in eine Moschee müssen alle Türken ihre Fußbekleidung im Vorraum ablegen  ; wir Offiziere bekamen große Filzpantoffel über unsere Schuhe. Wir sahen die Betenden, wie eine militärische Musterabteilung, in genau ausgerichteten Reihen, jeder Hintere auf den Vordermann gedeckt knien und die leeren Hände vor der Brust geschlossen, als ob sie ein Gebetbuch hielten. Es mochten etwa hundert Derwische gewesen sein. Gleich nach unserem Eintritt begann die Gebetsübung, indem der Imam, der an einem Tisch mit dem Gesicht zu den Betenden gewendet stand, langsam das Gebet sprach, das von den Andächtigen nachgesprochen wurde. Bei jeder Nennung „Allahs“ neigten sich die Knienden so nach vorne, dass sie mit der Stirne den mit Gebetsteppichen belegten Boden berührten. Das Gebet wurde immer schneller und leidenschaftlicher gesprochen, sodass die Verneigungen der Betenden immer rascher wurden, wodurch sie nach etwa einer halben Stunde in eine pendelnde Bewegung des Oberkörpers und eine betende Ekstase kamen, in der man die einzelnen Worte des Gebetes nicht mehr unterscheiden konnte, sondern diese in verschieden modulierte, lang gezogene Töne übergingen, die man gut als Geheul bezeichnen könnte. Nach einer Stunde hörte das Beten mit einem Schlag auf, und die schweißtriefenden Derwische fielen erschöpft zu Boden, worauf wir Zuseher die Moschee verlassen mussten. Was in der Folge geschah, erfuhren wir nicht. Die Ordensregeln wurden den „Ungläubigen“, die wir Christen waren, nicht preisgegeben. Die Disziplin und Glaubenshingabe beeindruckte uns jedoch tief. Wir

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glaubten nun, verstehen zu können, was es hieß, wenn Muslime zu einem Glaubenskrieg aufgerufen wurden. Zwischen der autochthonen serbischen Bevölkerung und den Offizieren gab es keinen geselligen Verkehr. Die langjährige türkische Herrschaft hatte auf die Sitten der serbischen Bevölkerung eingewirkt. Die Frauen gingen wohl nicht verschleiert, aber ihre Männer hielten sie vom geselligen Verkehr mit Fremden fern. Für die Zurückhaltung dem Offizierskorps gegenüber trug auch das nationale Einigungsstreben des südslawischen Volkes bei, das in der ö.-u. Armee die Repräsentanz einer unerwünschten Zwangsherrschaft erblickte. Der serbische Einigungsgedanke hatte in besonderem Ausmaß die studierende serbische Mittelschuljugend ergriffen, die – so wie in Graz die deutschnationalen Studenten – ihrer Ablehnung Österreich-Ungarns offen Ausdruck gab. Und doch hatte die ö.-u. Besetzung Bosniens und der Herzegowina aufgrund des Mandates des Berliner Kongresses seit 1878 diesen Ländern eine zivilisatorische und kulturelle Entwicklung gebracht, die mir in ihrem staunenswerten Ausmaß erst so richtig sinnfällig wurde, als ich im I. Weltkrieg Alt-Serbien und Makedonien kennen lernte.143 Das kleine Königreich Serbien mit seinen bloß zweieinhalb Millionen Einwohnern war durch die russisch-panslawistischen Bestrebungen gegenüber Österreich-Ungarn zu einem dauernden Unruheherd geworden, und die über die Grenze nach Bosnien greifende Unabhängigkeitsbewegung bezeichnete das Königreich Serbien oft als das „Piemont des Balkans“, was eine unauslöschbare Feindschaft zur ö.-u. Monarchie bedeutete. Die 1907 in der Türkei offen zum Ausbruch gekommene Jungtürken-Bewegung, die die Verjüngung und Kräftigung des türkischen Staatswesens zum Ziel hatte, zwang Österreich-Ungarn – wollte es seine 30-jährige Zivilisierung Bosniens und der Herzegowina nicht der von den Türken erstrebten Rückgliederung zum Opfer bringen – die Okkupation beider Länder durch ihre „Annexion“ in eine definitive Eingliederung in die Monarchie umzuwandeln. Dieser Schritt löste nicht in der Türkei, die leicht zu versöhnen war, sondern im Königreich Serbien jenen Sturm ungezügelten Hasses aus, der sich bis zum Ausbruch des Weltkrieges immer mehr steigerte. Diese politische Spannung trübte uns Generalstabsoffizieren den sonst so schönen und interessanten Aufenthalt in Sarajevo, weil wir die in diesem Erdenwinkel liegenden Gefahren für die Monarchie deutlich erkannten. Im Frühjahr 1911 wurde ein Teil der Generalstabsoffiziere zur Rekognoszierung des vom Korpskommando für die großen Manöver in Aussicht genommenen Übungs143 Von den Offizieren beschreibt die Verhältnisse Robert Michel in seiner Dichtung „Die Häuser an der Džamija“. (Er erhielt 1915 dafür den Kleistpreis.) Siehe auch  : Ernest Bauer, Zwischen Halbmond und Doppeladler. 40 Jahre österreichische Verwaltung in Bosnien-Herzegowina, Wien/München 1971.

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geländes eingesetzt. Diese Erkundungen betrafen besonders die Wegverhältnisse und die Wasserversorgung der Truppen. Die Wegverhältnisse zu erkunden war wegen der erstmalig den Truppen beigegebenen 10-cm-Gebirgshaubitze notwendig, deren Fahrgestell auch im zerlegten Zustand einen Meter breite Wege erforderte. Die Wasserversorgung der Truppe im Karstgelände ist zumeist nur aus Zisternen möglich, in denen das karge Schneeschmelz- und Regenwasser gesammelt wurde. Sie erforderte die genaue Feststellung der Lage, des Fassungsraumes und Inhaltes der Zisternen. Ich bekam hiefür den Raum südlich vom Artillerieschießplatz Kalinovik in durchschnittlich 2.000 m Höhenlage (Lelja, Dumoš-Borac) und die Sutjeska-Schlucht von Čemerno bis Foča zugewiesen.144 Da ich zu dieser Zeit nur ein Gebirgsreitpferd besaß, nahm ich ein Tragtier und zwei Soldaten von der Train-Eskadron mit, die abwechselnd das mit Zelten, Schlafsack, Lebensmitteln und einem Wasserfässchen beladene Tragtier zu führen und mein eigenes Reitpferd zu warten hatten. Die Erkundung dauerte etwa eine Woche und ließ mich nicht nur die zu überwindenden Schwierigkeiten, sondern die stellenweise fast noch unberührte urwaldähnliche Schönheit des bosnischen Landes erkennen. So lernte ich verstehen, dass viele Offiziere sehr gern in Bosnien dienten und öfter auf einen Garnisonswechsel verzichteten, um im Land zu bleiben. In den folgenden dreieinhalb Jahren habe ich viele ähnliche Erkundungen durchzuführen gehabt, die mich nach und nach das in seinen Naturschönheiten reizvolle Ländergebiet Bosnien-Herzegowina, Dalmatien, Letzteres mit der grandiosen Bocche di Cattaro,145 den schönen Städten Ragusa, Spalato, Sebenico usw. gründlich kennenlernen ließen.146 Diese einsamen Ritte erbrachten 144 Foča in Bosnien  : an der Mündung der Ćeotina in die Drina gelegenes Gebirgsstädtchen. 145 Cattaro, heute Kotor, Montenegro, überragt vom Lovčen, gehörte bis zum Beginn des 12. Jh. zu Byzanz, war dann bis zum 14. Jh. Bestandteil des serbischen Staates, dann bis 1420 selbstständige Republik, in der Folge beim venezianischen Reich, kam nach russischer und napoleonischer Besetzung 1797 bzw. 1814 zu Österreich. Österreichischer Kriegshafen, berühmt durch die Meuterei der Matrosen von Februar 1918. 146 Ragusa, heute Dubrovnik, auf einer Halbinsel zwischen dem Adriatischen Meer und Dalmatien gelegen, 7. Jh. v. Chr. von Flüchtlingen aus Epidaurus gegründet, dann unter römischer, ab dem 6. Jh. unter byzantinischer Oberhoheit, aber bereits weitgehend unabhängig und blühende Handelsstadt, ab dem 12. Jh. abwechselnd unter Venedig, den Byzantinern, Ungarn, Serbien und Bosnien, seit 1526 freiwillig unter der Oberherrschaft der Osmanen, ebenso aber unter der Schutzherrschaft der deutschen Könige (röm. Kaiser) sowie Neapels  ; Tributzahlungen an die Pforte bis 1718, 1806 rückten Truppen Napoleons ein, am 29.1.1814 kam diese Stadt zu Österreich, zum Königreich Dalmatien, 1918 zum Königreich Jugoslawien, seit der politischen Wende ist es bei Kroatien. Spalato, heute Split, größte dalmatinische Stadt und nach Rijeka (Fiume) heute bedeutendster Hafen Kroatiens, entstand innerhalb des Palastes Diokletians, nachdem im 7. Jh. die Awaren Salona (Solin) vernichtet hatten, war dann unter byzantinischer, unter kroatischer und unter ungarischer Herrschaft, dann wieder unter Venedig, bis es durch den Frieden von Campo Formido 1797 unter Österreich kam und nach den napoleonischen Kriegen bis

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mir aber auch eine umfassende Kenntnis fast aller in diesen Ländern garnisonierenden Truppen, ihrer Offiziere, ihrer Wohn- und Lebensverhältnisse, ihrer militärischen Kenntnisse und privaten Ambitionen. Es herrschte eine wunderbare Kameradschaft. Ich wurde in allen Garnisonen und auf allen Gendarmerieposten immer gern aufgenommen, gastlich versorgt und mit großem Erfahrungswissen beraten. Nach Sarajevo heimgekehrt, erlebte ich mit meinem Brigadekommandanten, GM Nickel v. Opavár, eine heitere Geschichte  : Der alte Herr war vom k. u. k. Kriegsministerium verständigt worden, dass er mit 1. Mai in den Ruhestand versetzt werden würde. Es war damals üblich, besonders tüchtige Truppenoffiziere, die nach 40 Dienstjahren pensionsreif wurden, des höheren Ruhegehaltes wegen noch zu Brigadieren und Generalmajoren zu machen. GM Nickel wollte sich diesem Verfahren aber nicht fügen und fragte mich, nachdem er den „blauen Bogen“ (das war die Verständigung von seiner bevorstehenden Ruhestandsversetzung) erhalten hatte, was ich ihm zu unternehmen rate, um im Aktivstand bleiben zu können  ; er fühle sich noch sehr rüstig. Was konnte ich ihm da raten  ? Ich schlug ihm vor, nach Wien zu reisen und sein Anliegen dem Kriegsminister Baron Schönaich147 vorzutragen. Was sich in Wien zugetragen hatte, habe ich nicht erfahren  ; GM Nickel sagte mir bloß, es wäre gar nicht nötig gewesen zum Minister zu gehen, „man“ habe ihm versprochen, dass er aktiv bleiben könne. Wer dieses „man“ war, sagte er mir nicht. Er meinte weiter, dass er schon mit dem Korpsintendanten gesprochen habe, damit ihm weiter die Aktivitätsgebühren angewiesen würden. Der vorsichtige Intendanzchef muss aber in Wien nachgefragt haben, weil dem armen GM Nickel die Aktivitätsgebühren telegraphisch eingestellt wurden, was bald in allen militärischen Kreisen Sarajevos belächelt wurde. Nickel war wütend und schob seine Blamage natürlich dem bösen Generalstab zu. Er reiste ohne Abschied nach Budapest, das er als sein Ruhestandsdomizil gewählt hatte. Sein Nachfolger wurde der mit 1. Mai zum Generalmajor ernannte bisherige Kommandant des bosn.-hzgow. Inf. Reg. Nr. 1, das in Wien garnisonierte, Alfred Schenk148, 1918 dort verblieb. Sebenico, heute Šibenik, dalmatinische, heute kroatische Hafenstadt an der Krka, seit 1877 mit Split durch eine Eisenbahn verbunden, Bischofssitz, römisches Amphitheater, wichtiger Stützpunkt der k. u. k. Kriegsmarine. 147 Hinweise auf Franz Frh. v. Schönaich in  : Glaise-Broucek I, S. 134, Anm.250 FZM Schönaich (1844– 1916) war Reichskriegsminister von 1906–1911. 148 Alfred Edl. v. Schenk (Laibach, 5.7.1863–12.10.1952, Wien). 11.7.1880 nach Besuch einer IKSch. assentiert zum IR 21, er nahm als KOffzStellv. an den Operationen in Süddalmatien 1882 teil, 1.5.1884 Lt. Karriere als Glstbsoffz., dann Truppenoffz., 13.1.1907 Kdt. bosn.-hzgow. IR 1, 25.9.1914 Kdt. 13. ITD., als Divisionär Teilnahme an den Kämpfen an der Russ. Front (Limanowa-Lapanów) und an der Isonzofront, 27.9.1916 Kdt. XXIII. Korps, 1.2.1918 GdI, 17.8.1917–23.2.1918 auch Vorsitzender einer Erhebungskommission auf Stichhaltigkeit einer Interpellation südslawischer Abgeordneter, 1.1.1919 pensioniert. Sein Schriftennachlass in NLS, sign. B/300.

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der aus dem Generalstab hervorgegangen war. Schenk war mit einer reichen Russin verheiratet und betrachtete Sarajevo nur als kurze Zwischenverwendung auf seinem weiteren Wege, was ja auch zutraf. Ich fand in Schenk jedenfalls einen sehr tüchtigen und wohlwollenden Vorgesetzten, der sich später im Weltkrieg als Divisionär und Korpskommandant auszeichnete. Seine Gemahlin, die eigentlich nie gut Deutsch sprach, da die Unterhaltung in der Familie russisch erfolgte, kam zu längeren Besuchen nach Sarajevo  ; sie war eine sehr vornehme Frau, konnte sich aber keine Sympathien erwerben. Der Spätsommer brachte die großen Manöver. Zuerst übten die Gebirgsbrigaden für sich, dann im Divisionsverband und schließlich im Korpsverband die 1. gegen die 48. Infanteriedivision. Am 18. August, dem Geburtstag Kaisers Franz Josephs, vereinigte sich das ganze XV. Korps zu einer großen Parade mit Feldmesse auf der Hochfläche von Kalinovik. Unter strahlend blauem Himmel auf vegetationsloser Karstfläche, die im Sonnenschein weiß leuchtete, ein ganzes Korps mit der 7., 8., 9., 10. und 12. Gebirgsbrigade, zum großen Teil mit erhöhtem Friedensstand in einem großen Carré um den Feldaltar formiert, war in seiner herzerhebenden Schönheit und Machtfülle ein mir für mein ganzes Leben unvergesslicher Eindruck geblieben, unvergleichlich schöner als alle Frühjahrsparaden in Wien  ! Gleich nach Beendigung der Feldmesse rückten die Gebirgsbrigaden in ihre Versammlungsräume für die Divisions- und Korpsmanöver ab. Bei den Übungen waren an Truppen und Stäbe große Anforderungen gestellt. Sie erbrachten imponierende Leistungen. Während der Manöver erfuhren wir auch den Wechsel der höchsten Führung in Bosnien-Herzegowina und Dalmatien. Der in den Ruhestand tretende General Varešanin wurde in den Funktionen des Armeeinspektors und Landeschefs durch den langjährigen Stellvertreter des Chefs des Generalstabes und späteren Kommandanten des III. steirisch-küstenländischen Korps FZM Oskar Potiorek ersetzt. Diesem hohen General ging in der Armee ein großartiger, an Genialität reichender Ruf voraus.149 Kurz nach der Rückkehr vom Manöver anfangs September wurde ich – für mich gänzlich unerwartet – zum Armeeinspektor versetzt. Das geschah offenbar aufgrund meiner vorzüglichen Kriegsschulerfolge und der gleichen Beurteilung meiner Vorgesetzten als Brigadegeneralstabsoffizier. 149 Über Oskar Potiorek (1853–1933) vgl. die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 211, Anm. 238. FZM Potiorek war ab 16.4.1919 Armeeinspektor, ab 10.5.1911 auch Chef der Landesregierung für Bosnien und Herzegowina, ab 6.8.1914 Kdt. 6. Armee und Oberbefehlshaber der Balkanstreitkräfte, 23.12.1914 enthoben. Siehe nunmehr das umfassende Werk über Potiorek und die Balkanfeldzüge 1914  : Rudolf Jeřábek, Potiorek. General im Schatten von Sarajevo, Graz/Wien/Köln 1991.

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FZM Potiorek kam nur mit seinem Flügel- und Personaladjutanten, Generalstabsmajor Erik v. Merizzi150, und Oberleutnant Baron Ditfurth151. Der beim früheren Armeeinspektor als Generalstabschef tätig gewesene Obst. Lipoščák wurde zunächst ohne einen Nachfolger nach Agram versetzt. Das war die erste, den großen Ehrgeiz Mjr. v. Merizzis kennzeichnende Veränderung. Wenn ich schreiben wollte, dass mich diese Versetzung irgendwie erfreut hätte, müsste ich unwahr werden. Gern wäre ich noch ein Jahr bei meiner Gebirgsbrigade geblieben, deren Truppen ich jetzt, nach den Manövern, erst richtig schätzen gelernt hatte. Über Merizzis Wesen und Charakter wird später noch viel gesagt werden. Der Husaren-Oberleutnant Ditfurth war ein Mann, mit dem ich nie recht warm werden konnte. Hingegen war ein außerordentlich liebenswerter, aus Kärnten stammender Kanzleileiter, der Armeestandshauptmann Kautzky152 mitgekommen, dessen herzliches und vertrauensvolles Verhältnis zum Feldzeugmeister in der Folge von Merizzi systematisch zerstört wurde, worüber Kautzky und seine Gemahlin sich mir gegenüber wiederholt sehr beklagten. Ich konnte aber nichts dagegen tun, da Potiorek sich im Konak mit Merizzi und Ditfurth völlig von der Umwelt abschloss. Die drei wohnten und aßen dort gemeinsam. Als ich mich zum ersten Mal beim Feldzeugmeister meldete, reichte er mir wortlos die Hand und ich war nach seinem Kopfnicken entlassen. Potiorek legte das Schwergewicht seiner Tätigkeit auf sein Amt als Landeschef. Bisher hatte dort der alte Sektionschef Baron Benkö, ein Ungar, regiert und dem militärischen Landeschef nur fallweise orientierend referiert. Das wurde nun ganz anders. Potiorek fuhr am Morgen täglich in die Landesregierung und übte dort sein Amt so intensiv aus, dass Baron Benkö sehr bald zurücktrat. Für das Amt des Armeeinspektors blieb nur der späte Nachmittag, wodurch Merizzi eine von ihm heiß erstrebte, entscheidend einflussreiche Position gewann, die die beiden Korpskommandos in Sarajevo und Ragusa bald vergrämte. Denn das Bestreben Merizzis war, den Korpskommandos viele ihrer bisherigen Befugnisse zu nehmen und beim Armeeinspektor, also maßgeblich durch ihn, zu bearbeiten. 150 Über Erik Edl. v. Merizzi (1873–1917) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 275, Anm. 7. 1.11.1910 Mjr.i.G., 1.11.1913 Obstlt.i.G., 30.4.1910–Aug. 1914 Flügeladjutant des FZM Potiorek. 151 Moritz Frh. v. Ditfurth (Marczehaza, Ungarn, 23.9.1873–  ?), 18.8.1894 aus der Theres. Milakad. als Lt. zum HR 11, 1.11.1898 zu HR 6, seit 1903 Frequentant der k. u. k. Hofreitschule, seit 1906 Waffenoffizier des Reitschuldetachement der Theres. Milakad., 1.11.1918 Mjr. 152 Felix Kautzky (Wien, 20.11.1871–  ?) 22.2.1881 aus der IKSch. Wien ausgemustert zum IR 40, 1.5.1891 Lt., 10.4.1905 zeitlich kommandiert beim III. KKdo., 1906 Ruhestand, 1.5.1909 Hptm. d. Armeestandes, eingeteilt beim III. KKdo., 2.5.1910 Kanzlei und Konzeptsoffz. Beim Armeeinspektor FZM Potiorek, 10.6.1912 Kanzleileiter, ab 1914 beim Oberkdo. der Balkanstreitkräfte, ab 28.12.1914 beim 5. Armeekdo., ab 21.5.1915 beim Kdo. der SW-Front, 1.1.1918 Leiter der Manipulation der Kriegsgruppe und Adjutant des Chefs der Quartiermeisterabt. des AOK.

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FZM Potiorek bereiste in der Folge seinen Verwaltungs- und Befehlsbereich in Begleitung von Merizzi und Ditfurth mit Bahn und Auto sehr häufig und schrieb über seine Beobachtungen als Landeschef persönliche Vormerkungen, während seine Wahrnehmungen militärischer Natur von Merizzi festgehalten wurden. Beide bekam ich regelmäßig zur Durchsicht und Veranlassung der Reinschrift mit der Schreibmaschine. Die persönlichen, die Landesregierung und Verwaltung betreffenden Aufzeichnungen des Feldzeugmeisters wurden, in mehreren Exemplaren vervielfältigt, der Landesregierung und in je einem Exemplar an den gemeinsamen Finanzminister, dem die bosn.-hzgow. Landesregierung unterstellt war, an die Militärkanzlei des Kaisers, an jene des Erzherzog-Thronfolgers Franz Ferdinand im Belvedere, an den Chef des Generalstabes Baron Conrad und an den Kriegsminister gesendet, zu welch letzterem Ende 1911 der Kommandant des XV. Korps, GdI. v. Auffenberg ernannt worden war. In Sarajevo wurde der damalige Kommandant der 1.Infanteriedivision, FML v. Appel Kommandant des XV. Korps. Ich las Potioreks persönliche Aufzeichnungen natürlich mit größtem Interesse. Sie erschienen klar und einfach, machten mir jedoch niemals den Eindruck „genialer“ Wahrnehmungen. Die von Merizzi notierten militärischen Beobachtungen waren für mich viel interessanter  : Außerdem brachten sie mir meine eigentliche Arbeit, indem ich aus ihnen Weisungen an die Korpskommandos und Anträge an den Chef des Generalstabes und das Kriegsministerium zu verfassen hatte.153 Mein Wirkungsbereich ergab sich dadurch von selbst  : Er umfasste für Bosnien, Herzegowina und Dalmatien alle Aufgaben, die in Wien das Operationsbüro des Generalstabes für die ganze Monarchie zu bearbeiten hatte. Das gab mir einen weit über die Chargen eines Oberleutnants und späteren Hauptmanns hinausragenden Einblick in die verschiedensten Materien, aber auch frühzeitig eine für meinen Dienstgrad und mein Lebensalter fast übergroße Verantwortung. Das Arbeitsgebiet umfasste nach und nach den Grenzschutz gegenüber Serbien und Montenegro, die Organisation und Ausbildung des XV. und XVI. Korps, ihre Dislokation, Bewaffnung, Ausrüstung, die Reichsbefestigung in diesem Gebiet, die Aufmarschkalkulation für den Krieg, die Oberleitung des Nachrichtendienstes, dadurch auch die Regelung des Zusammenspiels der in den nahen Grenzräumen garnisonierenden Truppen mit der dort befindlichen Gendarmerie, der Zollwache und den Militärpost- und Telegraphenämtern, den politischen Bezirksleitern und dadurch auch mit der Landesregierung. Da ich eine gute Art fand, die militärischen Erfordernisse bei den zivilen Stellen zu vertreten, entsandte mich der Feldzeugmeister regelmäßig zur Aushandlung von 153 Die persönliche Vormerkungen Potioreks finden sich in seinem Schriftennachlass ÖStA/KA, NLS, sign. B/1503.

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Maßnahmen, die Geld erforderten, zu den Sektionschefs der von ihm geleiteten Landesregierung. Bei den Referaten meinte er dann trocken  : „Das haben Sie gut gemacht, mir hätte das der Sektionschef nicht bewilligt.“ Das war aber auch die einzige Materie, die ich Potiorek persönlich vorzutragen hatte. Ansonsten wurde ich und wurden später auch alle anderen nach und nach zum Armeeinspektor versetzten Referenten von Mjr. v. Merizzi ängstlich vom Feldzeugmeister ferngehalten, um ja nicht seinen Einfluss auf den hohen Chef zu gefährden. Regelmäßig hatte ich nur Merizzi zu referieren, der, an sich hervorragend befähigt und unermüdlich fleißig, bei der stilistischen Korrektur von Konzeptentwürfen oft aufreizend kleinlich wurde. Wir gewannen allmählich den Eindruck, dass er mit seinen Korrekturen unserer Entwürfe dem FZM Potiorek demons­ trieren wollte, wie der Dienst ohne ihn und seine Tätigkeit überhaupt nicht befriedigend geleistet werden würde. Diese Referate bei Merizzi wurden mit der Zeit zu sehr ernsten Nervenproben der Referenten. Besonders ich fand es abscheulich, wenn er ein und denselben Bericht oder Antrag stilistisch umfrisierte, je nachdem das Exemplar für die Militärkanzlei des Kaisers oder für jene des Erzherzog-Thronfolgers bestimmt war. Dazu kam eine uns nach und nach widerlich werdende, auffällig zur Schau gestellte Bigotterie Merizzis. Man mochte schon an seine tiefe Religiosität glauben  ; dass er jedoch, wann und wo immer er dem Franziskanerprior begegnete, diesem mit einer tiefen Verbeugung die Hand küsste, fanden wir überflüssig. Wenn Prior Mišić in die Büros des Armeeinspektors kam, was mit der Zeit häufiger wurde, hörte jedes, auch das wichtigste und dringendste Referat bei Merizzi auf  : Er eilte Mišić auf den Gang entgegen, küsste ihm die Hand, und wir mussten warten, bis der gute Prior wieder gegangen war, was oft lange Zeit dauerte. Auch da gewann ich den Eindruck, dass diese Devotion Merizzis so überbetont wurde, damit seine fromme Katholizität dem Erzherzog-Thronfolger berichtet würde, dessen Ergebenheit in die katholische Kirche ja bekannt war. Hier und in der Folge lege ich viele Einzelheiten über den Charakter und das Verhalten von Merizzi dar, weil ich den Ausfall dieses Mannes bei Kriegsbeginn 1914 im Stab Potiorek für eine wesentliche Ursache halte, dass der Feldzug 1914 in Serbien von uns verloren wurde. Der große Arbeitsumfang brachte für mich eine Umstellung aller Lebensgewohnheiten. Nachdem ich für kurze Zeit in meinen Büroraum ein Bett stellen ließ, um dem fast nie abreißenden Dienstbetrieb auch in der Nacht genügen zu können, fand ich schließlich wieder bei einem Eisenbahnbeamten am Miljacka-Ufer, nahe dem Kanzleigebäude und nahe der Franz-Joseph-Kaserne, in der meine Pferde standen, übrigens ganz nahe der Straßenecke, an der 1914 Erzh. Franz Ferdinand und seine Gemahlin ermordet wurden, ein gutes, im Parterre gelegenes möbliertes Zimmer, das ich erst im Krieg aufgab.

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Während der drei Jahre, die ich in Sarajevo beim Armeeinspektor verbrachte, gestaltete sich der Tagesablauf mit unveränderter Regelmäßigkeit. Am Morgen halb 6h bis 7h Reiten, 7h bis 8h Waschen und Frühstücken, 8h bis 12h30 Büroarbeit. 12h30 bis 13h30 Mittagessen im Generalstabskasino, 13h30 bis 20h Büroarbeit, dann Abendessen im Generalstabskasino mit anschließenden Gesprächen im Kameradenkreis, halb 10h nach Hause und Schlafen. Donnerstags entfiel das Reiten wegen der gründlichen Pferde- und Stallpflege, die ich immer kontrollieren ging, wonach ich am Kai bis zu Bürobeginn einen Spaziergang machte. Am Sonntag schlief ich etwas länger, ging dann in die Kirche, Besuche machen und ins Generalstabskasino essen  ; nachmittags kurze Ruhe daheim, dann folgte meist eine Tee-Einladung bei verheirateten Kameraden, und abends trafen wir uns, da die Köchin des Kasinos frei hatte, abwechselnd im Hotel Zentral oder im Hotel Europa. Das erstere war von einem ungarischen Juden bewirtschaftet, das zweite gehörte dem steinreichen serbischen Politiker Gligorie Jeftanović, der einen Sohn hatte, der in Wien an der Universität studierte, und eine wenig reizvoll scheinende Tochter, die allerdings nach ihrer Eheschließung mit dem Advokaten Srškić zu einer sehr schönen Frau erblühte. Da Jeftanović der Führer der radikalen, gegen die Monarchie arbeitenden Serben war, grüßten wir diesen vom Kaiser mit dem Kronen-Orden ausgezeichneten Mann und seine Familie mit betont kühler Zurückhaltung und nachtmahlten auch öfter im Hotel Zentral als in seinem. Ihn ganz zu meiden wäre gegen die auch von Wien aus gewünschte Tendenz gewesen, die feindlich gesinnten Elemente durch besondere Nachsicht und Entgegenkommen zu versöhnen. Als der junge Erzh. Karl mit seiner vor Kurzem in den Ehebund getretenen Gemahlin Zita für eine Nächtigung anfangs Dezember 1911 nach Sarajevo kam, wurde für ihn in Jeftanovićs Hotel Quartier gemacht. Ich sah das junge Paar nur flüchtig bei der Abreise, nicht ahnend, wie bald es Kaiser und Kaiserin werden würde. Anstelle des mit Auffenberg nach Wien abgegangenen Obst. v. Boog war Obst. Michael Mihaljević154 Korpsgeneralstabschef geworden, ein ruhiger Junggeselle, des Serbischen und Kroatischen vollkommen mächtig, aufrichtig und sehr entschieden in allen Äußerungen. Er speiste täglich mit uns im Generalstabskasino. Ohne ihm direkt unterstellt zu sein, gewann ich bald sein Wohlwollen, was für mich wichtig war, da die Maßnahmen Merizzis oft zu Kritiken führten, die für mich sehr peinlich anzuhören waren. Mihaljević nahm mich da oft in Schutz, wohl erkennend, dass die 154 Die Daten über Michael Mihaljević (1864–  ?) sind in Glaise-Broucek I, S. 511, Anm. 701 zu finden. Mihaljević war ab 1.5.1911 Obst.i.G. u. Glstbschef XV. Korps, im Weltkrieg Brigadier und Divisionär, ab 27.9.1918 Honvéd-Distrikts-Kdt. v. Agram, ab Kriegsende kurze Zeit Kdt. einer kroatischen Nationalarmee, lebte 1919/20 in Wien (vor den Serben geflüchtet), dann in Agram.

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Schuld nicht bei mir, sondern bei Merizzi und Potiorek lag, die er beide gar nicht schätzte. Als wieder einmal in der serbischen Zeitung eine abfällige Kritik über den Landeschef zu lesen war, sagte Mihaljević zu mir  : „Kein Wunder, wenn man einen Mann als Landeschef hersendet, der nicht einmal die Landessprache kann  !“ FZM Potiorek stammte aus Kärnten und sprach leidlich Slowenisch  ; er lernte sehr eifrig serbisch, aber natürlich war das für einen bejahrten Mann nicht leicht und konnte die autochthonen Politiker nicht befriedigen. Das Sprachstudium neben dem laufenden Dienst war eine schwere Sache. Das empfand ich aus eigener Bedrängnis, denn nach meiner Ernennung zum Generalstabshauptmann am 1.November 1912 hatte ich mich dem Studium einer ausländischen Sprache zu widmen und nach zwei Jahren darüber in Wien eine strenge Sprachprüfung abzulegen. Ich hatte Bulgarisch gewählt und lernte wohl fleißig  ; aber bei meinem mangelnden Sprachentalent wäre mir die strenge Sprachprüfung im Herbst 1914 sicher sehr schwergefallen. Der inzwischen ausgebrochene Krieg ersparte mir die gefürchtete Prüfungsblamage. Vor meiner Übernahme ins Generalstabskorps wurde ich im Frühjahr 1912 zu einer „kleinen Generalstabsreise“ eingeteilt, die Obst. Göttlicher155 führte und in einer sehr geschickten Anlage die Grenze der Monarchie so annahm, dass die Festung Peterwardein156 von Norden anzugreifen war, was eine Lageannahme bedeutete, die einem Angriff auf Belgrad angenähert war. Da die Pferde zur Reise mitzunehmen waren, erfolgte die Einrückung nach Sarajevo als Distanzritt. Ich wählte dazu den Weg über Tuzla, das Standort der 1. Gebirgsbrigade war, und weiter über Kladanj-Romanja planina.157 Das waren von der Übungsendstation Brčko an der Save rund 190 km, die in drei Tagen zu reiten waren, was bei 1.000 m Höhenunterschieden eine ganz respektable Leistung ergab.158 In Tuzla verbrachte ich den Abend in der Wohnung des Generalstabsoffiziers der 11. Gebirgsbrigade, Oblt. Paschek, einem feingebildeten Ur-Wiener, der sich in seine Wohnung sogar sein von Wien mitgenommenes Klavier hatte stellen lassen.159 Wir 155 Karl Göttlicher (Wischau bzw. Vyškov, Mähren, 11.9.1869–17.1.1931 Aussig bzw. Ústí nad Labem), 18.8.1890 als Lt. aus der Theres. Milakad. zum IR 3 ausgemustert, Glstbslaufbahn, 1.2.1906 Mjr. i.G, 1.6.1908 ins Landesbeschreibungsbüro des Glstbs., Orientalische Gruppe, versetzt, 10.12.1909 in die 5. Abt. KM, 1.5.1913 nach Truppendienstleistung Generalstabschef des Kriegshafens Pola, 29.9.1913 Lehrer am Infanteriekurs. 156 Peterwardein (Petrovaradin), Vorstadt von Neusatz (heute Novi Sad) am rechten Donauufer, heute Serbien. Ab dem 16. Jh. einer der wichtigsten Stützpunkte der Militärgrenze, dann eine Festung der k. u. k. Monarchie. 157 Tuzla  : Städtchen am Südwestfuß der Maljevica, an der Straße Belgrad – Zvornik – Šabac –Sarajevo, damals auch Kurort, heute Industriestadt in Bosnien-Herzegowina. 158 Brčko, Stadt am rechten Ufer der Save in Bosnien-Herzegowina. 159 Emil Paschek (Wien, 29.12.1883–15.3.1951, Wien) 18.08.1904 aus der Theres. Milakad. als Lt. zu FJB

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sprachen viel über Musik. In Wien war damals gerade der „Rosenkavalier“ von Richard Strauß an der Oper die große und vielumstrittene Novität.160 Ich war noch nicht auf Urlaub gewesen, aber Paschek hatte die Oper gesehen und sie – ohne Begeisterung – gut genannt. Er spielte mir die für Strauß besonders charakteristischen Stellen vor und erläuterte mir die damals noch als Dissonanzen aufgefassten Stellen. Darüber war ich sehr froh, denn in Sarajevo war der kulturelle Mittelpunkt das Haus des beim Korpskommando eingeteilten Majors des Generalstabes Lassy, auch einem Wiener, verheiratet mit einer Wienerin, deren bei ihr wohnende Schwester ganz der neuen Musik ergeben war. Dort hörte ich die ersten begeisterten Meinungen über den Rosenkavalier. Da Lassys kinderlose Frau und deren Schwester als übermodern galten, war ich deren Urteil gegenüber skeptisch und darum sehr dankbar, von Paschek Erläuterungen gehört zu haben. Er kam bald von Tuzla weg, als Lehrer an die Wiener Neustädter Akademie. Als ich 1932 Vorstand der I.Abteilung im Ministerium wurde, fand ich ihn dort als Referenten für Organisation wieder, stark gealtert und übernervös geworden. Es war ein herzliches Wiedersehen nach langen Jahren. Während ich dann in Berlin war, ist Paschek pensioniert worden und bald darauf gestorben  ; das ging mir nahe, weil ich ihn sehr geschätzt habe. Inzwischen hatte ich von Obst Mihaljević die sehr gute ungarische Halbblutstute „Ada“ gekauft, die ich in der Folge meist selbst ritt, während mein Pferdewärter auf dem Gebirgspferd folgte. Viele Ritte führten mich durch ganz Bosnien, Herzegowina und Dalmatien. Sie galten entweder der Manöverrekognoszierung, da ja der Armeeinspektor die Anlage der Truppenübungen an sich gezogen hatte und ich der Truppenübungsreferent war, zu Straßenerkundungen oder Details für die Befestigungsanträge Potioreks. Kurze Urlaube führten mich nach dem herrlich gelegenen Ragusa und – auf kleinen Handelsschiffen fahrend – an alle die herrlich gelegenen Küstenorte und ihre vorgelagerten Inseln. Zum Besuch meines greisen Vaters und meines Bruders nach Wien 10, Glstbslaufbahn, 1.11.1911 Glstbsoffz. der 11. GBrig. in Tuzla, 1.9.1913 Lehrer an der Techn. Milakad./Pionierklasse in Hainburg, 1.5.1914 Hptm.i.G. und versetzt zur Generalstabsabt. d. 3. Armeekdos in Galizien (Armeekdt. Brudermann und Boroëvić), 30.7.1914 versetzt zum Milkdo. Graz, 1.5.1915– 24.5.1915 45. LITD. Erst mit 1.12.1920 als Lehrer für höhere Truppenausbildung an der Heeresschule Enns eingeteilt, 1.2.1921 Obstlt., 16.8.1923 transferiert zur Brigadeartillerieabt. 3, 1.2.1925 eingeteilt bei der Prüfungskommission Obst. Schäfer (das war die damalige geheime Prüfungskommission für die Eignung zum Glstbsdienst), 8.1.1921 Titular-Obstlt., 21.5.1927 Obstlt., 1.9.1931 von der (nunmehr bereits sogenannten) Militärischen Fachprüfungskommission versetzt zur Abt. 1 des BMfHw., 24.10.1932 GM, 30.11.1933 dauernder Ruhestand. Paschek war sodann bis zum Ende des Erscheinens der Militärwissenschaftlichen Mitteilungen 1944 dort als militärpolitischer Autor tätig. Sein Schriftennachlass in NLS, sign. B/84. 160 Die Oper „Der Rosenkavalier“, Text von Hugo v. Hofmannsthal, Musik von Richard Strauss, wurde in Dresden 1911 uraufgeführt.

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bin ich während meiner vierjährigen Garnisonierung in Sarajevo meiner Erinnerung nach nur einmal, und zwar über Triest gekommen. Die Fahrt mit der Eisenbahn von Sarajevo über den Ivan-Sattel161 und Mostar nach Castelnuovo oder Trebinje steht an Schönheit der Südbahnstrecke nach Triest kaum nach.162 Das von der Trebišnjica durchflossene Popovo polje hat mich einmal sehr genarrt  : Bei einer Fahrt im Winter war es völlig überflutet wie ein Stausee  ; als ich dann einmal im Sommer das große Wasser suchte, fand ich statt dessen eine schwer Frucht tragende Senkung. Ich hatte erstmals nicht an das Verschwinden und plötzliche Wiederauftauchen der Flüsse im Karst gedacht und war recht beschämt, als mir ein mitreisender Kamerad darauf einen langen Vortrag über die Gewässer am Karst hielt. Das Ganze ist ein wunderschönes Land, das stets wechselnde Überraschungen bereithatte. Dabei lernte ich auch viele prächtige Menschen kennen, von denen ich zwei als besondere Typen festhalten möchte  : Da war in Trebinje der Kommandant einer Gebirgsartillerieabteilung, Hauptmann und bald nachher Major Veith, ein SchlangenErforscher von besonderer Qualität und zugleich ein Forscher Alt-Roms mit seinen grandiosen Straßenbauten quer durch den Balkan nach Kleinasien  ; jeder seiner Urlaube galt Forschungsreisen. Einen Abend mit ihm sprechen zu können, war ein Genuss. Ein Original ganz anderer Art war östlich Mostar auf der Hochfläche von Ulok Obrija der Kommandant eines Bataillons vom Inf. Rgt. Nr. 35 aus Pilsen, Hptm. Kuckh163. Der legte größten Wert auf gutes Essen  ; für besondere Gäste, zu denen er mich zählte, kochte er selbst ganz hervorragend. Dazu servierte er einen selbstgezogenen Forellen-Häuptelsalat, dessen Blätter wirklich blassrote Tupfen hatten und der von einer reschen Mürbheit war, wie ich ihn vor- oder nachher niemals gegessen hatte. Dazu gab es natürlich Pilsner Urquell in brauhausgerechter Temperatur. Sein Gemüsegarten war eine Sehenswürdigkeit. Die Heimkehr von solchen Touren nach Sarajevo in den unerbittlichen Bürodienst fiel mir immer wieder schwer. Obwohl Mjr. v. Merizzi für seine unterstellten Offiziere eigentlich ein wohlwollender Chef war, der stets bemüht war, uns finanzielle Zuwendungen wie auch ab und zu Einladungen durch FZM Potiorek an dessen Mittagstisch zu verschaffen, konnte ich mich in meiner mir einen unwahrscheinlich großen Wirkungskreis bietenden Stellung doch nie recht wohlfühlen. Der Grund dafür war 161 Ivan-Sattel: Pass zwischen Sarajevo und Jablanica, Bosnien-Herzegowina. 162 Trebinje  : Wirtschaftszentrum der Herzegowina, gelegen an dem Fluss Trebišnjica. 163 Karl Wilhelm Edl. v. Kuckh (Graz, 27.4.1867–29.10.1947, Velden am Wörthersee, Kärnten), 1.11.1887 als EF eingetreten zum IR 27, 1.8.1889 aktiviert, 1.11.1891 Lt. IR 91, 20.12.1909 Baonskdt. bei IR 35, 31.10.1912 eingeteilt zur Grenzjägertruppe und kommandiert zum 8. GBrigKdo., 1.1.1915 Mjr., 1.11.1916 Obstlt., 16.5.1917 Interimskdt. IR 8, 19.8.1918 den öst. Adelsstand verliehen mit dem Ehrenwort „Edler von“, 1.2.1920 Ruhestand, 1.3.1921 Obst. i. R.

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die immer wieder aufbrechende Erkenntnis, dass Potiorek wie Merizzi ihren Anträgen und Berichten sehr oft mehr ihr persönliches Geltungsbedürfnis zugrunde legten. Dazu kam das Bestreben, dem alten Kaiser und dessen Militärkanzlei ebenso zu gefallen, wie sich bei Thronfolger Erzh. Franz Ferdinand und dessen Militärkanzlei im Belvedere in besonders gute Position zu setzen. Angesichts des wenig guten Verhältnisses zwischen Thronfolger und Kaiser scheuten sich Potiorek und Merizzi nicht, Berichte verschieden einzubegleiten. Ein solches Doppelspiel konnte ich nie verstehen, es war mir einfach widerlich. Auch das Verhältnis Potioreks zu dem von uns verehrten Chef des Generalstabes, Baron Conrad, war für mich bedrückend. Potiorek war durch lange Jahre bis 1906, da Conrad und nicht er Chef des Generalstabes wurde, unter FZM Beck Stellvertreter des Chefs des Generalstabes gewesen und hatte so auf alle Fragen der Heeresbewaffnung und der Reichsbefestigung unmittelbaren Einfluss gehabt. Den beim Armeeinspektor eingeteilten Geniestabshauptmann Beran164 und mich ärgerte es, wenn Potiorek jetzt von Sarajevo aus Änderungsanträge für den laufenden Ausbau der Befestigungen stellte, die große Konferenzen in Wien erforderten und so alle in Gang befindlichen Bauarbeiten aufhielten. Ein besonderes Beispiel bietet die Gebirgsgeschützfrage  : Wir hatten noch Gebirgsgeschütze aus dem Jahr 1875, die nur bis 3 km schossen, und wussten, dass die Serben französische Schneidergeschütze mit einer Schussweite von 7,5 km hatten. Die Neubewaffnung unserer Gebirgsartillerie war daher angesichts der drohenden politischen Lage dringendste Notwendigkeit. Der Energie Conrads war es gelungen, das hervorragende Gebirgsgeschütz der Škoda-Werke erprobungsreif zu machen.165 Wir sahen diese Erprobungsbatterien durch Wochen auf Märschen im schwierigsten Gelände klaglos vorwärts kommen und auf dem großen Schießplatz Kalinovik brillante Schieß- und Treffresultate erzielen. Die Reichweite entsprach den serbischen Kanonen. Natürlich musste dieses hervorragende, moderne Geschütz mehr Traglasten haben als die gänzlich veraltete bisherige Gebirgskanone, die mit drei Tragtieren auskam  ; es waren sieben Tragtiere erforderlich. Potiorek oder Merizzi wollte ein Gut164 Johann Beran (Budapest, 13.7.1883–17.1.1955, Bad Ischl, OÖ) 18.8.1904 aus Milak. zum IR 86 als Lt. ausgemustert, ab 1.5.1912 Glstbskarriere, ab 1.8.1914 beim Kdo. 6. Armee bzw. Kdo. Balkanstreitkräfte, 4.4.1915 Glstbsoffz. 12. GBrig., 21.9.1915 Kdo. SW-Front bzw. HGrpKdo. Ezhg. Eugen bzw. HGrpKdo. Conrad bzw. HGrpKdo. Ezhg. Joseph, ab I/1919 im Staatsamt f. Hw./Gruppe für besondere Arbeiten, ab.10.9.1919 beim Landesbefehlshaber für Kärnten, Landesverteidigungsgruppe, 1.1.1920 Mjr, 1.12.1920 Ruhestand, 6.7.1922 Titular-Obstlt. 165 Es handelt sich um die 7,5-cm-Gebirgskanone Muster 1915, ein Rohrrücklaufgeschütz mit Schutzschild. Das Geschütz konnte zerlegt in sechs Tragtierlasten oder mit einer Gabeldeichsel fahrend fortgebracht werden.

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achten ausarbeiten lassen, das die Konstruktion wohl lobte, aber eine Umkonstruktion auf bloß fünf Traglasten verlangte, weil bei sieben Lasten die Möglichkeit des Absturzes eines Tragtieres größer sei als bei fünf. So ein sinnlos dummer Antrag musste angesichts der hohen Stellung des Feldzeugmeisters Anlass zu neuen Konferenzen, Besprechungen, Konstruktionsversuchen usw. geben, somit die Einführung des neuen Geschützes um mindestens ein Jahr verzögern. Bei Merizzi, der ja selbst der Artillerie entstammte, brachte ich alle ernsten Gründe gegen einen solchen Antrag vor, weil man dem stärksten Tragtier doch nicht mehr als 70 kg aufladen könne. Das Ganze wäre nur eine unverantwortliche Verzögerung der Bestrebungen des Chefs des Generalstabes, worauf Merizzi süffisant lächelnd meinte, das solle es ja sein. Darauf bekam ich so eine Wut, dass ich ihm die Rapportmappe mit der Bemerkung auf den Tisch schmiss, mich zu so einer Infamie nicht herzugeben, und sein Zimmer kochend verließ. Darauf ging ich essen und spazieren. Als mein Kopf wieder klar wurde, überdachte ich das Geschehene und sah die Folgen vor mir  : Ende der Generalstabslaufbahn  ; gerichtliche Untersuchung  ; Bestrafung wegen ungebührlichen Benehmens gegenüber einem Vorgesetzten usw. Ich dachte schließlich, dass das nichts ausmache und ich bei einem Bataillon in Bosnien gern eine Kompanie führen werde  ; denn das Erzählte spielte sich erst ab, als ich schon in das Generalstabs­ korps übernommen und Hauptmann geworden war. Am nächsten Tag ging ich wie gewöhnlich reiten und dann ins Büro. Ich hatte mit niemand über den Vorfall gesprochen und wartete der Dinge, die jetzt kommen mussten. Als bei mir die Klingel erscholl, die mich zu Merizzi berief, ging ich zu ihm ohne Rapportsmappe, denn die war ja gestern auf seinem Tisch geblieben. Merizzi saß an seinem Schreibtisch, sah mich an und fragte ungefähr, ob ich einsehe, mich am Vortag ungebührlich benommen zu haben. Das musste ich bejahen, worauf Merizzi sagte, dass damit die ganze Sache erledigt sei. Ich dachte, dass damit auch der das neue Gebirgsgeschütz verzögernde Antrag gefallen war und sagte ein ehrliches und frohes Danke. Es wurden weitere dringende Arbeitsgebiete meines Ressorts besprochen, ohne dass das neue Gebirgsgeschütz Erwähnung fand. Erst als ich nach Wochen in der Registratur einen Akt suchte, fand ich durch Zufall das Gutachten von Merizzis eigener Hand so geschrieben, wie ich es abgelehnt hatte. Wie vorausgesehen fanden neue Besprechungen in Wien zwischen Kriegsminister, Chef des Generalstabes, Artillerieinspektor, technischem Militärkomitee und den Škoda-Werken statt, dann neue Versuche mit dem Resultat, dass eine Änderung ohne Herabsetzung der Qualität des Geschützes nicht durchführbar wäre, weil ein Tragtier eben nicht mehr als 70 kg tragen konnte. Die Folge war eine nur allzu berechtigte Verärgerung des Artilleriestabes und des Chefs des Generalstabes über die sinnlose Verzögerung der Serienerzeugung des Geschützes und seiner Einführung bei der Truppe. Als der Krieg 1914 plötzlich

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ausbrach, mussten wir mit dem alten, völlig unzureichenden Gebirgsgeschütz in den Kampf treten, und es wurde erst nach zweijähriger Dauer möglich, das hervorragend entsprechende neue Škoda-Geschütz in ausreichender Zahl und mit genügend Munition an die Front zu bringen. Dieses Geschütz ist übrigens bis heute unübertroffen und hat auch im Zweiten Weltkrieg sehr gut entsprochen. Ich bin den Ereignissen, die zu erzählen sind, weit vorausgeeilt. Nun muss ich zum Frühjahr 1912 zurückkehren, also zu einer Zeit, da ich als dem Generalstab zugeteilter Oberleutnant von der kleinen Generalstabsreise in Syrmien nach dem Distanzritt über Tuzla nach Sarajevo zurückgekehrt war. Zu dieser Zeit wurde auch bekannt, dass GM Böltz166, der bisherige Kommandant des Wiener Inf. Rgt. Hoch-und Deutschmeister Nr. 4 zum Generalstabschef des Armeeinspektors in Sarajevo bestimmt worden sei und so zu FZM Potiorek kommen sollte, wie vorher Obst. Lipoščák bei GdI. Varešanin gewesen war. Das hing auch mit den Nachrichten zusammen über einen von Russland geförderten Balkanbund, der aus Serbien, Bulgarien, Montenegro und Griechenland gebildet werden sollte. Es war zunächst noch nicht klar, ob dieser Balkanbund direkt als Vollendung der von England und Frankreich betriebenen Einkreisung Österreich-Ungarns und Deutschlands gelten oder eine andere Zweckbestimmung haben sollte.167 Es galt, auf der Hut zu sein, was Merizzi veranlasste, auch die oberste Leitung der Mobilisierungsvorsorgen des XV. und XVI. Korps an das Armeeinspektorat heranzuziehen und als Referenten den bisherigen

166 Eduard Edl. v. Böltz (Birkenberg bzw. Březové Hory, bei Přibram Böhmen, 13.3.1864–8.11.1918, Odessa, Ukraine, durch Freitod) Absolvent der IKSch.Wien, 13.3.1881 assentiert zum IR 11, 18.8.1882 Kadettoffiziers-Stellvertreter, 1.11.1895 Lt. im IR 81, ab 1.11.1893 als Oblt. Glstbslaufbahn, 1.11.1893 als Lehrer für russische Sprache eingeteilt an der Kriegsschule, 1.6.1905 Militärattaché in Sofia, 1.5.1907 Obst.i.G. 4.12. 1908 Kdt. IR 4, 18.71912 Kdt. 12. GBrig., 1.11.1912 GM, 12.7.1914 Chef d. Glstbs. des Armeeinspektors FZM Potiorek, 22.12.1914 Kdt. 18.ITD., 1.9.1915 FML, 4.10.1915 Kdt. 19. ITD., 167 Der Balkanbund, zum Unterschied vom „Balkanbund“ von 1922 jetzt eher „Balkanvierbund“ genannt, wurde von Russland wesentlich gefördert, besonders vom russischen Gesandten in Belgrad, Nikolaj Hartwig und den russischen Vertretern in Sofia. Am 13.3.1912 unterzeichneten Bulgarien und Serbien ein Offensiv- und Defensivbündnis, dem bald Griechenland und Montenegro beitraten. Das Ziel war die Aufteilung der Türkei bis zum Bosporus und es richtete sich auch gegen Österreich, etwa was eine Besetzung des Sandschaks von Novibazar nach einer Niederlage der Türkei durch Österreich-Ungarn betraf (Artikel III des Berliner Vertrages). Am 30.9.1912 mobilisierten die genannten Staaten gegen die Türkei. Österreich-Ungarn erhöhte den Stand seiner Armee und traf militärische Vorkehrungen. In Russland kam es gleich zu einer „Probemobilisierung“. Am 8. Oktober setzten Wien und St. Petersburg in Konstantinopel einen gemeinsamen Schritt im Auftrag der Großmächte zur Erhaltung des Friedens auf dem Balkan. Der sogenannte erste Balkankrieg brach am gleichen Tag mit der Kriegserklärung Montenegros an das Osmanische Reich aus.

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Generalstabsoffizier der 8. Gebirgsbrigade in Foča, Hptm. Prich168, der schon für das Operationsbüro in Wien in Aussicht genommen war, zu uns einteilen zu lassen. Er war ein sehr tüchtiger, mit einem Bienenfleiß begabter Mann und ein guter Kamerad. Schon etwas früher war von der Geniedirektion in Sarajevo der körperlich sehr kleine, aber hervorragend begabte Hptm. Benda zu uns gekommen, der Merizzis Arbeitsweise sofort erkannte und deshalb nur ungern bei uns tätig wurde. Er entlastete mich durch teilweise Übernahme der vielen von Potiorek-Merizzi gestellten Befestigungsanträge, mit denen er vielfach nicht einverstanden war. Er und ich hatten unsere Bürozimmer unmittelbar nebeneinander  ; sie waren durch eine Tür verbunden. Benda war an Dienstrang und Erfahrung bedeutend älter als ich. Bei Verfassung der befohlenen Neuanträge der Befestigungen von der Bocche di Cattaro, Trebinje, Bileća und Višegrad hatte ich den operativ-taktischen Teil, er die technischen Einzelheiten zu bearbeiten. Ich konnte dabei sehr viel von ihm lernen. Auch ein Intendanturbeamter namens Malczek war zu uns versetzt worden, der vornehmlich die Mobilisierungsarbeiten von Hptm. Prich zu unterstützen hatte. Sehr wichtig tuend und alle sanitären Vorbereitungen für ungenügend erklärend, hatte sich der in Sarajevo irgendwo tätig gewesene jüdische Regimentsarzt Dr. Hochmann169 an Merizzi herangetan. Jedem von uns dichtete er eine Krankheit an, die nur er heilen könne. Während dieser ungebeten zudringliche Mann Benda, Prich, Malczek und mir immer lästiger wurde, verstand er es, sich beim offenkundig hypochondrisch veranlagten Triumvirat Potiorek – Merizzi – Ditfurth nach und nach so unentbehrlich zu machen, dass er schließlich auch zum Armeeinspektor versetzt wurde. Um diese Persönlichkeit gleich fertig zu schildern, sei gesagt, dass er sich im Frieden und Krieg bei Potiorek und später auch bei Erzh. Eugen170 so unentbehrlich zu machen verstand, dass er fast täglicher Gast an dem Tisch dieser Persönlichkeiten wurde. Als ich nach dem Krieg Stabschef der 3. niederösterreichischen Brigade wurde, fand ich diesen Mann als kommunistischen Arzt in Krems wieder. 168 Rudolf Prich (Troppau bzw. Opava, öst. Schlesien, 6.8.1881–  ?), 18.8.1901 aus ArtKSch., 18.8.1901 ausgemustert zu Korpsartrgt.1. Glstbslaufbahn, als Hptm. i.G. 1914 in der Opabtlg. des AOK, 15.7.1916 zum 14. GBrigKdo., 1.8.1916 wieder OpA. AOK, 14.7.1917 Glstbschef 9. ID, Teilnahme an der 12. Isonzoschlacht, 29.7.1918 Vorstand 20. Abt. KM, 1.11.1918 Obstlt., 1.6.1919 pensioniert. 169 Dr. Emil Hochmann (Wien, 29.9.1875–  ?), 8.4.1897 als EF-Mediziner in die Armee eingetreten zu 3. TKJR 1.2.1901 Oberarzt, 5.10.1908 Regimentsarzt, 1910 kommandiert als Sanitätschef des XV. Korps zum Armeeinspektorat in Sarajevo, 29.7.1914 Sanitätsreferent des 5. Armeekdo. 1.11.1914 Stabsarzt, 27.12.1914 Sanitätsreferent 4. Armeekdo., 21.5.1915 des Kdo. d. SW-Front, 25.6.1916 des Heeresgruppenkommandos GO. Ezhg. Eugen. 170 Über Feldmarschall Erzherzog Eugen von Österreich siehe Glaise-Broucek I, S.  148, Anm. 24. Er wurde mit 23.12.1914 Kdt. d. 5. Armee (und damit Nachfolger Potioreks), 26.5.1915 GO und Kdt. d.Südwestfront. Siehe nunmehr auch über ihn  : Robert Rác Fam. OT (ed.), Arcivévoda Evžen Habsburský (1863–1954) velmistr Řádu ňěmeckých rytířů, Sovinec/Eulenburg 2005.

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Alle seine Bestrebungen, sich im Bundesheer eine besondere Position zu erwerben, habe ich verhindert. Später verlor ich diesen Mann aus den Augen. Anderseits gelang es Mjr. v. Merizzi, die unmittelbare Einteilung des GM Böltz als Generalstabschef zum Armeeinspektor zu verhindern und so seine selbständige Stellung und seinen großen Einfluss auf Potiorek ungeschmälert zu erhalten. GM Böltz blieb wohl als Generalstabschef Potioreks für den Kriegsfall designiert, wurde aber für die Friedenszeit zum Kommandanten der 10. Gebirgsbrigade in Sarajevo ernannt. Logisch konnte man erwarten, dass Böltz über alle Arbeiten beim Armeeinspektor laufend und eingehend unterrichtet werden würde, um im Kriegsfall das Amt des Generalstabschefs wohl vorbereitet antreten zu können. Das Gegenteil trat ein  : Merizzi verhinderte nicht nur jede nähere Bekanntschaft zwischen den beiden Generälen, sondern wusste immer auch GM Böltz sehr rasch hinauszukomplimentieren, wenn dieser zur Orientierung unsere Büros betrat. Die Folge war, dass Böltz leider nicht um Enthebung von seiner Kriegsfunktion bittlich wurde, sondern sich in lauter Kritik seiner Behandlung vor jedermann erging, was weder seinem Ansehen, noch jenem des Armeeinspektors und dessen Flügeladjutanten dienlich war. GM Böltz, wie GM Schenk mit einer Russin verheiratet, beklagte sich über seine Behandlung oft bei mir, weil ich der Referent für Grenzschutz und Aufmarsch war. Dies trug ich Merizzi mit der Frage vor, ob sich sein Verhalten gegenüber Böltz vielleicht auf Misstrauen gegenüber Böltz wegen dessen russischer Gemahlin gründe  ; für diesen Fall riet ich ihm, Potiorek doch zur Antragstellung um eine andere Persönlichkeit als Böltz zu veranlassen. Das wollte Merizzi durchaus nicht und meinte, Böltz sei ihm gerade recht, weil er durch seine vierjährige Kommandoführung über ein Infanterie-Regiment dem Generalstab entfremdet sei und ihm weniger dreinreden könne. Ich solle aber Böltz – soweit ich es für notwendig halte – orientieren und ihn ihm vom Leib halten. FML v. Appel, der Kommandant des XV. Korps, war auch ein großer Schimpfer auf das ganze Armeeinspektorat und fing mich an Reitrasttagen, wenn ich am Kai spazieren ging, oft ab, um seinen Missmut an mir zu kühlen. Ich berichtete Merizzi auch davon und bekam von ihm die ihn vielleicht am besten charakterisierende Antwort  : Er wisse vom Schimpfen, werde jedoch diesem und anderen Schimpfern nie direkt entgegentreten, sondern kenne die Wege, wie er diesen Herren hintenherum schaden könne. Darüber erfasste mich ein grenzenloser Ekel vor Merizzi, der in der Folge mit meiner Bewunderung seiner überragenden Geistes- und Gedankenschärfe im Kampf lag und mir so das Dienen in Sarajevo schwer und freudlos machte. Da Conrad inzwischen demissioniert hatte und dessen Nachfolger Schemua171 mir ganz unbekannt und nach 171 Über Blasius Schemua (1856–1920) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 177, Anm. 133. Schemua war vom 3.11.1911 bis 12.12.1912 Chef des Generalstabes.

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seiner Photographie auch unsympathisch war, unterließ ich es, um Wegversetzung vom Armeeinspektor zu bitten. Dagegen orientierte ich Böltz in der Folge über das Wichtigste meiner Arbeiten, was er gern annahm und was nach und nach ein großes Vertrauensverhältnis zwischen Böltz und mir schuf, das in den Krieg hinein währte. Die dauernden Nachrichten über serbische und montenegrinische Mobilisierungen veranlassten Potiorek zur wiederholten Antragstellung, auch seine ö.-u. Streitkräfte zu mobilisieren. Wenn auch die Nachrichten sich immer mehr verdichteten, dass der Balkanbund gegen die durch Revolution und unfertige Verwaltungsänderungen der Jungtürken geschwächte Türkei losschlagen wolle, so konnte man bei der feindlichen Stimmung Serbiens nicht wissen, ob und wann sich diese Kräfte auch gegen Bosnien wenden würden. Den Anträgen wurde Folge gegeben, und es begann auf der einzigen schmalspurigen Eisenbahn der langwierige Antransport der Reservisten, was für uns mit der Unterbringung und Versorgung dieser Massen eine große Mehrarbeit erbrachte. Inzwischen waren die Armeen des Balkanbundes gegen die Türken losgebrochen, die sie nach schweren Kämpfen durch Serben, Montenegriner und Griechen aus ganz Makedonien warfen und Saloniki eroberten. Die gegen Konstantinopel vordringenden Bulgaren gelangten fast in einem Zug bis Adrianopel, das sie aber nicht erobern konnten  : Dort hatten sich die türkischen Kräfte zu unüberwindlichem Widerstand festgesetzt.172 Von diesen Kriegsereignissen wurden wir unmittelbar nur durch den Übertritt eines türkischen Infanterie-Regimentes nach Bosnien betroffen, das aus dem Sandschak Novi Bazar von Serben und Montenegrinern herausgedrängt keinen Anschluss an die türkische Armee mehr finden konnte. Ich war zu den Übergangsverhandlungen entsendet worden, die keinerlei Schwierigkeiten bereiteten. Das Regiment wurde ent172 Nach der Kriegserklärung verdrängte der Balkanvierbund in einem kurzen Feldzug die Türkei aus fast ganz Europa. Die Türken wurde von den Bulgaren bei Kirk Kilisse und Lüle Burgas, von den Serben bei Kumanovo geschlagen. Usküb, Saloniki, Janina, Skutari (heute Shkodra, Albanien) und Adrianopel (türkisch  : Edirneh) fielen in die Hände der Verbündeten (Adrianopel wurde zwar lange gehalten, aber dann doch von den Türken geräumt und von den Bulgaren besetzt). Am 1.5.1913 wurde Waffenstillstand geschlossen, die türkische Herrschaft auf dem Balkan war also zusammengebrochen und damit auch das auf Erhaltung des Osmanischen Reiches ausgerichtete System Österreich-Ungarns. Schon am 4. November 1913 gab es eine französisch-russische Vereinbarung, jeder Gebietserweiterung einer Großmacht auf dem Balkan entgegenzutreten. Österreich-Ungarn hatte sich geweigert, einer von Frankreich, Großbritannien und Russland vorgeschlagenen Erklärung des „Desinteressements“ der Großmächte an der Balkanfrage beizutreten. Andererseits kam es am 5. Dezember 1912 zur (wie sich später zeigen sollte) letzten Erneuerung des Dreibundes und dabei gleichzeitig zu einer Anerkennung der durch den Italienisch-Türkischen Krieg geschaffenen Gebietsveränderungen durch die beiden Bündnispartner (also Libyen und türkische Inseln in der Ägäis an Italien).

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waffnet und über Sarajevo in die Monarchie abtransportiert. Das Aussehen und die Haltung des Regimentes waren gut. Der unerwartet rasche Erfolg des Balkanbundes rief bald die großen Mächte zur Friedensstiftung zwischen ihm und der Türkei auf. Sie gelang auch verhältnismäßig leicht, da die Türkei bald zum definitiven Verzicht auf die verlorenen Gebiete zu bewegen war. Sehr viel schwieriger waren aber die Teilung der Beute innerhalb des Balkanbundes und die Durchsetzung der ö.-u. Forderung nach Schaffung eines unabhängigen Albaniens, das den Serben den erstrebten freien Zugang zur Adria verwehren sollte.173 Diese ö.-u. Politik war und blieb mir ganz unverständlich  : Unsere kroatisch-dalmatinische Küste war ganz von Kroaten und Serben bewohnt, die ein hervorragendes Personal für unsere Marine waren und auch im dalmatinischen Inf. Rgt. 22 nie Anlass zur Klage gaben. Außer Montenegro, das aus dynastischem Interesse für Italien Sympathien hatte (eine montenegrinische Prinzessin war italienische Königin), standen die südslawischen Völker schon seit der venezianischen Herrschaftszeit gegen die Italiener.174 Meinem Denken nach hätte ein Heranlassen Serbiens an die Adria den widerlichen Anspruch der Italiener „Adriatico mare nostro“ weit mehr getroffen als uns. Ein Königreich Albanien hielt ich weit mehr im italienischen als in unserem Interesse gelegen. Doch dazu hatten wir nichts zu sagen  ; die Politik wurde vom Außenministerium in Wien geleitet. Unsere Aufgabe war lediglich, den von der Politik gesäten Hass mit ungenügenden Mitteln zu ernten. Der um die Teilung der Beute innerhalb des Balkanbundes ausgebrochene Streit, in den sich noch Rumänien mit dem Verlangen nach der von den Bulgaren eroberten Dobrudscha mengte, schloss eine Bedrohung der Monarchie aus, so dass die kostspielige Standeserhöhung unserer Truppen wieder rückgängig gemacht werden konnte.175 173 Vom 17. Dezember 1912 bis 11. August 1913 tagte in London eine Botschafterkonferenz zur Regelung der durch die Balkankriege aufgeworfenen Streitfragen. Hauptproblem waren die neuen Grenzen Bulgariens und Serbiens (Makedoniens) sowie die geplante Errichtung eines selbstständigen Staates Albanien. Denn sowohl Österreich-Ungarn als auch Italien widersetzten sich der serbischen Forderung nach direktem Zugang zum Adriatischen Meer und traten für ein albanisches Staatswesen bis zur griechischen Grenze ein. Die Konferenz stimmte der Schaffung Albaniens zu und wollte Serbien ein Benützungsrecht an einem albanischen Hafen und an einer dorthin zu bauenden Eisenbahnlinie gewähren. 174 Der Sohn des italienischen Königs Humbert (Umberto) I. und der Königin Margarete von Savoyen, 1869 in Neapel geboren, heiratete 1896 Elena, die Tochter des montenegrinischen Fürsten Nikita. König Viktor Emanuel II. trat im Jahre 1900 die Nachfolge seines in Monza ermordeten Vaters an. 175 Über die Verteilung der Beute brach zwischen den Verbündeten im 1. Balkankrieg ein Streit aus und es wurde ein Rumänisch-serbisch-griechisches Angriffsbündnis geschlossen, das am 8. Juli 1913 an Bulgarien den Krieg erklärte. Bulgarien brach bald und trotz einer Intervention des k. u. k. Außenministers Graf Berchtold zusammen. Am 21. Juli griffen türkische Truppen ebenfalls gegen die Bulgaren ein und eroberten Adrianopel zurück. Am 21. Juli wurden durch die Londoner Botschafterkonferenz Friedensverhandlungen eingeleitet, die zum Frieden von Bukarest am 10. August 1913 sowie zum

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Der Herbst 1912 brachte nebenbei für mich zwei freudige Ereignisse  : Mein Bruder Heinrich hatte geheiratet und machte seine Hochzeitsreise über Sarajevo und Ragusa– Spalato–Triest. Ich konnte ihn gut im Hotel Europe unterbringen, ihm aber im Drang der Amtsgeschäfte nur wenig Gesellschaft leisten. Zwei schöne wertvolle Perserteppiche hatte ich ihm als Hochzeitsgeschenk schon früher gesendet. Die Familie Lettner, aus der er seine Frau erwählt hatte, war ihm durch mich bekannt geworden, da ich mit dem Bruder seiner nunmehrigen Frau vier Jahre gemeinsam in guter Kameradschaft in der Kadettenschule verbracht hatte. Seine Frau Wilma lernte ich erst in Sarajevo kennen.176 Das zweite für mich sehr bedeutsame Ereignis war meine am 1. November erfolgte Beförderung zum Hauptmann bei gleichzeitig definitiver Übernahme ins Generalstabskorps. Damals zählte ich 28 Jahre und dreieinhalb Monate und hatte dieses von vielen so heiß erstrebte Ziel als jüngster meines Kriegsschuljahrganges erreicht. Große Freude empfand ich über die Anerkennung, welche mein ehrliches Bemühen, aus mir das Beste für den kaiserlichen Dienst herauszuholen, in vielseitigsten Prüfungen gefunden hatte. In diese Zeit waren auch die vielen Besprechungen mit Merizzi über die operative Bereitstellung der Truppen unseres Befehlsbereiches für den Fall eines serbischen Einbruches nach Bosnien mit dem Ziel einer Eroberung Sarajevos gefallen. Grundgescheit vertrat Merizzi im Gegensatz zu vielen anderen Auffassungen die Meinung, dass gegenüber Montenegro nur ein Minimum (etwa in der Bocche di Cattaro die 14. Gebirgsbrigade) und im Raum Nevesinje-Avtovac die 3. Gebirgsbrigade zu belassen wäre. Alle anderen Truppen des XVI. Korps wären nach Bosnien an jene des XV. so heranzuziehen, dass sie um das Hochplateau der Romanja planina gruppiert würden. Da diese Versammlung mit der Bahn über Mostar-Sarajevo viel Zeit erfordere, solle man nicht nervös werden, sondern Višegrad notfalls freigeben und die eingebrochenen Serben in einer Einkreisungsschlacht um Rogatica-Sokolac vernichten. Tatsächlich kam es dann im Krieg – allerdings unter anderen Bedingungen – zu einer Schlacht auf der Romanja planina, in der etwa 20 über Višegrad eingebrochene serbische Bataillone geschlagen und aus Bosnien vertrieben wurden. Doch darüber später. Friedensschluss zwischen Bulgarien und der Türkei am 29. September 1913 führten. Der Südteil der Dobrudscha mit Silistria gelangte an Rumänien, Makedonien gelangte zum größten Teil an Serbien, Adrianopel schließlich wieder an die Türkei und Kreta, Saloniki und Kavalla an Griechenland. Albanien sollte ein Fürstentum mit den Städten Skutari, Durazzo (Durresi) und Valona (Vlora) werden. In der Folge dieser Ereignisse fand einer Annäherung Bulgariens an die Donaumonarchie statt und eine wesentliche Abkühlung des Verhältnisses des Habsburgerreiches zu Rumänien. Trotzdem wurde das österreichisch-ungarische-deutsche Defensivbündnis mit Rumänien am 8. Juli 1913 erneuert. 176 Karl Lettner (Mauthausen, OÖ, 28.10.1881–  ?), 18.8.1903 ausgemustert als KOffzStellv. aus der IKSch. Wien zum IR 30, 1.5.1904 Lt., 1.6.1907 zu UR 4, 1.11.1915 Rtm., 1917 noch Schwadronskdt. beim Rgt.

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Jedenfalls wurde in dieser Zeit mit den Arbeiten für eine planmäßige Heranführung des XVI. Korps im Kriegsfalle in den Raum bei und südöstlich Sarajevos begonnen. Diese Aufgabe in Zusammenarbeit mit dem Eisenbahn-Linienkommandanten in Sarajevo oblag mir. Ende 1912 musste ich nach Wien zu einer vom Evidenzbüro des Generalstabes einberufenen Besprechung aller Nachrichtenoffiziere. Man hörte da allerlei Interessantes. Mein Hauptanliegen war aber, die Neueinteilung eines eigenen Nachrichtenoffiziers zum Armeeinspektor zu betreiben, weil ich diese, mir übrigens auch gar nicht liegende Arbeit neben meinen vielen anderen Aufgaben nicht zufrieden stellend leisten konnte. So wurde der schon etwas ältere Generalstabsoffizier Hptm. Brož zu uns eingeteilt, der die gesamte Nachrichtenerbringung und die Spionageabwehr übernahm. Brož war Kroate, beherrschte die südslawischen Sprachen vollkommen und entsprach sehr gut  ; obendrein war er ein guter Kamerad. Um diese Zeit hatte auch, nach dem Tode des Außenministers Baron Aehrenthal, FM Conrad wieder die Leitung des Generalstabes übernommen. Die gesteigerten Arbeiten, welche durch die Standeserhöhungen bedingt waren, hatten Merizzi veranlasst zu seiner Entlastung um die Einteilung eines zweiten Stabsoffiziers zu bitten. Es kam da ein Mjr. v. Fritsch177, welcher jedoch, mit den Verhältnissen in Bosnien-Herzegowina und Dalmatien gänzlich unvertraut, bald wieder nach Wien zurückversetzt wurde. Sein Nachfolger, ein Mjr. Krajcsa, konnte sich auf die Dauer mit Merizzi nicht verstehen. Endlich wurde in Mjr. Wachtel,178 177 Wilhelm v. Fritsch (Theresienstadt, tsch. Terezin, Böhmen, 9.2.1875–20.1.1972, Purkersdorf bei Wien), 30.9.1893 als EF zum IR 7, 15.10.1895 als Unteroffizier übersetzt in den Berufsstand, 1901 Oblt., ab 1.11.1901 Glstbslaufbahn, 30.5.1911 transferiert zum Armeeinspektor FZM Potiorek, 1.11.1912 Mjr. i.G, 25.8.1913 transferiert zum I. KKdo., 1.6.1915 Obstlt.i.G, 8.11.1916 Glstbschef XXIII. Korps, 1.3.1917 enthoben und zugeteilt dem Vorsitzenden des Gemeinsamen Ernährungsausschusses, 1.8.1917 Obst.i.G. und zugeteilt der Intendanz des Milkdo. in Krakau, 24.9.1918 ernannt zum Glstbschef des Inspizierenden der k. u. k. Truppen an der Westfront, 1.3.1919 pensioniert. 178 Wilhelm Wachtel (Czernowitz,26.06.1876–39.9.1950, Wien), Advokatensohn, 18.8.1898 i.G, Glstbslaufbahn, ab 1907 im Technischen Militärkomitee,1.11.1909 transferiert ins Kriegsarchiv als Konzipient in der Kriegsgeschichtlichen Abt., 1.12.1912 als Mjr.i.G.versetzt zum Armeeinspektor in Sarajevo als 2. Stabsoffizier, 6.9.1913 Lehrer des operativen Generalstabsdienstes an der Kriegsschule, ab Juli 1914 Leiter der materiellen Gruppe beim 6. AKdo., 1.12.1914 außer der Rangtour zum Obstlt. befördert, dann ab Mai 1915 beim Kdo. der Südwestfront, ab Sept. 1915, Leiter des 6. Etappenkdos bzw. sodann der Quabt. 6, Nov. 1916 Vertreter des AOK beim k. k. Ernährungsamt, gleichzeitig Aufstellung einer neuen Abteilung im KM und „Einleitung der wirtschaftlichen Ausnützung Rumäniens“ ab 15.4.1917 Truppendienstleistung als Kdt. des AIR 17 an der Front, 1.8.1917 Obst.i.G, 21.1.1918 Vorstand der 10. Abt./KW [Kriegswirtschaft] im KM, 30.6.1921 pensioniert. Sodann Studium der Technik mit dem Grad eines Dipl.-Ing. abgeschlossen. Bis 1942 Auszahlung einer Militärpension vom Versorgungsamt Wien, aber ansonsten Erwerbsverlust von 70 % als Bürger „Jüdischer Abstammung und Angehöriger der

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ein gescheiter, fachlich kompetenter Stabsoffizier gefunden, der sich bei Merizzi und später auch bei FZM Potiorek gut einschmeicheln konnte, dessen Einfluss aber, besonders nach dem noch zu beschreibenden Ausfall Merizzis, verderblich war. Zur Unterstützung von Hptm. Prich kam Hptm. Fritz Bauer179 zu uns, womit das Büro des Armeeinspektors bis zum Kriegsausbruch personell gesättigt war. Prich wurde noch vor Kriegsbeginn versetzt und Bauer dann selbstständiger Mobilisierungsreferent. Im Balkanbund konnte man sich über die Teilung der Beute des Krieges gegen die Türkei nicht einigen. Der Streit um Makedonien, das die Bulgaren ebenso für sich beanspruchten wie die Serben, Montenegriner und Griechen, führte zu offenen Feindseligkeiten unter den Verbündeten. In der Schlacht an der Bregalnica in Südmakedonien wurden die Bulgaren von ihren drei anderen Verbündeten geschlagen. Dazu rückten in das von Truppen ganz entblößte Bulgarien noch die Rumänen ein, um die Dobrudscha zu gewinnen. Damit war einerseits unter den Balkanstaaten eine unüberbrückbare Feindschaft entstanden, andererseits war Serbiens Selbstbewusstsein durch die großartigen Erfolge seiner Armee gegen Türken und Bulgaren und den ungeheuren Landerwerb in Makedonien gewaltig gestiegen. Das bisherige bloß zweieinhalb Millionen zählende Serbien war um weitere zwei Millionen Menschen und territorial um mehr als das doppelte größer geworden. Der offene Ausdruck seiner Feindschaft gegen Österreich-Ungarn wurde noch dreister, was sich auch auf das Verhalten der bosnisch-herzegowinischen Serben auswirkte, die dem Landeschef das Regieren immer schwieriger machten. Die serbische Presse dies- und jenseits der Grenze bezeichnete unverblümt die Monarchie als nächsten niederzuschlagenden Feind. Unter diesen Umständen kam der stärkeren Sicherung unserer Grenze gegen Serbien auch im Frieden immer größere Bedeutung zu. An der Grenze waren zu Berliner Jüdischen Kultusgemeinde mit dem Namen Wilhelm Israel Wachtel. Antrag auf Auswanderung nach Brasilien, 1941 vom OKW befürwortet, von der Geheimen Staatspolizei erst 1942 bewilligt, Niederlassung bis nach 1946 in Porto Alegre, 5.1.1948 Eintreffen in Wien, ab 1.4.1948 wieder Ruhegenuss, lebte sodann im „Greisenheim“ in der Gentzgasse in Wien, XVIII. Bezirk. 179 Friedrich Bauer (Wien, 4.5.1882–5.4.1971, Wien) 18.8.1901 aus der IKSch. Wien zum 1. TKJR ausgemustert, ab 1.5.1912 Hptm.i.G. und Glstbskarriere, 12.7.1913 zugeteilt dem Armeeinspektorat in Sarajevo, 25.7.1914 zugeteilt dem 6. Armeekdo., 26.4.1914 zum Kdo. FML. Šnjarić, 15.12.1914 beurlaubt, 4.4.1915 Glstbschef 59.ITD., 2.4.1916 zum Festungskdo. Sarajevo, 9.8.1916 zum Küstenschutzkdo. FML. Andrian, 8.11.1917 zum KKdo. Brgat (Dalmatien-Süd), 2.12.1917 zum Pressereferenten des AOK, 1.5.1917 Mjr.i.G. und Chef der Radioleitung der OpA/AOK, 10.11.1918 zugeteilt dem Landesbefehlshaber für NÖ der Dö. Volkswehr, 1.12.1920 eingeteilt zum 2. BrigKdo., 2.10.1921 zugeteilt dem BMfHw./5. Abt, 23.6.1923 Obstlt., 1.4.1928 Leiter d. Heeresverwaltungsstelle Nö, 24.6.1929 GM, 31.7.1931 Ruhestand.

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wenig Gendarmerieposten. Der bosnische Finanzgewaltige, Sektionschef Prilesky, bewilligte wohl eine beträchtliche Vermehrung der Zollwache so wie deren bessere Ausrüstung und Bewaffnung, aber auch das erschien zu wenig. Die Aufstellung einer eigenen Grenzwachtruppe war notwendig geworden. Deren Aufstellung fiel in mein Arbeitsgebiet. Der errechnete Bedarf entlang der Drina und weiter bis zur Bocche di Cattaro wären 6 kriegsstarke Bataillone gewesen  ; die dauernde Verweigerung eines erhöhten Rekrutenkontingentes machte bloß die Aufstellung von 6 Kompanien mit einem Stand von je 130 Männern möglich, und selbst diese – zusammen bloß 780 – mussten durch die schäbigsten Maßnahmen aufgebracht werden  ; indem man den Militärbeamten die ihnen für die Dauer ihrer Garnisonierung in Bosnien- Herzegowina seinerzeit bewilligten Offiziersdiener nahm und den ohnedies unzureichenden Stand jedes Infanteriebataillons um je 2 Mann pro Kompanie kürzte. An Offizieren für diese neue, als Rückhalt für die Grenzgendarmerie- und Zollwacheposten dienende Truppe herrschte kein Mangel. Es meldeten sich freiwillig mehr schneidige Offiziere als nötig. Als Unterkünfte konnten anfangs nur Holzbaracken dienen. Die Dienstvorschrift für diese Truppe arbeitete aufgrund der Entwürfe von FML v. Appel, der Arbeiten des Gendarmeriekommandanten Obst. Šnjarić (einem prachtvollen Typ alter „Grenzeroffiziere“)180 und meiner Vorstudien der neu ernannte Inspektor der Grenzjägertruppe, GenStabObst v. Droffa181, aus. Die Grenzjägertruppe wurde im Krieg zu Bataillonen ausgebaut und leistete in Bosnien nach dem Rückzug der Armeen Potioreks aus Serbien Ende 1914 hervorragende Dienste. Als Manöver für das Jahr 1913 hatte FZM Potiorek ein Begegnungsgefecht zweier, aus jedem der beiden Korpsbereiche zu bildenden kriegsstarker Gebirgsbrigaden auf der Hochfläche von Ulog Obruja gewünscht, was mir viel zusätzliche Arbeit bereitete. Bei diesem Manöver hatten wir dann das Unglück, dass während eines Gewitters der Blitz in die marschierende Kolonne der Südpartei einschlug und vier brave Soldaten tötete. Vorher hatten wir aber noch eine Gesamtmobilisierung beider Korps zu bestehen, weil Serbien sich weigerte, seine nach dem Balkankrieg bis an die Adria vorgedrungenen Truppen zurückzunehmen und den neuen Staat Albanien anzuerkennen, wie 180 Über Lukas Šnjarić (1851–1930) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 510, Anm. 700  : Šnjarić war Sohn eines Grenzers und Truppenoffizier, 23.10.1909 Gendarmeriekorpskdt. In Bosnien-Herzegowina im Weltkrieg ab 1915 Divisionär, 1.5.1918 GdI., 9.10.1918 Militärkdt. in Agram, 11.1.1919 pensioniert. 181 Heinrich R. v. Droffa ( Jičín, Böhmen, 26.10.1868–  ?), 1.9.1888 aus Theres. Milakad. als Lt. zum IR 88, ab 1.5.1896 Glstbslaufbahn als Hptm. im Techn. Militärkomitee, 1.5.1908 Obstlt.i.G, 28.3.1911 zugeteilt 11.GBrig, 1.5.1911 Obst. im IR 45, 1.3.1915 GM und Inspizierender der Grenzjägertruppe sowie Kdt. 16.GBrig., 15.9.1918 FML.

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es nach langen Verhandlungen die Europäischen Mächte über Antrag ÖsterreichUngarns bestimmt hatten. Der Kriegsausbruch stand damals auf Messers Schneide. Nur weil die offenkundige Kriegsrüstung der späteren Entente-Staaten (EnglandFrankreich-Russland) erst 1916 ein befriedigendes Ausmaß erlangen konnte (wie wir heute wissen), zwang Russland schließlich Serbien zum Nachgeben. Wir auf dem Balkan wussten jedoch alle, dass der Krieg Serbiens gegen die Monarchie unabwendbar war und nach der ganzen politischen Lage nicht wir, sondern Serbien den ihm genehmen Zeitpunkt wählen würde. Die Truppen und Stäbe hatten durch die Standeserhöhung 1912 und die Mobilisierung 1913 viel gelernt. Die Monarchie aber hatte dadurch enorme Ausgaben gehabt, die für eine bessere Ausrüstung und Bewaffnung der Armee glücklicher angebracht gewesen wären als für solche politischen Demonstrationen. Ich bekam damals den Ausdruck der Kaiserlichen „Allerhöchsten Zufriedenheit“ (Signum laudis) verliehen und einen kurzen Urlaub, den ich zu einer Reise auf einem Küstenfrachtschiff entlang Dalmatiens benützte. Es war das die erste und auch einzige Erholungsreise meines Lebens  ; die Erinnerung an dieses prachtvolle Küstenund Inselland ist mir bis heute lebendig geblieben. Nach meiner Rückkehr traf auf irgendeinem Weg die Anfrage ein, ob ich nach Wien ins Etappenbüro des Generalstabes eingeteilt werden möchte. Aus meiner Dienstbeschreibung, die Merizzi mir jedes Jahr zu lesen gab, wusste ich, dass ich besonders für das Operationsbüro empfohlen wie auch für den Posten eines Militärattachés sehr geeignet beschrieben war. Meine Dienstaltersklasse im Operationsbüro war bereits berücksichtigt worden, wobei ich wegen der Unabkömmlichkeit in Sarajevo ausgefallen war, und weder die Garnisonierung in Wien, noch der Aufgabenkreis des Etappenbüros erschienen mir bei aller seiner Bedeutung erstrebenswert. Also dankte ich für das Angebot und bat, mich noch ein Jahr in Sarajevo zu belassen  : Meine Aufmarsch- und Grenzschutzaufgaben, besonders die Aufstellung der Grenzjägertruppe, wollte ich noch zu Ende bringen. Die politischen Verhältnisse in Bosnien-Herzegowina verschlechterten sich immer mehr. Der Glaube, dass diese Länder dauernd bei der Monarchie bleiben könnten, wurde von den In- und Auslandsserben immer schärfer bekämpft. Die Abgeordneten des Landtages machten diesen arbeitsunfähig und insultierten sogar den Landeschef bei dessen Versuch, den Sabor (Landtag) arbeitsfähig zu machen. FZM Potiorek sann nun nach Mitteln, um diese vergiftete Stimmung auszugleichen. Also vertrat er unter anderen auch die Meinung, dass ein Besuch des Thronfolgers in Bosnien, ähnlich wie kurz nach der Annexion der Besuch Kaiser Franz Josephs in Sarajevo, auf die Bevölkerung, besonders die Muslime, einen tiefen, die serbischen Losreißungsbestrebungen beeinträchtigenden Eindruck machen würde.

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Als ich das erste Mal von dieser Idee hörte, war ich entsetzt, den Thronfolger in ein politisch so unruhig gewordenes Land zu rufen. Ob der Gedanke des Besuches vom Thronfolger selbst ausgegangen war und etwa gelegentlich einer Reise Potioreks nach Wien erörtert worden war, habe ich nicht erfahren. Jedenfalls ist im Laufe des Frühjahrs 1914 eine Reihe solcher Anträge vom Feldzeugmeister gestellt worden. Ich verfolgte diese meist von Potiorek oder Merizzi eigenhändig geschriebenen Konzepte mit Missbehagen. Meine Bedenken wurden aber geringer, als ich in persönlichen Aussprachen mit den langjährigen Kennern der Verhältnisse, FML v. Appel und GM Šnjarić, hörte, dass auch diese den Besuch des Thronfolgers für notwendig hielten. Auch der von mir sehr geschätzte, meist skeptische Generalsstabschef des XV. Korps, Obst. Mihaljević, war der Meinung, dass da, wo es sich um den Bestand der Monarchie handle, die Dynastie sich exponieren müsse. Schließlich einigte man sich darauf, dass der Thronfolger als Generaltruppeninspektor einem Manöver beiwohnen und anschließend die ihm unbekannte Stadt Sarajevo besuchen sollte, nicht als Vertreter des Kaisers, sondern eben nur als höchster militärischer Funktionär. Da der Erzherzog mit Gefolge in den schönen Hotels von Bad Ilidže, also außerhalb des Stadtgebietes, Wohnung nehmen sollte, war seine persönliche Sicherheit durch die ausgezeichnete bosn.-hzgow. Gendarmerie und die Truppen des Heeres gewährleistet. Der Erwägung, den Sicherheitsdienst auch in Sarajevo selbst dem Heer und der Gendarmerie zu übertragen, wurde nicht stattgegeben, um die Bevölkerung der autonomen Stadt mit eigener Polizei nicht zu verletzen. Wie sich zeigte, war diese Rücksichtnahme des Landeschefs berechtigt  ; denn das unglückselige Attentat wurde nicht von Bewohnern der Stadt begangen oder gefördert. Die Mörder wurden von der militärpolitischen, geheimen Organisation der „Schwarzen Hand“ ausgebildet und vom Königreiche Serbien mit Duldung durch den serbischen Ministerpräsidenten Pašić182 über die zu wenig bewachte Drina eingeschmuggelt. Hier rächte es sich eben, dass aus Geld- und Rekrutenmangel die Grenzjägertruppe anstatt Bataillonen nur Kompanien hatte. Diese Tatsache widerlegt auch den nachträglich behaupteten Unsinn, dass das Attentat wegen des Besuches Sarajevos am Vidovdan, dem großen serbischen Feiertag, erfolgt sei, auf den man beim Armeeinspektor vergessen hätte. Der Zeitpunkt der Reise des Thronfolgers war im Einvernehmen mit dessen Militärkanzlei erfolgt. Der Besuch Sarajevos 182 Nikola Pašić (Zaječar, Ostserbien, 18.12.1845–10.12.1926, Belgrad), Bauernsohn, Studium des Bauwesens an der TH Belgrad und vor allem der TH Zürich, 1869 Mitbegründer der Radikalen Partei in Serbien, seit 1878 Abgeordneter zum Parlament, 1889 Parteiführer, 1891–1892, 1904–1905, 1906–1908, 1909–1911, 1912–1918 serbischer Ministerpräsident, 1918, 1921–1924, 1924–1925 Ministerpräsident Jugoslawiens.

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am serbischen Nationalfeiertag konnte auch als besondere Aufmerksamkeit für das Serbentum aufgefasst werden, da ja von Erzh. Franz Ferdinand allgemein bekannt war, dass er für die südslawischen Völker besondere Sympathien hege. Das Attentat und dessen Vorgeschichte ist übrigens im Buch „Apis und Este“ von Bruno Brehm so zutreffend geschildert, dass ich hier ausdrücklich darauf aufmerksam mache.183 Mitte Januar 1914 reiste Potiorek im Rahmen eines Generalkriegsspieles, das in Sarajevo begonnen hatte, nach Ragusa. Da das Kriegsspiel (der technisch richtige, aber dem Laien nichts sagende Titel dieser Tätigkeit lautete „Generalsreise“) auch in mein Ressort fiel, hatte ich ihn zu begleiten. Seine hohen geistig-militärischen Fähigkeiten wurden bei der Leitung und Schlussbesprechung sinnfällig wahrgenommen und allgemein anerkannt. Nach Beendigung lud der Kommandant des XVI. Korps, FML Wenzel Wurm184, alle Generäle und die Begleitung Potioreks, also auch mich, zu einem festlichen Abendessen, bei welchem die in Ragusa garnisonierenden Herren mit ihren Damen erschienen. Der Beginn verzögerte sich unangenehm lang  ; wir alle waren nach der harten Tagesarbeit müde und hungrig. Offenbar stimmte es in der Küche nicht, was aber Wurms verhältnismäßig junge Gemahlin nicht zu belasten schien. Sie hielt in bester Laune Cercle. Dagegen sah ich Potiorek schon von einem Bein aufs andere treten, und auch Wurm war sichtlich nervös geworden. Endlich, ich denke es wird schon nach 9h gewesen sein, wurden die Türen in den Speisesaal geöffnet und man nahm Platz. Und nun ereignete sich ein außerordentlich peinlicher Fall  : Als der für die Bedienung der Tafelmitte bestimmte Diener mit einer riesigen Metallschüssel, auf der ein großer Fisch lag, in den Saal kam und in der rechten Hand eine Sauciere mit gelber Butter balancierte, rutschte er am festlich gebürsteten Parkett aus. Ohne dass er selbst gestürzt wäre, glitt ihm der große Fisch von der Platte und landete wie ein Torpedo zwischen Hausfrau und Potiorek. Beide blieben vollkommen ruhig, obwohl die Toilette der Hausfrau und die Hose Potioreks einiges abbekamen. Ein anderer Diener eilte vom Tafelende sofort zur Unglücksstelle, um mit seiner Platte, von der ich mir gerade einen guten Bissen genommen hatte, Ersatz anzubieten. Wir Jüngeren schmunzelten natürlich über den peinlichen Vorfall, von dem aber bei und nach der Tafel in wohlerzogener Beherrschtheit kein Wort gesprochen wurde. Die arme Hausfrau tat uns natürlich leid. Ihr Gemahl hingegen gewann bald seinen Hu183 Bruno Brehm, Apis und Este. So fing es an, München 1931, S. 388 ff. Die wissenschaftliche Bearbeitung der Vorgeschichte und der Geschichte der Attentate nunmehr bei Friedrich Würthle, Die Spur führt nach Belgrad. Die Hintergründe des Dramas von Sarajevo 1914, Wien/München/Zürich 1978, besonders, S. 11–17. 184 Über Wenzel Frh. v. Wurm (1859–1921) siehe Glaise-Broucek I, S. 506, Anm. 687; Wurm war vom 1.2.1914 bis 14.7.1914 Kdt. des XVI. Korps.

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mor wieder. Er führte später sein Korps in Serbien und nachher am Isonzo mit großem Erfolg und beendete den Weltkrieg 1918 am südlichen Isonzo als Generaloberst. Leider verstarb GO Wurm an Zungenkrebs, seine Frau erhängte sich. Nach Sarajevo zurückgekehrt, lag das Schwergewicht meiner Arbeit in der ersten Hälfte des Jahres 1914 auf dem Entwurf und der Detailausarbeitung der Manöver, für die ja nur die mäßig verkarstete, mit Wald und Wiesen bestandene Gegend um den Ivan-Sattel infrage kam. Für das Manöverhauptquartier bot sich der kleine Ort Tarcin an, in dem Holzbaracken aus bereitliegenden Fertigteilen rasch aufzustellen waren. Ich war nun wieder viel draußen, um sowohl das geplante Kampfgelände, als auch die Versorgungsmöglichkeit der großen Truppenzahl (4 Infanteriedivisionen) namentlich mit Wasser festzustellen. Alles andere bereitete keine Schwierigkeiten, da die über den wasserscheidenden Ivan-Sattel führende Bahnlinie den Nachschub sowohl von Sarajevo, wie von Mostar aus leicht ermöglichte. Vom XV. Korps sollte aus Sicherheitsgründen die 11. Gebirgsbrigade an der unteren Drina stehen bleiben, so wie vom XVI. Korps die 14. Gebirgsbrigade in der Bocche die Cattaro. Mit Frühjahrsbeginn erbat ich, dass Potiorek und Merizzi meine Entwürfe im Gelände überprüfen und endgültig billigen mögen. Dem wurde zugestimmt und wir fuhren an einem schönen Frühjahrstag mit Potioreks Auto hinaus. Die Automobile waren damals noch nicht so bequem gebaut wie heute. Neben dem Fahrer saß präpotent der Personaladjutant Ditfurth, im Fond des Wagens platzierten sich Potiorek und Merizzi. Ich musste den Hilfssitz vor Merizzi benützen, was den Feldzeugmeister zur unwilligen Äußerung veranlasste, man sei im Auto sehr gedrängt  ; sogleich fragte ich Potiorek, ob ich nicht besser die Bahn benützen sollte, die mich ja bis Mittag auf den Ivan-Sattel brächte  ; er verneinte mit dem Beifügen, so wäre sein Unwille über den engen Raum im Wagen nicht gemeint gewesen. Also fuhren wir los. Im Manövergelände dirigierte ich den Wagen, soweit es ohne Gefahr für diesen möglich war, auch abseits der Straße an die verschiedenen Aussichtspunkte und erläuterte den Anmarsch der Parteien und die zu erwartenden Kampfbilder, die sich am ersten und zweiten Manövertag ergeben würden. Hierzu nahm nur Merizzi ab und zu das Wort und verlangte die Vereinfachung der Aufträge für die beiden Parteien auf die lapidare Aufgabe für das XVI. Korps, einfach nach Sarajevo zu marschieren, wogegen das XV. Mostar zu erreichen hätte. Das konnte ohne Weiteres geschehen. Potiorek sprach kein Wort, folgte aber meinen Ausführungen sehr aufmerksam und sah sich im Gelände gut um. Als ich gegen Mittag meldete, dass ich mit meinem Vortrag zu Ende sei, servierte uns Ditfurth aus dem Auto einen Imbiss, der schweigend verzehrt wurde. Erst knapp bevor wir zur Rückfahrt das Auto bestiegen, sagte Potiorek zu mir  : „Ja, hier kann man raufen  ; es ist gut.“ Das war alles.

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In den nächsten Tagen konnte ich nun die notwendigen Eisenbahntransporte mit dem Linienkommandanten durcharbeiten, die Entwürfe in Reinarbeit ausfertigen und an die Militärkanzlei des Thronfolgers, an jene des Kaisers, an den Chef des Generalstabes und das Kriegsministerium absenden lassen. Alle Papiere hatten die Unterschrift Potioreks glatt erhalten. Die Sicherungsmaßnahmen für das erzherzogliche Quartier in Ilidže und die Absperrung des Manövergeländes gegen gefährliche Elemente übernahm die Gendarmerie aufgrund unserer Manöverentwürfe. Eine sehr lästige Verhandlung ergab sich mit dem Reiseleiter, der, vom Hofstaat des Erzherzogs kommend, die Unterkünfte in Bad Ilidže besichtigte und einen Sack voll unerwarteter Wünsche äußerte, wie mehr Badezimmer für die Dienerschaft, da der Erzherzog sehr geruchsempfindlich sei und einen ungebadeten Diener nicht vertrage  ; besondere Belichtung und Verdunkelung für Toilette, Bade- und Schlafräume usw. Mit allen diesen Wünschen konnte ich ihn schließlich an die Baubehörden der Landesregierung weisen, die nach mehrfachen Rücksprachen großes Entgegenkommen zeigten, weil ja dadurch effektive Werte für die Hotelbetriebe geschaffen wurden. Eine Forderung musste ich allerdings selbst durchkämpfen  ; das war das Verlangen nach einer klaglosen Telefonverbindung von Ilidže nach Konopischt in Böhmen, weil die erzherzoglichen Eltern täglich zweimal mit ihren dort verbliebenen Kindern würden sprechen wollen. Das war eine schwer zu erfüllende Forderung, weil es damals in Bosnien und Österreich-Ungarn noch keine Kabel mit Verstärkerämtern gab und die Gespräche über die an Masten hochgeführten Leitungen erfolgen mussten. Schon bei Gesprächen mit Wien und Budapest war die Verständigung wegen Wetterstörungen und Induktionen oft sehr schwierig. Der Chef der bosn.-hzgow. Militärpost- und Telegraphenanstalt war zum Glück ein edler Pole, Hofrat Gaberle, mit großen technischen Kenntnissen und vielen guten Bekannten in der ungarischen und österreichischen Telegraphenverwaltung. Ich konnte wieder alle seine vom Militär geforderten Wünsche im Telegraphenbüro des Generalstabes durchdrücken. So brachte er das Unwahrscheinliche schließlich doch zustande, wofür er dann auch vom Erzherzog besonders bedankt und anerkannt wurde. Bevor ich zum Sommer komme, sind noch zwei Geschehnisse erwähnenswert  : Zum Ersten das Eintreffen des Hauptmanns im Generalstab aus dem Operationsbüro Siegmund Knaus185, der die Aufmarschanweisungen für den Balkan gültig ab 185 Siegmund Knaus (Villach, 10.4.1879–21.3.1971, Wien), 18.8.1899 aus IKSch. Liebenau zum IR 97 als Kadett-Offiziers-Stellvertreter ausgemustert, 1.11.1900 Lt., ab 1905 Glstbslaufbahn, 1907–1908 Eisenbahnbüro d. Glstb., 1.11.1909 Hptm.i.G. und eingeteilt im OpB. d. Glstbs., 28.07.1914 eingeteilt

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1. 4. 1914 brachte. Aufgrund der Bitte von Knaus wies mich Merizzi an, mit ihm auf die Romanja planina zu fahren und ihm das von Merizzi in Aussicht genommene Kampfgelände zu zeigen, in dem wir den zu erwartenden Einbruch der Serben in einer Einkreisungsschlacht abzuwehren planten. Knaus war ein heller Kopf und erkannte die gute Planung Merizzis als richtig. Im späteren Leben war Knaus als Heeresinspektor mein Vorgesetzter, als ich Kommandant der Brigade Niederösterreich Nr. 3 in St. Pölten war. Er hatte meine Führung auf der Romanja planina, die im Krieg wirklich ein bedeutendes Kampffeld wurde, nicht vergessen  ; wir kamen in unserer Unterhaltung wiederholt darauf zurück. Zum Zweiten traf bei Merizzi eine Anfrage des Chefs des Präsidialbüros im Kriegsministerium, GenStabObst. Lehoczky186, ein, ob ich die zuverlässige Eignung für große organisatorisch-dienstrechtliche Arbeiten hätte und selbständig, ohne Kontrolle auf diesem Gebiet, arbeiten könne  ; zutreffendenfalls möchte er mich zu sich ins Präsidialbüro versetzen lassen, weil ich ja nach vier Jahren Bosnien für eine Verwendung in Wien in Aussicht stünde. Obst. Lehoczky kannte mich flüchtig aus seiner Dienstzeit beim Inf. Rgt. Nr. 72 in Pressburg. Er war damals dort Generalstabshauptmann beim V. Korpskommando gewesen und hatte die Aufsicht bei der Klausur der Vorprüfung für die Kriegsschule geführt. Merizzi ließ mich diese Anfrage ebenso lesen wie seinen für mich sehr schmeichelhaften Antwortbrief  ; dazu meinte er, ich solle nicht zögern ins Ministerium zu gehen  : da ich schon das Etappenbüro abgelehnt hätte, könne mir eine nochmalige beim 1. Operierenden Armeekorps, 1.3.1915 Mjr.i.G, 19.3.1917 bei der Befehlsgruppe des 11. Armeekdos. Nach Kriegsende 1918 im Staatssekretariat für Heerwesen der Republik Deutschösterreich, ab 23.1.1919 betraut mit Vorbereitungsarbeiten für die Friedensvertragsdelegation, 1.5.1919 Stabschef des Landesbefehlshabers für Kärnten und damit wesentlich beteiligt an der letzten entscheidenden Phase des Kärntner Abwehrkampfes bis zum Waffenstillstand, 1.11.1921 Obst. und Stabschef der 2. Brigade in Wien, 17.6.1923 Stabschef des Heeresinspektors General Körner, 1.5.1924 GM, 1.3.1926 Leiter der Präsidialsektion im BMfHw.,1.3.1930 GdI. und Heeresinspektor, 30.9.1932 Ruhestand. Unter Knaus fanden 1930 die ersten größeren Heeresmanöver des Bundesheeres statt. Er war der erste Heeresinspektor, der sich nach Ende der Völkerbundkontrolle ,der Finanzkontrolle und der Schillingsanierung auf den Gebieten der Ausbildung und der Manöver etwas Bewegungsfreiheit verschaffen konnte. Siehe nunmehr über ihn  : Peter Bauda, General der Infanterie Siegmund Knaus (1879–1971). Bearbeitung ausgewählter Teile seines Nachlasses, Wiener Magisterarbeit 2001. 186 Adalbert Lehoczky (Ungvár, Ungarn, 15.1.1875–  ?), 18.8.1895 ausgemustert, ab 1.5.1906 Glstbslaufbahn, 1.11.1911 Mjr.i.G, 1.5.1915. 1906 Glstbsabt. des V. Korps, 1.5.1908 versetzt in die 5. Abt. des KM, 1.11.1911 Mjr.i.G. und transferiert in das Präsidialbüro des KM, 1.8.1914 Obstlt.i.G, 1.11.1916 Obst.i.G, Übertritt in die Honvéd, 1.5.1920 als Konsul in Wien eingeteilt, 1.6.1920 Legationsrat in Wien im militärischen Verhältnis eines Generalmajors, 31.8.1926 FML, 1.9.1926 (sic  !) Ruhestand, 1945 in Ungarn inhaftiert. Wahrscheinlich war Lehoczky ein Pendant zu den verdeckten Militärattachés, die Deutschland und Österreich nach 1920 miteinander austauschten.

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Ablehnung schaden  ; ich sei von ihm übrigens auch aufgrund meiner Haltung und den erfolgreichen vielen kleinen Verhandlungen mit der Landesregierung als besonders geeignet für den Posten eines Militärattachés beschrieben worden. So war Merizzi  : Einerseits musste man ihn lieben wegen seines Wohlwollens als Vorgesetzter und Kamerad, von dem man immer wieder lernen konnte, anderseits erschien er verächtlich wegen seines italienischen Intrigantentums gegen Menschen, die ihm gefährlich oder unbequem waren. Der Nachrichtendienst aus Serbien brachte wohl dauernd Hassäußerungen gegen unsere Monarchie, jedoch keine bestimmten Nachrichten über Attentatspläne oder geplante Demonstrationen gegen den Thronfolgerbesuch. Es wäre jetzt auch von uns aus nichts mehr zu ändern gewesen. Änderungen oder Absagen konnten nur mehr von Wien, das heißt vom Erzherzogspaar selbst kommen, die ja auch durch den ö.-u. diplomatischen, staatspolizeilichen, zentralmilitärischen und journalistischen Nachrichtendienst Informationen erhalten mussten. Darüber verlautete aber bei uns in Sarajevo nichts. So kam ein schöner milder Sommer heran, und ich ging schon vor dem 20. Juni mit meinen Gehilfen, Hptm. Beran und dem zugeteilten Oblt. Glas, in den Manöverraum ab, wo für uns bei Tarcin eine Holzbaracke aufgestellt worden war.187 Ich wusste, dass der Erzherzog von Pola über Metković und Mostar, seine Gemahlin mit ihrem Hofstaat über Bosnisch-Brod bis zum 25. nach Bad Ilidže gelangen mussten, weil an diesem Tag Beginn des Manövers durch Eintritt des kriegsmäßigen Verhältnisses zwischen dem XV. und XVI. Korps zu sein hatte. Potiorek und Merizzi waren natürlich durch den Empfang der hohen Gäste in Sarajevo festgehalten. In Tarcin konnten wir telefonisch die frohe Kunde registrieren, dass die Reisen ohne den geringsten Zwischenfall abgelaufen waren und das erzherzogliche Paar in Ilidže sehr zufrieden sei. Zu meiner großen Freude hörte ich auch, dass der Chef des Generalstabes, der verehrte Baron Conrad mit Obst. Metzger188, dem Chef des Operationsbüros, zum Manöver kommen werde. Allerdings werde er gleich nach dessen Ende noch am Vormittag des 27. Juni nach Kroatien zur Generalsreise weiterfahren. 187 Johann Beran (Budapest, 13.7.1883–17.1.1955, Bad Ischl, Oö) 18.8.1904 als Lt. aus der Theres. Milakad. zum IR 86 ausgemustert, ab 1911 Glstbslaufbahn, 1.11.1913 transferiert zum Armeeinspektor in Sarajevo, 1.5.1914 Hptm.i.G, 28.9.1915 zugeteilt der Intendanz des Milkdo. Sarajevo, 1.11.1918 Mjr.i.G, 1.12.1920 pensioniert, 6.7.1922 Titular-Obstlt. 188 Über Josef Metzger (1870–1921) siehe Zeynek-Broucek, S. 93, Anm. 35. FML. Metzger war 1910– 1917 Chef des Operationsbüros des Glstb. bzw. der OpA. des AOK. Metzger spielte 1920/21 eine Rolle als für den gesamtösterreichischen „Heimwehrverband“ designierter Befehlshaber, der mithilfe bayerischer Einwohnerwehren und gemeinsam mit ungarischen Streitkräften auf Wien marschieren sollte. Nach dem Tode Metzgers zerfiel dieser Verband und der Plan wurde nicht weiterverfolgt.

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Am 26. Juni vormittags kamen der Erzherzog und der Chef des Generalstabes erstmals ins Manövergelände. FZM Potiorek stellte mich beiden Herren vor  ; anschließend hatte ich die Ehre, das Gelände beschreiben und die eingetretene Lage beider Parteien aufgrund ihrer Dispositionen erläutern zu dürfen. Conrad forderte zur Prüfung der Generalstabstechnik sofort Einsicht in die von ihm allgemein vorgeschriebene „Evidenz-Karte“, in der durch Oblt. Glas die Parteien, die Bewegungslinien nach ihren Dispositionen und die jede Stunde von ihnen erreichten Marschstationen ersichtlich waren. Das vom Kampffeld weiter entfernte XV. Sarajevoer Korps hatte laut Annahme seine 10. Gebirgsbrigade unter dem Inspektor der Grenzjägertruppe, Obst. v. Droffa, auf den Ivan-Sattel vorgeschoben. Die Übung war so zusammengestellt, dass sich die 10. Gebirgsbrigade am ersten Manövertag in ihrem Raum zur Verteidigung gut einrichten konnte und nur von den vorgeschobenen Aufklärungskräften des XVI. Korps beunruhigt wurde. Die beiderseitigen Gros der Korps konnten erst nach starken Marschleistungen am Abend dieses ersten Manövertages die Räume von etwa je 10 km Entfernung vom Ivan-Sattel erreichen. Der Erzherzog war allen Erklärungen aufmerksam gefolgt, sah sich die 10. Gebirgsbrigade genau an, verfolgte die ersten Scharmützel der Aufklärungstruppen, wobei ihn die kroatischen Ulanen auf ihren kleinen Gebirgspferden gegenüber den Dalmatiner Landesschützen in ihrer Wendigkeit sichtlich beeindruckten. Für den Erzherzog und sein Gefolge waren neben Autos des freiwilligen Automobilkorps auch Gebirgsreitpferde bereitgestellt. Am späteren Vormittag fuhren der Erzherzog und Conrad mit Potiorek und Merizzi zum XVI. Korps FML Wurm, am Nachmittag zum XV. Korps FML v. Appel in das wundervolle Prača-Tal und dann über die pittoreske Romanja planina durch Sarajevo nach Ilidže. Ich musste am Standort der Übungsleitung in Tarcin bleiben und hörte von allen Seiten telefonisch, dass der Erzherzog sich überall sehr lobend geäußert hatte. Die Truppen waren auch wirklich im Verhältnis zu jenen im Innern der Monarchie gefechtsmäßig glänzend durchgebildet und ihre Marschfähigkeit war im Steinmeer des Karstes ebenso prächtig wie in den dichten Wäldern, in denen die Truppenpioniere oft erst gefallene Baumriesen sprengen mussten, um die Marschbewegungen flott zu erhalten. Die Herzogin v. Hohenberg hatte inzwischen mit ihrem von Frau v. Appel geführten Gefolge in der Stadt Sarajevo die dortige Teppichweberei, Kirchen und Geschäfte besucht. Sie war überall von herzlichen, spontanen Ovationen begrüßt worden. Nirgends gab es auch nur den geringsten Zwischenfall. Im Manövergelände hatte die Gendarmerie 3 oder 4 Bosniaken aufgegriffen, die sich aber als unbewaffnete, harmlose Bummler erwiesen und freigelassen werden

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konnten. Auch in der Umgebung von Bad Ilidže wurden keinerlei verdächtige Wahrnehmungen gemacht. So waren wir, der kleine Stab der Manöverleitung, bester Laune. Ich hatte vom Militärgeographischen Institut aus Wien eine Schnellpressengruppe erbeten, die während der Nacht die von beiden Parteien erreichten Gruppierungen in blauer und roter Farbe in die Manöverkarten druckte, die wir dann in ausreichender Zahl nach Ilidže sandten. Für den folgenden Tag hatte ich aufgrund aller Lagemeldungen das Erscheinen der Herrschaften schon für 8h am Ivan-Sattel erbeten. Der 27. Juni war von herrlichem Wetter begünstigt und die Rundsicht vom IvanSattel war prächtig. Ohne jeden Eingriff der Übungsleitung war auf Grund der Dispositionen der Parteikommandanten ab 9h ein wunderbar übersichtliches Manöverschaubild zu erwarten, das sich dann auch tatsächlich ergab. Die Herrschaften erschienen pünktlich, und der Erzherzog war in strahlender Laune, ungewöhnlich leutselig und für jede Einzelheit interessiert. GdI. v. Conrad sprach sehr wenig, blieb während der ganzen Zeit sehr ernst  ; sein persönliches Verhältnis zum Erzherzog erschien ebenso kühl wie zu Potiorek, der vom Erzherzog andauernd durch Gespräche ausgezeichnet wurde. Merizzi hielt sich bescheiden im Hintergrund. Das XVI. Korps schob auf den Ivan-Sattel, der gut eingegrabenen 10. Gebirgsbrigade gegenüber nur schwache Kräfte, entfaltete seine beiden Divisionen südlich des Ivan-Sattels in dem gut übersichtlichen Höhengelände und schwenkte ab 9h, mangels eines Feindes in der Front, gegen die Flanke und den Rücken der 10. Gebirgsbrigade ein. Darauf hatte FML v. Appel, der seine beiden Divisionen gleichfalls südlich des Ivan-Sattels bereitgestellt hatte, gewartet. Ab 10h fasste er nun das ganze XVI. Korps in Flanke und Rücken, was für dieses eine so schwere Lage schuf, dass das Manöver um 11h als beendet gelten konnte und der Erzherzog durch die aus Wien mitgekommenen Trompeter der Leibgarde-Reitereskadron das Signal „Abblasen“ geben ließ. Gleich nach dem Signal meldete sich Conrad beim Erzherzog ab, reichte Potiorek verbindlich die Hand, nickte uns Generalstabsoffizieren zu und reiste nach Hochkroatien ab. Mir blieb der betrübliche Eindruck, dass das vor Jahren glänzende Verhältnis des Erzherzogs zu Conrad sich sehr abgekühlt haben musste. Die Besprechung selbst war kurz, der Erzherzog lobte alles sehr. Mir reichte er freundlich die Hand. Inzwischen hatten sich die dem Weg zur Eisenbahnstation Tarcin zunächst befindlichen Truppen so aufgestellt, dass der Erzherzog durch ein Spalier verschiedenster Bataillone, die er durchwegs durch Zuruf belobte, bis zum Bahnhof reiten konnte.

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Ich atmete erleichtert auf  : Alles war glatt abgelaufen. Ich entließ meine Gehilfen, die am morgigen Tag in Sarajevo sein wollten und überwachte die tabellarisch vorbereiteten Eisenbahn- und Fußmarschtransporte der Truppen in ihre Garnisonen, zusammen mit den Eisenbahnlinienkommandanten, was uns bis in die späte Nacht beschäftigte. Allein in der Manöverbaracke überdachte ich nun meine ganze Dienstzeit in Bosnien, die praktisch mit diesem gelungenen Manöver endete, denn bald sollte ich ja ins Kriegsministerium nach Wien versetzt werden, was mich eigentlich gar nicht reizte. Ich hatte gern in Bosnien gedient, trotzdem ich mich meinem Chef Merizzi gegenüber wie ein Magnetanker gefühlt hatte, der abwechselnd abgestoßen und angezogen wurde. Im Ganzen war es aber eine militärisch schöne, reiche Zeit gewesen. Am Morgen des 28. Juni schwang ich mich in den Sattel meines schönen ungarischen Halbblutfuchsen Ada und ritt, vom Pferdewärter auf meinem Gebirgspferd Hlap begleitet, nach Sarajevo. Als ich an die Bahnkreuzung etwa 10 km westlich Sara­jevo kam, ging gerade der Schranken nieder  ; es war 9h vorbei. Beim Warten dachte ich an nichts besonderes, sondern klopfte meinem Pferd den Hals, weil es Maschinen nicht liebte. Wie groß war mein Erstaunen, als plötzlich von Ilidže der Hofzug mit den schönen Salonwagen angerollt kam. In der Mitte des zweiten Wagens stand der Erzherzog am offenen Fenster. Ich salutierte auf versammeltem Pferde. Der Erzherzog erkannte mich sogleich und winkte mir freundlich und lange zu  ; darauf sah ich ihn noch nach hinten zu seiner Gemahlin etwas sagen  ; dann entschwand der Zug meinen Augen. Mein braver Pferdewärter Kern, ein Niederösterreicher aus der Gegend Ybbs-Jauerling, sagte etwa zu mir  : „Na so a Glück  ; der hat Ihna erkannt, Herr Hauptmann  ; und wia freundlich er war  !“ Das war mein letztes, unvergessenes Bild vom Erzherzog. Da wir bis zur Bahnübersetzung die 20 km von Tarcin hergetrabt waren, ließ ich jetzt die Pferde im Schritt gehen  ; wir näherten uns langsam der Stadt. Um das wahrscheinliche Gedränge am Quai zu vermeiden, hatte ich die südliche, am Korpskommando vorbeiführende Straße zur Stadt gewählt. Vor dem Korpskommando sehe ich v. Appel stehen. Er läuft auf mich zu mit der Frage  : „Wann kommen endlich die Truppen, es ist Aufstandsgefahr  !“ Ich mache einen Blick auf die Uhr, es ist halb 12, und antworte  : „Die 9. Gebirgsbrigade wird eben in ihr Lager einrücken, die 10. eine Stunde später hier sein. Was ist los, Exzellenz  ? Warum Aufstandsgefahr  ? Ich merkte am ganzen Wege keinerlei Anzeichen  !“ Darauf Appel  : „Ja, wissen Sie denn nicht, der Erzherzog ist erschossen  !“ Ich glaube, vor Schreck vom Pferd zu fallen. Dann gebe ich dem Gaul die Sporen und galoppiere an seinem Stall vorbei direkt in den Konak. Dort ist ein Menschenauflauf und eine große Absperrung  ; aber man kennt mich. Ich springe vom Gaul ins Haus, die

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Treppen hinauf, begegne Stabsarzt Arnstein189 und Dr. Hochmann. Letzterer sagt zu mir  : „Alles umsonst, beide sind tot.“ Ich frage  : „Wo ist Merizzi  ?“ „Verwundet im Garnisonsspital  !“ Ich dränge in Potioreks Arbeitszimmer. Er sitzt am Schreibtisch und diktiert, neben ihm steht Mjr. Wachtel, der mir bedeutet hinauszugehen. Ich aber bleibe und sehe Potiorek an. Er ist unverändert und unverletzt, in gewohnter Ruhe. „Gut, dass Sie da sind“, sagt er zu mir  : „Wann kommen die Truppen  ?“ Ich ziehe die Marschübersicht aus meiner Kartentasche und melde. Potiorek  : „Gehen Sie ins Kanzleigebäude und bleibt dort alle in Bereitschaft  ; sagen Sie der Landesregierung, sie kann jetzt nach Bedarf Militärassistenzen anfordern  !“ Im Kanzleigebäude finde ich schon Beran, Bauer und Kautzky. Benda kommt kurz nach mir, und jetzt erst erfahre ich von ihnen das furchtbare Geschehen, das Bruno Brehm in seinem Buch fast authentisch dargestellt hat. Natürlich begannen jetzt gleich die gescheiten Reden  : Jeder hatte das Kommen gesehen, man durfte den Erzherzog nicht solcher Gefahr aussetzen usw. Ich rief die Landesregierung an und sprach mit Präsidialchef Baron Collas. Es sei überall vollkommene Ruhe, die Attentäter verhaftet, die ersten Aussagen deuten auf Anstiftung von Belgrad. Für Nachmittag seien Kundgebungen der patriotischen Bevölkerung angemeldet, für Militärassistenzen sei momentan noch keine Notwendigkeit. Mich hatte das furchtbare Geschehen entsetzlich ergriffen  ; es brauchte eine gewisse Zeit, während der ich mich in mein Arbeitszimmer einsperrte, bis ich wieder ganz arbeitsfähig war. Der Telegraph zwischen Sarajevo und Wien spielte fast ununterbrochen. Mjr. Wachtel, der Merizzi vertrat, machte den ganzen Nachrichtenverkehr mit Wien allein, so dass ich zu Merizzi ins Spital gehen konnte, ihn besuchen. Er hatte am Nacken eine kleine Verletzung von einem Bombensplitter abbekommen und stand jetzt in Behandlung mit Tetanusinjektionen gegen Wundstarrkrampf. Er erzählte mir, dass die ihn verletzende Bombe (eigentlich eine Handgranate) ins Auto des Erzherzogs gefallen, von diesem aber geistesgegenwärtig aus dem Auto geschleudert worden war. Da der Attentäter nach Aktivierung der Granate diese zu früh geworfen habe (Handgranaten sind mit der Zündung auf 4–5 Sekunden vom Abzug bis zur Detonation eingestellt), explodierte sie erst hinter dem Auto, in dem Merizzi dem Erzherzog unmittelbar folgte, auf der Straße, wobei der Splitter Merizzis Nacken 189 Dr. med. Josef Arnstein (Bošilec, Bez. Wessely, Böhmen–  ?), 1.4.1893 präsentiert als EF-Mediziner, 1.4.1897 Assistenzarzt-Stellvertreter, 1.2.1898 Oberarzt IR 39, 1.8.1905 Regimentsarzt 1.Kl. bei IR 2, 1.11.1914 Stabsarzt 1.Kl, 21.12.1916 Kdt. Stellv. Feldspital Nr. 9, 21.3.1917 Kdt. Feldspital 150, 1.5.1918 Oberstabsarzt II. Kl.

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von hinten traf. Dem ganzen Eindruck nach, den ich gewann, war Merizzi nur leicht verwundet und hätte das Spital schon am nächsten Tag verlassen können, spätestens aber nach zwei Tagen. Auf dem Rückweg vom Spital durch die Stadt begegnete ich Demonstrationszügen, zumeist muslimischer Bevölkerung, gegen das geschehene Verbrechen. Es war interessant zu beobachten, wie genau die Bevölkerung die mit dem Königreich Serbien in Verbindung stehenden einheimischen Serben kannte. Vor deren Häusern kam es zu Rufen des Abscheus, aber es begannen Demonstranten auch in diese Häuser einzudringen und dort handgreiflich zu werden, worauf endlich Militärassistenz zur Verstärkung der Polizei angefordert wurde. Inzwischen waren Demonstranten aber schon in den Besitz des radikalen Serbenführers Jeftanović eingedrungen und zerschlugen dort seine reichen Rennwagen-Remisen und alle seine Luxuswagen. Hier gewann ich den Eindruck, dass die Polizei schärfer hätte eingreifen können, stattdessen die Exzesse, die unter Absingen der Kaiserhymne erfolgten, toleriert wurden. Als dann die Militärassistenzen in geschlossenen Zügen anrückten, konnte ich selbst sehen, dass die Demonstranten beim Anblick des Militärs sich sammelten und dieses mit Živio-Rufen und Kaiserhymne begrüßten, was den kommandierenden Offizier bewog, seine Abteilung halten und die Ehrenbezeigung leisten zu lassen. Doch bis zum Abend war die Ruhe wieder vollkommen hergestellt. Von der Drina-Grenze kamen ebenfalls keine bedrohlichen Nachrichten über serbische Truppenzusammenziehungen. Inzwischen waren aus Wien die Weisungen für die Überführung der beiden Opfer des Attentates über Mostar, Metković, mit der Jacht Dalmat nach Pola und dann wieder mit der Bahn nach Wien eingelangt. Sie waren inzwischen im Festsaal des Konaks einbalsamiert und prunkvoll aufgebahrt worden.190 Am übernächsten Tag wurde im Dom ein feierliches Totenamt abgehalten, zu dem die ganze Garnison ausgerückt war. Die Truppen bildeten über Weisung des Korpskommandanten v. Appel ein dichtes Spalier, das eigenartigerweise mit den Gesichtern zur teilnehmenden Bevölkerung aufgestellt worden war. Durch dieses Spalier schritt der Armeeinspektor, gefolgt von allen bei der Truppe nicht eingeteilten Offizieren und hohen Beamten vom Konak zum Dom und nach der Messe wieder zurück. Die Überführung der Leichname nach feierlicher Einsegnung vom Konak zum hochgelegenen Bahnhof Bistrica der bosnischen Ostbahn erfolgte unter ähnlichem militärischem Aufgebot.

190 Konak  : in den ehemaligen türkischen Gebieten und in der heutigen Türkei  ; Regierungsgebäude, auch Schloss.

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Damit war für uns in Sarajevo die Tragödie abgeschlossen, und wir erwarteten stündlich den Mobilisierungsbefehl gegen Serbien, wo das Attentat in der Presse fast bejubelt wurde. Stattdessen trafen vom Ministerium des Äußeren der Gesandte Wiesner191 mit zwei bis drei Herren und vom Kriegsministerium der junge Militärauditor Albin Schager192 mit dem Auftrag ein, die schon während der ersten Einvernahmen nach Belgrad weisenden Fäden einer Verschwörung möglichst genau aufzuklären. Hptm. Brož stand diesen Untersuchungen mit seinem Nachrichtendienst ganz zur Verfügung. Aus eigenem Denken orientierte ich inzwischen den zum Armeegeneralstabschef designierten Kommandanten der 10. Gebirgsbrigade, GM Böltz, über alle Einzelheiten des Aufmarsches für den Fall eines Krieges. Böltz kam dazu täglich für einige Stunden in meine Kanzlei, wo ihn auch Mobilisierungsreferent Hptm. Bauer über den Zeitablauf der Mobilisierung ins Bild setzte. Böltz war zu dieser Zeit sichtlich froh, dass Merizzi nicht amtierte, sondern im Spital lag. Von ihm wusste er, dass dieser ihn vom Feldzeugmeister ebenso ferngehalten hatte, wie es jetzt Mjr. Wachtel tat. Nach etwa acht Tagen wurde ich zu Potiorek gerufen. Er raunzte  : „Ich habe mit Dr. Arnstein gesprochen, der sagt, Merizzi sei geheilt und dienstfähig. Gehen Sie zu Merizzi und sagen Sie ihm, wenn er nicht sofort kommt und seinen Dienst antritt, dann will ich ihn überhaupt nicht mehr sehen  !“ Das war kein angenehmer Auftrag  ; den hätte er dem Merizzi im Rang viel näherstehenden Mjr. Wachtel geben können. Anscheinend musste Merizzi sich Potiorek gegenüber über mich so geäußert haben, dass dieser annahm, wir ständen uns besonders nahe. Der Befehl war gegeben, und so ging ich zu Merizzi ins Spital. Das Gespräch leitete ich mit den Nachrichten über die serbische Anstiftung des Attentates ein, über unsere stündliche Erwartung des Mobilisierungsbefehles, über das hässliche Verhalten des kaiserl. Obersthofmeisters Fürst Montenuovo193 bei der Beisetzung des ermordeten Thronfolgers in Artstetten. Da Merizzi vollkommen angekleidet außer Bett war, fragte ich ihn schließlich, wann er denn wieder seinen Dienst anzutreten gedenke, da er dem Feldzeugmeister sehr fehle. Darauf lächelte Merizzi spöttisch 191 Über Friedrich R. v . Wiesner (1871–1951) siehe Glaise-Broucek I, S.327, Anm. 158. Wiesner war seit 1913 Sektionsrat im k. u. k. Min. d. Äußern, ab 3.8.1914 Vertreter des Ministeriums beim AOK, ab Mitte der Zwanzigerjahre Führer der legitimistischen Bewegung in Österreich. 192 Albin Frh. Schager v. Eckartsau (1877–1941) war ab 28.7.1914 als Hauptmann-Auditor beim 6. Armeekommando eingeteilt. Siehe über ihn Glaise-Broucek I, S.  236, Anm. 341. Schager-Eckartsau war nach 1918 führend in der monarchistischen Bewegung Österreichs tätig, besonders in den Jahren 1919–1921. 193 Über Alfred Fürst von Montenuovo (1854–1924) vgl. Glaise-Broucek I, S. 196, Anm.198. Montenuovo war 1909–1917 Erster Obersthofmeister.

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und sagte ungefähr, dass er nicht mehr daran denke, in Sarajevo Dienst zu machen, und mir rate, auch ehestens meinen neuen Posten im Kriegsministerium anzutreten. Da fasste mich wieder jene Empörung, die Merizzis Charakter in mir so oft gereizt hatte, und ich fuhr ihn scharf an, ob er denn jetzt, da Potiorek ihn am dringendsten brauche, den Mann, den er durch Jahre von der Welt ganz abgeschlossen hatte und dem er so viel Dank schulde, im Stich lassen wolle  ? Darauf meinte Merizzi, ich solle mich nicht so aufregen  ; klug zu handeln sei vernünftiger. Auf das hin nahm ich die vorgeschriebene militärische Haltung an und meldete ihm  : „Herr Oberstleutnant, ich habe von FZM Potiorek persönlich den Auftrag erhalten, Ihnen zu sagen, dass er von ärztlicher Seite über Ihre Ausheilung orientiert wurde, und wenn Sie nicht sofort ihren Dienst antreten, er Sie überhaupt nicht mehr sehen wolle.“ Darauf Merizzi  : „Ich danke Dir und bitte Dich, dem Feldzeugmeister zu melden, dass ich mich gesundheitlich nicht stark genug fühle, um den Dienst wieder anzutreten.“ Dies meldete ich am nächsten Morgen Potiorek  ; er zog eine verächtliche Grimasse und entließ mich mit einem Kopfnicken. Die Persönlichkeit Merizzis habe ich deshalb so ausführlich beschrieben, weil ich auch heute noch in seiner schimpflichen Untreue zu Potiorek die Hauptursache dafür sehe, dass wir den ersten und zweiten Feldzug in Serbien verloren haben. Merizzi hatte durch Jahre Potiorek von allen militärischen Beratern systematisch abgesperrt und besonders das Verhältnis zwischen Potiorek und seinem für den Krieg bestimmten Armeegeneralstabschef planmäßig vergiftet, was zu jenen schrecklichen Verhältnissen im Armeekommando führte, die ich im nächsten Kapitel leider beschreiben muss. Das Persönliche abschließend bleibt nur noch anzufügen, dass Merizzi, als am 25. Juli die Mobilisierung befohlen wurde, doch in den Kanzleien des Armeeinspektors erschien, von Potiorek jedoch nicht empfangen und nach zwei Tagen als Generalstabschef zu einer Landsturmbrigade ins Banat abgeschoben wurde. Mit dieser konnte er bei Semendria194 keine Ehren gewinnen. Ich bin Merizzi im Leben nicht mehr begegnet. Er war im Krieg durch Jahre Generalstabschef des IV. (Budapester) Korps und starb in Südtirol 1917 als Kommandant einer Artilleriegruppe nach einem beschwerlichen Aufstieg zu seinem Befehlsstand an einem Herzschlag – er war schon herzleidend nach Sarajevo gekommen. In seiner genialen Geistigkeit ist er der faszinierendste Mann gewesen, dem ich im Leben begegnet bin, 194 Semendria, serbisch Smederevo, Stadt am rechten Donauufer nahe von Belgrad. Enthält eine mächtige Festung mit 24 gewaltigen Türmen, eine der größten Europas. Sie war zum Schutz gegen die Türken im Auftrag des Despoten Đurađ Branković bis 1439 erbaut worden. Die Eroberung von Smederevo durch die Türken im Jahre 1459 bedeutete das Ende des serbischen mittelalterlichen Staates.

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charakterlich aber ein Machiavellist. Mir war er im Ganzen ein wohlwollender Vorgesetzter. Wenn sein so offen zur Schau gestellter Katholizismus echt war, dann wird er ja schließlich vor seinem Gott Gnade finden, was ich ihm von Herzen wünsche.195

195 Das Armeeinspektorat gab Jansa für 1913 Zusätze zur Dienstbeschreibung, aus denen in der Folge zitiert wird. Kurze Charakteristik  : Hat während der verflossenen Monate erhöhter Kriegsbereitschaft vorzüglich entsprochen und die ihm zugefallenen Agenden mit vollstem Eifer und hervorragendem Verständnis bewältigt. Namentlich bei den verschiedenen, das Gebiet der politischen Verwaltung berührenden und den Einklang mit den Zivilbehörden erheischenden Fragen erwies er zielbewusstes Geschick und tadellosen Takt. Eignung für Spezialdienste  : dürfte seinerzeit für den Posten eines Militärattachés in Betracht kommen. Anmerkung  : Ein erstklassiger, für jede Vertrauensstellung voll geeigneter Generalstabsoffizier, welcher zu den besten Hoffnungen berechtigt und demgemäß auch den Dienst bei einer Zentralstelle kennenlernen sollte, welch’ letzterer er gewiss zur Zierde gereichen würde. Hat die Prüfung zum Major im Generalstabskorps noch nicht abgelegt. Qualifikation  : Im Allgemeinen zur Beförderung geeignet. Merizzi Mjr. Begutachtung  : Entspricht beim Armeeinspektorat in jeder Hinsicht sehr gut. Potiorek FZM.

VI.

Der Erste Weltkrieg

A  Beim 6. Armeekommando 25. 7. 1914–25. 12. 1914 Die folgende Erzählung ist keine Darstellung des Krieges. Der findet im österreichischen Generalstabswerk „Österreich-Ungarns letzter Krieg“ in sieben Bänden mit reichlichstem Kartenmaterial eine ausgezeichnete, mit großer Objektivität geschriebene Schilderung.196 Hier erzähle ich lediglich von meinen persönlichen Eindrücken und Erlebnissen, die keine große Taten enthalten, weil die Stellung eines jungen Generalstabshauptmannes im Allgemeinen und meine speziellen Verwendungen im Besonderen dazu kaum Gelegenheit boten. Als am 26. Juli die vom Kaiser am 25. unterschriebene Mobilisierungsorder der für den Krieg gegen Serbien-Montenegro bestimmten ö.-u. Streitkräfte bei uns bekannt wurde, war die nach dem Attentat auf Erzh. Franz Ferdinand spontan aufgelebte und zur Tat treibende Stimmung des loyalen Bevölkerungsteiles eigentlich schon abgeflaut. Ob die verspätete Aktion des Außenministeriums richtig war, wurde von uns in Bosnien von Haus aus bezweifelt. Die Untersuchungen des Gesandten Wiesner und des Militärauditors Dr. Schager hatten zwar den eindeutigen Beweis erbracht, dass das Attentat von Serbien aus angezettelt worden war, konnten aber die erhoffte Lokalisierung des Krieges nicht erreichen. Ja, ich möchte fast glauben, dass eine sofortige Reaktion Österreich-Ungarns vielleicht von der Welt verständnisvoller aufgenommen worden wäre. Aber damals war es nicht unsere Sache, uns darüber den Kopf zu zerbrechen. 196 Österreich-Ungarns Letzter Krieg, 1. Band, 2. Aufl., Wien 1929. Hier die Kapitel  : Der Augustfeldzug 1914 gegen Serbien und Montenegro, S. 29–154, Der Herbstfeldzug gegen Serbien und Montenegro, S. 603–764. Es kann sich in diesem Werk nur darum handeln, Hinweise auf die von Jansa mitgemachten Kampfhandlungen zu geben. Zur Geschichte des Ersten Weltkrieges ist nunmehr heranzuziehen  : Manfried Rauchensteiner, Der Tod des Doppeladlers. Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg. 2. Auflage, Graz 1994. Da aber dieser Autor eine Gesamtschau durchführt, ist für die militärischen Operationen vor allem heranzuziehen  : Rudolf Kiszling (Redaktion Peter Fiala), Die Hohe Führung der Heere Habsburg im Ersten Weltkrieg (erschienen als Druckschrift des Büros für Wehrpolitik des Bundesministeriums für Landesverteidigung, Wien 1977). Bereits vorher erschien in erster Auflage 1968  : Anton Wagner, Der Erste Weltkrieg. Ein Blick zurück (Truppendienst-Taschenbücher, Band 7). Siehe auch  : Walter Kleindel, Der Erste Weltkrieg. Daten – Zahlen – Fakten, Wien 1989.

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Der Erste Weltkrieg

Da der 26. Juli Annentag war, an dem viele Bekannte im Garnisonskasino ihren Namenstag feierten, gingen wir paar Kameraden auch dorthin nachtmahlen. Der große Saal war voll besetzt, wir konnten nur mit Mühe Platz finden, zufälligerweise nahe neben dem Tisch, an dem die beiden Brigadiere GM Schenk und Böltz mit ihren aus Russland stammenden Gattinnen, Söhnen und Töchtern saßen. Die Stimmung war animiert und die Garnisonsmusik spielte als Zugaben zu ihrem Programm patriotische Märsche, die mit viel Applaus bedankt wurden. Als dann die Musik den Radetzkymarsch und gleich anschließend den Prinz-Eugen-Marsch intonierte, kannte die patriotische Stimmung der vielen Offiziere aller Nationen der Monarchie keine Zurückhaltung mehr, sondern brach in jubelnde Zustimmung zu dem bevorstehenden Kriege aus. Und da entstand die peinliche Situation, dass die Frauen Schenk und Böltz von so heftigen Weinkrämpfen befallen wurden, dass ihre Männer sie hinausführen mussten und nicht mehr wiederkehrten. Mich bedrückte dieser Vorfall umso mehr, als GM Böltz ja unser Armeegeneralstabschef war und am folgenden Tag seine Amtstätigkeit bei uns zu beginnen hatte. Verstimmt und sorgenvoll ging auch ich bald weg. In den nächsten Tagen wurden unsere Büros zu einem Bienenhaus. Das Armeeinspektorat wurde zum 6. Armeekommando, zu dem eine Reihe von Offizieren einrückte, für deren Unterbringung schon in den Mobilisierungsarbeiten vorgesorgt worden war. GM Böltz bezog den neben meinem Arbeitszimmer gelegenen Kanzleiraum Merizzis, während in mein Zimmer der Chef der Operationsabteilung, Obst. Fleck v. Falkhausen197 und als Artilleriereferent Obstlt. Richard Körner198 (der Bruder unseres nachmaligen Bundespräsidenten) kamen. GM Böltz bestimmte, dass ich in meinem Zimmer neben ihm zu bleiben habe, in dem wir jetzt also zu dritt arbeiteten. Fleck wurde mein unmittelbarer Vorgesetzter an Stelle von Merizzi. Körner kannte und verehrte ich schon seit 1912, als er gelegentlich der Standeserhöhungen und zur Erprobung des neuen Gebirgsgeschützes vorübergehend zu uns gekommen war. Richard Körner 197 Richard Fleck v. Falkhausen, ab 1.8.1914 Namensänderung  : Richard v. Falkhausen (Bregenz, Vorarlberg, 27.8.1870–26.12.1959, Wien), 18.8.1891 als Lt. aus der Theres. Milakad. ausgemustert zum IR 76, ab 1.11.1901 Glstbslaufbahn, 1.11.1911 Obstlt.i.G, 16.10.1913 enthoben vom Lehramt an der Kriegsschule und Truppendienst bei IR 12, 28.7.1914 zugeteilt dem Armeeinspektor in Sarajevo, 1.8.1914 Obst.i.G., 15.10.1914 Glstabschef XV. Korps, 7.6.1915 Kdt. IR 68, 10.6.1916 Kdt. 13.IBrig., 1.2.1918 GM,1.1.1919 pensioniert, 24.4.1924 die Goldene Tapferkeitsmedaille für Offiziere für Waffentaten an der Russischen Front 1915/16 zuerkannt. 198 Richard Körner Edl. v. Siegringen ( Josefstadt, heute Josefov, Böhmen, 25.5.1874–18.7.1915, gefallen in Görz) 18.8.1894 ausgemustert aus der Techn. Milakad. zu Divisionsartillerieregiment Nr. 6 als Lt., ab 17.3.1900 zugeteilt Glstb., 1.11.1905 Hptm.i.G. und eingeteilt beim Technischen Militärkommité, 20.12.1907 übersetzt in den Artilleriestab und Lehrer an diversen Artillerieschießschulen, 1.11.1910 Major im Artilleriestab, 1.11.1913 Obstlt. im Artilleriestab, ab 1914 beim Kdo. der Balkanstreitkräfte und sodann beim Kdo. SW-Front.

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gehörte dem Artilleriestab an, war Lehrer an der Artillerieschießschule in Hajmáskér gewesen, war einer der glänzendsten Artilleristen, den die Monarchie besaß, immer heiter und guter Laune und zeichnete mich schon seit 1912 mit seinem Vertrauen und freundschaftlicher Herzlichkeit aus. Dann kam zur Leitung des Nachrichtendienstes der bisherige Militärattaché in Belgrad, Obstlt. Gellinek199, eine mir vom ersten Begegnen an unsympathische Persönlichkeit schon wegen der grenzenlosen Überheblichkeit, die serbische Armee zu unterschätzen. Das stand in diametralem Gegensatz zu der uns in Sarajevo gebildeten Meinung. Seine Auffassung bestärkte FZM Potiorek in der Unterschätzung der Serben und beeinflusste vielleicht auch den Chef der Operationsabteilung in gleich falschem Sinne. An sonst prominenteren Persönlichkeiten rückten zu uns noch ein  : der Gesandte Masirevich als Vertreter des Ministeriums des Äußeren, Franz Graf Harrach200, in dessen Auto vier Wochen vorher das erzherzogliche Paar erschossen wurde, und Graf Paul Teleki201 der bedeutende Geograph und nachmalige durch Selbstmord endende ungarische Ministerpräsident, als kriegsfreiwillige Automobilisten. Die Mobilisierung und der Aufmarsch der 5. Armee an der unteren Drina in dem durch die 11. Gebirgsbrigade bewachten Grenzraum sollte gleichzeitig mit jenem der 2. Armee nördlich der Save bis 12. August beendet sein. Demgegenüber brauchte unsere in Bosnien-Herzegowina mobilisierende 6. Armee wegen der einzigen, schmalspurigen Bahn um eine Woche länger, konnte daher erst frühestens am 18. August im Raum Sarajevo-Foča-Višegrad-Romanja planina versammelt sein. Den Oberbefehl über die drei Armeen sollte Erzh. Friedrich202 mit FM Conrad als Chef führen.

199 Otto Gellinek (Wokschitz, heute Vokšice, Böhmen, 18.1.1876–7.5.1919 Wiener Neudorf, NÖ) 18.8.1895 aus der Theres. Milakad. ausgemustert als Lt. zum IR 77, ab 1.5.1906 Glstbslaufbahn im Landesbeschreibungsbüro des Glstb., ab 8.6.1909 Militärattaché an der öst. Gesandtschaft in Belgrad, 1.11.1911 Mjr.i.G, 1.8.1914 Obstlt.i.G. und Chef der Nachrichtenabt. des Kdo. der Balkanstreitkräfte, 20.4.1915 Glstbschef 50.ITD, 5.10.1915 Kdt. LwIR 3 (Plateau von Doberdo), 22.12.1915 Glstbschef des Militärgouvernements Serbien, 1.11.1916 Obst.i.G, 30.9.1917 transferiert zum IR 77 und betraut mit dem Kdo. von IR 49, ab November 1919 bei liquidierenden Einheiten. 200 Franz Maria Graf v. Harrach (Traunkirchen, OÖ, 26.7.1870–14.5.1937, Iglau/Jihlava, Mähren), k. u. k. Geheimer Rat und Kämmerer. 201 Über Pál Graf Teleki de Szék (1879–1941) siehe Glaise-Broucek II, S. 341, Anm. 24. Der Großgrundbesitzer, Geograph und Politiker war in zahlreichen Kabinetten von 1919–1941 Ministerpräsident, Außenminister oder Unterrichtsminister. Er war am 1. Restaurationsversuch König Karls IV. beteiligt. 202 Über Erzherzog Friedrich (1856–1936) siehe Glaise-Broucek I, S. 232, Anm. 327. Er war ab 31.7.1914 bis 2.12.1916 Armeeoberkommandant, zuletzt im Rang eines Feldmarschalls.

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FZM Potiorek änderte an der schon im Frieden für unsere 6. Armee vorgearbeiteten Versammlung nichts, sodass ganz Montenegro gegenüber nur die 14. Gebirgsbrigade in der Bocche di Cattaro und die 3. Gebirgsbrigade in der Herzegowina um NevesinjeAvtovac, gestützt auf die Grenzfestungen, verblieben. Dieser Entschluss war kühn und richtig  ; es handelte sich in der Folge darum, so wie wir es mit Merizzi geplant hatten, die langwierige Versammlung der 6. Armee ruhig abzuwarten und auch gegenüber einem raschen serbischen Vordringen auf Sarajevo nicht die Nerven zu verlieren, um sie bei einem Vordringen über Višegrad-Goražde in einer Umfassungs-, richtiger Einkreisungsschlacht auf der Romanja vernichtend zu schlagen. Aber schon das erste tastende Vorfühlen der serbischen Užice-Gruppe an die Drina veranlasste Obst. Fleck, GM Böltz das Verschieben der 9. und 10. Gebirgsbrigade von Sarajevo nach Višegrad und Goražde203 vorzuschlagen. Mein Einspruch dagegen wurde von Fleck brüsk zurückgewiesen und dann sein Vorschlag über Vortrag von GM Böltz bei FZM Potiorek von diesem genehmigt. Zwei Brigaden waren damit vorzeitig in falscher Richtung verausgabt worden. Im Übrigen vollzogen sich Mobilisierung und Aufmarsch unserer 6. Armee reibungslos in bester Weise. Mein Antrag bei Fleck, Potiorek zu bestimmen, sich in kurzen raschen Autotouren den Truppen zu zeigen, wurde von diesem abgewiesen. Das hätte Merizzi bestimmt durchgesetzt. So aber bekam niemand den Armeekommandanten zu Gesicht  ; der lebte wie ein Mönch im Konak eingeschlossen, sein Verhältnis zu GM Böltz war, wie ich es von diesem wiederholt hörte, frostig kühl. Nur Mjr. Wachtel war viel um ihn, was begreiflicherweise den Unmut des Armeegeneralstabs­ chefs hervorrief. Deshalb entstand zwischen Wachtel und Böltz bald ein ungutes, gespanntes Verhältnis. In der Operationsabteilung führte ich die Evidenz der eigenen Truppen, das war das auf der Generalkarte 1  :200.000 täglich festgelegte Schaubild der Standorte der eigenen Truppen als Grundlage für alle zu fassenden Entschlüsse und Befehle, deren Ausarbeitung mir zukam, soweit sie nicht der sehr tätige Böltz persönlich verfasste oder Fleck niederschrieb. Mit mir arbeiteten der rangjüngere Hptm. Beran und der für uns auf dem Gebiet des Eisenbahnwesens zuständige GenStabHptm. Brendl.204 Ordnungsgemäß hätte Mjr. Wachtel in die operativen Angelegenheiten nichts dreinzureden gehabt. Seine Aufgabe lag in der materiellen Versorgung der Truppen in 203 Goražde  : Ort an der Drina, Bosnien. 204 Karl Brendl (Wien, 19.3.1879–27.4.1964, Wien) 18.8.1897 aus IKSch. Innsbruck ausgemustert zum IR 50, 1.11.1898 Lt., ab 1.11.1904 Glstbskarriere, 1.8.1914 zugeteilt dem 6. AK, 26.12.1914 zugeteilt d. Kdo. d. SWFront, 1.3.1915 Mjr.i.G., 1.9.1915 Glstsbchef 94.ID, 15.9.1917 Eisenbahnreferent d. Kdo. d. SWFront, 23.12.1917 Glstbschef des Korps Goiginger, 1.2.1918 VO. d. AOK beim 11. AK, 1.9.1918 Glstbschef 48.ID., 21.11.1920 als Titular-Obst. versetzt in den Ruhestand.

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Zusammenarbeit mit dem Armee-Etappenkommando unter GM Lenz.205 Doch entsprach es seiner Eigenart, sich in alles einzumischen und – ob gewollt oder ungewollt möchte ich nicht beurteilen – um den Feldzeugmeister eine unsichtbare, aber dichte Absperrung zu legen, was in der Folge zu einem großen Unglück wurde, weil er nicht den geistigen Einfluss auf ihn gewinnen konnte, den Merizzi gehabt hatte. So kam es, dass dieser, eigensinnig und durch Merizzis Einfluss misstrauisch geworden, mit seinem natürlichen Berater, dem Armeegeneralstabschef, in ein immer schlechteres Verhältnis geriet und aus dem abgeschlossenen Konak einfach nicht herauszubringen war. Potiorek meldete dem AOK (Erzh. Friedrich/Conrad), dass er mit der 6. Armee ab 18. August über die Leitlinie Višegrad – Užice – westl. Moravatal vorzurücken beabsichtige. Denn der erwartete rasche Einbruch der Serben nach Bosnien war nicht erfolgt. Sie blieben vielmehr sowohl bei Višegrad als auch bei Goražde an der Drina stehen und ließen nur ihre weitschießenden Geschütze in unseren Raum wirken. Bald jedoch änderte sich die Lage grundlegend. Die Mobilisierung Russlands löste die österreichische und die deutsche Gesamtmobilisierung aus, die von jener Frankreichs und Englands beantwortet wurde. Dazu kam bald die Verständigung vom AOK, dass Italien an Stelle seiner Bündnispflicht die Neutralität unter der Bedingung zugesagt habe, dass der in Montenegro gelegene Lovčenberg von uns nicht angegriffen würde. Ein solcher Angriff unserseits war zwar mangels an Kräften gar nicht geplant, aber diese Bedingung erwies die ganze Infamie Italiens, wie sie Conrad immer vorausgesagt hatte. Unsere Außenpolitik hatte es also zuwege gebracht, die ganze Welt zu unseren Feinden zu machen.206 205 Johann Lenz (Wien, 28.5.1859–29.5.1926, Wien) 18.8.1880 aus der Techn. Milakad. als Lt. zu FAR 11 ausgemustert, ab 1.7.1897 als Mjr. i.G. Glstbslaufbahn, Dienst jedoch bei Artillerieregimentern, 1.11.1904 Obst, 27.9.1909 Kdt. 2. GebArtBrig, 1.11.1910 GM, 19.4.1913 Festungskdt. in Bileća, Bosnien, 13.11.1913 FML, 5.5.1914 zugeteilt dem Armeeinspektor in Sarajevo, 1.2.1915 pensioniert auf eigenes Ansuchen. 206 Hermann Möcker, Die Haltung Italiens von der Neutralitätserklärung bis zur Intervention (August 1914 bis Mai 1915), maschinschriftliche Hausarbeit aus Geschichte, Wien 1962, S. 4 f.: Trotz der Zustimmung der deutschen Regierung, die Pläne der Doppelmonarchie gegen Serbien vor Italien geheim zu halten, machte der deutsche Botschafter in Italien, Hans von Flotow, der sich zusammen mit dem italienischen Außenminister Antonio Marchese di San Giuliano in dem Kurort Fiuggi bei Rom befand, diesem ziemlich weitgehende Eröffnungen über die ö.-u. Absichten. Schon am 10. Juli forderte San Giuliano von Flotow für den Fall einer Besetzung des Lovčen durch Österreich-Ungarn mit drohenden Worten das Trentino. Wir sehen daraus, daß San Giuliano schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt den Gedanken erwog, eine Verschärfung der Krise zu einem territorialen Gewinn für Italien aufgrund der durch Art. VII des Dreibundvertrages in Aussicht gestellten Kompensationen zu benützen. Nur das Trentino wird von Italien als das einzig mögliche Kompensationsobjekt betrachtet. Italiens Forderung nach dem Trentino wurde aber bezeichnenderweise nicht in Wien, sondern in Berlin erhoben, weil San Giuliano anderenfalls den sofortigen Bruch mit Österreich-Ungarn befürchten musste.

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Aus diesen Umständen ging Erzh. Friedrich mit Conrad auf den Hauptkriegsschauplatz nach Galizien ab. FZM Potiorek wurde zum „Kommandanten der Balkanstreitkräfte“ ernannt. Dazu wurde ihm auch die 5. Armee in Nordbosnien unterstellt, während die 2. Armee nördlich der Save und Donau, nach Freiwerden der Eisenbahnen, das war ab 18. August, nach Galizien abzugehen hatte. Bei uns entstand nun die Frage, ob ein eigenes Führungskommando für die Balkanstreitkräfte aufzustellen war und wer das Kommando der 6. Armee übernehmen sollte. Ein solche Lösung wäre sinnvoll gewesen, weil die Führung einer Armee, namentlich im Gebirge, eine große Mobilität des Armeekommandanten erforderte, während die Gesamtführung auf einem ganzen Kriegsschauplatz mehr Ruhe und Stabilität brauchte. Eine solche Möglichkeit vorausschauend hatten wir mit Merizzi für dieses hohe Kommando den kleinen Ort Doboj im Bosna-Tal in Aussicht genommen, weil er günstig zwischen beiden Armeen lag und so wie Sarajevo ein Knotenpunkt von Straßen, Eisenbahnen, Telegraphen- und Telefonlinien war207. Ich besprach die Sache mit Mjr. Wachtel wegen der materiellen Versorgung  : Mit meinem Vorschlag, ein kleines Kommando der Balkanstreitkräfte zu formieren und die Führung der 6. Armee GdI. v. Appel oder FML Wurm zu übertragen, dessen Korpskommando FML Trollmann (bisher 18. Division) zu führen hätte, war er ausnahmsweise einverstanden, und wir trugen ihn gemeinsam Obst. Fleck und in dessen Gegenwart dem Generalstabschef GM Böltz vor. Letzterer war nicht dafür, mit der Bemerkung des Truppenoffiziers, dass damit wieder nur ein „überflüssiges“ Kommando aufgezogen würde, sagte jedoch zu, Potiorek den Gedanken vorzutragen. Der lehnte ab. Wieder fehlte die Einflusskraft Merizzis auf den Feldzeugmeister  ; andererseits hatte jener in den vorangegangenen Jahren ja alles getan, um ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Potiorek und Böltz zu verhindern. Potiorek war nun Kommandant der Balkanstreitkräfte, Kommandant der 6. Armee und blieb auch politischer Landeschef für Bosnien und die Herzegowina, vereinte also drei gleichzeitig auszuübende Machtbefugnisse in seiner Person. Das wirkte sich sehr bald für die ihm unterstellte 5. Armee ebenso verderblich aus, wie es in der Folge die 6. Armee praktisch führerlos machte. Denn Potiorek fühlte sich durch die Führung der Landesregierung und der 5. Armee immer behindert, bei der 6. Armee, so wie es sich gehört hätte, persönlich nach dem Rechten zu sehen. Der Armeekommandant wurde zum Stubenhocker, den an der Front niemand zu Gesicht bekam. Ob dieses Sich-in-seine-vier-Mauern-Verkriechen Potioreks Grundnatur entsprach oder eine Folge des Schocks beim Attentat war, als ihm gegenüber im gleichen 207 Doboj  : Stadt an der Bosna, bereits nahe dem Gebirgsausgang und der slawonischen Ebene. Bekannt durch eines der ersten größeren Gefechte, die k. k. Truppen im Juli/August 1878 gegen die mohammedanische Bevölkerung im Zuge der Okkupation zu führen hatten.

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Wagen der Thronfolger mit seiner Gemahlin erschossen wurden, wage ich nicht zu entscheiden. Die durch den bevorstehenden Abtransport der 2. Armee entstandene Lage, wonach Potiorek allein mit der 5. und 6. Armee die Sicherung der Südgrenze der Monarchie, mit Kräften, die den Serben und Montenegrinern keineswegs überlegen waren, zukam, erforderte neue Entschlüsse. Dass man die serbische Bedrohung am besten durch ein offensives Vorgehen nach Serbien abwenden konnte, war jedermann klar  ; man musste allerdings beide Armeen näher aneinander heranführen, um eine ausreichende Kraft zu bilden. Das konnte entweder durch eine Südverschiebung der 5. Armee oder eine Nordverschiebung der 6. Armee erfolgen. Da die 6. Armee aber erst eine Woche später als die 5. voll kampfbereit sein konnte, wäre es nahe gelegen, während dieser Woche die 5. Armee südwärts in den Raum Janja-Zvornik-Vlasenica-Srebrenica marschieren und von dort aus ostwärts die Drina überschreiten zu lassen. Wohl drängte das Außenministerium aus politischen Gründen auf einen raschen Beginn der Feindseligkeiten. Das durfte die Kriegführung freilich nicht zu falschen Entschlüssen verleiten. Tatsächlich befahl Potiorek der 5. Armee, aus ihrem Aufmarschraum an der unteren Drina die Offensive schon am 12. August in der Richtung Valjevo zu beginnen. Sie sollte möglichst viele serbische Kräfte auf sich ziehen, denen er mit der erst am 18. August über die mittlere Drina bei Višegrad vorbrechenden 6. Armee in den Rücken kommen wollte. Als GM Böltz diesen Befehl Potioreks zur Ausfertigung an die 5. Armee brachte, war ich so entsetzt, dass ich, ohne den Zwischenvorgesetzten zu beachten, Böltz direkt beschwor, den Feldzeugmeister umzustimmen und davor zu warnen, die bloß fünf Divisionen starke 5. Armee allein durch 6 Tage der mindestens elf Divisionen starken serbischen Armee entgegenzuwerfen. Böltz horchte auf, begann zu überlegen und erkannte des Feldzeugmeisters Meinung, man müsse die befristete Anwesenheit der 2. Armee nördlich der Save und der Donau nützen, als schwaches Argument. Da ganz Slawonien und Ostbosnien serbische Bevölkerung hatte, musste man doch annehmen, dass der bevorstehende Abtransport der 2. Armee nach Galizien in Belgrad schon bekannt geworden war. Ich suchte und fand in Richard Körner einen Gleichgesinnten, der Böltz ebenfalls beredete. Plötzlich erschien Merizzi aus dem Spital. Rasch orientierte ich ihn und beschwor ihn, Potiorek doch von seinem Befehle abzubringen. Der Major zuckte jedoch die Achseln und meinte, ich wisse ja, dass Potiorek ihn nicht empfange  ; er habe ins Banat abzugehen. Schließlich ging Böltz doch noch einmal zu Potiorek und kam bald mit der simplen Erklärung zurück, „Befehl ist Befehl“, worauf Obst. Fleck den Befehl an die 5. Armee ausfertigte.

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Inzwischen waren die Aufmarschtransporte der 5. Armee durch einen Bahnunfall verzögert worden, was den Armeekommandanten GdI. Frank208 zum Antrag veranlasste, den Offensivbeginn vom 12. auf den 14. August zu verlegen. Gleichzeitig erschien von der 5. Armee ein Generalstabsoffizier – ich glaube es war der kluge Obst. v. Landwehr –, um die besonders das VIII. Prager Korps betreffende Aufmarschverzögerung zu erklären und den Verschiebungsantrag des Armeekommandanten zu begründen. Aber auch das war vergebens  ; Potiorek beharrte auf seinem Befehl, der anscheinend auf Überlegungen fußte, die er als Chef des Operationsbüros vor fünfzehn Jahren für den Kriegsfall mit Serbien angestellt hatte. Dass Serbien seither, unterstützt von Russland und Frankreich, gewaltig aufgerüstet und erst kürzlich seine Kriege gegen die Türkei und Bulgarien siegreich bestanden hatte, schienen Potiorek und Böltz nicht wahrhaben zu wollen. In ihrer Fehlmeinung wurden sie vom geradezu sträflich überheblichen Obstlt. Gellinek bestärkt, der als ehemaliger Militärattaché in Belgrad immer wieder äußerte, die serbische Armee sei unserer gegenüber völlig inferior  ; abgesehen vom kühnen Kriegertum der Serben und ihrer in zwei Kriegen gewonnenen Erfahrung war dies allein schon wegen deren artilleristischer Überlegenheit über die 6. Armee eine frivole Behauptung. Zu allem Überfluss hieß das AOK die Absichten Potioreks gut und übernahm dadurch die Mitverantwortung. Es kam, wie es kommen musste  : Die 5. Armee erlag mit ihren sich glänzend schlagenden 5 Divisionen in achttägigen schweren Kämpfen der feindlichen Übermacht. Als die 6. Armee am 20. August mit ihrem Vormarsch begann, war die 5. Armee schon über die Drina zurückgegangen. Mir stieg die Schamröte ins Gesicht über diese Niederlage einer Großmacht gegenüber dem kleinen Serbien. Selbstverständlich musste nun der Vormarsch der 6. Armee gestoppt und diese an die 5. herangeführt werden, was von Haus aus hätte geschehen müssen. Da GdI. v. Appel, der Kommandant des XV. Korps, sich nicht gern von den erfolgreichen Kämpfen gegen die serbische Užice-Gruppe abhalten ließ, erhielt ich den Auftrag, ihn persönlich über das Unglück der 5. Armee zu orientieren und zum Anhalten seines Vordringens zu bestimmen. So kam ich zum ersten Mal an die Front und ins serbische Artilleriefeuer, denn Appel hatte seinen Befehlsstand mitten in seine angreifenden Truppen verlegt. Bevor ich zu ihm kam, traf ich seinen Generalstabschef, den prächtigen Obst. Mihaljević, mit einem roten Kopf. Er hatte gerade wegen der befohlenen Einstellung des Angriffes eine harte Auseinandersetzung mit Appel gehabt und in deren Folge 208 Liborius Frank (Spalato/Split, Dalmatien, 5.10.1848–26.2.1935, Graz), Frequentant der Marinekadettenschule in Fiume und der Theres. Milakad, 1.9.1869 als Lt. ausgemustert zu FJB 21, ab 1.9.1874 Glstbslaufbahn, 1.11.1893 Obstlt., Regimentskdt. 1.11.1898 GM, Brigadier, Divisionär, Abteilungsleiter im KM, 17.6.1908 Kdi. Gen. in Temesvár und Kdt. VII. Korps, 26.5.1908 Geh. Rat, 16.4.1910 Armeeinspektor, VII/1914 Kdt. 5. Armee, 1.1.1915 pensioniert auf eigenes Ansuchen.

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um seine Einrückung zur Truppe gebeten. Um mich vor der direkten Aussprache mit dem auf das Gröblichste schimpfenden General zu bewahren, sagte er mir, er habe die Einstellung des Angriffes bereits mit Appel ausgehandelt, meine Intervention sei nicht mehr nötig, ich würde von jenem auch nur gröblich beschimpft werden. Während dieses Gespräches mit Mihaljević entdeckte mich Appel und rief mich zu sich. Sein Jähzorn war bereits verflogen und als ich ihm den Befehl zur Einstellung seines Angriffes übermittelte, bestätigte er mir knurrend, dass er Mihaljević die entsprechende Durchführung schon aufgegeben habe  ; ich möge ihn über die Einzelheiten orientieren, wie es zum Rückzug der 5. Armee gekommen sei. Das tat ich ausführlich, aber ohne Potiorek bloßzustellen. Die nun geplante Zusammenführung beider Armeen zu einheitlicher Aktion befriedigte Appel. Mein anschließender Versuch, Mihaljević zur Rücknahme seines Wunsches nach Ablösung als Generalstabschef zu bestimmen, schlug jedoch fehl. Als ich zu Böltz zurückkehrte und ihm Meldung erstattete, meinte er, das passe ihm sehr gut  ; Obst. Fleck werde Generalstabschef beim XV. Korps und ich habe dessen Agenden beim Armeekommando zu übernehmen, „weil ich vom isolierten Angriff der 5. Armee abgeraten hatte“. Aber ich dürfe Potiorek keine Lagezeichnung auf der Generalkarte 1  : 200.000, sondern nur auf der Spezialkarte 1 : 75.000 machen, damit dieser nicht wieder Entfernungen unterschätze, wie jene, die zwischen der 5. und 6. Armee bestanden hatte. So wurde ich für die kommenden Ereignisse praktisch Chef der Operationskanzlei – eine regelrechte Ernennung wagte Böltz wegen meines zu geringen Dienstgrades nicht. Er selbst straffte sich nun und wurde Potiorek gegenüber hart, was nach und nach zum absurden Verhältnis führte, dass sein mündlicher Verkehr mit dem Feldzeugmeister immer seltener wurde. Bei Entscheidungen schrieb er seine Meinung auf einen Zettel und ließ ihn bei Potiorek  ; kam der Zettel mit einem Ja zurück, so war es gut. Schrieb Potiorek nein, dann rief mich Böltz und wir durchdachten den Antrag noch einmal. Fanden wir, dass Potiorek Unrecht hatte, so schrieb Böltz seinerseits „Ja“ oder „ich beharre auf meinem Vorschlag“. So wanderte ein Zettel oft drei- bis viermal hin und her, und Böltz bewahrte diese Zettel zu seiner Deckung auf. Mir ist bis heute unverständlich, warum sich die beiden Männer unter den geschilderten Umständen nicht trennten. Tatsache blieb, dass GM Böltz wohl eine gewisse Berücksichtigung durch den Feldzeugmeister erfuhr, jedoch keinen beherrschenden Einfluss gewann. Ebenso erstaunlich war, dass FZM Potiorek nach der die Monarchie bloßstellenden Niederlage, die das schwankende Bulgarien davon abhielt, in den Krieg einzutreten, die Gunst des Kaisers und dessen Militärkanzlei nicht verlor. Im Gegenteil, Potiorek wurde in der Folge von der Unterordnung unter das AOK gelöst und mit seinen Bal-

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kanstreitkräften dem Kaiser unmittelbar unterstellt. Bei seinen Streitkräften verblieben sogar um dreieinhalb Divisionen mehr, als ursprünglich für diesen Kriegsschauplatz nach Eintritt Russlands in den Krieg geplant gewesen waren. Potiorek war eben die dem Kaiser durch seinen Freund, den langjährigen Chef des Generalstabes Graf Beck, nahegebrachte Persönlichkeit, während GdI. Baron Conrad vom Erzh. Franz Ferdinand dem Kaiser oktroyiert worden war. Auch die täglich prompte, rosarot-persönliche Berichterstattung Potioreks an die Militärkanzlei, die scharf von Conrads herber Zurückhaltung abstach, mag das Ihre beigetragen haben. Im Gegensatz zur Friedenszeit bekam ich diese persönlichen Briefe Potioreks nie zu Gesicht. Mein Verhältnis zum Chef der Nachrichtenabteilung und besonders zu dem die materielle Versorgung bearbeitenden Offizier wurde schwierig. Obstlt. Gellinek hatte mir die Feindnachrichten zu liefern, Mjr. Wachtel hingegen seine die Versorgung der Truppen betreffenden Verfügungen auf Grund der von mir bearbeiteten operativen Befehle durchzuführen. Obwohl ich beide Herren immer wieder direkt an GM Böltz wies, schickte dieser sie oft hinaus mit den Worten  : „Geht‘s doch zum Jansa, d e r gibt euch die Anweisungen  !“ Besonders Wachtel fiel Böltz aller Anerkennung seiner Fähigkeiten zum Trotz durch sein outriertes Benehmen so auf die Nerven, dass er dessen Gegenwart oder Referat kaum ertragen konnte. Obwohl ich – und da ist Gott mein Zeuge – bei Böltz immer wieder zugunsten Wachtels sprach, musste sich bei diesem der Gedanke festsetzen, dass ich die Animosität gegen ihn stütze, was mich damals freilich nicht bedrückte. Und da Wachtel sich bei Potiorek als ein schlechter „MerizziErsatz“ eingeschlichen hatte, ich ihm somit ein Gutteil der Schuld am schlechten Verhältnis Potiorek – Böltz zumaß, war er mir bald in seiner überheblichen Art, sich in alles besserwisserisch einmischen zu wollen, ebenso zuwider. Hingegen waren mir der Artilleriereferent und der auch viel dienstältere Eisenbahnreferent treue Freunde. Körner in seiner frischen, frohen Art kam, wenn er nicht an der Front war, mit einem frohen „Servus, was gibt‘s Neues  ?“ zu mir und sprach alle artilleristischen Maßnahmen mit mir gründlich durch. Er hegte berechtigten Groll auf Potiorek, weil dieser die Einführung des neuen Gebirgsgeschützes um ein Jahr verzögert hatte. Wenn zufällig Wachtel sich in dieser Zeit zu mir verirrte, wurde Körner still und abweisend. Öfter sagte er zu mir  : „Wann werdet Ihr den endlich rausschmeißen  ?“ Die unguten Verhältnisse im „Kommando der Balkanstreitkräfte“ und im „6. Armeekommando“ wurden natürlich von all den vielen Unterorganen, Ordonnanzoffizieren, freiwilligen Automobilisten usw. bemerkt und höhnisch bekrittelt. Auch jetzt war bei Potiorek die Aufstellung eines neuen 6. Armeekommandos und seiner Beschränkung auf die höhere Führung im Kommando der Balkanstreitkräfte nicht zu erreichen. Sein Machthunger klammerte sich an alles und sein Selbstgefühl schien unter der von ihm verursachten Niederlage keineswegs gelitten zu haben. Eines

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konnte ihm jedoch abgerungen werden  : die Verlegung des Standortes des Kommandos von Sarajevo nach Doboj und später nach Tuzla, also näher an die 5. Armee heran und in Tuzla auch nahe genug an die Kampffront an der Drina.209 Während die 5. Armee, die bei den unglücklich beendeten Kämpfen viele Verluste an Menschen und Kriegsmaterial erlitten hatte, sich hinter der unteren Drina retablierte, wurde die 6. Armee im Fußmarsch und mit Eisenbahn an die 5. Armee heran, in den Raum um Zvornik – Ljubovija – Vlasenica geführt. An der mittleren Drina bei Višegrad-Goražde-Foča, dann in der Herzegowina blieben nur schwache Kräfte zur Sicherung. Der Grundgedanke war, die Serben mit beiden Armeen über die Drina hinüber in ihrem Land wieder anzugreifen und, wenn schon nicht zu vernichten, so doch wenigstens so zu binden und zu schwächen, dass sie für die Südgrenze der Monarchie keine Gefahr mehr bedeuten konnten. Bis zur Beendigung der Bereitstellung zu diesem Angriff verging viel Zeit, in der sich FZM Potiorek als sehr großzügiger, nervenruhiger, hoher Führer erweisen konnte und sein großes militärisches Renommee wieder rechtfertigte. Die von Russland gedrängten und über den stattgefundenen Abtransport der k. u. k. 2. Armee nach Russland gut unterrichteten Serben versuchten nun ihrerseits die Save nordwärts zu überschreiten. Während sie das bei Mitrovica gegenüber der von FML Alfred Krauss (er war bis Kriegsbeginn Kommandant der k. u. k. Kriegsschule gewesen) geführten 29. Inf. Div. schwere Verluste und fast fünftausend Gefangene kostete, gelang ihnen das Eindringen nach Syrmien, dem Land zwischen Save und Donau, wo es nur schwache Landsturmsicherungen gab. Darüber waren die Ungarn entsetzt. Sie, die durch mehr als ein Jahrzehnt jede Weiterentwicklung der k. u. k. Armee sabotiert und in den letzten Jahren sogar das normale Rekrutenkontingent verweigert hatten, schrieen jetzt durch ihren Ministerpräsidenten, Graf Stephan Tisza, Zeter und Mordio beim Kaiser. Dessen Militärkanzlei reichte diese Schreiben an Potiorek weiter. Sicher und ungerührt erwiderte der Feldzeugmeister, dass sein am 8. September beginnender neuer Angriff über die Drina die Serben sehr rasch von ihren Extratouren zurückzwingen werde. Das geschah dann auch tatsächlich. Vorher will ich noch eine mich betreffende Episode erzählen. Zum gemeinsamen Angriff mit der 5. Armee zogen wir natürlich alle irgendwie und irgendwo entbehrlichen Truppen zusammen. So wurde aus drei Bataillonen der 14. Gebirgsbrigade in der Bocche di Cattaro und zwei Bataillonen der 3. Gebirgsbrigade, die auf der Linie 209 Tuzla, früher auch Dolnja Tuzla, Stadt im östlichen Bosnien am Südwestfuß des Majevica-Gebirges, hat Kohlen- und Salzbergwerke. Dadurch, dass am 16. September die k. u. k. Truppen neuerlich die Drina überschritten, konnten sie das Eindringen der Serben nach Syrmien und ins Banat stoppen.

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Nevesinje–Avtovac die Montenegriner meisterhaft in Schach hielt, eine neue Gebirgsbrigade unter GM Šnjarić gebildet.210 Artillerie für sie und zur Verstärkung anderer Brigaden hatte der prächtige Richard Körner herangezaubert  : Bei der Firma Škoda in Pilsen für Chile und China bestimmte Gebirgsbatterien, die wegen des Krieges nicht ausgeliefert werden konnten, wusste er für uns frei zu lösen. Im Raum Višegrad–Goražde, gegenüber der etwa 20.000 Soldaten zählenden serbischen Užice-Gruppe und den etwa 15.000 Montenegrinern im Sandschak hatten wir die fünf Bataillone starke 8. Gebirgsbrigade stehen gelassen, welche die Südflanke der ostwärts angreifenden 6. Armee und auch die Richtung über die Romanja planina nach Sarajevo zu decken hatte. Potiorek wollte nun diese unsere Südflanke gegen etwa 35.000 Serben und Montenegriner sichernden Kräfte auf ein Minimum reduziert und das Gros zur angreifenden Hauptkraft herangezogen wissen. Das geradeheraus zu befehlen, scheute er sich  ; aber wenn der dort befehligende GM Andrian211 selbst sagen würde, dass er seine Aufgabe mit bloß 1–2 Bataillonen erfüllen und drei an die Hauptkräfte abgeben könnte, so wäre ihm dies angenehm, denn dann trüge Andrian die Verantwortung. Also ließ Potiorek mich rufen  : „Fahren Sie zu Andrian und knöpfen Sie ihm von der 8. Gebirgsbrigade so viel ab als möglich  !“ Das war wieder einer jener diabolischen Aufträge, wie sie Merizzi im Frieden geübt hatte. Hptm. Brendl charterte mir eine Lokomotive. Zuerst fuhr ich von Doboj das Bosna-Tal aufwärts und dann auf der Waldbahn im Krivaja-Tal nach Han Pijesak, wo mich schon ein Pferd erwartete, das mich zu GM Andrian trug. Ich brachte mein Anliegen vor. Der alte Herr roch den Braten sofort und meinte „Zu befehlen traut sich das der hohe Generalstab nicht, aber ich soll meinen Buckel dafür herhalten  !“ Allerdings kannte mich GM Andrian als ehrlichen Arbeiter, und so begannen er, sein Generalstabsoffizier und ich, die Lage ruhig durchzusprechen. Tatsache war, dass die Serben ihm gegenüber seit Wochen völlig passiv waren und auch die Montenegriner wenig Angriffslust zeigten. Ob das so bleiben würde, wenn die 6. Armee zum Angriff über die Drina schritt, ob da Serben und Montenegriner nicht versuchen würden, durch ein Vordringen über die Drina der 6. Armee in Flanke und Rücken zu kommen, 210 Die Montenegriner hatten ihren Kriegseintritt mit einer Beschießung von Cattaro und Bileća begonnen. Am 4. Oktober wurden nach heftigen Kämpfen zwei montenegrinische Brigaden nach Foča zurückgeworfen. Die Kämpfe verliefen an dieser Front wechselvoll. Andererseits erlitten am 8. Oktober die Hauptkräfte der Serben auf der Romanja Planina bei Sarajevo und bei Višegrad eine Niederlage. 211 Felix Andrian (Fiuminicello, Istrien, 31.7.1857–5.5.1940,  ?), 1878 aus der IKSch. Triest ausgemustert, 1.11.1878 Lt., Karriere als Truppenoffizier, 1.5.1909 Obst. IR 70, 23.10.1913 Kdt. 8. GBrig, 1.5.1914 GM, 22.9.1914 Kdt. einer selbstständigen Gruppe, bestehend aus 8. und 13. lBrig. sowie einer kombinierten Brigade, dem XVI. Korps direkt unterstellt, 7.11.1914 wieder Kdt. 8. GBrig., 6.11.1915 Inspizierender der Kriegsgefangenenlager und Offiziersstationen im Milkdo.-Bereich Leitmeritz, 1.5.1917 FML, 30.9.1918 gegen Wartegebühr beurlaubt.

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das konnte niemand sagen. Andrian hatte jetzt ein Bataillon bei Višegrad, eines im Raum Foča–Goražde und drei als Reserve bei Rogatica212 stehen. Für die Abwehr eines echten Angriffes der Serbo-Montenegriner reichten seine fünf Bataillone nicht aus, dazu mussten ihm gegebenenfalls neue starke Kräfte von der 6. Armee zugeführt werden  ; für ein hinhaltendes Kämpfen in den stark bewaldeten, von unseren Truppen gut gekannten Gebieten bis zum Eintreffen der Verstärkungen konnte bei geschickter Führung, für die GM Andrian ja bekannt war, mit zwei Bataillonen in der Front und einem in Reserve ausgekommen werden. Zwei Bataillone könnte er nach meinem Dafürhalten Potiorek zur Verfügung stellen. GM Andrian dachte hin und her und schließlich stimmten er und sein Generalstabsoffizier zu und setzten gleich zwei Bataillone nordwärts zur 6. Armee über Vlasenica in Marsch. Auch ich war zufrieden  : Die Absprache war reell und konnte von beiden Seiten vertreten werden. Als ich Potiorek nach meiner Rückkehr das Ergebnis meldete, fuhr er mich grob an  : „Mehr haben Sie nicht zuwege gebracht  ? Das ist der heutige Generalstab  ! Ihr seid ja alle nichts wert  !“ Damit drehte er sich um und verkroch sich in seinem Wigwam. Über solche Grobheit war ich nur einen Moment verblüfft, jedoch in keiner Weise gekränkt, denn ich war sicher, vernünftig gehandelt zu haben und nicht augendienerisch. Als ich das Ganze GM Böltz mit der Bitte vortrug, mich zur Brigade Šnjarić als Generalstabsoffizier einzuteilen, fuhr der mich scharf an. „Sei nicht so zimperlich  ! Das möchte Dir passen, mich in dem Sauhaufen allein zu lassen. Du bleibst  !“ Vierzehn Tage später, als Serben und Montenegriner auf die Romanja planina vorbrachen, war man froh, GM Andrian mit drei Bataillonen und zwei Batterien dort zu haben, der den Feind mit staunenswerter Kraft und großem Geschick zu bremsen verstand. Unsere Hauptkräfte brachen am 8./9., diesmal fest in sich geschlossen und bestens vorbereitet, über die Drina vor. Während die 5. Armee auf vorbereitete Feindstellungen traf, überraschte die 6. Armee in ihrer Wucht und ausgezeichneten infanteristischen Schlagkraft die Serben so sehr, dass diese alle ihre in Ungarn eingebrochenen Kräfte sofort zurückriefen. Das Kampfgelände der 6. Armee war 800–900 m hohes Mittelgebirge und sehr schwierig. Trotzdem wurden die Serben in oft blutigsten, hin- und herwogenden Nahkämpfen in acht Tagen überall über den Hauptkamm des GuceroRückens geworfen. Glanzvoll bewährten sich die niederösterreichischen Bataillone meiner 9. Gebirgsbrigade, bei der ich einst Generalstabsoffizier gewesen war. Aber auch sonst kann man über diese erfolgreichen Kämpfe nur das hohe Lied der prachtvollen mittleren und unteren Führung und einer wunderbaren Tapferkeit und Treue 212 Rogatica  : Ortschaft im Südosten Bosniens. Dort wurden am 23. Oktober 1914 nach dreitägigem Kampf starke serbisch-montenegrinische Kräfte zum Rückzug gezwungen.

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der Truppen singen. Am Billieg kamen 2 Bataillone des Inf. Rgts. Nr. 22, lauter serbische Dalmatiner, unter dem dalmatinisch-autochthonen Major Turudija zum Einsatz.213 Als die Serben das in den Nahkämpfen erkannten, riefen sie herüber  : „Ihr seid doch Serben, kämpft doch nicht gegen uns  !“ Turudija und seine Leute aber gaben die derbsten serbischen Flüche zurück, warfen die Serben und machten viele Gefangene. Aber zum durchschlagenden, entscheidenden Erfolg fehlte uns die artilleristische Kraft. Bald erstarrten die Fronten in Schützengräben, genau so, wie man es zehn Jahre vorher am mandschurischen Kriegsschauplatze erlebt hatte. Dazu waren unsere Verluste sehr schwer, natürlich auch jene der Serben. Es regnete viel und auf dem 900 m hohen Šanac war schon Schnee gefallen. Auch der Übergang des FML Alfred Krauss bei Jarak über die Save konnte die serbische Front nicht zum Einsturz bringen, es mussten einfach schwere Angriffsmittel herbeigeschafft werden. Vernünftigerweise wurde dem Ganzen Halt geboten, Rast gegeben, die Stellungen für die Abwehr wurden solid eingerichtet und die Marschkompanien zur Komplettierung der Stände eingereiht, die Verwundeten abgeschoben und die Toten begraben. Die Front wurde genau studiert, wo man sie und mit welchen Mitteln am besten werde bezwingen können. Die etwa sechzig gefangenen serbischen Offiziere sagten alle aus, dass ihre Armee von den Kämpfen sehr hergenommen sei und schwere blutige Verluste erlitten habe. Dem serbischen Oberbefehlshaber, General Putnik214, war es endlich gelungen seine Užice-Gruppe und die Montenegriner nach Bosnien einbrechen zu lassen. GM 213 Stanislaus Turudija (Prijedor, Kroatien, 1870–Oktober 1937, Kragujevac, Banat Donau, Serbien), 1883– 1887 Zögling des Militärknabenpensionats in Sarajevo, 1887–1891 Frequentant der IKSch. Triest, 2.10.1887 assentiert auf die gesetzliche Dienstzeit, 18.8.1891 KOStellvertreter im IR 6, 1.11.1893 Lt. IR 93, Karriere als Truppenoffizier, 1.5.1913 als Hptm. transferiert zum IR 22, im Weltkrieg mehrmals dekoriert und außer der Rangtour, 1.11.1914 zum Mjr. und 1.2.1916 zum Obstlt. ernannt, 7.8.1916 kriegsgefangen nach 16-stündigem Kampf seines Baon gegen eine ital. Division bei S. Mauro nördlich Görz, August 1916 eingeteilt in das Gefangenenlager Piazza Armerina auf Sizilien, dann in weiteren ital. Kriegsgefangenenlagern, 1919 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und heimgekehrt nach Prijedor, später nach Zagreb, 1933 tätig in einer Munitionsfabrik in Kragujevac als Hilfsarbeiter, 1935 in Zagreb, später im Vardar-Banat tätig als Landarbeiter. Vgl. über seine bedeutende und wichtige militärische Leistung  : Gustav v. Hubka, Das Bataillon Turudija in der 6. Isonzoschlacht, in  : MWM, Jg. 1937, September, S.1–9. Siehe jetzt auch die Biografie  : Christoph Neumayer/Erwin A. Schmidl (Hg.), Des Kaisers Bosniaken. Die bosnisch-herzegowinischen Truppen in der k. u. k. Armee. Geschichte und Uniformierung von 1878 bis 1918, Wien 2008, S. 337. 214 Radomir Putnik (Kragujevac, Serbien, 21.1.1847–17.5.1917, Nizza), Oberkommandant der serbischen Armee in den beiden Balkankriegen und im Weltkrieg 1914 bis 1916, wurde mit den Resten der serbischen Armee nach Korfu gebracht und legte dort Ende 1916 das Kommando nieder. Siehe  : Dimitrije Djordjevic  : Vojvoda Radomir Putnik, in  : Béla K. Kiraly (ed.), East Central European War Leaders  : Civilian and Military (= War and Society in East Central Europe, vol. XXV), Boulder 1988, p. 223–248.

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Andrian zog sich, den Feind immer wieder anfassend, langsam nach Norden zurück und es kam in den nächsten Wochen zu der im Frieden oft durchdachten Schlacht auf der Romanja planina, die FZM Potiorek mit bewundernswerter Ruhe erfolgreich beendete, indem er aus der Angriffsfront jenseits der Drina freigemachte Reserven heranführte. Allerdings hatte uns auch FM Baron Conrad, der die Schwierigkeit der Lage erfühlte, durch Zuschub von je einem steirischen und einem Tiroler Landsturmregiment geholfen. Die Serben und Montenegriner in Bosnien wurden dabei so zerschlagen, dass sie in den folgenden vier Kriegsjahren keinen Fuß mehr auf unser Gebiet zu setzen wagten. Die auf der Romanja frei gewordenen, vom Kommandanten des XVI. Korps, FML Wurm, geführten Truppen wurden in der Folge zu einem mächtigen Stoß über Ljubovija am rechten Flügel der 6. Armee eingesetzt, was endlich auch die serbische Hauptkraft zum Zurückweichen brachte.215 Wir drangen in einem Zug bis an den Ljig-Fluss und die Kolubara vor, machten aber bloß 15.000 Gefangene. Die Serben waren erstklassige Soldaten und schlugen sich hervorragend. Wir hatten sie erschüttert und zurückgedrückt, jedoch nicht vernichtet. Die am Ljig und an der Kolubara neu entflammte Schlacht musste trotz des dauernd schlechten Novemberwetters und des auf den morastig gewordenen Straßen fast zum Erliegen kommenden Nachschubs durchgekämpft werden, um die entlang der Kampffront im Kolubara-Tal bis nach Valjevo führende serbische Schmalspurbahn für unseren Nachschub frei zu bekommen. Obstlt. Wachtel hatte bereits Lokomotiven und Waggons an die Save bei Obrenovac herankommen lassen. Nach schweren Kämpfen, bei denen wir bereits stark unter dem Mangel an Munition litten, gelang es doch, die Serben neuerdings zum Rückzug in ihre Zentralstellung um Aranđelovac216 zurückzudrücken. Wir erfuhren, dass aus Frankreich über Saloniki217 viel Munition für die Serben herankam. Die Serben nä215 Am 6. November 1914 begannen die ö.-u. 5. und 6. Armee mit einer Großoffensive aus der Linie Šabac –mittlere Drina. Nach schweren Kämpfen wurden Mitte November Obrenovac und am 15.11. Valjevo erobert. Trotz großen Munitionsmangels wehrten sich die Serben tapfer. Aber auch die ö.-u. Armeen, besonders die 6., litten trotz Nachschubschwierigkeiten und großer Kälte außerordentlich. Doch der Vormarsch ging zunächst weiter. Die 5. Armee erreichte das Gebiet südlich von Belgrad bis knapp vor Aranđelovac, die 6. Armee stieß in das Rudnikgebirge vor. Am 2. Dezember nahmen die ö.-u. Truppen von Norden her das von den Serben militärisch geräumte Belgrad. Am 3. Dezember brachte ein serbischer Gegenangriff im Abschnitt der 6. Armee eine radikale Wendung. Innerhalb weniger Tage musste diese Armee bis zur Save zurückgehen. Am 15. Dezember wurde schließlich auch die 5. Armee zum Rückzug gezwungen. FZM Potiorek trat zurück. 216 Aranđelovac und Kragujevac  : Orte im engeren Serbien, südlich von Belgrad. Sie waren wichtige Waffenplätze der Serben und 1914/15 mehrmals das Angriffsziel der k. u. k. Armeen. Sie konnten aber vor der Großoffensive Ende 1915 niemals erreicht werden. 217 Saloniki, amtlich heute Thessaloniki, war und ist eine wichtige Hafenstadt in Griechenland. Sie wurde

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herten sich ihrem Zentralausrüstungsdepot Kragujevac immer mehr, während unser Nachschub immer schwieriger wurde. Vorsicht war daher geboten. Deshalb arbeitete ich einen Befehl aus, wonach das XIII. Korps aus der Front gezogen und als Reserve Potioreks im Raum östlich Valjevo gruppiert werden sollte, was auch den Nachschub für das XVI. Korps im Gebirge südöstlich Valjevos erleichtert hätte  ; die 5. Armee sollte mit dem VIII. und dem Korps Krauss, aus Schiffen von der Save versorgt, näher an das XV. Korps heranrücken. Dieser Entwurf, den ich Wachtel wegen der Regelung des Nachschubes zum Lesen gegeben hatte, passte ihm gar nicht. Er vertrat die Auffassung, dass eine Reserve nicht nötig sei, und verstand auch Böltz so zu beeinflussen, dass dieser, in Übereinstimmung mit Potiorek, wegen der Absicht durch das Nachdrängen aller unserer Kräfte die Serben nicht mehr zur Ruhe kommen zu lassen, meinen Befehlsentwurf ablehnte. Diesen Stimmungsumschwung beim bisher doch sehr vorsichtig gewesenen Armeegeneralstabschef scheint neben den tatsächlichen Erfolgen unserer Waffen auch der die Feindevidenz bearbeitende Obstlt. Gellinek bewirkt zu haben, der immer davon sprach, dass die Serben schon aus dem letzten Loch pfiffen. Wir hatten uns endlich mit unserem hohen Kommando auf serbisches Gebiet nach Koviljača verlegt, was ich aber nicht ausreichend fand und zwar aus nachstehendem Grunde218  : In unserer öst. ung. Armee war es Vorschrift, dass jede niedere Kommandostelle zu der ihr vorgesetzten das Telefon zu bauen hatte. Wenn nun ein Kommando zu weit hinten blieb, so hemmte es einerseits den Schwung des Vorgehens, anderseits die taktische Führung der Brigaden, weil die Divisions- und Korpskommandos nur beschränkte Mengen an Telefonkabeln besaßen und – um mit ihrem Vorgesetzten in Verbindung zu bleiben – von ihren Truppen weit abbleiben mussten. Wir gehörten (wenigstens Potiorek mit dem engeren Stab) längst nach Valjevo. Doch all mein Drängen bei Böltz war vergebens. Wenn unser Standort Koviljača für das Kommando der Balkanstreitkräfte als Höchstkommando auch entsprechend war, so genügte er 1430 türkisches Hoheitsgebiet und im Zuge des 2. Balkankrieges 1912 griechisch. Ab Ende des 19. Jh. bestand der Plan und die Absicht Österreich-Ungarns, eine Bahnlinie bis zu diesem Hafen durch das türkische Gebiet zu bauen. Sie wurde von Serbien bekämpft. Abgesehen von den oben angeführten Munitionstransporten nach Serbien war Saloniki auch seit Oktober 1915 Hauptstützpunkt der Balkanfront der Entente. Die Pläne General Conrads, nach der Eroberung Serbiens die Offensive bis zur Einnahme Salonikis fortzusetzen, fanden aus politischen und aus militärischen Gründen (Nachschubfrage, Absicht der Offensive bei Verdun) nie die Zustimmung des deutschen Chefs des Generalstabes, General v. Falkenhayn. Dies führte im Herbst 1915 zu erheblichen Differenzen zwischen den Stabschefs. Siehe auch Karl-Heinz Janßen, Der Kanzler und der General. Die Führungskrise um Bethmann Hollweg und Falkenhayn (1914–1916), Göttingen 1967, Kapitel 15  : Serbien–Wilna–Champagne–Saloniki, S.154 ff. 218 Koviljača, heute Banja Koviljača, serbischer Grenzort an der Drina.

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gewiss nicht für das 6. Armeekommando. Dadurch dass Potiorek auch dieses niedere Kommando persönlich führen wollte, war die 6. Armee durch das weite Zurückbleiben Potioreks praktisch führerlos geworden. Trotz der hervorragenden Bewährung aller höheren Kommandanten musste angesichts unserer hohen Verluste und dem Mangel an allem, gerade jetzt die im schwierigsten Berggelände befindliche 6. Armee fest geführt werden. Das hielt ich für wichtiger als die täglich ergehende Berichterstattung an die Militärkanzlei Seiner Majestät des Kaisers. Aber was konnte ich noch tun, als meine Meinungen und Sorgen mit meinem Mitarbeiter Hptm. Beran besprechen. Unsere konzeptive Arbeit war so ungemein schwierig, dass uns zum Streiten innerhalb des Kommandos kaum Zeit blieb. Unser Befehlsbereich umfasste den Raum von der Südspitze Dalmatiens bis Orsova an der Donau.219 Während unsere Befehle für die 6. Armee in allen Einzelheiten durchgearbeitet sein mussten, handelte es sich für die 5. Armee, die Donauflottille, für die Kräfte in Syrmien und im Banat um weit vorausschauende, wohldurchdachte Direktiven. Der Strohsack lag neben dem Schreibtisch mit dem Telefonapparat. Beran und ich ruhten seit Monaten abwechselnd nur stundenweise. In Koviljača bekamen wir einen interessanten Besuch  : den Chef der Balkangruppe im AOK, Obstlt. Purtscher220, mit dem deutschen Obstlt. Hentsch.221 Die Deutschen waren daran interessiert, die Donau bald so freigekämpft zu haben, dass deutsche Munitionstransporte per Schiff nach Bulgarien und weiter nach Konstantinopel für die bedrängten Türken gefahren werden könnten. Nach Vorsprache beider Herren bei Böltz und Potiorek orientierte ich Purtscher eingehend. Selbstverständlich bemühte ich mich auch, ihm alle unsere Nöte, besonders den würgenden Mangel an Artilleriemunition und Gewehren zu schildern und 219 Orsova (ung.), heute Orşova (rum.), eine Stadt an der Mündung der Cerna in die Donau, damals an der Grenze zu Rumänien im Banat. Es gehört heute zu Rumänien. 220 Alfred Purtscher (Eichwald, heute Dubí, Nordböhmen, 1.4.1874–21.6.1918, gefallen bei al Bosco, westl. Salgareda am Piave), 18.8.1895 aus Theres. Milakad. als Lt. zum IR 31, ab 1.11.1904 als Hptm.i.G. Glstbskarriere, 1.5.1911 Mjr.i.G, 16.9.1911 als Chef der Balkangruppe in das Operationsbüro des AOK, 1.5.1914 Obstlt.i.G., 13.1.1915 Oberquartiermeister der dt. Südarmee bzw. ab 8.6.1915 der Bugarmee, 15.9.1915 Glstbschef II. Korps, 1.5.1916 Obst.i.G., 11.9.1917 Chef der Quartiermeisterabt. der 1. Isonzo-Armee, 24.4.1918 Kdt. Schützenregiment 2 221 Friedrich Hentsch (Köln, 18.12.1869–13.2.1918, Bukarest), Hentsch war sächsischer Offizier, zuletzt als Mjr. i.G. d. XIX. Armeekorps. Im April 1914 wurde er unter Beförderung zum Obstlt.i.G. zum Abteilungschef im (dt.) Großen Generalstab ernannt. Hier unterstand ihm die 3. (Nachrichten-)Abteilung, deren Leitung er auch nach Ausbruch des 1. Weltkrieges beibehielt. Seine Bedeutung für das Kriegsjahr 1914 wird unter Anm. 223 kurz skizziert. 1915 wurde Hentsch mit Vorstudien für den Angriff auf Serbien betraut, 1916 fungierte er als Oberquartiermeister der Heeresgruppe Mackensen und 1917 war er bis zu seinem Tode Oberst und Chef des Stabes der Militärverwaltung in Rumänien. Er erhielt 1917 den Orden Pour le Mérite.

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um Abhilfe zu bitten. Leider war zunächst nicht viel Hoffnung  ; der gleiche Mangel herrschte auch an der russischen Front, und die Neuerzeugung in den Fabriken kam nur langsam in Gang. Das waren eben die Sünden, die Ungarn mit seiner sinnlosen Opposition gegen die Armee seit mehr als einem Jahrzehnt an ebendieser begangen hatte. Was an Artillerie mangelte, musste die Infanterie mit schwersten Blutopfern leisten  ; darum die besonders hohen österreichisch-ungarischen Verluste auf allen Kriegsschauplätzen. Im Gegenzug fragten wir Purtscher nach der Lage der Dinge in Galizien und an der französischen Front. Und da erfuhr ich zu meiner allergrößten Erschütterung, dass der Krieg bereits endgültig verloren sei. Der große Plan habe dahin gelautet, dass die ö.-u. Armee Deutschland im Osten durch 40 Tage den Rücken freihalten müsse  ; in dieser Zeit werde die deutsche Armee die Franzosen und Engländer so zusammenschlagen, dass sie dort nur geringe Kräfte zurückzulassen brauche und mit ihrem Großteil an die Ostfront kommen werde, um mit unserer Armee gemeinsam auch die Russen zu schlagen. An der Marne sei der deutsche Angriff allerdings schon im August zusammengebrochen und deshalb könne Conrad, der seine Aufgaben in den Schlachten von Kraśnik, Komarów und Lemberg voll gelöst habe, von Deutschland nicht genug unterstützt werden.222 Infam sei es aber gewesen, dass Deutschland das Misslingen seiner Pläne in Frankreich nicht nur der Öffentlichkeit gegenüber geheim halte und diese täusche, sondern diese Unaufrichtigkeit auch dem österreichischen Bundesgenossen gegenüber solange getrieben wurde, bis Conrad endlich auf Umwegen über die Auslandsnachrichten das deutsche Unglück an der Marne im ganzen Umfang erfuhr.223 Ja, 222 Bei Kraśnik am unteren San südwestlich von Lublin besiegte die ö.-u. 1. Armee unter Gen. Dankl die Russen, die gegen Lublin zurückgehen und ihren Vormarsch auf Schlesien aufgeben müssen. Am 26. August begann die einwöchige Schlacht bei Komarów, die am 1. September erfolgreich beendet wurde, aber ebenfalls keine Einschließung einer russischen Armee erbrachte. Die Russen mussten sich „nur“ über den Bug zurückziehen. Am gleichen Tag begann jedoch auch die sogenannte Erste Schlacht bei Lemberg, in deren Folge die ö.-u. Armee Brudermann eine Niederlage erlitt und am 30. August den Rückzug antrat. Die Schlacht bei Tannenberg (26. bis 30. August 1914) war der erste ganz große Erfolg der deutschen Armee. Am 2. September war Lemberg geräumt worden. Die k. u. k. Armeen begannen am 8. September die Zweite Schlacht bei Lemberg, die angestrebte Rückeroberung der Stadt durch die ö.-u. Truppen misslangen jedoch und sie erhielten am 11. September den Rückzugsbefehl. 223 Anfang August marschierten sieben deutsche Armeen nach Frankreich und Belgien ein. Das Schwergewicht lag auf dem deutschen rechten Flügel, der offensiv vorging, während sich der linke Flügel im Elsass defensiv zu verhalten hatte. Fünf deutsche Armeen schwenkten nach der Einnahme von Brüssel am 20. August und von Namur am 25. August über die Maas nach Süden. Am 4. September wurde Reims genommen. Die Marne-Schlacht vom 5. bis 10. September brachte jedoch den deutschen Vormarsch zum Stehen. Es folgt nun eine kurze Darstellung der Rolle des Obstlt.i.G. Friedrich Hentsch durch Thilo Vogelsang (NDB, B. 3, München 1963, S. 567 f.)  : „Als die große Schlacht an der Marne ihrem Höhepunkt entgegen trieb und im Großen Hauptquartier in Luxemburg infolge unzu-

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die Deutschen scheuten sogar vor der Lüge nicht zurück, die Ursache ihrer Niederlage Conrad in die Schuhe zu schieben  : Sie hatten nämlich zur Rettung Ostpreußens zwei Korps von Frankreich an Hindenburg224 nach Ostpreußen gesendet, ließen jedoch verlautbaren, diese Korps hätten zur Unterstützung Conrads abgegeben werden müssen und darum sei die Offensive an der Marne zum Stehen gekommen. Als ich darauf Purtscher fragte, was denn jetzt geschehen werde, sagte er, Conrad habe beantragt, Russland goldene Brücken zu bauen, um mit ihm zu einem Frieden zu kommen, aber die feindliche Entente wolle von einem Frieden nichts wissen  ; ja wir müssen noch mit dem Eintritt Italiens und Rumäniens in den Krieg gegen uns rechnen. Purtscher bat mich, alles Erzählte für mich zu behalten  ; es habe keinen Sinn das weiterzuerzählen  ; wir müssten den Krieg weiterführen, so lange bis es unseren Feinden genehm sein werde, Frieden zu machen  ; wir steckten eben in diesem Finis Austriae, länglicher Nachrichtenverbindungen der Überblick verloren zu gehen drohte, entsandte der Chef des Generalstabs des Feldheeres, Moltke, am 8.9.1914 Hentsch zu den Armeeoberkommandos 3, 2 und 1 mit der Weisung, die Lage zu erkunden und über sie zu berichten, sowie, falls ein Rückzug wegen der Bedrohung der 1. Armee erforderlich werden würde, diesen auf die Linie Soissons – Fismes – Reims zu dirigieren. Merkwürdigerweise wurde weder der Auftrag schriftlich fixiert, noch gibt es über ihn Aufzeichnungen anderer Beteiligter. H. berichtete regelmäßig nach Luxemburg. Als er von der 3. Armee kommend bei der westlich von ihr kämpfenden 2. Armee eingetroffen war, faßte deren Oberbefehlshaber, Generaloberst K. v. Bülow, am 9. September vormittags gemeinsam mit H. den Entschluss, den Rückzug hinter die Marne anzutreten, um der 1. Armee, falls ihr eine Umfassung drohte, den Anschluß zu erleichtern. Am Nachmittag, beim Armeeoberkommando 1, setzte er sich mit seiner Auffassung gegen den die dortige Lage günstiger beurteilenden Chef d. Glstb. General v. Kuhl, durch. Hentsch gab selbständig den Rückzugsbefehl auch für die 1. Armee. Hierdurch wurde ein die 2. und 3. Armee einschließender Gesamtrückzug an der Marnefront verursacht. Der Tragweite der Entscheidung und der möglichen operativen Auswirkungen wohl nur zum Teil bewußt, hat sich H. nach Rückkehr und gegenüber späteren Vorwürfen stets darauf berufen, durch v. Moltke ausdrücklich ermächtigt gewesen zu sein, im Notfall Rückzugsbewegungen anzuordnen. Diesen Notfall sahen v. Bülow und H. durch das Vordringen des englischen Expeditionskorps und der Gefahr einer Umfassung der 1. dt. Armee durch franz. Streitkräfte gegeben. Die Hoffnung Moltkes, mit der dt. 3., der 4. und der 5. Armee neuerlich die Offensive zu ergreifen, konnte sich nicht erfüllen. Bereits am 10. September mußten auch diese drei Armeen den Rückzug antreten.“ Die Widersprüchlichkeit bezüglich der Auftragsfomulierung an H. ist trotz umfassender Bemühungen der Kriegsgeschichtsschreibung niemals geklärt worden. H. hat eine auf seinen Antrag im Februar 1917 durchgeführte Untersuchung (durch den Chef des Stellv. Generalstabes) von persönlicher Schuld freigesprochen. An ö. Literatur zur Marne-Schlacht siehe die entsprechenden Passagen bei Anton Wagner, Der Erste Weltkrieg. Ein Blick zurück, 2. Auflage Wien 1968 (= Truppendienst-Taschenbücher, Band 7), S. 60–62. 224 Über Paul v. Beneckendorff und v. Hindenburg (1847–1934), 1916–1918 Chef des Generalstabes des dt. Feldheeres siehe Zeynek-Broucek I, S.168, Anm. 213. An neuester Literatur über Hindenburg zur Amtszeit Jansas in Berlin siehe  : Wolfram Pyta, Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, 3. Aufl. 2007, S. 791 ff.

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das Conrad vorausgesehen habe  ; aber der größte Teil seiner Anträge zur Abwendung dieser Gefahr sei ja in den Wind geschlagen worden. Mich trafen Purtschers Mitteilungen ins Mark. Sollten alle Aufopferung, alle Tapferkeit der Truppen, alle großen, blutigen Verluste vergeblich sein  ? Die Sorge um unsere Monarchie, ohne die ich mir die Welt damals gar nicht vorstellen konnte, bedrückte mich derart, dass ich während der kommenden Kriegsjahre kaum mehr froh werden konnte. Aber das war nicht alles  ; bald galt es im eigenen Befehlsbereich Schwerstes durchzustehen. Während die Korpskommandos ihre Lagemeldungen regelmäßig bei mir abgaben, meldete mir Hptm. Theil225 vom XVI. Korpskommando am 6. Dezember, dass FML Wurm den Armeegeneralstabschef persönlich sprechen wolle. Ich legte den Schalthebel auf Böltzens Telefon um, und da die Tür zu seinem Arbeitsraum zumeist offen war, rief ich ihm zu, dass FML Wurm ihn selbst sprechen wolle. Bald sah ich Böltz ein unglückliches Gesicht machen und hörte ihn fragen, was wir an Reserven fürs XVI. Korps frei hätten. „Nichts  !“, antwortete ich, „Ich durfte ja das XIII. Korps nicht aus der Front lösen  !“ Darauf sagte mir Böltz, dass Wurm um Hilfe gebeten habe  ; die Serben seien zu einem wuchtigen Gegenangriff übergegangen und hätten unsere 50. Division unter FML v. Kalser geworfen.226 Bald trafen von allen Seiten Meldungen über schwere Angriffe der Serben ein. Statt, wie ich es beantragt hatte, nach Süden ans XV. Korps anzuschließen, hatte sich unsere 5. Armee nordostwärts gezogen, um Belgrad zu nehmen, was ihr auch gelang. Für das Eingreifen zugunsten der 6. Armee war sie nun zu weit weg. Potiorek, das muss ich anerkennen, versuchte mit großer Nervenruhe und Umsicht die Lage in Ordnung zu bringen. Aber während bei den Serben – wie wir von Gefangenen hörten – der König von Division zu Division eilte, um seine Truppen anzufeuern, hatten unsere Verbände ihren Oberbefehlshaber in den viereinhalb Monaten fast pausenlosen Kampfes nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen  ! Das Ende war, dass wir Mitte Dezember Serbien zum zweiten Mal räumen mussten. Das Kommando verlegte sich über Šabac nach der Festung Peterwardein, die Truppen gelangten mit dem Großteil nach Syrmien, mit geringen Kräften nach Bosnien. 225 Karl Theil (Mühlbach, rum. Sebeş, Siebenbürgen, heute Rumänien, 21.8.1878–1.4.1936, Graz), 18.8. 1900 aus Theres. Milakad. ausgemustert zum 3. TKJR ab 1.11.1906 Glstbslaufbahn, 1.11.1910 Hptm. und eingeteilt beim XVI. KKdo., 8.8.1914 Glstbschef Gruppe GM Gabriel, 1.9.1915 Mjr., 9.11.1916 Glstbschef 24. ID, 21.7.1917 Milkdo. Innsbruck bis Kriegsende, 1.11.1917 Obstlt.i.G., 1.12.1920 Ruhestand. 226 Franz Kalser Edl. v. Maasfeld (Görz, 7.8.1860–4.9.1942, Wien), 18.8.1882 aus der Theres. Milakad. ausgemustert als Lt. zum IR 27, ab 1.1.1890 zugeteilt Glstb., in der Folge Lehrer an der Kriegsschule und Divisionsgeneralstabschef sowie Rgtskdt, 27.10.1911 Kdt. 12. GebBrig., 8.5.1912 GM, 142.1915 FML, 19.5.1918 GdI. und Kdt. XX. Korps.

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Wenigstens war damit die kaiserliche Gunst für Potiorek erschöpft. Sein Abgang aus der Aktivität geschah in guter, vornehmer Haltung  : Am 21. Dezember 1914 meldete er an die Militärkanzlei  : „Die Verantwortung für alles Geschehene, mag es sich wie immer zugetragen haben, trifft ausschließlich mich, und ich werde jede Konsequenz dieser mir zufallenden Verantwortung ruhig und mit soldatischer Ergebenheit auf mich nehmen.“ Er ließ durch seinen Personaladjutanten anfragen, wer eine Photographie von ihm wünsche. Ich erbat und erhielt sein Bild mit einfacher Unterschrift ohne jede Beifügung. Aber gleichzeitig erfuhr ich, dass mir Seine Majestät am 26. November (natürlich über Antrag Potioreks) das Militärverdienstkreuz 3. Klasse mit Kriegsdekoration verliehen hatte. Am Heiligen Abend 1914 erschien zu unserer allergrößten Überraschung der Feldzeugmeister erstmalig in der Offiziersmesse, reichte jedem wortlos die Hand. Dann reiste er in sein Domizil nach Klagenfurt. Ich habe Potiorek durch mehr als drei Jahre treu und ehrlich gedient. Er war zweifellos ein hochbefähigter General, der in seiner Aktivität viele begeisterte Bewunderer gefunden hatte – zu diesen gehörte ich leider nicht. GM Böltz übernahm das Kommando der 18. Infanteriedivision. An die Art seines Abschiedes kann ich mich nicht entsinnen. Ich begegnete ihm nicht mehr. Er machte seinem Leben bei Kriegsende als Kommandant in Odessa durch einen Schuss selbst ein Ende. B  Beim 5. Armeekommando, dann beim Kommando der Südwestfront 25. 12. 1914–24. 9. 1915 Die Balkanstreitkräfte wurden nach dem unter Führung des Feldzeugmeisters Potiorek erlittenen Echec von der unmittelbaren Unterstellung unter den Monarchen gelöst und wieder dem AOK in Teschen untergeordnet. Dieses hatte in der gleichen Zeit, da die Serben triumphieren konnten, den Russen in der von FM Conrad meisterhaft durchkämpften Schlacht von Limanowa-Lapanów endgültig Halt geboten. Baron Conrad löste das Kommando der Balkanstreitkräfte auf und vereinigte alle Streitkräfte an der ö.-u. Südgrenze unter den Befehl des 5. Armeekommandos. Zum neuen Kommandanten dieser 5. Armee wurde GO Erzh. Eugen mit FML Alfred Krauss als Armeegeneralstabschef ernannt. Ich kannte beide Herren nicht und erwartete meine Einteilung zu einem Brigade-, Divisions- oder Korpskommando. FML Krauss befahl einen nach dem anderen von uns Generalstabsoffizieren zu sich und ließ sich von jedem einzeln referieren. Als ich ihm meine Stellung im Kommando der Balkanstreitkräfte erläuterte, nickte er beifällig und sagte zu mir  : „Nicht die Gene-

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ralstabsarbeit hat versagt, sondern die ganze Anlage der Offensive aus Bosnien heraus war verfehlt  ; das ist die Schuld Potioreks als seinerzeitigem Chef des Operationsbüros und General Conrads, der diesen falschen Aufmarsch nicht schon in Friedenszeit geändert hat. Den Serben hätte man, wie seinerzeit Prinz Eugen und Laudon, von Norden nach Süden anfassen müssen. Sie kommen in die Operationsabteilung, ins Organisationsreferat, dem Obstlt. Zimmer vorstehen wird.“227 Ich bat, dass mein treuer Helfer, Hptm. Beran, bei mir bleiben dürfe, was er bewilligte. Ich kann nicht leugnen, dass diese Verfügung des FML Krauss wie eine auszeichnende Anerkennung von mir empfunden wurde. Meine Arbeiten über den Rahmen des alten Kommandos hinaus müssen also bekannt und gutgeheißen worden sein. Als Chef der Operationskanzlei nahm sich Krauss seinen bewährten Generalstabschef bei der 29. Division und seinem „kombinierten Korps“, den hervorragend tüchtigen Obstlt. Hiltl228. Der Chef der Nachrichtenabteilung, Obstlt. Gellinek, wurde zu meiner großen Freude durch jenen der bisherigen 5. Armee, Hptm. Solarcz229, ersetzt, mit dem mich in der Folge eine herzliche Freundschaft verband. Auch den Obstlt. Wachtel behielt Krauss im neuen Kommando, unterstellte ihn jedoch dem von der alten 5. Armee übernommenen Nachschubleiter Obst. Theodor Körner230  : was seinen als Armee-Ar227 Adolf Zimmer (Friedrichsdorf, tschech. Bedřichovka, Böhmen, 1.1.1873–11.10.1948, Wien), 18.8.1892 aus IKSch. Temesvár zu FJB 6, ab 1.5.1908 Hptm.i.G. und Glstbslaufbahn, 9.11.1909–1.2.910 kommandiert ins Eisenbahnbüro d. Glstb., 1.5.1912 im Landesbeschreibungsbüro, ab 1.5.1913 Lehrer an der Kriegsschule, 28.7.1914 eingeteilt in der Glstbsabt. des 5. AKdo.,1.8.1914 Mjr.i.G., 27.12.1914 zum Kdo. d. Balkanstreitkräfte, 24.5.1916 zum Kdo. SW-Front, 10.9.1915 Glstbsoffz. 1. ITD., 1.2.1916 Obstlt. i.G. ab Nov. 1918 bei liquidierenden Truppenkörpern, 1.3.1919 pensioniert, 1.1.1920 Obst. i. R., jedoch 2.7.1920 Dienstantritt im Staatsamt für Heerwesen, Sept. 1922 definitiv eingeteilt beim Heeresinspektor, 14.7.1923 Titular-GM, 1.8.1928 Ruhestand. 228 Hermann R. v. Hiltl (Olmütz, heute Olomouc, 16.6.1872–15.8.1930, Wien), Frequentant der MUR. Eisenstadt u. Theres. Milakad., 18.8.1892 assentiert zum IR 33. 1.11.1905 Hptm., Karriere als Truppenoffizier, 1.9.1907 als ständiger Lehrer an die IKSch. Wien, 1912 versetzt nach Sarajevo,1.9.1915 Mjr., hochdekoriert als Frontoffizier und Baonskdt., zuletzt beim IR 104, 5.11.1920 Titular-Obst., 1.12.1920 Ruhestand, August 1919 beteiligt an der Gründung des Bundes für Ordnung und Wirtschaftsschutz, 30.4.1920 konstituierende Sitzung der Frontkämpfervereinigung Deutschösterreichs zusammen mit den Pensionisten Obst. v. Zeiß, Hptm. Franz Mayer, Hptm. Emil Fey und Hptm. Anton Seifert Über Hiltl siehe u.a.: Eugen v. Hammer (Hg.), Oberst Hiltl. Ein Gedenkbuch, Wien 1931. Gemäß diesem Werk soll Hiltl über die Frage zum Reich der Großmogule bei der Hauptprüfung vor der Aufnahme in die Kriegsschule gescheitert sein. Siehe  : Mario Strigl, Vom Legitimismus zum Nationalsozialismus. Die Frontkämpfervereinigung in Österreich. Wiener Magisterarbeit, Wien 2000. 229 Hugo Solarcz (2.3.1883 Wolkersdorf, NÖ–  ?) 18.8.1901 aus IKSch. Budapest zu bosn.-hzgow. IR 4, 1.11.1902 Lt., ab 27.7.1909 Glstbslaufbahn, 1.11.1912 transferiert zum XIII. (Agramer) Korpskdo., 1.5.1917 Mjr.i.G. 230 Über Theodor Körner (1873–1957) siehe die Daten seiner Generalstabskarriere in der k. u. k. Armee bei Glaise-Broucek I, S. 259, Anm. 434, und dort auch die wesentliche Literatur. Seine militärtheo-

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retischen und ideologischen Werke sind gesammelt in  : Ilona Duczynska (Hg.), Theodor Körner, Auf Vorposten. Ausgewählte Schriften 1928–1938, Wien 1977. Theodor Körner stellte sich Anfang November 1918 dem Staatssekretär für Heerwesen der Deutschösterreichischen Republik zu Verfügung, er wurde Abteilungsleiter und Jänner 1919 Amtsleiter im Staatsamt für Heerwesen bzw. 1920 Leiter der Sektion I im BM. f. Hw, 10.3.1923 GM, 1.7.1923 mit der Funktion des Heeresinspektors betraut, 18.1.1924 General, 1.2.1924 pensioniert, April 1945 von der SPÖ zum Bürgermeister von Wien bestimmt, 1.6.1951–4.1.1957 gewählter Bundespräsident. Theodor Körner war 1918–1920 ein vehementer Unterstützer des Unterstaatssekretärs bzw. Staatssekretärs Julius Deutsch, der in seinen Erinnerungen bekannte, er sei damals Anhänger des Gedankens gewesen, dass für Deutschösterreich die Gefahr der Reaktion wesentlich größer gewesen wäre als die des Bolschewismus. Da Körner im Militärwesen (auch der 1. und der 2.) Republik Österreich eine so wichtige Rolle spielte hier eine Charakteristik des Frequentanten an der Kriegsschule Walter Auspitz, ab 1920  : Walter Heydendorff  : k. u. k. Hptm.i.G, 1945 Obstlt. u. Präsidialchef der Dienststelle Staatskanzlei/Heeresamt, später ab 1945 Staatsarchivar in den Abteilungen Kriegsarchiv bzw. Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Dr. phil. Walter Ernst Heydendorff, Kriegsschule 1912–1914 (KA, NLS, sign. B/844, Nr. 74)  : S. 18 f.: „Unter den Lehrern ist zweifellos der damalige Generalstabsmajor Theodor Körner Edler. v. Siegringen hervorzuheben … Schon als junger Offizier hatte er das meist nur Stabsoffizieren und Hauptleuten mit langer Dienstzeit zukommende Militärverdienstkreuz für Verdienste bei Hochwasser erworben. Als Generalstabshauptmann hatte er die neue Organisation der Telegraphentruppe erdacht und durchgeführt. Dafür erhielt er eine Generalsauszeichnung, den Orden der Eisernen Krone III. Kl.; den ursprünglichen Antrag auf diesen Orden soll der Kriegsminister unter Hinweis auf den bescheidenen Rang des Auszuzeichnenden herabgesetzt, Kaiser Franz Joseph jedoch wiederhergestellt und genehmigt haben. Man sollte nun meinen, daß ich, als sein Schüler durch zwei Jahre in täglichem Kontakt im Lehrsaale und auf einer ausgedehnten Übungsreise im damaligen Südosten, in dieser Zeit das zweifellos schwer ergründliche Denken unseres Lehrers in dem Hauptgegenstand ,Operativer Generalstabsdienst‘ verstehen lernen würde. Es sei gleich gesagt, daß dies nicht der Fall war. Wohl war Körner ein harter Kritiker an Vorschriften und damals gültigen Lehrmeinungen – er hieß deshalb in Armeekreisen der ,rote Körner‘ – und beeinflußte uns in diesem Sinne  ; aber wir fragten uns des Öfteren nach einer derartigen Lehrstunde, was er eigentlich bezwecke. In ähnlicher Weise waren seine Zensuren auf die allwöchigen Schulaufgaben rätselhaft und verschleiert, man wußte nicht ob er einverstanden war oder ablehnte. Ich persönlich glaubte mich auf Grund vieler spöttischer Kritiken an meinen Arbeiten nicht im Zustande der Gnade  ; auch gab es mehrmals heftige Zusammenstöße, auf die ich noch zu sprechen kommen werde. Zu meiner späten Verwunderung las ich dann lange nach dem Ersten Weltkrieg die geradezu glänzende Beschreibung, die mir Oberstleutnant Körner nach Schluss des zweiten Kriegsschuljahres angedeihen ließ. Als uns im Jahre 1945 – über Verlangen des damaligen Wiener Bürgermeisters Körner – das Leben wieder zusammenführte, hat mich der einstige Lehrer als seinen besten Schüler und, ungeachtet verschiedener politischer Einstellung, als einen Menschen anständiger Gesinnung bezeichnet.“ S. 47 f.: „Von unseren Lehrern war Oberstleutnant v. Körner der einzige, der den Versuch machte, durch einen Besuch bei seinen Schülern Einblick in das Milieu zu gewinnen, in welchem diese lebten. So stellte sich mir damals diese überraschende Ehre dar, als deren Zeuge mir noch die Visitkarte verblieben ist, die k. u. k. Oberstleutnant des Generalstabskorps Theodor Körner Edl. von Siegringen lautete. Damit ist die Behauptung eines späteren Biographen des in der Politik Hochgekommenen widerlegt, Körner habe sich nie seines Adels bedient … Mit Körner ein erträgliches Verhältnis gegenseitiger Achtung herzustellen, ist mir während der Kriegsschulzeit nicht gelungen. Der ätzende Sarkasmus seiner Anmerkungen und Zensuren auf den allwöchigen operativen Schulaufgaben nahm mir jedes Selbstvertrauen. Ich mußte

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tilleriechef beibehaltenen, inzwischen auch zum Obersten beförderten Bruder Richard veranlasste, mir zu sagen  : „Na, da krieg mer jetzt an Bremsklotz angehängt.“ Mein neuer unmittelbarer Vorgesetzter, Obstlt. Zimmer, war ein spät in den Generalstab gekommener älterer Herr und an der Kriegsschule unter FML Krauss Lehrer gewesen. Er selbst zeigte keinerlei Initiative, war dankbar für alle Ideen und Arbeiten von Beran und mir und erbat immer nur genaue Information über alle unsere Gedanken und Befehlsentwürfe, bevor er bei Krauss zum Referat antrat. Er kam strahlend zurück, wenn Krauss ihn belobte, was sehr häufig geschah, und sagte dann immer gutmütig, dass er Krauss gemeldet habe, dass Gedanken und Arbeiten nicht von ihm, sondern von uns seien. Überhaupt atmete die ganze Atmosphäre dieses neuen Kommandos wohltuende Sicherheit, Ruhe und Ordnung. So kamen wir endlich auch dazu, unser gefährliches Manko an Schlaf nachzuholen. Zum Landeschef für Bosnien und die Herzegowina war der kroatische FML Stefan Sarkotić ernannt worden, der als Führer der 42. kroatischen Honvéd-Division in den vergangenen fünf Monaten ein glänzendes Bewährungszeugnis erbracht hatte.231 Unser Befehlsbereich erstreckte sich unverändert von der Südspitze Dalmatiens bis Orsova an der Donau. Dass Bosnien-Herzegowina einen eigenen Landeschef bekommen hatte, entlastete uns sehr. Erzh. Eugen führte eine eigene Tafel, die von der Hofküche besorgt wurde. Zu persönlichen Diensten hatte er nur den sehr bescheidenen Ulanenoberleutnant Baron Skrbenský 232. Ständige Gäste an der Hoftafel waren FML Krauss, der Verbindungsoffizier der Marine, Fregattenkapitän Graf Welsersheimb233, und der Vertreter des Ministers des Äußeren, Herr von Masirevich,234 und nach ihm mich sogar einmal einer Art Vergleichsprüfung unterziehen, was beinahe meiner Kriegsschulzeit ein jähes Ende bereitet hätte …“ 231 Über Stephan Sarkotić (1858–1939) siehe die biografischen Daten bei Glaise-Broucek I, S. 226, Anm. 394. GO Sarkotić war 1914 bis 1918 Kommandierender General in Bosnien und Herzegowina. 232 Georg Frh. Skrbenský v. Hříště (Prerau/Přerov, Mähren, 8.8.1884–  ?), 18.8.1904 aus der IKSch. Mährisch-Weiskirchen ausgemustert zum UR 2, 1.11.1905 Lt., 1.12.1912–1918 zugeteilt der Hofkanzlei des (zuletzt FM) Erzherzogs Eugen. 233 Otto Graf Welser v. Welsersheimb (Berlin, 5.12.1871 – 23.4.1945, Graz), Absolvent des Wiener Theresianums und der Marineakademie in Fiume/Rijeka, 1.7.1892 ausgemustert als Seekadett 1. Kl. Karriere als Marineur, 1.11.1918 Linienschiffskapitän  ; k. u. k. Kämmerer. 1914 bis 1918 war Welsersheimb VO. des Marinekommandos bei hohen Kommandobehörden der Armee, 1914–1916 beim Kdo. der SWFront, ab Jänner 1918 beim Heeresgruppenkdo. FM. v. Boroëvić, 1.1.1919 Ruhestand. 234 Konstantin v. Masirevich (  ?, 7.1.1879–  ?), Dienst im k. u. k. Ackerbauministerium, 1904 Ablegung der Diplomatenprüfung, als Gesandtschaftsattaché Dienst in den Gesandtschaften in Athen, London Brüssel, Kairo und Washington, 15.8.1914–10.12.1914 zugeteilt der Nachrichtenabteilung des Kdo. der Balkanstreitkräfte, dann bei Gesandtschaft in Kopenhagen zugeteilt, 21.8.1915 dem Delegierten des Ministeriums in Warschau zugeteilt, 11.11.1916 ins Ministerium einberufen, 3.1.1920 als Legationsrat I. Klasse in den kgl.-ung. Auswärtigen Dienst eingetreten.

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Herr v. Storck235. Alle anderen Herren des Stabes wurden turnusweise (je drei oder vier) zur Tafel geladen, so dass man etwa alle 14 Tage die Gelegenheit hatte, seinen Armeekommandanten zu sehen und zu sprechen. Die Unterhaltung vermied grundsätzlich aktuelle dienstliche Angelegenheiten. Der Erzherzog war ungemein leutselig  ; jeden seiner Gäste zog er vor, bei und nach der Tafel ins Gespräch, erkundigte sich über Familienverhältnisse, Ausbildung, Dienstleistungen und erzählte dann sehr anregend und mit feinem Humor gewürzt von seinen Lebenserfahrungen und Reisen. Er war der einzige kaiserliche Prinz, der eine höhere militärische Ausbildung durch Besuch der Kriegsschule erworben hatte. Ganz anders als Potiorek machte der Erzherzog täglich einen Spazierritt und besuchte mindestens an zwei Tagen der Woche die Truppen und deren Kommandos. Hierzu benützte er Auto und Eisenbahn. Die ungarische Fluss- und Seeschifffahrtsgesellschaft hatte ihm überdies ihren schnellen Luxusdampfer Zsofia hercegnö zur dauernden Verfügung gestellt. Wenn der Erzherzog dieses Schiff zur Fahrt nach Semlin benützte, von wo wir die Lage Belgrads und die Angriffsverhältnisse für diese Stadt studierten, so waren wir Generalstabsoffiziere immer eingeladen. Der Schiffskapitän servierte zu dieser Zeit noch Kaviar in solcher Menge, dass wir diesen mit Esslöffeln konsumieren konnten. Verpflegungsmangel gab es damals noch keinen. Auf solche Fahrten lud der Erzherzog auch immer seine Gäste ein, deren häufig recht viele kamen. Unter diesen Gästen waren auch Würdenträger und Verwaltungsbeamte des „deutschen Ritterordens“, dessen Hochmeister der Erzherzog war. Der Orden, während der Kreuzzüge ins Heilige Land gegründet, hatte später seinen Sitz in Marienburg an der Nogat zum Schutz Ostpreußens. Nach dem Abfall des hohenzollerschen Hochmeisters Albrecht zum Protestantismus und Erhebung des Ordensgebietes zum Herzogtum Preußen wurde der Orden nach Österreich verlegt, wo er sich dem freiwilligen Sanitätsdienst widmete. „Hoch- und Deutschmeister“ waren seither nur mehr österreichische Erzherzöge, die gleichzeitig Inhaber des k. u. k. Wiener Inf. Rgt. Nr. 4 waren, das dieser Inhaberschaft gemäß den Namen „Hoch- und Deutschmeister“ bekam. Zum Besitz des Deutschen Ordens gehörte unter anderem in Wien die Ritter235 Wilhelm R. v. Storck (  ?, 24.7.1868–  ?), Zögling der Oriental. Akademie, 23.10.1894 Konsulareleve, 30.12.1895 Lt.i.d.Res., auch Dienst in diversen Konsulaten, 4.1.1907 der Gesandtschaft in Belgrad zugeteilt, nach Dienst in Peking 28.11.1910 auch Oblt.i.Verhältnis der Evidenz der k. k. Landwehrkavallerie, weiters Dienst in Kairo, Konstantinopel und Belgrad, 26.2.1914 Legationsrat, 29.7.1914 zur freiwilligen Kriegsdienstleistung eingerückt, 4. bis 22.8.1914 Vertreter des Ministerium des Äußern beim Oberkommando der Balkanstreitkräfte, dann wieder militärischer Dienst, 21.7.1915 wieder beim Kdo. der Balkanstreitkräfte, 2.11.1915 Vertreter des Ministeriums in Belgrad, 18.7.1917 Vertreter des Ministeriums beim AOK, 10.5.1918 ins Ministerium einberufen, 1922 pensioniert.

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ordenskirche in der Singerstraße und das Palais am Parkring sowie das Schloss mit dem Weingut bei Gumpoldskirchen. Adelige Österreicher durften dem Orden gegen einen Jahresförderbeitrag angehören und das „Marianerkreuz“ tragen, das in der Armee spöttisch „die adelige Hundemarke“ genannt wurde. Ich gehörte seit 1913 dem Orden zu, was den Erzherzog bei unseren Begegnungen öfter zur Ansprache „Mein lieber Marianer“, abwechselnd mit „Herr Hauptmann“, veranlasste. Der Orden hatte aus seinen Mitteln der Armee Spitäler und Sanitätskolonnen zur Verfügung gestellt.236 Des Erzherzogs vornehme Liebenswürdigkeit und Güte gewannen ihm bald alle Herzen von Offizieren und Mannschaften, sodass zwischen der Armee und ihrem Kommandanten ein viel persönlicheres, zu hohen Leistungen anspornendes, unendlich viel wohltuenderes Verhältnis als vorher bestand. Seine militärische Führerbegabung konnte ich nicht beurteilen. Denn sein Armeegeneralstabschef war eine alles beherrschende, geistig hochragende Persönlichkeit, die sich in den vergangenen fünf Monaten als Kommandant der 29. Inf. Div. und später des „Kombinierten Korps Krauss“ (27. und 29. Division) die Anwartschaft auf den Militär-Maria-Theresienorden erworben hatte  ; davon waren wir alle überzeugt.237 Krauss war Sudetendeutscher und als solcher betont deutsch gesinnt. Er war ein kritischer Geist und selbstbewusster Charakter, dessen ungeschminkte und wenig zurückhaltende Äußerungen ihn in der hohen Generalität wenig beliebt gemacht hatten. Sein Verhältnis zum Erzherzog war dauerhaft sehr gut. Zu seinen Untergebenen war Krauss stets bestimmt, aber auch ruhig und höflich. Mich rief er schon nach kurzer Zeit öfter zum Referat, was meinen unmittelbaren Vorgesetzten, Obstlt. Zimmer, gottlob durchaus nicht kränkte  ; ja sein passives Naturell schien ihn sogar froh zu machen, wenn er sich solcherart die Vorbereitung eines Referates ersparen konnte. FML Krauss besprach mit mir organisatorische Maßnahmen und ließ sich besonders gern über Truppen und Kommandanten des XV. und XVI. Korps, die er noch wenig kannte, berichten  ; offensichtlich schätzte er meine Liebe und Bewunderung für diese wunderbaren Verbände und ließ mir in deren Retablierung und Ausbau fast völlig freie Hand. Über seine Beurteilung des Erzherzogs sind mir zwei Bemerkungen von ihm in lebendiger Erinnerung geblieben  : Einmal, als ich ihm einen Befehlsentwurf wegen härterer Disziplinierung der Ersätze für das VIII. Korps vorlegte, sagte Krauss zu mir  : „Sie haben vollkommen recht, aber der Befehl muss viel milder gefasst werden. Der Erzherzog ist eine furchtbar weiche Natur  ; so unterschreibt er mir den Befehl nicht.“ Das zweite Mal sagte er mir Monate später an der italienischen Front fast ge236 Siehe dazu  : Isnard W. Frank, Lexikon des Mönchtums und der Orden, Stuttgart 2004, 104 f. 237 Die Untergebenen des General Krauss waren bei Weitem nicht dieser Ansicht. Siehe diesbezüglich Glaise-Broucek I, S. 434 f. und die dortigen Anmerkungen.

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nau die gleichen Worte, als nämlich Gen. Boroëvić wegen ungehörigen Einsatzes von Marschformationen zur Rechenschaft gezogen werden sollte, was ich später noch im Einzelnen beschreiben werde. Die aus Serbien zu uns kommenden Nachrichten erzählten übereinstimmend von großer Erschöpfung der Armee, von Unruhen in den von Serbien erst 1912 eroberten makedonischen Gebieten und bald auch von Cholera und Flecktyphus, die das sanitär nur primitiv versorgte Land nicht eindämmen konnte. So hatte Potioreks Offensive, trotz des blamablen Rückzuges, der Monarchie an der Südgrenze wenigstens vorübergehend Ruhe geschaffen. Die Serben waren zu einem Vorstoß über Save und Donau einfach nicht mehr fähig. Deshalb konnten sich unsere Truppen in staunenswert kurzer Zeit seelisch und körperlich erholen. Denn FML Krauss übertrug die unmittelbare Grenzbeobachtung fast ausschließlich nur Landsturm-Verbänden, um die aktiven Truppen für schlagkräftige Unternehmungen, sei es in der Abwehr oder für eine nochmalige Offensive, bereit zu machen. Feldmäßige Befestigungen, deren abwehrende Fähigkeit man genug kennengelernt hatte, wurden für alle im Grenzdienst befindlichen Verbände, aber auch an geeigneten Abschnitten weiter hinten in Angriff genommen. Pioniere wurden zum Bau von Brücken bei Titel238 über die Theiss, bei Csenta239 über die Temes eingesetzt, um rasche Truppenbewegungen von Syrmien ins Banat zu ermöglichen  ; der versandete Kanal zwischen Donau und Temes wurde ausgebaggert, um Überschiffungsgeräte unbehindert und überraschend nach Pancsova bringen zu können. Die schwerfälligen selbstständigen Landsturmformationen, die im unmittelbaren Grenzschutzdienst nicht benötigt wurden, reihten wir in die aktiven Verbände ein, wodurch besonders das kroatisch-serbische XIII. Korps und die ungarische 40. Honvéd-Division volle Kriegsstände erreichten. Anfang Januar kam vom AOK angesichts der schweren Kämpfe mit den Russen in den Karpaten und in der Bukowina die Anfrage, ob der Erzherzog Truppen nach Norden abgeben könnte. Mit bewundernswerter Sicherheit und Verantwortungsfreude wurden sofort das XIII. Korps, das durch die Kämpfe ebenfalls rühmlich bekannte Kombinierte Korps und die 40. Honvéd-Division angeboten. Dabei erhielt das Kombinierte Korps die Nummer XIX und den bewährten FML Trollmann240 als 238 Titel  : Ort am rechten Theißufer gegenüber der Mündung, der Bega, Wojwodina. Im 16. und 17. Jh. bekannt als Hauptort eines serbischen Stammes katholischer Konfession, der mit schnellen Ruderbooten, Tschaiken genannt, dort im 18. Jh. die Wache an der Militärgrenze hielt. 239 Csenta, deutsch Zenta, heute Senta, Wojwodina, Ort am rechten Ufer der Theiß, ehemals bekannt auch durch den berühmten Sieg des Prinzen Eugen von Savoyen über die Türken im Jahre 1697. 240 Ignaz Frh.Trollmann v. Lovčenberg (Steyr, OÖ, 25.11.1860–23.2.1919, Graz), 18.8. 1882 aus der Theres. Milakad. als Lt. zum IR 14, 1.11.1890 Hptm. u. Glstbskarriere, 30.9.1901 zugewiesen der k. k. Landwehr bei Beibehaltung im Glstbskorps, ab 1912 Divisionär bei Infanteriedivision u. bei Land-

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Kommandanten. Diese Verbände waren bereits erholt, in den Ständen komplett und mit Bewaffnung und Ausrüstung in Ordnung. Noch während die Transporte dieser Verbände nach Norden liefen, bot unser prachtvolles Armeekommando auch noch das inzwischen gleichfalls gut retablierte Prager VIII. Korps für den Kampf gegen Russland an. Zusammen waren diese eine sieben Divisionen starke Armee. Bei uns blieben bloß die beiden ö.-u. Balkankorps XV. und XVI. Diese möglichst stark zu machen, gut zu gliedern und auch zu vermehren, war nun mein besonderer Ehrgeiz. Dafür fand ich beim Generalstabschef des in der Bocche di Cattaro verbliebenen 47. Divisionskommandos, Obstlt. Schuppich, und dem schon so oft genannten Artilleriechef, Obst. Richard Körner, wunderbare Unterstützung. In der Bocche di Cattaro hatte das Festungsartillerieregiment bei fast gar keinen Verlusten so viel Ersätze bekommen, dass Schuppich aus diesen überzähligen Mannschaften, aktiven und Reserve-Offizieren, drei Infanteriebataillone formierte und uns zur Verfügung stellte. Wir benannten sie „Jäger“-Bataillone und gaben ihnen kampferprobte Infanterieoffiziere als Kommandanten. Sie erhielten mit Zustimmung des AOK die in der Friedensreihe der Feldjägerbataillone fehlenden Nummern 3, 15 und 26 und im Banat eigene schwäbisch-ungarische Ersatzkörper. Ähnlich konnte aus den zahlreichen unausgenützten dalmatinischen Ersätzen ein fünftes Bataillon des Inf. Rgt. Nr. 22 formiert werden. Danach und nachdem auch die Erzeugung von Gewehren und Maschinengewehren in Steyr in Gang kam, wurde es möglich, die Zahl der Maschinengewehre in jedem Bataillon von 2 auf 4 zu erhöhen. Obst. Körner brachte im Einvernehmen mit dem verdienstvollen Artillerieorganisator des AOK, Obst. Ottokar Pflug,241 eine Reihe von Gebirgsgeschützen, darunter schon einige der wunderbaren neuen Škoda-Gebirgsgeschütze (deren Serienerzeugung Potiorek – Merizzi so verzögert hatten), Feldgeschütze, 15cm-Haubitzen und sogar zwei 30½-cm-Mörser für uns zustande. Da die Gebirgsbrigaden in der ursprünglichen Friedensorganisation verschieden stark an Infanterie waren, was sich nicht bewährt hatte, stimmte FML Krauss meiwehr-Infanteriedivisionen, dann Kdt. XIX. Korps, 1.12.1916 GdI. und Leiter der Operationen gegen Montenegro unter Sarkotić, 17.8.1917 Ritter des MMTO und Freiherrnstand, 1.1.1919 Ruhestand. 241 Über Ottokar Pflug (1873–1945) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 329, Anm. 170. Pflug war als Offizier im Artilleriestab von 1908 bis 1918 im Operationsbüro d. Glstb. Bzw. d. AOK tätig, zuletzt als Obst.i.G, 22.12.1921 Titular-GM, 1.2.1935 GM, Vertragsbediensteter im BMfLv. in der Funktion eines Sektionschefs, 9.2.1938 Titular-FML. Der zweite k. u. k. Offizier, der dem Range nach eine ähnliche Laufbahn hatte und in der Ersten Republik Verwendung fand, Maximilian Ronge, war als TitularGM und Fachmann des Geheimen Nachrichtendienstes 1938 in der Generaldirektion für Öffentliche Sicherheit führend tätig. Zum Unterschied von Pflug wurde Ronge gleich nach der Okkupation 1938 im KZ Dachau inhaftiert, später aber vom Amt Ausland/Abwehr des OKW aus dieser Haft wieder herausgeholt und mit literarischen Arbeiten für das OKW beschäftigt.

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nem Antrag zu, alle Gebirgsbrigaden mit je fünf Bataillonen gleich stark zu machen, wodurch mehr Gebirgsbrigaden und daher auch mehr Infanteriedivisionen gebildet werden konnten, für welche letztere uns das AOK die Nummern 57, 58 und 59 zuwies. Da eine 50. Division schon während der Kämpfe in Serbien gebildet worden war, so bestanden bis zum Mai 1915 beide, im Frieden bloß 4 Divisionen habenden Korps, zusammen aus 6 Divisionen, wozu noch die selbtständige 59. Division in Sarajevo kam. Das erleichterte die Dispositionsfähigkeit und Versorgung sehr wesentlich. Zudem bekam jede Gebirgsbrigade eine zweite Gebirgsbatterie, jede Division eine Divisionsartillerie, bestehend aus je einer Feldkanonen-, Gebirgs- und Feldhaubitzenbatterie. Jedem Korps konnten zwei 15-cm-Haubitzbatterien beigegeben werden, und als Armee-Artillerie gewannen wir zwei 30½-cm-Mörserbatterien und eine Anzahl aus Festungsgeschützen feldmobil gemachter schwerer Batterien. Dazu kamen neu uns vom AOK überlassene Granaten- und Minenwerfer. Dadurch war die Schlagkraft dieser Korps bedeutend erhöht. Leider starb in dieser Zeit der aus Kränkung über den Rückzug aus Serbien gesundheitlich geschwächte sehr bewährte Kommandant des XV. Korps GdI. v. Appel an Typhus. Sein Nachfolger wurde der uns vom AOK zugewiesene FML Fox.242 Da wir jeden Monat pro Bataillon eine Marschkompanie erhielten, hatten die Feldformationen bald nicht nur volle Kriegsstände, sondern die unverbrauchten Marschformationen wurden mit den verwundet gewesenen und geheilten Offizieren und Unteroffizieren bis Mai selbst bataillonsstark. Die Schulung der Truppen und höheren Verbände wurde aufgrund der gewonnenen Kriegserfahrungen intensiv betrieben. Das XV. und XVI. Korps waren dadurch noch kriegstüchtiger geworden, als sie es bei Kriegsbeginn gewesen waren. Wenn ich von Truppen-Besichtigungen und Aussprachen nach Peterwardein zurückkam, war ich jedes Mal hell begeistert  : Sie waren prachtvoll. Um die Schulung für alle Teile gleich gut zu halten, beantragte ich, dass alle jetzt reichlich auf Urlaub gesendeten Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften der Feldformationen in diesen sofort durch die gleiche Zahl aus den Marschformationen zu ersetzen waren und die rückkehrenden Urlauber – mit Ausnahme der Kommandanten – nicht in die Feldformationen, sondern in die Marschformationen einzuteilen seien. FML Krauss nannte das eine gute Idee und genehmigte den diesbezüglichen Befehlsentwurf. Auf diese Art erfassten die intensive Gefechtsausbildung und die Schießübungen der Artillerie nach und 242 Vinzenz Frh. v. Fox (Bielitz, Öst. Schlesien, heute Bielitz-Biala, Polen, 1.4.1859–15.7.1931, Pranet bei Ried im Innkreis, OÖ), 7.10.1877 als Infanterist zum IR 1 assentiert, sodann Absolvent der IKSch. Wien, 1.5.1880 Lt., ab 1.12.1885 Glstbslaufbahn, 1901–1907 Glstbschef des II. (Wiener) Korps, 20.1.1915 betraut mit Kdo. XV. Korps, 1.5.1915 GdI, 26.7.1915 enthoben, 1.1.1916 Ruhestand.

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nach alle Personen der ganzen Armee, die bis zum Mai 1915 in ihren starken Marschformationen hervorragend ausgebildete und mit Feldformationen schon bekannte und vertraute Ersätze für die künftigen Kampfverluste gewann. Zur Bedeutung dieser Maßnahme kann ich andeuten, dass nach dem Einsatz unserer Armee an der italienischen Front im Mai 1915 durch unsere 7 Divisionen der Angriff der ganzen italienischen Armee in zwei Schlachten völlig abgeschlagen werden konnte, weil unsere großen blutigen Verluste in diesen Kämpfen stets rasch durch ausgezeichnet ausgebildete Ersätze wettgemacht werden konnten.243 Bei der Neuorganisation der Trains und Anstalten für beide Korps hatte ich zahlreiche Besprechungen mit dem Leiter der materiellen Gruppe, Obst. Theodor Körner, zu führen. Da die Zahl der Tragtiere aus Bosnien-Herzegowina beschränkt war, kam als Lösung ein gemischter Train zustande  : Jede Gebirgsbrigade bekam 1 bis 2 Tragtierkolonnen, sonst aber bespannte Wagen. Dadurch konnten die Korpskommandanten Gebirgsbrigaden, die in straßenarmem Gebirge zum Einsatz kamen, ganz mit Tragtieren versehen und jenen, die an Straßen oder fahrbaren Wegen zu kämpfen hatten, dafür nur fahrbare Trains zuweisen. Dabei lernte ich Obst. Körner als einen außerordentlich genauen und gewissenhaften Chef der materiellen Gruppe kennen, der – immer etwas darüber gekränkt, dass er nicht in der Operationsabteilung tätig sein konnte – sich bei Überprüfung der jeden Monat von den Truppen einlangenden Standesausweise in einer mir zwecklos scheinenden, von den Truppen als Sekkatur empfundenen Kleinkrämerei verlor. Er wurde von dem das Armee-Etappenkommando leitenden Obst. v. Landwehr an Einfallsreichtum sehr übertroffen. Richard Körner hatte schon recht mit der Behauptung, dass wir mit seinem Bruder einen Bremsklotz angehängt bekommen hatten. Theodor Körner machte stets einen unfrohen, lehrmeisterhaften Eindruck und streute abfällige Bemerkungen über den Generalstab, dem er doch selbst angehörte, sowie über höhere Führer und die kaiserliche Militärkanzlei ein, die mich verblüfften.244 Ich wusste damals noch nicht, dass dieser auch seinen gescheiten und tapferen 243 Am mittleren und unteren Isonzo spielten sich jahrelang die härtesten Kämpfe an der Front gegen Italien ab. Die Italiener versuchten in elf blutigen „Isonzoschlachten“ über Laibach und Triest in das Innere der Monarchie vorzudringen. Bei Kriegsbeginn standen an dieser Front nur drei ö.-u. Divisionen gegen eine sechsfache italienische Übermacht. Die Italiener gingen wie an allen Fronten nur sehr zögernd vor, sodass das AOK Zeit fand, noch weitere drei Divisionen in diesen Raum zu werfen, bevor die 1. Isonzoschlacht (23.6.–7.7.1915) begann. Den angreifenden 13 italienischen Divisionen blieb jeder Erfolg versagt. Auch die 2. Isonzoschlacht (18.7.–10.8.1915) scheiterte unter beiderseits hohen Verlusten. 244 Hier nochmals eine Passage aus dem Memoirenwerk von Jedina-Palombini (KA, NLS, sign. B/959). Jedina war XII/1916–V/1917 Nachrichtenoffizier beim XVII. Korpskommando  : „Unterwegs war die Ortschaft Duttovlje zu durchfahren. Hier war der Sitz des VII. (Temeschburger) Korps, dem auch die 28. Infanteriedivision unterstand, Korpsgeneralstabschef war mein verehrter Kriegsschullehrer Körner.

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Bruder Richard öfter als Taugenichts, gar als Lumpen bezeichnende Mann Sozialdemokrat war. So etwas hatte ich für einen Generalstabsoffizier ausgeschlossen gehalten. Über unsere organisatorischen Arbeiten wurde dem AOK unter Vorlage der graphischen Darstellungen und Personalstandesnachweisungen regelmäßig berichtet. Diese Berichte verfasste ich zusammen mit Hptm. Beran. Sie wurden vom Gruppenchef Obstlt. Zimmer FML Krauss zur Genehmigung vorgelegt. Einmal kam ein vom Armeeoberkommandanten Erzh. Friedrich gezeichnetes Anerkennungsschreiben ans Armeekommando, das die zweckmäßige organisatorische Arbeit und die klare, keinerlei Rückfrage erfordernde Berichterstattung hervorhob. FML Krauss schrieb mit Bleistift an den Rand  : „Hptm. v. Jansa zur Kenntnis  ; ist hauptsächlich sein Verdienst.“ Kurze Zeit darauf sagte mir Obstlt. Zimmer, dass er bei FML Krauss meine Auszeichnung mit dem Kronenorden beantragt habe  ; Krauss wäre schon einverstanden gewesen, als zufällig Obstlt. Wachtel dazukam und – ungefragt – gleich seine Meinung kundtat, dass der Kronenorden eine viel zu hohe Auszeichnung für einen so jungen Hauptmann wäre, welche er erst als Oberstleutnant bekommen hätte  ; Krauss habe darauf entschieden, dass ich für das „Signum laudis“ mit der Kriegsdekoration zu beantragen sei. Da mir Zimmer das sozusagen zu seiner Entschuldigung unter vier Augen mitgeteilt hatte, dankte ich ihm und war zufrieden. Ich habe nie nach äußeren Anerkennungen gestrebt. Auch zu Wachtel habe ich nichts gesagt, obwohl ich darin seine Revanche sah für seinen Glauben, ich hätte seinerzeit GM Böltz gegen ihn beeinflusst, was ich nie getan hatte. Böltz konnte einfach seine Art nicht vertragen. Im Rahmen der Stellenbesetzungen, mit denen ich nichts zu tun hatte, ließ mich FML Krauss kurz darnach rufen und sagte mir, dass er dem bisherigen Kommandanten des Dragoner-Rgt. Nr. 14, Obst. Prinz Schwarzenberg245, der mit 3 Schwadronen in der Save-Donau-Sicherung eingesetzt war, das Kommando der 12. Gebirgsbrigade Den mußte ich doch im Vorüberziehen begrüßen. Er empfing mich, wie immer, sehr herzlich. Körner hatte sich an dieser Front ein außerordentliches Ansehen erworben. Ursprünglich Stabschef beim XV. Korps in der Tolmeiner Gegend, wußte er seinen Brückenkopf dort derart auszubauen, daß der Feind seinen Kopf vergeblich angerannt hatte. Als nun die Italiener nach dem Fall von Görz unsere Front an dieser Hochfläche durchbrachen – sie hatten den errungenen Vorteil nicht zu nutzen verstanden – da rief man ihn herbei. Er war denn auch der Richtige am Ort bei dieser verzweifelten Lage. Das Stellungssystem von Kostanjevica, das er in kürzester Zeit ausbaute, erwies sich nun für den Feind als uneinnehmbar. Es hat auch bis zur 12. Isonzoschlacht standgehalten. Sein Ansehen bei der Truppe war denn auch grenzenlos. Denn er war nie hinten zu finden und ich konnte damals von Glück reden, daß ich ihn in seinem Hauptquartier angetroffen hatte. Unsere Unterredung wird wohl eine halbe Stunde gedauert haben. Sie war, wie immer, bedingungslos aufrichtig.“ 245 Über Felix Prinz v. Schwarzenberg (1867–1946) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 435, Anm. 480. Er war 1915–1917 Kdt. der 12. GBrig.

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geben wolle, jedoch einen besonders tüchtigen Generalstabsoffizier für ihn brauche  ; ob ich Hptm. Beran dafür geeignet halte. Ich antwortete, dass Beran zuverlässig die höchste Eignung in seinem Können und seinem Wesen dafür habe  ; allerdings sei ich bisher nur bei Armeekommandos gewesen, weshalb ich bäte, doch mich als ersten Generalstabsoffizier zur 12. Gebirgsbrigade einzuteilen. Krauss erwiderte, dass Beran eingeteilt werde, weil er mich noch im Armeekommando brauche  ; daran fügte er erläuternd, dass der Krieg lange dauern und ich noch genug Gelegenheit haben werde, an die Front zu kommen. Anschließend sprach er einiges über die italienische Front, deren Studium uns inzwischen aufgetragen worden war, und sagte, dass er zum Studium der dort angeblich befindlichen Feldbefestigungen senden werde  ; als neuen Chef der Operationsabteilung habe er Obst. Frhrn. v. Salis-Samaden246, welcher ebenfalls unter Krauss Lehrer an der Kriegsschule gewesen war, erbeten, zu dessen unmittelbarer Unterstützung er mich in Aussicht genommen habe. Dann fügte er ein paar Sätze über die Kunst der höheren Führung an und kritisierte FM Conrad  : Wir hätten, meinte er, eine Armee von 7 Divisionen, die durch fünf Monate dauernde Kämpfe gut aufeinander abgestimmt waren, nach Norden abgegeben  ; anstatt diese Armeen geschlossen an entscheidender Stelle einzusetzen, würden die Korps und Divisionen zum simplen Löcherstopfen an verschiedenen Stellen der Front verwendet, ohne dadurch eine Änderung der schweren Gesamtlage herbeizuführen. Das sei eine traurige höhere Führung  ! Solch scharfe Kritiken gegenüber einem jungen Hauptmann über den höchsten Führer, der kurz zuvor bei Limanowa-Lapanów einen entscheidenden Sieg erfochten hatte, gehörten zu seinem Charakterbild.247 246 Heinrich Frh. v. Salis-Samaden (Mähr. Weisskirchen, 21.9.1875–13.3.1955, Salzburg), 18.8.1894 als Kadett-Offiziers-Stellvertreter zum LwBaon Cilli Nr.26, ab 1.11.1898 Glstbskarriere in der Lw., 1912–1914 Lehrer der Taktik an der Kriegsschule, 1.5.1914 Obstlt.i.G., 1.11.1915 Obst., 5.11.1916 Glstbschef 4. Armee, 5.3.1917 Glstbschef 3. Armee, 29.8.1917 Glstbschef 2. Isonzo-Armee, Juni 1918 Kdt. SchRgt. 25, 1.3.1919 pensioniert. 247 Walter Heydendorff (ehemals Auspitz) schreibt in seinem Memoirenfragment über die Kriegsschulzeit (KA, NLS, sign. B/844, Nr. 74, S. 16 f.): „Der Kommandant der Schule, Generalmajor Alfred Krauss, eine große und füllige Persönlichkeit mit grauem Kaiserbart, hatte schon bei den mündlichen Prüfungen den besonderen Ernst des Lebens walten lassen, der uns in den folgenden zwei Jahren unerbittlich und bei jeder Gelegenheit näher gebracht wurde. Die Antrittsrede, die er uns Arrivierten bei der Verlautbarung des Prüfungsergebnisses hielt, spricht Bände. Wir sollten uns nichts darauf einbilden, daß wir bei den Prüfungen Glück gehabt hätten. Nur bei schwerster Arbeit und ernstestem Streben könnten wir darauf hoffen, die Schule mit Erfolg zu absolvieren. Ich kann leider nicht umhin, dieser Persönlichkeit ausführlich zu gedenken, denn sein Einfluß auf uns alle während der zwei Kriegsschuljahre war bedeutend und wirkte sich bei nicht Wenigen zu einer blinden Gefolgstreue aus, die nach dem Umsturz des Jahres 1918 seiner Führerschaft bis zum Fußfall vor Hitler und darüber hinaus voll vertraute. Der ,Alte vom Berge‘, Furcht einflößend über den Wolken thronend, für uns Minderwertige nie ein Lächeln oder

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Ob er recht hatte, konnte ich nicht beurteilen. Theoretisch war seine Meinung s­ icher richtig  ; ob aber nicht zwingende, bei uns nicht bekannte Umstände Baron Conrad zu jenem geteilten Einsatz gezwungen hatten, wussten wir nicht. Mir, der ich Conrad sehr hoch verehrte, taten solche harten Urteile weh. Die operative Tätigkeit unseres Armeekommandos in den kampflosen Monaten bis Mai 1915 umfasste drei Gebiete  : ein freundliches Wort verschwendend, erschien uns in sämtlichen Militaria als allerhöchste Instanz. Leider wurden wir unter seinem Einfluß dazu erzogen, alles, was es da gab, zu kritisieren. Kritik ist nötig und von Vorteil, wenn sie von Sachkenntnis ausgelöst wird, sie darf aber nicht grundsätzlich und von zersetzender Schärfe sein. Man nahm uns da gleich in die Lehre, als wir das eben erschienene Buch von Krauss, Der Feldzug von 1805, von unserem kümmerlichen Leutnantsgehalt anschaffen mussten. Ausgerechnet die schimpfliche Niederlage dieses Unglücksjahres wurde zur Belehrung breit ausgewertet. Ich will nicht verhehlen, daß sich viele von den kritisierten Vorschriften, manch’ verfehlter Operationsentwurf auch im blutigen Ernst des Krieges untauglich, ja unheilvoll erwies[en]. Es zeigte sich aber auch in der Folge, daß der viel gerühmte General ein großer Theoretiker blieb, als die Praxis des Kriegserlebens viel Erklügeltes aus Friedenszeiten beiseite schob. Seit der Stab der 29. Infanteriedivision im Gefecht bei Šašinci 1914, als im hohen Kukuruz Weitschüsse einfielen, kehrt machte und das Gefechtsfeld verließ, hat Exzellenz Krauss kaum Gelegenheit gehabt oder gesucht, mit dem Feind in unmittelbare Berührung zu kommen. Seine auch gegenüber Höheren geübte belehrende Art, seine kleinliche Bevormundung als Generalstabschef der Südwestfront, seine Theorien – wie jene des Talstoßes, die bei Flitsch erfolgreich war, weil der Nebel alle italienischen Flankiergeschütze auf den Hängen unwirksam machte, hingegen an anderer Stelle vor allem im Grappagebiet Schiffbruch erlitt – hatten ihm eine Anzahl erbitterter Feinde eingebracht. Zeugnis davon können die im Kriegsarchiv erliegenden Briefe des Isonzoverteidigers Exzellenz Boroëvić an Conrad ablegen. Die drei Divisionäre seines I. Korps mußten angesichts seiner in einem Buche erhobenen Anwürfe mit einer Gegendarstellung in die Öffentlichkeit flüchten. Es war auch für einen k. u. k. General etwas eigenartig, wenn er den Großvater des regierenden Herrn, den Kaiser Franz, in seinem Buch überhart kritisierte und diesem Buch ein Kapitel über Prinzenerziehung anschloß, das bezeichnenderweise in den an Kriegsschüler ausgelieferten Exemplaren entfernt wurde. Dies hat unter Kaiser Franz Joseph seiner Karriere nicht geschadet hingegen hat ihm Kaiser Karl nicht die eigenartige Belehrungen vergesse, die ihm als Thronfolger der Feldmarschalleutnant angedeihen ließ. Zu Schlusse dieser keineswegs erschöpfenden Darstellung muss ich noch darauf hinweisen, daß sich der Ehrgeiz des Generals und seine materielle Einstellung keineswegs besonders günstig auf sein Charakterbild auswirkten. Daß für Šašinci drei Militär-Maria-Theresien-Orden verliehen wurden, einem Oberleutnant, einem Oberst und einem General, daß er als Divisionär jedoch leer ausging, löste schließlich vollkommen ungerechtfertigte Angriff gegen den Feldmarschalleutnant Josef Schön aus. Dieser Führer von hohem Ruf mußte vor einem Generals-Ehrenrat erscheinen, um die Haltlosigkeit der Anwürfe des Generals Krauss nachzuweisen. Bei Kriegsende Armeekommandant in Odessa, hat dieser mit seinem Zuge, allen Transporten seiner Truppen vorauseilend, den Heimweg angetreten. Daß das Armeekommando hiebei die Armeekassa pflichtgemäß mitnahm, veranlaßte Krauss dazu, die Bergeprämie (Taglia) zu beanspruchen und gegen die Republik Österreich einen Prozeß anzustrengen. Als Präsident des Nationalverbandes deutschösterreichischer (später deutscher) Offiziere scharte der Böhmerwälder, der in dem kleinen Österreich eine neue Heimat gefunden hatte, die ihm seine Pension bezahlte, viele unzufriedene Offiziere um sich und wurde einer der erfolgreichsten Schrittmacher Adolf Hitlers, von diesem auch nach geglücktem Streich als Vorkämpfer des Deutschtums in der ,Ostmark‘ geehrt …“

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a) die detaillierte Vorbereitung der planmäßigen Abwehr einer serbischen Offensive, falls den Serben auf der Donau vom Schwarzen Meer her russische Truppen zur Unterstützung zugeführt würden (Nachrichten aus verschiedenen Quellen ließen das nicht ganz ausgeschlossen erscheinen)  ; b) die detaillierte Aufmarschplanung für einen neuen Angriff unserseits auf Serbien über Save und Donau hinweg, wobei eine Mitwirkung deutscher Kräfte in Erwägung zu ziehen war, weil der deutschen Heeresleitung die Munitionsversorgung der türkischen Armee, die an den Dardanellen in schwerem Kampfe gegen englischfranzösische Kräfte stand, über Serbien-Bulgarien sehr am Herzen lag, und c) das Studium von Maßnahmen an unserer Südwestgrenze von Tirol bis Triest für die Abwehr des früher oder später sicher zu erwartenden italienischen Angriffes. Unmittelbar war ich an diesen Arbeiten bisher nicht beteiligt, erhielt jedoch laufend von ihnen Kenntnis, weil ja die Reorganisation aller unserer Streitkräfte diesen Aufgaben möglichst gewachsen sein sollte. Diese Organisationstätigkeit umfasste darum nicht nur das XV. und XVI. Korps, sondern es musste auch der Kampfwert der im unmittelbaren Flusssicherungsdienste stehenden Landsturmverbände gehoben werden, was mit der Zeit auch gut gelang. Die Pioniere mussten verstärkt, das Brückengerät retabliert, Überschiffungsmittel bereitgestellt werden. Wir hatten also alle Hände voll zu tun, und die Arbeit riss vom frühen Morgen bis zum späten Abend nicht ab. In den Nächten allerdings konnten wir zumeist schlafen. In dieser Zeit kam ich auch zum ersten Mal mit reichsdeutschen Offizieren in Berührung und zu gemeinsamer Arbeit.248 Da traf zuerst Obstlt. Hentsch ein, ein unfroher, pessimistischer Sachse, der von der deutschen Obersten Heeresleitung beauftragt war, unser Kommando für Munitionstransporte in die Türkei zu bestimmen. Solche Transporte hätten nur auf der Donau mit Dampfern und Schleppern, an Belgrad und Semendria vorbei, geführt werden können. Für ein Gelingen bestand gar keine Aussicht, weil die serbische Artillerie solche Transporte beschießen und versenken würde. FML Krauss, der für alles Reichsdeutsche ein besonders warmes Herz hatte, teilte mich Hentsch sozusagen als Ehrenoffizier zu, unbeschadet meiner Arbeit in der Organisationsgruppe. Das erste war, dass Hentsch, Fregattenkapitän Graf Welsersheimb, Obst. Richard Körner und ich zusammen nach Semlin fuhren, um die überhöhte, weit ins Land schauende und die Donau völlig beherrschende Lage Belgrads auf Hentsch wirken zu lassen, was ihn auch sichtlich beeindruckte. Um seinen Auftrag zu erfüllen, bestand er jedoch darauf, eine 248 Siehe dazu die von Franz Mühlhofer verfassten Kapitel Edmund Glaise-Horstenau/Rudolf Kiszling (Hg.), Österreich-Ungarns letzter Krieg, 3. Band, (= Das Kriegsjahr 1915, 2. Teil), Wien 1932.

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Vorbeifahrt wenigstens zu versuchen. Übereinstimmend war die Meinung, dass der Versuch, wenn überhaupt, nur bei stürmischem Wetter und in der Nacht eine Chance haben könnte. Wie vorauszusehen war, misslang er  : Die serbische Artillerie beschoss den Dampfer sofort, als er Semlin verließ, sodass an eine Vorbeifahrt an Belgrad gar nicht gedacht werden konnte. Hentsch reiste ab. In der nächsten Zeit erfuhr ich, dass er jener unglückliche Mann war, der von Moltke249 zur Berichterstattung an die Front gesendet, so düster berichtet hatte, dass die Marne-Schlacht deutscherseits verloren gegeben wurde. Zwar wäre sie nach allen späteren Urteilen auch ohne Hentsch verloren gegangen, aber in der Armee war Hentsch der „schwarze Peter“ geworden, dem jeder die Schuld zuschob, um sie von sich selbst abzuwehren. Richard Körner, Welsersheimb und ich fuhren in nächster Zeit wiederholt an die Donau, um festzustellen, ob sich die serbische Artillerie nicht niederkämpfen ließe. Dabei sah ich erstmals unseren 30½-cm-Mörser im Feuer, das Geschütz, das den Deutschen Anfang August 1914 den Weg durch Belgien freigeschossen hatte. Es war zunächst eine große Enttäuschung  : Das Geschoß (die Bombe) hatte, für die Bekämpfung von Panzerwerken konstruiert, einen so starken Verzögerungszünder, dass wir keinerlei Wirkung beobachten konnten  ; es muss tief in die Erde eingedrungen und dort explodiert sein und nur einen kleinen Erdhügel aufgeworfen haben. Körner veranlasste natürlich sofort die Herstellung von Aufschlagzündern. Die Explosionswirkung mit den neuen Zündern war enorm, aber es gelang weder bei Belgrad noch bei Semendria, die serbische Artillerie zum Schweigen zu bringen  ; diese war in Kasematten der alten von den Türken erbauten und später von uns in der Zeit der Türkenkriege verstärkten Festungswerke so gut versteckt, dass wir sie nicht finden konnten. Das ergab für uns die Lehre, dass der künftige Angriff von uns über die Donau sehr starke Artillerie und sehr viel Munition benötigen werde. Als Obstlt. Hentsch nach einigen Wochen wiederkam, hatten wir einen neuen nächtlichen Fahrversuch so ausgeklügelt, dass Monitore der Donauflottille die Transportschiffe feindwärts mit ihren Panzern abschirmen sollten und unsere Artillerie die serbischen Batterien durch Beschießung zumindest an gutem Zielfeuer behindern musste. Wie viel Geschick und Tapferkeit von Handels- und Kriegsmarine dabei gefordert wurde, lässt sich leicht vorstellen. Aber auch dieser Versuch misslang unter namhaften Verlusten. Hentsch war nun endlich selbst überzeugt, dass Munitionstransporte in die Türkei erst möglich sein würden, wenn man ganz Serbien erobert haben würde. Wann dies zu geschehen hätte, hing vom AOK und der deutschen 249 Hellmuth Graf v. Moltke [der Jüngere], Neffe des älteren Moltke (1800–1891), 1906–1914 dt. Chef des Generalstabes des Feldheeres, 1914–1916 Chef des stellvertretenden Generalstabes in Berlin.

