A Mannerist Garden Masterpiece In his famous garden that "resembles only itself and no others," Vicino Orsin
446 119 60MB
German Pages 352 [358] Year 2017
Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Ein Garten gegen Gott und die Welt
I. Introitus: Goldenes Zeitalter und Jenseitswelt
II. Plateau der etruskischen Götter: Identität und Selbstbehauptung
III. Am arkadischen Feld
IV. »le cose inferiori e superiori«
V. Abstieg in den etruskischen Orkus
VI. Im etruskischen Orkus
VII. Exitus: Das Ende ist wie der Anfang
Gedankensprung: Die Papacqua des Cristoforo Madruzzo
Exkurs: Vicino der Epikureer
Anhang
BOMARZO
Edition angewandte
Buchreihe der Universität für angewandte Kunst Wien Herausgegeben von Gerald Bast, Rektor
Renate Vergeiner
Bomarzo
Ein Garten gegen Gott und die Welt
Birkhäuser Basel
für Peter Gorsen
Inhaltsverzeichnis
11
Vorwort
15
Ein Garten gegen Gott und die Welt
16 18 20 25 26 33 37
Hermetik Der Heilige Wald Vicino Orsini Herr von Bomarzo, Fürst von Arkadien Prädestination Pan, Herrscher der Wildnis Ewiges Leben
113 123 124 127 128 131 135
Dis Pater Orka Inschriften auf Urnen und Amphoren Hekate Brunnen Pans Tomba Arkosolbank
139 III. Am arkadischen Feld 144 Aufstieg zur Hölle
45
I. Introitus: Goldenes Zeitalter und Jenseitswelt
46 51 58 67 79
Reise nach Arkadien Vorwäldchen Sphingen Schiefes Haus Ausblick auf die Hekate
86
II. Plateau der etruskischen Götter: Identität und Selbstbehauptung
93 Anna Perenna 100 Kriegselefant 107 Drachenkampf
153 IV. »le cose inferiori e superiori« 153 157 161 167 169 173 180 182
Aufstieg zum Heiligen Berg Tempietto Sternwarte Kerberos Proserpina Symposion Wappenbären Im Schattenreich
193 194 197 200
Rückkehr vom Tempelberg Etruskischer Felsen Versunkener Tempel Felsenbank
203 V. Abstieg in den etruskischen Orkus 203 Crucibile 209 Kampf der Giganten 217 Tomba
223 VI. Im etruskischen Orkus 229 231 235 241 243 244 246 248 251 257
Dromos Helikon Tartaruga Orka Nymphäum Drei Grazien Wächterlöwen Satiresse Im Nymphäum Delfinbrunnen
278 283 284 287 290
Westterrasse des Palazzo Ducale Südostterrasse des Palazzo Ducale Nordterrasse des Palazzo Ducale Amphitheater Obelisken: Signatur und Datierung
295 Gedankensprung: Die Papacqua des Cristoforo Madruzzo
303 Exkurs: Vicino der Epikureer
259 VII. EXITUS: Das Ende ist wie der Anfang Anhang
260 263 263 272 276
Ägypten in Etrurien Isis Hermes Trismegistos Panhermen, Isis-Koren und Janusköpfe Dialoghi: weltliches Latein und heiliges Volgare
316
Personenregister
320
Bibliografie
324
Fußnoten
351
Abbildungsnachweis
352
Impressum
Vorwort
Der Heilige Wald von Bomarzo ist ein ausgeklügeltes Wahnsystem im besten Sinne des Wortes. Nach dem Willen seines Schöpfers Vicino Orsini vereinigt es die Weisheit der ganzen Welt und kann also wirklich mit »nur sich selbst und nichts anderem« verglichenwerden, ein Anspruch der gleichsam zwangsläufig darauf hinausläuft, dass sich an diesem Ort Weisheit und Wahnsinn kongenial vereinen. Diesem Buch liegt eine Habilitation an der Univer sität für angewandte Kunst zugrunde (Der Heilige Wald von Bomarzo. Das Paradies auf Erden, Uni versität für angewandte Kunst Wien 2001), die eine durchgängige und zusammenhängende Deutung der mostri im Sinne eines Programmes unternommen hatte. Im Kontext mit zeitgleich entstandenen Villeggiaturen in Bagnaia, Caprarola und Soriano ergab sich, dass das Wäldchen des Fürsten Orsini deren Zentrum gewesen war. Das Wäldchen war und ist eine vollkommen extra vagante, oppositionelle und originelle Darstel lung des Lebens als Läuterungsweg, als Wand lungsgeschehen, in dem Leidenschaft Vorrang vor Frömmigkeit eingeräumt wird, und Lust über Todesfurcht triumphiert. Die schrecklichen Monster in Bomarzo und die schamlosenSatyrn Sorianos antworteten auf die existenzielle Krise des Renaissancemenschen und zeigen anschaulich, wie das Christentum abseits
aller reformatorischen und gegenreformatorischen Kriegereien an die Welt der Neuzeit überliefert werden hätte können. Während Giordano Bruno, der mit seinen Heroischen Leidenschaften den Weg gewiesen hatte, sieben Jahre in der Engelsburg gefoltert und schließlich als Ketzer verbrannt wordenwar, frönte Fürst Vicino Orsini in der Sicherheit seines weltabgeschiedenen Bomarzo unbehelligt seinen intellektuellen und anderweitigen Lüsten. In der Attitüde des antiken Philosophen mit langem Haar und Bart, die sich mit der des biblischen Moses in der Papacqua überschneidet, stellte er sich als Prophet, Magier und Herrscher eines neuen Goldenen Zeitalters dar. So wie der Ort eine kongeniale und unentwirrbare Einheit von Kunst und Natur bildet(e), beschreiben die Fotos, indem sie Ursache und Wirkung in einem sind, den Verlauf der Gedankengänge durch das Wäldchen. Im Kontext belegen sie groß formatigals Illustrationen, aber auch klein, im Range von Fußnoten, die These eines hermetischen Läuterungsweges und einer Erlösungshoffnung, die sich nicht am römischenPapst, sondern an den umstürzlerischen Ideen des Giordano Bruno orien tierte. In seinem neuplatonischen Arkadien und innerhalb des Melancholiesyndroms des 16. Jahr hunderts inszenierte sich Vicino als unglück licher, Zeit seines Lebens Gejagter, als moderner Aktaion, dessen lebenslänglicheVerzweiflung und Sinnsuche im heroischen Nymphäum des Heiligen Waldes zu Ende kommt.
11
• Georges Glasberg, »Détail de la tête monstrueuse«, Fotog rafie aus: André Pieyre de Mandiargues, Les mons tres de Bomarzo, 1957
Die Monstrosität und Obszönität seiner Darstel lungen waren von Inschriften kommentiert, die damals ungeheuerlich wirkten. Ihre korrekte Über setzung wurde deshalb hier nicht in der wortwörtlichen, sondern einer neuen, dem renaissancezeitlichen Italienisch entsprechenden Übersetzung vorgenommen, die auch für die Briefe sinnvoll erschien, die in ihrer sehr speziellen Mischung aus italienisch-vulgärsprachlichen, lateinischen und spanischen Elementen bedeutsame Aufschlüsse geben(im Fußnotenteil).
Fotograf auf meinen Reisen unterstützte und auch bei Herrn Daniel Guarise möchte ich mich für den geistigen Austausch und die Überlassung mehrerer Fotos bedanken. Großen Dank schulde ich Herrn Prof. Metzetlin von der Universität Wien, Institut für Romanistik, der mich in den Übersetzungen beraten und bestärkt hat, wodurch gerade dem deutschsprachigen oder dem nur des modernen Italienischen Kundigen in einigen wichtigen Fällen der oft markante oder auch nur feine Unterschied in der Bedeutung vermittelt werdensoll.
In Ergänzung der bestehenden und meiner Grundlagenforschung wurde über Jahre hinweg und zu allen Jahreszeiten und Bedingungen im Wäldchen und im Palazzo Ducale fotografiert sowie in Archiven, Museen und Sammlungen nach neuen Dokumenten und Bildbelegen zu Bomarzo geforscht, und nicht zuletzt wurden auch vor Ort die laufendenarchäologischen Grabungen dokumentiert und interpretiert. Es ist das ausdrückliche Bestreben dieser Arbeit, die Bomarzo-Forschung voranzutreiben.
Die italienische, französische, niederländische und amerikanische Literatur, die an der dominanten Arbeit Bredekamps gemessen, und auch für die hier vorgestellte These eines hermetischenGartens von untergeordneter Bedeutung ist, wird nach den für diese Arbeit relevanten Büchern und Aufsätzen im Anhang angeführt, und bei passender Gelegenheit in den Fußnoten.
Die Bedeutung, die vor allem Künstler dem Heiligen Wald zuerkannten, mag als Hinweis dafür genommen werden, dass alles an diesem Ort persönlich gemeint ist und nichts dem Zufall überlassen – als einzigem Gesetz der Willkür des Einzelnen unterworfen. Naturrecht für jeden – jedoch unter der geistigen Führung des fürstlichen Gastgebers. Die Entschlüsselung der Vicino’schen Privatmythologie ist möglich, weil nachvollziehbar. Der Heilige Wald ist sein Vermächtnis und ein Weltkunstwerk per definitionem. Mein Dank gilt insbesondere Prof. Dr. Peter Gorsen, ohne den ich vieles gar nicht hätte denkenund nachvollziehen können. Ganz herzlich danke ich Familie Bettini, die mir uneingeschränkten Zugang zu allen Einrichtungen und ins Museum sowie ihren persönlichen Schutz und Protektion gewährte und den Kontakt zu Herrn Vittorio Ercolane herstellte, der mir vor Ort mit seinem Wissen und seinen Verbindungen behilflich war. Ganz besonders bedanke ich mich bei Herrn Dr. Alfred Weidinger, der mich als Kollege und
12
Ein Garten gegen Gott und die Welt
Erst nachdem der »Park der Monster« wie seine eleganten Gegenbeispiele als Paradiesgarten betrachtet wurde, gab er gleichsam freiwillig mancheseiner Geheimnisse preis, denn: Die erste Bestimmung des Paradieses ist Überleben in einer feindlichen Umwelt. Unfreundliche und frustrierende Gegebenheiten, zu denen das Paradies sich als Gegenwelt verhält, sind unabdingbar. Nicht aufzugeben, sich selbst treu zu bleibenin einer schlechten Zeit und Gesellschaft war denn auch das Programm des Wäldchens, das den Überlebenskampf in Wüste und unter Bestien auf die Selbstbehauptung des Individuums im Dschungel der römischen Politik ummünzte: In letzter Konsequenz und humanistisch gesteigerter Intellektualität verwandelte Fürst Vicino Orsini mit seinem Rückzug in die Wildnis diese zu einem intellektuellen Ort, und sich selbst in ein wildes Tier. Vicinos etwas aufgesetzt wirkende Begeisterung über seine Zurückgezogenheit und Befriedigung im Boschetto zielte nicht auf einen Abbruch der Beziehungen zur angeblich so verhasstenWelt Roms, sondern auf Bestätigung, denn nur von hier konnte er sich die überzeitliche Wertschätzung erwarten, die ihm in der Provinz mit Sicherheit versagt bleiben würde. Der oppositionelle, antikirchliche, ja sogar häretische Charakter seiner Schöpfung entsprach und entsprang jener Hassliebe des Städters für die Stadt und war ein wesentliches Ingrediens der naturhaften
Konzeption des Wäldchens. Der handverleseneFreundes kreis stellte für den zurück gezogenenVicino das Tor zur »Welt« dar, indem er von ihm mit Nachrichten und Büchern versorgt wurde und sich wiederum bei jenem mit den paradiesischen Erzeugnissen eigener Landwirtschaft bedankte. Das geheime Band dieser zwischen Gelehrsam keit und Zotigkeit oszillierenden Freundschaft scheint ihre Freigebigkeit gewesen zu sein, mit der sich die Freunde an den jeweils ihnen zugänglichen »Lebensmitteln« teilhaben ließen. Wie ein roter Faden zieht sich die Idee des Symposions, der »banchetti perpetui«1, in denen sich die Sorglosigkeit der ewigen Jugend selbst noch im Angesicht des Todes verkörpert, durch Vicinos Biografie. Der Begriff des Gastmahles mit Freunden, der gelehrte und sinnliche Austausch mit den ihm Nahestehenden ist dementsprechend zum Leitmotiv und Schlüssel des Wäldchens geworden.
• Vermutlich Porträt des jun gen Vicino Orsini. Detail des Freskos »Kriegszug unter der Führung von Kardinal Ales sandro Farnese und Karl V. gegen die Lutheraner«, 1560–1566 von Taddeo und Federico Zuccari in der Sala dei Fasti Farnesiani, Caprarola, Villa Farnese
• Blick auf das Theater
Ein Garten gegen Gott und die Welt 15
(Ausschnitt von Abbildung S. 21)
• Lucas Cranach, »Das Goldene Zeitalter«, um 1530 Nationalgalerie, Oslo. Links im Bildhintergrund auf einem Hügel die Burg, aus der wohl die höfische Gesellschaft gekommen ist, um im ummauerten Garten Reigen zu tanzen, zu schwimmen oder der Liebe zu pflegen.
Hermetik
folgt der Leser dieses Buches als Gast dem Weg, auf den ihn der Fürst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts würde verleitet haben.
Die paradiesische Konstitution des Wäldchens und vor allem die Nähe zu den etruskischen Nekropolen bildeten den Rahmen für die Utopie des Wäldchens. Der Bezug auf Heimat und Vergangenheit als auch auf die harmlosen arkadischenTopoi von Hirten leben, Schatzsuche und Jagd täuschten einen locus amoenus vor, in dem sich jedoch ständigAbgründe auftaten, denen mit riesigen, an Abgründen gela gertenFiguren entsprochen wurde. Monumentale Vasen, Urnen, Eicheln und Pinienzapfen makier ten sieben besondereBereiche innerhalb des Geländes. Eine Rekonstruktion der ehemaligen Ikonografie der Topografie, der Architekturen und Bepflanzungen2 sowie viele berechtigte Assoziationen müssen teilweise im Imaginären und Spekulativen verbleiben, weil es auch die Wasserspiele und Tiergehege nicht mehr gibt, die die steinernen Wunder mit sinnlichem Leben erfüllten. Dazu kommt, dass der spezielle Bildungs hintergrund vor dem sie erlebt wurden nur mehr annähernd nachvollzogen werden kann. Deshalb
Es sind in erster Linie Vicinos Briefe, die einen lebensnahen Einblick in seine Persönlichkeit geben und implizit die Entstehung des Wäldchens dokumentieren, weshalb sie auszugsweise im Anhang neu übersetzt als Fußnoten gebracht werden. Der Briefverkehr steht in direktem Zusammenhang mit dem ikonografischen Programm des Wäldchens sowie den dort und an den Terrassen des Palazzo Ducale angebrachten Inschriften. Vicino definierte sein Paradies räumlich und zeitlich als etruskische aetas aurea, die ein ideales Sein bedeutete: Gegenwelt, Selbstbestimmung, Zeitlosigkeit, Liebesfreiheit und Identitätswechsel repräsentierten als die Vergnügen des Landlebens geistvolle Strategien der individuellen Wandlung und Erlösung. »Errettung« und auch die überkommene Verhei ßung einer »Befreiung von allem Bösen« sind als Zivilisationskritik und als Absage an etablierte
Werte zu verstehen. Zusammengenommen und klug inszeniert verliehen sie dem Heiligen Wald jene mysteriös zwiespältige Atmosphäre, die allen von der Außenwelt abgeschlossenen Retiri gemeinsam ist.3 Weil die Fiktion der Gegenwelt nie und nimmer – wie auch die Betrachtung religiöser und politi scher Utopien zeigt – im Hier und Jetzt stattfindet, erforderte ihre Realisierung im Wäldchendie Herausnahme aus Raum und Zeit. Desgleichen löste sich die Gebundenheit des Individuums in alchemistischen Prozessen auf, was im Identi tätswechsel vom Fürsten Orsini zum Naturwesen des Orsino lautmalerisch sinnenf ällig wurde.
In der Metapher des hortus conclusus verschloss sich der Heilige Wald den »balordi« (»Tölpeln«, siehe im Folgenden und unter Fußnote 56), eine recht eindeutige Formulierung Vicinos, die darauf hindeutet, dass das Wäldchen tatsächlich hermetisch abgeschlossen war und der Einlass mit dem Aspekt der Initiation verbunden.
• Bomarzo: Blick auf die Ortschaft mit dem Palazzo Ducale. Wie auf dem Bild Cranachs liegen der Hügel mit der Ortschaft Bomarzo und jener mit dem Wäldchen einander direkt gegenüber und halten Sichtkontakt.
Ein Garten gegen Gott und die Welt 17
Der Heilige Wald Bomarzo in der nördlich von Rom gelegenen Provinz, nahe der Stadt Viterbo, gilt als eines der merkwürdigsten Arrangements der Kunst geschichte. In provinzieller Abgeschiedenheit, die in krassestem Widerspruch zur Monstrosität und Zügellosigkeit der Skulpturen steht, steigen hier wie aus der Unterwelt Gestalten aus Mythologie und Literatur ans Licht des Tages. Die Topografie des Ortes legt eine Gleichsetzung mit der seelischen Unterwelt des nachvollziehenden und bewältigenden Gedächtnisses nahe. Inschriften im Heiligen Wald verstärken die Aura des Ortes mit ihren Anspielungen auf eine irreale, traum- und wahnhafte Wahrheit und Authentizität, die der wirklichen Welt und Identität gegenüberstehen. Der Heilige Wald von Bomarzo ist wegen seiner Einzigartigkeit berühmt. Dabei wurden gerade hier die traditionellsten Motive und Ideen verwirklicht. Es besteht keine Veranlassung, den Heiligen Wald als singuläres Phänomen und als Machwerk eines mehr oder weniger verrückten Adeligen zu verharmlosen – seine Qualität lag und liegt vielmehr in seiner allgemeinen Gültigkeit. Wie den zeitgenössischen Rezensionen zu entnehmen ist, galt er als Inspiration und Aufforderung, über den intellektuellen Prozess der Ver-rückung aus dem wachen und vernünftigen Bewusstsein auszubrechen, um zu Erkenntnis und Läuterung zu gelangen. Die fantastische Ausstattung des Ortes erschuf eine Realität, die sich auf die Wahrnehmung über trug. Der ständige Wechsel zwischen Kunst und Natur bewirkte, dass nichts das war, was es schien. Also existierte das Wäldchen tatsächlich und zugleich körperlos als ein Reich zwischen Traum und Wirklichkeit. Darin ließ es sich weniger den üblichen Gartenanlagen vergleichen als den sogenannten Wunschräumen, die umso berühmter sind, als sie keinen wirklichen Garten, sondern eine Idee darstellen. Die altorientalische Pairi-daeza, der umwallte Garten, ist die Vorlage für die Idee des Paradieses.
18
Ein Garten gegen Gott und die Welt
Das Phänomen spannt einen Bogen zu den Anfängen der Menschheit. Mythologie und Psycho logie verlegen es in prähistorische Zeit, seit der es das absolute Glück und die vollkommene Harmonie verkörpert. Die Sehnsucht nach dem Paradies begründet sich in einer irrationalen und mythischenErinnerung an eine glückvolle Zeit an einem als Garten gedachten Ort. Der Mythos vom Paradies verbindet das Glücksgefühl der frühk indlichen Phase, in der das Ich eine Einheit mit dem mütterlichen Urmedium bildete, mit der Vorstellung eines Lebens wie es sein könnte, wenn es nicht so wäre, wie es ist. Diese Allianz stellte sich für den Heiligen Wald als schicksalhaft heraus. Das Paradies ist das statische, unverrückbareund unzerstörbare Bild eines Zustandes, und »Über leben in einer feindlichen Umwelt« gleichsam ein Prototypus von Humanitas. Das von Sonne, Wind und Wüste sowie lebensbedrohlichen Über schwemmungen bestimmte Zweistromland Meso potamien, wo sich nomadisierende Menschen gruppen vor rund 10.000 Jahren langsam zu ackerbautreibenden Völkern entwickelten, deren Kultur auf Naturbeobachtung und -beherrschung beruhte, ist das Ursprungsland des Paradieses, oder der Idee eines Garten Eden. 4 Obwohl seine Ursprünge landwirtschaftlicher Natur sind und auf den Über lebenswillen der frühesten Kulturen zurückgehen, besteht die Realität des Paradieses grundsätzlich in seiner Metaphorik und Unwirklichkeit. Schon relativ bald hatte sich der einfache Garten von seiner rein landwirtschaftlichen Bestimmung zum Abbild der göttlichen Schöpfung entwickelt und stand nunmehr für Inhalte, die direkt mit dem spirituellen Überleben des Menschen assoziiert wurden. Die praktische Beobachtung des Phänomens zeigt, dass nicht Gott, sondern der Mensch das Paradies erschaffen hat. Es entstand nicht am Anfang aller Dinge, sondern ist vielmehr die Antwort auf die vom Menschen zivilisatorisch verunstaltete Welt. In Vicinos Paradies galt das in antiker Zeit auf Arkadien übertragene und im Cinquecento neuplatonisch-neuetruskisch und neuepikureisch begründete Modell eines selbstbestimmten Lebens. Überleben hatte im manieristischen
Gesamtkunstwerk des Sacro Bosco eine neue Konnotation erfahren, denn in Vicinos Auslegung des Paradieses bot die herkömmliche Idylle im Rahmen der Forderung nach Selbstbestimmtheit und Authentizität zusätzlich noch die Befriedigung atavistischer Bedürfnisse, die im Kontext des Gegenweltlichen Liebesfreiheit bis zum Natur recht auslegte. Die schreckliche Authentizität, die terribilitá(Schrecklichkeit), die im italienischen Manierismus als Ausweis geistiger Überlegenheit galt5, korrespondierte der unterweltlichen Struktur des Wäldchens. Die Topografie des Ortes war selbst schon Ikonografie, als sie mit der etruskischen Kultur untrennbar verbunden war. Der ständige Rekurs und der Austausch mit der »Welt der Menschen und Meinungen« (Plato) machte den Garten – der Paradies, Eden, Hortus, Minnegärtlein, Arkadien, Kythera und manches mehr heißen kann – zur Projektionsfläche für die üblichen Wünsche, Ängste und Obsessionen, die gemeinhin mit dem Begriff Natur verknüpft werden. Zu Vicinos Zeit entwickelte sich der Begriff Arkadien vorwiegend als gegenweltliche Spiegelung der verruchten Stadt – als Ort der Selbstverwirklichung und der Liebesfreiheit, wo der Mensch »das Einssein mit den Urkräften des Lebens erlebte«.6 Arkadien war kein realerOrt mehr, sondern verfremdete die trostlose griechische Landschaft zur Inszenierung und höchsten Steigerungsstufe des Naturbegriffes. Als Ideal war Arkadien so populär wie nie zuvor: Im Neu platonismus wurde es in der Neuauslegung der antiken Schriftsteller und Philosophen zu einem Abstraktum. Als Reflex dieser Renaissancen genügte das Wäldchen Vicinos, wie Dotson richtig und unübersetzbar schreibt, dem »most sophisti cated Renaissance taste«.7
Illustration der höchst verdächtigen Heroischen Leidenschaften Giordano Brunos angelegt,8 indem es den Wanderer in gefährliche Situationen brachte und an seine Abgründe heranführte: Anschauung fiel sowohl bei Bruno als auch bei Vicino mit dem fulgur, dem Blitzstrahl der Erkenntnis, zusammen. Giordano Brunos Auslegung, dass der menschliche Geist die »blendende Wirkung des Blitzes« nicht aushalte und davon getötet würde,9 nahm auch Vicino als Parabel für die letzte Erkenntnis, die zugleich Tod und Erlösung bringe. Während Bruno die häretischen Implikationen seiner Thesen mit dem Tod verifizierte, setzte sie Vicino mit der Erbauung und Inszenierung eines heroischen Nymphäums in die Tat um.10 Wie innig sich sinnliche Erfahrung im Zwischen reich des Gartens mit intellektueller Erkenntnis verbündet, zeigt sich am deutlichsten im Bestreben, den grundsätzlich natürlichen Garten in einen ebenso prinzipiell künstlichen geistigen Ort zu
In seiner Blütezeit, also um 1580, als der Heilige Wald noch entsprechend bepflanzt, bewässert sowie von exotischen Tieren bevölkert und durch Symposien belebt war, handelte es sich um Fulgu ration im besten Wortsinn: ein materiell und ideell naturwissenschaftliches System aus Kunst und Natur, das im Sinne des Ganzen mehr war als die Summe seiner Teile. Das Wäldchen war als
Ein Garten gegen Gott und die Welt 19
• »Lichtmystik« im Inneren des Höllenschlundes
verwandeln: Die Idee des Gartens, oder die Kunst des Gartens, oder auch die ambivalente Stellung des Gartens zwischen Natur und Kunst hatte sich in der Renaissance emanzipiert. Nun war der Garten keine mittelalterlich-symbolischeMetapher mehr für etwas anderes und seine Blumen, Bäume und erst recht das Wasser bedeuteten nichts weniger als sinnlichen Genuss. Auch die materielle und technische Seite der komplexenAnlage war nicht Selbstzweck. Beides verband sich im Sinne der Fulguration zu einem natürlichen und doch unwirklichen Konstrukt. Die ständig zwischen Materie und Geist fluktuierende Sphäre der Natur (griech. pantha rhei, dt. alles fließt) stellte sich als Träger einer übernatürlichen Weisheit, eines Wissens um die ersten und letzten Dinge heraus, das sich im erstenund ältesten Prinzip von Eros und Thanatos manifestierte. Der ständige und doch gleichbleibende Wandel der Natur war die ideale Metapher, und der Garten der ideale Schauplatz für komplexeGedankengänge. In der vom Menschen kultiv ierten Natur trafen die göttlich-natürliche und die menschlich-künstliche Welt aufeinander. In der Sehnsucht nach den Ursprüngen, die zugleich das Ziel dieser Sehnsüchte waren und somit Anfang und Ende in einem, war schon die Idee des Paradieses enthalten, das für den einen eine glückvolle Urvergangenheit, für den anderen eine zukünftige und aus eigener Kraft zu verwirk lichende Vision bedeutete. In dieser besonderen Sphäre besaß die sinnliche Realität der Bäume, Blumen, Kräuter und des Wassers eine übertragene Bedeutung, die auf eine übersinnliche, teils sogar verborgene Wahrheit hinwies, sodass bei den meisten Darstellungen von Paradiesgärtlein und horti conclusi nicht klar war, ob es sich um konkrete oder immaterielle Orte handelte. Diese auratische Unbestimmtheit war denn auch ein wesentliches Merkmal des Wäldchens. Dieses Paradies eines übergeordneten, in dem Sinne arkadischen Naturreiches, war viel mehr als nur die Fantasie eines verwöhnten oder abartigen Adeligen, der sich in der Provinz sein lüstern-intellektuelles Retiro schuf, sondern der Höhepunkt einer kontinuierlichen Entwicklung des Naturverständnisses.
20
Ein Garten gegen Gott und die Welt
Vicino Orsini Der Boschetto war so stark mit seinem Schöpfer Orsini identifiziert, das der eine nicht vom anderen zu trennen war. Vicino Orsini wurde am 4. Juli 1523 in Rom geboren.11 Das Erbe, das ihm von seinemVater, dem berüchtigten Condottiere Gian Corrado de Orsini durch den vermittelnden Kardinal Alessandro Farnese 1542 endlich zugesprochen wurde, umfasste das etruskische Kern land mit dem Stammsitz Bomarzo. Durch den Erwerb von Chia und Torre di Chia, die Vicino seinem Bruder Maerbale ablöste, wurden die Gebiete um den Monte Casale im Südosten und dem nordwestlichen Monte Casoli zusammen gefasst. Florenz und Venedig wurden in der Folge, und trotzdem Vicino Orsini in Rom zu reüssieren schien, wichtige Etappen seiner Entwicklung, die sein Selbstverständnis bis ins Programm des Wäldchens prägten. 1541 fand, nachdem Vicinos langjährige Geliebte Adriana de Roza ganz plötzlich gestorben war, die politisch motivierte Ehe schließung mit Giulia Farnese statt, die ihn noch enger an die Papstfamilie anschloss. Bald darauf führten ihn Kriegszüge nach Deutschland und Frankreich. Bei dieser Gelegenheit begründete Vicino seine Freundschaft mit Cristoforo Madruzzo, Alessandro Farnese und Torquato Conti, die den päpstlich-kaiserlichen Zug gegen die Schmalkaldener diplomatisch und praktisch koordinierten. Den Winter 1546 bis 1547 verbrach ten sie in Deutschland, Anfang 1547 kehrte Vicino nach dem Bruch der päpstlich-kaiserlichen Allianz nach Bomarzo zurück. 1553 führte ihn ein zweiter Kriegszug, der ihn nun mit den ehemaligen Fein den, den Franzosen, gegen den Kaiser verbündete, nach dem Norden. Im Gefolge der Farnese, die sich dem französischen König anschlossen und diese Allianz 1553 sogar mit der Verbindung Orazio Farneses und der Tochter des Kaisers bekräftigten, fand sich Vicino erneut bei den Verlierern. Im selben Jahr fiel Orazio in Hesdin und die franzö sisch-italienischen Verbände kapitulierten. In Antwerpen gerieten Vicino und Torquato Conti in Gefangenschaft, wurden jedoch bald nach Namur
überstellt, wo sie sich als adelige Kriegsgefangene so manche Vergünstigung zu verschaffen wussten. Als sich ihre Lage dramatisch verschlechterte und einer von beiden anscheinend ernstlich erkrankte, richteten sie ihre Bitte um Intervention an Alessandro Farnese, der sie immerhin in die trostlose und unverschuldete Lage gebracht hatte. Erst 1554 wurde Torquato Conti, und ein Jahr später Vicino Orsini, freigelassen. Kaum nach Bomarzo zurückgekehrt, wurde er im Kielwasser der Farnese in einen neuerlichen Konflikt verwickelt, diesmal zwischen dem französischen König und Spanien. Als die Farnese erneut die Fronten, diesmal zu Philipp II. von Spanien wechselten – gerade als Vicino in dieser Angelegenheit im Auftrag der Farnese in Frankreich war – kam es zum Bruch mit den Papstenkeln Alessandro und Ottavio, was sich auch im Programm des Wäldchens niederschlug. Mit sarkastischem Unterton schrieb Vicino an Ottavio Farnese, dass
er »gedient habe, zu dienen wisse und auch weiter hin dienen werde«.12 Als nächstes, und wieder unfreiw illig, nahm er als Kommandant von Velletri im Auftrag des Papstes am Campagna-Krieg teil. Dabei ging es gegen die fast bis nach Rom vorrückenden Spanier unter dem spanischen Herzog von Alba. Es kam zu einem völlig unnötigen und von den »Päpstlichen« veranstalteten Massaker an der Zivilbevölkerung von Montefortino. Obwohl er es weder angeordnet, noch daran teilgenommen hatte, prägte ihn das Ereignis so stark, dass er sich endgültig und völlig desillusioniert zurückzog. Ab diesemMoment widmeteer sich bis zu seinem Tod am 28. Jänner 1585 dem Familienleben und seinem Wäldchen. Vicinos Charakterbild begründete sich aus diesen Erlebnissen menschlicher Niedertracht und der Gebundenheit des Individuums. Erlösung und Läuterung wurden nun zu Symbolen des
• Taddeo und Federico Zuccari, »Kriegszug unter der Führung von Kardinal Alessandro Farnese und Karl V. gegen die Luther aner«, 1560–1566, in der Sala dei Fasti Farnesiani der Villa Farnese in Caprarola. Diesen Landsitz ließ Alessandro Farnese, der Enkel des Papstes Paul III., um 1550 nach den Plänen Vignolas errichten und mit einem prachtvollen Garten umgeben. Detail des jungen Vicino Orsini auf S. 15.
Ein Garten gegen Gott und die Welt 21
Renaissancefürsten ist in diesen Briefen gegenwärtig. Parallel zu den Ereignissen seines privaten und öffentlichen Lebens dokumentieren sie die Entstehung des Wäldchens und seine kompen satorische Wirkung. Anhand der literarischen und archäologischen Vorlagen, die Vicino Orsini zur Verfügung standen, ist die originelle, geografisch und genealogisch naheliegende Verbindung des paradiesischen mit dem etruskischen Vorstellungskreis zu einem Läuterungsweg nachvollziehbar. Das Programm war von Motiven der Verschlingung und Erlösung bestimmt und als Sehnsucht nach Rückkehr zu den Ursprüngen in den ständig wiederkehrenden Motiven von Grotten, zähnestarrenden Ungeheuern und vulvischen Formen zum Ausdruck gebracht.15 Seine Logik ergab sich aus der Wechselbeziehung von locus amoenus und locus terribilis.16
• Im etruskischen Orkus: verschlingende Monster im etruskischen Orkus • Blera: Blick auf die
Widerstandes – gerade deswegen, weil sie von Rom und vor allem von der römisch-katholischen Kirche nicht zu erwarten waren. Vicinos Opposition bestand daher in einer eigenständigen Lösung, die der offiziellen Lehrmeinung antagonistisch und konterkarierend gegenüberstand.
Nekropole
Unmissverständlich und bekenntnishaft wirkt der Stil seiner Briefe (siehe Autografe S. 226), die teils in Latein abgefasst sind, teils im Volgare, einer zeitgenössischen und regional fixierten Sprachform, in der sich Vicino »der Endlichkeit der mensch lichen Existenz« stellte.13 Insbesondere die immer wiederkehrende Formulierung der »altro mondo«14 bezeichnete wörtlich die Intention einer oppositionellen Gegenwelt zur römischen Gesellschaft und Kirche, die freilich so gut argumentiert war, dass sie von den Uneingeweihten abgeschlossen nur einem kleinen Kreis Gleichgesinnter zugänglich war. Die konfliktbeladene, hochgebildete, chauvinistische und subtile, von Arroganz und Minderwertigkeitsgefühlen, Sinnenlust und Melancholie determinierte Persönlichkeit des
22
Ein Garten gegen Gott und die Welt
Verschlüsselungen verhüllten den wahren Wert des Wäldchens, der im liberalen Kreis um Vicino nicht nur diskutiert, sondern vor allem gelebt wurde:17 Die Villeggiatura als Metapher der Kunst, die sich in der einer hochnoblen Ars Vivendi äußerte und unter der Herrschaft Saturns abspielte – also folg tendie adligenFürsten und Kleriker ihrem vor gezeichnetenSchicksal, indem sie in den etrusk i schenGräbern auf Schatzsuche gingen18 oder sich in der Gestalt des unglücklichen (melancholischen) Jünglings Aktaion auf die hermetische Jagd19 begaben, an deren Ende sie selbst die Beute ihrer geisti gen Unrast wurden. Kunst, Schatzsuche und Jagd waren sublime Metaphern der Erlösung, mit denen die intellektuelle Elite des Neuplatonismus ihr spiri tuelles Bedürfnis nach Selbstvervollkommnung ausdrückte. Konsequent zu Ende gedacht begriff sich Vicino in seiner künstlerischen und geistigen Kreativität, die sowohl intellektuelle Pose als auch natürlicher Hang zum Grübeln war, als Teil eines ewigen Prozesses und daher an der Unsterblichkeit teil habend.
Ein Garten gegen Gott und die Welt 23
24
Ein Garten gegen Gott und die Welt
Herr von Bomarzo, Fürst von Arkadien Bomarzo liegt im Herzen des Etruskerlandes, unweit der Stadt Viterbo und wenig oberhalb von Rom. Der Palazzo Ducale, Stammsitz der Familie Orsini, liegt mitten in der Ortschaft Bomarzo, aus der er als einzige einheitliche Form massigherausragt. Die Ortschaft selbst ist in ihrer mittelalterlichenAnlage noch unversehrt und gibt einen guten Einblick in die Lebens- und Wohnverhältnisse zu Zeiten Vicino Orsinis. Obwohl es nicht das provinzielle und armselige Bomarzo mit dem Palazzo Ducale war, sondern die korrupte Welt Roms, die den Anstoß für die Errichtung Arkadiens gab, stand der dominante Block des Palazzo Ducale stellvertretend für die Realität der offiziellen Welt, aus der der Fürst mit seinemgelehrten und unflätigen Freundeskreis auszubrechen wünschte. Die Konfrontation konnte nicht besser gelingen, denn seine Imagination Arkadiens lag gleich auf dem Hügel gegenüber. Die natürlicheGegebenheit des von einem ungeregelten Bach durchflossenen und von monumentalen Felsblöcken durchsetzten Terrains20 stimmte mit den Äußerungen Vicinos überein, mit denen er seine Rückkehr »in die Wälder Bomarzos« kommentierte.21 Der Rückzug in die Provinz war bereits zivilisationskritisches Aussteigertum; dass die Enge und die Zurückgebliebenheit Bomarzos den verwöhnten Renaissanceadeligen nicht auf Dauer fesselten ist so gut nachvollziehbar wie die von hier aus unternommene Entdeckung und Revitalisierung Arkadiens auf dem gegenüberliegenden Hügel. Die an den Terrassen des Palazzo Ducale angebrachten Inschriften dokumentierten dieses Vorhaben. Vicino selbst sprach nur von »mio Boschetto« oder in lautmalerischer Verdrehung in süditalienischem Dialekt von »Bummarzo«, was dem Ort einen irrealen und nach dem Vorbild der Comedia sogar infernalischen Klang verlieh.22
Die Kunstform des italienischen Renaissance gartens definierte den Boschetto als zeitgenössisches Äquivalent zu Arkadien. Während sich der kultivierte Garten eher mit der christlichen Auffassung eines verlorenen Paradieses verband, galt der Boschetto als zwangfreies Naturreich, in dem der zivilisierte Städter seine Bedürfnisse und Fantasien ausleben, ja sogar einfordern konnte. Der Boschetto als das Reich Pans, in dem hemmungs loses Treiben herrschte und die wahreIdentität zum Vorschein kam, stand in Opposition zum zivilisierten Park oder erst recht dem christologischen Hortus mit seinen idealisierten Vorstellungen von Eros und Thanatos. Aufgeklärte und melancho lische Geister wie Vicino stellten die mittelalter liche und selbst noch die neuplatonische Kultur mit ihrer Sublimationstheorie, die eine Entfremdung von den authentischen, körperlichen Bedürfnissen bedeutete, in Frage. Antike Philosophen und ultra montane Autoren wie Gesner und Celsus, aber vermutlich auch Giordano Brunos Werke die auf dem Index standen, erhielt Vicino von Giovanni Drouet, wie eine lapidare, offensichtlich verschlüsselte Bemerkung über ein Buch nahelegt: »mando a v. s. un libretto in favore delle donne« (»schicke ich Euer Durchlaucht das kleine Büchlein mit dem Frauenlob«).23 Obwohl Vicino Brunos Alterswerk nicht explizit erwähnte, das mit den traditionellen Ansichten über die Leidenschaften und dem
• Vicino Orsini, Schaumünze von Pastorino Pastorini, um 1550, vergrößerter Abguss in der Comune di Bomarzo • Bomarzo: Blick auf den Palazzo Ducale inmitten der Ortschaft
• Bomarzo, Palazzo Ducale: Blick auf den Heiligen Wald von der Terrasse des Palazzo Ducale
Paradies im Allgemeinen aufräumte, war die nahezu wortwörtliche Ikonografie des Wäldchens als dessenAuswirkung offenkundig. »Damit hört die Paradiesvorstellung auf, als Original und Ideal des menschlichen Lebens zu gelten. Indem Bruno den Paradiesgarten als Ort der Tiere bezeichnet, macht er deutlich, dass die Menschlichkeit erst dort beginnt, wo der Zustand der Unschuld schon verlassen ist«.24 Im Wäldchen kam es zur Rückkehr in die verschiedenen, immer weiblich verschlingenden Formen einer zugleich schrecklich und wunderbar erlebten Natur. Die Ikonografie des locus terribilis verschränkte sich mit der des locus amoenus, wobei dieser als Vorwand diente, um jenen hervorbrechen zu lassen. Das christliche Paradies gab den Hintergrund ab, vor dem der Anspruch des Wäldchens als kathartische Gegenwelt offensichtlich wurde: der Vorstellungskreis einer endgültigen Vereinigung von Adam und Eva, Geist und Körper sowie der Rückkehr in die paradiesische Einheit mit Gott in einem Garten wurde mit pseudo-antiken, archaischen Initiationsriten erweitert und als lustvolle Vision erlebt.
• Hieronymus Bosch, Paradiesestafel des »Gartens der Lüste«, Ausschnitt »Garten Eden«, um 1500. Prado, Madrid
Prädestination Vicinos Schwermut, die er an sich selbst wahrnahm und in Beziehung zu seiner geistigen Verfassung setzte 25 hatte mehrere, sowohl äußerliche als auch innerliche Ursachen: Konstitutionell ein Melan choliker und zusätzlich enttäuscht von dem Leben, das er bisher zu führen gezwungen war, repräsen tierten vor allem Rom und die römische Kirche, später sogar die nach Rom (sic!) zurückgekehrte Kurtisane Laura eine Welt, der er mit dem Wäld chen ein starkes Argument entgegenstellte. Seine selbstgewählte und selbstbestätigende Isolation rechtfertigte er mit der ihn periodisch überfallen den Melancholie, die er durchaus als pathologi schen Grundzug seiner Persönlichkeit erkannte und mit »Rezepten« gegen die Verstimmungen von Magen und Seele bekämpfte.26 Parallel erhielt das Wäldchen die Funktion eines auch geistig fernen und abgeschlossenen eigenen Reiches, dessen Ikonografie des Gegenweltlichen folgerichtig zu einer des Jenseitigen ausgeweitet wurde und endlich aus einer oppositionellen Haltung zur römisch-katholischen Lehrmeinung sogar die Idee eines Weiterlebens außerhalb von Raum und Zeit erörterte. Melancholie und Todesgedanken waren untrennbar mit dem Paradies verbunden. Sie implizierten die scheinbar unvereinbaren Gegensätze von Garten und Vergänglichkeit, Geist und Materie, Freiheit und Unterordnung. Das die Natur beherrschende Prinzip von Eros und Thanatos, das den ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen bestimmt, wurde bereits als Allegorie von Tertul lian, dem spätantiken Vertreter der leiblichen Auferstehung, vertreten. Seine Erkenntnis formulierte die einfache Naturbeobachtung, dass nichts Natürliches vergänglich sei, es sei denn zu seiner Erhaltung, und stellte gewissermaßen den ideen geschichtlichen Vorläufer des et in Arcadia ego dar. Das Zitat hatte keine antiken Vorlagen,27 sondernentwickelte sich im Spannungsfeld renais sancezeitlicher Ideen und es ist wohl kaum überinterpretiert, den Boschetto sowohl als Ursache als
auch Wirkung dieser Überlegungen zu betrachten. Der Aspekt des Traurigen, ja Melancholischen, den Vicino als geistige Grundhaltung kultivierte, war im Wäldchen allgegenwärtig. Tatsächlich konnte das humanistische Arkadien als Fortsetzung der christlichen Idee vom verlorenen Paradies gelten. Fast ein halbes Jahrtausend später hatte Erwin Panofsky Arkadien als »die rückwärts gewandte Vision eines unübertrefflichen Glücks« beschrie ben, »das in der Vergangenheit genossen wurde, danach für immer unerreichbar und dennoch in der Erinnerung dauerhaft lebendig blieb: ein vom Tod beendetes vergangenes Glück«. Weiter fragte er dem Phänomen des Traurigen nach: »Wie geschah es, dass jene nicht übermäßig reiche Landschaft Mittelgriechenlands, Arkadien, dazu kam, dass man sie allgemein für ein ideales Reich vollkommener Glückseligkeit und Schönheit hielt, für einen leibhaftigen Traum unaussprechlichen Glücks, das dennoch ein Schimmer ›süß-trauriger‹ Melancholie umgab?«28
zu Ansehen, vorher richteten sich alle Paradiesessehnsüchte auf weiter entfernte Gegenden wie Sizilien oder überhaupt imaginäre Landschaften einer ebenso sagenhaften Vorzeit. In echter Antikenbegeisterung war auch in der Renaissance Arkadien noch immer ambivalent, indem die von Ovid als quasi prähistorisches Goldenes Zeitalter geprägte Version und jene Vergils als das ultimative Idyll nebeneinander im Bewusstsein der Künstler und Fürsten existier ten. Jedenfalls war nicht Ovid, sondern Vergil der Urheber oder zumindest Auslöser jener dissonan ten Stimmung aus idealer Landschaft und mensch lichem, seelischem Leiden, die in jener elegischen, wehmütig melancholischen Gefühlslage ihren Ausdruck fand und als hauptsächliche Auslegung über die Jahrhunderte bestand.29 Vor allem die Geschichte des Daphnis 30 überlieferte die von Panofsky so treffend zusammengefasste elegi sche Stimmung durch das Motiv des Grabsteines an die Renaissance.
Für uns sind seine Bemerkungen insofern bedeut sam, als Arkadien als zweiseitig beschrieben wird: einmal als das sogenannte Goldene Zeitalter der ewig jungen und ideal schönen Menschen im ewigen Frühling, die sich von den Früchten der Natur nähren, zum anderen als das wilde, unweg same und dornige Arkadien, dessen Bewohner eine fast untermenschliche Existenz führen. Durch die Vermittlung der antiken Literatur und die christo logische Parallele zum biblischen Garten Eden war dem idyllischenArkadien der Schäferstündchen eine ständige Hochkonjunktur beschieden. Die übliche Villeggiatura bezog sich auf diese Aus legung Arkadiens, die auf das Wäldchen Vicinos nur bedingt übertragbar war. Vielmehr diente sie hier als Vorwand und Bühne für den schrecklichen Aufbruch des Idylls.
Im 16. Jahrhundert hatte das todtraurige und süßliche Sentiment im eindeutig kopflastigen Melancholiesyndrom seine moderne Fortsetzung gefunden. Quasi stellvertretend ersetzten Gräber und Ruinen in der Bedeutung des Memento mori die Fiktion des unwiederbringlich verlorenge gangenen antiken Lebensgefühls. Die ständigen Todesbetrachtungen und -sehnsüchte Vicinos, sowohl aus körperlicher als auch astrologischer Disposition herrührend, fanden in den mit Weisheit aufgeladenen etruskischen Nekropolen ihr zeit gemäßes Ebenbild. Also spannten Kunstwerke, wie sie die großen antiken Dichter hinterlassen hat ten, genauso wie zeitgenössische, extravagante Denkgebäude und Kunstwerke (inganni!), einen Bogen von den antiken Zeiten bis in die Gegenwart des Heiligen Waldes, wo man sie in natura besichti gen und sich daran erfreuen konnte.
Arkadien war die fiktive Landschaft schlechthin. Ihr wichtigstes Merkmal war Distanz, die genauso gut eine räumliche als eine zeitliche sein konnte. Eines der konstituierenden Merkmale des Paradie ses war seine Unerreichbarkeit: Das griechische Arkadien kam erst in der lateinischen Poetik
Am Beginn der Neuzeit wurde Arkadien zum Wunschraum, dessen kurzfristige Vergegenwärti gung mit der Beschwörung der Antike möglich war, eine anerkannte Utopie, die dem Anspruch auf Unerreichbarkeit genügte. Die räumliche Entfernung, die in der Antike den Wunschraum
Ein Garten gegen Gott und die Welt 27
• Torquato Tasso (Alessandro Allori, 1544–1595) war einer der wichtigsten Vertreter
Arkadien glaubwürdig gemacht hatte, wurde nunmehr eine geistige: In der Renaissance waren es Vergangenheit und die Erkenntnis der Vergänglichkeit, die das Ideal so begehrenswert unerreichbar machten. Auch als moralisch integre Gegenwelt zur physisch und psychisch zerstörerisch empfundenen Alltagswelt der Städte und Höfe war es jetzt erstrebenswert. Diese Entwicklung machte aus den zuvor als provinzielle Retiri gehaltenen Villen geistige Preziosen einer paradiesischen Bildungswelt. Äußerer Sinnenreiz und höchste Erkenntnis verwirklichten sich im arkadischen Ideal. Diese Verbindung stellte sich als genial heraus und es waren die höchsten geistigen und weltlichen Würdenträger, die sich nun mit Gärten schmückten.
der sogenannten Schäfer dichtung, die in der Renais sance die Kultur der Fürsten höfe prägte. Tassos Aminta war einer der berühmtesten
Seltsame Blüten trieb Arkadien, indem es als fiktive und daher unangreifbare Kunstwelt die menschliche Verworfenheit und somit Verelendung des Städters kontradiktorisch mit Arkadien gleichsetzte.
Hirtenromane, in dem es darum ging, der Liebe und dem von ihr verliehenen Edelmut zu ihrem Recht zu verhelfen.
• Nicolas Poussin, »Et in Arcadia ego«, 1638–1622 Louvre, Paris
28
Ein Garten gegen Gott und die Welt
Mit Aminta entwarf der Meister der zeitgenössischen Anspielung, Torquato Tasso, das Paradoxon der geistigen und moralischen Niedertracht, die sich im fiktiven Schäferspiel und alle Maßstäbe umdrehend – das Drama im Idyll und die zeitgenössische Hofkamarilla im Mäntelchen der Hirten – darstellte. Mit dieser Metapher für den Verfall des Menschen vom edlen Wilden zum Kulturmenschen hatte Torquato Tasso die individuelle und verderbte Existenz des Höflings mit den gleichsam überhistorischen erotischen Tragödien der Arkadier karikiert. Arkadien stand für den ganzen Vorstellungskom plex eines besseren Lebens, das direkt mit der Villeggiatura, die in der Renaissance so stark in Mode gekommen war, verbunden wurde. Die Idee von einem Leben in natürlicher Einfachheit, weit weg von der Verdorbenheit und Unlust, der Amoral und dem Gestank der Städte, der Arbeitswelt, des Hofes, der römischen Kirche mit ihrer verkommenen Moral und stringenten Etikette, war ganz
allgemein ein städtisches Ideal. 31 Wie das Paradies und Arkadien hatte auch die Wunschwelt Land wenig mit ihrem natürlichen Vorbild gemein, sondern lebte von der Imagination, die die Künste leisteten und die in der Ars Vivendi der Villeggiatura ihren aristokratischen Niederschlag fand. Malerei und Dichtkunst waren die Medien, in denen sich die Inhalte ausdrücken und mit den entsprechenden Anschauungen verbinden ließen. Die sentimentale Suche oder, besser gesagt, der sentimentale Versuch einer Rückgewinnung oder Wiederherstellung des verlorenen Paradieses, bezog sich auf vorbereitete Bilder, die nicht mehr aus dem Umkreis der katholischen Kirche stammten. Arkadien, antike Lebensphilosophie, mit Vorliebe und Genugtuung die epikureische, wie auch exotische Lebensformen fremder Völker waren die zeitgemäßen Alternativen, die im Gefolge der allgemeinen neuplatonischen Umdeu tungen zunächst noch fromme und dann immer selbstständigere, anthropozentristische Thesen ableiteten. Die anspruchslose, verwilderte und unkultivierte Landschaft im Herzen des Peloponnes war von den Dichtern für sich entdeckt worden und hatte schon in der Antike die Fiktion eines naturnahen und alternativen Lebens- und Denkstils entstehen lassen. 32 Als in der Renaissance nach dem leibfeind lichen Interregnum des christlichen Mittelalters die pagane Bukolik zu neuen und christologisch umgedeuteten Ehren kam, sprach der Schäferroman Boccaccios, Ninfale d’Ameto, der »eine Allegorie der Erziehung des natürlichen Menschen zur Humanität darstellt« 33, weit über das ländliche Motiv hinausgehende Themen an. Ebenso galt für das Wäldchen Vicinos und den initiatorischen Weg eine eigenständige Auslegung, die nur vorgab, nicht auf die Lehrmeinung und Doktrin der christlich-katholischen Kirche zurückzugreifen, die ohne sie aber nicht möglich gewesen wäre und den Begriff der Läuterung auf eine andere Ebene hob: »Ameto, der anfangs den ursprünglichen Zustand der primitiven Wildheit verkörpert, wird sich durch die Liebe zu der
Nymphe Lia seiner selbst bewusst und lernt durch die Unterweisung der anderen Nymphen Kultur und Ethos der Menschheit kennen. Die paganen Gottheiten stehen nicht, wie es auf den ersten Blick scheint, für sich selbst, sondernwerden allegorisch aufgefasst – in den Nymphen erscheinen die christlichen Tugenden, und mit Venus selbst ist nichts anderes als eine Offenbarung Gottes gemeint«. 34 Die Figuren im Wäldchen Vicinos waren nicht ohne diese noch aus dem Mittelalter heraufreichenden Assoziationen und die zeitgenössischen Auslegungen der antiken Werke durch Ficino und Pico della Mirandola verständlich. Der Naturbegriff stimmte weiterhin mit dem von den antiken Bukolikern besungenen locus amoenus und seiner Beseelung mit den numinosen Kräften überein, was sich in der spürbaren Anwesenheit der alten Götter in den anmutigen Hainen und dunklen Wäldern offenbarte. Auch deren äußerer Ausdruck entsprach noch der antiken Sakrallandschaft mit Tempeln, Statuen, Altären, Gräbern usw. Neu war der metaphorische Charakter, der – ähnlich wie im Rosenroman, der Divina Comedia und halbprofanen Werken wie der Arkadia und dem Aminta – die Natur als Abbild einer inneren Wandlung interpretierte. Der Heilige Wald von Bomarzo verglich sich der literarischen Fiktion des altfranzösischen
Ein Garten gegen Gott und die Welt 29
• François Boucher, »Aminta kehrt in den Armen Silvias ins Leben zurück«, 1756 Musée de Beaux-Arts, Tours (FR)
• Tarquinia: Tomba dei Leopardi, Bankettszene, 1. Hälfte des 5. Jhdt. v. u. Z.
Rosenromans, der den Begriff des locus amoenus aus allegorisch ausgelegten antiken Schriften ableitete. 35 Vicino präsentierte das Wäldchen als neuplatonisches Paradies und sich selbst als Nachfahre und Erbe der prisca sapientia: Durchdrungen von der Weisheit der antiken Philo sophen, deutschen Gelehrten, ägyptischen Priester und chaldäischen Sterndeuter hatte er mit dem Wäldchen einen Ort erschaffen, der sich vollkommen der Realität entzog. Wie im Rosenroman konnte er nur im Traum betreten werden. Über setzt in die irrationale Realität des Wäldchens glich Vicino dem Held des Rosenromans, der an der Umfassungsmauer des herrlichen Gartens eine kleine Pforte fand, durch die ihn Frau Muße einließ. Muße, otium, die freie und ungehetzte Zeit der Villeggiatura, wurde als Schlüssel zur Erkenntnis und zum Paradies demjenigen gegeben, der seine Zeit und Gelegenheit zu nutzen verstand und ihn nach Ablauf seinerZeit »freiwillig und mit Dank dem Herrn des Gartens zurückgeben« würde.36
30
Ein Garten gegen Gott und die Welt
Stilistisch und inhaltlich retardierende Elemente beschworen eine längst vergangene bessere Welt. Im Stil und mit der Metaphorik mittelalterlicher Lyrik 37 fügte sich der Sacro Bosco in den Kreis der exklusiven Wunschräume ein: das lebensspendende Wasser und der Baum des Lebens (aqua fons vitae und arbor vitae), die Vereinigung der Gegensätze im Hieros gamos (die archetypische Liaison von Adam und Eva) sowie pantheisti scheSelbstverwirklichung und Liebesfreiheit bis zum Naturrecht. Die lebensschaffenden erotischen Aspekte sind denen des Thanatos, der Verschlingung und Todesfahrt, der Initiation und Wiedergeburt, logisch verbunden. Der den Heiligen Wald durchwanderte folgte dem Muster des Helden, das in die Frühzeit menschlicher Vorstellungskraft zurückreicht, die noch nicht zwischen Mythos und Geschichte unterschied. Die Grundstruktur des Gilgamesch-Epos hat sich auf alle späteren Heldenmythen ausgewirkt, die durchgängig den siegreich Abenteuer bestehenden
und sogar die Unterwelt beschreitenden Helden besingen: Herakles, Theseus, Odysseus und sogar die Legendenbildung um die komplexe Figur Jesu Christi haben davon profitiert. Die antagonistischen Entsprechungen und Ambi valenzen legten eine Interpretation des Heiligen Waldes nach der Form und nach dem Vorbild des christlichen Paradieses nahe, das selbst wieder auf pagane Vorbilder zurückgreift. Als gegenweltliche Vision war Bomarzo ohne die abgelehnte Zivilisation gar nicht denkbar, ja sogar gegenstandslos. Es handelte sich nicht um eine neuplatonische Weihestätte des etablierten und anerkannten Renaissanceideals, sondern um die Wiederbelebung einer genuin paganen und definitiv etruskischen Lebensart. Die furchtlose Sinnlichkeit der sogar noch in ihren Gräbern unbeschwert weiterfeiernden Etrusker war der denkbar größte Gegensatz zur vergeistigten neuplatonischen Auffassung vom Aufstieg der Seele. Es war klar, dass die Wiedergewinnung jener seligen Unbekümmertheit nicht im unsinnlichen und erbarmungslosen, von blutigen Machtkämpfen zwischen Papst, Kaiser und König bestimmten eisernen Zeitalter des 16. Jahrhunderts geschehen konnte.
Dazu bedurfte es einer Zeit und Raum überwindenden Reise in eine mythisch verklärte Vergangenheit, die – tatsächlich unmöglich – vermittels einer Rekonstruktion des Genius Loci unternommen wurde. Diese metaphysische Reise hatte ein ebenso immaterielles Ziel, das sich – paradoxgenug – mit der Vorstellung einer geläuterten Rückkehr deckte. Der chymische Vorgang der Um- und Verwandlung entsprach ganz und gar dem Grundmuster des Heldenepos nach dem der Held durch siegreich bestandene Gefahren, zu denen sogar die Todes fahrt gehört, zum überragenden göttergleichen Heros wird. Bomarzo folgte dem Stereotyp, und obwohl hier Eleusis und Ägypten ins Spiel kamen, glich der Läuterungsweg den Mysterien der minneclichen aventiuren, die der »auf Weltreisen Herumirrende« in Bomarzo zu bestehen hatte. Am Ziel seiner Reise standen der Heilige Gral oder das immaterielle Gold des lapis philosophorum, die ihm als Siegespreis in Gestalt der nackten Polia winkten. Vicinos Beschwörung der vergangenen Hochkultur und ihrer Geheimnisse setzte einen Kontext der umliegenden etruskischen Nekropolen und literarischen Vorbilder wie der Bibel, der Comedia, der Hypnerotomachia und des gerade in Mode gekommenen Corpus Hermeticum voraus. 38
• Nachahmungen etruskischer Nekropolen auf dem Weg von Bomarzo zum Wäldchen, im Hintergrund der Palazzo Ducale
Pan, Herrscher der Wildnis Der richtige Zugang wurde spontan – nach dem Wesen Pans – gefunden. 39 Vicino und seine Gäste kamen durch das sogenannte Vorwäldchen und betraten das Wäldchen, indem sie zwischen zwei Sphingen hindurchschritten. Damit ergab sich alles weitere. Der Wanderer sah sich von Bomarzo kommend in die ihm aus der Literatur vertraute Identität des Poliphil der Hypnerotomachia40 versetzt und geriet nacheinander in ebenfalls nicht unbekannte Situationen, die ihn in mehrere psychische Fallen, begeh- und bedenkbare Ensembles, von einer Station zur nächsten lockten und erst im letzten Teil des Rundganges in einen unausweichlichen landschaftlichen Korridor, der prägnantauf das Ende zuführte. Mittelpunkt und Schwungrad der ganzen Konzeption war die schlafende Riesin, die schicksalhafte Hekate, die schon vom Eingang aus erblickt worden war.
Die Vermischung eigener und fremder Anteile im ikonografischen Programm erhob seine monstra auf die Ebene allgemeiner Gültigkeit. Das erklärte zum Teil die Vermischung bekannter und berühmter Bilder mit persönlichen Mythen, sodass diese von jenen erklärt und jene von diesen in neue Zusammenhänge gesetzt erschienen. Über das Wunder der Täuschung waren die Wunder der Welt und die des Boschetto, der als Ort innerster und geheimster Vorgänge definiert ist (silva daemono rum), miteinander verbunden und – je nachdem – das eine durch das andere verborgen oder ans helle Licht des Tages gebracht. Der Wechsel der Identität brachte die authentische und vor der Welt verborgene Seite des Indiv iduums zum Vorschein. Wie der mittelalterliche Zauber bann um geheimnisvolle Gärten eine geistige, umso wirkungsvollere Schranke vor der Außenwelt aufrichtete 43, war der Eintritt in den Sacro Bosco an die Bedingung der Verwandlung des zivilisierten Menschen in seinen atavistischen Doppelgänger geknüpft.
Mit verschiedenen hermetischen Hinweisen, aufeinander folgenden Einweihungsgraden und Stationen des Wissens wurde der gebildete und aufgeschlossene Besucher in den mythischen Zeitraum seineseigenen Erlebens zurück- und wieder heraufgeführt. Die initiatorische und endgültige Szene der ägyptischen Isis unterhalb der Hekate stand darum am Anfang und zugleich am Ende seiner Reise und führte den Poliphil, egal welchenWeg er wählte, durch ein merkwürdig vertrautes, idyllisches und erschreckendes Arkadien, das ihn – wie die Ewigkeitsschlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt – schlussendlich zum Ort des Anfanges zurückführte . 41
Wie zum Beweis konnten Vicinos Gäste hier die Metamorphose des Fürsten Orsini zum Orsino verfolgen, die ihm – parallel zum Einlass Abstieg in die verschiedenen Unterwelten des Wäldchens – Zugang ins Unterbewusstsein gewährte. In der selbstgewählten und – nomen est omen – vorbestimmten Rolle des Naturwesens spiegelte sich seine adlige, gewissermaßen weltlich-bürgerliche Existenz, die in der zwanglosen Welt Arkadiens befreit, eine Tiefe und Dimension entwickelte, die ihn – rückwirkend – auf eine andere, vergöttlichte Stufe des Seins und ganz allgemein der Wahrneh mung erhob. Freilich war die Neu-Geburt dieses Wesens nur auf der höchsten Stufe renaissancistisch humanistischer Bildung möglich.
Vicino Orsini besaß jene Art renaissancistischer Universalbildung, die eine wenn auch zynisch kommentierte Wundergläubigkeit nicht ausschloss, wie seine dazwischengestreuten kleinen Verweise auf die segni, die Zeichen der Natur und die wiederholten Anspielungen auf die Horoskope der Verwandten und Bekannten, belegen. 42
Die sinnliche Ausstrahlung des Wäldchens war der schlechterdings körperliche Ausdruck der Melancholie. Die eigentümliche Erosvalenz des Sacro Bosco lässt sowohl Lüste als auch Melancho lie und ihre moralischen Bewertungen in einem neuen Licht erscheinen: »Die der Moral immanente Zweideutigkeit trennt Brunos Heroismus
Ein Garten gegen Gott und die Welt 33
• Wappenbär vom Plateau der Proserpina, Detail
Mensch mit seinen Leidenschaften auseinandersetzen müsse. Im Kampf und nicht in gleichgültiger Tugend reife der Mensch zur Menschlichkeit heran. Vicinos Resignation war eine selbst gewählte Pose, mit der er sich der Auffassung, dass der Heroismus des Melancholikers den wahren Philosophen bezeichne und mit Isolation, Verkanntheit und Trübsinn einhergehe, uneingeschränkt anschloss: »Der Heroismus der Leidenschaft berührt somit die Grenze des Sadismus: ›Uneinigkeit und Zerrissenheit in sich selbst‹ und ›Gefallen an der eigenen Verrücktheit‹: so lauten die Zustandsbe schreibungen, mit denen sich Bruno in die europäische Tradition der Abweichung und Abnormität einreiht, die mit dem Melancholie-Syndrom im 16. Jahrhundert ihren Anfang nimmt«. 46 • Giordano Bruno, Philosoph, Dichter, Wissenschaftler, Ketzer und Satiriker. Aus: Opere … ora per la prima volta raccolte e pubblicate da Adolfo Wagner, Weidmann, 1830 Wellcome Library, London
deutlich vom stoischen Ideal des Weisen, der sich von den Affekten distanziert und einen Zustand der Indifferenz erreicht (978). Der Heroismus hingegen erreicht die Selbstbestimmung gerade in der äußersten Steigerung des Affekts, die keine eindeutige Stellungnahme mehr zulässt: ›Daraus folgt, dass das Gesamtgefühl des Leidenschaftlichen zwiespältig, geteilt und quälendist‹ (1097). […] ›Wo die Dinge, die gezeugt werdenund vergehen, in ein und demselben zusammengesetzten Subjekt miteinander verbunden sind, findet sich gleichzeitig das Gefühl von Lust und Traurigkeit‹ (1080).« 44 Im Asclepius 45 hatte Bruno die These einer Läuterung und Erhöhung des Menschen durch Erkenntnis seiner ambivalenten Stellung zwischen Gott und Tier entwickelt. Demnach stellten Reflexion und Beherrschung der Triebe einen dynamischen und spannungsvollen Prozess der Selbsterkenntnis dar, in dessen Verlauf sich der
34
Ein Garten gegen Gott und die Welt
Obwohl Vicino mit biografischen Bezügen sein individuelles Erleben mit den Geschehnissen und Wundern der Welt verband, ja sie noch übertraf, war der überindividuelle, Zeit und Raum außer Kraft setzende Zug des Konzeptes der bleibende Eindruck, mit dem der Heilige Wald wieder verlassen wurde. Der Besucher fand sich in den Wäldern der Dichter, ein Faun oder Schäfer im Reich Pans, ein Ritter in einem mittelalterlichen Zaubergarten, im finsteren Wald verirrt wie Dante oder Poliphil, als er sich selbst in die von den Dichtern entworfenen Szenarien versetzt sah – und wenige Schritte weiter, scheinbar unpassend, als Grabräuber in einer der schaurigen Totenstädte der Etrusker, immer begleitet und geführt von lieb lichen Gesängen oder bizarren Schreien der Vögel, dem tiefen Brummen des Bären und dem allgegenwärtigen Wasser, das je nachdem, friedlich murmelte, schrecklich toste, ahnungsvoll rauschte oder aufsehenerregende Wasserspiele bot. Die abwechselnden Versetzungen in fremde und doch bekannte Identitäten nahmen den zeitlich und räumlich begrenzten Menschen aus seinemUmfeld heraus und rückten ihn in die Sphäre des Ewigen. 47 Trotz seiner Abstammung von einem der ältesten und ehrwürdigsten Adelsgeschlechter Italiens, die ihn für eine entsprechende Laufbahn prädestinierte, und obwohl seine dichterischen Ambitionen
• Giordano Bruno, erste Seite des Dialogo Cena de le Ceneri (Aschermitt wochsmahl), 1584. In der Vignette zwei Hirsche in den Ranken um ein Medaillon mit der Darstellung eines Falken, der eine Taube tötet. Zugleich findet sich auf dieser Seite die charakteris tische Formulierung des »galant homo«, mit der sich auch Vicino seinen großen Vorbildern Epikur und Bruno verband. Siehe dazu Exkurs: Vicino der Epikureer, S. 302–311. Bruno selbst nennt sieben (sic!) Sinnschichten des Aschermittwochsmahls und schreibt: »O unbeständige Dialektiken, verschlungene Zweifel, lästige Trugschlüsse, spitzfindige Fangschlüsse, dunkle Rätsel, verworrene Labyrinthe, verteufelte Sphingen, löst euch auf oder lasst euch lösen«, was sich wie eine Wegbeschreibung durch Vicinos Wäldchen liest. Sowohl die furori eroici als auch Cena de le Ceneri erschienen in den letzten Lebensjahren Vicinos im Druck, ihre fast körperliche Präsenz im Wäldchen und ihre Wechselwirkungen dürften, wie Vicino in seinem Brief an Giovanni Drouet andeutet, bereits in den 70er Jahren des 16. Jhdt. diskutiert worden sein. (Siehe Kap. Herr von Bomarzo, Fürst von Arkadien, S. 25).
Ein Garten gegen Gott und die Welt 35
schon früh mit Laudationes gefeiert worden waren, war sich Vicino der Vergänglichkeit und der Belanglosigkeit seines Lebens schmerzlich bewusst. Dieser speziellen und persönlichen Demütigung – der Unterlegenheit und vor allem der Unfreiheit des Individuums zuzuschreiben – stellte er eine Gegenwelt entgegen, die seine säkulare Bedeutungslosigkeit mit einer zeitlosen Überlegenheit wettmachte. Indem er sich von der ihm verleideten intriganten und verlogenen Außenwelt Roms ab- und seiner echten, naturgemäßen, pantheistischen und arkadischen Innenwelt und Bomarzo zuwandte, gelang es ihm, das Missgeschick seiner enttäuschten Hoffnungen in Erkenntnis und Sinn zu verwandeln. Mit dem Wäldchen leistete Vicino seinen individuell und etruskisch umgeformten Beitrag zur Entstehung der neuzeitlichen Philosophie, die die Gebundenheit des Individuums in einem innovativen und unorthodoxen Sinne beendete. Im Lichte des aufschlussreichen Briefverkehrs, den Vicino Orsini mit seinen Freunden Alessandro Farnese, Giovanni Drouet, Cristoforo Madruzzo und Annibale Caro führte, wird seine Persönlichkeit als die eines außerordentlichen, geistig und körperlich hocherotischen Menschen im platonischen Sinne fassbar. Seine selbstgefällig hemmungs losen und antikisch verschlungenen Reflexionen über die Sinnenlust steigerte er in seinen unbändig lebensvollenBriefen zur Stilform des Obszönen und Nonkonformen. Seine körperlichen und sensorischen »Schwächen« 48 kommentierte er nur vorderg ründig als Alterserscheinungen, denn stets gab er im Anschluss an solche Bemerkungen sarkastisch Beweise seiner intellektuellen Über legenheit. Obwohl er sich und den Adressaten dieser scheinbar wehleidigen Briefe jene »difetti« als zwangsläufige Begleiterscheinungen seiner hervorragenden Disposition darstellte, erkannte Vicino sein körperliches Diminuendo als Vorboten des großen Nichts, dessen Existenz er aufgrund der Nichtigkeit eines lust- und freudlosen Lebens offensichtlich für bewiesener hielt als das eines christlichen ewigen Lebens: »[…] ma io veggho ch’il non operar con gusto, l’esse privo di speranze et, quando ancora venissero delli beni, il non esser
36
Ein Garten gegen Gott und die Welt
atto a valersene, è una spetie di viver morendo e di morir vivendo« (kommt mir vor, dass der, der keine Lust mehr empfindet, auch nicht darauf hoffen darf, dass er, sollten die guten Gelegenheiten wiederkehren, imstande sein wird sich ihrer zu erfreuen und daher eine Art lebender Toter ist) . 49 Obwohl sich Vicino in einem lebenslänglichen Wettkampf um die größere Originalität, das bessere, oder auch nur unflätigere Argument, das ausgefallenere Gericht, das pikantere Buch und, als ihm Laura abhanden kommt, die jüngere Geliebte befand, kann wohl kaum angenommen werden, dass sein Wäldchen einzig zu dem profanen Zweck geschaffen worden sein sollte, seine gebildeten Freunde zu beeindrucken und die »Tölpel« vor den Kopf zu stoßen. Ohne Zweifel aber wurde der tödlichen Welt 50 Roms mit Bomarzo im Stammland der Etrusker wie in einem Spiegel ein Ort der ewigen Lust entgegengehalten. 51 Als Neo-Epikureer, als der Vicino den christlichkatholischen Ambitionen des Neuplatonismus mit antiken Argumenten zu antworten imstande war, gelang ihm eine, nach den sarkastischen Untertönen seiner Briefe zu schließen, nicht einmal ihn selbst beruhigende Synthese zeitgenössi scher Erosvalenz und antiker Seelenruhe. Die Aufforderung zum Genuss bedeutete einen starken intellektuellen Ansporn für ihn, dessen Virilität sich in kongenialer Weise mit Geschmack und Bildung vereinte und gewissermaßen das eine aus dem anderen lebte.52 Schon der Zeitgenosse und Freund Drouet vermutete in der fanatischen Beschäftigung Vicinos mit dem Wäldchen eine kompensatorische Bestätigung der eigenen Willens- und Sexualkraft 53 und wirklich bestand eine Beziehung zwischen seinen melancholischen Briefen und der unverstellten Bestialität seiner Skulpturen, die in jeder Hinsicht das menschliche Maß überstiegen, und – je mehr Vicino selbst von körperlichem Verfall und Niedergang betroffen war – desto hemmungsloser ausfielen.
Ewiges Leben Im Kontext mit den vielfältigen Todesbetrach tungen im Briefverkehr der gelehrten Freunde, vorzüglich mit Giovanni Drouet, wird die grundlegende Vorstellung erkennbar, sich gerade in der Sinnlichkeit des Wäldchens von allem Weltlichen zu befreien,54 denn der erste und ursprünglichste Garant für das Weiterleben nach dem Tod war die Vereinigung der Geschlechter und der Gegensätze. Die archetypische Liaison von Adam und Eva ist eines der konstituierenden Merkmale des Paradieses und die Ausgangssituation im hermetischen Opus. Nur im Mythos und in seinen hermetischen Verunklärungen hatte sich das alte Muster erhalten, das Vicino in verschiedenen vulvischen Formen nachstellte.55 Das waren die Grundlagen des zunehmend ungeheuerlichen Gartenkonzeptes, das immer mehr zu einem Tor in die Unterwelt und somit ins Unter bewusstsein wurde. Im Grenzbereich zwischen dem Realen und Irrealen, zwischen Imagination und Sinnestäuschung, zwischen Tag und Nacht, wachem Bewusstsein und verführerischem oder aufrührerischem Traum, entstand ein doppel sinniges und verlockendes aber auch bizarres und gefährliches Terrain, auf das sich nicht viele wagten – schon gar nicht die vielen »Tölpel«56, denen Vicino Orsini Einlass in sein privates Heiligtum gewährte.
heroischer! – Ruhe führte, der für seinen Briefstil der letzten Jahre charakteristisch ist.58 Mit der großzügigen Resignation und Abgeklärt heit der letzten Briefe, in denen er davon sprach, seineSchuld zurückzuerstatten, einen der dunklen Aussprüche des Vorsokratikers Anaximander für sich umformend,59 wies Vicino auf seinen Philosophenstatus hin. Seine Entsagung liest sich nicht als kleinmütige Ergebung in ein übermächtig erkanntes Schicksal, sondern als unbedingtes Bekenntnis zu den sinnlichen Freuden. Tatsächlich endete Vicinos Leben, als der Garten fertig war. Er gilt als Vermächtnis, das gerade wegen seiner geheimnisumwitterten und unlesbaren Botschaft seinem Schöpfer Fortleben nach dem Tod gesichert hat. Spätere Generationen konnten nicht mehr viel mit der Anlage anfangen und erst durch die Aufmerksamkeit von Künstlern wie Salvador Dalí oder Niki de Saint Phalle oder auch André Heller rückte er wieder ins Weltbild
Immer mehr widmete Vicino seine geistigen und auch körperlichen Kräfte dem Wäldchen, das er als Abbild seiner selbst begriff, und sich selbst in psychosomatischer Wechselbeziehung, wie er seinem Intimus Drouet in Begriffen der Homöopathie und Astrologie auslegte.57 Vicinos Gesundung fiel demnach mit seinem körperlichen Tod und mit der Fertigstellung seines Lebenswerkes zusammen und verifizierte – wie Brunos Heldentod – seine These der Läuterung, die freilich keineswegs christlich inspiriert und intendiert war, aber immerhin zu einem Zustand – nicht stoischer, sondern eben
Ein Garten gegen Gott und die Welt 37
• Vicino als melancholischer Heros, Gigantomachie, Detail des Kopfes
des manierismusbegeisterten zwanzigsten Jahr hunderts. Seitens der Dichtkunst hat der viel gereiste Fritz von Herzmanovsky-Orlando mit der ihm eigenen Hellsichtigkeit die Bedeutung des Heiligen Waldes erfasst und der intellektuellen Preziose im Maskenspiel der Genien ein literarischesDenkmal gesetzt. Im Kapitel über die Hekate wird aus dem Maskenspiel zitiert, wie die Göttin als Achse und Schwungrad der ganzen Anlage den Lauf der Gestirne zu lenken vermag. Als Ort an dem die Zeit stillgestanden ist, nähert sich der Heilige Wald von Bomarzo den mit Arka dien verknüpften Idealen weitestgehend an. Selbst heute, im Verfall, kann nachvollzogen werden, warum er für Vicino Orsinis Zeitgenossen die exklusivste Villeggiatura überhaupt war, die den städtischen Menschen natürlich verwandelte, umund zurückkehren ließ zu seinen Ursprüngen und von seinen Sorgen erlöste:
• Niki de Saint Phalle, »Nana«, Giardino dei Tarocchi in Grossetto (IT), 1979–1996 • Blick der Anna Perenna in das Plateau der etruski schen Götter
38
Ein Garten gegen Gott und die Welt
diese menschen waren die sogenannte goldene rasse, untertanen des kronos. sie lebten ohne sorge und arbeit; sie assen nur eicheln, wilde früchte und honig, der von den bäumen tropfte, und tranken die milch der schafe und ziegen. sie alterten nie und tanzten und lachten viel, für sie war der tod ebenso wenig ein schrecken wie der schlaf. sie alle sind nicht mehr. aber ihre seelen überlebten sie als geister glücklicher ländlicher zufluchtsorte, als spender von glück und als hüter der gerechtigkeit.60
Moli Sette (Sieben Welt wunder), sieben Stufen
1 Bassin im Vorwäldchen (S. 53)
des hermetischenLäu
2 Rampe und alter Eingang
terungsweges (S. 62–63):
3 Sphingen (heute am neuen
I INTROITUS (S. 45)
Eingang – S. 58)
35 Stausee (ehemals) 36 Eingang (heute) 37 Tor (ehemals am Weg von der Ortschaft Bomarzo zum Wäldchen – S. 46)
Bassin im Vorwäldchen,
4 Schiefes Haus (S. 67)
Rampe, Sphingen, Schiefes
5 Polia (S. 76)
38 Stauwehr 39 Kampf der Giganten (S. 209)
Haus, Polia, Obelisken,
6 Mundus (S. 97)
40 Dromos (S. 229)
Amphitheater, Isisgrotte,
7 Anna Perenna (S. 93)
41 Helikon (S. 231)
Hekate
8 Kriegselefant (S. 100)
42 Tartaruga (S. 235)
II Plateau der etruskischen
9 Drachenkampf (S. 107)
43 Orka (S. 241)
Götter (S. 86)
10 Dis Pater (S. 113)
4 4 Wächterlöwen (S. 246)
Anna Perenna, Mundus,
11 Orka (S. 123)
45 Drei Grazien (S. 244)
Kriegselefant, Drachen
12 Plateau der etruskischen
46 Satiresse (S. 248)
kampf, Dis Pater, Orka,
Götter (S. 124)
Hekate, Quellheilig tum
13 Hekate (S. 127)
48 Delfinbrunnen (S. 257)
Pans, Tomba
1 4 Brunnen Pans (S. 128)
49 Isis (S. 263)
15 Tomba (S. 131 und 217)
50 Hermes Trismegistos (S. 263)
Mundus, Kriegselefant,
16 Arkosolbank (S. 135)
51 Panhermen, Isis-Koren und
Drachenkampf,
17 Arkadisches Feld (S. 139)
Höllenschlund, Hirsch,
18 Hirsch (S. 139)
52 Amphitheater (S. 287)
19 Bank
53 Obelisken (S. 290)
20 Riesenvase (S. 178)
5 4 Tor mit Pyramide und Kugeln
III Arkadisches Feld (S. 139)
Arkosolbank IV »le cose inferiori
47 Nymphäum (S. 251)
Janusköpfe (S. 272)
e superiori« (S. 153)
21 Höllenschlund (S. 144)
(ehemals am Weg von der
Tempel, Sternwarte,
22 Tempietto (S. 157)
Ortschaft Bomarzo zum
Proserpinaplateau, Wappen
23 Sternwarte (S. 161)
Wäldchen – S. 46)
bären, Schattenreich
24 Kerberos (S. 167)
V Crucibile (S. 203) Aztekenschädel VI Etruskischer Orkus (S. 223)
29
25 Proserpina (S. 169) 26 Symposion (S. 173) 27 Wappenbären (S. 180)
Tomba, Gigantenkampf,
28 Im Schattenreich (S. 182)
Helikon, Tartaruga, Orka,
29 Etruskischer Felsen (S. 194)
Nymphäum
30 Versunkener Tempel (S. 197)
VII EXITUS (S. 259)
54
32
31 Felsenbank (S. 200)
Isisgrotte, Hekate, Amphi
32 Crucibile (S. 203)
theater, Obelisken, Schiefes
33 Ein-/Ausstiegsstelle (?)
Haus, Polia, Sphingen
3 4 Oberes Stauwehr
33
34
V
37 35
36
19
18
6
III 17 24 22
2
II
IV 23
7
20
25
21
8
5
12
26 9
52
53
53
VII
10 11
27
4
1
I
3
51
50
28
13
49
14 15 16 30
47 45 46
31
48
44
VI
39
40 38
41
42
43
5
10
20 m
• Monte Casoli: Blick auf die etruskische Nekropole gegenüber von Bomarzo
44 Introitus
I. Introitus: Goldenes Zeitalter und Jenseitswelt Den Zeitgenossen galt Vicinos Wäldchen als Sensation im Range eines Abenteuers, was wohl die beste Beschreibung des Phänomens Bomarzo ist. Der Begriff ist nichts weniger als modern, denn die faszinierten Gäste Vicinos empfanden seinen Boschetto als Neubelebung der minneclichen aventiure. Die Ortschaft Bomarzo mit dem Palazzo Ducale gegenüber dem Wäldchen bildeten ein Arrangement, das dem Nexus von Rittertum und Wildnis entsprach: Der Ritter verlässt die Burg und zieht seinem Abenteuer im Wald entgegen.
Bomarzo als ihr Zentrum. Dieser Rundblick war selbst schon ein Antikenzitat und wurde von den Terrassen aus mit tugendhaftenbiblischen und antiken Zitaten kommentiert. Vermutlich bliebensie dem Gast Vicinos unverständlich, bis er die Inschriften im Wäldchen las, die sich erst im Kontext als wechselseitige Welterklärungen zu erkennen gaben. Der Diskurs zwischen der Diesseitswelt des Palazzo Ducale und dem altro mondo des Wäldchens riss daher niemals ab.
Von der Aussichtsterrasse des Palazzo Ducale, der aus der kleinteilig verwinkelten mittelalterlichen Dorfanlage als mächtiger Block herausragte, erblickte der Gast Vicinos zum ersten Mal das Prestigeobjekt des Fürsten, den berühmten Sacro Bosco auf dem gegenüberliegenden Hügel. Die Aussicht auf das umliegende Land band das Kunstwerk des Wäldchens in die Tradition des Landes ein. Die nostalgische Rückerinnerung Francesco Sansovinos an den herrlichen Ausblick von der Terrasse deutet an, dass die Bepflanzung des Wäld chens auf diesen Fernblick anglegt war: Von der Aussichtsterrasse waren das Theater, der See und sogar der Tempel des Wäldchens zu sehen.61 Das Panorama, ein Abglanz etrurischer Macht und Herrlichkeit, bezog sich mit arkadischen Motiven, etruskischen Ruinen und den mittelalterlichen Ortschaften Chia, Mugnano und Attigliano auf
Introitus 45
• Die Ortschaft Attigliano Grisaillemalerei im Palazzo Ducale, Bomarzo • Die Ortschaft Chia, Grisaille malerei im Palazzo Ducale, Bomarzo
Reise nach Arkadien Von Bomarzo, respektive vom Palast und vermut lich sogar von den privaten Räumen Vicino Orsinis, gab es mit großer Wahrscheinlichkeit mehrere Möglichkeiten, das Wäldchen zu erreichen. Am östlichen Ende der Ortschaft Bomarzo gibt es eine bauliche Verbindung, die durch den Ort und wohl auch durch den gewachsenen Felsen zu einer kleinenParkanlage mit einem zentralen Obelisken führte. Dasselbe Symbol ihrer geistigen Allianz hat Cristoforo Madruzzo im Park vor seinem kleinen Casino in Soriano aufstellen lassen und auch in Bagnaia und Caprarola stellten Obelisken die hermetische Verbindung zwischen diesenOrten her. Die offiziellen Wege führten, wie auch Bredekamp schreibt, direkt vom Palazzo durch das Freigelände, während der legendäre Geheimgang wohl kaum die ganze Strecke zwischen der Ortschaft Bomarzo und dem Sacro Bosco durchmaß, sondern am ehesten
• Das in den 1950er Jahren abgebrochene und in die neu errichtete nördliche Umfassungsmauer ein bezoge Tor (siehe Nr. 54 auf dem Plan, S. 40–41, ganze Ansicht im Abendlicht auf S. 6–7); auf der alten Postkarte (gegenüber liegende Seite) in situ
ein privater Zugang, durch ein erst kürzlich restauriertes Stiegenhaus und die teilweise noch immer unerforschten Kellergewölbe des Palazzo Ducale, zu jenem offenen Weg gewesen sein dürfte. Schon wenige Schritte unterhalb der Ortschaft bildeteein steinerner Torbau mit Pyramide und zwei kleinen Kugeln eine geheimnisvolle Eingangs situation. Die Hindurchschreitenden erinnerten sich an die Beschreibungen in der Hypneroto machia, wo derartige ägyptisierenden Formeln als emblematische Schriftzeichen und als Hin weise auf einen fiktiven Raum gelesen wurden. Wie die Landschaften mit ihren bedeutungsvollen Architekturen in der Hypnerotomachia den angemessenen Hintergrund für die Läuterung des Poliphil bildeten, machten dieselben Zitate nun auch das Wäldchen zu einem Ort der Literatur und Schwärmerei. Vicino Orsini war es gelungen, die fantastische Bildungswelt noch einmalzu übertrumpfen als er die schemenhafte Erinnerung an eine graue mythische Vorzeit mit dem Topos der Läuterung verknüpfte. Vor allem die Pyramide galt als Zeichen höchster königlicher, aber auch geistiger und damit weltbeherrschender Macht, indem sie als geometrische Figur die kosmische Ordnung abbildete und im Rosarium Philosopho rum sogar Symbol und Unterweisung für die Gewinnung des alchemistischen lapis philoso phorum war.62 Die Kugel entsprach in ihrer umfassenden Vieldeutigkeit der Pyramide und nahm vorweg, was der Besucher des Wäldchens noch vor sich hatte. Weniger für den Eintretenden, als für den aus dem Wäldchen Zurückkehrenden versinnbildlichte die Kugel die griechischtragischeVerbindung von moira und ananke,63 die Ausweglosigkeit und In-sich-Geschlossenheit des saturnischen Temperamentes und des ihm angestammten Gefildes. Die zeitgenössische, freilich gefälschte, nichtsdestotrotz begeistert aufgenommene Herleitung der etruskischen Kultur aus der ägyptischen,64 lieferte die Vorlage für Vicinos hegemoniale Wunschvorstellungen.
unterhalb der Ortschaft
Etwa dreihundert Meter weiter passierte der Gast Vicinos ein zweites, jedoch festungsartig mit Zinnen und den heraldischen Rosen der
zu erkennen (freundlicher Hinweis von Tommaso Cascella, Bomarzo)
46 Introitus
• Blick auf die Talsohle zwischen dem Hügel mit der Ortschaft Bomarzo und dem Wäldchen, gleich unterhalb der Ortschaft ist das erste Tor mit Pyramide und Kugeln zu erkennen und weiter unten das zweite festungs artige mit den heraldischen Emblemen Vicinos. • Blick auf das zweite festungsartige Tor, auf die Ortschaft und den Saumpfad, der von dort nach hier führte. Foto Ed. Risca Igino Bomarzo
Orsini geschmücktes Portal, das auf der alten Fotografie gut zu erkennen und heute vor dem Eingang ins Wäldchen aufgestellt ist. Während die symbolträchtige Form des ersten Portales den Hindurchschreitenden in eine andere und enigmatische Sphäre der Wahrnehmung versetzt hatte, wies ihn das zweite Tor, wehrhaft und mit den Emblemen Vicinos ausgestattet, darauf hin, dass er nun das Reich des bestens gerüsteten Gast gebers betrete. Die trutzige Architektur bestärkte die Identifikation mit dem Ritter, der hier eine minnecliche aventiure suchte. • Pyramide, Hypnerotomachia Poliphili, Holzschnitt, 1500 Albertina Wien. Eingangsvignette mit dem Obelisken zum Kapitel 10 der Hypnerotomachia Poliphili
Zu Pferd oder – landesüblich – auf Eseln, legten Vicino und seine Gäste den Weg zum Wäldchen durch eine heute nicht mehr rekonstruierbare Anlage eines Parks zurück, die wohl auch landwirtschaftlich genutzt wurde. Man kann davon ausgehen, dass sie nicht mit den Prunkgärten der Zeit mithalten konnte. Wohl auch aus diesem Grund veränderte der Bauherr Vicino Orsini die Proportionen und somit die Wertigkeiten seiner Villeggiatura so, dass sein Wäldchen mit Recht unvergleichlich genannt zu werden verdiente.
Bereits die Form der Pyramide am ersten Portal erinnerte an die Eingangsv ignette zum Kapitel 10 der Hypnerotomachia Poliphili, jenem Kapitel, worin Poliphil von einem Bankett erzählt und endlich vor drei Durchgänge gelangt, von denen er den mittleren zur vita voluptuosa, zum lustvollen Leben wählt. (siehe Abbildungen der Inschriften an den Terrassen des Palazzo Ducale S. 278–283)
Das kleine, absichtlich naturbelassene Stückchen Wald, der Boschetto oder Heilige Hain, den die großenGartenarchitekten am Rande der großen und berühmten Gärten als Relikt und Anspielung auf das räumlich und zeitlich ferne Arkadien stehenließen, rückte hier großformatig und monströsins Zentrum des Interesses: Hier war dem freien Walten Pans ein Ort zugestanden, an dem sich das Idyll mit Gefahr und Leid verband, wo Freiheit von jedweder weltlichen Beschränkung zum Leitmotiv der Läuterung geworden war. Im kleinen wilden Bereich einer kultivierten Anlage stellte man sich jenes Reich Pans vor, in das die olympischen Götter niederstiegen, um hier, wo Naturrecht und Liebesfreiheit herrschten, Umgang zu pflegen mit merkwürdigen und heiligen Zwitter geschöpfen zwischen Tier und Mensch und Gott, Urlaub zu machen in einem Zwischenreich von Natur und Kultur, bevölkert von Hirten und Misch wesen, wo als besondere Attraktion badende Nymphen von lüsternen Satyrn belauscht und überfallen wurden.
Es ist davon auszugehen, dass Vicinos Gäste den anschaulichen Wortwitz verstanden und die unzweideutige Aufforderung zum Genuss mit der tugendhaften Devise am Bogen der Terrassentür ironisch verglichen. Sinngemäß würden sie ab jetzt die lateinischen Sentenzen mit ihren vulgärsprachlichen Gegenstücken im Wäldchen übersetzen und umgekehrt würde alles, was in der Freiheit des Wäldchens gesagt wurde, die harmlosen antiken Zitate an den Terrassen als umso zungenfertigere Repliken eines Einzelnen gegen die verschworene Gemeinschaft der Tugendhaften erkennen lassen.65
Dass Vicino Orsino dem üblicherweise sehr klein gehaltenen Boschetto so bedeutenden Rang und überdimensionalen Anspruch zuerkannte, zeigte sich vor allem daran, dass er die Planung des Skulpturengartens nicht einem Künstler überließ, sondern selbst das Programm entwarf und auch selbst Hand anlegte.66 Indem er dem kleinen und nur als Reminiszenz an ein altes Naturreich geltenden Hain zeitlebens seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit schenkte, kam es zu einer selbst identifizierenden Symbiose, die bald dazu führte, dass Vicino in seinem Wäldchen, wie er bald jenes
Fortschreitend verwandelte sich der Gast Vicinos in Poliphil, einen ritterlich Liebenden, der sein Schicksal selbst in die Hand nimmt – und auch Polia wird in einer letzten Steigerungsstufe des Minnedienstes zu einem immateriellen, dem Gral vergleichbaren Siegespreis. Der Nachvoll zug seinerträumenden Wanderschaft unter dem Motto des Liebeskampftraumes assoziierte eine Reise ins sagenumwobene Ägypten. So mysteriös wie das Ursprungsland der Wunder und der Rätsel, stellte man sich die Reise durch Raum und Zeit bis dorthin vor.
48 Introitus
Areal nannte, selbstbestimmt und wahrhaft souverän seine Neigungen auszuleben begann und dem, was kompensiert und unter der angepassten Fassade des humanistischen Fürsten in ihm schlummerte, zu seinem Recht verhalf. Auf der Grundlage eines vergleichsweise enormen Bildungshinterg rundes – und einer sehr speziellen Neugier, was die übel beleumundeten Wissen schaften und Wissensgebiete betraf –, den finanziellen Mitteln und vor allem einer teils hochgestimmten und arroganten, teils verzweifelnden Gemütsverfassung, entstand in der Provinz ein ikonografisches Konzept, das als authentischer Ausdruck der geistigen und emotionalen Veran lagung seines Schöpfers gelten kann – und das, daraus notwendig folgend, gegen die korrupte Welt Roms gerichtet war. Insbesondere die Doktrin der römischen Kirche war das Gegen- und darum Vorbild für die inventio des Heiligen Waldes. Einen wesentlichen Impuls für die Konstruktion seiner nichtchristlichen Gegenwelt dürften Giordano Brunos Thesen von der Unendlichkeit der göttlichenSchöpfung gegeben haben. Brunos Annahme eines unendlichen Weltalls, das die Existenz vieleranderer Welten impliziere, relati vierte nicht nur individuelle Existenz, sondern
darüber hinaus die dogmatisch und monopolistisch verwaltete römisch-katholische Wahrheit.
• Obelisk im Park vor dem Casino des Kardinals Cristoforo Madruzzo in
Brunos Thesen zeigten den Widerspruch zwischen Glauben und Wahrheit auf. Insbesondere seine Heroischen Leidenschaften, die den freiwilligen Exilanten Vicino unwiderstehlich angezogen haben dürften, überholten die neuplatonischen und erst recht die katholischen Glaubenswahrheiten. Der arkadische Identitätswechsel förderte Vicinos Identifikation mit dem »Ketzerfürsten« 67 und stellte für die Zeitgenossen einen Zusammenhang zwischen der gegenweltlichen Fantasielandschaft und Brunos unbedingter, aber eben maximal ausdifferenzierter Gläubigkeit her.
Introitus 49
Soriano • Obelisk im Park unterhalb des Palazzo Ducale in Bomarzo
50 Introitus
• Bartholomeus Breenbergh,
Vorwäldchen
»Der Wald von Bomarzo«, um 1625, Federzeichnung Institut Néerlandais, Paris
Das Vorwäldchen wurde als ein mythischer ZeitRaum wahrgenommen, als es nach dem Freigelände noch zusätzlich und als notwendige Wegstrecke nach Arkadien durchmessen werden musste. Die dadurch zeitlich verzögerte und durch die romantische Unwegsamkeit reizvoll gestaltete Anreise alludierte ein entlegenes und zugleich vergangenes Paradies. Sie war als Motiv der Distanz dazwischengeschoben, um den Topos der Erreichung eines Ziels zu veranschaulichen. 2004 wurden im Bereich des Vorwäldchens bislang der Forschung unzugängliche Strukturen freigelegt, die die These der Annäherung im Sinne der Hypnerotomachia unterstützen. Verschiedene Piscine, Wasserspiele und Figuren um das erst kürzlich freigelegte große (Schwimm-?)Bassin – wobei die offensichtlich unvollendete Skulptur eines sitzenden Bären und der Rumpf eines fisch schwänzigen Mischwesens besonders hervorzu heben sind – ergänzten sich mit den zahlreichen etruskischen Relikten, die natürlich samt und sonders nicht echt sind. Ihre rudimentäreAus arbeitung erzeugte die Illusion einer wiederin den Zustand der Natur übergehenden Kunst – ein wesentliches Element aller Wiedergeburts vorstellungen, die sich in Bomarzo auf jenes Becken konzentriert haben dürften. Im Heiligen Wald dürfte es auch praktisch als Motiv einer allgemeinmythischen Vorstellung des Paradieses gedient haben, denn aufgrund der Größe und teilweiser Abtreppungen darf wohl angenommen werden, dass die Initianten in das Becken stiegen und darin badeten. In seiner reinigenden Bedeutung evozierte das kleine Flüsschen (Fosso della Concia), das das große Bassin mit Wasser speiste, die Hypnerotomachia, wo Poliphil durch das klare Wasser einer Quelle in den paradiesischen Zustand unverdorbener und sündenloser Neugier zurückversetzt wurde. Von hier führte der Weg auf eine kleine Rampe und vorbei an Spuren und Relikten wie dem riesigen
Felsen, der als etruskische Tomba in Form eines kleinen Tempels behauen ist. Es kann davon ausgegangen werden, dass Vicino nur der natürlichen Form des Felsens nachgeholfen hatte. Bemerkenswerterweise wird die geografische Mitte des Wäldchens von einem ganz ähnlichen, nur andeutungsweise behauenen natürlichen Felsen bestimmt. Vicino Orsinis hegemoniales Konzept wäre ohne die Kenntnis der etruskischen Stätten und ohne diese Verweise nicht aufgegangen. Bomarzo, das selbst keinerlei derartige Zeugnisse besitzt, ist von einem regelrechten Reigen antiker Stätten umgeben und Vicinos Idee einer diesbezüglichen Aufwertung des Boschetto naheliegend.
• Im Vorwäldchen • Im Vorwäldchen: etruskische Tomba in Hausform, in situ behauener Felsen auf dem Weg zum Wäldchen
Mehrere Cippi, wie sie in den etruskischen Nekro polen vor den männlichen Gräbern stehen, markierten Vicinos Jenseitsreich wie ein Territorium. Mit den nachgeahmten etruskischen Boden- und Felsnischen gehörten sie zur Illusion einer Stadt der Toten.
