Eigentum, Enteignung und das Wohl der Allgemeinheit: Zur Ausgestaltungsgarantie der Eigentumsgewährleistung, zum Enteignungsbegriff und zur Gemeinwohlbindung der Enteignung [1 ed.] 9783428536764, 9783428136766

Untersucht werden die Eigentumsgewährleistung, der Enteignungsbegriff und die Gemeinwohlbindung der Enteignung. Betracht

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Eigentum, Enteignung und das Wohl der Allgemeinheit: Zur Ausgestaltungsgarantie der Eigentumsgewährleistung, zum Enteignungsbegriff und zur Gemeinwohlbindung der Enteignung [1 ed.]
 9783428536764, 9783428136766

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1220

Eigentum, Enteignung und das Wohl der Allgemeinheit Zur Ausgestaltungsgarantie der Eigentumsgewährleistung, zum Enteignungsbegriff und zur Gemeinwohlbindung der Enteignung

Von Daniel Riedel

Duncker & Humblot · Berlin

DANIEL RIEDEL

Eigentum, Enteignung und das Wohl der Allgemeinheit

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1220

Eigentum, Enteignung und das Wohl der Allgemeinheit Zur Ausgestaltungsgarantie der Eigentumsgewährleistung, zum Enteignungsbegriff und zur Gemeinwohlbindung der Enteignung

Von Daniel Riedel

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat diese Arbeit im Jahre 2011 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 61 Alle Rechte vorbehalten

© 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Tritsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-13676-6 (Print) ISBN 978-3-428-53676-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-83676-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit war Gegenstand meines Promotionsverfahrens, das mit der mündlichen Prüfung im Jahre 2011 abgeschlossen wurde. Für die Erstattung des Erstgutachtens danke ich Herrn Universitätsprofessor Dr. Johannes Dietlein, der mich als Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl stets gefördert und unterstützt hat. Das Zweitgutachten hat Herr Universitätsprofessor Dr. Lothar Michael erstattet; ihm danke ich für seine konstruktiven Anregungen. Die Untersuchung wurde ausgezeichnet mit den Förderpreisen des Freundeskreises der Düsseldorfer Juristischen Fakultät e. V. sowie der Köhler-Osbahr-Stiftung zur Förderung von Kunst und Wissenschaft. Bei beiden bedanke ich mich für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Die Bearbeitung ist auf dem Stand vom 01. 01. 2012. Düsseldorf, im April 2012

Daniel Riedel

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einführung

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Kapitel 2 Eigentumsgewährleistung gemäß Art. 14 Abs. 1 und 2 GG

17

A. Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 I. Gesetzesvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 II. Inhalt und Schranken des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Einheit von Inhalts- und Schrankenbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 III. Eigentumsgewährleistung als Leistungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 IV. Grundrechtsverpflichtete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 V. Vorgegebene Eigenschaften des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 VI. Einrichtungsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 VII. Ausgestaltungsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. Optimierungsgebot und Verhältnismäßigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3. Vorbehalt des formellen Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 a) Eingriffe in Freiheit und Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 b) Wesentlichkeit des Regelungsgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 4. Grundrechtseingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 5. Regelungslücken der geschriebenen Eigentumsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a) Gesetzesabhängigkeit des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 b) Richterrecht als Gesetze im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG . . . . . . . . . 37

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Inhaltsverzeichnis c) Vorbehalt des formellen Gesetzes als Grenze von Richterrecht . . . . . . . . . . 38 aa) Umsetzungsdefizite im Vorbehaltsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 bb) Regelungslücken außerhalb des Vorbehaltsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . 40 6. Ausgestaltungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 a) Leitbild des Sacheigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 aa) Privatnützigkeit und Verfügungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 bb) Freiheit des Eigentumserwerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 b) Vermögensrechtlicher Freiheitsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 aa) Äquivalent für vermögenswerte Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 bb) Herrschafts- und Ausschließungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 c) Nachfolgefähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 d) Ausgleich für Sonderopfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 aa) Vorbehalt des formellen Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 bb) Anspruchsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 cc) Voraussetzungen und Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 dd) Regelungsfähigkeit und Regelungsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 ee) Zurechnung von Sonderopfern bei Vollzugsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 ff) Bindung der Verwaltung und Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 gg) Sonderopfer zugunsten Privater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 hh) Folgen fehlender Ausgleichsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 e) Integritätsschutz und Unrechtshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 aa) Schutz vor Rechtsakten und Realakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 bb) Haftung für exekutives Erfolgsunrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (1) Gleichlauf von privatem und öffentlichem Recht . . . . . . . . . . . . . . . 54 (2) Haftung für legislatives Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 (3) Haftung für Beruhensakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 (4) Vorrang des Primärrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 cc) Anspruchsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 dd) Verhältnis zum Ausgleich für Sonderopfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 ee) Einordnung des Staatshaftungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 (1) Richterrechtlich geprägtes Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 (2) Vorbehalt des formellen Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 (a) Fortgeltung vorkonstitutionellen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