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Heeresleitung ab. Mit unseren Kräften allein konnte kein solcher Angriff gemacht werden. Als zweiter deutscher Offizier kam ein GenStabsHptm. Oertel, ein Preuße, mit dem Auftrag, für den Einsatz deutscher Truppen am Balkan organisatorische und geographisch-landeskundliche Behelfe zu verfassen. Natürlich wurde er in der Hauptsache an mich verwiesen und zur Orientierung über das serbische Heer an den Leiter der Nachrichtenabteilung. Wir halfen ihm selbstverständlich nach besten Kräften und lebten durch Wochen hindurch in guter Kameradschaft zusammen. Gescheiter und gründlicher als wir erschienen mir weder Hentsch noch Oertel. Als Berliner Kind hatte Oertel jedoch im Gegensatz zum stets gedrückten Hentsch guten Humor. Und uns hatte er eigene Fronterfahrung voraus, da er den Krieg gegen Frankreich als Infanterieoffizier begonnen und erst nach einer Schussverletzung am Bein und deren Ausheilung in den deutschen Generalstab aufgenommen worden war. Da im März die Absicht des ö.-u. AOK bekannt wurde, unsere 5. Armee an die italienisch-österreichische Grenze zu transportieren, wurden uns zur Täuschung der Serben abwechselnd einige deutsche Infanteriebataillone und Batterien gesendet, die wir in den Save- und Donau-Sicherungsabschnitten zeigten und dann nach Verschiebungen in andere Räume unauffällig wieder abtransportierten. Wie man im serbischen Generalstabswerk nachlesen kann, erreichte diese Maßnahme ihren Täuschungszweck ausgezeichnet, denn auch Russen und Italiener erwarteten, dass wir mit deutscher Unterstützung im späten Frühjahr 1915 einen dritten Angriff auf Serbien beginnen würden. Anfang April 1915 kam Obst. Baron Salis als neuer Chef der Operationsabteilung zu uns. Da alle reorganisatorischen Maßnahmen in der Hauptsache abgeschlossen waren, erhielt Obstlt. Zimmer einen rekonvaleszenten Truppenoffizier als Gehilfen, und ich kam zu Salis, wo wir uns nun hauptsächlich für unsere Verwendung gegen Italien einzuarbeiten hatten. Wir erfuhren, dass zur Zeit unter dem Oberbefehl des GdK. Rohr250 an der ganzen tirolisch-kärntner-krainisch-küstenländischen Grenze nur schwache Abteilungen von Standschützen, wenigen Landsturmsoldaten und den stabilen Ersatzkörpern der Korpsbereiche XIV Innsbruck und III Graz einen Schleier 250 Franz Frh. Rohr v. Denta (Arad, Banat, Ungarn, heute Rumänien, 30.10.1854–9.12.1927, Wien-Rodaun), 18.8.1876 ausgemustert als Lt. zum Ulanenrgt. 3, Absolvent der Kriegsschule und Avancement im Generalstabskorps, Abteilungsvorstand im KM, 1896 Obst.i.G., 1900 Übertritt zur k.u. Landwehr, 1903 GM, 1909 General-Inspizierender der Militär-Erziehungs- und Bildungsanstalten, 1913 Oberkdt. d. k.u. Lw., 1911 GdK, 1914 Kdt. der Streitkräfte in den territorialen Bereichen Graz und Innsbruck mit dem Auftrag, Vorbereitungen für einen etwaigen Kriegseintritt Italiens zu treffen  ; Mai 1915 Kdt. der Armeegruppe Rohr, welche die Kärntner Front zu verteidigen hatte, später umbenannt in 10. Armee, 1916 GO, 1916 Kdt. 1. Armee in Siebenbürgen und der Bukowina, 1918 FM, 3.9.–1.12.1918 Kapitän d. ung. Trabantenleibgarde.

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bildeten und an feldmäßigen Befestigungen, besonders im küstenländischen Gebiet von Tarvis südwärts bis zur Adria, arbeiteten  ; weiters, dass die deutsche Regierung und Heeresleitung unseren Kaiser dauernd bedrängte, durch freiwillige Abtretung des Südteiles von Tirol und des Küstenlandes mit Görz und vielleicht sogar Triest an Italien, dieses von einer Kriegserklärung an uns abzuhalten  ; streng geheim erfuhren wir noch, dass in nächster Zeit von Galizien keinerlei Truppen an die italienische Grenze abgesendet werden könnten, weil ein entscheidender Schlag gegen Russland in Vorbereitung sei, zu dem alles dort vereinigt werden müsse  ;251 schließlich wurde uns mitgeteilt, dass Deutschland aus handelspolitischen Gründen absolut vermeiden wolle, selbst mit Italien in Kriegszustand zu geraten, anderseits aber in Bayern zu rein defensiver Verwendung und zwar „nur auf österreichischem Gebiete“ ein Alpenkorps unter dem Chef des Generalstabes, Krafft v. Dellmensingen252, zu bilden begonnen habe. Wie stark dieses „Korps“ sein werde, erkannten wir erst später  : Es war lediglich der Bezeichnung nach ein Korps, in Wirklichkeit bloß eine Division.253 Obst. Salis war ein vornehmer, kluger Mann von klarem, operativen Denken und ruhig entschiedener Art, welche das mitunter aufbrausende Wesen von FML Krauss 251 Am 2. Mai 1915 begann die Durchbruchsschlacht bei Gorlice und Tarnów in Galizien, der zwei Tage später zum Durchbruch durch die russische Front führte. 10 ö.-u. Divisionen und 8 dt. Divisionen (11. Armee unter Gen. v. Mackensen, führten den ersten Schlag. Am 3. Juni wurde Przemyśl erobert). 252 Konrad Krafft v. Dellmensingen (Laufen, Oberbayern, 24.11.1862–22.2.1953 Seeshaupt, Bayern) bei Kriegsbeginn Chef d.Glstb. d. 6. dt. Armee in Elsass-Lothringen, Mai 1915–März 1917 Kdr. des Deutschen Alpenkorps in Elsass-Lothringen, Tirol, Serbien, Mazedonien und vor Verdun, März 1917–August 1917 Chef d. Glstb. der Heeresgruppe Hzg. Albrecht v. Württemberg, August 1917 Chef des Glstb. d. 14. dt. Armee in Frankreich, dann der 17. dt. Armee in Frankreich. „Nach dem Krieg war Krafft v. Delmensingen die entscheidende Anlaufstelle für republikfeindliche Kräfte in Bayern. Ab Januar 1920 wurde ein geheimer Verschwörerkreis aufgebaut  ; in der Bayerischen Königspartei (BKP) reiften Pläne für einen monarchistischen Umsturz heran. Es sollte eine Militärdiktatur vorbereitet werden  ; Krafft von Delmensingen sollte die vollziehende Gewalt übernehmen. Diese Vorbereitungen zur Machtübernahme in der Ordnungszelle Bayern wurden freilich jäh unterbrochen, als Kapp und Lüttwitz im März 1920 putschten.“ Quelle  : http.//de.wikipedia.org/wiki/konrad Krafft von Delmensingen (Stand  :12.3.2009) Es ist gemäß versch. Auskünften an den Herausgeber sichergestellt, dass zu dieser Zeit, als nach dem Tode des Königs Ludwig III. v. Bayern, dessen Sohn Kronprinz Rupprecht Kandidat für den Thron nach einer geplanten Restauration gewesen ist, der Anschluss der Republik Deutschösterreich oder Österreichs an ein Königreich Bayern im Rahmen eines Deutschen Bundes vorgesehen war. 253 Die deutsche Politik gegenüber Italien zu jenem Zeitpunkt war durch die Tatsache geprägt, dass Italien und Rumänien einen Geheimen Neutralitätsvertrag gegenüber einem Angriff der Zweibundpartner am 23.9.1914 abgeschlossen hatten. Das Alpenkorps oder überhaupt deutsche Truppen hatten daher den strikten Auftrag, die Reichsgrenzen der Donaumonarchie nicht zu überschreiten, um nicht eine italienische Kriegserklärung zu provozieren. Zu dem ganzen Komplex, aber auch zu den Plänen General Falkenhayns siehe Martin Müller, Die österreichische Kriegführung an der Südwestfront 1915–1918 aus der Sicht der deutschen Obersten Heeresleitung, Magisterarbeit an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Innsbruck 1993.

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rasch zu mildern verstand. Von Haus aus betrug er sich kameradschaftlich und redete mich nie mit „Herr Hauptmann“, sondern stets nur mit „lieber Jansa“ an. Das XV. und XVI. Korps kannte er fast gar nicht, weil er von der russischen Front kam, doch glaubte er mir unzweifelhaft, wenn ich ihm die hervorragende Kampfkraft dieser Verbände und die Tüchtigkeit ihrer Kommandanten schilderte. Es war ein ideales, schönes Zusammenarbeiten, das uns in Freundschaft auch bei späteren Begegnungen in Erinnerung geblieben ist. Als ich nach langen Jahren selbst Chef des Generalstabes geworden war, schrieb mir dieser vorzügliche Mann einen der liebsten Glückwünsche.254 Anfang Mai 1915 war es so weit  : Die ängstliche Zurückhaltung gegenüber Italien konnte aufgegeben werden. Niemand glaubte mehr an die Möglichkeit, Italien vom Kriegseintritt abhalten zu können. Am 2. und 3. Mai war die Durchbruchschlacht gegen die Russen bei Gorlice erfolgreich geschlagen worden und weitere Erfolge waren dort durchaus zu erwarten. Am 11. Mai kam der Befehl, eine Division an die italienische Grenze zu senden, damit der erwartete Vormarsch der Italiener bereits von der Grenze an verzögert werden könne. Aus eisenbahntechnischen Gründen wählten wir die 57. Division unter FML Goiginger, die in der Zeit vom 15. bis 21. Mai beim Doberdó, am Plateau knapp östlich des Isonzo ausgeladen wurde.255 Zwischen dem AOK in Teschen und uns konnte man mit dem Hughes-Buchstabentelegraphen (und zwar für jedermann unabhörbar, daher verlässlich geheim) Gespräche führen, was noch den Vorteil hatte, dass das Gespräch an beiden Orten auf dem abrollenden Papierstreifen als Dokumentation festgehalten wurde. Aus einem solchen Gespräch gewannen wir die Gewissheit, dass das AOK schwere Auseinandersetzungen mit der deutschen Heeresleitung hatte über das, was an Truppen an der serbischen Grenze bleiben sollte und was gegen Italien freizumachen war. Salis und ich meldeten Krauss diese Gespräche. Nach kurzer Überlegung wurde eine Denkschrift verfasst, die dem AOK Lage und Entscheidung erleichtern sollte  ; sie gipfelte im Antrag, unsere 5. Armee mit dem letzten Mann ihrer Feldformationen gegen Italien ein254 KA, sign. B/655, nr. 15, Abschrift des Briefes von Obst.i.G. i. R. Frh. v. Salis-Samaden an Jansa [Auszüge]  : Aigen bei Salzburg, 13.4.1936  : „Lieber Jansa […]. Da traten mir die Monate unserer gemeinsamen Tätigkeit beim Kdo. der SWF. wieder so lebhaft in Erinnerung, daß ich Dir doch sagen muß, wie herzlich ich mich freue, daß die auszeichnende Berufung zum Nachfolger Conrads gerade Dich getroffen hat. Es ist Dir und Deinen Altersgenossen, die Ihr nach dem großen Umschwung von anno 18 in der Aktivität geblieben seid und es in den ersten Jahren sicher nicht leicht hattet, von Herzen zu gönnen, daß Ihr nun endlich auch wieder bessere Zeiten erlebt, wo das, was wir alle gelernt und gearbeitet haben, wieder zu Ehren kommt. Das wollte ich Dir mit diesen Zielen sagen, und auch, wie gerne und lebhaft ich mich des lieben jungen Kameraden erinnere […].“ 255 Über Ludwig Goiginger (1863–1931) siehe Glaise-Broucek I, S. 431, Anm. 459. Ludwig Goiginger war 1914–1916 Kdt. 73. ITD.

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zusetzen, das der viel gefährlichere Feind als Serbien sei. Sofort nach Genehmigung durch den Erzherzog wurde sie nach Teschen gesendet. Am 19. Mai kam der ersehnte Befehl zum Abtransport unserer Armee nach dem Küstenland, die zunächst in den Raum westlich von Agram zu führen war.256 Deutlich erinnere ich mich, wie wir am 21. Mai vom Telegramm unseres Militärattachés in Rom, Mjr. Viktor Frh. v. Seiller, ans AOK Kenntnis bekamen, wonach Italien später kampfbereit sein werde, als bisher angenommen worden war.257 Das veranlasste den entschluss- und verantwortungsfreudigen FML Krauss sofort zum Befehl an den die Transporte regulierenden Hptm. Brendl, die Transporte weiter bis an die italienische Grenze laufen zu lassen. Dadurch erreichte das XV. Korps zeitgerecht seinen Verteidigungsraum um Santa Lucia-Tolmein258 und das XVI. Korps konnte die 58. Division noch unbehelligt bei Görz westwärts des Isonzo in einen Brückenkopf und die 48. Division als Reserve nach Dornberg bringen.259 Damit waren dem Italiener die Türen nach Österreich gerade noch rechtzeitig vor der Nase zugeschlagen worden. Am 26. Mai fuhren wir als „Kommando der Südwestfront“ (KdoSWF) nach Marburg in die Südsteiermark.260 Ungefähr zu gleicher Zeit verlegte das AOK das beim Vordringen über die Karpaten überzählig gewordene VII. Korps nach Kärnten. Zur Verstärkung der Verteidigung Tirols rückte dort das deutsche Alpenkorps ein. Unserem KdoSWF unterstanden nun  : das Landesverteidigungskommando Tirol (GdK. Dankl)  ;261 die Armeegruppe GdK. Rohr in Kärnten-Krain und die 5. Armee im Küstenland, deren Kommando GdI. Boroëvić übernommen hatte. 256 Agram, heute Zagreb, Hauptstadt von Kroatien, gelegen an der Save, 1094 erstmals erwähnt, 1850 Zusammenschluss der drei Städte Donji Grad (Untere Stadt), Gornji Grad (Obere Stadt) und Kaptol (Kapitelstadt), Sitz eines katholischen Erzbischofs und eines griechisch-orthodoxen Metropoliten. 257 Über Viktor Frh. v. Seiller (1880–1969) siehe die Daten bei Glaise-Broucek, S. 514, Anm. 709. Seiller war als Obstlt.i.G. im November 1918 Mitglied der Waffenstillstandskommission in Villa Giusti, Italien, 1918–1920 Verbindungsoffz. des dö. Staatsamtes für Heerwesen bei der französischen und der britischen Militärkommission in Wien, dann Privatwirtschaft, 1945–1956 als Vertragsbediensteter bzw. Regierungsrat Leiter der Verbindungsstelle des Bundeskanzleramtes zum Alliierten Rat. 258 Tolmein, heute Tolmin, Slowenien, Stadt am Isonzo. War in der 12. Isonzoschlacht 1917 Ort der Durchbruchsschlacht von Flitsch-Tolmein, gehörte 1919–1945 als Tolmino zu Italien. 259 Dornberg, heute Dornberk, Slowenien, Ort an der Wippach  ; gehörte 1919–1945 als Montespino zu Italien. 260 Marburg, heute Maribor, zweitgrößte Stadt Sloweniens, ehemals Hauptort des sogenannten steirischen Unterlandes, Bischofssitz, vom 12. Jh. bis 1919 gehörte Marburg zum Hzgt. Steiermark. 261 Über Viktor Graf Dankl v. Kraśnik (1854–1941) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 244, Anm. 367. Dankl war als GdK. 1915/16 Landesverteidigungskdt. v. Tirol, nach 1918 führend in der legitimistischen Bewegung tätig.

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Als KdoSWF behielten wir nicht auch noch das Kommando über die 5. Armee  ; damit wurde der Erfahrung aus dem Fehler Potioreks Rechnung getragen. Den Befehl über die Sicherungstruppen an der Save-Donau gegen Serbien erhielt GdK. v. Tersztyánszky. Unsere dort eingearbeitete Nachrichtenabteilung mit Hptm. Solarcz blieb in Peterwardein. Der Serbe rührte sich auch nach dem Abtransport der 5. Armee gegen Italien nicht. Das zeigte, dass die schweren Kämpfe unter Potiorek trotz der taktischen Niederlage ihren strategischen Zweck – die Sicherung der Südgrenze der Monarchie – voll erreicht hatten, somit die erlittenen schweren Verluste nicht vergeblich gewesen waren. Ja, man muss fast glauben, dass anderenfalls unsere 5. Armee, wenn auch siegreich in Serbien stehend, nicht gegen Italien freizumachen gewesen wäre. Diese seltsame Fügung nahm mir endlich das bedrückende Gefühl der Niederlage von der Seele und gab mir, so wie den Truppen des XV. und XVI. Korps die Zuversicht, mit unserer hart erworbenen Kriegserfahrung die uns an Zahl viermal überlegene italienische Armee niemals nach Österreich eindringen zu lassen. Es war wunderbar, bei allen Truppen aller Nationen der Monarchie den gleichen starken Willen zu fühlen, dem Italiener seinen Treuebruch zu vergelten. Während wir in Peterwardein in Kasernzimmern untergebracht waren, steckte man unser KdoSWF ins Marburger Gymnasium. Ich wurde bei einem Gymnasialprofessor einquartiert, der mich ebenso wie seine Frau freundlich aufnahm. Meinen Hausleuten begegnete ich in der Folge nur selten und kurz, da der Dienst im Kommando vom frühen Morgen bis spät in die Nacht währte und ich überdies jede Woche mindestens einmal Nachtinspektion im Kommando hatte. Zu diesem Kommando wurde Mjr. v. Seiller als Chef der Nachrichtenabteilung beordert. Sohn eines Diplomaten, war er ein sprachgewandter, hervorragend tüchtiger Offizier. Er hatte eine so feine Einfühlung in die italienische Armee gewonnen, dass er uns für operative Befehle stets ein tadellos zutreffendes Feindbild liefern konnte. Zwischen ihm und mir hatte sich in kurzer Zeit eine aufrichtige Freundschaft entwickelt, die bis heute währt. Als Verbindungsoffizier der deutschen obersten Heeresleitung kam der klar und richtig denkende GenStabObst. v. Bartenwerffer zu uns, dem FML Krauss eine besondere Stellung einräumte  : Bei Salis und mir in der Operationsabteilung konnte er ein- und ausgehen, wie er wollte. Zur Nachrichtenabteilung stieß der ostpreußische GenStabHptm. Frantz, um seine Heeresleitung über die Italiener auf dem Laufenden zu halten. Beim Mittagstisch saß er neben mir, und ich mochte ihn ob seines trockenen Humors gut leiden  ; er konnte mir viel von den unter Hindenburg und Ludendorff in Ostpreußen mit den Russen geschlagenen Schlachten erzählen, was mich natürlich brennend interessierte. Bei Mjr.

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v. Seiller hingegen, dem er unmittelbar zugeteilt war, fand er nur wenig Sympathie, was den Dickhäuter aber kaum berührte. Trotz der weiten Entfernung zur Front kam ich öfter nach vorne, weil mich Obst. Richard Körner, dem Krauss die Oberleitung der gesamten Artillerie für die Abwehr übertragen hatte, häufig bei Salis ausbat, um ihn zu begleiten und seine Anordnungen mit dem Willen der Operationsabteilung zu koordinieren. Dabei erwies sich Körner wiederum als glänzend befähigt  : Er ließ die Batterien so weit als möglich an die Infanterielinien heranbringen, um ihre Schussweiten überkreuzend auszunützen und ihr Feuer gruppenweise einheitlich von einem Befehlsstand zu leiten. Außer Grenzkämpfen kleineren Charakters zwischen den erstklassigen Alpinis und unseren Standschützen und Landsturmsoldaten blieb zu unserem großen Erstaunen jeder energische Angriff des übermächtigen Italieners aus. Erst am 23. Juni begann andauerndes Schießen der an leichten und besonders an schweren Geschützen vielfach überlegenen italienischen Artillerie auf unsere küstenländische Front von Tolmein bis zum Meer  ; gottlob fügte es unseren Truppen nur geringe Verluste zu, weil die Italiener anscheinend die genaue Lage unserer Stellungen noch nicht erkannt hatten. Dieses Feuer dauerte drei Tage und Nächte ununterbrochen. Erst dann setzte die italienische Infanterie zu Massenstürmen an, die jetzt von unserer Artillerie und der überall bravourösen Infanterie so gründlich abgewiesen wurden, dass bei Abschluss der italienischen Angriffe am 7. Juli alle unsere Stellungen gehalten waren. Ebenso erging es allen italienischen Angriffen gegen Tirol. Nur an der Kärntner-karnischen Front zeigte sich, dass die aus der ungarischen Tiefebene stammenden Truppen des vom Armeeoberkommando dorthin disponierten VII. Korps dem überall mindestens 2.500 m hohen Gebirge der karnischen Alpen nicht gewachsen waren. Deshalb verfügte FML Krauss sofort nach dem Abflauen der als „1. Isonzoschlacht“ benannten Kämpfe den der Gesamtlage nach gar nicht ungefährlichen Austausch der Truppen. Die braven Ungarn kamen herunter auf das Doberdó und dafür die uns über Laibach vom AOK zugeführte halbe 44. tirolische Landwehrdivision in den Raum von Tarvis und die 48. Division, die im Frieden in Sarajevo gestanden war, mit ihrer 11. und 12. Gebirgsbrigade nach Kärnten in das Plöckenpass-Gebiet.262 Dieser Truppenaustausch war noch nicht völlig durchgeführt, als die Italiener am 18. Juli schon wieder ein Massenfeuer auslösten und damit die 2. Isonzoschlacht begannen, die erbarmungslos bis zum 10. August tobte.263 In dieser Schlacht waren die 262 Siehe  : Erwin Steinböck, Die Kämpfe um den Plöcken-Pass 1915/1917 (= Militärhistorische Schriftenreihe, Heft 2), Wien 1965. 263 Zwischen 1915 und 1917 wurden 12 Isonzoschlachten ausgetragen. Die Erste Isonzoschlacht dauerte von 23. Juni bis 7. Juli 1915 und war ebenso wie die folgenden Schlachten bis 1916 ein ö.-u. Abwehrerfolg. Die Nahziele der italienischen Armeen waren Görz, Triest und auch Laibach.

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täglichen Verluste am Plateau von Doberdó, wo der Kampf sich um den Monte San Michele und den Monte dei sei Busi konzentrierte, und im Brückenkopf von Görz so schwer, dass GdI. Boroëvić264 die sorgsam gehüteten Marschformationen als Reserven verwendete und selbstständig wie Feldformationen in den Kampf treten ließ. Als dies bei uns bekannt wurde, bekam FML Krauss seinen roten Kopf und bestimmte Erzh. Eugen in Begleitung von ihm, mir und dem technischen Referenten, am 29. Juli zu Boroëvić nach Laibach zu fahren  ; bei der Unterredung der hohen Generäle war ich nicht zugegen, hörte aber im Vorraum, dass sich die Stimmen sehr stark erhoben  ; als Krauss herauskam, war er hoch erregt und nannte Boroëvić einen Truppenmörder. Wir fuhren dann weiter in den Kampfraum des Doberdó Plateaus zum VII. Korpskommando nach Kostanjevica. Korpskommandant war Erzh. Joseph, der sich ganz als Ungar fühlte.265 Er war von hervorragender Tapferkeit und Tag und Nacht bis in den 264 Über Svetozar Boroëvić v. Bojna (1856–1920) siehe Glaise-Broucek I, S.  168, Anm. 108. Er war ab 22.5.1915 Kdt. d. 5. Armee bzw. der seinen Namen tragenden Heeresgruppe, 1.2.1918 FM. 265 Über Ezhg. Joseph August (1872–1962) siehe die milit. Daten bei Glaise-Broucek I, S. 214, Anm. 249. war 1914–1916 Kdt. VII. Korps, Oktober 1918 Kdt. einer Heeresgruppe am Balkan, bei Kriegsende Feldmarschall und seit 27.10.1918 Homo Regius in Ungarn. Er nahm damit gleichzeitig, ob zu Recht oder Unrecht, das Kommando aller ungarischen Einheiten der k. u. k. Gesamten Bewaffneten Macht in Anspruch (Ezhg. Joseph. war einer derjenigen Feldmarschälle gewesen, die den Abschluss der Verhandlungen über eine eigene ung. Armee besonders betrieben hatte). Am 27.10. betraute sodann Ezhg. Joseph den Grafen János Hadik mit der Regierungsbildung in Ungarn, der aber zwei Tage später diese Aufgabe zurücklegte. Er war nach Wekerle der letzte Parteimann der sogenannten Regierungspartei („Partei der nationalen Arbeit“), der diese Funktion zu übernehmen versuchte. Am 31.10.1918 betraute Ezhg. Joseph den Grafen Mihály Károlyi mit der ung. Ministerpräsidentschaft. Dieser hatte bereits am 25.10.1918 unter seinem Vorsitz den Ungarischen Nationalrat gebildet. Am 29.10.1918 hatte der kroatische Landtag (Sabor) den Zusammenschluss der südslawischen Gebiete der Monarchie zu einem unabhängigen Staat und dessen Anschluss an Serbien erklärt, sich also von Ungarn getrennt. Am 2.11.1918 entband König Karl die ungarische Regierung Károly ihres Treueides. Die Regierung Károlyi versuchte am 13.11.1918 in der Militärkonvention von Belgrad mit General Franchet d’ Esperey von der Orientarmee einen eigenen Waffenstillstand abzuschließen. Am 13.11.1918 gab König Karl IV. auch für Ungarn in Eckartsau einen Verzicht auf die Ausübung der Regierungsgeschäfte ab. Am 16.11.1918 rief Károlyi die ungarische Republik aus. Ezhg. Joseph und sein Sohn leisteten ihr sofort den Treueid. Josef hatte sich schon am 31.10. auf seine Güter zurückgezogen. Während der am 21. März 1919 ausgerufenen Räteregierung in Ungarn stand Ezhg. Joseph unter Aufsicht. Als am 7. August 1919 ein Offiziersputsch angesichts des Vormarsches der Rumänen auf Budapest und der Niederlage der ung. Roten Armee erfolgreich war, übernahm Joseph am 7. August 1919 die Funktion des Reichsverwesers und Staatsoberhaupts er musste diese Funktion am 23. 8.1919 auf Druck der Entente zurücklegen, hatte aber inzwischen die Regierung István Friedrich installiert und am 9. August auch Miklós Horthy zum Armeekommandanten ernannt, der schließlich am 1.3.1920 auch Reichsverweser wurde. Ezhg. Joseph wurde 1927 Mitglied des ung. Oberhauses und war auch 1936–1944 Präsident der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Am 15.10.1944 leistete er dem faschistischen Staatsführer und ehemaligen Generalstabsoffizier Ferenc Szálasi den Treueid. Er flüchtete sodann in die USA und später zu seiner Schwester, Fürstin Margarete von Thurn und Taxis, nach Regensburg.

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vordersten Linien seiner Truppen. Hier wurden mit ihm alle möglichen Maßnahmen zur Verminderung der ungeheuer großen blutigen Verluste durchgesprochen. Krauss forderte eine Aussprengung von Schützengräben ins Felsgestein sowie die Suche und das Aufbrechen von Höhlen, die ja im Karstgestein erfahrungsmäßig überall vorhanden sein müssen. Bohrgeräte sollten herangebracht werden. Erzh. Joseph hingegen verlangte besonders die Vermehrung schwerer Geschütze mit viel Munition. Hier stießen wir wieder auf die Sünden der ungenügenden Friedensrüstung, an denen insbesondere Ungarn schuld war. Den quälenden Wassermangel zu steuern, hatte schon der Etappenkommandant der 5. Armee, Obst. v. Landwehr, den Bau einer Wasserleitung begonnen, die aber noch Monate bis zu ihrer Fertigstellung brauchte. Bis dahin mussten die braven Tragtiere mit den Getränkefässchen und Schläuchen auf ihren Rücken während der Nacht zu den Truppen kommen, damit die Soldaten ihre Feldflaschen füllen konnten. Auch die sanitären Vorsorgen mussten vervielfacht werden. Mit der Befriedigung all’ dieser Notwendigkeiten waren wir in der Folge schriftlich und telegraphisch ununterbrochen tätig. Dass wir die Italiener in zwei großen Materialschlachten abgewiesen und dadurch den Hauptkräften ihren Siegeslauf von Gorlice bis Brest-Litowsk ermöglich hatten, stärkte das Selbstbewusstsein und Vertrauen in Führung und eigene Kraft wunderbar. Dabei ahnten wir damals noch nicht, dass den zwei ersten Abwehrschlachten noch neun weitere Materialschlachten folgen würden, bevor wir selbst zum Angriff auf die Italiener schreiten konnten. Zwischen Krauss und Boroëvić war eine ungute, unheilbare Spannung eingetreten. Krauss verlangte die Absetzung von Boroëvić, welche Erzh. Eugen jedoch ablehnte. Krauss und ich waren untröstlich, dass die mit so viel Umsicht und Mühe ausgebildeten Marschformationen des XV. und XVI. Korps schon nach zwei Schlachten durch ihren „sinnlosen Einsatz als Kampftruppen“, wie Krauss sagte, von Boroëvić verbraucht worden waren. Bei einem Referat, das ich in Gegenwart von Baron Salis über die Schaffung neuer Ersätze erstattete (diese musste sich zunächst auf die Auflösung und Einreihung von Landsturmverbänden, die keine Offiziere mehr hatten, in die Feldformationen beschränken), bekam Krauss wieder seinen roten Kopf und brummte zu mir, der Erzherzog sei viel zu weich. Hinsichtlich der Vermehrung der schweren Artillerie wandten wir uns auch über Obst. v. Bartenwerffer an den deutschen Bundesgenossen, der wohl Versprechungen machte, uns dann jedoch bloß eine einzige 13-cm-Kanonenbatterie überließ. Dafür war FM Conrad trotz des dauernden Truppenbedarfs im Norden bemüht uns zu helfen  : So kamen nach und nach alle Kaiserjäger- und Gebirgsschützen-Regimenter und auch einige 30½-cm-Mörser zu uns.

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Bei Platzierung dieser Mörser geschah das Unglück  : Unser hervorragender Artillerist Richard Körner wurde auf der Autofahrt zum Kastell von Görz von einer italienischen Granate zerrissen. Als hätte er eine Ahnung, hatte er einige Tage vorher zu mir gemeint  : „Was glaubst du, Jansa, werden wir nach dem Blutgeschäft noch einmal im Smoking in der Oper sein  ?“ – „Das steht bei Gott.“ Sein Todeskampf im zerfleischten Körper währte noch 24 Stunden. Danach war er einer der vielen Tausend Toten, die wir in dem grauenvoll zerschossenen und zerwühlten Friedhof von Görz zur Ruhe betteten. Sie war freilich keine, weil italienische Granaten den Friedhof immer wieder umpflügten. Mit der Führung des XV. Korps bei Tolmein und am Krn war FML Krauss nicht einverstanden. Gen. Fox wurde durch FML v. Stöger-Steiner ersetzt.266 Bei diesem wurde an Stelle von Obst. Fleck Obst. Theodor Körner als Generalstabschef eingeteilt. Sehr bewährte sich hingegen in den harten Kämpfen um den Kreuzberg-Sattel in Tirol neben den wunderbar tapferen Standschützen das bayerische Alpenkorps. Mitte September wurde ich zum Fernschreiber gerufen. Dort meldete sich mein alter Regiments- und Kriegsschulkamerad Miklós v. Ghyczy aus der Personalabteilung des AOK  : „Du wirst wieder am Balkan gebraucht und sollst in die Operationsabteilung von Mackensen267 kommen. Hast du Lust dazu  ?“ Ich antwortete darauf ungefähr, ich wäre schon gern dabei, wenn es wieder gegen den Serben ginge, möchte jedoch keine Zusage machen, ohne vorher Krauss und Salis zu fragen  ; darauf Ghyczy  : „Das hätte ich mir denken können  ; bist halt der alte brave Soldat geblieben. Aber tummele dich mit der Antwort.“ Ich nahm den Papierstreifen über das Gespräch aus dem Apparat und ging damit zu Salis. Der sagte, das sei ihm sehr unangenehm, und nach kurzem Nachdenken  : „Komm, gehen wir gleich zu Krauss.“ Bei dem hatten Salis und ich zu jeder Zeit ungehinderten Eingang. Ich meldete Krauss und zeigte ihm den Gesprächsstreifen. Er dachte eine Weile nach, sah Salis an und sagte dann zu mir  : „Es stört eine Ablehnung vielleicht Ihre Karriere  ; aber mir wäre schon sehr recht, wenn Sie bei uns blieben.“ Darauf dankte ich für sein Vertrauen und versprach abzulehnen. Also ging ich wieder zum Fernschreiber, ließ Ghyczy in Teschen an den Apparat bitten und teilte ihm mit, dass ich auf Wunsch von FML Krauss bitte, von meiner Einteilung zu Mackensen abzusehen  ; Ghyczy antwortete, er werde dies dem Chef melden. Den Kontrollstreifen zeigte ich Salis und ging an meine Arbeit. Nach ein paar Tagen kam der schriftliche Befehl des AOK, demzufolge ich in die Operationsabteilung des OK Mackensen versetzt wurde und rasch nach Temes266 Über Rudolf Frh. v. Stöger-Steiner (1861–1921) siehe die Daten bei  : Glaise-Broucek I, S. 466, Anm. 577. Er war 1915 Kdt. XV. Korps und als GO. 1917/18 Kriegsminister. 267 Über den dt. GFM August v. Mackensen (1849–1945) siehe die Daten bei  : Glaise-Broucek I, S. 177, Anm. 138. Er war 1915 bis 1918 Kdt. 11. Armee und dann OB d. Heeresgruppe in Polen, dann Serbien und Rumänien, zuletzt OB in Rumänien.

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vár abzureisen habe. FML Krauss, der diesen Befehl zuerst bekommen hatte, ließ mich rufen und sagte etwa, dass er wissen möchte, warum diese Leute beim AOK Anfragen stellten, wenn sie dann doch machten, was sie wollen  ; dann gab er mir den schriftlichen Befehl in die Hand. Ich ging zu Salis in die Operationsabteilung  ; er las das Schreiben und gab es mir mit den Worten zurück, unsere Trennung täte ihm leid. Ein paar Tage zuvor war GenStabsHptm. Alfred v. Hubicki268 zu uns versetzt worden. Er wurde zu meinem Nachfolger in der Operationsabteilung bestimmt, und so hatte ich ihm meine Agenden zu übergeben. Nach zwei Tagen konnte ich mich abmelden. Hiebei zeigte mir Salis den von Obstlt. Zimmer und ihm verfassten Zusatz zu meiner Dienstbeschreibung, der allerhand Gutes und Schönes enthielt  ; am meisten berührte mich die eigenhändig geschriebene Begutachtung von FML Krauss  : „Überragt den Durchschnitt seiner Kameraden.“269 Zur Verabschiedung wurde ich an die Tafel des Erzherzogs geladen. Dieser trank mir mit den Worten zu, dass ich sicher einer interessanten Zeit entgegenginge, in der man meine eingehenden Balkankenntnisse brauchen werde. Krauss äußerte beim Abschied den Wunsch, ich möge ihn eingehender über den Verlauf der Dinge „da drunten“ orientieren  ; er werde mich im Gegenzug übers Geschehen an der Südwestfront informieren lassen. Danach verabschiedete ich mich im ganzen Kommando. Als ich zu Bartenwerffer kam, sagte er in etwa, dass ich es bei Gen. v. Seeckt270, dem Stabschef Mackensens, anfangs nicht leicht haben werde  ; er sei aber der Meinung, dass ich mich durchsetzen werde. Schließlich bestieg ich mit meinem Offiziersdiener, einem Banater Schwaben, den Zug nach Wien. Die Verbindung über Wien war noch immer rascher, als die der Karte 268 Über Dr. Alfred R. v. Hubicki (1887–1971) siehe die Daten bei Zeynek-Broucek I, S. 274, Anm. 403. Hubicki war Artillerieoffizier und Hptm.i.G in der k. u. k. Armee, ab Dez. 1918 im Staatsamt bzw. Bundesministerium für Heerwesen, 1935 GM, ab 1.10.1936 Kdt. d. Schnellen Division. Er wurde in die Deutsche Wehrmacht übernommen und war zuletzt als General der Panzertruppen von Juli bis September 1944 Chef der [deutschen] Heeresmission in der Slowakei. 269 KA, Qualifikationslisten, Vormerkung über Jansa  : Kommando der SW-Front  : Beschreibung  : ein besonders befähigter, hervorragend tüchtiger Glstbsoffizier. Arbeitet gründlich, flink und sehr verständnisvoll. Zeigte bemerkenswerte Auffassung und viel Blick für organisatorische Angelegenheiten und führte die Ordre de Bataille der gesamten Balkanstreitkräfte, später jener der SW-Front, in mustergültiger Weise. Ragt sichtlich über das Durchschnittsmaß unserer Glstbsoffiziere hinaus. Standort, am 29. September 1915. Alfred Krauss, FML. Art der Verwendung  : Befehlsgruppe u. Ordre de Bataille, Organisatorische Maßnahmen. 270 Daten und Literatur über Hans v. Seeckt (1866–1936) siehe bei Glaise-Broucek I, S. 358, Anm. 358. Er war 14.9.1915–13.9.1916 Chef d. Glstb. HGr. Mackensen, dann weitere Kommandofunktionen im ö.-u. und osman. Heer, 5.6.1920–1926 als Generaloberst Chef der Heeresleitung [der Reichswehr].

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nach gerade Strecke über Agram – Neusatz. Mein braver niederösterreichischer Pferdewärter Kern mit seinem bosnischen Gehilfen und meinen 3 Rössern (1 großes und 2 Gebirgspferde) wurden mir nach Temesvár nachgesendet. Bei der langsamen Fahrt konnte ich mir viel durch den Kopf gehen lassen, wozu ich früher keine Zeit gefunden hatte. Der Krieg dauerte nun schon über ein Jahr. Im Heer hatten wir noch keinen Mangel an Nahrung. Die ersten zwei Monatsgagen, die wir in Goldstücken ausbezahlt bekommen hatten, hatte ich meinem Bruder Heinrich für seine Tochter Anni geschenkt. Da ich von Teuerung im Hinterland hörte und nur wenig Geld brauchte, hatte ich einen Teil meines Monatssolds regelmäßig meinem Bruder weitergereicht. Den Rest hatte ich auf mein Konto bei der Bosnischen Landesbank eingezahlt, die ein Zweiginstitut des Wiener Bankvereines war. Wie würde es meinem Bruder, seiner Familie und meinem nun bald 86 Jahre alten Vater gehen  ? Seit Kriegsbeginn war mir noch kein Tag Urlaub vergönnt gewesen, und das letzte Mal war ich Anfang 1913 nur kurz in Wien gewesen, gelegentlich einer Information im Evidenzbüro des Generalstabes. Das war zu der Zeit, als ich in Sarajevo beim Armeeinspektor auch den Nachrichtendienst zu bearbeiten hatte. Ich überlegte, dass ich mich ohne Gewissensbisse einen Tag in Wien aufhalten können würde. Dann überdachte ich die Gesamtkriegslage  ; trotz der Erfolge in Russland und der ersten Abwehr Italiens erschien sie mir nicht aussichtsreicher als damals, als ich von der unglücklichen Marne-Schlacht hörte  ; inzwischen hatte uns beinahe die ganze Welt den Krieg erklärt  ; vielleicht mochte es gelingen, Serbien und Montenegro friedensbereit zu machen  ; das wäre wenigstens ein Anfang. Vom KdoSWF ging ich eigentlich nicht leichten Herzens weg  : Dort waren vielkönnende Menschen beisammen, hervorragende Soldaten, und sie besaßen in Krauss und Salis glänzend operative Köpfe. Mein Wirkungskreis war reichhaltig gewesen und ich hatte das Vertrauen meiner Vorgesetzten und meiner Kameraden genossen, ja sogar jenes vieler nichtaktiver Leute, die sich bei so einem hohen Kommando zusammenfinden. Wohl hatte ich zwei Kriegsauszeichnungen erhalten, war jedoch nie in einer eigentlichen Frontverwendung gewesen. Das Gefühl der Pflicht bewegte mich, auch meinerseits etwas zum ungeheuren Blutzoll beizutragen, der von der Armee gefordert wurde. Für den Posten eines Divisions-Generalstabschefs war ich dem Dienstrang nach noch viel zu jung  ; aber 1. Generalstabsoffizier bei einer Gebirgsbrigade zu werden, das würde möglich sein – zweimal hatte ich darum angesucht, zweimal war es abgelehnt worden. Wie würde das nun in einem deutschen Kommando werden  ? An sich imponierte mir die deutsche Wehrmacht trotz ihres Scheiterns an der Marne  : Die Vernichtungsschlachten Hindenburgs bei Tannenberg in den Masuren, die gemeinsamen Siege mit uns in

Beim 5. Armeekommando, dann beim Kommando der Südwestfront

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Polen bei Lódz und Gorlice waren großartig.271 Natürlich, in der Wehrmacht dienten nur Deutschstämmige, und diese hatten ihrem Heer im Frieden so viel zugestanden, dass es an Waffen, besonders an Artillerie, Munition und Fliegern, ungleich besser gestellt war als unseres. Conrad war ein unübertroffener Stratege, aber das gewisse „Soldatenglück“ war ihm auch nicht immer treu. Was meinte eigentlich Bartenwerffer damit, dass ich es bei Seeckt nicht leicht haben werde  ? Die deutschen Generalstabsoffiziere, die ich bisher kennengelernt hatte, waren uns keineswegs überlegen. Von Seeckt hörte ich erstmals nach Gorlice, wo er Mackensens Generalstabschef gewesen war. Mackensen war nach dieser Durchbruchsschlacht und späteren Erfolgen ungeheuer populär geworden  ; die Bilder zeigten eine gewinnende soldatische Erscheinung. Von Seeckt hatte ich lediglich erfahren, dass er dem preußischen Junkertum entstamme. Hptm. Oertel hatte seinen Namen nie genannt, und auch Hptm. Frantz wusste mir nichts weiter zu sagen. Wie sollte ich mich benehmen  ? Frantz hatte sich durch sein ruppiges und mitunter überhebliches Wesen keine sehr angesehene Position in der Nachrichtenabteilung geschaffen. Bei Bartenwerffer hingegen war das anders  : Sein an sich bescheidenes, höflich zuvorkommendes Wesen, das sich nie eine Kritik über österreichische Verhältnisse erlaubt hatte, war seinem Ansehen und Einfluss zum Vorteil gereicht  ; im KdoSWF genoss er großes Ansehen und Vertrauen. Das musste also das richtige Vorbild sein  ! In Wien stieg ich im Hotel Kaiserin Elisabeth ab, weil ich dort – nach mehrfachen vergeblichen Versuchen anderswo – Platz gefunden hatte  ; Zimmer 20 mit Baderaum wurde in der Folge stets mein Logis, wenn mich mein Weg über Wien führte. Am Morgen war ich angekommen, spät abends ging ein Zug über Budapest nach Temesvár, mir blieb also der Tag. Nach gründlicher Toilette besuchte ich erst meinen Bruder in seinem Büro in der Herrengasse. Heinrich erschien mir sorgenvoll und bedrückt. Die Lebensverhältnisse in Wien waren schon schwierig  : Man bekam zwar noch so ziemlich alles, jedoch nicht glatt und einfach  ; wegen vieler Dinge musste man herumlaufen und suchen. Seine Frau Vilma sei da wenig wendig und geschickt. Ihr Kind hatte stark die englische Krankheit krummer Beine, und der notwendige Lebertran war nur im preistreibenden Schleichhandel zu bekommen. Zusammen gingen wir dann in die Hiessgasse im 3. Bezirk Mittagessen, wo Heinrich eine recht teure Wohnung besaß. Unterwegs hatte ich meinen reichlichen Essvorrat, den mir unser Proviantoffizier vorsorglich mitgegeben hatte, geholt  : So setzte ich als unangesagter Gast meine liebe Schwägerin nicht in Verlegenheit. 271 Die dt. 9. Armee unter GdK. v. Mackensen begann am 12.11.1914 aus dem Raum Thorn den Angriff in Richtung Lódz und Warschau. Vier Tage später setzten die ö.-u. 1. und 4. Armee beiderseits Krakau zu einer Offensive an, um die schweren, aber erfolgreichen Kämpfe der dt. 6. Armee (Durchbruch bei Wloclawek, Siege bei Kutno und Lódz) zu unterstützen.

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Während Heinrich wieder ins Büro ging, blieb ich bei meinem guten Vater. Er war in staunenswert gutem Gesundheitszustand und geistig frisch. Natürlich begehrte er alles zu hören, was ich erzählen konnte. Entgegen meiner Überzeugung vermied ich sorgfältig, den Krieg als ungewinnbar zu schildern  ; im Gegenteil, ich suchte bei Vater und allen, mit denen ich sprach, die Zuversicht zu heben. Nichts wollte ich über meine neue Dienstbestimmung verlauten lassen, musste aber zu meinem Entsetzen hören, dass in Wien schon vom bevorstehenden Angriff auf Serbien geredet wurde. Diese Tratschsucht erschien mir ungeheuerlich. Im Übrigen gefiel es mir in Wien nicht  : zu viel schlecht getragene Uniformen, zu viel schlecht gekleidete Zivilisten, zu viel Frauen in Trauerkleidung. Und die Erzählungen meines Bruders ließen eine ungute Gesamtstimmung erkennen  : Über den eigenen Generalstab und die Generäle wurde viel geschimpft, dagegen alles Reichsdeutsche emporgehoben. Einerseits übersahen die Leute, dass der eigenen Armee durch Jahrzehnte alles Wichtige vorenthalten worden war, andererseits ahnten sie nichts vom kriegsentscheidenden Desaster der Deutschen an der Marne. Jedenfalls war ich froh, Wien am Abend zu verlassen, um am nächsten Morgen in Temesvár anzukommen.272 C  Beim Oberkommando Mackensen 24. 9. 1915–5. 2. 1916 Temesvár hatte im Frieden eine große Garnison und war Sitz des VII. Korpskommandos gewesen.273 Jetzt beheimatete diese nach den Türkenkriegen Prinz Eugen durch General Mercy dem sumpfigen Boden abgerungene Stadt das ö.-u. „Militärkommando“ und zahlreiche Ersatzkörper aller Waffen des Heeres und der Honvéd. Temesvár, fast ganz von zugewanderten Schwaben erbaut, galt als Hauptstadt des Banates, eines Ländergebietes, das historisch nicht zu Ungarn gehört hatte, sondern diesem 272 ÖStA/KA, Qualifikationsliste Jansa  : Vormerkung über die Verwendung während des Feldzuges  : ein besonders befähigter, hervorragend tüchtiger Glstbsoffizier. Arbeitet gründlich, flink und sehr verständnisvoll. Zeigte bemerkenswerte Auffassung und viel Blick für organisatorische Angelegenheiten und führte die Ordre de Bataille der gesamten Balkanstreitkräfte, später jene der SW-Front in mustergültiger Weise. Ragt sichtlich über das Durchschnittsmaß unserer GlstbsOffz. hinaus, Alfred Krauss FML, [eh.],Standort, am 29. September 1915. Jansa war ab 26.7.1914 eingeteilt bei der Generalstabsabteilung des 6. Armeekommandos, ab 25.12.1914 beim Kommando der Balkanstreitkräfte, ab 22.5.1915 beim Kommando der Südwestfront, ab 20.9.1915 in der Generalstabsabteilung des [deutschen] Armeeoberkommandos Mackensen. 273 Siehe das von Franz Mühlhofer verfasste Kapitel in  : Edmund Glaise-Horstenau (Hg.), ÖsterreichUngarns letzter Krieg, III. Band, 2. Teil  : Das Kriegsjahr 1915  ; hier S. 185 ff.: Die Eroberung Serbiens.

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erst durch die Kaiserin Maria Theresia, und zwar gegen den Einspruch ihres Sohnes Joseph, eingegliedert worden war.274 Die Stadt mit ihrer alten Festungsumwallung war untrüglich deutsch  ; das „ungarische“ nur aufgepfropft, was man deutlich wahrnehmen konnte. Der Banater Dichter Müller-Gutenbrunn hat das Schicksal der Schwaben unter ungarischer Herrschaft in einigen guten Romanen beschrieben.275 Diese Bücher sind lesenswert, weil nach dem Ende des Krieges 1918 das Banat zum einen Teil den Serben, zum andern den Rumänen zugesprochen wurde, die natürlich kein Interesse hegen, die kulturelle Erschließung dieses Gebietes durch die kaiserliche österreichische Armee als historisch unbestreitbare Wahrheit für die Nachwelt zu bewahren. Am 24. September 1915 früh kam ich in Temesvár an. Beim militärischen Bahnhofkommando erhielt ich die nötigen Adressen. Für mich war staunenswerterweise sogar schon ein Quartier sichergestellt, wohin mich ein Fuhrwerk brachte. Das Quartier war im großen, prunkvoll gebauten Haus (ich glaube, es war eine Bank), in dem auch die Büros des OK Mackensen lagen. Der Doppelposten vor dem Eingang, zwei deutsche Landsturmmänner, präsentierten das Gewehr. Auch hier machte ich mich gründlich zurecht und ging zuerst über den Platz in ein bescheidenes Haus, in dem das dem OK Mackensen zugeteilte ö.-u. Etappenkommando amtierte. Sein Leiter war der mir aus der gemeinsamen Dienstzeit in Sarajevo wohlgesinnte Mjr. Viktor Franz276, der Sohn eines reichen Prager Rechtsanwaltes. Er war dort bei der 48. Division als Hauptmann eingeteilt gewesen und kam 1912 ins 274 Banate hießen im Mittelalter die ungarischen Grenzbezirke, die einem Banus unterstanden. Seit 1718 war der Name auf das Temesvárer Banat beschränkt. Diese Landschaft war unter der Türkenherrschaft des 16. u. 17. Jh. verödet und wurde nun neu besiedelt, zum großen Teil von Deutschen. Diese Neubesiedelung erfolgte unter militärischer Aufsicht, ihr Organisator war zunächst im Auftrag des Hofkriegsratspräsidenten Feldmarschall Prinz Eugen von Savoyen der aus Lothringen stammende General Florimund Graf von Mercy. Seit 1779 gehörte der Großteil dieses Gebietes, das vorher der „Militärgrenze“ eingegliedert gewesen war, wieder zu Ungarn. 275 Adam Müller-Guttenbrunn (Guttenbrunn im Banat, ung.Temeshidegkút, heute rum. Zăbrani, 22. 10.1852–5.1.1923, Wien), Pseudonyme  : Ignotus bzw. Franz Josef Gerhold. Staatsbeamter in Linz, Telegraphenbeamter in Wien, 1892–1903 Leiter des Raimundtheaters 1898–1903 des Kaiser-Jubiläums-Stadttheaters, freier Schriftsteller. Erwarb sich als Bühnenfachmann große Verdienste um das Theaterleben Wiens, Dichter wertvoller Heimatromane aus der Geschichte des Banats, Verfasser von Feuilletons aus dem Wiener Leben und von Essays zur Literaturgeschichte und Dramaturgie. Siehe  : H. Giebisch/L. Pichler/K. Vancsa, Kleines österreichisches Literaturlexikon, Wien 1948, S. 297 f. 276 Viktor Franz (Sedletz/Sedlčan, 17.3.1880–17.11.1926, Bukarest), 18.8.1901 aus Theres. Milak. als Lt. zum IR 74, 1.11.1906 zugeteilt Glstb. u. eingeteilt bei 42. LIBrigKdo. Prag, 1.5.1910 Hptm.i.G, 29.9.1911 eingeteilt beim Etappenbüro d. Glstb., 1.5.1915 Mjr.i.G, 1.8.1914 bei der Glstbsabt. des Etappen-Oberkdo. (EOK), 3.9.1915 eingeteilt beim Quartiermeister des HGrpKdos. v. Mackensen (weitere Verwendungen nicht bekannt), 1.5.1917 Obstlt.i.G, Sept. 1918 Übertritt in die tschechoslowakische Armee, 1.9.1921 Ruhestand. Seine Witwe erhielt nach 1945 eine Pension in Österreich.

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Etappenbüro des Generalstabes nach Wien. Den Krieg hatte er bisher im EtappenOberkommando in Teschen mitgemacht. Franz begrüßte mich mit der alten Herzlichkeit, die uns alle, die wir in Bosnien gedient hatten, fürs Leben verband. Von ihm erfuhr ich nun alles für mich Wissenswerte. Er hatte einen großen Stab. Ihm oblag nicht nur die Versorgung der ö.-u. Verbände, beginnend mit allen Bedürfnissen von der Munition und mit den Gefallenenlisten endend, sondern auch die Ausstattung der deutschen Truppen mit Gebirgsartillerie, Überschiffungsmitteln und Gebirgstrains, soweit sie dieser bedurften. Die deutsche Etappe, die Quartiermeister-Abteilung hieß, unterstand dem mir schon gut bekannten Obstlt. Hentsch. Franz wiederholte öfter, ich möge mir von den Deutschen ja nicht imponieren lassen  ; das seien überhebliche Menschen, die man immer wieder in ihre Schranken weisen müsse. Im gleichen Sinne äußerte sich der hinzugekommene ö.-u. Verbindungsoffizier Obst. d. Generalstabes v. Lustig-Prean277, der demonstrativ die Uniform eines Feldjäger-Obersten trug, weil er das Kärntnerische Feldjägerbataillon durch Monate vor dem Feind geführt hatte. Ich hörte, dass GFM v. Mackensen am 20. nach Temesvár gekommen sei, sich aber momentan in Wien zur Audienz bei Kaiser und König Franz Joseph befinde. Franz drängte mich jetzt weg, damit ich meine Meldung bei GM v. Seeckt noch vor dem gemeinsamen Mittagstisch erstatten könne. Obst. v. Lustig kam gleich mit, um mich Seeckt vorzustellen.278 Ich hatte Lustig bisher nicht gekannt  ; seine betont 277 Julius Lustig Prean v. Preansfeld (Pilsen/Plžen, 11.2.1871–31.7.1957, Wien), 18.8.1891 aus der Theres. Milak. als Lt. zum FJB 8, 1.11.1895 Olt. Ab 10.1.1897 zugeteilt d. Glstb. und Glstbskarriere, 4.4.1898 eingeteilt im Direktionsbüro d. Glstb., 26.10.1910 Glstbschef 32. ITD, 25.8.1914 darf zum Familiennamen Prean das Prädikat v. Preansfeld führen und betraut mit Kdo. IR 27, nach Verwundung VO. beim dt. AOK 11, 12.9.1915 VO beim Heeresgruppenkommando Mackensen, 2.3.1916 Glstbschef XIX. Korps, nach kurzer Betrauung mit dem Abschnittskdo. Fella im Bereich der 10. Armee in Kärnten, dann ab 14.8.1916 Kdt. 180. IBrig, (ab 16.3.1917 2. Kaiserjägerbrig.), 1.11.1918 GM, 1.10.1920 Ruhestand, 4.1.1938 für Verdienste im Ruhestand (nämlich für die Führung und Erhaltung der Tradition an der Theresianischen Militärakademie in der Republik) Titular-FML. 278 FML Julius Lustig-Prean v. Preansfeld schrieb in seinen Memoiren (KA, NLS, Sign. B/5, Nr. 1, S. 72) über v. Seeckt  : „Geistig höher stehend war Oberst v. Seeckt, der am Tage meines Eintreffens den 50. Geburtstag feierte, also in der Vollkraft der Jahre stand. Er machte im ersten Augenblick den Eindruck des ,Jardeoffiziers‘, wie er oft karikierend dargestellt wurde  : schlank, der Waffenrock ,uff Taille‘ geschnitten, vom Monokel untrennbar, hochmütig über die Welt und die Menschen hinwegsehend. Ein deutscher Arzt machte mich einmal darauf aufmerksam, daß der Kopf Seeckts alle wissenschaftlich festgestellten Merkmale der Degeneration aufweise und demonstrierte sie mir im Detail – war das Inzucht  ? Er entstammte einer altpreußischen Gardeoffiziersfamilie, die sich möglicherweise nur unter Verwandten fortgepflanzt hatte. Tatsächlich war er der letzte seines Stammes. Das war aber nur eine Äußerlichkeit, denn er war einer der intelligentesten Menschen, die ich kennen gelernt habe. Er war ein nüchterner, real und gründlichst denkender, initiativer, großzügiger und hoch gebildeter Generalstäbler mit großer Energie, der seine Stellung nach Oben und Unten mit Unnahbarkeit zu wahren wußte.

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legere Haltung und Sprache gefielen mir wenig, obwohl er sich gegen mich herzlich kameradschaftlich zeigte. Nach Anmeldung durch einen „Hilfsoffizier“ traten wir bei Seeckt ein. Der General stand auf, Monokel im rechten Auge. Etwas befremdet hörte ich, wie Lustig ihn mit „Herr von Seeckt“ ansprach und sagte, dass er den Generalstabsoffizier für die Operationsabteilung bringe. Ich straffte mich wie bei jeder Meldung vor einem Vorgesetzten und sprach dann unseren ö.-u. Dienstvorschriften gemäß  : „Herr Generalmajor, Hauptmann des Generalstabskorps Alfred von Jansa meldet gehorsam seine Einteilung in die Operationsabteilung des Oberkommandos und seinen Dienstantritt.“ Seeckt machte eine knappe Verbeugung, reichte mir die Hand und meinte, ich sei ihm willkommen. Dann wandte er sich frostig an Lustig und sagte ohne HandIm Verkehr von gewählter Form, kühl, liebenswürdig, ohne daß man ihm näher kommen konnte. Ich glaube nicht, daß er je einen Freund gehabt haben könnte, er wurde auch nicht geliebt, aber hoch geachtet und respektiert, wie ab und zu gefürchtet. Im Dienst kürzest angebunden, auch öfter verletzend – eine ausgesprochen autoritäre Persönlichkeit. Aus all’ dem Gesagten wird es klar sein, daß auch ich mit ihm in einem Verhältnis stand, das jeder Wärme entbehrte und über das Dienstliche selten hinausging. Ich hatte gleich in den ersten Tagen einen Zusammenstoß mit ihm. Als ich im Zimmer der Generalstabsoffiziere mit diesen eine eben eingelangte Lagemeldung auf der Karte verfolgte, trat er herein und sagte in seiner gewohnten mehr wegwerfenden Art, er glaube, daß wohl er zuerst hievon Kenntnis zu erhalten habe und nicht die ,breite Öffentlichkeit‘. Ich suchte ihn sofort in seinem Büro auf und legte ihm klar, daß ich als Verbindungsorgan des ihm vorgesetzten AOK nicht zur ,breiten Öffentlichkeit‘ gehöre und daß ich ihn dringendst ersuche, mir vor jüngeren Offizieren keine Rügen zu erteilen. Gerechterweise muß ich auch beifügen, daß Seeckt einer der Wenigen war, der einen weiteren Blick hatte, als die anderen Preußen, er war in der Welt herumgekommen und hatte dank seines Intellekts daher auch einigermaßen ein Verständnis für andere Stämme und Völker, so auch für unsere Armee und deren große Schwierigkeiten. Seeckt hat auch nach dem Krieg das gehalten, was ich mir von ihm versprach. Ohne einen Kompromiss mit den verschiedenartigst gefärbten deutschen Regierungen zu schließen, schuf er aus dem kleinen, 100.000 Mann starken Berufsheer ein erstklassiges Instrument, das die Keimzelle für das spätere Volksheer wurde. In seiner Tätigkeit als Oberbefehlshaber der Reichswehr zeigte er die eiserne Konsequenz, die Organisationsgabe und das Verständnis dafür, was notwendig ist, um vorzügliche Soldaten und Ausbildner zu schaffen. Auch die in dieser Zeit von ihm verfassten geistvollen Bücher tragen seine charakteristische Marke.“ Lustig-Prean hatte diese Charakterisierung in seine Memoiren bei der Schilderung seiner Erlebnisse als ö.-u. Verbindungsoffizier beim deutschen AOK 11 in Galizien, der er ab 25.4.1915 gewesen war, eingebaut. An jener Stelle schrieb er auch (S. 78 ff.)  : „Nun ging es an das nächste Operationsziel, die Wiedereinnahme Lembergs. Dieses wurde zwar direkt von der k. u. k. 2. Armee, unserem rechten Nachbarn angegriffen, aber die ganze Operation wurde in gemeinsamem Wirken von Mackensen geleitet. Wie am Tag von Przemyśl durch unseren Kaiser, wurde am Tag von Lemberg Mackensen durch seinen Kaiser geehrt, und zwar durch die Ernennung zum Generalfeldmarschall. Als beim Mittagsmahl Seeckt, der inzwischen auch außertourlich zum Generalmajor befördert worden war, diese Ernennung verlautbarte, die neuen Achselstücke mit den gekreuzten Marschallstäben überreichte und ein ,Hurrah‘ ausbrachte, antwortete Mackensen seinem Stabschef mit den Worten Blüchers nach der Schlacht bei Waterloo  : ,Das danke ich Ihnen, Gneisenau  !‘ Sicherlich ein schönes Zeichen von Dankbarkeit, aber auch eine Bestätigung der Tatsachen.“

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reichung in knapper, betonter Kürze  : „Ich danke Herr Oberst, ich habe mit Herrn Hauptmann noch zu sprechen.“ Damit war Lustig entlassen. Seeckt erklärte mir, er habe einen mit den Balkanverhältnissen vertrauten jungen Generalstabsoffizier, der seine Ausbildung unter FM v. Conrad genossen hatte, angefordert  ; da diese jungen österreichischen Generalstabsoffiziere den deutschen in graphischen Darstellungen überlegen seien, „bäte“ er mich, die eigene Lagekarten-Darstellung zu übernehmen. Als ich mit einer Verbeugung sagte, dass ich mit dieser Materie gut vertraut sei, nickte Seeckt zustimmend und meinte, so sei er von Conrad über mich orientiert worden und auch Obst. v. Bartenwerffer hätte ihm berichtet. Das nahm ich als Stichwort, um Seeckt den begreiflichen Wunsch von FML Krauss vorzutragen, über die kommenden Ereignisse auf diesem Kriegsschauplatz eingehender orientiert zu werden, als dies sonst durch die öffentlichen Tagesberichte geschehe. Krauss habe mir als Gegendienst eine laufende Orientierung über die Südwestfront zugesagt. Seeckt erklärte sich damit einverstanden, dass ich täglich die von ihm genehmigten Berichte an unser ö.-u. AOK auch an FML Krauss weitergebe. Die Südwestfront interessiere ihn sehr  ; er werde mir täglich am Nachmittag eine Referatstunde freihalten. Abschließend sagte er, dass ich ja wisse, dass alles Geschehen in der Operationsabteilung streng geheim sei, dass ich über Mjr. v. Bock ausschließlich ihm unterstünde – und besonders dem Obst. v. Lustig keinerlei Auskünfte geben dürfe.279 Dessen Orientierung obliege ausschließlich Mjr. v. Bock und ihm selbst. Er neigte leicht den Kopf, ich machte in der mir anerzogenen korrekten Weise meine Verbeugung und war fürs erste entlassen. Mit der Aufnahme durch Seeckt war ich zufrieden  ; mehr konnte ich nicht erwarten  ; und dass er in die Orientierung von FML Krauss eingewilligt hatte, freute mich besonders. Zwischen Seeckt und Lustig schien eine Spannung zu bestehen, über die ich mir den Kopf zu zerbrechen keine Zeit hatte. Seeckts Zimmer stieß an einen großen 279 Fedor v. Bock (Küstrin, 3.12.1880–4.5.1945, Oldenburg, Holstein, durch Tieffliegerangriff ), ab 1913 Verwendung als Hptm.i.G. des Gardekorps, diverse Verwendungen in Ost u. West im Weltkrieg, u.a. bei der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz, Träger des Pour le mérite, nach Kriegsende bei der Heeresfriedenskommission, 1920 Obstlt.d. G. im Wehrkreis III, dann Truppenkommandos, IV/1935 OB des neu errichteten Gruppenkdo. in Dresden, März 1938 OB der neu errichteten 8. Armee beim Einmarsch in Österreich, 1.11.1938 OB der Heeresgruppe I in Berlin, Sept. 1939 OB der Heeresgruppe Nord im Polenfeldzug, sodann OB der Heeresgruppe Nord am Nordflügel der Westfront (nahm die Kapitulation von Belgien und von den Niederlanden entgegen) Juni 1941 OB der Heeresgruppe Mitte, die ab Juni 1941 in Stoßrichtung Moskau vorging, 18.12.1941 wegen Erkrankung den Oberbefehl abgegeben, Feb. 1942 OB der Heeresgruppe Süd. Nach den Abwehrkämpfen im Frühjahr wurde Bock vor die unmöglich zu lösende Aufgabe gestellt, gegen Stalingrad nach Osten und gegen den Kaukasus nach Südosten vorzustoßen. Da Bock protestierte, wurde er mit Angriffsbeginn seines Kommandos enthoben und erhielt bis Kriegsende keine aktive Verwendung mehr. Eichenlaub zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes.

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Raum, in den ich nun trat. Das war der Arbeitsraum der Operationsabteilung, in dem ich Mjr. v. Bock als Ia (so lautete die preußische Bezeichnung für das, was wir Österreicher Chef der Operationsabteilung nannten) in gleicher Weise wie Seeckt meine Meldung erstattete und der mich freundlich begrüßte und darauf hinwies, dass schon ein Haufen Arbeit auf mich warte. Sonst waren da noch ein GenStabsHptm. Dunst als Ib und Blankenhorn als Ie. Der Ic, ein Hptm. Soldan, arbeitete bei Mjr. Franz. Die Bekanntmachung mit diesen Offizieren erfolgte nur kurz durch Namensnennung und beiderseitige Verbeugungen. Dann war auch schon Zeit, sich in den riesigen Speiseraum zu begeben. Wenn man österreichischen Kommandostellen nachsagte, dass sich bei ihnen zu viele Personen häufen, so übertrafen die hier beim Essen zusammenkommenden Menschen an Vielzahl alle österreichischen Befehlsstellen. Ich wurde durch Mjr. v. Bock generell vorgestellt, bloß dem als Gast im Hauptquartier weilenden General Herzog v. Mecklenburg persönlich. Dann sagte Bock zu mir, ich sei heute sein Gast, was bedeutete, dass er für uns beide eine Flasche Sekt bestellte. Die Offiziere der Operationsabteilung besaßen im Stab eine besonders hohe Geltung, auch gegenüber nach Charge und Rang höheren Offizieren anderer Dienstverwendungen. An der Hufeisentafel waren wir vier Offiziere in der Mitte eines Längsarmes platziert, wobei sich als fünfter auch der Hptm. Soldan zu uns setzte. In Abwesenheit Mackensens präsidierte GM v. Seeckt die Tafel. Bevor wir Platz nahmen, trug ein als Reserveoffizier eingerückter Opernsänger, am Klavier von einem anderen Künstler begleitet, eine Arie vor. Das geschah täglich, wobei sich Sänger und Schauspieler, die auch als Reserveoffiziere da waren, abwechselten. Zu Beginn der Mahlzeit instruierte mich Mjr. v. Bock über den exerziermäßig stramm zu erledigenden Tischkomment  : Seeckt werde mir während des Essens als Begrüßung zutrinken  ; da habe ich mich in Habtachtstellung zu erheben, das gefüllte Glas vor die Brust zu halten und nach einer Verbeugung in einem Zug bis auf den letzten Tropfen zu leeren, danach das Glas wieder vor die Brust zu nehmen, eine zweite Verbeugung zu machen und dann erst wieder Platz zu nehmen. Nur Gleichgestellte dürften beim Zutrinken sitzen bleiben. Na schön  ! Bei uns Österreichern blieb man sitzen, auch wenn der Erzherzog einem zutrank  ; deshalb galten wir ja als schlapp. Gleich nach der Suppe trank Mjr. v. Bock mir sitzend zu. Generalprobe  : Ich stand stramm auf, worauf sich auch Bock erhob. An der großen Tafel entstand durch diese Sitte eine die Konversation störende Unruhe, denn viele tranken vielen zu, sodass man immer wieder Leute aufstehen, die Absätze zusammenschlagen und sich setzen sah. Und während der Braten serviert wurde, kam richtig eine servierende Ordonnanz zu mir mit der strammen Meldung, dass „Herr General von Seeckt Herrn Hauptmann zuzutrinken wünscht.“ Bock schenkte mir gleich mein Glas voll. Ich stand auf, wen-

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dete mich zu Seeckt und benahm mich nach Belehrung, was Bock nachher mit „gut gemacht“ klassifizierte. Dann ließ mir der Herzog v. Mecklenburg Gleiches melden, Obstlt. Hentsch ebenfalls, bei dem ich noch gar nicht Zeit gefunden hatte, mich zu melden. Es waren das solcherart in den nächsten Tagen unruhige Mahlzeiten. Als mich Blankenhorn einmal fragte, ob mir diese auszeichnende „appellmäßige“ Art des Zutrinkens nicht gefalle, erwiderte ich taktvoll, dass ich das prächtig fände  ; im Stillen dachte ich mir aber, dass bei uns in Österreich bei der Fütterung nicht einmal im Stalle „Habt acht“ kommandiert werden durfte, um die Pferde bei ihrem Fressen nicht zu stören.280 280 KA, NLS, sign. B/5 (= Memoiren Lustig-Prean), S.  73 f.: „Wie gestaltete sich das außerdienstliche Verhältnis zu den Deutschen  ? Es war und wurde nie ein schlechtes, aber auch nie ein intimes. Ich glaube sagen zu können, daß ich mich in irgendeinem Hauptquartier einer andren verbündeten Armee nicht weniger fremd gefühlt hätte, obwohl ich als deutscher Österreicher unter Deutschen weilte. Ich erkannte, daß es eben einen ,Österreichischen Menschen‘ gibt, der schwer oder gar nicht trotz allen Bemühens eine Brücke zum Norddeutschen und gar zum Preußen findet und umgekehrt. Und wenn es immer wieder Engstirnige gibt, die behaupten wollen, es gäbe keinen ,österreichischen Menschen‘, so lach ich ihnen ins Gesicht. Wäre es denn überhaupt denkbar, daß ein Volksstamm, der über ein Jahrtausend ein eigenstaatliches Leben unter ganz bestimmten nur ihm eigenen geopolitischen Verhältnissen führte, nicht seine eigene Charakteristik gefunden hätte. Das müssten ganz erbärmliche wesenlose Kreaturen seine und das waren sie wahrlich nicht. Es ist damit nicht gesagt, daß der Eine oder der Andere besser oder schlechter sei, wohl aber, daß sie eben anders geartet sind. Ich hatte den besten Willen zu einem kameradschaftlichen Einvernehmen, ich war herzlich, war warm, wie es mehr oder minder jeder Österreicher ist, und ich stieß auf kühle und wärmer werdende Höflichkeit. Das, was wir unter Kameradschaft verstehen, konnte ich nicht erwecken. Und frage ich nach den Gründen, so sind es zwei, die besonders hervortreten  : der eine ist die völlige Unfähigkeit des Preußen, sich in andere Verhältnisse einzufühlen, der andere sein Mangel an Herzenstakt und Wärme. Sie konnten es und können es auch heute noch nicht verstehen, daß unsere Armee, ja die Monarchie, mit einen anderen Maas gemessen werden müßte, als mit dem ihrer staatlichen Organisation. Obwohl sie es nicht vermocht hatten, in 45 Jahren aus Elsässern, ja in 150 Jahren aus Polen wirklich staatstreue Deutsche zu machen, obwohl diese nur einen Bruchteil der Gesamtbevölkerung darstellten, wunderten sie sich und bekrittelten es, daß die in der Minderheit befindlichen deutschen Österreicher die 9 anderen Nationalitäten nicht germanisiert hatten. So begriffen sie nicht, daß es galizianische Gemeindevorsteher und ungarische Gendarmen gab, mit denen sie nicht deutsch reden konnten. Ja, sie bemängelten, daß der polnische und der Banater Bauer ihre Felder nicht so bebauten, wie der pommersche Rittergutbesitzer. Daß unsere verwaltungsrechtlichen Verhältnisse anders gestaltet waren als die ihren, betrachteten sie als eine unserer Minderwertigkeiten. Sie übersahen aber dabei, daß unser Apparat zumeist weniger bürokratisch und daher praktischer arbeitete. Kurz gesagt  : aus Mangel an Einfühlungsvermögen kritisierten sie alles, was nicht genau so war wie in Kyritz an der Knatter und belächelten es mit herablassenden und hämischen Worten. Man hätte, wie es unter Kameraden und sonst in guter Gesellschaft üblich ist, ruhig und sachlich über alle diese Dinge sprechen und sich gegenseitig orientieren können – das war aber nicht in ihrem meist recht überheblichen und des Taktes ermangelnden Ton gelegen, sondern es mußten wegwerfende Bemerkungen auch in Anwesenheit österreichischer Kameraden gemacht werden. Richtig ist wohl, daß sie sich Zurechtweisungen in solchen Augenblicken ruhig bieten ließen. Waren diese nur

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Jeder objektiv Denkende muss darin mit mir übereinstimmen. Die Zubereitung der Speisen war ausgezeichnet. Als ich das meinem Nachbarn anerkennend sagte, lachte er und meinte, das sei echt österreichisch. Da ich nicht verstand, was er damit meinte, erklärte er mir, dass seit der Begegnung österreichischer und preußischer Kommandos in Polen, jede deutsche Stelle österreichische Köche erbitte. Für uns kochten da auch Österreicher. Nach dem Essen nahm ich mir sofort die Befehle für die Truppenbereitstellungen an den Strömen her. Ich trug das beim Lesen gewonnene Bild nach unserer österreichischen Generalstabstechnik mit Farbstiften in die Karten. Dunst und Blankenhorn schauten mir anerkennend zu und staunten, wenn ich gleich Bemerkungen einflocht, z. B. dass man diese oder jene Formation dem Gelände nach besser an einem anderen nahe gelegenen Ort befohlen hätte, wo ihre Deckung gegenüber dem erhöhten Süd­ ufer günstiger gewesen wäre.281 Die deutschen Generalstabsoffiziere zeichneten mit abwaschbaren Farben nur einzelne Striche in ihre Karten, was natürlich nicht jenen dauernden Überblick gewährte, wie wir es auf Conrads Befehl in der Kriegsschule eingedrillt bekommen hatten. Sie mussten alles im Kopf behalten  ; bei uns wurde das Gehirn durch das Schaubild entlastet. Die fertige Darstellung war für GM v. Seeckt gedacht, und ich begann gleich mit einer Kopie für meinen Gebrauch. Kaum war ich fertig, kam auch schon Mjr. v. Bock mit der Aufforderung zum Chef einzutreten, der wolle mich sprechen. in dezidiertem Ton gehalten, dann entschuldigten sie sich sofort. Sie gaben aber ihrer Verwunderung darüber Ausdruck, daß man sich durch derartige Äußerungen verletzt fühle. Immer wieder kam es zum Ausdruck, daß sie gekommen seien, uns zu ,helfen‘, weil es ohne sie nicht gegangen wäre. Sie vergaßen aber grundsätzlich, was die ö.-u. Armee im verflossenen Herbst und Winter geleistet, wie sie geblutet hatte, um Schlesien und damit auch Berlin vor der russischen Dampfwalze zu schützen … Der Gerechtigkeit halber muß ich wohl zugeben, daß auch der Ton der Offiziere unter einander – im Dienst wie außer Dienst – ein wesentlich anderer war als der bei uns. Wie sie sich gegenseitig ,Anbliesen‘ oder, wie sie sich ausdrückten, ,ansch …‘, wäre bei uns ganz unmöglich gewesen. Da hätten die Beschwerden und Forderungen kein Ende gefunden. Deshalb hatten sie auch für unsere ,Empfindlichkeit‘ kein Verständnis.“ 281 KA, NLS, sign. B/5 (= Memoiren Lustig-Prean), S.73  : „In der Operations-Abteilung war immer auch ein ö.-u. Generalstabshauptmann eingeteilt, dem stets die Feind-Evidenz anvertraut war. Alle diese Kameraden entsprachen aufs Beste, dies umso mehr, als ihr graphisches Geschick bei der Darstellung der Situationen etc. bei ihnen weiter entwickelt war als bei den deutschen Kameraden, was diese auch – wenn auch nicht sonderlich gerne – anerkannten, ebenso wie ihre Expedivität.“ (Hierzu die folgende Anmerkung des Herausgebers  : Julius Lustig Prean v. Preansfeld hat die Reinschrift seiner Memoiren „Wien im Winter 1940/41“ datiert. Da er höchstwahrscheinlich über das Schicksal von Alfred Jansa nichts Genaueres wusste, hat er ihn – zum Beispiel in dem hier abgedruckten Passus – auch nicht erwähnt. Dass er sich nicht an ihn erinnert hat, ist vollkommen auszuschließen.

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Ich nahm die für Seeckt bestimmte Karte gleich mit. Der war erfreut so rasch bedient zu werden, betrachtete lange die Karte und fragte mich dann, was ich über den Aufmarsch dächte, ich wäre ja lange bei FML Krauss gewesen. Ich antwortete, dass ich noch nicht verstünde, warum man das österreichische VIII. Korps direkt auf Stadt und Festung Belgrad ansetze, was angesichts der erhöhten, dominierenden Lage Belgrads für das VIII. Korps schwerste Verluste bringen werde. Seeckt meinte, das sei doch nur die Ausführung des Aufmarschplanes, den FML Krauss entworfen habe. Ich verneinte das und sagte, dass Krauss wegen dieser Schwierigkeit Belgrad nicht direkt angreifen, sondern durch die Übergänge bei Kupinovo und Ram, die vor zwei Jahrhunderten Laudon und Prinz Eugen bewirkten, Belgrad als reife Frucht, ohne direkten Angriff, pflücken wollte.282 Seeckt rief Mjr. v. Bock. Es stellte sich heraus, dass GdK. v. Tersztyánszky283 nach unserem Abgang an die Südwestfront den Angriffsplan Krauss wohl im Großen beibehalten hatte, jedoch den direkten Angriff auf Belgrad aus Prestigegründen hinzugefügt hatte  ; inzwischen war Tersztyánszky aber wegen einer Differenz mit dem ungarischen Ministerpräsidenten durch Gen. Kövess ersetzt worden  ; dieser war mit dem direkten Angriff auf Belgrad angesichts der für die damalige Zeit „enormen“ Menge an mittlerer und deutscher schwerer Artillerie einverstanden. Dazu erbat ich die Erlaubnis zu einer Fahrt nach Neusatz, um mich bei General Kövess, dem Kommandanten der 3. ö.-u. Armee, vorzustellen, was Seeckt genehmigte. Sonst war ja dem Aufmarschplan Krauss Rechnung getragen worden  : Bei Kupinovo sollte das XIX. ö.-u. Korps und bei Semendria-Ram die deutsche 11. Armee übergehen. Während wir noch sprachen, trat der deutsche Artilleriechef bei Mackensen, Gen. Behrendt ein, ein kleiner, sehr beweglicher Herr mit einem hochintelligenten Kopf. Ich nahm sofort Haltung an  ; Seeckt machte mich mit ihm bekannt und teilte ihm meine Bedenken über die zu erwartenden schweren Verluste beim VIII. Korps mit. Er war der Meinung, dass der direkte Angriff auf Belgrad sicher schwierig sei, aber beim Einsatz der sehr zahlreichen schweren Artillerie, für die auch genug Munition bereitgestellt sei, ohneweiters durchgeführt werden könne. Dann wendete sich Behrendt direkt an mich und sagte still in sich lächelnd, „dass ihm bis jetzt jeder artilleristische Angriffseinsatz gelungen sei“. 282 Über diese ganze Problematik siehe  : Anton Wagner, Belgrad 1915, in  : Truppendienst, 5/1975, S. 438– 440. 283 Über Karl Tersztyánszky v. Nádas (1854–1921) siehe Glaise-Broucek I, S.  267, Anm. 457. Er war ab 22.5.1915 Kdt. d. Balkanstreitkräfte und wurde mit 25.9.1915 enthoben. Siehe nunmehr  : Ferenc Pollmann, Balszerencse, semmi más  ? Tersztyánszky Károly cs. és kir. vezérezredes élete és pályfutása, Budapest 2003 [Missgeschick, sonst nichts  ? Leben und Laufbahn des k. u. k. Generaloberst Karl Tersztyánszky].

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FML Krauss hatte in seinem Operationsplan auch vorgesehen, dass zwei Divisionen aus Bosnien heraus über Višegrad ins Tal der westlichen Morava vorstoßen sollten, um den über Save und Donau mit den Hauptkräften angegriffenen Serben den Rückzug abzuschneiden und so das serbische Heer für die Zukunft ganz auszuscheiden. Wegen des Truppenerfordernisses gegenüber Italien stand jetzt bei Višegrad bloß eine ö.-u. Division, die 53ste. Diesbezüglich sagte GM v. Seeckt zu mir, dass er diese Division zu den Hauptkräften an den rechten Flügel des XIX. ö.-u. Korps heranziehen wolle, das bei Kupinovo über die Save gehen solle. Ich machte ihn aufmerksam, dass dadurch die von FM Conrad erstrebte Rückenbedrohung der Serben durch das westliche MoravaTal verloren ginge und infolge der Schmalspurbahn in Bosnien der Transport so lange dauern würde, dass die Division für den am 5. 10. geplanten Übergang kaum zurechtkommen könne. 12 deutsche und ö.-u. Divisionen mit der sehr starken Artillerie der Heeresgruppe erschienen mir für den Übergang über die Ströme Save und Donau ausreichend. Seeckt antwortete darauf, dass er es trotzdem für richtig halte, diese Division zu den Hauptkräften heranzuziehen, weil man an der entscheidenden Stelle nie stark genug sein könne. Das Abschneiden der Serben von ihrer Rückzugslinie, die nur entlang der Eisenbahn über Skoplje (Üsküb) nach Saloniki führen könne, sei Aufgabe der Bulgaren, die ja mit zwei Armeen vier Tage nach unserem Angriffsbeginn auf Niš und Skoplje vorstoßen werden. Ich kam noch einmal auf die Belassung der 53. Division bei Višegrad und die Bedeutung von deren Vorgehen im westlichen Morava-Tal zurück, da sie ja bei den Hauptkräften angesichts der Stärke der Bulgaren doch nicht notwendig sein werde. Seeckt verblieb jedoch bei seinem Entschluss, die 53. Division zum XIX. Korps an die Hauptkräfte heranzuziehen. Demnach ist die Darstellung im Werk „Österreich-Ungarns letzter Krieg“ (im III. Band auf Seite 191), wonach die Heranziehung der 53. Division an das XIX. Korps an die Save infolge eines Missverständnisses geschehen wäre, nicht richtig. GM v. Seeckt hatte diese operative Chance ganz bewusst und trotz meiner gegebenen Orientierung über Sinn und Zweck des Aufmarsches dieser Division bei Višegrad ausgeschlagen. Seine Entscheidung musste als endgültig angesehen werden, da er, das heißt das OK Mackensen, die volle Verantwortung für das Gelingen des Feldzuges trug. Seeckt befragte mich auch über den Kampfwert der ö.-u. VIII. und XIX. Korps. Ich orientierte ihn, dass nur das Kommando des VIII. Korps mit dem Prager VIII. Korps ident war. Seine beiden Divisionen 57 und 59 stammten aus den seinerzeitigen Balkanstreitkräften und gehörten zu den besten Divisionen des k. u. k. Heeres. Beide hatten unter ihren bewährten Kommandanten schon im ersten serbischen Feldzug Außergewöhnliches geleistet, waren also mit dem hiesigen Kriegsschauplatz voll vertraut. Allerdings haben beide Divisionen in den ersten beiden Isonzoschlachten schwere blutige Verluste erlitten und ihre sehr guten Ersätze aus den Marschformati-

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onen waren verbraucht. Das XIX. Korps hatte in FML Trollmann einen hervorragend bewährten Kommandanten, bestand jedoch zur Gänze aus Landsturmformationen, die bisher nur in der Abwehr eingesetzt worden waren. Ihr offensiver Einsatz bedurfte ruhiger Führung und Stützung durch starke Artillerie. Hingegen galt die stets bravourös geführte Donauflottille mit ihren Monitoren als starker Kraftfaktor. Mein erstes Referat bei Seeckt hatte über eine Stunde gedauert. Während dieser Zeit musste Mjr. v. Bock den beiden Hauptleuten etwas von meinem Erstaunen über den Einsatz des VIII. Korps direkt auf Belgrad gesagt haben. Denn als ich jetzt in den Arbeitsraum der Operationsabteilung zurückkam, empfing mich Hptm. Dunst mit der spitzen Bemerkung, ich wäre mit Seeckts Aufmarschplanung nicht zufrieden gewesen, doch sei es in der Operationsabteilung nicht üblich, den Chef korrigieren zu wollen. Kühl erwiderte ich, dass ein österreichischer Generalstabsoffizier geschult sei, auf gestellte Fragen frank und frei seine Meinung zu äußern. Dann rief ich Major Franz in der Etappe an und bat ihn um Karten des italienischen Kriegsschauplatzes, in die ich aus dem Gedächtnis die Lage eintrug, wie sie bei meinem Abgang von der Südwestfront bestanden hatte. Ich teilte Mjr. Bock und Hptm. Dunst mit, dass ich vom Chef ermächtigt worden war, die Lagemeldungen der Heeresgruppe Mackensen ans AOK, sobald Seeckt sie genehmigt hätte, auch an das KdoSWF durchzugeben  ; dazu erbat ich von Dunst die letzten Meldungen. Mjr. Franz vom Etappendienst teilte ich dies ebenfalls mit und bat um eine direkte Hughes-Verbindung mit Marburg  ; das war rasch geschehen. Da es sich nicht um ein die Operationen der Heeresgruppe Mackensen betreffendes Geheimnis handelte, gab ich davon auch Obst. v. Lustig Kenntnis. Dann gab ich eine Zusammenfassung der Lagemeldungen der letzten Tage nach Marburg durch, wo sie von Hptm. Hubicki entgegengenommen wurden, welcher mir dafür die letzten Veränderungen an der Südwestfront zusandte. Damit begann sich ein für die nächste Zeit gültiger Vorgang einzuspielen. Am Abend war der Generalfeldmarschall von Wien zurückgekommen. Da er über keine eigenen Büroräume verfügte, sondern im Lauf des Vormittags selbst in die Operationsabteilung und zu Seeckt kam, wurde ich ihm durch diesen vorgestellt. Der Marschall war eine prächtige soldatische Erscheinung. Er nahm meine Vorstellung freundlich auf und erzählte gleich, dass ihn „des Kaisers Franz Joseph Majestät“ (wir Österreicher sagten „Seine Majestät der Kaiser“) durch seine geistige Frische und seine detaillierte Orientiertheit über alles Kriegsgeschehen tief beeindruckt habe  ; er wünsche uns Österreichern, der Kaiser möge uns noch lange erhalten bleiben. Bei der folgenden Mittagstafel kam wieder eine Ordonnanz mit der Meldung zu mir, dass der Herr Generalfeldmarschall mir zuzutrinken wünsche. Diesmal hatte ich Mjr. Bock eingeladen, somit war genügend Sekt zur Hand, um mein Glas randvoll zu füllen und dann stramm den Trinkkomment zu absolvieren.

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Am Nachmittag meinten Dunst und Blankenhorn, dass ich meinen Eintritt in die Operationsabteilung noch nicht gefeiert hätte. Ich versprach dieser Aufforderung am übernächsten Tag zu genügen. Am Tag davor wollte ich zur 3. ö.-u. Armee fahren. Für diese Fahrt bekam ich einen deutschen Kraftwagen angewiesen und in Neusatz war man erstaunt, aus dem von einem deutschen Soldaten gelenkten Wagen mit dem Zeichen des Heeresgruppenkommandos einen österreichischen Offizier aussteigen zu sehen. Zuerst konnte ich mich beim Generalstabschef der 3. ö.-u. Armee, GM Konopicky284, melden. Diesen Herrn kannte ich bereits aus dem ersten serbischen Feldzug und von der italienischen Front, wo er die 4. Gebirgsbrigade stets überlegt, geschickt und mit Erfolg geführt hatte. Er begrüßte mich freundlich und wollte viel über das Kommando der Heeresgruppe wissen. Allzu viel konnte ich noch nicht erzählen, da ich ja erst zwei Tage dort verbracht hatte. Aber ich schnitt auch hier den Ansatz des VIII. Korps direkt auf Belgrad an und erzählte, wie es seinerzeit dem hervorragenden Artilleristen Körner selbst mit einem 30½-cm-Mörser nicht gelungen sei, die serbischen, in der Festung Kalimegdan für uns unsichtbar installierten Geschütze niederzukämpfen. Danach fuhr ich mit dem Artilleriestabsoffizier, der dem ö.-u. Armee-Artillerie-General zugeteilt war, Hptm. Kubena285, nach Semlin. Er orientierte mich über den allerdings imponierend starken Artillerieaufmarsch, und ich zeigte ihm von der eingerichteten Artilleriebefehls- und Beobachtungsstelle den Teil der Kalimegdan-Mauer, wo wir im vergangenen Frühjahr die den Donaustrom beherrschenden serbischen Geschütze festgestellt hatten, ohne sie vernichten zu können. Die Artillerieoffiziere, die unserem Gespräch zuhörten, waren zuversichtlich. Kubena sagte, er werde noch je eine mittlere Kanonenbatterie hier und gegenüber 284 Über Theodor Konopicky (1870–1949) siehe Glaise-Broucek I, S. 470, Anm. 582. GM Konopicky war 1914 bis 1917 Glstbschef der 3. Armee. 285 Johann Kuběna (im ÖBH auch Kubena) (Ostrov, Mähren, 22.2.1882–16.7.1955, Wien) 18.8.1902 zum Divisions-Artillerie-Regiment 4, 1.11.1909 Olt, 1909–1911 Frequentant des Höheren Artilleriekurses und sodann eingeteilt bei der Artillerie-Stabsabteilung der Festung Krakau, 1.9.1913 zum Techn. Militärkomitee als Lehrer für Geografie, 1.11.1913 Hptm. d. Artilleriestabes, im Weltkrieg Artilleriegruppenkommandant und Artilleriereferent von diversen Korpskommanden, bei Kriegsende Artilleriereferent d. XXIII. Korps, 1.5.1918 Mjr.i.Artilleriestab, 1921 als Offz. bei der Artillerietruppenschule eingeteilt bei vorläufiger Kommandierung zur Abt. 7 des BMfHw., dann Abt. 5, 29.12.1926 Oberst, Teilnahme an der großen Rahmenübung des deutschen Reichsheeres in Nordfranken zwischen Koblenz und Schweinfurt in der Zeit vom 15. bis 19. Sept. 1930, 1.8.1931 Stabschef des Heeresinsp., 26.7.1932 GM, 12.6.1933 bestellt zum Vorstand Abt. 1 im BMfHw., 21.6.1933 (sic  !) bestellt zum Sicherheitsdirektor von OÖ, 1.1.1934 Kraftfahrtruppeninspektor, 1934–1938 auch Mitglied des Staatsrates und des Bundestages, 1.6.1935 Kdt. d. Schnellen Division, 1.10.1936 Leiter Sektion I im BMfLv, 22.12.1936 FML, 20.4.1938 GLt. und ernannt zum Gen. zur besonderen Verwendung beim Generalkdo. 17.AK. 1.10.1938 Ruhestand.

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in Pancsova286 in Stellung bringen, die in direktem Schuss die gegenüberliegenden Kasematten-Scharten bearbeiten werden. Ich wünschte ihnen ein „Glück auf Barbara“ und fuhr nach Neusatz zurück. Dort stellte ich mich Exzellenz Kövess vor, der mich zum Mittagstisch einlud.287 Um wie viel einfacher und bescheidener ging hier alles zu  ! Auf dem Rückweg sprach ich noch kurz beim VIII. Korpskommando vor, bei dem ich ja den FML Graf Scheuchenstuel288 und Obst. Sündermann289 vom ersten serbischen Feldzug her kannte. Ich kehrte so rechtzeitig nach Temesvár zurück, dass ich noch die Verbindung mit der Südwestfront aufnehmen und deren letzte Angaben in die Lage-(wir Österreicher sagten damals „Evidenz-“)Karte eintragen konnte. Als ich gegen Abend zu GM v. Seeckt gerufen wurde, vermochte ich ihm nicht nur über meinen Besuch beim 3. Armee- und beim VIII. Korpskommando, sondern auch über den Kriegsschauplatz an der italienischen Grenze zu berichten. Er zeigte sich sehr interessiert, und alles in allem fand ich ihn durchaus nicht schwierig, wie ich es nach der Bemerkung Bartenwerffers in Marburg erwartet hatte. Das Referat dauerte wieder über eine Stunde. Zum Schluss sagte mir Seeckt, dass er am folgenden Tag abends nach Orsova reisen werde  ; ich möge ihn begleiten, sonst nehme er von der Operationsabteilung niemanden mit. Von meinen deutschen Kollegen wurde das wieder spitz aufgenommen, doch konnte ich mit dem Hinweis parieren, dass sich bei Orsova eine nur ö.-u. Gruppe befinde und es ganz natürlich sei, dass sich der Chef für diesen Besuch einen österreichischen Generalstabsoffizier mitnehme. Übrigens werde ich morgen meinen Einstand in die Operationsabteilung feiern  ; darauf meinte Dunst noch, ich möge das aber nobel machen und den Champagner nicht wegsparen. Selbigen Abends bestellte ich im gegenüberliegenden Kaffeehaus, wo man zum Unterschied gegen Marburg noch Delikatessen in Hülle und Fülle bekommen konnte, ein reichliches Gabelfrühstück 286 Pancsova, heute Pančevo, Stadt am linken Ufer der Donau am Fluss Tamiš (rum. u. ung. Temes); die Stadt hatte einst eine starke deutschsprachige Minderheit und lag ab 1918 in Jugoslawien, heute in der autonomen Provinz Wojwodina (Land eines Woiwoden) von Serbien. Das Land stand 1552–1690 unter osmanischer Herrschaft und bildete 1849 bis 1860 mit dem Banat ein Kronland des Kaisertums Österreich. Hauptstadt der autonomen Provinz ist Novisad (ehemaliger deutscher Name  : Neusatz). 287 Über Hermann Baron Kövess de Kövessháza siehe Glaise-Broucek I, S.  247, Anm. 379. Er war ab 20.9.1915 Kdt. d. 3. Armee, ab 26.2.1916 GO, später ab 3.11.1918 Armeeoberkdt. bis zur Liquidierung des AOK am 19.12.1918. Siehe nunmehr  : Helmut Bührer, Feldmarschall Hermann Kövess von Kövessháza – letzter Oberkommandant der k. u. k. Armee, Wiener Magisterarbeit, Wien 2000. 288 Über Viktor Graf v. Scheuchenstuel (1857–1938) siehe Glaise-Broucek I, S. 410, Anm. 409. Scheuchenstuel, 1917 GO, war 1914–1916 Kdt. d. VIII. Korps. 289 Über Ludwig Sündermann (1869–1936), 1917 Obst.i.G, siehe Glaise-Broucek I, S.178, Anm. 137. Er war seit 1913 Glstbschef VIII. Korps.

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mit ungarischem Pörkölt290, Sandwichs und zwei Flaschen Törley-Pezsgö291, das ein Kellner nach 10 Uhr in die Operationsabteilung bringen sollte. Das erste Frühstück wurde den Mitgliedern der Operationsabteilung durch Ordonnanzen immer im Arbeitsraum auf den Arbeitstisch gestellt. Da gab es für jeden von uns dreien eine große Kanne ganz lichtbraunen, doch wohlschmeckenden Kaffee, ein winziges Kännchen Milch, ein paar Scheiben Wurst und Brot. Jeder frühstückte, ohne die Arbeit zu unterbrechen. Dunst hing den ganzen Tag am Telefon, fragte alle Stellen nach Neuigkeiten ab und gab die ihm von Mjr. Bock aufgetragenen kurzen Befehle weiter  ; Blankenhorn schrieb ausschließlich nur das Kriegstagebuch, in dem er alles Geschehen in einer den GM v. Seeckt recht zur Geltung bringenden Weise beschrieb. (Bei uns in Österreich wurden die Tagebücher von einem Generalstabsoffizier – das war oft ich gewesen – rein sachlich und nur mit Schlagworten geführt.). Ich las die während der Nacht eingelangten Meldungen und Berichte, um sie in die Lagekarte einzutragen, für die mir der deutsche Chef der Nachrichtenabteilung, ein Mjr. Frederici, die jeweils eingelangten Meldungen über den Feind brachte. Organisatorisch oder administrativ hatte die deutsche Operationsabteilung nichts zu tun. Dies wurde alles dem Generalquartiermeister Obstlt. Hentsch zugeschoben, der wieder mit der ö.-u. Etappe unter Mjr. Franz zusammenarbeitete. Am nächsten Vormittag brachte der Kellner das bestellte Gabelfrühstück, und es wurde von den deutschen Herren mit Freude verzehrt, auch Mjr. v. Bock nahm seinen Teil. Da trat – unerwartet frühzeitig – der Generalfeldmarschall ein  ; seine Stirn legte sich beim Anblick der Sektflaschen in Falten, und er fragte unwirsch, was das zu bedeuten habe. Ich trat vor und meldete, dass ich der Gastgeber aus Anlass meiner Einteilung in die Operationsabteilung sei. Der Marschall sagte, schon weniger unwirsch, ich möge die „preußische Einfachheit“ nicht in Versuchung bringen, und ­ eeckts Zimmer. Nach ein paar Minuten durchschritt er wieder unseren Arging in S beitsraum und verabschiedete sich durch ein Kopfnicken. Hierauf nahm Mjr. v. Bock sein Glas und trank mir zu mit den Worten, es sei ordentlich von mir gewesen, nicht zu sagen, dass sie mich zu dieser kleinen Feier aufgefordert hätten. Dem schlossen sich Dunst und Blankenhorn an und damit war die ganze Geschichte beendet. Meine Stellung gegenüber den deutschen Herren war freilich ansehnlicher geworden. Mit der preußischen Einfachheit, die der Marschall betont hatte, war es für unsere österreichischen Augen nicht so weit her  : Die deutschen Herren waren gebühren290 Pörkölt  : In Österreich und auch in Deutschland wird für diese Speise die Bezeichnung Gulasch verwendet. Wenn in Ungarn die Bezeichnung „gulyás“ aufscheint, dann ist jene Zubereitungsweise gemeint, die in Österreich für das würfelig geschnittene Fleisch in einer dünnen paprizierten Soße für Gulaschsuppe angewendet wird. 291 Törley ist der bekannteste ungarische Pezsgö, also Sekt.

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mäßig weit besser gestellt als wir. Der österreichische Generalstab war im Umgang mit Truppenoffizieren von großer Bescheidenheit nach Sprache, Bekleidung und dem ganzen Benehmen  ; er war der Truppe gegenüber stets so hilfsbereit, dass es mitunter den Anschein hatte, dass der österreichische Generalstab durch sein Verhalten die Truppe fast um Verzeihung bäte, dass seine Arbeitsräume nicht im vordersten Schützengraben lägen. Das Ansehen, das sich die Operationsabteilung im Stab Mackensen erzwang, wäre bei uns undenkbar gewesen. Schon dass vor der Eingangstür in die Operationsabteilung Tag und Nacht zwei Landwehrmänner als Wache saßen, die bei jedem Aus- und Eingang eines von uns Vieren aufsprangen und sich erst wieder setzten, wenn die Tür geschlossen war, hätte man in einem österreichischen Stab lächerlich gefunden. Während wir unsere Uniformen schlicht, aus dem gleichen feldgrauen Stoff wie die Truppe trugen, kamen die deutschen Herren mit ihren erdbeerroten Streifen an den tadellos gebügelten Hosen und der Litewka, dem kleinen Gesellschaftsrock der preußischen Offiziere, mit glänzenden Knöpfen ins Büro. Den Mantel trugen sie grundsätzlich mit aufgestelltem Kragen, damit dessen erdbeerfarbenes Unterfutter sie schon von Weitem als Generalstabsoffiziere erkennen ließ. Ihre Sprache zu den Truppenoffizieren, auch jenen im eigenen Stab, war hart und kurz angebunden  ; fast immer mit Ausstellungen und Forderungen verbunden. Oft schüttelte ich darüber den Kopf, auch bei den vielen Telefongesprächen, die Hptm. Dunst führte. Allerdings erreichten sie dadurch einen Gehorsam ohne Widerspruch. Kein Truppenoffizier dachte daran, es sich mit einem Herrn der Operationsabteilung zu verderben. Wie bei jeder Frontfahrt hatte ich für den Abend nur die Felduniform mit einem Mantel und in einer kleinen Handtasche Wasch- und Rasierzeug mitgenommen  ; mir kam gar nicht in den Sinn, auch meinen Offiziersdiener mitzunehmen. So erwartete ich GM v. Seeckt am breiten Korridor. Wie erstaunt war ich, als er mit langer Hose, Lackschuhen und dunklem Mantel zur Fahrt nach Orsova aus dem Zimmer trat. Ein Auto brachte uns zum Bahnhof, wo ein Extrazug, bestehend aus einer Lokomotive und einem Schlafwagen für uns zwei Offiziere wartete. Seeckt gab dem begleitenden Eisenbahn-Zugführer die Weisung, den Zug so abzustellen, dass unsere Nachtruhe nicht gestört werde, und ihn eine Stunde vor Ankunft in Herkulesbad292, die er für 8h früh wünsche, zu wecken. Dann sagte er zu mir, es sei wohl am besten, wenn wir gleich zur Ruhe gingen. Sein Offiziersdiener und zwei deutsche Ordonnanzen betreuten uns und stellten gleich die Frage, was sie uns servieren dürften. Ich erbat für morgen 7h Kaffee. Darauf meinte die Ordonnanz, das wäre selbstverständlich, aber was jetzt zum Nachtessen  ? Da ich schon vor der Abfahrt im Kasino gegessen hatte, lehnte ich alles 292 Herkulesbad (ung. Herkulesfürdő, seit 1919 rum. Băile Herculane), Stadt an Fluss Cerna, Banat.

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ab. Ob und was sich Seeckt bestellte, weiß ich nicht. Für mich war es das erste Mal im Leben, dass ich überhaupt in einen Schlafwagen gestiegen war. Ich legte mich bald nieder  ; beim Einschlafen wollten mir die Preußen durchaus nicht so schlicht und bescheiden erscheinen, wie sie es gern wahrgehabt hätten. In Herkulesbad meldete sich um 8h am Zug der Kommandant der schwachen ö.-u. Landsturmsicherungen, ein aus dem Ruhestand für Kriegsdauer geholter General Fülöpp293 mit seinem Adjutanten. Zwei Autos standen bereit, uns nach Orsova zu bringen, wo der rasche Lauf der zwischen steilen Berghöhen dahineilenden Donau Seeckt sichtlich beeindruckte. Von österreichischer Seite war an einen Donauübergang der Landsturmtruppen nie gedacht worden, weil das gegenüberliegende bewaldete serbische Land ganz von selbst in unsere Hände fallen musste, wenn unsere Hauptkräfte im Moravatal von Semendria aus südwärts vordrangen. Die Notwendigkeit, auf dem Donau-Weg den Türken und Bulgaren bald Munition zukommen zu lassen, verleitete nicht nur Seeckt dazu, einen Versuch zum Donauübergang bei Orsova zu machen, sondern später auch die deutsche Heeresleitung unter Falkenhayn, das aus Tirol herangezogene deutsche Alpenkorps dort sinnlos anzusetzen, denn als es dort ankam, hatten die Serben diesen Landzwickel längst geräumt. Ich war daher erstaunt, als Seeckt von Fülöpp verlangte, ihm zu erklären, wie er den Donau-Übergang bewirken wolle. Anstatt grad herauszusagen, dass hier bisher nur an den Feind täuschende Demonstrationen gedacht worden sei, begann er, leider sachlich nicht sehr überlegt, herumzureden und von Seeckt viel Artillerie, Pioniere, Übergangsmittel und weiß Gott was noch alles zu verlangen. Der schwieg sich dazu aus und blieb auch bei dem gebotenen Frühstück gemessen kühl. Auf der Rückfahrt im Zug sagte Seeckt zu mir, dass ihm Fülöpp keinen guten Eindruck gemacht habe. Dem konnte ich zustimmen, orientierte ihn jedoch auch gleichzeitig über die Tatsache, dass nach operativer Lage, Qualität der Landsturmtruppen und Mangel an Mitteln von FML Krauss bei Orsova lediglich an Demonstrationen zur Feindtäuschung gedacht worden war. Da fragte er mich erstaunt, warum ich ihm das nicht früher gesagt hatte, worauf ich jetzt antworten konnte, dass mir die Herren in der Operationsabteilung gesagt hätten, es sei nicht üblich, den Chef ungefragt zu belehren. Seeckt lachte und meinte, dass er mich von diesem Brauch enthebe  ; ich könne ihn auch ungefragt auf Dinge aufmerksam machen, die ich für wichtig hielte. Das war deutlich, und ich versäumte nach unserer Heimkehr nicht, Mjr. v. Bock, Dunst und Blankenhorn davon Mitteilung zu machen, was sie schweigend hinnahmen.

293 Artur Fülöpp (  ? 19.12.1854–  ?), Fülöpp entstammte der ung. Honvéd und war als Obst. Kdt. d. k.u.k. LIR 22, 31.10.1912 GM u. Kdt. 76. LwIBrig, 1.5.1914 enthoben auf eigenes Ansuchen, 1.9.1915 FML.

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Am 5. Oktober begann die für die damalige Zeit überwältigend erscheinende artilleristische Niederkämpfung der serbischen Stellungen am Save- und Donau-Südufer und wurde durch 24 Stunden aufrechterhalten. Die Überschiffung der Infanterie begann am 6. bei Dunkelheit, wobei sich leider zeigte, dass es weder bei Belgrad, noch bei Semendria gelungen war, die serbische Artillerie ganz niederzukämpfen. Das verursachte große Verluste bei unseren Überschiffungsstaffeln sowohl für das deutsche XXII. Reserve-Korps auf der großen Zigeuner-Insel, als auch für das deutsche III. Korps bei Semendria, ganz besonders aber bei unserem ö.-u., direkt auf die Stadt Belgrad angesetzten VIII. Korps. Bei Ram gelang es dagegen den deutschen Truppen, die Serben zu überraschen. Während sich die gelichteten Überschiffungsstaffeln mühselig am Südufer von Save und Donau festsetzen konnten, brach das gefürchtete schlechte, regennasse Herbstwetter los, dem bald auch der Ostwind, Kossava genannt, folgte, der die Donau zu meterhohen Wellen aufpeitschte und die weitere Überschiffung über 24 Stunden verhinderte. Das brachte bange Stunden für die Führung und die Truppen, deren bravouröse Tapferkeit aber schließlich die Krise überwand. Allerdings büßte die 59.ö.-u. Division dabei vor Belgrad 1000 Mann an Ertrunkenen und Erschossenen ein, ganz wie ich es befürchtet hatte. Die Serben leisteten, obwohl sie über die Ostgrenze ihres Landes auch von der ganzen bulgarischen Armee angegriffen wurden, so harten und zähen Widerstand, dass das anfänglich überlegene Lächeln auf den Lippen der deutschen Offiziere sehr bald erstarb und sie von einem „ebenbürtigen Gegner“ an Härte und Zähigkeit „gleich den Engländern“ zu sprechen begannen. Dabei waren die Serben jetzt, infolge ihrer großen Verluste im Herbst und Winter 1914/15, lange nicht mehr die Gleichen wie bei Kriegsbeginn. Jetzt begann den Deutschen und Bulgaren allmählich auch das Verständnis aufzugehen für die Leistungen Österreich-Ungarns unter FZM Potiorek, der mit völlig unzureichender Artillerie kämpfen musste. Auch in diesem Kapitel werde ich die Einzelheiten der Kämpfe nicht schildern  ; sie sind im III. Band von „Österreich-Ungarns letzter Krieg“ erschöpfend dargestellt. Nur meine persönlichen Erlebnisse und Eindrücke, die ich während dieser Zeit im Stab Mackensens gewann, will ich hier schildern. Zunächst einmal ist die Frage zu lösen, ob der erste ö.-u. Aufmarsch der Streitkräfte an der unteren Drina tatsächlich ein grober Fehler des Generalstabes war, wie FML Krauss es seinerzeit zu mir sagte und in seinem Werk „Die Ursachen unserer Niederlage“ beschrieben hat.294 294 Alfred Krauss, Die Ursachen unserer Niederlage, Erinnerungen und Urteile aus dem Weltkrieg, dritte, durchgesehene Auflage, München 1923, S. 140–168 (= Kapitel  : Gegen Serbien, 1914).

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Die ungeheuren Schwierigkeiten des Vormarsches und der Versorgung von Armeen waren bei dem Nord-Süd-Angriff Mackensens über die gewaltigen Stromhindernisse hinweg um nichts geringer als vor Jahresfrist bei dem West-Ost-Angriff Potioreks. Die serbischen Straßen waren als einfache Schotterstraßen erbaut  ; nach Einsetzen des herbstlichen Regen-, in den höheren Lagen auch Schnee-Wetters wurden sie in kürzester Zeit zu einem Schlammbrei, der den Nachschub für die nur langsam, unter andauernd schwersten Kämpfen vordringenden Divisionen fast zum Erliegen brachte. Die Eisenbahn, deren Brücke über die Save ebenso gesprengt war wie die zahlreichen Viadukte der Bahn im Berggelände südlich von Belgrad, wurde trotz des Einsatzes ausreichender, technisch trefflich geschulter Pionier- und Eisenbahn-Truppen erst richtig benutzbar, als die serbische Armee aus dem Land herausgedrängt war. Darin liegt auch der Grund, dass die von der Führung wiederholt angestrebte Einkreisung und Vernichtung der Serben trotz doppelter Überlegenheit der deutschen, österreichisch-ungarischen und bulgarischen Streitkräfte nicht gelang und diese, wenn auch stark zerzaust, über das Amselfeld und Montenegro nach Korfu entkommen konnten, von wo sie die alliierten Seestreitkräfte in den Raum nördlich von Saloniki zur Retablierung schafften. An diesen trostlosen Verkehrsverhältnissen wäre auch die sofortige Fortsetzung des Angriffes gegen die französisch-englischen Streitkräfte bei Saloniki gescheitert, selbst wenn die deutsche Heeresleitung sie gewollt hätte. Man hätte den Angriff gegen das serbische Landgebiet, das nach jahrhundertelanger Verwahrlosung unter der Türken-Missherrschaft seit 1880 nur mühselig erste Anfänge einer Zivilisation zugeführt bekommen hatte, nicht in den Spätherbst und Winter legen dürfen, sondern im Frühsommer beginnen müssen. Das war aber wegen des durch den Kriegseintritt Italiens chronisch gewordenen Kräftemangels der Zentralmächte nicht möglich gewesen. Umso höher ist darum der nach dem serbischen Feldzug unter der direkten Leitung FM Conrads nur von ö.-u. Streitkräften mitten im Winter durchgeführte Angriff auf Montenegro zu bewundern, der diesen kleinen, aber nach seiner Lage am adriatischen Meer gefährlichen Feind völlig ausschaltete.295 Die Befehlsgebung des deutschen Generalstabes unter GM v. Seeckt enttäuschte mich sehr  : Nichts war von deutscher Gründlichkeit wahrzunehmen. Die meisten Be295 Anfang Jänner 1916 setzen Truppen der ö.-u. Armee ihren Vormarsch gegen die Ostgrenze Montenegros fort. Gleichzeitig begannen ö.-u. Truppen unter General Sarkotić aus der Herzegowina und von Cattaro aus mit einer Offensive gegen die Westgrenze Montenegros. Hauptaktion war der am 8.1.1916 eingeleitete Sturm auf den 1.800 m hohen Lovčen. Nach Eroberung dieses Berges fiel die montenegrinische Hauptstadt Cetinje. Am 25. Jänner kapitulierte die montenegrinische Armee und es gab Waffenstillstand. Die Ereignisse von Jänner bis Ende Juli, Wien 1933, sind in Österreich-Ungarns Letzter Krieg, Band 4 beschrieben und zwar in den Kapiteln  : Franz Mühlhofer, Die Eroberung von Montenegro und von Nordalbanien, S. 33–80  ; Die deutsch-bulgarische Front bis März 1916, S. 80–85.

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fehle wurden von Seeckt persönlich verfasst. Sie enthielten – und auch da nicht immer ausreichend – rein operative Anweisungen. Sie hätten durch den Ia und den Ic in materieller Beziehung ergänzt und damit hinsichtlich ihrer Durchführbarkeit überprüft werden müssen. Wenn überhaupt, geschah das nur oberflächlich unter dem Motto  : „Der Chef darf nicht korrigiert werden.“ Wenn ich diese Befehle vor ihrer telefonischen Durchgabe zu Gesicht bekam, so machte ich Mjr. v. Bock und Hptm. Dunst auf ihre Mängel und Unvollständigkeit stets aufmerksam. Manchmal wurde meinen Einwänden stattgegeben, oft aber auch nicht. Betrafen diese Befehle nur deutsche Kommandos und Truppen, so beharrte ich – begreiflicherweise – nicht auf meiner Meinung  ; betrafen sie jedoch die ö.-u. Armee und deren Truppen, so gab ich nicht nach und ging wiederholt zu Seeckt, der meine Vorstellungen fast immer berücksichtigte. Daraus ergab sich, dass die ö.-u. Nachschubleitung unter Mjr. Franz gut, rasch und richtig arbeiten konnte, während der deutsche Oberquartiermeister Obstlt. Hentsch wiederholt mit dem Vorwurf in die Operationsabteilung kam, dass die Befehle für ihn angesichts der enormen Schwierigkeiten im Verkehrswesen fast undurchführbar seien. Man möge doch besser überlegen, bevor man so unvollständige, wenig durchdachte Befehle hinausgebe. Mich erstaunten solche Einwände nicht  ; sie wurden mir aber peinlich, wenn er sich, bei den deutschen Offizieren auf kein Verständnis stoßend, direkt an mich wandte mit dem Hinweis, dass sein österreichischer Kollege bessere und vollständige Befehle erhalte. Ich bemühte mich ja, Mjr. v. Bock auf nötige Ergänzungen oder Berichtigungen aller Befehle aufmerksam zu machen, hatte jedoch kein Recht, andauernd in innerdeutsche Verhältnisse dreinzureden  ; ohnedies bekam ich schon viele Befehle durch Bock und Dunst erst nachträglich zur Kenntnis, weil sie meine vielen Einsprachen als überheblich missdeuteten. Dadurch ergab sich einmal ein grotesker Fall  : Mitte November, als die westliche Morava zum Teil schon überschritten war, gab GM v. Seeckt der 10. ö.-u. Gebirgsbrigade über ihr vorgesetztes Korps- u. Armeekommando hinweg eine nach Süden gerichtete Marschlinie. Den Befehl erhielt ich erst zur Kenntnisnahme, als Hptm. Dunst ihn schon an das ö.-u. AK telefoniert hatte. Als ich den Auftrag auf der Karte verfolgte, erkannte ich, dass Seeckt eine Bezirksgrenze für einen Saumweg angesehen hatte, was weder von Bock, noch von Dunst nachgeprüft worden war. Ich ging direkt zu Seeckt und machte ihn in bescheidener Form auf seinen Irrtum aufmerksam. Seeckt empfand die Geschichte peinlich und sagte, er wolle die Gebirgsbrigade in der angegebenen Richtung angewiesen haben  ; den Weg möge sie sich selbst suchen. Kaum war ich in den Raum der Operationsabteilung zurückgekommen, kam schon unser Verbindungsoffizier Obst. Lustig auf mich zu  : Der Generalstabschef der 3. Armee habe ihn angerufen, weil der 10. Gebirgsbrigade kein Weg, sondern eine Gebietsgrenze als Marschlinie befohlen worden sei. Ich erwiderte gleich, dass ich die Sache bereits in

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Ordnung gebracht habe. Für Lustig, der sich mit Seeckt ja schlecht stand, war dies offenbar eine Gelegenheit, ihn bloßzustellen, und er ging in dessen Zimmer.296 Fast zu gleicher Zeit wurde ich vom Generalstabschef der 3. Armee angerufen, der mir wieder den Auftrag für die 10. Gebirgsbrigade als unausführbar vorhielt. Die drei deutschen Generalstabsoffiziere verfolgten gespannt mein Gespräch. Ruhig meldete ich Konopicky, dass mir dieser Befehl leider verspätet zur Kenntnis gekommen sei, ich jedoch von Seeckt ermächtigt worden sei, dem 3. Armeekommando zu melden, dass in dem ergangenen Befehl die Bezirksgrenze nur den Wunsch der Heeresgruppe ausdrücke, in welcher Richtung sie die 10. Gebirgsbrigade angesetzt wissen wolle  ; den Marschweg in diese Richtung möge sich die Brigade selbst suchen. Damit war die peinliche Angelegenheit ohne Bloßstellung des deutschen Generalstabes eingerenkt. Lustig hatte meine letzten Worte ebenfalls gehört, nickte mir zu und verließ den Raum. Was sich zwischen Seeckt und Lustig begeben hatte, wusste ich nicht. Am nächsten Nachmittag trat ich bei jenem zu meinem Referat an und hielt über die schweren Kämpfe am Isonzo Vortrag  ; er war freundlich wie immer. Dann sagte er mir, dass der Sohn eines Jugendfreundes von ihm, InfHptm. Gräser, nach einer schweren Verwun296 KA, NLS, sign. B/5, S. 86 f: „Schon von allem Anfang an bemerkte ich, daß deutscherseits angestrebt wurde, mit den Serben in politische Verbindung zu treten  ; so in Semendria, wo ein ehemaliger Minister aus der Regierungszeit der Obrenović namens Petrović herbeigeholt wurde. Was damit beabsichtigt war, wurde mir nicht klar, da von diesem Mann kaum etwas zu erfahren war. Politisch war er ohne jeden Einfluß, da das serbische Volk fast zur Gänze der neuen Dynastie der Karageorgević zugeneigt war. Jetzt wurden mir auch Nachrichten zugetragen, daß an der Front nachhaltige Versuche gemacht wurden, mit den Serben in Verbindung zu treten, wenn auch ohne Erfolg. Kurz gesagt  : ich fühlte, daß man mit allen Mitteln bestrebt war, den Einfluß unseres AOK, wie auch jenen unserer Regierung, auszuschalten. Und dies fing bei mir an. Ich mußte doch da und dort eingreifen, so unter anderem auch in die Operationen selbst. Seeckt war ein Fanatiker des Systems der Gefechtsstreifen. Dieses hatte sich auch in Frankreich und in Polen bestens bewährt – hier lagen aber die geographischen Verhältnisse wesentlich anders. Was dort angesichts der geringen Niveauunterschiede und der großen Gangbarkeit wie Wegsamkeit möglich war, stieß hier im karstigen und fast straßenlosen Mazedonien auf größte Schwierigkeiten. Als nun Altserbien durchschritten war und in Verfolgung der zurückgedrängten Serben Richtung nach Südwesten genommen werden sollte, verlegte Seeckt die Streifen quer über die wenigen, im Allgemeinen nach Süden verlaufenden Täler, so daß kein Heereskörper eine durchlaufende Marsch- und Versorgungslinie besaß, was bei dem vorhandenen kompletten Mangel an irgendwelchen Ressourcen ein kaum zu überwindendes Hindernis gewesen wäre. Als ich nun erst nach ihrer Ausgabe die Disposition zur Kenntnis erhielt, eilte ich zu Seeckt und machte ihm, der im Gebirgskrieg gar keine Erfahrung zu haben schien, ernste Vorstellungen. Ich versuchte ihm klar zu machen, welches Chaos und welche Verlangsamung entstehen müssten. Er wollte dies nicht glauben, umsomehr, als er es nicht als angenehm empfand, daß man es wagte, in seine Selbstherrlichkeit einzugreifen. Dies geschah erst, als nach Zögern und als – unabhängig von mir und ohne mein Wissen – der in der Operationsabteilung eingeteilte ö.-u. Generalstabshauptmann v. Jansa die gleichen Vorstellungen machte. Jansa hatte in Bosnien gedient und hatte daher für die lokalen Verhältnisse Verständnis. Nun erst entschloß sich Seeckt die Befehle abzuändern, wenn auch sicher nicht gerne.“

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dung ausgeheilt zum Kommando käme. Seeckt wolle ihn für die Generalstabslaufbahn vorbereiten  ; er bäte mich, ihm dabei zu helfen und dem jungen Mann an die Hand zu gehen. Das sagte ich ihm gern zu. Schon hatte ich mich verbeugt, um das Zimmer zu verlassen, als Seeckt mich noch einmal ansprach  : Ihm gefalle Obst. Lustig nicht, er brauche ihn auch nicht im Kommando  ; ich könnte von der Operationsabteilung aus auch die Agenden eines ö.-u. Verbindungsoffiziers führen. Auf mein Schweigen replizierte Seeckt, ich könne diese seine Meinung dem ö.-u. AOK melden. Darauf wiederholte ich meine Verbeugung und ging. Wenn Seeckt mir dadurch irgendeine Anerkennung ausdrücken wollte, so brachte mich diese in große Verlegenheit. Lange dachte ich nach, wie ich mich richtig zu verhalten hätte  ; schließlich entschied ich mich, weder Obst. Lustig davon zu erzählen, noch unserem AOK Meldung zu erstatten. Seeckt gehörte entschieden zu den Männern im deutschen Heer, die unseren Chef des Generalstabes voll anerkannten  ; dieses Verhältnis zu erhalten, erschien mir wichtig. Im Gegensatz zu Lustig fand ich es verständlich, dass Seeckt sich bemühte, bei seinem vorgesetzten deutschen Chef des Generalstabes in dauerndem Ansehen zu bleiben. Dass zwischen FM Conrad und Gen. v. Falkenhayn gegensätzliche strategische Auffassungen bestanden, wussten wir  ; solange es vermeidbar war, sollten wir diese Gegensätze nicht durch kleinliches Verhalten vertiefen. Dies umso weniger, als sich die Deutschen ängstlich um ihr Prestige bemüht zeigten, was an sich gar nicht nötig gewesen wäre, weil in ganz ÖsterreichUngarn jedermann die deutsche Überlegenheit auf militärischem Gebiet gern und von neidlos bis bewundernd gesteigert anerkannte. Dazu ein charakteristisches Beispiel  : Nach der Überschiffung bei Belgrad hatte unsere ö.-u. 59. Division den befestigten Kalimegdan zu gleicher Zeit erstürmt, als die über die Zigeunerinsel von Westen in Belgrad kampflos eindringende deutsche 43. Division den Konak, den serbischen Königspalast, erreichte  ; dort reichten sich beide Divisionen die Hand. Der deutsche Heeresbericht brachte die Nachricht, deutsche Truppen hätten die serbische Hauptstadt erobert  ; der ö.-u. Tagesbericht meldete, dass ö.-u. Truppen Belgrad erstürmt hätten. Mackensen war darüber so verärgert, dass er mich anfuhr, wieso sich Österreich deutschen Lorbeer aneigne  ? Ein Glück, dass ich beide Berichte zuvor gelesen hatte. Ich erinnere mich genau, wie ich in streng militärischer Haltung erwiderte  : „Herr Generalfeldmarschall, nicht ich berichte an das k. u. k. Armeeoberkommando. Es ist jedoch Tatsache, dass die k. u. k. 59. Division mit der verlustreichen Erstürmung des Kalimegdan Belgrad zu Fall gebracht hat.“297 Mackensen erwiderte nichts, drehte sich um und verließ die Operationsabteilung. 297 Nach Beginn der Operationen am 6. Oktober fiel am 8. Oktober die Hauptbastion der Festung Belgrad, der Kalemegdan, gleichzeitig wurde auch die Save südwestlich der Stadt überschritten.

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Eine ähnliche Differenz gab es später nach der Erstürmung von Kragujevac.298 Nur sagte Mackensen nichts mehr zu mir. War das der Einfluss Seeckts  ? Ein drittes solcher Vorkommen des Negierens österreichischer Verdienste begab sich in Niš  ; das werde ich später schildern. Auch sonst zeigte sich der Generalfeldmarschall in einer gewissen Art gehässigpreußisch. Der grandiose Widerstand unserer Truppen am Isonzo, für den Seeckt wiederholt bewundernde Anerkennung äußerte, wurde von Mackensen mit keinem Wort erwähnt. Wenn aber am russischen Kriegsschauplatz ö.-u. Truppen versagten – was ja leider vorkam –, durfte ich sicher sein, dass Mackensen mir am nächsten Tag vorhielt  : „Sehen Sie, schon wieder haben die Österreicher versagt und deutsches Blut musste das gut machen  !“ Sollte ich ihm antworten  : „Herr Feldmarschall, die Schlacht an der Marne haben deutsche Truppen allein verloren  !“  ? Dies einem Heerführer, der von unserem Kaiser bewundert und mit Auszeichnungen überschüttet wurde  ? Nach solchen Vorfällen entstanden immer Debatten in der Operationsabteilung, bei denen ich Vorwürfe und spitze Bemerkungen, dass man in Österreich einen mehr deutschen Kurs hätte halten müssen, je nach Gesprächsverlauf sachlich erläuternd oder oft auch mit Schärfe zurückwies. Dabei verdeutlichte ich den Herren ungeschminkt, dass alles Unglück auf ihren Bismarck zurückginge  : Während vor 1866, dem von Preußen herausgeforderten Krieg gegen Österreich, dieses immer auf deutschen Menschenzuzug aus dem Reich rechnen konnte, standen nachher in Österreich-Ungarn 11 Millionen Deutschsprachige 40 Millionen Anderssprachigen gegenüber, in zehn verschiedenen Nationen. Von diesen war das fast 10 Millionen zählende tschechische Volk ausgesprochen deutschfeindlich eingestellt. 35 Jahre lang habe Deutschland Zeit gehabt, seinen Bundesgenossen genau kennen zu lernen  ; die Zeitungen haben alle Schwierigkeiten für die Entwicklung des Heerwesens schonungslos veröffentlicht. Die Deutschen hätten wissen müssen, dass die bei ihnen so beliebten Ungarn durch Jahre sogar das ohnehin viel zu geringe Rekrutenkontingent verweigert hatten. Und wenn Deutschland ihren Kriegseintritt nach dem Mord von Sarajevo als Nibelungentreue darstellte, so müsste es zur Kenntnis 298 KA, NLS sign. B/5, Nr. 1 (= Memoiren Lustig-Prean), S. 86  : „In Verfolgung des zurückgedrängten Gegners wurde auch Kragujevac, das serbische Arsenal und Zentrum der Waffenerzeugung genommen  ; hierbei ereignete es sich, daß ein junger österreichischer Offiziers der 3. Armee als Erster dort eindrang und am Arsenal die schwarz-gelbe Fahne hisste, während es einem Vortrupp der deutschen 11. Armee erst etwas später gelang. Darob große Empörung  ! Seeckt interpellierte mich deshalb in sichtlich sehr verärgerter Weise, worauf ich ihn aber darauf hinwies, daß das Arsenal gerade auf der von ihm selbst vorgezeichneten Grenzlinie der beiden Armeen lag, so daß es nicht Wunder nehmen kann, daß der eine oder der andere früher dort eintreffe, daß daher gar kein Grund zu irgendeiner Beschwerde vorliege und daß nach meiner Ansicht unter Verbündeten ein an und für sich freudiger Anlaß nicht Ausgangspunkt von Eifersüchteleien sein sollte, die noch dazu keine Rechtsgrundlage hätten.“

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nehmen, dass die deutsche Beliebtheit auf Erden uns die ganze Welt als Feinde auf den Hals gehetzt habe. Beide hätten wir eben keine anderen Bundesgenossen gefunden, deshalb sei es klüger einander zu helfen, statt Vorwürfe zu machen. Diese unschönen Auseinandersetzungen nötigte mir vornehmlich Hptm. Dunst auf, dessen Berliner Schnauze lose saß. Blankenhorn war Badenser und taktvoller. Mjr. v. Bock suchte anfangs stets Dunsts Bemerkungen zu stützen, war dann allerdings bald bemüht, solche Debatten durch irgendeinen Auftrag an Dunst oder mich zu beenden. Dabei bestand zwischen Dunst und mir eine aufrichtige persönliche Hochachtung  ; aber die Temperamente gerieten manchmal so aneinander, dass Seeckt, der es absolut vermied, mir gegenüber über die ö.-u. Truppen abfällige Bemerkungen zu machen, uns mitunter durch Bock zur Ruhe mahnen ließ.299 Tatsache war ja, dass die deutschen Truppen fast überall Hervorragendes leisteten und durch ihr Verhalten oft die Fehler der deutschen Führung gut machten. Bei uns konnte sich der Generalstab immer nur auf die deutschstämmigen Truppen und anfangs auch auf die wenigen kernmagyarischen unbedingt verlassen. Bei den anderen Nationen hing die Leistung von den aktiven Offizieren, Unteroffizieren und den entsprechenden Chargen der Reserve ab. Wurden die Truppen von tapferen Offizieren in ihrer Muttersprache geführt, so leisteten alle ebenso Hervorragendes wie die deutschsprachigen. Mit der Länge des Krieges und den großen blutigen Verlusten des aktiven Offizierskorps sank die Sprachkenntnis  ; es war nicht immer möglich den zehn Nationen konationale und beherzte Führer zu geben. Überdies verfügte das sprachlich einheitliche reichsdeutsche Heer über ein gleichmäßig gebildetes Reserveoffizierskorps, während das österreichisch-ungarische entsprechend dem Kulturgefälle von West nach Ost abfiel. Interessant war mir, wie sich die deutsche Führung durchzusetzen verstand. Zunächst fiel die Entsendung sorgfältig ausgewählter Verbindungsoffiziere zu jeder 299 KA, NLS, B/5, Nr. 1, (= Memoiren Lustig-Prean) S. 75  : „Eines muß ich zugeben und dabei eine wunde Stelle unserer Armee berühren. Die deutschen Führer und Unterführer hatten im Allgemeinen – Ausnahmen waren auch hier anzutreffen – mehr selbständiges Verantwortungsbewußtsein als die unseren. Sie wagten es, erhaltenen Befehlen zuwiderzuhandeln, wenn sie es für nötig und zweckmäßig hielten. Bei aller Subordination übernahmen sie die Verantwortung für ihre Entschlüsse, wenn sie auch nicht im Sinne des ihnen gegebenen Befehls lagen, sie waren nackensteifer. Der Grund dafür, daß dies bei uns seltener vorkam, lag in der ,Furcht vor dem Zylinder‘. Niedrigere Gagen und noch elendere Pensionen machten unsere Stabsoffiziere kleinmütig und in der Sorge für ihre Familien wagten sie nicht aufzumucken, auch wenn berechtigter Anlaß hiezu gegeben war. So entstand aus der Furcht vor der Pensio­ nierung der Mangel an Mut, einmal ,Nein‘ zu sagen und hiefür die Verantwortung zu übernehmen. Nicht unerheblich trug auch der Umstand dazu bei, daß im Allgemeinen die deutschen Stabsoffiziere und Generäle meist nicht nur auf die Gage angewiesen waren, während bei uns dies eine Seltenheit war. Wie es auch dort ängstlichere Naturen gab, waren auch unter unseren Führern verantwortungsfreudige zu finden, aber für die Allgemeinheit muß ich an dem Gesagten festhalten.“

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verbündeten Division auf  ; das waren nicht immer Generalstabs-, nicht einmal immer aktive Offiziere. So stand dem Stab Mackensen dafür eine Reihe militärisch gut geschulter und sogar verschiedene österreichisch-ungarische Sprachidiome beherrschender Reserveoffiziere zur Verfügung, deren hohe soziale Stellung im bürgerlichen Leben ihnen bei unseren ö.-u. Kommandostellen und Truppen von Haus aus eine gute Position gab. Diese hatten die Ausführung der von der Heeresgruppe gegebenen Befehle fortlaufend zu überwachen. Dunst stand mit diesen Herren stets in telefonischer Verbindung und fuhr sie mit einer uns unbekannten Schärfe an, wenn sie Wünsche der Heeresgruppe nicht bis zum kleinsten Detail durchgesetzt hatten. Dadurch war die Führung dauernd in reger Verbindung mit allen Geschehnissen bei der Truppe, der sie durch ihre eigene Beweglichkeit sehr entgegenkam. In den sechs Wochen währenden Kämpfen wechselte das OK Mackensen dreimal seinen Standort. Von Temesvár nach Semendria, nach Kragujevac und schließlich nach Niš. Ach, wie unterschiedlich war diese aktiv vorwärts drängende Führung von jener bürokratischen Potioreks  ! Nicht ganz vermochte ich zu ergründen, wie sich Mackensen und Seeckt die Führungsaufgaben teilten, da deren Unterredungen bei verschlossenen Türen stattfanden. Doch war ich der Meinung, dass Mackensen maßgeblich auf alle Entschlüsse Einfluss nahm. Diese Meinung wurde später durch den rumänischen Feldzug erhärtet, in welchem Mackensen den von deutschen Generalstabsoffizieren nicht sehr hoch eingeschätzten GM v. Tappen als Generalstabschef zur Seite hatte und ebenso erfolgsreich war.300 Mackensen entstammte der Kavallerie und hatte selbst die Generalstabslaufbahn durchgemacht, was er bei verschiedenen Gelegenheiten betonte und weshalb er auch die Generalstabsarbeit besonders hoch einschätzte. Ein die deutsche Führungsautorität gut stützendes Recht lag in der unmittelbaren Ordensverleihung durch den Armeekommandanten. Jeder dieser hohen Führer bekam eine nach Zahl der ihm unterstehenden Verbände bestimmte Menge von „Eisernen Kreuzen“, die er nach einer vollbrachten tapferen Tat dem Offizier, Unteroffizier oder Soldaten persönlich an Ort und Stelle überreichen konnte. Diese Unmittelbarkeit der Auszeichnung wirkte bei der Truppe natürlich weitaus anspornender als das in Österreich geübte bürokratische Verfahren, das eine Auszeichnung erst nach Genehmigung des „Belohnungsantrages“ durch den Monarchen und damit meist erst Monate nach der Tat an den verdienten Kämpfer gelangen ließ, der dann oftmals nicht mehr unter den Lebenden weilte. 300 Gerhard von Tappen (Esens, Ostfriesland, 3.7.1866–28.5.1953,  ?), preuß. Generalstabsoffizier, 1913 als Nachfolger Ludendorffs Abteilungsleiter im Großen Glstb. der Heeresgruppe Mackensen, Aug. 1916 Kdr. 5. Ersatzdivision, Sept. 1917 Kdr. 15. ID, Nov. 1919 verabschiedet.

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Zum Beispiel überreichte mir der Marschall in Kragujevac vor dem Mittagessen im Offizierskasino das Eiserne Kreuz II. Klasse vor den versammelten Offizieren des Stabes mit einer auszeichnenden Ansprache, in der er meine Arbeit in der Operationsabteilung als eine „seine Führertätigkeit unterstützende generalstabstechnische Tat“ wertete und trank mir nachher in üblicher Weise zu. Ende November war klar geworden, dass das sehr gut geführte, sich gegen eine große Übermacht geschickt und heldenhaft schlagende serbische Heer nicht eingekreist und vernichtet werden konnte.301 Infolge des durch andauernd elendes Wetter fast unmöglich gewordenen Nachschubs waren die eigenen deutschen, österreichischungarischen und bulgarischen Truppen vor einer ausgiebigen Rast nicht mehr in der Lage, die Verfolgung durch das westlich des Amselfeldes aufsteigende Gebirge fortzuführen. So gelang es einem beträchtlichen Teil des serbischen Heeres, wenn auch unter schweren Einbußen, über Skutari nach Durazzo an die Adria zu gelangen.302 301 Ende Oktober 1915 näherten sich Truppen der ö.-u. Armee und der deutschen 11. Armee Kragujevac, das von den Serben am 1.11.1915 geräumt wurde. Am 5.11. eroberten die Bulgaren Nisch. Nunmehr wurde ein Großteil der ö.-u. und dt. Kräfte abgezogen, es blieben nur zweieinhalb ö.-u. und zwei deutsche Korps. Zwei Versuche der Serben, zuletzt am 19. und 20.11., nach Saloniki durchzubrechen, scheiterten und die Serben mussten über das winterliche Gebirge den Rückzug nach Albanien und Montenegro antreten. Von den albanischen Häfen konnten vom Dezember 1915 bis April 1916 insgesamt 153.000 Mann Serben auf die Insel Korfu gebracht werden, darunter der serbische König und der todkranke Oberkommandierende General Putnik. 302 Durazzo heute Durrës, türkisch Dirac, Hauptstadt des gleichnamigen Distrikts, Hafenstadt an der Adria westlich von Tirana in der Durrës-Bucht. Größte Bedeutung als Dyrrhachium unter römischer Herrschaft, im Mittelalter Bischofssitz, fiel es zweimal in die Hände der Bulgaren und mehrmals an die unteritalienischen Normannen  ; ab 1394 bei Venedig, ab 1501 türkisch, von 1913 bis 1921 die erste Hauptstadt des unabhängigen Albanien, am 23.6.1915 besetzten Serben Durazzo, am 8.1.1916 landen dort die Italiener, die es am 29.1.1916 wieder räumten. Vom Dezember 1915 bis April 1916 wurden die Reste des serbischen Heeres, insgesamt 153.000 Mann durch alliierte Schiffstransporte von den albanischen Häfen auf die Insel Korfu zur Auffrischung gebracht. Die neu ausgerüsteten serbischen Einheiten wurden später der Entente-Armee bei Saloniki zugeteilt. Nach dem Abzug von weiteren Einheiten der ö.-u. 3. Armee, die Montenegro erobert hatte, verblieben zur Vorrückung nach Albanien nur mehr schwache Kräfte, die zum XIX. Korps formiert wurden. Am 23.1.1916 wurde Skutari besetzt. Bis Mitte Februar waren die wichtigsten albanischen Städte Tirana (9.2.), Elbasan und Berat in der Hand der ö.-u. Truppen. Die Österreicher erreichten am 21.2. bei Kawaja die albanische Adriaküste und besetzen nach harten Kämpfen auch mithilfe albanischer „Banden“ Durazzo am 27.2.1916. Die Front in Albanien stabilisierte sich nun nördlich von Valona. Auf der Linie Vajusa-Mündung–Berat–Ochrida-See–Monastir erstarrte die Front. Zwischen Adria und Ochrida-See standen ö.-u. Truppen, östlich anschließend die deutsche Ochrida-Division, die den Übergang zur bulg. Front bildete. Auf der Gegenseite lagen hauptsächlich italienische und französische Verbände. Es entstanden große Verluste auf beiden Seiten infolge des Wütens der Malaria. Im Sommer 1918 standen gegen das bulgarische Heer im Raume Monastir– Saloniki 670.000 Mann alliierter Truppen, nämlich Franzosen, Italiener, Engländer, Russen, Serben und Griechen. Skutari, alban. Shkodra, Stadt in Nordalbanien am Südufer des Skutari-Sees (Serbien).

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Die bei Saloniki gelandeten französischen und englischen Verbände unter Général Sarrail303 waren zu keiner den Serben helfenden Offensive imstande und blieben in einem Landungskopf um Saloniki stehen. Mackensens Balkanaufgabe war eigentlich beendet. Die deutsche oberste Heeresleitung hatte schon Mitte November begonnen, allmählich ihre Divisionen aus Serbien abzuziehen und in Südungarn zum Einsatz am französischen Kriegsschauplatz zu retablieren. So blieb im Dezember 1915 Mackensen schließlich nur mehr der Befehl über die ö.-u. 3. Armee, das deutsche Kommando des IV. Reservekorps mit einer deutschen Division und über die nach Süden auf Monastir abgedrehte 1. bulgar. Armee. Das ö.-u. AOK wollte am Balkan, wenigstens in seiner Interessenssphäre, reinen Tisch machen und auch Montenegro ganz ausschalten. Wir wussten, der deutsche Generalstabschef v. Falkenhayn304 wollte das nicht. Für Mackensen und Seeckt entstand dadurch eine schwierige Lage. Umso mehr ist hervorzuheben, dass beide FM Conrads Wollen richtig hießen und dessen Weisungen, die 3. ö.-u. Armee nach Ordnung der Nachschublage an der montenegrinischen Nordostgrenze zum Einmarsch nach Montenegro bereitzustellen in vollem Umfang entsprachen. Die Ordnung des Nachschubes oblag vornehmlich der ö.-u. Etappe und dem deutschen Oberquartiermeister Hentsch. Für die Operationsabteilung kamen ruhigere Tage. Mjr. v. Bock wurde an die französische Front versetzt. Sein Nachfolger wurde Obstlt. Völkers, dessen Charakter sich von dem seines Vorgängers wesentlich unterschied. Völkers war als Ia so, wie ich mir das vorstellte  : genau, gewissenhaft, präzise. Jeder Befehl wurde von ihm vor Ausgabe auf seine Durchführbarkeit und Vollständigkeit geprüft und nach Bedarf ergänzt. Zu mir war Völkers von gewählter Zuvorkommenheit, so dass ich bedauerte, dass dieser hervorragende Offizier nicht von Haus aus beim Kommando gewesen war. Ich orientierte ihn gern im gleichen Umfang wie Seeckt über die schweren Kämpfe an der italienischen Front, wo gerade die 4. Ison303 Maurice Sarrail (Carcasonne, 6.4.1856–23.3.1929, Paris), 1877 ausgemustert aus St. Cyr als Infanterieoffizier, 1900 ins Kriegsministerium versetzt, dann Schulkommandant, 1914 Kdt. des VIII. Korps in Chalons, dann der III. Armee in Verdun, 1915 Kdt. der Armée de l’Orient, er nahm 1916 Monastir ein, entthronte 1917 König Konstantin und ging dann aus Altersgründen in den Ruhestand, kehrte aber 1918 in die Armee zurück, war 1924 Hochkommissär von Syrien als Nachfolger Generals von Weygand und wurde nach einem Drusenaufstand abberufen. 304 Über Erich Georg Falkenhayn (1861–1922) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 325, Anm.153. Die neueste Literatur, die allerdings den österreichischen Standpunkt kaum berücksichtigt, ist  : Holger Afflerbach, Falkenhayn. Politisches Denken und Handeln im Kaiserreich (= Beiträge zur Militärgeschichte, Hg. v. Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Band 42), München 1994. Wichtig auch  : Heinz Kraft, Staatsräson und Kriegführung im kaiserlichen Deutschland 1914–1916. Der Gegensatz zwischen dem Generalstabschef von Falkenhayn und dem Oberbefehlshaber Ost im Rahmen des Bündniskrieges der Mittelmächte, Göttingen 1980.

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zoschlacht tobte.305 Sie zeigte, wie unbeschränkt reich die das Meer beherrschenden Mächte an allem Material und ganz besonders an Munition waren. Aus diesem Grund sträubten sich mir die Haare, als ich später erfuhr, dass Falkenhayn Verdun angriff, „um die Franzosen auszubluten“, und nicht glauben wollte, dass er gegenüber den Seemächten den Kürzeren ziehen musste  !306 GM v. Seeckt nahm für Weihnachten Urlaub nach Wien und Budapest, wo er sich mit seiner Frau treffen wollte. Wieder einmal war ich von der „preußischen Schlichtheit“ recht beeindruckt, als Seeckt, dem ich über Wien und Budapest alle gewünschten Auskünfte gab, mir sagte, er werde ein Dienstauto, vollgefüllt mit Lebensmitteln und Getränken auf Urlaub mitnehmen, und das trotz der bereits erlassenen Sparbefehle mit Benzin und Autoreifen. Weihnachten begingen wir in Niš, einer kleinen, doch anscheinend wohlhabenden Stadt. Der Generalfeldmarschall schenkte mir ein schönes silbernes Zigarettenetui mit seinem eingravierten Namenszug, ein Zeichen, dass er mich doch nicht ungern mochte. Am 27. Januar 1916 war Kaiser Wilhelms II. Geburtstag, der mit einem Feldgottesdienst gefeiert wurde, zu dem ein protestantischer Hofprediger gekommen war. Mich beeindruckte, wie der Generalfeldmarschall beim Gottesdienste sein Gesangbuch aus der Tasche zog und laut vernehmlich mitsang. Beim Mittagessen hielt er eine warmherzige Ansprache auf seinen „König“. Für die Preußen war ihr Herrscher nie „Kaiser“  ; sie nannten ihn immer nur „König“. Dem folgte bald eine äußerst unangenehme Geschichte  : Der Bulgarenkönig Ferdinand (ursprünglich ein Coburgischer Prinz) besuchte das Hauptquartier. Bei der Abendtafel saßen wie immer deutsche und österreichische Offiziere beisammen. Aber wie betreten waren wir Österreicher und Ungarn, als Mackensen in seinem Toast von deutschen und bulgarischen Truppen und Erfolgen sprach, ohne Österreich-Ungarn auch nur mit einer Silbe zu erwähnen. Wir sahen alle zu unserem ältesten Offizier, Obst. Lustig, der zu mir kam und flüsterte  : „Wenn der König uns auch nicht nennt, gehen wir“  ; unauffällig ging er auf die andere Tischseite, wo alle ö.-u. Offiziere bei305 Die 4. Isonzoschlacht fand vom 10.11.1915 bis 16.3.1916 statt und brachte den angreifenden Italienern keinen Erfolg. Hohe Verluste gab es auf beiden Seiten. Dazu nunmehr die neueste Literatur  : Josef Fučík, Soča (Isonzo) 1917 (Bojiště Českých Dějin), Litomyšl 1999  ; European Parliament. International Exhibition for 90th anniversary of the battles on Isonzo „Isonzo 1915–1917“ with Czech participation on theme „Soldiers from the Czech lands on the Isonzo front“, 26 May–30 September 2007 Tomin Museum Slovenija 2007. 306 Am 21. Februar 1916 begann der Großangriff der Deutschen Armee auf Verdun. Er kostete auf beiden Seiten etwa 800.000 Mann Verluste und dauerte zehn Monate. Die schweren englisch-französischen Angriffe an der Somme ab 24. Juni 1916 zwangen die Deutschen nach zehnmonatigen Kämpfen zur Aufgabe ihrer Bemühungen um die Einnahme von Verdun.

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sammen saßen, und wies sie im gleichen Sinne an. In seiner Ansprache erwähnte der Bulgarenkönig wie Mackensen uns Österreicher und Ungarn mit keinem Wort. Zum folgenden Hurrah standen wir Österreicher auf, ohne unsere Gläser zu erheben, und verließen wie auf Kommando den Speisesaal. Bei Mjr. Franz in der Etappenabteilung wurde beschlossen, dass Obst. Lustig den Vorfall telegraphisch dem ö.-u. AOK zu melden und daran die Bitte aller Offiziere um unsere Enthebung von der Einteilung beim OK Mackensen zu knüpfen habe. Ich bat Obst. Lustig überdies, meine Einteilung zur Truppendienstleistung zu fordern.307 Klassisch war die dickfellige Verständnislosigkeit aller deutschen Offiziere einschließlich Seeckts und Mackensens  : Am nächsten Tage wurden wir gefragt, was denn unsere Entfernung aus dem Speisesaal zu bedeuten hätte. Als ich in der Operationsabteilung antwortete, dass wir Österreicher bei den Ansprachen nicht erwähnt worden waren, obwohl doch unser VIII. und XIX. Korps mit schweren Verlusten den gemeinsamen Erfolg erstritten hätten, was, gelinde gesagt, wenig vornehm gewesen wäre, wir alle deshalb um unsere Enthebung von der Einteilung bei Mackensen gebeten hätten, waren die Herren einfach baff. Mackensen sei doch ein deutsches Kommando und der Bulgarenkönig habe doch nur das deutsche Kommando besucht  ! Der einzige, der sagte, er verstehe uns und bedauere die unbeabsichtigte Kränkung, war Obstlt. Völkers. Als ich noch anfügte, dass ich im Besonderen um Einteilung zum Truppendienst gebeten hätte, sah ich erst, dass ich in der Operationsabteilung echte Sympathien gewonnen hatte. Speziell Hptm. Dunst kam auf mich zu, schüttelte mir ohne loszulassen die Hand und sagte  : „Hoffentlich bleiben Sie uns erhalten, wir arbeiten doch großartig zusammen“. Am Abend traf die Antwort von FM Conrad ein  : Er verstehe unsere Haltung  ; das Verhalten der Deutschen sei überall das gleiche  ; er könne aus Dienstrücksichten die erbetene Ablösung nicht genehmigen und erwarte vom Takt der österreichischen Offiziere, dass sie weiterhin ihren Obliegenheiten nachkommen  ; dem Hptm. v. Jansa sei auf sein Verlangen um Truppendienstleistung hin zu bedeuten, dass er und seine Kame307 Lustig-Prean (KA, NLS, sign. B/5, Nr. 1, S.  89 f.) schildert diese Angelegenheit ebenfalls, mit nur geringen Abweichungen  : „Weit peinlicher wurde es, als sich der Marschall erhob und in einem rhetorisch sehr schönen Trinkspruch die Zusammenarbeit der Bundesgenossen pries, ohne auch nur mit einer Silbe der ö.-u. Armee zu gedenken. Es war dies so auffällig, daß die Zarin, der ich nach dem Essen vorgestellt wurde, mir gegenüber ihre Verwunderung aussprach, daß auch österreichische Offiziere anwesend seien. Hier sei eingefügt, daß sie, eine frühere Prinzessin Reuss, fast ihr ganzes Leben in Niederösterreich (Ernstbrunn) verbracht hatte und daher ein österreichisches Heimatgefühl hatte. Ich konnte es mir nicht verkneifen, Ihrer Majestät zu sagen, daß ich es angesichts der eben gehörten Rede gut verstehe, wenn man sich über die Anwesenheit von Österreichern wundere. Die ö.-u. Kameraden waren ebenso entsetzt wie ich. Ich entfernte mich sobald es angängig war und depeschierte an mein AOK die Meldung über den Inhalt der Rede, bat um meine Ablösung …“

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raden durch drei Jahre auf Staatskosten für den Generalstabsdienst ausgebildet worden seien, um im Krieg auch Generalstabsdienst zu leisten  ; dies sei durch Lustig auch dem Generalfeldmarschall und dem Generalstabschef zu melden. Beide Herren sollen die Mitteilung mit etwas betretenem Lächeln entgegengenommen haben. Mackensen soll dazu geäußert haben, dass er die österreichischen Herren nicht kränken wollte. König Ferdinand soll sich bei der nachfolgenden Audienz bei Kaiser und König Franz Joseph I. über seine Brüskierung durch die ö.-u. Offiziere beklagt haben, ohne dass unser Monarch darauf reagierte. GM v. Seeckt behielt mich in der Folge bei den Nachmittagsrapporten über die Ereignisse an der italienischen Front länger bei sich. Er kam wiederholt auf das Missgeschick zu sprechen, dass es nicht gelungen sei, die Serben ganz zu vernichten. Dann gab er mir aber auch zwei seiner Eindrücke und Erfahrungen anhand von Beispielen mit, die ich für meine militärische Zukunft dankbar stets beachtete. Zuerst verglich er die blutigen Verluste unserer mit den deutschen Divisionen, wobei sich zeigte, dass unsere ein Vielfaches der deutschen betrugen. Seeckt äußerte dabei, dass er die gleiche Erfahrung in Galizien gemacht hätte  ; es müsse das an schlechter Zusammenarbeit von Infanterie und Artillerie liegen  ; ich möge das in der Folge beachten und für mich die Lehren daraus ziehen. Die Infanterie müsse in solcher Übereinstimmung mit der Artillerie angreifen, dass sie mit dem letzten Artillerieschuss auch schon im feindlichen Graben sei. Habe die Artillerie nicht genügend Munition, dann könne die Infanterie nicht stürmen  ! Gleiches hatte ich auch vom gefallenen Richard Körner gelernt  ; jedoch war mir klar, dass diese Erfahrung in unserem Heer angesichts dessen chronischen Mangels an Artillerie und Munition nicht Gemeingut geworden war. Zum Zweiten schärfte er mir ein, sich immer wieder Reserven zu bilden. Diese Unterstreichung von ihm zu bekommen war mir lieb. Von Haus aus besaß ich die Kenntnis solcher Notwendigkeit und hatte im ersten serbischen Feldzug versucht sie durchzusetzen. Aber Wachtel hatte damals die von mir beantragte Herausziehung des XIII. Korps nach den Kämpfen an der Kolubara konterkariert. Der älteren Generation unseres Generalstabes war das nicht vertraut, worauf ich noch gelegentlich der 12. Isonzoschlacht zu sprechen kommen werde. So ging der Monat Jänner für uns ohne besondere Ereignisse dahin. Westlich von uns eroberte die 3. ö.-u. Armee ganz Montenegro und stieß südwärts durch Albanien bis an die Vojusa308 vor. Wir verfolgten diesen Winterfeldzug im hohen Gebirge 308 Entlang des Flusses Vojusa, der nördlich von Valona in die Adria mündet, stabilisierte sich vom Frühjahr 1916 bis August 1918 die Frontlinie zwischen den Italienern und den k. u. k. Truppen (ö.-u. XIX. Korps, besonders 20. GBrig.).

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mit Spannung, und Seeckt kargte mir gegenüber nicht mit voller Anerkennung dieser Leistungen. Anfang Februar kam der lakonische Befehl, dass ich zum Verbindungsoffizier des AOK bei der 1. bulgar. Armee bestellt werde und nach Vorstellung bei unserem Militärattaché in Sofia nach Bitolja (Monastir) abzugehen habe. Kein spezieller Auftrag, keine nähere Weisung, nichts. Meine Abmeldung war rasch besorgt. Von allen Seiten bekam ich freundliche Worte zu hören. Obst. v. Lustig zeigte mir nach gepflogener Rücksprache mit GM v. Seeckt den Zusatz zu meiner Dienstbeschreibung.309 Es war nur ein Halbsatz  : „wird auch von deutscher Seite als erstklassig anerkannt“. Und sowohl der Generalfeldmarschall, als auch Seeckt und Dunst schenkten mir ihre Bilder mit Unterschrift. D Verbindungsoffizier bei der 1. Bulgarischen Armee, dann beim ­Oberkommando v. Below in Makedonien 6. 2. 1916–31. 3. 1917 Von Niš fuhr ich, reichlich mit Insektenpulver versehen, nach Sofia, um mich bei unserem dortigen Militärattaché zu melden.310 Sofia war damals noch nicht groß. Das neue Zentrum der Stadt begann sich um den recht respektablen Königspalast und um die neue, mit russischer Unterstützung sehr prunkvoll gebaute griechisch-orthodoxe Kirche zu entwickeln. Der Kirche gegenüber erhob sich das schöne Denkmal des „Zar-Befreiers“. Die Straße war sehr breit angelegt, in ihr lagen auch die meisten Gesandtschaften. 309 KA, Qualifikationsliste Jansa  : „Bestätige vollinhaltlich obige Charakteristik [von Krauss, siehe Anm.], zeigte sehr klaren Blick auch für große Verhältnisse. Sehr taktvoll, daher auch seitens der deutschen Vorgesetzten als erstklassig anerkannt, 11.3.1916, Lustig, Obstlt.“ 310 Wie gleich zu zeigen sein wird, lag die Bedeutung des ö.-u. Verbindungsoffiziers bei der bulgarischen Heeresleitung im Verlauf des Kriegsjahres 1916 darin, dass er in seinem Tätigkeitsbereich dafür sorgte, die Armee Sarrail daran zu hindern, die rumänische Armee nach der Kriegserklärung Rumäniens an die Mittelmächte aktiv zu unterstützen. Dies gelang der bulgarischen Armee und sie konnte auch gleichzeitig beim Donauübergang der Streitkräfte aller Mittelmächte mitwirken. Ebenso waren Jansas Bemühungen um die Versorgung der k. u. k. Streitkräfte in Nordalbanien (20. Gebirgsbrigade usw.) wichtig. Siehe nunmehr  : Heeresgeschichtliches Museum (Hg.), Der unbekannte Verbündete – Bulgarien im Ersten Weltkrieg. Begleitband zur Sonderausstellung des Heeresgeschichtlichen Museums. 24. Juni 2009–21.Februar 2010. Redaktion Claudia Reichl-Ham, Wien 2009. Besonders siehe dort  : Peter Enne, Bulgarien als Verbündeter der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg. Ein Überblick, 62–86  ; Georgi Markov, Waffenbrüderschaft zwischen Bulgarien und Österreich während des Ersten Weltkrieges, 20–43  ; Wolfdieter Bihl, Bulgarien im Spannungsverhältnis des Ersten Weltkrieges, 44–61.

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Wenn ich gehofft hatte, auf der Eisenbahnfahrt etwas von Bulgarien zu sehen, so wurde ich enttäuscht  : Die bulgarischen Eisenbahnwaggons hatten alle Fenster so verklemmt und mit weißer Farbe gestrichen, dass man sie weder öffnen, noch hinaussehen konnte. Die heillose Angst vor Spionen war in den ostslawischen Völkern allgemein. Was die Bulgaren den Augen der Reisenden vorenthalten wollten, war mir nicht klar  : Ihre Armee stand längst in Serbien und Makedonien, sonst hatten sie kaum etwas zu verbergen. Das musste eine Folge der Jahrhunderte währenden Türkenherrschaft sein, während der die unterdrückten Bulgaren alles verstecken mussten, um nicht von den Türken leer geraubt zu werden. In Sofia fiel ich nicht nur wegen der dort kaum bekannten Uniform auf. Mein langsames Gehen und Schauen veranlasste zwei Polizeioffiziere mich höflich zu bitten, vor dem Königspalast nicht stehen zu bleiben. Dabei lag zwischen Gehsteig und Palast ein etwa fünfzig Meter breiter Vorgarten, der gegen die Straße mit einem hohen Eisengitter abgeschlossen war. Allerdings hatte ich schon im Stab Mackensens vom bulgarischen Verbindungsoffizier, Obstlt. Tantilov311, gehört, dass der König unter großer Attentatsfurcht leide und Eisenbahnfahrten in seinem Land grundsätzlich auf der Lokomotive absolviere, die er selbst führe. Tatsächlich sitzen ja am Balkan die Pistolen locker in den Taschen  : Während meines kurzen Aufenthaltes in Sofia wurde ich Augenzeuge, wie auf der großen Avenue ein gut gekleideter Zivilist einen politischen Gegner bei der Begegnung einfach niederschoss. Solche Vorfälle regten die Polizei nicht auf  ; sie kamen häufig vor. In der Gesandtschaft traf ich nur den jungen Generalstabshauptmann Lokar312, der dem Militärattaché zugeteilt war. Obst. Laxa313 selbst war nach Teschen und Wien verreist  ; er sollte erst am übernächsten Tag zurückkommen. Lokar konnte mir nicht viel erzählen  ; ich wusste ja mehr als er. So setzte ich mich einfach wieder in den Zug, um mir Konstantinopel wenigstens ganz flüchtig anzusehen. Heute bedauere ich es sehr, dass mein eingeborenes Pflichtgefühl mich nicht länger in Istanbul bleiben ließ  ; 311 Über Iwan Tantilov (1876–1939) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 323, Anm. 145. Tantilov. 1917 Oberst, war 1915–1918 bulgarischer Militärbevollmächtigter beim AOK. 312 Anton Lokar (Tschernembl, Krain, heute Črnomelj, Slowenien, 9.10.1884–  ?) 18.8.1908 ausgemustert aus der ArtKSch. zum KorpsartRgt. 1.11.1912 Olt., ab 1.8.1914 Glstbsoffz. Bei Brigaden und Divisionskden, ab 11.11.1915 eingeteilt beim Militärattaché in Sofia  ; weitere Daten nicht bekannt, möglicherweise nach Kriegsende in die jugoslawische Armee eingetreten. 313 Über Wladimir Laxa (Sissek, heute Sisak, Kroatien, 21.1.1870–23.6.1945, Agram, heute Zagreb), siehe die Daten bei Glaise-Broucek III, S. 170, Anm.24. Laxa war 1915/16 Militärbevollmächtigter beim Bulgar. AOK, Ritter des MMTO für die Verteidigung des Monte San Gabriele, 1.1.1920 in Jugoslawien pensioniert, 10.5.1941 Kdt. der Landtruppen des NDH-Staates (Kroatien), Herbst 1941– 6.10.1943 Chef des kroat. Generalstabes und GdI. Er wurde von den Partisanen 1945 nicht liquidiert, lag aber im Sterben.

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ich hätte nichts versäumt. So konnte ich gerade nur die herrliche Lage am Bosporus auf mich wirken lassen. Dann fuhr ich wieder hinter blind gemachten Fenstern nach Sofia zurück. Obst. Laxa war Kroate und galt bei seinen Konationalen als einer der besten Offiziere. Ich hatte schon einiges Lob über ihn im Frieden in Sarajevo von Obst. Mihaljević gehört. Laxa war auch eine gute Erscheinung und hat sich später als hervorragend tapferer Truppenkommandant erwiesen. Auf seinem Attachéposten als Generalstabsoffizier war er schon im Auslauf und brachte aus Wien die Nachricht mit, dass er bald durch den kränklichen Mjr. Novak ersetzt werde. Laxa hatte gleichfalls nicht viel zu erzählen  : Bei ihm war ein Nachrichtenzentrum, so wie bei unseren Militärattachés in Konstantinopel und Athen. Ich sollte ihm nach Sofia „nur Nachrichten“ senden. Er habe in Bitolja (Monastir hieß es auf Türkisch) im Konsul Hoflehner, der Reservehauptmann sei, einen guten Referenten, der auch mir zur Verfügung stehe. Über alles operativ-taktische habe ich aber bloß an das AOK nach Teschen zu berichten, dem ich ja unterstünde. Die Bulgaren hätten am Balkan allerlei stets wechselnde Ambitionen. Da möge ich aufpassen, was sie jeweils planen. Und als Abschluss gab er mir den Rat auf den Weg, wenn mir ein Bulgare nicht sage, was ich zu wissen brauche, ihm mit einer Verklagung beim König zu drohen. Jeder Bulgare habe etwas Unkorrektes getan, das ihn belaste. Man könne ihm ohne Weiteres sagen, man wisse etwas von ihm, dann werde er sofort weich. Eine Vorstellung bei unserem Gesandten hielt Laxa für einen ganz nutzlosen Zeitverlust. Darum reiste ich am nächsten Morgen nach Niš zurück und sprach noch einmal in der Operationsabteilung des OK Mackensen vor, um die Nachsendung meiner Pferde mit ihren Wärtern zu erbitten. Da wurde ich auch gleich mit dem von der deutschen Obersten Heeresleitung zur 1. bulgar. Armee entsendeten Hptm. Schulhof bekannt gemacht, mit dem mich in der Folge während der kurzen Zeit unseres Beisammenseins herzliche Freundschaft verband. GM v. Seeckt legte uns beiden nahe, möglichst rasch die genaue Lage der 1. bulgar. Armee festzustellen, da man aus deren Meldungen nicht klug werden konnte. Die Eisenbahn war gerade bis Veleš (Köprülü)314 fertig geworden, sodass wir bis dorthin Schulhofs beide Autos und meine Pferde verladen und mitnehmen konnten. Von Veleš fuhren wir auf einer damals noch leidlich guten Straße über Gradsko nach Bitolja. Der brave Kern, mein Pferdewärter, folgte im Fußmarsch. Im bulgarischen Armeekommando in Bitolja, einer staunenswert hübschen, mehr griechischen als serbischen Stadt, wurden wir sehr freundlich aufgenommen und in äußerlich gute Quartiere eingewiesen. 314 Veles zeitweise auch Titov Veles, türkisch  : Köprülü. Stadt am Vardar, Mazedonien.

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Bald erkannte ich, dass mein Quartier nicht weniger als alle anderen verwanzt war. Die Bettfüße standen in leeren Konservenbüchsen, die mit Wasser gefüllt waren, um den Zug der Wanzen zu unterbrechen. Wie ich bald feststellen konnte half das jedoch nichts, denn die schlauen Tiere krochen über die Wände auf den Plafond und ließen sich von dort ins Bett fallen, um vom menschlichen Körper das ihnen nötige Blut zu saugen. Das Bett war täglich frisch mit Insektenpulver bestreut, was auf die Tiere keinen Eindruck machte. So blieb am Ende nichts übrig, als sich in das insektenreiche Schicksal zu ergeben. Zu den Wanzen gesellten sich bei Beginn der wärmeren Jahreszeit noch die Stechmücken, unter denen auch die Malaria verbreitende Anopheles zu fürchten war. Die Betten hatten wohl Schutzvorhänge aus Musseline315, aber auch diese waren kein ganz sicherer Schutz. Die Bekämpfung des Ungeziefers im eigenen Wohn- und Schlafraum wurde auch dadurch erschwert, dass die griechischen Häuser infolge Holzmangels keine festen Fußböden, sondern nur Holzroste besaßen, die mit Teppichen bedeckt waren. Das ließ den Raum zwar gefällig aussehen, doch war dadurch die freie Bewegung fürs Ungeziefer im ganzen Haus gegeben. Um halbwegs schlafen zu können, blieb schließlich nur ein erhöhter Alkoholkonsum als Helfer übrig. Das war kein gesundes Leben und die Folgen zeigten sich nach Monaten mehr oder weniger schwer bei allen aus Mitteleuropa stammenden Truppen. Besonders bei dem in Albanien stehenden ö.-u. XIX. Korps waren die andauernden Ausfälle an Menschen erschreckend hoch. Aber auch die deutschen Friedhöfe in Makedonien bargen bald mehr an Darmerkrankungen Gestorbene als vorm Feind gefallene Personen. Von österreichischer Seite amtierte in den besetzten südlichen Gebieten der Wiener Dermatologe Professor Arzt, von deutscher Seite in Skoplje (Üsküb) der Tropenforscher Prof. Fülleborn. Solange die Mittelmächte genügend Chinin und das in Afrika gewonnene Darmmittel Usora zur Verfügung hatten, konnte man den Leiden wenigstens teilweise beikommen. Mit der längeren Kriegsdauer und der erbarmungslosen Feindblockade wurden Chinin und Usora316 rar, was die Kriegführung infolge des schlechten Gesundheitszustandes der Kommandos und Truppen in Albanien und Makedonien schwer beeinträchtigte. Der Balkan barg überdies in der Kleiderlaus den Verbreiter des Flecktyphus, dem im Winter 1914/15 so viele Serben erlagen. Dieser Plage konnte durch Vernichtung der Kleiderlaus in hoch temperiertem Dampf begegnet werden. Der deutsche Sanitätsdienst hatte mit dem Bau von Entlausungsanstalten rasch und großzügig geholfen. 315 Musselin (der, französisch  : aus Mossul  ; feinfädiger, leichter, meist stückgefärbter oder bedruckter Damenkleiderstoff in Leinwandbindung aus Wolle, Baumwolle oder Zellwolle). 316 Usora  : krampflösende Medizin, damals zur Milderung der Malaria-Erkrankung verwendet.

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Bitola war Endstation einer von Saloniki kommenden Eisenbahn, die bis zur ihrer Besetzung durch die Bulgaren die Stadt mit allen Bedürfnissen reich versorgt hatte. Jetzt war durch die unter Général Sarrail in Saloniki gelandeten französischen und englischen Truppen die Versorgung gänzlich unterbunden. Damit war den Mittelmächten eine kaum zu bewältigende Last aufgebürdet. Denn abgesehen davon, dass die nur langsam wieder herstellbare Eisenbahn von Belgrad im Vardar-Tal bis Gradsko kaum den Nachschub für die Truppen bewältigen konnte, begann sich bei den Mittelmächten auch die durch die Feindblockade geschaffene Mangellage immer schärfer auszuwirken. Das machte begreiflich, dass die unzureichend versorgte Bevölkerung von Stadt und Land uns wenig wohlgesinnt war. Wie abhängig die Bevölkerung ganz Südmakedoniens von Saloniki war, konnte man auch an den Hausreparaturen aller von Bitola westwärts gelegenen Orte erkennen. Das Land ist zu großen Teilen Karstgebiet, also ohne Wälder, arm an Holz. Loser aufeinandergeschichteter Bruchstein ist das vornehmliche Baumaterial. Zu diesem gesellte sich im Lauf der Jahre das Blech der Kanister jener englischen Öl-Firmen, die in Saloniki ihren Sitz hatten. Die Orte erstrahlten bei Sonnenschein wie reich vergoldet  ; bei näherem Hinsehen funkelte das Blech aufgeschnittener Ölkanister, das als Dachbelag, Rauchabzug und anstelle von Türen und Fenstern von den armen Bewohnern verwendet wurde. Aus der Zeit vor dem Balkankrieg 1912, da ganz Makedonien dem osmanischen Reich zugehört hatte, amtierten in den Städten Skutari, Skoplje, Prizren und Bitolja317 ö.-u. Konsuln zur Wahrnehmung der reichen Handelsinteressen, welche die Monarchie dort pflegte Dem Verlangen Serbiens, das diese Gebiete 1912 erobert hatte, zum Trotz waren diese Konsuln nicht abgezogen worden. Diese tapferen Männer und Frauen hielten auf ihren Dienstposten bis 1916 aus und hielten allen Widrigkeiten und Schikanen stand. In diesem Jahr wurden sie nach Abschluss von Verträgen mit den Bulgaren, welche die Eigentumsrechte der Österreicher und Ungarn in diesen Gebieten regelten, abgezogen. 317 Prizren  : Stadt am Fuße des Sar-Gebirges, heute Hauptstadt des Kosovo, römisch „Theranda“, später auch Prizdrijan genannt, im 14. Jh. Residenzstadt Serbiens  ; von der Mitte des 17. Jh. bis 1912 unter türkischer Herrschaft  ; Skoplje, heute Skopje  : Hauptstadt von Mazedonien an der Mündung der Gebirgsflüsse Lepenac und Treska in den Vardar. Sitz einer Universität und eines römisch-katholischen sowie eines orthodoxen Bischofs  ; im 7. Jh. Einwanderung der Slawen und Namensgebung, seit dem 9.  Jh. byzantinisch. Im 10. Jh. existierte unter Zar Samuilo erstmals ein makedonischer Staat, 1346 machte der dort gekrönte große serbische Herrscher Stefan Uroš IV. Dušan Skopje zu seiner Residenz, 1392 Eroberung durch die Türken und als „Üsküb“ wichtiges militärisches Zentrum, 1689 unter dem habsburgischen General Piccolomini Zerstörung der Stadt, 1873 Bau der Eisenbahnlinie nach Thessaloniki, 1912 Ende der Türkenherrschaft. Bitola, türkisch Manastir, zweitgrößte Stadt Mazedoniens in der Pelagonischen Ebene.

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Mein deutscher Kollege, Hptm. Schulhof, war mit den Verhältnissen auf dem Balkan in keiner Weise vertraut, er sprach jedoch einigermaßen französisch, was ihm wenigstens den Verkehr mit einem Teil der bulgarischen Generalstabsoffiziere ermöglichte. Meinerseits war ich wahrscheinlich wegen der in meiner Qualifikationsliste vorgemerkten Sprachkenntnisse zu den Bulgaren entsendet worden. Aus der Zeit meiner Friedensgarnisonierung in Bosnien wusste ich, wie naturbelassen die christlichen Balkanvölker waren, wie sehr sie freilich auf ihre große Vergangenheit vor der Türkenherrschaft stolz waren und überempfindlich in allen Belangen. Auf keinen Fall vertrugen sie eine Behandlung von oben herab  ; sie fühlten sich uns nicht nur in allem ebenbürtig, sondern – wie das ja bei einfachen Leuten oft der Fall ist – mitunter sogar uns überlegen. Das alles legte ich Schulhof während unserer gemeinsamen Fahrt nach Bitolja dar und riet ihm eindringlich, die preußisch-hochfahrende Art der Sprache und des Auftretens nicht gegenüber den Bulgaren anzuwenden  ; für meine Person würde ich mich den Bulgaren gegenüber in keiner Weise anders benehmen als Mackensen, Seeckt und den anderen deutschen Herren gegenüber. Schulhof ging offen auf meinen Rat ein  ; allein dem Preußen ist halt die Forschheit Natur geworden, und er wird trotz guter Vorsätze allzu leicht rückfällig. Bei unseren ersten Erkundigungen über die Detailgruppierung der 1. bulgar. Armee, die wir mit gleichem Ziel, aber getrennt unternahmen, erkannte ich bald, dass die Bulgaren mangels ausreichender Telefon- und Telegraphenausrüstung selbst nicht genau wussten, wo sich alle Teile ihrer 3. bulgar. Division befanden, die sich an ihrem Westflügel gegen Albanien hin betätigen sollte. Sofort bot ich dem Generalstabschef Obst. Azmanow an, ihm insofern dienlich zu sein, als ich die Verbindung zu unseren ö.-u.Truppen in Richtung auf Elbasan aufnehmen möchte und unterwegs alle mir begegnenden bulgarischen Verbände feststellen und ihm darüber genauen Rapport erstellen werde  ; es wäre nett von ihm, mir einen bulgarischen Offizier mitzugeben.318 Mit diesem Wunsch gelang es, von Haus aus allem Misstrauen zu begegnen. Schulhof hingegen hatte von Armeekommandant Gen. Boyadijiev319 genaue Orientierung gefordert und als dieser sie ihm nicht erschöpfend geben konnte, einen hochfahrenden Ton angeschlagen, der den General derart verletzte, dass er im Wege seiner bulgarischen Heeresleitung sofort die Ablösung Schulhofs durch einen anderen deutschen Offizier forderte, was mir Obst. Azmanov auch bald mitteilte. Vorerst blieben die Bulgaren uns Verbindungsoffizieren, also auch Hptm. Schulhof, gegenüber voll korrekter Höflichkeit. Der kleine Armeestab aß in einem kleinen, 318 Elbasan  : Hauptstadt des gleichnamigen Distrikts am Shkumbin-Fluss, Albanien. 319 Generalleutnant Kliment Boyadijiev, Kommandant der Bulgarischen 1. Armee 1915/16.

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beschlagnahmten Restaurant zu Mittag. An diesen Mittagstisch wurden wir beide geladen  ; ich bekam den Platz unmittelbar gegenüber Gen. Boyadijiev angewiesen  ; Schulhof wurde zwei Sitze weiter, ihm schräg gegenüber, gesetzt. Das Menü war wenig abwechslungsreich  : fast täglich Hammelbraten mit viel grünem Gemüse und dazu dickrahmige Büffelmilch, die sie „kiselo mljako“ nannten  ; Mehlspeise wurde nur selten gegeben, meist etwas Obst. Die Bulgaren sind im allgemeinen Antialkoholiker. Bei unserer ersten Anwesenheit gab es eine Flasche Wein, aus der mir der Armeekommandant persönlich ein Glas kredenzte. Als er mir zutrank, stand ich – entgegen unserer österreichischen Art – auf, um meinem deutschen Kollegen gegenüber nicht weniger höflich zu erscheinen, was Boyadijiev auch sehr artig aufnahm. Dann nickte er auch Schulhof zu, der sich ebenfalls erhob. Die Konversation wurde teils französisch, teils bulgarisch geführt. Rechts von mir saß der Chef der Operationsabteilung Obstlt. Gantscheff, der auch deutsch sprach.320 Links hatte ich den bulgarischen Ib, Mjr. Litscheff zum Tischnachbarn. Mir schräg gegenüber saß zu beiden Seiten des Armeekommandanten der Artilleriechef Obst. Kušev, der Deutsch gut verstand, und Obst. Azmanow. Alles waren höfliche, intelligente Menschen, so wie wir Österreicher sie als Kroaten oder Serben aus unserer eigenen Armee gut kannten und in ihrer Schlichtheit sehr schätzten. Die Konversation bewegte sich viel in den augenblicklich interessanten dienstlichen Fragen und in der immer wiederkehrenden Behauptung und mehr oder weniger starken Beweisführung, dass Makedonien bulgarischen und nicht serbischen Bevölkerungsstammes sei. Bei Tisch wurde auch meine geplante Verbindungstour ausgehandelt, die in vollem Umfang mitzumachen sich Schulhof entschlossen hatte. Azmanow teilte uns den einzigen Ordonnanzoffizier im Armeekommando, Oblt. Sawov, zu, ­einen sehr netten, vollkommen Deutsch sprechenden Offizier  ; sein Vater diente seinem König als Generaladjutant in dessen Hofstaat  ; seine Mutter war Wienerin. Nach eingehendem Kartenstudium organisierten wir unsere Expedition. Bis Kukus führte eine fahrbare Straße, weiter westwärts jedoch nur mehr ein Saumweg. Daher beschlossen wir, meine Tragtiere mit meinen bosnischen Tragtierführern zwei Tage vor unserem Aufbruch nach Kukus vorauszusenden und am 15. Februar mit den beiden Autos Schulhofs zu folgen. In diese verstauten wir Verpflegung und Hafer für die Tragtiere. Die schön gelegenen Orte Resna, Ohrida und Struga reizten zu späteren Besuchen.321 Sie waren alle von bulgarischen Kompanien besetzt. In Kukus trafen wir eine 320 Über Peter Gantschev (1874–1952) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 456, Anm. 556. Er war von 1915 bis 1918 bulg. Bevollmächtigter beim Großen Deutschen Hauptquartier. 321 Ohridsee, mazedonisch  : Ohridsko Jezero, See im Quellgebiet des Schwarzen Drin, Mazedonien.

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bulgarische Kompanie der 3. Division als deren westlichste Sicherung. Weiter nach Westen hatte sie nicht aufgeklärt und wollte auch nicht vorfühlen  ; sie wurde später von den Bulgaren nach Debra zurückgezogen. Kukus hatte früher eine türkische, dann eine serbische Garnison gehabt. Es war ein armseliges Bergdorf, in dem nur die türkischen Kasernenbauten auffielen. Diese bestanden aus einem festen Steinbau für die Kommandantur und ebenerdigen Mannschaftsunterkünften im Dreiecksprofil. Die bulgarischen Offiziere machten uns einen Schlafraum im Kommandogebäude frei, wofür wir sie aus unserem Lebensmittelvorrat bewirteten. Für unseren geplanten Fußmarsch nach Westen konnten uns die Bulgaren lediglich Warnungen vor den einheimischen Bewohnern Albaniens, den durchwegs bewaffneten Skipetaren, geben, die auf alles schossen, was sie sahen. Am folgenden Tag brachen wir früh zu Fuß auf, gefolgt von unseren Tragtieren, die wir mit den Vorräten beladen hatten. Karten konnten hier nur als grober Anhalt gelten  : Das albanische Land war nie vermessen worden  ; die Eintragungen waren aufgrund von Angaben einzeln reisender Forscher und unserer Konsuln gemacht worden. Der Skumbi-Fluss, dessen Lauf wir im Allgemeinen zu folgen hatten, durchbrach die bis 1800 Meter hohen, von Nord nach Süd streichenden Bergrücken in steilen Schluchten, die vielfach durch einen kaum wahrnehmbaren Fußweg umgangen wurden, dem wir zu folgen hatten. In dieser Höhe lag überall noch Schnee, der Marsch war beschwerlich. Neben den Pistolen hatten wir uns mit Karabinern bewaffnet. Ab und zu schwirrten Geschoße um unsere Köpfe, richteten jedoch keinen Schaden an. Wir selbst sahen keinen Anlass zum Waffengebrauch. Am Nachmittag erreichten wir die unbesetzte Passhöhe Babia, wo wir angesichts des früh zu erwartenden Dunkelheitseinbruches nächtigten. Einzelne Albaner kamen zu uns  ; ihre Sprache war uns völlig fremd, so dass eine Unterhaltung mit ihnen nicht zu führen war  ; für ein paar Zigaretten und etwas Zucker zeigten sie sich dankbar und verließen uns wieder. Der folgende Marschtag war leichter, weil es immer bergab ging. Am frühen Nachmittag trafen wir in Elbasan ein. Ein paar Stunden früher war von Norden her eine Kompanie des k. u. k. Landsturm-Inf. Rgt. 23 eingetroffen. Ihren Kommandanten, Hptm. Vrkljan322, kannte ich vom Frieden her. Mit ihm war auch der abenteuerliche Führer der albanischen Freischaren Ghiraldi gekommen, ein ehemaliger österreichischer Offizier des Inf. Rgt. 97 (Triest).323 322 Paul Vrkljan (Gospić, Krbava Lika, Kroatien 8.10.1878 – nach 1945, Wien) aus IKSch. Karlstadt/ Karlovac zum IR 81, Karriere als Truppenoffizier, 1.3.1914 Hptm., 1917/18 Kdt. k.u. Lw.IBaon. III/11. 323 Leopold Ghilardi (Karlstadt, heute Karlovac, Kroatien, 19.9.1881–14.8.1935, ermordet in Fieri, Albanien), 18.8.1902 als Jahrgangserster aus der IKSch. Karlstadt ausgemustert zum (dalmat.) IR 22 als Kadett-Offiziers-Stellvertreter, 1.11.1909 Olt., nach Ablegung der Charge 1914 in Albanien unter Prinz zu Wied, Fürst von Albanien, Ausbildner von dessen Truppen und befasst mit der Aufstellung

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Die Freude über die so rasch erlangte Verbindung war allgemein und groß. Wir konnten den österreichischen Herren jetzt genaue Angaben über die Bulgaren geben und ihnen Beruhigung bringen, dass von Osten her keine Feindgefahr drohe. Von österreichischer Seite erfuhren wir die ungeheuren Geländeschwierigkeiten für Truppenbewegungen und jeglichen Nachschub im straßenlosen Albanien. Zur Nächtigung empfahl uns Ghiraldi das Haus Schefket Beys324, der außer Landes gegangen sei  : Die albanischen Oberen wollten vermeiden, zwischen Österreichern, Serben, Bulgaren und den seit Mitte 1915 in Valona325 stehenden Italienern Partei zu nehmen. Ihre Familien hatten sie zur Sicherung ihres Besitzes in ihren Häusern gelassen, ein schönes Zeichen des Vertrauens in die humane österreichisch-ungarische Art der Kriegführung. Der französisch sprechende Verwalter Schefkets nahm uns sehr höflich auf und bat uns in den Garten. Bald darauf erschien er mit dem kleinen Töchterchen und zwei Kavassen, die Marmelade und Wasser als Willkomm servierten. Die muslimischen Sitten von Sarajevo her kennend fragte ich den Verwalter, ob Frau Schefket sich hinter den eng mit Holzleisten vergitterten Fenstern aufhielte. Als er das bejahte, forderte ich Schulhof und Sawov auf, uns entblößten Hauptes tief in Richtung dieser Fenster zu verneigen, was auch geschah. Dieser Gruß wurde durch die vom Verwalter bald überbrachte Kunde erwidert, wir mögen es uns im Prunkzimmer des Hauses gut sein lassen  ; auch für unsere Leute solle gesorgt werden. Wir ließen durch den Verwalter der Hausfrau unsere Namen melden, woran ich am folgenden Tag nach Rücksprache mit Vrkljan und Ghiraldi auch die Versicherung geben konnte, dass die ö.-u. Truppen der Familie Schutz gewähren würden. Den nächsten Tag nutzten wir, um unsere Berichte an unsere vorgesetzten Dienststellen zu schreiben und uns mit den ö.-u. Offizieren sowie dem Freischarführer Ghiraldi zu unterhalten. Wir erfuhren, dass das XIX. Korpskommando die 20. Gevon MG-Formationen  ; flüchtete im Herbst 1915 beim Einmarsch der Italiener zu den bulgarischen Banden, meldete sich sodann beim k. u. k. VIII. Korps (Gen. Scheuchenstuel) und wurde mit der Aufstellung von albanischen Aufgeboten beauftragt. Es gelang ihm in kurzer Zeit in Nordalbanien neun Bataillone zu je 500 Mann aufzustellen. Mit diesen war er wesentlich an der Eroberung von Durazzo beteiligt. Er kämpfte im Dienst Österreich-Ungarns bis zum Kriegsende 1918. Nach 1918 wurde Ghilardi alban. General und Generaladjutant des Königs Achmed Zhogu. Er starb als Opfer von Stammesfehden nach zahllosen überstandenen Attentatsversuchen. Siehe diesbezüglich die ausführliche Würdigung dieses Condottiere bei  : Georg Veith, Der Feldzug in Albanien, in  : Max Schwarte (Hg.) Der große Krieg 1914–1918, V. Band, Der österreichisch-ungarische Krieg, Leipzig 1922, S. 511–558. 324 Bey, Bei, Beg  : ehem. türkischer Titel, Rangstufe zwischen Efendi und Pascha. 325 Valona, heute Vlora, Albanien, Hafenstadt an der Gji i Vlorës (Bucht von Vlora), war 1914–1920 von Italien besetzt. Die Bucht von Vlora wird durch die Insel Sazani (Saseno) abgeschlossen, die von 1914 bis 1944 ein italienischer militärischer Stützpunkt gewesen ist.

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birgsbrigade an die Vojusa vorschieben wollte, jedoch im Land keinerlei Lebensmittel aufzutreiben seien, weshalb es lange dauern werde, bis die Absicht durch einen geordneten Nachschub umgesetzt werden könne. Ghiraldi erzählte, dass er mit seinen viel anspruchsloseren albanischen Freischaren an die Vojusa südwärts vordringen wolle  ; Österreich müsse seine Leute allerdings mit Goldmünzen bezahlen, denn diese dienten nur dem besseren Geldgeber  ; ob der Österreicher, Italiener oder Serbe sei, wäre den Albanern gleich. Hier bestanden also noch mittelalterliche Landsknecht-Verhältnisse. Schließlich bat ich Vrkljan dem XIX. Korpskommando, dessen Kommandant Gen. Trollmann mir von Sarajevo, dem ersten und dem kürzlichen Feldzug gegen Serbien gut bekannt war, zu melden, dass ich nun in Bitolja (Monastir) sein werde und die Bulgaren zu jeder Hilfe bringen wolle, die von unseren Truppen in Albanien benötigt würde  ; momentan seien aber auch bei den Bulgaren die Nachschubverhältnisse sehr schwierig. Zu unserer Überraschung ließ Frau Schefket Bey uns am folgenden Tag, unserem letzten in Elbasan, ein komplettes türkisches Mittagessen servieren. Es gab eine süße Suppe, gebratenen Hammel mit stark gesüßtem Kompott und eine Honigspeise. Wir ließen durch den Verwalter schön danken und kauften für ihr Kind in der Elbasaner Csarzija ein paar einfache Spielsachen, wofür die Kleine noch einmal zur Verabschiedung gebracht wurde. Am nächsten Morgen nahmen wir im Garten vor den dicht vergitterten Haremsfenstern Aufstellung und machten gegen diese die übliche tiefe Verbeugung. Der Rückmarsch erfolgte in zwei Tagen ohne bedeutsame Ereignisse bis Kukus. Am dritten Tage hofften wir mit den Autos bis Bitolja zu gelangen. Aber es war Tauwetter eingetreten, das die schwache Schotterstraße weich machte. Kurz an der Grenze zu Makedonien brachen wir bis zu den Achsen in den Straßenkörper ein, und solange das Tauwetter anhielt, war jedes Bemühen, die Autos freizubekommen, vergeblich. Wir nächtigten in den Wagen. Um Mitternacht begann es glücklicherweise zu frieren, und gegen Morgen bekamen wir die Autos frei. Mittags kamen wir wieder in Bitolja an. Dort berichtete ich Obst. Azmanov alles, was wir über seine Truppen in Erfahrung gebracht hatten, und auch über die Lage und weiteren Absichten des ö.-u. Korps in Albanien. Einige Tage später kam von deutscher Seite die Nachricht, dass Hptm. Schulhof durch einen Mjr. v. Hinckeldey ersetzt würde. Schulhof war ein tüchtiger Generalstabsoffizier, mit dem ich mich gut gesprochen hatte, sodass mir seine Abberufung leid tat. Doch mit Mjr. v. Hinckeldey war der richtige Mann für den Umgang mit den Bulgaren gekommen. Zwar war er schon 1910 wegen Übernahme seines Familienbesitzes aus dem aktiven Generalstabsdienst ausgeschieden und hatte jenen bis in den Krieg hinein bewirtschaftet  ; ein gütiger, bescheidener und liebenswürdiger Mann, gar nicht

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preußisch, und von Posen her konnte er polnisch, was ihn bald befähigte, sich mit den Bulgaren ohne Dolmetsch zu verständigen. Mir gegenüber war er stets zuvorkommend und kameradschaftlich, sodass ich ihm bis heute eine liebe Erinnerung bewahre. Die Verhältnisse in Bitolja waren im Frühjahr recht abwechslungsreich. Die Bulgaren wollten die Entente-Truppen in Griechenland angreifen und ganz vom Balkan vertreiben, weil sie nicht zu Unrecht die Auffassung vertraten, dass ihre tapfere Bauernarmee im Angriff tüchtig sei, aber einen Stellungskrieg nicht begreifen werde. Wenn es keinen Kampf gibt, drängt der Bulgare heim, um als tüchtiger Bauer seinen Boden zu bearbeiten. Allerdings wussten die Bulgaren nicht, was es hieß, mit den technisch und artilleristisch reich ausgestatteten französischen und englischen Divisionen zu kämpfen. Von der Heeresgruppe Mackensen her wusste ich, dass auch unser Chef des Generalstabes, FM Conrad, die Entente-Truppen ganz vom Balkan vertreiben wollte, die deutsche Oberste Heeresleitung sich jedoch mit dem halben Erfolg zufrieden gab. Wie mir GM v. Seeckt gelegentlich meiner Nachmittagsreferate erklärt hatte, hatte dies mehrere Gründe  : Erstens war Falkenhayn am Balkanfeldzug nur interessiert gewesen, damit die Donau für Munitionstransporte in die Türkei frei würde, und das war geschehen  ; zweitens hätte man die Entente-Truppen in Griechenland angreifen müssen und dadurch dieses uns gegenüber vorläufig noch neutrale Land auf die Seite der Entente getrieben  ; dafür war man in Deutschland bereit, sich mit der von den Entente-Truppen völlig missachteten griechischen Scheinneutralität abzufinden  ; überdies war die griechische Königin eine Schwester Kaiser Wilhelms II.,326 was allerdings nicht verhindern konnte, dass Griechenland uns den Krieg erklärte, sobald Venizelos Ministerpräsident geworden war  ; ein letzter Grund lag schließlich in der Überlegung, dass der bulgarische Bundesgenosse sich auf keinem ihn nicht unmittelbar betreffenden Kriegsschauplatz verwenden ließ und man ihn deshalb mit der Bedrohung Makedoniens durch die Entente-Truppen im Bündnisverhältnis erhalten und beschäftigen wollte. 326 Sofie Prinzessin von Preußen (1870–1932), die jüngste Schwester Wilhelms II., war mit dem König Konstantin I. von Griechenland vermählt. Die Landung von Entente-Truppen bei Saloniki war gegen den Willen König Konstantins I., aber mit Billigung des Ministerpräsidenten Elephterios Venizelos, erfolgt, der darauf zurücktreten musste. Nach dem Kriegseintritt Bulgariens am 14.10.1915 erklärte Griechenland seine strikte Neutralität. Dies blieb auch so, nachdem die bulgarischen Streitkräfte sich am Kampf gegen Rumänien beteiligten und zu diesem Zweck einen Vorstoß nach Mazedonien unternommen hatten, der ein ganzes griechisches königstreues Armeekorps vom griechischen Territorium abschnitt. Im Lande Griechenland spitze sich die Lage insofern zu, als königstreue Neutralisten gegen Anhänger der Entente standen. Am 12. Juni 1917 schließlich zwang das Oberkommando der Orientarmee der Entente sowohl König Konstantin I. als auch den Thronfolger, seinen ältesten Sohn Georg, zum Thronverzicht. Der zweitälteste Sohn Alexander wurde Nachfolger.

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Der eigentliche Grund für die folgende monatelange militärische Untätigkeit lag in den dauernden Nachschubschwierigkeiten, die auch nach vollkommener Wiederherstellung der eingleisigen Eisenbahn Belgrad – Skoplje – Gradsko nicht behoben waren. Eine ausreichende Munitionierung, namentlich schwerer Artillerie, wie sie ein Angriffsunternehmen gegen die – einschließlich der retablierten serbischen Armee – fast 20 Divisionen zählende Entente-Armee unter Sarrail erfordert hätte, wäre nicht möglich gewesen. Auch unsere ö.-u. Truppen in Albanien waren wegen der dort noch viel ungünstigeren Nachschubverhältnisse operativ unbeweglich geworden. Unter diesen Umständen konnte die Aufgabe der bulgarischen Armeen an der griechischen Grenze lediglich in der gründlichen Vorbereitung von Gelände und Truppen für eine nachhaltige Verteidigung bestehen, um die Entente-Streitkräfte, im Fall diese zum Angriff schreiten sollten, verlässlich abwehren zu können. Um sich den hiefür notwendigen Einfluss auf die bulgarischen Armeen zu wahren, hatte die deutsche Heeresleitung das OK Mackensen in Mazedonien belassen  ; dieses verlegte seinen Standort Ende Februar 1916 nach Skoplje, der Stadt am Vardar, die einen Kommunikationsknoten ersten Ranges bildete. Hochinteressiert beobachtete ich, wie die Deutschen es verstanden, sich unter geringstem Einsatz eigener Truppen und Kampfmittel den beherrschenden Einfluss zu wahren  : Mackensens Heeresgruppe bestand aus der 1. bulgarischen und der 11. deutschen Armee. Diese deutsche 11. Armee hatte jedoch nur eine deutsche Division  ; sonst bestand sie aus bulgarischen Truppen. Um sich aber auch den Einfluss auf die 1. bulgar. Armee zu sichern, wurden dieser einige schwere deutsche Batterien, eine Feldflieger-Abteilung und eine Funk(Radio)-Station sowie einige deutsche Offiziere als Instruktoren für Ausbildung und Stellungsbau beigegeben. Für die Monate Februar und März wurde überdies, hauptsächlich zur Beispielgebung, ein deutscher BrigadeGeneral (Busse) und ein ostpreußisches Infanterie-Regiment zugeteilt, die im April wieder abgezogen wurden, ich glaube in die Knochenmühle von Verdun. Das Infanterie-Regiment exerzierte sehr viel und leistete Vorzügliches im Stellungs­ bau. Auch die Gefechtsausbildung wurde vom Regiment mit einem im Vergleich zu uns Österreichern enormen Aufwand an scharfer Munition für alle Waffen betrieben. Und mein Kommiss-Herz lachte in ehrlicher Freude, wenn das Regiment ebenso korrekt und stramm, wie man sich allerbeste Gardetruppen vorstellt, mit klingendem Spiel durch Bitolja marschierte. Ich war mindestens an drei Tagen der Woche bei diesem Regiment und habe dort für mein späteres Leben sehr viel gelernt. In Österreich-Ungarn hatte es nicht nur immer an materiellen Mitteln, besonders an Munition und Spezialwaffen und – ausgenommen in Bosnien-Herzegowina – auch an geeigneten Truppen-Übungsplätzen gefehlt (der grandiose Artillerieschießplatz in Hajmáskér war eine herzerfrischende Ausnahme gewesen). Vielmehr war auch der von

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mir für die Truppenausbildung und -disziplinierung unentbehrlich gehaltene Drill zugunsten einer rein verstandesmäßigen Gefechtsausbildung zurückgestellt worden. Während die Deutschen jede Gelegenheit nützten, um die jeweils aus der vordersten Front gezogenen Truppen sofort wieder schärfstens zu disziplinieren und auszubilden, wurde unseren aus der Front gezogenen Truppen im Allgemeinen mehr Ruhe und Erholung gewährt. Der ganze preußische militärische Stil war härter und fordernder, was dazu beitrug, dass die deutschen Truppen weniger oft versagten als unsere gemischtsprachigen. Auf die Bulgaren machte dieses vorbildlich gehaltene deutsche Infanterie-Regiment allerdings weniger Eindruck. Sie waren von Natur aus bequemer veranlagt, und besonders der Ausbau von Verteidigungsstellungen fand bei ihnen keine Gegenliebe. Die in Bitoja diensttuenden deutschen Herren richteten sich ein Kasino ein. Hinckeldey und ich aßen mittags beim bulgarischen Armeekommando und abends im deutschen Kasino, wo eine Reihe hochgebildeter Reserveoffiziere beisammen war, mit denen mich bald reger dienstlicher und geselliger Verkehr verband. Ich wurde von ihnen oft zu Schulungen und Offiziersausbildungstagen eingeladen und nahm immer lernbegierig Anteil. Über ihre Bitte hielt ich auch viele Vorträge über österreichischungarische Verhältnisse und die Kämpfe an der italienischen Front. Zum prächtigen Pionierobersten Schickert und dem Fliegerkommandanten Hptm. Leon konnte ich ein besonders herzliches Verhältnis aufbauen. Hier flog ich auch zum ersten Mal. Bei den Bulgaren war ich bestrebt, das Verständnis für die Notwendigkeit des Ausbaues von Verteidigungsstellungen im Armeekommando wie bei Truppenbesuchen zu fördern und dieserart dem deutschen Pionierobersten zu helfen, was ja auch in unserem ö.-u. Interesse lag. Aber es war schwierig, bei ihnen eine aktive Mitarbeit zu erreichen. Die Eroberung ganz Mazedoniens hatte ihr Selbstbewusstsein sehr gehoben, und ihr Bemühen lag jetzt mehr auf politischem Gebiet, die Bevölkerung ganz für ihre großbulgarische Idee zu gewinnen. Gen. Boyadijiev lud mich häufig ein, ihn bei seinen Besuchen makedonischer Familien zu begleiten. Seitdem ich ihm die Insignien des kaiserlich-österreichischen Kronenordens I. Klasse, die ihm Kaiser Franz Joseph verliehen hatte, überreichen durfte, stand ich bei ihm in Gnade  ; der naive Sinn dieser Menschen hatte viel für äußeren Schein übrig  : Boyadijiev trug gern alle Teile des Kronenordens gleichzeitig. Seine Besuche führten uns durch den ganzen Armeebereich, nach Prilep, Ohrida, Resna, Struga und viele kleine Orte. Wir bewegten uns teils im Auto, teils zu Pferd. Beim Reiten hatten die Bulgaren ganz die pferdeschinderischen Gewohnheiten der Türken  ; während wir auf harten Straßen grundsätzlich trabten und die Pferde nur auf weichem Boden galoppieren ließen, machten es die Bulgaren umgekehrt  : Auf der zwar hindernisfreien, jedoch harten Straße ritten sie schärfsten Galopp, um im Gelände den unangenehm empfundenen Gräben und Hecken im Trab und Schritt möglichst auszuweichen.

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Im März wies mir das ö.-u. AOK einen eigenen Kraftwagen zu, in dem die bulgarischen Herren oft mitfuhren. Alle Bulgaren waren andauernd bestrebt, von ihren industriell hoch entwickelten Bundesgenossen möglichst viel Gerät geschenkt zu bekommen. Von den Deutschen bekamen sie jene komplette Entlausungsanstalt. Ich konnte dem Sanitätschef eine komplette Operationssaal-Einrichtung mit allen Instrumenten überreichen. Das nahmen sie alles ohne besonderen Dank selbstverständlich entgegen und forderten mehr, ohne zu bedenken, dass die Mittelmächte im dritten Kriegsjahr schon selbst viel Mangel litten. Besonders Kraftwagen verlangten sie für ihren Nachschub  ; dieser spielte sich bei ihnen ausschließlich mit einfachen Fuhrwerken ab, die von schwarzen Büffeln gezogen wurden  ; für die zu bewältigenden Entfernungen waren das natürlich nur ungenügende, langsame Verkehrsmittel. Mit der Beistellung von Lastautos waren sogar die Deutschen zurückhaltend wegen der Benzin- und Reifenknappheit. Operativ-taktische Erwägungen für eintretende Möglichkeiten in der Verteidigung oder im Angriff lehnten die Bulgaren grundsätzlich als „graue Theorie“ ab. Sie waren der Meinung, dass doch alles anders kommen werde und man dann aus dem Handgelenk schon das Richtige treffen werde. Spielereien wie das Tauschen von Kappen bei Photoaufnahmen, Jagen und Fischen lagen ihnen näher als ernste Generalstabsarbeit. Und das Fischen geschah primitiv  : Der Ohrida-See barg herrlich schmeckende Lachsforellen von der Größe unserer Hechte oder Schollen. Diese Forellen sollen in Friedenszeiten über Saloniki bis Paris als besondere Leckerbissen exportiert worden sein. Um den eigenen Tisch mit diesen Fischen reichlich decken zu können, richteten sie in Struga, am nördlichen Abfluss des Sees, eine einfache Fischfalle ein, indem sie in einer Hütte zwei den schwachen schmalen Abfluss schließende Schieber aus Holz einbauten. Diese Schieber lagen etwa 10 m voneinander. Dort saßen sie gern und schlossen zuerst den vom See entferntesten Schieber, sodass sich die wanderlustigen Forellen an dem Schieber stießen  ; waren genug Forellen in den Kanal hinein geschwommen, so schlossen sie auch den seewärtigen Schieber und konnten mühelos mit einem Netz 10–12 Fische herausziehen. Dieses Spiel konnten sie stundenlang treiben. Dann aßen sie die Fische selbst oder verkauften sie teuer an hungrige Bewohner. Einmal hatte mich Mjr. Litschev in meinem Quartier besucht und sich besonders für meine Reinigungsutensilien interessiert. Am Mittagstisch erzählte er dann, dass es bei mir aussehe wie bei einer Kokotte  : Ich hätte eine zusammenklappbare Gummiwanne und eine Zahnbürste  ! Das rief allgemeine Heiterkeit hervor. Es schien den Braven nicht glaubhaft, als ich ihnen erklärte, dass wir uns schon in der Militärschule die Zähne täglich morgens und abends bürsten mussten. Allerdings hatte Litschev ein beneidenswert schönes und festes Gebiss, wie ein Raubtier. Dann  : Als ich einmal den Namen eines Generalstabsoffiziers der bulgarischen 3. Division nannte, war ihnen

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dieser unbekannt. Wie der früher geheißen habe  ? Früher  ? Da entsann sich Obst. Azmanov und nannte einen mir unbekannten Namen, worauf ein allgemeines „Ach so, der ist das“ geäußert wurde. Auf mein Befremden sagte mir Azmanov beiläufig, dass in Bulgarien die Familiennamen öfter gewechselt würden. Da fiel mir des Obersten Laxa in Sofia gemachte Bemerkung ein „dass jeder Bulgare ein schlechtes Gewissen habe“. Anscheinend geschah der Namenswechsel als Folge irgendeiner begangenen Unkorrektheit, womit diese als von einem anderen begangen erscheinen sollte. Eine andere erwähnenswerte Eigentümlichkeit der Bulgaren lernte ich am 27. Februar, dem Geburtstag ihres Königs, kennen. Der sollte, wie das überall üblich war, mit einem Gottesdienst und einer anschließenden Parade begangen werden. Als Beginnzeitpunkt wurde 8h verlautbart. Wir Österreicher waren durch die minutiöse Pünktlichkeit Seiner Majestät des Kaisers gewohnt, alle Zeitangaben genau einzuhalten. So hatte ich mich für halb 8 fertiggemacht, um zeitgerecht auf dem Paradeplatz zu sein. Da begegnete mir Mjr. Litschev von der Operationsabteilung mit der erstaunten Frage, warum ich schon so früh auf sei. Als ich gleichfalls erstaunt erwiderte, die Parade sei doch für 8h angesagt, machte er eine Bewegung mit dem Arm  : Da sei noch lange Zeit. Trotzdem begab ich mich auf den Paradeplatz, wo Truppen und Geistlichkeit bereitstanden  ; nur der Armeekommandant fehlte. Er erschien erst nach 9h, und offenbar wunderte sich außer den Deutschen und mir niemand darüber. Was ich für einen groben Unhöflichkeitsakt Gen. Boyadijievs hielt, wurde mir später folgendermaßen erklärt  : Dieses alle Versammelten stundenlang warten Lassen sei vom König als ein der orientalischen Mentalität gemäßes Mittel zur Hebung des Ansehens des jeweilig Höchsten eingeführt worden  ; der König selbst lasse seine Bulgaren meist bis zu drei Stunden warten, der Kronprinz bis zu zwei. Ob das wirklich gut und richtig war  ? Tatsächlich zeigte die Coburgische Dynastie für ihr Volk eine eigentümliche Geringschätzung. Als der zu mir und den deutschen Offizieren von ausgesuchter Zuvorkommenheit erfüllte Kronprinz Boris nach Bitolja zu Besuch kam, wurde ich bei Tisch neben ihn gesetzt.327 Als er mich zum Fleisch die obligate saure Milch nehmen sah, fragte er mich halblaut in deutscher Sprache  : „Was, Sie können das Zeug essen  ? Das schmeckt doch wie Speie  !“ Als ich ihn aufmerksam machte, dass der nahe sitzende Artilleriechef gut deutsch verstünde, zuckte der Kronprinz gleichgültig die Achseln, als ob er sagen wollte, dass es ihm einerlei sei, was seine Bulgaren von ihm dächten. Dabei war der Kronprinz hochgebildet und wie sein Vater fast ein Gelehrter, besonders auf dem Gebiet der Botanik. Bei den stundenlangen gemeinsamen Ritten, die er zu den Fronttruppen unternahm, um sie zu sehen und zum Stellungsbau anzufeuern, war ich fast immer an seiner Seite und staunte über sein rei327 Zar Boris III. v. Bulgarien (Sofia, 30.4.1894–28.8.1943, Sofia), Sohn Ferdinands I, seit 3.10.1918 Zar.

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ches Wissen und seine natürliche kameradschaftliche Art, mit der er sich Hinckeldey und mir gegenüber gab, die aber den Bulgaren gegenüber sofort in eine mir hochmütig erscheinende Herablassung umschlug. Ich vermied es, den Kronprinzen mein Erstaunen darüber merken zu lassen, und war auch den bulgarischen Offizieren gegenüber sehr zurückhaltend, wenn die Sprache auf ihren König oder Kronprinzen kam. Eine aufrichtige Freude erlebte ich, als Ende April GFM v. Mackensen die Bulgarische Armee inspizieren kam  : Er zeichnete mich durch längere Befragungen und Erkundigungen aus. Bei der gemeinsamen Tafel der bulgarischen und deutschen Offiziere trank er mir „als dem Vertreter unseres treuen österreichischen Bundesgenossen“ gesondert zu. Ich gewann damals den Eindruck, dass er den seinerzeit in Niš geschehenen Fauxpas gutmachen wollte. Anfang Mai erhielt ich neuerlich die „Belobende Anerkennung“ Seiner Majestät des Kaisers für die „vorzügliche Dienstleistung vor dem Feinde“. Der Kaiser hatte sie am 2. April 1916 ausgesprochen– das war die silberne Verdienstmedaille. Zum vierten Mal seit 1912 hatte der Kaiser mich ausgezeichnet, zuletzt wohl für meine Dienstleistung im Stab Mackensen. Anreger wird Obst. v. Lustig-Prean gewesen sein, dem ich brieflich dankte. Mitte oder Ende Mai suchte mich ein von seiner nächst Saloniki in Retablierung befindlichen Armee desertierter serbischer Offizier auf und bat um Internierung in Österreich. Ich befragte ihn eingehend über die Verhältnisse beim Feind, was ungefähr folgendes Bild ergab  : Sarrails Armee sei wegen des U-Boot-Krieges auch nicht so versorgt, wie die Serben es gehofft hatten. Zu einer großen Offensive solle die SarrailArmee erst im Spätsommer gerüstet sein, für welchen Zeitpunkt auch der Kriegseintritt Rumäniens gegen Österreich-Ungarn erwartet wird. Die serbische Armee in einer Gesamtstärke von etwa 100.000 Mann werde am linken Flügel Sarrails über Florina – Bitolja – Prilep angesetzt werden. Das Ergebnis meiner Einvernahme reichte ich sofort an alle interessierten Stellen weiter. Den serbischen Offizier, der mir noch Einzelheiten über die geteilte Stimmung des serbischen Heeres erzählte, sandte ich mit bulgarischer Zustimmung an das Heeresgruppenkommando Mackensen mit der Bitte um seine Weitersendung an das Evidenzbüro in Wien. Das geschah auch. Wien 1916 Kurz darauf bekam ich ein Telegramm meines Bruders Heinrich  : Unser guter Vater sei am 9. Juni gestorben und seine Beerdigung werde am 12. Juni erfolgen. Es gab nicht viel zu überlegen  ; die Fahrt nach Wien dauerte zwei Tage. Ich bat telegraphisch beim AOK in Teschen um Urlaub, durchging die Entlausungsanstalt und fuhr mit dem Auto nach Gradsko, von wo kurz vor Mitternacht ein Reisezug nach Belgrad abging.

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Am 11. Juni abends war ich in Wien. Um Heinrich gleich aufzusuchen war es zu spät  ; so stieg ich im Hotel Elisabeth in der Weihburggasse ab. Am nächsten Morgen war mein erster Weg zu meinem Schneider Szonda in der Wollzeile, bei dem eine meiner Friedensuniformen in ständiger Aufbewahrung war. Als ich diese Uniform anzog, erschrak ich  : Ich war stark abgemagert, ganz dunkel, fast wie ein Ägypter gebräunt und trug deutlich die Spuren aller in Albanien und Makedonien stehenden Männer. Ein Sprung ins Ministerium am Stubenring, um mir einen Generalstabshut mit lichtgrünem Federbusch und eine gelbe Feldbinde beim Evidenzbüro auszuborgen  ; dann sogleich weiter in die Hießgasse in Erdberg zu Heinrich. Mein Vater war schon im verschlossenen Sarg aufgebahrt. Die Hitze hatte das erfordert. Die Einsegnung erfolgte kurz nach Mittag bei St. Rochus und dann ging’s in langer Fahrt auf den Zentralfriedhof. Bei seiner Grablegung erstand das Leben des guten Vaters vor meinen Augen. Es war ein gesegnetes gewesen  : 86 Jahre ohne größere Beschwerden, beide Söhne in angesehenen Stellungen, die Kriegslast der letzten Jahre dank der Fürsorge meines Bruders kaum verspürt. Der Vater wurde neben seiner ihm vor dreizehn Jahren vorangegangenen Frau gebettet, begleitet von militärischen Ehren. Wie viel junges Leben hatte hingegen der grausame Krieg schon verschlungen  ! In stiller Trauer, doch dankerfüllten Herzens für alle empfangenen Wohltaten wandten mein Bruder und ich uns zur Heimkehr. Die drei Meyer-Cousinen Lotte, Else und Ada waren anwesend. Lotte lebte mit ihrem im Kriegsministerium angestellten Mann in Wien. Else war von Leutschau, Ada von Budapest gekommen. Da Heinrichs Wohnung von der Aufbahrung her etwas durcheinander war, schlug Lotte vor, in ihrer Wohnung zusammenzukommen. Ich sagte für den nächsten Tag abends zu unter der Bedingung, dass ich den abendlichen Imbiss und die Getränke für alle besorgen werde. Nachdem ich noch kurz in Heinrichs Wohnung gewesen war, wollte ich den Abend allein für mich verbringen. Im Hotel bekam man noch ganz gut zu essen, aber nur gegen horrende Kosten, denn alles wurde im blühenden Schleichhandel beschafft. Mit Mühe hatte mir Szonda eine seit Monaten bestellte feldgraue Reithose und eine ebensolche Bluse machen können  ; die Stoffe waren gehamsterte Ware, und ich hatte viel dafür zu zahlen, aber mein Feldkleid war schon ganz verschlissen. Nach dem Nachtmahl wanderte ich durch die abendliche Stadt  : Nur jede dritte oder vierte Laterne brannte wegen Gassparmaßnahmen, schlecht gekleidete Menschen in Zivil und Uniform, allgemein gedrückte Stimmung, nichts, was meine Trauer hätte lindern können. Ich hatte keine Bekannten mehr in Wien  ; meine sechsjährige Abwesenheit hatte alle Bande gelöst. Sollte ich die seinerzeit angeschwärmten Mädeln besuchen  ? Fast alle wusste ich verheiratet. Sollte ich mir gar den Jammer über gefallene Gatten und Brüder und alle hoffnungslose

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Kriegsnot anhören  ? Ohnehin ging in Wien bereits das böse Wort um, die Truppe bekommt die Orden „für tapferes Verhalten vor dem Feinde“, der Generalstab „für tapferes Fernhalten vom Feinde“. Ich beschloss, schleunigst wieder auf meinen Dienstposten zurückzukehren, und ging ins Hotel schlafen. Am folgenden Tag bestellte ich im Delikatessengeschäft Tomassoni, das in der Wollzeile neben der Berndorfer-Metallwaren-Niederlassung war, den ­Abendimbiss für rund 10 Personen. Auch da konnte man zu normalen Preisen fast nichts, zu Schleichpreisen aber noch recht viel bekommen. Und weil die Rechnung ein paar Hun­dert Kronen ausmachte, wurde sogar alles mit Eis in Lottes Wohnung geliefert, die am Ende der Landstraßer Hauptstraße, in einem der dort neu gebauten Häuser lag. Dann begab ich mich ins Kriegsministerium, in dessen wienflussseitigem Teil die verödeten Generalstabsbüros lagen. In jedem Büro amtierte nur ein Generalstabsoffizier mit einem rekonvaleszenten Truppenoffizier. Operations- und Etappenbüro waren ganz geschlossen  ; alle Herren im Feld. So suchte ich im Evidenzbüro meinen Kriegsschulkameraden Zobernig328 auf und stellte zunächst fest, dass der von mir gesendete serbische Offizier noch weitere brauchbare Angaben gemacht hatte. Wir besprachen die mehr als unerfreuliche Kriegslage  : Bei Verdun bluteten die Franzosen wohl sehr, aber die Deutschen noch mehr, und zwar ohne Erfolge  ; Conrads Versuch, die Italiener von Südtirol aus niederzuschlagen, war nach schönen Anfangserfolgen stecken geblieben, weil Dankl und Krauss es anders gemacht hätten, als Conrad ­wollte.329 Deshalb seien große Personalveränderungen zu erwarten  ; die Italiener hätten bei Görz Erfolge

328 Über den Generalstabsoffizier Titular-GM Alois Zobernig (1879–1944) siehe die Daten bei GlaiseBroucek, S. 189, Anm. 174. Er war ab 20.11.1918 Verbindungsoffizier bei der ital. Waffenstillstandskommission, später Leiter des Büros des Beauftragten der Regierung beim interalliierten HeeresÜberwachungsausschuss, 1.1.1920 Obstlt., 8.7.1921 (Titular-Oberst), 1.11.1922 pensioniert, später Titular-GM 329 Im Frühjahr 1916 begann die ö.-u. Offensive an der Südtiroler Ostfront unter dem Oberbefehl des Heeresgruppenkommandanten Erzherzog Eugen. Sein Chef des Generalstabes war Alfred Krauss. Insgesamt wurden zwischen Rovereto und Val Sugana 15 Divisionen mit etwa 1.000 Geschützen bereitgestellt, welche die 3. Armee (GO v. Kövess) und die 11. Armee (GO Dankl) bildeten. Erstes Angriffsziel der 3. Armee (links) war Asiago, das der 11. Armee (rechts) Arsiero. Ein Durchbruch in die venezianische Ebene sollte die italienische Armee am Isonzo abschneiden. Die Offensive begann am 15. Mai 1916 am linken Flügel der 3. Armee im Tal der oberen Brenta (Val Sugana) und im ganzen Abschnitt der 11. Armee. Der übrige Teil der 3. Armee setzte am 19. Mai mit den Angriffsoperationen ein. Bis Ende Mai wurden 15 bis 25 km Raum gewonnen, Arsiero und Asiago erobert, doch verhinderten rasch herangebrachte starke italienische Reserven den Durchbruch in die Ebene. Am 17.Juni 1916 wurde der Befehl zur Einstellung der Offensive gegeben. Nicht in erster Linie der Beginn der Brussilow-Offensive, sondern die italienischen Gegenmaßnahmen und eine veraltete ö.-u. Artillerietaktik sowie die Schwierigkeiten der zerklüfteten Hochebene der Sette Comuni hatten den Misserfolg herbeigeführt.

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errungen, ebenso die Russen unter Brussilow in Wolhynien  ;330 unsere nichtdeutschen Truppen begännen unverlässlich zu werden  ; die Rumänen erwarte man täglich als neuen Feind. Die Aussicht auf einen Friedensschluss wäre gleich null. Kaiser Wilhelm befände sich willenlos in den Händen Falkenhayns, dessen Position jedoch stark erschüttert sei. Das Vertrauen zu Conrad sei ebenfalls stark erschüttert  ; er habe die Reininghaus geheiratet, was man ihm übel nähme.331 Die Gesamtlage erscheine düster und aussichtslos. An Hindenburg und Ludendorff klammere sich die letzte Hoffnung.332 Ich kam auf meine mich nicht befriedigende Einteilung bei den Bulgaren zu sprechen und sagte, dass ich neuerlich um Truppendienstleistung bitten wolle. Davon riet mir Zobernig entschieden ab. Der Chef sei verärgert über das vielfache Drängen der Generalstabsoffiziere zur Truppe und erblicke darin ein egoistisches Denken an die eigene Nachkriegs-Karriere. Seine wiederholt geäußerte Meinung sei, dass jeder Generalstabsoffizier dort die Verantwortung zu tragen habe, wohin er gestellt würde. Die täppischen Anfeindungen des Generalstabes habe man zu tragen. Es war Mittag geworden, und ich holte Heinrich zum Mittagessen in meinem Hotel ab. Mein lieber Bruder war militärisch sehr interessiert und bedauerte ständig, wegen seines lahmen rechten Beins nicht Kriegsdienste leisten zu können. Auch von ihm erhielt ich ein düsteres Bild der Zustände in der Monarchie  : Während die Tschechen und Ungarn noch gut versorgt seien, brächte der egoistische Länderpartikularismus in Österreich selbst eine Lebensmittelnot, und der Mangel an Kohle und damit die Angst vor dem nächsten Winter seien so bedrückend, dass allgemein das Ende des Krieges herbeigesehnt werde, gleichgültig mit welchen territorialen Verlusten der Monarchie. Ich selbst konnte nichts zur Aufbesserung der Stimmung beitragen. Insbeson330 Am 4. Juni 1916 begann die große „Brussilow-Offensive“ zur Entlastung Italiens. Teile der ö.-u. 7. Armee wurde bis in die Karpaten zurückgedrängt  ; Verluste der ö.-u. Armee im Juni  : 134.000 Mann. 331 Über Virginie Gräfin Conrad v. Hötzendorf, geborene Agujari, geschiedene v. Reininghaus, adoptierte Karasz (1879–1961) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 279, Anm. 18 332 Am 29. August 1916 wurde GFM Paul v. Hindenburg Chef des Generalstabes des Feldheeres und GdI. Erich Ludendorff sein Generalquartiermeister in der [3.] DOHL. General Ludendorff nahm 1923 am Münchener Hitlerputsch teil. Später überwarf er sich mit Hitler und soll ein wütendes Telegramm an Hindenburg gerichtet haben  : „Sie haben durch die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler unser heiliges deutsches Vaterland dem größten Demagogen aller Zeiten ausgeliefert. Ich prophezeie Ihnen feierlich, daß dieser unselige Mann unser Reich in den Abgrund stürzen und unsere Nation in unfaßbares Elend bringen wird.“ (Siehe  : Marcel Stein, Österreichs Generale im Deutschen Heer 1938–1945, S. 11, Anm. 51. Die neueste Biografie Ludendorffs ist  : Franz Uhle-Wettler, Erich Ludendorff in seiner Zeit. Soldat – Stratege – Revolutionär. Eine Neubewertung, Berg 1995, Siehe auch  : Paul Sethe, Erich Ludendorff, in  : Wolfgang Venohr (Hg.), Große Deutsche. Zwölf Lebensbilder, München 1978, S. 175–194.

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dere gab es keinen Lebertran, nicht einmal im Schleichhandel. Sein Kind litt stark an der englischen Krankheit, und man konnte nicht helfen  ! Annis Füße seien vom Arzt gebrochen und gerade geschient worden  ; bei seiner Frau Vilma sei Psoriasis ausgebrochen, die ihre Leistungsfähigkeit im Haushalt stark herabsetze  ; also neben den großen politischen und dienstlichen Sorgen auch noch Krankheit in der Familie. Die Geldanweisungen von mir reichten gerade zur Not, um das tägliche Brot beschaffen zu können. Ich versprach, noch sparsamer zu sein und meinen monatlichen Beitrag zu erhöhen. Am Nachmittag stellte ich mich im Evidenzbüro bei Mjr. Novák333, unserem neuen Militärattaché für Sofia, vor und orientierte ihn über die Verhältnisse auf dem Balkan. Ich konnte ihn darüber beruhigen, dass die Bulgaren zurzeit noch mehr an eine Offensive gegen Saloniki dächten als an ein Verlassen des Bündnisses. Der Abend im Haus der Cousine Lotte brachte den Austausch der Familiennachrichten. Die Eltern der drei Cousinen waren verstorben, Else administrierte das Haus in Leutschau. Else und Ada dachten viel an eine Wiederverehelichung, aber Männer waren Mangelware geworden. Lottes Mann war zufrieden mit seiner Verwendung im Kriegsministerium  ; es waren zwei nette Kinder da, ein Bub und ein Mädchen. Ada hatte ihren kleinen Sohn Lórand bei Freunden in Budapest gelassen und dachte daran, ihn in einer Militärerziehungsanstalt unterzubringen  ; ihr Mann war vor zwei Jahren gestorben. Heinrichs Frau war still und bescheiden. Die Kinder spielten zufrieden  ; für jedes hatte ich ein Spielzeug besorgt. Alle Fragen, wie ich die Kriegslage beurteile, beantwortete ich positiv – es hätte keinen Sinn gehabt, sich pessimistisch zu äußern, und Panikeure gab es mehr als genug. Am folgenden Tage machte ich noch einen Dankbesuch bei Heinrichs. Die Armen hatten es mit der Fürsorge um den alten Vater in seinen letzten Wochen nicht leicht gehabt. Er war dem Totenschein nach an einer Lungenentzündung gestorben  ; aber schon Wochen vorher hatte der Marasmus eingesetzt, indem ein Organ nach dem anderen zu versagen begann.334 Er war die letzten Wochen schon bettlägerig geworden. Die Sterbesakramente empfing er nicht mehr bei voller Geisteskraft. Heinrich und Vilma hatten viel durchgemacht, und man sah ihnen dies auch an. Uneingestanden war der Tod des Vaters eine große Erleichterung ihrer künftigen Lebensführung. Viel zu erben gab es nicht. Ich überließ alles mit Vollmacht meinem Bruder. Zuletzt fuhr ich noch einmal auf den Friedhof ans frische Grab. 333 Johann Novák (Kremsier, Mähren, 18.2.1881–18.2.1917, Sofia), 18.8.1901 ausgemustert aus der Pionier-Kadettenschule, später Frequentant der Kriegsschule, 1.5.1909 Mjr.i.G, ab 1.11.1913 Truppendienst beim IR 24, 1.11.1914 Obst.i.G, 9.1.1915 Kdt. IR 31, 30.4.1916 Militärattaché in Sofia. 334 Marasmus  : griechisch-lateinisch  : Entkräftung, Kräfteverfall, als Marasmus senilis auch Altersschwäche.

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Am Abend reiste ich zurück nach Bitolja. Unterwegs machte ich in Skopje Station, um mich über die nächsten Pläne und Aufgaben der Heeresgruppe zu orientieren. Dort erfuhr ich, dass in Bulgarien eine Dritte Bulgarische Armee mit 2 Divisionen gegen Rumänien bereitgestellt werde. GM v. Seeckt empfing mich sehr zuvorkommend und forderte mich auf, weiterhin auf die Bulgaren für einen guten Ausbau der Stellungen im Cerna-Bogen und eine intensive Schulung der Truppen für die Abwehr zu wirken  ; er wisse, wie sehr ich das bisher schon getan hatte  ; beim Abschied drückte er mir sehr herzlich die Hand mit der Meinung, dass wir uns auf diesem Kriegsschauplatz kaum mehr begegnen dürften. Tatsächlich wurde er kurz darauf nach Galizien als Generalstabschef für unseren Thronfolger Erzh. Karl berufen. Vom ö.-u. Etappenkommando war nur mehr ein der Truppe entstammender Mjr. Räcke mit dem Intendanten Scheyer bei Mackensen für die Versorgung der wenigen ö.-u. Batterien und Trains geblieben. Scheyer besuchte mich 1961 in Wien als brasilianischer Kaufmann und Millionär. Mackensen zog mich der bedeutend kleiner gewordenen Tafelrunde bei. Nachher bestellte ich telefonisch mein Auto für den folgenden Tag nach Gradsko. Train-Rittmeister Meisinger übergab mir einen ziemlich hohen Geldbetrag für den Verkauf meines Pferdes Ada an einen Dragoner-Reserveoffizier. Ich selbst übernahm dafür einen ungerittenen Fuchsen aus dem Pferdedepot gegen 650 Kronen Zahlung. Den verbleibenden ansehnlichen Betrag überwies ich je zur Hälfte an Heinrich und auf mein Konto bei der Bosnischen Landesbank. In Bitolja, wohin ich am nächsten Tag weiterreiste, hatte ich genügend Zeit, den neuen Fuchsen zuzureiten. In Skoplje hatte ich beim Heeresgruppenkommando erfahren, dass die bulgarische Heeresleitung bemüht sei, den von den Serben begonnenen Eisenbahnbau von Skoplje westwärts nach Kalkandelen335 und weiter nach Gostivar fortzuführen. Dieser Umstand erweckte mein großes Interesse, weil sich nach Fertigstellung des Bahnbaus, fortsetzend über Kičevo-Struga und den Ohrida-See, eine Versorgungslinie für die ö.u. 20. Gebirgsbrigade nächst Pogradec am Südende des Ohrida-Sees öffnen könnte. Die Festhaltung des Raumes um Pogradec und die Beherrschung des ganzen Sees war als Flankensicherung für die 1. bulgar. Armee ebenso wichtig wie für unser XIX. Korps in Albanien. Dieses letztere vermochte aber über Albanien die 20. Gebirgsbrigade bei Pogradec nicht zu versorgen. Mein ganzes Denken und Handeln konzentrierte sich nun auf die Schaffung einer Nachschublinie für die 20. Gebirgsbrigade mit Basierung auf Skoplje. 335 Kalkandelen, türkisch, heute Tetovo, Mazedonien, Stadt westl. v. Skopje, Hauptort der fruchtbaren Polog-Ebene. Am Fuße der Sar-planina  ; Gostivar, Mazedonien, heute kleine Industriestadt am Rand der Polog-Ebene, südwestlich v. Skopje am oberen Vardar.

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Beim bulgarischen AK wusste man natürlich noch nichts vom Bahnbau ihrer Heeresleitung und ich musste erst in langen Unterredungen mit Obst. Azmanow und seinem Stab diese Herren auf die Bedeutung der neuen, in meinem Kopf entstandenen Nachschublinie auch für ihre Armee hinweisen. Ich selbst fuhr in nächster Zeit wiederholt die Strecke Struga–Kičevo–Gostivar– Kalkandelen ab, um sie zu studieren. Die Verbindung war zum Teil eine gute praktikable Straße, zwischen Kičevo und Struga, jedoch nicht fertig gebaut. Aber der nach Überwindung der Passhöhe südlich Kičevo führende Weg war gut befahrbar. Ich errechnete, dass bei Einsatz von 15 pferdebespannten Etappen-Trainzügen zwischen Gostivar und Struga, nach Abzug der Verpflegs- und Futterportionen für die Etappentrains, eine Tagesration für die 20. Gebirgsbrigade herangeschafft werden könnte. Es wären allerdings rund 10 Arbeiterabteilungen für die Verbesserung und Erhaltung der Straße nötig. Zur Sicherung dieser so entstehenden Nachschublinie genügte eine berittene Eskadron. Bei Ohrida fand ich einen schwerfälligen Kahn, auf dem die Bewohner Bausteine und Fische unendlich langsam mit menschlicher Ruderkraft fortbewegten. Wenn genügend solcher schwerer Kähne, von denen jeder schätzungsweise 2 Tonnen Ladefähigkeit hatte, vorhanden wären, so ließe sich der Bedarf der 20. Gebirgsbrigade von Struga über den 40 km langen See nach Pogradec schaffen. Ich wusste, dass knapp vor Kriegsausbruch Außenbordmotoren am Attersee und Wörthersee gefahren wurden.336 Diese müssten sich auch auf den schwerfälligen makedonischen Booten montieren lassen, was den Transport beschleunigen könnte. Es gelang mir, den bulgarischen Armeestab zu überzeugen, dass diese Boote sowohl am Ohrida- wie am Prespa-See einer feindlichen Angriffsbewegung sehr dienlich sein könnten, daher rechtzeitig auf die Nordufer beider Seen gebracht werden müssten.337 Diesmal arbeiteten die Bulgaren prompt  ; dabei wurde auch die Zahl der Boote festgestellt, die für den von mir gedachten Zweck voll ausreichend war. Bei meinen Erkundungsfahrten nach Gostivar und Kalkandelen konnte ich zu meiner großen Befriedigung feststellen, dass die Bulgaren mit dem Bau der Schmalspurbahn gute Fortschritte machten. Ich erörterte mit dem den Bau leitenden bulgarischen General die Nutzbarmachung seines Bauwerkes für die Nachschubzwecke der 20. Gebirgsbrigade. Das hiefür notwendige Transportquantum konnte er leicht an uns abtreten, erbat jedoch als Gegenleistung österreichisches Schienenmaterial zur späteren Fortführung des Bahnbaues nach Kičevo und Struga. Er schätzte die Fertigstellung 336 Attersee, auch Kammersee genannt, größter See des Salzkammerguts in OÖ, zugleich größter Alpensee Österreichs  ; Wörthersee  : größter See Kärntens. 337 Prespa-See, mazedon. Prespansko Jezero, liegt südwestlich von Bitola.

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seines Baues bis Gostivar auf Jahresende. Bis ich so nach und nach alle Unterlagen beisammen hatte, war es Sommermitte geworden. Mein Gesundheitszustand hatte sich mit der Sommerhitze bedenklich gestaltet, denn ich bekam wie tausend andere Menschen einen schmerzhaften Darmkatarrh, der häufige Entleerungen erforderte. Ich suchte zunächst unseren Dermatologen Prof. Arzt auf, der feststellte, dass ich gottlob nicht Malaria hatte, mir aber die Schmerzen mit seinen Mitteln nur wenig lindern konnte. So fuhr ich nach Skoplje zum deutschen Professor Fülleborn, der mir nach genauester Untersuchung ein ziemlich großes Fläschchen Usora mit der Mahnung gab, ich möge damit außerordentlich sparsam umgehen, weil es keinen Nachschub gebe. Das tat ich auch und fand mit diesem wohltuenden Medikament bis in den Spätherbst das Auslangen. Trotzdem waren die Autofahrten, namentlich auf der zu einem Kraterfeld gewordenen Straße zwischen Gradsko und Bitolja, schmerzvolle Kraftleistungen. Aus dieser Zeit stammt mein Widerwille gegen Autos. Nach jeder solchen, den ganzen Körper schwer durchschüttelnden Fahrt fühlte ich mich elend und bedurfte meiner ganzen Energie, um mich dienstfähig zu erhalten. Anfang August war das Heeresgruppenkommando Mackensen nach Ostbulgarien abgegangen, wo es in der Folge die uns den Krieg erklärenden Rumänen zuerst in der Dobrudscha und dann in der Walachei vernichtend schlug.338 Den Befehl an der Balkansüdfront hatte dafür die bulgarische Heeresleitung mit dem intelligenten Chef des bulgarischen Generalstabes Zhekov übernommen.339 Diese beschloss, dem erwarteten Angriff der Sarrail-Armee durch eine eigene Offensive zuvorzukommen. Der 1. bulgar. Armee wurde der Angriffsweg über FlorinaEkšisu, Südrand des Ostrovosees340 nach Saloniki gewiesen. Der Angriff begann am 17. August und gelangte rasch bis an den Ostrovosee, kam aber dort in schwerem feindlichen Artilleriefeuer zum Stehen. Am 18. August war Kaiser Franz Josephs Geburtstag, zu dem ich im Auftrag von Gen. Boyadijiev ein Huldigungstelegramm an die Militärkanzlei in Wien richtete, das prompt mit allen guten Wünschen für den Angriff der Bulgaren beantwortet wurde. 338 Bei der Kriegserklärung Rumäniens am 27.8.1916 marschierten drei Armeen in Siebenbürgen ein. An der Donau stellte Rumänien eine weitere Armee auf, der die bulgarische 3. Armee verstärkt durch deutsche und türkische Einheiten gegenüberstand. Die Bulgaren eröffneten sofort die Offensive in der Dobrudscha und schlugen die Rumänen am 1. September bei Dobric. Am 5. September 1916 eroberten die Bulgaren die rumänische Donaufestung Tutrakan. 339 Nikola Zhekov, geb. 25.12.1864, ab 1912 im 1. Balkankrieg Chef des Glstb. der 2. bulgar. Armee, Herbst 1915 Kriegsminister, Okt. 1915–Okt. 1918 OB des bulgar. Heeres, Rücktritt, da er gegen die bulgar. Waffenstillstandsbitte war. 340 Ostrovo-See, knapp südlich der Grenze zum heutigen, seit 1991 unabhängigen Mazedonien im griechischen Teil der gleichnamigen Region, am Fuß des Kerecka-Plateaus.

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Gen. Boyadijiev war ein tapferer Mann, der seine Armee aus dem Auto heraus und hoch zu Ross selbst führte. Als Mitglied seines Stabes erlaubte ich mir, ihn auf die Notwendigkeit einer starken Reserve an seinem Südflügel hinzuweisen, weil wir dort mit einem Gegenangriff der serbischen Armee rechnen mussten, so wie es mir der desertierte serbische Offizier im Mai anvertraut hatte. Boyadijiev behielt auch eine Brigade der 3. Division anfangs zurück und gab der 3. Kavalleriebrigade den Befehl zur Aufklärung und Sicherung seiner Südflanke. Kronprinz Boris kam die Armee besuchen. Der durch das Stocken des Angriffes nervlich irritierte Obst. Azmanov bat mich, den Kronprinzen in Bitoja zu erwarten. Der Kronprinz traf am späten Nachmittag ein. Nach der Begrüßung gab ich ihm ein Bild der Lage. Da er einen eleganten hellen Wagen fuhr, lud ich ihn ein, in meinem feldgrau gestrichenen Auto Platz zunehmen  ; dann fuhren wir die so oft befahrene Straße über Florina südwärts nach Ekšisu, wo der Kronprinz die 3. Kavalleriebrigade besuchen wollte. Es begann zu dämmern  ; im Zwielicht erkannte ich plötzlich serbische Soldaten vor uns. Ich rief meinem Fahrer, einem tüchtigen, älteren sudetendeutschen Mechaniker, zu  : „Von der Straße weg und wenden  !“ Es gelang rechtzeitig. Die serbische Patrouille, die anscheinend zwischen den bulgarischen Sicherungen durchgeschlüpft war, scheint auch verblüfft gewesen zu sein, denn sie schoss nicht einmal. Aufatmend brachte ich den Kronprinzen nach Vrbeni zum Armeekommando und riet ihm, den Besuch bei der Kavalleriebrigade auf den folgenden Morgen zu verschieben. Die Stimmung im Armeekommando war gedrückt. Die sieggewohnte 1. bulgar. Armee kam trotz Einsatzes der in Reserve gehaltenen Brigade nicht vorwärts, und von der Kavalleriebrigade kam die Nachricht, dass stärkere feindliche Kräfte ihre Sicherungen zurückzudrücken begännen. Wie der Kronprinz erzählte, war es auch bei der deutschen 11. Armee und bei der bulgarischen 2. Armee zu keinen durchschlagenden Erfolgen gekommen. Die Entente-Armee war den Bulgaren an Zahl der Divisionen, aber ganz besonders an Artillerie überlegen. Die bulgarischen Verluste begannen groß zu werden. Vom Standpunkt der Armeekommandos konnten wir am folgenden Tag das französische, auf reiche Munitionsvorräte gegründete Schießverfahren wiederholt beobachten  : Flieger entdeckten die gut postierten bulgar. Batterien. Mit je vier Schüssen kurz, vier Schüssen weit schossen sich die Franzosen auf die Batterie ein und dann folgte die „raffale“, das heißt, die Batterie wurde mit 400 bis 500 Geschoßen zugedeckt und fast vernichtet. Die einzige deutsche Feldfliegerabteilung 69 war im Einsatz bravourös  ; sie schoss täglich 2–3 Franzosen ab, aber zahlenmäßig war sie hoffnungslos unterlegen. Der Kronprinz nahm mich beiseite und fragte mich nach meiner Beurteilung der Lage. Zunächst stellte ich die Gegenfrage, ob und welche Verstärkungen in Aussicht stünden  ; als der Kronprinz mit dem Hinweis auf den Kriegseintritt der Rumänen

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antwortete  : „Gar keine  !“, führte ich kurz und bestimmt aus, dass ich es für richtig hielte, die Armee in die ausgebauten Stellungen nördlich von Florina und im CernaBogen zurückzunehmen, statt sie in ihrer jetzigen Lage völlig zerschlagen zu lassen. Ich hatte vorher bei der 20. Gebirgsbrigade angefragt, aber als Antwort erhalten, dass das Maximum ihrer Leistung ein Festhalten von Pogradec wäre. Der Kronprinz nickte mir zu und sagte, er sei derselben Meinung und hätte das schon gestern dem General Zhekov gesagt. Kurz darauf kam auch von der bulgarischen Heeresleitung ein solcher Befehl. Interessant war mir, die Wirkung des Wortes „Rückzug“ auf die bulgarischen Offiziere zu sehen. Diese bärenstarken, immer lustig und froh gestimmten Männer verloren die Nerven. Dabei gab es keine Ursache, den Kopf hängen zu lassen. Man hätte in der ursprünglichen Angriffsposition manches überlegter und besser machen können  ; aber die zahlenmäßige und materielle Überlegenheit der Entente wäre immer bestehen geblieben. Bei Tageslicht besuchten wir die beiden Divisionskommandanten, wobei es erfreulich war, Gen. Mitoff, den Kommandanten der 8. Division, ungebeugt, frisch und zuversichtlich zu finden  ; er fand den Rückzug in die ausgebaute Stellung richtig und führte die Bewegungen in der folgenden Nacht auch geschickt durch. Die 3. Kavalleriebrigade hatte nur geringe Verluste gehabt. Ihr wurde, nach dem Rückschwenken der Infanteriedivisionen, der Abmarsch in die Landenge zwischen dem Ohrida- und Prespasee befohlen. Die Loslösung vom Feind erfolgte leicht. Gefangen eingebrachte Serben klagten über den geringen Kampfeifer der Entente-Soldaten, welche die schweren Kampfaufgaben gern den Serben überließen. Später begleitete ich den Kronprinzen zurück nach Bitolja, von wo er in seinem Wagen nach Skoplje zum bulgarischen OK fuhr. Da es mir jetzt, da man mit Angriffen der Entente-Armee rechnen musste, besonders wichtig schien, zur Deckung des Flügels der Bulgarischen Armee die ö.-u. 20. Gebirgsbrigade am Südufer des Ohrida-Sees nächst Pogradec möglichst stark zu machen, meldete ich ans AOK in Teschen die Ergebnisse meiner Erkundungen für die Möglichkeit der Schaffung einer von Albanien unabhängigen, auf Skoplje basierenden Nachschublinie für die 20. Gebirgsbrigade, wie sie sich nach Beendigung des bulgarischen Bahnbaues über Kalkandelen nach Gostivar ergeben könnte. Die Nachschublage in Albanien muss verzweiflungsvoll gewesen sein, denn es kam auf meinen Antrag postwendend der Auftrag, die neue Nachschublinie sogleich einzurichten. Es wurden auch sofort zehn Etappentrainzüge, einige Arbeiterabteilungen und für den Ohrida-See ein Marinedetachement mit 20 Außenbootmotoren zugewiesen. Gleichzeitig bekam ich den Befehl, bei dem in Skoplje amtierenden deutschen Oberquartiermeister bis zur Fertigstellung des bulgarischen Bahnbaues deutsche Lastautos zur Bewältigung des Transportquantums bis Gostivar zu erbitten.

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Während die 1. bulgar. Armee sich in den vor zehn Tagen verlassenen ausgebauten Stellungen wieder einrichtete, musste ich für ein paar Tage nach Skoplje, um mit Mjr. Raecke von der ö.-u. Neben-Etappenstelle alles für die neue Nachschublinie Notwendige durchzusprechen. Sowohl Raecke als auch sein Intendant Scheyer waren sehr tüchtig und energisch, sodass ich mich auf die prompte Durchführung meiner Anordnungen verlassen konnte. Auch der deutsche Oberquartiermeister Obstlt. Dove war sehr entgegenkommend und stellte gern 10 deutsche Lastautos zur Verfügung. Ich muss hier Dove betreffend gleich beifügen, dass er bis zum beendeten bulgarischen Bahnbau seinem Wort trotz allergrößter Schwierigkeiten treu blieb. Denn mit Einsetzen der Herbstregen im Oktober begann die Straße bald so schlecht zu werden, dass die aus Gummimangel nur auf Eisenreifen fahrenden Lastautos große Einbußen durch Achsbrüche und andere Schäden erlitten. Die deutschen Kraftfahroffiziere bestürmten Dove, diese Transporte einzustellen. Er blieb jedoch bei seinem gegebenen Versprechen. Dafür half ich dem bulgarischen Eisenbahnbau mit Einsatz ö.-u. Arbeiterabteilungen und Schienenanforderungen in Teschen. So gelang es, die Bahn bis Gostivar schon Mitte November fertigzubringen. Dadurch vermochte sich die 20. Gebirgsbrigade in Pogradec so zu verstärken, dass eine serbische Umgehung des bulgarischen Westflügels zuverlässig verhindert werden konnte. Das war operativ von großer Bedeutung, denn ab Mitte September begann die Sarrail-Armee ihren Entlastungsangriff zugunsten der von Mackensen, Falkenhayn und Arz bedrängten Rumänen.341 Das Schwergewicht dieses Angriffes traf die 1. bulgar. Armee unter Gen. Boyadijiev, gegen welche die retablierte und durch Entente-Artillerie unterstützte serbische Armee in der Richtung auf Bitolja vorzudringen bemüht war. Gegen Ende September begann sich zu zeigen, dass die durch die mächtige französische Artillerie in ihren Gräben gefassten Bulgaren nicht genug Widerstandskraft aufbrachten. Serbische Einbrüche da und dort brachten wohl noch nicht die ganze Front zum Einsturz, aber man musste Vorbereitungen für die Zurücknahme der Armee in die zweite noch südlich Bitolja gelegene Stellung treffen. Dem Ruf nach Unterstützung und Sendung viel schwerer Artillerie konnten die Obersten Heeresleitungen nur zum geringsten Teil entsprechen, weil an allen Fronten schwer gegen die allseitigen Angriffe der Entente gekämpft wurde. GFM Hindenburg war mit Gdl. Ludendorff an die Spitze des deutschen Heeres und zur Obersten Kriegsleitung berufen worden und ersetzte das bulgarische Kom341 Am 27.8.1916 trat Rumänien in den Krieg ein. In Siebenbürgen stand zunächst nur die k. u. k. 1. Armee unter GdI. Arz v. Straußenburg, bis 19. September, bis zum Gegenangriff kam noch die 9. dt. Armee unter GdI. v. Falkenhayn (samt dem dt. Alpenkorps) dazu. Sowohl in der Dobrudscha standen die Bulgaren den Rumänen gegenüber als auch vom 12.9. bis 11.12. in der sogenannten Herbstschlacht in Mazedonien der Orientarmee. Ab 14.10.1916 begann die russische Entlastungsoffensive für Rumänien.

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mando in Mazedonien durch ein neues deutsches Heeresgruppenkommando. Von bulgarischer Seite wurden General Boyadijiev und Obst. Azmanow durch neue Männer abgelöst. Das bisher in der Mitte der Front gewesene deutsche 11. AK übernahm den Befehl über den rechten Flügel. Das ö.-u. AOK hob meinen Posten bei der 1. bulgar. Armee auf und bestellte mich zum Verbindungsoffizier beim OK v. Below.342 Dieses kam am 10. Oktober von Ostpreußen nach Skoplje. Mjr. Raecke machte für mich im ö.-u. Konsulat Quartier. Als ich mich beim neuen Oberbefehlshaber GdI. Otto v. Below und dessen Generalstabschef Glt. v. Böckmann vorstellte, wurde ich von beiden Herren sehr freundlich aufgenommen. Obstlt. Dove, der nun Oberquartiermeister bei diesem hohen Kommando wurde, muss über mich und meine Mithilfe für die deutschen Herren bei der 1. bulgar. Armee berichtet haben, denn ich bekam von Haus aus im OK eine Position, die weit über die Stellung eines Verbindungsoffiziers hinausreichte. Glt. v. Böckmann meinte, ich sei ja der einzige, der die Bulgaren und die Verhältnisse an der bedrohten Front der Bulgarischen Armee gründlich kenne  ; er bäte mich deshalb, bei seinem täglichen Vortrag beim Oberbefehlshaber gegenwärtig zu sein. Das war für mich eine unerwartete, höchstes Vertrauen bekundende Auszeichnung, die ich mit der Versicherung annahm, dass ich mein ganzes Wissen rückhaltlos für die gemeinsame Sache einsetzen werde. Die folgenden fünfeinhalb Monate waren für mich so befriedigend, dass ich den Stab, der mich allseitig nicht nur in guter Kameradschaft, sondern immer mit besonderer Wertung behandelte, etwas eingehender schildern möchte. GdI. v. Below wurde, wie ich aus seinem Stab hörte, von Hindenburg als der beste deutsche General bezeichnet. Er war von kurzer, sehr bestimmter Ausdrucksweise und rasch entschieden in seinen Entschlüssen. Allem äußeren Schein abhold, hatte er sich auch nie photographieren lassen. Seine Erscheinung war mittelgroß mit kahlem Kopf. Er war sehr belesen und griff nach jedem neu erschienenen Buch. Er speiste für sich, getrennt von der großen Tafel des Kommandos, mit Glt. v. Böckmann und seinen persönlichen Adjutanten und Ordonnanzoffizieren, die alle dem Reserveverhältnis entstammten und betagte Herren vornehmsten Wesens waren, ohne große Namen zu führen. In diesen kleinen Kreis wurde ich wiederholt zum Abendtisch geladen. Gespeist wurde sehr einfach, an einem runden Tisch  ; in der Mitte des Tisches war eine hölzerne drehbare Pyramide mit Backwerk und getrockneten Früchten aufgebaut. Man blieb auch nach dem Essen am runden Tisch bei einem Glas Wein sitzen und naschte 342 Über Otto v. Below (1857–1944) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 438, Anm. 490. Below war seit 1917 GdI. und kommandierte 1917/18 die 14. Armee.

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von der drehbaren Pyramide. Das Gespräch war stets ungezwungen  ; zumeist wurde über ein Buch gesprochen, das Below gerade las. Mit der Zeit begann er sich immer mehr für meine persönlichen Verhältnisse zu interessieren  ; ich musste von meinem Elternhaus, Bildungsgang, Dienstverwendungen erzählen, wobei er sich die ö.-u. Verhältnisse genau und wiederholt erklären ließ. Sein Ton wurde mit der Zeit immer herzlicher und wärmer. Er erkundigte sich jedes Mal, wie ich mich im Kommando fühle, an wen ich mich näher anschließe und riet mir sogar, den GenStabsHptm. Baron Guttenberg zum Freund zu wählen, weil das „der richtige Edelmann“ sei. Umgekehrt wuchs auch meine Hochachtung vor dem General immer mehr zu einer Verehrung, die ich echt und tief im Herzen empfand. Böckmann war ruhig, klug, und passte sich ganz der starken Persönlichkeit Belows an. Von großer Bescheidenheit lehnte er jede persönliche Hervorhebung– wie sie z. B. Seeckt geliebt hatte – ab und war stets korrekt höflich. Mich behandelte er besonders zuvorkommend. In diesen Rahmen schlichter Vornehmheit fügten sich der Ia, Mjr. Becker, der „Afrikaner“ genannt, weil er lang bei der deutschen Schutztruppe in Ostafrika gedient hatte, und die Generalstabshauptleute Baron Guttenberg und Bötticher. Der Letztere war ein Rheinländer, sehr lebhaft und amüsant als Gesellschafter. Beide verfügten sie über großes Wissen und generalstabsfachliche Tüchtigkeit. In der Operationsabteilung spielte der Feldjäger, nämlich Feldpolizei-Hptm. Kähne, ein humorvoller Urberliner, eine Rolle für den Feindnachrichtendienst. Er hatte mich so ins Herz geschlossen, dass er mir zum Abschied seine kleine rote Werkzeugtasche schenkte, die ich bis heute bewahre. Obstlt. Dove passte ganz in diesen geschlossenen Rahmen. Die Stellung der Generalstabsoffiziere fand auch in diesem, nicht gerade kleinen Stab ihre Geltung, vermied aber jedes Auftrumpfen, wie es im Stab Mackensen unter Gen. v. Seeckt üblich gewesen war. Zum „Vortrag“ fuhr der Oberbefehlshaber täglich Punkt 17h mit Auto bei der Operationsabteilung vor, was eine wohlklingende Fanfarenhupe ankündigte. Ich hatte mich stets eine halbe Stunde früher in der Operationsabteilung eingefunden und alles, was ich im Lauf des Tages vom XIX. Korps in Albanien und ab und zu auch von unserem AOK aus Teschen erfahren hatte, Böckmann in Gegenwart aller Generalstabsoffiziere vorgetragen. GdI. v. Below erschien mit umgürtetem Säbel stets in Begleitung seines persönlichen Adjutanten, des betagten Obstlt. v. Hatten, einem ostpreußischen Grundbesitzer. Eine stramm korrekte Verbeugung von uns allen begrüßte den Oberbefehlshaber, und Böckmann begann sofort mit dem operativen Vortrag anhand der Lagekarte, deren Führung Hptm. Guttenberg oblag, den ich gern auf einzelne Ergänzungen aufmerksam machte, wie wir Österreicher sie übten. Es folgten der Vortrag des Artilleriechefs, des Oberquartiermeisters und des Stabsoffiziers der Luftstreitkräfte. Zuletzt meldete ich die Lage unseres XIX. Korps. Korps in Albanien und besonders

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der 20. Gebirgsbrigade bei Pogradec, die als Flankenschutz für die 11. Armee von hoher Bedeutung war. Dann traf v. Below kurz und klar seine Entscheidungen. Wenn im Augenblick keine sichere Entscheidung getroffen werden konnte, sagte Below entweder, er werde sich das im Gelände ansehen, wozu er mich meist einlud, oder er gab allen Generalstabsoffizieren die Beurteilung der zu erwartenden Lage unabhängig voneinander in Form einer Taktikaufgabe auf, die ihm in sein Logis abzugeben war. Jede dieser Arbeiten sah er genau durch, beurteilte sie und befahl die ihm genehme Lösung, meist unverändert, zur Durchführung. Regelmäßig hieß es in solchen Fällen  : „Ich darf auch Sie, Herr von Jansa, um ihre Mitarbeit bitten  !“ Nachher begaben wir uns in das einfach und gut geführte Offizierskasino, wo sich die Herren zwanglos wechselnd zu kleinen Gruppen zusammenfanden. Der steife Komment, wie er im Kasino Mackensens üblich war, fand hier ein viel lockereres, menschlich ansprechenderes Gegenstück. Die Kasinositzungen dauerten nicht lange, weil wir nachher unsere Taktikaufgaben für den Oberbefehlshaber ausarbeiten mussten. Oft hatte ich noch wegen der Nachschublinie für die 20. Gebirgsbrigade mit der Etappen-Nebenstelle zu verhandeln. Außerdem wurde der ganze örtliche Sicherungsdienst durch ein ungarisches Etappenbataillon versehen, dessen Offiziere mich hin und wieder auf ungarische Spezialitäten einluden. Mit dem kühleren Herbstwetter, das allmählich in den Winter überging, hatte sich mein Gesundheitszustand wesentlich gebessert, und zwar so, dass ich mich ganz geheilt glaubte. Das war aber noch lange nicht der Fall, wie der nächste Sommer und in den folgenden Jahren die heiße Zeit es immer wieder bewiesen. Wegen der sichtlichen Notwendigkeit enger Zusammenarbeit zwischen der Heeresgruppe Below und unserem XIX. Korps in Albanien beantragte ich bei beiden Stellen den Bau einer direkten Telefonverbindung zwischen Skoplje und Skutari. Der Antrag fand beiderseitige Billigung mit folgender Durchführung, die sich bei den späteren schweren Kämpfen als äußerst nutzbringend erwies. Im Spätherbst hatte die Entente-Armee die 11. Deutsch-Bulgarische Armee so schwer bedrängt, dass diese ihre südlich Bitolja gelegenen Stellungen nicht mehr zu halten vermochte. Below befahl die Rücknahme in die Linie Nordende des Prespasees, den Höhenrand knapp nördlich Bitolja bis auf den rund 2.500 m hohen Kaj­ makčalan343, bei welchem die 1. bulgar. Armee nach Zurücknahme ihres rechten Flügels den Anschluss herstellte. Unabhängig von der deutschen Beurteilung erschien mir die Enge zwischen dem Ohrida- und dem Prespa-See immer bedeutsamer. Dort stand nur die 3. bulgar. Kaval343 Kajmakčalan auch Voras, höchste Erhebung des Nidže-Gebirges, sw. v. Edessa, Griechenland.

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leriebrigade, was mir zu wenig schien. Deshalb fuhr ich, ohne vorher etwas über meine Absicht verlauten zu lassen, nach Pogradec zur 20. Gebirgsbrigade und erörterte mit Obstbgdr. Hoffmann344 und dessen Generalstabshauptmann Glasner die Möglichkeit der Abgabe von ein bis zwei österreichischen Bataillonen mit einer Gebirgshaubitzenbatterie in die Enge zwischen den beiden großen Seen.345 Hoffmann war erfreut, mich kennenzulernen, weil ich durch die Schaffung der Nachschublinie über KičevoOhrida-See viel zur Existenzmöglichkeit seiner Truppe beigetragen hatte  ; ihm erschien auch aus diesem Grund die Behauptung der Seen-Enge von großer Bedeutung und er sagte zu, unsere Erörterung seinem Korpskommando positiv zu melden. Am 21. November kam die ja schon lange erwartete, doch bei ihrem Eintritt mich erschütternde Nachricht vom Tod Seiner Majestät des Kaisers und Königs Franz Joseph. Ich veranlasste für die ö.-u. Offiziere und Truppen ein Requiem in der kleinen katholischen Kirche, bei dem ich die Monarchie repräsentierte. Auf meine Einladung hin nahmen GdI. v. Below und ein großer Teil seines Stabes an dem Gottesdienst teil. Below sprach mir nachher in kurzen Worten sein Beileid dahingehend aus, dass nicht nur wir Österreicher unseren Kaiser, sondern auch Deutschland seinen ritterlichen Freund und unwandelbar treuen Bundesgenossen verloren habe. Sein Gebet habe sich dahin gerichtet, dass Kaiser Karl Deutschland ebenso zuverlässig gewogen sein möge. Um die Weihnachtszeit trat an der Kampffront verhältnismäßig Ruhe ein. Es waren die dritten Kriegsweihnachten, ohne dass ein Ende des Krieges abzusehen gewesen wäre. Den Treueeid auf den neuen Monarchen sandte ich dem AOK schriftlich. Die Weihnachtsfeier im Stab war schlicht  ; von GdI. v. Below erhielt ich einen kleinen silbernen Likörbecher und in der Kasinotombola gewann ich einen Hirschfänger. Es muss etwa Mitte Januar gewesen sein, als GdI. v. Below seinen Generalstabsoffizieren und mir eine neue operative Aufgabe stellte  : Er wollte untersucht haben, wo der zu erwartende Frühjahrsangriff der Streitkräfte Sarrails mit Schwergewicht geführt werden dürfte. Meine Aufgabenlösung sprach sich entschieden für die Richtung über Bitolja-Prilep, begleitet von einem Durchstoßversuch der Enge zwischen Ohrida- und Prespa-See mit Zielrichtung über Kičevo-Gostivar nach Skoplje aus. Wie mir Glt. v. 344 Alfons Edler v. Hoffmann (Trient, Tirol, heute Trento, Italien, 11.2.1864–29.2.1929, Triest, heute Trieste, Italien), Absolvent der Theres. Milakad, sodann Karriere als Infanterieoffizier, 1.5.1912 Obstlt. im IR 97, 1.11.1914 Obst. u. ernannt zum Rgtskdt., dann Brigadier, Aug. 1916–Juli 1917 Kdt. 20. Geb. Brig, 1.11.1918 GM 1.1.919 pensioniert. 345 Johann Glasner (Cilli, Stmk., heute Celje, Slowenien, 29.11.1889–14.6.1939, Wien), 1.8.1914 zugeteilt Glstb. und Dienst in 2. GebBrig., ab 10.5.1916 20. GebBrig., 1.8.1916 Hptm., Über nahme ins Bundesheer, Dienst u.a. 1924/25 beim 3. BrigKdo., 15.1.1929 Obstlt., 17.8.1932 Obst., 1.10.1936 Vorstand des Präsidialbüros d. BMfLv., 1.1.1938 GM, 14.3.1938 übernommen in die Dt. Wm., beauftragt mit der Führung des Abwicklungsstabes des BMfLv., des späteren sogenannten „Archivstabes“, 13.6.1938 Kommandeur der Wehrersatzinspektion Oppeln.

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Böckmann ein paar Tage später mitteilte, hatte Below meine Ausarbeitung als beste mit vorzüglich klassifiziert und das sächsische Jägerbaon Nr. 11 als erste Verstärkung der 3. bulgar. Kavalleriebrigade mit etwas Artillerie in die Seen-Enge befohlen, wo dann der deutsche Obst. v. Thierry die Befehlsführung übernahm.346 Wie ich nachträglich vom Ia, Mjr. Becker, erfuhr, war der Anlass zu der Aufgabenstellung Belows an seine Generalstabsoffiziere eine Anfrage Hindenburgs gewesen. Diese wiederum soll auf der Sorge der ö.-u. AOK gegründet gewesen sein, dass sich Sarrails Frühjahrsangriff gegen Albanien richten könnte. Meine Ausarbeitung sei die Basis der Antwort Belows an Hindenburg gewesen, wobei er besonders um die Zuweisung von Truppen für die Enge zwischen Ohrida- und Prespa-See gebeten habe. Auf meine Aufgabenlösung könne ich stolz sein, weil der Chef sie sich zu eigen gemacht habe. Dann fragte Below an, ob das XIX. ö.-u. Korps nicht im Interesse der gemeinsamen Sicherheit auch etwas für die Seen-Enge tun könne. Ich orientierte ihn jetzt über meine in diesem Sinne schon vor Monatsfrist mit Hoffmann in Pogradec gepflogene Aussprache und sagte meine direkte telefonische Rücksprache mit dem XIX. Korpskommando in Skutari zu, wenn ich die Anforderung Belows erhielte. Dieserart kam dann tatsächlich ein Bataillon des k. u. k. Landsturm-Inf. Rgt. Nr. 23 mit einer Batterie von Pogradec in die Enge zwischen den beiden Seen, zu denen sich dann noch das türkische Inf. Rgt. Nr. 146 gesellte, sodass in den schweren Frühjahrskämpfen dort bulgarische, deutsche, österreichische und türkische Truppen alle französischen Durchbruchsangriffe abgewiesen haben. In die folgende schwere Kampfzeit fiel eine dumme Geschichte, die mich neuerlich um die Auszeichnung mit dem Kronenorden, dafür aber endlich zur Truppendienstleistung brachte. Das trug sich so zu  : Der Telegraph in Skoplje wurde von den Deutschen bedient. Da brachte mir eines Tages der deutsche Bote ein Telegramm mit der gutmütigen Bemerkung  : „Na Herr Hauptmann, heute werden Sie mal angepfiffen  !“ Als der Mann abgetreten war, öffnete ich das Telegramm, das etwa besagte  : Deutsche Pioniere hätten in Belgrad ein Magazin erbrochen  ; ich werde aufgefordert, beim OK v. Below österreichische Interessen und nicht deutsche zu vertreten  ! – Ich bekam einen Wutanfall  : Das Telegramm kam vom k. u. k. Militär-Gouvernement in Belgrad, mit dem ich bisher nie etwas zu schaffen gehabt hatte. Kurz nachher wurde ich zu Glt. v. Böckmann gerufen, der mich in Gegenwart von Oberquartiermeister Obstlt. Dove bat, eine unangenehme, ihm sehr peinliche Sache auszugleichen  : Deutsche Pioniere, die zu Spezialarbeiten an die Front 346 Diese sogenannte 2. Schlacht bei Monastir dauerte vom 21.3. bis 26.3.1917, brachte aber für die Orientarmee keinen Durchbruch.

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kamen, hätten in Belgrad, wo es keine deutsche Etappe gebe, einen verschlossenen leeren Schuppen aufgebrochen, um ihre Geräte vor Nässe zu schützen. Er bäte mich, die von dem deutschen Offizier bereits in Belgrad erfolgte Entschuldigung auch seitens des OK v. Below mit der Bereitwilligkeit, den entstandenen Schaden gutzumachen, zu unterstreichen. Ich sagte das natürlich prompt zu, gab ein entsprechendes Telegramm nach Belgrad auf, in dem ich um Mitteilung des entstandenen Schadens bat. Die Antwort lautete, dass kein Schaden entstanden sei  ! Also wegen einer solchen Nichtigkeit hatte man den österreichischen Verbindungsoffizier einfach angepöbelt  ! Ich setzte mich nieder und erhob bei unserem AOK die nach dem Dienstreglement zulässige Beschwerde gegen das Militärgeneralgouvernement in Belgrad wegen unbegründeter Bloßstellung des ö.-u. Verbindungsoffiziers vor den Unteroffizieren und Soldaten des deutschen Telegraphen in Skoplje. Darauf kam Anfang März 1917 vom AOK, dessen Leitung Kaiser und König Karl mit GdI. v. Arz als Chef des Generalstabes übernommen hatte, meine Versetzung als 1. Generalstabsoffizier zur 18. Gebirgsbrigade an die russische Front. Ein paar Tage, nachdem ich dem OK v. Below diese Versetzung gemeldet hatte, zeichnete mich GdI. v Below gelegentlich des täglichen Vortrages durch eine sehr lobende Ansprache mit der Überreichung des Eisernen Kreuzes I. Klasse aus. Dies konnte er damals nicht mehr aus eigener Machtvollkommenheit tun, sondern musste vorher beim preußischen König darum einkommen. Mjr. Becker sagte mir, ich möge dieses Eiserne Kreuz nicht als eine konventionelle Sache, sondern als eine echte, wohlverdiente Auszeichnung betrachten, über die er und alle deutschen Kameraden sich von Herzen freuten  ; was Below in seinem Antrag an König Wilhelm geschrieben habe, sei das Höchste und Schönste, was man über einen Generalstabsoffizier überhaupt sagen könne. In meinem Versetzungsbefehl hieß es, ich hätte das Eintreffen meines Nachfolgers, des um viele Dienstjahre älteren Mjr. Stipetić abzuwarten.347 So hatte ich bequem Zeit, mich überall zu verabschieden. Hoffmann sandte mir aus Pogradec ein ehrendes 347 Wilhelm Stipetić (Agram/Zagreb, 10.6.1879–1930), 18.8.1899 aus Techn. Milakad. zum PiBaon 4, Frequentant der Kriegsschule, 1.11.1905 zugeteilt der 2. GebBrig. u. Glstbskarriere, 15.12.1910 KM 5. Abt. als Konzeptsoffizier, 1.11.1912 Hptm.i.G., Kriegsdienst beim VII. Korpskdo., bei der Armeegruppe v. Tersztyánszky u. bei der HGr. v. Mackensen, schließlich beim dt. AOK v. Scholltz 1.11.1916 Mjr.i.G., 1918 in der OpAbt./AOK wurde Stipetić als dessen Delegierter Ende Oktober 1918 zum kroat. Nationalrat entsandt, musste aber dann vor den Serben nach Österreich flüchten und gehörte sodann offenbar der sogenannten Kroatischen Legion in Österreich an, dessen Oberhaupt GO Sarkotić wurde. Stipetić war ab Frühjahr 1919 im „Stab“ des Oberst Antal (Anton) Frh. v. Lehár, mit dem er bei der versuchten Wiedergewinnung Westungarns für die ungarische Nationalarmee bzw. für die Wiener konservative Politikergruppe unter István Graf Bethlen mitwirkte. Er war sodann ab 1922 in der Parteileitung der „Christlich-Kroatischen Partei“ des Burgenlandes und führend in der Heimwehrbewegung tätig.

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Abschiedstelegramm, auch vom Landsturmbataillon aus der Seen-Enge bekam ich ein Abschiedsschreiben. Ganz unerwartet erfolgte gegen Ende März die Abberufung von GdI. v. Below als Befehlshaber einer Armee an die französische Front. Schlicht wie immer, verbat sich der General eine feierliche Verabschiedung und jede Ansprache. Am Abend durften sich Glt. v. Böckmann und die Generalstabsoffiziere, mit denen Böckmann auch mich mitnahm, im Salonwagen des abfahrtbereiten Zuges von Below verabschieden. Als im schmalen Durchgang die Reihe an mich kam, streckte mir GdI. v. Below seine Hand lachend entgegen und sagte  : „Auf Wiedersehen in Italien, Herr von Jansa  !“ Ich war darüber so perplex, dass ich nur etwas stammelte, wie das möglich sein könnte, da er nach Frankreich und ich nach Russland führe. Schon drängte Baron Guttenberg nach, und wir wurden getrennt. Zwei oder drei Tage später traf Mjr. Stipetić ein. Ich stellte ihn Böckmann vor, der ihm sagte, er werde sich leicht zurechtfinden, da er die Nachfolge in einem Stab antrete, „der die ausgezeichnete Arbeitsleistung und Kameradschaftlichkeit des österreichischen Generalstabes kennen und schätzen gelernt habe.“ Nach vier Tagen erstatteten wir dem AOK am Hughes-Telegraphen die Meldung, dass Stipetić alles übernommen habe. Mjr. Brož, der die Meldung in Baden entgegennahm und den ich aus Potioreks Zeiten gut kannte, antwortete mir etwa  : „Lieber Jansa, ich habe dir namens des AOK für deine Arbeit zu danken  ; du warst dafür schon für den Kronenorden eingegeben, aber der Chef hat – trotz Anerkennung der Berechtigung deiner Beschwerde – die vorläufige Zurückstellung deines Belohnungsantrages befohlen. Glück auf bei der 18. Gebirgsbrigade  !“ Beim Mittagessen im Kasino wurde mir allseits zur Verabschiedung zugetrunken. Abends beim Zug waren alle ö.-u. Herren und von den Deutschen Mjr. Becker und die Hauptleute Guttenberg und Bötticher erschienen. Damit glaubte ich, den mir am innigsten in Erinnerung gebliebenen Kriegsdienst beendet. Das Eiserne Kreuz I. Kl. war zur einzigen, von mir geschätzten Kriegsauszeichnung geworden.348 348 ÖStA/KA, Qualifikationslisten  : Vormerkung über die Verwendung … Jansa  : Verbindungsoffizier bei der 1. bulg. Armee Glt.Boyadijiev  : Schließe mich der bisherigen Charakteristik an. Hat in jeder Beziehung vorzüglich entsprochen und klare Situationsberichte eingesendet. Hat sich bei den bulg. Offizieren eine sehr gute Position geschaffen. Sofia, am 18. Mai 1916 Vladimir Laxa Oberst. Jansa war eingeteilt ab 3.2.1916 als Verbindungsoffizier beim bulgarischen Armeekommando, ab 21.9.1916 als Verbindungsoffizier beim Armeekommando Mackensen, ab 21.10.1916 beim [dt. Armee-]Oberkommando Below, beide in Mazedonien. Er nahm an der Offensive der Bulgarischen Armee über Florina und Ostrowo 1916 und 1917 an der Abwehrschlacht nächst Monastir sowie den Kämpfen zwischen Prespa-See und Ohrida-See in Mazedonien teil.