• Im Vorwäldchen: »etrus kisches« Mischwesen, daneben Cippus und diverse andere Fragmente, die heute nicht mehr zuzuordnen sind
Wie eine Idee, die zunehmend klarer wird, verdichteten sich die Hinweise auf eine etruskische Nekropole mit der Annäherung an den eigentlichen Boschetto. Vieles, was im Vorwäldchen an die antiken Stätten der Umgebung oder der Literatur erinnern mochte, oder auch nur durch Anspielungen eine rätselhafte und irritierende Zweideutigkeit erhielt, wurde im inneren Bereich des Boschetto Gewissheit. Der Wanderer entdeckte auf seinem Weg seltsame Gesteinsformationen, die – wie so viele andere untrügliche Indizien – im verklärenden goldenen Licht des Ortes mysteriöse Realität erhielten.
Der Wert dieser Villeggiatura ließ sich nicht an den großartigen Gartenanlagen Bagnaias, Caprarolas oder gar den römischen Gärten wie der Villa Hadriana oder der Villa d’Este messen. Statt der üblichen, gleichermaßen dem Otium als auch der Repräsentation gewidmeten Anlage, konstruierteVicino eine nicht minder kunstvolle, aber in ihrer Intellektualität alles andere übertreffende Kunstlandschaft. Als glaubwürdiges Naturheiligtum setzte es den abstrakten, stilvoll artikulierten Thesen der nobelsten Villeggiaturen eine eigenständige und autochthon schöpferische Antithese entgegen. Über mehrere, zwar gefälschte, aber nichtsdestotrotz überzeugende Relikte fügte sich der schlichte Boschetto wie von selbst in den Kreis der auratischen Nekropolen der Umgebung ein. Aus der neuplatonischen und neuepikureischenPerspektive Vicinos erwies sich das innovative Falsifikat den echtenZeugnis sen der rätselvollen Vorgängerkultur überlegen, deren Geheimnisse von Unberufenen längst ans Tageslicht gezerrt worden waren. Seine Künst lichkeit konnte mit der Authentizität der Vorbilder nicht mithalten, vermittelte aber gerade als Täuschung (inganno!) eine der etruskischen Kultur zugeschriebene Qualität, die die historische, aber zerstörte Stätte nicht mehr besaß.68 Vicinos verstreute Hinweise und Andeutungen erweckten den Eindruck, dass hier in Bomarzo eben jenes metaphysische Eindringen in eine etruskische Totenstadt möglich wäre. Alles deutete darauf hin, dass es sich hier um Funde von schlechterdings exorbitanter Bedeutung handeln würde.69 Unvermeidlich verband sich die Vorstellung einer Stätte ältesten und profundesten Wissens mit Ägypten, und als Schatzsuche mit der Auffindung der hermetischen Schriften. Diese legendäre Ver bindung hatte zu Zeiten Vicinos gleich mehrere Historiografen – von denen später noch ausführlich die Rede sein wird –, wissenschaftlich nachgewiesen. Die Erfindung einer Denkfigur wie jener des Hermes Trismegistos lag – ähnlich wie die kompilierende und systematisierende Darstellung des Jenseits, die Dante in der Comedia entwickelt hatte – gleichsam in der Luft und antwortete auf die Nachfrage der Zeit. Wiederholt tauchen
52 Introitus
• Im Vorwäldchen: groß zügiges Bassin mit Treppen stufen und stark erodiertem heraldischen Bären
Introitus 53
• Im Vorwäldchen: Tabula Smaragdina, in situ behaue ner Felsen auf dem Weg ins Wäldchen
54 Introitus
in der Hypnerotomachia Elemente der geistigen Wanderschaft des Hermes Trismegistos auf. Die langatmig geschilderten, detailliert abgebildeten triumphalen Züge und rätselvollen Szenen der Holzschnitte, wie etwa zum Kapitel 14 in der Hypnerotomachia, illustrieren die zeitgenössische Auseinandersetzung mit der Metapher Reise nach Ägypten. Die historisch nicht nachweisbare Gestalt des Hermes Trismegistos war eine creatio ex nihilo, der in einem allgmeinen Einverständnis der Weisheitssuchenden nicht nachgefragt wurde. Hermes Trismegistos galt als erster Philosoph, der sein überragendes naturkundliches und metaphysisches Wissen über eine mythische Stammbaumlinie von Adam im Paradies ererbt hätte. Wegen seines extravaganten intellektuellen Prestiges erschien er 1488 sogar als prophetische Gestalt im Programm des Sieneser Doms, von wo er als Symbolfigur der Divination in die ideen geschichtliche Konzeption des Wäldchen über nommen worden war (siehe Abbildung S. 263). Sphingen, Pyramide und die auf Sockeln erhöhten Obelisken bildeten gleichsam die Kulisse für seine Anwesenheit und erhoben den irdischen Ort, nach altägyptischem Vorbild, zu einer höheren Potenz. Das physische Höhersteigen auf der Rampe entsprach psychologisch und intellektuell dem geistigen Aufstieg. Das Motiv des heiligen Berges war bereits von Bruno für die Auflösung der Seele im Göttlichen gebraucht worden: »Oh Schicksal, oh Geschick, oh göttliche, unveränder liche Vorsehung, wann endlich werde ich jenen Berg besteigen, also zu solcher Geisteshöhe gelangen, dass ich mich mitreißen lasse und jenes Aller heiligeste und Innerste berühren kann, wo mir jene gezählten, also seltenen Schönheiten offenbar werden, gleichsam begriffen und einzeln aufgereiht.«70 Die Erhebung aus der Alltäglichkeit auf eine dem Göttlichen nähere Ebene, implizierte den Prozess der Läuterung und Selbsterkenntnis und nahm schon im Introitus Sinn und Ziel des Heiligen Waldes vorweg. Giordano Brunos These war die philosophische Ausführung des eingängigen Spruches »Der Weg ist das Ziel« (Konfuzius).
Von einer Mauer umschlossen, wirkt der innere Bezirk des Wäldchens spirituell und metaphysisch abgehoben wie die mittelalterlichen horti conclusi oder ihre profanen Gegenstücke, die Zaubergärten der höfischen Dichtung, die mit einem Bann vor der Außenwelt verborgen und geschützt waren.71 Der Blick auf die wildromantische Bergeinsamkeit ringsum verband das christliche Vorbild mit dem antiken Vorgänger aller Paradiese: »Dort, wo es keine Geschichte und keine Zeiteinteilung gibt, die Pfade ziellos laufen – da ist der geschichtslose, weglos streifende Pan zu Hause. Pindar 72 spricht von ›heilig unbetretbaren Räumen‹ – da ist die Wildnis gemeint: geheiligter Boden, Reich des Pan und der Dämonen.«73 Zunächst jedoch führte die Rampe zielstrebig und feierlich geradewegs auf zwei Sphingen zu, die, auf Sockeln erhöht und antithetisch aufgestellt, kaum einen freundlichen Empfang boten, sondern eine geistige Schranke aufrichteten. Die Annäherung war auf langsame Erkenntnis ausgerichtet. Vom Vorwäldchen aus war nur der ummauerte, wie eine Festung abgeschirmte Hügel zu sehen gewesen. Erst allmählich und tatsächlich schrittweise rückte der Eingang ins Blickfeld. Von der Rampe aus hoben sich die Silhouetten der Sphingen und des Schiefen Hauses vom Himmel ab, was insbesondere in der Morgen- und Abenddämmerung und erst recht im nächtlichen Fackellicht eine höchst unheimliche Wirkung erzeugte. Dahinter, und als er zwischen den Sphingen hindurchgeschritten war, erblickte der Besucher die ägyptischen Hoheitszeichen der Obelisken vor dem wie umarmend geöffnetenTheaterrund.
Introitus 55
• Georges Glasberg, »Le Spinx«, Fotog rafie aus: André Pieyre de Mandiargues, Les monst res de Bomarzo, 1957 • Im Vorwäldchen: Blick auf die Rampe – ehemaliger Eingang in den Heiligen Wald. Auf der Umfassungs mauer erkennt man noch die flachen Postamente, auf denen im 16. Jhdt. die Sockel mit den Sphingen auflagen.
Introitus 57
Sphingen Vorerst musste der Schritt durch die Sphingen gewagt werden, die weniger als ägyptische Rätsel wesen, denn als griechische Todessymbole mit ihren Blicken ein irritierendes Spannungsfeld aufbauten, in dem sich der Held dieses Abenteuers zutiefst verstört fühlte.74 Nach dem Vorbild der abendländischen Sphinx sind es zwei schöne Mädchen (Koren) mit reichem, in der Mitte gescheitelten und am Hinterkopf zu einem Knoten geschlungenen Haar, die von vorne gesehen ganz und gar menschlich sind. Sogar die fleischigen Oberarme sind von der Schulter an noch menschlich bis dahin, wo sie sich auf der Unterlage abstützen. Dort gehen sie unvermittelt und doch organisch in die Pranken des Raubtieres über, so wie auch der zunächst eindeutige weibliche Oberkörper mit dem üppigen
58 Introitus
Busen in den zitzenbesetzten Leib der Löwin und ihre Hinterläufe überleitet. Die entspannte, überlegen wirkende Haltung der Löwenmädchen bezeichnete die Ewigkeit. Dem Eindruck der Gelassenheit, ja Bequemlichkeit, entsprach die originelle Polsterform der Steinplatten auf den leicht konischen Sockeln. Als Chimären des Wissens und Symbole Ägyptens repräsentierten die Sphingen die Sphäre, die sie bewachten. Sie drohten wie die oberitalienischen Portallöwen75 und warnten den Eintretenden. Der Unwürdige wurde schon am Eingang abgeschreckt. In der Eingangssituation, in der sich das Rätsel schlechthin personifizierte und die heroische Tat des Ödipus nachgestellt wurde, erlebte der Eintretende
• Introitus: linke und rechte Sphinx; heute am anderen Ende des Heiligen Waldes aufgestellt, wo sie der Besucher ebenfalls beim Eintritt erblickt, aber nicht mehr zwischen ihnen hindurchgehen muss.
sich selbst als Beute der Sphingen, die ihm Verderben oder Leben bringen würden.76 Wie die prophetischen Sphingen, die im Sieneser Dom als Begleiter und Wappentiere des Hermes Trismegistos’ Ägypten auftreten,77 sprachen auch die Sphingen Bomarzos den Eintretenden mit Worten an, die ihm aus ähnlichen Zusammen hängen ein Begriff waren. Im bewussten Gegensatz und vielleicht sogar in ironischer Anspielung auf die sinnentleerten und floskelhaft übernommenen Zierrate so vieler zeitgenössischer Gärten verkörperten diese Sphingen mit ihrem nur angedeuteten archaischem Lächeln den profunden Wissensdurst Vicinos. Eine absolut
vergleichbare rätselhafte, ja fast launisch wirkende Sphinx kannteVicino von seinen Besuchen in Caprarola. Neugier, die er als ebenso anarchischen wie selbstbestätigenden (An)Trieb hoch schätzte, wurde zum Leit- und Schlüsselmotiv des Wäldchens. In Verbindung mit dem ägyptischen Repertoire wurde die Sphinx freilich von ihrer arkadischen Konnotation auf eine gänzlich andere, transzendente, eben jenseitige Ebene entrückt. Die Sphingen hielten dem arkadischen Jäger die konsequente Ausweglosigkeit seines Bemühens vor Augen (moira und ananke). Bereits hier fand die freiwillige Metamorphose des aus der »Welt der Menschen und Meinungen« kommenden Besuchers in einen Bewohner Arkadiens statt und unterstellte ihn dem immanenten Naturgesetz des Wäldchens.
Introitus 59
• Hermes Trismegistos, Detail des Kopfes, Fußboden im Dom von Siena, um 1480 (Detail der Abbildung S. 263)
• Sphinx im Garten der Villa
Der keineswegs auf Autoritäten festgelegte Bildungshunger Vicinos kam aus einem natürlichen Interesse am Außerordentlichen. Wie die schillernde Figur des Hermes Trismegistos zwischen Mysterium und Weisheit angelegt war, spiegelte und bestätigte sich die ambivalente Figur des Vicino Orsini im Extravaganten.78 Dem okkulten Interesse der Zeit folgend, setzte er sich mit den entsprechenden Wissenschaften als auch Mythen auseinander, wobei er die verschwimmende Grenze zwischen erlaubter und verbotener, im wahrsten Sinne weißer und schwarzer Magie, wo es möglich war, überschritt und in ein absolut souveränes und freigeistiges, ebenso zweifelhaftes wie gefährliches Zwischenreich gelangte. Vicinos medizinische Wissbegierde, was die Beziehungen zwischen Geist und Körper anging, nährte sich von teils seltsam begründeten, esoterischen und sogar häretischen, auf den Index gesetzten Schriften. Dazu zähltenauch vorchristliche Erkenntnisse und Offenbarungen, die jedoch längst aufgrund ihrer Ehrwürdigkeit legitimiert und über alle Zweifel erhaben ins Repertoire der katholischen Kirche aufgenommen waren.79
Farnese in Caprarola
Im Banne der Sphingen begriffen sich sowohl der Bauherr als auch seine Besucher als Adepten jener Prisca Sapientia, die gleichnishaft im Garten zu suchen und zu finden wäre. Als legitime Nachfolger der Philosophen vom Garten (siehe Exkurs: Vicino der Epikureer, S. 302–311) besaßen sie außerdem das intellektuelle Rüstzeug, das »Theater«, das die meisten Leute um ihre Angelegenheiten inszenieren, stilvoll und zynisch zugleich zum Gegenstand ihrer metaphysischen Naturbetrachtung zu machen.80 Der Ausblick zwischen den Sphingen auf das Theater ließ an hehre Weihespiele und Tragödien, aber auch an komödiantischen Unfug denken; ganz im Sinne des »überhöhten Welttheaters«, das »ja im Grunde eine besser geordnete Wirklichkeit ist«.81 Wie eine Prophezeiung oder Warnung klangen die Worte der Sphinx, die rechts neben dem Schiefen Haus lauerte und an die sich der Wanderer im Verlauf seiner Jenseitswanderung immer wieder erinnern würde:
60 Introitus
tv ch’entri qva pon mente parte a parte et dimmi poi se tante maraviglie sien fatte per inganno o pvr per arte DU DER DU HIER EINTRITTST BENUTZE DEINEN VERSTAND FÜR DAS WAS DAFÜR UND WAS DAGEGEN SPRICHT UND SAG MIR DANN OB SOLCHE WUNDERDINGE DURCH BETRUG ODER DOCH DURCH KUNST GESCHEHEN
Unweigerlich kamen dem Gast Vicinos die beklemmenden Worte in den Sinn, die Dante, von Vergil geführt, über dem Tor zur Hölle gelesenhatte: lasciate ogni speranza, voi ch’entrate82 (lasst alle Hoffnung fahren, die ihr hier eintretet). Sie waren an die unglücklichen Verdammten gerichtet – in Anspielung auf die charakteriologische Widmung des Wäldchens an den Saturniker Vicino83 wandelte die Sphinx die berüchtigte Phrase in die Einzahl ab. Der so Angesprochene war sich im Klaren, dass er nun das Jenseits betreten würde. Die Mahnung der Sphinx nahm er als Verpflichtung, sein eigenes lügenhaftes Leben mit dem rätselhaften Wäldchen zu bedenken. Mit ihrem Hinweis, dass er im Wäldchen in die Irre geführt, ja betrogenwerden sollte, bezog sich die Sphinx auf das Wechselspiel von Kunst und Natur, Lüge und Wahrheit, Stadt und Land, oder auch Leben und Tod, das hier der Schlüssel zur Erkenntnis sein würde. parte a parte(einerseits und andererseits) solle er alles einer Prüfung unterziehen. Die Idee war nicht neu, aber noch nie so zivilisationskritisch wie hier ausformuliert: 1543 hatte Claudio Tolomei die Genialität des neuen Kunstschaffens gerühmt, das Brunnen entstehen ließ, in denen sich Kunst und Natur auf eine Weise mischten, sodass nicht zu entscheiden sei, ob es sich um ein kunstvolles Werk der Natur handle oder eines von Menschenhand, das die Natur perfekt nachahme.84
• Introitus: Sphinx, Detail des Kopfes
Introitus 61
Die Ansicht, dass das eine die höchste Stufe des jeweils anderen wäre, verband Natur und Kunst werk in einem kongenialen Spannungsverhältnis, das für die renaissancistische und noch mehr die manieristische Gartenkunst kennzeichnend war: ars est celare artem (Kunst ist, die Kunst zu ver bergen).85
• Sphingen, Bodenmosaik des Sieneser Doms, Detail der Sphingen, deren Schwänze sich zur hermetischen Acht formen (Detail der Abbildung S. 263)
Der offensichtliche Austausch des antagonistischen Wortpaares Kunst und Natur stellte den inganno, den Trug,86 an die Stelle der Natur und dem Begriff der Kunst gegenüber, wodurch die unentwirrbare, täuschend echte Natürlichkeit oder umgekehrt täuschend natürlich wirkende Künstlichkeit einander die Waage hielten.87 Der erkenntnisfördernde Wert der Täuschung, die die Wahrheit ins Gewand des Unwirklichen und Unglaublichen hüllt und in der überzeichneten bis verzerrten Darstellung bis zum Schock reichen kann, würde im folgenden noch schrecklich klar werden. Der Hinweis auf Wunder spielte natürlich auf die nach der Regel des Hermes Trismegistos nachgeschaffenen Wunder an, denn aus dem Verhältnis zwischen göttlicher Natur und menschlicher Kunst leitete sich die erkenntnisfördernde, genuin sibyllinische Natur des Wäldchens
ab. Die manieristischen Verspieltheiten wurden durch die Realität der Sphingen auf die Ebene der existenziellen Bedrohung gehoben, denn wer das Rätsel nicht zu lösen verstand, war dem Tod ver fallen.88 Die Sphingen entlarvten die Welt der Erscheinun gen als Täuschung und Kunstprodukt. Inganno bedeutet soviel wie Betrug oder Verrat und war das Stilmittel der Kunst-Welt Natur, die Vicino mit seinem Wäldchen entwarf und die wiederum nichts anderes war als die Spiegelung der Menschenwelt, deren Lügenhaftigkeit hier, ähnlich wie in der Dichtung Tassos, offenbar wurde. Dieser Empfang war dazu angetan, Vicinos Gäste schon am Eingang in den Garten in die angemessen erwartungsvolle Haltung zu versetzen, was sie hier noch an Wundern und Schrecken, eben wunderbarem Schrecken, gewärtigen mochten. Die Inschrift am Sockel der zweiten Sphinx steigerte die Spannung, indem sie ebenfalls eine bekannte Stelle aus der Literatur zitierte.
chi con ciglia inarcate et labra strette non va per qvesto loco manco ammira le famose del mondo moli sette
wer ohne augen und mund weit aufzusperren hier durchgeht wird nicht einmal über die sieben weltwunder staunen können
Diesmal wählte Vicino die Worte des untreuen Herzogs von Seeland, der als er von der Liebe Olimpias, der Tochter des Grafen von Holland, erfährt »die Lippen strafft und die Augenbrauen wölbt«.89
62 Introitus
Die Formulierung MOLI SETTE (sieben Weltw under) nahmen Vicinos Zeitgenossen als Anspielung auf die sieben Regionen respektive sieben Stufen des Wäldchens und seine Bedeutung als hermetischer Läuterungsweg. Die sieben Weltwunder waren ein verschlüsselter Hinweis auf die (Be) Deutung der Siebenzahl, die im Wäldchen selber lag.90 Die distinguierte Allegorie wurde von den geist reichen Freunden Vicinos geschätzt und trug als Verrätselung ihrerseits dazu bei, den geheimen, hermetischen Sinn des Wäldchens zu bewahren. Wie der Briefverkehr Vicinos beweist,91 spielten sich er und seine Freunde einander in spitzfindiger Gelehrsamkeit abgewandelte Zitate zu. In einem weiteren Sinne des Sammelns und Verstehens gelang Vicino darin die Zusammenziehung des Kosmos im Wäldchen, das er als Konkurrenz der »Welt« gegenüberstellte. Kleine Details und Hin weise, die im wahrsten Sinn des Wortes fortschreitend verstanden wurden, ließen Bestimmung und Wert des Wäldchens als Versammlungsort, als Museion jeglichen Wissens und aller Künste erscheinen. Immer wieder tauchte dieses Motiv des jenseits jeden Wettbewerbs laufenden Kosmos Bomarzos auf.92 Präsentiert in einer Welt der Unwis senden, offenbarte er sich als Abbild der eigentlichen, geistigen, ganz und gar platonischen Welt. Das Interesse der gebildeten Zeitgenossen Vicinos an einer Realisierung des Unmöglichen im metaphysischen Medium des Gartens war gewisser maßen vorprogrammiert und erklärt die außerordentliche, alle Erwartungen übersteigende Wirkung des Wäldchens. Für den Weg durch den Heiligen Wald gab es Vorlagen – wie die 1471 im Druck erschienenen Schriften des Hermes Trismegistos, die Marsilio Ficino übersetzt und unter dem Namen Pimander herausgegeben hatte –, die die altorientalische mit der antiken Geisteswelt und jene wiederum mit christlichen Elementen vermischten. Im Wäldchen waren sie mit solchen aus antiker und zeitgenössischer Mythologie, wie auch mit Querverweisen auf die Biografie des Bauherrn, unentwirrbar verschmolzen. Der Anspruch des Programmes hielt dem Vergleich mit dem eines Studiolo oder einer Kunst- und Wunderkammer
stand, in der auf antike und sehr mysteriöse Weise die Wunder der Schöpfung gesammelt, nachgestellt und auf hermetische Weise sogar verherrlicht wurden. Vicinos Gäste nahmen sein Wäldchen als geistige Wunderkammer im Sinne der Platonischen Akademie wahr, die von Marsilio Ficino in Florenz unter dem Protektorat der Medici gegründet worden war.93 Im Kontext des antiken Selbstverständnisses, das in der von Vicino betriebenenDiätetik zum Ausdruck kam, waren die mostri und maraviglie darüber hinaus noch Parabeln der Wechselwirkungen zwischen Geist und Körper.94 Die Vorlagen für einen neuplatonischen Läu terungsweg fand Vicino in den mittelalterlichen, noch an das Ritterideal angelehnten Romanen wie dem Buch vom liebentbrannten Herzen oder dem Rosenroman, deren mystagogische Qualitäten nur vordergründig nicht zu den modernen Interpretationen der psychopathologischen Wildnis passen: Immerhin stellten Ariosts Werke Orlando Furioso und Gerusalemme Liberata ein abenteuerliches, ja sogar angstmachendes Arkadien vor Augen, das wiederum vom Aminta Tassos, einem nur dem Eingeweihten als solches erkennbaren Spottlied auf die Gesellschaft, sarkastischkommentiert wurde. Den spirituellen Beitrag leisteten halbtheologische Werke wie Dantes Divina Comedia sowie natürlich und vor allem die berühmte und vieldiskutierte Hypnero tomachia Poliphili von Francesco Colonna, deren initiatorischer Aspekt der Wanderung schon als direkt vorbildlich für Bomarzo genannt wurde: »Dies ist Poliphils Liebeskampftraum, worin gelehrt wird, dass alles Menschliche nichts als ein Traum ist.« (siehe S. 310) Implizit verwies diese Formulierung auf die Comedia, die in der Form des mittelalterlichen Lehrgedichtes95 als Zusammenfassung und Vorlage für alle derartigen obskuren Wege der Erkenntnis gelten kann: Innerhalb der auto biografisch-metaphorischen Rahmenhandlung findet auch Dante in der Mitte seines Lebensweges, also mit genau 35 Jahren und am Abend des Kar freitags (sic!), aus dem dunklen Wald, in dem
Introitus 63
er sich verirrt hatte, heraus, und wird sogleich von drei Bestien bedroht96 – einem Panther, einem Löwen und einer Wölfin, die die Laster der Wollust, des Stolzes und der Habgier versinnbildlichen sowie darüber hinaus die Sünden der Jugend, der Mannesjahre und des Alters. Vergil97 befreit den verzagten Dichter und klärt ihn auf, dass er den Untieren nur dann entkommen könne, wenn er frei willig (sic!) das Totenreich durchschreiten würde. Schon dieser Hinweis verknüpfte die Comedia mit dem antiken Topos der Mysterien von Eleusis. Nach der Vorstellung, dass der Abstieg in die Unterwelt notwendiger, ja unverzichtbarer Teil des Lebensprinzips sei, vereinte die komplizierte Sphinx konsequenterweise alle unterweltlichen Göttinnen: Ceres, Proserpina, Hekate, Venus, Diana und selbstverständlich Isis. Die Sphingen waren die logische Weiterentwicklung des alt mesopotamischen Mythos vom Hieros gamos und Personifikationen einer legendären und divi natorischen, sibyllinischen Weisheit, die von der Unterwelt mit nach oben genommen werden könne. Vicino stellte den Erkenntnisprozess mit der land wirtschaftlichen Metapher und im Symbol der
• Ägypten in Etrurien: Janus köpfiger Pandeus, der in dieser Kombination als Wächter der Schwellen und des Wandels auftritt. Auf seinem Kopf trägt er deshalb die Cista mystica. • Zerbrochene Reste der Brunnenschalen in der nordwestlichen Ecke der Umfassungsmauer
Cista mystica dar, dem hermetischen Erntekorb, dessen Früchte nur in seinem Garten geerntet werden konnten. Fast schon zynisch bezeichnete Vicino seine hermetischen Versuche in der für ihn so typischen, nur vordergründigbescheide nen Attitüde des provinziellen Fürsten auch wört lich als Erträge einer »kosmolog ischen Landw irt schaft«.98 Damit bezog er sich auf Triptolemos, der von den Göttinnen Demeter und Hekate mit landwirtschaftlicher Weisheit beschenkt wurde. Zu den vielfältigen Variationen über die Göttinnen der Geburt und des Todes, der Erkenntnis und des Wahnsinns kam als Assoziation noch die grimmigeFrau der Hypnerotomachia am Ende des vierten Triumphzuges ins Spiel, »die mit irrem Gelächter eine Getreideschwinge über ihrem Kopf erhebt«.99 Im Banne der Sphingen betraten Vicino und seine Gäste also den hermetischen Wald: Gleich doppelt lauerten die Chimären jener im Erdinneren verbor genen und geheimen Weisheit dem Eintretenden auf, indem sie ihn mit ihren Blicken in die Enge trieben und ihm hochmütig und fast schon höh nisch die Aussichtslosigkeit seiner Wissbegierde spüren ließen.
Nachdem die mysteriöse Schwelle überschritten worden war, konnte der Besucher wählen, ob er der Faszination des Schiefen Hauses erliegen und von jenem oberen Stockwerk Ausblicke auf den Garten und seine Figurenensembles genießen wollte, oder lieber, dem Flusslauf folgend, in den heiligen Bereich Ägyptens zum Amphitheater und die daran anschließende Isisgrotte eindringen würde. Nicht nur der Adept musste hier seinenWeg wählen, sondern jeder Eintritt, ja sogar jede Richtungsänderung machte den Wald zu einem immer neuen Erlebnis, indem der Weg je nach Charakter und Vorliebe, aber auch im Sinne einer momentanen spontanen Laune oder Fragestellung, eingeschlagen wurde. Nachdem der Wanderer das Abenteuer mit den zwei Sphingen bestanden hatte, bot ihm das Schiefe Haus die erste Gelegenheit, sich der sinnbetörenden und -verwirrendenWirkung des Schlafes, des Traumes, der Ver-rückung und des Rausches hinzugeben. Dort, wo sich mit der natürlichen auch die historische Ebene verschob, konnte Vicino, nachdem er den erkenntnisfördernden Zustand der Ver-rückung erreicht hatte, die divinatorischen Techniken der antiken Völker nachvollziehen. Die mediale Kraft des Schiefen Hauses und seine Widmung an den Zirkel der Freunde, deren ähnliche Interessen hier gewürdigt werden, luden den Ort mit ägyptischer Authentizität: Hier setzten sie sich vermittels okkulter magischer Techniken in den Besitz der verlorenen Prisca Sapientia.100 Damit hatte sich der Schöpfer dieser realitätsverändernden, (alb-)traumhaften Atmosphäre selbst in den Strudel seiner eigenen, höchst emotionalisierten Gelehrsamkeit oder vielleicht besser seiner gelehrten Emotionen, seiner Komplexe und seiner Kreativität geworfen, deren Grenze, wie jene zwischen Natur und Kunst, nicht zu ziehen war. Die bereits angesprochenen Grabungs- und Restau rierungsarbeiten brachten auch mehrere, offenkundig fehlende Bauelemente und sogar Figuren zutage. Die ehemals vor dem Amphitheater aufgestellten Obelisken und mehrere steinerne Voluten, die jenen am Palazzo Ducale stark ähneln, sind noch vorhanden. Etwa fünfzig Meter vor dem ehe maligen Eingang wurden Teile des zerstörten
originalen Ensembles von Ägypten in Etrurien abgelegt oder erneuert, aber jedenfalls nicht wiederoder nicht mehr eingebaut. Dicht von Moos überwuchert, wurde hier auch das Pendant des monumentalen Trismegistos-Kopfes der Isis grotte gefunden(siehe Abbildung S. 264–265). Die antikischen Wannen, die an der halbhohen Mauer neben dem Eingang abgestellt wurden101, gehörten mit einiger Wahrscheinlichkeit mit anderen Versatzstücken auf der Rampe zum ehemaligen Ensemble Ägypten in Etrurien und dessen Wasserspielen. Vicino wählte das Motiv der Voluten sowohl für den Palazzo Ducale als auch sein Wäldchen, wohl weil sie Sinnbilder der Bewegung und somit Ausdruck der Lebendigkeit waren. Von seiner offiziellen Welt wiesen sie in sein privates Reich und umgekehrt versorgte das Symbol der Volute seine weltliche Existenz mit der Energie des Wäldchens.
Introitus 65
• Introitus: Obelisken und Teile eines Volutenbrunnens auf der Rampe
• INTROITUS: das Schiefe Haus
66 Introitus
Schiefes Haus Schon vom Vorwäldchen aus hatte der Besucher eine merkwürdig vertraute und doch irrational wirkende Architektur bemerkt. Gleich rechts neben den Sphingen lässt ein zweistöckiger turmartiger Bau den Besucher seinen Augen nicht trauen. Die stabile Architektur ist ganz einfach aus dem Lot und kippt nach hinten, was technisch durch die wie Strebewerk funktionierende kleine Brücke gelöst ist, die der Zugang ins zweite Stockwerk bildet und zugleich das Bauwerk gegen die Mauerung des kleinen Berghanges daneben abfängt. Die Errichtung des Schiefen Hauses stellte den Bruch mit der ländlichen Idylle und auch der Welt der Tölpel dar, die vielleicht mit dem …lordi von balordi an der Rückseite der rechten Sphinx inschriftlich gewürdigt wurden. Die Inschrift auf der Sockelrückseite der rechten Sphinx, von der nur mehr Wortfragmente erhalten sind, war als Aufforderung zur Selbstreflexion zu lesen. emirate pvr t c ochi che se ben ciel torre son ro …lordi ln
und wundert euch weil t a rocke wer sich gut himmel turm bin (töl)pel ln …
Die Skulptur des Schiefen Hauses war tatsächlich wegweisend, als sie zum Introitus in den Zustand der Ver-rückung wurde und den noch Unwissenden im Sinne einer Initiation zunächst vereinnahmte, verwirrte und in diesem Zustand auf die Ebene
des oberen Plateaus entließ. Wie alle Ensembles des Heiligen Waldes erlegte das Schiefe Haus dem Besucher seine Konnotationen auf. Der Blick aus dem Fenster des Schiefen Hauses war Teil des Introitus und verriet schon jetzt – im Ausblick auf die letzte Station des Läuterungsweges, den Exitus – die Lösung des Rätsels. Vermutlich wurde sich der Gast Vicinos dessen bereits hier inne, jedoch spätestens dann, wenn er den Garten als Geläuterter wieder verließ und das Ende als Anfang erkannte. Mit dem Schiefen Haus, das als Durchgang und Schleuse funktionierte, verband sich zwangs läufig der Begriff der Unterwelt, wobei das antike Schattenreich sinngemäß zum Vorbild für das in der Erde und im Menschen Verborgene wurde. Das doppelt bewertete Motiv entsprach sich über beide Bedeutungen: Zum einen assoziierte es das anarchische Potenzial des Menschen, während der traditionell geisteswissenschaftliche Topos der Schatzsuche mit dem alchemistisch-hermetischen Prozess der Läuterung und Selbsterkenntnis gleichgesetzt war.102 Grundsätzlich galt für das Wäldchen, dass hier, wie in Arkadien, das individuelle und kategorisch unterdrückte menschliche Potenzial frei würde und der althergebrachte Begriff der Liebesfreiheit in einem anarchischen Aufbegehren der unterdrückten Triebe umgesetzt würde. Vicinos Reflexionen über Authentizität gingen – praktisch vulgärsprachlich – über das Thema der primi sensi: Die wichtigsten Sinne,103 nämlich der Bauch und das Geschlecht, die er keineswegs als die inferioren, üblicherweise schlecht angesehenen und zu unterdrückenden Teile der Persönlichkeit betrachtete, sondern als die elementarsten, weil sie sich nicht mit Verboten oder Sublimation zufrieden gäben oder gar abstellen ließen, sondern auf ihrem Recht bestünden. Selbst die Ikonografie des Schiefen Hauses war verschlüsselt, denn über die formale Anlehnung an die farnesinische Emblematik erwies Vicino zunächst und scheinbar seiner verstorbenen Ehefrau, Giulia Farnese, seine Reverenz104 und erst mit den Inschriften stellte sich die wahre
Introitus 67
auf den Freundeskreis um Vicino und das geheime Programm des Wäldchens beziehen.
• Erste Inschrift am Schiefen Haus:
Als Erster ist am kleinen Anbau des Schiefen Hauses Cristoforo Madruzzo, der Freund aus Kriegstagen107, genannt, dessen Parallelwelt wiederum die extra vagante Papacqua war. (siehe Gedankensprung: Die Papacqua des Cristoforo Madruzzo, S. 294–301)
crist madrvtio principi tridentino dicatvm cristoforo madruzzo, dem tridentinischen fürsten, gewidmet
• Emblem der Carolus Ruinus, Kupferstich aus: Achillis Bocchius, Symbolicarum, 1565
Bedeutung des Schiefen Hauses heraus – ebenfalls chiffriert in den Widmungen an Cristoforo Madruzzo, Alessandro Farnese, Giovanni Drouet und Annibale Caro.105 Zwischen Vicino und diesen vier Männern bestand eine lebenslange, bereits in der Zeit seiner militärischen Karriere begründete Freundschaft.106 Die Ambivalenz Vicinos drückte sich in der von ihm taktvoll und strategisch betriebenen Ausdehnung dieser privaten Beziehungen zu übergreifenden politischen Kontakten aus. Ohne sich deshalb selbst zu sehr zu involvieren, baute er gleichsam nebenher und in bewusster Abgrenzung seine arkadische Identität des Orsino aus, die ihn zugleich über die dekadente Welt Roms erhob und mit der unangenehmen Erkenntnis versöhnte, in vieler Hinsicht von dieser Scheinwelt abhängig zu sein. Ambivalent wie seine Einheirat in den inneren Zirkel der Papstfamilie, wobei ihm die Institution sowie ihre opportunistische Politik zunehmend verhasst wurden, blieb das Verhältnis zu den Freunden – insbesondere zu den Farnese. Dem ausgeklügelten Konzept des Schiefen Hauses folgend, umschreitet es der Besucher auf der Suche nach dem Eingang, den er erst nachdem er alles Bemerkenswerte bemerkt hat, an der Rückseite zwischen Haus und Berg findet. Dabei entdeckt er so interessante Details wie das raffiniert ein fache System zur Ableitung des Regenwassers, dem sich der hervorragende Erhaltungszustand des Schiefen Hauses verdankt, aber vor allem natürlich die doppelsinnigen Inschriften, die sich
68 Introitus
Zu offensichtlich, um von den Zeitgenossen nicht bemerkt zu werden, war der Verzicht auf den Titel des Kardinals, der immerhin dem Tridentinischen Konzil vorstand. Sein hoher geistlicher Rang interessierte im altro mondo des Heiligen Waldes umso weniger, als dieser heilig war und jener demgegenüber profan. In der Privatheit des Wäldchens und als »Waldbürger«, der sich nicht an die Regeln der römischen Clique hielt, inszenierte sich Vicino als jemand außerhalb dieser Gesellschaft, ja als davon unabhängiger Wilder, der dem Freund gerade mit diesem offensicht lichen Akt der Unhöflichkeit seine Reverenz erwies. Wie er an Giovanni Drouet schrieb, gehe er mit den Höhergestellten – dabei nennt er beide Kardinäle namentlich – recht informell um: komme unge laden, frage nicht um Erlaubnis, gehe und komme wie es ihm gefalle.108 In Anspielung auf die von Vicino selbst angemerkte Vanitas aller weltlich geistlichen Titulatur,109 die ihm den Freund entfremdet haben musste, drückte er ihm gerade mit der Weglassung seine besondere Wertschätzung aus, indem er den Affront gleichsam postwendend mit dem Verweis auf dessen Fürstlichkeit wieder wettmachte: Als geborene Fürsten folgten beide, der Temperamentenlehre entsprechend, ihrer schicksalhaften Berufung, denn damit verband sich der Auftrag Kunst und Wissenschaft zu fördern.110 Diese charakterideologische Auffassung passte zu der unmerklichen und umso tiefgreifenderen neuplatonischen Umwertung, die den Begriff des Adels von der alleinigen Bindung an Geburt und Stand herausgelöst und auf einen eingebore nen Wert des Menschen bezogen hatte.111 Das neuzeitlich-renaissancistische Faible für den gottbegnadeten Künstler drückte sich im Titel des Göttlichen aus, der sowohl dem unbestrittenen
Genie Michelangelo – aber auch dem Schandmaul Aretino – zuerkannt wurde und auch bestimmten Kunstwerken wie der Divina Comedia.112 Die Assoziation funktioniertenatürlich auch umgekehrt und wurde von den adeligen Dilettanten aufgeg riffen, die sich ihrer Prädestination zu Philosophen, Mäzenen und Sammlern bewusst waren. Nach den großen Vorbildern der Zeit, wie etwa den Medici, die auf wahrhaft souveräne Weise Geld und Macht mit einer Kultur des Geistes zu verbinden wussten, stellte auch der Freundeskreis Vicinos einen Zusammenhang zwischen dem Begriff des geborenen Fürsten und dem göttlichen Künstler her.113 Als Mäzen des vergöttlichten Künstlers oder als Künstler näherten sie sich ihrer Bestimmung im göttlichen Schöpfungsplan weitestgehend an. Cristoforo Madruzzo, der von Tizian mit Räderuhr dargestellt worden war (siehe Abbildung S. 275), gewann durch diesesAttribut eine besondere Bedeutung für das Wäldchen, indem sich das Bild Tizians mit einer charakteristischen Briefstelle Vicinos trifft, in der er sich metaphorisch auf die kosmische Uhr bezieht, die er sinngemäß für sein Wohlergehen und ganz allgemein für eine kosmische Prosperität veranwortlich macht, und die »falsch zu gehen scheine«.114 (siehe zum Ort des Dis Pater, Kapitel Plateau der etruskischen Götter, S. 87 ff.) Die nächste Widmung bezog sich auf Alessandro und Ottavio Farnese, indem sie das Motto des
Studiolos in Caprarola115 leicht verändert übernahm.116 Noch dazu spielte die Form des Schiefen Hauses auf Giulia an, das heißt auf das ihr zugeschriebene Emblem, mit dem ihre Standhaftigkeit gepriesen und in Bomarzo verewigt werden sollte. anima fit sedendo et qviescendo prvdentior(in der stille und im schlaf werde die seele weise) lautete das Vorbild, das Vicino auf sich bezog und einer feinen Ver änderung unterzog: Mit der Modulation von Anima in Animus verlagerte sich die Bedeutung von der Erkenntnisfähigkeit der Seele zu der des Geistes. Das Schweigegebot ist durchaus als Ablehnung weltlichen Geschwätzes zu verstehen, aber in einem profunderen und hermetischen Sinne – vor dem Hintergrund des Tridentinischen Konzils, mit dem der Freigeist der Epoche gebannt werden sollte – bezog sich die Aufforderung zur Zurück haltung auf die Glaubenswahrheit, die Vicino zusammen mit Madruzzo sowohl in Bomarzo als auch in Soriano vor der »Welt« verschwieg. In diesen Zusammenhängen war es das Gebot der Stunde: im schweigen offenbart sich die weisheit. Die vatikanische Clique, zu der auch Vicino nun durch Einheirat gehörte, hatte sich über jenes Konzil hinweggesetzt und es sogar lächerlich gemacht: Im hermetischen Spott, zu dem auch die Selbstdarstellung in der Gruppe der nach Wasser dürstenden Israeliten gehörte, formulierten Orsini, Madruzzo, Drouet und vielleicht selbst die Farnesebrüder ihr hermetisches Credo.
• ANIMA FIT SEDENDO ET QVIESCENDO PRVDENTIOR. Fresko im Studiolo des Alessandro Farnese, Villa Farnese, Caprarola
• Zweite Inschrift am Schiefen Haus: animvs
Diese Verschiebung war umso bemerkenswerter, als Vicino für die Ikonografie seines Wäldchens fast durchgängig weibliche und definitiv lunare Formulierungen und Bilder wählte, während das männliche Element mit Erkenntnis und Selbst behauptung verbunden war und mit dem männ lichen Orsino, der hier erstmals am Schiefen Haus auftrat.
qviescendo fit prvdentior ergo DER GEIST WIRD (NUR) IM TRAUM HELLSICHTIG, ALSO
Introitus 69
• Schiefes Haus, von vorne gesehen • Francisco de Goya, »El sueño de la razón produce monstruos« (übers.: Der Traum der Vernunft bringt Monster hervor), 1797–1799, Nr. 43 de Los Caprichos
Der traditionell geschlechtsspezifischen Zuordnung Animus-Geist-männlich und Anima-Seele-weiblich entsprach die Vorstellung, dass sich die Wahrheit (lat. veritas, ital. verità: weiblich) am unverstelltesten, spontan und inspiriert im Traum offenbare. Dabei dachte man unweigerlich an die antiken Sibyllen, die einer durchgängig männlich dominierten Priester- und Philosophenschaft gegenüberstanden.117 Wie die Philosophen der Neuzeit bezog sich Vicino auf antike und diese wiederum auf altorientalische Quellen und, dem Interesse der Zeit an extravaganten Dingen und Vorstellungskreisen folgend, auf die Orphik. Allerdings war ihr derselbe Stellenwert beigemessen wie den mittel alterlichen Lehrgedichten oder Liebesromanen – sie alle waren Substrate und vermischten sich zu einem kohärenten Ganzen: Den Beginn seiner Wanderung erlebte der Gast Vicinos als Irrfahrt – indem die Begehung des Schiefen Hauses zum Introitus in den innersten Wesenskern seiner Persönlichkeit wurde. Die Ver-rückung aus dem lotrechten, wachen und normalen Bewusstsein in ein ver-rücktes, verborgenes, zugleich vulgäreres und weiseres Unter-Bewusstsein war ein beliebig oft zu wiederholender Effekt, der in der Jenseitswelt der Nacht vermutlich noch wirksamer war als im hellen Licht des Tages. Für den ganzen Komplex des Sacro Bosco galt die antike Hochschätzung des Schlafes, des Traumes und nicht zuletzt des Wahnsinns, die allesamt dem Reich des Nichtbewussten, Jenseitigen und Dämonischen zugeordnet wurden. Das Wäldchen, beziehungsweise seine Götter, die man sich – wie den Gott und Ort Orkus – sowohl personal als auch lokal vorstellte, verkörperten einen Ort des Jenseitigen, der nicht außerhalb, sondernauf geheimnisvolle Weise im Inneren des Individuums verborgen lag, und wo parallel zum Wach bewusstsein, eine andere
70 Introitus
Wahrheit galt: »Die Orphiker hielten die Ratschläge der dunklen und unbeleuchteten Nacht für die tiefsten Quellen der Weisheit«.118 In Anlehnung an Aristoteles, der der Renaissance als die naturkundliche Autorität galt und den Vasari als Autor des Zitats angibt, wurden die Thesen des großen Naturkundigen über das Hellsehen im Schlaf in Vicinos Wäldchen erprobt. Der wahrheitsfördernde Wert des Schlafes konnte als prophetisch, und nicht zu einem geringeren Teil als selbstreflexiv erlebt werden, denn, kaum legt sich – damals wie heute – der wache, vernünftige Mensch Rechenschaft darüber ab, wie sehr er sich allen möglichen Zwängen unterordnet, um auf dem Schlachtfeld der politischen, privaten und ökonomischen Interessen zu überleben. Viele Zusammenhänge erkennt er nicht, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Aber es sind gerade die Abstrusität und die Gewaltbereitschaft der Träume, durch die sich das träumende Individuum von seiner Subordination befreit, sein Denken und Fühlen maximal steigert, seine Grenzen sprengt und überschreitet – vorzüglich gewaltsam – gleichsam in einem naturrechtlichen Sinne –, um die Kreatur im Vernunftwesen zu befreien. Die freie Übersetzung der Inschrift, dass der Verstand dem sich selbst entfremdeten Individuum nur im Traum gleichsam rücksichtslos die Wahrheit offenbare, war eine Schlussfolgerung der – zeitgenössischen Berichten zufolge – die verwöhntesten und gebildetsten Römer bereitwillig folgten. Der Hinweis auf den intersäkularen Auftrag der Fürsten als Finder und Bewahrer immaterieller Schätze, als auch – damit verknüpft und daraus folgend – das Motto der Freigeistigkeit, definierte das Schiefe Haus als Sinnbild für die Rezeption des Kommenden. Die hohe Bedeutung, die die Renaissance dem Traum als bewusstseinserweiternder und erkenntnisfördernder Leistung der menschlichen Seele einräumte, schlug sich im humanistischen All gemeinwissen nieder 119 und machte die praktische Umsetzung in der Figur, respektive im Medium
• Im Inneren des Schiefen Hauses, die Türschwelle zum kleinen Nebenraum ist bezeichnenderweise links viel stärker abgetreten, was auf die inzwischen jahrhun dertelange Unsicherheit der Besucher zurückzuführen ist.
72 Introitus
des Schiefen Hauses, zu einem wichtigen und naturkundlichen Experiment: Morpheus, der Gott des Schlafes und Bruder des Todes, wie auch die seherische Qualität des Traumes stimmten den Besucher psychologisch auf das Kommende ein, indem sie ihn als Schutzgottheiten auf dem Weg ins Unterbewusste begleiteten. In Anlehnung an die Hypnerotomachia bezeugten sie ihn als einen Suchenden, der auf der Spur seines Traumes durch die Schleuse des Schiefen Hauses in ein tieferes und, ebenfalls wörtlich zu nehmen, schlummerndes Bewusstsein von sich selbst geführt wurde. Also war das Schiefe Haus der Schlüssel, der die Wunder und Schrecken des Gartens erschloss. Mit der begehbaren Skulptur des Schiefen Hauses wandelte sich der locus amoenus zum locus ter ribilis, der sanfte Schlaf der Unwissenheit wurde vom Albtraum der Selbsterkenntnis abgelöst. Die Vorstellung, dass man das Bewusstsein verlieren müsse, um zu sich selbst zu kommen, stattete den Topos Arkadien mit innovativen Elementen des Gefährlichen und Schrecklichen aus. Um dies zu erreichen, ging Vicino schritt- um nicht zu sagen phasenweise vor: Die zuerst als Figur wahrgenommene Gestalt des Schiefen Hauses wandeltsich vom Moment des Eintritts zum Medium. Sobald es seine Kontur verliert und ihn aufnimmt, beginnt es den Betrachter gleichsam zu vereinnahmen. Die hier wirkenden schie fen Naturgesetze übertragen sich und machen ihn buchstäblich ver-rückt. Die Anlage des Schiefen Hauses und seine Funktion als Metapher und Methode des Introitus legen nahe, dass es mehrfach begangen wurde und sich auf die folgenden Wahrnehmungen auswirkte. Es verband den Verwunderten mit den Wundern des Gartens. Wie ein traditionelles etrurisches Bauwerk, die zu hunderten in der Region zu finden waren, jedoch verschoben durch die geheimnisvollen und unberechenbaren Kräfte der Natur, hatte sich seine Bedeutung ebenfalls verschoben. Die Lesart einer Schiefstellung als Folge eines Erdbebens120 wäre dennoch wesentlich undramatischer und vor allem nicht so abgründig wie die
einer Schiefstellung infolge einer allmählichen Absenkung, die auf den Umstand zurückginge, dass hier auf Sand gebaut worden wäre. Diese langsame und unmerkliche Veränderung passte zur langsamen und vom Melancholiker an sich selbst beobachteten Verschiebung, die sich metaphysisch und psychosomatisch vollzog und als sinnenfälliges Stilmerkmal des Wäldchens immer wiederkehrte. Erstmals wurde am Schiefen Haus das unkontrollierte und dämonische Schwan ken, das der triebhaft und verschlingend weiblich besetzten Natur inhärent ist, intellektuell von außen thematisiert und im Inneren sogar sinnlich empfunden. Das Bestreben, sich in der naturnahen Existenz zu verkörpern und im arkadischen Ideal den paradiesischen Zustand der Einswerdung mit den Ursprüngen und mit sich selbst zu erreichen, ist eines der konstituierenden Merkmale des Paradieses. Die gegenweltliche Fiktion Vicinos berief sich auf eine äußerst bizzare Form der Archäologie, die über jene mythische Stamm baumlinie eine Brücke zum Goldenen Zeitalter schlug. Die Rekonstruktion bedurfte eines fiktiven Raumes, der wiederum nur durch die Schleuse des Unbewussten erreicht werden könne: Diese Schleuse war das Schiefe Haus und seine divina torische Kraft. Vicinos Gäste folgten dem antiken Natur-Verständ nis, das gerade im Traum, Wahnsinn und in der Ekstase Kräfte der Wildnis vermutete, die im menschlichen Bewusstsein in tiefem Schlaf befangen seien und entsprechend geweckt werden müssten:121 »Im Schlaf bekundet die Seele eindeutig ihre göttliche Natur; im Schlaf wird ihr eine Art Einblick in die Zukunft gewährt, und das geschieht offenbar weil sie im Schlaf vollkommen frei ist«.122 Nicht umsonst war Arkadien der bewährte Schauplatz entfesselter Emotionen und Triebe, deren hemmungsloserAusbruch als Folge der Einschränkungen des Individuums betrachtet wurde. Das Schiefe Haus ist tatsächlich über eine Brücke vom Wachbewusstsein in jene arkadische Existenz
Introitus 73
erreichbar. Vicinos etruskophile Rekonstruktion bezog sich ausgesprochen interdisziplinär einerseits auf antike Autoren und andererseits auf deutsche Gelehrte. Insbesondere die ambivalente, zutiefst europäische Figur des Philosophen Giordano Bruno entsprach dem anarchistischen Furor Vicinos, der als Illustration dieses Aufbegehrens den Orsino als seine privateste Signatur123 an die Ecke des Schiefen Hauses setzte, wo er das Wappen der Orsini in seinen Tatzen hält.124 Das Motiv entlehnte Vicino zweifellos aus Pitigliano, wo auf der Piazza San Gregorio vii. ein Bär mit dem Orsiniwappen auf einer Säule aus dem 15. Jahrhundert steht und mit seinem beeindruckenden Phallus die Potenz des Hauses Orsini symbolisch darstellt. Der Orsino ist eine aus der verdrängten, geistig und sinnlich unbefriedigten Situation entwickelte Meta-Existenz, die eben jene unterdrückten und vermutlich kaum bewussten Anteile der ansonsten unauffälligen und seriösen Persönlichkeit verkörpert. Die archaische Bedeutung des Bärenmotivs
• Orsino mit dem Wappen der Orsini. Piazza San Gregorio VII., Pitigliano (IT) •• Bär mit dem Orsiniwappen an der nordöstlichen Ecke des Schiefen Hauses
74 Introitus
steht gleichsam über Raum und Zeit und verbindet die individuelle mythische mit der allgemeinen historischen Zeitachse. Offensichtlich setzte die Identifikation mit dem starken, wilden und geheimnisvollen Bären beim Renaissancefürsten und »Waldmenschen« Vicino vergleichbare Asso ziationen frei wie bei Naturvölkern, die sich als Jagdgemeinschaften mit dem Beute- aber auch dem Raubtier in unmittelbarer Verbindung spüren: »Menschliches Wohlbefinden geht weit über ein bloßes Überleben hinaus. Was die meisten von uns für sich selbst und andere wünschen, ist Lebendig keit, ein Leben, das wirklich Leben zu nennen ist, mit Arbeit, Teilhabe an den Belangen der Gemein schaft, mit gelegentlichen Ekstasen und tiefer Kontemplation. Der Bär ist, wie der Ainu sagt, der Gott des Gebirges. Seine Energie, sein Mut und seine Wachsamkeit sind Ausdruck der Kraft der Waldwildnis. Ihm zu begegnen löst nicht nur Furcht aus, sondern auch Begeisterung und Staunen.«125 Der Bär ist eines der Monster, das im Wäldchen als Wunder nach dem lateinischen Etymon
monstrare figuriert; von dem sich das italienische Wort mostro ableitet, das wiederum die Lesarten des Zeigens, Belehrens und eben des Monströsen in sich vereint. Es erhellt die Absicht des Bauherrn, etwas anderes zur Anschauung zu bringen und kathartisch zu lösen. Die unterdrückten Anteile seiner fürstlichen Person konnten nur im oscuro, dem Dunkel – gerne verwendete Vicino das beliebte Manierismuswort auch im Garten – seiner Kindheit geortet werden. Tatsächlich erfuhr Vicino seine Eltern als extrem ambivalent – auf der einen Seite die hochkultivierte und zarte Mutter, auf der anderender für seine Rohheit berüchtigte Vater – was er entweder verdrängen oder sublimieren, oder eben durch Übertragung auf eine künstliche MetaExistenz auflösen konnte.126 Die Initialen, die er in Latein und Volgare, als vv, als vicinvs vrsinvsoder als vicino orsino am Palazzo Ducale anbringen ließ, deuten darauf hin, dass sich Vicino im Fell des Bärchens ein eigenes Feld der geistigen und körperlichen Betätigung geschaffen hatte, ein Arkadien aus Freiheit und Genuss sowie intellektueller Überlegenheit. So konnte einer Gesellschaft widersprochen werden, die unmoralisch lebte und gleichzeitig vorgab, auf ein Weiterleben nach dem Tod zu hoffen. Dem katholischen Paradies einer völlig sittenlosen und der Natur entfremdeten Gesellschaft setzte Vicino sein Arkadien entgegen, das mit einem unerhört neuen, auf Lebensfreude statt Todesfurcht setzenden Programm Unsterblichkeit verhieß. Der intellektuelle Hintergrund war beachtlich: Die platonische Auffassung von der Unsterblichkeit und vor allem das epikureische Modell der mit dem Verfall der Körperatome sich ebenfalls in den leeren Raum des Alls zerstreuenden Seelenatome, die durch ihre neuerliche Bindung an ein geistiges und somit ewigesKonzept weiter bestünden, vermischten sich mit den Fabeln über ägyptische Geheimkulte und die Figur des Hermes Trismegistos. Konsequent verwirklichte der Lebemann und Philosoph Vicino das platonische Modell, das Marsilio Ficino oder Pico della Mirandola als logische Verknüpfung von Lust, Vergnügen und Erkenntnis interpretiert hatten. Mit der
• Bei Restaurierungsarbeiten im Dachgeschoss des Palazzo Ducale freigelegtes Fresko eines kleinen Bären (Orsino) mit Rosen und einer Mohnkapsel (sic!) in seiner Tatze
erfreulichen Philosophie Epikurs entstand ein paradiesisches Konzept, das, wiewohl hochberühmt und vieldiskutiert, kaum in seiner letzten Konsequenz verstanden und gar umgesetzt wurde: Die Erschaffung eines in der Ewigkeit der Inter kosmien existierenden, außerräumlichen und überzeitlichen Arkadien. Die Implikationen dieser Naturbetrachtung waren eindeutig kirchenfeindlich, vor allem was die Anschauung der Ewigkeit anging. Bruno wurde dafür als Ketzer verurteilt und verbrannt – der intellektuelle Sprengstoff seinerThesen hat sich dennoch, etruskisch und hermetisch verschlüsselt, im unzugänglichen Konzept des Wäldchens erhalten. Die heute gänzlich erodierte Inschrift auf der größtenund ebenfalls von Rollwerk hervor gehobenen Tafel dürfte, nachdem das Schiefe Haus bereits mit Inschriften zwei Mitglieder des erlesenen Vicino-Zirkels gewürdigt hatte, wohl dem besten und ihm am nächsten stehenden Freund, Giovanni Drouet, zugewidmet gewesen sein. (Freilich kann außer dem Umstand, dass
Introitus 75
von Vicino Orsini immerhin 77 [sic!] Briefe an ihn gingen, keinerlei Beweis dafür erbracht werden.) Eine Relieftafel zwischen zwei Streben der Mauer, die den Hang hinter dem Schiefen Haus abstützt und die beim Umschreiten desselben zwangsläufig noch vor dem Eintritt bemerkt wird, ist ein denkwürdiges Detail, das den Introitus noch enger an die Hypnerotomachia anbindet. Wie eine Erscheinung aus der Antike wirkt die Darstellung eines verführerischen weiblichen Aktes, dessen Scham nur unvollkommen von einem leichten Tuch verhüllt wird und das bereits über die Hüften herabzurutschen begonnen hat. Wie ein Paradoxon wirkt der minutiös herausgearbeitete Kruzifixus, auf den die merkwürdig schwebende oder sich wie in einer Apotheose auflösende Verführerin ihre himmelnden Blicke richtet – zugleich wendet
• Schiefes Haus: Nische neben dem Eingang, darin Mensa mit dem Altarbild der Polia; daneben Treppenaufgang vgl. Abbildung gegenüber liegende Seite
76 Introitus
sie sich ostentativ vom Baum der Erkenntnis zu ihrer Linken ab, der hier als Symbol der Erbsünde Schuld und Scham bedeutet haben mochte. Faszinierend und irritierend, ja sogar erregendan dieser Zusammenstellung, wirkt nicht einmal so sehr die offenkundige Erotik des Mädchenaktes, sondern der Gleichklang, mit dem sich der Kopf des sterbenden Christus und der wolllüstigen Nymphe nach links wenden und wie im Einver ständnis wirken. Diese Abstrusität, die auf eine Provenienz aus der Hypnerotomachia schließen lässt, konnte nur jemand von Vicinos geistiger Statur entwerfen. Seine gebildeten Gäste erkannten Polia127 als Symbolfigur für den katholisch unlösbaren Widerspruch von Erkenntnis und Lust, der ihnen bereits an den Terrassen des Palazzo Ducale mit »frommen« Sprüchen sarkastisch vor Augen
mit der Außenwelt gab, kaum empfunden worden war. Die Ikonografie des Schiefen Hauses ist wesentlich davon bestimmt, dass es vom Erdge schoss keine Verbindung zum oberen Stockwerk gibt und der Besucher das blicklose Parterre wieder verlässt, um den Berg hinaufzusteigen, um endlich von der turmartigen Warte einen Ausblick auf den Garten zu haben. Im Vergleich zum aussichtslosen Untergeschoss erlebt der Besucher hier die Diskrepanz zwischen der inneren und äußeren Welt, die an das platonische Höhlengleichnis erinnert. Die nur an der Innenseite abgetretene Schwelle zum winzigen Zimmer, in das man vom Hauptraum durch ein kleines renaissancistisches Portal gelangt, zeugt von der Verunsicherung mit der sich die Besucher im Schiefen Haus bewegen.
geführt wordenwar und den aufzulösen sie sich mit ihrem Gastgeber ins Wäldchen begebenhatten. Beim Lesen der Inschriften und geleitet vom Wappenbär, der ihn gastgeberlich zu empfangen und weiter zu führen scheint, wandert der Besucher um das Gebäude herum, um endlich den Eingang zu finden. Zwischen dem Schiefen Haus und dem Bergrücken betritt er also das Untergeschoss und die ebenfalls zwischen Berg und Hausmauer hinaufführende Treppe, die ihn oben angekommen über eine schmale Brücke ins obere Stockwerk führt. Somit haben ihn seine Neugier und die Bereitschaft, das von den Sphingen geheim und verborgen gehaltene Reich einer älterenund mystischen Weisheit zu betreten, auf eine höhere Ebene des Bewusstseins geleitet. Die Ver-rückung beginnt – wie der Krankheits verlauf – unmerklich: Im ebenerdig nur durch Oberlichte erhellten Raum hatte sich die leichte Schiefstellung der Mauern als leise Irritation aus gewirkt, die dadurch, dass es keinen Blick-Kontakt
Introitus 77
• »Altarbild« der Polia zwi schen Kruzifixus und dem Baum der Erkenntnis • Schiefes Haus: Detail der kleinen Brücke ins obere Stockwerk
Ausblick auf die Hekate Der Ausblick aus dem schiefen Fenster auf das Wäldchen war ebenfalls ver-rückt, als er in der Art eines hermetischen Rebus funktionierte: Verdreht und etwas aus dem Gleichgewicht, wie ein schief hängendes Bild, wirkten das wie hingegossen daliegende Weib mit dem Hund und dem kleinen Altar im schrägen Rahmen der Fensterlaibung und in der felsigen Wildnis oberhalb des antiken Theaters, das zugleich eine ägyptische Kultstätte mit Obelisken und den üblichen Versatzstücken war. Schon die übernatürliche Größe der Gestalt deutet auf eine mythische Herkunft aus ältesten Zeiten und ihre Lage genau am Kreuzungspunkt verschiedener Zugänge, die sowohl nach beiden Seiten, als auch von unten nach oben führten, war bezeichnend. Ursprünglich bündelte und beschloss diese Figur, die sich noch unbekannten Orten im tiefen Wald hinter ihr verbindet, die ganze Anlage und war das geistige Zentrum des Wäldchens. Ihre Anwesenheit wirkt vollkommen natürlich – wie eine Hervorbringung des Ortes; und dieser Eindruck täuscht nicht, denn die Schlafende Schönheit wurde aus dem gewachsenen Felsen herausgemeißelt. Die Figur ist nackt, ein schmaler Streifen Stoff liegt über ihren Beinen und die Andeutung eines Leintuches oder gefallenen Gewandes unter ihr, das sie sich im Schlaf abgestreift hätte, bringt sie mit den anderen, ebenfalls nicht vollständig bekleideten und doch so eleganten etruskischen Göttern in Verbindung. Die freimütige und völlig ungekünstelt wirkende Schlafposition des nach hinten auf den Felsen weggekippten Hauptes mit der üppigen, antik frisierten Haartracht, die locker ausgebreiteten Arme und die entspannt in das weiche Laken greifendenFinger der rechten Hand sind der Natur nachempfunden und dennoch kunstvoll arrangiert; desgleichen lässt der abgerundete, an einen orientalischen Diwan erinnernde Sockel das ganze Ensemble
weich und einladend wirken (siehe Vollbild S. 126). Vicinos Gäste sollten bei diesem Anblick an antike Schläferinnen wie Psyche oder auch Ariadne denken, vermutlich sogar an jenen Holzschnitt der Hypnerotomachia, worin eine ähnliche Bajadere von einem lüsternen Faun entdeckt wird und worin sogar ein weggezogener Vorhang (sic!) eine Analogie zu Badehausszenen, ja selbst zum neuplatonischenAktaionmotiv herstellt. Aber erst seit dem Hund in der Beuge ihres linken Armes der Kopf wieder aufgesetzt worden war, ist es möglich, die ehemalige Wirkung nachzuvoll ziehen. Die Kombination aus schöner Frau, Kreuz weg, Hund und Altar, aber wohl in erster Linie ihre nächtliche Inszenierung, dürfte Vicinos Gästen einen gehörigen Schrecken eingejagt haben. Die Örtlichkeit war symptomatisch und wurde bei Dunkelheit mit Hilfe verschiedenster Effekte, die nächtliche Beschwörungen und Hexenzauber vortäuschten,128 mit Leben erfüllt. Wie andere antike Gottheiten mit ihrem Ort Identität und Namen teilen, war auch diese Gestalt als Erscheinungsform des Schiefen Hauses und wegen ihrer Personalunion mit dem Kreuzweg eindeutig: Hekate, älter und mächtiger als das regierende Göttergeschlecht. In ihrer ältesten Bedeutung – als Göttin der Schwellen, der Übergänge und Wächterin der Tore zwischen den Welten – herrscht sie als weibliches Pendant des Großen Pan über Vicinos unterweltliches Arkadien und kann als dessen Allmutter und Weltseele gelten. In Bomarzo erschien sie jedoch nicht traditionell dreigestaltig,129 sondern in der eher volkstümlichen Gestalt der Empusa, eines schönen Weibes, das sich nächtens in einen Hund oder anderes Getier verwandelt. Der nächtlich jaulende Hund ist ihr unvermeidlicher Begleiter, bildet aber auch das Gefolge der anderen lunaren Göttinnen wie etwa der Jagdgöttin Diana. Als Sternbild der ebenfalls lunaren, unterweltlichen und fruchtbaren Isis, die wiederum eine Tochter Saturns ist,130 stellt der Hund eine mythisch-genealogische Verbindung zur ältesten Vergangenheit her. Um die Botschaft des Wäldchens zu verstehen, sind selbst so kleine Details wie dieser Hund, der sowohl Begleiter der Hekate als auch ihr Opfertier ist, als Teile eines
Introitus 79
• Ausblick aus dem Schiefen Haus: Hekate als Schlafende Schönheit
Autoren bekannt gewesen sein könnte, stellte die Eisenradierung »Der Verzweifelnde« (um 1515) von Albrecht Dürer dar, die als Darstellung des saturnischen Temperaments ein fast schon monströs vollbusiges schlafendes Weib zeigt. Dieser beängstigende Eindruck, der sich vor allem nachts geboten haben musste, war tagsüber relativiert, aber immer noch übt beim Umschreiten der Hekate ihre rechte Brust, die als höchster Punkt der Felsenskulptur und wie eine Achse wahrgenommen wird, eine zwischen Erotik und Dämonie oszillierende Anziehungsk raft aus.
• Bajadere mit Faun, Hypnerotomachia Poliphili, Holzschnitt, um 1500 Albertina, Wien • Albrecht Dürer, »Der Ver z weifelnde«, Eisen radierung, um 1515 National Gallery of Art, Washington
Konglomerats von Bedeutungen zu bedenken. Die Trivia Bomarzos war eine regelrechte Kreuzung von Inhalten und Personifikationen, die im Heiligen Wald eine noch nicht dagewesene Ikonografie der Geheimnisse der Nacht ausbildeten. Obwohl es im obskuren Gedankenzusammenhang der Nacht immer wieder zu Gleichsetzungen kam, galt Hekate als Vertreterin des nächtlichen Schreckens, im Gegensatz zur lieblichen Mondgöttin Selene oder zur keuschen Jägerin Diana, die ebenfalls mit Hunden auftritt, und im Gegensatz zur ent weder furcht- oder fruchtbaren Proserpina, die von Kerberos begleitet wird. Aber nur Hekate wurde gemeinsam mit den Furien, die noch den Beinamen »Töchter der Nacht« trugen, an Weggabelungen angerufen.131 Im Spannungsfeld des Dreiweges und in direkter Nähe zum etruskischen Friedhof, mit den verstreut liegenden weiblichen (sic!) Cippi, wirkt ihre Schönheit bedrohlich – sinnfällig dargestellt in ihren nicht weiblich schmiegsamen, sondern wie dräuend aufgerichteten Brüsten. Ein überzeugen des Vorbild, das Vicino aus den Schriften der »Oltramontani« (siehe S. 178) und der antiken
80 Introitus
Raum und Zeit ihrer Herrschaft sind Körper und Geist, die ohnmächtig im Schlaf liegen. Die schlafende, ihr jenseitiges Reich der Träume beherrschende Riesin war eine unverstellte Anspielung auf die antiken Hexen,132 wobei man in Bomarzo wohl an die berühmteste, Erictho, denken sollte,133 die mit magischen (nekromantischen) Praktiken der Natur ihre Geheimisse abrang. Sie bildete das teuflische Gegenstück zur Gottbesessenheit der Sibyllen.
• Hekate als Schlafende Schönheit, den nächtlichen Schrecken verkörpert der Hund in ihrer Armbeuge.
In Bomarzo war Hekate die Verkörperung dessen was waltet. Die Titanin hatte als einzige Zeus im Kampf der Giganten unterstützt und war von ihm gleichsam zum Dank mit »außerordentlicherMacht im Himmel, auf der Erde und in der Unterwelt belohnt« worden.134 Seit frühesten Zeiten galt sie als Schicksalsgöttin, mit deren Hilfe man sein Schicksal zu ergründen oder gar zu wendenhoffte, und die sich deswegen zum Inbegriff der schwar zen Magie gewandelt hatte. Die lunare Göttin war die nächtliche Entsprechung des Helios. Sie repräsentierte die weibliche, dunkle Seite, die schwarze Magie und intuitive Mantik, die sich im Traum und in der Ekstase offenbarte. Sie galt als der irrationale, finstere Gegenpol des strahlenden Apoll135 und übernahm innerhalb des antagonisti schen Gegensatzpaares von dionysischem Rausch und apollinischer Klarheit den Part der geheimnis vollen Führerin in die Unterwelt.136
die einzelnen Bereiche und Ebenen des Wäldchens miteinander verband, deutete die Vorstellung des lockenden Weibes, das sich schlafend in eine fins tere und unbewusste Macht verwandelt, metapho risch in die des hellen Tages um, der zur finsteren Nacht wird, und setzte letztlich gleich mit der logischen Erkenntnis, die vom Albtraum abgelöst wird. Als Warnung und Vorbereitung wurde mit diesem Ausblick jede romantische Deutung des Kommenden außer Kraft gesetzt. Die Anwesenheit dieser mächtigen Göttin schloss von vornherein jede paradiesische Konnotation eines locus amoenusaus, und markierte mit dem in der drit ten Bauphase zeitgleich entstandenen Schiefen Haus den Herausfall aus dem Wachbewusstsein in eine ekstatische, unterbewusste und jenseitige Welt, die von Eros und Thantatos beherrscht ist: Das Experiment des Paradieses hatte sich in sein Gegenteil verkehrt.
Ihre Anwesenheit im Heiligen Wald war von tat sächlich monströser Bedeutung und wurde dem Wanderer gleichsam als Warnung auf den Weg mitgegeben: Ihre Stellung im und als Zentrum des ganzen Programmes, ihre Erreichbarkeit inner halb einer dreidimensionalen Weggabelung, die
Das sinnliche Erlebnis des Gesamtkunstwerkes kam durch eine ungewöhnliche, nur in eupho rischen Beschreibungen erhaltene Bepflanzung zustande, innerhalb derer die Wunder des Gartens erschienen. Schrittweise interpretierte der Wanderer das unmittelbare Nebeneinander und
Introitus 81
• Hekate als Schlafende Schönheit – der unverstellte Blick auf die Hekate ist heute nur mehr vom Platz vor dem Schiefen Haus möglich. Im Vordergrund weibliche Cippi in der charakteristischen Häuschenform
82 Introitus
Aufeinanderbezogensein der einzelnenFiguren gruppen als auch die Erfahrung des kontrollierten Abgrundes. Dazu kamen außerdem noch die vielfältigen Geräusche der Wasserspiele137 und die Rufe der exotischen und wildenTiere.138 Vicinos Gäste staunten über indische Hühner (Truthähne), die damals in Europa noch weitgehend unbekannt waren. Das bizarre Geflügel aus der Neuen Welt wurde mit Gefühlen des Erstaunens und der Abscheu betrachtet, die das sinnliche Erlebnis der altro mondo noch intensiver machten. Vicinos Wäldchen, in dem das Individuum einer ganz anderen Dynamik und selbsterfundenen Naturgesetzen unterworfen war, entsprach dem arkadischen Ideal und seiner Verlegung in eine Zeit, die mit der Entstehung der Welt zusammenfiel. Die Perfidie des Schiefen Hauses besteht in seiner Labilität: Die nur leicht ver-rückten Naturgesetze wirken sich sofort aus, aber es dauert nur wenige Minuten und der Gast Vicinos hat sich, wie auf einem schwankenden Schiff, an die hier herrschende Schieflage gewöhnt und bewältigt die kleine Distanz zum winzigen Anbau ohne Stolpern. Umgekehrt verliert er die gewonnene Sicherheit, sobald er das Schiefe Haus über die kleine Brücke verlassen hat und taumelt nun seinen nächsten Abenteuern entgegen.
Verunsichert in seinen ureigensten Wahrnehmun gen hatte der Unwissende ein Reich des höheren oder, weil sich die Gegensätze berühren, des unterenBewusstseins betreten. Erst von hier aus konnte er in Vicinos mythisches Reich einer etruskischen Vorvergangenheit gelangen, das den Begriff der Unterwelt als Synonym für Identität in seinerwechselseitigen Beziehung von Herkunft und Prädestination auseinandersetzte.
• Im Inneren des Schiefen Hauses, südöstliche Ecke mit Fenster und Ausgang
• Schiefes Haus: Treppen aufgang und Ein- bzw. Ausgang über die kleine Brücke
II. Plateau der etruskischen Götter: Identität und Selbstbehauptung
• Vor dem Aufgang zum Plateau der etruskischen Götter; rechts Anna Perenna, die mit ihrem Blick den Wanderer ins Plateau der etruskischen Götter lenkt.
Das Schiefe Haus hatte den Besucher in einen Adepten verwandelt, der die folgenden arkadischen Abenteuer als Szenen seines eigenen Lebens interpretierte. Vicino inszenierte sich selbst als Protagonist einer Art von Selbstreflexion, die nur in seinem Wäldchen möglich war. Ausgerechnet vor den römischen, vorzüglich römisch-katholischen Exponenten jener dekadenten Kultur, die dennoch als einzige fähig war sein Wäldchen zu würdigen, wollte und konnte sich der von Minder wertigkeitsgefühlen Geplagte als überlegen darstellen. Während die »Tölpel« wohl nur als Statisten seines arkadischen Dramas figurierten, sollten sich die wenigen Gleichrangigen als Initianten
begreifen, die von ihm in sein Reich, wie auch die biblischeTerminologie lautet, eingeführt wurden. Das Schiefe Haus hatte sie in einen Zustand ekstatischer Aufmerksamkeit versetzt, der eine künstliche und darum kunstvolle Verrücktheit, eine follia139 im manieristischenSinne einer exhibitionistischen Freude am Wahnsinn war und der sie sich mit Lust ins Verderben stürzen ließ. Als sie das Schiefe Haus verließen, fanden sie sich in einer Zeit und an einem Ort wieder, die ihnen vertraut und dennoch angsteinflößend schienen: Die tiefe Grotte vor dem Berghang, der Drache, der mit Löwen kämpfte, während ein Kriegselefant gleich daneben einen römischen Legionär mit seinem Rüssel zu Fall brachte, waren Fragmente eines historischen Wissens, die in ver-rückter Lesart etwas ganz anderes bedeuten mochten. Am Plateau der etruskischen Götter fand die Beschwörung einer ruhm- und segensreichen Vergangenheit statt, die eine Rückkehr zu den Ursprüngen zu sein vorgab. Zur Vergegenwärti gung der etruskischen Aetas Aurea trugen persön liche Elemente bei, die diese Region zur biografisch und ikonografisch dichtesten der ganzen Anlage machten. Vicinos mysteriöse Ahnenforschung legte eine zeitgenössische Mythografie als archäologische und astrologischeSchatzsuche aus – wobei die umliegenden Nekropolen als Vorbilder für die Architektur einer heiligen Landschaft dienten. Wie die Nekropole von Norchia war auch Vicinos Wäldchen ein dunkles, feuchtes und felsiges
• Aufgang zum Plateau der etruskischen Götter
Plateau der etruskischen Götter 87
• Plateau der etruskischen Götter
• Poliphil im dichten Wald verirrt, Hypnerotomachia Poliphili, Holzschnitt, 1500 Albertina, Wien • Die Ensembles vom Plateau der etruskischen Götter, dazwischen der
Flusstälchen, dessen natürliche Gegebenheiten archäologische Sensationen verhießen und sich metaphysisch auf Hegemonie und Schatzsuche ummünzen ließen.
und der Traum eine veränderte Wahrnehmung, die in einer weiteren Stufe der Verwandlung das wahre pantheistisch ungebundene Lebens gefühl freisetzt. Damit ist sinngemäß ein Wechsel der Identität verbunden, der ja eines der konsti tuierenden Merkmale des Paradieses ist. Für das Wachbewusstsein wurde von Vicino ein ähnlich identitätsstiftender Zusammenhang mit den sensi primi angenommen. Die vordergründige Diskrepanz zwischenepikureischer Seelenruhe und der anarchischen Wildheit des Programms, das er skrupellos in seinem Wäldchen exekutierte, entsprach – wie die immer wieder angesprochene melancholischeStimmung140 – keineswegs einer resignativen und krankhaft traurigen seelischen Disposition, sondern dem kreativen und über schwänglichen furor des Saturnikers, dessen Kraft später sogar zum metaphysischen Zerreißen des Weibes reichen würde.
Höllenschlund
Urnenvasen und Amphoren bezeichnen das Plateau als historischen Ort und waren wie gewisse Lebensmittel, die Vicino gleichsam als Visitenkarten seiner etruskischen Identität an die römischen Freunde schickte, für die Region repräsentativ. In ihrer monolithischen Version bilden sie ein angemessenes Gegengewicht zur kolossalen und dennoch eleganten Göttin neben dem Aufgang. Die angemessene Annäherung entsprach der Situation Dantes an jenem schicksalhaften Kar freitag, jedoch übersetzt in die Terminologie des Wäldchens: Also fand sich der Adept wie Poliphil mitten im Wald verirrt, in Anbetracht dessen, was er bereits erlebt hatte, sogar verwirrt in seinertief innersten Wahrnehmung. Die literarische Asso ziation unterstützte die bewusstseinserweiternde Komponente des Traumes, der als Realität erschien: Ich weiß nicht, träum ich oder wach ich? Das Motiv des Sich-Verirrens im finsteren Wald war eine übliche Metapher für den Herausfall aus dem Wachbewusstsein in die zunächst (be)fremde(nde) und doch als eigene erkannte nächtliche Fantasie welt, die den Traum mit dem gleichsetzt, was man am Tag nicht sehen kann oder nicht sehen will. Wie die Droge bewirken auch der Schlaf
90
Plateau der etruskischen Götter
Vicinos Selbstbehauptung war kein Protest, der sich auf Rom beschränkte, sondern ein Aufb egeh ren gegen die Zeit. Seinen Rückzug in die Provinz führte er den gebildeten Gästen als Renovatio eines Goldenen Zeitalters vor Augen, in dem die Orsini – historisch belegt – die führende Stellung eingenommen hatten. In der etruskischen Realität des Wäldchens rechtfertigte sich Vicinos selbstgewählte Isolation als antike Größe. Vicinos Gäste interpretierten die etruskische Version des Hermes Trismegistos im Zusammenhang mit Vicinos melancholischer Attitüde. Diese Definition des Melancholischen als eine philosophische Haltung141 bestimmte die zeitgenössische Rezeption des Wäldchens142 und Vicinos Selbstinszenierung »… unter dem Zeichen des kosmischen Gottes Pan, der von den Humanisten als Pan Saturnius in eine enge Beziehung zu Saturn, dem Gott der bukolischen Kontempla tion gesetzt wurde.«143 Die elitäre und als Ars Vivendi mit der Villegg ia tura gleichgesetzte Form der Existenz berief sich auf einen ebenso fiktiven, mit dem Topos des platonischen Symposions identifizierten etruskischen Lebensstil, dessen höchstes Ideal und erste Tugend Genuss war.
Plateau der etruskischen Götter 91
Anna Perenna Das halbnackte, in seiner Schwere schon wieder anmutige Weib in dem seichten Becken, aus dem es ein ganzer Schwarm von Wasserwesen umschwirrt, entstammt der tiefsten Tiefe der Erde: Im Kontext ist es die recht eigentliche Verkörperung der Topoi Etrurien und Unterwelt. Vor dem Aufgang zur höheren Ebene des Plateaus und durch ihre Blickrichtung bezieht sie, die zweifelsohne eine Göttin ist, sich auf ein ebenso machtvolles Gegen über, das der Wanderer in der dunklen Grotte am anderen Ende des mysteriösen Platzes vermutet. Der körperliche Ausdruck der göttlichen Matrone ist Erdverbundenheit, was natürlich auf ihre Ent stehung aus einem der riesigen Peperinblöcke zurückzuführen ist und sie als Verkörperung des Goldenen Zeitalters glaubhaft macht. Als Inbild der altorientalischen Magna Mater besitzt sie kraft ihrer unter- und oberweltlichen Macht prophetische Züge, die sie als heiliges Idol auf Vergangenheit und Zukunft zugleich ausrichtet: »Gaea, die breitbrüstige Erdgöttin, die mächtige Riesin, wird mit diesen Bezeichnungen zwar noch nicht in das volle Bild, jedoch in eine angenäherte Vorstellung von einer mächtigen Gestaltung erhoben. Kraft bis in das Ungeheuer liche hinein ist ihr Wesen, aber auch weissagender Rat. Sie ist der trefflich gefestigte, dauernde Sitz der Ewigen und die Mutter der auch das Maß des Riesenhaften – gemeint sind die Giganten und Titanen eines mythischen Erdaltertums – überschreitenden ersten Bildungen; sie verkündigt dem Kronos, dass ihm von dem eigenen Sohne Verlust der Herrschaft bevorstünde und hilft dennoch den Zeus zu erretten, damit er ausführe; ›wieviel zu geschehen bestimmt war‹. Im Götterkampfe ist Gaeas hilfreicher Rat bald auf Seiten des Zeus und der Kroniden, bald sendet sie zu deren Vernichtung die furchtbarsten Ungetüme. In allen diesen Beziehungen erscheint Gaea als die große Naturkraft, welche in wuchernder Fülle hervorbringt und dann das Hervorgebrachte ebenso
leicht stört und bekämpft wie wiederherstellt. Von ihrer weissagenden Kraft her war Gaea als Orakelgöttin geehrt; auch Delphi soll vor Apollons Besitznahme ein Orakelort der Erdgöttin gewesen sein. Herausgehoben aus ihrer Mitwirkung in den Götterzeugungen, erscheint Gaea in den Dichtungen und bildlichen Darstellungen als freundliche Allmutter, von deren Reichtum sich die Geschöpfe der Erde, des Meeres und der Luft nähren; welche auch dem Geschlecht der sterblichen Menschen Leben verleihen wie entreißen kann. Gesegnet ist, wer sie ehrt, ihm wird alles in Fülle zuteil. […] In diesem Charakter der Fülle und Güte dargestellt, ist Gaea eine volle, kräftige Frauengestalt, in liegender Stellung und halb entblößt.«144 Wie oft beim bäuerlichen Menschenschlag trägt der massige, wenig antik wirkende Körper einen edel gestalteten Kopf, dessen feinsinnig geformte Züge von der antiken Frisur akzentuiert werden. Ein zartes, archaisch wirkendes Lächeln spielt um die Lippen der Unsterblichen, die nackt ist, bis auf einen Umhang – wohl die herabgeglittene Tunika, die ihr locker über den Oberschenkeln liegt und die ungezwungene Haltung der Göttin beweist. Die äußerst freizügige Kleiderordnung der etruskischen Gottheiten Bomarzos, deren Geschlecht fast immer, wenn auch nur ansatzweise, zu sehen ist, stellt das Naturgesetz des Wäldchens dar, in dem antike Freizügigkeit und Freiheit des Denkens herrschen. Dem souveränen Gestus der monumentalen Figur entsprechen die imposanten Oberarme, die locker seitlich auf die natürliche Felsformation gestützt sind, nicht aber die Wasserwesen145, die »hinter ihrem Rücken« verspielt und schamlos wie kleine Putti Unfug treiben. Vicinos kombinatorisches Geschick stellt seine Gäste auf eine harte Probe, denn die eindeutige Physiognomie und das Attribut der Fruchtschale in Kombination mit der unbändigen Schar, die die Gottheit umflattert und umkrabbelt, entzieht sie der einfachen Deutung als Ceres oder Pomona. Erst ihr unterweltlicher, definitiv nekromantischer Bezug auf die fruchtbare Erde erklärt die Figur im Spannungsfeld zwischen dem Schiefen Haus und
Plateau der etruskischen Götter 93
• Plateau der etruskischen Götter: Anna Perenna von vorne gesehen, im flachen Wasserbecken
dem halb in der Grotte verborgenen Gott am anderen Ende des Platzes.146 Die wässrigen Putti sind Teil der von Vicino frei erfundenen manieristischen Ikonografie einer machtvollen, über Leben und Tod gebietenden Göttin des Goldenen Zeitalters – ihr Herrschafts gebiet ist sowohl unter wie ober der Erde, auf der Erde wie im Wasser. Das fast identische Motiv in der Villa Lante, wo ein Reigen aus libellenflüge ligen, fischschwänzigen Sirenen das breite Becken des Gigantenbrunnens umläuft, von denen allerdings in Anspielung auf den Bauherrn jeweils zwei einen Gambaro (Krebs) zwischen sich halten, war ebenfalls ein Fantasieprodukt jener etruskophilen Ikonografie, die im Freundeskreis des gartenbe geisterten Fürsten entwickelt worden war. • Gigantenbrunnen, Detail des Brunnenbeckens mit Wasserwesen, Villa Lante, Bagnaia (IT) 1447 von Kardinal Raffaele Riario erbaut, ließ Kardinal Giovanni Francesco Gambara die Villa von 1566–1573 ebenfalls nach Plänen Vignolas umbauen und einen prächtigen Garten errichten.
Durchwegs handelt es sich um Wesen der Luft und des Wassers, die den fürstlichen Schatzgräbern aus der etruskischen Sepulkralkunst bekannt waren und die ganz offensichtlich in ihrer Bedeutung als Boten eines etruskischen Jenseits in die irdischen Paradiese ihrer Villeggiaturen übernommen wurden. Etruskische Gräber offenbarten im wahrsten Sinne des Wortes Inhalte, die im Vergleich mit den freudlosen antiken und christlichen Alternativen tröstlich und beflügelnd zugleich gewirkt haben mussten.
Der erotische Übermut der Tritonen und die Sylphiden – von denen einige wie die als Larven im Wasser geborenen Insekten geflügeltsind und somit dem Wasser als auch der Luft zuge hören, und die wie der Delfin als Psychopompoi, Seelenführer, galten – sind Metaphern des Über gangs in ein anderes Medium der sinnlichen Erfahrung. Die Verschränkung freigeistiger etrus kifizierter Inhalte147 mit der uralten Vorstellung des sowohl unter- als auch oberhalb der Erde ablaufenden Prozesses der Fruchtbarkeit ist ein sogenanntes Überkreuzungsmotiv148, das einen Gegen entwurf zu den lustfeindlichen Jenseitsvorstel lungen der katholischen Kirche darstellte. Vicinos Rekonstruktion der Anna Perenna war das etruskische Pendant zur Demeter der eleusinischen Mysterien, die als Geburts- und Todesdämon, »wahnsinnig in dionysischer Raserei das gött liche Kind in der Getreideschwinge schwingend«149, in die Interpretation miteinfloss. Diese intellektuellen Spielereien wurden vom sinnbetörenden Gekreisch der Vögel in den zahl reichen Volieren begleitet. Die Anleihe an der etruskischen Sepulkralkunst, die Vögel wie Delfine, Nixen, Tritonen und Libellen als Bewohner zweier Welten darstellte, war offensichtlich – in Bomarzo freilich steigerte das Gekreisch die unwirkliche, überspannte (»spaniato«) Atmosphäre einer jen seitigen Welt, die jener Roms und dem allzu hohen Anspruch des Neuplatonismus entgegengesetzt war. Vicinos Liebesphilosophie war in der zweideutigen Erotik zum Ausdruck gebracht, die den geborenen Städter (»cittadin«) Vicino und seine geistigen Bundesgenossen in Naturburschen (»villani«) verwandelte. Wie eine Provokation wirkte Vicinos Gedicht über die Vogeljagd (»boschetto«)150, dessen sprachwitzige Verschränkungen mit der männ lichen Sexualfantasie in einem pseudo-volks tümlich verspielten, zugleich obszönen und unschuldigen Stil gehalten waren: Im rustikalen und ordinärenVolgare inszenierte sich Vicino als ländlicher Dichter und implizit als Adept einer Weisheit, die das gemeine Volk – von degeneriertem Wissen verschont – gewisserweise als ursprüngliche Weisheit (Prisca Sapientia!) überliefere. Vicino beschrieb sein Wäldchen in
• Plateau der etruskischen Götter: Sylphiden mit kleinem Triton, erotische Wasserwesen im Rücken der Anna Perenna
Plateau der etruskischen Götter 95
durchaus vergleichbarer Weise und nach dem Vorbild der Divina Comedia. Die Beschreibungen seines Natur-Reiches im regionalen Dialekt ließen ein vor der (lateinisch) gebildeten Welt verschontes Zauberreich ungeahnten und vergessenen Wissens entstehen. Vicino verfasste seine Dichtung in einem fiktiven, bewusst rustifizierenden, retardierenden und ordinären Medium, das das unzivilisierte Landleben mit seiner Kultur zu einem Widerhall des längst verlorenen Arkadien hoch-, oder besser herunterstilisierte.151 Liebesfreiheit und Naturrecht als seine Hauptattraktionen forderten geradezu kategorisch eine Renaissance des naturrechtlichen Triebes, der in den derben Späßen des Gedichtes eindeutig zweideutig zum Ausdruck gebracht war.152
• Plateau der etruskischen Götter: Der Gott Tages, der Anna Perenna auf die Schulter geklettert ist.
Im Sinne des Programmes von arte und inganno war der Heilige Wald mit echten Vögeln, Fischen, einem Bären und mythologischen Naturwesen aus Stein belebt. Die Naturwesen profitierten von der Kunst und umgekehrt die steinernen Figuren von ihrer natürlichen Umgebung – zeitgenössische Berichte und eine Zeichnung Bartholomeus Breenberghs geben ansatzweise die Faszination wieder, die das Gesamtkunstwerk auf die Besucher
des Wäldchens ausübte. Nur dieses Ambiente, wo die Natur wunderbar und umgekehrt die Wunder das Natürliche waren, brachte die komplexe Bedeutung der etruskischen Gottheit zur vollen Geltung. Wie wenn er mit dieser Weisheit kokettieren wollte, hat sich ein kleiner Bub, der wohl zur ausgelassenen Gesellschaft im Rücken der Göttin gehört, auf ihre Schulter gesetzt. Mit seinen kallipygischen Formen (mit dem schönen Hintern) erinnerter an den kleinen Satyr der Papacqua, der der Großen ZIege auf der Schulter sitzt; und die verschwörerische Art, mit der er sich an das Ohr der Göttin herandrängt, gleicht auf mysteriöse Weise der Intimität zwischen der Satiressa und ihrem Satyr kind (siehe Gedankensprung: Die Papacqua des Cristoforo Madruzzo, S. 294–301). So klein und unbedeutend seine Gestalt, so groß war die Bedeutung des göttlichen Kindes, in dem die mythologisch versierten Gäste Vicinos den Gott Tages erkannten. Tages war die zentrale Figur der etruskischen Haruspicia, der Etrusca Disciplina, wie die Römer die divinatorischen Künste der Etrusker nannten. Der Legende nach war Tages153 als »greisenhaftes Kind«, das heißt in der Gestalt eines Kindes, aber »von urältester Weisheit«, einem etruskischen Bauern beim Pflügen erschienen und hatte die Etrusker die Kunst der Weissagung gelehrt. Die in der etruskischen Weissagekunst bedeutsamen Zeichen der Natur, die monstra154, also Missgeburten und Ungeheuer, die die Natur hervorbringt, verbanden sich assoziativ mit den in den Inschriften des Heiligen Waldes angekündigten Wundern. Wenige Meter hinter der Anna Perenna entdeckt der Herumwandernde im Felsgestein eine etwa eineinhalb Meter lange und schön eingeschnittene Vertiefung, ähnlich jenen, die er in den etrusk ischen Nekropolen gesehen hatte, wo sie zu geheimnisvollen Zwecken im Felsgestein zwischen den Tombe eingemeißelt worden waren. Der Vergleich mit den Nekropolen von Norchia, Blera, Castel dell’Asso, Tarquinia, Cerveteri etc. erinnerte
die fürstlichen Grabräuber an ihre astrologische Bestimmung zur hermetischen Schatzsuche155. Das Grab ist unmittelbar mit dem Ideal einer uralten, durch Einweihung gewonnenen Weisheit verbunden und gilt unweigerlich als Ort, an dem das Geheimnis des Lebens gelöst werden kann. Die Nekropolen boten nicht nur das sinnliche und spirituelle Erlebnis der Gräber, die auf ihre fürstlichen Grabräuber zu warten schienen, sondern waren auch Stätten, die als noch bestehende geheimnisvolle Zugänge in die Unterwelt galten und in die mit nekromantischen Gebräuchen156 eingedrungen wurde, oder aus der auch Tote in die Oberwelt heraufgezwungen werden konnten. Nach dem Vorbild der etruskischen Nekropolen ließ Vicino in den harten Peperin hinter der Anna Perenna die längsrechteckige Vertiefung ein meißeln, die seine Gäste als Mundus interpretierten, eine grabenförmige Aushebung, in die im etruskischen Ver Sacrum die Erstlinge geopfert wurden. Er galt als Abbild des Himmels und wies auch auf dieser verborgenen Ebene auf den mikro-makro kosmischen Zusammenhang des Wäldchens hin.157
der Nacht und der Unterwelt. Die Personalunion von Anna Perenna mit Proserpina und Hekate brachte Bomarzo mit Eleusis in Verbindung: Die Einweihung in die berüchtigten Mysterien erfolgte indem der Adept freiwillig die Pforten des Todes durchschritt. Dieses Erlebnis war verstörend und wurde mit göttlichem Wahn, Prophetie und dem Temperament Melancholie assoziiert, das wiederum mit Wissenschaft und Kunst, Genie und Unsterblichkeit gleichgesetzt war: »Vivitur ingenio, caetera mortis erunt.« (Vergil) – Das Genie wird weiterleben, wenn alles andere des Todes sein wird.
In dieser innovativen Verkettung von Mythos und Geschichte stand Anna Perenna, oder Ops Consivia, für Divination. Als zugleich mütter liche und tödlicheGottheit gewährt sie Einblick in die kosmischenZusammenhänge, aber auch in die dunklen, verborgenen und verbotenen
Plateau der etruskischen Götter 97
• Etruskischer Graben (Mundus) im harten Fels gestein (Peperin), hinter der Anna Perenna einge meißelt (siehe dazu auch Abbildung auf S. 138) • Blera: etruskische Nekro pole, Miniaturt reppen und Mundi im weichen Tuffstein
• Georges Glasberg, »La géante couronnée d’agaves«, Fotografie aus: André Pieyre de Mandiargues, Les monst res de Bomarzo, 1957
98
Plateau der etruskischen Götter
Kriegselefant Das Plateau der etruskischen Götter ist die ereignisreichste Region innerhalb des Heiligen Waldes. Vor dem spektakulären Hintergrund der Grotte, des Höllenschlundes und eines Drachenkampfes erblickte der staunende Wanderer einen monu mentalen, ja schon monströsen antiken Kriegs elefanten – komplett mit Kampfturm und Elefan tenführer. In seinemRüssel hängt überwunden ein römischer Legionär, der wie ein Attribut die historische Szene komplettiert.