Inhaltsverzeichnis

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(b) Wesentlichkeit des Regelungsgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . 63 (3) Bestimmtheitsgebot und Generalklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 (4) Erforderlichkeit einer Kodifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 f) „Enteignender“ und „enteignungsgleicher“ Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 7. Verhältnis der Ausgestaltungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 VIII. Rechtsstellungsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 1. Schutz von Bestandseigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2. Verhältnis zur Ausgestaltungsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3. Abwehrrecht und Vorbehalt des formellen Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 4. Zulässigkeit von erstmaligem Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 a) Erzeugen oder Erkennen von Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 b) Methodik der Rechtsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 c) Stärkung des formellen Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 5. Ausgleich für Sonderopfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 B. Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Einzelfallregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 I. Gesetzesvorbehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 II. Ausgestaltungsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Ausstrahlungswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2. Verletzung spezifischen Verfassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 3. Anwendungsvorrang des einfachen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 III. Rechtsstellungsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Vollzugsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 2. Faktische Beeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3. Konkurrenz zum einfachgesetzlichen Integritätsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 C. Realakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Kapitel 3 Enteignung gemäß Art. 14 Abs. 3 GG

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A. Verhältnis zu Inhalts- und Schrankenbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 I. Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

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Inhaltsverzeichnis II. Bedeutungswandel der Eigentumsgewährleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 III. Art. 14 Abs. 3 GG als lex specialis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

B. Enteignungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 I. Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 1. Klassischer Enteignungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2. Verzicht auf das Übertragungsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3. Eingriffswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 II. Junktimklausel gegen Schwellentheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 III. Entziehung von Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Finalität des Rechtsakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 a) Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 aa) Relikt der Schwellentheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 bb) Auslegung von Enteignungserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b) Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 c) Enteignungsrechtliche Vorwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 2. Einzelfallregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 IV. Verbleibende Abgrenzungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Teilweise Entziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Entziehung durch Umgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3. Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 V. Güterbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Korrektur einer historischen Fehlentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Sinn der zwingenden Enteignungsentschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 3. Folgerungen für den Enteignungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 VI. Einseitigkeit des Rechtsakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 VII. Rechtmäßigkeit als Begriffsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 1. Abgrenzung vom enteignungsgleichen Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Tatbestandsvoraussetzung für Enteignungsentschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 3. Haftung für rechtswidrige Enteignungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

Inhaltsverzeichnis

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C. Eingriffsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 I. Gesetzesbegriff des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Vorbehalt des formellen Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 II. Einzelfallregelung durch Gesetz und auf Grund eines Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . 125 III. Qualifizierte Anforderungen in Art. 14 Abs. 3 Sätze 2 und 3 GG . . . . . . . . . . . . . 126 D. Ausgestaltungsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 E. Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Kapitel 4 Gemeinwohlbindung der Enteignung gemäß Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG

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A. Terminologie des Gemeinwohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 I. Begrifflichkeiten in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 130 II. Orientierung am Wortlaut des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 B. Funktion der Gemeinwohlbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 I. Unbestimmter Rechtsbegriff oder Ermessensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 II. Zulässigkeitsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 III. Zweck der Enteignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 IV. Vergleich enteignungsrechtlicher Gemeinwohlbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 1. Europäische Menschen- und Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 2. Historische und geltende deutsche Verfassungstexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 3. Bedeutungswandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Absolutismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 b) Konstitutionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 c) Weimarer Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 d) Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

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Inhaltsverzeichnis

C. Gemeinwohltheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 I. Interdisziplinärer Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 1. Verhältnis der Rechtswissenschaft zu ihren Nachbarwissenschaften . . . . . . . . . 145 2. Juristische Rezeptionsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 II. Gemeinwohl in Philosophie und Sozialwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 1. Klassische Gemeinwohlvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2. Gerechtigkeitstheorie von Rawls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 3. Pluralismustheorie – insbesondere Fraenkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 4. Diskurstheorie – insbesondere Habermas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 5. Systemtheorie – insbesondere Luhmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 6. Materielle und formelle Gemeinwohlkonzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 III. Verfassungstheoretisches Gemeinwohlverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Klassische Gemeinwohlquellen in Gott und Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Autorität des Souveräns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 a) Verfassungsgebende und verfassungstragende Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 b) Geltungsanspruch des Gemeinwohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 3. Rationale Gerechtigkeitsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 4. Zweck des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Wohl des Volkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 b) Volk und Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 c) Verknüpfung von Volkswohl und Gemeinwohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 aa) Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 bb) Verfassungen der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 5. Grundgesetz als Gemeinwohlverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 a) Wertordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 aa) Offenheit des Gemeinwohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 bb) Unterscheidung von Interpretation und Konkretisierung . . . . . . . . . . . . 171 b) Staatliche Willensbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 c) Zusammenwirken von Recht und Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 aa) Rechtliche Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