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E Bei der 18. Gebirgsbrigade und beim XXVI. Korpskommando an der ­russischen Front 1. 4. 1917–9. 10. 1917 Nach mehr als 6½-jährigem Aufenthalt auf dem Balkan glaubte ich, diesen endgültig zu verlassen, als ich in Skopje den Zug über Belgrad nach Budapest bestiegen hatte.349 Die Zeit im hervorragend zusammenarbeitenden Stab von GdI. v. Below war für mich die schönste Generalstabsverwendung gewesen, nicht nur weil ich in diesem Stabe eine besonders geachtete, eigenständige Stellung innehatte, sondern weil ich auch selbstständig Taten setzen konnte zur Sicherung einer wichtigen Kriegsfront. Trotzdem war ich froh, endlich aus der Verwendung in hohen Stäben heraus zur Truppe an die Front zu kommen. Das war der positive Erfolg meiner Beschwerde, die schließlich auch eine Tat war, zu der sich nicht viele Generalstabsoffiziere entschlossen hätten, aus Sorge um ihre Karriere. Gewiss hatte nur ein anonymes Unterorgan das ungerechte, nicht chiffrierte Telegramm des k. u. k. Militär-Generalgouvernements Belgrad an mich verfasst  ; doch verletzte es mich so tief, weil ich schon aus meiner bewundernden Hochachtung für unseren genialen Chef des Generalstabes, FM Conrad, immer und aus ganzem Herzen österreichische Interessen vertreten hatte und zwar so, dass diese und der österreichische Generalstab höchste Anerkennung fanden. Ich bedurfte dieserhalb wirklich keiner Ermahnung  ! Der Chef des Militär-Generalgouvernements Baron Rhemen350 war ein General der Infanterie. Also musste die Beschwerde-Entscheidung der Armee-Oberkommandant treffen. Das war seit November 1916 Kaiser und König Karl persönlich – ob es allerdings klug war, dieses einen Mann ganz ausfüllende hohe Kommando selbst zu übernehmen und den in der Armee hochgeschätzten Erzh. Friedrich zusammen mit Conrad abzusetzen  ? Dies zu erwägen war zwar nicht Sache eines kleinen Hauptmanns, doch während einer endlos langen Bahnfahrt gingen mir halt allerhand Gedanken 349 Siehe die Kapitel in Rudolf Kiszling I (Hg.), Österreich-Ungarns letzter Krieg, VI. Band, Das Kriegsjahr 1917, Wien 1936  : Der letzte Russenansturm, S.  213–288  ; die Rückeroberung von Ostgalizien, S. 289–336, und  : Die Herbstoffensive gegen Italien. Die Zwölfte Isonzoschlacht, S. 524–561. 350 Adolf Frh. Rhemen zu Barensfeld (Radstadt, Salzburg, 22.12.1855–11.1.1932, Rekawinkel) 1.9.1876 aus der Theres. Milakad. ausgemustert zum IR 14, ab 1.11.1884 Glstbskarriere, 1.11.1899, Obst.i.G. u. Chef d. Glstb. XIII. Korps, Brigadier, Divisionär, 20.10.1912. betraut mit der Führung des XIII. Korps in Agram, 7.12.1913 Kdt. XIII. Korps und Kdi.Gen. in Agram, 1.9.1915 Antrag des AOK auf Ernennung zum Chef der Landesregierung von Kroatien und Slawonien, 14.5.1915 Antrag GdI. PflanzerBaltins auf Enthebung Rhemens vom Kdo. d. XIII. Korps, 6.7.1916 Militärgouverneur in Serbien, trotz Einspruch des ung. Ministerpräsidenten István Tisza, 1.5.1917 GO, 3.10.1918 Attentatsversuch auf Rhemen durch die Gattin des serbischen Oblt. Bozenović anlässlich einer Bittschrift vor dem Wohnhaus. Rhemens Personaladjutant wand ihr eine Pistole aus der Hand.

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durch den Kopf. Kamerad Brož hatte mir mitgeteilt, dass der Kaiser die Beschwerde zu meinen Gunsten entschieden habe  ; anderseits war meine Ablösung als Verbindungsoffizier und die Zurückstellung meiner Auszeichnung doch als eine Maßregelung aufzufassen. Justitia regnorum fundamentum  ! So hatte ich es als Leutnant und Wachkommandant am Burgtor in Wien gelesen. Galt das auch für den neuen Kaiser, wenn er im selben Atemzug einem Offizier Recht gab und ihn deshalb maßregelte  ? War eigentlich der neue, mir gänzlich unbekannte Chef des Generalstabes, Baron Arz,351 für seinen Generalstabsoffizier eingetreten  ? Den neuen Chef der Operationsabteilung und Sous-Chef Obst. Frh. v. Waldstätten352 kannte ich aus der Kriegsschulzeit  : Als Hilfslehrer im operativen Generalstabsdienst hat er uns wegen seiner allzu großzügigen, sehr von sich eingenommenen Art wenig imponiert. Ich überlegte, ob ich von Budapest aus einen Abstecher zum AOK nach Baden machen sollte, um mich dort zu melden und so quasi in Erinnerung zu bringen  ? In meiner Ordre hieß es wohl, dass ich über die Personalsammelstelle Debrecen353 zur 18. Gebirgsbrigade einzurücken hatte. 351 Über Arthur Arz v. Straußenburg (Hermannstadt 1857–1935, Budapest) siehe Glaise-Broucek I, S. 129, Anm. 212. GO Arz war 1917/18 Chef des Glstb. der Gesamten Bewaffneten Macht, er erhielt nach 1918 keine rumänische Pension und erst nach Jahren der Armut eine ung. Pension. Bis es so weit war, schlossen sich ehemalige Generalstaboffiziere zusammen und übermittelten Arz laufend Geldspenden zum Lebensunterhalt. 352 Über Alfred Frh. v. Waldstätten (1972–1952) siehe die Daten bei  : Glaise-Broucek I, S. 172 und öfters. Alfred Waldstätten war Lehrer, Stabschef bei Ezhg. Karl Franz Josephs Divisionskommando und Vertrauensmann des Kaisers. Als der Kaiser als Armeeoberkommandant seit Ende 1916 diese Funktion bei Betonung der österreichischen Interessen seiner Kommandogewalt wahrnahm, war der Nachfolger, FM Conrads, als Chef des Generalstabes der Bewaffneten Macht, GO Arz, bestrebt, beim Kaiser eher die Funktion eines Generaladjutanten wahrzunehmen. Er hielt dies im Sine der militärischen Effektivität des Zweibundes – oder seit 1916 Viererverbandes – für notwendig. Es ist zu wenig geklärt, wie weit dabei Arz deutsche militärische und politische Interessen vor die österreichischen stellte. Waldstätten war also seit 1917 genötigt, viele, vor allem operative Aufgaben des Chefs des Generalstabes wahrzunehmen und tat dies auch nolens volens bis Kriegsende. Er wurde so auch – wohl ungerechtfertigerweise – für die Niederlage in der Piave-Schlacht 1918 belastet. Waldstätten wurde 1937 Titular-FML und erhielt im August 1939 den Charakter eines GdI. a.D. der Dt. Wm. 353 Debrecen, deutsch Debreczin, Stadt im Komitatsrang im nördlichen Tiszántúl (Transtheißgebiet), gelegen am Schnitt eines Sumpf-, Dünen und Lößgebietes  ; 1361 erstmals als Stadt urkundlich erwähnt, später Stadt der Heiducken (Viehtreiber und Viehhirten), seit 1546 dort Aufstieg des Kalvinismus und bald Sitz eines kalvinischen Bistums welches der Stadt später die Beinamen  : „Ungarisches Genf“ oder „Kalvinisches Rom“ brachte. 1555 bis 1699 war die Stadt in osmanischer Hand, aber in direkter Abhängigkeit des Sultans. 1848/49 Hauptstadt der ungarischen revolutionären Republik, nach 1945 zeitweise Tagungsort der ung. Nationalversammlung. Kulturell auch bekannt durch die „Debrecziner Lebkuchen“ und die Wurstsorte „Debrecziner“. Am 1.8.1944 wurde in Debrecen die ungarische Gegenregierung unter GO Béla Miklós v. Dálnok gegründet [vitéz lófö dálnoki Miklós Béla  ; der Familienname lautet also Miklós und der Offizier war Mitglied des ung. Heldenordens]. Er war seit 1910 aus der LudovikaAkademie ausgemustert, Leutnant der k.u. Landwehr [= in ung. Sprache m.k. Honvédség].

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Aber der eine Tag Zeitverlust von Budapest über Wien nach Baden und zurück hätte wohl keine Rolle gespielt. Doch verwarf ich diesen Gedanken, denn ich wollte nicht den Eindruck erwecken, ich sei gekränkt oder ordenssüchtig. Ja, wenn Conrad noch Chef gewesen wäre, so hätte dessen armeebekanntes Rechtsgefühl mich vielleicht nach Baden geführt  ; so aber stieg ich in Budapest vom Keleti- auf den Nyugati-Bahnhof um und fuhr ohne Aufenthalt nach Debrecen, wo ich zeitlich morgens ankam.354 Den Personalsammelstellen oblag die Anweisung einzeln Reisender und kleiner Transporte, wie sie am raschesten ihre Bestimmungsstation erreichen konnten. Diese Einrichtung bestand hinter jeder Armee und war aus Geheimhaltungsgründen getroffen worden, damit nicht jedermann wisse, wo sich jede Truppeneinheit befand. Ich erwartete, dass die Personalsammelstelle am oder nächst dem Bahnhof sein werde, und war bass erstaunt, am Bahnhofskommando zu erfahren, dass sich die Personalsammelstelle am anderen Ende der Stadt, am Simonyi út in einer schönen Villa friedensmäßig bequem eingerichtet hatte. Der Bahnhofkommandant lud mich ein, bei ihm am Bahnhof zu frühstücken, da der die Personalsammelstelle führende Husaren-Oberst erst ab 9h amtiere  ; die 18. Gebirgsbrigade stehe in Kirlibaba355, wohin ich mit einem Mittagszug am gleichen Tage nur im Szamos-Tal aufwärts bis Bethlen356 kommen könne  ; dort müsse ich zu Fuß oder mit einem Fuhrwerk über den Rodna-Sattel weiter. Das war also die strenge Geheimhaltung in Ungarn  ! Die Personalsammelstelle in ihrer Villa war überflüssig. Man erfuhr alles Nötige bereits am Bahnhof, höchstwahrscheinlich nicht nur ich, sondern jedermann, auch wenn er spionieren wollte. Da ich bis Mittag reichlich Zeit hatte und Debrecen nicht kannte, machte ich mich bei schönem Frühlingswetter auf den Weg zum Simonyi út, nicht ahnend, dass ich später einmal als Ehemann mit Frau und Kindern gar oft diesen Weg zum Nagyerdő357, zu Onkel Ádám und Tante Jolán, gehen würde. Der Husarenoberst war ein kriegsverletzter, rekonvaleszenter, liebenswürdiger Herr, der mir genau Auskunft über meinen neuen Frontbereich geben konnte, weil an den Südflügel der Brigade die 11. Kavalleriedivision anschloss, in deren Verband er verwundet worden war. Er kredenzte mir ein Glas Tokajer und gab mir Grüße an seine Kameraden auf. Dann promenierte ich den langen Weg zurück zum Bahnhof und besah mir unterwegs die große, einen weiten Platz abschließende Calvinische Kirche, vor der Ludwig 354 Keleti pályaudvar und Nyugati pályaudvar  : Ostbahnhof und Nordbahnhof in Budapest. 355 Kirlibaba, Bezirk Suczawa, Bukowina, heute Cirlibaba, Bezirk Suceava, Rumänien, Ort an der Goldenen Bistritz. 356 Bethlen, Ungarn (Siebenbürgen), heute Beclean, Rumänien, Ort im Bezirk Klausenburg, heute Cluj, (ung. Kolosvár), am Großen Szamos. 357 Nagyerdő  : Großonkel.

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Kossuth358 1848, also vor 69 Jahren, die Dynastie für abgesetzt erklärt und damit eine Abfolge von Wirrungen und Irrungen eröffnet hatte, die Ungarn 1918 auf den rein magyarischen Teil reduzierte und fast genau hundert Jahre später dem Sowjetkommunismus auslieferte. Beim Bahnhofskommando bekam ich zu essen, erbat die Nachsendung meiner folgenden Pferde und fuhr mit der eingleisigen Bergbahn durch das schöne Waldland, dessen kühle Frische mich eine Genesung von meinem Darmleiden erhoffen ließ. In Bethlen schlief ich auf Stroh und freute mich auf die Wanderung am nächsten Tag. Die Waldkarpaten erheben sich in diesem Teil bis 2.000 m und tragen einen schönen Baumbestand. Gegen Mittag erreichte ich die Passhöhe Rodna, die etwa 1.200 m hoch lag und eine große mit Gras bestandene baumlose Fläche umschloss, welche von den Soldaten Rotunda genannt wurde. Auf ihr fand ich den ganzen Train meiner Gebirgsbrigade, der wegen der leichteren Versorgung der Reitpferde und Tragtiere dort abgestellt worden war. Der mir von Sarajevo her bekannte Train-Rittmeister Berounsky begrüßte mich als seinen vorgesetzten Generalstabsoffizier mit großer Herzlichkeit. Ich aß mit ihm die hervorragend zubereitete Mahlzeit aus der Kochkiste und besah mir anschließend alle Trains. Sie sahen gepflegt aus, waren aber des geringen Hafers wegen nur wenig leistungsfähig. Viele, auch die sonst sehr widerstandsfähigen bosnischen Pferde, hatten die Räude überstanden, eine böse, die Behaarung angreifende und das Blut irritierende, den ganzen Körper auf Monate hinaus schwächende Seuche. Berounsky lieh mir ein Reitpferd mit einem berittenen Pferdewärter, damit ich nicht zu Fuß in Kirlibaba einrückte, wohin er meine Ankunft telefonisch avisierte. Bei rasch einfallender Abenddämmerung empfing mich vor dem Schulhaus nächst der Kirche der 2. Generalstabsoffizier, Oblt. Klepp,359 zugeteilt dem Generalstab, und 358 Lajos (Ludwig) Kossuth (Monok, Komitat Semplin 19.9.1802–20.3.1894 Turin), Jurist, Abgeordneter zum ung. Landtag seit 1847 und Führer der Opposition, ab der Proklamierung der ungarischen Unabhängigkeit am 14. 3.1849 provisorisches Staatsoberhaupt (Reichsverweser) bis 11. 8.1849, sodann Emigrant im Osmanischen Reich, in England und den USA, zuletzt seit 1865 in Turin. 359 Ernst Klepp (Pressburg, 24.12.1889–24.12.1946, Graz), 18.8.1910 aus Theres. Milakad. als Lt. zum IR 37, 1.8.1914 Oblt., seit 1.9.1915 Glstbsoffz. beim 59. ID, dann Glstbsoffz. bei div. Brigadekommanden, 1.3.1917 Hptm. zugeteilt dem Glstb., 10.1.1918 Leiter der operativen Gruppen bei der Quartiermeisterabt./AOK, 15.9.1918 Glstbsoffz. der 111. Schützenbrig., 1.1.1919 Glstbschef [öst.] Grenzschutzkdo. Süd, seit 2.3.1919 auch Leiter der Heimkehrergruppe beim Landesbefehlshaber Süd, 1.4.1920 Gruppenkdo. für Organisation in der HeeresverwStelle Graz, 1.1.1921 Mjr., 1923 Stabshauptmann und als unkündbarer Kriegsbeschädigter zum Offizier übersetzt und eingeteilt, 1.7.1923 Truppendienst, 15.1.1924 auch Rechtsbeirat bei HeeresverwStelle Graz, 24.3.1925 eingeteilt beim Brigadekdo. 5 als Gehilfe der Führung, 25.6.1924 Offizier in militärischer Spezialverwendung/Posten von besonderer Bedeutung, 25.10.1924 Promotion zum Dr.jur, sodann Absolvierung der 3 strengen milit. Fachprüfungen, 6.6.1925 dauernd zugeteilt beim IR 5, 1.2.1926 eingeteilt bei AJgR.10, 1927 wieder Major, 1.4.1928 zu HVwStelle Graz, 1.8.1931 deren Leiter, 15.10.1933 versetzt zu BrigKdo. 5, 16.5.1934

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führte mich zum Brigadekommandanten Obst. Kemmel360, der meine Einrückungsmeldung freundlich entgegennahm. Da die Zivilbevölkerung aus dem Frontbereich abgeschoben worden war, standen uns alle sauberen Häuschen des kleinen Walddorfes zur Verfügung. Der Brigadestab bestand außer den schon Genannten aus dem tüchtigen Reserve-Oberlt. Groak, der alle materiellen, die Versorgung betreffenden Arbeiten versah, den Brigadearzt, den Telefon- und den Pionieroffizier. Schließlich gehörte dem Stab als zugeteilter Offizier und Stellvertreter des Brigadiers ein Obstlt. Klempa361 an. Nach dem einfachen Abendessen begannen die beiden Stabsoffiziere und der Regimentsarzt ihre tägliche Tarockpartie, während ich mich mit meinen Gehilfen Klepp und Groak zu eingehender Orientierung zurückzog. Die Gliederung der Brigade war mir bekannt  ; sie war unverändert so geblieben, wie ich sie Anfang des Krieges vom 6. Armeekommando aus formiert hatte. Sie gehörte zur 59. Infanteriedivision, deren Kommandant der gestrenge, aus dem Generalstab hervorgegangene FML Kletus Pichler362 war. Zurzeit gehörte diese Division in den Verband des I. Korps, zu dessen Kommandanten vor Kurzem der bisherige General­stabschef des Erzh. Eugen, FML Alfred Krauss, ernannt worden war. Weiter umschloss uns das 7. Armeekommando unter FM Kövess, das wieder dem Heeresgruppenkommando Erzh. Joseph unterstand, dessen Generalstabschef der deutsche GM v. Seeckt war. Die Frontstellung der Brigade war alles eher als ideal. In den vorangegangenen hin- und herwogenden Kämpfen hatte sich die Brigade noch ostwärts der goldenen Bistritza an dem steil aufwärts strebenden Berghang behaupten können, während die Gipfelhöhe des 1.400 m hohen Dadul in russischem Besitz geblieben war. Der DadulHang war bewaldet. Die Talsenkungen zweier kleiner Wasserläufe nördlich und südlich des Dadul gehörten noch zum Brigadebereich, an den nördlich die 40. HonvédInf. Div. und südlich die 11. Honvéd-Kav. Div. zu Fuß anschlossen. Obst., 15.2.1935 Stabschef MilKdo. Klagenfurt bzw. d. 7. Div., 1.12.1935 versetzt als Referent ins BMfLv./3.Sektion/OpA., 1.10.1936 Glstbschef 3. Div. (St. Pölten), übernommen mit Rangverlust in Dt.Wm. (Patent vom 1.3.1938 als Obst.), Verwendungen beim IR 300 und IR 526, 1.4.1942 GM und Kdr. 370 ID, 1.4.1944 Glt., II/1945 Kdr. 702. ID. 360 Ludwig Kemmel, ab 22.9.1917 Kemmel-Schuster von Megyfalu (Belluno, Italien, 15.1.1863–  ?), 18.8. 1884 aus Theres. Milakad. als Lt. zum IR 90, Karriere als Infanterieoffizier, 1.11.1914 befördert zum Obst. im IR 97, 26.1.1915 Kdt. IR 9, 1.11.1918 GM, 1.1.1919 pensioniert. 361 Julius v. Klempa (  ?) 1.8.1917 Mjr. Honvéd-IR 13, 30.5.1918 Kdt. Heimkehrerlager Nr. 710 in Kolomea (bis nach August 1918). 362 Über Kletus Pichler siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S.  216, Anm. 257. Pichler war 1915/16. Glstbschef des Landesverteidigungskdo. Tirol, dann Divisionär bzw. Militär-Stations-Kdt. in Salzburg, 1.1.1919 pensioniert. Nach 1927 war Pichler einige Monate milit. Oberkommandant der für kurze Zeit vereinigten österreichischen Heimwehrverbände.

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Das kleine Dorf Kirlibaba lag im Tal der goldenen Bistritza, an der Straße, die von Ungarn über den Rotunda-Pass heranführte und sich im Bistritza-Tal nach Nord und Süd gabelte. Auf diesen Straßen bewegte sich der ganze Nachschub  ; nicht nur für unsere Brigade, sondern auch für die 40. Honvéd-Inf. Div. und die 11. Honvéd-Kav.Div. Zu dieser war auf der Straße eine schmalspurige Lokomotiv-Feldbahn gelegt worden, deren Züge nur nach Einbruch der Dunkelheit fuhren. Die Russen konnten die Strecke bei Tag vom Dadul aus einsehen und beschossen sie bei Nacht mit Artillerie, ohne größeren Erfolg  ; die normal entstehenden Schäden konnten rasch behoben werden. Bergauf zur 40. Honvéd-Div. wurde der Nachschub vom Feldbahnhof in Kirlibaba mit Pferdefuhrwerken besorgt. Für die Versorgung der Truppen meiner Brigade in ihrer Höhenstellung führte von Kirlibaba eine primitive Seilbahn hinter die Mitte der Stellung. Russische Artillerie aller Kaliber war bei Tag und Nacht bemüht, diese Seilbahn und unser Kommando zu zerstören. Gefährlich waren für uns nur die russischen Gebirgsgeschütze, die mit ihrer stark gekrümmten Flugbahn nahe an Kirche und Schulhaus herankamen, während die größeren Kaliber über uns hinweg Löcher in den westlich der goldenen Bistritza aufragenden Talhang schossen, ohne Schaden anzurichten. Auch hier war ich an eine tote Front gekommen, das nie abreißende Artilleriefeuer ausgenommen. Im März war in Russland nach den vielen Misserfolgen die Revolution ausgebrochen  : Zweidreiviertel Jahre Krieg hatten genügt, um das Zarentum zu stürzen.363 Russland war einer der Hauptschuldigen am Kriegsausbruch. Ohne die andauernde Stützung durch Russland hätten die kleinen Serben nie gewagt, so frech gegen die Monarchie zu agieren  ; selbst der schamlose Mord am Erzherzogpaar in Sarajevo wurde von Russland gedeckt  ; ohne diese Deckung hätte Serbien die österreichischen Forderungen nicht zurückweisen können. Jetzt hatte also die russische Dynastie den Lohn für ihre Duldung der jahrelangen subversiven Tätigkeit gegen Österreich-Ungarn erhalten  ! Was in Russland vor sich ging, blieb uns natürlich in der ersten Zeit verborgen. Der neue Staatschef und Minister Kerenski364 hatte die Entente 363 Am 3. März 1917 hatte in den Putilov-Werken, St. Petersburg, ein Streik begonnen, der am 7. März zu Aussperrungen führte. Daraufhin kam es am 8.3. zu Ausschreitungen und die Streikbewegung weitete sich aus. Am 12. März bildete sich das „Provisorische Exekutivkomitee des Arbeiterdeputiertenrates“ als Gegenregierung. Am 15. März dankte Nikolaus II. ab und Georgij J. Fürst Lwow bildete eine Bürgerliche „Provisorische Regierung“. Diese versicherte den Alliierten die Weiterführung des Krieges gegen die Mittelmächte bis zum siegreichen Ende. Größere Kämpfe sollten allerdings erst wieder im Juli 1917 unter dem Ministerpräsidenten und Kriegsminister Kerenski ausbrechen. 364 Alexander Fjodorowitsch Kerenski (Simbirsk, heute Uljanowsk, 4.5.1881–11.6.1970, New York), seit 1904 in St. Petersburg Rechtsanwalt, war in der Regierung Lwow Justizminister, seit Mai 1917 Kriegsminister, seit Juli 1917 Ministerpräsident. Er war auch Mitglied des Exekutivkomitees der Petrograder Arbeiter- und Soldatenräte. Am 1. Juli 1917 begann die nach Kerenski benannte und von ihm organi-

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seiner Treue versichert, und tatsächlich gingen die Kämpfe in Galizien und Wolhynien weiter. An anderen Teilen der Front soll die Infanterie gesagt haben, dass sie nicht mehr angreifen, sondern nur ihre Stellungen halten werde. Bei der russischen Artillerie und den Fliegern sollen viele französische und englische Offiziere als Instruktoren eingeteilt gewesen sein, die natürlich im Interesse ihrer Staaten den Kampf aufrechterhielten. An meiner Front waren die Russen für eine an anderen Frontteilen von uns versuchte Friedenspropaganda durch Hinüberrufen, Zeitungen, Lautsprecherreden auf Grammophon ganz unzugänglich. Solche Versuche beantwortete die Infanterie stets sofort mit Maschinengewehrsalven  ; ihre Artillerie schoss ohnehin andauernd viel. Darum stellten wir an unserer Front die Propaganda ganz ein. Der Dienstablauf gestaltete sich für mich so  : Schon um 6h früh begann ich mit dem Aufstieg in die Kampfstellung und besuchte die Bataillone in unregelmäßiger Folge, täglich eines, besprach mich mit Offizieren und Mannschaften und überprüfte Waffen, Munition, Schützengräben, Unterstände, Bekleidung, Verpflegung, sanitäre Verhältnisse, Urlaube und religiöse Betreuung. Ich interessierte mich eindringlich für den inneren Dienstbetrieb bei Tag und bei Nacht, die Beurteilung des gegenüberliegenden Feindes, die Maßnahmen für die Ausbildung, die Pläne zur Bekämpfung eines russischen Angriffs, kurz, ich versuchte, die eigene Zuversicht und Kampffreude festzustellen. Mit Offizieren und Mannschaften konnte ich leicht sprechen. Die Bataillone II/60, Jäger Nr. 3, 15 und 26 waren ungarisch  ; nur mit den Rumänen des Bataillons III/31 aus Siebenbürgen hatte ich es schwer, weil ich von deren Sprache gar nichts wusste. Das Bataillon hatte jedoch in Mjr. Czernautzan einen hervorragend tüchtigen und zuverlässigen autochthonen Rumänen als Kommandanten, den ich noch aus unserer bosnischen Zeit gut kannte. Zum Mittagessen kam ich ins Brigadekommando zurück und referierte anschließend dem Brigadekommandanten über meine Eindrücke und Vorschläge zu Verbesserungen. Obst. Kemmel, der zweimal in der Woche auch die Truppen besichtigte, war mit meinen Anträgen zumeist einverstanden. Der Nachmittag galt dann der auch im Feld nicht geringen Schreibarbeit und Besuchen bei den hinter unserer Front in Stellung befindlichen Batterien der Brigade-, Divisions- und Korpsartillerie. Eine Meldung und Vorstellung beim Kommandanten der 59. Division erübrigte sich auf Anfrage  : Den Generalstabchef Obstlt. Keinert365 kannte ich aus Sarajevo so gut wie sierte, von Brussilow kommandierte Offensive an der russischen Südwestfront. Er rief am 15.9.1917 die Russische Republik aus, konnte jedoch die Oktoberrevolution (7.11.1917) nicht mehr verhindern. 365 Adolf Keinert (Brünn, Mähren, 19.5.1879–  ?), 18.8.1898 ausgemustert aus der IKSch. Königsfeld bei Brünn, 1.11.1899 Lt., ab 1915 Etappenkdo., dann Divisionsglstbschef an der Isonzofront, 1.2.1916 Obstlt.i.G, ab 25.7.1917 Glstbschef 59. ID, 27.9.1917 Glstbschef XVII. KKdo., 11.3.1918 bis Kriegsende Glstbschef 62. ID.

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er mich  ; und der Divisionär ließ sagen, er werde ohnedies in nächster Zeit die Brigade besuchen und mich dabei kennenlernen. Mein Vorgänger als erster Generalstabsoffizier, Hptm. Burda366, war ein tüchtiger, tapferer Offizier gewesen, der alle Kämpfe mit der Brigade am Isonzo, in Serbien, Südtirol und Russland bestanden und sich bei den Truppen großes Ansehen und große Beliebtheit erworben hatte. Er war nach der langen Frontdienstzeit bei der Brigade zu einem Armee-Etappenkommando versetzt worden. Im großen Ganzen konnte ich alle von ihm getroffenen Maßnahmen auf taktischem und administrativem Gebiet gutheißen. Nur die Anschlüsse zu den Nachbarn rechts und links wollten mir nicht gefallen. Nach den vorangegangenen Kämpfen, bei denen die Höhenrücken die ausschlaggebende Rolle gespielt hatten, erschienen mir die Flügelanschlüsse in den beiden Bachrinnen nördlich und südlich des Dadul zu wenig gesichert, ja, fast vernachlässigt. Die Kommandanten der beiden Flügelbataillone II/60, Obstlt. Pfisterer, und Jäger 26, Mjr. Paulus367, mussten mir darin zustimmen, dass in den beiden Bachlinien geführte russische Angriffe in kürzester Zeit große Erfolge erringen würden, weil sie, im Bistritzatal aufs Brigadekommando treffend, die ganze, so sorgfältig betreute Höhenstellung auf dem Dadul einfach ausheben, den Nachschub für die beiden Nachbardivisionen durchschneiden und damit deren Stellungen unhaltbar machen konnten. Der Gedanke, den ich den Russen zutraute, zur Abwechslung einmal nicht über den Höhen366 Franz Burda (Esseg, Slawonien, 13.10.1887–25.3.1955, Wien), nach Frequentierung der ArtKSch. und der Theres. Milakad. 18.8.1906 als Lt. zum IR 75, 1912–1914 Frequentant der Kriegsschule, 1.5.1913 Oblt., 26.7.1914 Glstbsoffz. XV. KKdo., 1.9.1915 Hptm.i.G., 11.4.171 beim 7. AKdo., ab 11.4.1918 beim 7. Generalkdo. in Kolomea, später in Czernowitz, ab 1.6.1918 AOK/Quartiermeisterabt. als Stellv. Leiter der Wirtschaftsabtlg. (Landwirtschaft, Berg- und Forstwesen) für die okkupierten Armeebereiche, 7.11.1918 beim liquidierenden Kdo. FJB.21, ab 30.11.1919 beim liquidierenden KM, Abt. 5/EB (= Eisenbahnbüro), ab 30.1.1920 Staatsamt f. Hw./7Orggruppe, 27.8.1920 übers. In den Heeresverwaltungsdienst, 1.1.1921 Mjr., 1.10.1922 Beamter d. Heeresverw. als Mjr.a.D., 1.12.1922 dauernder Ruhestand, sodann Beamter der Kärntner Gebietskrankenkasse, zuletzt Hofrat. Laut Auskunft des Sohnes dieses Generalstabsoffiziers soll es GM Körner gewesen sein, der Burda veranlasst habe, das Bundesheer zu verlassen, indem er sich über dieses pessimistisch und verächtlich äußerte. Weiters war es Burda, der 1938 bei Jansa vorsprach, um mit diesem die politisch-militärische Lage zu erörtern. Burda erhielt 1938 Berufsverbot in der „Ostmark“. 1942 von GO Löhr veranlasst, in dessen Heeresgruppenkommando einzutreten. Im Frühjahr 1945, so wieder die Auskunft des Sohnes, sei Obstlt. Burda von GO Löhr in den Raum Ried im Innkreis entsandt worden, um dort beim Eintreffen der US-Armee mit den Amerikanern den Kontakt aufzunehmen, ob Hilfe gegen die jugoslawische Partisanenarmee möglich sei. (Freundliche Auskunft von Dr. Burda jun. vom April 2008.)  367 Eduard Pfisterer (Wien, 24.5.1864–  ?), 18.8.1885 ausgemustert als Lt. zum FKR 39, 13.6.1909 als Hptm. übersetzt zum Techn. Militärkomitee, 1.11.1912 Mjr. im Armeestand, 1.2.1916 Obstlt. im Armeestand und seither Frontdienst bei Artillerieeinheiten, 1.7.1917 altersbedingt pensioniert. Erich Paulus (Theusing, Böhmen, 10.11.1887–  ?), 18.8.1908 aus LwKSch. zum LwIR 4, ausgemustert, 1.8.1917 Hptm.

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rücken, sondern durch die beiden Talsenken anzugreifen, war bisher auch von meinen Gehilfen und dem Brigadier nicht erwogen worden. Einmal geäußert gewann er aber nicht nur deren Zustimmung, vielmehr drang Obst. Kemmel auf rascheste Behebung dieser Bedrohung. Ich verabredete sonach für zwei folgende Abende je ein Zusammentreffen mit den Regimentskommandanten der nördlich und südlich anschließenden Honvéd-Regimenter in den Talsenken, überzeugte sie von der Leichtigkeit eines russischen Vordringens durch diese und bewog beide Herren zur Bereitstellung von Reserven hinter ihren Anschlussflügeln, um einem russischen Durchbruchsversuch gemeinsam begegnen zu können. Über das vorgesetzte Divisionskommando verlangte ich auch eine eigene Sperrfeuervorbereitung mehrerer Batterien vor die nun in den beiden Talmulden zu raschem Ausbau gelangenden Gräben und Hindernisanlagen. Mjr. Paulus benannte diese neue, in seinem Bereich zum Ausbau gelangende Anlage „Talsperre Jansa“. Gesundheitlich erholte ich mich in der hoch gelegenen Waldlage unseres Brigade­ abschnittes außerordentlich gut und hoffte vom Darmleiden gänzlich geheilt zu sein. Plötzlich trat eine mir damals unerklärliche Erscheinung auf  : Bei einer Besprechung der zu schaffenden Talsperre beim 26. Jägerbaon erfasste mich ein vehementer Schmerz in der Magengegend. Das Tal war baumlos und wurde von den Russen öfter mit Maschinengewehren bestrichen  ; Mjr. Paulus hatte es im Laufschritt überquert und ich war daran, ihm ebenso zu folgen, als mich der heftige Schmerz derart übermannte, dass ich mich im Angesicht der Russen einfach niederwarf und liegen blieb, bis er etwas abklang. Nach einer Weile stand ich mühselig auf und humpelte auf einen Stock gestützt in Deckung. Die Russen mussten das genau beobachtet haben, schossen aber nicht. In der Brigadestation erklärte ich dem Regimentsarzt genau den Schmerz und seine Intensität. Er untersuchte mich, klopfte und horchte mich ab, fand aber keine Ursache. Bis zur Jausenzeit war alles vorüber, und ich dachte bald nicht mehr an den Vorfall. Erst Jahre später in St. Pölten, als mich nachts ein ähnlich vehementer Schmerz überfiel, den Dr. Steingötter sofort als Gallenstein-Anfall diagnostizierte, erkannte ich, dass obiges mein erster Gallenanfall gewesen war. An einem der folgenden Tage hatte sich Divisionär Pichler zur Inspizierung angesagt. Nach unserer Meldung bei ihm nächst dem Schulhaus stellte er die bei solchen Besichtigungen üblichen Fragen, die Obst. Kemmel erschöpfend beantwortete. Dann fragte er mich, wie ich mich bei der Brigade fühle. Meine Antwort  : „Danke gehorsamst Exzellenz, ganz ausgezeichnet  !“ schien ihn zu beeindrucken. Wenn er in mir einen durch die Verwendung in so vielen Armeekommandos zum Stubenhocker gewordenen Mann erwartete, so irrte er sich gewaltig. Besonders beim deutschen Infanterie-Regiment in Bitolja hatte ich zu meiner an und für sich großen Neigung für den Truppendienst eine Menge praktischer Kriegserfahrung im Kleindienst gewonnen, die

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ich nun zur Geltung bringen konnte. Er ließ sich von mir an den kitzligen Anschluss zur 11. Honvéd-Kav. Div. führen und war sichtlich erstaunt, als der gute Mjr. Paulus ihm erklärte, dass die Aufstellung seiner Maschinengewehre im Zusammenklang mit der Graben- und Hindernis-Führung auf meine Anschauungen zurückgehe und im Einvernehmen mit mir durchgeführt worden war. Jetzt käme da kein Russe mehr durch, bei Tag nicht und auch nicht bei Nacht. Bei seiner Verabschiedung war FML Pichler wesentlich herzlicher und zeigte anerkennendes Wohlwollen. Kurz darauf wurde ich eine Woche in den Sturmkurs kommandiert, den GM v. Seeckt für die ganze Heeresgruppe in Nyáradszereda368 aufgestellt hatte und wo der deutsche Jägerhptm. Stephani die infanteristische Ausbildung leitete. Der Kurs brachte für mich nichts Neues  ; ich machte aber gern und mit Passion alle dort von der Truppe verlangten Übungen praktisch mit. Ich schoss mit Gewehr und Maschinengewehr, warf Handgranaten, rollte im Verein mit deutschen Generalstabsoffizieren Kampfgräben auf, robbte und stürmte mit dem letzten Artillerieschuss in den markierten Feindgraben, gerade an dem Tag, als Seeckt mit einer Reihe hoher ö.-u. Offiziere den Sturmkurs besuchen kam und mit diesen Herren unseren Einbruch in den Feindgraben aus seitlichen Deckungsgräben beobachtete. Er erkannte mich und ließ mich nach Abschluss der Übung zu sich rufen, wo ich dreckig und schmierig mit Gewehr und umgehängten Handgranatensack samt Spaten vor ihm erschien. Er lachte mich herzlich an, reichte mir die Hand und ließ sich meine Dienstleistungen seit unserer Trennung in Makedonien erzählen. Er schloss mit dem Beifügen, dass mir ja sein Sturmkurs richtigen Spaß zu bereiten scheine, was ich lachend bejahte. Jetzt erst bemerkte er das Eiserne Kreuz I. Klasse an meiner Brust und fragte, wann ich es erhalten hätte  ; ich antwortete  : „Erst kürzlich durch General der Infanterie Otto von Below“, worauf Seeckt sagte  : „Na, da gratuliere ich Ihnen wirklich  !“ Seeckt hatte von den vielen Kursteilnehmern nur mich durch eine so lange Aussprache ausgezeichnet  ; das erregte natürlich Aufsehen. Bei diesem Sturmkurs konnte ich wieder einmal den großen deutschen Einfluss wahrnehmen  : Während wir an der Front um jeden Artillerieschuss wegen der leidigen Sparmaßnahmen hadern mussten, standen dem von Seeckt sehr zweckmäßig eingerichteten Sturmkurs scheinbar unbegrenzte Mengen ö.-u. Artilleriemunition zur Verfügung. Die durch den großen Munitionsaufwand besonders eindrucksvolle Übung veranlasste auch den ö.-u. GdK. Rohr bei der Schlussbesprechung, Gen. v. Seeckt zu sagen, dass er so etwas Großartiges, wie die vorgeführte Schlussübung eines großen Infanterieangriffes mit scharfer Munition „überhaupt noch nicht gesehen“ habe. Rohr 368 Nyárádszereda, rum. Miercurea Nirajului, ehemals Ungarn, Siebenbürgen, Komitat Maros-Torda bei Marosvásárhely (dt. Neumarkt am Mieresch, heute rum. Târgu Mureş).

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mag ja mit seiner Äußerung recht gehabt haben  ; nach fast drei Kriegsjahren fand ich sie doch beschämend für einen ö.-u. General  ; in diesem Fall wäre mir etwas weniger Anerkennung mehr erschienen. Nach Abschluss des Kurses eilte ich wieder zu meiner Gebirgsbrigade. Dort fand ich aus der kaiserlichen Militärkanzlei Obst. Béla v. Káry369, der zu einer einmonatigen Frontdienstleistung eingerückt war. Er blieb für diese Zeit als Stellvertreter des Brigadiers beim Brigadekommando. Das war ein außerordentlich liebenswürdiger Mann, den Obst. Kemmel jedoch in der Sorge, von ihm verdrängt zu werden, kühl behandelte. Natürlich schloss sich Káry mehr an mich an und begleitete mich öfter auf meinen täglichen Vormittagsbesuchen der Truppen in den Kampfstellungen  ; begreiflicherweise fragte er viel, und ich gab ihm gern Antwort. Bei meinen nächtlichen Stellungsbegehungen, die ich unregelmäßig zweimal in der Woche zur Prüfung, ob der Dienst der Feldwachen und Grabenposten korrekt und scharf genug gehandhabt wurde, unternahm, begleitete er mich nur einmal  : Der Aufstieg bei Dunkelheit und Gang durch die Gräben war ihm, wie Obst. Kemmel auch, zu beschwerlich  ; freilich erkundigte er sich genau, ob alles in Ordnung befunden worden war, was ich stets bejahen konnte. Kemmel nützte Kárys Anwesenheit zu einem vierzehntägigen Urlaub. In dieser Zeit musste ich Káry viel erzählen. Unerschöpflich fragte er nach meinen Erlebnissen und Eindrücken nicht nur bei der Brigade, sondern bei allen meinen Kriegs- und Friedensverwendungen. Angesichts seiner einflussreichen Stellung beim jungen Kaiser hielt ich mich in der Beurteilung von Personen sehr zurück. Über meine Eindrücke über die „Deutschen“ befragt, wollte ich ihm nur das Allerbeste erzählen  ; dagegen wendete er ein, dass man viel Klagen über deutsche Überheblichkeit höre  ; dies komme auch vor, antwortete ich und erzählte von Mackensens Ansprache an den Bulgarenkönig in Niš, in der wir Österreicher einfach totgeschwiegen wurden. Wenn man aber auf seinem Posten fest steht und sich richtig benimmt, dann kann man mit ihnen ganz gut auskommen. Ihre Generäle waren hervorragend, und militärisch waren uns die Deutschen schon durch den Reichtum an Kampfmitteln aller Art deutlich überlegen. Als seine eigene Schöpfung ließ uns Obst. v. Káry eine durch den Pionierzug der Brigade auf seinen direkten Befehl in den feindwärtigen Hang gegenüber der Schule gesprengte Kaverne zurück. Als ich ihm deshalb vorhielt, dass die Pioniere oben am 369 Béla Káry v. Gyergyö – Szent Miklós (Trencsén, Oberungarn, heute Trenčin, Slowakei 15.10.1875–  ?), 18.8.1894 aus der Ludovika-Akademie ausgemustert zum k.u.k. LIR VIII, 1.11.1902 Hptm., 1.1.1905 dauernd kommandiert ins Honvéd-Ministerium, 1.5.1905 zugeteilt Glstb., 8.2.1912 zum Evidenzbüro eingerückt, 2.12.1911 Mjr.i.G, 10.10.1912 eingeteilt in der Militärkanzlei Seiner Majestät, im Weltkrieg Kriegsdienstleistungen, 1.9.1915 Obst.i.G, 13.5.1918 Stellvertreter des Chefs der Militärkanzlei Seiner Majestät.

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Dadul nötiger wären, meinte er, dass es falsche Tapferkeit sei, das für die Führung notwendige Brigadekommando einem russischen Zufallstreffer auszusetzen. Damit hatte er zweifellos recht  ; aber ich hätte die Kaverne nicht bauen lassen, vielleicht um nicht ängstlich zu erscheinen. Tatsächlich wurde sie von uns kaum je benützt. Das ist aber das Los vieler Deckungsarbeiten im Krieg. Nachdem die Verteidigungsbereitschaft und die Ausbildung der kleinen Reserven befriedigend waren, begann ich die Verhältnisse für einen Angriff unserseits zu studieren, um die dominierende Höhe des Dadul in unseren Besitz zu bringen. Das war nur durch Einbruch in schmaler Front auf der Rückenlinie selbst möglich, wofür die infanteristischen Kräfte ausreichend waren. Doch viel und schwere Artillerie war nötig, und die fehlte. Den Einbruchskeil zu führen hatte ich Hptm. Morawek vom 26. Feldjägerbaon zugedacht. Das war der Kommandant der vereinigten Sturmzüge der Brigade, ein hervorragend bewährter tapferer Offizier (Morawek heiratete eine ungarische Komtesse und spielte nach dem Krieg in Westungarn als Oberst „von Osztenburg“370 eine Rolle). Als Heeresfrontkommandant Erzh. Joseph uns inspizieren kam, trugen Obst. Kemmel und ich ihm die Angriffsmöglichkeit der Dadul-Höhe vor und baten um Artillerie, die weder dem Divisions- noch dem Korpskommando zur Verfügung stand. Eines Tages erschien der deutsche Glt. v. Conta, der die deutsche 200. Jägerdiv. befehligte, die nördlich der 40. Honvéd-Div. anschloss. Der hatte von unserer Angriffsabsicht gehört. Er war wegen seines Nachschubes am sicheren Besitz von Kirlibaba sehr interessiert und bereit, uns hierzu 10 schwere deutsche Batterien mit ausreichender Munition zur Verfügung zu stellen. Ich durfte ihn auf die Höhenstellung führen und ihm den geplanten Angriff im Gelände erläutern  ; er war einverstanden und sagte die Batterien fest zu. Für Obst. Kemmel und mich war es eine große Freude, unserem vorgesetzten Divisionskommando die deutsche Zusage melden zu können und um die Durchführungserlaubnis zu bitten. Die Besprechungen mit dem Artillerie-Brigadier unserer Division, Obst. v. Steiner371, waren schon vorangegangen und bedurften nur mehr Ergänzungen. 370 Julius Ed. v. Morawek, nannte sich später v. Os[z}tenburg (Marosvásárhely, 2.12.1884–13.1.1944 Budapest), heimatzuständig nach Předměřice nad Labem, Bez. Königgrätz, Böhmen, Vater war GdK. Wenzel Edl. v. Morawek, 18.8.1903 nach Absolvierung der IKsch. Liebenau zu FJB 24, ab dem Niedergang der ung. Räterepublik im Sommer 1919 Führer von Offiziersdetachements, 1920/21 Kdt. eines Gendarmeriebaon. in Westungarn, das beim 2. Restaurationsversuch die milit. Kraft König Karls IV. darstellte. M. wurde nach dem Fehlschlag jenes Versuches eingekerkert. Weiteres Schicksal nicht bekannt. 371 Franz Steiner Edler v. Treuendorf (Königgrätz, heute Hradec Králove, Böhmen,1.2.1859–17.7.1935  ?) Präsenzdiener, 7.2.1876 als Korporal zu Festungsartilleriebaon, dann Karriere als Artillerieoffizier, 19.12.1911 Kdt. FKR 9, 1.8.1914 Obst., 1.11.1917 GM, 1.1.1919 Ruhestand.

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Da trat ein Ereignis ein, das die Ausführung des Angriffes in der geplanten Art zunächst zurückstellen ließ  : Die 8. russ. Armee unter Gen. Kornilow372 war am 7. Juli in Galizien bei Stanislau, meiner Geburtsstadt, zu einem mächtigen Angriff angetreten, der leider bald solche Erfolge hatte, dass Truppen von allen Fronten dorthin befohlen wurden, um die entstandenen Löcher zu stopfen. Wir verstärkten die Alarmbereitschaft unserer Brigade, weil wir mit der Möglichkeit einer Ausweitung des russischen Angriffes auf unsere Front rechneten. Tatsächlich begann die russische Artillerie Mitte Juli eine intensive, durch Tage dauernde Beschießung unserer Stellungen, worauf uns unser Korpskommando ein Bataillon als Reserve zuschob. Unsere Artillerie schwieg, um Munition zu sparen. Kurz darauf beobachtete ich bei einem nächtlichen Besuch unserer vordersten Kampfgräben, übereinstimmend mit den Truppenbeobachtern, eine Menschenverdichtung in den nahe gegenüber befindlichen russischen Stellungen. Sofort forderte ich von oben aus der Stellung Vernichtungsfeuer unserer Artillerie auf die feindliche Bereitstellung am Dadul an. Die massierte Wirkung war so stark, dass die Russen trotz hörbarer Kommandorufe nicht aus ihren Gräben zu bringen waren. Ihr geplanter Angriff wurde durch unsere Wachsamkeit im Keim erstickt. Die russische Infanterie war hier nicht mehr die alte. Das beiderseitige starke Artilleriefeuer dauerte noch zwei bis drei Tage, flaute dann unsererseits beginnend wieder ab. Unsere Menschenverluste durchs feindliche Artilleriefeuer waren nicht groß  ; die Stellungsgräben hingegen hatten arg gelitten und erforderten zu ihrer Instandsetzung viel Arbeit und Material. Kaum war die Beruhigung der Lage eingetreten, als vom Chef des Generalstabes meine Versetzung zum XXVI. Korpskommando verfügt wurde. Bei der Brigade wurde der bisherige 2. Generalstabsoffizier, Hptm. Klepp, zum 1. Generalstabsoffizier bestellt und der Kriegsschulaspirant Olt. Schönherr als Ersatz zutransferiert.373 Meine knapp dreieinhalb Monate „Frontdienstleistung“ waren damit leider beendet. Anlässlich meiner Abmeldung erhielt ich vom Brigadier wie von FML Pichler anerkennende Worte für meine Dienstleistung, die auch schriftlich in zwei Belo372 Lawr Georgewitsch Kornilow (Karkaralinskaja, Bez. Omsk, Russland, 30.8.1870–13.4.1918, bei Jekaterinodar) Sohn eines bäuerlichen Kosaken, Offizier und General, seit der Revolution von 1917 Höchstkommandierender der russischen Streitkräfte. Er wurde nach der Kerenski-Offensive, als er weitere Vollmachten verlangte, vom Ministerpräsidenten abgesetzt. Dies löste einen Militärputsch im September 1917 und einen „Marsch auf Petrograd“ aus, der zusammenbrach. Kornilow war 1918 einer der ersten Kommandanten der weißrussischen antibolschewistischen Armeen. Er rief schließlich eine selbständige Don-Republik aus, die aber nur kurze Zeit Bestand hatte. Kornilow fiel als General bei den Kämpfen gegen die Rote Armee im Nordkaukasus im April 1918. 373 Otto Schönherr (St. Pölten, 7.2.1888–  ?), 18.8.1909 aus Theres. Milakad. zum 2.TKJR ausgemustert, 1.5.1914 Oblt., 24.5.1917 Glstbsoffizier 18. GebBrig. und Kriegsschulaspirant, 25.6.1917 Glstbsoffizier 59. ID.

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bungsschreiben Ausdruck fanden. Herzlich und voll Sympathie-Erklärungen war der Abschied von den Truppen der Brigade, mit denen ich aber bald wieder in Berührung kommen sollte. Wo sich das XXVI. Korpskommando befand, wusste ich nicht. Im Versetzungsbefehl stand, ich hätte über die Personalsammelstelle Lemberg einzurücken. Also marschierte ich mit meinem Offiziersdiener durch den hochsommerlich duftenden Wald über die Rotunda an die Bahn und fuhr über Sátoralja-Ujhely374–Homona und über den Karpatenkamm nach Lemberg. Meine „Marschroute“ (das war das mich legitimierende Reise- und Ausweisdokument für Eisenbahn und kontrollierende Feldgendarmerie) war vom 18. Juli datiert, so dass ich keine besondere Eile hatte, weil ich von Kirlibaba schon am 17. aufgebrochen war. In Lemberg war mein Vater erstmals in Garnison gewesen, als er geheiratet hatte, und dann wieder, als ich ein Bub von 8 Jahren war. Dort hatte ich an der evangelischen, einzigen deutschen Volksschule bis zum 10. Jahr gelernt. Selbstverständlich interessierte es mich, meine Kindheitserinnerungen an Lemberg mit den Augen des Erwachsenen zu konfrontieren. Vom Bahnhofskommando Lemberg ließ ich mir für eine Nacht ein Quartier anweisen. Dort erfuhr ich, dass das XXVI. vom ungarischen General Hadfy375 kommandierte Korps jenes Unglückskorps war, das die Russen von Stanislau 25 km nach Westen zurückgeworfen hatten.376 Wo es zurzeit sei, wisse niemand  ; am besten, ich möge über das 3. Armeekommando in Stryi zum XXVI. Korps zu gelangen trachten. 374 Sátoraljaújhely, Ungarn, Komitat Borsod-Zemplén, wichtige Siedlung im Gebiet Hegyalja, heute Grenzstadt zur Slowakei, am rechten Ufer der Ronyva. Homonna, Ungarn, heute Humenné (Homenau, Ostslowakei), ein Zentrum der Ostslowakei an der Nordseite des Vihorlat, ehemals Zentrum der Herrschaft der Familie der Drugeth de Homonna, die besonders in der Geschichte des Dreißigjährigen Krieges eine militärische bedeutsame Rolle spielten. 375 Emerich (Imre) Hadfy (Nagykároly, Ungarn, 2.11.1853–28.3.1936, Kis-Zombor, Ungarn), 18.6.1871 zum IR 5 als Infanterist assentiert, 1874 nach Absolvierung der IKSch. Wien ausgemustert und am 1.5.1875 Lt., 1.1.1880 Lt.i.d.Res, 1886 Übernahme in die Honvéd, Stabsoffizier in der Honvéd, als Obst. zugeteilt dem VI. Lw.-Distrikt, 1.11.1910 GM, Brigadier, dann Landwehr-Distrikts-Kommandant, 26.4.1914 FML und nach Kriegsbeginn Kdt. einer Korpsgruppe an der galizischen Front, 14.8.1917 GdI. und Kdt. VI. Korps, betraut aber auch mit Kdo. XXIII. Korps, kämpfte im Juni/Juli 1917 an der russischen Front bei Stanislau im Rahmen der k. u. k. 3. Armee, seit IX/1917 Kdt. XXIV. Korps bis Kriegsende. 376 Im Zuge der am 1.7.1917 beginnenden Kerenski-Offensive entwickelten sich ab 6.7. schwere Kämpfe bei Stanislau gegen die Stellungen der 3. Armee, die bis 16. 7. andauerten, das XXVI. Korps war beteiligt, als am 9.7. nordwestlich von Stanislau die vordersten Linien aufgegeben wurden und am Tag darauf jenes Korps zurückgenommen werden musste. Am 19. Juli begannen die Verbündeten eine Gegenoffensive. Bei Zloczów wurden die russischen Linien in breiter Front durchbrochen und die teilweise in Auflösung befindlichen russischen Truppen weit zurückgedrängt.

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Lemberg machte auf mich einen guten Eindruck. Die Stadt hatte durch den Krieg verhältnismäßig wenig gelitten. Ich suchte alle Stätten, die mir aus der Kindheit im Gedächtnis geblieben waren, und fand sie auch  ; die Entfernungen und Größenverhältnisse waren freilich viel kleiner als in meiner Erinnerung. Am folgenden Tage fuhr ich nach Stryi zum 3. Armeekommando, um mich zu melden. Erstaunt fand ich dort den von mir verehrten Obst. v. Salis-Samaden, meinen ehemaligen Chef der Operationsabteilung an der italienischen Front, als Armeegeneralstabschef vor. Er begrüßte mich herzlich, war jedoch durch den erlittenen Misserfolg gedrückter Stimmung. Meine Frage, ob es stimme, dass das XXVI. Korps als erstes zurückgeworfen worden sei, bejahte Salis und meinte resigniert, dass es nicht notwendig hätte so kommen müssen  ; die Truppen wollten nicht mehr kämpfen, anders sei der Zusammenbruch der 15. ungar. Division nicht zu erklären  ; Gen. Hadfy sei vom Kommando des XXVI. Korps enthoben  ; als neuer Kommandant wäre FML Ernst v. Horsetzky377 bestimmt, der aber erst von der italienischen Front komme  ; Generalstabschef des Korps sei Obst. Aurelius Stromfeld378. Der genaue Standort des Korpskommandos sei momentan nicht bekannt  ; ich müsse es auf der Linie ZurawnoKalusz suchen. Nach einem kurzen Imbiss empfing ich die Orientierung, deutsche Truppen seien im Anrollen in den Raum des XXVI. und XIII. Korps. Ich machte mich auf den Weg. Zunächst nahm mich ein nach Zurawno fahrendes Lastauto mit. Dort wurde mir gesagt, mein Korpskommando dürfte in Sokolów sein, wohin gerade ein Munitionsauto abgehe. Ich saß auf und fuhr nach Sokolów  : kein Korpskommando. Weiter südostwärts, in Kalusz seien Russen eingedrungen, aber gestern wären noch Teile des Korpskommandos da gewesen. So machte ich mich in dieser Richtung zu Fuß auf den Weg. Es war Spätnachmittag geworden, ein wunderbar sonniger Julitag. Von einem in südöstlicher Richtung bestiegenen Aussichtspunkt sah ich auf der nächsten feindwärtigen Bodenwelle einen 377 Ernst Horsetzky Edl. von Hornthal (Wien, 14.5.1865–28.5.1943, Wien), 18.8.1885 ausgemustert aus der Theres. Milakad. zum FJB 21, 1.11.1890 zugeteilt Glstb. u. Glstbskarriere, 1894–1897, Lehrer für Kriegsgeschichte an der Theres. Milakad., Brigadier, 1.11.1911 GM u. Kdt. 3. ITD, 1.1.1915 FML, Divisionär im Weltkrieg, 20.1.1918 bis Kriegsende Kdt. XXVI. Korps. 378 Über Aurel Stromfeld siehe die Daten in  : Zeynek-Broucek, S. 226, Anm. 318. Stromfeld war ab Okt. 1918 Kdt. d. Ludovika-Akademie, stellte sich der ung. Republik zur Verfügung und war ab Dez. 1919 Mitglied der ung. sozialdemokratischen Partei. Ab 19.4.1919 war Stromfeld Kdt. d. ung. Ost­armee, ab 4.5.1919 der ung. Roten Armee überhaupt (Oberkommandierender dem Namen nach war der Sozialdemokratische Gewerkschafter Vilmos Böhm). Die Rote Armee kämpfte gegen Tschechen und Rumänien um die Integrität des ung. Staatsgebiets von 1917/18, also gegen das Prinzip der Nationalstaaten. Stromfeld trat am 29.6.1919 zurück, war sodann bis 1921 inhaftiert und wurde 1926 als Zivilist Mitglied der ung. Kommunistischen Partei.

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kleinen, etwas beleibten deutschen General einsam dahinspazieren. Mit dem Feldstecher erkannte ich Gen. v. Litzmann379, den berühmten Führer der Garde in den Kämpfen bei Lódz  ; zuletzt hatte ich ihn im Sturmkurs zu Nyáradszereda getroffen. Nachdem ich die nächste Bodenwelle erstiegen hatte, traf ich mit Gen. Litzmann zusammen und meldete mich. „Also endlich jemand, der mich orientieren kann  !“, war seine Antwort  ; leider musste ich verneinen und ihm erklären, dass ich selbst mein Korpskommando suche  ; „Na dann viel Glück  !“, sagte er. Ich stieg hinunter und die nächste Bodenwelle hinauf – auf etwa 2 km konnte ich bereits Russen wahrnehmen  ; zwischen mir und den Russen gab es offenbar keine eigene Stellung mehr. Während ich überlegte, was nun zu tun wäre, da allmählich die Dämmerung einzufallen begann, schlugen plötzlich Zigeunerweisen an mein Ohr. Ich ging den Tönen nach, die aus der Tiefe erklangen, und stand unversehens vor einem „Folwark“, so nannte man die Meierhöfe des Großgrundbesitzes in Galizien. Vor dem großen Tor stand ein Posten. Auf meine Frage, was in dem Meierhof drin sei, bekam ich zur Antwort  : „A huszon hatodik Hadtestparancsnokság  !“, also das XXVI. Korpskommando. Durch Zigeunermusik angelockt hatte ich zufällig meine neue Bestimmungsstation gefunden. Beim Betreten der Tenne erblickte ich Offiziere, unter ihnen Obst. Stromfeld. Er kannte mich nicht, ich ihn seit Langem. Als ich nämlich mit meinen Eltern in Wien am Kolonitzplatz 8 wohnte, lebte im 1. Stock des Hauses ein pensionierter Oberst mit einer hübschen Tochter  ; dieser machte ein Honvéd-Oberleutnant den Hof, der die Kriegsschule besuchte. Wir lachten viel über diesen „Honvéd“ mit dem urdeutschen Namen Stromfeld. – Während meiner Zeit in Bosnien als Generalstabshauptmann beim Armeeinspektor hatte Stromfeld an der Kriegsschule gelehrt  ; kurz vor Kriegsausbruch war er mit seinen Schülern auf Übungsreise durch Sarajevo gekommen. Jetzt war er mein Generalstabschef und ich, auf den Posten des zweiten Stabsoffiziers beim Korpskommando versetzt, sein Stellvertreter. Bei meinem Eintritt pausierten die Zigeuner, und ich durfte mich zum Dienstantritt melden. Meiner ernsten Miene gewärtig erklärte Stromfeld, dass er diese „mu379 Karl Litzmann (Neu Globsow, Kreis Ruppin, Preußen, 22.1.1850–28.5.1936, ebendort), Angehöriger eines seit Mitte des 16. Jh. nachweisbaren Ratsgeschlechtes, Offiziersausbildung, 1898 General, 1902–1905 Chef der Berliner Kriegsakademie, 1905 Ruhestand, 1914 reaktiviert und Kdt. der 3. Gardedivision zu Fuß. Unter dem Oberkdo. von Reinhard von Scheffer-Boyadel im November 1914 gelang Litzmann in der Nähe der polnisch-russischen Stadt Brzeziny der Durchbruch durch die russische Front. Diese Operation in der Nähe von Lódz half mit, den Vormarsch der russischen Truppen in Richtung Posen (heute Poznán, ehemals Westpreußen) aufzuhalten. Bis Jänner 1918 war Litzmann Kdt. von Armeegruppen in Wolhynien und Ostgalizien, dann 1918 im Westen. Litzmann war seit 1929 in der Nationalsozialistischen Bewegung tätig, seit 1930 Mitglied der NSDAP. Als Alterspräsident des dt. Reichstages gab Litzmann 1933 von sich, der Himmel würde die Abgeordneten strafen, sollten sie Hitler nicht zum Reichskanzler wählen.

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latság“ (Unterhaltung)380 nach der erlittenen Niederlage zur Hebung des Mutes und der Zuversicht des Kommandos angeordnet habe  ; ihm unterständen zur Zeit keine Truppen, da diese, arg zerschlagen, nach hinten in Erholungsquartiere verlegt wurden und in die Front deutsche Divisionen unter deutschem Befehl einrückten. Auf meine Meldung, dass ich Gen. Litzmann begegnet sei, die Russen kaum 1.500 m vom Meierhof gesehen habe und das vorgesetzte 3. Armeekommando den Standort des Korpskommandos nicht kenne, meinte Stromfeld, es sei inzwischen alles in Ordnung gekommen, die Telefonverbindung zum Armeekommando hergestellt, der Standort des Kommandos durch Feldwachen gesichert. Also machte ich mich mit den Herren im Kommando bekannt. Die rechte Hand Stromfelds war der junge Generalstabshauptmann Ludwig, den ich in der Folge als einen hervorragend tüchtigen, gewissenhaften und klugen Arbeiter schätzen lernte. Dem zweiten Stabsoffizier bei einem Korpskommando oblag im Krieg die gesamte materielle Versorgung des Korps und die Kanzleidirektion, also die Bewältigung des gesamten schriftlichen Dienstverkehrs mit Ausnahme der taktischen Befehle, die der Generalstabschef mit Hptm. Ludwig besorgte und welche die Basis für den von mir zu leitenden Nachschub für das Korps bildeten. Noch in der Nacht oder am nächsten Morgen muss der Befehl eingetroffen sein, der das XXVI. Korpskommando zur 7. Armee überstellte, wo es den Befehl über die 59. Infanterie- und 40. Honvéd-Division zu übernehmen hatte, somit genau in den Raum sollte, aus dem ich zum Korpskommando versetzt worden war. Meine erste Tätigkeit war der Abtransport des Korpskommandos im Einvernehmen mit der Feldtransportleitung über Stryi mit der Eisenbahn nach Máramarossziget und mit Automobilen weiter nach Borsa. In der letzten Bahnstation trafen wir mit dem neuen Korpskommandanten, FML v. Horsetzky, zusammen. Er war eine kleine schmächtige, unansehnliche Erscheinung, aber grundgescheit und tapfer. Aufgrund meiner Tätigkeit bei der 18. Gebirgsbrigade vermochte ich den Kommandanten und den Stab über beide Divisionen in allen Einzelheiten zu orientieren. Das war wichtig, weil für die sonst üblichen Frontbesuche keine Zeit blieb. Denn deutsche Divisionen hatten unter der persönlichen Führung des Prinzen Leopold v. Bayern381 die Russen in den Schlachten bei Zborów und Zloczów, von Norden nach 380 Mulatság  : ungarischer Ausdruck für abendliches Festessen, der sehr stark in die militärische Alltagssprache übergegangen ist. In der Armeesprache wurde dazu auch noch das Zeitwort „mulattieren“ hinzugefügt, als Ausdruck für „Feiern“ nach der Dienstzeit. In der Vorstellungswelt des Publikums ist damit oftmals auch das kommentmäßige oder auch mutwillige Zerbrechen von Trinkgläsern und sogar Tellern usw. verbunden. 381 Über Leopold Prinz v. Bayern, dt. GFM, siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 465, Anm. 429. Er war 1917/18 OB der deutschen Armeen an der Ostfront.

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Süden stoßend, schwer geschlagen und durch Fortführung ihres Angriffes in südlicher Richtung die ganze ostgalizische russische Front ins Wanken gebracht.382 Dadurch wurde auch die 7. ö.-u. Armee unter FM Kövess zum Angriff der Russen in den Waldkarpaten veranlasst. Der noch von mir entworfene Angriff der 18. Gebirgsbrigade über die Dadul-Höhe kam nun zur Durchführung, wenn auch anstelle der versprochenen 10 deutschen Batterien der kriegerische Zerfall der Russen getreten war. So drängten in den letzten Juli- und ersten Augusttagen die beiden Divisionen des Korps über Seletin in Richtung Radautz-Hadikfalva383 die Russen zurück, die uns gegenüber noch beachtliche Widerstandskraft zeigten. Meine Aufgabe bestand in der Versorgung beider Divisionen mit Kampf- und Personen-Bedürfnissen, um den Vormarsch in Fluss zu halten. Ein Blick auf die Landkarte des durchschrittenen Gebietes zeigt, wie schwierig diese Aufgabe allein schon durch den Mangel an Straßen war  ; dazu kam, dass die Trains durch den langen Stellungskrieg großer Marschbewegungen entwöhnt und die Pferde durch die ungenügende Fütterung kraftlos geworden waren. So war ich in diesen Tagen nur stundenweise Gast im Korpskommando, um die jeweilige Frontlage festzustellen. Die übrige Zeit war ich Tag und Nacht mit Autos und zu Pferd unterwegs, um, oft mit harten und groben Worten, die Trains in Fluss zu halten, die Arbeiterabteilungen auf der einzigen Straße im Moldawa-Tal nach Seletin zu deren Instandhaltung anzusetzen und zu harter Arbeit anzuhalten, die Vorziehung von Feldspitälern wie den Abschub der Verwundeten und Kranken in Bewegung und die schwergewichtige Artilleriemunition nach vorne zu bringen. Wenn ich heute daran zurückdenke, befällt mich ein Staunen, wie ich dies alles bewältigen konnte. Die von mir über Stock und Stein benützten Autos brachen eines nach dem anderen zusammen, und die bedächtige Langsamkeit des Armee-Etappen382 Die russische Armee bereitete auf einem etwa 65 km langen Frontstück in Ostgalizien eine Großoffensive vor, gegenüber der Heeresgruppe FM Böhm Ermolli. Innerhalb dieser sollten die k. u. k. 2. Armee, die dt. Südarmee sowie die k. u. k. 3. Armee in erster Linie mit 31 Divisionen angegriffen werden. Hauptangriffspunkt sollte der Ort Zloczów sein. Den Russen gelang jedoch in erster Linie ein Einbruch bei der 2. Armee, und zwar durch eine russische Schützenbrigade mit ausschließlich tschechischen Mannschaften. Die Tschechen trafen dort auf die böhmischen Regimenter IR 35 und IR 75, die sich nach anfänglichem Widerstand ihren böhmischen Landsleuten ergaben. Diese Kampfhandlung wurde seither als der Gründungstag der Tschechoslowakischen Armee, heute der Tschechischen Armee, gefeiert. Auf russischer Seite kämpften 1917 etwa 92.000 Mann tschechischer Herkunft gegen die Verbündeten. Am 19. Juli 1917 setzte die Gegenoffensive der Verbündeten ein. Am 28. Juli gab es große Erfolge im Raum Kirlibaba, am 30. Juli überschritten ö.-u. Verbände den Zbrucz in einer Breite von 50 km und standen damit auf russischem Boden. Am 2. August wurde Czernowitz zurückgewonnen. 383 Radautz, heute Rădăuţi, Bezirk Suceava, Rumänien ehemals Bukowina, Bezirk Suczawa, ehemals vor allem Kurort, heute Zentrum der Holz- und Lebensmittelindustrie  ; Hadikfalva, heute Dornesti, Ort am Fluss Suceava, einem Nebenfluss des Seret.

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kommandos ließ mich öfter in ungebührlich stürmischem Ton mit hohen Offizieren sprechen. So erinnere ich mich noch, wie ich in etwas zu lauter Sprache vom Armeegeneralstabschef Obst. v. Steinitz384 Befehle an die Etappe forderte, damit diese uns über Storozynetz nach Süden Artilleriemunition zuschiebe, ohne die unsere Infanterie zu große Verluste erleide  ; die heftige Aussprache veranlasste den im Nebenraum sitzenden Armeekommandanten FM Kövess herauszutreten und beruhigend zu sagen  : „Nur Mut, es wird schon alles ins Gleis kommen  !“, worauf ich heftig erwiderte  : „Ich danke gehorsamst Exzellenz, Mut haben wir genug, aber Artilleriemunition fehlt uns.“ Wie ruhig nahmen beide Herren damals meine Heftigkeit hin  ! Anscheinend hatte mir mein Korpskommandant ein gutes Zeugnis ausgestellt  ; denn so oft ich in diesen Tagen im Korpskommando erschien und FML v. Horsetzky in Gegenwart des Generalstabschefs Bericht erstattete, fand er für mich stets hohe Worte der Anerkennung. Nach der Zurückeroberung ganz Ostgaliziens und des Großteils der Bukowina kam die Bewegung Mitte August zum Stehen und die Fronten begannen in Dauerstellungen zu erstarren. Das Korpskommando etablierte sich in Unter-Wikow, einem kleinen sauberen, von den Russen unzerstört gebliebenen, jedoch menschenleeren Ort. Von Hptm. Ludwig begleitet ging Horsetzky täglich am frühen Morgen in die Stellungen der Truppen, um diese und ihre Bedürfnisse persönlich kennenzulernen. Aufgrund dieser Erfahrungen gab er seine Befehle an Stromfeld und mich stets in außerordentlich feiner, liebenswürdiger Art. Ich hatte große Hochachtung vor seiner Persönlichkeit und war nicht nur bemüht, alle seine Befehle für das Wohl der Truppen bestens in die Tat umzuformen, sondern auch ihm persönlich kleine Freuden zu bereiten. So nahm ich wahr, dass er gern Zigarren rauchte und Marmelade zum Frühstück wünschte. Ich brachte ihm von meinen Inspektionsfahrten aus den verschiedenen Verpflegungsdepots öfter ein Kistchen Zigarren und auch Marmeladen mit, was er stets dankbar entgegennahm. Nach seiner Rückkehr von den Truppen hätte FML v. Horsetzky gern nach gut österreichischer Art ein komplettes Mittagessen mit Suppe gehabt. Diese bekam er anfangs nicht, weil der Generalstabschef nicht nur ein 150-prozentiger Magyare sein wollte, sondern sich gelegentlich auch als Rheindeutscher gerierte, von wo sein Vater nach Ungarn eingewandert war, und die deutschen Stäbe nach englischer Sitte in der Regel den Lunch ohne Suppe nahmen und erst abends Suppe servieren ließen  ; Stromfeld nannte darum auch den sonst normalen Mittagstisch „Frühstück“. Das behagte Horsetzky gar nicht  ; in seiner taktvollen Art geäußerte Wünsche gingen an den 384 Über Eduard R. v. Steinitz (1868–1955) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 258, Anm. 427. GM Steinitz war 1917 Glstbschef der 7. und dann der 3. Armee. Nach 1918 und nach 1945 war er einer der anerkanntesten öst. Militärhistoriker.

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Ohren des robusten Obersten ungehört vorbei. Als nun der Vormarsch zum Stehen gekommen war und ich im Korpskommando die schriftlichen Rückstände aufzuarbeiten begann, kam ich regelmäßig zum Mittagstisch. Da konnte ich ohne Kränkung Stromfelds dem Korpskommandanten einen Teller heißer Suppe zukommen lassen  : Wegen meiner vom Balkan mitgebrachten, qualvoll schmerzlichen Darmentzündung hatte mir der Arzt neben Tierkohle täglich eine Schleimsuppe verordnet  ; diese Suppe ließ ich mir reichlich in einer Terrine servieren und bot dem Korpskommandanten, an dessen linker Seite ich saß, wie von ungefähr davon an. Horsetzky verstand meine Absicht und ließ sich einen Suppenteller bringen. Einmal meinte er zu mir, dass ich das gut gemacht hätte  ; er hätte eine Mittagssuppe bei seinem Oberst nicht durchgesetzt. Leider wollte mein Darm nicht besser werden. Usora gab es hier nicht, und die schon mit Esslöffeln genommene Tierkohle half nicht. Der Korpschefarzt wollte, dass ich ganz im Bett bliebe. Das konnte ich nicht, denn ich hatte jeden Vormittag eine Menge auswärts zu regeln. Erst nach dem Mittagessen konnte ich mich mit einem Haufen Schreibarbeiten in meinem netten kleinen Zimmer niederlegen. Da war es für mich eine ganz große Auszeichnung, dass FML v. Horsetzky mich fast täglich nach seinem kurzen Schläfchen an meinem Bett besuchte und zuerst über die dienstlichen Geschäfte sprach, anschließend auch über private Verhältnisse und die Kriegslage, die durch den Zusammenbruch des russischen Zarentums eine kleine Hoffnungsspalte für ein erträgliches Ende zu öffnen schien. In Italien, das soll heißen, an unserer italienischen Front, ging es heiß zu, und er war der Meinung, dass die Lage dort langsam bedrohlich werde. Nicht wegen der italienischen Truppengüte, sondern wegen der erdrückenden Übermacht an Material  ; die italienische Artillerie habe anscheinend unbeschränkte Mengen an Munition und die zahlenmäßige Überlegenheit der italienischen Flieger sei besorgniserregend  ; dazu komme die völlig unzureichende Ernährung unserer Truppen dort. Dabei sagte er mir anerkennend, dass er staune, was ich hier für die Truppen an Ernährungsmitteln hervorzuzaubern verstände. Ich konnte dieses Lob mit dem Hinweis einschränken, dass die Aufbringungsräume im Verhältnis zur Truppenzahl doch sehr groß seien und die Russen das Land Bukowina schonend behandelt hatten. In den ersten Augusttagen traf die Nachricht ein, dass Seine Majestät mich mit 1. August 1917 in der Rangtour des Generalstabes zum Major zu ernennen geruht habe. Ich nahm diese Nachricht mit Befriedigung auf, weil ich mit der Möglichkeit gerechnet hatte, wegen meiner Beschwerde gegen das Generalgouvernement Serbien vielleicht auch im Avancement zurückgestellt zu werden. Durch die Kriegsverhältnisse bedingt war ich bereits nach 4 Jahren und 10 Monaten Hauptmannsdienstzeit mit 33 Lebensjahren Major geworden. Damit war die Geschichte für mich erledigt  ; die Arbeit ließ mir für Eitelkeiten keine Zeit. Ich trug meine Hauptmannsbluse weiter. Nach etwa

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zehn Tagen brachte Horsetzky mir zwei Stück Goldborten und zwei silberne Sterne bei seinem Nachmittagsbesuch mit und mahnte, ich möge mir die Majorsdistinktion endlich aufnähen lassen. Ich war tief gerührt über so viel Güte und beschämt über meine Gleichgültigkeit. Am nächsten Tag erschien ich beim Mittagessen erstmals als Major  ; ein allgemeines Händeklatschen des Stabes empfing mich und auch die unvermeidliche Zigeunermusik, die weder Horsetzky noch ich liebten, spielte auf  ; für Stromfeld war wieder einmal ein Anlass zu einer mulatság gegeben, der ich mich bald entzog. Im September besserte sich mein Darmleiden wieder so, dass ich unbeschränkt dienstfähig wurde. Der Nachschub fürs Korps war nun geregelt  ; er konnte nur mehr kleine Verbesserungen erfahren. Deshalb meldete ich Obst. Stromfeld, dass ich nun auch die Truppen in ihren Stellungen besuchen könne und ihm von meinen Eindrücken regelmäßig Bericht erstatten werde  ; er war einverstanden. So kam ich auch wieder zu der mir vertrauten 18. Gebirgsbrigade, bei deren Kommando ich den ganzen Tag bleiben musste, weil die Russen dort wieder so scharf geworden waren, dass man bei Tage nicht in die vordersten Stellungen gehen konnte, ohne sofort heftiges Zielfeuer von Maschinengewehren auszulösen. So konnte ich erst nach Einbruch der Dunkelheit hinaus zu den Bataillonen und zurück. Leider waren bei den Angriffen der vergangenen Wochen einige liebe Kameraden gefallen, darunter auch ein netter, vor Kurzem aus der Militärakademie ausgemusterter Leutnant des Jägerbataillons Nr. 15. Wir sagten uns auf Wiedersehen, nicht ahnend, dass es unsere letzte Begegnung war. Denn Anfang Oktober traf vom AOK der Befehl ein, dass ich für eine neue Diensteinteilung in Aussicht genommen sei und mich deshalb bald beim Chef der Operationsabteilung in Baden zu melden hätte. Horsetzky meinte, ich käme nun gewiss an die italienische Front, es sei jedoch nicht schön von mir, ihn mit „seinem Obersten“ allein zu lassen. Obst. Stromfeld verabschiedete mich sehr ehrenvoll  ; ich bekam eine schöne schriftliche Korpskommandobelobung in die Hand gedrückt. Dann eröffnete er mir, dass FML v. Horsetzky meine Eingabe für den Kronenorden befohlen habe, in der alle meine Verdienste seit meiner letzten Auszeichnung zusammengefasst würden. Das war nett, denn für einen Major war es schon peinlich, den Kronenorden nicht zu besitzen, selbst wenn man auf solche Dinge keinen Wert legte. Was würde meine nächste Dienstverwendung sein  ? Ich hatte keine Ahnung, hoffte aber nun endlich Divisionsgeneralstabschef zu werden und die vorherige Berufung nach Baden werde vielleicht einen kaiserlichen Prinzen als Divisionskommandanten zum Anlass haben. Meinen Abgang vom XXVI. Korpskommando bedauerte ich nicht. Wohl hatte ich Horsetzky verehrt, aber zu Stromfeld blieb mein Verhältnis kühl. Er mag ein sehr tüchtiger Generalstabschef gewesen sein, aber sein überbetontes Magyarentum konnte

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ich nicht verstehen. Als nach dem Krieg Ungarn kommunistisch wurde, kämpfte Stromfeld als Armeegeneralstabschef mit Erfolg gegen die Tschechen. Später habe ich nichts mehr von ihm gehört. Den Herren des Stabes war ich mit Ausnahme von Hptm. Ludwig nicht nähergekommen. Und dass ich die Kanzleidirektion mit all ihrem schrecklichen Papierwust losgeworden war, erfüllte mich mit Freude. So fuhr ich gänzlich unbeschwert wieder einmal über Budapest nach Wien. F  Beim deutschen Armeeoberkommando 14 in Italien, dann Urlaub in Wien und Verlobung 9. 10. 1917–15. 3. 1918 In Wien angekommen stieg ich wieder im Hotel Elisabeth in der Weihburggasse ab, wo ich mein gewohntes Zimmer 20 mit Bad im ersten Stock bezog. Es war ein kalter Herbst und das Hotel nur mangelhaft geheizt. Das Personal schien abgemagert und bedrückt. Das mir gebotene Frühstück bestand aus einem Glas undefinierbarer Brühe und einem winzigen Stück Schwarzbrot, weswegen ich gebeten wurde, mir Lebensmittelkarten zu beschaffen, da mir sonst nichts geboten werden dürfe  ; die Hotels würden diesbezüglich von der Polizei streng kontrolliert. Mein erster Weg war zu meinem Schneider Szonda in der Wollzeile. Gern wartete ich darauf, mir die Majorsdistinktionen auf meiner Feldbluse ordentlich annähen zu lassen. Auch bat ich, den dort deponierten Waffenrock zu ergänzen. Der mir gezeigte Brennnesselstoff für eine neue Bluse war so miserabel, dass ich darauf verzichtete, eine Bluse machen zu lassen  ; vielleicht würde ich an meinem neuen Bestimmungsort Besseres zu kaufen bekommen. Dann suchte ich meinen Bruder Heinrich in seinem Amt in der Herrengasse auf. Das Wiedersehen war herzlich, aber es schmerzte, einander so schlecht aussehend zu finden. Bei mir waren es die Folgen des kranken Darms, bei meinem Bruder der Hunger. Heinrich hatte nach dem Tode unseres Vaters seine große, kostspielige Wohnung in der Hießgasse aufgegeben und eine billige am Neubau, in der Hermanngasse, bezogen. Wir aßen in irgendeiner Auskocherei etwas Fett- und Geschmackloses, und am Nachmittag besuchte ich die Familie, in der die kleine Anni immer noch schwer an der englischen Krankheit litt. Der Hunger sah allen Menschen aus den Augen – und man konnte nicht helfen  ! Die egoistische Absperrung der Länder gegen die Großstadt Wien mit ihren damals 2 Millionen Menschen war wohl die ausnahmslos alle Völker der Monarchie beschämendste Handlung. Alles war überall knapp geworden  ; aber in Wien herrschte bereits Hungersnot. Und trotzdem kein Ende des schrecklichen Krieges abzusehen  ! Am besten sprach man gar nichts, weil das früher geübte Mut

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Zusprechen verlogen klang und einfach nicht geglaubt wurde. Zwar war die militärische Lage auf allen Kriegsschauplätzen durchaus günstig für uns, der Hunger jedoch würgte nach und nach alles ab. Am folgenden Tag fuhr ich nach Baden zum AOK. Dessen kompletter personeller Umbau durch Kaiser und König Karl beeindruckte mich wenig, da ich ja auch das erste kaum gekannt hatte. So drang ich direkt zum Chef der Operationsabteilung, GM Baron Waldstätten, vor, der zugleich Stellvertreter des Chefs des Generalstabes war  ; weil Generaloberst Baron Arz stets den reisenden Kaiser begleitete und daher sein Amt kaum ausfüllen konnte, war Waldstätten der eigentliche Chef des Generalstabes. Er war bestimmt eine der besten und fähigsten Persönlichkeiten des k. u. k. Generalstabes, und Kaiser Karl, dessen Generalstabschef er beim XX. Korps in Südtirol gewesen war, schätzte ihn hoch. Er erinnerte sich nicht mehr an mich, und ich hatte keinen Anlass, mich in sein Gedächtnis zu rufen. Streng den Vorschriften gemäß meldete ich mich. GM Waldstätten reichte mir die Hand und erläuterte  : „Gegen Italien ist aus dem Raume Flitsch-Karfreit eine Offensive in Vorbereitung, die unsere Verteidigungsfront vom Isonzo vorverlegen soll. Der Angriff wird von GdI. Otto v. Below geführt werden, der Dich, anstelle des jetzt bei ihm eingeteilten Obst. Metzger, als Verbindungsoffizier verlangt hat. Wir haben keinen Anlass dieses Ansuchen zu verweigern. Fahre also nach Krainburg und löse dort Metzger ab. Deine Stellung wird nicht leicht sein, weil Seine Majestät einen Überwachungsdienst der deutschen Kommandos und Truppen veranlasst hat, der unsere Bevölkerung vor deutschen Requisitionen schützen soll.“ Das war alles. Ich stellte meinerseits auch keine Frage. Wozu auch  ? Mit Below und seinem Stabschef Böckmann würde ich gut zurechtkommen. Im Nebenzimmer bekam ich von Waldstättens Hilfsorgan den schon vorbereiteten schriftlichen Marschbefehl nach Krainburg mit dem Beifügen, meinen Auftrag und meine Bestimmungsstation streng geheim zu halten. Ich orientierte mich noch in Baden über die Bahnverbindung, die eine Abreise erst am nächsten Morgen ermöglichte. So fuhr ich wieder nach Wien zurück und besuchte noch einmal meinen Bruder im Büro. Merkwürdigerweise wurde diesmal in Wien nichts über die bevorstehende Offensive gesprochen. Ich glaubte nicht, dass die Wiener Tratschkreise sich gebessert hätten, vielmehr dürfte sie der Hunger für alle Kriegsereignisse teilnahmslos gemacht haben. Als Staatsbeamter wusste mein Bruder um die Verschwiegenheitspflicht und stellte keine Frage über meine neue Einteilung. Mit einem herzlichen Händedruck trennten wir uns. Am nächsten Morgen bestieg ich am Südbahnhof den fahrplanmäßigen Zug nach Triest, den ich nachmittags in Laibach385 verlassen musste, um einen Anschluss nach 385 Laibach, heute Ljubljana, römischer Name Aemona, gelegen an der Ljubljanica kam im 13. Jh. an

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Krainburg386 zu bekommen. In Marburg stand das Kommando der Südwestfront (KdoSWF) unter Erzh. Eugen, in Adelsberg387 das Kommando der Heeresgruppe FM Boroëvić. Am vorangegangenen Abend und während der Fahrt war mir einiges durch den Kopf gegangen  : Nichts war also aus der erhofften Stelle eines Divisionsgeneralstabschefs geworden  ; wieder war ich zum Verbindungsoffizier bei einem deutschen Armeekommando bestimmt worden. Ein eigenartiges Geschick  ! Es war als Generalstabsoffizier nicht leicht, eine Frontverwendung zu bekommen. Offensive gegen Italien war ja recht, reichlich spät allerdings. Dass unsere Angriffe immer in den Herbst fallen müssen  ! Mitte Oktober war im Hochgebirge täglich Schnee zu erwarten. Dass Gen. v. Below den Angriff führen werde, war gut. Zwar hatte er in Frankreich nicht sonderlich reüssiert, und ich hatte im abgelaufenen Halbjahr nichts weiter von ihm gehört. Wenn er jetzt aber in Italien den Angriff kommandieren würde, dann musste es wahr sein, dass Hindenburg ihn seinen besten General genannt hatte. Dieser „beste deutsche General“ hatte nun mich ausdrücklich zu sich verlangt – Donnerwetter, das war schon eine gewaltige Auszeichnung  ! Weit vorausschauend hatte er damit seine Abschiedsworte in Skoplje vor mehr als einem halben Jahr wahr gemacht. Da würde es vor mir wohl keine Geheimnisse geben  ; ich würde alles aus erster Hand erfahren. Das stimmte mich freudig. So freudig war ich gestimmt, dass ich zu drängen begann und überlegte, gar nicht in Marburg zu unterbrechen, um mich bei Erzh. Eugen und dessen Generalstabschef zu melden. Wer war das überhaupt  ? Gen. Krauss kommandierte doch das I. Korps in der Bukowina  ; Salis-Samaden hatte ich bei der 3. Armee in Galizien getroffen. Ja, wer dann  ? Ich wusste es nicht. Da müsste ich eigentlich doch zur Orientierung in Marburg aussteigen  ! Schließlich unterließ ich es, weil es mich nach vorne zu Below zog  ; dort würde ich schon alles erfahren. Am Nachmittag stieg ich in Krainburg, diesem unansehnlichen slowenischen Städtchen, aus. Das 14. Armeekommando war rasch gefunden  ; die vertraute viereckige Standarte vor dem Schulhaus zeigte es an. Ich trat ein  : lauter fremde Gesichter  ! Viele Bayern. Auf die Frage, wo ich den österreichischen Verbindungsoffizier treffen könne, wurde ich in ein kleines Zimmer gewiesen, in welchem ich Obst. Hugo Metzger misslaunig fand.388 Meinhard II. von Tirol, im 14. Jh. mit Krain an die Habsburger und blieb Hauptstadt dieses Herzogtums bis 1918, 1462 wurde Ljubljana Bistum  ; seit 1989 ist Ljubljana Hauptstadt von Slowenien. 386 Krainburg, heute Kranj (Slowenien), Hauptort von Gorenjska (Oberkrain), Verkehrsknotenpunkt an der Mündung der Kokra in die Save, welche von hier aus schiffbar ist. 387 Adelsberg, Krain, heute Postojna, Slowenien. Berühmt durch seine einzigartige Tropfsteingrotte. 388 Über Hugo Metzger (1881–1950) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 421, Anm. 442. Metzger war vom 8.3. bis 28.10.1917 Glstbschef der ID Pustertal, dann diverse kurzfristige Verwendungen bis

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Wir kannten uns aus unserer gemeinsamen Dienstzeit in Sarajevo  ; dort hatte er als Hauptmann und Major beim 48. Divisionskommando Dienst getan und die wenig reizvolle Tochter seines Divisionärs, FML Eisler, geheiratet. Danach kam er nach Wien ins Etappenbüro des Generalstabes und wollte mich dorthin nachziehen  ; das hatte ich damals abgelehnt, was ihn wiederum verschnupft hatte  : Ich hätte das Etappenbüro „nicht nobel genug“ gefunden. Sein älterer Bruder war durch Jahre der Stellvertreter FM Conrads gewesen und kommandierte jetzt die 1. Division bei Tolmein.389 Als er mich eintreten sah, äußerte Metzger seine Freude, dass ich endlich da wäre  ; er habe um seine Ablösung gebeten, weil ihm eine Zusammenarbeit mit den hochfahrenden Deutschen einfach unmöglich sei  ; er könne bei ihnen nichts durchsetzen, sie wüssten alles besser, ekelhaft. (Derselbe Metzger war dann in den Jahren nach Hitlers Machtergreifung in Deutschland ein schwerer Nazi  !) Sollte ich ihn kränken durch Mitteilung der wahren Ursache seiner Abberufung  ? So bat ich ihn bloß um ein paar Informationen. Ich erfuhr, dass nicht Glt. v. Böckmann, sondern Krafft v. Dellmensingen Generalstabschef bei Below sei, den Metzger nur bei seiner ersten Meldung kurz gesehen habe  ; Ia sei auch nicht Mjr. v. Becker, der Afrikaner, sondern ein preußischer Mjr. v. Willisen „mit einer ganz großen Schnauze“  ; sonst nur bayrische Generalstabsoffiziere. Über den Aufmarsch vermochte mich Metzger nur unbefriedigend aufzuklären  ; er wusste zu wenig, beklagte sich nur, dass ihm „diese eingebildeten Deutschen“ nicht alles mitteilten. Nach alledem sagte Metzger, er hätte mir nun „alles übergeben“ und fahre sofort vom Kommando weg. Ich dankte ihm und verließ sein Zimmer nach flüchtiger Handreichung. Auf dem Gang begegnete ich dem bayrischen Generalstabsmajor Schwink, den ich aus Serbien kannte, wo er beim deutschen Alpenkorps eingeteilt gewesen war. Er begleitete mich gleich zum „Chef “. Glt. Krafft v. Dellmensingen kannte ich bisher lediglich dem Namen und guten Ruf nach. Vor dem Krieg war er Chef des bayrischen Generalstabes gewesen, welcher in der deutschen Armee technisch besonders hoch gewertet wurde, da er im Gegensatz zum preußischen, der im Frieden auch mit organisatorischen Aufgaben befasst war, ausschließlich seiner Fortbildung auf taktischem und operativem Gebiet obliegen konnte. Ein Rest bayrischer Eigenständigkeit kam auch an der Uniform zum Ausdruck  : Die bayrischen Generalstabsoffiziere trugen den Rockkragen mit einer blau-silbernen Borte eingefasst. Kriegsende, Übernahme in Volkswehr und Bundesheer, 1.7.1928 Kdt. d. Heeresschule Enns, 1.1.1929 Leiter der Sektion II. im BMfHw., 26.3.1929 General  ; 1930 pensioniert. 389 Über Josef Metzger (1870–1921) siehe die Daten bei Zeynek-Broucek, S. 93, Anm. 93. Metzger war 1910 bis Frühjahr 1917 Chef des OpB. des Glstb. bzw. d. OpAbtlg/AOK, 1916 FML 1917 und Kdt. d. 1. ID bis Kriegsende. Metzger stellte sich von 1920/21 bis zu seinem Tod der Planung eines „Marsches auf Wien“ durch bayerische und öst. Heimwehren zur Verfügung, mit dem auch Gen. Krauss zu tun hatte. Infolge des Ablebens von Metzger wurde jener Plan zunächst nicht weiter verfolgt.

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Glt. Krafft war mit einer Wiener Bürgerstochter verheiratet, einer Kalliwoda (Kotzen- und Bettdeckenfabrik), und kannte Österreich und seine Armee mit all’ ihren Stärken und Schwächen besser als andere reichsdeutsche Generäle. Nach Kriegseintritt Italiens war er mit seinem bayrischen Alpenkorps an den ersten Abwehrkämpfen in Osttirol erfolgreich beteiligt, dann in Serbien und bei der Niederschlagung Rumäniens im engen Verein mit ö.-u. Verbänden hervorragend bewährt. Leider waren ihm dabei von unserer Seite nicht immer mannhaft offene Charaktere begegnet. Besonders von Tirol hatte er den Obstlt. Pfersmann in übler Erinnerung, wie er mir das gelegentlich einmal sagte.390 Er brachte österreichischen Generalstabsoffizieren daher Misstrauen entgegen, was ich gleich bei meiner ersten Meldung zu fühlen bekam. Krafft, eine mittelgroße, etwas beleibte Erscheinung, erhob sich bei meinem Eintritt von seinem Schreibtisch und eröffnete mir nach meiner Meldung, dass „er“ in der Zusammenarbeit mit österreichischen Generalstabsoffizieren hinsichtlich deren Aufrichtigkeit nicht immer die besten Erfahrungen gemacht habe  ; mir gehe in dieser Hinsicht ein besonders guter Ruf der Loyalität voran, weshalb Gen. v. Below mich ausdrücklich zum Armeekommando angefordert habe  ; deshalb begrüße auch er mich und erwarte von meiner Seite positive Mithilfe und keine Erschwernisse  ; ich sei hier in einem rein bayrischen Stab mit Ausnahme des Ia, der Preuße sei, sich allerdings in verschiedenen Verwendungen derart bewährt habe, dass Krafft ihn bei sich behalten habe  ; mit Willisen möge ich ungescheut alles besprechen, was mir am Herzen liege. Das war ein eigenartiger Empfang. Auch sonst machte Krafft im Gegensatz zum prächtigen Böckmann in Makedonien einen etwas nervösen Eindruck. Ohne Erwiderung verbeugte ich mich und war entlassen. Der gute Mjr. Schwink hatte draußen auf mich gewartet, um mich gleich im ganzen Kommando herumzuführen und bekannt zu machen. Willisen empfing mich kameradschaftlich  : „Ich habe von Ihnen Bestes gehört  ; wir wollen in guter Kameradschaft zusammenarbeiten  !“ Außer Mjr. Schwink, der als Ib in der Operationsabteilung die rechte Hand Willisens war und mit dem mich bald herzliche Freundschaft verband, sind mir noch Mjr. Grf. Sponer und Hptm. Fehr wegen ihrer hervorragenden Quali390 Rudolf R. Pfersmann v. Eichthal (Mährisch Trübau/Moravská Třebová, Mähren, heute ­Tschechien, 18.3.1878–14.8.1974, Wien), 18.8.1898 ausgemustert aus Theres. Milakad.als Lt. zum IR 25, ab 1.11. 1904 zugeteilt Glstb., 1.11.1909 eingeteilt bei Landwehrkdo. Krakau, 1.11.1912 Hptm.i.G. und Glstbsdienstleistung bei der k. k. Landwehr, 7.8.1914–25.5.1915 Glstbschef Milkdo. Innsbruck, und gleichzeitig Kdo. d. Tiroler Landesverteidigung, 5.10.1915 Verbindungsoffizier beim Dt. Alpenkorps, 16.10.1915 Leiter der Befehlsgruppe beim XIV. KKdo., 1.8.1916 Obstlt.i.G, 4.3.1918 Glstbschef 45. SchD. Pfersmann war nach 1918 als Musiker tätig und bis ins hohe Alter vor allem als höchst erfolgreicher Schriftsteller von Romanen und Anekdotenbänden über die „Alte Armee“ (Pseudonym  : Rudolf v. Eichthal).

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täten in lebhafter Erinnerung geblieben. Sponer oblag die Regelung aller Marschbewegungen und die materielle Versorgung der deutschen Divisionen. Da die Italiener überrascht werden sollten, wurden die deutschen Divisionen erst in der letztmöglichen Zeit in die vordere Kampffront eingeschoben. Auch die Platzierung und Munitionierung der starken deutschen Artillerie durfte nur in der Nacht geschehen. Alle diese Bewegungen auf den wenigen schmalen Gebirgsstraßen mit meisterhafter Präzision zu disponieren, war das hohe Verdienst des immer völlig ruhigen, unbestechlich klar alle Schwierigkeiten erfassenden und lösenden Grafen Sponer. Hptm. Fehr leitete den Einsatz der deutschen Flieger, welche die damals noch neue Luftbildvermessung zur Ermittlung der Schießgrundlagen für die Artillerie ebenso gründlich bewirkten, wie sie die nötige Aufklärung unauffällig erflogen. Noch am Abend des ersten Tages durfte ich mich beim Oberbefehlshaber der Armee melden, bei Otto v. Below, dem mir gewogenen Freund. Dessen persönlicher Adjutant, der alte ostpreußische Obstlt. v. Hatten, war seinem hohen Herrn nach Mazedonien auch in Frankreich verblieben und nach Italien gefolgt. Jetzt brachte er irgendeine Weisung in die Operationsabteilung, wo er mir begegnete und mich freundlich aufforderte, gleich mit ihm zum Oberbefehlshaber zu kommen, wo er mich auch umgehend anmeldete. Als ich eintrat, stand Below schon in seinem Arbeitszimmer, hinter ihm Krafft. Meine Meldung ließ er mich gar nicht zu Ende sprechen, sondern streckte mir seine Hand entgegen  : „Also, hab’ ich recht gehabt, als ich Ihnen in Üsküb ‚auf Wiedersehen in Italien‘ sagte  ? Alte Liebe rostet nicht  ! Sie sind mir herzlich willkommen  ! Bleiben Sie gleich zum Essen da  ; das wird wenig sein  ; denn Ihr österreichisches Höchstkommando hat uns unter polizeiliche Bewachung gestellt. Aber dafür können Sie ja nichts, das hat Ihr Kaiser befohlen.“ Ich war beglückt über so viel Herzlichkeit dieses sonst allgemein als kurz angebunden und etwas rau bekannten Mannes, und obendrein freute ich mich, dass der Bayer Krafft v. Dellmensingen das mit angehört hatte. Beim äußerst schmalen Abendessen war mir der runde Tisch mit dem drehbaren Holzaufsatz wohl vertraut. Alles musste ich nun erzählen, wo ich im vergangenen Halbjahr gewesen war und was ich getan hatte. Dann begann Below mich über die ihm unterstehenden ö.-u. Verbände und deren Kommandanten zu befragen. Ich musste einwenden, dass ich noch gar keine Gelegenheit hatte, mich zu orientieren, wie die Kriegsgliederung aussehe. „Aber Sie waren doch mit den Truppen in Serbien und dann auch hier“, meinte Below. Ja, erwiderte ich, wenn es sich um das XV. Korps bei Tolmein und am Krn391 handle, dann könne ich versichern, dass diese national durch391 Krn  : ital. Monte Nero, Berg, 2.245 m hoch, in den Julischen Alpen im Abschnitt der Isonzofront. Über die Eroberung des Krn-Gipfels gibt es zwei Versionen  : Einmal, er wurde 1916 von den Italienern

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aus gemischten Truppen zu den besten gehören und den deutschen durchaus ebenbürtig seien. Darauf fragte Below, wie es bei Flitsch aussehe mit der Gruppe Krauss. Da horchte ich auf  : Ich wusste ja noch nichts vom Aufmarsch und fragte daher, was für ein General Krauss das sei, ob am Ende gar Alfred, der zuletzt mein Kriegskommandant in den Karpaten gewesen war. Krafft sprang ein und sagte, ja, das wäre das I. ö.-u. Korpskommando. Da konnte ich eine echte Lobeshymne loslassen  : Ja, Gen. Krauss sei im Frieden Kriegsschulkommandant gewesen, hätte bei Kriegsbeginn in Serbien die 29. Division und dann das kombinierte Korps mit großer Auszeichnung geführt, die ö.-u. Balkanarmee reorganisiert und den Großteil nach Galizien abgegeben  ; seiner Entschlusskraft wäre es zu danken gewesen, dass die Italiener gleich am Isonzo zum Stehen gebracht wurden. Darauf sagte Below  : „Na, wenn Sie ihn kennen, dann umso besser  ! Orientieren Sie sich jetzt einmal zwei Tage gründlich über alles. Glt. v. Krafft wird Anweisung geben, dass Ihnen alles ganz offen gesagt wird. Und dann fahren Sie zur Gruppe Krauss, schauen sich dort um und berichten mir nachher  !“ Wir verabschiedeten uns, und meine Position im Kommando war geklärt  : Belows Auftrag an Krafft, mir alles ganz offen zu sagen, in meiner Gegenwart ausgesprochen, musste von ihm und seinen Herren befolgt werden. Diese außergewöhnliche Stellung schuf in der Folge allerdings ein besonderes Verhältnis  : Ich wurde persönlicher Verbindungsoffizier Belows zu ö.-u. Verbänden, denen er über das Ausmaß der schriftlichen Befehle seinen persönlichen Einfluss aufdrücken wollte. Deshalb arbeitete ich nur wenig im Kommando mit dem Generalstab, sondern war fast dauernd bis an den Piave unterwegs, um Belows Wünsche bei den ö.-u. Kommandostellen mit dem von mir geforderten Nachdruck zur Geltung zu bringen. Da keine ö.-u. Instruktion für den Dienst von Verbindungsoffizieren bestand, ich auch von österreichischer Seite keinerlei Anweisung für meine Tätigkeit erhalten hatte, ich zudem alle von Below direkt oder in seinem Namen von Krafft erteilten Weisungen als im ö.-u. Interesse gelegen erkannte, führte ich diese nach bestem Können aus. Die einzigartigen Erfolge Belows in Italien, die zum Niederbruch des italienischen Heeres führten, dessen kümmerliche, in zweieinhalb Jahren im Karst erkämpften Terraingewinne in zwei Wochen wegwischten und die Italiener unter Verlust von 300.000 Gefangenen und fast allem Kriegsmaterial bis hinter den Piave, im wahrsten Sinne des Wortes, „jagten“, sind im VI. Band des Werkes „Österreich-Ungarns letzter Krieg“ im genommen, weil die gesamte ungarische Besatzung geschlafen hat. Die andere Version ist, dass der Krn im Minenkrieg genommen wurde. Stollen wurden unter die gegnerische Stellung gegraben, am Ende eine Sprengkammer angelegt und mit Sprengstoff gefüllt. Dann wurde ein Teil des Stollens verdämmt, um die Wirkung nach oben zu lenken. Von der Italienfront sind zumindest 33 solche Aktionen belegt Siehe diesbezüglich  : Walther Schaumann/Peter Schubert, Süd-West-Front. Österreich-Ungarn und Italien 1915–1918, Klosterneuburg o.J. (um 1990).

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Abschnitt „Herbstoffensive in Italien“ mit allen zur Orientierung nötigen Karten so eingehend und lesenswert beschrieben, dass ich nachfolgend wie üblich meine persönlichen Erlebnisse schildern werde.392 In den nächsten beiden Tagen, es musste bereits der 20. und 21. Oktober gewesen sein, erhielt ich in der Operationsabteilung eine eingehende Orientierung. Dort traf ich wieder den mir vom Angriff über die Donau nach Serbien bekannten Artilleriechef, Gen. Behrendt, der mich über die bedeutenden Differenzen zwischen unseren Landkarten und den von den deutschen Fliegern gemachten Photos aufklärte. Viel schwere österreichische und deutsche Artillerie war in Stellung gebracht worden, deren Einschießen aus Überraschungsgründen nur sporadisch erfolgte. Die Schussdaten für die vielen neu eingesetzten Batterien wurden aufgrund jener schon seit Jahren im Angriffsraum tätigen ö.-u. Batterien und der Luftbildvermessung errechnet. Erstmalig sollte in diesem Krieg nach kurzem Gasbeschuss und ebenso kurzem Wirkungsbeschuss durch die Infanterie sofort gestürmt werden  ; dadurch sollten die Italiener, die an tagelanges Artillerieschießen vor Beginn der Infanterieangriffe gewöhnt waren, in ihren Stellungen überrumpelt werden. Diese Neuerung gefiel mir.393

392 Siehe dazu nunmehr  : Franz Felberbauer, Die 12. Isonzoschlacht  : Der Operationsplan und seine Durchführung, in  : Manfried Rauchensteiner (Hg.), Waffentreue. Die 12. Isonzoschlacht 1917. Begleitband zur Ausstellung des Österreichischen Staatsarchivs 23. Oktober 2007–1. Februar 2008, Wien 2007, S. 13–33. 393 Erstmals setzten deutsche Truppen an der Westfront Giftgas als Kampfmittel ein. Zunächst wurde das Gas aus eingegrabenen Flaschen gegen die feindlichen Stellungen geblasen. Erst später ging man dazu über, Gasgranaten zu verschießen. Im Juni 1916 erfolgte erstmals ein Abblasen von Giftgas durch ö.-u. Truppen am Isonzo. Doch blieb die Wirkung gering. Trotzdem verbot Kaiser Franz Joseph den weiteren Einsatz, ließ sich aber überzeugen, als das AOK die zunächst falsche Mitteilung machte, dass infolge des Einsatzes von Giftgas durch die Italiener auch Österreich-Ungarn zu dieser Kampfform übergehen müsse. Diese Mitteilung an den Kaiser war zunächst eine Desinformation, die aber bald durch den tatsächlichen Einsatz von Kampfgas auf italienischer Seite überholt wurde. 1917 wurde durch den Einsatz an der Westfront auf beiden Seiten die Verwendung von Kampfgas ein sogenanntes normales Kriegsmittel. Es wurde auf österreichischer Seite in der Form des „Abblasens“ verwendet und sodann von deutscher Seite in der 12. Isonzoschlacht. Es gab für den Durchbruch tatsächlich den Ausschlag. Dabei spielte es eine Rolle, dass die italienischen Gasmasken sich als kein ausreichender Schutz erwiesen. 1918 setzen die Italiener vor allem im Grappa-Massiv Giftgas ein. Die Kampfstoffe entsprachen bereits damals im Großen und Ganzen der heutigen Entwicklung  : Eingesetzt wurden u.a. Phosgen und Senfgas, die durch die Verätzung der Schleimhäute zu tödlichen Verletzungen führten und führen. Die Bezeichnungen wie Gelbkreuz oder Grünkreuz ergeben sich durch die entsprechenden Kennzeichnungen der Granaten (Schaumann/Schubert, Süd-West-Front, S. 96 f.). Weitere Literatur  : Felix Radax, Giftgas und das „Wunder von Karfreit“, in  : Rauchensteiner (Hg.), Waffentreue (hier, Anm. 39), S. 49–63  ; Peter Broucek, Der Gasangriff von 1917, in  : Jan Mikrut (Hg.), Kaiser Karl I. (IV.) als Christ, Staatsmann, Ehemann und Familienvater, Wien 2004, S. 513–522.

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Dann lernte ich den mir bisher unbekannten ö.-u. Obstlt. Schäfer394 kennen, der den Etappendienst für die ö.-u. Divisionen zu leiten hatte  ; eine außerordentlich fähige und seriöse Persönlichkeit. Von ihm hatte ich für mich nur ein kleines, starkes Personenauto mit einem guten Fahrer sowie die nötigen Landkarten zu erbitten. Er teilte mir einen ganz eigenartigen schmalspurigen Rennwagen zu, der zwei hintereinander angeordnete Sitze hatte  ; vorn saß der Fahrer, dahinter ich. An diesen Wagen ließ ich das schwarzweißrote Quadrat des deutschen Armeekommandos und einen schwarzgelben Wimpel anbringen. Mit diesem ausgezeichnet gelenkten, auf den schmalen Straßen wendigen, mit einem starken Motor ausgerüsteten Wagen durcheilte ich in den nächsten Wochen viele Hundert, ja Tausend Kilometer. Der Fahrer, ein junger draufgängerischer Ungar und im Zivilleben Rennfahrer, fuhr unermüdlich und sicher  ; mit staunenswertem Geschick verstand er, auf den stets mit Truppen und Fuhrwerken vollen, nur eine schmale Fahrrinne freigebenden Straßen und, wo unbedingt nötig, auch abseits derselben durchzukommen und dabei die Truppen kaum zu belästigen. Das Wetter war trostlos  : Regen, Regen und in den höheren Lagen Schneematsch. Der Wagen war offen  ; in ärgster Not konnte man lediglich ein Segelleinendach aufstellen. Der Fahrer trug einen festen Gummimantel, einen ähnlichen bekam ich von Schäfer. Am 22. Oktober war ich bei GdI. Krauss in Kronau.395 Gleich mir war er erst kürzlich nach dem Westen gekommen und hatte mit drei ö.-u. und einer deutschen Jägerdivision das Becken von Flitsch zu durchstoßen. Der General empfing mich wohlwollend und orientierte mich persönlich über alles Wissenswerte  : Er verfügte in der Edelweiß- und 22. Schützendivision über die besten österreichischen Alpentruppen und in der 55. über eine der in Bosnien formierten, hervorragend bewährten Gebirgsdivisionen. Krauss war froh, unter deutschem Befehl zu stehen, welches Gefühl ich durch die Beschreibung des Oberbefehlshabers zu stärken vermochte. Er erläuterte mir eingehend seine Angriffsdispositionen, bei denen er gegenüber dem in ÖsterreichUngarn gelehrten und auch von Glt. v. Krafft geübten Vorführen der Truppen über die Höhenlinien die Hauptangriffe in den Talsenken zu führen befohlen hatte. Ich erfasste diesen operativen Gedanken und seine Vorteile sofort, weil ich in Kirlibaba zwei russische Vorstöße in den Talsenken um unsere dortige Dadul-Stellung herum am meisten gefürchtet hatte. Zudem war bei Krauss das deutsche Giftgaswerfer-Bataillon 394 Über Hugo Schäfer (1870–1946) siehe die Daten bei Zeynek-Broucek, S. 273 f., Anm. 399. Schäfer war 1917/18 in den Glstbsabt. der 1., dann 11., dann VI. Armee, im Bundesheer sodann ab 1920 beim Kdo. der Heeresschule, der Milit. Fachprüfungskommission sowie beim Heeresinspektor, 1.4.1925 GM, 3.5.1935 Titular-FML, 1.2.1942 Glt. z.V. und Kdr. d. Kriegsgefangenen im Wehrkreis XI, dann XVII. Nach 1945 von der russischen Besatzungsmacht verschleppt und angeblich im Raum Sopron getötet. 395 Kronau, slow. Kranjska Gora, Dorf in der Bezirkshauptmannschaft Radmannsdorf/Radovlje, Krain, heute Slowenien.

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unter einem mir aus Makedonien bekannten Pioniermajor eingesetzt, das ein neues, besonders rasch tödlich wirkendes Gas hier für seine spätere Anwendung in Frankreich erproben sollte. Die Zuversicht auf einen großen durchschlagenden Erfolg – wie er ja später auch tatsächlich erreicht wurde – erfüllte Krauss, auf seinen Stab und die Truppen mächtig ausstrahlend, so stark, dass mir das Herz im Leib lachte. Am Abend konnte ich Gen. v. Below in allerbestem Sinne referieren. Trotzdem blieb dieser der Gruppe Krauss gegenüber immer etwas misstrauisch. Die Ursache lag wohl darin, dass er Krauss nicht kannte, diese Gruppe infolge der Gestaltung des Gebirges selbständig, ohne den dauernden unmittelbaren Einfluss Belows zu operieren hatte und die Gruppe Krauss den Nordflügel seiner Armee bildete, von dem er ganz besondere Energie forderte. Inzwischen hatte ich auch in Erfahrung gebracht, dass als Generalstabschef beim vorgesetzten KdoSWF GM Konopicky tätig war  ; mir war er als Kommandant der 4. Gebirgsbrigade aus dem ersten serbischen Feldzug und als Generalstabschef unter Baron Kövess während des zweiten Krieges in Serbien bekannt. Wie ich feststellen konnte, informierte das AK Below das vorgesetzte KdoSWF gewissenhaft genau, sodass sich für mich Meldungen dorthin erübrigten. Glt. Krafft hatte meine Berichterstattung an Below mit angehört und wiederholt zustimmend genickt. Nachher beschied er mich in sein Zimmer und gab mir dort den Angriffsbefehl der uns südlich benachbarten 2. Isonzo-Armee zu lesen, deren Nordflügel gleichzeitig mit uns angreifen sollte. Ich las den Befehl genau und stieß einen unbeabsichtigten Missfallenslaut aus, als ich las, dass die Infanterie erst zehn Minuten, nachdem die Artillerie das Feuer von der feindlichen Front verlegt hatte, zum Angriff antreten sollte  ; das hatten wir schon vor drei Jahren im ersten serbischen Feldzug als falsch erkannt  ; die Infanterie hatte mit dem letzten Artillerieschuss in der feindlichen Stellung zu sein, damit die feindliche Infanterie nicht Zeit finde, ihre Maschinengewehre gegen die Angreifer in Stellung zu bringen. Darauf meinte Krafft, er brauche mir also nichts zu erklären  ; er sei nicht befugt, in fremde Armeebereiche dreinzureden  ; anderseits seien wir jedoch am Gelingen des Angriffes der 2. Isonzo-Armee als unserem unmittelbaren Nachbarn sehr interessiert. Er bäte mich, hinüberzufahren und eine Korrektur zu erreichen, wie es mir am besten schiene. Zudem erfuhr ich, dass angesichts der Aussichtslosigkeit einer Wetterbesserung der 24. Oktober als erster Angriffstag festgelegt worden war. Eile war geboten. Dennoch verschob ich meine Fahrt nach Loitsch396 auf den frühen Morgen, weil die Straßen in der Nacht von den in ihre Angriffsräume vormarschierenden Truppen voll belegt waren. 396 Loitsch, heute Lolgatec, Bezirkshauptmannschaft im westlichen Slowenien, damals in dem Kronland „Triest und Adriatisches Küstenland“.

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Als Generalstabschef der erst kürzlich errichteten 2. Isonzo-Armee fungierte der ebenfalls aus Ostgalizien herübergekommene Oberst Baron Salis-Samaden, den ich zuletzt in Stryi beim 3. Armeekommando getroffen hatte. Mit einem alten verehrten Generalstabsoffizier hoffte ich leicht zu sprechen. Salis, dem ich zunächst mitteilte, dass ich mich als Verbindungsoffizier bei der Nachbararmee vorstellen komme, empfing mich mit alter Herzlichkeit. Danach lenkte ich das Gespräch auf seine Angriffsdispositionen, die bei der 14. Armee großes Interesse gefunden habe  ; nur glaube man dort, dass es sich bei der 10-Minuten-Differenz zwischen der Vorverlegung des Artilleriefeuers und dem Sturm der Infanterie um einen Schreibfehler handle. Salis wurde zurückhaltend und erwiderte, dass dies kein Schreibfehler sei, sondern die Geschütze derart ausgewerkelt seien, dass man der Infanterie ein Hineinlaufen ins eigene Artilleriefeuer nicht zumuten könne. Zufällig trat auch der Artilleriechef der Armee, Obst. Paul397, ein, den Salis sogleich über unser Gespräch informierte. Diesem erklärte ich, dass wir den Grundsatz, wonach die eigene Infanterie mit dem letzten eigenen Artillerieschuss in der feindlichen Stellung sein müsse, schon mit Richard Körner in Serbien beim Angriff auf die Jagodnja erarbeitet hatten und man lieber ein paar Verluste durch eigenes Artilleriefeuer in Kauf nahm, als dass die stürmende Infanterie von den feindlichen Maschinengewehren niedergemäht und dadurch der Angriff zum verlustreichen Misserfolg werde. Nach einigem Hin- und Herreden sagte Salis zu, die Sache nochmals genau zu durchdenken. Mehr konnte ich nicht erreichen. Ich hütete mich zu sagen, dass mich eigentlich Glt. v. Krafft herübergesandt hatte  ; Salis wird nach dem großen Misserfolg, den seine 3. Armee in Stanislau erlitten hatte, von deutscher Seite ein paar kräftige Äußerungen eingesteckt haben, die ihn jetzt besonders empfindlich machten  ; denn so herzlich er mich begrüßt hatte, so kühl und abweisend behandelte er mich nun wegen meines Vorhaltes, hinter dem er wahrscheinlich eine deutsche Initiative vermutete. Mit Rücksicht auf den früh festgesetzten Angriffsbeginn und die belasteten Straßen dankte ich für seine Einladung zum Mittagstisch, ließ mir vom Proviantoffizier nur je ein Stück Maisbrot und Käse für den Fahrer und mich geben und war noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder in Krainburg. Ich bekannte Krafft unverhohlen meine Zweifel am Erfolg meiner Mission  ; er zuckte die Achseln und meinte zu wissen, dass unsere österreichischen Herren überempfindlich seien.

397 Viktor Edler v. Paul (23.11.1865, Félöegyháza, Ungarn, heimatzuständig nach Littau, tsch. Litovel, Mähren–  ?), 18.8.1885 aus der Techn. Milakad. als Lt. zur Schweren Batteriedivision 3, Frequentant des Höheren Artilleriekurses, ab 1.11.1908 Mjr.i.Artilleriestab, 1.5.1912 Obstlt., ab 1912 Lehrer des Waffenwesens an der Kriegsschule, 1.10.1913 zum FKR.37, ab 4.8.1914 Regimentskdt, 1.11.1914 Obst., 1914–1916 russischer Kriegsschauplatz, 25.8.1916 Kdt. 26. FABrig., ab 7. Isonzoschlacht am ital. Kriegsschauplatz, 1.11.1918 GM, 1.1.1919 pensioniert.

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Tatsächlich misslang am 24. der Angriff bei der 2. Isonzo-Armee. Ihre Truppen kamen erst vorwärts, als jene der 14. Armee auf dem westlichen Isonzo-Ufer die Italiener schon im Rücken bedrohten. Den spannungsreichen 23. verbrachte ich in der Operationsabteilung, um mir noch einmal alle Aufmarscheinzelheiten einzuprägen  ; weitere Entsendungen durch Below erwartend, wollte ich keine Einzeichnungen in meine Karten machen, um ja nichts zu verraten, etwa bei Gefangennahme. Es regnete unaufhörlich in Strömen. Die armen Truppen lagerten zum Großteil im Freien ohne Dach überm Kopf  ! Die Spannung wuchs mit jeder Stunde. Der Angriff musste meiner Auffassung nach auf den ersten Anhieb durchschlagend gelingen, oder er versteinerte zu einem hoffnungslosen Stellungskrieg, da der Regen in den hohen Bergen bereits als Schnee niederging. Der Isonzo und natürlich auch alle anderen Wasserlinien waren angeschwollen. Krafft ließ noch an die betroffenen Divisionen die Nachricht durchgeben, dass der Offizier, der den als entscheidend für den Angriffserfolg beurteilten Matajur398 zuerst ersteige, den Orden Pour le Mérite erhalten werde. Sonst forderte Belows Angriffsbefehl ein ununterbrochenes, durch Tag und Nacht fortgesetztes Vordringen der Truppen  ! Das war ein klassischer Befehl im Sinne des Prinzen Eugen v. Savoyen  ! In meinem geschwächten Gesundheitszustand fühlte ich jeden Nerv in mir zucken. Mein Fahrer musste den Wagen genau durchsehen und volltanken, damit es ja keine Panne gebe. Diesmal konnte ich auch an den sonst so ruhigen deutschen Herren eine nervöse Spannung wahrnehmen. Die Telefone standen ununterbrochen in Benützung  : Es wurde fortwährend kontrolliert, ob alle Befehle klaglos durchgeführt wurden. Das Resultat war stets befriedigend. Von Kleinigkeiten abgesehen klappte alles wie am Schnürchen  : Mjr. Sponer hatte prachtvolle Arbeit geleistet. Bei den knappen Gesprächen in den Pausen versicherte ich den deutschen Herren immer wieder, von österreichischen Truppen wären hier Höchstleistungen zu erwarten, die bei der Gebirgsvertrautheit noch die deutschen Divisionen übertreffen würden. Willisen antwortete, wir würden dies in Udine399 mit italienischem Sekt feiern, wenn ich recht behielte  ; hier im Inland gebe es nur sauren Wein. Um 2h früh begann unser Gasschießen und währte bis 4h. In Krainburg hörten wir ein ununterbrochenes Grollen der Artillerie, das langsam schwächer wurde. Bald kamen Meldungen, dass der Gasbeschuss gut wirken müsse, weil das anfangs sehr heftige Erwiderungsfeuer der italienischen Artillerie immer schwächer werde. Dann 398 Dieser Berggipfel bei Karfreit (ital. Caporetto, heute Kobarid, Slowenien) nahe dem Isonzo wurde durch einer Kampfgruppe von Schützen der Württembergischen Jäger unter dem Kdo. des Olt. Erwin Rommel am 26.10.1917 erstürmt. Siehe David Fraser, Rommel. Die Biographie, Berlin 1995, S. 68 ff. 399 Udine, italienische Stadt im venezianischen Tiefland, Region Friuli-Venezia-Giulia, seit 1420 bei Venedig, nahe der Stadt war 1918 das Hauptquartier der Heeresgruppe FM Boroëvić.

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trat für zwei Stunden Ruhe ein. Um 6h begann das Höllenkonzert von Tausenden von Geschützen aller Kaliber, in dem dann die Infanterie nächst Tolmein um 8h, jene bei Krauss um 9h bei Regen und Nebel zu stürmen begann. Meldungen auf Meldungen trafen ein, die bis zum Abend das Bild eines Erfolges an der ganzen Armeefront erbrachten. Schon am nächsten Morgen begann Gen. v. Below seine anfeuernde Tätigkeit mit einer Beweglichkeit, wie ich sie im Krieg noch nie erlebt hatte und die mich in helle Begeisterung versetzte. Seinen Stab mit Glt. Krafft ließ er wegen der Telefonverbindungen zunächst noch in Krainburg und bestieg morgens nach erfolgter Orientierung über die während der Nacht eingelangten Meldungen mit seinem Adjutanten das Auto und brauste los  ; mir hatte er noch tags zuvor befohlen, ihn zu begleiten, also fuhr mein kleiner Wagen hinter dem seinigen. Das Vorwärtskommen war nicht leicht, weil die Straßen teils mit vormarschierenden Divisionen belegt waren, die den Angriffstruppen unmittelbar zu folgen hatten, teilweise bereits mit zurückmarschierenden italienischen Gefangenen. Wir kamen bis Tolmein, wo der Oberbefehlshaber alle vorbeikommenden Kommandanten befragte, die Truppen besah und nach vorne wies. Das Wetter hatte sich gebessert  ; die Sonne lugte von Zeit zu Zeit hervor. Der Isonzo war noch mehr angeschwollen und österreichische Pioniere begannen, Brückengerät und Pontons bereitzulegen. Rund um uns, besonders auf den Höhen nördlich Tolmein, tobten überall noch Kämpfe, und wir hielten nicht nur im Artilleriebeschuss, sondern auch Infanteriegeschoße schwirrten um unsere Köpfe. Als wir uns zur Heimfahrt nach Krainburg wandten, hatten die Pioniere eine Brücke über den Isonzo fertiggebracht, die prompt von den Truppen überschritten wurde. Am folgenden Tag, den 26., fuhren wir wieder los. Das Wetter war schlecht. Der reißende Isonzo hatte die von den Pionieren am Vortag erbaute Brücke abgerissen und das Material abgetrieben. Artillerie und Trains, die den vordringenden Infanteriekräften folgen sollten, standen vor dem unüberschreitbaren Isonzo. Below befragte den leitenden Pionieroffizier, wann eine neue Brücke fertig sein werde. Der konnte natürlich keine präzise Antwort geben, wann das Hochwasser abgelaufen und neues Baumaterial da sein werde. Da gab mir Below den Befehl, in Tolmein zu bleiben und den Brückenbau mit aller Kraft vorwärts zu treiben. Er selbst fuhr südwärts über die Brücke bei Auzza den vorstürmenden Truppen nach. Was sollte ich nun tun  ? Ich wusste, dass unsere hervorragenden Pioniere auch ohne besondere Antreibung das Menschenmögliche tun würden. Nach einiger Überlegung begann ich, mit den beiden Pionierkommandanten (denn bei Tolmein war der Bau von zwei Brücken vorgesehen) zu reden und zu fragen, wie ich helfen könnte, den Brückenneubau zu beschleunigen. Wir kamen überein, dass man den Ablauf des Hochwassers abwarten müsse, was ja bei den italienischen Torrenten meist ebenso rasch er-

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folgt wie ihr reißender Anstieg. Die Zeit bis dahin müsse zur Materialheranschaffung genützt werden, wofür es zwei Möglichkeiten gab  : erstens das abgeschwemmte, aber von den Pioniersicherungen bei der Auzza-Brücke geborgene Material heranzuführen und zweitens das in den Marschkolonnen weiter hinten eingeteilte, aber meist unbespannte Material mit Autos vorzuholen. So suchte ich zuerst, Mjr. Sponer telefonisch zu erreichen. Nach Schilderung der Lage und dem Auftrag des Oberbefehlshabers versprach dieser, das Möglichste zu tun, und schaffte mir tatsächlich bis zum Abend österreichisches Brückengerät mit deutschen Autos heran. Nach dem Gespräch mit Sponer fuhr ich südwärts nach Auzza, wo ich viel Brückenmaterial an beiden Isonzo-Ufern geborgen sah. Wer aber sollte das nach Tolmein schaffen, wo doch alles über den Isonzo vorwärts hastete  ? Während ich recht ratlos überlegte, sah ich einen österreichischen General zu Fuß herankommen  ; bei näherem Hinsehen erkannte ich Gen. Kaiser400, der in Friedenszeiten Kommandant der 10. Gebirgsbrigade in Sarajevo gewesen war. Ich meldete mich beim ihm  ; er begrüßte mich kameradschaftlich. Ich erfuhr, dass er nun Kommandant des II. ö. Korps sei und erst kürzlich aus dem Osten herübergekommen war, um den Befehl über drei in Reserve folgende Divisionen der 2. Isonzo-Armee zu führen. Diese Divisionen könnten erst folgen, wenn die jetzt von anderen benützte Auzza-Brücke leer würde. Da meldete ich ihm die Situation bei Tolmein und meinen Auftrag, worauf ich ihn bat, mir mit Pionieren und Bespannungen seiner Divisionen das vor uns liegende gestapelte Material nach Tolmein zu schaffen. Der kluge General war dazu bereit, und bis zum Abend war eine beträchtliche Menge des vom Hochwasser abgetriebenen Materials nach Tolmein geschafft. Dort hatten inzwischen unsere hervorragenden Pioniere alles Holz, das im zerschossenen Tolmein und in der Nähe zum Brückenbau geeignet war, gesammelt. Das Wasser war soweit gefallen, dass die Pioniere mit dem Bau einer neuen Brücke beginnen konnten und mit dem von Mjr. Sponer herandisponierten Gerät bis zum Morgengrauen auch die zweite Brücke zustande gebracht hatten. In den späten Nachmittagstunden waren viele hohe Persönlichkeiten des mir aus der Sarajevoer Zeit so lieben XV. Korps vorbeigekommen  ; ich sprach mit Generalstabs­ chef Obst. v. Pohl401, dem Kommandanten der 50. Division GM 400 Julius Kaiser (Oberandritz bei Graz, 6.12.1860–31.1.1925, Wien), aus Theres. Milakad. als Lt. 18.8. 1881 zum IR 7, 1.4.1889 zugeteilt Glstb. u. Glstbskarriere, 1.5.1905 Obst.i.G, 1.11.1906 Chef des Landesbeschreibungsbüros, 26.10.1906 Kdt. 10. GBrig., 1.11.1910 GM, 1.4.1914 Kdt. 30. ITD., 5.5. 1914 FML, 19.9.1915 Kdt. II. Korps [„Wiener Korps“], 16.8.1917 GdI. 401 Robert R. v. Pohl (Wien, 8.2.1876–24.12.1947, Salzburg), 18.8.1896 aus der Theres. Milakad. ausgemustert zum IR 102. 1901 zugeteilt dem Glstb., 1.11.1906 in den Glstb. als Hptm. übernommen, 24.9. 1908 eingeteilt in der 4. Abt. KM, 18.12.1911 Flügeladjutant des Chefs d.Glstb., 1.5.1912 Mjr.i.G, 21.12.1912 Glstbschef 29. ITD 1.11.1914 Obstlt.i.G, 1914/15 Kdt. LwIR 37, 8.4.1915–10.11.1916

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Geřabek402, traf mit Hptm. Beran zusammen, der beim Prinzen Schwarzenberg geblieben war, welcher nun die 55. Division kommandierte. Alle waren von Kampffreude und rastlosem Drang nach vorn erfüllt. Dann fuhr ich nach Krainburg, wo ich noch rechtzeitig ankam, um Below beim Morgenrapport den fertiggestellten Bau beider Isonzo-Brücken zu melden, über die nun Artillerie und Trains westwärts marschierten. Er nickte befriedigt und fragte, ob ich gleich wieder mitkommen könne. Gottlob dauerte es diesmal noch eine Weile, bis der Oberbefehlshaber reisefertig war. Ich nützte die Zeit, um Sponer zu danken und mich über die letzten Meldungen zu informieren. Willisen kam auf mich zu und sagte strahlend, dass ich recht gehabt hätte. Die ö.-u. Divisionen leisteten Großartiges, mehr als ihnen befohlen sei  ! Inzwischen hatten die Kameraden in der Operationsabteilung an meine Übernächtigkeit gedacht und mir heißen Kaffee und einen kräftigen Imbiss kommen lassen  ; auf meine Frage nach dem Chauffeur hieß es  : „Keine Sorge, lieber Freund, den hat Sponer schon betreut  !“ Below und ich fuhren ein weiteres Mal im gewohnten Konvoi los. In Tolmein ließ er wieder halten, belobte die Pioniere und besah die hinübersetzenden Truppen. Dann fuhren wir weiter nach Cividale.403 Dort erhielten wir die traurige Nachricht, dass der über seine vorderste Infanteriespitze vorgefahrene Kommandeur des 51. Deutschen Korps, Gen. Berrer, von Italienern in seinem Wagen erschossen worden war. Below bestellte gleich den Kommandeur der württembergischen 26. Division, Glt. v. Hof­ acker zum neuen Korpskommandanten. Jetzt war klar  : In 4 Tagen hatten wir alle Stellungen der italienischen 2. Armee glatt durchstoßen, wodurch die gesamte italienische Front ins Wanken geriet. Below erwog zum ersten Mal die Möglichkeit, einen Teil seiner Division nach Süden einschwenken zu lassen, um der italienischen 3. Armee den Rückzug vom Isonzo zum

Glstbschef XV. Korps, 1.5.1917 Obst.i.G. 15.9.1918 Kdt. SchR. 9, Dienst in der Dö. Volkswehr, 11.1. 1920 pensioniert, Februar 1920 reaktiviert und stellv. Heeresinspektor, 1922 als Kdt. der Heeresschule Enns vorgesehen, 1.11.1922 neuerlich pensioniert, sodann politisch aktiv in der legitimistischen Bewegung. Pohl war in der Zwischenkriegszeit ein besonderer Kritiker des Alfred Krauss und dessen Vorgehen während und nach der 12. Isonzoschlacht. 402 Karl v. Geřabek (Wien, 28.11.1867–30.7.1942, Wien), 18.8.1887 aus Theres. Milakad als Lt. zum IR 72, 1.11.1895 Hptm.i.G. und seither Glstbskarriere, u.a. Lehrer an der Theres. Milakad., 1.5.1903 Mjr. Taktiklehrer an der Kriegsschule, 17.11.1910 Obst., 26.4.1913 Kdt. IR 8, Okt. 1914–Dez. 1914 Glstbschef 5. Armee, ab 1.9.1916 Divisionär, 10.11.1916 GM, 30.9.1917–30.9.1918 Kdt. 50. ID, Isonzoschlachten, Piave-Schlacht, nach Kriegsende pensioniert. 403 Cividale del Friuli, Stadt am Fluss Natisone, römischer Name  : Forum Iulii  ; nach dem Einfall der Langobarden 568 Hauptstadt des ersten langobardischen Herzogtums auf italienischem Boden, 737 bis 1238 auch Sitz der Patriarchen von Aquileia, gleichzeitig auch Hauptstadt des Friaul.

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Tagliamento404 abzuschneiden, was zu Kollisionen mit den nun auch vordrängenden Truppen der 2. Isonzo-Armee führen musste. Wir fuhren kreuz und quer von einer Division zur anderen, und überall trieb Below mit machtvollen Worten nach vorne, um den Italienern an den Fersen zu bleiben. Bei der Heimkehr fanden wir Glt. v. Krafft verärgert vor. Mit dem Heeresgruppenkommando Boroëvić und dem weit hinten in Marburg verbliebenen KdoSWF war es zu Auseinandersetzungen wegen der Gefechtsstreifen zwischen der von Below geführten 14. Armee und der Boroëvić unterstehenden 2. Isonzo-Armee gekommen. Erzh. Eugen hatte wohl den Wünschen Belows stattgegeben, doch blieb eine Verstimmung, weil der Anschein entstand, dass man die 14. Armee, die den Durchbruchsieg mit deutschen und ö.-u. Truppen in einem kaum für möglich gehaltenen Elan erfochten hatte, nun in der Ausnützung des Erfolges aus kleinlichen Prestigegründen hemmen wollte. Unter Aufbietung meiner ganzen Redekunst versuchte ich zu überzeugen, dass dem bestimmt nicht so sei, vielmehr die weitab gebliebenen österreichischen hohen Kommandos die sich stundenweise ändernde Lage einfach nicht zu übersehen vermochten. Beim erregbaren Krafft blieb eine Gereiztheit zurück. Von der uns unterstellten Gruppe Krauss fehlten die erwarteten Detailmeldungen, die bei den Schwierigkeiten, die das zum Teil Hochgebirgscharakter tragende Gelände, welches die Krauss’schen Divisionen zu überwinden hatten, begreiflich waren. Stets wiederholte ich, man möge Vertrauen zu Krauss haben  ; dessen glänzende Alpentruppen würden das Menschenmögliche vollbringen, das Nachbauen der Telefonleitungen sei im Gebirge bei dem elenden Wetter eben schwierig. Below brummte jedoch, er wolle Krauss mindest einen Tagesmarsch vor seiner sonstigen Armeefront haben, damit er die Tagliamento-Übergänge für die Armee öffne. Bei der morgendlichen Lagebesprechung am nächsten Tag, dem 28. oder 29., herrschte über die genaue Lage der Gruppe Krauss immer noch kein klares Bild. Below erteilte mir den Befehl, zu Krauss zu fahren, die genaue Lage seiner Kräfte festzustellen und ihn zu rastloser Verfolgung bei Tag und bei Nacht namens des Ober404 Tagliamento  : wichtiger Zufluss des Golfs von Venedig. Nach der Einnahme von Udine und Gorizia/ Görz am 28.10.1917 standen die Angriffsspitzen der Verbündeten am 29.10. am Tagliamento und brachten dadurch die italienische Isonzo-Armee in die Gefahr, abgeschnitten zu werden. Nur hereinbrechendes Schlechtwetter rettete diese Armee vor der Einschließung  ; dennoch wurden Zehntausende Italiener gefangen genommen. Siegreiche Kämpfe der Verbündeten bei Codroipo und Latisana. Am 2. November 1917 erreichte ein ö.-u. Bosniakenbataillon südwestlich Gemona das rechte Ufer des Hochwasser führenden Tagliamento. Ein neuer Stoßkeil der Verbündeten drohte nun auch die italienische Dolomitenarmee abzuschneiden, weshalb diese zurückgenommen werden musste. Schon am 9. November erreichten ö.-u. Truppen den unteren Piave, der bei Zenon vorübergehend überschritten werden konnte. Inzwischen hatten jedoch die Italiener eine Auffangstellung am rechten Ufer dieses Flusses ausgebaut, vor der die Offensive der Verbündeten zum Stehen kam.

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befehlshabers zu verhalten. Das Kommando Below werde sich nach Cividale vorverlegen  ; ich möge es bei meiner Rückkehr dort suchen. Das war ein prächtiger Auftrag für einen Generalstabsoffizier  ! Nur hatte ich keine Ahnung, wo Gen. Krauss zu finden war. Gewiss war er von Kronau seinem Korps nachgeeilt. Nach Kronau zu fahren und sich von dort nach vorn durchzufragen, erschien mir angesichts der vollgestopften Straßen zu langsam. So entschloss ich mich, gleich über Cividale nach Udine und von dort nordwärts nach Gemona405 zu fahren, in der Hoffnung, dass ich diese Straße schon freigekämpft finden und durchkommen werde. Bis Udine ging es mehr oder weniger glatt. An der ganzen Straße dahin lagen zu Tausenden voll bewaffnete Italiener. Unsere in der Verfolgung rastlos vordrängenden deutschen und ö.-u. Truppen ließen sich keine Zeit, die sich massenhaft ergebenden Italiener zu entwaffnen. Man wies sie einfach nach hinten und sie marschierten frohgemut und singend in die Gefangenschaft  ; ja, ich wurde während meiner Fahrt öfter mit Rufen „Eviva Germania, eviva Austria, abasso la guerra  !“ akklamiert. Es wäre ihnen ein Leichtes gewesen, einzelne fahrende Offiziere abzuschießen, und mir war bei dem Gedanken an den gefallenen General Berrer nicht immer wohl, hatte ich doch bloß eine Pistole am Leib und einen Karabiner im Auto. Die Italiener waren allerdings Ehrenmänner. Berrer hatten sie noch im Kampf erschossen. Als Gefangene waren sie harmlose, ja sogar hilfsbereite, freundliche Menschen. Alle sahen gut genährt und gekleidet aus– welch ein Unterschied zu unseren hungrigen, schlecht angezogenen ö.-u. Soldaten  ! In Udine sah es wüst aus. Die Einwohner waren geflohen und die erobernden Regimenter der deutschen Divisionen brachen die Läden und Haustore einfach auf und nahmen sich, was sie brauchten, und leider auch, was sie nicht brauchten  ! Tote lagen auf den Straßen, niemand fand Zeit, sie zu bestatten. Auch ich nahm aus einem Deli­ katessenladen Brot, Wurst und Käse ins Auto, wozu mir italienische Soldaten noch zwei Flaschen Chianti zusteckten und lachend und freundlich riefen  : „Eviva Austria, la guerra finita  !“ Ja, finita war die guerra für sie. Wir hatten noch lange weiter zu kämpfen, uns gab man keinen Frieden  ! Von Udine nordwärts gegen Gemona fuhren wir vorsichtiger, da wurde zum Teil noch gekämpft, aber nach Einbruch der Dunkelheit erreichte ich den Ort. Wie froh war ich, dort ein Bataillon Kaiserschützen der 22. Division zu finden. Ich weiß nicht mehr den Namen des Hauptmannes, der es kommandierte. Wir tauschten unser Wissen aus. Ich erfuhr, dass die Edelweiß-Division unter GM v. Wieden406 nach Tol405 Gemona, Ort in der Gemeinde Gemona del Friuli im Tagliamento-Tal, Nachbargemeinde von Venzone, im Hochmittelalter Besitz der Patriarchen von Aquileia. 406 Über Heinrich Wieden v. Alpenbach (1866–1933) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 435, Anm.

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mezzo dirigiert sei. Und nördlich Gemona bei Venzone hörte man schießen. Also musste diese hervorragende Division übers hohe Gebirge hinweg schon das obere Tagliamento-Tal erreicht haben. Großartig  ! Wo Krauss sei, war unbekannt  ; aber den Kommandanten der 22. Division müsse ich südlich Gemona, etwa in Tarcento, suchen. Das Kaiserschützenbataillon hielt in Gemona Rast und wollte bei Morgengrauen über den Tagliamento. Das war gut  ; ich konnte den Kommandanten in seiner Absicht nur bestärken. Ein Suchen in der Nacht war sinnlos, und wir übernachteten bei den Kaiserschützen. Im Morgengrauen fuhr ich nach Tarcento, wo ich das unglaubliche Glück hatte, den Kommandanten der 22. Division, GM Müller407, meinen ehemaligen Lehrer in Befestigung an der Kriegsschule, zu treffen. Meldung, herzliche Begrüßung, Austausch der Lagemeldungen und weiteren Absichten  ; ich erfuhr, Gen. Krauss werde heute in Nimis südlich Tarcento erwartet. Dort fand ich ihn tatsächlich und konnte ihm den Auftrag Belows vermitteln. In bester Laune zeigte mir Krauss auf der Lagekarte alle Einzelheiten seines Korps. Die Leistungen der Truppen waren größer, als man gefordert hatte. Ehrlicher überzeugt sagte ich, er habe mit seinem Korps eine richtige Theresienorden-würdige Leistung vollbracht  ; Krauss lächelte und meinte, dass seine Divisionäre wirklich ordenswürdig wären  ; nur über die deutsche Jägerdivision klagte er, er hätte sie mit Absicht beim großen Durchbruchsangriff als Reserve bestimmt, um die große, sieghafte Tat allein durch österreichische Divisionen (Edelweiß, 22., und 55.) vollbringen zu lassen  ; die geschont nachmarschierenden deutschen Jäger hätten jedoch alle von den österreichischen Verbänden eroberten Geschütze, Autos usw. mit weißer Lackfarbe als „deutsche Beute“ bezeichnet. Das habe er nicht erwartet und darum jetzt die Jägerdivision nach vorne gezogen und in die Angriffs-, richtiger Verfolgungsfront eingeteilt. Über die von mir überbrachte Anfeuerung Belows war Krauss keineswegs ungehalten, im Gegenteil  : Er sagte, das sei eine glänzende Armeeführung, welche eben nur die Deutschen zuwege brächten. Während ich noch mit Gen. Krauss sprach, brachte sein Generalstabschef, Obst. Primavesi408, die Nachricht, dass die Italiener südlich Gemona am Ostufer des Taglia479. Er war als FML 1917/18 Kdt. 3. (Edelweiß-)Division und v. 16.11.1918–22.12.1918 Landesbefehlshaber f. d. Steiermark der Dö. Volkswehr. 407 Rudolf Müller (Kaschau, Oberungarn, heute Košice, Slowakei, 26.12.1865–1.8.1945, Graz, Stmk.), 18.8.1888 aus Techn. Milakad. als Lt. zum Geniergt. 2, Frequentant des höheren Geniekurses, ab 1894 zugeteilt dem Geniestab, ab 1914 Brigadekdo. in Galizien, dann an Isonzo-Front und Galizien, 1.11.1915 GM, MMTO für die Kämpfe des III. Korps in den Sieben Gemeinden in Südtirol 1916, ab 29.3.1917 Kdt. 22. SchDiv., Hauptrolle bei Durchbruch in der 12. Isonzoschlacht, 20.12.1920 1. Sektionschef im BMfHw., 12.7.1921 Ruhestand, 24.5.1924 Titular-FML, 31.10.1940 Titel u. Charakter eines dt. General der Pioniere. 408 Eduard Primavesi, (Troppau, Öst. Schlesien, 23.10.1872–16.2.1942, Mödling, NÖ), EF, 1.11.1892

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mento noch eine Brückenkopf-ähnliche Stellung besetzt hielten. Die 22. Division bereite den Angriff vor, habe jedoch zu wenig Artillerie. Darauf eilte Krauss mit seinem Artilleriechef, dem berühmten Richtkreiskonstrukteur Obst. Baumann409, nach vorn und befahl, in gleicher Weise wie es v. Below übte, auf dem Schlachtfeld, ungeachtet des italienischen Geschoßhagels, den Einsatz der näher herankommenden Artillerie der 55. Division. Nachdem ich Gen. Krauss begleitet hatte und als gegen Mittag sicher sein konnte, dass die Italiener hier rasch geworfen sein würden und er scharf über den Tagliamento nachdrängen werde, meldete ich mich ab. Ich wollte über Udine nach Cividale  ; aber ich brauchte gar nicht nach Cividale zu fahren  : Below hatte mit dem engsten Stab in denselben Räumen, in denen drei Tage vorher noch der italienische General Cadorna410 amtiert hatte, sein Hauptquartier aufgeschlagen. Below saß mit Mjr. v. Hatten an einem weiß gedeckten Tisch und wurde – ich traute meinen Augen kaum – von italienischen Soldaten bedient. „Kommen Sie, Herr von Jansa, lassen Sie sich’s gut sein, und erzählen Sie.“ Ich meldete von der Gruppe Krauss alles, was ich erfahren hatte, und er war sehr zufrieden. Kaum hatte ich meinen Vortrag beendet, als die italienischen Ordonnanzen schon ein Gedeck für mich brachten, mir Pasta asciutta und ein riesiges Beefsteak servierten. Da lachte Below wohlwollend und meinte  : „Diese Ordonnanzen behalten wir  ; die wissen wenigstens, wo alle guten Sachen sind  !“ Ich aß mit großem Appetit. Danach sagte Below zu mir  : „Lassen Sie sich oben ein Zimmer anweisen und schlafen Sie sich einmal gründlich aus  ! Sie haben das nötig.“ Das Gebäude war das größte Hotel von Udine. Nachdem ich meinen Chauffeur versorgt hatte, legte ich mich in dem mir von einer italienischen Ordonnanz geöffneten eleganten Zimmer in ein prachtvoll breites Bett und schlief tief bis zum nächsten Morgen. So eine erhabene Befriedigung über die geleistete Pflicht innerhalb grandioser militärischer Erfolge habe ich in meinem Leben nie wieder erlebt. Die Generäle Krauss und Below waren mir militärische Lichtgestalten, die mich noch im Traum erfüllten. Umso zufriedener durfte ich ruhen, als es unseren braven Truppen ebenfalls gut ging. Wenigstens in den Lt.i.d.Res., Artillerieoffizier, Kriegsschule, 1.5.1912 Mjr.i.G., 17.1.1917 Glstbschef I. KKdo., 11.5. 1917 Obst.i.G., 28.5.1917 Glstbschef Armeegruppe Krauss, 29.12.1917 wieder Glstbschef I. KKdo., 28.2.1918 Kdt. d. 26. GBrig., 28.4.1918–13.5.1918 Kdt. I. Korps, dann wieder Glstbschef I.Kkdo., 1.3. 1919 pensioniert. 409 Franz Baumann (Oberwart bzw. Felsö Eör, Westungarn, heute Burgenland, 11.4.1867–9.4.1944 Genf ), 18.8.1887 aus Techn. Milakad. als Lt. zur Schw. Batteriedivision 15, 1.5.1908 Mjr. i. Artilleriestab und Artilleriestabskarriere, Truppenverwendung, Lehrer für Schießwesen, 1.1.1911 Obstlt., 17.3.1913 Kdt. Gebirgs- und Artillerie-Schießschule, 1.8.1914 Obst.i.Artilleriestab, 19.12.1914 Kdt. FKR.24, 1.12.1917 GM 410 Über Luigi Cadorna (1850–1928) siehe die Daten bei Zeynek-Broucek, S.132, Anm.138. Er war von Mai 1915–8.11.1917 Chef d. Glstb. der ital. Armee.

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ersten Wochen war uns das eroberte italienische Land mit seinen reichen militärischen Vorräten, die von den rasch flüchtenden Italienern nicht durchwegs vernichtet werden konnten, wie das Paradies  : Seit Jahren ungesehene Delikatessen aller Art, köstliche Weine, aber auch Wäsche und Uniformen bester Qualität, waren in Überfluss da  ! Bescheiden wie wir Österreicher waren, nahm ich lediglich ein paar Stück Wäsche und eine feldgraue Bluse, auf die mir ein italienischer Soldat, der im Zivilberuf Schneider war, meine Majorsdistinktion tadellos aufnähte. Die Bluse hatte ich sehr nötig gehabt  : meine war bereits ganz dünn gewesen und überdies völlig durchnässt worden. In den folgenden Tagen hatte ich Gen. v. Below nur auf kurzen Stichfahrten zu begleiten, die er von Udine aus nach allen Seiten zu den Truppen unternahm. In dieser Zeit beschäftigte ihn intensiv der Wille, mit dem Nordflügel über den Tagliamento weit nach Westen zu kommen und dann auf beiden Ufern nach Süden zu stoßen, um auch die 3. italien. Armee zu zerschlagen. Überdies verlangte er, dass FM Conrad jetzt aus Tirol, beiderseits der Brenta411, in den Rücken der Italiener stoßen solle, um sie ganz zu vernichten. Dieser starke Wille Gen. v. Belows kollidierte mit den Vormarschkolonnen unserer 2. Isonzo-Armee unter FM Boroëvić. Der am Nordflügel der 2. Isonzo-Armee kommandierende Gen. Kaiser war nach Udine geeilt, wo er mich aufsuchte. Nach Orientierung über die Lage war er großzügig genug, seine Division einen Tag lang anzuhalten. Boroëvić hingegen befahl von weit hinten, dass alle deutschen Divisionen, die in seinen Heeresbereich nach Süden eingeschwenkt waren, unter seinen unmittelbaren Befehl zu treten hätten, was Below rundweg ablehnte. Das zur endlichen Regelung angerufene Höchst-Kdo. der SWF unter Erzh. Eugen saß noch 250 km hinten in Marburg und kam daher, wie bereits erwähnt, mit seinen Befehlen immer zu spät. Allmählich stellte sich heraus, dass die 3. italienische Armee unter Zurücklassung aller Geschütze und unermesslichen Materials in raschem Rückzug über den Taglia­ mento entkommen war, weil sie von der 1. Isonzo-Armee nicht stark genug festgehalten worden war. Darauf schwenkte unsere 14. Armee mit ihren Divisionen wieder nach Westen. Aber die Italiener hatten alle Tagliamento-Brücken gesprengt, der Fluss selbst führte Hochwasser und das erforderliche Kriegsbrückengerät war bei dem hastenden Vormarsch zu weit abgeblieben. Darum erschien es Below nötig, dass sein Nordflügel, die Gruppe Krauss, mit Vehemenz vorgehe und den Italienern, die den Tagliamento vor der Armeemitte verteidigten, in den Rücken komme. So erhielt ich am 4. November spätabends den Auftrag, Gen. Krauss noch einmal vorzutreiben. Zwar war ich überzeugt, dass die Divisionen des Generals einer Antreibung nicht bedürften, doch da der Befehl an mich erteilt war, orientierte ich mich gründlich über alle Einzelheiten der 14. 411 Brenta, Zufluss des Golfs v. Venedig, entspringt im Trentino und durchfließt Venetien.

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Armee, ließ meinen Rennwagen bereitmachen und fuhr von Udine nach Nordwesten los. Das Wetter hatte sich endlich zum Guten gewandelt. Der Himmel war sternklar und auch der Mond mag zeitweise hervorgelugt haben. Ohne Zwischenfall trafen wir in Fagagna ein, wo sich das Korpskommando Krauss etabliert hatte. Auch in seinem Bereich hatten die Italiener die Brücken über den Tagliamento gesprengt. Aber bei Cornino war die Sprengung nicht voll gelungen  ; in der Nacht zum 4. turnten sich an der in den Tagliamento hängenden Eisenkonstruktion der Eisenbahnbrücke Soldaten der 55. Division, und zwar Bosniaken unter Hptm. Redl, einzeln hinüber.412 Im Stab Krauss war ich jetzt gut bekannt. Ich beschloss, die Ausweitung des nächtlichen Überganges stärkerer Kräfte bei Cornino abzuwarten, und erbat inzwischen genaue Aufklärung. Die Edelweiß-Division war schon nach Tolmezzo im obersten Tagliamento-Tal gelangt, vor ihr die 94. Division der 10. Armee sogar schon bis Ampezzo413  ; in den Kampf um den Übergang bei Cornino (Stazione per la Carnia) hatte auch schon die 12. deutsche Division eingegriffen  ; dem Korps Krauss war es gelungen, die zu lange im Gebirge verbliebenen italienischen Divisionen 36 und 63 des XII. italien. Korps mit allen Waffen und noch unübersehbarem Material gefangen zu nehmen. Die Stimmung im Korps war euphorisch und erreichte am 5. morgens, als auch der Übergang über den Tagliamento sicher gelungen war, einen Höhepunkt. Die Verfolgung wurde sofort über den Fluss hinüber fortgesetzt. Mit diesen frohen Nachrichten kehrte ich zu Below zurück, wo mich Glt. v. Krafft abfing, dem ich rasch berichtete. Er sagte mir darauf, dass Kaiser Karl mit Generaloberst Arz eingetroffen sei und momentan bei Below weile. „General von Below hat Sie bei ihrem Monarchen sehr gelobt  !“ Der Kaiser wolle von Udine zu Krauss, und da ich eben von Krauss käme, wäre ich der beste Führer des Kaisers dahin. Kaum war das gesagt, öffnete sich die Tür von Belows Zimmer und Kaiser Karl trat heraus. In seiner Plötzlichkeit machte dies einen mächtigen Eindruck auf mich, meinen jugendlichen Kaiser unmittelbar vor mir zu sehen  ; ich hatte nicht einmal Zeit gehabt, meine Adjustierung ein bisschen zurechtzuzupfen. Glt. v. Krafft sagte  : „Majestät, hier ist Major von Jansa  ; er kommt gerade vom Korps Krauss.“ Ich meldete mich bei Seiner Majestät vorschriftsmäßig  ; hinter ihm standen der Chef unseres Generalstabes, Baron Arz, und GM Lobkowitz.414 Der Kaiser reichte mir die Hand mit den Worten „Sie 412 Siehe  : Werner Schachinger, Die Bosniaken kommen  ! 1879–1918 Elitetruppe in der k. u. k. Armee, Graz/Stuttgart 1989, S.190 ff.: Kapitel Cornino, Übergang über den Tagliamento. K.u.k. b.h. Infanterie-Regiment Nr. 4, IV. Feldbataillon; mit den Bosniaken im Weltkrieg. Auszüge aus  : Pero Blaskovic Sa Bosnjacima u Svjetskom Ratu (= Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie 3), Wien 2001. 413 Ampezzo  : Ort nahe dem oberen Tagliamento, auf einer bewaldete Hochfläche gelegen, nahe den karnischen deutschen Sprachinseln Sauris di Sotto und Sauris di Sopra. 414 Über Zdeněk [d.i. Sidonius] Prinz v. Lobkowitz (1858–1933) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I,

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steigen dann zu mir ins Auto  ! Der dicke Lobkowitz wird ein bissel zusammenrücken müssen  ! – Aber jetzt muss ich noch zu Glt. v. Krafft.“ Schon nach 2–3 Minuten kam der Kaiser aus Kraffts Zimmer, von diesem nicht mehr begleitet. Während dieser Minuten konnte ich mich Baron Arz und Prinz Lobkowitz vorstellen. Wir stiegen wortlos in den Hof ab, wo das kaiserliche Auto wartete  : ein offener sechssitziger Wagen. Ich bedeutete meinem Chauffeur, dass er uns folgen solle. An der Rückwand des Autos nahmen der Kaiser und links von ihm Baron Arz Platz. Vorne saß rechts der Chauffeur und links von ihm irgendein Aristokrat des freiwilligen Automobilkorps, dem der Wagen gehörte. Auf den linken aufklappbaren Hilfssitz im inneren Wagen stieg beschwerlich der beleibte Prinz Lobkowitz und rechts von ihm, also unmittelbar vor dem Kaiser und ihm den Rücken zeigend, kam ich zu sitzen. Ich wies dem Fahrer gleich nach Verlassen des Hotelhofes den Weg durch Udine und dann auf die gerade Straße nach Fagagna. Die Ausfahrt aus Udine stimmte mit der Einzeichnung in unserer Karte, die der Kaiser in der Hand hatte, nicht überein, und er machte mich darauf aufmerksam  ; ich konnte lediglich erwidern, dass die Italiener die Straße anscheinend begradigt hatten und unsere Karte veraltet sei. Wir kamen nur allmählich vorwärts, weil die Straße von den Regimentern der 200. deutschen Infanteriedivision zu ihrer Nordwestverschiebung an den Tagliamento benützt wurde. An den Marschkolonnen konnte das Auto, wegen der nicht gerade mustergültigen Marschdisziplin, oft nur schwer vorbeifahren. Nach rund einer halben Stunde erreichten wir Fagagna, wo der telefonisch benachrichtigte Korpsstab am Straßenbankett vorm Gebäude, das als Büro diente, aufgestellt, Seine Majestät erwartete  : der Korpskommandant, hinter ihm in einem Glied der Generalstabschef, Artilleriechef und einige sonstige Offiziere. Das Auto hielt, der Kaiser stieg aus und trat auf Gen. Krauss zu, dem er die Hand reichte  ; den Offizieren des Stabes nickte er salutierend zu. Krauss erörterte dem Kaiser die Lage und hob den gelungenen Übergang über den Tagliamento und die frische Gefangennahme von zwei italienischen Divisionen hervor. Was der Kaiser darauf zu Krauss sagte, konnte ich nicht verstehen  ; das Geräusch vorbeimarschierender deutscher Regimenter verschlang die Worte. Doch sah ich Lobkowitz dem Kaiser ein rotes Etui reichen, dem dieser eine große Medaille entnahm und Gen. Krauss an die Brust heftete  ; es war die von Kaiser Karl neu gestiftete „besondere allerhöchste Anerkennung“. Krauss erbleichte sichtlich  ; die S. 383, Anm. 325 . Er war als GM 24.11.1916–Kriegsende Generaladjutant Seiner Majestät Karls I. Siehe über ihn nunmehr  : Erwein Lobkowicz, Erinnerungen an die Monarchie, Wien/München 1989. S. 190 ff.: Kapitel Cornino. Übergang über den Tagliamento. K. u. k. b.h. Infanterie-Regiment Nr.4, IV. Feldbataillon.

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Auszeichnung war neu gestiftet und hatte in der Armee noch kein Ansehen  ; der von Krauss nach allen seinen hohen Verdiensten gewiss verdiente und wohl auch erwartete Theresienorden war hingegen ausgeblieben. Nach den Ordens-Statuten war zwar das eingesetzte Ordenskapitel für Verleihungen zuständig, der Kaiser freilich, der sich gleich nach seinem Regierungsantritt über viele militärische Bestimmungen glatt hinweggesetzt hatte, hätte auch hier eine eigenwillige Tat setzen können, und die wäre von der Armee verstanden worden. Die Herbstoffensive in Italien war für die weitere Widerstandskraft der Monarchie von entscheidender Bedeutung  : Eine zwölfte Isonzoschlacht in der Abwehr hätte, der übereinstimmenden Beurteilung aller hohen Kommandostellen nach, nicht mehr erfolgreich geschlagen werden können  ; deshalb war ja auch die deutsche Hilfe erbeten worden. Das der Offensive von ö.-u. Seite anfangs gesteckte Ziel war bloß die Wiedergewinnung des Isonzo-Tales und der Ježa-Höhe gegenüber Tolmein – jetzt stand man am Tagliamento und drängte noch weiter über diesen Fluss nach Westen vor  ! Das war ein weit größerer Erfolg, als ihn der ursprüngliche Befehl verlangt hatte, also eine den Bedingungen für die Verleihung des MilitärMaria-Theresienordens voll entsprechende Tat, deren Verdienst sich Below, Krafft und Krauss teilten. Ich wusste nicht, dass Kaiser Karl bei seinen Frontbesuchen spontan Orden verleihen würde, aber wenn schon, dann hätte ich für Below das Kommandeurkreuz, für Krauss und Krafft je das Ritterkreuz des Maria-Theresienordens umso mehr erwartet, als ja Kaiser Franz Joseph 1914 den deutschen General v. Moltke für die verlorene Marne-Schlacht mit dem Kommandeurkreuz dieses Ordens auch spontan ausgezeichnet hatte.415 Der großartige General Krauss war schwer gekränkt worden. Zurück im kaiserlichen Auto sagte ich zu Lobkowitz, der links von mir saß, „Durchlaucht, haben Sie General Krauss erbleichen gesehen  ? Der General hat sicher das Theresienkreuz erwartet  !“ Lobkowitz erwiderte heftig  : „Ja, das ist jetzt ganz anders. Die bisherige Ordensschenkerei hat aufgehört. Auch für die Deutschen  !“ Ob der Kaiser gehört hatte, was wir da im Auto gesprochen hatten, weiß ich nicht. Lobkowitz hatte mir jedenfalls sehr laut geantwortet. In Udine sagte Baron Arz zum Kaiser  : „Majestät, jetzt lassen wir Major von Jansa wieder aussteigen  !“ Das Auto hielt, ich stieg aus, stellte mich stramm auf die Seite des Kaisers und salutierte. Da griff der Kaiser in seine Brusttasche und gab mir einen Brief mit den Worten  : „Den Brief der Kaiserin bestellen Sie bitte  !“ Dann reichte er mir flüchtig die Hand, und der Wagen entschwand. Adressiert war der Brief an den 415 Unter den Empfängern der vier Kommandeurkreuze, die ohne Kapitelbeschluss verliehen wurden, befinden sich die ö.-u. Feldmarschälle Boroëvić und Böhm-Ermolli sowie Großadmiral Anton Haus. Die erste derartige Verleihung, nämlich an GO Helmuth Graf v. Moltke, dem diese Auszeichnung von Franz Joseph I. am 27.8.1914 widerfuhr, erfolgte für den damaligen Erfolg des deutschen Westheeres.

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Prinzen Elias v. Parma416, der als Generalstabschef bei einer ö.-u. Division eingeteilt war, die ich erst feststellen musste. Ich schritt die Hoteltreppe hinauf, um noch v. Below über das Ergebnis meiner nächtlichen Orientierung beim Korps Krauss zu berichten. Als ich an der Tür von Glt. v. Krafft vorbeikam, trat dieser zufällig heraus, um sich anscheinend auch zu Below zu begeben. Als er mich sah, öffnete er wieder die Tür in sein Zimmer und bat mich einzutreten. In seinem Zimmer sagte er mir, sehr erregt, ungefähr, dass er mich um eine Intervention bitten müsse  : Seine Majestät habe ihm das Militärverdienstkreuz II. Klasse verliehen, was offenbar ein Irrtum sei  : Da er bereits den Orden der Eisernen Krone I. Klasse in diesem Krieg erhalten habe, könne er doch jetzt nicht eine derart geringe Auszeichnung erhalten  ! Nach dem bei Krauss Erlebten war dies leider wohl kein Irrtum gewesen. Ich versprach, gleich der Geschichte nachzugehen, sobald ich Below referiert hätte. Darauf gingen wir gemeinsam zum Oberbefehlshaber. Ich erzählte meine Feststellungen beim Korps Krauss und dessen Absichten bezüglich des Vormarsches über den Tagliamento zur Livenza. Darüber war Gen. v. Below erfreut und meinte, ich erfülle seine Wünsche stets sehr gut  ; das habe er auch meinem Kaiser gesagt. Dann sagte v. Below, Seine Majestät habe ihm das Großkreuz des Leopold-Ordens mit Kriegsdekoration und Schwertern verliehen. „Das ist eine hohe Auszeichnung“, meinte er und fügte lachend hinzu  : „Bekommen werde ich den Orden natürlich erst nach vielen Monaten, bis die Ordenskanzlei alle Schreibereien gemacht haben wird.“ Als ich gratulierte und die Meinung äußerte, dass angesichts seiner hohen Stellung der Orden bald kommen dürfte, lachte er abschließend  : „Nein, nein, ich weiß, bei Euch dauern Ordenssachen sehr lange  !“ Tatsächlich war sein Orden, solange er in Italien weilte, nicht eingetroffen. Wenigstens war dieser wunderbare Mann zufrieden. Als ich vors Hotel trat, sah ich das kaiserliche Auto. Anscheinend hatte sich der Wagen verfahren  ; Generaloberst Arz rief mir nämlich zu  : „Wo geht’s da heraus nach St. Vito  ?“ Ich sprang hinaus und zeigte das kleine schmale Gässchen, das man durchfahren musste, um die Landstraße zu gewinnen, und nahm die Gelegenheit beim Schopf, um zu fragen, ob die Verleihung des Verdienstkreuzes II. Klasse an Glt. v. Krafft nicht ein Irrtum sei, was dieser glaube. Der Kaiser erwiderte freundlich lächelnd  : „Nein, nein, die deutschen Herren dekoriere ich nicht höher als unsere Generale  !“ Ich salutierte, und bald war das Auto meinen Augen entschwunden. Ja, dachte ich, wie soll ich das nun Krafft beibringen  ? Dann glaubte ich, dass es keinen Sinn habe, das hinauszuzögern  ; ich hatte ja den Orden nicht beantragt. So ging 416 Über Elias v. Bourbon-Parma (1880–1959) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S.408, Anm. 398. Elias v. Bourbon aus der Nebenlinie Parma war 1917 Obstlt.i.G. und DivisionsGlstbschef.

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ich zu Krafft und meldete ihm, dass ich zufällig nochmals Seiner Majestät dem Kaiser und König begegnet wäre und was Seine Majestät mir direkt geantwortet habe. Krafft stieg das Blut in den Kopf, er bekam an der Schläfe eine dicke Ader und brummte etwas wie eine Überlegung, ob er den Orden annehmen könne. Ich hielt es fürs Klügste, nichts zu erwidern und nur zu fragen, ob ich den Nachmittag für die mir vom Kaiser aufgetragene Briefbestellung freinehmen könne, was er bejahte. Nach einigen Telefonanfragen wusste ich, wo Prinz Elias zu finden war, und übergab ihm den Brief der Kaiserin gegen Bestätigung. Zwischen dem Kaiser, Arz und Below schienen die vielen Reibungen mit Boroëvić und dem KdoSWF zur Sprache gekommen zu sein. Arz schien keinen voll befriedigenden Ausgleich angebahnt zu haben. Jedenfalls stand fest, dass die Offensive fortgesetzt würde. Vom KdoSWF kam sogar auf einmal ein Befehl, der uns bis an die Brenta wies. Das war wieder zu viel des Guten, weil es mit dem Nachschub von Munition und Brückengerät noch nicht klappte  ; die Wiederherstellung der Eisenbahnen, deren Brücken die Italiener gesprengt hatten, konnte mit dem Vorwärtsstürmen unserer Truppen nicht Schritt halten. Da ließ mich Glt. v. Krafft am 7.11. abends zu sich bitten  : „Wir müssen Ihre Fähigkeiten in einer delikaten Sache wieder in Anspruch nehmen. Wir können doch nicht gegen jeden Befehl des Erzherzogs Eugen remonstrieren  ; aber alle von ihm kommenden Aufträge tragen den rasch wechselnden Verhältnissen nicht Rechnung und geben zu dauernden Reibereien mit unseren Nachbarn Anlass  ; das Kommando der Südwestfront ist einfach zu weit hinten. Versuchen Sie bitte, das Kommando mit dem Erzherzog nach vorne, etwa her nach Udine zu bringen. Wir würden für Quartiere und Verpflegung alle nötigen Vorsorgen treffen. Wollen Sie sich dieser Aufgabe widmen  ?“ Mir war die Schamröte in die Wangen gestiegen  ; musste da wieder einmal erst ein Impuls von deutscher Seite eine selbstverständliche Führungspflicht in Schwung bringen  ? Krafft hatte mein Rotwerden offenbar bemerkt und meinte, dass es ein für mich gewiss peinliches Ansinnen von Below und ihm sei, aber die Kriegslage erfordere es. Ich machte eine knappe Verbeugung mit der Versicherung, dass ich mein Bestes zu leisten versuchen werde. Dass ich mich dadurch beim Erzherzog nicht beliebt machen würde, war mir ebenso klar wie der Umstand, dass Belows Lob meiner Person gegenüber Seiner Majestät dem Kaiser und König meiner Geltung beim Monarchen nicht dienlich gewesen war, denn jetzt galt anscheinend schon ein vernünftig gutes Auskommen mit den Deutschen als schlechtes Österreichertum. Krafft hatte vollkommen Recht. Ich durfte mich seinem vernünftigen Verlangen nicht versagen  ; es wäre Feigheit vor den eigenen Vorgesetzten gewesen  ! Hatte ich doch von Potioreks Unbeweglichkeit in Erinnerung, dass sie eine gewichtige Ursache unserer Niederlage in Serbien war  ! So suchte ich meinen Chauf-

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feur auf, um ihm zu sagen, dass wir am nächsten Morgen so früh als möglich fahren mussten. Trotz der starken Beanspruchung aller Straßen durch Truppen und Nachschubtrains gelang es meinem ausgezeichneten Fahrer, am 8. November knapp vor Mittag Marburg zu erreichen. Während der spätherbstlich schönen Fahrt hatte ich hin und her überlegt, wie ich meine Mission taktvoll und erfolgreich absolvieren könnte. Den Generalstabschef des Erzh. Eugen kannte ich aus dem ersten und zweiten Krieg in Serbien gut  : FML Theodor Konopicky hatte sich als Kommandant der 4. Gebirgsbrigade als unerschrockener General erwiesen und war im zweiten serbischen Krieg als Generalstabschef von FM Kövess bei der 3. Armee seinen vormarschierenden Truppen immer rasch nachgefolgt. Wie war dieses weite Abbleiben (die Luftlinie Udine-Marburg betrug über 250 km) zu erklären  ? Erzh. Eugen kannte ich schließlich auch als einen, der sich keinem vernünftigen Vorschlag entzog. Wer war Chef der Operationsabteilung  ? Das wusste ich nicht. Nun, das Rätsel sollte sich bald klären. Im bekannten Schulgebäude erstieg ich den ersten Stock, trat beim Chef der Operationsabteilung ein und erblickte einen Generalstabsobersten vor einer Schultafel stehen und auf dieser die Lage der aufgemalten Armeen mit Schwamm und Kreide berichtigen, anscheinend nach den eingegangenen Meldungen. Ich erkannte Obst. Becher, der vor langen Jahren in Pressburg zugeteilter Offizier bei der dem Inf. Rgt. Nr. 72 vorgesetzten Brigade gewesen war  ; er hatte bei uns im Offizierskasino am Mittagstisch teilgenommen und war mir durch sein breites, von unreiner Haut gezeichnetes Gesicht in Erinnerung geblieben.417 Auch er erkannte mich gleich als den seinerzeitigen „guten Rekrutenbändiger“ beim Inf. Rgt. Nr. 72, und die Begrüßung war herzlich. Ich begann damit, dass ich mich als Verbindungsoffizier beim deutschen AOK 14 endlich einmal vorstellen komme, was bisher durch das atemberaubende rasche Vormarschtempo nicht möglich gewesen wäre. Becher quittierte diese Besuchsabsicht höflich, stellte ein paar Fragen, die ich ihm alle ausführlich beantworten konnte. Dann sah er plötzlich auf die Uhr und meinte, er müsse eilen, es sei schon halb 1h, er dürfe seine Frau beim Mittagstisch nicht warten lassen. Ich horchte auf und fragte, ob Becher in Marburg in Garnison gewesen wäre, was er verneinte und sagte, dass doch alle ihre Familie nach Marburg nachgezogen hätten. Dann enteilte er „nach Hause“. Ich muss ein sehr dummes Gesicht gemacht haben. Was, die Herren leben hier mit ihren 417 Karl R. Becher v. Rüdenhof (Pola, Istrien, heute Pula, Kroatien, 15.7.1867–  ?), 18.8.1888 aus Techn. Milakad. als Lt. zum Geniergt.2, Dienst in Pionierbaonen und Geniedirektionen, 1.1.1901 ins KM 8. Abt. eingeteilt, 1.9.1906 Lehrer für Befestigungswesen an der Kriegsschule, 1.5.1907 desgleichen an den Technischen Militärfachkursen, 29.10.1908 Geniedirektor in Riva, 1.8.1914 Oberst im Geniestab, 1914/1915 Geniedirektor von Klagenfurt, 1.10.1915 General der Technischen Truppen bei der 3. Armee, dann, 1917, der 7. Armee, 1.11.1917 GM, 1.1.1919 pensioniert.

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Familien wie im Frieden  ? Ist das vielleicht der Grund ihres Klebens an Marburg  ? Nachdem ich den Chauffeur versorgt hatte, begab ich mich zum bekannten Speisesaal des Kommandos  ; ich traf nicht allzu viel alte Bekannte, bekam jedoch ganz gut zu essen. Auch Kautzky war da, der Kanzleioffizier Potioreks in Sarajevo  ; mit dem konnte ich mich aussprechen  : Er aß „heute nur im Kasino, weil seine Frau Waschtag hatte“. Das genügte mir  : Die Herren leben hier also tatsächlich wie im tiefsten Frieden. Ich fragte, wann Konopicky nachmittags ins Büro käme  ? Halb 4h. Ob er gleichfalls die Frau in Marburg habe  ? Ja. Ob ich mich für nachmittags beim Erzherzog anmelden könne  ? Ja. Der war ja als Deutschordensritter gottlob ledig  ! Als Kautzky gegangen war, überlegte ich, wie ich dieses Kommando mobil machen konnte. Dass ich auf Gen. v. Belows Wunsch gekommen sei, das durfte ich keinesfalls sagen, das hätte sofort eine Oppositionsstellung hervorgerufen. Aber ich konnte die vielen Reibereien hinsichtlich der Befehlsgebung betonen und andeuten, dass Seiner Majestät des Kaisers und Königs Frontbesuche die Unsichtbarkeit des Erzherzogs unangenehm auffällig machen. Obst. Becher wollte ich gar nicht mehr sprechen, ging lieber um halb 4h direkt zu FML Konopicky. Dieser nahm meine Meldung freundlich auf, und ich erzählte ihm, welch ungünstigen Eindruck es mache, dass man den Erzherzog und ihn vorn nie zu sehen bekomme, wo doch der junge Kaiser ununterbrochen die Fronttruppen besuche. Er, Konopicky, sei seinerzeit in Serbien immer an der Front gewesen  ; was halte denn das Kommando jetzt, wo endlich die ganze Front in Bewegung gekommen sei, fast 300 km hinten zurück  ? Konopicky machte einen schwachen Einwand bezüglich der Telefonverbindungen und Udine, das allein in Frage käme, wo jedoch Below sitze. Nun war es so weit, wie ich hoffte. Ich sagte, bei seinem Elan habe Below Udine wahrscheinlich schon wieder verlassen, das Kommando der Südwestfront könne noch heute nach Udine fahren  ; man lebe dort unvergleichlich besser als im Hinterland, es gäbe dort reichlich und wunderbar zu essen usw. Na ja, meinte Konopicky, aber sie könnten doch nicht plötzlich abreisen und ihre Frauen da lassen. Ich erwiderte  : „Oh ja“, es wäre ja nur für kurze Zeit  ; überdies fänden die Frauen in den italienischen Städten noch Dinge, die sie seit Jahren nicht mehr gesehen hätten. Konopicky schwankte und wollte das überlegen. Ich ripostierte, dass nichts zu überlegen sei  ; er müsse morgen früh mit dem engeren Führungsstab nach Udine kommen  ; ich verbürge mich fürs tadellose Funktionieren aller telegraphischen und telefonischen Verbindungen, beste Unterbringung und reichlich gute Verpflegung. Ohne seine Antwort abzuwarten, nahm ich den Telefonhörer, verlangte Udine und dort GenStabsMjr. Schwink. Dem sagte ich vor Konopicky, dass das Südwestfrontkommando am übernächsten Tag, also am 10. November, in Udine eintreffen werde  ; ich bäte um Unterkunftsvorbereitung und komplette Versorgung für zunächst etwa 20 Offiziere. Jetzt gab ich den zweiten Hörer Konopicky in die Hand, und der hörte mit, wie Schwink mir sagte, das sei ja großartig,

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Below verlasse morgen Udine  ; er, Schwink, werde sorgen, dass alles tadellos „klappe“. Ich dankte und legte den Hörer auf. Konopicky sah mich ganz erstaunt an und meinte, dass ich eine kolossale Position bei den Deutschen haben müsse, wenn ein Anruf genüge, um alles ins Lot zu bringen. Schmunzelnd erwiderte ich, er wisse ja, dass Below meine Einteilung bei sich direkt gefordert habe. Ohne Kränkung der Herren, mit ein bisschen Schlauheit war das Kommando für die sofortige Verlegung nach Udine in Schwung gebracht. Da die Straßen recht zerfahren waren und das Kommando nicht wie ich mit einem kleinen Rennwagen durchkommen konnte, schlug ich vor, morgen vormittags aufzubrechen, nur bis Klagenfurt zu reisen und erst am 10. in Udine anzukommen. Zwar hätte ich mich nun empfehlen und zurückfahren können, fürchtete jedoch, Konopicky könne am Ende umgestimmt werden  ; so blieb ich, um die Abreise zu kontrollieren. Zudem dunkelte es bereits, und mein Chauffeur brauchte Schlaf. Während ich noch überlegte, sagte Konopicky zu mir  : „Jansa, du alter Bosniak, bleibst aber da und führst uns persönlich nach Udine  !“ Freudig stimmte ich zu. Inzwischen war der erzherzogliche Adjutant mit der Einladung zum Abendessen beim Erzherzog eingetreten  ; ich bat ihn, Seiner k. u. k. Hoheit zu melden, dass ich so schmierig kommen müsse, weil ich keine Uniform zum wechseln habe  ; Skrbenský meinte lächelnd, die Stiefel könne ich mir doch noch putzen lassen, was ich mit der Bemerkung quittierte, dass ich mir sogar die Hände waschen wolle. Ich verabschiedete mich von Konopicky mit der Feststellung, dass er mit seinem engeren Stab und mir morgen, den 9. November, um 10h nach Klagenfurt starte  ! Dann ging ich in die Telefonzentrale, wo ich eine schalldichte Zelle wusste, und rief Krafft an. Er war von Schwink bereits übers Gelingen meiner Mission unterrichtet und meinte, das hätte ich auch wieder gut gemacht. Ich bat ihn um verlässliche Vorbereitung von Unterkunft und Versorgung, was er auch zusagte. Zum Abendessen hatte der Erzherzog, solange ich beim Kommando gewesen war, nie jemand eingeladen  ; es war eine Ausnahme. Als ich mich bei ihm meldete, sagte er in gewohnter Vornehmheit, er hätte mich gleich für Abend zu sich gebeten, weil ich ja wahrscheinlich bald wieder zurück zum AOK 14 müsse. Das bescheidene Essen nahmen wir zu dritt  : Erzh. Eugen, Baron Skrbenský und ich. Entgegen der früheren Übung, bei Tisch keine dienstlichen Angelegenheiten zu berühren, erzählte ich, dass des Kaisers rastlose Frontbesuche die Truppe sehr günstig beeindrucken. Der Erzherzog erwiderte, dass er auch für seine Person sehr oft gemeint habe, man müsse vorfahren  ; sein Stab habe ihn aber abgehalten, weil er sonst zu lange vom Kommando abwesend wäre. Ich entgegnete, dass das richtig sei und deshalb das Kommando nach Udine müsse, von wo aus die Truppen in kurzen Autofahrten erreichbar seien. Der Erzherzog meinte darauf lachend, dass er mir offenbar danken müsse für die Mobilmachung seines Stabes. Er würde auch gern morgen fahren. Warum Konopicky den

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Stab teile  ? Ich erwiderte, dass ich es persönlich für durchaus zulässig hielte, wenn Seine k. u. k. Hoheit gleich morgen führe  ; FML Konopicky wolle aber die Kontinuität der Führung gewahrt wissen, die durch das vorläufige Verbleiben Seiner k. u. k. Hoheit mit Obst. Becher in Marburg sichergestellt sei  ; dann wolle er aber auch für den kleinen Hofstaat Seiner k. u. k. Hoheit die Unterkunft und Sicherung selbst beeinflussen, was angesichts der zahllosen italienischen Gefangenen begründet sei. Ich durfte dem Erzherzog noch einiges über die impulsive Führungsart Gen. v. Belows erzählen und flocht so nebenbei auch die Enttäuschung Kraffts darüber ein, dass er von Seiner Majestät nur das Verdienstkreuz 2. Klasse erhalten hatte. Der Erzherzog erwiderte nichts und erhob sich bald zu meiner Verabschiedung. Er begab sich stets sehr früh zur Ruhe. Für meine Nachtruhe wählte ich das zweite Bett im Offiziersinspektionszimmer, von dem aus jederzeit alle Telefonverbindungen zu erhalten waren, und gab nach Udine noch bekannt, dass ich bis morgen 10h hier in Marburg und ab 5h Nachmittag in Klagenfurt erreichbar sei. Mjr. Schwink erwiderte mir, dass ich das AOK in Pordenone418 suchen solle. Die Fahrt nach Klagenfurt und tags darauf über Villach–Raibl419–Flitsch–Karfreit– Cividale nach Udine machte mir viel Freude, weil ich damals Kärnten kaum kannte. Ich saß im Auto neben FML Konopicky, der vieles wissen wollte und dem ich auch westwärts Cividale die Stelle zeigen konnte, wo Gen. v. Berrer den Tod gefunden hatte. Die Masse der nach Osten marschierenden italienischen Gefangenen und die Menge des überall noch ungeordnet liegenden Materials beeindruckten sehr. Gegen Abend trafen wir in Udine ein. Im großen Hotel empfingen uns ein deutscher Doppelposten und einer der Versorgungsoffiziere mit einigen deutschen Ordonnanzen aus dem Stab Belows. Alle Vorsorgen waren einwandfrei getroffen. Im Vorraum des Speisesaales standen silberne Aufsätze mit allen denkbar guten Dingen und Getränke als Aperitif bereit. Konopicky nahm ein paar Nüsse und brummte, dass er gar kein anderes Nachtmahl brauche. Ich lächelte nur und wies auf den Speisesaal, wo uns bald von den mir schon bekannten italienischen Ordonnanzen ein Diner serviert wurde. Die österreichischen Herren waren verblüfft und bald auch begeistert. Konopickys Laune hob sich immer mehr, ja, bei meiner Abmeldung sagte er mir sogar ein herzliches Danke. 418 Pordenone Hafenstadt am Noncello in Friaul-Julisch Venetien, röm. Portus Naonis, langobardischer königlicher Hof, direkt dem König unterstellt, im 10. Jh. Besitz der Herzöge von Bayern, dann der Herzöge von Kärnten, der Familien der Eppensteiner, der Spanheimer und der Babenberger als „Portenau“  ; ab 1278 im Besitz der Habsburger, 1508 von den Venezianern erobert, 1314 Stadterhebung, seit 19. Jh. Charakter einer Industriestadt. 419 Raibl, damals Kärnten, heute Cave del Predil, Ort südlich von Tarvis (heute  : Tarvisio, Provinz Friuli– Venezia–Giulia), nahe der Grenze zu Slowenien (ehemals Krain).

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Ich übernachtete noch in meinem Hotelzimmer, wo mein Offiziersdiener schon mein kleines Gepäck reisefertig gemacht hatte, und fuhr am nächsten Morgen in Richtung Pordenone weiter. Mich empfing das gleiche Bild wie an den vorangegangenen Tagen  : frohgemut vormarschierende, in allen Sprachen singende eigene Truppen, an den Straßenrändern lagernd zahllose Italiener mit ihren Waffen, „Eviva Germania, eviva Austria, abasso la guerra  !“ rufend. Die Trains unserer Truppen waren oft drollig anzusehen  : italienische 2-rädrige Karren mit starken Maultieren der Italiener bespannt, wie ich sie noch nicht gesehen hatte  ; alles improvisiert, denn die eigenen Trains mit den verhungerten kraftlosen Pferden vermochten nur selten ihren Truppen zu folgen. Die Pferde der deutschen Truppen hingegen sahen noch wohlgenährt aus. Das regte zum Nachdenken an  : Das zu drei Viertel agrarische Österreich-Ungarn vermochte seine Armee nicht ausreichend zu ernähren  ; das hoch industrialisierte Deutschland hatte auch viel Mangel, aber seine Heere waren noch immer besser versorgt. Welch ein Unterschied  ! Der anscheinende Überfluss in den eroberten italienischen Gebieten würde bald aufgezehrt sein. Was dann  ? Diese vielen neuen Kriegsgefangenen und die Zivilbevölkerung würden wir dann auch noch ernähren müssen. Die armen satten Italiani würden bald nicht mehr „Eviva“ rufen, sondern Hunger haben. Die ahnten ja noch gar nicht, mit welch verhungerten Truppen wir sie so vernichtend geschlagen hatten. In Pordenone fand ich nur mehr einen Rest vom AOK 14. Below war schon gestern wieder um 50 km westwärts geeilt und hatte seinen Sitz in Vittorio aufgeschlagen.420 So war seine Initiative, die Befehle aus dem Wagen heraus erteilende Führernatur wieder voll zur Geltung gekommen. Wie mir der in Pordenone zur Nachführung des zweiten Teiles des Stabes verbliebene Mjr. Schwink erzählte, lag Below viel daran, dass die am Gebirgssüdfuß vordringende Gruppe Krauss raschestens den Oberlauf des Piave überwinde, um dem Gros der Armee südlich davon den Übergang zu erleichtern. Als er in Vittorio die beiden Korpskommandanten Krauss und Scotti421 fand, die sich dort etablieren wollten, soll Below beiden Herren gesagt haben, in Vittorio werde er schlafen  ; die Korpskommandos mögen sich weiter vorne Quartiere suchen  ! Dieser massive Druck war sein letzter 420 Die Stadt Vittorio liegt in Venetien südlich von Treviso. Sie wurde nach 1918 Vittorio Veneto genannt und erinnert seither besonders an die letzte italienische Offensive des 1. Weltkrieges. Am 24.10.1918 begann die italienische Offensive gegen den Monte Grappa, den Monte Asolone und am Piave. Am 29. 10. räumte die ö.-u. Armee Vittorio, der italienische Durchbruch war zunächst nur örtlich gelungen. Am 30.10. wurden die „ungarischen Truppen“ abberufen – und dies bedeutete nach dem italienischen Einbruch in die ö.-u. Front den Beginn des Zusammenbruchs. Siehe  : John Frederic Charles Fuller, Die Entscheidungsschlachten der Westlichen Welt, Kapitel  : Die Schlacht von Vittorio Veneto 1918, Tübingen 2004, S. 426–436. 421 Über Karl Scotti (1862–1927) siehe die Daten bei  : Zeynek-Broucek, S.101, Anm. 61. Scotti war 1917/18 als FML Kdt. XVI. Korps.

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gelungener Impuls, die Verfolgung so weit wie möglich vorzutreiben. Am Piave hatten sich die Italiener, gestützt von herangeführten französischen und englischen Divisionen zu nachhaltiger Verteidigung gesetzt, und unsere Kräfte waren allen Nachschubmöglichkeiten so sehr vorangeeilt, dass den Truppen Munition und Brückengerät zu fehlen begann. Meine Weiterfahrt von Pordenone nach Vittorio geschah wieder durch ganze Kolonnen neu gefangener Italiener, die alle gar nicht mehr daran dachten, von ihren Waffen Gebrauch zu machen. In Vittorio fand ich das Armeekommando in der hart am Gebirgsfuß schön gelegenen Villa Morosini etabliert, während Below eine kleinere Villa bezogen hatte. Für mich war als Kanzleiraum in der Villa Morosini, in der auch gegessen wurde, ein kleiner Erkerraum mit wunderbarer Aussicht reserviert. Mein Wohnraum lag in einer Nachbarvilla. Diese Details erwähne ich, weil wir in Vittorio lange Zeit verblieben. Meine Meldung bei Below und Krafft noch am gleichen Abend erwähnte die Übersiedlung des KdoSWF nach Udine kaum mehr. Below brummte, dass ihm der Druck Conrads aus Tirol heraus zu langsam sei.422 Meine Erklärung, es sei eben November und in den Alpen liege bereits hoher Schnee, wollte er nicht recht gelten lassen. Die kriegerischen Ereignisse bis zum Jahresende 1917 sind dem erwähnten Werk „Österreich-Ungarns letzter Krieg“ zu entnehmen. Die Offensive der 14. Armee hatte sich nach Erreichen des Piave in rund 120 km Entfernung von den Eisenbahnendpunkten erschöpft. Versuche, den Piave im Handstreich zu überschreiten, schlugen fehl. Die Vorbereitungen einer neuen Offensive über den Piave setzten die Wiederherstellung der Eisenbahnen voraus, was jedoch nicht vor Jahresende zu erwarten war. Man hätte sich mit dem erreichten Erfolg zufrieden geben und eine Konsolidierung der überbeanspruchten Truppen fürs Frühjahr durchführen sollen. Darüber waren die 422 Dazu schrieb Kiszling, Hohe Führung, S. 196 f.: „Im Raum westlich der Brenta traf FM Conrad gleich nach dem Erfolg verheißenden Start der Offensive über den Isonzo die erforderlichen Vorbereitungen … Er ließ Kampfgruppen des XX. Korps … gegen das obere Piavetal vorstoßen …“ „Auf der Hochfläche der Sieben Gemeinden zog er die 11. Armee und die Hauptkräfte des XX. Korps zusammen. Am 10. November wurde Asiago erstürmt.“ Kiszling weiter  : „Bei der Heeresgruppe FM Conrad hätte der neuerliche Angriff südlich von Asiago besser unterlassen, und an dessen Stelle ein Vorstoß über Arsiero in die Ebene hinein geführt werden können.“ … „Die DOHL, die durch den Einsatz der deutschen Truppen den Vorstoß der Heeresgruppe Conrad aus Südtirol unterstützen wollte, änderte Mitte November diese Absicht. Sie bereitete sich auf den Entscheidungskampf in Frankreich vor, daher zog sie auch die schon bei Trient eingetroffenen Divisionen wieder ab und ließ keine Truppen mehr folgen, weil ihr durch eine vollständige Niederwerfung Italiens keine Gewähr dafür geboten schien, daß diesfalls die Entente, der eben die USA beigetreten war, friedenswillig werden könnte. Die DOHL überließ es daher der Doppelmonarchie, die sie oft mit Truppen unterstützt hatte, den Krieg gegen Italien allein zu führen.“

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Meinungen der deutschen und österreichisch-ungarischen Heeresleitungen, der Heeresgruppenkommandos Conrad und Erzh. Eugen, aber auch innerhalb der 14. Armee noch nicht geklärt. Die fürs Frühjahr in Frankreich geplante deutsche Offensive beanspruchte Ende November eigentlich nur Glt. Krafft maßgeblich. Gen. v. Below hing eine Weile noch dem Gedanken einer Angriffsfortsetzung in Italien an. Seine impulsive Natur widersetzte sich trotz aller Hemmnisse einem Operationsstillstand. Die Stimmung im Kommando war derart unausgeglichen und teilweise verdrossen, dass ich Anfang Dezember ein schriftliches Ansuchen ans k. u. k. AOK richtete, mich endlich einmal zum Generalstabschef einer Division zu ernennen oder zur Truppe einzuteilen. Das Ansuchen kam freilich nicht über Udine hinaus. FML Konopicky schickte es mir kurzerhand zurück mit der Verständigung, dass das KdoSWF mich beim deutschen AOK 14 nicht entbehren könne  ; ich habe in meiner Einteilung zu verbleiben  ! Es legte mir den Orden der Eisernen Krone III. Kl. mit der Kriegsdekoration und den Schwertern bei, der mir auf den Antrag des XXVI. Korpskommandos inzwischen vom Kaiser verliehen worden war. Das Dekret der Ordenskanzlei sollte nachfolgen  ; ich habe es jedoch bis zum Kriegsende nicht erhalten  ; ich musste mich mit der Kundmachung der Verleihung im Militär-Verordnungsblatt des Kriegsministeriums begnügen. Fast zu gleicher Zeit eröffnete mir Krafft, dass v. Below mich beim König von Preußen für die Auszeichnung mit dem Hohenzollerschen Hausorden beantragt habe, welchen deutsche Generalstabsoffiziere, die das Eiserne Kreuz I. Klasse schon hätten, als hohe Auszeichnung erhielten  ; der Antrag sei jedoch mit Hinweis auf meine österreichische Staatsbürgerschaft und die von Kaiser Karl eingeschränkten Ordensverleihungen an deutsche Offiziere abgelehnt worden  ; Below sei darüber recht verärgert gewesen  ; als Ersatz habe er, Krafft, bei seinem König meine Auszeichnung mit dem Bayrischen Militär-Verdienstorden III. Kl. mit Kriegsdekoration und Schwertern beantragt, der im Allgemeinen nur vom Regimentskommandanten aufwärts verliehen werde. Und er heftete mir den Orden selbst an die Brust (das mit 7. 1. 1918 datierte Dekret der bayerischen Ordenskanzlei bekam ich im Januar zugesendet). Ich bedankte mich sowohl bei Krafft als auch bei Below, der mir sagte  : „Tragen Sie den Orden mit Stolz  ! Sie haben ihn verdient  !“ Glt. v. Krafft entwarf noch den Befehl für die Einrichtung der Dauerstellung am Piave. Dieser enthielt als neue Gesichtspunkte die Aufstellung von Vorposten unmittelbar am Flussufer, die Zurücknahme der Hauptkampflinie so weit vom Fluss abgesetzt, dass die italienische Artillerie sie nur mit ihren Fernkampfgeschützen erreichen konnte, und die Platzierung der eigenen Artillerie so weit hinten, dass sie das Flussbett des Piave in seiner ganzen Breite mit ihrem Feuer beherrschen, selbst aber von den italienischen Geschützmassen aus deren Normalpositionen nicht erreicht

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werden konnte. Die von den Divisionen hiernach bezogenen Stellungen ließ er durch Generalstabsoffiziere überprüfen, wobei den bayrischen Offizieren die Kontrolle der österreichischen und mir jene der beiden deutschen Divisionen in der Front zukam. Mitte Dezember traf der deutsche Befehlshaber in der Mark Brandenburg, Gen. v. Kessel, mit seinem Stabschef zu einem Frontbesuch ein. Nach Besichtigungen an der Piave wünschte er, auch nach Tirol zu reisen. Below bat mich, ihn dahin zu geleiten. So fuhren wir mit einem starken deutschen Kraftwagen nach Bozen ins Hauptquartier FM Conrads. Ich hatte die Ehre beim Abendessen zur Linken des Feldmarschalls zu sitzen. Nachdem Kessel bald zur Ruhe gegangen war, unterhielt sich Conrad noch eine Weile mit mir allein. Ich musste ihm viel von Gen. v. Below und dessen impulsiver Kommandoführung erzählen. Danach nahm Conrad das Wort, um mich mit seinen Gedankengängen vertraut zu machen, wobei ich den Eindruck gewann, er wolle seine Gedanken bei einem Generalstabsoffizier deponiert wissen, falls es ihm selbst nicht mehr möglich würde, seine Denkwürdigkeiten niederzuschreiben. Zuerst erklärte er mir, dass der Erfolg gegen Italien wieder nur eine halbe Maßnahme sei. Im Krieg gegen die ganze Welt fehlten eben die Kräfte. 1916 war mit dem Angriff aus Tirol nur die Hälfte seines Planes, sozusagen nur unser rechter Arm, in Schwung gekommen  ; jetzt habe man mit dem linken Arm zugeschlagen, aber für den rechten fehlten die Kräfte. Das sei eben die Folge, dass man 1908 seinem Kriegsantrag nicht Gehör geschenkt habe. Und wenn wegen der Kämpfe gegen Russland immer wieder viel debattiert werde, so möchte er selbst mir sagen, dass die Monarchie durch irgendeine verteidigungsweise Aufstellung des Heeres niemals zu schützen gewesen wäre  ; Ungarn mit dem Karpatenbogen konnte nur in Galizien durch Ost-West- und West-Ost-Bewegungen vor russischen Einbrüchen gesichert werden. So habe er als Chef des Generalstabes geführt. Wenn Russland heute völlig am Zusammenbrechen sei, so hätten nicht die „Deutschen“, wie das immer gesagt werde, sondern die k. u. k. Armee den Hauptteil am Erfolg für sich zu buchen  ; denn während fast das ganze deutsche Heer in Frankreich an der Marne gescheitert sei, hätten Österreich-Ungarns Heere nicht nur die eigene Monarchie, sondern auch das Deutsche Reich vor der russischen Invasion bewahrt. Die k. u. k. Armee sei, trotz aller an ihr im Frieden begangenen Sünden, das beste Heer, das die habsburgische Dynastie jemals besessen habe  ; das hätten die jetzigen Kämpfe in Italien neuerlich bewiesen. Über die nächste Zukunft sprach der Feldmarschall nichts  ; dem tiefen Ernst seines Wesens konnte ich allerdings entnehmen, dass er ihr mit geringer Hoffnung entgegensah. Er schien mir stark gealtert. Tief ergriffen drückte ich seine Hand, als er sie mir zum Abschied reichte. Es war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen und gesprochen hatte. Am nächsten Morgen fuhr ich zeitig in der Früh über Trient–Belluno zurück nach Vittorio.

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In den erzwungen ruhigen Dezembertagen kam ich mit den Herren der Operationsabteilung mehr ins Gespräch als im turbulenten Oktober und November. Der Verkehr war korrekt und höflich, doch fehlte ihm der herzlich warme Ton, wie er in Makedonien geherrscht hatte. Viel wurde von den kommenden Ereignissen in Frankreich gesprochen. Die zur Schau gestellte Zuversicht schien mir nicht echt  ; alle sahen wir dem nächsten Kriegsjahr mit Sorge entgegen. Auch mein Verhältnis zu Below wurde getrübt  : Er und alle deutschen Herren schrieben sich mit Recht zu, den Impuls zu den großen Siegen gegeben zu haben, und forderten auf allen Gebieten, besonders bei der Teilung der militärischen Beute, mehr als ihnen nach der von uns als gerecht empfundenen Aufschlüsselung zukam. Das führte dauernd zu Reibereien, weil ich, zur Wahrung der ö.-u. Interessen verpflichtet, öfter, als es mir lieb war, in Erinnerung bringen musste, dass unsere ö.-u. Truppen sich nicht nur hervorragend geschlagen hatten, sondern gerade bei den letzten Kämpfen im Gebirge erfolgreicher gewesen waren als die deutschen. Um Weihnachten stellte die Deutsche Oberste Heeresleitung eine schwere Bombenstaffel zur Verfügung. Meine damaligen Zweifel möchte ich auch heute noch aufrechterhalten, ob es klug war, gerade am Hl. Abend die Stadt Padua, Sitz des italienischen Oberkommandos, mit schweren Fliegerbomben bewerfen zu lassen.423 Die Italiener antworteten am ersten Weihnachtsfeiertag mit leichten Bomben auf Vittorio  ; sie hatten natürlich Hemmungen eine italienische Stadt mit schweren Bomben zu belegen. Die kleinen Bomben genügten, um in Vittorio in einer Viertelstunde alle Fensterscheiben zu zertrümmern  ; sie konnten erst nach langer Zeit ersetzt werden. Gleich nach diesem Fliegerangriff erschien Gen. v. Below im Kommando in der Villa Morosini zur Verabschiedung, da er mit Glt. Krafft nach Frankreich abberufen worden war. Mir reichte er lachend die Hand mit den Worten  : „Überall Scherben, Herr von Jansa, das bedeutet Glück im Neuen Jahr  !“ Ich vermochte nicht so froh zu lachen, der Abschied von diesem hochverehrten General fiel mir schwer. Leichter war der Abschied von Krafft, der mir trotz aller seiner hervorragenden militärischen Gaben als ein „verpreußter Bayer“ erschien und als solcher meine Achtung, nicht aber meine Anhänglichkeit gewonnen hatte. Mjr. Willisen und der württembergische General Hofacker führten das AOK in den letzten Dezembertagen, bis GdK. Graf zu Dohna als neuer deutscher Armeeoberkommandant eintraf, bei dem Gen. Hofacker als Generalstabschef verblieb. Das galt nur für kurze Zeit, denn es fand eine große Umgruppierung statt  : Alle deutschen Truppen gingen nach Frankreich ab und mit ihnen das deutsche 14. AOK  ; es wurde durch ein neu aufgestelltes ö.-u. 6. Armeekommando unter Erzh. Josef ersetzt. 423 Ein Bericht oder eine Studie über dieses Ereignis ist dem Herausgeber nicht bekannt.

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Meinen ersten Erholungsurlaub nach dreieinhalb Jahren erbat ich für Mitte Jänner. Er wurde mir vom Armeekommando unter der Bedingung bewilligt, dass ich ihn erst nach Orientierung des ablösenden ö.-u. 6. Armeekommandos antreten dürfe. Anfang Jänner 1918 wurde ich nach Udine zum KdoSWF befohlen, dessen Auflösung Kaiser Karl im Zuge der Umgruppierungen befohlen hatte. Erzh. Eugen, zum Feldmarschall ernannt, verabschiedete sich nach einer Ansprache, in der Gen. Konopicky die hohen Verdienste des Erzherzogs hervorhob, mit ein paar kurzen an den ganzen Stab gerichteten Dankesworten und reichte jedem von uns die Hand. Der Erzherzog trat wieder in den Ruhestand, aus dem ihn weiland Kaiser Franz Joseph nach der Niederlage Potioreks in Serbien geholt hatte. Die Trennung von diesem hervorragend verdienstvollen, sich immer in schlichter Weise zeigenden Mann ging mir nahe  ; hatte ich doch von ihm stets nur Güte erfahren  ! Auch von Gen. Konopicky war der Abschied herzlich. Er kam auf meine Ablösungsbitte zu sprechen und meinte, mit ihrer Abweisung recht gehabt zu haben, da ich jetzt das neue Armeekommando einzuführen habe. Um den 20. Jänner 1918 traf der Generalstabschef des neuen 6. Armeekommandos FML v. Willerding424 ein. Ich kannte ihn bisher nicht, hatte aber von seinen außerordentlichen Qualitäten als Divisionär gehört. Insbesondere klärte ich ihn über die von Glt. Krafft für die Dauerstellung am Piave gegebenen Befehle auf. Willerding überzeugte sich durch sofortige Frontbesuche von der Zweckmäßigkeit aller Verfügungen und gewährte mir, nachdem am 22. 1. auch Erzh. Josef eingetroffen war und sich der neue Armeestab konsolidiert hatte, mit 27. 1. Urlaub. Urlaub und Verlobung Ende Jänner bis Mitte März 1918 Mjr. Schmid vom Artilleriestab, mit dem ich in den vergangenen Wochen viel zusammengearbeitet hatte, trat gleichfalls einen Urlaub an. Wir fuhren gemeinsam mit allen möglichen Verbindungsmitteln zunächst einmal nach Triest, weil man von dort auf der großen Südbahn am raschesten nach Wien kommen konnte. Triest, das die Italiener in zweieinhalbjähriger Anstrengung nicht erobern konnten, mochte ich. Darum blieb ich einen Tag dort, während Schmid weiterreiste. Von Triest wurden ebenfalls deutsche Truppen an die französische Front gefahren. Zufällig begegnete ich dort Rittmeister Graf Haugwitz, der den Abtransport seiner Division 424 Rudolf Frh. v. Willerding (Budapest, 1.1.1866–26. 8.1928, Sopron, dt. Ödenburg, Ungarn), 18.8.1886 aus Theres. Milakad. als Lt. zu. FJB 29, ab 1.11.1894 Mjr. i.G. u. Glstbslaufbahn, 1.5.1914 GM u. Kdt. 28. IBrig., 19.12.1914 Kdt.14. ITD, 14.11.1916 FML, 16.4.1917 Kdt. 32. ID, 1918 Glstbschef HGrp. Ezhg. Joseph, nach Ende der Räteherrschaft in Ungarn 1919 ung. General-Infanterie-Inspektor, I/1921–XI/1921 ung. General-Armee-Inspektor. W. war Ritter des Militär-Maria-Theresienordens.

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regelte  ; ich kannte ihn von der russischen Front her  ; im Sturmkurs in Nyáradszereda hatten wir damals Freundschaft geschlossen, weil er sich als Schlesier stets halb zu Österreich gehörig fühlte. Haugwitz lud mich zu einem Abendessen ins Hotel Imperial, wo es staunenswerterweise noch einigermaßen zu essen und zu trinken gab. Welch ein schöner erster Urlaubsabend, trotz der ernsten Gespräche, die wir über die Zukunft unserer Staaten führten  ! Noch weit entfernt, das schreckliche Ende im Herbst 1918 zu ahnen, erschien sie uns schwer genug. Der während des Krieges vom deutschen Politiker Naumann propagierte Gedanke eines vereinigten Mitteleuropas, bei dem ein enger Zusammenschluss Deutschlands mit Österreich-Ungarn die kleindeutsche Bismarck-Politik wieder gutmachen sollte, beschäftigte damals viele Köpfe.425 Als wir darauf zu sprechen kamen, war es mir eine Freude zu hören, dass Haugwitz die Unterordnung der Hohenzollern unter das Haus Habsburg als selbstverständlich ansah. Und Haugwitz war sicher nicht der einzige Deutsche, der eine solche Lösung als besten Ausgleich im Falle eines von uns verlorenen Krieges ansah. Gelöster als jemals zuvor reiste ich am folgenden Tag nach Wien. Der große Erfolg in Italien und mein dort wieder gefüllter Magen hoben alle Lebensgeister. Ich fühlte mich auch freier als sonst, hatte ich ja noch keine Diensteinteilung. Ich überdachte, was ich eigentlich mit meinem Urlaub anfangen sollte  ; ich war in meinem Leben wenig auf Urlaub gewesen. Als der Zug vom sonnig schönen Semmering ins Tal rollte, gerieten wir in dichten grauen Nebel, und ich überlegte, mit meinem Bruder auf den Semmering zu fahren. Trotz regelmäßiger geldlicher Unterstützung Heinrichs hatte ich selbst rund 20.000,– Kronen auf der Bank, was damals noch ziemlich viel erschien  ; außerdem trug ich mein mehrmonatiges Gehalt, das ich mir erst kurz vor Urlaubsantritt hatte auszahlen lassen, bei mir. So reich war ich noch nie gewesen  ; obendrein benutzten Militärpersonen die Eisenbahnen damals noch kostenlos. Gegen Mittag des 29. Jänner erreichte ich Wien. Lange musste ich suchen und warten, bis ich einen Fiaker mit mageren Pferden fand, der mich mit meinem schon recht unansehnlich gewordenen Koffer ins Hotel Elisabeth brachte. Dort bekam ich wieder 425 Mitteleuropa-Plan : Die politische Idee eines vereinigten Mitteleuropa kam nach dem Untergang des Hl. Römischen Reiches nach 1806 auf. Franz List und Karl Bruck waren in den folgenden Jahrzehnten Träger eines wirtschaftlich bestimmten Mitteleuropas. Gemäß Friedrich Naumanns Buch „Mitteleuropa“ (1915) sollten Deutschland und Österreich-Ungarn den Kern für ein neues nach dem Südosten ausgreifendes Mitteleuropa abgeben. Karl Renner etwa war von diesen Plänen sehr angetan. Erzherzog Karl Franz Joseph lehnte den Plan in der Sorge vor einer sowohl wirtschaftlichen als auch vor allem militärischen Vorherrschaft Deutschlands schon vor seiner Thronbesteigung 1916 ab. Siehe dazu Stephan Verosta, The German Concept of Mitteleuropa 1916–1918 and Its Contemporary Critics, in  : Robert Kann/Béla Király/Paula S. Fichtner (eds.), The Habsburg Empire in World War I. Essays on the intellectual, military, political and Economic Aspects of the Habsburg War Effort (= East European Monographs, No. XXIII), New York 1977, S. 203–220.

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das übliche Zimmer. Der Nachmittag reichte gerade noch, mir am Platzkommando Lebensmittelkarten zu besorgen, dann war es finster. Mit einem Päckchen Konserven, das ich in Triest hatte kaufen können, begab ich mich zu meinem Bruder. Die Wiedersehensfreude war groß. Und das Abendessen bereitete diesmal keine Schwierigkeiten. Heinrich erzählte mir, dass unser gemeinsamer Freund, der inzwischen zum Oberst beförderte Ádám v. Reviczky, bei seiner Mutter in Wien auf Urlaub sei. Wenn ich ihn sehen wollte, müsste ich mich eilen, denn sein Urlaub sei bald zu Ende. Ich hatte meinen einstigen verehrten Kompaniekommandanten zuletzt kurz vor Kriegsbeginn in Steinamanger426 besucht, wo er Bataillonskommandant im Inf. Rgt. 69 war. Dann riss die Verbindung ab. Ich freute mich sehr, diesen distinguierten, ritterlichen Offizier wieder zu sehen. Also beschloss ich, meine Absicht, mich in Baden beim AOK zu melden, aufzuschieben und gleich am nächsten Vormittag Ádám aufzusuchen. Am nächsten Vormit­tag klingelte ich in der Goldeggasse, wo mir eine junge, schwarzhaarige Dame öffnete. Ich nannte meinen Namen und fragte, ob ich Herrn Obst. v. Reviczky sprechen könnte. Nein, der sei im Dianabad427 und komme erst zu Mittag. Und schon schloss sich die Tür. War das die kleine Judith  ? Schöne große Augen hatte sie ja gehabt, sehr höflich war sie aber nicht gewesen  ; na, vielleicht war mein verwildertes Aussehen schuld  : Um Ádám nicht zu versäumen, hatte ich noch nicht meinen obligaten ersten Weg zum Schneider in der Wollzeile gemacht, wo eine gute Uniformgarnitur auf mich wartete. Ádám im Dianabad zu suchen, wäre sinnlos gewesen. Besser ging ich zum Schneider, damit er meine Sachen ins Hotel sende. Nach einem armseligen Mittagessen im Hotel zog ich mich friedensmäßig an und klingelte gegen 4h nachmittags wieder in der Gold­eggasse. Diesmal öffnete Ádám persönlich und schloss mich mit großer Herzlich­keit in seine Arme. Er führte mich in eines der beiden Zimmer und begann, mich gleich um Entschuldigung zu bitten, dass seine Nichte mich am Gang abgefertigt hatte, aber sie wäre beim Wohnung Aufräumen gewesen und in diesem Zustand nicht gewillt, sich zu zeigen. Diese Aufräumetoilette hatte ich gar nicht bemerkt – so sind wir Männer  ! Mir waren nur ihre schönen Augen geblieben. 426 Szombathely, dt. Steinamanger, Komitatshauptstadt in Westungarn, nur 10 km von der heutigen burgenländischen bzw. österreichischen Grenze entfernt  ; römisch  : Colonia Claudia Sabaria (auch Savaria), Geburtsort des hl. Martin v. Tours († 397), Bischofssitz seit dem 18. Jh. Zu Ostern 1921 der Schauplatz des 1. Restaurationsversuchs Kaiser und König Karls I. (IV.). 1945 zu 30 % durch Kriegseinwirkung zerstört 427 Dianabad  : Bad im 2. Wiener Gemeindebezirk Leopoldstadt, 1810 von Karl Moreau erbaut, etwa seit 1860 zu einem stark besetzten Ballsaal adaptiert, wo 1867 erstmals „An der schönen blauen Donau“ gesungen wurde. 1913/14 Neubau. Nach Zerstörungen des Hotels über dem Bad wurde 1963 bzw. 1965 der Bau abgerissen und in den folgenden Jahren neu ausgeführt.

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Wir tauschten unsere Erlebnisse seit Kriegsbeginn aus. Ádám war 1914 bei Šabac in Serbien durch einen Lungenschuss schwer verwundet und erst nach einem Jahr wieder dienstfähig geworden  ; danach hatte er nur an der russischen Front gedient und gekämpft  ; nun sei er zum Kommandanten des oberungarischen Inf. Rgt. Nr. 5 ernannt und habe nach den letzten zwei noch freien Urlaubstagen in Innsbruck den Standort seines Regimentes zu erfragen. Kurz darauf wurde uns durch Ádáms Mutter ein Tee für zwei gebracht  ; ich sah sie zum ersten Mal, und sie zog sich gleich zurück, nachdem sie meinen Bruder und mich für den gleichen Abend zum Essen eingeladen hatte. Angesichts der Lebensmittelknappheit wollte ich diese Einladung nicht annehmen, wurde aber von Ádám beruhigt, dass die Mutter und Stiefschwester Leona von ihm mit Geld und vom Besitz seiner Schwägerin Anna in Ungarn ganz gut versorgt würden. Übrigens sei jetzt auch deren Tochter Judith, seine Nichte, nach Wien zur Großmutter gesendet worden, um nach dem jahrelangen Einerlei am Lande und in der Provinz einmal die Residenzstadt kennenzulernen  ; und sie habe reichlich Lebensmittel mitgebracht. Am Abend nahmen wir an einem hübsch gedeckten Tisch Platz  : die alte Mutter, Leona, Judith, Ádám, Heinrich und ich. Mein Bruder kannte Leona bereits  ; mir war die entschieden attraktive Dame neu. Die Mutter pendelte in gütiger Behäbigkeit zwischen Zimmer und Küche. Judith war sehr nett gekleidet, jedoch recht zurückhaltend. Das Essen schmeckte, Ádám hatte sogar Wein beschafft, und bald kam eine lebhafte Konversation in Gang, die sich bald darum drehte, was Judith in Wien an Schönem gezeigt werden könnte in solch trostloser Zeit. Sie selbst kannte die Stadt noch nicht. Die Großmutter bewegte sich bereits schwer und Leona war von früh bis abends an der Musikakademie tätig, während Ádám in zwei Tagen abreisen musste. Es ergab sich einfach von selbst, dass ich mich anbot, einen Teil meines Urlaubes zu verwenden, um der jungen Dame Wien zu zeigen und sie in die großen Hoftheater zu führen. Judith zögerte, meinem Vorschlag zuzustimmen  : Sie kenne mich ja nicht und habe meinetwegen heute großen Verdruss mit Onkel Ádám gehabt. Endlich kam für den kommenden Tag doch die Verabredung zustande, wonach Judith und ich uns vor dem Dianabad treffen sollten, um Onkel Ádám abzuholen, gemeinsam mit ihm zu Leona zu spazieren und dort das Mittagessen einzunehmen. Etwas spät brachen Heinrich und ich auf. Die Straßen waren spiegelglatt. Auf der abschüssigen Prinz-Eugen-Straße fürchtete ich einen Sturz des lieben Bruders, der mit seinem schwachen rechten Bein nicht sicher auftrat. Fest ineinander eingehängt bemühten wir uns fortzukommen. Es dauerte rund eine halbe Stunde, bis wir zur Theresianumgasse gekommen waren, wo glücklicherweise ein Fiaker ein Ehepaar ablud. Sogleich nahm ich das Fuhrwerk auf, brachte Heinrich mit heilen Knochen nach Hause und mich ins Hotel.

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Spät vormittags am 1. Februar trafen Judith und ich uns pünktlich vor dem Dianabad. Sie hatte ein dunkelgrünes Winterkostüm an und eine fesche Lederkappe, die ihr prächtig stand. Die ganze Erscheinung war zum Verlieben  ! Bald kam Ádám aus seinem geschätzten Dampfbad, und wir wanderten bei leidlich gutem Wetter durch Rotenturm- und Kärntnerstraße über Ring und Schwarzenbergplatz die Prinz-Eugen-Straße hinauf. Nach dem Mittagessen wurde mir von Großmutter, Leona und Ádám die Erlaubnis gegeben, Judith in der nächsten Zeit spazieren und abends ins Theater zu führen. Sie schrieb deshalb sogar an ihre Mutter nach Großwardein. Für den nächsten Tag wurde keine Vereinbarung getroffen, erst am 3. Februar sollte ich Judith am späteren Vormittag in der Währinger Straße von der Universitätszahnklinik (die damals noch dem Garnisonsspital gehörte) abholen. Abends begleitete ich Ádám zum Südbahnhof, von dem er damals nach Innsbruck fahren konnte. Am 2. Februar fuhr ich nach Baden, um mich im AOK zu melden und eine Einteilung zur Truppe oder wenigstens als Divisionsgeneralstabschef zu erbitten. Ich kannte im neuen AOK nur den guten Brož, der in der Balkangruppe der Operationsabteilung arbeitete, und in der Italiengruppe Obstlt. Sigismund v. Schilhawsky428, mit dem ich auch ein Jahr lang in Sarajevo gedient hatte. Von Italien kommend, schien es mir natürlich, zuerst Schilhawsky aufzusuchen. Aufgrund der schönen Siege unserer Armee in Italien empfing er mich in bester Laune. Nach ein paar Fragen seinerseits bat ich ihn um Rat, an wen ich mich am besten wenden solle, um meine Diensteinteilung bei einer Division oder Truppe zu erreichen. Er meinte, das werde schwierig sein, denn soviel er wisse, hätte mich schon Obst. Beyer angefordert und Waldstätten hätte zugestimmt. Am besten ich ginge selbst gleich zu Beyer. „Wer ist dieser Oberst Beyer  ?“, fragte ich, denn ich kannte nur einen Beyer, mit dem ich in der Kriegsschule gewesen war. „Ja“, antwortete Schilhawsky, „Oberst Beyer ist dessen älterer Bruder und in der Operationsabteilung Leiter der Dienstvorschriftengruppe.“ Er sei der Kandidat für den Chefposten des Instruktionsbüros, wenn dieser Krieg überhaupt einmal ein Ende nehmen werde. „Hm“, dachte ich, „Instruktionsbüro  ? Das steht hoch im Kurs.“ Langsam fragte ich mich zu Obst. Beyer durch und stellte mich vor. Er fragte mich, ob ich schon wisse, 428 Über Sigismund R. Schilhawsky v. Bahnbrück (Budapest, 7.4.1881–11.8.1957, Salzburg), s. die Daten in Glaise-Broucek I, S. 205, Anm. 221. Nochmals die Bundesheer-Daten  : Generalstabs-Laufbahn in der k. u. k. Armee … 4.4.1917 in OpA./AOK Italienreferent als Nachfolger von Mjr. Schneller, 1.11. 1917 Obstlt.i.G, nach dem Zusammenbruch bei Salzburger Heeresverwaltungsstellen eingeteilt, 23.6.1923 Obst, 1.8.1926 als GM versetzt ins BMfHw., 1.4.1928 dort Leiter der Abt. 1 d. Sektion I, 1.3.1931 Kdt. 2. Brig., 1.10.1932 Heeresinspektor, 21.3.1933 GdI, 15.3.1938 pensioniert. Laut der von Jansa ausgearbeiteten Kriegsordnung war der Heeresinspektor als Armeekommandant vorgesehen. Sein Nachlass im KA  : sign. B/715. Neueste Literatur  : Georg Reichlin-Meldegg, General Schilhawsky und der 11. März 1938. Sigismund Ritter Schilhawsky von Bahnbrück scheitert am brutalen Druck des „Dritten Reiches“. In Gedenken zu seinem 125. Geburtstag, in  : Pallasch, Heft 21/2005, S.125–133.

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dass er mich angefordert habe. Ja, erwiderte ich, eben hätte ich das von Schilhawsky gehört  ; doch wolle ich nicht nach Baden in eine Schreibstube kommen und bäte um meine Einteilung zur Truppe oder einer Division  ; ich könne doch unmöglich den ganzen Krieg bei höheren und höchsten Kommandos verbringen  ! Obst. Beyer429 meinte darauf, er hätte länger mit mir zu reden, ich solle mich setzen. Er war eine markante Erscheinung, dunkelhaarig, mit energischen Gesichtszügen  ; sein jüngerer Bruder war im Rang der zweite nach mir430, der erste mit „sehr gutem“ Studienerfolg gewesen  ; die Beyers schienen intelligente Köpfe zu sein. Gespannt nahm ich Platz, um zu hören, was mir der Oberst zu sagen hatte. Wenn es darum ginge, so könne ich ihm gleich eine mir außerordentlich wichtig erscheinende Erfahrung melden  : Gegenüber den deutschen Kommandanten blieben unsere zumeist viel zu weit hinter der Truppe zurück. Da nicht anzunehmen sei, dass alle unsere höheren Befehlshaber Hasenfüße seien, führe ich diese Schwerbeweglichkeit auf jene Vorschrift zurück, derzufolge, von der Kompanie beginnend, jeder niedere Verband zum nächsthöheren das Telefon zu legen habe. Verfüge man das umgekehrt, sodass jede höhere Stelle zu ihren niederen die Verbindung suchen müsse, so werden schon wegen des bald auftretenden Drahtmangels die höheren Kommandos rascher nach vorn in Bewegung kommen  ! Beyer replizierte, das sei ein Königsgedanke. Tatsächlich kam ein solcher Befehl des AOK in den nächsten Wochen heraus. Obst. Beyer verabschiedete mich mit kräftigem Händedruck  ; ich verbeugte mich und ging. Was hätte ich sonst sagen sollen  ? Seine Rede war vernünftig und logisch gewesen. Meine künftige Stellung war einzigartig. Hinsichtlich meiner künftigen Generalstabslaufbahn durfte ich zufrieden sein. Nach dem Krieg im Instruktionsbüro des Generalstabes zu wirken statt im Kriegsministerium, war reizvoll, bedeuteten doch Instruktions- und Operationsbüro die Elite möglicher Verwendungen. Tief bewegte mich der Umstand, dass ich diese auszeichnende Einteilung letzten Endes der Beurteilung durch „den besten deutschen General“ zu verdanken hatte  ; nicht eine einfache Anerkennung meiner gegenüber dem Kaiser, sondern die Empfehlung, mich im Auge zu behalten. Darauf durfte ich schon sehr stolz sein, und das galt mehr als jeder Orden  ! 429 Über Franz Beyer (1875–  ?) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S.  193, Anm. 191. Er war von 16.5.1917 bis Kriegsende als Obst.i.G. in der OpA./AOK. 430 Über Eugen Beyer (1882–1940) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S.  193. Beyer wurde nach Kriegs­ende als Obstlt.i.G. in das Bundesheer übernommen, 1.8.1931 Leiter der milit. Fachprüfungskommission, 30.9.1931 GM, 1.9.1935 Kdt. 6. Div. u. Milkdt. Tirol u. Vorarlberg, im Jänner 1938 von Staatssekretär Zehner vorgesehen als der mit den Agenden des Chefs des Generalstabes betrauter Nachfolger FML Jansas. Eugen Beyer wurde jedoch am 16.3.1938 mit der Führung der Sektion III im BMfLv. und mit der Führung der Agenden des Generaltruppeninspektors betraut, 1.4.1938 [dt.] GdI. und Kommandierender General des XVIII. Armeekorps.

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Sollte ich Gen. v. Below schriftlich für seine auszeichnende Beurteilung danken  ? Er war nicht der Mann, derlei Schreibereien Bedeutung zuzumessen. Mein ganzes Leben würde ich ihm im Herzen dankbar bleiben. Vielleicht fügte es ein gütiges Geschick, dass ich noch ein drittes Mal unter seinen Befehl komme  ? Dann wollte ich ihm nicht nur mit dem Verstand, sondern mit dem ganzen Herzen dienen  ! Den Abend verbrachte ich bei Heinrich und seiner Familie. Ich lud sie ein, mit mir ins Theater zu kommen, wenn ich eine Loge ergattern würde. Heinrich und Vilma sagten gern zu, waren sie doch auch etwas bedürftig nach Anregung und Zerstreuung. Am Nachmittag hatte ich mir von Tomassoni in der Wollzeile die Ankaufsmöglichkeit verschiedener Konserven, Käse, sogar etwas Geflügel und Getränken zusichern lassen. Dies ermöglichte Vilma, Judith einzuladen  ; zudem konnte ich die Kammer Frau Galls, Judiths Großmutter, etwas nachfüllen. Das kostete selbstverständlich Geld, aber ich hatte ja auch viel ersparen können. Im Feld lebte ich ja praktisch umsonst, und da mich die Italiener unfreiwillig mit funkelnagelneuen und hochwertigen Uniformstücken, mit Wäsche und Beschuhung versorgt hatten, brauchte ich auf längere Sicht keine Bekleidungsmittel. Gleich neben dem Hotel Elisabeth gab es ein Theaterkartenbüro, das mich in der Folge prompt bediente. Für den folgenden Abend hatte ich lediglich im Volkstheater431 eine Loge bekommen. Mit dieser Karte eilte ich frohgemut in die Währingerstraße, um Judith von der Zahnbehandlung abzuholen. Lang brauchte ich nicht zu warten  ; sie kam gut gelaunt aus der Klinik. Nun, da wir allein durch Wien streiften, kam unsere Aussprache rasch in Schwung, und wir schlossen unsere Kenntnislücken übereinander seit der letzten Begegnung in Pressburg. Ich erfuhr, dass sie mit ihren Cousinen Döry durch zwei Jahre in Vevey im Pensionat der Madame Schindler gewesen war. Später war aus London eine Miss Ethel, eine Lehrerstochter, ins Haus gekommen. Judith hatte an der englischen Sprache derart Gefallen gefunden, dass ihre Mutter sie Anfang 1913 als Pensionärin in Ethels Haus gab, von wo aus sie in London die Lehrerinnen-Ausbildung mit großem Interesse und Eifer betrieben hatte. Leider bereitete das Attentat von Sarajevo ihrem Studium ein vorzeitiges Ende  ; die Mutter rief sie sofort nach Ungarn zurück. Interesse an und Liebe für die englische Literatur seien ihr geblieben. Kein Volk habe in seiner Literatur so viele von trockenem Humor erfüllte Geschichten wie das englische. Sie lese viel englisch und kaufe von der Tauchnitz-Edition Bücher, wo sie diese finde. Ihre gute Mutter täte, was ihr möglich sei, für die Kriegsspitäler  ; sie habe fast ihre ganze, gar nicht geringe Bettwäsche den Spitälern geschenkt und sende jede Woche von ihrem 431 Volkstheater: Das Deutsche Volkstheater, 7. Bezirk, Neustiftgasse 1, wurde 1887–1889 von den Architekten Fellner und Helmer auf einem vom Stadterweiterungsfonds überlassenen Grund errichtet.

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Landgut Aba puszta ein Pferdefuhrwerk voll Lebensmitteln als Zubuße für die Verwundeten. Judiths Bruder Georg, der das Theresianum besucht, sein Gymnasialstudium jedoch in Ungarn beendet habe, sei bei Kriegsbeginn als Einjährig-Freiwilliger eingezogen worden und diene jetzt als Reserve-Leutnant bei der Artillerie der Budapester Kavalleriedivision  ; täglich zittere die Mutter um sein Leben. Der Vater sei mit seinem Regiment bei der 20. Division in Italien. Judith selbst wollte sich gern in das Rote Kreuz einreihen lassen, aber die Mutter habe dies trotz ihres opferbereiten Patriotismus nicht zugelassen. Darauf antwortete ich, dass die Mutter sehr recht gehabt habe  ; der Dienst in den Kriegsspitälern fordere von so jungen Damen, wie sie eine sei, unerbittlich viel ungewohnt schwere Arbeit und lasse sie viel zu früh das ganze menschliche Elend kennenlernen. Am Spätnachmittag holte ich Judith zum Theaterbesuch ab. In der Loge trafen wir mit Heinrichs zusammen, und Judith lernte Vilma kennen. Die weiteren Tage vergingen ähnlich. Logen nahm ich in der Oper und im Burgtheater.432 Diese noblen Logen mit ihren Vorräumen boten bei etwas früherem Kommen die wunderbare Gelegenheit, ganz ungestört miteinander zu sprechen, bevor die Gäste eintrafen. Zudem waren die Theater geheizt, was beim kalten Februarwetter nicht ohne Bedeutung war. Von Tag zu Tag sprachen wir uns besser. Ich lernte Judith als einen in seinem Denken grundanständigen, fein gebildeten und erzogenen, warmherzigen und liebenswerten Menschen kennen. Von allem Kommis, wie ihn manche Offiziersfrauen liebten, war sie weit entfernt  ; wie mir aus der Pressburger Zeit gut im Gedächtnis geblieben war, hatte ihre Mutter die Stellung ihres Gatten belanglos gefunden und sich stets als landbesitzende Adelsdame aus altem Geschlecht gefühlt. Judith zeigte eine ähnliche Haltung. Inzwischen war ein Brief ihrer Mutter gekommen, die mich grüßen ließ und durchaus einverstanden war, dass wir die Tage gemeinsam verbrachten. Reviczkys waren zwar keineswegs reich oder Großgrundbesitzer, aber für so arm, dass ihnen die für einen Major des Generalstabes nötige Kaution von 50.000,– Kronen unaufbringbar gewesen wäre, hielt ich sie auch nicht. Zudem lagen ja über 20.000,– Kronen auf meinem Konto. Bei diesen Überlegungen fiel mir auf, dass ich anfing, mir Judith als meine Frau vorzustellen. Warum eigentlich nicht  ? Wenn sie ebenfalls wollte … Nach einer Woche wollte ich einen Entschluss fassen. Ich war 33½ Jahre alt, Judith 21½  ; zwölf Jahre Unterschied war nicht zu viel. Seit meiner Aussprache mit Obst. 432 Burgtheater  : 1741 erlaubte Maria Theresia die Umwandlung des Hofballhauses nächst der Burg in ein Theater, 1776 befahl Joseph II., das Theater, das bis dahin französisches Repertoire bevorzugt hatte, als deutsches Hoftheater weiterzuführen und es Nationaltheater zu benennen. 1874–1888 entstand der heutige Bau an der Wiener Ringstraße.

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Beyer in Baden lag eine gute Generalstabslaufbahn vor mir, sodass ich einer Frau eine anständige Existenz bieten konnte. Solche Partien waren in reichen Aristokraten- und Kaufmannskreisen gesucht  ; zu bescheiden brauchte ich nicht zu sein. Hatte mir nicht der alte Ádám oft prophezeit, dass ich einmal seine Nichte heiraten würde  ? Judith und ihre Mutter waren Kalviner (ihr Vater und Bruder hingegen katholisch), was mich nicht im Geringsten bedrückte, denn groß war die Zahl der Mischehen in der kaiserlichen Armee. Judiths religiöse Fundierung imponierte mir  : Sie kannte die Bibel recht genau, jedenfalls viel besser als ich. Auf ihr Verlangen waren wir einen Vormittag am Zentralfriedhof am Grab meiner guten Eltern gewesen, und dort kam unser Gespräch zwanglos auf Religion und Glauben. Vier Wochen Urlaub vergehen schnell. Wie lange der Krieg noch dauern würde, wusste zwar niemand, indes würde Judith diese hässliche Zeit als Braut schöner überleben. Der letzte Gedanke gab schließlich den Ausschlag, denn ich hatte sie sehr lieb gewonnen. War ein Entschluss einmal gefasst, war ich gewohnt, zügig zur Tat zu schreiten. Am Sonntag, den 10. Februar stellte ich Judith vormittags in der Wohnung in der Goldeggasse einfach die Frage, ob sie meine Frau werden wolle, sie möge es sich doch überlegen. Die Antwort war keineswegs ein jauchzendes Ja. Zögernd erwiderte die Schöne, sie möchte schon einwilligen  ; aber vor zwölf Tagen, als sie mich am Korridor hatte stehen lassen, habe ihr Onkel Ádám hinterher schwere Vorwürfe gemacht und gesagt, man dürfe einen künftigen Bräutigam nicht so behandeln  ; darauf habe sie Ádám vor Großmutter und Leona heftig hingeworfen, das sei ein Unsinn, sie werde den Jansa niemals heiraten  ! Und jetzt solle sie Ja sagen  ? Lachend antwortete ich, dass Logik nicht der Frauen Stärke sei  ; wenn sie keinen anderen Einwand habe, dann sei ja alles in Ordnung. Ich zog sie an mich und gab ihr den ersten Kuss. Da löste sich alle Spannung, und ich sah ihre Augen strahlen wie nie zuvor. Wir begaben uns in die Helvetische Kirche in der Dorotheergasse.433 Als wir zu Großmutter zum Essen zurückkamen, präsentierten wir uns als Verlobte, worauf die alte Dame meinte  : „Okosan tették (Gescheit wart Ihr)  !“ Der „Tannhäuser“ abends in der Oper war mir noch nie so schön vorgekommen. Heinrichs waren baff, als wir ihnen unseren Entschluss mitteilten  ; ich erinnerte meine Lieben daran, dass Krieg war und alle Entschlüsse rasch gefasst werden mussten. Am kommenden Tag kauten Judith und ich eine Weile an unseren Federstielen und überlegten, wie wir das am besten ihren Eltern und Onkel Ádám schrieben. Von den Herren war kaum rasche Antwort zu erwarten, denn die Feldpost funktionierte 433 Dorotheergasse, 1. Wiener Bezirk, die ehemalige bereits 1300 belegte Färberstraße. Nach der Gründung des von Albrecht II. zu Ehren der hl. Dorothea gegründeten Klosters so benannt. Das Kloster wurde 1782 mit dem Stift Klosterneuburg vereinigt, die Kirche 1787 entweiht und abgebrochen.

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langsam  ; von der Mutter aus Großwardein würde jedoch bald Nachricht kommen. Ich erwartete keinerlei Schwierigkeiten, denn wir waren ja seit fünfzehn Jahren bekannt, und wenn wir auch nicht immer zusammengetroffen waren, so hatten wir einander doch mindestens um Weihnachten alles Gute gewünscht. Weiterhin besuchten wir die prachtvollen Hoftheater, glücklich über unser Beisammensein. Herrliche Tage für die Seele  ! Wie das Wetter war, ließ mich unbeeindruckt, schuf ich ja für Judith den Frühling. Am Ring befand sich damals neben dem Kaffee Schwarzenberg die Blumenhandlung Marx  ; täglich erstand ich nun das schönste Arrangement und ließ es in Judiths Gastwohnung senden  ; selbst brachte ich stets nur ein Handbukett leise duftender Maiglöckchen mit, welche Judith sehr liebte und an ihr Kleid steckte. Für den morgendlichen Blumenkorb gab sie mir jedes Mal einen herzhaften Kuss. Gegen Donnerstag wurden wir unruhig, weil noch immer keine Antwort von Judiths Mutter gekommen war. Wie das so ist, plagten uns allerlei Gedanken  ; wir beschlossen freilich, fest zusammenzuhalten und alle etwaigen Schwierigkeiten zu besiegen. Endlich am nächsten Sonntag, als wir aus der Kirche heimkamen, wurde uns ein Telegramm der lieben Mutter überbracht. Sie war in Aba puszta gewesen, und wir hatten nach Großwardein geschrieben. Das Telegramm besagte bündig, sie sei mit allem einverstanden. Das steigerte unser Glück natürlich. Und am Montag erreichte uns die briefliche Zustimmung von Judiths Vater. Zu unserer größten Freude traf Judiths liebe Mutter am Mittwoch selbst in Wien ein und äußerte den begreiflichen Wunsch, wir mögen mit ihr nach Großwardein fahren, um ihren Bekannten den Bräutigam zu präsentieren  ; sie wären alle etwas enttäuscht gewesen, als sie von einem Major hörten  ; in der Truppe wurde diese Charge meist erst mit 45 Jahren erreicht, und man bedauerte, dass sich die jugendfrische Judith mit einem so alten Mann verlobt hatte. Mein Urlaub reichte bis 28. Februar, Zeit genug, um den Wunsch zu erfüllen. Auf Mutters Verlangen ließen wir uns bei Kosel in der Uraniastraße 2 photogra­ phieren  ; der alte Herr war erfreut, in der düsteren Kriegszeit zwei so glückliche Menschen zu porträtieren, und die Bilder wurden großartig. Beim Juwelier Meyer am Stephansplatz kaufte ich einen goldenen Anhänger und ließ zu Judiths sechs Armreifen einen siebenten mit schönem Brillanten machen. Es lohnt hier ausdrücklich festzuhalten, wie anständig damals alte Firmen ihre Kunden bedienten  : Herr Meyer suchte mir den Anhänger, in dem mein Bild Platz finden sollte, selbst aus und zwar aus seinen Vorkriegsbeständen, weil diese noch eine 90-prozentige Goldlegierung hatten und von ihm um den „Friedenspreis“ verkauft wurden. Da erstand ich gleich auch eine mir gezeigte Schweizer Golduhr, wie sie damals von Damen an langer Kette getragen wurde (später einmal trug sie mir den Vorwurf meiner sonst so gütigen Schwiegermutter ein, dass ich den altmodisch üblichen Golddeckel weggespart hätte).

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Nach Vorsprache bei der Zentraltransportleitung im Kriegsministerium erhielt ich für unsere Reise nach Budapest und weiter nach Großwardein ein reserviertes Abteil I. Klasse, was die Damen gewaltig beeindruckte. So reisten wir am 24. zunächst nach Budapest, wo wir im Hotel Vadászkürt ( Jägerhorn) abstiegen, das wie das Hotel Elisabeth in Wien vom kleinen Landadel beim Besuch der Hauptstadt benützt wurde. Der Zufall wollte es, dass wir dort mit einer Cousine der Mutter, Frau v. Döry, zusammentrafen. Diese hatte vor etwa Monatsfrist ihre beiden Töchter Idis und Illi nach Budapest zu Bekannten gesendet, damit sie sich nach Heiratsgelegenheiten umsähen. Auf Vorschlag von Frau v. Döry hätte sich meine liebe Judith ihnen anschließen sollen, ihre Mama hatte jedoch abgelehnt, weil sie von solchem Versuch nichts hielt. Zur Entschädigung hatte sie Judith zur Großmutter nach Wien geschickt. Natürlich bereitete es ihr heitere Genugtuung, den Klagen ihrer Cousine über den erlittenen Misserfolg mit der Nachricht von Judiths Verlobung zu begegnen und dabei gleich den Bräutigam zu präsentieren. Gemeinsam verbrachten wir einen heiteren Abend, denn die beiden lustigen Töchter hörten gern alle Einzelheiten meiner Begegnung mit Judith, die wir in bester Laune erzählten. Am Morgen reisten wir nach Großwardein weiter. Zwei Tage später kam ganz unerwartet mein künftiger Schwiegervater auf Urlaub mit einer für uns grandiosen Nachricht  : Der deutsche und der ö.-u. Feldeisenbahnhof waren übereingekommen, den durch die vielen Kriegstransporte völlig durcheinandergekommenen Bestand an Lokomotiven und Waggons zu ordnen  ; deshalb wurden für die nächsten drei Wochen alle Transporte und Einzelreisen gesperrt  ; man hatte zu bleiben, wo man war  ; jeder Urlaub war automatisch um drei Wochen verlängert. Was für eine unbeschreiblich große Freude für Judith und mich, die wir schon die nahe Trennung schmerzlich empfunden hatten  ! Glück muss der Soldat haben  ! Hatte mir dies nicht schon mein erster Kommandant beim Inf. Rgt. Nr. 72 gesagt  ? Die nächsten Tage wurden benützt, um in Großwardein Besuche bei den Bekannten meiner Braut zu machen. Judiths Eltern bewohnten in der Gerliczy utca im Neubauviertel der Stadt eine hübsche Vierzimmerwohnung. Das Badezimmer lag zwischen 2 Zimmern, von jedem gesondert zugänglich. Mein künftiger Schwiegervater und ich schliefen im einen Raum, die beiden Damen im anderen. Nach drei oder vier Tagen war ich dem Bekanntenkreis vorgestellt worden, und Judiths Mutter schlug vor, den Rest unseres Urlaubs in Aba puszta zu verbringen. Restbestand eines in früheren Zeiten großen Besitzes, umfasste das Landgut etwa 450 Joch. Die Mutter hatte es an einen Herrn Gödöny zur Bebauung verpachtet  ; dieser hatte gemeinsam mit seinem Bruder mehrere nebeneinanderliegende Böden gepachtet und konnte daher rationell wie ein Großgrundbesitzer arbeiten, somit einen guten

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Pachtzins zahlen  ; laut Pachtvertrag konnte die Familie ihr Landhaus mit dem großen Obstgarten ungestört nützen und bekam vom Pächter überdies ein tägliches Milchdeputat und – wann immer sie dessen bedurfte – für ihren Wagen Kutscher und Pferde. Herr Gödöny war gerade wegen geschäftlicher Dinge nach Großwardein gekommen, und als er hörte, dass wir hinausfahren wollten, stellte er uns seinen Wagen mit frischen Pferden zur Verfügung  ; dazu schenkte er Judith zur Verlobung ein Schwein, das für die Versorgung in Aba willkommen war. Der Vater hatte in Großwardein noch drei bis vier Tage Besorgungen und wollte mit dem Pächter nachkommen, so dass ich mit den beiden Damen allein hinausfuhr. Beim Überschreiten der Besitzgrenze zog Judith mich an sich und rief stolz aus, jetzt seien wir also auf eigenem Boden. Dieses Stück Land bedeutete ihr sehr viel und ihrer Mutter alles  ! Nachdem der Wagen zwischen großen, teils schon mit keimender Saat bestandenen, teils frisch gepflügten Flächen gefahren war, hielt er vor einem unansehnlichen, mit Holzschindeln und Stroh gedeckten Landhaus. Beim Eintritt hingegen erwies sich das Haus als außerordentlich gemütlich, und der Ausblick aus dem großen zentralen Salon in den weiten Garten imponierte besonders dadurch, dass rechter Hand ein Stück Eichenwald mit mächtigen, uralten Bäumen anschloss. Während der seinerzeitigen Waldrodung für Obst- und Gemüsegarten wohl absichtlich stehen gelassen, ragte knapp vor dem Haus eine mächtige Eiche (die „tausendjährige“) gen Himmel  ; die weiten Rasenflächen und Boskette dahinter waren durch eine alte Nussbaumallee gegen die Felder abgegrenzt worden. Vom Haus gelangte man über eine große gedeckte Veranda in den Garten, links grünte ein etwa ein Joch großer Weingarten mit erlesenen Tafeltrauben freundlich herüber. Ausblick und Veranda schloss ich vom ersten Augenblick an in mein Herz  ; sie boten uns in den folgenden Jahren immer neues Behagen. Leider habe ich den Garten niemals im Mai gesehen, wo er, mit verschiedenartigsten Blüten geschmückt, einen zauberhaften Anblick geboten haben muss  ; denn die vielen Sträucher und edlen Obstbäume waren von Generationen mit ausgesprochenem Schönheitssinn gepflanzt worden. Der Vegetationsreichtum setzte mich in Erstaunen, weil der Boden durchwegs aus leicht gebundenem Sand bestand. Bei stärkeren Winden setzte sich der Sand in Bewegung, zum Gedeihen der Gegend gottlob selten. Um diese Wirkung zu begrenzen, waren auf Anordnung der in Ungarn beliebten Königin die Grenzen der kleinen Güter und die großen Anbauflächen in angemessener Unterteilung mit Akazienreihen bepflanzt, was dem Land ein wenig das Aussehen oberitalienischer Kulturflächen verlieh. Weit und breit gab es keinen Stein, weshalb diese Gegend nur breite Naturwege zwischen den Akazienreihen durchzogen, die bei Nässe gut befahrbar waren, von denen Pferdebewegungen jedoch in der Sommerhitze haushohe Staubwolken aufwirbelten und in deren gelben Sand Wagenräder tief einschnitten.

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Im Holz-Lehmbau errichtet, hatte das Herrenhaus einen klug erdachten Grundriss  : Die Schlafzimmer waren so groß, dass in jedem zwei Betten und eine gepolsterte Sitzmöbelgarnitur mit einem großen Schlafdiwan standen, alles gediegene alte Möbel  ; da konnten drei Personen bequem ruhen. Im geräumigen Mittelsalon gab es drei gepolsterte Garnituren Sitzmöbel, einen riesigen Bücherschrank, einen Schreibtisch und ein Pianino. Zur Beleuchtung standen auf hohen Konsolen schöne PetroleumRundbrenner, die an den Abenden ein warmes, mildes Licht gaben. An den Wänden hingen etliche Ölgemälde aus Mutters Familie  ; jetzt kamen noch Ölbilder des Vaters dazu, in dessen Budapester 1. Honvéd-Rgt. hervorragende Künstler dienten. Ans Herrenhaus schlossen sich unmittelbar ein Küchen- und Dienstbotenhaus und in weiteren Zwischenräumen die Landarbeiterhäuser an  ; sie bildeten die rechten und linken Seiten eines großen Rechtecks, das dem Herrenhaus gegenüber vom Getreidespeicher (maglár) und einem lang gezogenen Stallgebäude begrenzt wurde. Hinter dem Stallgebäude lagen ein eingezäunter Auslauf für Jungvieh und ein großer Schweinestall. In der Mitte dieses Rechteckes, also dem Herrenhaus schräg gegenüber, war dummerweise der Misthaufen platziert, was über die Sommermonate in allen Häusern eine kaum zu beherrschende Fliegenplage verursachte. Zur Zeit meines ersten Besuches waren nur die Köchin, der alte Gärtner mit Frau und Kindern und die Frauen der Gutsarbeiter mit ihren Kindern Ungarn. Alle anderen waren gutmütige russische Kriegsgefangene. Mit großer Freude führte mich meine Braut in diesen Tagen im Garten zu ihrem sommerlichen Lieblingsplätzchen und auch hinaus auf die Felder bis an die Gutsgrenzen. Die schönen Tage in Aba puszta verflogen rasch. Es wurde viel über Judiths Aussteuer gesprochen, die begreiflicherweise im vierten Kriegsjahr einige Sorgen bereitete. Auch das, was ich hierzu beizusteuern hatte, wurde geregelt. Nach einem rund einwöchigen Aufenthalt auf dem Land fuhren wir wieder nach Großwardein zurück. Schließlich mussten wir uns trennen. Der Vater reiste direkt zu seinem Regiment ab. Ich hatte von Heinrich ein Telegramm erhalten, wonach ich mich am 18. März in Baden zu melden hätte. Judith regte an, einander täglich, wenn auch nur kurz zu schreiben und die Briefe zu nummerieren, damit jedes wisse, ob sie alle ankämen – es herrschte ja Krieg. Meine geliebte Braut hatte in den vorangegangenen Jahren sehr viel gelesen und sich sogar mit Übersetzungen englischer Werke ins Ungarische und Deutsche beschäftigt  ; unter anderem war ihr auch Moltkes Briefwechsel mit seiner viel jüngeren Frau in die Hände gekommen. Diesem entnahm sie Moltkes instruktive Meinung, dass der Mensch nur selten Dinge erlebe, die nach längerer Zeit noch erzählenswert erschienen, weshalb ein Briefwechsel in großen Abständen in der Regel dürftig sei  ; vielmehr würden die täglichen Kleinigkeiten des Lebens den gegenseitigen Gedankenaustausch be-

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fruchten und innig gestalten. Daraufhin haben wir uns täglich geschrieben, und dieser Briefwechsel hat uns noch näher gebracht, als es die verhältnismäßig kurze Zeit unseres Beisammenseins getan hatte. In wunderbarer Einfühlung hatte sie ihren ersten Brief an mich noch während unseres Zusammenlebens in Großwardein geschrieben und an die Adresse meines Bruders gesendet, damit ich nach der langen Heimreise gleich einen Liebesgruß von ihr vorfinden möge. Wie glücklich war ich darüber  ! Wir hatten uns entschieden, die Ehe nach Kriegsende zu schließen. Die Betrachtung der innenpolitischen Verhältnisse der Monarchie mit ihrer tatsächlich nicht mehr überwindbaren Hungersnot ließ jeden erkennen, dass das Ende des Dramas nicht mehr lange auf sich warten lassen könne. Wann und wie dieses Ende kommen würde, ahnte damals kaum jemand. Ein Auseinanderfallen der Monarchie erschien allerdings absurd.434 G Bevollmächtigter Stabsoffizier des AOK beim 6. k. u. k. Armeekommando in Italien, dann Krankenurlaub, schließlich Generalstabschef der 10. Kavalleriedivision und Kriegsende 15. 3. 1918–15. 11. 1918 Von Großwardein kam ich am 15. März in Wien an. Tags darauf deponierte ich meine Friedensuniformen wieder beim Schneider. Meine Schwägerin Vilma hatte mir das Wäschegeschäft Gießauf in der Dorotheergasse empfohlen, um meinen durch den Krieg sehr mitgenommenen Wäschebestand für den künftigen Ehestand zu ergänzen. Dort konnte man mir leider nur Maß nehmen, denn irgendwelche Wäschestoffe gab 434 ÖStA/KA, Qualifikationsliste, Vormerkbogen Jansa, 25.4. bis 14.7.1917: „Ein hervorragend tüchtiger, besonders befähigter mit reichem militärischen Wissen begabter Generalstabsoffizier. In der Arbeit flink und ausdauernd, selbstbewusst u. tatkräftig. In jeder Beziehung das Muster eines Generalstabsoffz. … 22. Juli 1917. Ludwig Kemmel Obst. Kdt. d. 18. GebBrig.“ [eh.]. „Ganzer Mann und Offizier. Gründlich im Wissen u. Können, viel Energie, körperlich u. geistig voll leistungsfähig. Generalstabstechnisch vollkommen durchgebildet. Arbeitet mit Überzeugung und mit Begeisterung für die Sache. Zweifellos ein weit über das Normale hervorragender Generalstabsoffizier. Aurel Stromfeld Obst. Glstbschef des XXVI. Korps, Feldpost, 15.9.1917.“ – „Hat während der 12. Isonzoschlacht und folgender Offensive sowie in der letzten Zeit der Vorbereitung der Offensive als ö.-u. Verbindungsoffizier beim deutschen 14. Armeekommando unter schwierigen Verhältnissen sehr gut entsprochen und sich in allen Angelegenheiten geschickt gezeigt. Zum Divisionsgeneralstabschef gewiß sehr gut geeignet. 11.1.1918 Konopicky, Glstbschef.“ Jansa war 3.4.1917 Generalstabsoffizier der 18. Gebirgsbrigade, ab 12.7.1917 2. Stabsoffizier beim XXVI. Korpskommando und vom 9.10.1917 bis 19.1.1918 Verbindungsoffizier beim 14. deutschen Armeekommando. Er nahm teil an den Stellungskämpfen und der Abwehrschlacht nächst Kirlibaba, an der Offensive des XVII. Korps in der Bukowina, sowie an der 12. Isonzoschlacht.

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es zu jener Zeit nicht  ; vielleicht würde ich bei den Etappenbehörden in Italien etwas kaufen können. Dafür hatte ich in einer Lederhandlung in der Leopoldstadt435 mehr Glück  : Ich erstand Material für ein Paar Lackschuhe, die ich für die Hochzeit zu brauchen glaubte. Für den 18. waren alle Armee- und Korpsgeneralstabschefs nach Baden zusammengerufen worden, um in einem von GM Waldstätten gehaltenen mehrstündigen Vortrag eingehende Übersicht über Kriegslage, eigene materielle Lage, Friedensbemühungen usw. zu erhalten. Zum ersten Mal erlebte ich die Bedeutung meiner neuen Stellung  : Als rangjunger Major durfte ich mitten unter Generälen und Obersten geheimste Orientierung hören.436 Die war allerdings ernst genug  : Am 19. Dezember 1917 hatte Frankreich die tschechoslowakische Deserteur-Armee als verbündete kriegführende Macht anerkannt und am 7. Dezember hatte der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Wilson, Österreich-Ungarn den Krieg erklärt. Am 8. Jänner wurden von Wilson 14 Punkte als Voraussetzungen für einen Frieden verlautbart, die in exakter Durchführung die Auflösung der Monarchie bedeuten konnten.437 Dagegen waren Russland und Rumänien völlig zusammengebrochen, sodass die verbündete Ostfront zur Auflösung bestimmt war und alle dort freiwerdenden Kräfte an die Westfronten in Frankreich und Italien gelangen sollten. Und wir erfuhren, dass die in Frankreich gerade begonnene deutsche Offensive die Kriegsentscheidung zu bringen suche  ; ein die deutschen Anstrengungen unterstützender Angriff unserseits in Italien werde erwogen.438 General Krauss werde in die Ukraine entsendet, um dort Lebensmittel für die Monarchie zu beschaffen. In der Präsidialabteilung hatte ich meine Verlobung angemeldet und war nachher ins Kriegsministerium gegangen, um mich genau zu orientieren, welche Dokumente 435 8. Bezirk, Wien-Leopoldstadt. 436 Siehe insgesamt  : Wolfgang Etschmann, November 1918 – Das Kriegsende und seine Folgen, in  : Truppendienst, Jg. 2008, S. 486–491  ; ders., Demobilisierung und Abrüstung in Österreich 1917–1920, in  : Gesellschaft für österreichische Heereskunde (Hg.), Weltkrieg 1914–1918. Heereskundlich-kriegsgeschichtliche Betrachtungen siebzig Jahre danach. Materialien zum Vortragszyklus 1988, Wien 1988, S.  55–80  ; Peter Broucek, Der Erste Weltkrieg – Ein politisch-militärischer Überblick, ebendort, S. 3–20. 437 Von den 14 Punkten Wilsons betrafen Österreich-Ungarn besonders oder ebenso wie Deutschland  : 9. Berichtigung der italienischen Grenzen nach „klar erkennbarem nationalem Besitz“  ; 10. „Freieste“ Möglichkeit zur autonomen Entwicklung für die Völker Österreich-Ungarns  ; 11. Räumung der Balkanstaaten  ; 12. Unabhängigkeit Polens, das einen freien Zugang zum Meer erhalten soll. 438 Über diese Offensive, die auch St.-Michaels-Offensive, Ludendorff-Offensive, Kaiserschlacht oder „Große Schlacht in Frankreich“ genannt wurde, gibt es die neueste Untersuchung von Martin Müller, Vernichtungsgedanke und Koalitionskriegführung. Das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn in der Offensive/1918. Eine Clausewitz-Studie, Graz 2003.

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für das Gesuch um Heiratsbewilligung benötigt werden. Schließlich nahm ich von Heinrich und seiner Familie Abschied und bestieg den Zug nach Conegliano.439 Mir war gelungen, ein Halbabteil für mich allein zu bekommen  ; ich wollte nicht in Gesellschaft reisen. In meinem nun durch Wochen von Kriegsgedanken halbwegs freigebliebenen Kopf musste ich nach allen in Baden gehörten, sehr ernsten Mitteilungen erst wieder einmal Abklärung und Ordnung schaffen, wofür sich eine lange Eisenbahnfahrt bestens eignete, wenn man nicht durch Gespräche abgelenkt wurde. Am meisten beschäftigte mich das Heikle meiner neuen Stellung. FML v. Willerding, der Generalstabschef der k. u. k. 6. Armee, war mir in Baden kühler begegnet als acht Wochen vorher bei unserem ersten Zusammentreffen in Vittorio. Das schien mir begreiflich, gab doch mein Recht unmittelbarer Berichterstattung ans AOK alle Möglichkeiten für Indiskretionen, abfällige Kritiken, Zwischenträgereien usw.; Willerding kannte mich noch nicht, natürlich begegnete er mir mit Vorsicht. Nur konnte sich das übel auf meine Lage auswirken, wenn nämlich sein ganzer Stab die Weisung bekäme, mir gegenüber Zurückhaltung zu üben  ; dann würde ich nur wenig von ihrem Denken, ihren Planungen erfahren und hätte womöglich auch bei den dem AK unterstehenden Truppen einen schweren Stand. Wenn meine Berichte wertvoll sein sollten, so mussten sie aus völlig offener Zwiesprache über alle Dinge aller Art Erfahrung schöpfen. Vertrauen bei Unbekannten erwerben kostet Zeit  ; so viel Zeit war mir aber nicht gegeben. Willerding wird ja beim AOK gewiss Informationen über mich eingeholt haben, aber das genügte nicht. Ich beschloss, das Vertrauenskapitel gleich bei meiner ersten Meldung zur Sprache zu bringen. Dabei wollte ich Willerding mit meinem Ehrenwort versichern, ihm alle meine Berichte vor deren Absendung nach Baden zu unterbreiten  ; zwar nahm ich damit eine mich unter Umständen hemmende Verpflichtung auf mich, doch der Vertrauensgewinn wog diese auf  ; bei gegensätzlichen Auffassungen würde sie zu den so notwendigen Aussprachen führen und mich notfalls nur zwingen, meinen Auffassungen eine Willerding nicht unangenehme Stilisierung zu geben oder gewisse Momente einen ihm genehmen Zeitpunkt vorzubehalten. Am 24. März traf ich in Vittorio ein und war mit mir und meinem Verhalten im Reinen, hatte die innere Sicherheit gewonnen, mein Verhalten werde richtig sein. Zunächst sprach ich beim lokalen Ortskommando vor und erfuhr meine Unterkunft in einer einfachen, sauberen Villa. Meine Pferde, recht mager und schwach, hatten ihren Stall gleich nebenan. Der brave Pferdewärter Kern und mein Offiziersdiener begrüßten mich freudig und schilderten mir die Hausfrau, eine alte, dicke Italienerin, als gutmütig. Ich sprach auch gleich bei ihr vor  ; freundlich bedeutete sie mir, froh zu 439 Conegliano  : Stadt nördlich von Treviso, Venetien. Mittelpunkt der Weinbauregion zwischen Valdobbia­ dene und Vittorio Veneto, aus der der Prosecco stammt.

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sein, Österreicher und keine Deutschen einquartiert zu haben. Frauen und ihre Kinder sind durchwegs in ihren Behausungen belassen worden  ; mit den italienischen männlichen Einwohnern, die ja zumeist ältere Menschen waren, sind unsere Ortskommandanten ebenfalls rücksichtsvoll verfahren. Fast niemand war delogiert worden  ; alle mussten in ihren Wohnungen lediglich enger zusammenrücken, um Raum für die Einquartierungen zu schaffen. In der großen Villa Morosini, in welcher der operative Teil des AK amtete, war für mich ein schönes, geräumiges Zimmer im I. Stock reserviert. Gleich meldete ich mich bei FML v. Willerding und trug ihm meine Auffassung so vor, wie ich sie auf der Bahnfahrt überlegt hatte. Die Richtigkeit meiner Haltung konnte ich sofort bemerken  : Willerdings Ton wurde herzlich, und beim Abschied sagte er mir mit kräftigem Händedruck  : „Sie sind ein anständiger Mensch  !“ Die Offiziersmesse, in die wir uns anschließend begaben, war spartanisch einfach geführt. Erzh. Joseph nahm täglich an ihr teil. Vor dem Essen meldete ich mich bei ihm  ; im Gegensatz zu Erzh. Eugen war sein Umgangston geradezu bürgerlich einfach. Auch verfügte er über ein ausgezeichnetes Personengedächtnis  ; mir sagte er gleich  : „Sie waren doch in den Karpaten bei der 18. Gebirgsbrigade  ! Da sind wir ja alte Bekannte  !“ Meinen Platz bekam ich neben Willerding angewiesen, der links vom Erzherzog saß. Mir gegenüber saß der Artilleriechef der Armee, Obst. Eimannsberger440, rechts vom Erzherzog der Chef der Operationsabteilung, Obst. Schattel. Der geographische Raum der Armee war verhältnismäßig klein. Er umschloss am östlichen Piave-Ufer den Montello, eine Erhebung in der italienischen Tiefebene, die, von italienischen Truppen besetzt, diesen guten Einblick in unser Stellungsgebiet gewährte. Anfänglich gehörte auch noch das Gebiet von Quero und Alano zu unserer 440 Ludwig R. v. Eimannsberger (Wien, 19.11.1878–27.3.1946, Mödling bei Wien, NÖ), 1.12.1920 eingeteilt bei der Offiziersschule Wien, 1.1.1921 Obst, 1.11.1921 einberufen ins BMfHw. und betraut mit der Leitung der Waffentechnischen Abt. (= Abt.10), 7.3.1924 Leiter der Abt.10, 1.5.1925 GM, 1.3.1926 Waffeninspektor der Artillerie, 1.9.1927 Leiter der Sektion II, 1.1.1929 Generaltruppeninspektor, 2.2.1930 pensioniert, GdA. z.V. in der Dt. Wehrmacht, Mai–7.7.1940 Höherer Artillerieführer beim Oberkommando Ost. Verfasser von  : Die österreichisch-ungarische Artillerie im Weltkrieg, Wien 1921  ; Der Kampfwagenkrieg“ München 1934  ; Unsere Artillerie im Großen Krieg, Wien 1935  ; Achtung, Panzer  ! o.O, 1937  ; Grundformen neuzeitlicher Kriegsführung, Gedruckter Vortrag am 29.1.1937  ; Erfahrungen einer Infanteriezuteilung, o.O.1938, Die Krise des Panzers, Vortrag, Berlin 7. April 1938  ; Technik und Wehrmacht, Vortrag am 23. Februar 1939  ; In eigener Sache, unveröffentlichtes Manuskript, 1943. Siehe  : Rudolf Kiszling, Ludwig Eimannsberger, in  : Neue Österreichische Biographie‚ Bd. XV, S.171–175;Walter A. Schwarz, General der Artillerie Ing. Ludwig R. v. Eimannsberger (1878–1945), Pionier der modernen Panzertaktik, in  : Militaria Austriaca, Bd. 15, Wien 1994, S. 51–86.; Marcel Stein, Österreichs Generale im Deutschen Heer 1938–1945. Schwarz/Gelb – Rot/ Weiß/Rot – Hakenkreuz, Bissendorf 2002, S. 281.

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Armee, wurde aber bald an die Heeresgruppe Conrad abgegeben. Bei Quero war übrigens das Regiment meines künftigen Schwiegervaters eingesetzt, und ich besuchte ihn dort wiederholt. In diese Zeit des Frühjahrs 1918 fiel die organisatorische Neugliederung der gesamten Armee, die von den Kommandos und Truppen wenig freundlich aufgenommen wurde, was ich in vielen Rücksprachen feststellte und auch berichtete. Die Verbände kamen zu keiner rechten Konsolidierung  ; es herrschte ein ewiges Kommen und Gehen. Dazu kam die Einrückung zahlreicher, aus russischer Kriegsgefangenschaft befreiter Offiziere und Mannschaften, die nachgeschult werden mussten.441 Zur turnusweisen Schulung aller Offiziere war vom Heeresgruppenkommando Boroëvić im großen Schlosse von Passariano ein Kurs eingerichtet worden, in dem die halbe Armee zu treffen war. Dort konnte ich in allergrößtem Umfang fragen und wieder fragen, Vorträge von Truppen- und Generalstabsoffizieren, Artilleristen, Fliegern und Pionieren hören und als Abklärung den Eindruck gewinnen, dass eine einheitliche Ausrichtung des Denkens dringend nötig war. Wer sollte die aber bringen  ? Bei jedem Kurs zeigte sich FM Boroëvić, hörte zu und fuhr nach einer Stunde wieder ab, ohne ein Wort gesagt zu haben  ; sein Eindruck auf die Offiziere war unterschiedlich, jedoch gewiss nicht begeisternd  ; verglichen mit Erzh. Eugen oder den Generälen Krauss, Mackensen und Below fehlte ihm das von allen diesen Persönlichkeiten mehr oder weniger ausstrahlende Fluidum völlig. 441 Über die weitgehenden Änderungen bei der Infanterie (Aufstockung auf 60 Divisionen, Beibehaltung nur je einer Schwadron als Divisionskavallerie, völlige Umorganisierung der Artillerie und Schulung in neuen Kampfverfahren) unterrichtet Kiszling, Hohe Führung, S. 199–209. Über die Pläne des AOK im Dezember 1917 siehe  : Joh. Christoph Allmayer-Beck, AOK und „Armeefrage“ im Jahre 1918, in  : Österreichische Militärische Zeitschrift, Heft 6, 1968 (= Sonderheft 1918), S.  430–435. Der Marschallsrat hatte sich mehrheitlich nicht für einen ungarischen Generalstab und eine ungarische Armee, die nur dem Allerhöchsten Oberbefehl des Königs und dessen ungarischer Militärkanzlei unterstehen sollte, ausgesprochen. Die Verhandlungen darüber wurden trotzdem geführt und im Frühherbst 1918 einvernehmlich abgeschlossen. Über die deutschen Absichten, über die Generalleutnant v. Cramon ein rein militärisches Gutachten im Sommer 1918 ausgearbeitet hatte, siehe die Aufsätze  : Peter Broucek, Reformpläne aus dem Beraterkreis Erzherzog Franz Ferdinands und Kaiser Karls, und  : Peter Broucek, Militärische Aspekte der Entwicklung hin zum Oktobermanifest 1918, beide in  : Militärischer Widerstand. Studien zur österreichischen Staatsgesinnung und NS-Abwehr, Wien/Köln/Weimar 2008, S. 97–108 bzw. S. 109–112. Diese Absichten beinhalteten eine Schulung österreichischer und ungarischer Generalstabsoffiziere an der Kriegsakademie in Berlin, auch in ungarischer Sprache, und die Angleichung dieser Armeen in Ausrüstung, Bewaffnung und Ausbildung an die Deutsche Armeen. Ein Schutz- und Trutzbündnis Österreichs und Ungarns mit dem Deutschen Reich sowie ein Zollund Handelsbündnis sollte auf 40 Jahre abgeschlossen werden. Kaiser Karl und Außenminister Burián gelang es jedoch, den Abschluss derartiger Verhandlungen bis zu einer Lösung der Polnischen Frage hinauszuzögern. Diese Lösung wurde bis Ende Oktober 1918 nicht gefunden.