• Plateau der etruskischen Götter: Kriegselefant • Kriegselefant, Mosaik fußboden, 14.–16. Jhdt., Duomo, Siena
Der Elefant mit dem Turm auf dem Rücken war ein bekanntes und traditionelles emblematisches Tier mit entsprechenden Konnotationen158, die jedoch nur bedingt für dieses Abbild eines historischen Kriegselefanten in Frage kamen159. Emblematische Elefanten dienten einer im Theoretischen der Devise verbleibenden Selbstdarstellung, während der Kriegselefant in Bomarzo eine eindeutige Kriegserklärung an Rom war. Freilich profitierte auch diese ganz und gar authentische, sinnlich nachvollziehbare Selbstdarstellung von emblema tischen Vorlagen.160 Insbesondere die Überlebens größe und Details wie die säulenförmigen, mit unnatürlichen Muskelpaketen ausgestatteten Beine, die mit einer archaisch wirkenden ring förmigen Basis fest auf der Erde stehen, sind metaphorisch zu verstehen. Am Plateau der Vergangenheit und in Gesell schaft Vicinos, der vorher die Beflaggung des Kampfturmes angeordnet hatte, war die Szene eine allgemein verständliche, und kaum jemand erkannte nicht, dass es sich um einen wirklichen und wahrhaftigen karthagischen Kriegselefanten handelte. Schon die großen Ohren kennzeichnen ihn als afrikanischen Elefanten, der wegen seiner Wildheit nur für den Kampf, und nicht, wie der indische Elefant (mit den kleinen Ohren), zur Arbeit abgerichtet
100
Plateau der etruskischen Götter
werden kann.161 Der Kampfturm ist das exakte steinerne Abbild eines antiken Kampfturmes aus leichtem, dabei außerordentlich hartem und in Flechttechnik verarbeitetem Balsaholz und der Elefantenführer entsprach ebenfallsbis ins Detail den Beschreibungen.162 In der Privatheit des Wäldchens, in dem nach dem Vorbild des Paradieses Selbstbestimmung und Identitätswechsel Vicino seiner bürgerlichen Existenz enthoben, waren Elefant und Drache Symbole seines Strebens nach Freiheit und Über legenheit. Obwohl Vicinos Gäste die historische Szene erkannten, war ihnen gleichzeitig bewusst, dass die letztendliche Deutung jedoch – wie immer – eine persönliche war, die den Mythos Hannibal zu einer Metapher machte. Hinter dem historischen Ereignis wurde ein zweiter, zutiefst individueller Sinn des nicht umsonst üppig mit den heraldischen Attributen der Orsini geschmückten Kriegselefanten offenbar163. Eine Zeichnung Giovanni Guerras bildet – wiederum fälschlich, aber sinngemäß treffend – statt des Kampfturmes die Festung der Orsini di Castello ab. Um 1580 kommentierte Vicino mit Inschriften auf den Vasen die Skulpturen der letzten Bauphase. Für seine These einer Stammbaumlinie aus dem ältesten und sogar biblischen, jedenfalls Rom weit überlegenen Kulturkreis war das naheliegendste und prägnanteste Symbol in der Überwindung des römischen Legionärs durch den Elefanten gefunden, der als Sinnbild des Unmöglichen, wie auch des epikureischen Gedankens, Tod und Zeit durch Ruhm und Einfallsreichtum zu überwinden vermochte, und außerdem noch das langfristige Konzept tarde sed tuto (langsam aber sicher164) veranschaulichte: Der Zustand des Heiligen Waldes ist heute dem von Vicino Orsini angestrebtenKonzept einer zwischen Kunst und Natur, Augentäuschung und Kunst angelegten Sphäre der Ununterscheidbarkeit, des Überganges in eine andere Seinsweise und der geistigen Verwirrung so nahegekommen, dass sein Plan eines epikureischen, auf Ewigkeit hin konzipierten Paradieses als verwirklicht betrachtet werden kann. Gerade in ihrer
verwitterten Unvollständigkeit geben die fragmentarischen Inschriften heute noch jene dunklen Hinweise auf das in der Natur, der Vergangenheit und der Seele Verborgene.165 Das geistvolle Konzept ist heute mehr denn je vom sinnlichen Naturvorgang des Verfalls und Wiedereintrittes in die Natur kommentiert. Die ehemals vollständigen Inschriften dürften ihre Leserlichkeit durch Rätselhaftigkeit kompensiert haben. Eine eventuell künstliche Beschädigung der Vase mit der Inschrift notte et giorno ist vielleicht gar keine, sondern stellte die Beziehung zur Hypnerotomachia her, wo eine fast identische Vase ebenfalls jene ganz besondere Mischung aus Geheimnis und Verfall sowie eine Bedeutung vermittelte, die ein vollständiger und erhaltener Text gar nie besitzen könnte (siehe Abbildung S. 124).
ertönte Jahrhunderte später in ganz neuem Zusam menhang. Der Kriegselefant war das Symbol einer ernsthaften Gefährdung Roms vom Norden, wobei Vicino in die Rolle des nicht nur todesmutigen (sic!), sondern schon realitätsverachtenden kartha gischen Feldherrn Hannibal schlüpfen konnte.166 Die Begehbarkeit des orsinischen Kampfturmes, der nach dem Vorbild der antiken Kriegselefanten mit einer Leiter von hinten zu ersteigen war, perfektionierte die Illusion des gegen Rom gerichteten Kriegszuges167. Die wehenden Feldzeichen der Orsini auf den Fahnen, die nach antikem Vorbild in die Löcher unterhalb der Zinnen des Kampfturmes gesteckt werden konnten, machten die Allegorie lebendig.
• Elefant mit Obelisk, Hypnerotomachia Poliphili, 1500, Holzschnitt • Giovanni Guerra, »Kriegs elefant in Bomarzo«, zweite Hälfte 16. Jhdt., Federzeichnung Albertina, Wien • Georges Glasberg, »L’éléphant«, Fotografie aus: André Pieyre de Mandiargues, Les monstres de Bomarzo, 1957
Zunächst, das heißt in der ersten Bedeutungs ebene und in der Realität des Wäldchens, war die Gruppe eine eindeutige Anspielung auf den zweiten Punischen Krieg: Der Rom in schrecklicher Erinnerung gebliebene Ruf Hannibal ante portas
Plateau der etruskischen Götter 103
• Herbert List, »Bomarzo, Sacro Bosco«, 1952
• Plateau der etruskischen Götter: Drachenkampf
106
Plateau der etruskischen Götter
Drachenkampf Gleich anschließend, und im Zentrum der schauer lichen Szenen, kämpft ein fernöstlich wirkender Drache mit zwei Löwen, einem männlichen und einem weiblichen, die ihn von vorne angreifen, während ihr Junges bereits leblos im Drachen schwanz hängt, was als Motiv an den Legionär im Elefantenrüssel erinnert. Auch für diese Szene lag eine vorgefertigte Deutung des Physiologus vor, die der christlichen Interpretation des Drachen kampfes folgte, um darin jedoch wieder überraschende individuelle und emblematische Elemente unterzubringen. Mit den anderen Ensembles fügte sich der Drachenkampf in einen anderen, weit darüber hinausgehenden Zusammenhang ein, der sich als schicksalhafte, von Saturn beherrschte Konstellation herausstellen würde.
geschwungenen, buschigen Augenbrauen und kleinen, runden, an Seeanemonen erinnernden Ohren, die aus der angedeuteten Mähne abstehen. Die charakteristischen Pranken des Löwen wachsen, vermittelt von einem fedrigen Element, organisch aus dem echsenartigen Rumpf und die schön gezeichneten Flügel sind wegen ihres fantastischen Ornaments glaubwürdig. Der Hinterleib besteht wie bei den mittelalterlichen Drachen aus Ganglien, die die verdrehte, sitzende Haltung des Fabelwesens und das Erdrücken des Opfers ermöglichen. Eine
Der Kampf der Löwen mit dem Drachen setzte das etruskische Überwindungsmotiv fort. Die originelle und absolut eigengesetzliche Konzeption orientierte sich auf den Höllenschlund hin, der sich assoziativ mit den eleusischen Mysterien verband, in denen sich der Initiant freiwillig der Todeserfahrung unterzog. In der Gleichzeitigkeit, in der alle Ensembles auf den Betrachter einwirkten, war der Blick in die Hölle, wo sich die Zunge des Monsters erwartungsvoll und unzüchtig zum Picknicktisch aufrollte, ein wesentliches und unverzichtbares Element der Erkenntnis. Die Höhle gehört assoziativ zum Drachenmotiv: Auch im Wäldchen wurde der Zusammenhang so verstanden, dass der Drache aus der Höhle, respektive der Hölle herausgekommen und in das etrus kische Plateau eingedrungen wäre, wo er von den Löwen aufgehalten und bekämpft würde. Der Drache ist ein typischer Lindwurm,168 ein Mischwesen aus Echse hinten und Löwe vorne, aber mit einem auffallend asiatisch inspirierten Kopf mit hochgezogenen, weichen und faltigen Lefzen über einem schnabelartigen und zähnestarrenden Maul, wild blickenden Glubschaugen unter
Plateau der etruskischen Götter 107
• Giovanni Guerra, »mostri scVlpiti da grossi sassi DI BM. (wohl für Bomarzo, durchgestrichen) TIO«, zweite Hälfte 16. Jhdt., Federzeichnung Albertina, Wien
Zeichnung Giovanni Guerras gibt den Drachen kampf so lebensvoll wieder, wie er, vielleicht auch wegen seiner farbigen Fassung, auf die Zeit genossen gewirkt haben musste.
• Plateau der etruskischen Götter: Drachenkampf, Detail des Orsino, Aufnahme kurz vor Sonnenuntergang
Die Löwen, die nicht in Europa heimisch waren und deshalb genauso wie der Drache zu fantastischen Wesen einer übergeordneten Wahrheit ausgedeutet wurden, könnten ebenfalls aus der Höhle des Höllenschlundes hervorgekommen sein. Außerdem war ebenfalls nicht klar, ob es der Drache gewesenwar, der die Löwen angegriffen hatte, oder ob sie ihn zuerst attackiert hatten. Jedenfalls agiertendie Löwen im traditionellen Kampfverband der Familie,169 in den anscheinend sogar die Jungen eingebunden waren. Oder aber die Alten hatten den Drachen erst angegriffen, nachdem er ihr Junges ermordet hatte.170 Welche der vielen vertrauten Assoziationen die Szenerie auch geweckt hatte, nach dem Physiologus waren die Löwen die prädestinierten Verlierer dieses Kampfes.
Erst in den wenigen Minuten vor Sonnenuntergang entdeckt der Wanderer im letzten Streiflicht den Sieger dieses ungleichen Kampfes: Am Bauch des Drachen hat sich ein kleiner Bär verbissen, ein Orsino, der das Untier an seiner verletzbarsten Stelle gepackt hat und zur Strecke bringen wird. Vicinos Gäste deutetendie Szene so, dass der kleine (sic!) Bär den gewaltigen Drachen besiegen würde. Im Gedränge der Figureng ruppen hatte sich ein internes Beziehungsgefüge offenbart, das den Betrachter zum Entdecker verborgener Bedeutung macht und nicht umsonst über diesen Begriff der Konstellation an die makrokosmische Beziehung zu den Sternen denken lässt. Der Orsino ist kein offensichtlicher, sondern ein versteckter, auf Überraschung angelegter Effekt, mit dem sich der Gastgeber selbst als Überwindungsmotiv ins Spiel bringt. Eine Inschrift auf der nächststehenden Amphore bezieht sich auf den Drachenkampf und das tiefe Wasserbassin vor der Grotte:
notte et giorno noi siam vigili et pronte a gvadar d’ogni ingivria qvesta fonte
nacht und tag sind wir wachsam und bereit diese quelle vor jedem unrecht zu bewahren
108
Plateau der etruskischen Götter
»Tag und Nacht« waren nach dem Physiologus nur die Löwen wachsam,171 und obwohl ihre Niederlage im Drachenkampf vorherbestimmt war, bewahrten sie die »fons« vor »jedem Unrecht«, wobei die Gäste Vicinos fons (lat. Brunnen, Quelle, Herkunft; ital. fonte für Brunnen) als Hinweis auf die elitäre Abstammung des Gastgebers verstehen sollen. Während die Löwen kämpfend ihren eigenen Untergang betrieben und als Familie »im Strom der Zeit« untergehen würden, hatte sich aus der Casa Orsini ein Orsino erhoben – auch das eine Anspielung auf das berühmte Bibelwort von der Ankunft des Messias172 – um dem schicksalhaften Drachen entgegenzutreten. Die Identifikation des Orsino mit dem Ideal des Heilsbringers und Wiederherstellers alten Ruhmes, respektivedes Goldenen Zeita lters, gehörte zu den sprach witzigen, zotigen und teils häretischen, auf jeden Fall ungehörigen Assoziationen, die an die Geschichten des Dioneo im Decamerone Boccaccios erinnern. Das Wäldchen und seine heiligen Stätten zeugten und zehrten von den anekdotisch auf ihren Wiedererkennungswert rechnenden, absurden und boshaften Verdrehun gen der bekannten Bibelworte, die ihres christlichen Kontextes beraubt, neue und überraschende Bedeutungen erhielten. Angesichts der wiederholten Herabw ürdigungen gesellschaftlich und vor allem religiös anerkannter Normen war der Schluss naheliegend, dass die Sorgen Vicinos wegen der im Wäldchen aufgeführten »coglionerie« (siehe Kap. Amphitheater, S. 287 ff. sowie Fußnoten 350 und 486) dem Zusammentreffen mit der römisch-katholischen Suite von Papst Gregor XIII. und den Vertretern des Tridentinischen Konzils galten, wobei insbesondere die unter der Maske der Zotigkeit verborgenen Anspielungen auf seine etruskisch begründetete Hegemonie den Papst durchaus verstimmen hätten können.
• Plateau der etruskischen Götter: Urnenvase neben dem Drachenkampf, Inschrift: NOTTE ET GIORNO …
Plateau der etruskischen Götter 109
• Plateau der etruskischen Götter: Blick des Dis Pater auf den Drachenkampf und den Kriegselefanten, im Mittelgrund rechts am Bildrand der Mundus
• Plateau der etruskischen Götter: Dis Pater in der heute zerstörten Grotte
112
Plateau der etruskischen Götter
Dis Pater Die beherrschende Rolle am etruskischen Plateau spielte jedoch ein Gott, der aus prähistorischen Zeiten in die neuplatonische Welt Vicinos hineinwirkte und auf den er sich in mehrerer Hinsicht beziehen konnte. Damals verborgen, aber heute direkt gegenüber der göttlichen Matrone, lagert sich ihr männliches Gegenstück ebenso ungezwungen in der halbrunden, an eine Apsis erinnernden Nische oberhalb des tiefen Wasserbeckens. Das löwenmähnige Haupt und der majestätische, reife Männerakt charakterisieren ihn als einen der olympischen Brüder: Jupiter, Neptun oder Pluto. Allerdings stellte auch hier die Ikonog rafie des Gottes die Gäste Vicinos vor ein Rätsel, denn Delfin und Füllhorn sind die Attribute sowohl Jupiters als auch Neptuns, und überhaupt deutete die etruskische Ikonografie des ganzen Ambientes auf eine Personalunion von Neptun und Pluto173, die beide mit Grotten und Höhlen in Verbindung gebracht wurden. Die frappante Ähnlichkeit mit den Flussgöttern Bagnaias und Caprarolas bestätigt die Annahme, dass sich in den fürstlichen Gärten des 16. Jahr hunderts ein eigenständiger, markant patriarchaler Typus herausgebildet hatte – wie als Antwort auf die virulenten Fragen des neuzeitlichen Menschen nach seiner Herkunft und Bestim mung. Äußerlich ähnlich den Flussgöttern,
die als regionale Gottheiten und Ahnväter großer Heldengeschlechter Verehrung genossen, regierte er als Pater Patriae in historischer, mythologischer, genealogischer und astrologischer Personal union. Im manieristischen Dis Pater vereinte sich Noah-Janus als Stammvater der etruskischen Kultur mit dem Herrscher des Goldenen Zeit alters, Saturnus, der über das melancholische Temperament die charakteriologische Heimat Vicino Orsinis personifizierte: Gebündelt wurde die Personalunion in der fantastischen Kunstfigur des Hermes Trismegistos. Sein Verborgensein macht ihn zu einer Größe, mit der man rechnen musste. Die täuschende Vermischung mythologischer Figuren führte den Doppel-Aspekt von Unterwelt und Vergangenheit aus – das Ergebnis war die untrennbare, der subjektiven Erfahrung unentwirrbare Verbindung zweier Vergangenheiten, die in Form zweier Unterwelten dem mystischen Ort des Dis zugeschrieben wurden: einerseits die genealogische, in die sich Fakten und Mythen mischten, und andererseits die des Individuums und dessen Determiniertheit.174 Finsternis war die treffendste Beschreibung des Gottes und seines Aufenthaltes. Erst als der Initiant direkt vor der dunklen Grotte stand oder erst nachdem er sie betreten hatte und den düsteren Blick des »Schwarzgelockten«175 über sich hinweggehen spürte, erkannte er den Gott, der in Personalunion mit seinem Reich als Orkus bezeichnet wird.
Plateau der etruskischen Götter 113
• Flussgott im Garten der Villa Lante, Bagnaia • Flussgott im Garten der Villa Farnese, Caprarola
• Catena d’acqua mit Delfinen im Garten der Villa Farnese, Caprarola
Der Gott erwartete den Initianten in der tiefsten Tiefe seines Reiches. Vicino rekonstruierte den Dis Pater nach dem Konzept der Anna Perenna und als Vorgänger des klassischen griechischen Gottes der Unterwelt, Hades: »Aides oder Hades, der NichtSichtbare, auch Aidoneus, war sein ursprünglicher Name…«.176 Das breite und tiefe Becken davor ist somit kein schlichtes Brunnenbassin wie in Bagnaia oder Caprarola, sondern stellt symbolisch die Gewässer177 dar, die die Oberwelt von der Unterwelt trennen178, das Füllhorn versinnbildlicht indes die Schätze der Erdtiefe. Desgleichen sind der kleine Delfin, auf den sich die linke Hand des Gottes stützt, wie die riesige Orka, die gleich neben, aber schon außerhalb der Grotte aus dem Felsgestein des Berges auftauchte, ebenfalls unterweltlich, vielleicht sogar als Anspielung auf das Delphische Orakel gemeint, das als einer der Zugänge in die Unterwelt galt.179 Die Orka taucht hier als erweiterte Version des Delfins auf, des freundlichen und klugen Gefährten und Begleiters ins Ungewisse, im Kontext des Wäldchens ein »… Talisman für eine sichere und gesegnete Reise übers Wasser – häufig aus dem Reich der Sterblichen in das Reich der Unsterblichen«180. Der Delfin erfreut sich in der Gartenkunst großer Beliebtheit weil er in sich Mythos und sinnenfäll ligen Reiz vereint. In gleich mehreren Varianten, die je nach Anlass grotesk, dekorativ oder ketosförmig ausfielen, kommt er beispielsweise im tiefen Brunnenbecken der »Fontana di Diluvio« und an einer Catena d’acqua aus Delfinen in der Villa Lante in Bagnaia vor.
• Auf diesem Fresko in der Tomba delle Leonesse in Tarquinia wird der Ver storbene als Symposiant dargestellt. Ein fröhliches Detail im etruskischen Jenseits sind die Delfine, die aus dem dunklen Meer unter seiner prächtigen Kline springen und ihn auf seinem Weg ins Ungewisse beschützen.
114
Plateau der etruskischen Götter
In den Renaissancegärten verlieh ihm seine Her leitung aus dem Arion-Mythos eine grundsätzlich humanistische Bedeutung. Ganze Reihen von intel ligenten Delfinen, wie sie etwa den Treppenaufgang zum oberen Garten in Caprarola begleiten, belegen die anthropomorphen Assoziationen, die das Delfin-Motiv allgemein weckte. Inspiriert von der neuplatonischen Lesart des antiken Mythos vom kunstsinnigen und philanthro pischen Meeresbewohner, der den von Räubern überfallenen Arion sicher durch das Meer ans Ufer trug181 und inspiriert von ihren Entdeckungen in den etruskischen Gräbern entwarfen die fürstlichen Gartenbauer ein glaubhafteres, ja sogar archäologisch belegtes Gegenmodell zur christ lichen Gottes- und Todesfurcht.182 Derartige Vorstellungen waren dem etruskischen Totenkult und seinem Verständnis des Jenseits entnommen, das offenbar immer ein fröhliches und kultiviertes Essen im Kreise der Freunde und Familie beinhaltete. Die Delfine unter einer fröhlichen Bankettszene in der Tomba delle Leonesse in Tarquinia stellen ein Motiv des Trostes dar, das jenseits aller Todesbetrachtungen und der Klage um den geliebten Menschen die Hoffnung ausdrückt, gütige Götter möchten die schönen Momente im Jenseits zu wiederholen gestatten. Die Ensembles des Gigantenbrunnens in der Villa Lante in Bagnaia und der Flussgötter im Garten des Palazzo Farnese in Caprarola zeigten den Gegensatz zwischen dem absichtsvoll chaotischen und irrationalen ikonografischen Programm des Sacro Bosco und der exklusiv-eleganten Atmo sphäre des geordneten Gartens mit seinen klaren Perspektiven und Ikonografien. Alles was in Bomarzo kleiner und urtümlicher, archaischer und sogar provinzieller wirkte, hatte einen anderen, viel verschränkteren und schwerer aufschlüssel baren Sinn. Im Kontrast zu den exquisiten Anlagen, in denen Pan vollkommen göttlich und erhaben dargestellt wurde, kamen in Bomarzo die anima lischen Züge Pans in der Wildheit des Boschetto, aber auch im vielschichtigen Dis Pater zum Ausdruck.
• Plateau der etruskischen Götter: Blick von oben auf die Grotte des Dis Pater und das tiefe Wasserbassin mit der Orka
Plateau der etruskischen Götter 115
Dialektisch stellen die etruskischen Götter die Macht und Ambivalenz der Geschlechter dar: im Wald, der dem Wasser als Medium gegenübergestellt ist, regieren die unsterblichen Götter in der vertrauten Pose der etruskischen Grabfiguren, die fröhlich mit gutem Essen und Trinken, angetan mit edlen Kleidern und erlesenem Schmuck, gleichsam im Jenseits weiterfeiern. In ihrem Aussehen und ihren Bedeutungen gingen sie auf den zeitgenössischen Stand der Archäo logie und Ahnenforschung zurück und bildeten eher Vicinos Etruskophilie ab, als dass sie eine wissenschaftlich fundierte Rekonstruktion der etruskischen Götterwelt und Geschichte gewesen wären.183 Nicht trotzdem, sondern gerade als Fantasieprodukte erfüllten sie alle Bedingungen, um das Plateau als Ursprungsort und Schauplatz etruskischer Geschichte zu imaginieren und mit dem Ideal eines Goldenen Zeitalters zu verbinden, das man allgemein in die Zeit der Herrschaft des Saturnus184 verlegte. Ihre Anwesenheit war ein gutes Omen für Vicinos alchemistisches Experiment Raum und Zeit jener paradiesischen, glückvollen und naturverbundenen Urzeit wiederherzustellen. Aber Vicino wäre nicht Vicino, wäre nicht dieser Mehrfachbedeutung noch ein weiterer Hinweis unterlegt, der aufgrund der genealogischen Mystik, – oder mystischen Genealogie? – des Bau herrn offensichtlich war: der breit hingelagerte Männerakt mit dem vollständig sichtbaren männ lichen Glied oberhalb des nachlässig über die Beine geworfenenChitons185, stellt die berühmteste Blöße der Welt- und Kirchengeschichte dar, nämlich die Noahs in seinerTrunkenheit.186 Auch hier kann durchaus wieder eine dem Sprachwitz der gebildetenFreunde entstammende Frivolität angenommen werden,187 die die biblische Szene des berauschten Noah, der als Ahnvater des Weinbaues gilt, zu einer genealogischen und ideologischen Legitimation ihrer Welt- und Jenseitssicht umdeutete. Die Ahnenreihe, die Noah mit Janus und dazu noch mit Saturnus als dem Begründer eines Goldenen Zeitalters in Etrurien und außerdem noch mit Osiris, dem ägyptischen Retter,
116
Plateau der etruskischen Götter
verknüpfte, war tatsächlich in einer einzigen Figur zusammengefasst, die somit aus der heutigen indifferenten Brunnenfigur die komplexeste mythologische Metapher des ganzen Programms machte. Einen subtilen Verweis auf die intellektuelle Konnotation des saturnischen Temperaments gab Vicino mit der fein ausgearbeiteten Hand des Gottes, deren zarte Äderung und manikürte Finger einen faszinierenden Gegensatz zum kraftstrotzenden antiken Torso bilden. Wie man dem vertraulichen, mit Zitaten und scherzhaft zweideutigen Verdrehungen renommierenden Briefstil des Kreises um Vicino schließen kann, dürfte die zeitgenössische pseudohistorische Herleitung der Etrusker vom biblischen Noah188 den geistig und geistlich hochrangigen Freunden Vicinos einen gutgelaunten Vorwand geboten haben, den üblichen Typus des Flussgottes mit dem des trunkenen Noah als dem Stammvater der für ihre rauschhaften Sinnesfreuden berühmten Etrusker zu verbinden. Die elementare Personal union des Dis Pater mit dem Gott der Meerestiefe und dem der Unterwelt sowie überdies mit dem biblischen Noah, als dem einzig von Gott geretteten und doch der Trunkenheit ergebenen Menschen, dessen »Tadellosigkeit« sprichwörtlich in den Exegesen der Kirchenlehrer war, brachte einen ikonologisch höchst bedenklichen Typus von zugleich elementar-göttlichem und menschlichnatürlichem Zuschnitt hervor. Am Plateau der etruskischen Götter und vor der Titanin Hekate, die einen Grenzort, ein Niemands land zwischen dem hehren göttlichen Pathos und dem allzu Menschlichen markierte, fand Vicinos ironischgefärbte Apotheose statt.
Unter der Patronanz dieses Gottes, dessen Emana tion die Kunstfigur des Hermes Trismegistos war, brachte Vicino im alchemistischen Opus die Ensem bles von Elefant, Drachenkampf und Hirsch zum Reagieren.189 Das saturnische Goldene Zeita lter war die Anfangssituation schlechthin, und über den Planeten mit dem unedlen Material Blei, über die Säftelehre dem Temperament Melancholie, und dem Topos des Genies verbunden, das sich im Philosophen, Künstler und Propheten – aber auch im Fürsten – manifestierte. Der analogeProzess der Verwandlung von Blei in Gold entsprach der Läuterung der Seele und bezog sich vornehmlich auf antike Autoren, wurde aber im Geiste des floren tinischen Neuplatonismus als christologischer Läuterungsweg aufgefasst und mit der ehrwürdigsten intellektuellen Ahnenreihe ausgestattet.190 Wie verschiedene Briefstellen nahelegen, leiteten der artige Vorstellungen eines paradiesischen, prima ter ialen Paares aus männlichem Geist (Sulphur) und weiblicher Seele (Mercurius-Drache191) den Beginn der Läuterung im Garten192 ein. Die Weiter entwicklung der rohen Materie geschah theoretisch und praktisch durch ein ständiges solve et coagula (löse und verbinde), das im ständigen
Plateau der etruskischen Götter 117
• Plateau der etruskischen Götter: Anna Perenna am westlichen Ende des Plateaus blickt genau zum Dis Pater in seiner Grotte am anderen Ende des Platzes •• Plateau der etruskischen Götter: Dis Pater, indiskreter Blick von oben. Als die Grotte noch intakt und der Gott darin verborgen war, mussten die Gäste Vicinos jene betreten und recht umständlich auf und über den Gott klettern, um dieses raffinierte Detail, das ihr Gastgeber für sie vorbereitet hatte, sehen zu können. • Ehepaarsarkophag aus Cerveteri, 520–510 v. u. Z. Louvre, Paris
118
Plateau der etruskischen Götter
• Benvenuto Cellini, »Saliera«,
Auf und Ab des Wäldchens sinnbildlich nachvollzogen war. Die Verbindung Melancholie-SaturnGenie war der hermetisch begründete Versuch einer Charakterisierung des Schöpferischen an sich und verband die Themenkreise der Divination, Alchemie und Astrologie. Da über diese Vorgänge im Wäldchen in bester hermetischer Tradition nichts berichtet ist (siehe Kapitel Inschriften auf Urnen und Amphoren, S. 124 sowie VII. Exitus, S. 258 ff.), kann nur auf die außer ordentlich verschachtelten Beziehungsgefüge ver wiesen und vorsichtig spekuliert werden: Alchy misch verschränkten sich im Wäldchen Vergangen heit und Zukunft. Als machtvolle Herrscher des verlorenen Paradieses und als das primateriale Paar repräsentierten die alten etruskischen Götter Anna Perenna193 und Dis Pater die Möglichkeit oder vielmehr Hoffnung auf eine neue AETAS AUREA.194 Vicino verifizierte seine These, indem er zwei wesentliche Ansätze, nämlich die etruskische Souveränität gegenüber dem Tod und die epiku reischeEhrfurcht vor dem Leben miteinander verband (siehe S. 302 ff., Exkurs: Vicino der Epikureer). Die Inschrift auf der Amphore, zwischen dem unterweltlichen Gewässer und dem Drachenkampf, bezog sich auf den gleich daneben stattfindenden Drachenkampf und verwies auf die fons. Uner gründlich wie die Grotte sind die Geheimnisse und Reichtümer, die die hermetischen Schatzsucher hier vermuten sollten. Das Meer und die Erdtiefe waren Götter als auch Orte, die in diesem Falle in Verbindung mit immenser Tiefe und enormen Reichtümern195 gedacht wurden. In Bomarzo bedeutete der längst verschwundene Dis Pater die unermessliche Tiefe und Fülle des im Dunkel der Geschichte Verborgenen. Der Begriff der Geschichtlichkeit wurde doppelt genommen: Die historische Zeitachse verflocht sich im Zauber garten mit der mythischen und wurde von Vicino als bewusste Verunklärung auf die eigene, zwischen Geschichte und Mythos oszillierende Selbst wahrnehmung übertragen.
Paris 1540–1543, Kunst historisches Museum, Wien
Die Deutung nach dem Physiologus, die die Löwen als Hüter und Bewahrer196 dieses Zwischenreiches darstellt, ist nicht die einzige Sinnschicht, denn, wie der »Naturkundige« weiter ausführt, sind sie ausgesprochen soziale Fabelwesen, die auch hier als Familie auftraten.197 In perfekter Tiersymbolik und ikonografischer Logik wurde der Topos des Drachenkampfes umgedeutet. Der Umstand, dass der Unterbauch die einzige Stelle ist, wo der Drache tödlich verwundet werden kann und das Genital zugleich die Stelle, die sich mit der männlichen Verlust- und Kastrationsangst deckt, war von Vicino auf sich gemünzt. Die asiatische Ikono grafie des Drachen war höchst komplex und orien tierte sich an zeitgenössischen Vorbildern und den Vorstellungen fremder Welten, war aber dennoch abendländisch nach dem Physiologus. In ihr flossen die unheilvollen als auch glücksverheißen denKonnotationen westlicher und fernöstlicher Vorstellungskreise zusammen. Das Konzept war auf die Verteidigung der Quelle ausgerichtet, in der sich Vicino mit den eigenen Ursprüngen identifizierte. In metaphorischer Umdeutung hatte Orsino seinen Ursprung auch im (männlichen) Geschlecht, also des Vaters zu bekämpfen und da er bemerkenswerterweise nicht recht viel von seinen legitimenSöhnen hielt198 entsprach der Verlust der Stammhalter den steinernen Löwen söhnen, die vom Schicksalsdrachen ermordet wurden.
• Plateau der etruskischen Götter: Dis Pater, Details wie die perfekt manikürte Männerhand zeigen den
Nach dem Vorbild zeitgenössischer Gärten war die Grotte zu begehen und mit Wasserspielen ausgestattet. Der Überraschungseffekt des darin verborgenen Gottes unterstützte die geheimnisvolle
Plateau der etruskischen Götter 119
hohen intellektuellen und künstlerischen Standard der in Bomarzo tätigen Bildhauer.
und altertümliche Ausstrahlung des Platzes und die damit heraufbeschworenen Assoziationen: Im Kontext mit den charakteristischen Formen der Urnenvasen, die die Region nachdrücklich gegen Latium (Rom) abgrenzten, repräsentierte der Dis Pater in der bezeichnenden Pose des halb liegendenFlussgottes sein Gebiet199.
• Plateau der etruskischen Götter: Blick auf den Dis Pater
Vicinos unverhohlene Absichten wurden 1580 von Alfonso Ceccarelli im Il Simulacro di Casa Orsini (Beschreibung des Hauses Orsini) zwar verbrämt in der üblichen Lobrede, aber dennoch klar zum Ausdruck gebracht. Die Beschreibung des Hauses Orsini begann der Dichter mit der Aufzählung der Verdienste Vicinos, wobei er sowohl seine militärischen Leistungen als auch die auf dem Felde der Dichtkunst nannte. Als Krönung seines Lebenswerkes hob er die Errichtung eines außer gewöhnlichen Gartens hervor, der mit seiner apartenBepflanzung und den Kolossen die Restauration der etrurischen Heimat und des vergangenen Ruhmes der Orsini in Angriff nehme: »Doppo l’haver mostrato in ogni parte / Frau l’armi il core invitto, et fra’gli Heroi / L’alta eloquenza di concetti tuoi / Nel’orme impressa de l’antiche carte. Statue, Colossi, e liete piante sparte / Hai nel giardin superbo hoggi frá noi / Acció si scorga insino á i Lidi lo’i / Quanto puo’ far per te natura, et arte. Ò die stirpe Real saggio signore / Che rinovelli á noi gli propii lari / Che ’l’Hetruria honoró con doppio seggio. À te s’ergan le statue, á te gli Altari / Poiche vicino á te Vicino io veggio / Rinato quell’altero Orsin valore« (Nachdem Du Dich auf allen Feldern bewiesen hast / In Waffen durch die Unbesiegbarkeit Deines Herzens, und unter Helden / Die hohe Beredsamkeit Deiner Conzetti / In denen die Spuren antiker Schriften noch immer merkbar sind. Statuen, Kolosse und herrliche Pflanzen hast Du uns / In Deinem überragenden Garten geschenkt / Damit an allen Ufern erkannt werde / Wieviel für Dich Natur und Kunst vollbringen. Oh weiser Herr aus königlichem Geschlecht / Der Du uns die eigenen Laren erneuerst / Den Etrurien mit zweifachem Thron ehrt / Dir errichtet man Standbilder und Altäre / Denn von Dir, Vicino, kommt die Erneuerung des einst so hohen Ranges der Orsini).200
120
Plateau der etruskischen Götter
Im Hinblick auf den Höllenschlund – denn tatsäch lich schaute der Wanderer zwischen etruskischen Riesenvasen in die schwarze Tiefe der Hölle – gewannen die alten Götter neue Bedeutungen. Im Mythos des von seinem Sohn Jupiter entthron ten Saturn griff Vicino Rom an, das mit den Etrus kern das Paradies und mit ihm Sinnlichkeit und Weisheit vernichtet hätte. Mit der Renaissance des Goldenen Zeitalters unter der Herrschaft Saturns und seiner Gemahlin Ops (ein anderer Name der Anna Perenna) erhielten diese ihre alte Macht zurück. Der Renaissancefürst Vicino Orsini inszeniertesich in Bomarzo als letzter legitimer (sic!) Abkömmling einer etruskischen Elite; dass er sich unter den Schutz der alten Götter stellte gehörte mit zur Fiktion. Das selbstherrliche Programm des etruskischen Plateaus mit dem Drachenkampf und dem Elefan ten begründete sich aus der pseudohistorischen Ahnenforschung Nanni da Viterbos, nach der Noahs Arche in Etrurien gelandet sei und seine Nachkommen und Weisheit gleichsam in den Orsini – nachweislich einer der ältesten Familien – überlebt hätten. Die komplizierte Stammvaterfigur Noah-Saturnus begründete Vicinos Hegemonie in gleich mehrerer Hinsicht (siehe S. 274).
Orka Gleich neben der Grotte blickt der Wanderer ins Maul eines riesigen Fisches, der aus dem felsigen Bergabhang – nicht aus dem Wasserbassin – auftaucht! Die Anspielung an den biblischen Mythos von Jona, aber auch vom Leviathan ist offenkundig. Beide sind Metaphern der Unterwelt, ja der Hölle, die im Ketos, einem fabelhaften Fischmonster, ihren adäquaten Ausdruck gefunden haben. In lautmalerischer Absicht ist der Ketos zum Mörder wal geworden, als das italienische Wort für Mörder wal, orca, den Orkus assoziiert; zusätzlich stellt die teuflische Ikonografie der Orka mit ihrem weit aufgerissenen zähnestarrenden Maul, den riesigen Glubschaugen unter schweren Lidern sowie den charakteristischen Brustflossen, und überhaupt mit dem Auftauchen aus der Erdtiefe, den formalen Gleichklang mit der Anastasis (Vorhölle) her. Wie der Mundus hinter der Anna Perenna, erfüllte die Orka ihre allegorische Aufgabe. Innerhalb des anarchischen Bildprogramms der Zerstörung, Verschlingung und Wiedergeburt brachten sich die Worte der Bibel in Erinnerung: »Aus dem Schoß der Unterwelt schrie ich auf; du hörtest mein Rufen… Hinab muss ich steigen ins Land, dessen Riegel sich hinter mir schlossen für immer.«201 Als Ausdruck der Verzweiflung und Todesangst ließen sie im Kontext des Wäldchens und inmitten der geballten Versammlung chthonischer Motive um den Vasenplatz an die geheimen, symbolisch den Tod darstellenden Riten der Läuterung denken. Immerhin schöpft auch die biblische Ketosformel aus dem Fundus überlieferter Vorstellungen und bezieht sich durchwegs auf den Aspekt der verschlingenden Grossen Mutter 202. Erst in der persönlichen Begegnung mit dem Monster begriffen die Besucher die Bedeutung des christlichen JonaMotivs in seiner ursprünglichen und archetypischen Bedeutung der Initiation.203
konzipiert war, sondern um ein Motiv der Erlösung und Wiedergeburt – wie eben die Anastasis. Symbole der Unterwelt, insbesondere des Grabes als Gleichnis der Schatzsuche und der Höhle als Sinnbilder der Erlösung sind im ganzen Wäldchen zu entdecken. Obwohl sie in ihren Bedeutungen miteinander verschränkt sind, stellen sich Grab öffnung und Höllenfahrt als zwei verschiedene metaphysische Möglichkeiten der Erkenntnis dar, wobei das Motiv der Graböffnung mit dem Topos des Forschers und Denkers gekoppelt ist, während die Reise in die Unterwelt mit Initiation verbunden ist. Wiedergeburt und Initiation waren der nekromantische Weg einer freiwilligen Renaissance des Individuums auf einer anderen, die bloße Physis überwindenden Weise, die dennoch – das christliche Vorbild imitierend – eine Auferstehung im Leibe wäre. Vicinos Ahnvater Dis Pater/Noah/ Saturnus/Osiris, der diese Region beherrschte, war der stärkste und persönliche Ausdruck dieses Überlebenswillens.
Es handelt sich also nicht um einen Ort der Verschlingung, der auf ewige Strafe und Verdammnis eines immerwährenden Todes
Plateau der etruskischen Götter 123
• Plateau der etruskischen Götter: Blick von oben auf die im Felsgestein auftau chende Orka • Plateau der etruskischen Götter: Orka neben der Grotte des Dis Pater
Inschriften auf Urnen und Amphoren
• Plateau der etruskischen Götter, Urnenvase mit Inschrift: FONTE NON FV …
• Zerbrochene Vase, Hypnero tomachia Poliphili, 1500, Holzschnitt (vgl. S. 103)
Die zwei monumentalen Urnen linker Hand vor der Grotte des Dis Pater bezogen sich ebenfalls mit Inschriften auf Vicinos Rekonstruktion einer eigenständigen, wiewohl nach antiken Vorbildern konstruierten historischen Identität und Mentalität, in der sich etruskische Divination und epikureischer Atomismus kongenial vereinten. Sogar jetzt noch – fast ein halbes Jahrtausend später – zeigen sie die Intention des Bauherrn: im jetzigen Zustand der Verwitterung respektive der Auflösung des Menschenwerks haben die Inschriften eben jenen Idealzustand erreicht, der von Vicino Orsino im Sinne seines lustvoll erkenntnisreichen Konzeptes vorausgesehen war. Mit dem Übergang der Kunst in die Natur hat sich der metaphysische Prozess des Überganges von Materie in Geist vollzogen und die These des epikureischen Atomismus bestätigt, wonach die nach dem Zerfall frei werdenden Atome in den natürlichen Kosmos überführt und einzig die feineren Seelenatome durch ihre Bindung in die zeitlose, das Unvergängliche erfassende Idee unsterblich würden204 . notte et giorno fonte non fv tra… BEI TAG UND BEI NACHT WAR DIE QUELLE NICHT ZWISCHEN … liest man noch auf dem Vasenhals und auf der Wölbung das Fragment eines Satzes (siehe Abbildung S. 123). Auf einer anderen Vase finden sich die Reste eines Textes:
124
Plateau der etruskischen Götter
a gvardia sia delle piv strane belve SEI STETS AUF DER HUT VOR DEN ABARTIGSTEN MONSTERN Im 16. Jahrhundert las der Wanderer diese Senten zen, deren Wert aus der Vergangenheit in die Gegenwart und sogar in die (beeinflussbare: sapiens dominabitvr astris) Zukunft reichte, vom Kampfturm aus und im Kontext der Ereignisse um das Plateau der etruskischen Götter. Sie bezeich neten die Löwen, die mit dem Drachen kämpfen, aber auch den römischen Legionär, der von Vicino im Kampfturm besiegt wurde, als Protagonisten eines überzeitlichen Antagonismus von Stadt und Land, Natur und Kultur, Geschichte und Gegen wart. Sie kommentierten den Weg als Abstieg in die Unterwelt der eigenen Abstammung und Prädestination sowie, auf einer weiterenSinnebene, den Ort des mystischen Dis als Zwischenwelt, in der der Initiant zwischen Leben und Tod, Tag und Nacht, Wachsein und Traum, Denken und Hallu zinieren hin und hergerissen war. So nahe wie im Traum Schrecken und Erkenntnis, Tod und Eros beisammen sind, schlossen die Bereiche des Heiligen Waldes fast direkt aneinander, was durch die Beengtheit des Geländes vorgegeben war, aber wohl auch willkommen gewesen sein mag, Bezüge in ihrer erschreckenden Unmittelbarkeit zu zeigen. Ob die beiden Urnenvasen, die heute nebeneinan der vor der Orka neben der Grotte des Dis Pater aufgestellt sind, tatsächlich hierher gehören und worauf sie sich bezogen haben, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Eine historische Fotografie von Georges Glasberg zeigt das Plateau noch um 1957 als Trümmerfeld, dessen Rekonstruktion ästhetisch kaum zu wünschen übrig lässt, aber freilich keine archäologisch gesicherte ist.
• Georges Glasberg, »Le vallon de Bomarzo«, Fotografie aus: André Pieyre de Mandiargues, Les monstres de Bomarzo, 1957 Plateau der etruskischen Götter: Zustand vor der Restaurierung
Plateau der etruskischen Götter 125
• Hekate als Schlafende Schönheit – in ihrer linken Armbeuge der Hund
126
Plateau der etruskischen Götter
Hekate Wenige Schritte weiter gelangt der Wanderer zu der schlafenden Riesin, die er bereits aus dem Fenster des Schiefen Hauses erblickt hat. Trotz ihrer Schönheit weckte sie durch ihre Verbindung mit dem Pluto/Dis Pater und der auf dem Weg zu ihr auftauchenden Orka alle Assoziationen des Pavor nocturnus. Immerhin treten sowohl die Hekate als auch der unterweltliche Pluto/ Dis Pater mit denselben bedenklichen Begleitern auf: Thanatos, dem Gott des Todes, seinem Bruder Morpheus, dem Gott des Schlafes sowie den Furien, den Göttinnen der Rache.205 Ihre Bedeutung erschloss sich in der Nacht, und auch die nächtlichen Symposien lebten von dem ahnungsvollen Schrecken, mit dem die entsprechend gebildeten Teilnehmer die verhängnisvolle und magisch wirksame Zusammenrottung nächtlicher und unterweltlicher Götter in der Figur der Grossen Schlafenden erkannten. Allein durch ihre Anwesenheit wurde die Weggabelung im Zentrum des Wäldchens zu einem ganz außer ordentlichen, im wahrsten Sinn des Wortes unheilschwangeren Ort, der sich außerdem durch ein regelrechtes Wegenetz mit den anderen Regionen verbunden erwies – denn immer wieder kehrte der Wanderer zur Hekate zurück! Die sinnigen Zusammenhänge wurden über die charakteristische Topografie der Weggabelung und das Attribut des Hundes als Symbol des nächtlichen Schreckens206 wie auch den kleinen Opferaltar207 hergestellt. Nach dem Konzept des Wäldchens als Erlebnisraum war auch dieser Ort »in Funktion genommen«. Feuer, Rauch und Geräusch-Effekte erzeugten die Illusion einer Opferstätte, die der Anrufung der Hekate diente: »Stimmen, Geräusche, Rufe, betörende Musik, Wohlgerüche, die zu Kopfe steigen… Schatten, die sich bewegen, Nebelschwaden, rußige Gerüche und Dämpfe, Statuen, die sich scheinbar beleben…« Solche unterstützenden Maßnahmen dienten bei den magischen Praktiken der Antike zur sinnlichen Vergegenwärtigung der Sympathie,
der »irrationalen Wechselwirkung zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren, zwischen Lebewesen dieser Welt und Wesen einer höheren Welt« und wie Luck weiter ausführt: »Wie alle diese Effekte erzielt wurden, ist unbekannt, doch erinnern sie an die Einweihungsriten der Mysterien, soweit sie andeutungsweise überliefert sind.«208 Die Mysterien waren, wie der Name ja schon sagt, geheim oder so rätselhaft, dass sie nichts von ihrem Wissen und der Macht, die sie verliehen, an Unberufene und Unwürdige preis gaben. In einem ähnlichen Sinne riegelte Vicino sein Wäldchen vor den Blicken und Urteilen der »Welt« mit einer steinernen Mauer und einem Wall aus unzugänglichem Wissen hermetisch ab. Die Tölpelhaftigkeit 209 der anderen und die eigene »follia« (Verrücktheit), die ihn mit »seinem« Boschetto verband,210 stellten den wirksamsten Schutz dar. Aus demselben Grund verzichtete Vicino nicht auf Effekte, die der geistigen und sinnlichen Vergegenwärtigung des Genius Loci während der nächtlichen Symposien dienten. Nur im Licht der zeitgenössischen Berichte über die »maraviglie« und »effetti« des Wäldchens,211 die sich auf die illusionistischen Effekte der begehbaren, zu befeuernden und auf andere Arten in Funktion zu nehmenden Ensembles bezogen, kann der Eindruck halbwegs nachvollzogen werden, den die schaurige Szene an diesem ungeheuerlichen Ort, beleuchtet nur vom unsteten Licht eines flackernden (Opfer)Feuers, auf die Teilnehmer einer nächtlichen Wanderung gemacht haben musste. Der arkadische Wald hatte sich im Kontext mittel alterlicher Literatur zur paganen silva daemono rum weiterentwickelt. Nach dem Vorbild christo logischer Werke wie der Comedia und der Hypnerotomachia hatte er sich zur Metapher eines Geistes zustandes gewandelt, der sich als analoges Zwi schenreich mit dem Begriff des traditionell frei und ausschweifend gedachten Arkadien verband. Eine möglicherweise private Bedeutung verband Vicino über das Detail des breiten Armreif mit den rautenförmigen, an den Ecken gemugelten Schmuckformen am rechten Handgelenk mit der Schicksalsgöttin.
Plateau der etruskischen Götter 127
Brunnen Pans Zum Ensemble der Hekate, das als Zentrum des Wäldchens und wie ein Schwungrad oder auch eine Achse wirkte, um die sich alle anderen Szenen drehten, gehörte auch das Quellheiligtum des Pan, zu dem der Wanderer gelangt, nachdem er den natürlichen Felsen der Hekate wie in einer Heiligen Handlung umschritten hat. Widderhörner, an denen Fruchtkörbe aufgehängt sind, bezeichnen ihn als Jupiter-Ammon, den »verborgenen« Gott, der in seinemägyptischen Ursprungsland mit einem Orakel verbunden war.212 Seine naturhaften Züge sind der zeitgenössischen Groteske nachempfunden und kommen in ähn licher Form in fast allen Renaissancegärten vor. Als geheimer Herrscher, jedoch ohne die naturrechtlichen Züge, die in Bomarzo als Melancholiegestus und porträthaft hervortreten, erscheinen dekora tive und fratzenhafte Pane in der Villa Lante in Bagnaia. Als apotropäisches Bild (gegen die Zivili sation?) erscheint der Ziegengott Pan am Ursprung der Catena d’acqua und in hochnobler Form als
• Panische Maske als Brunnen
säulenheilige Pane im oberen Garten der Villa Farnese in Caprarola. Bilder dieser merkwürdig traurig-hässlichen Gottheit gibt es im Wäldchen genauso wie am Palazzo Ducale, wo panische Köpfchen die Fenster giebel des Piano Nobile verzierenund sogar ein ganz ähnlicher, heute nicht mehr erhaltener Brunnen, gleich rechts neben dem Portal plätscherte. Sie verbanden die Welt des Fürsten Orsini mit der des Naturwesens Orsino im Wäldchen. Im weiteren Verlauf des Initiationsweges wird der Wanderer das Motiv des Jupiter-Ammon an der Isisgrotte wiedererkennen, wenn er es nicht schon bei seinem Eintritt von ferne gesehen hatte. Die persönliche Beziehung Vicinos zum arkadischen Gott belegt eine einzige (sic!) als Majolika ausgeführte panische Fratze in seinem Schlaf zimmer, das er auf dem Dach des Palazzo Ducale errichten ließ. Dieser intimste und intellektuellste Raum der fürstlichen Gemächer führte auf mehrere Terrassen, die sich mit höchst zwiespältigen Inschriften auf das Wäldchen gegenüber bezogen (siehe S. 278–283 Palastinschriften).
am Ende der steinernen Tafel im Garten der Villa Lante, Bagnaia • Panische Fratze im Schlaf zimmer des Fürsten Vicino Orsini, Majolika um 1550, Palazzo Ducale, Bomarzo
128
Plateau der etruskischen Götter
• Quellheiligtum Pans in der Wildnis des Heiligen Waldes, dahinter erkennt man in der Waldwildnis Bomarzos noch die Tomba
Plateau der etruskischen Götter 129
• Blick auf die Tomba, von der Seite des Plateaus der etrus kischen Götter kommend
130
Plateau der etruskischen Götter
Tomba Gleich im Anschluss an das Quellheiligtum Pans kam der Wanderer mitten im Wald zu einer etruski schen Tomba, die selbstverständlich keine echte ist, sondern ein raffiniert einfacher Nachbau. Der riesige abgebrochene Felsen in der Miniatur schlucht oberhalb des Flüsschens und unterhalb des kleinen Berghanges bot sich dazu an. Die Tomba mit Grabeingang und seitlichenMiniatur treppen gleicht den Grabarchitekturen der Nekro polen Norchias, Bleras, Castell del’Assos und Sovanas bis ins Detail – tatsächlich dürfte die Tomba di Prostila in Norchia das direkte Vorbild gewesensein. Die charakteristische Weichheit des Tuffstein wurde in Bomarzo durch eine dicke Schicht Verputz über dem aufgemauerten Rohbau der Tomba nachgeahmt – die gefassten Strukturen der Scheintüren und Friese konnten darauf ohne weiteres imitiert werden.
Der Felsen, auf dem die Tomba errichtet wurde, setzt sich über die Abbruchstelle mit einem kleineren Felsstück fort, in das zwei Nischenformen eingemeißelt wurden, die an Chorgestühl erinnern. Die Sitzmulden sind von anthropomorphen Formen flankiert, wobei vor allem der rechts herausgearbei tete weibliche Akt – im Melancholiegestus des in die Hand gestützten Kopfes – ein bestrickendes Memento mori abgibt (siehe Abbildung S. 220). Der Nachbau einer etruskischen Tomba erfolgte schon in der zweiten Bauphase und im Zusammen hang mit den etruskischen Grabimitationen, die Arkadien als etruskischeAetas Aurea darstellen. Die endgültige Konzeption des Sacro Bosco übernahm den romantischenSitzplatz, indem sie ihn in eine sinnenfrohe Kontemplation ewiger Paradiesesfreuden verwandelte. Wie im christlichen Kontext ist auch diese Todes betrachtung mit »Umkehr« verbunden und so geht der Initiant an Pan und Hekate vorbei wieder zum Plateau der etruskischen Götter, um von hier aus ins arkadische Feld zu gelangen. So ist er »ans westliche Ende der Erdscheibe« gelangt, wo schon die antike Vorstellung die elysischen Gefilde hinversetzte.213 Die Wegrichtung entspricht dem hochdifferenzierten Zusammenhang von Todesfahrt und Erlösung denn: »Elysium ist dem Hades benachbart und wird von Kronos regiert.«214
Plateau der etruskischen Götter 131
• Tomba de Prostila, Norchia • Tomba, die gemauerte Tomba steht auf dem natür lichen Felsen in den sogar noch rechts die charakte ristischen kleinen Stufen eingemeißelt wurden.
• Von der Tomba kehrt der Wanderer wieder am Quell heiligtum Pans und der Hekate vorbei zurück zum Plateau der etruskischen Götter.
132
Plateau der etruskischen Götter
Plateau der etruskischen Götter 133
• Am arkadischen Feld: etruskische Arkosolbank
134
Plateau der etruskischen Götter
Arkosolbank An der nordwestlichen Peripherie des Heiligen Waldes lädt eine kleine überdachte Bank zum Ver weilen ein. Sie erinnert zunächst an die etruskischen Arkosol-Gräber und klinenartigenSarko phage mit den Liegefiguren der Verstorbenen, die sich wie zum ewigen Bankett gelagert haben. Die Gäste Vicinos dachten dabei an die kleine Nischen bank an der Südwestterrasse des Palazzo Ducale. Beide Sitzgelegenheiten waren dem antiken Vorbild folgend zum Liegen gedacht und von der Tomba della Sirena im ebenfalls nahegelegenen Sovana inspiriert, die den fürstlichen Schatzgräbern von ihren Streifzügen durch die etruskischen Stätten bekannt war. Der Wanderer gibt der Versuchung nach und legt sich in die kleine Nische, um von hier aus alles noch einmal zu überblicken. Damit nimmt er die Stelle des Verstorbenen ein und betrachtet aus dieser souveränen Distanz das Erlebte noch einmal. Aus seiner Perspektive und vor dem drohenden Höllenschlund erkennt er, dass die Wunder des Wäldchens jene der Welt übertreffen, da sie die wesentlichen Fragen des Individuums zu beantworten imstande sind, wie die Inschrift im Bogenfeld der Nische großspurig verkündet.
Die gewissenhafte Aufzählung der einzelnen Monster entspricht dem Überblick, mit dem von diesemPunkt am Ende der Welt und des Lebens das arkadische Feld und das Plateau der etrus kischen Götter betrachtet wird. Tatsächlich alle Monstra vom Plateau der etruskischen Götter215 sind zur Steigerung ihrer Wirkung in der Mehrzahl genannt und zeigen, dass Vicinos »Weltreise« ebenfalls eine Metapher ist. Der Reisende ruht in der Bank von den Anstrengungen seinerlebens langen und vergeblichen Reise aus. Hier sammelt er seine Kräfte, um den Aufstieg in die Hölle zu wagen, oder er ist gerade aus der Hölle wieder auf die Erde herabgestiegen. In der Arkosolbank und in der Haltung der steinernen Liegefigur auf der etruskischen Grab-Kline beginnt er seinen anzunehmend düsteren Gedanken über die kom menden oder bereits erlebten Abenteuer seiner Reise nachzuhängen. Melancholie und Tod hattenin der Rezeption des Neuplatonismus und seinemexpliziten Interesse an Irrationalität, Wahnsinn und Auflösung einen gänzlich anderen Stellenwert erhalten. Eine ganz besondere, charismatischeAnziehungskraft besaß die Orphik,
voi che pel mondo gite errando vaghi di veder maraviglie alte et stvpende venite qva dove son faccie horrende elefanti leoni orsi orchi et draghi IHR DIE IHR VERZWEIFELT DURCH DIE WELT IRRT UM GROSSARTIGE UND ERSTAUNLICHE WUNDER ZU SEHEN KOMMT HER WO SCHRECKLICHES EUCH ERWARTET ELEFANTEN LÖWEN BÄREN MÖRDERWALE UND DRACHEN
Plateau der etruskischen Götter 135
• Tomba della Sirena, Sovana
Zur Befreiung der im Leib (soma) wie in einem Grab (sema) gefangenen göttlichen Seele zeugte Zeus den Dionysos-Lyseus. Dieser Glaube war aus vielen verschiedenen Kosmogonien konstruiert und forderte gewisse rituelle Handlungen, mit denen die in die Körperwelt verbannten Seelen von ihrer peinvollen Wanderung erlöst werden konnten: Reinigungsriten und Enthaltsamkeitsvorschriften (z. B. Fleischverbot) wurden den Gläubigen in geheimen Weihehandlungen durch die Orpheote lesten (Weihepriester) vorgegeben. Ihre Einhal tung garantierte den Frommen ein glückliches Leben im Jenseits, während die Frevler der Tartaros erwartete.216
• Palazzo Ducale, Nord terrasse mit heraldischen Rosen und Voluten, Bomarzo
die im Neuplatonismus zu neuen Ehren gekommen war. Die wesentlichen Elemente der spirituellen Bewegung, die auf Orpheus zurückgeführt wurde, entsprachen mit ihrem irrationalen und initiatorischen Charakter dem arkadischen Kontext des Läuterungsweges und unterstützten die Selbstdarstellung Vicinos als fürstlicher Dichter, der in die Unterwelt abgestiegen war. Die Sekte der Orphiker besaß eine eigene Theogonie und Anthropogonie, nach der Chronos (Zeit) das Weltei geschaffen hatte, woraus der androgyne Phanes entstanden war, der wiederum Nyx (Nacht) geboren und mit ihr Gaia (Erde), Uranos (Himmel) und Kronos gezeugt hatte. Wie Saturnus durch Jupiter entmannt und verstoßen wurde, hatte auch Zeus, als Sohn des Kronos, Phanes verschlungen und so die Weltherrschaft an sich gerissen. Mit seiner Tochter Persephone-Demeter zeugte er den Dionysos-Zagreus, den aber die Titanen zerrissen und verschlangen, weshalb sie von Zeus mit dem Blitz verbrannt wurden. Aus der Asche ihrer Leiber sei der Mensch entstanden, der so gute (dionysische) und böse (titanische) Elemente in sich vereine.
136
Plateau der etruskischen Götter
Mit der lockeren Aufzählung der Wunder dirigiert Vicino die Gedankengänge seines Gastes: Nach dem Elefanten sollen die Löwen, der Bär, dann die schauerliche Fratze des Höllenschlundes, die tatsächlich dazwischen sichtbar wird, und zuletzt der Drache betrachtet werden. Der ausdrückliche Hinweis auf Bären ist als Aufforderung an jene Gäste gerichtet, die den Orsino Drachentöter noch nicht entdeckt haben. Die Inschrift der etruskischen Bank am arkadischen Feld, die auf die Akteure des dahinterliegenden etruskischen Plateaus zurückweist, erfüllt jedenfalls den Sinn, den Wanderer in ein Netz von ineinander verschränkten Bedeutungen einzuspinnen. Der Höllenschlund ist die maximale Steigerung dessen, was im Schiefen Haus und mit mantischen oder historischen Versuchen einer Rückkehr zu den Ursprüngen begonnen worden ist und nunmehr in der schaurigen Todeserfahrung kulminiert. In der schützend gewölbten Bankarchitektur ist dem Wanderer eine kurze Rast und Bedenkzeit gewährt: Die Hölle ist etwas Fremdes und zugleich Vertrautes. Sie brachte die dantesken Schilderungen mit den Berichten über die exotische Azteken-Kultur, die aus der Neuen Welt nach Europa gelangt sind, in Verbindung. Das Motiv verkörpert sowohl Neugier als auch Angst vor dem Unbekannten, wobei die exotischen Assoziationen ganz offenkundig den Exegesen und Illustrationen der Heiligen Schrift entsprechen:
Immerhin kannten die Zeitgenossen Vicinos die Darstellungen der Höllenstrafen im Florentiner Baptisterium am Dom von Ferrara oder in der Cappella degli Scrovegni. Die mittelalterliche Vorstellung von Schrecken verband das sinnliche Erlebnis der Strafe mit den zuvor genossenen sinn lichen Freuden zur Todesangst. Im manieristischen Vorstellungskreis des wunderbaren Schreckens verliert die Hölle an Schrecken, als sie zur belieb ten Metapher des Einganges ins Unbekannte wird, wobei die Angst vor Bestrafung zur Steigerung des sinnlichen Reizes erhalten bleibt. Vergleichbares kannten Vicino Orsinis Gäste von Darstellungen der ewigen Verdammnis in den Bildprogrammen
• Am arkadischen Feld: Blick aus der Arkosolbank auf das arkadische Feld, im Hintergrund der Palazzo Ducale in Bomarzo. Postkarte Ed. Igino Risca Bomarzo, 1940er
der Kirchen und entsprechenden Buchmalereien. Die um 1600 entstandene Riesenmaske im Garten der Villa Aldobrandini bei Frascati, Rom, und auch die späteren Entwurfszeichnungen Francesco Borrominis für das Portal des päpstlichen Gefäng nisses und den Palazzo Zuccari in Rom folgen dem selben Muster. In der abendländischen AnastasisIkonografie verbinden sich Elemente der Comedia mit exotischen Einflüssen.217 In Anbetracht der archäologischen Interessen Vicinos haben wohl auch die etruskischen Stirnziegel, die eine ver schlingende bauboartige, auf jeden Fall chtho nische Göttin zeigen, eine Rolle gespielt (siehe Abbildung S. 148).218
• Am arkadischen Feld: das geheimnisvolle Tier, im Hintergrund rechts oben der Mundus
138
Am arkadischen Feld
iii. Am arkadischen Feld
Von den Etruskern gelangte der Adept in ein relativ ausgedehntes Gelände, das, soweit dieser Begriff auf die Dimensionen des Heiligen Waldes angewendet werden konnte, das freie Schweifen Pans bedeutet haben mochte. Das ganze Ambiente, vornehmlich aber die relative Weitläufigkeit des Gebietes mit dem Höllen schlund und der stark erodierten Skulptur eines lagernden Tieres, bildete die Kulisse für die lebensw ichtige Erfahrung des et in Arcadia ego. Dieses neuplatonische Arkadien war bis auf die etruskische Steinbank und den Mundus ganz und gar verlassen – umschlossen nur von einer niedrigen Mauer, die den unverstellten Blick auf die umliegenden Wälder freigab – offenkundig die obligatorische Wildnis, in der sich der Wan derer verirren und faccie horrende (schaurige Erlebnisse) haben sollte.
vor allem das glänzende Geweih zeichneten ihn als Herrscher des Waldes aus. Die löwenartige »Mähne« symbolisiert Potenz im spirituellen als auch sexuellen Sinne und macht aus dem Naturwesen des Hirschs ein hoheitsvolles Fabeltier, das mit der hermetischneuplatonischenSinnschicht des Wäldchens einen eigenen Handlungsstrang bildet. Schon der körperliche Ausdruck des stattlichen Leibes mit den leichtfüßigen Hufen vermittelt den Eindruck eines geistigen Führers wie er im »Tristan« Gottfried von Straßburgs als weißer Hirsch ohne Geweih, aber mit einer weißen pferdeartigen Mähne, die Jagdgesellschaft König Markes in eine Minneg rotte (sic!) lockt.220 Das Geweih als
Im elysischen Gefilde oberhalb des etruskischen Plateaus verbarg sich in einer dramatisch arrangierten Wildnis ein Tier, das heute wegen seines teilweise zerstörten Kopfes unkenntlich ist, aber aufgrund der charakteristischen Körpermerkmale als fabelhafter Hirsch mit leuchtendem Geweih zu rekonstruieren ist.
• Am arkadischen Feld: das geheimnisvolle Tier, Detail des Kopfes. In den beiden
Das dichte, reiche Fell, das an einen männlichen Löwen erinnert,219 und die charakteristische Form der Hinterhand mit den pferdeähnlichen Hufen und des Wedels (jägersprachlich Schnalle) – aber
Vertiefungen am Scheitel waren wohl die Geweihäste eines männlichen Hirschen verankert.
Am arkadischen Feld 139
• Hermann von Sand, »Einhorn und Hirsch im alchymischen Opus«, 1678, Kupferstich Staats- und Universitätsbibliothek Dresden/ Deutsche Fotothek
• Aktaion wird von seinen
Zeichen von Männlichkeit und Macht war – wie die Stoßzähne des Elefanten – aus einem anderen, im Dunkelgrün des Bomarzodickichts leuchten den Material. Auch das war ein Effekt, der auf die altorientalischen Wurzeln des Motivs anspielte und sogar noch eine Verbindung zum Einhorn 221 herstellte, dessen heilbringende und giftbannende Eigenschaften auch dem Hirschen zugeschrieben wurden. Beide bildeten als Tiere der Waldwildnis eine hermetische Wechselbeziehung, wobei dem Hirsch die lunarischen Qualitäten und damit das gefühlsbetonte, kopforientierte und nachdenk lich melancholische Temperament zugeschrieben wurde.222 Auf dieser Bedeutungsebene223 war der Hirsch neben dem Bären und dem Affen das dritte Emblemtier des Wäldchens.
eigenen Hunden zerfleischt, rotfigurige Vasenmalerei, Skyphos, Paestum, um 370–360 v. u. Z. Badisches Landesmuseum, Karlsruhe
Der Hirsch gilt traditionell als mächtiges, starkes und potentes Tier, in dem sich sinngemäß Magie und Würde des Königtums vereinen. Was den orientalischen Kulturen der Löwe, ist der Hirsch dem nördlichen Vorstellungskreis:
Als Fabeltier reicht die Vielfalt und Fantastik seiner Eigenschaften und Fähigkeiten an die des Löwen heran.224 Als mystische Lichtgestalt erscheint er den christlichen Heiligen. Wegen des imposanten Geweihs, das sich periodisch erneuert, ist er Sinn bild des immer wiederkehrenden Lebens, der Neu geburt und der Zeitläufe. Wie der Löwe kommt der Hirsch bevorzugt an Kapitellen und Tympana vor, nach den Bestiarien gilt er als Gegenbild zum Teufel und als »Feind der Giftschlangen«, in Psalm 42 wird er sogar als Inbegriff des Gläubigen besungen.225 In Bomarzo diente der Hirsch der Identifikation Vicinos mit dem hermetischen Jäger Aktaion. Der Motivschatz des Palazzo Farnese, wo Pegasus, Einhorn, Hirsch und Drache in fast jedem der reich ausgemalten Räume des Palazzo vor kommen, war dem Kreis um Vicino vertrautund symbolisierte auch im Wäldchen die Umwandlung der Metalle. Vicino, der das ihm Wichtige nicht selbst nennt, sondern entweder den staunenden Besucher ent decken lässt oder es gar vor ihm versteckt, ver meidet es, den Hirsch in der Inschrift der etruski schen Arkosolbank zu nennen: Unvermittelt und unvorbereitet wie Aktaion die Göttin, erkannte sich der Initiant im Spiegel der Wildnis Arkadiens denn: Selbsterkenntnis war der erste Schritt der Läuterung.
140
Am arkadischen Feld
• Am arkadischen Feld: der Hirsch, Ansicht von vorne. Man erkennt trotz des aus gebrochenen Gesichts die charakteristische Form von Augen und Maul sowie die gelockte Mähne und die Hufe eines Hirschen.
Aufstieg zur Hölle
• Domenico di Michelino, »La Divina Comedia di Dante«, 1465, Fresko in der
Der Weg ins Elysium führte signifikant zwischen der Anna Perenna und dem Mundus ins arka dische Feld. Vor dem Hintergrund des etruski schen Plateaus figurierte der Hirsch als Mittler und Leitmotiv, das den Wanderer zum »steten Mitwisser des tiefsten Geheimnisses der dichterischen Absicht« und – wie eine ebenfalls sehr passende Formulierung lautet – zum »notwendigen Mitschöpfer des Kunstwerkes«226 machte. Seine Aufgabe war die Vermittlung zum Höllenschlund.227
Kuppel der Kirche Santa Maria del Fiore, Florenz. Dante Alighieri hält sein Lehrgedicht Die Göttliche Komödie vorzeigend in der linken Hand. Mit der rechten Hand weist er auf eine Prozession von Sündern zur Hölle, hinter ihm das Purgatorium und eine his torische Ansicht der Stadt Florenz um 1465.
Mit dem Eintritt in den Höllenschlund kehrte der Adept in den unweigerlich assoziierten Mutter schoß der Erde zurück.228 In einer folgenreichen Vernetzung verschiedenster und sich dennoch entsprechenden Rückführungen wurdenArkadien, Ägypten und Etrurien zu einem metaphysischen Ort zusammengefasst, der Anfang und Ende in einem war. Die mit der Höhle assoziierte Hölle229 wurde zum Zentrum derartiger Überlegungen: »Glückselig ist, wer […] den Weg unter die Erde betritt: er kennt das Ende des Lebens und dessen
von Zeus gegebenen Anfang.«230 Also betrat der Adept aus freien Stücken das Reich des Todes. Der Höllenschlund wurde in ähnlicher Weise wie das Schiefe Haus zu einem Medium, das seine Bedeutungen auf den Eingetretenen übertrug. Zunächst war es der unorthodoxe Aufstieg in die Hölle, der schon Schlüsse auf eine andere Bedeutung der vertrauten Form implizierte und wieder die Prisca Sapientia ins Spiel brachte. Wie der ägyptische Totenkult waren auch die Mysterien von Eleusis Rätsel der Vergangenheit,231 die in der Sphäre des Wäldchens zu lösen waren und Antworten forderten, die nur der Betroffene selbst geben konnte. Dazu musste er den frei willigen Tod auf sich nehmen, um vor einer überzeitlichen Instanz Gnade oder sogar ewiges Leben erflehen zu können. Diese Metapher tiefster Erkenntnis war schon in der Hypnerotomachia mit dem Begriff der Läuterung unmittelbar verbunden232 und in den zehn Stufen versinnbildlicht, die zum Höllenschlund hinaufführten. Diese Form der Erhebung der Seele war den Gästen Vicinos aus der Comedia233 ebenso vertraut wie die Annahme des Pythagoras von einem der Erde gegenüberliegenden gegenweltlichen Planeten, den er mit der Zahl Zehn mathematisch belegt hatte.234 Wie im Ritus vollzogen die zur Hölle aufzusteigen wagten die Erhebung nach, dennoch stellte sich diese Hölle nicht als berechenbares und vorhersehbares Phänomen heraus, sondern im Gegenteil als sarkastische und zugleich genussvolle Karikatur der etabliertenHöllenvisionen. Vicino verband die eleusinische Konzeption des Höllenschlundes mit der Exotik der aztekischen Maske. Beide waren so fremd wie das Unerhörte, das den Adepten dann tatsächlich im Inneren des Höllenschlundes erwartete. Neuzeitliche Mythenbildung kompensierte die zeitliche Distanz, die die Renaissance von der Antike trennte, mit der räumlichen Entfernung zu rätselvollen und unverdorbenen Zivilisationen. Zu Vicinos Zeit war es die aztekische, deren Weisheit, Reichtum und Monstrosität – insbesondere ihre
144
Am arkadischen Feld
•
grausamen Menschenopfer – faszinierende »faccie horrende«für das europäische Publikum235 lieferte. Wie die mesoamerikanischen Heiligtümer war auch der Höllenschlund kein unterirdischer Ort, in den hinab, sondern zu dem hinaufgestiegen werden musste wie auf die himmelstürmenden Pyramiden.
Bocca della Verità (das Maul der Wahrheit) in Rom, vermutlich Darstellung des alten Vegetationsgottes Faunus-Silvanus
Die mehr als nur formale Ähnlichkeit mit der berühmten Bocca della Verità, einer antiken römischen Tritonenmaske, in deren Maul verdächtigte Lügner ihre Hand steckenmussten – wo sie ihnen im Falle der erwiesenenSchuld abgeschlagen wurde – war eine Analogie, die für den Adepten Bomarzos zu einer ganzkörperlichen Mutprobe geworden war. Läuterung und Neugeburt durch Weisheit war der Erkenntniswert dieses Wagestücks, das die Jenseitsreise Dantes nachvollzog. Der abend ländische Mythenschatz erhielt eine unverhoffte und scheinbar objektive Bestätigung durch die Berichte der großen Weltreisenden, zu denen sich in einer hermetischen Auslegung auch Vicino zählenkonnte. Eine einzige Bedingung knüpfte sich an den Eintritt in die Hölle. lasciate ogni pensiero voi ch’entrate ihr die ihr hier eintretet lasst alle besonnenheit fahren Zum wiederholten Male setzte Vicino auf die Ver drehung einer bekannten Stelle aus der Literatur. Hier war es das bekannte und berüchtigte Zitat aus der Divina Comedia: »Voi ch’entrate lasciate ogni speranza« (Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren), das er ad absurdum führte, um seine Kritik an einer Gesellschaft, die auf Unterdrückung und Doppelmoral setzte, auf den Punkt zu bringen. Sowohl die Form der Hölle als Metapher der Erlösung (Anastasis) als auch die Inschrift handelten von der Angst der Christen vor dem Sterben. Vicinos Alternative zu den Tröstungen der Religion war etwas, das nur ihm einfallen konnte: Sowohl
die Form des Höllenschlundes und seine Botschaft als auch das Gedankengebäude Dantes wurden ganz einfach auf den Kopf gestellt: Der Abstieg in die Hölle und der Aufstieg zum Läuterungsberg – von Dante klar getrennt – wurden in Bomarzo zu einem Aufstieg zur Hölle zusammengezogen. Den Wortlaut der (heute falsch ergänzten) Inschrift überliefert Giovanni Guerras Zeichnung. Der veränderte Sinn der berühmten Phrase, bei der nur speranza mit pensiero ausgetauscht wurde, nahm die Warnung auf, mit der die rechte Sphinx den Eintretenden beunruhigt hatte: Das tv ch’entri erweckte die Assoziation mit der Dante’schen Jenseitswanderung unter der Führung Vergils und hob den Besucher, der sich persönlich angesprochen fühlte, aus der Masse der Unwissen den heraus. Als einer von vielen, die nach Bomarzo gepilgert waren, würde er sich nun bewähren oder untergehen. Der Hinweis auf die große Menge der Suchenden – der Verdammten? – machte vor allem deutlich, wie zwangsläufig die Verbindung zu den »balordi« war, denen Vicino Einlass in sein Wäldchen gewährte236. Die Anspielung auf die Sphinx bestimmte darüber hinaus die Assoziationen des Kandidaten, der sich – wissend, dass er seine angeborene oder erworbene Ignoranz mit dem Tod
Am arkadischen Feld 145
• Giovanni Guerra, »Höllen schlund«, zweite Hälfte 16. Jhdt., Federzeichnung Albertina, Wien
146
Am arkadischen Feld
schaudernd vorübergingen, bestand nicht in der materiellen Hinterlassenschaft der leblosen Steine, sondern im geistigen Schatz dieser Erkenntnis, den jeder selbst heben musste.
• Am arkadischen Feld: Eintritt in den Höllenschlund mit der falsch rekonstruier ten Inschrift OGNI PENSIERO VOLA statt LASCIATE OGNI
zu sühnen haben werde – der Initiation unterzog. Das freiw illige Todeserlebnis im Höllenschlund offenbarte dem, der seine »kluge Vorsicht« aufgab, die letzte Erkenntnis: In Vicinos Hölle gewann er unvermuteten und unchristlichen Einblick ins Paradies. Der, wie alles Wichtige im Wäldchen, marginal wirkende Austausch von speranza in pensiero, gab scheinbar der weltlichen Unvernunft den Vorrang vor der christlichen Tugend (prudentia, die weise Voraussicht). Im Angesicht des Todes wurde alles, was dem arkadischen Ideal so diametral entgegengesetzt war, obsolet, und der Circulus vitiosus aus Religion, Politik und sonstigen sittlichen Ver pflichtungen unterbrochen, irrelevant und »fahren gelassen«237. Der Höllenschlund relativierte nicht nur das »hoffnungsvolle« christlich-katholische Weltbild, sondern das der Vernünftigen, die sich für Anpassung und Subordination entschlossen hatten. Selbst aufgeklärte Geister waren davon nicht ausgenommen, wie sich Vicino und seine Intimi selbstgefällig bestätigen und ausreden konnten. Eine Zeichnung Giovanni Guerras gibt Inschrift und die Vergnügungen der hier gepflogenen Ars Vivendi wieder. Die manieristische Form des wunderbaren Schreckens, den diese Schwelle verkörperte, und die innere geistige Kraft, sie zu überschreiten, waren der wohl deutlichste Hin weis auf die Intention des Wäldchens: Weder Ver nunft noch politische Korrektheit, sondern animalische Lust, Naturrecht, Irrationalität, Wahn sinn und entfesselte Triebe herrschten hier »in Ewigkeit«. Die veränderte Inschrift verwandelte Hoffnungslosigkeit in die Möglichkeit, die hinter dem Tod liegende Lust zu gewinnen. Die Botschaft, an der die »balordi« vermutlich genüsslich
Wer sich also überwand, die Stufen hinaufstieg und in die Hölle eintrat, fand sich an einem angenehm kühlen Ort, an dem ihn zudem noch Speis und Trank von gewiss erlesener Qualität erwarteten. Im Höllenschlund vereinte Vicino zwei Erfahrun wgen, die sich aus seinen geistreichen und lustvollen Beschäftigungen in der Region Etruriens ergaben. Im Kontext der Freundschaft zu Kardinal Gambara ist der Höllenschlund Bomarzos eine karikierende Uminterpretation der zeitgleich entstandenen Villeggiatura in Bagnaia: Vicino übernahm das Motiv der kleinen, den Musen geweihten Pavillons mit ihren auf sehr vornehme Weise rustikalen Räumen, die Orte der Rekreation und der Muße (otium) waren. Die Umdeutung des eleganten Pavillons in eine Tomba, deren rohe Wandstrukturen von der groben Meißelung der Innenwände des Höllenschlundes imitiert wurden, veränderte alle gängigen Erwartungen an den Tod (siehe Abbildung S. 19). Die Imagination eines etruskischen Sarkophages oder auch einer Altarmensa als Zunge war die fantastische Ausgeburt der besonderen
PENSIERO VOI CH’ENTRATE • Bagnaia, Villa Lante: elegante Pavillons mit Sitzbänken und Tischen im Garten der Villa
• Etruskischer Stirnziegel, Antiquarium di Poggio Civitate Museo Archeo logico, Murlo
nekromantischen Fantasie Vicinos. Die kleinen Pavillons in Bagnaia, wie auch die in Ewigkeit bankettierenden Symposianten der etruskischen Gräber, sind in der Auffassung Guerras miteinander zu einem Bild der Jenseitigkeit verschmolzen, das vermutlich von der Realität bestätigt wurde: Gerade während des »sol lione« (der Löwenhitze) 238 musste der grottenartige Raum einen erfrischenden Aufenthalt geboten haben an dem sich gut speisen und trinken ließ. Die musikalische Umrahmung, Feste und sinnliche Freuden, insbesondere die kultivierten erotischen Fertigkeiten der Cortigiana 239 korrigierten die Szenerie der eleusi schen Mysterien zu einer Darstellung des sinnenfrohen etruskischen Totenreichs. Damit kehrte Vicino wieder alles um und stellt, mit dem Hinaufstieg in die Hölle, den Ort der Strafe auf die Höhe des Paradieses mit seinen sinnlichen Freuden. In einer weiteren Sinnschicht setzte Vicino mit dem Höllenschlund seine Theorie der sensi primi um, nach der die wichtigsten Sinne – Magen und Geschlecht – seinem neuinterpretierten Epikure ismus zufolge das Leben selbst, beziehungsweise seine Macht über den Tod bedeuteten. Seine initiatorische Hölle verkörperte den fatalenZusammen hang zwischen dem Mund, dem alles verschlingenden höllischen Rachen, und dem Geschlecht der Frau, der vagina dentata, die an sich schon für Geburt als auch Tod steht und hier im Schlund die angemessenste Verbildlichung erfuhr. Die wieder doppelt, nämlich historisch wie mythisch »urälteste« Vorstellung von der Frau als Magna Mater und Todesdämon verkörperte sich in den Fruchtbarkeits- und Todesgöttinnen 240, die als Nachtfahrerinnen im Wäldchen auftauchen: Es
• Gustave Courbet, »L’Origine du monde«, 1866, Öl auf Leinwand, Musée d’Orsay, Paris
waren die hermetischen Wissenschaftler, die das große Geheimnis des Lebens im Erdinneren lösen zu können glaubten und in der Grotte das Ziel ihrer diffusen und obskuren Gelüste fanden. Diese Abart wissenschaftlicher Begehrlichkeit machte den arkadischen Ort, der außerdem anschaulich und sinngemäß mit dem Geschlecht der Frau zusammenfiel, zu einem locus amoenus und locus terribilis, einem zugleich lieblichen und schrecklichen Ort. Der »geheime Ort« des weiblichen Geschlechtes, wie er auch in den Hexenprozessen amtlich genannt wurde, deckte sich mit der Sehnsucht nach Rückkehr ins Paradies, aber auch mit der Angst vor Vernichtung. Da es kaum eine Kultur oder Zeit gibt, die dies nicht verstünde, sei als Illustration der von Courbet gewählte Bildtitel »L’Origine du monde« zitiert und das Bild beispielhaft dem Höllenschlund gegenübergestellt. Im Kosmos des Wäldchens war »Der Ursprung der Welt« eine Anspielung auf die universelle und explizit männliche Wissbegier nach dem Ursprung des Lebens. Die Errichtung des Höllenschlundes fiel noch in die Zeit von Vicinos umfangreichsten und mit viel Optimismus betriebenen Gartenaktivitäten und galt seinen Zeitgenossen als zivilisationskritisches und souveränes Vorhaben, gerade im abgelegenen Bomarzo das Rätsel des Lebens aus der Betrach tung der Natur zu lösen. Geprägt von der Liberti nage des freidenkerischen Venedig, zu dessen intellektueller Elite er als junger Mann gehört hatte, bezog sich Vicino in der Folge auf die antiken Philosophen, die immer auch Naturforscher waren, insbesondere auf Epikur, aber auch auf die »Oltra montani«, deren freigeistige Ideen Vicino auf seinen Kriegszügen in die nördlichen Regionen Europas kennengelernt hatte.241 Die paradox anmutende Verbindung antiker Philosophie und ultramontaner Intellektualität überwand das von seinerantiken Größe zehrende Rom und befreite von der geistigen Bevormundung durch die römische Kirche. Eingedenk seinerVerpflichtung und Prädestination durch die ägyptisch-etrurische Deszendenz richtete sich Vicinos »Zuversicht« nicht auf die Art von Leben nach dem Tod, die mit striktem diesseitigem Gehorsam zu erkaufen
• Herbert List, »Bomarzo, Sacro Bosco, Mostro in the garden of Pier Francesco Orsini«, 1950
Am arkadischen Feld 149
war, sondern gleich darauf, »ein Leben der Götter« zu führen. Ganz offensichtlich stand Vicino bei der »Erfin dung« seines Höllenschlundes das antike Unge heuer Medusa vor Augen. Die grauenvolle, zähnefletschende, geflügelte, hypnotisch starrende, von sich ringelnden (sic!) Zotteln umrahmte Fratze der Gorgo war wirklich und wahrhaftig ein Gesicht im Sinne der faccie horrende: des schaurig Schönen und des Visionären. Medusa verkörperteden manieristischen wunderbaren Schrecken, den ganz besonderen, intellektuell-sinnlichen Bann, in den sich Vicino und sein Freundeskreis begeben hatten. Dementsprechend mehrsinnig war denn auch die Zusammenziehung verschiedener verwandter Motive wie eben der Gorgo mit dem dantesken, seit Giotto einvernehmlich anthropomorph dar gestellten Höllenmaul. Vorbildhaft könnten außerdem Wasserspeier an sakralen und profanen Bauten in ultramontanen Gegenden gewirkt haben, die Vicino auf seinen Kriegszügen bereist hatte. Das Motiv fand Nachahmung und hat bis in die Gegenwart unterschiedlichste Künstler inspiriert. Die um 1600 entstandene Fratze im Garten der Aldobrandini in Frascati, und insbesondere die 1652–1653 datierten Entwurfszeichnung Francesco Borrominis für das Portal des päpstlichen Gefängnisses, beweisen die Wirkung des Bomarzomotivs – selbst die Inschrift lasciate ogni pensierovoi che intrate ist über nommen worden. In geistiger oder vielmehr hermetischer Überein stimmung dominiert im nicht weit entfernten Grossetto eine dämonische Hohepriesterin den von Niki de Saint Phalle errichteten Garten der Tarocke. Desgleichen hat André Heller in den Swarovski Kristallwelten in Wattens einen Riesenschädel entworfen, der vergleichbare Assoziationen weckt.
150
Am arkadischen Feld
• Niki de Saint Phalle,
• André Heller,
»Die Hohepriesterin«, 1978
»Der Riese«, 1995
Giardino dei Tarocchi,
Swarovski Kristall-
Grossetto
welten, Wattens
Am arkadischen Feld 151
• Am arkadischen Feld: Blick auf die ehemalige Situation und die Weg führung von der Hölle, kolorierte Postkarte
152
»le cose inferiori e superiori«
iv. »le cose inferiori e superiori« Aufstieg zum Heiligen Berg
Die Bedeutung des Wäldchens lag sinnfällig in den hier angebotenen häretischen, aber keineswegs abwegigen Möglichkeiten, die virulenten Fragen des Lebens für sich zu klären. Als gegenweltliche Fantasielandschaft war Vicinos Garten reale Utopie oder auch utopische Realität, was im abgrundtiefen Charakter manieristischer Gedankengänge als höchst willkommenes Paradox mitenthalten war. Der Gedanke der kosmischen Sympathie, aber auch das Selbstverständnis des Renaissancefürsten, spiegelten sich im Topos des Paradiesesgartens und dem des (profanen) Gartens als Symbol der Welt. Nach eigener Aussage betätigte sich Vicino in Nachahmung des göttlichen Schöpfergestus als Erfinder und Bauherr einer »altro mondo« (einer anderen Welt)242, wobei die Vermischung der Begriffe Opposition und Jenseits seine zunehmend abgehobenen, wie aus einer höheren Sphäre des Verstehens klingenden Bemerkungen über die »Welt« in diesem Licht erscheinen ließen.243 Vicinos anfängliche Selbstdarstellung im Sinne einer Teilhaftigkeit an der göttlichen Schöpfung veränderte sich allmählich: In den letzten drei Briefen an Giovanni Drouet war die Identifikation mit der althergebrachten Idee eines persönlichen Gottes unübersehbar.244 Im selbstgeschaffenen Paradies erfüllten sich seine Wünsche genauso wie seine Ängste. Sie bestätigen ihn als ganzheitliches Individuum und banden ihn in einen vor bestimmten Ablauf ein.
Der Garten war wie für Dante, Poliphil, Epikur, Jesus und Vicino der klassische Ort, an dem sich für den Umherirrenden (errando) die Klärung entscheidender Fragen ergab. Der Garten als »Born der Erkenntnis« gehörte zum festen Vorstellungskreis um das Paradies, in dem zwei Bäume standen: der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis.245 Das Lösen des fundamentalen Rätsels fand immer im Paradies statt. Der Garten war eine literarische und theologisch inspirierte Fiktion. In einer Tradition stehen das hermetische Werk Viridarium Chymicum des Daniel Stolcius von Stolcenberg, der Hortus Deliciarum der Herrad von Landsberg oder der Garten der Lüste von Hieronymus Bosch – und selbstverständlich die antiken Autoren, die als Philosophen grundsätzlich Gärten bewohnten und dort lehrten. Sie belegen die klassische Vorstellung von der »Geburt der Philosophie aus dem Garten der Lüste«.246 Die Worte des alttestamentarischen Gottes – »Dass er jetzt nicht die Hand ausstreckt, auch vom Baum des Lebens nimmt, davon isst und ewig lebt!«247 – schwangen implizitim Aufbegehren gegen die katholische Moralvorstellung vom gott gefälligen Leben mit, und bekräftigten Vicinos nichtchristliche Jenseitskonzeption.248 Immerhin war das Wäldchen ein lebendiges Argument gegen die gängigen Vorstellungen über die »cose inferiori e superiori« (Dinge der Unter- und Oberwelt).
»le cose inferiori e superiori« 153
Es waren gerade Vicinos sokratische Talente, die ihn der »Welt« und umgekehrt ihm die »Welt« verleideten. Damit gestattete er sich selbst den Vergleich mit dem großen Philosophen, dessen außerordentliche Fähigkeit »in den Himmel, wie in das Verborgene der Unterwelt zu schauen« den Melancholiker bezeichnet. Vicinos Selbst einschätzung »verborgenste Geheimnisse schauen« zu können war Temperaments sache249, Bestimmung und ohne Alternative.
• Tempel der Venus Physiozoa, Hypnerotomachia Poliphili, Holzschnitt, 1500
Die Synopse antiker und ultramontaner Philo sophien 250 war keine bloße und selbstverliebte Anhäufung von Weisheit im Privatgarten, in praxi war der Initiant – wie der Held der Zauber märchen 251 – damit auf die Probe gestellt, und musste seine eigenen Schlüsse ziehen. Die metaphysische Tour durch die Geschichte des Denkens war lakonisch in der Metapher der Weltreise dargestellt und eine ironisch gefärbte Apotheose, die den Adepten von der üblichen Strategie des anspruchslosen Glaubens ablenkte und als Wanderer auf jenen Läuterungsweg brachte, der die üblichen »Tröstungen«252 schon in ihrer Aufzählung irrelevant und eitel scheinen ließ. Freilich nur für die Selbstreflexion Vicinos galt, dass die »Tag und Nacht« wachsamen Löwen, die den schicksalhaften Drachen bekämpft hatten und dennoch untergegangen waren, vom Orsino auf ihren Platz in der Geschichte verwiesen worden
wären: Sperne Terrenvm,253 wohingegen er sich in den exklusiven Kreis der Herausragenden und an einen jenseitigen, platonisch überzeitlichen und überräumlichen Ort verfügt hätte, an dem ein übergeordnetes pantheistisches Lustprinzip herrsche. Aus einer hermetisch-astrologisch begründeten Disposition und eigener, schöpferischer Kraft konnte Vicino Orsini das Unmögliche versuchen: Die wiederholten, oft pathologisch selbstmitleidigen Hinweise auf Melancholie sind mehr als nur bildungsimmanente Vorstellungen einer zeitlosen Genialität – in Vicinos Weltsicht belegen sie die Hegemonie des saturnischen Temperaments.254 Dem Inhalt entsprach die äußere Form der herme tischen Verunklärung, die mit den hieroglyphischen Rätselbildern ein Gesamtkunstwerk bildete: »Wo immer wir offen gesprochen haben, haben wir nichts gesagt. Aber wo wir etwas verschlüsselt und in Bildern niedergeschrieben haben, dort haben wir die Wahrheit verhüllt.«255 Wie der kontrollierte Abgrund waren alle Erkennt nisse des Heiligen Waldes als Träger einer Wahrheit und ihres Gegenteiles konzipiert. Dem entsprach auch der weitere Verlauf des Initiationsweges, der nunmehr auf den Gipfel des kleinen Berges führte. Fraglos war der Tempel die Krönung des Ganzen, weil er mit seinem astrologischen Programm die anerkannteste aller divinatorischen Praktiken darstellte, mit deren Hilfe die Menschen den göttlichen Willen und Plan erforschen und vielleicht sogar zu wenden hoffen konnten.256 Die Hypnerotomachia gab die ideale Annäherung an den Tempel der Venus Physiozoa vor 257 und so gelangte der Adept auf den Spuren Poliphils vom arkadischen Feld aus zum Tempietto, wo ihn – rein metaphorisch natürlich – die Liebesvereinigung mit Polia erwartete. Dieser topografische als auch ikonografische Höhepunkt war die erste Etappe ihrer gemeinsamen Reise und im Konzept des Wäldchens eine Zäsur. Die nunmehr folgenden Abstiege stellten den zweiten Teil der »Reise« dar.
• SPERNE TERRENvM, Inschrift an der Westterrasse des
Beim Aufstieg erinnerte sich der Adept an die in der Hypnerotomachia überschwänglich gepriesene
Palazzo Ducale in Bomarzo (siehe Abbildung S. 281)
154
»le cose inferiori e superiori«
Erscheinung der Kuppel: »vidi una superba et eminente cuppola« (sah ich eine stolze und mächtige Kuppel).258 Vicinos Begeisterung, mit der er an Alessandro Farnese schrieb,259 galt der eigenen Leistung des überaus gelungenen inganno, ver mittels dessen man in Bomarzo der Illusion erliegen könne, sich tatsächlich dem Tempel der Physiozoa zu nähern: »Die Erscheinung des Tempels wird aus der begrenzten Perspektive des sich dem Bauwerk nähernden Poliphilo zweimal angekündigt. Zunächst zeigt sich über den Bäumen in der Ferne nichts weiter als eine dem Anschein nach über einem Kuppeldach aufragende Spitze (›uno excelso pterygio sopra apparentimi de uno rotondo fastigio‹). Dann rückt die Kuppel mit ihrem Schmuck voll in den Blick…«260 Um das »Erscheinen« seinerKuppel möglich zu machen, plante Vicino die Annäherung: vom Höllenschlund über den getreppten Weg auf den Treppenabsatz des heute noch benutzten Aufstieges vom arka dischen Feld. Auf dem Berg angekommen, ändert sich der Blickwinkel und der Tempel liegt auf einmal inmitten einer von sanften Hügeln umrahmten Ebene.261 Eine entsprechende Bepflanzung des kleinen Hoch plateaus band sogar noch den Ausblick auf das ehemalige Freigelände in der Talsohle zwischen Bomarzo und dem Wäldchen als Hinweis auf die in der Hypnerotomachia langatmig beschriebene Parkanlage um den Venus-Tempel ein.
• Aufstieg zum Tempel: »Das Erscheinen der Kuppel«
»le cose inferiori e superiori« 155
• »le cose inferiori e superi ori«, Tempel auf der kleinen Hochebene am Gipfel des Hügels, dahinter die terra kottafarbene Hügelkuppe des Monte Casoli mit den etruskischen Gräbern
156
»le cose inferiori e superiori«
Tempietto Die bereits durch- und überstandenen Erlebnisse, die den Adepten auf sich selbst zurückgeworfen hatten, konnten durch keine andere Metapher als den Tempel – der noch dazu ein etruskischer war262 – besser verarbeitet und abgeschlossen werden. »Nach außen« stellte sich der Tempel als Zuwidmung an die verstorbene Ehefrau Vicinos, Giulia Farnese, dar,263 aber schon die Ikonografie des Tempels war eine unmissverständliche Anspie lung auf die Hypnerotomachia, wo die Inschriften am Tempel der Venus Physizoa – jeden treibt seine lust und jedem ziemt es, sich nach seiner natur zu verhalten – naturrechtliche Ideen und Ideale feierten. Die Anspielung brach die christliche Aussage des Tempels und wendete sie ins Pantheistische.264 Im Tempel, dessen Ähnlichkeit mit gleich zwei Holzschnitten der Hypnerotomachia nicht zu übersehen ist, erwartete den Wanderer auf den Spuren Poliphils – natürlich im Sinne der fiktiven Handlung – die etruskisch sprechende, geheimnisvolle Tempelvorsteherin. Ihre Geheimnisse waren unaussprechliche und unausgesprochen im schlichten Ritus enthalten, in dessen Verlauf Poliphils Nymphe der keuschen Diana abspenstig und zu Polia, einer Dienerin der Venus, gemacht wurde. Freilich durfte auch Poliphil seine Nymphe nicht behalten, sondern sie entschwebte ihm in einer neuplatonischen Version der Himmelfahrt. 265 Im Tempel der Venus Physiozoa geschah die Läuterung unter der Patronanz der Venus, was nach dem mittelalterlichen Verständnis, dem die Hypnerotomachia genauso entstammt wie die Werke Dantes, Petrarcas und Boccaccios, drei wesentliche Aspekte umfasst: »Die humanistische Idee der Wiedererweckung der antiken Kultur; Die höfische Idee der Frauenminne als einer Aufgabe und die alchymische Verwandlung der Stoffe.«266
Raumarchitektur, die ebenfalls den Tempel der Physiozoa zitiert. Für die, die Vicinos Allegorien verstanden, galt jedoch die uneingeschränkt dem Eros huldigende Selbsterkenntnis vor jedem Antikenzitat einer neuplatonischen Idealvorstellung.267 Derartige Anspielungen, oder besser gesagt, Anzüglichkeiten, wie die harmlosen antiken Zitate an den Terrassen des Palazzo Ducale, bestätigten durch diese Spiegelung die formale und inhaltliche Struktur des Tempels, von dem Sansovino immerhin sagte, dass er »von den Grundmauern auf« das Werk Vicino Orsinis sei.268 Seine Wertschätzung des Tempels äußerte Vicino nirgends so klar wie bei der Gelegenheit, als er seine Empfindungen beim Erscheinen der Kuppel in einem regelrechten spirituellen Furor als »quanta consolation«269 beschrieb. Die Wortwahl lässt keine andere Auslegung als die zu, dass das Wäldchen eben jene Tröstungen biete, die zu spenden die etablierten Religionen und Philosophien versäumten. 270 Vicino kombinierte den antiken Antentempel mit einer oktogonalen Kuppel, die sich über der Cella wölbt, und eine Miniaturausgabe der Domkuppel von Santa Maria del Fiore in Florenz ist.271 Die Verbindung von Pronaos und Oktogon, die sich äußerlich in harmonischen Proportionen so verdecken, dass sie eine gewisse Autonomie wahren, aber durch ein astrologisches Programm
• Poliphil flieht vor dem
Dazu passte im Sinne der Selbstdarstellung Vicinos noch die Szene der Hypnerotomachia, in der Poliphil vor dem Drachen flieht, und zwar in eine
Drachen, Hypnerotomachia Poliphili, 1500, Holzschnitt
»le cose inferiori e superiori« 157
philosophische Sonne bringt durch ihren Schein und Schatten einen gleichmäßigen Tag und eine Nacht hervor, welche die Latona oder Magnesia genannt werden mag.«273 Giovanni Guerra hielt das ikonografische Konzept in einer Federzeichnung fest, das nach dem Vor bild des naturphilosophischen Konzeptes von Empedokles die Existenz zweier Sonnen annahm: einerseits die wahre helle Geist-Sonne, die mit dem philosophischen Gold gleichgesetzt ist, und andererseits die finstere natürliche Sonne, die dem materiellen Gold entspricht. Diese zweite Sonne der Erkenntnis, die neben der natürlichen dem Zodiakus des Tempels vorangestellt ist, weist unmissverständlich auf die Botschaft des Wäldchens hin: Wie in der freimaurerischen Sym bolik war hier die Sonne das Abbild des unver gänglichen Geistes. Im Opus war sie das immaterielle Gold und das Endprodukt der komplizier ten »Goldmacherei«, als die die Experimente der Alchemisten von den Unwissenden beargwöhnt wurden.
• Giovanni Guerra, »TEMPIETO NELLI GIARDINI DI BVON MARTIO« (übers.:
verbunden sind, spielte nur vordergründig auf die eheliche Allianz von Vicino und Giulia an, in Wahrheit verbarg es die wahren Absichten Vicinos.