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Erzh. Josef dagegen war ein ungemein reger Geist, der gern und oft sprach  ; er hatte auch viel zu sagen aus seiner jahrelangen, mit bravouröser Tapferkeit stets in den vordersten Linien seiner Truppen gewonnenen Erfahrung. Leider schwächten sein bei jeder Gelegenheit überbetontes Bekenntnis zum Magyarentum und seine stets laut ausgesprochene Meinung, dass die ungarischen Truppen die unübertroffen besten der ganzen Armee seien, den Eindruck seiner Persönlichkeit ab. Unsere deutschen, kroatischen, südslawischen Regimenter schlugen sich mindestens ebenso gut wie die Ungarn, ohne dafür Sonderrechte zu verlangen, wie das die Ungarn dauernd taten. In Passariano fasste ich die Absicht, den alle meine Erfahrungen bei deutschen Verbänden und mit unseren eigenen Truppen festlegenden Entwurf einer Vorschrift über die Führung und das Zusammenwirken aller Waffen im Gefecht zu schreiben und nach Baden zu senden. Ende Mai stellte ich diesen fertig. FML v. Willerding sah meine Arbeit genau durch  ; grundsätzlich zeigte er sich mit allem einverstanden, nur meinte er, die Arbeit habe mehr den Charakter eines Lehrbuches als jenen einer Vorschrift, ich möge den Entwurf gleichwohl nach Baden senden, wo man ihn gut werde brauchen können. Ich sandte den Entwurf ab und hörte nichts mehr von ihm. Eine Durchschrift blieb mir jedoch erhalten  ; später förderte sie meine Tätigkeit in St. Pölten442 enorm. Von Passariano fuhren eine Gruppe von Offizieren und ich einmal nach hinten, um die jahrelangen Kampfstellungen beider Armeen bei Görz443 und am Doberdó zu studieren. Auffallend war dabei die große Überlegenheit der Italiener in Steinarbeiten und ihre künstlerische Begabung. Während unsere Kampfgräben meist aus armseligen Steinbrocken geschichtete Brustwehren aufwiesen und kaum in den gewachsenen Stein vertieft waren, zeigten sich die italienischen Gräben als solide, tief ins feste Gestein eingearbeitete Kampfwerke mit starken Brustwehren, deren Klaubsteine durch Mörtel zu festen Mauern verbunden waren  ; alle italienischen Kaverneneingänge waren mit Skulpturen geschmückt und innen auch vielfach künstlerisch ausgestaltet. Dabei 442 St. Pölten  : Hauptstadt von Niederösterreich, Industriestadt an der Traisen und Verkehrsknotenpunkt  ; alte Römersiedlung Aelium Cetium, Markt seit 1058, Stadtrecht 1159, Bischofssitz 1785. 443 Görz, ital. Gorizia, slow. Gorica, gehörte nach dem Erlöschen der Görzer Grafen (Meinhardiner) dem Hause Österreich bzw. Haus Habsburg. Gemäß dem Erbvertrag von 1363 fielen damit die Grafschaft Görz, Gradiska, die Liegenschaften im Pustertal sowie die Güter in Krain und Friaul Österreich zu, das Pustertal und die Stadt Lienz wurden mit Tirol vereinigt. Die Meinhardiner waren um 1271 von Konrad II. mit den Vogteirechten der Brixener Bischöfe belehnt worden. Ihre Besitzungen in Istrien waren bereits 1374 vertraglich an die Habsburger gefallen. Seither ließen die Angriffe der Venezianer nicht nach. Seit 1918 ist Gorizia italienisch. Jenseits der neuen Grenze von 1945 gründeten die Jugoslawen Nova Gorica, das heute zu Slowenien gehört. Zu Slowenien gehört auch das Goriška (Görzer Land) mit dem Isonzo-Tal und mit den schon bisher angeführten Ortschaften, die in den Isonzoschlachten eine Rolle spielten, wie Soča (Isonzo), Bovec (Flitsch), Kobarid (Karfreit), Tolmin (Tolmein) und Kanal.

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lagen in den einstigen italienischen Stellungen, trotz unserer laufenden Aufräumungsund Bergungsarbeiten, noch immer so große Vorräte an Baumaterial, Handgranaten, Munition aller Art und auch noch Lebensmittelkonserven, dass unsere Armut und Not an allem besonders eindrucksvoll wurde. Meine Hochachtung vor der Haltung unserer dauernd unterernährten und hungrigen Truppen, die hier in vergleichsweise ungenügenden Kampfanlagen mit immer nur knappster Munition einer doppelten, ja oft mehr als drei- und vierfachen feindlichen Überlegenheit durch zweieinhalb Jahre Widerstand geleistet hatten, stieg ins Unermessliche  ! Und jetzt am Piave war es nicht viel anders. Die Truppen hungerten permanent. Die zahlenmäßige Überlegenheit der vereinigten italienisch-englisch-französischen Flieger war so groß, dass alle Bewegungen, Versorgungen und Besichtigungen der Truppen nur bei Nacht vorgenommen werden konnten. Wenn man sich dabei verspätete und beim ersten Morgenlicht, besonders auf der Straße von Susegana am Piave nach Conegliano, zurückfuhr, dann sauste gleich ein englischer Flieger im Tiefflug die Straße entlang und schoss mit seinem Maschinengewehr alles zusammen, was sich auf der Straße noch bewegte, sodass diese Passage bei Tageslicht selbst den Unerschrockensten zu viel wurde. Andere Feindflieger erkundeten fortwährend die Einzelheiten unserer Stellungen für ihre Artillerie, die mit ihrer Munitionsfülle alles unter Feuer nahm, was die Flieger wahrgenommen hatten. Zu unserem Glück bot die dichte italienische Bodenbewachsung doch so viel Deckung, dass die mit der Örtlichkeit vertrauten Truppen ihre notwendigen Bewegungen immer wieder in ganz kleinen Gruppen wagen konnten. Unsere Flieger ließen es an Mut und Kampftüchtigkeit gegenüber den feindlichen Fliegern niemals fehlen  ; aber ihre zahlenmäßige Unterlegenheit war trotz der Heranholung aller früher an der russischen Front gewesenen Verbände riesig. Unseren Truppen fehlte es auch an Bekleidung, namentlich an Wäsche  ; immer wieder fand man Soldaten und auch Offiziere, die ihre fadenscheinigen Blusen und Hosen am bloßen Leib trugen, weil sie entweder keine Wäsche mehr hatten oder ihr einziges Hemd gerade gewaschen wurde. Nicht jeder Mann hatte einen Mantel  ; das machte in dem südlich heißen Klima bei Tag und bei Sonnenschein nicht viel aus, schädigte jedoch die Gesundheit bei Regen und kalten Nächten. Immer wieder klagten die Truppenärzte über die mehr und mehr schwindende Lebenskraft der Leute infolge der Unterernährung  : Bei anscheinend leichten Verwundungen, die früher in vierzehn Tagen ausgeheilt waren, starben die Leute unter den Händen der Ärzte auf dem Operationstisch. Alle diese traurigen Umstände meldete ich völlig unverblümt ans AOK nach Baden, obwohl ich wusste, dass dieses auch keine Abhilfe schaffen konnte. Unter diesen Umständen wurde natürlich allgemein ein rasches Ende des Krieges herbeigesehnt. Dennoch schlug die durch das Ungeschick des Außenministers Graf Czernin provo-

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zierte Preisgabe der persönlichen Friedensbemühungen unseres Kaisers Karl über seinen in der belgischen Armee dienenden Schwager Sixtus wie eine Bombe ein. Leider bekannte sich der Kaiser nicht sofort öffentlich zu seinem an sich begreiflichen Schritt, sodass er sich in der Öffentlichkeit das uns tief beschämende Odium der Unwahrhaftigkeit zuzog.444 Nur unzureichend aus der Presse über diese Vorgänge informiert, bemächtigte sich aller Offiziere eine tiefe Niedergeschlagenheit. In der deutschen Presse wurde die schonungslose Preisgabe des Friedensversuches Kaisers Karl durch den französischen Ministerpräsidenten Clemenceau445 als Treubruch dargestellt, weil der Kaiser die französischen Ansprüche auf Elsass-Lothringen als berechtigt anerkannt hatte. Leider hatte die österreichische Presse vor Jahren die deutsche Pression auf Österreich zur Abtretung Südtirols, Görz und Triests an die Italiener verschwiegen,446 weshalb die deutsche Argumentation über die Unzuverlässigkeit des österreichischen Bundesgenossen mehr oder weniger unwidersprochen hingenommen werden musste, was besonders unsere deutschsprachigen Offiziere und Truppen schwer verstimmte.447 Außenminister Graf Czernin trat ab. Man hörte auch, dass der Chef des Generalstabes, Baron Arz, zurücktreten wolle. Und die böse Legende entstand, Ihre Majestät die Kaiserin Zita mit ihrer bourbonischen Abstammung beeinflusse den Kaiser ungünstig. Wir Generalstabsoffiziere, auch nicht besser informiert als die anderen, traten dem üblen Gerede überall mit Schärfe entgegen  ; doch auch bei mir blieb, ganz im Stillen, ein ungutes Gefühl hängen. Dies spielte in der täglichen Korrespondenz mit meiner Braut eine Rolle  : In Ungarn war nach dem hauptsächlich von Mackensen und Falkenhayn geführten erfolgreichen Feldzug gegen Rumänien eine große Sympathie für die Deutschen zurückgeblieben  ; und das calvinische Ostungarn hatte seine Abneigung gegen das Haus Habsburg ja niemals geheim gehalten. Was wir vom Kriegsschauplatz in Frankreich zu hören bekamen, war ebenfalls nicht geeignet, den Glauben an den Endsieg zu bestärken. Die Märzoffensive der Deut444 Der französische Ministerpräsident Clemenceau veröffentlichte den sogenannten 1. Sixtusbrief vom 24.3.1917 am 12.4.1918. Ausgelöst wurde diese Handlung durch eine Erklärung des Außenministers Ottokar Graf Czernin vor dem Wiener Gemeinderat. Dort hatte Czernin erklärt, der französische Ministerpräsident habe Friedensverhandlungen aufnehmen wollen, die aber gegenstandslos gewesen seien, weil er – Czernin – die Ansprüche Frankreichs auf Elsass-Lothringen im Einvernehmen mit Deutschland entschieden zurückgewiesen habe. Siehe nunmehr dazu  : Tamara Griesser-Pečar, Die Mission Sixtus. Österreichs Friedensversuch im Ersten Weltkrieg, Wien/München 1988. 445 Georges Clemenceau (1841–1929) französischer Ministerpräsident 17.11.1917–18.1.1920. 446 Ottokar Graf Czernin trat am 14. April 1918 als k. u. k. Außenminister zurück. Sein Nachfolger wurde István Baron Burián de Rajecz 447 Im Nachlass von GdI. Sigismund Knaus fanden sich vervielfältigte maschinschriftliche Flugschriften aus dem Jahr 1918 (Zeit nach dem Aufbrechen der Sixtus-Affäre), in welchen auf diese Bezug genommen und das Kaiserpaar schwer angegriffen wird. Hinweise auf Verfasser oder Herausgeber fehlen.

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schen hatte zwar einen schönen lokalen Erfolg, nicht aber den erhofften Durchbruch über Amiens hinaus gebracht.448 Es war kein Wunder, dass die Absicht unseres AOK in Baden, im Juni die italienische Front durch einen Zangenangriff der Heeresgruppen Boroëvić über den Piave und Conrad aus Tirol heraus zu fassen, mit Zurückhaltung aufgenommen wurde. Die 6. Armee, der ich zugeteilt war, war in den Planungen des AOK für den großen Angriff nicht vorgesehen. Aber gerade bei dieser Armee schienen FML v. Willerding und dem unterstellten, ganz hervorragend bewährten Kommandanten des XXIV. Korps, FML Ludwig Goiginger449, Angriffschancen gegeben zu sein, weil es an dem uns zugewandten Teil des Montello für die Italiener schusstote Räume gab, die eine überraschende Überschiffung möglich erscheinen ließen. Sowohl das 6. Armeekommando, als auch das XXIV. Korps. Korpskommando waren mit ganz hervorragend tüchtigen Generalstabsoffizieren versehen. Beim 6. AK wirkte Obst. Schattel450 als Chef der Operationsabteilung  ; ich kannte ihn aus der Zeit, da er als Generalstabschef bei unserem XXIX. Korps in Albanien sich immer einsichtig und hilfsbereit erwies, wenn ich von Üsküb aus Wünsche ans Korpskommando zu richten hatte. Er war ein ruhiger, sehr gebildeter Mann mit klarem Blick für das Wesentliche in allen Lagen und einem hervorragenden generalstabstechnischen Können. Beim XXIV. Korps war der ungarländische Obstlt. Röder 451ein ebenso hervorragend tüchtiger Generalstabschef. Aufgrund vieler an Ort und Stelle vorgenommener Rekognoszierungen entstand in enger Zusammenarbeit ein Überschiffungs- und Angriffsplan für die von FML Goiginger zu führende 31. Budapester Infanterie- und die 13. Wiener Landwehrdivision, unterstützt durch die gesamte Armee-Artillerie, auf bloß 4 km Angriffsbreite, was die Überraschung des Feindes und eine ausreichende Angriffswucht gewährleistete. FML Willerding war der Meinung, dass beim geplanten Angriff der Raum um den Montello 448 Auch Amiens konnte nicht genommen werden. Siehe  : John Frederick Charles Fuller, Die Schlacht von Amiens 1918, in  : Derselbe, Die Entscheidungsschlachten der westlichen Welt, Tübingen 2004, S. 414–425. 449 Über Ludwig Goiginger (1863–1931) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 431, Anm. 469. FZM Ludwig Goiginger war ab 8.3.1918 Kdt. des XXIV. Korps und ab 19.7.1918 bis Kriegsende Kdt. d. XVIII. Korps an der Westfront. 450 Stefan Schattel (Lemberg, 19.12.1873–  ?), 6.8.1892 als EF zur Batteriedivision Nr. 20, 21.10.1893 Lt.i.d. Res, 1.11.195 aktiviert, ab 1.11.1901 Glstbskarriere, 1.11.1911 Mjr.i.G, ab 1912 Glstbsdienst bei der Landwehr, ab 1913 wieder beim Heer, 13.5.1913 eingeteilt beim Evidenzbüro d. Glstb., 1.11.1916 Obst.i.G, 15.12.1916 Glstbschef XIX. Korps, 28.12.1917 Chef .d Glstbsabt. d. Heeresfront GO Ezhg. Josef, 1.3.1919 Ruhestand. 451 Über Vilmós (Wilhelm) Röder siehe die Daten bei Glaise-Broucek II, S.180, Anm. 1356. Röder, aus der Ludovika-Akademie hervorgegangen, war von Feb. 1917–Nov. 1918 Glstbschef XXIV. Korps, 26.5.1930–16.1.1935 (getarnter) Glstbschef der Honvéd, 12.6.1936–13.5.1938 Honvédminister.

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von ebenso entscheidender Bedeutung sein könnte, wie der Raum Flitsch-Karfreit bei der Herbstoffensive von 1917. Er gab dieser Meinung in einem von Erzh. Josef gutgeheißenem Antrag ans AOK in Baden Ausdruck. Da ich alle diese Vorarbeiten von Haus aus verfolgen konnte und selbst auch in der engen Zusammenfassung von zwei Divisionen zum Angriff eine echte Erfolgschance erblickte, berichtete ich in gleichem Sinne und bat zudem gleich um Heranführung von Reserve-Überschiffungsmitteln mit Pionieren sowie um eine Bereitstellung von mindestens zwei weiteren Divisionen zur Erfolgsausnutzung.452 Das AOK schien lange in seiner endgültigen Kräftegruppierung zu schwanken und stellte schließlich dem 6. AK anheim, den Flussübergang mit seinen eigenen Kräften zur Unterstützung der Nachbarn zu unternehmen. Eine Stärkung der 6. Armee lehnte das AOK ab. FML Willerding war nicht der Mann, seine Auffassung anderen zu oktroyieren. Wir kannten die Absicht des AOK nur in großen Zügen und stellten keine neuerlichen Anträge. Dafür wurde das mit den eigenen Kräften Mögliche mit einer Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit vorbereitet, wie ich sie in keinem anderen Stab besser erlebt hatte. Meine Berichte ans AOK wiesen auf diese musterhafte Arbeit wiederholt hin mit dem Antrag, an der Zusammensetzung dieses brillanten Stabes ja nichts zu ändern. Im AK bestand natürlich reges Interesse für die Maßnahmen der südlich benachbarten Isonzo-Armee, die zur Führung eines Hauptangriffes berufen war. Da ich ja überall freie Bewegungsmöglichkeiten hatte, legte mir FML v. Willerding nahe, beim Kommando der Isonzo-Armee Informationen einzuholen. Generalstabschef bei der von GO Wurm geführten Isonzo-Armee war Obst. Körner. Beide Persönlichkeiten kannte ich gut. Es war darum für mich nicht schwierig, dort ausreichende Orientierung zu erhalten. Entsetzt stellte ich fest, dass nirgends ein eng zusammengehaltener Angriffskeil gebildet wurde, sondern die Divisionen und Korps aus den Gefechtsstreifen, die sie in der Verteidigungsstellung innehatten, einfach gradaus vorzugehen hatten. Ich machte Körner gegenüber kein Hehl aus meiner ungünstigen Beurteilung eines solchen Kräfteansatzes, der doch den Misserfolg in sich trage. Er hingegen war der Auffassung, dass eine Beschränkung auf einen engen Angriffsraum unnötig sei, weil jede Division in sich genügend Angriffskraft besitze  ; ein Angriffskeil werde durch Reserven erst dort zu bilden sein, wo ein Einbruch über den Piave gelinge. Diese Auffassung war nur aus seiner jahrelangen Verwendung in der Abwehr am Isonzo zu 452 Über die große Bedeutung der Luftstreitkräfte siehe nunmehr  : Gerhard Artl, Fallbeispiele der operativen und strategischen Luftkriegsführung gegen Italien 1915–1918, in  : Aquila e Leoni/Adler und Löwen/Eagles and Lions. Ereignisse und Bilder der kriegsführenden Luftstreitkräfte in den Dolomiten und am Grappa während des Ersten Weltkrieges, Rasa di Seren del Grappa 2006, S.15–24.

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erklären. Vergeblich versuchte ich ihn noch einmal durch Schilderung der Angriffsvorbereitungen innerhalb unserer 6. Armee von der Notwendigkeit der Schaffung eines Angriffsschwergewichtes zu überzeugen. Dabei sah ich auf Körners Arbeitstisch die „Arbeiterzeitung“ liegen und muss ein verdutztes Gesicht gemacht haben  ; spontan begann er, nur die Arbeiterzeitung schreibe die ungeschminkte Wahrheit und jeder sollte nur diese lesen. Das reichte mir, und ich empfahl mich. FML v. Willerding zuckte nur bedauernd die Achseln, als ich von meinem Versuch berichtete, Obst. Körner zu beeinflussen  ; er war der Meinung, es sei nicht unsere Sache, Unbelehrbare umzustimmen. Bei der Isonzo-Armee war ein Obstlt. Kvaternik453 in gleicher Eigenschaft eingeteilt wie ich bei der 6. Armee, daher unterließ ich es, meinen schlechten Eindruck über die Offensivvorbereitungen bei der Isonzo-Armee nach Baden zu berichten  ; das war Aufgabe Kvaterniks. Das Verhältnis zwischen Willerding und mir hatte sich zu großem gegenseitigen Vertrauen entwickelt. Er lud mich stets ein, ihn bei seinen Frontbesuchen zu begleiten. Am 15. Juni, dem Beginn der großen Offensive über den Piave, bat er mich, ihn auf den Beobachtungsstand Moncader zu begleiten, der einen prachtvollen Überblick über den ganzen Montello und den unteren Piave bot, den die Isonzo-Armee im Hauptangriff zu überschreiten hatte. Erzh. Josef war zum XXIV. Korpskommando vorgefahren und Obst. Schattel blieb in Vittorio am Telefon. Unser Angriff mit den beiden Divisionen des XXIV. Korps gelang glatt. Die Italiener wurden völlig überrascht, sodass unsere beiden Divisionen schon am frühen Vormittag über die höchste Erhebung des Montello hinausgelangt waren. Die dort gestandenen italienischen Fliegerverbände verlegten sich nach hinten, sodass unser Raum nicht einmal von Fliegern belästigt wurde. Hier hätten jetzt Reservepioniere neue Brücken bauen und Reservedivisionen in großer Zahl hinübergeführt werden sollen, ähnlich wie bei der Offensive im Herbst. Man hätte den Italienern eine neue Katastrophe bereiten können. Aber solche Reserven waren nicht da  : Das AOK hatte unsere diesbezüglichen Anträge abgelehnt. Bald bekamen wir von Obst. Schattel die Telefonmeldung, dass der Angriff der Isonzo-Armee mit dem uns benachbarten XVI. Korps nicht gelungen sei. Nur der 453 Über Slavko Kvaternik (1879–1947) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S.136, Anm. 240. Er war mit 1.5.1918 Obstlt. i.G, organisierte bei Kriegsende mithilfe des kroatisch-slowenischen Nationalrates eine jugoslawische Wehrmacht, wandte sich nach der Machtübernahme Serbiens der Kroatischen „Legion“ mit dem Sitz in Österreich zu, war am 2. Restaurationsversuch, was einen ev. Aufstand in Kroatien betrifft, nach Zeugenaussagen beteiligt und stand sodann mit Ante Pavelić, der von Italien aus agierte, in Beziehung. Kvaternik proklamierte am 10.4.1941 den Unabhängigen Staat Kroatien und war ab 15.4.1941 Stellvertreter des Poglavnik. Er baute die kroatische Armee (Domobranen) auf, wurde aber am 6.10.1942 seines Postens als deren Oberbefehlshaber enthoben.

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äußerste Südflügel der Isonzo-Armee war über den Piave gekommen und dort am Westufer ebenso isoliert, wie unsere zwei Divisionen am Montello. Darüber bekam ich beinahe einen Tobsuchtsanfall, weil ich Körner den Misserfolg seiner miserablen Planung vorausgesagt hatte. Inzwischen mussten italienische Beobachter Willerding und mich am Moncader gefunden haben, da plötzlich ein Hagel von Artilleriegeschoßen auf uns niederging. Wir fanden kaum Zeit, in den vorbereiteten Deckungsgraben zu springen, blieben jedoch unverletzt. Leider wurden die Telefondrähte durchschossen, so dass es keinen Sinn hatte, länger am Moncader zu verbleiben. Wir stiegen ab und fuhren nach Vittorio zurück. Dort hörten wir, dass auch FM Conrads Angriff in Südtirol gescheitert war, ebenso wie ein vorangegangener Angriff am Tonale-Pass nächst der schweizerischen Grenze.454 Und dann erfuhren wir, dass das AOK nunmehr versuchte, uns Reserven zuzuführen, um unseren Montello-Erfolg auszunützen – zu spät. Durch die Misserfolge bei der Isonzo-Armee und der Heeresgruppe Conrad freigeworden, vereinigten die englisch-französisch-italienischen Flieger ihren Bombenhagel auf unsere beiden Divisionen am Montello und auf die von den Pionieren schon begonnenen Brücken über den Piave zum Montello. Unsere Flugabwehr arbeitete hervorragend und schoss, besonders über dem Brückenschlag bei Susegana, mehrere Feindflieger ab. Es musste angesichts der jetzt enormen Überlegenheit der Feindflieger in unserem Raum die Nacht abgewartet werden, um unseren beiden Divisionen am Montello neue Kräfte aus den langsam herankommenden Reserven zuzuführen. Die ganze Offensive stand unter keinem guten Stern  : Nicht nur, dass die Angriffe der Isonzo-Armee und Conrads misslungen waren, am 15. abends setzte auch noch ein Wetterumschlag mit wolkenbruchartigen Regenfällen ein, die sofort den Piave hoch anschwellen ließen, alle unsere mühselig erbauten Brücken wegrissen und das unersetzliche Brückengerät abschwemmten, sodass das AOK schließlich die Offensive aufgab und die Zurücknahme unserer Truppen vom Montello über den Piave befahl. Das konnte natürlich erst nach Abfluss des Hochwassers in der übernächsten Nacht geschehen. Wie sehr unsere verhungerten Regimenter den Entente-Truppen überlegen waren, zeigten sie in diesen kritischen drei Tagen  : Von unserer Artillerie am Ost­ ufer und den Fliegern unterstützt schlugen sie alle massierten Angriffe am Montello so gründlich ab, dass ihnen in der vierten Nacht, als sie den Rückzug über den Piave 454 Der Angriff im Frontabschnitt Tonale-Pass scheiterte am 14. Juni. Im Abschnitt Asiago drangen zwar die Österreicher-Ungarn am 15. Juni in die feindlichen Stellungen ein, kamen aber darüber nicht hinaus. Am 20. Juni muss die Offensive, die am 19. Juni den Kanal Fassetta erreicht hatte und am Südfuß des Montello mehrere italienische Linien durchbrochen hatte, der sonstigen Misserfolge und des Hochwassers des Piave wegen eingestellt werden. Mitte Juli 1918 erhielt FM Conrad von Kaiser Karl den Abschied.

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vollführten, kein Feind folgte und die Rücküberschiffung fast verlustlos abgewickelt werden konnte. Die Entente-Truppen nahmen die Räumung des Montello durch uns erst am späten Vormittag wahr und folgten erst in der nächsten Nacht in ihre alten Stellungen am Piave zurück. Das Scheitern der k. u. k. Armeen hätte bei Kriegsbeginn oder etwa noch ein Jahr danach leicht überwunden werden können, wie es die mehrfachen vergeblichen Angriffe über den Karpaten-Kamm zur Befreiung von Przemyśl bewiesen hatten. Zu Ende des vierten Kriegsjahres jedoch waren die Nerven von Armee und Hinterland so schwach geworden, dass in Österreich und Ungarn ein Sturm der Entrüstung losbrach, der bereits zeigte, wie sehr der Glaube an ein erfolgreiches Kriegsende allgemein verloren gegangen war. Aus Baden erhielt ich nun eine Unzahl von Fragebögen zur Erhebung und Meldung aller Ursachen des Versagens unseres Angriffes. Auch wurde die genaue Erhebung der Stimmung der Truppen verlangt. In den nächsten Wochen war ich wieder Tag und Nacht unterwegs und sprach bis zu den Kompanie- und Batteriekommandanten herunter mit fast allen Offizieren unserer 6. Armee. Das Ergebnis war für unser AOK in Baden alles eher als schmeichelhaft. So schrieb ich denn auch in einem meiner Berichte klipp und klar, dass insbesondere bei den Offizieren das Vertrauen in die Führung durchs AOK geschwunden war. Als ich diesen Teilbericht, wie jeden anderen, FML v. Willerding vor Absendung vorlegte, las er ihn Wort für Wort leicht schmunzelnd durch und meinte endlich, der Bericht lasse an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Er stand auf, reichte mir die Hand und sagte wieder  : „Sie sind ein anständiger Mensch  !“ Offenbar war das die höchste Anerkennung, die er auszusprechen vermochte. Die Depression, die mich wegen der gewiss nicht ganz unbegründeten Angriffe auf unseren Generalstab von allen Seiten erfasste, im Verein mit dem ungesund heißen Klima der oberitalienischen Tiefebene ließ meinen bereits überwunden geglaubten Darmkatarrh mit einer Heftigkeit wieder auftreten, die mir jede Bewegung und besonders das Autofahren auf den holperigen Straßen zur Qual machte. Dazu kam die elende, fast fettlose Ernährung. Mein armer Offiziersdiener litt ebenso, während mein Pferdewärter Kern unbelästigt blieb. Der meinte nachher einmal zu mir, dass er geglaubt habe, ich werde nicht mehr mit dem Leben davonkommen. Der Armeearzt Dr. Hochmann sagte, ich müsse den südlichen Kriegsschauplatz ehestens verlassen und erwirkte mir einen Kurplatz in Karlsbad.455 Ich bekam den Krankenurlaub bewilligt und reiste Ende August dorthin über Wien. 455 Karlsbad, tsch. Karlovy Vary, Kurstadt in Westböhmen, Tschechien, benannt nach dem Kaiser bzw. Deutschen König und König von Böhmen etc. Karl IV. (I.).

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Was meine vielen Ersuchen um Einteilung an die Front nicht vermocht hatten, schufen meine letzten Berichte. Gelegentlich meiner Meldung in Baden sprach mir Obst. Beyer seine Anerkennung über meine ungeschminkt klaren Berichte aus, fügte jedoch hinzu, dass ich mich mit diesen nicht beliebt gemacht hätte. Als ich mich anschließend bei Baron Waldstätten meldete, teilte mir dieser schroff mit, dass meine Verwendung beim AOK nun beendet sei und ich zu einer Division käme  ; daran schloss er den Wunsch für meine rasche Genesung. Die heißen Quellen und Schlammpackungen halfen mir in Karlsbad gut. Auch hier war die Verpflegung alles andere als kurmäßig  : Sauerkraut beherrschte jede Mahlzeit. Trotzdem war mein Gedärm nach dreiwöchiger Kur beruhigt und ich durfte drei Wochen Rekonvaleszentenurlaub anschließen. Von Karlsbad reiste ich direkt nach Aba puszta, wo ich von meiner Braut und ihrer Mutter liebevoll erwartet wurde. Beide hatten meinen Bruder samt Familie zur Erholung eingeladen, die ich dort schon antraf. Eine Woche später kam auch ihr Vater auf Urlaub, zuletzt mein künftiger Schwager Georg nach einer überstandenen leichten Gelbsucht. Das Wiedersehen mit Judith war unendlich beglückend, wenn wir auch nicht so ungestört zusammenleben konnten wie das erste Mal im Frühjahr nach unserer Verlobung  ; Judith musste ihrer Mutter in der Besorgung ihrer Hausfrauenpflichten viel helfen. Alle offenen Fragen bezüglich der Heiratsausstattung hatten wir in unseren täglichen, ausführlichen Briefen abgehandelt. Mitte September hatte der Außenminister Graf Burián ein Friedensangebot „an alle“ gerichtet. Das hob unsere Stimmung  ; wir konnten ja damals noch nicht ahnen, wie sehr der Friedenswille Kaisers und Königs Karl von der Entente missbraucht werden würde.456 Um den 16. Oktober traf meine Ernennung zum Generalstabschef der 10. Budapester Kavalleriedivision ein  ; sie stand in Südtirol. Der Urlaub von Judiths Vaters war ebenfalls zu Ende  ; gemeinsam fuhren wir über Budapest nach Wien, wo wir schon manch ungute Auflösungserscheinungen der gewohnten Ordnung wahrnehmen konnten. In Wien fragte mich der Vater, ob ich nicht einen gescheiten Geldfachmann wüsste, den man über Geldanlagen befragen könnte. Ich hatte mein erspartes Geld in der Bosnischen Landesbank, die ein affiliiertes Institut des Wiener Bankvereins war, und wusste, dass der Sarajevoer Bank-Filialdirektor in Wien am Schottenring amtierte 456 Burians Friedensnote „An Alle  !“ erging am 14.9.1918. Kaiser Wilhelm II. antwortete, dass dieses eigenmächtige Vorgehen auf Initiative Kaiser Karls „eine ernsthafte Gefährdung des Bündnisses zur Folge haben würde“. Die ö.-u. Note wurde ohne Debatte von den Alliierten abgelehnt. Clemenceaus Ausspruch „Auf zum fleckenlosen Sieg“ war eine Antwort.

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und mein Spargeld auf den Wiener Bankverein umgebucht hatte  ; so schlug ich dem Vater vor, diesen Herrn aufzusuchen. Ich wurde von ihm freundlich aufgenommen und stellte ihm meinen künftigen Schwiegervater vor. Im Laufe des Gesprächs stellte ich Vaters Frage, wie man freie Geldbeträge platzieren solle  ; der brave, ehrliche Hebräer stand auf, vergewisserte sich, dass beide gepolsterten Türen fest verschlossen waren, und sagte dann zu mir, dass er jetzt nicht als Bankfachmann, sondern als alter Freund zu mir spreche  : „Kaufen Sie alles, was Sie bekommen können, nur keine Papiere.“ Vater und ich, mit Geldsachen unvertraut wie Kinder, fragten  : „Was meinen Sie unter alles, was man bekommen kann  ?“ Lächelnd erklärte er uns  : „Alles an Waren, gleich ob es Knöpfe, Eisenartikel oder Lebens- und Futtermittel sind  ; nur keine Papiere  !“ Als wir aus dem Bankhaus auf die Straße traten, sahen wir uns an und lachten. In seinem Patriotismus konnte es der Vater einfach nicht fassen, dass ungarische Staatspapiere ihren Wert verlieren könnten. Ich hingegen benötigte laufend Bargeld für Zahlungen von Hotel, Schneider, Essen usw., deshalb ließ ich mein Konto stehen. Später begleitete ich den Vater zur Südbahn, mit der er zu seinem Regiment nach Quero fuhr. Dann begab ich mich nach Baden, um den genauen Standort meiner Division zu erfahren. Dort wurde ich orientiert, dass die Lage am Balkan äußerst gefährdet sei  ; die Bulgaren hätten Ende September auf eigene Faust um Waffenstillstand gebeten, ihre Truppen verließen einfach ihre Stellungen  ; daher würde unter Erzh. Josef eine nur aus ungarischen Divisionen bestehende neue Front zum Schutz Ungarns und Bosniens aufgebaut. Meine 10. Kavalleriedivision sei in Verlegung von Südtirol an die untere Drina  ; ich führe am besten direkt nach Bijeljina457, um dort die Truppen, so wie sie einträfen, gleich in den Sicherungsdienst einzusetzen  ; am Balkan kommandiere bis zum Eintreffen des Erzherzogs FM Kövess mit FML Konopicky als Generalstabschef. So kam ich noch einmal auf den Balkan zurück.458 457 Bijeljina  : Stadt südwestlich der Drina-Mündung in die Save, Bosnien-Herzegowina. 458 Am 15. September begann die Orientarmee der Alliierten, bestehend aus Franzosen, Italienern, Engländern, Russen, Serben und Griechen in der Stärke von etwa 670.000 Mann, in Mazedonien eine Offensive gegen Bulgarien. Die Bulgaren wichen am 23. September in neue Stellungen südlich von Prilep zurück. Von dort aus ließ Bulgariens Zar Ferdinand I. am 26. September um Waffenstillstand bitten. Dieser wurde auch am selben Tag abgeschlossen. Die ö.-u. Armeegruppe Albanien unter GO Pflanzer-Baltin übernahm am 28.9. den bulgarischen Frontabschnitt, wurde aber bereits am nächsten Tag zurückgerufen. Nur serbische Truppen wurden sodann Richtung Norden angesetzt, sie besetzten am 12. Oktober Niš und erreichten am 19. Oktober Priština und das Kosovo. Der Aufbau einer ö.-u. Abwehrfront war gescheitert. Ende Oktober überschritten Einheiten der Heeresgruppe Kövess die Donau und Save. Am 30.10.1918 wurde die k. u. k. Kriegsmarine an den sich am 29.10.1918 in Agram konstituierten Staat der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS-Staat) übergeben, zu dem vorerst Kroatien-Slawonien, Dalmatien und Fiume gehören sollten. Am 30.10. erklärte der Nationalrat für Bosnien und Herzegowina seinen Anschluss an Serbien und am Tag darauf trat der Landeschef, Generaloberst

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Am 18. bestieg ich einen Zug nach Budapest und fuhr von dort weiter nach Bosnisch-Brod, um über Tuzla nach Bijeljina zu gelangen. Überall erkannte ich bereits bedenkliche Auflösungserscheinungen. Um den Wünschen des Präsidenten Wilson entgegenzukommen, hatte Kaiser Karl am 16. Oktober ein Manifest erlassen, demzufolge alle Nationen der Monarchie eigene nationale Staaten bilden sollten, die er unter seiner Oberregierung beisammen zu erhalten hoffte  ; damit waren die alten, die Monarchie zusammenbindenden Gesetze gelöst. Das hörte ich unterwegs und las verschiedene Ungereimtheiten in den erlangbaren ungarischen Zeitungen. In Tuzla traf ich mit dem Brigadekommandanten Obst. Frh. v. Alberti459 zusammen, der mit dem ersten Transport der 10. Kavalleriedivision, dem Husaren-Rgt. Nr.  5, eingelangt war. Er hatte dieses Regiment nach Bijeljina vorbefohlen460, doch sei die Disziplin durch Emissäre der ungarischen Regierung so gelockert, dass sich immer wieder Leute, auch Offiziere, eigenmächtig von der Truppe entfernten. Am nächsten Tag fuhr ich nach Bijeljina vor, fand aber kein Husarenregiment  : Das war verschwunden. Von einem Feind war auch nichts wahrzunehmen, und die Telefone funktionierten nicht. Also fuhr ich nach Tuzla zurück, berichtete Alberti von meinen Wahrnehmungen und fragte ihn, ob er wisse, wann die anderen Truppen der Division folgen sollten  ; das wusste er nicht. Der Bahnhofskommandant informierte mich, dass der neue ungarische Kriegsminister, ein Oberst Béla Linder461, allen ungarischen Truppen die sofortige Niederlegung der Waffen befohlen habe. FM Kövess sei von Belgrad in Ujvidék462 eingetroffen  ; jetzt sei aber das Telefon unterbrochen, er bekäme nach keiner Seite mehr Verbindung. Sarkotić, zurück. Am 4.11.1918 zog der serbische Kronprinz Alexander in Belgrad ein. Serbische Truppen hatten schon am 2.11. Laibach erreicht, und slowenische Verbände erschienen am 6.11.1918 im kärntnerischen Miestal. Am 24.10.1918 hatten die Italiener eine groß angelegte Offensive eingeleitet, am 28. Oktober wurden die ungarischen Truppen aus den italienischen Frontgebieten abgezogen  ; an diesem Tage begannen die k. u. k. Truppen mit der Räumung Venetiens nach dem Durchbruch ihrer Front am Tag zuvor. 459 Arthur Graf Alberti d’Enno (Magyar Lápos, Ungarn, 13.4.1860–20.10.1928, Amstetten, NÖ), 16.9. 1879 freiwillig zum Festungsartilleriebaon 9 assentiert, Absolvent der ArtKSch, 1.5.1886 transferiert zu HR 5 und Laufbahn eines Kavallerieoffiziers, 1.9.1915 Obst. HR 11, 17.3.1922 Titular-GM 460 „Vorbefehlen“ ist ein militärischer Ausdruck für  : Befehl zum Vorgehen auf … geben. 461 Béla Linder (Maisch, ung. Majs, 10.2.1876–15.4.1962, Belgrad), Obst.i.Artilleriestab, 31.10.1918– 9.11.1918 Kriegsminister im Kabinett Mihály Graf Károlyi, veranlasste am 2.11.1918 die Waffenniederlegung der aus Ungarn stammenden Soldaten der k. u. k. Bewaffneten Macht, 9.11.1918 –12.12.1918 Minister ohne Portefeuille, Mai 1919–5.8.1919 Militärattaché in Wien, dann Bürgermeister von Fünfkirchen (Pécs) und Mitglied der Regierung einer Volksrepublik der Baranya (altungarisches Komitat zwischen Donau und unterer Drau). 462 Ujvidék, ung. Name, dt. Neusatz, serb. Novi Sád, Stadt am linken Ufer der Donau, heute Hauptort der autonomen Region Wojwodina in Serbien.

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Unter diesen Umständen konnten wir in Tuzla nichts erfahren. Ich schlug Alberti vor, zum nahen Höchstkommando zu fahren, wo noch am ehesten die Transportdaten unserer Kavalleriedivision zu erfahren sein würden. Bald befanden wir uns in Ujvidék. Nach meiner Meldung bei Konopicky hörte ich von diesem, sein Kommando wisse gleichfalls nichts  ; die zuständige Feldtransportleitung Szabadka463 habe mitgeteilt, dass auf den Eisenbahnen Chaos eingetreten sei und von geregelten Transporten nicht mehr gesprochen werden könne. Vom Befehl des ungarischen Kriegsministers Linder an alle ungarischen Truppen, die Waffen sofort niederzulegen, habe man auch gehört und der Feldmarschall bemühe sich persönlich um Sprechverbindung mit Budapest, da man dort auch eine Sprechverbindung mit dem AOK in Baden verhindere. Kurz darauf wurde ich Zeuge, wie ein Generalstabsmajor des Kommandos Kövess dem Feldmarschall den Gehorsam verweigerte, nach Budapest zu fahren, um dort die Lage zu klären  ; er sei Österreicher, des Ungarischen nicht mächtig, und wolle sich in der offenbar schon revolutionierten Stadt nicht hilflos Gefahren aussetzen. Das geschah vor mehreren Offizieren und ohne dass der Marschall die Verhaftung des Unbotmäßigen verfügt hätte. Mit Konopicky war ich in den großen Arbeitsraum eingetreten. Kövess kannte mich von den Karpaten-Kämpfen des Vorjahres und erblickte mich. Ohne meine Meldung als Generalstabschef der 10. Kavalleriedivision abzuwarten, wandte sich der Feldmarschall an mich mit den ungefähren Worten, meine Division werde ohnehin nicht eintreffen, er „bäte“ mich darum, nach Budapest zu reisen, um dort die Lage zu erkunden und ihm zu berichten. Sofort antwortete ich mit einem lauten „Jawohl, Herr Feldmarschall“. Dem Dienstverweigerer warf ich einen verachtenden Blick zu  : So weit war also der Verfall der ruhmreichen k. u. k. Armee fortgeschritten, dass ein Generalstabsoffizier seinem höchsten Vorgesetzten den Gehorsam versagte, ohne dass Kommandant oder Generalstabschef dessen sofortige Maßregelung verfügt hätten  ! Damals konnte ich das nicht fassen, verstehen kann ich es bis heute nicht. Da war ja mein aus dem Banat stammender Offiziersdiener besser  : Als er von meiner Reise nach Budapest hörte, bat er mich wenigstens, ihn in seine nahe gelegene Heimat zu entlassen  ; der arme Kerl war gesundheitlich sehr geschwächt, und ich stellte ihm einen Entlassungsschein aus, damit er nicht wie so viele andere als Deserteur galt. Obst. Alberti blieb beim Kommando Kövess, während ich überlegte, wie ich am besten und raschesten nach Budapest käme. An eine Eisenbahnfahrt, selbst mit einer einzelnen Lokomotive war bei der gelösten Ordnung und dem schon in Erscheinung 463 Szabadka, dt. auch Maria Theresiopel, serb. Subotica, Stadt in der nordöstlichen Batschka, politisch heute in der autonomen Region Wojwodina.

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tretenden Kommunismus nicht zu denken. Auch eine Autofahrt erschien angesichts der voraussichtlichen Anhaltungen durch desertierte Soldaten aussichtslos. So blieb nur die Donaufahrt. Zuerst verlangte ich ein Patrouillenboot der Donauflottille, vernahm jedoch, dass diese noch zur Gänze in der unteren Donau Sicherungsdienst für die zurückgehenden deutschen Truppen versehe. Im Einvernehmen mit dem beim Kommando Kövess die Transporte bearbeitenden Herrn kam lediglich ein starker Remorqueur464 infrage, der seine Maschinenkraft in erhöhte Geschwindigkeit legen sollte. Noch am frühen Nachmittag konnte ich losfahren. Auf dem Schiff hatte sich auch Obst. Laxa eingefunden, der seinerzeitige Militärattaché in Sofia, der zur vom AOK aufgestellten Waffenstillstandskommission für den Balkan gehört hatte, die von der kommunistischen Regierung Ungarns aufgelöst worden war. Der Schiffskapitän lud noch Getreidesäcke, aus denen er eine Schutzwehr um seinen Kommandosteg erbauen ließ, auf dem auch eine Radiostation eingerichtet war. Im Gespräch mit Laxa, der nach seiner Ablösung als Militärattaché als Regimentsund Brigadekommandant mit Auszeichnung gekämpft hatte, erfuhr ich erstmals den sicheren Auseinanderfall der Monarchie. Er selbst war Kroate und dem Grafen Stephan Tisza465 beigeordnet worden, als dieser im Auftrag des Kaisers in Agram und dann in Sarajevo mit den Kroaten und Serben über deren nationale Wünsche verhandeln sollte. Ergrimmt erzählte mir Laxa, dass Tisza in hochfahrender Weise in Agram wie in Sarajevo alle Wünsche der kroatischen und serbischen Politiker nach ihrem Zusammenschluss zu einem nationalen Staat brüsk abgelehnt und in Sarajevo sogar mit Gewaltmaßnahmen gedroht habe, weil er die Integrität des ungarischen Staates nicht antasten lassen wollte  ; darauf habe er von den serbischen Politikern in Sarajevo die Antwort erhalten, dass dann der Zusammenschluss der Südslawen außerhalb der Monarchie erfolgen werde  ; diesem Zusammenschluss mit den Serben des Königreiches Serbien hätten auch die Kroaten zugestimmt, und er, der alte, treue kaiserliche Offizier, gehöre nun zu einem der Monarchie feindlichen Staat  !466 Das deckte die ganze 464 Remorqueur  : kleiner Schleppdampfer  ; remorquieren  : ins Schlepptau nehmen. 465 Aufgrund des Tagebuches von Stefan Sarkotić beschreibt diese Unterredung  : Bogdan Krizman, Der militärische Zusammenbruch auf dem Balkan, in  : Die Auflösung des Habsburgerreiches. Zusammenbruch und Neuorientierung im Donauraum, hg. v. Richard Plaschka und Karl-Heinz Mack, Wien 1970, S. 293–296  ; siehe auch Tibor Hetes, Der militärische Zusammenbruch und Ungarn, ebendort, S. 293–296  ; und  : Marian Zgórniak, Der Zusammenbruch der militärischen Organisation ÖsterreichUngarns im Jahre 1918 in Polen, ebendort, S. 505–507. 466 Am 29.10. erklärte der kroatische Sabor (Landtag) in Agram den Zusammenschluss der südslawischen Gebiete der Doppelmonarchie zu einem unabhängigen Staat und dessen Anschluss an Serbien. Am 1. Dezember 1918 erfolgte in Belgrad die feierliche Vereinigung dieser Länder mit Serbien und Montenegro zum Königreich der Serben, Kroaten u. Slowenen unter der Dynastie Karađorđević.

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Tragik des Geschehens in erschütternder Weise auf. Obst. Laxa verließ das Schiff in Mohács467, um sich nach Agram zu begeben. Allein zog ich weiter nach Budapest, Zeit genug, um die mir unverständlich rasche Auflösung der Monarchie zu überdenken. Was sollte nun folgen  ? War dieser entsetzliche, von mir trotz aller Skepsis in Bezug aufs Kriegsende so nicht vorausgesehene Auflösungsprozess eines alten Staates, dessen Armee sich doch bis zuletzt gut geschlagen hatte, wirklich unaufhaltbare Tatsache geworden  ? Bald sollte ich eine böse, jedoch klare Antwort erhalten. Der Remorqueur legte in den ersten Nachmittagsstunden des 8. Novembers am Ofener468 Ufer an. Sogleich stieg ich die Höhe zur Burg hinauf. Als ich den saloppen Posten vor dem alten Honvéd-Ministerium fragte, ob der ungarische Kriegsminister hier amtiere, zeigte er auf einen schlanken, die steile Treppe vor mir emporsteigenden Offizier und sagte „Ez a miniszter  !“ Rasch sprang ich die paar Stufen nach und meldete mich als Abgesandter von FM Kövess  ; Linder fuhr mich schreiend an, warum ich mich nicht ungarisch melde  ; korrekt erwiderte ich, die Sprache des k. u. k. Heeres sei deutsch und ich im Übrigen Österreicher. Dabei hatten wir einen Vorraum durchschritten und waren ins Ministerzimmer eingetreten. Im Vorraum hatte es wüst ausgesehen  : herumlungernde, rauchende Soldaten und Zivilisten, unter denen ein laut sprechender katholischer Priester (später erfuhr ich, dass er Schwabe war und Hock János469 hieß) sich auf sein Volksmandat berief, um zum Minister zu gelangen, von dem freilich beim Durchschreiten niemand Notiz nahm. Auch im Ministerzimmer saßen ein paar fragwürdige Gestalten  ; vor ihnen und am Ministerschreibtisch standen volle und halb geleerte Kognakflaschen. Linder nahm gleich einen ordentlichen Schluck, worauf er auf Deutsch fragte, was ich eigentlich wolle. Kaum hatte ich die unklare Lage in Ujvidék geschildert und das Verlangen nach Freigabe der Telefonverbindung zum AOK nach Baden gestellt, als Linder zu schreien begann, es gebe keine Armee mehr, er habe doch allen in Ungarn befindlichen Truppen die Niederlegung der Waffen befohlen, er wolle keine Soldaten mehr sehen und wenn Kövess ihm nicht gehorche, so werde er ihn verhaften und erschießen lassen. Das war von Linder teils 467 Mohács  : Stadt im südlichen Ungarn, heute wichtiger Hafen Ungarns an der mittleren Donau. Bei Mohács schlug am 29.8.1526 Sultan Süleyman II. den ung. König Ludwig II., der in der Schlacht fiel. In der Folge wurde der Bruder Kaiser Karls V., Ferdinand I. Erzherzog v. Österreich, zum König von Ungarn gewählt. 468 Ofen, ungar. Buda, alter dt. Name des rechtsufrigen Teils von Budapest, bis 1872 die Hauptstadt Ungarns mit der Königsburg. 469 János Hock (Devecser, Ungarn, 31.12.1859–10.10.1936, Budapest), katholischer Priester und Schriftsteller, seit 1887 Mitglied der Liberalen Partei, seit 25.10.1918 Gründungsmitglied des ung. Nationalrates, Vorsitzender Mihály Károlyi.

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deutsch, teils ungarisch gesagt worden, wobei er immer wieder nach der Kognakflasche griff. Ich erkannte, dass hier alle betrunken waren, und verlangte jetzt auf Ungarisch die Freigabe der Telefonverbindung für mich nach Ujvidék und nach Baden. Linder brüllte, ich möge zum Präsidialchef gehen und von dort telefonieren, wohin ich wolle, nur müssen alle in Ungarn befindlichen Truppen die Waffen niederlegen, weil Ungarn mit niemandem mehr im Krieg sei  ; er wolle keinen Soldaten mehr sehen  ! Nun drang der katholische Geistliche laut rufend ins Ministerzimmer und wiederholte in einem fort  : „Mi egy öndlló Kösztársaság vagyunk (Wir sind eine unabhängige Republik)  !“ Ich sah, wie sich Linder vor diesem Abgeordneten tief verbeugte, und verließ das Zimmer. In der Präsidialabteilung traf ich deren Chef, Generalstabsoberst Bobo Láng470, allein. Seine Übernächtigkeit und Ratlosigkeit waren auf den ersten Blick zu erkennen. Wir kannten uns nur flüchtig, sodass ich es für gut hielt, mich vorzustellen  ; gleich daran schloss ich die Frage  : „Láng, ja, was ist denn nur los bei Euch  ?“ Er antwortete in hoffnungslosem Ton  : „Du siehst es doch selbst, der Kommunismus  !“ Von ihm konnte ich allmählich erfahren, dass die ungarische Regierung des kommunistischen Grafen Károlyi471, der noch von König Karl installiert worden war, geglaubt hatte, ein aus dem Verband der Monarchie ausgeschiedenes Ungarn werde billig davonkommen  ; deshalb der Befehl zur sofortigen Waffenniederlegung und die Erklärung, dass für Ungarn der Krieg beendet sei. Graf Tisza war ermordet worden  ; Kaiser Karl hatte den Oberbefehl niedergelegt und um Waffenstillstand gebeten, der schon am 3. November eingetreten war  ; FM Kövess war bestimmt zum Oberkommandierenden der teilweise noch kämpfenden Armee eines nicht mehr bestehenden Staates  ; Südslawien, Böhmen und Ungarn hatten sich nämlich für unabhängig erklärt. Nun war ich ebenso niedergeschlagen wie Láng. Seufzend erklärte ich ihm meinen Auftrag und Linders Genehmigung zur Telefonbenützung. Das Telefonieren stünde mir selbstverständlich frei, antwortete er, ich würde aber niemanden erreichen  ; das gesamte Kommando Kövess sei bereits auf Schifffahrt und werde morgen Vormittag in Budapest eintreffen  ; ich möge mich mit FML Kornhaber472 ins Einvernehmen setzen, der habe 470 Balthasar Baron Láng v. Csanakfalva (15.3.1877–27.4.1943, Budapest) 1918 als Obstlt. i.G. Abteilungsleiter im Honvéd-Ministerium, März 1920–31.3.1921 Vorstand der Militärkanzlei des Reichsverwesers, 1.5.1921 Obst., 1927 als FML. pensioniert. 471 Über Mihály Graf Károlyi siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S.  407, Anm. 395. 30.10.1918– 21.1.1919 ung. Ministerpräsident, sodann Staatspräsident bis zur Räteregierung. 472 Adolf Kornhaber v. Pilis (Drohobycz, Galizien, 18.8.1878–Sept. 1937  ?), 18.8.1878 aus Theres. Milakad. als Lt. zum IR 26, 1882/1883 Frequentant der Kriegsschule, 1.4.1895 zum HIR 20, als Hptm. zugeteilt dem V. Landwehr-Distrikts-Kdo., 1.11.1910 GM, 7.8.1911 enthoben aus Gesundheitsrücksichten, 1.11.1914 aktiviert auf Mobilmachungsdauer, 20.6.1915 Kdt. 51. HITD, 26.10.1915 Inspizierender der Marschformationen der 3., dann der 11. Armee, 3.5.1917 Inspizierender der Ersatzformationen des

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vom Ministerium die Verbindung zu Kövess herzustellen. Auf meine bange Frage, wie es in Debrecen und Umgebung aussehe, bekam ich die Antwort, dass der Kommunismus in ganz Ungarn nach der Macht greife und Gott allein wisse, was geschehen werde. Nach kurzem Abschied begab ich mich zu Kornhaber, den ich ebenfalls tief deprimiert fand. Er habe den Auftrag das Schiff, auf dem sich FM Kövess befand, durchsuchen zu lassen, damit nicht ungarisches Staatsgut nach Wien mitgenommen werde  ; diese Mission sei ihm schrecklich peinlich. Ich merkte ihm an, dass er für einen mildernden Rat dankbar wäre. Nach einiger Überlegung schlug ich vor, ich werde ein Radiogramm an Kövess senden mit einer kurzen Schilderung der Lage und der Bitte, alles ungarische Staatsgut am Schiff gesondert zur Ausladung unter Kontrolle der ungarischen Offiziere des Stabes bereitzulegen  ; Kornhabers Auftrag könne sich dann auf eine kurze Meldung beim Feldmarschall und die Befragung der ungarischen Offiziere auf dem Schiff, ob alles ungarische Staatsgut zur Ausladung vereinigt sei, beschränken. Dankbar erklärte er sich einverstanden. Nach Abgabe des Radiogramms an Kövess bot er mir den Diwan in seinem Amtszimmer zur Übernachtung an  ; dazu bekam ich Brot, Salami und Wein. Ein Telefonanruf in Baden klärte mich auf, dass sich das AOK mit einem kleinen Arbeitsstab nach Wien, Schwarzenbergplatz, verlegt habe. Über meine 10. Kavallerie­ division konnte ich nichts erfahren. Sie wird sich wie so viele andere Verbände bei Überschreiten der ungarischen Grenze aufgelöst haben. Am folgenden Morgen teilte mir Kornhaber mit, dass das Schiff von Kövess zur Vermeidung von Aufsehen im südlich gelegenen Handelshafen gegen 11h anlegen und geprüft werde  ; er bat mich, zuerst aufs Schiff zu gehen und ihn beim Feldmarschall anzumelden. – Den Feldmarschall traf ich im Speisesaal des großen Dampfers an und meldete ihm den bevorstehenden Besuch Kornhabers. Kövess erwiderte  : „Was will denn der  ? Meine goldene Uhr  ? Die schenke ich ihm, ohne dass er sich herbemüht.“ Ich erzählte ihm, wie peinlich dieser General von seinem Auftrag berührt sei, und ersuchte ihn, die Lage nicht zu verschärfen. Als der Feldmarschall mir zunickte, holte ich FML Kornhaber. Die Szene lief höflich kühl ab, und nachdem die ungarischen Personen und Güter an Land gekommen waren, dampfte Kövess mit mir nach Wien weiter. Ich informierte ihn eingehend über meine Besprechungen und Eindrücke in Budapest, wofür er mir in gewogener Form dankte. Gegen Verpflichtung zur Meldung im Kriegsministerium erhielten wir alle unser Gehalt für November und Dezember 1918 mit den entsprechenden Kriegszulagen ausgezahlt und von den Wurstund Brotvorräten des Schiffes einen Anteil als Wegzehrung. Militärkommandos Temesvár, 1.3.1918 GdI. Kornhaber entstammte einer Offiziersfamilie jüdischer Herkunft aus Galizien.

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Am 10. November abends legten wir am Praterkai in Wien an. Die vorangegangene Verabschiedung war schlicht. Seinem engsten Stab und mir sagte der Feldmarschall, dass er folgenden Tags ab 11h vor dem Kriegsministerium am Stubenring uns seine dort eingeholten Nachrichten mitteilen werde. Allerlei Fuhrwerk hatte das Schiff erwartet. So nahmen die, welche in gemeinsamer Richtung wohnten, je einen Wagen. Meiner brachte mich zu meinem Bruder Heinrich in die Hermanngasse. Das Wiedersehen mit der Familie war herzlich, aber bedrückt  : Die Zukunft lastete schwer auf uns. Mein Bruder riet mir als erstes den Wiener Heimatschein ausstellen zu lassen, ohne den man nichts bekäme. Das besorgte ich gleich zeitig am nächsten Morgen und ging dann auf den Stubenring, wo ich mit einigen Kameraden beim Radetzky-Denkmal auf Kövess wartete. Er trat auch bald aus dem Ministerium mit der lakonischen Mitteilung, dass morgen, am 12. November, Österreich sich als Republik konstituieren werde. In Österreich wandte man sich ebenfalls von seinem Kaiser ab  !473 Ich drehte mich auf dem Absatz um und begab mich zur kaiserlichen Militärkanzlei in der Hofburg. Dort war Obst. v. Káry eingeteilt, der vor mehr als Jahresfrist mit mir seine Truppendienstleistung bei der 18. Gebirgsbrigade nächst Kirlibaba absolviert hatte. Káry empfing mich herzlich. Unter Anbot meiner Dienstleistung in jeder Form für den Kaiser bat ich ihn um authentische Orientierung über die Lage von uns kaisertreuen Offizieren. Káry sagte mir, Seine Majestät habe jegliche Aktion von Offizieren zu seinen Gunsten strikt verboten  ; ein jeder möge dem neuen Staat, dem er sich zugehörig fühle, dienen und könne diesem auch ein Treugelöbnis leisten. Ich äußerte, dass mir eine solche Willensmeinung des Kaisers ganz unbegreiflich sei, weil sich doch Österreich morgen als Republik konstituieren wolle, worauf Káry erwiderte, der Kaiser wisse dies, stelle jedoch den Offizieren ihr Verhalten anheim, mit Ausnahme von kämpferischen Handlungsweisen für ihn, und entbinde sie vom Treugelöbnis  ; erläuternd fügte er bei, dass für mich keine Schwierigkeiten bestünden  : Ich sei Österreicher und gehöre eindeutig zu Österreich. Für ihn war das viel schwieriger  : Er fühlte sich als Ungar, stammte aber aus dem rumänischen Teil Siebenbürgens, der wahrscheinlich ans Königreich Rumänien fallen würde  ; er wusste noch nicht, ob er sich zu Ungarn oder zu Rumänien bekennen solle, wo sein und seiner Frau Grundbesitz lag. Damit verabschiedete er mich mit kameradschaftlichem Händedruck und allen guten Wünschen für die Zukunft. 473 Siehe  : Franz Pototschnig, Der Zerfall der Monarchie und die Staatsgründung, in  : Jan Mikrut (Hg.), Kaiser Karl I. (IV.) als Christ, Staatsmann, Ehemann und Familienvater, Wien 2004, S.385–420.; Wilhelm Brauneder, Deutsch-Österreich 1918. Die Republik entsteht, Wien/München 2000. Zbyněk A. Zeman, Der Zusammenbruch des Habsburgerreiches 1914–1918, Wien 1963  ; Richard G. Plaschka, Cattaro–Prag. Revolte und Revolution, Graz/Köln 1963.

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Draußen auf dem Heldenplatz sah ich Soldaten in schlechter Haltung mit einer roten Fahne zur Ringstraße ziehen. Der Aufforderung eines solchen Lackels, von meiner Kappe die Rosette mit der Kaiserinitiale abzuschneiden, begegnete ich mit der Erwiderung, das sei meine Sache, nicht seine. In der Nähe standen zwei Polizisten  : Der rote Aktivist zog es vor, seinem Haufen nachzulaufen. Einer der Polizisten riet mir, die Kappenrose abzunehmen, da ich sonst nicht in Ruhe gelassen würde  ; ich nickte ihm zu. Unbehelligt ging ich über Bellaria und Burggasse zu meinem Bruder. Bei ihm klaubte ich mir aus meinen Sachen Zivilkleidung zusammen. An einem der nächsten Morgen erschien mein treuer Pferdewärter Kern in der Wohnung mit der Meldung, er sei mit den Pferden von Vittorio in Wien angekommen  ; sie stünden am Matzleinsdorfer Markt und er hätte auch schon einen Käufer. Ob ich mit dem Verkauf um 3.000,– Kronen einverstanden wäre  ? Ich sagte zu. Als er mit dem Geld und der Sattelzeugkiste wiederkam, schenkte ich ihm den halben Erlös. Er fuhr auf sein Bauerngut oberhalb Persenbeug.474 Kern hätte sich mit den Pferden einfach davonmachen können, wie es viele andere taten– sein Akt der Treue war mein letztes Kriegserlebnis. Damit begann der graue chaotische Alltag. Der Hunger dauerte weiter. Meiner Anschauung nach war er die wesentlichste Ursache des so raschen militärischen Zusammenbruches. Die allgemeine militärische Lage war Anfang November nicht so schlecht  ; überall standen wir tief in Feindesland  ; die Armeen hätten den Feind noch weitere Monate von der Heimat fernhalten können, wenn sie zu essen und Schießbedarf bekommen hätten. Beides aber versagte an der inneren politischen Desorganisation, die durch die feindliche Blockade und destruktive Propaganda hervorgerufen worden war. FM Conrad pflichte ich bei, wenn er schreibt, dass nicht die feindlichen Heere, sondern die feindlichen Diplomaten, allen voran der französische Tiger Clemenceau, den Krieg für die Entente gewonnen hatten.475 474 Persenbeug, NÖ Markt an der Donau am Ausgang des Strudengau  ; im Schloss wurde Kaiser und König Karl I. (IV).geboren. 475 Jansa war ab 20.1.1918 bei der 6. Armee zur Auswertung der Kriegserfahrungen und zur Reglementbearbeitung eingeteilt, vom 2.9.1918 bis 24.10.1918 war er zur Erholung und zum Kurgebrauch in Karlsbad, ab 26.10.1918 war er Generalstabsoffizier bei der 10. Kavalleriebrigade, ab 1.11.1918 Generalstabschef der 10. KD. Beurteilungen liegen für diesen Zeitraum nicht vor. Beförderungen  : 1.11.1912 Hptm., 1.8.1917 Mjr., 1.1.1920 Obstlt. Orden, Ehrenzeichen, Belobigungen  : Militärisches Jubiläums­ kreuz 1908  ; Erinnerungskreuz 1912/13  ; Ausdruck der Allerhöchsten Zufriedenheit 1913  ; Orden der Eisernen Krone III. Klasse mit Kriegsdekoration und Schwertern  ; Militär-Verdienstkreuz mit Kriegsdekoration  ; Bronzene Militär-Verdienst-Medaille mit Kriegsdekoration  ; Belobigung des XXVI. Korpskommandos 1917  ; Belobigung des Abschnittskommandos FML Pichler 1917  ; Eiserne Kreuz I. und II. Klasse  ; Bayerischer Militär-Verdienstorden 3. Klasse mit Kriegsdekoration und Schwertern  ; Türkische Kriegsmedaille.

VII.

Stabschef und Brigadekommandant

Wien 1918–1919 Wenn mich schon während des Krieges jeder vorübergehende Aufenthalt in Wien – die Zeit meiner Verlobung ausgenommen – ungut beeindruckt hatte, so war das jetzt aufgezwungene Leben unter kümmerlichsten Bedingungen mit einer hoffnungslosen Zukunft vor Augen zermürbend.476 Das Bestreben der sozialdemokratischen Partei, die von Kaiser Karl in unfassbarem Großmut allen gegebene Freiheit in eine Revolution umzulügen, war mir bis zum Ekel widerlich.477 Um keine Möglichkeit zu versäumen, meldete ich mich trotzdem im Staatsamt für Heerwesen zur Dienstleistung an. Die dort schon tätigen Kameraden Friedländer478 und Hubicki rieten mir ab, mich bei der halb kommunistischen Volkswehr zu betätigen und lieber zuzuwarten, bis etwas Klarheit in die undurchsichtige politische Lage 476 Jansa war nach seinen eigenen Angaben im Bewerbungsformular der Reichskommission A ab 11.11.1918 „ohne Anstellung, fallweise Kassawache in Wien – Stiftkaserne, 18.2.1919 bei der Deutschösterreichischen Zensurstelle II Salzburg, ab 29.10.1918 bis 21.1.1920 Heimkehrerdirigierungsoffizier Innsbruck, 1.2.1920–  ? Heimwehrerzerstreuung Gnigl. Erbitte wegen finanzieller Lage Einteilung in Salzburg oder Bezirksstadt“. 477 Am 30.10.1918 nahm die Provisorische Nationalversammlung für Deutschösterreich die von Karl Renner ausgearbeitete provisorische Verfassung an. In der Nacht darauf wurde die erste Regierung gebildet und in dieser wurde der deutschnationale Abgeordnete Josef Mayer Staatssekretär für Heerwesen, der Sozialdemokrat Dr. Julius Deutsch wurde Unterstaatssekretär, ebenso der christlichsoziale Abgeordnete Dr. Erwin Waihs. 478 Über Johann Friedländer siehe  : Martin Senekowitsch, Feldmarschalleutnant Johann ­Friedländer 1882– 1945. Ein vergessener Offizier des Bundesheeres, Wien 1995. Johann Friedländer (Bern, Schweiz, 5.11.1882–1945, Tschechoslowakei), 1901 ausgemustert aus IKSch. Wien zu FJB 21, 1902 Lt., 1913 Hptm., zugeteilt d. Glstb. u. Glstbskarriere, Teilnahme am Feldzug gegen Serbien, dann als Glstbsoffizier der 5. GebBrig. bei der 6, 7.und 8. Isonzoschlacht, 1.11.1917 Mjr.i.G, Feb. 1917 Verwendung im Flaggenstab des Marinekmdt, ab Feb. 1918 in der Sozialpolitischen Gruppe der Abt. 5/KW des KM, Nov. 1918 in das Staatsamt für Heerwesen übernommen, Übernahme ins Bundesheer, 1.1.1921 Obstlt., 1.4.1924 bei IR 2, seit 1925 Rgtskdt., Feb. 1927 BMfHw. Sektion I, 28.8.1931 GM und Vorstand der Abt.2 (Ausbildung), Okt. 1936 versetzt ins Heeresinspektorat, 31.3.1937 FML und Ruhestand, 2.9.1943 das Ehepaar Friedländer nach Theresienstadt „ausgesiedelt“, 21.5.1944 Tod der Margarethe Leona Friedländer, 12.10.1944 Deportation des Johann Friedländer nach Auschwitz, 18.1.1945 Räumung des KZ Auschwitz vor der nahenden Roten Armee, Erschießung des Johann Friedländer während des Marsches von Auschwitz Richtung Pless, heute Pszczyna, Polen.

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käme. Bevor nicht ein offizieller Friedensvertrag geschlossen sei, gebe es nur Provisorien. Obwohl es nicht meine Art war, die Hände in den Schoß zu legen und zu warten, stimmte ich diesmal zu und verlangte nur in Vormerkung zu bleiben. Das wurde mir zugesichert. Einmal gab es in der dem Kriegsministerium gegenüber gelegenen Handelskammer eine Versammlung der Generalstabsoffiziere, in der mehrere Herren ihre trüben Informationen über die Lage mitteilten. Es wurde beschlossen, in Abständen wieder zusammenzukommen, um Neues zu hören.479 479 Aktenkundig unter  : D.Ö.St.A.f.H.W. 1919 Az.3027 und 6025. Aus diesen Akten und aus einem Erinnerungsmanuskript des Oberinspektors August Edelmayer (Wien, 2.2.1897–  ?) „Einsatz im Baltikum“, die in KA, NLS, sign. B/265 erliegen, sowie aus einem Interview am 20.3.1978, geführt vom Herausgeber, geht hervor  : Edelmayer stammte aus Ödenburg (Sopron) und war Absolvent der Wiener Infanteriekadettenschule, Mai 1915 als Oberleutnant in die Volkswehr aufgenommen. Es gab am 3.3.1919 eine Offiziersbesprechung im Kriegsministerium, „in der Rittmeister Graf Norman eine Einladung der deutschen Reichsregierung überbrachte, in die Wehrmacht einzutreten, wo Offiziersmangel herrsche. In der Diskussion wurde unter anderem die Werbung in Österreich damit begründet, daß sich dieses ja in der Nationalversammlung als Bestandteil der Deutschen Republik erklärt hatte und nach Ausbildung im Reich und durchgeführtem Anschluß als deutschösterreichische Wehrmachtsangehörige in die Heimat zurückkämen, was einer idealen Lösung entspräche. Meinem Eindruck nach wurden Sudetendeutsche und Südtiroler bei der Auswahl bevorzugt, da man deren nationaler Gesinnung sicher zu sein glaubte. Es sollte eine Einheit gebildet werden, die man als Bindeglied zwischen österreichischem und deutschem Heerwesen betrachtete, als Kern einer künftigen Ausbildungseinheit für Umschulung“. Edelmayer meldete sich, fuhr mit Kameraden am 7.4.1919 als Heimkehrer deklariert von Wien ab. Er erlebte die Räteregierung in München und wurde ab 12.4.1919 im Freikorps des Generals Hülsen umgeschult. Sie wurden sodann in Jüterbog dem Freikorps Weickhmann zugeteilt und unterstanden sodann dem AOK Nord im Baltikum. Der Einsatz erfolgte ab 19. Juni in Mitau. Nach einem Ultimatum der Alliierten wechselten Teile der Truppen der sogenannten „Eisernen Division“ in das Korps des weißrussischen Generals Awalow-Bermondt (1884–1973) über. Von diesem wurde Edelmayer im Oktober 1919 nach Berlin entsandt, um Nachschub zu organisieren, wurde aber am 1.11.1919 von der Sicherheitspolizei verhaftet, am 29.1.1920 wieder freigelassen, dann wieder von der „Eisernen Division“ nach Wien beurlaubt. Er erlebte bei der Rückkehr nach Berlin dort den Kapp-Putsch. Und wurde sodann für das Sturmbataillon der Reichswehrbrigade III verpflichtet. Er quittierte im Mai 1920 den Dienst in Deutschland. Er war seit 1931 als Diplomkaufmann Bediensteter der Österreichischen Nationalbank. Er war 1938 aktives Mitglied der Frontmiliz. Er erhielt im Juli 1937 eine deutsche Urkunde über seinen Einsatz in der Eisernen Division und war im 2. Weltkrieg als Hauptmann Kriegsteilnehmer. Edelmayers kurze schriftliche Erinnerungen über den 11./12.3. 1938 werden an geeigneter Stelle zitiert werden. Hier noch einmal kurze Passagen über Folgen seiner früheren Dienstleistung im 2. Weltkrieg  : „Meine Pflichterfüllung [bei der Frontmiliz] zeitigten eine strenge Bestrafung. Auf die Abbauliste meiner Bank gesetzt, rettete mich vor der Entlassung nur die Einberufung zum Sudeteneinsatz September–Oktober 1938. Dafür aber erhielt ich keine Weihnachtsremuneration. Und statt als Beamter wurde ich nur als „kaufmännischer Hilfsarbeiter“ übernommen und als Erster im August 1939 für die Wehrmacht freigestellt. Aber auch hier verfolgte mich noch der Grimm der Partei, der es durch zweieinhalb Jahre gelang, meine Beförderung zum Major als „für die Partei untragbar“ zu verhindern.“

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Dazu wurde bekannt, dass der dem Generalstab zugehörige Obst. Theodor Körner an der Seite des sozialdemokratischen Staatssekretärs Julius Deutsch arbeitete und zu unserer Versammlung eingeladen worden war.480 Deutsch war Reserveleutnant der Artillerie und hatte schon lange eine Stelle im Ministerium innegehabt.481 Edelmayer gab im Interview noch einige Name österreichischer Kameraden an, die zum Teil dann ins Bundesheer aufgenommen wurden, darunter war auch der österreichische und deutsche Generalstabsoffizier Oberst Kodré, bekannt durch sein Engagement am 20. Juli 1944 im Wehrkreiskommando XVII. Dessen Dienstleistung in Russland scheint in seinen öst. Personalunterlagen auf. Vor dem Werbebüro des Rittmeisters Norman warnte sodann, wie aktenkundig, im August 1919 das Staatsamt für Heerwesen. Als im Jahr 1920 Edelmayer mit einem aus der nunmehrigen Tschechoslowakei stammenden Kameraden aus dem Baltikum, einem früheren k. u. k. Offizier, bei Körner vorsprach, fertigte dieser ihn mit unfreundlichen Worten ab und erklärte dem Kameraden, er sei nunmehr ein Tscheche. Edelmayer wandte sich nunmehr einem kaufmännischen Studium zu, das er mit dem „Diplomkaufmann“ abschloss. Er ging in den Dienst der Nationalbank. Nach Kriegsende dienten übrigens auch einige Offiziere in der kurzfristig 1918/19 existierenden ukrainischen Republik u.a. Theresienritter Anton (Antal) Frh. v. Lehár. Der k. u. k. Oberleutnant Sokolowski diente nach seiner Kriegsgefangenschaft in der Roten Armee und erreichte den Marschallsrang. 480 Obst. Körner, seit 27.11.1918 im Staatsamt für Heerwesen, machte am 17.2.1919, nunmehr bereits Amtsleiter (entsprach dem Präsidialchef ) des Staatsamtes (entsprach einem Ministerium) folgende Aktennotiz  : „Zuerst muß der Staat (Völkergemeinschaft) bestehen, dann erst kann man an den Schutz dieses Wesens, an eine Wehrmacht, überhaupt denken. Daraus folgt, daß jede Maßnahme richtig ist, die dem – einstweilen in Wirklichkeit weder nach Größe und Inhalt noch Zweck bestehenden – nicht anerkannten Staatswesen auf die Beine hilft und zwar in wirtschaftlicher, sozialpolitischer und moralischer Hinsicht … vielleicht ist es ohne Kenntnis der näheren Umstände von mir vorlaut geurteilt, wenn ich mich wundere, daß die demokratische (sozialdemokratische) Republik noch keine andere sozialpolitisch richtigere Verwendung für die sanitär gut gebauten Schulen (mit Garten etc.) gefunden hat … Alles was derzeit geschieht, kann nur provisorisch sein. Es ist richtig, daß das Berufsunteroffizierskorps und das Offizierskorps nachlernen und umlernen müssen. Es ist aber ebenso richtig, daß die ganze Bevölkerung der deutschösterreichischen Republik noch zur Demokratie zu erziehen ist. Das hindert nicht, daß man dieses Ziel klar erkennen und – unbeirrt von dem Parteienzank – diesem Ziel zustreben muß, wenngleich es natürlich ist, daß das Staatsamt für Heerwesen auf diesem Gebiet vorangehen muß. Die Heeresgestaltung und der Geist des künftigen Heeres (Wehrgemeinschaft) muß vom Volk entscheidend beeinflußt werden…damit nicht wieder ein Heerwesen entstehe, daß wie das frühere staatsfremd (volksfremd) ist. Damit ist gesagt, daß alles verhindert werden muß, was den Anlaß zu gesellschaftlichen Schichtungen (Klassen) gibt … Was jetzt im werdenden Staat geschieht, ist meiner Überzeugung nach der Klassenkampf um die Macht, daher der unausgesprochene Streit um den Zweck der Wehrmacht.“ 481 Julius Deutsch (Lackenbach, Westungarn, heute Burgenland, 2.2.1884–17.1.1968, Wien) Dr. iur., 13.1.1915 als EF zum FABtl. 4, 8.12.1915 Fhr.i.d.Res., 1.8.1916 Lt.i.d.Res., 19.12.1917 transferiert zu KM, Abt. 10/KW, 1.11.1918 Oblt.i.d.Res., 3.11.1918–1.3.1919 Unterstaatssekretär im Staatsamt für Heerwesen, 15.3.1919–22.10.1920 Staatssekretär, 1919–1933 Abgeordneter zum Nationalrat des Wahlkreises Meidling – Hietzing – Fünfhaus, 1920 bis 1932 auch Mitglied der Ständigen Parlamentskommission für das Heerwesen,1923 beteiligt an der Gründung des „Republikanischen Schutzbundes“ und dessen Obmann, Februar 1934 Flucht aus Österreich in die Tschechoslowakei, sodann General der

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Als Körner erschien, wurde er zuerst als der im Krieg verdiente Mann freundlich begrüßt. Als er dann das Wort nahm und sagte, dass nur ganz wenige Herren mit einer Verwendung im künftigen Heer Österreichs rechnen dürfen und es gut sein werde, sich im zivilen Leben um Verdienstmöglichkeiten umzusehen, wurde auch das verständnisvoll aufgenommen. Als Körner jedoch begann, uns ein Umdenken nahezulegen, alle erhaltenen Kriegsauszeichnungen als „Kinkerlitzchen“ beiseitezutun, sich der roten Politik zu fügen, ging ein Sturm der Entrüstung los, dem Körner überlegen lächelnd mit der Mitteilung begegnete, dass er der Sozialdemokratischen Partei beigetreten sei. Er bekam unerwartet Beifall durch den mir damals noch unbekannten, aus der Kavallerie hervorgegangenen, dem Generalstab bloß zugeteilt gewesenen Mjr. Höberth482, der uns in rüdester Form zurief, alle bisherige Gesinnung abzutun und gute Republikaner zu werden. So durfte man uns nicht kommen  ! Empört verließ der Großteil der Generalstabsoffiziere den Saal. Ich habe keine solche Versammlung mehr mitgemacht. Jedermann konnte der Intelligenz von Generalstabsoffizieren zutrauen, dass sie – wenn auch politisch unerfahren – einsahen, dass ein Zeiten- und Formenwechsel eingetreten war, dem man sich mehr oder weniger fügen musste. Aber es war ein schwerer Fehler der österreichischen Sozialdemokratie und ihres militärischen Beraters Körner, die Presse und die Arbeiterschaft dahin aufzuhetzen, täglich den Kaiser und seine Familie, die alte ruhmreiche Armee und deren Offiziere in der ordinärsten Weise zu beschimpfen, die Pflichterfüllung der Offiziere als Dummheit hinzustellen, sie tätlich anzugreifen sowie ihnen gewaltsam Rangabzeichen und Kriegsauszeichnungen abreißen zu lassen. Schließlich hatte es die vom Generalstab geführte Armee republikanischen Streitkräfte in Spanien, 1939 im Exil in Frankreich, dann in den USA, dort vergeblicher Versuch der Bildung einer Exilregierung, 1946 Rückkehr nach Österreich, später wegen politischer Differenzen aus der SPÖ ausgeschlossen. Verfasser zahlreicher Broschüren, etwa  : Die Kinderarbeit und ihre Bekämpfung (1907), Die Tarifverträge in Österreich (1908), Wehrmacht und Demokratie, Berlin 1926. Erinnerungswerke  : Aus Österreichs Revolution, Wien 1923, Ein weiter Weg, Zürich/Leipzig/ Wien 1960. 482 Eugen Höberth Edl. v. Schwarzthal (Graz, 22.8.1878–15.4.1965, Salzburg), 1899 aus Theres. Milakad.als Lt. zum Ulanenrgt. 3, frequentierte als Lt. die Kriegsschule, 1.10.1905 Oblt. u. zugeteilt Glstb., ab 1906 Brigadeglstbsoffz, ab 20.6.1917 Glstbsabt. d. 1. Isonzo-Armee, 26.5.1918 transferiert ins Glstbskorps, Aug. 1918 Stellvertreter des Chefs der Feindespropagandaabwehrstellte im Kriegsarchiv, 1.11.1918 im Stab des Landbefehlshabers Wien bzw. dann (nach Übernahme ins Bundesheer) 2. Brigade, dazwischen 1.7.1919–28.2.1920 Heimkehrerdirigierungsoffizier in Innsbruck bzw. Krankenurlaub, April bis einschließlich Juni 1919 [Höberth dürfte während dieser Zeit 1919–1923 angesichts der nur in der Offizierskartei eingetragenen mehrmals verlängerten Studienaufenthalte im Deutschen Reich der Vorgänger von Wiktorin als geheimer Verbindungsoffizier zur dt. Heeresleitung gewesen sein], 25.4.1930 GM, 1.5.1930 Kavallerieinspektor, 30.9.1932 pensioniert; 1938 übernommen in die Dt. Wehrmacht als GM z.V., 1.9.1939–1.2.1951 Oberfeldkommandantur Krakau, 1.1.1942 Glt.z.V, 31.3.1943 MobVerwendung aufgehoben, 6.5.1945 eingewiesen in das Camp Marcus W. Orr, Glasenbach.

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zuwege gebracht, durch viereinhalb Jahre die vielfach überlegenen Feinde vom heimatlichen Boden nicht nur in Österreich, sondern auch in Böhmen, Ungarn und BosnienHerzegowina–Dalmatien fernzuhalten  ! Das Verhalten der Sozialdemokratie war die schäbigste und verächtlichste politische Kampfweise. Der junge Historiker Dr. Ludwig Jedlicka hat in sehr abgeklärter Weise diese Zeit und die folgenden Jahre in seinem Buch „Eine Armee im Schatten der Parteien“ dargestellt. Dessen Lektüre kann ich zu dem hier kurz Gesagten sehr empfehlen.483 Mein Bruder Heinrich riet mir, mich im Baufach umzusehen, wo immer Menschen benötigt würden. Da ich hiefür keine Ausbildung hatte, sonach nur als Hilfsarbeiter Verwendung finden konnte, passte mir das zunächst nicht. Ich dachte mehr an eine geschäftliche Betätigung im Handel. Da ab 1. Dezember an der Handelsakademie nächst dem Künstlerhaus ein Kurs für Offiziere anlief, ließ ich mich dort gegen ein ziemlich hohes Studiengeld einschreiben und besuchte diesen. Große Sorge bereitete mir die Unmöglichkeit, mit meiner Braut in Verbindung zu bleiben. Die Post in das kommunistisch gewordene Ungarn war wie abgeschnitten. Dabei wäre eine Verbindung dringend notwendig gewesen, denn alle Voraussetzungen einer gesicherten Lebensstellung, die meiner Brautwerbung zugrunde gelegen waren, erschienen nun völlig zusammengebrochen. Es war ganz unsicher geworden, was für eine Existenz ich meiner künftigen Frau bieten können würde. Nicht, dass ich daran dachte, die Verlobung meinerseits zu lösen  ; meine Braut hingegen musste ich völlig freigeben, damit sie selbst nach ihrem Gutdünken entscheide. Mitte Dezember kam als erste Nachricht ein Telegramm meiner künftigen Schwiegermutter aus Debrecen mit dem ungefähren Inhalt  : „Judith außer Lebensgefahr. Wir sind bei Luise néni484 und würden Dich gerne sehen.“ Das schlug wie ein Blitz ein  : Was war geschehen  ? Wie viel Post und Briefe fehlten da  ? Heute weiß ich nicht mehr, wie und wo ich mir Reisedokumente verschaffte. Ich weiß nur, dass ich in kürzester Zeit in einem trostlosen Zug saß, dem die Fensterscheiben und breiten Riemen an den Fensterrahmen fehlten, und im übervollen Abteil schließlich doch nach Budapest kam. Gegen ein gutes Trinkgeld ließ mich der Portier des Hotels London am Platz vor dem Westbahnhof auf dem wenig sauberen Lager seiner Portierskoje schlafen, weil kein Bett aufzutreiben war. Um 6h früh ging ein ebenso jammervoller Zug nach Debrecen ab, welches ich gegen Abend erreichte. Sofort suchte ich Luise néni auf, die eine Nichte des vormaligen katholischen Bischofs war, weshalb ihre Wohnung nahe der katholischen Kirche lag. Für die Frauen war ich unerwartet rasch eingetroffen und wurde mit überströmender Herzlichkeit begrüßt. 483 Ludwig Jedlicka, Ein Heer im Schatten der Parteien, Graz/Köln 1958. 484 Néni  : ung.Tante.

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Meine liebe Braut war schwach und sehr abgemagert. Sie war nach der Flucht von Aba puszta bei Luise néni an der damals grassierenden schweren spanischen Grippe erkrankt gewesen und nach 48-stündiger Krise mit dem Leben davongekommen  ; ein schwerer Herzklappenfehler blieb ihr. Die Flucht von Aba war erfolgt, weil die Arbeitsbauern eine räuberisch drohende Haltung gegenüber den Frauen eingenommen hatten. Der einzige, der sie beschützt hatte, war der italienische Kriegsgefangene Mateo aus Gemona gewesen  ; der begleitete sie nach Debrecen, von wo er dann seiner Heimat zustrebte. Judiths Vater Lászlo war von Debrecen nach Nagyvárad vorausgefahren, wo die Familie ihre Stadtwohnung hatte. Die Frauen sollten am nächsten Tage folgen. Ich war gerade noch rechtzeitig gekommen, um sie nach Nagyvárad zu geleiten. Judiths Bruder Georg war auch in Debrecen gewesen, dann aber, von der Mutter mit Geld versorgt, nach Budapest gefahren, um dort an der Technik sein durch den Krieg unterbrochenes Studium wieder aufzunehmen. Onkel Ádám war schon vor Kriegsende nach Debrecen gekommen und hatte bei einer Witwe am Simonyi út ein gutes Unterkommen gefunden. Er kam zufällig am Abend meiner Ankunft zu Luise néni. Unsere Begegnung war von alter Herzlichkeit getragen, und Ádám wollte mich unter Erklärung aller möglichen und unmöglichen Gründe unbedingt zu einem ungarischen Staatsbürger machen. Er glaubte, dass Ungarn sich viel rascher als Österreich konsolidieren werde und bot mir zur raschen Erledigung meine Adoption durch ihn an. Ich wollte seine alte Liebe zu mir nicht kränken und verbarg meine entschiedene Ablehnung unter allen möglichen schonenden Gründen. Als er schließlich gegangen war, umarmte mich Judith, die unserem Gespräch mit großer Aufmerksamkeit gefolgt war, und sagte ganz spontan  : „Nimm mich heraus aus diesem schrecklichen Land  !“ Ich erklärte den Frauen, dass es auch in Österreich drunter und drüber gehe und ich Judith keineswegs jene gesicherte Existenz zu bieten vermochte, unter deren Voraussetzung wir uns verlobt hatten. Judiths Antwort war klipp und klar  : Sie habe mir ihr Ja-Wort nicht meiner Stellung wegen gegeben, sondern weil sie mich liebe. Und mit dieser Liebe sei sie gewillt, mit mir durch dick und dünn zu gehen  ; ihr Ja-Wort bei der Verlobung sei ihr nicht weniger ernst gewesen, wie das vor dem Altar sein werde. Ich war überglücklich  ! Trotz ihres geschwächten Gesundheitszustandes hatte sie die von mir erwartete Entscheidung mit einer ihre Mutter, Luise néni und mich erschütternden Klarheit und Bestimmtheit getroffen  ; sie vertraute mir auch unter den unsagbar schwierig gewordenen Verhältnissen aus ganzem Herzen. Wie sehr diese Liebe meine Willenskraft belebte, brauche ich kaum zu schildern. Durch sie gewann ich die Zuversicht, alles Kommende irgendwie zu meistern. Aus Schonungsgründen brachten wir Judith bald zur Bettruhe, während ich mit meiner Schwiegermutter und Luise néni noch lange im Gespräch beisammen blieb.

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Der Schock, den die erzwungene Flucht aus Aba puszta meiner Schwiegermutter, dieser stolzen, ungarisch-calvinischen Frau, gegeben hatte, war so groß, dass sie mich in ihre Arme schloss mit der Bitte, ihr Kind möglichst rasch aus Ungarn nach Österreich zu nehmen. Diesen Gesinnungswandel hätte ich nicht für möglich gehalten und er beruhigte mich für alle Zukunft tief. Am folgenden Tag fuhren wir mit einem auf der Vizinalbahn485 staunenswert in Ordnung gebliebenen Zug nach Nagyvárad, wo uns mein künftiger Schwiegervater erwartete. Der gute Herr liebte am Essen keine Beschränkung, und es war staunenswert, was alles er für die Küche zu organisieren verstanden hatte. Im Vergleich mit Wien lebten wir hier die nächsten Tage wie im Schlaraffenland. Mein Schwiegervater war über die kommunistischen Verhältnisse in Ungarn wohl sehr verärgert, hatte jedoch, um Ruhe zu haben, nicht gezögert, der kommunistischen Partei beizutreten und sich für die Ausübung des Tischlerhandwerks anzumelden, das er in der beim Kader seines alten Regimentes errichteten Werkstätte auch tatsächlich ausübte486. Überhaupt beobachtete ich interessiert, mit welcher Leichtigkeit das 485 Vizinalbahn  : veralteter Ausdruck für Kleinbahn oder Schmalspurbahn, jedenfalls Bahnlinie, die von einer Hauptstrecke in die Nachbargemeinden oder in Ausflugsziele abzweigt. 486 Über die ungarischen Angelegenheiten mit besonderer Betonung der militärischen Verhältnisse siehe  : Peter Pastor, Mihály Károly  : Revolutionary National Defense 1918–1919, in  : Béla K. Király – Albert A. Nofi (ed.), East Central European War Leaders  : Civilian and Military (= East European Monographs, No. CCXLIII), Boulderm1988, S. 85–94. Der Abgeordnete einer linksliberalen Splitterpartei im ung. Reichstag, Mihály Graf Károlyi, hatte am 25.10.1918 einen Nationalrat gebildet, am gleichen Tag bildete sich auch ein Soldatenrat. Károlyi wurde vom homo regius, GO Erzherzog Joseph, mit der Bildung einer königlichen Regierung beauftragt, bat aber den König darauf um die Entbindung vom Treueeid und rief am nächsten Tag die Republik aus, führte also die sogenannte „Asternrevolution“ an. Am 13. November verzichtete König Karl in Eckartsau auf die Führung der Regierungsgeschäfte, wie er dies zwei Tage vorher auch in Wien, Schloss Schönbrunn, bezüglich Österreichs getan hatte. Károlyi selbst hatte am 7.11.1918 in Belgrad versucht, von General Franchet d’Espèrey einen günstigeren Waffenstillstand als den von Villa Giusti bei Padua zu erreichen, aber es kam nur zu einer Militärkonvention. Károlyi bildete am 13. November eine erste republikanische Regierung, sein neuer Kriegsminister, der ehemalige k. u. k. Generalstabsoffizier Albert Bartha, hatte bereits am 11.11.1918 den Befehl für die Aufstellung einer neuen Armee unterzeichnet. Am 30.11.1918 kündigte die französische Regierung namens der Alliierten Teile der Konvention von Belgrad, besonders die dort vereinbarte Demarkationslinie, auf. Der Chef der neuen französischen Militärmission in Budapest, Oberst Vix, teilte der ungarischen Regierung mehrmals eine immer wieder neue Demarkationslinie mit. Károlyi trat bereits am 5.1.1919 als Ministerpräsident zurück, wurde aber zum Staatspräsidenten gewählt. Inzwischen war es zum Vormarsch der tschechoslowakischen Armee in Oberungarn, der rumänischen Armee im TheißGebiet und der serbischen Armee wie auch der rumänischen Armee im Temesvárer Banat gekommen (siehe Anm. 483). Als nun der Alliierte Rat in Paris am 26. Februar den Beschluss fasste, eine neutrale Zone, vor allem zwischen ungarischen und rumänischen Streitkräften, festzusetzen, überreichte Oberst Vix die diesbezügliche Note am 20.3.1919, und die am 18.1.1919 gebildete ungarische Regierung Berinkey trat daraufhin zurück. Am 21.3. wurde nach dem Versuch der Bildung einer Gewerkschaftsre-

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gierung die Räterepublik proklamiert und ein Revolutionärer Regierender Rat gebildet, in dem der Kommissär für Auswärtige Angelegenheiten Béla Kun, Gründer der ungarischen Kommunistischen Partei, die führende Rolle übernahm. Diese erließ am 25. 3. die „Verordnung über die Aufstellung einer Roten Armee“ sowie am gleichen Tag die Verordnung der Organisierung von Revolutionstribunalen. Weiters erging am 26. März die Verordnung über Verstaatlichungen und gleichzeitig wurde eine Rote Garde aufgestellt. Noch im März bildete sich das erste Internationale Bataillon und am 4.4.1919 trafen unter der Führung des ehemaligen Korporals der k. u. k. Armee, Leo Rothziegel, etwa 1.200 Freiwillige aus Deutschösterreich ein. Sie hatten die Rotgardisten, die sich dort vor allem im Volkswehrbataillon 41 vereinigt hatten, aufgenommen und dafür die Zustimmung von Staatssekretär Deutsch erhalten. Der Kampf begann, Armeekommandant war der Kommissar für Kriegswesen, Vilmos Böhm, Generalstabschef Oberst d. G. Aurél Stromfeld. Nach der Rückeroberung von Miskolc führte diese Armee den sogenannten Nordfeldzug vom 30.5 bis 24.6 durch, hatte große Erfolge und rief am 16.6.1919 die Slowakische Räterepublik aus. Nach weiteren Erfolgen gab die Räteregierung am 24. Juni aufgrund von Ultimaten aus Paris den Rückzugsbefehl gegenüber den Tschechen. Aurél Stromfeld trat zurück und übergab seinen Posten dem ehemaligen k. u. k. Oberst i.G. Franz (nunmehr Ferenc) Julier. Inzwischen hatte sich in Wien ein antirevolutionäres ungarisches Komitee unter (dem späteren Ministerpräsidenten und ehemaligen Abgeordneten des ung. Oberhauses) István Graf Bethlen gebildet, deren militärischer Anführer der Militär-Maria-Theresienritter Oberst Antal Frh. v. Lehár gewesen ist. Er stellte im steirischen Feldbach eine gegenrevolutionäre Truppe auf. In der von rumänischen Truppen besetzten ungarischen Stadt Arad war es am 5. Mai 1919 ebenfalls ein antirevolutionäres Komitee, bald Gegenregierung genannt, unter Gyula Graf Károlyi, gekommen, die im Juni 1919 in das von französischen Truppen der Orientarmee besetzte Szegedin übersiedelte. „Kriegsminister“ dieser Regierung wurde der ehemalige k. u. k. Kontreadmiral Miklós Horthy de Nagybanya. Am 7. Mai drang unter der Führung von Gyula Gömbös eine Schar von geflüchteten ungarischen Offizieren und Unteroffizieren in die Szegediner Kasernen ein und übernahm für die Gegenregierung in der Stadt die Macht. Ab 14. Juni wurden von dieser Regierung Truppen, sogenannte „Detachements“ aus ehemaligen Berufssoldaten und der umliegenden Bevölkerung aufgestellt und von den Entente-Truppen geduldet. Am 24. Juni brach überdies in Budapest ein Putsch, vor allem von Angehörigen der Ludovika-Akademie aus, der niedergeschlagen wurde. Trotz der Ultimaten aus Paris stellte sich die Rote Ungarische Armee zu einem Angriff über die Theiß bereit und begann diesen am 20. Juli gegen 8 rumänische Divisionen. Nach ersten ungarischen Erfolgen schritten die Rumänen mit ihren Reserven ab 24. Juli zum Gegenangriff. Sie überschritten ihrerseits am 29. Juli die Theiß und schlugen die ungarischen Truppen der Räteregierung in die Flucht. Dabei fielen auch Leo Rothziegel und viele Österreicher. In Ungarn war angesichts des Marsches der rumänischen Truppen auf Budapest eine Offiziersrevolte ausgebrochen und war erfolgreich. Sie zwang das Räteregime zur Flucht. Bela Kun wurde in Österreich interniert, durfte aber schließlich in die Sowjetunion ausreisen. Von Österreich aus marschierte Lehár nach Westungarn. In Szeged bildete sich eine Armeeführung unter Horthy, die in den von Rumänien nicht besetzten Teilen Ungarns ein Regime des Weißen Terrors begann. In Budapest hatte der aus seinem Versteck zurückgekehrte GO Ezhg. Joseph noch am ersten August eine Regierung István Friedrich berufen. Er selbst wurde von den Ententemächten als Angehöriger des Hauses Österreich nicht geduldet und musste nach wenigen Tagen sein Amt als Quasi-Reichsverweser aufgeben. Am 15. November zogen Oberst Lehár und am 16. November Admiral Horthy in Budapest ein. Lehár blieb Kommandant in Westungarn, Horthy aber wurde von dem neu formierten „alten“ Reichstag am 1. März 1920 zum Reichsverweser gewählt und ernannte am 14. März die Regierung Simonyi-Semadam. Nachdem der militärische Konflikt zwischen Tschechoslowakei und Polen über das Teschener Ländchen (Teil des ehemaligen

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ungarische Bürgertum speziell in Nagyvárad aus dem national-ungarischen Denken heraus und der Angst vor den begehrlichen Rumänen der kommunistischen Partei beitrat. Dem ganzen Bekanntenkreis meiner Schwiegereltern aus Ärzten, Literaten, Offizieren, Großkaufleuten, die ich in diesen Tagen kennenlernte, bereitete es keine Schwierigkeit, sich bei der Partei einzuschreiben, weil man dadurch die Einheit Ungarns erhalten zu können glaubte. Wie bitter sollte die folgende Zeit sie anders belehren  ! Er erzählte mir auch, dass er sein Honvéd-Rgt. Nr. 1 geschlossen und in guter Haltung im Eisenbahntransport von Ober-Italien nach Budapest gebracht hatte. Am Bahnhof traten Zivilisten mit rot-weiß-grünen Armbinden an ihn heran und stellten sich als Vertreter der Stadt Budapest vor, die das Heimatregiment begrüßen und bedanken möchten  ; er möge gestatten, dass sie ein paar Worte an das Regiment richten dürfen. Arglos bewilligte ihnen mein Schwiegervater dies. Der Redner, natürlich ein kommunistischer Führer, dankte den Soldaten in schmeichelnden Worten für ihre in den vergangenen viereinhalb Jahren bewiesene Tapferkeit, sagte, dass die Stadt Budapest stolz auf ihre Söhne sei und alles tun werde, um ihnen die Wiederaufnahme ihrer zivilen Tätigkeit zu erleichtern. Der Krieg sei beendet und im Interesse der Einheit der ungarischen Nation fordere er Offiziere und Soldaten auf, hier am Bahnhof alle ihre Waffen sofort abzulegen und sich als friedliche und freie Männer zu ihren Familien zu begeben. Dieser Aufforderung wurde bedenkenlos Folge geleistet und nach einer Viertelstunde gab es kein Honvéd-Regiment mehr. Die Waffen kamen reibungslos in die Österreichisch-Schlesien) und der Konflikt zwischen Rumänien und Jugoslawien über die Aufteilung des Temesvárer Banats und die Bacska gelöst worden war, traf am 7.1. 1919 eine ungarische Delegation in Paris ein. Am 4. April 1920 wurde in Trianon der Friedensvertrag unterzeichnet. Die Bevölkerung Ungarns verringerte sich von 27,000.000 (1914) auf 7,500.000. Vorwiegend in der Slowakei, in den Theißgebieten und in Siebenbürgen (Erdély, Transsylvanien) gab es ung. Minderheiten. Gemäß den Bestimmungen des Friedensvertrages sollten mit deutschsprachiger Bevölkerung besiedelte Teile West­ ungarns an Österreich kommen, wie es auch im Vertrag von Saint-Germain festgelegt worden war. Die Honvéd sollte eine Truppe von 35.000 Mann sein. Sie wurde nach 1920 in 7 gemischte Brigaden gegliedert, mit den Standorten Budapest, Székesfehérvár (Stuhlweißenburg), Szombathely (Steinamanger), Pécs (Fünfkirchen), Szeged (Szegedin), Debrecen (Debreczin) und Miskolc. Siehe an österreichischer Literatur   : Manfred Scheuch, Das größere Europa. Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Slowenien und die Baltischen Staaten in Geschichte und Gegenwart, Wien 2002; Peter Broucek (Hg.), Anton Lehár, Erinnerungen. Gegenrevolution und Restaurationsversuche in Ungarn 1918–1921, Wien 1973  ; Peter Broucek, Die Burgenlandfrage 1919 bis 1921 im Spiegel der hinterlassenen Aufzeichnungen Anton Lehárs (= Wiener Katholische Akademie, Miscellanea II), als Manuskript gedruckt, Wien 1974, 24 Seiten  ; József Kun, Die Kämpfe der ungarischen roten Armee 1919, in  : Arbeitsgemeinschaft Truppendienst (Hg.), Die Nachkriegszeit 1918–1922. Kämpfe, Staaten und Armeen nach dem Ersten Weltkrieg (= Truppendienst Taschenbuch 22), Wien 1973, S. 57–81  ; Ludwig Gogolák, Die Konsolidierung Ungarns, ebendort, S. 263–286  ;

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Hände der schon wartenden roten Terrorformationen. Um wie viel klüger hatten sich da die ungarischen Kommunisten gezeigt als die österreichischen Sozialdemokraten, die ihre heimkehrenden Soldaten beschimpften. Nur dadurch ist es auch zu erklären, dass die kommunistische ungarische Regierung sehr bald wieder eine sich gegen die in Ungarn einrückenden Tschechen sehr gut schlagende Armee beisammen hatte.487 Das 487 Siehe Walter Hummelberger, Die Kämpfe in der Slowakei und um Teschen in den Jahren 1918–1919, in  : Arbeitsgemeinschaft Truppendienst (Hg.), Die Nachkriegszeit 1918–1922. Kämpfe, Staaten und Armeen nach dem Ersten Weltkrieg, in  : Truppendienst-Taschenbuch, Band 22, Wien 1973, S. 82–112. Am 28.10.1918 war in Prag der Tschechoslowakische Staat ausgerufen worden. Auf telegrafische Anweisung des Präsidenten der tschechischen Exilregierung Tomáš Garrigue Masaryk begannen am 2. November 1918 die Maßnahmen zur Okkupation der Slowakei. In der Exilregierung war Dr. Milan Rastislav Štefánik (1880–1919), seit 1917 Kriegsminister und für die Legionen in Frankreich und in der Slowakei sowie die Teile der Legionen, die aus Russland bereits über das Schwarze Meer nach Jugoslawien transportiert werden konnten, verantwortlich. Am 14. November wurde in Prag die erste Sitzung der Nationalversammlung, des Parlaments abgehalten und Masaryk per acclamationem zum Präsidenten gewählt. Er traf erst am 21. Dezember aus den USA kommend in Prag ein. Am 15. November wurde eine Prager Regierung unter Ministerpräsident Karle Kramář gebildet, in die Václav Klofač als Minister für Landesverteidigung und sodann Štefánik als Kriegsminister eintraten. Es gab also zwei Minister. Mithilfe von Garnisonstruppen und vor allem den Legionären aus Italien zwischen 14. und 26. Dezember wurde mit der Besetzung der zunächst von Deutschösterreich beanspruchten westböhmischen, schlesischen und südmährischen Gebiete begonnen und diese abgeschlossen. Bereits am 24. Dezember 1918 teilte der Chef der alliierten Militärmission bei der ungarischen Regierung in Budapest, Oberstleutnant Vix, die Entscheidung der Alliierten über das Gebiet der Slowakei mit. Der Außenminister der tschechoslowakischen Regierung, Edvard Beneš, hatte viel erreicht, nämlich eine ihren Absichten der Okkupation weitgehend entgegenkommende Demarkationslinie an Donau und Eipel. Der ehemalige k. u. k. Offizier sowie Ritter des Militär-Maria-Theresien-Ordens- František Schöbl (1868–1937), wurde bereits am 29.11.1918 zum Oberbefehlshaber aller Truppen in der Tschechoslowakei ernannt. Als die Legionäre aus Italien ankamen, erhielten die Truppen den italienischen General Giuseppe Piccione als Stabschef. Bereits am 29. 12.1918 wurde Košice (Kassa, Kaschau) besetzt, am 1.1.1919 folgte Bratislava (Pozsony, Pressburg). Am 20.1.1919 wurde die von Vix bezeichnete Demarkationslinie erreicht. Sie eröffnete jedoch am 27.4.1919 nach Reorganisation der Truppen unter Piccione und nunmehr nach Eintreffen der Legionäre aus Frankreich auch unter dem französischen General Hennocque eine neuerliche Offensive am 27.4.1919. Die Truppen der ungarischen Roten Armee antworteten mit einer Gegenoffensive ab 20.5.1919 und eroberten Miskolc am 21.5.1919 zurück. Mit der Rückeroberung von Prešov und von Bardiov (Bartfeld) wurde am 11. Juni der Höhepunkt der ungarischen Erfolge erreicht. Ein Ultimatum des Alliierten Rates vom 15. Juni 1919 wurde schließlich von der ungarischen Räteregierung angenommen und die tschechoslowakischen Truppen besetzten am 6.7.1919 die festgelegte Grenze im Osten. Die letzte militärische Handlung bestand in der kampflosen Einverleibung des Gebietes von Petržalka (dt. Engerau, ung. Pozsonyligetfalu) gegenüber von Bratislava am rechten Donauufer. Die Ortschaft wurde vom französischen Obstlt. Brau, dem Kommandanten des Pressburger Abschnittes, für die Tschechoslowakei am 14.8.1919 besetzt. Nach 1945 wurden übrigens auch südlich von Petržalka einige bis dahin ung. Ortschaften dem tschechoslowakischen Staatsgebiet zugesprochen bzw. der Stadt Bratislava eingemeindet.

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nationale ungarische Einheitsstreben erwies sich in dieser Zeit stärker als das Erkennen der kommunistischen Teufelei. Mit meinem Schwiegervater besprach ich ganz offen die schwierigen Verhältnisse in Österreich. Er billigte meine Absicht, eine Existenzmöglichkeit, sei es im Handel oder in irgendeiner anderen Form, unter die Füße zu bekommen, um dann heiraten und Judith zu mir nehmen zu können. Wie hoch das Ansehen eines Generalstabsoffiziers damals – trotz aller neidvollen schlechten Witze – war, konnte ich am Glauben meiner Schwiegereltern ermessen, die es als sicher annahmen, dass es mir schnell gelingen werde, eine Position zu finden, die mir die Familiengründung möglich machen werde. Ich musste damals sehr ernst auf die verzweifelte Ernährungslage, besonders in Wien, auf den Mangel einer eigenen Wohnung und die Unmöglichkeit der Gründung eines eigenen Hausstandes hinweisen. Ich versprach, mit meiner ganzen Energie alles zu tun, um die Hochzeit so rasch wie möglich halten zu können. Hiezu musste ich nun auch rasch nach Österreich zurück. Das sahen alle ein, und so fuhr ich nach einigen Tagen zurück nach Wien. Anlässlich dieser Reise erlebte ich einen schönen Beweis echter ungarischer Ritterlichkeit  : Bei der damals auf den Bahnhöfen herrschenden Unordnung war es mir in Nagyvárad nicht möglich gewesen, eine Fahrkarte zu lösen. So stieg ich ohne eine solche in den schon vollen Zug. Unterwegs kam ein höherer Bahnbeamter in Zivil, bloß mit einer Kokarde an der Brust gekennzeichnet, kontrollierte die Fahrkarten und ließ alle, die keine hatten, in der jeweils nächsten Station erbarmungslos aussteigen. Als er zu mir kam, erklärte ich ihm, warum ich ohne Karte sei und bat um die Ausstellung einer solchen ab Großwardein. Auf seine Befragung erwiderte ich, dass ich der letzte Generalstabschef der Budapester 10. Kavalleriedivision gewesen war, worauf er mir eine Freikarte bis zur Grenze ausstellte mit dem Beifügen, dass Ungarn mir damit danke. Meine Gegenfrage, ob er in dieser Division gedient habe, verneinte er und ging weiter. Diese noble Haltung ist mir in angenehmer Erinnerung geblieben. Wieder in Wien eingelangt, nahm ich jeden Abend am Kurs in der Handelsakademie teil und lernte zu bleibendem Nutzen kaufmännisches Rechnen, Buchhaltung, Wechsel-, Kredit- und Devisenbestimmungen sowie Versicherungswesen. Tagsüber korrepetierte488 ich den Lehrstoff des Abendkurses, sah mich aber auch viel wegen einer Verdienstmöglichkeit im privaten Leben um. Damit sah es übel aus  : Wo ich anklopfte, waren freie Stellen schon an Offiziere vergeben, die entweder selbst den Familien der Industrie und Kaufmannschaft entstammten oder in dieses Milieu geheiratet hatten. Meine lange Abwesenheit im Frieden in Bosnien und während des 488 Korrepetieren  : mit einem Kollegen oder Experten einen Text einüben oder wiederholen  ; heute nur noch bei Wiederholung oder Einübung von Gesangspartien verwendet.

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Krieges hatte mich in Wien ganz unbekannt gemacht. Auch alles Umsehen um eine eigene Wohnmöglichkeit schien völlig aussichtslos. Denn in Wien strömten nicht nur wir Österreicher, sondern deutsche Beamte und Offiziere aus allen Kronländern der alten Monarchie zusammen. Eine Stellungsmöglichkeit eröffnete sich ebenso glänzend, wie sie gleich wieder versank  : Durch Zufall begegnete ich dem jungen Artillerie-Reserveoffizier aus Prag, der bei der 6. Armee in Italien in der Gruppe des Gasbeschusses arbeitete, wohin ich auch meinen künftigen Schwager Georg gebracht hatte. Dieser junge und sehr sympathische, fein erzogene Hebräer schätzte mich sehr hoch und hatte schon in Vittorio einmal angeklopft, ob ich nicht seine Mutter und die einzige Schwester besuchen möchte, die mich aus seinen Erzählungen und Photos, die er ihnen gezeigt hatte, kannten und mich gerne persönlich kennenlernen würden. Seine Schwester sei ein sehr schönes, sehr gut erzogenes Mädchen. Er selbst war nach dem frühen Tod seines Vaters Erbe eines namhaften Vermögens und Großaktionär der Poldihütte, eines der größten Eisenfabriksunternehmen in der Tschechoslowakei. Auf seine Frage, was ich jetzt in Wien mache – er sei aus Geschäftsgründen hier –, erzählte ich ihm von meinem Lernen an der Handelsakademie und meinem Umsehen nach einer geeigneten Verdienstmöglichkeit. Darauf erwiderte er prompt, ich möge nicht in Wien suchen, sondern nach Prag kommen, wo er mich in der Poldihütte platzieren könne. Ich hatte schon in Vittorio empfunden, dass ich ihm als Mann für seine Schwester, an der er sehr hing, willkommen wäre, aber geglaubt, dass er durch Georg wisse, dass ich schon verlobt sei. Jetzt erzählte ich ihm, dass ich vor ein paar Tagen von meiner Braut gekommen sei, wo unsere seelische Verbindung sich noch mehr vertieft habe. Er wiederholte sehr taktvoll, dass er mich in der Poldihütte platzieren könnte, aber ich müsse nach Prag kommen  ; bei der sehr reduzierten Werkvertretung in Wien könne ich nur eine geringe Position haben. Ich gab meiner Freude über unsere Begegnung Ausdruck, und wir verabschiedeten uns in gegenseitiger Hochachtung. Ich bin ihm im Leben nicht mehr begegnet. Ein Lichtpunkt in dieser schweren Zeit war das hochanständige Verhalten der österreichischen Regierung, die sich bereit erklärte, allen Offizieren und Beamten so lange das entsprechende Gehalt zu zahlen, bis sie sich eine neue Existenz geschaffen hätten. Damit war wenigstens der gefürchtete Zeitdruck gemildert.489 Als ich Ende Januar wieder einmal im Staatsamt für Heerwesen vorsprach, fragte der dort beschäftigte Hptm. v. Hubicki, ob ich nicht nach Salzburg gehen könnte. Aus devisentechnischen Gründen errichte das Finanzministerium dort unter Hofrat Graf Künigl eine Briefzensurstelle und verlange einen Generalstabsoffizier als dessen Stell489 Siehe  : Wolfgang Doppelbauer, Das altösterreichische Offizierskorps am Beginn der Republik (= Militärgeschichtliche Dissertationen österreichischer Universitäten, Band 9), Wien 1988.

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vertreter. Sofort sagte ich zu. Wien in seinem trostlosen Nachkriegszustand, an das mich außer meinem Bruder nichts band, machte mir den Abgang in die Provinz leicht. Hubicki sagte, dass mich das Staatsamt für Heerwesen weiter evident halten würde. Der Abschied von Heinrichs Familie war rasch geschehen. Mit einem Nachtzug traf ich bereits am 2. Februar in Salzburg ein. Salzburg 1919–1920 Damals kannte ich die Stadt nur von einem kurzen Besuch im Jahr 1902, den ich beim pensionierten, sehr wohlhabenden Obersten Kieslinger und seiner Familie kurz nach meiner Ausmusterung aus der Kadettenschule gemacht hatte. Ihre Schönheit war mir jedoch in guter Erinnerung geblieben. Als ich am frostklaren Wintermorgen mit meinem kleinen Köfferchen in der Hand auf den Bahnhofsvorplatz trat, von wo ich den schneebedeckten, von der Sonne leuchtend bestrahlten Untersberg erblickte, war ich glücklich, weil ich deutlich empfand, dass Judith sich hier wohlfühlen werde. Während ich überlegte, wie ich am besten und billigsten von dem ziemlich weit außerhalb liegenden Bahnhof in die Stadt kommen könnte, blieben meine Augen an einem handgeschriebenen Zettel haften, der an einer Telegraphensäule aufgeklebt war. Darauf stand, dass in Maxglan, Ganshofgasse 13a, eine Dreizimmerwohnung zu mieten wäre. Blitzartig erkannte ich die Gelegenheit, die man sofort nützen musste. Ich sprang in den nächsten Einspänner und gab ihm die gelesene Adresse als Fahrziel. Nach längerer Fahrt durch die Stadt und den Mönchsbergtunnel hielt der Wagen vor einem netten, zwischen Gärten gelegenen, anscheinend neu gebauten Landhaus. Ich trat ein und fand im Parterre zwei Damen über die Vermietung der leeren Wohnung sprechen  ; ich stellte mich als Major vor. Als ich hörte, dass die jüngere, an der Wohnung interessierte Dame sich unsicher zeigte und Bedenkzeit wünschte, erklärte ich, dass mir die Wohnung gefiele, ich sie prompt mieten und gleich einen Dreimonatszins im Voraus erlegen wolle. Die Hausfrau war einverstanden. Ihrerseits stellte sie sich als Gattin eines älteren Regimentsarztes vor, der jetzt eine Zahnarztpraxis führte. Gleich stieg ich mit ihr in den ersten Stock, stellte mich ihm ebenfalls vor und unterschrieb den Mietvertrag, nachdem auch er einverstanden war und mir einen kleinen Teil des Gartens zum Gemüseanbau zusicherte. Gegenüber meiner neuen Wohnung lag der „Ganshof “, in dem ich abstieg und in der Folge von der Gastwirtin mit Abendessen gut versorgt wurde. Die gemietete Wohnung blieb zunächst leer in meinem Besitz. Das war ein glücklicher Anfang. So rasch zu einer Dreizimmerwohnung mit Küche, Keller- und Dachbodenabteil zu kommen, in freier, schöner Lage mit Aussicht auf den Untersberg, war kaum zu erwarten. Diese frohe Kunde schrieb ich natürlich sofort an

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Judith und Heinrich und bat beide, die uns oder mir gehörigen Sachen gleich herzusenden. Heinrich entsprach meiner Bitte umgehend, und so konnte ich die Wohnung wenigstens mit der Sattelkiste und ein paar Koffern effektiv belegen, was angesichts der allgemeinen Wohnungsnot von Bedeutung war. Dann meldete ich beim Platzkommando mein Eintreffen in Salzburg, wo ich erfuhr, dass die Zensurstelle am Bahnhofspostamt amtiere. Dort stellte ich mich bald vor. Hofrat Graf Künigl war in der Bukowina Bezirkshauptmann gewesen und hatte die Zensurstelle ebenso als Verlegenheitsposten erhalten wie ich und sechs bis acht andere Offiziere unsere Einteilung als Zensoren. Unsere Aufgabe bestand in der Prüfung aller über Salzburg aus dem Ausland kommenden und in dieses abgehenden Post auf Devisensendungen, die zu beschlagnahmen waren. Das beschäftigte uns täglich von 8h morgens bis Mittag. Mehr war nicht zu tun. Als sein Stellvertreter kam ich mit Graf Künigl bald in ein gutes Verhältnis. Er war in Salzburg allein. Seine Familie hatte er auf das kleine Stammschloss der Künigls ins Tirol gesandt, wo sie beim Majoratsherrn ein bitteres Gnadenbrot bekam. Künigl war ein kränklicher Mann, an die 60 Jahre alt und bedrückend pessimistisch  ; er konnte nicht begreifen, dass ich in dieser turbulenten Elendszeit den Mut zu einer Heirat besaß. Einen dürftigen, jedoch bezahlbaren Mittagstisch fand ich in der Kaserne in der Paris-Lodron-Straße, wo sich die Offiziere des heimischen Inf. Rgt. Nr. 59 in ihrer alten Offiziersmesse ein Kasino geschaffen hatten. Ich wurde dort nett aufgenommen. Das war für mich nicht nur wegen des Mittagessens, sondern auch zur Orientierung über die personellen und städtischen Verhältnisse von Bedeutung. Dort erfuhr ich die Adresse von Obstlt. Sigismund v. Schilhawsky, der mit einer Baumeisterstochter verheiratet am Bürgelstein wohnte, und jene des hochverehrten Obst. v. Salis-Samaden, der schon in einer Buchhandlung untergekommen war. Als alten Kameraden aus der Sarajevoer Friedenszeit fand ich auch Obstlt. Viktor Neugebauer mit seiner schönen blonden Frau. Er entstammte der großen akademischen Buchhandlung in Prag, die er zusammen mit seinem buchhändlerischen Bruder nach Salzburg verlegt hatte  ; bald darauf kaufte und betrieb er auch ein Spielwarengeschäft. Der bedeutsamste für mich war Obstlt. d. Geniestabes Weingartner490, mit dem ich bei der 6. Armee in Italien Freundschaft geschlossen hatte. Baron Mayr-Meln490 Edgar Weingartner (Beszterce, Ungarn, 8.12.1875–  ?), 18.8.1893 ausgemustert aus der Pionierkadet­ ten­schule, 1899–1901 Frequentant des Höheren Geniekurses, 1.11.1905 Hptm.i.Geniestab, 1.9.1907 Techn. Referent bei der Militärabt. des XIV. Korps (Innsbruck), führende Mitarbeit an der Errich­ tung der Forts und der Sperren in Südtirol, besonders des Forts Gschwent, im Weltkrieg Leiter von Technischen Gruppen bei Korpskden und Armeen, 1.11.1913 Mjr. im Geniestab, 1.11.1915 Obstlt. i.Geniestab, 1919 pensioniert.

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hof 491 war Besitzer des Untersberger Marmorsteinbruchs und bereit, einen kleinen Zweigbetrieb abzustoßen. Weingartner wollte diesen kaufen und eine Steinmetzerei betreiben  ; er lud mich ein, mit ihm zusammenzuarbeiten. Ich besaß rund 25.000,– Kronen und stellte sofort 10.000,– zur Verfügung. Für die Betriebskonzession musste jedoch der Meisterbrief fürs Bau-, Brunnen- und Steinmetzgewerbe nachgewiesen werden. Für Weingartner als technischem Offizier war das leicht  ; für mich freilich der Anlass, sogleich in die Staatsgewerbeschule zu gehen. Dort fand ich im alten Regierungsrat Dvorzak einen reizenden, hilfsbereiten Mann, der mich sofort in den dritten Jahrgang seiner Schule einschrieb, sodass ich nach eineinhalb Jahren das Gewerberecht gewinnen konnte. Mit dem Schulbesuch hatte es wegen meiner Tätigkeit in der Zensurstelle seine Schwierigkeiten. Aber soweit ich Zeit hatte, war ich an den Nachmittagen in der Schule. Die Abende verbrachte ich im Ganshof. Von dort schrieb ich wieder täglich einen Brief an Judith, die ich über alles Geschehen eingehend orientierte. Maxglan war damals noch nicht der heutige große Vorort Salzburgs, sondern eine kleine Siedlung mit weiten Gartenflächen zwischen den Häusern. Sie galt als Arbeitersiedlung. Bei den einfachen Leuten fand ich überall mehr tätige Hilfsbereitschaft als im Innern der Stadt. Die Ganshof-Wirtin kaufte für mich im Schleichhandel Butter, die sie zu Butterschmalz umformte, und Mehl als Grundlage eines eigenen Haushaltes. Der Bäcker überließ mir Holz von seinen Vorräten  ; in dem Gemischtwarenladen konnte ich Seife und Waschmittel, aber auch etwas Öl, Konserven und gedörrtes Obst kaufen. Nur mit der Absendung von Judiths Aussteuer, die ich erbeten hatte, um die Wohnung so einzurichten, dass Judith gleich in ein fertiges Heim gekommen wäre, klappte es nicht. Da hatte der Schwiegervater – entgegen unseren letzten Besprechungen in Nagyvárad – immer neue Gründe, um die von der Schwiegermutter gewollte Sendung zu verzögern. Das war das erste Mal, dass Judith mir gekränkt antwortete, als ich sie bat, sich für die Absendung bei ihrem Vater nachdrücklicher einzusetzen. Ich ließ darauf dieses Thema in meinen Briefen fallen, obwohl nach und nach immer stärkere Begehrlichkeiten auf die leer stehende Wohnung abzuwehren waren. Da ich für die Eheschließung ein Ehefähigkeitszeugnis benötigte, so erbat ich beim Pfarrer in Maxglan schon Ende Februar unser Eheaufgebot von der Kanzel verkündigen zu lassen. Weiters hatte ich auch einen Reisepass besorgt. Denn, eingedenk der Bitten, Judith so bald wie möglich nach Österreich zu bringen, plante ich die Hochzeit für Mitte Mai. 491 Friedrich Frh. Mayr v. Melnhof (Himberg, NÖ, 7.7.1892–7.3.1956, Marbella, Spanien), Sohn eines Inhabers hoher Hofämter, baute den Familienbesitz aus, sodass heute deren Waldfläche in Österreich der größte überhaupt noch vor dem der Bundesforste ist.

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Da kam Anfang April plötzlich ein dringendes Telegramm meines Schwiegervaters, ich möge sofort heiraten kommen, da in Nagyvárad der Einmarsch der Rumänen und die Besetzung des von ihnen beanspruchten Gebietes bevorständen. Der Urlaub war mir von Graf Künigl bewilligt  ; ich fuhr los. So sehr ich mich auf die Vereinigung mit Judith freute, so sehr bedrückte mich die leere Wohnung. Denn das hieß im Hotel Wohnung nehmen, was angesichts meiner infolge der Teuerung rasch zusammenschmelzenden Geldreserven sehr bedenklich wurde. Was war doch mein Schwiegervater für ein inkonsequenter, schwerfälliger Mann, dass er Judiths Heiratsgut nicht abgewandt hatte  ! Ich selbst war körperlich in keiner guten Verfassung. Nervlich durch den Zusammenbruch der Monarchie und die ungewisse Zukunft stark beansprucht, hatte mich die völlig unzureichende Ernährung um 20 kg abmagern lassen. Und ich sorgte mich, wie die in Ungarn doch viel besser versorgte junge Frau die österreichische Not ertragen werde. Die Reise verlief glatt. In der doch kurzen Zeit seit Kriegsende war in Österreich und Ungarn viel für das Eisenbahnwesen geschehen. Judith und ihre Mutter fand ich etwas verlegen wegen Vaters Telegramm. Sie fürchteten, ich könnte es einmal benützen, um zu sagen, dass ich zum Heiraten sozusagen befohlen worden sei. Ich konnte beide Frauen bald beruhigen, hatten wir doch die Hochzeit für Mitte Mai geplant  ; also handelte es sich bloß um eine Vorverschiebung von eineinhalb Monaten. Ich bat nur meine Schwiegermutter innig, Judiths Sachen so rasch wie möglich nach Salzburg zu senden, was diese mir auch fest versprach. Die allgemeine Stimmung in Nagyvárad war wesentlich schlechter als vor fünf Monaten. Die Terrorherrschaft der Kommunisten hatte den guten Ungarn die Augen über deren Wesen geöffnet, sodass der bevorstehende Einmarsch der nicht kommunistischen Rumänen (ursprünglich mehr als der Kommunismus gefürchtet) trotz des nationalen Schmerzes viel ruhiger erwartet wurde.492 492 Manfred Huber, Grundzüge der Geschichte Rumäniens, Darmstadt 1973, S.108 f. Am 12.10.1918 fasste die Führung der Rumänischen Nationalpartei in Oradea Mare [Großwardein/Nagyvárad, damals Ungarn] eine Resolution, die unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Rumänen die Verbindlichkeit der Budapester Parlamentsbeschlüsse und Regierungsentscheidungen für den rumänischen Bevölkerungsanteil leugnete. Das ungarische Angebot, Siebenbürgen Autonomie zu verleihen, bei völliger Gleichstellung der Nationalitäten, kam zu spät und konnte die Entwicklung zur Vereinigung mit Rumänien nicht mehr aufhalten. Am 1.12.1918 legte eine Delegiertenversammlung für den Zusammenschluss mit Rumänien fest  : allgemeines, gleiches, direktes und geheimes Wahlrecht, Presse-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, radikale Agrarreform, nationale und religiöse Freiheit für alle mit Verwendung der Muttersprache in Erziehung, Verwaltung und Rechtswesen. Die Versammlung berief ein Consiliul dirigent mit Juliu Maniu als Vorsitzenden und Alexandru Vaida-Voevod als Außenminister [beide Politiker waren Abgeordnete zum Ungarischen Reichstag gewesen und hatten übrigens auch zum Beraterkreis von Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este gehört]. Bei der

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Die Hochzeit wurde gleich für den folgenden Tag, den 8. April, in der calvinischen Kirche für den späten Vormittag festgesetzt. Aus Angst vor kirchenfeindlichen kommunistischen Störungen begaben wir uns vom Standesamt einzeln auf verschiedenen Wegen in die Kirche. Ich war in meinem Leutnantszivil sehr bescheiden gekleidet, Judith ebenfalls in einem abgetragenen Kostüm, der Schwiegervater in einem ledernen Jagdanzug und meine Schwiegermutter im einfachen Schwarz, das sie seit dem Tod ihrer Mutter nie mehr abgelegt hatte. Als Trauzeugen fungierten der von Debrecen gekommene Onkel Ádám und ein Herr Dénes. Der in bischöflichem Rang stehende Pfarrer hielt eine sehr schöne, ergreifende Ansprache, nach der Judith laut und deutlich ihr Ja sagte, ebenso ich. Der Pfarrer hatte auf die ungewisse Zukunft hingewiesen, der wir entgegengingen, und betont, dass auch die schwerste Not uns nicht trennen dürfe. Als Vermählungsringe hatten wir unsere Verlobungsringe gewählt, weil Judith immer als den wichtigsten Tag unserer Verbindung den 10. Februar 1918 ansah, den Tag ihres erstmaligen Ja. Die Kirche verließen alle wieder einzeln, nur meine Frau ging mit mir gemeinsam. Nach einem guten Mittagessen in der Wohnung meiner Schwiegereltern fuhren wir mit dem Nachmittags-Schnellzug nach Budapest, wohin uns zu begleiten mein Schwiegervater sich nicht nehmen ließ. Im Hotel Hungaria fand sich eine Menge Bekannter zusammen, die uns alles eher als erwünscht waren. Wir mussten aber in Budapest Halt machen, um von der ungarisch-kommunistischen Behörde die Ausfuhrgenehmigung für Judiths Handgepäck und einen Reisekoffer mit Judiths Kleidern Schuhen und einem bescheidenen Vorrat an Leibwäsche zu erhalten, den die Schwiegermutter nachsenden wollte. Beschwingt vom ersten Beisammensein mit meiner geliebten Frau, bekam ich beide notwendigen Genehmigungen so flott, dass wir bald Neubildung der Regierung unter Ionel I. Brătianu (14.12.1918) fanden schon drei Repräsentanten Siebenbürgens Aufnahme ins Kabinett. Während der Pariser Friedenskonferenz stellte sich der rumänische Delegationsleiter Brătianu ganz auf die Basis des Vertrages von 1916, in dem die Entente-Mächte mit der Theiß-Linie Rumänien maximale Zugeständnisse auf Kosten Ungarns gemacht hatten. Die Pariser Grenzkommission lehnte eine Erfüllung dieses weder historisch noch ethnographisch zu rechtfertigenden Vertrages ab und Rumänien musste sich an seiner Westgrenze mit bescheidenen Gewinnen begnügen (Arad, Oradea Mare, Satu Mare/Szatmár/Sathmar). Die Grenzziehung mit Serbien im Banat gestaltete sich wegen der extrem gemischten Bevölkerung besonders schwierig und führte zu ernsthaften Spannungen zwischen der rumänischen Delegation und den anderen Konferenzmächten. Durch den Sturz der Regierung Károlyi (4.3.1919) und die Errichtung der Räterepublik Béla Kuns in Ungarn sah die Regierung in Bukarest die Stabilisierung der neuen Westgrenze gefährdet. Die rumänischen Truppen drängten daher die ungarische Armee an die Theiß-Linie zurück. Nach dem Fehlschlagen des Gegenangriffs der ungarischen Armee über die Theiß hinweg schlug Rumänien zurück, bereitete den von allen Seiten angegriffenen Ungarn ein Desaster und marschierte auf Budapest. Die Krise konnte erst beigelegt werden, als Rumänien am 9 .12.1919 eine Minoritätenkonvention unterzeichnete.

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nach Wien weiterreisen konnten. Der Abschied vom geliebten Vater fiel meiner Frau sehr schwer. Im überfüllten Eisenbahnabteil konnten wir nicht allzu viel miteinander sprechen. Umso überraschender und beglückender war der Jubelschrei meiner lieben Frau, den sie nach Betreten des Wiener Bodens, mir um den Hals fallend, ausstieß. Damit hatte sie sich aus freiem Willen als Österreicherin bekannt und ist diesem Entschluss stets in herzerhebender Weise treu geblieben. Wir stiegen in meinem alten Hotel Elisabeth in der Weihburggasse ab, wo es gegen sehr hohe Preise schon gutes Essen gab. Wie glücklich waren wir, uns nun unbeobachtet allein zu gehören  ! Wir machten kurze Besuche bei meinem Bruder Heinrich und bei Judiths Großmutter und Halbtante Leona. Dann fuhren wir weiter nach Salzburg. Leider herrschte bei unserer Ankunft ein so dichter Nebel, dass man von den Herrlichkeiten der Stadt und ihrer Umgebung nichts sehen konnte. Meine arme kleine Frau, die Berge in strahlender Sonne erwartet hatte, war darüber tief enttäuscht, und ich erfuhr zum ersten Mal, wie nahe bei diesem sensiblen Menschen das himmelhohe Jauchzen dem Zu-Tode-betrübt-Sein lag. Da ich ihr den einfachen Ganshof in Maxglan nicht sofort zumuten wollte, nahm ich in dem an der Staatsbrücke gelegenen Hotel Stein ein schönes Zimmer. Mit der bald durchbrechenden Sonne und der Sicht in die herrliche Bergwelt fand sich auch das strahlende Glück in ihren schönen großen Augen wieder. Sozusagen als Flitterwoche hatte ich uns acht Tage im Hotel, in dem wir auch Frühstück, Mittag- und Abendessen nahmen, zugestanden. Denn das teure Hotel zehrte stark an meinen Geldreserven, trotz der tausend Kronen, die mir Onkel Ádám als Hochzeitsgabe zugesteckt hatte. Ich durfte mich nicht ganz verausgaben. Judiths Möbel waren nicht gekommen, also musste ich für die provisorische Möblierung der Wohnung sorgen, und das kostete wieder Geld. Judith, mit der ich unsere Lage durchsprach, war umso mehr mit dem Plan, in unsere Wohnung zu ziehen, einverstanden, als ihr die hübsche freie Lage der Villa mit dem Ausblick auf den Untersberg sehr gefiel. Da die Wohnung kein Badezimmer besaß, hatte ich schon früher bei einem Tischler einen so großen, weiß lackierten Waschtisch bestellt, dass man unter diesen eine Badewanne schieben konnte. Das Waschgeschirr und einen Paravent hatte ich ebenso besorgt wie einen riesigen Pfeiftopf für den mit Holz zu heizenden Herd in der Küche. Gas war leider nicht installiert. Das Baden war somit für eine verwöhnte junge Dame etwas beschwerlich, doch besser als nichts. Die von Staatssekretär Deutsch sinnlos als „Sachdemobilisierung“ betriebene Verschleuderung militärischen Gutes ermöglichte es mir, drei Offiziersbetten, komplett mit Rosshaarmatratzen, Kissen, Decken und einem Dutzend Leintücher, um ein Spottgeld zu kaufen  ; zwei Betten waren für Judith und mich bestimmt, das dritte für das Dienstmädchen. Aus einer militärischen Kriegsbaracke konnte ich, auch sehr bil-

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lig, einen großen Tisch kaufen, den ich in Salzburg als unseren Schreibtisch adaptierte und der uns später in St. Pölten durch 12 Jahre als Speisetisch diente. Ein kleinerer Tisch wurde ins Schlafzimmer für Judiths Toilettesachen gestellt. Dann kaufte ich noch einen Liegediwan, weil man so ein Möbel immer brauchen konnte, und eine komplette Ausstattung Küchengeschirr. Für die Küche arbeitete mir der Tischler einen korrekten Küchentisch und einen Schubladenschrank, die uns nicht nur nach St. Pölten, sondern mich zuletzt auch über Wien nach Erfurt begleiteten. Um andere Möbel zu kaufen, fehlte mir einerseits das Geld, anderseits hätte es keinen Sinn gehabt, kostbare Möbel zu beschaffen, die man dann, sobald Judiths Aussteuer kommen würde, abstoßen müsste. So kamen wir auf den Gedanken, bei Trödlern, deren es in Salzburg viele gab, einen ovalen Tisch mit geschnitzten Sesseln und einen alten aufklappbaren Schrank als Kredenz in das schöne sonnige Wohnzimmer zu stellen. Das zwischen dem Schlaf- und Wohnzimmer gelegene einfenstrige Kabinett richteten wir in der Form als Garderobe ein, dass wir an die Wände Kleiderträger anschlugen und die Koffer wie Truhen benützten. Dazu sandte mir mein guter Bruder noch alle jene Kleinigkeiten, die er nach dem Ableben unseres Vaters aus Pietät behalten hatte, er aber in seinem Haushalt nicht benötigte. Dieserart bekam unsere Wohnung ein bescheidenes, aber sehr nettes und heimeliges Ansehen, wie unsere Gäste staunend betonten. Darin lebten wir glücklich und zufrieden. Wie wenig äußere Habe braucht man, wenn in zwei Herzen reine Liebe glüht  ! Sorglos durchwanderten wir die herrliche Umgebung, machten auch weitere Touren über St. Gilgen, Mondsee, Ischl oder Attersee. Wenn unsere besorgte Hausfrau uns ab und zu aufforderte, die Wohnung doch besser und auch die Fenster zu schließen, wenn wir ausgingen, antworteten wir lachend, dass uns niemand etwas wegtragen, höchstens etwas bringen könne. Nicht lange und meine liebe Frau vertraute mir ihr süßes Geheimnis an. Ich hatte keinerlei Ahnung von Gynäkologie  ; dazu stellte sich heraus, dass Judiths Mama ihr ebenfalls nichts übers Kinderkriegen erzählt hatte. Da ich nichts versäumen wollte, was etwa vorsehend zu tun wäre, gingen wir zum guten Maxglaner Arzt Dr. Pöchl. Lächelnd erklärte er uns, dass Judith ganz normal leben und viel Bewegung machen solle. Dann, als er sie länger angesehen und von ihrer schweren Grippeerkrankung im vergangenen Spätherbst gehört hatte, stellte er doch eine gewisse Blutarmut fest und verschrieb ihr zu dauerndem Genuss Eisenwein und täglich einen halben Liter frischer Milch. Den Eisenwein bekamen wir in der Apotheke  ; bezüglich der Milch wies er mich auf den Direktor der Stieglbrauerei hin, welche eine prachtvolle Landwirtschaft mit mehreren schönen Meierhöfen besaß. Auf Direktor Keiner verwiesen begreiflicherweise viele Salzburger Ärzte ihre Patienten, deren es bei der latenten Hungersnot mehr gab als verfügbare Milch. Daher wurden wir zunächst abgewiesen, aber nach vie-

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len Bitten wenigstens für den Zeitpunkt vorgemerkt, da die eine oder andere berücksichtigte Person ausfallen würde. Das ergab sich etwa nach Monatsfrist, sodass Judith ab Mitte Juni täglich ihren halben Liter bester Alpenmilch konsumieren konnte. Ihr tat dies so gut, dass die sehr knappe sonstige Ernährung ausgeglichen schien. Damals gab es noch keinerlei Krankenkassenvorsorge, und ich war doppelt froh, noch eine Geldreserve zu besitzen. Da die Krone aber immer mehr an Kurswert verlor, plagte mich die Sorge, ob wir bis zu der für Ende Januar nächsten Jahres zu erwartenden Niederkunft wertmäßig noch genügend Geld haben würden. Der prächtige Maxglaner Arzt riet mir klug, mit dem Direktor des Landeskrankenhauses zu sprechen. So suchten wir Prof. Dr. Lumpe auf, einen liebenswürdigen alten Herrn, der auch Gynäkologe war. Zuerst wollte er gar nicht an Judiths Schwangerschaft glauben, weil sie schlank aussah. Als er sie dann aber untersucht und die Niederkunft für Anfang Februar prognostiziert hatte, nahm er uns für diesen Zeitpunkt in Vormerkung und gestattete mir obendrein, die Kosten des Klinikaufenthaltes gleich im Voraus zu erlegen. Mir fiel ein Stein vom Herzen  : Nun war gesundheitlich und materiell bestens vorgesorgt. Ich machte meinen leichten Dienst in der Zensurstelle und war an den zwei wöchentlichen Unterrichtsnachmittagen an der Staatsgewerbeschule. Die Buben lachten gutmütig, wenn ihr Kollege von „seiner Frau“ abgeholt wurde. Die Professoren und der Direktor der Anstalt waren von entzückender Herzlichkeit zu Judith, wie ihr überhaupt in Salzburg jedermann mit herzlicher Sympathie begegnete. Deshalb fühlte sie sich in der schlichten Lebensform der Salzburger bald heimisch. Den republikanisch-demokratischen Spielregeln Rechnung tragend, hatten sich in Wien alle Offiziere in einen Offiziersverband zusammengeschlossen, der auch die Länder Österreichs durch Zweigstellen erfasste. Dieser infolge seiner zahlenmäßigen Stärke als Wähler für die politischen Parteien nicht gering zu achtende Verband setzte durch, dass die Offiziere im Wesen nicht schlechter behandelt wurden als die Beamten.493 Zwar kümmerte ich mich wenig oder gar nicht um Politik, doch teilte ich die allgemeine Auffassung, dass die damals noch für sehr arm gehaltenen österreichischen Alpenländer mit dem „Wasserkopf Wien“ als Staat nicht lebensfähig seien, sie daher den Anschluss an ein größeres Wirtschaftsgebiet suchen müssten. Schon der Sprache wegen schien Deutschland am natürlichsten. Nur, Deutschland zeigte damals für ei493 Jansa dürfte den „Nationalverband deutschösterreichischer Offiziere“ (NdöO) gemeint haben, der sich im März 1920 konstituierte. Seit 1922 hieß dieser Verein „Nationalverband Deutscher Offiziere, Landesverband Österreich“ (NDO). Er stand von 1920 bis 1938 unter der Leitung von Alfred Krauss. Er wurde während der Verbotszeit der NSDAP überwacht. 1945 wurde festgestellt, dass bei der Überwachung kein Anlass gefunden worden sei, gegen ihn einzuschreiten  : Siehe  : Willi Drofenik, General Alfred Krauss. Eine Biographie, Wien 1967, S. 268–325.

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nen Anschluss keinerlei Interesse  ; man hoffte, ohne Österreich einen besseren Frieden zu erhalten. Die dann folgenden Friedensschlüsse von Versailles494 für Deutschland, Saint-Germain495 für Österreich und Trianon496 für Ungarn mit ihren auch beim besten Willen unerfüllbaren Bedingungen, ließen eine Erholung der geschlagenen und ausgehungerten Länder eigentlich bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht zu. Im Herbst 1919 wurde die Zensurstelle Salzburg aufgelöst. Man wies mich der Heimkehrer-Zerstreuungsstation zu. Das war wieder so eine Verlegenheitsverwendung, die eigentlich nur bestand, um der Auszahlung des durch die Geldentwertung immer kärglicher werdenden Monatsgehaltes einen Namen zu geben. Italien begann nämlich damals, die vielen beim Zusammenbruch der Monarchie gemachten ö.-u. Kriegsgefangenen heimzusenden. Wir sollten abwechselnd in Innsbruck die über den Brenner kommenden Transportzüge übernehmen, die Heimkehrer nach ihrer Länderzugehörigkeit teilen und in ihre Heimat geleiten. Tatsächlich aber wurden die Transporte schon in Italien so richtig zusammengestellt und mit Begleitärzten versehen, dass für uns praktisch nichts zu tun übrig blieb. An mich kam so eine Abholungstour von November auf Dezember 1919. So musste meine liebe Frau erstmals etwas über einen Monat allein bleiben. Sie war aber bis dahin in Salzburg schon so gut eingeführt, dass ich ohne Sorge reisen konnte. 494 Der Vertrag von Versailles wurde am 28. Juni 1919 von Reichsaußenminister Hermann Müller und Reichsverkehrsminister Johannes Bell unterzeichnet. Er enthielt den „Kriegsschuldartikel“ unter den 440 Artikeln, Bestimmungen über Wiedergutmachung und über Gebietsabtretungen mit 7,325.000 Einwohnern, wirtschaftliche Bestimmungen, Verbot eines Anschlusses der Republik Österreich. In militärischer Hinsicht wurde eine entmilitarisierte Zone auf dem linken Rheinufer geschaffen  : Das Reichsheer war auf 100.000 Mann zu beschränken, die allgemeine Wehrpflicht abzuschaffen, alle militärischen Schulen waren ebenso wie der Generalstab abzuschaffen bzw. aufzulösen. Bis auf wenige Einheiten sollte die gesamte deutsche Kriegsflotte aufgelöst werden. 495 Am 2. Juni 1919 wurde der Entwurf eines Friedensvertrages für Österreich in Saint-Germain übergeben, am 20.7.1919, den endgültigen Text. Nach Annahme durch das öst. Parlament wurde er von Karl Renner am 10.9.1919 unterzeichnet. In seiner Delegation war als militärischer Experte Obstlt.i.G. Karl Schneller gewesen. Der Vertrag enthielt wirtschaftliche, finanzielle, territoriale und militärische Bedingungen. Die militärischen Bedingungen waren unter anderem  : Verbot der allgemeinen Wehrpflicht, Festsetzung der Dienstzeit  ; Verbot aller Vorbereitungen für einen Mobilmachung, der Erzeugung und Verwendung von Flugzeugen und gepanzerten Fahrzeugen  ; … von Luftstreitkräften, … der Einfuhr von Waffen etc., … eines Generalstabes sowie Auflösung von Militärschulen mit Ausnahme einer Offiziersschule. Das Bundesheer durfte aus 1.500 Offizieren, 2.000 Unteroffizieren und 26.500 Wehrmännern bestehen. Von zwei zur Auswahl stehenden Organisationsformen wurde die Gliederung in 6 gemischte Brigaden und ein selbstständiges Artillerieregiment gewählt. 496 Zur späten Unterzeichnung des Vertrages von Trianon mit Ungarn am 4.4.1920 trugen die ungarische Revolution sowie schwere Differenzen zwischen Rumänien und Jugoslawien bei. Den Ungarn wurden Ordnungstruppen in der Höhe von 35.000 Mann zugestanden, ansonsten gab es in militärischer Hinsicht ähnliche Bestimmungen wie für Österreich.

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Um diese Zeit begann auch die Post nach Nagyvárad zu funktionieren. Wir erfuhren, dass die Rumänen aus Sorge vor Aufständen meinen Schwiegervater und andere Offiziere in eine milde Haft genommen hatten, dass er nun wieder frei sei und sie, nachdem die Rumänen in dem von ihnen besetzten ungarischen Gebiet den Kommunismus liquidiert hatten, leidliche Lebensmöglichkeiten hätten. Wir erfuhren weiter, dass sich, gefördert durch die bisher feindlich gewesenen Mächte, unter Admiral Horthy in Szeged497 eine kleine ungarische Armee bilde, um in dem durch den Friedensvertrag klein gewordenen Kern-Ungarn den Kommunismus niederzuschlagen. Ja, die Schwiegermutter hatte sogar einmal gewagt, mit dem Pächter nach Aba puszta zu schauen, wo jedoch der Kommunismus ein Verweilen unmöglich machte. Aber die Gebäude stünden noch unversehrt. Meine Reise nach Innsbruck war für uns vorteilhaft, weil ich dort höhere Reisegebühren und täglich eine Fleischkonserve als Zubuße bekam. Ich wohnte mit anderen Kameraden in einer Baracke im Lager Pradl. Bei Spaziergängen konnte ich die Verhältnisse in Innsbruck beobachten, das damals, wie ganz Tirol, von der italienischen Armee besetzt war. Zur Ehre der Italiener muss ich sagen, dass sie sich sehr korrekt und anständig benahmen. Ja, die Fürsorge der Italiener für die hungernde Bevölkerung war Achtung gebietend  : Es gab in Innsbruck Öl, Wurst, Käse und Orangen aus italienischen Beständen zu kaufen, weswegen ich natürlich manches Postpaket an Judith und auch an Heinrich sandte. Weniger imponierend war das Benehmen der Innsbrucker weiblichen Bevölkerung, die sich den Italienern so sehr anbiederte, dass die Einheimischen ihren Mädeln – wiederholt wahrnehmbar – zur Strafe die Zöpfe abschnitten, was damals viel bedeutete, da die Bubikopf-Frisuren erst nach dem Krieg aufkamen. Ich glaube, dass diese kurze Frauen-Haartracht von Russland nach dem Westen kam. Es bedeutete für unseren kleinen Haushalt viel, als ich von Innsbruck mit einem vollen Rucksack Fleischkonserven und sogar etwas Schokolade nach Salzburg kam. Das erste Weihnachtsfest feierten wir stillvergnügt allein. An Geschenken gab es nur praktische Dinge für das bevorstehende große Ereignis  : eine kleine hölzerne Badewanne  ; einen großen Korb, der auf ein Wiegegestell montiert werden konnte  ; kleine Hemdchen und sonstige Kinderausstattungssachen, teils geschenkt, gekauft oder von Judith 497 Szeged ist heute die viertgrößte Stadt Ungarns. Sie liegt im Komitat Csongrád, beiderseits der Tisza (Theiß), etwas unterhalb der Einmündung der Maros, nahe der serbischen Grenze. Szeged war seit 1246 königliche Freistadt. Die Stadt fiel 1543 in die Hände des Sultans Süleyman II. und kam erst 1686 wieder zum Reich der ungarischen Könige, nunmehr der Habsburger. Im Juli 1849 tagte hier der Reichstag der Revolutionsregierung, 1879 gab es eine furchtbare Überschwemmungskatastrophe. 1919 wurde unter Horthy eine Gegenregierung in Szeged organisiert, ebenso wie in Wien eine unter Graf István Bethlen.

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selbst mit der Hand genäht. Auch mein Bruder erwies sich sehr großzügig, indem er uns alles, was bei seinem nun schon 6 Jahre alten Töchterchen entbehrlich war, überließ. Ende Jänner hatte ich noch einen Maxglaner Einspänner zum Bereitschaftsdienst verpflichtet. Am 2. Februar nach dem Nachtmahl meinte Judith, sie verspüre ziehende Schmerzen im Rücken. Ich holte sogleich den Einspänner, mit dem wir nun rasch in das Landeskrankenhaus fuhren. In einem Koffer hatte Judith für den erwarteten Sprössling alles Nötige bereitgelegt und war gleich mir der Meinung, dass ich in ihrer schweren Stunde bei ihr bleiben dürfe. Darum war ich schwer enttäuscht, als die Hebamme mir die Tür vor der Nase zuschlug. Der diensthabende Arzt bewog mich, nach Hause zu gehen, da ja Professor Lumpe alles normal befunden habe, so dass es eine leichte Geburt sein werde. So ging ich denn heim, schlief nicht viel und war um 7h früh in der Klinik. Ich begriff nicht ganz, als mir die Reinigungsfrau am Gang nur zurief „ein Mädel“. Als ich ins Zimmer trat, fand ich meine Frau weinend vor. Auf meine bestürzte Frage, ob sie sehr leide, sagte sie, nein, aber es sei ein Mädchen und sie hätte mir so gern einen Buben geboren. Mir war das ganz gleich, ob Bub oder Mädel  ; dass nur alles glücklich überstanden sei  ! Dafür dankte ich Gott und freute mich innig, als die Hebamme das quäkende kleine Ding zum Stillen brachte und dabei erzählte, dass Judith sehr tapfer war und um 2h früh alles glatt bewältigt hatte. Um ihr zu beweisen, wie sehr mir das Kind lieb sei, schlug ich ihr vor, dem Kind ihren Namen zu geben, mein Inbegriff alles Lieben und Guten. Sie wollte anfänglich nicht, in der Meinung, es werde Konfusionen bringen, wenn Mutter und Tochter den gleichen Namen trügen, beruhigte sich jedoch allmählich und willigte schließlich ein.498 Von der Klinik ging ich direkt in die Gewerbeschule zum Unterricht, kam freilich etwas spät  : Der Baumechanikprofessor trug bereits die Berechnung einer Träger-Abmessung vor. In der Klasse entstand eine ungewöhnliche Unruhe, und als der Professor unwillig fragte, was denn los sei, da brachen alle Buben lachend in den Ruf aus  : „Der Herr Major hat a Mäderl kriegt. Wir gratulieren  !“ Ich war baff. Der Professor gratulierte auch, und dann ging der Unterricht weiter. Als ich in der Pause fragte, woher denn die Buben diese frohe Botschaft hätten, erfuhr ich, dass der „Leitner“ (Sohn des Spitalsverwalters) in der Klinik wohne. Rührend war, dass in der nächsten Pause Direktor Dvorzak persönlich in die Klasse kam, um mir zu gratulieren. Erst nach Schulschluss machte ich mich an die Benachrichtigung der Eltern, Verwandten und Bekannten. 498 Am 7.3.1920 wurde die Tochter Judith Anna Henriette in Salzburg geboren. Sie war seit 2.2.1942 verheiratet mit Dr. Karl Florer, der seit 14.2.1943 in Russland vermisst ist, nach 1945 war Judith Florer Hebamme in der Semmelweiß-Klinik in Wien, später Bundesbedienstete und Angehörige der Postverwaltung. Sie lebt in Wien.

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Judith hatte sich in der Klinik wohl alles erklären lassen  ; aber davon bis zur Selbsttätigkeit war anscheinend ein weiter Weg. Und unser Dienstmädl war ein 15-jähriges Bauerndirndl, das nicht viel wusste. Die Frau des Zahndoktors über uns hatte ebenso kein Kind gehabt wie die Ganshof-Wirtin. Da ging ich halt zu unserem lieben Doktor Pöchl. Der hatte mich anscheinend so verstanden, dass an unserer kleinen Judith etwas nicht in Ordnung wäre. Er kam, besah sich Mutter und Kind und fand alles in bester Ordnung. Erst als er sich erhob und gehen wollte, rückte meine gute Frau mit ihren Fragen über Wickeln, Baden, Ernähren usw. heraus. Der gute Doktor war ein alter Junggeselle und brummte gutmütig  : „Ja, da brauchen Sie halt eine Kinderpflegerin  ; die kriegt man aber nicht, und wenn zufällig eine da wäre, so können Sie sie nicht bezahlen.“ Doch dann fiel ihm eine emeritierte Hebamme ein, die er uns schicken werde. Wir sollten aber darauf schauen, dass sie sich die Hände wasche, bevor sie das Kind berühre  ! Und richtig kam so ein altes Weibl und schwätzte mit Judith tagelang und zeigte ihr auch viele praktische Griffe. Trotzdem kam es beim Baden vor, dass Judith einmal etwas zu richten vergessen hatte und mir zurief, ich solle die liebe Kleine inzwischen halten. Ich muss mich recht ungeschickt angestellt haben, denn das Resultat war, dass das arme Würmchen auf einmal zwischen uns auf dem Boden lag. Großes Erschrecken  ! Aber gottlob war nichts Böses geschehen. Bald tauften wir unser liebes Kind, als Mädchen vereinbarungsgemäß in der „evangelischen“ Kirche helvetischen Bekenntnisses. Als Pate war mein Bruder von Wien gekommen und hatte seine von der Gräfin Mier erhaltene Taufgabe, ein silbernes Essbesteck mit Becher, an unsere Kleine weitergereicht. Dann normalisierte sich das Leben. Das Frühjahr kam, und wir machten unsere Spaziergänge mit der Kleinen im Kinderwagen, den uns mein Bruder gebracht hatte. Als wir einmal so zur Kirche Maria Plain499 emporgestiegen waren, wobei natürlich ich den Kinderwagen hinaufgeschoben hatte, begegneten wir dem Pfarrer. „Was, da herauf habt’s bei der Hitz den Wagen g’schoben  ? Na, dann sind Euch alle Sünden vergeben  !“ Er erteilte uns das Segens-Kreuz und ging weiter. Meine liebe Frau strahlte vor Entzücken  : So viel Herz habe halt nur ein katholischer Priester  ! Ich war inzwischen durch Pensionierung des alten, zum neuen Kommandanten der Heimkehrzerstreuungsstation am Bahnhof Gnigl bestellt worden, hatte dort einen 499 Maria Plain  : Ein gemaltes Gnadenbild, Maria in Halbfigur mit dem vor ihr liegenden Jesuskind, erlangte während des 30-jährigen Krieges, als es bei einem Brand in dem niederbayrischen Ort Regen unversehrt blieb, große Verehrung. Eine Kopie davon wurde 1652 auf den Plainberg bei Salzburg gebracht. Nach dem Bau einer Kapelle ließ Erzbischof Max Gandolf Graf Kuenburg von Giovanni Antonio Dario die bestehende Kirche 1671–1674 erbauen. Sie wurde 1952 zur päpstlichen Basilika minor erhoben.

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Adjutanten, der die wenigen Dienstsachen bearbeitete und mich nur gegen Mittag für ein paar Unterschriften brauchte, sodass ich die Gewerbeschule frequentieren konnte. Bedingung für die Erreichung der Baumeisterbefähigung war aber eine halbjährige praktische Betätigung bei einem Baumeister. Direktor Dvorzak hatte mich dem christlichsozialen Baumeister Wagner empfohlen, bei dem ich nun am 26. März als Maurerlehrling aufgedingt wurde. Das war kein leichter Entschluss  ; denn es handelte sich nicht um Arbeit in der Baukanzlei, sondern um echte Maurerarbeit mit Ziegeln, Mörtel, Hammer und Kelle. Ich besprach mich mit Weingartner und Schilhawsky. Den Ausschlag gab ein Obstlt. Reuter, der in gleicher Weise das Schmiedehandwerk erlernte. Wir kamen überein, dass die Not der Zeit mit der Pflicht gegenüber der Familie alle bestehenden Standesbedenken aufhebe. Meine Frau war nicht begeistert, mich nun von 7h früh bis 4h nachmittags bei irgendeinem Bau zu wissen  ; aber schließlich hatte ja ihr eigener Vater auch keine Bedenken gehabt, als Tischler zu arbeiten. Die Tage wurden länger, und ab 5h stand ich gewaschen und geputzt für den Spaziergang zur Verfügung. Und der Stundenlohn als Lehrling – wenn auch nicht groß – war immerhin ausreichend, die Kleiderabnützung zu bedecken. Die zu leistenden Arbeiten bestanden im Ausbessern von Fassaden, Mauer-Durchbrüchen, Erhellung von Stiegenhäusern durch Einbau von Glasziegeln im Dach, Verlegung von Waschküchen aus Kellern in Dachgeschoße usw. Dazu musste das Material von der Abladestelle oft recht weit mit dem Schubkarren befördert werden. Da lernte ich die Gedanken von Arbeitern am eigenen Leib kennen, wenn ich sah, wie Herren mit Frauen aller Art in glänzenden Autos rücksichtslos vorüber fuhren  : verdammte Gesellschaft, die mit allen möglichen Mitteln Geld erwarb und verprasste, während wir die schwerste Arbeit leisten mussten, um leben zu können  ! Wenn ich dabei daran dachte, wie der Staatssekretär Deutsch diesen Hyänen kostbarstes Staatsgut unter dem Titel „Sachdemobilisierung“ in die gierigen Rachen warf und den Generalstab verlachte, weil dieser staatserhaltend Monate zu dem gebraucht hätte, was „er“ in ein paar Wochen geschafft habe, da musste ich oft an mich halten, um nicht den Hammer in so ein Auto zu schleudern.500 Im August 1920, als ich zusammen mit Lt. Bandian beim Selcher Hofer auf dem Dachboden eine neue Waschküche zementierte, kam am frühen Nachmittag meine Frau hinauf zur Baustelle mit einem Brief, der den Stempel „Staatsamt für Heerwesen“ trug. Da müsse doch etwas Wichtiges drinnen stehen, darum habe sie ihn hergebracht  ; das Dienstmädel warte unten mit dem Kinderwagen. Und es stand etwas Wichtiges drin  : 500 Überliefert von GMa.D. (Generalleutnant z.V.) Karl Bornemann. Er war 1918/19 ein Mitarbeiter Körners im Staatssekretariat für Heerwesen  : „Das muss alles der Volkswirtschaft zugeführt werden. Und wenn uns jemand angreift, dann werden wir uns mit Dreschflegeln verteidigen.“

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meine provisorische Ernennung zum Stabschef der 3. Brigade in St. Pölten. Als ich das halblaut vorlas, stieß Judith einen Freudenschrei aus. Da sah ich, wie sehr die gute Seele darunter litt, dass ich da als Maurerlehrling tätig war, trotzdem es uns zumeist seitens des Selchers ein Stück Wurst über die Lebensmittelkarten-Gebühr eintrug. Bandian, der die Gewerbeschule mit gleichem Ziel besuchte, hatte zugehört und sagte, dass meine Ernennung nach St. Pölten auch für ihn großartig wäre. Sein Vater, der Feldmarschalleutnant und ehemalige Kommandant des St. Pöltner Landwehrregimentes, wolle so gern nach Salzburg übersiedeln, da könnten wir nun Wohnungen tauschen. Bandian und seine Schwester lebten in Salzburg, um für ihre Familie eine Wohnung zu erobern. Und nun ergab sich die Möglichkeit eines Tausches  ! Er und seine Schwester waren öfters bei uns zum Tee gewesen  ; sie kannten unser Heim, welches ihnen sehr gefiel. Mir ging das anlaufende Steinmetzgeschäft Weingartners durch den Kopf, das ja die Ursache meiner Bauhandwerkerarbeit war. Ich bat Judith, sich in den nahen Mirabellgarten zu setzen und zu warten, bis ich sie nach Arbeitsschluss gereinigt und gewaschen abholen käme. Bandian drängte mich, wegen des Wohnungstausches nach St. Pölten zu fahren. Mich dort umsehen konnte ich ja schließlich. Mit meiner Frau spazierte ich dann in Richtung Anif zu Weingartner. Ich zeigte ihm den Brief und war erstaunt, dass er mir riet, anzunehmen. Er meinte, das Steinmetzgeschäft werde, so wie er dies bis jetzt überblicke, nur eine Familie ausreichend ernähren können  ; die Einlage von 10.000,– Kronen könne ich mit dem darauf entfallenden Gewinnanteil jederzeit abheben. Das bekräftigte meinen Entschluss, beim Baumeister Wagner um Urlaub zu bitten und nach St. Pölten zu fahren. St. Pölten 1920–1932 In St. Pölten erwartete mich bereits Brigadier-Obst. Viktor Sagai501 und sein Stellvertreter Hptm. Walter Adam.502 Die undisziplinierte Volkswehrhorde und ein Bengel, 501 Viktor Sagai (Windischgraz, Steiermark, heute Slovenj Gradec, Slowenien, 23.2.1873–20.7.1925, Feistritz bei Marburg, Stmk., heute Maribor, Slowenien), 18.8.1892 als Kadett-Offiziersstellvertreter aus der IKSch. Liebenau ausgemustert zum IR 16, Frequentant der Kriegsschule, ab 1.5.1905 Glstbskarriere, ab 1.5.1910 zum VIII.KKdo., 2.11.1913 Obstlt.i.G., Truppendienst und 1. Weltkrieg Regimentskdt.u. Brigadekdt., 1.9.1915 Obst., 1918 Kdt.SchR. 23, im Sept./Okt.1918 auf Urlaub, 31.8.1920 mit Kabinettsratsbeschluss das Kdo. der 3. Brig. verliehen, 1.12.1920 betraut mit Kdo. der 3.Brig., 10.3.1923 GM, 16.6.1923 transferiert ins BMfHw., Sektion I, 1.7.1923 betraut mit Sektion I, 1.2.1924 dauernder Ruhestand (Angina pectoris). 502 Über Walter Adam (1886–1947) siehe die ausführliche Datensammlung in Glaise-Broucek I, S. 528, Anm. 22. Adam war Infanterieoffizier und Generalstabsoffizier, wurde 28.9.1914 außertourlich zum Hptm. i.G. befördert, war Truppengeneralstäbler und 1915–1918 im AOK, sodann Glstbschef der öst.

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der keinen Tag im Krieg gewesen war, als Brigade-Soldatenrat503 waren darnach, dass ich mich am liebsten umgedreht hätte und wieder weggefahren wäre. Obst. Sagai, im Krieg ruhmreicher Kommandant des kroatischen k. u. k. Inf. Rgt. Nr.16, hieß mich bleiben  : wenn alle guten Offiziere sich davonmachten, würde aus dem jetzigen wüsten roten Haufen nie ein ordentliches Heer. So begann ich also meine Funktion als Stabschef der Brigade Niederösterreich Nr. 3 In dieser Stellung verblieb ich dann, nach und nach zum Oberstleutnant und zum Obersten befördert, neun volle Jahre.504 Truppen in der Türkei bis zur Rückkehr 20.1.1919, sodann u.a. Adjutant des christlichsozialen Unterstaatssekretärs für Heerwesen Dr.Waihs, 1.1.1920 Major, 1.12.1920 stellv. Stabschef beim BrigKdo. 3, 1.1.1921 Obstlt., 1.3.1921 kommandiert ins BMfHw., 1.8.1924 als Obst. pensioniert, sodann stellv. Chefredakteur der Reichspost, 1934 Bundeskommissär für den Heimatdienst und Staatsrat, 1934–1936 Generalsekretär der „Vaterländischen Front“, trat mit „Frontführer“ Ernst (Fürst) Starhemberg zurück, 1936–1938 Leiter des Bundespressedienstes im Bundeskanzleramt, 1938–1945 KZ Dachau, 1943– 1945 konfiniert im Rheinland. Sein Erinnerungswerk an die KZ-Zeit  : Nacht über Deutschland, Wien 1947. 503 Die Soldatenräte waren eine Einrichtung der als Provisorium gedachten Deutschösterreichischen Volks­wehr. Diese war eine Söldnertruppe, befehligt von Oblt.i.d.Res. Dr. Julius Deutsch und den ihm in einer geheimen sozialdemokratischen Organisation zusammengefassten Vertrauensmännern. Deutsch hatte mit jenen Männern die Aufstellung in der Nacht vom 2. auf den 3.11 1918 beschlossen. Der Aufstellungsbefehl erging am 15.11.1918. Es wurde eine eigene Vertretung für die Mannschaften eingerichtet, deren Aufgabe es war, für einen korrekten Dienstbetrieb und für die Wahrung der Rechtsstellung des einzelnen Volkswehrmannes zu sorgen. Diese „Soldatenräte“ wurden demokratisch gewählt. Sie hatten auch eine wichtige Funktion bei der Aufnahme und Auswahl der Offiziere, da der Soldatenrat des Bataillons sie nach vierwöchiger Probedienstleistung zu beurteilen hatte. Durch das vom Nationalrat beschlossene Wehrgesetz vom 18.3.1920 sowie durch das Heeresdisziplinargesetz des gleichen Jahres wurde die Bestellung von „Vertrauensleuten“ geregelt, die oft als Nachfolger jener „Soldatenräte“ revolutionären Ursprungs angesehen wurden, so auch von Jansa. Zeitverpflichtete Soldaten wälzten in den Kompanien je nach Stärke der Einheit zwei bis drei Vertrauensleute. Berufssoldaten – nämlich Offiziere und Unteroffiziere – in den Bataillonen je ein bis zwei Vertrauensleute. Der Sozialdemokratische Militärverband, der Christlichsoziale Wehrbund und die Nationale deutsche Soldatengewerkschaft waren die einzelnen parteigebundenen gewerkschaftlichen Organisationen der Vertrauensleute, die sich ab 1920 bildeten. Ein weiteres Spezifikum waren die Volkswehrleutnante. Am 17.11.1918 wurden die Soldatenräte angewiesen, je einen Vertrauensmann aus dem Mannschaftsstand zu wählen und für die Ernennung zum Volkswehrleutnant vorzuschlagen. Aus der noch 1918 gebildeten Dachorganisation „Reichssoldatenrat“ ging als Volkswehrleutnant der ehemalige k. u. k. Unteroffizier Franz Winterer hervor. Er wurde im Bundesheer Major, in der Deutschen Wehrmacht Oberstleutnant und wurde 1945 von Wiens Bürgermeister (General i. R.) Körner zum Staatssekretär im Heeresamt der 2. Republik vorgeschlagen und von der Regierung angenommen. Ein weiterer Volkswehrleutnant war Josef Leopold, k. u. k. Feldwebel, der im Bundesheer den Rang eines Hauptmanns erreichte. Als Mitglied der NSDAP ab 1924 tätig, wurde er 1927 Gauleiter von Niederösterreich, dann auch Landesleiter der NSDAP für Österreich. Er fiel als Major der Deutschen Wehrmacht in Russland. 504 Herbert Staudigl/Karl Gutkas/Rudolf Göpfert, 200 Jahre Garnison St. Pölten – 25 Jahre Österreichisches Bundesheer  : Mai bis Juni 1982 Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt St. Pölten [Katalog, 36 Seiten], St. Pölten 1982.

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Die Wohnung, die ich von FML Bandian im Tausch mit meiner in Salzburg gelegenen übernahm, war eine der schönsten und modernsten in St. Pölten. Sie lag in der Kalcherstraße, hatte aber die Hauptfront in die Josefstraße und war vom Brigadekommandogebäude fünf Gehminuten entfernt. Als ich nach etwa vierzehn Tagen nach Salzburg kam, meine Lieben abzuholen, erwartete mich Judith mit der guten Nachricht, dass die von ihrer Mutter geschickten Möbel vom Spediteur gerade avisiert worden waren. Wir ließen unsere in Salzburg erworbenen Sachen dazupacken und den Möbelwagen nach St. Pölten senden. Judith und ich hatten Salzburg sehr liebgewonnen, der Abschied fiel uns nicht leicht. Doch ging es in eine gesicherte Lebensstellung, was Judith sehr beruhigte. Die kleine Stadt St. Pölten gefiel meiner Frau vom ersten Augenblick an sehr gut. Ihrer Erziehung am Genfer See und an der Themse zum Trotz war sie eine naturverbundene Frau geworden, der ihr Heim in einer ruhigen, anspruchslosen Umgebung das größte Glück bedeutete. Meine Schwiegermama hatte uns wirklich nobel bedacht. Zur Schlaf- und Sitzzimmergarnitur hatte sie den reichen Schatz aller ihrer Perserteppiche, die elf prachtvollen Karamanis505 für die Fenster, den wunderbaren türkischen, aus fünf verschiedenfarbigen Streifen zusammengestellten Zeltbehang, Stores für 6 Fenster und viele schön gerahmte Ölgemälde gesandt. Dazu kamen das weiße Porzellan ihrer Mutter, reichlich Glasservice, wunderbare Nippes und schön neu umgearbeitete Matratzen mit Kissen, Decken und einer großen Reserve an Gansfedern. Lediglich mit Silberbesteck waren wir sparsam bedacht worden, weil die Mutter selbst nicht ausreichend Silber für ihren Stadt- und Landhaushalt besaß  ; später wurde das reichlich nachgebracht. Unsere Kassette mit dem edlen Essbesteck für zwölf Personen stammte von der Freundin der Schwiegermutter Luise v. Huzly, einer Nichte des katholischen Bischofs von Debrecen. Die alte Dame war nach dem Weltkrieg ohne Einkommen und lebte vom Verkauf ihrer reichen Kunst- und Silbersachen. Der Schwiegervater erwarb die Kassette um 20.000,– Kronen, welche er durch Lieferung von Lebensmitteln aus Aba puszta bezahlte. Die Gravierung HL mit Krone haben Judith und ich belassen, dafür aber alle Teile durch einen Juwelier neu ausglühen und auf Neuwert putzen lassen. (Die rostfreien Messerklingen ließ ich 1950 einarbeiten.) Jedenfalls war unsere Wohnung in St. Pölten mit Salon, Schlaf- und Kinderzimmer sehr bald schön und vornehm eingerichtet. Das Speisezimmer war zusammengestückelt, aber dank der Bilder und Perserdecken durchaus gut anzusehen. Die Not an Lebensmitteln, die bis ins Jahr 1926 dauerte, war in St. Pölten nicht geringer als in Salzburg. Besonders wichtig war für Klein-Judith gute Milch. Hier war 505 Karaman  : Landschaft im südlichen Kleinasien, umfasst das südliche Kappadokien und das westliche Kilikien.

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es wieder ein alter praktischer Arzt, Dr. Klaus, der uns auf einen Bauernhof Kern, dreiviertel Gehstunden westlich der Stadt, hinwies. Dieser tägliche Weg war, namentlich im Winter, oft eine peinvolle Tour  ; denn der Westwind blies stets in solcher Stärke, dass alle Straßenbäume wie in Holland schief gewachsen waren  ; und aus melktechnischen Gründen konnte der halbe Liter Milch erst gegen 6h Abend geholt werden. Sonst aber war St. Pölten eine liebenswerte, hübsche und wohlhabende Kleinstadt. In der Vergangenheit wegen der Fabriken reichsdeutscher Herkunft großdeutsch gesinnt, war sie nach dem Krieg mit ansehnlicher Mehrheit sozialdemokratisch geworden. Zum Glück war ihr Bürgermeister Schnofel506 ein ruhiger, umgänglicher Mann, mit dem ich dienstlich in meiner ganzen 12-jährigen Tätigkeit gut auskam. Was nun die dienstliche Tätigkeit in der Brigade betraf, so durfte ich zufrieden sein, trotz der anfangs großen Schwierigkeiten wegen des politisierten Soldatentums. In meinem Wirkungskreis genoss ich viel Selbstständigkeit, weil die Brigadiere Sagai, Schneider507 und Themer508 in den ersten fünf Jahren alle in Wien wohnten und in St. Pölten sozusagen nur sporadisch amtierten. Als dann der vierte Brigadier, GM Janda509, eine Kasernenwohnung in St. Pölten bezog, war seine Leidenschaft für Jagd und Fischerei sowie für den Gemüseanbau so groß, dass auch unter ihm meine Selbstständigkeit keine Einbuße erlitt. Die Brigade bestand aus den Infanterie-Regimentern Nr. 5 in Wien, Nr. 6 mit zwei Bataillonen in Krems und Nr. 3 in St. Pölten, dem Jägerbaon Nr. 3 in Stockerau, 506 Hubert Schnofel, Bürgermeister der Stadt St. Pölten, Mandatar der SDAPÖ. 507 Über Josef Schneider siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 349, Anm. 233. Der Glstbsoffizier war bei Kriegsende Glstbschef beim Chef des Ersatzwesens, 1.8.1917 Obst.i.G, Übernahme in die Volkswehr als Sektionschef im Staatsamt f.Hw, 1.1.1920 Leiter Abt.4 im BMfHw., 16.6.1923 Kdt.3. Brig, 1.3.1924 Heeresinspektor, 1.5.1924 General, 1.5.1925 pensioniert. Schneider war wie die Generäle Körner und nach ihm Schneller im Beratenden Gremium des Republikanischen Schutzbundes auf einer „Geheimen Liste“ angeführt, war also noch während seiner Dienstzeit dort tätig. 508 Maximilian Themer – Jablonski del Monte Berico (Pilsen/Plžen, Böhmen, 29.4.1876–2.6.1947, Innsbruck), 18.8.1896 aus Theres. Milakad. als Lt. zu FJB 25, Frequentant der Kriegsschule, Truppenoffizierskarriere, 1.11.1914 Mjr. u. Kdt. FJB 6, 1.11.1916 Obstlt. u. Kdt. IR 54, später Kdt. IR 6, 1.8.1916 Obstlt., 5.9.1919 superarbitriert und als zu Lokaldiensten geeignet beurteilt,1.1.1921 Obst., 1.1.1922– –30.11.1922 Leiter Heeresverwaltungsstelle Burgenland, 1.12.1922 zugeteilter Offz. bei BrigKdo. 1, 1.8.1923 Ruhestand, 1.5.1924 Titular-GM 509 Friedrich Janda (Rabensburg, Bez. Mistelbach, NÖ, 17.7.1878–Apr. 1964, Wien), 18.8.1900 ausgemustert aus Techn. Milakad. zu KAR 2, 1.11.1905 zugeteilt Glstb. und Glstbskarriere 1.11.1905–28.4.1906 im Eisenbahnbüro d. Glstbs,1910–12.12.1914 5. Abt. KM, sodann mehrmals VO zu dt. Heereskörpern, 1.3.1915 Mjr.i.G., sodann wieder 5. Abt. KM, 1.2.1917 Obstlt.i.G.15.4.1917 Glstbschef Milkdo. Przemyśl, nach Kriegsende März 1919–Sept. 1919 Dienst beim Safesperramt Wien, Okt. 1919–Jan. 1920 Grenzschutzkdt. Schlosshof, Feb. 1920–Mai 1920 zugeteilt dem Kriegswucheramt Wien, 27.8.1920 übernommen ins Bundesheer, 1.1.1921 Obst, 1921–4.9.1924 zugeteilter Offz. 4. Brigade, dann ab 15.9.1924 3. Brig, 1.11.1924 GM u. Kdt. 3. Brig., 1.6.1930 versetzt ins Heeresinspektorat, 31.1.1931 Ruhestand.

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wo sich auch die Dragoner-Schwadron Nr. 3 und die Brigade Art. Abt. Nr. 3 befanden, dem Pionierbaon Nr. 3 in Melk und schließlich dem Brückenbaon in Krems. In St. Pölten waren außer dem Inf.Baon.III/6 auch die Brigadekommando-Truppen, und zwar die Telegraphenkomp.3, die Kraftfahr(Train)komp. 3 und die Train-Eskadron 3 stationiert. Das brachte viel Bewegung zwischen diesen Orten, wobei ich immer auch den Abteien Melk, Göttweig, Herzogenburg und Lilienfeld Besuche abstattete.510 Bald verfügte ich wieder über ein gutes Reitpferd und tummelte mich mit ihm täglich vor Amtsbeginn zwei Stunden im Gelände. Kam ich dann in mein Büro, so hatte ich einen prachtvollen Ausblick auf die Reisalpe, den Gippel und Göller, die den prachtvollen Ötscher umrahmten. In diese sich am Horizont abzeichnende Bergwelt blickte ich oft und lang. Aus ihr sog ich die Kraft, der konfusen dienstlichen Verhältnisse nach und nach Herr zu werden. Mir wurde klar, dass nur persönliches Beispiel und intensive Beschäftigung der Truppen in den rein militärischen Aufgaben und Pflichten nach und nach eine disziplinierte Truppe schaffen konnten. Die Weisungen, die wir von unserem roten Ministerium bekamen, betrafen vornehmlich die sogenannte Geistes-, die Sportausbildung und die Arbeitsschulung für das dem Militärdienst folgende zivile Leben. So blieb mir nichts übrig, als die ersten Vorschriften zur Schulung im rein Fachlich-Militärischen, welche gänzlich fehlten, allein zu verfassen  ; dafür brachte ich ja alle Voraussetzungen aus dem Krieg mit. Bald wurde ich von den gutwilligen Offizieren verstanden. Ja, ich hatte die Befriedigung, dass das Ministerium, dem ich die Schulungsweisungen vorlegte, sie anfangs zum Teil übernahm und allgemein gültig machte. Meine Brigadiere waren mit der Anerkennung des Ministeriums zufrieden und bei den Truppen zeigten sich Fortschritte, die auch dringend nötig waren, denn bald brauchte man eine zuverlässige Staatsmacht. In den Friedensverträgen von Saint-Germain und Trianon war das deutsche West­ ungarn quasi als Ersatz für die Abtretung des deutschen Teiles von Südtirol an Italien, Österreich zugesprochen worden. Die Besitznahme dieses später „Burgenland“ genannten Gebietes durch die Gendarmerie war an dem vom ungarischen Reserveoffizier Hejjas511 organisierten Widerstand ungarischer Freischärler gescheitert. So wurde die Landnahme dem neuen Bundesheer übertragen.512 510 Gemeint sind die Benediktinerstifte Melk und Göttweig, das Augustiner Chorherrnstift Herzogenburg und das Zisterzienserstift Lilienfeld, alles frühmittelalterliche Gründungen in Niederösterreich. 511 Ivan Hejjas (Kecskemét, 1890–  ?), nach 1918 Oblt.i.d.Res. IR 19, ab 1919 ein führendes Mitglied des Prónay-Detachements, Mitglied der Erwachenden Ungarn“, Rassenschützer. 512 Erwin Steinböck, Die Angliederung des Burgenlandes 1921, in  : Die Nachkriegszeit 1918–1922 (= Truppendienst-Taschenbuch, Band 22), S. 113–145. Ab 28.4.1919 wurde noch in der Zeit der Volkswehr ein Grenzschutz Ost aufgebaut, ab 19.5.1921 wurden vorbereitende Maßnahmen zur Unterstüt-

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Meine Brigade wurde deshalb im Herbst 1921 in den Raum um Wr. Neustadt verlegt. Ich nahm die behördlichen Bitten um Sicherung unseres Gebietes, insbesondere des Elektrizitätswerkes Neufeld, gegen ungarische Banden ernst und bewog auch Obst. Sagai zu gleicher Haltung. Das war für die Disziplin und den Ernst der Haltung aller Truppen ebenso gut, wie unsere Auffassung von Pflicht auch das Vertrauen der Behörden gewann. Es war interessant wahrzunehmen, wie der brennrote Bürgermeister Püchler513 von Wr. Neustadt Sagai und mir wiederholt sein Vertrauen in alle unsere Maßnahmen aussprach, obwohl wir ihn nicht im Zweifel ließen, dass wir keineswegs sozialdemokratisch dächten. In diese Zeit fiel der erste unglückliche Restaurationsversuch des armen Kaisers und Königs Karl in Ungarn, der die Gemüter pro und kontra stark bewegte. Die Frage der Gültigkeit des Eides wurde viel diskutiert. Ich nahm den eindeutigen Standpunkt ein, dass unser der Republik Österreich mit Wissen und Willen des Kaisers geleistete Eid uns an die Republik band. Die nachträglich von monarchistischer Seite aufgestellte Behauptung, dass der Kaiser niemanden von dem ihm geschworenen Eide entbunden und nur die Ablegung eines Gelöbnisses für die neuen Staaten bewilligt habe, lehnte ich rundum ab. Dass meine Auffassung richtig war, konnte ich 38 Jahre später auch aktenmäßig feststellen  : Als ich zur Vollendung der Geschichte des k. u. k. Generalstabes die Akten der kaiserlichen Militärkanzlei durchstudierte, fand ich vom Herbst 1918 eine Anfrage aus Graz, ob über Verlangen der neuen Gewalten nicht nur ein Gelöbnis, sondern auch ein Eid geschworen werden dürfe. Die Antwort der Militärkanzlei lautete  : „Ja, auch der verlangte Eid kann geschworen werden.“ In gleichem Sinne hatte mich ja auch seinerzeit in der Militärkanzlei Obst. v. Káry orientiert. Schwieriger war die Lage unserer Kameraden in Ungarn, das der Admiral v. Horthy mit Billigung der Ententemächte vom Kommunismus befreit hatte. In Ungarn war Karl rechtsgültig zum König gekrönt worden. Die Bildung neuer Staaten war ja bloß in den im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern (das war also die zung der Besetzung des Burgenlandes für das Bundesheer verfügt, nach dem Fehlschlag der zivilen Besetzung kam es auf niederösterreichischem Boden zum Gefecht zwischen ung. Freischärlern und Teilen des IR 5, nach dem Abschluss des Venediger Protokolls begann am 1.11.1921 der Aufmarsch des Bundesheeres zur Besetzung des Burgenlandes. Er war im Nordteil am 17.11.1921 abgeschlossen. An 19.11.1921 wurde der Befehl zur Besetzung des Südteils des Landes gegeben, die bis 30.11.1921 durchgeführt wurde. Noch im Juli 1922 kam es zu einem größeren Bandeneinfall bei Luising und Hagendorf. 513 Josef Püchler, Vizebürgermeister der Stadt Wiener Neustadt, Kommandant der Wiener Neustädter Arbeiter und Ersatzmann in der „Verwaltungsstelle für das Burgenland“ in Wiener Neustadt, siehe dazu  : Gertrud Gerhardl, Wiener Neustadt und die Landnahme des Burgenlandes im Jahre 1921, in  : Sonderausstellung des Stadtmuseums Wiener Neustadt, St. Peter an der Sperr, 15. Mai bis 14. Juni 1981, Wiener Neustadt 1981, S. 6–20.

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österreichische Reichshälfte) erfolgt. Ungarn hatte bloß Gebiete an Nachbarstaaten abzutreten  ; es blieb ein eigener Staat mit einem gekrönten König. Jedenfalls mussten wir Österreicher Gott danken, dass uns Situationen, wie sie in Ungarn, besonders beim zweiten Restaurationsversuch des unglücklichen Karl entstanden, erspart geblieben sind. Der frühe Tod des Monarchen auf Madeira hat alle Erörterungen über die Verbindlichkeit des dem Kaiser und König geleisteten Eides beendet.514 Allerdings bleibt eine untilgbare Schmach des siegreichen englischen Königshauses, dass es Karl auf Madeira verhungern ließ, nachdem die englische Marine ihn dorthin gebracht hatte.515 Wir Generalstabsoffiziere haben unserem letzten Chef, dem Generalobersten Baron Arz, mit Abgaben von unseren kärglichen Gehalten so lange unter die Arme gegriffen, bis Ungarn sich endlich entschloss, diesem verdienten, aber in Hermannstadt, das zu Rumänien gekommen war, geborenen General ein Ruhegehalt zu bewilligen. Der englische König und damals auch noch Kaiser von Indien hatte hingegen nicht das Solidaritätsgefühl, den in bitterster Not befindlichen Standesgenossen wenigstens nicht hungern zu lassen. Bis nach Ordnung der zerrütteten Geldverhältnisse das österreichische Bürgertum und der übrig gebliebene Adel helfen konnten, kam das nur noch der verwitweten Kaiserin und ihren Kindern zugute. Nach Weisungen der Entente-Offiziere traten wir den Vormarsch ins Burgenland an, der sich reibungslos vollzog. Das Brigadekommando gelangte nach St. Martin516, wo es bis Februar 1922 verblieb. Dann wurde es nach St. Pölten zurückverlegt. Inzwischen war auch wieder eine regelmäßige Postverbindung zu den Schwiegereltern in Gang gekommen. Nach der Beseitigung des Kommunismus in Ungarn waren die Eltern auch wieder in den ungestörten Besitz von Aba puszta gekommen. Mein Schwiegervater war Brigadier im neuen ungarischen Heer in Nyiregyháza geworden. Und Onkel Ádám hatte Frau Tóth geheiratet, seine Quartiergeberin in Debrecen. Bevor ich weitererzähle, möchte ich auf unser Einleben in St. Pölten zurückkommen. Da mir daran lag, meiner frommen Frau ihre gottesdienstlichen Pflichten zu ermöglichen, besuchte ich den evangelischen Pfarrer, einen Schwaben aus Württemberg, 514 Siehe  : Emilio Vasari, Ein Königsdrama im Schatten Hitlers, Wien/München 1968  ; Peter Broucek, Die Rückkehrversuche Kaiser und König Karls, in  : Jan Mikrut, Kaiser Karl I. (IV.) als Christ, Staatsmann, Ehemann und Familienvater, Wien 2004, S. 533–538. 515 Siehe diesbezüglich  : Hans Karl Zessner-Spitzenberg, Kaiser Karl. Aus dem Nachlass herausgegeben von Erich Thanner, Salzburg 1953, S. 258 ff. 516 Jansa überträgt auf diese Weise die urkundlich belegten Namen „minor Martin“ (1264) und später capella Sancti Martini“ sowie den ungarischen Ausdruck Kismarton. Der Ausdruck Eisenstadt kommt aus dem Lateinischen „castrum, quod ferreum vocatur“. Die befestigte Anlage und Vorgängerin des heutigen Schlosses und der Stadt wird bereits 1118 in einer österreichischen erzählenden Quelle auf diese Weise genannt.

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und machte ihn darauf aufmerksam, dass meine Frau nicht Luther anhing, sondern Calvin. Er antwortete, das tue nichts, er besorge beide Bekenntnisse. Als er meinen Besuch (ich glaube, mit seiner Frau) in meiner Abwesenheit erwiderte, sagte er zu Judith, sie möge ihren Mann nur streng zur Arbeit anhalten  ; die Herren Offiziere glaubten, bessere Menschen zu sein, und legten gern die Hände in den Schoß. Judith war über diese Taktlosigkeit empört und gab ihm, mein Leben in Salzburg schildernd, die richtige Antwort. Als sie dann auch noch nach mehrmaligem Besuch des Gottesdienstes hörte, dass dieser Diener Gottes die katholische Kirche und besonders das Haus und die Schule der Englischen Fräulein immer hetzerisch angriff und sie herabzusetzen bemüht war, hatte sie von der evangelischen Kirche genug und besuchte sie nicht mehr. Bei der Brigade hingegen war mit Pfarrer Hofer eine großherzige, von echter christlicher Liebe und Hilfsbereitschaft erfüllte Persönlichkeit tätig. Ich hatte ihm unsere religiöse Mischehe offen bekannt, damit er verstehe, warum ich nicht zum Empfang der Sakramente kommen könne. Nachdem er unser Eheleben eine Zeit lang beobachtet hatte, sagte er zu mir und Judith, dass es nicht auf äußere Umstände ankomme  ; wenn zwei Menschen ihr Ehegelöbnis aufrichtig hielten, sei dies Gott gefällig. Nicht nur versuchte er mit keinem Wort eine Konversion Judiths zu fördern, vielmehr referierte er über uns in den katholischen Kreisen anscheinend so gut, dass Judith regelmäßig Einladungen zu Festveranstaltungen katholischer Kreise, besonders auch vom Institut der Englischen Fräulein erhielt. Dabei wurde ihr immer ein meiner Stellung gemäßer Ehrenplatz eingeräumt. Als Judith einmal bei solchem Anlass der Oberin bescheiden sagte, dass ihr kein Ehrenplatz zukomme, sie sei schließlich Protestantin, erwiderte ihr die Oberin schlicht, dass sie das wisse, jedoch nach Lebensführung und Stellung ihr der Ehrenplatz sehr wohl zukomme. Als berührende Einzelheit will ich hier meinen braven Pferdewärter Franz Kern nennen, der während des Krieges bei mir war. An seinem Hofamt Priel hatte er gehört, dass ich in St. Pölten sei. Auf einmal erschien er mit seinem Bruder und mit zwei riesigen Rucksäcken voll Lebensmitteln. Judith und ich waren glücklich und besuchten in der Folge einige Male seinen Hof nächst Maria Taferl.517 So kam es, dass meine Frau sich in St. Pölten wohl und geborgen fühlte, auch wenn ich einmal dienstlich durch längere Zeit abwesend sein musste. Gesellschaftlich bot die kleine Stadt genug  : Es gab ein freiwilliges Symphonieorchester unter Lei517 Maria Taferl  : Der Wallfahrtsort liegt über dem Markt Marbach an der Donau und ist das Landesheiligtum von Niederösterreich. Der Name stammt von einer Bildtafel in einer Eiche, die wahrscheinlich schon im 15. Jh. von Bewohnern von Kleinpöchlarn im Rahmen einer Flurprozession am Ostermontag besucht wurde.

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tung des Musikprofessors vom Lehrerseminar, ein entzückendes kleines Stadttheater, ­einen geistigen Kreis durch Zusammenschluss der Ingenieure der Voith-Turbinen- u. Glanzstofffabriken mit den Richtern des Kreisgerichtes, den Beamten der Bezirkshauptmannschaft und uns Offizieren, wo regelmäßig sehr interessante Vorträge aus allen Gebieten gebracht wurden. Nach und nach konnte auch wieder ein repräsentables Offizierskasino aufgebaut werden, und der Turnverein unter Professor Trattnigg veranstaltete ebenfalls kleine Feste. Es wurde im Fasching getanzt und einmal besuchten wir sogar in Wien einen Fliegerball. Da die Brigadiere nicht in St. Pölten wohnten, kam Judith die Rolle der ersten Dame des Offizierskreises zu, was ihr natürlich auch schmeichelte. Im Sommer fand sich unter Führung des im gleichen Haus wie wir wohnenden Schlaraffenrepräsentanten Marko eine kleine Bergsteigergesellschaft zusammen, mit der wir jeden zweiten Sonntag die Berge ums obere Traisental, Gippel, Göller, Reisalpe und Ötscher bestiegen.518 Wir konnten uns für solche bescheidenen Unternehmungen frei machen, weil es damals noch Dienstpersonal gab und außerdem uns gegenüber die Lehrer-Familie Tobner wohnte, deren Töchter, besonders die kleine Gelli, gerne Klein-Judith betreuen kamen. Im Sommer 1922 konnten wir zum ersten Mal nach Aba puszta reisen. Die Wiedersehensfreude mit Judiths Eltern war groß und wir wurden liebevoll aufgenommen. Wenn Aba im Gebirge und nicht in der glühend heißen Tiefebene gelegen wäre, hätte man sich keinen idealeren Erholungsaufenthalt denken können. So glücklich sich Judith daheim bei den Eltern fühlte, umso kritischer beobachtete sie – durch die soziale Fürsorge in Österreich wach geworden – die Lage und die Behandlung der Landarbeiter auf dem Gut. Soweit sie konnte, versuchte sie, deren Lage zu verbessern, stieß freilich auf den Widerstand der Eltern. Meine Schwiegermutter vertrat den Standpunkt, man hätte die Bauern nie lesen und schreiben lehren sollen  ; solang sie unwissend gewesen waren, hätten sie aufs Wort gehorcht  ; jetzt seien sie verdorben und von den Juden in den kleinen Ortschaften der Umgebung aufgehetzt. Dass gerade die harte Behandlung durch die Gutsherrschaft die Leute für den Kommunismus hellhörig gemacht hatte, wollte sie nicht gelten lassen. Mein Schwiegervater hatte allerlei Pläne zur Besserung der materiellen Lage der Arbeiter, konnte sie aber mangels an Geldmitteln nicht ausführen. Mehr Einnahmen vom Gut zu erhalten war sein Verlangen. Sobald er pensioniert wurde, zogen sie ganz nach Aba, gaben die Stadtwohnung in Nyiregyháza auf und kamen dafür im Winter nach Neujahr zu uns nach St. Pölten zu Besuch. 518 Berggipfel und Täler des niederösterreichischen Alpenvorlandes. Der Ötscher, einer der höchsten Berge Niederösterreichs unweit der Landesgrenze zur Steiermark, hat eine Höhe von 1.892 m.

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Die vorweihnachtliche Zeit mit ihren langen Abenden benützten Judith und ich eifrig, um Spielsachen zu fertigen, anfangs für Klein-Judith, später auch für unsere zweite Tochter. Ich stellte kleine Holzsachen her, während Judith Puppenkleider nähte. In ihrer Beliebtheit brachte sie einmal die ganze Nähschule, die sie besuchte, dazu, eine reizende komplette Brautausstattung für Klein-Judiths Lieblingspuppe zu nähen. An anderen Abenden lasen wir viel  : Ich brachte aus der neu entstehenden Brigadebücherei aktuelle Werke heim und las sie vor, während Judith Hand- und Näharbeiten machte. Ein großes Erlebnis war für uns das in Österreich erst nach dem Krieg aufkommende Radio. Es krankte ja anfangs nicht nur an der primitiven Apparatur, die wir vom Brigade-Telegraphenoffizier Obstlt. Lassbacher gekauft hatten, sondern auch an dem meist unzureichend aufgeladenen Akkumulator  ; denn der Anschluss an das Starkstromnetz war damals noch nicht bekannt. Trotzdem waren es schöne Abende, wenn wir – den Kopfhörer an den Ohren – die Übertragungen aus der Wiener Oper hören und anhand des Textbuches verfolgen konnten. Einen engeren persönlichen Verkehr pflogen wir, außer mit Pfarrer Hofer, nur mit drei Familien  : Frau und Herrn Oberst Schneck, die gebürtige St. Pöltner waren, Frau und Herrn Landesgerichtsrat v. Grimburg und Frau und Herrn Von der Heide. Letzterer war Direktor der Glanzstofffabrik. Infolge der Absperrung der Staaten um Österreich herum und der desolaten Währungsverhältnisse waren eben auch die Ernährungsverhältnisse bis ins Jahr 1926 hinein schlecht. Die österreichischen Alpenländer hatten vor dem Krieg keine intensive Landwirtschaft getrieben, weil sie aus den fruchtstrotzenden böhmisch-mährischen und ungarischen Ebenen leicht und billig alles bekamen. Die Intensivierung der österreichischen Landwirtschaft brauchte Jahre und in der Zwischenzeit mussten wir das Notwendige gegen harte Dollar aus Amerika heranholen. Unter diesen Umständen war es für uns eine Wohltat, wenn die liebe Schwiegermutter jeden Herbst prachtvolles Obst, Nüsse, Honig und Kolbász, das waren die langen, dünnen, prächtig schmeckenden Würste, aber auch Speck und einen gut gemästeten Indian (Truthahn) sandte. Wenn meine Schwiegereltern zu Besuch kamen, so boten wir ihnen natürlich alles, was, ohne Schulden zu machen, im Bereich der Möglichkeit lag. Ja, wir fuhren mit ihnen einmal sogar zu mehrtägigem Aufenthalt nach Mariazell, das ja infolge seiner Gründung durch König Ludwig den Ungarn viel bedeutete.519 Sonst aber mussten 519 Mariazell ist der weitaus bedeutendste Wallfahrtsort nicht nur des heutigen, sondern auch des alten Kaiserlichen Österreich, ja, einer der größten Wallfahrtsorte des Abendlandes (Renate Wagner-Rieger). Der noch legendären Gründung durch einen Mönch von St. Lambrecht 1157 folgte um 1200 der Bau einer romanischen Kirche, den die Überlieferung mit der Heilung des Markgrafen Heinrich I. von Mähren und seiner Gattin in Verbindung bringt. Der Neubau des Schiffes als gotische Halle (1380 bis

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wir, auch nach der Währungsreform, jeden Groschen sparen. Denn das Gehalt eines Obersten betrug bloß 600,– Schilling, und das war für die Deckung aller Auslagen herzlich wenig und als Dauerzustand bedrückend. Meinen Schwiegereltern behagte diese finanzielle Enge gar nicht, obwohl sie selbst stets in Geldverlegenheit waren, der reichen Nutznießung aus Aba zum Trotz. So war mein Schwiegervater empört, dass sein Sohn Georg in Budapest andauernd hohe Schulden machte, die durch Geldaufnahmen der Eltern und Belastung des Gutes abgedeckt wurden. Wenn meine Schwiegereltern unmutige Äußerungen über meine kärglich sparsame Wirtschaft machten und ich dann die Frage stellte, ob ich wie Schwager Georg Schulden machen und ihnen zur Bezahlung melden solle, wiesen sie diesen Gedanken weit von sich. Mich bedrückte es selbstverständlich, dass ich trotz emsigem Fleiß und Einsatz aller meiner Kräfte im Dienst keinen Groschen mehr als mein Gehalt beschaffen konnte. Hoch muss ich da die wunderbare moralische Kraft meiner lieben Frau preisen, die in diesen Jahren treu und gewissenhaft zu mir hielt und der hochfahrigen ungarischen Lotterwirtschaft eine Absage erteilte. Allerdings konnte ich meinen Schwiegervater dazu bestimmen, seiner Tochter zu deren alleiniger Verfügung eine Jahresapanage von 2.000,– Pengö520, gleich ebenso viel Schilling, zu geben, die Judith in der Folge mehr oder weniger regelmäßig ausbezahlt wurde  ; daraus konnte sie ihre Leibwäsche und zum Teil auch ihren Kleiderbedarf decken. Ende 1922 wurde in Aba puszta die Pacht mit Pächter Gödöny nicht erneuert. Mein Schwiegervater übernahm die Bewirtschaftung des kleinen Gutes in der Erwartung, selbst mehr aus dem Gut herauswirtschaften zu können. Dem waren während meines Urlaubes in Aba lange Besprechungen vorangegangen. Durch frühere Briefe der Eltern veranlasst, hatte ich in meinem weiten Brigadebereich Erkundigungen über die Rentabilität kleiner Güter wie Aba eingezogen, das etwa 120 Hektar mit einem Grundwert von 160.000,– alten Kronen hatte und anscheinend aus steuerlichen Gründen auch in Pengö nicht höher bewertet war. In Österreich wurde mir gesagt, dass solche Mittelgüter, wenn nicht Kulturen hohen Wertes wie Hopfen, Arzneipflanzen, Wein, Mastviehzucht, Hühnerfarmen usw. betrieben würden, sich als Herrenbesitz nicht halten könnten und früher oder später nur große Bauerngüter würden. Schweren Herzens also hatte sich meine Schwiegermutter bewegen lassen, die Bearbeitung des Gutes ihrem Gatten László anzuvertrauen, der immerhin ein gereifter 1396, wird mit den großen Weihegeschenken in Verbindung gebracht, die König Ludwig von Ungarn nach einem Sieg über die Türken (1377) überbringen ließ. Markgraf Heinrich und König Ludwig sind jedenfalls von alters her als Stifter der Kirche verehrt worden. Schon auf dem unteren Relief im Tympanon des Hauptportals (um 1330) knien sie zu Seiten der Schutzmantelmadonna  ; die lebensgroßen Bleistatuen vor dem Portal, 1757, zeigen sie wieder. 520 Pengő (ung. „der Klingende“), frühere ungarische Währungseinheit, 1947 durch den Forint ersetzt.

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Mann war und viele Pläne zur rationelleren Bewirtschaftung des Gutes hatte. Sie bat mich aber in rührendem Vertrauen zu meinem Charakter, ihrem Manne mit Rat und Tat beizustehen. Auch dieser wünschte, dass ich mich in österreichischen Agrarkreisen umsehen und ihn über Anregungen und Erfahrungen aus diesen Kreisen informieren möge. Unverständlicherweise aber legte er sehr häufig meiner Frau, von der er wusste, dass sie trotz ihres treu bewahrten Österreichertums mit ihrem Herzen an Abas Erde hing, dar, sie sei eine reiche Frau und solle nur Vertrauen zu ihm haben  ; er werde auch sie über den vitézi szék (von Horthy gegründeter „Heldenorden“) zur Grundbesitzerin machen. So gerne ich den Wünschen beider Schwiegereltern entsprach, musste ich doch anderseits meine Frau vor Illusionen bewahren  : Ich sah die Lage so, dass wir zu Lebzeiten der guten Eltern dankbar alle Lebensmittel- und Urlaubsaufenthaltsunterstützungen annehmen konnten, jedoch nie damit rechnen sollten, dass Judith sich nach deren Ableben in Aba jemals daheim fühlen würde. Ihr Bruder Georg, der Alleinerbe, war ein kalter Egoist und würde für seine Schwester nie einen Finger rühren. Mein Schwiegervater ging die Bewirtschaftung Abas mit großem Elan an, freilich ohne Kapital. Und leider blieb ihm der Erfolg versagt. So gab es viel Mühen, Plage und Sorgen ohne Ende. Als Hilfskraft beschäftigte Vater bald Boris Bagenski, einen kreuzbraven russischen Kosakenoffizier, der als Flüchtling der weißen Armee über die Türkei nach Ungarn gekommen war. Da zeigte sich meinem guten Schwiegervater mit der von Ungarn nach dem Vorbild der alten österreichischen militärischen Grenzbesiedlung in Angriff genommenen Vitéz-Institution ein Silberstreifen am Horizont. Im Krieg hoch ausgezeichnete Offiziere und Soldaten sollten mit Grund bedacht werden, dessen Abgabe vom patriotischen Sinn der Großgrundbesitzer, besonders des Adels, erwartet wurde. Hier hoffte mein Schwiegervater durch die tapfere Führung seines Regimentes während der ganzen Kriegsdauer zum Zug zu kommen. Anderseits richtete mein Schwiegervater seine Augen auf seinen jüngeren Bruder Ádám in Debrecen, obwohl dessen Eheschließung mit einer einfachen Bürgersfrau anfangs seine Entrüstung hervorgerufen hatte, umsomehr, als deren verstorbenem Mann kriminelle Verfehlungen nachgetratscht wurden. Die kluge und dem Alter nach sehr gut zu Ádám passende Jolán Tóth besaß in Debrecen ein solid gebautes Landhaus mit einem Joch Garten, der ihr samt Hühner- und Entenhaltung alles zum Leben Notwendige reichlich bot. Außerdem hatte sie ein 50 ha großes Grundstück gut verpachtet. Dazu kam nun Ádáms Ruhegehalt, sodass die beiden alten Leute ein behagliches Leben führen und sogar Auslandsreisen unternehmen konnten. Der anfängliche Groll gegen diese Ehe besänftigte sich in dem Maß, als Jolán regelmäßig einmal meinem Schwiegervater, einmal meiner Schwiegermutter mit 100,– oder 200,– Pengö aushelfen konnte.

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Gemäß meinem langjährigen Freundschaftsverhältnis zu Onkel Ádám hatten Judith und ich die beiden gleich bei unserem ersten Urlaub 1922 in Debrecen besucht. Der Onkel wies darauf hin, dass seine Frau und er keine Erben hätten und brachte wieder den Gedanken meiner Adoption durch ihn vor, womit seine Frau einverstanden wäre und ich ins Erbe eintreten könnte. Wie bei früheren Gelegenheiten wies ich den Gedanken einer Adoption behutsam unter Hinweis auf meine aussichtsreiche Stellung in Österreich zurück, was Jolán gut verstand. Sie sagte dazu auch, dass als Erbe nur ihr Landhaus mit Garten in Betracht komme, weil sie mit Rücksicht auf die Art, wie ihr verstorbener Mann die 50 ha Acker erworben habe, diese einem wohltätigen Zweck widmen wolle. Damit betrachteten Judith und ich die Geschichte als erledigt  ; mein Schwiegervater hingegen behielt sie für die Zukunft im Auge. Solange kein Schulzwang meine beiden Damen früher zur Rückreise nach St. Pölten nötigte, fuhr ich nach Ablauf meines Urlaubes allein heim. Judith und Kind genossen noch lange den nach dem heißen Sommer schönen, milden ostungarischen Herbst. Dienstlich hatte sich in Österreich für mich Entscheidendes geändert. Das Heeresressort kam aus den Händen des Staatssekretärs Deutsch nach kurzen Zwischenbesetzungen in jene des christlichsozialen Ministers Carl Vaugoin.521 Dieser war anfangs aktiver Train-Oberleutnant gewesen, hatte dann aber den Dienst mit Versicherungswesen und Politik vertauscht. Vaugoin war nicht nur ein österreichischer Patriot mit hohem Ansehen in seiner Christlichsozialen Partei, sondern auch ein sehr guter, die alte kaiserliche Armee verehrender Soldat. Als solcher war er gleich nach Übernahme des Ressorts bestrebt, das mit Ausnahme des Großteils der Offiziere, man kann wohl sagen, rote Heer in eine dem bürgerlichen Element nahe kommende, im alten Geist disziplinierte Armee umzuwandeln. Angesichts der Stärke der Sozialdemokratischen Partei ging das nur langsam Schritt für Schritt. Und da die Soldaten die vollen politischen Rechte besaßen, wurde den sozialistisch und kommunistisch Organisierten der „Wehrbund“ als Vereinigung aller bürgerlichen Elemente entgegengestellt. Die Ordnung, die wir in der 3. Brigade schon, schärfer als in den anderen, erreicht hatten, wurde in den folgenden Jahren immer weiter ausgebaut. Im Verein mit meinen Kommandanten bemühte ich mich sehr, den Richtlinien Vaugoins gut nachzukommen und aus dem katholischen „Reichsbund“ Leute für die Rekrutierung gewillt zu 521 Über Carl Vaugoin siehe die Daten bei Glaise-Broucek II, S. 99, Anm.121. Vaugoin stammte aus einem bürgerlichen Geschlecht französischer Herkunft und war Juwelierssohn, Berufsoffizier bis 1899, dann ab 1898 christlichsozialer Politiker und Wiener Gemeinderat, in der Republik Abgeordneter zum Nationalrat, 1921 und 1922–21.9.1933 Bundesminister für Heerwesen, 30.9.1930–4.12.1930 Bundeskanzler, 1930–1934 Bundesobmann der Christlichsozialen Partei. Siehe  : Anton Staudinger, Carl Vaugoin, in  : Friedrich Weissensteiner/Erika Weinzierl (Hg.), Die österreichischen Bundeskanzler. Leben und Werk, Wien 1983, S.148–159.

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machen.522 Denn das uns von den Ententemächten aufgezwungene Wehrgesetz sah nicht die allgemeine Wehrpflicht vor, sondern ein Berufsheer mit einer 12-jährigen Dienstpflicht der Mannschaft. Meine Kommandanten und ich konnten uns jedoch nicht entschließen, selbst dem christlichsozial organisierten „Wehrbund“ beizutreten. Wir glaubten der Konsolidierung des Heeres als unpolitische Offiziere wie in der k. u. k. Armee besser dienen zu können. Einige Offiziere waren allerdings, ob aus Überzeugung möchte ich dahingestellt lassen, wie Obst. Körner sozialdemokratisch geworden und ließen sich nun christlichsozial organisieren  ; andere wiederum, die unpolitisch geblieben waren, meinten nun der Sache und sich besser dienen zu können, wenn sie sich dem „Wehrbund“ unmittelbar anschlossen. Mir jedenfalls widerstrebte es, gute Soldaten schlecht zu behandeln, weil sie überzeugte Sozialdemokraten waren, sowie christlichsozial organisierte zu fördern, wenn sie schlechte Soldaten waren. Disziplin und militärische Leistung verbunden mit einem anständigen Charakter blieben für mich immer maßgebend. Den „Roten“ gegenüber hielt ich eine starke Position  : Im Dienst schonte ich mich nicht, und bei den allseits gepflogenen Recherchen über das Vorleben der Offiziere war meine Arbeit als Maurergeselle bekannt geworden. Beliebte Titulaturen wie „Arbeitermörder“, „unsozialer Kapitalist“ und ähnliche prallten an mir überzeugend ab. Wenn Leute frech zu werden drohten, konnte ich ihnen mit aller Schärfe ins Gesicht sagen, dass ich als Gebildeter manuelle Arbeit nicht gescheut hätte  ; sie jedoch seien nicht einmal zu manueller Arbeit gewillt, offenbar nur zum Querulieren. Darauf wurde Soldat oder Politiker natürlich klein. Leider wuchsen die politischen Spannungen. Je besser wir das Heer mit Disziplin, moralischem Gehalt und militärischem Können erfüllten, umso schärfer entwickelte die Sozialdemokratische Partei ihre brachiale Gewalt im „Republikanischen Schutzbund“, worauf wieder die Bürgerlichen mit der „Heimwehr“ ein Gegengewicht schufen. 522 Siehe ÖStA/KA, Manuskripte, Allgemeine Reihe, Nr. 53  : Alfred Härtlein, Der Reichsbund der Österreicher, ungedruckte Maschinschrift, Wien 1937  : Der „Reichsbund der Österreicher“ wurde 1920 an der Stelle einer Partei der Monarchisten gegründet, die bei den Parlamentswahlen 1919 nicht in den Nationalrat gelangt waren. Er hieß zunächst „Bund der Österreicher“. Als 1924 eine „Konservative Volkspartei“ ins Leben gerufen wurde, wandelte sich der „Reichsbund“ zu einer legitimistischen Kulturorganisation, in welcher der (hier bereits genannte Oberst der Ruhe, Pohl, eine gewichtige Rolle spielte. Im Vorstand der Organisation waren der christlich-konservative Schriftsteller und Ideologe Richard Kralik, der christlichsoziale Journalist Friedrich Funder und der Ministerpräsident a.D. Frh. v. Hussarek. An Militärpersonen waren zu nennen  : der Präsident der Vereinigung GO i. R. Viktor Graf Dankl und der Theresienritter GM Guido Frh. Novak v. Arienti, der letzte Kommandant der Theres. Milakad. im 1. Weltkrieg. Dieser Letztere war 1921 Chef der legitimistischen Verbände in Österreich und in diesem Jahr in die Vorbereitungen für den 1. Restaurationsversuch Kaiser u. König Karls eingebunden.

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Als der geniale Staatsmann Prälat Seipel die Regierung übernahm, bot er den Sozialdemokraten dreimal die Zusammenarbeit in einer Koalition an. Diese lehnten dreimal ab und deklarierten durch ihren gescheiten, aber ehrsüchtigen Führer Bauer523 in Linz ein neues Parteiprogramm, das klar die „Diktatur des Proletariats“, also den Kommunismus, als ihr Ziel herausstellte.524 523 Zum letzten Mal hat der bereits schwer kranke Seipel die Bildung einer Konzentrationsregierung aus allen Parteien, vom Bundespräsidenten beauftragt, am 18.6.1931 versucht. Er plante die Aufnahme von vier Sozialdemokraten, drei Christlichsozialen, einem Großdeutschen und einem Landbündler in das unter seinem Vorsitz stehende Kabinett. Die Verhandlungen scheiterten an der Ablehnung der Sozialdemokraten. Infolge des Widerstandes Schobers gegen die Person Dr. Seipels, gelang es diesem auch nicht, eine bürgerliche Koalitionsregierung zustande zu bringen. Vorher war es bereits 1927 und 1929 der Fall gewesen, dass Seipel ähnliche Angebote gemacht hatte. Dazu schreibt Friedrich Funder, Als Österreich den Sturm bestand, Wien/München 1957, S. 27 f.: „Eine eigentümliche Hartnäckigkeit verschloß Otto Bauer, diesen charakterlich und intellektuell hoch stehenden Mann, zuweilen für am Tage liegende Erfordernisse der Wirklichkeit. Hinter Otto Bauer stand in seiner Partei die kämpferische Gruppe um Julius Deutsch, die noch den Geist der alten ‚Revolutionären Sozialisten‘ in sich trug. In erheblicher Entfernung befanden sich die ‚Reformisten‘ um Dr. Karl Renner, die sich dem Abrutschen der Partei in das kommunistische Lager entgegenstemmten.“ Dr. Renner, der Marxist mit 90 Prozent Vorbehalt, rechnet in seinen nachgelassenen Schriften seinem Widerpart Otto Bauer „das unbeugsame Festhalten an der gewonnenen Überzeugung“ aus den Umständen heraus als politischen Fehler an und sagt  : „Otto Bauer machte durch seine starre Haltung, durch das Gewicht seiner Persönlichkeit auch den Eintritt in die Koalition, außer um den Preis einer Parteispaltung, unmöglich.“ Der Mann Otto Bauer, den ein geflügeltes, von Viktor Adler stammendes Wort als „das begabte Unglück der Partei“ bezeichnete, war nun auf seinem Weg auf Dr. Ignaz Seipel, den Professor der Katholischen Theologie, gestoßen, der als Vormann der christlichen Bevölkerung und ihrer organisatorischen politischen Kraft dem Sozialismus die reale und geistige Herrschaft über Österreich verwehrte. Nicht nur die grundsätzlichen und politischen Richtungen der beiden Männer verliefen diametral, auch ihre Naturen waren verschieden  ; dem temperamentsprühenden Wesen Bauers stand die beherrschte, asketisch disziplinierte, in Wort und Bewegung gelassene Art Seipels gegenüber, der seinen sozialistischen Gegenspieler mit einer gewissen achtungsvollen Neugierde wie ein interessantes psychologisches Phänomen beobachtete. Schon die Ruhe seines Gegners konnte Bauer aus der Fassung bringen. Für Seipel bedeutete Politik, die Schwächen der menschlichen Gemeinschaft dem Gemeinwohl und der sittlichen Ordnung unterzuordnen. Für seinen Gegner Otto Bauer war Politik der Kampf um die Macht, die Herrschaft, um die alles befehlende, zur Gewalt rüstende Diktatur. Der Staat war für ihn Polizei, die zu erobernde Waffe der Klassengesellschaft. Aus seiner Einstellung war seine unversöhnliche Verneinung des von Seipel in Genf begonnenen Sanierungswerkes entsprungen. Jedes Gelingen in dieser Sanierung, nahe­ gebracht durch Seipel, dünkte ihm eine persönliche Niederlage. Seinem kämpferischen Ringen um die Herrschaft über den Staat erschien ein Sieg der geistigen Welt, die dieser Priester an der obersten Stelle des Staates personifizierte, als eine Fehlleistung der Geschichte. Die Daten über Otto Bauer und Ignaz Seipel siehe bei Glaise-Broucek I, S. 660, S. 498. Anm. 668 bzw. (Seipel), S. 235, Anm. 340. Die Angaben über Renner befinden sich bei  : Glaise-Broucek I, S. 498, Anm. 659. An Literatur siehe  : Viktor Reimann, Zu groß für Österreich, Seipel und Bauer im Kampf um die Erste Republik, Wien/Frankfurt/ Zürich 1968  ; Walter Rauscher, Karl Renner, Wien 1995. 524 Walter Kleindel, Österreich. Zahlen, Daten, Fakten. 5. Auflage. Herausgegeben, bearbeitet und ergänzt

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Dem setzte die „Heimwehr“ ihr faschistisches Ziel im „Korneuburger Programm“ entgegen. Während die ungesetzlichen Parteiarmeen aus privaten Mitteln aufgerüstet wurden, verkümmerte das gesetzliche Bundesheer mangels staatlicher Mittel.525 Minister Vaugoin war es 1923 gelungen, Obst. Körner als Exponenten alles „Roten“ im Bundesheer nach Beförderung zum General durch Versetzung in den Ruhestand auszuscheiden. Dieser trat bald darauf öffentlich als oberster Führer des „Republikanischen Schutzbundes“ in Erscheinung, was bei allen bürgerlich Gesinnten Abscheu

von Isabella Ackerl u. Günter K. Kodek, Salzburg 2007, S. 331  : „Vom 30. Oktober bis 3. November 1926 fand in Linz der Parteitag der Sozialdemokraten statt, auf dem Otto Bauer ein neues Programm vorlegte … Das umfangreiche ,Linzer Programm‘ ist in sechs Abschnitte gegliedert, wobei der Abschnitt IV abermals in 6 Teile unterteilt ist  : … III. Im Verlauf dieser Klassenkämpfe kann der Fall eintreten, daß die Bourgeoisie nicht mehr und die Arbeiterklasse noch nicht stark genug ist, allein die Republik zu beherrschen … Nur wenn die Arbeiterklasse wehrhaft genug sein wird, die demokratische Republik gegen jede monarchistische oder faschistische Gegenrevolution zu verteidigen, nur dann wird daher die Arbeiterklasse die Staatsmacht mit den Mitteln der Demokratie erobern und ausüben können …“ Jansa wird auch einer derjenigen gewesen sein, dem nur das Schlagwort „Diktatur des Proletariats“ aus dem Parteiprogramm und der erklärenden Rede Otto Bauers am Parteitag zur Kenntnis gebracht wurde. Otto Bauer hatte gesagt  : „… Nehmen Sie an, das Proletariat erobert die Macht mit den Mitteln der Demokratie. Werden wir die Demokratie aufheben  ? Keine Rede  ! Demokratie solange wir können. Diktatur nur, wenn man uns zwingt, und soweit man uns zwingt …“ Kommentar von Kleindel/Ackerl/ Kodek, S.331  : „Das Linzer Programm ist das klassische Dokument des ‚Austromarxismus‘. Wenn auch Bauer ausführte  : ‚Wer zur Gewalt greift ist der Gefangene der Gewalt‘, kommt mit diesem Programm die Gewalt in der österreichischen Innenpolitik auf.“ 525 Kleindel/Ackerl/Kodek  : Am 18. Mai 1930 war die Generalversammlung des Heimatschutzverbandes Niederösterreich in Korneuburg. Bundesführer Richard Steidle nutzte die Gelegenheit, um den niederösterreichischen Landesführer Julius Raab zur Entscheidung zwischen Christlichsozialer Partei oder der Heimwehr zu zwingen. Er bringt das „Korneuburger Gelöbnis“ zur Verlesung, womit die Gesamtbewegung auch ein Programm erhält. Einschließlich Raabs legen die Versammlungsteilnehmer einen Eid auf dieses Gelöbnis ab. Nur der Christlichsoziale Josef Dengler lehnt ab. Das „Korneuburger Gelöbnis stammt vom Generalsekretär der Bundesführung, Walter Heinrich, der aus der Schule Othmar Spanns kommt. Auszug  : Richtung und Gesetz der Heimwehren  : „Wir wollen Österreich von Grund auf erneuern  ! Wir wollen den Volksstaat der Heimatwehren. Wir fordern von jedem Kameraden den unverzagten Glauben ans Vaterland.“ Am 21. Juni bezeichnet Ernst Rüdiger (Fürst von) Starhemberg bei einer Kundgebung in Linz das „Korneuburger Gelöbnis“ als „recht unklar und phrasenhaft“. Starhemberg war der Hauptvertreter der österreichisch-patriotischen oder österreichisch-nationalen Richtung der Heimwehr im Gegensatz zum großdeutschen „Steirischen Flügel“ unter Walter Pfrimer. Am 2. September 1930 traten Richard Steidle und Walter Pfrimer als oberste Heimwehrführer zurück. Der Bundesführer des „gesamten österreichischen Heimatschutzes“ wurde Ernst Rüdiger (Fürst von) Starhemberg. Er vollzog eine Annäherung an die Christlichsoziale Partei. Am 7. Dezember gründet nach seinem Ausscheiden aus dem Heimatschutz Julius Raab mit Unterstützung der Christlichsozialen Partei und des Bauernbundes die „Niederösterreichische Heimwehr“, die für Demokratie, Parlamentarismus und Parteienstaat eintrat.

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erweckte.526 In der Folge sah man diesen Mann bei allen sonntäglichen Aufmärschen des „Schutzbundes“ und sonstiger Organisationen zur Einschüchterung des Bürgertums an der Spitze marschieren, wohl in Zivilkleidung, doch auffällig durch seinen Backenbart und die militärische Haltung. Im Bundesheer aber war mit Körner das Haupthindernis für die Konsolidierung beseitigt. Nicht in St. Pölten, jedoch in Wien, Linz, Wr. Neustadt und Graz kam es zu wilden Angriffen der „Roten“ auf Abteilungen des Bundesheeres, wenn diese mit den Kriegsauszeichnungen an der Brust an kirchlichen Feiern, besonders an Fronleichnamsprozessionen, teilnahmen.527 Dank der energischen Haltung Bundeskanzler Seipels und Minister Vaugoins konnten sich nach und nach Bundesheer und verschiedene Heimwehren immer mehr als Ordnungsmächte durchsetzen. Allen im öffentlichen Leben Stehenden wurde immer klarer, dass diese unguten Verhältnisse einmal zum Bürgerkrieg führen müssten, wenn Österreich sich vor dem Kommunismus bewahren wollte.528 526 „Oberster Führer“ des Schutzbundes war Körner niemals. Obmann des Schutzbundes und Mitglied des Parteivorstandes war Julius Deutsch. Körner war Mitglied des Obersten Organes des Schutzbundes, der Zentralleitung. Er war dort für das „Technische Referat“, für militärische Ausbildung, zuständig. Der Zentralleitung gehörte auch eine Anzahl „geheimer Mitglieder“ an, darunter General Schneller, dieser, allem Anschein nach bereits als aktiver Offizier, die Anordnungen des Ministers missachtend. 527 Siehe diesbezüglich  : Otto Naderer, Der bewaffnete Aufstand. Der Republikanische Schutzbund der österreichischen Sozialdemokratie und die militärische Vorbereitung auf den Bürgerkrieg (1923–1934) mit dem Kapitel  : Ab 1927 im Brennpunkt der Innenpolitik  : Assistenzen, Assistenzen, hier S. 66–81. dort heißt es  : „Innenpolitische Assistenzen zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung spielten im Bundesheer bis 1927 nur eine untergeordnete Rolle.“ Dies änderte sich nach dem Justizpalastbrand. Es wurden im Heer erstmals Generalstabsplanungen gegen weitere eventuelle Putschversuche ausgearbeitet. „Ein weiteres Ergebnis der zunehmenden Assistenztätigkeit als Folge der zugespitzten Lage war die Herausgabe der ‚Allgemeinen Dienstvorschrift (AdV)‘ von 1928. Theodor Körner nahm gegen sie besonders Stellung. Er verfasste dagegen im Frühjahr 1928 das Elaborat zur Diskussion im Technischen Ausschuss des Republikanischen Schutzbundes ‚Grundsätze für Gewaltanwendung und Bürgerkrieg‘, siehe zum bedeutenden schriftstellerischen und militärtheoretischen Wirken Körners  : Ilona Duczynska (Hg.), Theodor Körner. Auf Vorposten. Ausgewählte Schriften 1928–1938, Wien 1977. 528 Zu den Beurteilungen Jansas, enthalten in ÖStA, Archiv der Republik (künftig  : AdR), Dienstbeschreibungen  : Vor allem Obst. Sagai gibt eine ausführliche Beschreibung am 1.9.1922 ab  : „Heiter, lebhaft, voll Initiative und Energie, dabei von strengen Grundsätzen geleitetes, rasches und richtiges Urteil, klares Denken, allgemeines Wissen, körperliche wie geistige Unermüdlichkeit stempeln ihn zum vorzüglichen Soldaten. Hat auf seinem Posten vorzüglich entsprochen. Zum Stabschef einer Brigade für ein selbständiges Abteilungskommando für Posten des höheren Dienstes im Bundesministerium hervorragend geeignet.“ An dieser Beurteilung änderte sich bis 1929 nichts. Am 31.12.1929 schrieb GM Janda bei Gegenzeichnung durch GdA. Eimannsberger u.a. „War im Informationskurs für Stabsoffiziere der Truppe als Gruppenleiter eingeteilt. Gen. Schäfer berichtete über ihn  : ‚Entsprach hervorragend, musterhafte Anleitung der Frequentanten. Sehr wohlwollend bei größter Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit. Hat die Übungen der ½ 3. Brigade in Kärnten geleitet und hiebei ebenso wie als

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Mit diesem kurzen politischen Überblick bin ich meinem Tun und Geschehen vorausgeeilt, um das unruhige Milieu, in dem wir zu leben hatten, darzustellen. Meine bei allen Gelegenheiten bewundernswert sozial denkende und auch politisch klarsichtige Frau war mir ein tapferer Lebenskamerad. Wir sahen im Frühjahr 1923 der Geburt unseres zweiten Kindes entgegen, das für Judiths und mein simples Denken ein Bub sein werde. Alle möglichen Namen hatten wir bereits durchgesprochen, am besten gefiel uns Leopold. Während die Schwiegermama die Zeit der Niederkunft Judiths im März für ihren Besuch ausgewählt hatte, besuchte mein Schwiegervater uns im Jänner und Februar 1923. Ein für uns heikles Thema schnitt er mit dem Gedanken an, seine Frau solle ihm ihren Grundbesitz zur Gänze als „vitézi telek“ schenken. Dadurch würde der Besitz staatlich gebunden, was eine Sicherung gegen die von Georg nach dem Tod der Eltern zu gewärtigende Verschleuderung des Besitzes wäre. Die Mutter gelegentlich ihrer Anwesenheit in St. Pölten zu beeinflussen, lehnte ich rundweg ab, hing sie doch mit Stolz an Aba puszta. Der Gesundheitszustand meiner Frau war ausgezeichnet. Der Gynäkologe stellte eine leichte Geburt in Aussicht und empfahl uns eine zuverlässige Hebamme, weshalb wir eine Heimgeburt beschlossen. Wir hatten ein Dienstmädchen und eine Bedienerin. Die Hebamme, Frau Angelmaier, kam einmal zu Besuch und sagte uns genau, was alles vorzubereiten war. Meine liebe Frau hatte für die Entbindung das neben der Küche gelegene Kabinett gewählt, weil dort die beiden in Salzburg erworbenen Militärbetten standen, deren durchbrochene Rücken- und Fußteile Judith wegen der leichten Festhalte-Möglichkeit vorzog. Meine liebe Schwiegermama war – hervorgerufen durch ihr Basedow-Leiden – in einem außerordentlich nervösen Zustand angekommen, der sich vor der Geburt so steigerte, dass ich die Arme nach Eintritt der Wehen am anderen Ende der Wohnung in die Loggia setzen musste. Judith war es sehr recht, dass an Stelle ihrer Mutter ich der Hebamme assistierte. Sie war außerordentlich tapfer, ließ keinen Laut hören und um 9h abends war alles glatt überstanden. Wir hatten von Gott ein gesundes Frühlingskind geschenkt erhalten. Wie erstaunt waren wir beide jedoch, dass es ein Mädchen war  ! Wieder musste ich meiner lieben Frau versichern, dass mir das Mäderl529 ebenso lieb sei wie ein Bub. Führer der Westpartei während der Schlußübungen vorzüglich entsprochen.‘ Seine Dienstleistung als zugeteilter Offizier war gleichfalls eine ganz vorzügliche. Hat während der großen Übungsreise eine Armeegruppe mit Energie und Initiative geführt und als Führer hervorragend entsprochen …“ 529 Herta Wilma Georgine Jansa wurde am 21.3.1923 geboren. Sie lebt in Wien. Sie ist Akademikerin, war hohe Bundesbeamte und ist Mutter, Großmutter und Urgroßmutter sowie Verwalterin des Nachlasses ihres geliebten und verehrten Vaters.

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Die liebe Schwiegermutter wollte es gar nicht glauben, als ich ihr um 10h abends sagte, dass alles glücklich beendet sei. Sie hätte doch gar kein Schreien gehört, wovor sie sich so sehr gefürchtet habe. Trotzdem blieb meine Erstgeborene ihr Lieblingsenkel  ; die so rosig schlafende Zweite hatte ihr zu viel Aufregung bereitet. In den Jahren 1923 und 1924 fuhren Judith und ich nicht nach Aba puszta. Die beschwerliche Reise mit der Kleinen schreckte uns weniger, vielmehr schienen uns die große Hitze, der Mangel an guter Milch und die Milliarden Fliegen zu gefährlich. Ab 1925 waren wir sommers wieder regelmäßig auf dem ostungarischen Gut. Bei uns daheim war das Jahr 1924 ein sorgenreiches. Im Frühjahr hatte ich einen heftigen Gallenanfall erlitten, und kurz darauf begann meine Frau zu kränkeln. Sie fühlte sich schwach und klagte über starke Rückenschmerzen. Dr. Klaus untersuchte Judith ganz genau. Er fand keine akute Ursache. Der Herzfehler und die hochgradige Blutarmut waren ja schon bekannt, und sie trank konsequent ihren Eisenwein. Dr. Klaus führte ihre körperliche Schwäche auf zu langes Stillen zurück und war der Meinung, dass man nur Geduld haben solle, sie werde sich schon erholen. Mir sagte er, ich möge kein drittes Kind forcieren. Um ganz sicherzugehen, bat ich auch den Militärarzt Dr. Steingötter, der einen ausgezeichneten Ruf genoss, Judith zu untersuchen. Der hatte angesichts des blassen Teints meiner Frau zuerst die Sorge, dass es sich um einen der damals so häufigen Lungenspitzenkatarrhe handeln könnte. Er legte darum besonderes Gewicht auf die gründlichste Untersuchung der Lunge, fand jedoch keinen Anlass zu irgendeiner Sorge. Gleich Dr. Klaus war er der Meinung, sie möge ruhig weiterleben, es werde alles wieder gut werden. Und so war es auch  : Judith erholte sich nach und nach wieder ganz. Im Herbst 1924 bekamen unsere beiden Kinder den Keuchhusten, an dem sie lange laborierten. Dr. Klaus organisierte für das Frühjahr 1925 für seine Schützlinge, die alle den Keuchhusten hatten, einen zweimonatigen Aufenthalt in Grado,530 wo die salzige Meerluft die Kinder seiner Erfahrung nach völlig ausheile. Zwar war ich sofort dafür, doch betrugen die Kosten alles in allem 2.000,– Schilling pro Kind. Da mein erspartes Geld längst dahin war, zögerte ich nicht, ein damals mögliches Gesuch um einen Gehaltsvorschuss zu stellen, der in 48 Monatsraten zurückzuzahlen war. Der wurde mir bewilligt. Also reiste meine Frau Anfang Mai mit dem ganzen Konvoi nach Grado  ; nachdem sie sich überzeugt hatte, dass die Kinder dort gut versorgt würden, kehrte sie bald heim. Von ihrem Adria-Aufenthalt kamen die Kinder dann gesund und braun nach Hause. 530 Grado  : bekanntester und beliebtester Badeort Altösterreichs in Oberitalien, heute in der Provinz Udine, auf der gleichnamigen Insel im Golf von Triest. Es war beim Eindringen der Langobarden Zufluchtsort des Patriarchen von Aquileia. Nach der Rückkehr (607) wurde es Sitz eines mit Aquileia rivalisierenden Patriarchats. Seit dem 12. Jh. residierten die Patriarchen von Grado in Venedig, wohin 1451 der Patriarchentitel übertragen wurde.

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Nach unserer Rückkehr vom Sommeraufenthalt in Aba behandelten wir beide Kinder erfolgreich mit dem damals neu herausgekommenen Diphtherie-Serum, das durch längere Zeit einzureiben war – die Diphtherie mit all ihren bösen Folgen blieb uns erspart. Masern und Schafblattern gingen ohne besondere Schwierigkeiten vorbei. Nach dem Krieg gab es in St. Pölten viele tuberkulöse Kinder. Der Appetitmangel unserer Älteren weckte in mir die Angst, sie könne ebenfalls infiziert sein. Ich entschloss mich, mit ihr zum berühmten Kinderarzt Baron Pirquet531 nach Wien zu fahren. Wir suchten ihn in seiner Privatordination in der Alserstraße auf. Er war eine ganz eigenartig große, vornehme Erscheinung, hatte jedoch das Lächeln verlernt. Sein in der Kriegsnotzeit erdachtes Nem-System (1 Nem entsprach dem Nährwert eines Würfels Zucker) war in ganz Europa bekannt geworden. Er hatte auf seinem Schreibtisch unter Glas Tabellen, auf denen die Berechnungen festgehalten waren, wie viel Nem Nahrung ein Kind seinem Alter nach aufnehmen müsse, um zu gedeihen. Nachdem ich meine Sorge wegen Tuberkulose vorgebracht hatte, untersuchte er die Kleine ganz genau und wandte sich dann zu meiner Frau mit der Äußerung, der Kleinen fehle organisch gar nichts, sie sei ausgehungert. Wir beide waren über diese Diagnose erleichtert und erstaunt. Pirquet schrieb, immer auf seinen Tabellen nachsehend, eine lange Liste auf, die er dann meiner Frau reichte. Da war ein Wochen-Speiseplan aufgeschrieben, nach Gramm und Flüssigmaß genau, wie viel unsere Tochter bei jeder Mahlzeit essen musste. Als meine Frau die Vorschreibung überlesen hatte, meinte sie, das wäre ganz schön, aber so viel Nahrung werde ihr Kind einfach verweigern. Darauf erwiderte Pirquet  : „Dann müssen Sie die Kleine halt stopfen wie ein Stück Geflügel.“ Schließlich äußerte sich Judith noch fragend, ob die Gesichtsblässe nicht krankhaft sei, worauf Pirquet, schon etwas ungeduldig geworden, erwiderte  : „Nein, das ist halt Ihr Kind  ! Und Ihre Mutter hat sicher auch den blassen Teint. Solche Mütter können keine rotbackigen Kinder haben.“ Das Honorar bezahlte ich froh, nun gewiss zu sein, dass mein liebes Kind gesund sei. Daheim begann dann eine Mast in Mengen, die wir nicht für möglich gehalten hätten. Es gab Tränen, aber nach einiger Zeit war die Wirkung groß. Da ich in der Sorge um die Kinder sehr genau war, steckte ich Klein-Judith auch täglich das Thermometer in die Achsel und war beunruhigt, dass es fast immer 37,1 bis 37,2 zeigte, die typische Temperatur aller an der Lunge laborierenden Menschen. Zum Glück war neben uns 531 Klemens Frh. Pirquet von Cesenatico (Hirschstetten, NÖ, heute Wien, 12.5.1874–28.2.1929, Wien, Selbstmord), Sohn eines Reichsratsabgeordneten, Jesuitenschüler, Theresianist, Studium der Theologie in Innsbruck, der Philosophie in Löwen, der Medizin in Weser, Königsberg und Graz. 1900 Dr. med., 1911 Ordentlicher Professor und Vorstand der Universitätskinderklinik in Wien. Machte sie zum Mekka der Pädiatrie, schuf den Ausdruck Allergie und begründete eine neue Ernährungslehre ; organisierte mit seinen amerikanischen Freunden ein großartiges Kinderhilfswerk für Österreich.

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im gleichen Haus ein Kinderarzt, Dr. Ossoinigg, eingezogen, der an der Grazer Klinik als Schüler des berühmten Professors Hamburger gearbeitet hatte. Auf Patientensuche sah er einmal Klein-Judith unaufgefordert an und fragte, ob das Kind nicht erhöhte Temperaturen habe  ; ich bejahte. Darauf erwiderte er, das Kind habe zu große Halsmandeln, die müssten ihm genommen werden  ; nach St. Pölten sei soeben ein Spezialist zugezogen, der werde die Operation in Ossoiniggs Wohnung für uns möglichst bequem arrangieren  ; und es werde uns auch wenig kosten, weil die Krankenkasse das bezahle. Ob es sich da nicht um eine reißerische Patientenwerbung handelte  ? Vorher wollte ich jedenfalls noch einmal Pirquets Meinung hören. Da kam am nächsten Tag die erschütternde Nachricht, dass dieser große Arzt gemeinsam mit seiner Frau durch Gift aus dem Leben geschieden war. Wir betrauerten ihn aufrichtig. Nach Rückfrage bei Steingötter sagten wir Ossoinigg zu. Das Ergebnis war sehr gut  : Die erhöhten Temperaturen schwanden und die Kleine blühte auf. 1926 war sie schulreif geworden, und wir hätten das Kind gern in der ausgezeichneten Schule der Englischen Fräulein gesehen.532 Die dauernde Hetze des Pastors gegen dieses Institut erreichte schließlich, dass der Bischof, Exzellenz Memelauer533, die Aufnahme protestantischer Kinder auch als Externe verbot. So musste unsere Tochter den Unterricht in der öffentlichen Volksschule beginnen, was insofern eine Zurücksetzung bedeutete, als Mädchen aus gutbürgerlichen Familien durchwegs bei den Englischen Fräulein eingeschult wurden. Auch für unsere Jüngere brachte unsere Mischehe eine Enttäuschung  : Die jährliche Fronleichnamsprozession, die sich auf dem großen Platz vor Franziskanerkirche und Rathaus abspielte, wurde von meiner Frau und den Kindern von den Fenstern des Schneck-Hauses mitverfolgt, und es kränkte uns oft, wenn wir wahrnahmen, wie sehr das Kind zu den schön gekleideten Mädchen im Prozessionszug wollte  ; denn als Kalvinerin durfte sie nicht mitmachen. Auch meine Frau zog es zur katholischen Kirche. Trotzdem sprachen wir nie von einer Konversion  ; wir wollten der Schwiegermutter diesen Schmerz nicht antun. Nach zwei Jahren änderte sich die Lage  : Der neue protestantische Direktor der Glanzstofffabrik Von der Heide brachte den von der finanziellen Unterstützung durch diese Fabrik abhängigen Pastor dazu, seine Tonart wesentlich zu ändern. Die Familie Von der Heide, mit der wir bald in netten Verkehr kamen, hatte ein gleichaltriges Mädchen, Ilse, und es gelang unseren vereinten Bemühungen, den Bischof zur Aufhebung seines Verbotes der Einschulung 532 Das Institut der Englischen Fräulein in der St. Pöltner Linzerstraße wurde 1706 gestiftet. 1718 wurde die Kirche als kleiner mit Tambourkuppel überwölbter Zentralbau errichtet. Der Anteil des Architekten Prandtauer und seiner Schule an der prunkvollen Fassade ist umstritten. 533 Michael Memelauer (Schaching bei Hohenberg, NÖ, 23.9.1874– 30.9.1961, St. Pölten), Landwirtssohn, 1897 Priesterweihe, Kaplan, Pfarrer, 1904 Domkurat in St. Pölten, 1927 Bischof der Diözese St. Pölten. Memelauer übte dieses Amt bis zum Tode aus und ist in St. Pölten unvergessen.

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protestantischer Kinder zu bestimmen. Dadurch konnte unsere Ältere zu den Englischen Fräulein umgeschult und später unsere Jüngere dort direkt hingebracht werden. Die militärisch-dienstlichen Verhältnisse waren hinsichtlich der Disziplin der Truppen zwar immer besser, sonst jedoch unerfreulich geworden. Die finanzielle Ordnung war durch Bundeskanzler Seipel beim Völkerbund in Genf mit einer Auslandsanleihe nur gegen Zubilligung der Kontrolle unserer Finanzgebarung durch einen holländischen Einsparungskommissär geglückt. Wenn in Österreich Einsparungen gemacht werden müssen, dann ist es alte österreichische Tradition, beim Heer zu beginnen. So auch jetzt. Im zuständigen Ministerium war an die Stelle von Gen. Körner ein General Schiebel534 getreten, dessen Geistesvermögen sich am besten durch seinen mir gegenüber 1929 gemachten Ausspruch charakterisieren lässt  : „Einem jeden, der mir sagt, dass innerhalb der nächsten zwanzig Jahre ein Krieg möglich wäre, dem sage ich, dass er ein Trottel ist.“ Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, war ich schon in Erfurt kon534 Artur Schiebel (Brünn bzw. Brno, Mähren – 27.11.1966, Langenzersdorf, NÖ),18.8.1897 als KadettOffiziersstellvertreter aus IKSch. Königsfeld bei Brünn zum IR 18, 1.11.1906 Hptm. LIR 17, 31.12. 1907 übersetzt in die Landwehr, ab 1.11.1908 Glstbskarriere, 25.1.1913 Vorstand der Lw.Gruppe des XIV. (Grazer) Korps, 1915 ins Departement VIII d. k. k.MfLv., 1.5.1914 Mjr., Mobilisierungsdepartement des k. k.MfLv., 1.8.1914 Stellv.d.Glstbschefs 10. Armee, später Glstbschef 92. ID, 8.11.1917 Stellv. Vorstand der Präsidialbüros des k. k.MfLv, 1.11.1918 Obst.i.G, Nov. 1918 Angehöriger des Staatsamtes für Heerwesen, 1.2.1920 Leiter d. Abt. I des BMfHw., 1.6.1923 Vorstand des Präsidialbüros BMfHw., 1.6.1924 GM, 1.3.1926 General, 1926–1934 Leiter der Sektion I, zugleich Präsidialbüro, 1931 auch Staatskommissär für die Reform der Verwaltung und den Abbau der Lasten. Sein Nachlass  : ÖStA/KA, NLS, sign. B/387. Schiebel hat sehr trocken geschriebene Memoiren hinterlassen (B/387, Nr. 2), eher einen Tätigkeitsbericht über seine Dienstzeit in der k. u. k. Armee sowie im Bundesheer. Eine Art Auszug hat der General am 6.10.1958 in einem Vortrag im Verein „Alt-Neustadt“ wiedergegeben, der im Mitteilungsblatt „Alt-Neustadt“ Nr.1/1959, S. 6 f abgedruckt ist. Dort heißt es  : „Im Jänner 1923 wurde die Teilnahme in Uniform an öffentlichen Aufzügen, Wählerversammlungen und jede parteipolitische Betätigung verboten und die Grußpflicht auch außerhalb Dienst verfügt. Vor der überspitzten Geistesausbildung wurde der militärischen Ausbildung der Vorrang eingeräumt. Der Wirkungskreis der Vertrauensmänner wurde punktweise geregelt, Fahnen und Standarten eingeführt, der Traditionspflege ein besonderes Augenmerk zugewandt und die Teilnahme an den traditionellen kirchlichen Feiern zugelassen. Abgesehen von der scharfen Ablehnung aller Neuerungen durch die Oppositionspartei in der Presse und im Parlament gab es auch sonst mannigfache Erschwerungen, so beispielsweise bei der aus erzieherischen Gründen beabsichtigten gesonderten Ausbildung der Neueingerückten. Durch den Erlaß im Jahre 1925, daß unrichtige oder übertriebene Mitteilungen von Heeresangehörigen zu ahnden seien, wurde ein zunehmender Unfug abgestellt. Da ein Gesetz Privaten den Besitz militärischer Waffen und Ausrüstungsgegenstände verbot, beauftragte General Schiebel 1927 den energischen Major Freudenseher [Theresienritter] mit dem Ausräumen der im Arsenal versteckten Waffen, worunter sich 800 neue Maschinengewehre befanden … Im Herbst 1927 wurde durch die Einstellung von 5.000 Jungmännern an Stelle ehemaliger Volkswehrmänner die Verjüngung des Bundesheeres beendet …“

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finiert und deshalb des zweifelhaften Vergnügens enthoben, ihn zu fragen, wer nun eigentlich der „Trottel“ sei. Gemeinsam mit Minister Vaugoin setzte dieser General den Abbaumaßnahmen nicht den geringsten Widerstand entgegen. Der nach dem Friedensvertrag von SaintGermain mit 30.000 festgelegte Stand des Heeres wurde bis auf 18.000 reduziert. Im Heer herrschte dadurch nach und nach über die ministerielle Führung eine Verbitterung, die sich in der Meinung äußerte, dass Vaugoin und Schiebel bereit wären, das ganze Bundesheer abzubauen, wenn nur der eine Minister und der andere Sektionschef bleiben können. Es war daher kein Wunder, wenn die Offiziere neidvoll oder bewundernd nach Deutschland zu blicken begannen, wo für das 100.000 Mann starke Heer nicht nur alle finanziellen Mittel reichlich gegeben wurden, sondern auch noch genug Geld für die Entwicklung neuer Waffen auf russischem Staatsgebiet vorhanden war. Die durch die starre Negationspolitik der Sozialdemokratischen Partei immer mehr zu einem Bürgerkrieg treibende Innenpolitik zwang das Bundesheer, sich entsprechend auf die Auseinandersetzung im Inneren einzurichten. Es war ein Wunder und gibt ein beredtes Zeugnis von den hohen Qualitäten der aus dem kaiserlichen Heer hervorgegangenen Offiziere, dass der operativ-taktische Ausbildungsgrad des Heeres, besonders unter dem hervorragend begabten Heeresinspektor Siegmund Knaus, trotzdem eine vom Ausland nicht übertroffene Höhe erreichte. Sogar auf dem Gebiet der Waffentechnik wurden mit geringsten Mitteln gute Erfolge errungen, wenigstens mit Modell-Entwicklungen. Ein Beispiel, wie tief an höchster Stelle die Moral bezüglich der Verteidigungspflicht gesunken war, will ich anführen  : 1927, als infolge des gespannten Verhältnisses zwischen Italien und Jugoslawien mit der Möglichkeit eines Krieges gerechnet werden musste, verlangte das Land Kärnten mit Recht Vorkehrungen zum Schutz seiner Grenzen. Das Ministerium übertrug die Verantwortung dafür und die Leitung unserem 3. Brigadekommando. Der Weisung entsprechend studierte und bearbeitete ich alle Maßnahmen zur Sicherung der Grenzen gründlich und ernst. Mein Brigadier GM Janda und ich fuhren nach Kärnten, besahen unsere nach der Karte entworfenen Maßnahmen im Gelände und pflogen Rücksprache mit der Landesregierung. Der damalige Landeshauptmann Lemisch535 war Gutsbesitzer und erfüllt von seiner Verantwortung. Er sagte uns alle Unterstützung zu, die das Land aus Eigenem geben 535 Arthur Lemisch (St. Veit an der Glan, Kärnten, 4.2.1865–29.10.1853, ebendort), Rechtsanwalt, 1897 für die Deutsche Volkspartei Abgeordneter zum Reichsrat, auch Abgeordneter zum Kärntner Landtag, im 1. Weltkrieg Mitglied des Ernährungsbeirates, bei Kriegsende 1918 zum Landesverweser bestellt, ab 1921 Landesrat in der Kärntner Landesregierung und Abgeordneter des Landbundes im Kärntner Landtag, 1927–1930 Landeshauptmann von Kärnten.

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konnte. Nach St. Pölten zurückgekehrt fassten wir unsere Anträge zu einem Bericht zusammen und legten diesen dem Ministerium mit den geringsten berechneten Erfordernissen vor. Als längere Zeit keine Antwort kam, bewog ich den Brigadier zu einer persönlichen Berichterstattung beim Minister für Landesverteidigung. Als Janda von Wien zurückkam, zeigte er sich über meinen Rat recht verärgert, die Erfordernisse dem Minister unmittelbar vorzutragen. Er habe nichts erreicht  ; Gen. Schiebel wäre sehr ungehalten gewesen, dass der Brigadier den Minister selbst zu sprechen wünschte  ; der ganze Auftrag sei der Brigade nur gegeben worden, um den Kärntner Landeshauptmann zu beruhigen. Im Ministerium denke man nicht daran, in Kärnten etwas zu tun, was Geld kosten könnte.536 Beim Vortrag vor Vaugoin, bei dem Schiebel auch zugegen gewesen sei, hätte der Minister für den sittlichen Ernst, mit dem wir den Auftrag des Ministeriums bearbeiteten, nur spöttische Bemerkungen übrig gehabt, jedoch strengstes Stillschweigen gegenüber der Kärntner Landesregierung geboten. Aus Sorge vor seiner etwaigen Pensionierung fügte sich Janda. Ich arbeitete mit dem Leiter der Heeresverwaltungsstelle Klagenfurt und dem Kommando des dortigen In536 Dazu ein Auszug aus  : Helge Lerider, Die operativen Maßnahmen gegen die Nachfolgestaaten der Monarchie von 1918 bis 1938 unter besonderer Berücksichtigung der Ära Jansa. Maschinschriftliche Prüfungsarbeit am 7. Generalstabskurs der Landesverteidigungsakademie, Wien 1975 (ÖStA, Bibliothek, sign. II. 61148)  : Die erste Maßnahme bei Grenzschutzvorsorgen war die 1923 organisierte „Grenzbeobachtung“ durch die nächstgelegenen Brigade oder Brigaden, im Fall „T“ war dies die 4. und 3. Brigade, im Fall „S“ (SHS-Staat) die 5. und 6. Brigade. „Eine Intervention des SHS-Staates um vielleicht doch noch Kärnten zu erlangen, war stets zu befürchten, dabei hatte man mit der Unterstützung der Tschechoslowakei … zu rechnen. Der Gedanke der Errichtung des Korridors, der beide Staaten verbinden sollte, dürfte sehr maßgeblich gewesen sein … dies war noch im Oktober zum Beispiel auch nach der Verschärfung des Konflikts um Fiume 1923 der Fall … Erst auf ausdrückliches Drängen der Heeresverwaltungsstelle Klagenfurt traf das BMfHw. am 19.9.1923 erste Maßnahmen für den Fall einer Auseinandersetzung zwischen SHS und Italien … Noch im Oktober 1923 überprüft Körner in Kärnten und in Osttirol die zur Grenzbeobachtung vorbereiteten Maßnahmen, wobei er mit den Offizieren auch ,applikatorische Besprechungen‘ abhält und ,ziemlich verworrene, widersprüchliche Ansichten‘ über die Grenzbeobachtung feststellt … Es kommt zur Errichtung eines ,Höchstkommandos Kärnten‘, was an der grundsätzlichen Unterstellung der Truppen dieses Raumes unter die 6. Brigade [Tirol, Vorarlberg, Salzburg und Kärnten, Kommando in Innsbruck] nichts ändert. Jetzt ist das ,Höchstkommando Kärnten‘ für die Koordinierung aller diesen Raum betreffenden Sicherung- und Alarmmaßnahmen zuständig … Bei der ,Übungsreise 1927‘ der ,Militärischen Fachprüfungskommission‘ (des getarnten Generalstabskurses) ist das Thema der Anlass für operative Ausarbeitungen, die von der Annahme der gemeinsamen Verteidigung mit den Italienern ausgehen, wobei nach den Ausarbeitungen auch Freiwilligenverbände eingesetzt werden.“ Der getarnte Militärattaché beim deutschen Chef der Heeresleitung General v. Seeckt, der öst. Obstlt. Mauritz Wiktorin, führt in seinen Notizen für ein geplantes Memoirenwerk, das nur für den 1. und den 2. Weltkrieg in Maschinschrift vorliegt, an  : „1925 [offensichtlicher Schreibfehler, Notizen nach „1926“], Krise mit Jugoslawien – Vortrag bei Seeckt mit Kundt [geheimer dt. Militärattaché im BMfHw. Jaspar Kundt] – Unterstützung zugesagt.(ÖStA/ KA, NLS, sign. B/1191).

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fanterieregimentes im Stillen weiter und es wurden nach und nach wenigstens jene Sicherungsarbeiten vollbracht, die aus Landesmitteln geschehen konnten.537 Sonst verliefen die Jahre der militärischen Tätigkeit im üblichen Friedensrhythmus  : Rekrutenausbildung, Wintermarschübungen, Kriegsspiele und applikatorische538 Übungen, Sport- und Alpinausbildung, Frühjahresinspizierungen aller Garnisonen, Hilfeleistungen bei Elementarereignissen, Übungslager für die Truppen, Herbstmanöver, Waffenruhe und bei den berittenen Truppen in Stockerau Jagdritte. In diesem Jahr 1927 überraschte mich in Aba puszta die Nachricht vom kommunistischen Exzess in Wien. Die ewig aufhetzende Tätigkeit der Sozialdemokraten hatte es dazu gebracht, dass die kommunistisch eingestellten Teile der Sozialdemokratischen Partei von Floridsdorf mit Petroleumkannen zum Justizpalast zogen und diesen einfach anzündeten, um das die bürgerlichen Besitzverhältnisse festhaltende Grundbuch zu vernichten, was ihnen auch gelang. Der sozialistische Bürgermeister und Landeshauptmann von Wien, Karl Seitz, lehnte den Einsatz des Bundesheeres ab, sodass die dem regelrechten Aufruhr kaum gewachsene Polizei erst nach ihrer Bewaffnung mit Gewehren unter beiderseitigen schweren, blutigen Verlusten die Ordnung wiederherstellen konnte.539 537 Anmerkung von Knaus  : „Es ist interessant, daß ich als damaliger Präsidialchef im Heeresministerium, als gebürtiger Kärntner und ehemaliger Stabschef bei der Verteidigung Kärntens von diesen Vorgängen im J. 1927 nicht unterrichtet wurde. Knaus GdI, 5.4.1962 [e. h.]“ 538 Alle Übungen usw. sind bei Michael Grahofer, Die Aufstellung und Entwicklung der 3. Brigade des Österreichischen Bundesheeres der Ersten Republik, Wiener Dissertation 1981, angeführt und kurz beschrieben. 539 Zu dieser Textstelle wurde folgende, ursprünglich höchstwahrscheinlich handschriftliche Anmerkung gemacht, die maschinschriftlich in den Text eingefügt wurde  : „Nicht Seitz, sondern der Polizeipräsident Johannes Schober, der stets ein Gegner des Bundesheeres war. Erst um 5h nachm. des 15.7.1927 erhielt ich vom Bundeskanzler Dr. Seipel die Erlaubnis, dass das Bundesheer eingreifen kann. Teile der AJR 4 u. 5 stellten bis 7h abends die volle Ruhe her. Knaus GdI. 5.4.1962.“ Dazu die Anmerkung des Herausgebers  : Am 30.1.1927 kommt es in Schattendorf, Burgenland, zwischen Angehörigen des Frontkämpferbundes und des Republikanischen Schutzbundes zu einem blutigen Zusammenstoß. Von drei später angeklagten Personen werden Schüsse abgegeben, die einen Kriegsinvaliden und ein Kind töteten, elf Personen verletzten. Der Schattendorfer Prozess vor dem Wiener Geschworenengericht (Schwurgericht) gegen drei Frontkämpfer (Landwirtssöhne) endet am 14. Juli mit einem Freispruch durch die Geschworenen – auch in der Eventualfrage auf Notwehrüberschreitung. Am 15. Juli morgens liest man einen überaus scharfen Leitartikel von Chefredakteur Friedrich Austerlitz in der „Wiener ArbeiterZeitung“ in dem er den Freispruch verurteilt, die Geschworenen „eidbrüchige Gesellen“ nennt und die Frontkämpfer beschuldigt  : „Sie wollten aber schießen …“ Eine um 9 Uhr ruhig ­beendete SDP-Demonstration wurde von einer wilden Massendemonstration (unter die sich der Mob mengte) abgelöst, die von den sozialdemokratischen Führern, vor allem Bürgermeister Karl Seitz und dem Abgeordneten Julius Deutsch, nicht mehr beruhigt werden kann. Der Schutzbundoberkommandant Julius Deutsch hatte der Menge keine Ordnerschaften des Schutzbundes beigegeben. Es kommt zu einer Brandlegung

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im Justizpalast und zur Erstürmung eines Polizeikommissariats. Die eintreffende Feuerwehr wird an den Löschaktionen gehindert. Der Polizeipräsident Dr. Johannes Schober hatte die volle Rückendeckung der Regierung. Er ließ zunächst die Polizeireiterei eingreifen, rüstet aber dann die Polizei mit Gewehren aus und diese eröffnet das Feuer. Es gibt insgesamt 89 Tote, darunter 4 Angehörige der Exekutive sowie rund 660 Schwer- und 1.000 Leichtverletzte. Gemäß der vom Stadtkommandanten Generalmajor (später General) Otto Wiesinger um 1930 verfassten Schrift „Stadtkommando und Garnison Wien im Jahre 1927. Politische Ereignisse und militärische Tätigkeit bei besonderer Berücksichtigung der Begebenheiten im Monat Juli“  : „Verfügung und das Stadtkommando bzw. Brigadekommando stand in ständiger Verbindung mit der Polizeidirektion. Diese gab um 9 Uhr 15 eine allgemeine Orientierung an den Stabschef des Stadtkommandos  ; um 11 Uhr rief Hofrat Dr. Pollak neuerdings an und eröffnete, daß die Möglichkeit der Anforderung von militärischen Assistenzen bestehe. Er ersuchte um Bereitstellung solcher in unauffälliger Weise. Bis zu dieser Stunde wurde von den Fenstern des Kommandos der Vorbeimarsch von zügellosen Horden stadtwärts beobachtet …Das Aviso für die Bereitstellung der Assistenzen wurde ab 11 Uhr 30 durch Offiziere und Beamte des Stadtkommandos in Zivilkleidung und in Privatautos an alle Kasernen überbracht. Ein Aufklärungsdienst wurde organisiert … 16 Uhr 45 wurde ein Feuergefecht zwischen Polizei und Demonstranten beim Stadtkommando in der Ebendorferstraße beobachtet. 16 Uhr 50 forderte Hofrat Dr. Pollak der Polizeidirektion zwecks Entlastung und Freimachung für anderweitige Verwendungen der Sicherheitswache beim Parlament 200–300 Mann Assistenz an. Auf gestellte Anfrage hatte die Polizeidirektion keine Bedenken gegen die Mitnahme von Maschinengewehren. Um 17 Uhr erfolgte der entsprechen Befehl an den Interimskommandanten des IR 4 für 195 Mann (2 Kompanien, 6 MG). Der Abmarsch erfolgte um 17 Uhr 55. … Um 24 Uhr standen dem Stadtkommando 1.120 Mann, 16 MG zur Verfügung. …“ Wie Sigismund Knaus in einem eigenen Manuskript resümierte, war es während jener beiden Tage, 15.7. und 16.7. 1927, darauf angekommen und war es zur stillschweigenden Erleichterung der verantwortlichen Offiziere im Ministerium und im Stadtkommando bewiesen worden, dass die Truppe in der Hand der Offiziere und damit der Regierung war und allen Befehlen und Anordnungen gehorchte. Ein Verkehrsstreik am 16. Juli führte nicht zum erhofften Rücktritt der Regierung Seipel. Schober wurde als „Arbeitermörder“ verschrien, Seipel wurde – in einseitiger Auslegung eines meist unvollständig zitierten Redeabschnitts im Parlament – zum „Prälaten ohne Milde“ gestempelt. Es kam zu zahlreichen Austritten aus der katholischen Kirche. Die Heimwehren hatten sich an Maßnahmen gegen den Verkehrsstreik beteiligt. Vor allem durch ihre Teilorganisation „Technische Nothilfe“. Sie gehabten sich nunmehr als Schützer der staatlichen Ordnung. Seipel gedachte, sie zu benützen und zugleich von einer Parteibildung abzuhalten, was ihm jedoch auf die Dauer misslang. Die Heimwehren wurden zunehmend von der Industrie und vom Ausland, von Italien und Ungarn unterstützt. Am 28.10.1922 hatte Benito Mussolinis „Marsch auf Rom“ zur Machtergreifung durch den Faschismus geführt, in Ungarn war 1928 die Völkerbundkontrolle zu Ende. Graf Bethlen und Mussolini gedachten, die Heimwehren für Ihre Zwecke eines Blockes Italien – Ungarn mit Österreich als Satelliten zu verwenden. Wiesinger wiederum schrieb  : „Darin liegt das überragende Verdienst des Bundesheeres, dessen Versagen unaufhaltbar das Chaos nach sich gezogen hätte … der Sieg der Sozialisten hätte die Errichtung der bolschewistischen Räterepublik mit allen ihren Schrecken und damit die Wahrscheinlichkeit fremdländischen Einschreitens mit sich gebracht. Der freie Staat Österreich hätte als solcher aufgehört zu existieren.“ Siehe auch die wichtigste Literatur  : Rudolf Neck/Adam Wandruszka (Hg.), Die Ereignisse des 15. Juli 1927. Protokoll des Symposiums in Wien am 15. Juni 1977 (= Wissenschaftliche Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938. Veröffentlichungen Band 5), Wien 1979  ; Rainer Hubert, Schober „Arbeitermörder“ und „Hort

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In den Ländern war es völlig ruhig geblieben. Das Grundbuch konnte wiederhergestellt werden, aber die von Otto Bauer aufgeputschte Sozialdemokratie hatte vorexerziert, wessen man sich in Österreich vorzusehen hatte. Die starke Haltung des Regierungschefs zwang die Aufrührer nieder. In der nächsten Zeit bekämpfte er mit Erfolg das von der Sozialdemokratie für sich beanspruchte Einschüchterungsrecht der Bevölkerung durch Aufmärsche, indem er ebenso inszenierte Aufmärsche der „Heimwehr“ begünstigte. In Wr. Neustadt wurde das Bundesheer erstmals aufgeboten, um den Schutzbund Aufmarsch“ von dem der „Heimwehr“ zu trennen.540 Das Jahr 1929 brachte in meiner dienstlichen Stellung eine Veränderung. Ich wurde nach 8½-jähriger Tätigkeit als Stabschef mit 1. Februar zum „zugeteilten Offizier“ beim gleichen Brigadekommando bestellt, womit ich in die Prüfungszeit für meine Eignung zum Brigadekommandanten eintrat. Im Sommer war ich Lehrer am Stabsoffizierskurs in Wien unter GM Schäfer.541 Anfang Herbst führte ich die 3. Brigade der Republik“. Biographie eines Gestrigen (Böhlaus Zeitgeschichtliche Bibliothek, Band 15), Wien/ Köln 1990, S.196–241  ; Wilhelm Chraska, 15. Juli 1927. Die verwundete Republik. Österreichs Weg ins Dollfuß-Schuschnigg-Interregnum (= Europäische Hochschulschriften, Reihe III  : Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Bd. 285), Frankfurt am Main/Bern/New York 1986. 540 Anmerkung Knaus  : „Das erfolgreiche Auftreten des Bundesheeres am 15. Juli 1927 hatte zur Folge  : höhere Geldmittel für Anschaffung von Kraftwagen für schnell zu befördernde Kompanien  ; Ausbau des militärischen Radionetzes, Fertigstellung der Allgemeinen Dienstvorschrift, zielbewusstes Auftreten des Bundesheeres. K. 5.4.1962.“ 541 Über die „Höheren Offizierskurse“ siehe  : vor allem das (vom Herausgeber angeregte) hervorragende Werk  : Heribert Kristan, Der Generalstabsdienst im Bundesheer der Ersten Republik (= Militärgeschichtliche Dissertationen österreichischer Universitäten herausgegeben von Manfried Rauchensteiner, Band 10, Wien 1990, S. 84 ff.). Im Staatsvertrag (Friedensvertrag) wurde nur eine Offiziersschule zur Ausbildung des Offiziersnachwuchses bewilligt und die Zahl der Schüler musste genau den Fehlstellen im Offizierskorps entsprechen. Dies war also die Offiziersschule in Enns. Der Interalliierte Überwachungsausschuss bzw. das Interalliierte Militärkomitee in Versailles, verboten beide auch einen höheren militärischen Kurs. Es gelang erst 1924 durch ein politisches Tauschgeschäft mit der Sozialdemokratie, der eine Offiziersschule für geeignete Unteroffiziere angeboten wurde, die Zustimmung für die Einrichtung eines „Höheren Offizierskurses“ zu erreichen. Inzwischen hatte man einigen Offizieren, die während des 1. Weltkrieges einen „Kurs für Kriegsschulaspiranten“ oder Kurse für Aspiranten für den Höheren Geniekurs bzw. den Höheren Artilleriekurs“ positiv abgeschlossen hatten, ihre Generalstabsausbildung durch ein Studium der Staatswissenschaften oder der Technik mit Diplomarbeiten gewissermaßen zu beenden. Nun wurde die „Prüfungskommission Oberst Schäfer“ aufgestellt, untergebracht im Kommandogebäude der Heeresverwaltungsstelle Wien. In jener Prüfungskommission gab es Abteilungen für „Höheren Militärischen Dienst“, für „Höheren Militärwirtschaftsdienst“ und für „Höheren Militärtechnischen Dienst“. Zunächst war Prüfung nach Selbststudium angesagt. Alle drei Jahre fanden „Vorprüfungen“ statt, bei denen die Bewerber gesiebt wurden. Die „Gehilfen der Höheren Führung“, wie sie nunmehr genannt werden durften, hatten für den letzten möglichen Abschluss ihrer Karriere zur Voraussetzung  : Offiziersdienstzeit von mindestens 9 Jahren  ; Eignung zur Führung einer Unterabteilung  ; zweijährige Erprobung für den höheren militärischen Dienst. Der Prüfungsgegen-

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bei den in Kärnten von GM Janda entworfenen Manövern gegen die 6. Tirolische Brigade  ; im Spätherbst war ich bei der vom Heeresinspektor, Gen. Knaus, geleiteten Übungsreise in Oberösterreich an der Traun nächst Lambach542 eingeteilt. Bei allen drei Anlässen wurde mir die „hervorragende Eignung“ zugesprochen. Zu meinem Nachfolger als Stabschef war der bisher im Ministerium beschäftigt gewesene Obst. Ruggera543 ernannt worden. Das war ein sehr gelehrter und fleißiger, stand „Kriegsgeschichte“ hieß ab 1933 „Kriegsführung“. Obstlt. Schäfer war der (geheime) Mitautor eines (laut Vorwort  : Wien) im Februar 1928 erschienenen, als vervielfältigte und gebundene Maschinschrift herausgegebenen Werkes, verfasst als Nachschlagebehelf im Auftrag des Bundesministeriums für Heerwesen  : Großformat, 228 Seiten laut Vorwort : Wien. Dieser Hauptteil nannte sich „Euafrikasien“ (sic  !). Mindestens die Hälfte des 158 Seiten starken Buches behandelte den (1.) Weltkrieg. Ein Nachtrag, der den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, den Amerikanischen Sezessionskrieg, den Krieg in Mexiko 1861–1867 und den Sudanfeldzug enthielt, scheint bald danach bereits im Druck erschienen zu sein und konnte beigelegt werden. Ein weiteres, nunmehr bereits gedrucktes Werk war  : Überlieferungspflege im Bundesheer. Durch die Jahrhunderte österreichischen Soldatentums. Herausgegeben vom Österreichischen Bundesministerium für Heerwesen. Im Impressum sind die zwei bzw. drei Autoren angegeben  : „Verfasst von Obstlt. Dr. Oskar Regele, Leiter des Pressedienstes des Bundesministeriums für Heerwesen und Mjr. Josef Hellriegl des IR Nr. 2 … Begutachtet von GMd.R. Hugo Kerchnawe [Kerchnawe war der Präsident der Gesellschaft für Heereskunde]. 542 Lambach  : Marktflecken an der Traun im oberösterreichischen Voralpenland, 1056 Gründung des Benediktinerstifts, in dessen Kirche es kunsthistorisch bedeutende frühmittelalterliche Fresken gibt. 543 Kamillo (auch Camillo) Ruggera (Predazzo, ehemals südlichstes Tirol, genannt Welschtirol 27.8.1885– 29.1.1947 Hof, Bayern) ausgemustert aus IKSch. Innsbruck, im Weltkrieg Glstbsoffz., zuletzt ab 12l4l1917 in OpA./AOK. 20.10.1918 Parlamentär zur Anbahnung von Waffenstillstandsverhandlungen mit Italien  ; Dez. 1918–2.2.1920 Referent für Italien und Schweiz beim StfHw. Abt.1/N, 3.2.1920 Ref. BMfHw./Abt. f. zwischenstaatl. Verkehr, 1.9.1920 in Abt. 2, BMfHw., 1.4.1921 Lehrer beim Kdo.Truppenschulen, 1.9.1922 Chef d. Stabes 1. Brig, 25.3.1928 Obst., 1.4.1928 Referent i.AAbt.2/ BMfHw., 1.2.1929 Chef.des Stabes 3.Brig., 1.3.1932 kommandiert ins Kriegsarchiv zur Mitarbeit an „Österreich-Ungarns letzter Krieg“, 1.5.1933 mit Wartegeld beurlaubt, 28.2.1937 als einziger der aus politischen Gründen beurlauben Glstbsoffz., nicht wieder in den Dienst gestellt, sondern pensioniert. Ruggera war laut eigenen Angaben Mitglied der NSDAP seit 12.4.1933, seit Herbst 1935 Stabsleiter der 6. SA-Brig, sodann Stabsleiter der S-Gruppe (eine Spezialgruppe der 5.u. 6. SA-Brigade). 1935 „SA-Sturmhauptführer“. Über den Gründer dieser Gruppe, den Bundesheer-Major Emil Jäger, hat in jüngster Zeit Mag.phil. Roman Eccher Forschungen angestellt  : Die SA-Brigade Jäger, Diplomarbeit der Philosophie, Wien 2008, 159 S. Er betrachtet kritisch die Angaben Jägers, der nach und nach einen von ihm gegründeten „SA-Sturm“, der im Mai 1934 eine Stärke von 75 Mann gehabt habe, diesen ebenso angeblich bald zu einem Sturmbann, später zu einer Standarte ausgeweitet haben will. Ruggera wurde am 15.3.1938 Offz. z.b.V. im BMfLv. bzw. im Reichsluftfahrtministerium1.6.1938 beim Generalstab des Luftflottenkommandos, 15.5.1939 kommandiert zum OKW/Wehrwirtschaftsstab, 28.9. 1939 Kommandierender Gen. u. Befehlshaber im Luftgau II, 21.2.1941 Führerreserve OKL, 1.7.1940 Gen.d.Flakartillerie, 24.7.1941 Wehrersatz-Inspekteur Düsseldorf, 30.11.1942 Ruhestand infolge Herzleidens. Alfred Jansa hat die 1939 verfasste Rechtfertigungsschrift Emil Jägers, die ihm von Ludwig Jedlicka vorgelegt wurde und samt der Beurteilung Jansa von Frau Dr. Herta Jansa dem Herausgeber dankenswerterweise, wie manches andere auch, zur Verfügung gestellt wurde, richtig beurteilt, und

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Mag. Eccher hat dies auch im Rahmen seiner Forschungen ähnlich gesehen. Bevor notwendigerweise auf die Forschungen Mag. Ecchers eingegangen wird, noch die Beurteilung Jansas über Ruggera in einem Brief Jansas an Univ.-Doz. Dr. Ludwig Jedlicka, 10.9.1959  : „Oberst Ruggera war Vollblutitaliener aus Südtirol. Er war mit einer sehr ehrgeizigen Frau verheiratet. 1929 kam er als Stabschef zur 3. Brigade nach St. Pölten, als mein Nachfolger in diesem Amte. Der Kommandant der Brigade, GM Friedrich Janda, und der Stab waren entsetzt über die Unfähigkeit Ruggeras, die Stabsgeschäfte zu leiten. … Schutzbundaufmarsch … In dieser Zeit erkannte ich aber auch – trotz Ruggeras Leugnung – seine nationalsozialistische Einstellung, zu der der Ehrgeiz seiner Frau viel beigetragen haben dürfte. Als ich im Juli 1930 zum Kommandanten der 3. Brigade bestellt wurde, löste ich Ruggera wegen Unfähigkeit ab. Sein Nachfolger wurde Oberst Franz Böhme. GdI. Schiebel wurde von mir über Ruggera genau unterrichtet, auch über dessen nationalsozialistische Einstellung  ; daß diese allerdings so weit ging, daß sie bereits als eidbrecherischer Hochverrat zu qualifizieren war, wußte ich damals noch nicht. Schiebel stellte Ruggera im Kriegsarchiv kalt.“ Zum vorletzten Absatz der Broschüre Jägers meinte Jansa  : „Stimmt. Der das aussprach, war ich, der wiederholt den Offizieren sagte  : ‚Das selbständige Österreich hat nur einen Feind, das ist Deutschland, und nur einen Freund, das ist Italien. Den anderen ist unsere Selbständigkeit gleichgültig.‘ Eccher hat die Charakteristik Jansas über Emil Jäger zitiert und übernommen. Mag. Eccher schreibt im Kapitel „Rückblick“ seiner wissenschaftlichen Arbeit S. 143  : „Brigade Jäger“, „Industriesturm“, der A.K.V., die Studentenstandarte, die Militärstandarten und die sogenannte „Arbeitsgruppe Wimmer“ waren mehr oder weniger existente illegale NS-Gruppierungen. Emil Jäger fasste sie in seinem „Schicksalsbeitrag“ zur S-Gruppe (später S-Brigade) zusammen und stülpte ihr eine nur auf dem Papier bestehende „Gruppenführung“ über. Jäger gibt für seine „S-Gruppe“ einen Stand von mindestens 4.000 Mann an. Den dokumentarischen Beweis über diese „Mitglieder“ kann er aber in den Beilagen 2 bis 4 seiner Schrift lediglich über rund 200 Personen antreten – die eigentliche „SA-Brigade Jäger“. Die übrigen 3.800 sollen sich durch „Eingliederungen“ in andere SA-Formationen „verflüchtigt“ haben … Gemäß Eccher wollte Emil Jäger, dass man in ihm den „heldenhaften SAZampano“ sah. Jägers „SA-Formationen“ hinterließen jedoch keinerlei nennenswerte Spuren illegaler Tätigkeit im Behördenschriftgut, genauso wenig wie Emil Jäger selbst. Umso mehr musste er in der „Anschlussnacht“ seine „Einsatzfreude, Opferbereitschaft und Loyalität“ gegenüber den kommenden Machthabern beweisen. Bei Jäger fand dieses Bemühen in der Mobilisierung des Mobs gegen Schuschniggs Wohnung seinen Höhepunkt. Andere, unter SA firmierende Personen oder Gruppen ließen es nicht dabei bewenden  : sie verübten zahlreiche Verbrechen an Juden und an sogenannten Regimefeinden. Der, im Gegensatz zum Deutschen Reich eher „revolutionäre“ Charakter der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, bot nicht nur Gelegenheit zur Gewaltausübung, sondern bedingte sie sogar. Der Österreicher Jäger [erklärende Hinzufügung des Herausgebers], charakterlich wohl nicht schlechter als der Deutsche Jäger, meinte sich in jeder Beziehung besonders hervortun zu müssen, um den [soeben erfolgten] „Anschluss“ an die „Reichsdeutschen“ nicht zu verpassen. Die Angehörigen der bewaffneten Macht Österreichs waren der „Allgemeinen Dienstvorschrift für das Bundesheer“ unterworfen. Der § 2 führte zu „Lebenswandel und Betragen des Soldaten“ Folgendes aus  : Charakter und Lebenswandel des Soldaten sollen tadellos sein. Die sittliche Kraft des Soldaten hat als Stütze seines Pflichtgefühles, seiner Treue und Verlässlichkeit eine hohe Bedeutung für den Dienst. Offen und wahr, ehrlich und treu halte er sich nicht nur von jeglichem Unrecht, sondern auch von Heuchelei, Eigennutz und krankhafter Eifersucht fern … Emil Jäger, Rudolf Prochaska, Alexander Petrini, Ernst Wisshaupt, Josef Magoy, Karl Hegedüs, Kamillo Ruggera, Nikolaus Wagner-Florheim, um nur einige zu nennen, alle Offiziere in der k. u. k. Armee, im Österreichischen Bundesheer und in der Deutschen Wehrmacht, fühlten sich dieser Dienstvorschrift sichtlich nicht verpflichtet. Der Herausgeber kann zu

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insbesondere im infanteristischen Schießwesen gut bewanderter Generalstabsoffizier, dem aber die Fähigkeit zu selbstständigen Dispositionen mangelte. Der Brigadier, durch mich gewohnt, sich dem Dienst täglich nicht mehr als zwei Stunden widmen zu müssen, stöhnte über seinen neuen Stabschef ebenso, wie die Referenten klagten, nie klare Weisungen für ihre Aufgaben zu erhalten. Ich konnte alle nur damit trösten, dass Ruggera halt Zeit brauche, um sich einzuarbeiten. An einem Sonntag im Sommer 1929 spielte sich Eigenartiges ab. Unzufrieden mit der vernünftig ruhigen sozialistischen Arbeiterführung durch Bürgermeister Schnofel hatte die Sozialdemokratische Partei einen großen Schutzbund-Aufmarsch in St. Pölten angeordnet, was in St. Pölten niemandem recht war und die „Heimwehr“ ihrerseits zu einem Gegenaufmarsch veranlasste. Dieserart konnte es leicht zu schweren Zusammenstößen kommen, obwohl Schnofel sich sehr bemühte, beide Aufmärsche voneinander zu trennen. Aus Sorge um meine Familie war ich für diesen Tag nach St. Pölten gekommen. Ich hatte mich– um über alles Geschehen rasch orientiert zu sein – im Brigadekommando ins Zimmer des „zugeteilten Offiziers“ gesetzt und sah die Taktik­ aufgaben meiner Frequentanten im Stabsoffizierskurs durch. Da betrat plötzlich GM Janda das Zimmer mit den Worten  : „Du lieber Jansa, ich bitte dich, spiel’ heute noch einmal den Stabschef  ! Mit dem Ruggera ist nichts anzufangen, der ist ganz konfus  !“ Die Lage war folgende  : Bezirkshauptmann Wolff hatte den Auftrag erhalten, den sozialistischen Aufmarsch aufzulösen und im Falle der Widersetzlichkeit militärische Gewalt zur Erzwingung der Auflösung anzufordern. Der alte Praktiker sagte richtig, dass er diesen Auflösungsbefehl den „Roten“ erst kundtun könne, wenn die Militärassistenz, die er hiermit anfordere, aktionsbereit sei  ; er kam fragen, wann das militärischerseits der Fall sein könne. Die „Roten“ hatten mit Autos und Eisenbahn etwa 8.000 Schutzbündler herangefahren, die am Trabrennplatz aus mitgebrachten Küchen Mittagessen wollen, um anschließend den Terrormarsch durch die Stadt zu machen, in deren Ostteil die „Heimwehr“ ihrerseits biwakiere. Das war um etwa 10h vormittags. Trotzdem für solche Fälle, von mir vorbereitet, alle nötigen Befehle in einer Mappe bereitlagen, waren Brigadier und Stabschef nicht in der Lage, dem Bezirkshauptmann eine klare Antwort zu geben. Ich hatte die Sache noch im Kopf und erwiderte dem Bezirkshauptmann, die Garnison St. Pölten wäre in einer halben Stunde bereit, aber zahlenmäßig zu schwach  ; die Garnisonen Melk und Krems, zusammen 4 Bataillone, könnten in 2 Stunden per AuEcchers Darstellung noch mitteilen, dass weitere interessante Ausführungen in Jägers sogenanntem „Gauakt“ aufgezeichnet sind, die nach der Meinung des Herausgebers einen Wahrheitsgehalt besitzen. Sie betreffen die passive Teilnahme von Angehörigen des Haus-, Hof- und Staatsarchivs und vor allem des Kriegsarchivs am Juliputsch 1934.