Tempelchen in den Gärten von Bomarzo), Ende 16. Jhdt., Feder zeichnung Albertina Wien
Dieses architektonisch kaum innovative System wurde mit ebenfalls zeitgenössischem astrolog ischemblematischen Wissen kombiniert: Mit deutlicher Bezugnahme auf verschiedene astrologische Lehrbücher und natürlich die Hypnerotomachia wurden in traditioneller Manier, nach der sogenannten Häuserlehre, die beiden Hälften des Zodiakus mit zwei (sic!) dominierenden Sonnen und einem Mondsymbol dargestellt.272 Die zwei Sonnenwenden stellten einen anerkannten naturwissenschaftlichen Aspekt der himmlischen Abläufe dar, den die Hermetiker jedoch in ihrem Sinne als Abbild des Geistigen deuteten: »Die
158
»le cose inferiori e superiori«
Vicino bezog sich mit dem astrologischen Konzept seines Tempietto auf das kopernikanische, heliozentrische Weltbild. Die erstmals 1543 veröffent lichte These war revolutionär und von eminenter Bedeutung für die anthropozentristische Philoso phie der Neuzeit.274 Dieses Modell besaß einen zusätzlichen, eben metaphysischenWert, indem es seinerseits der hermetischen Auffassung von der Aufwärtsbewegung der Materie – vom äußersten, grobstofflichen Zustand Saturn-Blei bis zur höchsten Sublimationsstufe Sonne-Gold – entsprach:275 »Die äußere Sonne hungert nach der inneren«, beschrieb Jacob Böhme in seinerSignatura Rerum das innere Streben nach Selbstvervollkommnung, das sich an den neuesten Erkenntnissen der neuzeitlichen Naturphilosophen festmachte.276 Die Folgen der kopernikanischen Schlussfolgerungen blieben nicht aus. In Florenz schrieb Giordano Bruno seine bis heute irritierende Schlussfolgerung, dass der Mensch/ die Erde nicht mehr Mittelpunkt des Alls sei als irgendein anderer Punkt. Der Gedanke war vom
allgemeinen Interesse der Renaissance für derartige Themen und dem von Marsilio Ficino neubelebten ägyptischen Sonnenkult inspiriert; als inneres Leitbild bahnte er dem Renaissancemenschen den Weg aus der mittelalterlichen Gläubigkeit in ein aufgeklärtes Zeitalter, dessenMittelpunkt und Schwungrad er, der Mensch selbst, war. Auch Vicinos Rekonstruktion des ursprünglichen göttlichen Entwurfes war von den Kommentaren Marsilio Ficinos zum platonischen Symposion durchdrungen.277 So wie sich die Wissenschaften über Sterne und Landwirtschaft hermetisch kreuzten, entfaltetedas Wäldchen »alle Regeln des Lebens, alle Prinzipien der Natur, alle heiligen Mysterien des Göttlichen.«278 Im vorgeblich christlichen Tempel kulminierte das divinatorische Konzept, das mit der ägyptisch-hermetischen Eingangsszene vorbereitet worden war. Das astrologische Konzept des Tempels spiegelte und befriedigte die zeitgenössische Ägyptomanie, die sich insbesondere in einer Art intellektuellen Aberglaubens an die Wiedergeburt des Hermes Trismegistos äußerte. Ägypten war ein Mythos, der zugleich eine räumliche und zeitliche Dimension besaß. Die Geschichtskonstruktion Nanni da Viterbos (siehe S. 221 und 274) bewies mit einer pseudohistorischen Darstellung der ägyptischetrurischen Kontinuität den privaten Mythos Vicino Orsinis. Der kleine Hügel verlor damit seinen weltlichen Charakter und wurde zum imaginären, als überirdisch wahrgenommenen Sacro Bosco, der erst in zweiter Linie von den hehren olympischen oder niederen arkadischen Gottheiten beherrscht war – jedoch zuerst, aber dahinter verborgen und in Wirklichkeit, ein definitiv ägyptisch-hermetisches, dem Hermes Trismegistos unterstelltes Universum war. In seinem Einflussbereich wirkte das weibliche Prinzip der Magna Mater in der ägyptischen Allmutter Isis als sein weibliches, schöpferisches und tödliches Pendant.279 Die grundlegende Idee des Schöpferischen, die im Hieros gamos des Hirten mit der Himmelskönigin
vorgeformt war, hatte sich mythisch weiterentwickelt. Marsilio Ficino hatte sie sowohl im platonischen Symposion als auch in den Schriften der antiken Philosophen verankert gefunden, und überlieferte sie in seinen neuplatonischen Exegesen ebenso weiter wie im Corpus Hermeticum, den er auf Wunsch Cosimo de’ Medicis übersetzt hatte. In der Renaissance wurden diese neuerworbenen und neu entdeckten, ja wie Schätze wiederaufgefundenen (sic!) Kenntnisse ältesten Wissens von liberalen Kreisen wie jenem um Vicino Orsini assimiliert und flossen wie selbstverständlich in zivilisationskritische Denkprozesse ein. Aus diesem Grund war der etruskische (sic!) Tempel mit einer Art Aussichtsturm ausgebaut, der wie eine altorientalische Sternwarte astronomischen und astrologischen Zwecken diente. Ambivalent wie alle Ensembles korrespondierte dem Blick ins nächtliche Himmelsgewölbe der Ausblick untertags auf die cose inferiori am darunterliegenden Plateau der Proserpina und im anschließenden Schattenreich. In Bomarzo bestätigte der astrologische Weg die Erkenntnisse, die auf mysteriöse Weise – durch Wahnsinn und Todeserfahrung – gewonnen worden waren. Nun war es die Rückkehr zum Ort und zur Stunde der Geburt – in die Hölle und zu den Sternen –, die den Blick in Vergangenheit und Zukunft gewährte. Im Bestreben, den Nachweis einer in sich sinnvollen Welt zu erbringen, die sich also erkennen und voraussehen ließe, verband Vicino antike und neuzeitliche Erkennt nisse mit solchen, die vermittels divinatorischer Techniken gewonnen wurden. Diese vielen und widerspruchsvollen Zugänge zur Prisca Sapientia banden magische und wissenschaftlich nachforschende Methoden in den höheren Zweck der Selbsterkenntnis ein, wobei der etruskischen Variante der Astrologie eine tragende Bedeutung zukam. Immerhin bestätigte die uralte babylonische Kunst der Astrologie den direkten Zusammenhang des Göttlichen mit dem Natürlichen und bot die Möglichkeit, das eigene Schicksal zu erkennen und selbst zu bestimmen, denn: »der Makrokosmos spiegelt sich im Mikrokosmos und umgekehrt.«280
»le cose inferiori e superiori« 159
Sternwarte Noch innerhalb des Tempelbezirkes281 betrat der Wanderer die kleine runde Plattform, die einen Aussichtspunkt von der Höhe des Tempels über das ganze Gelände bot. Danach nahm er den kleinen, mit Voluten gerahmten Abstieg, der ihn über wenige Stufen auf einen kleinen Umgang brachte, von wo er auf das darunterliegende Plateau der Proserpina sehen konnte. Zwischen den beiden Ebenen vermittelt die kleine Treppe, was die Themenkreise auch formal miteinander verband: Von der kleinen Plattform oder auch vom Umgang aus konnte der Adept nachts den Sternenhimmel beobachten und bei Tageslicht die Protagonisten des Proserpina-Plateaus: Unmittelbar neben der Sternwarte führt ein Abstieg vorbei am Höllenhund Kerberos in die Apsis zur Proserpina, so wie sie nach der Hypnerotomachia unvermeidlich zusammengehörten.282
zu Gott hin und durch ihn öffnen wir uns und wenden uns mit Freude zu Ihm zurück.«)283 Im Einklang und durchdrungen von Ficinos neu platonischer Gottesschau sah sich der Initiant im hermetischen Wäldchen die 8. Regel des Hermes Trismegistos befolgen: »Brauche deinen Verstand im vollen Umfang, und erhebe dich von der Erde in den Himmel; dann steig ab vom Himmel auf die Erde und verbinde die oberen mit den unteren Kräften…«284 Der Blick von der Höhe der Sterne auf die darunter liegenden, gleichsam unterweltlichen Belange legte den Begriff der Prädestination doppelt aus. Die Bedeutung des Tempelbezirks erschloss sich nur im Zusammenhang mit der Inschrift, die vom Proserpina-Plateau zu lesen ist und das darunter liegende Plateau als einen magischen Ort der Ideen bezeichnet – ein neuplatonisches Arkadien, das neuplatonische, neuepikureische, neupytha goreische und manieristische Ideale vor der
Die Sternwarte besteht recht einfach aus einem runden geschlossenen Kern mit vier Nischen, die der Bedeutung des Bauwerkes entsprechend ausgestaltet waren. Von unten betrachtet war der Eindruck recht einheitlich, da die Ballustrade der Plattform dem darunter laufenden Umgang mit seinen rustizierenden Elementen zwischen den Nischen korrespondierte.
•• »le cose inferiori e superi ori«, Sternwarte vom
Die inhaltliche und formale Verknüpfung von Tempel, Sternwarte und Unterwelt versinnbildlichte den sich aus den Niederungen erhebenden Geist. Marsilio Ficinos These vom »Aufstieg der Seele« verwandelte die Idee eines Gottes zu einem imaginären und intellektuellen Ziel. Nur in diesem Kontext konnte der Tempel das Lob Gottes in Bomarzo verkünden: »Summum igitur bonum Deus est, beautitudo autem fruitio Dei. Fruimur Deo per volontatem, quoniam per eam amando quidem movemur ad Deum, gaudendo vero dilatamur convertimurque in Deum.« (»Das höchste Gut ist Gott. Die Glückseligkeit aber ein Genießen Gottes. Wir genießen Gott durch den Willen: durch ihn bewegen wir uns liebend
Plateau der Proserpina gesehen, rechts erkennt man den getreppten Abgang vom Tempelbezirk (Inschrift S. 173). • »le cose inferiori e superi ori«, Sternwarte, Detail der kleinen Treppe, die von der Aussichtsplattform auf den kleinen, darunterliegenden Umgang und weiter ins freie Gelände des Tempelberges führt.
»le cose inferiori e superiori« 161
Außenwelt – wie im Paradies – hermetisch abgeschlossen hielt und nur dem Initiierten preisgeben würde. Die Briefstelle, in der Vicino die verflossenen Jugend und ihre Freuden beklagte und dass ihm nur mehr die Kontemplation der unterirdischen und der himmlischen Dinge geblieben sei – »non ci ho da far altra operatione, che la contemplationedelle cose inferiori et superiori«285 – bezog sich unmissverständlich auf die Sternwarte. »Wie oben so unten« lautet die hermetische Regel, nach der Vicino den Heiligen Wald auf alchymische Weise mit den Sternen verbunden und damit zu einem funktionierenden (sic!) Apparat, einem Laboratorium im eigentlichen Sinn der Worte, gemacht hatte. SAPIENS DOMINABITVR ASTRIS lautet die Inschrift auf der Terrasse, mit der sich Vicino kaum der gängigen Übersetzung anschloss, die da lautete, dass der Weise die Sterne/sein Geschick zu überwinden trachten solle, sondern es ist davon auszugehen, dass die Vicino-Clique wörtlich übersetzte: DER EINGEWEIHTE GEBIETET DEN STERNEN.
162
»le cose inferiori e superiori«
• SAPIENS DOMINABITUR
• »le cose inferiori e superi
ASTRIS (der Weise gebietet
ori«, Sternwarte, Nischen
den Sternen), Inschrift
und Ausgang
auf der Westterrasse des Palazzo Ducale (siehe Abbildung S. 281)
• »le cose inferiori e superi
• »le cose inferiori e superi
ori«, ehemaliger Zustand der
ori«, Sternwarte, Blick von
aus: Bredekamp, Abbil
oben
dungsteil, Abb. 109
Sternwarte mit Ballustrade,
»le cose inferiori e superiori« 163
164
»le cose inferiori e superiori«
• »le cose inferiori e superi ori«: Abstieg ins Allerheilig ste der Proserpina, am Kerberos vorbei
»le cose inferiori e superiori« 165
166
»le cose inferiori e superiori«
Kerberos
führte bezeichnenderweise neben – nicht vor – die Proserpina.
Vom Tempel kann der Wanderer nur mehr hinab steigen, entweder über die Sternwarte in eine romantische Bergeinsamkeit gelangen oder aber es wagen, am dreiköpfigen Höllenhund vorbei in die Unterwelt einzudringen.
Schon von oben ist die basilikale Form des Pro serpina-Plateaus zu erkennen. Die Karikatur ist durch nichts weniger offensichtlich als durch die in der Apsis thronende monumentale weibliche Gottheit, deren weit geöffnete Beine zugleich eine umschlingende Bank sind.
Kerberos ist der Sohn der Unterweltschlange Echidna und des Ungeheuers Typhon. Außer, dass er meist dreiköpfig, aber auch fünfzigköpfig (sic!), beschrieben wird, hat er keine besondere Ikono grafie. Im ägyptisch-etrurischen Kontext des Wäldchens ist er das griechische Äquivalent zum ägyptischen Anubis, der ein Sohn der Todes göttin Nephthys ist und ebenfalls die Seelen in die Unterwelt führt.
• Der dreizüngige Drache, Hypnerotomachia Poliphili, 1500, Holzschnitt
Im Heiligen Wald droht Kerberos in der Apsis nach den drei Richtungen der drei Treppen. Eine wie üblich etwas verballhornte Zeichnung Giovanni Guerras gibt seine Wächterfunktion einwandfrei wieder.
•• »le cose inferiorie superiori«, Kerberos • Giovanni Guerra, »CERBARO
Innerhalb des Programmes wurde er als heulender Todesbote mit der ägyptischen und daher etruskischen Todesvorstellung verbunden: »In den frühen europäischen Sagen, die teilweise libyschen Ursprungs sind, wurden die Seelen der Verdammten von einer heulenden Hundemeute in die Hölle gejagt. Anfangs war Kerberos fünfzig köpfig wie die Meute, die den Aktaion zerriss, späteraber dreiköpfig wie seine Herrin Hekate.«286 Die Verschmelzung konnte soweit gehen, dass Hekate direkt mit dem Anubis oder dem Kerberos assoziiert war: »[…] wurde als eine Hündin abgebildet, denn Hunde fressen Fleisch von Leichen und bellen den Mond an.«287 Kerberos lässt alle in die Unterwelt hinein, aber niemanden wieder hinaus. In der Realität des Wäldchens verwehrt er dem Wanderer – wie der dreizüngige Drache in der Hypnerotomachia – die Rückkehr: »Der Rückweg ist Poliphil abgeschnitten – zitternd, mit gesträubtem Haar stürzt er sich in die Finster nis.«288 Der Weg von der Höhe des Tempels
SCVLPITO DA GROSSO SASSO ENTRO GIARDINI DI BVON MARTIO« (übers.: Kerberos aus einem großen Stein gehauen in den Gärten von Bomarzo), Ende 16. Jhdt., Federzeichnung Albertina, Wien
»le cose inferiori e superiori« 167
Proserpina
Arme der Proserpina sind unbekleidet und liegen in entspannter Haltung auf den sich schlängelnden Beinen.
Der mädchenhafte Oberleib der Proserpina unterscheidet sich markant vom matronalen Typus der Anna Perenna. Das klassisch ovale Gesicht ist jugendlich und fein modelliert. Der elegante Kopf wird von einer mittig gescheitelten Frisur umschlossen, die in leichten Wellen auch vorne das Gesicht rahmt und die Ohren freilässt. Am Hinterkopf sind die Haare zu einer weiten Kranz frisur geflochten, die bis in den Nacken reicht. Ihre majestätische Haltung passt zum ernsten und hoheitsvollen Gesichtsausdruck und der eleganten Frauenkrone. Das antike Gewand, das vorne in einem üppigen Sinus über den Busen fällt und ihn sogar teilweise freilässt, aber die Schultern noch in leichten Falten bedeckt, ist göttliche Freizügigkeit und Merkmal der unsterblichen Seele. Derartig leichtbekleideteGestalten konnte Vicino höchstens in etruskischenGräbern gesehen haben. Die vollen
Proserpina verkörpert mit der Hekate die »prä hellenische Hoffnung auf eine Wiedergeburt«.289 Die italienische Etymologie deutet die PersephoneProserpina (pro-serpina: sich vorwärts schlängeln) als Schlangenwesen und Unterweltgöttin im Sinne des ewigen Kreislaufes (Ouroboros). Als Symbol ihrer unterweltlichen Existenz versinnbildlichen die Mondsicheln auf ihrem Kronreif den ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen im Ablauf der Mondphasen.290 Vicinos Gäste kannten die Mythen und bezogen sie auf die etruskischen Sarkophage mit den Meerweibchen, Sirenen und Tritonen 291, die sie in den Nekropolen gesehen hatten.
• Plateau der Proserpina: Blick von der Sternwarte in die Apsis des ProserpinaPlateaus
168
»le cose inferiori e superiori«
Im Kontext der Nacht und der wiederkehrenden Fruchtbarkeit der Erde sind die unterweltlichen Göttinnen Hekate und Anna Perenna mit Proserpina verschmolzen.292 Den Aspekt des Schrecklichen
• Plateau der Proserpina: Proserpina
»le cose inferiori e superiori« 169
• Plateau der Proserpina: Proserpina, Brustbild. Die Mondsicheln auf der Frauenk rone, Schlangen beine und ihre vom Kolpos (Gewandbausch) freige lassenen Brüste lassen an die Priesterinnen der minoischen Zeit denken, die im Schlangenkult als Herrscherinnen der Tiere und der Unterwelt den kosmi schen Ablauf darstellten.
170
»le cose inferiori e superiori«
hat Proserpina also mit Hekate gemeinsam, der sie seit ihrem Raub durch Pluto nahesteht und mit der sie zu einer stygischen Gottheit verschmolz293 – in ihrer Lieblichkeit ist sie schwesterlich der Mondund Jagd(sic!)göttin Diana verbunden. In dieser Personalunion entspricht die Proserpina dem Archetyp des dämonischen Weibes, das zugleich Gebärerin und Verschlingerin ist – eine schreckliche und schöne Wahrheit zugleich, die sich bis in die christliche Liturgie erhalten hat: »von der Erde bist du genommen und zur Erde wirst du zurückkehren«. Sowohl die Form der Proserpina als Chimäre aus Weib und Schlange, als auch der dreiköpfige Höllenhund sind Elemente etruskischer Sepulkral kunst. Ihr gemeinsames Auftreten in der Tomba di Rilievi in Cerveteri und an verschiedenen Sarkophagen war als sinnige Kombination von Tiefsee und Unterwelt den Gästen Vicinos bereits geläufig. Kerberos und Proserpina erwarten den Verstorbenen im sinnlichen Raum zwischen Dies seits und Jenseits, den das etruskische Grab in der Rezeption der fürstlichen Grabräuber bedeutet haben mochte. Ihre erotische Anziehungskraft war medusenhaft und Inbegriff des wunderbaren Schreckens und wie es im Canticum Canticorum heißt: »Wer ist die, die da aufging, lieblich wie der Mond und schrecklich wie eine waffenstarrende Heer schar?«294 Auch die Proserpina Bomarzos wirkt ausgesprochenzwiespältig, denn trotz ihrer sprichwörtlichenFurchtbarkeit – in der Odyssee mit der des Gorgonenhauptes gleichgesetzt – verleugnet sie nicht ihre Provenienz aus den lieblichen Frühlingsfluren. Sie ist die Verkörperung weiblicher Natur. Ihr Wesen besteht zu gleichen Teilen aus Liebreiz und Schrecken. Ihr düsterer Charakter kommt durch Übertragung der dem Pluto zugeordneten finsteren und geheimnisvollen Eigenschaften zustande und fügt ihrer eigenen mädchenhaft anmutigen Natur die mit der Hölle verknüpften Aspekte der Verdammung und Strafe hinzu – aber auch den der »höllischen Hitze« des sexuellen Triebes. Ihre wollüstige und anarchisch sich Recht schaffende Urkraft überträgt sich
sinnlich auf den, der es wagt, sich ihr zu nähern und von ihren Beinen umschlingen zu lassen. Die »Doppeltheit« der Proserpina drückt sich in ihrer Physiognomie des unorganisch aufgesetzt wirkenden Oberkörpers aus.295 Vermutlich war diese Proserpina drehbar (siehe Abbildung S. 175 »si volge«) und wie die anderen Ensembles in Funktion zu nehmen. Wie das Schiefe Haus oder der Höllenschlund bedeutete auch diese Skulptur Vereinnahmung. Eine unmissverständliche und deutlichere Sprache als alle bildungsbedingte Herleitung spricht die Anlage der Figur als solche: Die Aufnahme des – wohl meist männlichen – Besuchers zwischen den Beinen des Meerweibchens assoziiert die bekannte Redewendung »in Morpheus Armen«, womit die bewusstlose Ohnmacht im Schlaf gemeint ist, und die hier offensichtlich zum Verschlingungstopos des bereitwillig und doch willenlos seinem Natur trieb Ergebenen umgedeutet wird. Die stark sinnliche Qualität der Figur und die enigmatische Aura des Platzes,296 legen eine derartige Gedankenverbindung nahe, die sich nicht zuletzt an der christlichen Verteufelung der Sinnlichkeit orientiert. Immerhin hatte die sexualfeindliche Einstellung in der verführerischen Sirene ein ideales Abbild ihrer Ängste gefunden. Der Vergleich mit der mittelalterlich verballhornten, aber sinngemäß gut passenden Darstellung eines Meerweibchens am Kämpfer der Kirche San Sigismondo a Rivolta zeigt die grundlegende Vorstellung verführerischer und bedrohlicher Weiblichkeit.
»le cose inferiori e superiori« 171
• »Kleine Schlangengöttin«, um 1600 v. u. Z., Fayence Statuette aus dem Palast von Knossos, Archäologisches Museum Iraklio, Kreta • Meerweibchen am Kämpfer der Kirche San Sigismondo, Rivolta
• Plateau der Proserpina: Blick über das Plateau zur Proserpina
172
»le cose inferiori e superiori«
CEDAN ET MEMPHIS E OGNI ALTRA MARAVIGLIA CH HEBBE GIA IL MONDO IN PREGIO AL SACRO BOSCHO CHE SOL SE STESSO ET NVLL ALTRO SOMIGLIA
Symposion Von der Höhe des Tempelberges steigt der Wanderer in die mit drei Auf- bzw. Abgängen hervorgehobene Apsis mit der Proserpina ab. Er erreicht das Jen seitsreich als Lebender, und nicht als Toter. Bizarr wie die Skulptur der schlangenbeinigen Gottheit ist diese Form der Annäherung, die den Wanderer neben, nicht vor die Proserpina treten und ihn »ihren Blick« übernehmen lässt. Damit findet er sich nicht als der vor seine Herr scherin geführten Untertan in der Unterwelt wieder, sondern dringt gleichsam auf einem anderen Weg in das Allerheiligste des Totenreiches ein, weshalb er nicht die üblichen Stufen der Annäherung und Proskynesis zu durchlaufen hat, sondern wie ein Eingeweihter »hinter das Geheimnis« kommt. Hier wird er zwangsläufig bemerkt werden oder sich in der geheimnisvollen Intimität des Ortes, der mit der Exklusivität des Sterbemoments zusammenfällt, mit der Göttin selbst vereinen und zwischen ihre weit geöffneten Beine setzen.
sowohl memphis als auch jedes andere wunder, das die welt jemals besass, verblassen vor dem meisterwerk des heilgen waldes, der nur sich selbst und nichts anderem gleicht Die Anmaßung war charakteristisch für Vicinos Persönlichkeit. Im selben Satz, in dem er den Vorrang seines Wäldchens vor den »Wundern der Welt« behauptete, zog er sich, gerade so wie Poliphil, der die »Lust« gewählt hatte und nicht die »Welt«, von dieser zurück.297 Mit diesemEnt schluss war er sinngemäß in das Paradies seiner eigenenVerantwortlichkeit gelangt. Im Wäldchen, das in vollkommen undogmatischer Weise das Wissen aller Zeiten abbildete, um es im selben
Der eindeutig zweideutige Sinn des sich zwischen den Beinen der Proserpina lösenden lebensläng lichen Widerspruchs von Leib und Seele war zweifellos die Erfindung Vicinos. Die erotische Besetzung der Proserpina, die immerhin eine vertraute Formel etruskischer Sepulkralkunst war, entsprach dem modifzierten Neuplatonismus, wonach Tod und Lust ebenso zusammengehören wie Melancholie und ewiges Leben. Die eleusinisch rätselhafte Aura des Plateaus ver dankt sich dem ausgeglichenen Verhältnis von Sinnlichkeit und Kontemplation. Im Vergleich mit den etruskischen Nekropolen, die in diesen Zusammenhängen stets gegenwärtig waren, brachte Vicino seine Erwartungen und Anmaßun gen in der Inschrift unerhalb der Sternwarte zum Ausdruck.
»le cose inferiori e superiori« 173
• Plateau der Proserpina: Blick zur Sternwarte, darunter Inschrift
das Thoth, dem Gott der Weisheit, zugeschrieben wurde und das aufgrund dieser Provenienz alle anderen Offenbarungen aus dem Feld schlug.300 Gleichwohl würde Memphis vom Meisterwerk des Heiligen Waldes der Rang abgelaufen: In einem etrurischen Ägypten, in dem sich der ägyptische Thoth mit der mythischen Gestalt des Hermes Trismegistos in Personalunion vereint habe, wäre eine außerordentliche Macht am Werk. Im originellen etruskischen Jenseitskonzept verbanden sich die magischen, lebenserneuernden Aspekte des ägyptischen Totenbuches mit dem Symposion.
• Geometrische Strukturen am Boden der kleinen Arena lassen an sportliche oder literarische Wettkämpfe denken.
Gedankengang zu überwinden, söhnte er sich mit sich selbst aus. Die Inschrift bezog sich auf die authentisch und freimütig wirkende Intimität des Proserpina-Plateaus: Das uneingeschränkte und noch nie dagewesene, für jeden einzigartige Erlebnis des Todes, wie es die Adepten der eleu sischen Mysterien als Weg der tiefsten Erkenntnis freiwillig auf sich nahmen. Wer bis hierher gelangt war, wusste bereits, dass sich im Heiligen Wald die Erklärung für alles außer- und inner-, unter- und oberhalb finden ließ, wobei sich das Große im Kleinen spiegelte und umgekehrt! Der Mikrokosmos des Wäldchens entsprach, erklärte und relativierte den Makrokosmos und alle »Welt«-Wunder. Die bloße Nennung der altägyptischen religiösen Metropole Memphis reichte aus, um den »pregio« (das Meisterwerk, den Ruhm, die Vollkommenheit) des Wäldchens zu charakterisieren: Implizit verwies der Vergleich mit Memphis auf den dort verehrten universalen Schöpfergott Ptah, der mit der Erschaffung aus dem Wort gleichgesetzt wurde.298 Vicino stellte sein Wäldchen dem ägyptischen Weisheitsort gegenüber, der als das Nonplusultra aller geheimnisumwitterten Stätten der alten Welt und den dort ausgeübten magischen Praktiken galt.299 Der übertrumpfenden Formulierung war in einer freien Auslegung sogar der Hinweis auf das berüchtigte »Buch des Lebens« zu entnehmen,
174
»le cose inferiori e superiori«
Zwischen den Beinen der Unterweltsgöttin genießt und erkennt der Adept die übergreifende Bedeutung seines Aufenthaltes in der Unterwelt. Aus dieser Perspektive kann er außerdem in das Schattenreich blicken, wo die Löwenfamilie, stellvertretend für das Haus und Geschlecht der Orsini, zwischen den schauerlichsten Inkarnationen des Todes und des Krieges, Echidna und Ker, »in alle Ewigkeit« gefangen ist. Analog zu den zwei Sphingen, die den Eintretenden empfangen und gewarnt hatten, halten ihm hier ebenfalls zwei Bären die heraldischen Zeichen der Orisini entgegen. Im Bewusstsein, dass er diese Unterwelt als Held wieder verlassen wird, vergegenwärtigt er sich angesichts der prächtigen Eicheln und Pinienzapfen die geheime, heilige und tugendhafte Botschaft antiker Liebesphilosophie.301 Für den belesenen Betracher deuten die dem etruskischen, wie auch dem Motivschatz der Hypnerotomachia entstammenden Symbole auf die Erlösung des Poliphil hin.302 Pinienzapfen und Eicheln umrahmen abwechselnd das Plateau und heben es als eigenen Bezirk aus dem ganzen Programm des Heiligen Waldes heraus. Eicheln sind Symbole des Goldenen Zeitalters, als sie Menschen und Tieren einfach zufallende Nahrung waren, um die man sich nicht mühen und sorgen musste,303 und auch die Pinienzapfen sind uralte Sinnbilder unendlicher und ewiger Fruchtbarkeit.304 Der Vergleich mit dem Plateau der etruskischen Götter zeigt die Möglichkeiten der Steinsetzungen: Während das Plateau der etrus kischen Götter mit seinen antikischen Vasen und
• Giovanni Guerra, »PARTE NELLI GIARDINI DI BvON MARTIO« (Partie in den Gärten des Guten Mars, onomatopoetisch für Bomarzo, Anm.), zweite Hälfte 16. Jhdt., Feder zeichnung, Albertina, Wien. In der nordöstlichen Ecke des Plateaus erkennt man eine einzelne große Vase, eventuell einen Athanor. Im Vordergrund die Apsis mit der dem Betrachter zugekehrten Proserpina, die Guerra mit dem handschrift lichen Hinweis »si volge« (sie dreht sich) versehen hat.
»le cose inferiori e superiori« 175
Urnen eine ausgesprochen nekrophile Aura verströmt, wirkt das Plateau der Proserpina wie eine orgiastische Bühne. Die »Partie des Proserpina-Plateaus«, das Giovanni Guerra mit kleinen Putti bevölkerte, bildete die stilvolle Kulisse für die Neubelebung des antiken Symposions: Der Platz scheint zur festlichen Tafel und zum Vortrag antiker oder eigener Texte wie geschaffen und lässt schon von daher an das Symposion als Inbegriff freigeistiger Lebensart denken. In einem seiner rückhaltlos melancholischen Briefe gegen Ende seines Lebens griff Vicino auf selige Jugenderinnerungen des Convivio (sic!)305 zurück, die ihm das echte Leben bedeutet hätten, nach dem er sich jetzt im Alter sehne: »[…] speranza de haverci compagnia dolce tanto d’homini come di donne, et con loro conviare, et che insiemi col convivio fussero canti et suoni et similia, credo che l’animo s’allegreria più.« ([…] die Hoffnung auf angenehme Gesellschaft von Männern, aber auch Frauen, schon der Umgang mit ihnen und die Gemeinsamkeit des Festmahles wären Balsam auf meine Seele und ich glaube, dass sich das Gemüt wieder erfreuen könnte.)306 Jetzt sei er leblos, komme sich wie eine Statue vor – »parer una statua«307, im Nachhall dieser Worte schwingt die Sehnsucht nach dem Goldenen Zeitalter der Jugend mit und lässt das Proserpina-Plateau als steinernenZeugen und Denkmal der genossenen Freuden und seiner Jugendkraft deuten: »Atque ita ex platonica familia revera nos esse testabimur. Ea quippe nihil novit, nisi festum, letum, celeste, supernum.« (So werden wir uns in Wahrheit als platonische Gemeinschaft bewähren, welche nur Heiteres, Erhabenes und Göttliches denkt.)308 Der philosophisch begründete Weg vom sinn lichenErlebnis zum Vergnügen, das wiederum in Erkenntnis mündet, ist die Devise des Proser pina-Plateaus. Die antike Größe des Gedankens spiegelt sich mikrokosmisch in der Großzügigkeit und Weitläufigkeit des Ausbaues, der den Berg abhang zu einem Plateau formte und in dessen Befestigungsmauer noch der Höllenschlund integriert wurde. Obwohl sich der Höllenschlund auf das arkadische Feld öffnet, ist seine Zugehörigkeit
176
»le cose inferiori e superiori«
zur erotischenUnterwelt der Proserpina und dem daran anschließenden Schattenreich immer mitzudenken. »Erlösung« ist das Schlüsselwort, das der christlichen Auffassung zufolge mit Sühne, in der antiken Auslegung jedoch mit Erkenntnis assoziiert ist. An Giovanni Drouet schrieb Vicino mit der ihm eigenen intellektuellen Arroganz, die das Wort Consolatione ausgesprochen inflationär verwendete. In Anspielung auf das berühmte Werk des Boethius De consolatione philosophiae (Über die Tröstungen der Philosophie), rechnete er gleichsam mit all diesen intellektuellen Wort- und Gedankenspielereien ab, wobei die Aufzählung in der Mehrzahl ihren Wert ganz offensichtlich mindern sollte: »Hor consoliamoci con altre sorti di consolationi, e non più con li pianti; noi dovemo fare, già che semo nella settimana santa, come li christiani, e creder che queste siano transitorie e quell’altre, ch’harremo da aver di lá, siano eterne di altra qualità; se non ti piace questa, piglia l’opinion Pytagorica, confortati con l’haver a saltar d’un corpo in un altro, se non ti piace questa, piglia la Platonica, che dopo tante migliaia danni lá tornerai; se non ti piace questa altra, piglia l’Epicurea, e se non ten e piace nessuna, crepa, già che non si trova via de consolarti.« (Deswegen helfen wir uns mit anderen Arten von Tröstungen, und nicht mit Trübsal blasen; wie es uns, überhaupt da wir uns in der Heiligen Woche befinden, als Christen wohl anstünde, diese [die vorab geäußerten Gedanken der Trübsal] als vorübergehend gegenüber dem zu betrachten, was ewig dauert und von ewigem Wert ist; wenn Dir das nicht gefällt, nimm die Meinung der Pythagoreer, die sich damit trösten, von einem Körper in den anderen zu springen, wenn Dir das ebenfalls nicht gefällt, nimm die Platons, dass du nach Tausenden von Jahren zurückkehren wirst, wenn Dir das ebenfalls nicht passt, nimm die Epikureische, und wenn Dir gar keine gefällt, so krepier, weil du gar nicht getröstet werden willst.)309 Ganz offen spricht Vicino in diesem Brief über seine lebenslange Suche nach Wahrheit und – eben in Anspielung auf das Werk des Boethius – die Ver geblichkeit dieser Aufgabe. Wie wenn er und sein
klerikaler (sic!) Freund die Wahl hätten, stellt er die großen Philosophien nebeneinander und relativiert sie durch sein eigenes epikureisch-hedonistisches Konzept, wenn auch dieses Drouet ungetröstet lassensollte, dann – so die sarkastische Folgerung – könne mit Recht jegliche Sinnsuche aufgegeben werden. Indirekt spricht Vicino in diesem Brief von seinem Vorhaben, sein Leben als Christ in ein sinnvolles zu verwandeln und indem er von »all diesen Tröstungen« die epikureische als letzte aufzählte, war klar, dass er eben jener den Vorzug gab. Vicino und sein nobler Freundeskreis bewunder ten die Eleganz der antiken, scheinbar unein geschränkt liberalen Geisteshaltung, die alles Körperliche in so beneidenswert geschmackvoller Weise integrierte. Die einerseits offensive, und andererseits hermetisch verrätselte Sinnlichkeit des Proserpina-Plateaus war ein Ergebnis des Literaturstudiums: Ohne das Symposion wäre dieser Ort, der eine Gegenwelt zur katholischen Messe bildete, gegenstandslos gewesen. Vicino, der das fundamentale Werk Platos kaum ohne die Kommentare Marsilio Ficinos denken konnte, zog gerade deshalb eine andere, weniger christliche, dafür umso geistvollere antike Auslegung vor, die wohl sinngemäß mit einer »Archäologie des platonischen Eros« verglichen werden kann, wie sie 1987 von Wilhelm Schmid als Kommentar der Foucault’schen Theorie über den Eros verfasst wurde: »In der Kunst der Erotik werde Wissen und Wahrheit aus der Lust selber gezogen, als Erfahrung gesammelt, auf ihre Qualität hin analysiert und in ihren Ausstrahlungen im Körper und in der Seele verfolgt, und dieses kunstvolle Wissen wird unter dem Siegel des Geheimnisses in der Initiation durch einen Meister an jene übertragen, die sich seiner würdig erwiesen haben und die es nun wieder in ihre Lust einströmen lassenum sie intensiver, stärker, vollkommener zu machen.« 310 Weisheit und Erfahrung bestimmen den Umgang mit den Begierden; weder wird die Lust nach den Kriterien des Erlaubten und Verbotenen beurteilt, noch im Bezug auf ihre Nützlichkeit, sondern
»le cose inferiori e superiori« 177
• Plateau der Proserpina: Eicheln und Pinienzapfen rahmen das Plateau der Proserpina
einzig im Hinblick auf die ihr innewohnenden Qualitäten und Intensitäten, deren verfeinerte Wahrnehmung und Anwendung den Menschen erst ausmachten: »Auf diese Weise konstituiert sich ein Wissen, das geheim bleiben muss, nicht weil sein Gegenstand irgendeiner Schändlichkeit verdächtig wäre, sondern weil es mit größter Behutsamkeit aufgehoben werden muss, verlöre es doch, wie die Überlieferung lehrt, bei leichtfertiger Ausbreitung seine Wirksamkeit und Tugendkraft.«311
• Triumphzug des Dionysos, Hypnerotomachia Poliphili, 1500, Holzschnitt • Giovanni Guerra, »A bvon martio«, Detail, Amphore als Wasserspiel (Größenangabe: alte Palmi XXV, altröm. Maß, ca. 0,22 m, also fast 5,5 m), Feder zeichnung, zweite Hälfte 16. Jhdt., Albertina, Wien
Im entlegenen Bomarzo zeugte die am Plateau der Proserpina verborgene Weisheit der ta aphro disia von einer Verinnerlichung der antiken Liebes techné, einer Kunst des Liebens, die auf Erkenntnis gerichtet ist. Die antike Lebensregel hatte eine »Ästhetik der Existenz« entworfen, die in kongenialer Weise die Interessen des Individuums verband; erstens: Diätetik, das ist die Sorge um sich, zweitens: Ökonomie, das ist das Verhältnis zur (Ehe)Frau, den Kindern und dem Haushalt sowie drittens: Erotik, das sind die Dinge der Liebe. Sie alle im rechten und richtigenMaß zu gebrauchen, wobei insbesondere der Erotik als Ausdruck des Individuums besondere Aufmerksamkeit zukam, war notwendiger und lustvoller Teil der Erziehung des freien Mannes. Die griechischen Philosophen stellten den Wahrheitsgewinn der sinnlichen Selbstreflexion in den Vordergrund. Neuplatonisch modifiziert war die antike Haltung eine moderne und aufgeklärte Alternative zu den allzu tugendhaften Artes liberales. Insbesondere die Einstellung zur Erotik wurde zwangsläufig mit dem Wesen des freien griechischen Mannes verglichen, dessen Erziehung und Selbstzucht ihm die Beherrschung der Lüste ermöglichten – im Gegensatz zur unfreien, diesen Trieben ausgelieferten Sklavenexistenz. Das Ziel einer solchen Erziehung war Selbstbestimmtheit und ließ sich mit der Freiheit umschreiben, die Lüste richtig und vollkommen zu genießen, sich zu ihrem Herrn zu machen – anstatt ihnen ausgeliefert zu sein. Aus seinen Briefen geht hervor, dass Vicino dieses Verständnis von Selbstbestimmtheit mit einem besonders ausgeprägten Bewusstsein der Verantwortung für sich selbst und für andere
178
»le cose inferiori e superiori«
gekoppelt sah. In diesem Sinne ging es bei den ta aphrodisia um eine nur Eingeweihten verständliche und auszuübende Kunst, über die nicht groß gesprochen wurde,312 da es sich um die Haltung des noblen Mannes handelte. Der Lüstling, der sich nicht um diese philosophischen Aspekte kümmerte, war davon klarerweise nicht berührt, und auch kaum das Gros der »Tölpel«, das Vicino in sein Wäldchen einließ. Mit dem »pregio« des Heiligen Waldes war jedoch nicht nur seine Wirkung auf die Zeitgenossen gemeint, sondern der Ruhm, den der erntet, der sich zuvor von der Erde in den Himmel erhoben hat; dann vom Himmel auf die Erde abgestiegen war und die oberenmit den unteren Kräften verbunden hatte, wie die achte Regel des Hermes Trismegistos gebot. Damit weiche, so wurde dann weiter ausgeführt, sogleich die »Namenlosigkeit«. Dieser Ansatz war unzweifelhaft dazu angetan die hegemonial getönten Unsterblichkeitsfantasien Vicinos zu bestätigen, genauso wie sich seine Selbsteinschätzung nach dem großen Vorbild richtete: »me sono resoluto che Epicuro fu un galant’ homo« (habe ich mich entschlossen, dass Epikur ein nobler Mann war) – siehe Exkurs: Vicino der Epikureer, S. 302–311. Auch für die überdimensionierte solitäre Vase am arkadischen Feld lieferte die Hypnerotomachia mit
jener Prunkvase, die im Triumphzug des Dionysos mitgeführt wird, das Vorbild: umringt vom übli chen bacchantischen Zug in dem neben dem Silen auf dem Esel auch nackte (sic!) Mänaden nicht fehlen. Offenkundig hatte Giovanni Guerra den Weinstock, der sich aus der dionysischen Riesen vase der Hypnerotomachia rankt und seine Blätter krone über die ekstatischen Symposianten ausbreitet, in seine Zeichnung übernommen: In Anlehnung an diesen Holzschnitt imitiertenhier jedoch Wasserspiele den heiligen Weinstock, der als Symbol der Fruchtbarkeit und Unkonventiona lität den ausschweifenden Kontext des ProserpinaPlateaus ergänzte.313 Die Fantasie beflügelten wohl auch Überlieferun gen der berüchtigten, zur Winterzeit abgehaltenen ekstatischen Feiern zu Ehren des Vegetations- und Fruchtbarkeitsgottes, die – von derben und unflätigen Scherzen begleitet – wie selbstverständlich zum Repertoire des Heiligen Waldes gehörten.
• Amphorenbrunnen, ehemals am arkadischen Feld, heute am Plateau der Proserpina • Details der antiken Masken am Amphorenbrunnen
»le cose inferiori e superiori« 179
Wappenbären Die ehemals grasgrünen Bären am anderen Ende des basilikalen Grundrisses bilden das direkte Gegenüber der Proserpina. In dem Augenblick, in dem sich der Wanderer zwischen die Beine der Proserpina gesetzt und auch ihren Blick über nommen hatte, war die Konfrontation eröffnet. Ostentativ hielten ihm die Bären die bunt ange malten Schilde mit den heraldischen Zeichen der Orsini entgegen, rechts die überdimensionale heraldische Rose der Orsini und links das Wappen selbst. Auf dem linken Schild vereinten sich die zwei emblematischen Tiere, die Vicino im Leben nicht zusammenbrachte: Ein lebensg roßer Bär, der wie sein Pendant am Schiefen Haus würdevoll das Orsini-Wappen hält und ein grellrotes Äffchen, das vorwitzig über den Schildrand hervorschaut und der Proserpina die Zunge herausstreckt.314 Die Zusammenstellung Bär und Affe hatte Vicino sehr beschäftigt. Wiederholt bat er Alessandro Farnese und Giovanni Drouet um einen Affen und einen Bären.315 Zu seinem Leidwesen erhielt er nur den Bären, und noch dazu ein bresthaftes Exemplar, das seine Selbstidentifikation nur negativ unterstützte. Wenig später gab er es auf, beide Symboltiere im Wäldchen zu vereinen,316 deren Verbindung er nicht näher erklärte, wozu aber eine Ikonologie Annibale Caros für die Aus malung der Terrasse des Palazzo Ducale mit dem Gigantenkampf vorlag: »Affen und traurige Männer« entstünden aus der zerstörten, blutenden Erde (Lava), eine Analogie, die sie mit Pluto in Verbindung brachte.317
180
»le cose inferiori e superiori«
Die Identifikation des Affen mit dem homo triste stellte den subtilen Zusammenhang zum Plateau der etruskischen Götter her, wo der saturnische Dis Pater regiert. Die zwei ehemals violetten318 Delfine, die das Äffchen flankieren, tauchen als zusätzliche Helfer in Vicinos Erlösungswerk auf. Vor dem Hintergrund der verstörenden Erlebnisse am arkadischen Feld fühlt sich der Gast Vicinos, der schon wieder in eine Unterwelt hinauf (sic!)gestiegen ist, in die Eingangssituation mit den Sphingen zurückversetzt: Gleich zweimal wird er von der offiziellen Person des Fürsten Orsini, den distinguierten Bären, empfangen und ins Symposion Bomarzos aufgenommen – um gleichzeitig von seinem zweiten Symboltier, dem Affen, der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden. Zweifellos deuteten die Bären auf den hermetischen Aspekt der Läuterung, denn ihre grasgrüne Farbe319 und das Violett der Delfine bezogen sich auf die damals hier aufgestellte monumentale Vase, die als hermetisches Wasserspiel metaphorisch der Umwandlung und Digestion gedient hatte. Zugleich sind die Bären »umgedrehte« Wächter, die den Wanderer aus der etruskischen Unterwelt hinaus und ins Schattenreich hinein führen. Durch sie betritt der Wanderer den Ort des endgültigen Todes.
• Plateau der Proserpina: Orsino mit dem Wappen der Orsini • Plateau der Proserpina: Orsino mit dem Wappen der
• Plateau der Proserpina:
Orsini, Detail des zunge
Orsino mit der heraldischen
zeigenden Affen
Rose der Orsini
»le cose inferiori e superiori« 181
Im Schattenreich Zwischen den heraldischen Bären, die sich einerseits der Proserpina zuwenden und andererseits Wächter vor dem Schattenreich sind, tritt der Wanderer in die Region des Abgrundes ein, wo sich in einer zweiten Apsis direkt am Abbruch des Felsens gleichzeitig wunderschöne und abscheu liche Sirenen um die Löwenfamilie vom arkadi schen Feld schlängeln. So wie das Proserpina-Plateau ein eigenständiges und selbstverwaltetes Herrschaftsgebiet ist, das nicht von Pluto, sondern von seiner Gemahlin Proserpina beherrscht wird, regieren auch im Schattenreich zwei weibliche Ungeheuer. Es ist der Ort der Verdammten und Vergessenen. Wie fast alle vielschichtig gedachten und mit übernatür lichen, geheimnisvollen Kräften begabten Nachtund Unterweltswesen sind Echidna und Ker eine Mischung aus weiblichen und tierischen Merk malen – eine teuflische Kombination menschlicher Lüste und animalischer Magie. Sie versinnbildlichen nicht nur die Ängste und Bedrohungen der Nacht und der Unterwelt,320 sondern waren konkrete Nachtmahre aus der unbewältigten kriegerischen Vergangenheit Vicinos.
• Im Schattenreich: Echidna
Wie das Gegenstück zur Proserpina, und umgekehrt als Ausstrahlung der Unterwelt, wirkendie zwei sinnlichen Unholdinnen, die sich hier gegenüberstehen. Die Unterweltschlange Echidna ist die christliche Schreckensvision: ein Meerweibchen mit antropomorph weit gespreizten Beinen. Wie die Göttin der sinnlichen Unterwelt hat auch die Herrscherin des Schattenreiches eine zutiefst menschliche Dimension, die sich in der Pracht ihres nackten, mit üppigen Formen ausgezeich neten Leibes, vor allem aber in der klassischen Schönheit des Kopfes mit der in schweren Sträh nen geordneten Frisur offenbart.321 Im Gegensatz zur Proserpina gibt es bei ihr nicht diesen offen sichtlichen Bruch zwischen Ober- und Unterleib: Der verführerische Leib ist über die üppige, zweireihig gelockte Schambehaarung über
182
»le cose inferiori e superiori«
• Im Schattenreich: die Löwenfamilie zwischen Echidna und Ker
die ganze Breite des ausladenden Beckens mit den Schlangenbeinen verbunden, wobei sich die Scham der Frau in den Schuppen der Schlangenleiber fortsetzt. Sowohl die Monstrosität ihrer Doppelnatur, als auch ihres sexuellen Gehaltes, sind in den überlappenden Schuppen ihrer Beine angedeutet. Als Überkreuzungsmotive, wie sie insbesondere der christlichen Ikonogafie inhärent sind und in literarischer Form den Brief verkehr Vicinos bereicherten, bezeichnen sie diese weibliche Ambivalenz. Von ebensolch lockender Schönheit ist das Misch wesen ihr gegenüber. Auch diese Figur ist eine Kombination verschiedenster Attribute, die ihr Wesen veranschaulichen. Hinter den Armen des ansatzweise molligen Mädchenkörpers mit dem hübschen diademgeschmückten Kopf breitensich drachenartige Flügel. Der antikischeOberkörper geht in zwei kurze stummelige Beine mit dicken Krallen über und endet in einem langen, fisch artigen Schwanz, der mit denselbendicken und überlappenden Schuppen besetzt ist, wie die Schlangenbeine der Echidna. Obwohl die Zusammenstellung alles andere als glaubhaft ist, wirkt der Übergang nicht abrupt wie bei der Proserpina. Die Gäste Vicinos dachten dabei an die Sphingen und Harpyien der etruskischen oder griechischen Vasenmalereien und an die Eingangsvignette der Hypnerotomachia.322 Verwandtschaftliche und mythische Bezüge, wie zwischen Unterweltschlange und Höllenhund sowie zwischen Ker und Sphinx, stellen Beziehun gen zwischen den verschiedenen und doch einander verbundenen Regionen des Heiligen Waldes her. Echidna, Mutter verschiedener Unterweltmonster wie des Kerberos und der Chimaira, steht der merk würdigen Sirene ebenfalls nahe, und zwar wegen ihrer besonderen Affinität zur Sphinx und ihrer persönlichen Bedeutung für den Kriegsmann Vicino Orsini: Aus seiner militärischen Vergangenheit suchte ihn die Angstchimäre der Ker heim, ein unterweltlicher Dämon, der die verwundeten oder gefallenen Krieger auf dem Schlachtfeld verfolgte und sich ihnen wie ein Alb auf die Brust setzte, um ihnen das Blut auszusaugen.323
186
»le cose inferiori e superiori«
Vicinos Bestimmung für das aus mittelalterlichen Zeiten stammende Berufsbild des Söldnerf ührers324 erklärt seine zwischen Extremen oszillierende Gemütsverfassung, die als durchaus manisch beschreibbar ist: einmal hegemonialüberheblich und arrogant, dann wiedervollerMinderwertig keitskomplexe, einmal voll Lebenslust, dann wieder ganz nah am Tod. Als eine Manifestation der Sphinx repräsentiert die Ker den locus terribilis, indem sie Vicinos persönliche Ängste im Wäldchen verkörpert: »In der Wildnis hausen viele mythische Wesen. Da sind die Keren, zähneknirschende und furchtbare Ungeheuer, die ihre Krallen in das Fleisch der Verwundeten oder Gefallenen graben (Hesiod). Sie folgen dem Krieger in die Schlacht, saugen ihm das Blut aus den Adern, wenn er gefallen ist, oder schleppen ihn weg. Der Ker verwandt (in der Frühzeit sogar mit ihr identisch) ist die Sphinx.«325 Für Vicino hatte die Ker den Part der Sphinx als Fragestellerin übernommen, indem sie sein letztes und grauenvollstes Kriegserlebnis aufarbeitete.326 Die auffallend prallen Formen der Ker, die bei keinerder noch so wollüstigen Frauengestalten im Wäldchen ein Gegenstück haben, suggerieren, dass die Ker mit dem Blut der unschuldigen Opfer der Kriegshandlungen, in die Vicino verwickelt war, vollgesogen sei. Die Verfolgung, die sich in der Ker ausdrückte und auf Vicino selbst bezog, hatte darüber hinaus ihre Parallele im Aktaion-Mythos respektive in der Umformung der antiken Fabel durch Giordano Bruno, der die intellektuelle Neugier mit der Jagd und das Zerreißen des unglücklichen Jägers durch die eigenen Hunde mit der Verfolgung bahnbrechender Ideen verglich. »Gleich stürmen, schnell wie der Wind, noch andre herbei: […] von zwei Jungen begleitet Harpyie […].«327 Dass sich in dieser Figur der Ker-Sphinx für Vicino die eigene Angst vor dem Tod mit der Frage nach dem Sinn verband, ist kaum überinterpretiert, denn immerhin waren es die Ereignisse von Monte fortino gewesen, die ihn zu seinem Rückzug in die Einsamkeit von Bomarzo veranlasst hatten.328 Dass es gerade die naturrechtlichen, vom heutigen Standpunkt aus durchwegs chauvinistischen
• Im Schattenreich: Ker
»le cose inferiori e superiori« 187
• Im Schattenreich: Ker
Motive waren, mit denen sich Vicino im Wäldchen auch philosophisch rechtfertigte, kann durchaus als Entsprechung seiner melancholischen Grund haltung zur eigenen Biografie gewertet werden und entsprach dem Zeitgeist: »Religiosität und Unmoral, feinsinnige Bildung und Gewalttätigkeit waren nicht nur keine Widersprüche, sondern jene Komponenten, die den typischen römischen Grandsigneur dieser Zeit ausmachten.«329
• Im Schattenreich: Löwenf amilie, im
Hintergrund Ker
Die Selbstdarstellung Vicinos als Etrusker und Ästhet hatte dem Proserpina-Plateau eine sakrale Aura der Einswerdung aufgeprägt, die mit geheimnisvollen Andeutungen und erotischen Anspielungen die kosmogonischen und hermeti schen Aspekte des Gartens im Sinne der Liebes philosophie erläuterte: »Amor igitur in voluptatem a pulchritudine desinit.« (Die Liebe entspringt also der Schönheit und endet beim Genuss.)330 Das Körperreich der etruskischen Proserpina auf der einen Seite und die Leblosigkeit des antiken
Schattenreiches auf der anderen, veranschaulichen die Situation Vicinos zwischen lebendiger Sinnlichkeit und tödlicher Lethargie, die in den unentrinnbar zwischen den Schlangenleibern der Echidna und der Ker gefangenen Löwen sinnenfällig wird. Ihr Aufenthalt zwischen den grauenvollen Chimären ist die Fortsetzung des Drachenkampfes am arkadischen Feld, wo sie als Vertreter des Hauses Orsini den von vornherein aussichtslosen Kampf gegen den Drachen verloren haben. Zweifellos zog der illustre Kreis um Vicino das sinnliche Paradies der Proserpina dem kalten Himmelreich der katholischen Kirche wie auch der Trostlosigkeit des antiken Schattenreiches vor. In der gegenweltlichen Fiktion des Wäldchens gelang ihnen eine eigenmächtige und die christliche Idee konterkarierende Renaissance des »ewigen Wertes«, den ein humanistisch durchgestaltetes, von gutem Essen und Wein, geistvollen Gesprächen mit gleich Gesinnten und Gebildeten
den Bären direkt auf die Proserpina zu, die ihn im heiligsten Bereich der Apsis schon erwartet.
und dem Umgang mit schönen und freizügigen Frauen geprägtes Leben darstellte.331 Die geheimnisvolle Atmosphäre des Plateaus gewährte im Rückblick auf die genossenen Freuden der Jugend eine Vorahnung der ewigen Paradiesesfreuden. Der Symposiant wurde zum Eingeweihten und des Geheimnisses des Lebens teilhaftig. Diese Vorstellung war umso reizvoller, als sie der biblischen Überlieferung diametral entgegengesetzt war, gemäß der Gott den Menschen den Genuss der Frucht vom Baum der Erkenntnis als auch vom Baum des Lebens verboten hatte.
Von eminenter Bedeutung für das Konzept ist die monumentale Vase, die Giovanni Guerra sowohl mit dem Proserpina-Plateau als auch mit der Arkosolbank am arkadischen Feld in Verbindung bringt. Am Proserpina-Plateau hätte sie ihre Funktion im hermetisch-dionysischen Konzept genauso erfüllt wie am arkadischen Feld – eine nachträgliche Versetzung dorthin kommt also genauso in Frage, wie eine Zusammenziehung verschiedener, inhaltlich verknüpfter Motive durch den Künstler, denn auf einer weiteren, detaillierten Zeichnung Guerras auf der die Riesenvase neben dem Aztekenkopf zu sehen ist, tritt ganz offensichtlich etwas aus dem Krater der Riesenvase aus. Der Vergleich mit anderen Zeichnungen des Künstlers und auch die sanft abgemugelten Gesichter der Faune deuten darauf hin, dass Wasser über die ganze Brunnenskulptur der Vase in die flache weite Schale floss, in der die Vase auch heute noch steht – ein Wasserspiel, das nach einem Holzschnitt der Hypnerotomachia die Pflanzung des Weinstockes durch Dionysos versinnbildlicht. Die Weinreben, die aus dem Kantharos der Hypnerotomachia herauswachsen, waren zum Wasserspiel geworden, das als heiliges Wasser fons vitae die Form des heiligen Weinstocks imitierte.
Ein anderer Zugang oder eine Möglichkeit, den Kerberos zu umgehen, bietet sich von dieser Seite des Schattenreiches. Der Adept, der sich der Proserpina von hier nähert, ist zuvor bergab zum Seeufer und auf dem kleinen Weg an der Felsenbank vorbei zum Schattenreich gewandert. So erreicht er das Plateau der Proserpina ein zweites Mal von der anderen Seite und geht zwischen
»le cose inferiori e superiori« 191
• Heinz Zander, »Harpyie mit Gelege und Orgelspieler«, 1986, Radierung • Am Plateau der Proserpina: Felsstrukturen an der Stelle, an der nach der Zeichnung Giovanni Guerras (siehe S. 175) im 16. Jhdt. die riesige Vase aufgestellt war, die heute am arkadischen Feld steht.
192
»le cose inferiori e superiori«
»le cose inferiori e superiori« Rückkehr vom Tempelberg
• Blick hinauf zum Tempel, im Vordergrund der versunkene Tempel • Ansicht des Tempelbergs, Abstieg in den etruskischen Orkus: Im Mittelgrund der versunkene Tempel, im Vordergrund die Treppe die scharf abknickt, an der Ecke erkennt man im Verputz die erste Inschrift zum Kampf der Giganten.
»le cose inferiori e superiori« 193
Etruskischer Felsen Noch auf dem kleinen Hochplateau des Tempel bergskommt der Wanderer an einem Felsen vor bei, der eine merkwürdige und jede Deutung verweigernde Bearbeitung zeigt. Die Anspielung integriertdas Wäldchen im Zentrum der etruskischen Kulturlandschaft in diesen mythischen Kontext. Als Bestandteil des Ensembles von Tempel, Sternwarte und Plateau der Proserpina wandeltsich der schlichte Felsblock wie die anderenpseudoetruskischen Relikte während der letzten, herme tischen Bauphase von seiner ursprünglichen Bedeutung als arkadisch-romantisches Motiv zu einem Hinweis auf den Tod und seine metaphy sische Bedeutung.332 Als stimmungsvolles Element ruhiger Beschaulichkeit erhebt es die einfache Hügelkuppe zu einem geistvollen Arkadien als den Inbegriff eines antik beruhigten Lebensgefühls, dem sogar der Tod Anlass zu intellektueller Kontemplation war: »Das Problem des Todes… ruhiger Gelassenheit angegangen, nicht weil eine christliche Heilserwartung die Todesf urcht mindert, sondern weil der Tod selbst als unver meidbares Schicksal und als notwendiges Glied in der Kette des Naturkreislaufs, als Teil der kosmischen Ordnung betrachtet wird. Der Mensch hat
• Auf der Hügelkuppe unter halb des Tempelbezirks, von hier führen verschiedene Wege nach unten.
sich ohne Klagen in sein ihm bestimmtes Geschick zu fügen, hat es mit dem Gleichmut der stoischen Lehre zu tragen. Auch in Arkadien, auch im Glück, sollte er das Todesbewusstsein zu einer Lebens erfahrung machen.«333 Ohne weiteres kann der Wanderer darin eine der typischen antiken Strukturen sehen, die jede Land straße der Umgebung säumen. Rein ästhetisch konnte der Felsen, der einer nicht mehr nachvollziehbaren Funktion gedient hatte, als Hinweis auf die Hand des Menschen verstanden worden sein, oder ganz einfach so, dass jene skulptierte Form nicht durch die Natur allein hätte hervorgebracht werden können. Zum wiederholten Mal half eine künstlich natürliche Form der Glaubwürdigkeit des Ortes nach, der der Anwesenheit des Menschen schon nicht mehr bedurfte, sondern schon selbst zur Metapher geworden war. Etruskische Spuren und arkadische Motive waren klassische Vorbilder und Denkmuster in einem, die in Bomarzo Autoch thonie mit Universalität verbanden. Die Affinität zum Tempel-Motiv 334 machte Bomarzo zu eben dem lieblichen und schrecklichen Schauplatz für die arkadischen Topoi des Hirtenlebens, der Schatzsuche und der Jagd, die in hermetischer Verschlüsselung für Kunst, Wissenschaft und Religion standen.
• Der etruskische Felsen
»le cose inferiori e superiori« 195
• Versunkener Tempel
196
»le cose inferiori e superiori«
Versunkener Tempel Am Fuße des Tempelberges, wo das Tympanon eines etruskischen Tempels noch zur Hälfte aus der Erde ragt, verdichten sich die Anspielungen zu einem wortwörtlichen Zitat. Die Imagination von Historizität und vom Walten der Naturkräfte fällt mit der Arkadiens zusammen: Der vom Menschen erbaute und von der Zeit wieder in den Naturzustand zurückgeführte Tempel ist das Abbild einer harmonischen Wechselwirkung zwischen Natur und Kultur. Der etruskische Felsen und das Tempelgrab sind darauf angelegt, dem Betrachter einen länge ren historischen Prozess vorzuspiegeln, in dem das eine das andere um- und verwandelt335. Im Zwischenreich des Gartens wird das kongeniale Wechselspiel zum Inbegriff des Paradieses, in dem Natur und Mensch eine Einheit bilden. Der staunende Wanderer soll angesichts dieses anschaulich gemachten »Verstreichens der Zeit« den neuplatonischen Gedankengang der Wiedergeburt und der Rückkehr zum Göttlichen nachvollziehen. Eine kunstvoll inszenierte Bepflanzung brachte die natürlichen Felsen, zwischen denen der aus dem Erdreich ragende Giebel eines etruskischen Tempels herausragte, entsprechend zur Geltung.336 Wie die Hekate ist der »in die Erde zurückkehrende« Tempel, von dem nur noch die Hälfte zu sehen ist, in Wirklichkeit aus dem natürlich gewachsenen Felsen herausgearbeitet und blendet sich deshalb so vollständig in die felsige Szenerie ein. Im sinnigen Wechselspiel von arte e inganno bildet diese Ruine, die ja nur künstlich umgeformte Natur ist, ein Gegenstück zu den etruskischen Nekropolen. Die Nachbildung des doppelgiebeligen Tempels in Norchia wurde von Vicino zusätzlich mit Motiven etruskischerSepulkralkunst versehen, die auf andere Ensembles des Wäldchens verweisen. Die etruskischen Wasserwesen am Tympanon337 sind denen im Giebelfeld der Tomba della Sirena in Sovana verwandt. Diese außergewöhnliche etruskische Tomba ist eine Arkosolbank mit der charakteristischen Liegefigur auf einer Kline und zeigt oberhalb des Bogens eine üppig
sich schlängelnde Proserpina (siehe Abbildung S. 135). Die sirenengestaltige Proserpina, die Ker und auch die Arkosolbank am arkadischen Feld sind Umsetzungen dieses Vorbilds, und auch der Wassergott am Tympanon des Tempelgrabes, der ein Muschelhorn bläst338, ist offenkundig von den Schatzgräbereien der fürstlichen Clique in San Sebastiano angeregt worden. Die im unweit gelegenen Sovana erkundete Tomba Ildebranda respektive die weibliche Gottheit mit Delfinen und Flügelpferden am noch erhaltenen Giebelfeld war eine weitere Inspiration, ebenso wie die hier im Tuffstein noch deutlich zu sehenden Nachahmungen der etruskischen Ziegeldächer, die ebenso in Bomarzo an der nach unten zeigenden Oberseite des Giebels vorhanden sind. Der kunstvollen Imitation der Ruine entsprichtdie archaisch kunstlose Darstellung des Wassergottes, die ihn als das Produkt eines primitiven oder wenigstens ungelenken Künstlers einer anderen Kulturstufe darstellt. Eventuell formt das künstlich retardierende Motiv eine antike etruskische Vorlage entsprechend um, die Vicino in Rom gesehen haben könnte.339 Das attributiv geschulterte Schilfrohr weist ihn als Flussgott und vielleicht sogar als Emanation (sic!) des Tiber aus.
»le cose inferiori e superiori« 197
• Versunkener Tempel, Detail des Tympanons, zum besseren Verständnis wurde die Abbildung um 90 Grad gedreht
• Sovana: Tomba della Sirena, Tympanon mit Meerweibchen, Detail (vgl. Abbildung S. 135) • Sovana: Tomba Ildebranda, Mischwesen am Tympanon,
In dieser festgelegten Ikonografie wurden göttliche Ahnväter großer Heldengeschlechter dargestellt, eine Vorstellung, die bereits auf den Dis Pater übertragen worden war. Das Schilfrohr war zudem Paraphernalium eines uralten Ritus am Tag der Frühlingsäquinoktien, an dem die jungen Männer brennende Schilfbündel durch den Hohlweg von San Giuseppe bei Pitigliano trugen.340
Detail
• Nekropole von Norchia: etruskischer Tempel mit dop peltem Giebel im Tuffstein
Hinter dem Flussgott erscheint ein Triton mit dem obligatorischen Delfin, dessen Bedeutung als Seelenführer (Psychopompos) sich der Wanderer aus seinen mythologischen und archäologischen Kenntnissen selbst ableiten konnte: Dem seefahrenden Volk der Etrusker waren die Delfine vertraute Wegbegleiter gewesen, die sich deswegen sogar in ihrer Sepulkralkunst etablierten. Die Vorstellung eines in der Not »auftauchenden« Retters war mythisch vorbereitet (Arion) und übertrug sich auf die Erwartung oder Hoffnung, dass auch die Seelen der Verstorbenen von den geheimnisvollen Tieren der Meerestiefe in die andere, unbekannte Existenz nach dem Tod wie in ein anderes Medium der Wahrnehmung geleitet würden. Der Vergleich mit entsprechenden Grabmalereien und den ausgesprochen fröhlichen Wasserwesen im Rücken der etruskischen Anna Perenna unterstützte die Umdeutung des schrecklichen Todes in eine vertrauensvoll und neugierig zu unternehmende Reise
ins Unbekannte. Zweifellos kannten die interessierten Zeitgenossen Vicinos die etruskischen Grabmalereien und Vasenmalereien, die bankettierende Festgäste über einem schwarzen Gewässer abbilden, von dem sie nur durch einen apotropäischen Ornamentfries mit Delfinen (sic!) getrennt sind (siehe Abbildung S. 114). Ein fast schon romanisch verballhorntes Meeres tier aus Widder und Fisch füllt die Ecke des Tympa nonfeldes aus. Eigentlich schon im Erdreich verborgen sind am Abschluss des Giebels nur mehr sehr undeutliche Reste eines vogelleibigen Wesens, eventuell einer Harpyie, zu erkennen. Die Imagination des Etruskergrabes wird durch die bezeichnenden Nischenformen gestützt, von denen sich oft schwer sagen lässt, ob sie für die Aufnahme von Urnen oder als Tritte im Felsen gedacht gewesen waren. Die Skulptur der Ruine fordert zum Umschreiten auf und zeigt auch an ihrer Rückseite die entsprechenden Abbruchstellen, wobei selbst die Überdachungen der Tombe nicht vergessen
198
»le cose inferiori e superiori«
wurden, deren schindelgedeckte Struktur die profane Wohnkultur der Etrusker nachahmt. Selbst die charakteristischen Nischenformen, die als zusätzliche raumsparende Möglichkeiten spätere Feuerbestattungen ins Familiengrab aufnahmen, fehlen nicht. Was als Installation einer neuen Antiquität offensichtlich war, legte in dieser Lesart neue und vielschichtige Auslegung nahe – immerhin war vor allem das Feuer ein wesentliches
Element der kathartischen Wirkung des Wäldchens. Die genaue Kenntnis der antiken Stätten und eine subtile Beobachtungs- und Improvisationsgabe sind für den Nachvollzug der antiken Trümmer unverzichtbar.
»le cose inferiori e superiori« 199
• Versunkener Tempel, etruskische Nischen an der Oberseite erinnern an die Ruinen der umliegenden Nekropolen.
Felsenbank Der riesige Felsblock neben dem Tempelgrab ist naturbelassen und nur auf der anderen Seite als Steinbank ausgearbeitet, deren angenehm kühle und komplett mit kleinen, quastenbesetzten Pölsterchen ausgestattete Sitzfläche zum Verweilen einlädt. Die Wappen der Orsini, Savelli und Mattei spielen auf die Heiratspolitik an, mit der sich der verantwortungsbewusste Familienvater Vicino den berühmten römischen Häusern verband.341 Die Bank, die zugleich ein unverrückbarer Felsen ist, erweist den Familien Ehre und bindet sie in den Kosmos des Wäldchens ein. Am Ende dieses Weges tritt der Wanderer nach rechts in das Schattenreich ein oder nach links, durch die beiden Orsini, in den heiligen Bereich des Proserpina-Plateaus. Wie er zunächst Position und Blickrichtung der Proserpina übernommen hatte, identifizierte er sich jetzt mit den beiden emblematischen Orsini und mit
• Felsenbank mit Wappen und Sitzpolster
200
»le cose inferiori e superiori«
der Perspektive des Bauherrn. Den Hügel mit der Ortschaft Bomarzo und die Löwen im Schattenreich hinter sich lassend, trat er vor die sinnliche Verführerin. Dieser andere Zusammenhang war von der Aus sichtsplattform vorauszusehen gewesen und eröff net nun eine ganz andere, weniger an die Hypnero tomachia erinnernde als zerrbildhaft die christliche Symbolik lästernde Dimension: Von der Seite des Schattenreiches betritt der Wanderer ein zum basilikalen Grundriss ausgebautes Plateau, das mit der alternierenden Reihe von Pinienzapfen und Eicheln den Eindruck eines (Kirchen-)Raumes, ja sogar den des gebundenen Systems (sic!), vermittelt. Die Eingangssituation, durch die beiden Bären hindurch auf die schamlos regierende Göttin im allerheiligsten Bereich zu, der noch dazu von einer dreifaltigen Treppenanlage hinterfangen wird, ist ein besonderer und schräger Reiz, denn statt von »Christus und allen Heiligen« sieht sich der Eintretende von den ausgebreiteten Beinen der Sirene aufgenommen.
• Blick zwischen den Wappenbären hindurch zur Proserpina • Auf dem Weg in den etruskischen Orkus, Spuren der ehemaligen, heute nicht mehr benutzten Abstiege
v. Abstieg in den etruskischen Orkus Crucibile Der versunkene Tempel bezeichnet einen natürlichen Kreuzungspunkt, an dem sich der Gast Vicinos zu entscheiden hatte, ob er den Weg an der Felsenbank vorbei zum Proserpina-Plateau nehmen wollte, oder in der anderen Richtung am Seeufer entlang wandern. Freilich besaß er in der Hypnerotomachia eine Wegbeschreibung, denn auch Poliphil wanderte, nachdem er mit seiner Nymphe im Tempel initiiert worden war »Hand in Hand am Ufer des Meeres« weiter.342 Cupidos Meerfahrt343 entsprach gleichsam mystagogisch der damaligen Euphorie über die Entdeckung Amerikas. Die an mehreren Stellen abgetreppte Uferlinie des ehemaligen, etwa 100 Meter langen Stausees deutet darauf hin, dass Vicino seine Gäste mit flachen Booten eine »Meerfahrt« unternehmen ließ. Liebessehnsucht und Fernweh machtendie schauerliche Entdeckung am Ende dieses kleinen Weltmeeres, das aus dem weitaufgerissenen Mund des fremdenGottes zu strömen schien,344 zu einer tiefen persönlichen Erfahrung. Die »weithin sich erstreckende« Wasserfläche des kleinen Sees alludierte innerhalb der beschränkten Ausmaße des Heiligen Waldes die Distanz zu jenen fremden Zivilisationen am anderen Ende der Welt, die im renaissancezeitlichen Europa Begeisterung für alles Unzivilisierte auslösten, das auf einmal
als Ausweis von Authentizität und Freiheit genommen wurde. Weisheit und Lebensformen der Naturvölker wurden im Sinne zeitgenössischer, weniger von biblischen als von antik-arkadischen Vorbildern genährten Paradiesessehnsüchten ausgelegt. Sie waren die lebendigen Beweise für die Richtigkeit einer aufgeklärten Haltung zum religiös vereinnahmten Topos des Paradieses: Natürlich erhalten gebliebene Zivilisationen oder, besser gesagt, autochthone Völker 345, die – zeitlich aus der antiken, oder gar der biblischen Achse verschoben – in einer Unverdorbenheit lebten, die sie sich aufgrund der weiten Entfernung vom dekadenten Europa erhalten hätten. Ihre Entdeckung ließ Schlüsse auf das verlorene Paradies zu und lieferte zugleich Anleitungen für seine Rückgewinnung. In dieser Betrachtungsweise entsprach die räumliche Distanz, die die wilde, grausame und divinatorische Kultur der Azteken vom humanistischen Europa trennte, der zeitlichen Entfernung zwischen der ägyptischen Kultur mit ihren zauberkundigen Priestern und der italienischen Renaissance mit ihren aufgeklärten Philosophen. Das besondere Interesse Vicinos galt den ver göttlichten Herrschern der Azteken, die dem Abendland als Inkarnationen des Naturrechts erscheinenmussten – sein Einfall im Wäldchen einen aztekischen Kopf aufzustellen, war von
Abstieg in den etruskischen Orkus 203
• Aztekenschädel, im Sonnenlicht sind noch Reste der ehemaligen roten Fassung zu erkennen.
• Crucibile: Mit dem Wechsel von der Vorderansicht zur Seite verändert sich die Aztekenmaske ins Orkamotiv. • Blick auf die Uferlinie des kleinen Stausees, man erkennt noch die ehe maligen Einstiegsstufen.
Berichten über die sagenumwobene aztekische Hauptstadt Tenochtitlán inspiriert, deren Schätze seit ihrer Zerstörung 1521 nach Europa gelangten und hier als Vorbilder für entsprechende Projek tionen zur Verfügung standen. Die Statuetten und Köpfe aztekischer Götter, die Cosimo I. de’ Medici seinerSammlung einverleibte, wo sie Vicino mit Sicherheit gesehen hatte, waren Miniaturausgaben des monumentalen Kopfes in Tenochtitlán. Mit der Kuppel seines Tempels, die jener von Santa Maria del Fiore so offensichtlich nachempfundenwar, und den anderen florentinischen Zitaten bezeugten in einem weltweiten Sinn auch diese mediceischen Exotika die etrurische Hegemonie. Der Riesenschädel war die perfekte Illustration der abendländischen Fantasien über die Neue Welt, die Freibeuter und Forscher gleichermaßen unreflektiert dem europäischen Mythenschatz hinzufügten – die schauderhafte Grimasse bestätigte die Ideale und Befürchtungen gegenüber dem Unbekannten und stellte Vergleiche zwischen der authentischen Wildheit der Primitiven und der kultivierten Scheinheiligkeit des Europäers an. Die monstra, die mithin die unterdrückten Bedürfnisse des zivilisatorisch verunstalteten Europäers darstellten, entsprachen der direkten Beziehung zwischen der Fremdheit des Exotischen und der eigenen Unergründlichkeit.
Die zeitgenössische Interpretation der fremdartigen und unverständlichen Kultgegenstände, die wegen ihres materiellen und künstlerischen Wertes hochgeschätzte Sammlerstücke waren, deutete sie zugleich als Beweise der fremden, kannibalistischen und überhaupt teuflischen Kultur, von der Vicino zweifellos sehr angetan war. Die grausige Fremdartigkeit dieser Entdeckung am Rande der bekannten Welt war etwas an den eigenen Vorstellungen zu Messendes. Die Doppel deutigkeit, die die fremde Kultur den eigenenirrationalen Wünschen und Ängsten anpasste, äußerte sich im Vexierbild der schaurigen Groteske, die von vorne dem exotischen Vorbild entspricht, sich jedoch bei verändertemStandpunkt von der Seite betrachtet in das bereits bekannte Orkamotiv verwandelt: Was von vorne gerade als indianischer Federkopfschmuck erkannt worden ist, wird von einem Moment zum anderenzur charakteristischen Brustflosse der Orka – dasselbegilt für die weit aufgerissenen starrendenAugen des aztekischen Gottes, die seitlich betrachtet die vorgewölbten Glubschaugen der Orka sind, und auch die wulstigen Lippen des zähnestarrenden Mundes unter der indianisch platten Nase setzen sich, von der Seite gesehen, zur charakteristischen Schnabelform des Mörderwals zusammen. Für den Weltreisenden bedeutet die Wiederholung des Orkamotivs eine Neuauflage seinerReise in die Unterwelt, die als Tauchfahrt ins Unterbewusste weitergeht. Dieser anspruchsvollen Morphologie lag ein ausgefeiltes hermetisches Konzept zugrunde, mit dem Vicino in der letzten, vierten Bauphase das arkadische Konzept vervollständigt hatte. Der Entwurf einer mit exotischen und heraldischen Motiven spielenden individuellen Emblematik, die dem alchymischen Zweck der Selbstvervollkommnung diente, war eine manieristische Großtat. Die Installation war dabei weniger kompliziert als effektvoll. Mit ihrem weit aufgerissenen Mund ist die aztekische Orka das kleinere Alter Ego des Höllen schlundes am arkadischen Feld. Eine kleine Menschenfigur, die Giovanni Guerra seiner
204
Abstieg in den etruskischen Orkus
• Giovanni Guerra, »A bvon
Zeichnung hinzufügte, weist darauf hin, dass diese Installation ebenfalls betreten werden konnte.
martio«, Federzeichnung, zweite Hälfte 16. Jhdt.
Die Bedeutung des dämonischen Aztekenkopfes, dessen teuflische Wesensmerkmale mit der Orka am Plateau der etruskischen Götter übereinstim men, erschloss sich aus der letzten Bauphase und dem logischen Zusammenhang mit den gleichfalls ab 1570 entstandenen Ensembles.
Albertina, Wien
Tatsächlich ließ die untere Hälfte der Weltkugel an das Element Feuer denken, wobei die steingrauen Streifen die Metallbänder eines Kohlebeckens und die glutrote Farbe dazwischen das sogenannte kreative Feuer imitierten, das im Großen Werk nach der Regel des Hermes Trismegistos die Polaritäten auflöst, wandelt und wieder verbindet. Den krönen den Abschluss über der Halbkugel mit den heral dischen Rosen der Orsini bildet eine dreistöckig aufgetürmte Festungsarchitektur – komplettmit Schießscharten und Zinnen. Die Gäste Vicinos erkannten die Burg der Orsini di Castello – den Stammsitz der Familie Orsini.346 Das plastisch dar gestellte Wappen wurde von einem kleinen Schwel brand im Inneren des Globus effektvoll über der glühenden Kugel zur Geltung gebracht. Das manie rierte Konglomerat heraldischer und exotischer Motive war als eine Vermischung indiv idueller und kosmischer Elemente gedacht. Giovanni Guerra wies mit seiner Zeichnung des Kriegselefanten, der statt des antiken Kampfturmes diese mittel alterliche Burg trägt, auf den Zusammenhang des Elefanten mit dem aztekischen Schädel hin (siehe Abbildung S. 103). Nach allgemeinem humanistisch antikem Wissens stand wurde in Vicinos Wäldchen, das eben auch ein alchymisches Laboratorium war, Katharsis durch die reinigende Kraft des Feuers erreicht. Der griechischen Philosophie und Mythologie war diese Deutung so geläufig, dass sie legen där mit den größten Gestalten aus Mythos und Philosophie verbunden wurde. Eine Verbindung zwischen dem gewalttätigen Heros Herakles und dem edelmütigen Philosophen Empedokles und dem verkannten Genie Vicino Orsini bestand »über Raum und Zeit« in ihrer charakteriologischen
206
Abstieg in den etruskischen Orkus
Disposition: Als homo melancholicus konnte sich Vicino den herausragendsten Gestalten der Menschheitsgeschichte verbunden fühlen347 und in den Kreis der Außerordentlichen erhoben. »So wird das Feuer zur Quelle eines Lebens höherer Ordnung: es ist Geist, Logos.« (Heraklit)
• Crucibile, Ansicht von hinten. Man erkennt die Öffnung, durch die qualmende Substanzen in den hohlen Globus eingebracht werden konnten, die dann durch die Schießscharten der kleinen
Im Programm des Wäldchens erfüllte diese Skulp tur einen wesentlichen Aspekt der Läuterung. Die bauherrliche Energie, mit der es sich Vicino angelegen sein ließ, neben den fingierten Beweisen seiner etruskischen Deszendenz auch eine Reise in die Neue Welt in den Kosmos des Wäldchens aufzunehmen, bewies die hervorragende Rolle, die der Aztekenkopf im Läuterungsweg spielte. Er war eine notwendige Phase und Stufe im Verlauf des Initiationsweges und durfte – zumindest bei einem ersten Rundgang – nicht ausgelassen werden. Erst von den Rändern des nunmehr bekannt gewordenen Weltkreises, konnte der Abstieg in den etruski schen Orkus erfolgen.348
Festung entwichen und für die Betrachter den Eindruck der alchymischen Kochung erzeugten. • Abstieg, Treppe am Rand der ehemaligen Stauwehr
Kampf der Giganten Der Sog der Treppe führt hinab und abrupt um die Ecke, wodurch der darauf Unvorbereitete jäh mit einer erschreckenden Szene konfrontiert ist: Ein nackter Riese in fünffacher Lebensgröße, damals noch dazu grell rot angemalt, hielt ein weiß gefasstes, ebenso überdimensioniertes, nacktes Weib an den Beinen gepackt. Zum Entsetzen der Gäste trug der furchtbare Koloss die Züge ihres fürstlichen Gastgebers. Freilich handelte es sich um ein kompensatorisches Selbstporträt des kleinen und krummen – »curvo« – Vicino Orsini, dessen Neigung, sich in seinen Geschöpfen selbst darzustellen, sich am offensichtlichsten in der herkulischen Gestalt mit dem durchdringenden Gesichtsausdruck zeigt. Der grobe Zugriff, mit dem der Riese Vicino die Beine des Weibes gepackt und in schmerzhafter Position festhält, lässt sich knochenkrachend nachvollziehen und passt zum Gesicht des Weibes, in dessen schmerzverzerrter Grimasse sich der Schrei versteinert hat. Die Pose, die Vicino hier mit der vielleicht ebenfalls porträtierten Laura einnahm, wurde jedenfalls sofort als eine ganz bestimmte der angeblich über siebzig »Stellungen«349 erkannt, die eine kluge Kurtisane beherrschte. Aber selbst im Einverständnis des geschlechtlichen Aktes, den diese Szene unmissverständlich wiedergibt, wird diese Stellung kaum je anders als roh und nur dem Liebhaber Genuss bringend geschildert. Der Schock, den gebildeten und feinsinnigen Herren von Bomarzo, dessen Neigung zu derben, wenngleich metaphorisch verfeinerten Scherzen bekannt war,350 hier als gewalttätigen Riesen zu sehen, wurde durch den fast zynisch gedankenvollen Gesichtsausdruck nicht aufgehoben, sondern eher noch verstärkt und mit Sicherheit auf eine andere Ebene der Wahrnehmung gehoben, die auch topografisch in der heute nicht mehr
vorhandenen kleinen Aussichtsplattform auf Höhe der ehemaligen Staumauer bestand, von wo aus der Betrachter den besten Blick auf die Gruppe der Giganten, den Stausee und den etruskischen Orkus hatte (siehe Abbildung S. 238). Von diesem Aussichtspunkt stieg man im 16. Jahrhundert auf die untere Ebene ab, wo der Weltreisende die erste Inschrift las, um sich dann aus der Perspektive des Zwerges der Monstrosität eines wahnsinnig (rasend) gewordenen Vicino zu nähern und die widersprüchlichen Zeichen zu deuten. Aus der Nähe betrachtet lassen die Grimasse der Frau, die als Ausdruck der Ekstase wie der Qual interpretierbar ist, und vor allem aber ihre entspannt in den Falten eines Gewandes oder Polsters spielende351 – sehr gepflegte – Hand auf eine einvernehmliche Aktion schließen. Die obszöne Drastik der Darstellung verschloss dieses Bild hermetisch vor den Unwissenden. Nur Eingeweihte lasen es als Empörung Vicinos gegen sein Schicksal und als Kritik, die sich indirekt sogar gegen die Farnese richtete, was er nur in dieser gleichsam metaphysischen Form, im kunstvollsten und intellektuellsten Volgare, dessen er hier fähig wurde, wagen konnte: Noch in der Schrecksekunde verband der zeitgenössische
•• Gigantomachie: Vicino als Koloss, ein Weib zerreißend • Marcantonio Raimondi, »Polyenos et chrisis«, aus: I Modi, 1524, Kupfer stich nach einer Entwurfs skizze von Giulio Romano
• Erste Inschrift, die der schockierteGast Vicinos als erste gleich neben der Ecke des Treppenabsatzes bemerkt.
Besucher die Szene mit einer der skandalösen, von Marcantonio Raimondi nach den Skizzen Giulio Romanos in Kupfer gestochenen »Stellungen«, i modi, und den dazu von Aretino verfassten Zeilen:352 »Posami questa gamba in su la spalla …« (»Komm lege auf die Schulter dies Bein«), die mit einer Anspielung auf den König von Frankreich schlossen: »Io non me n’anderia, Signora cara, da cosi dolce ciancia, S’io ben credessi campar il Re di Francia« (»Mein Lieb, trotz allem Gezier, kann ich davon nicht lassen […] und rutscht mein Schwanz in den Arsch hinein […], verzeih, und käme selbst der König von Frankreich frei«).353 Die bezeichnende Interpretation Giovanni Guerras, der fast jede Zeichnung nach seinemVerständnis verfasste, beweist indirekt die Anlehnung 354 und damit die Spitze gegen die Politik der Farnese, in deren Kielwasser Vicino zu definitivunfreien, seinerintellektuellen Libertinage entgegenge setzten politischen und militärischen Rochaden gezwungen war.355 Diese Assoziation verlieh der offensichtlichen Identifikation Vicinos mit dem Koloss ihren besonderen Reiz. Angesichts der skandalösen Gruppe
• Gigantomachie: Vicino als Koloss, ein Weib zerreißend, links Reste des Wandver putzes, auf dem Verputz die stark fragmentierte zweite Inschrift
bezog der Gast Vicinos die letzten Zeilen dieses fünften Sonetts auf den – resignierten oder doch seelenruhigen (sic!) – Gesichtsausdruck des Roland und die hinter ihm sorgfältig abgelegten Embleme seiner militärischen Laufbahn.356 Der männlich aktive Vicino band den Betrachter in seine Tat ein: Über den voyeuristischen Nachvollzug der »Stellung« identifizierte er sich mit dem in jeder Hinsicht gewagten Sonett und natürlich mit dem Dichter selbst, der seiner Zeit als Inbegriff der Verletzung aller sittlichen Gesetze und als Freigeist par excellence galt: »Der vom Geist phosphores zierende Sumpf der Verderbtheit Italiens stellt sich in diesem einen Menschen dar, dem Cesare Borgia der Literatur des 16. Jahrhunderts. […] Er ist ein Phänomen der Unsittlichkeit, wie es in keinem Volk zu irgendeiner Zeit gesehen ward. Man weiß kaum, was man hier mehr bestaunen muss, diese zynischeFrechheit oder die Macht dieses Journalisten, und die Vergötterung, die er seinem Jahrhundert abzwang.«357 Sowohl das Bild, als auch seine innewohnende Aussage bezogen ihren Reiz aus der Zensur 358 und verbrüderten Vicino mit jeglicher Form oppositioneller Wahrheit. In der maximal gesteigerten
diese tragische Figur in den Kosmos des Wäldchens ein. Der Kerngedanke des Ritterideals, sei es dem Titel nach »von Rhodos« oder von anglant, wies auf den mittelalterlich idealistischen Hintergrund der zynischen Weltabgewandtheit Vicinos hin.
• Giovanni Guerra, »SMISV RATO COLOSSO FATTO DI GROSSO SASSO ET FORMATO COME ORLANDO FORSENATO SBRANA IN FVRORE IL PAS TOREllo. alto palmi xxxv«,
arkadischen Interpretation wurde das Vulgäre zum Stilmittel und Symbol einer genuin humanistischen Gegenkultur.
In der »Verbrüderung« mit dem außerordentlichen, genau wie er, den Papstfamilien zugleich verpflichteten und mit ihr entzweiten Dichter,360 sprengte Vicino seinen Rahmen. Sein Gesicht spiegelt Iso lation und die Distanz des »Außenstehenden«, des wahren Philosophen, der – aus Raum und Zeit entrückt – die Dinge so zu betrachten imstande ist, wie sie wirklich sind. Unter dem Eindruck aretinischer Obszönität und orsinischer Melancholie
Die Inschrift, die der Wanderer gleich links an der Mauer las, bekräftigte diese Assoziation, indem sie eigentlich direkt, jedoch wiederum verrätselt im Topos des Weltwunders, auf den »Göttlichen«, Aretino, hinwies, der 1524 – pikanterweise dem Jahr, in dem I Modi im Druck erschienen waren – vom Papst (Clemens VII.) zum »Ritter von Rhodos« ernannt worden war.359 se rodi altier fv del svo colosso pvr di qvest’il mio bosco ancho si gloria e per piv non poter fo qvant io posso wenn schon rhodos sich mit seinem koloss rühmte um wieviel mehr ruhm verdient mein wald mehr als ich hier vollbracht vermag ich nicht Im Vergleich mit dem Koloss von Rhodos, der noch zusätzlich in einer zweiten Inschrift direkt neben der Figurengruppe, als pier, Bruder, tituliert wurde, verwies Vicino auf die übermenschliche Anstrengung, mit der er das ihm Mögliche versuchte und der epikureischen Maxime folgte: und mehr vermag ich nicht war ein deutliches Bekenntnis zur nach außen verborgenen und sogar im Wäldchen noch verschlüsselten, selbstgewählten Rolle des oppositionellen Außenseiters und Wahnsinnigen: Die Identifikation mit dem rasenden Roland, dem Ritter von Anglant, band auch
Abstieg in den etruskischen Orkus 211
übers.: unbändiger Koloss, aus einem großen Felsen als Roland gestaltet wie er im Wahnsinn das kleine Schäferlein zerfleischt. Höhe 35 Palmi (altröm. Maß, ca. 0,22 m, also fast 8 m), 16. Jhdt., Federzeichnung Albertina, Wien
lasen die Gäste Vicinos die Inschrift, von der heute nur mehr stark fragmentierte Reste gleich neben der Gigantengruppe an der Mauer der ehemaligen Stauwehr erhalten sind. … pier gigante … o scempio … anglante pier gigante bezog sich also entweder nament lich, indem Vicino sich hier mit seinem zweiten Taufnamen Pier verewigte, oder im Sinne der wört lichen Übersetzung »Bruder« auf das unmissver ständliche Porträt. Damit verglich er sich dem »Gigant« des Michelangelo auf der Piazza della Signoria. Im 16. Jahrhundert war der monumen tale David eine politische Aussage ersten Ranges.361 Knapp fünf Meter hoch stellte das machtvolle Symbol des republikanischen Florenz – wie der Kriegselefant Vicinos – einen in die künstleri sche Freiheit gehüllten Affront gegen Rom dar.362 Michelangelo hatte die biblische Geschichte zum Vorwand genommen, Florenz in der Rolle des klei nen, jugendlichen David als Herausforderer des Riesen und selbst als Giganten darzustellen: … »und tilgt damit die Spuren von Goliath«.363 o scempio, eventuell aus einer Anspielung auf Kampf und Blutvergießen, bezog sich auf den »Orlando Furioso«, der mit Beinamen und Titel anglante in der Inschrift genannt wird.364 Die Gäste Vicinos mochten dabei an eine regionale, ebenfalls überdimensionale Kuriosität gedacht haben, nämlich die »Hand des Roland«, der dem Volksglauben nach hier vorbeigekommen sein und einem Felsblock nahe Sovana seine Form gegeben haben soll.365 Die Gigantomachie gibt sich dem Näherkommen den schrittweise als das alchymische Porträt des Bauherrn zu erkennen. Damit wandte Vicino die philosophische Weltentstehungstheorie eines ewig antagonistischen Kampfes auf den Liebeskampf an: »Das Entgegengesetzte passt zusammen, aus dem Verschiedenen ergibt sich die schönste Harmonie, und alles entsteht auf dem Wege des Streites« und auch: »Der Krieg ist der Vater aller Dinge.«366
Es ist die monströse Handlung schlechthin, die hier Vicinos gigantisches Alter Ego ausführt. Die besinnliche, keinesfalls tobsüchtige Mimik, wie auch das keineswegs panisch erigierte, sondern schlaffe Glied des Koloss, deuten nicht auf eine vor dergründig gewalttätige Absicht, sondern auf eine eigenwillige, naturrechtlich zivilisationsk ritische und intellektuelle Intention. Zweifellos dienten derartige Überlegungen der Argumentation einer sehr hintergründigen naturrechtlichen Selbst bestimmtheit des Individuums.367 Dieser Schock war und ist ein Haupteffekt wie der Höllenschlund. Gerade für dieses Ensemble ist der Zugang von vorne unverzichtbar. In Vicinos Selbstdarstellung als »Weltwunder« verkörper ten sich in einem ideellen, durchaus platonischen Sinne die naturrechtliche Grausamkeit des Mannes, und dementsprechend in der zwischen Schmerz und Hingabe oszillierenden Darstellung des Weibes, ihre bedrohlich und fremd368 empfundene irrationale und übernatürliche Macht. Das Motiv war umfassend und verband die Bedeutungen der Begriffe Frau und Natur mit dem göttlichen Fatum – der Betrachter der Raptusszene sollte (sein!) Naturrecht als paradiesische, selbst bestimmte Lebensform begreifen. Das galt keines wegs nur für das männliche Publikum: Die Frei heit und Selbstbestimmtheit der Frau (hier der vielleicht sogar porträtierten Mätresse Vicinos369) war eine ständig zwischen Bedrohung 370 und Attraktion oszillierende Vorstellung des alternden Gastgebers,371 die sich mit zeitgenössischen Mythen von wilden Völkern und ihren dominan ten Frauen vermischte. Angst und Bewunderung erzeugten den Wunsch, die durch ihre Sexualität und Irrationalität gefährliche Gegnerin zu überwinden.372 Seit antiken Zeiten wurden die »männlichen« Charakterzüge der Selbstbestimmtheit und Liebes freiheit den Amazonen zugeschrieben, Vicinos Zeitgenossen vermuteten wegen der Namensähn lichkeit eine ähnliche »Weiberherrschaft« bei den Amazonasvölkern. In den Kurtisanen fanden Vicinos Gäste ihr nur vordergründig zivilisier tes Gegenstück: Schön und geistreich, aber auch
Abstieg in den etruskischen Orkus 213
• Felsblock nahe Sovana, dem Volksglauben nach von Orlando Furioso (rasender Roland) geformt • Georges Glasberg, »Détail de l’Hercule«, Fotog rafie aus: André Pieyre de Mandiargues, Les monstres de Bomarzo, 1957
• Gigantomachie: abgelegte Rüstung hinter der Giganto machie
raffiniert und grausam, bedienten die Hetären der Renaissance arkadische Vorstellungen. Unter diesem Aspekt wurden sie, die sie außerhalb und doch mitten in der »besten Gesellschaft« standen, als ebenbürtig behandelt. Ein einschneidendes Erlebnis war für Vicino die langjährige Beziehung zur wesentlich jüngeren Kurtisane Laura, die ihn wegen eines Liebhabers verließ, von Vicino groß zügig abgefunden wurde und dann reumütig wieder zu ihm zurückkehrte.373 Diese intensiv erlebte emotionale Krise spiegelte sich metaphorisch im Bild der selbstbestimmten Cortigiana374 als souveräner Herrscherin eines letzten paradiesischen Naturreichs wider. Vicinos über alles geliebte illegitime Kinder, der Sohn Leonida und die Tochter Orontea (sic!), die er nach der Amazonenkönigin benannte,375 waren biografische Parallelen, wie er im Eifer seines neugewonnenen naturhaft wilden und paradiesischen Lebensgefühls an Drouet schrieb.376 Beide Kinder hatte ihm seine »pastorella« Delia di Clemente aus Bomarzo geboren, die er nach dem Weggang Lauras zu sich genommen hatte. Die Kompensation der eigenen schwindenden Mannesk räfte im mächtigen Roland hatte im überlegenen Gesichtsausdruck des Täters VicinoRoland und seiner toleranten, wahrhaft souveränen Haltung gegenüber der ungetreuen Geliebten ihre Entsprechungen.377 Die kompensatorische Über windung und Bestrafung der Frau durch den steingewordenen schmerzhaften Akt hob die
• Poliphil, neben ihm ein
Liebesangelegenheit auf die höhere Ebene des Naturvorganges und stellte einen sowohl geistigen als auch körperlichen Sieg über sich selbst und somit nicht mehr nur über die abtrünnigeGeliebte dar. Im offenkundigen und obszön umgedeuteten Wahn des Koloss Vicino wurde der kompen satorische, im lustvoll-traurigen Konnex mit dem Zeitbegriff stehende Aspekt der Gruppe deutlich: »Die Diktatur des Zeitbewusstseins und die Obszönität der Sprache gehören wesenhaft zusammen. Denn das Obszöne ist Ausdruck der Vergänglichkeit, die von keiner Transzendenz aufgehalten wird. Das Bewusstsein des Wechsels, die Erwartung der Veränderung verleiht dem Augenblick die Dauer der Vergänglichkeit, die auszuhalten den Heroismus der Leidenschaften ausmacht.«378 Abgehoben von ihrer vordergründigen Form des Männlichen oder Weiblichen wurden die triebhaften Komponenten einer sadomasochistischen Einheit im Menschen, die je nach Kontext und Rolle wechselt, vorgeführt und in ihrer Anschauung am eigenen Leib miterlebt. Was Vicino mit seiner Laura erlebte, mochte ihm als Läuterung und im selbstreflexiven Kosmos des Wäldchens abbildenswert erschienen sein. Die Versuche des alternden Vicino Orsini den eigenen körperlichen Verfall und vor allem die Fähig keit zum Genuss durch zunehmend heftigere oder verbotene Sensationen zu ersetzen, transformierten die weibliche Anima in den männlichen Animus, dessen intellektuelle Befriedigung er als Ersatz für den sexuellen Akt ansehen konnte. Die hinter ihm abgelegten Symbole männlicher und kriegerischer Macht sollten von seinen Gästen, insbesondere von Farnese und Madruzzo, die immerhin zu dieser Entscheidung beigetragen hatten, interpretiert werden. Auch hier ergibt sich eine bildhafte Analogie einer Illustration in der Hypnerotomachia, auf der neben dem stehenden Poliphil ein abgelegter Harnisch zu sehen ist. In der vordergründig naturrechtlichen Raptus szene hatte der alchymische Leitgedanke einen Höhepunkt gefunden. Die farbige Fassung der
abgelegter Harnisch, Hypnerotomachia Poliphili, 1500, Holzschnitt
214
Abstieg in den etruskischen Orkus
Gruppe ließ an die hermetischen Begriffe des »roten Gatten und weißen Weibes« denken: »Empedokles lehrte ferner, dass alles Leben in der Bewegung besteht, die aus dem Konflikt der beiden polaren Kräfte Liebe und Streit resultiert. Im Opus Magnum entsprechen ihnen die beiden abwechselnden Verfahren des Solvierens und Koagulierens, der Auflösung und Bindung, Destillation und Kondensation, Systole und Diastole, ›das Ja und Nein in allen Dingen‹ (J. Böhme). Mit ihnen korrespondieren die beiden polaren Agentien der arabischen Alchimie: Mercurius und Sulphur, philosophischesQueck silber und Schwefel, Sonne und Mond, weißes Weib und roter Gatte. Der Höhepunkt des Werkes ist die Conjunctio, d. h. die Vereinigung von männlichem und weiblichem Prinzip in der Vermählung von Himmel und Erde, von feurigem Geist und wässriger Materie (materia von lat. mater, Mutter). Das unzerstörbare Produkt dieses kosmischen Geschlechtsakts ist der Lapis, der ›rote Sohn der Sonne‹.«379 Dem hermetischen Kontext entsprach die reflexive Lust am Auseinanderreißen des Weibes als meta physisches Interesse an dem was drinnen ist – nach dem eigenen Ursprung – und konnte als ein überhöhtes naturkundliches Interesse angesehen werden, wobei der männliche und solare Intellekt mit dem Riesen und das Weib mit der weiblichenSphäre des Abgrundes gleichgesetzt war. Als Synonym der tiefen Kluft, in die der Geist zu stürzen bereit sein musste, war der Adept bereits mehrere Unterwelten hinauf- und hinabgestiegen: Nunmehr am Abgrund zur Stau wehr, wo rauschendeWasser den sinnlichen Rahmen schufen, fand sich der Wanderer vor dem nicht mehr metaphorischen, sondern eindeutig im Geschlecht verborgenen Geheimnis. Vor allem der antike Topos des Weibes als irrationalvon Instinkten gesteuertes Wesen, das allerdingsauf diese Weise Zugang zu fremden Welten und vor allem der Unterwelt (sic!) hätte, war ein stichhalti ges Argument und deckte sich – zumindestäußerlich – mit der katholischen Leib- und Frauenfeind lichkeit, die auf diese Weise eine naturrechtliche Bestätigung erfuhr.