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totransport da sein  ; ihre Einweisung würde 15 Minuten brauchen, so dass um 12h15 der ganze „Schutzbund“ arretiert werden könne  ; außerdem würde ich aus Wien vom Inf. Rgt. 5 noch die automobilisierte Alarmkompanie heranholen, die aber erst nach 14h hier sein könne. Der Bezirkshauptmann bedankte sich und ging befriedigt in sein Amt, kannte er mich ja seit Jahren. Die Alarm-Mappe mit den vorbereiteten Befehlen brauchte ich gar nicht, sondern befahl Melk, Krems und Wien rasch telefonisch aus dem Stegreif alles Nötige. Dann nahm ich den Ortsplan von St. Pölten und zeichnete 1. die Absperrung des Trabrennplatzes durch enfilierende544 Aufstellung von Maschinengewehren an den vier Längs- und Kurzseiten durch die Garnisonen St. Pölten und Melk, befahl 2. von der Garnison Krems ein Bataillon zur Sicherung des Marschweges vom Trabrennplatz zum Bahnhof und Autopark der Sozis, um Ausbrüche derselben in die Stadt zu verhindern, wies auch 3. ein Reserve-Bataillon zum Schießstattring. Mit diesen Karteneinzeichnungen sandte ich je einen Offizier mit Auto den von Melk und Krems anrollenden Truppen zur deren rascher Einweisung entgegen. GM Janda bat ich, die „Heimwehr“ im Ostteil von St. Pölten zu bitten, sich ganz ruhig zu verhalten. Meiner Frau gab ich Nachricht, sie möge sich keine Sorgen machen, aber mit den Kindern nicht ausgehen. Dann nahm ich die Korrektur der Taktikaufgaben meiner Frequentanten aus dem Stabsoffizierskurs wieder auf. Alles lief dank der in früheren Monaten bis ins kleinste Detail getroffenen Alarmvorbereitungen klaglos pünktlich ab. Ich begab mich mit GM Janda zum Eingang des Trabrennplatzes und prüfte im Vorbeigehen die Truppenaufstellung  : Alle Gewehre und Maschinengewehre waren scharf geladen und schussbereit  ; unübersichtliche Stellen mit Hindernis-Drahtrollen gesichert, ebenso der Marschweg zum Bahnhof, wo der Bahnhofsvorstand jetzt von Obstlt. Tengler orientiert wurde, die Transportgarnituren zur Aufnahme und zum Heimtransport der Schutzbündler bereitzumachen. Pünktlich um 12h15 erschien von der Bezirkshauptmannschaft ziemlich schlotternd der Bezirkskommissär Dr. Schneider, welcher der Schutzbundführung die Auflösungsweisung zu überbringen hatte. Wir hatten beobachtet, wo sich Dr. Deutsch und Gen. Körner befanden. Janda zeigte ihm die beiden und sagte ihm, er solle sehr fest auftreten und besonders Körner sagen, dass der Platz von Truppen umstellt sei, 544 Enfilieren bedeutet militärisch  : eine Aufstellung einnehmen, die es ermöglicht, ein Gelände in seiner ganzen Ausdehnung unter Feuer nehmen zu können.

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die jeden Widerstand sofort mit Waffengewalt brechen würden. Wir konnten noch beobachten, dass sich die Schutzbündler gerade für den geplanten Terrormarsch zu rangieren begannen. Nun sahen wir, wie Schneider mit Deutsch und Körner sprach und dann zu uns zurückkam. Deutsch hatte protestiert, dann aber mit Zustimmung Körners gesagt, dass sie die Weisung befolgen würden. Und nun begann statt eines Terrormarsches der stille Abzug der „Roten“ durch das Truppenspalier zum Bahnhof und dem Autopark. Körner und Deutsch marschierten an der Spitze. Als Körner an Janda und mir vorbeikam, machte er uns im Gehen eine Verbeugung, welchen Gruß wir durch Salutierung kurz erwiderten. Ich eilte dann in die Wiener Straße, um die aus Wien kommende Alarmkompanie des Inf. Rgt. Nr. 5 zu empfangen. Sie war prächtig gefahren und schon um halb 2h da. Das Ministerium hatte ihr zur Sicherheit noch die Alarmkompanien der Regimenter 3 und 4 nachgesandt. Diesen gab ich nun den Befehl, sich in die abfahrenden Autokolonnen einzuschieben und diese nur in kleinen Gruppen nach Wien hineinzulassen, damit die „Roten“ dort nicht mit geschlossener Masse Eindruck schinden könnten. Um 5h Nachmittag war der ganze Zauber beendet. Alles war reibungslos abgelaufen. Es war für alle eine augenscheinliche Belehrung, dass die „Roten“ nicht mehr nach ihrem Gutdünken die Straße beherrschen und das Bürgertum einschüchtern konnten. Bürgermeister Schnofel, dem ich am Heimweg zu meiner Familie begegnete, grüßte mich sehr zuvorkommend  ; er war offensichtlich froh, dass alles zu einem guten Ende gekommen war. Bevor das Jahr 1929 zur Neige ging, erfasste ich in St. Pölten erstmals, was der Nationalsozialismus zu bedeuten hatte.545 Außerhalb der Stadt lag auf einer Anhöhe das Munitionsdepot Maman, in dem scharfe Gewehrmunition, aber auch hochbrisante Handgranaten lagerten. Als zugeteilter Offizier beim Brigadekommando war ich besonders mit den Agenden des Ortskommandos befasst, zu denen auch die Kontrolle des Wachdienstes gehörte. Es traten immer wieder Gerüchte auf, dass der „Schutzbund“ sich durch Überfälle auf die Wachen Munition beschaffen wolle. 545 Siehe  : Bruce F. Pauley, Der Weg in den Nationalsozialismus. Ursprünge und Entwicklung in Österreich, Wien 1988, S.  37 ff. „Die 1903 [in Aussig an der Elbe] gegründete Deutsche Arbeiterpartei wechselte 1918 [in Wien] ihren Namen. Walter Gattermayer, der die Partei bei Abwesenheit der meisten Führer an der Front führte, hatte im April 1918 die Idee, den Namen der Partei aus Propagandagründen auf Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei (DNSAP) zu erweitern. Der Ausdruck ,Nationalsozialistische‘ selbst war nicht neu. Eine Partei dieses Namens war von den Tschechen bereits 1897 gegründet worden, nachdem die österreichische Sozialdemokratische Partei begonnen hatte, sich in nationale Gruppen aufzusplittern … Die ,nationalsozialistischen‘ Sudetendeutschen benützten den Titel DNSAP bis zur Auflösung ihrer Partei im Jahre 1933.“

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Berichte der Inspektionsoffiziere ließen mich mutmaßen, dass der Wachdienst vielleicht nicht mit der nötigen Schärfe gehandhabt wurde, sodass ich beschloss, mir selbst ein Bild zu machen. Ich wählte dazu den Heiligen Abend, der uns Christen, nicht aber den „Roten“ heilig war. Als nach der Bescherung die lieben Kinder zur Ruhe gebracht waren, steckte ich ein paar Schokoladen für die Wache zu mir und zog los. Meine Frau meinte zwar, ich wäre verrückt, ließ mich aber schließlich gehen. Als ich mich gegen 11h dem Munitionsdepot näherte, wurde ich vom Posten sofort angerufen. Es herrschte also gute Aufmerksamkeit. Ich gab die Losung und kam an das Depot heran. Der Wachkommandant trat eben heraus, als sich der Posten bei mir meldete. Ich war zufrieden, ermahnte die Wache, auch weiterhin so aufmerksam zu sein, gab ihr die mitgebrachten Schokoladen und ging in die Stadt zurück. Als ich mich dem Rathausplatz näherte, schlug die Uhr Mitternacht und das Geläut der Franziskanerkirche bewog mich, dort zur Christmette einzutreten. Die Kirche war gut besucht  ; ich wollte mich nicht vordrängen und blieb nahe dem Eingang stehen. Kurz vor der heiligen Wandlung hörte ich vor und gleich darauf in der Kirche beim Eingang lautes Schreien und Heil-Hitler-Rufe. Als ich mich umblickte, sah ich ein paar Männer in der SA-Uniform, die auf leise Ruhe-Rufe seitens der Andächtigen, noch lauter schrieen, also offenkundig die heilige Handlung stören wollten. Ich trat auf die Leute zu, und mit ein paar sofort anpackenden Männern drängte ich die SA-Leute aus der Kirche. Vom Rathaus kam uns schon die Polizei entgegen, der gegenüber die fünf SA-Leute, die nicht betrunken waren, ihre Namen und wir die Klage wegen Störung des Gottesdienstes angaben. Wir katholischen Männer gingen in die Kirche zurück und nach Schluss der Mette heim. Bisher war ich der nationalsozialistischen Bewegung ganz desinteressiert gegenüber gestanden. Ich erinnerte mich nur, dass Bundeskanzler Seipel einem gewissen Adolf Hitler die österreichische Staatsbürgerschaft abgesprochen hatte.546 Meine Aufmerksamkeit war seit Jahren ganz der Sozialdemokratie mit ihrem „Schutzbund“ zugewandt. Da die großdeutschen Parlamentarier mit der christlichsozialen Regierung verbunden waren, betrachtete ich die nationale Bewegung nicht unfreundlich und den 546 Hitler war am 24.5.1913 nach München übersiedelt, am 16.8.1914 meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst für das Deutsche Reich. Er rüstete am 31.3.1920 ab, war aber bereits ab September 1919 Mitglied der Deutschen Arbeiterpartei (DAP), die sich im Februar 1920 in Nat.soz. DAP umbenannte. Im Okt. 1920 kam er als Wahlhelfer für die hiesige Nat.soz. dt. Arbeiterpartei nach Wien und sprach auf Versammlungen am 8.10. und 9.10. Er sprach auch in anderen Bundesländern. Am 20.6.1922 sprach er in den Wiener Sophiensälen. 1923 erfolgte sein Putschversuch in München und 1923/24 die Haft in Landau, während der er sein Buch „Mein Kampf“ schrieb. Am 26.2.1924 erfolgte die Neugründung der 1923 verbotenen NSDAP und am 30.4.1925 wurde er aus dem österr. Staatsverband entlassen. Er blieb staatenlos, bis er am 25.2.1932 als braunschweigischer Regierungsrat die deutsche Staatsbürgerschaft erwarb.

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aufkommenden Nationalsozialismus als eine militante, mit den Christlichsozialen und der „Heimwehr“ zusammen gegen den Kommunismus gerichtete Bewegung. Die erlebte Störung veranlasste mich nun, mir nach den Feiertagen in der Buchhandlung Schubert Hitlers „Mein Kampf“ auszuleihen. Zur Gänze habe ich diese Bekenntnisse eines gescheiterten Menschen nie gelesen  ; mir genügten schon die ersten fünfzig Seiten mit ihren Hassausbrüchen gegen die ö.-u. Monarchie und den gröblichen Beschimpfungen der Dynastie  : in voller Verkennung der Bedeutung dieses übernationalen, auf den Schutz der kleinen Völker ausgerichtet gewesenen Staates. Und das verkündete „praktische Christentum“ dieser Partei bedeutete also in Wirklichkeit die Bekämpfung der katholischen Kirche  ! Diese Enthüllung der Bewegung durch die SA-Männer war für mich der Weckruf, die Tätigkeit aller Anhänger dieser Bewegung in der Brigade unter die Lupe zu nehmen. Bei den Offizieren höheren Grades, die der kaiserlichen Armee entstammten, war wie bei mir die Unkenntnis der Wege und Ziele dieser Bewegung charakteristisch. Propagiert und getragen wurde deren Gedankengut von kleinen Leuten  : einzelnen Unteroffizieren und aus der Volkswehr, also auch aus dem Mannschaftsstand hervorgegangenen Leutnants, Oberleutnants und besonders einem Hptm. Leopold beim Inf. Rgt. Nr. 6.547 Dabei waren fast alle dieser Nazi-Bewegung anhängenden Leute gute, tüchtige, diensteifrige Soldaten. Ich machte aus meinen neu gewonnenen Erfahrungen kein Hehl und besprach sie mit dem Brigadier und den Offizieren. Da die Soldaten des Bundesheeres wehrgesetzlich alle politischen Rechte, daher auch die Koalitionsfreiheit besaßen, konnte man den Zusammenschlüssen dieser nationalsozialistischen Soldaten nicht begegnen. Im Einvernehmen mit dem Brigadier beschloss ich, einmal eine solche von Stabswachtmeister Hesele in St. Pölten präsidierte Versammlung zu besuchen, um selbst Erfahrung zu gewinnen, was diese Leute eigentlich planten. Der Eindruck war anfangs nicht schlecht  : Hesele ermahnte alle zu strengstem Gehorsam und genauer Erfüllung ihrer Dienstpflichten. Dann kam aber der Pferdefuß  : „… denn der Führer bedarf guter, tüchtiger Soldaten.“ Auf meine Frage, ob der „Führer“ ihnen mehr gelte als ihr der Republik Österreich geschworene Eid, antwortete mir Hesele, dass es da keinen Widerspruch gebe, denn der Führer werde den Zusammenschluss aller Deutschen mit großem Geschick und strengster Legalität lösen. Nun wusste ich genug, um die Gefährlichkeit dieser Bewegung zu erkennen. 547 Über Josef Leopold siehe die Daten bei Glaise-Broucek II, S. 72, Anm. 62. Josef Leopold (1889–1941) war 1918 Stabsfeldwebel, dann Volkswehrleutnant, 1931 Hptm. im Bundesheer, 1933 Ruhestand. Politische Tätigkeit  :1925 Kreisleiter des Waldviertels für die NSDAP, 1926 Gauleiter-Stellvertreter und 1927 Gauleiter für NÖ, 1931 Untersuchungshaft, 1933–1936 mehrmals Anhaltelager Wöllersdorf, 29.1.1935 Übernahme der Landesleitung der NSDAP in Österreich, 21.2.1938 abgesetzt und politisch nicht mehr hervorgetreten. Ab 1.4.1940 Dienst in der Wehrmacht, zuletzt als Major.

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Dieses Vorfühlen hätte mich vielleicht den Kragen gekostet. Minister Vaugoin hatte sofort von meinem Besuch einer Naziversammlung erfahren und meinen Brigadier gelegentlich seiner nächsten Besprechung im Ministerium gefragt, was ich dort zu tun gehabt hätte. Janda erklärte dem Minister die Ursache, den Zweck, seine Zustimmung und die gewonnene Erfahrung. Damit war der Minister beruhigt. Da nach fast völliger Ausschaltung des sozialdemokratischen Elementes im Heere sich nun der christlichsoziale „Wehrbund“ mit der nationalsozialistischen Gewerkschaft zu streiten begann, wäre nach der übereinstimmenden Meinung aller älteren Offiziere nun der Zeitpunkt gekommen, das Heer völlig der Politik zu entziehen. Es sind auch solche Anträge im Parlament gestellt worden  ; Minister Vaugoin konnte und wollte jedoch von der Politik nicht abgehen  ; das war nach seinen vielen großen Verdiensten um die Konsolidierung des Bundesheeres sein schwerster Fehler, weil dadurch der nationalsozialistischen Agitation rechtlich Vorschub geleistet wurde.548 Brigadekommandant Mit 1. Juni 1930 wurde ich zum Kommandanten meiner mir lieb gewordenen 3. Brigade bestellt und mit 28. Juni zum Generalmajor ernannt. Einen halben Monat später wurde ich erst 46 Jahre alt, durfte also mit meiner militärischen Laufbahn zufrieden sein. Mein bisheriger Brigadier kam auf einen Nebenposten ins Ministerium und wurde mit Jahresende in den Ruhestand versetzt. Trotzdem GM Janda die unwahrscheinlich lange Zeit von 5 Jahren als Generalmajor hatte aktiv dienen können, trennte er sich sehr schwer von seinem Amt, wusste er ja, dass sein Nebenposten ihm nur seine anrechnungsfähige Dienstzeit für den vollen Ruhegenuss vollenden helfen sollte. Zu seiner Verabschiedung arrangierte ich im schönen Garten der ehemaligen Militärunterrealschule ein Abendfest, bei dem auch ein Tanzparkett errichtet worden war. Leider ist es bei solchen Festen meist unabwendbar, dass sich Interesse und Lobhudelei eher dem neu ernannten Kommandanten zuwenden, als dem scheidenden Abschiedsbei548 Dies dürfte ein höchst ungerechter Vorwurf sein. Im Zuge der Verhandlungen über eine Novelle der Bundesverfassung 1929 gab es den Entwurf einer Wehrgesetznovelle 1928, die die Schaffung einer Heeresleitung und Einrichtung einer Militärkanzlei beim Bundespräsidenten vorsah. Dies wurde von den Sozialdemokraten nicht akzeptiert, im September 1930 gab es Entwürfe betreffend die Schaffung eines Bundesverteidigungsrates und Schaffung einer Heeresleitung unter dem Heeresinspektor, im August 1932 wurde die Ständige Parlamentskommission aufgelöst, 1933 gab es einen Entwurf betreffend die „Entpolitisierung des Bundesheeres“. Ein Erlass vom 3.9.1933 schaffte schließlich die Soldatenvertreter ab und die „Republikanische Erziehung“. Diese Bestimmungen kamen dann in der Wehrgesetznovelle vom 21.11.1934, in der die Allgemeine Dienstvorschrift eingeführt wurde, zum Ausdruck.

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leid. Nun, dass mich die Herren gern hatten und mich wegen meiner Pflichterfüllung schätzten, wusste ich  ; neu war mir hingegen das strahlende Glück, das mir aus den Augen meiner Frau entgegenleuchtete. In ihrem jugendfrischen Wesen erfuhr sie allgemein besondere Ehrung  ; und sie tanzte so viel wie nie zuvor im Leben. Nach elfjähriger Ehe erkannte ich erst jetzt, dass alle bisher zur Schau gestellte Gleichgültigkeit militärischen Geselligkeiten gegenüber (als Erbe ihrer Mutter ausgegeben) nicht ganz echt gewesen war. In den ersten fünf Jahren, als meine drei Brigadiere in Wien wohnten, war meine Frau die erste Dame der militärischen Gesellschaft. Als dann Janda mit seiner Familie von Linz nach St. Pölten übersiedelte, war natürlich seine als Witwer geehelichte, junge Frau die erste Dame geworden, wie das ja allgemein üblich und natürlich ist. Sie war sehr nett und wir harmonierten gut  ; doch blieb nicht unbekannt, welch begeisterter Jäger, Fischer und Gemüsegärtner der Brigadier war, während ich im militärischen Dienst aufging. Das hatte meine liebe Frau anscheinend bedrückt. Als Kommandant konnte ich nun der Brigade jenes gewisse „Etwas“ aufprägen, was ein Stabschef nie vermag und eben nur aus der Persönlichkeit des Kommandanten werden kann. Das war zum Ersten eine Präzision im gesamten Dienstbetrieb und eine Strammheit im Auftreten jedes einzelnen Soldaten und jeder Abteilung, die meine Truppen von der Haltung in den anderen Brigaden hervorstechen ließ, was besonders an dem in Wien garnisonierenden Inf. Rgt. Nr. 5 bei Paraden der Wiener Garnison zu bemerken war. Das Bestreben gesinnungsmäßig brave Leute aus der bürgerlichen Gesellschaft für den Dienst im Bundesheer zu gewinnen, hatte über Wunsch des Ministers dazu geführt, dass man den Leuten den Dienst möglichst leicht machen wollte, was, besonders in Wien, zu einer schon sehr legeren Haltung der Truppen führte. Mein Bestreben nach Straffung von Dienst und Haltung stieß beim neuen, mit 1. 3. 1930 zum Heeresinspektor berufenen Gen. Knaus auf großes Verständnis.549 Zum Zweiten vertiefte ich durch die Art meiner Inspizierungen die Kenntnis der neuen Felddienstvorschriften und die Gefechtsausbildung. Im Unterschied zu meinen Vorgängern ließ ich es nämlich nicht bei dem bewenden, was die Truppe selbst zeigen wollte, sondern arbeitete mir für jeden Termin ein genaues Prüfungsprogramm aus, das bei jeder Unterabteilung eine andere Aufgabe stellte und so den ganzen Ausbildungsstoff unter Kontrolle brachte, was bald die Intensität der Ausbildung vertiefte. 549 Unter Knaus fand das erste große Manöver des Bundesheeres in zwei Teilen statt  : vom 28.8. und 29.8. im Raum Graz und dann am 3./4. September im Raum Neulengbach am Fluss Tulln, Niederösterreich. Im Jahr darauf gab es bei den einzelnen Paraden die ersten motorisierten Manöver und die erstmalige Anwendung der Neuen Gefechtsvorschrift/Führung und Gefecht der verbundenen Waffen“. General Douglas MacArthur, von 1930 bis 1935 Generalstabschef der US-Army, besuchte 1932 eine Gefechtsübung auf dem Truppenübungsplatz Bruckneudorf.

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Zum Dritten störte es mich, wenn ein Wehrmann bei den unvermeidlichen Stänkereien und Wirtshausraufereien den Kürzeren zog. Darum verstärkte ich die sportliche Ausbildung in waffenloser Verteidigung und führte in allen meinen Garnisonen den Boxsport ein, welchen die jungen Subalternoffiziere und Hauptleute genauso wie die Mannschaften üben mussten. Die Mittel zur Anschaffung der Geräte erbrachten die der Öffentlichkeit gegen Eintrittsgeld vorgeführten Sportfeste. Bald wurde keiner meiner Soldaten mehr angestänkert. Dem Nationalsozialismus, der allmählich das Offizierskorps aufzuspalten drohte, suchte ich dadurch zu begegnen, dass ich der politischen, christlichsozial ausgerichteten Soldatenvereinigung „Wehrbund“ beitrat und diesen Schritt in einem Offiziersbefehl allgemein als Richtungsweisung verlautbarte. Jetzt, da ich militärisch an Rang und Stellung alles erreicht hatte, was im Bundesheer billigerweise zu erwarten war, konnte niemand diesen Schritt als Opportunitätshandlung gegenüber Minister Vaugoin missdeuten, wenn auch die betont nationale Presse nun über mich sozusagen als „Verräter an der nationalen Sache“ (sprich Nazi) herfiel. Das Gros aller Offiziere der Brigade folgte meinem Beispiel  ; nur wenige schlossen sich den Nazis an. Es war in der Brigade eine wohltuende Klarheit der Haltung eingetreten. Die wenigen, dem Nazitum angehörenden Offiziere und Soldaten wegen ihrer politischen Gesinnung schlecht und ungerecht zu behandeln, widerstrebte mir, und ich habe es auch nicht getan. Zu dieser Zeit war der Nationalsozialismus in Österreich noch nicht verboten. Aber meine Gesinnung war für alle zweifelsfrei klargestellt und niemand konnte die Person des Kommandanten zu Werbezwecken fürs Nazitum ausspielen. Und das galt viel. Als Kommandant kam ich auch mehr mit den lokalen Politikern in Berührung. Bürgermeister Schnofel habe ich bereits geschildert. Auch der sozialdemokratische Parlamentarier Schneidmadl550 war vernünftig und offensichtlich mit der Führung der Partei nicht einverstanden. Das konnte ich gelegentlich des Attentates auf Bundeskanzler Seipel in Wien wahrnehmen. Es war für jeden, der klar sehen wollte, eine 550 Heinrich Schneidmadl (Gutenstein, NÖ, 20.2.1886–31.10.1965, Gutenstein), Journalist und Politiker. Seit 1904 bei den Sozialdemokraten und in der Gewerkschaftsbewegung aktiv, 1919 Abg. zur Konstituierenden Nationalversammlung, 1920 in den NR gewählt, 1927–1934 auch Mitglied der Nö. Landesregierung. „Er war ein typischer Vertreter jener nö. Linie der SDAP, die immer kompromissbereit für Verhandlungen mit dem Regierungslager eintrat. 1933/34 wollte er als Chefunterhändler mit den Christlichsozialen ein Agreement erreichen. Aber weder beim politischen Gegner noch in der eigenen Partei fanden S. und seine Freunde Gehör.“ 1934 verhaftet und eingeliefert ins Anhaltelager Wöllersdorf, trat dann nicht mehr politisch in Erscheinung, 1944 von den Nationalsozialisten verhaftet, 1945 Unterstaatssekretär für Öffentliche Bauten in der Regierung Renner, auch Chefredakteur der Arbeiterzeitung, 1946–1949 Mitglied der NÖ Landesregierung, sodann Vizepräsident der nö. Landesenergiegesellschaft NEWAG.

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Folge der sozialistisch-kommunistischen Aufhetzung der Menschen gegen die demokratische Ordnung in der Republik und gegen das katholische Christentum als Hort der persönlichen Freiheit. Ich hatte das bestimmte Gefühl, dass diese Gegensätze mit guten Worten nicht mehr überbrückt werden konnten und früher oder später zwangsläufig zur Austragung mit den Waffen führen mussten. So nahm ich, auch um politisch ausreichend informiert zu sein, enge Tuchfühlung mit den christlichsozialen Abgeordneten Raab551, Heitzinger, Prader und Dengler552, unter denen Raab als lokaler Heimwehrführer für mich der bedeutsamste war. Das Bundesheer musste unter diesen Verhältnissen zuverlässig und nicht nur gut feldmäßig, sondern auch für besonders rasche Alarmierung und Straßenkämpfe im Fall eines Bürgerkrieges geschult sein. Ich war unablässig bei Tag und in Abständen auch bei Nacht tätig, 551 Über Julius Raab siehe  : Ludwig Jedlicka, Julius Raab (1891–1964), in  : ders., Vom alten zum neuen Österreich. Fallstudien zur österreichischen Zeitgeschichte 1900–1975. St. Pölten 1975, S. 451–471, vor allem aber  : Walter Wiltschegg, Julius Raab und die Heimwehr, in  : Alois Brusatti/Gottfried Heindl (Hrsg.), Julius Raab. Eine Biographie in Einzeldarstellungen, Linz o.J. S. 76–86. Julius Raab (St. Pölten, 29.11.1891–8.1.1964, Wien), 2.4.1953–11.4.1961 Bundeskanzler, 1914–1918 Reserveoffizier in Sappeurkompanien, Studium an der Technischen Hochschule (2 Staatsprüfungen), ab 1927 Abgeordneter zum Nationalrat, 16.2.1938–11.3.1918 Handelsminister im (letzten) Kabinett Schuschnigg, 27.4.1945–28.11.1945 Staatssekretär für Öffentliche Bauten, Übergangswirtschaft und Wiederaufbau, 1953–1961 Bundeskanzler. – Die Daten über die politische Betätigung 1927–1934  : 24.4.1927 Wahl zum Nationalratsabgeordneten der Christlichsozialen Partei im Viertel ober dem Wienerwald, 8.9.1928 Bestellung zum niederösterreichischen Landesführer der Heimwehr auf der Landesleitersitzung in Salzburg, 7.10.1928 Teilnahme an dem vom Steirischen Heimatschutz organisierten Aufmarsch in Wiener Neustadt, 5. 5.1929 16.000 Teilnehmer bei dem von Raab organisierten Heimwehraufmarsch in St. Pölten, 2.9.1930  : Die Führertagung der Heimwehr in Schladming wählt auf Vorschlag Julius Raabs Ernst Rüdiger Starhemberg anstelle von Steidle und Pfrimer zum neuen Bundesführer, 9.11.1930 Wiederwahl zum Abgeordneten im Wahlkreis Viertel ober dem Wienerwald  ; die Kandidatur erfolgte auf der Liste der Christlichsozialen Partei und Heimwehr und nicht auf der Heimatblockliste der Heimwehr  ; 4.12.1930 Abgang von der Gauführersitzung unter dem Vorsitz von Starhemberg  ; Graf Alberti wird zum neuen Landesführer des Heimatschutzverbandes Niederösterreich gewählt  ; 7.5.1931 Raabs Wiederwahl zum Vizepräsidenten des Deutschösterreichischen Gewerbebundes  ; 25.5.1932 Raab ist Vorsitzender bei der Gründung der ersten Ortsgruppe der niederösterreichischen Ostmärkischen Sturmscharen in St. Pölten. Aus einem Zeitungsartikel Raabs, 11.1.1929  : „Die Heimwehr will die Befreiung der Arbeiter vom sozialistischen Zwang, will die wahre Demokratie, die wahre Gesinnungsfreiheit. Befreiung der Arbeiter ist unser Programm. Und da stoßen wir auf den Lebensnerv des Gegners, da bäumt er sich auf, mit diesem Ziel ist er in seinem Innersten getroffen. Zornsprühend erhebt die rote Hydra ihr siebenköpfiges Haupt.“ 552 Josef Dengler (Steinabrunn, NÖ,16.5.1894–15.5.1976, Wien), nach 1918 christl. Gewerkschafter, Bundesrat, Mitgründer einer unabhängigen Gewerkschaft im Rahmen der Heimwehr, Gründung des Freiheitsbundes unter Einfluss und Beratung von Raab. Diese Selbstschutzorganisation umfasste im Oktober 1936 6 Regimenter und 2 Bataillone. Es waren laut Denglers Angabe in einem Interview ca. 10.000 Aktivisten.

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um die höchste Bereitschaft und Schlagfertigkeit aller meiner Truppen sicherzustellen, und forderte dieses genaue persönliche Aufgehen im Dienst unerbittlich von allen Offizieren, Beamten und Unteroffizieren. Ganz die gleichen Forderungen stellte auch der Heeresinspektor, und es befriedigte mich sehr, wenn er nach seinen immer überfallsartigen Inspizierungen meinen Brigadebereich lobte  ; einmal sagte er zu mir, er wisse nicht, woran es liege, aber in meinem Bereiche falle ihm immer die gute, von den anderen Brigaden abstechend stramme und korrekte Haltung aller auf. Ich wusste, woran es lag  : am rastlosen Einsatz und der auch die geringste Kleinigkeit stets im Auge behaltenden Kontrolle durch alle Kommandanten. Jetzt konnte ich meine reichen Erfahrungen im Krieg und besonders auch den damals wahrgenommenen preußischen Drill nützlich einsetzen. Vaugoin war unter Beibehaltung des Heeresressorts Bundeskanzler geworden.553 Von seiner Energie erwartete ich die immer dringender werdende Notwendigkeit der Entwaffnung des „Schutzbundes“. Die Manöver dieses Jahres führten meine Brigade zuerst nach Nord-Niederösterreich, dann zu dem von Gen. Knaus geleiteten Schlussmanöver bei Sieghartskirchen und endlich zu einer großen Parade der 1., 2., 3. und 4. Brigade am Heldenplatz in Wien. Ich nahm, um für alle Fälle einsatzfähig zu sein, auf zwei Wagen der Kraftfahrkompanie scharfe Munition mit. Während der Übungen in Nord-Niederösterreich führte ich zur Stärkung des Selbstbewusstseins der Brigade Ehrenabteilungen aller Truppen zu einer Feldmesse am Grab von FML Radetzky in Wetzdorf zusammen, nach welcher ich zu den Truppen sprach. Der Eindruck der großen Parade in Wien war mächtig  ; es kam zu keinerlei Störungen und daher auch nicht zur erhofften Entwaffnung des „Schutzbundes“. Erst nach Abschluss der Manöver konnte ich mir ein paar kurze Urlaubstage gönnen, die ich wie immer bei meinen Lieben in Aba puszta verbrachte. Angesichts der vielen Geldsorgen ihres Vaters bat mich Judith um mein Einverständnis zu ihrem Verzicht auf ihre Apanage  ; als General bedürfe ich doch nicht mehr der Unterstützung durch ihren bedrängten Vater. Ich hatte ja nun tatsächlich ein Nettogehalt von rund 1.000,– Schilling monatlich, und natürlich konnte man von dem leben, aber nur bei großer Sparsamkeit, worauf ich meine gute Frau aufmerksam machte. Diese Apanage war freilich mehr Anspruch als Realität – sie hatte schon seit zwei Jahren kein Geld erhalten –, also willigte ich ein. Schwiegervater freute sich so sehr 553 Am 30.9.1930 hatte Carl Vaugoin eine „Minderheitsregierung“ gebildet, in der er auch das Heeresressort behielt. Erstmals wurden mit Starhemberg und Franz Hueber, übrigens der Schwager Hermann Görings, zwei Heimwehrführer ins Kabinett aufgenommen, Innenminister bzw. Justizminister. Am 4.12. 1930 bildete Otto Ender dann neuerlich eine Koalitionsregierung mit den Großdeutschen und dem Landbund. Vorher hatte es am 9.11, Nationalratswahlen gegeben, in denen die Sozialdemokraten stärkste Partei wurden und bei denen die NSDAP erstmals kandidierte, ohne ein Mandat zu erringen.

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über die Bescheidenheit seiner Tochter, dass er seinem Sohn Georg, unter neuerlicher Belastung des Gutes, das von diesem heiß ersehnte Personenauto kaufte.554 Zwei Klarstellungen verdienen noch Erwähnung  : Die Nachkriegszeit hatte es auch in den Offizierskorps dazu gebracht, dass Witwen mit und ohne Kinder mit ledigen Offizieren zusammenlebten, ohne zu heiraten, um beide Einkommen ungeschmälert zu erhalten. Die Notzeit nach dem Krieg tolerierte diese im Frieden vor dem Krieg für Offiziere unmöglich gewesenen Konkubinate. Ich konnte und wollte als Stabschef auch nicht dagegen einschreiten, solange sich dieser Personenkreis nicht bei öffentlichen Geselligkeiten zeigte. Mein Vorgänger hatte es aber geduldet, dass so unehelich zusammenlebende Frauen und Offiziere zu den Kasinounterhaltungen und Bällen erschienen, die Frauen zumeist in reicherer Kleidung, als sie den gesetzlichen Ehefrauen möglich war, was kritisiert wurde. Meine diesbezüglichen Vorstellungen hatte GM Janda nicht gelten lassen wollen. Als Kommandant machte ich– nach vorheriger Absicherung im Ministerium– reinen Tisch. In Briefen an die Truppenkommandanten und den Bezirkshauptmann von St. Pölten ersuchte ich diese, den betreffenden Herren zu eröffnen, dass ich deren Erscheinen mit ihren unehelichen Damen bei Garnisonsbällen und sonstigen Veranstaltungen des geselligen Lebens nicht wünsche. Es gab natürlich, besonders in Krems, Verstimmungen, die mich aber nicht rührten. Das andere betraf das Verhältnis des Offizierskorps zum Adel der Umgebung. Dieser Adel sah sich gern zu den Garnisonsbällen geladen, um seine Töchter tanzen zu lassen und selbst an einem besonderen Ehrentisch hofiert zu werden. Sonstigen geselligen Verkehr mit den Offiziersfamilien lehnte er jedoch ab  ; besonders die adeligen Damen fanden es nicht der Mühe wert, ihnen von verheirateten Offizieren mit deren Frauen gemachte Besuche zu erwidern  ; das überließen sie ihren Männern allein. Mein Vorgänger hatte das im Interesse seiner Jagdleidenschaft hingenommen und dieser selbst dann nachgegeben, wenn er bei Jagdeinladungen nicht ins Schloss gebeten, sondern vom Verwalter zusammen mit den bäuerlichen Gästen vor Jagdbeginn empfangen und bewirtet wurde. Sobald ich Kommandant geworden war, stellte ich deshalb die beiden zunächst wohnenden Grafen Kufstein und Trauttmansdorff zur Rede. Beide baten vielmals um Entschuldigung, verständigten mich aber nach ein paar Tagen mit neuerlichen Entschuldigungen, dass sie ihre Frauen zu Besuchen bei Offiziersfamilien nicht bringen könnten. Ich nahm das zur Kenntnis und zog daraus in der Form die Konsequenzen, dass ich zu unseren Unterhaltungen und Bällen niemanden von dieser hochnasigen Gesellschaft einlud, und hatte dafür alle Offiziere auf meiner Seite. Im Fasching wurde ich mehrfach von den hochadeligen Damen telefonisch gefragt, ob es denn keinen Garnisonsball gäbe, da sie noch keine Einladungen erhalten 554 Hier wurde ein Bericht über die Herbstjagden im Brigadebereich zur Zeit Jansas weggelassen.

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hätten und ihre Töchter doch gerne tanzen würden  ; sehr höflich teilte ich ihnen mit, dass es diese Bälle natürlich gebe, sie nur deswegen keine Einladungen bekämen, weil die Damen es ablehnten, in üblicher Weise mit Offiziersfamilien geselligen Verkehr zu pflegen. Das genügte  ; ich wurde als „rot“ vertratscht, was mir freilich gleichgültig war. Überdies habe ich bei diesen Unterhaltungen den sogenannten Ehrentisch abgeschafft, an dem sich mein Vorgänger mit seiner Familie und seinen hochadeligen Gästen – für die anderen Offiziersfrauen unzugänglich – gesonnt hatte. Während meiner Kommandoführung nahmen die Offiziersfamilien mit ihren Gästen Platz, wie und wo sie wollten. Meine Frau und ich, von allen freudig als ihre Höchstrepräsentanten anerkannt, nahmen abwechselnd an jedem Tisch Platz und jede Offiziersfrau galt uns ebenbürtig. Schließlich nahm ich mir auch die Verbotslisten aller Offiziere und Beamten vor, weil ich aus meiner Leutnantszeit wusste, wie schlecht der Einfluss verschuldeter Offiziere auf ihre Kameraden, besonders auf ihre Untergebenen ist. Zwei schwere Fälle hatte ich in der Brigade. Der eine betraf einen sonst hervorragend tüchtigen Regimentskommandanten, dessen 15.000,– Schilling Schulden ich mithilfe des Ministeriums zu sanieren bemüht war  ; dort versagte man mir aber die Unterstützung, obwohl der betreffende Oberst als besonderer Günstling Vaugoins galt. In der k. u. k. Armee bestand für solche Fälle der von FM Erzh. Albrecht gegründete „Albrechts-Fond“. In der Republik war Sektionschef Schiebl, der als alle Personalien behandelnder Mann dazu berufen gewesen wäre, zu gleichgültig, um eine ähnliche Hilfsinstitution aufzuziehen. Der verschuldete Oberst ist noch General geworden und hat dann später, wie ich es befürchtet hatte, als Wechselfälscher geendet, während sein Komplize, ein hoher Generalstabsoffizier, sich nach Aufdeckung der Fälschungen erschoss. Der zweite Offizier hatte sich nicht gescheut, bei Mannschaftspersonen Schulden zu machen. Er hat disziplinär die Charge verloren und ist aus dem Heer ausgestoßen worden. Hätten sich meine Vorgänger um diese Dinge zeitgerecht gekümmert, so hätte das Ärgste vielleicht vermieden werden können. Andere kleinere Fälle konnte ich zeitgerecht aufgreifen und durch scharfe Ermahnungen und Gehaltsvorschüsse mit kontrollierter Schuldenausgleichung in Ordnung bringen. Obwohl an sich unbefriedigend entlohnt, waren die Offiziere in der Republik im Allgemeinen wesentlich besser gestellt als unter dem Kaiser. Alles, was wir uns in der Monarchie von der auch sehr klein bemessenen „Gage“ selbst bezahlen mussten, wie z. B. Uniform, Beschuhung, Waffen, Feldstecher, Pferde und Sattelzeug, bekamen wir in der Republik in guter Qualität beigestellt. Darüber hinaus war die Schaffung der Bundeskrankenkasse mit freier Arztwahl für den Offizier und alle seine Familienmitglieder von segensreicher Wirkung. Auch im Wohnungswesen wurde durch Einbau von schönen Wohnungen in unausgenützten militärischen Objekten viel getan.

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Im Jahr 1931 hatten die Brigaden 5 und 6 große Manöver. Ich konnte daher meine Brigade, ohne alles lästige Schaugepränge, durch 24 Stunden im Gelände östlich St. Pölten (Langmannersdorfer Höhe) in einem durch Tag und Nacht ununterbrochenen Angriff schulen und so allen Waffen, besonders der Artillerie, Zeit schaffen, ihre Befehle für den Einsatz und die Feuer-Regelung wie unter Kriegsverhältnissen zu geben. Unter der Übungsannahme, dass der bei Tag angesetzte Angriff nicht durchgedrungen sei, ließ ich in der Nacht die Umgruppierung zu neuem Ansatz durchführen. Den dann am Morgen durchgeführten Angriff inspizierte der gestrenge Heeresinspektor. Nachher bekamen wir von ihm eine fulminante Belobung für Idee, Anlage und Durchführung der Übung. Im doppelten geistigen Kampf gegen die sozialistisch-kommunistischen Einflüsse einerseits und jene des Nationalsozialismus anderseits erstrebte ich namentlich bei den Offizieren eine gründliche Kenntnis der in ihrer kriegerischen und kulturellen Großartigkeit faszinierenden österreichischen Geschichte. Leider gab es damals keine „Österreichische Geschichte“. Durch Zufall hörte ich einmal im Radio den Wiener Universitätsprofessor Eibl gerade in der Art über österreichische Geschichte sprechen, wie ich sie zur Steigerung unseres Selbstbewusstseins suchte  : Er wies nach, dass die ganze „deutsche“ Geschichte ohne die „österreichische“ ein Torso sei.555 555 Über Johannes Eibl siehe  : Peter Broucek, Katholisch-Nationale Persönlichkeiten (= Wiener Katholische Akademie (Hg.), Miscellanea LXII des Arbeitskreises für Kirchliche Zeit- und Wiener Diözesangeschichte, als Manuskript vervielfältigt, Wien 1979, S.5–8.Dort heißt es  : „Johannes Eibl, geboren 1882 in Bielitz, studierte in Wien Philosophie, klassische Philologie und deutsche Literaturgeschichte, habilitierte sich 1914 für Patristik und Mittelalterliche Philosophie an der Universität Wien. Im Weltkrieg Reserveoffizier trat er nach 1918 als Verfasser philosophischer Werke und als engagierter Publizist im Volkstumskampf im Rahmen des Deutschen Schulvereins hervor. Sein Hauptwerk ist 1933 erschienen ‚Vom Sinn der Gegenwart. Ein Buch deutscher Sendung‘. Es kann vielleicht als das umfassendste Dokument der katholischen Reichsideologie dieser Jahre angesehen werden. Von jener Idee abgesehen vertrat Eibl das Ideal eines gezüchteten und zuchtvollen Menschen, und er meinte 1934 in der ,Schöneren Zukunft‘, ,daß eine auf Rassenkunde aufgebaute Rassenpolitik prinzipiell mit den Grundsätzen des Christentums vereinbar sei‘. Eibl führte bereits im Frühsommer 1932 im Rahmen einer ,Wiener Arbeitsgemeinschaft für den religiösen Frieden‘ Verhandlungen mit den Nationalsozialisten, die 1930 zur zweitstärksten und 1932 zur stärksten Partei im Deutschen Reich aufgestiegen waren. Man sprach mit Theo Habicht über ein ,gemeinsames christlich-humanistische Programm‘ und vor allem über die Auslegung des Begriffs ,positives Christentum‘, es kam das Konkordat der Kurie mit Österreich vom 5. Juni 1933 einerseits und der Tag der Machtübernahme andererseits. Jene Haltung bildete wohl die Voraussetzung dafür, dass die NS-Landesleitung Eibl bei der organisatorischen Vorbereitung des Allgemeinen Deutschen Katholikentages in Wien als Redner forderte. Eibl versuchte dann durchzusetzen, dass der Katholikentag in einer Resolution die Pariser Vororteverträge als ,Verbrechen und als Kulturschande‘“ erklären möge, ein Ansinnen, dem allerdings nicht stattgegeben wurde. Als Eibl 1936 Extraordinarius wurde, berichtete der deutsche Botschafter Papen, es dürfe ,als ein großer Erfolg verbucht werden, daß wir diesen Posten mit einem unserer Leute besetzen konnten‘. 1938 unterzeichnete Eibl

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Diesen Professor Eibl suchte ich in Wien auf und bat ihn um eine Kopie seiner Vorträge. Er verwies mich aufs Handbuch der christlich-deutschen Turnerschaft, in dem seine Geschichte einen Abschnitt fülle. Dort war er aber aus seiner Geschichtsauffassung leider zur Folgerung gekommen, dass Österreich an Deutschland angeschlossen werden müsse, und vertrat diesen Standpunkt auch unbeschadet des Umstandes, dass Deutschland inzwischen durchs Nazitum der größte Feind Österreichs geworden war. Nachdem ich das Turnerbuch gelesen hatte, suchte ich Prof. Eibl in Wien noch einmal auf, um ihn zu einer Abänderung seiner Konklusionen dahingehend zu bringen, dass Österreich, gerade aus seinem großartigen eigenständigen Geschichtsbewusstsein heraus, sich dem es beschimpfenden Nazitum versagen müsse. Der Professor war nicht umzustimmen. So konnte ich leider seine sonst großartige Geschichtsdarstellung nicht benützen. Dem Mangel einer eigenständigen Geschichtsdarstellung Österreichs hat erst viel später Prof. Hantsch abgeholfen.556 Um 1930 haben unsere Universitätslehrer versagt. Um wie viel leichter hat es das Bundesheer der zweiten österreichischen Republik  ! Sonst sind die zweieindrittel Jahre meiner Kommandoführung mit Winterkriegsspielen, Feiern von Gedenktagen, Denkmalweihen und anderen Anlässen ausgefüllt gewesen, alles in allem ein schöner und befriedigender Wirkungskreis. 1931 gönnte sich mein Schwiegervater erstmals einen Kuraufenthalt am Plattensee in Balatonfüred. Zu diesem nahm er seine Frau mit und lud auch seine Tochter ein. Die ganze Gesellschaft erfreute sich dort unter anderem an Georgs neuem Auto. Im Juli besuchten wir Georg in Baja und wurden dann von ihm nach Aba pusta gebracht. Doch musste ich bald wieder nach St. Pölten abreisen. Erst 1932, in welchem Jahre aus besonderen Einsparungsgründen keine Gelder für Truppenübungen bewilligt wurden, konnte ich einen längeren Urlaub in Aba verbringen, meinen letzten. Dort orientierte mein gesundheitlich schon angegriffener Schwiegervater meine Frau und mich wie folgt  : Sein seinerzeitiger Plan, dass Judith und ich die Bewirtschaftung des Landbesitzes übernehmen sollten, war gegenstandslos geworden. Es war meinem Schwiegervater gelungen, seinen Sohn Georg in eine ähnliche Stellung, wie er sie in Baja innegehabt hatte, beim Szabolcser Komitat mit Dienstsitz in Mátészalka in vorderster Reihe das an Kardinal Innitzer gerichtete Mahnschreiben einiger Laien und Kleriker, in dem zum größtem Entgegenkommen gegenüber dem Nationalsozialismus geraten – besser gesagt aufgefordert – wurde.“ Eibl erreichte allerdings bis 1945 kein Ordinariat für Philosophie, er veröffentlichte 1953 noch ein Buch, das sich mit dem Heiligen Augustinus beschäftigte und starb 1958 in Linz. Seine bisher ungedruckten Memoiren befinden sich in Privatbesitz. 556 Gemeint ist  : Hugo Hantsch, Die Geschichte Österreichs, Zweiter Band. Die 4. durchgesehene Auflage des 2. Bandes erschien Graz/Wien/Köln 1968.

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zu platzieren. Dieser Ort lag Aba puszta so günstig nahe, dass Georg von ihm aus gemeinsam mit dem schon gut eingearbeiteten Verwalter Bagenszky die Landwirtschaft seines künftigen Besitzes und Aradvány sehr gut leiten konnte. Dort hatte Schwiegervater, den ungünstigen Boden- und Niederschlagsverhältnissen Rechnung tragend, 60 % des Areals mit der rasch wachsenden Akazie bepflanzt und auf den verbleibenden 40 % anbaufähigem Grund einen großen Edelobst- und Weingarten angelegt, so dass für den Ackerbau nur eine verhältnismäßig kleine Fläche blieb, die im Wechsel von Tabak und Lupinen mit Brotgetreide, Kartoffeln und Rüben bebaut wurde sowie die Haltung eines Kleinbestandes an Vieh ermöglichte. Natürlich hatte das alles Geld gekostet, das den Grundbesitz mit Hypotheken belastete. Weiters orientierte er uns über sein Testament  : Hiernach sollten Georg und Judith gleichberechtigte Erben werden. Meine gute Frau, die von Zahlen nicht viel verstand, glaubte nun, wirklich reich zu sein. Doch angesichts unserer knappen Einkommensverhältnisse hielt ich es für richtig, sie nicht in diesem Glauben zu lassen. Damals schätzte ich den Schuldenstand von Aba puszta auf mindestens 50.000,– Pengö, sodass vom Grundwert von rund 160.000,– Abas höchstens 100.000,– in Rechnung gestellt werden könnten  ; ziehe man von diesen verschiedene gemachte Investitionen ab, so blieben höchstens 40 bis 50.000,– Pengö zwischen Georg und seiner Schwester zu teilen  ; sie möge sich darum nicht mehr als 20 bis höchstens 25.000,– Pengö Bargeld erwarten. Wir würden immer sparsam wirtschaften müssen  ! Diese meine Kalkulation lehnte meine liebe Frau gänzlich ab und betrachtete sich nach den Aussprüchen ihres geliebten Vaters als zumindest sehr wohlhabend.557

557 Textpassagen zum Abschluss dieses Kapitels mit dem ausführlich erörterten Gesundheitszustand des Schwiegervaters Alfred Jansas wurden in die Edition nicht aufgenommen.

VIII.

Vorstand der 1. Abteilung im Bundesministerium für Landesverteidigung und Militärischer Vertreter bei der Abrüstungskonferenz in Genf Wien 1932–1933 Gelegentlich meines Urlaubes, den ich mit Frau und Kindern wie alljährlich bei meinen Schwiegereltern in Aba puszta verbrachte, empfing ich einen Brief des die höheren Personalien bearbeitenden Sektionschefs Schiebel. Er teilte mir darin mit, dass der Heeresminister Vaugoin die Absicht geäußert habe, mich in das Landesverteidigungsministerium als Vorstand der 1. Abteilung zu versetzen. Er fragte an, wie ich mich dazu stelle und ob ich geneigt sei, dem Wunsche des Ministers zu folgen. Dieser Brief bereitete mir zunächst wenig Freude. Ich war gern Brigadier in St. Pölten, mir sagte diese freie, in enger Verbindung mit den Truppen aller Waffen stehende Stellung sehr zu und ich wäre sehr gern noch einige Jahre geblieben. Aber die große Enge des Heeresbudgets, die geringen Gehaltszahlungen und daraus folgend das begreifliche Nachdrängen von Offizieren in höhere Stellungen hatten es mit sich gebracht, dass die effektive Dienstzeit aller Offiziere fast ausnahmslos mit 30 Jahren bemessen wurde. Rechnete man die 5 doppelt zählenden Jahre des Ersten Weltkrieges dazu, so hatte man nach der damaligen Besoldungsordnung mit 35 Dienstjahren den Anspruch auf das ungekürzte Ruhegehalt und wurde mit Jahresende dieser Zeit aus dem aktiven Dienst entlassen. 1902 ins Heer getreten, stand ich an dieser Grenze und musste rechnen, trotz der jahrelang in den Dienstbeschreibungen zum Ausdruck gekommenen hervorragenden Beurteilung meiner Dienstleistungen mit Jahresende entlassen zu werden. Wenn mich nun der Minister trotzdem zum Vorstand der 1. Abt. machen wollte, so ergab sich daraus die Möglichkeit, vielleicht etwas länger dienen zu können, was aus finanziellen Gründen anzustreben war. So dachte ich nicht weiter nach und antwortete GdI. Schiebel brieflich mit meinem Einverständnis. Nach meiner Heimkehr vom Urlaub verabschiedete ich mich von den Truppen und dem Brigadekommando. Der Abschied von St. Pölten war nicht leicht  ; hatte ich doch zwölf Jahre der Arbeit und des glücklichsten Familienlebens in dieser wohl kleinen, meiner Frau und mir jedoch vollauf genügenden Stadt verbracht. Der Wehrbund ließ es sich nicht nehmen, eine Abschiedskundgebung für mich in großem Rahmen in den Stadtsälen zu veranstalten. Ich war über den zahlreichen Be-

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such verblüfft, denn es kamen nicht nur alle Offiziere und Soldaten der Garnison mit ihren Familien, sondern auch von Krems, Melk, Stockerau und Wien waren Deputationen und eine Musikharmonie gekommen. Überraschend war mir der den großen Saal ganz füllende Besuch der katholischen Welt St. Pöltens mit dem Landtagsabgeordneten Prof. Dr. Prader an der Spitze. Auch der nachmalige Bundeskanzler Ing. Raab war nebst vielen anderen Persönlichkeiten erschienen. Und wie das eben bei solchen Anlässen üblich ist, wurden viele Reden gehalten. Am tiefsten berührte mich die Feststellung in der Ansprache von Hofrat Prader, dass ich außer der Erfüllung meiner militärischen Pflichten der ganzen katholischen Bevölkerung ein richtunggebendes Familienleben beispielhaft vorgelebt habe. Dass dies nicht nur höfliche Worte waren, sondern die zwölf Jahre des Lebens in St. Pölten einen guten Grund gelegt hatten, konnte ich 22 Jahre später in rührender Weise erleben  : Unser alter Brigadepfarrer Hofer feierte im Herbst 1952 sein goldenes Priesterjubiläum, zu dem mich das St. Pöltner Festkomitee eingeladen hatte. Ich fuhr mit meiner Tochter Judith hin, und die Herzlichkeit der Begrüßung, schon vor dem Gottesdienst im Dom, steigerte sich zu einer Akklamation im Festsaal, wie sie sonst nur berühmte Künstler erfahren. Der alte Stabschef und Brigadier war trotz zermürbender politischer Parteiungen, trotz fünfeinhalbjährigem Krieg und schwerer Nachkriegszeit unvergessen geblieben  ; nicht nur die Soldaten, sondern auch deren Familien jubelten ihm zu. Wenn meine allseits hochverehrte Frau auch nicht mehr unter den Lebenden weilte, so konnte die von ihr erworbene Sympathie von meiner Tochter, die ihrer Mutter so sehr ähnelte, beglückend empfangen werden558. Wegen der Schwierigkeit der Wohnungsbeschaffung blieb meine Familie zunächst in St. Pölten. Ich mietete in Wien ein leidliches Absteigquartier und kam übers Wochenende regelmäßig heim in die kleine Stadt. Die 1. Abt. des Ministeriums umfasste in ihrem Aufgabenkreise die in Folge des Friedensvertrages von Saint-Germain nur versteckt mögliche Tätigkeit eines Chefs des Generalstabes. Glänzende Generalstabsnamen waren meine Vorgänger gewesen  :559 558 Laut Grundbuchblatt war Jansas Karriere folgendermaßen verlaufen  : 22.12.1920 beeidet  ; 1.12.1920 definitiv eingeteilt als Stabschef der 3. Brigade  ; 23.6.1924 den Titel eines Obersten verliehen, 1.2.1929 bestellt zum zugeteilten Offizier beim 3. Brigadekommando, 1.6.1930 ernannt zum Generalmajor, 25.7.1932 für langjährige vorzügliche Dienstleistung das Große Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen. 559 Es ist von Interesse, dass Jansa seinen Vorgänger Obst. Wiktorin überhaupt nicht nennt. Dessen berufliche Karriere war die folgende  : Mauritz Wiktorin (Budapest, 8.11.1878–16.8.1956, Nürnberg), 18.8.1904 als Lt. aus der Theres. Milakad. ausgemustert zum DR 12, Frequentant der Kriegsschule, ab 1911 Glstbskarriere, Glstbsoffizier, vor allem beim II. KKdo., 1916/1917 in OpA./AOK, 15.8.1917– 5.9.1917 bei Heeresgruppe Linsingen Verbindungsoffizier, ab 18.11.1918–10.1.21918 Dirigierungsstab StfHw., Feb. 1919–März 1920, StfHw., Abt. f. Sachdemobilisierung, 1.9.1920 übersetzt zur Heeresver-

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Schneller560, Wittas561, Tarbuk. Aber die jahrelange Verkümmerung des Bundesheeres infolge des viel zu geringen Heeresbudgets im Verein mit der vom leitenden Sektionschef GdI. Schiebel vertretenen Auffassung, „dass ein jeder ein Trottel sei, der nach dem ersten Weltkriege an eine neue Kriegsmöglichkeit denke“, ließ auch die 1. Abt. zu keiner gedeihlichen Tätigkeit kommen.562 Etwas Nachrichtendienst, theoretische Erwägungen ohne die geringsten Aussichten einer Verwirklichung und die Betreuung der ausländischen in Wien akkreditierten Militärattachés waren durch Jahre das geistige Grab einer Reihe hochintelligenter, sich der Politisierung des Heeres nicht beugender Generalstabsoffiziere, die in Bitternis oder schließlicher Gleichgültigkeit ihre Jahre bis zur Pensionsreife dahindämmerten. Die rein auf die innere Politik gerichtete, auf diesem beschränkten Gebiet wohl sehr anerkennenswerte Tätigkeit des langjährigen Heeresministers Vaugoin versagte sich allen noch so ehrlichen und bescheidenen Vorschlägen für eine wenigstens notdürftige Landesverteidigung gegen äußere Feinde. Das führte besonders auf dem Gebiete der kostspieligen Beschaffung und Lagerung von Munition aller Art zu einem später nicht mehr ausgleichbaren Tiefstand der Wehrfähigkeit, die, richtiger gesagt, schon eine Wehrunfähigkeit war.563 waltungsstelle f. NÖ, 1.7.1921 definitiv als Offizier beim BmfHw. eingeteilt, Dienst beim Zivilkommissariat,1.8.1924 kommandiert nach Berlin zu Studienzwecken, dreimal verlängert, 30.6.1927 wird die Kommandierung nach Berlin in eine Dienstzuteilung umgewandelt, 21.5.1927 Obst., 1.11.1927 zugeteilt der Militärischen Fachprüfungskommission, 1.2.1931 dienstzugeteilt dem BMfHw., Abt.1, 24.10.1932 ernannt zum Generalmajor, 1.1.1934 Vorstand der Abteilung 1, 31.3.1935 versetzt in den Ruhestand, 24.3.1938 rückübernommen in den Dienststand, 1.11.1940 GdI. 560 Über Karl Schneller (1878–1942) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 324 f., Anm. 151. Schneller war als Glstbsoffizier 1915–1917 Italienreferent der Operationsabteilung des AOK, bei Kriegsende Delegierter bei den Waffenstillstandsverhandlungen in Villa Giusti und bei den Friedensverhandlungen in St. Germain, führende Tätigkeit im Staatsamt für Heerwesen, zuletzt Leiter Sektion 2 und Mitarbeiter bei der Friedensvertragsgruppe des Staatsamtes unter Obst. Körner, Leiter Sektion II im BMfHw., ab 29.2.1924 Leiter Sektion I, 1.5.1925 GM, 28.2.1926 pensioniert; wahrscheinlich bereits aber der Gründung 1923 im Beratungsgremium (Geheime Generalsreserve) der Technischen Sektion des Republikanischen Schutzbundes. 561 Hans Wittas (Budapest, 8.11.1878–  ?), 18.8.1899 aus der Theres. Milakad. ausgemustert zum IR 71, 1.11.1907 zugeteilt Glstb. u. Glstbskarriere, 30.4.1905 38. IBrig., 18.9.1909 eingeteilt I. KKdo., dann X. Korpskdo., 1.11.1913 Truppendienst bei IR 71, 1.3.1915 Mjr. 16.6.1915 Glstbschef Milkdo. Leitmeritz, 3.3.1917–5.12.1918 OpA./AOK, 12.1.1919 übernommen in die Fachgruppe IV (Staatsvertragsgruppe)/StfHw., 1.3.1919 pensioniert, 1.1.1920 übernommen ins BMfHw. Abt.2, 3.1.1924 betraut mit Ltg. Abt. 4 (früher 2); 1.5.1924 GM, 29.3.1928 Titel General, 31.3.1928 Ruhestand, 30.11.1934 Titel FML. Kein Dienst in der Deutschen Wehrmacht 562 Einfügung Knaus  : Frieden  ? Schneller ca. 1921/22  : ‚Ohne Waffen, ohne Pfaffen, und wir werden die Freiheit schaffen‘, General Schiebel Dezember 1925 als Ersparungskommissär zur Belohnung seiner Sparmaßnahmen  : S 1.000.-  : ebenso Sektionschef Dr. Robert Hecht. 563 Diesbezüglich siehe  : Erwin Mairleb, Sektionen des StfHw. bzw. des BMfHw. bzw. des BMfLv., (=ÖStA/AdR, Schriften zur Geschichte des ÖBH, Nr. 92), ganz besonders aber  : Karl Tarbuk  : Entste-

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Umso mehr richteten sich die Augen aller weitblickenden Offiziere auf die Verhandlungen der Abrüstungskonferenz in Genf, von der geistig normal veranlagte Menschen glaubten hoffen zu können, dass die unglückseligen Friedensverträge von Versailles, Saint-Germain und Trianon – gemäß dem in den Mantelnoten zu diesen Verträgen gegebenen Versprechen der Siegermächte – nach 12 Jahren durch die Erlaubnis einer wenigstens beschränkten Aufrüstung Deutschlands, Österreichs, Ungarns und Bulgariens eine gerechte Auflockerung erfahren würden. Es oblag dem Vorstand der 1.Abt., die österreichische Sache in den militärischen Fachausschüssen dieser Konferenz zu vertreten. Als ich von meinem Vorgänger, dem mir aus der Sarajevoer Zeit bekannten und befreundeten Generalmajor Tarbuk gehört hatte, dass er in arge Differenzen mit unserem ständigen diplomatischen Vertreter in Genf, dem Gesandten Pflügl, geraten war, glaubte ich, vielleicht aus diesem Grunde nach Wien berufen worden zu sein564. hungsgeschichte der Abt.1 d. BMfHw., 4 S. Masch. (KA, NLS, Nachlass Tarbuk)  : „Nach dem Umsturz … wurde im November 1918 aus dem ehemaligen Evidenzbüro d. Glstb. Und der Nachrichtenabteilung des AOK eine Nachrichtenabteilung d. StfHw. unter der Bezeichnung Abt/N unter der Leitung des Obst.Kick aufgestellt. Im Jahre 1919 wurde, als die Friedensverhandlungen begannen, eine sogenannte Staatsvertragsgruppe unter Leitung des Obst. Karl Schneller (mit Obst. Zimmer, Obstlt. Wittas, Kless, Brantner und Eimannsberger) aufgestellt. Am 5. März 1920 wurde die Abt.1/N liquidiert, aus Gründen der Unterbringung von Offizieren außerhalb des Rahmens der durch den Friedensvertrag bewilligten 1.500 Offiziere des BH wurde der ganze offensive Nachrichtendienst an die Polizei übertragen und dort eine (Zent­ralevidenzstelle) aufgestellt, in welche fast das ganze Personal der Abwehr- und Chiffren-Gruppe der Abt.1/N übernommen wurde … Am 1. Juli 1920 übernahm die bisherige Staatsvertragsgruppe als Abt. 2 (Durchführung der mildt. Bestimmungen des Staatsvertrags) das Erbe der Abt. 1/N, jedoch nur bezüglich Evidenz und defensiven Nachrichtendienst. Die Chiffrengruppe wurde an das Bundeskanzleramt (Äußeres) übergeben. Abteilungsleiter wurde Obst. Schneller (Aufgabenbereich  : Grenzschutz, internationale und Statistische Angelegenheiten, Heeressanitätswesen  ; Gruppen  : DR u. CSR, SHS, Intern. u. alliierte Angelegenheiten, Infanterie-Kavallerie-Eisenbahn, Technische Gruppe, Pressedienst). 31.7.1923  : Sanitätsreferat angegliedert, Pressedienst zu Präsidialbüro. 1.1.1924  : Abt.2 in Abt. 4 umbenannt. Mit 3.1.1924 wurde Schneller Chef der Sekt. I und Hans Wittas übernahm nunmehr die Abt. 1. Von 1.4. 1928 bis 31.12. 1928 führte GM Schilhawsky die Abt.1. (Ende der Völkerbundkontrolle bzw. der Interalliierten Kontrollkommission.) Es wurde der Verkehr mit den fremden Militärattachés intensiviert „und auch durch einen privaten ergänzt [offenbar war hier der deutsche geheime, aber von der Reichsregierung bestellte Militärattaché Major Jaspar Kundt gemeint]. Mit 1.1.1929 übernahm GMTarbuk die Abt. 1. Sodann  : 1.10.1932 Alfred Jansa, 1.6.1933 vakant, 11.6.1933 Johann Kubena, 1.1.1935 Mauritz Wiktorin. 1.3.1935 vakant,1.4.1935 Emmerich Nagy, nach Umbenennung in  : Operationsabteilung (Sektion III)  : 1.6.1935 Emmerich Nagy, 1.1.1936 vakant, 1.2.1936 Moritz Basler.“ 564 Über Emmerich Pflügl (1873–1956) siehe die Daten bei  : Zeynek-Broucek, S. 214, Anm. 291. Pflügl war Reserveoffizier, dann aktiver Offizier und Generalstäbler  ; er wurde 1920 in den Dienst der Republik übernommen und machte Karriere als Sekretär des Ständigen Vertreters Österreichs beim Völkerbund, dem Diplomaten Albert Graf Mensdorff-PouilIy. Vom 2.7.1921 bis 12.3.1938 war Pflügl ständiger Vertreter beim Völkerbund, sodann ging er in die Emigration nach den USA und dann in die

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Wie bass erstaunt war ich daher, als mir Minister Vaugoin bei meiner Antrittsmeldung sagte  : „Ich brauche für den Verkehr mit den ausländischen Militärattachés einen eleganten Offizier. Sie haben mir als Brigadier bei allen Anlässen immer gut gefallen, darum hab’ ich Sie jetzt ins Ministerium hereingenommen.“ Von Genf und anderen Aufgaben der 1. Abt. sagte der Minister kein Wort. Ich war darüber so betroffen, dass ich ein sehr dummes Gesicht gemacht haben muss  ; denn der Minister sagte mir sehr freundlich und wohlwollend die Hand reichend  : „Aber ja, Sie werden’s schon treffen.“ Als ich dann Gen. Schiebel aufsuchte und dort Genf zur Sprache brachte, meinte dieser  : „Natürlich, nach Genf musst Du auch fahren  ; aber herauskommen wird dort nichts  !“ Das waren keine erfreulichen Aussichten für einen neuen Arbeitsbeginn  ; den Gigolo zu spielen, hatte ich keine Ambition. Aber es blieb reichlich Zeit für das eingehende Studium des einstweiligen Verlaufes der Abrüstungskonferenz in Genf, für die von meinem Vorgänger ein großes Elaborat aller militärischen Wünsche des österreichischen Heeres für seinen beschränkten Ausbau vorbereitet, von unserem Auswärtigen Amt ins Französische übertragen und in Genf eingereicht worden war.565 Mit der großen Linie dieses Elaborates war ich einverstanden  : Ausbau der 6 gemischten Brigaden zu 6 Infanterie-Divisionen, allgemeine Wehrpflicht, Schaffung ausgebildeter Reserven an Menschen, Lagerung von Waffen, Munition und Geräten für die Aufstellung von 6 Reserve-Divisionen für den eintretenden Notfall der Landesverteidigung, was auch die Aufhebung der alle Verteidigungsvorbereitungen verbietenden Bestimmungen des Friedensvertrages betreffen musste. Nicht einverstanden war ich aber mit der verhandlungstechnischen Art meines Vorgängers in Genf.566 Es hatte sich dort eine Art neuer politischer Kampfgemeinschaft der im Ersten Weltkrieg unterlegenen Staaten Deutschland, Ungarn, Österreich und Bulgarien unter der geistigen und taktischen Führung des deutschen Generals v. Blomberg herausgebildet.567 Bei der beängstigenden, für die Westmächte bedrohliSchweiz. Vgl. Silvia Stiedl, Emmerich von Pflügl (1873–1956). Leben und Werk eines österreichischen Diplomaten (= Dissertationen der Universität Wien 206), Wien 1990. 565 Über die Genfer Abrüstungskonferenz siehe vor allem Jacques Benoist-Mechin, Die Geschichte der deutschen Militärmacht, 3. Band. VII. Kapitel: Der Zusammenbruch der Abrüstungskonferenz und der Austritt des Reiches aus dem Völkerbund 2.2.1932–1.8.1934, Die vom Völkerbund einberufene Abrüstungskonferenz hatte am 2.2.1932 begonnen. Sie hatte eine Frühjahrs- und eine Herbstsession und wurde am 16.10.1933 abgebrochen. Jansa war als Leiter der 1. Abt. nach seinem Vorgänger GM Tarbuk 1933 militärischer Experte. 566 Im Nachlass Tarbuk, ÖStA/KA, sign. B/478 Nr. 6 befindet sich die Mappe „Genfer Zahlen“ mit den Abschriften von 152 Aktenstücken aus der Zeit von 2.2.1932 bis 6.7.1932. Sie handeln über die Tätigkeit Tarbuks auf der Genfer Abrüstungskonferenz. 567 Über Werner v. Blomberg (Stargard/Pommern, 2.9.1878– 22.3.1946, Nürnberg), 30.1.1933–3.2.1938 Reichswehr bzw. Reichskriegsminister, siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S.67, Anm. 2. Blomberg

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chen Entwicklung des Nationalsozialismus in Deutschland erschien mir eine hörige Bindung an die deutsche Delegation für die Durchsetzung unserer Wünsche ungut. Wenn das von Kaiser Karl im Mai 1918 in Spa den Deutschen zugesagte engste Zusammengehen die Alliierten veranlasst hatte, die ö.-u. Monarchie zu zertrümmern, so konnte ich mir nicht denken, dass eine neuerliche enge Anlehnung an Deutschland für uns Vorteile bringen könnte. Da ich nun reichlich Zeit hatte, nahm ich auch Hitlers Buch „Mein Kampf“ vor, das ich schon in St. Pölten in der Hand gehabt hatte. Ich war neuerdings entsetzt über dessen Hass gegen unser Kaiserhaus, die Einschätzung Wiens und der österreichischen Bevölkerung. Die Lektüre dieses Buches vertiefte meine schon in St. Pölten bestandene scharfe Ablehnung des Nazitums zu dessen schärfster Verurteilung. Ich freute mich über die Energie, mit welcher der seit Ende Mai 1932 Bundeskanzler gewordene Dr. Dollfuß568 gegen die von Deutschland nach Österreich getragene Nazipropaganda Stellung bezog.569 Eine weitere Vorbereitung für Genf war die Auffrischung meiner Kenntnisse der französischen Sprache. war von 30.1.1933 bis 5.2.1938 Reichswehr- bzw. Reichskriegsminister. Siehe nunmehr  : Kirstin A. Schäfer, Werner von Blomberg – Hitlers erster Feldmarschall. Eine Biographie, Paderborn/München/ Wien/Zürich 2006. 568 Engelbert Dollfuß (Texing, Bez. Melk, NÖ, 4.10.1892–25.7.1934, ermordet im Bundeskanzleramt in Wien), Mittelschule im Priesterseminar in Hollabrunn, 1914 Beginn des Studiums der Rechte und der Nationalökonomie in Wien, Kriegsfreiwilliger und Olt.d.Res. beim Kaiserschützenrgt. 2, 1918–1920 Abschluss des Studiums in Berlin, Beschäftigung bei der Preußenkasse, Mitglied des CV und der in Österreich gegründeten Deutschen Studentenschaft, Sekretär des NÖ Bauernbundes, 1927 Kammeramtsdirektor der von ihm mit aufgebauten Niederösterreichischen Landeslandwirtschaftskammer, 1930 auch Delegierter in der Verwaltungskommission der ÖBB und sodann Präsident der ÖBB,18.3.1931 Landwirtschaftsministerium Kabinett Buresch, 20.5.1932, Bundeskanzler eines Kabinetts von Christlichsozialen, Heimatblock und Landbund mit nur einer Stimmenmehrheit im Nationalrat, 23.8.1932 Annahme des Vertrags von Lausanne über den Abschluss einer Neuen Völkerbundanleihe für Österreich, 30.1.1933 Adolf Hitler wird Deutscher Reichskanzler, 4.3.1933 Rücktritt der drei Präsidenten des Nationalrates. Diese Situation wurde „als ein in der Verfassung nicht vorhergesehener Zustand“ von der Regierung erklärt und zum Anlass genommen, um die Verfassung zu brechen, autoritär zu regieren, mithilfe von Notverordnungen, die auf das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz vom 24.7.1917 zurückgingen, 7.3.1933 Aufruf der Regierung an das ö. Volk, in dem festgestellt wurde, dass sich „das Parlament selbst ausgeschaltet“ habe, Beginn des „autoritären Regimes“ und Ende der parlamentarischen Demokratie in der Ersten Republik  ; 31.3.1933 Auflösung des Republikanischen Schutzbundes, 13.4.1933 Besuch in Rom, wo Dollfuß die Zusicherung Mussolinis erhält, dass Italien, falls nötig, die Selbstständigkeit Österreichs „mit Waffengewalt verteidigen werde“, 27.5.1933 Verhängung der „Tausend-Mark-Sperre“ durch die deutsche Regierung, 19.6.1933 Verbot der NSDAP und des „Steirischen Heimatschutzes, 1.1.1934 Beginn einer neuen ns. Terrorwelle in Österreich, 12.2.1934 Beginn der Erhebung des Republikanischen Schutzbundes, 17.3. 17.3.1934 Abschluss der „Römischen Protokolle“, 1.5.1934 Verkündigung der „Verfassung 1934“, 12.7.1934 Bundesgesetz zur Abwehr politischer Gewalttaten in Österreich. 25.7.1934 Ermordung des Bundeskanzlers und ns. Putschversuch. 569 Christian Dörner/Barbara Dörner Fazeny, Theodor Hornbostel 1889–1973, Wien/Köln/Weimar 2006,

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Die heeresorganisatorischen Arbeiten in der 1. Abt. bearbeitete damals der hochgebildete, ideenreiche GM Paschek, mit dem mich alte Kameradschaft aus unserer gemeinsamen Dienstzeit in Bosnien verband. In vielen Rücksprachen über angestellte Kalküle trafen wir uns bei der Zahl von 60.000 Männern Aktivstand als ausreichender Basis zu dem geplanten Ausbau des Bundesheeres für die Landesverteidigung. Ich machte meine Besuche im Auswärtigen Amt, um den politischen Vertreter für Genf, den Gesandten Dr. Leitmaier570 kennenzulernen. Das war eine vornehme, im diplomatischen Dienste erwachsene Persönlichkeit, die aber den Verhandlungen in Genf keine Chancen gab. Seine Interessen lagen mehr bei seiner Lehrtätigkeit an der Konsularakademie. Diese Beurteilung der Genfer Verhandlungen war wenig erfreulich, da Österreich in Dr. Dollfuß erstmals einen Kanzler hatte, der für eine Stärkung des Bundesheeres Interesse zu haben schien. Dazu bekam ich auch eine Klageschrift meines Vorgängers, GM Tarbuk, gegen unseren ständigen Vertreter in Genf, den Gesandten Pflügl, in die Hand, dem er eine zu geringe Betätigung im Interesse unserer Sache zum Vorwurfe machte. So überraschte es mich nicht sehr, dass über Wunsch des Kanzlers

S. 63  : „Am 18. November 1933 schrieb der Gesandte Imre [Emmerich] Pflügl von der österreichischen Vertretung beim Völkerbund in Genf vertraulich an Hornbostel, ‚daß Deutschland zu eine Abrüstungskonvention bereit sei, wenn es dafür Österreich bekomme‘. Große Bedeutung wird aber offensichtlich den Verhandlungen nicht beigemessen, Die englische Regierung sei gespalten, die französische ‚todkrank‘. Italien schickt nur unbedeutende Unterhändler, sodaß der Eindruck entsteht, die Diskussionen aufrecht zu erhalten, um nicht Schuld an deren Ende zu sein. Ein Interesse an einem konkreten Ergebnis scheint aber nicht vorhanden zu sein …“ Emmerich Pflügl schlug Hornbostel in seinem Schreiben vor, jedenfalls die Sicherheit Österreichs als Grundmaxime in den Diskussionen anzuführen. „Obwohl Dollfuß [die folgenden, kursiv gesetzten Zitate sind dem Memoirenfragment Hornbostels „Geschichtliche Unterhaltung“ entnommen] furchtbar ungern diesen Kampf mit dem Nazismus führen musste“ so war sein tiefstes Bestreben, sich mit Hitler doch irgendwie zu verständigen, und er „hat gesagt, Hitler ist ja schließlich erstens ein Österreicher, zweitens wir sind beide Deutsche, das ist doch nicht möglich, daß man sich nicht einmal irgendwie doch verständigt…daher müsste man einen Weg finden.“ Eine wichtige Quelle über die Bestrebungen Dollfuß’, anstatt der Lausanner Anleihe deutsche Leihgeber zu finden und ein Zusammentreffen mit Hitler zu arrangieren  : Lajos Kerekes  : Neuer Aktenfund zu den Beziehungen zwischen Hitler und Dollfuß im Jahre 1933, in  : Historica Academiae Scientiarum Hungaricae 18, 1972, S. 149–160. 570 Markus Karl Otto Leitmaier (Edler v. Sannfeld) (Graz, 27.7.1880–8.11.1972, Wien), 1903 Eintritt in den öst. Justizdienst,17.6.1904 Dr.iur, 27.3.1912 Einberufung in den Auswärtigen Dienst, 1921 Bestellung zum Leiter der Abteilung für Völkerrecht im BM.f.Auswärtige Angelegenheiten,1922 mit der Lehrkanzel für Internationales Recht an der Konsularakademie betraut, 1.5.1924 Ernennung zum Ministerialrat und Bestellung zum Leiter der Abteilung für Völkerrecht und Völkerbundangelegenheiten, 1923– 1938 Professor für Internationales Privat- und Strafrecht an der Konsularakademie, 1932/33 Delegierter bei der internationalen Abrüstungskonferenz, 12.9.1936 Ernennung zum ao. Gesandten und bevollmächtigten Minister, 31.3.1941 Ruhestand, 1.5.1945 Wiedereintritt in den Auswärtigen Dienst, 17.7. 1945 Bestellung zum Leiter der Rechtsabteilung, 31.12.1949 Versetzung in den dauernden Ruhestand.

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der politische Vertreter gewechselt wurde. Dass aber die Wahl auf den Vorstand des Rechtsbüros des Landesverteidigungsministeriums, den Sektionschef Dr. Hecht571, gefallen war, der sich durch sein den militärischen Erfordernissen sehr schlecht entsprechendes Disziplinarstrafgesetz und seine sonstige Tätigkeit den Beinamen eines Heeresverderbers erworben hatte, war nicht erfreulich  : Ich musste befürchten, dass diese wohl gerissen intelligente Persönlichkeit die Genfer Tribüne nur soweit verfolgen werde, als sie ihrem stark entwickelten persönlichen Geltungsdrang nützlich sein werde. Ich bemühte mich aber im Interesse einer gedeihlichen Zusammenarbeit, dieser Persönlichkeit trotzdem mit großer Konzilianz entgegenzukommen. Da Dr. Hecht in 571 Über Robert Hecht (Wien, 9.3.1881– 29.5.1938, Selbstmord im Konzentrationslager Dachau), nach der Matura 1899 EF beim 3. TKJR, 17.1.1906 Eintritt in die Beamtenlaufbahn als Rechtspraktikant beim Bezirksgericht Wien-Leopoldstadt, ab Jänner 1911 Richter am Bezirksgericht Bad Ischl, 1914 Kriegsdienst, 1.3.1916 als Oberleutnantauditor i.d.Res, in das Offizierskorps für Justizdienst übersetzt, 18.11.1917 einberufen ins k. k.MfLv, zuletzt Hauptmannauditor i.d.Res., 1919 im Staatsamt f. Hw. als Leiter der Abteilung für administrative Maßnahmen zur Unterbringung der abgebauten Offiziere und Militärbeamten, 3.6.1922 Ministerialrat, 1.4.1923 Leiter des Rechtsbüros des BMfHw., 20.7.1925 Sektionschef, 1933 Führer der österreichischen Delegation bei der Abrüstungskonferenz in Genf, Ersatzmitglied des Verfassungsgerichtshofes, 30.11.1933 Vizegouverneur des Postsparkassenamtes, 12.3.1938 verhaftet und am 1.4.1938 ins KZ Dachau transportiert. Siehe  : Peter Huemer, Sektionschef Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich. Eine historisch-politische Studie, Wien 1975. Hecht war im Sinne des Heeresministers Vaugoin bemüht, an der sogenannten Umpolitisierung mitzuwirken. Dazu Friedrich Mayer, Wehrpolitik und militärische Landesverteidigung in Österreich 1920 bis 1938, Wiener Dissertation 2001, S. 221  : „Der im Bundesheer der Anfangsjahre herrschende Geist war noch sehr stark von der dem Berufsheer vorangegangenen Volkswehr geprägt, im Heer dominierte unter Unteroffizieren und Mannschaften die marxistische Weltanschauung … Erst dem christlichsozialen Heeresminister Carl Vaugoin gelang es – tatkäftigst vom Leiter seines Rechtsbüros, dem blendenden Juristen, Ministerialrat (später Sektionschef ) Dr. Hecht, unterstützt – unter Anwendung demokratiepolitisch bedenklicher bis verwerflicher, juristisch aber zumeist unanfechtbarer Maßnahmen das Bundesheer ‚umzupolitisieren‘ und eine derart überzeugende Mandatsmehrheit für die christlichsoziale Soldatengewerkschaft ‚Wehrbund‘ zu erlangen, dass der Militärverband auf die Teilnahme an den Vertrauensmännerwahlen in Zukunft verzichtete. Vaugoin setzte weiters eine schrittweise Reduzierung der staatsbürgerlichen Rechte der Soldaten durch und erreichte schließlich sogar die Aufhebung der das Heer kontrollierenden Parlamentskommission sowie die Abschaffung der Heeresverwaltungsstellen in den Bundesländern und damit das Ende des den zielstrebigen Ausbau des Heeres hemmenden Ländereinflusses.“ Hecht ist aber für abgelehnte Entwürfe von 1928 und einem Wehrgesetzentwurf von 1931 federführend gewesen, der einen Oberbefehl, einen Bundesverteidigungsrat mit Landesverteidigungsräten, das Einsetzen einer militärischen Führungsspitze und die Installierung eines Generalrates beinhaltete. Dieses Wehrgesetz wurde parlamentarisch nicht erledigt. Doch auch nach Einrichtung der autoritären Führung unter Dollfuß wurde mithilfe des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes von 1917 per 3.9.1933 eine „Vorläufige Wehrordnung“ erlassen. Ebenso war Hecht bereits früher für die Neufassung der „Allgemeinen Dienstvorschrift“ mit verantwortlich, schließlich noch für das Offizierskorpsgesetz vom 10.12.1935. Ganz besonders wird aber Robert Hecht die Beratung des Bundeskanzlers Dollfuß beim Bruch der Verfassung von 1920/1929 zur Last gelegt.

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der Folge vom Bundeskanzler Dollfuß für die Beratung in innerpolitischen Fragen stark in Anspruch genommen wurde, erschien er nur zwei oder dreimal ganz kurz in Genf, was meine Lage wesentlich erleichterte und mir Handlungsfreiheit ließ. Inzwischen war von Dr. Dollfuß im Oktober 1932 das italienisch-österreichischungarische Freundschaftsabkommen geschlossen worden, das der ungarische Militärattaché, Obst. Hochenburger, benützte, um von Österreich die Zustimmung zu Waffentransporten aus Italien durch Österreich nach Ungarn zu erreichen.572 Die sich daraus für Österreich entwickelnde und die Tätigkeit in Genf ungünstig beeinflussende Affäre hat sich, meines Wissens nach, etwas abweichend von der vom Gesandten Ludwig in seinem Buch über „Österreich im Donauraum“ gegebenen Darstellung573, folgendermaßen abgespielt  : Der von Ungarn erstrebte Waffenbesitz sollte von Italien in plombierten Eisenbahnwaggons durch Österreich nach Ungarn gelangen. Ob es sich dabei nur um italienische Beutewaffen ö.-u. Provenienz aus dem Ersten Weltkrieg handelte, oder ob auch andere von Zaccharoff gekaufte Waffen darunter waren, blieb ungeklärt und war schließlich für uns auch gleichgültig.574 Nach dem Friedensvertrag von Saint-Ger572 Anton (Antal) Hochenburger (Pressburg/Pozsony, heute Bratislava, 12.12.1889–  ?). Der Vater war Generalauditor in der k. u. k. Armee, geboren in Stainz, Steiermark. H. war Absolvent der LudovikaAkademie und Angehöriger der Honvéd, im 1. Weltkrieg Bataillonsadjutant und ab 20.6.1915 kommandiert beim Kdt. 14. ITD, 23.10.1916 Mjr.i.G., nach dem Weltkrieg Angehöriger der ung. Honvéd und 1933–1936 Militärattaché in Wien. Auch das Königreich Ungarn hatte wie das Deutsche Reich bereits ab 1920 in der ung. Gesandtschaft einen Offizier als Quasi-Militärattaché eingebaut, der dann 1933 durch einen offiziellen Vertreter der Honvéd in Wien ersetzt wurde. Auch dieser, wie ebenfalls der italienische Militärattaché und vorher gleichzeitig Vertreter der Interalliierten Kontrollkommission, übte in Wien nicht nur die Vertretung aus, sondern machte in Vertretung Gömbös’ bzw. des Diktators Mussolini und ihrer Armeen Militärpolitik. Siehe diesbezüglich  : Lajos Kerekes, Abenddämmerung einer Demokratie. Mussolini, Gömbös und die Heimwehr, Wien 1966. 573 Eduard Ludwig, Autor der Memoiren „Österreichs Sendung im Donauraum. Die letzten Dezennien österreichischer Innen- und Außenpolitik, Wien 1954, S. 109 f. beschreibt bei der Darstellung jener Affäre fast nur die Innenpolitik. Eduard Ludwig (NÖ, 9.1.1883–26.12.1967, Wien), Journalist, Zeitungswissenschaftler und Politiker. Im 1. Weltkrieg im Literarischen Büro des k. u. k. Ministeriums des Äußern, ab 1918 in der Presseabteilung der Staatskanzlei, 1920 wieder im Außenministerium und führend im Pressedienst der öst. Bundesregierung, 1927 auch Experte des Völkerbundes in Pressefragen, 1936 Leiter der neu geschaffenen Pressekammer, 1938–1942 im KZ., nach dem Weltkrieg Abgeordneter der Österreichischen Volkspartei zum Nationalrat, 1956 Österreichischer Vertreter beim Europarat, 1946–1958 auch Ordinarius für Zeitungswissenschaften an der Universität Wien. 574 Sir (seit 1919) Basil(eios) Zaharoff (vorher  : Zacharias), Rüstungsindustrieller griech. Abkunft (Mugla, Anatolien, Türkei, 6.10.1849–27.11.1936, Monte Carlo, Monaco), kam 1877 in die britische Rüstungsindustrie (Vickers-Konzern). Als Freund und Berater Lloyd Georges und Clemenceaus hatte er indirekt maßgeblichen Anteil am 1. Weltkrieg und Friedensschluss. Nach 1925 brachten ihm Anleihegeschäfte (Rumänien) die Beteiligung an der Anglo Persian Oil Co. und die Übernahme der Spielbank von Monte Carlo (1923–1928) neue riesige Gewinne.

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main war die Durchfuhr von Waffen durch Österreich verboten und wäre in früherer Zeit glatt abgelehnt worden. Für die Angelegenheit kam aber außer einem durch das italienisch-österreichisch-ungarische Freundschaftsabkommen bedingten Entgegenkommen auch ein bedeutsames wirtschaftliches Interesse Österreichs in Betracht  : Die dem Industriellen Fritz Mandl gehörende Hirtenberger Patronenfabrik war unterbeschäftigt, was die an und für sich bedeutende Zahl von Arbeitslosen im Wr. Neustädter Becken vermehrte.575 Ungarn stellte nun als Gegendienst für eine Genehmigung der Waffendurchfuhr große Bestellungen an Gewehrmunition in Hirtenberg in Aussicht. Die Besprechungen mit Mandl und indirekt über dessen Betriebsräte mit den Sozialdemokraten wurden durch den Leiter der materiellen Sektion des Landesverteidigungsministeriums, GdA. Geng576, geführt. Als ich ihm die Waffendurchfuhr-Wünsche des ungarischen Militärattachés mitteilte, informierte er mich darüber in großen Zügen. Auch der Direktor der Bundesbahn, Dr. Seefehlner, wurde ins Vertrauen gezogen. Da Italien Mut machte, Ungarn drängte und Österreich an einer Herabdrückung der Arbeitslosenzahl lebenswichtig interessiert war, entschlossen wir uns, Minister Vaugoin, Geng und ich, die Durchfuhr zu riskieren, zumal Mandl die stillschweigende Zustimmung der Sozialdemokraten versprechen konnte. Anfangs stimmte auch alles. Auf einmal jedoch öffnete in Villach der sozialdemokratische Eisenbahnbetriebsrat König einen plombierten Waggon (ob aus eigenem Machtbewusstsein oder von der Parteileitung angewiesen, weiß ich nicht) und schlug 575 Fritz Mandl (Wien, 9.2.1900–8.9.1977, Wien), Industrieller und Politiker, Sohn eines Generaldirektors, 1918 EF in der k. u. k. Armee, Arbeit in der Hirtenberger Patronenfabrik, später deren Generaldirektor, Eigentümer der Lichtenwörther Patronenfabrik sowie der Grünbacher Steinkohlenwerke, 1929 Beitritt zur Heimwehr und Freundschaft mit Ernst (Fürst von) Starhemberg. 1933 wurde die Hirtenberger Waffenaffäre aufgedeckt, ein groß angelegter Waffenschmuggel von Italien nach Ungarn, wobei das Hirtenberger Werk als Umschlagplatz vorgesehen war. Belastungen der Außenpolitik sowie eine Regierungskrise waren die Folgen. 1935 wurde M. Landtagsabgeordneter, außerdem übte er verschiedene Funktionen in Standesvertretungen aus. 1938 musste er seine Betriebe an die Wilhelm-GustloffStiftung zwangsverkaufen. Er wanderte nach Argentinien aus, wo er weiterhin als Industrieller tätig war und Starhemberg, der ebenfalls nach Argentinien gegangen war, unterstützen konnte. 1945 kehrte M. nach Österreich zurück, sein Besitz wurde ihm zurückgestellt. 576 Gustav Geng (Wien, 21.2.1880–11.3.1944, Wien), 18.8.1899 aus ArtKSch. Wien ausgemustert zum DAR 8, Frequentant des Höheren Artilleriekurses 1907–1910 im Weltkrieg Batteriekdt. und Artreferent bei Korpskden, 15.4.1918–10.6.1918 Vortragender beim Informationskurs für Artilleriekursaspiranten in Lemberg, 1.9.1920 als Obstlt.ins BMfHw., 1.10.1922 Leiter der Schießversuchsabteilung des Waffen- und Munitionsdepots, 1.5.1926–1.2.1930 Vorstand 6. Abt. BMfHw., 28.2.1928 GM, 1.2.1930 Leiter Sektion II, 29.3.1930 General, 30.4.1934 Ruhestand. Laut freundlicher seinerzeitiger Auskunft von Generalstaatsarchivar i. R. Rudolf Kiszling bestand in Generalstabskreisen die Hoffnung, Geng werde der Nachfolger von Minister GO Schönburg-Hartenstein.

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Lärm. Es wäre im eminenten österreichischen Staatsinteresse gelegen, aus der Sache kein Wesen zu machen, worum sich der Bundesbahndirektor auch bemühte. Aber die Sozialdemokraten fanden es richtig, an einem der nächsten Tage ihr eigenes Heimatland Österreich in ihrer Arbeiterzeitung durch einen mit Balkenlettern gedruckten Artikel ans Ausland zu verraten. Die folgenden diplomatischen Interventionen übertrugen sich natürlich auf das Genfer Parkett, wo wir – dank tatkräftiger italienischer Unterstützung – nach einigen Debatten bald wieder in Ruhe gelassen wurden. Interessant war für mich dabei, das ungarische Verhalten zu beobachten. Sie, über deren drängende Bitten und in deren hauptsächlichem Interesse alles geschehen war, setzten sich kühl von uns ab und mimten ein von nichts wissendes Desinteresse. Nur der italienische Vertreter half uns mannhaft und erfolgreich. Diese Erfahrung blieb mir im Gedächtnis  ! Doch bin ich mit der Abrundung dieser Geschichte der Chronologie vorausgeeilt. Vorerst war ich ja noch in Wien und bekam gegen Ende Januar 1933 den Besuch des deutschen militärischen Delegierten für die Abrüstungskonferenz. Es war dies, anstelle des zum Befehlshaber im Wehrkreis I und später zum Kriegsminister ernannten Gen. v. Blomberg, der thüringische GM Schönheinz.577 Dieser gab der Hoffnung Ausdruck, dass ich in Genf ebenso fest zu ihm und der deutschen Delegation stehen werde, wie mein Vorgänger dies getan habe. Ich erwiderte ihm in voller Aufrichtigkeit, dass ich die alte Kriegskameradschaft sicher nie vergessen werde, aber aus verhandlungstechnischen Gründen mir die Freiheit vorbehalten müsse, die österreichischen Interessen – soweit dies ohne Schädigung Deutschlands möglich sein werde – frei und unabhängig zum Vorteil Österreichs zu vertreten. Ich erläuterte ihm auch meine Gründe in dem hier schon früher angedeuteten Sinn. Über Einzelheiten könne ich erst in Genf aufgrund der dort empfangenen Eindrücke von Fall zu Fall sprechen. GM Schönheinz war etwas betreten, stimmte mir jedoch zu, als ich ihm zum Abschied sagte, dass ich es für richtig halte, unser Vorgehen in jedem Falle aufrichtig zu besprechen. Für Anfang Februar 1933 machte ich mich zur fortsetzenden Tagung in Genf reisefertig. Zu meiner Abmeldung bei Minister Vaugoin sagte mir dieser, ich möge mit einem Erfolg heimkehren, den der Bundeskanzler sehr brauche. In Genf sorgte in sehr herzlich kameradschaftlicher Art unser Legationssekretär Dr. Matsch für meine Unterbringung im Hotel Regina und war auch um meine Vorstellung und Einführung bei den maßgeblichen Persönlichkeiten der Abrüstungskonferenz bemüht. In 577 Curt Schönheinz (Erfurt, 1.11.1880–1942, Berlin), 15.6.1899 Eintritt in die preuß. Armee als Fahnenjunker, 18.10.1900 Leutnant Füsilierregiment 39, Übernahme ins Reichsheer, 1.1.1925 Obstlt., 1.2.1928 Obst., 1.10.1933 Glt., 18.7.1928 übernommen in die Völkerbund-Abteilung 30.9.1934 verabschiedet, 1.10.1937–1.7.1939 Lehrer an der Kriegsakademie.

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den großen Hauptsitzungen dieser Konferenz waren abwechselnd die Gesandten Leitmaier und Pflügl, ab und zu auch Sektionschef Dr. Hecht, Österreichs Vertreter und ich nur beobachtende Zuhörer. Meine Aufgabe lag in den kleineren militärischen Komitees. Über den Völkerbund und die Abrüstungskonferenz sind viele dickleibige Bücher von juristisch gebildeten Fachleuten aus der ganzen Welt geschrieben worden. Zu ­einer Erweiterung dieses Schrifttums reicht weder mein Können, noch mein Wollen. Ich will im Folgenden nur meine sehr beschränkten, rein persönlichen Eindrücke und Erfahrungen schildern, die einem idealistischen Verehrer des Völkerbundes und seiner Ziele als eine Verzerrung erscheinen mögen. Aber mein Werdegang als Generalstabsoffizier zwang mich, nicht Idealen nachzuträumen, sondern mit Realitäten zu rechnen. Das Problem der Verhandlungen stellte sich mir im Wesen folgend dar  : Den unglückseligen, die Unterlegenen schwer diskriminierenden Friedensverträgen nach dem Ersten Weltkrieg hatten Gewalt und Rachebedürfnis Pate gestanden. Der damalige unerbittliche französische Minister Clemenceau säte ein Teufelswerk, das übel aufgehen musste. Trotzdem wurde die Österreich, Deutschland, Ungarn und Bulgarien aufgezwungene militärische Inferiorität vertragsmäßig bloß als Vorläufer einer europäischen Abrüstung festgelegt. Um diese versprochene europäische Abrüstung Frankreichs, Englands, Belgiens, aber auch der Kleinen Entente, bestehend aus Jugoslawien, Rumänien und der Tschechoslowakei, handelte es sich nun. Wenn man die Verträge nach den abgelaufenen 10 Jahren seit ihrer Ratifizierung mit leidenschaftslosem, natürlichem Rechtsempfinden betrachtete, so gab es für die Problemlösung zwei Möglichkeiten  : Entweder rüsteten alle europäischen Staaten auf das den Unterlegenen aufgezwungene Ausmaß ab, oder man suchte den Ausgleich auf einer mittleren Basis, welche den stark gerüsteten europäischen Staaten ein Herabgehen auf ein Mittelmaß der Rüstung auferlegte und dafür den Unterlegenen eine Erhöhung der Rüstungen bis zu dem erstrebten Mittelmaß zubilligen musste. Da Amerika und Russland der Konferenz nicht als Mitglieder, sondern nur als Beobachter beiwohnten, konnte ich schon nach wenigen Sitzungen erkennen, dass trotz offiziell betonter voller Gleichberechtigung aller Mitglieder der entscheidende Einfluss bei Frankreich lag, das von England und Frankreichs Satelliten Jugoslawien, Rumänien und der Tschechoslowakei unbedingt unterstützt wurde, während Italien und Polen mehr selbstständig auftraten. Präsident der Konferenz war zwar der Engländer Henderson, die wirkliche Leitung lag jedoch bei Frankreich, ausgeübt von dem sich im Hintergrund haltenden Diplomaten Massigli und dem Generalstabshauptmann Vautrin. Den Gedanken einer Abrüstung auf das Deutschland und Österreich aufgezwungene Ausmaß wies Frankreich hohnlachend von sich. Die Einigung auf eine mittlere Linie wurde zur Wahrung des Gesichtes von Frankreich und England the-

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oretisch für möglich und sogar nützlich erklärt, seine Durchführung aber an so viele Voraussetzungen gebunden, dass (wie mir Vautrin in einer Unterredung gestand) eine Einigung auf eine mittlere Linie nie möglich werden sollte. Frankreich dachte also nicht im Entferntesten daran, seine bestehende erdrückende militärische Übermacht und jene seiner Satelliten antasten zu lassen, wollte aber auch Deutschland, Bulgarien, Ungarn und Österreich nicht das geringste Zugeständnis machen. Die ganze Abrüstungskonferenz war eine leere Schaumschlägerei, bei der sogar sprachlich die Vorteile ganz bei Frankreich und England lagen, weil deren Nationalsprachen die einzig zugelassenen Verhandlungssprachen waren.578 Großartig und bewundernswert war die Kunst der Übersetzer, die jede Rede sofort aus dem Französischen ins Englische oder umgekehrt in klassischer Sprachbeherrschung übertrugen. Großartige Momente waren es auch, wenn der geistvolle Spanier Madariaga579 und der Grieche Politis das Wort ergriffen und in einem schöneren Französisch, als es die Franzosen sprachen, zur Vernunft und Verständnisbereitschaft aufriefen. Eine heitere Note brachten immer die von beißender Ironie erfüllten englischen Ausführungen des Russen Litwinoff 580 in den Saal.

578 In ÖStA, Allgemeines Verwaltungsarchiv (künftig  : AVA), liegen im Nachlass Hornbostel, Karton 2 (d.i. Signatur  : E/1722, Nr. 2) insgesamt neun Berichte Jansas als „militärischer Experte“. Aus ihnen geht einmal hervor, dass Gesandter Pflügl ihm in den militärischen Angelegenheiten die Berichterstattung übertragen hatte. Jansa berichtete zwar an Dr.Hecht, BMfLv., der offenbar Berichte an das BKA/AA weiterleitete. Jansa hat jedoch Legationsrat Horbostel von der Mehrzahlt der überlieferten Berichte in einem Durchschlag berichtet, wie aus der jeweiligen handschriftlichen Adressierung samt kurzer Bemerkung und Grußformel hervorgeht. Die wöchentlichen Berichte Jansas vom Mai bis Juni 1933 belegen und ergänzen die Memoiren Jansas. Danach ist es so gewesen, dass sich Jansa samt USA, Schweden, Italien, Spanien, Finnland, Türkei und Japan der Stimme enthielt, als über den militärischen Wert der SS und der SA abgestimmt wurde. Gegen eine „Anrechnung“ der SS und der SA auf das militärische Potenzial stimmten Deutschland und Ungarn. Jansa schrieb  : „Das Ziel meines Kampfes ist, daß für die Heimwehr keinerlei Prozente durch das Komitee zur Anrechnung gelangen.“ Wie Jansa ja auch in seinen Memoiren schreibt, gelang es ihm, die französische Delegation zu bewegen, auf die jugoslawische Delegation einzuwirken, so dass diese schließlich für eine Nichtberücksichtigung der Heimwehr bei einer Erhöhung des Potenzials des Bundesheeres ihre Zustimmung gab. Auch die ungarische Delegation erreichte ihr Ziel, die „Levente“, ihr milizartiges Aufgebot, als vernachlässigbar beurteilen zu lassen, nicht. In den Berichten nennt allerdings Jansa nicht den General Nedić, wie in den Memoiren, sondern einen Gen. Nekadović. 579 Salvadore de Madariaga y Rojo (La Coruña, 23.7.1886–14.12.1978 Muralto bei Locarno, Schweiz), Schriftsteller und Diplomat, 1928–1931 Professor für spanische Literatur in Oxford, 1931 Botschafter in Washington, 1932 in Paris, lebte dann als Gegner General Francos in London und entwickelte sich zum einflussreichen Vertreter westeuropäischer Kultur und Liberalität. 580 Maxim Litw’inoff, eigentlich Wallach, auch Finkelstein (Bialystok, 17.7.1876–31.12.1951, Moskau), 1930–Mai 1939 Volkskommissar des Äußeren, 1941–1943 Botschafter in Washington.

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Sonst aber war die absolute Sterilität der Debatten für mich unfassbar  : Der deutsche Botschafter Nadolny581 kämpfte mit wohl gewogenen Argumenten der Gerechtigkeit in bewundernswerter Zähigkeit um Verständnis und Entgegenkommen für sein großes, tüchtiges, 70 Millionen zählendes Volk. Immer wieder meldete er sich zu Wort  ; immer wieder legte er die Rechtmäßigkeit des Standpunktes Deutschlands klar. Völlig vergebens. Wie immer die Antwortenden heißen mochten, Boncour, Cot, Eden, Londonderry, Sarraut, Sassum, Simon usw., ein starres Nein war die Antwort. Ja, sahen denn diese sogenannten Staatsmänner nicht ein, dass die fortschreitende Zeit mehr von ihnen verlangte als impotente Negation  ? Fühlten sie denn nicht, dass ihre sogenannte „Politik“ der Dünger war für das beängstigende Wachstum Hitlers und seiner Bewegung  ? Waren denn die französische Angst vor und der Hass auf Deutschland pathologisch geworden  ? Immer, wenn ein Thema so zerredet worden war, dass die Gefahr für einen deutschen Abstimmungserfolg sich nur ganz leise abzuzeichnen begann, wurde es wie ein Knochen zum weiteren Zernagen den militärischen Komitees zugeworfen, in denen sich ergraute Generäle um die von den Franzosen stets neu erfundenen Spitzfindigkeiten streiten sollten.582 581 Rudolf Nadolny (Groß-Stürlack bei Lötzen, Ostpreußen, 12.7.1873–18.5.1953, Düsseldorf-Benrath), Diplomat, trat 1902 die konsularische Laufbahn im deutschen Auswärtigen Dienst an, Nov. 1918 kommissarischer Leiter der Ostabteilung des Auswärtigen Amtes und zugleich Vertreter des Auswärtigen Amtes bei Reichspräsident Ebert, Jan. 1920 Leiter der dt. Gesandtschaft in Stockholm, 1924 Botschafter in Ankara, Feb. 1932–Okt. 1933 Chef der dt. Delegation bei der Genfer Abrüstungskonferenz, 1933 Botschafter in Moskau, 16.6.1934 Rücktritt, 13.4.1937 dauernder Ruhestand, 1939–1942 als Hptm. u. Mjr. im OKW/Amt Ausland/Abwehr, nach 1945 zeitweise Präsident des dt. Roten Kreuzes. Seine Memoiren  : Mein Beitrag, Wiesbaden 1955. Rudolf Nadolny schreibt in erster Linie über seine Versuche, für Deutschland die Gleichberechtigung zu erzielen und erwähnt Jansa nicht, Österreich als solches kaum. S. 118  : „Unsere früheren Bundesgenossen zählten kaum mit, Österreich, Ungarn und Bulgarien erstrebten zwar dieselben Ziele und vertraten auch dieselben Thesen. Sie waren jedoch zu schwach, um mit Energie für sie eintreten zu können … 582 Hier die Einfügung einer Niederschrift, die Ludwig Jedlicka unter Mitteilungen des FMLs Jansa vom 21.III. 1955 zum Teil schlagwortartig und möglicherweise aufgrund der „Mitteilung“ oder Vorlesung FML Jansas mittels Schreibmaschine offenbar zuletzt als Reinschrift gemacht hat  : „Zwei Möglichkeiten bestanden  : Abrüstung der durch Frankreich geführten Mächtegruppe oder Ausgleich auf der Basis einer Nachrüstung der früheren Mittelmächte. Die USA und die UdSSR waren nur Beobachter in Genf. Entscheidend war der Einfluß Frankreichs mit englischer Unterstützung, während Italien und Polen selbständig operierten. Die faktische Leitung der französischen Delegation hatte der spätere Botschafter Massigli, während der Engländer Henderson nominell den Vorsitz führte. Die Ausführungen des spanischen Delegierten Madariaga und des griechischen Botschafters Politis konnten zu keiner vernünftigen Endlösung führen, obgleich sie immer wieder auf die bedrohliche Lage hinwiesen. Bewundernswert und zäh verteidigte der deutsche Delegierte, Botschafter Nadolny, das Anliegen seines Staates. Eine besondere Schwierigkeit ergab sich durch das plötzliche Begehren Frankreichs, die so genannten paramilitärischen Formationen auf den Stand der Rüstung Deutschlands und Österreichs einzurechnen. Es handelt sich bei Deutschland um die SS, bei Österreich um die Heimwehr. Diesbe-

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Das war die auf den einfachsten Nenner gebrachte Realität. Was war da für Österreich herauszuholen  ? Ich zerbrach mir viel den Kopf  : Wenn ich von diesem Forum nach den täglich erbrachten Beweisen auch gar nichts erwarten konnte, so schien es mir doch nicht bedeutungslos zu sein, die sich in vager Form andeutenden Möglichkeiten eines 300.000 Mann-Heeres für Deutschland und eines solchen von 60.000 Mann für Österreich achtlos beiseite zu lassen. Jede Konferenz musste ja schließlich – vorausgesetzt, dass die Völker in Geduld verharren – zu irgendeinem Ende kommen, an das dann ein neues Beginnen anknüpfen könnte. Da wurde auf einmal von Frankreich die Anrechnung der paramilitärischen Formationen auf die künftigen Heereskontingente in die Debatte geworfen. Für Deutschland handelte es sich um die SS, für Österreich um die Heimwehren.583 Es bestand die Gefahr, dass bei Zuerkennung eines militärischen Charakters dieser Formationen die in Rede stehenden erhöhten Heeresstände praktisch wieder auf ihr Gegenwartsverhältnis reduziert würden. Das war der Zukunft wegen zu verhindern. Darin sah ich meine erste positive Arbeitsmöglichkeit und war mir auch klar, dass dieser Versuch nicht in einem starren Zusammengehen mit Deutschland, sondern nur völlig von ihm abgesetzt Erfolg haben konnte. So suchte ich Nadolny im Hotel Charlton auf und sagte ihm, dass ich mit den Franzosen Fühlung zu nehmen plane, um die Bedingungen zu hören, wie ich unser österreichisches Kontingent von 60.000 Mann von der Anrechnung der Heimwehr freihalten könne. Ich bat Nadolny, dies nicht zu missdeuten. Dieser prächtige Diplomat erkannte klar die Lage, war sofort einverstanden und züglich konferierte Jansa auch mit den Franzosen, um ihren Rat zu erbitten. Interessant ist, daß die ungarischen Delegierten (Siegler) davon erfuhren und versuchten, Einspruch zu erheben. Auf Rat der französischen Militärs sollte sich Österreich bei der Abstimmung über die paramilitärischen Formationen der Nekadović der Stimme enthalten, wobei im engeren Komitee der jugoslawische General Nedić an den österreichischen militärischen Delegierten zur Fragestellung herantrat. Die Stimmenthaltung wurde von Seiten Österreichs dadurch bewerkstelligt, daß Pflügl abwesend war und in der endgültigen Abstimmung zwar die SS als militärische Formation, die Heimwehr jedoch als vaterländisch-patriotische Vereinigung erklärt wurde. Damit ergab sich für später eine Grundlage für die Abänderung der Gesetze bezüglich der Erweiterung des Bundesheeres, nämlich bezüglich einer kurzfristigen Erhöhung auf den Stand von 60.000 Mann …“ 583 Frau Dr. Jansa stellte seinerzeit noch eine Reinschrift einer Schrift ihres Vaters, „Mein Verhältnis zum Nationalsozialismus während meiner aktiven Dienstzeit“, Erfurt, am 10. Oktober 1945, zur Verfügung (3 S.). Hier heißt es auf S. 1  : „Ich war von Haus aus gegen den Nationalsozialismus und seine utopischen Ziele, weil ich sie wegen ihrer anmaßenden Brutalität verabscheute. Nach Abgabe des Kommandos der Brigade Niederösterreich Nr. 3 im Herbste 1932 wurde ich in das Bundesministerium für Landesverteidigung nach Wien berufen, von wo aus ich die österreichischen Wehrinteressen bei der internationalen Abrüstungskonferenz in Genf zu vertreten hatte. Dort erfolgte mein erster öffentlicher Zusammenstoß mit dem offiziellen Nationalsozialismus, als ich mich weigerte, die SA und SS von jeder militärischen Bedeutung frei zu stimmen …“

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meinte, dass natürlich ein jeder von uns für sein Land das Möglichste herausholen müsse, was ja letzten Endes uns gemeinsam wieder zum Vorteil gereichen werde.584 Da Gesandter Leitmaier und Sektionschef Hecht nicht in Genf waren, besprach ich mich mit unserem ständigen Vertreter, dem Gesandten Pflügl, der seit jeher die Ansicht vertreten hatte, dass ein Zusammengehen mit Deutschland uns schädige, und daher mit meinen Absichten einverstanden war. So suchte ich den Nachfolger von Generalstabshauptmann Vautrin auf, dessen Name mir leider nicht in Erinnerung geblieben ist, dem mich jedoch der französische Militärattaché in Wien, Commandant Salland, brieflich vorgestellt hatte. Ich erklärte ihm meine Sorge wegen einer eventuellen Anrechnung der Heimwehr auf unser geplantes 60.000-Mann-Heereskontingent und bat ihn um Rat, wie das zu verhindern wäre. Er stellte mir die Antwort nach Besprechung mit seiner Delegation in Aussicht. Ich hatte meinen Gang zu den Franzosen weder öffentlich bekannt gemacht noch irgendwelche Geheimhaltungsmaßnahmen getroffen. Allerdings war ich überrascht, als am folgenden Tag der ungarische FML Siegler585 es für richtig hielt, mir Vorhaltungen zu machen. Ich wies ihn scharf ab und verbat mir seine Spionage um meine Person  ; er und sein Verhalten seien mir im Übrigen ganz uninteressant. Dem ungarischen Kollegen diese Lektion geben zu können befriedigte mich, denn das bereits berichtete ungarische Verhalten anlässlich der Erörterung der Waffendurchfuhr hatte mich für diese Delegation nicht freundlich stimmen können. Nach etwa zwei Tagen teilte mir der Capitaine mit, dass in einer der nächsten Assemblées die Frage zur Abstimmung gebracht werde, ob der deutschen SS der Charakter einer militärisch organisierten Formation zukäme.586 Man bäte mich bloß um 584 Mitteilung Jansas an Jedlicka  : „Auf Rat der französischen Militärs sollte sich Österreich bei der Abstimmung über die paramilitärischen Formationen der Stimme enthalten, wobei im engeren Komitee der jugoslawische General Nedić [recte Nekadović] an den österreichischen militärischen Delegierten zur Fragestellung herantrat. Die Stimmenthaltung wurde von Seiten Österreichs dadurch bewerkstelligt, daß Pflügl abwesend war und in der endgültigen Abstimmung zwar die SS als militärische Formation, die Heimwehr jedoch als vaterländisch-patriotische Vereinigung erklärt wurde. Damit ergab sich für später eine Grundlage für die Abänderung der Gesetze bezüglich der Erweiterung des Bundesheers in einer kurzfristigen Erhöhung auf den Stand von 60.000 Mann.“ 585 Géza Siegler Edl. v. Eberswald (Kaposvár, Ungarn, 25.3.1885–18.6.1939 Debrecen), aus der IKSch. Güns ausgemustert zum IR 44, 11.1.1904 Lt., Frequentant der Kriegsschule 1908–1911, 1.11.1918 k. u. k. Major i.G., Generalstabskarriere, zuletzt Brigadekdt,1.5.1937 FML. 586 Chronik der SS  : 16.4.1926  : Erstes Auftreten der „Stabswache“ Hitlers (Gründung als Schutzstaffeln [SS] im Rahmen der SA am 9.11.1923), 8.1.1929 Heinrich Himmler wird Reichsführer SS (RFSS)  ; im Herbst 1931 wird der Sicherheitsdienst (SD) des RFSS gegründet, ab Juni 1932 wird er Reinhard Heydrich unterstellt, im Jänner 1933 umfasst die SS rund 56.000 Mann, 17.3.1933 Gründung der „Leibstandarte Adolf Hitler“ (120 Mann, Führer Sepp Dietrich), 9.11.1933 SD wird eigenes SS-Amt mit 10 „Oberabschnitten“, November 1933–Jänner 1934 Himmler wird Kommandeur der verselbstständigten

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Veranlassung, dass Österreich sich bei der Abstimmung der Stimme enthalten möge. Hinsichtlich der Heimwehr werde an mich im militärischen Komitee der jugoslawische General Nedić587 die Anfrage richten, wie weit dieser ein militärischer Charakter zukomme  ; ich möge mir eine Antwort zurechtlegen  ; es werde dann gleich darauf zur Abstimmung über meine Darlegung in dem Sinn geschritten werden, dass unser 60.000-Mann-Kontingent durch die Heimwehr keine Belastung erfahre. Das war alles, was ich erwarten konnte und in der Form konzilianter, als ich erhofft hatte. Ich besprach mich darauf mit Pflügl, der sich einverstanden erklärte und der entscheidenden Assemblée fernblieb, damit ich selbst in seiner Vertretung die Stimmenthaltung durchführen konnte. Ich verständigte den Gesandten Nadolny, der angesichts der Lage, die es völlig gleichgültig gestaltete, ob Österreich für oder gegen die SS stimmte oder sich der Stimme enthielt, kein Bedenken äußerte. Ich orientierte auch den deutschen General Schönheinz, der ebenfalls keinen wesentlichen Einwand fand, jedoch sagte, dass er sich bei der Beurteilung der Heimwehr gleichfalls der Stimme enthalten werde, was mir sehr recht war. Die entscheidenden Abstimmungen verliefen programmgemäß  : Die deutsche SS wurde bei Stimmenthaltung Bulgariens und Österreichs mit allen Stimmen gegen eine ungarische als militärische Formation erklärt, die Heimwehr dagegen bei Stimmenthaltung Deutschlands und Ungarns mit allen Stimmen als vaterländisch-patriotische Vereinigung anerkannt, somit ohne Belastung des Heereskontingents.588 Die ganze Sache war für den Augenblick wohl von geringer praktischer Bedeutung, wirkte jedoch später befreiend für die von Kanzler Dollfuß mit Zustimmung des Völkerbundes vorgenommene Änderung des Wehrgesetzes zur Ergänzung des Bundesheeres durch kurz dienende Mannschaften. Bei einem durch Unterbrechung der Sitzungen der Abrüstungskonferenz ermöglichten Kurzaufenthalt in Wien erfuhr ich von Minister Vaugoin meine Bestellung Politischen Polizeien der Länder (außer in Preußen und Schaumburg-Lippe), 30.6.1934 Unterstellung der Konzentrationslager unter RFSS. Literatur  : Guido Knopp, Die SS. Eine Warnung der Geschichte, München 2002. 587 Es dürfte ein Fehler unterlaufen sein  : Der General der jugoslawisch-serbischen Armee, der an der Genfer Konferenz teilnahm, hieß Nekadović und ist nicht ident mit dem wesentlich bedeutenderen Generaloberst Milan Nedić (1877–1946), der sich 1941 als Regierungschef in Belgrad der Deutschen Wehrmacht zur Verfügung stellte. Siehe über diesen  : Franz W. Seidler, Die Kollaborateure, München/ Berlin 1995, S. 399–402. 588 Am 11.9.1933 setzte Österreich aufgrund jenes Erfolges in der Abrüstungskonferenz den ersten Schritt zur Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht durch Ministerratsbeschluss vom 10.4.1933. Es begann die Aufstellung eines „Assistenzkorps“ von 10.000 kurzfristig (ein halbes Jahr dienenden Wehrmännern im Rahmen des Bundesheeres, das bisher – entsprechend dem Vertrag von St. Germain – nur aus langjährig dienenden Soldaten bestanden hatte.

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zum Militärattaché für Deutschland und die Schweiz. Und ich konnte an einer erhebenden Parade am Heldenplatz teilnehmen, in der sich das Bundesheer erstmals nach dreizehn Jahren wieder in der wunderschönen, altösterreichischen Uniform zeigte, von der Bevölkerung herzlich akklamiert. Zum Abschluss der Sitzungen der Abrüstungskonferenz kehrte ich noch einmal nach Genf zurück. Ich hatte dort den dramatischen Austritt Japans aus dem Völkerbund anlässlich der Verurteilung seiner Kriegführung gegen China erlebt und empfing in Genf auch die ersten erschütternden Eindrücke nationalsozialistischen Auftretens im Ausland.589 Der deutschen Delegation in Genf war eine Reihe von Parteifunktionären zugeteilt worden, die durch betont burschikoses Wesen den Vertretern aus aller Welt demonstrierten, wie die bisherige offizielle deutsche Delegation nunmehr 589 Japan begann am 18.9.1931 eine militärische Besetzung der Mandschurei. Die Ursachen waren das Bedürfnis Japans nach Sicherung der großen, in der Mandschurei investierten Kapitalien vor dem Zugriff der erstarkten chinesischen Nationalregierung. Den Anlass bildeten chinesische Sabotageakte gegen die japanische südmandschurische Eisenbahn. Es gab dann auch einen chinesischen Boykott japanischer Waren. Am 18.2.1933 erfolgte die Erklärung der Unabhängigkeit der Mandschurei als Mandschukuo unter japanischem Protektorat und die Einsetzung einer „Marionettenregierung“ unter dem letzten Mandschu-Kaiser Pu-yi als Präsidenten, seit 1.3.1934 als Kaiser. Der sogenannte LyttonBericht über jenen Konflikt stellte die Unrechtmäßigkeit des japanischen Vorgehens fest. Er schlug jedoch gleichwohl vor, die Mandschurei in ein autonomes Gebiet unter chinesischer Staatshoheit, aber unter japanischer Kontrolle zu verwandeln. Diesen Bericht nahm der Völkerbund an und Japan lehnte ihn ab. Es erklärte am 27.3.1933 seinen Austritt aus dem Völkerbund. Dieser Ausgang einer erfolglosen Völkerbundpolitik gegen einen „Aggressor“ bedeutete einen ernsten Schlag gegen die politische Weltordnung von 1919. Auf der Abrüstungskonferenz war im Frühjahr das Projekt des britischen Premierministers MacDonald über eine Einschränkung der Landheerstärken gescheitert  : Deutschland sollten 200.000 Mann zugestanden werden. Die Konferenz wurde daraufhin im Juni unterbrochen. Sie trat erst wieder im Oktober zusammen. Am 14. Oktober verließ Deutschland die Abrüstungskonferenz, da in einem neuen Plan, den der britische Außenminister John Simon vorlegte, der vorgesehene Rüstungsausgleich auf 4 Jahre verschoben werden sollte. Am 19.10.1933 erklärte das Deutsche Reich seinen Austritt aus dem Völkerbund. Die Verhandlungen über die Rüstungen gingen allerdings weiter. Wie Jansa schrieb, wäre nach der Anerkennung der deutschen politischen Gleichberechtigung die Erlaubnis für eine begrenzte deutsche Aufrüstung konsequent gewesen. Großbritannien und Italien vertraten diese Auffassung, während Frankreich starr ablehnte. Am 18. Dezember wurde ein deutsches Memorandum zur Rüstungsfrage übergeben. Es enthielt die Forderung nach Gleichberechtigung und den Vorschlag, die Reichswehr in ein kurz dienendes Heer von 300.000 Mann umzuwandeln, sowie Einzelvorschläge zur allgemeinen Rüstungsbeschränkung. Sie wurden nicht beachtet. Hitler schloss am 26.1.1934 einen Nichtangriffspakt und Freundschaftsvertrag zwischen Deutschland und Polen, am 16. März 1934 sagte sich Deutschland von den Rüstungsbeschränkungen des Versailler Vertrages los und führte die allgemeine Wehrpflicht ein. Die französische Regierung hatte am 6. März 1934 die Wiedereinführung der zweijährigen Dienstzeit angekündigt. Österreich führte erst am 1.4.1936 die „Allgemeine Bundesdienstpflicht“ ein. Diese wurde durch Verordnung zunächst mit einem Jahr festgesetzt und am 10.2.1938 auf eineinhalb Jahre erweitert.

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von der Partei bei jedem Schritt überwacht und in ihrem Verhalten bestimmt werde. Ich glaubte, die Arbeiter- und Soldatenräte von 1918 wiedererstanden zu sehen, und empfand für die deutschen Offiziere und Diplomaten herzliches Mitgefühl. Das war der erste Vorgeschmack auf meine bevorstehende Berliner Mission.590 Ende Juni war ich wieder in Wien und übergab meine Agenden als Leiter der 1.  Abteilung, für die ich nicht viel zu schaffen vermocht hatte.591 Nach meiner Versetzung ins Ministerium trat aus den leidigen Wohnungsgründen jene so häufige Familientrennung ein, vor der uns das gütige Geschick zwölf Jahre lang bewahrt hatte. Wohl bot ich dem Ministerium sofort meine St. Pöltner Wohnung zum Tausch an, aber niemand wollte nach St. Pölten übersiedeln, und mein Nachfolger im Brigadekommando, GM Gebauer592, war ein alter Junggeselle, der meine große Wohnung nicht brauchte. Gen. Schiebel versprach mir jedoch, mir in einem militärärarischen Gebäude Wohnung zu schaffen, was einige Zeit brauchte. Inzwischen bezog ich nahe dem Ministerium in der Ditscheinergasse593, einer Nebengasse der Invalidenstraße, ein möbliertes Zimmer zu erschwinglichem Preis bei einer verarmten Witwe nach einem Industri590 Schluss der „Mitteilung“ Jansas an Dr. Jedlicka  : „Trotz der Zustimmung Nadolnys war General Schönheinz verschnupft. Jansa erlebte noch das Auftreten der NS-Funktionäre wie Heydrich usw. in Genf und war im Juni 1933 wieder in Wien, um zu erfahren, daß seine Bestellung als Militärattaché nach Berlin beschlossen war …“ 591 Alfred Jansa schaltet in der Folge eine Mitteilung ein, die hier nur in der Anmerkung wiedergegeben wird  : „Die vorstehende Niederschrift habe ich im Jahre 1954 verfaßt, um dem mir sympathisch gewordenen jungen Historiker Dr. Jedlicka bei seiner Habilitation zu helfen. Nun nach sieben Jahren wieder gelesen, finde ich sie so klar und richtig, daß nichts zu ergänzen oder richtig zu stellen wäre. Als Annex zu dieser Zeit trage ich lediglich die Begebenheiten nach, die meine Familie betreffen.“ [Alfred Jansa hat eine diesbezügliche Niederschrift an Ludwig Jedlicka kurzfristig weitergegeben, der daraus Stichwörter und verkürzte Sätze per Schreibmaschine zitierte. Diese sind unter ÖStA/KA/NLS, Sign. B/1465, Nr. 39, als „Mitteilungen FML. Jansa vom 21.III.1955“ zusammengefasst.] 592 Wilhelm Gebauer (Groß-Herrlitz, Bez. Freudenthal, Öst. Schlesien, 7.1.1882–13.6.1972, Wien), 18. 8.1901 aus IKSch. als KoffzStellv. zum IR 9, 1.11.1902 Lt., Frequentant der Kriegsschule, 1.11. 1909–1.8.1910 im Eisenbahnbüro d.Glstb., im Weltkrieg im Truppenglstb., 18.6.1917–8.12.1918 in der Abt. 5/KM, als Referent für Infanterieausbildung und in gleicher Funktion im Staatsamt f. Hw., 8. 12.1918–5.7.1919 beim OB.d. Volkswehr ebenfalls als Referent für Ausbildung, 5.7.1919–1.1.21920 im Staatsamt f. Hw. Referent für Kriegsgefangenenangelegenheiten, 3.7.1921 beeidet und Übernahme ins BMfHw. in gleicher Funktion, 8.7.1921 Obstlt., 31.5.1924 transferiert zur 1. Brig. als Gehilfe der Führung, 1.11.1926 beim IR 4, 28.11.1927 Obstlt., 1.1.1929 ins Präsidialbüro/BMfHw., 1.8.1931 Abt. 2/BMfHw. als Stellvertreter des Abteilungsvorstands, 1.9.1932 Kdt. 3.Brig., 24.10.1932 GM, 1.6. 1935 Kdt. 3. Div. u. Militärkdt. v. Oö, 18.3.1937 FML, 31.3.1937 Ruhestand. Siehe auch  : Erwin A. Schmidl, Generalmajor Anton Kienbauer über das Bundesheer 1938. Anmerkungen zum Rot-WeißRot-Buch, in  : MÖStA, Bd. 46/1998, 473–497. 593 Ditscheinergasse  : 3. Wiener Gemeindebezirk, Parallelgasse zur Landstraßer Hauptstraße.

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ellen. Die Einrichtung war mehr als dürftig. Nur das Bett war breit und gut, sodass meine liebe Frau, wenn sie mich in Wien besuchte, bequem bei mir schlafen konnte. Dabei gefielen ihr die Größe des Zimmers und die verkehrstechnisch gute Lage des Hauses. Finanziell standen wir sogar etwas besser, weil mir die sogenannte Trennungsentschädigung zustand  ; sie bedeckte nicht nur den Preis des Zimmers, sondern ermöglichte auch meine wöchentlichen Fahrten nach St. Pölten und zurück und dazu noch meine bescheidene Verpflegung in Wien. Natürlich war es mir stets eine große Freude, wenn mich Mutti am Samstag mit den lieben Kindern am Bahnhof von St. Pölten mit dem um 17h ankommenden Zuge erwartete. Zurück musste ich am Montag allerdings mit dem Sechs-Uhr-Zug abreisen, um pünktlich wieder in meinem Büro sein zu können. Da stahl ich mich dann immer ganz leise aus der Wohnung, um nicht die Familie und das junge Dienstmädchen Grete in ihrem Schlaf zu stören. Das Büro in Wien war eine traurige Angelegenheit  : Im großen Regierungsgebäude am Stubenring waren zur Zeit der Monarchie das Kriegsministerium und der Generalstab untergebracht gewesen.594 Während in der Republik die schönen, weiten Räume des Kriegsministeriums dem Heeresminister verblieben waren, besetzte das Handelsministerium die ähnlich schönen Räume des Chefs des k. u. k. Generalstabes. Bundeskanzler Dollfuß drang darauf, dass auch das Landwirtschaftsministerium in dem großen Gebäude untergebracht werde. Da die Instandhaltung des großen Hauses zu Lasten des Handels- und Heeresministeriums ging, war Gen. Schiebel froh, nun einen Teil dieser Lasten auf das Landwirtschaftsministerium überwälzen zu können und übergab deshalb mit Ausnahme der Ministerräumlichkeiten alle schönen, großen Räume dem Landwirtschaftsministerium. Das Heeresministerium behielt die schlechtesten und darum billigsten Räume, diese aber nicht einmal geschlossen neben- und übereinander, sondern im Haus verstreut, wo immer eben kleine, dunkle 594 Das Regierungsgebäude, 1. Bezirk, Stubenring 1, ist ein zwischen Kunstgewerbeschule und Radetzkybrücke stehender Riesenbau, der 1909–1913 nach Plänen von Ludwig Baumann für das Reichskriegsministerium erbaut wurde, das zuvor sein Domizil am Platz Am Hof gehabt hatte. Vor dem neuen Gebäude stellte man das Radetzkydenkmal auf, das bis dahin Am Hof gestanden war. Das Gebäude, in dem später auch das Handelsministerium untergebracht war, wurde 1945 schwer beschädigt. Das wiederhergestellte, nunmehr Regierungsgebäude benannte Objekt hat das Ministerium für soziale Verwaltung, das Ministerium für Land- und Forstwirtschaft und das Ministerium für Handel und Wiederaufbau in seinen Räumlichkeiten aufgenommen. Ludwig Baumann hatte von 1907–1922 die Bauleitung des Kaiserforums im Rahmen seiner Tätigkeit als Leiter des Stadterweiterungsfonds über. Er baute u.a. auch 1910 das Konzerthaus und die Akademie für Musik und darstellende Kunst. Siehe über ihn  : Margaret Gottfried, Das Wiener Kaiserforum. Utopien zwischen Hofburg und Museumsquartier. Imperiale Träume und republikanische Wirklichkeiten von der Antike bis heute, Wien/Köln/ Weimar 2001, S. 97 ff.

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Räume lagen. Unter diesen Umständen bekam die 1. Abt., bei der sich die wirklich geheimen Landesverteidigungsaufgaben konzentrierten, die am leichtesten zugänglichen und am schwersten zu überwachenden Zimmer im Parterre rechts vom Hauseingang. Mein Chefzimmer lag ganz am Ende des Ganges frei zugänglich, hatte nur ein Fenster westseitig und bekam daher nie einen Strahl Sonne. Das Ganze war ein echter Genieblitz Schiebels, der sich gemeinsam mit Sektionschef Dr. Hecht im Heere zu Recht den Titel „Heeresverderber“ erworben hatte. Mein Vorgänger als Leiter der 1. Abt., GM Tarbuk, hatte im Glauben, seiner Stellung ein höheres Ansehen zu geben, dieses Zimmer mit einer riesengroßen ledernen Sitzgarnitur so voll gestellt, dass man sich kaum rühren konnte. Wie oft habe ich mich da nach St. Pölten zurückgesehnt, nach dem freien Blick in die herrliche Bergwelt um den Ötscher  ! Ich schildere diese trostlosen Verhältnisse darum so eingehend, weil ich die gleichen Räume zwei Jahre später als Sektionschef und Chef des Generalstabes wieder beziehen musste. In der Monarchie hatte man Verständnis dafür, dass die in höherem Alter stehenden Sektionschefs eines gewissen Komforts bedurften, da ihre Amtsstunden unbegrenzt lange, oft in die Nächte hinein dauerten. Darum hatte jedes Sektionschefzimmer in dem 1912 fertig gewordenen Ministerialgebäude am Stubenring als unmittelbaren Nebenraum ein Badezimmer mit Klosett und einem Ruhedivan. Ich musste als Chef des Generalstabes einen Marsch von 200 Schritten machen, um das beim Haupttor gelegene Klosett zu erreichen, das gleichzeitig der Abtritt für die Wache, die Chauffeure und Aufzugwärter war. Ich habe keinen Kampf um bessere Unterbringung im Haus geführt, weil mir dazu Zeit und Lust fehlten. Mir brannten die in fieberhafter Eile zu leistenden Arbeiten für die Landesverteidigung unter den Fingern. Zudem wäre ein Erfolg nur nach sehr langer Zeit zu erreichen gewesen  ; denn Gen. Schiebel hatte ja alle Chancen freiwillig an die Zivilministerien vergeben. Besser stand es mit meiner künftigen Privatwohnung  : Im Kommandogebäude der Universitätsstraße, das sich dort befand, wo sich heute der neue Riesenblock der Universitätsinstitute erhebt, war im ersten Stock das sonnseitige Eck Liebiggasse–Ebendorferstraße verfügbar geworden. Heeresbaudirektor Stelzel (übrigens ein Vetter des geschiedenen Mannes meiner Cousine Else) richtete mir dort eine schöne Vierzimmerwohnung her, für die ich nur die Badezimmereinrichtung aus eigenen Mitteln beizustellen hatte.595 In meinen freien Stunden besah ich mir diese Wohnung genau. Ganz klar  : Das so lange hinausgeschobene Speisezimmer musste nun gekauft werden  ; in den neuen Räu595 Robert Stelzel (Wien, 5.9.1881–27.10.1966, Wien), 1938 Ingenieur-General und Vorstand der Bauabteilung in der Sektion II/BMfLv.

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men genügte unser Provisorium aus St. Pölten nicht mehr. Ich ließ mir einen Überblick meiner Reise- und Aufenthaltsgebühren für Genf erstellen. Gleichgerichtet mit denen der Herren des Auswärtigen Amtes waren diese erstaunlich hoch. Wenn ich mir dabei die denkbar größte persönliche Beschränkung auferlegte, so ließen sich namhafte Beträge ersparen, die für unsere so sehr knappe Lebensführung von Bedeutung waren. Als ich mich jedoch in den Möbelgeschäften nach einer Speisezimmereinrichtung umsah, waren die Preise für uns unerschwinglich. Das führte mich in verschiedene Geschäfte, in denen Möbel aus zweiter und dritter Hand dargeboten wurden. Schließlich fand ich in der Schleifmühlgasse596 das Speisezimmer, das wir heute besitzen, allerdings ohne Tisch und Anrichte. Als Judith bei ihrem nächsten Wien-Besuch mit meiner Wahl einverstanden war, erwarb ich die Einrichtung staunenswert billig. Den Speisetisch und den Anrichtetisch dazu ließ ich vom Tischler des Möbelhändlers anfertigen. Erstmals war ich im Februar 1931 für etwa einen Monat in Genf, wo wir Österreicher ja im bescheidensten der für die Auslandsvertreter in Betracht kommenden Hotels wohnten. Mein Kalkül über die möglichen Einsparungen wurde zu meiner großen Freude sogar übertroffen. Es war das erste Mal in unserer Ehe, dass ich über den Monatsgehalt hinaus etwas Geld zusammenlegen konnte. Anfang Mai war meine Frau für eine Woche an den Plattensee gefahren, wo sich wieder ihre Familie zusammenfand. Bei einem kurzen Aufenthalt in Wien also, den ich infolge der Sitzungsunterbrechungen in Genf machen konnte, um Minister Vaugoin über meinen Plan, die Freizählung der Heimwehren vom Heeressoll, zu berichten, eröffnete mir dieser, dass ich zum Militär- und Luftattaché für Berlin in Aussicht genommen sei, weil mich Bundeskanzler Dollfuß dort brauche. Beim nächsten Besuch in St. Pölten besprach ich das, vorerst geheim, mit meiner Frau. Sie war zunächst erschrocken und der Meinung, dass sie als Generalsfrau wohl in St. Pölten entspreche, sich aber den Anforderungen meiner neuen Stellung in Berlin nicht gewachsen fühle. So musste ich ihr erst Mut zusprechen und ihr versichern, dass ich dort viel mehr freie Zeit haben und mich zu ihrer Entlastung viel der Haushaltführung werde widmen können, besonders hinsichtlich der nötigen Repräsentationen. Die physische Leistungsfähigkeit meiner Frau war tatsächlich durch Schmerzen in den Knien etwas gemindert. Ich selbst – ein sonst unermüdlicher Geher – hatte an mir 596 Schleifmühlgasse, Wien, 6. Bezirk  : Erinnert an eine von einem Wienflussarm betriebene Mühle, deren Besitzer bis in die Mitte des 16. Jh. zurückverfolgt werden können. Sie wurde durch wiederholte Umbauten verschönert und vergrößert, von Leopold I. zu einem adeligen Sitz erhoben. Um die Mühle entstand die kleine Ansiedlung Mühlfeld, die 1793 an die 1.200 Einwohner hatte.

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ähnliche Wahrnehmungen gemacht und die Beschwerden nach Rücksprache mit dem Sportarzt des Dianabades durch Senkfuß-Einlagen völlig behoben. Daher riet ich ihr, sich mit einem Orthopäden zu beraten. Die Füße meiner Frau waren aber der heikelste Besprechungspunkt. Ich hatte im Lauf der Ehe wohl wahrgenommen, dass sie einen Fuß platt und etwas verstellt hatte  ; eine Folge der in ihrer Kindheit nicht sofort eingeleiteten Korrektur, zu welchem Schaden noch die Eitelkeit meiner sehr kleine Füße habenden Schwiegermama gekommen war, ihrer Tochter grundsätzlich zu kleine Schuhe zu kaufen. Die Füße waren ausgesprochenes Erbe ihres Vaters, und sie vertrug es einfach nicht, dass davon – auch in bester Hilfsabsicht – gesprochen wurde. Ihre Stépan-Großmutter apostrophierend, brach sie jedes Gespräch über ihre Füße einfach mit der bitteren Äußerung ab, das sei eben die Folge, wenn so eine simple Frau in ein Adelsgeschlecht eingeheiratet werde. Außerdem war meine Frau auch seelisch bedrückt von Balatonfüred597 zurückgekehrt. Der dortige Arzt hatte nach einer Magen-Röntgenuntersuchung den Verdacht auf Magenkrebs bei ihrem über alles geliebten Vater ausgesprochen. Das erschütterte sie so sehr, dass sich auch ihr durch die im Jahre 1918 überstandene spanische Grippe dauernd lädiertes Herz unangenehm bemerkbar machte. Wir besprachen das alles französisch, und die Kinder waren sehr ungehalten, unserer Konversation nicht folgen zu können. Schließlich kam der Gedanke auf, beide Kinder für die Zeit des Berliner Aufenthaltes, den ich nicht für sehr lange hielt, in ein Pensionat zu geben. Judith schwärmte noch immer von ihrer Pensionatszeit in Vevey in der Schweiz und ihrem Leben in London.598 Die Mädeln zu den Englischen Fräuleins zu geben wäre allen das Liebste gewesen  ; aber intern nahmen diese nur katholische Kinder. Da wurde uns beiden erstmals so recht bewusst, wie unsere Mischehe sich für die Kinder übel auswirkte. Bei der zwischen Österreich und Nazi-Deutschland bestehenden Spannung hatte der Gedanke, unsere Kinder nicht nationalsozialistischen Schuleinflüssen auszusetzen, so viel für sich, dass ich versprach, mich in Wien umzusehen. Schließlich vereinbarten wir, unseren Umzug nach Wien noch vor der Versetzung nach Berlin durchzuführen und dorthin zunächst bloß Kleider und Wäsche mitzunehmen. Bei einer Glashandlung erbat ich einen sachkundigen Packer für unser Glas und Porzellan, das wir kurz vorher für unsere Wiener Wohnung hatten ergänzen lassen. In Wien erfuhr ich dann von dem zu unserer Wohnung in der Liebiggasse sehr günstig gelegenen Beamten-Töchterheim in der Langegasse. Das war wohl kein No597 Balatonfüred  : Schon den Römern bekannter Badeort am Nordufer des Balaton (Plattensees), 20 km südlich des Komitat-Vorortes Veszprém (dt. frühere Vesprim). Der Plattensee ist der größte See in Mittel- und Westeuropa, Fläche 585 km2, größte Tiefe  : 12 m. 598 Vevey, dt. auch Vivis, Schweizer Kurort am Nordufer des Genfersees an der Mündung der Veveyse  ; Sitz der Schokoladefabrik Nestlé-Alimentana.

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bel-Pensionat, wofür wir auch nicht die Mittel besessen hätten, doch hatten sie ein renommiertes Mädchen-Realgymnasium. Dort ließ ich unsere beiden Kinder für das kommende Schuljahr vormerken. Dann musste ich wieder zurück nach Genf. Als mir dort der im ersten Teil beschriebene Erfolg mit der Freihaltung des Heeres von der Anrechnung der Heimwehr auf seinen Sollstand gelungen war, überrechnete ich meine Ersparnisse, die es nun ermöglichten, meiner Familie eine außergewöhnliche Freude zu bereiten  : Da ich zu Pfingsten nicht daheim sein konnte, sollte Judith mit den Kindern, sozusagen als Abschied von der schönen Umgebung dieser kleinen Stadt, ein paar frohe, von Geldsorgen ungetrübte Tage in Mariazell verbringen. Ich bestellte für sie von Genf aus im Hotel Feicht­ egger ein schönes Appartement und hatte nachher viel Freude über die Erzählungen, wie schön die sonnigen Tage in dieser herrlichen Gegend gewesen waren. Für mich folgten randvoll ausgefüllte Tage  : Die Überführung der Möbel von St. Pölten nach Wien, wo in der neuen Wohnung nur die Betten aufgestellt wurden, um dort bei kurzen Aufenthalten schlafen zu können. Alles andere blieb verpackt im großen Vorzimmer aufgestapelt. Das Badezimmer funktionierte einwandfrei, doch in der Küche war zunächst bloß ein Gasrechaud für die Frühstücksbereitung montiert. Da ich mit Zivilkleidung schon für Genf gut versorgt war, konnte ich den mir bewilligten Kleiderausrüstungsbeitrag fast ganz für die Garderobe meiner Frau einsetzen, wobei sie auch einen Persianer-Pelz bekam. Ich hatte die große Freude zu beobachten, wie sich unter dem Einfluss der reicheren Kleiderausstattung, der leichteren sonstigen Geldgebarung und meinen Erzählungen über das in mich gesetzte Vertrauen, ihr Selbstgefühl und ihre Sicherheit im Auftreten von Tag zu Tag steigerten. Dazu kam, dass die von ihr in St. Pölten gewonnene Freundin, Frau Anni Nimmerrichter, sich bereit erklärte, bestens für unsere lieben Kinder während der Pensionatszeit zu sorgen. Der alte Goethe hatte schon recht  : „Wenn man sich zu lange in engen, kleinen Verhältnissen herumdrückt, so leiden Geist und Charakter  ; man wird zuletzt großer Dinge unfähig und hat Mühe sich zu erheben.“ Meine liebe Frau lebte unter unseren nun leichter gewordenen finanziellen Verhältnissen sichtlich auf. Und das war gut so, denn ich brauchte in Berlin eine tüchtige, treue Helferin  ! Als wir unsere Kinder in Aba puszta bei den guten Großeltern deponiert hatten, blieben uns in Wien noch drei bis vier Tage, die wir mit der Besorgung aller für das Mädchenpensionat vorgeschriebenen Dinge und einiger Anschaffungen für die Wiener Wohnung verbrachten. Am 15. Juli, Vorabend meines Geburtstages, an dem ich mein 49. Lebensjahr vollendete, führte ich meine Frau nach Grinzing, wo wir erstmals eine „Heurigen-Schenke“ besuchten. Am folgenden Morgen reisten wir vom Franz-Josephs-Bahnhof über Prag – Dresden nach Berlin. Bis Prag kannten wir die schöne, durch das reiche Land führende

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Bahn von einem Kuraufenthalte in Karlsbad, den ich nach meinem ersten schweren Gallenanfall gebraucht hatte. Auch bis Dresden, mit dem engen Gebirgsdurchbruch der Elbe, war die Fahrt reizvoll. Dann aber begann die uns trostlos erscheinende sandige Ebene bis Berlin. Obwohl Judith an die Ebene von Ungarn her gewöhnt sein sollte, bedrückte sie plötzlich diese ganz anders aussehende Tiefebene in ihrer trostlosen Abwechslungslosigkeit  : Es fehlten die ungarischen Akazienreihen, es schien nur Sand zu geben. Schließlich kamen wir nach dreizehnstündiger Fahrt in Berlin an. Vorerst nahmen wir in einer uns empfohlenen, nahe dem Wittenberger Platz gelegenen bayrischen Pension Wohnung. Die große Stadt mit ihrem treibenden Leben nahm uns alsbald auf.

IX.

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Berlin 1933–1935 Mit der Verleihung der alten österreichischen Uniform an das Bundesheer wurde der Bundesminister für „Heerwesen“ in einen solchen für „Landesverteidigung“ verwandelt und Karl Vaugoin in Anerkennung seiner in zwölf Jahren ununterbrochener Ministerschaft erworbenen Verdienste zum General der Infanterie ernannt. Von diesem Moment an sprach er mich, der alten von der Armee Radetzkys hergeleiteten Tradition gemäß, mit „Du“ an. Ende Juni 1933, anlässlich meiner Meldung von der Beendigung der Frühjahrstagung der Abrüstungskonferenz in Genf und meinem Abgang nach Berlin, sagte mir Minister Vaugoin, dass ihn zu meiner Bestellung für Berlin zwei Momente bewogen hätten  : zunächst, um mich „als seinen besten General“ vor dem sonst unvermeidlichen Abbau in den Ruhestand zu bewahren, und dann wünsche der Kanzler eine absolut zuverlässige Persönlichkeit in Berlin, von der er sicher sein könne, dass sie dem deutschen Einfluss nicht erliegen werde. Darum mache er mich auf die hohe Bedeutung meiner Mission mit der Versicherung seines Vertrauens aufmerksam. Ich möge unbedingt auch noch beim Kanzler vorsprechen. Ich dankte für die Beweise seiner Anerkennung. Wer hätte beim Abschied gedacht, dass Vaugoin selbst nur mehr zwei Monate Minister sein werde  ? Bei Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß konnte ich schon nach zwei Tagen der Anmeldung persönlich vorsprechen. Es war eine nicht sehr lange, mir jedoch umso eindrucksvoller im Gedächtnis gebliebene Begegnung, weil er fast genau ein Jahr später ermordet wurde und ich ihm nicht mehr persönlich begegnet war. Dr. Dollfuß ließ sich die bei der Abrüstungskonferenz gewonnenen Eindrücke schildern und zeigte sich sehr befriedigt, als ich ihm das Manöver von der Freistellung der Heimwehren im Hinblicke auf das künftige österreichische Heeresfriedenskontingent von 60.000 Mann erläuterte. Seine Frage, ob eine vorzeitige Zustimmung zu einer Ausweitung des Bundesheeres erhofft werden könnte, bejahte ich mit der Einschränkung, dass zunächst nur eine kurzfristige Dienstzeit statt der bisherigen zwölfjährigen verlangt werden sollte, was einerseits ausgebildete Reserven für die Kriegsformation des Bundesheeres schaffen und anderseits durch Einsparung der hohen Lohnsätze

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Langdienender Gelder für den Sachaufwand freistellen würde. Da erhob sich der kleine Kanzler, ging nachdenklich ein paar Mal auf und ab und blieb schließlich vor mir stehen  ; auch ich stand auf. Das weitere Gespräch wurde stehend geführt, wobei Dr. Dollfuß den rechten Fuß auf einen Sessel stellte und dadurch eine verkrümmte Körperhaltung annahm. Er hob den Kopf zu mir empor, sah mich mit seinen großen Augen lange von unten herauf an und sagte schließlich  : „Ich weiß, dass ich mich auf Sie verlassen kann, Herr General  : Bitte helfen Sie unserem Gesandten, mit Deutschland ein vernünftiges Verhältnis herzustellen  !“ Hierauf reichte er mir die Hand. Ich hatte den Eindruck gewonnen, mit einem äußerst intelligenten Mann gesprochen zu haben, der das Ziel eines selbstständigen, freien Österreichs klar vor Augen hatte, aber den Weg hierzu noch suchte. Ja, es erfüllte mich mit aufrichtiger Freude, in Dollfuß einen Mann erkannt zu haben, in dem sich zur Klugheit auch Energie und Mut gesellten, so dass ich gern und aus Überzeugung bereit war, seine politische Linie angesichts des eingetretenen „Staatsnotstandes“ als richtig anzuerkennen und ihr – soweit es in meinen Möglichkeiten lag – zum Erfolg zu verhelfen.599 599 Siehe  : Heinrich Drimmel, Die Verfassung oder das Vaterland  ? Dollfuß und der 25. Juli 1934 im Abstand eines halben Jahrhunderts, in  : Die Presse, 21./23. Juli 1984, Zeichen der Zeit III  : „Wenn der Tag kommt, an dem die Frage auftaucht, Deutschland oder die Verfassung, dann werden wir Deutschland nicht wegen der Verfassung zugrundegehen lassen.“ Das Wort stammt von Friedrich Ebert, dem ersten Reichspräsidenten des 1918 Republik gewordenen Deutschen Reiches. Wir, das sagte Ebert als Vorsitzender der SPD in der Zeit des Umsturzes und der Unruhen nach Weltkriegsende. Und so handelte er auch, als die junge Republik in Gefahr war, unter den mit rücksichtsloser Wucht geführten Angriffen der Radikalen von links wie rechts zugrunde zu gehen. Ebert starb unbedankt… In der Sitzung des Nationalrates vom 8. März 1933, schien sich jedenfalls die Chance zu bieten, die Regierung Dollfuß aus dem Feld zu schlagen …Tohuwabohu beim Streit über die Gültigkeit des Abstimmungsvorganges … unternahmen es führende Männer der Sozialdemokraten, von den Couloirs aus das weitere taktische Vorgehen ihrer Fraktion zu dirigieren, ohne die Abgeordneten selbst zu fragen. Sie veranlassten, dass vor Wiederholung der Abstimmung Karl Renner als Erster Präsident demissioniere und dann zu seiner Fraktion einrücke … die beiden anderen Präsidenten demissionierten … Dazu schreibt Adolf Schärf  : „Ich sollte Dr. Renner diesen Auftrag (also zu demissionieren) überbringen. Mich befiel eine trübe Ahnung, es schien mir nicht gehörig, daß ein solcher Entscheid ohne Beschluß des Parteivorstandes oder des Abgeordnetenklubs erfolgte. Ich erklärte  : ‚Ich überbringe diese Nachricht an Dr. Renner nur dann, wenn ein Mitglied der (Partei-)Exekutive mit mir zu ihm geht.‘ Das geschah auch… Dr. Renner fügte sich ohne ein Wort der Erwiderung und demissionierte.“ Und dazu weiter bei Schärf  : „Wegen einer einzelnen Abstimmung, auf den Posten des Ersten Nationalratspräsidenten zu verzichten, bedeutet an und für sich ein schlechtes Präjudiz, das auch in normalen Zeiten der Wiederwahl eines Sozialdemokraten zu dieser Würde entgegengestanden wäre, die Sozialdemokratie also diskriminiert hätte … es ist wahrscheinlich, daß die Entwicklung Österreichs ohne den 15. Juli 1927 (Brand des Justizpalastes) und ohne Niederlegung der Präsidentenwürde am 4. März 1933 eine völlig andere geworden wäre.“ Der Sozialdemokratie in Österreich blieb die Erprobung der von Adolf Schärf hier skizzierten Alternative erspart. Dollfuß blieb es nicht erspart, den Widerstand anzunehmen. „In diesem Kampf fiel er am 25. Juli 1934 an der Front, für ihn war

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Die wenigen Tage, die ich noch in Wien verbringen durfte, kürzten sich um die Zeit des Besuchs bei meinen Schwiegereltern in Ungarn, denen meine Frau und ich unsere Töchter über den Sommer zur Obsorge lassen konnten. Da meine Frau – wie das bei den Töchtern der ungarischen Adelskreise stets geschah – in England und in der Schweiz erzogen worden war, beherrschte sie die englische Sprache in gleicher Vollkommenheit wie die deutsche und ungarische  ; dazu sprach und schrieb sie auch Französisch in einer den üblichen Durchschnitt überragenden Weise. Tochter eines ungarischen, auf Landbesitz fußenden Generals, hatte sie sehr viel politisches Feingefühl ererbt. Österreich, von Kindheit kennend, hatte sie durch unseren zwölfjährigen glücklichen Aufenthalt in St. Pölten unendlich liebgewonnen. Mit dem richtigen Gefühl fürs Auftreten in großer, internationaler Gesellschaft war sie eine ideale Diplomatenfrau und mein bester, verständigster und treuester Kamerad. Sie verstand es, im Handumdrehen Sympathien zu gewinnen, was für Berlin umso mehr Bedeutung hatte, als unser Gesandter und der erste Legationssekretär, ein gewisser Seemann, unverheiratet waren. Nach unserer Rückkehr nach Wien veranlasste der seit dem Frühjahr 1933 in Wien bestellte deutsche Militärattaché, Glt. Muff600, meinen Besuch bei dem deutschen in an jenem Tag der Ballhausplatz eben die Front …“ Schon beim ersten Bürgerkrieg im Februar 1934 erhielt Hornbostel von einem seiner beiden Agenten Florian und Martin, nämlich von Martin die beiden folgenden Meldungen  : [1.] „Martin No. 66. Innsbruck, am 12. Februar 1934. DRINGEND  ! Verläßlicher Vertrauensmann berichtet heute, 12. Februar, 11 Uhr 30 Min. vorm., daß NSDAP Österreichs in München Zusammenziehung der Österreichischen Legion in Oberbayern angeordnet hat. Außerdem werden … in München militärische Weisungen an SA-Formationen und österreichische Staatsbürger ausgegeben, so daß mit bevorstehender Aktion gegen Österreich ernstlich gerechnet werden muß. Mein Vertrauensmann bezeichnet diese Meldung ausdrücklich als Vorbericht und verspricht nähere Einzelheiten. Martin.“ [2.] „Martin No. 68 Klagenfurt am 14. Februar 1934  : Infolge meiner Abreise von Innsbruck nach Klagenfurt hat mich der zweite Bericht meines Münchener Vertrauensmannes verspätet erreicht. Darnach hat zwischen Hitler und Habicht gleich nach dem Bekanntwerden der Ereignisse in Österreich eine mehrstündige Aussprache stattgefunden, nachdem Habicht bereits alle Maßnahmen zum Losschlagen getroffen hatte. Hitler hat sich aber persönlich alle Verfügungen in der österreichischen Frage vorbehalten. Nach einer dritten, soeben eingetroffenen Nachricht ist etwa in 14 Tagen mit einem neuen aktivistischen Vorstoß der Nationalsozialisten in Österreich zu rechnen. Martin.“ (Beide Meldungen  : ÖStA/AVA/, sign. B/1221 [= Nl. Hornbostel], Nr.3) 600 Wolfgang Muff (Ulm, 15.3.1880–17.5.1947, Bad Pyrmont), Muff war kgl. württembergischer Infanterie-Offizier ab seiner Beförderung zum Lt., 18.10.1900, 20.11.1913 nach Absolvierung der Kriegsakademie Hptm., ab 2.10.1914 beim Chef des Feldeisenbahnwesens, ab Juli 1915 bei Heereskörpern der Heeresgruppe Mackensen, ab 1.12.1916 nach Wien versetzt, blieb er hier in Eisenbahnangelegenheiten bei dt. Dienststellen bis März 1918, zuletzt als Mjr.i.G, dann an der Westfront in der Heeresgruppe Gallwitz. Übernahme in die Reichswehr und Verwendung als Leiter der Führungsgehilfenlehrgänge, ab 1.4.1924 hatte Muff diverse Truppenkommanden inne, ab Jänner 1932 war er als GM Landeskommandant in Württemberg, 30.9.1932 verabschiedet. Ab 1.4.1933 wollte das Deutsche Reich wieder

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Wien amtierenden Gesandten Rieth, dem eine Déjeunereinladung mit meiner Frau folgte. Militärattachés nach Paris, London, Rom, Warschau, Moskau, Prag und Washington senden, zunächst nicht nach Wien. Erst ab 30.1.1933 wurde Muff im Rang eines GM als Militärattaché für Wien unter Nebenanmeldung in der Schweiz und in Bulgarien den oben angeführten Attachés hinzugefügt. Muff blieb in dieser Funktion in Wien bis nach dem März 1938. Am 23. März 1938 wurde befohlen „zur Bearbeitung der Überleitung des Offizierskorps des bisherigen Bundesheeres“ die Bildung einer Personalgruppe für den Bereich des Gruppenkommandos 5 durchzuführen. Mit dieser Gruppe wurde Wolfgang Muff betraut. Ebenso hatte er dem sogenannten Überleitungsstab zu führen, eine Koordinierungsstelle zur Einfügung aller öst. Dienststellen in das OKW bzw. das OKH bzw. die Befehlsgewalt des OB der Luftwaffe. Mit 1.8.1938 wurde Muff als Gen.z.b.V. dem XI. Armeekorps in Hannover zugeteilt. Muff wurde im Polenfeldzug verwendet und war dann Befehlshaber im Wehrkreis XI, Dez. 1940 GdI, 30.4.1943 verabschiedet. Am 1.4.1947 wurde in Österreich gegen Muff ein Haftbefehl wegen Verdachtes der Verbrechen nach Paragrafen des Kriegsverbrechergesetzes erlassen, nach § 8 drohte ihm die Todesstrafe, im November 1947 begann die gerichtliche Voruntersuchung, diese wurde erst 1954 eingestellt, nachdem das Todesdatum festgestellt worden war. Über Muff vergleiche vor allem  : Gerhard Artl, Zur Tätigkeit des Deutschen Militärattachés in Wien, General Wolfgang Muff (1933–1938), in  : MÖStA, 47. Band/1999, S.197–247  ; Hptm. Michael Klaus, Der deutsche militärische Geheimdienst und seine Tätigkeit gegen Österreich in den Jahren zwischen 1934 und 1938. Militärwissenschaftliche Arbeit am 5. Generalstabskurs, Wien 1969 (= ÖStA/KA, Manuskripte Allgemeine Reihe, Nr. 125), 77 S. Masch.; Wolfgang Hügle, Wehrpolitische Informationen über Österreich im Reichskriegsministerium 1933–36“ (Generalstab Abt. Fremde Heere), Zulassungsarbeit zum Staatsexamen, angefertigt bei Prof. Dr. J. Engel, Historisches Seminar, Abteilung für neuere Geschichte der Universität Tübingen, 16.10.1967 (= ÖStA/KA, Manuskripte Allgemeine Reihe, Nr. 124), 68 S., Manfred Kehrig, Zwischen Anpassung und Widerstand – Die Militärbeziehungen zwischen Österreich und Deutschland 1918 bis 1938, in  : Blätter für österreichische Heereskunde, Jg. 1987, S. 45–60. Muff betrieb eine eminente Einmischung in Österreichs militärische und politische Angelegenheiten, indem er sehr weitgehend eine aggressive nachrichtendienstliche Politik mithilfe der Untergliederungen der NSDAP, vor allem der SA betrieb, andererseits gerade mit allen Abteilungen des BMfHw., besonders der Abt.1, einen intimen Kontakt über den Pressedienst hinaus zu unterhalten suchte. Einen besonderen Kontakt scheint es zur 6. Brigade (Innsbruck) wegen Italien gegeben zu haben. Muff berichtete wöchentlich, zum Teil direkt an das Reichswehrministerium, nicht nur über das Auswärtige Amt. Als Jansa den Dienst in Berlin antrat, empfahl Muff zunächst, dem Österreicher zu helfen und sachdienliche Informationen zu geben. Muff änderte seine Haltung noch 1933 und empfahl nunmehr, dem Generalstabsoffizier eine Falle zu stellen. Die – wenn auch distanzierte – Zusammenarbeit mit der NSDAP in Österreich ging 1934 zur nach außen möglichst verschleierten Komplizenschaft mit deren Führungsspitze, dem Inspekteur der Partei für Österreich, Theo Habicht, und seinem Stabschef, dem ehemaligen bayr. Offizier Weydenhammer über. Dies ist durch drei der sogenannten Weydenhammer-Berichte, die sowohl 1934 als auch 1939 verfasst wurden, offengelegt. Zu den Chefs der Abt.1 bestand jedenfalls traditionell und zunächst auch, was Jaspar Kundt, den geheimen Militärattaché ab 1922 betrifft, ein extrem guter Kontakt. Ab 1933 dürfte ihn und Muff besonders auch der österreichische militärische Funkaufklärungsdienst, zuletzt unter Hauptmann Ergerth, interessiert haben Dieser war seit 1929 bei der SA. Zehner und Jansa konnten Muffs Tätigkeit seit 1935 einschränken, aber nicht abstellen. Es gelang auch nicht, den deutschen Militärattaché abberufen zu lassen.

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Bei dem vorangehenden offiziellen Besuch, dem der deutsche Militärattaché beiwohnte, sprach ich mich mit Rieth sehr schlecht. Dieser entstammte kommerziellen Kreisen und hatte statt angeborener Allüren eines Grandseigneurs jenes hochnasige Gehaben, das sich aus eingelernter Formalistik und schnoddriger Grundanlage ergibt. Er begann mich sofort zu belehren, wie ich mich in Berlin zu verhalten hätte, um die „Fehler“ der österreichischen Regierung auszugleichen. Diese hatte nämlich schon früher Hitler die österreichische Staatsbürgerschaft abgesprochen601 und am 19. Juni die nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei wegen ihrer fortgesetzten Terrorakte in Österreich verboten sowie dem deutschen Naziminister Frank602 bei seiner Ankunft in Wien am Flugplatz sagen lassen, dass sein Kommen unerwünscht sei  ; darauf hatte Hitler mit der 1000-Mark-Sperre für deutsche Reisende geantwortet. Ich hörte ihn eine Weile an, dann sagte ich ihm, dass ich bedauere, seinen Ausführungen zu entnehmen, wie gering sein Einfühlungsvermögen in die österreichische Seele und wie fehl darum sein Urteil sei  ; ich sei mit unserer Regierungspolitik voll einverstanden und er könne und solle nach Berlin melden, dass ich dort nur österreichische Interessen, und zwar mit allem Nachdruck vertreten werde  ; denn bei der jetzt geübten deutschen Politik könne es zu dem von Dollfuß erstrebten „vernünftigen Verhältnis“ nicht kommen. Darauf bekam Rieth einen roten Kopf, und es war nur dem vermittelnden Dazwischentreten von Glt. Muff zuzuschreiben, dass die Unterredung nicht noch schärfere Formen annahm. Das folgende Déjeuner verlief bedeutungslos in frostiger Höflichkeit. Minister Vaugoin machte ich vor meiner Abreise aufmerksam, in wie unguten Händen die deutsche Gesandtschaft in Wien liege. In unserem Amt für Auswärtige Angelegenheiten war ich aus meiner bisherigen Tätigkeit bereits mit dem Generalsekretär Peter603 und den maßgeblichen Leitern der 601 Adolf Hitler übersiedelte am 24.5.1913 nach München. Er meldete sich am 16.8.1914 zur bayer. Armee und rüstete am 31.3.1920 ab. Ab September 1919 war er Mitglied der Dt. Arbeiterpartei (DAP), die sich im Februar 1920 in NSDAP umbenannte. Im Oktober 1920 kam er als Wahlhelfer für eine natsoz. Dt. Arbeiterpartei nach Wien und sprach auf Versammlungen. Er sprach auch in Salzburg und redete am 20.6.1922 wieder in Wien in den Sophiensälen. Nach dem sogenannten Hitlerputsch 1923 schreibt er 1924 in der Haft sein Buch „Mein Kampf“ und gründete am 26.2.1925 die 1923 verbotene NSDAP neu. Am 30.4.1925 wurde er aus dem österreichischen Staatsverband entlassen. Er blieb staatenlos bis er am 25.2.1932 mit seiner Ernennung zum Regierungsrat die deutsche Staatsbürgerschaft erwarb. 602 Hans Frank (Karlsruhe, 23.5.1900–16.12.1946, hingerichtet in Nürnberg), Jurist und Politiker, 1919 in Berührung mit der NSDAP als Student, Teilnahme am Hitlerputsch, Rechtsanwalt Hitlers, ab 1930 Abgeordneter zum Reichstag, 1933/34 bayrischer Justizminister, Okt. 1938 Generalgouverneur von Polen, verdiente sich dort den Titel eines „Polenschlächters“, wandelte sich gegen Kriegsende und wurde Katholik. Er schrieb seine Memoiren „Im Angesicht des Galgens“. 603 Franz Josef Peter (R. v. Thyllnreuth) (Eger/Cheb, Böhmen, 28.4.1866–22.2.1957, Wien), Absolvent der Konsularakademie, EF beim HR 5, 21.12.1889 Eintritt in die Beamtenlaufbahn als Konsulareleve, ab 1892 Dienst in den Konsulaten am Piräus und in Alexandrien, ab 1903 Professor an der

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politischen und wirtschaftlichen Angelegenheiten, Hornbostel604 und Wildner, bekannt. Ich versicherte alle drei, dass ich angesichts der schwierigen Lage verlässlich keine Extratouren tanzen, vielmehr mich bemühen werde, unserem Gesandten – den ich persönlich noch nicht kannte – im Sinne des Kanzlerauftrags zu helfen, „ein vernünftiges Verhältnis mit Deutschland“ herzustellen. Am 16. Juli reisten meine Frau und ich nach Berlin. In dieser Stadt waren wir noch nie gewesen. Ihre ungeheuren Entfernungen und das Trennende des großen, im Zentrum gelegenen Tiergartens fielen mir als Ersteindrücke so auf, dass ich nach einer der Gesandtschaft und dem Reichswehrministerium möglichst nahe gelegenen Wohnung Ausschau hielt  ; denn weder hatte ich einen Dienstwagen mitbekommen, noch gestatteten die knapp erstellten Auslandsgebühren die Haltung eines Wagens aus eigenen Mitteln. Wir gaben also eine Notiz in die Zeitung, die etwa lautete  : „Gesandtschafts­ attaché sucht Wohnung.“ Die darauf in sehr großer Zahl eintreffenden Angebote ergaben das erste Bild, mit dem sich mir das nationalsozialistische Berlin vorstellte  : Unter ganz lächerlich geringen Mietzinsforderungen wurden luxuriös eingerichtete Wohnungen und ganze Villen angeboten, der Schlusssatz aller Angebote lautete fast übereinstimmend  : „Bitte übernehmen Sie meine Wohnung  ; es wäre dies die einzige Chance, mein Besitztum zu erhalten  !“ oder „… die einzige Hoffnung, meine Möbel nicht als Kleinholz wiederzufinden“, ein übereinstimmender Notruf der gequälten Kreatur zumeist jüdischer Abstammung, aber auch von Christen mit scharfer Antinazi-Einstellung. Wir wählten schließlich eine in unmittelbarer Nähe des Reichswehrministeriums und unserer Gesandtschaft gelegene Wohnung in der vormaligen Hohenzollernstraße, die später in Graf-Spee-Straße umbenannt wurde. Dabei ahnten wir noch nicht, dass sich kurz nachher in dem mit seiner Gartenfront anschließenden Konsular­akademie, ab 1912 stellvertretender Leiter der Rechtssektion im Außenministerium, 1.2.1919 Sektionschef, 1919–1932 Leiter der Rechtssektion, 1925 Generalsekretär für die Auswärtigen Angelegenheiten, seit 1925 mit der zusammenfassenden Behandlung der mit den auswärtigen Angelegenheiten zusammenhängenden Agenden des BKA betraut, 18.1.1926–1937 Generalsekretär für Auswärtige Angelegenheiten, obwohl die Ruhestandsversetzung bereits am 28.2.1932 erfolgte. 604 Theodor (R. v.) Hornbostel (Wien, 9.1.1889–8.6.1973, Gmunden, OÖ), Absolvent der Theres. Akad. u. der Konsularakademie, ab 14.12.1912 im Konsulatsdienst, nach Kriegsdienst ab 27.7.1917 wieder im Konsulardienst, zunächst in Skutari, ab 10.4.1918 bei der Gesandtschaft in St. Petersburg und Moskau große Verdienste um Rückholung der Kriegsgefangenen, ab 1919 an den Gesandtschaften in Budapest und (1926) in Konstantinopel, 1.1.1927 Legationsrat 2. Kl, 20.10.1933 Amtstitel „ao. Gesandter und bev. Minister“, 1937 Ernennung zum Gesandten, 12.3.1938–1.4.1938 Gestapo-Haft, 1.4.1938 Deportation im Prominententransport in das KZ Dachau, Jan. 1939–Sept. 1939 Einzelhaft, 26.9.1939 Deportation ins KZ Buchenwald, 15.5.1943 prov. Freilassung u. Rückkehrverbot nach Österreich, nach 1945 Übertritt zur römisch-katholischen Kirche von der evangelischen Kirche A.B. Er gründete 1953 in Salzburg das Forschungsinstitut für den Donauraum.

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Haus ein hoher SA-Funktionär mit Anhang einmieten werde, dessen Trinkgelage die Nachtruhe aller Anrainer dauernd störten  ; wir zogen nach einiger Zeit in die Burggrafenstraße um, wo wir von den braunen Parteiorgien unbelästigt blieben. Die erste Wohnung mieteten wir von einer Engländerin, die, mit einem Deutschen verheiratet gewesen und nachher von ihm geschieden, ihre Zeit viel auf Reisen verbrachte. Das Haus war nahe dem Kriegsministerium sowie nahe dem die Mitte Berlins ausfüllenden Tiergarten gelegen. Die Wohnung war nicht mit pompöser Eleganz, wie viele von Juden angebotene Wohnungen, eingerichtet, hatte aber eine, meine Frau ansprechende Note englischer Gediegenheit und viele ganz ausgezeichnete Schlafgelegenheiten. Die Bauart der alten Berliner Wohnungen war ganz eigenartig  : Durch die Trennung der Wohnung in einen an der Straßenseite gelegenen Repräsentationsteil und den theoretisch ruhigen Hofteil war als Verbindung ein unlüftbarer, immer nur künstlich beleuchteter langer Gang nötig. Sie besaß nur eine Ofenheizung, aber der Hausbesorger füllte die Öfen um 7h morgens außerordentlich leise und wohlerzogen mit Anthrazit, was die Wohnung dann ohne weitere Bedienung bis zum nächsten Morgen warm hielt. Aus Herzogenburg605, wo sie bei ihren Eltern auf Urlaub gewesen, war auch unser geschicktes und repräsentatives Dienstmädchen Grete nachgekommen. In einem großen Plan Berlins suchte ich an einem der ersten Sonntage, wie man am leichtesten ins Grüne gelangen könnte. Der mächtig grün gemalte Grunewald wurde natürlich unser erstes Ausflugsziel. Heute weiß ich nicht mehr, wie und in welchen Teil des Grunewalds wir gelangten, jedenfalls war er gelbsandig, mit dünnen, weit voneinander gepflanzten Kiefern und machte einen trostlosen Eindruck. Als Judith diesen „Wald“ sah, bekam sie einen regelrechten Weinkrampf aus Enttäuschung  ; der Gedanke, in so einer „Wüste“ leben zu müssen, erdrückte sie einfach. Für den Ausflug am nächsten Sonntag hatte ich den Plan beiseitegelegt und mich beim Gesandtschaftspersonal erkundigt, wo der Grunewald ersprießlicher anzutreffen sei. Dann fuhren wir mit der ausgezeichnet eingerichteten und schnellen U-Bahn bis zur Endstation „Krumme Lanke“. Dort entstand damals eine neue Wohnsiedlung, weshalb die dort umliegenden Kiefernbestände einen gepflegteren, waldähnlichen Eindruck machten. Froh beschlossen wir, den Abend draußen zu verbringen, und marschierten nach dem schönen, am Waldrand gelegenen Dahlem. Dort fanden wir einen nett aussehenden Gastgarten mit der für uns ungewohnten Anschrift  : „Hier kann man Kaffee kochen.“ Nach Erkundigung schmunzelten wir über die sparsamen Berliner, die sich ihren Kaffee zum Selbstkochen auf ihre Aus605 Herzogenburg  : Stadt am linken Ufer der Traisen, unweit von St. Pölten, nö. Alpenvorland. Im Mittelpunkt steht das Augustiner-Chorherrnstift, gegründet 1112 als St. Georgen an der Donau, 1244 nach Herzogenburg verlegt. Baumeister sind Jakob Prandtauer und Josef Munggenast.

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flüge mitnahmen. Judith bestellte sich irgendein alkoholfreies Getränk. Ich bat die Kellnerin, mir ein bierähnliches Getränk zu bringen, das ich an den Nebentischen in riesigen, ganz flachen Pokalen serviert sah, worauf sie fragte  : „Also eine Weiße  ; mit oder ohne  ?“ Verständnislos erwiderte ich, dass ich dachte, das in den Pokalen sei Bier. Sie bestätigte und fragte wieder, „Mit oder ohne  ?“, darauf ich  : „Was heißt das  ? Ich bin Wiener und verstehe nicht, was mit oder ohne sein soll.“ – „Ach so“, meinte die Kellnerin, „ich frage, ob mit oder ohne einen Schuss Himbeersaft  ?“ Ich glaubte an einen Ulk und fragte wieder, während Judith langsam zu lachen begann  : „Aber das ist doch Bier, zu dem kann man keinen Himbeersaft nehmen  !“ – „Oh doch“, schloss die Brave, „mit Himbeersaft schmeckt es viel schöner  !“ Da rang ich mich zu einer „Weißen“ durch und bat um den Himbeersaft extra in einem Fläschchen. Sie brachte ein ganz leichtes, ungegorenes Getränk, das man in Wien „Abzugbier“ oder „Fensterschwitz“ nannte und etwas bitter schmeckte. Da goss ich den Himbeersaft dazu und tatsächlich wurde das Getränk dadurch etwas trinkbarer. Schließlich kamen die ebenfalls bestellten „Frankfurter“ Würste mit Senf. Bei deren Aufschneiden leuchtete meiner lieben Frau ein abgerauchter Zigarettenstummel mit Goldmundstück entgegen. Ein anderes von der Kellnerin nachgebrachtes Paar Würste konnte ihren Ekel nicht mehr besänftigen. Hungrig zogen wir heim und begannen zu begreifen, dass sich die Berliner unter solchen Umständen lieber ihre Kuchen und ihren Kaffee selbst mitnahmen und gern dort Platz nahmen, wo stand „Hier kann man Kaffee kochen“. In der Folge fanden wir die Umgebung von Berlin nicht mehr ganz so trostlos. Nach einer Besichtigung Potsdams entdeckten wir an den Ufern der vielverzweigten Havel nette Kaffee- und Wein-Restaurants, wo man normale Speisen und Getränke bekam und sich am Anblick zahlloser Segel- und Ruderboote erfreuen konnte. Aber es hätte eines Autos bedurft, um die großen Entfernungen rasch und bequem zu überwinden. Die an sich vortrefflichen öffentlichen Verkehrsmittel ermüdeten meine Frau durch die Wartezeiten und das Treppensteigen leider zu sehr. Für ein eigenes Auto reichten die Mittel nicht, denn Österreich zahlte seinen Militärattachés wenig  : Obwohl man wusste, dass eine Ehefrau in der Diplomatie eine bedeutende Rolle zu spielen hat, durfte man für die Frau – die erste Übersiedlung nach Berlin und die definitive Rückkehr nach Wien ausgenommen – keine Gebühren berechnen. Alles in allem erhielt ich in Berlin 4.000,– Schilling, von denen das Pensionat für die Töchter und der Zins für die Wiener Wohnung bereits rund 1.000,– beanspruchten. Mit unserem Gesandten Stephan Tauschitz606, einem Kärntner Landbündler, der im Ersten Weltkriege als Artillerie-Reserveoffizier mit Auszeichnung gedient hatte, 606 Über Stefan Tauschitz (1889–1970) siehe die Daten bei Glaise-Broucek II, S.  85, Anm. 83. Er war 24.2.1933–1938 ao. Gesandter u . bev. Minister in Berlin. Der „Landbund für Österreich“ war eine

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kam ich sehr bald in ein gutes, kameradschaftliches Vertrauensverhältnis, das sich in der Folge zu einer lebenslangen Freundschaft ausbaute. Tauschitz, eine große, kräftige, sehr gute Erscheinung, mit viel Witz und Humor begabt, war von der Bedeutung Österreichs im Donauraum und von der Überzeugung durchdrungen, dass ein freies, selbstständiges Österreich für die gesamtdeutschen Interessen weit mehr leisten könne, als wenn es eine Eingliederung in das Deutsche Reich erführe. Er vertrat deshalb die von Dollfuß und dann von Schuschnigg im ersten Halbteil seiner Kanzlerschaft mit Zielklarheit geführte Unabhängigkeitspolitik aus eigener Überzeugung mit zweifelsfreier Deutlichkeit für jedermann.607

liberale Standespartei, die aus der „Deutschen Bauernpartei“ hervorgegangen war und 1923 zu den Nationalratswahlen mit der Großdeutschen Volkspartei gemeinsam antrat, dann aber bei den folgenden Wahlen wieder selbstständig agierte. Ihr Gründer war Vinzenz Schumy, 1919 Chef des „Kärntner Heimatdienstes“. Er koalierte ab 1927 mehrmals mit der Christlichsozialen Partei. 1930 gründete der Demokrat Vinzenz Schumy im Gegensatz zu den Heimwehren nach dem Korneuburger Eid eigene Bauernwehren. Schumy blieb während der NS-Zeit unbehelligt, trat 1945 der ÖVP bei und war ab September 1945 kurze Zeit in der Provisorischen Staatsregierung Staatssekretär für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung. 607 Über die Daten und die ältere Literatur zu Kurt v. Schuschnigg siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S.  219, Anm. 270. Schuschnigg war 30.7.1934–11.3.1938 (Rücktritt) Bundeskanzler, dann im Gewahrsam der Gestapo bzw. im KZ bis Mai 1945. Siehe auch Lucian O. Meysels, Der Austrofaschismus. Das Ende der ersten Republik und ihr letzter Kanzler, Wien 1992, S. 306–308  : „(Fritz Bock) lehnt den Ausdruck ‚Austrofaschismus‘ auf das Regime als Ganzes angewandt, energisch ab. Er könnte lediglich auf gewisse Kreise der Heimwehr bezogen werden, und diese wären nicht die bestimmende Kraft innerhalb des Regierungslagers gewesen. Jedenfalls nicht mehr, nachdem Schuschnigg die Wehrverbände entmachtet hatte. Ob der Kanzler dadurch möglicherweise die militärische Verteidigungsbereitschaft geschwächt habe, läßt Bock weiterhin offen. Bei aller Wertschätzung steht er Schuschnigg selbst nicht kritiklos gegenüber. ‚Seine große Schwäche war sein Glaube an ein mystisches besseres Deutschtum.‘ Letztlich meint der ehemalige Vizekanzler jedoch, daß auch ein demokratisches Österreich einem Hitler nicht hätte auf Dauer widerstehen können. Und dem Westen war die Art des Regimes in Österreich eigentlich egal … im übrigen sei eine Rückkehr Österreichs zu demokratischen Institutionen auf ständischer und nicht parlamentarischer Basis Schuschniggs Ziel gewesen. Die ‚vertikalen‘ ständischen Institutionen der Wirtschaft, in welcher der Generaldirektor ebenso wie der Betriebsvertrauensmann vertreten war – also Arbeitgeber auf der einen, Arbeitnehmer auf der anderen Seite … Differenzierter als die Politiker resümiert der Historiker Professor Gerald Stourzh … (Er) hält den Ausdruck ‚Austrofaschismus‘ nicht für adäquat und würde deshalb lieber von einer ‚Regierungsdiktatur‘ sprechen.“ Und er meint weiter  : „Die Geschichtswissenschaft und vor allem die Zeitgeschichte stehen in besonderem Maße unter dem Druck politischer Zuordnung oder Zurechnung, bisweilen sogar der politischen Vereinnahmung … In einem Punkt sind sich jedoch die Politiker beider Lager – vom Historiker ganz zu schweigen – bei der rückblickenden Beurteilung der tragischen Jahre zwischen 1934 und 1938 einig  : nie dürfe der Hass die politische Auseinandersetzung in Österreich dominieren. Was auch der Überzeugung des „Spätheimkehrers“ Schuschnigg entspräche, des ‚Mannes, der nicht hassen konnte‘.“ Walter Goldinger, Kurt Schuschnigg 1897 bis 1977, in  : Friedrich Weissensteiner/Erika Weinzierl (Hg.), Die österreichischen Bundeskanzler. Leben und Werk, Wien 1983, S.218–264, S. 218  : „Daß er in der letzten großen Krise Österreichs im

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Das ging auch im Innern soweit, dass er das reichsdeutsche Personal der Gesandtschaft (Sekretärin, Hauswart und Chauffeur) nach kurzer Zeit durch Österreicher ersetzte. Tauschitz war aber auch eine kluge und besonders an wirtschaftlichen Staatsfragen mit großer Sachkenntnis interessierte und sehr fleißige Persönlichkeit, die sich sowohl im deutschen Auswärtigen Amt wie auch im diplomatischen Korps eine angesehene Stellung schuf. Das Vertrauensverhältnis zwischen uns war so gut, dass wir uns wechselseitig unsere Berichte nach Wien zum Lesen gaben, wodurch wir am besten erkennen konnten, wo Lücken in dem von uns regelmäßig gegebenen Bilde bestanden, die auszufüllen wir uns sodann bemühten. In Berlin waren nämlich die Militär-, Marine- oder Luftattachés ein selbstständiger, geschlossener Kreis, ebenso wie der rein politische Teil des diplomatischen Korps  : Hatte dieser Kreis seine amtlichen Beziehungen vornehmlich zum Auswärtigen Amt, so hatten die Waffenattachés die ihren zum Reichswehr- und Luftfahrt-Ministerium. Zur zweifelfreien Klarheit möchte ich hier ausdrücklich festhalten, dass den Militärattachés der k. u. k. ö.-u. Armee die Erbringung von Nachrichten auf dem Weg der heute gar so viel erörterten Spionage ausdrücklich untersagt war. Da die Republik noch keine Dienstvorschrift für die Waffenattachés geschaffen hatte, hielt ich mich in allen Belangen an die Bestimmungen aus der Monarchie, die vollkommen genügten. Zudem war eine besondere, der Spionage bedürftige Information über geheim gehaltene Einzelheiten der deutschen Wehrmacht und ihres Ausbaues für das österreichische Staatsinteresse belanglos. Die nach Wien berichteten Nachrichten ergaben sich aus den Antworten auf fallweise den deutschen Wehr- und Luftmachtministerien gestellten Anfragen, aus eigenen Beobachtungen, Reisen und Besichtigungen, aus der Verfolgung aller militärischen Nachrichten in der deutschen und ausländischen Tagesund militärwissenschaftlichen Fachpresse, dem Studium von deutschen Dienstvorschriften, aus den Gesprächen mit deutschen Offizieren und Beamten und schließlich in der Erörterung einzelner interessanter Fragen mit den Waffenattachés der verschiedenen Mächte sowie auch durch Besprechung mit unserem eigenen militärisch sehr interessierten Gesandten. März 1938 versagt hat, liegt auf der Hand. Er hat nicht zum allgemeinen Widerstand aufgerufen, der kurzfristig möglich gewesen wäre. Er hat aber durch die Ausschreibung einer Volksbefragung Hitler gezwungen, den Weg der Aggression zu beschreiten, den dieser damals vermeiden wollte, weil er hoffte, Österreich, an dessen Einverleibung in das Großdeutsche Reich er unentwegt festhielt, werde ihm auf andere Weise als reife Frucht in den Schoß fallen. Der Plan einer Volksbefragung führte die Besetzung Österreichs etwa ein halbes Jahr früher herbei, als Hitler beabsichtigt und Schuschnigg befürchtet hatte.“ Monografie  : Anton Hopfgartner, Kurt Schuschnigg  : Ein Mann gegen Hitler, Graz/Wien/Köln 1989. In seinem Buch  : Im Kampf gegen Hitler. Die Überwindung der Anschlußidee, Wien/München/Zürich 1969, schreibt Schuschnigg so gut wie nichts über Jansa, d.h. er zitiert nur dessen Aussage im GuidoSchmidt-Prozess bezüglich der Einsatzbereitschaft des Bundesheeres.

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Beim Gedankenaustausch pflegte ich bald mit meinem belgischen Kollegen Glt. Schmit, dem schwedischen Mjr. Juhlin Danfelt, aber auch mit dem englischen Colonel Thorne und seinem Gehilfen, dem amerikanischen Luftattaché Obst. Wuest, und dem italienischen Obstlt. Mancinelli guten Umgang, zu dem auch unsere Frauen viel beitrugen. Der belgische General war allerdings Junggeselle, dafür aber ein guter Kenner der gemeinsamen österreichisch-belgischen Geschichte, aus der er viel Sympathie für Österreich ableitete. Auch zu einzelnen Diplomaten, besonders dem Schweizer Gesandten Dinichert, dem Peruaner Gildemeister, dem Argentinier Labougle, dem Litauer Saulys, dem amerikanischen Botschaftsrat Flack sowie dem amerikanischen Bankfachmann de Roth, unterhielt ich, gefördert durch die Sympathien der Frauen, freundschaftliche Kontakte. Darüber hinaus habe ich mich von Haus aus bemüht, zu den in Berlin in einer Tafelrunde vereinigten österreichischen Offizieren der ehemaligen kaiserlichen Armee und zu dem Traditionsverein des ehemaligen Kaiser-Franz-Gardegrenadierregimentes, dessen Inhaber auch Kaiser Franz Joseph I. gewesen war, in ein Verhältnis vertrauensvoller Kameradschaft zu kommen, was auch durchaus gelang. Weniger glücklich ließen sich die Beziehungen zu den aktiven deutschen Offizieren an. Dem in Berlin üblichen Brauch folgend, wonach militärische Attachés durch ihre zuständigen Botschafter beim Reichskriegsminister eingeführt wurden, trat ich in Begleitung unseres Gesandten zu meinem Antrittsbesuche bei dem nachmaligen Generalobersten v. Blomberg an. Blomberg war eine elegante, große, sprachgewandte Persönlichkeit von weltweiter Schau und weltmännischen Umgangsformen. Er begrüßte unseren Besuch herzlich, drückte sein Bedauern darüber aus, dass er zu der gerade in Wien stattfindenden 250-Jahr-Feier der Befreiung dieser Stadt von der Belagerung durch die Türken keine Deputation entsendet habe, weil festgestellterweise dem Reichsheere damals kein Brandenburgisches Truppenkontingent zugehört hatte. Als ich darauf antwortete, dass Österreich die Einladung zur Teilnahme an der Feier trotzdem übermittelt habe, weil es hoffe, dass die im Weltkrieg besiegelte Kameradschaft deutscher und österreichischer Truppen durch die seither eingetretene politische Spannung keine Einbuße erleiden werde, erwiderte Blomberg, dass dies sicher nicht der Fall sein werde und er es begrüße, dass die österreichische „Wehrmacht“ wieder ihre schönen historischen Uniformen angelegt habe. Ich sprach darauf noch aus, dass ich das Schwergewicht meiner Tätigkeit in Berlin in der Hilfe erblicke, die ich nach Dr. Dollfuß’ ausdrücklichem Wunsche unserem Gesandten leisten solle, damit zwischen Deutschland und Österreich das alte gute Verhältnis wiederhergestellt werde. Der dieserart sehr verbindliche Besuch hatte sowohl mich wie unseren Gesandten sehr befriedigt. Als wir uns trennten, konnte ich nicht ahnen, dass dieser den Besuch und das zwischen Blomberg und mir geführte Gespräch dem österreichischen

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Presseattaché Herrn Benjamin Schier, mitteilen und dieser die Geschmacklosigkeit haben werde, ohne vorausgehender Anfrage bei mir, ganz aus dem Zusammenhange gerissen, nach Wien zu depechieren, Gl. Blomberg habe es begrüßt, dass Österreich seinen Soldaten anstelle der bis vor Kurzem noch getragenen deutschen, die altösterreichische Uniform gegeben habe. Diese Nachricht, in großer Aufmachung in der österreichischen Presse gebracht, war eine Taktlosigkeit, die Gen. v. Blomberg in seinem Verhältnis zu Hitler peinlich sein musste. Die Antwort in der deutschen Presse blieb auch nicht aus. Interessant war dabei, dass Blombergs tatsächlich gemachte Äußerung vollständig abgeleugnet wurde, was die Gefahr einer Pressepolemik heraufbeschwor. Nachdem ich dem Presseattaché meine Meinung unverhohlen ausgedrückt hatte, beschloss ich, die Sache durch eine offizielle Entschuldigung bei Blomberg aus der Welt zu schaffen, womit Tauschitz einverstanden war. So warf ich mich wieder in den Paradeanzug und ging zunächst zum Chef des Wehrmachtsamtes, dem damaligen Obst. v. Reichenau608, und mit diesem zu Gen. v. Blomberg. Beiden Herren legte ich dar, dass ich keinen Vertrauensbruch begangen hätte, und erzählte offen die Ungeschicklichkeit unseres Presseattachés  ; weiters sagte ich, dass Veranlassung getroffen wurde, damit österreichischerseits keine Pressepolemik infolge der Ableugnung der tatsächlichen Äußerung in der deutschen Presse entstehe, und erbat Gleiches auch für die deutsche Presse. Da sich beide Herren trotzdem noch verschnupft zeigten, verschärfte ich meine Sprache  : Ich sagte jedem einzeln, dass nach den seit je in der österreichischen Armee gültigen Ehrenregeln durch meine rasch und offiziell vorgebrachte Entschuldigung für eine Entgleisung, die ich selbst gar nicht verschuldet hätte, alles geschehen sei, was ein Ehrenmann in solcher Sache tun könne. Darauf sagte jeder der Herren Dank für mein Kommen und dass auch ihrerseits die Geschichte als erledigt angesehen werde. Trotzdem begegnete ich in der Folge bei meinen Besuchen beim Oberbe­ fehlshaber des Heeres Gen. v. Hammerstein-Equord609, dem Chef des Trup608 Über Walter v. Reichenau (1884–1942, tödlicher Schlaganfall beim Lufttransport in die Heimat) siehe die Daten bei Glaise-Broucek II, S.  222. Anm. 18. Reichenau war seit 1.2.1933 GM und Chef des Ministeramtes im Reichswehrministerium, das ab 13.2.1934 Wehrmachtsamt hieß, ab 1.10.1935 Kdi. Gen. VII. AK (München), OB 10. Armee bei der Besetzung des sog. „Sudetenlandes“, Dez. 1941 OB. HGr. Süd. 609 Kurt Frh. v. Hammerstein-Equord (Hinrichshagen, Mecklenburg-Strelitz, 26.9.1878–24.4.1943, Berlin), Dienst in der preußischen Armee im 3. Garderegiment zu Fuß, 1919 im Stab des Reichswehrministers Noske, 1920–1922 Chef des Stabes beim Gruppenkommando 2 in Kassel, 1924–1929 beim Wehrkreiskommandos III, 1929 GM und ab Herbst Chef des Truppenamtes (= Tarnbezeichnung für den Generalstab), als solcher arbeitete er eng mit seinem Freund Schleicher zusammen und unterstützte dessen Politik, die auf eine „Zähmung“ der NSDAP, nach Möglichkeit durch Beteiligung an gouvernementaler Verantwortung, abzielte. Auch Hammerstein vertrat dabei die Auffassung, dass unter Beibehaltung einer parteipolitisch unabhängigen Reichswehrführung die Kontrolle einer nationalsozi-

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penamts, Gen. Adam610, sowie beim Oberbefehlshaber der Marine, Admiral alistisch geführten Reichsregierung möglich sein müsste. Die Vorgänge, die zum 30.1.1933 führten, der Wechsel in der Reichswehrführung von Schleicher zu Blomberg und Reichenau sowie das Gebaren des neuen Regimes belehrten ihn jedoch eines anderen. Nach wie vor Gegner des Nationalsozialismus und ursprünglich von Schleicher zum Bleiben bewogen, verlor H. zusehends den Rückhalt bei der Truppe, die, apostrophiert als eine der „Säulen“ des erneuerten Reiches, gefühlsmäßig zu Hitler und Blomberg hinneigte. Zum 31.1.1934 erbat er resignierend den Abschied, erhielt den Charakter als Generaloberst und übergab sein Amt an den GdA. Frh. v. Fritsch … Er blieb in Kontakt mit den Generälen Beck und Halder, fand Verbindung zu Goerdeler und der sich zusammenschließenden Widerstandsgruppe und zeigte sich im Sept. 1939 als Oberbefehlshaber der Armee-Abteilung A im Westen entschlossen, an einer Verhaftung Hitlers mitzuwirken, falls dieser seinem Frontabschnitt einen Besuch abstatten sollte. [Im Oktober 1939 Mobilmachungsverwendung aufgehoben] (Siehe Thilo Vogelsang, HammersteinEquord, in  : Neue Deutsche Biographie, 16. Bd.) Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger schrieb das Buch  : Hammerstein oder Der Eigensinn. Eine Deutsche Geschichte, Frankfurt am Main 2008. In diesem Buch bedient er sich des Mittels der „postumen Unterhaltungen“, in denen er Personen wie Schleicher, Hammerstein oder die Österreicherin Ruth v. Mayenburg, eine Teilnehmerin am Schutzbundaufstand von 1934, kommunistische Agentin und Verfasserin mehrerer Autobiografien „befragt“, andererseits neue Quellen über das erste Zusammentreffen des Parteiführers Adolf Hitler mit führenden Reichswehroffizieren vorstellt. 610 Wilhelm Adam (Ansbach, 15.9.1877– 8.4.1949, Garmisch-Partenkirchen), 19.7.1897 als Fhj. in die Bayerische Armee, Eisenbahn-Bataillon, 10.3.1899 Lt., Herbst 1907–1910 bayer. Kriegsakademie, ab 1914 Glstbsoffz. beim AOK Falkenhausen, 14.12.1917 Mjr., Übernahme in die Reichswehr, Bataillonskommandeur, 1.10.1929 Chef des Stabes des Gruppenkommandos 1, später Divisionsgeneralstabschef der 7. Reichswehrdivision, 1928 wieder Regimentskommandeur, 1.2.1930 GM, 1.10.1930 Chef des Truppenamtes (TA) im Reichswehrministerium, 1.10.1933 Kdr. 7. Reichswehrdivision, 1.10.1934 Befehlshaber im Wehrkreis VII (München), 1.4.1935 GdI., bei der Enttarnung Kdi.Gen. VII.Armeekorps, 1.10.1935 Kommandeur der Wehrmachtsakademie, 1.3.1938 OB Gruppenkommando 2, 15.11.1938 z.V. gestellt, 31.12.1938 Ruhestand, 1.1.1939 zum Generaloberst z.V. charakterisiert. Was war die Reichswehr  ? Von Ebert bis Hitler (1919–35  : ein Glossar), in  : Die Zeit Nr. 11, 7.3.1997, S.  17  : Die Wehrmacht der Deutschen Republik ist die Reichswehr (Paragraph 1, Reichswehrgesetz 23.3.1921), Reichsheer  : 100.000 Berufssoldaten, davon 4.000 Offiziere (verpflichtet auf mindestens 25 Jahre), Unteroffiziere und Gemeine (12 Jahre). Reichsmarine  : 15.000 Mann, davon 1.500 Offiziere. Vereidigungsformel  : Bis 1934 Schwur „Treue der Reichsverfassung“, Gliederung  : 7 Infanterie-Divisionen (84.000) Mann in sieben Wehrkreisen plus drei Kavallerie-Divisionen (15.000) und tausend Stabs- und Verwaltungsangehörige. Eine Infanterie-Division hatte drei Regimenter, ein Regiment drei bis fünf Bataillone. Ausbildungsziel  : Jeder Angehörige sollte fähig sein, die nächsthöhere Funktion zu übernehmen. Oberbefehlshaber  : Die Reichspräsidenten Ebert bzw. Hindenburg (1925–1934), bzw. Hitler seit 1934. Reichswehrminister  : Noske 1919/20, Geßler (1920–1928), Schleicher (1932/33), Blomberg (1933–1935). Chef der Heeresleitung (Verwaltungs- und Kommandobehörde im Reichswehrministerium) Generalmajor Reinhardt (1919/20), die Generäle von Seeckt (1920–1926), Heye (1926–1930), von Hammerstein-Equord (1930–1934), Frh. v. Fritsch (1934/35), Chefs des Truppenamtes (Generalstab)  : von Seeckt (1919–20), Heye (1920–1922), Hasse (1922/23), Wetzell (1926/27), Blomberg (1927–1929), v. Hammerstein–Equord (1929/30), Adam (1930–1933), seit 1933  : Beck. Adam war jener Befehlshaber im Wehrkreis VII, dem Hitler am 25.7.1934 vormittags den Befehl gab, wie vorgesehen Waffen für das Eindringen der Österreichischen Legion bereitzustellen. Adam wartete

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Raeder611, kühler Zurückhaltung, was ich gut begriff. Hingegen war meine Aufnahme im Luftfahrtministerium durch Gen. Milch612 herzlich und kameradschaftlich. Zu einer Vorstellung beim Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Göring613, kam es nicht  ; Milch sagte mir, Göring habe keinen der Waffenattachés empfangen und könne auch bei mir keine Ausnahme machen. Beim Eintritt ins Luftfahrtministerium musste ich auf einer großen, mitten in den Weg zum Stiegenaufgang gestellten Tafel lesen  : „In diesem Hause wird nur mit Heil Hitler gegrüßt“  ; das war auffällig genug, hat mich jedoch weder in diesem Haus noch an einem anderen Ort jemals bewegen können, die Worte „Heil Hitler“ auszusprechen oder den Arm zum „deutschen Gruße“ zu erheben. Im Auswärtigen Amt lernte ich, durch unseren Gesandten eingeführt, Baron Neurath614, Staatssekretär Weizsäcker615, Ministerialdirektor Köpke und Herrn Altenburg616 auf weitere Befehle, die Hitler bei einem 2. Telefonat zusagte, sich aber dann nicht mehr meldete. Auch Hitler sprach von einer Erhebung des Bundesheeres gegen Dollfuß. 611 Über Erich Raeder (1876–1960) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 278. Admiral Raeder war Okt. 1928–30.1.1943 Chef der Marineleitung der Reichswehr bzw. OB d. Kriegsmarine. 612 Über Erhard Milch (1892–1972) siehe die Daten bei Glaise-Broucek II, S. 57, Anm. 42. Milch war 1933–1944 Staatssekretär im Reichs-Luftfahrtministerium bzw. 1938–1945 Generalinspekteur der Dt. Luftwaffe. Seine letzte Einschätzung  : Horst Boog, Der Architekt der Luftwaffe. In  : DAMALS, 41. Jg, Heft 2/2009, S. 28–33. 613 Über Hermann Görings (1893–1946) Beziehungen zu Österreich siehe Glaise-Broucek II, Register. Kampfflieger und Kriegsheld 1. Weltkrieg, 1923 beim Hitler-Putsch Minister ohne Portefeuille, April 1933 preuß. Ministerpräsident, Mai 1933 Reichsminister der Luftfahrt. 614 Über Konstantin Frh. v. Neurath (1873–1956) siehe die Daten bei Glaise-Broucek II, S. 57, Anm. 13. Er war 2.6.1932–4.2.1938 Reichsaußenminister, sodann Reichsminister ohne Geschäftsbereich. 615 Ernst Frh. v. Weizsäcker (Stuttgart, 12.5.1882– 4.8.1951 Lindau am Bodensee), 1900–1918 Marineoffizier, 1920 Eintritt ins Auswärtige Amt, Diplomat in Basel, Kopenhagen, Genf, Oslo und Bern, 1936 Leiter der Politischen Abteilung im Auswärtigen Amt, Frühjahr 1938 Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Über ihn  : Rainer A. Blasius, Für Großdeutschland – gegen den großen Krieg. Staatssekretär Ernst Frh. v. Weizsäcker in den Krisen um die Tschechoslowakei und Polen 1938/39, Köln-Wien 1981. Daraus folgende Zitate  : S. 20, Anm. 72  : „Was haltet Ihr eigentlich von dem Anschlußrummel in Österreich…Und wollen wir uns in Zukunft ganz katholisch regieren lassen  ?“ Aufzeichnungen Anfang 1937  : „Man kann als Ziel höchstens ganz allgemein an ein föderatives Großdeutschland denken, das Ostpreußen (durch den bisherigen Korridor) mit Deutschland wieder direkt verbände, Österreich und das Sudetendeutschtum nahe an uns anschlösse …“ Blasius, S. 20  : „Allerdings sollten Österreich und das nach dem Ersten Weltkrieg der Tschechoslowakei zugeschlagene deutsche Siedlungsgebiet eine gewisse Eigenständigkeit behalten, weil Weizsäcker ‚entschieden protestantisch‘ war und eine überwiegend katholische Bevölkerung innerhalb des Reiches ihm nicht wünschenswert erschien.“ 616 Über Günter Altenburg (Königsberg, 5.6.1894–23.10.1984, Bonn) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 450, Anm. 22. Er war Jan. 1934–Dez. 1934 Gesandtschaftsrat in Wien, sodann 1935–1939 vortragender Legationsrat und Leiter des Referats IV b (Österreich u. ČSR). Auf die Initiative von Bundeskanzler Seyss-Inquart und General Muff in Wien geht die Aktion in der Nacht vom 11.3. auf den

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kennen. Die beiden letzteren waren speziell mit Österreich-Angelegenheiten befasst. Sodann versuchte ich, meine deutschen Freunde und Kameraden aus dem ersten Weltkriege ausfindig zu machen, die mit Ausnahme des Obersten Joachim v. Stülpnagel617 und des seinerzeitigen österreichischen Kampffliegers Heyrowski618, der nun deutscher Fliegeroffizier im Luftfahrtministerium geworden war, leider durchwegs nicht mehr im aktiven Heeresdienst standen. Somit musste ich Geduld aufbringen, um langsam ein neues Vertrauensverhältnis aufzubauen. Stülpnagel war der alte zuverlässige Kamerad aus unserer gemeinsamen mazedonischen Zeit geblieben. Er war mit dem revolutionären Geschehen in Deutschland – trotz begreiflicher Zurückhaltung in seinen Äußerungen – offenkundig nicht einverstanden, hoffte, dass Göring als alter Offizier vieles wieder ins Lot bringen werde, und öffnete mir den Weg zu seinem Vetter, der als Redakteur in der Börsenzeitung tätig war. Der Besuch bei diesem Mann war mir willkommen, weil die Börsenzeitung in besonders gehässiger Weise gegen Österreich schrieb. Als ich diesen erst kürzlich in Ruhestand getretenen General aufsuchte, fragte er mich kurzerhand, was mich zu ihm führe. Da sagte ich ihm ebenso kurz und bündig, dass ich die Schreibweise seiner Zeitung gegen Österreich abscheulich fände und nicht verstehen könne, dass ein Offizier eine viereinhalbjährige Waffenkameradschaft im Krieg so ganz beiseite schiebe. Stülpnagel antwortete ungefähr, dass Preußen und Österreich immer 13.3.1938 und deren Ausführung durch Weizsäcker und Altenburg in Berlin zurück, Hitler wecken zu lassen und ihm vorzuschlagen, den Einmarschbefehl zu widerrufen. Hitler wurde geweckt und hat befohlen, den Dingen ihren Lauf zu lassen, also die von ihm autorisierten Befehle durchzuführen. 617 Joachim v. Stülpnagel (Glogau, Schlesien, 5.3.1880–17.5.1968, Oberaudorf, Bayern), aus Kadettenschule 15.3.1898 zum 1. Gardergt. zu Fuß, 1904 1. Hessisches Leibgarde-Inf. Rgt. Nr. 115 in Darmstadt, 1906–1910 Kriegsakademie, dann Großer Generalstab, 22.3.1912 Hptm., im 1. Weltkrieg Glstbsstellen, Übernahme in die Reichswehr, 1.6.1921 in der Reichswehr im Truppenamt, Abteilung T 1, ab 1.2.1926 Rgtskdr., 1.2.1927 Chef des Heerespersonalamtes, 1.4.1.1928 GM, 1.10.1929 Befehlshaber im Wehrkreis III und Kdr. der 3. Reichswehrdivision, 31.10.1931 vorzeitig wegen politischer Meinungsverschiedenheiten verabschiedet, charakterisiert als GdI., 1936 Gründung des Verlages „Die Wehrmacht“, 1939 kurzzeitig reaktiviert, 1943 wurde sein Verlag enteignet, 16.8.1944–Nov. 1944 in Haft. 618 Adolf Heyrovski, später Heyrowski (Murau, Steiermark, 18.2.1882–1945,  ?), aus der IKSch. Prag 18.8.1882 zum IR 90 ausgemustert, 1.5.1904 Lt., zeitweise in Sarajevo in Garnison, 9.11.1911 bei Militärgebäudeverwaltung 44, 1.5.1912 Frequentant des Flugmaschinenkurses, 1.12.1912–1.5.1913 Frequentant des Feldpilotenkurses und sodann eingeteilt bei den Flugparks 2, 8l, 13 u. 15, bis 1914 Felddienst beim IR 27, zuletzt am Isonzo 1.1.1915 Hptm. 1916/17 Kdt. Fliegerkomp. 19. Er wurde nach dem Weltkrieg in die Reichswehr übernommen und im Reichswehrministerium eingeteilt. Möglicherweise war er für die Reichswehr deshalb interessant, weil er 1918 eine Taktik der Schlachtenflieger entwickelt hatte. Im 2. Weltkrieg erreichte Heyrowski den Rang eines Obersten und wurde noch während des Krieges verabschiedet.

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Feinde gewesen seien, man daher gar nicht scharf genug gegen Österreich schreiben könne. Das veranlasste mich zu der Replik, dass die größten Feinde und Zerstörer der deutschen Einheit in Preußen gewesen waren  : Luther, Friedrich II. und Bismarck  ! Darauf trennten wir uns ohne Wunsch auf ein Wiedersehen. Als ich darauf Joachim v. Stülpnagel von der Begegnung mit seinem Vetter Mitteilung machte, meinte er bedauernd, dass die Politik nun leider auch die Familien auseinanderreiße. Durch die folgenden Besuche bei einzelnen Gesandten, bei meinen militärischen Kollegen, den dabei gepflogenen Gesprächen und durch eigene Beobachtungen gewann ich ein bedrückendes Bild. Die Machtergreifung durch den Nationalsozialismus war in vollem Gange, war Hitler ja erst Anfang 1933 Reichskanzler geworden. Jedes kleinste Bierhaus war Sitz einer SA-Formation, überall in den Straßen hörte man das Aufstampfen ihrer Stiefel. Ich wurde mehrfach Zeuge von Anpöbelungen von Bürgern, die ruhig lesend oder sprechend auf den Kaffeehausterrassen am Kurfürstendamm saßen. Madame Dinichert, die Gemahlin des Schweizer Gesandten, erzählte mir eines Tages ganz empört, dass sie am Abend vorher aus einem Saale der Philharmonie, in dem Schweizer Künstler ein Wohltätigkeitskonzert geben sollten, mit anderen Besuchern in gröbster Weise von SA-Leuten hinaus gestoßen und einzelne protestierende Besucher verprügelt worden waren. Auf die sofortigen Schritte ihres Mannes sei mit der Erklärung um Entschuldigung gebeten worden, dass die SA sich geirrt habe  ; es sollte das im Nebensaale von einem jüdischen Dirigenten geleitete Konzert gestört werden. Über Nacht verschwanden Menschen, die von der Gestapo geholt wurden, darunter ein mir persönlich bekannt gewordener Beamter des Auswärtigen Amtes. Das Gefühl der Unsicherheit und Rechtlosigkeit griff um sich. Einer Einladung des österreichischen Obstlt. Grafen Üxküll-Gyllenband619 folgend, der als Güterverwalter in Berlin lebte und mit einer deutschen Gräfin vermählt war, verbrachten meine Frau und ich einen Nachmittag in seinem Haus. Üxküll, ein Mitglied der Tafelrunde österreichischer Offiziere, zeigte mir stolz das Bild des Kaisers Franz Joseph I. und anderer Mitglieder des Kaiserhauses an der Wand, sodass meine Frau und ich mich in einem gut österreichisch gesinnten Hause glaubten. Als das Gespräch – wie das ja in Berlin üblich war – auf die Tagespolitik kam, äußerte ich meinen Abscheu über den Hass Hitlers gegen das Haus Habsburg und die Stadt 619 Über Nikolaus Grf. Üxküll-Gyllenband (Güns/Köszeg, Ungarn, 14.2.1877–14.9.1944, Berlin-Ploetzensee) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 437, Anm. 486. k. u. k. Obstlt.i.G. 1.1.1919 pensioniert, lebte als Geschäftsmann in Berlin, diente im 2. Weltkrieg in der Dt. Wehrmacht, zuletzt Obst. z.b.V. im Stellv. Generalkommando III. AK. Er war Onkel des Obst.i.G. Klaus Graf Schenk v. Stauffenberg und wurde von Fritz Ditlof Graf v.d. Schulenburg gegen den Nationalsozialismus eingenommen. Er gehörte zuletzt dem engeren Kreis der Verschwörer gegen Hitler als politischer Beauftragter für den Wehrkreis Böhmen-Mähren an.

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Wien, erzählte von den Terroraktionen der Nazis in Österreich, von ihrer weder auf Frauen, noch auf Kinder Rücksicht nehmenden Brutalität und gab schließlich meiner Überzeugung Ausdruck, dass Hitler das deutsche Volk in namenloses Unglück führen werde, weshalb Österreich von ihm und seiner Partei nichts wissen wolle. Die Verabschiedung erfolgte seitens Üxkülls herzlich und kameradschaftlich, seitens seiner Frau mit kühler Höflichkeit. Der Gegenbesuch bei uns wurde für einen der nächsten Tage vereinbart, dann aber von Üxküll telefonisch verschoben. Auf meine Frage nach der Ursache antwortete er mit der Absicht, mich in der Gesandtschaft zu besuchen. Dort erklärte er mir dann in großer Verlegenheit, dass er der alte Österreicher geblieben sei, seine Frau aber als glühende Nationalsozialistin über meine Ansichten empört war und deshalb den Besuch nicht erwidern wolle. Ich möge seine schwierige Lage würdigen und ihn weiter als den alten treuen Kameraden betrachten. Ich nahm diese Mitteilung bedauernd zur Kenntnis. Täglich konnte ich Eindrücke der Charakterschwäche gewinnen, und der „deutsche Blick“, das war das ängstliche Umsichschauen bei einer Begegnung und einem Gespräch, ob kein Lauscher oder Angeber in der Nähe sei, ergänzte das üble Bild. Spät abends kamen auch Männer von Distinktion ganz verstört in meine Wohnung, um Rat zu holen  ; die einen wiesen das ihnen zugestellte Femezeichen (ein Metallplättchen mit dem Relief einer Hand) vor und baten um Schutz, andere baten, die Nacht bei uns verbringen zu können, da sie sich daheim vor den Zugriffen der Gestapo bedroht fühlten. Ich half, so gut wie möglich, meist durch eine rasche Passbeschaffung über die eigene Gesandtschaft oder über meine militärischen Kollegen anderer Staaten. Dabei muss ich anerkennend sagen, dass die Hilfsbereitschaft und das Erbarmen mit den gehetzten Menschen allseits sehr groß waren. Allerdings gab es nicht nur Unangenehmes. So hatte ich eine wahre Herzensfreude, wenn das Wachregiment durch Berlin marschierte  ; die prächtige Haltung und Präzision in allen Bewegungen waren wirklich sehenswert. Wie stolz eine Bevölkerung auf ihre Soldaten sein konnte, erfuhr ich erst in Berlin. Als meine Frau und ich an einem Sonntag über die meinem Geschmack nach viel zu breite Straße „Unter den Linden“ gingen, nahmen wir vor dem Ehrenmal eine Menschenversammlung wahr. Wir suchten, was es zu sehen gab, aber außer dem großen Wachposten war nichts Auffälliges zu bemerken. Nach einer Weile fragte ich einen Berliner, was hier zu sehen oder erwarten sei. Mir wurde geantwortet, dass der Wachposten doch sehenswert sei  ! Ähnliches hatte ich in Wien nur in der kaiserlichen Zeit auf der Burghauptwache erlebt. Na, und die Geschäftsauslagen mit Ordensdekorationen waren, besonders für SA-Leute, ganz große Attraktionen  ; jeden Tag standen die mit begehrlichen Blicken davor. Wie stark und groß das Interesse an der Wehrfähigkeit war, konnten wir an den Sonntagen ermessen, an denen uns der Gesandte zu Überlandfahrten in seinem Auto

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mitnahm. Überall sahen wir im Gelände übende SA- und Stahlhelmformationen ohne Waffen. Die märkische Landschaft mit ihrem herben Reiz verfehlte nicht ihren Eindruck auf uns und regte zu Vergleichen mit der ungarischen Tiefebene an. So fuhren wir einmal nach Bad Saarow im Osten Berlins620, wo eine dem Gesandten bekannte Kärntnerin mit einem geistig überaus hochstehenden Anthroposophen, Dr. Bartsch, verheiratet war. Dieser hatte einen vernachlässigten landwirtschaftlichen Besitz durch eine spezielle Wirtschaftsweise ganz erstaunlich hochgearbeitet. Meine Frau, selbst eine verständige und interessierte Landwirtin, bat Bartsch um Erläuterung seiner Wirtschaftsform. Da hielt er uns nach dem Essen einen tiefschürfenden Vortrag über die wissenschaftlichen, von Rudolf Steiner621 dargelegten Grundlagen der biologisch-dynamischen Landwirtschaft im Vergleich mit der sonst überall angewandten Kunstdüngerei und deren Auswirkungen auf Volksernährung, Volksgesundheit, Ethik in der Erziehung bis zur Behandlung landwirtschaftlicher Arbeiter. Tief beeindruckt nahmen wir einen großen Wissensschatz mit, der uns lange Zeit hindurch immer wieder beschäftigte. Die wunderbaren Kunstschätze Berlins, besonders die Schliemannschen Ausgrabungen, der Pergamon-Altar und die Gemäldesammlungen ebenso wie die durch ihr vieles Wasser sehr reizvolle Umgebung Berlins erfüllten unsere freien Stunden mit viel Anregung und großer Hochachtung vor den zähen Leistungen, welche diesem kargen Boden in Jahrhunderten so viel abgerungen hatten. Umso problematischer erschien uns beim Lesen, Erwägen und Durchsprechen der Bestrebungen des Nationalsozialismus eine Synthese zwischen der Vergangenheit und der augenblicklichen Zielsetzung. Einmal fanden wir Gelegenheit den „Führer“ im Sportpalast sprechen zu hören, und waren tief erschrocken, nicht etwa über das, was jener „Führer“ vorbrachte, sondern über die gläubigen, fast verklärten Mienen, mit 620 Bad Saarow-Pieskow, Ort am Scharmützelsee, südöstlich von Fürstenwalde. 621 Rudolf Steiner (Donji Kraljevec, Kroatien, 27.2.1861–30.3.1925, Dornach bei Basel, Schweiz), Begründer der Anthroposophie, war 1889 bis 1896 Mitarbeiter an der Weimarer Goethe-Ausgabe, 1913 gründete er die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft. In Dornach errichtete er als „Hochschule für Geisteswissenschaften“ das Goetheaneum in neuen Bauformen. Prominentester Anhänger seiner Lehre unter den Militärpersonen war der (deutsche) Chef des (Großen) Generalstabes Helmuth Graf Moltke d.J. Siehe  : Thomas Meyer (Hg.), Helmuth von Moltke 1848–1916. Dokumente zu seinem Leben und Wirken, Band 2  : An Eliza von Moltke und Helmuth von Moltke gerichtete Briefe, Meditationen und Sprüche von Rudolf Steiner 1904–1915. Briefe von Rudolf Steiner und Helene Röchling an Eliza von Moltke. Durch Rudolf Steiner vermittelte Post-mortem-Mitteilungen Helmuth von Moltkes für Eliza von Moltke 1916–1924 mit einem einleitenden Essay von Johannes Tautz, Basel 1993. Aus neuerer Literatur geht aber auch hervor, dass sowohl Reichskriegsminister Blomberg als auch der deutsche Militärattaché Generalleutnant Wolfgang Muff sowohl von der Anthroposophie als auch vom Volkstumsgedanken besonders beeindruckt waren.

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denen unsere Sitznachbarn, meist hochgestellte Persönlichkeiten, an seinen Lippen hingen. Nachher steigerte sich unser Erschrecken zur Beklommenheit, als wir mit unserem klugen Gesandten das Gehörte durchsprachen und meine geistvolle Frau mit fast hellseherischer Intuition die leere Demagogie so vieler Behauptungen und Versprechungen Hitlers aufzeigte. Im August 1933 waren die Waffenattachés auf den Schießplatz Unterlüß in der Lüneburger Heide geladen, wo die Rheinmetallwerke ein wenig glücklich konstruiertes Panzerabwehrgeschütz vorführten, dem unser österreichisches, in Zusammenarbeit mit der Schweiz entwickeltes 4,7-cm-Panzerabwehrgeschütz wesentlich überlegen war. Diese Vorführung blieb belanglos gegenüber der Möglichkeit, dass die Waffenattachés in zweitägigem Beisammensein ihre Eindrücke und Erfahrungen über das Geschehen in Deutschland austauschen konnten. Als Ergebnis ließ sich damals zusammenfassen  : Misstrauen zwischen Heer und Partei, in geringerem Maße zwischen Marine und Partei, während die neue Luftwaffe ganz im Sinne der Partei aufgebaut wird  ; aber auch Spannungen innerhalb des Heeres zwischen den die Partei bejahenden Persönlichkeiten, z. B. Blomberg und Reichenau, und anderen hohen Offizieren  ; Ansätze einer beginnenden starken Rüstung, bei der Obst. Guderian622 für die Schaffung einer Panzerwaffe deutlich hervortritt  ; und schließlich starkes Vordrängen alter, nichtaktiver Offiziere zu ihrer Einstellung in die Wehrmachtteile. Inzwischen war vom Schweizer Generalstab eine Einladung zur Teilnahme am Manöver der 2. Division zwischen Bieler und Neufchâteler See auf Anfang September gekommen. Das ließ sich gut mit meiner Absicht, einen Antrittsbesuch in der Schweiz zu machen, verbinden. Die Reise konnte ich aber nur dadurch bedecken, dass ich, dem I. Wagenklasse und Schlafwagen bezahlt wurden, mit meiner Frau in der III. Wagenklasse fuhr. Die Beschwerlichkeit der langen Reisen auf Holzsitzen suchte ich dadurch zu erleichtern, dass wir nur bei Tage fuhren und dafür einmal in Frankfurt, München oder Stuttgart Station machten, um diese Städte zu besehen. In Frankfurt hatten wir einmal das Glück, von einem kunstsachverständigen Professor geführt zu werden, der uns anhand von Goethes „Dichtung und Wahrheit“ nicht 622 Heinz Guderian (Kulm, Westpreußen, 17.6.1888–15.5.1954, Schwangau bei Füssen), 28.2.1907 als Fhj. ins preuß. Heer, 1913 zur Kriegsakademie kommandiert. Im 1. Weltkrieg ab 1917 in Stabsstellungen, 1.10.1928 T 1 des Truppenamtes, bezog 1929 während einer Truppenübung erstmals eine Panzerdivision mit ein, 1.2.1930 Kdr. 3. (Preußische) Kraftfahrabt., 1.4.1933 Obst., 15.10.1935 Kdr. der neu gebildeten 2. PzDiv. in Würzburg, 1.2.1938 Glt., 4.2.1938 Gen. d. Panzertruppen, 20.11.1938 Chef der Schnellen Truppen im OKH, 20.7.1944 betraut mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Chefs d. Glstb., in dieser Stellung auch Mitglied des Ehrenhofes bezüglich des Anschlages v. 20.7.1944, ab 28.3.1945 1945–1948 amerikan. Kgf. Die erste größere Erprobung der deutschen Panzerwaffe unter Guderian war der Einmarsch in Österreich, allerdings mit 30 % Ausfällen und zahlreichen logistischen Pannen. (Kenneth Macksey, Guderian der Panzergeneral, Düsseldorf/Wien 1975, S. 107).

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nur alles an den Dichter Erinnerungswürdige zeigte und erläuterte, sondern auch die Kaiserkrönung Franz’ v. Lothringen, des Gemahls der großen Kaiserin Maria Theresia, an Ort und Stelle wiedererleben ließ. Meine für Literatur, Kunst und Geschichte empfängliche Frau war von dieser Führung so beglückt, dass wir den Professor zum Abendessen in ein von ihm zu bestimmendes Restaurant luden, wo wir zusammen einen sehr angeregten Abend verbrachten. Große Freude empfanden wir auch darüber, dass unser Führer für die „Segnungen“ des Nazitums nichts übrig hatte. Nach Überschreiten der Schweizer Grenze hielten meine Frau und ich uns kurz in Basel auf, um die Steinersche Hochschule für Geisteswissenschaft in Dornach623 anzusehen. Die Typen dort studierender Jugend ließen unser von Dr. Bartsch gewecktes Interesse rasch erkalten. Wir fuhren weiter nach Bern und kamen uns wie in einem Wunderland vor  : freundliche, unbeschwerte Menschen mit freier Sprache, keine Papierböller und sonstige Terrorakte wie in Wien und keine Verkrampfungen mit „deutschem Blick“ und „deutschem Gruß“ wie in Berlin. Im Hotel Beau Site abgestiegen, genossen wir den überwältigend schönen Blick über die Aare zur Blümlisalp, dem Finsteraarhorn, dem Eiger und allen anderen Herrlichkeiten. Wir wurden überall herzlich wie alte Freunde aufgenommen. Im Generalstab teilte mir Obstlt. Dubois spontan mit, ich könne alles in allen Einzelheiten sehen, mit Ausnahme des Festungsraumes um den Gotthard624. Ich konnte die großartige Raschheit der Schweizer Mobilmachung beobachten  : 2 Stunden nach dem befohlenen Einrückungstermin waren die Bataillone und, glaube ich, nach 3 Stunden auch die Batterien und Schwadronen marschbereit, weil die Milizsoldaten Bekleidung, Ausrüstung, Handfeuerwaffen und Pferde bei sich daheim hatten, nach der Einrückung also nur die Munition empfingen. Die Disziplin war hart und scharf. Die Offiziere zeigten sich voll auf der Höhe und von einem patriotischen Opfersinn erfüllt, um den ich die Schweiz nur beneiden konnte. Da war z. B. ein Regimentskommandant, zivil als Rechtsanwalt in Paris tätig, der das Personal für die Standesführung und die auch in der Schweiz große administrative Schreibarbeit auf eigene Kosten nach Paris nahm  ; da war als Präsident der Offiziersgesellschaften, die sich seit einem Jahrhundert die Perfektionierung des militärischen Könnens im nichtaktiven Verhältnis, aber auch die gewichtige Stellungnahme zu allen Fragen der Landesver623 Dornach ist Bezirkshauptort im Kanton Solothurn, Schweiz. In der Nähe des Ortes befindet sich das „Goetheaneum“, eine sogenannte Freie Hochschule für Geisteswissenschaften. Gelehrt wird dort der von Rudolf Steiner begründete und aus der „Theosophie“ hervorgegangene Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltall führen möchte. 624 Der St.-Gotthard-Pass verbindet das Tal der Reuss mit dem Tessin. Zur Verteidigung gegen Italien gibt es dort die größte Festung bzw. Sperre der Schweizerischen Armee.

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teidigung zum Ziel gesetzt haben, der über die Landesgrenzen hinaus bekannte Arzt Dr. Bircher625, der als Brigadier militärwissenschaftliche Arbeiten in einer Güte und Vielzahl verfasste, die das bewundernde Staunen ausländischer Offiziere erregten  ; da war die fast allgemein gute Beherrschung der drei Sprachen Deutsch, Schwyzerdütsch und Französisch, hierzu vielfach noch Englisch und Italienisch. Alles war durchpulst von strenger Pflichterfüllung, nicht nur in der Vorbereitung für den Krieg, sondern auch von fast unfassbar rascher Einsatzbereitschaft zur Herstellung der Ruhe und Ordnung im Inneren, wie ich das vor einem halben Jahre in Genf anlässlich der Niederwerfung des vom Kommunisten Nicola angezettelten Aufruhrs hatte beobachten können. Dass dem Schweizer Generalstab die scharfe Einheitlichkeit des österreichischen oder deutschen fehlte, lag an der Ausbildung seiner Offiziere an verschiedenen ausländischen Kriegsakademien. Im Ganzen waren aber die Schweizer Wehrorganisation und das Heer Kraftfaktoren, die unbedingten Respekt erzwangen, was beide Weltkriege schlagend bewiesen haben.626 Unseren damaligen Gesandten Herzfeld627 empfand ich vom ersten Begegnen an als liebenswerte, treu österreichische Persönlichkeit. Während meines Aufenthaltes in Bern 1933 fand in Wien gerade der Katholikentag statt, anlässlich dessen Dr. Dollfuß in seiner schwungvollen Art am Trabrennplatz den Umbau der österreichischen Verfassung in eine ständische, im Sinne der päpstlichen Enzyklika „Quadragesimo anno“ ankündigte. Ich verschlang die Zeitungsnachrichten und orientierte mich beim Gesandten über den wesentlichen Inhalt dieser Enzyklika. Es wollte mir scheinen, dass die durch verschiedenen Terror lahm gewordene Demokratie der 1. Republik im Ständestaat eine gute Lösung zum Wohle des Volksganzen erfahren könnte, was angesichts der Bedrohung Österreichs durch den Nationalsozialismus und des eingetretenen Staatsnotstandes von größter Bedeutung war. Ich tat Herzfeld und eigentlich auch allen Personen, mit denen ich ins Gespräch kam, meine hohe Einschätzung der Persönlichkeit Dollfuß’ kund und versicherte, dass es ihm gelingen werde, die über625 Dr. Eugen Bircher (Aarau, Schweiz, 17.2.1882–20.10.1956 Aarau), schweizerischer Chirurg und Militärschriftsteller, 1935–1942 Kommandant einer Division. Arbeiten über Kniegelenk- und Kopfchirurgie sowie aus der Kriegsgeschichte, verdient um die Tuberkulosebekämpfung in der Schweiz. 626 Siehe dazu  : Jon Kimche, General Guisans Zweifrontenkrieg. Die Schweiz zwischen 1939 und 1945 (= Ullstein-Buch Nr. 587), Frankfurt am Main 1967  ; Stefan Schäfer, Hitler und die Schweiz. Deutsche militärische Planungen 1943–1945 und die „Raubgold“-Frage, Berlin 1998. 627 Emmerich (Ritter v.) Herzfeld (Smyrna, Osmanisches Reich, türk. Izmir, 15.7.1880–19.10.1941, Wien), nach Absolvierung der Konsularakademie und der Gerichtspraxis Eintritt 1906 in den diplomatischen Dienst als Konsul in Canea, Kreta, 1913 in Üsküb, dann u.a. in Venedig, Sofia, Bukarest, Berlin, 1921 in Prag, 1931 bis 1933 Verwendung im BKA/Auswärtige Angelegenheiten, 7.6.1933 interimistischer Geschäftsträger der Gesandtschaft in Bern, 14.11.1933 Legationsrat I. Klasse, 11.12.1934 an der Gesandtschaft in London, 27.10.1934 ao. Gesandter und bevollm. Minister, 10.12.1934 ao. Gesandter u. bev. Min. in Sofia, 31.12.1938 dauernder Ruhestand.

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wältigende Mehrheit des österreichischen Volkes für den Unabhängigkeitsgedanken zu begeistern und zur Tat aufzurufen. Beglückt nahm ich wahr, wie allen Schweizer Kreisen die österreichische Unabhängigkeit am Herzen lag und wie sehr sie – mit geringen Ausnahmen – den nationalsozialistischen Terror verurteilten. Umso mehr befremdete mich das Verhalten von Glt. Muff, dem für Österreich und die Schweiz akkreditierten deutschen Militärattaché, der – offenkundig verleitet durch einen in deutscher Hauptmannsuniform den Manövern beiwohnenden Nazipropagandisten – alle Truppen, denen wir begegneten, nach ihrer Einstellung zum Nationalsozialismus befragte und im weiteren Gespräch diesen als einzig richtige Weltanschauung propagierte. Diese Art von Propaganda missfiel uns ausländischen Gästen ebenso wie den Schweizer Offizieren, die es in der Folge einzurichten verstanden, dass kein direkter Kontakt zwischen den ausländischen Gästen und den Mannschaften der Truppe mehr zustande kam. Dies war der Ausgangspunkt meiner späteren ablehnenden Beurteilung Muffs, als ich Chef des österreichischen Generalstabs geworden war. Das bedauerte ich, da sich Muff mir gegenüber in der ersten Zeit unserer Bekanntschaft als ein zuvorkommender und hilfsbereiter Kamerad erwiesen hatte  ; aus meinem österreichischen Offiziersempfinden heraus lehnte ich jedoch jede parteipolitische Betätigung überhaupt ab, umso schärfer in einem Gastland. Auffallend nett zeigten sich von den Manövergästen mir gegenüber die italienischen Offiziere unter Führung des Korpskommandanten und kommandierenden Generals Vacca Maggiolini628, der sich besonders nach meinen Erfahrungen in Serbien während des Ersten Weltkrieges erkundigte. Wiederholt konnte ich ihn darauf hinweisen, dass die Serben Soldaten höchster Qualität waren und Italien ja nicht glauben dürfe, dereinst einmal in Jugoslawien leichtes Spiel zu haben. Die Schweizer Manöver selbst brachten für mich weder operativ, noch taktisch Bemerkenswertes. Die das Manöver abschließende Defilierung der kriegsstarken 2. Division unter reger Beteiligung der Zivilbevölkerung war ein imposantes Schauspiel und zeigte klar, dass die von den Schweizergarden in fremden Diensten erworbene Freude am Kampf und Soldatentum auch in der Gegenwart weiterlebte. Nach Bern zurückgekehrt, teilte ich unserem zuvorkommenden Attachéoffizier mit, dass ich sehr gern im nächsten Jahr die Ausbildungsarbeit in den Einzelheiten verfolgen würde. Er sagte mir eine entsprechende Programmeinladung zu. Sehr gut sprach ich mich auch mit dem Schweizer Chef des Generalstabs, Oberst-Korpskommandanten Roost.629 Im Beisein des Waffenchefs der Artillerie, Oberstdivisionär 628 Arturo Vacca Maggiolini (Pinerolo bei Turin, 22.11.1872–30.7.1959, Rom), 1895–1896 Teilnehmer am italienischen Abessinienfeldzug, 1903 Absolvent der Scuola di guerra, 20.3.1933 General. 629 Heinrich Roost (Beringen, Schweiz, 25.5.1872–9.6.1936, Bern), seit 1896 Berufssoldat, 1908 Führer

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Bridel630, unterhielt ich mich lange mit ihm über die Panzerwaffe und deren Abwehr, hatten unsere Staaten ja gemeinsam das hervorragende Panzerabwehrgeschütz herausgebracht.631 Beide Herren kannten Österreich gut und hegten viel Sympathie für uns. Ab Bern trennten sich die Routen meiner Frau und mir  : Sie fuhr zu ihren Eltern nach Ungarn, unsere Kinder zu holen und in Wien einzuschulen, ich reiste direkt nach Berlin, um von dort aus nach Chemnitz zu den Manövern der deutschen 4. Division zu gelangen. Befehlshaber im Wehrkreis IV (Sachsen) war damals Glt. v. Gienanth.632 Auch dort zwangen die braunen Scharen den Städten und dem Gelände ihr lautes, unangenehmes Gehabe auf. Die Heerestruppen dagegen waren so gut, wie ich sie aus dem 1. Weltkrieg und aus der späteren Verfolgung ihres Tuns und der dieses leitenden Ausbildungsvorschriften kannte. Im Gegensatz zur Schweiz aber gewann ich den Eindruck, dass man die ausländischen Gäste in Deutschland nicht gern sah, trotzdem die Manöverleitung und die uns begleitenden Attachéoffiziere an formeller Höflichkeit und Fürsorge alles taten, was billigerweise erwartet werden durfte. Zurück in Berlin erfuhr ich, dass in Wien der langjährige, verdiente Minister für Landesverteidigung Vaugoin durch GO Fürst Schönburg-Hartenstein633 ersetzt wordes Infanteriebataillons 61, 1914 als Obstlt. Kdt. Rgt. 25, 1919 General der Eidgenossenschaft. 630 Gustav Bridel, (1872–1966), Schweizer Offizier. 631 Gemeint ist die Infanteriekanone M 35, 4,7 cm, auch bekannt unter dem Namen „Böhler-Pak“. Es handelt sich um ein schmalspuriges Rohrrücklaufgeschütz mit Spreizlafette und abnehmbaren Gummirädern. Es wurde von den 1938 einmarschierenden Deutschen mit Recht als „besonders bemerkenswert“ hervorgehoben, da es der deutschen 3,7-cm-Pak gerade in Hinblick auf Panzerabwehrfähigkeit weit überlegen war und etwa die doppelte Durchschlagskraft aufwies … Trotz der Überlegenheit gegenüber der deutschen Pak (= Panzerabwehrkanone) wäre auch jenes öst. Geschütz nach den Erfahrungen gleich zu Beginn des 2. Weltkrieges für eine echte Panzerabwehr zu schwach gewesen. Die eigentliche schwere Infanteriebewaffnung, wie sie der Deutschen Wehrmacht im leichten und schweren Infanteriegeschütz zur Verfügung stand, hat im Bundesheer gefehlt. Neben der Infanteriekanone waren in Österreich noch Gewehrgranaten und das 2-cm-M35-Tankgewehr der Solothurner Waffenfabrik in Truppenerprobung (Gschaider, a.a.O, S. 33–38). 632 Curt Ludwig Frh. v. Gienanth (Eisenberg, Rheinland-Pfalz, 6.12.1876–3.4.1961, Heidelberg), 23.3. 1896 als Fhj. ins Hessische Garde-Dragoner-Rgt. 23, 1904–1907 Kriegsakademie, dann Großer Generalstab, 20.3.1911 Hptm., im Weltkrieg in Divisionsstäben als Ia und Ib, 22.3.1916 Mjr., Übernahme in die Reichswehr, 1.4.1925 Obst. und ins Reichswehrmin. versetzt, Rgtskdr., 1.2.1931 Glt., 1.11.1931 Befehlshaber im Wehrkreis IV u. Kommandeur 4. Reichswehr-Division, 30.9.1933 verabschiedet, Sommer 1939 bei Mobilmachung Kdr. v. Grenzabschnittskmden, 20.2.1940–14.5.1940 Kommandeur Grenzabschnitt Mitte, dann OB Ober Ost, Juli 1940 Militärbefehlshaber im Generalgouvernement, 1.10.1942 Führerreserve, 30.6.1943 verabschiedet. 633 Über Fürst v. Schönburg-Hartenstein (1858–1944) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 193, Anm. 190. Schönburg-Hartenstein war bei Kriegsende 1918 GO, und Kdt. 6. Armee, 21.9.1933 Staatssekretär für Landesverteidigung, 12.3.1934 Bundesminister, 10.7.1934 Rücktritt. Dollfuß übernahm in seinem 2. Kabinett wieder das Ministerium mit GdI. Zehner als Staatssekretär. Laut seinen Memoiren hatte er 1920 die Bitte des hohen christlichsozialen Parteifunktionärs Leopold Kunschak, an die Spitze der

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den war. Für das Bundesheer und dessen Ansehen konnte die Berufung dieses durch seine legendär gewordene Tapferkeit im I. Weltkrieg in ganz Österreich bekannten hohen kaiserlichen Generals wohl recht befriedigend sein. Doch hatte ich in den vergangenen zwölf Jahren Minister Vaugoin achten und schätzen gelernt. Dass in dieser Zeit das Bundesheer erstarrt war, weil die Führung nur auf seine Verwendung im Inneren Bedacht genommen hatte, lag vielleicht weniger an Vaugoin als an seinen militärischen Beratern. Ich bewahrte dem scheidenden Minister, der kurz nachher Selbstschutzverbände zu treten, mit der Aufforderung beantwortet, alle bürgerlichen Parteien müssten sich dafür aussprechen und es müsse eine einheitliche Bewegung gebildet werden. Diese Bedingung wurde nicht erfüllt. Schönburg wurde Präsident des Roten Kreuzes, des Reichs-Kameradschafts- und Kriegerbundes und der Vereinigung Katholischer Edelleute. Er setzte sich nach 1921 besonders für die kaiserliche Familie in Spanien und deren Lebensunterhalt ein. Er trat 1933 dem Wiener Heimatschutz bei und laut einer Vortragsnotiz im Reichswehrministerium erklärte Jansa bei seinen Antrittsbesuchen und ersten Vorsprachen, Schönburg-Hartenstein sei jetzt Österreichs Reichsverweser. (Das war nicht nur ein Vergleich mit dem ungarischen Reichsverweser Horthy, d. Hrsg.) Schönburg-Hartenstein war bei der Großjährigkeitserklärung Otto v. Habsburg-Lothringens (Erzherzogs von Österreich) als Vertreter des öst. Hochadels anwesend. Er war 1934–1936 Staatsrat. Der Staatsrat war eines der vier vorberatenden Organe für die Bundesgesetzgebung im Ständestaat. Am 13.7.1935 wurde das Ausnahmegesetz gegen das Haus Habsburg abgeändert, die Landesverweisung der Mitglieder des ehemaligen Kaiserhauses aufgehoben. Von der engeren Familie des verstorbenen Kaisers reiste seine Tochter Adelheid ein, und deren Bruder Felix besuchte ab Herbst 1937 die Theresianische Militärakademie. Zum Symbol der Stärkung der österreichischen Besinnung auf die ehemalige Doppelmonarchie wurde die 1934 erfolgte Rückkehr des FM Erzherzog Eugen, der bei vielen militärischen und gesellschaftlichen Gelegenheiten an die Öffentlichkeit trat, sich aber der Politik fernhielt. Schönburg-Hartenstein trat 1936 wegen der sogenannten Phönix-Affäre als Staatsrat zurück, obwohl er von einem Ehrengericht entlastet wurde. Im Zweiten Weltkrieg waren von acht Enkelkindern sieben eingerückt, davon sind fünf gefallen. Olt. Aloys (Erbprinz) Schönburg-Hartenstein wurde am 13.5.1945 in einem Prager Lazarett erschlagen. Siehe  : Elfriede Holub, Aloys Schönburg-Hartenstein, Wr. Diss. 1964. ÖStA/ KA, NLS, sign. B/2005, Nr.13  : Helmuth Pirkl, Anhangband zur Dissertationsarbeit am Institut für Zeitgeschichte/Wien über das Thema „Militärische Abwehrmaßnahmen Österreichs gegen den Anschluß an das Deutsche Reich von 1933 bis 1938“, Wien 1978/79 [es handelt sich um einen Anhangband von 452 Seiten, beinhaltend die Abschriften von 175 Dokumenten. Der Autor war Beamter im öst. ­BMfLv., der neben seiner Tätigkeit studierte, aber vor Abschluss dieser groß angelegten Arbeit plötzlich verstarb. Die Arbeit wurde von der Familie dem Herausgeber als damaligem Referenten für Nachlässe neben anderen zahlreichen Arbeiten des Studenten, der nebenbei auch Dirigent (!) war, anvertraut bzw. übergeben]  : „An T 3 [Nachrichtenauswertung des Truppenamtes im Reichswehrministerium, später Amt Ausland/Abwehr und Abteilung „Fremde Heere“] Zuverlässiger V-Mann hatte am 10. 3. eine Unterredung mit Jansa. Dieser teilte ihm folgendes mit  : Wir Österreicher sind jetzt über den Berg. Die Sozialdemokraten sind restlos erledigt. Die Nationalsozialisten sind nur noch Einzelerscheinungen und werden auch bald restlos verschwinden. Wir steuern der Monarchie entgegen, und haben hierzu mit Ausnahme Deutschlands, die Einwilligung aller Großmächte. Der Zeitpunkt hierfür steht noch nicht fest. Es kann noch ein Jahr dauern, kann aber auch früher eintreten. Die Entwicklung geht zunächst dahin, daß Fey Bundeskanzler wird und Dollfuß Nachfolger des Bundespräsidenten Miklas (Paraphen).“

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zum Präsidenten der österreichischen Bundesbahnen bestellt wurde, ein dankbares Gedenken. Mit dem Herbst begann das rege gesellschaftliche Leben in Berlin, weshalb meine Frau und ich ebenfalls einzuladen begannen. Außer den Attachéoffizieren des Heeres, der Marine und Luftwaffe hatte ich einmal die Freude, den geistvollen, sprachkundigen und sportlich gestählten Obst. v. Reichenau mit Gemahlin als Gäste bei uns zu sehen. Bei solchen Gelegenheiten vermied ich Gesprächsthemen anzuschneiden, die von deutschen Offizieren als Aushorchung gedeutet werden konnten  ; vielmehr lag mir daran, vertrauensvolle, kameradschaftliche Beziehungen anzubahnen. Reichenau erzählte mir damals aus eigenem Antrieb, wie er mit dem Reichskanzler Hitler in Verbindung gekommen war. Blomberg befehligte den ostpreußischen Wehrkreis I, v. Reichenau amtierte als dessen erster Generalstabsoffizier  ; die Seelsorge lag in den Händen des evangelischen Wehrkreispfarrers Müller.634 Selbst in der nationalsozialistischen Bewegung stark verankert, legte Pastor Müller den beiden immer wieder nahe, sie möchten sich doch einmal über die von Hitler verfolgten Ziele durch diesen persönlich informieren lassen. Schließlich ermächtigten beide Herren den Pastor, Herrn Hitler zu ihnen nach Königsberg einzuladen. Hitler kam und entwickelte vor Blomberg, Reichenau und einigen höheren Offizieren in einer langen Rede seine Auffassungen über das Verderbliche des Versailler Friedensvertrages, über die Notwendigkeit, sich von dieser Fessel zu befreien, die daraus folgende innerpolitische Befriedung Deutschlands zu finden und die diesem im Konzert der Großmächte gebührende Stellung wiederzugewinnen. Gen. v. Blomberg, selbst als militärischer Vertreter deutscher Interessen bei der Abrüstungskonferenz in Genf gewesen, hatte dort die Intransigenz und Impotenz der Westmächte und damit die Aussichtslosigkeit irgendwelcher Lagebereinigung durch den Völkerbund erlebt, sodass Hitlers programmatische Darlegungen ihn stark beeindruckten. Er habe Hitler darauf die Frage gestellt, wie sich dieser bei Verwirklichung seines Programms zur Reichswehr stellen würde. Der habe bescheiden geantwortet, dass er sich vollkommen klar darüber sei, ohne Hilfe und Vertrauen der Reichswehr keinerlei praktische Erfolgschancen zu haben  ; einmal zur Macht gelangt, würde er daher die Reichswehr als einzigen Waffenträger im Reich mit denkbar größtem Aufwand an Mitteln zum nicht nur innenpolitisch entscheidenden Kraftfaktor ausbauen, sondern durch weitere Steigerung der militärischen Vorbereitungen in allen Bereichen 634 Ludwig Müller (Gütersloh, 23.6.1883–31.7.1945, Berlin), ev. Theologe, 1908 ordiniert, im 1. Weltkrieg Marinepfarrer, 1926–1933 Wehrkreispfarrer in Königsberg, Anhänger der „Deutschen Christen“  ; er begegnete 1927 dort Hitler, der Müller im April 1933 zu seinem „Vertrauensmann und Bevollmächtigten für Fragen der Ev. Kirche“ ernannte  ; 27.9.1933 Wahl zum Reichsbischof. In Müllers Programm standen der Arierparagraf und das Führerprinzip.

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Deutschland in der Welt wieder eine solche Geltung geben, dass keine Entscheidung ohne oder gar gegen Deutschland getroffen werden könne  ; abschließend habe er v. Blomberg um sein Vertrauen gebeten  ; er würde, zum Reichskanzler bestellt, die gesamte militärische Gewalt in seine Hände legen. Dem haben Gen. v. Blomberg und Obst. v. Reichenau zugestimmt und Hitler ihrer Hilfe versichert. Tatsächlich habe dann Hitler 1933 beide Herren an die Spitze der Wehrmacht berufen. Reichenau, aus der Kinderstube eines deutschen Gesandten erwachsen und von imponierendem Auftreten, das sich auf Fremdsprachenbeherrschung stützte, sagte mir abschließend, dass es gar nicht leicht sei, den „Elan des Führers“ auf den konservativen Geist der Wehrmacht zu übertragen. Das deutete Spannungen an, die von den verschiedenen Waffenattachés auf verschiedenen Wegen verfolgt, die allgemeine Deutung fanden, dass größere Änderungen in den Personalbesetzungen bevorstünden, wobei Reichenau unterschoben wurde, dass er den Posten des Oberbefehlshabers des Heeres anstrebe. Ob und inwieweit das richtig war, habe ich nie in Erfahrung bringen können. Obst. v. Reichenau hatte jedenfalls als Chef des neu gebildeten Wehrmachtsamtes, von dem Heer und Marine ganz, die Luftwaffe soweit Görings Eitelkeit es zuließ, abhingen, eine überragend einflussreiche Stellung und einen umfassenden Wirkungskreis, der seiner Kraftnatur reichlich Betätigung in entscheidender Größe gewährte. Im Oktober 1933 erfolgte der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund, ein Ereignis, das ich trotz der selbst erlebten Unfähigkeit dieser Institution für den ersten Schritt eines verhängnisvollen deutschen Weges hielt. Das Land war in dieser Entscheidung Japan gefolgt. Für den Spätherbst war ich nach Zürich zur Hundertjahrfeier der Schweizer Offiziersgesellschaft geladen. Nach meinen Erfahrungen bei den Manövern war ich mir sicher, dass dieses, die ganze Schweiz bewegende Ereignis in der Presse ein starkes Echo finden werde. Und ich hatte erfahren, wie scharf eine erdrückende Übermacht der Schweizer den Nationalsozialismus ablehnte. In diesem Rahmen hielt ich es für zweckmäßig, den durch Bundeskanzler Dollfuß vertretenen österreichischen Freiheitsund Unabhängigkeitswillen betont zum Ausdruck zu bringen. Daher beantragte ich in Wien ein eindrucksvolles Geschenk der Offiziere der österreichischen bewaffneten Macht an die Schweizer Offiziersgesellschaft, das mir auch in Form einer kunstvollen Statuette übermittelt wurde. Am 26. November habe ich in Zürich den erstrebten Zweck erreicht  ; dabei freute mich die Anwesenheit des deutschen Militärattachés, denn dieser konnte das Echo, welches Österreichs Freiheitswille fand, deutlich wahrnehmen. Mitte Dezember fuhr ich nach Wien, um mich bei GO Schönburg zu melden und über meine ersten Eindrücke in Berlin und in der Schweiz zu berichten. Irgendwelche

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besonderen Aufträge bekam ich nicht. Eine Vorsprache beim Kanzler hielt ich nicht für notwendig, weil sich zu meinen Berichten für ihn kaum etwas Ergänzendes ergab. Meine Erkundigungen über die innenpolitische Lage Österreichs begegneten fast allgemein einer Verniedlichung des Nationalsozialismus und Skepsis gegenüber den eigenen Maßnahmen. Ich bemühte mich, allen meinen Gesprächspartnern die vorgefundenen Berliner Verhältnisse in ihrer ganzen Verkrampfung und unwahrhaftigen Propaganda aufzuzeigen, doch leider meist ohne Erfolg. Nun holte ich meine Töchter aus dem Schulinternat, damit sie den Weihnachtsurlaub bei uns in Berlin verbringen konnten. Unsere Ankunft in Berlin ließ mich die viel gerühmte Präzision der Reichsbahn einmal anders erleben  : Wir standen drei Stunden vor dem Anhalter Bahnhof, ohne die Einfahrt freizubekommen. Trotzdem wurde es für die Kinder eine gesegnete Weihnacht voll neuer und wichtiger Eindrücke. Das Jahr 1934 brachte eine ganze Reihe unglücklicher Ereignisse, die sich entscheidend auf die weitere Entwicklung der politischen und militärischen Verhältnisse auswirkten. In Österreich war es Dollfuß mithilfe des Völkerbundes in Genf nicht nur gelungen, eine neue Geldanleihe zu erreichen, die zur infamen Hetze gegen den Kanzler seitens der Sozialisten und Nationalsozialisten führte, sondern auch endlich die Hemmnisse gegen eine vernünftige Entwicklung des Bundesheeres zu durchbrechen. Die große Bedeutung dieser Tat werde ich im nächsten Kapitel zusammenhängend besprechen. Die beiden Leistungen wurden wie jedes Geschehen in Österreich von der deutschen Propaganda selbstverständlich krass entstellt, um Österreich weiter verächtlich zu machen, was in steigendem Maß angestrebt wurde. Fortdauernd war ich bemüht, an die mir maßgeblich scheinenden Generäle heranzukommen, so wie sich der Gesandte um Unterredungen mit zivilen Funktionären bemühte – mit geringem Erfolg. Der Attachéoffizier, dem die Betreuung der ausländischen Offiziere oblag, ein Mjr. Rössing, war verlegen, stets neue Ausreden für die Ablehnung erbetener Empfänge zu erfinden. Als ich ihn einmal unter Hinweis darauf, dass Attachés anderer Mächte doch öfter vorsprechen können, fragte, ob mir eine Sonderbehandlung zukäme, antwortete er mir aufrichtig, die militärischen Stellen hätten den Auftrag, die Behandlung der Militärattachés genau dem politischen Verhältnis Deutschlands zu deren Staaten anzupassen  ; Litauen und Österreich seien leider die beiden Staaten, denen das geringste Entgegenkommen zu erweisen sei. Das war unangenehm, weil ich dieserart dem Auftrag des Kanzlers, mich um die Besserung des Verhältnisses zwischen Deutschland und Österreich zu bemühen, nicht entsprechen konnte. Freilich beleuchtete das auch den für mich verblüffenden Umstand, dass das deutsche Heer schon zu diesem frühen Zeitpunkt dem „Führer“ hörig geworden war und die aktiven deutschen Generäle nicht mehr wagten, sich unter Berufung auf die Waffenkameradschaft im Weltkrieg dafür ein-

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zusetzen, dass dem österreichischen General die ihm gebührende Behandlung zuteil werde. Wie ganz anders war da das Verhalten der nicht aktiven Herren GdI. v. Quast635 und Glt. v. Roeder im Traditionsverband des Kaiser-Franz-Garde-Grenadier-Rgt. Nr. 2 : Sie zeichneten mich bei jeder Gelegenheit, wie sie sich an Kameradschaftsabenden, bei Kranzniederlegungen, Appellen usw. ergab, ebenso in vornehmer Weise aus, wie dies GdA. Watter636 bei einem Treffen der Artilleristen und GFM v. Mackensen bei verschiedenen Beerdigungen immer wieder taten. Selbst einflusslos, standen diese ausgezeichneten Männer jedoch den neuen Verhältnissen mit großer Zurückhaltung gegenüber und konnten meinen Bemühungen nicht dienlich werden. Anlässlich eines kurzen Aufenthaltes in Wien sprach ich im Ministerium für Landesverteidigung vor. GO Fürst Schönburg hatte den für die militärische Ausweitung des Bundesheeres völlig unverständigen Gen. Schiebel kurz nach der Übernahme des Heeresressorts pensioniert und den zweiten „Heeresverderber“, Dr. Hecht, an das Postsparkassenamt abgeschoben  ; Gen. Brantner637, mein Kriegsschulkamerad, war an die Stelle Schiebels getreten. Mit diesem besprach ich die Möglichkeit der Erhöhung meiner Gebühren. Leider ließen die budgetären Verhältnisse keinen nennenswerten Spielraum offen  ; man konnte mir lediglich für monatlich 400–500 Schilling eine Schreibkraft zubilligen, als welche ich meine Frau nennen durfte. 635 Ferdinand v. Quast (Radensleben, 18.10.1850–27.3.1939, Potsdam), der Infanterie entstammender preu­ßischer/deutscher Offizier, 1903–1907 als Obst. Kdr. des Kaiser-Franz-Garde-Grenadier-Regiments Nr. 2, 18.8.1914 GdI, 1917 Kdr. der 6. Armee. 636 Oskar Frh. v. Watter (Ludwigsburg, 2.9.1861–23.8.1939, Berlin), preußischer/deutscher Artillerieoffizier, 1918 Generalleutnant und Korpspskdr. 637 Über Theodor Brantner (1882–1964) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 133, Anm. 225. Brantner war 1913/14 in der R(ussland)-Gruppe des OpB. d. Glstb., 1.1.1920 ins Bundesheer übernommen, 23.6.1923 Obst., 1.8.1929 Stabschef des Heeresinspektors, 27.1.1930 GM, 1.6.1933 Vorstand des Präsidialbüros im BMfHw., 1.4.1934 gleichzeitig Leiter der Sektion I [eine Ämterkumulierung, die im 1. ÖBH kein zweiter Offizier erreichte], 29.1.1934 GdK, 30.9.1936 pensioniert, rückwirkend mit 1.3.1938 Offizier z.V. des OKH, 31.5.1938 geschieden aus dem aktiven Dienstverhältnis. Aus einem Akt des Wehrkreiskommandos XVII, Wien, 2.4.1942, Brief des GdK. z.V. Brantner an des OKH, 2.4.1941  : „Auf Grund des Erlasses des Führers und Reichskanzlers vom 10.4.1938 bitte ich um Wiedergutmachung. Ich war Präsidialchef im BMfLv. gerade in der Zeit der politischen Verfolgungen aller deutschgesinnten Offiziere und Soldaten und wurde am 30.9.1936 als Einziger meines Jahrganges zwei Jahre vor Vollendung meiner 35-jährigen Dienstzeit in den Ruhestand versetzt. Der Anlass … ergab sich aus meiner gegensätzlichen Einstellung zum damaligen Staatssekretär GdI. Zehner … Gegensätze bei der Aufstellung des Militärgerichtshofes zur Aburteilung der Männer des 25. Juli 1934 …wollte das Offizierskorps vor dieser Verwendung schützen … Angelegenheit des Ehrenwortbruches des Staatssekretärs den ‚Julikämpfern‘ gegenüber … Zeugen  : die (öst.) Generäle Glasner und Klein.“ Kopie des Aktes in  : ÖStA/AVA/NLS, B/1221, Nr. 3. Im sogenannten Weydenhammer-Bericht wird zweimal betont, dass Brantner vom Juli-Putschversuch informiert war.