Abstieg in den etruskischen Orkus 215
• Norchia: etruskische Nekropole
216
Abstieg in den etruskischen Orkus
Tomba Die Schritte des Wanderers werden auf einen gewissermaßen vorgezeichneten Weg wieder zur Tomba gelenkt, die schon einmal vom Plateau der etruskischen Götter entdeckt worden ist (siehe dazu S. 131). Das System ist ein absolut offenes und wie in diesemFalle auf mehrere und alternativ zu wählende Begehungen, Kombinationen und Konfrontationen ausgerichtetes, das ambivalent und genauso in umgekehrter Reihenfolge zu begehenund zu bedenken ist. Diese Rückkehr in die Vergangenheit war mit dem freien Schweifen Pans assoziiert, der den Wanderer als Pan Deus und Hermes Trismegistos in der etruskischen Nekropole erwartete. Vicinos Gäste erreichten also zum zweitenmal, und in einer doppelten Erinnerung, die sowohl dem Plateau der etruskischen Götter als auch dem nahegelegenen Norchia galt, die Tomba. Das abenteuerliche Vordringen in der unwegsamen Gegend erzeugte den Eindruck des Gefährlichen und Unheimlichen.
Die Vorstellung »als erster« den uralten düsteren Ort zu betreten, verknüpfte sich mit teils romantischen, teils fatal männlichen Fantasien, die Vicino mit seinen Freunden teilte und auf die Faszination des weiblichen Geschlechts ableitete: »500 scudi por primo ingresso«, berichtete der aufgeklärte Kleriker Giovanni Drouet an Vicino, war ihrem gemeinsamen Bekannten, dem Lautenspieler Andrea, die Entjungferung eines fünfzehnjährigen Mädchens wert. So viel bot er ihrer Mutter, die unverständlicherweise ablehnte.380 Vicinos Fantasie schöpfte aus dem uralten Vor stellungskreis, der die fürstlichen Grabräuber ihr Eindringen in die Unterwelt der antiken Kultur mit dem Heben von Schätzen und Entdecken von Geheimnissen gleichsetzen ließ. So wie der Abstieg in die Gräber als Vordringen in die Vergangenheit wahrgenommen wurde, verband sich das eigentlich frevelhafte Öffnen der Tombe mit der Aussicht auf ungeahnte Schätze, die im hermetischen Kontext mit der Macht über den Tod gleichgesetzt wurden.381 Vicino baute eine verfallene etruskische Tomba nach, die seine Gäste genausogut in den etruskischen Nekropolen hätten sehen können. Die zentrale kubische Form mit einer bunten Scheintür
• Auf dem Weg zur etruski schen Tomba: Unspezifisch behauene Felsen wie der im Vordergrund weisen unauf dringlich den »richtigen Weg«.
• Die etruskische Tomba ist als allgemein verständ liches Motiv der Todesund Naturbetrachtung dem Gemälde direkt vergleichbar. • Giorgione, »Die drei Philosophen«, um 1590, Kunst historisches Museum, Wien
218
Abstieg in den etruskischen Orkus
Abstieg in den etruskischen Orkus 219
darüber und der dunklen Höhle des Grabeinganges darunter, waren mit einer einfachen Aufmauerung über dem natürlichen Felsen zu imitieren. Sogar die charakteristischen Miniaturstufen wurden in das viel härtere natürliche Felsgestein eingemeißelt (siehe Abbildung S. 131). Aber auch ohne Effekte war die natürliche Höhle382 Gegenstand von Betrachtungen über Tod und Verfall und passte zu der Selbstdarstellung des Bauherrn als Saturnkind, dem »als rechtmäßigen Erben alter Schätze Schatzfindungen vorbestimmt sind«.383 Im Sinne der panischen Konnotationen, die unabdingbar zum Programm Bomarzos dazugehörten, fühlte sich der hermetische Schatzsucher außerdem an die Divina Comedia erinnert, worin Dante den Alchemisten in die tiefste Hölle verbannt und die gottlose Neugier aufs Schärfste verurteilt hatte, die den Sterblichen seine Hand nach dem göttlichen Mysterium ausstrecken ließ. • Tomba, abgebrochener Felsen mit Sitznischen, rechts der liegende weib liche Akt mit in die Hand gestütztem Kopf
Vicino und seine Gäste kannten die Fresken des Paduaner Salone mit den Darstellungen der Plane tenkinder. Die astrologischen Zuweisungen im Sinne eines vorherbestimmten Geschickes, bezeichneten die melancholischen Saturnkinder als Schatzgräber, die hermetischen Merkurkinder
als Weisheitssucher und die alles beherrschen den Sonnenkinder als Dämonenbeschwörer. Dazu lieferten die Paduaner Fresken eine Orts beschreibung, die wohl vorbildlich für die Nekro pole Bomarzos war: »Der Ort des Geschehens im Paduaner Fresko ist ein höhlenartiges Gebilde, ähnlich wie Ibn Esra (Abraham Ben Ezra) die saturnischen Orte in dem von Pietro di Abano ins Lateinische übersetzten Texte beschreibt: Höhlen, Kerker, alle dunklen unbewohnten Orte und Fried höfe, ›concavitates, putrefactiones, puteos et loca carceris atque omnem locum obscurum inhabitatum et cimiteriorum loca‹. Ibn Esra zählt die Eigenschaften der Planeten und die von diesen beherrschtenTätigkeiten oder Berufe auf. So gehören zu Saturn unter anderem die Totengräber (›mortuorum sepulturas expoliantes‹), Ausgräber oder Leichenschänder, Friedhofsdiebe und Zauberer.« 384 Eine vergleichbare Situation zeigt das Gemälde Giorgiones im Kunsthistorischen Museum in Wien, »Die drei Philosophen« (1508) stehen vor einer dunklen Höhlung eines Berges oder einer Ruine. Auch dieses Bild wurde im Sinne der hermetischen Schatzsuche gedeutet und als Emanation der spezifisch oberitalienischen intellektuellen Hegemonie, der Vicino in seinem Wäldchen, wo immer dies möglich war, den charakteristischen sinnlichen Ausdruck verlieh. Unauffällig, aber für den Eingeweihten keineswegs zu übersehen, sind fast überall im Wäldchen etruskische Hinweise hinterlegt – wie um eine Spur zu legen, anhand derer ein Geheimnis zu lüften sei. Mit der Umdeutung des lieblichen Gartens in einen Ort des Schreckens erscheint natürlich auch das »Natürlichste« in einem ganz anderen Zusammenhang: Die sentimentalen etruskischen Elemente entwickeln Motive des Grauens, die sich als Metaphern wahrer Weisheit offenbaren: Als Memento mori, als Mahnung an den Tod, weisen sie auf das, was außerhalb von Raum und Zeit gültigund wahr ist. Der natürliche Felsen vor der hermetischen Grab höhle ist mit zwei Nischen ausgearbeitet, die an mittelalterliches Chorgestühl erinnern. An die
220
Abstieg in den etruskischen Orkus
rechte schmiegt sich seitlich ein Frauenakt, der wie die Liegefiguren etruskischer Sarkophage kontemplativ den Kopf in die Hand gestützt hält. An der Seite der anderen Nische stellte ein mit der Rose der Orsini kombiniertes, privates Signet wohl ein Vanitassymbol dar.385 Mit dem Wechsel zum locus terribilis erreicht der anthropomorphe Felsen eine vollständige Vergegenwärtigung dieser Inhalte. Kongenial vermischt sich der immaterielle, hermetische Aspekt der Grabes mit dem atmos phärischen Charakter der antiken Stätte zu einem Konstrukt aus Kunst und Natur, in dem sich die Gottheit offenbart: »Der Ort wird nicht nur von Menschen und Tieren belebt, auch das Numinose, die Gottheit, ist immer in irgendeiner Form gegenwärtig, denn die Natur galt der Antike stets als göttlich und heilig«.386 Dem hergebrachten Muster folgend beseelte Vicino die Natur mit seinem männlichen Geist, wie er schon am Schiefen Haus angekündigt hatte (animvs fit prvdentior). In dieser metaphysischen Partnerschaft war er selbst der Logos aus dem die Welt entstand, die Spuren seines Wirkens determinieren die Landschaft als etruskische und heilige: »Aus diesem Grund fehlt der antiken Landschaft nur selten ein Hinweis auf ihre göttliche Natur, sei es durch sakrale Stätten, sei es durch die Personifikation von Landschafts elementen durch Naturgottheiten.«387 Die Gäste Vicinos kannten die Thesen Nanni da Viterbos und Guillaume Postels, die die etruskische Kultur an den Anfang der Zeiten und in einen direkten Zusammenhang mit der altorien talischen Kultur stellten, deren maßgebliche Errungenschaft das Verständnis vom Tod als Durchgang zu etwas Neuem war. Vicino dienten die offenkundighanebüchenen Thesen Nannis und Postels als Vorwand, seine eigenen Thesen über das Jenseits zu entwerfen. Er erkannte den Zusammenhang der eigentlichen Grablege mit den Scheinöffnungen, die im ägyptischen und sogar im christlichen Auferstehungsmythos ihre Parallelen haben. Die etruskische Tomba Bomarzos war eine Metapher der hermetischen Schatzsuche in der doppeltenBedeutung als Grablege und als Medium der Auferstehung. Die detailgetreue Nachbildung der etruskischen Tomba dürfte die ursprüngliche,
•
metaphorische Bedeutung der Stufen übernommen haben, die, wie die farbig gefassten Scheintüren oberhalb der eigentlichen Graböffnung, ebenfalls keinen materiellen Zugang eröffneten, sondern »Auferstehungswege« für die unkörperliche Seele sind. Die hermetischen Grabräuber stiegen auf diesen Stufen zum Schattenreich hinauf und wiederhinab und genossen die reizvollen Aspekte des Eindringens in die alten Grabstätten, wie sie auch die echtenTotenstädte boten. Die bis auf die Höhe des Proserpina-Plateaus reichende Tomba stellt eine Verbindung zum Schattenreich und der Löwenfamilie zwischen Echidna und Ker, als auch zwischen den Giganten und dem Plateau der etruskischen Götter her. Außerdem ist die Tomba genau oberhalb des Nymphäums angelegt, als deren Kammer es von unten erschienen sein musste (siehe Abbildung S. 253). Nur Hekate, die im 16. Jahrhundert ebenfalls die untere mit der höheren Ebene verbunden hatte, besitzt eine vergleichbare Bedeutung, die mit ihrer Macht im Himmel und auf der Erde zusammen hängt. Bezeichnenderweise kulminiert diese Macht gerade in der Unterwelt.
Abstieg in den etruskischen Orkus 221
Tomba, abgebrochener Felsen mit Sitznischen, Detail des heraldischen Emblems an der linken Seite
222
Im etruskischen Orkus
vi. Im etruskischen Orkus
Bergab erreicht der Adept den tiefsten Punkt des Areals, wo er ein wildes etruskisches Hirngespinst erblickt: Ein kleines, mit mehreren Schichten sich überlagerndes Plateau, das mit seinen bizarren Felsformationen und von dem kleinen Flusslauf begrenzt als etruskische Nekropole glaubhaft ist, noch dazu, wo eine riesige Schildkröte die charakteristische Tumulus-Form imitiert. Ihre unmissver ständliche Form, die zusätzlich noch mit ihren sieben Metern Länge die Proportionen perfekt nachahmt, wurde freilich im 16. Jahrhundert durch die Farbe verfremdet: Die blaue Schildkröte war ein eigenständiges Fantasieprodukt, das sich zwar in den Kontext der offensichtlichen etruskischen Anspielungen einband, von ihnen gleichsam kommentiert wurde, aber dennoch seine Autonomie gegenüber den Vorbildern wahrte. Umgekehrt verifizierte die Schildkröte die etruskischen Fälschungen des Wäldchens. Die Attraktion antiker Ruinenstätten gehörte in der Renaissance zum Erlebnis der Natur, die als unmittelbarer Ausdruck des Numinosen erlebt wurde.388 Angesichts der ungeheuerlichen Schild kröte erinnert sich der staunende Wanderer der etruskischen Relikte wie an Vorahnungen, die sich nun erfüllen würden. Den denkbar stärksten Kontrast stellte eine eindrucksvolle Brunnen anlage mit singenden und tanzenden Musen um den Helikon dar. Der Gegensatz zwischen der idyllischen Gruppe und der unheimlichen Schildk röte war ein manieristischer Zug des
Programmes – obwohl nicht zeitgleich entstanden, hätte Vicino sie nicht besser aufeinander abstimmen können: »Oh Berg Parnassus, wo ich wohne, Musen, mit denen ich verkehre, Quell Helikon, der du mich nährst; Berg, der du mir ruhige Heimstatt schenkst, Musen, die ihr mir tiefste Gelehrsamkeit eingebt, Quelle, die du mich rein und klar machst; Berg, den hinaufsteigend ich mein Herz erhebe, Musen, deren Umgang meinen Geist belebt, Quell, unter dessen Bäumen kauernd ich meine Stirn schmücke: Verwandelt meinen Tod in Leben, meine Zypressen in Lorbeer und meine Höllen in Himmel, bestimmt mich also für die Unsterblichkeit, macht mich zum Dichter, lasst mich berühmt werden, während ich von Tod, Zypressen und Höllen singe.«389 In den etruskischen Orkus gelangte der Adept durch einen Dromos, der ihn direkt zum Helikonbrunnen führte. Das reizvolle Ensemble war mit der zweiten Bauphase und der Einrichtung der Wasserspiele entlang des aufgestauten Flüsschens entstanden und eine Hommage des Dichterfürsten Vicino an sich selbst. Die Anwesenheit des Flügelrosses und der Musen erhob das provinzielle Bomarzo zu einem Museion, wo der fürstliche Hirte das Ideal eines beschaulichen und schöpferischen Lebens in der unberührten Natur lebte. Der Villeggiatura als Nachhall antiker Lebens kunst wurde demgemäß eben jene läuternde Wirkung zugeschrieben, die sich der Städter mit
Im etruskischen Orkus 223
• Blick auf den etruskischen Orkus
• Pegasus wie er gerade aus dem Wäldchen gegen die Ortschaft Bomarzo auffliegt
Recht von der Natur als der Lehrerin der Kunst erwartete: »Bevor Vergil Arkadien zu einem Dich tungsbegriff machte, hatte die Bukolik bereits den grundsätzlich damit verbundenen Vorstel lungsk reis geschaffen, der auf einer poetischen Stilisierung des pastoralen Bereichs beruht und vom idyllischen Bild eines locus amoenus ausgeht, den Pan und die Nymphen schützen, und an dem Hirten mit ihrer Herde lagern, um sich der Muße und der Musik zu widmen. Die Wirklichkeit des Hirten, der zentralen Gestalt der Bukolik, besitzt in diesem Zusammenhang wenig Relevanz, da Bild und Dichtung ihn in einen ästhetischen Bereich transponieren, der sein reales Dasein weitgehend aufhebt und ihn zu einer ›Kunstfigur‹ macht. Das Leben der Hirten ist nicht als solches interessant; die Hirten sind in erster Linie die Exponenten des bukolischen Gesangs, der von Pan gestifteten Urdichtung, die das eigentliche Thema der Bukolik darstellt. Der Hirte ist dazu prädestiniert, die Rolle des ursprünglichen, naturhaften Sängers zu übernehmen, da sein Stand als eine ›Grundform menschlichen Daseins‹ betrachtet wird, und zwar eines Daseins, dessen charakteristisches Merkmal die Muße in der freien Natur ist. Diese Muße schafft die Voraussetzung für die Inspiration, die Hinwendung zum Hirtengesang, der Urform der Dichtung, sodass ›die Hirten in ihrer Muße gleichsam schon Dichter sind.‹«390
224
Im etruskischen Orkus
Das Motiv des Pegasusbrunnens und seine Bedeu tung für die Villeggiatura wurde zeitgleich in der unweit gelegenen Villa Lante entwickelt. Im Gegen satz zum Flügelpferd Bomarzos, das sich in der Waldeinsamkeit gerade vom Gipfel des kleinen Berges in die Lüfte erhebt, ist in Bagnaia Pegasus in einem hocheleganten, wassergefüllten Innenhof zu sehen, wo er kapriziös aufsteigt und mit seinen Hufen die Hippokrene aus dem Felsen schlägt. Das Element Wasser, das mit Reinigung und Initiation, und hier natürlich mit der reinigenden Kraft der Villeggiatura gleichgesetzt ist, gehört attributiv zum Pegasus. Der Pegasus war ein Symbol der Freundschaft und der geistvollen Anregungen, die sich Vicino und seine gartenbegeisterten Freunde gegenseitig gaben und tatsächlich stimmt die Form der Flügelpferde in Bagnaia und Bomarzo fast gänzlich überein, wie auch der Helikon ganz ähnlich aufgefasst ist. Der Unterschied liegt in der Situation, in der der Pegasus der Villa Lante den Eintretenden auf die hehre Bedeutung seiner Anwesenheit in der Provinz hinweist, während der Pegasus Vicinos in freier Wildbahn zu beobachten ist. Im Gegensatz zur Villa Lante, wo der Pegasus als übernatürliche Erscheinung auftritt, ist er in Bomarzo indigen. An der tiefsten und dunkelsten Stelle des Boschetto entspringt er den urtümlichen Kräften der Natur. Sein Aufflug gegen den Palast des fürstlichen Hirten übermittelt der »Welt« die Botschaft des Wäldchens.
Die durch den Verlust Lauras verstärkte Identifi kation Vicinos mit dem Landleben, das nicht zuletzt auch im Verhältnis zur »pastorella«391 Delia seinen Ausdruck fand, drückte er selbst mit klaren Bekenntnissen einer als »Zurück zur Natur« formulierten Kritik an der »Welt« aus. Der mit dem Hirtenstand verbundene Urzustand des Menschengeschlechts, »in dem sich die Korres pondenz von Gott und Mensch noch uneingeschränkt vollziehen konnte«,392 ist durchaus fürstliche Attitüde wie die sogar vom Christentum übernommene Titulatur des Hirten (Pastor Bonus, der Gute Hirte) beweist. Das Motiv ist uralt, paradiesisch, als es schon im altorientalischen Vorstellungskreis um Eros und Thanatos vorkommt:393 Der Hieros gamos des Hirten und Fürsten Tammuz mit der Himmelskönigin Inanna stellte die numinose Kraft der Natur im rituellen Beischlaf dar und war die Grundlage für die Fruchtbarkeit der Natur und das Wohlergehen des Volkes, über das er herrschte und für das er verantwortlich war.394 Damit stand Vicino als vorbildlicher Fürst in der bukolischen Tradition des Musenlieblings und Förderers der Künste. In der Verbindung mit der Magna Mater, die hier in der jüngeren mythischen Version der Isis-Kore auftritt, hatte der fürstliche Hirte an ihrer Unsterblichkeit teil.
Mitte April 1574 schrieb Vicino jenen extravagant bukolischen Brief an Giovanni Drouet, der wohl als das persönlichste und arkadischste Dokument seinergeistigen und emotionalen Verfassung anzusehen ist.395 Die intime Nähe des Textes und explizit die abschließende Grußformel weisen diesen Brief als Dokument der Freundschaft zwischen Vicino und Drouet aus396 – immerhin zog er den hohen Beamten der Kurie darin sogar den Mitgliedern des Kardinalskollegiums vor – eine Anspielung die er den allzu weltlichen und wohl des Wäldchens unwürdigen Klerikern Alessandro Farnese und Cristoforo Madruzzo kaum persönlich zu über mitteln wagen konnte. Das Leitmotiv des weiblichen Geschlechts, der »Potta«, kehrte im Wäldchen in ständig veränderter Form wieder und wird in diesem Brief sogar explizit, wie zur Bestätigung seines Programmes, erwähnt. Für Vicino wurde es zu einer literarischen und steinernen Metapher eines Sich-Anvertrauens.
• Giovanni Guerra, »Pegasusbrunnen, Bagnaia, Villa Lante«, Ende 16. Jhdt., Federzeichnung Albertina, Wien
• Brief von Vicino Orsino an Giovanni Drouet, Vorder- und Rückseite, Mitte April 1574 Ast. Rom, Deposito Santa Croce, Y 592.139–139
226
Im etruskischen Orkus
»S:or mio, è tanta la dolcezza che se gusta mangiando le cose che m’ha mandate, che credo che quelle poma hesperide, per li quali Ercole fece così gran battaglia col sempre desto Dracone, non fossero altro che queste, ma essendoce el nettare de più, tanto più questi excedino de dolcezza, de modo ogni volta che ne gustaró, me parrá, mercé sua, esser deventato un semidio, perché per dir la verità, son troppo delicati cibi per un cittadin de boschi come sono io; pur farró stima d’esser un de questi satiri, che, se ben non se ponevano a mensa con Giove, pur andavano leccando qualche minestra ch’avanzava. Quanto alli tre p.p.p., da quali me dice ch’io debbia guardarmi, v.s. non n’ è bono expositore, con dire: pesce, porco et pasta; ma l’expositione che le do io è simile a quella di Il. Iaco Trivulti, che domandandoli in consiglio el re Francesco che bisognava per far guerra per raqusitare el ducato de Milano, lui respose: tre cose sire; domandandoli el re qual erano questa tre cose lui response denari, denari et denari; cosi interpreto le tre p., che vogliano dire potta, potta et potta; hor da questo bisogna guardarci, ma quando che questa è piu dolce che non è né cotognate né mele, se ben non havessi denti, me metteria a leccare; et, si ragionasse con persona che non fosse del mestiere, me vergognarei a dir simil porcarie, ma so che lei non se scandalizzará de cosa alcuna altra che l’avenga. Io l’expettaró a Bummarzo et Dio volesse che havesse un pr suo per vicino, perché crederei passar tranquillamente parecchie giornate, perché nel raccontarme le cose passate ne i soui viaggi, me parse un novo relasso. Quanto a levarme a bon hora, io son del suo parere: ogni volta che se dorme ben la notte; ma non dormendo a compimento, el stomaco me se debilita troppo, Hor li bascio le mani et non se scordi ongi volta che habbia otio de darmi nova del fatto sua. Sor più a lei che a tutto il collegio de Cardinali Vicino Orso«
»Mein Herr, ich hatte ein so außergewöhnliches Vergnügen beim Genuss der Sachen, die Ihr mir geschickt habt, dass ich vermeinte, die hesperidischen Äpfel, um die Herkules mit dem Drachen gekämpft hatte, können nicht anders geschmeckt haben, aber indem sie wie Nektar übersüß sind und jedes Mal noch mehr wenn ich davon genieße, [muss] ich mich für einen Halbgott halten, weil sie, um die Wahrheit zu sagen, viel zu gut für ein Geschöpf der Wälder wie mich sind, darum halte ich es wie einer dieser Satyrn, die zwar nicht mit Jupiter an der Tafel sitzen, doch kommen, um die Suppe aufzuschlecken, die übrig geblieben ist. 427 Was die drei p.p.p. betrifft, wegen der Ihr mich um meine Meinung gefragt habt, [möchte ich sagen] dass Euer Hochwohlgeboren kein guter Interpret sind, indem sie sagen: Fisch, Schwein[efleisch] und Nudeln [Pesce, Porco, Pasta]; dagegen ist die Auslegung, die ich Ihnen gebe, der des I. Trivultio angelehnt, der als König Franz ihn fragte, was er für den Krieg um das Fürstentum Mailand benötige, antwortete: drei Dinge, mein Herr, und auf die Frage, welche diese drei Dinge wären, ihm wieder antwortete: Geld, Geld und Geld. Demgemäß würde ich die drei p. als Potta, Potta und Potta [ein vulgärer italienischer Ausdruck für das weibliche Genital, Anm.] interpretieren. Das ist meine Einstellung zu einer Sache, die, wenn sie mich aufgrund ihrer Süße der Zähne beraubte, weil sie noch süßer ist als dieses Quittenmus und jene Äpfel, ich auch zahnlos noch naschen käme; für diese Schweinereien, die ich nur mit Ihnen als Gleichgesinnten bespreche, müsste ich mich schämen, wenn ich nicht wüsste, dass Sie sich nicht wegen Ihrer Bindung zum päpstlichen Palast [künstlich] aufregen. Ich erwarte Sie in Bomarzo [Bummarzo!] und Gott gebe, dass [das vicino bezieht sich sprachwitzig auf den Aufenthalt bei und die Nähe zu Vicino] […] wir ein paar ruhige und entspannte Tage verbringen, wenn Ihr mir von Euren Erlebnissen auf Euren Reisen erzählt. Was das zeitige Aufstehen angeht, bin ich Ihrer Ansicht: des Nachts gut zu schlafen; weil, wenn man nicht völlig ausgeschlafen ist, der Magen geschwächt wird. Jetzt küsse ich Ihre Hände und vergessen Sie nicht, wenn dazu Muße ist, mir Nachricht über ihr Wohlergehen zukommen zu lassen. Mehr der Ihre als des ganzen Kardinalskollegiums Vicino der Bär«
Im etruskischen Orkus 227
• Marmorner Cippus in der Tomba dei Rilievi, Cerveteri, Banditaccia
Dromos Mit dem Abstieg zur tiefsten Stelle des Terrains werden die etruskischen Anspielungen sinngemäß zu solchen auf die Unterwelt. Überall, wo er vom bezeichneten Weg abkommt – oder auf solche Verirrungen abgestimmt – entdeckt der Wanderer Hinweise auf die geheimnisvollen Grabstätten. In den etruskischen Orkus gelangten die Gäste Vicinos durch die Nachbildung eines traditionellen Dromos, von dem heute nur mehr eine steinerne Stufe zwischen dem steinernen Baum auf der rechtenund einem überdimensionaler Cippus auf der linken Seite erhalten sind. Die Szenerie einer der ruinenhaften Totenstädte ließ sich im felsigen Gelände mit etruskischen Relikten wie eben Cippi, Mundi oder einfachen Nischenformen – von Bäumen überwuchert und, scheinbar halb ver fallen – glaubhaft verwirklichen. Wie die anderen monstra ist auch der künstliche, aus dem gewachsenen Stein skulptierte Baum darum ein Naturwesen, Astolfo, der von der lüster nenHexe Alcina verwandelt worden war und nun die Eintretenden mit einer Inschrift auf seiner Baumk rone ansprach. Einzelne Buchstabenreste ergeben heute keinen Zusammenhang mehr, beziehen sich aber vermutlich auf den 6. Gesang des Orlando Furioso von Ludovico Ariost.397 Außerdem ist die steinerne Abbildung als Arbor Philosophiae
• Im etruskischen Orkus:
Terrain des etruskischen
Reste der ehemaligen
Orkus wurden verschiedene
Eingangssituation, die aus
undefinierbare Löcher
einer markanten Schwelle
und Strukturen gefunden,
und links einem monumenta
die Vorrichtungen für die
len Cippus und rechts einem
Nachstellung etruskischer
Baum, alles in massivem
Kulthandlungen gewesen
Stein, bestand. Im ganzen
sein dürften.
eine hermetische Anspielung auf die sieben Metalle (Läuterung), die sich überdies noch mit der Legende von Attis und Kybele vermischt, womit eine weitere infernalische Liebesbeziehung in den mythischen Kosmos Bomarzos integriert ist.398 Dagegen handelte es sich beim Cippus um ein wortwörtliches Zitat etruskischer Grabanlagen. Selbstverständlich wählte Vicino diese Form, die den männlichen Grabstätten zugeordnet war, für den Eingang in seinen etruskischen Orkus.399 Mit seiner deutlichen Schrägstellung blendet sich der Cippus im Kontext der Ruine als Relikt und Produkt eines Prozesses in das allgegenwärtige Thema des von der Zeit gleichsam überwundenen und überformten Menschenwerkes ein. 400 Der als Ruine geplante und ausgeführte Dromos war jene charakteristische, gangartige »Zugangs passage«401 zur Kammer.
• Im etruskischen Orkus: steinerner Baum
• Im etruskischen Orkus: Pegasus auf dem Helikon
230
Im etruskischen Orkus
Helikon Durch diesen künstlich natürlichen Gang des Dromos gelangt der Wanderer in ein ebenso künstlich-natürliches System von Plateaus, die in dieser Art der Schichtung wie sich mit doppelten Böden öffnende Erdformationen wirken. Gleich nach dem Eintritt findet sich der Wanderer an einen der ursprünglichsten arkadischen Orte, den Helikon, versetzt. Der sogenannte »Pferdchenbrunnen« war ein Produkt der zweiten, idyllischen Bauphase, 402 die mit der Aufstauung des Sees verschiedene Wasserspiele errichtete. Die weitläufige und figurenreiche Anlage eines breiten Wasserbassins mit einem kleinen Berg in der Mitte, auf dem gerade Pegasus seine Flügel ausbreitet, um sich in die Luft zu erheben, vereinigte auf dem weiten Rand der Brunnenschale die Musen, die von vier männ lichen Göttern begleitet werden. Wieder gibt eine, wenn auch unklare Federzeichnung Giovanni Guerras entscheidende Hinweise zur I. Ordine, der ersten Aufstellung des »Pferdchenbrunnens« vor dem Erdbeben und dem Abtransport der Figuren. Die neun Töchter des Göttervaters Zeus und der Mnemosyne, die wiederum eine Tochter des anfänglichen Paares Uranos und Gaia war, heißen nach Hesiod (Theogonie 77–79), den sie selbst zu (ihrem) Dichter berufen hatten: Klio, Euterpe, Thalia, Melpomene, Terpsichore, Erato, Polyhymnia, Urania und Kalliope. Sie wohnen an antiken Stätten, auf Bergen in der Nähe heiliger Quellen wie der Hippokrene oder der kastalischen Quelle. Herodot benannte die neun Bücher seines Geschichtswerkes nach ihnen und die erste antike Universität in Alexandria hieß nach ihnen Museion. Der Zeichnung Guerras nach zu urteilen hielt sich Vicino an die übliche Bezeichnung der Musen vermittels verschiedener Attribute: Erato (Liebesdichtung – trägt und spielt ein größeres Saiteninstrument), Urania (Astronomie – zeigt mit einem Stäbchen auf die Himmelskugel in ihrer Linken), Klio (Geschichtsschreibung – Papierrolle und Behälter), Kalliope (epische Dichtung – Efeu kranz und Schriftrolle), Melpomene (Tragödie – Haupt mit Weinlaub und Trauben geschmückt,
in der Rechten trägt sie eine tragische Maske, in der Linken ein Schwert; auch Maske in der Linken und Keule in der Rechten; nachdenklich gebeugtes Haupt und Fuß auf Felsblock aufgestützt), Euterpe (ihre Tätigkeit ist nicht bekannt, aber sie hält eine oder auch zwei Flöten), Terpsichore (Tanz – Lyra spielend und dazu tanzend, den rechten Arm entblößt – »Sie ist, gleich Erato, eine Muse des Tanzes und der erotischen Dichtung«), Thalia (Komödie – auf einem Felsen, Helikon oder Parnass, sitzend, mit einer Handpauke in der Linken und in der Rechten einen Hirtenstab, Haupt mit Efeu bekränzt, neben sich hat sie eine komische Maske, ihr Ober gewand kann mit Fransen besetzt sein), Polyhym nia (Mythologie – reich verhüllendes Gewand, den
Im etruskischen Orkus 231
• Giovanni Guerra, »I. ORDINE DEL FONTE CABALLINO DI BVONMARTIO CONTIENE OLTRe ALLE MVSE NELLI QVATRO ANGOLI FVOR DEL GIRO FIGVRA DI GIOVE APOLO BACCO E MERCVRIO«, (übers.: Erste Anordnung des Pferdchenbrunnens von Bomarzo. Enthält alle Musen und außerhalb ihres Kreises Figuren von Jupiter, Apoll, Bacchus und Merkur), 16. Jhdt., Federzeichnung Albertina, Wien
• Im etruskischen Orkus: Pegasus auf dem Helikon
Zeigefinger am Mund und die Hand mit gespreizten Fingern auf dem Leib!). 403
• Geflügelte Pferde vom Giebel eines etruskischen Tempels in Tarquinia
Die Zeichnung Breenberghs, die als Vorlage für das Gemälde »Cimon und Iphigenia« diente, zeigt, dass der Abfluss des Wassers »auf ganz natürliche Weise« geschah: Eine leichte Schrägstellung des Beckens ließ das Wasser graziös über den Rand der Schale in den kleinen Fluss zurückfließen.
Pegasusbrunnen, die die Villa als Museion, als Heimat der Künste405 charakterisierten. Die Gleich setzung der zeitlosenVilleggiatura mit der Heimat der Musen als Hüterinnen der Kunst sprach dem Landleben eine neue Wertigkeit zu:406 Die Ars Vivendi einer ursprünglichen, Leib und Seele wieder vereinenden Lebensweise war als neuplatonischer Hieros gamos zum erklärten Ziel des zivilisatorisch verunstalteten Menschen geworden.
Für den komplex denkenden neuplatonischen Freundeskreis Vicinos war der anmutige Tanz der Musen auf dem breiten Rand des Brunnenbeckens nicht ein naiver Reigen liebreizender, leichtbeklei deter Mädchen, sondern drückte geistige Beflüge lung und »geistiges Streben«404 aus, die immerhin männliche Tugenden waren und durch die vier männlichen Gottheiten gewährleistet, die an den Ecken eines imaginären Quadrats den erlauchten olympischen Kunstkreis vervollständigten. Sowohl in Tivoli, Pratolino und natürlich Bagnaia gab es
Nur aus der Perspektive des Städters wurde das Land zum Ort der Kontemplation und die Natur zur Lehrerin der Künste – das lebenspendende Wasser der Brunnen – aqua fons vitae – stellte sinngemäß die Inspirationsquelle des Intellekts und der Künste dar. 407 Dieser faszinierend (be-)sinnliche und durchgeistigte Ort, dessen Ikonografie vom Wechselspiel zwischen Natur und Kunst, arte und inganno, bestimmt wurde, war vorerst nicht mehr als ein romantisches Ausflugsziel, zu dem man vom gegenüberliegenden Hügel mit dem Palazzo
232
Im etruskischen Orkus
• Bartholomeus Breen
Ducale aufbrach: »Minerva […] begibt sich auf dem ersichtlich kürzesten Weg übers Meer nach Theben und auf den Helikon, den Berg der jungfräulichen Musen. Dort angekommen, machte sie halt und sprach so zu ihren verständigen Schwestern: ›Mir ist das Gerücht von der neuen Quelle zu Ohren gekommen, die das Flügelross der Medusa durch einen kräftigen Hufschlag hervorbrechen ließ. Darum komme ich hierher. Ich wollte das Wunder betrachten, da ich den Pegasus selbst aus dem Blut seiner Mutter408 entstehen sah‹. Ihr antwortete Urania: ›Welcher Anlass dich, Göttin, auch in unsere Behausung führt, du bist uns von Herzen willkommen. Wahr ist auch was du vernommen hast: Pegasus ließ diese Quelle entspringen‹. Darauf führte sie Pallas zu den heiligen Wassern; diese aber betrachtete lange den durch einen Hufschlag entstandenen Quell, blickte dann rings auf die Wälder mit ihren uralten Bäumen, auf die Höhlen und auf die mit zahllosen Blumen geschmückten Wiesen und pries die Musen glücklich, sowohl ihrer Beschäftigung wie wegen ihres Aufenthalts.«409
bergh, »Bomarzo mit Pegasusbrunnen«, 1625, Federzeichnung British Museum, London • Bartholomeus Breenbergh, »Cimon und Iphigenia«, 1644, Öl auf Leinwand. Detail des Pegasusbrunnens; man erkennt in der Ver größerung wie das Wasser auf ganz natürliche Weise – durch die leichte Schräg stellung der Brunnen schale – in die kleine Schlucht abfloss.
Der idyllisch-irreale Aspekt des lieblichen Wunsch raumes um die Helikongruppe wurde im hermetischen Zusammenhang mit den arkadisch-unterweltlichen Elementen zu einem Motiv etruskischer Jenseitsfreuden. Obwohl geflügelte Pferde keine spezifisch etruskischen Themen, sondern ebenso der späteren römischen Kultur geläufig sind, gab es immerhin formale Vorgänger, wie die berühmte Gruppe der geflügelten Pferde vom Giebelfeld des Tempels in Tarquinia und natürlich das Giebelfragment der Tomba Ildebranda in Castel dell’ Asso, das gleich mehrere Flügelpferde zeigt. Im Zusammenhang mit den ägyptisieren den Elementen ist eine Illustration der Hypnero tomachia erwähnenswert, die ein Flügelpferd in der »kolossalen Pyramide« abbildet.
Im etruskischen Orkus 233
Tartaruga Unleugbar, denn nichts anderes konnte das Vor bild für diese inventio gewesen sein, kannte Vicino Orsini die berühmte etruskische Nekro pole in Cerveteri. In Anbetracht seiner Interessen und seiner Identifikation mit der etruskischen Kultur war es naheliegend, dass er von den wie riesige Urzeittiere einer grauen Vergangenheit kauernden Tumuli, deren Kuppeln wie Panzer von Riesenschildkröten wirken, so beeindruckt war, dass er ihre Metamorphose in seinem Wäldchen vor sich gehen ließ. Die zoomorphe Umdeutung des Todesmotivs in ein Symbol der Langlebigkeit und sogar der Ewigkeit war eine manieristische Meisterleistung. Die formaleAsso ziation mit dem lebendigen Symbol der Unsterb lichkeit und Fruchtbarkeit 410 wurde zusätzlich von Nachrichten aus der Neuen Welt über mythische Riesenschildkröten 411 mit neuem Leben erfüllt. Gerade weil sie nicht vorgab selbst eine Antiquität zu sein, sondern sich auf der Grund lage der antiken Vorlage als etwas völligUnerwar tetes, ja Sensationelles und intellektuellÜber dimensioniertes präsentierte, überbot die Schild kröte Bomarzos die überall im Wäldchen verteilten etruskischen Anspielungen. Die befremdliche Blaufärbung transponierte die Tartaruga – noch dazu als weibliches Äquivalent des Tartaros – auf eine andere Ebene der Wahrnehmung. Die Verfremdung war zunächst eine formale, als die Schildkröte eine Nachbildung der charakteristischen Form der Tumuli ist und sogar die unteren Platten des Schildkrötenpanzers, mit ihrem zum breiten Streifen vereinheitlichten Muster, dem wulstförmigen Abschluss der Tumuli entsprechen. Die blaue Färbung hingegen war »echt«, als sie das eigentümlich blaue Dämmerungslicht nachahmte, das heute noch die Nekropole von Cerveteri seltsam unwirklich erscheinen lässt.
der sich zudem als ein mit Weisheit ausgestattetes Wesen aus grauer Urzeit zu erkennen gab:412 was den Tod ausmacht, nämlich Leb- und Bewegungs losigkeit, verwandelt sich in der Riesenschildkröte, die wie aus einem jahrtausendelangen Schlaf erwachend, Kopf und Beine unter dem Panzer hervorstreckt, ins Leben zurück. Diese beängstigende Assoziation wird durch die Flötenspielerin, die aus dem sinnenfrohen Jenseits der etruskischen Grabkunst stammt, in ihr Gegenteil verkehrt und verbindet sich dadurch dem lustvollenHöllen schlund am arkadischen Feld. Wie die Tartaruga scheint sie sich verlebendigt zu haben und – indem sie das plumpe Tier nur mit einer (sic!) Fußspitze auf der Kugel berührt, oder vielmehr gerade im Abflug begriffen ist – als Triumphantin über Tod und Zeit. Mit ihrem ungestüm wegwehenden Gewandbausch bildet sie den deutlichsten Kontrast zur Schwerf älligkeit und Erdgebundenheit des Urzeittieres. 413 Der massive Schildkrötenpanzer betont diese Wahrnehmung, die eigentlich nicht mit dem posaunenden nackten Knaben auf einem Holzschnitt der Hypnerotomachia zu vergleichen ist, der ebenfalls mit nur einem Fuß auf einer Kugel balanciert. Dennoch trug auch dieses Vorbild
Die Evokation einer alten Friedhofstätte kulmi nierte in der Vorstellung, dass darin etwas zum Leben erwache und erschuf die beunruhigende Chimäre des plötzlich sich regenden Tumulus,
Im etruskischen Orkus 235
• Im etruskischen Orkus: Wie die anderen Hauptgruppen war auch die Schildkröte im 16. Jhdt. farbig gefasst: in diesem Fall in Blau, der Farbe der Melancholie. • Cerveteri, Banditaccia: Tumuli in der etruskischen Nekropole des antiken Caere
• Cerveteri, Banditaccia: Tumuli in der etruskischen Nekropole; Aufnahme vor Sonnenuntergang • Cerveteri, Banditaccia: Tumuli in der etruskischen Nekropole; Aufnahme kurz nach Sonnenuntergang
236
Im etruskischen Orkus
Sinnbild der mysteriösen Erdtiefe die riesenhafte Version Bomarzos beeinflusst haben könnte. Motive der tiefen Irritation wie der eine Fuß Fortunas im schaukelnden Boot, aber auch die Kugel als Inbe griff des ständigen Wandels dürfte Vicino in Venedig gesehen haben, wo sie um 1490 Giovanni Bellini seiner Interpretation einer Fortuna-Melan cholie (sic!) als Attribut ihres Geisteszustandes hin zugefügt hatte. 416 Wieder gibt eine Zeichnung Giovanni Guerras Aufschluss über die Konzeption der Figur als Mischung verschiedener Allegorien. Seine Zeich nung wird von der Breenberghs bestätigt, die heute im Louvre bewahrt wird. Beide bilden die Figur übereinstimmend mit einem doppelten Blasinstrument ab, keiner Posaune, sonderneinem etruskischen Subulo, dessen mystische Klänge wohl auch hier erklangen, um den Triumph der Lust stilvoll zu verkünden.
seinen Teil dazu bei, die Gäste Vicinos unsicher zu machen, ob die Instabilität der allegorischen Musikantin vom Fliegen, Taumeln oder gar Stürzen herrühre. Somit waren Interpretationen nach allen Seiten offen und wirkten sich auf die Namens gebung der Gestalt als Nike414 (Victoriahaltung, wehendes Gewand und Kugel), Fama (Flügel und Posaune) oder auch Fortuna (Kugel)415 aus.
Die Personalunion von Fama, Fortuna und Nike überflügelte und überhöhte sowohl den Helikon mit den Musen als auch die Tartaruga mit der Orka, die als rebusartig verschlüsselte Hinweise auf überzeitlichen Ruhm und jenseitige Lust verstanden werden wollten. Diese Personalunion war die etruskische Antithese zur christlichen Auffassung.
Den aufmerksamen Betrachtern und dem engsten Freundeskreis war die Anleihe bei der Pinturicchio zugeschriebenen Darstellung der Storia della fortuna(der Geschichte der Fortuna) am Boden des Sieneser Domes unübersehbar: Die Allegorie des wandelbaren und unsicheren Glücks ist als nackte Frau mit einem weit nach hinten sich blähenden Segel dargestellt, die mit dem linken Fuß auf einem im Wasser schwankenden Boot steht und mit dem rechten wohl auf dem festen Land, jedoch auf einer Kugel. Wenige Schritte weiter kriecht eine kleine Schildkröte, deren Auslegung als machtvolles Wesen außerhalb von Raum und Zeit sowie als
Im etruskischen Orkus 237
• »FESTINA TARDE«, Hypnero tomachia Poliphili, 1500, Holzschnitt • »Storia della fortuna«, Fußboden im Duomo di Siena, 1505
• Bartholomeus Breenbergh, »Tartaruga«, um 1625, Feder zeichnung, Louvre, Paris Gut zu erkennen die labile Haltung der Figur, die den etruskischen Subulo spielt, der im etruskischen Ritus unverzichtbar war. Der Klang des Holzblattinstruments ist zugleich erhaben und orgias tisch und hat eine gewisse, wenn auch sehr viel ele gantere Ähnlichkeit mit den Sackpfeifen respektive dem Dudelsack, den Madruzzo seiner Papacqua hinzufügte (siehe dazu Gedanken sprung: Die Papacqua des Cristoforo Madruzzo, S. 294–301) – vgl. dazu auch die Zeichnung Guerras. Im Hintergrund rechts neben dem Schildkrötenpanzer die ehemalige Staumauer mit dem Aussichtsplatz auf den etruskischen Orkus.
238
Im etruskischen Orkus
Im Kontext mit Melancholie verband Vicino das Attribut der Kugel schicksalhaft mit der mythologischen Gestalt der Tyche oder Nemesis, die zur Zeit Vicinos die Gemüter bewegte: »Tyche ist in ihrem Tun völlig unberechenbar. Ihr Spielzeug ist ein Ball, der die Zufälligkeit des Glücks darstellt. Aber sollte ein Sterblicher, dem sie ihre Gunst erwiesen hatte, sich seiner Reichtümer brüsten und nicht den Göttern einen Teil davon opfern oder damit die Armut seiner Mitbürger lindern, dann greift die alte Göttin Nemesis ein und erniedrigt ihn.«417
• Im etruskischen Orkus:
• Posaunenblasender Putto,
Tyche auf der Schildkröte
Hypnerotomachia Poliphili, 1500, Holzschnitt
• Giovanni Guerra, »Tarta ruga«, Ende 16. Jhdt., Federzeichnung Albertina, Wien • Im etruskischen Orkus: Zugang unter die Tartaruga
Der einmal hierher gelangte und der Faszination des Grabraubes erlegene Wanderer ließ sich wohl kaum davon abhalten, den kleinen getreppten Abstieg zu betreten, wie er ähnliche bereits in den etruskischen Totenstätten Norchias, Bleras oder San Giovannis, in der direkten Umgebung Bomarzos, erkundet hatte.
Orka Also stieg der Gast Vicinos in den kleinen Gang ab, der nach wenigen Stufen scharf nach links biegt und ihn ganz und gar unerwartet in das weitauf gerissene Maul einer Orka blicken ließ, die gerade aus dem schäumenden Wasser des Flusses auftauchte. Das aufgewühlte Meer war eines der Wasserspiele, die mit dem aufgestautenund in einem Schwall wieder entlassenen Wasser des Stausees erzeugt werden konnten und in diesem Falle die Orka sprudelnd und gischtumtobt aus der Tiefe des Meeres auftauchen ließ. Die Reflexionen über diesenAbstieg, der nicht, wie der Höllen schlund, angenehme Perspektiven eröffnete, sondern den schrecklichen Anblick eines zähnestarrenden Meeresungeheuers, waren selbstverständlich hermetischerNatur. Die männliche Urangst, die in der zoomorphen vagina dentata 418 ihren sprechendsten allegorischen Ausdruck fand, verbindet sich darin sogar dem Aktaionmythos. In der Symbolik der Höhle, die als Ort des Todes und der Geburt gilt, und über die Metapher des platonischen Höhlengleichnisses sogar als Ort der Erkenntnis, verweist die begehbare Grabinstallation der Kröte auf die anderen, ebenfalls begehbaren unterweltlichen Orte der Verschlingung, Rückführung und Erlösung. Die Kröte als direkte Analogie zum weiblichen Geschlecht ist motivisch ein Zentrum wie der Höllenschlund und die Gigantomachie.
• Im etruskischen Orkus: Blick aus dem Geheimgang in das weit aufgerissene Maul der Orka • Im etruskischen Orkus: Rückkehr aus dem Tartaros
Nymphäum
Der Weg wird unausweichlich. Der Wiederaufstieg aus dem Schoß der Erde führt am Helikon wieder vorbei und durch den Dromos aus dem etruskischen Orkus heraus, und der Adept findet sich auf einmal in einem idyllischen, von überwucherten Grotten und mit Steinbänken, Nischen und Wasserbecken gerahmten Weg.
• Auf dem Weg im Nymphäum
Nymphäum 243
Drei Grazien
• »Drei Grazien«, antikes Fresko aus Pompeji Museo Archeologico Nazionale, Neapel • Im Nymphäum: Drei Grazien
Die Wegführung wie durch einen landschaftlichen Korridor lässt keine Wahlmöglichkeiten und kein Verirren mehr zu. Kaum hat der Wanderer den etruskischen Orkus verlassen, erblickt er zu seiner Linken drei nackte Mädchen, deren robuste Formen wenig mit den antiken Darstellungen der Drei Grazien gemein haben. Wie in einem natürlichen und doch exquisiten Heiligtum stehensie in der mittleren der drei Nischen, die als Tryptichon in den gewachsenen Felsen eingemeißelt sind. Kleine Vorwölbungen am oberen Rand der Konchen (sic!) erinnern an Venusmuscheln und verleihen den Grazien jene ganz besonderen, anmutigen und mystischen Konnotationen. Die linke und die rechte Grazie hielten Gefäße (Krüge?), aus denen Wasser floss – Wasserspiele, die die drei Mädchen als Naturgottheiten eines ganz außergewöhnlichen Ortes erkennen ließen.
An dieser dunklen und nur von Lichtreflexen erhellten Stelle wirken sie geheimnisvoll und viel schichtig, wozu die Wasserspiele das Ihre zur Verunklärung beitrugen. Offenkundig sollte sich der Gast Vicinos an die Wandgliederung der südwestlichen Terrasse des Palazzo Ducale und die dort angebrachten Sprüche erinnern. Das durch seine ungelenke Anmut reizvolle Relief leitete die Auflösung der menschlichenExistenz im Göttlichen ein und bereitete den Initianten ent sprechend vor. Die Drei Grazien bildeten die neuplatonische Trinität aus Pulchritudo/Venus, Castitas und Voluptas, die dem weiblichen Idealtypus der Nymphe Polia in der Hypnerotomachia entspricht: Als die traditionellen Begleiterinnen der Venus, deren Kult dem der Diana diametral entgegengesetzt ist, geben sie dem Ort eine erotische Umdeutung. Freilich nähme eine solche Lesart nicht Bezug auf die ursprüngliche Artemis als orgiastische Göttin 419 und immerhin könnte die Dreizahl der antiken Mädchen nach Pausanias auch als Triade der Musen gedeutet werden, die als »Dreifaltige Göttin des Geheimkults« verehrt wurden. 420 Derartige Verbindungen, die immer mitgedacht wurden, besaßen jedoch nicht mehr als nur einen bekräftigenden Wert.
244 Nymphäum
Die Haltung der Drei Grazien, von denen sich die mittlere CASTITAS den beiden anderen zuwendet und, im Unterschied zum antiken Vorbild, die linke PULCHRITUDO/VENUS anblickt, ist ein unschein bares Detail, das die umso bedeutendere Erkenntnis nach sich zieht, dass es hier um Geheimnis und seine Bewahrung gehe. Der Philosoph Marsilio Ficino hatte sich intensiv mit dem Phänomen des Eros auseinandergesetzt. Neuplatonische Schriften und Bilder überlieferten antike Vorlagen nicht ohne sie für den christlichen Gebrauch zu adaptieren. Die Erläuterung ihres Hauptsatzes gelang anschaulich durch die Aufspaltung der Anmut in ihre sinnlichen Vermittlerinnen, deren Beziehung untereinander dem höherenSinn der Gottesschau diente. Dafür bot die antike Gruppe der Drei Grazien den geeigneten Vorwand. Im Zentrum stand Amor (Liebe), die von Pulchritudo (SCHÖNHEIT) und Voluptas (BEGIERDE) begleitet wurde. Der »Blickkontakt« zwischen Amor und Voluptas deutete die Beziehung
an: »Amor igitur in voluptatem a pulchritudine desinit.« (Die Liebe entspringt aus der Schönheit und endet im Genuss.)421 Marsilio Ficino hatte es in epigrammatischer Kürze zusammengefasst: »Cum amorem dicimus, pulchritudinis desideriumintelligite.« (Wenn wir von Liebe reden, müsst ihr darunter das Verlangen nach Schönheit verstehen.)422 In dieser Auslegung blickt die mittlere Grazie, Amor, jedoch nicht Voluptas an, die den Vorbeigehenden mit Wasser aus ihrer Scham bespritzte, 423 sondern Pulchritudo! Ebenso könnte eine Medaille Pico della Mirandolas die das Motiv der Drei Grazien als CASTITAS/PULCHRITUDO/AMOR auslegte, vor bildlichgewirkt und die Gruppe ganz neu als die Schönheit (des Geistes) interpretiert haben die auf das keusche Schweigen der hier Einzuweihenden angewiesen ist.
• Vorbild für das Nymphäum Bomarzos dürften wohl auch die faszinierenden, von Pflanzen überwucherten Ruinen der Villa Hadriana gewesen sein. Giovanni Battista Piranesi, »Ruinen einer StatuenGalerie in der Villa Hadriana in Tivoli«, um 1748 aus: Vedute di Roma, Bd. 2, 1835, Kupferstichkabinett, Staat liche Museen zu Berlin • Eine Rekonstruktion, die ohne die vielgerühmte fantastische Bepflanzung auskommen muss, soll hier die architektonische Struktur des sich im Berghang direkt unter der Tomba öffnenden Nymphäums mit dem prächti gen Tonnengewölbe andeuten sowie den Abschluss des hei ligen Ortes mit einem halben, »eingestürzten« Triumph bogen, dessen schiefe (sic!) Fundamente noch zu sehen sind. Das Gemälde Tizians (S. 255) und der Holzschnitt der Hypnerotomachia (S. 260) als auch der Kupferstich (oben) der Villa Hadriana mögen der Imagination des Lesers hilfreich sein.
Wächterlöwen Wie die Nymphen den Poliphil, führen die Drei Grazien den Wanderer seiner Bestimmung entgegen. Sie bereiten ihn auf das Kommende, in diesem Falle die »Auflösung im Göttlichen«, vor. Klarerweise ist der Ort, an dem dies geschah, wieder ein verborgener und wird darum von zwei Löwen bewacht, die dem traditionellen oberitalienischen Typus der Wächterlöwen vor den Kirchen entsprechen und als zwei männliche Tiere vor dem Eingang in den heiligen Bereich wachen. Der hermetische Jäger sollte ihn ahnungsvoll betreten. Mit ihrer raubkatzenhaften Geschmeidigkeit, die durch die Kugel unter ihrer Tatze noch betont wird, verkörpern die Löwen den natürlichen Charme des Ortes, der schon durch die Drei Grazien und die sinnlichen Wasserspiele mit Venus in Verbindung gebracht wurde. Die neuplatonische Auslegung der naturrechtlichen Beziehung zwischen Keuschheit (castitas) und Begierde (voluptas), deren Konno tationen hier vermischt und ausgetauscht wurden, ist das Geheimnis, das von den anmutigen, fast verspielt wirkenden Löwen gehütet wird.
•• Im Nymphäum: Wächterlöwen
246 Nymphäum
Nymphäum 247
Satiresse Die Eleganz der Löwen bildet den deutlichsten Kontrast zur Animalität der Satyrmädchen, der Satiresse, die als steingewordene Erotika vor dem Eingang in das Nymphäum lagern: Der reizvolle Gedanke, und noch mehr das Sitzen auf den schwellenden Formen der zarten Brüste und des fraulich gerundeten Bauches, der jedoch ab der weiblichen Scham in die zottigen Beine der Ziege übergeht und dann in die fedrige Struktur des Akanthus, der sich wiederum wie ein Blatt nach innen zur Volutenform einrollt und somit offen lässt, ob es sich um eine Laune der Natur handelt oder um ein täuschend natürliches Werk der Kunst, gehört mit zur Faszination eines Ortes, an den die Göttin kommt, um im Kreise ihrer Nymphen zu baden. 424 Sie heimlich in ihrer ganzen Schönheit zu belauschen und ihrer lunaren Geheimnisse teilhaftig zu werden ist mit der Vorstellung verknüpft, dafür mit dem Tod bestraft zu werden und stellt eine unmissverständliche Verbindung zu den anderen Unterwelten des Wäldchens her.
Wenn man von einer Aura des Ortes sprechen kann, dann trifft das für das Nymphäum Bomarzos zu. Selten ist es gelungen, die Anwesenheit der Gottheit so sinnenfällig zu machen. Eine einfache Verschiebung der Nischen und Bänke bildenden Einfassungen macht den Raum, den sie auf diese Art umschließen, zu einem Abbild des Numinosen. Die Formen assoziieren Formulierungen wie con clususoder sanctus, wobei ihre gewissermaßen formbare Konsistenz mit der Bedeutung des Ortes zusammenfällt, an dem sich die Gäste Vicinos an die Erschaffung des Menschen durch Prometheus erinnerten. 425 Die nur halbhohen Bänke, deren weiche, feminine Strukturen wie durch geologische Prozesse der Schichtungen von Lehmen und Tonen zustande gekommen wirken, sind gerade soviel gegeneinander verschoben, dass der Wanderer eine natürliche Ursache vermutet. Natürlich sind diese Strukturen wieder künstlich, als sie erneut das Ver wirrspiel von arte und inganno beginnen und den Betrachter ohne merklichen Aufwand und dennoch mit raffinierter Präzision in ihren Bann ziehen. Darin steht das Nymphäum in derselben Tradition wie das Schiefe Haus, der Höllenschlund oder das Plateau der Proserpina, die ihre Zauberkraft auf den übertragen, der sie zu betreten wagt.
• Satiressa vor dem Nymphäum • Nymphäum von oben gesehen, links von der Bildmitte die Satiressa vor dem Nymphäum
Nymphäum 249
• Blick ins Nymphäum
250 Nymphäum
Im Nymphäum Das Nymphäum selbst war eine in den Berghang eingebaute und von diesem überwölbte Grotte, in deren geheimnisvollem Dunkel verschiedene, aus der Mythologie und der Hypnerotomachia vertraute Bilder entweder im Schein von Fackeln oder eben in mysteriösem Halbdunkel zu sehen waren. In kleinen Nischen stehen – wie es sich für ein Nym phäum gehört – nackte Mädchengestalten, die an die Nymphen der Hypnerotomachia erinnern – und ein Cippus, der wie ein Obelisk aussieht und ein offensichtliches Phallussymbol ist. Insbesondere die fünf Sinnenfräulein, die Poliphil im Reich der Königin Eleuterida 426, der Königin der Freiheit, willkommen heißen, kamen den bezauberten Gästen Vicinos dabei in den Sinn. Das Nymphäum ist eine Synthese aus Natur und Kunst, triebhafter Lust und maximaler Verfeine rung, die formal und inhaltlich die natürliche Grotte der Diana mit dem prächtigen Badehaus der Venus der Hypnerotomachia kombinierte. Die geistvolle Überwindungssymbolik des Cippus/Obelisk, der die Ausnahme in der reinen Frauenrunde ist, bestimmte die Bedeutung des Nymphäums als etruskischen Weisheitsort. 427 Vicino war der Held dieser Szenarios, was durch die halbrunden Rosen an der an der Rückwand und am Tonnengewölbe der Grotte, die Embleme der Orsini wie auch der Venus sind, noch zusätzlich bestätigt wurde. Geistreich und elegant wurde die Metamorphose des heiligen Bereiches zu einem Badehaus und Sinnenparadies, das sich dann noch einmal zu einem Ort tiefster Weisheit verwandelte, zur Metapher der individuellen Entw icklung und Vicino sein eigener Panegyriker. 428
Die freundlichen Sinnenfräulein bringen Poliphil in eine lustige Situation, als er von einem urinierenden kleinen Putto mit Wasser besprizt wird – in Bomarzo war dem Gast Vicinos dies bereits von der rechten Grazie VOLUPTAS angetan worden – daraufhin verwandelte die plötzlich aufkeimende Begierde den Poliphil zur Erheiterung der Fräulein »in einen Esel«, eine Anspielung auf die folgerichtige Entwicklung des Poliphil429 in der nächstfolgenden Station Ägypten in Etrurien. Im Nymphäum verband sich die exklusive Keusch heit (Castitas) der Diana mit den unterweltlich triebhaften Qualitäten der Venus (VOLUPTAS), deren Isis-Charakter hier erstmals anklang. In beste chender Ambivalenz wurde Diana 430 über ihre matriarchal-naturrechtlichen Aspekte einer Natur göttin sowohl mit Fruchtbarkeit, als auch mit Tod und Nacht identifiziert, was sie wiederum mit den anderenNachtgöttinnen wie Hekate und Proserpina mythologisch vereinte. 431 Das mythische Dunkel des Ortes vermischte sich assoziativ mit der in altorientalische Zeiten hinabreichenden Bedeutung der Göttinnen, die im Wäldchen als einem arkadischen, auf mysteriöse Weise durch die Jahrtausende erhalten gebliebenen Heiligtum noch immer verehrt würden. Mit subtilem Raffinement täuschten unterschiedliche Mauerungen auf dem natürlich gewachsenen Felsen glaubhaft einen autochthonen Kult vor. 432
Niedere Bänke, die mit geradezu fleischigen Voluten einzelne Sitzplätze formen, und somit einen ikonografischen Gleichklang mit den Satiresse vor dem Nymphäum erzeugen, besaßen damals kunstvoll-witzige Wasserspiele, mit denen Vicino seine illustren Gäste erschrecken konnte.
• Poliphil in einer reinen Frauenrunde im Badehaus, Hypnerotomachia Poliphili, Holzschnitt, 1500
Nymphäum 251
• Im Nymphäum: Cippus als Obelisk in der ersten Nische der Rückwand und Nymphen in den rechten, mittleren und linken Nischen der Rückwand
Eine mythologische Verbindung der Artemis zum Orsino besteht über die Fabel der Kallisto, eine der Begleiterinnen Artemis’, die von Zeus verführt und geschwängert, der Rache ihrer Herrin zum Opfer fiel. In einen Bären (sic!) verwandelt wäre sie – wie Aktaion – von den Hunden zerrissen worden, wenn Zeus sie nicht als Sternbild an den Himmel versetzt hätte. Ihr Kind, Arkas, wurde gerettet und zum »Ahnherrn der Arkadier« ,433 womit schon wieder eine bärenhafte Assoziation hergestellt war, die von Vicinos beeindruckten Gästen erörtert werden konnte. Dazu gehörten zweifellos auch die in Bärinnen, arktoi434, verwandelten Dienerinnen der Artemis, als deren männliches Gegenstück sich Orsini im Nymphäum darstellte. Antike Mythen und ihre neuzeitlichen Verarbei tungen wie etwa Brunos Heroische Leidenschaften standen im Wäldchen gleichberechtigt nebeneinander und ließen Parallelen zwischen der antiken Fabel und der eigenen Jagd nach Sinn ziehen: »Die Gedanken des Jägers, die hinter den Schönheiten der äußeren Welt her sind, werden im Angesicht der Nacktheit Dianas auf das Innere des erkennenden Subjekts zurückgelenkt.«435 Die Ortsbeschreibung charakterisiert und deckt sich mit der der Gottheit und der ihres Reiches: »Dort sind die Nymphen, d. h. die glückseligen und göttlichen Intelligenzen. Sie helfen und dienen der ersten Intelligenz, die dort wie Diana unter den Nymphen in der Einöde weilt. Sie allein von allen ist aufgrund ihrer dreifachen
252 Nymphäum
Tugend fähig, jedes Siegel zu öffnen, jeden Knoten zu lösen, jedes Geheimnis zu entdecken und jegliche verschlossene Sache zu erschließen. Sie stellt durch ihre bloße Gegenwart und ihren zweifachen Glanz des Guten und Wahren, der Güte und Schönheit, Wille und Intellekt ganz zufrieden, indem sie sie mit dem heilbringenden Wasser der Läuterung benetzt.«436 Dem Konnex, den die Heroischen Leiden schaften zu den neun Musen herstellen, entspricht die unmittelbare Nähe zum Helikonbrunnen: »Daran schließt sich ein Gesang und ein Vorspiel an, wo die neun Intelligenzen bzw. Musen in der Reihenfolge der neun Sphären auft reten.«437 Die Interpretation des Badhauses als Grotte, die sich traditionell zum Belauschen und sogar zum Überfall auf weibliche Badende eignet, bezieht sich auf den Aminta Tassos. 438 Vor allem die Szene, worin der triebhafte und rohe Satyr die der Liebe abgeneigten Sylvia überfällt, und die vorangehenden Szenen, in denen der ängslich liebende Aminta ermutigt und der lüsterne Satyr gerechtfertigt werden, waren allgemein bekannt. Eine ähnlicheSituation konstruierte die Hypnerotomachia Poliphili, worin Polia, die aus ganz anderen Gründen, nämlich weil sie an der Pest erkrankt ist, die Liebe flieht, an das Recht des Liebenden (Poliphil) gemahnt wird. Sein naturrechtlicher Anspruch wird noch durch die Szene untermauert, die Polia zur Zeugin von Eros’ Rache an zwei spröden Mädchen macht, und gehört mit
den ausführlichen Kapiteln über den enttäuschten Poliphil, dessen Briefe die angebetete Polia nicht beantwortet hatte, zu den biografischen Substraten, die Vicino Orsini in sein Wäldchen einfließen ließ. 439
Todessehnsucht repräsentierte, wurde durch eine Inschrift vertieft:
Während im Schäferspiel natürlich der rohe Satyr der feinsinnigen Nymphe nachstellt, begegnete Vicino in seinem Wäldchen zwei Satyrmädchen, die es – gleichsam spiegelverkehrt – auf ihn abgesehen hatten, wodurch nunmehr er zur Beute der sinnlichen Verstrickungen der Liebe und des Intellekts wurde. Wie die naturrechtliche Forderung im Aminta und ebenso in der Hypnerotomachia, die beide die Bestrafung derer fordern, die sich der Liebe verweigern, unterwarf sich auch der Gast Vicinos dem arkadischen Naturrecht und fand hinter diesem Aspekt noch eine andere Wahrheit, die die intellektuelle Dimension des alten Mythos betraf: die Auflösung im Nymphäum. Was die im Berg sich auftuende Grotte an gedanklicher und emotionaler Tiefe, an Geborgenheit und an Verschlingung, an Weisheit und an Wahnsinn, an Liebes- und an
IN DER HÖHLE DER QUELLE WO IHM… UND VON JEDEM DUNKLEN GEDANKEN HAT ES MICH…
l’antro la fonte il li…et d’ogni oscvro pensiero me gl…
Ohne weiteres entzifferte der Gebildete die Ikono grafie der dunklen Höhle als Verweis auf den Meister des Dunklen, Heraklit, der seine Schrift Von der Natur im Artemisheiligtum niedergelegt hatte, damit sie vor der Welt verborgen bliebe. In melancholischer Resignation und zynischer Welt entsagung hatte Heraklit sein Alterswerk in der Waldeinsamkeit (sic!) geschrieben und so verrätselt abgefasst, dass es allen Zeitgenossen, ja selbst Sokrates, unverständlich war. Nicht unpassend, und mit der ihm eigenen ironischen Selbst gefälligkeit, übertrug Vicino den Beinamen des Philosophen »ho skonteios«, der Dunkle, auf sein Nymphäum.
• Im Nymphäum: Man erkennt, dass man damals zwei flache Stufen in das gepflas terte Nymphäum hinunter stieg, das genau unterhalb der etruskischen Tomba wie deren Kammer erschienen sein musste.
Innerhalb des Programms ist die Höhle eine weitere Anspielung auf alte Grabstätten und Schatz gräberei, die mit zur Mystifikation des Mutter schoßes Erde gehört, aus dem alles hervorgegangen ist und wohin alles wieder zurück muss. Der initiatorische Wert der Geburtshöhle als Ort der Nacht, aus dem das Licht der Sonne sol salutisgeboren wird, ist in der unmissverständlichen Anspielung auf zuinnerstVerborgenes und im tiefsten Inneren des Weibes zu Findendes enthalten und macht die Höhle zum Inbegriff einer Weisheit oder vielmehr Erkenntnis, die nur im Schoße der Natur zu entdecken ist. Die verborgene und keusche Qualität der Wahrheit macht die vagina dentata zum Ort der (Neu-)Geburt. Der naturrechtliche Aspekt, der durch Keuschheit und Abwehr umso begehrenswerteren Erkenntnis, ist das Wesen der Göttin Diana und bestimmt das Nymphäum als Ort voyeuristischer und intellektueller Freuden: Das Studium der Antike und extravaganter Autoren sowie die hermetisch betriebenen Wissenschaften des adligen Freundeskreises kamen in der Vereinig ung mit der Göttin zum erlösenden Ende. Der Tod des Jägers fiel mit dem Gewinn der letzten Erkenntnis zusammen. Die »geistige Jagd«, wie Giordano Brunos metaphysische Auslegung des Mythos lautete, nach der Aktaion von seinen eigenen Hunden getötet wurde, nachdem er Diana nackt im Bade erblickt hatte, stellte den durch göttlichen Zufall gelenkten Tod des Jägers in einem übergeordneten Zusammenhang dar: »In den Wäldern die Bluthunde und Wind hunde macht der Jüngling Aktaion los, da das Schicksal ihm einen Weg voll Zweifel und Unsicher heit weist, den wildenWaldestieren auf der Spur. Und siehe: zwischen den Wassern den schönsten Körper, das schönste Gesicht, das Mensch und Gott je wohl zu sehen vermögen, in Purpur und Alabaster und feinem Gold sah er; und der große Jäger ward zur Beute. Den Hirsch, der zu undurchdringlicheren Orten leichteren Schrittes sich wandte, verschlangen bald seine vielen großen Hunde. Ich schicke meine Gedanken aus nach erlesener Beute, und sie, zu mir zurückgekehrt, geben mir den Tod mit grausam wilden Bissen.« »Aktaion steht hier für den Intellekt, auf der Jagd nach göttlicher Weisheit im Augenblick des
254 Nymphäum
Erfassens der göttlichen Schönheit.«440 Die natür lichen Metaphern des unwegsamen Waldes und der grausamen Jagdhunde drücken die Unsicherheit des Philosophen und sein Streben nach Erkenntnis aus. Im Angesicht der Göttin erkennt er die göttliche Weisheit Sophia im Spiegel der äußeren Natur und hebt den Schleier von ihrem lunarischen Mysterium, aber die Jagd verkehrt sich ihr Gegenteil, das was er gefunden hat ist Beute und Strafe zugleich: »Er sah sich in das verwandelt, was er suchte, und er merkte, dass er seinen Hunden, seinen Gedanken selbst zur ersehnten Beute wurde. Weil er nämlich die Gottheit in sich selbst zusammengezogen hatte, war es nicht mehr notwendig, sie außerhalb seiner zu suchen«. 441 In der Auslegung Giordano Brunos repräsentiert Aktaion den modernen Heros und Wahrheitssucher, der im Nymphäum das Ziel seiner Wünsche erreicht: »Hier endet sein Leben inmitten der verrückten, sinnlichen, blinden und fantastischen Welt und er führt nun ein geistiges Leben. Er lebt das Leben der Götter, nährt sich von Ambrosia und trinkt Nektar.«442 Der Suchende wird vor dieser Kulisse zum Jäger und Erkenntnis seiner Beute. Er unterwirft sich der Fiktion, indem er sich der melancholischen Überzeugung Vicinos anschließt und die Rolle des herausragenden und vergöttlichten Philosophen auf sich bezieht: der Wahrheitssuchende als antiker Heros, ein wohl sterblich geborener, aber durch Schicksal, Unglück und eigenes Verdienst unsterblich gewordener Halbgott, den die unsterblichen Götter in ihren Reihen aufnehmen. Die Auslegung des Aktaion-Mythos durch Giordano Bruno mischte sich nach dem Willen Vicinos mit etruskischer Sepulkralkunst, die ähnliche Mythen kannte und auf das Todeserlebnis und einen überhöhten Jenseitsbegriff anwandte. Als Vorlagen dienten etruskische Grabmalereien und Sarko phage, wie jener in Arezzo, vor allem aber dürfte wohl das berühmte Werk Tizians »Diana und Actaeon«, das wegen seiner topografischen und ikonografischen Übereinstimmungen am anschaulichsten die ehemalige Wirkung und Bedeutung des Nymphäums wiedergibt, Ursache und Wirkung der zeitgenössischen Arkadiensehnsucht gewesen sein.
• Tizian, »Diana und Actaeon«, um 1556–1559, Öl auf Lein wand, National Gallery of Scotland, Edinburgh
Nymphäum 255
• Im Nymphäum: der Delfinbrunnen
256 Nymphäum
Delfinbrunnen Zwischen dem Nymphäum und der kleinen Schlucht hatte sich ein mächtiger Felsen zur Gestaltung angeboten. Taktvoll, die geheimnisvolle Atmosphäre unterstützend, wurde aus dem massiven Felsen ein wannenförmiges Brunnenbecken herausgearbeit. Die Gäste Vicinos sahen sich angesichts des langsam mit Wasser vollaufenden Bassins an das Verrinnen der Zeit oder sehr sinnig – an ihren eigenen Untergang – gemahnt. Die inventio der freundlichen Meereswesen, die Wasser in ein steinernes Becken mitten in der Waldeinsamkeit spien und es so langsam zum Versinken bringen würden, war in der Bauphase des aufgestauten Flüsschens zunächst wohl nicht mehr als eine manieristische Spielerei, hatte jedoch mit der dritten Bauphase und der neo-etruskischen Jenseitsphilosphie die Bedeutung der verrinnenden Zeit erhalten. Nicht zuletzt und im übertragenen Sinne versinnbildlicht der Delfinbrunnen den Moment des vollständigen Verlorenseins, in dem menschenfreundliche Mittler zur anderen jenseitigen Welt auftauchen. Mehrere Nischenformen, wie sie Vicinos Gäste von den etruskischen Nekropolen kannten, sind wie zum Beweis in den natürlichen Felsen eingemeißelt. •
Für den gejagten Jäger lag das metaphysische Wasserspiel gefährlich nah am Abgrund und gestattete ihm kein anderes Entweichen als die Flucht nach vorne. Der Abgrund war ein unverzichtbares Motiv, aber während die Ensembles der Tomba und der Hekate auf den drohenden Absturz bezogen sind, verhindert das weite Becken des Delfinbrunnens dieses Unheil.
Nymphäum 257
Im Nymphäum: Delfin brunnen, Detail der Delfine • Delfine an der Catena d’acqua, Villa Farnese, Caprarola
VII. EXITUS Das Ende ist wie der Anfang
• Isis-Kore, ehemals Teil des Ensembles »Ägypten in Etrurien«, heute auf dem Weg zum Crucibile aufgestellt
Exitus 259
Ägypten in Etrurien Ein Eckpfeiler mit halben Bögen, eventuell als Ruine gebaut, war Abschluss und Ausgang aus dem Nymphäum und gab zugleich den Blick auf das Ende frei, das im Anfang beschlossen ist. Für den Adepten hatte das Staunen aufgehört und er sah sich mit Gleichmut im ägyptischen Bezirk am Ende seiner Reise angekommen. Ägypten war die alles auf- und erlösende Endstation, die jenes freie und wilde Arkadien ablöste, das kaum besser und atmosphärisch gelungener hätte dargestellt werden können als in jenem romantischen, halbschattigen Tal, in dem der Wanderer von einem sanften Wasserlauf, der immer wieder in breiten Becken gefangen wurde und in geheimnisvollen Grotten aus anthropomorphen Formen sprudelnd hervortrat, dezent geleitet worden war. 443 Wie die Schlange der Ewigkeit sich selbst in den Schwanz beißt, kam der Initiationsweg in seinem Anfang zu Ende. 444 Ein »kolossales Amphitheater«, wie es in der Hypnerotomachia Schauplatz der Vereinigung der Liebenden war, 445 stellte durch
• Ruinenlandschaft, Hypnerotomachia Poliphili, Holzschnitt, 1500
260 Exitus
seine Anlage unterhalb des Plateaus der etruski schen Götter Vicinos Geschichtsverständnis einer arkadisch-ägyptisch-etrurischen Kontinuität dar. Es ist nach griechischem Vorbild in den Berghang hineingebaut und relativierte die bisher durch laufenen Stationen der Läuterung sowohl vor dem Hintergrund der antiken Tragödienspiele, als auch des Welttheaters. Der Brunnen im Zentrum des Amphitheaters, der im »Liebeskampftraum« Gegenstand detaillierter Beschreibungen ist, wurde in Bomarzo zu einem besonders raffinierten Wasserspiel als die leicht abfallende Orchestra, von Wasser überspült, der leichten Neigung des Schiefen Hauses in Gegenrichtung antwortete. Dieses Wasserkunststück beschloss die zahlreichen Wasserspiele, die als Motiv der Reinigung den Einzuweihenden von Brunnen zu Brunnen durch das Wäldchen bis zum Amphitheater geführt hatten. Nach der Hypnerotomachia vereinigen sich hier Poliphil und Polia im Isismysterium und werden zu Venus und Mars. 446 Der ägyptische Bezirk war ganz und gar dem renaissancezeitlichen Mythos von der ägyptischen Arkanweisheit gewidmet, die als unüber treffbarerTopos für die tiefste, geheimste und letzte Erkenntnis gilt. Hermes Trismegistos beherrscht diese Region und ist die Inkarnation des Wissens schlechthin. Als neuplatonische Wiedergeburt des ägyptischen Thoth steht er den ägyptischen Priestern vor, die Magier, Astrologen, Ärzte und Naturforscher in einer Person waren. Sie galten als Experten der Naturbeobachtung und -beherrschung, was sie in den Ruf brachte, geheime Praktiken auszuüben, vermittels derer sie die letzten Geheimnisse des Lebens zu erkunden und sogar den Tod zu besiegen vermochten. Durchwegs alle antiken Persönlichkeiten, wie die Vorsokratiker, die ihre Thesen aus der Naturbeobachtung ableiteten und in immer gleich benannten Hauptwerken Über die Natur zusammenfassten, ließen es sich angelegen sein, Ägypten als das Land der Wunder (maraviglie!) und ältester Weisheit zu besuchen. So wie das Land selbst zur Metapher geworden war, bedeutete die Reise dorthin einen initiatorischen Schub, der sich auf die Erkenntnisfähigkeit auswirkte.447
Vicinos Gäste betraten einen architektonisch gestalteten Bereich mit Obelisken, Panhermen, IsisKoren, Jupiter-Ammonköpfen vor einer Isisgrotte und einem Theater, der mit dem Bild ägyptischer Authentizität übereinstimmte, das Vicinos belesene Zeitgenossen vor ihrem inneren Auge hatten. Die im Museum des Parks gesammelten Reste der ehemaligen Balustraden an Loggien, Aufgängen und Brunnen können mit der Bemerkung Vicinos in dem Brief an Alessandro Farnese in Zusammenhang gebracht werden: »[…] giungendo al boschetto trovai la loggia delle mie fontane che
va a terra« (»[…] fand ich, als ich das Wäldchen erreichte, die Laubengänge meiner Brunnen abgerutscht«). 448 Mehrere Löcher in der linken Mauer neben dem Amphitheater, die den Berghang abstützt, lassen Schlüsse auf die ehemalige Anlage zu (siehe Abbildung S. 291), die noch einen Aufgang auf das obere Plateau und zur Hekate hatte. Sie lag schicksalhaft in einer gewissermaßen drei dimensionalen Weggabel und war Zentrum und Schwungrad des ganzen Programmes.
• Ägypten in Etrurien, Panoramafoto: Ruine der Isisgrotte, rechts oben ist der Kopf des Hermes Trismegistos noch in situ erhalten.
Exitus 261
Isis
Hermes Trismegistos
Beim Verlassen des etruskisch dunklen, »obskuren« Flusstälchens gelangte der Wanderer nicht direkt, sondern durch eine Art Schleuse in den ägyptischen Bezirk und durch eine besondere Eingangsituation zur Isisgrotte. Ägypten war der logische und psychologische Archetypus.
Die Auseinandersetzung mit Hermes Trismegistos als Vicinos geneaologischem und mythologischem Stammvater, der noch dazu sein astrologischer Herrscher war, bestimmte die letzte Station des Läuterungsweges. Unter Verzicht auf allzu offensichtliche, historische Kulissen spannte Vicino Orsini die Gebildeten unter seinen Besuchern in die atmosphärisch aufgeladene Intellektualität des Wäldchens ein, wobei der Wechsel zwischen sanftenillusionistischen Tricks und ausgesprochen deftigen sensualistischen Schocks den Kontrast zwischen dem lieblichen und dem schrecklichen Arkadien auch sinnlich darstellte.
Das zeitgenössische arkadischen Stimmungsbild des Idylls, das sich aus der Wechselbeziehung zwischen Dichtung und Malerei ergeben hatte, 449 wurde in Bomarzo großen und katastrophalen Veränderungen unterworfen. 450 Wie im mittelalterlichen Lehrgedicht der Comedia waren Wildnis und Schrecken Ursachen und Wirkungen der Katharsis. Vicinos Wäldchen folgt ebenso dem Muster, nach dem die tiefe Beunruhigung traditionell in Ägypten beginnt und hier auch zu Ende kommt. Also bildete der »hieratische« ägyptische Bezirk das Allgemeinwissen oder, besser gesagt, die Vor stellungen der Renaissance ab. Im Stil der geheimnisvollen und magischen Schriftzeichen der uralten, mysteriösen und darum schon als geistig überlegen angenommenen Kultur entstanden hieroglyphisch verrätselte Bilder und Bildwörterbücher, die zur Illustration jedes gewünschten Inhalts dienten. 451 Die Hypnerotomachia bot auch hier wieder eine Vorlage. Das Phänomen der ineinander geschachtelten Bedeutungsebenen und sich überlagernden Sinnschichten war kaum an einem Kunstwerk der Wirklichkeit so evident wie in Bomarzo, das darin am ehesten den Werken der Malerei und noch mehr denen der Dichtung glich.
Die Überlieferung der Prisca Sapientia in einer arkadisch-ägyptisch-etruskischen Kontinuität war mythisch und historisch begründet. Der faszinierend hässliche und zugleich geistvolle Kopf am Kämpfer des rechten Pilasters neben der Isisgrotte war der Genius Loci, der das kleine Plateau bis zum Eingang mit den Sphingen überblickte. Die sardonisch-pantheistische Fratze war aus gleich mehreren Ikonografien abgeleitet: Vicino und Caro inspirierten sich an Ovids Schilderung im fünften Buch der Metamorphosen, worin der Dichter
• Hermes Trismegistos, Fußboden im Duomo von Siena, um 1480 • Ägypten in Etrurien: Isis in der Grotte, Detail
Exitus 263
beschreibt, wie die aus Angst vor dem erdgeborenen Typhon nach Ägypten geflohenen Götter sich in Tiere verwandelten, wobei Zeus-Jupiter selbstverständlich als Anführer figurierte: » ›Ein Leithammel‹, sagt sie [die Muse, die als Erzählerin auftritt], ›wird Jupiter. Daher wird noch heute der libysche Ammon mit krummen Hörnern dargestellt.‹ «452 Aus einem ikonografischen Handbuch kannten Vicinos Gäste die Schilderung eines Waldes, der dem ägyptischenAmmon geweiht war und in dem ein Widder dem dürstenden Bacchus den Weg zu einem Brunnen wies. 453
• Vorwäldchen: Hermes Trismegistos, bemoostes und verschollenes Pendant auf der Rampe vor dem ehemaligen Eingang ins Wäldchen
Wie auf der Abbildung gut zu sehen ist, spien die Hermes-Trismegistosköpfe im 16. Jahrhundert Wasser in die wannenförmigen antikischen Becken, die heute zerbrochen im Bereich des ehemaligen Einganges liegen (siehe Abbildung S. 64). Die viereckigen Kopfskulpturen, die als Kämpfer steine der kleinen Tonne der Grotte eingesetzt sind, wirken völlig unklassisch und im wahrsten Sinne des Wortes manieriert, als sie eine selbstständige und dennoch eklektische, ganz und gar fiktive Idee als Person abbilden. Durchaus glaubwürdig und für den Eingeweihten offenkundig, verkörpert sich in diesem Gesicht, das zwischen der halbtierischen Existenz des Jupiter-Ammon-Pan und dem Weis heitsgestus des Hermes Trismegistos oszilliert, die Idee eines universalen Allgottes.
264 Exitus
Unisono ließen die Protagonisten der Renaissance den alten Hirtengott zu neuen Ehren kommen, als sie den Tod des Großen Pan mit dem Vergehen der Antike gleichsetzten und im Kontext des Neu platonismus seine Rückkehr betrieben. Die dräuenden Stirnfalten des Pandeus und seine Herrschaft im Goldenen Zeita lter des Wäldchens machen ihn zu einem Alter Ego des melancholischen Dis Pater vom Plateau der etruskischen Götter. Das Motiv des ägyptischen Ammon mit den Fruchtgirlanden an seinen Widderhörnern war daher viel mehr als die geläufige, dekorativ verwendete Floskel zeitgenössischer Gartenkunst. Auf der Grundlage der Verwandlungsgeschichte des höchsten Gottes zu einem Pan-Deus454 wurde die Groteske in der Definition Vicinos und Caros zu einem Abbild höchster Weisheit, wie es im elftenorphischen Hymnus heißt: »Pan rufe ich, den Starken, den Widder, der Kosmos Allheit, Der da ist Himmel, Meer, allherrschende Erde und unsterbliches Feuer; denn Elemente sind die Glieder Pans. […] Dem All entsprossen, Aller zeuger, vielnamiger Gott. Weltenherrscher, Mehrer, Lichtträger, Fruchtbringer, Paian, Grottenwohner, Strenggesinnter, wahrer Zeus, Gehörnter.« Die überragende Stellung des zum Weltenherr scher avancierten Pan war als emblematisch ägyptisierende inventio des Pan Medicea geläufig, den Naldo Naldi als kosmischen Herrscher in einem panegyrischen Wortspiel mit Cosimo de’ Medici in Verbindung gebracht hatte. 455 Mit Hilfe der gelehrten Freunde und nach dem Vorbild des Florentiner Humanismus widmete sich Vicino in Bomarzo und vermutlich auch in Soriano der Wiederherstellung ältester Weisheit, wobei er als neuer Hermes mit dem Moses der Papacqua eine alchymische Personalunion bildete. »In der Renaissance wird Pan nicht mehr als der chthonische, halbtierische Hirten- und Fruchtbarkeitsgott verstanden, sondern gilt, der spätantiken Interpretation folgend, die vom Namen Pan ausgehend den Gott als den Herrn des Alls betrachtete, als der umfassende Weltenordner.«456
• Ägypten in Etrurien: Hermes Trismegistos, aus dem geöff neten Mund floss im 16. Jhdt. Wasser in eine heute nicht mehr rekonstruierbare Brunnenanlage, deren Reste im Vorwäldchen und an der Umfassungsmauer abgelegt wurden.
Exitus 265
• Zur Illustration der
• Lucius im Schlafzimmer
führenden Rolle, die
einer liebestollen Dame.
Vicinos Wäldchen inner
»Ain Schoen Lieblich, auch
halb der hermetischen
kurtzweylig gedichte Lucij
Tradition einnahm, zwei
Apuleij von ainem gulden
Frontispize deutscher
Esel ... lustig zu lesen / mit
Übersetzungen des antiken
schönen figuren zugericht
Märchens: »Sehr lieb
grundtlich verdeutscht,
liches / kurzweiliges künst
durch Johan Sieder …«,
liches und nützliches
Augsburg, 1538, aus den
Gedicht Lucij Apuleij / deß
digitalisierten Beständen
Fürtrefflichen / Weitberüm
der Universitätsbibliothek
ten / alten Philosophi und
Freiburg i. B.
Oratori / Von seiner auß einem Menschen in einen Vernünfftigen Esel / Wunder baren / schnellen und gefährlichen Metamorphoß / Transmutation und Ver w and lung … Anno 1605«
Vor der hermetischen Kulisse des Theaters mit den Obelisken betrat der Adept die Grotte in besonders ahnungsvoller Weise. Darin stand, hinter einem Wasserschleier verborgen, die Statue einer Göttin, halbnackt, bis auf den um die Hüften geschlungenen Schleier. In ihren Händen hielt sie eine riesige Venusmuschel, aus der Wasser überfloss und sich kaskadenartig bis zu ihren Füßen und über den fächerartigen Sockel ergoss. Diese Begegnung mit der großen Naturmutter 457 traf den Ägyptenreisenden nicht unerwartet, immerhin war er in den verschiedenen Unterwelten, zuletzt im Nymphäum, darauf vorbereitet worden und fand sich nun in einer weiteren unterweltlichen Grotte, wo Isis gemeinsam mit ihrem Bruder Osiris das Urteil über ihn sprechen würde. 458 Zu dieser letzten Station, gleichsam einer letzten Instanz, gelangte der Wanderer auf den Spuren des Poliphil, der sich kurz zuvor von den fünf Sinnenfräulein, in denen der zeitgenössische Betrachter die symbolische Verstrickung in die eigene Sinnlichkeit erkannte, im Nymphäum betören hatte lassen. 459 Zu ihrem Entzücken hatte er sich »von überwältigender Wollust erfüllt« plötzlich in einen Esel und – wiederum vexierbildhaft – in den Helden einer anderen Geschichte verwandelt: Die Welttheaterallegorie des Amphitheaters verband sich assoziativ mit dem Goldenen Esel von Apuleius, von dem schwer zu sagen ist, ob es sich dabei um eine Komödie oder eine Tragödie handelt. Mit eben den erotischen Anspielungen
gewürzt, die den Briefwechsel der Freunde auszeichneten, bot das antike Märchen ein lebensnahes Identifikationsmodell. Die Verwandlung in die naturhafte, Charakter und Neigungen des Lucius widerspiegelnde Existenz des Esels, der im Laufe der abenteuerlichen Geschichte letztendlich von der ägyptischen Isis Erlösung und Rückverwandlung in seine menschliche Form erflehte, konnte Vicino allegorisch auf sich beziehen. Im elften Buch der Mysterien der Isis gab Apuleius eine Schilderung der Isis, die sich wie eine direkte ikonologische Vorlage für die lunaren Göttinnen Bomarzos liest: »Königin des Himmels! Du seiest nun die allernährende Ceres, des Getreides erste Erfinderin, welche, in der Freude ihres Herzens über die wiedergefundene Tochter, dem Menschen, der gleich den wilden Tieren mit Eicheln sich nährte, eine mildere Speise gegeben hat und die eleusinischen Gefilde bewohnt, oder du seiest die himmlische Venus, welche im Urbeginne aller Dinge durch ihr allmächtiges Kind, den Amor, die
verschiedenen Geschlechter gegattet und also das Menschengeschlecht fortgepflanzt hat, von dem sie zu Paphos in dem meerumflossenen Heiligtume verehrt wird, oder des Phöbus Schwester, welche durch den hilfreichen Beistand, den sie den Gebärerinnen leistet, so große Völkerschaften erzogenhat, und in dem herrlichen Tempel zu Ephesos angebetet wird; oder seiest du endlich die dreigestaltige Proserpina, die nachts mit grausigem Geheul angerufen wird, den tobenden Gespenstern gebietet und unter der Erde sie einkerkert, während sie entlegene Haine durchirrt, wo ein mannig faltiger Dienst ihr geweiht ist: Göttin! Die du mit jungfräulichem Scheine alle Regionen erleuchtest, mit deinem feuchten Strahle der fröhlichen Saat Nahrung und Gedeihen gibst und nach der Sonne Umlauf dein wechselndes Licht einteilst; unter welchem Namen, unter welchen Gebräuchen, unter welcher Gestalt dir die Anrufung immer
am wohlgefälligsten sein mag! Hilf mir in meinem äußersten Elende, stehe mir bei, dass ich nicht gänzlich zugrunde gehe; nach so vielen, so schwer überstandenen Trübsalen verleihe mir endlich Ruhe und Frieden!«460
• … und die hermetische (sic!) Interpretation des Stoffes »Chymische Hochzeit: Christiani Rosencreutz Arcana publicata vilescunt: et gratiam prophanata amitt
Lucius der Esel, oder vielmehr der Esel Lucius flehte und es erschien aus den Wogen des Meeres Aphrodite Pandea, die natürlich Isis war: »In ihren Händen führte die Göttin weit voneinander verschiedene Dinge; denn in der Rechten hielt sie eine goldene Klapper, durch deren schmales Blech, das sich wie ein Gürtel zusammenbog, einige Stäbe gezogen waren, die beim dreimaligen Schütteln des Armes einen hellen Klang gaben. Von der Linken aber hing ihr ein goldenes Trinkgeschirr herab, über dessen Handhabe, an der Seite, wo sie sichtbar war, eine Schlange sich emporreckte, mit hocherhobenen Haupte und geschwollenem Nacken. Sie spricht den Verzweifelten wie folgt an, indem sie sich als Allgöttin zu erkennen gibt: ›Schau! Dein Gebet hat mich gerührt. Ich, Allmutter Natur, Beherrscherin der Elemente, erstgeborenes Kind der Zeit, Höchste der Gottheiten, Königin der Manen, Erste der Himmlischen; ich, die in mir allein die Gestalt aller Götter und Göttinnen vereine, mit einem Winke über des Himmels lichte Gewölbe, die heilsamen Lüfte des Meeres und der Unterwelt klägliche Schatten gebiete; die alleinige Gottheit, welcheunter so mancherlei Gestalt, so verschiedenen Bräuchen und vielerlei Namen der ganze Erdkreis verehrt, denn mich nennen die Erstgeborenen aller Menschen, die Phrygier, pessinuntische Göttermutter. Ich heiße den Atheniensern Kindern ihres eigenen Landes, kekropische Minerva; den eiländischen Kypriern paphische Venus; den Pfeil führenden Kretern diktynnische Diana; den dreizüngigen Siziliern stygische Proserpina; den Eleusiniern Altgöttin Ceres. Andere nennen mich Juno, andere Bellona, andere Hekate, Rhamnusia andere. Sie aber, welche die aufgehende Sonne mit ihren ersten Strahlen beleuchtet, die Äthiopier, auch die Arier und die Besitzer der ältesten Weisheit, die Ägypter, mit den angemessensten eigensten Gebräuchen mich verehrend, geben meinen wahren Namen mir, Königin Isis.‹ «461
Exitus 267
unt. Ergo: ne Margaritas obijce porcis, seu Asino substerne rosas. Anno 1459« (Geheimes heiliges Wissen des Christian Rosenk reutz, das entweiht verloren gehen würde und also freigegeben wird, um nicht Perlen vor die Säue zu werfen oder dem Esel Rosen zu streuen. Im Jahre 1459) belegen den internen Zusammenhang von Humor, Lust und Erkenntnis. Die im Wäldchen aufgeführ ten »coglionerie« ähneln den Abenteuern, Witzen und Obszönitäten im Goldenen Esel, als sie hier wie dort dem einzigen höheren Zweck der Erlösung dienten.
• Zu guter Letzt wird der Esel in den Jüngling Lucius zurückverwandelt. Illustration von Apuleius Metamorphoses, 1345 Manuskript Vat. Lat. 2194 Biblioteca Apostolica Vaticana, Rom
• Sandro Botticelli,
• Ägypten in Etrurien: Isis,
»Die Geburt der Venus«,
Detail des Sockels, der von
1484–1486, Detail der
vorne einer Venusmuschel
Venus auf der Muschel
gleicht und als Vexierbild
Galleria degli Uffizi, Florenz
von der Seite den geheimnis vollen ägyptischenVogel Phönix darstellt. In der Konche hinter und rund um die Figur der Göttin sind noch die zahlreichen Öffnungen für die Wasser spiele zu erkennen, die den »Schleier der Isis« imitierten.
Die Isis Bomarzos steht auf einer nach außen gewölbten und spitz zulaufenden Konsole, deren Form von vorne betrachtet die Muschel der Aphro dite nachahmt. Die sprühregenartigenWasserspiele in der Grotte unterstützten die Assoziation mit der schaumgeborenen Göttin der ersten Stunde, die aus dem abgeschnittenenGlied des Uranos entstanden war. 462 Die Sexualsymbolik der Muschel verband sich in der Figur der Aphrodite mit den Begriffen von Zeugung und Fruchtbarkeit, aber auch Geheimnis und Veschlossenheit. Die Grotte der Isis war wie eine Apsis geformt: dasselbe Wort für Altarnische (Konche) und Muschel (Concha) verband die dreikonchige Wandgliederung an der Terrasse des Palazzo Ducale mit dem ganz ähnlich aufgebauten Relief der Drei Grazien. Wie im berühmten Bild Sandro Botticellis »Die Geburt der Venus«, die nackt und sehr verführerisch auf einer Venusmuschel steht, erweist sich die Muschel als zugleich offenbarendes und verbergendes Symbol jener mystischen, lebensspendenden Kräfte, die direkt mit der Schönheit des Weibes und der Liebe verbunden sind. Wie der Aztekenschädel war allerdings auch die Muschel ein Vexierbild: Bei näherem Hinsehen stellt sich die Venusmuschel als inganno und erst recht als Hinweis auf die Isis heraus, denn zwei seitlich herabhängende Kehlsäcke verwandeln die »Muschel« auf geheimnisvolle Weise in den mythischen Vogel der Unendlichkeit und Zeit, Phönix, der sich alle fünfhundert Jahre aus der Asche erneuert. Er ist das Symbol der ständigen Wiederkehr und der chthonischen Macht der Isis. 463 Mit dem Eintritt in das große Finale des ägyptischen Bezirks mit den Sphingen, Obelisken und den Jupiter-Ammonköpfen zu Seiten des Ein gangs in die Isisgrotte, worin die hinter einem Wasserschleier verborgene Isis wie die keusche Diana erschien, stand der Ägyptenreisende dem letzten Mysterium gegenüber. Dem Stil der Metamorphosen folgend und als elementares Gegengewicht zur alchemistischen Reinigung im Feuer464 erfolgte hier die rituelle Reinigung durch das mystische Wasser. Der legendäre Schleier der Isis wurde mit Wasser künsten illusionistisch dargestellt. Das mystische Wasser war eine Vergegenwärtigung jener
268 Exitus
• Im enigmatischen Typus der Isis/Kore/Aphrodite kulminiertdie älteste Weis heit. Skulptur des ehemali gen Ensembles Ägypten in Etrurien, heute auf dem Weg zum Crucibile aufgestellt.
obskuren Mächte und Isis das ultimative Symbol des Weiblichen. 465 Das Neuaufleben ihres heidnischen Kultes in Bomarzo machte es zum »Archet yp des Mysterienweges, an dessen Ende ein Wand lungsgeschehen steht, das am heiligen Ort, im zentralen Raum, dem Uterus der großen Mutter sich abspielt. Dieser Wandlungsort aber ist nur auf einem Einweihungsweg zu erreichen, der durch ein todesträchtiges gefährliches Labyrinth führt, in dem keine Bewusstseins-Orientierung möglich ist«. 466 Die Vorstellung, durch das Opfer in jenes Wandlungsgeschehen einzutreten und somit Teil des Schöpfungsgeschehens selbst zu werden, ist uralt. 467 Das Opfer ist der Beitrag des Menschen zur Erhaltung der Schöpfung. Vicinos Wertschätzung der aztekischen Kultur mit ihren Menschenopfern entsprach in diesem Sinne dem heroischen Tod des Aktaion, der im erotisch besetzten Badehausebenso das Opfer eines höheren Willens geworden war. Der Ägyptenreisende, der hinter den Schleier der Isis schaute, verstand die berüchtigte Metapher als Blick auf das, »was nach dem Tod kommt«. Als Verkörperung des weiblichen – sowohl lebensspendenden als auch todbringenden Prinzips – war Isis das Pendant zum Dis Pater-Saturnus, der die männliche Seite des zeugenden Eros repräsen tierte: In der Isis kulminierte die Sehnsucht nach dem Paradies, die den einfachen, nach den Gesetzen des Bauern- und Kirchenjahres lebenden Hirten mit dem hochgebildeten Fürsten verband, der die natürlichen Abläufe als kosmische Energien und intellektuelle Prinzipia verstand (siehe Fußnote 42).
• Tonnengewölbte Decke des Tempietto. Der Esel Lucius kann von Isis nur erlöst werden, wenn er Rosen frisst, die Embleme der Orsini wie der Venus
Die gleichermaßen unnahbare und sinnliche Ausstrahlung der lebensspendenden Göttin im wasserumsprühten Grotteninneren repräsentierte und schloss das hermetisch stufenförmig abgesetzte System ab, das den verschiedenen Einweihungsgraden entsprach. Als Führerinnen waren ausnahmslos weibliche Gottheiten und Dämonen aufgetreten, in denen sich die Begriffe der Weisheit und des Schreckens verkörpern und die zugleich (Schatz-)Hüterinnen ältester und tiefsterWeisheit sind.
sind sowohl im Tempel als auch in der Arkosolbank (S. 135) und erst recht im Nymphäum (S. 245) das beherrschende Ornament. Für die ins Mysterium der Isis Eingeweihten verwies sogar die Kassettendecke des Palazzo Ducale auf diese verborgene Identität des Fürsten (S. 285).
Exitus 271
Panhermen, Isis-Koren und Janusköpfe Zum Programm Ägypten in Etrurien gehörten männliche und weibliche Panhermen – die, wie die Urnen und Vasen, Eicheln und Pinienzapfen, als Steinsetzungen diese Region ikonografisch benannten und gliederten. Unverkennbar bilden die männlichen Panhermen, die sich vom HermesTrismegistos-Motiv ableiten, die Physiog nomie des Bauherrn Vicino ab. Die weiblichen Hermen wiederum stellen als Personalunion von Isis/Kore/ Aphrodite das weibliche Pendant dar. Janus, der Gott des Wandels und Neubeginns, ist, wie Proteus, eine sich ständig wandelnde äußere Form und erscheint hier in Personalunion mit dem Gott der sich verändernden und erneuernden Natur. Der bärtige Männerkopf im Herbst seinesLebens
• Ägypten in Etrurien: IsisKoren mit Cista Mystica, heute am Weg zum Crucibile aufgestellt •• Ägypten in Etrurien: Auch der vierfache Janus-Vicino (Lebensalter) trägt eine Cista Mystica, heute am Weg zum Crucibile aufgestellt.
272 Exitus
ist die traditionelle Darstellung der Jahreszeit Vertumnus-Janus. Der Legende nach kann er entweder als strahlend schönes Mädchen oder als alter Mann erscheinen, um den Übergang vom Winter zu neuer Fruchtbarkeit und darüber hinaus vom Tod zum Leben zu symbolisieren. Wie Hekate wird er als »Wächter der Türschwellen« verehrt. 468 So wie die Koren sich doppeldeutig auf die Oberund Unterwelt sowie die Rückkehr im ewigen Kreislauf der Natur beziehen, blicken die männ lichen Janusköpfe nach vorne und hinten, respektive in die Zukunft und die Vergangenheit gleichzeitig, was in einem weiteren Sinne metaphorisch das Geschichtsbewusstsein Vicinos abbildete. Die ägyptisierenden Isis-Koren waren eindeutig hermetischer Provenienz, und spielten, wie die weiblichen Panherme mit Cista Mystica am Sockel des Wappenbären neben dem Treppenaufgang des Palazzo Orsino in Pitigliano, auf ein familiäres Faible für die Geheimen Wissenschaften an.
• Der alte etruskische Gott Vertumnus ist das männliche Pendant der Isis-Koren und wies eine gewisse Ähnlich keit zur philosophischen Attitüde des alternden Vicino auf. Skulptur des ehemaligen Ensembles Ägypten in Etrurien, heute am Weg zum Crucibile aufgestellt.
Am Ende der Reise und im Kontext ihrer Wunder genügte die bloße Symbolkraft der ägyptischen Wahrzeichen und die Rekonstruktion des Amphi theaters aus der Hypnerotomachia, um den Ein druck zu erwecken, dass sich in dieser Wirklich keit gewordenen Illusion der mysteriöse Isis-Kult erhalten habe.
• In der Physiognomie des doppelgesichtigen Janus, der in die Vergangenheit und in die Zukunft zu blicken vermag, bündelt sich das hermetische Wissen, das symbolisch in den Früchten der Cista Mystica dargestellt ist. Teil des ehe maligen Ensembles Ägypten in Etrurien, heute am Weg zum Crucibile aufgestellt. • Isis mit Cista Mystica am Palazzo Orsini in Pitigliano
Zusammen mit den übrigen ägyptischen Reminis zenzen bezeugten die Panhermen die von Ägypten aus begründete etruskische Zivilisation. Sein Geschichtsbild begründete Vicino Orsini mit der zeitgenössischen, freilich gefälschten Konstruktion Giovanni Nannis, der mit einem verwirrenden Konglomerat aus historischen Fakten, mytholo gischen Figuren und fantastischen Erfindungen den direkten Zusammenhang zwischen der arkadischen, ägyptischen und etruskischen Kultur hergestellt hatte: 1498 hatte jener Nanni gefälschte Texte antiker Autoren veröffentlicht, nach denen der biblische Noah und der griechische Janus ein und dieselbe Person gewesen wären. Demnach hätte Noah, der unmittelbar von Gott inspirierte und gerettete Urvater der Menschheit, nach seiner Landung mit der biblischen Arche in Etrurien, dort ein Goldenes Zeitalter eingeleitet: »[…] il Gran Padre Noe, detto Iano dagli antichi, Imperatore & Monarca delle genti, regnó, visse, & morí in quelle parti…« (»[…] der Große Vater Noah, von den Antiken auch Janus genannt, Herrscher und Monarch der Völker, regierte, lebte und starb dort…«). 469 Guillaume Postel folgte mit seinem Werk De Etruriae regionis470 den Ausführungen Nannis, wobei er außerdem die Orsini unter die ältesten Geschlechter der Region zählte, und überdies noch eine Verbindung mit dem ägyptischen Osiris herstellte, der das inzwischen von Tyrannen unterworfene Etrurien befreit hätte: »Di poi Beroso e Diodoro avisano gli Italiani che Osiri liberó l’Italia da tiranni. Insegnó l’Agricoltura, et il raccogliereil formento. E provasi questo prima per la sacra inscrittione d’Egitto« (»Darüber hinaus wiesen Beroso – ein legendärer chaldäischer Historiker – und Diodorus den Italienern nach, dass Osiris Italien von den Tyrannen befreit hatte. Er lehrte [sie, die Etrusker] Landwirtschaft und wie Getreide geerntet wird. Das belegen die heiligen ägyptischen Inschriften«). 471
274 Exitus
In Viterbo, der Bomarzo nächstgelegenen Stadt, habe sich Osiris sogar eine Weihestätte errichten lassen. 472 Die Verbindung zu Hermes Trismeg is tos, der in der Überlieferung ebenfalls als weltlicher und geistlicher Fürst erschien, war naheliegend und hatte sich über die Figur des Pan, der gleichfalls mit Osiris identifiziert wurde, von Arkadien nach Ägypten und von dort nach Etrurien übertragen: »Pan […] era vno delli otto Dei princi pali dello Egitto« (»Pan war einer der acht Haupt götter Ägyptens«). 473 Dieses mythologisierende Konstrukt dachte das präselenische Arkadien zusammen mit einem prähistorischen und in biblischen Zeiträumen existierenden Goldenen Zeitalter vor der Sintflut, das deshalb noch vor
der immerhin historisch fassbaren ägyptischen Kultur existiert haben musste. Die scheinbar unreflektierte Übernahme offensichtlicher Fälschungen und Behauptungen, wie auch die Vermischung autorisierter antiker oder neuzeitlicher Texte mit pseudowissenschaftlichen oder esoterischen, gehörte zum kompilierenden Charakter des Wäld chens, wo sie der begnadete Eklektiker Vicino völligundogmatisch und brüderlich einander gegenüberstellte. Prädestination und Astrologie sind miteinander verbundene und ineinander verzahnte Elemente eines Vorstellungskreises: In der neuzeitlichen Version Nannis wurde der Gott Janus, unter Beru fung auf die Fasti, in denen Ovid diesen Gedanken vorformuliert hatte, als großer Astronom und Betreiber des makrokosmischen Uhrwerks charakterisiert: »moves and turns the heavens and elements and all things that turn«. 474 Das bezeichnende Attribut der Räderuhr mit der Tizian den Freund Vicinos, Cristoforo Madruzzo, dargestellt hatte, erklärt sich im großen Zusammenhang ihrer Freundschaft und ihres Briefverkehrs – und lässt die Widmung am Schiefen Haus in diesem Licht erscheinen. Ägypten selbst relativierte alles bisher Gesehene im Sinne des Welttheaters und war zugleich der eine Pfeiler der dialektisch ausgefeilten geistigen Brücke, die Vicino mit den hin- und herverweisenden Inschriften an den Terrassen des Palazzo Ducale zwischen der offiziellen Welt und dem hermetischen Wäldchen spannte.
• Tizian, »Kardinal Cristoforo Madruzzo«, 1552, Öl auf Leinwand, Museu de Arte, São Paulo. Der Kardinal ist hier mit dem Attribut einer Räderuhr dargestellt.
Exitus 275
Dialoghi: weltliches Latein und heiliges Volgare Eine Zeichnung Breenberghs von der Ortschaft Bomarzo zeigt den Palazzo Ducale, wie er zu Zeiten Vicinos ausgesehen hatte. Besonderes Augenmerk verdient das Schlafzimmer des Fürsten auf dem Dach des Palazzo. Vorne, an der Südfassade schloss es direkt mit dieser ab und hatte zusätzlich zu den Ost- und Westterrassen noch einen Südbalkon. Diese wahrhaftig hervorragende Bedeutung, die Vicino seinem Schlafzimmer zukommen ließ, spricht dafür, dass er es kontextuell zum Wäld chen präsentierte. Als Beweis dafür können die gottesfürchtigen Palastinschriften der Ost- und Westterrasse genommen werden, deren hintergründige Bedeutungen sich erst nach und nach und im Dialog mit dem Volgare des Wäldchens offenbaren. Aus diesem Grunde können sie hier erst nach dem Verlassen des Wäldchens sinnvoll zitiert werden.
• Blick auf die Ortschaft Bomarzo mit dem Palazzo Ducale
276 Exitus
Die Inschriften an den Terrassen des Palazzo Ducale entsprechen in ihrer vordergründigen Harmlosigkeit den anspruchslosen arkadischen Topoi des Hirtenlebens, der Jagd und der Schatz suche im Wäldchen. Der antagonistische Wert der Zitate und Axiome drückte sich schon in der Wahl des naturrechtlichen Volgare für das Wäldchen und des epigrammatischen Latein für den Palazzo aus. Bezeichnenderweise sind die Texte des Wäldchens viel klarer formuliert als die sprachwitzig verrätsel ten Sentenzen, deren Reiz in der Travestie ihrer christlichen Vorbilder liegt.
• Bartholomeus Breenbergh, »The Fantastic Rocks and Castle at Bomarzo«, um 1625 Federzeichnung, National Gallery of Art, Washington
Exitus 277
Westterrasse des Palazzo Ducale Der buchstäblich genüsslich modifizierte Predi gerspruch bene vivere et letari (gut zu leben macht glücklich) über dem Torbogen der Südwestterrasse war offenkundig das Motto und Überschrift aller anderen epikureischen Lebensregeln: gut zu leben, statt gut zu handeln. Vicinos Gäste verstanden den Scherz, den Vicino mit dem etablierten biblischen Spruch aus Prediger 312 trieb und dass er gerade an dieserTerrasse zu lesen stand, von der sie auf das Wäldchen blickten.
• MEDIVM TEN-v-ERE BEATI auf dem bogenförmigen Türsturz der südseitigen Terrassentür, Detail der Abbildung unten • Bomarzo, Palazzo Ducale, Westterrasse, Südfront
278 Exitus
Die Dreiteilung der Fassade nutzte Vicino für eine anschauliche Bloßstellung selbstgerechter Wohlanständigkeit. Die schale Phrase medivm tenvere beati (glücklich die den mittelweg einschlagen) war doppelsinnig auf die Hypnero tomachia bezogen, denn zwischen den drei Toren: dem zum Ruhm der Welt, dem zur sinnlichen Liebe und dem zur Gottesliebe, entscheidet sich Poliphil für das mittlere. Der Gast Vicinos, der gar keine andere Wahl hatte, als die Terrasse durch den mittleren Torbogen mit der Tür wieder zu verlassen, erkannte darin eine schicksalhafte Fügung, die mit dem Ausflug ins Wäldchen wahr wurde. Auch dort bemerkte er immer wieder dreiteilige Gliederungen, die ihn immer wieder an diesen sehr speziellen Mittelweg erinnerten.
Damit hatte Vicino – zu seiner eigenen Rechtferti gung und Unterhaltung – den Spießbürgern, die er entweder gar nicht, oder höchstens um sich an ihrer Schreckhaftigkeit und Tölpelhaftigkeit zu weiden, ins Wäldchen führte, die Grundlage ihrer naiven Lebensregel entzogen. Wie eine private Signatur Vicinos wirkt das alleine stehende V – bzw. lateinisch gleich geschriebene U – des ten-v-ere am Portalbogen. Rechts davon erörtert Vicino mit der vordergründig tugendhaften Absage an die deprav ierte Welt der Menschen und Meinungen, die vollendet elegante und unbestechliche Haltung der antiken Philosophen: sperne terrenvm; post mortem vera volvptas (verschmähe das weltliche – nach dem tod die wahre lust, siehe Abbildung S. 154). Die Terrassen waren im wahrsten Sinne des Wortes Betrachterstandpunkte, von denen die Gäste Vicinos ihr eigenes Leben überblicken konnten. Inschriftenblöcke, deren Schriftbild zunächst antik
und deren Anbringung spolienhaft anmutet, stellen sich mit ihren verkürzten und verstümmelten Bot schaften als Hinterlassenschaft einer vergangenen Kulturstufe dar, die ihre uralte Weisheit fragmentarisch und vermächtnishaft in diesenRelikten bewahre. Von dieser Terrasse geht der Blick auf das Amphitheater, das jene uralte Weisheit veran schaulicht. Die Absage an das »Weltliche« ist epikureische Eudämonie, das in sich Ruhen des (erlösten) Men schen. Zudem fand Vicino sich und sein Außen seitertum von den Thesen Giordano Brunos bestätigt, wonach die für den heroischen Philosophen symptomatische quälendeZweispältigkeit und Verstrickung in seine Leidenschaften zugleich zu deren Überwindung und Transzendenz führten: Nur als Heros konnte er sich mit seinem solitären und elitären Dasein versöhnen und seine Melancholie als lustvoll empfinden: »Daraus folgt, dass das Gesamtgefühl des Leidenschaftlichen zwiespältig, geteilt und quälend ist (1097) […] Wo die Dinge, die gezeugt werden und vergehen, in ein
• Bomarzo, Palazzo Ducale, Westterrasse, Westfront
Exitus 279
•• Westterrasse, Wandglie derung mit der Inschrift: QVID ERGO über der Tür,
und demselben zusammengesetzten Subjekt mit einander verbunden sind, findet sich gleichzeitig das Gefühl von Lust und Traurigkeit (1080).«475
links SAPIENS DOMINABITVR ASTRIS und rechts FATO PRVDENTIa MINOR. • Westterrasse: Wandg lie derung mit der Inschrift: IBE BEBE …
Diese Lesart stimmt mit der Inschrift auf dem linken Block post mortem vera volvptas(nach dem tod die wahre lust) überein, als sie ein Paradox und desgleichen eine Konterkarikatur des christlichen Versprechens ewiger Paradiesesf reuden ist. Statt unkritisch zu glauben, sollen Vicinos Gäste diese Ableitung aus der epikureische Eudämonie auf das jenseits aller oberfläch licher Geschäftigkeit liegende Wäldchen Vicinos beziehen, in dem sie Lust und Erkenntnis finden würden. Wie alle geistvollen Bonmots klingt auch Vicinos Schlussfolgerung lapidar, vor allem weil er nach eigener Angabe alle religiösen und philosophischen Consolationes, inbegriffen der Liebe, 476 bereits verschmäht habe: ibe bebe (unvollst.) lvde post mortem nvlla volvptas (iss trink und spiel – nach dem tod keine lust). Dies scheint kaum zum vorab Gesagten zu passen. Dennoch behauptet Vicino hier, dass nach dem Tod nichts mehr sei und dennoch alles jenseits dieses Lebens liege. Diese vorbedachte Ungereimtheit hinterfragt die gängigen Auslegungen, um damit erst recht die platonischen, epikureischen und die Thesen Brunos’ zu bestätigen. Die Erkenntnis einer entgegengesetzten, »jenseitigen« und übergeordneten Wahrheit, die auf Lust gründe, verglich Vicino in einem seiner Briefe an Drouet mit einem »Schlüssel zum Garten«, den er sinngemäß mit dem genießenden und erkennenden Leib gleichsetzte. In die Metaphorik des Wäldchens übersetzt zeigt der ewige Kampf der Geschlechter, dass der Geist des Fleisches bedürfe, um Vervollkommnung zu erreichen, denn: »bei aller Betonung des Aufstiegsgedankens… offensichtlich weniger am Resultat des Prozesses, am reinen Denken des Einen interessiert (ist), als vielmehr an der Dramatik des Prozesses selbst, der sich aus den Verstrickungen des erkennenden Geistes in die Sinnlichkeit ergibt.«477
In der Verlängerung des Frieses oberhalb der Inschriftenblöcke liest der Gast Vicinos die Worte des christlichen Stoßgebetes dirige gressVs meos dne (lenke meine schritte o herr), 478 die ebensowenig die eines unterwürfigen Christen sind. Wie die vorangehenden Zitate, sind auch sie ironisch gemeint und jedenfalls als Gegenteil ihrer vordergründigen Bedeutung zu lesen. Mit Dominus könnte durchaus Epikur selbst angerufen worden sein, dessen ethische Maxime eines sich selbst und anderen gegenüber verantwort lichen Handelns ebenso jene Vicinos war. Immer hin ist Selbstbestimmtheit eines der konstituie renden Merkmale des Paradieses und das Ergebnis von Selbstreflexion, die wiederum den Nexus von Schicksal und freiem Willen in die eigene Handlungsfreiheit miteinbezieht. Im Wäldchen gelten die hochkarätigen Interpretationen Pico della Mirandolas und vornehmlich die des gelehrten und geweihten Priesters (sic!) Marsilio Ficino, die davon ausgingen, dass sich die Würde des Menschen im Spannungsfeld zwischen Schicksal und Eigenverantwortlichkeit konstituiere. 479 Nur vordergründig gibt die Inschrift darunter: SAPIENS DOMINABITVR ASTRIS (DER WEISE GEBIETET DEN STERNEN, siehe Abbildung S. 162) die Ansicht der Zeit über das Schicksal des Men schen wieder, das er mit Hilfe von Horoskopen ergründen und im vorgegebenen Rahmen gestalten könne, wofür Vicinos Briefverkehr ein beredtes Zeugnis ist. In der wörtlichen Übersetzung DER WEISE GEBIETET DEN STERNEN besteht die
• Aus George Withers (1588–1667) EmblemSammlung, der wiederum zwei ebenfalls berühmte emblematische Werke, der Nucleus Emblematum selectissimorum (1611) und das Emblematum centuria secunda (1613) von Gabriel Rollenhagen (1583–1619) zugrunde lagen.
Exitus 281
eigentliche Botschaft, nämlich dass Vicino mit seinem spagyrischen Wäldchen einen Weg gefun den hatte, Herr seines eigenen Schicksals zu sein und ist nichts anderes als der unverhohleneStolz auf die verschiedenen, des Nachts aufgesuchten Einrichtungen wie das Schiefe Haus oder die Sternwarte. Damit ist die Bestimmung des Wäld chens, worin der Initiant in der heroischen Bewälti gung des Leib-Seele-Konfliktes das astrologisch begründete Schicksal zu besiegen vermag, klar und doch nur dem Eingeweihten verständlich ausge sprochen.
• Bomarzo, Palazzo Ducale, Westterrasse: Bogenfeld der Banknische, Rosen und Mohnblüten • Westterrasse, Wand
Lakonisch wirkt dagegen das stoßseufzerähnliche qvid ergo (was also) mit dem Vicino die eigene Erkenntnis, aber auch die Vanitas aller weltlichen Sorgen herunterspielte. Seine Resignation wird darin sichtbar und als Lebenserfahrung im letzten Inschriftenblock rechter Hand zusammengefasst: fato prvdentia minor (weisheit ist weniger als schicksal).
gliederung mit Nische
Im Kontext der minneclichen aventiuren, die stell vertretend für die Läuterung des Unedlen im Wäld chen standen, kann diese Aussage stellvertretend für die Erkenntnis gelten, dass – wie im Falle von Tristan und Isolde – alle Vernunft nichts gegen die Vorsehung vermag. Die kleine Nische in der Wand wurde wie eine Ädikula mit seitlichen Volutenformen, die den steinernen Polster der etruskischen Grabklinen nachempfunden sind, zu einer Bank ausgebaut. Im Bogenfeld über der Sitzfläche sind Mohnblüten und -kapseln als Symbole der Divination und der damit verbundenen rauschhaften Zustände (denen sich die Symposianten im Wäldchen hingaben?) zu sehen. Innerhalb dieses Themenkreises erin nern die für Friedhöfe und Sarkophage üblichen Sinnbilder an die direkte Verwandtschaft von Schlaf und Tod und die dahinterliegende Weisheit: Im Wäldchen hatte die Inschrift am Schiefen Haus animvs qviescendo fit prvdentior diese Ver bindung angesprochen (siehe S. 69).
282 Exitus
Südostterrasse des Palazzo Ducale An der Südostterrasse des Palazzo Ducale, von wo der Blick über die Häuser der Ortschaft Bomarzo bis nach Penna und ins Tibertal geht, ließ Vicino Orsini unter der unleugbar von ihm stammenden Selbstdarstellung non viri locis sed loca viris honestantvr (NICHT ORTE MACHEN MÄNNER BERÜHMT SONDERN MÄNNER ORTE ) die Maximen der bedeutendsten antiken Philosophen anbringen, die den Ort Bomarzo assoziativ mit dem griechischen Delphi in Verbindung brachten: NOSCE TE IPSVM SIC – VINCE TE IPSVM ERIS – VIVI TIBI IPSI FELIX (erkenne dich selbst – besiege dich selbst – lebe dir selbst gemäss so wirst du glücklich werden). 480 Ohne falsche Bescheidenheit kommentierte Vicino damit die Leitsprüche an der Südwestterrasse. Der raum- und zeitlose Ort des Wäldchens bot die vollendete Bühne für diese Renaissance antiker Philosophie, der das Wäldchen seinen Ruhm verdankte und der sich umgekehrt ebenso auf seinen Schöpfer übertrug und in die Reihe derer versetzte, die Orten ihre Stempel aufprägten.
• Bomarzo, Palazzo Ducale, Südostterrasse, Nische mit Inschriften; umlaufend: NON VIRI LOCIS – SED LOCA VIRIS – HONESTAnTVR
Die Zusammenfassung der Maximen der berühmtesten Philosophen in einer Zeile lässt sie als zusammenhängenden Satz lesen, der die souveräne Haltung der antiken Philosophen auf Vicino und sein Bomarzo überträgt. Zugleich relativiert diese Aufforderung zur Selbsterkenntnis die teils zynisch konterkarierend gemeinten Inschriften an der südwestlichen Terrasse, indem sie das Glück des Menschen – die Eudämonie nach Epikur – nicht von Gott oder Moral abhängig macht, sondern allein der Kompetenz und Souveränität des Individuums anheim stellt.
Exitus 283
• Bomarzo, Palazzo Ducale, Südostterrasse
Nordterrasse des Palazzo Ducale Nur die kleine nordwestliche Terrasse (auf gleicher Höhe wie die West- und die Ostterrasse), ermöglichte einen direkten und ungehinderten Blick auf das Wäldchen. Man betrat sie durch die ehemaligen Privatgemächer des Fürsten, in denen heute die Comune di Bomarzo untergebracht ist. Die erst kürzlich behutsam restaurierte Holzdecke stimmt den Besucher auch heute noch auf das klassische Panorama ein, vor dem sich im 16. Jahr hundert wie ein Traum – und damals durch die raffinierte Bepflanzung regelrecht inszeniert – das Arkadien Vicino Orsinis ausbreitete. Auch auf dieser Terrasse ist eine großzügige Nische als Sitzplatz eingerichtet. Zusätzliche Bänke laufen seitlich neben diesem zentralen Architekturelement herum, das wie die anderen Loculi oder Arkosol bänke mit den bereits bekannten Voluten und vegetabilen Formen sowie den heraldischen Rosen der Orsini verziert ist. Geometrische Formen und stilisierte Blattgewächse, eventuell Farne, ergeben im Kontext etwas Geheimbündlerisches, das sich mit den im Wäldchen verborgenen Symbolen ergänzte. Eine Inschriftentafel, auf der nur mehr einzelne Buchstabenreste erkennbar sind, hat möglicherweise – die Vermutung einer absichtlichen Zerstörung liegt nahe – den privaten, nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Dialog Vicinos mit seinemWäldchen festgehalten.
284 Exitus
• Bomarzo, Palazzo Ducale,
• »Sub rosa«, also unter dem
Nordterrasse: Arkosolbank
Siegel der Verschwiegenheit
heraldischen Rosen der
mit heraldischem Schmuck
war sowohl im Wäldchen als
Orsini aus der Zeit Vicinos
Kassettendecke mit den
und Emblemen, Inschrift
auch im Palazzo des Fürsten
in den neu restaurierten
erodiert
Orsini das Geheimnis
Räumen der Comune di
bewahrt. Originale
Bomarzo
Exitus 285
• Ägypten in Etrurien: das Ende, Blick auf das Schiefe Haus hinter dem Amphitheater
286 Exitus
Amphitheater Das Theater war bereits mit Beginn der Garten arbeiten am Wäldchen entstanden, vermutlich als Ausflugsziel am Ende der üblichen Villeggiatura, diente es zum Vortrag antiker und zeitgenössischer Stücke. Es musste Vicino, der es mit einer Jahreszahl datierte und seinem vollen Namen signierte, sehr viel bedeutet haben. Mit der Fertig stellung des Wäldchens um 1580 war es das finale furioso. Als Schlussszene bezeichnete es das Ende des Läuterungsweges und war doppelsinnig als Metapher der Kunst wie auch der Heuchelei der naturnahen, quasi göttlichen Lebenssituation in der Natur gegenübergestellt. Damit entwickelte es den gleichen antagonistischen Widerspruch wie ihn Tasso im Aminta thematisiert hatte. Ohne Zweifel erinnerte sich der Gast Vicinos an die Inschriften an den Terrassen des Palazzo Ducale. Erst nachdem ihm Vicino Einlass in sein Privatheiligtum gewährt hatte, erkannte er im Zusammenhang mit der aufbegehrenden Aussage des Wäldchens ihre eigentliche Bedeutung. Erst im gelehrten Diskurs offenbarte sich auf der pantheistisch naturrechtlichen Bedeutungsebene des Wäldchens dessen kathartischer Charakter. Wie die klassischen griechischen Theater ist das Amphitheater des Wäldchens Teil der Landschaft. Mit seiner nach innen geschwungenen und mit sieben (sic!) Nischen strukturierten Proscenium schließt es direkt an das Plateau der etruskischen Götter an und bindet die darüber sichtbaren Amphoren in den Gesamteindruck ein. Breite seitliche Stufen rahmen die nach vorne leicht abfallende Orchestra, über die aus einer heute ebenfalls nicht mehr bestehenden Zuleitung Wasser floss. Vorne waren links und rechts auf gemauerten Plinthen die mit den persönlichen Daten Vicinos versehenen Sockel für die Obelisken aufgestellt, dahinter nehmen niedrige Mauern den Geländeanstieg auf und grenzen die Anlage nach den Seiten und vor allem gegen die rustikale Stützmauer des darüber liegenden Plateaus ab – hier gehen sie in den Sockel des Prosceniums über, der zugleich eine Sitzgelegenheit ist.
Die Darstellungen in den sieben Nischen dürften den moli sette und, damit verknüpft, dem Themenkreis des antiken Theaters gewidmet gewesen sein. Auf dem noch erhaltenen Verputz sind die Reste einer persönlichen Inschrift erhalten, mit der Vicino in der Ich-Form den Wert des Theaters innerhalb des Initiationsweges erläuterte: per simil vanita mi son ac… to on… par mi cor… WEGEN DER GLEICHEN EITELKEIT HABE ICH MICH…FÜR MEINEN HOF-… Die Bedeutung von Vanitas, Eitelkeit, hat sich aus dem christlichen Kontext heraus und zum profanen Topos des Welttheaters weiterentwickelt: von der ursprünglichen Nichtswürdigkeit der irdischen Freuden zu einer generellen Ableh nung des »Theaters«, das die Leute um ihre Eitel keiten machen – und als Welttheater nunmehr zum Synonym für Inhaltsleere, Lügenhaftigkeit, Prahlerei, Vergeblichkeit und ganz allgemeinfür Falschheit geworden war. Sowohl der komödiantische Unernst, hinter dem sich die Wahrheit verbirgt, als auch die Tragödie des menschlichen Schicksals waren in der Metapherdes Welttheaters ineinander verwirrt: »Könnte uns eine Tragikomödie, eine Szene, sage ich, die mehr Mitleid und Gelächter verdiente, in diesemWelttheater, auf dieser Bühne unseres Bewusstseins vorgeführt werden.«481 Eine zynische Folgerung aus den im Wäldchen regelrecht aneinandergereihten Consolationes war die Erkenntnis ihrer Bedeutungslosigkeit, die Vicino bereits Drouet gegenüber (siehe Fußnote 252) als eine Anhäufung von Gemeinplätzen erscheinen ließ. Giovanni Drouets Brief vom 12. 12. 1573 gibt einen lebhaften Einblick in den Gedankenaustausch und die Fantastereien der Freunde über das »wahre Leben«482. Seinen Dank für die »saporita e succosa lettera«, den »würzigen und saftigen Brief« Vicinos, den man sich wohl als aus dem vollen Leben gegriffen vorstellen darf, ließ der feinsinnige Kleriker, Psychologe und Gesundheitstheoretiker Drouet
Exitus 287
• Inschrift im Amphitheater: PER SIMIL VANITA … Bomarzo-Kenner Vittorio Ercolani aus Bomarzo
mit der Haltung Senecas kontrastieren: »il fine del philosophare è imperare a morire« (»Der Sinn allen Philosophierens ist es, das Sterben zu lernen«). Drouet erklärte, nicht viel darauf zu halten, sondern lieber den Tod warten lassen zu wollen. Im Folgenden gab er Vicino Ratschläge betreffend sein leib-seelisches Problem der Magenverstimmungen und die damit zusammenhängende Melancholie. Beides wäre durch die Tatkraft und Befriedigung zu heilen, die »der eigenen Hände Arbeit« verschaffe – damit ergab sich der Vorwand für ein weiteres biblisches Zitat, aus dem Vicino die Anerkennung des Freundes für sein Lebenswerk herauslesen konnte: »bene agere et letari et videre bona de labore manum mearum, hoc enim domum dei est; nam bene agendo vitam eternam meremur, letando annos vite producimus, videndo bonum de labore manuum nostrarum id agimus ut tanto partis fruimur«483. Sinngemäß war die tugendhafte Belehrung über die Freude an dem, was man mit eigenen Händen geschaffen habe und das nicht nur irdische Freude (Lust?), sondern Einlass ins Haus Gottes und das ewige Leben bedeutete, ein weiterer Hinweis auf die hermetische Bedeutung des Wäldchens und erinnerte an die Inschrift an der Terrasse zwischen Westund Südflügel. Drouet, der als Intimus Vicinos seine Gedanken und vor allem die liberale, antikirchliche
Haltung teilte, bezog die salbadernden Sprüche über das »gute Leben« und die damit verbundenen »Freuden«, die das »ewige Leben verdienten«, auf Vicinos Lebensstil. Seine katholische Verfeinerung, die auf der Grundlage eines breitgefächerten theologischen, antiken und humanistischen Wissens einen höchst manierierten und Bomarzo angemessenen Sprachstil entwickelte, bestimmte die Rezeption der zugleich lustvollen und lustigen Briefe. Derartige Wortspielereien, die nur unter den Freunden verstanden wurden, bereicherten auch seine Ausführungen über den Todesgedanken des Kirchenvaters Hieronymus, die er zu einer Parabel von der Welt als Theaterbühne umformulierte »come in un teatro, representando atti di commedia coram Domino Dominorum« (»Wie in einem Theater, wo (wir) Komödie spielen vor dem Herrn aller Herrn«) war eine kaum verstellte Anspielung auf den Papst als den »Servus servorum Dei«. Die abschließende Formulierung mit der er noch hinzufügte, dass es einzig daraufankomme »unsere Rolle« möglichst gut zu spielen: »…di rapresentare bene nostra parte…« zeigte mehr als alles andere seine Einstellung zur korrupten Welt des Vatikan. Der weitere Text bezog sich direkt auf die Meta phorik des Welttheaters im Garten oder vielmehr
des Gartens als Sinnbild einer souveränen Haltung zum Leben und zum Tod: »Altri ancor piu spirituali dicono che questo nostro Mondo è un giardino pieno d’ogni bene, e che Dio, Signor di esso, gratis dá la chiave a ogni persona che la vole con plena licenza di goderlo come cosa propria; alcuni subito intrati nel primo viale trovano thesauri e lì si fermano, involti nell avaritia senza cercar più oltre; altri per altro viale scorrendo incontrano colla Margarita e senza passar più avanti se fermano ›diebus et noctibus‹ von lei ›in delitiis secundum v. s., ut ante vivum [?] perseverando‹ in questo ballo ›usque ad sepulchrum‹ […] mai di restituir la chiave al Signore, anzi la vorebbono tener sempre in tutta etá ›heretibus et successoribus‹. Altri piu savi se godano el giardino tutto pigliando […] entre con modestia hor questo frutto, hor questo fiore, poi de buona voglia escono del giardino, tornano la chiave al Signor, ringratiandolo come conviene, e questi tali so poi eletti alla gloria eterna.« (»Andere, noch Frömmere sagen, dass unsere Welt ein Garten voll des Guten sei und dass Gott, als Herr desselben, jedem, der will, umsonst den Schlüssel dazu gibt mit der Erlaubnis sich an ihm wie an seinem Eigentum zu erfreuen; [so gibt es] manche, die sofort eintreten und in der ersten Gasse Schätze finden und dort bleiben, eingesponnen in Habsucht, ohne anderes zu begehren; andere, die einen anderen Weg wählen, begegnen ihrer Margarita [metaphorisch für Geheime Wissenschaften, Anm. R. V.] und ohne weiterzugehen, bleiben sie, wie Ihre Fürstlichkeit, ›Tag und Nacht‹ ›bei ihren Vergnügungen‹, beharren dabei bis ›ans Grab‹ ohne jemals den Schlüssel wieder zurückzugeben, im Gegenteil wollen sie ihn sogar ›in alle Ewigkeit‹ für ihre ›Erben und Nachfolger‹ behalten. Andere aber, viel Klügere, erfreuen sich am Garten, indem sie in aller Bescheidenheit hier diese Frucht, dort jene Blume pflücken und dann freiwillig den Garten verlassen und den Schlüssel, wie es sich gehört, mit Dank dem Herrn zurückzugeben. Und diese sind es, die zum ewigen Ruhm erwählt sind.«) 484
nahenden Tod als kultivierten Abschied von der Welt beschrieb. Der ärztliche Freund wählte die Metapher des Gartens, um Vicinos behauptete Abgek lärtheit gegenüber den weltlichen Aufgeregt heiten mit der Seelenruhe der wahrhaft Weisen zu vergleichen, die »auserwählt« seien. Als einzige brächten sie es fertig, sich den sinnlichen Genüssen und weltlichen Lüsten des Gartens mit Bedacht und Bescheidenheit zu nähern, sie eingedenk ihrer Vergänglichkeit zu genießen und den Tod, also das Verlassen des Gartens, souverän und nach freiwilliger Rückgabe des Schlüssels, der hier den sinnlich genießenden Körper bedeutete, anzunehmen und sogar noch dem Herrn des Gartens höflich zu danken. Im Brief verknüpfte sich das Motiv des Theaters mit dem des Gartens und der vanità, der Eitelkeit der menschlichen Betriebsamkeit, deren Unernst offensichtlich war und die den sturen und starren Gegenpol zu den tatsächlich ernsten, weil belangvollen Dingen bildete, die sich gerade im Spielerischen und Leichtlebigen, Ungeregelten und Zufälligen offenbarten. 485 Die von Vicino selbst so benannten »follie« und »coglionerie«486, all der Blödsinn und die Sauereien des Wäldchens waren Merkmale des irrationalen, subjektiv sich selbst genügenden Individuums, das hier frei von Zwängen und Regelhaftigkeit sein wahres Selbst in der Verwirklichung seiner Träume und Obsessionen auslebte. Die zwei vor dem Theater rund aufgestellten Obelisken waren Symbole für diese Wertigkeiten: Traditionell flankieren sie den Eingang zum Heiligtum und markieren darüber hinaus das Ende der Welt, was im zeitgenössischen Kontext und wie die Devise Karls V. als Aufforderung verstanden werden sollte, die Grenzen des Bekannten zu überschreiten.
Taktvoll – vermutlich angesichts des rapiden Verfalls Vicinos – ging Drouet auf das physische Diminuendo des Freundes ein, indem er seinen
Exitus 289
• Plvs vltra (darüber hinaus), Devise und Teil des Wappens von Kaiser Karl V. (1500–1558) aus: Le imprese illustri del S.or Ieronimo Ruscelli, 1584, S. 103, Duke University, Gilbert Collection
Obelisken: Signatur und Datierung Vicino überlässt seinen Gästen die Entscheidung, ob die paarweise Symbolik der Obelisken eine Anspielung auf die Kabbalah bedeutet, wo die beiden Säulen Joakin und Boas die Stufenleiter der alchemistischen Läuterung flankieren, oder ob damit die zwei Säulen des Herakles, die der Held am Ende der Welt aufgerichtet hat, gemeint sind 487 – auf jeden Fall sind sie Grenzsteine und ultimative Barrieren vor dem Unbekannten. Die Inschriften an den Sockeln der Obelisken sind natürlich ebenso Verrätselungen.
• Ägypten in Etrurien: Inschrift am Sockel des linken Obelisken
Erst Vicinos Volgare enthüllt durch Verschleierung den wahren Inhalt der banalen Formulierung sfogar il core was mit »Herz ausschütten« unschuldig genug klingt, aber kaum als seichtes Anvertrauen unnützer Bedrängnisse zu verstehen ist, sondern die eigentliche Intention des Wäld chens zum Ausdruck bringt: Die körperliche und seelische Entäußerung nach den Heroischen Leidenschaften Giordano Brunos, die zwar erst im vermuteten Todesjahr Vicinos im Druck erschienen, ihm aber, wie der Brief an Drouet nahelegt, schon vorher bekannt waren. Quasi en passant ließ die Wortwahl sogar an die zehnte Sefirot der Ausschüttung denken, die – ein kabbalistisches Konzept innerhalb des Programmes vorausgesetzt – das Wäldchen zu einem lebendigen Organismus macht, in das der Eingeweihte wie in einen Dialog eintreten könne. Vor dem Hintergrund des hier immer wieder zitierten Briefverkehrs und nach einem Gespräch mit Univ. Prof. Mezetlin ist das sogar als Entäußerung sehr unmittelbar auf die arkadischen Ambitionen und humanistischen Schlussfolgerungen zu beziehen und entsprechend zu übersetzen: als völlige Überantwortung des leidenden Individuums an seine Triebe.
290 Exitus
Sol per sfogar il core nur um meinen lüsten zu frönen (… um mich sexuell auszutoben, nach einer freundlichen Mitteilung von Univ. Prof. Metzetlin) Eine abschließende Signatur Vicino Orsinos auf dem Sockel des rechten Obelisken stellte mit der Rückdatierung, die mit einem privaten Datum, vermutlich einem initiatorischen Impuls im Jahr 1552 verbunden war, die persönliche Beziehung her. VICINO ORSINO NEL MDLII Nach den Hinweisen, die die Obelisken auf sein egozentrisches Lebenswerk geben, entlässt Vicino seinen Gast in die Welt der Menschen und Meinungen, die nun ihrerseits irreal und monströs erscheinen muss. Eine der hier aufgestellten Panhermen gibt ihm als Warnung vor den Schrecken der Welt mit auf den Weg: …qve trovarete mostri insvet…t …wenn ihr dann das echte entsetzen kennenlernt… Zu guter oder schlechter Letzt liest der nunmehr Eingeweihte ein zweites Mal die heute stark erodierte Inschrift am Sockel der Sphinx neben dem Schiefen Haus (siehe S. 67). Sie wies ihn auf das hin, das ihn nun in der realen und nach Plato uneigentlichen Welt der Menschen und Meinungen erwartete und das nunmehr zwangsläufig am Maßstab des Wäldchens gemessen würde.
• Ägypten in Etrurien: Das Amphitheater, davor Sockel des linken Obelisken. An der Stützmauer des Berges links neben dem Amphitheater erkennt man noch die Aus nehmungen für die Konstruk tion der Loggien.
Exitus 291
• Rückkehr, Blick auf den Palazzo Orsini und die Ortschaft Bomarzo vom Wäldchen aus
292 Exitus
294
Gedankensprung: Papacqua
Gedankensprung: Die Papacqua des Cristoforo Madruzzo Wie ein skurriles Familienbildnis wirkt die Brun nenanlage der Papacqua mit ihren Figuren aus der mythologischen und der heimischen Tierwelt; selbst innerhalb der einzelnen Kreaturen ist nicht eindeutig zwischen animalischen, mensch lichen und göttlichen Anteilen zu unterscheiden. Hauptdarstellerin ist ein allgewaltiges Weib, eine Göttin, ein Mischwesen, ein regelrechter Dämon aus Frau und Ziege, der sich am Rand eines Brunnenbeckens gelagert hat, eine matriarchale panische Gottheit, fröhlich umsprungen von Ziegenböcken und musikalisch begleitet von Satyrn, unbefangen in ihrer abstrusen, göttlichanimalischen Nacktheit hat sie ihre Kinder liebevoll bei sich: ein Satyrkind in den Zotteln ihrer leicht geöffneten Beine, ein weiteres das sie mit der Linken an ihrer Brust hält und ein drittes das ihr auf die Schulter geklettert ist. Vor allem dieses kleine Detail zeigt eine künstlerische und thematischeVerwandtschaft mit der Anna Perenna in Bomarzo, der ebenfalls ein kleiner Bub (der etruskische Gott Tages) auf die Schulter gekrabbelt ist, was auf eine gemeinsame Bildhauer- und Steinmetzschule 488 und die intellektuelle Allianz des Vicinokreises hinweist. Felsformationen, Schnecken, Muscheln und die Schildkröte unter ihrem linken Unterarm erinnern formal an die antiken Klinen, desgleichen wirkt die in wilder Ekstase erstarrte Fratze des teuflischen Satyr irgendwie stimmig, dessen panisch erigiertes Glied kaum zur Eule passen mag, immerhin
dem Symboltier der Pallas (sic!), das er wie ein Falkner auf seinem Arm trägt. Der Betrachter kann sich dem Bann der mysteriösen Blicke aus leicht geschlitzten (Ziegen-)Augen und dem ironischen Lächeln, mit dem die Protagonisten der Papacqua ein geheimes Einverständnis herstellen, kaum entziehen.
• Die Papacqua in Soriano. Im 16. Jhdt. traten die Gäste des Kardinals Madruzzo in den Innenhof seines Casinos wo sie sich dem rätselvoll wissenden Blick einer riesigenSatiressa ausge setzt sahen.
Die Papacqua, nach dem lateinischen papae am ehesten mit »was für Wasser!« übersetzbar, war alles andere als ein der römischen Kirche wohlgefälliges Werk. Cristoforo Madruzzo, Kardinal und Leiter des tridentinischen Konzils, das den römisch-katholischen Glauben und wie jedwede Abweichung davon zu bestrafen sei formulierte, versammelte an seinem Rückzugsort in Soriano ein wildes, unzivilisiertes, naturhaftes Volk, das den Ursprüngen des Lebens beängstigend nahe ist. Unpassend und verwirrend wirken biblische Zitate wie der Baum der Erkenntnis, komplett mit Feigenblättern und Schlange, der wie eine Achse im Zentrum des Geschehens steht und gleich über Eck eine Darstellung des Moseswunders. Ganz offenkundig handelte es sich um ein Rätsel, das auf geheimnisvolle Weise mit dem Heiligen Wald von Bomarzo kommunizierte. Ähnlich abgelegen wie Bomarzo war hier der Ort, an dem der Kardinal seinen Glauben bekannte. Zweifellos unter dem Einfluss Vicino Orsinis, der sogar ein besonders schnelles Pferd »Ragazzino«
Gedankensprung: Papacqua 295
296
Gedankensprung: Papacqua
Gedankensprung: Papacqua 297
Wie in Bomarzo imitieren sich hier Kunst und Natur gegenseitig: Der gewachsene Felsen, auf dem sich die Ortschaft Soriano erhebt, wurde zu einer künstlich natürlichen Felskulisse, die einen schattigen Talgrund nachahmte; ein raffiniertes System von Wasserfällen bildete geheimnisvolle Wasserschleier, die plätschernd und sprühend die Figuren zum Leben erweckten. Auf der Ebene des Innenhofs flossen sie in das breite antikische Wasserbecken, an dessen moosigem Ufer sich die »Mutter aller Ziegenbeinigen« in ihrer ganzen Natürlichkeit und ohne falsche Scham gelagert hat.
• Erhard Schön, »Der Teufel mit Martin Luther als Sackpfeife«, um 1535
für spontane Stippvisiten nach Soriano bereit halten ließ, wurden hier die Vorschriften des tridentinischen Konzils außer Kraft gesetzt. 1562, als in Bomarzo das große Bassin im Vor wäldchen und das heroische Nymphäum entstanden, schuf Giacomo Barozzi da Vignola im Cortile des Palazzo Chigi-Albani eine der spektakulärsten Brunnenikonografien der Kunstgeschichte: Im innersten Hof des Kardinalspalastes und vor einer Kulisse animalischer Lebenslust ahmten die geistlichen Fürsten die griechischen Götter nach, wie sie von den Höhen des Olymps nach Arkadien hinabgestiegen waren, um sich hier von den Einschränkungen ihrer eminenten Stellungen zu erholen. 489 Die offenkundige Diskrepanz zwischen ihrer weltlichen, urbanen und unfreien Lebensform und ihrer eigentlichen Wesensart, der sie auf ihren Latifundien und kleinen Fürstentümern in Etrurien Raum zur Entfaltung gaben, mochte den Reiz des Verbotenen noch zusätzlich gesteigert haben.
298
Gedankensprung: Papacqua
Die zerstörte Physiognomie der Satiressa, von der nur mehr die charakteristische Mundpartie und die rätselvoll geschlitzten Augen erhalten sind, lässt sich im Vergleich mit dem Großen Pan ergänzen, der sich links von ihr aus einer Art Grotte oder Felsspalt herausarbeitet – eventuell eine Anspielung auf den Höhlentempel, den die Athener dem Pan zum Dank für ihren Sieg bei Marathon unterhalb der Akropolis errichteten: In perfekter Allusion schwingt Pan über seinem Kopf einen Dudelsack. Den gelehrten Freunden, die den »Heidenlärm« auf ihren Kriegszügen im Auftrag der Papstfamilie selbst erlebt hatten, war das infernalische Getöse zum Inbegriff schlimmster Misstöne – oder unter den ganz besonderen Umständen ihrer Lebensgeschichten – sogar zum Symbol »arkadischer Freiheit« geworden. »Pan und Satyri, seynd Götter der Hirten / und des Sackpfeifens / wunderlich gestalt / mit ZiegenFüssen / gantz rauch von Haaren / Hörner aufm Haupt habend, lange Ohren / und ein heßlich Gesicht.«490 Lust und ihr direkter Ausdruck in der ekstatischen Flötenmusik gehören zur Ikonografie des »Teufels als Spielmann«. Mithilfe eines zeitgenössischen Spottblattes wurde Martin Luther als Instrument des Teufels verhöhnt. Über ihm sitzt in einer kleinen Felsnische ein Faun und spielt auf seiner Syrinx, wobei er seine Beine locker gekreuzt über den Rand der Grotte hängen lässt. Es sind die vielen kleinen und unausgesprochenen Zeichen, insbesondere die gemeinsamen
• Die Papacqua in Soriano, der Große Pan mit dem Dudelsack
Gedankensprung: Papacqua 299
• Die Papacqua in Soriano, Moses/Vicino und die Israeliten (3. v. re.: Cristo foro Madruzzo, siehe auch Abbildung S. 275) • Die Papacqua in Soriano: Satiressa mit einer Weintraube, die sie ganz angelegentlich auf ihrem Oberschenkel hält.
Gesten und Blicke, die im übergreifenden Kontext der ta aphrodisia Soriano, Bomarzo, Caprarola und auch Bagnaia in einen hermetischen Zirkel einbinden. Obelisken, die sich in Höhe und Dimen sion glichen, stellten die Verbindung zwischen den provinziellen Orten her, wo die echte und wahrhaftige Renaissance der Antike vor sich ging (siehe Abbildungen, S. 49). Die einzelnen Garten motive, seien es die Balustraden der imposanten Gartenarchitekturen, sei es der herb-liebliche Typus arkadischer Frauenschönheit, waren ihre geheimen Zeichen.
Neben den göttlichen, tierischen und halb tierischen Wesen, ergänzen in den Wandnischen der Palastfassade die üblichen Allegorien und Porträts das Programm, das sich in den äußeren Gartenanlagen harmlos und neuplatonisch gab, in jenem Cortile jedoch in einer wilden Feier des Naturrechts gipfelte. Das Quellwunder Mose und die Auswahl der stärksten und tapfersten Männer für den Kampf 491 kommentiert die frontale arkadische Hauptszene. Die quasi modernen »Charakterköpfe«, vor denen sich die historistische Ikonografie des Moses/Saturnus/Aristoteles/ Hermes Trismegistos abhebt, sind offenkundige Porträts. Vor dem geistigen Hintergrund der Reformation und Gegenreformation bietet die Papacqua den Schlüssel zum Rätsel Bomarzo: Die stark erodierte aber noch als solche kenntliche Weinrebe, die die große Ziegenbeinige in ihrer locker auf dem Oberschenkel ruhenden Rechten hält, gehört zu den hermetischen Symbolen in den Gärten der römischen Fürsten. Der Städter, der mit seiner Flucht aufs Land der sommerlichen Hitze (sol lione) entkommen möchte, befreit sich hier auch von den anderen Übeln der Zivilisation und erlebt – je höher seine Stellung ist – die arkadische Pose als Protest und Aufbegehren des geknechteten Individuums. Angesichts des zweifelsfrei dionysischen Gesamtkonzeptes, das weder aus der katholi schen Theologie, noch aus der Perspektive des Neuplatonismus befriedigend zu erklären ist, können mit Recht und Erfolg Beziehungen zwischender Papacqua und dem Heiligen Wald vorausgesetzt werden, denn die äußere Erscheinung des Mosè mago492, des Zauberers Moses, deckt sich in Soriano mit der des Herrn von Bomarzo, der in seinen späten Jahren in aristote lischer Attitüde auftrat. 493 Alle diese Posen waren sowohl Verunklärungen als auch Ausflüsse jener Geisteshaltung, die den Kreis um Vicino einte.
Exkurs: Vicino der Epikureer »[…] me sono resoluto, che Epicuro fu un galant’ homo.« »[…] habe ich beschlossen, dass Epikur ein Mann von Welt war«, schrieb Vicino am 27. Juni 1558 an Alessandro Farnese. Die geistreiche Anspielung, die nur im italienischen »gentil uomo«, im Französischen »honnête homme« und im Englischen »gentleman« ihre Entsprechung hat, 494 verband den großen Philosophen und Lebenskünstler mit dem Vicino-Kreis, allesamt Männer von Stand, mit Geist und Geschmack, die über Raum und Zeit wie in einem intersäkularen Symposion miteinander Zwiesprache hielten. In diesem Brief sprach Vicino von seiner Entscheidung, die eigene, fremdbestimmte und wenig hervorragende Biografie mit der eines Mannes zu vermischen, der sich souverän über Eitelkeiten und Zwänge seiner Zeit erhoben hatte. Dieser »Entschluss« ist ein Bekenntnis zum Lebensgenuss, der als Widerstand gegen das stringente Modell der römisch-katholischen Kirche einem völlig entgegengesetzten Evangelium folgte: Epikurs »Philosophie der Freude«495. Die Attraktivität Epikurs bestand für Vicino und seine elitären Freunde in der Bestätigung der Lebensform des adeligen Mannes und Renais sancemenschen, der nur sich selbst und nicht institutionalisierter politischer und religiöser Macht verpflichtet war. Der anthropozentristische Ansatz Epikurs, der bis in den Neuplatonismus des 16. Jahrhunderts wirkte, verdichtete die
spannendsten und modernsten Aspekte griechischer Philosophie zu einem neuartigen Welt bild, das – im Gegensatz zu Vicino und seinen Gefährten! – weder hedonistisch noch zynisch war. Aber gerade wegen seiner sarkastischen Umsetzung zeigte Vicinos Strategie der Lebens bewältigung den enttäuschten und korrumpierten Mitgliedern der römischen Gesellschaft eine echte Alternative auf. In seinem alchemistischen Universum vereinte Vicino die souveränen Außenseiter Epikur und Bruno, wobei das Überleben in einer feindlichen Umwelt – erstes und wichtigstes der konstituieren den Merkmale des Paradieses – sinngemäß die christliche Vorstellung vom ewigen Leben ersetzte. Auf höchstem antiken Niveau würde der Lebensstil der galanten Männer sie unsterblich machen.
• Erich Lessing, »Epikur (Epikuros)«, griechischer Philosoph Samos 341 v. u. Z. Musée du Louvre, Paris
Vicino der Epikureer 303
Die Philosophie der Freude von Epikur Ältere Weltentstehungsmythen zusammenfassend war schon Hesiod davon ausgegangen, dass alles aus dem Chaos hervorgegangen war, das von Eros, dem zeugenden Verlangen, sinnvoll organisiert worden wäre. Danach entwarfen die Vorsokratiker Modelle nach den Urstoffen Wasser, Erde, Luft und Feuer, die sich in verschiedenen Kombinationen und Kondensationen zu dem, was wir als verschieden erachten, verdichteten, sich nach ergründbaren Gesetzen wandelten und so den Menschen in ihren Kreislauf miteinbezögen. 496 Den Endpunkt dieser Entwicklung fasste Demokrit mit seiner Lehre von den kleinsten und unteilbaren Teilen, den Atomen, zusammen. Der sich in der Vielzahl an Atomen gleichsam verlierende einzelne Mensch würde auf einer anderen Ebene, nämlich der Bedeutsamkeit und Wirkung des individuellen Menschenlebens, zu einer gleichsam höheren Potenz aufgewertet. Zuletzt sprach der große Plato, der nur wenige Jahre vor der Geburt Epikurs gestorben war, sein gewichtiges Wort. Undenkbar, dass Epikur nicht von diesem Höhepunkt aus weiter zu blicken hoffen konnte: Die Idee einer diesseitigen sinnlichen, in ewigem Werden und Vergehen begriffenen Welt, der eine jenseitige, ewige und unveränderliche gegenüberstehe, als deren einziges Verbindungsglied die nach Vervollkommnung strebende Seele angenommen werden könne. Die epikureische Forderung nach moralischer Läuterung497 war daher nichts weniger als eine konsequente Schlussfolgerung. Epikur stammte aus einem alten attischen Adels geschlecht. Der Sohn des Neokles und der Chairestrate wurde im Jänner 341 v. u. Z. auf der ionischen Insel Samos geboren. Epikur wuchs am Lande auf. Das Familienleben war äußerst geregelt und glücklich. Schon mit vierzehn Jahren
304
Vicino der Epikureer
wurde der lernbegierige Bub von seinem Vater zum Studium nach Teos zu dem Demokriteer Nausiphanes geschickt, nachdem er zu Hause bereits bei dem Platoniker Pamphilos gelernt hatte. Noch während seines Aufenthaltes in Teos wurde sein Vater von Samos vertrieben und Epikur kehrte nach Kleinasien zurück. Hier vollendete er seine Studien und fand gerade in einer Zeit, in der weltabgewandte Wander-Philosophen die Leistungen der großen Philosophen pervertierten, zu einer Geist und Körper beruhigenden, per definitionem kathartischen Philosophie, die nur vordergründig von einfachstem Zuschnitt war. Epikur war bereits über dreißig Jahre alt, als er mit seiner Anhängerschaft ins griechische Zentrum Athen vordrang, wo er, wohl weil sich unter seinen Schülern einige vermögende befanden, ein ausgedehntes Grundstück erwerben konnte, auf dem dann eine großzügige Gartenanlage mit Wohn-, Lehr- und Erholungsgebäuden entstand. Zentrum und besonderer Ausweis der neuen Philosophenschule war der außergewöhnlich schöne Garten, der ihr in der Folge den Namen lieh: »Die Philosophen vom Garten«. 36 Jahre lang ist hier das Wirken Epikurs dokumentiert, seine Schüler sollen ihn wie einen Gott verehrt haben, während er umgekehrt alle – selbst Frauen und Sklaven – als ebenbürtig behandelte. Epikur starb mit zweiundsiebzig Jahren nach einem sehr arbeitsreichen Leben und einem überaus schmerzhaften Krankheitsverlauf, den er in Anbetracht seines erfüllten Lebens als »erträglich« kommentierte. Die Philosophenschule bestand noch viele Jahr hunderte lang, ungeachtet dessen, dass man Epikur als Wollüstling und Atheisten in Verruf zu bringentrachtete, als sinnlosen Prasser und Verächter jeglicher sittlichen Grundsätze. 498 Dieser schlechte Ruf, über den sich Vicino dem begnadeten Außenseiter verbunden wissen wollte, kam durch üble Nachrede derer zustande, die mit Recht fürchteten, durch die Implikationen seiner Thesen als Lügner und Betrüger entlarvt zu werden: Vornehmlich Priester und Politiker – eine Gesellschaft, vor der sich auch Vicino in sein Wäldchen zurückgezogen hatte.
Epikur nannte sein Hauptwerk Die Natur, womit er seine Erkenntnisse als naturwissenschaft liche bezeichnete und sich gleichzeitig auf die der berühmtesten griechischen Philosophen vor ihm berief. Wie die meisten antiken Texte ist auch dieses Werk nur fragmentarisch erhalten, etwa in den stark verkohlten Resten einer epikureischen Bibliothek Herculaneums und durch den glücklichen Umstand, dass der bereits erwähnte Diogenes Laertios seiner Epikur-Biografie die vollständigen Texte von vier Briefen des Meisters anschloss, die Vicino gekannt haben dürfte. 499 Allgemein wurden drei Teile seines Denkgebäudes unterschieden, die auf bemerkenswerte Weise ineinander griffen und voneinander abhängig waren: die allgemeine Naturlehre (Physik), die Erkenntnistheorie (Kanonik), und die spezielle Glückslehre (Ethik). Im Zentrum dieses Beziehungs geflechtes stand die Eudämonie, die Lehre vom Zustand absoluter Harmonie. Epikurs Philosophie war ein äußerst praxisnahes, auf Lebensbewältigung abzielendes Streben nach Wahrheit – unentbehrlich für den, der sein »irdisches Glück« und sogar »Erlösung« suchte. Als Grundlage galten der Mensch und seine sinnliche Empfindung. Einfach, wie alle im Prinzip revolutionären Gedanken, war der epikureische Ansatz, der den Menschen als natürliches Wesen begriff und seine psychische Konstitution aufs engste mit der physischen verknüpft, weshalb Epikur auch vorzugsweise von Physiologie sprach. In der Renaissance war die offenkundige Depra vation der Menschheit seit der Antike Gegenstand der Kritik, die den Boden für die Entstehung der abendländischen Philosophie bereitete. Für die Installation seines Wäldchens als elitäre Gegen welt zur verkommenen »Welt der Menschen und Meinungen« orientierte sich Vicino zweifellos an Philosophen wie Pico della Mirandola, der das zwiespältige, oszillierende Vagieren des Menschen zwischen Lust und Trauer, zwischen seinem animalischen und seinem göttlichen Anteil, beschrieben hatte und natürlich an Giordano Bruno, der aus demselben Ansatz seine These der
heroischen Läuterung durch die Leidenschaften abgeleitet hatte. Der simpel wirkende Satz von der Eudämonie – »der völligen Schmerzlosigkeit im Bereich des Körpers und eine völlige Beruhigung im Bereich der Seele« – leitete folgerichtig die gesellschaftliche Pflicht ab, das eigene Leben und die Beziehung zu den anderen mit besonnener Überlegung und im Geiste der Freundschaft zu gestalten. Für die Verwirklichung dieser prinzipiellen Lebens einstellung empfahl Epikur im Sinne einer harmonischen, geistig-körperlichen Gesundheit Enthaltsamkeit in allen Lebensbereichen. Statt wahl- und hemmungslosem Genuss, bedeutet Epikureismus jene: »ruhevolle Hochstimmung […], die aus einem schuldlosen Gewissen, aus dem Bewusstsein gerecht zu denken und zu handeln, erwächst und die uns jeden neuen Tag, ohne dass wir sklavisch am Leben hängen, als ein beglückendes Geschenk erscheinen lässt. Wir müssen also die Freuden sorgfältig auswählen, müssen ihren Wert zu unterscheiden wissen und unter ihnen die herausfinden, die unserer persönlichen Eigenart am angemessensten und dienlichsten sind. Mit unter müssen wir erst durch Schmerzen tapfer hindurchschreiten, wenn hinter diesen Schmer zen umso größere und wertvollere Freuden winken.« Diese Philosophie beruhte auf der richtigen Interpretation der Natur und war – wie der Briefverkehr Vicinos mit seinem Freund und Arzt Drouet veranschaulicht – in erster Linie Lebenskunst. Epikurs These, dass die gesamte Natur aus leerem Raum und den Atomen bestünde und das eine nicht ohne das andere sein könne, hatte ältere Vorbilder und war also nichts Neues, neu war jedoch die Aufregung über die Idee einer unzerstörbaren und von keinem Gott und/oder seiner Priesterschaft – oder gar den Menschen! – abhängigen Weltordnung. Epikurs Konzept ging von den Atomen aus, den sogenannten Urteilchen, die von Anfang an bewegt, unendlich viele sowie unzerstörbar (unteilbar) wären und sich im ebenfalls unendlichen Raum bewegten. Von diesen zahllosen
Vicino der Epikureer 305
Atomen gebe es so viele verschiedene Gruppen, die sich in Gewicht und Form unterschieden und sich auch in ihren Schichtungen immer wieder anders formierten, dass die natürliche Vielfalt der Dinge damit erklärt wäre. Die Unveränderlichkeit der Atome und ihre ständige Bewegung im All entspreche dem nicht abreißenden ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen. Im Gegensatz zu den ewigen Atomen, seien die von ihnen gebildeten Körper nicht unzerstörbar, sondern gingen immer wieder in Verfall über, worauf sich die freigewordenen Atome wieder neu und zu etwas anderem formierten. Alle Dinge und Lebensformen wären also in einem ständigen Wandel begriffen. Epikurs Annahme, dass die Atome unzerstörbar seien, ersetzte den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele – Naturbeobachtung die Verehrung der rachsüchtigen Gottheit. Auch die antike Vorstellung eines unsinnlichen, schattenhaften Weiterlebens im Jenseits wurde damit außer Kraft gesetzt und schwächte die Macht der Priester und Moralisten. Noch 2000 Jahre später konnten von der katholischen Kirche enttäuschte Zeitgenossen wie Vicino die epikureische Vorstellung überzeugend finden, dass sich mit den gröberen Körperatomen auch die feinen Seelenatome auflösten und wieder neue Verbindungen eingingen. Das war weder ein angenehmer, noch ein fürchterlicher Gedanke, denn: »Wenn wir da sind, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, sind wir nicht mehr da.« Die Umsetzung dieser Erkenntnis in die ethische Forderung nach Tugend war die große Leistung des Epikureismus: Die Einmaligkeit des individuellen Lebens verpflichtete dazu, dieses Geschenk zu nutzen, einerseits zum Genuss der sinnlichen Freuden und andererseits zur größtmöglichen geistigen Leistung, der der Mensch fähig sei. Seinen physiologisch begründeten Bedürfnissen könne der Mensch unbehelligt von den Göttern nachgehen, die leidenschaftslos in ihrer Ewigkeit und völlig unbeteiligt am Schicksal der Menschen in den Räumen zwischen den Kosmen, den sogenannten Metakosmien oder Intermundien existierten. Somit wäre der Mensch frei von allen äußeren,
306
Vicino der Epikureer
vor allem religiös-ideologischen Zwängen und nur – und das als höchsten Anspruch – sich selbst verantwortlich. »Der Epikureer wird vernunftvoll und gerecht leben und darum freudevoll. Denn freudevoll zu leben ist nicht möglich, wenn man nicht gerecht und edel und vernunftvoll lebt, aber man kann umgekehrt auch nicht gerecht und edel und vernunftvoll leben, wenn man nicht freudevoll lebt. Ein nach den Weisungen der Natur vernunftgeleitetes Leben ist zugleich auch ein glückvolles.« Damit erlöste Epikur den Menschen von seiner Schicksalsbestimmtheit und der Rache der Götter, der Macht der Priester und Volksverführer, womit er sich natürlich mit den Mächtigen der Welt anlegte. Aus der Autarkie wiederum folgte nach Epikur jenes »In-sich-Ruhen«, das der bereits beschriebenen Eudämonie entspreche und den Menschen in die Nähe der Götter (sic!) rücke: »Denn es gleicht in keiner Weise mehr sterblichen Menschen ein Mensch, der in unsterblichen Gütern lebt«. Epikur vertrat die Ansicht, dass Eudämonie nicht in überheblicher Isolation erreicht werden könne, sondern im sozialen Umfeld, mit Gleichgesinnten, Gefährten und Geliebten und immer nach der obersten Maxime der Freundschaft. Vicinos Lebensstil der Villeggiatura, vor der Kulisse eines »interkosmischen Arkadien«, im Kreis seiner gleichgesinnten Freunde und der kapriziösen Laura, deren Lebensart von einer »echten« Schäferin nicht übertroffen oder gar ersetzt werden konnte, war gerade wegen ihrer Anachronismen die unmittelbarste Vergegenwärtigung der »Philosophie der Freude«.
Vicino der Ritter Der bemerkenswerte Brückenschlag von Epikurs Eudämonie zum Rittertum mit seinen minnecli chen aventiuren innerhalb der Rahmenhandlung der Hypnerotomachia war kennzeichnend für die Persönlichkeit Vicino Orsinis. Mit seiner Einschätzung, dass Epikur ein galant’homo gewesen sei, gab er sich als Poliphil und Betrachter jener Nymphe vor dem Schiefen Haus zu erkennen, die sich in einer merkwürdig wollüstigen Wendung ihres halbnackten Körpers einem Kruzifixus zuneigt. Diese bizarre Zusammenstellung des unkeuschen Weibes mit dem sterbenden Christus am Kreuz war nur innerhalb der Hypnerotomachia des Vicino Orsini möglich. Seine fürstliche Haltung war vom Ideal der hohen Minne bestimmt, die sowohl einen gesellschaftlichen, als auch spirituellen Wert darstellte: Frauendienst fiel in seiner höchsten hermetischen Vollendung mit der Suche nach dem Gral und dem lapis philosophorum zusammen. Antike Philosophie und Gralssuche waren im etruskophilen Wäldchen Ausdruck hegemonialer (Wahn-)Vorstellungen, die als Konglomerat aus gegenweltlichen Fiktionen von Vergangenheit und Jenseits ein Ideal unvergänglicher Schönheit vor Augen stellten.
archetypischen Liaison von Adam und Eva, einem weiteren konstituierenden Merkmal des Paradieses, gekoppelt ist. Aus diesem profund mittelalterlich humanistischen Nexus, dessen christlicher Unter ton dem Einfluss der Hypnerotomachia zuzuschreiben ist, wird ein Handlungsstrang innerhalb der Konzeption des Wäldchens sichtbar, der bislang nicht eigens ausgeführt werden konnte. Dennoch gehört er unmittelbar, jedoch höchst mysteriös, so wie es die Zeit Vicinos liebte, dazu. Wie die vielfältigen und verwirrenden Wasserspiele, die einen wesentlichen Anteil an der Inszenierung Bomarzos als Raum und Zeit einer längst vergangenen Weis heit hatten, verläuft dieser Handlungsstrang gleichsam unterirdisch, geheim und in subtilster Weise die Ereignisse des Heiligen Waldes kommentierend. Er war kein in dem Sinne eigenes Thema, sondern bedurfte der Erklärung im und aus dem Kontext, da er mit den anderen Handlungssträngen untrennbar verwoben war.
Die Frage nach der Verbindung zwischen Epikur, hoher Minne und Hypnerotomachia beantwortet der Held Poliphil selbst, indem er sich den fünf Sinnenfräulein als Liebender vorstellt, wobei er explizit Polia respektive die Antike als Ziel seiner Sehnsucht nennt.500 Vicinos »Entschluss« verband seine Vorstellung von der völligen Hingabe an das Ideal der hohen Liebe mit der Souveränität Epikurs. Im Gegensatz zur intellektuellen Schwermut und Resignation, die Giordano Brunos Heroische Leidenschaften durchzogen, konnte die Philosophie Epikurs durchaus als Vorläufer der zeitgenössischen neuplatonischen Idee einer glückvollen Einheit von Leib und Seele angesehen werden. Vicinos Briefe zeugen von der intensiven Sehnsucht nach einer sinnvollen, Geist und Körper vereinenden Lebensführung, die traditionell mit der
• »Herr Walther von Metze«, große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse), 1305–1340 Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Palm. Germ. 848, Bl. 166v
Vicino der Epikureer 307
Nur unter der Patronanz des Hermes Trismegistos war diese Reise in die Unterwelt respektive Ver gangenheit zu unternehmen, die nicht nur synonym mit Identität und Mythos war, sondern in erster Linie mit der Renaissance einer Aetas Aurea, in der sich Sinnlichkeit und Erkenntnis noch (sic!) gleichwertig begegneten. Tatsächlich konnte der Heilige Wald von Bomarzo den Anspruch erheben als perfekte Inszenierung der Liebesphilosophie zu gelten, deren grundsätzliche Bedeutung und letztendlicher Auftrag in der kongenialen Verbindung von Leib und Seele bestand. Vicinos Wäldchen war die Verkörperung der Sehnsucht nach dem Paradies und eine zeitgemäße Form des Aufbegehrens gegen Fremdbestimmtheit und Tod, womit Vicino seine Kritik an der Zivilisation und der depravierten Gesellschaft auf den Punkt gebracht hatte. Erst aus diesem Ansatz war die Möglichkeit einer Rückkehr denkbar, die – über Raum und Zeit hinweg – vermittels einer intellektuellen Anstrengung gelingen könne. Dem geistvollen Rekurs auf die Antike wurde mit einer Restauration antiker Ars Vivendi entsprochen – seinerzeit einem fast schon religiösen Motiv, das in den Visionen jenseitiger Seligkeit ständig auftauchte und die intellektuelle
• Bacchanten feiern im etrus kischen Jenseits und wieder gehört ein Subulospieler zum etruskischen (sic!) Vorstellungskreis eines guten Lebens im Jenseits. Fresko in der Tomba der Leoparden, 475 v. u. Z., Nekropole Monterozzi, Tarquinia
308
Vicino der Epikureer
Herausforderung des Humanismus war. Es war naheliegend, ja sogar unverzichtbar, dass die Imagination einer Zeit und eines Raumes jenseits der Welt des Hier und Jetzt sich auf den Topos des Paradieses berief – und zwar diese Art von Paradies, die als Gegenwelt Anfang und Ende der Zeiten bedeutete, also ewiges Leben. Deshalb rekurrierte Vicinos Paradies sowohl auf die epikureische Vorstellung vom ständigen Wandel im Kreislauf der Natur, als auch auf die Idee eines individuellen, Tod und Zeit überwindenden schöpferischen Prinzips, das mit Heroismus und Erkenntnis gleichgesetzt war. Der fiktive Charakter des Paradieses, das nicht umsonst die Domäne von Malerei und Dichtung ist, steht seiner leibhaftigen Vergegenwärtigung entgegen. Grundlegende Vorstellungen, die innerhalb des zeitgenössischen Horizontes geläufig waren, ließen eine Umsetzung im Wäldchen Vicinos dennoch und in einer Sphäre gelingen, die mit Absicht eine virtuelle war, und so reagierte die Schöpfung Vicinos auf das leibfeindliche christlich/katholische Konzept mit Ablehnung und mit der Erschaffung einer etruskischen Aetas Aurea.
Vicino der Alchemist Der Vorgabe der Heroischen Leidenschaften folgend, verbarg Vicino seine Philosophie im Wäld chen, indem er das Streben nach Wahrheit und Selbstvervollkommnung in hermetische Topoi kleidete: Schatzsuche als Metapher der Weisheit, Jagd als Allegorie der Erkenntnis und Hirtenleben als Tröstung (Consolatione) durch die Kunst. Die archetypische Liaison von Adam und Eva entspricht der Vereinigung der Gegensätze. Das durchgängige und alles beherrschende Motiv des Wäldchens war die Liebe, wie sie in der Hypnerotomachia als Lebens-Aufgabe des ritter lichen Mannes geschildert wurde, der den Minne dienst als höchste und seine profanen Aufgaben sublimierende Heldentat begriff. In der Alchemie der hohen Minne läuterte sich Blei zu Gold, der Garten als alchemistischer Apparat bestimmte den Lauf der Gestirne. Mithin waren Alchemie und Astrologie vorherrschende Themen im Heiligen Wald, die die althergebrachte Vorstellung vom Mann als Ritter und seine daraus abgeleitete schicksalhafte Verpflichtung minutiös begründeten. Sittliche Vernunft und intellektueller Eros leiteten sich voneinander ab und ergaben so etwas wie ein gesellschaftliches Ideal, das eindeutig höfisch determiniert war und somit dem Adel, den galant’ homini, vorbehalten. In der Welt die sich Vicino erschaffen hatte, bedeutete Renaissance nicht nur den Rückbezug auf antike oder mittelalterliche, jedenfalls vergangene Zeiten, sondern die moderne Forderung nach Freiheit des Geistes: Nach unkonventionellen, arkadisch-wildwüchsigen Ideen, wie sie von den Büchern verkündet wurden, die die katholische Kirche auf den Index Librorum Prohibitorum gesetzt hatte. Das leib- und lustfeindliche Interregnum der katholischen Kirche hatte den modernen Menschen sich selbst entfremdet und wesentlich dazu beigetragen, dass die Forderung nach intellektueller Freiheit mit antiker Liebesfreiheit gleichgesetzt werden konnte.
Die mittelalterlich allegorische Vorstellung von der Schicksalhaftigkeit der Liebe und der männlich/heldenhaften Verpflichtung zum Minnedienst kondensierte in der Hypnerotomachia zu einer Vorform dessen, was Giordano Bruno in den Heroischen Leidenschaften als den Konflikt der Neuzeit benannt – und Vicino auf den Punkt gebracht hatte: FATO PRUDENTIA MINOR (siehe Abbildung S. 281 f.). Der sinnlich genießende und darum schwache Körper ist Fatum, die Beherrschung, aber auch die Hingabe an die Leidenschaften und letztlich ihre Überwindung, sind nach Bruno Heldentaten, die – ähnlich wie in der Liebesphilosophie – aus der Sphäre des Menschlichen in die des Göttlichen hinüberreichen. Es ist der erlösende Moment der Erkenntnis, der mit der Auflösung im Göttlichen zusammenfällt (siehe Abbildung S. 255: Tizian, »Diana und Actaeon«, 1556–1559). Zugleich bedeutet die Hingabe an das Schicksal, dessen Übermächtigkeit vor aller Gelehrtheit erkannt und zugegeben werden muss, eine Devotion an die Liebe, die eben fatal und unüberwindbar ist. Liebe in diesen Zusammenhängen geht weit über den irdischen Frauendienst hinaus: Sie ist die Schau des Allerhöchsten. Die Hypnerotomachia bot dafür den idealen Rahmen, denn sie war schon von ihrem ganzen Habitus geheimnisvoll, wie schon der Titel nahelegt, der Liebe, Kampf und Traum wie in einer ägyptischen Kartusche zusammenfasst und auf Polia bezog, die als entschwebende Nymphe die passende Assoziation war. Polia, in der unzweideutigen sinnlichen Haltung der Antike blickt himmelnd nach oben, und in Richtung des sterbenden Christus am Kreuz – beide halten den Kopf in der gleichen Weise demütig geneigt. In dieser formalen Entsprechung bilden die nackte Nymphe und Christus eine faszinierende Einheit von Lust und Tod. Poliphil ist also auch im Wäldchen der Held der mysteriösen Erlebnisse, als er freiwillig seinen schicksalhaften Weg geht, der von Gefahr und Leiden, von den Mysterien der Antike, genauso wie vom Wunderglauben des Mittelalters vorgezeichnet
Vicino der Epikureer 309
ist. Der Traum als das Medium der Erkenntnis spielte hier auf die bewusstseinserweiternden, lehrreichen und heilsamen, also hermetisch weitreichenden Möglichkeiten an, wie sie schon im Titel der Hypnerotomachia vorweggenommen waren:
Verwandlung der Stoffe, der heilsamen Selbst vervollkommnung, die in den sieben Stationen des Heiligen Waldes erfolgte und mit Effekten in dafür konstruierten Skulpturen illusionistisch/meta phorisch dargestellt wurde.
HYPNEROTOMACHIA POLIPHILI, VBI HVMANA OMNIA NON NISISOMNIVM ESSE DOCET. ATQVE OBITER PLVRIMA SCITV SANE QVAM DIGNA COMMEMORAT
Die minneclich verehrte hohe Frouwe wirkte vorbildlich für die sublime Interpretation des Weiblichen in den intellektuellen Anstrengungen des Huma nismus. Vicinos Rittertum stand in der mittelalterlichen Tradition des Minnedienstes, der einerseits unüberwindliches Schicksal war, und andererseits die Transformation in ein abstraktes Ideal, das sogar den Tod überwinden konnte.501 Als höchstes sittliches Ziel des edlen Mannes bestimmte es die grundsätzlichen Vorstellungen vom Weib lichen und leitete sich umgekehrt davon her. Entsprechend den minneclichen aventiuren waren in Bomarzo die paganen Topoi von Verschlingung und Erlösung allesamt vulvische Symbole, die – vom Höllenschlund abgeleitet – die folgenden Schrecknisse als Symbole der Wiedergeburt darstellten. Der Abstieg in den Orkus und in den etruskischen Tumulus der Tartaruga, die schon lautmalerisch Tartaros und Orkus sowie natürlich formal die vagina dentata assoziierten, war ambivalent auf die schreckliche Zerreißung des Weibes bezogen. Annäherung und Aufstieg in die Hölle waren den etruskischen Nekropolen nachempfunden, die im Wäldchen Allegorien der Erkenntnis waren. Die Präfiguration löste sich im wahrsten Sinne des Wortes in Wohlgefallen auf, denn das Innere des Höllenschlundes erwies sich als Feinschmeckerlokal mit musikalischer Umrahmung. Die Ambivalenz des Humanismus zeigte sich nirgendwo dramatischer als in solchen Effekten, von denen angenommen werden muss, dass sie in der Nacht noch schaurigere Wirkungen hervorriefen, und den gelehrten Diskurs ein weiteres Mal und auf eine noch höhere respektive profundere Ebene transponierten.
dies ist Poliphils Liebes-kampf-traum, worin gelehrt wird, dass alles Menschliche nichts als ein Traum ist, und worin ausserdem noch vieles aufbewahrt wird, was wissenswert und heilsam ist Poliphils Geschichte beginnt wie in der mittel alterlichen Erzählung (Comedia, Rosenroman, Vom liebentbrannten Herzen etc.) mit Schlaf losigkeit, auf die dann ein erlösender und hellsichtiger Traum folgt. Die Metapher entsprach der antiken Vorstellung, dass sich der Verstand im Schlaf schärfe: ANIMVS QVIESCENDO FIT PRVDENTIOR ERGO steht am Schiefen Haus zu lesen und wirklich ist die sinngemäße Übersetzung, dass der Geist (nur) im Traum hellsichtig würde, im Schiefen Haus verwirklicht, das den Adepten seiner üblichen und vertrauten Wahrnehmung beraubte. Taumelnd und zweifelnd verließ er daraufhin das Schiefe Haus um sich – wie Poliphil in der Waldeseinsamkeit – im Dickicht seiner Gedanken verirrt wiederzufinden.
• Georges Glasberg,
Vor dem Hintergrund vielfältiger Wassergeräusche und Tierstimmen war es hier wie in der Hypnero tomachia eine »wunderbare Melodie«, die ihn weiterf ührte. Damit hatte die Initiation begonnen, und der Adept war sich über den hohen Anspruch und das erhabene Ziel im klaren, die wahre Liebe, die sogenannte hohe Minne zu gewinnen, die eine Mischung aus Exklusivität und der Bereitschaft zu leiden war. Sie zeichnete den wahrhaft Edlen, den Adel des Geistes aus und war deshalb von Geheimnis geschützt.
»La baleine«, Fotog rafie aus: André Pieyre de Mandiargues, Les monstres de Bomarzo, 1957
Die Verweise im Titel der Hypnerotomachia auf »alles Menschliche« und die Möglichkeit der »Heilung« entsprechen der alchymischen
310
Vicino der Epikureer
Anhang
Personenregister
316 Anhang
Vicino Orsini
Giulia Farnese
Ottavio Farnese
Papst Paul III.
Papst Clemens VII.
geb. 4. Juli 1523 in Rom
gest. 1564
geb. 9. Oktober 1524 in
geb. 29. Februar 1468 in
geb. 26. Mai 1478 in Florenz
gest. 28. Januar 1585
Urenkelin des Bruders von
Valentano
Canino als Alessandro
als Giulio de’ Medici
Fürst, Herr von Bomarzo,
Papst Paul III., Ehefrau
gest. 18. September 1586
Farnese
gest. 25. September 1534
Schöpfer des Heiligen Waldes
Vicino Orsinis (Eheschlie
in Parma
gest. 10. November 1549
in Rom
ßung 1541). Mutter der
Papstenkel von Paul III.
in Rom
Am 18. November 1523 zum
Söhne Scipione, Corradino,
• S. 21, 69
Vertrat als zweitgebore-
Papst gewählt, regierte wie
Alessandro, Marzio, Orazio
ner Sohn die Interessen
seine Vorgänger ganz im
sowie der Töchter Ottavia
der Familie und stieg
Sinne seiner Familie. Unter
und Faustina. (Nicht zu ver-
ab 1493 – unterstützt von
seiner Regierungszeit fällt
wechseln mit ihrer Groß
seiner Schwester Giulia
die Plünderung Roms durch
mutter, die die Mätresse
Farnese (nicht identisch mit
die kaiserlichen Truppen
Alexanders VI. gewesen war.)
der Ehefrau Vicinos) und
(Sacco di Roma, 1526). Strikt
• S. 20, 67, 157
Delia di Clemente
• Lorenzo Lotto, »Giovane che
Minderjährige Geliebte
sfoglia un libro« (vermutlich
Vicinos, aus Bomarzo, Mutter
Vicino Orsini), um 1527 Gallerie dell’Accademia, Venedig
Mätresse des regierenden
wie seine beharrliche
Papstes Alexander VI. – in
Weigerung die Ehescheidung
der Hierarchie der Kirche
Heinrichs von Katharina von
auf. Am 13. Oktober 1534
Aragon zu erlauben – »non
zum Papst gewählt, machte
possumus« – war seine
er umgehend seine Enkel,
Haltung gegenüber der
Guido Ascanio Sforza und
Reformation. Er war Freund
seiner Tochter Orontea und
• Anonimo Lombardo,
des Sohnes Leonida, die er
»Ottavio Farnese, secondo
Alessandro Farnese (der J.)
und Feind des umstrittenen
1584 von Papst Gregor XIII.
duca di Parma«, um 1580,
zu Kardinälen und mehrte
Dichters Pietro Aretino,
legitimieren ließ.
Galleria nazionale di Parma
• S. 214
auch sonst Macht und
der vor ihm nach Venedig
Reichtum der Farnese;
flüchtete.
erkannte das bevorstehende
• S. 211
Schisma der Kirche und Adriana de Roza
Alessandro Farnese
eröffnete 1545 das Konzil
gest. 1544
geb. 1520 in Valentano
von Trient, dem Kardinal
Römische Mätresse Vicinos,
bei Viterbo
Cristoforo Madruzzo vor-
starb drei Jahre nach seiner
gest. 1589 in Rom
stand. Vicino Orsini war
Heirat mit Giulia Farnese an
Papstenkel von Paul III.,
durch Einheirat mit Giulia
einem Fieber.
Kardinal, lebenslängliche
Farnese (Großnichte
• S. 23
Freundschaft mit Vicino,
Pauls III.) und wegen seiner
allerdings auch belastet
Teilnahme an den Kriegs
durch die opportunistische
zügen des Farnese-Papstes mit der Familie verbunden.
Politik Pauls III. Protegiert Laura
Vicino wo er nur kann und
Untreue Nachfolgerin der
verschafft dessen legitimen
Adriana de Roza, die Vicino jedoch großmütig wieder
• Tizian, »Porträt des Papstes
• Sebastiano del Piombo,
wie illegitimen Kindern
Paulus III. mit Kardinal
»Papst Clemens VII.«,
glänzende Partien.
Alessandro Farnese und
um 1531, The J. Paul Getty
aufnimmt, nachdem sie ihn
• S. 20, 36, 68, 155, 180, 225,
Herzog Ottavio Farnese«,
Museum, Los Angeles
mit einem seiner Gäste betro-
261, 303
gen und verlassen hatte.
Detail, 1546, Museo di Capodimonte, Neapel
• S. 26, 36, 209, 214, 224
• Tizian, »Papst Paul III.«, 1543, Museo di Capodimonte, Neapel
Anhang 317
Papst Gregor XIII.
Giordano Bruno
Torquato Tasso
geb. 7. Jänner 1502
geb. Januar 1548 in Nola
geb. 11. März 1544 in Sorrent
in Bologna als Ugo
als Filippo Bruno
gest. 25. April 1595 in Rom
Boncompagni
gest. 17. Februar 1600 in Rom
Italienischer Dichter des 16. Jahrhunderts, der Zeit
gest. 10. April 1585 in Rom
Dominikanermönch, Denker,
1572 zum Papst gewählt
Astronom, Gedächtniskünst
der Gegenreformation.
war Gregor ein vehemen-
ler, Philosoph, Ketzer und
Berühmtestes Werk
ter Vertreter der Gegen
Autor u. a. der Heroischen
La Gerusalemme liberata;
reformation und jener
Leidenschaften, der Ver
berüchtigt wegen seiner
Besuch den Vicino ganz
brechen der Ketzerei und
Geisteskrankheit.
Magie angeklagt, verfolgt,
• S. 28, 62, 252, 287
dezidiert ablehnte; siehe
• Tizian, »Pietro Aretino«,
Brief an Giovanni Drouet
1545, Palazzo Pitti, Florenz
vom 18. August 1578 (siehe
was am 12. März 2000 von
Fußnote 486).
Johannes Paul III. offiziell
• S. 109 Pietro Aretino
• »Annibale Caro«, 1562–1565
gefoltert und hingerichtet,
Annibale Caro
als Unrecht erklärt wurde.
geb. 19. Juni 1507 in Civita
• S. 11, 19, 25, 34, 49, 55, 74,
geb. 20. April 1492 in Arezzo
nova Marche
158, 186, 254, 279, 290, 305,
gest. 21. Oktober 1556 in
gest. 21. November 1566
307, 309
Venedig
in Rom
Freigeist, Dichter, Philo
Bekannt für seinen klassi-
soph und Unruhestifter.
schen Stil und Humor (sic!),
Inspirierte mit seinen frei-
ehrgeiziger Sohn armer
zügigen Gedichten die
Eltern, in den Diensten rei-
Gigantomachie Bomarzos,
cher Bürger und dann adeli-
• Alessandro Allori, »Torquato
floh vor dem Papst, der ihn
ger Kleriker wie den Farnese,
Tasso«, Fondazione Federico
kurz zuvor zum »Ritter von
die ihn als Diplomaten ein
Zeri, Università di Bologna
Rhodos« ernannt hatte, nach
setzen. Mit seiner Universal
Venedig.
• Lavinia Fontana,
bildung Vicino bei der Ent
• S. 210
»Gregor XIII.«
wicklung des ikonografischen Programms für das
Francesco Mosca genannt Il Moschino gest. 28. September 1578
Wäldchen von großem
• Giordano Bruno, aus:
Cristoforo Madruzzo
Nutzen.
»Opere …«, Weidmann, 1830
Torquato Conti
geb. 5. Juli 1512 auf Castel
• S. 36, 68, 180
Wellcome Library, London
Condottiere, kaiserlicher
Madruzzo in Kalfein
Skulpteur und Architekt, von
Feldmarschall, päpstlicher
gest. 5. Juli 1578 in Tivoli
Vicino für die Arbeiten im
General und Freund aus
Kardinal, Leiter des Tri
Sacro Bosco eingesetzt.
den Zeiten der soldatischen
dentinischen Konzils und
Vergangenheit Vicinos
bester Freund Vicinos,
Giovanni Drouet
(etwa 1545–1558).
Schöpfer der Papacqua in
geb. 1516
• S. 20
geb. um 1531 in Florenz in Pisa
Soriano.
gest. 1595
Simone Moschino
• S. 20, 36, 49, 68, 214, 225,
Militärischer und klerikaler
geb. 12. November 1553 in
275, 295
Karrierist, Freund, philoso
Orvieto
phischer und ärztlicher
gest. 20. Juni 1610 in Parma
Berater Vicino Orsinis.
Sohn von Francesco Mosca,
• Tizian, »Kardinal Cristoforo
• S. 25, 35, 36, 37, 68, 69, 75,
ebenfalls Skulpteur und
Madruzzo«, Detail, 1552,
153, 177, 180, 214, 217, 225,
Architekt, arbeitete auch im
Museu de Arte, São Paulo
226, 280, 287, 289, 290, 305
Sacro Bosco.
318 Anhang
Pirro Ligorio
Giancarlo Bettini
geb. 1514 in Neapel
Erwarb 1954 mit seiner
gest. 30. Oktober 1583
Frau Tina Severi das
in Ferrara
Gelände, renovierte die
Maler, Architekt, Antiquar
Ensembles und richtete
und Gartenarchitekt, ab 1547
ein Museum sowie eine
bis in die 1570er Jahre unter
Gaststätte ein, die heute mit
der Ägide Vicinos zusam-
Spielplatz, Streichelzoo und
men mit Sansovino, Vignola
Picknickzone ein beliebtes
und dem einheimischen Steinbildhauer Francesco Moschino und dessen Sohn
Ausflugsziel für Familien • Pirro Ligorio
ist. Das Ehepaar wurde im Oktogon des Tempietto bei-
Simone für Entwurf und
gesetzt. Heute wird der Sacro
Ausführung der Skulpturen
Bosco von Giovanni und
des Sacro Bosco verantwort-
Paolo Bettini verwaltet und
lich.
instand gehalten. Giacomo Barozzi da Vignola geb. 1. Oktober 1507 in Vignola/Modena gest. 7. Juli 1573 in Rom Berühmter Architekt und Architekturtheoretiker, baute u. a. Il Gesù in Rom und die Villa Gambara in Bagnaia sowie die Villa Farnese in Caprarola.
• Tintoretto, »Porträt des Bild hauers Jacopo Sansovino«, 1560–1570, Uffizien, Florenz
Jacopo Sansovino geb. 2. Juli 1486 in Florenz als Jacopo d’Antonio Tatti gest. 27. November 1570 in Venedig
• Giacomo Barozzi
Wurde während seiner Lauf bahn zum einflussreichsten oberitalienischen, venezianischen (sic!) Architekten und Bildhauer. Zu Zeiten Vicinos dessen Ratgeber und Panegyriker.
Anhang 319
Ackermann, Erich: Die Sagen
Beigbeder, Oliver: Lexikon
Bredekamp, Horst: Vicino
der Römer, Köln: Anaconda
der Symbole. Schlüssel
Orsini und der Heilige Wald
2013.
begriffe zur Bildwelt der
von Bomarzo. Ein Fürst als
romanischen Kunst, Würz
Künstler und Anarchist,
burg: Echter 1998.
Bd. Ii. (Grüne Reihe: Quellen
Alighieri, Dante: Die Gött
und Forschungen zur Garten
liche Komödie, Übers. von
Bibliografie (Auswahl)
Hermann Gmelin, mit
Berberi, Marco: Bomarzo:
kunst, Bd. 7), Worms: Wer
Anmerkungen und einem
un giardino alchemico del
ner’sche Verlagsa nstalt 1985.
Nachwort von Rudolf Baehr,
Cinquecento, Bologna 1999. Bredekamp, Horst: Vicino
Universal Bibliothek Nr. 796, Bernheimer, Richard:
Orsini und der Heilige Wald
Romanische Tierplastik und
von Bomarzo. Ein Fürst als
Amiels Tagebücher, siehe
die Ursprünge ihrer Motive,
Künstler und Anarchist,
Grimminger 1987
München: Bruckmann 1931.
Bd. II. überarb. Auflage
Apuleius (Madaura):
Bettini, Giovanni: Bomarzo.
Forschungen zur Garten
Der Goldene Esel, aus dem
Führer durch den Park der
kunst, Bd. 7), Worms: Wer
Lateinischen übersetzt
Ungeheuer. Erschaffen im
ner’sche Verlagsanstalt 1991.
von August Rode, Wien:
Jahre 1552 als Park der
Heim 1928.
Wunderdinge; auch Heiliger
Brown, Peter: Die Keuschheit
Wald genannt; eine künstle
der Engel. Sexuelle Entsa
Bachmeister, Christiane
rische und kulturelle Anlage
gung, Askese und Körperlich
(Hrsg.): Giordano Bruno.
ohne ihresgleichen auf der
keit im frühen Christent um,
Von den heroischen
Welt, Narni: Plurigraf 1988.
München: dtv wissenschaft
Stuttgart: Reclam 1993.
(Grüne Reihe: Quellen und
1994.
Leidenschaften, mit einer Einleitung von Ferdinand
Biedermann, Hans (Hrsg.):
Fellmann, Hamburg:
Knaurs Lexikon der Symbole,
Bruno, Giordano, siehe
Meiner 1989.