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Wie infam Veteranen des Krieges im eigenen deutschen Land behandelt wurden, erzählte mir am 28. Januar der österreichische Oberst Nießner, Präsident der Tafelrunde altösterreichischer Offiziere, als er, ganz blau und verschwollen im Gesicht, mich im Gesandtschaftsgebäude aufsuchte. Er war mit vielen deutschen Offizieren und deren Damen im Festanzug Teilnehmer an der jährlichen Gedenkfeier des Geburtstags Wilhelms II. in den Festräumen des Zoos gewesen. Da brach gegen 10 Uhr abends eine SA-Bande in der braunen Uniform in die Festräume ein, warf das Buffet mit all seinen Köstlichkeiten um, zerstampfte Speisen und Getränke mit den Füßen, verprügelte die Teilnehmer, Männer und Frauen, in brutalster Weise. Nießner selbst bekam mehrere Schläge ins Gesicht und war Zeuge, wie ein einbeiniger, schwer kriegsgeschädigter deutscher Oberst in Uniform mit einem Knüttel zu Boden geschlagen wurde und den SA-Leuten empört zurief, dass es eine Schande sei, Invalide aus Schlachten des Krieges derart zu behandeln und als Antwort bekam  : „Uns imponieren nur Saalschlachten.“ Obst. Nießner forderte Genugtuung für die ihm angetane Schmach. So wie ich war, ging ich ins nahe Reichswehrministerium und ließ mich bei GM v. Reichenau melden. Der Attachéoffizier äußerte Bedenken und meinte, die Attachés wären an die Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile gewiesen. Da wurde ich aber aufsässig und verlangte die sofortige Vorlassung bei Reichenau, der der einzige höhere Offizier sei, der den Mut habe, mit mir offen zu sprechen. Ich wurde darauf gleich zu Reichenau geführt, der sich meiner Schilderung des Geschehenen gegenüber anfangs unorientiert zeigen wollte, dann aber meinte, da stecke natürlich wieder Göring dahinter. Zu meiner Forderung auf Genugtuung meinte er ungefähr  : Wie ich mir das mit der Genugtuung vorstelle  ? Das Heer habe mit der SA nichts gemein  ; und wenn man über die Parteileitung Erhebungen und Feststellungen machen wollte, so weiß doch kein Gefragter etwas, niemand sei verantwortlich, alles aus Provokation der SA entstanden, die spontan gehandelt habe usw. Das Reichswehrministerium kann auch den eigenen deutschen Offizieren keine Genugtuung schaffen. Nicht viel anderes hatte ich erwartet  ; aber dieses Einbekenntnis der Ohnmacht gegenüber der Partei war für meine Überlegungen wertvoll. So wusste ich nun sicher, dass es nicht viel Zweck hatte, bei Generälen vorzusprechen, sondern man an die Parteigrößen heranmusste, worauf ich den Gesandten Tauschitz auch aufmerksam machte. Ich versprach ihm, nun intensiver zu versuchen, an Göring als Oberbefehlshaber der Luftwaffe heranzukommen. Dennoch war ich begierig, den neuen Oberbefehlshaber des Heeres, GdA. Baron Fritsch, kennenzulernen638, der Anfang Februar 1934 den ausgeschiedenen Baron 638 Siehe  : Hans Meier-Welcker, Die Stellung des Chefs der Heeresleitung in den Anfängen der Republik, in  : derselbe, Soldat und Geschichte. Aufsätze, Feiburg im Breisgau 1976, S. 71–91. Anlässlich

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Hammerstein ersetzte – er stand im Ruf besonderer Fähigkeit und Charakterstärke. Kurz nach seiner Ernennung wurde ihm unser Waffenattachékorps durch den Doyen, den spanischen Major Beigbeder vorgestellt. Begrüßungs- und Gegenrede gaben keine besondere Charakteristik, auch das äußere Bild des neuen Oberbefehlshabers machte keinen überdurchschnittlichen Eindruck. Hingegen hat mich die Persönlichkeit von GdA. Beck639, der im Oktober des Vorjahres Chef des Generalstabes geworden war, bei jeder Begegnung durch seinen ausgesprochenen Gelehrtenkopf und sein ruhiges, in allen Äußerungen die Worte sehr sparendes Wesen an den alten Grafen Moltke gemahnt, von dem ich mir durch meine Studien ein Bild gemacht hatte, das Beck nun nach Aussehen, Auftreten und Sprache ganz vergegenwärtigte. Diese ersten Eindrücke von neuen Männern wurden jedoch bald durch die Schüsse in Linz und Wien zurückgedrängt, mit denen im Februar 1934 der tragische Kampf um die Macht in Österreich ausgetragen wurde. Ich hatte den Ausbruch dieses Kampfes seit vielen Jahren befürchtet und letzten Endes durch die alles eher als demokratische Leitung der sozialdemokratischen Partei schließlich für unausweichlich gehalten. Nun des Antrittsbesuchs Jansas als Militärattaché bei Fritsch gab jener laut einer dreiseitigen Aktennotiz über den Verlauf der Unterredung dem Chef der Heeresleitung einen Bericht über das Österreichische Bundesheer und das Assistenzkorps mit Zahlenangaben usw. Zum Abschluss bat Jansa, Fritsch möge mithelfen, zwischen Österreich und Deutschland ein „vernünftiges Verhältnis“ herzustellen. Fritsch antwortete darauf, dass er Jansa bitten würde, die Durchführung dieses Ansinnens den Politikern zu überlassen, die Offiziere dürften sich dabei nicht einmischen. Laut der Aufzeichnung war damit die Unterredung beendet. Bekannt ist Fritsch’ Ausspruch über Hitler aus seiner Dienstzeit vor Februar 1938  : „Dieser Mann ist Deutschlands Schicksal im Guten und Bösen. Geht es jetzt in den Abgrund – so reißt er uns alle mit. Zu machen ist nichts.“ 639 Ludwig Beck (Biebrich, 29.6.1880–20.7.1944, Berlin Bendlerstraße, Freitod), 12.3.1898 als Fhj. zum FAR 15 in Straßburg, Okt. 1908–1910 an der Kriegsakademie, 1.3.1912 berufen in den Großen Generalstab, 1916/17 im Oberkdo. der Heeresgruppe Dt. Kronprinz, 18.4.1918 Mjr., Übernahme in die Reichswehr, laufend Generalstabsstellungen, darunter Chef des Glstb. eines Wehrkreiskmdo., Regimentskdr., 1.2.1931 GM, sodann Artillerieführer IV, Kdr. 1. Kavalleriedivision, 1.2.1931 Glt., 1.10.1933 Chef des Truppenamtes, also faktisch Chef des Generalstabes des Heeres,1.7.1935 Chef des Generalstabes des Heeres, somit einer der 5 Amtschefs der Heeresleitung. Diese waren Chef des Wehrmachtsamtes (WA), Chef des Heerespersonalamtes (HPA), Chef des Heereswaffenamtes (HWA), Chef des Heeresverwaltungsamtes (HVerwA). Die Dienstanweisung an Beck vom April 1934 hatte bereits gelautet  : „Erster Berater in Fragen der militärischen Führung …“ Gert Buchheit, Ludwig Beck – ein preußischer General, München 1964  ; Nicholas Reynolds, Beck. Gehorsam und Widerstand. Das Leben des deutschen Generalstabschefs 1935–1938, Wiesbaden/München 1977  ; Klaus-Jürgen Müller, Ludwig Beck und Franz Halder – eine Parallelskizze  : Konträre Haltungen, in  : DAMALS, Heft 2/2009, S. 22–27. Haltung zur Frage der „Habsburger Erbschaft“  : Klaus Michaelis, 1938. Krieg gegen die Tschechoslowakei. Der Fall „Grün“, Berlin 2004  ; Joachim Fest, Staatsstreich. Der lange Weg zum 20. Juli, Berlin 1994.

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wurde dieser Kampf mit einer Härte ausgetragen, die man im Ausland am „gemütlichen, musischen“ Österreicher aus Unkenntnis seiner Geschichte nicht wahrhaben wollte. Für meine Frau und mich bedeutete dies eine große nervliche Belastung aus Sorge um unsere Kinder. Wir saßen viel am Radio, um alle Nachrichten sofort zu hören, und atmeten auf, als wieder Ruhe eingetreten war.640 640 Februar 1934  : siehe dazu die Literatur in  : Peter Broucek, Über Prätorianergarden und Legionen in und um Österreich, in  : derselbe, Militärischer Widerstand, Studien zur österreichischen Staatsgesinnung und NS-Abwehr, Wien/Köln/Weimar 2008, S. 178–309. Dazu eine bisher sehr wenige bekannte, neuerdings publizierte Quelle  : Romand Sandgruber, Die Diktatur als Ausweg. Zum 75. Jahrestag der Ereignisse der Jahre 1933/34, in  : Academia. Zeitschrift für Politik, Wirtschaft, Religion, Kultur, Oktober 2008, S.7–9, hier S. 8 f.: Es ist kein Zufall, dass die oberösterreichische Leitfigur des Bürgerkrieges, der Landessekretär der Sozialdemokratischen Partei und Führer des Republikanischen Schutzbundes in Oberösterreich, Richard Bernaschek, im nationalsozialistischen Deutschland Zuflucht fand und eine Zeit lang dort als Held gefeiert wurde. Bernaschek schrieb 1934 (Die Tragödie der österreichischen Sozialdemokratie, 5. Kapitel)  : „Das Programm der Nationalsozialisten steht uns näher… Österreich ist nicht lebensfähig, und deshalb verlangen wir den Anschluß an ein großes Wirtschaftsgebiet, und zwar als Deutsche an das Deutsche Reich …“ Schon früher heißt es in den zwischen März 1933 und Februar 1934 verfassten „Thesen der Linken innerhalb der Sozialdemokratischen Partei“, dass „mit der Weltwirtschaftskrise alle demokratischen Möglichkeiten geendet hätten“. In diesem Augenblick kommt es darauf an, alle Kampfmittel anzuwenden, um den Gegner zu vernichten, seinen Machtapparat zu zerschlagen und die ganze Macht zu erobern … Nicht mehr die demokratische Massenpartei, die in friedlichem Wettbewerb der Argumente Anhänger und Mitglieder gewinnt, sondern die straffe Organisation der proletarischen Kerntruppe, die durch die Aktion und in der Aktion die Massenbewegung entfesselt, ist in dieser Situation zur Führung befähigt und berufen …“ – „Die Klassenkämpfe in der Dauerkrise des Kapitalismus führen schließlich“, so Bernaschek 1933, „zur Diktatur des Proletariats … Es gibt daher nur die Wahl zwischen der faschistischen Diktatur, die den verwesenden Kapitalismus konserviert, und der proletarischen Diktatur, die den werdenden Sozialismus vorbereitet … Jede rein politische Umwälzung, die nur zur Wiederherstellung der parlamentarischen Demokratie führt, ist ungenügend, solange wir den Kapitalismus nicht zertrümmern. Die Arbeiterklasse muß daher jeden Umsturz zur Entfesslung der sozialen Revolution benützen, sie muß nach einer siegreichen Volkserhebung die Exekutive des kapitalistischen Staates durch die sowohl gesetzgebenden als auszuübenden Organe des arbeitenden Volkes, den Parlamentarismus, durch die Diktatur des Proletariats ersetzen … Wir bekennen offen, daß wir unbedingte Freunde der Sowjetunion sind …“ Parlamentarische Demokratie war für Bernaschek in der Wirtschaftskrise nicht mehr denkbar  : „Nicht im Kampfe um den Sozialismus werden wir die entschlossenste Gefolgschaft, die bedingungslose Hingabe der besten proletarischen Elemente finden… Unser Programm kann nicht lauten  : Wiederherstellung des Parlaments. Erstens halten die Massen das mit Recht für unmöglich, zweitens begeistert das nicht einen einzigen Arbeiter und Arbeitslosen.“ … Die politische Gewalt hatte eine blutige Spur durch die Erste Republik gezogen  : Vom 12. November 1918 bis zum 11. Februar 1934 waren aus politischen Gründen in Attentaten 217 Menschen getötet und 642 schwer verletzt worden. Dann folgten die Auseinandersetzungen des Februar 1934 mit 320 Toten und der Juli-Putsch mit 269 Toten. Dazu kamen eine beispiellose Propaganda- und Hetzkampagne, ein landesweit organisierter Terror mit bis zu 140 Bombenattentaten pro Monat zwischen dem Juni 1933 und dem Juli 1934, mit gezielten Mordanschlägen, zweimal auf Bundeskanzler Dollfuß, einmal mit leichten Verletzungen, das zweite Mal tödlich, auf den Vizekanzler,

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Wenig überraschte mich Hitler, der die Sozialdemokratische Partei Deutschlands mit brutaler Gewalt niedergeschlagen hatte, doch nun gegen die österreichische Regierung und sozusagen für die Sozialdemokraten Stellung bezog, hatte ich ja als Brigadier in St. Pölten zur Genüge beobachten können, wie die Werbung der Nationalsozialisten gerade unter den linksgerichteten Sozialisten und den Kommunisten am intensivsten war  ; dass aber die Börsenzeitung es unternahm, in diesen Tagen tragischen Kampfes das österreichische Bundesheer als unzuverlässig und mit Teilen zu den Sozialdemokraten überlaufend in Balkenlettern zu diffamieren, das fand ich doch zu arg. Ich versicherte mich durch ein Telefongespräch mit Wien, ausdrücklich, dass das Bundesheer seine schwere Pflicht tadellos versah. Dann ging ich zu Reichenau, dem einzigen Menschen in Berlin, dem ich trotz seiner Hinneigung zur Partei den Mut zutrauen konnte, in deren Verleumdungsorgien einzugreifen. Reichenau war gleich mir über die Schreibweise der Börsenzeitung empört und sagte  : „Nein, das Heer wollen wir hüben und drüben aus der Partei heraushalten  !“  ; er versprach, die Börsenzeitung über das Propagandaministerium zu einer Berichtigung ihrer bösartigen Falschmeldung zu zwingen. Tatsächlich erschien am folgenden Tage in der Börsenzeitung eine Notiz, dass ihre Meldung vom Vortag über das österreichische Bundesheer auf falscher Information beruht habe  ; diese Notiz erschien freilich nicht an gleicher Stelle und in gleicher Aufmachung wie der gehässige Artikel, sondern ganz unauffällig im Blatt­inneren. Gegen diese hinterhältige Parteimethodik eines Goebbels641 konnte auch v. Reichenau nicht aufkommen, worüber er seinem Unmut nicht nur mir, sondern auch Goebbels ­ eichenau später gegenüber Ausdruck gab. Das wiederum war der Anfang dafür, dass R persona non grata bei Hitler wurde. Die offenkundige und allgemein wahrgenommene schlechte Behandlung Österreichs und seiner Vertretung in Berlin führte zu einer Liebenswürdigkeit und Bevorzugung, besonders meiner Frau und mir gegenüber, durch das diplomatische Korps, das dieserart den Geist der Zusammengehörigkeit in vornehmster Form zum Ausdruck brachte. Das führte im Korps der Militär-, Marine- und Luftattachés dazu, mir nach Ausscheiden des Spaniers Beigbeder das Doyenat anzubieten. Dankbar nahm ich diesen auszeichnenden Akt der Kameradschaft entgegen, bat jedoch, am bisherigen Usus der Reihung nach dem Ernennungstag für Berlin festzuhalten. Dadurch wurde der belgische Generalleutnant Schmitt Doyen. den Justizminister, den Sicherheitsminister, auf Landesrat Steidle und andere Persönlichkeiten. Militante gab es auf allen Seiten, bei den Linksradikalen, beim sozialdemokratischen Schutzbund, bei den Christlichsozialen und in der Heimwehr, vor allem aber bei den Nationalsozialisten … 641 Zu Reichspropagandaminister Joseph Goebbels siehe Viktor Reimann, Dr. Joseph Goebbels, Wien/ München/Zürich, 1971.

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Einmal im Monat gab das Attachékorps ein Diner im Restaurant Horcher, das wohl seiner Küche wegen als das renommierteste Lokal Berlins galt, in seinen Räumlichkeiten jedoch so beschränkt war, dass Empfang, Diner und Cercle nach Tisch sich im gleichen Raum abspielen mussten. Zu diesen Diners waren abwechselnd vier bis fünf deutsche Generäle, Admirale und Stabsoffiziere geladen, die hier auch erschienen, im Gegensatz zum Refus auf Privateinladungen. Bei Horcher wurden die Gäste in formellen Ansprachen begrüßt, aber auch die jeweiligen Veränderungen im Attachékorps durch Reden gewürdigt. Zwanglos wurden bei Tisch oft militärische Fachfragen in allgemeingültiger Form besprochen und dabei deutsche Stellungnahmen gerne gehört  ; man vermied jedoch, die deutschen Herren durch direkte Fragestellungen in Verlegenheit zu bringen. Im Laufe des Winters war übereinstimmend der Eindruck gewonnen worden, dass Deutschland mit einer Aufrüstung größten Stiles begonnen habe. Während die Meinungen über die Ziele solcher Rüstungen noch geteilt waren, weil die deutschen Offiziere immer wieder betonten, dass die Rüstung nur so weit vorgetragen würde, als es das Rüstungsgleichgewicht in Europa erfordere, war ich – vielleicht auch durch die Intuition meiner Frau bestimmt – felsenfest überzeugt, dass Hitler und Konsorten einem Kriegsgeschehen zustrebten, das wahrscheinlich in einen Weltkrieg münden werde. Zum Tempo der Rüstung bildete sich im Kreise jener Attachés, mit denen ich in besonders freundlichem Verhältnisse stand, allmählich die Meinung, dass die Jahre 1933 und 1934 als Anlaufjahre für die Industrie und die Organisationspläne der Wehrmacht gelten konnten, an die sich zwei zweijährige Rüstungsabschnitte schließen würden, sodass mit Ende 1938 oder Anfang 1939 mit einem kriegerischen Auftreten Deutschlands gerechnet werden müsste. Die dann tatsächlich eingetretenen Ereignisse haben die Richtigkeit unseres aus Hunderten kleinen Anzeichen zusammengetragenen Kalküls bewiesen.642 Die Beurteilung alles übrigen Geschehens in Deutschland war geteilt  : Während mehrere Diplomaten und Attachés, besonders deren Frauen, von Hitler und allen seinen Maßnahmen hell begeistert waren, gehörte ich zu jenen, die alles sehr kritisch betrachteten, über die lügenhafte Propaganda und so vieles, das Recht einfach beiseite schiebende Geschehen entsetzt waren und immer mehr um Europa bangten. Ich fühlte mich in Hitler-Deutschland äußerst unbehaglich und war für jeden sich mir bietenden Anlass dankbar, in der Schweiz Erholung und den Glauben an Recht, Moral, Anständigkeit und Zuverlässigkeit wieder zu finden. Der zuständige katholische Pfarrer in Berlin, den wir einmal zu Tisch gebeten hatten, fand hingegen

642 Siehe dazu vor allem  : Heinz Höhne, Gebt mir vier Jahre Zeit. Hitler und die Anfänge des Dritten Reiches, Berlin/Frankfurt am Main 1996  ; hier vor allem das Kapitel  : Am Wendepunkt, S. 425–458.

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alles gut und richtig. Die tapferen Worte der Bischöfe Graf Galen643, Faulhaber644, Preysing645 und die Predigten des Pastors Niemöller646 bestärkten mich freilich in meiner tief misstrauischen Grundhaltung. Dazu kamen noch überaus scharfe und harte Äußerungen einzelner Mitglieder des diplomatischen Korps  ; so sagte mir der amerikanische Generalkonsul Messersmith647 bei jeder Gelegenheit  : „Das ist schlimmste Unterwelt  ; das sind reine Verbrecher, die 643 Clemens August Graf Galen (Dinklage, 16.3.1878–22.3.1946, Münster), seit 1933 Bischof von Münster. Mutiger Gegner des Nationalsozialismus. 644 Michael v. Faulhaber (Heidenfeld, Unterfranken 5.3.1869 – 12.6.1952, München), 1892 Priester, 1903 Professor der alttestamentlichen Exegese in Straßburg, 1911 Bischof in Speyer, seit 1917 Erzbischof von München und Freising, 1921 Kardinal, wirkungsvoller Prediger gegen den Rassismus, 1937 Mitarbeiter an der Enzyklika Pius’ XI. „Mit brennender Sorge“. 645 Konrad Graf v. Preysing-Lichtenegg-Moos (Kronwinkl bei Landshut, 30.8.1880–21.12.1950, Berlin), 1935 Bischof von Berlin, 1941 Kardinal  ; ebenfalls führend im Kampf gegen den Nationalsozialismus. 646 Martin Niemöller (Lippstadt, Westfalen, 14.1.1892–6.3.1984 Wiesbaden), U-Boot-Kdt. Im 1. Weltkrieg evang. Theologe, 1931 Pfarrer in Berlin-Dahlem, 1933 Begründer des Pfarrernotbundes („Bekennende Kirche“), 1937–1945 in Konzentrationslagern, nach 1945 führend an dem Neuaufbau der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) beteiligt. Der wichtigste Gegner des Nationalsozialismus – und Legitimist – in Österreich im Episkopat war Sigismund Waitz, Erzbischof von Salzburg (siehe  : Hans Jablonka, Waitz – Bischof unter Kaiser und Hitler, Wien 1971  ; Vorwort S. 5–8 von Ludwig F. Jedlicka  ; siehe weiters  : Viktor Reimann. Innitzer. Kardinal zwischen Hitler und Rom, Überarbeitete Neuausgabe Wien/München 1988  ; Maximilian Liebmann, Theodor Innitzer und der Anschluss. Österreichs Kirche 1938, Graz 1988 Zu den Verfolgten  : Karl von Vogelsang-Institut/Norbert Kastelic, Gelitten für Österreich. Christen und Patrioten in Verfolgung und Widerstand. Vorwort von Maximilian Liebmann, Wien o.J. Hervorzuheben ist auch der öst. Militärbischof Dr. Ferdinand Stanislaus Pawlikowski, Fürstbischof von Seckau, ebenfalls maßgebender Exponent der monarchistisch-legitimistischen Bewegung. Siehe ansonsten  : Die christlichen Parteien in Europa (= Politische Studien, Heft 156, Juli/August 1964, 15. Jg.; Dieter A. Binder, Christlichsoziale Eliten 1918. Bruch oder Kontinuität, in  : Academia, Jänner 2009, S. 16 f. Binder betont dort die Kontinuität der christlichsozialen Eliten für die Zeit vor und nach 1918 und die Haltung des Wiener Erzbischofs Kardinal Piffl sowie Ignaz Seipels. Er schreibt, es „… galt Piffls Sorge ausschließlich der Sicherung des Besitzstandes der Kirche, den er durch den als antiklerikal empfundenen Laizismus der Sozialdemokraten gefährdet sah. Den katholischen Eliten in den studentischen Korporationen, die sich als Stütze von Thron und Altar verstanden hatten, war der ,Thron‘ abhanden gekommen, umso mehr stellte man sich in den Dienst des ,Altars‘ an die Stelle der ausgeprägten Staatsloyalität vor 1914“. Siehe dazu auch  : Robert Prantner, Die Geschichte der katholischen Bewegung in Österreich, in  : Der Standort des Katholizismus in Österreich. 5. Arbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände 18.–20.Novemer 1960 in Salzburg, Wien um 1960  ; Erwin Oberländer (Hg.), Autoritäre Regime in Ostmittel- und Südosteuropa 1919–1944, Paderborn 2001. 647 George S. Messersmith (1883–1960) kam 1934 als Gesandter der USA nach Österreich und blieb es bis Frühjahr 1938. Eine wichtige Quelle sind seine Vernehmungsprotokolle in  : Der Hochverratsprozess gegen Dr. Guido Schmidt vor dem Wiener Volksgericht. Die Gerichtlichen Protokolle. Wien 1947, S.416–419. Siehe weiters  : Franz Goldner, Dollfuß im Spiegel der US-Akten. Aus den Archiven des Secretary of State, Washington – bisher unveröffentlichte Berichte der US-Botschaften Wien– Berlin–Rom–London–Paris–Prag, St. Pölten 1979.

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heute in Deutschland an der Macht stehen  ; lassen Sie sich in Österreich von diesen Gesellen ja nicht kleinkriegen  ; halten Sie durch  ! Ich weiß ganz bestimmt, dass Präsident Roosevelt mit der ganzen amerikanischen Macht hinter Ihnen stehen wird  !“, und der amerikanische Luftattaché Obst. Wuest meinte kopfschüttelnd  : „Wo man hinsieht, überall nur Gewalt und Vergewaltigung  ; es gibt in Deutschland keine freien Menschen mehr.“ Ganz furchtbar war die Meinung des englischen Luftattachés Obst. Herring. Als wir bei einem Empfang in der russischen Botschaft Frau Herring neben ihrem Gemahl unter der Büste Lenins sitzend fanden, sagte meine Frau lachend zu Frau Herring  : „Na, einen anderen Platz hätten Sie sich nicht finden können  ; muss es gerade im Schatten Lenins sein  ?“, worauf Frau Herring erwiderte  : „In Berlin ist es doch völlig gleich, wo ich sitze  ; immer und überall die gleiche Unfreiheit  !“ Darauf wandte ich mich an Herring und meinte, dass das doch etwas übertrieben sei. Und da sagte dieser zu mir  : „Oh no  ! Denken Sie nur über ihre österreichische Geschichte nach. Ihr übel wollendster Feind war immer Deutschland, und als Preußen die Führung bekam, wurde es noch schlimmer. Ihr Einwand, dass das Volk gut sei, stimmt nicht  ; jedes Volk hat die Männer in Führung, die es liebt und verdient  ; so auch jetzt wieder Hitler. Wissen Sie, die Deutschen sind eine schlechte Rasse, die ausgetilgt gehört. Zuchtfehler in der Tierwelt lässt man aussterben, so muss es mit den Deutschen geschehen  !“ Auf meine scharfe Erwiderung, dass das denn doch zu weit ginge, erwiderte Herring lakonisch  : „Sie werden noch an mich denken  ! Ihr Österreicher werdet bald wieder den ganzen deutschen Hass zu spüren bekommen.“ Nicht viel anders dachte mein belgischer Kamerad Schmitt  ; und auch die Holländer und Nordländer äußerten in milderen Worten das Gleiche. Auch mein ungarischer Kollege, Obstlt. v. Miklós, der an sich bevorzugt behandelt wurde, weil die deutsche Politik mit Ungarn rechnete, war dauernd von der deutschen Überheblichkeit und dem Rassendünkel verstimmt. Als er über Budapester Weisung keine engere Zusammenarbeit mit mir durchführen durfte, meinte er, seine Budapester Vorgesetzten in ihrer Deutschland-Bewunderung einfach nicht begreifen zu können. Im März 1934 reiste meine Frau zu ihrem schwer erkrankten Vater, zuerst an den Balaton und dann nach Debrecen. Mich hatte der Schweizer Generalstab zu einem sechswöchigen Besuch aller In­ struk­tionskurse eingeladen. Es war ein wunderbares Aufatmen, als ich die freie Berg­ luft wieder in meinen Lungen spürte. Ich sah den Infanteriekurs in Liestal und die unter dem überragenden Obersten Constane stehende Infanterie-Schießschule in Walenstadt, die Ausbildung der leichten Artillerie in Frauenfeld und jene der schweren in Kloten, der Flieger in Dübendorf und schließlich einen taktischen Offizierskurs in der herrlichen Bergwelt südlich von Château d‘Oex und Saanen. Überall prächtiges urtümliches Soldatentum am Werk, mit großem Können und beneidenswertem Opfersinn. Es waren Tage reiner Freude und seelischer Erholung, die ich in diesem

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wunderbaren Land verbringen konnte und die mir auch militärisch sehr viel brachten. Dort begann ich nachzudenken, wie sich Österreich des sicher zu erwartenden Angriffs von Hitler werde erwehren können. Nach meiner Rückkehr erbat ich eine Vorsprache beim Chef des Generalstabes des Heeres, GdA. Beck, unter der Angabe, dass mich dessen Anschauung über die Motorisierung im Allgemeinen und besonders der Artillerie interessiere, die ich in Österreich sehr vertreten hatte. GdA. Beck empfing mich im Beisein eines jüngeren Offiziers, der sich an der Unterhaltung nicht beteiligte. Das war allgemein Sitte geworden und zwar nicht nur mir gegenüber  : Man brauchte anscheinend einen Zeugen für den Ablauf der Unterhaltung. Hinsichtlich der Motorisierung zeigte sich GdA. Beck recht unbestimmt  ; er äußerte, dass dazu noch viele Studien und Erprobungen erforderlich seien, bevor man sich entscheiden könne. Meine Frage, ob er unseren geländegängigen Sechsrad-Steyr-Wagen kenne, der sich in Österreich hervorragend bewähre und auch im Ausland überall gefalle, sodass Rumänien bereits eine namhafte Zahl solcher Wagen bestellt habe, verneinte General Beck.648 Als ich nun zum eigentlichen Thema meines Besuchs kam und der Meinung Ausdruck gab, dass es doch erstrebenswert wäre, wenn Deutschland und Österreich wenigstens in technischen Belangen zusammenarbeiten würden, was sich auch zugunsten einer Abschwächung der gegenwärtigen politischen Spannungen auswirken könnte, und ob ich den Sechsrad-Wagen zu Vorführungszwecken nach Deutschland kommen lassen solle, verharrte Beck zunächst schweigend und sagte dann, dass dies Sache der Techniker wäre. Er hatte meinen zur Beeinflussung der Politik zugespielten Ball nicht aufgenommen. Ein Weiterspinnen der Unterhaltung war damit für mich uninteressant geworden, und ich empfahl mich mit kurzem Dank für die gewährte Vorsprache. Ganz gleich erging es mir mit GdA. Fritsch, der alle Militärattachés zu einem „Bierabend“ in seine Dienstwohnung geladen hatte. Die Militärattachés wurden vom Adjutanten planmäßig an den kleinen Tisch des Oberbefehlshabers gebeten. Fritsch stellte an mich die Frage, wie ich mich in Berlin fühle. Darauf erwiderte ich, dass ich mich bedrückt fühle, weil ich mit dem mir von Dollfuß auf den Weg gegebenen Auftrag, unserem Gesandten zu helfen, zwischen Österreich und Deutschland wieder ein vernünftiges Verhältnis herzustellen, nicht näher kommen könne, denn von meinen alten deutschen Kameraden aus dem Weltkrieg sei niemand mehr aktiv und sonst begegne ich keiner Hilfsbereitschaft von deutscher Seite. Fritsch verschob nun das 648 Der ADG (Austro-Daimler-Geländewagen war der erste Sechsräderwagen im Bundesheer, von vier Hinterrädern angetrieben, 6-Zylinder-Benzinmotor, 2 Rückwärtsgänge. Verwendet als MannschaftsTransport- und Kommando-Wagen für die motorisierten Jäger- und Infanterieeinheiten. Später ersetzt und ergänzt durch Steyr 40 D bzw. 440 in gleicher Bauart.

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Thema sofort auf den Weltkrieg und unsere damaligen Diensteinteilungen, wodurch diese Unterhaltung gewiss anregend, aber für mich nicht zielführend geworden war. Bald darauf wurde ein anderer Attaché zu Fritsch gebeten. Um diese Zeit wurde meinem Titel „Militärattaché“ die Bezeichnung „und Luftattaché“ angefügt. Nun bot sich mir der erwünschte Anlass herauszufinden, ob sich mit den aufgeschlosseneren Fliegeroffizieren, die zumeist aus Zivilberufen kamen, leichter zu zielführenden Gesprächen kommen ließ. Der Attachéoffizier Mjr. Hanesse war ein Mann am rechten Platz  : intelligent, lebhaft, mit ausgezeichneten Umgangsformen, hilfsbereit  ; Ministerialrat Arndt ebenso mit seiner besonders hochstehenden Frau. Beide kamen gern in unser Haus und wir zu ihnen  ; die Sympathien blieben über die spätere Trennung hinaus bestehen. Der hochbegabte General Wewer, den ich aus dem Weltkrieg kannte, fiel leider bald einem Flugzeugunglück zum Opfer. Dann gab es die männlich so sympathische Erscheinung Wenigers, des erfolgreichen U-Bootkommandanten aus dem Weltkrieg. Auch mit dem effektiven Leiter des Flugwesens, Gen. Milch, ließ sich gut reden, ja, dieser wollte mich sogar zur Luftwaffe hinüberziehen. Aber um in politicis vorwärts zu kommen, da hatte es noch eine gute Weile. Göring, bei dessen Hochzeit in der Kirche wir anwesend sein und dessen phantastisch reiche Hochzeitsgeschenke ansehen durften649, entzog sich jedem Gespräch mit Öster­ reichern so wie alle anderen Parteigrößen, mit Ausnahme des Reichssportführers v. Tscham­mer und Osten650, der aber keinen bestimmenden Einfluss hatte. Am 28. Juni traf mich die Nachricht vom Tode meines Schwiegervaters, FML. László v. Reviczky. Ich fuhr über Wien, wo ich meine Töchter vorzeitig aus dem Internat nahm, mit ihnen zur Beerdigung nach Aba puszta. Die sterbliche Hülle dieses wahren Kämpfers aus dem Weltkrieg wurde auf seinem Gut in eigener Erde zur Ruhe gebettet. Wir blieben noch einige Tage im Haus mit nahen Verwandten beisammen, als uns völlig überraschend die Nachricht von der Ermordung des SA-Führers Mjr. Röhm und in deren Gefolge eine ganze Serie von Erschießungen in Berlin und München erreichten. Da eilte ich mit Frau und Kindern unverzüglich nach Berlin zurück, um zu sehen und zu hören, was es gegeben hatte.651 649 Hermann Göring heiratete am 10.4.1935 mit größtem Pomp Emmy Göring, geschiedene Köstlin, geborene Sonnemann (Hamburg, 24.3.1893–8.6.1973, München). 650 Hans v. Tschammer u. Osten (Dresden, 25.10.1887–25.3.1943, Berlin), Nachrichtenoffizier im 1. Weltkrieg, 1923–1926 Führer des Sächsischen Jungdeutschen Ordens, 1929 Mitglied der NSDAP, 5.3.1933 Mitglied des Reichstages, 28.4.1933 Reichssportkommissar, 19.7.1933 Reichssportführer, überführte 1938 den Dt. Reichsbund für Leibesübungen in den Nat.soz. Reichsbund für Leibesübungen, leitete das Deutsche Arbeitsfront-Werk „Kraft durch Freude“. 651 Dem Stabschef der SA, Ernst Röhm, seit 1919 bei der NSDAP, unterstanden ca. 4,5 Millionen Mann kriegserfahrene SA-Mitglieder. In einer sogenannten Zweiten Revolution wollte die SA mit den Etablierten und Konservativen abrechnen. Auch plante Röhm, die SA in ein Milizheer, ein „Volksheer“,

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Viel Positives war aber in Berlin nicht zu erfahren. Der Ablauf, wie er heute in einer Reihe von Publikationen geschildert wird, konnte damals nicht ausreichend geklärt werden. Die Offiziere im Reichswehrministerium waren durchwegs betreten und auch verlegen, als aus den Wohnungen der SA-Größen, so auch aus jener in meiner umzuwandeln. Sie geriet dadurch in Gegensatz zur Reichswehr. Im Frühjahr 1933 hatte Röhm mit dem Chef des Ministeramtes des Reichswehrministeriums GM v. Reichenau vereinbart, dass die SA zwar von der Reichswehr militärisch ausgebildet, aber nur zum Einsatz für innere Aufgaben bewaffnet und ausgestattet werden sollte. Als Gegenleistung wurde ihr erlaubt, mit Ausnahme des „Stahlhelms“, den die Reichswehr als wertvolle Ergänzung und als Verbündeten empfand, die paramilit. Verbände und Kriegervereine zu absorbieren. Im Frühjahr 1934 spitzte sich die Lage auch noch durch die Konkurrenz der SS zur SA zu. Die SS empfing Waffen von der Reichswehr, die am Stichtag stellenweise selbst als Rückhalt aufmarschierte. Hitler beorderte die ahnungslosen SA-Führer nach Bad Wiessee zu einer Tagung und Aussprache, wo er Röhm und seine Anhänger am 30.6.1934 morgens aus den Betten holen, nach München transportieren und dort erschießen ließ. Die Festnahmen lösten eine bereits vorbereitete Aktion mit Todeslisten von Regimegegnern im ganzen Reich aus, die bald ihre Grenzen sprengte und Hunderte von ursprünglich gar nicht vorgesehenen Opfern kostete. Prominente Opfer im Offizierskorps waren die pensionierten Generäle und Vorgänger General Reichenaus im Ministeramt des Reichswehrministeriums, v. Schleicher und v. Bredow, die beide auch mit der nachrichtendienstlichen Tätigkeit in Österreich zu tun hatten. Für Österreich hatte jenes Ereignis seine Auswirkungen  : Als am 6. Juni, also noch vor dem Röhm-Putsch, Hitler die Erlaubnis an „seinen“ Landesinspekteur für Österreich gab, aus einem angeblich geplanten Putsch des Bundesheers Nutzen zu ziehen, selbst eine Gewaltaktion durchzuführen und sich an einer Regierung Rintelen zu beteiligen, fragte Hitler den Obersten SA-Führer von Österreich Hermann Reschny und auch deutsche Militärs, ob sie eine Meuterei des Bundesheeres für möglich hielten. Die Militärs gaben zumindest dem Militärattaché Muff freie Hand, wie aus dem Bericht des Stabschefs Habichts hervorgeht (darüber Näheres in der Einleitung zur Edition). Reschny aber gab nach dem Röhm-Putsch eine ganze Anzahl von Hinweisen an die öst. Behörden, sogar Fotos der Genannten mit Decknamen. „Diese Warnungen blieben irgendwo im Gewebe von Schlamperei und Verrat stecken (Lucian O. Meysels, siehe Register), sind aber weitgehend auch aktenkundig. Es scheint sicher zu sein, dass diese Warnungen beim Putsch gegen das Kanzleramt nicht unmittelbar etwas fruchteten. Aber die schwere Rivalität zwischen SA und SS hatte zur Folge, dass die Nationalsozialisten nur zum Teil und zu unterschiedlichen Zeiten, zum Teil erst am 26.7. und am 27.7.1934, angriffen. Von den etwa 20.000 SA-, den etwa 2.000 SS-Männern, dem Steirischen Heimatschutz und den Kärntner Bauernwehren dürften in Steiermark und Kärnten etwa jeweils 3.000 bis 4.000 gekämpft haben. Die im Deutschen Reich formierte Österreichische Legion, die seit dem österreichischen Verbot der Selbstschutzformationen der NSDAP – und der Partei selbst – geflüchtete Mitglieder oder Sympathisanten aufnahm, scheint nur bei dem oberösterreichischen Ort Kollerschlag einen ernsthaften Versuch unternommen zu haben, einzudringen und – wie vorgesehen – mitzumachen. Einigen Berichten zufolge, soll es aber in der Steiermark zu mehr als nur vereinzelten Abmachungen zwischen Bundesheer und lokalen Kämpfern gekommen sein, um diesen ohne weitere Kampfhandlungen und bei Freilassung von Geiseln jeweils das Untertauchen oder das Entkommen nach Jugoslawien zu ermöglichen ; weiteres in der Literatur ( Jagschitz, Naderer, Meysels, vor allem aber Etschmann). Nach 1938 ist ein pensionierter GM des öst. Bundesheeres auf besondere Intervention von Glaise-Horstenau in einen Generalsrang der SS übernommen worden, ein weiterer trat ihr im Weltkrieg bei.

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nächsten Nähe, viele Munitionskisten beschlagnahmt und abtransportiert wurden. Die berüchtigte Reichstagsrede Hitlers wurde als offizielle Aufkündigung Deutschlands als Rechtsstaat beurteilt, doch das Gefühl der Unsicherheit unter unseren deutschen Freunden wirkte auch auf uns Ausländer beklemmend. Der neue SA-Führer Lutze wurde im Reichswehrministerium als ein „ganz ordentlicher Mann“ bezeichnet.652 Am 11. Juli war in Wien Fürst Schönburg als Minister für Landesverteidigung zurückgetreten und der bisherige Kommandant der 4. Linzer Brigade, GM Wilhelm Zehner, zum Staatssekretär für Landesverteidigung ernannt worden, während sich Dr. Dollfuß die Ministerschaft und damit bestimmenden Einfluss auf das Heerwesen selbst vorbehielt. Die Ursache des Wechsels war mir damals nicht klar und ich bedauerte, dass eine so prominente Persönlichkeit, wie es GO Fürst Schönburg gewesen war, nicht mehr die Spitze des Heeres verkörperte. GM Zehner war mir nur flüchtig bekannt  ; militärisch war er bisher in keiner Weise hervorgetreten. Warum die bedeutend dienstälteren Generäle Schilhawsky, Luschinsky653, Brantner, die durchwegs höchste 652 Viktor Lutze (Bevergen 28.12.1890–2.5.1943, Autounfall bei Hannover), 1912 Berufssoldat, 1922 Eintritt in die NSDAP, 1923 in die SA, beteiligte sich aktiv am Ruhrkampf, 1925 Gau-SA-Führer, 1930 Mitglied des Reichstages, März 1933 Polizeipräsident v. Hannover, Oberpräsident der Provinz Hannover. Nach der Röhm-Affäre wurde Lutze, der Material gegen Röhm geliefert hatte, von Hitler zum Stabschef der SA berufen. Obwohl er, so gut er konnte, gegen die SS arbeitete, war er nicht in der Lage, seiner Formation die alte Machtposition zurückzuerobern. Er trat 1941 von der Funktion des Oberpräsidenten zurück. Wichtige Literatur  : Heinrich Bennecke, Die Reichswehr und der „RöhmPutsch (= Beiheft 2 der Zweimonatsschrift Politische Studien)  ; Wien 1964. 653 Ing. Eugen Luschinsky (Graz, Stmk., 11.12.1881–11.6.1948, Wien), 18.8.1902 ausgemustert aus der Techn. Milakad., in Wien als Lt. zum Eisenbahn- u. Telegraphenrgt., Frequentant der Telegraphenschule in Korneuburg, des Höheren Geniekurses in Wien (1906–1909), 1.11.1909 zugeteilt dem Geniestab und eingeteilt bei der Geniedirektion in Trient, 1911 Bauleiter zweier Festungswerke südlich von Trient, 3.11.1911 transferiert zum Telegraphenrgt., 22.3.1913 transferiert zum Techn. Militärkomitee, 1.11.1909 übernommen in den Geniestab, 4.8.1914 eingeteilt bei der Geniestabsgruppe Nr. 1 in Wien, 19.4.1915 zugeteilt dem Generalgenieinspektor, 15.12.1916 transferiert zum 5. Armeekdo. als Techn. Referent einer ID, 2.7.1917 Techn. Offizier 7.KKdo., 1.8.1917 Mjr. d. Geniestabes, ab Nov. 1918 im StfHw., beim Aufbau der Volkswehr usw. Exponent einer Offiziersopposition gegen Obst. Körner, 1.1.1920 Obstlt. und übernommen ins Bundesheer („Höherer mil. Dienst gehobener Posten in einem BM.), eingeteilt bei Abt. 2, 28.6.1923 Obst, 27.1.1930 GM, 1.2.1931 betraut mit den Agenden Telegrafentruppeninspektors, 1.9.1932 versetzt zum Heeresinspektor bei Beibehaltung seiner Agenden, 1.10.1932 bestellt zum Kdt. der Brig. 2 und Stadtkdt. von Wien bei Aufhebung der Betrauung mit den Agenden eines Telegraphentruppeninspektors, 1.3.1934 betraut mit Leitung Sektion II im BMfLv., 28. 6.1934 G.d.I, 1.9.1936 dauernder Ruhestand. Luschinsky hatte im Juni 1934 die Aufgabe einer umfangreichen Besichtigung der ung. Waffenproduktion, über die er einen Bericht verfasste (ÖStA/AdR/ Lv, Schriften des Bundesheeres Nr. 29; dort Listen von ung. Waffenlieferungen an das Heer ab 1933 und bis 1935). Dazu Stellungnahme des Obstlt. Wiktorin, Abt. I des BMfLv., 8.8.1934  : „Die Abt.1 ist ebenfalls der Ansicht, daß aus den vom Leiter der Sekt. II angeführten Gründen eine Aufteilung der Kriegsmaterialerzeugung zwischen Ö. und U. nicht zweckmäßig wäre. Darüber hinaus muß aber

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militärische Ausbildung genossen und sich in Krieg und Frieden bewährt hatten, zurückgesetzt worden waren, blieb mir unverständlich. Der Gesandte Tauschitz, der bei der Umbildung des Ministeriums in Wien weilte, weil angesichts der nicht abreißenden, offenkundig von Deutschland aus geleiteten nationalsozialistischen Terrorakte eine Zeitlang in Erwägung gestanden war, den Berliner Gesandtenposten durch seine Ernennung zum Minister für Auswärtige Angelegenheiten unbesetzt zu lassen, kehrte wieder zurück. Er brachte mir die Nachricht, dass es sich nur um Haaresbreite gehandelt habe, dass ich als Heeresminister ins Ministerium berufen worden wäre. Warum das im letzten Augenblick auf Zehner umgebogen worden war, konnte er nicht sagen. Tauschitz und ich waren jedenfalls zufrieden, dass unsere vertrauensvolle Zusammenarbeit auf dem so schwierigen Berliner Boden ungestört weiterlaufen konnte  ; denn wir teilten die begründete Erkenntnis, dass das Schicksal Österreichs in nächster Zukunft von Berlin aus entschieden werden würde. Dass diese Entscheidung die österreichische Freiheit und Unabhängigkeit nicht zerstören sollte, darauf war unser gemeinsames Bemühen gerichtet. Für den weiteren Sommer begann ich einen geeigneten Aufenthalt für meine Familie zu suchen. Die in Berlin aufliegenden Prospekte wiesen mich nach Rostock und Ähnliches mehr  ; schwer enttäuschte mich der geringe Komfort, der in diesen Bädern außerhalb der uns zu teuren Hotels geboten wurde. Nach langem Suchen fand ich endlich im Ostseebad Heringsdorf drei Zimmer mit Küchenbenützung in einer schon nahe Ahlbeck gelegenen Strandvilla, die ich für die Monate Juli und August fest mietete. Einen Verlust brachte uns der Aufenthalt in Heringsdorf allerdings  : Der dortige Villen- und Pensionsbesitzer hatte sich in unser geschicktes, hervorragend kochendes Dienstmädchen so verliebt, dass er sie noch im gleichen Herbst ehelichte. Grete kam mit meiner Familie gerade noch zurück nach Berlin, trat dann bald ihren Urlaub nach Herzogenburg an, von wo sie direkt zur Eheschließung nach Heringsdorf fuhr. Ich folgte der Einladung des Generalstabs zur Übung des Inf. Rgt. Nr. 17 des Wehrkreises 6 auf den Truppenübungsplatz Altengrabow in der Mark Brandenburg. Wenn noch bedacht werden, daß Ungarn bisher noch immer nicht in absolut einwandfreier Weise einen Verzicht auf das Burgenland ausgesprochen hat. Es kann daher bis auf Weiteres noch nicht sicher damit gerechnet werden, daß Ungarn in jeder denkbaren politischen Lagern unbedingt ein Verbündeter Ös. sein wird. Auch dieser Umstand zwingt daher zu einer gewissen Vorsicht … Einkauf von Reitpferden in Ungarn.“ Lt. eigenen Angaben wurde Luschinsky im April 1939 eine Aufstockung der Pension nicht gewährt, Okt. 1940 lt. Versorgungsakt  : Aufstockung nicht gewährt „auf höheren Befehl – war Sektionschef unter Schuschnigg“; eidesstattliche Erklärung im Versorgungsakt  : „Ich war Mitglied des Siebener-Ausschusses der öst. Widerstandsbewegung O5, allererste öst. Prov. Regierung vom 10. bis 23. April 1945.“ Die anderen Offiziere, die vor 1938 ausgeschieden sind und gekürzt wurden, waren  : GdI. Schiebel, GM Ludwig Swoboda, Obst. Walter Adam. [Bei General Körner war dies nicht der Fall, vielmehr stand er auf der Liste für Geburtstagsgratulationen des Wehrkreises XVII.]

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ich gehofft hatte, schon etwas an neuen Waffen zu sehen, so wurde ich enttäuscht. Es war das übliche verstärkte Infanterieregiment, das auf dem trostlos öden Übungsplatz eine Übung mit Gegenseitigkeit in der mir gut bekannten Art durchführte. Bei diesem kleinen Manöver hatte ich Gelegenheit, mit GdA. Beck, der dauernd von einem in Hörweite sich mitbewegenden Adjutanten begleitet war, ins Gespräch zu kommen. Natürlich schnitt ich sofort das bestehende ungute Verhältnis zu Deutschland an und knüpfte daran mein Bedauern, mit dem „Führer“ nicht selbst ins Gespräch kommen zu können. Ich hoffte, von Beck in irgendeiner Form eine Vermittlungsbemühung für ein solches Gespräch zu hören  ; er sagte aber nur  : „Ja, man muss zugeben, dass der Führer einen sehr guten militärischen Blick und großes Interesse an allen militärischen Fragen hat.“ Dann erzählte mir Beck, um in solcher Form seiner Sympathie für Österreich Ausdruck zu geben, dass er in Mainz aufgewachsen sei, wo sein Vater im Dienst gestanden war, als Mainz eine deutsche und eine österreichische Garnison hatte. Er erinnere sich sehr genau, wie gut sein Vater von der Haltung und Kameradschaft der österreichischen Truppen gesprochen habe und wie schön ihm diese Zeiten in Erinnerung geblieben seien. Das war die ganze magere Ausbeute der Unterhaltung, die sich auch durch das von der Heeresleitung den Attachés gegebene Abendessen nicht erweiterte. Nach dem 20.Juli fuhr ich zum Schweizer Bundesschießen nach Bern. Dort war anstelle des von mir sehr verehrten Gesandten Herzfeld ein Herr Schmid654 (nicht der spätere Außenminister in der Regierung Schuschnigg) getreten, dessen geistvoll energische Gemahlin, Tochter eines Dragonerobersten, bestes Österreichertum repräsentierte. Ich hatte die Freude, in ihrem Hause mit dem auf einer Orientierungsreise befindlichen Präsidenten der Bundesbahnen, Karl Vaugoin, zusammenzutreffen, der die Lage in Österreich wohl als schwierig, aber durchaus nicht als reif für den Nationalsozialismus bezeichnete. Sonst schien er mir in Beurteilung von Dr. Dollfuß zurückhaltend und schloss unsere Unterhaltung mit der recht laut für mehrere Besucher hörbaren Meinung, dass er es gerne gesehen hätte, wenn Dollfuß das Landesverteidigungsministerium in meine Hände gelegt haben würde. Ich dankte ihm für diese 654 Heinrich Schmid (Wien, 17.3.1888–27.11.1968, Wien), römisch-katholisch, später evangelisch AB, verheiratet mit Maria Leontine Patzoll 23.11.1921, Juni 1938 aus rassischen Gründen geschieden, verheiratet mit Ellen Davison (3.6.1939). Absolvent der Konsularakademie, Einjährig Freiwilliger bei HR 3, 7.12.1911 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1912–1914 Generalkonsulat Skutari, dann im Weltkrieg an der Gesandtschaft in Bukarest u. an der Vertretung in Bagdad, ab 6.5.1919 im Staatsamt für Äußeres, 1922 Dienst in Paris, 20.9.1933 ao. Gesandter u. bev. Minister in Bern, 18.6.1935 in Belgrad, 1937 in Warschau, ab 1939 Tätigkeit bei der Preisbildungsstelle in Wien, 1941 Versetzung in den Wartestand, 30.4.1945 Dienstantritt in der Staatskanzlei/Auswärtiges Amt, ab 1946 Gesandter in London, dann Paris, dann ab 1953 Bonn, 31.12.1953 Ruhestand.

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Wertschätzung, die meine Position in der Schweiz und möglicherweise auch in Berlin unterstrich und bedeutsamer gestaltete. Dann orientierte ich mich über die Vorbereitungen für das Bundesschießen, das mir völlig neu war. Wie stets sprach ich bei den Waffenchefs und im Generalstab vor, besonders bei dessen Chef Obst. Korpskdt. Roost, mit dem sich allmählich eine sehr aufrichtige, ich möchte sagen freundschaftliche Beziehung angebahnt hatte. Von ihm erfuhr ich, dass Vorbereitungen im Gang seien, an der Nordgrenze der Schweiz Befestigungen und die Aufstellung von aktiven Formationen in die Wege zu leiten, weil die Sorge vor einer nationalsozialistisch-deutschen Aggression die Schweiz beunruhige. Natürlich wurden die letzten Ereignisse in Deutschland besprochen, und Roost meinte abschließend, dass sich Diktaturen auf die Dauer nicht halten können, weder in Deutschland, noch in Italien  ; seherisch sagte er zu mir  : „Wir werden den Zusammenbruch dieser Systeme in beiden Staaten noch erleben  !“ Gerade als wir uns verabschieden wollten, brachte ein Diener ein Telegramm, wonach in Wien eine Revolte ausgebrochen und auf Bundeskanzler Dollfuß ein Attentat verübt worden sein sollte.655 Übereinstimmend waren wir der Meinung, dass es sich 655 Bereits am 24. Juli 1934 erfolgte die Verhaftung eines Wiener SS-Kommandos in Klagenfurt, das als Beginn eines Anschlages und Putsches gegen die Dritte Regierung Dollfuß einen Mordanschlag auf Bundespräsident Miklas, der in Velden am Wörthersee (Kärnten) auf Urlaub war, geplant hatte. Am Vormittag des 25. Juli 1934 erfolgte dann der Überfall auf den Österreichischen Ministerrat im Bundeskanzleramt durch etwa 150 Angehörige der SS-Standarte 89. Da die meisten Teilnehmer des Ministerrates infolge von Warnungen diesen bereits verlassen hatten, wurden von den Putschisten nur der Bundeskanzler, Sicherheitsminister Karwinsky und der Generalstaatskommissär für außerordentliche Sicherheitsmaßnahmen, Emil Fey, angetroffen. Dollfuß wurde beim Eindringen der Putschisten durch den Anführer Otto Planetta durch einen Schuss verletzt, der wie die Obduktion ergab, tödlich war. Es wurde festgestellt, dass ein zweiter Schuss abgegeben worden war, und dies wurde auch von den Mördern nicht bestritten. Planetta nahm die Abgabe des zweiten Schusses auf sich. Der amtlich bestellte Schießsachverständige, mit dem auch der Herausgeber vor vielen Jahren ein Gespräch bei der Übergabe seines Schriftennachlasses geführt hatte, blieb dabei, dass nach seinen Untersuchungen die Pistole Planettas nicht „gedoppelt“ habe, also aus ihr weder absichtlich noch infolge einer Fehlfunktion ein zweiter Schuss abgegeben worden sei. Die zweite Schusswaffe, mit der ein zweites Mal auf Dollfuß geschossen worden war, blieb unentdeckt. Nach Erklärung des späteren Verteidigers von Planetta und Holzweber, des gute Beziehungen zur NSDAP unterhaltenden Wiener Rechtsanwalts Dr. Erich Führer bei einem Vortrag im Wiener Neuen Klub am 23.1.1984, hat zwar diesen zweiten Schuss ein Polizeibeamter abgeben, aber keiner aus dem Kreis der Putschisten selbst, die in das Bundeskanzleramt eingedrungen waren, vielmehr habe es sich um einen Kriminalbeamten der Bundespolizeidirektion Wien gehandelt, der im Bundeskanzleramt selbst Dienst versah und Nationalsozialist war. Sein Name sei ihm (Dr. Führer) durchaus bekannt, dieser Mann sei noch am Leben (Theodor Veiter, „Das 34er Jahr“ – Bürgerkrieg in Österreich, Wien/München 1984, S.202 f. Der Herausgeber dieses Werkes war gemeinsam mit Prof. Veiter bei jener Erklärung anwesend.) Dazu passt auch eine weitere Erklärung eines Bundesbruders von Dr.Dollfuß im Wiener Cartellverband Katholischer Österreichischer Hochschüler, der ein ihm bekanntes medizinisches Gutachten bezeugte, welches später von der Bundesregie-

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nur um einen nazistischen Anschlag handeln könne. Ich empfahl mich rasch und eilte in die nahe gelegene österreichische Gesandtschaft, um Näheres zu erfahren. Es war Nachmittag, der Gesandte schon in seiner Wohnung  ; nähere Nachrichten fehlten. Ich rief das Ministerium für Landesverteidigung in Wien an, wo ich nur den Budgetreferenten, den Oberst-Intendanten Jantsch, erreichen konnte  : „In Wien noch ungeklärte Lage  ; Bundeskanzleramt von Truppen des Heeres zerniert  ; Dr. Dollfuß soll schwer verwundet, vielleicht auch schon tot sein  ; Anschlag auf Rundfunkzentrale in der Johannesgasse vereitelt  ; in Wien Ruhe  ! Nur in Steiermark und Kärnten nationalsozialistische Demonstrationen.“ Ich rief Schmid an, der mit dem Wiener Außenamt keine Verbindung bekommen hatte und dem meine Mitteilung neu war. Er bat mich, in seine Wohnung zu kommen. Als ich dort eintraf, war Schmid sehr ernst, seine arme Frau schluchzte in einem Weinkrampf aus echtem Zorn, dass man da untätig sitzen musste und Wien nicht helfen konnte. Ich rief Berlin an. Tauschitz wusste nicht mehr als ich, teilte aber mit, dass man in der Wilhelmstraße sehr kleinlaut und verschüchtert sei  ; die deutsche Presse schreibe von einem kommunistischen Aufstand. So blieb uns nichts übrig, als zu warten. Nach einer Weile schaltete Schmid den Radioapparat ein, und bald darauf kamen die ersten Ansagen aus Wien mit der Mitteilung vom barbarischen, jeder Zivilisation Hohn sprechenden Mord an Kanzler Dollfuß.656 Das stille, ruhige Bern schien merklich erregt. Es begannen Anfragen mit Kondolenzen zu wechseln, bis schließlich die allgemein gewordene Empörung spontanen Ausdruck fand. Unter Eindruck der Trauernachricht schlug ich Schmid vor, unsere Teilnahme am Fest des Bundesschießens abzusagen  ; ich wolle sogleich nach Berlin rung aus politischen Gründen unterdrückt worden sei. Danach sei der zweite Schuss aus einer Pistole gekommen, die der Täter an der Schläfe Dollfuß’  ; zum Schuss angesetzt hätte. Laut einer freundlichen Mitteilung durch Univ.-Prof. i. R. Gerhard Jagschitz habe dieser ein Gespräch mit einem Zeitzeugen geführt, der seinerzeit Mitglied der Ortsgruppe Wien-Speising der illegalen NSDAP gewesen sei. Laut diesem Informanten hätten Mitglieder dieser Ortsgruppe vor dem Putsch von der Absicht eines Mordes aus politischen privaten Motiven, eines Art Fememordes an Dollfuß gesprochen. Ein direkter Befehl Hitlers zur Ermordung des österreichischen Bundeskanzlers ist bis heute nicht bekannt geworden. Der Massenmord an SA-Angehörigen mit ihrem Anführer Röhm an der Spitze ging allerdings auch wenige Wochen vor der Ermordung des Bundeskanzlers über die mitteleuropäische Bühne. Siehe vor allem  : S.V. Kellerhof, Schüsse am Ballhausplatz, Der Putsch gegen Österreichs Kanzler Dollfuß, in  : Alexander Demant (Hg.), Das Attentat in der Geschichte, Köln usw.1996, S. 345–360. Lucian O. Meysels, Morde machen Geschichte. Politische Gewaltakte im 20. Jahrhundert, Wien/München 1985, S.181–191; Reinhard Pohanka, Attentate in Österreich, Graz/Wien/Köln 2001, S.145–156. 656 Siehe diesbezüglich  : Peter Broucek, Das Jahr 1934, in  : Österreichischer Verein für Studentengeschichte (Hg.), Die Vorträge der 11. österr. Studentenhistorikertagung 1994 in Linz (= Beiträge zur österreichischen Studentengeschichte, Band 23), Wien 1994, S.  55–88  ; Gudula Walterskirchen, Engelbert Dollfuß. Arbeitermörder oder Heldenkanzler  ?, Wien 2004.

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zurück, wo ich wichtiger sei als in Bern. Schmid war einverstanden. Ich sagte telefonisch meinen militärischen Freunden Adieu und bestieg noch in der Nacht den Zug nach Berlin. Kaum hatte ich meine Wohnung betreten, als schon das Telefon schrillte  : Meine Frau erklärte erregt aus Heringsdorf, sie wolle absolut nicht länger unter „Mördern“ wohnen, sie wolle weg von Heringsdorf und zurück nach Österreich  ! Ihr Schmerz über den Tod des Kanzlers war echt und ungekünstelt. Ich freute mich, dass sie aus unserem sicher unter deutscher Kontrolle stehenden Telefon so tapfere Worte gesprochen hatte. Doch bat ich sie um Geduld, ich sei gerade erst angekommen. Am folgenden Tag besprach ich mich mit Tauschitz. Von der neuen Regierung unter Schuschnigg war der Auftrag gekommen, ruhig auf unseren Posten zu bleiben. Alle Nachrichten aus Wien waren – bis auf das ungeschickte Eingreifen des deutschen Gesandten Rieth und dessen sofortiger Abberufung und Ersetzung durch Herrn v. Papen657 – zu unbestimmt, um irgendwelche offiziellen Schritte zu unternehmen, wenn auch aufgrund der Indizien niemand von uns zweifelte, dass das ganze Mord- und Putscharrangement von Deutschland aus geleitet worden war. Seinerzeit hatte ich von einem im deutschen Außenamt tätigen Herrn v. Bülow die Meinung gehört, dass ich sicher sein könne, dass alles, was ich mit Gen. v. Reichenau bespreche, der „Führer“ noch am Abend desselben Tages zu hören bekomme. Diese Äußerung und der Umstand, dass mich Reichenau in der Regel ohne Beisein eines Adjutanten empfing, dass aber die Tür zu einem Nebenraum offen stand und mir ab und zu ein leises Surren aufgefallen war, ließ mich vermuten, dass unsere Gespräche auf einer Platte oder einem Tonband festgehalten wurden, die möglicherweise an Hitler gelangten. Darum wollte ich bei meiner nächsten Vorsprache noch deutlicher 657 Über Franz v. Papen (1879–1969) siehe die Daten bei  : Glaise-Broucek II, S. 59, Anm. 21. 28.7.1934– 4.2.1938 ao. Gesandter in besonderer Mission in Wien. Siehe nunmehr  : Fritz Müllner, Ein „Rechtskatholik“ zwischen Kreuz und Hakenkreuz  : Franz von Papen als Sonderbevollmächtigter Hitlers in Wien 1934–1938 (= Europäische Hochschulschriften, Reihe III, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Bd. 446), Frankfurt am Main/Bern/New York/Paris 1990; Max R. v. Hoffinger (Gesandter a.D.), Herr von Papen und St. Augustin. Erinnerungen zu dem Erinnerungsbuch Franz v. Papens, in  : Die Furche, 21.2.1953. Im Bundesarchiv Koblenz wurde dem Herausgeber des vorliegenden Werkes der Mikrofilm NS10/50  : Adjutantur des Führers. Franz von Papen, Berichte des ao. Gesandten und bevollmächtigten Ministers in besonderer Mission aus Wien 1934–1938, fol. 1–320, als Kopie überlassen. Es handelt sich um 107 Aktenstücke aus der Zeit von 4.7.1934 bis 26.2.1938 (Notiz über Abschiedsbesuch bei Schuschnigg). Aus ihnen geht mehrmals hervor, dass Hitler eine „Verschweizerung“ Österreichs verhindern wollte. Es sind mehrfach rein militärische Berichte darunter viele politische Berichte von Papen, aber auch von seinen Mitarbeitern sowie 16 „Weisungen des Politbüros der KPdSU“ (Abschriften mit Übersetzungen). Offenbar gab es diesbezüglich eine Zusammenarbeit mit österreichischen Stellen oder/und dt. nachrichtendienstliche Aktivitäten.

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werden als bisher. Aber die Klarstellungen in Wien und deren Mitteilung an uns verzögerten sich, also blieben wir im Wesentlichen auf den Rundfunk angewiesen. In diese, vom tragischen Geschehen in Wien verdüsterte und von der deutschen Propaganda verzerrte Zeit schlug am 1. August die Nachricht vom Tod des Reichspräsidenten v. Hindenburg. Gleich für den folgenden Tag meldete ich mich zur Beileidsaufwartung bei Gen. v. Blomberg an. Ich wurde von ihm mit großer Liebenswürdigkeit empfangen. Er meinte spontan, dass wir uns gegenseitig Beileid zu sagen hätten, und fragte dann, ob ich schon gehört hätte, dass Gen. Ludendorff sich strikt geweigert habe, auf seiner Villa in München die Flagge auf Halbmast zu setzen. Ich bejahte. Darauf sagte Blomberg zu mir, dass gegen Ludendorff in keiner Weise vorgegangen werde, weil man seinen Geisteszustand nicht als normal ansehen könne. Von Blombergs Adjutanten erfuhr ich, dass über die Beisetzungsfeierlichkeiten noch keine endgültigen Entschlüsse gefasst worden waren. Ich erwähnte, dass ich nicht an der gemeinsamen Beileidskundgebung der Waffenattachés teilnehmen werde, weil ich es für richtig hielt, namens des österreichischen Heeres, das Traditionsträger der kaiserlichen Armee sei, und eingedenk der Tatsache, dass GFM. Hindenburg eine Zeit lang gemeinsamer Oberbefehlshaber gewesen war, sofort, in besonderer Vorsprache das Beileid Österreichs zu vermitteln. Der Adjutant erwiderte, dass Minister v. Blomberg meine rasche Vorsprache mit besonderer Freude als Beweis aufgenommen habe, dass in Österreich der Sinn für die alte Waffenkameradschaft weiterlebe. Auf unsere Gesandtschaft zurückgekehrt, fand ich die Nachricht, dass Österreich eine Offiziersabordnung unter Führung des GO Fürsten Schönburg zu den Trauerfeierlichkeiten entsende und dieser anfrage, wann er in Berlin eintreffen solle. Wirklich, nobler konnte Österreich nicht handeln. In mehrfachen Rücksprachen mit Attachéoffizier Mjr. Rössing konnte festgestellt werden, dass die Beisetzung des Reichspräsidenten GFM v. Hindenburg am 7. August im Mahnmal der Schlacht von Tannenberg erfolgen werde, dass Diplomaten und besondere Abordnungen am 6. abends mit einem Sonderzug nach Hohenstein gebracht würden und dass der 5. abends oder der 6. morgens der richtige Ankunftstermin für Fürst Schönburg wäre, für den, als Gast der Reichsregierung, im Hotel Eden das Absteigquartier bereitgestellt würde. Hingegen bedurfte es meiner wiederholten nachdrücklichen Intervention, damit dem Generalobersten und Armeeführer im Weltkrieg ein deutscher Generalstabsoffizier als Adjutant beigegeben, er am Bahnhof von einem General offiziell begrüßt würde und bei der von mir nach der Trauerfeier in Tannenberg vorgesehenen offiziellen Ehrung der Gefallenen des Weltkrieges durch eine Kranzniederlegung im Berliner Ehrenmal der Fürst durch Ausrückung einer Ehrenkompanie mit Fahne und Musik besonders ausgezeichnet würde. Das alles konnte der Reichskriegsminister erst nach Vortrag bei Hitler erwirken.

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Für interessierte Sachverständige in Uniformfragen möchte ich hier folgende Einzelheit einschalten  : Bei der Wiederverleihung der altösterreichischen Uniform an das Bundesheer hatte man den in der kaiserlichen Zeit für die Truppen in Bosnien-Herzegowina gültigen Brauch übernommen und die Paradekopfbedeckungen nicht wieder eingeführt. So hatte ich in Berlin wohl die schwarze Hose mit den roten Lampassen658 und den hechtgrauen Waffenrock der Generäle, nicht jedoch den Hut mit dem grünen Federbusch, sondern nur die schwarze Kappe. GO Schönburg telefonierte mir, dass er in der vollen Campagne-Uniform der kaiserlichen Zeit, also mit Feldbinde, Federhut und den Ordens-Großkreuzbändern kommen werde  ; ich müsse daher auch im Federhut erscheinen. Tatsächlich brachte mir seine Begleitung einen solchen mit, den ich – einmal damit in Berlin erschienen – für die ganze Dauer meines dienstlichen Aufenthaltes in Berlin bei allen festlichen Anlässen trug. Dieserart war ich der einzige General des Bundesheeres, der im kompletten Generalsanzug der k. u. k. ö.-u. Armee erscheinen durfte, was sich bei offiziellen Anlässen gut auswirkte, da die Engländer und Franzosen auch die traditionellen Paradekopfbedeckungen beibehalten hatten. Die besonders uniformfreudigen Berliner bemerkten es gern, wenn bei besonderen Anlässen, die meist Begräbnisse waren, der greise FM v. Mackensen mit dem goldund rotbetressten Kalpak659 seines alten Leibhusarenregimentes erschien und knapp hinter ihm ich in schwarzer Hose mit roten Lampassen, hechtgrauem Rock und Hut mit lichtgrünem Federbusch, rechts von mir der französische Général Renondeau mit roter, goldbetresster Hose, dunkelblauem Waffenrock und goldbortiertem Zweispitz, links der englische Colonel Thorne mit weißer Hose in schwarzen Lackstiefeln, rotem Rock und Zweispitz mit weißem Federbusch gingen. Am Ankunftstag kamen Fürst Schönburg und Begleitung vom Anhalter Bahnhof direkt in meine Wohnung und nahmen das erste Frühstück ein, das meine von Heringsdorf herbeigeeilte Frau nach ungarischem Brauch reich gedeckt hatte  ; ebenso das abendliche Diner, zu dem auch der Gesandte mit den beiden Legationsräten geladen waren. Fürst Schönburg hatte den Vater meiner Frau von den Kämpfen am Monte San Michele, Monte Santo und Monte Gabriele gut gekannt und fühlte sich in unserem Haus sichtlich wohl. Er erzählte mir, dass seine geistige und physische Spannkraft nicht mehr ausgereicht habe, um der Stellung des Landesverteidigungsministers voll zu genügen  ; er habe darum dem Kanzler Dollfuß selbst seine Enthebung beantragt, aber auf die Bestellung seines Nachfolgers keinen Einfluss genommen. Er stimmte mit mir überein, dass man in den nationalsozialistischen Leitungskreisen die Fähigkeiten und das mitreißende Temperament von Dollfuß erkannt hatte und seine Ermordung des658 Lampassen  : breiter Stoffstreifen an Uniformhosen  ; im deutschen Militärjargon  : die Autobahn. 659 Kalpak  : Tuchzipfel an der Husarenmütze.

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halb gewollt und genau vorbereitet worden war. Der österreichische Sicherheitsdienst hätte schwer versagt, das Heer hingegen in guter Haltung sowohl in Wien, als auch bei den Kämpfen in Steiermark und Kärnten voll entsprochen. Er war gleich mir der Überzeugung, dass Österreich sich auf gar keinen Fall „gleichschalten“ lassen dürfe, und sprach die Hoffnung aus, Dr. Schuschnigg möge die Politik der Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs mit gleicher Energie weiterführen. Schönburg hoffte zudem, dass sich mit Hitler letztlich ein gutes Arrangement werde finden lassen. Ich musste ihm leider antworten, dass ich nach der bisherigen Weigerung aller maßgeblichen Parteigrößen, mit den offiziellen Vertretern Österreichs überhaupt zu reden, sehr düster in die Zukunft blickte, und dass Österreich sich auf einen bewaffneten Widerstand vorbereiten müsse. Diese Auffassung wollte der Fürst nicht wahrhaben. Nach dem Diner fuhren wir direkt zum Bahnhof Friedrichstraße, wo der Sonderzug bereitstand. Die Beisetzungsfeierlichkeiten in dem eigenartig düster aufragenden Erinnerungsmal an die siegreiche, leider jedoch nicht kriegsentscheidende Schlacht bei Tannenberg waren von erhebender Feierlichkeit und Würde. Sie ist in verschiedenen Darstellungen eingehend beschrieben worden. Eine Episode ergriff mich allerdings  : Der greise GFM v. Mackensen war als Vertreter des im Exil lebenden preußischen Königs erschienen. Er wurde vom deutschen Heer und seiner Leitung mit ausgezeichneter Hochachtung behandelt und – wie mir das Gen. v. Blomberg erzählt hatte – stets noch mit besonders guten Reitpferden versorgt, weil nach preußischen Dienstvorschriften ein Marschall bis zu seinem Lebensende im Aktivstand bleibe. Wohl war ich im I. Weltkrieg bei der zweiten Offensive nach Serbien in der Operationsabteilung des Marschalls eingeteilt gewesen, hätte aber nicht zu hoffen gewagt, dass er sich nach fast 20 Jahren meiner noch entsinnen könnte. Er stand nach der Feierlichkeit in seinem Salonwagen am Fenster, als ich über den Bahnsteig zu unserem Berliner Zug schritt. Da rief mich der Marschall mit Dienstgrad und Namen an  ; ich trat an sein Fenster. Er beglückwünschte mich zu meinem Aufstieg und begann sofort mit einer verblüffenden Frische sich mit Namensnennungen nach den verschiedenen österreichischen Offizieren zu erkundigen, die damals seinem Stab zugeteilt waren. Ich hatte Mühe, alle seine Fragen richtig zu beantworten. Diese Unterhaltung wurde allgemein wahrgenommen und mit großer Achtung vermerkt  ; mich erfüllte sie mit freudigem Stolz, denn diese vergangene Zeit zählte zu meinen schönsten Kriegserinnerungen. Nach Berlin zurückgekehrt, wurden wir verständigt, dass der „Führer“ die von auswärts gekommenen Delegationen zu einer Dankaudienz gemeinsam in der Reichskanzlei empfangen wolle. In einem der großen Empfangsräume wurde unter Leitung des Protokolls des Auswärtigen Amtes nach dem deutschen Staatenalphabet Aufstellung genommen, wodurch wir Österreicher fast ganz an den linken Flügel kamen und Zeit

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hatten, die Geschehnisse zu beobachten. Es geschah aber nicht viel  : Hitler erschien im Frack, sichtlich befangen, und schritt auf den rechten Flügel der Abordnungen zu. Ohne eine Silbe zu sprechen, reichte er jedem die Hand. Das veranlasste mich zu der halblauten Frage, ob man dem Dollfußmörder überhaupt die Hand reichen dürfe. Sehr ungehalten befahl mir der fürstliche Generaloberst zu schweigen, und nachdem er Hitlers schlappen Händedruck angenommen hatte, blieb mir nichts übrig, als mich auch dreinzufügen. Dass in meinen Augen keine Bewunderung für Hitler stand, schien dieser sofort zu fühlen, denn nach einem kurzen Blick sah er gleich weg. Es war dies das einzige Mal, dass ich den „Führer“ aus unmittelbarer Nähe betrachten konnte und meine innere Ablehnung seiner Person und seiner Politik wurde durch diese Begegnung verstärkt. Nach der folgenden Kranzniederlegung am Ehrenmal und Abnahme der Defilierung der Ehrenkompanie war das „Offizielle“ beendet. Fürst Schönburg verblieb noch privat in Berlin und reiste am nächsten Morgen ab. Bald danach starb der polnische Staatschef Marschall Pilsudski660. Das war das dritte Ereignis innerhalb Monatsfrist. Das Trauergedenken wurde in Berlin mit großem Pompe abgehalten, wobei man an der wunderbaren militärischen Präzision, die auch die Parteiformationen ergriffen hatte, viel zu schauen und zu lernen bekam. In Deutschland selbst waren für die Beurteilung vom militärpolitischen Gesichtspunkte drei Ereignisse von entscheidender Bedeutung geschehen  : Schon am 2. August hatte die gesamte Wehrmacht Hitler den Treueid geleistet, Hitler selbst hatte neben der Reichskanzlerschaft auch die Stelle des Reichspräsidenten und Obersten Befehlshabers der Wehrmacht übernommen und in der Wehrmacht wurde die Ansprache Hitlers mit „Mein Führer“ dekretiert. Die Tatsache, dass diese drei Handlungen trotz der knapp vorangegangenen Akte rechtloser Gewaltanwendung am 30. Juni mit der Erschießung der Generäle Schleicher661 und v. Bredow662 von der Generalität und der gesamten Wehrmacht ohne Zö660 Józef Piłsudski (Zalavas bei Wilna, litauisch Vilnius, 5.12.1867–12.5.1935 Warschau) war von Nov. 1918–1923 und Mai 1936 bis zu seinem Tode polnischer Staatspräsident und Oberbefehlshaber der polnischen Streitkräfte. 661 Über Kurt v. Schleicher (Brandenburg an der Havel, 7.4.1882–30.6.1934, Neubabelsberg) siehe die Angaben bei Glaise-Broucek II, S. 655, Anm. 41  : Schleicher war als GM ab 1.3.1929 Chef des Ministeramtes im Reichswehrministerium, 1.6.1932 Reichswehrminister, 3.12.1932–28.1.1933 Reichskanzler. 662 Ferdinand v. Bredow (Neuruppin, Brandenburg, 16.5.1884–1.4.1934, Berlin-Lichterfeld), 22.3.1902 Eintritt in die preuß. Armee als Lt. ohne Patent, 1910–1913 Kriegsakademie, 22.3.1914, kommandiert in den Großen Generalstab, 8.11.1914 Hptm., ab 1917 in Generalstabsstellungen. 21.4.1918 versetzt in den Generalstab der Armee, 1.10.1919 Stab Gruppenkdo. 2, 30.4.1920 zum Reichswehrministerium, Abwehr-Abtlg. kommandiert, dann Versetzungen zu Gruppenkden 1 und 4, 1.10.1925 Referent im Reichswehrministerium, 1.4.1928 Baonskdr., 1.6.1929 Chef der Abt. Abwehr im Reichswehrministerium, 1.6.1932 Chef des Ministeramtes/Reichswehrministerium, 31.1.1933 verabschiedet.

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gern und Einwand hingenommen wurden, zerstörte in mir den letzten Glauben an die Möglichkeit, dass die Wehrmacht bei Gestaltung der künftigen Politik irgendeine Entscheidungskraft haben könnte. Große Persönlichkeiten vom Schlag eines Blücher, York, Steinmetz, Moltke waren einfach nicht da. Fünfzehn Jahre Republik hatten offenbar genügt, um keine starken, selbstbewussten Generäle mehr entstehen zu lassen. Bei uns in Österreich war es übrigens auch nicht anders. Über den Charakter des neuen deutschen Gesandten in Wien, Herrn v. Papen, hörte ich in Berlin, trotzdem dieser Mann kaiserlicher Generalstabsoffizier gewesen war, übereinstimmend von deutscher ziviler und militärischer Seite sowie im Kreise der Attachés und Diplomaten nur ungute Urteile. Der französische Botschafter Poncet nannte Papen direkt einen „Lügner“. Mein belgischer Kollege besprach in größerem Kreise wiederholt Papens Ernennung für Wien mit der Ermahnung, sehr achtzugeben, da Herr von Papen ein sehr schlechtes Gedächtnis habe. Er meinte damit das Geschehnis im Weltkrieg, als Papen, damals Militärattaché in den Vereinigten Staaten, mit dem Organisieren von Sabotageakten befasst, seine Aktentasche mit allen Namen seiner Helfer in einem Gefährt liegengelassen und dadurch viele Männer den amerikanischen Behörden in die Hände geliefert hatte. Das war ihm in deutschen Offizierskreisen nicht vergessen worden. Auch deutsche katholische Männer rieten zur Vorsicht und Zurückhaltung gegenüber Herrn v. Papen. Der Gesandte Tauschitz und ich gaben dieses gewonnene Bild natürlich nach Wien weiter. Da meine Frau nach allen Aufregungen des vergangenen Sommers ab und zu über Herzbeschwerden klagte, konsultierten wir einen Spezialarzt, der in Berlin als hervorragend galt. Er stellte auch den uns schon bekannten Herzklappenfehler fest und riet, ohne irgendein Medikament zu verordnen, zu einem ruhigen, schonenden Leben. Das konnte ich meiner lieben Frau gottlob bieten, obwohl ich nach wie vor zum Sparen gezwungen war. Wir hatten nach Gretes Abgang aus Wien eine ganze gute „Köchin für alles“ bekommen, die uns für den Alltag ganz selbstständig versorgte. Inzwischen war auch mit Beziehung auf den Kanzlermord, besonders durch den Heimatkommissär Walter Adam, das die deutschen offiziellen Kreise schwer belastende Erhebungsergebnis an uns gelangt. Hiernach hatte Göbbels’ Propagandaministerium schon am 24. Juli, also am Tag vor dem Mord, der deutschen Presse bebilderte Informationen über ausgebrochene Unruhen in Wien, bei denen der Kanzler ums Leben gekommen sei, gegeben.663 Wir erhielten aber auch in Wien beschlagnahmte 663 Über das Verhalten der Reichswehr siehe die Notizen des US-Kriegsministers Stimson über eine Unterredung mit dem emigrierten ehemaligen Reichskanzler Heinrich Brüning  : „Direkte Nachricht von Herrn von Fritsch … wollen keinen Krieg … Wenn zum Krieg gezwungen, würden sie sogar gegen Hitler vorgehen, so wie am 25. Juli 1934 zur Zeit der Ermordung von Dollfuß, als sie die in Bayern gebildete österreichische Nazilegion umzingelten. Handlungsbefugnis offenbar verstärkt durch deut-

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deutsche Sprengmittel, welche ihre Herkunft aus deutschen Heeresbeständen durch die eingestanzten Depotbezeichnungen zweifelfrei ergaben. Der Gesandte Tauschitz legte einen Teil dieser Beweise im Außenamt dem Ministerialdirigenten Köpke auf den Tisch, ich ging mit dem anderen Teil zu Gen. v. Reichenau.664 Leider hatte die österreichische Regierung keine Anklage beim Völkerbund erhoben. Die Beweise waren nach meinem, aber auch nach dem Urteil deutscher Juristen aus dem Anti-Hitler-Lager ausreichend, um die verbrecherische Einmischung des deutschen Nazitums in fremdstaatliches Gebiet nachzuweisen. So konnte ich bei Reichenau auch nur meiner moralischen Entrüstung mit den stärkstmöglichen Worten Ausdruck geben und diesmal in der Hoffnung auf Gesprächsregistrierung für Hitler. Als ich die deutsche Sprengmunition, die nicht entsches Gesetz vom 30. Januar, das dem Heer das Recht gibt, Aufstände zu unterdrücken …“ ClaireNix/ Reginald Phelps/ George Pettee, Heinrich Brüning. Briefe und Gespräche 1934–1945, Stuttgart 1974, S. 113, Anm. 1. 664 Die Aktenlage im Bundesarchiv/Militärarchiv (RW5/v. 421) bzw. im Bundsarchiv Koblenz bzw. im Archiv des Auswärtigen Amt, ehemals in Bonn, nunmehr in Berlin, über die Demarchen Jansas und Tauschitz ist beträchtlich. In Wien die Sammlung des MHD (Militärhistorischer Dienst des Öst. Bundesheeres, zeitweise auch Militärgeschichtliche Abteilung des Heeresgeschichtlichen Museums Wien) bzw. die Donationen Tuider und Schmidl im KA und im AVA, Abteilungen des ÖStA (E/1794, Nr. 11)  : Demnach haben Jansa (in erster Linie) und Gesandter Tauschitz ab November 1934 über Informationen verfügt betreffend die Neuaufstellung der Österreichischen Legion in 4 Regimentern und über Sprengmittel in deren Besitz. Darüber fanden im Reichswehrministerium und im Auswärtigen Amt Besprechungen statt. An den Verhandlungen waren der T 3 (Chef „Fremde Heere“) des Truppenamtes, dessen Adjutant, der Attachéreferatsleiter des Truppenamtes und der Österreich-Experte des Auswärtigen Amtes v. Renthe-Fink beteiligt. Der öst. SA-Führer Reschny gab die Erklärung ab, dass die „Legion in der Stärke von ca. 15.000 im Rheinland für Meliorationsarbeiten“ verwendet werden solle. In den Akten gibt es dann eine handschriftliche Anweisung des Auswärtigen Amtes an den Chef des Truppenamtes (Beck), dass dem öst. Militärattaché eine Antwort gegeben werden müsse. Dies geschah dann in der Unterredung Jansas mit v. Reichenau, über die eine Aktennotiz angefertigt worden ist. Handschriftlich wurde hinzugefügt, eventuell durch v. Reichenau, dass die Öst. Legion nicht von Reichswehroffizieren ausgebildet werde. In einem internen Akt war bereits vorher festgelegt worden, dass keine Sprengmittel mehr, durch wen auch immer, an die Österreichische Legion ausgegeben werden sollen. Die Österreichische Legion wurde aber nicht aufgelöst, der öst. Militärattaché also angelogen. In einem Schreiben an den ins Exil in die USA gegangenen ehemaligen Reichskanzler Heinrich Brüning wurde die Information des GO v. Fritsch weitergegeben, die Reichswehr hatte die einsatzbereite Legion um den 25. Juli „umzingelt“. Später (1937) hat dann Kriegsminister v. Blomberg laut einer Aktennotiz den Gauleiter Leopold empfangen, der den Vorschlag machte, in Linz eine öst. Gegenregierung mithilfe der Dt. Wehrmacht zu errichten. Damals gab es bereits die Planungen für einen Krieg gegen die Tschechoslowakei mit Einmarsch oder eben Eindringen in bzw. nach Österreich. Am 2.4.1938 marschierte die Österreichische Legion, etwa 8.000 Mann stark, tatsächlich in Wien feierlich ein und veranstaltete auch einen Gedenkmarsch für die „Opfer“ der Juli-Revolte 1934. Der Mord an General Zehner (12.4.1938) wird von mehreren Zeitgenossen als Racheaktion von Legionären angesehen, die im April 1938 auch als Hilfspolizisten verwendet wurden.

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schärft worden war, auf Reichenaus Tisch legte und das Heer aufgrund dieses Beweises als moralisch mitschuldig bezeichnete, fuhr Reichenau heftig auf und meinte, dass ich für eine Materialveruntreuung durch ein untergeordnetes Organ doch nicht das Heer verantwortlich machen könne. Ich erwiderte ihm, dass ich die Disziplin im preußischen Heere, die sich bis in die untersten Stellen stets als absolut zuverlässig erwiesen hatte, durch meine vielfache Kriegsverwendung in deutschen Verbänden bewundern gelernt hatte und diese Bewunderung auch auf die Reichswehr übertrug  ; wenn Reichenau mir nun sage, dass Eigenmächtigkeiten unterer Organe möglich geworden seien, dann müsse ich eben meine Beurteilung ändern, ich dürfe aber die Hoffnung aussprechen, dass die schuldigen Organe nunmehr, da man ja jetzt das Depot kenne, zur Verantwortung gezogen würden. Da die Antwort ausweichend war, mahnte ich Reichenau eindringlich vor der dauernden Gewaltpolitik gegen Österreich, versicherte ihm, dass Österreich sich der Gleichsprachigkeit wohl bewusst sei, aber nicht nazifiziert werden wolle. Er möge doch dem „Führer“ die Verkehrtheit der jetzigen Politik darlegen  ! Darauf sagte mir Reichenau die bedeutsamen Worte  : Er könne politisch nicht an den „Führer“ herankommen, da jeder derartige Gesprächsbeginn von Hitler sofort mit der Bemerkung, dass er keine politisierenden Generäle wünsche, abgewiesen werde. So war auch diese lange Unterredung praktisch ergebnislos geblieben. Dem Gesandten Tauschitz war es nicht viel anders ergangen. Uns wurde ein Katzund Mausspiel zwischen offiziellen Dienststellen des Reiches und der Partei als Behinderung des loyalen offiziellen Willens nach Anständigkeit vorgeschoben, während sich in Wirklichkeit der dominierende Einfluss der Partei über den Staatsapparat unaufhaltsam verstärkte. In Wien fühlte man sich durch die immer wieder in Umlauf gesetzten Gerüchte vom bevorstehenden Einbruch der sogenannten „Österreichischen Legion“ beunruhigt. Daher war ich bemüht, über diese eine präzise Vorstellung zu gewinnen. Es gelang mir, mit dem Sohn des von mir aus dem Weltkrieg hochverehrten Glt. v. Böckmann, der als Generalstabsoffizier im Oberkommando des Heeres tätig war, doch gleich mir Hitler und seine Partei hasste, in direkte Gespräche zu kommen, ohne Vermittlung durch den offiziellen Attachéoffizier. Trotz des offenkundig guten Willens konnte ich über die „Österreichische Legion“ nur in groben Umrissen Auskünfte erhalten. Dieser Generalstabsoffizier entschuldigte sich damit, dass der Generalstab über Vorgänge in der Partei keine Informationen erhalte  ; die von mir gewünschten Auskünfte müsse er selbst erst über den militärischen Nachrichtendienst beschaffen.665 Da trat ich in Kor665 Major Böckmann war jener Offizier im Ministerium, der mit Jansa bei seinen Protesten und Nachforschungen wegen der Österreichischen Legion zu tun hatte, die anderen waren GM v. Reichenau und der T 3 des Truppenamtes, Obst. Karl Heinrich v. Stülpnagel. Siehe auch  : Heinrich Bücheler  : Carl-

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respondenz mit unserem Generalkonsul in München, Baron Engerth, und vereinbarte für den Spätherbst einen Besuch bei ihm, um von dort aus selbst die Lagerorte der Legion zu besuchen und direkte Eindrücke zu gewinnen. Wie ganz anders hingegen die wahre, parteimäßig unbeeinflusste Stimmung der Bevölkerung gegen Österreich war, zeigte eine kleine Episode  : Das ehemalige KaiserFranz-GardegrenadierRgt. Nr. 2 feierte am 2. September 1934 das Fest seiner Aufstellung und Benennung nach Kaiser Franz vor 120 Jahren. Die Regimentsangehörigen aus ganz Deutschland waren zusammengeströmt und nahmen in der alten FranzerKaserne in Reih und Glied Aufstellung. Die alte Fahne wurde von einer ReichswehrEhrenkompanie eingeholt. Die früheren Offiziere des Regimentes, unter ihnen GdI. v. Quast, Glt. Roeder und der letzte Regimentskommandant aus dem Weltkrieg, Obstlt. Otto, waren in den alten Uniformen erschienen. Offiziell eingeladen, erschien ich in Uniform mit Federhut und Feldbinde im für solche Anlässe gemieteten und vom emigrierten russischen Rittmeister Engelsen gesteuerten Packard. Mit großer Herzlichkeit wurde ich begrüßt und während der ganzen Feierlichkeit stets unmittelbar neben v. Quast gestellt. Zum Abschreiten der Front lud mich dieser hohe Herr an seine Seite mit den Worten  : „Kommen Sie nur mit  ; es ist sehr gut, wenn unsere Leute wieder einmal einen österreichischen General sehen  !“ Den Schlussakt der Feier bildete eine Kranzniederlegung am Franzer-Denkmal in der Bärwaldstraße, an dem auch ich einen großen Kranz im Namen des österreichischen Bundesheeres niederlegte. Da die beiden betagten hohen Generäle v. Quast und Roeder sonst keine eigene Fahrgelegenheit hatten und nach dem heißen, anstrengend gewesenen Vormittag in ihren Paradeuniformen mit der Straßenbahn hätten heimfahren müssen, stellte ich ihnen meinen schnellen Wagen zur Verfügung, dem ich auftrug, rasch wiederzukehren, um danach mich heimzubringen. Die etwas lange Wartezeit verbrachte ich im Gespräch mit Franzern und deren Familienangehörigen aller Chargengrade. Es wurden Kriegserinnerungen ausgetauscht, und ich musste den halbwüchsigen Enkeln der Franzer jedes Uniformdetail, jede Dekoration, Säbel, Portepee666, Feldbinde, Hut usw. erläutern. Der Kreis der Umstehenden wurde nicht kleiner, sondern immer größer, bis endlich mein Wagen erschien. Nach allen Seiten grüßend stieg ich ein. Als der offene Wagen anfuhr, erscholl ein lautes „Heil Österreich“, das sich so lange wiederholte, als ich an Franzern entlangfuhr. Diese spontane, von Herzen gekommene Ehrung des alten Verbündeten brachte selbstredend keine der von Goebbels667 gleichgeschalteten Zeitungen. Heinrich von Stülpnagel. Soldat – Philosoph – Verschwörer. Biographie, Berlin/Frankfurt/Main 1989, S. 122 ff. 666 Portepee  : Quaste an der Seitenwaffe der Offiziere. 667 Josef Goebbels, Reichspropagandaminister. Hingewiesen sei auf den österreichischen Beitrag zur Erforschung seines Lebens  : Viktor Reimann, Dr. Joseph Goebbels, Wien/München/Zürich 1971.

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Mitte September reiste ich in die Schweiz zum Manöver der 3. Berner Division, das vom Waffenchef der Infanterie, Obst. Korpskdt. Wille, geleitet wurde. Es waren wieder Tage erfrischenden Behagens für mich. Den Rückweg nahm ich über Wien, um mich bei Bundeskanzler Schuschnigg vorzustellen, der sich ebenfalls die Leitung des Landesverteidigungsministeriums vorbehalten hatte. In einer langen Aussprache konnte ich dem Kanzler alle meine negativen Eindrücke in Berlin über das Verhältnis zu Österreich darlegen, konnte ihm sagen, dass es mir bisher nicht gelungen war, den Wunsch des ermordeten Kanzlers, „ein vernünftiges Verhältnis mit Deutschland herzustellen“ zu erfüllen und dass keine Hoffnung bestehe, dies jemals zu erreichen. Ferner konnte ich ihn darüber informieren, wie meine Überzeugung wuchs, dass es für Österreich nur zwei Möglichkeiten gebe  : bedingungslose Unterwerfung oder Kampf. Ich glaube dem Kanzler damals auch gesagt zu haben, dass das Nazi-Schlagwort von der Usurpation der Macht durch die Regierung, von gutgesinnter deutscher Seite zur Empfehlung führte  : „Macht doch Wahlen in Österreich und Ihr nehmt den Nazis das Hauptargument für ihre Feindseligkeit.“ Die betrübliche Feststellung, dass in den Wiener Ämtern dem Nationalsozialismus ergebene Spione tätig waren, die jeden Bericht für Berlin kopierten, hatte den Gesandten Tauschitz und mich veranlasst, besonders heikle Nachrichten und Lagebeurteilungen nicht in die Berichte aufzunehmen, sondern sie bei Reisen nach Wien mündlich vorzutragen. Ich erfuhr später durch den militärischen Adjutanten Schuschniggs, Mjr. Bartl668, dass der Kanzler mit der Berichterstattung zufrieden war und zu Bartl geäußert habe, dass es sich diesmal „nicht um verlorene Zeit“ gehandelt habe, im Gegensatz zu vielen anderen Behelligungen. Ich selbst erhielt von Dr. Schuschnigg einen sehr befriedigenden Eindruck  : Er konnte aufmerksam zuhören, war mit Worten zurückhaltend sparsam. Seinem Sitz am Schreibtisch gegenüber hatte er die Totenmaske Dollfuß’ liegen und sagte mit ruhiger Entschlossenheit, dass er die Politik der Unabhängigkeit Österreichs als Vermächtnis seines Vorgängers unbeirrt fortsetzen werde. Jede seiner anderen Bemerkungen oder Fragen war klug und bestimmt. Der trotz seiner Jugend ihn beherrschende tiefe Ernst, seine tadellosen Umgangsformen und seine gewählte Sprache rundeten in mir das Bild einer starken Persönlichkeit ab, die durch ihre Gebundenheit im katholischen Glauben moralisch zuverlässig und von überzeugtem Österreichertum erfüllt an der Spitze des Staates stand. Sein Interesse für militärische Fragen war groß, sein Wille zur Stärkung des Bundesheeres entschieden. 668 Über Georg Bartl (1890–1945) siehe die Daten bei Glaise-Broucek II, S.  108, Anm. 132. 1.8.1934 Personaladjutant Schuschniggs, März 1938 Ruhestand, Inhaftierung, 1939 ins KZ Dachau, 1940 KZ Mauthausen, Juli 1940 entlassen.

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In der Folge wiederholte ich solche mündliche Berichterstattung beim Kanzler während jedes Wiener Aufenthaltes, also vor Weihnachten 1934, im Januar 1935 und vor Ostern 1935, und jedes Mal betonte ich meine immer fester werdende Überzeugung von der Notwendigkeit einer starken Vorbereitung von Volk, Land und Heer für einen militärischen Widerstand gegen einen deutschen Angriff, sei es durch die „Österreichische Legion“ und andere Kampfverbände der Partei, sei es durch die deutsche Wehrmacht selbst. Der Kanzler hörte stets interessiert zu, ohne zu diesem Vortrag anders als durch nachdenkliches Kopfnicken Stellung zu nehmen. Einmal schloss der Kanzler eine solche Vorsprache mit den ungefähren Worten  : „Es ist die ganze Lage so furchtbar verkrampft  ; wenn ich doch einmal wieder selbst nach Deutschland reisen könnte.“ Es lebte also in ihm schon damals der Gedanke, durch eine persönliche Aussprache die Lösung der Schwierigkeiten zu erreichen. Im Bundesministerium für Landesverteidigung, in dem ich bei jedem Aufenthalt in Wien vorsprach, stieß ich auf Unglauben gegenüber meiner Auffassung, dass wir mit deutscher Gewaltanwendung rechnen müssten. Staatssekretär Zehner schien mir der schwierigen Lage nicht gewachsen zu sein. Sein Hauptinteresse war auf Kleinigkeiten gerichtet. Er sprach vom Gardebataillon und seinem Plan der Schaffung einer einheitlichen Paradeuniform für die gesamte Infanterie  ; einem Kaserne-Neubau in Groß Enzersdorf. Dann klagte er, dass der deutsche Militärattaché Glt. Muff ganz unverhüllt für den Nationalsozialismus agitiere, besonders an der Universität, bei den leider zahlreichen, betont nationalen Professoren. Von den leitenden Sektionschefs war der hochbefähigte und energische GdK. Brantner mit einer neuen Besoldungsregelung für Offiziere und Beamte befasst und im Übrigen verärgert, weil mangels notwendiger Gelder alle Verstärkungsversuche des Bundesheeres keinen effektiven Wert hätten, sondern sich in optischen Maßnahmen erschöpften. Der zweite Sektionschef, GdI. Luschinsky, hatte sich als Kommandant der 2. Division und Stadtkommandant von Wien bei den schweren Februarkämpfen sehr bewährt und klagte gleich Brantner, dass für die so nötige Verstärkung des Bundesheeres beim Staatssekretär der ernste Wille zur nachdrücklichen Vertretung der Heeresbedürfnisse fehle. Von keiner Seite bekam ich Weisungen oder Aufträge. So kehrte ich regelmäßig recht bedrückt nach Berlin zurück. Dort durfte ich annehmen, dass der im Februar bestellte neue Oberbefehlshaber des Heeres, GdA. Frh. v. Fritsch, sich bis zum Herbst ausreichend durchgesetzt habe, und erbat eine Vorsprache bei ihm mit der Absicht, ihn um seine Einflussnahme zur Beruhigung des Verhältnisses zu Österreich zu bitten. Fritsch empfing mich in Gegenwart seines Adjutanten. Als ich im Laufe unseres Gespräches, unter Hinweis auf unsere Kameradschaft aus dem Weltkrieg, an ihn die Bitte richtete, Einfluss auf Hitler zu nehmen, damit zwischen Deutschland und Österreich ein leidliches nachbarliches

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Verhältnis wiederhergestellt werde, fasste er mit beiden Händen meine Arme und sagte  : „Ich bitte Sie sehr, lieber Herr v. Jansa, lassen wir alle Politik weg.“ Jedes weitere Bestehen auf meiner Absicht wäre daraufhin sinnlos gewesen. So endete auch dieser Versuch ebenso ergebnislos wie einer beim sich sonst sehr ritterlich gebenden Gruppenbefehlshaber GdI. v. Rundstedt.669 GM v. Blomberg, den ich noch einmal aufsuchte, um ihn auf das in Österreich bedrohlich empfundene Agieren mit der österr. Legion aufmerksam zu machen, sagte nur unzweideutig  : „Wissen Sie, wenn wir einmal nach Österreich marschieren müssten, dann werden wir das sicher nicht mit der Österreichischen Legion tun.“ Das war wohl zweifellos klar hinsichtlich der Legion, aber aufhorchen ließ mich, dass an ein Marschieren nach Österreich mit dem Heer gedacht wurde. Dennoch fuhr ich im Spätherbst 1934 nach München, wo mir unser Generalkonsul Baron Engerth und seine Gemahlin in ihrer Wohnung ein Absteigquartier gewährten. Von dort fuhren wir gemeinsam im von Engerth selbst gesteuerten Wagen nach Bad Tölz, Tegernsee, Bayrischzell, Wiessee und zu den anderen Orten, wo die jungen Österreicher hausten, die durch zügellose Propaganda verleitet, die Grenze nach Deutschland in der Hoffnung überschritten hatten, dort aufs Paradies zu stoßen. In leer stehenden Industriebauten, Gutshöfen und sonstigen zu Massenquartieren geeigneten Objekten waren sie, unter der Sammelbezeichnung „Österreichische Legion“ mit SA-Anzügen bekleidet, einquartiert und irgendwie beschäftigt. Unsere Reise muss an einem für die Legion dienstfreien Tag erfolgt sein, denn wir fanden in den Orten große Haufen herumlungernd. Da Baronin Engerth uns begleitete, konnten wir ganz unauffällig wie Vergnügungsreisende mit den jungen Leuten ins Gespräch kommen. Wenn sie je wirklich begeistert gewesen waren, so konnten wir davon kaum noch eine Spur finden. Enttäuschung über ihr jetziges Leben und rührendes Heimweh waren der Tenor ihrer Äußerungen. Irgendwelche Vorbereitungen oder Schulungen für einen Einbruch nach Österreich konnte ich nicht feststellen. Von der Rückkehr nach Österreich, die viele dringend wünschten, hielt sie nur die Furcht vor der zu erwartenden Bestrafung ab. In den zwei oder drei Tagen, während derer ich dank der Güte und Liebenswürdigkeit des Ehepaars Engerth kreuz und quer fahrend mir fast alle bekannt gewordenen Sammelorte anschauen konnte, gewann ich den sicheren Eindruck, dass für Österreich von dieser Seite wirklich keine Gefahr zu befürchten war. Von Baron Engerth aufmerksam gemacht, besuchte ich am Abend des letzten Tages in München ein Kaffeehaus, in dem SA-Leute verkehrten. Dort glückte es mir, zwei 669 Über Gerd v. Rundstedt (1873–1952) siehe die Daten bei Glaise-Broucek II, S.134. 1.10.1932 GdI. u. OB Gruppenkommando West, 1.3.1938 GO, im 2. Weltkrieg bis März 1945 OB diverser Heeresgruppen.

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seinerzeit aus St. Pölten geflüchtete junge Offiziere zu treffen, einer von ihnen war Hptm. Leopold  ; kaum erkannten sie ihren alten Brigadier, kamen sie schon an meinen Tisch. Vom Gespräch mit ihnen ist mir geblieben, dass die in Deutschland erlebte Realität des Nationalsozialismus ihre Ideale ganz erdrückt hatte und beide ihre Flucht aus Österreich sehr gerne ungeschehen gemacht hätten. Um allen etwaigen bösartigen Redereien den Boden zu entziehen, gab ich, bevor ich am folgenden Tag nach Berlin zurückfuhr, im Amtsgebäude des Wehrkreiskommandeurs meine Visitenkarte mit besten Grüßen an GdI. Adam ab und bat, ihm zu sagen, dass ich auf der Durchreise gewesen wäre. Im Kreis der Militär-, Marine- und Luftattachés kursierte um die Jahreswende 1934/35 das Gerücht, es wäre zwischen der Wehrmachtsführung (Blomberg-Reichenau) und dem Oberkommando des Heeres (Fritsch-Beck)670 wegen des Tempos der 670 Das Duo Blomberg-Reichenau war gewissermaßen das eine Duo in der Führungskrise der Reichswehr als Gegenspieler gegen das andere Duo Werner Frh. v. Fritsch-Ludwig Beck. Werner Thomas Ludwig Frh. v. Fritsch (Benrath, heute Düsseldorf 4.8.1880–22.9.1939, bei Praga vor Warschau gefallen), 21.9.1898 als Fhj. in die preuß. Armee, Feldartilleriergt. 25, besuchte 1907–1910 die Kriegsakademie, 1913 in den Großen Generalstab versetzt, diverse Stabsstellen im Weltkrieg, u.a. Ia im Generalstab VI. Reservekorps, 16.9.1917 Mjr.i.G., 1920 ins Reichsheer übernommen, zunächst Ia Grenzschutz Nord (Ostpreußen), 1920–1922 im Reichswehrministerium beim Aufbau der Armee, Dienst als DivisionsGeneralstabschef, 1.2.1926 Chef der Heeresabteilung (T 1) im Truppenamt (TA) 1.3.1927 Obst., sodann Regimentskommandeur, Artillerieführer, 1.11.1930 GM, Divisionskommandeur und Befehlshaber Wehrkeis III, 1.2.1934 Chef der Heeresleitung, unter ihm Aufrüstung und Modernisierung des Heeres, 20.4.1936 GO. Zu Jahresanfang 1938 sollte es zu einer Doppelintrige des Luftwaffenchefs Hermann Göring und des SD-Chefs Reinhard Heydrich gegen die Wehrmachtsspitze, vormals die höchste Spitze der Reichswehr, kommen, die sich zur sogenannten Blomberg-Fritsch-Krise ausweitete. Der Reichskriegsminister Werner v. Blomberg und der Oberbefehlshaber des Heeres, Werner Frh. v. Fritsch, hatten mit Warnungen vor einem Kriegskurs Hitlers ohnehin dessen schlechte Meinung von der zaudernden Generalität bestätigt  : Die Generäle und Admiräle waren nicht die „Fleischerhunde“, von denen Hitler ursprünglich erwartet hatte, dass er sie vor höchster Kriegslust zurückhalten müsste. Hitler fand bei Blomberg den Vorwand, dass er eine geschiedene Frau, wenn auch „aus dem Volke“ geheiratet hatte, über die eine Aktenlage beigebracht werden konnte, die diese als Prostituierte auswies. Blomberg musste sofort zurücktreten. Fritsch wäre der gegebene Nachfolger im Ministeramt gewesen. Göring präsentierte nun Erkenntnisse der Gestapo, nach denen Fritsch homosexuelle Beziehungen zu einem Strichjungen unterhalten habe und mithin ein Sicherheitsrisiko sei. Fritsch, dessen Ehrenwort Hitler nicht akzeptierte, wurde in der Reichskanzlei dem „Subjekt“ Schmid gegenübergestellt. Der Zeuge blieb bei der Behauptung intimer Beziehungen zu Fritsch, der am 4.2.1938 entlassen und durch General Brauchitsch ersetzt wurde. Hitler übernahm (auf Rat Blombergs) selbst die Wehrmachtsführung, übergab sie nicht an Göring. General Keitel sollte „Chef“ des von ihm – wie von Hitler befohlen – geschaffenen Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) werden. Die völlige Rehabilitierung Fritschs durch ein Ehrengerichtsverfahren unter dem Vorsitz Görings ging im Strudel der Ereignisse um die nächste Krise, den Anschluss Österreichs, unter. (Auch bei dieser Affäre gibt es ernst zu nehmende Autoren, zum Beispiel den Schriftsteller Hans Helmut Kirst, die Frau Blomberg und ebenso ihren

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Aufrüstung zu einem scharfen Konflikt gekommen. Die Generäle Fritsch und Beck hätten für eine gründliche Erprobung der neu einzuführenden Waffen und Geräte sowie mit Rücksicht auf das erst heranzubildende größere Offiziers- und Unteroffizierskorps eine systematische, langsame Vergrößerung des Heeres verlangt.671 Reichenau, gestützt von Obst. Guderian, soll darauf mit ungebührlicher Heftigkeit Gen. Fritsch zugerufen haben, dass die Herren eine Lage, in der der „Führer“ unbeschränkte Geldmittel zur Verfügung stelle, ausnützen müssten, da sie sonst nicht am Platze wären. Fritsch und Beck sollen sich empört abgewendet, den Raum verlassen und bei Hitler über das Benehmen Reichenaus Klage geführt haben. Was an diesen Gerüchten wirklich wahr war, ließ sich begreiflicherweise nicht sicher feststellen. Als ich aber später einmal Reichenau aufsuchte und ihm sagte, dass er der Einzige sei, der meine Klagen an Hitler heranbringen könne, erwiderte er mir, dass ich seinen Einfluss überschätze  ; er sei durchaus nicht mehr persona grata beim „Führer“. Tatsächlich ist Gen. v. ReiGatten als Opfer einer Aktenfälschung der Gestapo sehen). Durch den Blomberg-Skandal hatte Hitler die Streitkräfte in den Griff bekommen, die Affäre brach dem Offizierskorps moralisch endgültig das Rückgrat  : Es hatte, angefangen von ihren höchsten Spitzen, zugesehen, wie die Reichswehr Komplize der „Nacht der Langen Messer“ von 1934 geworden war, in der zudem noch ganz hohe Repräsentanten des Heeres, die Generäle Schleicher und Bredow auf Exekutionslisten standen und einfach in ihren Wohnungen samt Familienangehörigen niedergeschossen wurden. Nun hatten sie auch noch Ehre und Selbstachtung preisgegeben, als die Wehrmacht den ranghöchsten Soldaten des Reiches widerstandslos zum Opfer einer kriminellen nat.soz. Intrige werden ließ. Spätestens damals, knapp vor der AnschlussKrise, nach der Tuchatschewksi-Intrige, könnte es gewesen sein, dass sich das Duo Beck-Canaris zu dem Trio formiert hat, welches das Deutsche Reich nicht widerstandslos in jeder Beziehung zugrunde gerichtet sehen wollte. Beck trat im August 1938, angesichts der bevorstehenden nächsten Krise um „the Habsburg heritage“, zurück und ging am 20.7.1944 in den Tod. Canaris wurde zugleich gänzlich entmachtet und 1945 von SS-Schergen, knapp vor Eintreffen der Alliierten im Konzentrationslager, stranguliert. Siehe insgesamt  : Helmut Krausnick, Vorgeschichte und Beginn des militärischen Widerstandes gegen Hitler (= Sonderdruck aus „Die Vollmacht des Gewissens“, S.177–380), Tutzing 1956 ; Richard Bassett, Hitlers Meisterspion. Das Rätsel Wilhelm Canaris, Wien/Köln/Weimar 2007. 671 Darüber nunmehr Klaus Jürgen Müller, Generaloberst Ludwig Beck. Eine Biographie, Paderborn/ München/Wien/Zürich 2008, Kapitel VII. Der Architekt der Aufrüstung. Daraus Zitat S. 188  : „Beck legte die Grundzüge und Zielsetzungen seiner Denkschrift vom 14. Dezember 1933 den höchsten Führern des Heeres auf einer von Blomberg einberufenen Befehlshaberbesprechung am 21. und 22.12.1933 dar. Sie ist eines der Schlüsseldokumente deutscher Aufrüstungspolitik. Militärisch setzte sie die Weisung des Reichskriegsministers vom 25. Oktober 1933 in konkrete Planungsdaten um  : Das aus dem Friedensheer zu mobilisierende Kriegsheer solle die Fähigkeit zur Verteidigung erhalten  : ‚Der Angriff muss für unsere Nachbarn zu einem Risiko werden.‘ Das war angesichts der Ausgangslage ein sehr ehrgeiziges Ziel. Da man aber dabei nicht stehen bleiben wollte, wurde angedeutet  : Weitergehende Projektionen müssten vorerst aus organisatorischen und rüstungswirtschaftlichen Gründen zurückgestellt werden. Konkret wurde für dieses „Risiko-Heer“ ein Kriegsheer von insgesamt 67 Divisionen ‚als geringste zulässige Stärke‘ gefordert, darunter „eine motorisierte Division, eine Reiterbrigade und ein Panzerverband sowie Korpstruppen.“

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chenau nach meinem Abgang von Berlin im Frühjahr 1935 als Wehrkreisbefehlshaber zuerst nach Leipzig und später nach München versetzt worden. Er wurde durch den fügsamen Gen. Keitel672 ersetzt. Sehr interessant war für mich zu beobachten, wie planmäßig doppelsinnig die ausländischen Waffenattachés von deutscher Seite beeinflusst wurden, offenbar im Zusammenhang mit den bevorstehenden politischen Aktionen des „Führers“. Die militärischen Stellen waren zum Teil zurückhaltend, deuteten an, dass erst erwogen, erprobt und gründlich geprüft werden müsse, bevor an eine Ausweitung der Armee geschritten werden könne. Andere, dem Nazitum ergebene Offiziere (besonders in der Luftwaffe) und einzelne Größen der Partei, aber auch einzelne Beamte des Außenamtes erzählten Wunder über das Tempo der Rüstung und wie es dem „Führer“ gelinge, in einem bisher ungeahnten Rüstungstempo vorwärtszukommen. Bei Fahrten über Land konnte man überall anlaufende Bauten wahrnehmen, auf die man durch Tafeln aufmerksam gemacht wurde, nach denen das Stehenbleiben von Autos und längeres Umsehen verboten sei. Die Berichte der Waffenattachés waren dementsprechend unterschiedlich. Mein belgischer Kollege und ich rechneten mit den realen Möglichkeiten und bestritten das von anderen geglaubte, überstürzte Rüstungstempo, das wir nur als politisches Schreckmittel werteten. Dabei stellten wir übereinstimmend und bedauernd fest, dass unsere Berichte in der Heimat weder Interesse, noch Glauben fanden. Von England hingegen erschien, um sich anscheinend selbst durch persönliche Rücksprache über die Lage zu unterrichten, der Außenminister Lord Simon673 in Begleitung von Mister Eden674 in Berlin. Nach Besprechungen mit Hitler und im Außenamt sollte Simon mit Blomberg zusammengebracht werden. Hierzu gab der englische Militärattaché Col. Thorne ein Diner, zu dem außer den englischen Besuchern 672 Über Wilhelm Keitel (1882–1948) siehe die Daten bei Glaise-Broucek II, S.171, Anm. 134. 1.10.1931 Obst. in der Reichswehr, 1929–1933 Chef der Heeresorganisationsabt. im Reichswehrministerium, 1.4.1934 GM, 1.10.1934 Kdr. 22. ID in Bremen, 4.2.1938–Mai 1945 Chef des OKW, 19.7.1940 GFM. 673 John Allsebrook Viscount of Simon (Manchester, 8.2.1873–11.1.1954, London), Rechtsanwalt und Politiker, 1906 Abgeordneter der Liberalen Partei zum Unterhaus, 1915/16 und 1918 Innenminister, 1922–1930 wieder Abgeordneter, 1931–1935 Außenminister, 1935–1937 wieder Innenminister, 1937– 1940 Schatzkanzler im Kabinett Chamberlain, 1940–1945 Lordkanzler; Simon war einer der größten Befürworter des Appeasements und auch der Mann, der das Flottenabkommen von 1935 aushandelte. 674 Anthony Eden Earl (1961) of Avon (Windlestone, Durham), 12.6.1887–14.1.1977, Salisbury, Wilt­ shire), 1923–1957 konservativer Abgeordneter im engl. Unterhaus, 1931–1933 Unterstaatssekretärdes Auswärtigen Amtes, 1934/35 Lordsiegelbewahrer, 1935–1938 Außenminister, trat wegen Nachgiebigkeit Chamberlains gegen Mussolini und Hitler zurück, Dezember 1939–Mai 1940 Kriegsminister, Dezember 1940 wieder Außenminister bis Juli 1945, dann wieder Oktober 1951 bis April 1955, 6.4.1955 Premierminister, 10.1.1957 Rücktritt wegen schwerer Krankheit.

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v. Blomberg mit einem Adjutanten, der englische Botschafter Phipps mit Gemahlin sowie meine Frau und ich geladen waren. Ich kam neben Lady Phipps zu sitzen, meine Frau hingegen links vom Hausherrn, sodass sie der Unterhaltung des ihr gegenüber sitzenden Blomberg mit Thorne und dem links von ihr sitzenden Lord Simon gut folgen konnte. Blomberg sprach vollkommen englisch und betonte, sooft die Unterhaltung auf militärische Fragen abglitt, immer wieder den absoluten Friedenswillen des „Führers“ und seine Absicht, in der Rüstung auf keinen Fall weiterzugehen, als dies die Gleichberechtigung Deutschlands im europäischen Raum erfordere. Meiner Unterhaltung nach Tische mit dem Hausherrn konnte ich entnehmen, dass Lord Simon mit seinem Besuche zufrieden sei und beruhigter, als er gekommen war. Der Winter mit seiner vielen Geselligkeit und den betonten Aufmerksamkeiten, die meiner Frau und mir im diplomatischen Korps erwiesen wurden, konnte meine Sorgen über das immer unbefriedigender werdende Verhältnis zwischen Deutschland und Österreich nicht verringern. Immer eingehender überlegte ich, wie Österreich notfalls Widerstand zu leisten vermöchte. Anderseits verstärkte ich bei den Herren des Luftfahrtministeriums meine Bemühungen, um doch einmal mit Göring ins Gespräch zu kommen. Es fügte sich gut, dass der durch seine bravourösen Taten als U-BootKommandant im Ersten Weltkrieg bekannt gewordene Kapitän Weniger im Luftfahrtministerium war. Der dort gleichfalls tätige, hervorragende frühere österreichische Kriegsflieger Mjr. Heyrowski, mit dessen Familie meine Frau und ich regen Verkehr pflegten, brachte Weniger und Frau in unser Haus. Gelegentlich einer Abendeinladung bei Weniger musste ich viel von unserem Land und unseren Leuten erzählen, da ein gleichfalls zu Gast geladener Admiral sich als großer Freund Österreichs herausstellte und immer neue, typisch österreichische Anekdoten und Scherze hören wollte. Es ergab sich ganz zwanglos, dass ich bedauernd das schlechte Verhältnis beider Staaten zur Sprache brachte, betonte, wie sehr jedem Österreicher daran liege, mit Deutschland in guter Freundschaft zu leben, ohne gleich nazifiziert zu werden, und bat schließlich um ihren Einfluss bei Gen. Milch, damit ich mit Göring ins Gespräch kommen könne. Diesen Herren glaube ich es zu verdanken, dass ich nach einiger Zeit von Milch in ein Weinrestaurant zu einem intimen Frühstück geladen wurde, an dem außer Milchs persönlichem Adjutanten noch Obst. Weniger und Regierungsrat Arndt teilnahmen. Hierbei kam es zwischen Milch und mir zu einer eingehenden Aussprache, wobei ich das österreichische Verlangen nach Freiheit und Unabhängigkeit aus der Geschichte ableitete und an Beispielen darlegte, dass ein selbstständiges Österreich Deutschland in jeder Lage weit bessere Dienste leisten könne als ein drangsaliertes und schließlich einverleibtes Land. Gen. Milch wollte die Vertrauenswürdigkeit Österreichs anzweifeln und fragte, warum wir denn unsere Flugzeuge aus Italien und England bezögen. Ich erwiderte, dass auch er und seine Flieger in England lernten und wir kreditpo-

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litisch von Italien besonders entgegenkommend bedient würden. Auf alle Anfragen in Deutschland hingegen hätte man uns bisher die kalte Schulter gezeigt. Ich könne nicht mehr tun, als immer wieder versuchen und bitten, an deutsche maßgebende Persönlichkeiten heranzukommen, um uns auf gleich und gleich aussprechen zu können. Milch sei der erste, bei dem mir das gelinge. Er möge mich doch auch mit Göring zusammenführen. Wir sprachen uns bei diesem Frühstück sehr gut und Milch versprach, sich alles Gehörte durch den Kopf gehen zu lassen und sich besonders für die Abgabe von Flugzeugen an uns einzusetzen. Wir trennten uns mit der Versicherung guter Kameradschaft, und ich durfte hoffen, dass ein kleiner Schritt vorwärts geschehen sei. Der 16. März brachte die selbstständige Deklaration Deutschlands über die allgemeine Wehrpflicht. Vorangegangen waren eine Reihe teilweiser und eine vollständige Verdunkelungsübung in Berlin. Ich hatte das bestimmte Gefühl, dass mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht die größte weltpolitische Entscheidung getroffen worden war und erinnere mich genau, wie ich damals zu meiner Frau sagte, dass die kommende Nacht entweder französische Bomben über Berlin bringen oder Frankreich als Großmacht endgültig ausscheiden werde. – Es kamen keine Bomben, aber eine Einladung zu einer feierlichen deutschen Friedenskundgebung in der Staatsoper. Bei diesem Anlasse hielt der Reichskriegsminister vor dem vollbesetzten Hause – umrahmt von künstlerischen Musikvorträgen – auf der mit alten und neuen Truppenfahnen geschmückten Bühne eine große Rede, in der er die absolute nicht-aggressive Friedensliebe Deutschlands als das gewichtigste Thema heraushob und die allgemeine Wehrpflicht als den bedeutendsten Teil der Wiederherstellung der Gleichberechtigung Deutschlands im europäischen Raum hervorhob. Das Propagandaministerium Goebbels hatte diese große Kundgebung zur letzten Brüskierung Österreichs während meiner Amtsdauer in Berlin genützt  : Während für alle Militär-, Marine- und Luftattachés die Mitte des Parketts reserviert war, wurden dem litauischen Militärattaché und mir, ganz abgetrennt, die schlechtesten Sitze unterhalb der überbauten Parterrelogen inmitten von kleinen deutschen Offizieren und ihren Frauen angewiesen. Ich äußerte ganz laut meinen Unwillen über diese Taktlosigkeit und wollte das Haus ostentativ verlassen. Die Ermahnung meines litauischen Kollegen, dass es für unsere Orientierung sehr bedeutsam wäre, persönlich zu hören, was Blomberg offiziell zu sagen habe, ließ mich bleiben. Um aber nicht den Glauben zu erwecken, dass ich diese auffallende Unhöflichkeit ruhig hingenommen hätte, legte ich gleich nach der Feier beim Generalstabe durch den Attachéoffizier formell meinen Protest gegen die Sitzanweisung ein. Als Mjr. Rössing, selbst sehr betreten, die Weitergabe meines Einspruches an den Oberbefehlshaber des Heeres zusagte, daran aber die Entschuldigung schloss, dass nicht der Generalstab, sondern das Propagandaministerium die Sitzaufteilung vorgenommen habe, erwiderte ich ihm, dass es seine oder sei-

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ner Vorgesetzten Pflicht gewesen wäre, die Sitzzuweisung zu prüfen und die offenkundige Brüskierung Österreichs nicht zuzulassen  ; ich müsse bedauernd feststellen, dass die Heeresleitung gegenüber dem Propagandaministerium in die Hinterhand gekommen sei, was ich meinen ausländischen Kollegen mitteilen werde. Irgendeine Antwort von deutscher Seite bekam ich natürlich nicht. Meine ausländischen Kollegen haben aber ihrer Zustimmung zu meinem Proteste durch das schon früher erzählte Angebot Ausdruck gegeben, dass sie mir die Übernahme des Doyenats675 anboten. Als mir Gen. v. Reichenau gelegentlich die erst am 21. Mai herausgegebene wehrgesetzliche Neuregelung Deutschlands erläuterte, sagte er mir auch, dass ich nach einer Meldung des deutschen Militärattachés in Wien für einen Kommandoposten in Österreich in Aussicht genommen sei und beglückwünschte mich mit dem Beifügen, wie sehr auch er froh wäre, ein nicht mit Politik belastetes Kommando zu erhalten. Ostern 1935 verbrachte ich mit meiner Frau und meinen Töchtern in Österreich, wo ich erfuhr, dass ich zum Chef des Generalstabes für die gesamte bewaffnete Macht in Aussicht genommen worden sei.676 Nach Berlin zurückgekehrt, konnte ich bald meinen zur vorläufigen Orientierung gleichfalls in Berlin eingetroffenen Nachfolger Obst. Pohl einführen.677 Ich machte noch im Mai den am Vorabend des Starts zum 675 Doyenat  : Stellung des rangältesten Diplomaten, Beamten, Schauspielers. 676 BA/MA, Rw 5/4, Vortragsnotiz des T 3 (Chef Abt. Fremde Heere), 22.1.1935: „Aus besonders vertrauenswürdiger Quelle  : ‚Vaugoin soll Heeresministerium wieder übernehmen. General Zehner soll Chef der Sektion I werden (T1 + T3 + Personalamt). Bisheriger Chef der Sektion I General Brantner wird verabschiedet. General Jansa wird abgelöst und durch Oberst Waber ersetzt. Gen. Jansa soll Heeresinspektor werden. Bisheriger Heeresinspektor General Schilhawsky wird verabschiedet. Die Stellenbesetzung soll ab 1. Februar in Kraft treten. Verteiler  : Chef Truppenamt, Wehrmachtsamt, Militärattaché Wien.‘“ 677 Anton Pohl (Capo d’Istria, 7.1.1889–28.11.1982 Wien), 18.8.1909 als Lt. ausgemustert aus der Techn. Milakad. zum Eisenbahn- u.Telegraphenregiment, 1.10.1913 eingeteilt beim Höheren Geniekurs, 2.8.1914 eingeteilt bei der Geniedirektion Trient, 9.4.1915 zur Geniestabsgruppe FML Blenesi, Arbeit in den Karpaten, 13.11.1916 Techn. Referent der 12. ID (Galizien, Bukowina), 1.11.1917 Kdt. der Techn. Gruppe der Isonzo-Armee, 2.1.1918 Geniestabsoffz. des 1. KKmdo., 1.11.1918 beim l­ilqu. Eisenbahnrgt, 1.2.1919 i, Eisenbahnbüro d. liqu.KM.20.7.1920 übernommen ins ÖBH, PiBaon 2, 1.1.1921 Mjr., 1.3.1923 Stabshptm. 1.11.1924 im Stab des 4. BrigKdo. zuletzt als Gehilfe der Führung [= Glstbschef ], 15.1.1929 Obstlt., 1.6.1933 1. Adjutant des Staatssekretärs, 1.8.1935 Militär- und Luftattaché für Dtl. u. Schweiz, 1.1.1938 GM, 15.3.1938 abberufen und eingeteilt beim Archivstab des BMfLv, 31.12.1938 Ruhestand, 10. 8.1940 eingeteilt bei der Feldkommandantur 821 in Laon, dann bei einer Feldkommandantur in Litauen, 1.11.1941 Führerreserve. Sein Nachlass  : ÖStA/KA, sign.B/1020. Unterredung des Herausgebers mit GM i. R. Ing. Anton Pohl, 2.2.1979  : „Meine Eltern stammen aus Triest und aus Gradiska. Mein Vater war im Strafanstaltsdienst, zuletzt Oberdirektor in Stein. Ich war in Linz im gleichen Jahrgang in derselben Realschule wie Hitler. Es ist mir nicht mehr erinnerlich, ob Hitler in meine Klasse oder in eine Parallelklasse ging … Vaugoin war vor allem Politiker, genau und fleißig, aber „nur“ Christlichsozialer. Schönburg-Hartenstein war ein wahrer Soldat. Unter ihm entwarf

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Deutschland-Flug vom Luftfahrtministerium am Tempelhofer Flughafen gegebenen Empfang mit, bei dem erstmalig deutsche Flugzeuge zur Besichtigung freigegeben waren. Meine Frau und ich wurden von den Fliegern mit besonders wohltuender Zuvorkommenheit empfangen und geleitet. Mit Staatssekretär Zehner hatte ich mein Eintreffen in Wien für einen der letzten Mai-Tage fest verabredet. Unser Gesandter plante, meiner Frau und mir zu Ehren einen besonders glänzenden Abendempfang zu geben, zu dem er alle prominenten deutschen Generäle einladen wollte. Ich riet ihm davon ab, weil nach den bisherigen Gepflogenheiten nur mit Absagen gerechnet werden könne. Wie erstaunt war ich dann, als der deutsche Chef des Generalstabs des Heeres GdA. Beck, der Staatssekretär für Luftfahrt Gen. Milch mit Gemahlin, ebenso Gen. v. Reichenau mit Frau und eine Reihe anderer deutscher Generäle und Stabsoffiziere in der Gesandtschaft zu meinem Abschied erschienen  ! Diese Aufmerksamkeit durfte ich denn doch als einen Beweis werten, dass ich das Schreiben bezüglich der Rückkehr von FM Erzherzog Eugen. Im Februar 1934 besichtigte ich mit Schönburg-Hartenstein die Truppen. Ich war ins Ministerium gekommen, als Dr. Liebitzky auf mich hinwies. Die Spannungen mit dem Deutschen Reich gab es erst unter Zehner. Dieser war ein guter Offizier, aber ungeeignet als „Minister“. Als Jansa im Deutschen Reich abgelöst werden sollte, bewarb ich mich als sein Nachfolger, da ich nicht mehr in einer Kanzlei sein wollte. Ich erhielt keine Instruktion und auch vom Nachrichtenchef Obst. Böhme keine besonderen Aufträge. Ich hatte ein gutes Verhältnis zu GdI. Beck, der mir hie und da neue Vorschriften gab. Zu Canaris bestand kein Kontakt. Zu Jansa wurde ich kein einziges Mal zwecks Berichterstattung gerufen, auch nicht zu Schuschnigg. Ich wiederhole meine Aussage im Guido-Schmidt-Prozeß, daß ich ganz bestimmt Schmidt in Karinhall gesehen habe [Dies geschah anläßlich eines Ausfluges des Ehepaares Pohl samt Chauffeur bei einem Spaziergang in der Nähe von Karinhall  ; Frau Pohl hat darüber Erinnerungen verfaßt  : Marianne Pohl, „War es ein Traum  ? – Erinnerungen an Berlin 1935–1938“]  ; ebenso hat ihn der Gesandtschaftsportier ein anderes Mal erkannt. Ich glaube, daß Tauschitz Gesandter bleiben wollte und daher die Begegnung später nicht zugab. Ich meine, Schmidt hat irgendwie die Besetzung Österreichs vorbereitet. Gattin Marianne Pohl weist auf das Abendessen bei Keitel am Vorabend des Einmarsches hin. Eigenartig kam allen damals die Abwesenheit des Hausherrn vor. ‚Wir wußten nichts von den Vorbereitungen.‘“ Anton Pohl weiter  : „Als ich einige Tage nach dem Einmarsch nicht bei einem Ball erschien, ließ mich Göring rufen  : ‚Ich habe Sie schätzen gelernt. Mach Sie einen Strich unter die Vergangenheit und arbeiten Sie mit uns.‘ Ich meinte, ich hätte schon des Kaisers Rock getragen und dann auch der Republik Treue gelobt und bitte nun um meine Pensionierung. Göring sagte, er könne dies verstehen. Wir glauben, daß er die Hand über uns auch weiterhin hielt, denn wir wurden von der Partei nie auch nur im Geringsten behelligt. Frau Pohl schrieb an Beck, da der Gatte nun nur eine Obersten-Pension bekomme, da er erst seit 1.1.1938 GM sei. General Beck (zwei Schreiben liegen vor) regelte die Angelegenheit. In der Nähe meiner Dienststelle in Litauen im 2. Weltkrieg war das SS-Quartier. Ich mußte oftmals mit ansehen, wie dort Juden hineingetrieben und erschlagen wurden. Ich wurde einmal von der SS eingeladen, die damals bereits sehr mit der Wehrmacht rivalisierte. Plötzlich wurde mir unwohl und ich musste mich erbrechen – das einzige Mal in meinem Leben. Kurz darauf wurde ich verabschiedet, nachdem ein General den Vorfall untersucht hatte. Er meinte, ich hätte ‚Glück gehabt‘.“

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die kameradschaftlichen Beziehungen trotz der bösartigen Politik noch achtungsvoll bestanden. Eine Einladung Becks in sein Haus sowie eine gleiche Milchs musste ich wegen der mit Zehner getroffenen Vereinbarung ablehnen. Als ich jedoch hörte, dass auch Göring bei Milch sein werde, bat ich meine Frau, die noch einiges in Berlin zu regeln hatte, der Einladung zu folgen. Am nächsten Tag meldete ich mich beim Reichskriegsminister v. Blomberg ab und teilte ihm mit, dass ich Obst. Pohl als meinen Nachfolger selbst gewählt habe und hoffe, dass es diesem besser gelingen werde, des toten Kanzlers Wunsch nach einem vernünftigen politischen Verhältnis zu erfüllen. Als Blomberg darauf meinte, dass ich von Berlin doch gute Eindrücke mitnehmen werde, schwieg ich, doch als er neuerlich begann, mir müsse doch irgendetwas in Berlin gefallen haben, antwortete ich  : „Oh, gewiss, der Gemeingeist im diplomatischen Korps und die unter den Militärattachés bestehende Kameradschaft haben mich sehr beeindruckt.“ Mehr hatten Blomberg und ich uns nicht zu sagen. Am Abend gestaltete sich bei Horcher der Abschied von allen Militär-, Marineund Luftattachés sehr herzlich. Sie gaben durchwegs ihrer Freude Ausdruck, dass ein Kamerad aus ihrer Mitte auf einen so entscheidend hohen Posten berufen worden war. Diese Sympathien haben über den langen Krieg hinaus gewährt und nach seinem bitteren Ende die Zeit des Mangels aller Art durch tätige Hilfsbereitschaft spontan gemildert. Nach etwa zwei Wochen kam ich noch einmal nach Berlin zurück, um uns zu verabschieden und meine Frau heimzuholen. Dabei erfuhr ich von ihr und zwei deutschen Herren, dass sie beim Abendessen im Hause Milchs schräg gegenüber von Göring platziert worden war. Der erzählte von seiner Heimreise aus Italien oder Jugoslawien, wie er seine Autos bei Nacht durch Österreich fahren lassen musste, weil sie sonst bejubelt worden wären, was den Dummen und der Regierung in Österreich Anlass zu Rekriminationen678 gegeben hätte. Meine mutige Frau habe darauf mit der Hand leicht auf den Tisch geschlagen, sei aufgestanden und wollte mit den Worten „Ich bin die Frau des österreichischen Militärattachés. Ich lasse mein Land nicht beleidigen  !“ Saal und Haus verlassen. Der neben meiner Frau sitzende Gen. Milch sei gleichfalls aufgesprungen, bat meine Frau um Entschuldigung und bat sie, wieder Platz zu nehmen. Göring soll zuerst ganz verständnislos zugesehen und dann gesagt haben, dass er es doch nicht böse gemeint habe. – Das war unser Berliner Ausklang. Unsere Verabschiedung in Berlin erfolgte durch zwei Riesen-Cocktails zu je mehr als 100 Personen in unserer Wohnung. Die obligate Begleitung und Verabschiedung 678 Rekrimination  : Gegenbeschuldigung.

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am Bahnhof durch die Mitglieder der Gesandtschaft bat ich – nicht ganz einer Meinung mit meiner Frau – zu unterlassen. Erstens war ich allen persönlichen Ehrungen stets abhold  ; zweitens brauchte nicht jeder zu wissen und zu bereden, dass unsere Mittel die Reise nur in der 3. Wagenklasse erlaubten. Von Berlin fuhren wir über die Schweiz heim, um noch einmal die vielen Freunde zu sehen. Dazu gaben wir einen Empfang im Berner Hotel Bellevue. Mit dem Schweizer Chef des Generalstabes besprach ich zur Selbstprüfung die Grundzüge meines Denkens über die militärische Abwehr eines deutschen Überfalls auf Österreich. Roost stimmte mir zu und sagte dann die für einen auf absolute Neutralität eingeschworenen Schweizers besonders eindrucksvollen Worte  : „Wir haben es leichter als Sie. Wir befestigen den Rhein. Wenn aber Deutschland Sie angreift, dann müssen wir Schweizer eigentlich überlegen, ob wir noch neutral bleiben dürfen  !“ Mit der Versicherung, dass er und der Schweizer Generalstab in ureigenstem Interesse alles militärische Geschehen in Österreich mit größtem Interesse verfolgen werden, drückte er mir zum letzten Mal die Hand  ; beide spürten wir das ungute Gefühl, sehr schweren Zeiten entgegenzugehen. Zuletzt unternahmen wir eine kleine Abschiedsreise über Vevey, wo Judith im Pensionat gewesen war, dann über die großen Alpenpässe Furka, Grimsel und St. Gotthard. Diese Fahrten im bequemen Postautobus mache ich mir noch heute zum Vorwurf  : Ich hätte hier den Wünschen meiner Frau nicht nachgeben sollen  ! Denn als wir vom Gotthard entlang des Vierwaldstätter Sees zurück nach Bern und von dort dann durch den Arlberg nach Wien fuhren, bekam meine arme Frau schwere, ihren Lebensmut sehr herabdrückende Herzschwäche-Anfälle. Die starke Belastung ihres geschwächten Herzens durch den wiederholten raschen Wechsel der hohen Pässe und tiefen Täler hatte ich nicht bedacht. Während der langen Eisenbahnfahrt litt meine arme Frau unter Depressionen, die sich erst allmählich nach Erreichen von Wien aufzulösen begannen. Wie von einer Ahnung gewarnt, kehrte sie nicht gern in diese Stadt zurück.679 679 Jansa war mit 1.9.1932 zum BMfHw. versetzt und mit 1.10.1932 zum Vorstand der Abt.1 ernannt worden. Er wurde mit 1.6.1933 zum Militärattaché für Deutschland und die Schweiz mit dem Amtssitz in Berlin bestellt. Mit 29.7.1932 war ihm das Große Silberne Ehrenzeichen verliehen worden, 1934 dann das Militärdienstzeichen 2. Klasse. Mit 1.2.1935 wurde er als Leiter der Sektion III zum BMfLv bestellt. Die „letzte“ über Jansa abgegebene Beurteilung stammt von GdI. Schiebel, vom 31.12.1933  : „Hat als Vorstand der Abteilung 1 in vorzüglicher Weise entsprochen und auf dem Arbeitsgebiete dieser Abteilung große Erfolge erzielt. Entspricht in jeder Weise auf dem in der letzten Zeit besonders schwierig gewordenen Posten eines Mil.Attachees in Berlin. Hat durch sein Auftreten erreicht, daß er auch in der Schweiz beachtenswertes Ansehen genießt. War Vertreter bei der Abrüstungskonferenz in Genf, bei der er gleichfalls sehr gut entsprochen hat.“

X.

Leiter der Sektion III im Bundesministerium für Landesverteidigung und Chef des Generalstabes für die Bewaffnete Macht Wien 1935–1938

Ostern 1935 verbrachten meine Frau und ich, von Berlin kommend, in Österreich, wo wir mit unseren Töchtern für die Dauer der kurzen Oster-Schulferien am Semmering Aufenthalt nahmen.680 Der Zufall fügte es, dass der Staatssekretär für Landesverteidigung, GdI. Zehner681, am Karfreitag ins gleiche Kurhaus kam und bis zum Ostersonntag blieb. Da ergab es sich ganz natürlich, dass wir die politische und militärische Lage zu zweit durchsprachen. Er erzählte, dass der Präsidialchef des Ministeriums, GdI. Brantner, sehr für die Aufstellung einer III. Sektion im Ministerium eintrete, welche alle Agenden des 680 Jansa verfasste über seine wichtigste Amtszeit die folgende Aktenunterlagen betreffende Einleitung  : „Soweit sie im Kriegsarchiv überhaupt noch vorhanden waren, sind sie im Kriegsarchiv für 50 Jahre gesperrt. Ich konnte bei der Darstellung daher nur über wenige persönliche Notizen, meinen Vortrag vom 30.11.1935 im Verband der katholischen Edelleute, die Ansprache vom 12.2.1937 beim Appell der Frontmiliz, das Übergabeverzeichnis der unter persönlicher Sperre gehaltenen Geheimakten vom 1.3.38 an GM Böhme und über aufbewahrte Briefe an mich verfügen. Die Richtigkeit der Darstellung habe ich durch Hofrat GM a.D. Dr. Liebitzky und den einzigen überlebenden Offizier aus der Operationsabteilung, Oberst Krische prüfen lassen, denen ich für ihre Mühewaltung bestens danke.“ Jansa verfasste ferner noch einen Schriftsatz  : Die Dokumentation, Wien am 29. März 1955, von 2 Seiten Handschrift (4 Seiten Maschinschrift  !) Sie enthält wichtige Hinweise auf die von Jansa offensichtlich nach Fertigstellung seines memoirenhaften Berichtes eingesehenen Akten. Hofrat i. R. Dr. Johann Christoph Allmayer-Beck hat dem Herausgeber bestätigt, dass sich General Jansa um jene Zeit, also vor Abschluss der Staatsvertragsverhandlungen, intensiv mit einer Einsichtnahme in die Archivalien beschäftigt hat. 681 Wilhelm Zehner (Bistritz, ung. Beszterce, rum. Bistrija, Stadt im Nösnerland an der Bistritz im Bezirk Klausenburg, 2.9.1883–11.4.1938, ermordet in Wien), 1902 ausgemustert aus der IKSch. Kamnitz zum IR 41, Frequentant des Intendanzkurses und Inhaber von Stabsstellungen im Weltkrieg, Übernahme ins Bundesheer, 1.1.1928 Regimentskdt. AJR 7 in Linz, 1.8.1933 Kdt. 4. Brig. (Linz), 26.9.1933 GM, 11.7.1934 Staatssekretär für Landesverteidigung, 2.11.1934 GdI, 15.3.1938 Ruhestand. Siehe  : M. Polatschek, Wilhelm Zehner, Staatssekretär für Landesverteidigung (Ungedruckte Seminararbeit am Inst. f. Zeitgeschichte [IfZG], Sommersemester 1964). Dokumentationen über den Tod Zehners im Nachlass Funder ÖStA/AVA, und im Privatarchiv Broucek, Depot im KA.B/1250. Siehe auch die Druckschrift  : Daniela Angetter, Gott schütze Österreich. Wilhelm Zehner (1883–1938)  : Porträt eines österreichischen Soldaten, Wien 2006.

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Leiter der Sektion III im Bundesministerium für Landesverteidigung

seinerzeitigen Chefs des Generalstabes bearbeiten sollte. Zehner erkundigte sich, wie ich diese Absicht beurteile  : Ich konnte ihm nur meine Zustimmung zum Gedanken Brantners versichern und aus meiner Erfahrung als Militärattaché auf die Rüstungen Hitlers verweisen, die Österreich zwängen, alles für seine Wehrhaftigkeit zu tun  ; Hitler weiche bisher bewaffneten Konflikten noch aus, aber in etwa zwei Jahren werde man mit Gewaltaktionen zu rechnen haben. Zehner fragte, ob ich Bundeskanzler Dr. Schuschnigg in diesem Sinne referiert hätte, da dieser eine ähnliche Meinung ausgesprochen habe. Das bejahte ich, worauf Zehner mich fragte, ob ich bereit wäre, die Leitung jener Sektion III zu übernehmen. Aus seinem zögernden Verhalten empfing ich den Eindruck, dass die Frage nicht aufgrund seiner eigenen Überlegung, sondern im Auftrag des Kanzlers gestellt wurde. Meine Antwort war  : „Ja  ; selbstverständlich, wenn Ihr niemand Besseren findet  ! Aber Ihr müsst mich arbeiten lassen  !“ Zehner quittierte sie mit der Bitte, ich möge bald nach Wien kommen. In Wien angekommen, machte ich Gen. Brantner im Ministerium von der Unterredung Mitteilung. Er zeigte sich bereits unterrichtet und sagte, dass die diesbezüglichen Erlässe in den nächsten Tagen herauskämen. So blieb nur meine Nachfolge in Berlin zu regeln, für die ich – schon im Rahmen meines neuen Wirkungskreises – Obst. Pohl vorschlug. Meine Frau und ich kehrten nach Berlin zurück, wo wir mit den Vorbereitungen für den Umzug nach Wien und den Verabschiedungen begannen. In den ersten Junitagen übernahm ich schließlich die Leitung der Sektion III im Bundesministerium für Landesverteidigung und damit die Aufgaben des Chefs des Generalstabes. Die allgemeinen Grundsätze, die mir während der ganzen Dauer meiner aktiven Tätigkeit vorschwebten, waren erstens einmal die engste gegenseitige Zusammenarbeit mit dem Bundeskanzleramt/Auswärtige Angelegenheiten  ; die außenund innenpolitische Lage erachtete ich für derart schwierig, dass es keine persönlichen Eitelkeiten, Eifersüchteleien oder gar Gegensätzlichkeiten geben durfte. Zum zweiten erschien mir ein ängstliches Leisetreten gänzlich fehl  ; es durfte weder im eigenen Lager noch in Deutschland und den anderen Staaten den geringsten Zweifel an unserer unbeugsamen Entschlossenheit Raum gegeben werden. Ich war also gewillt, jedem, der es hören oder auch nicht hören wollte, immer wieder unzweideutig klar und laut zu sagen, dass ich alles in meinen Kräften Liegende tun werde, um jedem Angriff – von wo immer er kommen möge – mit der ganzen Wucht der Waffen des Bundesheeres zu begegnen. Ebenso laut und deutlich sprach ich aus, dass mir auf diesem Weg ein jeder, der entschlossen zu Österreich stehe, willkommen sei und dass ich insbesondere von der „Heimwehr“ den engsten Anschluss an das Bundesheer erwarte. Die Art, wie diese Absicht in die Tat umgesetzt werden sollte, hatte strengstes Dienstgeheimnis zu bleiben, dessen geringste Verletzung schärfste Ahndung erfahren würde.

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Meine Antrittsbesuche, bei denen ich die vorstehenden Gedanken zur Aussprache brachte, beschränkte ich auf möglichst kleinsten Umfang. Beim Außenminister Berger-Waldenegg682 fand ich den gleichen Willen zur Zusammenarbeit wie insbesondere auch beim Leiter der politischen Abteilung dieses Ministeriums, dem Gesandten Hornbostel.683 682 Egon Berger-Waldenegg, bis 1919 Frh. Berger v. Waldenegg (Wien, 14.2.1880–12.9.1960, Graz), Absolvent des Wiener Schottengymnasiums, Diplomat, 1914 in Durazzo bei dem kurzfristigen Fürsten v. Albanien Prinz Wied akkreditiert, 1918 bei den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk, 1919 als Sektionsrat pensioniert, sodann Bankangestellter und Gutsbesitzer, seit 1929 beim Steirischen Heimatschutz, 1931 aber übergewechselt zur patriotischen Richtung, als Pfrimer sich der NSDAP zuwandte, zuletzt Bundesführer-Stellvertreter unter Starhemberg, 10.7.1934 unter Dollfuß Justizminister, 30.7.1934 unter Schuschnigg Außenminister, 16.5.1936 Botschafter am Quirinal als Nachfolger Vollgrubers, 1938 in Italien unter dem Schutz Mussolinis, 1943–45 Versuche, eine österreichische Exilvertretung in Italien zu errichten,1948 Rückkehr nach Graz. Sein Sohn war nach 1939 britischer Offizier. Siehe Georg Christoph Berger-Waldenegg (Hg.), Egon und Heinrich Berger v. Waldenegg, Biographie im Spiegel. Die Memoiren zweier Generationen, Wien/Köln/Weimar 1998. 683 Um die Zeit 1935 oder 1936 dürfte Jansa an das BKA/Auswärtige Angelegenheiten eine Denkschrift verfasst haben, von der nur mehr wenige Seiten (4 von mehr als 16 Seiten) greifbar sind. Die Verfasserschaft von Jansa scheint dem Herausgeber aufgrund der Wortwahl und der Diktion sicher  : Sie findet sich im Nachlass Hornbostel (ÖStA/AVA, sign. E/1722, Nr. 7, Fragment einer Reinschrift  : „… Neben dieser ‚direkten‘ Bedrohung, die aus den imperialistischen, gegen das selbständige Österreich selbst gerichteten Zielen Deutschlands erwächst, bestehen jedoch noch gleichsam ‚indirekte‘ Gefahren der Inkursion deutscher Kräfte in österreichisches Gebiet. 1. im Falle eines italienisch-deutschen Konfliktes, der ein unverzügliche Vorstoßen der deutschen Kräfte gegen den Alpenkamm auslösen und Vorarlberg, Tirol und Salzburg (und Kärnten  : in Handschrift hinzugefügt, nicht von Jansas Hand) zum Kriegsschauplatz machen müßte. 2. im Falle eines deutsch-tschechoslowakischen Konfliktes – ob sich dieser nun aus einer direkten, gegen die Tschechoslowakei gerichteten Aktion des Reiches oder aus dem Umstand ergibt, daß die Tschechoslowakei ihren Verpflichtungen gegenüber Frankreich und Rußland gerecht wird. (Gestrichen  : und möglichst starke deutsche Kräfte auf sich zu ziehen sucht.) Im Fall 1. müsste D. danach streben, unverzüglich den Alpenkamm zu erreichen und seine Flanke gegen die Tschechoslowakei und Rest-Österreich zu decken “ – Im Falle 2. hingegen wäre eines der ersten und wichtigsten Operationsziele Ds. die Umgehung der linken Flanke der Tschechen, d.h. ein Eindringen auf österreichisches Gebiet und der Angriff auf Böhmen von Süden her … deutsche Invasion Salzburg, Ös. und wohl auch von Teilen Nös. … zur Folge.“ S. 15  : … die in den einzelnen denkbaren Konfliktfällen von Italien durchgeführten Operationen wären voraussichtlich folgende  : a) Deutschland fällt (mit oder ohne Vorwand) in Österreich ein – Italien schlagartiger Angriff … vom Brenner aus und … die Räumung Österreichs erzwingen … möglicherweise Nebenoperationen zur Abwehr eines jugoslawischen Einbruches nach Kärnten in diesem Raum … b) Deutschland fällt in Österreich ein und greift gleichzeitig die Tschechoslowakei an  : Auch in diesem Falle kann wohl angenommen werden, daß Italien in seinem primären Interesse, nämlich der Erhaltung der Integrität Österreichs, Rechnung tragend gleich dem Falle a) operieren würde … Schwierigkeiten, wenn tschechische Kräfte bereits Wien und das Donautal besetzt hätten … Würde … Italien Schiedsrichter sein … verjagen suchen … oder sich auf die Seite des einen oder des anderen stellen … an die Seite der antirevisionistischen Tschechen … oder des Preußen, der zwar ein dem Faschismus verwandtes System trägt und parallel

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Anlässlich meiner Meldung bei Bundeskanzler Schuschnigg, der zugleich die Agenden des Bundesministers für Landesverteidigung führte, konnte ich meine Absichten ausreichend darlegen und fragen, ob die knappe Formulierung seiner Außenpolitik als Basis für die Wehrpolitik, wie ich sie auf einem Bogen niedergeschrieben hatte, richtig sei  ; diese Notiz lautete  : „Ziel der Außenpolitik ist die Erhaltung der Unabhängigkeit Österreichs.“ Der Kanzler besah diesen Satz, bejahte ihn nach kurzer Überlegung und ergänzte ihn durch die Hinzufügung, „um es (Österreich) politisch zu konsolidieren und wirtschaftlich aufzubauen“. Hierauf resümierte ich, dass dies Kampf mit Hitler bedeute und es meine Aufgabe sei, Österreich raschestens verteidigungsfähig zu machen, wofür das Söldnerheer nicht genüge, sondern das ganze Volk durch eine allgemeine Wehrpflicht herangezogen werden müsse. Die Kostenfrage und Beschaffung der Mittel wurde diesmal nur am Rand erwähnt, weil dafür Ausarbeitungen notwendig waren, die ich erst veranlassen musste. Wenn ich dieserart mit meinen Aussprachen am Ballhausplatz zufrieden war, so konnte ich das von meiner Meldung beim Heeresinspektor, dem Staatssekretär und den Besuchen bei den Sektionschefs und Abteilungsleitern des Ministeriums für Landesverteidigung nicht behaupten. Vielmehr traf ich auf Skepsis und Zurückhaltung. Besonders in Hinblick auf die Aussicht, die nötige Erhöhung der budgetären Mittel zu erhalten, herrschte eine Resignation, wie sie die 15-jährige immer mehr oder weniger wiederkehrende Abwürgung des Bundesheeres folgerichtig erzeugen musste. Mit besonderer Herzlichkeit und großem aufmunterndem Vertrauen empfing mich der Präsident der Bundesbahnen, der langjährige, hoch verdiente frühere Minister für Landesverteidigung, GdI. Karl Vaugoin. Bei dieser Gelegenheit sagte er mir  : „Du wirst vielleicht staunen, lieber Freund, dass der Zehner Staatssekretär geworden ist. mit dem ungarischen Freunde die Zertrümmerung der Tschechoslowakei anstrebt, dafür aber, einmal im Besitze des ersehnten öst. Donautales dieses niemals freiwillig wieder räumen würde  ?“ Wichtig hier die Haltung Jugoslawiens … Wenn neutral, „große Wahrscheinlichkeit, daß Italien den beiden Eindringlingen (D bzw. T) den Respekt des ö. Bodens aufzwingen würde  ; führt jedoch Jugoslawien die weiter oben angedeuteten mil. Bewegungen in der Richtung auf Wien und Kärnten aus, so dürfte kaum zu zweifeln sein, daß Italien sich (zwangsläufig an die Seite Ds stellen würde. Auf diese, die Existenz Ös. ernstlich bedrohende Entwicklung ohne Versäumnis entlastenden Einfluss zu nehmen, wäre die vordringlichste Aufgabe der österreichischen Außenpolitik …“ [Abk. v. Herausgeber] E/1722, Nr. 6  : Brief Hornbostel an Vollgruber, Wien 5.3.1936, Geheim, rein privat. „Lieber Freund  ! Jansa bemüht sich als „eigentlicher Chef des Generalstabes“ … kläglicher Ausrüstungsstand zu heben … die Dinge, die relativ wenig Geld kosten … (Konsignierung der Waffenfähigen, der Gedienten usw. hat er schon so gut wie durchgeführt … aber ‚materielle Rüstung‘ Hatte Konversation mit Jansa (hatte bekanntlich das Wohlgefallen des Duce bei den Herbstmanövern) … dem Bundeskanzler bei seinem Besuch ‚stecken‘, ‚Hölle heiß machen‘ … ‚eindringlich‘ anspornen; er soll wegen Aufrüstungsanleihe bei seinem Besuch vorfühlen … Liebitzky einspannen  ?“

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Da bin ich mitschuldig daran  : Weißt’, wie der Fürst Schönburg zurückgetreten ist, da hat mich der Dollfuß um einen Nachfolger gefragt. Er wollte aber absolut keinen Generalstäbler. Wie ich im darauf g’sagt hab’, dass Heeresminister sein nicht so einfach ist, dass man da doch eine höhere Ausbildung braucht, hat er mir geantwortet, dass ich selbst keine höhere Ausbildung gehabt hab‘ und doch ein ganz guter Minister war. Er will keinen Generalstäbler, er will einen Truppenoffizier. Und da hab‘ ich ihm halt den Zehner genannt, weil der wenigstens einen Intendanzkurs gemacht hat.“ Ich erzähle diese Episode nur, um zu zeigen, dass Diktatoren keine Fachleute mit höherer Ausbildung um sich leiden wollen. Das hat aber an meiner Verehrung für Bundeskanzler Dollfuß, den ich ob seiner Kraft und Impulsivität, seines Mutes und seines reinen Österreichertums besonders geschätzt habe, nichts geändert. Hitler wusste intuitiv, dass er Dollfuß morden lassen musste, denn wenn Dollfuß gelebt hätte, wäre die deutsche Wehrmacht nicht kampflos nach Österreich eingebrochen  ! Von großer Bedeutung für das Vorwärtstreiben der militärischen Arbeiten war für mich die Gewinnung der Freundschaft und hingebungsvollen Unterstützung unseres hervorragend begabten, von Treue und glühendem Patriotismus erfüllten Militärattachés in Rom, Obst. Dr. Liebitzky.684 Dieser weilte kurz nach meiner Bestellung in 684 Über Emil Liebitzky (1892–1961) siehe die Daten bei Glaise-Broucek II, S. 253, Anm. 62. Liebitzky war Artillerist, im Weltkrieg dem Generalstab zugeteilt, absolvierte nach 1918 im Bundesheer die strenge Fachprüfung für den Posten eines Gehilfen der Führung. Er war ab 1927 in der Adjutantur des Bundesministers und ab 1.6.1933 Militärattaché für Italien, 28.6.1933 Oberst, 30.9.1938 Ruhestand, 1938–1945 in der Privatwirtschaft tätig, ab 1942 Kontakte zur Öst.Widerstandsbewegung (Vorläufer der O5), 1945/46 in der Staatskanzlei/Heeresamt, 8.1.1946 enthoben und ins BKA als w. HR einberufen, 17.7.1947 in die Pensionsabt. A des BM. f. Finanzen und dort für den Wiederaufbau eines öst. Heerwesens tätig  ; Aufbau der B-Gendarmerie gemeinsam mit den Exponenten der SPÖ in einem Vierer-Komitee, 1955 Leiter des Amtes für Landesverteidigung im BKA, 26.7.1956 GdA. und Leiter der Sektion I (Präsidialsektion) im BMfLv., 31.12.1958 Ruhestand. Sein Nachlass im KA  : Sign. B/1030. Siehe diverse Werke von Ludwig Jedlicka (Bibliografie), Peter Broucek, Liebitzky Emil, in  : NDB, 7. Bd., S.501–503. Das nunmehrige Hauptwerk über sein Leben ist  : Walter Blasi, General der Artillerie Ing. Dr. Emil Liebitzky – Österreichs „Heusinger“  ? (= Militärgeschichte und Wehrwissenschaften, Band 6), Bonn 2002. Liebitzky beantwortete 1960 schriftlich einen Fragenkatalog des ehemaligen Offiziers und Historikers Gordon Brook-Shepherd für dessen Bücher über Dolllfuß und den Anschluss. (nunmehr KA, sign.B/1030, Nr. 70.) Dabei weist Liebitzky u.a. darauf hin, dass Dollfuß „relativ häufig“ bei Mussolini persönlich Rat eingeholt habe und dabei den Grenzübergang bei Nauders, Tirol, benützt habe. „Dollfuß ging es eindeutig um die Selbstbehauptung Österreichs in einer unbeschreiblich schwierigen innen und außenpolitischen Lage und um die Sicherung gegen den schwer lastenden und rücksichtslos geführten Druck des ns. Deutschland … Dollfuß war ganz bestimmt nicht der Anhänger eines Faschismus italienischer Art oder dessen Übertragung nach Österreich. Das sagte er selbst öfters im engsten Kreis sehr klar.“ Mussolini hat Übertragung oder Nachahmung auch niemals gefordert  : „Der Faschismus ist kein Exportartikel.“ Liebitzky verfasste nach 1947 zwei Maschinschriften, eine kurze Geschichte des Bundesheeres und „Zur Geschichte der Behandlung des Offizierskorps des ehem.

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Wien, und meine ihm dargelegten Absichten fanden seine freudige Zustimmung, was in der Folge zu einer idealen, sich gegenseitig ergänzenden, nie durch einen Misston gestörten Zusammenarbeit führte, die bis zum traurigen Ende und noch darüber hinaus währte. Diese Zusammenarbeit war deshalb so wichtig, weil Oberst Liebitzky sowohl bei Kanzler Schuschnigg, als auch beim italienischen Ministerpräsidenten Mussolini volles Vertrauen und bei Mussolini sogar eine unseren Gesandten überragende Stellung gewonnen hatte. Mussolini war der einzige Freund des „selbstständigen, unabhängigen“ Österreich, der durch die Tat des Aufmarsches seiner Divisionen am Brenner nach der infamen Ermordung unseres Bundeskanzlers den Wert seiner Freundschaft unter Beweis gestellt hatte und der in der Folge großes Gewicht auf eine militärische Stärkung Österreichs legte. Er trug zu dieser auch durch wiederholte Überlassung von Gewehren, Maschinengewehren und Geschützen samt Munition tatkräftig bei. Rückblick Bevor ich mit der Erzählung meiner Arbeit als Leiter der Sektion III beginne, muss ich die damals bestandenen Verhältnisse im Bundesheer und jene im Ministerium kurz darlegen  : Der Friedensvertrag von Saint-Germain hatte die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft und die Freiwilligenergänzung mit zwölfjähriger Dienstzeit vorgeschrieben. Die Gesamtstärke des Heeres durfte nur 30.000 Mann einschließlich der 1.500 Offiziere und ebenso vieler Unteroffiziere sowie 450 Maschinengewehre und 90 leichte Geschütze betragen. Besondere Kampfmittel wie Gas, Flammenwerfer, Panzerkraftwagen und Luftstreitkräfte waren verboten. Ergänzungskader durften nicht gebildet und Mobilisierungsmaßnahmen nicht bearbeitet werden. Die hochentwickelte österreichische Waffenindustrie musste vernichtet werden  ; nur eine beschränkt leistungsfähige Staatsfabrik blieb zugestanden. Die Ein- und Ausfuhr von Waffen wurde verboten. Niemand außerhalb des Heeres durfte sich mit militärischer Ausbildung befassen. In der Hauptsache den Ländergrenzen entsprechend wurden nach diesen Bestimmungen 6 gemischte Brigaden und einige heeresunmittelbare Formationen aufgestellt. Jede Brigade bestand aus 6 Bataillonen Infanterie, 1 Radfahrbataillon, 4 Batterien, 1 Schwadron, 1 Pionierbataillon und aus je 1 Telegraphen-, Kraftfahr- und Fahrkompanie. Alles in allem eine militärische Lösung, die trotz aller Beschränkungen bei ­einem normalen Verstandes- und Seelenzustand von Volk und Staatsleitung eine NutBundesheeres nach der deutschen Besetzung 1938 (Schriften zur Geschichte des Bundesheeres, Nr. 54).

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zung des Heeres zur Erhaltung der Wehrhaftigkeit in höherem und weiteren Sinne wohl ermöglicht hätte. Aber die sattsam bekannte revolutionär-bolschewistische Führung der sozialdemokratischen Partei durch Otto Bauer einerseits, die Verängstigung, parteiische Zerklüftung und das mangelnde Staatsbewusstsein anderseits ließen die Politisierung des Heeres zu und stellten es in den Mittelpunkt eines leidenschaftlichen Parteienkampfes, der dem Heer in den folgenden eineinhalb Jahrzehnten nur die Mittel zum dürftigen Vegetieren, nicht jedoch zu einer Fortentwicklung gewährte. Es ist das nie deutlich genug betonbare Verdienst des langjährigen Heeresministers Vaugoin sowie der aus der kaiserlichen Armee hervorgegangenen Offiziere und Unteroffiziere gewesen, in einer oft bis zur Selbstaufopferung gegangenen Zähigkeit den Revolutionsschutt nach und nach weggeräumt und dem Staat ein neues Heer aufgebaut zu haben, das nach soldatischem Können, Gesinnung und Zuverlässigkeit den schwersten Lagen mustergültig entsprach. Zahllos sind die Assistenzleistungen anlässlich vieler Elementarereignisse gewesen, und oft musste das Bundesheer als letzter Rückhalt der Regierung zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung dienen. Nach der von Deutschland geleiteten Ermordung des Bundeskanzlers und bewaffneten Erhebung der österreichischen Nationalsozialisten rettete das Heer im Kampfeinsatz die Existenz des Staates, wobei 4 tote Offiziere, 44 Soldaten, 8 verwundete Offiziere und 171 verwundete Soldaten zu Blutzeugen der militärischen Pflichterfüllung geworden sind. Wie sehr im Heer die Pflichterfüllung über dem Einzelempfinden stand, zeigt die Tatsache, dass zwei von den gefallenen Offizieren eingeschriebene Nationalsozialisten waren.685 Es darf zur richtigen Beurteilung der Lage aber auch nicht verschwiegen werden, dass die ewige Ablehnung der vielen mahnenden Forderungen des Heeres jenen schier unfassbaren Zustand der Selbstentwaffnung herbeiführte, der das Heer weit unter jenen Minimalstand sinken ließ, den die drakonischen Friedensdiktatoren von Saint-Germain für die Aufrechterhaltung der Ordnung im Innern als notwendig erkannt und vorgeschrieben hatten. Anstatt jener 30.000 Mann zählte das Heer bis zum ersten Durchgreifen der Regierung Dollfuß durchschnittlich nur 18–20.000. Dazu muss noch hervorgehoben werden, dass das uns aufgezwungene Söldnersystem von dem durchschnittlich 90 Millionen Schilling betragenden Heeresbudget 60 Millionen für Personalkosten infolge der hohen Mannschaftsentlohnungsgebühren verbrauchte, 685 Bei einem der beiden handelt es sich um Mjr. Johann Charvat (1888–1934), einen der höchstdekorierten Subalternoffiziere in der k.u.k Armee. Er galt um 1934 in seinen Kameradenkreisen als Sympathisant der Hitlerbewegung. Er ist bei den Kämpfen von Juli 1934 am Pyhrnpass gefallen. Forschungen von Prof. Walter Schwarz, Wien, Vizeleutnant i. R., haben ergeben, dass diese Behauptungen, die auch Heinrich Drimmel anführt, aber infrage stellt, nicht durch schriftliche Quellen verifiziert werden können.

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sodass bloß 30 Millionen für Sachausgaben verwendbar blieben. Wie sehr die lange Dauer so enger Verhältnisse den Geist, die Dienstfreude und die Zuversicht, besonders bei den weiterschauenden Offizieren, ungünstig beeinflusste, liegt für jeden Verständigen klar auf der Hand. Dass trotzdem für die zeitgemäße Entwicklung des Heeres einigermaßen etwas geleistet wurde, stellt die Sauberkeit und Gewissenhaftigkeit der Verwaltung sowie die geistige Spannkraft der leitenden Funktionäre in ein besonders helles Licht, sodass in diese gehemmte Entwicklungsperiode immerhin fielen  : – die Einführung eines leichten Maschinengewehres  ; – die Konstruktion eines sehr guten Minenwerfers und eines Panzerabwehrgeschützes, das mit seinem 4,7-cm-Kaliber an Durchschlagskraft das damalige deutsche wesentlich übertraf  ; – die Einführung des Spitzgeschoßes für alle Infanteriewaffen  ; – eine wesentliche Leistungssteigerung der vorhandenen Geschütze  ; – die Umorganisierung der Radfahrbataillone in Jägerbataillone auf den ausgezeichneten sechsrädrigen, fast jedes Gelände glatt durchfahrenden Steyr-Kraftwagen  ; – die Schaffung neuer Pioniermotorboote mit besonderer Leistungskraft  ; – die Gründung der militärischen Fliegerschule in Thalerhof bei Graz  ; – die ersten theoretischen Vorarbeiten für den Luftschutz der Gesamtbevölkerung  ; – die Einführung neuer, bester Geräte bei den Telegraphenkompanien, und schließlich  : – die Anlage eines das ganze Bundesgebiet umspannenden Radionetzes rein militärischen Charakters.686 Mit Übernahme der Regierung durch Dollfuß, der die notwendige Stärkung der Wehrkraft zur Sicherung seiner Unabhängigkeitspolitik mit soldatischer Klarheit erfasste, begann für das Bundesheer eine Zeit des Aufschwungs. Als erstes gab er im Frühjahr 1933 dem österreichischen Bundesheer die schöne, im Volk unvergesslich gebliebene altösterreichische Uniform wieder. Er behob damit den groben Fehler vom Jahr 1919, der dem Bundesheer die reichsdeutsche Bekleidung aufgezwungen hatte. Von Mussolini ermutigt trat er sodann folgerichtig mit seinem mitreißenden Elan an den Völkerbund in Genf heran und forderte, Österreich wenigstens teilweise von 686 Dazu zusammenfassend  : Erwin Steinböck, Österreichs militärisches Potential im März 1938, Wien 1988  ; speziell  : Erwin Steinböck, Die Organisation des Österreichischen Bundesheeres von 1920 bis 1938, in  : Heeresgeschichtliches Museum Wien/Gesellschaft für österreichische Heereskunde, Das Bundesheer der Ersten Republik 1918–1938, Materialien zum Vortragszyklus 1990, als Manuskript vervielfältigt, Wien 1990, S. 5–96. Fritz Beer, Fahrzeuge zu Lande, auf dem Wasser und in der Luft, ebendort S. 97–132  ; Josef Mötz, Zur Bewaffnung des Bundesheeres, ebendort, S. 133–146.

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der unpopulären und kostspieligen 12-jährigen Dienstzeit der Söldner zu befreien und die Komplettierung der Truppenstände auf die im Friedensvertrage vorgesehenen 30.000 Mann durch kurz dienende Mannschaften zu ermöglichen. Er hatte Erfolg und wurde ermächtigt, dem Bundesheer 8.000 kurz dienende Leute als „Assistenzkorps“ anzugliedern. Darauf gründend wurde das Wehrgesetz vom Jahr 1920 durch eine provisorische Wehrordnung ersetzt, wonach die „bewaffnete Macht“ (welch schöne altösterreichische Benennung) aus dem Militärassistenzkorps und dem Bundesheer bestehen sollte. Praktisch trat diese dem Völkerrecht Rechnung tragende juristische Formulierung der Unterscheidung von zwei Teilen im Heere nicht in Erscheinung. Der energische, sehr gescheite und zielklare GdK. Brantner, der unter GO Schönburg neben dem Präsidialbüro des Landesverteidigungsministeriums auch die Leitung der Sektion I übernommen hatte, trieb diesen beginnenden Aufschwung im Heerwesen kräftig vorwärts. Alle Anwerbungen für das Bundesheer geschahen nun ausnahmslos über das Assistenzkorps, was bedeutete, dass alle Bewerber vorerst nur mit höchstens einjähriger Dienstverpflichtung als „A-Männer“ aufgenommen und die Bewerber um eine längere Dienstverpflichtung erst nach ihrer erwiesenen Qualität zu „B-Männern“ übersetzt wurden. Die hierdurch erzielten Vorteile waren mehrfach. Durch einen raschen Wechsel von jährlich rund 8.000 Männern (gegenüber etwa 2.000 vorher) wurde endlich mit der Bildung der so dringend notwendigen Reserve an ausgebildeten Soldaten begonnen. Die länger dienenden, ausgewählten „B-Männer“ konnten zu einem hochwertigen reinen Instruktionsrahmen für spätere Heeresvergrößerungen werden. Die Anwärter für die Offizierslaufbahn kamen aus einem größeren Personenkreis und erfuhren vor ihrer Einteilung in die Militärakademie nach Wr. Neustadt durch die größer gewordene Zahl der Konkurrenten eine schärfere Auslese. Die Verringerung der Löhnung für die nur ein Jahr dienenden Männer von täglich 5 S auf 50 g ließ endlich (bei dem auch 1935 mit 116 Millionen Schillingen noch immer sehr schmalen Budget) die volle Ausnützung des im Friedensvertrag zugebilligten Standes von 30.000 Männern zu. Und schließlich besserte sich das Verhältnis zwischen Personal- und Sachaufwand von 33 % auf 57 % zugunsten des Sachaufwandes im Heeresbudget. Es konnten deshalb für die Infanterie eine seit längerer Zeit in Erprobung gestandene Maschinenpistole, für die Fortbringung von schweren Maschinengewehren, Munition und technischem Gerät, als Ersatz für die in Österreich nicht erhältlichen Tragtiere, ein kleines auf Raupen geländegängiges Fahrzeug beschafft werden, das heute als „Motormuli“ bezeichnet in der Forstwirtschaft unentbehrlich geworden ist, zu Ausbildungszwecken eine Anzahl kleiner, italienischer, mit Maschinengewehren bewaffneter Panzerwagen gekauft werden  ; die bei Bofors in Schweden schon länger betriebenen Studien für eine 15-cm-Haubitze, aber auch für eine 4-cm-Flugzeug-

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abwehrkanone intensiviert und Vorbereitungen für den Lizenzbau dieser Waffen in Österreich getroffen werden, der Artillerie sehr leistungsfähige Zugwagen für mittlere Geschütze besorgt werden  ; die gute österreichische Autoindustrie zum Bau von Panzerspähwagen und Traktoren für leichte Geschütze und Minenwerfer angeregt werden, der Flugzeugmotorenbau und auch der Flugzeugbau eingeleitet und eine größere Zahl englischer Übungsmaschinen gekauft werden. Aber auch die organisatorische Gliederung des Heeres erfuhr die schon lange erstrebte Ausweitung von 6 Brigaden zu 7 Divisionen, die, wenn sie auch mangels genügender Mittel oft mehr optischen als realen Gehalt hatte, immerhin achtbare Fortschritte brachte.687 Die 7. Division wurde in den wehrgeographisch zusammengehörenden Ländern Osttirol und Kärnten gebildet und bekam durch Neuaufstellung je eines Bataillons beim Kärntner Inf. Rgt. Nr. 7 und in Spittal einen guten Ansatz zum weiteren Ausbau. Im Bereiche der Tiroler 6. Division wurde je ein neues Bataillon in Hall688 und Salzburg formiert und für die Regimenter die alten Namen Kaiserjäger und Landesschützen wieder eingeführt. Die Brigadeartillerieabteilungen wurden mithilfe der von Italien überlassenen Geschütze zu Artillerieregimentern erweitert. Etwas ganz Neues, den zeitgemäßen Anforderungen Rechnung Tragendes, war die Aufstellung einer „Schnellen Division“ durch Zusammenfassen der Kraftfahrjägerbataillone in eine Brigade, Beigabe einer Kraftfahr-Artillerieabteilung, Vereinigung der Schwadronen zu zwei Regimentern in einer Kavalleriebrigade, Schaffung einer motorisierten Pionierkompanie und Zuteilung der ersten aus Schulwagen entwickelten Panzerwagenkompanie. So bedeutsam alle aufgezählten Fortschritte erscheinen, so war das ganze Heer doch hauptsächlich auf die innerstaatlichen Bedürfnisse hin gerichtet  ; für seine Bereitstellung zum Kampf gegen äußere Feinde fehlten durch die peinlich genaue Einhaltung der Verbote des Friedensvertrages alle geistigen und materiellen Vorbereitungen.689 Erst Dollfuß vertrieb den Ungeist der militärischen Beschränkung. Er 687 Einfügung Liebitzky  : die Umorganisation in Divisionen wurde mehrmals von Mussolini angeregt. Ich fuhr nach Wien und legte dar, wie man vorerst durch Umbenennung der bisherigen Verbände in Divisionen den Rahmen schaffen könne, der sich nach und nach ausfüllen ließe. Sofort sei aber eine optische Wirkung erreicht, weil die Armeen meist nach der doppelten Zahl der Divisionen (Linienund Reservedivisionen) eingeschätzt würden. Es kostete ziemliches Drängen, bis man in Wien darauf einging.“ 688 Hall in Tirol, mittelalterliche Stadt, 10km östliche von Innsbruck. Überragte im Mittelalter die Landeshauptstadt Innsbruck an wirtschaftlicher und kultureller Bedeutung, besonders als die Münzprägestelle von Meran, heute Italien (Südtirol), dorthin verlegt wurde. 689 In dem Werk  : Friedrich Mayer, Wehrpolitische und militärische Landesverteidigung in Österreich 1920 bis 1938, Wiener Magisterarbeit 2001, S. 77 geht der Autor im Kapitel „Die Militarisierung der

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erkannte als erster Politiker nach Minister Vaugoin690 die Bedeutung und Kraft der österreichischen Idee. Er war sich klar, dass für diese Idee und die Erhaltung der Unabhängigkeit gekämpft und dieser Kampfwille ins Volk getragen werden musste. Dieser Wille von Bundeskanzler Dollfuß wurde von seinem Nachfolger Schuschnigg weitergetragen und vom Landesverteidigungsministerium durch den gescheiten Vorstand der 2. Abteilung, GM Friedländer, und den Fachbearbeiter Obst. Koske in Form gebracht.691 Mit Beginn des Schuljahres 1934/35 hatte an allen Lehranstalten Österreichs die vormilitärische Jugenderziehung eingesetzt. Sie erstreckte sich nur auf die ­Knaben, begann mit dem 10. Lebensjahr und wirkte gleichermaßen auf Moral, geistiges Wissen und körperliche Fähigkeiten. Auf wie fruchtbaren Boden diese großzügigen Entschlüsse gefallen waren, zeigte die Tatsache, dass in den Sommerferien des Jahres 1935 die von Offizieren des Bundesheeres geleiteten Unterweisungskurse von 1.800 ­L ehrern freiwillig besucht worden waren. Damit fand ich die erste und wichtigste Forderung jeder Landesverteidigung angebahnt und habe in der Folge allen Wünschen der 2. Abteilung auf diesem Gebiet meine bestmögliche Förderung angedeihen lassen. Denn von der vormilitärischen Jugenderziehung konnte erhofft werden, dass sie mit fortschreitender Charakterbildung und Altersreife nicht nur den Stolz auf Österreich und den Willen zu seiner Verteidigung vertiefen werde, sondern auch die praktische Übung mit Waffen, insbesonders die elementare Schießausbildung, und schließlich das Interesse für die Wehrhaftigkeit über den Rahmen der Schulausbildung hinaus auch für die zwischen dem Schulende und dem Beginn der militärischen Dienstpflicht gelegene Zeit, namentlich bei der ländlichen Bevölkerung, erfassen werde. In das gleiSicherheitsexekutive“ auf folgende Standeskörper und ihre Heranziehung, zuletzt durch Jansa, für die Landesverteidigung im Hinterland ein  : Sicherheitswache, Hilfspolizei, Gendarmerie, Hilfsgendarmerie und Zollwache (nach Berechnungen Steinböcks  : 55.139 Mann). 690 ÖstA/AdR/Lv  : Schriften zur Geschichte des Bundesheeres, Nr. 92  : 30.10.1918 Staatsamt für Heerwesen (StfHw.)  : 1 Staatssekretär und 1 bzw. 2 Unterstaatssekretäre 10.11.1920 Bundesminister für Heerwesen mit einem Bundesminister und zeitweilig (1920–1921) einem leitenden Sektionschef, 1.9.1933 Bundesministerium für Landesverteidigung (BMfLv.) mit meist dem Bundeskanzler als Bundesminister f. Lv. – Ausnahme eine kurze Zeit 1934 – und einem Berufsoffizier im Generalsrang als Staatssekretär. 30.10.1918 StS Josef Mayer (Dt.Nat.) mit UstS Julius Deutsch ab 3.11.1918 und UstS Erwin Waihs (Christl.Soz.) bis 14.6.1920  ; 22.10.1920 StS/BM Walter Breisky (Christl.Soz.; 28.4.1921 BM Carl Vaugoin (Christl.Soz.), 2.10.1921 BM Obst.d.R. Josef Wächter (parteilos, Dt. Nat.-Sympathisant), 31.5.19211 BM Carl Vaugoin, 21.9.11933 BM Engelbert Dollfuß (Christl.Soz.), mit StS GO d.R. Alois Schönburg-Hartenstein (Heimwehr), 12.3.1934 BM GO d.R. Alois Schönburg-Hartenstein (Heimwehr), 10.7.1934 BM Engelbert Dollfuss (Christl.Soz.), betraut, mit StS GdI. Wilhelm Zehner, 29.7.1934 BM Kurt Schuschnigg (Christl.Soz.), mit StS GdI. Wilhelm Zehner, 12.3.1938 BM Artur Seyss-Inquart (Nat.Soz.) mit StS Obst. Maximilian Angelis (Nat.Soz.). 691 Oberst Koske, zuständig für vormil. Jugenderziehung, kommandiert ins Bm. f. Unterricht.

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che Gebiet gehörte der große Entschluss der Regierung, alle Jugendorganisationen zum Zwecke einheitlich vaterländischer Erziehung, in der „Staatsjugend“ als Dachverband zusammenzufassen. Um dieses Gebiet der Vertiefung des Sinnes der Bevölkerung abzurunden, nenne ich gleich auch die gesetzlichen Verfügungen, die bereits unter meiner Mitwirkung als Leiter der Sektion III entstanden  : – ein Gesetz, das den Militärdienst als Voraussetzung für die Erlangung einer Lebensstellung im öffentlichen Dienst des Bundes, der Länder und Gemeinden festlegte  ; – das Gesetz über die Einwohnerverzeichnung, das die Bevölkerungsevidenz auf neue Grundlagen stellte und lückenlos gestaltete. Dieses Gesetz war die notwendige Voraussetzung für eine allgemeine Erfassung der Bevölkerung zum Wehrdienst  ; – eine Novelle zum Militärvorspanngesetz samt seinen Durchführungsverordnungen, welche die vorher möglich gewesene Beanspruchung ziviler Pferde, Tragtiere und Pferdefuhrwerke für militärische Zwecke, nun auch auf sämtliche motorischen und sonst wie angetriebenen Land-, Wasser- und Luft-Transportmittel ausweitete. Die Sektion III war aus der mir schon vom Jahre 1932/33 bekannten Abteilung des Ministeriums hervorgegangen und umfasste nach kurzer Zeit eine Operations-, Mobilisierungs- und Nachrichtenabteilung, ein Kriegswirtschaftsamt und die Luftabteilung. Zu beeinflussen hatte ich die dreijährige Schule zur Heranbildung von Generalstabsoffizieren, die „Höherer Offizierskurs“ hieß. Die Errichtung der Sektion III, der die Arbeiten für die Kriegsbereitstellung Österreichs zukamen, konnte, gleich anderen nach dem Vertrag von Saint-Germain verbotenen Maßnahmen, nunmehr durchgeführt werden, weil Schuschnigg die von Dollfuß inaugurierte Politik der Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs in ruhiger Konsequenz fortführte. Diese auch im Interesse der großen Mächte gelegene Politik bedurfte des Rückhaltes in einem schlagkräftigen Heer, was auch die Zwingmächte von Saint-Germain nicht leugnen konnten  ; so wurden die von Schuschnigg mit viel Mut und großem Geschick geleiteten Aufbauarbeiten unter belanglosen diplomatischen Scheineinwänden Stück für Stück durchgeführt, was einige Jahre vorher von den Alliierten noch absolut verhindert worden wäre. Die Flieger arbeiteten schon länger in größerem Maße an ihrer Ausbildung und ihrem Aufbau unter Führung von GM Löhr692, bei dem sich bei persönlicher Beschei692 Über Alexander Löhr (20.5.1885–20.2.1947) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I., S. 341 f., Anm. 136. Löhr war seit 1.5.1934 Kdt. d. Öst. Luftstreitkräfte. Siehe  : Erwin Pitsch, Alexander Löhr, Band 1. Der

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denheit große militärische Fähigkeiten und zähe Energie paarten. Sein Aufbauwerk umfasste eine ganze neue Waffe, die nun aus dem Verband einer Sektion gelöst und selbständig gemacht werden musste, worin ich mit Löhr übereinstimmte. So wurde das Kommando der Luftstreitkräfte geschaffen, dem zunächst ein Fliegerregiment im Raume nördlich der Alpen (Wien-Wels), das zweite südlich des Alpenhauptkammes (Graz-Klagenfurt), die Fliegerwerft in Thalerhof bei Graz und als Schulformation eine Flak-Batterie mit Scheinwerferzug, dann eine FlaMg-Kompanie mit einem Entgiftungstrupp unterstanden. Das Kommando der Luftstreitkräfte hatte gleichzeitig als „Luftabteilung“ namens des Bundesministeriums für Landesverteidigung den behördlichen „zivilen Luftschutz“ zu bearbeiten, der aus dem Luftspäh- und Meldedienst, dem FlaMG-Dienst sowie der Unterrichtung der Bevölkerung und Feststellung von Schutzräumen für diese zu bestehen hatte. Alle beschriebenen immer bestgeschulte Offiziere erfordernden Arbeiten zwangen mich, innerhalb der Sektion III mit der geringsten Zahl von Abteilungen und Offizieren das Auslangen zu finden, was nach meiner langjährigen Erfahrung durchaus kein Nachteil war. Denn bei wenigen tüchtigen Männern besteht wohl die Gefahr ihrer vorzeitigen Abnützung durch Überlastung, dafür aber gewinnt das Arbeitstempo sehr viel an Schwung, weil die andernfalls unvermeidlichen langen Konferenzen und sonstigen durch die Vielzahl entstehenden Verzögerungen wegfallen. Zudem gewinnt die Geheimhaltung an Sicherheit, wenn nur wenige Personen arbeiten. Beides war für mich von wesentlicher Bedeutung. Im Aufgabenkreis der Sektion III ist der Arbeitsumfang der Operationsabteilung besonders groß gewesen. Für deren Leitung hatte ich, nach Ausscheiden des Vorgängers, eine glückliche Wahl getroffen. Der leider sehr früh nach dem deutschen Einmarsch in Österreich verstorbene Oberst Basler war ein außerordentlich kluger Berater für mich und ein umsichtiger, rascher und zäher Arbeiter von absoluter Zuverlässigkeit und Verschwiegenheit, der bei seinen Mitarbeitern ebensolche Leistungen zu erzielen verstand.693 Generalmajor und Schöpfer der Österreichischen Luftstreitkräfte, Bd. 1, Salzburg 2004  ; Band 2. Der Luftflottenchef, Salzburg 2006  ; Band 3. Heerführer auf dem Balkan, Salzburg 2009. 693 Moritz Basler (Wartenberg/Stráž pod Ralskem, Böhmen, 2.12.1886–13.3.1941, Salzburg), 18.8.1909 ausgemustert aus der PiKSch. Zu PiBaon3, ab 28.7.1914 Glstbsoffz. 7.GBrig., Glstbskurs der 7. GBrig., 1.8.1916 Hptm., 5.11.1918 Gehilfe des Landesbefehlshabers in Linz (frühere Bezeichnung  : Dö. Volkswehrkdo. für OÖ u. Südböhmen, 1.1.1919–8.7.1920 Stabschef Landesbefehlshaber Linz, 9.7. 1920 Stabschef Brigdo.4, 1.11.1922 AJR.8, Kpkmdt., 1.1.1923 Stabschef BrigKdo.4, 1.4.1924 übernommen in den Höheren Militärischen Dienst, 1.9.1924 Lehrer an der Heeresschule Enns, dann wieder BrigKdo. 4, 15.7.1928 Obstlt., 1.9.1930 zur Heeresverwaltungsstelle Linz, 1.2.1931 deren Leiter, 17.8.1932 Obst., 1.3.1934 zug. Offz. BrigKdo. 4, 1.6.1935 bestellt zum Infanterie-Brigadier bei der 4. Div., 1.9.1935 dienstzugeteilt Heeresinspektorat, 1.2.1936 bestellt zum Vorstand der OpA. 1.1.1938

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Es ist vielleicht gut, wenn ich hier die Geschichte des ersten Leiters der Operationsabteilung erzähle, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass ich der sehr wichtigen Frage der Zuverlässigkeit der Offiziere in dieser schweren Zeit aus dem Weg ginge. Selbstverständlich lastete der Konflikt mit Deutschland auf jedem einzelnen Österreicher wegen der Gleichheit der Sprache, der Kultur, aber auch vieler Perioden der Geschichte schwer  ; auch mich selbst nehme ich von dieser Feststellung nicht aus. Dollfuß, der Schöpfer der Unabhängigkeitspolitik Österreichs, und erst recht sein Nachfolger Schuschnigg litten schwer unter der Zwietracht mit Deutschland, wie man auf jeder Seite in „Dreimal Österreich“ und im „Requiem“ Schuschniggs lesen kann. Es galt aber, einen Trennungsstrich zu ziehen zwischen dem Deutschland, das wir liebten, und dem alles Üble aufputschenden Nationalsozialismus. Die ersten Seiten von „Mein Kampf“, die Hitlers Unverständnis für sechs Jahrhunderte segensreichen Wirkens des Kaiserhauses für die Freiheit Europas, seinen pathologischen Hass gegen das Haus Habsburg und die Stadt Wien wie schließlich gegen ganz Österreich darlegten, musste jeder anständige Österreicher wie Faustschläge ins Gesicht empfinden. Für die Offiziere kam aber noch dazu, dass sie durch einen der Republik Österreich freiwillig geschworenen Treueid besonders verpflichtet waren. Die zwangsweise Politisierung des Bundesheeres durch das Wehrgesetz 1920 ließ den Angehörigen die volle politische Betätigung frei. Es konnte also auch jemand – wenn sein Geschmack es ihm erlaubte – Bolschewik und Nationalsozialist sein. Als aber Bundeskanzler Dollfuß nach der Selbstausschaltung des Parlamentes die Parteien aufhob, die ständische Verfassung mit Zustimmung des Rumpfparlamentes erließ und das Bundesheer endlich entpolitisierte, hatte kein Mann und kein Offizier mehr das Recht, sich politisch zu betätigen. Wollte er es trotzdem tun, so stand ihm frei, aus dem Heer auszuscheiden. Jedes andere Verhalten war mit den dem österreichischen Offizier in der kaiserlichen Zeit zu eigen gewordenen Begriffen von Ehre und Pflicht unvereinbar. Zur Ehre des Offizierskorps des Bundesheeres stelle ich hier ausdrücklich fest, dass nur wenige (spätere Erhebungen stellten nicht ganz 5 % fest), sagen wir aus politischer Leidenschaft, gefehlt haben. Zu diesen gehörte jedoch der erste Leiter der Operationsabteilung, dem ich von Haus aus mit Zurückhaltung begegnete. Kurz nach Übernahme der Sektion III ließ mich Staatssekretär Zehner zu sich bitten. Er erzählte mir, dass der bisherige Vorstand der 1. Abteilung und nun zum Chef der Operationsabteilung gewordene General ihm ein Abschlussreferat über seine bisherige Tätigkeit erstattet habe, worauf Zehner ihm, GM ; dieser Rang wurde von der Dt. Wehrmacht nicht anerkannt. Basler sollte mit 13.3.1938 pensioniert werden, wurde aber am nächsten Tag dann auf den Führer vereidigt und in die Dt. Wehrmacht übernommen, im 2. Weltkrieg verwundet und Tod in einem Salzburger Lazarett.

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als einem seiner besten Freunde, dem er volles Vertrauen geschenkt hatte, die Absichten des Kanzlers über die durch mich zu leistenden Arbeiten erzählt habe. Durch einen Zufall sei Zehner der Wortlaut des von diesem Mann unmittelbar nachher mit dem deutschen Militärattaché, Glt. Muff, geführten Gespräches gemeldet worden, in dem er die ihm vom Staatssekretär gemachten vertraulichen Mitteilungen sofort weitergab. Zehner fragte mich, ganz erschüttert von diesem Treuebruch, was er machen solle. Ich antwortete, der Mann wäre sofort zu entfernen und wegen Hochverrats vors Strafgericht zu bringen. Dazu war der Staatssekretär nicht zu bewegen  ; als schärfste Maßnahme wollte er eine sofortige Pensionierung veranlassen. Ich riet von solcher Schonung ab und sagte, dass eine dem Strafgesetz verfallene Handlung schonungslos zu ahnden sei, was übrigens auch eine sehr heilsame abschreckende Wirkung haben werde. Leider wurde meine Meinung nicht befolgt. Der Mann wurde mit vollen Gebühren pensioniert und wollte dann noch den Gekränkten spielen. Ich hatte in meiner Sektion in der Folge gottlob nur einmal, bei einem niederen Offizier, dessen Verdacht erregende Verfehlung aber nicht so klar lag, durchzugreifen. Aller meiner anderen Mitarbeiter gedenke ich voll Anerkennung ihres Wirkens dankbar.694 Um die Geheimhaltung unserer Arbeiten, soweit sie über den in aller Öffentlichkeit immer wieder laut bekundeten Willen zum bewaffneten Widerstand gegen jeden Angreifer Österreichs hinausgingen, zu gewährleisten, verbot ich allen meinen Herren über ihre Arbeiten ohne meine ausdrückliche Bewilligung mit einem Kameraden oder Vorgesetzten zu sprechen. Die Koordinierung der Arbeiten behielt ich mir vor. Dadurch konnte im Falle einer erkannten Indiskretion sofort festgestellt werden, wer daran Schuld trug  ; allgemeine Verdächtigungen gab es nicht. Selbst vermied ich es tunlichst, Bundeskanzler und Staatssekretär mit den Einzelheiten meiner Absichten zu belasten. In Konsequenz des mir geschenkten Vertrauens musste ihnen das Wissen genügen, dass ich alles in meiner Kraft Stehende nicht nur leisten, sondern auch rasch leisten werde  ; denn ich betrachtete nach Hitlers Rüstungstempo mein Arbeiten – um ein Wort Mussolinis zu gebrauchen – als einen Wettlauf mit der Zeit. Die Mobilisierungsabteilung fand in GM Rudolf Materna695 einen versierten Fachmann, der aber wegen eines quälenden Nierenleidens, dem er später auch erlag, 694 Über Emmerich v. Nagy (St. Paul bei Villach, 15.9.1882–17.9.1965, Klagenfurt) vgl. die Daten bei Glaise-Broucek I, S.  194, Anm. 182. Kadettenschüler, 1.8.1914 Hptm.i.G, in Volkswehr u. Bundesheer übernommen, 1932 Beitrittserklärung zur NSDAP, 1.1.1934 in 1. Abt. BMfLv., 1.4.1935 Vorstand, 1.12.1935 zur Mobabt. versetzt, 31.12.1935 pensioniert, 2.3.1938 in die Dt.Wm. übernommen, 1.8.1938 Glt., 1941/42 im Stab des Gebirgskorps Norwegen, 1.8.1942 GdI., 31.1.1934 Ruhestand. Nagy agitierte vor 1955 als SPÖ-Funktionär in diversen Parteiorganen gegen die Wiedererrichtung eines BH. 695 Rudolf Materna (Arnau a. d. Elbe, jetzt Hostinné, 11.1.1883–28.4.1938), 18.8.1903 ausgemustert

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mitten in den angelaufenen Arbeiten durch den sehr tätigen Obst. Sohn696 ersetzt wurde. Die Nachrichtenabteilung führte während der ganzen Zeit der mir aus seiner Dienstzeit in St. Pölten vertraute, sehr umsichtige und ehrgeizige GM Böhme.697 Er wurde nach der Besetzung Österreichs durch Hitler als Divisionär in das deutsche Heer übernommen. Böhme stammte von einem reichsdeutschen Vater, der sich zu Österreich bekannt hatte. Er musste in seiner sehr schwierigen Arbeit der Abwehr von Spionage, angesichts der Hemmungslosigkeit des Nationalsozialismus, vielleicht mehr deutsche Komplexe überwinden als irgendein anderer Offizier. Deshalb muss ich zu seinem Andenken (er stürzte sich als Angeklagter in Nürnberg aus einem Fenster zu Tode) feststellen, dass er seinen Obliegenheiten mit beispielhafter Treue und Gewissenhaftigkeit untadelig nachgekommen war. Über die Nachrichtenabteilung unterstanden mir die österreichischen Militärattachés in London und Paris, Berlin und Bern, Budapest, Prag, Warschau und Belgrad sowie der hervorragendste unter ihnen, Obst. Dr. Liebitzky in Rom. Andererseits wies ich die ausländischen, in Wien bevollmächtigten Militärattachés zur fallweisen Information an GM Böhme. Öfter sprach ich – wie noch zu erzählen sein wird – nur mit dem englischen, französischen und ungarischen Militärattaché  ; den deutschen Militärattaché habe ich ablehnend behandelt, weil mich seine den gebotenen Takt eines Militärattachés verletzende Agitation für den Nationalsozialismus anwiderte.



aus IKSch. Prag, Frequentant der Kriegsschule, Absolvent des dt. Führerkurses in Sedan, 1.1.1920 Mjr., 1.1.1921 Obstlt., 20.1.1928 Obst., 1.1.1929 Stabschef 2.Brig., 12.6.1933 bestellt zum Stabschef des Heeresinspektors, 31.8.1933 ernannt zum GM, 1.1.1934 versetzt zur Mil. Fachprüfungskommission, 1.4.1934 Versetzung zum Heeresinspektorat, 1.6.1935 Bestellung zum Vorstand der Mob.Abt., 8.9.1937 FML (Charakter), 30.9.1937 Versetzung in den Ruhestand, 696 Roman Sohn (Wien, 5.6.1886–19.7.1970, Wien), 18.8.1906 ausgemustert aus IKSch., 1. Weltkrieg Artilleriereferent des Korps, 1.12.1920 als Offizier beim BrigKdo. 2, 1.1.1921 Mjr., 1.11.1926 BriKdo. 11, 15.1.1929 Obstlt., 1.8.1932 Obst., 1.6.1933 versetzt zum Heeresinspektor, 1.10.1936 versetzt zur Mobabt. BMfLv., 1.10.1937 Vorstand der Mobabt., 15.11.1938 versetzt zum Artrgt. 23 (Potsdam)  ; 1.9.1941 GM, 31.7.1942 entlassen aus dem aktiven Dienst. 697 Über Franz Böhme (Zeltweg 1885–1947, Selbstmord im Kriegsverbrechergefängnis in Nürnberg), siehe die Daten in  : Glaise-Broucek I, S. 192, Anm. 185. Glstbsoffz. Im 1. Weltkrieg, ab Aug. 1918 bei der k. u. k. 1. ID an der Westfront, Übernahme ins ÖBH, 1.1.1935 Chef der Abt. 1a (Nachrichtenabt.; in Sektion I, dann Sektion III, 24.12.1935 Übernahme ins Bundesheer, designierter Chef d. Glstb. zum 1.4.1938, bereits Anfang März nach Rücktritt Jansas im Dienst, dann zur Vorstellung in Ungarn, Übernahme in die Dt. Wehrmacht, 1.10.1940 Kdi.Gen. XVIII. AK, 19.9.1941–5.12.1941 bev. Kdi.Gen. in Serbien, sodann Einsatz in Lappland, 1.1.1944 stellv. Kdi.Gen. in Salzburg, 21.6.1944–10.7.1944 mit der Führung der 2. Panzerarmee beauftragt, Flugzeugabsturz, 18.1.1945 OB 20 (Geb.). Armee und Wehrmachtsoberbefehlshaber Norwegen. Über seine Kriegsverbrechen in Serbien siehe  : Österreichs Generale im Deutschen Heer 1938–1945, S. 221–228.

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Das Kriegswirtschaftsamt hatte der hochbegabte Leiter der materiellen Sektion, GdI. Luschinsky, kurz vor Errichtung meiner Sektion ins Leben gerufen und es in glücklichster Weise mit dem Generalmajor i. R. der kaiserlichen Armee, Ottokar Pflug, besetzt. Dieses Amt trat nun zu mir, worüber ich große Freude hatte, weil ich in GM Pflug den erfolgreichen Organisator der ö.-u. Artillerie im I. Weltkrieg verehrte, der mit großer Kraft die durch dauernde Budgetverweigerungen arg zurückgebliebene Artillerie erstaunlich rasch vermehrt und mit erstklassigen Geschützen versehen hatte. Durchdrungen von der hohen Wichtigkeit seiner sich nun in alten Tagen selbst gestellten und sich immer erweiternden Aufgabe auf dem unermesslich großen Gebiet der Vorbereitung des Gesamtstaates nach landwirtschaftlicher, industrieller und Rohstoffkapazität für ein Kriegsgeschehen, habe ich sein Amt durch Zuführung geeigneter Persönlichkeiten rasch erweitert und seine Tätigkeit mit allen meinen Kräften gefördert. Trotz des bedeutenden Altersunterschiedes – Pflug war zu Ende des Ersten Weltkrieges schon General, während ich erst 1917 Major im Generalstab geworden war – lag in unserer Zusammenarbeit eine wunderbare Harmonie. Leider konnte ich keine angemessene und von ihm so verdiente Abgeltung seiner unschätzbar wertvollen Tätigkeit durchsetzen, weil eine gesetzliche Regelung festlegte, dass ein Bundespensionist monatlich nicht mehr als 300,– Schilling Zuzahlung zu seinem Gehalt empfangen durfte. Dieser prachtvolle Mann hat aus reinem Idealismus und militärischem Pflichtbewusstsein seine reiche Erfahrung und sein großes Können gegen einen Bettellohn zur Verfügung gestellt. So habe ich wenigstens versucht, durch eine hohe Auszeichnung ihm zu danken und ihm diese dann mit einem Begleitschreiben zugestellt. Als Antwort erhielt ich einen Brief, der noch in meinen alten Tagen, nun, da den Absender längst grüner Rasen deckt, zu den schönsten Erinnerungen meines Lebens zählt. Kommandant der „Höheren militärischen Fachkurse“ war GM Paul Wittas698, eine nach Gesinnung, theoretischem und praktischem Können für diese schwierige Aufgabe bestgeeignete Persönlichkeit. Als Lehrkörper habe ich ihm die besten Generalstabsoffiziere verfügbar gemacht, was er mir durch ausgezeichnete Arbeitserfolge lohnte. Die von uns ausgebildeten jungen Generalstabsoffiziere kamen durch den Ablauf der Ereignisse für das Bundesheer leider nicht mehr zur Geltung. Im Rahmen des großen deutschen Heeres haben sie aber durchwegs vorzüglich entsprochen, was eine 698 Über Paul (R. v.) Wittas siehe die Daten bei Glaise-Broucek III, S. 554, Anm. 17. 18.8.1907 ausgemustert aus Theres. Milakad. als Lt. zum IR 71, 1911–1914 Frequentant der Kriegsschule, 31.7.1914 zugeteilt Glstb., im 1. Weltkrieg meist Dienst bei Transportleitungen, 1.9.1914 Hptm.i.G. Übernahme ins Bundesheer, 1.7.1920 Titular-Mjr., 17.12.1920 eingeteilt beim BMfLv., 1.6.1927 zu BrigKdo. kommandiert, 21.12.1930 Obst., 1.9.1935 Kdt. d. Mil. Fachprüfungskommission, dann der Höheren Offizierskurse, 24.12.1935 GM, 31.10.1938 verabschiedet, im Weltkrieg Kdr. von Kriegsgefangenenlager, 1.3.1942 Glt., 31.1.1945 Mobverw. aufgehoben.

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wohl ungewollte, jedoch eindrückliche Bestätigung für die Güte unserer Lehr- und Ausbildungsmethoden war, auf deren wissenschaftliche Vertiefung ich Kommandanten und Lehrkörper wiederholt hingewiesen habe. Mitte 1936 forderte die Bearbeitung aller Verbindungsmittel, des Chiffrierdienstes und die Organisierung derselben für den Krieg eine Entlastung der Operationsabteilung, sodass ich mich zur Aufstellung einer „Telegraphenabteilung“ entschloss, die bei Obst. Dworschak699 in sehr guten Händen lag. Nach Darstellung der bestandenen Verhältnisse ist es nun Zeit, die Grundlagen meiner Arbeit anzuschauen  : Meine Überlegungen gingen davon aus, dass unser Österreich, wie immer sich bei einer europäischen Konflagration die Lage gestalten möge, stets in Mitleidenschaft gezogen werden würde, und zwar entsprechend dem uralten Völkerweg der Donau und den Nord-Süd gerichteten Alpenübergängen. Dabei steht einem außerordentlich kleinen Flächenraum eine außerordentlich lange, nur im westlichen Hochgebirgsteil leichter zu verteidigende Grenze gegenüber. Schließlich war das Ziel der österreichischen Außenpolitik, die Wahrung der Unabhängigkeit nach allen Seiten, ein fester Entschluss geworden. Diese drei Gegebenheiten forderten, die Landesverteidigung so stark zu gestalten, dass das hohe Ziel der Unabhängigkeit sich auf eine militärische Kraftentfaltung gründen konnte, zu der das Inland Zuversicht und Vertrauen und vor der das Ausland jenen sachlichen Respekt gewinnen musste, den der harte Lebens- und Verteidigungswille eines durch Jahrhunderte kampfgeschulten Gebirgsvolkes in der Kriegsgeschichte stets erzwungen hat. Diese militärische Selbstverständlichkeit, gepaart mit der Kleinheit des Landes, zeigt in Hinblick auf motorisierte Erd- und Luftstreitkräfte sinnfällig, dass bei einem Kriegsgeschehen das ganze Volk ausnahmslos (auch mit seinen Greisen, Frauen und Kindern) von allem Anfang an in den Strudel der Ereignisse gerissen werden. Wenn man dazu noch die große Länge unserer Grenze bedenkt, so forderte dies die Organisation aller Bewohner Österreichs nach ihrem geistigen und physischen Vermögen zur Verteidigung. Das wiederum bedeutete mit anderen Worten  : die Pflicht aller zur Wehr für die Heimat oder die Allgemeine Wehrpflicht. Damals hielt ich es für richtig, klipp und klar auszusprechen, dass Bedenken aller Art gegenüber der Tatsache zurücktreten müssten, dass Österreich unzweifelhaft ausgelöscht würde, wenn es nicht in den ersten Stunden und Tagen einer europäischen 699 Albert Dworschak (Krönau bei Mähr. Trübau, 10.4.1887–Jan. 1944,  ?), Absolvent der PiKSch. in Hainburg, ausgemustert zum Telegraphenrgt., Truppenoffz. Im Weltkrieg, 1.1.1921 Übernahme ins ÖBH, absolvierte 1925 die I., II. u. III. Strenge Fachprüfung, eingeteilt auf einem Posten für Geistes-, landwirtschaftliche und gewerbliche Arbeitsausbildung, 18.1.1930 Mjr., 8.9.1932 Obstlt., 31.5.1935 zum BMfLv.,17.6.1935 Obst., 1.4.1938 ausgeschieden.

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Konflagration gelänge, den Einbruch von Streitkräften in unser Land zu verhindern. In solcher Lage wäre es ein schwerer Trugschluss, sich auf zeitgerechte Hilfe irgendwelcher Mächte zu verlassen. Die Motorisierung der Heere und die rapide Entwicklung der Luftstreitkräfte begünstigten den Überfall in einer bis dahin nie gekannten Weise. Den ersten Anprall hätten daher immer wir allein, die wir an Ort und Stelle waren, abzuwehren  ; alles andere käme verspätet. Die Kriegseinleitung 1914 in Belgien sprach deutlich. Der Österreich in Saint-Germain aufgezwungene Zustand, in dem der eine aus Pflicht, der andere vielleicht freiwillig sein Leben für die Heimat einsetzt, während die Überzahl der dritten die Arme verschränken sollte, als ob sie alles nichts anginge, war unhaltbar. Die gesetzliche Festlegung der Pflicht aller zur Verteidigung der Heimat war unabweislich und dringlich geworden, selbst für den Fall, dass der Mangel an Geld die sofortige Ausschöpfung eines solchen Gesetzes im vollen Umfang zunächst nicht erlauben sollte. Die geographischen Gegebenheiten unseres Landes forderten nach meinem Dafürhalten weiters, dass die Landesverteidigung anders gestaltet werden musste als sie in der großen ö.-u. Monarchie organisiert worden war. Die Gliederung, wonach zuerst das Heer, dann der Landsturm und dahinter viel Vorbereitungen für Ersätze aller Art und allmähliche Steigerung des ganzen Kriegspotenzials kam, passte nicht für das kleine Österreich – ja, seine Lage forderte vielfach eine komplette Umkehrung der Dinge  : Alle Vorbereitungen mussten das Ziel haben, von allem Anfang an so stark wie nur möglich zu sein. Denn es stand zu erwarten, dass das Schicksal Österreichs sich in den allerersten Stunden und Tagen eines Krieges entscheiden werde  ; könnte es da sein Gebiet, wenigstens in großen Teilen, halten, so war es gerettet. Andernfalls wären alle Vorsorgen für eine allmähliche Kraftsteigerung, wie das große Staaten mit Deckungsarmeen planen konnten, sinnlos geworden. Österreich war ein kleines Land, es hatte kaum Ausweich- und Etappenräume  ; es schien mir am ehesten einer großen Festung zu gleichen, deren vordersten Gürtelrand die Grenze bildete. Nur durfte man nicht an eine Gürtellinie denken, sondern an einen viele Kilometer tief gegliederten Gürtelraum, dessen Einrichtungen von bodenständigen Elementen, gestützt auf die im Gürtelraum dislozierten aktiven Verbände, und zwar auch der Gendarmerie, Polizei und Zollwache, jederzeit raschestens besetzt und verteidigt werden konnten. Dieser Gürtel- oder Grenzraum bedurfte, als Rückhalt für die Verteidiger und zur sicheren Verhinderung des überraschenden Einbruchs motorisierter Kräfte, in tiefer Gliederung angelegter, permanenter, armierter Sperren und Hindernisse aller Art, alles zusammen ein Tätigkeitsgebiet, das sich am besten unter dem Namen „Grenzschutz“ zusammenfassen ließ. Die bereits früher erwähnten Maßnahmen zum Schutz des Luftraumes durch den Luftspähdienst, durch eigene Flieger und Bodenabwehr, bedurften einer Ergänzung

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zur Einkreisung und Niederhaltung abgesetzter Luftlandetruppen. Hierzu war die Aufgliederung des Territoriums in Verteidigungsrayone mit eigenen Befehlshabern für die aktiven und nichtaktiven Verteidiger innerhalb jedes Rayons nötig, was ich „Luftlandeabwehr“ nannte. In weiterer Verfolgung dieses Gedankenganges ergab sich als nächste Forderung der Bestand einer starken, von allen zersplitternden Nebenaufgaben frei zu haltenden Hauptreserve, die mit ihrer ganz überlegen wuchtig zu gestaltenden Schlagkraft rasch und sicher dorthin geworfen werden konnte, wo jeweils der Einbruch starker Feindkräfte über die Grenze auf der Erde oder aus dem Luftraum kommend festgestellt und gemeldet wurde. Dass sich zu dieser Hauptreserve nur das aktive Bundesheer eignete, war klar. Um ihm aber von Haus aus höchstmögliche Schlagkraft zu geben, bedurfte es der Vorsorgen für eine automatisch rasch und sicher funktionierende personelle Komplettierung seiner Einheiten auf Kriegsstärke und die Bereitstellung von Transporteinheiten auf Eisenbahnen und durch Autokolonnen auf Straßen, also Mobilisierungs- und Aufmarscharbeiten, Vorsorgen für die rasche Beschaffung von Waffen und Munition und Vollendung sowie Perfektionierung des im Aufbau befindlich gewesenen militärischen Verbindungs- und Meldedienstes in solcher Parallelität aller seiner Mittel, dass man unter allen Umständen mit automatisch sicherer Funktion rechnen durfte. Weil aber selbst im Fall unbeschränkter Geldmittel der personelle Aufbau aller vorbedachten Notwendigkeiten durch das Bundesheer und dessen auszubildende Reserven allein noch viele Jahre gebraucht hätte, während nach Hitlers Rüstungstempo höchste Eile geboten war, so lag es für mich nahe, die bisher neben dem Bundesheer und unabhängig von diesem mehr oder weniger sich durch Eifersucht gegenseitig behindernden vielen Freiwilligenverbände (wie Frontkämpfer, Heimwehr, Heimatschutz, ostmärkische Sturmscharen, Schutzbund) planmäßig der Landesverteidigung nutzbar zu machen, besonders dem Grenzschutz, der Luftlandeabwehr und den verschiedenen Sicherungsaufgaben an Bahnen, Telegraphen, Fabriken usw. Schließlich galt mir als letzte grundlegende Überlegung, dass ich bei theoretisch und offiziell zu bekennender Gleichheit aller Grenzgebiete, angesichts der deutlichen Bedrohung durch Hitler, alle Vorbereitungen einschließlich der theoretischen Studien und Schulungen und alle verfügbar zu machenden Geldmittel mit einem 90%igen Schwergewicht an die deutsche Grenze zu legen hatte. Auf den geschilderten Überlegungen gründend begann ich im Ministerium die Besprechung der jedem Ressort zukommenden Aufgaben. Dass ich dabei seitens der Ressortleiter auf Einwände gegen deren Durchführbarkeit stieß, fand ich ebenso natürlich und nur mit Zähigkeit nach und nach überwindbar, wie ihre äußerst kühle Aufnahme beim Staatssekretär, dem sich begreiflicherweise die Haare bei dem Gedanken

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sträubten, alle meine zu erwartenden Geldforderungen im Ministerrat und bei den ständischen Körperschaften vertreten zu müssen. Einigermaßen verblüfft war ich aber über den hartnäckigen Widerstand des Rechtsbüros des Ministeriums gegen den von ihm zu bearbeitenden Gesetzesentwurf zur allgemeinen Wehrpflicht. Das wurde mit seiner Sinnlosigkeit begründet, solange nicht die Geldmittel dafür in sichere Aussicht gestellt würden. Das war bei der schwierigen, aber auch engherzigen Finanzgebarung Österreichs nicht bald zu erwarten. Ich vertrat den gegenteiligen Standpunkt unter Hinweis auf die vielen personellen Erfordernisse des Grenzschutzes und der Komplettierung des Bundesheeres  ; diese konnten nicht durch den ständigen, leidvoll unsicheren Appell an die Freiwilligkeit gelöst werden, sondern bedurften der gesetzlichen Verpflichtung. Hiezu war ein langes, zähes Ringen mit allen seinen zeitraubenden Misshelligkeiten nötig, und ich musste sogar Obst. Liebitzkys Unterstützung aus dem Rom Mussolinis anrufen, um durchzudringen. Darüber war das Jahr 1936 gekommen. Ebenso stieß mein Verlangen auf Nutzbarmachung der Wehrverbände für die Landesverteidigung und die enge Zusammenarbeit mit diesen auf fast allgemeine Ablehnung innerhalb des Ministeriums. Die Ursache lag in einer im Alltag und nur von Gedanken der Innenpolitik beherrschten Eifersucht auf diese Verbände und die bis zum Überdruss vertretene Meinung, dass die diesen Verbänden von privater Seite zugewendeten Mittel beim Bundesheer besser angelegt wären. Meine Gegenargumente in den langwierigen Auseinandersetzungen lagen in den Hinweisen, dass ein guter und echter patriotischer Wille in den Wehrverbänden liege  ; dass neben Nullen auch sehr viele hervorragend qualifizierte und vor dem Feind im Weltkrieg bewährte Offiziere mit Eifer tätig waren, dass diese Verbände in ganz prächtiger Weise sich im Kärntner Freiheitskampf bewährt haben, dass wir die für die Wehrverbände freiwillig aufgewendeten Mittel nie für das Bundesheer bekommen würden, und dass wir bei der drängenden Zeit für den Aufbau der Landesverteidigung auf die bereits vorhandenen Wehrverbände einfach nicht verzichten können. Dieses Ringen wäre wahrscheinlich doppelt so langwierig und erbittert geworden, da auch der Staatssekretär ganz entschieden gegen die Wehrverbände eingestellt war. Da ich aber sofort mit den Wehrverbänden direkt zu arbeiten begann, entstand mir in Bundeskanzler Schuschnigg ein Förderer, dem es mit seinem Verhandlungsgeschick nach und nach gelang, alle Wehrverbände in der freiwilligen Miliz unter Führung des Generals Hülgerth700 zusammenzufassen, der in den Kärntner Freiheitskämpfen für die 700 Über Ludwig Hülgerth (1875–1938) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 131, Anm. 20. Hülgerth war Landwehroffz. beim Gebirgsschützenrgt.1, dann von der Kärntner Landesversammlung beauftragt mit der Oberleitung des Kärntner Abwehrkampfes, Übernahme ins Bundesheer, 1.5.1925 GM,

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junge Republik den ersten Lorbeer erstritten hatte. Mit diesem hervorragenden Mann verband mich eine langjährige, auf gegenseitiger soldatischer Achtung beruhende Freundschaft, die sich auch in der Vorbereitung der Landesverteidigung bewährte. Aber auch mit Hülgerths Stabschef, dem kriegsbewährten Obersten des Generalstabes Albin Judex701 und später mit Kubitza702 verband mich herzliche Sympathie. Auch innerhalb meiner eigenen Sektion war der Anfang schwierig, weil in Sachen konkreter Verteidigungsvorbereitung durch Jahre so gut wie nichts geschehen war. Zwar fand ich theoretisch Zustimmung, dahinter aber gleich lähmende Zweifel an der Durchführbarkeit. Ich musste die ersten Einzelheiten der Planung mit den Herren der Operations- und Mobilisierungsabteilung selbst durchzuarbeiten beginnen, um nach und nach den Glauben an den Ernst der Arbeiten zu wecken und das erforderliche rasche Arbeitstempo in Schwung zu bringen. Als Erstes legte ich mir mit der Operationsabteilung die beste mir erfüllbar scheinende Kriegsgliederung der Infanteriedivisionen und die zur Erreichung dieses Zustandes notwendigen personellen und materiellen Erfordernisse in allen Einzelheiten zurecht. Dabei hatte ich viel mit dem Leiter der Sektion II, GdI. Luschinsky, zu besprechen, um genau zu klären, was auf dem Gebiet der Waffenbeschaffung gerade lief, was auf meine Minimalbedürfnisse fehle, wie es mit den Munitionsvorräten für jede Waffe stehe, den technischen Geräten, Autos, Artillerietraktoren, Bekleidung, Ausrüstung, den Unterkünften für Neuformationen. Zudem wollte ich wissen, ob ich für Sperrungen mit der Erzeugung von Senfgas rechnen könnte, was der Leiter des kriegstechnischen Amtes, GM Leitner703, bei Zuweisung verhältnismäßig bescheide31.12.1927 Ruhestand, 1931 Landesführer des Kärntner Heimatschutzes, 1934–1936 Landeshauptmann von Kärnten, 3.11.1936 Vizekanzler und Generalkommandant der Frontmiliz (bis 11.3.1938). Hülgerth wandte sich noch 1938 in einem Brief an Hitler und setzte sich für die verfolgten und zum Teil um ihre Arbeitsstelle gebrachten Angehörigen der Frontmiliz ein. Er versuchte zu erklären, dass es sich nicht um politische Gegner, sondern um Angehörige der Bewaffneten Macht, gedeckt durch das Frontmilizgesetz, handle. 701 Albin Judex (Wien, 1.3.1873–  ?), 18.8.1893 aus IKSch. Wien zum IR 19, 1904–1906 Frequentant der Kriegsschule, ab 1.5.1910 Glstbskarriere, 1.11.1913 in der Militärkanzlei des Glinspektors für die Gesamte Bewaffnete Macht, 1.8.1914 Mjr.i.G, im 1. Weltkrieg, Brigadeglstbsoffz, 1.2.1916 Obstlt.i.G., nach Kriegsende nicht ins Bundesheer übernommen, 1936/37 in der Evidenz des Bundesheeres und Angehöriger der Frontmiliz. 702 Oskar Kubitza (Wigstadtl in Mähren/Vitkov, Bez.Troppau/Opava,10.7.1891–15.11.1942, tödl. verunglückt), 18.8.1912 aus Techn. Milakad. als Lt. zum Sappeurbaon. 53, Absolvent des Kriegsschulaspirantenkurses in Belgrad 1918, 1.5.1918 Hptm., Übernahme ins Bundesheer, komm. an die Techn. Hochschule Wien (Elektrotechnik), 1924 Titel Ingenieur, Dienst bei PiBaonen, 1.1.1929 Obstlt., 1.8.1933 Stabschef 1. Brig., 23.9.1933 Obst., 1.6.1935 Glstbschef 1. Div., 27.11.1935 Stabschef des Kommandos der Freiwilligen Miliz – Öst. Heimatschutz bzw. dann des Kdos der Frontmiliz, März 1938 pensioniert, später Obst.i.G. 703 Karl Leitner (Salzburg, 10.3.1883–18.4.1953, Wien), 26.3.1902 als EF in der Landwehr zum Divisi-

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ner Mittel bejahte. Bei GdI. Luschinsky fand ich nach kurzer Zeit volles Verständnis und eine einfühlende Hilfsbereitschaft, sodass wir verhältnismäßig bald einen klaren Überblick gewannen und auch zahlenmäßig die Erfordernisse an Geld festlegen konnten. Zu Ende jeder solchen Besprechung sagte mir Luschinsky stereotyp  : „Lieber Freund, alle Deine Wünsche sind durchführbar  ; nur muss das nötige Geld her.“ Jetzt auf festeren Grundlagen stehend, konnten wir die Kriegsgliederung der Infanteriedivision mit dem Einverständnis des Heeresinspektors und des Staatssekretärs endgültig als Basis für alle weiteren Arbeiten festlegen und zwar 9 Bataillone in 3 Regimentern  ; jedes Bataillon sollte aus  : 3 Infanteriekomp., 1 schweren MG-Komp. und 1 Kommandokomp. bestehen, welche 4 Minenwerfer, 4 Infanteriekanonen, 1 Pionier- und 1 Telegraphenzug vereinte  ; dazu je Regiment noch 1 RgtMG-Komp. mit 12 schweren MG (alle auch flugzeugbekämpfungsfähig). Die Feuerkraft eines Inf.Baons umfasste hiernach  : 600 Gewehre, 27 Maschinen-Pistolen, 27 leichte MG, 4 leichte Minenwerfer, 4 Infanteriekanonen und 16 schwere MG einschließlich des Anteils der RgtMG-Komp.; 1 DivisionsaufklärungsAbt., bestehend aus je einem Reiter-, Radfahrer-, Motorrad (geländegängig)-, Telegraphen- und FunkZug mit der entsprechenden Zahl automatischen Waffen  ; ons-Artilleriergt. 41, ab 1912 Karriere im Artilleriestab, 1.11.1914 Hptm., 1.5.1919 pens., 23.12.1919 Dr. d. Technischen Wissenschaften, 1.1.1920 Hptm., tätig in der Heeresverwaltungsstelle Salzburg, 31.1.1926 Titel Obst.a.D., 31.8.1928 Generalbaurat, 1.1.1936 übernommen in den Stand der Offiziere, 11.1.1936 GM d. Kriegstechnischen Stabes, 27.3.1936 Fahneneid, 1.10.1936 Leiter Sektion III, 20.12.1936 FML.

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1 DivisionsArtRgt., bestehend aus der Rgt.-Beobachtungsabteilung, 3 Abteilungen zu je einer Feld(Geb)Kanone und zwei Feld-(Geb)Haubitzbatterien zu je 4 Geschützen, zusammen also 36 Geschützen und einer Anzahl automatischer Nahkampfwaffen, 1 FlaAbt. zu 8 Bofors-FlaKanonen und 8 überschweren MG, 1 Pionierbaon zu 3 Komp., 3 Bau-Komp., 1 Telegraphen-Baon, 1 KraftfahrAbt. mit einer dreigliedrigen Transportkolonne je Baon, oder Munition und andere Güter, und 1 Sanitätskolonne. Besondere Verpflegungs- und Nachschubkolonnen wurden wegen der ausschließlichen Verwendung im Inland nicht vorgesehen. Die verhältnismäßig schwache Dotierung mit Artillerie bereitete uns viel Kopfzerbrechen, aber sie erschien uns bei reeller Abschätzung der Möglichkeit von Materialbeschaffung und personeller Ergänzung das Maximum des in den nächsten Jahren aller Wahrscheinlichkeit nach Erreichbaren. Die infanteristische Kampfkraft, namentlich an automatischen Feuerwaffen, schätzten wir als zufriedenstellend ein. Die Infanteriekanonen hatten mit ihrem Kaliber von 4,7 cm eine doppelte Bestimmung  : als Infanteriegeschütz zur Angriffsbegleitung und als Panzerabwehr. Für beide Zwecke wäre wohl ein Panzerschild von Vorteil gewesen, das konnte aber bei dem schon seit zwei Jahren in Serienfertigung stehenden Geschütz nicht mehr nachgeholt werden. Dafür behielt ich die Möglichkeit ihrer zahlenmäßigen Verdoppelung im Auge. Ihre friedensmäßige Zusammenfassung in Regimentskanonenabteilungen schien aus Ausbildungsgründen vorteilhaft. Es bestanden in der Friedensgliederung, zum Teil noch lückenhaft aber ausbaufähig, 7 Infanteriedivisionen und 1 schnelle Division. Für den später noch auszuführenden Verteidigungsplan gegen Deutschland erschien es mir günstig, Salzburg von der Tiroler 6. Division abzutrennen und in Salzburg eine selbstständige 8. Brigade zu bilden, die einmal zu einer Division ausgeweitet werden konnte. Das heeresunmittelbare Artillerieregiment wurde bereits an österreichischen und italienischen 15-cm-Haubitzen ausgebildet. Es war nur mehr eine Geld- und Zeitfrage, wann die veralteten italienischen Haubitzen durch den Lizenzbau der bei Bofors ausgewählten Konstruktion eines hochwertigen, die neuesten Erfahrungen berücksichtigenden Modells ersetzt werden konnten. Die nächste dringliche Arbeit war die personelle Ergänzung des Bundesheeres für den Abwehrfall auf den vollen Kriegsstand, was rund 50.000 bei den verschiedenen

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Waffengattungen ausgebildete Leute erforderte. Statistische Erhebungen zeigten bald, dass von den im Lauf der vergangenen Jahre beim Bundesheer Ausgebildeten und im zivilen Erwerbsleben Tätigen nur mit einer Höchstzahl von 5.000 sicher gerechnet werden konnte. Aber selbst für diese Leute war keine Vormerkung und Einrichtung zu ihrer Erfassung getroffen worden. Wohl bestand die Aussicht, dass sich diese bedrückende Lage über das kurz dienende Assistenzkorps von Jahr zu Jahr bessern werde  ; aber es war völlig unwahrscheinlich, dass Hitler uns so lange Zeit lassen würde. Nach den uns bekannt gewordenen deutschen Rüstungen war anzunehmen, dass ab Ende 1937 mit vereinzelten, ab 1939 bereits mit großen bewaffneten Aktionen gerechnet werden musste Das zwang uns zu einem Aushilfsmittel, das wohl nicht voll befriedigte, aber die einzige Möglichkeit bedeutete  : auf die letzten 2–3 Jahrgänge ausgebildeter Soldaten aus dem I. Weltkrieg zu greifen, wobei es sich um 37–40 Jahre alte Männer handelte  ; für deren Erfassung bestanden aber ebenfalls keine Unterlagen. Dafür kam uns die von der Regierung beschlossene neue Einwohnerverzeichnung sehr zustatten. Die Mobilisierungsabteilung legte in Zusammenarbeit mit der Personalabteilung des Landesverteidigungs- und den entsprechenden Ressortabteilungen des Innenministeriums die militärischen Fragebogen auf, die gleichzeitig mit der Einwohnerverzeichnung beantwortet werden sollten. Wenn uns in der Folge das von mir so sehr betriebene Gesetz der allgemeinen Wehrpflicht den Griff auf diese Männer ermöglichte, so war durch eine vorübergehende Notmaßnahme ein Schwächezustand überbrückt worden.704 704 Die politisch-militärische Krise, ausgelöst durch die Ermordung des Königs Alexander I. von Jugoslawien und des französischen Außenministers Barthou in Marseille anlässlich eines Staatsbesuchs am 3.10.1934, führte zu einer Ergänzung der Römischen Protokolle vom 17.3.1934. In diesen hatten Italien, Ungarn und Österreich einander wirtschaftliche und politische Hilfe versprochen, nun wurden diese durch ein militärisches Bündnis zwischen Italien, Ungarn und Österreich ergänzt. Muff erfuhr nicht den Vertragstext direkt, sondern Richtlinien, die einzelne Ministerien wegen kriegswirtschaftlicher Maßnahmen erhielten, aber auch die Sektion IV des BMfLv., und aus dieser Sektion konnte Muff eine Ablichtung an die Abteilung T 3 weitergeben. Das Wehrkreiskommando VII gab an die Gebirgsbrigade der Reichswehr den Befehl vom 17.4.1934 „über den Einsatz und die Kampfführung der 7. Div.“ bei „Grenzsicherung Süd“  : „Die Entwicklung der politischen Lage macht es erforderlich, die militärische Sicherung der deutschen Grenze gegen Österreich als mögliches italienisches Aufmarschgebiet vorzubereiten. Mit der Durchführung dieser Grenzsicherung Süd wird im Bereich des Wehrkreises VII die 7. Division beauftragt. Der Sicherungsabschnitt erstreckt sich von Lindau über Reichenhall bis zur Donau bei Passau.“ Daraufhin, so liegen Meldungen vom deutschen Konsulat in Graz und von der deutschen Zollwache Passau vor, wurden in Österreich in den Grenzbezirken Oberösterreichs, Kärntens und der Steiermark durch die Gendarmerie bei den Grenzbewohnern Mobilisierungsmaßnahmen durch Aufrufe usw. vorgenommen, die als „Mobilisierung“ bezeichnet worden sind – „und keine Manöver“ darstellten, wie es wörtlich heißt. Die Abwehrstelle München stellte einen Sammelbericht über Truppenverlegungen des Bundesheeres und über „Grenzschutzmaßnahmen der einzelnen Divisionen

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zusammen. (Dieses und alles Folgende laut Hügle, siehe Literaturverzeichnis bzw. ÖStA/AVA E/1794, Nr. 10 bzw. BA/MA RW 2/1054  ; RH 2/32, RH2/422. Von deutscher Seite her wurde am 10.7.1935 eine „Geheime Kommandosache“ mit „Aufmarsch- und Kampfanweisungen für die Süd- und Ostgrenze“ gegeben  : „die Reichsregierung ist entschlossen, jede Verletzung deutschen Hoheitsgebiets mit Waffengewalt abzuwehren … an der polnischen Grenze wird der Grenzschutz auch dann aufgestellt, wenn bei einer durch Frankreich erfolgten Kriegseröffnung Polen zunächst neutral bleibt … Als Gegner an der Süd- und Ostgrenze können in Betracht kommen  : Italien, Österreich, Tschechoslowakei, Polen, Litauen, Lettland. Ferner ist mit der Möglichkeit des Einsatzes russischer Luftstreitkräfte von tschechischem, litauischem und lettischem Gebiet aus zu rechnen. Ein E ­ ingreifen russischer Landstreitkräfte kommt im weiteren Verlauf eines Krieges in Frage … Als italienisches Aufmarschgebiet kommt das Gebiet an und nördlich der Bahnlinie Innsbruck–Saalfelden in Frage. Ob Österreich in einem solchen Falle sich aktiv am Kriege beteiligt oder den italienischen Aufmarsch in seinem Lande nur passiv duldet, ist ebenso wenig vorauszusehen, wie die Haltung der österreichischen Wehrmacht und des österreichischen Volkes. Ungünstigsten Falles müssen wir damit rechnen, daß die ersten Sicherungsmaßnahmen für den italienischen Aufmarsch von Österreichischen ­Truppen übernommen werden und daß diese dann nicht nur die Gebirgsausgänge auf der ganzen Alpenfront in die Hand nehmen, sondern auch Brückenköpfe an Salzach und am unteren Inn zu bilden versuchen [handschriftliche Ergänzung], während die Masse des öst. Heeres sich hinter der Traun versammelt.“ Nun folgen Erwägungen über das Verhalten des tschechoslowakischen und des zunächst neutralen polnischen Heeres. Die Tschechoslowaken würden abwarten und im Zusammenwirken mit dem französischen Südflügel in Nordbayern einbrechen … Im Juli 1935 (genaues Datum schwer leserlich, da stark beschädigter Akt) erfolgte dann für das KKdo. VII eine Kampfanweisung  : „I. Abwehr, II. Überfallsartiger Einmarsch … nach Tirol.“ Ebenfalls unter diesem nicht leserlichen Datum ein weiterer Akt  : „Linie A) Gewinnung der Linie Fernpass – Kufstein. B) Gewinnung und Halten des Hauptgebirgskammes in Linie Teschenpass–Brenner–Hohe Tauern.“ In dieser schwer beschädigten Aktenlage liegen auch Landkarten vor, in denen die Möglichkeiten eines Überfalls auf die Stadt Salzburg mit eingezeichneten Möglichkeiten des Übergangs über die Salzach und Einnahme der Stadt von Süden her eingezeichnet sind. Weiters lag später der 3. Abt. des Generalstabes des Heeres (RW 2/1054) die Abschrift einer „Entschließung“ des [öst. BMfLv.] vor  : Die „gegenwärtig nach Erl. 38000-1/34/35 eingerichtete Grenzbeobachtung bedarf eines mächtigen Ausbaus nach folgenden Grundsätzen  : Überraschender Einbruch  : ‚Das Heer braucht zur Notmobilisierung und Versammlung mindestens eine Woche Zeit, die der Grenzschutz sichern soll … Milizfrage noch zentral nicht überblickbar … Der [öst.] Grenzschutz hat die Aufgabe, schon in den ersten Stunden einer Bedrohung das Eindringen feindlicher Kräfte womöglich unmittelbar an der Grenze, mindestens aber in deren Nähe zu verhindern … hienach werden die bisherigen Grenzbeobachtungsabschnitte zu Verteidigungsabschnitten …‘“ Ebenso liegt ein Jahr später eine Aktennotiz der 3. Abt./IV. des Reichskriegsministeriums vor  : „Berlin, 6.5.1936, Vortragsnotiz betr. verstärkte Grenzsicherung Österreich. Auf die Nachricht von einem angeblichen Einmarsch der österreichischen Legion in Deutschland nach Österreich wurden am 25.3.36 vom Landesverteidigungsministerium Truppenverlegungen an die deutsche Grenze befohlen … Bis jetzt wurden folgende Truppenverlegungen gemeldet  : aus Enns, Hainburg, Wien, Graz … Im Landesverteidigungsministerium scheint die Auffüllung des Bundesheeres auf den Not-Mob.-Stand durch die Jahrgänge 1895–1900 erwogen zu werden … i.A. Stülpnagel.“ (RW 2/1054) „Generalstab des Heeres … Berlin den 15.7.1936, [sic] betr. Sperren in Oberösterreich. An 3. Abt. … Die Meldungen über Sperrvorbereitungen in Oberösterreich sind glaubwürdig. Die geplanten Vorbereitungen sind eingehend und klar dargestellt Durch die Vereinbarungen vom 11.7.36 werden sich diese Vorbereitungen erübrigen. i.A. [unleserliche Unterschrift]“

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Allen, sich aus diesen Entschlüssen folgerichtig ableitenden Arbeiten gab ich den Namen „Notmobilisierung“. Zweierlei war hierbei noch zu überlegen und auszugleichen  : zunächst, dass die Notmobilisierung der freiwilligen Miliz an Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften einen Teil ihrer besten Kräfte entziehen werde, und weiters, dass dieser Personenkreis sofort nach seiner Erfassung und Aufteilung an die einzelnen Einheiten des Bundesheeres zu Waffenübungen eingezogen und gefechtsmäßig nachgeschult werden musste. Hierzu waren Unterkunfts- und Übungsraumerweiterungen notwendig, wofür mir die Ausbildungs- und die Bauabteilung des Ministeriums die Unterlagen mit Kostenberechnungen beschaffen mussten. Ich legte Wert darauf, dass jede Division über einen eigenen Übungsplatz verfügte. Zusammen mit den erhöhten Waffen- und Materialbeschaffungen ergaben diese Kostenvoranschläge rund 90 Millionen Schilling Mehrerfordernis über das Heeresbudget für 1936, zu denen ich noch 10 Mio. für die Befestigungen und Sperrungen der Grenzräume schlug, sodass ich dem Staatssekretär Ende Juli für die im August beginnenden Budgetverhandlungen zu dem mit 116 Mio. Schilling vorgesehenen Normalbudget ein Mehrerfordernis von 100 Millionen Schilling übergab. Das gesamte Heeresbudget hätte also 216 Millionen Schilling betragen sollen. Dazu erläuterte ich Zehner gleich, dass die 100 Millionen für die Landesverteidigungsmaßnahmen nur eine erste Rate bedeuten, weil innerhalb des ersten Anlauf-Jahres praktisch nicht mehr geschaffen werden könne, für 1937 also eine zweite, etwas höhere Rate von etwa 120 Millionen erforderlich sein werde. Das verursachte beim Staatssekretär und in der Budgetabteilung einen begreiflichen Schock – ich konnte die Befürchtung nicht unterdrücken, dass die Forderungen des Chefs des Generalstabes in alter österreichischer Tradition als überspitzt betrachtet und nur eine lahme Vertretung finden würden. Allerdings waren alle Zahlen, aus denen sich die Gesamtsumme zusammensetzte, Posten für Posten genau kalkuliert worden, nur die für den Grenzschutz verlangten 10 Millionen waren als Pauschalbetrag eingesetzt, weil die zur Detaillierung notwendigen Geländeerkundungen, Vermessungen und Planungen der Einzelheiten zeitmäßig noch nicht hatten geleistet werden können. Wenn ich heute, nachdem wir alle durch das furchtbare Geschehen des II. Weltkriegs wissen, was andere für ihre Rüstung aufgewendet haben, der seinerzeit geforderten Summe gedenke, so glaube ich, dass sie ein beredtes Zeugnis für die GewissenNoch vom Juli 1935 (ebenfalls unleserliches Datum) liegt auch folgender Akt vor  : „Oberbefehlshaber des Heeres, Genstb. … Betr.: Kampfführung an der tschechoslowakischen Grenze. Bezug  : Aufmarschund Kampfanweisung. Die W.K.Kdos VII, IV und VIII treffen Vorbereitungen, um im Kriegsfall – aber nur auf ausdrücklichen Befehl des Ob.d.H. – die Grenzschutzstellung an einzelnen Stellen der tschecho­slowakischen Grenze auf feindliches Gebiet vorzuverlegen …“

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haftigkeit ablegen, mit der nur das unbedingt nötige Minimum gefordert wurde. Das aber durfte nicht zurückgewiesen werden, wenn man die Unabhängigkeit Österreichs wirklich wollte. Damals besprach ich diese Erfordernisse auch eingehend mit dem Gesandten Hornbostel vom Bundeskanzleramt, mit der Bitte um Unterstützung aus seinem Ressort  ; bei ihm fand ich volles Verständnis und Hilfsbereitschaft. Inzwischen waren Einladungen zu den italienischen Manövern im früheren österreichischen Südtirol und, für Ende September, zu den ungarischen nach Budapest eingelangt. Ich nahm beide Einladungen gern an, um die führenden Männer dieser Länder kennenzulernen. Für Italien hatte ich in mehrfacher Korrespondenz mit unserem Militärattaché in Rom die Frage angeschnitten, ob Italien uns nicht mit einer Anleihe helfen könnte, die aber ausschließlich nur für Rüstungszwecke gewährt werden dürfte. Als ich auf der Mendel, in deren Hotels die große Zahl der fast aus der ganzen Welt geladenen Gäste untergebracht war, eintraf, eröffnete mir der Sous-Chef des Generalstabes, Gen. Roatta, dass der Staatssekretär im Kriegsministerium, Gen. Baistrocchi, die Manövergäste in Gegenwart des Chefs des italienischen Generalstabes, Gen. Pariani705, mit einer Ansprache begrüßen werde. Die Antwortrede sollte ursprünglich der rangälteste General der Gäste halten  ; nun wäre aber als Höchster an der Spitze der russischen Delegation ein Armeegeneral erschienen, der angeblich nur russisch sprach  ; also wäre das Formale des Empfanges dahin abgeändert worden, dass die Vertreter nach dem Alphabet der italienischen Benennung ihrer Staaten geordnet würden, und da Afghanistan nicht erschienen sei, hätte Austrias General als Doyen zu gelten  ; so bäte er mich, mir für den Abend eine Erwiderung an Gen. Baistrocchi zurecht zu legen, die ich in französischer Sprache halten könne. Auf eine solche Möglichkeit hatte mich unser Militärattaché schon brieflich aufmerksam gemacht, weshalb ich bereits in Wien eine entsprechende Rede in deutscher Sprache entworfen und dann unseren besten französischen Sprachmeister im Außenministerium gebeten hatte, sie mir in ein wirklich gutes Französisch zu übertragen. Der Erfolg war gut  : Nicht nur die Italiener waren zufrieden, sondern auch die englischen und französischen Delegationschefs drückten aus, dass ich ganz in ihrem Sinn gesprochen hätte. Das Bedeutsamste jedoch war, dass dem Duce offenbar sofort günstige Meldung erstattet worden war, was ich am nächsten Morgen, als wir am Manöverfeld in Gegen705 Alberto Pariani (1876– 1955), Kdt. 6. Alpini-Regiment, 1920–1924 Chef des Generalstabes, 1925– 1926 Chef des Generalstabes der Armee  ; 1927–1944 Militärattaché in Tirana, 1927–1933 Chef der Ital. Militärmission in Albanien, 1944–1934 Kdt. der 11. Division „Brennero“, 1934–1936 Stellv. Generalstabschef, 1936–1939 Chef des Generalstabes, 1936–1939 Unterstaatssekretär für Heerwesen, 1939 Ruhestand, 1943 reaktiviert und Armeekdt. Quelle  : http.///www.generals.dk/general/Pariani/Alberto/ Italy.html

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wart Mussolinis dem König vorgestellt wurden, an der überaus herzlichen Art wahrnehmen konnte, mit welcher mich der Duce begrüßte. Seine Majestät der König äußerte seine Zufriedenheit über unseren Aufrüstungsentschluss, worauf ich erwiderte, dass wir noch viel mehr könnten, wenn wir mehr Geld bekämen. König und Duce lachten, und der König meinte, dass Geld die ewige Klage aller Soldaten sei. An jedem Manövertag nahm der Duce zwei Delegationsführer in seine unmittelbare Begleitung. Am ersten waren es der Franzose und der Engländer, am zweiten wurden der Russe und ich zu ihm gebeten. Das war die mir von Obst. Liebitzky fein zugespielte Gelegenheit, da Mussolini Deutsch, Englisch und Französisch fast fließend beherrschte, aber kein Wort russisch sprach  ; so konnte ich die Unterhaltung mit Mussolini während des ganzen Manövertages allein führen. Ich erzählte anfangs von meiner Attachézeit in Berlin. Der Duce stand noch immer unter dem wenig günstigen Eindruck, den seine erste Begegnung mit Hitler in Venedig in ihm zurückgelassen hatte.706 Er stellte viele Fragen, die ich ziemlich erschöpfend beantworten konnte. Ich gewann den Eindruck, dass der Duce, auch des Mordes an Dollfuß gedenkend, nie ein Zusammengehen mit Hitler erwogen hätte, wenn die vom stellvertretenden Außenminister Eden in Genf betriebenen Sanktionen gegen die italienische Kriegführung in Abessinien Italien in seiner chronischen Rohstoffnot nicht direkt in die Arme Hitlers getrieben hätten. Beim Manöverimbiss in einem Gasthof an der Seite Mussolinis sitzend, lenkte ich die Unterhaltung auf die ausgesprochene Aggressionspolitik Hitlers gegen Österreich und sagte ihm, so wie ich das systematisch überall tat, dass ich fest entschlossen sei, jeder Gewalt von deutscher Seite mit aller Wucht der Kampfkraft Österreichs zu begegnen. Der Duce sagte  : „Bravo  ! Darauf trinken wir  ! Baistrocchi, Champagner her  !“ Dann erhob sich der Duce und sagte laut  : „Ich trinke auf Österreich und auf Sie, Herr General  !“, worauf ich mit einem „Eviva il Duce  !“ replizierte. Eine solche Auszeichnung Österreichs war mehr als ich zu hoffen gewagt hätte. Deshalb versuchte ich die gute Gelegenheit zu nützen und sprach ihn am Nachmittag auf das noch immer rund 1.000 österreichische Geschütze mit Munition umfassende Beutegut aus dem I. Weltkrieg an, ob es nicht Österreich zur Verfügung gestellt werden könnte  ; in groben Umrissen erläuterte ich meine Abwehrabsicht und wies darauf hin, wie bittere Not wir an Artillerie leiden, während diese Geschütze nur italienische Depots belasten. Darauf erwiderte er  : „Wenn wir diese Geschütze wirklich nicht brauchen, bekommen Sie sie. Ich muss da noch mit Baistrocchi reden.“ Als ich weiter das Gespräch auf eine italienische Rüstungsanleihe an Österreich lenkte, meinte Mussolini, dazu nichts 706 Hitler traf Mussolini zum ersten Mal am 14.6.1934 in Venedig. Siehe darüber  : Walter Rauscher, Hitler und Mussolini, Macht, Krieg und Terror, Graz/Wien/Köln 2001, S. 210–214.

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ohne Suvich707 sagen zu können  ; ich müsse ihn in Rom besuchen  ; er lade mich hierzu ausdrücklich ein. Am nächsten Morgen begrüßte mich Gen. Roatta – mir liegt heute noch fast das ganze Gespräch in Ohr – mit den Worten  : „Sie haben gestern eine Schlacht gewonnen, Herr General. 1.000 Geschütze, das ist ein Erfolg  ! Zudem hat der Duce gesagt, dass man mit Ihnen zusammenarbeiten könne.“ Darauf antwortete ich, dass der Transport der Geschütze je eher, desto besser beginnen möge. Sonst aber bitte ich noch um etwas Zeit  ; ich müsse den ganzen, dem Duce in groben Zügen dargelegten Abwehrplan in allen Details durcharbeiten und werde dann nach Rom kommen. Obst. Liebitzky, den ich zur Weiterverfolgung der Dinge an Ort und Stelle in vollem Umfang über die Unterhaltung mit Mussolini und Roatta informierte, war ebenso zufrieden wie ich. Wenn mich jemand gefragt hätte, ob ich mich wegen des gleichsprachigen Deutschland nicht bedrückt fühlte, hätte ich ihm damals genauso geantwortet wie heute  : Gar nicht  ! Bismarck als Angreifer hatte uns 1866 nicht nur die Italiener, sondern auch die aufständischen ungarischen Legionen in den Rücken gehetzt  ; er war auch davor nicht zurückgeschreckt, die Tschechen gegen die Deutschen Österreichs aufzustacheln.708 Jetzt revanchierte ich mich einfach, und zwar lediglich in der Verteidigung gegen ­einen Hitler als Angreifer. Die beim Duce gewonnene Sympathie kam in den folgenden Manövertagen dadurch zum Ausdruck, dass der Duce uns Österreicher bei jeder Gelegenheit in der großen Gästereihe mit seinen Augen suchte und auffällig herzlich begrüßte. Das übertrug sich auf alle ausländischen Offiziere, besonders aber auf die italienischen Generäle. So war die Aufgeschlossenheit des italienischen Unterstaatssekretärs für Krieg und des Chefs des Generalstabes mir gegenüber sehr angenehm und unsere Zwecke fördernd. Gen. Pariani sagte, dass er, wohl schweren Herzens, aber doch dem Duce die Abgabe der österreichischen Beutegeschütze mit Munition an uns zugestanden habe. Er erklärte sich zu jeder gewünschten Auskunft, auch über alle neu in Erprobung stehenden Waffen bereit. Ich besprach mit ihm die mir besonders am Herzen liegende Panzerfrage. Der von uns in einer Anzahl von etwa 30 Stück gekaufte kleine italienische, mit Maschinengewehren ausgerüstete Kampfwagen, der aufgrund der abessinischen Erfahrungen auch Flammenwerfer eingebaut bekam, schien mir nicht ausreichend. Ich suchte einen dick gepanzerten, schwer mit Kanonen armierten Wagen, den ich als Begleiter der Infanterie bei Gegenangriffen auf einen eingebrochenen Feind dachte. 707 Fulvio Suvich (Triest, 23.1.1887–5.9.1980, Triest), Rechtsanwalt in Trient, überschritt 1914 die Grenze nach Italien, war bereits 1921 faschistischer Abgeordneter, dann 1929 Unterstaatssekretär für Finanzen und 1932 Staatssekretär im Außenministerium. 708 Siehe  : Peter Broucek, Napoleon III. und der Vorfriede von Nikolsburg 1866, in  : Militärischer Widerstand. Studien zur Österreichischen Staatsgesinnung und NS-Abwehr, Wien/Köln 2008, S. 72–89

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Das lehnte Gen. Pariani leider gänzlich ab  ; er vertrat den Standpunkt, dass ein künftiger Krieg nur kurz sein werde, weshalb für die Panzerwaffe höchste Beweglichkeit und Unauffälligkeit im Gelände erforderlich sei. Wo sollte ich die von mir gesuchten Wagen herbekommen  ? Diesbezüglich konnte ich auch von den Manövergästen anderer Staaten nichts Befriedigendes erfahren. Schließlich gab Pariani doch die Zusage, die Konstruktion eines schweren Panzers versuchen zu lassen. Die sympathische Gestalt des Fliegermarschalls Balbo709 sahen wir nur kurz. Dafür konnte seinem Stellvertreter der Gedanke nahegebracht werden, uns die besten italienischen Jäger und Bomber gegen langfristige Kredite zu liefern. Obst. Liebitzky realisierte das später auch tatsächlich. Die Manöver selbst beeindruckten mich wenig. Die Nordarmee in fester Stellung durch eine schon aufmarschierte Südarmee angreifen zu lassen, bot keiner Partei operative Möglichkeiten. Die Eintönigkeit des Verlaufs wurde zwar durch eine eingelegte Schießübung aller Waffen mit scharfer Munition belebt, wobei sich die Schießtechnik der Artillerie auf guter Höhe zeigte. Die infanteristische Detailausbildung reichte jedoch an das Können unseres Bundesheeres nicht heran. Die Organisation von Autotransportkolonnen zur Verlegung ganzer Infanteriedivisionen erschien uns zu schwerfällig, selbst bei den großartig breit ausgebauten italienischen Straßen. Sehr angenehm empfand ich dagegen das taktvolle Verhalten Mussolinis gegenüber Seiner Majestät dem König. Mit großer Aufmerksamkeit überließ der Duce dem König überall den Vortritt, und wenn irgendwo die Zivilbevölkerung den kleinen König übersehend „Eviva il Duce  !“ rief, korrigierte dieser sofort und streng auf „Eviva il Ré  !“ Vor der Persönlichkeit Mussolinis gewann ich auch sonst große Hochachtung. Seine straffe, kraftvolle Gestalt und Haltung waren ebenso imponierend wie seine Sprachenkenntnis. Wenn man wusste, dass der Duce vor seinem frühzeitigen Erscheinen auf dem Manöverfeld bereits alle wichtigen Zeitungen gelesen, ein Pferd durch einen Sprunggarten geritten, das eine oder andere Ministerreferat entgegengenommen und sein Flugzeug selbst auf das Manöverfeld pilotiert hatte, beim Manöver sein Auto selbst lenkte, ununterbrochen Truppen besichtigte, Ansprachen hielt, die ausländischen Gäste mit großer Zuvorkommenheit regardierte710 und bei den Cercles immer etwas Gescheites sagte, so musste einem so viel Männlichkeit, Verstand und Tatkraft imponieren. Mit vielen anderen Persönlichkeiten teilte Mussolini, dass er kein richtiges militärisches Verständnis hatte  ; dass sich aber außer Balbo in der Flugwaffe kein überragender 709 Italo Balbo (Quartesana, Prov. Ferrara, 6.6.1896–28.6.1940 versehentlich  ? abgeschossen bei Tobruk), Offizier im 1. Weltkrieg, dann Faschist, Okt. 1922 einer der „Quadrumvirn“ Mussolinis beim Marsch auf Rom, 1928 vorgeschlagen zum Ministerpräsidenten, 1929–1933 Minister der Luftfahrt, seit 1933 Generalgouverneur von Libyen. 710 Regardieren  : anblicken, ansehen, gegenseitig beachten.

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italienischer General mit weitschauender Planung und realer Organisationskraft als sein Berater fand, war ein bedauernswerter Mangel, der dem Duce wahrscheinlich nicht allein angelastet werden darf. Wie hoch seine geistvolle Schlagfertigkeit war, möge folgende kleine Szene bei der Schlussparade am letzten Manövertag zeigen. Die italienischen Divisionen waren nicht in der üblichen Masse, sondern auf den die Defilierstraße umschließenden Geländerippen einzeln aufgestellt, was, von strahlender Sonne durchglüht, ein malerisch schönes Bild ergab, worüber ich mit dem neben mir stehenden deutschen Gen. Liebmann, einem Bekannten aus dem I. Weltkrieg, sprach. Da erscheint Mussolini, schaut suchend zu den ausländischen Manövergästen, kommt uns Österreicher erblickend auf mich zu und fragt, wie mir die Paradeaufstellung gefalle. Als ich ihm in etwa erwidere, prächtig, aber die Truppenaufstellung allein sei es nicht, die mir gefalle, vielmehr auch die Gewissheit, dass die Truppen von seinem Geist erfüllt seien, meint er nachdenklich  : „Ja, der Geist  ! Goethe sagt es zwar anders, am Anfang war …“– Liebmann, dem sich der Duce fragend zuwendet, antwortet  : „Die Tat“ – „Ja, die Tat“, fährt er fort, „aber ich glaube doch, dass es der Geist war, denn erst dieser schafft die Tat.“ Darauf wendet sich Mussolini zum rechts von mir stehenden französischen Korpsgeneral Sarraut und spricht mit diesem französisch weiter über Napoleon. Kurz nach meiner Rückkehr fand in Hernals711 ein Offiziers-Kameradschaftsabend statt, zu dem sich auch der Bundeskanzler angesagt hatte. Für die Heimfahrt wurde ich vom Kanzler gebeten, zu ihm in seinen Wagen zu steigen und ihm über die italienischen Manöver zu berichten. Dabei machte ich den Kanzler mit der bevorstehenden militärischen Zusammenarbeit nur in großen Zügen bekannt. Wohl orientierte ich ihn über die versprochene Überlassung der Beutegeschütze, wollte ihn aber angesichts seiner rigorosen Auffassung von unserem durch gemeinsame Sprache und Kultur bedingten Verhältnis zu Deutschland nicht mehr belasten als unumgänglich notwendig. Ich berichtete ihm noch, dass Mussolini mich nach Rom eingeladen habe und schloss daran die Bitte, der Kanzler möge sich durch meine radikal vorgetriebenen Arbeiten für die Abwehr deutscher Gewalt nicht beschwert fühlen, vielmehr möge er mich, falls ihm aus meiner Tätigkeit politische Unannehmlichkeiten entstünden, ruhig fallen lassen. Dagegen drang ich in ihn, meine Mehrforderung von 100 Millionen Schilling dem Finanzminister abzuzwingen. Später orientierte ich den Staatssekretär und den Kommandanten der Luftstreitkräfte über die Möglichkeit, modernste Flugzeuge aus Italien gegen langfristige Kredite zu erhalten, und empfahl eine Reise Löhrs nach Rom zur Absprache der Einzelheiten im italienischen Luftfahrtministerium. 711 Hernals  : Wiener 17. Bezirk, ehemaliger Vorort mit barocker Wallfahrtskirche (Kalvarienbergkirche).

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Nach Rücksprachen mit den Abteilungsleitern meiner Sektion über den Fortgang der Arbeiten reiste ich zu den ungarischen Manövern nach Budapest. Dort traf ich meinen italienischen Kollegen Gen. Pariani, meinen deutschen GdA. Beck und eine starke polnische Offiziersabordnung. Vor Manöverbeginn wurden wir nach Gödöllö712 zu einem Déjeuner bei Reichsverweser Admiral Horthy geladen  ; vor dem Speisen empfing er uns einzeln zu kurzer Audienz. Horthy war ein entfernter Verwandter meiner Frau und kannte mich bereits. Er sagte mir, dass er mit Sorge die Spannung zwischen Deutschland und Österreich verfolge, mit welchen Ungarn in einem besonders guten Verhältnisse leben möchte  ; es wäre ein Vorteil für alle, je eher sich Österreich mit Deutschland arrangieren würde. Darauf konnte ich nur erwidern, dass sowohl Dollfuß wie Schuschnigg jedes mögliche Entgegenkommen bewiesen hätten und unser Kanzler sich dauernd abmühe, mit Deutschland zu einem Ausgleich zu kommen, allerdings nur unter der Voraussetzung rückhaltloser Anerkennung der österreichischen Unabhängigkeit und Nichteinmischung in die politischen Verhältnisse. Auf seine Bemerkung, dass aber kein Fortschritt wahrzunehmen sei, antwortete ich, meinen Berliner Eindrücken zufolge gäbe es nur zwei Möglichkeiten  : bedingungslose Unterwerfung oder Kampf, und für letzteren bereite ich alles in meinen Kräften Stehende vor  ; es läge im Interesse Ungarns, das österreichische Unabhängigkeitsringen, das Ungarn ja aus seiner eigenen Verantwortung vertraut sei, mit aller Kraft zu unterstützen. Er sagte darauf mit einer Geste der Resignation, dass die Lage fürchterlich sei und eben deshalb ein Ausweg gefunden werden müsse. Als ich erwiderte, dass ich an die Möglichkeit eines solchen Auswegs nicht zu glauben vermöge, beendete er die Audienz. Um das Politische hier abzuschließen, füge ich noch an, dass ich an einem der nächsten Abende beim ungarischen Chef des Generalstabes, Somkuthy713, welcher unter dem Namen Schitler während der drei Kriegsschuljahre mein Studienkamerad gewesen, zum Abendessen geladen war. Zu diesem Diner erschien auch Ministerpräsident Gömbös, der ein im Dienstrange jüngerer Generalstabsoffizier gewesen war. Er brachte das von Horthy angeregte Arrangement mit Deutschland in gröberer Form 712 Gödöllő ist ein kleiner Ort 39 km nordöstlich von Budapest. Das Schloss Grassalkovich wurde 1744– 1750 im Auftrag des Fürsten Grassalkovich durch den Architekten Andreas Mayerhoffer im Barockstil erbaut. Es ging später in den Besitz eines Barons Sina über. Es wurde 1868 durch den ungarischen Staat als Krönungsgeschenk für Kaiser und König Franz Joseph I. gekauft und war von 1867 bis 1918 königliche Sommerresidenz – wie in Österreich Bad Ischl. Gödöllő war nach 1918 das Schloss des Reichsverwesers Admiral Miklós Horthy. 713 Über Josef Schitler bzw. József Somkuthy (Folt, Kom Hunyád, 20.4.1883–18.10.1961, Washington) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 202, Anm. 214. 1903 ausgemustert aus der Techn. Milakad, 1.11.1917 Mjr.i.G.16.7.1928 Chef der Militärkanzlei des Reichsverwesers, 16.1.1935–29.1936 Chef des Honvéd-Generalstabes, 5.9.1936–5.10.1938 Honvédminister.

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zur Sprache, wobei er äußerte, dass Österreich durch schärfste Diktatur die Volksmeinung überdecke. Dies wies ich mit dem Hinweis zurück, dass auch in Ungarn im Hinblick auf das Wahlrecht keine echte Demokratie bestehe. Diese unangenehme und aussichtslose Unterhaltung wurde durch ein Eingreifen des Hausherrn beendet. Die Anlage und Durchführung der Manöver hingegen gefielen mir sehr  : Es sollte eine aus der Tschechoslowakei bei Raab und Komorn714 über die Donau gegangene und südlich des Stromes auf Budapest vorrückende überlegene Armee von schwachen ungarischen Kräften zum Stehen gebracht werden, um für die Heranführung ungarischer Kräfte aus dem Osten Zeit zu gewinnen. Diese Aufgabe bot beiden Parteien viel Möglichkeit zu freien Entschlüssen. Auf beiden Seiten wurde mit viel Geschick disponiert, und ich fand bei der Ostpartei vielfach Sperrungen angewendet, wie ich sie auch für unseren Grenzschutz erwog. Das Vértesgebirge und der Bakonyer Wald715 waren hierzu besonders geeignet. Sonst gewann ich den Eindruck, dass die Führungsausbildung der höheren Offiziere durch viel theoretische Schulung sehr gut und der praktischen Truppenausbildung überlegen war. Der gänzliche Mangel an modernem Kriegsgerät (ausgenommen die Flieger), das nur durch Attrappen angedeutet war, enttäuschte mich  : Da hatte ich mehr erwartet. Im Ganzen aber gaben mir die Manöver manche Anregung. Auf der Margaretheninsel716, wo wir Gäste in bekannter ungarischer Großzügigkeit erstklassig untergebracht waren, freute ich mich, mit meiner Frau und meinen Töchtern zusammenzutreffen, die auf der Heimreise vom Landgut meines Schwiegervaters nach Wien in Budapest ihre alljährlich gewohnte Station machten. Meine Frau wurde von Gen. Beck und den Herren seines Gefolges, die sie aus unserer Berliner Zeit kannten, mit ausgesuchter Zuvorkommenheit begrüßt. Auch mir begegneten die deutschen Herren hier im Ausland wieder mit der alten herzlichen Kameradschaft, die uns im Ersten Weltkrieg verbunden hatte. Aufgrund meines vorangegangenen Manöverbesuches in Italien kam mir Gen. Pariani mit besonders freundschaftlicher Aufmerksamkeit entgegen und lud mich immer ein, mit ihm gemeinsam in seinem Wagen zu fahren. Daraufhin bat mich der feinfüh714 Raab (heute Györ) und Komorn (heute slowakisch  : Komarno), ehemals ungarische Stadt an der Donau (Komárom), deren Vororte am Südufer 1920 bei Ungarn verblieben. Die Rückgängigmachung der Abtretung Komorns an die Tschechoslowakei war einer der Hauptwünsche Ungarns, der im Zuge des Münchner Abkommens von 1938 erfüllt wurde. 715 Bakony-Wald  : Schollengebirge nördl. d. Plattensees, ein Teil des Ungarischen Mittelgebirges, höchste Erhebung 704 m (Körishegy), teiweise verkarstet, teilweise von Buchen- und Eichenwäldern bedeckt. 716 Margaretheninsel  : Donauinsel im Norden von Budapest, 2,3 km lang. Im Mittelalter unter dem Namen Haseninsel königl. Jagdrevier. Seit dem 12. Jh. nach einer Tochter König Bélas IV., der hl. Margarethe benannt (Margit-sziget). Die kirchlichen Bauten auf der Insel fielen den Türkenkriegen zum Opfer. Heute : Sport-, Unterhaltungs- und Erholungszentrum von Budapest.

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lige und taktvolle Gen. Beck nach Abschluss der Manöver zu dem uns Gästen gegebenen Abschiedsessen mit ihm zu fahren. Diese etwa zehn Minuten dauernde Fahrt von der Margaretheninsel zum Hotel Gellert717, die mich seit Jahren zum ersten Mal mit Beck ohne Zeugen ins Gespräch kommen ließ, benutzte ich zu einem Appell, an der Herstellung eines vernünftigen Verhältnisses zwischen Deutschland und Österreich mitzuhelfen, um ein Unglück zu verhindern. Als Beck dazu schwieg, sagte ich ihm in unverblümter Weise, dass ich als Chef des Generalstabes alles täte und auch in der Folge tun würde, um jedem etwa von Deutschland versuchten Gewaltakt mit vollem Einsatz der ganzen österreichischen Wehrmacht zu begegnen. Beck erwiderte mir darauf resigniert  : „Ich kann Sie sehr gut begreifen, Herr General.“ Nach meiner Rückkehr legte ich das Schwergewicht auf Detailstudien, dazu, wie sich die Abwehr eines deutschen Einmarsches am besten bewerkstelligen ließe. Den naheliegenden Gedanken, das Bundesheer an der zwischen Donau und Gebirge bloß 30 km langen Enns zu versammeln, um dort eine Abwehrschlacht durchzukämpfen, erwogen wir in der Operationsabteilung von allen Seiten und kamen zum Entschluss, diese Möglichkeit erst in zweiter Linie in Betracht zu ziehen.718 Denn die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Abwehrschlacht in den Gedankengängen des I. Weltkrieges waren weder nach Munitionsausrüstung, noch nach Stärke der Fliegerwaffe gegeben. Beide schweren Mängel konnten in der uns voraussichtlich zur Verfügung stehenden Zeit nicht mehr aufgeholt werden. Zudem hätte die kampflose Aufgabe von ganz Oberösterreich mit seiner Hauptstadt Linz für die Moral der eigenen Bevölkerung zu niederdrückend gewirkt. Ein Gedanke ließ mich bei allen Erwägungen nie los  : Es kam gar nicht auf einen Entscheidungskampf zwischen dem kleinen Österreich und dem zehnmal größeren Deutschland an – in einem solchen mussten wir schließlich hoffnungslos unterliegen  ; der Sinn des österreichischen Kampfes konnte nur darin liegen, diesen so laut, andauernd und zäh zu führen, dass Hitler nicht über Nacht vollendete Tatsachen schaffen konnte, und dass der Aufschrei und das entschlossene Wehren eines kleinen Volkes bei seiner versuchten Vergewaltigung den Großmächten Zeit zu Entschlüssen und Taten bringen musste. Bedenken über eigene Verluste und Zerstörungen waren völlig abwegig  : Haben die Guerilleros in Spanien gegen Napoleon sich lange bedacht  ? Andreas Hofer in Tirol  ? Das Freikorps Schill  ? Die französischen Franctireurs 1871 und im I. Weltkrieg  ? Also hatten alle militärischen Aktionen genau so wie die Außenpolitik 717 Hotel Gellért  : Berühmtes, im Jugendstil erbautes Hotel am Fuß des Gellértberges im Stadtteil Buda. 718 Die neueste Literatur  : Bruno W. Koppensteiner, Der Fall „DR“ (Deutsches Reich). Verteidigungs- und Sperrvorbereitungen in Salzburg, Tirol und Vorarlberg 1935 bis 1938 („Jansa-Plan“), in  : Pallasch. Zeitschrift für Militärgeschichte, Heft 29, März 2009, S. 133–150.

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den Sinn des Zeitgewinns. War diese meine Überlegung richtig – und ich halte sie heute noch, nach Ablauf des ganzen Geschehens, für richtig –, dann hatten Widerstand und Kampf unmittelbar an der Grenze zu beginnen und sich in einem für seinen Zweck besonders eingerichteten Raum abzuspielen. Es durfte erwartet werden, dass in einem solchen, mit allen neuzeitlichen technischen Mitteln im Hindernischarakter verstärkten, etwa 50 km tiefen Raum einzelne vormarschierende Kolonnen aufgehalten, andere rascher und daher in den Flanken ungesicherter vorprellen würden.719 Diese vorprellenden Teile mit lokaler Überlegenheit anzufallen, dann selbst wieder auszuweichen, das war die gedachte Ausnutzung der Schlagkraft des infanteristisch und artilleristisch vorzüglich ausgebildeten Bundesheeres. Dieses dachte ich mit der 4. Linzer Division zur Stützung des Grenzschutzes im Vorfeld und der schnellen Division bei Linz zu versammeln, dazu mit der 1., 2., 3. und 5. Division und des Artillerieregiments an der Traun von Ebelsberg bis Lambach und der 8. Gebirgsbrigade mit der Hauptkraft bei Salzburg sowie einer Artillerieabteilung beim Pass Lueg einem Bataillon bei Saalfelden und der 7. Division im Raume Pass Lueg-Radstadt-Schwarzach, während die tirolische 6. Division die aus Deutschland nach Tirol führenden Straßen, gestützt auf technische Sperrungen, zu verteidigen hätte. Erst wenn sich die hinhaltende Kampfführung in dem eingerichteten 50 km tiefen Raum zwischen Inn, Salzach und Traun in ihren Möglichkeiten erschöpft hatte, sollte dem Feinde ein neuerlicher Aufenthalt mit versammelter Kraft hinter der Traun und schließlich der Enns bereitet werden, ohne dass das Heer sich dort völlig zerschlagen lassen durfte. Ich erwog für die weitere Folge das Heer nach Süden ins Hochgebirge abzudrehen, aus dem heraus es in kleineren Gruppen elastisch in Flanke und Rücken der nach Wien marschierenden deutschen Kolonnen immer wieder vorzustoßen gehabt hätte. Dieser Plan war natürlich streng geheim. Von ihm wussten nur ich und der Chef der Operationsabteilung. Bei den konkreten Aufmarscharbeiten wurde er später dem ausgezeichneten Oblt. Weninger720 und dem vom Bundesbahnpräsidenten Vaugoin 719 Gerade diese Möglichkeit sieht trotzdem Hubertus Trauttenberg  : Die Abwehrvorbereitungen gegen einen deutschen Angriff im Bereich der 4. Division zwischen 1936 und 1938, in  : ÖMZ., Jg. 1988, S. 130–138. Dort, S. 138, eine umfangreiche Sammlung an Literatur zum Thema. General Trauttenberg hatte eine wesentlich umfangreichere und eingehende Studie bereits früher verfasst  : Hubertus Trauttenberg, Die Abwehrvorbereitungen gegen einen deutschen Angriff im Bereich der 4. Division in den Jahren 1936–1938, Militärwissenschaftliche Prüfungsarbeit an der Landesverteidigungsakademie, Wien 1972. 720 Franz Weninger (Mannswörth, Bez. Bruck an der Leitha, 21.1.1903,NÖ – gefallen im 2. Weltkrieg), 1. 4.1924 Aufnahme ins Bundesheer, absolvierte 1926–1929 die Heeresschule Enns, 5.8.1929 Lt. bei Brigadeartillerieabtlg. 2, bestand die I. u. II. Strenge Fachprüfung für den höheren milit. Dienst, 5.9.1936

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ausgewählten, besonders zuverlässigen Eisenbahnbeamten stückweise bekannt. Ich habe nie vernommen, dass diese Geheimhaltung irgendwo Lücken aufgewiesen hätte. Den Kommandanten der höheren militärischen Fachkurse wies ich an, alle taktischen und operativen Aufgaben der Generalstabsschule im deutsch-österreichischen Grenzraum spielen zu lassen. Ich nahm an diesen Aufgaben öfter teil, besonders wenn sie Führungsaufgaben des hinhaltenden Kampfes betrafen. Für die Vorstudien zur Einrichtung des Grenzraumes und die nötigen technischen Erkundungen an Ort und Stelle vermochte ich zwei erfahrene Geniestabsoffiziere zu gewinnen  : Mjr. Zahradnik für die Operationsabteilung und Hptm. Stiotta als Lehrer für die Generalstabsschule721. Beide arbeiteten im Zusammenwirken mit der pioniertechnischen Abteilung der Sektion II des Ministeriums die Entwürfe für die Sperrungen zu Land und im Donaustrom, für die Zerstörungen an Straßen, Brücken, Eisenbahnen, Telegraphen- und Telefonlinien, für Panzerhindernisse, Minenfelder und die mit Senfgas zu verseuchenden Gebiete innerhalb der Sperrungen aus. Gemeinsam mit versetzt zur Erprobung für den Generalstabsdienst zum BMfLv., Operationsabteilung, 28.3.1938 kommandiert als Adjutant des Chefs des Stabes zum AOK 8, 1.6.1938 Hptm., 1.1.1941 Mjr. Heeresgruppenkdo. 5. 721 Ing. Ferdinand Zahradnik (Neudek, Bez. Mährisch Weisskirchen, Mähren, 3.4.1882–22.1.1946, ab diesem Tag infolge Verschleppung durch die sowjetische Besatzungsmacht aus Wien vermisst), 18.8.1902 Ausmusterung aus der Techn. Milakad. als Lt., 1.11.1917 Mjr., 1.11.1920 Ruhestand, sodann Angestellter der Gemeinde Wien, 1.7.1936 Vertragsbediensteter im BMfLv., 1.10.1937 als Obstlt. des Kriegstechnischen Stabes ins Öst. Bundesheer, dann in die Deutsche Wehrmacht übernommen, 1.8. 1940 Obst., 31.3.1943 Ruhestand, sodann wieder Angestellter der Gemeinde Wien. Max Edl. v. Stiotta (Triest/Trieste/Trst, heute Italien, 6.6.1887–25.11.1977, Wien), 1910 ausgemustert aus der Pionierkadettenschule zum PiBaon 15 in Pola, 1911–1914 Frequentant des Höheren Geniekurses, 1.11.1912 Olt., 1.4.1914 zugeteilt dem Geniestab bei Geniedirektion Riva, 1.8.1914 eingeteilt bei Brückenkopfkommando Krems, 1.11.1914 transferiert zur Brigade Bekessy in der Bukowina, 10.5.1915 eingeteilt beim 42. HITD, 1.7.1915 Hptm. i. Geniestab, Juli 1916 kommandiert zur Brigade Russ zum Ausbau von Befestigungsanlagen am Tatarenpass, 12.8.1916 transferiert zum Militärkdo. Hermannstadt, Sept. 1916 VO bei der 8. Bayr. Reservedivision, März 1917 Genieoffizier beim Korps Lipoščak, Jan. 1919 Ruhestand, 1919 Fabriksleiter der Schraubenfabrik Bartelmus, 1920 Mjr. ad honores, 1923 Leiter der Schraubenfabrik Karlovac ( Jugoslawien), 1924 Inhaber eines technischen Büros in Wien VI.Bezirk, 1936 als Vertragsbediensteter Lehrer an den Höheren Offizierskursen, 1.10.1937 Major des Kriegstechnischen Stabes des ÖBH, 1938 übernommen als E-Offizier in die Dt. Wm., 1939 Ia des Festungs-Pionierkaders XIX, Okt. 1940 Kdr. Pionier-Bataillon 295 in Kielce, Dez. 1941 Vertreter des Generals der Pioniere bei der Heeresgruppe Mitte, 1.4.1942 Oberst, im Herbst 1942 Kommandeur eines Pionier-Regiments im Raum Stalingrad, 1945 Armee-Pionier-Führer im Raum Berlin und Generalmajor, 1945–1948 russische Kriegsgefangenschaft, 1948/49 Arbeiter in Hillersee, Hannover, 1950 Schriftsteller und Technischer Berater in Wien, 1953– 1956 Ingenieurkonsulent der Firma Buchecker in Wien, 1956–1962 Fachkonsulent im BMLv. (de facto Leiter der Befestigungssektion und Erbauer des „Schleinzer-Walles“ in der Brucker Pforte), 4.12.1964 verwitwet, Feb. 1968 wieder verheiratet mit Edith geb. Fexer, 25.11.1977 verstorben in Wien.

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dem für die Zusammenfassung aller Grenzschutzmaßnahmen betrauten Generalstabs Obstlt. Krische722 berechneten sie die notwendigen Arbeitskräfte und Materialien aller Art  ; die zur Verteidigung der Sperrungen und Zerstörungen erforderlichen Waffen und Munition  ; die Besatzungen und deren Sammelräume, Deckungen und Unterstände sowie Unterkünfte  ; schließlich in Zusammenarbeit mit der Telegraphen- und Luftabteilung die Einrichtung des Signal-, Verbindungs- und Meldedienstes. In diese arbeitsreichen Wochen des Oktober 1935 platzte die Mitteilung des Staatssekretärs, dass meine 100-Millionen Schilling-Forderung an Rüstungsgeld für das Jahr 1936 im Rahmen der Budgetverhandlungen keinen Platz gefunden habe. Da ging mir im wahrsten Sinne des Wortes die Galle über. Dass meine Forderungen Abstreichungen erfahren würden, hatte ich mehr oder weniger erwartet  ; dass man sie aber überhaupt nicht berücksichtigte, konnte nur mangelnde Vertretung, absolutes Unverständnis oder gar böser Wille sein. An eine vernünftige Arbeit war in solcher Lage nicht zu denken, und ich bat den Staatssekretär kurzerhand um meine Enthebung. Zwei Tage darauf teilte mir Zehner mit, dass meine Enthebung nicht genehmigt würde und der Bundeskanzler mir sagen lasse, die Geldbeschaffung beschäftige ihn andauernd. Das war ein schwacher Trost, weil mir nur zu klar war, dass die erhöhte Arbeitsleistung und Stimmung im Ministerium, aber auch die Zuversicht und das Vertrauen draußen bei den Truppen nur gehalten werden konnten, wenn hinter Worte und Erlässe auch schaffende Taten gesetzt würden. Am 17. Oktober trat Finanzminister Dr. Buresch723 zurück. Ein Heimwehrmann, Dr. Draxler724, kam an seine Stelle  ; das war ein Hoffnungsstrahl. Die folgenden Wochen waren trotzdem besonders schwer und niederdrückend für mich. Mein altes Gallenleiden war tatsächlich wieder akut geworden. Ende November traf mich dann wie ein Keulenschlag der plötzliche Tod meiner geliebten Frau  ; 722 Franz Krische (Gottschee, Krain, heute, Kočevje, Slowenien, 16.6.1895–25.9.1973, Wien), 15.10.1914 ausgemustert aus IKSch. Brünn, 1.5.1914 Olt., 1.1.1921 Hptm. 1.5.1921 definitiv eingeteilt beim IR 6, 1928–1930 Strenge Fachprüfungen bestanden, 15.1.1934 versetzt zum BMfLv., 1.6.1935 zum Kdo. Der Schnellen Division, 15.1.1936 Mjr.d. G., 1.9.1936 zum MilLandesbefehlhshaber Salzburg, 30.6.1937 Obstlt., 1.10.1937 versetzt zum BMfLv., übernommen in die Dt.Wm., 15.11.1938 versetzt zum IR 16, befördert zum Obst. 723 Karl Buresch (Groß Enzersdorf, NÖ, 12.10.1878–16.9.1936, Wien), Rechtsanwalt, Christlichsoz. Politiker, 1922 Landeshauptmann von NÖ, Juni 1931 Bundeskanzler, 1932 Rücktritt, Mai 1933 Finanzminister, 1935 von Draxler abgelöst, 1936 Gouverneur der Postsparkasse. 724 Anton Draxler (Wien, 18.5.1896–28.11.1972, Wien), Reserveoffizier 1. Weltkrieg, 1922 Dr. iur., 1921 mit dem Freikorps Oberland und Erbgraf Starhemberg in Schlesien im Einsatz, 1930 Rechtsanwalt Starhembergs, 1935/36 Finanzminister, 1938 mit dem sogenannten Prominententransport ins KZ Dachau, ab 1939 Hauptmann bei der Dt. Luftwaffe, nach 1945 Wirtschaftsanwalt und wieder Rechtsvertreter der Familie Habsburg-Lothringen.

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sie starb 39-jährig innerhalb von acht Tagen an einer grippösen Lungenentzündung. Plötzlich stand ich mit zwei Töchtern im Alter von 15 und 12 Jahren allein da. Die überwältigende Anteilnahme an meinem Unglück in Österreich, aber auch die Kundgebungen aus unserem Berliner, Schweizer und ungarischen Bekanntenkreis hatten etwas Versöhnendes  : Mein deutscher, italienischer und ungarischer Kollege sandten prachtvolle Kränze, Reichsverweser Horthy den Wiener Gesandten als Vertretung zur Beisetzung. Diesen Anteilnahmen glaubte ich entnehmen zu können, dass meine gute Frau durch ihr mutiges Eintreten für Österreichs Recht sich überall Sympathien errungen hatte, unser gerader österreichischer Weg somit allseits Anerkennung fand. Tief betrübt werkte ich denn weiter. Im Dezember 1935 gelang es uns, den auf den Ergebnissen der Einwohnerverzeichnung basierenden grundlegenden Erlass für die „Notmobilisierung“ des Bundesheeres unter Zahl 61.500/35 herauszubringen  ; er enthielt auch die Aufstellung der notwendigen Ergänzungsbezirkskommandos. Damit konnte die Weiterarbeit in den Divisionsbereichen beginnen. Mit Fortschreiten der Planungen und Erkundungen zur Einrichtung des Grenzraumes zwischen Salzach–Inn und Traun, aber auch in Salzburg, Tirol und Vorarlberg konnten nach und nach die Zahlen von Verteidigern der Sperrungen und ihre Aufgliederung nach Infanteristen, Pionieren, Sprengmeistern und Telegraphisten aller Art festgestellt werden. Wegen der Notwendigkeit raschester Formierung dieser zahlreichen kleinen Kampfgruppen war die personelle Ergänzung aus Bewohnern in unmittelbarer Nähe der einzelnen Sperr-Stützpunkte nötig. Wo vorhanden, mussten wir dazu auf Gendarmerie-, Zoll- und Polizeiorgane zurückgreifen und, wo aktive Verbände des Bundesheeres günstig lagen, auch auf Beistellungen von diesen. Diese Grenzschutzarbeiten führten zu meinem intensiven Zusammengehen mit den Heimwehren (später Miliz), dem sich, nach Überwindung anfänglicher Animositäten, auch die nachgeordneten Dienststellen bis herab zu den kleinsten Verbänden mit schließlich besten Erfolgen anschlossen. Da der Bedarf auf diese Art jedoch nicht völlig gedeckt werden konnte, trat ich an den Wiener Bürgermeister Schmitz725 heran, von dem ich wusste, dass er Beziehungen zur bestandenen Sozialdemokratischen Partei aufrecht erhielt, damit die im Grenzraum wohnenden „Schutzbundmitglieder“ sich freiwillig zur Verteidigung Österreichs eingliedern. Ich fand zu meiner größten Beruhigung Verständnis und Bereitwilligkeit. Alles vom Bundesheer nicht selbst benötigte 725 Richard Schmitz (Müglitz/Mohelnice, Mähren, 14.12.1885–27.4.1954, Wien), Journalist und Politiker, Direktor der Zentralstelle des Volksbundes der Katholiken Österreichs, 1918–1923 Wiener Gemeinderat, 1920–1934 Abgeordneter zum Nationalrat, 12.2.1934 Bundeskommissär für Wien, bemühte sich um Aussöhnung mit der Wiener Arbeiterschaft, Bau der Höhenstraße auf den Leopoldsberg, 1938–1945 in KZ-Haft, sodann Generaldirektor des Herold-Verlages.

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Schießgerät wurde in den Grenzschutz eingeplant, darunter auch die rund 70 noch aus dem I. Weltkrieg mit Munition vorhandenen 14-cm-Minenwerfer. Die von den Geniestabsoffizieren entworfenen und auf Übungsplätzen erprobten Panzerwagenhindernisse hatten in mehrfachen, schachbrettartig angeordneten Reihen aus 3 m langen alten Eisenbahn-Schienenstücken zu bestehen, die, feindwärts vorgeneigt, mit der Hälfte ihrer Länge in Aussparungen betonierter in den Straßenkörper eingelassener Blöcke zu versenken waren. Vor einer Aktivierung des Grenzschutzes hatten die Aussparungen in den Betonblöcken mit Blechdeckeln verschlossen zu sein. Die erforderlichen Schienenstücke hatten auswärts der Kommunikation in unmittelbarer Nähe ihres Verwendungsortes zu lagern. Das Aktivieren dieser Hindernisse wie das Verlegen von Minen, die Errichtung von Verhauen und deren Verseuchung sollte von den ausgewählten Besatzungen in immer wiederholter Schulung mit immer gesteigerter Raschheit einexerziert werden. Die Waffenaufstellungen zur Verteidigung dieser Sperrungen in beschusssicheren Deckungen waren bis ins kleinste Detail ebenso mit der zugehörigen Munitionslagerung vorzubereiten wie das Anlegen der Sprengladungen an den bestimmten Objekten zu üben. Das Verbindungs- und Meldewesen in sich überdeckender Vielfalt vom anzuzündenden Strohwisch über die Leuchtpistole, Brieftaube, optische und gedrahtete Tele­ graphen sowie den Funkmeldedienst wurden von Sperrung zu Sperrung und nach rückwärts genau festgelegt und die Kenntlichmachung für die eigenen Flieger vorbereitet. Alle diese Maßnahmen wurden in dem grundlegenden, im Februar 1936 unter Zahl 100.200/36 zur Ausgabe gelangenden Erlass „Grenzschutz-Organisation“ festgelegt und die Weiterbearbeitung durch die Divisionskommandos und die Frontmiliz (Heimwehr) befohlen. Mit unserem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten hielt ich dauernde Verbindung  ; fast regelmäßig zweimal die Woche suchte ich abends auf dem Heimweg vom Stubenring in meine hinter der Universität gelegene Wohnung den Gesandten Hornbostel auf, wo er mich über den Lauf der auswärtigen Angelegenheiten orientierte und ich ihn über das Fortschreiten der militärischen Abwehrarbeiten.726 Diese Aussprachen nahm ich sehr ernst, weil mir der dauernde Gleichklang beider Aktionen als unabdingbare Notwendigkeit erschien. Der Bundeskanzler wusste von diesen 726 ÖStA/AVA, sign. E/1722, Nr. 9  : Einer von mehreren Briefen Jansas an Hornbostel aus dieser Zeit  : 6.12.1937  : „Verehrter lieber Freund  ! … Mitteilung Liebitzkys. Sie bestätigen nur, daß der Einbau der Sperren nicht nur richtig und notwendig war, sondern im kommenden Jahr fortgesetzt werden muß. Ich denke, daß die diesbezügliche Zuschrift an Ihren Herrn Staatssekretär … Schmidt genügend schlagkräftige Argumente enthält. Ihr stets ergebener Jansa FML.[eh.]“

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vertrauensvollen Aussprachen, und da ich wegen seiner Überbeanspruchung vermied, ihn öfter als unbedingt nötig zu besuchen, nahm es Hornbostel auf sich, ihm kleinere Orientierungen, die ich für wissenswert hielt, gelegentlich seines täglichen Referates mitzuteilen. Aus diesen Rücksprachen erkannte ich den Vorteil, die Aktivierung des Grenzschutzes elastisch zu gestalten. Ich schuf den Begriff „Grenzbeobachtung“. Auf Ausgabe dieses Wortes hin hatten alle im Grenzraum Eingeteilten zu ihren kleinen Kampfgruppen einzurücken, die Beobachtung des eigenen Raumes und jenes jenseits der Grenze sowie den Verbindungs- und Meldedienst aufzunehmen  ; die Einrichtung der Sperrungen, besonders deren Hindernisse, scharfe Ladung, und der bestimmten Zerstörungen hatten jedoch noch nicht zu erfolgen. Gegen Grenzüberschreitungen war kein sofortiger Waffengebrauch anzuwenden  ; für diesen galten die Bestimmungen des Friedens. Das Wort „Grenzschutz“ hingegen hatte automatisch die Aktivierung aller Abwehrmaßnahmen zu bedeuten, einschließlich des sofortigen Waffengebrauches ohne Vorwarnung gegen jeden, der die österreichische Grenze bewaffnet, einzeln oder in Abteilungen überschritt. Damit wollte ich der Politik die Möglichkeit der Sicherung Österreichs bei gespannter, aber noch unklarer Lage an die Hand geben, ohne dass es für die Gegenseite eine Provokation und Anlass oder Vorwand zu Gewaltmaßnahmen gewesen wäre. – Eine „Grenzbeobachtung“ konnte und sollte auch tatsächlich öfter zu Übungszwecken befohlen werden. Denn das sichere Funktionieren des Grenzschutzes setzte eine durch wiederholte Schulungen in kleinem und großem Umfang bis zur Perfektion gesteigerte Abwehrautomatik voraus. Die Aufgaben jeder kleinsten Kampfgruppe mussten in einem Plan niedergeschrieben werden, der jede Tätigkeit und die Person und Stellvertretung, von der die Tätigkeit auszuführen war, festlegte, damit jeder die immer gleichen Griffe mit schlafwandlerischer Sicherheit ausführen lernte. Waren dieserart die geistigen und personellen Voraussetzungen ohne besondere Geldmittel geschaffen worden, so war die materielle Fundierung mit ausreichenden Waffen- und Munitionsbeständen, technischem und Baumaterial ohne solche nicht durchführbar. In meinem Kopf kreisten unablässig alle nur denkbaren Ideen rund um die Geldbeschaffung. Trotz der, durch die schwere Wirtschaftskrise der Jahre 1929–1932 sicher nicht leichten Finanzlage, vermochte ich nicht zu begreifen, dass für die Existenz Österreichs 100 Millionen Schilling nicht beschaffbar sein sollten. Da stimmte etwas nicht  ! Entweder waren die Menschen geistig der Lage nicht gewachsen, was übrigens bei einigen unserer sogenannten Wirtschafts- und Finanzgrößen tatsächlich der Fall war, oder es lag böser Wille vor, den man ausjäten musste. Die Beschaffung der Geldmittel war organisationsgemäß Aufgabe des Staatssekretärs. Da ich Verstimmungen zwischen ihm und mir, die sich aus Kompetenzüberschreitungen leicht ergeben konnten, unbedingt vermeiden wollte, war es nicht leicht,

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die Geldbeschaffung vorwärtszutreiben. Allerdings brachte ich ihre Notwendigkeit bei jeder Begegnung mit dem Bundeskanzler vor, drängte Hornbostel zur Unterstützung meiner Forderungen und appellierte an Bürgermeister Schmitz sowie an den sehr klar sehenden Handelsminister Dr. Taucher.727 Zehner versicherte mir, dass er mit dem Finanzminister Draxler verhandle. Aber es war alles vergeblich. Kienböck728 war höchste Autorität und seine Sorge um den Wert des „Alpendollars“ wurde höher geschätzt als die Existenz des Staates, dem dieser „Alpendollar“ zu dienen hatte. Kleinlichkeit und Kurzsichtigkeit siegten anscheinend über die Vernunft, weshalb auch die Arbeitslosigkeit, das wesentlichste und gefährlichste Moment für die Stimmung der Bevölkerung, nicht eingedämmt werden konnte. Auch das Zustandekommen des Gesetzentwurfes über die allgemeine Wehrpflicht litt unter dieser argen Verweigerung der Mittel für die Verteidigungsnotwendigkeiten. In dieser Not wandte ich mich wieder an unseren Militärattaché in Rom mit der Bitte, einerseits Mussolini zu veranlassen, der österreichischen Regierung ein Budgetopfer für das Bundesheer und die allgemeine Wehrpflicht nahezulegen, anderseits meinen für die Osterzeit bei Mussolini in Aussicht genommenen Besuch vorzubereiten.729 Mit der Operationsabteilung bearbeitete ich nun den Aufmarsch des Bundesheeres an der Traun. Daraus ergab sich neuerdings die zwingende Notwendigkeit der raschen Erledigung des Gesetzes zur allgemeinen Wehrpflicht, wofür es gelang eine direkte Intervention des Bundeskanzlers als Heeresminister bei der Rechtsabteilung herbeizuführen. Aus irgendwelchen juristischen Gründen wurde in der Benennung des Gesetzes statt „Wehrpflicht“ der Ausdruck „Dienstpflicht“ gewählt. Diese, wenn auch nur formale, Abschwächung des Begriffes „Wehrpflicht“ behagte mir in keiner Weise, doch stimmte ich zu, um nicht Anlass zu neuerlichen Verzögerungen zu geben. Dieses für die Verteidigung des Vaterlandes wichtigste Gesetz konnte schließlich Ende März 1936 erlassen werden und am 1. Oktober mit der Einrückung der neuen Rekruten 727 Wilhelm Taucher (Fürstenfeld, Stmk., 26.5.1892–18.4.1962, Graz), Finanzwissenschaftler und Politiker, 1923 habilitiert an d. Univ. Graz, Mitarbeit bei der Sanierung der Creditanstalt, 3.11.1936– 16.2.1938 Bundesminister für Handel und Verkehr, 728 Viktor Kienböck (Wien, 18.1.1873–23.11.1956, Wien), Finanzfachmann, Abgeordneter der Christlichsozialen Partei, 1922–1924 u. 1926–1929 Finanzminister, 1932 Präsident der Nationalbank, verfolgte zur Sanierung der Währung einen rigorosen deflationistischen Kurs, 1938 aller Ämter enthoben, 1952–1956 wieder Vizepräsident der Nationalbank. 729 Anmerkung Liebitzky  : „Dr. Schuschnigg schloß das Juli-Abkommen auch unter italienischem Druck. Mussolini wollte bei der zunehmenden allgemeinen Spannung durch die französisch-englische Politik, offenkundig durch die Annäherung an Deutschland auch Österreich schützen. Er kannte Hitler damals doch nicht wirklich und vertraute auf dessen Zusicherungen und auf das Ehrenwort Görings. Auch der damalige Einfluß Cianos wirkte auf Mussolini. Ciano drängte zuerst auf den Ausgleich mit Deutschland, um später der heftigste Gegner des Zusammengehens Italiens mit Deutschland zu werden.“

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auch öffentlich sichtbar in Wirksamkeit treten. Fast gleichzeitig, am 27. März, wurde über Betreiben unseres Militärattachés in Rom, dem wegen der Beeindruckung Mussolinis und der italienischen Armee besonders daran gelegen war, meine bis dahin unter dem Titel des Sektionschefs III getarnte Tätigkeit durch meine offizielle Bestellung zum „Chef des Generalstabes für die Bewaffnete Macht“ in aller Öffentlichkeit bekannt gemacht. Zwei so bedeutsame Kundgebungen des Wehr- und Verteidigungswillens Österreichs hatten ihre besondere Wirkung. Auf der einen Seite marschierten die Diplomaten und Militärattachés der Entente-Staaten mit lahmen Protesten auf, während sie im Inland und dem uns wohlwollenden Ausland, besonders in Italien, der Schweiz und Ungarn, mit viel Freude aufgenommen wurden. Bei mir trat eine Flut von Beglückwünschungen und Versicherungen des Vertrauens ein, die meine Verantwortung für die Sicherheit Österreichs nur noch mehr verpflichteten. Am bedeutsamsten waren mir natürlich die herzlichen Zustimmungen der meist sehr viel älteren Offiziere des Generalstabskorps der ehemaligen k. u. k. Armee, die – soweit sie österreichische Staatsbürger waren – mir auch ihre Dienste für den Notfall des Kampfes zur Verfügung stellten. Sogar meine Vorgesetzten aus dem I. Weltkrieg stellten sich mit Glückwünschen ein, deren prominenteste GdI. Ernst v. Horsetzky und GdA. Krafft v. Dellmensingen, der ehemalige Chef des bayerischen Generalstabes, waren.730 Mir stärkte das Vertrauen von Männern, die mit mir arbeiteten oder unter denen ich im Leben und besonders im Krieg gewirkt hatte, die eigene Zuversicht  ; denn die seelische Einsamkeit in leitender Stellung gebiert auch bange Zweifel am Genügen, besonders im Fall Österreich-Deutschland, wo einen verwandtschaftliche Beziehungen nach Blut und Sprache schwer belasteten. Die großen Linien meines Wollens waren nach und nach bekannt geworden  ; wenn sie gutgeheißen wurden, so gaben mir diese Zustimmungen viel Sicherheit im Handeln. Unsere Berechnungen für den Aufmarsch des Bundesheeres im Raum zwischen Traun und Enns ergaben 2 Tage für die Alarmierung der Aktivstände, Einrückung, Bekleidung und Ausrüstung der Ergänzungen des Bundesheeres auf den Kriegsstand in den Friedensgarnisonen und 10 Tage für den in Zusammenarbeit mit den Bundesbahnen durchgerechneten Transport. Dieses Zeitmaß war mir zu langwierig, sodass ich die zusätzliche Bildung von Autotransportkolonnen aus zivilen Lastkraftwagen anregte. Immerhin war mit dieser ersten Durchrechnung eine reelle Basis für die von mir in Rom geplanten Besprechungen gewonnen worden. Die Verweigerung der für Österreichs Verteidigung notwendigen Mittel brachte mich auf den Gedanken, die nötige Verstärkung unserer Abwehrkraft durch den Ein730 Diese Briefe sind im Nachlass Jansas vorhanden und zeugen von großer Wertschätzung.

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satz italienischer Truppen zu erreichen. Italien hatte 10 vollkommen motorisierte Divisionen mit erhöhter Kriegsbereitschaft. Wenn ein Teil dieser Divisionen beim Angriff Hitlers auf Österreich nicht wie 1934 anlässlich der Ermordung von Dollfuß am Brenner stehen bliebe, sondern dort und auch über den Plöckenpass und die Glocknerstraße731, über Villach–Katschberg–Radstadt und über Klagenfurt–Neumarkt– Liezen–Ischl vorgeführt würde, so hätte diese Flanken- und Rückenbedrohung deutscher Marschkolonnen eine sehr bedeutende Bremswirkung. Diese Zusage wollte ich in Rom erreichen und war entschlossen, niemanden mit der Verantwortung solches Tun zu belasten, sondern sie ganz auf mich allein zu nehmen. Für den Besuch in Rom legte ich mir ungefähr folgendes Besprechungsprogramm zurecht  : 1. Versuch, Italien trotz seiner durch Abessinien sehr angespannten finanziellen Lage zur Gewährung einer Rüstungsanleihe an Österreich in der Höhe von etwa 100 Mio. Schilling zu bestimmen  ; 2. Transporte der österreichischen Beutegeschütze samt Munition beschleunigen  ; 3. Mussolini in großen Zügen orientieren, wie ich die Abwehr eines Hitlerschen Gewaltaktes plane und vorbereite, und von ihm die prinzipielle Zusage der Mitwirkung italienischer Divisionen erlangen  ; 4 Besprechung und Festlegung des Einsatzes italienischer Divisionen über die Alpen in den Rücken und in die Flanke der nach Österreich einbrechenden Feindkräfte  ; 5. Ausbildung österreichischer Fliegeroffiziere, besonders für den Blindflug, in Italien  ; 6. Feststellung, ob im Aufbau schwerer Panzer Fortschritte erzielt wurden. Anfang April 1936 fuhr ich unter strikter Geheimhaltung nach Rom  ; von meiner Reise wussten nur der Kanzler und Gen. Zehner in Wien sowie Obst. Liebitzky in Rom. Meine Reise blieb auch einen ganzen Monat wirklich geheim  ; erst im Mai erfuhren die Reichsdeutschen davon – worüber ich noch erzählen werde –, vermutlich durch eine Indiskretion römischer Kreise. Obst. Liebitzky hatte für meinen nur vom 6. bis zum 9. April währenden Aufenthalt ausgezeichnete Vorarbeit geleistet. Am ersten Tag konnte ich mit dem Unterstaatssekretär für Krieg, Gen. Baistrocchi, und dem Chef des Generalstabes, Gen. 731 Friedrich Wallack begann 1930 mit dem Bau der Großglockner-Hochalpenstraße, die 1935 fertiggestellt war. Die Straße ist 4.5 km lang und führt von Bruck an der Glocknerstraße in Salzburg auf 2.505 Meter (Hochtor) nach Heiligenblut, Kärnten. Es wird immer wieder vermutet, konnte aber nie nachgewiesen werden, dass bereits seit 1930 militärische Überlegungen, vor allem Italiens, beim Bau eine Rolle spielten, um italienische Truppen rasch nach Salzburg zu bringen. Plöckenstraße : Verbindung vom Gailtal zu einem wichtigen Gebirgsübergang der Karnischen Alpen, dem Plöckenpass. Dort verläuft nunmehr die italienische Grenze.

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Pariani, in Ruhe alle meine Anliegen durchsprechen und Zustimmung mit größter Hilfsbereitschaft erfahren  ; der Einsatz italienischer Divisionen sollte – die Billigung des Duce vorausgesetzt – nach der Audienz bei diesem mit Gen. Roatta, dem SousChef des Generalstabes, in den Einzelheiten festgelegt werden. Pariani führte mich in seine sonst streng gesperrte kartographische Abteilung und zeigte mir die neuesten italienischen Karten, die durch Verschiebung des Druckes der Schichtenlinien bei Betrachtung durch blau-rote Gläser das Gelände plastisch greifbar sehen ließen, was eine große Zeitersparnis und eine gesteigerte Sicherheit vor Irrungen bei Dispositionen gewährte. Meiner Bitte, diesen Fortschritt auch durch unseren Generalstabsobersten Mlaker732, dem die Verbindung mit dem österreichischen kartographischen Institut oblag, studieren zu lassen, wurde sofort entsprochen  ; in der Folge zogen wir daraus manche Vorteile. In der Konstruktion eines schweren Panzers waren leider keine Fortschritte erzielt worden. Pariani sagte mir, dass sich die kleinen Carri veloci in Abessinien sehr bewährten (ich hatte allerdings gegenteilige Nachrichten erhalten) und er größere Panzer nicht für notwendig halte. Als Vertreter eines kleinen, in Rüstungen bis vor Kurzem zurückgebliebenen Staates durfte ich die Auffassungen des italienischen Chefs kaum korrigieren, also verfolgte ich dieses Thema nicht weiter. Der sofortige Abtransport der ersten Rate alter österreichischer Geschütze samt Munition (und zwar 1/3 Haubitzen, 2/3 Kanonen, zusammen 150 Geschütze) wurde mir bindend zugesagt. Dieses Versprechen ist auch wirklich prompt erfüllt worden. Zum Mittagessen war ich von beiden Herren in das, in einem alten Palast sehr vornehm neu eingerichtete zentrale Offizierskasino geladen worden, was mir im Interesse der Geheimhaltung meines Besuches, auch wenn er in Zivilkleidung vor sich ging, nicht zusagte. Aber als besonders intime Ehrung konnte diese Einladung nicht abgelehnt werden. Am folgenden Vormittag war ich im hochmodernen Neubau des Luftfahrtministeriums, wo mir die Ausbildung eines Teils unserer Fliegeroffiziere mit großer Bereitwilligkeit zugesagt und gleichfalls die Lieferung der neuesten Flugzeuge nach Österreich angeboten wurde. Ich wusste wohl, dass Gen. Löhr die deutschen Konstruktionen für besser hielt, aber ich durfte die italienischen, auf den Erfahrungen des Abessinienkrieges ruhenden Maschinen nicht ablehnen. Als ein an sich belangloses, jedoch für das Arbeitstempo des Faschismus charakteristisches Detail dieses mit allen 732 Rudolf Mlaker (Marburg/Maribor, Stmk., heute Slowenien, 8.1.1889–2.6.1977, Wien), 18.8.1909 ausgemustert aus der IKSch. Marburg zum IR 94 als Fhr., Brigadeglstbsoffizier im Weltkrieg, 10.2.1919 Konzeptsoffizier bei der Nachrichtenstelle des Landesbefehlshabers Wien, 1925 die Fachprüfungen für den Höheren Mil. Dienst abgelegt, 16.5.1933 zur Heeresvermessungsstelle, 23.9.1933 Obst., 13.3.1933 Kdt. Heeresvermessungsstelle, 1939 aus dem aktiven Wehrdienst entlassen. Verfasste  : Österreich. Seine wehrpolitische Lage und seine Wehrstärke, Wien/Leipzig 1937.

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Finessen neuester Technik erbauten, eingerichteten und betriebenen Ministeriums möchte ich die Speiseräume für Offiziere erwähnen. Da gab es keine Tische, an denen man Platz nahm und serviert erhielt, vielmehr lange, hohe, von beiden Seiten zugängliche Bartische mit Warmhalteanlagen, aber ohne Sitzgelegenheiten. Für jeden Herrn stand ein schmaler, einer Bratröhre ähnelnder und mit aufklappbarem Deckel versehener Vorratskasten bereit, in dem die fertigen Speisen bereitstanden. Der Hungrige konnte also mit kürzestem Zeitaufwand an seinen Bartisch treten, das warme Mittagessen aus der Thermolade holen und stehend verzehren. Mir erschien solche Rationalisierung etwas weitgetrieben, weil ich bei regelmäßiger Büroarbeit die durch ruhige Einnahme des Mittagessens eintretende Entspannung als Vorteil für die Arbeitsqualität erfuhr. Für den frühen Nachmittag war die Vorsprache beim Duce im Palazzo Venezia vereinbart. Vorerst sollten nur Liebitzky und ich empfangen, später auch Minister Suvich zugezogen werden. Liebitzky machte mich auf den überlangen Saal aufmerksam, an dessen Ende der Duce hinter seinem Schreibtisch saß und die eintretenden Besucher an sich herankommen ließ, um sie während dieser Zeit zu beobachten  ; er ermunterte mich, ohne Zögern und Befangenheit auf Mussolini zuzuschreiten. Nach einer Weile meldete das diensthabende Organ, dass der Duce uns erwarte, und öffnete zugleich die breite Saaltür. Wie groß war unser Erstaunen, als Mussolini sich erhob, mir die halbe Länge des Saales entgegenkam, mich nach herzlicher Begrüßung an seinen Tisch führte und aufforderte, Platz zu nehmen. Bei einer solchen Aufnahme, die den bestimmten Eindruck machte, bei einem sehr wohlwollend interessierten Freund zu sein, löste sich mir die Zunge und ich orientierte den Duce über meine Planungen für den Grenzraum und Aufmarsch des Heeres anhand einer mitgebrachten Karte, ja, ich sprach über die erwogene hinhaltende Kampfführung eingehender, als ich ursprünglich beabsichtigt hatte, und wies auch auf die große Bedeutung eines aktiven Eingreifens schneller italienischer Divisionen hin. Mussolini hörte aufmerksam zu, nickte wiederholt zustimmend und erklärte sich einverstanden. Nachdem ihm eine Depesche gereicht worden war, schaltete der Duce ein, dass es in Abessinien trotz der von England erzwungenen Sanktionen gut vorwärtsgehe, und fragte mich plötzlich mit deutlichem Hinweis auf England, welche Meinung ich von einem italienisch-deutschen Zusammengehen hätte. Verblüfft fragte ich  : „Gegen England  ?“, und als der Duce dazu nickte, sagte ich  : „Nein, Exzellenz, da wären Sie viel zu schwach  ; gegen Englands Flotte können Sie auch im Verein mit Deutschland nicht aufkommen  !“ Darauf Mussolini  : „Wir haben aber schnelle Schiffe und gute Flugzeuge.“ Ich abschließend  : „Trotzdem, Exzellenz, Sie wären viel zu schwach  !“ Mussolini sah mich scharf an  ; da schoss mir der Gedanke durch den Kopf, was für armselige Berater dieser Mann haben müsse.

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Sodann begann ich auf die gegen eine erfolgreiche Durchführung meiner Planungen bestehenden materiellen Mängel und die zu ihrer Behebung nötige erste Rate von 100 Millionen Schilling hinzuweisen und erbat die Gewährung einer entsprechenden Rüstungsanleihe. Da wurde der Duce zurückhaltender, wiederholte, dass der abessinische Krieg gut stehe und bald beendet sein werde, Italien aber keine freien Gelder verfügbar habe  ; doch solle sich Suvich dazu äußern. Dieser wurde nun hereingerufen und stellte sich zu meiner Rechten an den Tisch. Nach einleitenden Worten Mussolinis fasste ich, direkt zu Suvich sprechend, meine geldlichen Forderungen nochmals zusammen und bat ihn, uns zu helfen, da der Betrag für das große Italien doch keine Rolle spielen könne. Suvich hielt sich sehr zurück  ; nach kurzer Rede und Gegenrede wurde vereinbart, dass ich am folgenden Tag Suvich in seinem Ministerium wegen des endgültigen Bescheides besuchen solle. Damit war die Besprechung beendet. Bei der Verabschiedung zeichnete mich der Duce wieder durch seine bezwingende Herzlichkeit aus, wobei er mich seiner dauernden Anteilnahme an der militärischen Erstarkung Österreichs versicherte. Im Vorraum beglückwünschte mich der treue Anwalt unserer guten Sache in Rom mit der staunenden Versicherung, dass er so viel herzliches Entgegenkommen Mussolinis noch nie erlebt hatte. Ich nahm von der Unterredung das gute Gefühl der Ehrlichkeit mit. Was hätte den Duce andernfalls bewegen sollen, einen General eines Kleinstaates – auch wenn Österreich Traditionsträger einer 900-jährigen ruhmvoll-großen Vergangenheit war – mit so viel Herzlichkeit zu begegnen  ? Es musste neben dem politischen Interesse Italiens, Österreich als Puffer zwischen sich und Deutschland zu haben, an wirklicher Sympathie und Achtung für das mutige Ringen der kleinen Republik gegen ihre Vergewaltigung liegen. Mussolini habe ich damit zum letzten Mal gesehen  ; ich nahm das schon bei den Herbstmanövern gewonnene Bild eines „wirklichen Mannes“ noch deutlicher mit auf den Weg. Mag auch persönliche Eitelkeit bei meiner Einschätzung des Duce mitgewirkt haben, so blieb nach Abzug dieser menschlichen Schwäche dennoch genug an vollem Vertrauen in Mussolinis Zuverlässigkeit, und ich wusste mich in dieser Einschätzung eins mit unserem klugen Militärattaché, der seine Überzeugung auf viel häufigerem Zusammensein mit dem Duce gründete.733 Achtzehn Jahre sind seither vergangen. Das über die Welt gekommene Unglück kenne ich so gut wie jeder andere. Tief bedauere ich, dass Mussolini seine ursprünglich fein und richtig empfundene Ablehnung Hitlers unter dem bösen Druck englisch 733 Anmerkung Liebitzky  : „Am Juli-Abkommen Österreichs mit Deutschland hat Mussolini ohne Zweifel mitgewirkt, als er sich feste Zusagen über die Unversehrtheit Österreichs geben ließ. Hierzu die Äußerungen General Parianis und Roattas im Sinne  : bisher habe Italien Österreich im Schützengraben geschützt, jetzt würde dies durch ein gutes Verhältnis mit Deutschland geschehen.“

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geförderter Sanktionen aufgab und dem Blendwerk der Unmoral erlag. Aber ich kann und will das gute Andenken, das ich ihm bewahre, nicht aus meinem Herzen reißen  : Er war es, der den Frieden mit dem Heiligen Vater der katholischen Christenheit gefunden und dessen Befreiung aus der freiwilligen Gefangenschaft bewirkt hat  ; er hat seinen König anerkannt und diesem und dem monarchischen Gedanken edler die Treue gehalten, als der König ihm dies lohnte  ; für jeden, der sehen wollte, hat er in Italien Hervorragendes geleistet. – Hat er uns Österreichern die Treue gebrochen  ? Ich wage nicht, das zu behaupten. Wären wir nach der Berchtesgadener Erpressung zu tätiger Abwehr geschritten, so hätte Mussolini an unserer Seite gestanden, will mir scheinen. Nachdem wir damals jedoch dem Nazitum Türen und Tore geöffnet und uns unserer Kraft selbst begeben hatten, was hätte Mussolini tun sollen  ? Mir persönlich hat der Duce seine Wertschätzung und die zu Ostern 1936 mit Handschlag besiegelte Treue bewahrt  : Obst. Liebitzky teilte mir gelegentlich seiner Rückberufung im März 1938 mit, dass dieser ihm von einem Telegramm an Hitler Kenntnis gegeben habe, wonach „dem General Jansa kein Haar gekrümmt werden dürfe“. Selbstverständlich hatte ich um gar nichts gebeten  ; die Intervention bei Hitler war aus Mussolinis freiem Entschluss entstanden. Wenn ich im Verhältnis zu anderem furchtbaren Geschehen eine unwahrscheinlich milde Behandlung erfuhr, die sich auf Gehaltskürzung, Ausweisung aus Österreich und Konfinierung in Erfurt beschränkte, ja, wenn ich heute diese Erinnerungen niederzuschreiben vermag, so danke ich dies nur der Fürsprache des Duce, dessen Wohlwollen Hitler damals mehr bedeutete als der Kopf eines kaltgestellten Generals. Ich halte es für meine Pflicht und Schuldigkeit, dieses Bekenntnis zu Mussolini in aller Öffentlichkeit für die Nachwelt abzulegen, zur richtigen Einschätzung seines großen und sauberen Charakters in der Zeit, da der Duce noch sein eigener Herr und ein gesunder, freier Mann war. Zurück nun zum Rom-Besuch. Das Ereignis der gemeinsamen Audienz beim Duce wurde abends durch eine Einladung von Gen. Pariani in den Cave Nero, ein tief unter der Erde mitten in der Ruinenstadt gelegenes Weinlokal typisch römischen Charakters, in herzlicher Kameradschaft begangen. Hierzu waren auch die Generäle Baistrocchi und Roatta sowie Obst. Liebitzky mit ihren Damen erschienen. Bei wunderbar vollem süditalienischen Rotwein hörten wir die grandiosen Gesänge großer Künstler, unter ihnen Benjamino Gigli. Am folgenden Vormittag war ich mit Liebitzky bei Minister Suvich. Eine BarAnleihe kam nicht zustande, der Wermutstropfen meines Rom-Besuches. Aber Suvich unterstrich neuerlich die schon von Liebitzky festgestellte und berichtete Bereitschaft, uns um annähernd den Betrag Flugzeuge, Panzerwagen und andere gewünschte Waffen gegen Kredit zu liefern, dessen Rückzahlung nach unserem Können und Ermessen erfolgen sollte. Das war immerhin etwas, und wir nützten diese Gelegenheit in der

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Folge auch teilweise. So konnte die Zahl unserer kleinen Panzerkampfwagen auf über 60 erhöht und ein Panzerbataillon zu drei Kompanien mit je 20 Kampfwagen und entsprechenden Reserven für Ausfälle aufgestellt werden. Zwar befriedigten mich diese kleinen Kampfwagen keineswegs, aber sie waren mangels anderer immerhin annehmbar. Auch die Luftwaffe bekam einige Flugzeuge.734 Zum Déjeuner waren Liebitzky und ich bei unserem Gesandten Vollgruber geladen, dessen begreiflichen Wissensdrang über meinen Besuch und sein Ergebnis ich im Interesse der Geheimhaltung leider enttäuschen musste.735 Nachmittags besuchte ich vereinbarungsgemäß allein den Sous-Chef des Generalstabes, Gen. Roatta, in seinem Büro, in dem an die Wände wohl eine Karte Oberitaliens geheftet war, sonst aber viele die ganze Welt umfassende Karten. Ich erläuterte auch hier meine Absichten  ; der geistig sehr bewegliche General verstand sofort die Bedeutung schneller italienischer Divisionen für die geplante Kampfführung. Wir waren rasch einig und kalkulierten 5 Divisionen, von entsprechenden Luftstreitkräften begleitet, für ausreichend, von denen zwei über den Brenner und drei über Villach anzusetzen wären. Gen. Roatta verlangte meine Zustimmung zur sofortigen Erkundung der Straßen durch italienische Offiziere, was ich mit der Bitte zusagte, die Erkundung wegen der gebotenen Geheimhaltung in Zivil vornehmen zu lassen. Dann überraschte mich der General mit der zweiten Frage, die tags zuvor der Duce mir gestellt hatte, wie ich über ein Zusammengehen Italiens mit Deutschland denken würde. Meine Gegenfrage, ob denn diese Erwägung plötzlich aktuelle Bedeutung gewonnen habe, verneinte er, schloss jedoch gleich an, dass Österreich von einer solchen deutsch-italienischen Einigung nur Vorteile hätte, da Italien keine gemeinsame Grenze mit Deutschland wünsche und bei Besprechungen die volle, unantastbare Integrität Österreichs als Voraussetzung fordern würde. Darauf erwiderte ich ungefähr, wenn Italien das zusammenbrächte, würde es damit einen Herzenswunsch jedes Österreichers erfüllen, doch fehle mir der Glaube daran. Darauf Roatta  : „Sie brauchen an der Ehrlichkeit unserer Zusage, ihnen zu helfen, keinen Augenblick zu zweifeln. Das ist zwischen uns abgemacht und gilt  ; Ihre Unabhängigkeit liegt 734 Anmerkung Liebitzky  : „In der Folge wurden 72 ganz moderne Fiat-Kampfflugzeuge geliefert, das Beste, das damals vorhanden war. Die italienische Luftwaffe war damals auf der Höhe ihrer Leistung. Später ging es materialmäßig schon bergab. Die Flugzeuglieferungen erfolgten zum Teil gegen die von mir schon vorher eingeleiteten österreichischen Holzlieferungen.“ 735 Alois Vollgruber ( Josefstadt/Josefov, Böhmen, 17.8.1890–29.11.1976, Wien), 1915 Eintritt in den Auswärtigen Dienst nach Absolvierung der Konsularakademie, Dienst u.a. bei Konsulaten in Dortmund und Breslau, 10.7.1933 ao. Ges. u. bev. Minister in Bukarest, 14.10.1934 in Rom, 30.6.1936 in Paris, 1938 Rückberufung und Haft, 31.12.1938 Entlassung, 15.5.1945 Wiedereintritt in den Auswärtigen Dienst, 1947 Gesandter in Paris, 1950–1953 Generalsekretär im Bundeskanzleramt/Auswärtige Angelegenheiten, 1953 wieder in Paris, 31.12.1955 dauernder Ruhestand.

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ja im italienischen Interesse. Aber Sie waren Militärattaché in Deutschland  : Was halten Sie von der deutschen Rüstung, wie beurteilen Sie ein festes Militärbündnis mit Deutschland  ? Mir scheint, dass wir zusammen sehr stark wären und nichts zu fürchten bräuchten.“ Darauf antwortete ich sinngemäß, dass Ernst und Tempo der deutschen Aufrüstung außer Zweifel lägen, ebenso die Güte des deutschen Soldaten und die Klugheit des deutschen Generalstabes, und dass wir Militärattachés in Berlin übereinstimmend der Auffassung gewesen wären, nach Ablauf der drei zweijährigen Rüstungsperioden ab 1933, also mit Ende 1939, werde ein gewaltiges deutsches Rüstungspotenzial erreicht sein  ; aber gegen die das Meer beherrschenden Mächte England und Frankreich, von Amerika gar nicht zu reden, seien Italien und Deutschland auch bei optimaler Rüstung viel zu schwach. Auf die zahlreichen Weltkarten weisend meinte ich abschließend, Italien möge vorsichtig sein und sich nicht auf ein so riskantes Spiel einlassen  ! Darauf machte Roatta eine Handbewegung, die ich dahin deutete, man könne Italien nicht übertölpeln, und sagte, ich möge seine Fragen nur als die Ausnützung der guten Gelegenheit deuten, mein Urteil zu dieser rein theoretischen Erwägung zu hören. Zwischen uns blieb alles wie besprochen. Da Roatta nicht Deutsch und ich nicht Italienisch konnte, war die Besprechung in französischer Sprache geführt worden, wobei ich mich knappster Formulierungen bediente, um Missverständnisse möglichst auszuschließen. Die Frage des deutsch-italienischen Zusammengehens zweimal gestellt, bereitete mir trotz meiner zweimaligen warnenden Antworten Sorge. Das besprach ich nachher auch mit Liebitzky, welcher ebenfalls aufhorchte, weil er darüber noch nichts Konkretes erfahren hatte. Damit war meine Mission in Rom beendet. Obst. Liebitzky und seiner liebenswürdigen Gemahlin danke ich für ihre vielen, die Kameradschaft weit überschreitenden Bemühungen  : Jede freie Minute zwischen den Besprechungen nutzten sie, um mir durch Fahrten zu den bedeutendsten alten und neuen Bauwerken über Rom, diese wunderbare Stadt, einen Überblick zu geben. In Wien konnte ich den Kanzler nur kurz über die positiven Ergebnisse der Reise orientieren. Ich sagte ihm, dass wir im Notfall mit aktiver Unterstützung rechnen können, vermied es aber, ihn mit militärischen Einzelheiten zu belasten. Über die doppelt gestellte Frage eines Zusammengehens Italiens mit Deutschland orientierte ich aber nicht nur Dr. Schuschnigg, sondern auch den Gesandten Hornbostel. Ebenso wies ich den Kanzler auf die dringende Notwendigkeit hin, Geld flüssig zu machen, da der Anleiheversuch in Italien gescheitert war. In meiner Sektion bekam ich bald Nachricht vom Eintreffen der ersten Geschützrate mit 150 Kanonen und Haubitzen, von denen 20 für den Grenzschutz in Tirol abgezweigt wurden, während das Gros der Sektion II für die Bewaffnung der erweiterten Divisionsartillerie und die Dotierung des unmittelbaren Grenzschutzraumes

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zugewiesen wurde. Mit einiger Aufregung meldete auch bald der Nachrichtendienst der 6. und 7. Division, dass italienische Offiziere Straßenerkundungen vornähmen. Da konnte ich beruhigen. In diese Zeit fallen wiederholte Vorsprachen des französischen Militärattachés, der die Frage eines Zusammengehens Österreichs mit der Tschechoslowakei anschnitt, was sicher nahegelegen hätte, wenn die geistige Mentalität unseres Nachbarn nicht in panischer Angst vor einer Restauration unseres Kaiserhauses erstarrt gewesen wäre.736 So 736 Etat Major d’Armée de Terre, Vincennes, Service historique  : Rapports de la MMF et des attachés militaires concernant l’armée d’Autriche 1919–1938,code 7N 2716  : Das erste Gespräch des Colonel Salland mit GM Jansa, das in französischer Überlieferung vom Verfasser gefunden wurde, fand am 1.8.1935 statt  ; Auszug aus dem Gespräch  : (Salland)  : „Nehmen wir einen bewaffneten Konflikt zwischen zwei Gruppierungen europäischer Staaten an mit Deutschland und Italien als Gegner. Wenn die deutschen Truppen versuchen in Ihr Territorium einzudringen, was würden Sie tun  ?“ ( Jansa): „Wir würden Deutschland als Feind betrachten und würden uns mit dem Maximum unserer Mittel diesem Eindringen entgegenstellen.“ […] Die Erklärungen des Generals Jansa in ihrer Gesamtheit gesehen können in einigen Punkten zusammengefasst werden wie folgt  : 1. Österreich beabsichtigt, neutral zu bleiben. 2. Es wird seine Neutralität verteidigen und jeden als Feind betrachten, der diese Neutralität verletzt. 3. Die Sympathien des österreichischen Volkes gelten im Allgemeinen Deutschland, während es einer Politik des Einvernehmens mit Italien gegenüber feindselig ist. „Trotzdem, und weil es im Interesse der Großmächte ist, daß Österreich unabhängig bleibe, sollen Sie ihm so schnell wie möglich die Mittel zur Verfügung stellen, obwohl vorneweg keine Verpflichtung eingegangen werden kann bezüglich einer eventuellen Kooperation der österreichischen Streitkräfte mit den Ihren oder denen Ihrer Verbündeten …“ Unterredung am 29.4.1936  : „[…] Bezugnehmend auf eine Rede des Herrn Krofta [tsch. Außenminister] vor dem Prager Parlament, speziell auf eine Passage dieser Rede in der der tschechoslowakische Außenminister von einem ‚wachsenden deutschen Einfluss in Jugoslawien‘ gesprochen hätte, stellte mir General Jansa die folgende Frage  : ‚Was denken Sie über die Haltung der Jugoslawen  ? Es ist mir wichtig, diese zu kennen  ; denn um alle meine Kräfte gegen Deutschland versammeln zu können, muß ich zumindest sicher sein, nicht von hinten attackiert zu werden.‘ Ich habe dem Generalstabschef geantwortet, daß ich die Jugoslawen immer als treu zur französischen Allianz betrachten würde  ; daß ihre Beziehungen zu Deutschland, meiner Meinung nach, vornehmlich wirtschaftlicher Natur wären  ; aber daß ich den Eindruck hätte, daß für Belgrad – wie übrigens auch für Bukarest – die deutsche Gefahr tatsächlich zweitrangig wäre, nach der österreichisch-italienischen Freundschaft und besonders der Gefahr einer Restauration der Habsburger. Die Jugoslawen würden eine Präsenz der Deutschen in den Karawanken als weniger unmittelbar gefährlich erachten als die eines Habsburgers auf dem Wiener Thron. Der General zeigte keine Reaktion ; genauso wenig hatte er übrigens reagiert, als ich ihm auf seine Frage hin, warum die kleine Entente so heftig gegen die Wiedereinführung des obligatorischen Wehrdienstes protestierte, gesagt habe, daß meiner Meinung nach der Protest sich weniger gegen die Tatsachen selbst, sondern gegen den damit gefährlicherweise geschaffenen Präzedenzfall richtete. Die Kleine Entente nimmt zu Recht oder zu Unrecht an – von Ungarn und Bulgarien einmal abgesehen –, daß der nächste „faux pas“ Österreichs in der Wiedereinsetzung der Habsburger bestünde. Zu den Zeitungsartikeln für oder wider die These einer militärischen Allianz zwischen Österreich und der Tschechoslowakei, die letztens in verschiedenen Publikationen erschienen waren, habe ich den Generalstabschef gebeten, mir die Meinung der Militärs zu diesem Thema mitzuteilen. General Jansa hat mir mehr oder weniger wortwörtlich, geantwortet  : ‚Die Tschechen sind niemals Freunde Ös. gewesen. Seit 1918 haben sie niemals

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wies ich den Gedanken einer Annäherungsbemühung an die Tschechoslowakei meinerseits ab, verschloss aber nicht die Möglichkeit eines Heranfühlens der Tschechen an uns, wenn sie ihre Einstellung ändern wollten. Das Angebot Colonel Sallands, einen Generalstabsoffizier in einen französischen Truppenführungs- und Artillerieschießkurs zu entsenden, nahm ich hingegen gerne an.737 Der ungarische Militärattaché, Obst. Veress, war immer wieder um die Knüpfung möglichst enger Beziehungen zwischen der Honvéd und dem Bundesheer besorgt. Ich habe seine Bemühungen gern und freundlich aufgenommen, war mir aber klar, dass es bei der guten Absicht bleiben werde. Denn aus meiner Berliner Attachézeit wusste ich, dass zwischen Ungarn und Deutschland langjährig enge Beziehungen bestanden. Damals hat der ungarische Militärattaché, Obstlt. v. Miklós738, trotz seiner scharfen Ablehnung der nationalsozialistischen Überheblichkeit und seiner Anhänglichkeit an mich, meinen Vorschlag einer Zusammenarbeit mit ihm, seinem Chef in Budapest melden müssen  ; er bekam darauf von dort unter Hinweis auf die besondere Vertrauensstellung Ungarns zu Deutschland einen ablehnenden Bescheid, was ihm selbst sehr unangenehm war. Ungarn war also nur interessiert, von uns möglichst viel zu erfahren, aber praktisch nichts zu geben. Um den Arbeitseifer unseres Militärattachés in Budapest, Obst. Dr. Regele, nicht zu schwächen, hatte ich ihm meine Berliner Erfahrung nicht mitgeteilt. Wir sind von ihm in voll ausreichendem Maß orientiert worden, aber aufgehört ihm gegenüber Feindseligkeiten zu zeigen und jedes Mal, wenn die Regierung in Wien gewagt hat, den Wunsch nach einer Wiedererlangung militärischer Unabhängigkeit zu äußern, waren die Regierung, die Presse und die militärischen Kreise die Ersten, die Skandal geschrien haben… [Anfrage wegen Kriegsgerät abschlägig beschieden…Stimmung in der Armee und Bevölkerung ablehnend]. Für uns ist es zu spät  !  ! Sogar wenn sich die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen bessern sollten, glaube ich nicht an eine Möglichkeit, die bis zu einer militärischen Allianz geht, oder, ohne zu hoch zu greifen, zu einer Verständigung zwischen den Generalstäben. Im äußersten Fall kann es unter dem Druck der Ereignisse eintreten, daß die österreichische Armee gezwungen ist, mit der tschechischen Armee im selben Operationsgebiet zusammen zu arbeiten  : aber das kann nichts anderes sein als eine temporäre und improvisierte Verbindung.‘ – ‚Die Bundesregierung‘, hat der Generalstabschef präzisiert, ‚ist mehr und mehr dazu entschlossen, ihre Grenzen gegen jedweden (Deutschland eingeschlossen), der diese zu verletzen sucht, zu verteidigen. Die österreichische Armee wird aus dieser Tatsache heraus indirekt sogar die Tschechoslowakei gegen jeden Feind schützen (zum Beispiel die ungarische oder die deutsche Armee), die gegen diesen unser Territorium benützen wollte. Wir haben das im selben Wortlaut General Roeder, dem Honvéd-Minister, neulich bei seinem Besuch in Wien mitgeteilt. Andererseits wird Ö., so gut es kann, verhindern, sich in eine offensive Gruppierung eingliedern zu lassen. Es wird trachten, so lange als möglich neutral zu bleiben … […]‘ General Jansa schloss mit der Versicherung, daß alle ihm zur Verfügung stehenden Informationen ihn in ihm den Eindruck bestätigen, daß weder Kanzler Hitler noch die Reichswehr zur Zeit den Krieg wollen.“ 737 Es handelt sich um Sebastian Mahrle. Siehe dazu die Angaben im Literaturverzeichnis. 738 Béla Miklós-Dálnoki, zuletzt Generaloberst der Honvéd, 1944/45 Chef der Gegenregierung in Debrecen.

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die von ungarischer Seite oft beredete Zusammenarbeit überschritt auch seiner Erfahrung nach nie den Austausch von Höflichkeiten und Versprechungen. Für den Ausbau des Bundesheeres auf volle Divisionen musste man sich wegen Schaffung der erforderlichen Unterkünfte über die beste Dislozierung der Truppen klar werden. Mit der Operationsabteilung hatte ich seit Monaten an einem solchen Elaborat gearbeitet  ; es war mit März 1936 datiert und wurde nun in Reinarbeit dem Staatssekretär zur weiteren Verfügung übergeben. Dieser Dislokationsplan rief anfangs an mehreren Stellen des Ministeriums Widerspruch hervor, weil ich wegen der raschen Abwehrautomatik des Grenzschutzes, aber auch, um unserer Grenzbevölkerung das Bewusstsein militärischen Schutzes zu geben, die Verlegung einzelner Kompanien in unmittelbare Grenznähe an die Einbruchstraßen wünschte. So sollten in Tirol Lermoos, Seefeld, Jenbach, Kufstein, St. Johann, in Salzburg Lofer, Saalfelden, St. Johann und Mattsee, in Oberösterreich Burgkirchen Garnisonen errichtet werden, die mit den in Braunau, Schärding und Ried schon bestehenden Garnisonen das aktive Skelett für den Grenzschutz sein sollten. Das galt in ähnlicher Abwandlung auch für die übrigen Divisionsbereiche. Der Einwand, dass durch solche Abtrennungen die Ausbildung erschwert würde und Offiziere trostlose Garnisonsorte bekämen, hatte eine gewisse Berechtigung. Anderseits konnte ich auf die k. u. k. Armee hinweisen, in der etwa seit 1900 auch bei den im Innern der Monarchie liegenden Truppen mangels ausreichender Übungsplätze einzelne Kompanien abwechselnd zwecks besserer Gefechtsausbildung in verschiedene Örtlichkeiten gelegt wurden. Und mit der Begründung der operativen Notwendigkeit konnte dem neuen Dislokationsplan schließlich allseits gültige Anerkennung verschafft werden. Bei der Luftwaffe legte ich zur Sicherung gegen Luftangriffe Wert auf den Einbau von Hallen, Depots und Werkstätten in die den Flugplatz umsäumenden Berghänge, was bei den Flugplatzbauten im Ennstal auch zur Ausführung kam. Bald nach meiner Rückkehr aus Rom – es muss ein Samstagnachmittag gewesen sein, weil ich daheim bei meinen Töchtern war –, rief mich der Bundeskanzler zu sich ins Amt. Beim Kanzler fand ich Finanzminister Dr. Draxler vor und noch zwei oder drei Herren, an die ich mich mit Sicherheit nicht mehr erinnern kann (es könnten Innenminister Baar739, Sicherheitsdirektor Hammerstein740 und möglicherweise auch 739 Über Eduard Baar v. Baarenfels siehe die Daten bei Glaise-Broucek II, S. 62, Anm. 37. Baar war Offizier, Landwirt, 1934/35 Landeshauptmann-Stellvertreter bzw. Landeshauptmann v. NÖ, 14.5.1936– 5.11.1936 BM. f. Inneres u. Sicherheitswesen sowie Vizekanzler, 1.12.1936–1938 ao. Ges. u. bev. Min. in Budapest, 1938 bis 28.5.1941 in den Konzentrationslagern Dachau u. Flossenbürg. 740 Hans Frh. v. Hammerstein-Equord (Schloss Sitzenthal bei Melk, NÖ, 5.10.1881–9.8.1947, Gut Pernleben bei Michelsdorf, OÖ), Dichter und Politiker. Entstammt dem Bergischen Uradel, Vetter von Kurt Hammerstein-Equord und Verwandter des Kardinals Clemens Graf Galen, Absolvent des Jesuiten-

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Vizekanzler Starhemberg741 gewesen sein). Nach der Begrüßung sagte Schuschnigg gymnasiums in Maria Schein (bedeutendster Marienwallfahrtsort Westböhmens bzw. des Sudetenlandes), Verwaltungsdienst in OÖ, 1923 Bezirkshauptmann von Braunau (Oö), 1934 Sicherheitsdirektor von OÖ 30.7.1934–17.5.1935 Staatssekretär für das Sicherheitswesen, 14.5.1936–3.11.1936 Justizminister, sodann Sektionschef im BKA und Unterrichtsministerium, zuständig für Kulturpropaganda. Hammerstein-Equord war bekannter Lyriker und Romancier  ; nach dem Anschluss bei Kürzung der Bezüge pensioniert, nach dem 20.7.1944 Deportation nach dem KZ Mauthausen, 1945 befreit. Siehe  : Isabella Ackerl (Red.), Hans von Hammerstein, Im Anfang war der Mord. Erlebnisse als Bezirkshauptmann von Braunau am Inn und als Sicherheitsdirektor von Oberösterreich in den Jahren 1933 und 1934 (= Studien und Quellen zur Zeitgeschichte, Band 3), Wien 1981. 741 Über Ernst Rüdiger (Fürst) Starhemberg siehe die Daten bei Glaise-Broucek II, S. 60, Anm. 28. Diese werden hier wiederholt und ergänzt. Damit wird gleichzeitig auch eine Art Chronik zu einer Geschichte der Heimatschutz-Bewegung erstellt  : Geb. Eferding, OÖ 10.5.1899, gest. Schruns, Vorarlberg, 15.3.1960, Kriegsdienst ab 1917, 1.6.1918 Fhr.i.d.Res., 1918 Aufstellung von Flurwachen im Mühlviertel, ab 1920 Studium der Staatswissenschaften und Eintritt in das schlagende Korps „Rhaetia“, Freundschaft mit dem späteren Rechtsanwalt und Finanzminister Draxler an der Universität Innsbruck, 1921 im Rahmen des „Sturmzuges Tirol“ Teilnahme an den Kämpfen in Oberschlesien im Freikorps Oberland, 1923 Teilnahme am Hitler-Putsch in München aber kein Eintritt in die NSDAP, 1924 für einige Monate Eintritt in die Reichswehr, 1927 Eintritt in die oö. Heimwehr, 1928 Heirat mit Maria Elisabeth Altgräfin v. Salm-Reifferscheidt-Raitz, 1929 Heimwehrführer des Mühlviertler Kreises, 13.7.1929 Landesführer der oö. Heimwehr, 1930–1936 mit einjähriger Unterbrechung aus privaten finanziellen Gründen Bundesführer der ö. Heimwehr, 1930/31 Abgeordneter der Heimatschutzfraktion zum NR, 30.9.1930–4.12.1930 BM. f. Inneres, 1.5.1934–14.5.1936 Vizekanzler, 30.7.1934–17.10.1935 BM. f. Sicherheitswesen, Okt. 1934 Führer der „Wehrfront“ und überhaupt Bundesführer der Vaterländischen Front, welcher der patriotische Flügel der Heimwehr nach Abfall eines Großteils der Steirischen Heimwehr zur Hitler-Bewegung (NSDAP) kumulativ beigetreten ist. 11.4.1936 Gesetz über die Bundesdienstpflicht, 14.5.1936 Umbildung der Regierung Schuschnigg infolge „sachlicher Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundeskanzler und Vizekanzler Starhemberg“. Es gab Rivalitäten zwischen Heimatschutz und den sogenannten „Kanzlerverbänden“ (Ostmärkische Sturmscharen, Freiheitsbund, Wehrzüge der Christlich-deutschen Turnerschaft sowie Burgenländische Landesschützen). Damit war die politische Führung in Österreich vollständig in die Hände Schuschniggs übergegangen und auch eine Forderung des Offizierskorps, darunter vor allem auch Jansas, erfüllt, 11.7.1936 Abschluss eines österreichisch-deutschen Verständigungsabkommens („Juli-Abkommens“), 10.10.1936 Auflösung aller Wehrverbände in Österreich und dadurch Entmilitarisierung des politischen Lebens, sodann Gesetz über die Errichtung einer „Frontmiliz“. (also Weiterentwicklung des Assistenzkorps von 1933 aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht zu einer Landwehr im Rahmen der „Bewaffneten Macht“. 1937  : Starhembergs Ehe wird annulliert, Dez. 1937 Heirat mit der Burgschauspielerin Nora Gregor und Abreise in die Schweiz, die 1938 zum Exil wird  ; 1939 Übersiedlung nach Frankreich und Anschluss an die dortige ö. Widerstandsbewegung, Versuch der Gründung einer „Österreichischen Legion“  ; 1940 Eintritt in die Französische Armee (Luftwaffe), nach dem Waffenstillstand Einsatz für die Freifranzosen in Äquatorialafrika, 1942 Arbeit in Argentinien als Gaucho, 1949 Tod der Gattin, Übersiedlung Starhembergs nach Chile, 1952 „Lex Starhemberg“, sein Vermögen fällt unter öffentliche Verwaltung, 1954 wird das Gesetz aufgehoben, Dezember 1955 Rückkehr nach Österreich, 15.3.1956 Tod nach Herzanfall. Literatur  : Gudula Walterskirchen, Starhemberg oder Die Spuren der 30er-Jahre“. Mit einem Vorwort von Gottfried-Karl Kindermann, Wien 2002  ; in der dortigen Bibliografie nicht

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zu mir, dass er mit den Herren eben noch vergeblich die Möglichkeit einer größeren Geldzuwendung an das Bundesheer besprochen habe  ; ich möge den Herren meine Geldforderungen selbst begründen. Daraufhin legte ich in eindringlicher Art die nahe Gefahr Hitlerscher Gewaltsamkeit gegen Österreich dar und erläuterte ziemlich eingehend, was ich militärisch für die Abwehr in Vorbereitung hatte  ; ich erklärte eine solche, gestützt auf italienischen Beistand, für durchaus nicht aussichtslos, besonders, um die lahmen Großmächte zu einem Einstehen für Österreich aufzuwecken  ; damals dürfte ich auch auf die vielen Gegner hingewiesen haben, die sich Hitler in Deutschland durch die Mordorgie anlässlich des sogenannten Röhm-Putsches geschaffen hatte  ; abschließend wandte ich mich direkt an den zu meiner Linken neben mir auf dem Sofa sitzenden Finanzminister mit den ungefähren Worten  : „Sie sind doch Kaiserjägeroffizier, mit dem Kronenorden ausgezeichneter Flieger, Sie haben doch im Weltkrieg am eigenen Leib erfahren, was eine ungenügende Rüstung an Menschenopfern fordert. Wollen Sie jetzt, selbst auf dem Geldsack sitzend, sich dem Heer versagen  ? 100 Millionen können doch die österreichischen Finanzen nicht zugrunde richten, wenn es sich um die Rettung des Staates handelt  !“ Darauf erwiderte Draxler noch etwas zurückhaltend  : „Ja, Herr General, es ließe sich darüber schon reden, wenn ich im Einzelnen wissen dürfte, worum es sich handelt.“ Da Draxler der Heimwehr zugehörig war, hatte ich keine Bedenken, ihm zu antworten  : „Ich habe alles genau ausgearbeitet. Heute ist Samstag  ; am Montag will ich meine Aufstellung mit unserer Sektion II noch einmal durchgehen und komme am Dienstag mit allen Unterlagen zu Ihnen. Ist Ihnen das recht  ?“ Als Draxler bejahte, hob der Bundeskanzler die Sitzung sichtlich befreit lächelnd auf und sagte beim Abschied zu Draxler und mir  : „Also die Herren arbeiten jetzt zusammen und machen mir dann vom positiven Ergebnis Mitteilung  !“ Mir war eine große Last vom Herzen genommen. Sofort rief ich Gen. Luschinsky, den Leiter der Sektion II, an und bat ihn, sich den ganzen Montag für die letzte Durchfeilung unserer vor Monaten gemeinsam verfassten Bedarfsaufstellung freizuhalten. Am Dienstag ging ich mit Luschinsky und allen Unterlagen ins Finanzministerium, dessen Sektionschefs in dem für militärische Bedürfnisse obligaten „Völlig näher angeführt  : Ludwig Jedlicka, Ernst Rüdiger Starhemberg und die politische Entwicklung in Österreich im Frühjahr 1938, in  : ders., Vom alten zum neuen Österreich. Fallstudien zur österreichischen Zeitgeschichte 1900–1975, St. Pölten 1975, S. 289–310  ; ders., Die Auflösung der Wehrverbände und Italien im Jahre 1936, in  : Das Juliabkommen von 1936. Vorgeschichte, Hintergründe und Folgen, Wien 1977, (= Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938, Band 49, S.104–118  ; Peter Broucek, Edmund Glaise-Horstenau und das Juliabkommen 1936, ebendort, S. 119–135  ; Hanns Haas, Österreich und das Ende der kollektiven Sicherheit. Zur Rolle der französischen und sowjetischen Politik der Friedenssicherung, ebendort, S.11–52. Siehe auch  : Georg J. Mautner Markhof, Major Emil Fey. Heimwehrführer zwischen Bürgerkrieg, Dollfuß-Mord und Anschluß, Graz 2004.

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Ausgeschlossen“ einig waren. Diesmal kamen sie jedoch schlecht an, denn Draxler erklärte ihnen, dass er der Finanzminister sei und in seinem Ministerium das geschehen werde, was er anordne  : Das Heer werde Geld bekommen  ! An die Einzelheiten der Regelung kann ich mich nicht mehr zuverlässig erinnern  ; hier genügt es wohl mitzuteilen, dass meine Forderung von 100 Millionen volle Deckung fand und wir im Hinblick auf die Dringlichkeit die Hälfte noch im Jahre 1936 ausgeben durften, während die zweiten 50 Millionen erst Anfang 1937 flüssig gemacht werden sollten. Ausdrücklich muss ich Minister Draxler hier ein Denkmal setzen, weil er meines Wissens der erste Finanzminister Österreichs war (des kaiserlichen und des republikanischen), der für die ernsten Forderungen des Chefs des Generalstabes für die bewaffnete Macht Verständnis und Erfüllung aufbrachte  ! Der Schwung, der nun in die Verteidigungsarbeiten kam, machte sich in Tempo und Zuversicht bis in die kleinsten Einheiten bemerkbar  ; es war ein Aufbruch nach allzu langer Stagnation. Die Erzeugung der neuen 15-cm-Haubitzen lief parallel mit der Munitionserzeugung für alle Waffen sofort an, die Infanteriekanonenerzeugung wurde erweitert. Für die Waffen- und Munitionserfordernisse waren rund 60 Millionen vorgesehen. Zwei kleine Raten wurden für die sofortige Lieferung von 30 italienischen Panzerkampfwagen und Flugzeugen nach den Wünschen von Gen. Löhr eingebaut. Alle Erfordernisse der Einrichtung des Grenzschutzraumes fanden durch den Ankauf und die örtliche Bereitlegung der technischen Mittel und Baustoffe volle Befriedigung. Rund 25 Millionen blieben für zusätzliche Bekleidung, Ausrüstung, motorische Zugmittel der Artillerie sowie für den Bau von Flugplätzen und neuen Truppenunterkünften. Ich behielt die Gebarung mit diesen Geldmitteln so lange in meiner Hand, bis ich die sichere Gewähr hatte, dass sie nicht mehr für irgendwelche anderen Zwecke umdisponiert werden konnten. Nach einiger Zeit, es dürfte an einem der letzten April- oder ersten Mai-Tage 1936 gewesen sein, erschien der Adjutant des Bundeskanzlers, Mjr. Bartl, in meinem Büro und erzählte mir, wie sehr der Kanzler überlaufen werde und nie zur Ruhe käme. Dann sagte er wie von ungefähr, dass dem Kanzler an Zehner in letzter Zeit eine Bedrücktheit auffalle, so dass er daran denke, sich von diesem zu trennen. Bartl frage, ob ich das Staatssekretariat übernehmen wolle. Ich war völlig überrascht, dachte eine Weile nach und antwortete  : „Wenn der Herr Bundeskanzler es wünscht, so übernehme ich auch das Staatssekretariat. Ich bitte aber ihm zu sagen, dass ich keinerlei Ambitionen habe und mir in unserer gefahrvollen Zeit der Posten des Chefs des Generalstabes für die Kontinuität der Arbeiten wichtiger erscheine. Zehner ist mutmaßlich bedrückt, weil nicht er den Rüstungskredit erreicht habe. Das wird sich geben  ; den vielen Verwaltungsagenden und den mit der Stellung des Staatssekretariats verbundenen Reprä-

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sentationen entspricht er ja ganz gut.“ Bartl empfahl sich und ich hatte im Drang der Arbeiten das Gespräch bald vergessen. Mit der Zeit musste ich aber leider erkennen, dass ich sehr unklug gehandelt hatte. Anfang Mai meldete mir der Vorstand der Nachrichtenabteilung, GM Böhme, der deutsche Militärattaché, Glt. Muff, habe von Berlin die Mitteilung erhalten, wonach ich zu Ostern in Rom gewesen sei  ; er habe Böhme angedeutet, dass es ihm unangenehm sei, von Berlin zu erfahren, was in Wien geschehe. Da Böhme von meiner Reise auch keine Kenntnis hatte, wusste er nicht, was er antworten sollte. Ich gab Weisung Muff zu sagen, dass ich es ablehne, ihm irgendwelche Mitteilungen zu machen. Einige Tage später, am 9. Mai, traf eine vom 6. datierte Meldung unseres Militärattachés in Prag, Obstlt. Longin742, ein  : Die von deutschen Emigranten herausgegebene Aeropress bringe einen Artikel, wonach Berliner Nazikreise ihre Hoffnungen auf General Jansa setzten, der Ehrgeiz genug besäße, um eines Tages, gestützt auf die Armee, die Macht an sich zu reißen, Neuwahlen auszuschreiben und Hitler zum Bundespräsidenten zu erheben  ; in der Umgebung des Herrn Beneš743 werde die Ernennung Jansas zum Chef des Generalstabes mit Beunruhigung aufgenommen. Kaum hatte ich diesen Bericht gelesen, ging ich damit auch schon zu Staatssekretär Zehner und sagte ihm, man möge mich sofort entheben, wenn man diesem Blödsinn auch nur die leiseste Glaubwürdigkeit schenke. Das sei eine Goebbels-Nachricht, um mich, da man nun meine Rom-Reise erfahren habe, von Schuschnigg zu trennen. Diese Zeitungskampagne nahm immer größeren Umfang an, wobei variierte Verlautbarungen ähnlichen Inhaltes in Polen – News Chronicle – und Dänemark deutlich auf Goebbels’ Pressemache hinwiesen. Am 27. Mai teilte mir Zehner mit, dass Schuschnigg mir einen besonderen öffentlichen Vertrauensbeweis durch meine Berufung in den Führerrat der Vaterländischen Front geben werde, die auch prompt erfolgte. Schon am 25. hatte unser Pressedienst eingegriffen und im Prager „Montag“ auf der Titelseite in Bal742 Über Anton Karl Longin (1896–1967) siehe Glaise-Broucek II, S. 350, Anm. 6. 1914 EF, im 1. Weltkrieg aktiviert, italienische Kriegsgefangenschaft, diverse Verwendungen bei liquidierenden Einheiten und im Grenzschutz, ab 1926 Truppen und Generalstabsdienst, 24.7.1931 Mjr.i.G., ab 1.5.1932 Leiter des Pressedienstes d. BMfLv., ab 1.8.1935 Militärattaché für die ČSR und Polen, März 1939 Stabschef beim Wehrmachtsbefehlshaber Protektorat Böhmen und Mähren, 1.10.1946 aus Österreich an Prag ausgeliefert, Feb. 1947 der öst. Gesandtschaft in Prag zur Repatriierung übergeben, 21.6.1947 nach Wien zurückgekehrt. 743 Über Edvard Beneš (1884–1948), Nationalökonom, siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S. 480, Anm. 604. Er war 28.10.1918–18.12.1935 tschechoslowakischer Außenminister, 26.9.1921–5.10.1922 Ministerpräsident, 18.12.1935–5.10.1938 u. 28.10.1945–7.6.1948 Staatspräsident, 21.7.1940–28.10.1945 Chef der Tschechoslowakischen Exilregierung in London. Siehe nunmehr  : Arnold Suppan/Elisabeth Vyslonzil (Hrsg.), Edvard Beneš und die tschechoslowakische Außenpolitik 1918–1948, 2. durchgesehene Auflage (= Wiener Osteuropa-Studien, Band 12), Frankfurt am Main/Wien 2003.

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kenlettern als Wiener Sonderbericht einen Artikel gebracht, dessen Überschrift hieß  : „Berliner Hetze gegen General Jansa, Berliner Verleumdungen des österreichischen Generalstabschefs.“ Darauf hörte die drei Wochen lange Brunnenvergiftung prompt und endgültig auf.744 Damals rechnete ich und rechne ebenso heute Bundeskanzler Dr. Schuschnigg seine vornehme Entscheidung umso höher an, als wir damals in einer Zeit lebten, die nicht nur Verleumdungen am laufenden Band, sondern leider auch Fälle von Untreue brachte, sodass es für ihn wirklich sehr schwer sein musste zu erkennen, wer unbeirrbar zu ihm hielt. War dieser Berliner, von den Tschechen mutmaßlich aufgrund meines Gespräches mit dem französischen Militärattaché sekundierte Versuch, die österreichischen militärischen Verteidigungsarbeiten zu torpedieren, misslungen, so glückte eine andere, mich sehr hart treffende Aktion  : Das Ausbleiben der längst fälligen zweiten Transportrate österreichischer Beutegeschütze aus Italien. Meine sofortigen Betreibungen der Transporte durch unseren Militärattaché in Rom blieben erfolglos. Liebitzky meldete, seine Interventionen direkt an Mussolini herangetragen zu haben  ; die Ursache der Verzögerung werde mit technischen Schwierigkeiten der Lösung des Materials aus den italienischen Depots begründet. Für mich bestand kein Zweifel mehr, dass konkrete Verhandlungen zwischen Rom und Berlin laufen mussten, und dass Rom mit der Einstellung oder Verschiebung der Transporte einem deutschen Verlangen nachgegeben hatte  ; ob nur vorübergehend oder definitiv war damals noch nicht zu erkennen. Dr. Schuschnigg erzählt in seinem Buch „Ein Requiem in Rot-Weiß-Rot“ auf Seite 246 im Zusammenhang mit dem starken italienischen Engagement ab Juli 1936 in Spanien  : „Für Österreich brachte der neue Konflikt zunächst aus Rom die freundschaftliche Mitteilung, dass wegen Eigenbedarfes die weitere Rücklieferung alten Artilleriematerials zurückgestellt werden müsse.“ Mir ist trotz wiederholter Betreibungen über den Militärattaché in Rom von einer italienischen „freundschaftlichen Mitteilung“ nichts bekannt geworden. Es muss sich da um ein diplomatisches Schriftstück handeln, von dem mir anscheinend keine Kenntnis zukam. Hingegen schritten die eigenen Verteidigungsarbeiten gut vorwärts. Ich reiste zu Erkundungen wiederholt in den oberösterreichischen Grenzraum, nachdem ein Elaborat über die Neuorganisation der technischen Arbeitsgebiete fertig geworden war. Eine Denkschrift über die Munitionslage war noch im März und eine weitere unter dem Titel „Gedanken zum Aufbau der Luftwaffe“ im Mai fertiggestellt worden. Im 744 Anmerkung Liebitzky  : „Es traten in Rom Gerüchte auf, dass FML zurücktreten wolle. Mussolini ließ mich rufen und sagte  : ‚Es darf keine Krise Gen. Jansa geben.‘ Das Gleiche sagte Mussolini bei den unmittelbar darauf folgenden Manövern 1936 im Raum südöstlich Neapel, als er die damals von Gen. Beyer geführte österreichische Mission ansprach, zu mir  : ‚Es darf keine Krise Gen. Jansa geben.‘“

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Juni übergab ich dem Staatssekretär in einem geschlossenen Elaborat die konkreten Vorschläge für den Heeresausbau, die besonders die Aufstellung der nach festgelegter Gliederung der Divisionen fehlenden Formationen betrafen. Da nun Geld bewilligt war, konnte an die Durchführung geschritten werden. Bei den Erkundungen im oberösterreichischen Grenzraum formte sich mir der Vorteil kleiner aktiver, spezieller Grenzschutzeinheiten als Rückhalt für die Grenzschutzalarmierung und zur Entlastung des Bundesheeres immer schärfer heraus. Mir schwebten dabei die ö.-u. Grenzjägerformationen in Bosnien und der Herzegowina vor sowie die Landesschützenregimenter an der italienischen Grenze. Ich wusste aus meinen Rücksprachen mit dem Schweizer Generalstabschef Roost, dass die Schweiz an der Rheingrenze gegen Deutschland gleichfalls kleine Aktivformationen aufzustellen begann. Um das Bundesheer nicht zu zersplittern, erwog ich zur Aufstellung solcher kleiner aktiver Formationen die Heimwehrverbände (später Frontmiliz) heranzuziehen. Deshalb bedauerte ich die Ausbootung des obersten Führers der Heimwehren und Vizekanzlers aus der Regierung sehr  ; nicht, dass mich mit der Person Starhembergs irgendwelche besonderen persönlichen oder dienstlichen Beziehungen verbunden hätten, aber seine Schwungkraft und sein entschlossener Abwehrwille des „braunen Bolschewismus“ sicherten mir bei den Absprachen mit Karg745 und Judex über die Aufgaben der Selbstschutzverbände deren freudige Einsatzbereitschaft. Wohl stand ich mit dem später zum Vizekanzler berufenen Gen. Hülgerth seit vielen Jahren in herzlicher Beziehung, aber die vom Kanzler geschickt und mit Erfolg betriebene Zusammenfassung aller freiwilligen Wehrverbände in der „Frontmiliz“ un745 Arthur Frh. Karg v. Bebenburg (Arnau/Hostinné, Westböhmen 21.3.1876–10.1.1938, Wien), einer der ersten Organisatoren der Heimwehr bzw. ihrer Vorläufer in NÖ, Stabsleiter des Selbstschutzverbandes Niederösterreich, 1923 Schriftleiter des Verbandsmitteilungsblattes, 1927 Landesstabschef, 1932–1936 Bundesstabschef und Leiter des Wehramtes der Bundesführung. Galt darüber hinaus als Verbindungsmann zum Hochadel, zu den Legitimisten, zum Jockey-Club, zum Bankenverband, als der Geldbringer und als die „graue Eminenz“, 1937 Milizführer im Stab des Generalkommandos der Frontmiliz. Herausgeber der Schrift „Die Gefahr im Staate“. Alles nach  : Walter Wiltschegg, Die Heimwehr. Eine unwiderstehliche Volksbewegung  ? (= Studien und Quellen zur österreichischen Zeitgeschichte. Herausgegeben im Auftrag der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 von Rudolf Neck und Adam Wandruszka. Gesamtredaktion der Reihe  : Isabella Ackerl, Band 7, Wien 1985, S. 351). In  : Gudula Walterskirchen, Der verborgene Stand, Wien 1999 siehe die Fotos  : Nr. 10  : Starhemberg zusammen mit seiner Mutter, geborene Franziska Gräfin Larisch-Mönnich, seiner Gattin Marie Elisabeth Altgräfin Salm-Reifferscheidt-Raitz und Erzherzog Eugen an einem Tisch in der Wiener Hofburg am 23. Februar 1935 während des Balls des Studentenfreikorps (Stufko) des österreichischen Heimatschutzes  ; sowie Nr. 11  : Otto von Habsburg (in Zivil) mit Botho Graf Coreth, Arthur Freiherr Karg von Bebenburg und Peter Graf Revertera-Salandra in Uniformen des österreichischen Heimatschutzes beim Besuch auf Schloss Steenockerzeel in Belgien im Dezember 1935.

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ter Hülgerth brachte in dieser Zeit doch eine gewisse Lähmung des Fortschritts der Verteidigungsarbeiten. Ich trug Hülgerth den Gedanken der Bildung aktiver Grenzschutzformationen durch die Frontmiliz vor, den er, einst selbst Landesschützenkommandant gewesen, zustimmend annahm  ; zu meiner Entlastung legte ich ihm nahe, die Geldforderungen hierfür als Vizekanzler für die Frontmiliz bei deren Gönnern und auch im Staatsbudget selbst zu vertreten  ; er war einverstanden. Allmählich reifte der Plan eines Appells der Frontmiliz, zu dem wir alle aktiven Förderer der tätigen Abwehr Hitlerscher Gewaltanwendung, darunter den Bürgermeister Schmitz, laden wollten und bei dem ich die Aufgaben der Frontmiliz im Rahmen meines Abwehrplanes darstellen sollte. Bei meinen regelmäßigen Besuchen im Bundeskanzleramt/Auswärtige Angelegenheiten orientierte mich Hornbostel laufend über die andauernden Bemühungen des deutschen Gesandten v. Papen um ein österreichisch-deutsches Abkommen und zeigte mir auch den von Papen quasi als Besprechungsgrundlage liegen gelassenen Plan. Darüber ist in seinen Büchern von Dr. Schuschnigg selbst erschöpfend berichtet worden.746 Von Hornbostel damals um meine Meinung befragt, stimmte ich seiner Ablehnungstendenz aller deutschen Anbiederungen voll zu, weil sie ja nur eine Schwächung unseres Abwehrwillens zum Ziel haben konnten. Anderseits mussten wir uns aber eingestehen, dass eine glatte Ablehnung den Bundeskanzler innenpolitisch in eine untragbare Lage bringen musste, wenn die deutsche Propagandamaschine den Kanzler unter Hinweis auf die deutsche Ausgleichs- und Friedensbereitschaft als Friedensstörer bloßstellen sollte. Ich beruhigte Hornbostel damals mit dem Hinweis auf den in seinem katholischen Glaubensbekenntnis ruhenden Charakter des Kanzlers. Wenn ich mich erinnerte, wie bei meinen wiederholten Aussprachen mit dem Kanzler dieser stets, da er um einen Entschluss rang, den Blick auf die seinem Schreibtisch gegenüberliegende Totenmaske seines gemeuchelten Vorgängers richtete und dann unbeugsam entschlossen den Willen äußerte, das Testament des verehrten Toten, das in der bedingungslosen Aufrechterhaltung der Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs gipfelte, zu erfüllen  ; wenn ich daran dachte, mit welcher Energie und ganzem Herzen der Kanzler die Aufrüstung des Heeres vorwärtstrieb  ; wenn ich bedachte, dass man doch nicht Millionen in eine Heeresrüstung stecke, um dann einen faulen Kompromiss zu schließen, so war mein Vertrauen in die Person des Kanzlers so unerschüt746 Dreimal Österreich, Wien 1937  ; Ein Requiem in Rot-Weiß-Rot, Mailand 1946  ; Im Kampf gegen Hitler. Die Überwindung der Anschlußidee, Wien 1969  ; Ein Requiem in Rot-Weiß-Rot. Österreichische Erstausgabe. Vorwort von Stephan Verosta, Wien 1978. FML Jansa kannte offenbar die Mailänder Ausgabe. Ein Verzeichnis von 33 Druckwerken Schuschniggs in deutscher und englischer Sprache siehe bei Hopfgartner, Schuschnigg, 374 f.

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terlich, dass ich selbst Hornbostels Sorgen über den letzten Passus des geplanten Abkommens, der besagte „in einer Reihe von Einzelmaßnahmen die hierzu notwendigen Voraussetzungen schaffen“, zu zerstreuen suchte  : Der staatskluge Kanzler werde doch keinerlei Maßnahmen treffen, die in den Kreisen seiner Getreuen, der Armee und der Bevölkerung auch nur den Schein einer Abweichung von der unbedingten Entschlossenheit zur Erhaltung der Unabhängigkeit hervorrufen könnten. Meine Hochachtung für den schwergeprüften Kanzler und mein Vertrauen in seinen männlichen, festen Charakter waren echt und ehrlich. So sah ich auch in den schließlich am 11. Juli 1936 zustande gekommenen Vereinbarungen ein kluges Zurückwerfen des Balles an Hitler und glaubte nicht einen Augenblick an eine Aufgabe unserer bisherigen Linie. Ich ließ mich in der ernsten und immer wieder zur Raschheit antreibenden Verfolgung der Verteidigungsarbeiten nicht im Geringsten stören. Bald aber horchte ich auf  : Edmund Glaise-Horstenau747 wurde als Vertrauensmann des Kanzlers Minister. Guido Schmidt als neuen Außenminister kannte ich nicht, mit Glaise jedoch war ich in der Kriegsschule gewesen und hatte seinen streberischen Ehrgeiz schon damals erstaunt wahrgenommen. Als ich ihn nach meiner Heimkehr aus Berlin im Kriegsarchiv besuchte und bei meiner Schilderung der in Berlin üblichen Gestapo-Methoden ihn ganz befremdend dreinblicken und gewissermaßen entschuldigen gesehen hatte, da war mein Bild fertig. Und dieser Mann galt nun als Vertrauensperson des Kanzlers  ? Der Besuch, den Glaise mir als Chef des Generalstabes machte, wurde von mir mit voller Absicht nicht erwidert. Seine bei dieser Gelegenheit gemachte Mitteilung, dass er vom Kanzler ermächtigt worden sei, in alle Akten Einblick zu nehmen und dass er hoffe, ich werde ihm das aus alter Kameradschaft erleichtern, nahm ich wortlos zur Kenntnis, berief aber sogleich meine Abteilungsleiter und verbot ihnen mit aller Schärfe dem Minister Glaise irgendwelche Auskünfte ohne vorheriger Anfrage bei mir zu geben. Tatsächlich ist mir nicht bekannt geworden, dass Glaise bei meinem Generalstab je eine Anfrage gestellt hätte. In den während meiner Amtszeit vielleicht dreimal stattgefundenen Sitzungen des Führerrates der „Vaterländischen Front“ konnte ich erkennen, wie unendlich schwierig die Arbeit des Kanzlers war, ohne politische Parteien und ohne Gewaltmittel der Diktaturen, nur mit geistigen Argumenten eine einheitliche Willensbildung im Sinne österreichischer Unabhängigkeit zu formen. Selbst unter den Gutwilligen strebten die 747 Edmund v. Glaise-Horstenau (Braunau, OÖ, 27.2.1882–20.7.1946, Lager Langwasser bei N ­ ürnberg), ab 11.7.1936 nach Abschluss des österreichisch-deutschen Verständigungsabkommens als M ­ inister ohne Portefeuille bzw. Innenminister ohne Sicherheitswesen in den Kabinetten Schuschniggs, 11.3. 1938 um Mitternacht Vizekanzler in der Regierung Seyss-Inquart, später unter Reichsstatthalter Seyss-Inquart österreichischer Landsmannschaftsminister, 1941–1944 bevollmächtigter Deutscher General in Agram.

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Interessen der Stände vielfach auseinander, gar nicht zu reden von den Eitelkeiten und Strebereien einzelner Persönlichkeiten. Trotz aller Sympathie für das im Reich lebende deutsche Volk kam aber doch stark zum Ausdruck, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung einschließlich der alten Sozialdemokraten, als deren freiwilliger Verbindungsmann der christlichsoziale Bürgermeister Schmitz gelten konnte, eine Unterwerfung unter Hitler rundweg ablehnte. Gegenüber den unsicheren Opportunisten, die unentschlossen zwischen Österreichtreuen und Nationalsozialisten hin- und herschwankten, war es von entscheidender Bedeutung, auch nicht den leisesten Zweifel an der Entschlossenheit und guten Chance der Staatsführung aufkommen zu lassen. Darin lagen die Gefahren des Übereinkommens vom 11. Juli 1936, wenn es nicht mit unnachgiebiger Kraft in rein österreichischem Sinne gehandhabt wurde. Auch am Bundesheer konnten Zweifel an der Festigkeit des Freiheits- und Unabhängigkeitswillens nicht spurlos vorbeigehen. Ich war deshalb in meinem Wirkungskreis jetzt noch mehr bemüht, die Unbedingtheit unserer Verteidigungspflicht zu unterstreichen und – soweit ich das konnte – das am Bestand Österreichs interessierte Ausland zu kräftigerer Stützung unserer Politik anzuregen. Alle Militärattachés, besonders auch Obst. Jahn748 für Paris und London, bekamen schriftlich und gelegentlich ihrer Wien-Aufenthalte mündlich die Anweisung, ihre Sprache so unzweifelhaft zu regeln, wie das Obst. Liebitzky in Rom und Obst. Regele in Budapest taten. Auch die in Wien bevollmächtigten Militärattachés Frankreichs und Englands sprach ich 748 Justus Jahn v. Jahnau ( Josefstadt/Josefov, Böhmen, 24.12.1884–3.2.1948, Tamsweg, Land Salzburg), Frequentant der Pionierkadettenschule Hainburg und der TMA in Mödling, 18.8.1907 ausgemustert aus der Genieabt. der TMA als Lt. zum PiBaon 5, 1.10.1912 versetzt zum PiBaon 9, bald zum Sappeurbaon 14, 1913/14 Frequentant des Höheren Geniekurses (entspricht dem 1. Jahrgang der Kriegsschule), 25.7.1914 versetzt zur Geniestabsgruppe II, 12.9.1914 Befestigungsreferent des 4. Korps, 27.9.1914 wieder Gruppe II, 1.1.1915 Geniedirektion Klagenfurt, 15.6.1915 Technischer Referent des Gruppenkdo. Raibl, 1.7.1915 Hptm., 1.5.1916 Geniedirektion Klagenfurt, 20.5.1916 Techn.Ref. 92.ITD Klagenfurt, 31.5.1916 Geniedirektion Klagenfurt, 4.10.1916 Techn. Referent 62. ITD, 31.10.1916 Stellvertreter des Leiters der techn. Gruppe des 7. AKdo., 12.8.1917 Stabsoffizier für die Techn. Truppen der 31. ID, 9.10.1917 Frequentierung des Informationskurses für Stabsoffiziere in der Gasschule Wien, 22.6.1918 Kdt. Sappeurgruppe B bei der 11. Armee, 11.11.1918 Techn. Referent beim LBH Kärnten, 17.6.1919 Verbindungsoffizier beim Ital. Brigkmdo Pisa, 15.7.1919 dann beim ital. BrigKdo. Treviso, sodann bei ital. 60.ID, 1.4.1920 Chef der Unterkommission im öst.-ung. Grenzregulierungsausschuss in Maribor/Marburg, 1.1.1921 Mjr., sodann Angehöriger der HVSt. Klagenfurt, 26.5.1923 versetzt zu PiBaon 3, 29.3.1924 Studiennachsicht für den Höheren Milit. Dienst gewährt, 1.4.1924 in den Höheren Milit. Dienst und transferiert zu BrigKdo. 3 als Gehilfe der Führung, 1.11.1925– 21.5.1927 dienstzugeteilt dem Kriegsarchiv, sodann Leiter der HVSt. Salzburg mit Unterbrechungen durch Truppendienstleistungen, ab 1.1.1934 Konzipient in der Abt. 3/M BMfLv., sodann ab 1.1.1935 Militärattaché für Frankreich und England in Paris, 26.6.1937 GM, am 12.3.1938 Flucht nach Frankreich über die Schweiz (gemäß französischer Akten), Rückkehr nach 1945, Pensionierung und Rehabilitierung.

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nun öfter und stellte, um sie zu häufigerer Berichterstattung an ihre Vorgesetzten zu veranlassen, auch Forderungen, wie z. B. an den französischen um Überlassung schwerer, wenn auch alter Panzer, an den englischen um Zustimmung zur vermehrten Zulassung unserer Flieger für die Ausbildung im Blindflug  ; Letzteren bat ich auch um Feststellung, ob wir von England schwere Panzer bekommen könnten. Beide ersuchte ich, ihre Länder zu beeinflussen, zur Belebung der österreichischen Wirtschaft und damit der gesamten Stimmung größere Holzeinkäufe bei uns zu tätigen. Die Ergebnisse waren gering. Immer mehr gewann ich den Eindruck, dass in der drohenden Lage zur Aufrüttelung der Großmächte aus ihrer schon krankhaften Duldung Hitlerscher Methoden Worte nicht genügen, sondern Taten getan werden müssen. Da nun schon mehr als ein Jahr seit meiner Bestellung zum Leiter der Sektion III vergangen war, in dem sich nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch die Teilung der Kompetenzen und Einflussgebiete zwischen Ministerium und Chef des Generalstabes herausgebildet hatte, hielt ich die Zeit für gekommen, um einerseits organische Bestimmungen für den Chef des Generalstabes, anderseits die Frage der Befehlsführung im Konflagrationsfall schriftlich festzulegen. Aus den langen Schwierigkeiten, die ich gehabt hatte, um das minimal erforderliche Rüstungsbudget zu erreichen, dachte ich auch daran, die Verantwortung für die Rüstung nicht dem Chef des Generalstabes allein aufzubürden, dem Mann, von dem FM Conrad sagte, dass man ihn zuerst ruft, ihm dann Schwierigkeiten bereitet und schließlich mit Steinen bewirft, sondern auf mehrere Schultern zu verteilen. Als Beispiel schwebte mir die Schweiz vor, in welcher der Bundesrat (bei uns also die Regierung) über Vortrag der Landesverteidigungskommission die Grundsätze und Erfordernisse für die Verteidigung der Heimat festlegt. Ich schlug vor, eine österreichische Landesverteidigungskommission aus den drei Ministern für Auswärtige Angelegenheiten, für Inneres und für Finanzen sowie aus den drei kompetenten militärischen Faktoren, also dem Staatssekretär im BM. f. Landesverteidigung, dem Heeresinspektor und dem Chef des Generalstabes unter dem Vorsitz des verfassungsmäßigen Oberbefehlshabers des Heeres, des Bundespräsidenten, zusammentreten zu lassen. Die Verantwortung dieser sieben Persönlichkeiten für die Sicherheit des Landes wollte ich in einem besonderen Gesetz ausdrücklich festgelegt wissen. Für die Frage der Befehlsführung schlug ich vor, den Oberbefehl tatsächlich durch den Bundespräsidenten ausüben zu lassen, zu welchem der Chef des Generalstabes mit seinen Abteilungen zu treten hatte. Die unmittelbare Führung der Heereseinheiten (Divisionen) sollte in den Händen des Heeresinspektors mit seinem Stabschef und seinen Waffeninspektoren liegen. Dem Bundesminister für Landesverteidigung (Staatssekretär) wären alle administrativen Pflichten für die personelle und materielle Versorgung des Heeres und der Miliz verblieben.

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Als organische Bestimmungen für den Chef des Generalstabes beantragte ich, jene aus der k. u. k. Monarchie mit geringfügigen Anpassungen an die kleiner gewordenen Verhältnisse zu übernehmen. Alle drei Vorschläge wurden von Staatssekretär Zehner mit Zurückhaltung entgegengenommen. Ihre Durchkämpfung hätte mehr Zeit gefordert, als das Schicksal mir gewährte. Anstatt, wie es seine Dienstpflicht gewesen wäre, ausgleichend zu wirken, hat der Adjutant749 des Staatssekretärs diesen zu stets neuen, meist kleinlichen Einwänden veranlasst. Da der Staatssekretär die Ersetzung des Adjutanten durch einen anderen Offizier, zu dessen Auswahl ich ihm meinen ganzen Generalstab zur Verfügung stellte, ablehnte, entstanden Spannungen, die ich gern vermieden hätte. Das war das erste Mal, dass ich meine Unklugheit erkannte, bei dem mir vor wenigen Monaten durch Obstlt. Bartl überbrachten Angebot des Bundeskanzlers zur Übernahme des Staatssekretariates nicht zugegriffen zu haben. Doch war dies nur der Anfang von Enttäuschungen und steigender Sorge. Bei meinen regelmäßigen Besprechungen mit dem politischen Leiter unseres Außenamtes sagte mir Hornbostel mit nur zu begreiflicher Verärgerung, dass er seit der Ernennung Schmidts zum Außenminister nicht mehr alles erfahre. Schmidt bezeichne sich als deutschen Exponenten in der Regierung, dessen Aufgabe es sei, das Verhältnis zu Deutschland, das hieß also zu Hitler, gut zu gestalten. Auf meine Frage, ob Hornbostel Schuschnigg darauf aufmerksam gemacht habe, antwortete Hornbostel verdrossen, dass er nicht mehr beim Kanzler vorkommen könne. Als ich das Gehörte mit Zehner besprach und ihn aufforderte, Dr. Schuschnigg gelegentlich auf das Verhalten Schmidts aufmerksam zu machen, lehnte dieser ab. Meiner Erwiderung, dass halt dann ich selbst zum Kanzler gehen werde, begegnete er mit den ungefähren Worten, ob ich denn nun auch unter die Leute gehen wolle, die dem Kanzler die ohnedies so schwierige Lage mit Angebereien noch schwerer machen wollen  ; Schmidt sei doch Schuschniggs bester Freund und könne doch nichts tun, was dem Kanzler unangenehm wäre  ; dass Schmidt als ernannter Außenminister jetzt manches an sich ziehe, was Hornbostel früher allein gemacht habe, sei doch zu verstehen. Was Zehner sagte, war gewiss erwägenswert  ; ich wollte die Sache noch überdenken, aber auch gespannter achtgeben, was vorgehe. Bald nachher überraschte mich die mir außerordentlich unangenehme Nachricht vom Ausscheiden Dr. Draxlers aus der Regierung und Übernahme des Finanzressorts 749 Franz Wagner (Pilsen, Böhmen, 12.2.1892–  ?), 18.8.1912 als Fhr. ausgemustert aus d. Artilleriekadettenschule Traiskirchen zu FAR 103, 1.5.1914 Lt., Artillerieoffizier im Weltkrieg, 1.12.1920 übernommen ins ÖBH, 1926–1928 die strengen Fachprüfungen abgelegt, Kdt. von Telegraphenkompanien, 11.4.1934 Obstlt., 1.6.1935 versetzt zum BMfLv., 17.6.1935 Oberst. Nicht in die Dt. Wm. übernommen.

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durch einen Herrn Neumayer750, bisher Finanzreferent bei der Gemeinde Wien. Ich war heilfroh, dass GdI. Luschinsky und ich die uns von Draxler gegebenen 100 Mio. Schilling schon so fest verteilt und ausgegeben hatten, dass eine nachträgliche Kürzung nicht mehr möglich war. Gelegentlich eines meiner Besuche, die ich im Rathause ab und zu im Interesse der Eingliederung von Schutzbundleuten in den Grenzschutz machte, teilte mir ein Herr des Präsidiums auf meine Erkundigung mit, dass Neumayer nicht auf unserer Seite stehe. Bei Vizebürgermeister Lahr751, einem alten k. u. k. 750 Rudolf Neumayer (Wien, 18.5.1887–25.8.1977, Wien), Finanzfachmann und Politiker, 1911 Dr. iur., nach 1918 enger Mitarbeiter der sozialdemokratischen Wiener Finanzstadträte Breiter und Danneberg, 1924 Leiter der Abteilung für Finanzangelegenheiten in der Wiener Stadtverwaltung, 1934 delegiert in den Länderrat (Öst. Ständestaat), ab 1936 Finanzminister in den letzten Kabinetten Schuschnigg, am 11./12.3.1938 beließ ihn Seyss-Inquart in der Regierung, im Juni 1938 schied er aus dem K ­ abinett aus und wurde Direktor der Wiener Städtischen Versicherung, 1943 Leiter der Hauptstelle für Wirt­ schafts­treuhandwesen, 1944 Sonderbeauftragter für Versicherungswesen in der Operationszone Adriatisches Küstenland, 1945 Untersuchungshaft, 1946 in einem Hochverratsprozess, in dem ihm besonders die Unterschrift unter das Anschlussgesetz 1938 zum Vorwurf gemacht wurde, zu lebenslänglichem Kerker verurteilt. 1949 wurde das Verfahren wieder aufgenommen, jedoch nicht revidiert, 1949 wegen Haftunfähigkeit entlassen. In den Jahren 1949 bis 1951 versuchte Neumayer, eine Wiederaufnahme seines Verfahrens zu erreichen. Schon im Jänner 1950 hatte ihm Schmitz eine Erklärung ausgestellt und seiner Meinung Ausdruck gegeben, dass sein Verhalten keineswegs als Hochverrat ausgelegt werden könnte. „In den seltenen Fällen, in denen gelegentliche Gespräche die eigentliche Politik streiften, bemerkte ich, daß Dr. Neumayer weder politische Erfahrung noch überhaupt eine Neigung zum politischen Denken besaß … Wenn ihm etwas vorgehalten werden kann, so ist es höchstens der Umstand, daß der ihm wie den meisten guten Beamten zur zweiten Natur gewordene Gehorsam ihn zum Weiterdienen als Minister bewog, als bereits die militärische Gewalt und nicht die österreichischen Gesetze das Geschehen im von der Deutschen Wehrmacht Hitlers besetzten Österreich willkürlich bestimmte.“ 1951 schrieb dann Schuschnigg an Neumayers Rechtsanwalt und schließlich an diesen selbst  : … Lieber Freund  ! Es hat für mich nie einen Zweifel daran geben, daß du während unserer Zusammenarbeit, so wie vorher, Dein Bestes gegeben hast, in jeder Richtung und mit Erfolg dem Vaterland gedient hast und immer loyal in der Linie des Kampfes gegen den Nationalsozialismus geblieben bist …“ (Alles  : ÖStA/ KA B/1465, Nr. 44 [= Nachlass Jedlicka]). 751 Fritz Lahr (Salzburg, 12.5.1890–27.3.1953, Wien), Frequentant der Theresianischen Militärakade­ mie, Oberleutnant im k.uk. FAR 1517, 1931 Generalsekretär der Öst. Renn- und Campagnereitergesellschaft, 1920 Mitgründer der Frontkämpfervereinigung Deutschösterreichs, 1928 Stabsleiter der „Wiener Heimatschützer-Vereinigung“, 1930 Verfasser einer 89 Seiten starken Denkschrift „Von Korneuburg nach …“, 1931 Landeswehrführer des Heimatschutzverbandes Wien, 1932 Landesführerstellvertreter des Wiener Heimatschutzes, 1934–1938 1. Vizebürgermeister von Wien, Verbindung zu den Nationalsozialisten, 1936 wegen „vielfach bewiesener Unfähigkeit“ von Starhemberg aus dem Heimatschutz ausgeschlossen, 1938 drei Tage lang kommissarischer Bürgermeister von Wien  ; durch seine Verbindung zum ns. Vizebürgermeister Kozich vor und nach 1938 konnte er eine politische Verfolgung vieler Öst. Mitglieder des Heimatschutzes verhindern. Literatur über die Heimwehrbewegung  : Earl Edmondson, The Heimwehr and Austrian Politics 1918–1936, Athens, 1971  ; Ludwig Jedlicka, Die Anfänge des Rechtsradikalismus in Österreich (1919–1925), in  : ders., Vom alten zum neuen Österreich. Fallstudien zur österreichischen Zeitgeschichte 1900–1975, St. Pölten 1976, S. 195–214  ; Wal-

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Offizier und Heimatschützer, konnte ich offener reden und fragen, was Neumayer charakterlich für ein Mann sei und was wir Soldaten von ihm erwarten könnten. Lahr zuckte die Achseln und sagte, dass Neumayer betont national sei. Sollte das auch eine Persönlichkeit sein, die das besondere Vertrauen des Kanzlers genoss  ? Jetzt begann ich mich nicht mehr auszukennen. Glaise, Schmidt, Neumayer und im Führerrat der Vaterländischen Front Seyss-Inquart752  ? Ich wollte den Kanzler selbst sprechen und ließ mich durch seinen Adjutanten anmelden. Antwort  : Der Kanzler sei überlastet, momentan sei nicht daran zu denken, mich ins Empfangsprogramm einzuschalten, ich möge mich gedulden. An den Abenden, da ich Hornbostel aufsuchte, hörte ich wenig Erfreuliches über die häufigen Besuche, die Herr v. Papen jetzt im Außenamt machte. Auf Hornbostels Frage, ob man sich auf das Heer verlassen könne, gab ich ein unbedingtes Ja zur Antwort  ; dann aber schränkte ich doch ein  : Solange die Regierung den alten klaren Kurs einhalte. Unklarheiten, gerade so, wie sie jetzt einträten, könnten natürlich auch den Geist des Heeres schädigen. Wiederholt schloss ich unsere Unterredungen mit der Warnung, dass man das Heer nicht überraschend vor fertige Tatsachen stellen dürfe  ; es benötige zur Mobilisierung und zum Aufmarsch rund 8 Tage. Das möge er auch Herrn Schmidt eindringlich sagen Anlässlich der für Dezember 1936 vorgesehenen Konferenz der Römer-Protokollstaaten wurde ich von Hornbostel zur Verfassung eines militärischen Exposés eingeladen, das ich im November übergab. Es enthielt im Wesen meine für die Verteidigung der Unabhängigkeit Österreichs schon bekannten Grundsätze mit dem Beifügen, dass der Ausbau der Wehrkraft unbeschadet der momentan vielleicht befriedigender aussehenden politischen Lage fortgesetzt werden müsse. Bei einem Empfang kam ich erstmals mit Dr. Guido Schmidt ins Gespräch, in dessen Verlauf er mit Beziehung auf mein Exposé äußerte, durchaus gleicher Meinung über die Betreibung unseres Wehraufbaus zu sein  ; er fragte, ob es nicht möglich wäre, auch auf militärischem Gebiet eine Annäherung an Deutschland zu erzielen. Ich äußerte meine Zweifel an der ter Wiltschegg, Die Heimwehr. Eine unwiderstehliche Volksbewegung  ?, Wien 1985  ; F. L. Carsten, Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu Hitler, München 1977; Ernst Nolte, Faschismus. Von Mussolini zu Hitler. Text, Bilder und Dokumente, Schnellroda 2003, hier das 8. Kapitel  : Die kleineren faschistischen Bewegungen von 1933 bis 1939. 752 Über Arthur Seyss-Inquart (1892–1946, gehenkt in Nürnberg) siehe die Daten bei Glaise-Broucek I, S.  506 f., Anm. 690. Seyss-Inquart war Rechtsanwalt und auch Mitglied der geheimen Organisation „Deutsche Gemeinschaft“. Er stand seit etwa 1934 der SS nahe, ohne Parteimitglied zu sein, er wurde 1937 als Staatsrat nominiert und verfolgte eine Politik der langsamen Schritte zum Anschluss, ab 16.2.1938 aufgrund des Berchtesgadener Abkommens Minister für Inneres und Sicherheitswesen, 11.–15.3.1938 Bundeskanzler und betraut mit der Leitung des BMfLv., 15.3.1938–1.5.1939 Leiter der österreichischen Landesregierung als Reichsstatthalter in Österreich.

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Ehrlichkeit des deutschen Entgegenkommens  ; immerhin hielte ich es ohne Gefahr für uns möglich, die seinerzeit bestandene Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Spionageabwehr wieder aufleben zu lassen. Auch den Ankauf deutscher Flugzeuge, auf den Gen. Löhr stets dränge, erklärte ich in dem Fall für zulässig, dass Deutschland uns ebenso langfristige Kredite gewähren wollte wie Italien. Ich verlangte jedoch, diese Anbahnung möge direkt durch eine Reise Löhrs nach Berlin geschehen und nicht über Glt. Muff, zu dem ich kein Vertrauen hätte. Vor Jahresende wurden von mir noch einige Arbeiten prinzipieller Natur fertiggestellt, so die Studie über die Ausnutzung der Bundesdienstpflicht für die Frontmiliz und die Gedanken zur Arbeitsdienstpflicht. Im Dezember war als Resultat vielfacher Besprechungen ein Elaborat fertiggestellt worden, das die Bezeichnung „Munitionslagerplan“ erhielt. Er sollte in Berücksichtigung der aus der Luft drohenden Gefahren eine Dezentralisierung der hauptsächlich am „Großen Mittel“ (nächst Wiener Neustadt) in den aus der kaiserlichen Zeit bestehenden Depots lagernden Munitionsbestände herbeiführen und die Grundlage für die Projektierungen neuer Depots durch die Bauabteilung des Ministeriums schaffen. In einer mit dem 27. Dezember datierten Arbeit gab ich schließlich dem Staatssekretär eine Übersicht der dringendsten Erfordernisse an die Hand, die in einem Sonderkredit für das Jahr 1938 bei den im Jahr 1937 zu führenden Budgetverhandlungen einzuplanen waren, deren Detaillierung ich mir aber noch vorbehielt. Das Jahresende brachte die Ruhestandsversetzung der Generale Brantner und Luschinsky, die als Leiter der Sektionen I und II mir durch ihr hohes Verständnis, ihr großes militärisches und fachtechnisches Wissen und schließlich durch ihre vornehme Kameradschaftlichkeit in den vergangenen eineinhalb Jahren sehr viel geholfen hatten, der Verteidigungsfähigkeit Österreichs eine reale Grundlage zu geben. Ich bedauerte diese Verluste umso mehr, als für beide Generäle keine ebenbürtigen Nachfolger einrückten. Ich hätte es in unserer Lage gern gesehen, an den bewährten Kräften nicht zu rühren, da ja die Budgeterweiterung genug Raum für Beförderung vordrängender Herren bot. Meine diesbezüglich eindringliche Bitte beim Staatssekretär fand jedoch keine Berücksichtigung. Wenngleich das Jahr 1936, rein militärisch gesehen, für Bundesheer und Landesverteidigung das Optimum des Möglichen gebracht hatte, so konnte ich mich dieses Fortschrittes angesichts der entstandenen politischen Lage nicht erfreuen – ohne an der Lauterkeit des Kanzlers zu zweifeln. Sehr wohl verstand ich die Bemühungen des Kanzlers, Zeit zu gewinnen für die Klärung der Lage, doch konnte ich das Gefühl des Bangens um die Auswirkungen dieser – wenn vielleicht auch nur vorübergehenden – Nachgiebigkeit auf die Haltung aller schwankend zu Österreich Stehenden nicht unterdrücken. Gelegentlich einer internen Besprechung mit den zwei neuen Sekti-

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onschefs fiel mir, im Gegensatz zu den temperamentvollen Debatten mit den abgetretenen, deren kühle Selbstbeherrschung auf  ; keine Zustimmung, keine Ablehnung.753 Nicht, dass ich an der Grundgesinnung der beiden Herren zu zweifeln Anlass fand, aber der Eindruck des „sich nicht exponieren Wollens“ blieb bestehen. Mit kritischen Augen besuchte ich öfter die höheren Offizierskurse, ergriff wiederholt das Wort, um Lehrer und Frequentanten darauf hinzuweisen, dass die patriotisch mitreißende Gesinnung jedes Generalstabsoffiziers offen wie ein Buch liegen müsse. Zwar gewann ich dort gute Eindrücke, hielt es jedoch für zweckmäßig, den Frequentanten auch die Auffassungen der nichtmilitärischen Kreise zu vermitteln. So bat ich den im Innenministerium mit der Aufdeckung nationalsozialistischer Umtriebe befassten Sektionsrat Nagy754 um einen Vortrag, und war sehr erfreut, dass der Bundeskanzler, anscheinend von paralleler Sorge getragen, den Soziologen, Universitätsprofessor August Knoll755 für Vorträge vor Offizieren und in Offiziersschulen gewonnen hatte  ; aufgrund eingehender Studien in Deutschland legte dieser mit zwingender, beeindruckender Logik dar, dass es eine Synthese zwischen christlicher Weltanschauung und Nationalsozialismus nicht geben könne, der unüberbrückbare Gegensatz daher eine klare Entscheidung von jedermann verlange. Der Eindruck dieser Vorträge war tief und nachhaltig selbst für mich, der ich ja den Nationalsozialismus aus meiner Berliner Zeit in seiner ganzen Verlogenheit gut kannte. Es mag in dieser Zeit gewesen sein, dass mich der Kommandant der Militär-(Of­ fiziers-)Akademie in Wiener Neustadt, der prächtige österreichische Patriot GM Towa­rek756 aufsuchte. Er führte Klage, dass ihm Söhne bekannter nationalsozialisti753 Bei den beiden Generälen dürfte es sich um GdI. Glasner und FML Kubena handeln. Glasner war Chef des Präsidialbüros und Kubena Sektionschef. Glasner hatte am 11. und am 12.3.1938 die Aufgabe, den Befehl Zehners durchzugeben, dass die Truppe in ihre Kasernen zurückkehre bzw. am Tag darauf gewisse Aufgaben eines Quartiermeisters beim Einmarsch der deutschen Truppen. Bei Kubena hat sich Jansa möglicherweise in der Gesinnung getäuscht. Siehe dessen Artikel in der „Presse“. 754 Franz Nagy de Somlyó (Wien, 20.1.1896–3.6.1946 Wien),1914 Eintritt in die Theres. Milakad., ab 1915 jedoch Kriegsdienst und bei Kriegsende Hptm.d.Res., 1921–1927 im Bankgeschäft, 1.4.1920 Eintritt als Konzeptsbeamter in die Wiener Polizeidirektion, 1934 Einberufung ins Innenministerium/Bundeskanzleramt und im Referat zur Bekämpfung der Nationalsozialistischen Bewegung im Bundeskanzleramt tätig, 12.3.1938–30.9.1942 in politischer Haft, ab 24.9.1938 im KZ Buchenwald. Mitarbeit an „Vorgeschichte und Geschichte zur Julirevolte 1934“, hrsg. vom Bundeskommissär für Heimatdienst. 755 August Maria Knoll (Wien, 5.9.1900–24.12.1963, Wien), 1923 Dr. iur. Journalist und Soziologe, 1932 Privatsekretär Ignaz Seipels, Befürworter des Ständestaatssystems, Chefredakteur des „Arbeiter-Sonntag“, 1938 von Universität entfernt, 1950 Ordinarius für Soziologie an der Universität Wien, 1953 Gründer des Instituts für Sozialpolitik- und Sozialreform, 756 Rudolf Towarek (Krakau/Kraków, Galizien, heute Polen, 18.8.1905–29.11.1959, Linz), „deutsche Muttersprache, spricht polnisch vollkommen, ruthenisch [=ukrainisch] notdürftig“, Absolvent der Militär-

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scher Familien zur Ausbildung zugewiesen würden, die dann von schlechtem Einfluss auf die Kameraden seien  ; er fragte nach meiner Meinung darüber. Ich war für die sofortige Entfernung von Akademikern unguter Gesinnung aus der Akademie und strengste Durchsiebung aller Neuaufnahmen. Towarek sagte mir darauf, dass er von Zehner zu mir gekommen sei, dem er in meinem Sinne eine radikale Reinigung der Akademie in Aussicht gestellt habe  ; dieser hätte ihm jedoch wegen des wahrscheinlichen politischen Aufsehens, das so ein energisches Ausscheiden unzuverlässiger Elemente machen würde, aufgetragen, die jungen Leute, hinter denen meist hohe Protektoren standen, nur langsam, einzeln und unauffällig auszuscheiden. Da die Akademie mir nicht unterstand, konnte ich nur auf Zehner einzuwirken versuchen  ; ich fragte ihn direkt, ob er dem Kanzler über solche Vorkommnisse berichte und ihn auf die Gefährlichkeit seiner, den Schein zu großer Nachgiebigkeit erweckenden Politik und über den Leumund, den die neuen Männer seines Vertrauens in der Öffentlichkeit haben, aufmerksam mache. Zehner meinte, der Kanzler wisse das alles, er habe keine ruhige Stunde  ; wir müssten mit unseren Dingen allein fertig werden. Wie recht hatte doch Hornbostel gehabt, dem Abkommen vom 11. Juli 1936 zu widerraten  ! Vielleicht ist es gut, in diesem Zusammenhang auch zu erwähnen, dass öfter Äußerungen an mein Ohr drangen, wonach Gen. Löhr sehr viele Nationalsozialisten zu Fliegern ausbilde. Ich besprach das mit Löhr  ; er gab zu, dass unter seinen Fliegern Nationalsozialisten seien, verbürgte sich aber für deren makellose Pflichterfüllung in allen Lagen. Als ich ihm im weiteren Gespräch sagte, er müsse auf die Auswahl seiner Leute mehr Gewicht legen, erwiderte er verärgert, das Möglichste stets getan zu haben  ; die Ergänzung der Flieger erfolge jedoch aus Freiwilligen, und wenn die Söhne aus den patriotischen Kreisen nicht die Schneid aufbrächten, sich zur Fliegertruppe zu melden, so müsse er die Menschen nehmen, die er bekäme. Eine Überprüfung der Umstände bestätigte Löhrs Mitteilungen in vollem Umfang. Ich muss darum der bürgerlichen Welt, die an der Erhaltung der christlichen freiheitlichen Gesellschaftsordnung in erster Linie interessiert ist, für die Zukunft ins Stammbuch schreiben, dass man mit korrektem passiven Verhalten allein Gefahren nicht bekämpfen kann – man Unterrealschule Eisenstadt, der Militär-Oberrealschule Mährisch-Weißkirchen, ab 1910 Frequentant der Kriegsschule, 18.8.1905 ausgemustert als Lt. aus Theres. Milakad. zum IR 9, 1.3.1915 Hptm.i.G, Truppengeneralstab während des Weltkrieges, 1.12.1920 übernommen als Offizier ins Bundesheer, zu BrigKdo. 4, 1.1.1921 Titular-Obstlt., 1.12.1922 eingeteilt in einen „besonders gehobenen Posten“ – höherer milit. Dienst, 1.3.1926 betraut mit d. Funktion des Stabschefs 4. Brig., 26.3.1928 Obst., 1928/29 Truppendienst, 1.8.1933 versetzt zur Heeresschule Enns, 15.10.1933 bestellt zum Kdt. d. Heeresschule Enns, diese umbenannt in Theresianische Militärakademie im Zuge der 1934 erfolgten Übersiedlung nach Wiener Neustadt, 15.3.1938 Ruhestand.

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muss seine Jugend zur Bereitschaft für den Einsatz auf gefahrvollen Posten erziehen  ! Andernfalls wird die Zukunft gegen sie entscheiden. Von Interesse werden auch ein paar Worte über die Treibstofflage sein. Die Erhebungen des Kriegswirtschaftsamtes hatten unter anderem ergeben, dass die Vorratshaltung von Benzin im Allgemeinen, besonders aber an hochwertigem Fliegerbenzin, unzureichend war. Die Ölsuche nächst Zistersdorf lag damals in verschiedenen ausländischen Händen, die anscheinend gar kein Interesse an der Steigerung der Erdölförderung hatten.757 Die militärischen Erfordernisse verlangten eine größere Treibstoff-Vorrats­ haltung. Für weitere Sicht wäre aber auch die Erdölförderung nächst Zistersdorf mit Energie vorwärtszutreiben gewesen. Für beide Notwendigkeiten waren größere Investitionen erforderlich. In öffentlichen Vorträgen vor Industriellen, Handel- und Gewerbetreibenden wurde auf die militärischen Bedürfnisse hingewiesen und auch bei den zuständigen Ministerien die tatkräftige Förderung der Treibstoffbeschaffungen betrieben, wobei auf die durch Bohrungen zu gewärtigende Verringerung der Arbeitslosigkeit aufmerksam gemacht wurde. Erfolg hatten unsere Bemühungen nicht. Die geistige Spannkraft unserer damaligen Finanz- und Wirtschaftsgrößen hatte sich anscheinend in der Werterhaltung des Schillings erschöpft. Ja, es trat sogar eine sehr kritische Treibstoffnot ein. Die Rumänen verlangten plötzlich Dollar statt Schilling für ihre Erdölprodukte. Das veranlasste unsere leitenden Stellen, die Erdöllieferungen von Rumänien auf Amerika umzustellen, wobei in der wochenlangen Umstellungszeit ein gefährlicher Treibstoffmangel bestand. Alle Hinweise des Chefs des Generalstabes auf die Bedeutung der Treibstoffe für die Landesverteidigung wurden verständnislos übergangen. Immer mehr begann ich zu fürchten, dass uns die Politik plötzlich vor eine unlösbare Lage stellen werde. Jedenfalls wollte ich die Bereitstellung des Heeres beschleunigen und gab der Operationsabteilung den Auftrag, für die Versammlung des Heeres eine neue, beschleunigte Eventualität auszuarbeiten, wobei in einer ersten Transportstaffel das Bundesheer mit seinem Friedensstand in den Aufmarschraum zu bringen sei. Auch müsste im Fall einer vollständigen Überraschung die Ausladung der Truppen anstatt an der Traun, schon hinter der Enns möglich gemacht werden. Die Ergänzungstransporte auf den vollen Kriegsstand hätten nach erfolgter Bekleidung und Ausrüstung in den Friedensgarnisonen als zweiter Transportstaffel zu folgen und sich im Aufmarschraum mit den aktiven Truppen zu vereinigen. Die Bekleidungs- und Ausrüstungsvorräte der 8. Gebirgsbrigade seien von Salzburg in den Raum St. Johann/Pongau-Schwarzach 757 Am 17.2.1932 wurden die ersten zwei Waggons Erdöl aus Zistersdorf, einer Stadt und einem Weinbauort im östlichen Weinviertel, NÖ, abtransportiert. Am 30.8.1930 war bei Bohrungen in WindischBaumgarten bei Zistersdorf zum ersten Mal Rohöl gefördert worden.

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zu verlegen. Über die Gefährlichkeit einer so geteilten Aufmarschbewegung war ich mir durchaus klar. Sie sollte darum nur als eine Eventualität für den Fall völligen Versagens unserer Politik vorbereitet sein, damit überraschend einbrechende deutsche Truppen nicht widerstandslos bis Wien marschieren könnten. Die Organisation in dem zwischen Inn–Salzach und Traun gelegenen Grenzraum wurde laufend ausgefeilt und verbessert, damit der Grenzschutz schon sechs Stunden nach seiner Aufbietung funktionieren konnte. Am 12. Februar 1937 war der große Appell der Frontmiliz, zu dem deren Offiziere aus ganz Österreich erschienen waren und der nicht nur militärisch, sondern auch stimmungsmäßig die Einsatzbereitschaft steigern sollte. Sogar der Bundeskanzler hatte sein Erscheinen in Aussicht gestellt  ; es waren die hohen Offiziere des Bundesheeres erschienen, der an der Verteidigung sehr interessierte Wiener Bürgermeister Schmitz, Vizebürgermeister Lahr und eine Reihe prominenter, sich freudig in den Dienst der Heimat stellender Persönlichkeiten. Den Vorsitz führte der Vizekanzler und Befehlshaber der Frontmiliz Gen. Hülgerth. Meine Ansprache bringt für die diese Niederschrift Lesende nichts Neues, ist aber ein im Original erhaltenes historisches Dokument. Sie fand Beifall und übte nachhaltige Wirkung aus. Besonders wertvoll waren mir briefliche Zustimmungen alter kaiserlicher, kriegserfahrener Generalstabsoffiziere, weil sie mir die Richtigkeit meiner Auffassung bestätigten. Ich zitiere hier nur zwei im Wortlaut. So schrieb Oberst im Generalstabskorps Max Frh. v. Pitreich  : „Mit Interesse und Freude las ich Dein am Tage des Frontmilizappells gegebenes Exposé. Du hast uns alten Kriegern aus dem Herzen gesprochen  ; besonders Dein Wort von der Festung Österreich wird ebenso sehr für die Frage der Rüstungen, als auch für sonstige militärische Gedankengänge als Devise von klassischer Prägnanz gelten.“ Der in der kärntnerischen Miliz tätig gewesene Oberst des Generalstabskorps Rettl schrieb  : „Es drängt mich, Dir zu sagen, dass Deine Ausführungen beim Appell der Frontmiliz ganz prächtig waren und auch mit den Folgerungen, die sich aus dem zufallenden Aufgabenkreis für den weiteren Ausbau ergeben, den Nagel auf den Kopf getroffen haben.“ Leider war der Bundeskanzler erst nach Schluss erschienen. Ich bedauerte dies sehr, weil seine stets gern gehörten, stets klugen Reden gerade in diesem Kreis gutgesinnter, mit ihrem Leben zum Einsatz bereiter Offiziere aller Altersschichtungen aus ganz Österreich der Tagung einen eindrucksvollen Höhepunkt für Stimmung und Zuversicht gegeben hätten  ; denn schließlich war es ja die von ihm geführte Politik, für die wir einstanden. Mich stimmte das lange Fernbleiben des Kanzlers aber auch nachdenklich, weil ich sein feines und sehr richtiges Verständnis für militärische Notwendigkeiten kannte  ; dieses hätte ihn normalerweise veranlasst, noch so dringlich scheinende anderweitige Bindungen abzusagen, um vor den Offizieren zu erscheinen.

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Sollte da auch schon außenpolitische Rücksichtnahme abschwächend gewirkt haben  ? Vizekanzler Hülgerth schrieb mir am folgenden Tag mit seinem Dank die Mitteilung, dass er die von mir erbetene Gleichschrift meiner „Ansprache, die den Bundeskanzler sicher interessieren wird, diesem am gleichen Tage“ übermitteln werde. Über das Wesentliche vom Kanzler erwartete, nämlich dass er sich beim Finanzminister für den nötigen Geldbetrag zur Aufstellung der Aktivkader der Miliz einsetzen werde, hörte ich nichts. Auch eine von mir in dieser Sache über den Sekretär des Kanzlers, Baron Frölichstal, verlangte Vorsprache beim Kanzler fand keine Erfüllung. Irgendwelche Förderer einer Entfremdung mussten am Werk gewesen sein. Das war das zweite Mal, dass ich erkannte, falsch und schädlich gehandelt zu haben, als ich das angebotene Staatssekretariat nicht angenommen hatte. Dagegen machten die Grenzschutzarbeiten mit dem Einbau der Miliz in diesen Dienst gute Fortschritte. Die Hinterlegung der technischen Hindernisbau-Erfordernisse an den Stellen ihrer Verwendung wurde fortgesetzt. Im Mai 1937 erwiderte der italienische General Roatta, auch namens der Generäle Baistrocchi und Pariani, in Begleitung seiner schönen Frau und eines Adjutanten meinen vorjährigen Osterbesuch. Er erzählte mir interessante Einzelheiten aus dem Abessinienkrieg, aus dem Einsatz von Truppen in Spanien und teilte schließlich mit, dass die von den italienischen Offizieren durchgeführten Straßenerkundungen für den Einsatz der schnellen Divisionen aufgearbeitet worden seien und sich keine technischen Schwierigkeiten ergeben hätten. Meine Frage, ob sich an der italienischen aktiven Hilfsbereitschaft durch die italienische Zusammenarbeit mit Deutschland etwas geändert hätte, verneinte Roatta mit dem Beifügen, dass Österreichs Unabhängigkeit auch ein italienisches Interesse sei  ; der Duce nehme an den Fortschritten unserer Verteidigungsarbeiten, wie sie ihm von Obst. Liebitzky von Zeit zu Zeit vorgetragen werden, immer regen Anteil.758 Hingegen wich Roatta einer positiven Zusage des Weitertransportes der versprochenen Geschütze nach Österreich aus. Als ich ihm auf den Kopf zusagte, dass die Italiener da sicher einem deutschen Einwand nachgegeben hätten, sagte er natürlich Nein und brachte technische Schwierigkeiten und spanische Bedürfnisse zur Sprache. Es ist halt ein Jammer, dass der Schwache nur bitten kann. Immerhin waren die tatsächlich gesendeten 150 Geschütze mit Munition eine sehr große Hilfe gewesen. 758 Anmerkung ohne Verfasserangabe  : Dass der Duce tatsächlich auch nach dem Juli-Abkommen an der Unhabhängigkeit Österreichs festhielt, zeigte ein Attachébericht vom 12.8.1936, demzufolge Mussolini in einer Lagebeurteilung seherisch das Jahr 1938 als für Österreich gefahrvoll bezeichnete und deshalb dem Kanzler eine innere Anleihe zur Verstärkung der Rüstungen (er dachte an 20 Divisionen) nachdrücklich empfahl, wozu er meinte, es sei besser, sich jetzt anzustrengen, als nachher zu jammern  !

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In die gleiche Zeit dürfte der Besuch des deutschen Chefs des Nachrichtendienstes, Admirals Canaris, gefallen sein. Da er in Begleitung des deutschen Militärattachés erschienen war, blieb unsere Aussprache sehr förmlich. Ich erklärte mich mit der gewünschten Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Spionageabwehr einverstanden, unterstrich, dass es sich dabei nur um freien Austausch von Nachrichten nach eigenem Gutdünken ohne jedes Weisungsrecht handeln könne und brachte ihn mit GM Böhme, dem Leiter unseres Nachrichtendienstes, in Verbindung. Aber auch Besuche aus dem „anderen“ Deutschland kamen öfter, teils Bekannte aus meiner Attachézeit, teils eingeführt durch prominente Österreicher. Diese Besucher erkundigten sich meist mit ängstlicher Besorgnis, ob unsere Rüstungen auch tatsächlich mit allem Ernst und genügenden Mitteln betrieben würden  ; denn Hitler werde auf Österreich losschlagen, und wehe uns, wenn wir dann nicht Paroli bieten könnten  ; seine Brutalität kenne keine Grenzen  ; das „andere“ Deutschland hoffe auf uns  ! Es kamen mit diesen Besuchen auch vage Gerüchte über Männer, die an eine Ausschaltung Hitlers dächten und auf einen äußeren Anlass hierzu warteten. Ich hätte den Kanzler nach solchen Besuchen immer gern selbst informiert, kam jedoch nicht mehr zu ihm  ! Schriftliche Mitteilungen solcher Art unterließ ich aus Sorge vor Indiskretionen der den Kanzler umgebenden „deutschen Männer seines Vertrauens“. So blieb nur übrig, Zehner und Hornbostel zu informieren  ; ob Zehner solche Nachrichten von mir dem Kanzler mitteilte, weiß ich nicht, und Hornbostel kam ebenfalls kaum mehr zum Kanzler. Um die Reihe der Frühjahrsbesuche gleich ganz abzuschließen, muss ich jener des ungarischen Chefs des Generalstabes, GdK. Rácz, und einige Wochen später des ungarischen Kriegsministers, Gen. Röder, gedenken. Beide standen im Zeichen herzlich kameradschaftlicher Erinnerungen an die gemeinsame Tätigkeit in der Monarchie, ohne irgendein praktisches Ergebnis für die Gegenwart. Hervorheben möchte ich hier nur, dass Röder durch den Leiter der Infanterieschule in Bruck-Neudorf, Obst. Raus759, ein Angriff eines Verbandes aller Waffen gegen einen markierten Feind mit solcher Präzision des Zusammenwirkens von Infanterie, Artillerie, Panzern und Fliegern vorgeführt wurde, dass er dessen helle Begeisterung entzündete  ; diese steigerte sich noch, als Raus ihm die wahre Tatsache meldete, dass es keine vorgeübte Sache, sondern eine im Ausbildungsprogramm der Infanterieschule vorgesehen gewesene Übung war. Solche hervorragende Ausbildungsresultate, die im Bundesheer durchaus 759 Erhard Raus (Wolframitz, Südmähren, 8.1.1889–3.4.1956, Wien), Kadettenschüler, 1914–1918 Kdt. einer Radfahrkompanie, Kommandant der Infanterieschießschule, im März 1938 als Nachfolger von Liebitzky als Militärattaché in Rom vorgesehen, Sept. 1939 Stellvertretender Chef d. Gstb. GKdo. XVII. AK, 20.11.1941–1943 Kdr. 6.PzDiv., VIII/1944 GO und OB 3. PzArmee, 1945 amerikan. Kgf.

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keine Einzelleistungen waren, stärkten auch immer meine Zuversicht für den Einsatz des Heeres im Falle ernster Notwendigkeit. Im April hatte ich die schon im Dezember für den Staatssekretär in groben Zügen entworfene außerordentliche Rüstungskreditanforderung im Detail fertig. Sie betraf 120 Mio. Schilling für das Jahr 1938, wobei das Schwergewicht auf der Ergänzung schwerer Waffen, Munition und Flugzeugen lag. An einem der nächsten Tage fand eine Sitzung im Landesverteidigungsministerium statt, zu welcher Finanzminister Neumayer erschienen war. Zehner leitete die Besprechung mit den Worten ein, dass er meine Forderungen dem Finanzminister wohl zur Kenntnis bringe, sie aber für übertrieben ansehe, da das Heer seiner Ansicht nach schon übermotorisiert sei. Ich glaubte meinen Ohren nicht trauen zu dürfen und begann die Forderungen, die ja schriftlich niedergelegt waren und motorische Zugmittel nur im geringsten Umfang betrafen, durchzugehen, allerdings ohne von Seite der beiden Sektionschefs eine Unterstützung zu finden. Nur der Vorstand der Bauabteilung, Ingenieur Gen. Stelzel, vertrat den auf ihn entfallenden Rüstungsgeldanteil mit Nachdruck und Überzeugung. Als dann der Finanzminister meinte, er hätte das Programm wohl durchgesehen, wünsche aber Aufklärung, wozu ich diese Waffen brauche und wie ich sie verwenden wolle, lehnte ich eine solche Erörterung ab. Ich hätte das einer anderen Persönlichkeit wie z. B. dem früheren Minister Draxler gegenüber nicht getan und mein zwischen dem Chef der Operationsabteilung und mir konsequent gehütetes Geheimnis über den Einsatz und die geplante Art der Kampfführung vielleicht angedeutet. Diesem „betonten Großdeutschen“ traute ich hingegen nicht. Diese Sitzung hatte eine groteske Folge, die ich hier nur erzähle, weil es zur Vollständigkeit des Gesamtbildes gehört, um aufzuzeigen, wie im Österreich von 1937 Arbeit und Zeit des Chefs des Generalstabes gewertet wurden. Nach dem Tod meiner Frau hatte ich vom Staatssekretär die Zustimmung erhalten, den Dienstwagen des Ministeriums zur täglich einmaligen Hin- und Rückfahrt in meine nächst der Universität gelegene Wohnung zu benützen, damit ich meine minderjährigen Töchter wenigstens beim Mittagessen zu sehen und sprechen vermochte, denn bei der Fülle der Arbeiten war es oft unsicher, wann ich abends heimkommen konnte. Nun eröffnete mir der Staatssekretär, dass der Finanzminister gefunden habe, dass die Benzinkosten zu hoch wären  ; Zehner bitte mich, künftig die Fahrt mit dem Dienstwagen zum Mittagessen und zurück zu unterlassen. Ich konnte darauf nur sagen  : „Selbstverständlich.“ So eine mich privat betreffende Sache war kein Demissionsgrund. Doch hörte ich den Hahn zum dritten Mal krähen  : „Warum hast Du den angebotenen Staatssekretärsposten nicht genommen  ?“ Künftig fuhr ich mit dem Omnibus und versäumte eine Stunde Arbeitszeit. Sachlich wurde im April der Entwurf eines „Landesverteidigungsgesetzes“ fertig, in dem alle militärischen Erfordernisse ihre Sicherung erfahren sollten, soweit sie die politische Verwaltung, die Beanspruchung der Gendarmerie, Zollwache, Post, Eisen-

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bahn, Kraftwagenbetriebe sowie landwirtschaftliche, gewerbliche und industrielle Gütererzeugung betrafen. Weiters bat ich den Heeresinspektor und gewann seine Zustimmung, die Herbstmanöver dieses Jahres in den oberösterreichisch-niederösterreichischen Grenzraum zu legen und als Thema den Angriff durch ein zur hinhaltenden Verteidigung vorbereitetes Gelände zu nehmen. Um an der deutschen Grenze nicht zu viel Staub aufzuwirbeln, legte ich als Gegengewicht die Generalstabsreise unter meiner Leitung in die Steiermark. Die der Operationsabteilung aufgegebene erneute Bearbeitung des Aufmarsches erbrachte nun das befriedigende Ergebnis, dass vom Moment des Aufrufes der Grenzschutz nach 6 Stunden abwehrbereit, das Heer innerhalb von vier Tagen mit seinen Friedensständen komplett an und ostwärts der Traun versammelt sein konnte. Für das Einlangen der bekleideten und ausgerüsteten Ergänzungen auf den vollen Kriegsstand im Aufmarschraum ergab die Transportdurchrechnung noch weitere sechs, also im Ganzen zehn Tage. Der Aufmarsch des in den Friedensgarnisonen voll mobilisierten Heeres konnte mit dem dritten Mobilisierungstag beginnen und am zwölften beendet sein. Auf dieser genügend elastischen Basis wurden nun die Instradierungsbefehle760 ausgefertigt und bereitgelegt. Dem jungen, hervorragenden Generalstabsoffizier Hptm. Weninger, der später gefallen ist, gebührt für seine kluge und rastlose, oft die Nachtstunden heranziehende Arbeit in Gemeinsamkeit mit den Instradierungsbeamten der Bundesbahnen meine Anerkennung und mein Dank, über sein frühes Grab hinaus  ! Er hätte verdient, für Österreich zu leben, nicht für Hitler zu sterben. Ein sehr erfreulicher Fortschritt ergab sich auch in den Arbeiten der Mobilisierungsabteilung  : Ab Herbst 1937 konnten wir die Krücke der „Notmobilisierung“ abwerfen und brauchten nicht mehr zur Heereskomplettierung auf ältere Männer aus dem Ersten Weltkriege zu greifen. Dagegen verzögerte sich die Fertigstellung der neuen, von Böhler zu bauenden ersten 15-cm-Haubitze, obwohl ausgezeichnete Fachkräfte am Werke waren. Von Bofors kam eine Reihe von Konstruktionszeichnungen verspätet nachgeliefert, so dass dieses qualitativ überragende Geschütz erst im Januar 1938 zur Tormentierung bereit wurde. Dann erst hätte die Serienerzeugung beginnen können, auf die schon eine Anzahl gegossener Rohrblöcke wartete. Man war uns von der Werkleitung großzügig entgegengekommen  ; wir durften jetzt nicht versagen. So richtete sich wieder viel meiner Energie auf die Gewinnung der Rüstungsforderung von 120 Millionen. Da mir der Zutritt zum Kanzler verschlossen blieb, suchte ich ihn durch andere Personen zu interessieren. Ich arbeitete für den Staatssekretär 760 Instradieren  : veraltete Ausdrucksweise für „Soldaten in Marsch setzen“.

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den Entwurf zu einer Rede aus, die er im Ministerrat bei den Verhandlungen über das Budget halten sollte. Da sich damals im Juli, trotz des vor Jahresfrist mit Deutschland geschlossenen Befriedungsabkommens, durch immer neue Forderungen der Nationalsozialisten und Aufdeckung von ihnen geplanter Umsturzversuche die Lage immer schwieriger und bedrohlicher gestaltete, hoffte ich durch eine ruhige, klare, logische, nicht übertreibende Sprache die Notwendigkeit des Sonderkredites so darzulegen, dass es selbst den „betont deutschen“ Ministern schwer werden musste, ein Gegenargument zu finden. Satz für Satz arbeitete ich mit dem Chef der Operationsabteilung Obst. Basler durch  : Die Rede hätte sogar in einer offenen Parlamentssitzung anstandslos gehalten werden können. Gleichschriften dieses Elaborates übergab ich dem Vizekanzler, dem Präsidialchef des Kanzleramtes und dem Gesandten Hornbostel  ; sonst bat ich alle Persönlichkeiten um ihre Unterstützung, von denen ich annahm, dass ihr Wort beim Kanzler ein williges Ohr finde, darunter Bürgermeister Schmitz und Heimatkommissär Walter Adam. Zu meinem nicht geringen Erstaunen teilte mir Hornbostel nach ein paar Tagen mit, dass Minister Schmidt sich bereit erklärt hatte, anhand meines Elaborates den Kredit, der auch im Interesse der Außenpolitik liege, zu befürworten. Leise begann sich in mir eine Hoffnung auf Vernunft im Ministerrat zu regen. Wie entsetzt war ich dann, als mir Obst. Basler bald nach dem Ministerrat mitteilte, dass sich Minister Glaise ganz empört über die Ausfälligkeiten der Budgetrede Zehners gegen Deutschland geäußert und gesagt habe, dass die von mir so gehässig entworfene Ansprache mit ein Grund gewesen sei, den Kredit abzulehnen  ! Basler konnte Glaise anhand einer Gleichschrift nachweisen, dass der Entwurf rein sachlich, ohne jede Spitze war, worauf Glaise gesagt haben soll, dass Zehner ganz anders gesprochen hätte. Was war da geschehen  ? Zehner hatte meinen Entwurf seinem überheblichen Adjutanten zur Durchsicht gegeben  ; der hatte ihn für zu schwach befunden und ihn durch Aufsetzen ausfälliger Lichter umgearbeitet. Die Sache war damit gründlich verfahren worden. Denn, wenn ich auch nicht glaube, dass die Rede des Staatssekretärs die Ursache der Ablehnung war, so gab sie doch den „betont deutschen“ Ministern einen billigen Grund für ihre Ablehnung der militärischen Forderungen. Die Finanzlage war sicher nicht leicht. Aber was Dr. Draxler vor Jahresfrist vermochte, hätte bei gutem Willen sein Nachfolger Neumayer auch zuwege bringen können. Man versagte der Sicherheit Österreichs 120 Millionen und ein halbes Jahr später trug Hitler (nach Aussage Professor Tauchers im Hochverratsprozess gegen Dr. Guido Schmidt, Seite 216) 2,7 Milliarden Goldschilling aus Österreich hinaus  ! Das war das Zehnfache des damaligen deutschen Goldbesitzes. Nach meinem damaligen Dafürhalten lag der Grund der Ablehnung nicht im Mangel an Geld, sondern in der seit Jahresfrist betriebenen Politik des „Appease-

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ments“, die Hitler versöhnlich zu stimmen hoffte. Das ging auch aus einer folgenden Aussprache mit Zehner hervor, den ich um Einwirkung auf die Sektion II bat, damit die Geschütze für den Grenzschutzraum rascher hinauskämen. Zehner sagte, er verstehe meinen Verteidigungswillen nicht  : „Wir würden aufmarschieren, hätten nach zwei Tagen die Munition verschossen und könnten dann wieder nach Hause gehen.“ Ich erläuterte ihm meine geplante Art der Kampfführung und versuchte ihm zum x-ten Mal auseinanderzusetzen, dass es sich nicht darum handle eine Schlacht zu gewinnen, sondern darum, dass durch unseren Kampf die Großmächte zum Eingreifen gezwungen werden und den deutschen gegen Hitler eingestellten Kräften eine Chance zum Handeln gegeben werde. Auf meine abschließende Frage, wie Zehner auf andere Weise der Aggression begegnen wolle, erwiderte er mir, das ruhig dem Kanzler zu überlassen, der werde schon das Richtige zu tun wissen. Trotz arger Sorgen hatte ich selbst ja auch noch immer Vertrauen in die mannhafte Persönlichkeit des Kanzlers, doch nicht im passiven Sinn. Ich beurteilte die Lage und den Kanzler um diese Zeit dahingehend, dass er angesichts der doch immer wieder von Hitlers Emissären aufgeputschten österreichischen Nationalsozialisten mit dem verlogenen Juli-Abkommen einmal Schluss machen werde, er – so wie Dollfuß es getan hatte – die Weltöffentlichkeit zum Zeugen anrufen werde, dass Österreich trotz seines bewiesenen guten Willens nicht in Frieden leben könne, weil es dem bösen Nachbarn nicht gefällt, und er schließlich durch die Mobilisierung und Bereitstellung des Bundesheeres und der Frontmiliz weltweit sichtbar den Willen bekunden werde, für Österreichs Unabhängigkeit und Freiheit zu kämpfen und dadurch zu versuchen, die Großmächte aus ihrer Passivität zu reißen. Diesem Moment galt meine ganze Arbeit, für ihn sollte die Verteidigungsfähigkeit des Landes Achtung gebietend bereit stehen. Darum lehnte ich in dieser Zeit erhöhter Spannung den sonst naheliegenden Gedanken meiner Demission ab  ; ich wollte angesichts der steigenden Bedrohung weder Drückeberger sein, noch scheinen. Den neuen Rüstungskredit brauchten wir ja erst 1938. Bis dahin konnte ja der Kanzler statt Herrn Neumayer noch immer Dr. Draxler oder einen anderen weitschauenden Patrioten als Finanzminister berufen. Aber klarer sehen wollte ich, als die – ohne mein Verschulden – lahmer gewordenen Informationen unseres Außenamtes es mir in dieser Zeit ermöglichten. So bat ich nacheinander den französischen und den englischen Militärattaché zu mir.761 761 Service historique, Vincennes (wie Anm. 728), Besprechung mit Salland am 11.11.1937  : Nach Meinung von General Jansa werden die österreichisch-deutschen Übereinkommen vom 11. Juli vom Reich, dessen Ziel eindeutig die Annexion Österreichs bleibt, niemals loyal angewendet werden. Die Hauptbedrohung geht somit von Deutschland aus. Auf Seiten der Tschechoslowakei lässt der Fortifikationsgürtel, mit dem sich das Land umgibt, die Annahme zu, dass seine Führung keine offensiven An-

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Ich besprach mit jedem die bedrohlicher gewordene Lage, versicherte sie neuerdings meines festen Willens, jedem Einbruch Hitlers mit Waffengewalt zu begegnen und stellte das Ersuchen, bei ihren Chefs der Generalstäbe die Frage des Verhaltens ihrer Länder in einem solchen Falle aufzuwerfen. Unseren Militärattaché in Paris wies ich an, die gleiche Frage seinerseits an Général Gamelin zu richten. Der englische Militärattaché Colonel Banfield, den ich nach einiger Zeit um Antwort urgierte, kam recht verzweifelt  : General Gort762 hatte keine Antwort gegeben und Banfield sagte mir dazu, dass ich kaum ahnen könne, in welcher militärischen Inferiorität sich England zurzeit befinde. Ich antwortete ihm, dass die Flotte Englands für Hitler jederzeit ein sehr Achtung gebietender Faktor sein könnte, wenn ein Wille dahinter stünde. Auch der französische Militärattaché Commandant Salland erschien recht verlegen ohne positiven Bescheid und äußerte resigniert, dass Frankreich eine alte, vielleicht zu alte Nation geworden sei. Hingegen kam nach einiger Zeit ein positiver Bericht von Obst. Jahn. Er hatte Gamelin gelegentlich einer Déjeuner-Einladung die Frage des Verhaltens Frankreichs im Falle eine Angriffes Hitlers auf Österreich gestellt, worauf dieser Général antwortete  : „C’est la guerre  !“ Wenn ich diese Äußerung auch nicht als granitfesten Grund ansehen durfte, so schien sie mir jedenfalls logisch  : Wenn Frankreich bisher vor der deutschen Rheinlandbesetzung und Verkündigung der allgemeinen Wehrpflicht zurückgewichen war, so konnte man das als seine eigene Sache auslegen. Bei Österreich aber war Frankreich in wiederholter Forderung und Bestätigung seiner Selbstständigkeit Garant und mit der Tschechoslowakei bestand ein verpflichtendes Militärbündnis. Hitlers Angriff auf Österreich musste in kürzester Zeit die Tschechoslowakei durch ihre völlige Umwandlungen hat, speziell auch nicht gegen Österreich. Aber der Mangel an Takt, mit dem das Prager Deuxième Bureau ohne Unterlass auf dem Bundesgebiet Spionage getrieben hat, unter Verletzung der Anstandsregeln, die im allgemeinen in dieser Sache eingehalten werden, würde das Etablieren von vertrauensvollen Beziehungen verhindern, sogar wenn sich eine günstige Gelegenheit anbietet. Mit Jugoslawien ist die Situation offiziell gut, aber eine Reihe von Kleinigkeiten beweist, dass dies in Wahrheit ganz und gar nicht so ist. Belgrad spielt mit im Spiel der Franzosen und in dem der Deutschen, wobei das der Letzteren es mehr und mehr zu interessieren scheint. Andererseits teilen die Führung des Reichs und Jugoslawiens den gleichen Hass auf das Haus Habsburg und fürchten gleichermaßen eine Wiedereinrichtung der Monarchie in Wien. Letztere machen sich in der Folge zu treuen Dienern von Hitlers Ambitionen in Zentraleuropa  ; sie dienen als Paravent für die nationalsozialistische Propaganda in Österreich und beschützen deren Urheber … Der Generalstabschef ist sich völlig darüber im Klaren, dass eine zu lange eingenommene Erwartungshaltung extrem gefährlich werden kann  ; dass sich die Regierung urplötzlich einem italienisch-deutschen Ultimatum gegenüber finden kann, zum Beispiel freie Passage durch Tirol, dass sie somit keine Zeit mehr hätte zu wählen. Aber er begnügt sich damit, die Hände zum Himmel zu erheben und zu sagen  : „Was kann man machen  ?“ 762 John Vereker, 6. Viscount Gort (London,10.7.1866–31.3.1946, London), 1937 Chef des Empire-Generalstabs, 1939/40 Kdt. des brit. Expeditionskorps in Frankreich.

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fassung wehrunfähig machen. Das konnte Frankreich – wollte es als Großmacht nicht schmählich vertragsbrüchig werden – nie zugeben. Inzwischen wurden in emsiger Kleinarbeit durch die Generalstabsabteilungen der Sektion III alle Maßnahmen auf ihre Durchführung geprüft, laufend ergänzt und verbessert.763 Die erstmalige Abforderung von Schlagfertigkeitsberichten war für das Frühjahr 1938 in Aussicht genommen. Bei den Herbstmanövern im Raum nördlich der Donau, bei denen sich eine Westgruppe durch ein mit Sperrungen vorbereitetes Gelände gegen die verteidigende Ostgruppe vorzukämpfen hatte, fanden meine Absichten eine praktisch zufriedenstellende Erprobung. Der hohe Stand der Ausbildung und der die Truppen erfüllende vorzügliche Geist zeigten sich in diesem schwierigen und klimatisch rauen Gebiet sehr eindringlich für die zahlreichen in- und ausländischen Manövergäste. Die gute Zusammenarbeit der Fußtruppen und Artillerie mit der schnellen Division und der Luftwaffe beeindruckten allgemein. In Zwettl, wo sich das Gros der Manövergäste einfand, darunter zahlreiche Politiker und Staatsfunktionäre, war die Stimmung so gehoben, dass der Bundespräsident als Oberbefehlshaber in spontaner Ansprache das Heer belobte und auf dessen Gedeihen sein Glas erhob. Da Kanzler und Staatssekretär zufällig abwesend waren, oblag es mir, dem Oberbefehlshaber namens des Bundesheeres für seine Anerkennung zu danken. Gern tat ich dies und fügte absichtsvoll hinzu, dass das Gesehene nur ein Teil des Könnens war  ; darüber hinaus habe der Generalstab in den letzten Jahren in gründlicher Arbeit alles für die Bereitstellung des Heeres und die Verteidigungsfähigkeit des Landes so vorgesehen, dass der Bundespräsident und Oberbefehlshaber jederzeit mit voller Zuversicht die Soldaten Österreichs in Heer und Miliz zur Verteidigung der Heimat aufrufen könne. Neben mir saß der Staatsrat Graf Hoyos764, der mir ebenso 763 Anmerkung Jansa  : „Regierungsrat und Oberst a.D. Krische erinnerte mich nach Durchsicht dieser Niederschrift daran, dass ich ihm in der zweiten Hälfte November 1937 den Auftrag gegeben hatte, zur Überprüfung der von uns getroffenen Abwehrmaßnahmen den deutschen Aufmarsch für einen überfallsartigen Angriff auf Österreich zu kalkulieren. Seine Studie gründete sich auf die der Operationsabteilung damals von der Nachrichtenabteilung bekannt gegebenen konkreten militärischen Verhältnisse in Süddeutschland über die Truppenverteilung, Stärken und Formationen, Bereitschaftsgrad der Truppen, Waffengattungen usw. Sie ergab im Großen die Richtigkeit unserer Maßnahmen, soweit sie einer Ergänzung bedurften, wurde dies von mir handschriftlich den betroffenen Abteilungen aufgegeben. Dazu Ergänzung des Herausgebers  : Diese Studie befindet sich in den Akten des OpBüros als Konzept. Soweit sie nicht vernichtet worden sind, sind fast alle Akten des Operationsbüros, die nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht vorgefunden worden sind und als für künftige Operationen interessant erschienen, im Auftrag des OKW von Obstlt. Raus nach Berlin geschafft worden. Für die abgelieferten Akten wurde eine generelle Quittung ausgestellt. 764 Rudolf Ernst Graf Hoyos-Sprinzenstein (Gutenstein, NÖ, 4.7.1884–25.4.1955, Horn, NÖ), Gutsbesitzer, Angehöriger des nö. Heimatschutzes, 1934–1938 Staatsrat, Präsident des Bundestages, Vorsitzender der Bundesversammlung und des Staatsrates. Vgl. über ihn und seine Standesgenossen  : Gudula Walterskirchen, Der verborgene Stand. Adel in Österreich heute, Wien/München 1999, S. 56 ff.

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freudig zustimmte wie alle vielen Anwesenden. Eine Ausnahme machte nur Minister Glaise, der mir über den Tisch zurief  : „Aber es greift ja niemand Österreich an  !“ Ich rief ihm ebenso laut zurück  : „Noch nicht, sonst säßen wir nicht da  !“ Ich war sehr zufrieden, Gelegenheit gehabt zu haben, den Zustand erreichter Abwehrfähigkeit mit allem Ernst dem Bundespräsidenten und der Öffentlichkeit kundzutun.765 Im Laufe des Oktobers wurde nach vielen eingehenden Studien das Elaborat über die Verbindungen im Kriegsfall und die Studie über das Fernsprech- und Telegraphennetz und seine Sicherung fertiggestellt. Um den 17. November kam der deutsche Reichsaußenminister Frh. v. Neurath zu einem offiziellen Besuch nach Wien, was von den Nationalsozialisten zu einer demonstrativen Begrüßungskundgebung in der Mariahilfer Straße ausgenützt wurde. Eine Luftaufnahme stellte jedoch fest, dass dieser Rummel, der Massen vortäuschen sollte, nur durch eine verhältnismäßig kleine, das Auto des Ministers umschließende Menschengruppe veranstaltet worden war, während die übrige Mariahilfer Straße ganz schwache Frequenz zeigte. Bei dem am 17. November im Grand Hotel dem deutschen Außenminister gegebenen Déjeuner hielt Neurath eine ausgesprochen auf den nationalsozialistischen Jargon abgestimmte Rede, in der er Österreich in schulmeisterhaftem Ton über seine Pflichten gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschen Reich, sein Deutschtum und über die nötige Einheit des Volkes unter einem großen Führer ermahnte. Bundeskanzler Schuschnigg erwiderte mit seiner meisterhaften Sprachbeherrschung ungefähr, dass Österreich sich aus der Tradition seiner Jahrhunderte alten Aufopferung für Deutschland seiner Pflichten voll bewusst sei und deshalb fordere, dass man ihm in voller Achtung seiner Freiheit und Unabhängigkeit vertraue. Das war klar und eindeutig. Weniger eindeutig erwies sich damals Guido Schmidt, was ich allerdings erst nach Ablauf der ganzen Tragödie aus den vom British Element in Baden-Baden 1950 herausgegebenen Akten zur deutschen Politik, Dokument Nr. 269, entnehmen konnte. Er sagte damals zu dem den deutschen Außenminister begleitenden Dr. Megerle766  : „Auf militärischem Gebiet wird es nach Abgang von Jansa, das heißt spätestens im März 1938, zu einem intimeren Verhältnisse der beiden Generalstäbe kommen.“ Die Lage spitzte sich wie erwartet weiter zu und unser Berliner Gesandter Tauschitz berichtete nach einer Unterredung mit Göring von dessen nicht misszuverstehender 765 Die Manöver wurden unter der Leitung des Generaltruppeninspektors GdI. Schilhawsky im Zeitraum vom 1. bis 3.9.1937 im Raum Groß Gerungs–Zwettl–Liebenau abgehalten. Die oberösterreichischniederösterreichische Landesgrenze bildete die Staatsgrenze. Die „rote“ 4. Division erhielt den Auftrag, am 2. September einzufallen und über Groß Gerungs den Raum Zwettl zu gewinnen. 766 Über Dr. phil. Karl Megerle (Neuenstein, Württemberg 18.10.1894–  ?), Journalist, siehe die Daten bei Glaise-Broucek II, S. 115, Anm. 152. Er war seit 1935 in Sonderauftrag dem Propagandaministerium zugeteilt und Leiter des Büros Megerle.

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Äußerung, dass nun die Zeit gekommen sei, Österreich „so oder so“ an Deutschland anzuschließen.767 Das war für mich das Alarmsignal und ich gab nach Rücksprache mit dem Staatssekretär und Orientierung Hornbostels den Befehl hinaus, die planmäßig vorgesehenen Sperrungen im Grenzschutzraume zwischen Inn und Traun durch Einbau des bereitgestellten Materiales auszuführen. Um der Außenpolitik die Möglichkeit zu geben, sich auf „allgemeine“ militärische Maßnahmen berufen zu können, ließ ich auch einzelne der vorgesehenen Sperren an der tschechoslowakischen, ungarischen, jugoslawischen und italienischen Grenze ausbauen. Mitte Dezember 1937 bekam ich durch Hornbostel eine deutsche Note zur Stellungnahme, in der versucht wurde, unserer Geländebefestigung einen aggressiven Charakter anzudichten. Meine Stellungnahme wies auf die unmissverständliche Drohung 767 Diese Warnungen anlässlich der „Jagdausstellung“ in Berlin kamen nicht nur von Tauschitz und von Staatssekretär Skubl, die von ihren Unterredungen mit Göring berichteten. Auch Staatssekretär Schmidt machte nach einem Besuch anlässlich der Ausstellung in Karinhall bei Göring ähnliche Erfahrungen. Es kam aber auch unter dem Vorwand des Besuches der Jagdausstellung zu einem Treffen des Edward Lord Halifax, damals Vorsitzender des Geheimen Rates im britischen Kabinett Chamberlain, mit Hitler am Obersalzberg am 14. November 1937. Darüber berichtet „Das Buch Hitler“. Geheimdossier des NKWD für Josef Stalin, zusammengestellt aufgrund der Verhörprotokolle des persönlichen Adjutanten Hitlers, Otto Günsche, und des Kammerdieners Heinz Linge, Moskau 1948/49. Aus dem Russischen von Helmut Ettinger. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Dr. h. c. Horst Möller, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, München/Berlin, Bergisch Gladbach 2005, S. 70 f. unter Einbeziehung von Anm. 54 und Anm. 55 in jenem Werk  : „Am 19. November erwartete man auf dem Obersalzberg den Besuch von Halifax … In seiner Person nahm England mit Hitler Verhandlungen über den Anschluss Österreichs an Deutschland auf. Gegen 3.00 Uhr nachmittags traf der hoch gewachsene, hagere Halifax auf dem Berghof ein. Der Hausherr erwartete ihn persönlich an der Tür, drückte ihm herzlich die Hand und geleitete ihn dann zur Garderobe. Als Halifax den Mantel abgelegt und zwei wollene Pullover ausgezogen hatte, wirkte er noch magerer. Er folgte Hitler in dessen Arbeitszimmer, wo das Gespräch in Gegenwart von Neurath und des Dolmetschers Schmidt stattfand. Etwa eineinhalb Stunden später kamen Halifax und Hitler wieder heraus. Ihre Mienen zeigten völliges Einverständnis. Als Halifax abgefahren war, blieb Hitler in Hochstimmung zurück. Er rieb sich die Hände und schlug sich auf die Schenkel, als hätte er gerade ein gutes Geschäft gemacht. Beim abendlichen Gespräch amüsierten sich Eva Brauns Freundinnen über Halifax’ Aufzug und seine lange, dürre Gestalt. Hitler nahm ihn in Schutz. Er lobte ihn als klugen Politiker, der Deutschlands Ansprüche voll unterstütze. Hitler betonte, Halifax habe ihm versichert, England werde Deutschland nicht an seiner Politik gegenüber Österreich hindern. Mehr noch, Halifax habe erklärt, England wolle mit Deutschland parallel zur Achse Berlin-Rom einen Vertrag schließen. Dieser solle die deutsch-italienischen Beziehungen allerdings nicht beeinträchtigen. Freudig rief Hitler aus  : ‚Ich habe doch immer gesagt, daß die Engländer mit mir an einem Strang ziehen werden, denn sie lassen sich in ihrer Politik von dem gleichen Grundsatz leiten wie ich  : An erster Stelle steht die Vernichtung des Bolschewismus.‘“ Anm. 55  : Halifax notierte am 21.11.1937 auf der Rückfahrt von Berlin nach Calais über sein Treffen mit Hitler und dessen Verständigungswillen mit England  : „Wenn ich mich nicht vollkommen täusche, wollen die Deutschen von Hitler bis zum Mann auf der Straße im allgemeinen freundschaftliche Beziehungen zu Großbritannien“.

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Görings hin, die mich zu der rein defensiven Sicherung Österreichs zwinge, wobei ich nur bedauere, dass diese Sicherung infolge der beschränkten Mittel nicht in einem noch größeren Umfang durchgeführt werden könne. Auf eine weitere Frage unseres Außenamtes, wie man die Spannung lösen könnte, beantragte ich eine Aussprache mit der deutschen Heeresleitung, die uns Sicherheitsgarantien geben müsste. Gleichzeitig urgierte ich letztmalig über unseren Militärattaché in Rom (den ich laufend orientiert gehalten hatte) die Wiederaufnahme der Geschütztransporte von Italien nach Österreich. Als letzte große Arbeit konnte mit Jahresende der Kriegswirtschaftliche Schlagfertigkeitsbericht (Zl.14/KWA v.1938) zur Vorlage an die betroffenen Ministerien fertiggebracht werden. Sein Inhalt war umfassend, wenn auch auf vielen Gebieten nicht befriedigend. Ich blickte den durch die verschärfte Spannung sich ankündigenden Ereignissen mit Ruhe entgegen. Die militärischen Vorbereitungen hatten wenn auch nicht eine ideale, so doch im Rahmen des Möglichen immerhin befriedigende Vollständigkeit erreicht.768 Gleich in den ersten Tagen des Januar 1938 fand im BM. f. Landesverteidigung eine Besprechung statt, zu der alle Divisionäre, die leitenden Sektionschefs, der Chef der Operationsabteilung, der Heeresinspektor und der Staatssekretär vereint waren769. Ich hatte für diese Gelegenheit den mit der Beobachtung der illegalen nationalsozialistischen Tätigkeit in der Generaldirektion für Öffentliche Sicherheit befassten Sektionsrat Nagy gebeten, uns die letzten neuen Nachrichten vorzutragen, was nach vorheriger Durchsprache der laufenden militärischen Angelegenheiten auch geschah. Das dargestellte Bild war düster genug und veranlasste mich zu folgender, mir bis heute fast wörtlich in Erinnerung gebliebenen Ermahnung  : „Wir müssen also mit der Möglich768 Hellmut Andics, 50 Jahre unseres Lebens. Österreichs Schicksal seit 1918, Wien/München/Zürich 1968, S. 284 und Anmerkungen S. 716  : „Der führende Kopf war der Chef des Generalstabes, Feldmarschalleutnant Jansa, … wohl der fähigste Offizier des Bundesheeres. Sein Konzept sah die Hauptverteidigung an der Traunlinie vor, unter Detachierung schwächerer Einheiten zur Grenzbeobachtung in Tirol und Salzburg. Bis 1938 sollten siebeneinhalb Infanteriedivisionen und eine schnelle Division zur Verfügung stehen. Infolge des chronischen Geldmangels für Rüstungsausgaben im Budget verfügte das Bundesheer nur über Munitionsvorräte für ein bis zwei Kampftage (Information von Alfred Jansa an den Autor, Wien 1954). Trotzdem rechnete sich Jansa gewisse Erfolgschancen aus. Die Ereignisse beim deutschen Einmarsch im März 1938 bestätigten retrospektiv diesen Optimismus  : Der ersten deutschen Welle – zwei Armeekorps – hätte Österreich mit seiner Streitmacht zweifellos, zumindest vorübergehend, Halt gebieten können (Information von Generalleutnant d. Dt. Wehrmacht a.D. bzw. GM i. R. des Bundesheeres, Karl Bornemann, an den Autor). 769 Diese Besprechung der Divisionäre, ihrer Stabschefs und des Heeresinspektors mit Jansa erregte das höchste Interesse von General Muff, der aber weder das genaue Datum noch den Inhalt der Konferenz in Erfahrung bringen konnte.

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keit rechnen, dass Sabotageakte da oder dort unsere Verbindungen stören werden. Ich möchte nicht, dass aus solcher Ursache irgendwelche Unklarheiten entstehen. Bitte, meine Herren, veranlassen Sie nach ihrer Heimkehr sofort die Orientierung aller ihrer Untergebenen bis zu den äußersten Grenzposten, wie ich sie jetzt ausspreche  : Wer immer einzeln oder in Abteilungen die österreichische Grenze bewaffnet überschreitet, ist Feind  ; auf ihn ist ohne Rückfrage zu schießen  !“ Als meine Frage, ob jemand noch etwas zu sagen oder zu fragen wünsche, verneint wurde, beendete der Staatssekretär die Besprechung. In den folgenden Aussprachen mit den Vorständen der Generalstabsabteilungen überprüften wir noch einmal unsere Alarmautomatik und die Reihenfolge der Ausgabe vorbereiteter Befehle. Wir hatten die Überzeugung, gute, saubere Generalstabsarbeit geleistet zu haben, sodass alles mit übereinstimmender Genauigkeit zur Ausführung gelangen werde.770 Um die Januarmitte eröffnete mir der Staatssekretär, dass ich mit Rücksicht auf mein Dienstalter mit Ende März aus dem Aktivdienst auszuscheiden habe. Ich war nicht überrascht, hätte es aber nett gefunden, wenn der Bundeskanzler, der ja schließlich auch effektiv Minister für Landesverteidigung war, mir das persönlich gesagt haben würde. Da ich, mit der Möglichkeit nationalsozialistischer Attentate rechnend, dem GdI. Zehner wiederholt den Kommandanten der Schnellen Division, GM Hubicki, als meinen bestgeeigneten Nachfolger und Stellvertreter genannt hatte, fragte ich ihn jetzt, ob ich alle Agenden gleich an Hubicki übergeben könne. Zehner erwiderte Nein, General Beyer werde mein Nachfolger  ; dieser könne jedoch nicht gleich von Innsbruck abkommen, weshalb er mich bitte, mein Amt bis zum Eintreffen Beyers weiterzuführen. Da wendete ich mich ab, ging in mein Büro und wusste nun, dass die Unabhängigkeit 770 Einfügung Liebitzky  : „An mich in Rom wurden wiederholt mehrfache gesprächsweise Anfragen gestellt, von Gl. Pariani, Roatta, dem Nachrichtenchef Trippiccione usw., wie sich das Bundesheer bei einem gewaltsamen Einmarsch der Deutschen verhalten würde. Ich antwortete – aus voller Überzeugung – daß das Bundesheer seine Pflicht voll und verläßlich erfüllen werde, daß durch den Generalstabschef alle Vorkehrungen getroffen seien, um einem Einbruch überlegener Kräfte mit allen Mitteln entgegentreten zu können, daß dies aber naturgemäß nur für beschränkte Zeit möglich sein könnte (verfügbare Kräfte, Munitionslage) und daß dann ‚Europa‘ eingreifen müsse. Die maßgebenden Militärs (Pariani, sein Sous-Chef Gen. Rossi, Roatta), mit welchen ich bis in die letzte Zeit vor dem 13.3.38 öfters und immer wieder sprechen konnte, äußerten spontan die bei ihnen als Maxime geltende Meinung, daß ‚es für Italien untragbar sei, wenn Österreich seine Unabhängigkeit verlöre und das Gewicht des großen Nachbarn Deutschland unmittelbar auf die italienischen Grenzen, besonders am Brenner, drücke. Dies sei die schwerste Bedrohung Italiens.‘ Ich habe die Herren, und auch einmal Mussolini selbst, an das italienische Sprichwort erinnert  : ‚Wenn der Deutsche in Innsbruck frühstückt, ißt er zu Mittag in Mailand.‘ Man mußte den Eindruck haben, daß das Axiom ‚Österreich muss unabhängig bleiben‘ ein Grundpfeiler der italienischen Militärpolitik sei.“

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und Freiheit Österreichs nur eine Chimäre für Gutgläubige und jetzt ausgeträumt war. Mein Dienstalter war nur Vorwand  : General Beyer war mein Kriegsschulkamerad  ; er war genauso alt und hatte genau so viele Dienstjahre wie ich. Aber er galt als „betont Nationaler“, wie Glaise-Horstenau. So schenkte man also der Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs das Wort und gab dem Finis Austriae die Tat  ! Der folgende Monat verlief verhältnismäßig ruhig  ; der Dienstbetrieb lief routinemäßig  ; irgendwelche Entscheidungen traf ich in meinem Stadium der Ausscheidung nicht mehr  ; die oblagen meinem Nachfolger, der aber sein Eintreffen in Wien immer wieder verzögerte. Am 12. Februar veranstaltete der Verband der katholischen Edelleute im Hotel Imperial sein schönes, so ganz altösterreichisches Ballfest, das ich meiner beiden Töchter wegen besuchte. Es dürfte Mitternacht gewesen sein, als meine Töchter ganz aufgeregt auf mich zustürzten mit der Frage, ob es möglich sein könne, dass Schuschnigg zu Hitler nach Berchtesgaden gefahren sei. Jemand hätte in den Ballsaal diese Nachricht gebracht. Meine Töchter negierten sie nach dem gesunden Menschenverstand mit der Behauptung, da müsste doch der Vater, der Chef des Generalstabes, etwas davon wissen. Nein, der wusste gar nichts. Ich rief Hornbostel an und fragte, ob an dem, viel Aufsehen und Beunruhigung hervorrufenden Gerücht etwas Wahres sei. Ja, es sei wahr, aber streng geheim. Mich erstaunte nichts mehr. Ich hatte in der Überzeugung der unbedingten Notwendigkeit eines andauernden, engsten, vertrauensvollen Zusammengehens der Außenpolitik mit der Wehrpolitik unter Zurückstellung jeglicher Empfindlichkeit diesem Gedanken treu gedient  ; die andere Seite hat dieses vor zweieinhalb Jahren vom Kanzler selbst gutgeheißene Zusammenarbeiten zerbrochen. Als die Ballgäste mich um meine Meinung fragten, konnte ich doch nicht meine Überzeugung sagen, dass dies das Ende Österreichs sei. So beschränkte ich mich darauf, die Hoffnung auf Gott auszusprechen, damit diese Nacht- und Nebelreise ein gutes Ende finde.771 771 Die Quellen über das Treffen in Berchtesgaden am 12.2.1938 sind ediert in  : Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.) „Anschluß“ 1938. Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung Dr. Heinz Arnberger, Dr. Winfried R. Garscha, Dr. Christa Mitterrutzner, S.149 ff. 4. Protokoll und Communiqué über die Besprechung vom 12. Februar 1938, o. D. S. 151 f.: Der Bundeskanzler stellt folgende Maßnahmen in Aussicht … 8. Die militärischen Beziehungen zwischen der deutschen und der österreichischen Wehrmacht werden durch folgende Maßnahme gesichert  : a) Die Ersetzung des Generals Jansa durch den General Böhme, b) durch planmäßigen Offiziers-Austausch (bis zu einer Zahl von 100 Offizieren), c) durch regelmäßige Besprechung der Generalstäbe, d) durch planmäßige Belebung kameradschaftlicher und wehrwissenschaftlicher Verbindungen … Eine neue Quelle, das unter Anm. 756 der vorliegenden Edition angeführte „Buch Hitler“, S.71 f.: „Hitler empfing Schuschnigg ohne jedes Zeremoniell in seinem Arbeitszimmer. Seine Miene war düster, die Stirn gerunzelt. Damit wollte er Schuschnigg von vornherein klar machen, welcher Sturm ihn erwartete. Bald aber war seine

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Schon am nächsten Tag – mir bis heute unerklärlich wie – schwirrten in der Stadt Nachrichten, dass Hitler meine Absetzung verlangt habe  ; das Telefon schrillte in einem fort und auch die Mittagsausgaben der Zeitungen brachten ähnliche Nachrichten  ; die ganze Sache war in dieser Form ungut. Da ging ich zu Zehner und sagte ihm, dass die beste Ausschaltung aller Gerüchte die Herausgabe der Mitteilung sei, dass ich selbst um meine Ruhestandsversetzung gebeten habe. So schrieb ich ein entsprechendes Gesuch und wollte es am nächsten Tag, dem 14., dem Präsidialbüro zustellen lassen, als der Direktor der Gebietskrankenkasse, Burda, ein früherer hervorragend tapferer Generalstabsoffizier, den ich eine Ewigkeit lang nicht gesehen hatte, tief ernst bei mir erschien  : Er komme als Vertrauensmann der früheren Christlichsozialen mit dem Auftrag, mich zu bestimmen, meine Bitte um Ruhestandsversetzung nicht zu vollziehen  ; man brauche mich unbedingt auf meinem Posten. Auf meine Frage, was denn eigentlich los sei, was es in Berchtesgaden wirklich gegeben habe, sagte Burda, er wisse auch nur, dass Schuschnigg sich in allen Belangen Hitler gefügt habe und Österreich nationalsozialistisch werden solle. Deshalb werde die Bildung einer neuen Regierung besprochen, in die auch Sozialdemokraten eintreten würden, um eine geschlossene Front des Widerstandes gegen Hitler zu bilden  ; er frage mich, ob ich bereit sei, auf meinem Posten zu bleiben.772 Ich sagte ja, aber nicht mehr mit Zehner zusamDonnerstimme über die ganze Etage zu hören  : ‚Gnädiger Gott  ! Was denken Sie sich eigentlich  ? Ich, ein Österreicher von Geburt, bin von der Vorsehung bestimmt, ein großdeutsches Reich zu schaffen  ! Und Sie stellen sich mir in den Weg  ! Ich werde Sie zertreten  !‘ Hitler läutete nach Linge, der an der Tür des Arbeitszimmers Dienst tat. Als dieser eintrat, erblickte er den zusammengesunkenen Schuschnigg und den wutschnaubenden Hitler. Mit funkelnden Augen herrschte er Linge an  : ‚General Keitel soll kommen  !‘ Wegen Schuschniggs Besuch hielt sich Keitel bereits seit dem frühen Morgen im Schloß auf. Gestiefelt, gespornt und in voller Bewaffnung wirkte er wie der Kriegsgott Mars persönlich … Als Hitler Keitel zu sich rief, saß der im Wintergarten. Er schnallte seinen Säbel um, warf wie Hitler noch einen prüfenden Blick in den großen Spiegel, ob er auch kriegerisch genug aussehe, und eilte dann waffenklirrend die Treppe zu Hitlers Arbeitszimmer hinauf. Kurz darauf geleitete Keitel Schuschnigg nach unten. Die SS-Leute, die überall herumstanden, fanden, daß Schuschnigg ziemlich kläglich wirkte. Der zog sich völlig verwirrt und mit einer fahrigen Bewegung zurück, die, wie die SS-Leute lachend meinten, wohl einen Hitlergruß andeuten sollte. Beim Abendessen führte Hitler vor, wie er den unglückseligen Kanzler ‚fertig gemacht‘ hatte  : Als Keitel eintrat, habe er ihn gefragt  : ‚Wie viele Divisionen stehen an der Grenze, Keitel  ?‘ Und weiter  : ‚Was berichtet die Aufklärung über die Armee des Gegners, Keitel  ? Und Keitel antwortete verächtlich  : ‚Nicht der Rede wert, mein Führer.‘ – ‚Es gab nur einen Auftritt – den des „Kriegsgottes“ Wilhelm Keitel‘, lachte Hitler schallend.“ 772 Es dürfte sich um den Versuch des 1934 eingesetzten Regierungskommissärs für Wien und dann von der Regierung ernannten Bürgermeisters von Wien, Richard Schmitz, gehandelt haben. Siehe  : Ernst Joseph Görlich, Grundzüge der Geschichte der Habsburgermonarchie und Österreichs (Grundzüge, Band 15/16), Darmstadt 1970, S. 309 f.: „Auf österreichischer Seite waren Jansa und der Wiener Bürgermeister Richard Schmitz bereit, unter Umständen mit Waffengewalt der nationalsozialistischen Drohung zu begegnen.“ Schmitz war, wie sein junger Freund Görlich, den sogenannten Orelianern nahe, den

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men. Darauf fragte Burda, ob mir Hülgerth zusagen würde. Das bejahte ich, bat aber um baldige Entscheidung, weil ich Zehner mein Pensionierungsgesuch selbst angeboten hatte und ihn nicht warten lassen wollte. Doch am folgenden Tage telefonierte mir Burda, dass alles vergeblich gewesen wäre und stellte mich in meinen Entschlüssen frei. Darauf sandte ich mein Pensionsgesuch ins Präsidialbüro. Von Gen. Beyer war noch immer keine Spur zu entdecken  ; so übergab ich alle persönlich verwahrten Akten mit Verzeichnis dem Dienstältesten Abteilungsvorstand, GM Böhme. Am 16. Februar 1938 verabschiedete ich mich mit herzlichen, ehrlichen Dankesworten von den Herren der Sektion III, meldete mich bei GdI. Zehner ab und begab mich auf den Ballhausplatz zum Bundespräsidenten und Oberbefehlshaber des Heeres, Miklas. Eine Abmeldung beim Bundeskanzler und Heeresminister unterließ ich, weil ich bei seiner Inanspruchnahme wahrscheinlich nicht vorgekommen wäre. Der Bundespräsident empfing mich mit großer Herzlichkeit und forderte mich auf, Platz zu nehmen. Dann begann er mir sein Bedauern über meinen Rücktritt zu sagen und fügte seinen Worten der Anerkennung und des Dankes für meine Arbeit an, dass ich sozusagen das erste politische Opfer der unheilvollen Lage wäre  ; er wisse nicht, was noch alles folgen werde. Das gab mir die Möglichkeit zur Frage, was denn in Wirklichkeit geschehen sei  ; es werde so viel herumgeschwätzt und niemand wisse Bestimmtes. Darauf Miklas  : „Schuschnigg ist von Hitler in Berchtesgaden unter Druck gesetzt und ihm die Zustimmung zur Nazifizierung abgepresst worden. Ich antwortete  : „Und das lässt man sich gefallen  ? Das will man so ohne weiters annehmen  ?“ Miklas  : „Ja, ich habe Schuschnigg gesagt, er möge sich vors Mikrophon stellen und die Weltöffentlichkeit von dem Geschehenen orientieren.“ Mir entschlüpfte ein herzliches „Bravo  ! Das wird doch hoffentlich auch geschehen  ; und denken Sie, Herr Oberbefehlshaber, an das Bundesheer  ! Es steht bereit  !“ Da stand Miklas resigniert auf mit den Worten  : „Schuschnigg will nicht, und ich habe nach der Verfassung keine Handlungsfreiheit. Die Politik ist Sache des Kanzlers.“773 Gesinnungsfreunden des Anton Orel, der 1904 die angeblich erste christliche Arbeiterjugendbewegung der Welt geschaffen hatte. Der Soziologe, Historiker und Publizist Ernst Karl Winter hatte nach der Unterredung Schuschniggs mit Hitler in Berchtesgaden am 7.3.1938 ein langes Memorandum an den Bundeskanzler gerichtet, in dem er diesen zum Widerstand aufrief. Er forderte ihn zur eventuellen Flucht per Militärflugzeug und zur Bildung einer Exilregierung auf. Winter war Legitimist und trat für Demokratie und Rechtsstaat ein. Sein Traditionsverständnis als Historiker und als Soziologe manifestierte er in Studien über den Heiligen Severin, Pater Marco d’Aviano, Herzog Rudolf IV. den Stifter sowie Ignaz Seipel. Siehe  : Ernst Karl Winter, Ein österreichisches Memento, in  : Die Furche Nr. 6, 7, 8/1961  ; Ernst Karl Winter, Keine Scheu vor „Heißen Eisen“, in  : Die Furche, Nr. 5/1964, S. 3. 773 Dazu  : Ludwig Jedlicka, Bundespräsident Miklas und der 13. März 1938, in  : MIÖG, Bd. 71, 1963, S.  45 ff.; Walter Goldinger, Wilhelm Miklas 1872 bis 1956, in  : Friedrich Weissensteiner (Hg.), Die Österreichischen Bundespräsidenten – Leben und Werk, Wien 1982, S.82–121.

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Mit einer Handreichung war die Audienz zu Ende.774 Ich trat hinaus auf den Heldenplatz, sah die Denkmäler des Prinzen Eugen v. Savoyen und des Erzherzogs Karl, „des beharrlichen Kämpfers für Deutschlands Ehre“ und über ihnen glaubte ich die Geißel Gottes zu sehen, die diesmal Hitler hieß.775

774 Salzburger Nachrichten, 2.3.1973  : SN-Redakteur Gerhard Neureiter über die Fernseh-Erinnerungen Kurt Schuschniggs. Frage an das Schicksal am 11. März 1938  : „Schuschnigg hatte diese Frage am 11. März 1938 und sie lautete  : soll das im Gegensatz zur Polizei noch völlig intakte Bundesheer gegen die von ganz Europa zu diesem Zeitpunkt bereits gefürchtete Deutsche Wehrmacht antreten oder soll Schuschnigg seine Taktik fortsetzen, vor der Weltöffentlichkeit Hitler auch nicht den geringsten Anlaß für eine ,berechtigte‘ militärische Intervention so liefern. Schuschnigg blieb bei seinem gewaltlosen Weg, zumal die führenden Generale Schilhawsky und Hülgerth jeden militärischen Widerstand als sinnlos hingestellt hatten. Bundeskanzler Bruno Kreisky hat kürzlich in einem Interview über die Ereignisse den Rücktritt Schuschniggs zugunsten Seyss-Inquart als Kapitulation abqualifiziert. Dienstag Abend mußte man feststellen, daß der 40-jährige Schuschnigg vor der Geschichte noch lange nicht als Kapitulant dasteht, obwohl er selbst festgestellt hat, man könnte über die Frage Schießbefehl oder nicht verschiedener Meinung sein. … Mit dem Schlüsselereignis ,Volksbefragung‘ setzte sich Schuschnigg sehr eingehend auseinander. Der Beschluß dazu wurde, laut Schuschnigg, am 4. März 1938 im kleinen Kreis und im wesentlichen als Antwort an Hitler auf seine Rede vom 20. Februar 1938 vor dem Reichstag aufgefaßt. Hitler hatte erklärt, man könne vom deutschen Volk nicht verlangen, daß es zuschaue, wie zehn Millionen Deutsche im Ausland geknechtet werden. Es waren die sieben Millionen Österreicher und drei Millionen Sudetendeutschen gemeint. Österreichs Antwort darauf hieß nach Berchtesgaden  : ‚Bis hierher und nicht weiter.‘ Hitler konnte nicht zulassen, dass Schuschnigg die Karte ,Volksbefragung‘ ausspielte, zumal sich Schuschnigg vorher noch mit der österreichischen Arbeiterschaft weitgehend geeinigt hatte. Schuschnigg rechnete mit 65 bis 70 Prozent Ja-Stimmen. Für das selbständige Österreich hätten die Vaterländische Front, die illegalen Revolutionären Sozialisten, die Kommunisten und die evolutionären Nationalsozialisten unter Seyss-Inquart gestimmt. Wohltuend objektiv bemerkte Schuschnigg, daß die Sozialisten in seinem (von der Geschichte längst verurteilten – Anm. des Redakteurs) Regime das kleinere Übel im Vergleich zum Anschluß gesehen hätten. Der Rest ist bekannt. Schuschnigg wich in der Nacht zum 12. März ‚gewaltlos der Gewalt‘.“ 775 Jansas Karriere laut Grundbuchblatt  : 1.6.1935 bestellt zum Leiter der Sektion III im BMfLv.; 12.7.1935 verliehen das Komturkreuz des Österreichischen Verdienstordens, 24.12.1935 verliehen den Titel und Charakter eines Feldmarschalleutnants  ; 1.1.1936 übernommen in der Standesgruppe der Offiziere des Soldatenstandes zum Offizier des Generalstabes  ; 27.3.1936 bestellt mit 1. April 1936 zum Chef des Generalstabes für die bewaffnete Macht bei Belassung als Leiter der Sektion III im Bundesministerium für Landesverteidigung  ; 13.6.1936 ernannt zum Feldmarschalleutnant  ; 18.8.1937 verliehen das Militärdienstzeichen 1. Klasse für Offiziere  ; 31.3.1938 versetzt in den Ruhestand auf eigenes Ansuchen  ; 1. April 1938 angewiesen den Ruhegenuss.

XI.

Nachwort zur Dienstzeit

Die vorstehenden Erinnerungen gelten vornehmlich dem Bundesheer und seinem Generalstab. Darum steht es mir ganz fern, ein Werturteil über die Politik von Bundeskanzler Dr. Kurt Schuschnigg abzugeben. Wenn da und dort in der Darstellung mein Missmut über dies oder jenes Ausdruck findet, so kann das nicht als Werturteil über die Person des Kanzlers genommen werden, vielmehr sollten Eindrücke und Stimmungen, die mich damals bewegten, verbildlicht sein. Nach sechzehn und mehr Jahren der Ruhe und Abklärung durfte ich diese Niederschrift wagen, weil der Gedanke, ob durch einen Einsatz des Bundesheeres der grausige Ablauf der Ereignisse nicht eine andere Wendung hätte nehmen können, mir zu einer großen Gewissensnot geworden ist, die mich nie loslässt. Ich habe das Geschehen immer wieder durchdacht und darum entscheidende Wendungen und Gespräche unauslöschlich in Erinnerung behalten. Stand Österreich damals, wie Stefan Zweig es nennen würde, in einer Sternstunde der Menschheit  ?776 Ich weiß es nicht. Jedenfalls steht das Bild des leidgeprüften Kanzlers persönlich, durch sein reines Wollen, seinen tiefen Glauben und seine Liebe zu Österreich untadelig vor meinen Augen. Ich wage es nicht zu sagen, er hätte so und so handeln sollen  ; denn die große Verantwortung für den Entschluss hatte er nach der Verfassung ganz allein zu tragen. Ich hätte nur raten, mitreißen können  ; aber die Verantwortung lag letzten Endes bei ihm. Überhaupt bin ich der Meinung, dass niemand gerecht zu urteilen vermag, der nicht die zerreibende Abnützung durch sechs Minister- und Kanzlerjahre im ununterbrochenen Ringen gegen drei Fronten, der inneren, der außenpolitischen und der wirtschaftlichen Not unter dem vereinsamenden Druck der Verantwortung selbst erlebt hat. Daher werde ich abschließend auch kein Wennund-Aber erörtern  ; es wäre auch sinnlos. Meine Aufgabe war nicht die Führung der 776 Anspielung auf das Werk des österreichischen Dichters und Schriftstellers Stefan Zweig, der ganz besondere Episoden in der Geschichte schildert, die er als „Sternstunden der Menschheit“ sieht, beginnend von der Entdeckung des Stillen Ozeans durch den Konquistador Balboa bis zur Ankunft Lenins in St. Petersburg 1917. Das Werk entstand 1928. Stefan Zweig (Wien 28.11.1881–22.2.1942, Petrópolis bei Rio de Janeiro, Brasilien) studierte in Berlin und Wien, Dr. phil., bereiste Europa, Indien, Afrika, Amerika, ließ sich nach 1919 in Salzburg nieder, von wo er 1938 in die Emigration ging und später mit seiner Frau freiwillig aus dem Leben schied. Er gilt als Meister der psychologischen Novelle und des dichterischen Essays sowie der sogenannten „historischen Belletristik“.

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Politik, sondern das Heer als Werkzeug für die Politik so zu schärfen, dass es – falls sie sich seiner bedienen wollte – entsprach.777 777 Hier untertreibt Jansa nach Meinung des Herausgebers ganz gewaltig und stellt sein Licht unter den Scheffel  : In den hier unmittelbar folgenden Textpassagen wird sehr wohl der Aufmarsch als eine politische und ebenso militärische Maßnahme geschildert und von Jansa auch aufgefasst  : Verteidigung, bis die Machtstaaten und die mit ihnen verbündeten oder verbundenen Mittelstaaten bis Kleinstaaten politisch oder militärisch wirkungsvoll eingreifen. Ein solches Eingreifen hat ja unter anderem in seiner Pensionszeit Johann Kubena geschildert, und es hätte als zweite Möglichkeit durchaus angedacht werden können. Es wird hier auch in der Folge in einem ganz kurzen Auszug eines hochinteressanten und kenntnisreichen Artikels zur Kenntnis gebracht. Das Problem oder die Tatsache ist ja nur, dass offenbar Schuschnigg selbst an einer militärische Lösung als derjenige Machthaber, der laut Verfassung, allein die Politik zu gestalten hatte, daran überhaupt nicht denken wollte. Der Journalist Lucian O. Meysels hat Schuschnigg als „Mann, der nicht hassen konnte“ sehen wollen. Es dürfte aber neben dem durchaus empfundenen und mitgemachten Schrecken des Krieges eine durch nichts zu rechtfertigende Überheblichkeit gegenüber dem Prinzip der Landesverteidigung des „Heimatschutzes“ und eben auch des „Kriegshandwerks“ eine Rolle gespielt haben. Dies ist der Eindruck des Herausgebers. Es mag auch ein natürlich nicht bekannt gegebener, aber eben doch unchristlicher und daher abzulehnender Pazifismus eine Rolle gespielt haben. Feldmarschalleutnant a.D. Hans Kubena  : Konnte Österreich 1938 Widerstand leisten  ? in  : Die Presse, 19.4.1947 Nr. 16, S.  1 f.: „Motive Hitlers  : Verkürzung der deutschen Grenzen, Zugang zu Ungarn und Jugoslawien, Errichtung eines Großwirtschaftsraumes, Bedrohung eines lebenswichtigen Raumes durch die Tschechoslowakei … „die Tschechoslowakei steht und fällt mit Österreich.“ Für Österreich bestanden zwei Möglichkeiten  : Anschluß oder Wahrung der Selbständigkeit. Die erste Möglichkeit bedeutete Krieg, die zweite ebenfalls, wobei nur die Angreifer die Rollen gewechselt hätten. Wollte Österreich die Selbständigkeit, dann mußte es aufrüsten, um sie im Verbande mit den dem gleichen Schicksal entgegensehenden Staaten wahren zu können. Die Einnahme Polens setze die Besetzung der Tschechoslowakei voraus, welche hinwieder von Österreich aus genommen werden musste. Das Schwergewicht der Verteidigung dieser Länder lag somit in Österreich, am Inn und an der Salzach. Die Außenpolitik dieser Staaten wäre damit eindeutig gewesen. Gefühlsmomente hätten hier zurücktreten müssen.“ … Kubena verneint die Hilfe Italiens (Abessinien …), Frankreichs (Maginot-Linie, zurückgeblieben in Luftrüstung), Englands (Politik auf weite Sicht, erst in Aufrüstung begriffen). „Bei rechtzeitiger Mobilisierung hätten die tschechoslowakischen Truppen in die um 100 Kilometer kürzere Inn-Salzach-Front im Verein mit der österreichischen Wehrmacht eingesetzt werden können. Im März 1938 war es hierzu zu spät. Österreich wurde inzwischen überrannt. Bei gleichzeitiger Mobilisierung Österreichs, der Tschechoslowakei und Polens, demnach bei geschlossenem Auftreten der Ostfront, wäre es Frankreich und den im Norden davon gelegenen Kleinstaaten, ohne auf England zu warten, möglich gewesen, auf den Plan zu treten. Im Verein mit den Luftstreitkräften dieser Staaten einschließlich mit jener von England und Amerika konnte bei einer Gesamtstärke von 7 bis 8 Millionen Mann ein Gleichgewichtszustand hergestellt werden, der Hitler trotz des Westwalls verhindert hätte, auf einem der beiden Kriegsschauplätze mit stark überlegenen Kräften aufzutreten und dort den Erfolg zu erzwingen. Es wäre Sache einer weit vorausschauenden Außenpolitik und der rechtzeitigen Vorarbeiten der Generalstäbe gewesen, diese Möglichkeit zu schaffen. So wäre das namenlose Unglück, das alle, einschließlich Deutschland, getroffen hat, erspart geblieben …“ Zu diesen angeschnittenen Fragen siehe nunmehr  : Peter Broucek, Österreich und Tschechoslowakei. Zur militärischen Nachbarschaft im 20. Jahrhundert bis „Berchtesgaden“ und München, in  : derselbe, Militärischer Widerstand. Studien zur österreichischen Staatsgesinnung und NS-Abwehr, Wien/Köln/Weimar 2008, S. 122–155.

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In das Heer sind im Lauf der Jahre immerhin Millionen investiert worden, die aus schwer erarbeiteten Steuergeldern kamen. Das Volk hat ein Anrecht zu wissen, ob diese Investitionen richtig oder falsch waren. Ich hoffe, dass die Darstellung der Tätigkeit des Chefs des Generalstabes für die bewaffnete Macht den Nachweis bringt, dass der Generalstab in Treue, mit heißem Herzen und starkem Wollen präzise und saubere Generalstabsarbeit geleistet hat, die das organisatorisch richtig gebaute, ganz hervorragend durchgebildete Bundesheer und die Frontmiliz zu klaglosem Einsatz und vernünftig zweckbedingter Kampfführung gebracht hätte, wenn die Politik ihrer nur bedurft hätte.778

778 Es folgt nun im Manuskript Jansas eine nochmalige Erörterung der Erfolgsaussichten, aber rein unter Zitierung von Aussagen im Guido-Schmidt-Prozess und aufgrund von deutscher Literatur Anfang der Fünfzigerjahre, die mit den Memoiren nichts zu tun hat. Es sind Bemerkungen, mit denen aber Jansa noch nachträglich seine bekannten Argumente über Leistungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft des Bundesheeres wiedergibt. Er konzediert aber auch den Mangel an Munition über zwei Tage hinaus, wie dies auch Kubena eingesteht. Da diese Erörterung über Fachliteratur mit den eigentlichen Memoiren nichts zu tun hat, kann sie für Fachleute und interessierte Leser in dem im Kriegsarchiv aufliegenden Text überprüft werden. Hier werden diese Passagen weggelassen. Die folgenden Kapitel hat Jansa erst ab 1961 dem Kapitel X angefügt. Der Anlass scheint jene Frage des zurückgekehrten Altbundeskanzlers Schuschnigg an Generalmajor a. D. Szente gewesen zu sein, die gleich weiter unten erwähnt wird.

XII.

Im Ruhestand Wien – Erfurt – Wien 1938–1962

Nach meiner Abmeldung beim Bundespräsidenten Miklas, der damals nicht in der Hofburg, sondern im Gebäude des Bundeskanzleramtes schlicht und einfach amtierte, begab ich mich in meine Wohnung in der Liebiggasse 6. Dort legte ich die Uniform ab, um sie nie wieder anzuziehen. Als ich nun in Ruhe alles Geschehene noch einmal überdachte, musste ich Gott für meine Pensionierung danken  : Es war mir erspart geblieben, meine eigene fast dreijährige Arbeit am Widerstand gegen Hitlers Gewaltmaßnahmen als noch amtierender Chef des Generalstabes selbst desavouieren zu müssen. Denn was die Regierung Schuschnigg nun in genauer Befolgung vom Diktat in Berchtesgaden tat, machte jeden planmäßigen Widerstand unmöglich. Die Nationalsozialisten traten offiziell in alle Ämter, in Polizei und Gendarmerie ein, die bei einer Mobilisierung des Heeres wichtigste Mitarbeit zu leisten gehabt hätten. Ebenso wurden die Eisenbahnen, Telegraph und Telefon dem Einströmen der Nationalsozialisten geöffnet, in deren Hände es nun gegeben war, alle militärischen Befehle zu sabotieren. Ich konnte damals den Kanzler Schuschnigg mit seinem Außenminister Schmidt und auch Hornbostel nicht begreifen. Was dachten sich diese Menschen  ? Als unser hervorragend tüchtiger Militärattaché in Rom, Oberst Liebitzky, von Schuschnigg nach Wien berufen wurde, um Instruktionen für eine Anfrage bei Mussolini wegen der nun plötzlich geplanten Wahlen entgegenzunehmen, traf er mit mir zufällig bei der Straßenbahnhaltestelle vor dem Burgtheater zusammen. Er fragte mich, wie es mit der Möglichkeit eines militärischen Widerstandes gegen Hitler stünde. Leider musste ich ihm sagen, dass jetzt, da man die Nazis in alle Ämter habe einströmen lassen, an einen Widerstand nicht mehr gedacht werden könne. Die Mobilisierung hätte unmittelbar nach der Rückkehr des Kanzlers von Berchtesgaden befohlen werden müssen. Jetzt sei es zu spät  ; nachdem man dem Nationalsozialismus Tür und Tor geöffnet habe, dürfe man von der Armee keinen Kampf mehr erwarten. Auch die Soldaten seien Menschen – es würde ein Chaos geben. Als mir Liebitzky darauf sagte, dass der Kanzler für die geplante Wahl die Parole „Rot-weiß-rot bis in den Tod“ ausgeben wolle, griff ich mir an den Kopf, um festzu-

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stellen, ob ich wach sei oder träume.779 Auf Liebitzkys entsetzte Frage, was man denn jetzt machen solle, konnte ich ihm nur antworten, jetzt müsse jeder selbst sehen, wie er mit der Lage fertig würde, die uns unsere eigene Regierung eingebrockt habe. Darauf trennten wir uns. Heute, 23 Jahre später, bin ich nicht klüger als damals. In seinem Buche „Ein Requiem in Rot-Weiß-Rot“ sagt Schuschnigg irgendwo, dass er niemals ein zweites 1866 zugelassen hätte, wo Deutsche gegen Deutsche kämpften. Ja, wozu dann die ganze Rüstung, die Millionen Schilling gekostet hatte  ? Wie kann man ein Volk mit „Rot-weiß-rot bis in den Tod“ ansprechen, wenn man tatsächlich nicht kämpfen will  ?780 In Berchtesgaden versicherte Schuschnigg Hitler, dass ich bald pensioniert würde  ; bei einem Besuch in Österreich 1959 fragte Schuschnigg in Salzburg den Generalmajor Szente, warum ich eigentlich zurückgetreten sei. Da stimmt doch etwas nicht  ! War das Ganze nur ein frivoles Spiel  ? Dem Außenminister Schmidt würde ich das zutrauen  ; Schuschnigg aber, seiner ganzen Persönlichkeit und seiner Religiosität nach nicht. Ich muss daher annehmen, dass Schuschnigg durch die Unterredung mit Hitler in Berchtesgaden einen solchen Schock erlitten hatte, dass er einfach nicht mehr ein und aus wusste. Ich glaube bis zum heutigen Tage, dass Dollfuß anders gehandelt hätte. Er hätte nach seiner Rückkehr von Berchtesgaden das getan, was Bundespräsident Miklas geraten hatte  : ganz Österreich zum Kampf gegen die Hitlersche Diktatur aufrufen und das Heer mobil machen.781 Ob 779 Schuschnigg sprach am 24.2.1938 vor dem Bundestag  : „Die Regierung erachtet es als ihre erste und selbstverständliche Pflicht, mit allen ihren Kräften die unversehrte Freiheit und Unabhängigkeit des österreichischen Vaterlandes zu erhalten.“ Er schloss mit den Worten  : „Rot-weiß-rot bis in den Tod  !“ 780 Dieser Ansicht war auch der damalige Leutnant Emil (Graf ) Spannocchi, der spätere Gen.d.Pztruppen u. Armeekdt. des (2.) Öst. Bundesheeres  : Emil Spannocchi, Die Truppe stand und schwieg. Zum Leonidas hat es damals bei keinem Politiker gereicht, in  : Thomas Chorherr (Hg.), 1938 – Anatomie eines Jahres, Wien/Korneuburg, 1987, S. 193–201. 781 Es muss jedoch angeführt werden, dass in den Tagen nach Schuschniggs Rede in der Steiermark Unruhen ausbrachen, geleitet von Armin Dadieu, Volkspolitischer Referent der VF für Steiermark, Offizier der illegalen SS und späterer SS-General. Nach früheren eigenen Aussagen war Dadieu gewillt, einen militärischen Aufstand zu entfesseln – also bereits vor Schuschniggs Bekanntgabe der Volksbefragung. Die Unruhen banden jedenfalls erhebliche Kräfte des Bundesheeres, die bei einem Aufmarsch gefehlt hätten. Der Generalstabschef der 5. Division, Obst.i.G. Erich Oliva schildert eindrücklich in seinen Memoiren (Privatbesitz), dass sich auch der Angehörige des Stabes der Division, Obstlt.i.G. Julius Ringel am 10.3.1938 nach Wien abgemeldet hatte. Was man nicht so genau wusste, war, dass Ringel der Führer des NSR für die Steiermark war. Laut den Memoiren des Kommandanten der oberösterreichischen 4. Division GMKienbauer war beim Linzer Militärkommando der Ringführer für Oberösterreich des NSR, Obstlt. Sinzinger, dabei, die Macht zu übernehmen. Dies geschah alles mithilfe der wieder erstarkten SA und der SS. Siehe  : Dieter Wagner/Gerhard Tomkowitz, „Ein Volk, Ein Reich, Ein Führer  !“ Der Anschluß Österreichs 1938, München 1968; siehe weiters die Aufsätze von Schmidl und Peball sowie Preradovich, SS-Generäle Österreichs (alle im Literaturverzeichnis).

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Hitler daraufhin einmarschiert wäre, kann niemand sagen. Österreich wäre aber auf jeden Fall rühmlicher in die Geschichte eingegangen als durch Schuschniggs professorale Unentschlossenheit. Wenn Schuschnigg von Haus aus, gleich als er zum Kanzler ernannt worden war, einen Austrag des Gegensatzes zu Hitler mit den Waffen ablehnte, dann hätte er in Österreich ordnungsmäßig wählen lassen und die Entscheidung über den Anschluss an Hitler dem österreichischen Volk anheimstellen müssen. So wie es tatsächlich geschah, nicht wählen lassen, rüsten, aber nicht kämpfen wollen, war es blamabel für ihn und ganz Österreich  ! Ich gehörte nach dem Einmarsch Hitlers nicht zu jenen, die ihre Gesinnung rasch änderten oder gar das Doppelspiel zur Schau gestellter Treue zu Österreich und gleichzeitiger Beitragsleistung unter falschem Namen an die Nazipartei getrieben hatten. Ich rechnete stündlich mit meiner Festnahme und Verbringung in ein Konzentrationslager. Ich sagte meinen Töchtern immer wieder, dass sie fest daran glauben sollen, dass ihr Vater nichts Unsauberes getan, sondern nur seine beschworene Eidespflicht für Österreich erfüllt habe. Als ich einmal die Mariahilfer Straße herunterspazierte, sah ich nur jubelnde Gesichter und die Aufrichtung von Fahnenmasten mit Girlanden zum Schmuck der Straßen für den Empfang des „Führers“. Wo waren sie, die überzeugten Österreicher  ? Anlässlich unseres Zusammentreffens an jener Straßenbahnhaltestelle hatte Liebitzky mir noch erzählt, dass Mussolini gleich nach dem Bekanntwerden meiner Pensionierung zu ihm gesagt habe, er werde für alle Fälle von Hitler fordern, „dass dem General Jansa kein Haar gekrümmt werde“. Ich hatte um nichts gebeten und nahm diese Mitteilung recht ungläubig entgegen. Auch der ungarische Militärattaché Obst. Veress bot mir im Auftrag seiner Regierung Unterstützung an, wenn ich mich nach Ungarn absetzen wollte. Ich dankte ihm, erwiderte jedoch, dass ein österreichischer General auch vor einem Herrn Hitler nicht flüchte. Elfi Weyer, Mathematik-Korrepetitorin meiner Tochter, deren Schwester in der deutschen Gesandtschaft angestellt war, warnte mich wiederholt, dass ich auf der Liste der zu Verhaftenden stünde und täglich mit meiner Festnahme rechnen müsse. Obwohl sich mein Bruder Heinrich nie für Dollfuß oder Schuschnigg exponiert hatte, wurde er vom Dienst enthoben und später pensioniert. Es lag nahe, zu vermuten, dass dies nach dem Grundsatz der Sippenhaftung meinetwegen geschehen war. Bald aber erfuhr er, dass ein Racheakt eines seiner Kollegen vorlag, der sich durch meinen Bruder als Personalreferenten geschädigt geglaubt hatte. Mein Bruder wurde sofort nach dem Zusammenbruch 1945, noch vor seinem frühen Hungertod, rehabilitiert. Es lag an dem gleich nach dem Einmarsch der Deutschen allgemein einsetzenden Misstrauen aller gegen alle, dass wir bald recht isoliert waren. Ich wollte außer Be-

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suchen bei meinem Bruder niemanden durch den Umgang mit mir in Verlegenheit bringen. Einmal nur bat ich die Frau eines Kameraden und Generals telefonisch, bei irgendeiner Anschaffung meiner Kinder in Kleidersachen diesen an die Hand zu gehen  ; sie hatte sich noch vor Kurzem hierzu ausdrücklich angeboten. Jetzt aber wies sie meine telefonische Bitte ohne irgendeinen Vorwand glatt ab. Da ich begreiflicherweise zu den deutschen einmarschierten Truppen und Offizieren keine Verbindung suchte, war ich auch machtlos, wenn Bitten um Hilfe an mich gerichtet wurden. So rief mich die Gräfin Hoyos an, ihrem Mann, dem gewesenen Staatsrat, der in das Polizeigefangenenhaus verbracht worden war, den Besuch seines Hausarztes zu erwirken. Er war bei einer Turnübung in der engen Zelle abgerutscht und hatte sich dadurch am Schienbein verletzt. Der alte Polizeipräsident Skubel782 war natürlich enthoben worden und die neuen Polizeigrößen kannte ich nicht. Aber vielleicht konnte General Löhr, der Chef unserer Flieger, etwas tun  ; er war sofort als „deutscher Fliegergeneral“ übernommen worden. Ich rief telefonisch an. Nur Frau Löhr war erreichbar. Sie sagte mir gleich zu, ihren Mann nach seiner Heimkehr zur Intervention aufzufordern. Als ich nach zwei Tagen wieder anrief, sandte mir Frau Löhr ihren gerade zum Essen heimgekommenen Mann ans Telefon, der mir auf meine neuerliche Bitte frostig sagte, er könne nichts tun, denn die Geheime Staatspolizei höre auf Generäle nicht. Inzwischen aber war es dem Hausarzt der Hoyos gelungen, ins Polizeigefängnis zum Grafen zu kommen, dessen Verletzung wohl eiterte, aber sonst unbedeutend war. Dann traf mich die Nachricht, dass General Zehner Selbstmord verübt hatte, als zwei Kriminalbeamte ihn aufgesucht hatten. Warum eigentlich  ? Er scheint ganz die Nerven verloren zu haben. Ich war der Meinung, wir Österreich treuen Generale hatten auch der Gestapo gegenüber aufrecht und wahr zu bleiben. Prompt brachte natürlich Elfi Weyer aus der deutschen Gesandtschaft die Nachricht, dass ich in den nächsten Tagen verhaftet würde. Aber es kam niemand mich holen, obwohl nach und nach durchdrang, dass Tausende und Abertausende überzeugte Österreicher nach Dachau bei München, ins Konzentrationslager, verbracht worden waren. Schuschnigg hatte abgelehnt zu fliehen und wurde ins Polizeigefangenenhaus verbracht. Allmählich wurde es mir fast peinlich, noch nicht geholt worden zu sein. Sollte Mussolini wirklich bei Hitler für mich interveniert haben  ? Einmal besuchte mich meines Bruders Hausarzt, Dr. Waneck, der viel Verbindung zu Offizierskreisen hatte, und erzählte mir, dass über mich Erhebungen liefen, ob ich 782 Dr. Michael Skubl (Bleiburg,Kärnten, 27.9.1877–24.2.1964, Wien), Staatssekretär in Angelegenheit der Sicherheit, 20.3.1937–11.3.1938, danach noch 2 Tage bis 13.3.1938 Staatssekretär für Sicherheitswesen.

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nationalsozialistische Soldaten ungerecht verfolgt hätte. Dabei hätte die Aussage des Oberstlt. Saliger aus Krems zu meinen Gunsten entschieden. Dieser Oberstlt. Saliger hatte im Jahre 1929, da die nationalsoz. Partei in Österreich noch erlaubt gewesen war, wegen einer öffentlichen Werberede einen Ehrenhandel mit einem christlichsozialen Abgeordneten, der Saligers Duellforderung mit Beschimpfungen zurückgewiesen hatte. Ich war damals Stellvertreter des Brigadekommandanten und Vorsitzender der Disziplinarkommission. Diese hatte, mit dem Falle Saliger befasst, dessen Verhalten korrekt und richtig erklärt. Ja, meinte Dr. Waneck zu mir, dass ich wohl nie daran gedacht hätte, dass meine Gerechtigkeit als Vorgesetzter einmal sogar von den Nazis anerkannt werden würde. Dafür war eine andere Sache sehr unangenehm  : Das in Wien errichtete deutsche XVII. Korpskommando hatte die Räumung aller militärischen Gebäude von den darin wohnenden Offizieren befohlen, die längstens bis Ende Mai vollzogen sein musste. Ich fand im VIII. Bezirk in der Schönborngasse eine bescheidene und preiswerte Wohnung mit allem Komfort, die sowohl zu der Schule in der Lange Gasse wie zur Universität gut gelegen war. Der die Bauagenden beim deutschen Korpskommando führende österreichische Ingenieur Guretzky783 bewilligte mir sogar eine kostendeckende Übersiedlungsbeihilfe. Arbeit war damit allerdings viel verbunden  ; aber jetzt als Pensionist hatte ich ja Zeit. Frau Metzger, die Inhaberin des Höheren-Töchter-Pensionates in Hietzing, war so unerschrocken nobel, mir für meine beiden Mädeln für 2 Monate einen Sommeraufenthalt um den halben Preis in Krumpendorf am Wörthersee anzubieten, was ich sehr gern annahm und was auch den Mädeln große Freude bereitete. Ich konnte das tun, weil ich selbst sehr bescheiden lebte und mein Ruhegehalt, nach dem Schema für einen deutschen Generalleutnant berechnet, erhielt. Die deutschen Gebührensätze waren viel höher als unsere in Österreich. Meine mir von Österreich angewiesene Pension betrug rund 1.000 Schilling monatlich. Nun bekam ich aber 1.200 Mark, wobei zwangsweise die Mark mit 1,50 Schilling bewertet wurde. Diese Umwertung musste ich, so wie alle anderen Österreicher, ruhig hinnehmen obwohl ich wusste, dass die Relation falsch war. Der Schilling war zur Gänze durch Gold gedeckt, während die Mark eine ungedeckte Zwangswährung, also reines Papiergeld war. Sie behielt deshalb auch nicht ihren Zwangskurs, sondern war in Waren aller Art bald höchstens so viel wert als der gute alte Schilling. 783 Hermann Guretzky-Kornitz (Görz/Gorizia, heute Italien, 8.4.1883–5.4.1973, Wien), 1901–1903 Absolvent der Techn. Milakad, 18.8.1904 Lt., im 1. Weltkrieg in der Militärabt. 5. Korps bzw. Felddienst, 1.1.1920 Mjr. im liquid. KM, 20.9.1920 im Staatsamt f. Heerwesen, 8.7.1920 Obstlt., 21.2.1928 Militär-Oberbaurat, Dienst bei BrigKden, 1.1.1936 Ingenieur-Oberst, 31.10.1938 verabschiedet.

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Aber ich konnte doch unseren Lebensaufwand bedecken und auch wieder eine kleine Geldreserve anlegen, aus der ich nach und nach die Erb-, Gerichts- und Notariatsgebühren für den durch die Anwartschaften von Aba und Aradvány sehr kompliziert und langwierig gewordenen Nachlass meiner guten Frau bar bezahlen konnte. Wegen der durch die politische Vergewaltigung Österreichs entstandenen Passund Reiseschwierigkeiten war in diesem Jahre an einen Aufenthalt in Ungarn nicht zu denken. Ich gab meinen Töchtern genaue Verhaltungsmaßregeln für den Fall meiner Verhaftung während ihres Aufenthaltes am Wörthersee. Sie sollten sich in allem an meinen guten Bruder Heinrich wenden. Auch Frau Metzger und die gute Wahltante Nimmerrichter in Mödling versprachen, sich der Kinder anzunehmen, wenn ich festgenommen werden würde. Unsere Köchin Käthe war uns treu geblieben und in die neue Wohnung in der Schönborngasse mitgekommen. Die groben Reden des Gauleiters Bürckel784, die bei Tag und Nacht durch das Radio verbreitet wurden, verleumdeten alle anständigen Österreicher, besonders den gewesenen Bundeskanzler Schuschnigg, in gemeinster und niedrigster, vor keiner Lüge zurückschreckender Form. Der Name Österreich sollte ausgelöscht werden  ; die Judendrangsalierungen began­ nen sofort. Alle Geschäfte wurden von den einströmenden Deutschen aller Art (nicht nur von den Nazis) ausverkauft, die österreichischen Soldaten in den Kasernen von preußischen Unteroffizieren gröblich beschimpft. Der ganze, jahrhundertealte Minder­wertigkeitskomplex Preußens gegenüber Österreich kam überall racheartig zum Durchbruch. Selbst die österr. Nationalsozialisten hatten erwartet, dass Österreich mit seinen Bundesländern geschlossen, so wie Bayern, ins Deutsche Reich aufgenommen würde. Als aber jedes Bundesland einzeln für sich als „Reichsgau“ eingegliedert wurde, wobei Niederösterreich und Oberösterreich in Niederdonau und Oberdonau umbenannt wurden, da machten selbst die österr. Nazis zum Teil lange Gesichter.785 Man begann bald aus allen Kreisen zu hören, dass man sich den ersehnten „Anschluss“ anders vorgestellt hatte. Man hatte ein Einströmen von Wohlstand erhofft und bemerkte nun, dass man wie ein Feindesland ausgeplündert wurde. Die jubelnde Stimmung der Märztage war im Laufe weniger Monate sehr ernüchtert und kritisch geworden. Ja, dachte ich mir oft, mir wollte ja niemand Glauben 784 Über Josef Bürckel (1895–1944) siehe die Daten bei Glaise-Broucek II, S. 106, Anm. 129. Bürckel war 23.4.1938–31.3.1940 Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich u. 30.1.1939–7.8.1940 Gauleiter von Wien, 12.4.1940–7.8.1940 Reichsstatthalter in Wien. 785 Osttirol wurde zu Kärnten geschlagen, das Burgenland zwischen Niederdonau und Steiermark aufgeteilt.

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schenken, als ich meine Berliner Erfahrungen mit dem Nazismus erzählt hatte  ; jetzt ist die Enttäuschung der Lohn für die „Anschlussfreude“  ! Während die Kinder in Kärnten am Wörthersee schöne Tage erlebten, fuhr ich jeden Morgen an eine andere Straßenbahn-Endstation und durchwanderte die wunderbare Umgebung Wiens, der selbst der Nazismus zu dieser Zeit noch nichts Böses anzutun vermochte. Dabei nahm ich Grillparzers Worte  : „Hast Du das Land vom Kahlenberg besehen, dann wirst Du, was ich schrieb, verstehen.“ noch tiefer und noch inniger in mich auf. Die ganze schwere Geschichte Österreichs trat lebhafter vor meine Augen als je zuvor, und ich begann mich immer mehr in historische Lektüre zu vertiefen. Auch die römische Geschichte holte ich nach. Ich kaufte antiquarisch billig Mommsens beide Bände und las viel, wozu mir der aktive Dienst nicht die Zeit gewährt hatte. Ich glaubte nicht einen Augenblick daran, von der Gestapo ganz unbehelligt zu bleiben, genoss aber mit Ruhe und Gleichmut meine Freiheit. Einmal besuchte mich der tüchtige österreichische Legationsrat Schöner, um festzustellen, ob ich noch lebe. Er hatte dem Außenamt angehört und mich sehr geschätzt. Von ihm erfuhr ich authentisch die vielen Verbringungen fast aller christlichsozialen und sozialdemokratischen Politiker und sehr vieler Staatsfunktionäre in Konzentrationslager. Er war trotz seiner tief religiös-österreichischen Gesinnung nur vom Dienst enthoben, aber sonst nicht behelligt worden. Von mir heiße es täglich von Neuem, dass ich schon verhaftet worden sei oder in den allernächsten Tagen festgenommen würde. Mitte September kamen meine Töchter frisch und gut erholt aus Kärnten nach Wien zurück. Sie waren dort mit einer jungen Dame aus Budapest bekannt geworden, der sie nun in häufigen gemeinsamen Ausgängen Wien zeigten. Am 28. September 1938, einem Donnerstagnachmittag gegen 3 Uhr, klingelte es. Da sowohl meine Töchter als auch die Köchin ausgegangen waren, öffnete ich selbst die Wohnungstür. Zwei Männer stellten sich mit „Geheime Staatspolizei  !“ vor und verlangten Eintritt. Nun war es also so weit. Monate hatte ich auf diesen Moment gewartet und war nun doch erschrocken  ! Aber ich hatte sofort wieder Haltung gewonnen, verlangte die Legitimierung der Männer und fragte nach ihrem Begehren. Sie hätten eine Hausdurchsuchung vorzunehmen. Ich sagte  : „Bitte“ und führte sie durch das Speisezimmer in meines, wo ich gerade einen Brief an meine Schwiegermama mit der Schilderung der Heimkehr meiner Töchter aus Kärnten geschrieben und noch nicht ganz beendet hatte. Gierig gingen die beiden Beamten zum Schreibtisch und begannen diesen Brief zu lesen, legten ihn offensichtlich enttäuscht zurück, durchblätterten dann etwas verlegen die Schreibmappe und sahen mich dann ebenso verlegen an. Ich fragte nun, ob sie etwas Bestimmtes bei mir suchten  ; ich hätte keinerlei staatsgefährliche Papiere, nur das

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inzwischen verbotene Schuschnigg-Buch „Dreimal Österreich“ stünde in meinem Bücherregal. Das Buch, in dem leider auch meine Notizen aus der Zeit meiner Tätigkeit als Chef des Generalstabes eingelegt waren, nahmen die Beamten an sich. Dann forderten sie mich auf, mit ihnen ins Hotel Metropole am Franz-Josephs-Kai zu kommen Dort war der Sitz der „Geheimen Staatspolizei“, allgemein als „Gestapo“ abgekürzt. Darauf sagte ich den Beamten, dass ich zwei minderjährige Töchter hätte, die, ebenso wie die Köchin, nicht daheim seien. Ich wollte ihnen Nachricht hinterlassen und fragte deshalb, wohin ich vom Metropole-Hotel gebracht würde  ? Darauf bekam ich die recht unfreundliche Aufforderung, nichts zu schreiben und mich rasch zum Ausgehen fertig zu machen  ; ich hätte in der Zentralstelle nur ein paar Dokumente zu unterschreiben und könne dann gleich wieder nach Hause zurückkehren. Zu dritt fuhren wir mit der Straßenbahn zum Metropol. Dabei wurde einer der Beamten gesprächiger und sagte mir, ich würde sehr milde behandelt. Ich müsste meinen Wohnsitz nur nach Erfurt verlegen. Er fügte hinzu, das sei ja eine schäbige Stadt, aber besser als ein Konzentrationslager  ! Im Hotel Metropol wurde ich einem Hausdiener übergeben, der mich an eine einen Stiegenaufgang abschließende Eisengittertür führte. Er schloss sie umständlich auf und ließ sie nach dem Durchschreiten ins Schnappschloss fallen  : ein unheimliches Geräusch, wenn man an die Freiheitsberaubung denkt. Und an dieses Geräusch des Zufallens einer eisernen Gittertür hinter mir, das ich in der Folge oft und oft hören musste, konnte ich mich nie gewöhnen  ; es kostete mich jedes Mal eine starke Nervenanspannung, um mit gleichgültigem Gesicht Haltung zu bewahren. Der Hausdiener führte mich in den dritten Stock. An keiner Tür war ein Name zu lesen  ; auf den Türschildern waren nur Buchstaben und Ziffern, deren Bedeutung ich nicht kannte. Vor einer der Türen blieb er stehen und bedeutete mir einzutreten. Am Schreibtisch, mit dem Gesicht der Tür zugewandt, saß ein Beamter in Zivil. Der Diener meldete  : „Das ist der Jansa.“ Ich machte darauf eine leichte Verbeugung und sagte  : „Feldmarschalleutnant Jansa  ; darf ich fragen, mit wem ich zu sprechen nun die Ehre haben werde  ?“ Antwort  : „Nein  ! Die Staatspolizei arbeitet anonym  ! Setzen Sie sich  !“ So nahm ich auf dem Stuhl gegenüber dem Beamten Platz. Er zog ein bescheidenes Aktenbündel, das links vor ihm am Schreibtisch gelegen war, heran, öffnete es und begann, dass ich wegen feindseliger Betätigung gegen den Nationalsozialismus aus allen Ländern Österreichs ausgewiesen werde. Als Zwangsaufenthalt werde mir die Stadt Erfurt angewiesen, wo ich mich am 30. September mittags, also übermorgen, bei der dortigen Gestapo zu melden habe. Ich überlegte einen Augenblick und stellte dann folgende Fragen  : Ich wüsste, dass in der Nähe Erfurts das Konzentrationslager „Buchenwald“ liege  ; bedeute meine Einweisung nach Erfurt die Verbringung nach Buchenwald  ? Antwort  :

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nur wenn ich mir etwas zu Schulden kommen lassen würde. Ob ich das Reisegeld nach Erfurt bekäme  ? Antwort  : Nein, alle Verfügungen der Gestapo belasten den Verurteilten. Schön, sagte ich darauf, aber es sei Monatsende  ; ich stünde finanziell sehr knapp  ; ob ich nicht die Anweisung meines Ruhegehaltes pro Oktober abwarten und erst am Montag, den 2. 10. abreisen dürfte  ? Die Antwort war wieder „Nein  !“ Die Verfügung sei vom höchsten Chef der Gestapo unterfertigt, dem SS-Oberstführer Heydrich  ; dagegen gebe es keine Berufung und nur pünktlichste Befolgung. Ich fragte weiter, ob meine beiden minderjährigen Töchter nach meiner Abreise irgendwelchen Verfügungen durch die Gestapo im Sinne der Sippenhaftung ausgesetzt sein würden  ? Nein, meine Töchter interessierten die Gestapo solange nicht, als sie kein feindseliges Verhalten gegen den Nationalsozialismus zeigten. Darauf sagte ich, dass dies nicht der Fall sein würde  ; ich hätte beide dem BdM. beitreten lassen. Das sei gut, meinte der Beamte, so gehe alles in Ordnung, und notierte dies im Akt. Dann reichte er mir vier mit Schreibmaschine vorgeschriebene Bögen mit der Aufforderung, jeden einzeln zu unterschreiben, wobei er mir eine Feder und Spezialtinte zuschob. Der erste Bogen enthielt meine Ausweisung aus allen Ländern Österreichs. Der zweite bestimmte mir Erfurt zum Zwangsaufenthalt ab 30.9.1938 mittags. Der dritte forderte meine Erklärung, dass ich in Hinkunft weder durch Sprache oder Gebärde, durch Schrift oder Tat übel wollende oder feindselige Handlungen gegen den Nationalsozialismus begehen würde. Der vierte forderte von mir die dauernde Geheimhaltung der seitens der Gestapo gegen mich getroffenen Verfügungen jedermann gegenüber und meine Meldepflicht bei der Gestapo in Erfurt. Auf jedem der vier Bogen stand als Schlusssatz die Drohung der sofortigen Verbringung ins Konzentrationslager im Falle der Nichtbefolgung. Die ersten drei Bögen unterschrieb ich ohne Weiters, da ja jetzt, nachdem das nationalsozialistische Reich in Österreich zur Macht gekommen war, einzelner Widerstand sinnlos gewesen wäre. Vor dem vierten Bogen äußerte ich aber Bedenken  : Ich könnte doch vor meinen Kindern und meinem einzigen Bruder nicht spurlos aus Wien verschwinden  ! Ich sei Witwer, ich müsse doch wenigstens brieflich auf die weitere Erziehung meiner Kinder und deren materielle Versorgung Einfluss nehmen können  ! Darauf erwiderte der Beamte, dass ich den drei genannten Personen, aber auch nur diesen, sagen könne, dass ich nach Erfurt verreise, nicht aber, dass dies auf Weisung der Gestapo erfolge  ; welchen Grund ich mir dafür ausdenke, sei meine Sache. Ich konnte nicht umhin, darauf zu antworten, dass ich mich also zur permanenten Lüge meinen Kindern und meinem einzigen Bruder gegenüber verpflichten solle  ; das ginge doch zu weit  ! Der Beamte zuckte die Achseln und meinte kalt lächelnd, ich hätte die Wahl

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zwischen der Unterschrift und dem Konzentrationslager. Da nahm ich die Feder und unterschrieb auch den vierten Bogen. Darauf war ich entlassen. Der Hausdiener geleitete mich die Stiegen abwärts und durch das eiserne Gittertor zum Hotelausgang. Als ich auf der Straße stand, atmete ich tief auf. Gott war gnädig gewesen und hatte dem seinerzeitigen Verlangen Mussolinis, mir kein Haar zu krümmen, bei der Gestapo Geltung verliehen. Ich war zwar noch immer misstrauisch über meine zukünftige Behandlung in Erfurt, aber momentan war ich wieder frei, und das bedeutete mir viel. Die nächste Zeit und ihre Erfordernisse überlegend, ging ich zu Fuß heim. Unterwegs am Graben, dort, wo sich heute der Haushaltsmaschinen-Laden Blumauer befindet, war eine Filiale des Österreichischen Verkehrsbüros etabliert. Ich trat ein und bat um eine Fahrkarte III. Klasse nach Erfurt, die ich erst am folgenden Tage beheben würde. Der Beamte studierte lange den Fahrplan und eröffnete mir schließlich, dass die günstigste Route mich nach Leipzig führen würde, wo ich – von Wien um 7 Uhr abends abreisend – nach zwölf Fahrtstunden einträfe. Dort fände ich direkten Anschluss über Weimar nach Erfurt mit einer Ankunftszeit gegen 11 Uhr vormittags. Der Fahrpreis betrüge rund 40 Mark. Das war richtig  ; so würde ich also am Samstag den 30. 9. mich noch am späten Vormittag bei der Gestapo melden können. Ich sah auf die Uhr, die schon die fünfte Nachmittagsstunde zeigte und mich nach Hause eilen ließ, um den Kindern keine Sorge wegen meines Ausbleibens zu machen, hatten wir doch vereinbart gehabt, dass ich sie daheim erwarten würde. Ich überlegte unterwegs und beschloss schließlich – um niemanden mit einem für ihn möglicherweise verderblichen Geheimwissen zu belasten – nichts von der Gestapo zu sagen, aber auch nicht zu lügen, sondern einfach zu sagen, ich müsse nach Erfurt reisen, Punkt – nichts mehr  ! Denken konnten sich Bruder und Töchter, was sie wollten. So würden sie bei Anfragen der Gestapo ehrlich und unbefangen sagen können, dass ich ihnen keinen Grund für meine Reise genannt habe. Daheim wurde ich mit ängstlichen Blicken erwartet. Judith hatte in meinem Bücherregal nachgesehen und das Fehlen des Schuschnigg-Buches sogleich bemerkt. Auf die ängstliche Frage bestätigte ich das Fehlen des Buches und sagte auch gleich, dass ich morgen Abend nach Erfurt verreisen würde. Ich beschwichtigte ihr Erschrecken und wir gingen zusammen zu meinem guten Bruder Heinrich. Heinrich glaubte, ich würde wieder eine militärische Stellung in Erfurt erhalten. Es hatte keinen Sinn, seinen Optimismus aufzuklären. Ich wollte ihn ja nur um eine Geldaushilfe bitten und darum, sich meiner Töchter anzunehmen, falls sie Hilfe bedürften. Wir vereinbarten, dass sowohl er wie meine Kinder mein Reiseziel Erfurt im Bekanntenkreise erst sagen sollten, wenn erste Briefe von dort eingetroffen sein würden. Am nächsten Abend am Westbahnhof gab es beim Abschied wohl feuchte Augen, aber meine tapferen Töchter hielten sich sehr gut. Dass unsere Köchin Käthe im

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Hause verbleiben und meine Töchter gut versorgen würde, war besprochen und ich durfte beruhigt abreisen.786 In Erfurt angekommen, deponierte ich meine Koffer am Bahnhof, wo ich erfuhr, dass sich die Gestapo-Stelle in der Ahlsenstraße befand. Auf dem am Bahnhof erstandenen Plan von Erfurt war das eine Straße im südlichen Villenteil der Stadt, die, einmal erreicht, mir durch eine Ansammlung von Juden gleich das richtige Haus zeigte. Ich sah auf die Uhr  : Es war drei viertel zwölf, ich war also pünktlich zur Stelle. Ich überlegte, ob ich mich am Ende der Juden-Kolonne anreihen sollte, ging aber schließlich zum Hauseingang, vor dem ein SS-Mann in der schwarzen Uniform stand. Ich ging auf ihn zu, stellte mich als General vor und fragte mit Rücksicht auf den unerbittlich vorrückenden Uhrzeiger, ob ich zum Chef der Staatspolizei kommen könne. Der SS-Mann schrie, in strammster Haltung salutierend  : „Jawoll Herr General, bitte einzutreten, 1. Stock, rechts, 1. Tür  !“ Da war ich eben in Preußen  ; da galt der „General“ und wirkte elektrisierend. Auf der angegebenen Tür im 1. Stock stand „Kommissar Fischotter“. Hier amtierte die Gestapo also nicht anonym  ! Ich klopfte an und trat ein. Vom Schreibtisch erhob sich eine große stattliche Figur in schwarzer Uniform. Ich stellte mich vor, wurde aufgefordert Platz zu nehmen und nach meinem Begehren gefragt. Ich staunte eine Weile, weil ich der Meinung war, dass mein Name hier schon bekannt sein würde, und erzählte dann kurz meine von der Gestapo in Wien erhaltene Anweisung, was die bisher zuvorkommend lächelnde Miene des sympathischen, jungen Kommissars ernst und verschlossen werden ließ. Er sagte, über mich noch keine Nachricht erhalten zu haben und bat mich, sehr korrekt und höflich, ihn am Montag wieder zu besuchen. Da der Mann nett war, fragte ich ihn gleich, wo ich billig logieren könnte  ? Er empfahl mir die Pension Lüttich in der Löberstraße. Nach äußerst korrekter Verabschiedung mit Handreichung ging ich zufrieden ins Freie. In der angestellten Judenkolonne zeigte niemand Unwillen darüber, dass mir vor ihnen Einlass gewährt worden war. Das letztangestellte Judenpaar fragte ich, weshalb sie da ständen  ? Achselzucken seitens des einen, das Wort „Schikane“ sagte mir der andere. Tatsächlich rief auch im selben Augenblick der vor dem Villeneingang postierte SS-Mann den Juden zu, dass sie heimgehen könnten, aber Montag um acht Uhr früh sich wieder anzustellen hätten. Ich öffnete den Stadtplan, um die Löberstraße zu suchen. Die war nicht weit  : den Gera-Fluss entlang bis zur Arnstädter Straße, dann über die Brücke stadtwärts, wo auf einem stattlich anzusehenden Haus die Aufschrift „Pension Lüttich“ zu lesen war. Ich stieg in den ersten Stock und klingelte an der Tür. Eine schmächtige mittelgroße Frau von etwa 40 786 Siehe für das Folgende auch  : Herta Jansa und Rudolf Benl. Erfurt als Verbannungsort. Feldmarschallleutnant Alfred von Jansa in Erfurt, in  : Jahrbuch der Erfurter Geschichte, Band 1/2006, S. 77–93.

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Jahren öffnete. Nach Vorstellung erbat ich das billigste Zimmer. Das treffe sich gut, wenn ich damit zufrieden sein wolle  ; es wäre auch kein anderes frei, da irgendeine Tagung in Erfurt stattfinde. Das Zimmer war groß, doch hofseitig dunkel, hatte ein sauberes Bett, einen Tisch mit Sessel und einen Kasten. Preis einschließlich Frühstück, Mittag und Nachtmahl rund 10 Mark pro Tag. Das entsprach mir. Mein Ruhegehalt betrug 1.000 Mark  ; wenn ich hier mit rund 300–350 Mark leben konnte, so blieben für die Kinder in Wien rund 600 Mark, was erfahrungsgemäß ausreichend war. So mietete ich mich ein. Dass das Klo an meiner Bettwand lag und nach Benützung jedes Mal Riesenspektakel machte, darauf kam ich erst später  ; aber für ein besseres Zimmer fehlte mir das Geld. Es werde gerade serviert  ; ob ich gleich essen wollte. Oh gewiss  ! Ich war hungrig. In dem Speiseraum fand ich einen Studienrat mit seiner belgischen Frau und einen Magistratsbeamten mit Frau. Beide Ehepaare waren erst kürzlich nach Erfurt gekommen und logierten in der Pension, weil sie noch keine passende Wohnung gefunden hatten. Köstlich war die servierende Stubenhilfe, die ein unverfälschtes „Sächsisch“ sprach, das mich immer zum Lachen zwang, wenn sie den Mund auftat. Das Essen war nach Menge sehr bescheiden, aber ganz gut zubereitet. Den Samstagnachmittag benützte ich zu einem ersten Gang durch Erfurts Hauptstraßen. Die Innenstadt gefiel mir durch die gute Erhaltung ihrer alten Bauten mit den vielen großen, prächtigen Kirchen. Die Orientierung in diesen alten Gässchen war gar nicht einfach. Die Gera, kein großer Fluss, war durch Aufstauung und darauffolgende Teilung in viele Arme vom Gewerbe und der Kleinindustrie voll ausgenützt. Die vielen künstlichen Wasserläufe rechtfertigten die Benennung eines Stadtteiles als „Venedig“. So konnte ich meinen lieben Mädeln und meinem Bruder voll begründet schreiben, dass mir Erfurt gut gefalle und ich mich wohl fühle. Am ersten Sonntag ging ich in die Frühmesse zu St. Wigbert, meiner auch für den folgenden jahrelangen Aufenthalt zuständigen Pfarrkirche, einem uralten Bau mit einem auch sehr alten Pfarrer. Anschließend nahm ich innerhalb des Stadtbereiches die großen, schönen Gartenflächen der Samenzüchterei Benary wahr, an die sich ein ganz besonders schönes, reichen Wohlstand zeigendes Villenviertel schloss. Am Nachmittag des Sonntages entdeckte ich den enorm großen, von schönsten alten Bäumen aller Art bestandenen Stadtwald „Steiger“, der, schon gegen den südlich von Erfurt gelegenen Thüringer Wald ansteigend, ein abwechslungsreich bewegtes, bergiges Gelände bedeckte und viele sehr schöne Ausblicke gewährte. Besonders der Blick auf den südlichen Stadtteil Hochheim, über die musterhaft schön angelegte und gepflegte Morellen-(Sauerkirschen-)Plantage der Familie Haage, beeindruckte mich sehr. Wenn ich hier in Erfurt wirklich unbehelligt leben könnte, so wäre meine Ausweisung aus Wien und Österreich wohl recht erträglich.

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Am Montag gegen 11 Uhr vormittags machte ich meinen zweiten Besuch in der Villa der Staatspolizei, die kein die Nerven belastendes Eisengitter besaß. Kommissar Fischotter empfing mich wieder sehr achtungsvoll. Kaum hatte ich Platz genommen, trat eine Ordonnanz ein und reichte dem Kommissar ein zwei große Papierbogen füllendes Telegramm. Er machte einen Blick darauf und sagte gleich  : „Ah, da erhalte ich eben die Sie, Herrn General, betreffende Anweisung der Polizeistelle Wien. Bitte darf ich sie lesen  ?“ Ich neigte zustimmend den Kopf und beobachtete die Gesichtszüge des Kommissars  ; sie ließen keine Änderung während des Lesens erkennen. Dann sagte er mir, dass die Weisung nichts anderes enthalte, als ich ihm am Samstag selbst gesagt hatte. Ich möge mich also in Erfurt zu längerem Aufenthalte einrichten und peinlichst alles vermeiden, was als feindliche Betätigung gegen den Nationalsozialismus gedeutet werden könnte, da im Gegenfalle meine Internierung im Konzentrationslager Buchenwald erfolgen müsste. Ich müsse mich – Sonn- und Feiertage ausgenommen – täglich bei ihm melden. Es wäre ihm recht, wenn ich in der Pension Lüttich in der Löberstraße wohnend bliebe. Die Verabschiedung war wieder sehr höflich und korrekt, doch entfiel nun begreiflicherweise die Handreichung. Jetzt war ich also sicher, dass mein Zwangsaufenthalt in Erfurt echt, und nicht bloß Vorstation für eine schlimmere Behandlung war. Ich dachte mir, dass allergrößte Zurückhaltung allen Menschen gegenüber am Platz sein würde  ; ich durfte niemanden durch eine oftmalige Begegnung mit mir kompromittieren, anderseits musste ich aber damit rechnen, dass die Gestapo mir Lockspitzel aus verschiedensten Gesellschaftsschichten nahekommen lassen würde, um meine Gesinnung dauernd zu überwachen. Unter mir fremden Menschen isoliert, hätte es keinen Sinn gehabt, sich als wilder Antinazi zu gebärden. Was wäre damit zu erreichen gewesen  ? Nichts. Anderseits sollte aber niemand im Zweifel bleiben, dass ich überzeugter Österreicher war und blieb. Das war natürlich in der Theorie leichter als in der Praxis  ; da waren einem überall Fußangeln gelegt, die einen zum permanenten Lügner machten. Der Magistratsbeamte in der Pension Lüttich trug zwar das Parteiabzeichen, war aber bei Tisch ein lauter Schimpfer über viele Parteiverfügungen. Wie gern hätte ich ihm sekundiert  ; da ich aber unterschrieben hatte, auch in Worten nichts gegen die Partei zu sagen, musste ich schweigen. Das wurde von dem Magistratsbeamten missdeutet  ; er äußerte die Meinung, dass ich als Österreicher doch noch mehr Anlass zum Schimpfen hätte als er. Dann kam die immer wieder gestellte Frage, was mich denn aus dem schönen Wien nach Erfurt führte. Den wahren Grund durfte ich nicht sagen. So mussten die blödesten Dinge herhalten  : dass mir Wien für den Ruhestand zu laut sei  ; dass mich die Samenzucht besonders interessiere, wofür ja Erfurt Weltruf genieße  ; dass die mütterlichen Vorfahren aus Fulda stammten, mir aber Fulda zu klein erscheine und mir

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Erfurt recht gut gefalle. Immer wieder etwas sagen müssen mit dem Gefühl, dass die Leute einen für ganz dumm halten müssten  ! Auf der Gasse wurde ich immer öfter gegrüßt, oft von Leuten, die ich bestimmt nicht kannte, und zwar immer mit „Heil Hitler“  ! Ich dankte stets höflich, meist stumm, aber durch Abnahme des Hutes. Ein und das andere Mal auch mit „Guten Tag“ oder „Guten Abend“. Bei einer der täglichen Meldungen beim Kommissar Fischotter eröffnete mir dieser, dass meine beharrliche Verweigerung des „HitlerGrußes“ Ärgernis errege. Ich möge mit „Heil Hitler“ grüßen, da ich bei wiederholtem Ärgernis Gefahr laufe, nach Buchenwald interniert zu werden. Was blieb mir übrig  ? Ich dachte an meine Kinder und erwiderte diese offenbar von Lockspitzeln getätigten Begrüßungen durch das vorgeschriebene Handheben  ; was ich mir dabei dachte, durfte ich nicht laut sagen. Nach etwa drei Wochen Aufenthalt sandten mir meine lieben Mädeln ein Paket Bäckereien, die Käthe nach Rezepten meiner verstorbenen Frau besonders köstlich zubereitete. Ich wurde deshalb auf das Zollamt geladen und aufgefordert, das Paket zu öffnen. Ärgerlich äußerte ich, dass solche Paketkontrollen doch nur bei Auslandssendungen üblich seien  ! Wien sei für Erfurt doch kein Ausland  ! Die Beamten wurden sehr verlegen, bestätigten die Richtigkeit meiner Aussage, bäten mich aber gleichwohl, das Paket zu öffnen. Nun begriff ich, dass da auch die Gestapo dahintersteckte und öffnete das Paket, zeigte den Beamten den köstlichen Inhalt und bot ihnen an, zur Versicherung, dass es sich nicht um Bomben handle, zu kosten  ! Sie folgten und lobten die Güte der ihnen unbekannten Ischler Krapfen. Nun konnte ich das Paket wieder schließen und nach Hause nehmen. Inzwischen hatte ich auch meine Gelddisponierung durch Anlage eines Girokontos bei der neben der Pension Lüttich gelegenen Filiale der Erfurter Sparkasse erleichtert. Mein Ruhegehalt wurde ordnungsgemäß auf mein Wiener Postscheckkonto eingezahlt, von dem ich sowohl die Kinder in Wien dotieren, wie auch den für mich benötigten Betrag an die Erfurter Sparkasse überweisen ließ. In dieser Sparkassenfiliale behob ich für mich immer nur kleine Beträge. Einmal, als ich 50 Mark abhob, zählte mir der Kassier zehn der riesengroßen, schweren Fünfmarkstücke auf den Tisch. Ich wies das ärgerlich zurück, wobei ich ungefähr sagte, mir anstelle dieses schweren Bleches Banknoten zu geben, was auch geschah. Bei einer meiner nächsten Meldungen beim Kommissar, sagte mir dieser, ich hätte in der Sparkasse die deutsche Währung als „Blech“ bezeichnet, was einer unguten Kritik an der von der „Partei“ gehaltenen Währung gleichkomme. Ich musste dem Kommissar erklären, dass ich nicht die deutsche Währung, sondern die nicht aus Silber, vielmehr aus Eisen geprägten schweren Fünfmarkstücke zurückgewiesen habe  ; solche Eisenscheiben könne ich doch nicht Silbermünzen nennen, das sei doch wirk-

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lich Blech. Dem musste Fischotter zustimmen, sagte aber, dass der Ausdruck „Blech“ in Deutschland eine abwertende Bedeutung habe. Die ganze Geschichte war und blieb belanglos. Ich erzähle sie nur, um anschaulich zu machen, wie mich der gute Kommissar Fischotter mit Aufpassern so umgeben hatte, dass ich keinen Schritt machen und kein Wort unbeobachtet sagen konnte. Ein lästiger Zustand  ! Das Dümmste aber ereignete sich, als der neu ernannte Kommandant des Erfurter Panzerregimentes bis zur Lösung seiner Wohnungsfrage mit seiner Frau in der Pension Lüttich Wohnung nahm. Dieser Oberstleutnant musste mich von meiner Berliner Attachézeit gekannt haben und begegnete mir mit ganz besonderer Auszeichnung. Ich blieb sehr kühl und zurückhaltend, aber seiner Frau gegenüber gleich zuvorkommend wie gegenüber den anderen am Mittags- und Abendtisch teilnehmenden Damen. Drei oder vier Tage darauf zog auch ein neuer Gestapokommissar, Blomberg, in die Pension Lüttich, der, wie ich später erfuhr, dienstälter als Fischotter, Leiter der Dienststelle Erfurt wurde. An einem der nächsten Tage kam der angebende Panzerkommandant strahlend auf mich zu. Er hätte mit seinen Offizieren besprochen, dass es für sein Regiment, angesichts meiner prominenten Stellung in Österreichs Wehrmacht, eine große Ehre wäre, sein Regiment zu besichtigen  ; die Offiziere möchten mir nachher die Stellung eines „à la suite Kommandeurs“ im Regiment anbieten. Ich war peinlichst berührt, weil sich das Gespräch vor allen anderen Pensionsgästen abspielte. Ich erwiderte so ungefähr, dass ich um Gottes Willen bäte, von so einer Ehrung Abstand zu nehmen, die ich in gar keiner Weise verdiene. Als jener aber weiter in mich drang, lehnte ich artig, aber bestimmt mit dem Beifügen ab, dass seine von mir sehr dankbar gewürdigte Absicht ihm und seinem Regimente nur Verlegenheit bereiten würde. Da bat der Kommissar Blomberg (ein ferner Neffe des gewesenen Wehrmachtsministers) den Oberstleutnant in ein Nebenzimmer und ich hatte das richtige Gefühl, dass er ihm nun sagen würde, was ich nicht sagen durfte. Als beide zurückkamen, war der Offizier blass und so betreten, dass ich mit den anderen Gästen besonders gesprächig wurde, um sie die entstandene peinliche Lage nicht merken zu lassen. Das gelang mir auch. Folgenden Tags sagte mir Fischotter bei meiner Meldung, ich müsse mir raschestens ein anderes Quartier suchen und dürfe bis zu meinem Umzug nicht mehr an den gemeinsamen Mahlzeiten in der Pension teilnehmen. Ich konnte nicht an mich halten und erwiderte, dass er doch selbst gewünscht habe, dass ich bei Lüttich wohne. Es käme von der dummen, mir aufgetragenen Geheimhalterei, dass so unmögliche Situationen entstünden. Fischotter zeigte sich betreten, bat mich sehr artig um Entschuldigung und fügte hinzu, sein neuer Chef Blomberg hätte das befohlen. Ich nickte und sagte zu ihm, dass die Gestapo die militärischen Stellen informieren möge, damit

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nicht noch einmal so eine peinliche Lage wie mit dem guten Panzerkommandanten entstehe. Auf meinem Nachmittagsspaziergang fand ich in der Karthäuserstraße Nr. 8 bei der geschiedenen Frau eines Eisenbahnbeamten ein kleines Schlafkabinett mit schöner freier Aussicht und freier Benützung der ganzen übrigen Wohnung untertags, um 30 oder 35 Mark im Monat. Um von der Gestapo nicht noch einmal zu einem Quartierwechsel veranlasst zu werden, gab ich dem Kommissar Fischotter bei meiner nächsttägigen Meldung das geplante neue Quartier bekannt, das übernächsten Tages von der Gestapo genehmigt wurde. Meine leibliche Versorgung zu Mittag verlegte ich in das in der Löberstraße gelegene Gasthaus zum Schwarzen Adler  ; abends aß ich billigst in einer der vielen vegetarischen Diätküchen. In der Pension Lüttich, deren Inhaberinnen das mich umschließende Geheimnis mutmaßlich wussten, wurde ich „als sehr angenehmer Gast“ mit großem Bedauern verabschiedet. Ich bat das Schwesternpaar, mich bei den Gästen zu empfehlen und der Frau des Oberstleutnants zu ihrem Geburtstag, dessen Feier vor ein paar Tagen besprochen worden war, einen von mir bestellten Blumenstrauß zu übergeben. Um die Geschichte mit dem Panzerkommandanten zu Ende zu bringen, erwähne ich noch, dass ich nach etwa 14 Tagen seiner Frau auf der Straße begegnete. Sie hielt mich an und fragte, ob ihr Mann mir geschrieben und für die schönen Blumen gedankt habe, die ihr viel Freude bereitet hätten. Ich verneinte. Darauf sagte sie heftig  : „Na, das habe ich mir gleich gedacht, dass mein Mann Angst haben würde, Ihnen zu schreiben  ! Sie werden schön von uns denken  ! Also sage ich Ihnen jetzt schönsten Dank. Alle in der Pension Lüttich, besonders auch der Studienrat, bedauern sehr, dass Sie weg sind. Sie haben uns doch immer so viel Nettes aus Österreich erzählt.“ Zum Abschied versicherte mir die gute Frau, dass sie den ganzen Hitlerismus nicht weniger verabscheue als ich. – Ich sah das Ehepaar später nie mehr  ; sie hatten ganz in der Nähe der Panzerkaserne eine Wohnung gefunden, in welche Gegend ich mich geflissentlich nie begab. Bei einem Spaziergang in den nächsten Tagen traf ich mit dem Kommissar Blomberg zusammen, der mich ein Wegstück begleitete und mir dabei Mitteilung machte, dass allen deutschen Offizieren durch einen Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht (Gen. Keitel) der Umgang mit mir verboten worden sei. Ohne eine Entgegnung von mir abzuwarten, fügte er hinzu, ich möge das ja nicht tragisch nehmen  : Er kenne meinen Akt genau, darin sei kein einziger Vorwurf, der meine Ehre kränken könnte  ; nur, dass ich dem Nationalsozialismus feindlich gegenüberstünde und bereit gewesen wäre, auf die deutschen Truppen bei deren Einmarsch in Österreich schießen zu lassen. Das sei doch rein politisch  ! Heute sei ich der Leidtragende und morgen könne es umgekehrt sein  ; er habe vor der noblen Art, mit der ich mein Geschick trage, je-

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denfalls die größte Hochachtung  ! Dann verabschiedeten wir uns wie zwei Freunde. Ich bin Blomberg im Leben nicht mehr begegnet. Er wurde bald wieder von Erfurt abgezogen und Fischotter blieb Leiter der lokalen Gestapo-Stelle. Das Verbot für deutsche Offiziere, mit mir Umgang zu pflegen, war mir ganz recht. Ich hegte keinerlei Bedürfnis nach einem solchen Verkehr. Da ich dies nun wusste und Blomberg mir diesbezüglich kein Schweigegebot auferlegt hatte, konnte ich alle, die an mich heran wollten, entsprechend warnen. In die Garnison Erfurt waren einige österreichische Offiziere versetzt worden. So traf ich einmal in einer Drogerie in der Neuwerkgasse die Frau des Artillerie-Majors Winiwarter aus Stockerau, die, hocherfreut, mich begrüßte und gleich zu einem Tee in ihr Haus einlud. Als wir zusammen auf die Straße traten, sagte ich ihr, dass ich jetzt ein Verfemter sei und darum ihrer Teeeinladung nicht folgen könne. Auch Obstlt.Koske und anderen österreichischen Kameraden begegnete ich öfter. Sie grüßten mich stets mit unveränderter Hochachtung  ; ich erwiderte diese Grüße in gleicher Höflichkeit, vermied es jedoch, die Herren anzusprechen, um sie nicht zu kompromittieren. Drei Persönlichkeiten lehnten es, allerdings in späterer Zeit, ab, dem deutschen Befehl zu gehorchen  ; das waren der damalige Leutnant und spätere Hauptmann Jaschke, der mich immer wieder besuchte, Obst. Krische, der als Kommandant mit seinem Regiment eine Zeit in Erfurt garnisonierte und in diesen Wochen seinen alten „Chef“ oft besuchte, und der gute alte Brigadepfarrer Hofer, der auf seiner Reise nach Paris, wo er der deutschen Heeresseelsorge vorstand, in Erfurt Station machte, um mich zu besuchen und so seiner alten Treue Ausdruck gab. Vom Brigadepfarrer Tegel wird später die Rede sein. Zu den besonderen Erlebnissen in meiner ersten Erfurter Zeit gehört auch meine Suche nach einem Nebenverdienst. Bei einer meiner täglichen Meldungen sprach ich Kommissar Fischotter daraufhin an. Der fand mein Wollen sehr begreiflich, eröffnete mir aber, dass ich, als ein unter Gestapo-Aufsicht Stehender, in keinem „geschützten“ Betrieb angestellt werden dürfe. Als „geschützt“ galt die gesamte Industrie und alle irgendwie mit Heereslieferungen befassten Gewerbebetriebe. Aber er erklärte sich bereit, den Leiter des Erfurter Arbeitsamtes auf mich aufmerksam zu machen  ; ich möge dort nach einigen Tagen vorsprechen. Als ich demgemäß den Leiter des Arbeitsamtes aufsuchte und mich auf die Empfehlung Fischotters bezog, sagte mir dieser Pg-Lümmel, dass er momentan keine Stelle wisse, aber „da ich schon so viele Verbrecher untergebracht habe“, auch für mich etwas finden werde. Ich stand wortlos auf und verließ das Zimmer. Am nächsten Tag berichtete ich Fischotter das Benehmen dieses Mannes mit dem Zusatz, dass ich für jede behördliche Bemühung danke  ; ich würde mich allein umsehen. Fischotter zeigte sich betreten und sagte, dass er den Leiter des Arbeitsamtes zurechtweisen werde und

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fügte an, dass niemand ein Recht habe, mich irgendwie zu kränken oder zu beleidigen. Wenn ich unter der Aufsicht der Gestapo stünde, so genösse ich auch deren Schutz. Er bäte mich, falls irgend jemand es versuchen sollte, mich zu verunglimpfen, dies abzuweisen und ihm sogleich zu berichten  ; er werde die Bestrafung des Schuldigen veranlassen. Also, so weit hatte ich es gebracht, dass ich nun sogar unter dem Schutz der Gestapo stand  ! Ich will nicht leugnen, dass mir das damals einiges bedeutete. Denn alle vorangegangenen Umstände hatten eine bedeutende seelische Depression in mir hervorgerufen, die jede Stützung dankbar annahm. Meine Vermieterin in der Karthäuserstraße, Frau Sablowski, war eine Ostpreußin. Überaus taktvoll und beflissen bemühte sie sich, mir das Wohnen bei ihr möglichst angenehm zu gestalten. Zweifellos war sie von der Gestapo über mich orientiert und mit einem Beobachtungsauftrag versehen worden. Sie brachte aber niemals das Gespräch auf die Politik, um mich auszuforschen. Hingegen erzählte sie mir das Leid ihrer Ehe, welche ihr Mann nach 20-jährigem Zusammenleben nun zu trennen gedachte, um ein junges Ding zu heiraten. Dabei war es das einzige Mal, dass sie auf den Nazismus hinwies, der die Männer mehr oder weniger auffordere, sich junge Frauen zu nehmen. Sie werde aber nicht in die Scheidung einwilligen  ; auch die Dienstbehörde stütze sie, indem sie den Mann in eine kleine Station versetzt und die Dienstwohnung ihr belassen habe. Die Frau hatte eine Tochter, die an einen Vertreter der Oetker-Backpulverwerke wohlhabend verheiratet war, und einen außerordentlich netten Sohn, der gerade kurz nach meinem Einzug in das Kabinett, von seiner militärischen Dienstpflicht beim Erfurter Panzerregiment entlassen worden war. Er hatte nun in einer HosenträgerFertigungsfirma die kaufmännische Lehre angetreten. Er sowie seine Schwester und deren Mann begegneten mir mit der gleichen Zuvorkommenheit wie die Mutter. An Sonntagen luden sie mich ein, kleine Auto-Ausflüge mit ihnen mitzumachen, wodurch ich die sehr ansprechende Umgebung Erfurts kennenlernte. Sehr erstaunte mich die unendliche Bescheidenheit dieser Familie in Essensfragen. Die einzige gemeinsame Mahlzeit von Mutter und Sohn war der Nachmittagskaffee. Der wurde wohl aus guten Bohnen ohne Zusatz bereitet. Dazu gab es zwei bis drei Cakes pro Kopf und für den Sohn ab und zu eine Scheibe Wurst. Nachtmahl gab es keines. Zu Mittag aß der Sohn in der Werkküche seines Betriebes, die Mutter jedoch, die daheim alle Arbeit allein machte, kaum je etwas Gekochtes. Ich revanchierte mich für die gemütliche nachmittägige Kaffeestunde mit Kaffee-, Cakes-, Käse- und Butter-Einkäufen, die aber niemals die Familie zu stärkerem Essen veranlassten. Mir stand in der Wohnung auch das Badezimmer zur Verfügung, was eine große Wohltat war. Während die Zimmer die Aussicht frei auf das Gelände des ehemaligen Hauptbahnhofes hatten, lag das Fenster des Baderaumes zur Karthäuserstraße, in der

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unmittelbar neben unserem Wohnhause der schöne, solid aus Ziegeln erbaute Jüdische Tempel stand. Am Morgen des 10. November 1938 sah ich beim Rasieren starken Rauch aus dem Tempel qualmen. Da ich noch nicht angekleidet war, rief ich laut aus dem Badezimmer  : „Frau Sablowski, es brennt  ! Verständigen Sie die Feuerwehr  !“ Die Frau rief mir zurück, es hätte in der Nacht gebrannt  ; das sei jetzt nur mehr das Ende der Feuersbrunst  ; man habe mich in der Nacht nicht stören wollen  ; kein Grund zur Aufregung  ! Donnerwetter, dachte ich mir, die Leute hier haben aber gute Nerven  ! Beim Frühstück stellte meine Vermieterin das Radio an, das unter anderem die Nachricht brachte, dass aus spontaner Volkswut über das Attentat, das ein Jude in der Schweiz an einem deutschen Gesandtschaftsbeamten verübt hatte, in ganz Deutschland alle jüdischen Tempel verbrannt worden waren. Ich sagte nichts. Kannte ich doch aus meiner Berliner Attachézeit am Beispiel des von Göring organisierten Reichstagsbrandes, wie der Nazismus „spontane Volkswut“ zu arrangieren verstand  ! Ich besah mir nachher den Tempel. Baulich war eigentlich nicht viel geschehen. Das solide Ziegelwerk hatte den Brand, zu dem – wie ich viel später nach Kriegsende erfuhr – ein Herr Beuchel das Benzin beizustellen hatte, gut überstanden  ; nur die Vorhänge, Bücher und das Gestühl waren verbrannt. Trotzdem wurde kurz darauf das Betreten des Tempels „wegen Einsturzgefahr“ verboten. Während meiner Meldung bei Fischotter am späten Vormittag fragte er mich, ob ich durch den Tempelbrand gestört worden sei. Ich musste verneinen, da meine Schlafkammer an der dem Tempel abgewandten Hausseite lag und Sablowskis mich nicht geweckt hatten. Anschließend wurde Fischotter angerufen und ich hörte ihn ins Telefon sagen, dass „das Unternehmen“ in voller Ruhe abgelaufen und in der Stadt keinerlei Aufregung zu bemerken sei. Offenbar hatte die vorgesetzte Dienststelle aus Berlin angefragt. Ich sagte nichts dazu. Wie hätte ich den Juden durch einen Protest helfen können  ? Dass ich solche Nazimethoden nicht billigte, wusste Fischotter ja  ! So stand ich, nachdem er die Audienz für beendet erklärt hatte, wie an allen vorangegangenen Tagen wortlos auf und empfahl mich. In die Geschichte ist diese Schandtat der Tempelzerstörungen als „Reichskristallnacht“ eingegangen. Einer großen und schönen Überraschung muss ich während dieser Tage gedenken  : Als ich vom Mittagessen heimkam, erzählte mir Frau Sablowski, dass eine türkische Dame aus Wien, Elfi Teker, mich besuchen wollte  ; sie hätte sich erkundigt, wie es mir gehe und habe sich meine Schlafkammer und die Wohnung besehen, um meinen Töchtern berichten zu können  ; die Dame fahre mit dem kurz nach halb drei Uhr abgehenden Schnellzug nach Zella Mehlis. Ich sah auf die Uhr  : Es war halb zwei, so dass ich Elfi, die liebe, noch von meiner guten Frau ausgesuchte Mathematik-Korrepetitorin, noch treffen konnte. Ich wusste, dass sie in Wien einen türkischen Waffen-

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Einkäufer geheiratet hatte. Unterwegs kaufte ich einen Blumenstrauß und traf sie gleich am richtigen Bahnsteig vor dem Zug. Ich war ihr für ihren Besuch unendlich dankbar, denn sie konnte nun meine Kinder durch ihren persönlichen Augenschein beruhigen. Es ging mir tatsächlich so gut, wie ich das in meinen fast täglichen Briefen und Karten schrieb. Anderseits konnte sie mir bestätigen, dass die Mädeln wohlauf seien und der Brigadepfarrer Tegel sie in schönster und bester Weise betreue  ; auch die Köchin Käthe sorge sehr ordentlich für die beiden. Frau Teker reiste ihrem Mann nach Zella Mehlis nach, wohin dieser schon mit dem Morgenzug gefahren war. Mich beschäftigte natürlich ununterbrochen der Gedanke, meine Kinder nachzuholen. Wie lange sich der Nationalsozialismus halten können würde, stand bei Gott. Dass aber Hitler mit Zustimmung von Frankreich und England das sudetendeutsche Gebiet von der Tschechoslowakei abtrennen und ohne Schwertstreich Deutschland einverleiben konnte, war ein gewaltiger Erfolg, demgegenüber ich meine Ablehnung des Nazismus’ innerlich schwer verteidigen musste. Jedenfalls suchte ich eine Wohnung in Erfurt, um dorthin zu übersiedeln, andernfalls mir die Kinder ganz aus der Hand kommen würden. Ich ließ mir auch Kostenvoranschläge für die Übersiedlung der Möbel nach Erfurt machen, die erstaunlich niedrig ausfielen. Jeden Pfennig zusammenkratzend, konnte ich finanziell durchkommen. Um alles gut durchzusprechen, lud ich meine Mädeln ein, über die Weihnachtsferien nach Erfurt zu kommen. Frau Sablowski war so entgegenkommend, meine Töchter während der Weihnachtsferien bei sich aufzunehmen. Und inzwischen hatte ich auch eine schöne, preiswerte Wohnung in der Daberstedter Straße 5 ausfindig gemacht, die mit 1. April 1939 beziehbar war. Mein eigenes Leben in Erfurt hatte sich folgendermaßen eingespielt  : Gleich nach dem Frühstück ging ich in die Stadtbibliothek, die im Gebäude der alten Erfurter Universität, welche von Preußen aufgelassen worden war, ein schönes, durch praktischen Innenausbau ganz modernes Heim gefunden hatte. Dort las ich sehr viele wissenschaftlich-historische Werke, unter denen ich Delbrück ganz durchgearbeitet habe. Gegen Mittag meldete ich mich bei der Staatspolizei und nahm anschließend das Essen in der Löberstraße im Gasthaus „Schwarzer Adler“ ein. Nachmittags schrieb ich im Hause Sablowski an meine Kinder und las viele der Arbeitsannoncen. Ich war jedoch recht unbeholfen. Da es in meiner Familie in keiner Linie Geschäftsleute gegeben hatte, außer einem Buchhändler in Fulda, fehlte mir die richtige Witterung dafür, was ich beginnen könnte. Kapital, um mich in irgendein Geschäft einzukaufen, fehlte mir. Überall, wo ich wegen einer Warenvertretung hinschrieb, verlangte man bereitgestellte Geschäfts- und Magazinräume und eine Anzahlung für die Warenlieferungen. So schränkte sich nach und nach die Betätigungsmöglichkeit auf das reine Laufgeschäft eines Vertreters ein, zu welchem freilich auf technischem Ge-

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biet große Warenkenntnisse Voraussetzung waren, die ich erst erwerben musste. Das Versicherungsgeschäft war das Einzige, das sich durch Studium gedruckter Prospekte rasch erlernen ließ. Aber die Notwendigkeit hiebei von Tür zu Tür zu laufen und die Menschen in ihren Wohnungen zu stören, war mir zunächst noch unsympathisch. Meine hohe militärische Stellung in Österreich hatte in mir einen geistigen Sperrkomplex geschaffen, der sich nur nach und nach überwinden ließ. So hielt ich zunächst die Augen offen, erkundigte mich nach allen Seiten und gewann so langsam die Überzeugung, dass – besonders im geschäftlich regen Erfurt – keine Beschäftigung, wenn sie nur sauber betrieben wurde, einem aus der eingebildeten Krone einen Stein nehme. Anlässlich eines Besuchs meines zuständigen römisch-katholischen Pfarrers, einem älteren, sehr wohlwollenden Herrn, erzählte ich, ihn aufs Beichtgeheimnis verpflichtend, mein Geschick, meine Familienverhältnisse und meine Absicht, mich geschäftlich zu betätigen. Er hörte mich zunächst ruhig an und forderte mich auf, ihn öfter zu besuchen. Ich verstand das sehr gut  : Nach dem Druck, der von nationalsozialistischer Seite auf die Seelsorger ausgeübt wurde, musste er sich erst Sicherheit über meine Person und die Wahrhaftigkeit meiner Angaben schaffen. Bei einem meiner nächsten Besuche riet er mir, vor dem Versicherungsberuf nicht zurückzuscheuen. In Deutschland sei das Verständnis für die Notwendigkeit, den Widrigkeiten des Lebens durch den Abschluss von vielerlei Versicherungen zu begegnen, groß. Mit dem nebenberuflichen Versicherungswesen beschäftigten sich in Deutschland viele, sehr hochgestellte Persönlichkeiten. Wenn ich begonnen haben würde, könnte er mir durch Angabe von Adressen Neugeborener und neu geschlossener Ehen helfen und mich auch seinen Amtskollegen in den anderen Pfarrsprengeln empfehlen. So angeregt, begann ich mich nun für die verschiedenen Versicherungsunternehmungen zu interessieren. Bevor ich aber zu einem Entschluss gekommen war, stand das Weihnachtsfest vor der Tür. Am Morgen des ersten Weihnachtstages konnte ich meine Kinder am Bahnhof Erfurt begrüßen. Nach dem Frühstück legten sich beide gleich schlafen, sodass ich ihnen Erfurt erst bei Dunkelheit zeigen konnte. Für die Mädeln war Erfurt natürlich ein kleines Kaff  ; alle meine Demonstrationen von Erfurts Schönheiten fanden wenig Gefallen. Ich zeigte ihnen das schöne Haus, in dem wir wohnen würden, aber auch das vermochte ihnen keinen Eindruck zu machen. Sie gaben die Notwendigkeit des Zusammenlebens wohl zu, aber gerne übersiedelten sie nicht nach Erfurt. Die gemeinsam verlebten Tage vergingen schnell und bald war ich wieder allein. In der Erfurter Stadtbücherei hatte sich jeder Leser täglich in eine aufliegende Präsenzliste unter Angabe seines Berufes einzutragen. Ich schrieb daher in die entsprechende Rubrik wahrheitsgemäß  : „Feldmarschalleutnant i. R.“. In Deutschland hieß die gleiche militärische Rangstufe Generalleutnant. Wer also meine Chargenbezeich-

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nung las und mit militärischen Rangbezeichnungen vertraut war, wusste, dass es sich bei mir um einen Österreicher handelte. Eines Tages trat in der Bücherei ein gedrungener Herr etwa meines Alters auf mich zu und fragte, ob ich nicht Österreicher sei. Ich bejahte. Da erst stellte sich der Mann vor  : Er heiße Florer, sei Altösterreicher aus Böhmen und k. u. k. Militär-Auditor in Czernowitz gewesen. Jetzt lebe er seit Jahren in Erfurt und würde sich freuen, wenn ich ihn in seinem Haus in der Cyriakstraße 44 besuchen würde. Der Mann war ärmlich gekleidet und sprach deutsch mit deutlich slawischem, aber nicht dem üblichen tschechischen Akzent. Ich nahm diese Einladung mit kühler Zurückhaltung zur Kenntnis. Daraufhin setzte er sich zu seinem Buch, und ich las in meinem weiter. Schließlich sah ich auffällig auf die Uhr, stand rasch auf, gab mein Buch ab und ging. Denn ich liebte solche Stegreifbekanntschaften nicht. War das etwa ein Spitzel  ? Ich wollte Kommissar Fischotter befragen. Die Gestapo war seit Jahresbeginn 1939 aus ihrer Villa in ein gerade fertig gewordenes Amtsgebäude in der Arnstädter Straße übersiedelt. Dieses war mit allen erdenklichen Finessen gesichert  : Nach der Anmeldung beim Tor-Polizisten öffnete dieser durch Druck auf einen Schalter eine Glastür im Vestibül. Wenn man diese durchschritten hatte, stand man in einem Vorraum, dessen rechts und links abzweigende Gänge durch schwere eiserne Gittertüren abgeschlossen waren. Hinter jeder Gittertür saß ein SS-Mann in schwarzer Uniform mit einem Gewehr zwischen den Knien. Nach Auskunft des Torpostens hatte ich mich zur rechten Gittertür zu wenden. Nach Nennung meines Namens und Angabe, dass ich mich beim Kommissar Fischotter zu melden habe, öffnete sich die Eisengittertür und fiel nach meinem Durchgang sofort wieder ins Schloss. Das markante Geräusch, das ich nun durch sieben Jahre hören sollte, anfangs täglich, später jeden zweiten Tag, wirkte beim Eintreten stets wie eine Freiheitsberaubung  ; und beim Heraustreten atmete ich jedes Mal tief auf. Fischotter kannte ich wohl schon durch drei Monate. Aber sowohl er wie auch die Türposten wurden im Laufe der Jahre ausgewechselt. Mir begegneten sympathische und unsympathische, höfliche und raue Männer. Die einen ließen mich beim Eintreten glatt passieren, andere verlangten eine genaue Legitimation und suchten in meinen Kleidertaschen nach Waffen. Zu Fischotter durfte ich ungeleitet gehen, zu seinen Nachfolgern wurde ich dann eskortiert. Wie im Wiener Hotel Metropol herrschte in diesem neu gebauten Haus Anonymität. Jede Tür zeigte nur eine Nummer statt eines Namensschildes. Der Kommissar amtierte in einem schönen, großen Raum im ersten Stock, in den man nicht direkt, sondern durch einen Vorraum eintrat. Fischotter gestand mir folgende Erleichterung zu  : Es werde künftig genügen, wenn ich mich beim inneren Torposten „zeige“. Dieser werde mir sagen, ob ich in den ersten Stock zu kommen hätte oder gleich umkehren dürfe. Wenn es in der Folge hieß, dass

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ich zum Kommissar zu gehen hätte, so bedeute das immer, dass er mich etwas zu fragen oder an meinem ihm hinterbrachten Verhalten etwas auszusetzen hatte. In diesem Fall waren meine Nerven für das Zuklappen der Eisentür nach dem Eintritt besonders empfindlich. Auf meine Frage also, wer jener Herr Florer sei, der mich in der Stadtbücherei zu sich eingeladen hatte, bekam ich nach zwei Tagen den Bescheid, mit diesem Manne könne ich unbedenklich verkehren, er sei harmlos. An einem der folgenden Tage forderte mich Dr. Florer in der Stadtbücherei auf, mit ihm nach Hause zu gehen. Ich lernte dort seine Frau, eine sehr distinguierte Dame, und seine Tochter Trude kennen, die mit einem aus Böhmen stammenden Beamten des Erfurter staatlichen Finanzamtes, Dr. iur. Dick, verheiratet war. Ich wurde freundlich aufgenommen und Florer zeigte mir seine große historisch-rechtswissenschaftliche Bibliothek und einige seiner Aquarelle und Zeichnungen. Er war ein großer altösterreichischer Patriot und Bewunderer der versunkenen österr.-ungarischen Monarchie. Er hatte einen Teil seiner Studien in Lemberg absolviert und sprach tadellos Polnisch, was seinem deutschen Sprechen den leichten slawischen Akzent gab. Nach einer Weile erhob ich mich, da ich ja bei der Gestapo meine Meldung machen musste. Es war mir auch hier außerordentlich peinlich, den Grund meines Aufenthaltes in Erfurt verleugnen zu müssen. Die Familie war jedoch politisch uninteressiert, und da sie selbst aus Böhmen nach Erfurt gezogen war, schien sie mein Zuzug nicht zu wundern. In der nämlichen Stadtbibliothek sprach mich der Bibliotheksdirektor eines Tages darauf an, ob ich nicht den historisch-genealogischen Verein besuchen wolle, in dem jeden Monat, gelegentlich einer geselligen Zusammenkunft in einem Restaurant, ein Vortrag gehalten werde. Der Verein bestehe vornehmlich aus emeritierten Pastoren, die mir durch ihn sagen ließen, dass sie mich gerne in ihrem Kreise sehen würden. Ich dankte erfreut, weil das eine unverfänglich honorige Gesellschaft war, und gab nur zu bedenken, dass ich Katholik sei. Das wisse man  ; Oberpfarrer Burow, der Präsident, hätte mich seinerzeit oft in Berlin in seinem Gotteshaus gesehen, wenn Pfarrer Niemöller dort gepredigt hatte. Nun wusste ich die Richtung der historisch-genealogischen Gesellschaft  ! Niemöller, im Ersten Weltkrieg deutscher Unterseebootoffizier, war nach den prachtvollen katholischen Bischöfen Graf Galen (Münster), Faulhaber (München) und Preysing (Berlin) der Protestant, der nicht minder mutig gegen Hitler und den Nationalsozialismus gepredigt hatte. Ich war mit meiner lieben Frau oft in Dahlems Kirche gewesen, um Niemöller zu hören, weil der katholische Pfarrer im Berliner Diplomatenviertel ganz in den nationalsozialistischen Segnungen schwamm. Ich nahm die Einladung spontan an. Möglicherweise hätte ich durch eine Absage das Odium der Feigheit auf mich nehmen müssen. Um allen Aufpassern den Wind aus den Segeln zu nehmen, teilte ich Kommissar Fischotter einfach mit, dass ich

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vom Stadtbibliothekar zu den Vorträgen der historisch-genealogischen Gesellschaft geladen worden sei und teilnehmen werde. Fischotter erwiderte, er hätte sich schon früher gedacht, dass ich die gesuchte Nebenbeschäftigung vielleicht in der Stadtbücherei finden könnte. Als staatsgefährlich wurden die guten Pastoren also nicht gewertet  ! Die Vorträge dieses Kreises befassten sich wenig mit Genealogie, jedoch viel mit der neueren schöngeistigen und religiösen Literatur. Ich wurde von den Pfarrern und ihren Frauen sehr freundlich aufgenommen und habe in den folgenden Jahren viel mit ihnen verkehrt. In diesem klar orientierten, sehr bescheiden auftretenden Zirkel wurde ich nie gefragt, warum ich nach Erfurt gekommen war  ; das war angenehm. Aber auch über Politik wurde nie gesprochen und selbst die nach und nach immer stärker werdende antireligiöse Haltung des Nationalsozialismus höchstens unter vier Augen beurteilt. Zu der katholischen Geistlichkeit bestanden vereinsmäßig keine Beziehungen. Meinen zuständigen katholischen Pfarrer Schulte von St. Wigbert orientierte ich. Der katholische Klerus bot zu Beginn meines Aufenthaltes nichts Ähnliches. Erst nach etwa drei Jahren organisierte der Dompropst ausgezeichnete Vorträge über historische Themen, die in der kleinen Propsteikirche unterhalb des mächtigen Domes gehalten wurden. Dafür bildete das damals gerade neu erschienene biographische Werk von Brandis über Kaiser Karl V. den Untergrund.787 Die kirchlichen Verhältnisse in Erfurt waren eigenartig  : Die Stadt zählte etwa 165.000 Einwohner und 15 große Kirchen. 150.000 Menschen waren protestantisch und nur 15.000 katholisch. Trotzdem waren bloß 7 der großen Kirchen den Protestanten zugesprochen, während 8, darunter die beiden Wahrzeichen Erfurts auf dem Dom-Hügel, Dom und Severi, katholisch geblieben waren. Das Protestantentum erschien mir lau, während die Intensität der katholischen Diaspora in Glaubenssachen und Kirchenbesuch stark und während der ganzen Dauer des Nazitums ungeschwächt auffiel. Erfurt gehörte zu dem in der kleinen Stadt Fulda residierenden St. BonifaciusBistum und war unter seinem Domprälaten hervorragend organisiert  : Es hatte sein eigenes schönes, großes Krankenhaus, ein Priesterseminar, im Ursulinenkloster eine hervorragende Mädchenschule, eine Kinderkrippe und noch eine Reihe karitativer Einrichtungen sowie katholische Mittagstische. Einmal, nachdem meine beiden Töchter bereits nach Erfurt übersiedelt waren, hielt in der genealogischen Pastorengesellschaft ein mir ganz unbekannter Landgerichtsrat Bauer einen Vortrag unter dem Titel „Ist Geschichte eine Wissenschaft  ?“ Der Vortrag wurde von den Pastoren so kühl, ja fast abweisend aufgenommen, dass ich mich 787 Karl Brandi, Karl V. Werden und Schicksal einer Persönlichkeit und eines Weltreiches, 2 Bände, 1. Auflage München 1937, 2. Auflage München 1938, 3. Auflage München 1942, 6. Auflage, Darmstadt 1961.