Augsburg: Weltbild Verlag
Bachmeister 1989
2000. Bruschi, Arnaldo/ Zanda,
Barbini, Bruno: Vicino Orsini e il Palazzo di Bomarzo, in:
Birchler, Linus: Über die
Giuseppe/ Fasolo, Furio
Lefevre, Renato (Hrsg.),
Hypnerotomachia Poliphili,
(u. a.): Quaderni dell’Istituto
Rinascimento nel Lazio,
in: Librarium. Zeitschrift
di storia dell’architettura:
Lunario romano 9, 1979,
der Schweizerischen Biblio
fascicolo speciale dedicato
S. 109–127.
philengesellschaft, Bd. 1, 1958
alla villa Orsini di Bomarzo,
(als PDF-Datei, 18. 3. 2017).
Rom: Facoltà di Architett ura dell’Università di Roma 1955.
Barth, Lewis M.: Theolo gische Realen z yklopädie,
Bischof, Norbert: Im Kraftfeld
Bd. 16, Berlin/New York 1987.
der Mythen. Signale aus
Calvesi, Maurizio: Il Sacro
einer Zeit, in der wir die Welt
Bosco di Bomarzo, in: Scritti
Bassani, Lucia Nadin: Vicino
erschaffen haben, München:
di storia dell’arte in onore di
Orsini tra la cultura dei
Piper 1996.
Lionello Venturi, Rom 1956, S. 369–402.
volgarizzamenti e le favole
320 Anhang
di Bomarzo, in: Quaderni
Brandt, Reinhard: Arkadien.
veneti, Vol. 8, 1988,
In Kunst, Philosophie und
Calvesi, Maurizio: Bomarzo
S. 193–214.
Dichtung, Freiburg i. B.:
e i poemi cavallereschi: le
Rombach 2006.
fonti delle iscrizioni, in: Arte
documento, Heft 3, 1989,
gedruckt zu Wittenberg
Ficino, Marsilio: Über die
Gregorovius, Ferdinand:
amerikanischer Schamanen.
S. 142–153.
durch Hans Lufft, geneh-
Liebe oder Platons Gastmahl,
Geschichte der Stadt Rom im
Heiler und Zauberer, Frei
migte Ausgabe, Menden/
Hasse, Karl Paul (Übers.)/
Mittelalter, Dresden, o. J.
burg: Herder 1999.
Luzern/Wien/Vehling 1986.
Blum, Paul Richard (Hrsg.),
Calvesi, Maurizio: Gli incan
Lateinisch/Deutsch, 3. verb.
Grimminger, Rolf: Monstren
Hettche, Thomas: I MODI.
Sacro Bosco tra arte e let
De Feo, Giovanni: Die etrus
Auflage (1. Aufl. 1914), Ham
der Vergangenheit. Amiels
Stellungen. Die Sonette des
teratura, 1. ed., Mailand:
kischen und mittelalterli
burg: Felix Meiner Verlag
Tagebücher und der Park
Göttlichen Pietro Aretino zu
Bompiani 2000.
chen Orte im Hügelland der
1994.
von Bomarzo, in: MERKUR.
den Kupfern Marcantonio
Deutsche Zeitschrift für euro
Raimondis, nachgedichtet
tesimi di Bomarzo, in: Il
Maremma, Die Tuffstein Colpe, Carsten/ Holzhausen,
städte im Fioratal: Sovana,
Fink, Gerhard: Who’s who
päisches Denken, Heft 8,
und mit einem Essay ver-
Jens (Hrsg.): Das Corpus
Sorano, Pitigliano, Saturnia,
in der antiken Mythologie,
41. Jg., Stuttgart: Klett-Cotta
sehen, Frankfurt a. M.:
Hermeticum. Deutsch.
Montemerano, Manciano,
München: dtv 1993.
1987.
Eichborn 1997.
Teil 1: Die griechischen
Rom: Laurum 2000. Fink, Gerhard: Ovid.
Guidoni, Enrico: Il sacro
Hinrichs, Gunda/ Holtmann,
sche Asklepius, (Clavis
Donadono, Laura (Hrsg.):
Metamorphosen. Das
bosco di Bomarzo nelle cul
Werner: Der Heilige Wald von
Pansophiae, Band 7/1),
Bomarzo – Architetture fra
Buch der Mythen und
tura europea, Vetralla 2006.
Bomarzo. Ein rätselhafter ita
Stuttgart/Bad Cannstatt:
natura e società, Rom 2004.
Verwandlungen, 4. Aufl.
Traktate und der lateini
frommann-holzboog 1997. Dotson, Esther Gordon:
lienischer Renaissancegarten
(1.Aufl. 1989), München:
Harrison, Shirley: Das Tage
und Freuds Traumdeutung
Artemis & Winkler 1994.
buch von Jack the Ripper. Die
als Methode seiner Interpre
merkwürdigen Umstände
tation, Berlin: Gebr. Mann Verlag 1996.
Darnall, Margaretta/ Weil,
Shapes of Earth and Time in
Mark S.: Il Sacro Bosco di
European Gardens, in: Art
Foucault, Michel: Das
der Entdeckung. Die Beweise
Bomarzo: Its 16th-Century
Journal, Bd. 42, Heft 3, 1982,
Abendland und die Wahr
seiner Echtheit, Bergisch
Literary and Antiquarian
S. 211–216.
heit des Sex, in: Dispositive
Gladbach: Bastei 1994.
Hohl, Hanna: Saturn, Melancholie, Genie, in:
der Macht. Über Sexualität,
Context, in: Journal of Garden Ehrismann, Otfrid: Ehre und
Wissen und Wahrheit,
Helck, Wolfgang/ Otto, Eber
Schneede, Uwe (Hrsg.):
Mut, Aventiure und Minne:
Berlin: Merve-Verlag 1978,
hard: Kleines Wörterbuch der
Saturn – Melancholie –
DeCrescenzo, Luciano:
Höfische Wortgeschichten aus
S. 96–103.
Ägyptologie, 2. verb. Auflage
Genie, Ausst.kat., Stuttgart:
Geschichte der griechi
dem Mittelalter, München:
(1. Aufl. 1956), Wiesbaden:
Hatje 1992.
schen Philosophie, Zürich:
C. H. Beck 1995.
History IV, No. 1, 1–5, 1984.
Földényi, László F.: Melan
Das Corpus Hermeticum,
cholie, München: Mathes
Diogenes 1988. Elwert, W. Th.: Die ita
und Seitz 1988.
lienische Literatur des
setzung. Altes und Neues
Mittelalters, München:
Friedländer, Ludwig:
Testament, Stuttgart:
utb Franke 1980.
Darstellungen aus der
Katholische Bibelanstalt Epikur: Philosophie der
Hennebo, Dieter: Gärten
siehe Colpe 1997
des Mittelalters, München:
Die Bibel. Einheitsüber
Herder 1980.
Harrassowitz 1970.
Artemis 1987.
Huxley, Aldous: Kontrapunkt des Lebens, München: dtv
Sittengeschichte Roms,
Henneberg, J. v.: Bomarzo:
Leipzig 1910.
The extravagant garden of
1976.
Pier Francesco Orsini, in:
Irmscher, Johannes: Lexikon
Die Heilige Schrift. Familien
(Übers.), Stuttgart: Kröner
Gerritzen, Christian: Lexikon
Italian Quarterly, Bd. XI,
der Antike, Bindlach:
bibel. Altes und Neues Testa
1973.
der Bibel, Eltville am Rhein:
Heft 42, New Brunswick 1967.
Gondrom 1987.
Freude, Johannes Mewald
Bechtermünz 1990.
ment, Stuttgart: Verlag
Herzmanovsky-Orlando,
Jäger, Michael: Die Theorie
Platonischen Philosophie.
Götte, Johannes und Maria
Fritz von: Das Gesamtwerk
des Schönen in der Renais
Die Merian-Bibel in Farbe,
Collegia, Philosophische
(Hrsg.): Vergil. Landleben.
in zwei Bänden, Frankfurt
sance, Köln: DuMont 1990.
die Bibel wurde neu gesetzt
Texte, Blum, Elisabeth/
Catalepton – Bucolica –
a. M.: Ullstein 1987.
nach der Lutherbibel von
Blum, Paul Richard/ Lein
Georgica, Sammlung
1545, der letzten von Luther
kauf, Thomas (Hrsg./Übers.),
Tusculum, 6. Aufl., Zürich:
Hetmann, Frederik: Jenseits
selbst bearbeiteten Ausgabe
Berlin: Akademie 1993.
Artemis und Winkler 1995.
reisen. Rituale und Mythen
Katholisches Bibelwerk 1966.
Ficino, Marsilio: Traktate zur
Anhang 321
Jung, C. G.: Psychologie und
Darstellungen in der europäi
Lurker, Manfred: Wörter
(Hrsg.): FMR. Mensile di
Rehork, Joachim (Hrsg.):
Alchemie, (Psychologische
schen Kunst und Literatur des
buch der Symblik, Stuttgart:
Franco Maria Ricci, Nr. 12,
Lübbes Enzyklopädie der
Abhandlungen 5), Zürich:
Mittelalters, Freiburg i. B.:
Kröner 1991.
1983, S. 56–62.
Archäologie, Bergisch
Rascher 1944.
Rombach Litterae 1994. Macioce, Stefania (Hrsg.):
Nitschke, Günter: Japanische Gärten, Köln: Taschen 1993.
Gladbach: Lübbe 1980.
Jung, C. G.: Symbole der
Krüger, Manfred: Guillaume
Il Sacro Bosco di Bomarzo
Wandlung. Analyse des Vor
de Lorris. Der Rosenroman,
e le poetiche del terribile e
spiels zu einer Schizophrenie,
Stuttgart: Ogham Verlag
del meraviglioso nell’età del
Zürich: Rascher 1952.
1985.
Manierismo, Anno accade-
Richter, Gert/ Ulrich, Gerhard: Lexikon der
Ovid, siehe Fink 1994
Kunstmotive. Antike und christliche Welt, München-
mico 1988–1989, 1. cattedra
Panofsky, Erwin: Et in
Gütersloh: Orbis 1993.
Jung, C. G.: Der Mensch und
Kurts, Friedrich: Handbuch
di storia dell’arte moderna,
Arcadia ego. Poussin und
seine Symbole, 15. Aufl. der
der Mythologie, Klemm,
disp. del corso del prof.
die Tradition des Elegischen,
Roob, Alexander: Alchemie
Sonderausgabe, Düsseldorf:
Christian (Hrsg.), Essen:
M. Calvesi/ Univ. degli stud.
in: Sinn und Deutung in der
und Mystik. Das herme
Walter 1999.
Phaidon 1997.
di Roma La Sapienza, Rom:
bildenden Kunst, (1. Aufl.:
tische Museum, Köln:
Bagotto 1989.
Meaning in the visual arts,
Taschen 1996.
New York: Doubleday 1957)
Kaemmerling, Ekkehard
Kurzel-Runtscheiner,
(Hrsg.): Ikonographie
Monica: Töchter der Venus.
Maisak, Petra: Arkadien.
Köln: DuMont 1978,
Sautner, Reinhold: Lexikon
und Ikonologie. Bildende
Die Kurtisanen Roms im
Genese und Typologie
S. 351–369.
der Mythologie, Salzburg:
Kunst als Zeichensystem,
16. Jhd., München: dtv 2001.
einer idyllischen Wunsch
Kiesel 1984.
welt, Europäische Hoch
Platt, Mary A.: Il Sacro
Lainez, Manuel Mujica:
schulschriften, Reihe 28,
Bosco. The Significance of
Schadewald, Wolfgang/
Il bosco sacro, in: Ricci,
Kunstgeschichte, Frankf urt
Vicino Orsini’s Villa Garden
Zinn, Ernst: Hellas und
Klibansky, R./ Panovsky, E./
Franco Maria (Hrsg.): FMR.
a. M.: Lang 1981.
at Bomarzo in the History of
Hesperien. Gesammelte
Saxl, F.: Saturn und Melan
Mensile di Franco Maria
Italian Renaissance Garden
Schriften zur Antike und zur
cholie. Studien zur Geschichte
Ricci, Nr. 12, 1983, S. 67–70.
Mandiargues, André Pietre
Design, Ann Arbor (Mich.)
neueren Literat ur, Zürich:
de: Les monstres de Bomarzo,
1991.
Artemis Verlag 1960.
4. dt. Aufl. (1. Aufl. 1973), Köln: DuMont 1987.
der Naturphilosophie und
Grasset 1957.
Medizin, der Religion und
Laplanche, J./ Pontalis,
der Kunst, 3. Aufl., Frankfurt
J.-B.: Das Vokabular der
Pochat, Götz: Utopien in der
Schama, Simon: Der Traum
a. M.: Suhrkamp 1998.
Psychoanalyse, Berlin:
Mandiargues, André
bildenden Kunst, in: Grazer
von der Wildnis. Natur als
Suhrkamp 1973.
Pietre de: Die Monstren
kunsthistorisches Jahrbuch,
Imagination, (Landscape
von Bomarzo, Reinbeck b.
Graz 1996, S. 69–99.
an Memory, Kindler 1995)
Klinkhammer, Heide: Weisheitssucher, Schatz
Lazzaro-Bruno, Claudia:
gräber und Dämonenbe
The Villa Lante at Bagnaia:
schwörer. Die motivische
an Allegory of Art and
und thematische Rezeption
Martin Pfeiffer (Übers.),
Hamburg: Rowohlt 1969. Ranke-Graves, Robert von:
München: Droemer’sche
Metzetlin, Michele: Testua
Griechische Mythologie.
Verlagsanstalt 1996.
Nature, in: College Art Asso
lità. Teoria e Pratica, Istituto
Quellen und Deutung,
des Topos der Schatzsuche
ciation: Art Bulletin, Bd. 59,
Italiano di CulturaVienna,
13. Aufl. (1. Aufl. 1984),
Schenda, Rudolf: Das ABC
in der Kunst vom 15. bis
1977, S. 553–560.
Bd. 8, Wien: 3 Eidechsen
Reinbeck b. Hamburg:
der Tiere. Märchen, Mythen
2005.
rororo 2000.
und Geschichten, München:
andere Geheimlehren in
Neese, Gottfried: Heraklit
Ravaglioli, Armando: Il
Kluckert, Ehrenfried:
der Antike, Stuttgart:
heute. Die Fragmente seiner
bosco sacro di Bomarzo:
Schischkoff, Georgi (Hrsg.):
Gartenk unst in Europa. Von
Kröner 1990.
Lehre als Urmuster europä
originee interpretazione, in:
Philsophisches Wörterbuch,
ischer Philosophie, Hildes
Lefevre, Renato (Hrsg.): Ville
Stuttgart: Kröner 1978.
heim: Olms 1982.
e parchi nel Lazio, Lunario
18. Jahrhundert, Berlin: Gebr. Mann 1993.
der Antike bis zur Gegenwart, Köln: Könemann 2000.
Beck 1995.
Luck, Georg: Magie und
Lurker, Manfred: Lexikon der Götter und Dämonen,
Kröll, Kathrin: Mein ganzer
Stuttgart: Kröner 1989.
Nicoletti, Manfredi: Il bosco sacro, in: Ricci, Franco Maria
Körper ist Gesicht. Groteske
322 Anhang
Romano XIII., Rom 1983,
Schmid, Wilhelm: Die Geburt
S. 99–122.
der Philosophie im Garten der Lüste. Michel Foucaults
Archäologie des platoni
Steffen, Uwe: Das Mysterium
Volkmann, Ludwig: Bilder
Zolla, Elémire: Il bosco
Paolucci, Fabrizio (Hrsg.):
schen Eros, Taschenbuch
von Tod und Auferstehung.
schriften der Renaissance.
sacro, in: Ricci, Franco Maria
Italia Etrusca. Guida
2315, Frankfurt a. M.:
Formen und Wandlungen
Hieroglyphik und Emblematik
(Hrsg.): FMR. Mensile di
Completa, Firenze:
Suhrkamp 1987.
des Jona-Motivs, Göttingen:
in ihren Beziehungen und
Franco Maria Ricci, Nr. 12,
Giunti 2000.
Vandenhoeck & Ruprecht
Fortwirkungen, Leipzig: Karl
1983, S. 39–70.
1963.
W. Hiersemann 1923.
tekturekphrasen in der
Tasso, Torquato: Aminta,
Wallinger, Elisabeth: Hekate
Hypnerotomachia Poliphili.
Favola boschereccia, Janos
und ihre Töchter. Hexen in
Die Beschreibung des Venus-
Riesz (Hrsg.), Stuttgart:
der römischen Antike, Reihe
Tempels, Frankfurt a. M.:
Reclam 1955.
Frauenforschung, Bd. 28,
Schmidt, Dorothea: Unter
Santi, Bruno: Siena. Der Marmorboden des Doms von
suchungen zu den Archi
Fischer 1978. Testa, Fausto: Spazio e alle
Siena, Firenze: Scala 1982. Reiseführer u. a.:
Settis, Salvatore: Land der Etrusker, Firenze: Scala 1985.
Wien: Wiener Frauenverlag
Bomarzo: Guida al Parco
1994.
dei mostri nato nel 1552
Soc. Giardino di Bomarzo:
come Ville delle meraviglie,
Bomarzo Park der Ungeheuer
Schmidt, Ernst A.: Poetische
goria nel giardino manie
Reflexion. Vergils Bukolik,
rista: problemi di estetica,
Walter, Hans: Pans Wieder
Vitorchiano: Stampa PalGraf
entstanden 1552 als Villa
München: Fink 1972.
Band 62, Facoltà di Lettere e
kehr, München: piper 1980.
2002.
der Wunder, genannt auch Heiliger Wald, Viterbo:
Filosofia: Pubblicazioni della Schöpf, Hans: Fabeltiere,
Facoltà di Lettere e Filosofia
Wittkower, Rudolf: Allegorie
Cavoli, Alfio: Vulci. Profil
Graz: Akademische Druck- u.
dell’Università di Pavia,
und Wandel der Symbole,
einer etruskischen Stadt,
Verlagsanstalt 1988.
Università degli Studi Pavia,
(Allegory and the migra
Pistoia: Tellini 1985.
Florenz: la Nuova Italia 1991.
tion of symbols, London:
Schröter, Elisabeth: Die
Prodotti Produttori della Ministero per i Beni e le
Provincia di Viterbo, Viterbo: se editore 2004.
Theurillat, Jacqueline: Le
Benjamin Schwarz (Übers.),
Attività culturali (Hrsg.):
Parnass vor Raffael. Die
mystéres de Bomarzo et des
Köln: DuMont 1983.
Comune di Sorano: Gli
Schrift- und Bildtraditionen
jardins symboliques de la
von der Spätantike bis zum
Renaissance, Genf 1973.
Etruschi a Sorano. Le
Torelli, Mario: Storia degli
Weidinger, Erich: Die
Necropoli rupestri, Pitigliano
Etruschi, Roma/Bari: Editori
Apokryphe Bibel. Die ver
2001.
Laterza 1999.
Kunert, Günter: Verlan
Torelli; Mario: L’arte degli
gen nach Bomarzo. Reise
Etruschi, Roma/Bari: Editori
Werner, Gabriele: Der Sacro
gedichte, München: Carl
Laterza 1999.
Bosco des Vicino Orsini.
Hanser 1978.
zur Kunstgeschichte 6,
Uhlig, Helmut: Die Sumerer.
borgenen Bücher der Bibel,
Hildesheim: Olms 1977.
Volk am Anfang der
Augsburg: Pattloch 1991.
Geschichte, München: Settis, Salvatore: Contributo
C. Bertelsmann 1976.
a Bomarzo, in: Bollettino d’Arte, Ser. V., Nr. 1–2, 1966,
Vergeiner, Renate: Die
Garten der Lust und Garten
S. 17–26.
Stiftskirche von der Grün
der Macht. Aufgezeigt an aus
Lawrence, David H.:
dung 769 bis zur zweiten
gewählten Beispielen, wiss.
Etruskische Stätten, 3. Aufl.
Shalev, Meir: Der Sündenfall,
romanischen Bauphase
Arbeit zur Erlangung eines
(1. Aufl. 1989), Siena: nuova
ein Glücksfall? Alte Geschich
im 13. Jahrhundert, Diss.,
mag. art, Hamburg 1986.
immagine ed. 1997.
ten aus der Bibel neu erzählt,
Universität Salzburg 1990. Zander, Giuseppe: Le statue
Lozzi, Paolo: Villa D’Este:
Vergeiner, Renate: Der
nei giardini secondo la con
Tivoli, Villa Gregoriana, Villa
Sorgo, Gabriele: Martyrium
Heilige Wald von Bomarzo.
suetudine romana: il rinno
Adriana. New Guide, Roma:
und Pornographie, Düssel
Das Paradies auf Erden,
varsi di una tradizione antica
Editrice Lozzi 1996.
dorf: Patmos 1997.
Habil., Universität für ange-
al tempo di Farnese, in: Atti
wandte Kunst Wien 2001.
del convegno „I Farnese: tre
Maso/Vighi: Das südliche
cento anni di storia”, qua
Etrurien. Archäologische
derni di Gradoli, Band 7–8,
Zonen in Latium, Florenz:
1990, S. 65–89.
Il Turismo 1975.
Zürich: Diogenes 1999.
Spielmann, Heinz: Gärten des Manierismus, Hamburg: Olde Hansen 1977.
Vergil, siehe Götte 1995
Terra Etrusca. Ambiente
Westview Press 1977),
Ikonographie des Themas
15. Jahrhundert, Studien
Agnesotti, o. J.
Anhang 323
Fußnoten
Der Fußnotenteil konzentriert sich auf die authentischen Aussagen Vicino Orsinis, die für diese Arbeit von größtem Interesse sind (zum ausführlichenwissenschaftlichen Apparat meiner Habilitationsschrift siehe Vergeiner 2001). Die handgeschriebenen Briefe Vicino Orsinis, die die Biblioteca Herziana in Rom bewahrt und von denen einer im Faksimile auf S. 226 erscheint, wurden in der Transkription Bredekamps aus dem 2. Band der ersten Ausgabe seines Buches übernommen. In der Folge werden sie kurz mit Bredekamp 1985 zitiert.
324 Anhang
1 Wie Girolamo Dandino in
der Antike bis zur Gegenwart,
Orsini ist das Verdienst
2. Januar 1557, zit. nach
Die motivische und themati
seinem Brief an Innocenzo
Köln: Könemann 2000, S. 8.
Horst Bredekamps. Einzig
Bredekamp 1985, S. 15.
sche Rezeption des Topos der
del Monte vom 16. September
ein Brief vom 4. Juli 1563,
Schatzsuche in der Kunst vom
1553 schrieb, vertrieben sich
4
in dem Vicino den Hinweis
13
15. bis 18. Jahrhundert, Berlin:
die Herren Torquato Conti
Genesis 1, 2, 4 b–25 und
auf das Datum als das sei-
Bachmeister 1989, S. XXV
Gebr. Mann 1993.
und Vicino die Zeit ihrer
Genesis 4, 1–16 und 4, 17–24,
nes Geburtstags in die
Kriegsgefangenschaft in
mit den Fußnoten. In: Die
Abschiedsfloskel einfügt,
14
19
Namur auf eine Art und
Bibel. Einheitsübersetzung.
weist auf seinen Geburtstag
Brief an Ottavio Farnese
Vgl. dazu die antike Fabel
Weise, die ein bezeich-
Altes und Neues Testament,
hin: »De Bummarzo Il di del
vom 20. Juli 1567. Bredekamp
von Publius Ovidius Naso:
nendes Licht auf die
Stuttgart: Katholische Bibel
mio natale, cioè li quattro de
1985, S. 20.
Diana und Actaeon, 3. Buch,
Persönlichkeit Vicinos wirft
anstalt, Herder 1980.
luglio 1563« (»aus Bomarzo,
Barth, Lewis M.: Theolo
Vers 131–252 sowie bei:
am Tag meines Geburtstages
gische Realenzyklopädie,
Sautner 1984, S. 27. Die sinngemäß Bruno folgende
und seine Art mit »weltlichen«, d. h. fremdbestimm-
5
das ist der vierte Juli 1563«),
Bd. 16., Berlin/New York
ten Ereignissen seines
Beck, James H.: Die drei
zit. nach Bredekamp 1985,
1987, S. 565.
Lebens umzugehen: »facen-
Welten des Michelangelo,
S. 17. Dagegen ist sein letz-
doli quel castellanoban-
München: C. H. Beck 2001,
tes Lebenszeichen mit dem
15
Maskenspiel der Genien, in:
chetti perpetui et sempre
S. 174.
Brief vom 26. Dezember 1583
Steffen, Uwe: Das Mysterium
Torberg, Friedrich (Hrsg.):
an Giovanni Drouet belegt,
von Tod und Auferstehung.
Das Gesamtwerk: Fritz von
in compagnia di honestis-
Version des Stoffes bei Herz manovsky-Orlando, Fritz von:
sime dame« (»…dort ständig
6
den er mit der makabren
Formen und Wandlungen
Herzmanovsky-Orlando,
bankettierend und immer
Walter, Hans: Pans Wieder
Mitteilung beschließt, des-
des Jona-Motivs, Göttingen:
Ullstein Buch Nr. 37094,
in Gesellschaft ehrenwer-
kehr, München: Piper 1980,
wegen nicht an Ludovico
Vandenhoeck & Ruprecht
München/Wien: Ullstein
tester Damen«, womit ein-
S. 69.
de Torres zu schreiben,
1963.
1987, S. 21 ff.
deutig und explizit Kurti
weil er Angst hätte, seine
sanen gemeint sind, in
7
Briefe würden bereits, wie er
16
20
denen sich der Typus und
Gordon Dotson, Esther:
selbst, »nach Tod stinken«
Schama, Simon: Der Traum
Spielmann, Heinz: Gärten des
Topos der gebildeten antiken
Shapes of Earth and Time in
(»… non li scrivo, perché ho
von der Wildnis (Titel der
Manierismus, Hamburg: Olde
Hetäre spiegelt), zit. nach
European Gardens, 1982, Art
paura ch le mie lettere non
Originalausgabe: Landscape
Hansen 1977, S. 16.
Bredekamp, Horst: Vicino
Journal, Heft 3, S. 211–216.
li dieno fastidio, puzzando
and Memory, München:
de morto come fo io …«), zit.
Droemer/Knaur 1995),
21
von Bomarzo. Ein Fürst als
8
nach Bredekamp 1985, S. 65.
München: Kindler 1996,
Im Brief an Giovanni Drouet
Künstler und Anarchist,
Bruno, Giordano: Von den
Siehe zur Biografie: Brede
S. 299 ff.
vom 14. August 1573, zit. nach
Grüne Reihe: Quellen und
heroischen Leidenschaften,
kamp 1991, S. 6 ff. und Brede
Forschungen zur Garten
Philosophische Bibliothek
kamp 1991, Kapitel Karriere
17
Orsini und der Heilige Wald
Bredekamp 1985, S. 23.
kunst, Bd. 7, Bd. II, Worms:
Bd. 398, Hamburg: Felix
als Soldat, S. 12 ff.
Colpe, Carsten/ Holzhausen,
22
Werner’sche Verlagsa nstalt
Meiner Verlag 1989,
Siehe auch Hinrichs, Gunda:
Jens (Hrsg.): Das Corpus
Elwert, W. Th.: Die ita
1985, S. 76.
S. XXXVIII.
Der Heilige Wald von
Hermeticum Deutsch. Die
lienische Literatur des
Bomarzo. Ein rätselhafter
griechischen Traktate und
Mittelalters, München: UTB
2
9
italienischer Renaissance
der lateinische »Asclepius«,
Francke 1980, S. 151. vgl.
»piante liete« (»fantast ische
Bruno 1989, op. cit.,
garten und Freuds Traum
Teil 1, Stuttgart-Bad
Fierz-David 1947, op. cit.,
Bepflanzung«) beschrieb
S. XXXVIII
deutung als Methode seiner
Cann-statt: frommann-
S. 243.
Inter pretation, Berlin: Gebr.
holzboog 1997 (Clavis
Mann Verlag 1996, S. 9 ff.
Pansophiae, Band 7, 1).
12
18
an Vicino Orsini vom
Alfonoso Cecarelli um 1580 die Wirkung des Gartens.
10
Bredekamp 1985, S. 71.
Bachmeister 1989, S. XXXII
23 Brief von Giovanni Drouet
3
11
Übersetzt: »[…] et so et
Klinkhammer, Heide: Weis
25. Dezember 1573, zit. nach
Kluckert, Ehrenfried:
Die Dokumentation der
sarró servitore […]« im Brief
heitssucher, Schatzgräber
Bredekamp 1985, S. 89.
Gartenkunst in Europa. Von
Lebensgeschichte von Vicino
an Ottavio Farnese vom
und Dämonenbeschwörer.
Bachmeister 1989, S. 3 ff.
Anhang 325
24 Bachmeister 1989, S. XVI
34 Antike und Renaissance,
Maisak 1981, op. cit.
Geschichte des Poliphil ist
nescio quid’ commune colli
die Geschichte der Läuterung
influssi celestali et elementi,
35
und Selbstvervollkommnung
così ha come il trattar li for-
Maisak 1981, S. 40
ihres Autors Colonna und
nelli per via de destillati-
schon darin der Schöpfung
oni. […]« Dieser Weinberg –
Köln: DuMont 1984. 25 Klibansky, R./ Panofsky, E./
28
Saxl, F.: Saturn und Melan
Panofsky, Erwin: Et in Arca
choly, Frankfurt a. M.:
dia ego. Poussin und die
36
Vicinos vergleichbar. Die
ganz offensichtlich gilt die
Suhrkamp 1998 (3. Aufl.),
Tradition des Elegischen, in:
Siehe Brief von Giovanni
vorliegende Arbeit stützt sich
Metapher des Weinberges
(Studien zur Geschichte
Sinn und Deutung in der bil
Drouet an Vicino Orsini. Zur
vornehmlich auf die Über
als immaterieller Besitz –
der Naturphilosophie und
denden Kunst, (1. Aufl., engl.
Metapher des Gartens siehe
setzungen und Kommentare
beginnt sich zu lohnen,
Medizin, der Religion und
1957). Köln: DuMont 1978,
Kap. VII, Dialoghi: weltliches
von Fierz-David, Linda: Der
immerhin hat » ›diese Art der
Kunst) sowie Földényi,
S. 351–369.
Latein und heiliges Volgare,
Liebest raum des Poliphilo.
Landwirtschaft‹ direkt mit
S. 276.
Ein Beitrag zur Psychologie
den himmlischen Einflüssen
der Renaissance und der
und den Elementen zu tun
Moderne, Zürich 1947.
und ist, ähnlich wie die
László F.: Melancholie, München: Mathes und Seitz
29
1988.
Vgl. Götte, Johannes und
37
Maria (Hrsg.): Landleben.
Maisak 1981, S. 40 f.
26
Catalepton – Bucolica –
Vgl. Krüger, Manfred:
41
mit ihren Athanoren arbei-
In den Briefen an Drouet,
Georgica, Zürich: Artemis
Guillaume de Lorris. Der
Eine zusätzliche Brücke
ten, in Betrieb zu nehmen.
der ihn medizinisch berät,
und Winkler 1995, (6. Aufl.),
Rosenroman, Stuttgart:
in unbewusste Regionen
[…]«, zit. nach Bredekamp
vom 16. November 1573,
Sammlung Tusculum, S. 274.
Ogham Verlag 1985, S. 8.
und Vorgänge, die sich
1985, S. 88. Die metapho-
zudem mit den sehr ratio-
rische Bedeutung der
22. Dezember 1573,
Alchemisten (Destillateure)
26. Januar 1574, Ende März
30
38
nal betriebenen alchemis-
Landwirtschaft, mit der sich
1574, 28. Juni 1574, 28. Juli
Theokrit: Idyllen I, 64–128
Vgl. Fußnote 17 sowie Jäger,
tischen Wissenschaften
Vicino die Zeit und seine
Michael: Die Theorie des
des Vicinokreises decken,
Melencolia vertreibt, wird
1574, 31. Oktober 1574, 10. April 1575, 6. Mai 1575,
31
Schönen in der Renaissance,
bieten die Ausführungen
mit der »Arbeit im Weinberg«
8. Mai 1575, 18. Mai 1575,
Beck 2001, S. 112 ff.
Köln: DuMont 1990, siehe
von Hinrichs, Gunda: Der
verglichen. Die sprach
Textdokumente, S. 137.
Heilige Wald von Bomarzo.
witzige Entlehnung aus der
Ein rätselhafter italieni
Bibel wird von den Freunden
7. Juli 1575 über die seelischen und gastronomischen
32
Verstimmungen, und vom
Schama, Simon: Der Traum
39
scher Renaissancegarten
zur Benennung ihrer speziel-
9. November an, ständige
von der Wildnis (Titel der
Białostocki, Jan: Skizze
und Freuds Traumdeutung
len Interessen gebraucht.
Klagen über den nahenden
Originalausgabe: Landscape
einer Geschichte der beab
als Methode seiner Interpre
Am 22. Dezember 1573 emp-
Tod, belegen die intensive
and Memory, München:
sichtigten und der interpre
tation, Berlin: Gebr. Mann
fiehlt Vicino seinem Freund,
Beschäftigung der Freunde
Droemer/Knaur 1995),
tierenden Ikonographie, in:
Verlag 1996, S. 9 ff.
Arzt und Berater Drouet,
mit dem Thema Tod und
München: Kindler 1996,
Kaemmerling, Ekkehard
Vergänglichkeit. Alle zit.
S. 299 ff.
(Hrsg.): Ikonographie und
42
mit Rezepten versorgt hatte
Ikonologie. Bildende Kunst
Vor allem die Gespräche
(gegebenenfalls ein herme
33
als Zeichensystem, Köln:
der gebildeten Freunde
tischer Hinweis!) sein Heil
27
Maisak, Petra: Zur Bukolik
DuMont 1973 (4. dt. Aufl.,
über Kosmografie und
mittel der kosmologischen
Siehe zur emblematischen
unter dem Einfluss des
Köln: DuMont 1987), S. 39 ff.
»Landwirtschaft«, wobei
Landwirtschaft: »Ho fatto un
nach Bredekamp 1985.
der ihn offensichtlich zuvor
Umsetzung des et in Arca
Neuplatonismus und das
der italienische Ausdruck
discorso sopra li ricordi amo-
dia ego: Rudolf Wittkower
Arkadien der Pan Medicea,
40
der agricoltura viel besser
revoli de V. S. et le sue ricette,
zum Bild »Allegorie auf
Kapitel 2, in: Arkadien.
Die Hypnerotomachia ist als
den Nexus zwischen Land
in effetto tutti sonno buoni et
das Leben und den Tod«,
Genese und Typologie einer
Leitfaden und musterhaft für
wirtschaft und der philoso
belli et per tali l’accetto, ma
Wittkower, Rudolf: Tod
idyllischen Wunschwelt,
das Programm des Heiligen
phisch begründeten und
come potrei fara metterne in
und Auferstehung auf
Frankfurt a. M.: 1981
Waldes anzusehen. Die
hermetisch betriebenen
exequutione al meno la mag-
einem Bild von Marten
(Europäische Hochschul
zwischen mittelalterlicher
Wahrheitssuche wiedergibt:
gior parte? ›Spiritus prom-
de Vos, in: Allegorie und
schriften), S. 53.
Frömmigkeit und der Liebe
»La vigna andará a spasso,
tus, caro autem infirma‹; et
zur Antike oszillierende
ancora che ’agricoltura habet
chi puol star tanto costante
Wandel der Symbole in
326 Anhang
che, ›quandoque non com-
Körper und Geist in Unruhe
fand. (Die Anspielung auf
vom 10. April 1575, zit. nach
massimein quella di Roma;
moveatur‹, et specialmente
versetzen, könntet Ihr mir
Diokletian im vorherigen
Bredekamp 1985, S. 35, 78
e qui troverà una lira libera
›in iis, in quibus agitur inte-
antworten: ›Im Unglück wird
Brief vom 26. November ist
sowie Bredekamp 1991, S. 46
et non piena d’inganni«.
resse anima et corporis‹,
der Mensch stark‹; das ist
offensichtlich: »come disse
und S. 48.
Auch der inganno, den
come tutto dí occorre; mi
wahr und ich weiß das am
Diocletiano, quando lo vol-
potria rispondere, che ›in
besten. Wann immer mich
sero reassumer allo Imperio
47
Standardwortschatzes wie-
adversis homo fortis‹; gli è
eine Verstimmung anwan-
et lui non volse, che disse a
Huizinga, Johan: Herbst
derholt für die Betrügereien
vero et io al possibile lo so
delt, versuche ich sie durch
quell’Imbasciatori: se guas-
des Mittelalters, Stuttgart:
und Ungerechtfertigkeiten
et quanto più mi vien occa-
Lesen oder neue Entwürfe
tasero la dolcezza delle lat-
Kröner 1975, S. 89 und 98 ff.
sion de travagli, tanto più
für mein Wäldchen zu
tughe che io pianto di mia
cerco o con legger o con far
vertreiben. Ich versuche
mano, come io fo, non chere-
48
schen Widerspruches der
dissegni nuovi al boschetto,
mein Bestes, weil man am
reste levarmi di qua.« (»Wie
»difetti de’ vecchi« (»die
unfreien Stadt und des freien
passarla, et attendo a tirar
Ende das hat was man sich
Diokletian antwortete, als sie
Gebrechen der Alten«) im
Wäldchens gebraucht, vgl.
innanti meglio che posso,
nimmt. Daher rate ich Euch
kamen um ihn zur Rückkehr
Brief an Giovanni Drouet
die Inschrift am Sockel
certo che l’homo al fine tanto
Dasselbe und mit männli-
an die Herrschaft zu bewe-
vom 8. November 1579, zit.
der rechten Sphinx, siehe
ne ha, quanto se ne piglia,
chem Mut die Gelegenheit zu
gen und er ablehnte indem er
nach Bredekamp 1985, S. 53.
S. 59, (»in die ich [aus] den
et però consiglio V. S. a far
ergreifen und den Weinberg
dem Gesandten sagte: Wenn
l’istesso et, acció più facil-
zu kaufen, wie ich Euch
Ihr die Süße meiner Gemüse
49
der Höfe, vor allem des
mente lo possa fare, l’esorto
schon öfter geschrieben
kostetet, die ich mit eigener
Aus dem Brief an Giovanni
römischen, untergetaucht
che ›prae viribus‹ non lasci
habe. Mit Leib und Seele
Hand gezogen habe, würdet
Drouet vom 8. November
bin; und hier wirst Du
di far compra della vigna,
betriebene Landwirtschaft
ihr [erst] gar nicht versuchen
1579, zit. nach Bredekamp
Freiheit finden und keine
come più volte le ho scritto,
befreit den Geist von den
mich von hier wegzubrin-
1985, S. 53.
Betrügereien«).
et darsi animo et corpore all
Leidenschaften. Nach unse-
gen.«), zit. nach Bredekamp
agricoltura; che così verrà a
rer Veranlagung ›so wie es
1985, S. 26.
50
51
liberarsi l’animo dalle pas-
über uns beschlossen ist‹
Im Brief an Giovanni Drouet
Der Hinweis, von Giuseppe
sioni, le quali le causano
bereiten sie dem Körper
43
vom 14. August 1573 lädt
Bertussi in Il Raverta, auf die
grandissima indispositi-
grausame Verstimmungen,
Hennebo, Dieter: Gärten
Vicino den Freund ein nach
aretinische Spitzfi ndigkeit
one al corpo, et come l’uno
deshalb ist es gut bei-
des Mittelalters, München:
Bomarzo zu kommen: »a
morte (Tod) und corte (Hof)
et l’altro è enfermo ›actum
des zu beherrschen (agri-
Artemis 1987, S. 88.
sfogare [diese Wortwahl
zu vermischen, ist offen-
est de nobis‹ et possiamo a
coltura) und ›auf eigenen
wird noch bezüglich der
sichtlich: »Perché come dice
posta nostra dir bona notte.«
Grund und Boden Gute
44
Inschrift des Theaters dis-
l’Aretino, la corte ebbe prima
(»Ich habe mir die bemer-
Nacht zu sagen.‹«), zit. nach
Bachmeister, 1989, S. XXXIV
kutiert werden, siehe S. 287]
il nome di ’morté ma, per-
kenswerten Reflexionen
Bredekamp 1985, S. 27.
qual’humore malinconico,
ché il vocabulo era troppo
E. E. zu Gemüte geführt und
Der Hinweis auf die Heroi
45
che la corte l’ha causato«
orrido, cangiarono, par farla
Ihre Rezepte (sic!), wirk-
schen Leidenschaften bezieht
Bachmeister 1989: II. Der
(»um die Verstimmung los-
meno spaventevole, la prima
lich sind sie alle gut und
Brunos Theorie der Über
lateinische Asclepius, § 6: Der
zuwerden, die ihm [Drouet]
lettera in un c.« (»Weil, wie
schön und deswegen werde
windung auf die kosmolo-
Mensch als Mittelwesen und
der Hof verursacht habe«). Er
Aretino sagt, Hof zuerst wie
ich sie befolgen, aber wie
gische Landwirtschaft, die
Träger des Geistes, S. 259 ff.
selbst (Vicino) bleibe unbe-
Tod geschrieben wurde, aber
soll ich es anstellen wenigs-
Vicino mit der Anspielung
kümmert in den Wäldern:
das Wort zu schrecklich war,
tens die meisten davon (ein)
auf antike Kaiser versieht,
46
»che immerso nelle falla-
änderten sie, um es weniger
nehmen zu können? ›Mit
deren überlegene Denk- und
Bachmeister 1989, S. XXI,
cie et ambitioni delle Corti
furchtbar zu machen, den
dem Heiligen Geist‹ (scherz-
Handlungsweise in der ste-
Einleitung. Dem entspricht
[auch hier verwendet Vicino
ersten Buchstaben auf C.«),
haft für Alkohol) etwa und
reotypen Legende, nach der
die Selbstdarstellung Vicinos
absichtsvoll die Mehrzahl,
zit. nach Bredekamp 1985,
auf meine Frage wer schon
sie direkt vom Pflug oder
»la follia del mio Boschetto«
um die deduktive Logik sei-
S. 73.
gleichmütig bei all den all-
der Arbeit auf dem Felde
(»die Überspanntheiten
ner Ausführungen zu beto-
täglichen Aufregungen
weggeholt werden mussten,
meines Wäldchens«) im
nen, vgl. Inschrift an der
bleibt, die gleichermaßen
ihren adäquaten Ausdruck
Brief an Giovanni Drouet
Arkosolbank, siehe S. 135] et
Vicino als Teil seines
der Welt benutzt, wird hier im Sinne des antagonisti-
Betrügereien und Intrigen
Anhang 327
52
57
Vgl. den Brief an Giovanni
Noch im Brief vom 17. No
werde.«) Am 28. Mai dessel-
sind voller Todesvisionen
quale si uede il Theatro, il
Drouet von Mitte April
vember 1579 schreibt Vicino
ben Jahres schreibt er von
und Reflexionen über das
lago, & il Tempio […]«
1574, in dem die intime
an Drouet »se non fosse il
seiner allgemein nachlas-
Sterben, Antikenzitate und,
(»[…] scheint mir, dass ich
Verbindung zwischen den
Boschetto, io sarria ›mortuus
senden Lebensfreude »m’è
an Stelle der jugendlich wir-
auf dieser Terrasse stünde,
sinnlichen und geistigen
mundo‹« (»wenn es nicht
venuto in fastidio fino al
kenden Zotigkeit, resigna-
die das ganze Land bis zu
Genüssen unverstellt zum
das Wäldchen gäbe, wäre
Boschetto« (»bereitet mir
tive Selbstbeschau wechseln
jenem Hügel überblickt, und
Ausdruck kommt, zit. nach
ich ›der Welt ein Toter‹«),
sogar schon das Wäldchen
ab, bis er am 8. August einen
von wo man an seinem Fuße
Bredekamp 1985, S. 29.
zit. nach Bredekamp 1985,
Überdruss«), zit. nach
Abschiedsbrief an Giovanni
das Theater, den See und den
S. 54. Nur ein Monat spä-
Bredekamp 1985, S. 55.
Drouet verfasst, in dem er
Tempel erblickt.«), zit. nach
53
ter, am 15. Januar 1580, trifft
Eine letzte Reanimat ion der
von seinem nahen Tod als
Bredekamp 1985, S. 83.
Im Brief vom 25. Dezember
diese Gleichsetzung zu,
Gegenwelt, die er früher
von einer Schuld, die an
1573 an Vicino schreibt
denn nun gibt es für ihn
als bewährtes Mittel gegen
die Natur zurückzuerstat-
62
Drouet: »Quantum ad ani-
keine neue Arbeit und er
die Melancholie beschreibt,
ten wäre, spricht: »bisogna
C. G. Jung: Psychologie und
mum, dice che corpore bene
hat »nel mio Boschetto non
schlägt wegen des kranken
pagare il debito alla Natura
Alchimie, Zürich, 1944.
organizzato […] possa sonar
ci ho da far altra operazi-
Bären, den ihm Alessandro
et resolverse farlo senza
colle sue flaute, l’animo
one, che la contemplazione
Farnese geschenkt hat
tante cierimonie et querele«
63
incontinenti se acquieterá,
delle cose inferiori e superi-
und dem Affen, der nie in
(»man hat der Natur die
Földényi s. o. , S. 56.
se non per natura, per arte e
ori« (»in meinem Wäldchen
Bomarzo eingetroffen ist, in
Schuld zurückzuzahlen und
Siehe Gedankensprung:
industria […] in questo nego-
[…] nichts mehr zu tun als
ihr Gegenteil um: »mi mandi
sich ohne große Zeremonien
Die Papacqua des Cristoforo
tio V. S. sa più di me.« (»So
über die Dinge der Unterwelt
la scimia, ma non patto che
und Klagen aufzulösen«), zit.
Madruzzo, S. 294–301.
viel zum Geist, man sagt,
und die des Himmels nach-
non sia col regresso, come
nach Bredekamp 1985, S. 65.
dass der gesunde Körper mit
zudenken«), zit. nach
l’orsa che m’ ha data il
seinen Flöten spielen könne,
Bredekamp 1985, S. 54.
Car.le …« (»… soll mir
58
Volkmann, Ludwig: Bilder
[während] der unzufriedene
Nach diversen melancholi-
[Ludovico de Torres] den
Bredekamp 1991, S. 62–69
schriften der Renaissance.
Geist sich, wenn nicht von
schen Todesbetrachtungen
Affen schicken, aber bitte
sich aus, so durch Kunst
und einer sehnsüchtigen
keinen, der in so schlechtem
59
in ihren Beziehungen und
und Handwerk beruhige […]
Retrospektive der golde-
Zustand ist wie der Bär, den
De Crescenzo, Luciano:
Fortwirk ungen, Leipzig: Karl
hierin weiß Ihre Exzellenz
nen Tage der fröhlichen
mir der Kardinal [Alessandro
Geschichte der griechi
W. Hiersemann 1923, S. 12 ff.
mehr als ich.«), zit. nach
Bankette gibt er in weiterer
Farnese] gegeben hat«),
schen Philosophie, Zürich:
Bredekamp 1985, S. 89.
Selbstidentifikation noch
zit. aus dem Brief vom
Diogenes 1988, S. 42 ff.
an, sehen zu wollen »vedere
9. Oktober, nach Bredekamp
54
se nella vita malenchonica
1985, S. 58. Am 15. November
60
Bachmeister 1989, S. XXI
si puol trovar qualche pia-
schreibt Vicino, auf den
Ranke-Graves, Robert von:
66
cere et, se non sarrá pia-
Affen verzichten zu können:
Griechische Mythologie.
Sowohl die häufig geäußerte
55
cere, almeno ›carere dolore‹
»non se ne pigli più scom-
Quellen und Deutung,
Ansicht, dass der Garten als
Uhlig, Helmut: Die Sumerer.
di modo che non havendo
modo che tanto, perché
13. Aufl. (1. Aufl. April 1984),
»Mittel« gegen Melancholie
Volk am Anfang der
piacere, né dolore, l’homo
l’orsa che m’ha donato il Car.
Reinbek: rororo 2000, S. 29.
diene und/oder Vicino die
Geschichte, München:
deventerá statua.« (»es in
Farnese, per un mezzo ser-
C. Bertelsmann 1976, S. 7 ff.
einem melancholischen
vira per orsa et per scimia.«
61
chen aufhielten, als auch
64
Hieroglyphik und Emblematik
65 Bredekamp 1985, S. 119
Arbeiten im und am Wäld
Leben noch Vergnügen zu
(»… solle er [Ludovico de
Nostalgisch schreibt
andere Meldungen, etwa,
56
finden wäre, und wenn dies
Torres] sich keine Umstände
Francesco Sansovino 1570 in
dass Vicino den Tempel für
»molti balordi che vi ven-
nicht der Fall sei, wenigs-
mehr machen, weil der Bär,
seiner Widmung an Vicino
seine Frau von den Funda
gono« (»die vielen Tölpel
tens ›Schmerzen zu vermei-
den mir der Kardinal Farnese
Orsini: »Mi pare esser su
menten an selbst gebaut
die hierher kommen«) im
den‹, sodass man, wenn
geschenkt hat, zugleich als
quella loggia, laqual scu-
hätte (Sansovino, in:
Brief an Alessandro Farnese
schon kein Vergnügen,
Bär und Affe dienen wird.«),
opre tutto il paese & mena
Famiglie Illustri, 1582): »[…]
vom 22. April 1561, zit. nach
auch keine Leiden habe,
zit. nach Bredekamp 1985,
l’occhio de’ riguardanti giù
a Bomarzo un bellissimo
Bredekamp 1985, S. 16.
[und] der Mensch zur Statue
S. 59. Die folgenden Briefe
per quella collina, á pie della
Tempio, edificato da lui da
328 Anhang
80 fondamenti.« (»[…] einen
rupestri, Pitigliano 2001.
der griechischen Wild
che sarria qualche libro stra-
Siehe Exkurs: Vicino der
wunderschönen Tempel in
Paolucci, Fabrizio: Italia
nis, München: Piper 1980,
vagante.« (»[…] bitte ich Sie,
Epikureer, S. 302–311.
Bomarzo, von ihm [Vicino]
Etrusca. Guida Completa,
S. 18.
mir bei Gelegenheit einige zu
von den Fundamenten auf
Firenze: Giunti Editore 2000.
schicken, die den Geist beflü-
81
selbst erbaut.«), zit. nach
Settis, Salvatore: Das Land
74
geln, am liebsten seien ihm
Herzmanovsky-Orlando,
Bredekamp 1985, S. 91, las-
der Etrusker: von der Vorge
Walter 1980, S. 24
recht außergewöhnliche.«),
Fritz von: Das Gesamtwerk
sen darauf schließen, dass er
schichte bis zum frühen
zit. nach Bredekamp 1985,
in zwei Bänden, Frankfurt
neben und mit den professi-
Mittelalter, Firenze:
75
S. 26. Und vom 13. Dezem
a. M.: Ullstein 1987, S. 55.
onellen Handwerkern und
Scala 1985.
Vergeiner, Renate: Die Stifts
ber 1578: »Piglio gran piacer
ausgewiesenen Künstlern
DalMaso, Leonardo B./
kirche von Innichen von der
del libro che m’ha mandato
82
arbeitete – etwa Simone
Vighi, Roberto (Hrsg.):
Gründung 769 bis zur zwei
et vi sonno di belli tiri per
»Lasst alle Hoffnung fah-
Moschino, dessen Talent
Archäologische Zonen in
ten romanischen Bauphase
dentro, se gli ne capiterà
ren, die ihr hier eintretet«,
er sich zu fördern angele-
Latium: das südliche
im 13. Jhdt, Dissertation,
qualch’altro stravagante,
Dante Alighieri: Die Göttliche
gen sein ließ (siehe etwa
Etrurien, Florenz:
Salzburg 1990, S. 189.
me facera parte.« (»Ich ver-
Komödie (Übers. von Her
einen Brief an Alessandro
Il Turismo 1975.
gnügte mich ganz außer-
mann Gmelin, mit Anmer
Farnese vom 14. August 1573,
Vulci. Profil einer etrus
76
ordentlich mit dem Buch,
kungen und einem Nachwort
worin er das jugendliche
kischen Stadt, Pistoia:
Vgl. Klinkhammer 1993,
das Ihr mir geschickt habt,
von Rudolf Baehr), Stuttgart:
Alter des begabten Jungen
Tellini 1985.
S. 243
es enthält bemerkenswerte
Reclam 1993 (Universal
anmerkt, in: Bredekamp
De Feo, Giovanni: Die Tuff
Schlussfolgerungen, wenn es
Bibliothek Nr. 796), S. 14.
1985, S. 24, und einen weite
steinstädte im Fioratal: die
77
Euch glückt noch so eins zu
ren an Ottavio Farnese vom
etruskischen und mittelal
Klinkhammer 1993, S. 43 ff.,
bekommen, lasst mich eben-
83
17. Dezember 1578, in dem
terlichen Orte im Hügelland
52 ff. sowie Vergeiner 1990,
falls daran teilhaben.«), zit.
Wie üblich wird nur die
er Simone nach dem Tod
der Maremma, Pitigliano:
S. 191 ff.
nach Bredekamp 1985, S. 27,
letzte und dramatischste
seines Vaters Francesco
Laurum Ed 1996.
49. Vgl. auch Bredekamp
Zeile der dantesken Höllen-
Moschino protegiert,
Pallottino, Massimo: D. H.
78
1991, S. 41.
Überschrift zitiert. Ohne die
Bredekamp 1985, S. 49). Die
Lawrence. Etruskische
Vergeiner 2001. S. 44 ff.
späterenselbst identifizie-
Stätten, Siena: nuova imma-
Vicinos Interesse am
79
letzte Satz, der sich auf die
renden Bemerkungen über
gine editrice 1997.
Ungewöhnlichen, ja Ver
Vgl. Bredekamp 1991, S. 58 ff.
melancholische Disposition
botenen hat seine Parallele
sowie Klinkhammer 1993,
Vicinos beziehen lässt,
69
im Jagdt rieb des hermeti
S. 29 ff.: »[…] dass Agrippa
nicht vollständig: DURCH
Klinkhammer 1993, S. 26 ff.
schen Aktaion und ließ
[von Nettesheim] ›alle reli-
MICH GEHT MAN HINEIN ZUR
das Wäldchen bestätigen die Hypothese Bredekamps. 67
vorangehenden Zeilen ist der
ihm seine »Beute« umso
giösen Vorstellungen als
STADT DER TRAUER, DURCH
Fourier, Lexikon der
70
begehrenswerter erschei-
gleichwertige Möglichkeiten
MICH GEHT MAN HINEIN ZUM
Symbole, S. 499
Bachmeister 1989, S. 83
nen, desto schwieriger sie
der Erhebung der Seele
EWIGEN SCHMERZE, DURCH
zu erjagen war. Offenkundig
erkannte‹ […]« passt gut zur
MICH GEHT MAN HINEIN ZU
68
71
betrachtete er gerade die
Bemerkung Vicinos im Brief
DEM VERLORNEN VOLKE.
Klinkhammer 1993, S. 29.
Hennebo, Dieter: Gärten
»extravaganten« Bücher
vom 8. November 1579 an
GERECHTIGKEIT TRIEB
Siehe Literatur zum Thema:
des Mittelalters, München:
als Antidepressiva, wobei
Giovanni Drouet, dass nur
MEINEN HOHEN SCHÖPFER,
Torelli, Mario: Storia degli
Artemis 1987, S. 88.
davon auszugehen ist,
die antiken und die Werke
GESCHAFFEN HABEN MICH
dass sie Vicino gleichzeitig
der »Oltramontani«, also
DIE ALLMACHT GOTTES, DIE
Etruschi, Roma/Bari: Ed. Laterza 1999 und ders.: L’arte
72
als Ursache seiner Qualen
der Autoren jenseits der
HÖCHSTE WEISHEIT UND
degli Etruschi, Roma/Bari:
Fragment 76,
erkannte. Als seinen Arzt
Alpen, einige Substanz hät-
DIE ERSTE LIEBE. VOR MIR
Ed. Laterza 1999.
Vergeiner 2001, S. 43
bittet er Giovanni Drouet im
ten: »sì che veggho o l’opere
IST KEIN GESCHAFFEN DING
Brief vom 26. November 1573:
antiche o qualch’una delli
GEWESEN, NUR EWIGES, UND ICH MUSS EWIG DAUERN.
Comune di Sorano/Minist. per i Beni e le Attività
73
»[…] la prego, occorrendole, a
Oltramontani hanno qual-
Culturali (Hrsg.): Gli Etruschi
Walter, Hans: Pans
mandarmene alcuna che mi
che sustanza.« Bredekamp
LASST JEDE HOFFNUNG,
a Socana. Le Necropoli
Wiederkehr. Der Gott
conforti alquanto l’animo;
1985, S. 53.
WENN IHR EINGETRETEN. Dante 1993, S. 14.
Anhang 329
84 Dotson 1982, S. 211
92 inganno eine erkenntnis-
»Stumm muss ein jeder blei-
inzwischen, da ich fünf-
ma ho più paura di quel
fördernde und somit läu-
ben und vernichtet, der von
unddreißig bin und nicht
Saturno […] che ’agricoltura
85
ternde Wirkung zuzuschrei-
den sieben Wundern stolz
mehr weiß als wenn ich
habet nescio quid’ comune
Jäger, Michael: Die Theor ie
ben. Ebenso berichtet er
berichtet«, auch hier, in der
heute geboren wäre; meine
colli influssi celestiali et
des Schönen in der Renais
am 14. Mai 1577 im Brief an
53. Strophe des 34. Gesanges,
ich nur in einer Sache älter
elemtenti, così come ha il
sance, Köln: DuMont 1990,
Alessandro Farnese »[…] per-
werden die Weltwunder im
als Nestor zu sein, weil ich
trattar li fornelli per via de
S. 82 ff.
ché, havendo il mio intento
Vergleich zu den Wundern
nämlich entschieden habe,
destillationi.« (»Bei anderen
qual se l’affitatione ne’
Bomarzos als überbewertet
dass Epikur ein edler Mann
Gelegenheiten habe ich ein
86
m’inganna mi par giusto […]«
dargestellt: »Tacia qualun-
war.«), zit. nach Bredekamp
wenig Kosmografie getrie-
Inganno wird im Italieni
(»[…] machte ich mir selbst
que le mirabil sette/Moli
1985, S. 15. Vicino, der am
ben, […] zweifle ob dies
schen mit Betrug, Täu
vor, dass es recht sei […]«
del mondo in tanta gloria
4. Juli 1523 geboren war
unter Venus möglich sein
schung, Lüge, Irreführung,
und am 3. Mai 1583 schreibt
mette.«
(Bredekamp 1991, S. 6) setzt
wird, habe aber mehr Angst
Blendwerk übersetzt und
er an Giovanni Drouet, er
also nach eigener Angabe
vor Saturn […], dass die
auch in der Bedeutung
solle sich nicht selbst täu-
93
den für das Programm ange-
Landwirtschaft einiges mit
des Hintergehens und
schen und dann ihn »[…] ma
Beck 2001, S. 44
nommenen »initiatorischen
den himmlischen Einflüssen
Hereinlegens gebraucht.
non vorrei ingannaste prima
Schub« für das Jahr 1558 an.
und den Elementen zu tun
Sehr oft hat inganno den
voi, e poi me.« Bredekamp
94
Beigeschmack der bewuss-
1985, S. 30, 45, 63.
Luck, Georg: Magie und
97
dem was die Destillateure
andere Geheimlehren in der
Die Inschriften an der
[Alchemisten] in ihren
ten, vorsätzlichen und gut
hat, so gleicht sie schon
argumentierten Täuschung.
87
Antike, Stuttgart: A. Kröner
Terrasse und gewisse
Öfen zusammenbrauen.«),
Das Wort gehört zu Vicinos
Lazzaro-Bruno, Claudia:
1990, S. 318.
Bemerkungen, die zwischen
zit. nach Bredekamp 1985,
Wortschatz und wird in
Art Bulletin, College Art
den Zeilen seiner Briefe her-
Bd. II., S. 86.
den vielen Bedeutungs
Association of Amerika,
95
ausgelesen werden können,
möglichkeiten von ihm, u. a.
Bd. 59, 1977, S. 553–560;
Elwert, W. Th.: Die ita
deuten darauf hin, dass sich
99
für Laura verwendet: »ch’io
vgl. dazu Bredekamp 1991,
lienische Literatur des
Vicino nach dem Vorbild
Fierz-David 1947, op. cit.,
l’havesse perdonato il suo
S. 76.
Mittelalters, München:
Vergils in seinem Wäldchen
S. 114, 115 sowie S. 124
UTB Francke 1980, S. 119.
in der Rolle des Führers in die Unterwelt gefiel.
fallo, ha voluto partisse […] in vero son restato ingan-
88
Birchler, Linus: Über die
nato et me dole verto che
Klinkhammer 1993, S. 243
Hypnerotomachia Poliphili,
vadi per mala strada […].«
100 Luck 1990, S. 42–43.
in: Librarium. Zeitschrift
98
Wallinger, Elisabeth: Hekate
(»und obwohl ich ihr ihren
89
der Schweizerischen Biblio
Wiederholt äußerte sich
und ihre Töchter. Wien: Reihe
Fehltritt verziehen habe,
»stringer le labbra et inarcar
philengesellschaft, Bd. 1, 1958
Vicino, (und auch Drouet,
Frauenforschung 1994.
wollte sie mich verlassen.
le ciglia«, aus: Orlando
(als PDF-Datei, 18. 3. 2017).
im Brief vom 12. Dezember
In Wirklichkeit wurde ich
Furioso, 4. Strophe,
1573) über den Zusammen
101
betrogen, aber es tut mir
10. Gesang; Klinkhammer
96
hang definitiv theoreti-
Bredekamp 1991, S. 65
leid, dass es ihr [jetzt] so
1993, S. 243.
Das fünfunddreißigste
scher Wissenschaften wie
Lebensjahr nennt Vicino
Kosmog rafie und definitiv
102
Brief vom 10. Juni 1574 an
90
selbst als bedeutsam. Am
praktischer wie Landw irt
Klinkhammer 1993, S 81.
Giovanni Drouet zit. nach
Lexikon der Bibel. Eltville am
27. Juni 1558 schrieb er an
schaft (sic!) und Hand
Siehe dazu auch Bischof,
Bredekamp 1985, S. 30.
Rhein: Bechtermünz 1990,
Alessandro Farnese: »[…]
habung unter himmlischen
Norbert: Im Spannungsfeld
Immerhin gelingt es dem
S. 335.
et io hormai de trentacin-
und alchemistischen Aspek
der Mythen. Signale aus
que anni ne so manco che
ten. Vieles Alltägliche
einer Zeit in der wir die Welt
schlecht geht […].«), aus dem
nach eigener Einschätzung Übervorteilten, die Krän
91
se fosse nato hoggi; in una
wird nur unter bestimmten
erschaffen haben, München:
kung in Erkenntnis und
Siehe Vergeiner 2001, S. 52.
cosa sola me par haver più
Aspekten in Angriff genom-
Piper 1996, S. 129.
Überlegenheit zu verwan
Inschriften und Rätsel der
anni che Nestorre, perché me
men: »Altre volte attesi un
deln, was ihn wiederum
Sphingen, siehe Bredekamp
sono resoluto, che Epicuro fu
poco alla cosmografia, […]
103
darin bestätigt, dem
1991, S. 6 ff. und S. 76.
un galant homo.« (»… aber
dubito se reuscirá in Venere,
»[…] il cominciar a non
330 Anhang
gustar cosa, che si mangi o
frustrierenden Erlebnissen
Geistes zunehmend auf diese
vom 14. Mai 1577, zit. nach
wolle, auf den bereits ver-
beva, il cominciar a guadar
im Gefolge der Farnese nur
Einflüsse zurückgehen; diese
Bredekamp 1985, S. 45.
muteten Gesprächsstoff
alle donne (anchorche bel-
Giovanni Drouet übrig, der
Stunde zum Beispiel, nach-
lissime) senze concupisci-
offensichtlich als Arzt und
dem es jetzt 21 Uhr geschla-
109
Nachschöpfer begriffen und
enza, più che se fossero pro-
geistiger Beichtvater eine
gen hat, beginne ich die-
Seine Kriegserlebnisse, die
dazu passt die folgende
prie figliole, giá sa che questi
eminente Rolle spielte.
sen Brief mit dem Planeten
ihn im Gefolge der Farnese
Anspielung auf die damit
sonno li due primi sensi per
Deshalb kann für ihn auch
Saturn, der für die Bereiche
die Fronten wechseln lie-
verbundene, ebenfalls schon
li quali si conserva von l’uno
die große, mit Rollwerk
der ›greisen Bauersleute,
ßen und seine Kriegs
mehrfach besprochene Vor
l’individuo, per l’altro la spe-
hervorgehobene, heute
Arbeitssüchtigen, Traurigen
gefangenschaft, wie auch
stellung einer Jenseits- oder
cie […]« (»[…] wenn es damit
leere Inschriftenplatte
[…] und denen die sich der
sein immer wieder bestä-
Anderswelt, wie sie als
anfängt, dass man etwas
des Schiefen Hauses als
Landwirtschaft widmen‹
tigtes militärisches Talent,
grundlegende Konzeption
nicht mehr genießt, ob Essen
Widmungsfäche angenom-
zuständig ist.«), zit. nach
das ihn dennoch nie als
des Wäldchens leicht
oder Trinken oder die Frauen
men werden. Das gemein-
Bredekamp 1985, S. 88.
Sieger dastehen ließ, wie
erkennbar ist: »[…] quelli
ohne Begierde anzuschauen
same Gesprächsthema der
Mehrere Briefstellen, die die
auch die Schäbigkeit der
che penso far anvor nel altro
[auch die allerschönsten]
Bedingtheit der menschli-
Adressaten auf die spezielle
päpstlichen Politik desillu-
mondo […].« (»[…] das was
als wenn sie Töchter wären,
chen Existenz durch astro
Belegung der Landwirtschaft
sionierten Vicino. Im Brief
ich noch in der anderen
so wisse, dass dies die bei-
logische Vorgaben und
als Wissenserwerb und des
vom 20. Juli 1567 an den
Welt machen möchte […].«),
den vorrangigen Sinne sind
eigene Willenskraft wird
Grundbesitzes als Äqui
Ottavio Farnese (den Bruder
Bredekamp 1985, S. 20.
durch welche sich zuerst
u. a. im Brief Giovanni
valent hermetischer Weis
Alessandros und seinen,
das Individuum und dann
Drouets an Vicino Orsini
heitssuche hinweisen, ver-
Vicinos, Oberbefehlshaber
110
die Art erhält.«), zit. nach
vom 25. Dezember 1573
deutlichen den arkadischen
während seiner Kriegszüge)
Földényi 1988, S. 20 ff.
Bredekamp 1985, S. 26 und
mit Verweisen auf die
Zusammenhang, der bereits
schreibt Vicino sinngemäß,
Klinkhammer 1993, S. 14,
Bredekamp 1992, S. 29 ff.
Lebensregeln Ficinos sowie
mit den nur vordergründig
dass er ihn nicht als Herzog,
34, 74
antike Diätetik und auch
anspruchslosen arkadischen
sondern als Soldat willkom-
104
den Oltramontano Cornelius
Topoi des Hirtenlebens, der
men heißen möchte, denn
111
Die während der Kriegs
Celsus wie auch die übli-
Schatzsuche und der Jagd als
dem Titel nach, nicht aber
Jäger, Michael: Die Theorie
gefangenschaft des Fürsten
chen Gemeinplätze über die
Hieroglyphen eines neupla-
»in effetto« wären schon
des Schönen in der italieni
umsichtig und souverän
»barbari« bereichert: »Io
tonischen Geisteszustandes
einige Herzöge gekommen:
schen Renaissance, Köln:
regierende Giulia wurde mit
scrissi a V. S. come ritornava
ausgeführt worden ist.
»In casa mia non c’è arrivato
DuMont 1990, S. 57.
der emblematischen Form
a esser matematico cosmo-
der Freunde, die sich als
nesciun duca, se non è forse
des in schweren Zeiten wan-
grafo, tandem ricommin-
107
qualche duca in titulo ma
112
kenden, aber nicht fallen-
cai a contemplar gli pianeti
Bredekamp 1992, S. 12
non in effetto, et se pur ce
Vasari: le vite …, Vita di
den Turmes geehrt. Für die
et me ci sono messo tanto
fusser capitati non forse
Leonardo da Vinci, 1. und 2.
Konzeption des Schiefen
avanti, che ogni attione
108
eran forse degni al parer
Aufl., Florenz 1550/68; Ausg.
Hauses ist freilich eine rein
o motivo die animo trovo
»… ch’ho fatto io con li
mio come l’ecc.« (»In mein
Bettarini, 1976, IV. Testo,
tugendhafte Hommage an
li più delle volte recevere
Car:li Farnese et Trento,
Haus ist noch nie ein Fürst
pag. 15, zit. nach Jäger 1990,
die verstorbene Gefährtin
alteratione dell’influenze.«
cioè ch’insalutato hospite,
gekommen, sondern nur sol-
Quellentext, S. 243.
nicht anzunehmen.
(»Ich möchte an Euer Hoch
senza dimandar licenza,
che dem Titel nach, nie ein
Bredekamp 1992, S. 6–41.
wohlgeboren schreiben als
vo et torno et fo quel che mi
wirklicher, und ebendeswe-
113
einen, der zur mathemati-
piace« (»… wie ich [mit] den
gen wird mir Eure Exzellenz
Luck, Georg: Magie und
105
schen Kosmografie zurück-
Kardinälen Farnese und
so willkommen sein.«), zit.
anderer Geheimlehren
Bredekamp 1992, S. 6–41
gekehrt ist, also begann
Trento zu machen pflege,
nach Bredekamp 1985, S. 20.
in der Antike, Stuttgart:
auch ich wieder über die
indem ich uneingeladen
Im selben Brief verweist
Kröner 1990, S. 455.
106
Planeten nachzudenken und
komme, ohne um Erlaubnis
Vicino mit der Bemerkung,
Dem Briefverkehr nach zu
habe hier recht viel heraus-
zu fragen komme und gehe
dass er Ottavio als »archi-
urteilen, blieb aus diesem
gefunden wie jede Aktivität
wie es mir gefällt.«) Im
tettore«, als Architektur
illustren Kreis nach den
und jeder Beweggrund des
Brief an Giovanni Drouet
sachverständigen, bemühen
Anhang 331
114
136
Bredekamp 1985, S. 35.
und 6. September 1558 an
Poliphil zu Christus, weil
Herzmanovsky-Orlando
Alessandro Farnese) etc.
Polia zur sponsa veri sponsi
1987, S. 209
Diese »tierische Signatur«
wird, ist logisch argumen-
137
und wenn mir umständehal-
zieht sich durch den gesam-
tiert bei Fierz-David 1947,
Bredekamp 1991, S. 46
ber Betrübnisse kommen,
115
ten Briefverkehr an die
op. cit., S. 178 und 228 ff.
Földényi 1988, S. 28
immer gleichen Adressaten.
Dem letzten Kapitel der vor-
138
diese entweder mit Lesen
liegenden Arbeit Exkurs:
Bredekamp 1991, S. 68
oder neuen Zeichnungen
Luck 1990, S. 18 ff.
l’homo al fine tanto ne ha, quanto se ne piglia.« (»…
versuche ich umso mehr,
116
124
Vicino der Epikureer ist
Bredekamp 1991, S. 80
Bredekamp 1991, S. 102
sinngemäß die »Hypnero
139
zu lassen, und ich bemühe
tomachia des Vicino Orsini«
»la follia del mio Boschetto«
mich so gut ich kann, alles
für das Wäldchen vergehen
117
125
beigefügt, worin dieser
(»die Überspanntheiten mei-
in der Gewissheit, dass der
Luck 1990, S. 301
Snyder, Gary: The Old
Nexus noch extra ausgeführt
nes Wäldchens«) im Brief
Mensch am Ende so viel
Ways, Afterworld, in:
wird.
an Giovanni Drouet vom
davon hat, Janus mit dem
10. April 1575 (Bredekamp
Fruchtbarkeitsgott wie er
1985, S. 35).
sich nimmt.«), zit. nach
118
Shepard, Paul/ Sanders,
Földényi 1988, S. 28 ff.
Barry: The Sacred Paw, San
128
Francisco 1977, S. 206–212.
Luck 1990. S. 129 ff. und
119
Zit. aus: Hetmann, Frederik:
Fierz-David 1947, op. cit.,
140
passt die Beschreibung eines
Luck 1990, S. 289 ff.
Jenseitsreisen. Rituale
S. 124.
Obwohl Vicinos Briefe eine
archaischen Brauches in
und Mythen amerikani
Bredekamp 1985, S. 27. Dazu
Differenzierung zwischen
der Hypnerotomachia, bei
120
scher Schamanen, Heiler
129
den »travagli«, den Qualen
dem Janus und Priapus in
Dotson 1982, S. 211 f.
und Zauberer, Freiburg:
Wallinger 1994, S. 177, 183
und Verstimmungen, die
Personalunion mit Eselsblut,
er auch als »mal’umore«,
Milch und Wein bespritzt
130
bedingt durch Schlechtigkeit
werden (siehe Fierz-David
126
Werner, Gabriele: Der Sacro
der Welt erleidet und dem
1947, op. cit., S. 118). Mit
Hinrichs 1996, S. 9 ff. und
Bosco des Vicino Orsini.
Phänomen der »malico-
zunehmendem Alter scheint
122
siehe dazu unter dem Stich
Garten der Lust und Garten
nia« vornimmt, vermengt
er sich den Einflüssen der
Xenophon [ein Schüler des
wort Metapsychologie in:
der Macht. Aufgezeigt an
sich beiderlei, was er sich
»malinconia« fatalistisch
Sokrates], in: Kyropaedia
Laplanche, J./ Pontalis, J. B.:
ausgewählten Beispielen,
und seinen Freunden als
hinzugeben, da die Seele
8.7.21., Luck 1990, S. 295.
Das Vokabular der Psycho
Wiss. Hausarbeit zur
die Begleiterscheinungen
bereits einen anderen Platz
analyse, Frankfurt a. M.:
Erlangung. eines mag. art.
des Alters und der nachlas-
einnehmen wolle: »l’anima
123
Suhrkamp (1. Aufl. 1973),
Hamburg 1986, S. 24, 27.
senden sinnlichen Empfin
vogliaaltra sedia« (»die
Vicino Ursino (Brief vom 14.
13. Aufl. 1996, S. 307.
dungen und Kräfte erklärt.
Seele will [schon] an einen
131
Nachdem er die psychosoma
anderen Ort«), Bredekamp
Wallinger 1994, S. 184
tischen Beziehungen erkannt
1985, S. 55.
Herder 1999, Anm. 3. 121 Zit. nach Luck 1990, S. 296
August 1543 an A. Farnese), Vicino Ursino (Brief vom
127
10. Juni 1544 an Ottavio
Der französische Übersetzer
Farnese), Vicino Orso (Brief
der Hypnerotomachia von
132
net er den Missstimmungen
141
vom 11. August 1548 an
1600, Béroalde de Verville,
Wallinger 1994, S. 219.
mit Arbeit am Wäldchen,
Bachmeister 1989, S. XXXIV
Ottavio Farnese), Vitello
hat derartige Zusammen
Luck 1990, op. cit., S. 73
worunter er anscheinend
(Kalb!) Orsini (Brief vom
hänge wohl ebenso ange-
sowohl den geistig als auch
142
1. September 1555 an Ottavio
dacht, sonst hätte er kaum
133
körperlich schöpferischen
Hohl, Hanna: Saturn, Melan
Farnese), Vicino Orso
den Anfangsbuchstaben
Wallinger 1994, S. 219
Prozess meint: »… et quanto
cholie, Genie, in: Schneede,
(Brief vom 21. Februar 1556
des kurzen Kapitels, in
più mi vien occasion de tra-
Uwe (Hrsg.): Saturn – Melan
an Alessandro Farnese),
dem Polias Verschwinden
134
vagli, tanto più cerco o con
cholie – Genie, Ausst.Kat.,
Vicino Orso (Brief vom
erzählt wird, mit dem Bild
Sautner 1984, S. 119
legger o con far dissegni
Stuttgart: Hatje 1992, S. 8.
2. Januar 1557 an Ottavio
des winkenden Erlösers
nuovi al boschetto, passarla,
Dazu passt eine Stelle im
Farnese), zwei mal Vicino
verziert. Die naheliegende
135
et attendo a tirar innanti
Brief Giovanni Drouets an
Orso (Briefe vom 27. Juni
Schlussfolgerung, dass
Wallinger 1994, S. 153, 157
meglio che posso, certo che
Vicino vom 25. Dezember
332 Anhang
und erläutert hat, begeg-
147 1573, die im Sinne antiker
Beigbeder 1989, S. 418
Diätetik die Verbindung
sowohl in der Kindersprache
wird Vicino sehr deutlich
als auch in der Vulgär
»Hor qua’ci è buona posta, e
impaccio / Quand’è spaniato
ch’è sparso di fuor non ti dá
zwischen Gesundheit und
148
sprache eine Analogie zwi-
miglior fischio / Ci è, co i ver-
e lasci l’ucellare« (»Und
Seelenfrieden thematisiert –
Beigbeder 1989, S. 411 ff.
schen dem männlichen
goni, il boschetto assettato /
wenn Du bei der Geliebten
Geschlecht und dem Vogel
Acconcio con ragione, che
bist […], beginnt sie ganz
der gesunde Körper spielt auf seinen Flöten! – und gleich
149
besteht, ist die Assoziation
tien’il vischio; Con questo
komisch mit dem Städter wie
darauf die Meisterschaft
Fierz-David 1947, op. cit.,
der gefiederten ucelli mit
bastiti esser’ invitato / Se
zu einem Bauern zu reden,
Vicinos hervorhebt, der
S. 127 ff.
cazzi (ital. Schwänzen)
voi venir te aspetto, e sai la
dass sie einen großen dicken
durchaus nachvollziehbar.
via / Ancor che tu venisse
bekommen habe, ihn in
seinen stets unzufriedenen Geist wenn nicht auf [diesen
150
Die altitalienische Vogel
accompagnato / Ci sguz-
der Hand halten will – ein
einfachen] natürlichem
Das »Capitolo del Boschetto«
jagd, die zur Vorlage und
zarem con la tua compag-
Theater und ein Aufhebens
Weg, so doch durch Kunst
wird von Bredekamp in
zum Vorwand eines ero-
nia.« (»Jetzt sage ich Dir,
macht wie ein Marktweib
und Handwerk zu beruhi-
zeitliche Nähe zum Brief
tischen Geplänkels dient,
ist die beste Gelegenheit
beim Ausverkauf – so komm
gen wisse: »Quantum ad
vom April 1574 gesetzt, in
heißt ital. Boschetto, weil sie
zu einem guten Pfiff [der
auch Du zum Markt, denn,
animum, dice che corpore
dem Vicino bekennt, keine
sich zwischen den Bäumen
Vögel?, der Vogeljagd?, der
das was da draußen frei ist
bene organizzato […] possa
lateinischen Verse zusam-
aufgehängter, mit belaub-
Dirnen?], der Boschetto [das
soll (auch) Dir kein Hemmnis
sonar colle sue flaute,
menzubringen, dafür aber
ten Zweigen, Moos usw.
Wäldchen, die Vogeljagd?]
sein, wenn du Lust hast, lass
l’animo incontinenti se
das zum Thema wohl auch
getarnter Netze bedient, die
ist gierig, bereit den Vogel
sie auf Vogelfang gehen.«),
acquieterá, se non pe natura,
angemessenere Volgare zu
mit Leim bestrichen wer-
leim zu empfangen; […] mit
vgl. dazu Bredekamp 1991,
per arte e industria se suplirá
meistern: »Me se scordato
den. Der Gleichklang der von
diesenAussichten mögest
S. 35 ff., alle zit. aus: Rom,
facilmente, in questo negotio
de far versi latini, l’havrei
aufgeregtem Vogelgeschrei
Du immerhin eingeladen
BV. Mss. Chigiani, LIII, 61,
V. S. sa più di me.« (»Soviel
almen fatti vulgari per parer
bestimmten Jagd mit dem
sein, wenn Du kommen
Fol. 145r.
zur Seele, was besagt, dass
de esser poeta.« (»Ich habe
sündhaften Wäldchen, wird
willst, erwarte ich Dich, Du
ein gut gehaltener (diszi-
vergessen wie man latei-
von Vicino auf die sinnliche
kennst ja den Weg, auch
153
plinierter) Körper […] alle
nische Verse macht, habe
Sensat ion der erotischen
wenn Du in Gesellschaft
Cicero: De Divinatione, 2. 50,
Stückeln spielen kann, die
aber dennoch welche in der
Handlung gemünzt. Der
kommst, werden wir unsere
zit. aus: Luck 1990, op. cit.,
Seele beruhigt, und wenn
Volkssprache verfasst, um
offensichtlich zu entspre-
Gemeinsamkeiten genie-
S. 291.
nicht durch die Natur, durch
als Dichter gelten zu kön-
chenden Gesprächen und
ßen.«) Dann geht Vicino
Kunst und Beschäftigung
nen.«) Mit dieser Bemerkung
Taten aufgelegte Freund wird
näher darauf ein, wie der
154
leicht jenen Zustand erreicht,
will Vicino offensichtlich
mit dem Boschetto gleich-
Lockvogel im Netz zu berüh-
Siehe Luck 1990, op. cit.,
über den Eure Durchlaucht
glauben machen, dass er
sam geködert: »Duetto ti vó
ren sei, damit er die richtigen
S. 317
mehr wissen als ich.«), zit.
sich sogar schon in seiner
dire il mio parere / Che se
Rufe ausstoße und die ande-
nach Bredekamp 1985, S. 89.
Sprachkultur dem arkadi-
tu non ha perso l’intelletto /
ren Vögel damit anlocke.
155
schen Vorbild der einfachen
Mi dovresti venir’ a vedere,
Eine derartige Handfertigkeit
Siehe Klinkhammer 1993
143
Hirten angenähert habe:
Che avresti tanto piacer’ al
bescheinigt er den Frauen:
(Abb. 7, Kat. 34): Abbildung
Maisak 1981, S. 54
»ihr kunstlos Lied erschallt,
boschetto / Che non fu tanto
»Stai co’ l’amata tua, alla
der Zeichnung »Bücherfund
wie sie’s gelehrt ihr heimat
a quell’età dell’oro / Che pig-
sienza, Corre pigliarne
auf dem Gianicolo« von
144
licher Wald.« (Huxley,
liava del mondo ogni diletto«
anch’ella, e parle strano S’a
Polidoro da Caravaggio.
Kurts 1997, S. 77
Aldous: Kontrapunkt des
(»Drouet, ich sage Dir meine
cittadin si vede o, a villano /
Lebens, London 1928; dt.
Meinung, dass, wenn Du
O, senton dire, io h ’ho un’
156
übers., Neuaufl. 1998, S. 135.)
nicht den Verstand verloren
grosso, e grasso / Sempre
Die antike Literatur zur
hast, kommen müsstest, um
lo vogliono un po’tener in
Hekate gibt genaue Anwei
151
die Lust am Boschetto zu
mano; Stridon tra lor fanno
sungen, die gute Vorlagen
Elwert 1980, S. 118
erfahren, wie sie nicht ein-
un rumore, un fracasso / Ci
für die Aufwertung der
mal das Goldene Zeitalter
doveresti hormai pigliare
Skulpt ur mit den vermuteten
152
besaß, das jegliche Lust der
spaccio / E non farti da te
»Effekten« abgegeben haben
Da auch im Deutschen
Welt kannte.«). Zum Schluss
d’un tal ben casso: Quel
könnten: »Hekate du wirst
145 Bredekamp 1991, S. 151 146 Bredekamp 1991, S. 151, 152
Anhang 333
161 angebellt an den Städten
Duden. Lexikon von A–Z,
Rande die kämpferische Note
und definitiv spirituelle
Auseinandersetzung zwi-
der Toten« oder auch die
Bibliographisches Institut,
des Heiligen Waldes bestä-
Begabung ist: »[…] dass er
schen groß und klein, gut
antike Mythologie, Aeneas,
Berlin
tigt. Diese Titulatur »bvon
in seiner Höhle (sic!) mit
und böse, stark und schwach
martio« (»guter Mars«)
offenen Augen schlafe (›So
etc. Dabei wirkt der große
Odysseus, Herakles usw. (Homer: Odyssee 11. 12–224:
162
bezog sich auf den letzten
schläft der Körper mei-
und gefährliche Drache den
»Dort hielten Perimedes und
Irmscher, Johannes: Lexikon
aus dem Hause Orsini kom-
nes Herrn am Kreuz, seine
Löwen nicht überlegen, die,
Eurylochos die Opfertiere,
der Antike, Bindlach:
mende Herrn Bomarzos,
Göttlichkeit aber wacht zur
trotzdem sie viel kleiner und
während ich mein schar-
Gondrom 1987, S. 146 und
Marzio, und konnte, in einer
rechten Hand Gottes des
schwächer erscheinen, durch
fes Schwert von der Hüfte
S. 400.
absichtsvoll flotten und
Vaters‹).« (Biedermann 2000,
einen klugen Angriff und
witzigen Aussprache, als
S. 274). Auf dem ikonogra-
größere Wendigkeit, aber
Bomarzo gehört werden.
fischen Fundament und vor
wohl vor allem weil sie toll-
dem Hintergrundwissen
kühn und todesmutig angrei-
168
über die biografisch nach-
fen, ebenbürtige Gegner
zog, um einen etwa eine Elle langen und ebenso breiten
163
Graben auszuheben. Um
Hinrichs 1996, S. 30
ihn herum goss ich Trank spenden für alle Toten,
164
Lonicerus, Adamus: Kreuter
vollziehbaren Bewegg ründe
sind. Der Drache ist nach
zuerst Milch und Honig,
Bredekamp 1991, S. 148,
buch. Kunstliche Conterfey
des Vicino Orsini lässt sich
Bernheimer ein omnipoten-
dann süßen Wein, schließ-
Fußnote 51 und mehrere
tunge der Bäume/ Stauden/
Folgendes auf Vicino Orsino
tes Fabeltier, das eben jene
lich Wasser, und dar über
Bildbeispiele im Anhang:
Hecken/ Kräuter/ Getreyd/
übertragen: Die Löwen,
überragenden Eigenschaften
streute ich glänzende Gerste.
Abb. 141, 142, 143, 144.
Gewürtze […], 1679; zit. nach
schon in den mittela lter
in sich vereint, die es als
Schöpf 1988, S. 108.
lichen Bestiarien, vornehm-
Chimäre mit Schlangenleib,
lich dem Physiologus, Hüter
Raubtierpranken und
169
und Bewahrer, Schützer
Gebiss, mit Flügeln usw.
Biedermann, Hans (Hrsg.):
der Guten und Bestrafer der
rein äußerlich besitzt
[…] Nachdem ich zum Volk der Toten gebetet und meine
165
Gelübde abgelegt hatte,
Werner 1986, op. cit., S. 40
nahm ich die Schafe und schnitt ihnen über dem
166
Knaurs Lexikon der Symbole,
Bösen, sind in einen Kampf
(Bernheimer, Richard:
Graben die Köpfe ab, und
Die übliche Besatzung
Augsburg: Weltbild Verlag
mit einem asiatisch anmu-
Romanische Tierplastik und
zwar so, dass das schwarze
eines antiken Kriegselefan
2000, S. 274.
tenden Drachen verwickelt,
die Ursprünge ihrer Motive,
Blut hinein tropfte.«)
ten bestand aus Offizier,
der eher lustig und sogar
München: Bruckmann 1931).
Infanterist und Elefanten
170
niedlich aussieht, aber den-
Demgegenüber ist der Löwe
157
führer. Dass ersterer nicht
Eine mögliche Deutung
noch bereits einen jungen
ein in Europa kaum gekann-
Kurts 1997, S. 285, S. 77
als Skulptur bzw. von Vicino
wäre die Familiensituation
Löwen mit seinem schlan-
tes und wahrscheinlich
selbst dargestellt wurde,
Vicinos, der schon früh zwei
genartigen Drachenschwanz
daher ebenfalls ins Fabel
158
mochte die Illusion noch
Söhne verloren hatte (siehe
erstickt hat. Die deutliche
hafte mystifiziertes und
Volkmann 1923, S. 80 und
unterstützt haben.
dazu Bredekamp 1991, S. 20).
ostasiatische Ikonografie des
ebenfalls omnipotentes
Vicinos Sohn Orazio,
Drachen würde erlauben,
Tier, das deswegen sowohl
167
der bei der Schlacht von
ihn von daher als ehrfurcht
Christus als auch Satan
Bereits in der Namensgebung
Lepanto ums Leben kam,
gebietendes und glückbrin
bedeuten kann. Dennoch
159
für den nach Hannibals
könnte gegebenenfalls
gendes Wesen zu sehen.
ist er, ähnlich wie der Adler
Bredekamp 1991, S. 143
Kavalleriekommandeur
mit dem toten Löwen
Damit hätte der Drache,
als der Herrscher der Lüfte,
benannten Bruder Vicinos,
jungen in der Windung
obwohl europäisches und
auf der Erde das uneinge-
160
Maerbale, äußert sich eine
des Drachenschwanzes in
eschatologisches Sinnbild
schränkt königliche Tier,
Ruscelli, Girolamo: Le
gewisse Romfeindlichkeit, die
Zusammenhang gebracht
der ewigen Schlange, Satan
dessen Sonnenhaftigkeit
imprese illustri del S[ign]or
sogar in Giovanni Guerras
werden.
und Erzfeind schlechhin,
sich bildlich im Haarkranz
Jeronimo Ruscelli, Venedig
seltsamer Bezeichnung, die
seine guten und sogar intel-
des männlichen Löwen
1572, S. 86 ff. und S. 115 f.;
er seinen Darstellungen der
171
lektuellen Seiten. Von der
verkörpert. Ein wesentli-
desgleichen Henneberg
Skulpturen gibt: »nelli giar-
Die erste Bedeutung des
Ikonografie der Gruppe
ches Merkmal des Löwen
1972, S. 50 und siehe auch
dini di buon martio« (»in
fabelhaften Löwen ist
handelt es sich hier eher
ist seine Aufmerksamkeit,
Bredekamp 1991, S. 143 und
den Gärten des guten Mars«)
seine Wachsamkeit, die
um einen Gigantenkampf,
die ihn zum Wächter präde-
S. 146.
besteht und sozusagen am
eine durchaus geistige
als eine vorhersagbare
stiniert. Als solche halten
Bredekamp 1991, Abb. 141–144.
334 Anhang
gar drei (sic!) Löwen den
di simil effigie, se non che
più grandetta se potrá
angezeigt hätte, denn ohne
par vedere vadi al contrario
Drachen, der so oder so
quello ha la capillatura e la
considerarmeglio.« (»…
Zeichen geschieht nichts:
di quello che vorria andare,
zu deuten ist, von einer
barba distesa e come bag-
möchte die [genaue] Stunde
» ›beati qui non viderunt, et
e dirró come dice uno di
Quelle (?) ab. Der Ausgang
nata, e questo come incolta
wissen, die Orontea geboren
crediderunt‹ et mit vado ima-
questi paesi che acconicia
des auf jeden Fall kosmo-
ed arruffata.« (»Neptun und
wurde, was nachts als den
ginando che questa come-
l’orologgi, che, dicendoli uno
logischen Kampfes scheint
Pluto, sind, als seine Brüder
folgenden Tag San Sebastian
tuzza desgratiatella, che s’è
che’orologgio andava bene,
ungewiss und der Sieg
von gleicher Gestalt, wobei
war, so ungefähr um die
vista questi notti passate,
ma che’l sole andava male;
des gegebenenfalls Heil
jedoch dieser Haar und Bart
siebte Stunde herum: mir
sia venuta per questa morte,
or voglio dire che la terra ha
bringenden Drachen auf-
ausgebreiteter und wie nass
scheint, dass sie sich gut
et presa in ponente, poi che
producti li fiori e fa il debito
grund der dargestellten
trägt und jener ungeordnet
entwickelt und weiß nicht
sempre vogliano che non
suo, ma li cieli non si acor-
Momentaufnahme nicht
und zerzaust.«), zit. nach
ob sie (nun) als Dame oder
avenga cosa alcuna, che
dino et vanno a traverso, si
außerhalb des Möglichen.
Bredekamp 1985, S. 80.
als Bäuerin geboren wurde,
prima non ne habbiamo
che so disperato, perché non
wenn sie größer ist, wird
qualche segno.« (» ›Selig die
posso godere la follia del
Freilich scheint die Inschrift eine Deutung des
174
man das besser beurteilen
nichts wissen, aber glauben‹
mio Boschetto.« (»Ich habe
Drachens als Angreifer
Das Interesse und die stän-
können.«), zit. aus dem Brief
will mir scheinen und dass
Angst, dass die Räder des
und Unheilbringer nahe-
dige Auseinandersetzung
an Giovanni Drouet vom
jener Unglückskomet, den
Himmels kaputt sind, und
zulegen, auch wenn seine
mit den Zeichen und Vor
8. Mai 1575. Am 7. Juli 1575
man letzte Nacht beobachten
dass sie der Herr neu einge-
drollig verharmloste Form
bestimmungen, die er den
wiederholt er seine Anfrage
konnte, aus diesemGrunde
stellt hat, weil mir scheint,
eher eine Interpretation als
segni und monstra mit
an Giovanni Drouet: »Quanto
gekommen sei, gesetzt natür-
dass sie verkehrt gehen, und
Mummenschanz, der wiede-
Hilfe der divinatorischen
alla nativitá de l’Oronthea mi
lich den Fall, dass nichts ein-
möchte es sagen wie man-
rum eine eindeutig apotropä-
Praktiken der Alten ablei-
vo imaginando ch’habbia a
trifft, ohne dass es vorher mit
che Uhrmacher, dass die Uhr
ische Wirkung hätte, nahe-
ten zu können glaubt/hofft,
riuscir qualche gran donna
Zeichen angekündigt wor-
richtig, aber die Sonne falsch
legte. Als Apotropaion wäre
bestimmen den zugleich auf-
poiché voi avete procurato di
den wäre.«), aus dem Brief
geht; oder, um es anders zu
der hier noch zusätzlich
geklärt/wissbegierigen und
saper la sua vita, però haró
an Giovanni Drouet vom
sagen, dass die Erde ihre
von Löwen bekriegte Drache
abergläubisch/fatalistischen
a caro che, come sia finita.«
1. Dezember 1580, zit. nach
Blumen hervorbringt und
ein gewissermaßen geisti-
Ton seiner privatesten Briefe.
(»Und was die Geburt der
Bredekamp 1985, S. 59.
ihre Schuld bezahlt, aber die
ger Blitzableiter, ein Bild, in
Vor allem die mehrfach wie-
Orontea betrifft, möchte ich
Vicinos Haltung auf der wis
Himmel falsch und rück-
das eine feindlich gedachte
derholte Anfrage nach dem
meinen, dass sie eine große
senschaftlichen Grundlage
wärts gehen, so dass ich
Wesenheit einfährt und
Horoskop seiner illegitimen
Dame zu werden vorhat und
eines astrologischen
ganz desperat bin und mich
somit unschädlich wird.
Tochter Orontea, das er
wollte deswegen noch ein-
Gutachtens die Legitimation
nicht einmal im Irrsinn mei-
unbed ingt kennen will, um
mal dem versprochenen
der illegitimen Kinder vor-
nes Wäldchens zerstreuen
172
sich darauf einzustellen, ob
Horsokop nachfragen […].«),
zunehmen entsprang der
kann.«), Bredekamp 1985,
Mose, 49, 9–10
sie Landwirtschaft betrei-
zit. nach Bredekamp 1985,
Erkenntnis der schick-
S. 35. Vgl. dazu Kather,
ben werde oder als Edelfrau
S. 37. Und aus dem Brief vom
salshaften Einbindung in
Regine: Gottesgarten.
173
reüssieren, belegt seine
9. November 1575: »L’vi bacia
den kosmisch determi-
Weltenrad und Uhrwerk,
In seinem Brief vom
fatalistische Unterstellung
le mane et dessidera sapere
nierten Ablauf. Das etrus-
http://www.phil.uni-sb.de/
12. Dezember 1564 hatte
unter die frei von mensch-
quello che i cieli hanno deli-
kische Format und das
projekte/HBKS/TightRope/
Annibale Caro dem Fürsten
licher Einflussnahme sich
berato die lei.« (»Orontea
astrologische Konzept des
issue.3/text/kather.html,
seine Gedanken und Konzep
abwickelnde Bestimmung
küsst Euch die Hände und
Tempels sowie der Verweis
8. 3. 2000.
tionen für die Ausmalung
des Einzelnen: »… già che
möchte gerne wissen,
auf ein übergeordnetes
des Palazzo Ducale mit dem
vole saper l’hora che nacque
was die Himmel über sie
Uhrwerk dokumentieren
175
Gigantenkampf übermittelt:
l’Orontea, fu la notte che
beschlossen haben.«),
seine Unterwerfung, weni-
Kurts 1997, S. 243.
»Nettuno, e Pluto come suoi
venne il dí sequente San
Bredekamp 1985, S. 37 ff.
ger unter das Schicksal, als
Sautner 1984, S. 243
fratelli [des Giove, Jupiter,
Bastiano su le 7 hore in circa;
Dasselbe Interesse interpre-
unter diese Einsicht: »Io ho
der zuvor als ›capillato e
fin’a mo s’alleva bene, non
tiert die Erscheinung des
paura che siano guaste le
176
barbato‹, mit Lockenhaupt
so s’è nata per esser sig-
kleinen Kometen, der den
rote del cielo et che’l m.o le
Kurts 1997, S. 239
und Bart, beschrieben wird]
nora o villana, come serrá
Tod der Königin von Spanien
racconci di nuovo, perché mi
Anhang 335
177
190
196
Ficino 1993, S. 12 ff.
1. Buch der Könige, 1018–20
initio, poi che il gran padre
191
197
Noe, detto Iano da gli antichi,
Schöpf 1988, S. 59
Bredekamp 1991, S. 12, 16 f.
Ovid: Metamorphosen,
Weidinger, Erich: Die Apo
gli habitatori & per ’institu-
Buch IV, Vers 432–446, zit.
kryphe Bibel/Die verborgenen
tione ch’ella ricevé nel suo
nach Fink 1994, S. 98.
Bücher der Bibel. Augsburg: Pattloch 1991, S. 25.
178
Imperatore & Monarca delli 187
genti, regnó, visse & morí
192
198
Die Briefe, die zwischen
in quelle parti.« (»Die erste
Werke wie das Viridarium
Obwohl er ihnen aufgrund
179
Vicino und Drouet ausge-
jener genanntenProvinzen,
Chymicum (Chemisches
seiner Stellung und
Luck 1990 op. cit. S. 308, 328
tauscht wurden, geben ihre
die von den Ansiedlern ver-
Gärtlein) oder Die Geburt der
Kontakte die »besten«
Kurts 1997, S. 240
rhetorischen und dialek-
edelt wurde, war die heilige
Philosophie aus dem Garten
Partien verschaffte, schien
180
tischen Talente wieder,
Toscana in Italien, berühmt
der Lüste führen den anti-
Vicinos Verhältnis zu sei-
Schama 1996, S. 300
die als Artes liberales freie
wegen ihrer Einwohner und
ken Konnex zwischen Lust,
nen Kindern, bis auf das
Männer auszeichnen. Von
wegen ihrer Einrichtungen,
Vergnügen und Erkenntnis
zu den letzten illegitimen
181
Sprachbeherrschung und
die es bei ihrem Beginn
schon im Titel.
Orontea und Leonida, die
Ovid, Fasti II, 83–118, zit.
einem Witz, der auf frei
erhielt, dann auch deswegen,
aus Fink, Gerhard: Das Who
zügige Symposianten und
weil der große Vater Noah,
193
Delia di Clemente aus
is Who der griechischen
ihre geistvollen Hetären
von den Alten Janus genannt,
Nach Kurts 1997, S. 267
Bomarzo (sic!) geboren
Mythologie, München: dtv
schließen lässt, zeugt der
des Volkes Herrscher und
1993, S. 55.
Gruß, mit dem Drouet
König, in diesen Gegenden
194
die unwillige Mätresse
regierte, lebte und starb.«,
Als Architekt einer Anders-
tet. Siehe dazu Bredekamp
182
Vicinos Laura in frivoler
Sansovino, 1583, S. t2; zit.
bzw. Gegen-Welt hatte sich
1991, S. 19 und Bredekamp
Ovid: Metamorphosen,
Umdeutung des bekannten
nach Bredekamp 1991, S. 101,
Vicino bereits im einem
1985, S. 41: »… ma il male,
Buch III, Vers 574–605,
Christuswortes aufforderte,
Fußnote 14. Postels Schrift
Brief an Ottavio Farnese
che li figliolise scusano con
zit. nach Fink 1994, S. 80.
doch das »gladium in vagi-
De Etruriae regionis […]
vom 20. Juli 1567 bezeichnet
dire: che fece, che fa mio
Biedermann 2000, S. 90
nam« zu legen. »[…] e la
doctrina et vita entstand in
(Bredekamp 1985, S. 20).
patre? et con questa scusa
(preg)o che ›ponat gladium
der Folge und ergänzte die
Diese Formulierungen waren
si voglionocavarli appetiti
183
in vaginam‹ e lassi bronto
Geschichtskonstruktion
nur Eingeweihten verständ-
loro, ma il voler acquistar
Bredekamp 1991, S. 101 ff.
lare« (»[…] und lasse ihr
Nannis, ebenso wie der
lich und deuteten, wie auch
l’honore et richezze con le
ausr ichten, Sie möge ›das
Bericht des von Madruzzo
spätere Anspielungen
fatiche, no le vogliono sen-
184
Schwert in die Scheide legen‹
geförderten Luca Gaurico,
extravaganter oder höherer
tire fumo.« (»… und das
Kurts 1997, S. 267
und mit der ewigen Nörgelei
der diesen Geschichts
Dinge oder auch solcher,
Kreuz mit den Kindern, die
aufhören«), Bredekamp 1985,
mythos mit weiteren Legen
die »nur persönlich zu
sich aus ihrer Verantwortung
S. 89.
denbildungen präzisierte,
besprechen« wären, darauf
stehlen, indem sie sagen:
wonach Italien nach dem
hin, dass der Briefverkehr
(und) was hat schon mein
185 Wie die Proserpina und die
ihm die noch halbwüchsige
hatte, eher angespannt und von Sorgen belas-
Anna Perenna ist auch die
188
Goldenen Zeitalter unter
gewisserweise kodiert
Vater erreicht? und sich
Figur des Dis Pater wegen
Der Rückbezug auf den
Noah/Janus/Saturnus in
sowohl tiefere Weisheiten
mit dem Vergleich aus der
des herabgeglittenen Chiton
biblischen Noah, der, von
fremde Abhängigkeit geraten
und/als auch gefährliche
Verlegenheit ziehen, selbst
mehr ent- als bekleidet – was
Gott gerettet, in Etrurien
und dann von Osiris gerettet
Gedanken in Marginalia und
nach Ruhm zu streben, aber
als Allusion der Freizügigkeit
gelandet sei, berief sich auf
und mit den Geheimnissen
Unverdächtiges gekleidet
vom eigenen mühevollen
im Wäldchen zu verstehen
die populäre und wissen
der Landwirtschaft und
wiedergab.
Streben nach Ansehen und
ist. Die Nacktheit vermerkt
schaftlich betriebene Legen
der Schrift (sic!) beschenkt
auch Bredekamp:
denbildung, die die Region
gemacht worden sei.
195
nichts hören.«) Ansonsten ist
Bredekamp 1991, S. 150.
als das ›gelobte Land‹ dar-
Vgl. Bredekamp 1991, S. 101 ff.
Richter, Gert/ Ulrich,
Vicino ganz der italienische
Gerhard: Lexikon der Kunst
Familienvater, der auf die
stellte: »Fra le province pre-
Reichtümern, wollen sie
186
dette, la prima fatta nobile
189
motive. Antike und christliche
missratenen Söhne schimpft
1 Mose 9.10, Vers 20, 21.
per suoi coloni, fu la sacra
Luck 1990, op. cit., S. 443
Welt, München-Gütersloh:
und ihnen über seine
Orbis 1993, S. 120.
Kontakte (die Kardinäle
Toscana in Italia, gloriosaper
336 Anhang
202 Alessandro Farnese und
Steffen 1963, S. 51
Cristoforo Madruzzo) die
211 Grimmige, und bleib bei
folgendes Vorgehen, um die
Dass der Hofphilosoph
mir bis zum Ende. Mach
Liebe einer Frau zu gewin-
Francesco de’ Vieri ausge-
besten Positionen und
203
diese Zaubermittel so wirk-
nen, wobei ein hyperbore
rechnet die Worte der lin-
Heiraten verschafft.
Jung 1952, S. 366; zit. nach:
sam wie die der Kirke, der
ischer Magier konsultiert
ken Sphinx von Bomarzo
Steffen, Uwe: Das Mysterium
Medea und der blonden
wird: »Der Magier wartete,
zur Würdigung der regel-
199
von Tod und Auferstehung.
Perimede […] die Hunde heu-
bis der Mond zunahm, denn
losen Extravaganz eines
Kurts 1997, S. 237: »Fluss
Formen und Wandlungen
len in der Stadt: Die Göttin
derartige Riten werden meist
anderen Gartenkunstwerks,
götter gelten traditionell als
des Jona-Motivs, Göttingen:
ist an den Kreuzwegen.«
um diese Zeit ausgeführt. […]
nämlich der Anlage des
›Stammväter uralter Götter-
Vandenhoeck & Ruprecht
Luck beschreibt die
Dann beschwor der Magier
Gartens von Francesco I.
und Heldengeschlechter‹.«
1963, S. 78.
Bedeutung des Hundes
Hekate herauf, die Kerberos
de Medici in Pratolino bei
Vor diesem Hintergrund
anhand des sogenannten
mit sich brachte, und zog
Florenz verwendete, belegt
der Identifikation mit dem
204
Pariser Zauberpapyrus: »Die
Selene herab, die ein man-
den sprichwörtlichen Ruhm,
jeweiligen Flussgott war der
Siehe Exkurs: Vicino der
Symbolik des Hundes und
nigfaltiges Schauspiel bot,
den das Wäldchen inzwi-
Dialogo amoroso zu lesen,
Epikureer
der Fledermaus liegt auf der
bald so und bald anders
schen erlangt hatte. Dieses
Hand: Fledermäuse schlafen
anzusehen. Denn zuerst
Zeugnis belegt außerdem,
worin Giovanni Bertussi die Abreise Vicinos in
205
des Nachts nicht, und Hunde
zeigte sie sich in weiblicher
dass seine Bedeutung eines
seine Heimat verherrlichte:
Richter/Ulrich 1993, S. 120
können den Menschen
Gestalt, dann war sie ein
Läuterungsweges, der über
schlaflose Nächte bereiten.«
schöner Stier, und dann
verschiedene Stationen
»Quanta il bel Thebro haura gioia & diletto Nel fortunato
206
Die Dreiwege außerhalb der
schien sie ein Hündlein zu
der Verwirrung und des
a lui uostro ritorno, Tanto
Schaurig heulende Hunde
antiken Städte eigneten sich
sein. […]«
Staunens zu Gott (dies die
dolor de la partita il giorno
kündigen traditionell das
für magische Operationen,
Alle zit. aus Luck 1990,
Interpretation des gottes-
Ha dato al Po pien di dogli-
Erscheinen der Hekate an. In
denn mindestens eine der
op. cit., Quellentexte zum
fürchtigen Vieri) führte,
oso affetto.« (»So viel Freude
den Beschwörungsformeln,
Straßen, die sich hier begeg-
Kapitel I. Magie, S. 5 f.
noch gewusst wurde: »[…]
und Lust der schöne Tiber
die von der antiken Literatur
neten, war von Gräbern
wegen Eurer Rückkunft
überliefert sind, vergegen
gesäumt; dort zeigten sich,
207
la marauiglia, ó lo stupore
haben wird, so viel Schmerz
wärtigen sie das Unheim
so glaubte man, Hekate und
Luck 1990, op. cit., S. 66
non è altro, che vn gran
wird an diesemTag der Po
liche der Nacht, und ihrer
Persephone, die Göttinnen
empfinden.«) Giuseppe
Herrscherin: »Hekate, du
der Unterwelt. Beide Gott
208
di alcuni effetti, che di rado
Betussi: Dialogo amoroso,
wirst angebellt an den
heiten werden in diesem
Luck 1990, op. cit., S. 42 f.
auuengono, mercé del quale
1543, zit. nach Bredekamp
Kreuzungen in den Städten
Zauber angerufen. Der
1985, S. 69.
der Nacht! Rächende Furien!
zweite Text nennt ebenfalls
209
nella consideratione, et inu-
Gottheiten der dem Tod
einen Hund. Im Zitat: »Ich
Im Brief an Alessandro
estigatione die essa, per
200
geweihten Elissa!« lässt
beschwöre dich dreimal bei
Farnese vom 22. April 1561,
mente non la trouiamo, inal-
Bredekamp 1985, S. 91
Vergil Dido in namenlosem
Hekate (Zauberworte), dass
vgl. dazu Fußnote 56.
ziamo le cigliaet stringiamo
und Ceccarelli, Alfonso:
Schmerz um ihren Aeneas
NN … Ich beschwöre dich bei
Simulacro di Casa Orsini,
klagen (Aeneis 4.450–705)
Kore (Persephone), die Göttin
210
cigliasi fa per dinotare,
1580, zit. nach Bredekamp
und in einem Liebeszauber
der Dreiwege geworden ist
Fast immer schreibt Vicino
che la cagione è notá a Dio,
1991, S. 71.
zur Rückgewinnung des
…« und als Regieanweisung
in selbstidentifizierender
che è sopra il cielo su alto;
untreuen Geliebten heißt
für die Durchführung eines
Absicht von »il mio
et lo stringere le labbra il
201
es: »Mond schein hell; leise
Zaubers, der wie im Voodoo
boschetto«, und weiters
facciamoper significare,
Jonas 2 3 aus: Die Heilige
will ich für dich singen,
mit kleinen Figürchen ope-
von ihrer gemeinsamen
che la ci è occulta, et non la
Schrift. Familienbibel.
Göttin, und für Hekate in
riert: »Neben dem Hund soll
Verrücktheit (»la follia del
possiamo ad altrui dare ad
Altes und Neues Testament.
der Unterwelt – die Hunde
ein Räucheraltar stehen, auf
mio Boschetto«), im Brief
intendere.« Vieri: L’opere
Aschaffenburg, Pattloch:
zittern vor ihr, wenn sie
dem Weihrauch liegen muss,
an Giovanni Drouet vom
stupende di Pratolino &
Katholisches Bibelwerk
über die Gräber der Toten
wenn du den Spruch her-
10. April 1575, zit. nach
paragoniamole con quelle
Stuttgart 1966, S. 1444.
und das dunkle Blut kommt.
sagst.« In den Lügenfreunden
Bredekamp 1985, S. 35.
de gli antichi, S. 57; zit.
Sei mir gegrüßt Hekate,
(14–18) überlieferte Lukian
Di qui si puo cauare, che
desideriodie sapere la causa
desiderio ci occupiamo tutti
le labbra. Lo inarcare la
Anhang 337
nach Bredekamp 1991, S. 86,
222 (»Also kann man annehmen,
eingeflossen, werden aber
dass diese Wunder oder das
leider nicht explizit erwähnt,
Staunen [darüber] nichts
siehe dazu Bredekamp 1991,
anderes sind als eine große
S. 159.
Begierde, die Ursache gewisserPhänomene, die
212
hier vorkommen, zu erfah-
Irmscher 1987, S. 32
ren, und deswegen beschäftigen wir uns so sehr damit
213
und fragen nach, weil wir
Sautner 1984, S. 98
unserem Verstand nicht
Schöpf 1988, S. 184
seiende‹ Welt der Dinge hin-
des Korns, das heißt der
wegführt, wird er auch neu
Fruchtbarkeit, zum anderen
223
geboren: Er kehrt seinem bis-
auch die Verkörperung der
Siehe dazu Beigbeder 1998,
herigen Leben den Rücken.
unendlichen Traurigkeit:
S. 183
Den in den Eleusischen
nachdem Hades ihr die
Mysterien Eingeweihten wird
Tochter genommen und
224
das außerirdische glückliche
mit sich in die Unterwelt
Siehe dazu Biedermann
Leben garantiert, doch
geführt hatte, irrten ihre
2000, S. 194
Gnade kann man nur unter
Gedanken beständig in
der Voraussetzung einer
der Unterwelt umher. […]
225
symbolischen und freiwilli-
Persephone ist in ihrem
mehr trauen [können] und
214
»Wie der Hirsch schreit nach
gen Aufsichnahme des Todes
Lebenswandel ebenfalls
nur mehr die Brauen heben
Ranke-Graves 2000, S. 106
frischem Wasser, so schreit
erlangen. Der Tod selbst ist
Gefangene dieserZweiheit:
meine Seele, Gott, nach Dir.«
das wichtigsteMysterium; in
einen Teil des Jahres ist sie
(David, Psalm 42)
seinemWerk über die Seele
genötigt, im Hades zu ver-
schreibt Themistius: ›Wenn
bringen, den anderen Teil
226
der Moment des Todes ein-
aber darf sie, mit Erlaubnis
Lurker, Manfred: Lexikon
tritt, erfährt die Seele etwas
von Zeus, zwischenden
und die Lippen spannen. Die Augenbrauen wölbt
215
man, weil Gott im Himmel
Zur Bedeutung der Inschrift
(allein) die Ursachen kennt,
siehe Bredekamp 1991, S. 144.
und die Lippen spannen wir, um uns zu bedeuten, dass
216
der Götter und Dämonen,
derartiges wie jene, die in
oberen Göttern verleben.
es sich um ein Geheimnis
Irmscher 1987, S. 400
Stuttgart, Kröner 1989,
die großen Mysterien ein-
Einerseits ist sie die Göttin
S. 809.
geweiht wurden. Deshalb
der Unterwelt (eine mög-
besteht zwischen den Verben
liche Bedeutung ihres
handelt, das anderen nicht verraten werden soll.«) Die
217
Anspielung auf die Gesten
Siehe Bredekamp 1991,
227
sterbenund eingeweiht
Namens ist: Durch-Mord-
des Staunens bezog sich
Abb. 125 f.
Steffen 1963, S. 79 ff.
werden und den durch sie
Vernichtende, andererseits
bezeichneten Handlungen
steht sie, gleich ihrer Mutter,
mit der Formulierung des Okkulten und des Geheim
218
228
eine Ähnlichkeit.‹ (cf. Wind,
ebenfalls mit dem Ertrag der
nisses, das nicht verraten
Steffen 1963, S. 79, siehe
Die Vergegenwärtigung der
181.) Sokrates meint, dass
Blumen und des Korns in
werden darf, auf die ver-
Abbildung S. 148.
eleusinischen Riten stellt
das rechte Philosophieren
Beziehung. Als Göttin des
die Voraussetzung für das
aus einer Vorbereitung auf
Todes und der Fruchtbarkeit
schiedenen Ensembles und ihre »Inbetriebnahme« im
219
Betreten des Höllenschlundes
den Tod bestehe, und Pindar
umfasst sie das All, und
manieristischen Garten.
Vgl. die männlichen Löwen
dar. Vielfach geschmäht
schreibt über die, die in
Liebe und Zwist erscheinen
Auch Bredekamp weist
des Drachenkampfes
und trotzdem in hohem
den Mysterien von Eleusis
gemeinsamin ihrer Gestalt.
sinngemäß darauf hin,
und der Löwenfamilie im
Ansehen waren sie – wie
eingeweiht werden sollen:
Als Mitglied der göttlichen
dass die Möglichkeiten der
Schattenreich, wie auch
die als Hokuspokus verach-
›Glückselig ist, wer […] den
Welt verkörpert sie, ähnlich
Nacht diese dunklen und
die Wächterlöwen vor dem
tete Etruska Disciplina bei
Weg unter die Erde betritt: er
den übrigen chthonischen
geheimen Erfahrungen
Nymphäum.
den Römern – ein Sache des
kennt das Ende des Lebens
Göttern, die Gegensätze in
Glaubens, in die sich aller-
und dessen von Zeus gege-
einer Person; aber wie auch
unterstützt haben dürften. Die Tafeln 11 und 45 im
220
dings überzeugendephilo
benen Anfang.‹ (fr. 137). In
die Göttin der Erde, ist sie
Abbildungsteil, die das
Schenda, Rudolf: Das ABC
sophische Folgerungen
den Eleusischen Mysterien
doch eher eine Vertreterin
Schiefe Haus im Mondlicht
der Tiere. Märchen, Mythen
mischten: »Der im 4. Jahr
verehrten die Eingeweihten
der Schattenseiten des
und den von innen erleuch-
und Geschichten, München:
hundert lebende und den
Demeter und Persephone,
Lebens. Deshalb verlangt der
teten Höllenschlund zeigen,
Beck 1995, S. 174.
Mysterien feindlich geson-
ihre Tochter, und diese zwei
Lebensweg der Eingeweihten
nene Firmicus Maternus
Gottesgestalten symbolisie-
Opfer: der Tod ist nicht
belegen die Faszination, der auch Bredekamp erlegen
221
nennt den in die Mysterien
ren auch selbst das Sich-
nur Erlösung, sondern
ist. Seine Untersuchungen
Schöpf 1988, S. 72
einzuweihenden Menschen
Aneinanderschmiegen von
auch Vergehen von irgend
der »Nachtwirkung« sind
homo moriturus. Da aber
Leben und Tod. Demeter
etwas. Eben deshalb erzeugt
in seine Interpretationen
der Tod ihn in die ›wahrhaft
ist zum einen die Göttin
das Wissen der Wahrsager,
338 Anhang
240 Wahnsinnigen und Philo
1985, S. 32), in dem Vicino
Irrtümern und der [sinnlo-
Luck 1990, Einleitung S. 1
sollen.«, Brief an Giovanni
sophen Melancholie, weil
über die Falschheit des
sen] Betriebsamkeit der Höfe,
und passim
Drouet vom 8. August 1583
es den Menschen an den
Kardinalskollegiums
und vor allem Roms, unter-
Punkt des letztendlichen
schreibt und die spätere
getaucht bin, ich bin dabei
241
Die Vermischung beider
Unwissens, der ihm entzo-
Wiederaufnahme des
mich völlig zu erneuern und
Bredekamp 1991, S. 6 f. sowie
Jenseitsreiche, dem des
genen Geheimnisse führt.«
Freundes in das päpst
kann Euch hier (freilich)
im Brief vom 8. November
Wäldchens und dem jenseits
Földényi 1988, S. 46 ff.
liche Wohlwollen (im
nicht nach Eurem (gewohn-
1579 an Giovanni Drouet,
des für ihn fassbaren sinn
Brief vom 31. Januar 1576,
ten) Rang und Standard
worin Vicino den »Oltra
lichenLebens, ist für die
229
Bredekamp 1985, S. 40;
behandeln wie in Eurem
montani« neben den anti-
Interpretation des Boschetto
Biedermann 2000, S. 199
vgl. dazu auch die entspre-
Palast, aber wie auch immer,
ken Schriften als einzigen
aufschlussreich.
chenden Auslegungen vor
hier werdet Ihr Freiheit und
»qualche sostanza« (»einige
230
dem historischen Hinter
keine Betrügereien finden.«),
Substanz«) zugesteht (vgl.
243
Pindar, Fragment 137,
grund in Bredekamp 1991,
Bredekamp 1985, S. 22.
Brief an Giovanni Drouet,
Den schöpferischen Aspekt
zit. nach Földényi 1988, S. 47.
S. 22 ff.) zeugen von der
Bredekamp 1985, S. 53).
des – meist groß geschrie-
(Bredekamp 1985, S. 64).
zynischen Weltsicht und
238
Fierz-David 1947, op. cit.,
benen – Boschetto betont
231
Abgehobenheit, die zuneh-
Die immer wiederkehrende
S. 55
Vicino im Briefverkehr
Fierz-David 1947, op. cit.,
mend stärker wird und
Formulierung »sol lione«
S. 162
seine Melancholie zusätz-
im Brief vom 6. Juli 1574 an
242
»mio Boschetto« (»mein
lich verstärkt. Immer wie-
Giovanni Drouet »… Io per
Immer wieder taucht die
Wäldchen«), in den Briefen
232
der bringt Vicino in seinen
passar questi calori leonini
Formulierung jener »anderen
vom 20. Mai 1561 an
Fierz-David 1947, op. cit.,
Einladungen Kritik an der
et per fuggir li travagli …«
Welt« in den Briefen Vicino
Alessandro Farnese, vom
S. 140 ff.
römischen Gesellschaft an:
(»… um der Affenhitze [den
Orsinis auf und wenn auch
22. Mai 1561 an denselben,
»[…] che venga a sfogare
Hitzen der Löwen!] und auch
manchmal eindeutig der
vom 4. Juli 1563 an den
233
qualch’humore malinco-
den Missstimmungen zu ent-
Jenseits- und Gegenwelt
selben, vom 29. Dezember
Elwert, W. Th.: Die italie
nio, che la Corte l’ha cau-
fliehen …«), Bredekamp 1985,
charakter des Wäldchens
1570 an Francesco Sansovino
nische Literatur des Mittel
sato.« (»[…] dass Sie kom-
S. 32; sowie schadenfroh
gemeint ist, als deren Bau
usw., siehe dazu Bredekamp
alters, München: utb Franke
men, um die melancholische
und traurig zugleich drei
herr er sich bezeichnet (»[…]
1985, Anhang.
1980, S. 126.
Verstimmung loszuwerden,
Wochen später, am 28. Juli
che penso far ancor nel altro
Die stetig zunehmende
durch die Wendungen
die Ihnen der (röm.) Hof ver-
1574, ebenfalls an Giovanni
mondo …« (»[…] die [zukünf-
Identifikation mit dem
234
ursacht hat.«) schreibt er an
Drouet: »[…] et se Madonna
tigen] Taten, die ich noch in
Wäldchen und seinen
Nach Aristoteles, De caelo,
Ottavio Farnese und führt
Laura gode a questo sol
der anderen Welt zu vollbrin-
Kolossen bezieht sich
11 13, 293a 18, zit. nach
weiters aus: »Hora sia come
lione, dormendo continua-
gen gedenke …«), aus dem
immer mehr auf die ihm
DeCrescenzo 1988, S. 77 ff.
voglia io amo più starmene
mente stretta con li sui inna-
Brief an Ottavio Farnese vom
Nahestehenden, wie etwa
in questi boschi che immerso
morati […].« (»[…] und wenn
20. Juli 1567 (Bredekamp
der Brief vom 1. Mai 1578
235
nelle fallacie et ambitioni
es Frau Laura gefällt bei
1985, S. 20) beziehen sich
an Giovanni Drouet belegt,
Bredekamp 1991, S. 141
delle Corti, et massime in
dieser Affenhitze dauernd
spätere, melancholisch
worin er die Mitteilungen
quella di Roma; me rincre-
beengt mit ihren Liebhabern
gefärbte Anspielungen auf
über die Entwicklung seiner
236
scerá bene non possarla
zu schlafen […].«, Bredekamp
das Jenseits nach dem Tod:
Kinder und des Koloss im
Aus dem Brief an Alessandro
trattare com’ella merita,
1985, S. 33.
»… et dirli se vogliononiente
Wäldchen miteinander ver-
Farnese vom 22. Mai 1561, zit.
tanto più essendo avezzo
per quell’altro mondo …«
mischt.
nach Bredekamp 1985, S. 16,
nelle grandezze di Palazzo,
239
(»… und sag ihnen [den
siehe Fußnote 56.
pure siase come si voglia e
Siehe Kurzel-Runtscheiner,
Freunden, von denen sich
244
qui troverá una lira libera
Monica: Töchter der Venus.
Vicino in einem der letzten
Bredekamp 1985, S. 64 f.
237
et non piena d’inganni.«
Die Kurtisanen Roms im
Briefe an Giovanni Drouet
Vor allem der Brief
(»Sei es wie es sei, ich ziehe
16. Jahrhundert, München:
kumulativ verabschiedet],
an Giovanni Drouet
es vor in diesen Wäldern zu
dtv 2001, S. 90 ff.
dass sie nichts für jene
(6. Juli 1574, Bredekamp
bleiben, in die ich aus den
andere Welt erhoffen
Anhang 339
245 Genesis 2 9; siehe dazu:
sonno di belli tiri per dentro,
im Brief an Giovanni Drouet
pathologisches und unver-
gibt, dennoch ist die Her
Shalev, Meir: Der Sündenfall,
se gli ne capiterá qualch’altro
vom 3. Mai 1583 wieder mit
standenes Genie. Vicino
stellung derartiger Ver
ein Glücksfall. Alte Geschich
stravagante, me ne facerá
dem Wort »ingannare« kom-
bezog sich damit auf die alte
bindungen verlockend und
ten aus der Bibel neu erzählt,
parte.« (»Das Buch das Ihr
mentierte, Bredekamp 1985,
Deutung des »mal humore«,
wohl auch im Sinne der
Zürich: Diogenes 1999, S. 60.
mir geschickt habt, bereitete
S. 63), die sich alle nicht
des schlechten feuchten
Charakterideologie von
mir großes Vergnügen, es
bewährten. Schon der Stil
Körpersaftes, der Leib und
Nutzen für die Beschreibung
246
finden sich bemerkenswerte
dieser Art von Briefe deutet
Seele ins Ungleichgewicht
der Persönlichkeit des Vicino
Schmid, Wilhelm: Die Geburt
Stellen darin und wenn Ihr
die Bestimmung des Ortes
bringt und als die mittelal-
Orsini und seiner Schöpfung
der Philosophie im Garten
wieder so ein extravagan-
an, an dem sich der, der sich
terliche Acedia, die physi-
des Heiligen Waldes, zwi-
der Lüste, Frankfurt a. M.:
tes habt, lasst mich es auch
freiwillig der Verschlingung
sche und psychische Untätig
schen denen ebensowenig
Suhrkamp 1987.
lesen.«), zit. aus dem Brief
und dem Tod anheim gege-
keit, galt. Mit zunehmendem
eine klare Unterscheidung
an Giovanni Drouet vom
ben hatte, aus Raum und
Alter und dem Nachlassen
möglich gewesen zu sein
247
13. Dezember 1578 (Brede
Zeit in den Zustand eines
seiner körperlichen und
scheint.
Genesis 3, 22
kamp 1985, S. 49); siehe auch
wahren Philosophen erhebe,
vor allem seiner sinnlichen
den Brief vom 8. November
dem kaum noch an einer der
Kräfte, die er als einzige
255
248
1579 (Bredekamp 1985, S. 85),
üblichen Alternativen eines
Bestätigung der Existenz
Aus dem Rosarium philoso
Bredekamp 1991, S. 92
in dem sich Vicino, wie in
Weiterlebens nach dem Tod
anerkennt und intellektuell
phorum.
fast allen Briefen an seine
gelegen wäre.
begründet, gewann aller-
249
Freunde, für Buchsendungen
dings eine deutlich hypo-
256
Földényi 1988, S. 39
bedankt und worin er
253
chondrische Nabelschau
Wiederholt äußerte sich
sowohl den Antiken wie den
Siehe Kapitel Dialoghi: welt
die Oberhand und trotz der
Vicino, (und auch Drouet, im
250
Ultramontanen Substanz
liches Latein und heiliges
ausführlichen Versuche
Brief vom 12. Dezember 1573)
Die »extravaganten« Bücher,
zuerkennt: »[…] o l’opere
Volgare, Seite 276 ff.;
seiner letzten Briefe, noch
über den Zusammenhang
die Vicino mehrfach in sei-
antiche o qualch’una delli
Fierz-David 1947, op. cit.,
mit antiken Argumenten zu
definitiv theoretischer
nen Briefen erwähnt, ent-
Oltramontani hanno qual-
S. 81, 85–87, 104 ff.
reüssieren, gelang ihm trotz
Wissenschaften wie
stammen wie die Rezepte
che sustanza […].« (»[…]
des beruhigten Altersstils
Kosmografie und defi-
Gesners zur Lebensver
sowohl die Werke der
254
keine wahrhafte Seelenruhe
nitiv praktischer wie
längerung (im Brief von
Antiken, als auch so man-
Die Hingabe und Identifi
mehr und in seinem letzten
Landwirtschaft (sic!) und
Giovanni Drouet an Vicino
che der Ultramontani (der
kation, mit der sich Vicino
(dokumentierten) Brief an
ihre Handhabung unter
von Anfang November
Deutschen) haben Substanz
seinem Wäldchen widmete,
Giovanni Drouet meinte er
himmlischen und alchemis-
1573) den hermetischen
[…].«
ließen ihn schon die Arbei
nicht mehr an Ludovico di
tischen Aspekten. Vieles
ten darin als Akt der Selbst
Torres schreiben zu wollen,
Alltägliche wird nur unter
Zirkeln jenseits der Alpen, die im Rahmen des italie-
251
vervollkommnung empfin-
da selbst der Brief »puz-
bestimmten Aspekten in
nischen Neuplatonismus
Bischof, op. cit., S. 523
den. Die eigene schlechte
zando de morte« (»nach
Angriff genommen: »Altre
Verfassung schrieb er der
Tod stinke«), Bredekamp
volte attesi un poco alla
die Erkenntnisse der hermetischen Humanisten
252
leib-seelischen Wechsel
1985, S. 65.
cosmografia, […] dubito se
des Nordens assimilier-
»[…] altri sorti di consolati-
beziehung zum Wäldchen
Es verbietet sich von selbst
reuscirá in Venere, ma ho
ten. Bomarzo ist mit großer
oni« (»andere Möglichkeiten
zu. Mit Arbeit und neuen
im neuzeitlich psycholo-
più paura di quel Saturno
Wahrscheinlichkeit und
von Tröstungen«) mit dem
Ideen zur Ausstattung und
gisierenden Jargon von
[…] che ’agricoltura habet
durchaus vergleichbar den
wiederholt und abfällig
Verbesserung des Wäld
einer manisch-depressiven
nescio quid’ comune colli
vielfältigen humanistischen
gebrauchten Wort Conso
chens verifizierte er seine
Disposition Vicinos zu
influssi celestiali et elem-
Beziehungen über die Alpen,
latione (die im folgenden
These. Beide, das Wäldchen
sprechen, da es keiner-
tenti, così come ha il trattar
ein Beispiel für die konge-
immer wieder in Fußnoten
und Vicinos Lebenskraft,
lei medizinische Anhalts
li fornelli per via de destil-
niale Verbindung antiker
zitiert werden) spielte Vicino
schienen sich zu bedingen
punkte für eine Trennung
lationi […].« (»Bei anderen
und nördlicher Philosophie:
auf die ungenügenden
und bestätigen seine pri-
bewusst hypochondrisch-
Gelegenheiten habe ich ein
»Piglio gran piacer del libro
Tröstungen der Religionen
vate, antikisierend formu-
pessimistischer Züge von
wenig Kosmografie getrie-
che m’ha mandato et vi
und Philosophien an (die er
lierte Selbstdarstellung als
bewusst künstlerischen
ben, […] zweifle ob dies unter
340 Anhang
Venus möglich sein wird,
und mir Bescheid geben
Wäldchens waren zu diesem
da lui da fondamenti, nel
Moment nicht mit einem
habe aber mehr Angst vor
wolltet, wenn ihr fertig
Zeitpunkt bereits, bis auf den
quale havendo constituiti
Alltagswort beschreibt, son-
Saturn […] dass die Land
seid.«), zit. aus Bredekamp
Drachenkampf, den Elefanten
sacerdoti, si prega Nostro
dern mit einer dem religiösen
wirtschaft einiges mit den
1985, S. 37, sowie vom
und natürlich die Tartaruga
Signore di continuo per
Empfinden vorbehaltenen
himmlischen Einflüssen
9. November 1575: »L’Orontea
mit der Orka, vollendet,
l’anima sua« (»Giulia, die
Formulierung, sagt viel über
und den Elementen zu tun
vi bace la mane et dessi-
sodass mit Recht ein überhö
an Vicino Orsini verheira-
die Bedeutung des Tempels
hat, so gleicht sie schon
dera sapere quello che i cieli
hender Aspekt des Tempels
tet war, der diese außeror-
aus, die sich vermutlich erst
dem was die Destillateure
hanno deliberato di lei.«
angenommen werden kann.
dentlich kluge und große
über das ikonografische
[Alchemisten] in ihren
(»Die Orontea küsst Euch die
Vgl. dazu die Pläne der
Dame liebte und ihr einen
Programm erschloss. Der
Öfen zusammenbrauen.«)
Hände und begehrt zu wis-
Bauphasen bei Bredekamp
wunderschönen Tempel
Adressat des Briefes, Ales
Sogar die Vorsorge(n) für
sen was die Himmel über
(1991, Anhang; hier: Abb.
in Bomarzo weihte, den er
sandro Farnese, mochte
seine Nachkommenschaft
sie beschlossen haben.«),
6 bis 9). Angeblich sollte
selbst von den Fundamenten
darin »eingeweiht« gewesen
macht Vicino von den
zit. nach Bredekamp 1985,
der Tempel, der wiederholt
errichtete, und wo Priester
sein und die Bedeutung als
Sternen abhängig, wie
S. 37, 38.
als der verstorbenen Giulia
Unseren Herrn unentwegt
»Aufstieg der Seele« verstan-
Farnese zugewidmet und
für Ihr Seelenheil bitten.«),
den haben. Siehe Brief vom
seine Anfragen nach dem Horoskop für seine geliebte
257
sogar mit Gottesdiensten
aus Sansovino, Francesco:
9. Oktober 1565, Bredekamp
illegitime Tochter Orontea
Fierz-David 1947, op. cit.,
aufgewertet beschrieben
Origine e fatti delle famig
1985, S. 18. Siehe dazu auch
beweisen. Vgl. dazu den
S. 118 ff.
wurde, eine »Entschärfung«
lie illustri d’Italia, Venedig:
Fußnote 409.
des definitiv antikatholi-
Presso Combi & La Nou 1652– 1655, Bredekamp 1985, S. 91.
Brief an Giovanni Drouet vom 8. Mai 1575: »… giá che
258
schen Programms darstel-
vole saper l’hora che naque
Schmidt, Dorothea:
len, das zur Zeit Vicinos, die
l’Orontea, fu la notte che
Untersuchungen zu den
immerhin auch die Zeit der
264
Geistlichen, die dort Messen
venne il dí sequente san
Architekturekphrasen in der
Inquisition war, genügend
Fierz-David 1947, op. cit.,
für das Seelenheil der ver-
Bastiano su le 7 hore in
Hypnerotomachia Poliphili.
Anlass zur Verfolgung und
S. 143 ff.
storbenen Giulia lasen (s. o.)
circa.« (»… und Ihr wolltetja
Die Beschreibung des Venus-
Verurteilung des Bauherrn
die Stunde wissen, zu der die
Tempels, Frankfurt a. M.:
geben hätte können. Dieser
265
lich »ihre« Weihe verliehen,
Orontea geboren wurde, es
Fischer 1987, S. 22.
allgemein angenommenen
Fierz-David 1947, op. cit.,
war zweifellos dazu ange-
Interpretation wird hier nur
S. 145, 166
war die Nacht zum nächsten
270 Die spätere Dotierung mit
und dem Ort noch zusätz-
tan, die neuplatonische und
Tag nach St. Sebastian um
259
bedingt gefolgt, da immer-
etwa die siebte Stunde.«),
»[…] vedi la coppola del mio
hin der Papstbesuch erfolg-
266
zit. aus Bredekamp 1985,
tempio […]« (»[…] sah ich
reich von Vicino verhindert
Fierz-David 1947, op. cit.,
lichkeit zu vertiefen. Im
S. 36, und vom 7. Juli 1575
die Kuppel meines Tempels
wurde und der fast schon
S. 22, 24, 25
Symbol des Tempels, der als
mit der Bitte um Horoskop
[…]«), Brief an Alessandro
übertriebenen Zuwidmung
erstellung: »Quanto alla
Farnese vom 9. Oktober 1565,
an Giulia andere, eventuell
267
zwischen dem verlorenen
nativitá de l’Oronthea mi
Bredekamp 1985, S. 18.
verschlüsselte Bedeutungen
Bredekamp 1991, S. 136
Goldenen Zeitalter und
vo imaginando ch’habbia a
im Sinne der Agape sogar neu interpretierte Christ
hermetisches Bindeglied
zu unterstellen sind: »[…] di
dem irdischen Paradies
riuscir qualche gran donna
260
mia carissima innamorata
268
Vicinos gelten konnte, war
poiché voi havete procu-
Schmidt 1987, S. 21
[…]« (»[…] meiner innigst
Siehe Fußnote 401
somit in einer gewissen
rato di daper la sua vita,
Geliebten […]«) im Brief an
Gleichberechtigung sogar die
peró haró a caro che, come
261
Sansovino vom 29. Dezember
269
christliche Religion unter-
sia finita, me la mandi-
Schmidt 1987, S. 20
1570, Bredekamp 1985, S. 21,
Die deutsche Übersetzung
gebracht. Gegebenenfalls
sowie »Giulia, gli maritata
würde hier sinngemäß »wel-
korrigierte das astrologische
ate.« (»Was die Geburt der Orontea angeht, beginne ich
262
a Vicino Orsini, il quale
che Genugtuung« (»[…] er
Programm als Bekenntnis
mir vorzustellen ob aus ihr
Bredekamp 1991, S. 132
amanda quella prudentis-
beim Anblick der von ihm
zu den autochthonen
sima & magnamima donna,
selbst so konstruierten
christlichen Werten den
wohl eine noble Dame werden wird, so wie ihr darüber
263
le consacró a Bomarzo un
Kuppel empfinde«) lauten.
Auseinanderfall christlicher
Nachforschungen anstellen
Anlage und Ausstattung des
bellissimo Tempio, edificato
Dass er diesen triumphalen
und katholischer Ideologie.
Anhang 341
271
273
284
Am 9. Oktober 1565 berich-
Michael Maier: Atalanta
Luck 1990, op. cit., S. 453
tete Vicino Alessandro
Fugiens, Oppenheim, 1618.
Farnese von einem Ausflug
Proserpina vereinigt und
Göttin Diana dient und sich
wird als solche Hekate-Brimo
ihm in einem verwirren-
285
(die zornig-Schnaubende)
den Nymphäum zeigt und
mit dem Vizelegaten ins
274
»… nel mio Boschetto non ci
genannt. […] Beim Raube der
sogleich in nichts auflöst.
Wäldchen, wobei er die
Bachmeister 1989, S. XXXV
ho da far altra operazione,
Proserpina, den niemand
Zuletzt bricht sein Schicksal
che la contemplazione delle
erschaute als der leuchtende
in Gestalt der Hekate-Brimo
schon von weitem zu sehende Kuppel beschreibt:
275
cose inferiori e superiori.
Helios, hörte auch keiner der
über ihn herein: »Nebelfetzen
»[…] andammo […] fin a le
Kopernikus, Nikolaus:
(»… in meinem Wäldchen […]
Götter und Menschen den
trieben auf. Windstöße
forche […] nell aparir d’un
De revolutionibus orbium
nichts mehr zu tun als über
Angstruf der Entführten;
pfiffen. Jäh, wie so oft in
colle, vedi la coppola del mio
caelestium, 1543.
die Dinge der Unterwelt und
nur Hekate vernahm ihn in
dieserJahreszeit begann ein
die des Himmels nachzuden-
ihrer Grotte. Dann half sie
Sturm loszutosen. Aus fah-
tempio, qual me riesce non men nel suo grado propor-
276
ken.«), zit. nach Bredekamp
die Verlorene suchen, und
len Wolken heulte der Atem
tionato ch’all’apparita de
Roob 1996, op. cit., S. 65
1985, S. 54. Ein literarischer
als Proserpina von Hermes
des Kosmos auf ihn nieder
und interdisziplinärer
auf die Oberwelt zurückge-
und bog den Tann zu seinen
Firenze quella die Sta. Maria del Fiore, ma giungendoal
277
Querverweis sei zu Jud Süß
führt war, begrüßte Hekate
Füßen. Nein, noch lebten die
boschetto trovai la loggia
Ficino 1994, op. cit.
von Lion Feuchtwanger
die Wiedergefundene so
Götter! noch dröhnten Wald
angebracht, worin der Kab
freudig und innig, dass sie
und Welt, wenn sie es zor-
delle mie fontane che va a terra.« (»[…] gingen wir
278
balist und Rabbi Gabriel
von nun an die Freundin
nig-schnaubend befahlen!
[…] bis zu den ›Gabeln‹. […]
Ficino 1994, op. cit.
eine Vision der kosmischen
und Dienerin der Proserpina
Mit ausgebreiteten Armen
Wechselbeziehung hat.
wurde.« (Kurts 1997, S. 157)
warf Cyriak sich dem gött-
(Feuchtwanger 2013, S. 46 ff.)
Zur Interpretation der
lichen Atem entgegen, den
gleichbleibend romantisch
Blick auf die im Sturm sich
286
entweder als schlafende
duckenden Wipfel gebannt.«
Ranke-Graves 2000, S. 109
Nymphe, Ariadne oder Psyche
(Fritz von Herzmanovsky-
gedeuteten Nachtgestalt
Orlando: Das Gesamtwerk
287
des Schreckens, den sie
in zwei Bänden. Frankfurt
Ranke-Graves 2000, S. 115
im Garten zu verbreiten
a. M.: Ullstein Verlag 1987,
imstande war, sei in der
S. 205). Zuletzt verwandelt
während wir uns dem Hügel näherten, erblickte ich die
279
Kuppel meines Tempels,
Luck 1990, op. cit., S. 291
die mir, was den Grad ihrer Vollkommenheit angeht,
280
nicht weniger gut gelungen
Luck 1990, op. cit., S. 452
erscheint als in Florenz die von Sta. Maria del Fiore, aber
281
als wir (dann) zum Boschetto
Siehe dazu Bredekamp 1985,
kamen, fand ich die Galerien
Abb. 104 und Bredekamp
288
Fußnote auf das genuin
sich der Held in Aktaion und
meiner Brunnen am Boden
1991, S. 137 (Abb. 143).
Siehe Fierz-David 1947,
manieristische Meisterwerk
wird von Artemis mit dem
op. cit., S. 50
Herzmanovsky-Orlandos
Tod bestraft. Die Erzählung
Maskenspiel der Genien ver-
Herzmanovskys, die mit
zerstört.«), zit. nach Brede kamp 1985, S. 18. Mit den
282
»forche«, den Gabeln, war
»INTERNOPLOTONITRI
289
wiesen, worin die altertümli-
keinem Wort auf Bomarzo
die Abzweigung vom Palazzo
CORPORIETCARAEXORI
Ranke-Graves 2000, S. 108
chen Motive der Verwirrung
anspielt, kann in tatsäch-
Ducale ins Freigelände und
PROSERPINAE TRICIPITIQ.
und Findung nach dem
lich allen Elementen, sogar
zum Wäldchen gemeint, von
CERBERO« (»Dem im Inneren
290
bereits beschriebenen Muster
dem des Handlungsverlaufs
wo aus er schon die Kuppel
befindlichen dreikörper
Kurts 1997, S. 247
in literarischer Form wieder
auf den Ort bezogen werden,
seines Tempels herausragen
lichen Pluto, seiner lieben
kehren: Wie der Poliphil ver-
womit sich der ehrwürdigen
sah. Erst mit dem Eintritt ins
Gemahlin Proserpina und
291
irrt sich auch der Held die-
und allgemein anerkann-
Wäldchen konnte er die an
dem dreiköpfigen Kerberos
Museo Nazionale a Tarquinia
ser Erzählung, Cyriak, auf
ten literarischen Parallelen
der Seite zum Fluss, vermut-
geweiht«), zit. aus Fierz-
seiner Reise nach Kythera
wie der Arcadia Sannazaros
lich über der Isisgrotte sich
David 1947, op. cit., S. 152,
292
im Wald, landet sogar in der
auch noch dieser meisterli-
erhebenden Arkaden (loggie)
168 ff.
Ranke-Graves 2000, op. cit.,
Landesirrenanstalt, folgt
che Essay eines hochgebil-
S. 113
immer wieder einer unnah-
deten und offensichtlich die
baren und betörend schönen
Zusammenhänge erkennen-
293
Nymphe, die freilich im Ama
den Dilettanten (siehe Vor-
»Sie ist auf das engste mit
zonenkorps der keuschen
und Nachwort von Friedrich
sehen. 283 272
Ficino 1993, op. cit., S. 258 f.
Bredekamp 1991, S. 134 ff.
342 Anhang
308 Torberg und Maria Carmen
Für die vielen Lobpreisungen
allgemeinen Verbreitung
selbstmitleidige Bemerkung
von Herzmanovsky-Orlando)
die Ihr meinem Boschetto
und der besonderen
des alternden Vicino, dass er
anfügt.
erwiesen habt, wo es doch
Umstände ist es wohl keines-
»der Gastmahle und guten
309
genug hochberühmte Orte
falls überinterpretiert, dass
Unterhaltung mit Herren
Brief von Vicino Orsini an
294
gäbe, ziehe ich doch soviel
Vicino auf das erstmals in
und Damen bedürfe« – sich
Giovanni Drouet vom 3. Mai
Das Hohelied Salomonis, 6.10
an Tröstungen aus diesem
Nürnberg, 1473 gedruckte
vermutlich der trotz Kriegs
1583, Bredekamp 1985, S. 63.
Wald, den ich meiner Gelieb
Werk als das eines der
gefangenschaft jugendlich
295
ten gebaut habe, und hoffe
»Oltramontani« reflektierte.
sorglosen Gastmahle erin-
310
Bredekamp 1991, S. 138
außerdem, Sie so bald als
(Brief an Giovanni Drouet
nernd: »facendoli … ban-
Foucault 1978;
möglich bei mir zu haben
vom 8. November 1579, zit.
chetti perpetui et sempre
L’Occident et la verité
296
und mich an dem Gespräch
nach Bredekamp 1985, S. 53.)
in compagnia die hones-
du sexe, in: Le Monde,
Bredekamp 1991, S. 138
mit Ihnen zu erfreuen
tissime dame.« (»… dort
5. November 1976.
Ficino 1984, S. 26 ff.
sowie in der Hoffnung, dass
298
dauernd Bankette abgehal
297
das von ihnen bei Ihrem
Zu den Ägyptischen
ten und in Gesellschaft
311
Wie unendlich viel ihm an
ersten Besuch so geprie-
Mysterien (Iamblichos)
ehrenhaftester Damen.«)
Schmid 1987, S. 15
der Anerkennung der angeb-
sene Wäldchen von ihrer
siehe Luck 1990, S. 3, 39,
ist anhand des altersbe-
lich so verleideten Welt lag,
Anwesenheit profitiere.«),
44, 167, 208, 220, 325, 326.
dingten Diminuendos der
312
beweist u. a. der Brief an
zit. nach Bredekamp 1985,
sinnlichen Kräfte verständ
Schmid 1987, S. 41
Francesco Sansovino, in
S. 19 f. Der Topos der Conso
299
lich und genauso die Ver
dem er sich, mit falscher
lat ione ist eine deutliche
Helck, Otto: Kleines Wörter
legung seiner unerfüllbaren
313
Bescheidenheit unverdient
Bezugnahme auf das
buch der Ägyptologie, 2. Aufl.
und unwiederholbaren
Klinkhammer 1993, Abb. 3
gerühmt bezeichnet: »[…]
philosophische Werk des
(1. Aufl. 1956), Wiesbaden:
Sehnsüchte in ein mit gött
oltre alla gloria che mi porta
Boethius: De Consolatione
1970, S. 225.
licher Jugend assoziiertes
314
molto maggiore che non
Philosophiae, das somit
Goldenes Zeitalter (siehe
Bredekamp 1991, S. 139,
merita la qualità mia. […]
den Ruhm des Wäldchens
300
Fußnote 1).
Fußnote 11.
Prima per le molte lodi date
aus dieser philosophischen
Fierz-David 1947, op. cit.,
al mio Boschetto, tanto alta-
Richtung bestätigt und recht
S. 104, 168 ff.
mente, che in vero sariano
selbstgefällig in diesen
bastanti a celebrare ogni
erlauchten intellekt uellen
301
celebratissimo luogo, dal
Rahmen stellt. Die Tröst un
Von einer verzweifelten
che ricevo ogni sorte di con-
gen durch die Philosophie
Sehnsucht nach den para-
303
i. B.: Rombach Litterae 1994,
solatione per tener’io quel
waren das in langerKerker
diesischen Stunden der
Lazzaro-Bruno: Art bulletin,
S. 240 ff.
bosco in luogo di mia caris-
haft (sic!) verfasste Werk des
fröhlichen Gemeinschaft
Bd. 59, 1977, S. 553–560.
sima innamorata, seconda-
Anicius Manlius Torquatus
mit Freunden aber auch
riamente per la speranza
Severinus B., eines römi-
zwischen Geist und Körper
304
che mi dá di haverla a veder
schen Staatsmannes und
zeugen die Zeilen: »[…]
Lurker 1991, S. 577
presto, & conseguentemente
Philosophen um 480 v. u. Z.,
se io havessi speranza de
a godermi la sua gratissima
der als Übersetzer und
haverci compagnia dolce
305
aber unter der Bedingung,
conversatione, & massime
Kommentator der aristote-
tanto d’homini comedi
Bredekamp 1985, S. 54
dass er nicht hinfällig
vedendo, quanto aquisto
lischen Werke von größter
donne, et con loro convivi-
possa fare il Boschetto dalla
Bedeutung für die mittel
are, et che insiemi col convi-
306
der Kardinal schenkte:
vostra presenza, poi che
alterliche Philosophie
vio [›convivio‹, das wörtli-
Bredekamp 1985, S. 54
»mi mandi la scimia, ma
dalla prima sua vista ha fatto
wurde. Mit letzte Römer und
che Zitat des platonischen
tal guadagno.« (»Darüber
erste Scholastiker hatte er
Symposions bei Marsilio
307
regresso, come l’orsa,
hinaus [danke ich] für den
die Verbindung zwischen
Ficino!] fussero canti et
Brief Vicinos an Giovanni
che m’ha data il Car:le.«
Ruhm der mir mehr Ehre
Antike und Mittelalter her-
suoni et similia, credo che
Drouet vom 15. Januar 1580,
(Bredekamp 1985, S. 58)
einträgt als ich verdiene. […]
gestellt und aufgrund der
l’anima s’allegraria più.« Die
Bredekamp 1985, S. 54.
Kröll, Kathrin: Mein ganzer 302
Körper ist Gesicht. Groteske
Vgl. Abb. 15 und 16 bei Fierz-
Darstellungen in der europä
David 1947, op. cit., S. 112 f.
ischen Kunst und Literatur des Mittelalters, Freiburg
315 Im Brief an Giovanni Drouet vom 9. Oktober 1580 bitteter um einen gesundenAffen,
sei wie der Bär, den ihm
con patto che non sia col
Anhang 343
316 So schreibt er einigermaßen
in cielo. Vorrei che si vides-
durch das Wäldchen. (Roob
vi perirono tutti.« (»Also
»[…] i difetti di vecchi […]«
frustriert: »[…] ho intensa
sero in qualche parte alcuno
1996, op. cit., S. 150)
schickte Vicino Orsini seine
(Bredekamp 1985, S. 53), die
la scusa die Mons: r Torres
scimie, che paiano nascere
Leute und sie gingen mit
den Jungen unbekannt seien
sopra la scimia, al quale
dal sangue loro, che scimie
320
Vorsicht – denn sie dachten
und die ihn, wie er in seinen
potretedire che per hora
e triste uomini si dice che
Kurts 1997, S. 78 ff.
an alles andere als gerade an
letzten Briefen umständlich
non se ne pigli più scom-
ne nacquero.« (»Im Teil mit
das – auf dem Weg in einen
und hypochondrisch aus-
modo che tanto, perché
den Titanen soll der blitz-
321
Hinterhalt in Terrazzani. […]
führt, über alles belasten
l’orsa che m’ha donato il
umsprühte Typhon zu sehen
Bredekamp 1991, S. 139
Einer der Gründe für den
und gleichsam von sich
Car.l Farnese, per un pezzo
sein, den Körper unter ver-
Unmut der Päpstlichen mit
selbst fernhalten, da sie den
mi servirá per orsa et per
schiedenen Felsstücken
322
den Montefortinern, war
(sinnlichen) Genuss verhin-
scimia.« (»… habe ich die
begraben und Monster, die
Bredekamp 1991, S. 139 f.
der, von einigen behauptete
dern.
Entschuldigung Mons Torres
sich daraus hervormühen,
Zufall jenes Brandes, in wel-
Kurzel-Runtscheiner 2001,
wegen des Affen erhalten,
alles zertrümmert in einem
323
chem eine Kirche voll mit
S. 130.
dem Ihr sagen mögt, dass
Erdbeben, zerstörte und
Kurts 1997, S. 190.
jungen Mädchen und Frauen
Irmscher 1987, S. 279
abbrannte, die sich hierher
332
vor der Wut der Soldaten
Maisak 1981, S. 18, 33
er sich nunmehrnicht mehr
umgestürzte Städte darü-
bemühenmöchte, weil der
ber und Felsspalten und
Bär, den mir der Kardinal
daraus herausflammende
324
geflüchtet hatten und alle
Farnese geschenkt hat, mir
Feuersbrünste und in einer
Hinrichs 1996, S. 10
umkamen.«), zit. nach
333
sowohl als Bär und als auch
derselben male Pluto, der
Bredekamp 1985, S. 77.
Maisak 1981, S. 179
Affe dienen wird.«), zit. nach
herauskommt, um nach-
325
Bredekamp 1985, S. 59.
zusehen, ob das Erdbeben
Walter 1980, S. 24
327
334
Ovid Metamorphosen,
Maisak 1981, S. 19
sein Haus zerstöre, wie 317
Ovid dichtete, und deswe-
326
Buch III, Vers 197–234, nach
In den letzten Zeilen des
gen male Pluto nicht wie die
Alessandro Andrea schreibt
Fink 1994, S. 68.
überlangen und mit ikono-
Olympischen im Himmel.
1557 in Della Guerra di
grafischen Details gespick-
Ich möchte, dass man an
Campag na: »Mandovvi
328
ten Briefes liest sich ein
manchen Orten Affen sieht,
allora Vicino Orsini la sua
Hinrichs 1996, S. 10 f.
interessanter, bislang nicht
die aus dem Blut [der Erde,
compagnia, & caminando
verwerteter Hinweis: »Ne
womit wohl die Lava gemeint
alla sicura (come coloro che
329
la parte de’ Titani, si faccia
ist] geboren scheinen, man
prima havrebbero pensato
Kurzel-Runtscheiner 2001,
337
speculatamente Tifeo ful-
sagt ja, dass Affen und trau-
ogn’altro cosa, che questa)
S. 100
Bredekamp 1991, Abb. 86–90
minato, tener il corpo sotto
rige Männer daraus ent-
diedero per strada in un
diversi monti, e mostri
stünden.«) Aus dem Brief
imboscata, che gli havevano
330
338
che nel volversimuovere,
Annibale Caros an Vicino
fatta in Terrazzani, & furono
»Die Liebe entspringt also
Bredekamp 1991, S. 128
li sconquassi tutti, faccia
Orsini vom 12. Dezember
colti talmente sproveduti,
der Schönheit und endet
terremoto, e rovesci alcune
1564, Bredekamp 1985, S. 82.
che furono svaligiati tutti,
beim Genuss.« (Ficino,
339
senza che se ne salvassepur’
Marsilio: Commentarium, in:
Bredekamp 1991, Abb. 84
cittá che gli sieno sopra, e si
335 Dotson 1982, S. 212 336 Bredekamp 1991, S. 128
figurino alcune rotture che
318
un tamburino. Questa era
Convivium Platonis de amore,
gittino fuoco per le fiamme
Bredekamp 1991, S. 57
una delle cagioni dello sde-
II/2, S. 38 f, zit. nach Jäger
340
gno de’Papali con Monte
1990, S. 189.)
De Feo, Giovanni: Die Tuff
che gli escono dal petto, ed in una d’esse rotture sie
319
fortino, ancor che vogliano
facciaPlutone che esca a
Der grüne Löwe steht im
alcuni, che lo incendioo
331
vedere che moto è quello,
alchemistischen Opus für
fusse stato á caso, nel quale
Wie sehr ihn der Verlust sei-
dubitando che la terra non
die Phase der Digestion und
si brució una chiesa piena di
ner Manneskräfte schmerzt,
341
s’apra, come finge Ovidio,
das Eisenvitriol. Sinngemäß
fanciulli, & di donne, che vi
schreibt er seinem Freund
Siehe dazu Bredekamp 1991,
che per questo non farei
bedeutet er die IV. Station
s’erano ridotti per salvarvisi
und Arzt Giovanni Drouet
S. 130 ff.
Plutone come gi altri Superi
oder Stufe im Läuterungsweg
della furia de’ soldati, &
am 8. November 1579:
344 Anhang
steinstädte im Fioretal, Pitigliano 2000, S. 106.
342
359
Fierz-David 1947, op. cit.,
di essere chiamato bugge-
wundern, denn zunächst
siehe zu Clemens VII. Eintrag
Hildesheim 1982, S. 60.
S. 149
rone od puttaniere , si dice
hätte er die Meinung, dass
im Personenregiser und
DeCrescenzo 1998, S. 81 f.
che è universale, alla mano
wir gewichtige Männer seien
Hettche 1997, S. 53.
343
et buon compagno.« (»Sie
und den großen Dingen
Fierz-David 1947, op. cit.,
wissen nicht, dass der, der
zugewandt und dass uns
360
S. 171
bei Tag für weise gehalten
kein Gedanke kommen
Hettche 1997, S. 53
367 Bredekamp 1991, S. 118 368
wird, niemals nachts für
könne der nicht von Ehren
344
verrückt gehaltenwird; und
haftigkeit und Größe zeugt.
361
Brown, Peter: Die Keuschheit
Bredekamp 1991, S. 120
dass das, was derjenige,
Aber dann, wenn sich das
Beck 2001, S. 137
der Engel. Sexuelle Entsa
der als Ehrenmann gilt und
Blatt wendet, erscheinen die-
345
etwas zählt, unternimmt um
selben leichtfertig, inkonse-
362
lichkeit im frühen Christen
Borgeaud, Philippe: The
seinenGeist zu erweitern
quent, zügellos und eitlen
Hinrichs 1996, S. 25
tum, München: dtv 1994,
Cult of ancient Greece,
und sinnenfroh zu leben,
Dingen zugewandt. am 31.
Chicago 1988, in: Schama
ihm keine Last, sondern Ehre
1. 1515«), Briefe zit. nach
363
Sorgo, Gabriele: Martyrium
1996, S. 563.
bringt, und anstatt dass er
Kurzel-Runtscheiner 2001,
Beck 2001, op. cit., S. 151
und Pornographie, Düssel
Fierz-David 1947, op. cit.,
schwule Sau oder Hurenbock
S. 284, übers. von Renate
S. 139 ff.
genannt wird, nennt man
Vergeiner.
gung, Askese und Körper
S. 61.
dorf: Patmos 1997, S. 100. 364 Am 1. April 1578 schrieb
369
346
Mann von Welt. am 5. Jänner
351
Vicino an Giovanni Drouet:
Kurzel-Runtscheiner 2001,
Bredekamp 1991, S. 126 ff.
1514.«), zit. aus Kurzel-
Werner 1986, S. 81
»[…] farró deventar l’Orlando
S. 138
ihn leutselig, großzügig und
Runtscheiner 2001, S. 211.
mezz’huomo« (»[…] werde
347
Inglese Machiavellis Ant
352
ich den Roland zu einem hal-
370
Földényi 1988, S. 41
wort auf die Prahlerei des
Hettche 1997, S. 53
ben Mann gemacht haben«),
Kurzel-Runtscheiner 2001,
und am 8. September 1578
S. 136
Freundes, dass er sich an 348
der letzten und einzigen
353
ebenfalls an Drouet: »[…] li
Bredekamp 1991, S. 47,
Lust der körperlichen Liebe
Hettche 1997, S. 70.
Colossi del Boschetto vogli-
371
Fußnote 4a
erfreue, ist im selben frivol/
Bredekamp 1991, S. 12 f.
ano pani grandi […]« (»[…]
Hettche 1997, S. 57
intellekt uellen Ton gehalten:
die Kolosse des Wäldchens
349
»Chi vedesse le nostre let-
354
wollen große Brote […]«),
372
Kurzel-Runtscheiner 2001,
tere, honorando compare, et
Bredekamp 1991, S. 116
zit. nach Bredekamp 1985,
Bredekamp 1991, S. 105 ff.
S. 145 f.
vedesse le diversitá di quel-
S. 46 f. Im Zusammenhang
lesi maravigliarebbe assai,
355
mit der Selbstidentifikation
373
350
perché gli parebbe hora che
Bredekamp 1991, S. 11 ff.
sei die genauso mögliche
Am 22. Dezember 1573
Bezeichnend für die Selbst
noi fuissimo huomini gravi,
Übersetzung, dass »die
schrieb Vicino an Giovanni
reflexion des Renaissance
tutti vólti a cose grandi, et
356
Kolosse des Wäldchens
Drouet, dass er sich mit
menschen Vicino ist sein
che ne’petti non potesse cas-
Bredekamp 1991, S. 119, 115
große Pane wollten/ver-
Laura überworfen habe:
Briefverkehr mit seinem
care alcuno pensiere che
dienten« zumindest in der
»Laura sta sana, ma non fa
Freund Francesco Vettori
non havesse in sé honestà
357
Fußnote angemerkt.
se non brontolare et non si
aus den Jahren 1513–1515:
et grandezza. Però dipoi
Gregovius, Ferdinand:
»Cotestero non sanno che chi
voltando carta, gli parebbe
Geschichte der Stadt Rom im
365
dí si lament.« (»Laura geht
è tentuto savio il dí, non sará
quelli noi medesimi essere
Mittelalter, Dresden: o. J.,
De Feo, S. 49
es gut, aber sie nörgelt stän-
mai tenuto pazzo la notte;
leggieri, inconstanti, lascivi,
S. 1183.
et chie è stimato huomo da
vólti a cose vane.« (»Wer
bene, et che vaglia ciò che
unsere Briefe sehen könnte,
e fa per allargare l’animo et
mein ehrenwerter Freund,
vivere lieto, gli arreca honore et non carico et in cambio
puol viver con ella, et tutto
dig, dass sie nicht mehr hier 366
leben könne und tut den
358
Neese, Gottfried: Heraklit
ganzen Tag nichts anderes
Hettche 1997, S. 59
heute. Die Fragmente seiner
als herumzunörgeln.«), zit.
würde sich sehr über
Lehre als Urmuster euro
nach Bredekamp 1985, S. 28.
ihre Widersprüchlichkeit
päischer Philosophie,
Am 10. Juli 1574 teilte Vicino
Anhang 345
380 dem Freund Lauras Weggang
Ebenso belegen die weite-
ankündigte, mit der er Rom
(»wird sie als etwas Neues
mit und dass er sie durch ein
ren Mitleidsbekundungen
mit Bomarzo, die Dame mit
und Ungewohntes empfin-
15- bis 16-jähriges Mädchen
für Laura, die in der römi-
der Schäferin, die Hetäre
den weil sie wegen ihrer
381
aus Bomarzo ersetzt habe
schen Hitze beengt bei ihren
mit der Hure, das Geistige
Herkunft und Manieren nicht
Brief Giovanni Drouets vom
(Bredekamp 1985, S. 31).
Liebhabern schlafe, dass er
mit dem Leiblichen zu
mit Parfüms und solchen
12. Dezember 1573 an Vicino
Am 27. desselben Monats
noch immer nicht über die-
kompensieren, ja sogar zu
Galanterien umzugehen
Orsini, Bredekamp 1985,
dankte er dem Freund für
sen Tort hinweg war. Nach
überwinden trachtete: »et
weiß.«), zit. nach Bredekamp
S. 88.
die Nachrichten von Laura,
einigen Jahren anderweiti-
così c’era una putta de 15 in
1985, S. 30 f.
der es nicht gut gehen soll
ger Tröstungen, vor allem
16 anni, zitella, che m’haria
und deren Reue er mit den
durch die Kinder Leonida
un poco gratia et così il
375
Worten der Bibel kommen-
und Orontea, berichtete er
patre me la concesse, la
Bredekamp 1991, S. 57
Roob 1996, op. cit., S. 26
382 Klinkhammer 1993, S. 11 383
tierte: »faxint superi, me
endlich am 28. Februar 1576
quale quanto alla carne m’è
ne sonno lavati le mani […]
Drouet von Lauras Rückkehr,
megliorata asssai in mano
376
mi dole il suo male […] chi
über die er sich offensicht-
et tutta via andará megli-
Mit Vaterstolz berichtete
così vuole, così habbia.«
lich sehr freute: »Mi ero scor-
orando, ma non ha quelle
Vicino über den Sohn und
384
(»geschehen ist geschehen,
dato dirli che Laura è qui,
creanze che se recerceri-
den Giganten, wobei die
Klinkhammer 1993, S. 61,
ich wasche meine Hände [in
il che mi par buon segno,
ano, pur ho speranza de vil-
sprachwitzige Vermischung
87, 92, 94
Unschuld] […] mich dau-
quando la gente se recordano
lana col tempo farla diven-
der beiden als Hinweis auf
ert ihr Unglück […] so wie
de noi« (»Ich habe vergessen
tar gentile.« (»und so [fand]
die Identifikation Vicinos
385
man es will, so hat man es
[dieses Postskriptum nach
ich eine junge Dirne von 15,
mit dem Koloss zu lesen ist:
Kurts 1997, S. 251
dann.«), zit. nach Bredekamp
der Abschiedsfloskel, wirkt
16 Jahren, noch Jungfrau,
»Il figlioccio è giá mezzo
1985, S. 31. Symptomatisch
viel zu absichtlich nachläs-
die mir gefiel und die mir
gigante, et fra lui et Orontea
386
ist der Verlauf der tragi-
sig und die darauffolgen-
der Vater überließ, was das
metteno ogni cosa sotto
Vgl. Schadewaldt, Wolfgang:
schen Beziehung, die wie
den Bemerkungen über ihre
Fleisch[liche] betrifft geht es
sopra, et fanno un trabusto,
Hellas und Hesperien.
der Weg durch das Wäld
schlechte Verfassung viel
mir besser […], aber sie hat
che pareno cinquanta
Gesammelte Schriften zur
chen, ein ständiges Auf und
zu selbstgefällig, um glaub-
nicht die Bildung, die man
Tedeschi.« (»Der Sohn ist
Antike und zur neueren
Ab war: So beklagte Vicino
haft zu sein], Ihnen mitzu-
sich wünschen würde, aber
schon ein halber Gigant und
Literatur, Zürich/Stuttgart
im weiteren Verlauf des
teilen, dass Laura wieder da
ich habe [dennoch] Hoffnung
er stellt mit Orontea alles
1960, S. 876.
Briefes indirekt die eroti-
ist, es scheint mir ein gutes
mit der Zeit der Bäuerin
auf den Kopf und macht
sche Mesalliance mit Delia,
Zeichen, wenn sich die Leute
Manieren beizubringen.«)
einen Aufstand wie fünfzig
387
die nur das Fleischliche
an uns erinnern.«), zit. nach
Dieses Vorhaben scheint ihm
Deutsche.«), schrieb Vicino
Maisak 1981, S. 21
abdecke, um dem Freund
Bredekamp 1985, S. 42.
schon nach drei Wochen zu
am 1. April 1578 stolz an
Klinkhammer 1993, S. 60
hoch angesetzt, denn am 27.
Giovanni Drouet, zit. nach
388
seinenÜberdruss und die
374
desselben Monats, macht er
Bredekamp 1985, Bd. II,
Maisak 1981, S. 53.
angeblich erfolgte innere
Kurzel-Runtscheiner 2001,
den Freund auf ihre Defizite
S. 46.
Enea Silvio Piccolomini,
Ablösung von der Geliebten
S. 14. Die Beziehung Vicinos
aufmerksam, indem er ihm
zu bekunden: »non voglio
zur wesentlich jüngeren
rät, ihr keine parfümierten
377
memorabilium, XI. 1458/64,
più gentildonne romane,
römischen Kurtisane Laura
Handschuhe »un paio di
Bredekamp 1991, S. 41 ff.
Ausg. Widmer, lat. und dt.,
ma starmi con le mie pasto-
war von jener doppelten
guanti profumati« mitzu-
relle« (»ich will keine römi-
Erotik des Sinnlichen und
bringen, da sie mit ihren
378
schen Damen mehr, son-
geistigen Austausches
bäurischen Manieren damit
Bachmeister 1989, S. XXV
dern will lieber bei meinen
geprägt. Sehr aussagekräf-
nichts anfange »le recherá
Schäferinnen bleiben.«),
tig für die Interpretation des
cosa nuova et insolita. poi
379
was sich jedoch genauso-
Wäldchens ist der Brief an
che le cose non sono ancho
Fierz-David 1947, op. cit.,
gut auf eine gewisse Giulia
Giovanni Drouet vom 10. Juni
incivilite die maniera che
S. 53
bezogen haben konnte,
1574, worin Vicino seine
habbino cognitione di pro-
die ihn nicht erfreut hatte.
Strategie des Arkadischen
fumi et tal galanteria«
bereits am 28. Juli 1574
346 Anhang
Pius II.: Commentarii rerum
1960, S. 320 f., zit. nach Jäger 1990, S. 270. 389 Bachmeister 1989, S. 29 390 Maisak 1981, Fußnote 56
391
392
402
Maisak 1981, S. 36
Bredekamp von ca. 1558
als zügelnde Kraft. Würde und
bis 1564. Vgl. Pläne der
Lob der Gelassenheit in Kunst
393
Bauphasen im Anhang
und Fabel, oder: Die vier
schicken, sagte sie mir, ich
Seibert, Ilse: Hirt – Herde –
(Bredekamp 1985, Brede
exemplarischen Karrieren
tigt er sie nunmehr in einer
weiß [aber] nicht ob sie das
König. Zur Herausbildung des
kamp 1992) und Abb. 6–9.
der Schildkröte, in: König,
Zuwendung zu einem Natur
nicht reut, wie eben die
Königtums in Mesopotamien
wesen, wie der Pastorella,
Frauen so sind.«) Aus dem
im 3. Jahrtausend vor unserer
403
(Hrsg.): Beiträge zur
die nur in den Schäferspielen
Brief an Giovanni Drouet
Zeit, Berlin 1969.
Kurts 1997, S. 188 ff.
Geschichte der romanischen
wirklich reizvoll ist. In der
vom 21. Oktober 1573, zit.
Maisak 1981, S. 36
Realität Bomarzos ist die
nach Bredekamp 1985, S. 25.
völlig ungebildete Delia
Und auch sonst wüsste sie
394
nicht imstande die hohe und
durchaus zu repräsentieren,
Walter 1980, S. 42 ff.
anspruchsvolle arkadische
wie die Bemerkung über die
Kulturstufe, die sich Vicino
parfümierten Handschuhe
395
ausgedacht hat, zu errei-
beweist, mit denen ihre
Ast. Rom. Deposito Santa
Vicinos Zivilisationskritik
und gestern sah ich sie Gott
ging weit über eine bloße
weiß was für Hähnchen ein-
Abwendung von der »Welt«
kaufen: Sie wolle Sie Euch
hinaus. Fast trotzig bestä-
Bernhard/ Lietz, Jutta
Literat uren. Festschrift für 404
Margot Kruse, Tübingen
Kurts 1997, S. 187
1990, S. 274.
405
411
Lazzaro-Bruno 1977, S. 555
Bredekamp 1991, S. 112
chen. Vgl. Fußnote 569: Die
Nachfolgerin Delia – im
Croce, Y 592, 139–139 v.
406
412
Wendung »starmi con le mie
Gegensatz zu ihr, die so
(Bredekamp 1985, S. 29 f.)
Jäger 1990, S. 82 ff.
»Sie hat etwas von der
pastorelle« (»möchte [lieber]
implizit genannt und gewür-
und Bachmeister-Fellmann
bei meinen Schäferinnen
digt wird – nichts anzufan-
1989, S. 6.
bleiben«) ist ein Zitat aus
gen wüsste: »[…] un paio de
dem Brief an Giovanni
guanti profumati […] cosa
Drouet vom 28. Juli 1574
uraltenLautlosigkeit des 407
Lebens, das in der Gefahr
Zur Bedeutung der Villeg
stets in sich zurückzukrie-
396
giatura als Raum der intel-
chen vermag.« (Aeppli).
nuova et insolita« (»ein Paar
Insgesamt 77 Briefe, alle auf-
lektuellen Entfaltung siehe
Biedermann 2000, op. cit.,
(Bredekamp 1985, S. 33) in
parfümierte Handschuhe
genommen in Bredekamp
Lazzaro-Bruno 1977, S. 555.
S. 382
dem sich ein fast kindisches
[…] eine neue und unge-
1985.
Aufbegehren des altern-
wohnte Sache.«), zit. nach
408
413
den Mannes gegen alle, die
Bredekamp 1985, S. 31. Laura
397
Ovid: Metamorphosen,
Bredekamp 1991, S. 111.
ihn nun verlassen, aus-
stellte offenbar das kulti-
Bredekamp 1991, S. 105 ff.
Buch IV, Vers 757–786, zit.
Werner 1986, S. 50 ff.
drückt. Ohne Laura schien
vierte Element dar: »Das
die arkadische Fiktion des
Bedürfnis, die Sexualität
398
Wäldchens ihrer Seele, die
nicht auf den bloßen
Richter/Ulrich 1996, S. 176.
409
aus Widerspruch bestanden
Geschlechtsa kt zu reduzie-
Sautner 1984, S. 168.
Ovid 1994, op. cit.,
zu haben scheint, beraubt.
ren, sondern sie durch kultu-
Kurts 1997, S. 83, 140, 203,
Vers 253–281
Dass ihm seine Laura mehr
relle Elemente zu verfeinern,
288, 296
war als »nur« fleischliche
war allerdings ein besonde-
Befriedigung, belegen die
res Charakteristikum, durch
399
Homer, Odyssee 11, 12–224.
416
Briefstellen, in denen sie
welches sich der Umgang mit
Lübbe, Gustav (Hrsg.):
Lurker 1989, op. cit. S. 224,
Gallerie delle Accademie
als echte cortigiana seinem
einer Kurtisane vom Verkehr
Enzyklopädie der Archäo
646.
in Venedig
Haus vorstand. »La Laura
mit einer gewöhnlichen
logie, Bergisch Gladbach
Biedermann 2000, op. cit.,
bascia la mano di V. S. et
Hure unterschied.« (Kurzel-
1980, S. 120.
S. 256.
417
l’altro di gli veddi comp-
Runtscheiner 2001, S. 146)
Stolcenberg, Stolzius von:
Ranke-Graves 2000, S. 110
rar non so che capponi: gli
Ihre Überwindung sowohl
400
Viridarium Chymichum,
dimandi quel che ne volea
durch die vulgäreLiebes
Dotson 1982, S. 210 f.
Frankfurt 1624.
418
fare, me disse che li voleva
stellung, als auch durch
Roob 1996, op. cit. S. 27.
Die vagina dentata ist
mander a V. S., non so se
den kurzfristigen Ersatz mit
401
Kurzel-Runtscheiner 2001,
eine mythisch psycholo-
pentirá come sogliono far
der Pastorella Delia, wird in
Lübbe 1980, op. cit., S. 138
S. 215.
gisierende Angstchimäre,
le donne.« (»Laura küsst
Bomarzo zu einem Motiv der
Vgl. auch Papst, Walter: Die
die hier in Verbindung mit
Ihrer Exzellenz die Hände
Zivilisationskritik!
Schildkröte als Läuferin und
dem Höllenschlund und dem
nach Fink 1994. 414 Kurts 1997, S. 290 415 Bredekamp 1991, S. 111 410
Anhang 347
427
441
447
Crucibile (Aztekenmaske)
Fierz-David 1947, op. cit.,
Satyr dieselbe Idee gehabt
Bachmeister 1989, S. 64,
Volkmann 1923, S. 80
buchstäblich auftaucht.
S. 97
und Sylvia bereits an einen
66 ff.
Baum gefesselt. Aminta
Roob 1996, zu Tizians
448
Pontalis, J.-B.: Das Vokabular
428
befreit die Geliebte und über
Gemälde »Diana und
Vicino erwähnt, noch von
der Psychoanalyse, Berlin:
Bredekamp 1991, Fußnote 32,
viele Missverständnisse
Actaeon« (1559).
Vignola den Rat erhalten
Suhrkamp 1973.
S. 104
findensich zum Schluss die
Bruno, Giordano: Von den
zu haben, »de modo che
Liebenden.
heroischen Leidenschaften,
l’Vignola è savio più che non
1585, zit. aus dt. Ausg.,
credevo, poi ch’ha voluto le
Hamburg 1989.
chiavi de ferro alla loggia
Siehe dazu: Laplanche, J./
419
429
Ranke-Graves 2000, S. 47
Fierz-David 1947, op. cit.,
439
S. 79
Auch seine Geliebte Laura,
420 Ranke-Graves 2000, S. 45 421
di Caprarola« (»so wie mir
die ihn zuerst schnöde ver-
442
der Vignola riet und ich
430
nachlässigt, dann sogar ver-
Bachmeister 1989, S. 66
ihm nicht glaubte, als er
Fierz-David 1947, op. cit.,
lassen hatte und nach Rom
S. 165 ff.
gegangen war, wo sie seine
443
wollte, wie für die Loggia
Briefe nicht zu beantworten
Wie der Brief mit der Wid
in Caprarola«). Brief an
Ficino, Marsilio: de amores,
solche Schlüssel aus Eisen
zit. nach Blum/Blum 1993,
431
pflegte, kehrte wie Polia zu
mung Jacopo Sannazaros
Alessandro Farnese vom
op. cit., S. 39 und Wind, E.:
Ranke-Graves 2000, S. 45
Poliphil zurück und schien
an Vicino von 1570 (1586)
9. Oktober 1565, zit. nach
so einem natürlichen Recht
belegt, identifizierte sich
Bredekamp 1985, S. 18.
Heidnische Mysterien in der Renaissance, Frankfurt a. M.
432
zu gehorchen: »[…] anzi me
der Dichter durch sein Werk
1981, zit. nach Werner 1986,
Dotson 1982, S. 212
ne sarei raligrato con littere
mit dem des Fürsten Vicino
449
qualche volta, ma perché
»Quando mi uiene à mente
Maisak 1981, S. 13
433
non si degnó de rescrivere a
il uostro bellissimo loco di
Ranke-Graves 2000, S. 73
una mia […]« (»[…] vielmehr
Bomarzo«. Vor allem seine
450
hätte ich mich über Briefe
Formulierung »in cosi fatti
Jäger 1990, S. 102 ff.
434
[von ihr] gefreut, aber weil
paradisi terreni«, »in solchen
Vergleichbares hatte
Lurker 1989, S. 42
sie es nicht wert fand mir nur
irdischen Paradiesen«, doku-
Annibale Caro im Konzept
einmal zu schreiben […]«.
mentiert die Ausstrahlung
für die Ausmalung der
S. 46. 422 Ficino, Marsilio: de amores. Werner 1986, op. cit., S. 46 423 Bemerkenswerterweise
435
Aus dem Brief an Giovanni
Bomarzos, das sowohl als
Loggia im Palazzo Ducale
wurde die Austrittsstelle die-
Bachmeister 1989, S. XXXII
Drouet vom 28. Juli 1574, zit.
Werk der Dichtkunst gewür-
für Vicino entwickelt: »con-
nach Bredekamp 1985, S. 33.
digt wurde als auch als
forme al loco, dove sono
ses Wasserspieles mit etwas Verputz schamhaft verdeckt.
436
Die Parallele zur grausamen
(Garten-)Kunstwerk. Beide
tant’altre cose stravaganti
Ranke-Graves 2000, S. 47
Bachmeister 1989, S. 20
Polia der Hypnerotomachia
Zitate aus Bredekamp 1985,
e sopranaturali« (»entspre-
ist offenkundig, siehe dazu
S. 83.
chend dem Ort, wo es so
424
437
Fierz-David 1947, op. cit.,
Dotson 1982, S. 212.
Bachmeister 1989, S. 20 f.
S. 205.
Werner 1986, S. 42 ff.
viele außerordentliche und 444
übernatürliche Dinge gibt«).
Fierz-David 1947, op. cit.,
Aus dem Brief Annibale
S. 57 ff.
Caros an Vicino Orsini vom
438
440
425
»Silvia t’attende a un fonte,
Laertius, Diogenes: De
Schwab, Gustav: Die schöns
ignuda e sola« (»Sylvia
clarorum philosophorum
445
ten Sagen des klassischen
erwartet dich an einer
vitis (Leben und Meinungen
Siehe Fierz-David 1947,
Altertums, Erstes Buch,
Quelle, nackt und allein«),
berühmter Philosophen),
op. cit., S. 176 ff.
Stuttgart: Reihe Reclam
zit. nach Tasso, Torquato:
II. 22 und IX. 6, O. Appelt
1999.
Aminta, Ditzingen: Reclam
(Übers.), Hamburg 1967,
446
12. Dezember 1564, zit. nach Bredekamp 1985, S. 82. 451 Volkmann 1923, Fußnote 73
1995, S. 84. Tirsi zu Aminta,
siehe auch: DeCrescenzo
Fierz-David 1947, op. cit.,
452
426
indem er ihn auffordert, die
1988, S. 84.
S. 195
Ovid: Metamorphosen,
Siehe dazu Fierz-David 1947,
Geliebte dort zu überraschen.
Buch V, Vers 323–332, zit.
op. cit., S. 77 f., 92
Inzwischen hat jedoch der
nach Fink 1994, S. 121.
348 Anhang
453
456
468
Bredekamp 1991, S. 99 ff.
Maisak 1981, S. 53 ff.
Lurker 1989, op. zit., S. 167,
in ihren Beziehungen und
continuamente stretta con
199, 435, 518
Fortwirkungen, Leipzig: Karl
li sui innamorati, sconta
W. Hiersemann 1923, S. 12 ff.
quel mal tempo che hebbe
469
Das Zitat erscheint in vollem
quando fu qua …« (»wenn
Sansovino 1583, zit. nach
Umfang unter Fußnote 74.
die Dame Laura es genießt
Bredekamp 1991, S. 101.
Ackermann, Erich: Sagen
bei dieser Affenhitze eng bei
der Römer, Köln: Anaconda
ihren Liebhabern zu schla-
2013, S. 21.
fen, büßt sie die schlechte
454
457
Annibale Caro an Vicino
Sautner 1984, op. cit., S. 151
Orsini im Brief vom 12. Dezember 1564: »… gli
458
Dei ebbero di questa guerra,
Sautner 1984, op. cit., S. 221 470
perseguitati di Tifeo, per la qual paura, trasformati in
459
Postel, Guillaume: De Etru
animali, fuggiro in Egitto
Fierz-David 1947, op. cit.,
riae regionis, quae prima in
473
hatte.«). Darum würde er sie
Giove si trasfigurasse in
S. 79
orbe Europaeo habitata est
Lt. Cartari, Diodorus, zit.
nicht beneiden: »in non ho
originibus, institutis, religi
nach Bredekamp 1991, S. 102.
invidia niente alle sue con-
castrone […] e gli ne rima-
Zeit ab die sie bei mir
sero ancora le corna, dove in
460
onae & moribus et in primis
Africa s’adora per Ammone.«
Apuleius, Lucius: Der
de aurei saeculi doctrina et
474
Giovanni Drouet vom 28. Juli
(»… die Götter wurden in die-
Goldene Esel, August Rode
vita praestantissima quae in
Vgl. Fußnote 42 sowie 192
1574, zit. nach Bredekamp
sen Tagen des Krieges von
(a. d. lat. Übers.), Wien:
divinationis sacrae usu posita
Typhon bis nach Ägypten
Heim 1928, S. 290 ff.
est, Florenz 1551. Schon im
475
solationi«. Aus dem Brief an
1985, S. 33.
ausführlichen Titel wird der
Bachmeister/Fellmann 1989,
477
zu Personifikationen der
461
Inhalt des Geschichtswerkes
S. XXXIV
Bachmeister/Fellmann 1989,
Tiere wurden […] Jupiter
Apuleius 1928, op. cit.,
vorweggenommen, das eine
verwandelte sich in einen
S. 293 ff.
klare Herleitung der etruri-
476
gejagt wo sie in ihrer Angst
S. XXIX
schen Zentren »die als erste
Zu den »Tröstungen« zählt
478
die Hörner, weshalb man
462
in Europa besiedelt worden
Vicino sogar seine über das
Buch der Sprüche, 16.9
ihn in Afrika immer noch als
Hesiod, Theogonie, S. 190 ff.
seien« vornimmt »und die
Erotische hinaus und ver-
hier in ihren Ursprüngen,
Widder […] und so verblieben
mutlich einem echten Gefühl
479
Bredekamp 1985, S. 81.
463
Einrichtungen, Religion und
entstammende Zuneigung
Siehe Kap. Schiefes Haus,
Ranke-Graves 2000, S. 119
Steffen 1963, S. 84
Sitten des ältesten Goldenen
zur untreuen Mätresse
S. 67.
Zeitalters« beschreibe »aus
Laura. Die Episode ihrer
Bredekamp 1991, S. 95
Untreue ist ihm Anlass, die
Ammon verehrt.«), zit. nach
455
464
dem wiederum die Tradition
Ficino, Marsilio: V. Ekloge,
»er verbrennt, damit er lebt«,
der uralten Techniken der
Relativität des AMOR VINCIT
480
in: Opera Omnia, Basel 1563,
zit. aus Schöpf 1988, S. 133.
Divination und anderer heili-
OMNIA (ALLES ÜBERWINDET
ERKENNE DICH SELBST –
ger Gebräuche stammte.« Zit.
DIE LIEBE) zu diskutieren.
BESIEGE DICH SELBST –
nach Bredekamp 1991, S. 101.
Notwendig und philoso-
LEBE DIR SELBST GEMÄSS,
phisch belegt gilt sie ihr –
SO WIRST DU GLÜCKLICH
S. 648 f., zit. nach Chastel, André 1959, S. 228.
465
Siehe dazu: Hulubei, Alice:
Fierz-David 1947, op. cit.,
Ètude sur la joute de Julien
S. 127 ff., 192
et sur le bucolique dédiées
471
zumindest kurzfristig – mehr
WERDEN. Die Maximen der
Giovanni Annio da Viterbo:
als die Annehmlichkeiten in
berühmtesten griechischen
à Laurent de Médicis, in:
466
I cinque libri de la antichitá
Vicinos Palast, rechtfertigt
Philosophen, die diese in die
Humanisme et Renaissance,
Steffen 1963, S. 82
de Beroso sacerdote caldeo
in der Realität des Genusses
Höhle von Delphi eingeritzt
(Bredekamp 1991, S. 161) ver-
jedoch nichts. Da sie nicht
hatten, ergänzen die Devise,
Nr. 3, Paris 1936, S. 314. Zur Pan Medicea: Saxl, Fritz:
467
weist auf die Übersetzung
mehr, oder besser gesagt,
mit der sich Vicino darüber
Antike Götter der Spätrenais
Clarus, Ingeborg: Opfer,
von Pietro Lauro, Venedig
nichts anderes bietet als die
in einem Sims verewigt hat.
sance, Leipzig 1927. Studien
Ritus, Wandlung. Eine
1559, S. 70.
üblichen philosophischen
der Bibl. Warburg 23, Anm. 3
Wanderung durch Kulturen
und religiösen Tröstungen,
481
sowie Ficino, Marsilio: Opera
und Mythen, Düsseldorf:
472
lehnt Vicino die Liebe mit
Bachmeister/Fellmann 1989,
Omnia, Basel 1563, alle zit.
Patmos 2000.
Volkmann, Ludwig: Bilder
besonderem Zynismus ab:
S. 3
schriften der Renaissance.
»se Madonna Laura gode a
Hieroglyphik und Emblematik
questo sol lione, dormendo
nach Maisak 1981, S. 54 ff.
Anhang 349
482
491
498
nach dem italienischen Wort
Der Kampf gegen die Midi
Epikur 1973, op. cit., S. 20
coglionifür Hoden aber auch
aniter: Buch der Richter,
483
für Unfug, um der »Welt«
7.4–8.
Übers.: »Gut zu handeln
die klassischeitalienische
und sich am Erreichten
Geste der Verhöhnung zu
492
übersetzt von Johannes
zu freuen, hier ist dann
zeigen. Die chauvinistische
Zolla 1983, S. 43
Mewaldt.
das Haus Gottes, denn mit
Machtfantasie, die nicht
richtigem(gutem!) Handeln
wirklich ins Deutsche über-
493
500
erwerbenwir das ewige
setzbar ist, war dem Adressat
Zander, Giuseppe: Le sta
Siehe Fierz-David 1947,
Leben, die glücklichen Jahre
seines Briefes unmißver
tue nei giardini secondo la
op. cit., S. 94
des Lebens sind wir rege, die
ständlich.
consuetudine romana: il
Bredekamp 1985, S. 86 f.
484
Alle Texte bei Epikur 1973,
rinnovarsi di una tradizione
501
487
antica al tempo di farnese,
Ehrismann, Otfrid: Ehre und
Pindar: III. Nemeische Ode,
in: I Quaderni di Gradoli.
Mut, Aventiure und Minne.
Vers 21
Bollettino del centro di studi
Höfische Wortgeschichten aus
Frucht unserer Hände Arbeit genießen wir.«
Die Margarita steht hier
e ricerche sul territorio far
dem Mittelalter, München: C. H. Beck 1995.
sinngemäß für die Wissen
488
nesiano, Palazzo Farnese –
schaften und geistigen
Bredekamp stellt aufgrund
Gradoli (Viterbo), Nr. 7–8,
Schätze, es handelt sich um
überzeugender stilistischer
1990, S. 85.
einen hermetischen Hinweis
Ähnlichkeiten mit den
auf das spezielle Wissen, das
Arbeiten im Dom von Orvieto
494
die Vicino-Clique verband.
eine Verbindung zum Bild
Zur Bedeutung des Begriffes
Siehe S. 267 sowie im Brief
hauerzirkel um Raffaello da
in und aus dem Kontext
an Giovanni Drouet vom
Montelupo her und nennt
der Hypnerotomachia siehe
12. Dezember 1573, zit. nach
des weiteren Ippolito Scalza
Fierz-David 1947, op. cit.
Bredekamp 1985, S. 86.
und Fabiano Toti, die die
S. 232.
Entwürfe geliefert hatten.
Barbini 1979, S. 119
485
499
Vgl. Bredekamp 1992, S. 109 495
Siehe Fußnote 350 489
Siehe dazu Epikur: Philoso
486
Zu Morphologie und
phie der Freude, Johannes
Am 28. August 1578 schrieb
Ikonografie siehe Brede
Mewaldt (Übers.), Stuttgart:
Vicino Orsini an Giovanni
kamp 1992, S. 109 ff.,
Kröner 1973, S. 15.
Drouet: »[…] non ch’io hab-
Fußnote 62. Eine eigene
DeCrescenzo 1988, op. cit.,
bia animo d’invitar il Papa
wissenschaftliche Arbeit
S. 383
a veder le coglionerie des
ist von Daniel Guarise in
Boschetto« (»[…] auch nicht
Vorbereitung.
die geringste Lust hätte den
496 De Crescenzo 1988, op. cit,
Papst [Gregor XIII., Anm.
490
R. V.] einzuladen damit er
Peter Lauremberg (1585–
die Zoten des Wäldchens
1639), zit. aus Kirchner,
497
sieht«). Siehe dazu auch
Bertram (Hrsg.): Drache,
Epikur: Philosophie der
Bredekamp 1991, S. 99 ff.
Einhorn, Feuervogel. Das
Freude, Mewaldt, Johannes
Zu »Coglionerie«, was am
große Buch der Fabelwesen,
(Übers.), Stuttgart: Kröner
ehesten mit Unflätigkeiten zu
Düsseldorf: Patmos 2008,
1973, S. 15.
übersetzen ist: Vicino wählte
S. 198.
den vulgärenAusdruck
350 Anhang
S. 383
Abbildungs nachweis
akg-images/Erich Lessing:
Herbert List/Magnum
S. 302;
Photos: S. 104–105, 149;
Albertina, Wien: S. 103, 107,
MASP – Museu de Arte de São
146, 158, 167, 175, 178, 206,
Paulo Assis Chateaubriand/
211, 225, 231, 239;
João Musa: S. 275 (cc),
Bayerische Staatsbiblio
318 (cc);
thek, München:
Jean Louis Mazieres:
S. 266 (CC BY-NC-SA);
S. 29 (CC BY-NC-SA);
Didier Descouens: S. 317
Metropolitan Museum of Art,
(CC BY-SA);
New York: S. 70 (CC);
Deutsche Fotothek: S. 141;
Museo dei Tasso, Camerata
DIRECTMEDIA Publishing
Cornello: S. 28;
GmbH. (The Yorck Project:
Musée d’Orsay, Paris:
10.000 Meisterwerke der
S. 148 (cc);
Malerei): S. 28 (cc), 318 (cc),
Museo Nacional del Prado,
319 (cc);
Madrid: S. 26;
Giulia Di Vara: S. 150 (CC);
National Gallery of Art,
Duke University, Durham:
Washington: S. 80, 277;
S. 289 (cc);
Marie-Lan Nguyen:
Fondazione Federico Zeri –
S. 144 (cc);
Università di Bologna:
Phyrexian: S. 145 (CC);
S. 318 (CC BY-NC-ND);
Carole Raddato:
Yann Forget: S. 308 (cc);
S. 141 (cc-by-sa);
Christoph Fuchs: S. 42–43,
Staatliche Museen zu Berlin:
46, 137, 152, 245;
S. 245;
Georges Glasberg/Grasset:
The National Gallery,
S. 10, 56, 99, 102, 125,
London: S. 255 (CC);
212, 311;
Tourismusverband Region
The J. Paul Getty Museum,
Hall-Wattens: S. 151;
Los Angeles: S. 317 (CC BY);
Universitätsbibliothek
Google Arts & Culture:
Heidelberg: S. 307 (cc);
S. 219 (cc), 268 (cc);
Wellcome Library, London:
Daniel Guarise: S. 101, 112,
S. 34 (CC By), 318 (CC By);
141, 189, 202, 211, 215, 230, 232, 239, 242, 247, 249, 257,
Wenn nicht anders
269, 270, 271, 272, 273, 291,
angegeben alle Fotos:
294, 296, 300;
Renate Vergeiner/
Herzog August Biblio
Alfred Weidinger.
thek, Wolfenbüttel: S. 267 (CC BY-SA); Anonimo lombardo: S. 317 (cc); Library of Congress, Washington: S. 35;
Anhang 351
Bomarzo. Ein Garten gegen Gott und die Welt
Library of Congress Cata loging-in-Publication data A CiP catalog record for this
Renate Vergeiner
book has been applied for at
Institut für Kulturw issen
the Library of Congress.
schaften, Kunstpädagogik
Impressum
und Kunstvermittlung, Uni
Bibliografische infor
versität für angewandte
mation der deutschen
Kunst Wien, Österreich
Nationalbibliothek
Lektorat
bibliothek verzeichnet diese
Melanie Gadringer
Publikation in der deutschen
Die deutsche National
Nationalbibliografie; detailGrafische Gestaltung
lierte bibliografische Daten
Christoph Fuchs
sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Projektleitung für die Universität für angewandte Kunst Wien: Anja Seipenbusch-Hufschmied
Dieses Werk ist urheber rechtlich geschützt. Die
Project Editor für den Verlag: Angela Fössl
dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nach
Druck
drucks, des Vortrags, der
Holzhausen Druck GmbH,
Entnahme von Abbildun
Wolkersdorf, Austria
genund Tabellen, der Funksendung, der Mikro
ISSN 1866-248X
verfilmung oder der Verviel
ISBN 978-3-0356-1203-5
fältigung auf anderen Wegen
Dieses Buch ist auch
und der Speicherung in
als E-Book erschienen
Datenverarbeitungsanlagen,
(ISBN 978-3-0356-1053-6)
bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung,
© 2017
vorbehalten. Eine Verviel
Birkhäuser Verlag GmbH
fältigung dieses Werkes oder
Postfach 44, 4009 Basel
von Teilen dieses Werkes
Schweiz
ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetz-
Ein Unternehmen von
lichen Bestimmungen des
Walter de Gruyter GmbH,
Urheberrechtsgesetzes in der
Berlin/Boston
jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätz
Gedruckt auf säurefreiem
lich vergütungspflichtig.
Papier, hergestellt aus chlor-
Zuwiderhandlungen unter-
frei gebleichtem Zellstoff.
liegen den Strafbestimmun
TCF ∞
gen des Urheberrechts.