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verpflichtet fühlte, dem Vortragenden wenigstens mit ein paar verbindlich anerkennenden Worten zu danken. Zu meinem großen Erstaunen erschien der Landgerichtsrat zwei Tage später in unserer Wohnung, um mir einen Besuch abzustatten und zu danken  : Ich hätte als einziger den Sinn und Gedankengang seines Vortrages erfasst. Zwischen diesem um zehn Jahre älteren Mann und mir entwickelte sich in der Folge eine Freundschaft, die sich auch nach meiner Heimkehr nach Österreich brieflich bis zu seinem 1959 erfolgten Tod fortsetzte. Dr. Franz Bauer war einer jener nicht seltenen Juristen, die im späteren Leben ihre Liebe zur Geschichte entdeckten. Seine historischen Studien machten aus ihm einen begeisterten Bewunderer der ehemaligen österr.-ungarischen Monarchie und Verächter Preußens. Seine in Graz lebende Schwester hatte einen österreichischen Offizier geheiratet, der im Ersten Weltkrieg gefallen war. Durch diese Schwester zog er, wie er mir später gestanden hatte, Nachrichten über mich ein, die ihn über meine gegen Hitler gerichtete Tätigkeit als Chef des österreichischen Generalstabes bald voll ins Bild setzten. Er war ein bedingungsloser Feind aller Nationalsozialisten und nannte Hitler immer nur einen größenwahnsinnigen Narren, und das unbekümmert mit einer Lautstärke, die mir im Hinblick auf meine Aufpasser oft unangenehm war. Dagegen hing er mir mit einer hochachtenden Freundschaft an, deren Urgrund mir bis heute nicht klar geworden ist, da ich doch weder Jurist noch zünftiger Historiker war. Wir sprachen uns gut. Ich blieb bewusst bescheiden, trumpfte nie bramarbasierend auf, trotzdem forderte er mich immer wieder auf, den Ablauf meines Lebens aufzuzeichnen. Er war die Triebkraft, die mich nach dem 73. Lebensjahr bewog, diese Aufzeichnungen zu machen. Nicht für die Öffentlichkeit als Buch gedacht, sondern für meinen Enkel und einen kleinen Kreis von befreundeten Interessenten wie Professor Hantsch und Dozenten Dr. Jedlicka. In Erfurt habe ich durch Ordnung und Beschriftung der vielen Photographien in sechs Alben meine Lebenserinnerungen gesammelt und als ansprechende Erinnerung für meine beiden Töchter zusammengestellt  ; sie sind mir für diese vorliegende Niederschrift ein maßgeblicher Gedächtnisbehelf geworden. Dr. Bauer selbst war ein geistvoller Mensch, dessen sezierend scharfer Verstand mehr auf Zynismus, als auf religiöse Vertiefung ausgerichtet schien. Seine Frau hingegen und besonders sein jüngerer Sohn und die mit ihnen in Freundschaft lebende Familie des Amtsgerichtsrates Mavors waren tief religiös und gütig. Nachzutragen wäre jetzt, dass Ende April die Übersiedlung meiner Töchter nach Erfurt mit dem gesamten Mobiliar planmäßig erfolgte und sogar unsere Köchin Käthe mitkam. Der gute Pfarrer Tegel hatte es sich nicht nehmen lassen, meine Töchter in seinem Privatauto über München und Nürnberg zu mir nach Erfurt zu bringen. Zwei Tage blieb Tegel bei uns, während derer ich ihm und den Mädeln Erfurt zeigte. Nachdem ich ihm für sein hohes Maß an priesterlicher Hilfsbereitschaft von

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Herzen gedankt hatte, fuhr dieser nach Wien zurück im festen Glauben, dass es nur weniger Monate bedürfen werde, um Hitler mit seinem ganzen Nationalsozialismus zusammenbrechen zu sehen. Ich war anderer Meinung  ; ich glaubte, da die Welt Hitler alles konzedierte, dass noch einige Jahre des Unglückes über uns kommen würden  ; ich hatte die Überzeugung, dass Hitler auf einen Krieg lossteuere. Wie verständnislos ängstlich und mutlos die Mächte dem Nationalsozialismus gegenüber handelten, hatte ich ja bei der Abrüstungskonferenz in Genf selbst Tag für Tag beobachten können. Hitler war bisher die Erfüllung aller seiner Begehrlichkeiten geglückt und zwar trotz seiner bereits seit 1933 offenen Judenverfolgungen  : – die Wiedergewinnung des als Pfand nach dem Frieden von Versailles von Frankreich und England besetzt gehaltenen Rheinlandes, – die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und darüber hinaus eine massive Kriegsrüstung, – die Annexion Österreichs, – die Abtretung des Sudetenlandes und bedeutender Gebiete Mährens von der Tschechoslowakei und, kurz nachdem Tegel abgereist war, aufgrund des Münchener Abkommens die Umwandlung der Tschechoslowakei in ein Deutschland unterstelltes Generalgouvernement und die Selbstständigmachung der Slowakei unter deutscher Schutzherrschaft. Immer wieder hatten die Westmächte gedroht, das sei ihre letzte Konzession, um dann Hitler immer wieder nachzugeben. Mussolini war ein Bundesgenosse Hitlers geworden. Diese Kumpanei allerdings hatte Hitler durch seine Bestätigung der Zugehörigkeit des deutschen Südtirols zu Italien nach seinen eigenen Kriterien durch einen glatten Volksverrat gefestigt. Als es diesem im Spätsommer 1939 auch gelang, Sowjetrussland auf seine Seite zu bringen, da wurde ich an meiner Verurteilung dieses Mannes irre.788 Gott ließ diesen Mann glückhaft Dinge vollziehen, scheinbar ohne Schwertstreich, die niemandem vor ihm gelungen waren. Deutschland mit Russland zusammen war ein unbesiegbarer Block. Gäbe sich Hitler nun mit dem Erreichten zufrieden, dann hatte er Deutschland groß und stark gemacht wie niemand vor ihm und alle bösen von Clemenceau ersonnenen sogenannten Friedensverträge von Versailles, Saint-Germain und Trianon ausgelöscht. Allerdings war damit auch der künftige Weg Deutschlands in den braunen Bolschewismus vorgezeichnet. Sollte Gott wirklich diesen Mann zur Beseitigung des schweren Unrechts, das die Westmächte mit Amerika 788 Gemeint ist das Hitler-Stalin-Abkommen vom 23.8.1939. Offiziell   : Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken.

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nach dem Ersten Weltkrieg Deutschland und Österreich-Ungarn angetan hatten, gewählt haben  ? Im Mai des Jahres 1939 hieß es, dass alle österreichischen Offiziere, die sich gegen den Nationalsozialismus gestellt hatten, nicht würdig wären, ein deutsches Ruhegehalt zu beziehen. Deshalb wurden ihre Bezüge auf das alte österreichische Ausmaß gekürzt. Das bedeutete für mich die Verringerung meines Ruhegehaltes um rund 33 Prozent, was, nachdem ich die Umzugskosten nach Erfurt beglichen hatte und deshalb keinen Pfennig Reserve mehr besaß, eine Katastrophe war. Mit dieser gekürzten Pension war es unmöglich, die Studienkosten meiner Kinder zu bedecken. Denn Erfurt besaß ja keine Hochschule. Ich musste nicht nur die in Deutschland viel höheren Studiengebühren aufbringen, sondern auch für die Unterhaltskosten der Mädeln in den künftig in Betracht kommenden nächsten Universitätsstädten Jena oder Leipzig Vorsorge treffen. Jetzt war der Moment gekommen, da ich in den sauren Apfel der Betätigung als Versicherungsagent beißen musste. So ging ich denn in die nahe gelegene Erfurter Filiale des Rheinischen Gerling-Konzerns und bot meine Dienste an. Der Leiter, ein einfacher, grundanständiger Mann, Herr Öhlers, nahm mich mit großem Entgegenkommen auf, weil ihm ein Vertreter fehlte, der nach Bildung und Auftreten für die Bearbeitung der Akademiker geeignet wäre. Während ich in den nächsten Tagen die vielen Drucksorten über die verschiedenen Versicherungsmöglichkeiten studierte, erhielt ich eine Vorladung der geschäftlichen Vertrauens- und Auskunftsstelle. Ich hatte damals noch keine Ahnung, dass es so etwas gibt und ging neugierig hin, um zu hören, was man von mir wollte. Ich wurde von einer älteren Dame sehr artig empfangen und zu einem alten Herrn geführt, auf dessen Schreibtisch sich hohe Stöße Papier stapelten. Auch dieser Herr zeigte sich sehr zuvorkommend, bat mich Platz zu nehmen und begann wenig geschickt ein Gespräch zu führen, dem ich bald entnehmen konnte, dass der Gerling-Konzern über meine Vertrauenswürdigkeit Informationen erbeten hatte. Um meinen Geschäftsbeginn nicht zu verzögern, gab ich bereitwillig alle gewünschten Auskünfte über mich und nannte als Referenzen meinen hofrätlichen Bruder in Wien, den zuständigen katholischen Pfarrer Schulte und auch den protestantischen Pfarrer Burow. Ich hätte am liebsten auch die Geheime Staatspolizei genannt, doch das durfte ich ja nicht. Erstaunt aber war ich, als bei der Verabschiedung der alte Herr mich fragte, ob ich praktizierender Katholik sei. Ich bejahte. Darauf änderten sich die Mienen des alten Herrn und seiner auch schon betagten Sekretärin zu freundlichem Lächeln und beide sagten, dass sie mich mit Adressenmaterial versorgen und mir unentgeltlich mit allen Auskünften, die ich über meine künftige Klientel benötigen würde, dienen wollten. Das war der erste praktische Beweis katholischer Hilfsbereitschaft in Erfurts Diaspora. Bald bekam ich auch von meinem guten Pfarrer Schulte und nach dessen Empfehlung auch von allen

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anderen katholischen Pfarrern Auskünfte über Geburten und Eheschließungen, die als beste Anknüpfungspunkte für Versicherungsgespräche galten. Dennoch war es mir anfangs schrecklich peinlich, an fremden Privattüren anklopfen und mich als Versicherungsvertreter vorstellen zu sollen, um dann in längerer oder kürzerer beweiskräftiger Rede die Vorteile einer Lebens-, Einbruchs- oder Diebstahlsversicherung darzulegen. Zum Glück war man in Deutschland für solche kommerziellen Gespräche viel aufgeschlossener als in Österreich. Die Leute verdienten alle mehr und konnten daher von ihren Einkommen leichter die Prämienbeträge zugunsten ihrer Familien abzweigen. Ein guter und beweiskräftiger Grund für die Vorteile einer Versicherung war mir anfangs die Tatsache, dass ich sofort nach dem Tod meiner Frau mein Leben mit 20.000,– Schilling zugunsten meiner Töchter ebenso versichert hatte wie die Kosten meines allfälligen Begräbnisses. Ich konnte die Versicherungsscheine vorzeigen und dadurch beweisen, dass ich selbst wirklich von den Vorteilen einer Versicherung überzeugt war. Als erste Kunden gelang es mir bald zwei Ärzte und einen Architekten zu gewinnen. Der anfängliche und auch später von mir gebrachte Erfolg war bitter genug errungen  : Auf etwa 10 bis 12 Besuche kam ein Versicherungsabschluss. Man musste also fleißig herumlaufen und anfängliche Abweisungen nicht als endgültig betrachten, sondern den Besuch in entsprechenden Abständen wiederholen, immer sehr höflich und sehr geduldig bleiben. Ich lernte dieserart viele Menschen und ihre Tätigkeit kennen  ; höfliche und abweisende, wenig rasch entschlossene, viele zögernde, denen ich, nach vorheriger Aussprache mit ihren Frauen, die Einsparungsmöglichkeiten für die Prämien aufzeigen und erläutern musste. Manche hatten erst nach Geschäftsschluss am Abend Zeit für solche Unterredungen. Im Allgemeinen waren für Lebensversicherungen die Frauen leicht zu gewinnen  ; es ist begreiflich, dass diese ihre Existenz und jene ihrer Kinder durch Versicherungen vorsorglich behütet sehen wollten, was sich nach Kriegsbeginn noch steigerte. Durch die Einziehung von anderen Vertretern zur Wehrmacht musste ich in der Folge auch die Bearbeitung der Rayons außerhalb Erfurts übernehmen, was mir gegen meine Erwartung von der Gestapo zugestanden wurde. So lernte ich bald Arnstadt, Suhl, Zella-Mehlis, Meiningen, Jena, Gotha, Sangershausen, Eisenach, Nördlingen, Mühlhausen in Thüringen und andere Orte kennen. Vom Gerling-Konzern bekam ich die Reisespesen, Verköstigungs- und Nächtigungskosten im vollen Umfang vergütet und außerdem bei Lebensversicherungen 25 % vom abgeschlossenen Betrag als Provision. Das heißt also, dass ich für 10.000 Mark Versicherungssumme einmalig 250 Mark Provision erlöste. Auto-, Einbruchs- und andere Versicherungen hatten kleinere Provisionen, dafür jedoch 1–2 Prozent des Prämienbetrages für die ganze Laufzeit einer solchen Versicherung. Ich verdiente bald 500 Mark monatlich und auch mehr, wodurch nicht nur meine Gehaltskürzung ausgeglichen, son-

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dern auch die so notwendige Rücklage für Ersparnisse als Notpfennig für Krankheit, Urlaubsreisen usw. möglich wurde. Mit der Zeit schuf ich mir in allen Orten Männer und Frauen als Mitarbeiter, denen ich bei Erfolgen einen Teil meiner Provision überließ. Sehr dankbar hervorheben muss ich hier auch unseren Hausherrn, den Fleischhauer Kittel und seine Familie. Es waren das herzensgute und in der Notzeit des späteren Krieges mit Fleisch und Wurst aus ihrem Laden oft helfende Menschen. Der Schwiegersohn Kittels war zwar SS-Offizier in Reserve, aber ebenso hilfsbereit wie seine Schwiegereltern. Während meine Tochter Judith im Herbst 1939 in den Arbeitsdienst einrückte, besuchte Herta die Königin-Luise-Schule. In ihrem Klassenvorstand, Frl. Pohle, fand sie bald eine wohlgesinnte Lehrerin. Das ganze Milieu war jedenfalls weit günstiger als in Wien. Mit Frl. Pohle und ihrer verwitweten Mutter, die in der noblen Cyriakstraße eine sehr hübsche Gartenvilla zu eigen hatten, entspann sich in der Folge ein reger geselliger Verkehr, an dem auch Judith teilnahm. Mit Herta in der gleichen Klasse studierte ein Fräulein Inge Zimmermann, die Tochter des a.o. Professors an der Universität Jena, der in Erfurt seine gynäkologische Praxis und eine Privatklinik betrieb. Herta, als einzige Österreicherin und Halbwaise, fiel als Generalstochter natürlich ihren Mitschülerinnen auf und es kamen von deren Eltern bald mehr oder weniger deutliche Aufforderungen zu einem geselligen Verkehr. Ich hielt mich für meine Person, mit der Begründung meines Witwer-Daseins, sehr zurück, konnte aber eine direkte Einladung, die Frau Professor Zimmermann bei einer zufälligen Begegnung mit unseren Töchtern in der Straßenbahn an mich richtete – ohne den Vorwurf der Unhöflichkeit – nicht direkt ablehnen. In der Folge bildete sich mit der Familie Zimmermann eine rechte Freundschaft heraus. Prof. Zimmermann war fast auf den Tag genau gleich alt. Der Sonntagnachmittag war für den schwer arbeitenden Mann die einzige Erholung, die er in der Aussprache mit Freunden am besten fand. Wir konnten bald sehr gut miteinander sprechen. Häufige Gäste waren auch Hertas Latein- und Französisch-Lehrer Dr. Becker mit Frau und eine verwitwete Frau Schulz. Der Sonntagnachmittag begann mit Kaffee und Kuchen, setzte sich mit einer Flasche guten Weines fort, und ich wurde oft auch zum Abendessen behalten. Zimmermann war als ehemaliger Marinearzt weit gereist und, obwohl selbst Parteigenosse, ein mächtiger Schimpfer auf Hitler, den er prinzipiell nur Gröfaz nannte, die ironische Abkürzung für „größter Feldherr aller Zeiten“. Ich habe in seinem von seiner liebenswürdigen Gemahlin nobel geführtem Haus viele schöne Stunden verbracht. Gern hörte man mir zu, wenn ich von Österreich und seiner großartigen Geschichte erzählte. Als ich 1946 Erfurt verließ, um nach Österreich heimzukehren, kamen er und seine Frau zu meiner Verabschiedung zu mir in unsere Wohnung, und der Abschied fiel uns

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nicht leicht. Wir sind bis zum frühen Tod des Professors in Korrespondenz gestanden. Er starb 1954 kurz nach der Vollendung des 70. Lebensjahres. Unsere Wohnung in Erfurt war schön und groß. Die Aussicht nach Süden zeigte die hübschen Ausläufer des Thüringer Waldes. Es gab eine Etagenheizung, die, solange man Brennmaterial zu kaufen bekam, leicht bedienbar, die Lebensführung sehr erleichterte. Käthe, unsere Köchin, war aus Wien mitgekommen und leitete unsere Lebensführung in Erfurt vom haushälterischen Standpunkt gut ein. Selbst fand sie leider keinen geselligen Anschluss, sodass sie bald Heimweh empfand und im Herbst nach Wien zurückkehrte. An ihre Stelle trat ein außerordentlich gewissenhaftes älteres Fräulein Emmy Bähr, das bis zu dem schrecklichen Kriegsende bei uns blieb. Unsere Erfurter Wohnung hätte sich für größere Gesellschaften sehr gut geeignet, aber der bald ausbrechende Krieg verhinderte dies. Auch brachte es mein Witwertum mit sich, dass ich öfter in die bekannten Familien geladen war, als diese zu mir kamen. Unter den Familien, die großen Wert auf den Verkehr mit uns legten, war auch das junge Ehepaar Beuchel, das ich durch meine Versicherungstätigkeit kennenlernte. Herr Beuchel war der wohlhabende Repräsentant der Rüsselsheimer Adam-OpelWerke in Erfurt mit einer unwahrscheinlich großen Autoreparaturwerkstätte. Nun muss ich wieder zur Chronologie der Ereignisse zurückkehren. Im Herbst 1939 begann Hitler den unseligen Krieg gegen Polen und hatte damit das Maß dessen überschritten, das England ihm zu konzedieren bereit war. Dem Einmarsch in Polen folgte unmittelbar die Kriegserklärung Englands und Frankreichs an Deutschland. Das erkannte ich gleich als sehr gefährlich, doch schien mir die Feindschaft der Westmächte so lange nicht unbedingt tödlich für Deutschland, als dieses mit dem enormen Ländergebiet Russlands verbündet blieb. Natürlich drohte bei der Gemeinschaft mit Russland ganz Europa der braun-rote Bolschewismus. Grenzenlos erstaunte mich, dass England und Frankreich nicht sofort nach der Kriegserklärung in Deutschland einmarschierten. Das war strategisch ein schwerer Fehler, der es Hitler in seiner Übermacht ermöglichte, Polen in kurzer Zeit völlig unbehindert vernichtend zu schlagen und zwischen Nazideutschland und Sowjetrussland aufzuteilen. Er konnte nachher seine ganze militärische Macht völlig ungestört und gestärkt durch die in Polen mit den Panzern gewonnene Kriegserfahrung gegen die Westmächte konzentrieren. Der im Frühjahr 1940 errungene vernichtende Erfolg Hitlers gegen Frankreich und England789 im Verein mit der England zuvorkommenden Besetzung ganz Norwegens als erweiterter Basis für den Luftkampf gegen England ließ mich in diesem Zeitpunkt 789 Am 5.5.1940 begann um 5.45 Uhr die deutsche Offensive im Westen. Am 10.6.1940 trat Italien in den Krieg ein.

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glauben, dass Gott – für meinen Verstand unfassbar – alle Erfolge Hitler zusprach. Das bewirkte bei mir eine schwere Wertespaltung  : Einerseits verabscheute ich den Nationalsozialismus mit seiner Verlogenheit und Grausamkeit, anderseits bewunderte ich die grandiosen militärischen Leistungen des deutschen Heeres, für das ich ja seit dem Ersten Weltkrieg hohe soldatische Anerkennung im Herzen trug. Mit Stolz erfuhr ich, dass sich unsere österreichischen Soldaten in diesen Kämpfen überall hervorragend schlugen  ; das war nämlich der Beweis dafür, dass die von mir und meinen Kameraden in den 18 Jahren, die das Bundesheer bestanden hatte, trotz kargster finanzieller Mittel geleistete Ausbildungsarbeit richtig und gut gewesen war. Umso enttäuschender waren die Italiener. Der Angriff Deutschlands gegen Frankreich ließ ihrer Eifersucht keine Ruhe. Sie griffen Frankreich in den Seealpen an und kamen keinen Schritt vorwärts. Ihre Expedition über Albanien gegen Griechenland endete ebenso mit einer Niederlage, wie ihr Vorgehen in Nordafrika gegen Ägypten. Auch Mussolini hatte aus den neuzeitlichen Italienern keine römischen Legionen machen können  ! Im Herbst 1939 rückte Judith zum Arbeitsdienst in die Gegend von Wittenberg an der Elbe ein. Dort erlitt sie wenigstens keinen Schaden und bekannte sich tapfer zu ihrer katholischen Überzeugung. Das war vielleicht vom ganzen Nationalsozialismus die beste Institution. Bei der Gestapo wurde Kommissar Fischotter abgezogen und durch eine unsympathische neue Persönlichkeit ersetzt. Gelegentlich meiner regelmäßigen Meldung von dem Torposten wurde ich wieder einmal zum Kommissar beordert. Nachdem ich das ominöse Gittertor durchschritten hatte und zum ersten Stock aufgestiegen war, erwartete mich vor der Tür zum Kommissar ein kleiner unscheinbarer Mann, der sich als Polizeisergeant Pope vorstellte und mir die Mitteilung machte, dass Fischotter nicht mehr da sei und der neue Kommissar mich kennenzulernen wünsche. Von Pope begleitet trat ich in das bekannte Zimmer ein, wo ein untersetzter, weißblonder Mann hinter dem Schreibtisch saß. Auf meine Vorstellung hin hob er leicht sein Gesäß vom Sessel und forderte mich auf, Platz zu nehmen. Nach einigen Fragen, wie ich mich in Erfurt fühle und beschäftige, verlangte er mein Urteil über die Kriegslage. Damals war gerade der Krieg in Polen beendet und England und Frankreich hatten den Krieg erklärt. Die Frage zu beantworten, war heikel. So beschränkte ich mich einfach zu sagen, dass ich die Lage so lange für erfolgmöglich ansehe, als Russland bei Deutschland stehe. „Sie glauben also, dass Deutschland ohne Russland den Krieg verlieren würde  ?“ Ich vermied ein klares „ja“ zu antworten, um den „Defaitisten-Strick“ mir nicht um den Hals legen zu lassen. Ich zuckte die Achseln und sagte etwa, dass ich ja keine Ahnung habe, welche neuen Waffen Deutschland bereithalte, um seine Feinde in kürzester Zeit niederzuzwingen. Darauf

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der Kommissar  : „Neue Waffen werden sicher kommen, aber warum sollten wir nicht ohne Russland siegen können  ?“ Jetzt ging es um meine militärische Reputation. Ich konnte doch diesem Idioten nicht zustimmen, dass Deutschland mit Italien an der Seite gegen England, das wieder die ganze Welt gegen Deutschland zusammenbringen würde, zu siegen vermöchte. So sagte ich ihm ungefähr, dass er doch an den Ersten Weltkrieg zurückdenken möge. Da hatte Deutschland das mächtige Österreich-Ungarn an seiner Seite und trotzdem ging der Krieg an der Absperrung durch die Seemächte infolge Hungers und Mangels an allem verloren. Der Kommissar erwiderte leichthin  : „Ja, der Krieg ging verloren, weil Österreich keine deutsche Politik gemacht und Deutschland im Stich gelassen hatte  !“ Das war zu viel an Unverschämtheit einem österreichischen General gegenüber. Mich übermannte der Zorn und ich fuhr ihn heftig an, dass das eine niederträchtige Geschichtsverfälschung sei. Österreich-Ungarn habe nach Königgrätz mit seinen 11 Millionen Deutschen gegen 42 Millionen Slawen und Magyaren keine deutsche Politik mehr machen können, gleichwohl bis zur Selbstauflösung zu Deutschland gestanden. Mir könne er das glauben  : Ich hätte von Gen. v. Below noch 1917, als die Verleihung an Ausländer schon verboten war, das Eiserne Kreuz 1. Klasse erhalten  ! Die österr.-ungarischen Divisionen hätten 1918 in Frankreich noch mit Auszeichnung gekämpft, als die deutschen Divisionen bereits zurückfluteten  ! Und da wolle er angesichts der 1,000.000 Kriegstoten Österreich-Ungarns sagen, dass die Monarchie Deutschland im Stich gelassen habe  ? Darauf blieb dem Kommissar die Rede weg. Er stand auf. Auch ich erhob mich und verließ das Zimmer. Auf dem Gang meinte ich zu Herrn Pope  : „Na, jetzt hat der Herr Kommissar einen Grund für meine Verbringung ins KZ Buchenwald.“ – „Oh nein“, antwortete dieser  : „Sie haben nur gesagt, was ein österreichischer General sagen musste  !“ Ich sah Herrn Pope groß an. Er merkte mein Erstaunen und fuhr fort, dass er ein Frontdiener aus dem Ersten Weltkriege sei und seine Einteilung zur Gestapo nur aus Existenzgründen hingenommen habe. Es sei sehr gut, wenn jemand einmal diesen jungen Herren sage, dass nicht alles richtig ist, was man ihnen jetzt anlerne. Ich sprach ihm meine Hochachtung und drückte ihm kräftig die Hand. Zum Abschied versicherte er mir, dass er immer zu Diensten stünde, wenn ich etwas benötigte und zeigte mir die nahe gelegene Tür seines Büros. Nach der heftigen Auseinandersetzung mit dem Kommissar passierte tatsächlich nichts. Jener wurde übrigens bald wieder von Erfurt abgezogen, und seine Nachfolger zeigten wenig Interesse für mich. Eines schönen Tages bekam ich eine Ansichtskarte mit der Mitteilung, dass meine Konfinierung in Erfurt bekannt sei und der Schreiber mit anderen gemeinsam mir in Hochachtung verbunden bleibe. Eine Unterschrift fehlte, der Poststempel trug die

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Umschrift Weimar. Ich zerbrach mir eine Weile den Kopf, wer der Schreiber sein könnte  ; dann kam mir die Erleuchtung, dass es die Handschrift von Mjr. Marinkovich sein könnte, der im Ersten Weltkrieg Flieger, zu der Zeit, als ich in St. Pölten die 3. Brigade führte, Kommandant der Kraftfahrkompanie gewesen war. Diese Karte musste ich als einen Hilferuf deuten. Marinkovich war ein energischer Mann, der im KZ Buchenwald stecken musste, denn sonst hätte er sich klarer ausgedrückt und die Karte unterschrieben. Ins Konzentrationslager schreiben durfte ich nicht  ; das hätte ihn kompromittiert. Nach langem Wägen und Überlegen begab ich mich schließlich zu Herrn Pope und fragte, ob er feststellen könne ob ein Major Marinkovich im Konzentrationslager wäre und mit welchen anderen österreichischen Offizieren, ob sie etwas brauchten, wobei ich helfen könnte. Ich erklärte ihm, dass ich wisse, etwas Ungebührliches zu erbitten  ; er möge jedoch würdigen, dass ich mich bemühen müsse, einem österreichischen Kameraden zu helfen. Herr Pope überlegte eine Weile und sagte schließlich zu. Nach etwa 14 Tagen beschied mich der Torposten zu Herrn Pope. Dieser gab mir einen Hughes-Telegrammstreifen zu lesen, dass an österreichischen Offizieren nur mehr Mjr. Marinkovich und ein Hauptmann Gatnar790 aus Graz in Buchenwald säßen, der Gesundheitszustand der Herren sei gut. Tief gerührt dankte ich Herrn Pope. Anschließend fragte ich ihn, ob er mir einen Brief, den ich ihm offen bringen würde, mit ein paar Zigaretten an den Major besorgen könnte. Auch das sagte der Brave zu. Kurz darauf war Pope verschwunden. Ich machte mir die schwersten Vorwürfe, dass ich diesen hochachtbaren Mann durch meine Bitten kompromittiert hätte. Für mich erwartete ich ebenfalls irgendeine Maßregelung. Dem war aber gottlob nicht so  ; nach etwa einem halben Jahr war Pope wieder in seinem Amt, allerdings nur mit einem Bein. Er war ein starker Raucher gewesen und das Nikotin hatte ihm ein Bein so völlig gelähmt und zum Absterben gebracht, dass es ihm amputiert werden musste. Als ich Erfurt im Frühjahr 1946 endgültig verließ, war unsere Verabschiedung von herzlicher Kameradschaft und allen guten Wünschen erfüllt. Weniger erfreulich war eine Verfügung (ich glaube, es dürfte Ende 1943 gewesen sein) eines der Kommissare, wonach ich meine Versicherungstätigkeit wegen eines „vom Führer“ erlassenen Reiseverbotes für Vertreter einstellen sollte. Ich hatte angesichts meines guten Einkommens aus der Versicherungstätigkeit so eine Möglichkeit immer ins Kalkül gezogen und – begünstigt durch das Versicherungsgeschäft – eine 790 Kurt Gatnar (Proßnitz, heute Prostějov, Mähren, 10.2.1898–5.2.1960, Bad Aussee), Angehöriger der Vaterländischen Front, 1937/38 Stabschef des Sturmkorps der Vaterländischen Front, 13.3.1938 verhaftet, 23.5.1938–27.9.1939 KZ Dachau, sodann bis 3.3.1940 KZ Flossenbürg. Dann wieder KZ Dachau bis 21.12.1942, 30.4.1944 neuerlich im Polizeigefangenenhaus eingekerkert, nach Wien gebracht und schließlich bis 3.5.1945 ins KZ Buchenwald eingeliefert. (Certificate of Incarceration)

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Reihe großer Erfurter Firmen kennengelernt und mir diese in der Richtung auf meine eventuelle Betätigung in ihnen besehen. So fragte ich denn beim großen Autoteilevertrieb Richard Klein an, die außer dem Erfurter Hauptgeschäft, je eine Filiale in Warschau und Wien unterhielt. Der Firmenchef, ein Herr Erhardt, hieß mich auf meine Anfrage sogleich willkommen, gab mir ein Fixum von 250 Mark und eine nach den einzelnen Artikeln schwankende Verkaufsprovision von zwei bis fünf Prozent, die nach kurzer Einarbeitungszeit monatlich auch rund 400 Mark betrug. Herr Öhlers, der Geschäftsführer des Gerling-Konzernes, dem ich vertraulich den Einspruch der Gestapo mitgeteilt hatte, bat mich, wenigstens im Stillen für seinen Konzern weiterzuarbeiten. Da beide Tätigkeiten geschäftlich nicht kollidierten und auch Herr Ehrhardt einverstanden war, so blieb ich stiller Mitarbeiter im GerlingKonzern, was mir nicht mehr so viel wie früher einbrachte, aber mein Gesamteinkommen, über die gekürzte Pension hinaus, auf rund 1.300 und mehr Mark im Monat wachsen ließ, was ich sehr gut brauchen konnte. Das Studium der Töchter außerhalb des Vaterhauses kostete viel Geld. Wohl dankte ich Gott täglich, dass ich es erarbeiten konnte, leicht war der Anfang im Autoteilevertrieb jedoch nicht. Ich stand bereits im 58sten Lebensjahr und das Auf- und Abklettern auf den Leitern, um die unzähligen Teile in den hohen und tiefen Regalen kennenzulernen, zu schlichten, zum Verkauf herauszuholen und neu eingetroffene Ware an den richtigen Orten zu deponieren, machte mich bis zum Abend immer todmüde. Dazu kam der innere Zwiespalt, den ich nach Außen nie zeigen durfte, ja nicht einmal bei den Begegnungen mit meinen Kindern zeigen wollte, um sie nicht zu belasten. Seitdem Hitler im Sommer 1941 den Krieg mit Sowjetrussland begonnen hatte, war mir klar, dass der Krieg nicht zu gewinnen war. Meine Abneigung gegen Hitler und seinen Nationalsozialismus gewann wieder ihre ursprüngliche Kraft. Wie recht ich gehabt hatte, dieses verderbliche System zu bekämpfen  ! Aber was war jetzt zu tun  ? Raunzen und Schimpfen half nichts, barg lediglich die Gefahr in sich, als Defaitist in ein Konzentrationslager gebracht zu werden. Verbindung zu irgendwelchen Widerstandskreisen zu bekommen, war in meiner Isolierung nicht möglich. Erfurt und ganz Thüringen waren eine nationalsozialistische Hochburg. In meiner aussichtslosen Lage erschien es mir richtig, die Zähne zusammenzubeißen und um meiner Kinder willen bis zum bitteren Ende durchzuhalten in der Hoffnung, dass Gott unser liebes kleines Österreich nicht verlassen werde. Wenn meine Kinder mich das eine oder andere Mal fragten, ob und wie lange Hitler und der Nationalsozialismus sich würden halten können, gab ich ihnen die Antwort, dass ich das nicht wisse  ; ich könne nur sagen, dass Gott noch niemals die Bäume in den Himmel wachsen ließ. Die Kriegsereignisse selbst konnte ich nur so wie jeder andere Bürger beurteilen. Weder erhielt ich besondere Informationen, noch strebte ich solche an. Ich hatte große

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Hochachtung vor der Führungskunst des deutschen Generalstabes und den Leistungen des deutschen Heeres, war mir aber im Klaren, dass diese bei der hoffnungslosen außenpolitischen Lage, die Hitler geschaffen hatte, nicht würden durchhalten können. Die immer intensiver werdenden feindlichen Fliegerangriffe bewiesen, dass Görings Großmäuligkeit von der Überlegenheit der deutschen Luftwaffe Unsinn war. Von meinem in Berlin lebenden Freunde, k. u. k. Obst. Nießner, wurde mir der im Erfurter Kriegslazarett liegende deutsche Major Püschel zur Betreuung empfohlen. Dieser Panzeroffizier hatte in Russland ein Bein verloren. Er war ein begeisterter Soldat und erzählte mir, wie hart, tapfer und zäh sich die Russen schlügen, wie schwer die deutschen Verluste an Menschen und Material waren und wie die Ersätze nicht mehr ausreichten, die Ausfälle zu decken. Ich tat für den Armen, der infolge schlechter Amputation an großen Nervenschmerzen litt, und für dessen von Berlin herangeeilte Frau gern alles was in meiner Möglichkeit lag. Seine Frau informierte mich mehr über die Stimmung in den Berliner Kreisen, als ihr so sehr kriegsbegeisterter Mann wahrhaben wollte. Die ungünstige Berliner Beurteilung der Kriegslage stimmte mit meinen Eindrücken überein. Die seinerzeitige Begeisterung für den Nationalsozialismus war auch in Berlin verflogen. Böser jedoch als diese Stimmungsberichte waren für mich die Mordgreuel, die ich durch Zufall über die bisherigen Gerüchte hinaus, bestätigt erhielt. Arthritis und ­Ischias begannen mich unter dem arbeitsreichen, bedrückenden Leben heftiger zu beschweren. Der junge Zivilarzt Dr. Gerhards verordnete mir Kurzwellentherapie, die ich im Katholischen Krankenhaus erhielt. In dem Saal für physikalische Behandlung waren die Liegestätten nur durch leichte Vorhänge voneinander getrennt, sodass jeder jedes gesprochene Wort hören konnte. Als ich in meinem Abteil zur Behandlung lag, hörte ich, wie zwei oder drei Betten weiter ein Soldat der Ordensschwester seine Herzensnot erzählte. Er sei der schwarzen SS zugeteilt worden und müsse in RussischPolen unmenschliche Grausamkeiten mitansehen  : Gefangene russische Soldaten, die man „Kommissare“ nannte, würden kurzerhand erschossen, deutsche und andere zur Arbeit verwendete Juden geschlagen, getreten und beim geringsten Widerstand erschossen. Niemand komme gegen die schwarze SS auf  ; Offiziere des Heeres, die versuchten einzuschreiten, wurden ebenso einfach erschossen. Als die Schwester meinte, er übertreibe wohl, solches Verhalten deutscher Männer sei doch undenkbar, stöhnte der Arme, er übertreibe nicht, im Gegenteil, es kämen noch viel ärgere Dinge vor. Kurz darauf verließ der Soldat den Behandlungssaal. Zu einem anderen Patienten hörte ich die Schwester noch sagen, dass die jungen Leute immer mit ihren Schauermärchen übertrieben. Dann rasselte meine Behandlungsuhr und ich verließ das Krankenhaus. Mein Gewissen drückte mich schwer. Ich glaubte alles, was jener junge Mann erzählt hatte,

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konnte aber nicht helfen. Wie oft zieh ich mich der Feigheit, den jungen Soldaten nicht gestellt zu haben und … da war es wieder, dieses „und“  ! Was hätte ich tun können  ? Bei wem hätte ich die vom Soldaten geschilderten Zustände anzeigen sollen  ? Auch die Presse war ja geknebelt und durfte über Regierung und Nazismus nur Erbauliches schreiben. Ich besprach mich mit dem mutigen Landgerichtsrat Bauer. Aber auch er sah keine Möglichkeit zur Hilfe. Wir waren einfach alle aktiv oder passiv hilfslos in eine große Schuld verstrickt, der nicht zu entkommen war. Das Maximum des Möglichen bestand in der Ablehnung, selbst solche Untaten zu begehen und alle Folgen solcher Ablehnung im konkreten Falle auf sich zu nehmen. Gewiss waren die englischen und amerikanischen Bombenangriffe auf die Wohnviertel der Städte, wo nur Frauen und Kinder grausamst getötet wurden, nicht geringer schuldhaft  ; aber vermochte dies das eigene Gewissen zu entlasten  ? Anderseits war ich der Meinung, dass gegenüber der Härte aller Feinde, die von einem Frieden ohne „bedingungsloser Kapitulation“ Deutschlands und Italiens nichts mehr wissen wollten, niemand den schweren Kampf unserer Soldaten durch zaghafte Reden und Handlungen noch schwieriger machen sollte. Mein soldatisch-militärisches Fühlen stand mit meinemVerstand und meinem Herzen in dauerndem Konflikt. Unter solchen Umständen war ich froh, mit militärischen Dingen nichts zu tun zu haben. Ein einziges Mal wurde ich in Sömmerda vom Direktor der Rhein-MetallBorsig-Fabrik gelegentlich einer Vorsprache in Versicherungssachen darauf angeredet, ob ich nicht die Betreuung der vielen russischen und polnischen KriegsgefangenenArbeiter der Fabrik übernehmen wollte  ; als österreichischer Offizier brächte ich diesen Leuten gewiss mehr Verständnis entgegen als der jetzt der Fabrik zugewiesene preußische Oberst das vermag. Ich antwortete darauf kühl, dass die Fabrik ein „geschützter Betrieb“ und ich ein schwarzes Schaf sei  ; er müsse sich an die Gestapo wenden, was der gute Direktor natürlich nicht tat. Wer wollte schon ohne Not mit der Gestapo in Verbindung kommen  ? In der Familie überraschte mich im Spätherbst 1941 Judiths frohe Botschaft aus Leipzig, dass sie sich dort mit dem Sohn des Ehepaars Florer, Karl, einem Doktor der Philosophie, verlobt hatte. Er war zur Wehrmacht eingezogen und erhielt dort seine erste militärische Ausbildung. Karls Mutter suchte mich in Erfurt sofort auf und wir konnten bald einvernehmlich feststellen, dass alle Voraussetzungen für eine gute Ehe beiderseits gegeben waren. Karl plante, sich an der Prager deutschen Universität als Dozent für Geschichte zu habilitieren. Im Jahre 1942 an Judiths Geburtstag, dem 3. Februar, vormittags, erfolgte in Erfurt in der St.-Martin-Kirche die Trauung. Nachmittags fuhr das junge Paar nach Wien, um sich bei meinem Bruder vorzustellen, und dann in sein schönes Heim nach Prag.

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Da mir die Gestapo keine Reiseschwierigkeiten bereitete, konnte ich im Frühsommer 1942 Judith und Karl erstmals in Prag besuchen. Es war für mich eine große Freude, meine geliebte Tochter als glückliche Ehefrau in einer entzückend schönen und praktisch gegliederten Wohnung wiederzusehen. Auch die alte, wunderschöne Stadt Prag, in der man von Fliegerangriffen ganz verschont blieb, war ein angenehmer Aufenthalt, der manche Jugenderinnerungen wachrief. Hatte ich doch zwei Jahre meiner Bubenzeit in Prag erlebt und konnte nun die kindhaften Erinnerungen neu beleben. Ich nützte diesen Aufenthalt in Prag, um für die Firma Richard Klein, die mir den Aufenthalt in Böhmen nobel finanzierte, Eisenwaren zu beschaffen. Der Erfolg war nicht groß und ich gewann einen Einblick, wie sehr der Mangel an allem auch schon Böhmen erfasst hatte. Später besuchte ich dann auch Herta in dem reizvollen Tübingen und machte mit ihr eine sehr anregende Urlaubsreise in das obere Main-Tal. Im Dezember 1942 wurde mein Schwiegersohn zu einer Feldformation eingezogen. Schon am 14. Februar des darauffolgenden Jahres erhielt meine Tochter die Meldung, er sei nach einem winterlichen Gefecht bei Darjewka, 30 km von Alekssewka, vermisst. Das war in der Zeit der von mir damals sofort als militärischen Wahnsinn erkannten Aufopferung der 6. Armee unter Gen. Paulus bei Stalingrad. Judith gebar am 17. Juni 1943 in Erfurt ihren Buben Christoph in der Privatklinik des befreundeten Prof. Zimmermann. Durch eine eigenartige Fügung konnte mir der treue österreichische Artillerieoffizier Jaschke eine Abschrift des Gefechtsberichtes von Karls Kompanie beschaffen. Aus diesem ging hervor, dass Karl mit einem Zug Maschinengewehren bei der Nachhut eingeteilt war, die den Rückzug der Kompanie zu decken hatte. Diese ging vor einem sie umfassend bedrohenden russischen Panzerangriff zurück und verlor dabei die Fühlung mit ihrer Nachhut, die wahrscheinlich von den russischen Panzern einfach in den Schnee gewalzt worden und darin erfroren war. Mein Gesundheitszustand war damals so elend, dass mir daran lag, beide Töchter bald zu eigenen Verdienstmöglichkeiten zu bringen. Die übergroße Nervenbelastung durch den Krieg, meine Abhängigkeit von der Gestapo im Verein mit der völlig unzureichend gewordenen Ernährung schwächten mein Herz und nahmen mir die Widerstandskraft gegen Infektionen. Ich erkrankte an einer bösartigen Furunkulose, die mich weiter schwächte. Wenn ich trotzdem halbwegs arbeitsfähig blieb, so danke ich das in erster Linie dem mich behandelnden Arzt Dr. Gerhards, der mir mit den damals so schwierig beschaffbaren Leber-Injektionen halbwegs auf die Beine half. Nachdem Judith mit ihrem Sohn gemeinsam mit ihrer Schwägerin Trude vor den immer häufiger und schwerer gewordenen Bombardierungen Erfurts durch feindliche Flugzeuge nach Weipert im Erzgebirge ausgewichen war, bekam ich durch Flücht-

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linge aus West- und Ostdeutschland eine Invasion in meine Wohnung, die mir auch noch den kargen Hausfrieden nahm. Nach der gelungenen Landung der Engländer und Amerikaner in Frankreich und dem unaufhaltsamen Vordringen der Sowjetarmee war der Krieg im Spätsommer 1944 für Deutschland eindeutig verloren.791 Der Starrsinn Hitlers war mehr als wahnsinnig, er war das größte Verbrechen, das jemals am deutschen Volk begangen worden war. Ich legte Wert darauf, dass Herta von dem entlegenen Tübingen wieder in meine Nähe nach Jena studieren komme. Zu Ostern 1945 dann, als ich sie in Jena besuchte, erlebte ich dort mit ihr gemeinsam den völligen Zusammenbruch Deutschlands und den Einmarsch der Amerikaner. Mit Herta nach Erfurt zurückgekehrt, wurde mir eine einzigartige Ehrung zuteil  : Unter Führung von Mjr. Marinkovich kamen alle dort inhaftiert gewesenen Österreicher aus dem nahen KZ Buchenwald in ihren Sträflingsanzügen mit einem Lastauto vor mein Wohnhaus gefahren und schleppten in meine Wohnung ungeahnte, seit Jahren nicht mehr gesehene Mengen an Konserven und Getränken, Brot und Zwieback, Kleider, Schuhe, Wäsche, Zucker, Kaffee und Rauchmittel heran, die sie den Vorratskammern der geflüchteten Lagerwache entnommen hatten und baten, bei mir wieder einmal an einem gedeckten Tische essen zu dürfen. In den nächsten Tagen waren diese Leute öfter bei uns, und es wurde unsere Heimkehr nach Österreich besprochen. Erfurt war zunächst ebenfalls von den Amerikanern besetzt worden. Bald hieß es allerdings, dass sich die Amerikaner dem Abkommen von Jalta gemäß nach Westen zurückziehen würden und Erfurt den Sowjets zugesprochen sei. Diese Nachricht löste eine Panik aus. Alle Leute die Möglichkeiten hatten, d. h. eigene Last- und sonstige Autos besaßen, flohen in den Westen. Ich sorgte nur dafür, dass Herta mit dem Schmuck und ein paar sonstigen Wertsachen von den KZ-Österreichern mitgenommen, zu meinem Bruder nach Wien gelange, um sie den Gefahren russischer Frauenschändungen zu entziehen. Selbst blieb ich in Erfurt, um unsere Wohnungseinrichtung nicht zu verlieren und um Judith abzuwarten, die ihr Kommen aus Weipert avisiert hatte. Judith war es durch den Aufstand der Tschechen und deren Wüten gegen die deutsche Bevölkerung unmöglich, ihr Hab und Gut in ihrer Prager Wohnung zu sichern. Sie traf wie so viel tausend andere auf einem Fahrrad mit ihrem Kleinkind und ein paar Habseligkeiten eines Abends in Erfurt ein.792 791 Am 6.6.1944, 6.30 Uhr, begann die Landung der Alliierten in der Normandie, das „Unternehmen Overlord“. 792 Am 7. Mai 1945 kapitulierte die deutsche Regierung unter Großadmiral Dönitz bedingungslos. Die Kampfhandlungen sollten am 8. Mai 23.01 Uhr eingestellt werden. Bis dahin waren die Russen an die Linie Wismar (Ostsee) – Wittenberg an der Elbe bis Nordböhmen – Sudetengebirge – Olmütz-west-

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Die russische Verwaltung begann staunenswert ruhig. Ich wurde bei den vielen Hauskontrollen nicht belästigt, weil jedermann bezeugen konnte, dass ich kein Nazi war. Irgendeine Bestätigung über meinen Zwangsaufenthalt in Erfurt konnte ich allerdings nicht vorweisen, weil ja die Gestapo sich noch vor Kriegsende verflüchtigt hatte und auch vorher niemandem etwas Schriftliches in die Hand gab. Meine Zeugen aber waren Landgerichtsrat Bauer und aus der Firma Richard Klein der dort angestellte jüdische Kaufmann Stein, dem ich oft beigestanden war. Vor einer russischen Einquartierung bewahrte mich die polnisch-ruthenische Frau des bei mir nach Kriegsende eingezogenen deutschen Industriebeamten Dr. Stephan. Sie vermochte – sich und die Ruhe ihrer Kleinkinder vorschützend – den russischen Major beim Rayonskommando zu bewegen, meine Wohnung von jeder Einquartierung freizuhalten. Das rettete den Besitzstand der Möbel vor Beschlagnahme und Verschleppung, als auch später die Familie Stephan in eine eigene Wohnung verzog. An ihrer Stelle gewann ich als neuen Untermieter den sehr distinguierten Chemiedoktoringenieur Weigner. Dieser musste, wie alle Deutschen, aus Prag flüchten. Gemeinsam mit seinem Vater begann er sich durch eine Penicillin-Bakterienzüchtung eine neue Existenz aufzubauen. Da die Russen an diesem neuen Medikament sehr interessiert waren, genoss er bald deren Unterstützung. Mein ursprüngliches Denken ging dahin, solange in Erfurt zu bleiben, bis ein Abtransport der Möbel nach Wien möglich würde. Aber die Lebensbedingungen wurden immer schwieriger, da sich genügend Deutsche fanden, die in bedingungslosem Gehorsam gegenüber den Sowjets bereit waren, Deutschlands Osten ebenso kommunistisch einzurichten, wie sie es vorher im Gehorsam zu Hitler nationalsozialistisch gemacht hatten. lich Brünn – nordwestliches Niederösterreich – nördliches Wien – St. Pölten – Semmering-Gebiet – Oststeiermark vorgerückt. Nach Inkrafttreten des Waffenstillstandes besetzten die Truppen der Roten Armee innerhalb von zwei Tagen ganz Niederösterreich, den größten Teil der Steiermark und Mähren. Am 8. Mai 1945 marschierten russische Panzerkolonnen entlang der Elbe in Nordböhmen ein. In Prag war am 7. Mai ein Aufstand ausgebrochen, und es kam zu Kämpfen zwischen tschechischen Partisanen und deutschen Truppen. Am 9. Mai zogen motorisierte Sowjetverbände unter dem Jubel der Bevölkerung in Prag ein. Amerikanische Truppen, die in Westböhmen die Linie Karlsbad – Pilsen – Budweis erreicht hatten, stoppten ihren Vormarsch und überließen das übrige Böhmen den Sowjettruppen zur Besetzung (eine amerikanische Patrouille war am 7. Mai bis Prag gelangt, aber angeblich von den tschechischen Aufständischen abgewiesen worden). Es kam zwischen dem 8. und 11. Mai 1945 noch zu örtlichen Kämpfen zwischen Russen und Verbänden der deutschen Heeresgruppe des GFM.Schörner, die sich geweigert hatten, die Waffen niederzulegen. Am 10. Mai trafen russische und amerikanische Truppen bei Amstetten (Niederösterreich) zusammen. Die Rote Armee hatte am 8. Mai auch Stockerau und Hollabrunn in Niederösterreich besetzt. Es gab an diesem Tag letzte Kämpfe um Kreuzenstein. Britische Truppen besetzten am 8. Mai auch Klagenfurt, am 9. Mai besetzte die Rote Armee Graz.

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Dementsprechend war auch in der Firma Klein die Arbeit immer schwieriger geworden. Der Eigentümer, Herr Erhardt, war an Erschöpfung gestorben. Seine ältere Tochter versuchte die Firma durch die Wiener Filiale vor der Verstaatlichung zu retten. Sie fuhr deshalb mit mir nach Berlin zu der sogenannten neuen österreichischen Vertretung. Das waren aber im Spätherbst 1945 noch ohnmächtige Männer, über die man keinerlei Geschäfte abwickeln konnte. Wir wohnten in dem berühmten Hotel Adlon, von dem der palastartige Vordertrakt völlig ausgebrannt und nur ein Teil des Hoftraktes bewohnbar, sogar mit echt deutscher Präzision tadellos hergerichtet war. Zu essen gab es freilich auch dort nur das kraftlose Zeug nach Karten. Wir waren mit dem Auto nach Berlin gefahren, so dass wir uns die Stadt kreuz und quer ansehen konnten. Der Eindruck war niederschmetternd  : Die Vernichtung durch Fliegerbomben und die letzten irrsinnigen Kämpfe waren grauenhaft. Von dem im Zentrum Berlins gelegenen Tiergarten war nur eine öde Sandwüste geblieben. Der reiche Baumbestand wurde, soweit die Kriegshandlungen noch etwas übrig gelassen hatten, von den Anrainern verheizt. Beide Häuser, in denen ich während meiner Attachézeit gewohnt hatte, waren Trümmerhaufen – so wie übrigens auch unser Wohnhaus in Wien in der Liebiggasse. Die Berliner Frauen, die wir sprachen, waren durchwegs der Meinung, dass keine einzige der jüngeren Frauen von den russischen Schändungen verschont geblieben wäre. Berlin war das Sinnbild des namenlosen Unglückes, das der „Gröfaz“ über das ihm freiwillig hörig gewordene Deutschland gebracht hatte. Erschüttert inmitten dieser entsetzlichen Vernichtung fand ich zum eindringlichsten Mal die volle Rechtfertigung meiner Bereitschaft, die Pest des Nationalsozialismus in Österreich mit allen Mitteln zu bekämpfen. Nach Erfurt zurückgekehrt, musste ich im geschäftlichen Leben immer deutlicher Neid und Missgunst anhören  : „Gehen Sie doch zurück nach Österreich, wo Sie hingehören  !“ Dass ich mein Hab und Gut nicht im Stich lassen wollte, blieb natürlich unverstanden. Einer Dame muss ich hier in Dankbarkeit besonders gedenken, der verwitweten Frau Schulz, nur wenig jünger als ich, die ich im Hause von Professor Zimmermann kennengelernt hatte. Frau Schulz hatte gleich zu Kriegsbeginn ihren einzigen Sohn verloren. Sie stand dem ganzen Hitlerismus ablehnend gegenüber und lebte, völlig alleinstehend, in wohlhabenden Verhältnissen. Sie bat mich, ihr bei der reichen Ernte in ihrem Obstgarten zu helfen und lud mich gelegentlich zum Essen. Als sich mein Gesundheitszustand einem Hungerödem zu nähern begann, lud sie mich mindestens dreimal der Woche zum Abendessen zu sich. Ihren nahrhaften Gerichten verdanke ich nicht zum Geringsten, dass ich, doch schon im 62. Lebensjahr stehend, das Kriegsende und die nachfolgenden Monate lebend überstanden habe. – Mein Bruder in Wien erlag zu dieser Zeit seinem Hunger.

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So kam das Jahresende 1945 heran, ohne dass eine Aussicht bestand, unsere Möbel transportieren zu können. Meine Hoffnung richtete sich aufs Frühjahr. Am 25. Dezember starb mein Enkel Christoph an einer toxischen Diphtherie im katholischen Krankenhaus. Seine Beisetzung auf dem schönen Erfurter Berg- und Waldfriedhof fand eine ansehnliche Trauergemeinde vereinigt. Alle unsere in Erfurt gewonnenen Freunde waren, tief ergriffen, anwesend. Auch das Frühjahr brachte keine Besserung der Transportlage  ; ja, im Gegenteil, die Sowjets bauten sogar bei allen zweigleisigen Strecken einen Schienenstrang ab und verschleppten das Material als Kriegsbeute nach Asien. Die Lebens- und Geldverhältnisse wurden immer schwieriger. Österreich hatte begonnen, sich als selbstständigen Staat neu aufzubauen. Kurz, es zog mich heim. Die Amerikaner hatten ihre Besatzungsgrenze in Deutschland völlig gesperrt. Nur über englisch besetztes Gebiet war eine Ausreise daher möglich. Die Engländer gewährten Reisebewilligungen nach Österreich wieder nur in die von ihnen dort besetzte Zone, also nur nach Kärnten und Steiermark. So wählte ich Graz als mein Reiseziel. Es dauerte bis Anfang April 1946, bis ich alle hierzu nötigen Ausweise beisammen hatte. Natürlich konnte ich nur das Notwendigste mitnehmen, schon weil mein damals so sehr geschwächter Gesundheitszustand das Tragen schwerer Lasten ausschloss. Einem Rat Herrn Ehrhardts folgend hatte ich alle Ersparnisse an die Zentralsparkasse nach Wien überwiesen. Das Giroheft dieser Sparkasse und einige wenige Dollar und deutsche Mark trug ich bei mir. Ich kann mich heute nicht mehr erinnern, wie ich die Eisenbahnkosten bedeckt hatte, ob in Erfurt oder ob ich als Heimkehrer freie Fahrt hatte. Jedenfalls fuhr ein langer Heimkehrer- und Flüchtlingszug von Erfurt nachmittags nach Nordwesten bis Friedland an der Leine, dem Übertrittspunkt von der russischen Besatzungszone in die englische. Wir nächtigten noch auf russisch besetztem Gebiet in sehr sauberen Holzbaracken und bekamen ein warmes Nachtmahl. Die Kontrollmaßnahmen für den Übertritt in die englische Zone währten den ganzen Vormittag. Mein Eindruck von den Engländern war nicht gut. Armselige Wellblech-Notunterkünfte, durch die man vier bis fünf verschiedene Kontroll- und Desinfektionsstellen passieren musste, an deren Ende man eine Konservenration als Tagesverpflegung bekam. In Tübingen sah ich meine Tochter Herta wieder. Überdies stieß ich auf den aus meiner 3. St. Pöltner Brigade stammenden Dr. Meschendörfer, der Oberst geworden und Stadtkommandant von Tübingen gewesen war. Er lebte dort mit seiner Frau und wartete die Klärung der Verhältnisse in Österreich ab. Ich machte Herta mit Meschendörfers bekannt und bat das Ehepaar ihr notfalls zu helfen. Tübingen gehörte zur französischen Besatzungszone. Nach Austausch aller Nachrichten während unserer Trennung lud ich meine Tochter ein, die Hochschulsommerferien bei mir in Graz zu verbringen, wo ich inzwischen für uns Quartier machen wollte. Die

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Terminisierung meines Grenzübertrittes nach Österreich ließ mir nur wenig Zeit für Tübingen, und ich reiste bald weiter nach Lindau. Dort angekommen hatte ich nicht mehr genügend Geld, um in einem Hotel zu nächtigen. Eine Rotkreuz-Schwester wies mich an das Lehrlings- und Arbeiterheim, wo ich tatsächlich ganz gut schlafen konnte. Der folgende Tag, ein Samstag, verging mit langen Verhandlungen beim französischen Grenzoffizier, der mir nur gegen einen roten amerikanischen Stempel den Übertritt nach Österreich gestatten wollte  ; die englische Genehmigung erschien ihm nicht ausreichend. Nach langem Hin und Her fand ich schließlich auf irgendeinem Papier so einen roten Stempel aus der Zeit, da die Amerikaner Erfurt besetzt hatten, der zwar mit meiner Reise nichts zu tun hatte, jedoch das Gewissen des französischen Offiziers beruhigte. Am nächsten Morgen durfte ich nach Österreich. Keine Bank oder Sparkasse hatte an diesem Sonntag geöffnet, sodass ich ohne einen Heller Bargeld blieb. Eine österreichische Rotkreuz-Schwester riet mir, mich in den Gemeindearrest zu begeben, der auch als Transit-Unterkunft diene. Sie selbst versorgte mich mit Suppe und etwas Brot. Wie glücklich war ich, in Österreich zu sein  ! Ich deponierte mein Gepäck in dem netten sauberen Gemeindearrest, begab mich in die nächste Kirche, um Gott für meine glückliche Heimkehr zu danken, und stieg dann bei strahlender Sonne auf den Pfänder hinauf. Lange ließ ich die wunderbare Rundsicht auf mich wirken. Dort oben erfuhr ich von einem Bregenzer, dass mir meine Sparbücher nichts nützen würden  : Österreich habe alle Guthaben in Mark gesperrt. Das war für mich eine äußerst unangenehme Überraschung. Nach einiger Überlegung stieg ich wieder nach Bregenz hinunter. Die hilfreiche Rotkreuz-Schwester am Bahnhof streckte mir das neue österreichische Geld für ein Telegramm an Mjr. Marinkovich in Innsbruck vor. Die Kameradschaft der in Buchenwald im KZ Gewesenen war prachtvoll  : Schon am nächsten Morgen war eine telegraphische Geldanweisung für mich am Bahnhof mit der Nachricht, dass für mich in Innsbruck ein Hotelzimmer reserviert sein werde. So konnte ich der guten Rotkreuz-Schwester meine Schuld begleichen und mit dem nächsten Zug nach Innsbruck fahren, wo ich schon eine staunenswerte Ordnung fand. Marinkovich ging mir bei der Beschaffung der nun in Österreich nötigen Ausweise, Reisebewilligungen usw. an die Hand. Er lud mich, seinen alten Kommandanten, mit überströmender Herzlichkeit zu einem Essen in sein Haus, das eine ganz ungewohnt reiche Tafel aufwies, weil alle in Konzentrationslagern inhaftiert Gewesenen reiche Lebensmittelpakete aus amerikanischen Hilfsaktionen bekamen. Hier erhielt ich die erste ausreichende Orientierung über die politischen, durch die vierteilige Besetzung des österreichischen Landes schwierig gewordenen Verhältnisse. Die neue Regierung des wiedererstandenen Österreich unter Ing. Figl als Bundeskanzler, der selbst fast durchwegs in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern

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eingesessen war, zeigte viel Hilfsbereitschaft für alle durch den Nazismus Geschädigten, die nun, in ihren Heimatorten gut zusammengeschlossen, einen hilfsbereiten Machtfaktor bildeten.793 Marinkovich versorgte mich in Innsbruck bis zur Regelung meiner Gebühren mit einem Darlehen aus den Mitteln des KZ-Verbandes. Meine Reise nach Graz vollzog sich staunenswert glatt. In dieser schönen alten Stadt begab ich mich vom Bahnhof direkt ins Büro des steirischen KZ-Verbandes. Dessen Präsident, Gatnar, war auch in Buchenwald und bei mir in Erfurt gewesen und sagte mir jegliche Hilfe zu. Er wies mich an den neben ihm stehenden Herrn Ambros, der mit vertraulichem „Du“ mir eröffnete, dass ich bei ihm ein möbliertes Zimmer beziehen könne. Auf meine Frage, wer er sei, ob er auch Offizier gewesen war, sagte er schlicht  : „Nein, ich bin nur ein Kommunist, aber ein anständiger Mensch.“ Also fuhren wir in die Ruckerlberggasse 2, wo seine usurpierte, einem geflüchteten nationalsozialistischen Arzt gehörige Wohnung im 3. Stock lag. Frau Ambros, eine ehemalige Krankenschwester von einfacher Herkunft, nahm mich freundlich auf und wies mich in ein sauberes, neben dem Badezimmer gelegenes Kabinett, das Sonne und eine freundliche Aussicht auf den Ruckerlberg besaß. Die Bettwäsche hatte die Gattin von Obst. Oliva794 beigestellt, der vor Jahren bei mir in St. Pölten in der Generalstabsabteilung tätig gewesen war. Ambros hatte irgendeine Anstellung bei der Stadtverwaltung und seine Frau war halbtägig ebenfalls in einem Berufe tätig. Fürs Erste konnte ich mich in diesem Quartier sehr wohl fühlen. Auch hier in Graz war nun ein Gelaufe nach Identitätsausweis, polizeilicher Anmeldung und Lebensmittelkarten nötig, was sich aber rasch erledigen ließ, da der KZVerband überall seine Vertrauensleute hatte, die mir nicht nur halfen, sondern mich auch mit Verpflegungszubußen und Karten für ausnahmsweisen Wäsche-, Kleiderund Schuhbezug ausstatteten. 793 Nach den Nationalratswahlen vom 25. November 1945 genehmigte am 18. Dezember 1945 der Alliierte Rat die neu gebildete österreichische Bundesregierung unter Bundeskanzler Ing. Leopold Figl. 794 Erich Oliva (St.Radegund bei Graz, 9.5.1889–14.12.1972, Hartberg, Stmk.), 18.8.1909 ausgemustert aus ArtKSch. Traiskirchen, Frontdienst im 1. Weltkrieg, 1.2.1918 Hptm., 1.12.1920 übernommen ins ÖBH, 1.1.1921 Mjr., 1923 Stabshauptmann, 6.6.1925 zugeteilt zum sAR., dort die Prüfungen zum Höheren Militärischen Dienst abgelegt, 1927 (wieder) Mjr., 1929 in die Verwendungsgruppe 4 überstellt, 12.6.1933 Stabschef 5.BrigKdo., 10.11.1933 Obst., 1.6.1935 Glstbschef 5. Div., 16.4.1938 ausgeschieden, 1945 Angehöriger der Staatskanzlei/Abteilung Heerwesen sowie der Steiermärkischen Landesregierung und bestellt zum Stellvertretenden Leiter des Militärkommandos Steiermark bis zur Aufhebung des Heeresamtes durch den Alliierten Rat mit 30.11.1945. Obst. Oliva hatte um diese Zeit einen Organisationsentwurf für ein Heer von 40.000 Mann (3 Infanteriedivisionen, 1 Panzerdivision) fertiggestellt  : Manfried Rauchensteiner, Nachkriegsösterreich 1945, in  : ÖMZ, Jg. 1972, S. 407–421  ; Franz Winterer, Wieder ein Heerwesen, in  : Salzburger Nachrichten/Dokumentation 20 Jahre 2. Republik, 30.4.1975, S. VI f. (KA, Zeitungsausschnitte, Kart. Mappe 2. ÖBH).

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Bald erhielt ich eine Tee-Einladung von Obst. Oliva und Frau, die mir eine Reihe wertvoller Ratschläge gaben, darunter für einen ausgezeichnet geführten Mittagstisch. Eine andere Einladung zu Gatnar, der mit einer Baronin Söll verheiratet war, machte mich mit Uniprofessor Konschegg und der Familie Quiquerant bekannt. Quiquerant war pensionierter Kunstreferent der steirischen Landesregierung, seine Gemahlin eine Gräfin Tacoli aus Birkfeld. Meine Österreich als Chef des Generalstabes 1935 bis 1938 bewiesene Treue wurde mir überall durch größte Hochachtung und Hilfsbereitschaft vergolten. Das ging so weit, dass mir der Kreditdirektor der Grazer Sparkasse auf meine Charge als Feldmarschalleutnant hin ohne jede Sicherstellung einige Tausend Schilling Darlehen gewährte. So konnte ich nicht nur meine Schuld an den KZ-Verband Innsbruck zurückzahlen, sondern auch neben den Kosten meiner Lebensführung in Graz, die so dringend nötige Reise nach Wien unternehmen, um dort mein mir gebührendes Ruhegehalt zur Auszahlung bringen zu lassen. In Wien führte mich mein erster Weg zu meiner Nichte Anni. Ihr Vater, mein guter Bruder Heinrich, war wie erwähnt im Oktober des Vorjahres an einem Hungerödem gestorben. Anni erzählte mir darüber Einzelheiten, die mir unbekannt gewesen waren, so besonders, dass mein Bruder zu seiner großen Befriedigung noch die Rehabilitierung des ihm von den Nazis angetanen Unrechtes durch die neue österreichische Regierung erlebt hatte. Da bei Heinrichs Tod die städtische Bestattung nicht funktionierte, habe der prächtige Militärpfarrer Tegel, den Anni um Hilfe gebeten hatte, persönlich den Leichnam meines Bruders die vier Stockwerke hinunter getragen und in seinem Auto zur Grabstätte am Zentralfriedhof gebracht. Anni selbst war als Professor für Naturwissenschaften an einer in einem Wiener Außenbezirk gelegenen Schule tätig. Sie berichtete mir auch, dass Obst. Liebitzky schon wiederholt bei ihr angefragt habe, ob ich aus Erfurt schon zurück sei. Er möchte auch meine Rehabilitierung von den mir angetanen Schädigungen durch die Nazis einleiten  ; er amtiere in der Singerstraße, ich möge ihn bald aufsuchen. Gleich am nächsten Tag fand ich mich bei Obst. Liebitzky im heutigen Zentralbesoldungsamt ein. Uns verband trotz der neun Jahre währenden Trennung eine unveränderte Freundschaft. Er war von Bundeskanzler Figl beauftragt, die ersten Schritte für die Aufstellung eines neuen Bundesheeres zu machen. Dies müsse allerdings alles äußerst geheim geschehen, weil die Sowjets jegliche militärische Betätigung verboten hätten und dauernd Verhaftungen durchführten. Ich versicherte Liebitzky meiner Freude über seine wohlverdiente Berufung, die bei ihm in den besten Händen läge. Er wiederum sagte mir, dass Figl wiederholt nach mir gefragt hätte. Ich nahm das gern, aber ohne tieferes Interesse zur Kenntnis und teilte Liebitzky mit, dass ich in Graz zu bleiben gedachte. Angesichts meines elenden Schwächezustandes und Alters verspürte

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ich keinerlei militärischen Ambitionen. Ihm aber stünde ich immer mit Rat und Tat zur Verfügung. Danach sprach ich bei der Filiale des Erfurter Autoteilevertriebs vor, die in Wien Siems & Klein hieß und in der Fichtegasse etabliert war. Ich hatte einige Geschäftspapiere aus Erfurt mitgebracht. Herr Klein erzählte mir, dass ihm als Reichsdeutschen von den Branchenkollegen viele Schwierigkeiten bereitet würden und fragte, ob ich nicht Lust hätte, in der Firma mitzuarbeiten  ; meine Person würde der Firma besonders viel helfen können. Ich sagte zu. Wien selbst sah noch viel trostloser als nach dem Ersten Weltkrieg aus  : Alles Schöne war zerstört  : Theater, Parlament, Stephansdom, der ganze Franz-Joseph-Kai, wozu noch die ungezählten Schäden an den Bahnhöfen, Fabriken und Wohnhäusern kamen. Demgegenüber war Graz verhältnismäßig glimpflich davongekommen, wo eigentlich nur der Bahnhof und seine Umgebung der Zerstörung anheimgefallen waren. Graz gefiel mir sehr gut. Nicht umsonst war es schon in kaiserlicher Zeit ein beliebter Pensionisten-Aufenthalt gewesen. Die herrliche Lage mit den vielen Wäldern ringsum, die guten Theater und die billigere Lebensführung ließen in mir den Gedanken immer fester werden, dauernd in Graz zu bleiben und deshalb für meine beiden Töchter und mich eine entsprechende Wohnung zu finden. Das gelang früher als ich gehofft hatte. Baron Quiquerant strebte nach Wien, wo ihm im Unteren Belvedere am Rennweg eine Wohnung zur Verfügung stand. Durch Gatnars Vermittlung boten mir Quiquerants ihre schöne Grazer Vierzimmerwohnung, die mit allem Komfort ausgestattet war, an. Diese lag nahe dem Gaidorfplatz in der Körblergasse 8. Das Haus gehörte dem adeligen Damenstift. Ein Besuch bei der Obfrau des Stiftes, einer alten Aristokratin, gewann mir deren Zustimmung. Das notwendige Einverständnis des städtischen Mietamtes besorgte mir der KZ-Verband, sodass ich die Wohnung schon im Spätsommer beziehen konnte. Möbel bekam ich aushilfsweise von der Witwe eines politischen Beamten, den die Nazis ermordet hatten. Wohlhabend, wie sie war, bedurfte sie in ihrer Fluchtwohnung nur eines Teils ihrer Einrichtung  ; durch mich ersparte sie sich deren kostspielige Einlagerung beim Spediteur. Aus dem nahen Köflacher Kohlengebiet konnte ich den Heizbedarf für den Winter sicherstellen und meine ausländischen Freunde, unter denen die amerikanische Botschafterin Mrs. Flack besonders freigebig war, versahen mich laufend mit Lebensmittelpaketen, sodass nicht nur ich gesundheitlich wieder aufzuleben begann, sondern auch Reserven für meine erwarteten Töchter zurückzulegen vermochte. Rührend fürsorglich erwies sich auch die verwitwete Gutsbesitzerin aus Wetzdorf, Frau Fichtel, geb. Baronin Neudeck. Nach Wetzdorf war ich allein und später auch mit meinen Töchtern wiederholt eingeladen. Dort liegt die Grabstätte des Feldmarschalls Grafen Radetzky, an der ich 1930 Deputationen meiner Brigade zusammengeführt

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hatte.795 Dieses Gedenken an den Retter Österreichs in den Jahren 1848/49, bei dem ich zu meinen Truppen gesprochen hatte, hinterließ in der patriotischen Frau Fichtel eine Erinnerung, die ihre Zuneigung zu mir sich 16 Jahre später in großzügiger Hilfsbereitschaft äußern ließ. Von Graz aus bereiste ich namens der Firma Siems & Klein die ganze Steiermark, Kärnten, Salzburg und Oberösterreich, um Waren zu beschaffen. Das ließ mich diese bisher nur vom militärischen Gesichtspunkt gekannten Länder, industriell und kommerziell kennenlernen. Ich brachte, besonders mit den von Porsche in Gmünd fabrizierten Mercedes-Brennern, einen so guten Verkaufsartikel zustande, dass die Firma mir aus freien Stücken meinen neben den Reisespesen und Verkaufsprovisionen laufenden Fixgehalt erhöhte. Seit dem Tod meiner unvergesslichen Frau und meiner Pensionierung habe ich mein Leben ganz dem Wohlergehen meiner Kinder gewidmet. Ungern, doch den Kindern zuliebe, begann ich die Heimkehr nach Wien zu erwägen. Dazu kam, dass die Chefs der Firma Siems & Klein mich bei jedem Besuch drängten, nach Wien zu kommen, wo ich für die Firma viel nötiger wäre als in Graz. Mitbestimmend für meine schließliche Übersiedlung nach Wien Mitte Februar 1947 war aber auch meine, von Bundeskanzler Figl in Aussicht genommene Berufung zum Minister für Landesverteidigung. Die nachfolgende Darstellung gründet auf den von mir gemachten Tagebuchaufzeichnungen. Am 2. Januar 1947 kam Hptm. Metzner nach Graz und brachte eine Studie der Obersten Liebitzky und Neugebauer796 über die Aufstellung eines neuen österreichischen Heeres mit der Bitte um ihre Durchsicht.797 Daran knüpfte er die Mitteilung, dass ich von Bundeskanzler Figl für dessen Fachberatung in Heeressachen in Aussicht

795 Das Grabmal des FM Josef Graf Radetzky liegt auf dem sogenannten Heldenberg nahe dem Schloss Wetzdorf, Bezirk Stockerau, Niederösterreich. Diese Anlage wurde 1848/49 vom Armeelieferanten Josef Pargfrieder als weiträumige Ruhmesstätte der österreichischen Armee angelegt. Sie besteht aus einer Ehrenhalle und einem Mausoleum für die Feldmarschälle Radetzky und Wimpffen sowie für Pargfrieder selbst. Siehe  : Daniela Hagenbüchl, Der Heldenberg. Führer durch die Gedenkstätte in Kleinwetzdorf, Niederösterreich, Gemeinde Heldenberg, o.J. [um 2000]. 796 Wilhelm Neugebauer (Wien, 31.10.1890–6.2.1977, Wien), 18.8.1912 aus Theres. Milakad. ausgemustert zum HR 4, 1.5.1918 Rtm., Kriegsschulaspirantenkurs in Belgrad, 1.3.1921 definitiv als Offz. bei der Adjutantur des BMfHw., eingeteilt. 1.3.1924 zur Dragonerschwadron 2, 1.2.1926 zu BrigKdo. 2, 14.12.1926 Mjr., 1.10.1926 zur Prüfungskommission für den Höheren Militärischen Fachdienst, 1.6.1929 Obstlt., 1.1.1929 Kdt. Dragonerschwadron 2, 1.8.1932 Stabschef der 2. Brigade, 23.9.1933 Obst., 1.6.1935 Glstbschef 2. Div, 15.3.1935 Ruhestand, nach 1938 Kürzung der Pension um 30%, 1946 Mitarbeiter Dr. Liebitzkys im BKA und dann im BM. f. Finanzen. 797 Im Nachlass Liebitzky ist diese Studie nicht auffindbar.

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genommen sei.798 Am 10. riefen mich von Wien zuerst Hptm. Metzner und kurz danach der Sekretär des Kanzlers, Dr. Mais, mit der Mitteilung an, der Kanzler lasse mich bitten, ihn Anfang nächster Woche zu besuchen. Der schlechten Verkehrslage wegen konnte ich erst am Dienstag mit einem Autobus nach Wien reisen. Am Semmering, an der steirisch-niederösterreichischen Grenze, kontrollierten die Engländer ganz flüchtig, die Sowjets jedoch übergenau alle Reisenden und nahmen jedes Mal ohne Warum einige fest. Das machte solche Reisen unangenehm. Obst. Liebitzky und Hptm. Metzner erwarteten mich beim Verkehrsbüro mit der Mitteilung „dass der Kanzler mich für den folgenden Tag 16 Uhr zu sich auf den Ballhausplatz bitte“. Für meine Nächtigung war wegen der Unauffälligkeit die geheizte Wohnung Metzners in Penzing gewählt worden. Lebensmittel hatte ich aus Graz mitgebracht. Am Mittwoch, den 16., hatte ich am Vormittag in der Singerstraße eine Aussprache mit Liebitzky. Sein Entwurf war sehr gut, doch in seinen Forderungen viel zu bescheiden. Überdies fiel mir die panische Angst aller Unterorgane vor den Russen auf. Diese hatten alle militärische Betätigung streng verboten und den Generalstabsobersten Diakow, der einen Arbeitsdienst aufzuziehen versuchte, festgenommen und nach Russland abgeschoben. Ich kannte die Russen von Erfurt und bemühte mich die Ängstlichen zu beruhigen  : Wenn man ehrlich und offen mit den Russen sprach, drohe wenig Gefahr.799 Um 16 Uhr, fast genau nach neun Jahren, betrat ich erstmals wieder das Bundeskanzleramt, dessen zum Minoritenplatz reichender Trakt schwere Bombenschäden aufwies. Sofort wurde ich zu Bundeskanzler Ing. Figl vorgelassen, bei dem sich schon Außenminister Gruber800 und Staatssekretär im Innenministe798 Über Leopold Figl siehe  : Therese Kraus, Leopold Figl, in  : Friedrich Weissensteiner/Erika Weinzierl, Die Österreichischen Bundeskanzler. Leben und Werk, Wien 1983, S.  266–295  ; Johannes Dorrek, Johannes Schönner/Josef Singer/Helmut Wohnout (Hg.), 100 Jahre Leopold Figl – „Glaubt an dieses Österreich  !“ Festschrift zu den Gedenkfeiern anlässlich des 100. Geburtstages des großen Österreichers im Oktober 2002, Wien, Mai 2003. 799 Über Jaromir Diakow, den k. u. k. Generalstabsoffizier, Angehörigen der Deutschösterreichischen Volkswehr und Vorstandsmitglied des Steirischen Heimatschutzes sowie Schöpfer eines Freiwilligen Österreichischen Arbeitsdienstes, siehe nunmehr  : Walter Blasi, Vom Fin de Siècle bis zur Ära Kreisky. Erlebte österreichische Geschichte am Beispiel des Jaromir Diakow (= Bertrand Michael Buchmann (Hg.), Beiträge zur Neueren Geschichte Österreichs, Bd. 5), Frankfurt am Main 1996. 800 Karl Gruber (Innsbruck, 3.5.1909–1.2.1995, Innsbruck), Elektrotechnikstudent in Innsbruck, Angehöriger der „Roten Falken“, später Mitglied der Christlichsozialen Partei, Postbeamter und Jusstudent, 1936 Dr. iur., 1938 Privatwirtschaft und Informant des britischen militärischen Geheimdienstes von Berlin aus, 1945 Führer der Tiroler Widerstandsbewegung, Mai 1945–Okt. 1945 Tiroler Landeshauptmann, Sept. 1945 Unterstaatssekretär für Äußeres, 1945–1953 Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten, sodann Botschafter in Washington, Madrid, Bonn und Bern, 1966–1969 Staatssekretär für Verwaltungsreform. Seine Memoiren  : Meine Partei ist Österreich. Privates und Politisches, Wien/

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rium Graf 801, befanden. Alle Herren begrüßten mich überaus zuvorkommend. Der Bundeskanzler, eine schmächtige Erscheinung, meinte, er könne sich gut daran erinnern, wie ich, mit der goldenen Feldbinde geschmückt, mich beim Bundespräsidenten Miklas abgemeldet und ihn an die Kampfbereitschaft des Heeres erinnert hatte. Figl muss damals als Präsident des niederösterreichischen Bauernbundes zugegen gewesen sein. Er fuhr fort, dass, aus Anlass des bevorstehenden Friedensvertrages, von allen Seiten, besonders aber von den Sozialdemokraten, an einer Armeeorganisation gearbeitet werde. Er wolle alle diese Ambitionen durch zähe Facharbeit gegenstandslos machen. Er erblicke in mir die Persönlichkeit, die durch ihre Kapazität und Leistung als Chef des Generalstabes zu seinem Berater prädestiniert sei  : Ich wäre 1934 in Berlin gewesen, deshalb an der Niederwerfung des roten Aufstandes nicht beteiligt oder kompromittiert gewesen  ; ich hätte mich für den militärischen Widerstand eingesetzt und wäre bereit gewesen, auf Hitlertruppen zu schießen  ; wäre darum aus Österreich verbannt und konfiniert worden  ; arbeite zudem seit Jahren in der Wirtschaft  ; habe mich nie parteipolitisch betätigt und genösse bei den Offizieren ein so hohes Ansehen, dass meine Persönlichkeit alle Gleichrangigen und die Ambitionen Jüngerer glatt überdachen werde. (Daraus klang mir Liebitzkys Einschätzung meiner Person entgegen.) Also habe er in der Jahresversammlung der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) meinen Namen genannt. Nach mehreren Nachfragen, ob ich noch und wo ich lebe, habe die Partei der Wahl des Kanzlers zugestimmt, wobei es ihr eine angenehme Sache München 1988. Als einen engen Mitarbeiter bei der Befreiungsaktion zog dieser den Generalstabsoffizier Zdenko von Paumgartten heran. Wegen der Bedeutung Paumgarttens als Mitarbeiter Liebitzkys hier die Daten seines Lebenslaufes  : Zdenko v. Paumgartten (Mosty Wielki, Galizien, 24.11.1903– 27.10.1984, Salzburg), MUR Bad Fischau, 1918 IKSch. Wien-Breitensee, 1919 bei der Österreichischen Monarchistischen Legion als Sechzehnjähriger, 1919–1926 Privatwirtschaft, 7.4.1926 Eintritt ins ÖBH, 1931–1933 Offiziersschule Enns, 14.9.1933 als Fhr. Ausgemustert zum Tiroler Alpenjägerregiment Nr. 12, 1937 Olt., 1.10.1938 Hptm. nach Übernahme in die Dt. WM, Absolvent der Berliner Kriegsakademie, verschiedene Generalstabsfunktionen im 2. Weltkrieg, 1.4.1943 Obstlt. i.G., 1945/46 Chef der Heeresmaterialstelle Tirol, 1946 Ruhestand, 1947–1951 Vertragsbediensteter beim Magistrat in Innsbruck, 1951–1955 im Auftrag der französischen Besatzungsmacht verwendet als Verbindungsoffizier des BKA/Außenstelle Innsbruck zur amerikanischen Besatzungsmacht des Wiener Komitees (Liebitzky), 1952 Dr. rer. oec., 1957–1959 Militärattaché in Paris, sodann Sektionschef im BMfLv., 1.7.1961 GM u. Kdt. der Gruppe III in Salzburg, 1.7.1966 GdI., 31.12.1968 Ruhestand. Paumgartten war Ehren- und Devotionsritter des Souveränen Malteser Ritterordens, Träger hoher Auszeichnungen, Ehrenpräsident der Österreichischen Offiziersgesellschaft. 801 Ferdinand Graf (Klagenfurt, 15.6.1907–8.9.1969, Wien), Jurist und Politiker. Graf war ab 1933 Direktor des Kärntner Bauernbundes und verbrachte 1938–1940 drei Jahre im KZ. Noch 1945 wurde er als Vertreter der ÖVP Unterstaatssekretär ins Innenministerium entsandt. In dieser Funktion baute er die sogenannte B-Gendarmerie auf. 1956 Bundesminister für Landesverteidigung, 1961 Rücktritt und Aufsichtsratspräsident der Creditanstalt-Bankverein.

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war zu wissen, dass bei mir zum Fachmann auch die Gesinnung für die Ideale und Ziele der ÖVP trete. Nach einigen Ausführungen über den damals rasch erhofften Staatsvertrag und seine zu dessen Finalisierung bevorstehende Reise nach London meinte der Kanzler, dass uns nach amerikanischer Einschätzung 66.000, nach englischer 55.000, nach französischer 33.000 Männer unter Waffen zugebilligt werden sollen. Wenn er von diesen 25.000 bis 30.000 für Gendarmerie und Polizei abrechne, so blieben für das Heer etwa 30.000 Mann. Nun begann ich zu sprechen. Ich erklärte, das sei ganz und gar unannehmbar  ! Unsere militärpolitische Lage sei durch die Einbeziehung Ungarns in den Sowjetbereich wesentlich ungünstiger als 1918. Wir sollten daher 100.000 Bewaffnete und die allgemeine Wehrpflicht verlangen, die ich ja schon vor zehn Jahren mühselig erkämpft hätte. Das neue Heer solle unpolitisch sein und neben sich keinerlei paramilitärische Formationen dulden. Es müsse hohe Friedensstände haben, pro Kompanie etwa 175, pro Batterie etwa 70 Mann. Es müsse sehr stark an durchwegs motorisierter Artillerie sein, auf jede Infanteriekompanie hätte eine Batterie zu entfallen. Dazu Pioniere und Flieger sowie Sonderformationen (z. B. Panzer). Als Heeresbudget müsse von Haus aus 1/5 aller Staatsausgaben gefordert werden, weil erfahrungsgemäß später die österreichische Volksvertretung nur sehr selten Budgeterhöhungen für militärische Zwecke genehmige. Bekleidung, Bewaffnung und Ausrüstung sollen von den Alliierten, am besten von den Amerikanern, gefordert werden und zwar gleich für 8 Infanterie- und 2 schwere Divisionen. Die drei Herren folgten meinen Ausführungen sehr aufmerksam, und ich hörte von ihnen nur Zustimmung. Dann nahm wieder der Bundeskanzler das Wort und äußerte die Meinung, dass vor diesem großen Ziel, sozusagen als Wachablösung der Besatzungstruppen, Einheiten formiert werden müssten, die imstande wären, jugoslawische Partisanen und im Inneren kommunistische Terrortruppen abzuwehren. Ich antwortete, dass dies innerhalb von drei Monaten möglich wäre, wenn wir mit den geistigen Vorarbeiten sofort begönnen, a) die Alliierten uns erlaubten, dies später öffentlich zu tun und uns durch Materialabgaben unterstützten, b) die im deutschen Heer gedienten politisch unbelasteten Offiziere einschließlich der Majore heranziehen könnten und c) die jüngsten zwei Assentjahrgänge einziehen dürften. Nichts soll auf der Basis von „Freiwilligen“ geschehen, weil sonst die Roten beider Parteien gleich mit ihren Sturmformationen kommen würden.

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Eine Wechselrede entstand nur über mein Verlangen nach den im deutschen Heer gedienten Offizieren, weil die Russen angeblich dagegen sein sollten. Ich riet dem Kanzler, sich Obst. Liebitzky zu den Beratungen nach London mitzunehmen. Nachdem unsere Unterhaltung geschlagene zwei Stunden gedauert hatte, wurde noch für den folgenden Vormittag eine Zusammenkunft bei Außenminister Dr. Gruber zur Festlegung von Einzelheiten vereinbart. Der Bundeskanzler machte auf mich einen sehr guten Eindruck  : überlegt, zielklar, konnte gut und aufmerksam zuhören und war in seinen Repliken zurückhaltend. Gegen Ende wurde der Bundeskanzler wärmer und erwiderte meinen Rat mit der Hoffnung, dass ich die Uniform gern noch einmal anlegen würde. Am folgenden Tag, dem 16., machte ich mit Liebitzky um halb 10 Uhr einen Besuch beim Generalsekretär der ÖVP, Burda. Wir waren alte Bekannte  : Burda hatte mich 1938 namens der damaligen Christlichsozialen Partei gebeten, in meiner Stellung als Chef des Generalstabes zu bleiben. Im Ersten Weltkrieg war er ein hervorragender Generalstabsoffizier gewesen. Burda begrüßte mich als den erwählten Führer des neuen Heeres. Als ich erwiderte, dass der Kanzler mich nur zu seiner Beratung berufen habe, sagte Burda, dass Figl, seinem Wesen nach, vielleicht zurückhaltender gesprochen habe. In der Anfang Januar stattgefundenen Versammlung der ÖVP-Führer habe er mich als den von ihm „erwählten Organisator und Befehlshaber des neuen Heeres“ beantragt, was die allgemeine Zustimmung der Parteiführer gefunden habe. Burda bat mich um volles Vertrauen zu ihm und versicherte mich seines Wirkens als Generalsekretär der Partei dahin, dass diese mich in allen Sachen unterstützen werde. Er machte mich weiter darauf aufmerksam, dass ich einen sozialistischen Staatssekretär beigeordnet erhalten würde, weil ein Übereinkommen bestünde, wonach Minister und Staatssekretäre in jedem Ministerium, der Kontrolle wegen, verschiedenen Parteien angehören sollen. Mit meinen Forderungen nach einem unpolitischen Heer auf Basis der allgemeinen Wehrpflicht, mit hohen Friedensständen usw. war Burda vollkommen einverstanden. Wir trennten uns mit der nochmaligen Versicherung gegenseitigen Vertrauens und Hilfeleistung in allen schwierigen Fragen. Hernach begaben Liebitzky und ich uns wieder auf den Ballhausplatz zum Außenminister, in dessen Amtsraum uns auch Generalsekretär Wildner und Legationsrat Schöner erwarteten. Die Besprechung galt der Festlegung aller Einzelheiten, wie sie bei den bevorstehenden Verhandlungen in London zur Sprache kommen konnten, nach – Wehrsystem, Gesamtzahl der Bewaffneten, Offiziersergänzung, – aktiver Dienstzeit (normal 18 Monate mit folgenden Pflicht-Waffenübungen), – Bewaffnung, Ausrüstung, Bekleidung und Befestigungen,

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sodann über die erste Zwischenlösung, um sofort nach dem bald erwarteten Abzug der alliierten Truppen österreichische militärische Verbände verfügbar zu haben. Nach zweistündiger Unterredung, über die Legationsrat Dr. Schöner das Protokoll führte, trennten wir uns mit dem guten Gefühl, einander verstanden zu haben. Dr. Gruber machte einen guten Eindruck auf mich  ; er konnte ebenfalls gut und aufmerksam zuhören. Den Nachmittag verbrachte ich in der Firma Siems & Klein, mit deren Chefs mich ein ausgezeichnetes Verhältnis verband. Herr Klein stammte aus Norddeutschland und war ein tüchtiger, hochkorrekter Kaufmann. Herr Siems war Wiener, ebenso korrekt wie Klein, aber er fühlte sich in der Bearbeitung der kleineren Dinge wohler als bei den großen Entscheidungen über den Einkauf. Beide Herren drängten mich, meinen Wohnsitz nach Wien zu verlegen. Unter dem Eindruck der Besprechungen mit dem Bundeskanzler zeigte ich mich diesem Gedanken nun zugänglicher und äußerte die Meinung, wenn mir die Firma in Wien eine Wohnmöglichkeit finden könnte, ich den Wunsch beider Herren ernstlich überlegen wollte. Für den 18. Jänner, einen Samstag, war ich allein für 12 Uhr zu Bundeskanzler Figl gebeten worden  ; diesmal musste ich eine halbe Stunde warten, bis ich eintreten durfte. Der Kanzler begann das Gespräch mit der Mitteilung, dass er soeben die Einladung zur Konferenz in London erhalten habe, wohin er sich am 26. begeben wolle. Dann sagte er mir sichtlich guter Laune, dass Minister Gruber ihn über die Aussprache mit mir am Donnerstag, die alles einvernehmlich gut geklärt habe, sehr zufrieden berichtet habe  ; es freue ihn sehr, dass Gruber sich mit mir gut gesprochen hätte. Ich machte den Kanzler darauf aufmerksam, dass wir für die Aufstellung des Heeres ein Gesetz benötigen werden, bei dessen Beratung möglicherweise ein langwieriger Parteienkampf entstehen könnte. Der Kanzler war diesbezüglich optimistisch und der Meinung, sobald er den Friedensvertrag auch in Moskau bestätigt haben werde, er nach einer Festsitzung im Parlament einfach ein Ermächtigungsgesetz für die rasche Aufstellung „der Wachablöse“ für die alliierten Truppen einbringen und in einer Sitzung erledigt haben würde. Dann sagte er, dass den Sowjets mein Name schon bekannt geworden sei und diese Erkundigungen über mich einzögen. Das lasse ihn aber ganz kalt, denn er müsse für die Verhandlungen über den Staats-(Friedens-)Vertrag Vorbereitungen treffen. Dazu brauche er auf dem militärischen Sektor einen Berater, der in meiner Person nach jeder Beziehung hieb- und stichfest sei. Er habe dem Landeshauptmann Gorbach802 802 Alfons Gorbach (Imst, Tirol, 2.9.1898–31.7.1972, Graz), 1916 am Isonzo schwer verwundet, sodann Jusstudent, ab 1922 Beamter in der Steiermark, Grazer Gemeinderat, 1933 steirischer Landesführer der VF, ab 1938 5 Jahre in Konzentrationslagern, 1945–1961 3. Präsident des Nationalrates, 1960

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in Graz die Weisung gegeben, mir in der Folge nach meinem Bedarf mit einem Auto auszuhelfen  ; Minister Gruber habe es übernommen, meine jeweiligen Reiseauslagen aus seiner geheimen Dotation zu bedecken, damit vorerst mein Name nicht durch Rechnungen geschleift werde. Darauf wurde das Gespräch sehr herzlich und intim  ; der Kanzler erzählte, wie gern er Offizier geworden wäre, seine Leute ihm das aber ausgeredet hätten, weil er „nur ein einfacher Bauernbub“ gewesen sei. 1923 hatte er wohl maturiert, aber da war es mit der k. u. k. Armee schon vorbei gewesen. Schließlich bat er mich noch zweimal um Entschuldigung, und zwar in nettester Weise, dass er durch die Berufung mein Leben gestört habe  ; aber er hoffe, dass ich in der Folge genau so gern wieder Staatsarbeit leisten würde, wie sie ihm Freude bereite. – Unsere Unterredung hatte eine Stunde gedauert. Am 20. Jänner fuhr ich wieder nach Graz zurück, wo ich mich auch darum besonders wohl fühlte, weil ich noch im vergangenen Spätherbst den Anschluss an die katholischen Kreise der Universität gefunden hatte und gerne die philosophischen Vorlesungen des ausgezeichneten Professors Fischl hörte. Unerwartet rasch traf bereits am 28. ein Telegramm von Siems & Klein mit der Nachricht ein, dass sie für mich in Hietzing ein schönes Zimmer gefunden hätten. Dem Telegramm folgte am 30. ein Brief, der mir eine komplette, möblierte Wohnung zusicherte, in der auch meine Töchter Platz finden könnten. Der Schlusssatz enthielt die Anfrage, ob die Miete für mich abgeschlossen werden könne. Obwohl ich gehofft hatte, in Graz noch das schöne Frühjahr abwarten zu können, musste ich nun diese prompte Bemühung der Firma annehmen. Ich sagte zu, regelte ein paar Angelegenheiten, darunter die Rückstellung der Wohnung an Quiquerants, und fuhr am 11. Februar wieder nach Wien, wo die Firma so nett war, das große Zimmer in der Wattmanngasse Nr. 8 mit dem von ihr beigestellten Brennmaterial sogar vorzuwärmen. Inzwischen war auch Judith angekommen. Ich bekam für sie ein zweites Zimmer zur Verfügung gestellt. Beide Räume waren behaglich und gut eingerichtet, sogar ein Baderaum stand zur Verfügung. Wir konnten das Herankommen der Möbel aus Erfurt und das Finden einer definitiven Wohnung ruhig und umso leichter abwarten, als sich schräg gegenüber bei Frau v. Hartel auch für Herta ein eigenes, gut möbliertes Zimmer fand. Nachdem Judith in Wien eingerichtet war, fuhr ich mit ihr nach Graz, um ihr diese mir liebgewordene schöne Stadt zu zeigen, mich dort zu verabschieden und für die mir in den vergangenen Monaten allseits so reich gebotene Hilfeleistung zu bedanken.

Bundesparteiobmann der ÖVP, 1961–1964 Bundeskanzler, 1965 ÖVP-Kandidat bei der Bundespräsidentenwahl.

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Für den 21. Februar 1947 hatte mich Hofrat Burda zu sich gebeten, um mir die folgende Mitteilung zu machen. In der am 20. Februar stattgehabten Vorstandssitzung der ÖVP habe der von London zurückgekehrte Ing. Figl über die kommende österreichische Armee berichtet, dass 1. an ihre Spitze ich zu treten habe, was einstimmige Billigung mit Akklamation gefunden habe, 2. das Heer aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht aufgestellt werden solle (fand einheitliche Zustimmung), 3. das Heer weitestgehend unpolitisch organisiert und geleitet werden solle (Zustimmung) und 4. das Maximum an politischer Ingerenz, das die Partei zugestehen sollte, in Parlamentskommissaren bestehen dürfe, wobei 5. es noch zur Erwägung offen bliebe, ob ich die Leitung des Heeres als Minister oder, um von der Politik verschont zu bleiben, als Staatssekretär zu führen hätte. Hofrat Burda beglückwünschte mich nochmals zu der einhelligen Zustimmung, die die Nennung meines Namens gefunden habe. Der chronologischen Erzählung vorgreifend möchte ich dieses Kapitel meiner Berufung zur Leitung des Heeres zum Abschluss bringen. In der Folge sprach ich alle Vorarbeiten mit Liebitzky durch und legte auch die Notwendigkeit eines besonderen Grenzschutzes mit Befestigungen fest. Nach diesen Richtlinien ist das neue Bundesheer schließlich nach Abschluss des Staatsvertrages im Jahre 1955 errichtet worden. Im selben Jahr erlebte ich als 71-Jähriger, also überaltert, die Genugtuung, dass der alte General Stiotta als Sprecher aller (auch der nationalsozialistisch eingestellt gewesenen) Offiziere in meiner Wohnung erschien und mich bat, an die Spitze des Heeres zu treten. Es ist mir eine liebe Erinnerung, wie mein erster Kompaniekommandant im k. u. k. Infanterieregiment Nr. 72 mir nach einem Jahr Dienstleistung unter ihm zwei Ereignisse meines Lebens erstmals und in der Folge immer wieder prophezeit hat  : „Sie werden einmal meine Nichte heiraten und Sie werden einmal Kriegsminister werden.“ Seine Nichte, die liebe und schöne Judith v. Reviczky, habe ich geheiratet – Kriegsminister bin ich nicht geworden, dafür jedoch Chef des Generalstabes.803 803 Diese wichtige Episode ist bisher gänzlich unbekannt geblieben. Siehe Wolfgang Etschmann, die politisch-strategischen Rahmenbedingungen im Kalten Krieg für die Wiederbewaffnung Österreichs, in  : Wolfgang Etschmann/Hubert Speckner (Hg.), Zum Schutz der Republik …, Wien 2005, S. 33–48  ; Walter Blasi, Die B-Gendarmerie, Die Vorläuferorganisation des Österreichischen Bundesheeres, ebendort, S. 49–66. Am 25.2.1948 betraute Präsident Dr. Beneš eine von dem Kommunisten Klement

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Meine Berufung durch Bundeskanzler Figl und die einstimmige Zustimmung der Partei sind natürlich nicht geheim geblieben, obwohl ich selbst bewusst geschwiegen habe. Unsere sonnige Wohnung in der Uraniastraße wurde mir von Hofrat Bodenstein zur Verfügung gestellt. Mein treuer Freund Liebitzky hatte mir dazu die Wege geebnet. Seine Treue habe ich ihm dadurch vergolten, dass ich ihm unbeschadet meiner kommerziellen Tätigkeit stets mit Rat und Tat zur Verfügung gestanden bin. Endlich hat er, so wie ich es ihm von ganzem Herzen gewünscht habe, die militärische Aufstellung des Bundesheeres ab 1955 von der Planung in die Tat umsetzen können. Lange konnte er sich seines rastlosen Wirkens leider nicht erfreuen. Im April 1961 hat Gott ihn zu sich berufen. Mit ihm ist ein gutes Stück von mir hinübergegangen. Möge Gott der Allmächtige ihm sein mustergültiges Soldatenleben lohnen, denn er war getreu bis in den Tod  ! In den ersten Tagen des März 1947 erhielt ich nach einem Voraviso eine Tee-Einladung zu Staatsanwalt Dr. Meyer-Maly. Er fragte mich, ob ich in dem gegen den Außenminister im Kabinett Schuschnigg, Dr. Guido Schmidt, laufenden Hochverratsprozess eine Aussage über den Stand der militärischen Verteidigungsfähigkeit Österreichs zu leisten in der Lage wäre. Ich orientierte ihn über meine gewesene Stellung im Bundesheer und in großen Zügen darüber, dass ich Vorbereitungen für einen militärischen Widerstand gegen Hitler getroffen hatte. Darauf stellte mir der Staatsanwalt meine Ladung als Zeuge in Aussicht. Daraufhin war ich bemüht, mein Gedächtnis über die doch schon zehn Jahre zurückliegende Materie durch Einsicht in die Akten des Bundesministeriums für Landesverteidigung aufzufrischen. Meine diesbezügliche Anfrage beim damaligen Leiter des Kriegsarchivs, Hofrat Dr. Regele804, beantwortete dieser dahin, dass sich die Akten Gottwald geführte Regierung mit den Staatsgeschäften in der Tschechoslowakei. Es dürfte erst nach diesem Akt im Nachbarland zur Bildung einer „Heereskommission“ in Österreich gekommen sein, der von der Seite der ÖVP u.a. Dr. Liebitzky, von der Seite der Sozialdemokratie Staatssekretär a.D. Julius Deutsch und GM a.D. Franz Winterer angehörten. Am 7.8.1948 fand gemäß Papieren im Schriftennachlass Winterer (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes im Original und Kopien im österreichischen Staatsarchiv/Kriegsarchiv, NLS, sign. B/2175) Beratungen mit Außenminister Dr. Gruber und Generalsekretär Wildner im BKA/Auswärtige Angelegenheiten statt. Ein provisorisches Wehrgesetz sollte geschaffen werden. Liebitzky war an den Verhandlungen führend beteiligt. 804 Oskar Regele (Pettau, heute Ptuj, Steiermark, heute Slowenien, 7.7.1890–1.2.1969, Wien), 1909–1912 Besuch der Technischen Militärakademie, 18.8.1912 als Lt. ausgemustert zum PiBaon 1, ab 1.8.1914 Zugs- und KKdt. bei der Pionier- und Sappeurtruppe, 10.12.1914–31.12.1914 kommandiert beim Stabe des kombinierten Korps FML Alfred Krauss in Serbien, 1.1.1915 Olt., 1916 Offensive in Südtirol, 1917 rumänisch-russische Front, 1917/18 Feldzug im Karst und in Venetien, Kriegsschulaspirantenkurs in Belgrad, 1918 Hptm. zug. Glstb., 3.11.1918–1.11.1919 Kriegsgefangenschaft in Italien,

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des Landesverteidigungsministeriums nicht im Kriegsarchiv befänden. Deshalb nahm ich an, dass sie von der deutschen Wehrmacht entweder vernichtet oder nach Berlin ins Reichsarchiv verschleppt worden waren. Später, bei Aufzeichnung meiner Lebenserinnerungen und deren Dokumentation, konnte ich allerdings feststellen, dass mit Ausnahme des Mobilisierungsaktes doch alle gesuchten Unterlagen im Kriegsarchiv abgelegt waren. So musste ich mich bei der Vorbereitung meiner Zeugenaussage ganz auf mein Gedächtnis verlassen, das schließlich alles richtig rekonstruierte. Nur bei der Bereitstellungszeit des Heeres durch den Aufmarsch an der Traun glaubte ich ein rascheres Ergebnis erzielt zu haben, als es die Aktenlage ergab  ; da muss ich meinen Wunsch als Chef im Kopf behalten haben. Das führe ich hier zur Erklärung der Zeitdifferenzen zwischen meiner Aussage vor Gericht und der sechs Jahre nachher aufgrund teilweiser Akteneinsicht ausgearbeiteten Niederschrift des Kapitels X dieser Erinnerungen an, welche freilich für das schließliche Urteil (Freispruch des Angeklagten) belanglos blieb. Bei dieser Zeugenaussage lag es mir völlig fern, den gewesenen Bundeskanzler Schuschnigg oder den gewesenen Außenminister Schmidt zu belasten. Mir war die 1920 ehrenrätlicher Ausschuss für Oberoffiziere und Offiziers-Aspiranten in Wien, 12.7.1920 Eintritt ins Bundesheer, 16.9.1921 Referent im BMfHw., Abt. 4, ab 24.7.1921 Truppendienstleistung bei BAA 2, 1922 bei Radfahrer-Baon 2, 23.6.1923 Stabshauptmann, Mai 1925 die Fachprüfung für den Höheren milit. Dienst abgelegt, 1.6.1927 eingeteilt bei BrigKdo. 3, 2.10.1927 Mjr., 1.12.1927 Konzipient im BMfHw., 1.1.1928 Pressereferent des Bundesministers für Heerwesen, 1.7.1929 Obstlt., 1.5.1932–31.5.1933 betraut mit dem Kdo. FJB zu Rad 2, 1.6.1933 Militärattaché für Ungarn und Rumänien mit dem Amtssitz in Budapest, 23.9.1933 Obst, 1.8.1937 BMfLv./Nachrichtenabt., 17.3.1938 wurde vorgesehen, Regele der Theres. Milakad. zuzuteilen  ; 1.4.1938 sollte seine Bestellung zum Kdt. der Theres. Milakad. erfolgen, 10.4.1938 Pensionierung, 4.11.1941 Mitarbeiter beim Teilkdo. Wien der 8. Abteilung des Generalstabes der Luftwaffe mit der Aufgabe der Bearbeitung der Tätigkeit der österreichisch-ungarischen Luftstreitkräfte 1914/1918, 17.4.1945 im Auftrag des Zentralkomitees der Widerstandsbewegung 05 als kommissarischer Vertreter dieses Komitees ins Heeresarchiv delegiert  ; 10.10.1945–9.2.1946 provisorischer Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft vom Roten Kreuz, 12.1.1946 Wiedereinstellung in den aktiven Bundesdienst und der Direktion des Heeresgeschichtlichen Museums zur Dienstleistung zugewiesen, 18.2.1946 befördert in die II. Dienstklasse und berechtigt zur Führung des Titels Generalmajor der Ruhe, 15.5.1946 Leitung des Staatsarchivs 2 [damaliger „unkriegerischer“ Name für das Kriegsarchiv], 31.12.1955 Ruhestand, 1.2.1969 gestorben in Wien. Verfasser ungezählter Werke zur Militärgeschichte. Hier relevant  : Generalstabschefs aus 4 Jahrhunderten. Das Amt des Chefs des Generalstabes in der Donaumonarchie. Seine Träger und Organe von 1529 bis 1918, Wien/München 1966  ; Taschenbuch der Militärgeschichte Österreichs, Wien/ München 1968  ; Oskar Regele – Josef Hellrigl, Überlieferungspflege im Bundesheer. Durch die Jahrhunderte österreichischen Soldatentums. Herausgegeben vom Österreichischen Bundesministerium für Heerwesen, Wien 1931. Regeles umfangreicher Schriftennachlass  : KA, sign. B/656. Regele war der Vertreter einer „Staatspolitischen Geschichtsschreibung“ bei möglichster Beschränkung der Verfassung eines militärischen Beitrages auf Berufs- oder wenigstens Reserveoffiziere.

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Verpflichtung zur Zeugenaussage insofern eine Befriedigung, als dadurch der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden konnte, dass das Bundesheer und sein Generalstab das Menschenmögliche zum Schutz Österreichs vorbereitet hatten. Das Echo in der Presse war entsprechend günstig. Das Druckwerk über diesen Prozess heißt übrigens „Der Hochverrats-Prozess gegen Dr. Guido Schmidt“. Und einer der Journalisten, Herr Andics, hat sieben Jahre später, also 1954, in der Druckschrift „Bildtelegraph“, ohne von mir irgendeine Anregung oder gar Material erhalten zu haben, lediglich aufgrund meiner Zeugenaussage im Prozess eine Artikelserie in Fortsetzungen gebracht.805 In der nächsten Zeit galt meine Haupttätigkeit dem Autoteilevertrieb Siems & Klein in der Fichtegasse Nr. 5. Der lange und erbarmungslose Krieg hatte alle Vorräte erschöpft. Für den Neuaufbau der Wirtschaft war die Lösung der Transportfrage eine der wichtigsten Voraussetzungen, gleich ob es sich um Eisenbahn, Straßenbahnen oder Kraftfahrzeuge handelte. Solange die Fabriken nicht wiederaufgebaut waren, konnte nichts Neues erzeugt werden. Die Reparatur vorhandener Vehikel war daher eine große Notwendigkeit, was für den Ersatzteilhandel die Konjunktur schlechthin bedeutete. Die schwierige Kunst lag darin, diese Ersatzteile zu beschaffen. Die vielen fremden Kraftfahrzeuge, die der Krieg nach Österreich gebracht hatte, verlangten ausländische Ersatzteile, für die von der Nationalbank nur äußerst beschränkte Devisen zur Verfügung gestellt werden konnten. Um deren Zuweisung entbrannte ein scharfer Konkurrenzkampf. Da die Firma Siems & Klein tatsächlich eine reichsdeutsche Neugründung in Österreich war, strebte der Gremialvorstand die Liquidierung der Firma mit allen Mitteln an. Es war das Verhängnis der Reichsdeutschen, dass sie sich in Österreich in den sieben Jahren der staatlichen Vereinigung in höchstem Maße unbeliebt gemacht hatten. Normalerweise hätte ich mich der herrschenden Tendenz, die deutschen Firmen zurück nach Deutschland zu verweisen, nicht entgegengestellt. Da mir aber die Firma in Erfurt meine Existenz erleichtert hatte, sah ich es, von dem für unsere Lebensführung notwendigen Verdienst einmal abgesehen, für meine Anstandspflicht an, jetzt in Wien der Firma zu helfen. Als erstes galt es, Herrn Klein die österreichische Staatsbürgerschaft zu verschaffen. Sein diesbezügliches Ansuchen lag seit Monaten unerledigt beim Wiener Magistrat, weil ein Firmenkonkurrent es verstand, das Ansuchen zu hintertreiben. Die Lösung konnte nur eine Vorsprache beim Bürgermeister bringen. Zu diesem hatte die sozia805 Helmuth Andics hat dann diese Serie zu einem seiner ersten Bücher  : „Der Staat, den keiner wollte. Österreich 1918–1938“, Wien 1962, umgewandelt. Weitere hier relevante Bücher  : Der große Terror. Von den Anfängen der russischen Revolution bis zum Tode Stalins, Wien 1967  ; Der ewige Jude. Ursache und Geschichte des Antisemitismus, Wien 1965  ; Der Fall Otto Habsburg. Ein Bericht, Wien München 1965  ; Die Juden in Wien, Wien 1988.

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listische Partei den General Theodor Körner erwählt. Herr Klein bat mich inständig, bei Körner in seiner Staatsbürgerschaftssache vorzusprechen. Das war mir sehr unangenehm, denn ich stand mit Körner sehr schlecht, seitdem er Sozialist und Führer des Republikanischen Schutzbundes geworden war. Als er mich einmal in der Zeit, da ich Chef des Generalstabes gewesen war, auf meinem Weg ins Ministerium auf der Ringstraße angehalten hatte, um ein Gespräch zu beginnen, und mir seine Hand entgegenstreckte, hatte ich seine Hand übersehen, kurz salutiert, war einfach weitergegangen. Seine bekannt abfälligen Äußerungen über die unglückliche Dynastie und die bürgerlichen Parteien, die er als Arbeitermörder zu bezeichnen liebte, wollte ich nicht anhören. Und jetzt sollte ich, obwohl diese Brüskierung schwere Jahre zurücklag, bei dem gleichen Manne als Bittsteller vorsprechen  ! Das war mir natürlich peinlich. Da aber die Existenz der Familie Klein (die Frau war Wienerin) von der Gewährung der Staatsbürgerschaft abhing, meldete ich mich schließlich bei Körners Sekretär im Rathaus an, dem ich auch sagte, worum es sich handle. Der Sekretär beschied mich schon für einen der nächsten Tage zum Bürgermeister. Als ich bei diesem eintrat, erhob sich Körner nicht von seinem Stuhl beim Schreibtisch, sah mich frostig an und fragte  : „Was wünschen Sie, Herr Feldmarschalleutnant  ?“ Ebenso antwortete ich  : „Ich komme zum Bürgermeister der Stadt Wien, Gerechtigkeit für einen ehrlichen, korrekten Kaufmann zu erbitten  ; eine schmutzige Konkurrenz hintertreibt seit Monaten eine Erledigung des Staatsbürgerschaftsansuchens, wie sie in vielen Hundert anderen Fällen längst erfolgt ist.“ – „Was geht Sie der Kaufmann Klein überhaupt an, Herr Feldmarschalleutnant  ?“ – „Seine Firma in Erfurt hat mir, trotz meiner Konfinierung dort, durch Jahre eine Existenzmöglichkeit geboten. Es ist eine selbstverständliche Dankespflicht, dass ich mich für den Menschen, der jetzt meiner Hilfe bedarf, einsetze.“ – „Wenn das so ist, dann will ich mir den Fall ansehen.“ – „Danke, Herr Bürgermeister.“ Darauf fragte Körner weiter  : „Schön, na und was wollen Sie jetzt für sich  ?“ Erstaunt erwiderte ich  : „Für mich  ? Gar nichts  ! Im Gegenteil, wenn der Magistrat für seine Autos Ersatzteile benötigt, kann ich vielleicht helfen.“ Da brummte Körner  : „Wenn Du für Dich nichts willst, dann setz’ Dich nieder, dann können wir ja als alte Kameraden miteinander reden  !“ Und nun erkundigte er sich, wie es mir in der Nazi­ zeit ergangen war und kam auch auf meine Zeugenaussage vor Gericht im Prozess gegen Guido Schmidt zu sprechen. Ich stellte eine ähnliche Gegenfrage, empfahl mich jedoch bald. Meine Brüskierung Körners vor Jahren wurde nicht erwähnt, galt somit als überwunden. Eine Woche später hatte Herr Klein seinen österreichischen Heimatschein in der Hand. Acht Jahre, bis zu meinem 70. Lebensjahr, habe ich der Firma immer wieder gegen die anstürmende Konkurrenz helfen können, wobei ich tiefen Einblick in das

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wirtschaftliche Leben im Handel, im Gewerbe, in der Industrie und im Bankwesen gewinnen konnte. Ich habe viele einflussreiche Persönlichkeiten kennengelernt und bin in den österreichischen Normenausschuss berufen worden. Bei dieser Arbeit habe ich mich nie auf meine militärische Stellung berufen, habe stets nur als Kaufmann mit meinen Partnern gesprochen und alles in allem genommen mehr Erfolge als Misserfolge geerntet. Aber ich habe auch die Erkenntnis gewonnen, dass der korrekte Kaufmann, selbst bei großer Befähigung, wie Herr Klein sie besaß, wohl seinen bescheidenen Lebensunterhalt, nie aber Reichtümer erwerben kann. Das so oft wahrnehmbare schnelle Reichwerden ist mit ganz seltenen Ausnahmen immer durch irgendwelche Unkorrektheiten bedingt. Als junger Mensch habe ich am Frühschoppentisch meines Vaters von irgendwem einmal die Äußerung gehört, dass jeder Millionär mindestens einmal mit dem Ärmel das Zuchthaus gestreift habe. Als alter Mann vermag ich aufgrund meiner 15-jährigen Betätigung im geschäftlichen Leben die Richtigkeit dieser Äußerung im Wesentlichen zu bestätigen. Als ich nach Vollendung meines 70. Lebenjahres aus der Firma ausschied, verabschiedeten mich die beiden Chefs mit Bedauern bei einem Heurigen-Ausflug nach Gumpoldskirchen. Der Bestand der Firma erschien damals bereits gesichert. Meine physischen Kräfte waren den Anstrengungen eines täglichen 8–10-stündigen Außenund Reisedienstes nicht mehr gewachsen. Zwei Jahre vorher war ich mit einem sich von selbst öffnenden Zwölffingerdarmgeschwür zum ersten Mal in meinem Leben gezwungen gewesen, mich in Spitalsbehandlung zu begeben. Ich lag bei den Barmherzigen Brüdern in der Taborstraße, wo mich Primar Dr. Scharf nach vierzehn Tagen geheilt entlassen konnte. An diesen hervorragenden Internisten hatte mich der Chef der Bundeskrankenkasse, Dr. Maller, gewiesen, den ich noch als Knaben gekannt hatte und mit dessen Eltern mein Vater und Bruder befreundet gewesen waren. Die langen Entbehrungen der Zeit des Zweiten Weltkrieges hatten in mir das Bedürfnis nach besserer Verpflegung geweckt, das viele Alleinsein jenes nach abendlichen Ausgängen mit Bekannten. Bis etwa 1952 beschäftigten wir eine Köchin, die aber wegen Altersbeschwerden nach vier Dienstjahren ausschied. Ein Ersatz war nicht zu bekommen, sodass wir nur mehr Bedienerinnen zur Pflege der Wohnung anstellten. Den Mittagstisch nahm ich seit dieser Zeit gut und günstig im benachbarten Regierungsgebäude. Kaffeehaus- und Kinobesuche sagten mir wenig zu, dafür hatte ich je zwei Abonnements für Oper, Burgtheater und Musikverein genommen, die meiner Tochter und mir eine stete Freude bereiteten. Es muss Herbst 1954 gewesen sein, als ich in der Papierhandlung Huber und Lerner am Kohlmarkt ein festes Durchschlagpapier für die Übertragung des Kapitels X

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dieser Aufzeichnungen mit Schreibmaschine suchte. Es sollte im Kriegsarchiv hinterlegt werden. Plötzlich sah ich alle Angestellten des Geschäftes sich tief verbeugen. Als ich mich umwandte, um zu sehen, wer da eingetreten war, stand Bundespräsident Theodor Körner mir gegenüber. Nun machte auch ich eine respektvolle Verbeugung, worauf er mich sogleich mit der Frage ansprach, was ich hier mache. Ich erwiderte, dass ich Papier für die Reinschrift meiner Aufzeichnungen suche, worauf er jovial meinte, ich möge doch einmal ihn besuchen kommen, diese Zeit meiner Tätigkeit als Chef des Generalstabes interessiere ihn sehr. Ich sagte das zu. Dann besorgten wir Beide unseren Einkauf, mit dem ich früher fertig war und vor dem Verlassen des Geschäftes zu Körner noch einmal eine Verbeugung machte, worauf er mir zuwinkte und rief  : „Also, komm’ bald  !“ Der Bundespräsident hatte sich Briefpapiermuster vorlegen lassen. Wie stets war er ohne Hut und Mantel, von seinem Amtssitz in der Hofburg kurzerhand zu Fuß ins Geschäft gekommen. Die spontane und formlose Besuchseinladung veranlasste mich, eine offizielle Anmeldung bei der Kabinettskanzlei zu unterlassen. Nach zwei Tagen stieg ich die dem Bundeskanzleramt gegenüber gelegene Hauptstiege zum Leopoldinischen Trakt der Hofburg empor  ; sie war unbewacht. Erst als ich den Halbstock erreicht hatte, kam mir atemlos ein Polizist nach, erkannte mich und entschuldigte sich mit „Ach, Herr Feldmarschalleutnant  ! Ich bin auf der anderen Seite, bei der Hintertreppe gestanden  !“ Ich nickte dem Mann freundlich zu und antwortete  : „Ich bin nie über Hintertreppen gegangen  !“ Im ersten Vorraum stand ein Diener, den ich bat, den Sekretär zu rufen. Als dieser erschien, nannte ich Charge und Namen mit dem Beifügen, dass mich der Bundespräsident vor drei Tagen eingeladen habe, ihn zu besuchen. Der Sekretär verschwand, kam aber schon nach einigen Minuten mit der Aufforderung, ihm zu folgen. Das Arbeitszimmer des Bundespräsidenten hatte die Aussicht auf den Heldenplatz und im Besonderen auf das grandiose Denkmal Erzherzog Carls. General Körner erwartete mich hinter seinem Schreibtisch stehend und erwiderte meine Verbeugung mit dem in der kaiserlichen Armee üblich gewesenen  : „Servus Jansa, schön, dass Du gekommen bist. Damit wir uns ganz unbefangen sprechen können, nimm zur Kenntnis, dass Du jetzt nicht mit dem Bundespräsidenten, sondern mit Deinem alten Kriegskameraden sprechen wirst. Du kannst also ganz offen reden  !“ Dann begann er zu erzählen, dass er das Verhalten des ehemaligen Bundespräsiden­ ten Miklas gegenüber den nazistischen Erpressungen studiert habe, weil er ja gegenüber der russischen Besatzungsmacht sich täglich vor eine ähnliche Lage gestellt sehen könnte. Miklas hätte alles ausgeschöpft, was dem Bundespräsidenten nach der Verfas­ sung zu tun möglich war. Es interessiere ihn nun zu wissen, wie es damals mit den Vorbereitungen auf dem militärischen Sektor ausgesehen habe.

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Da ich damals gerade die Niederschrift des Kapitels X dieser Lebenserinnerungen beendet hatte, war es mir leicht, Körner einen erschöpfenden Überblick zu vermitteln. Er hörte aufmerksam zu, und als ich auf meine Ruhestandsversetzung zu sprechen kam, fragte er welche Rolle der Heeresinspektor General Schilhawsky gespielt habe  ; der hätte doch für mein Verbleiben in der Aktivität eintreten müssen. Dazu konnte ich nur verneinend den Kopf schütteln  : Schilhawsky wäre nicht der Mann entschiedener Entschlüsse gewesen. Als ich mich verabschiedete, begann er herumzureden, dass es ein merkwürdiges Geschick sei, dass jemand, der wie ich mit seiner ganzen Persönlichkeit für Österreich eingetreten wäre, dann kurzerhand den Abschied bekommen hätte. Ich hätte Schilhawsky damals erklärt, dass ich Kanzler Schuschnigg kurz nach meiner Bestellung zum Chef des Generalstabes mitgeteilt hätte, dass ich die Wehrfähigkeit des Heeres mit allen Mitteln vorwärtstreiben würde, er mich jedoch jederzeit, ohne mich zu kränken, fallen lassen könne, wenn ich für ihn politisch untragbar würde. Dementsprechend hatte ich mein Amt ohne Kränkung niedergelegt, ja, war sogar, da die Lage politisch völlig verfahren war, froh darüber. Sinnend meinte Körner, dass ihm das merkwürdig erscheine, da Schilhawsky am Isonzo doch ein guter Generalstabsoffizier gewesen wäre. Und dann spann er den Gedanken an die vergangene Zeit der kaiserlichen Armee fort und sagte mit resignierender Bitterkeit, dass er doch so vielen Kameraden und deren Frauen, die vor dem Nichts standen, mit Gewährung von Pensionen geholfen habe, so auch erst kürzlich der Witwe nach FM Boroevic. Und trotzdem sei er für alle der „unmögliche Rote“, dem jeder ausweiche. „Du selbst hast mir ja auch nicht die Hand gegeben  !“ Ja, erwiderte ich darauf, ich hätte nie verstanden, wie ein kaiserlicher Offizier die unglückliche Dynastie herab setzen und an die Spitze des Republikanischen Schutzbundes, einer ausgesprochenen Terrorformation, treten konnte. Darauf Körner  : „Du, ich war nie der Führer des Schutzbundes  ; das war der Hauptmann Eifler  ! Ich habe über Wunsch der Partei nur geduldet, dass nach außen mein Name im Zusammenhang mit dem Schutzbund genannt wurde, um die Arbeitermörder abzuschrecken  ! Und was die Dynastie betrifft, so sitze ich hier an dem Tisch, an dem Kaiser Joseph II. gearbeitet hat und nebenan ist das Arbeitszimmer der Kaiserin Maria Theresia. Ich benütze diese Räume nur, damit sie nicht von Russen oder anderen Kommunisten besudelt oder zerstört werden  !“ Er blickte auf die Uhr und sagte  : „Jetzt müssen wir uns aber trennen  ; es ist schon halb zwölf.“ Wir hatten eineinhalb Stunden gesprochen. „Es warten ja Leute, die vorsprechen wollen. Komm wieder, aber dann melde dich früher an  !“ Dann begleitete mich Körner durch die lange Reihe von Gemächern bis zur Kleiderablage. Ich verließ die Burg mit dem tiefen Eindruck, dass hier ein Mann an seinem Lebensabend schwer darunter litt, bei seinen Kameraden der kaiserlichen Armee alles

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Ansehen verloren zu haben. Trotz seiner Würde fühlte er sich einsam. Der Gedanke, dem leidenden alten Mann irgendwie beizustehen, beschäftigte mich durch Tage. Eine neuerliche geringschätzige Äußerung Körners über die Dynastie in der Öffentlichkeit ließ mich allerdings davon Abstand nehmen. Noch eine Geschichte halte ich aufzeichnungswert, weil sie zeigt, wie sehr die Sozial­ demokratische Partei, auch in der Zweiten Republik, jeder Erinnerung an große Österreicher abhold ist. Im Hinblick auf Körner kann ich es nach wie vor nicht verstehen, dass ein k. u. k. Offizier der Sozialdemokratischen Partei beitreten konnte. Die Errichtung des Denkmals für die k. u. k. Armee im äußeren Burgtor war erst möglich geworden, als der Kanzler Dollfuß 1934 die rote Herrschaft im Wiener Rathaus gebrochen hatte806. Dass sich die rote Mentalität gegenüber der k. u. k. Armee auch in der gegenwärtigen Republik nicht geändert hat, zeigt folgende Geschichte, die ich aufgrund der von mir mit meinen eigenen Augen eingesehenen Korrespondenz wahrhaft festhalte. In den Kämpfen, die 1945 nach Besetzung Wiens durch die russische Armee am Donaukanal zwischen der sich zurückziehenden deutschen SS-Division und den Russen stattfanden, wurde das Denkmal des Grafen Radetzky schwer beschädigt  :807 Reiter und Pferd waren mehrfach durchschossen, der rote Granitsockel und seine erzernen Reliefs gleichfalls zerschossen und an den Kanten abgesplittert. Ähnlich beschädigt waren einzelne Denkmäler im Stadtpark und das Denkmal des Bürgermeisters Liebenberg gegenüber der Universität808. Alle diese Denkmäler waren im Laufe der Zeit in den Besitz der Gemeinde Wien übergegangen, die sich dafür zur Pflege und Erhaltung derselben verpflichtet hatte. Verhältnismäßig bald nach Kriegsende begann die Stadtverwaltung tatsächlich mit der Instandsetzung aller Denkmäler. Nur für das arg beschädigte Denkmal Feld806 Das alte äußere Burgtor, 1660 errichtet, wurde 1809 durch die Franzosen zerstört. Ein Neubau wurde 1821 durch Luigi Cagnola begonnen und 1824 von Pietro Nobile vollendet. 1933/34 wurde dieses Burgtor von Rudolf Wondracek zu Ehren der Gefallenen des Ersten Weltkrieges als „Heldendenkmal“ umgestaltet. Siehe  : Das österreichische Heldendenkmal, verfasst von Paul Wittas und Obstlt. Anton Wagner in Zusammenarbeit mit der Offiziersgesellschaft Wien, Wien o.J. [ um 1965]. 807 Die Reiterstatue Radetzkys von Karl Zumbusch wurde am 24.4.1892 auf dem Platz Am Hof enthüllt, 1912, bei der Übersiedlung des Kriegsministeriums in das neue Amtsgebäude am Stubenring, wurde das Denkmal abgetragen und am 27. Juli desselben Jahres vor dem neuen Gebäude des Kriegsministeriums (heute Regierungsgebäude) am Stubenring wieder aufgestellt. 808 Das Liebenberg-Denkmal an der Einmündung der Schreyvogelgasse in den Dr.-Karl-Lueger-Ring ist ein neun Meter hoher Obelisk, von einer Viktoria gekrönt, zu seinen Füßen ein ruhender Löwe. An dem Obelisken in Medaillenform befindet sich das Brustbild und das Wappen des Bürgermeisters Johann Andreas von Liebenberg, der sich während der Türkenbelagerung 1683 um die Stadt verdient gemacht hat. Das von Johann Silbernagel ausgeführte Denkmal (Figurales aus Bronze, alles übrige Stein) wurde am 12. September 1890 enthüllt.

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marschall Radetzkys geschah nichts. Das war umso auffälliger, als gerade die Stadt Wien ihre prachtvolle Entwicklung den Siegen des Feldmarschalls in Italien 1848/49 verdankte, denn ohne diese Siege wäre das Kaisertum Österreich wahrscheinlich schon damals zerfallen und Wien eine kleine Provinzstadt geworden. Der Wiener Gemeinderat hatte das damals auch erkannt und dem greisen Feldmarschall die Ehrenbürgerschaft der Stadt Wien angetragen. Am Stubenring, schräg gegenüber dem Regierungsgebäude, wohnte der steirische Großgrundbesitzer und Ulanenrittmeister a. D. Kimla, der mit dem neuen Handelsminister DDDr. Illig809, gleichfalls ein Steirer, befreundet war. Das nahm ich zum Anlass, um Kimla auf den unwürdigen Zustand des Radetzky-Denkmals aufmerksam zu machen und zu veranlassen, bei seinem Freund, vor dessen nunmehrigem Amtsgebäude das Denkmal stand, wegen dessen Instandsetzung zu intervenieren. Die darauffolgende Korrespondenz zwischen Handelsminister Illig und Bürgermeister Jonas810 zeigte mir Rittmeister Kimla in den ihm vom Handelsminister zugesendeten beglaubigten Abschriften. Hiernach forderte der Minister den Bürgermeister auf, der bestehenden Verpflichtung der Gemeinde zur Pflege und Unterhalt des Denkmals ihres Ehrenbürgers nachzukommen. Der sozialistische Bürgermeister schämte sich daraufhin nicht, dem Handelsminister zu schreiben, dass die Gemeinde Wien nicht die finanziellen Mittel zur Denkmalinstandsetzung besäße. Das war eine offenkundige Unwahrheit, denn zur gleichen Zeit wurden für die Errichtung der „Stadthalle“811, also eines Vergnügungsbaus, Hunderte Millionen hinausgeworfen. Der sozialistische Bürgermeister demonstrierte also wieder – genauso wie seine Vorgänger –, dass sie jegliche Ehrung und Erinnerungspflege für die ruhmreiche k. u. k. Armee in erbärmlich kleinlicher Weise ablehne. Illig war gottlob nicht der Mann, sich mit dem schmachvollen Verhalten des Wiener Bürgermeisters zufriedenzugeben. Er schrieb an den Magistrat, dieser möge die Grundfläche, auf der das Denkmal stehe, und dieses selbst dem Bund überantworten. Dazu 809 DDDr. Udo Illig (Graz, 13.4.1897–22.1.1989, Graz), Tätigkeit in der gewerbliche Wirtschaft, 1927– 1932 Abgeordneter der Christlichsozialen Partei im Steirischen Landtag, 1945–1953 Mitglied der steiermärkischen Landesregierung, 1953–1956 Bundesminister für Handel und Wiederaufbau. Er konnte erstmals eine aktive Handelsbilanz erreichen. Illig war ein besonderer Förderer des Fremdenverkehrs und des Denkmalschutzes. 1956 erwarb er die Burg Schlaining im Burgenland, die er vorbildlich restaurierte. 810 Franz Jonas (Wien, 4.10.1899–24.4.1974), er erlernte das Buchdruckergewerbe und war 1. Weltkrieg sowie in der deutschösterreichischen Volkswehr Soldat. Sozialdemokratischer Politiker, 1946 Bezirksvorsteher von Wien-Floridsdorf, ab 1948 Amtsführender Stadtrat, 1951 Bürgermeister von Wien, 1965–1974 Bundespräsident. 811 Die Stadthalle, Wien 15. Bezirk, Vogelweidplatz 14, ist ein Mehrzweckhalle. Sie wurde 1955–1958 von Roland Rainer erbaut, für maximal 16.000 Zuschauer. Sie ist eines der bedeutendsten Beispiele österreichischer Architektur in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Ende des 2. Weltkriegs

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war die Gemeinde Wien, die sonst keinen Quadratmeter ihres Besitzes freigab, sofort bereit. Nach der grundbücherlichen Eigentumsänderung ließ dann der Handelsminister das Monument FM Radetzkys aus Bundesmitteln instand setzen. Wegen der beruflichen Beanspruchung meiner beiden Töchter war ich in diesen Jahren oft allein. In diesen Zeiten habe ich mich um die Erweiterung meines Wissens bemüht und viele ausgezeichnete Vorträge an der Universität, der technischen Hochschule (besonders im Verein für Vermessungswesen) und an der hervorragend geleiteten Katholischen Akademie bei den Schotten gehört. Ich gewann Interesse an der vom Freiherrn Schneider von Arno unvollendet gelassenen „Geschichte des k.u.k Generalstabes“ und habe in dreijähriger Archivarbeit das Werk durch die Abschnitte „Der Generalstab in den acht letzten Friedensjahren unter Conrad“ und „Der Generalstab im ersten Weltkriege“ vollendet.812 Die Lektüre von Professor Hantschs „Geschichte Österreichs“ hat mich mit diesem bedeutenden Gelehrten zusammengeführt, über dessen Aufforderung ich dann in der Historischen Arbeitsgemeinschaft der Wiener Katholischen Akademie zwei Vorträge über „Die Einheit der Handlung in der Politik“ gehalten habe. Sie sind in den Mitteilungen der Katholischen Akademie (Religion, Wissenschaft, Kultur) im Januar-Februar-März-Heft 1956 in Druck erschienen.813 Schon früher hatte ich die Erinnerungen über meine Tätigkeit von 1935–38 als „Chef des Generalstabes für die Bewaffnete Macht“ niederzuschreiben begonnen. In der Katholischen Akademie lernte ich Dr. Jedlicka als einen sympathischen, sehr gut 812 Oberst i. R. Oskar Wolf Frh. Schneider v. Arno hatte vom OKW den Auftrag erhalten, eine Geschichte des österreichischen (österreichisch-ungarischen) Generalstabs ab der Gründung zu verfassen. Er arbeitete daran von 1940 bis nach dem 2. Weltkrieg und teilte sodann Generalstaatsarchivar Rudolf Kiszling mit, dass er aus Altersgründen nicht in der Lage sei, weiterzuarbeiten. Er war bereits mit seiner Maschinschrift bis zum Jahre 1906 gelangt. Auf Anfrage Kiszlings erklärte sich Jansa bereit, die Arbeit abzuschließen. Sie befand sich bei Jansas Ableben noch in der Familie, wurde aber sodann an Kiszling übergeben und befindet sich heute im Nachlass Jansa im Kriegsarchiv. 813 Die Publikationen Jansas werden im Vorwort näher behandelt. Eine Frucht der Arbeitsgemeinschaft war jedenfalls  : Hugo Hantsch (Hrsg.), Gestalter der Geschicke Österreichs (Studien der Wiener Katholischen Akademie, 2. Band), Wien/München 1962. Die in diesem Sammelband enthaltenen Vorträge wurden bereits 1951 bis 1953 an der Wiener Katholischen Akademie gehalten. Unter ihnen waren der ehemalige Direktor des Kriegsarchivs k. u. k. Obstlt.i.G. bzw. Generalstaatsarchivar Prof. Rudolf Kiszling, die bereits promovierten angehenden Historiker Ludwig Jedlicka und Johann Christoph Allmayer-Beck, die Historiker und Archivare Reinhold Lorenz, Walter Goldinger, Friedrich Walter, Heinrich Fichtenau, Erich Zöllner, Karl Lechner, Fritz Eheim, Hanns Leo Mikoletzky, Ferdinand Stöller (Dozent für Militärgeschichte an der Universität Wien), Walter Sturminger und Heinrich Benedikt. Das Werk schließt mit den Biografien von Ignaz Seipel ( Josef A. Tzöbl), Engelbert Dollfuß (Hugo Hantsch) und Karl Renner (Walter Goldinger). Über Hugo Hantsch siehe  : Fritz Fellner, Geschichtsschreibung und nationale Identität. Probleme und Leistungen der österreichischen Geschichtswissenschaft, Wien/Köln/Weimar 2002, S.  360 ff., Kapitel  : Hugo Hantsch – Werk und Wirken des Historikers in der Diskussion um ein österreichisches Geschichtsbewußtsein.

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vortragenden Historiker kennen, der mich dringend bat, ihm diese für seine Habilitationsschrift zum Dozenten an der Wiener Universität zur Verfügung zu stellen. Ich habe es gern getan und bin von Dr. Jedlicka durch sein Buch  : „Ein Heer im Schatten der Parteien“ recht geehrt worden. Das Buch hat viel Widerhall und durchwegs gute Rezensionen erfahren. Ich habe die Freude, im Dozenten Dr. Jedlicka, der sich zu einem immer bedeutenderen Historiker formt, einen treuen, dankbaren Freund gewonnen zu haben, der auch anlässlich meines 75. Geburtstages eine biographische Skizze verfasst hat, die in der Zeitschrift „Religion, Wissenschaft, Kultur“ 10. Jahrgang 1959, Folge III, in der Festschrift für Professor Kisser gedruckt wurde. So habe ich in meinen alten Tagen nicht nur in militärischen Kreisen eine meiner ehemaligen Stellung entsprechende Geltung, sondern ich gewann auch Freunde im akademischen Kreis der Professoren, unter denen ich aus der Katholischen Akademie Walter, Nowak, Schöndorfer und Krones besonders nennen darf, aus dem Vermessungswesen Neumaier, Lego, Ackerl und Barvin.814 Eine besondere Ehrung ist mir im Dezember 1960 durch meine Berufung durch den Kardinal zum Konsultor der Wiener Katholischen Akademie zuteil geworden. In einer harmonischen Parallelität hierzu überreichte mir kurz vor seinem Tode Gen. d. Art. Liebitzky im März 1961 eine Ehrennadel als Zeichen meiner Erhebung zum Ehrenmitglied der Österreichischen Offiziersgesellschaft. Nach dem Tod dieses lieben Freundes trat im Oktober 1961 das Bundesheer durch Gen. Rüling815 an mich heran, ich möge die Führung der Offiziersgesellschaft über814 Über fast alle hier im Text und in der Anm. 808 genannten Historiker siehe  : Fritz Fellner/Doris A. Corradini, Österreichische Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein biographisch-bibliographisches Lexikon (= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs, Band 99), Wien/Köln/Weimar 2006. Mit „Novak“ dürfte Alexander Novotny gemeint worden sein. Prof. Ulrich Schöndorfer war Philosoph und Marinehistoriker (Mitarbeit an den Truppendienst-Taschenbüchern, Verfasser einer Biografie von Admiral Wilhelm v. Tegetthoff ). Prof. Ferdinand Krones war Sekretär der Katholischen Akademie und Kunsthistoriker. Er war auch Hptm.i.d.Res. d. Deutschen Wehrmacht. 815 Nach  : Stefan Bader, An höchster Stelle… Die Generale des Österreichischen Bundesheeres der Zweiten Republik (= Schriften zur Geschichte des Österreichischen Bundesheeres der Zweiten Republik), Wien 2004 S. 293  : August (Frh. v.) Rüling (Wien, 11.1.1904–14.4.1978, Salzburg), 1915–1918 Besuch der MUR St. Pölten, 1925 Matura an der Bundeserziehungsanstalt Wien/Breitensee, Studium an der Technischen Hochschule in Wien (nicht abgeschlossen), 2.3.1925 eingerückt zum Feldjägerbataillon zu Rad Nr.2, 1927–1929 Frequentierung der Offiziersakademie in Enns, sodann Truppenoffizier beim DR 2, 1.9.1934 Olt, ab 1936 Besuch des Höheren Offizierskurses bis Juni 1938, ab Oktober 1938 zum Besuch der Kriegsakademie (3. Jg.) nach Berlin kommandiert, im 2. Weltkrieg Kdr. von Werferabteilungen, 1942–September 1944 im OKH, sodann Ia beim General der Nebelwerfer, 1.1.1942 Mjr.i.G, 1.6.1943 Obstlt.i.G. Nach amerikanischer Kriegsgefangenschaft ab 6.8.1945 in der öst. Mineralölindustrie beschäftigt, ab 2.7.1956 Obst. beim FJB 26, sodann u.a. Kdt. 8. GebBrig., ab 1.3.1958 Leiter der Sektion 1 im BMfLv. 1.7.1965 Gen.d.PzTruppen, 31.12.1969 Ruhestand.

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nehmen. Mein geschwächter Gesundheitszustand zwang mich, dieser auszeichnenden Berufung zu entsagen. Dafür kam ich mit meinen sechs Kriegsschulkameraden Brantner, Schubert, Schöner, Pager, Hirsch und Bálványi jeden Monat im Kaffee Imperial zusammen sowie viermal im Jahr mit allen anderen Generalstabskameraden.816 Durchs Familien-Zusammenleben mit meinen beiden Töchtern und einem Enkel wurde mir noch eine mein Leben bis zum letzten Tag erfüllende Aufgabe geschenkt. Dies empfinde ich tief und dankbar als eine große Gnade.817 Ich schreibe keinen Epilog zu diesen Lebenserinnerungen. Ich bin der Meinung, dass ich Gott und den Menschen, denen ich begegnet bin, immer nur zu danken habe, was wohl durch alle von meiner Hand geschriebenen zweitausend Seiten zu fühlen ist. Möge der Allmächtige mir auch Seine Gnade nicht entziehen, wenn er mich in Seinen 27./II.62 Frieden nehmen wird  ! Ja [e.h.]

816 Unter den hier angeführten Generalstabsoffizieren hatte neben Jansa nur General Brantner im 1. Österreichischen Bundesheer bzw. in der Deutschen Wehrmacht gedient. Besonders bemerkenswert ist FML András v. Balványi, der in der Honvéd nach 1918 noch den Rang eines Feldmarschalleutnants erreichte und 1956 nach Österreich flüchtete. In seinen Kommentaren zum österreichischen Generalstabswerk „Österreich-Ungarns letzter Krieg“ verfasste er auch eine kurze Studie über bisher unbekannte Details zum Aufmarsch von 1914, aus denen hervorgeht, dass schon damals vordringlich der ungarischen Staatsräson Rechnung getragen werden sollte. Balványi war einer der Offiziere in der R-Gruppe des Operationsbüros des k. u. k. Generalstabes, der die Ansicht vertrat, dass man sich den deutschen Forderungen nach einem kraftvollen Angriff der k. u. k. Armee in Galizien unbedingt beugen müsste. Er brachte natürlich in erster Linie strategische und taktische Argumente vor. Eugen Hirsch Edler v. Stronsdorff (Wien, 6.7.1881–23.1.1978) wurde 1903 als Lt. aus der Theres. Milakad. zu TKJR  4 ausgemustert, absolvierte mit Jansa die Kriegsschule, leistete Generalstabsdienst im Eisenbahnbüro des Generalstabes vor 1914 und Kriegsdienst als Generalstabsoffizier vor allem an der russischen Front, 1.5.1918 Mjr., 1918/1919 Dienst in der Volkswehr, dann tätig in der Privatwirtschaft (Kohlengroßhandel). Er wurde von GM i. R. Maximilian Ronge bereits 1943 zu einer vertraulichen Zusammenkunft ehemaliger ö.-u. Generalstabsoffiziere gebeten – wie er dem Herausgeber mitteilte. Eine Kameradschaftsrunde ehemaliger, aus Österreich stammender Generalstaboffiziere gab es seit Mitte der Fünfzigerjahre auch im Osten Österreichs. Es gab spätestens seit dieser Zeit auch ein Aufleben des Vereins „Alt-Neustadt“, der dann auch bald ein gehaltvolles Mitteilungsblatt herausbrachte sowie gedruckte Mitgliederverzeichnisse. 817 Jansa erhielt mit Brief vom 30.1.1963 die Exemplare 2/1963 und 3/1963 des 37. Jahrganges der „Wiener Monatshefte“ von der Redaktion dieser Zeitschrift zugesandt. In diesen Heften befindet sich in einer Fortsetzung der Beitrag „Ferdinand Käs, Wien – Frühling 1945 mit Kartenskizzen.Das Konzept des Antwortschreibens, 1.4.1963, lautet  : „… Haben Sie für die freundliche Übermittlung … meinen verbindlichsten Dank. Ich schätze den Obstlt. Dr. Käs hoch und habe seine sachlich ausgezeichnet klare Darstellung mit besonderem Interesse gelesen …“ 

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Anhang Dokumente aus dem Nachlass Alfred Jansa

I KA, NLS, sign. B/655, Nr. 16  : Denkschrift über den Ausbau des Bundesheeres, Maschinschrift, Kopie einer nicht unterfertigten Reinschrift, B/655, Nr. 16 Der Staatssekretär für Landesverteidigung

STRENG VERTRAULICH

DENKSCHRIFT über den A u s b a u des B u n d e s h e e r e s . Die andauernd gespannte innerpolitische Lage bedingt schon seit längerer Zeit eine bedeutend erhöhte Inanspruchnahme des Bundesheeres. Mit Rücksicht auf seine zahlenmäßige Schwäche kann es den vielen und vielseitigen Anforderungen auf die Dauer nicht ohne empfindliche Nachteile in verschiedener Hinsicht nachkommen. Eine ausgiebige zahlenmäßige Erhöhung ist daher unbedingt notwendig. Auch die außenpolitische Lage ist mit Rücksicht auf die wahrgeographischen Verhältnisse Österreichs derart, dass der eheste Ausbau des Bundesheeres ein dringendes Gebot ist. Sowohl der italienisch-jugoslawische wie der tschechoslowakisch-ungarische Gegensatz können, wie die Ereignisse der letzten Jahre wiederholt deutlich gezeigt haben, jederzeit wieder akut werden. In beiden Konfliktfällen kann Österreich infolge der bekannten geographischen Verhältnisse, die nicht näher erörtert zu werden brauchen (italienischer Vorstoß durch Kärnten, eventuell auch Osttirol, um den Jugoslawen die nördliche Flanke abzugewinnen und jugoslawische Gegenmaßnahmen einerseits, tschechoslowakischer Vorstoß aus dem Brückenkopf Pressburg bei Benützung niederösterreichischen und burgenländischen Gebietes und ungarische Gegenmaßnahmen andererseits sehr leicht in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn seine Wehrkraft nicht wenigstens so stark ist, dass es für jeden Staat immerhin ein gewisses Wagnis ist, unsere Neutralität zu verletzen). Derzeit sind wir, wie die nachstehende Zusammenstellung zeigt, ganz außerstande, irgendeiner fremden Armee auch nur den kürzesten Widerstand zu leisten  :

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Anhang

Derzeitiger Präsenzstand rund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30.000 Derzeitiger Beurlaubtenstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.000 Summe  : 40.000 Im Falle einer Verwendung der bewaffneten Macht nach § 2 a Vorläufiger ­Wehrordnung (Schutz der Grenzen der Republik) bleiben vom Präsenzstand zurück rund 1.500 Vom Beurlaubtenstand ist erfahrungsgemäß nur mit der Einrückung von 60–70 % zu rechnen  ; der Ausfall beträgt daher rund 3.500 Verbleibt daher ausrückender Stand rund 35.000 Mit zirka 750 leichten, 250 schweren Maschinengewehren, 80 leichten Minenwerfern, 68 leichten und 16 mittleren (10,4-cm-Kanonen) Falls der Verwendungsfall in eine Zeit fällt, wo die A-Männer noch nicht feldverwendungsfähig sind, verringert sich der verfügbare Stand naturgemäß noch ganz bedeutend. Das Verhältnis zwischen Grenzlänge und Waffenwirkung stellt sich folgend dar  : Die vorhandenen Munitionsvorräte würden überdies auch nicht einmal für e­ inen Großkampftag gegen einen modernen Gegner ausreichen. Die Nacherzeugung braucht eine mindestens mehrwöchige Anlaufzeit, um den Bedürfnissen wenigstens halbwegs zu genügen. Die Folge dieser Verhältnisse könnte sein, dass die verschiedenen Gegner ihren Kampf zum Teil auf österreichischem Gebiet austragen und dieses naturgemäß weitgehend in Mitleidenschaft ziehen, ohne dass wir es verhindern könnten. Haben wir aber ein entsprechend starkes Heer auf Grund der allgemeinen Wehrpflicht mit halbwegs entsprechender Ausrüstung und Munition, dann erscheint die Achtung unserer Neutralität nicht nur bedeutend gesicherter, sondern dann würde Österreich auch in der allgemeinen Weltgeltung ganz bedeutend steigen und demgemäß in allen außenpolitischen Angelegenheiten viel mehr freie Hand haben. Nach der allgemeinen politischen Weltlage besteht keine Aussicht, dass in absehbarer Zeit eine Abrüstungskonvention zustande kommen könnte, auf Grund welcher die heute hochgerüsteten Staaten entsprechend abrüsten oder wenigstens einen gewissen Rüstungsstillstand einhalten würden, während andererseits für die entwaffneten Staaten die militärischen Bestimmungen der Friedensverträge entfallen und sie das Recht erhalten würden, ihre Wehrorganisation entsprechend den Erfordernissen der nationalen Sicherheit (§ 8 der Völkerbundsatzungen) auszubauen. Es ist im Gegenteil zu sehen, dass nahezu alle rüstungsfreien Staaten ganz gewaltig aufrüsten.

Denkschrift über den Ausbau des Bundesheeres

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Aber auch die derzeit entwaffneten Staaten, mit Ausnahme Österreichs, haben schon seit längerer Zeit dieser allgemeinen Aufrüstung auf eigene Faust hin Rechnung getragen. Am weitesten ist hierin Ungarn gegangen, das schon seit vielen Jahren stillschweigend die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt hat und statt der bewilligten 35.000 Mann (einschließlich Offizieren und Unteroffizieren) einen tatsächlichen Friedensstand von mindestens 3.000 Offizieren, 20.000–30.000 längerdienenden Unteroffizieren und Soldaten sowie 30.–40.000 kurzdienenden Mannschaften unterhält. Die bewilligten 7 gemischten und 2 Kavalleriebrigaden sind tatsächlich 7 Infanteriedivisionen und 2 Kavalleriedivisionen  ; jede der 7 Infanteriedivisionen stellt im Kriegsfalle mindestens eine Reservedivision auf. Auch das militärische Flugwesen ist bereits sehr weit ausgebaut, es sind mindestens 300 kriegsbrauchbare Flugzeuge vorhanden. Die gesamte Kriegsstärke kann mit rund einer Million Menschen angenommen werden. BULGARIEN (6 Mill. Einwohner  !) darf laut Friedensvertrag nur ein Freiwilligenheer von 20.000 Mann, dann höchstens 10.000 Mann Gendarmerie- und Forstwache und 3.000 Mann Grenzwache haben. Die Armee sollte im Wesentlichen in 8 verstärke Infanterieregimenter, 3 Kavallerieregimenter und einige Sonderformationen zusammengefasst sein. Tatsächlich ist infolge des „freiwilligen Arbeitsdienstes“ schon seit vielen Jahren die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. An Stelle der 8 Regimentsgruppen bestehen 8 Infanteriedivisionen, Kavalleriebrigaden, auch die Sonderformationen sind viel stärker als erlaubt. Angeblich sollen sogar 4 als „Garnisonskommandos“ getarnte Korpskommandos bestehen. Der Friedensstand der Armee beträgt je nach der Jahreszeit 25.000–50.000 Mann, als Kriegsstand der Feldarmee kann man mindestens 200.000 Mann annehmen. Das militärische Flugwesen ist allerdings noch wenig entwickelt. Auch die Gendarmerie und Grenzwache sind mindestens um die Hälfte stärker als im Friedensvertrag vorgesehen. Als letzter Staat hat auch DEUTSCHLAND, seitdem es offenkundig geworden ist, dass in absehbarer Zeit keine annehmbare Abrüstungskonvention zustande kommen würde, mit der Aufrüstung begonnen, die im großen und ganzen mit Ende des Jahres beendet sein dürfte. Sie beinhaltet im Wesentlichen eine Verdreifachung der bestehenden 7 Infanteriedivisionen, während die Zahl der schon vorhandenen 3 Kavalleriedivisionen nicht vermehrt werden soll.

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Hand in Hand mit dieser Vermehrung geht auch eine weitgehende Ausgestaltung aller Sonderformationen (mittlere und schwere Artillerie, Telegraphen- und Pioniertruppen, etc.) sowie eine großzügige Motorisierung. Ganz besonders ausgestaltet wird das Flugwesen. Genauere Daten hierüber liegen zwar nicht vor, doch kann man ruhig annehmen, dass derzeit schon bestimmt einige Hundert ausgesprochene Kriegsflugzeuge vorhanden sind  ; hiezu kommt noch die große Zahl von Verkehrs- und Sportflugzeugen von denen die meisten entweder ohne oder nach bloß rascher Adaptierung auch für militärische Zwecke verwendbar sind. Es bleibt daher auch Österreich nichts anderes übrig als gestützt auf die bereits im Dezember 1932 erfolgte, wenn auch vorläufig theoretische Anerkennung der militärischen Gleichberechtigung sein Heerwesen entsprechend auszubauen. Als allgemeine Grundlage müssen – schon um etwa nötige internationale Verhandlungen nicht zu erschweren und zu verzögern – je Bestimmungen genommen werden, die im Laufe der Abrüstungsverhandlungen bereits allgemein angenommen wurden, hinsichtlich derer also vom sachlichen Standpunkte aus keine Schwierigkeiten mehr zu erwarten sind. Diese beinhalten im Wesentlichen  : a) allgemeine Wehrpflicht, einjährige aktive Dienstzeit für die Masse  ; b) Friedensstand für Österreich 60.000 Mann, hievon bis zu 10 % Offiziere und bis zu 25 % längerdienende Unteroffiziere und Soldaten  ; c) Wehrhafte Jugenderziehung bleibt jedem Staat freigestellt (wäre bei uns natürlich unbedingt einzuführen)  ; d) Auflösung aller militärähnlichen Formationen außerhalb des Heeres  ; e) Höchstkaliber für bewegliche Geschütze 15 cm, Höchsttonnage für Kampf und Panzerwagen 6 Tonnen  ; f ) Übergangszeit 5 Jahre. Diese Bestimmungen entsprechen im Allgemeinen unseren Bedürfnissen für den beabsichtigten Heeresausbau. Bezüglich der Luftstreitkräfte konnte allerdings noch keine auch nur allgemeine Einigung erzielt werden. Der letzte englische Vorschlag ging dahin, dass den entwaffneten Staaten die Haltung von Luftstreitkräften zwei Jahre nach dem ev. Inkrafttreten einer Abrüstungskonvention gestattet sein würde, falls bis dahin eine allgemeine Abschaffung der Militärluftfahrt erfolgt sein sollte. Diesbezüglich werden ev. Sonderverhandlungen notwendig sein, da auf defensive Luftstreitkräfte (AufklärungsJagdflugzeuge) naturgemäß nicht verzichtet werden kann, während auf offensive Luftstreitkräfte (Bombenflieger) überhaupt niemals ein Anspruch erhoben wurde.

Dokumentation des Österreichischen Staatsarchivs/Kriegsarchivs

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Im Bundesministerium für Landesverteidigung wurde unter Zugrundelegung der allgemeinen Bestimmungen bereits ein organisatorischer Plan für den Ausbaue des Bundesheeres ausgearbeitet, der die Erweiterung der Kraftfahrjägerbataillone und einer motorisierten Brigade und der Schwadronen zu einer Kavalleriebrigade bei Neuaufstellung der nötigen Sonderformationen und Hilfswaffen vorsieht. Ebenso soll der Luftschutz auf rein defensiver Grundlage entsprechend ausgebaut und schließlich ein bescheidenes Maß an mittlerer Artillerie und Kampffahrzeugen angeschafft werden. Es ist klar, dass der Übergang auf diese neue Heeresorganisation einen einmaligen größeren Sonderkredit zur Anschaffung der nötigen Bekleidung, Bewaffnung und Ausrüstung sowie Schaffung der notwendigen Unterkünfte erfordert, der ganz grob mit 280 Mill. S berechnet wurde, jedoch entsprechend der fünfjährigen Übergangszeit verteilt werden kann. Ebenso wird das normale Heeresbudget nach erfolgtem Ausbau entsprechend größer sein müssen als bisher und dürfte jährlich etwa 180 Mill. S betragen. Wenn diese Summen auch für unsere bescheidenen Verhältnisse auf den ersten Blick als sehr groß erscheinen mögen, so darf andererseits nicht vergessen werden, dass der größte Teil dieses Geldes wieder in den verschiedensten Formen der Volkswirtschaft zugutekommt und dass auch die Ausgaben für die Arbeitslosenunterstützung von Jahr zu Jahr kleiner werden würden. Gemessen an dem, was andere Staaten für militärische Zwecke verwenden, z. B. Polen und die Türkei 35–40 %, die Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien, Italien etc. 25–30 % der Gesamtausgaben, sind diese Summen immer noch sehr bescheiden. Nicht vergessen darf schließlich der große moralische Vorteil, der mit der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht verbunden wäre und zweifellos auch wesentlich zur inneren Befriedung beitragen würde. Letzten Endes würde eine Heeresvermehrung es auch ermöglichen, eine größere Anzahl von geeigneten Angehörigen der freiwilligen Wehrverbände in das Heer zu übernehmen und dadurch zu versorgen. Wien am 2. Oktober 1934. [Keine Unterschrift  ; dem Briefkopf nach  : GdI. Wilhelm Zehner] II Dokumentation des Österreichischen Staatsarchivs/Kriegsarchivs an Abschriften von Korrespondenzen, die von FML a. D. Alfred Jansa übergeben worden sind. KA, NLS, sign. B/655, Nr. 7  : Österreichisch-deutsches Militärabkommen von 1938  ? (KA. Zl. 1642/1953)

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1. Brief des Hermann Lutz, The Hoover Institute and Library, Stanford, 13. 2. 1953 an FML a. D. Jansa über die Österreichische Botschaft in Washington, 2 Seiten Maschinschrift (hier  : Auszug aus der Abschrift des Kriegsarchivs). … Der ehemalige Bundeskanzler Herr Dr. Kurt v. Schuschnigg, 424 West Essex Ave., Kirkwood, Mo. Hat mir nahegelegt, Ihre Ansicht in folgender Sache zu erbitten  : In ihrem Vorwort zu Dr. Schuschniggs Buch, My „Austria“, New York 1938, hat Mrs. Thompson geschrieben (hier ins Deutsche übersetzt)  : „Ehe Hitler gegen Österreich vorgehen konnte, musste er sich mit seiner eigenen Armee verständigen … Von Fritzsch und von Blomberg widersetzten sich entschieden einer Invasion Österreichs … Sie erinnerten Hitler daran, dass seit mehr als einem Jahr ein Übereinkommen bestand zwischen dem Generalstabschef des deutschen Heeres und General Jansa, dem Generalstabschef des österreichischen Heeres, wonach für den Fall, dass Deutschland in einen Krieg gegen die Tschechoslowakei verwickelt werden würde, das österreichische Heer einen deutschen Durchmarsch durch österreichisches Gebiet gestatten würde. Als Gegenleistung hatte die deutsche Armee dem General Jansa garantiert, dass sie die österreichische Unabhängigkeit achten werde. General Fritzsch wurde daher von Hitler aufgefordert, sein Ehrenwort zu brechen, wessen er sich weigerte. Darum wurden Fritsch und Blomberg und mindestens siebzehn anderer Generale, aus dem deutschen Heer ausgemerzt …“ (S. xvi–xvii) (Mrs. Thompson, angesehene Journalistin, könne dazu keine Quellen angeben. Auch Mr. Harold Nicolson, der 1939 Memoiren schrieb, konnte für folgende Passage keine Belege angeben  :) „Die Verhaftung von Dr. Tavs und die Beschlagnahme dieses kompromittierenden Dokuments warfen den deutschen Plan über den Haufen. Es ergab sich eine weitere Schwierigkeit. General von Fritsch erklärt dem Führer rund heraus, er werde das deutsche Heer nicht für solche Zwecke einsetzen lassen.“ Ich habe die Frage einer etwaigen militärischen Abmachung, wie von Mrs. Th. behauptete, Herrn Dr. K. von Schuschnigg unterbreitet, der mir unterm 5. Februar Folgendes geschrieben hat  : Eine solche Abmachung habe seines Wissens nie existiert  ; ja, sie sei ganz und gar unmöglich gewesen. Dagegen habe man von den führenden deutschen Militärs starke Unterstützung gegen Hitlers aggressive Pläne erwartet, hauptsächlich von Seiten v. Fritsch, Beck und v. Hammerstein. Blomberg habe man nicht getraut, auch von Reichenau nicht. Die Generale Thomas und Halder seien damals kaum bekannt gewesen. Fritsch und Beck hätten eine Invasion Österreichs als überaus riskant empfunden im bestimmten Gefühl, dass die auswärtigen Mächte eingreifen würden …

Dokumentation des Österreichischen Staatsarchivs/Kriegsarchivs

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2. Maschinschriftliche Abschrift des Antwortschreibens des FML a. D. Jansa., 2 Seiten. Herrn Hermann Lutz The Hoover Institute and Library Cubicule 217 Stanford California, USA Sehr geehrter Herr Lutz  ! Auf Ihre geschätzte Anfrage vom 13. Februar d. J., die ich am 13. März erhalten habe, beehre ich mich mitzuteilen  : Mrs. Dorothy Thompsons Vorwort zu Dr. Schuschniggs Buch „My Austria“ New York 1938, ist in dem mich betreffenden, mir von Ihnen in deutscher Übersetzung zur Kenntnis gebrachten Teile unrichtig  : ein solches Übereinkommen wurde von mir nie erwogen, nie besprochen und hat nie bestanden. Zur Erklärung dieser absoluten Negation diene Folgendes  : Ich kam Mitte Juli 1933 als Militärattaché nach Berlin, wo ich bis Ende Juni 1935 verblieb. Der mir von dem später schamlos ermordeten Bundeskanzler Dr. Dollfuß in Wien, vor meinem Dienstantritt, mündlich und persönlich erteilte Auftrag lautete wörtlich  : „Bitte helfen sie unserem Gesandten, mit Deutschland ein vernünftiges Verhältnis herzustellen.“ Ich habe im Sinne dieses Auftrages durch zwei Jahre immer wieder versucht, maßgebliche Generale zur Einflussnahme auf Hitler zu bewegen. Der Chef des Wehrmachtsamtes, Generalmajor von Reichenau, war der einzige deutsche General, mit dem ich die stetige Aggression Hitlers gegen Österreich ab und zu besprechen konnte und bei dem ich den Eindruck gewann, dass er diese Aussprachen in irgendeiner Form an Hitler heranbrachte. Aber auch er sagte mir, dass jede Erwähnung der Politik von Hitler kurz mit der Bemerkung, er liebe keine politischen Generale, abgetan werde. Alle anderen Generale versagten sich einer solchen Aussprache, in den äußerst seltenen Fällen, in denen ich sie überhaupt sprechen konnte. Denn nach Mitteilung des den Verkehr mit den Militärattachés regelnden Majors Rössing, war von den militärischen Stellen die Behandlung der Militärattachés genau dem politischen Verhältnis Deutschlands zu ihren Staaten anzupassen. Litauen und Österreich waren zu meiner Zeit die beiden am schlechtesten behandelten Staaten, weshalb deren Militärattachés Vorsprachen bei maßgeblichen deutschen Generalen fast regelmäßig versagt wurden.

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Auch der private gesellige Verkehr wurde deutscherseits auf das unvermeidliche Minimum beschränkt. Nur nach der Ermordung unseres Bundeskanzlers Dr. Dollfuß gelang es mir einmal, zum Chef der Heeresleitung, General der Artillerie Baron Fritsch, zu kommen. Ich wurde von diesem in Gegenwart seines Adjutanten empfangen. Als ich im Laufe des Gespräches, unter Hinweis auf unsere Kameradschaft aus dem Ersten Weltkrieg, an Baron Fritsch die Bitte richtete, Einfluss auf Hitler zu nehmen, damit zwischen Deutschland und Österreich ein leidliches nachbarschaftliches Verhältnis wiederhergestellt werde, fasste Fritsch mit beiden Händen meine Arme und sagte  : „Ich bitte Sie sehr, lieber Herr von Jansa, lassen wir alle Politik weg.“ Damit war natürlich meine Vorsprache beendet. Nach meiner Ernennung zum Chef des Generalstabes der bewaffneten Macht Österreichs traf ich im Herbst 1935 in Budapest, als Gast bei den ungarischen Manövern, unter anderen auch meinen deutschen Kollegen, General der Artillerie Beck. Gründend auf meinen vorherigen Besuch in Italien, kam mir mein italienischer Kollege General Pariani mit besonders freundschaftlicher Aufmerksamkeit entgegen und lud mich immer ein, mit ihm gemeinsam in seinem Wagen zu fahren. Daraufhin bat mich der außerordentlich feinfühlige und taktvolle General der Artillerie Beck, nach Abschluss der Manöver zu dem uns Gästen gegebenen Abschiedsessen mit ihm zu fahren. Ich benützte diese etwa zehn Minuten während der Fahrt von der Margaretheninsel zum Hotel Gellert – die mich seit Jahren zum ersten Mal mit GdA. Beck ohne Zeugen ins Gespräch brachte – zu einem Appell, an der Herstellung eines vernünftigen Verhältnisses zwischen Deutschland und Österreich mitzuhelfen, um ein Unglück zu verhindern. Als Beck dazu schwieg, sagte ich ihm in unverblümter Weise, dass ich als Chef des Generalstabes alles tun werde, jedem von Deutschland etwa versuchten Gewaltakt mit vollem Einsatz der ganzen österreichischen Wehrmacht zu begegnen. Beck erwiderte mir darauf resigniert  : „Ich kann Sie sehr gut begreifen, Herr General.“ Das Vorstehende sind alle Tatsachen, die ich zu Ihrer Anfrage geben kann. Generalleutnant Muff in Wien habe ich ablehnend behandelt, weil seine den gebotenen Takt eines Militärattachés verletzende Agitation für den Nationalsozialismus mir widerlich war. Irgendeine Zusicherung im Sinne Ihrer Anfrage habe ich von General Muff weder verlangt noch erhalten. Mit der Ermächtigung, von diesem Brief jeden Ihnen für Ihre geschichtlichen Forschungsarbeiten dienlichen Gebrauch zu machen, bin ich mit dem Ausdrucke meiner Hochachtung. Ihr sehr ergebener Jansa e.h. FML

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An das Bundeskanzleramt Auswärtige Angelegenheiten Wien Ich bitte ergebenst, den zuliegenden Brief im Wege unserer Botschaft in Washington an den Adressaten, Herrn Hermann, Lutz gelangen zu lassen. Er enthält meine Antwort auf seine Anfrage über ein etwaiges Übereinkommen zwischen mir und dem gefallenen GdA. Fritsch. Die vom Fragesteller mitgesendeten Postwertzeichen lege ich bei. Für die richtige Abschrift  : 5.5.1953 Aigner. Bezug  : KA. Zl.1642/53. 3. Dankschreiben des Hermann Lutz an FML a.D. Jansa direkt, 8.4.1953. Auszug aus der Maschinschrift von 1 Seite  : … wird … in Abschrift der Hoover Library einverleibt … Ich werde auch Herrn Dr. Kurt von Schuschnigg eine Abschrift zustellen … Generalmajor von Reichenau hatte wohl das Ohr Hitlers. Andererseits war gerade er ein Verehrer Hitlers. 1940 soll er sehr ernüchtert gewesen sein … 4. NLS, sign. B/655, Nr. 10  : Dokumentation zur Situation des Österreichischen Bundesheeres Ende 1937. a) „Reservedurchschlag“ eines Aktenstücks mit dem Betreff  : „Nazi-Zersetzungsversuche im Bundesheer“, Ablichtung eines „Reservedurchschlags“, Hinterlegt in der Registratur des Chefs des Generalstabes in der Sektion 3 des Bundesministeriums für Landesverteidigung, datiert und eh. unterfertigt  : Jansa, 21. Dezember 1937, Maschinschrift  : Der Chef des Generalstabes für die bewaffnete Macht Zl. 115 – ChdGstb/37 Betreff  : Nazi-Zersetzungsversuche im Bundesheere – Antrag auf Aussprache mit der deutschen Heeresleitung. Referat für den Herrn Staatssekretär. Wenn auch an der Zuverlässigkeit der großen Masse des Heeres kein Zweifel gehegt werden darf, so haben frühere Vorkommnisse in Graz und die bisherigen Untersuchungsergebnisse in den Wiener Kasernen doch die Existenz nationalsozialistischer Zellen im Heere erwiesen. Aus verschiedenen konfidentiellen Nachrichten lässt sich – ohne strikte Beweismöglichkeit – doch die Annahme stellen, dass es sich um eine planmäßige, vom Braunen Haus geleitete Arbeit handelt, mit dem Ziele, das Heer als entscheidenden Faktor der Unabhängigkeit Österreichs früher oder später lahmzulegen. Ich kann und will nicht glauben, dass diesem teuflischen Unternehmen seitens der deutschen obersten Heeresleitung Zustimmung oder Unterstützung gewährt würde,

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denn das gerade jetzt erschienene Buch „Dreimal Österreich“ unseres Bundeskanzlers zeigt für jeden klar Denkenden – und klar denkend war der deutsche Generalstab immer – neuerlich unzweifelhaft die deutsche Richtung der österreichischen Politik auf. Das deutsche Heer kann also sicher sein, dass Österreichs Wehrkraft in entscheidender Stunde nie gegen Deutschland stehen wird  ; ausgenommen natürlich in dem einzigen Falle, wenn Deutschland Österreich mit der Waffe angreifen würde, was die deutsche Heeresleitung bisher wohl verhütet hat und hoffentlich auch weiterhin verhüten wird. Unter solchen Umständen muss die deutsche Heeresleitung an einer militärisch starken und namentlich moralisch konsolidierten und disziplinierten österreichischen Armee das größte Interesse haben. Ich habe das alles vorausgeschickt, weil ich glaube, dass es ungeheuer wichtig ist, alle Mittel einzusetzen, um die moralische Unversehrtheit des Bundesheeres zuverlässig zu erhalten. Außer den Mitteln der inneren Disziplin und Gegenpropaganda erscheint mir eine schon lange erwogene Möglichkeit nach Erscheinen des Kanzlerbuches zeitgemäß geworden, das ist die Weckung des Interesses der deutschen Heeresleitung für das infame Vorgehen der NSDAP gegen das österreichische Heer. Ich habe aus den Erfahrungen meiner Berliner Tätigkeit Grund zur Annahme, dass einerseits die deutsche Heeresleitung dieses Vorgehen des Nationalsozialismus nicht billigen kann und andererseits – in richtiger Form angeregt – heute schon genügend Macht und Einfluss hat, um diesen nationalsozialistischen Quertreibereien durch Druck auf die Partei den Boden zu entziehen. Die Weckung des Interesses der deutschen Heeresleitung könnte, unter Ausnützung der im Buche „Dreimal Österreich“ gedruckten Beweise deutschen Denkens und Fühlens in Österreich, etwa in nachstehender Gedankenreihe erfolgen  : Eine militärisch enge Fühlungnahme zwischen Österreich und Deutschland, wie sie vor der Machtergreifung des Nationalsozialismus in Deutschland viele Dezennien hindurch bestanden hat, läge auch jetzt im gemeinsamen Interesse. Eine solche Fühlungnahme könnte eine wesentliche Erleichterung des leider noch immer bestehenden politischen Spannungszustandes bedeuten. Eine der Voraussetzungen für so eine Fühlungnahme ist aber gegenseitiges Vertrauen. Zu diesem Vertrauen kann Österreich alles beitragen  ; dies darum, weil Österreich politisch und militärisch nachweisbar bei Wahrung und Sicherung seiner Unabhängigkeit in keinem Belange die Grenze überschritten und nur ein freundschaftliches Verhältnis zu Italien und Ungarn hat, also zu zwei Staaten, mit denen Deutschland nunmehr inniger verbunden ist als Österreich.

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Die Kontinuität und makellose Ehrenhaftigkeit der österreichischen politischen Führung sichert diesen Zustand im Sinne des Abkommens vom 11. Juli 1936 auch für die Zukunft. Hingegen haben aber die fortgesetzten Versuche der nationalsozialistischen Partei, das österreichische Heer in einem ungünstigen Sinne zu beeinflussen, die österreichische Heeresleitung pflichtgemäß zur Zurückhaltung gegenüber Deutschland gezwungen. Würde die deutsche Heeresleitung durch ihre Einflussnahme die Zersetzungsbestrebungen der NSDAP im österreichischen Heere nachweislich unterbinden, dann fiele auch für die österreichische Heeresleitung der Grund für ihre dermalige Zurückhaltung weg. Österreich hat durch seine Verteidigungsmaßnahmen, auch gegenüber Deutschland, der deutschen Heeresleitung für solches Handeln das wichtige Argument erbracht, dass eine gewaltsame Unternehmung gegen Österreich kein Spaziergang, sondern ein sehr blutiges nationales Unglück sein würde. Ich halte dafür, dass der von mir aufgezeigte Weg einer Fühlungnahme mit der deutschen Heeresleitung begangen werden sollte. Hierfür könnten in Betracht kommen  : a) ein Besuch des Herrn Staatssekretärs beim Generalfeldmarschall von Blomberg oder b) ein Besuch meinerseits beim deutschen Chef des Generalstabes G. d. Art. Beck  ; ein solcher Besuch müsste natürlich hier in Wien und in Berlin so vorbereitet werden, dass er zu keinen Missdeutungen bei anderen Mächten führen dürfte. Ich halte es für notwendig anzufügen, dass diese Besuche keineswegs etwa nur eine schwächliche Milderung der jetzigen undurchsichtigen Lage bringen, sondern im Gegenteil absolute harte Klarheit schaffen sollen. Ich habe den vorbeschriebenen Gedankengang gelegentlich der Durchsprache des von unserem Außenamte in der Befestigungsfrage verfassten Memorandum gegenüber den bevollmächtigten Gesandten HORNBOSTEL und HOFFINGER erwähnt. Beide haben mich ermuntert, diesen Gedankengang Herrn Staatssekretär mit der Bitte zu unterbreiten, ihn dem Herrn Bundeskanzler vortragen zu wollen. Wien, am 16. Dezember 1937 Jansa FML e.h.

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b) Aktenstück „Pläne gegen die Tschechoslowakei“ Zl. 1117-ChdGstb/1937 Stellungnahme zu Zl. 97088 – 13/37 des Bundeskanzleramtes (Bericht des Gesandten Baar, Zl. 157i/pol. vom 13. XII. 37)  : Der Chef des Generalstabes für die bewaffnete Macht. Der Kern der von mir verlangten Beurteilung betrifft die Frage, ob Österreich mit Deutschland konkrete Abmachungen über seine militärische Mitwirkung bei einem Angriffe auf die Tschechoslowakei treffen soll. Hiezu muss ich zunächst aus meiner Stellungnahme zur vorjährigen Konferenz der Römer-Protokoll-Staaten, Int. Zl. 106-chdGstb/36 wiederholen  : „Dass unsere Außenpolitik das Ziel unabhängiger Entschließungsfreiheit auch für den Fall kriegerischer Ereignisse in Europa festhalten will, ist folgerichtig und auch militärisch bedingt gutzuheißen. Die Frage ist, welche Chancen diese Absicht in der Wirklichkeit hat. Krieg oder Frieden hängen nicht von Österreich ab, und Österreich hat auch nicht die freie Entscheidung darüber, ob es sich aus einem Kriege heraushalten kann  : von drei Staaten umgrenzt, die – zunächst wenigstens – einig durch die diktatorische Staatsauffassung und politische Aktivität eine radikale Lösung der schwebenden politischen Unmöglichkeiten erstreben, wird Österreich nicht Herr freier Entschließung bleiben können, weil das kriegerische Zusammenwirken Deutschlands, Italiens und Ungarns nur über österreichisches Gebiet möglich ist und von diesen Staaten verlangt oder erzwungen werden wird. Dieser realen Lage gegenüber ist der Gedanke an eine absolute Neutralität unwirksam, weil erstens eine Verbriefung österr. Neutralität bei der Gegensätzlichkeit der Mächte unmöglich scheint, zweitens Österreich die hiezu unbedingte Voraussetzung höchster militärischer Schlagfertigkeit fehlt und drittens die Denkungsart des eigenen Volkes den Staat immer zu Deutschland drängen wird  ; auch auf die Gefahr hin, von diesem schließlich aufgesogen zu werden. Daraus geht wohl hervor, dass ich der Auffassung bin, dass wir uns in einem Kriegsfalle zwangsläufig werden entscheiden müssen, ob wir auf die Seite Deutschlands mit Ungarn und Italien oder der Tschechoslowakei mit Frankreich und England treten sollen. Da sich gerade in der letzten Zeit die Nachrichten immer mehr verdichten, dass die Westmächte eine deutsche militärische Aktion in Mitteleuropa als Casus belli betrachten werden und Deutschland – wie ja auch den Mitteilungen des FML Rátz an Gesandten BAAR zu entnehmen ist – in den nächsten 2–3 Jahren noch nicht kriegsfertig ist, so scheint mir Österreich noch nicht gezwungen, zu der aufgerollten Frage des Angriffes auf die Tschechoslowakei abschließend sofort Stellung nehmen zu müssen.

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Unbedingt sollte aber versucht werden, mit den leitenden Kreisen des Reichsheeres ins Gespräch zu kommen  ; denn wenn ich die Mitteilungen des kgl. ung. Chefs des Generalstabes an den Gesandten BAAR auch von ungarischen Wünschen stark gefärbt erachte, so bedeuten sie doch zweifellos eine von Berlin kommende Aufmunterung, die wir umso weniger achtlos übergehen dürfen, als GdA. BECK eine mir bekannte, außerordentlich seriöse, uns durchaus nicht übel wollende Persönlichkeit ist. Es erscheint mir eigenartig, dass ich – ganz unabhängig von dem Bericht des Gesandten BAAR, der mir erst am 20. Dezember bekannt wurde – am 16. XII., also ungefähr zu gleiche Zeit, die Notwendigkeit eines Sprechens mit der deutschen Heeresleitung in dem zuliegenden Referate an den Herrn Staatssekretär, GdI. ZEHNER, Zl. 115-ChdGstb/37, beantragte. Das von mir befürwortete Gespräch mit Deutschland hätte in langsamen Zeitzügen folgende Linie bindend einzuhalten  : 1. Sicherstellung der österr. Bewaffneten Macht gegen die Nazi-Zersetzungsversuche im Sinne der Beilage Zl. 225-ChdGstsb/37. Solange dies nicht erfüllt wird, ist jede weitere Besprechung zwecklos  ; denn es erschiene mir unmöglich, mit den deutschen Soldaten militärische Abmachungen zu treffen, während die deutsche Politik gleichzeitig das Schwergewicht dieser Abmachungen, d.i. das österreichische Heer, zersetzen. Unsere diesbezügliche Erfolgschance beurteile ich nun, nach Bekanntwerden der deutschen Gesprächsermunterung, besser als noch am 16. XII. 2. Nach mehrmonatiger Erprobung der Wirksamkeit der erhofften deutschen militärischen Intervention bei den deutschen Nazi-Zerstörern könnte der deutscherseits gewünschte wechselseitige Austausch einiger Offiziere und die Besprechungen über Rüstungsfragen anfangen. 3. Beginnt sich dieserart eine Atmosphäre des Vertrauens anzubahnen, dann wäre von der theoretischen Erkenntnis ausgehend, dass es für einen kleinen Staat wegen seines kurzen Atems am besten ist, in ein Kriegsgeschehen – wenn überhaupt erst an dessen Ende – einzugreifen, zu versuchen, Deutschland zu überzeugen, dass ihm Österreich in einem wohlwollenden Neutralitätsverhältnisse mehr nützen könnte, als wenn es sich mit seinem ungenügenden Rüstungszustande von Haus aus verausgabe. Gelänge dies nicht, so bliebe noch immer Zeit für konkretere Abmachungen, die ohne deutsche, italienische und ungarische Gegenleistungen nicht zu treffen wären. 4. Eine sofortige militärische Bindung zu einem Angriffe auf die Tschechoslowakei wäre unbedingt abzulehnen. Für Deutschland kann sie der ganzen Lage nach keineswegs so dringend nötig sein und für uns wäre eine solche Bindung Selbstmord an der österr. Idee und dem Unab-

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hängigkeitsgedanken  : Denn eine solche Abmachung wäre in kürzester Zeit bekannt und könnte innen- und außenpolitisch nur als Kapitulation vor dem Nationalsozialismus gedeutet werden. Die ruinösen Folgen einer solchen Erkenntnis auf die Innenund Außenpolitik, die Finanzen, den Handel, die Exportmöglichkeiten, den Reiseverkehr usw. brauche ich wohl nicht besonders zu beschreiben. Ich möchte abschließend ausdrücklich bitten, den Besprechungen vor der Budapester Konferenz pro foro interno beigezogen zu werden, weil zu diesem Thema noch eine Reihe strategischer Momente zu erwähnen ist, deren schriftliche Festlegung mir angesichts der vorgeschrittenen Zeit nicht möglich ist. 21. Dezember 1937 Der Chef des Generalstabes  : Jansa FML e.h. 5. Briefwechsel über ein Buch des Generalfeldmarschalls a. D. v. Manstein. a) Brief Jansas an Manstein in Maschinschrift, Masch. Durchschlag, eh. unterschrieben. Wien am 19. 6. 1959 Feldmarschalleutnant i. R. Alfred Jansa Wien I, Uraniastraße 4 An Herrn Generalfeldmarschall Erich von Manstein Sehr geehrter Herr Generalfeldmarschall  ! Bei Durchsicht Ihres Werkes „Aus einem Soldatenleben“ aus dem Athenäum-Verlag in Bonn bin ich auf Unrichtigkeiten gestoßen, deren Berichtigung mir im Interesse der historischen Forschung notwendig erscheint  : Seite 328, Mittelabsatz  : 1. General Angelis war nicht „Leiter der Theresianischen Militärakademie in Wr. Neustadt“, sondern Lehrer an den höheren Offizierskursen in Wien. 2. „Heeresminister Vaugoin“ war schon 1934 durch den Generalobersten, Fürsten Schönburg-Hartensteinersetzt worden. 1938 war der Bundeskanzler Kurt Schuschnigg selbst auch Bundesminister für Landesverteidigung  ; Staatssekretär in diesem Ministerium war General Wilhelm Zehner. 3. „Der Generalstabschef nach Italien verschwunden“ stimmt nicht. Vom Juli 1935 an war ich Chef des Generalstabes für die Bewaffnete Macht und wurde

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Anfang Januar 1938 von meiner Versetzung in den Ruhestand verständigt. Ich übergab meine Agenden am 16. Februar 1938 und lebte – ohne mich auch nur einen Tag entfernt zu haben – in Wien. Anfang September dieses Jahres wurde ich durch eine von Heydrich gezeichnete Verfügung der Gestapo mit gekürztem Ruhegehalt in Erfurt konfiniert. Mein Nachfolger als Chef des Generalstabes, Feldmarschalleutnant Eugen Beyer, kann auch nicht „nach Italien verschwunden“ sein, da er sogleich nach dem deutschen Einmarsch von Hitler zum Kommandeur des XVIII. Armeekorps in Salzburg bestellt worden war. Er ist inzwischen verstorben. Seite 329, letzter Absatz Die dort angegebene österreichische Heeresgliederung ist unrichtig  : Das österreichische Bundesheer bestand 1938 aus  : 7 Infanteriedivisionen, 1 schnellen Division, und der 8. Gebirgsbrigade in Salzburg, deren Mobilisierung und Aufmarsch gegen die deutsche Invasion in allen Einzelheiten durchgearbeitet war. Die Heeresköper – im Ausbau nach der allgemeinen Dienstpflicht begriffen – waren organisatorisch ebenso noch nicht in allen Teilen komplett, wie es zu dieser Zeit auch die deutschen Divisionen nicht waren. Ich bitte Euer Exzellenz die Richtigstellung in der Ihnen geeignet erscheinenden Art gütig veranlassen zu wollen und hinterlege eine Gleichschrift dieses Briefes im österreichischen Kriegsarchiv in Wien. Mit dem Ausdrucke meiner vorzüglichen Hochachtung zeichne ich als Herrn Generalfeldmarschall ergebener Jansa FML (e.h.) b) Brief Jansas an das Kriegsarchiv mit der Bitte um amtliche Hinterlegung und mit der Bitte, im Buchexemplar „für Leser auffällig vermerken zu wollen, dass ich zu den unrichtigen Angaben auf den Seiten 328 und 329 die Berichtigung verlangt habe“, Wien, am 16.6.1959 c) Brief an den Verlag Athenäum mit der Bitte das beiliegende Schreiben an Manstein weiterleiten zu wollen, Wien, am 16.6.1959. d) Brief des Kriegsarchivs an Jansa, dass dem Wunsch entsprochen wurde, gez. Dr. Kraus, Oberstaatsarchivar, Wien, am 25.6.1959. e) Brief v. Mansteins an Jansa in Maschinschrift, Irschenhausen/Isartal, 29.6.1959 mit dem eh. Vermerk Jansas, eingelangt am 29.6.1959, 2.7.59. Irschenhausen/Isartal den 29. 6. 59 Feldmarschall v. Manstein

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Sehr geehrter Herr Feldmarschallleutnant [sic  !] Ich bestätige dankend den Eingang Ihres Schreibens vom 16. d. M. Ich werde bei einer Neuauflage meines Buches die entspr. Berichtigung vornehmen. Was den „nach Italien verschwundenen“ (vor kurzem entlassenen) Generalstabschef angeht, so bezieht sich diese Bemerkung natürlich nicht auf Herrn General Beyer, sondern auf Ihre Person. Diese Angaben erhielten wir s. Zt. entweder von den österreichischen Kameraden oder von unserem damaligen Militärattaché, General Muff. Wir hatten keinen Anlass, diese Angabe zu bezweifeln, da uns Ihre, dem Reich gegenüber feindliche Einstellung bekannt war. Wie gesagt, wird die entspr. Bemerkung bei einer Neuauflage berichtigt werden. Was die damalige Stärke des österreichischen Bundesheeres betrifft, so nehme ich dankbar zur Kenntnis, dass noch eine Gebirgsbrigade bestand. Nach meiner Erinnerung bestand aber das Bundesheer aus Brigaden und nicht aus Divisionen, die wohl erst geplant waren. Jedenfalls hatten diese Verbände damals nur die Stärke von Brigaden. Die Schnelle Division war erst in Anfängen vorhanden.818 Dass ich den Einmarsch unserer Truppen, die von der Bevölkerung mit Jubel empfangen wurden, nicht als „Invasion“ ansehen kann, werden Sie, Herr Feldmarschalleutnant, wohl verstehen. Mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung bin ich Ihr ergebener v. Manstein f ) Schreiben Jansas an v. Manstein in Maschinschrift, Wien, am 7. Juli 1959. Feldmarschalleutnant Alfred Jansa Wien 1, Uraniastraße 4

Wien, am 7. Juli 1959

Sehr geehrter Herr Generalfeldmarschall  ! Ich danke verbindlichst für Ihren Brief vom 29. Juni d. J. Es tut mir leid, sie nochmals mit einem Schreiben beschweren zu müssen  ; da Sie aber meinen Angaben über die österreichische Heeresgliederung keinen Glauben schenken wollen, muss ich diese dokumentarisch stützen. Das österr. Bundesministerium für Heerwesen (ab 1935 Bundesministerium für Landesverteidigung) gab jährlich den „Schematismus“ für das Österreichische Bun818 Ab „Nach“ bis Ende des Absatzes am Rande von Jansa eigenhändig angestrichen mit dem Vermerk  : „Siehe meinen Brief vom 7.7.59“.

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desheer und die Bundesheerverwaltung heraus, der neben der Rangliste der Offiziere, Berufsunteroffiziere und Beamten die vollständige Friedensgliederung des Heeres auswies. Das Buch war in Druck und Verlag in der österreichischen Staatsdruckerei, in Wien frei verkäuflich, erschienen. Ich konnte die Sperrung dieses Elaborates erst im Laufe des Jahres 1937 durchsetzen. Der Schematismus des Jahres 1934 weist letztmalig das Heer in Brigaden gegliedert aus. Für 1935 erschien wegen der begonnenen Neuaufstellung und Umgruppierung an Stelle des „Schematismus“ bloß der „Dienstrang“ der Offiziere, Berufsunteroffiziere und Beamten. Der „Schematismus“ für 1936, abgeschlossen am 1. März 1936, mit Verordnungsblatt 2/1936, bringt erstmalig die Gliederung in 7 Divisionen, 1 schnelle Division, 1 selbständiges Artillerieregiment, das Kommando der Luftstreitkräfte, die Heerespionierabteilung und die Heerestelegraphenabteilung. Der (letzte) vollständige „Schematismus“ erschien für das Jahr 1937, abgeschlossen mit 1. April 1937, P.V.Bl. 5l/l37. Dieser weist folgende Friedensgliederung aus  : 1. Division  : Inf. Rgt. Nr. 1/zwei Baone Inf. Rgt. Nr. 2/zwei Baone (ein drittes Baon in Saalfelden) 2. Division  : Inf. Rgt. Nr. 3/drei Baone Inf. Rgt. Nr. 4/zwei Baone (das dritte in Landeck) Inf. Rgt. Nr. 15/drei Baone Gardebataillon Leichtes Artillerieregiment Nr.2/3 Abt. zu 3 Bat. Pionierbataillon 2, Telegraphenbaon, Kraftfahrabt. 3. Division  : Inf. Rgt. Nr. 5/drei Baone (Anmerkung  : 1937 begann die Aufstellung eines Infanteriergt. Nr.2) Leichtes Artillerieregiment Nr. 3 Pionierbaon 3 Telegr.Baon3, Kraftfahrabt. 3 4. Division  : Alpenjäger Rgt. Nr.8/vier Baone (Anmerkung  : bis Ende 1937 war das Inf. 17/zwei Baone aufgestellt)

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Leichtes Artilleriergt. Nr. 4/Bat. drei Abt. je 3 Bat. Pionierrgt. 4 Telegr. Baon 4 , Kraftfahrabt. 4 5. Division  : Alpenjäger Rgt. Nr. 9/drei Baone Alpenjäger Rgt. Nr. 10/drei Baone Alpenjägerrgt. 11/zwei Baone Leichtes Artillerieregiment Nr.5, drei Abt. je drei Bat. Pionier Bat.5, Telegr. Baon 5, Kraftfahrabt. 5 6. Division  : Tiroler Jägerrgt./drei Baone Landesschützen Rgt./zwei Baone InfanterieBaon III/4 zwei Baone AlpenjägerBaon Nr.4 Leichtes Artillerieregiment Nr.6/drei Abt, je drei Baone TelegrBaon 6, Kraftf. Abt.6 (Pionierbat.6 in Aufstellung) 7. Division  : Inf. Rgt. Nr. 7/drei Baone (Anmerkung  : geplant, aber noch nicht zur Aufstellung) Leichtes Artillerieregiment Nr. 7/drei Abt. je drei Batterien … Pionierbataillon Nr. 7, Telegr. Baon.7, Kraftfahrabt. 7 8. Gebirgsbrigade  : Inf. Rgt. Nr.12/drei Baone Inf. Baon Nr.III/2 (Saalfelden) Leichtes Artillerieregiment Nr.8 zu 2 Abt., je 2 Bat. Pionierbataillon Nr.8 Schnelle Division  : Kraftfahr-Jägerbataillon Nr. 1, 2, 3 und 4 Dragoner Regimenter Nr. 1 und 2/je 3 Reiter u. 1 MG Schwadron Panzerwagenbataillon Nr. 1 (Kdo., eine Straßenpanzer-, 4 Kampfwagen, 1 Hilfskompanie) Leichtes Artillerieregiment Nr.9/zwei Abt. zu je 2 Batt, voll verkraftet. Luftstreitkräfte  : Fliegerregiment Nr. 1  : (ein Bombengeschwader zu 3 Bomber.

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Fliegerregiment Nr.2  : Luftschutztruppe  :

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Ein Aufklärungsgeschwader zu 3 Staffeln mit je 12 Jägern ein Aufklärungsgeschwader/18 Flugz. eine Schulstaffel) (ein Jagdgeschwader zu drei Staffeln je 12 Jäger, ein Schulgeschwader mit 100 Schulflugzeugen) (32 Stück 4.7 cm Bofors Flak neu, 8 Stück 8 cm Flak Geschütze)

Heeresunmittelbar  : Selbständiges Artillerieregiment  : 2. Abt- je drei Batterien zu je 4 Stuck 15 cm Bofors Haubitzen

Die schnelle Division war erstmals 1932 formiert worden und hat sich bewährt. Eine Vergrößerung derselben plante ich nicht. Alle verfügbarsten finanziellen Mittel wollte ich für eine starke mittlere Artillerie (15 cm Bofors-Haubitze) und Munition einsetzen. Im Jahre 1937 wurden die bei den Infanterieregimentern befindlichen 4.7 cm Panzerabwehr Kanone, der einheitlichen Ausbildung wegen, in neue Division-Infanteriekanonenabteilungen zu je 12 Geschützen zusammengefasst. Das Geschütz war Eigenerzeugung der Staatsfabrik, durchschoss jeden damals bekannten Panzer. Es wurde auch der Schweiz geliefert. P.S. Die Friedensstände der Unterabteilungen betrugen, so wie in der k. u. k. Armee, je nach Garnison 97 bis 120 Männer (e.h.) Mit dem Ausdruck der vorzüglichen Hochachtung bleibe ich Herrn Generalfeldmarschall ergebener Jansa FML (e.h.) g) Brief v. Mansteins an Jansa, Maschinschrift, 9.7.1959 Irschenhausen/Isartal, den 9. 7. 59 Feldmarschall v. Manstein819 Max-Rüttger-Straße 23 Sehr geehrter Herr General  ! Ich danke Ihnen vielmals für die Übersendung der eingehenden Zusammenstellung über die Stärke und Gliederung des Bundesheeres. Bei einer Neuauflage meines Buches werde ich eine entspr. Richtigstellung veranlassen. Mein Irrtum, dass das 819 Jansa eigenhändig  : Eingel. 6.7.59 Ja

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Bundesheer aus Brigaden bestanden hätte, rührt wohl daher, dass die Divisionen bei geringerer Bataillonszahl und wesentlich geringerer Stärke820 der Kompanien (rein kraftmäßig gesehen) gewertet worden sind. Tatsächlich waren sie ja auch schwächer als die reichsdeutschen Divisionen.821 Jedenfalls bin ich sehr dankbar, dass Sie sich der Mühe unterzogen haben, den Irrtum so eingehend zu berichtigen. Mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung verbleibe ich Ihr sehr ergebener v. Manstein (e.h.)822

820 Jansa eigenhändig  : Im Friedensstand natürlich. 821 Jansa eigenhändig  : Diese waren auf Kriegsstärke. 822 In dem Werk  : Rüdiger v. Manstein/Theodor Fuchs, Manstein. Soldat im 20. Jahrhundert. Militärischpolitische Nachlese, München 1981, das eine Neuausgabe des Werkes  : Erich v. Manstein, Aus einem Soldatenleben 1987–1939, Offenburg/Baden/Bonn 1981, enthält, ist die von Jansa kritisierte Aussage nicht mehr enthalten.

Abkürzungsverzeichnis IIa Ia/op Ib Ic IIa Abt./Abtlg. a. D. Adj. AdR. AK AKdo. Anm. ao. AOK ArtBrig. ArtKSch. AR Artrgt. AVA AZ BA/MA Baon Batt.Div. BKA BMfHw. BMfLv. böhm. bosn.-hzgow. Brig. BrigKdo.

1. Generalstabsoffizier eines höheren Kommandos, Leiter der Führungsabteilung (dt.) Generalstabsoffizier eines höheren Kommandos, zuständig für den taktischen Einsatz seines Verbandes (dt.) 2. Generalstabsoffizier eines höheren Kommandos, Leiter der Versorgungsabteilung bzw. Quartiermeisterabteilung (dt.) 3. Generalstabsoffizier eines höheren Kommandos, (Division aufwärts), Nachrichtenoffizier („Feindbild“), zuständig für die eigene militärische Sicherheit Adjutant Abteilung außer Dienst Adjutant Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik Armeekorps Armeekommando Anmerkung außerordentlich Armeeoberkommando Artilleriebrigade Artilleriekadettenschule Artillerieregiment Artillerieregiment Österreichisches Staatsarchiv/Allgemeines Verwaltungsarchiv Arbeiter-Zeitung Bundesarchiv/Militärarchiv (dt.), in Freiburg im Breisgau Bataillon Batterie-Division Bundeskanzleramt (öst.) Bundesministerium für Heerwesen Bundesministerium für Landesverteidigung böhmisch bosnisch-herzegowinisch Brigade Brigadekommando

762 bulg. chrstl. soz. DAR d. A. d. G. d. I. d. K. DÖW DOHL DR d. R. dö. dt. nat. d. Res. EF Edl. v. Ezhg. EK I EK II EKO Exz. FABrig. FAR FAZ FHB Fhr. FKR FM FML Frh. FAR. FzKdo. FZM GBrig./GebBrig. GebArtBrig. GdI. GdK. Gefr.

Abkürzungsverzeichnis

bulgarisch christlichsozial k. u. k. Divisionsartillerieregiment der Artillerie (dt.) des Generalstabskorps (öst.-ung.) der Infanterie der Kavallerie Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes Deutsche Oberste Heeresleitung Dragonerregiment der Ruhe (dt.) deutsch-österreichisch deutschnational der Reserve Einjährig-Freiwilliger Edler von Erzherzog Eisernes Kreuz I. Klasse Eisernes Kreuz II. Klasse Orden der Eisernen Krone Exzellenz Feldartilleriebrigade Feldartillerieregiment Frankfurter Allgemeine Zeitung k. u. k. Feldhaubitzenbataillon Fähnrich k. u. k. Feldkanonenregiment k. u. k. Feldmarschall Feldmarschallleutnant Freiherr Festungsartillerieregiment Feldzeugkommando Feldzeugmeister Gebirgsbrigade der k. k. Landwehr Gebirgsartilleriebrigade General der Infanterie (eingeführt 15.11.1908) General der Kavallerie Gefreiter

Abkürzungsverzeichnis

Geh. Rat Gen. Gend.Kdo. Genieakad. Geniergt. Genlt. GenMjr. GenObst./GO Gestapo GFM Gen./Gl. Glaise-Broucek I Glstb. GLt. GM HGrpKdo. HIBrig. HIR HITD HJ HKTD Hptm. HR HW IBrig. ID i. d. Res. i. G. IKSch. IR i. R. ital. ITD Jg. KA KAR

763 Geheimer Rat General Gendarmeriekommando Genieakademie Genieregiment Generalleutnant Generalmajor (dt.) Generaloberst Geheime Staatspolizei Generalfeldmarschall (dt.) General Edmund Glaise-Horstenau, Ein General im Zwielicht, bzw. II bzw. III hg. v. Peter Broucek, I. Band bzw. II. Band bzw. III. Band Generalstab Generalleutnant (deutsche Armee), derzeit (auch) Bundesheer Generalmajor Heeresgruppenkommando Honvéd-Infanteriebrigade Honvéd-Infanterie-Regiment Honvéd-Infanterietruppendivision Hitler-Jugend Honvéd-Kavallerie-Truppendivision Hauptmann Husarenregiment Heimwehr (öst.) (meist selbstständige) Infanterie-Brigade Infanteriedivision in der Reserve (öst.-ung.) im Generalstabskorps Infanterie-Kadettenschule Infanterieregiment in Ruhe italienisch Infanterie-Truppendivision (ab 1916 in Ö.-U.: Infanteriedivision) Jäger Österreichisches Staatsarchiv, Abteilung Kriegsarchiv Korps-Artillerieregiment

764 Kav. Kbrig. KD Kdi.Gen. Kdo. Kdr. Kdt. Kgf. k. k./k. u. k. KKdo. KKSch. KM

Abkürzungsverzeichnis

Kavallerie Kavalleriebrigade Kavalleriedivision Kommandierender General Kommando Kommandeur (dt.Armee) Kommandant Kriegsgefangener (?) kaiserlich königlich Korpskommando Kavallerie-Kadettenschule Kriegsministerium, (bis 1911 in Ö.-U.: Reichskriegsministerium) Kadett-Offiziersstellvertreter KOffzStellv. Korpsartillerieregiment Korpsartrgt. Korporal Kpl. Kaiserschützen-Regiment KSchR. kroatisch kroat. Kavallerie-Truppendivision KTD Konzentrationslager KZ königlich ungarisch k. u. Landwehr-Infanterieregiment LIR Landwehr-Infanterietruppendivision LITD Leutnant Lt. Marineak./Marineakad. Marineakademie Militärgeschichtliche Mitteilungen (dt.) MGM Theresianische Militärakademie in Wiener Neustadt Milak./Milakad. Militärkommando Milkdo. Minister(ium) Min. Mjr. Major MMTO Militär-Maria-Theresien-Orden Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs MÖSTA Nationalsozialistisch nat.soz./ns. Öst. Staatsarchiv/Kriegsarchiv, Nachlässe und Sammlungen NLS Niederösterreich NÖ Neue Österreichische Biographie NÖB Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSDAP Nationalsozalistischer Soldatenring NSR

765

Abkürzungsverzeichnis

NZZ Oblt./Olt. Obst. Obstlt. ÖBH ÖBL Offz. ÖiGuL. ÖMZ ÖSTA österr./öst./ö. ö.-u. OKH OKW Olt. OÖ OpA. OpB. PiBaon/PiB. poln. Präs. provis. PzDiv. QuA., Qu.Abtlg. R. v. Rgt. Rgtskdr. Rgtskdt. Rtm. RSHA russ. SA sAR. SchBrig. SchD. SchR. SD serb.

Neue Zürcher Zeitung Oberleutnant Oberst Oberstleutnant Österreichisches Bundesheer (?) Österreichisches Biographisches Lexikon Offizier Österreich in Geschichte und Literatur Österreichische Militärische Zeitschrift Österreichisches Staatsarchiv (in Wien) österreichisch österreichisch-ungarisch Oberkommando des Heeres Oberkommando der Wehrmacht Oberleutnant Oberösterreich Operationsabteilung Operationsbüro Pionierbataillon polnisch Präsident Provisorisch Panzerdivision Quartiermeisterabteilung Ritter von Regiment Regimentskommandeur Regimentskommandant Rittmeister Reichssicherheitshauptamt russisch Sturmabteilung Schweres Artillerieregiment Schützenbrigade Schützendivision k. k. Schützenregiment Sicherheitsdienst der SS serbisch

766 SS Stmk. StfHw. StS. Stufko. TA Techn. Milak. Theres. Milak TKJR TMA tsch. ung. Univ. UR UstS. VF z. D. Zeynek-Broucek z. V.

Abkürzungsverzeichnis

Schutzstaffel Steiermark Staatsamt für Heerwesen Staatssekretär Studentenfreikorps Truppenamt (?) Technische Militärakademie Theresianische Militärakademie Tiroler Kaiserjägerregiment Technische Militärakademie, 1918 in Mödling tschechisch ungarisch Universität Ulanenregiment Unterstaatssekretär Vaterländische Front zur Disposition Theodor Ritter von Zeynek : Ein Offizier im Generalstabskorps erinnert sich, eingeleitet und herausgegeben von Peter Broucek zur Verfügung

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Abbildungsnachweis

Alle Abbildungen stammen aus dem Familienarchiv Jansa, mit Ausnahme der Abbildung „Theodor Körner im Gespräch mit einem Schutzbundführer“ (Institut für Zeitgeschichte) und „Bundeskanzler Dollfuß mit Anton Rintelen“ (Institut für Zeitgeschichte). Coverabbildung  : Alfred Jansa, Porträt von Emil Fuchs 1936

Personenregister A Adam, Walter 120, 452, 560, 569, 660 Adam, Wilhelm 533 Aichinger, Friedrich 92, 143 Alberti d’Enno, Arthur Grf. 419 Allmayer-Beck, Johann Christoph  22 Allsebrook, John Simon Viscount of 578 Altenburg, Günter 174, 534, 535 Andrian, Felix 210, 238, 239, 241 Andrić, Ivo 183 Angelis, Maximilian de 84, 85, 595, 754 Appel, Johann Frh. v. 118 Arnstein, Dr. Josef 222, 224 Arz v. Straußenburg, Artur 328, 337 Auffenberg, v. Komarów, Moritz Frh. 184, 195, 197 Austerlitz, Friedrich 476 B Baar v. Baarenfels, Eduard 98, 637 Balbo, Italo 615 Bartha, Albert 433 Bartl, Georg 573, 640, 641, 648 Basler, Moritz 89, 102, 597, 598, 660 Bauer, Friedrich 210 Bauer, Otto 35, 38, 39, 42, 66, 78, 98, 466, 467, 478, 591 Baumann, Franz 375, 515 Bayer, Karl 152 Becher v. Rüdenhof, Karl R. 382 Beck, Ludwig 550, 576, 577 Beck-Rzikowsky, Friedrich Grf. 17, 175 Below, Otto v. 9, 12, 303, 329–336, 345, 358–363, 366, 368, 369, 371, 372, 373, 375–377, 379–381, 383, 384, 386–390, 397, 408, 706 Beneš, Edvard 61, 75, 97, 98, 436, 641, 727 Beran, Johann 201, 218, 222, 230, 243, 248, 250, 257, 258, 371 Berger v. Waldenegg, Egon 84, 96, 587 Bethlen, István Grf. 58, 334, 338, 339, 434, 448, 477 Beyer, Eugen 395, 396, 399, 417, 642, 667, 668, 670 Beyer, Franz 396–398, 417

Billroth, Theodor 112 Bircher, Eugen 541 Bisenius, Eduard Edl.v. 148, 153 Blomberg, Werner v. 73, 75, 82, 500, 501, 506, 531, 532, 533, 538, 539, 545, 546, 565, 567, 570, 575–580, 583, 689–691 Bock, Fedor v. 278–282, 284, 287, 289, 292, 296, 299 Böhme, Franz 480, 600 Böltz, Eduard Edl. v. 203, 205, 206, 224, 228, 230, 232–236, 239, 242, 243, 246, 247, 257 Boog, Adolf v.   31 Boris III., Zar v. Bulgarien 317 Bornemann, Karl 34, 451, 666 Boroëvić v. Bojna, Svetozar  199, 250, 253, 259, 265, 268, 269, 359, 368, 372, 376, 379, 381, 408, 412, 734 Bourbon-Parma, Elias Prinz v. 380 Boyadijiev, Kliment 308 Brantner, Theodor 85, 499, 548, 559, 574, 581, 585, 586, 593, 651 Bredow, Kurt v. 23, 558, 568, 577 Breisky, Walter 595 Brendl, Karl 230, 238, 265 Brüch, Oskar 147 Brüning, Heinrich 29, 569, 570 Bürckel, Josef 680 Burda, Franz  669, 670 Buresch, Karl 63, 501, 622 Burián v. Rajecz, István Grf. 408, 411, 417 C Cadorna, Luigi 375 Charvat, Josef 591 Clemenceau, Georges 411, 426, 507, 700 Conrad v. Hötzendorf, Franz Grf. 16, 40, 321 Conrad v. Hötzendorf, Virginie Grfin. 321 Cramon, August von 40 Csoban, Dragutin 184 Czernin, Ottokar Grf. 410, 411 D Damisch, Johann 123

820 Dankl v. Kraśnik, Viktor Frh. 244, 265, 320, 465 Dengler, Josef 467, 489 Denkstein, Cora 117 Deutsch, Julius 33, 35, 58, 59, 98, 249, 427, 429, 453, 466, 468, 476, 595 Diakow, Jaromir 43, 721 Dóczy, József 114, 182 Dollfuß, Engelbert 13, 23, 63, 71–73, 78–82, 84, 86, 96, 98, 103, 478, 501–504, 512, 515, 517, 521, 522, 525, 529, 531, 534, 541, 543, 546, 547, 551, 554, 556, 559, 561–563, 566, 569, 573, 587, 589, 591, 592, 594–596, 598, 613, 617, 628, 639, 661, 676, 677, 735, 737 Draxler, Ludwig 622, 626, 637–640, 649, 658, 660, 661 Droffa, Heinrich R. v. 211, 219 Duić, Stevo  88 Dworschak, Albert 602 E Eden, Earl of Avon Anthony 100, 509, 565, 578, 613 Eibl, Johannes 493, 494 Eifler, Alexander 59, 734 Eimannsberger, Ludwig R.v. 74, 407, 468, 499 Elena v. Montenegro 207 Ergert, Wilhelm 75, 85 Eugen, Ezhg. v. Österreich 45, 94, 201, 204, 247, 250, 268, 269, 320, 340, 359, 372, 376, 381, 382, 388, 391, 407, 408, 544, 582, 643 F Falkenhayn, Erich Georg v. 242, 289, 294, 299, 300, 313, 328, 411 Fendi, Peter 130 Fey, Emil 64, 68, 71, 73, 84, 87, 248, 544, 562, 639 Fiala, Peter 18 Figl, Leopold 14, 18, 104, 716–718, 720–722, 724, 725, 727, 728 Fleck v. Falkhausen, Richard 228 Florer, Christoph 711, 712, 715 Florer, geb. Jansa, Judith 14, 25, 155, 449–451, 471, 472, 497, 518, 519, 679, 680, 684, 685, 688, 694, 695, 698, 699, 701, 703, 710–712 Fox, Vinzenz Frh. v. 255, 270 Franceschini, Friedrich 154 Frank, Hans 525 Frank, Liborius 234

Personenregister

Franz Ferdinand, Ezhg. v. Österreich-Este 195, 196, 201, 214, 227, 236, 442 Franz Joseph I., Kaiser und König 40, 127, 148, 149, 171, 196, 249, 259, 276, 284, 302, 315, 332, 364, 379, 391, 392, 531, 536, 617, 719 Franz, Viktor 275 Friedländer, Johann 427, 595 Friedrich, Ezhg. v. Österreich 229 Fritsch, Werner Thomas Frh. v. 533, 549, 550, 556, 569, 570, 574, 576, 577, 746, 748, 749 Fritsch, Wilhelm v. 209 Fülöpp, Artur 289 Funder, Friedrich 465, 466, 585 G Galen, Clemens August Grf. 553, 637, 697 Gantschev, Peter 309 Gatnar, Kurt 707, 717, 718 Gaudernak v. Kis-Demeter, Josef 187 Gebauer, Wilhelm 514 Gellinek, Otto 229, 234, 236, 242, 248 Geng, Gustav 505 Geřabek, Karl v. 371 Ghilardi, Leopold 310, 311 Gienanth, Curt Ludwig Frh. v. 543 Glaise v. Horstenau, Edmund 26, 42, 45, 73–75, 85, 86, 101, 118, 120, 122, 170, 173, 175, 184, 187, 192–194, 197, 204, 205, 211, 214, 224, 229, 248, 250, 252, 254, 257, 260, 264, 265, 268, 270, 271, 274, 282, 285, 286, 299, 304, 309, 320, 321, 329, 337, 340, 352, 354, 359, 373, 377, 380, 395, 396, 412, 414, 423, 452, 455, 464, 466, 485, 498, 500, 528, 529, 532, 534, 536, 543, 548, 558, 564, 568, 573, 575, 578, 589, 596, 599–601, 605, 617, 637–639, 641, 645, 650, 660, 664, 668, 680, 763 Glasner, Johann 332, 548, 652 Goebbels, Josef 67, 552, 572, 580, 641 Goiginger, Ludwig 230, 264, 412 Gömbös v. Jákfa, Gyula 78, 80, 82, 157, 158, 434, 504, 617, 775 Gorbach, Alfons 725 Göring, Hermann 99, 100, 101, 534, 535, 549, 557, 576, 579, 580, 582, 583, 665, 693 Gort, John Viscount of 662 Göttlicher, Karl 198 Guderian, Heinz 539, 577 Guglia, Eugen 178

821

Personenregister

Guretzki-Kornitz, Hermann 679 György-Szent Miklós, Béla v. 346 H Hadfy, Emerich 349, 350 Halifax, Edward Wood Earl of 100, 665 Hammerstein-Equord, Hans Frh. v. 637, 638 Hammerstein-Equord, Kurt Frh. v. 532, 533, 550, 637, 746 Hantsch, Hugo 26, 494, 699, 737, 767, 773 Harrach, Franz Maria Grf. 229 Härtlein, Alfred 465 Hecht, Robert 56, 62, 498, 503, 504, 507, 508, 511, 516, 548 Hegedüs, Karl 58 Heigl, Fritz 76 Hejjas, Ivan 456 Heller, Wolfgang 138, 163, 176, 184, 716 Herzfeld, Emmerich R. v. 541, 561, 772 Heydendorff, Walter 84, 157, 167, 249, 258 Heyrowski, Adolf 535 Hiltl, Hermann R. v. 248 Hindenburg, Paul v. Beneckendorff und v. 61, 245, 266, 321, 328, 329, 333, 359, 533, 565 Hirsch-Strontorff, Eugen 177–0179, 739 Hitler, Adolf 23, 29, 38, 54, 57, 65–68, 70, 73, 78, 80–83, 86, 89, 92, 94–101, 103, 109, 245, 258, 321, 351, 484, 501, 502, 511, 513, 523, 525, 529, 530, 532–537, 541, 545, 546, 550, 552–556, 558, 559, 564, 565, 567–571, 574, 576–578, 581, 586, 588, 589, 600, 604, 606, 609, 613, 614, 619, 626, 632, 636, 638, 639, 641, 644–646, 648, 650, 657, 659–662, 665, 668–673, 675–678, 688, 694, 697, 699, 700, 703–705, 708, 709, 713, 728, 746–748, 755, 763 Höberth v. Schwarzthal, Eugen 430 Hochenburger, Antal 504 Hochmann, Emil 204, 222, 416 Hock, János 422 Hoffmann, Alfons Edl. v. 39, 332, 333, 334 Hornbostel, Theodor R. v. 63, 79, 80, 81, 100, 102, 501, 502, 508, 523, 526, 587, 588, 612, 624, 625, 626, 634, 644, 648, 650, 653, 657, 660, 665, 668, 675, 770 Horsetzky Edl. v. Hornthal, Ernst 164, 350, 352, 354, 355, 356, 627

Horthy de Nagybánya, Miklós 54, 95, 122, 268, 434, 448, 457, 463, 544, 617, 623 Hoyos-Sprinzenstein, Rudolf Grf. 663, 678 Hubicki, Alfred R. v. 271, 284, 427, 438, 439, 667 Hubka, Gustav v. 108 Hueber, Franz 490 Hussarek von Heinlein, Franz R. 187, 465 I Illig, Udo 736 Innitzer, Theodor 72, 494, 554 Iwanina v. Iwański, Artur 169 J Jäger, Emil 85, 479, 480 Jahn v. Jahnau, Justus 23, 646, 662 Janda, Friedrich 60, 61, 455, 468, 474, 475, 479– 483, 486, 487, 491 Jansa Edl. v. Tannenau, Emanuel 111 Jansa Edl. v. Tannenau, Heinrich Eduard Guido 111, 116, 117, 126, 132, 151, 155, 318, 319, 321, 322, 391–397, 680, 687, 718 Jansa Edl. v. Tannenau, Judith s. Revicky, Judith v. Jansa Edl. v. Tannenau, Herta Wilma Georgine 6, 7, 18, 25, 469, 470, 518, 519, 679, 680, 684, 685, 688, 694, 695, 698, 699, 701, 703, 711, 712 Jedina-Palombini, Ernst Frh.v. 128, 129, 157, 256 Jedlicka, Ludwig 11, 15, 18, 30, 32, 35, 39, 57, 60, 71, 72, 78, 79, 90, 184, 431, 479, 480, 489, 509, 511, 514, 554, 589, 639, 649, 670, 699, 737, 738 Joseph August, Ezhg. v. Österreich 50, 268, 271, 347, 407, 409 Judex, Albin 606, 643 Julier, Ferenc 434 K Kaiser, Julius 370 Kalser Edler v. Maasfeld, Franz 246 Karg v. Bebenburg, Artur 643 Karl I., Kaiser u. Kg. 40, 74, 259, 332, 358, 364, 377–379, 388, 391, 408, 415, 419, 423, 425, 427, 458, 501, 698 Károlyi, Gyula Grf. 434 Károlyi, Mihály Grf. 419, 422, 423, 433, 443 Keinert, Adolf 342 Keitel, Wilhelm 576, 578, 582, 669, 690 Kemmel, Ludwig 340, 342, 344, 346, 347, 404

822 Kerenski, Alexander Fjodorowitsch 341, 348, 349 Kienböck, Viktor 626 Kiszling, Rudolf, 17 Klempa, Julius v. 340 Klepp, Ernst 339, 340, 348 Knaus, Siegmund 36, 74, 216, 217, 411, 474, 476–479, 487, 490, 498, 782 Knoll, August Maria 18, 652 Konopicky, Theodor 285, 293, 366, 382–385, 388, 391, 404, 418, 420 Körner Edl. v. Siegringen, Richard 228, 233, 238, 254, 256, 260, 261, 267, 270, 302, 367 Körner Edl. v. Siegringen, Theodor 33, 49, 56, 59, 136, 248, 249, 256, 270, 429, 468, 731, 733 Kornhaber v. Pilis, Adolf 423, 424 Kornilow, Lawr Georgewitsch 348 Koske, Karl 595, 691 Kossuth, Lajos 115, 339 Kövess de Kövessháza, Hermann 282, 286, 320, 340, 353, 354, 366, 382, 418, 419, 420, 421, 422, 423, 424, 425 Krafft v. Dellmensingen, Konrad 263, 360–363, 365–369, 372, 377–381, 384, 387, 388, 390, 391, 627 Kraft Edler v. Helmhacker, Hermann 126 Krauss, Alfred v. 44, 45, 237, 240, 242, 247, 248, 250, 252–255, 257–260, 263, 264–272, 274, 278, 282, 283, 289, 290, 303, 320, 340, 359, 360, 363, 365, 366, 369, 371, 372–380, 386, 405, 408, 446, 728 Kretschmer, Gustav 154 Krische, Franz 585, 622, 663, 691 Krofta, Kamill 635, 673 Kuběna, Johann 285 Kubitza, Oskar 606 Kuckh, Karl Wilhelm 200 Kvaternik, Slavko 414 L Lahr, Fritz 649, 650, 655 Landwehr v. Pragenau, Ottokar 170 Láng v. Csanakfalva, Balthasar 423 Lassy, Theodor 185, 199 Laxa, Wladimir 304, 305, 317, 335, 421, 422 Lehár, Antal Frh. v. 334, 429, 434, 435, 770 Lehár, Franz 175 Lehoczky, Adalbert 217

Personenregister

Leitmaier Edl. v. Sannfeld, Markus Karl 502, 507, 511 Leitner, Karl 449, 606 Lemisch, Arthur 474 Lenz, Johann 231 Leopold I., Kaiser 517 Leopold, Josef 48, 453, 485 Leopold, Prinz v. Bayern 352 Lettner, Karl 208 Liebitzky, Emil 23, 587, 589, 594, 600, 613, 626, 628, 630, 631, 633, 642, 667, 675, 676, 718, 720, 724, 738 Linder, Béla 419, 420, 422, 423 Lipoščák, Anton 184, 194, 203 Litw’inoff, Maxim 508 Litzmann, Karl 351, 352 Lobkowitz, Zdeněk Prinz v. 377, 378, 379 Löhr, Alexander 343, 596, 597, 629, 640, 651, 653, 678 Lokar, Anton 304 Longin, Anton Karl 641 Ludendorff, Erich 29, 40, 41, 57, 66, 266, 321, 328, 405, 565 Ludwig, Eduard 504 Lueger, Karl 135, 735 Luschinsky, Eugen 559, 560, 574, 601, 606, 607, 639, 649, 651 Lustig-Prean v. Preansfeld, Julius 276, 277, 280, 281, 295, 296, 301, 318 Lutze, Viktor 559 M Mackensen, August v. 12, 243, 263, 270, 271, 273–277, 282–284, 288, 294, 295, 297, 299–302, 305, 308, 313, 314, 318, 323, 325, 328, 330, 334, 335, 408, 411, 523, 548, 566, 567 Madariaga y Rojo, Salvadore de 508, 509 Mahrle, Sebastian 636 Manstein, Erwin v. 754–756, 759, 760 Masirevich, Konstantin v. 229, 250 Materna, Rudolf 599 Megerle, Karl 664 Memelauer, Michael 472 Merizzi, Erik Edl. v. 194–196, 198, 200–205, 208, 209, 210, 212, 213, 215, 217–226, 228, 230, 231–233, 236, 238, 254 Messersmith, George 554

Personenregister

Metzger, Hugo 358, 359 Metzger, Josef 57, 218, 360 Meyer v. Fekete-Ardó und Nagy-Tarna, Guido 113 Meyer v. Mada, Guido 113 Michel, Robert 190 Mier, Felicie Grfin 118, 450 Mihaljević, Michael  197, 198, 199, 213, 234, 235, 305 Milch, Erhard 534 Mlaker, Rudolf 629 Móga v. Broczko, Viktor 142, 148, 153, 155 Moltke, Helmut Grf. v. 49, 245, 261, 379, 538, 550, 569 Montenuovo, Alfred Fst. v. 224 Morawek v. Osztenburg, Gyula 347 Muff, Wolfgang 26, 82, 83, 86, 88, 89, 92, 95, 101, 102, 523–525, 534, 538, 542, 558, 574, 599, 609, 641, 651, 666, 748, 756 Müller-Guttenbrunn, Adam 275 Müller, Rudolf 374 Mussolini, Benito 23, 60, 61, 66, 69, 76, 78, 79, 80, 82, 83, 88, 91, 92, 94, 98, 477, 504, 578, 589, 590, 592, 594, 613–616, 626, 628, 630–632, 642, 650, 656, 667, 675, 677, 678, 700, 705 N Nadolny, Rudolf 509, 510, 512 Nagy de Somlyó, Franz 652 Nagy, Emmerich v. 113, 499, 599, 666 Neugebauer, Viktor 186, 188, 440, 720 Neumayer, Rudolf 240, 649, 650, 658, 660, 661, 781 Nickl v. Oppavár, Wilhelm 183 Novák, Johann 322 Novak v. Arienti, Guido Frh. 305, 465, 738 O Oliva, Erich 717, 718 Otto, Ezhg. v. Österreich 94, 103 P Pabst, Waldemar 58, 65, 68 Papen, Franz v. 81, 92, 95, 100, 493, 564, 569, 644, 650 Pariani, Alberto 612, 614, 615, 617, 618, 629, 632, 656, 667, 748 Paschek, Emil 198, 199, 502 Pašić, Nikola 213

823 Paul, Viktor Edler. v. 367 Paumgartten, Zolenko 722 Peter v. Thyllnreuth, Franz Josef R. 525 Pfersmann v. Eichthal, Rudolf R. 361 Pfisterer, Eduard 343 Pflügl, Emmerich 499, 500, 502, 507, 508, 510–512 Pflug, Ottokar 254, 601 Pfrimer, Walter 58, 68, 69, 467, 489, 587 Piccione, Giuseppe 436 Pichler, Kletus 275, 340, 344, 345, 348, 426, 772, 785 Piłsudski, Józef 81, 97, 124, 568 Pirquet v. Cesenatico, Klemens Frh. 471 Plentzner v. Scharneck, Karl R. 185 Pohl, Anton 15, 581, 582 Pohl, Robert R. v. 370, 371, 465, 583, 586 Potiorek, Oskar 193–196, 198, 200, 201, 203–206, 209–215, 218–220, 222, 224–226, 229–239, 241–243, 246, 247, 251, 254, 266, 290 Prich, Rudolf 204, 210 Primavesi, Eduard 374 Puaux, Gabriel 97 Püchler, Josef 457 Puhallo v. Brlog, Paul 173–175, 177 Purtscher, Alfred 243–245 Putnik, Radomir 240, 298, 778 R Raab, Julius 24, 64, 68, 467, 489 Raeder, Erich 534 Rátz, Jenő 752 Raus, Erhard 657, 663 Rauter, Hans 68, 69, 70 Regele, Oskar 13, 16, 28, 74, 479, 636, 646, 728, 729 Reichenau, Walter v. 73, 82, 84, 87, 532, 533, 539, 546, 549, 552, 557, 558, 564, 570, 571, 576, 577, 581, 582, 746, 747, 749 Rendulic, Lothar 22, 53, 74 Renner, Karl 32, 39, 46, 49, 61, 392, 427, 447, 466, 488, 522, 737 Rettel, Josef 185 Revicky, Adam v. 154 Revicky, Judith v., vereh. Jansa 12, 171, 174, 393– 395, 397–403, 417, 432, 437, 439–446, 448–450, 452, 454, 459–463, 469–471, 490, 494, 517–520, 527, 528, 584, 684, 712

824 Revicky, Ladislaus v. 170 Rhemen zu Barensfeld, Adolph 336 Röder, Vilmos 412, 657 Rodler, Erich 43, 66, 83 Rommel, Erwin 368 Roost, Heinrich 542, 562, 584, 643 Rosenwirth, Alois 49 Ruggera, Kamillo 85, 479, 480, 481 Rundstedt, Gerd v. 575 Rupprecht v. Virtsolog, Heinrich 171 S Sagai, Viktor 452, 453, 455, 457, 468 Salis-Samaden, Heinrich Frh. v. 258, 264, 350, 359, 367, 440 Salland, Colonel 96, 511, 635, 661, 662 Sarkotić v. Lovćen, Stefan 88, 250, 254, 291, 334, 419, 421 Sarrail, Maurice 299, 303, 307, 314, 318, 325, 328 Schäfer, Hugo 39, 74, 75, 199, 365, 468, 478, 479, 501, 541, 772 Schager v. Eckartsau, Albert 224, 227 Schärf, Adolf 18, 522 Schattel, Stefan 407, 412, 414 Schemua, Blasius 205 Schenk, Alfred Edl. v. 192, 193, 205, 228, 536 Scheuchenstuel, Viktor Grf. v. 286, 311 Schiebel, Artur 22, 56, 74, 473–475, 480, 496, 498, 500, 514, 515, 516, 548, 560, 584 Schilhawsky v. Bahnbrück, Sigismund R. 395, 396, 440, 451, 499, 559, 581, 664, 671, 734 Schleicher, Kurt v. 23, 73, 83, 532, 533, 558, 568, 577 Schmidt, Guido 14, 15, 58, 99–101, 103, 121, 122, 530, 554, 582, 624, 645, 648, 650, 660, 664, 665, 674–676, 728–731 Schmitz, Richard 103, 623, 626, 644, 646, 649, 655, 660, 669, 670 Schneider, Josef 455 Schneidmadl, Heinrich 488 Schneller, Karl 34, 43, 44, 58, 395, 447, 455, 468, 498, 499 Schnofel, Hubert 455, 481, 483, 488 Schnürer, Josef 118 Schober, Johannes 42, 46, 47, 65, 76, 77, 476, 477 Schöbl, František 436

Personenregister

Schönaich, Franz Frh. v. 192 Schönburg-Hartenstein, Aloys Fst. v. 73, 74, 505, 543, 544, 546, 548, 559, 565–568, 581, 582, 589, 593, 595, 754 Schönheinz, Curt 506, 512, 514 Schönherr, Otto 348 Schubert, Franz Xaver 363, 364, 485, 739, 772, 781, 786 Schüller, Richard 61, 63, 77 Schwarzenberg, Felix Prinz v. 162, 257, 371, 400 Schwarz, Friedrich 28, 49, 75, 76, 154, 407, 443, 591, 784 Scotti, Karl 386 Seeckt, Hans v. 42, 49–51, 60, 271, 273, 276–284, 286–288, 289, 291–297, 299, 300, 302, 303, 305, 308, 313, 323, 330, 340, 345, 475, 533 Seiller, Viktor Frh. v. 265, 266, 267 Seipel, Ignaz 46, 47, 55, 69, 76, 81, 466, 473, 476, 477, 484, 488, 670, 737 Seyss-Inquart, Arthur 534, 595, 645, 649, 650, 671 Siegler v. Eberswald, Géza 510, 511 Sinzinger, Adolf 83–85, 676 Skrbenský von Hříště, Georg Frh. 250, 384 Skubl, Michael 100, 665, 678 Šnjarić, Lukas 210, 211, 213, 238, 239 Sofie, Prinzessin v. Preußen 313 Sohn, Roman 600 Solarcz, Hugo 248, 266 Somkuthy, József (ehemals Schitler) 617 Srbik, Robert R. v. 32 Starhemberg, Ernst Fst v. 65–69, 71, 73, 81, 87, 93, 453, 467, 489, 490, 505, 587, 622, 638, 639, 643, 649 Steidle, Richard 57, 58, 64, 68, 71, 467, 489, 551 Steiner, Rudolf 18, 538, 540 Steiner v. Treuendorf, Franz 347 Steininger, Karl Frh. v. 171 Steinitz, Eduard R. v. 354 Stelzel, Robert 181, 516, 658 Stiotta, Max 621, 727 Stipetić, Wilhelm 334, 335 Stöger-Steiner, Rudolf Frh. v. 270 Storck, Wilhelm R. v. 251 Stresemann, Gustav 51, 60, 61 Stromfeld, Aurel 350–352, 354, 356, 357, 404, 434 Stülpnagel, Carl Heinrich v. 87, 571, 572 Stülpnagel, Joachim 535, 536, 610

Personenregister

Sündermann, Ludwig 286 Suvich, Fulvio 79, 614, 630, 631, 632 T Tantilov, Iwan 304 Tappen, Gerhard v. 297 Tarbuk v. Sensenhorst, Karl 185, 498–500, 502, 516 Taucher, Wilhelm 626 Tauschitz, Stefan 87, 528–530, 532, 549, 560, 563, 564, 569–571, 573, 582, 664, 665 Teleki, Pál Grf. 229 Terkulja, Johann 169, 170 Tersztyánszky v. Nádas, Karl 266, 282, 334 Theil, Karl 246 Themer-Jablonski del Monte Berico, Maximilian 455 Tlaskal Edler v. Hochwall, Ludwig 170, 171 Towarek, Rudolf 652, 653 Trollmann v. Lovcenberg, Ignaz Frh.v. 232, 253, 284, 312 Tschammer u. Osten, Hans v. 557 Turudija, Stanislaus 240 U Ulrich v. Trenkheim, Heinrich 160 Umberto I., Kg. v. Italien 207 Üxküll-Gyllenband, Alexander Grf. v. 149 Üxküll-Gyllenband, Nikolaus Grf. v. 536, 537 V Varešanin v. Vareš, Marian 184, 193, 203 Vaugoin, Carl 47, 48, 55, 62–64, 66, 73, 74, 464, 467, 474, 475, 486, 488, 490, 496, 498, 499, 503, 505, 506, 512, 517, 521, 525, 543, 544, 561, 581, 588, 591, 595, 620, 754 Veith, Georg 187, 200, 311 Veress v. Dálnok, Lajos 636, 677 Viktor Emanuel II., König v. Italien 207 Vollgruber, Karl 588, 633 Vrkljan, Paul 310, 311, 312 W Wachtel, Wilhelm 209, 210, 222, 224, 230, 232, 236, 241, 242, 248, 257, 302

825 Wächter, Josef v. 595 Wächter, Otto Gustav 83 Wagner, Franz 648 Wagner, Richard 127 Waihs, Erwin 33, 34, 427, 453, 595 Waldstätten, Alfred Frh. v. 337, 358, 395, 405, 417 Wallack, Friedrich 628 Wayer v. Stromwell, Karl 154 Weihs-Tihányi v. Mainprugg, Franz R. 159 Weihs-Tihany v. Mainprugg, Gustav R. 159 Weingartner, Edgar 440, 441, 451, 452 Weizsäcker, Ernst Frh. v. 99, 534 Welser v. Welsersheimb, Otto Grf. 250 Weninger, Franz 103, 620, 659 Wieden v. Alpenbach, Heinrich 373 Wiesner, Friedrich R. v. 224, 227 Wiktorin, Mauriz v. 60, 85, 86, 430, 475, 497, 499, 559 Willerding, Rudolf R. v. 391, 406, 407, 409, 412, 413, 414, 415, 416 Willisen, Ludwig Wilhelm v. 368 Windisch-Graetz, Ludwig Prinz v. 122, 134, 771 Winter, Ernst Karl 670 Wittas, Hans R. v. 42, 60, 498, 499 Wittas, Paul R. v. 601, 735 Wolf-Schneider v. Arno, Oskar 17, 737 Wurm, Wenzel Frh. v. 214, 215, 219, 232, 241, 246, 413 Z Zaharoff, Basileios 504 Zahradnik, Ferdinand 621 Zednik Edl. v. Zeldegg, Johann 137 Zehner, Wilhelm 14, 23, 73, 84, 86, 87, 99, 101, 102, 159, 396, 524, 543, 548, 559, 560, 570, 574, 581–583, 585, 586, 588, 589, 595, 598, 599, 611, 622, 626, 628, 640, 641, 648, 653, 657, 658, 660, 661, 667, 669, 670, 678, 745, 754 Zhekov, Nikola 325, 327 Zimmer, Adolf 248 Zita, Kaiserin u. Königin 197, 411, 783 Zobernig, Alois 320, 321

Ortsregister A Abbazia s. Opatija Adelsberg s. Postojna Ampezzo 377 Arad 113, 262, 434, 443 Aranđelovac 241 B Băile Herculane 287, 288 Bakony-Wald 618 Balatonfüred 494, 518 Beclean 58, 334, 338, 339, 434, 448, 477 Belgrad s. Beograd Beograd 50, 198, 203, 213, 214, 222, 224, 225, 229, 233, 234, 241, 246, 251, 260, 261, 268, 282, 284, 285, 290, 291, 294, 307, 314, 318, 333, 334, 336, 419, 421, 433, 512, 561, 600, 606, 635, 662, 720, 728 Berlin 10, 13, 20, 22, 29, 30, 35, 41, 42, 45, 58, 65–70, 73, 74, 77, 82, 87, 89, 93–95, 100–102, 171, 199, 231, 245, 250, 261, 278, 281, 368, 407, 408, 428, 430, 498, 501, 506, 512, 514, 517–521, 523–526, 528, 530–532, 535–537, 540, 541, 543, 545–548, 550, 552–558, 560, 561, 563–570, 572–574, 576, 578, 580–586, 600, 610, 613, 621, 634, 641, 642, 645, 651, 663, 665, 672, 693, 697, 709, 714, 721, 722, 729, 738, 747, 751, 753 Bethlen s. Beclean Bijeljina 418, 419 Bitola 123, 298, 299, 303, 305, 307, 312, 324, 333, 335 Bovec 259, 265, 358, 365, 366, 385, 409, 413 Bratislava 9, 12, 142, 152, 154, 155, 166, 169, 170,– 172, 174, 175, 217, 339, 382, 397, 436, 504, 741 Breitensee 9, 136, 151, 722, 738 Brenta 320, 376, 381, 387 Bruckneudorf 151, 487 Budva 172 C Carei 182 Castelnuovo s. Hercegnovi Cattaro s. Kotor

Cave del Predil 52, 385, 646 Cheb 130, 142, 151, 525 Cirlibaba 338, 339, 341, 347, 349, 353, 365, 404, 425 Cividale dl Friuli 371 Codroipo 372 Conegliano 406, 410 D Dachau 120, 254, 453, 503, 526, 573, 622, 637, 678, 707 Debrecen 113–115, 337, 338, 424, 431, 432, 435, 443, 454, 458, 463, 464, 511, 555, 636 Doboj 232, 237, 238 Dornberg s. Dornberk Dornberk 265 Dubrovnik 183, 191, 194, 199, 208, 214 E Ebelsberg bei Linz 620 Eckartsau 224, 268, 433 Eger s. Cheb Eger 151 Eisenstadt 134, 248, 458, 653, 783 Elbasan 298, 308, 310, 312 Erfurt 10, 14, 108, 445, 473, 506, 510, 632, 675, 682–689, 691, 694–699, 701, 703–708, 710–719, 721, 726, 730, 731, 755 Erlau s. Eger F Flitsch s. Bovec Foča 191, 204, 229, 237, 238, 239 G Gemona 372, 373, 374, 432 Genf 10, 63, 83, 108, 337, 375, 466, 473, 496, 499–504, 506, 509–511, 513, 514, 517, 519, 521, 534, 541, 545, 547, 584, 592, 613, 700 Gerlach s. Gerlachovský štít Gerlachovský štít 181 Goražde 230, 231, 237–239

828 Gorizia 88, 228, 240, 246, 257, 263, 265, 267, 268, 270, 320, 372, 409, 411, 679 Görz s. Gorizia Gostivar 323, 324, 325, 327, 328, 332 Grado 470 Graz 14, 15, 19, 20, 23, 27, 30, 32, 39, 43, 45, 47, 49, 55, 57, 59, 65, 69, 72, 73, 76, 80, 83, 84, 86, 88, 90, 103, 104, 152, 171, 178, 180, 184, 190, 193, 199, 200, 227, 234, 246, 250, 253, 262, 339, 370, 374, 377, 405, 425, 430, 431, 457, 468, 471, 487, 494, 502, 530, 554, 559, 563, 587, 592, 597, 609, 610, 613, 626, 639, 699, 707, 713, 715, 717–721, 725, 726, 736, 749 Großglockner 628 Güns s. Köszeg Győr 170, 618 H Hercegnovi 183, 200 Herzogenburg 456, 527, 560 Hranice 133, 653 Homonna s. Humenné Humenné 349 I Ilidže 183, 186, 213, 216, 218–221 Isonzo 215, 256, 264, 265, 293, 295, 300, 320, 343, 358, 363, 364, 366–372, 376, 379, 387, 409, 413–415, 535, 725, 734 K Kajmakčalan 331 Kalkandelen s. Tetovo Karlsbad s. Karlovy Vary Karlovy Vary 416, 417, 426, 520, 713 Királyhida s. Bruckneudorf Kirlibaba s. Cirlibaba Kismarton s. Eisenstadt Köszeg 134, 511, 536 Kotor 172, 191, 204, 208, 211, 215, 230, 237, 238, 254, 291, 425, 781 Kragujevac 241 Krainburg s. Kranj Krakau s. Kraków Kraków 122–124, 137, 209, 273, 285, 361, 430, 652 Kranj 358, 359, 367, 368, 369, 371 Kranjska Gora 365, 373

Ortsregister

Krn 36, 270, 362, 363 Kronau s. Kranjska Gora L Laibach s. Ljubljana Landstraße (Wiener Bezirk) 131, 380 Latisana 372 Lemberg s. Lwiw Leutschau s. Levoča Levoča 113, 181, 319, 322 Liberec 131 Linz 67, 73, 79, 93, 179, 275, 466–468, 487, 489, 494, 550, 563, 570, 581, 585, 597, 619, 620, 652 Ljubljana 21, 50, 192, 256, 267, 268, 358, 359, 419 Logatec 366 Loitsch s. Logatec Lovrana s. Lovran Lovran 160 Lwiw 9, 12, 111, 115, 118–120, 122–126, 134, 160, 187, 244, 277, 349, 350, 412, 505, 697 M Mährisch-Weißkirchen s. Hranice Maria Plain 450 Maria Taferl 459 Mariazell 461, 519 Mauer-Öhling 155 Monastir s. Bitola Monte Matajur 368 Monte Nero s. Krn N Nagykárolyi s. Carei Neusatz s. Novi Sad Neutra s. Nitra Nitra 134, 151 Novi Sad 198, 272, 282, 285, 286, 419, 420, 422, 423 Nyáradszereda 345, 351, 392 O Ohridasee 316, 323, 327 Ónod 151 Opatija 112, 160, 788 Ostrovo-See 325 Ötscher 456, 460, 516

Ortsregister

P Pancsova s. Pančevo Pančevo 253, 286 Pardubice 115 Pardubitz s. Pardubice Persenbeug 426 Peterwardein s. Petrovaradin Petrovaradin 198, 246, 255, 266 Piešťany 117, 151 Pistyan s. Piešťany Plöckenpaß 779 Pola s. Pula Pordenone 385, 386, 387 Postojna 359 Pozsony s. Bratislava Prag 9, 12, 14, 73, 76, 80, 83, 97, 111, 115, 124– 126, 128–131, 133, 186, 275, 425, 436, 438, 440, 519, 524, 535, 541, 554, 600, 641, 710, 711, 713 Prespasee 324, 327, 331–333 Pressburg S. Bratislava Prizren 307 Pula 178, 185, 198, 218, 223, 382, 621 R Raab s. Győr Radautz s. Rădăuţi Rădăuţi 353 Ragusa s. Dubrovnik Raibl s. Cave del Predil Reichenberg s. Liberec Rogatica 208, 239 S Saloniki 241 Salzburg 10, 12, 31, 39, 45, 60, 69, 81, 89, 90, 93, 155, 171, 188, 258, 264, 336, 340, 370, 395, 427, 430, 438–440, 442, 444–450, 452, 454, 458, 459, 467, 469, 475, 489, 525, 526, 554, 587, 594, 597, 600, 606–608, 610, 619, 620, 622, 623, 628, 637, 646, 649, 655, 666, 672, 676, 720, 722, 738, 755 Sarajevo 9, 117, 118, 180–188, 190, 192–195, 197–201, 203–205, 207–210, 212–215, 218, 219, 221, 222, 224, 225, 228–232, 237, 238, 240, 248, 255, 267, 272, 275, 295, 305, 311, 312, 339, 341, 342, 351, 360, 370, 383, 395, 397, 421, 535 Schmelz 149, 152, 160 Semmering 392

829 Skopje 307, 323, 336 Slowakei 20, 82, 97, 102, 113, 114, 117, 134, 151, 152, 181, 271, 346, 349, 374, 435, 436, 700, St. Gotthard 584 St. Marein im Mürztal 111, 129 St. Pölten 30, 35, 57, 71, 72, 134, 149, 150, 159, 169, 183, 217, 340, 344, 348, 409, 445, 452, 453, 454, 455, 458–460, 464, 468, 469, 471, 472, 475, 480–483, 485, 487, 489, 491, 493, 494, 496, 497, 501, 514–517, 519, 523, 527, 552, 554, 576, 600, 639, 649, 707, 713, 717, 738 Steinamanger s. Szombathely Szeged 4, 434, 435, 448 Szombathely 393, 435 T Tagliamento 372, 374–380 Teschen 97, 247, 264, 265, 270, 276, 304, 305, 318, 327, 328, 330, 436, 779 Tetovo 323, 324, 327 Titel 253 Tolmein s. Tolmin Tolmin 265, 267, 270, 360, 362, 369, 370, 371, 379, 409 Tuzla 198, 199, 203, 237, 419, 420 U Udine 77, 80, 368, 372, 373, 375–379, 381–388, 391, 470 Ujvidék s. Novi Sad V Váh 117, 134, 156 Veles 305 Vevey 397, 518, 584 Višegrad 183, 184, 204, 208, 229, 230, 231, 233, 237, 238, 239, 283 Vittorio Veneto 386, 406 Vojusa 302, 312 W Waag s. Váh Wien 9–16, 18–32, 34–65, 67–78, 80, 82–84, 86– 92, 94–99, 103, 104, 108, 111–115, 118–120, 122, 125, 126, 131, 132, 134–137, 142, 143, 146, 147, 150, 152, 154, 155, 159, 160, 162, 164–166, 169–173, 175, 176, 178–185, 187, 190, 192–195,

830 197–204, 207–210, 212–214, 216–218, 220–223, 227, 228, 230, 231, 240, 245, 246, 248, 249, 251, 255, 260, 262, 265, 267, 271–276, 281, 284,– 286, 291, 300, 303–305, 310, 318–320, 323, 325, 332, 336–338, 343, 349–351, 357, 358, 360, 361, 364, 370, 371, 378, 391–394, 397, 400, 401, 404, 405, 407, 408, 411, 417, 419, 421, 424–430, 433–439, 444–446, 448–450, 453, 455, 458, 460, 464–466, 468, 469, 471, 475–479, 482–484, 487–490, 493, 494, 497–506, 510, 511, 513–519, 523–526, 528–534, 537, 539–541, 543, 544, 546, 548, 550–552, 554, 557, 559–565, 567, 569–574, 577, 581, 582, 584–588, 590–592, 594, 597, 598,

Ortsregister

600, 606, 610, 612–614, 618, 620–623, 626, 628, 629, 633, 634, 636, 638, 639, 641, 643, 644, 646, 649, 650, 652, 655, 657, 662–664, 666, 668, 669, 671–673, 675, 676, 678–681, 683–688, 693, 694, 700–704, 707, 708, 711–715, 718–722, 725–731, 735–739, 745, 747–749, 751, 754–757 Z Zagreb 240, 265, 304, 334 Zenon 372 Zips 114, 181 Zistersdorf 654

Peter Broucek

theodor ritter von Zeynek: ein offiZier im Gener alstaBskorPs erinnert sich

Theodor Zeynek (1873-1948) stammte aus einer Lehrerfamilie Österreichisch Schlesiens. In seinen Memoiren beschreibt er seine Jugend, seine Ausbildung an der Militärakademie und die Schulung zum Generalstabsoffizier an der Wiener Kriegsschule. Ab 1908 diente Zeynek im Generalstab unter dem späteren Feldmarschall Franz Graf Conrad von Hötzendorf, 1915/1916 war er Armeegeneralstabschef an der Front in der Bukowina, in Ostgalizien und der Ukraine und schließlich Chef der Quartiermeisterabteilung des Armeeoberkommandos 1917 bis 1918. Zeynek war an der Seite Kaiser Karls bei dessen Bestrebungen zum Abschluss eines Waffenstillstandes mit der Entente, besonders aber mit Italien. 2009. 376 S. Br. 170 x 235 mm. iSBn 978-3-205-78149-3

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PETER BROUCEK

MILITÄRISCHER WIDERSTAND STUDIEN ZUR ÖSTERREICHISCHEN STAATSGESINNUNG UND NS-ABWEHR

Der bekannte ehemalige Staatsarchivar und Militärhistoriker Peter Broucek untersucht die Rolle der »Gesamten bewaffneten Macht« des österreichischen Staatswesens, von der Theresianischen Staatsreform 1749 bis ins 20. Jahrhundert. Einen Schwerpunkt bildet dabei der Widerstand von Militärpersonen gegen das Dritte Reich und den Nationalsozialismus. Die Geschichte des österreichischen Staatswillen bis zur europäschen Integration wird dabei anhand zentraler Themen nachgezeichnet. 2008. 456. GB. 155 X 235 MM. ISBN 978-3-205-77728-1

»Das vorliegende Werk [ist] gerade in einer Zeit, in der Wissen und Verständnis für Aufgabenstellung und Rolle von Militär für das Staatswesen immer mehr zu verkümmern drohen, wichtig und lesenswert – auch als österreichisches Geschichtsbuch.« Österreichische Militärische Zeitschrift

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