Inhaltsverzeichnis

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bb) Politische Legitimität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (1) Mehrheitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 (2) Pluralismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (3) Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (4) Beteiligung am Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (5) Politische Betätigung in der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (6) Input- und Output-Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 d) Synthese von materiellem und formellem Gemeinwohl . . . . . . . . . . . . . . . . 183 6. Zweck von Grundrechtseingriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 a) Bezugspunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 b) Anforderungen der Gemeinwohlbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 aa) Legitimität und Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 bb) Vorbehalt des formellen Gesetzes und Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . 187 cc) Konkretisierungsfreiraum des formellen Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . 188 (1) Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (2) Grundrechte mit Eingriffsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (3) Politischer Entscheidungsfreiraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 c) Geltung des Eingriffszwecks als Gemeinwohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 d) Gewichtung von Gemeinwohlzwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 D. Folgerungen für die Gemeinwohlbindung der Enteignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 I. Anforderungen an den Enteignungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 1. Maßgaben des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 a) Einfacher (schlichter) Eingriffsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 b) Historischer Anachronismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 c) Einbeziehung allgemeiner Rechtfertigungsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Adressaten der Gemeinwohlbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 3. Gemeinwohlverantwortung des formellen Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 4. Vorbehalt des formellen Gesetzes und Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . 199 5. Eigenständigkeit des Enteignungszwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 a) Finanzielle Interessen des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 aa) Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 bb) Ausschluss der Bereicherung durch Güterbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . 204 cc) Berücksichtigung von finanziellen Enteignungsinteressen . . . . . . . . . . . 205

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Inhaltsverzeichnis b) Interessen privater Dritter an einer Enteignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 aa) Anerkennung als Gemeinwohlzwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 bb) Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 cc) Enteignung zugunsten Privater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 6. Steigerungs- und Abwägungsformeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 II. Anforderungen an die Enteignung im Verhältnis zu ihrem Zweck . . . . . . . . . . . . 214 1. Gegenstand und Bezugspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2. Berücksichtigung der Enteignungsentschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 3. Maßstab der Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 4. Rechtliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Kapitel 5 Ergebnis

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Kapitel 6 Zusammenfassung

224

A. Eigentumsgewährleistung gemäß Art. 14 Abs. 1 und 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 B. Enteignung gemäß Art. 14 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 C. Gemeinwohlbindung der Enteignung gemäß Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . 230 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

Kapitel 1

Einführung Die Eigentumsgarantie gilt als eine der schwierigsten grundrechtlichen Materien.1 Tatsächlich erscheint die dogmatische Struktur des Art. 14 GG in Rechtsprechung und Lehre oftmals verworren: Da wäre zunächst die Frage, was Eigentum überhaupt ist und wie es gewährleistet wird. Viel gestritten wurde und wird auch über das Verhältnis des Enteignungsbegriffs zu Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums. An prominenter Stelle steht schließlich die Diskussion um die Gemeinwohlbindung der Enteignung.2 Die vorliegende Untersuchung geht davon aus, dass diese drei Ebenen zusammengehören und gemeinsam betrachtet werden müssen, um sie wissenschaftlich durchdringen zu können. Denn die Gemeinwohlbindung der Enteignung lässt sich in ihrer Bedeutung nicht begreifen, ohne dass der Enteignungsbegriff präzise gefasst wird. Der Enteignungsbegriff wiederum versteht sich in seinem Verhältnis zu den Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums, die ihrerseits in das System der Gewährleistungsgehalte des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG eingeordnet werden müssen. So nimmt die vorliegende Untersuchung ihren Ausgangspunkt in der Eigentumsgewährleistung gemäß Art. 14 Abs. 1 und 2 GG (Kap. 2), erörtert dann den Enteignungsbegriff (Kap. 3) und befasst sich schließlich mit der Gemeinwohlbindung gemäß Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG (Kap. 4). Jede dieser drei Ebenen bedarf einer gründlichen Betrachtung und zugleich muss der Blick immer wieder aufs Ganze gerichtet werden, um in der Zusammenschau eine konsistente Dogmatik der Eigentumsgarantie „aus einem Guss“ entwickeln zu können. Daher sind die Kapitel 2 und 3 nicht nur notwendige Vorarbeiten für das Kapitel 4, sondern stehen auch für sich als eigenständige Beiträge zur Neujustierung des Verständnisses von Art. 14 GG. 1 Vgl. Sieckmann, Modelle des Eigentumsschutzes, S. 17 m. w. N.; s. zu zahlreichen ungelösten Problemen der verfassungsrechtlichen Eigentumsdogmatik Schmitt-Kammler, in: FS 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, S. 821 – 844. 2 Vgl. zu den Deutungsschwierigkeiten W. Böhmer, Sondervotum, BVerfGE 56, 249 (274); v. Brünneck, Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, S. 408; Bumke, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 179 (186 f.); J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 VII 4 (S. 2277); Jackisch, Die Zulässigkeit der Enteignung zugunsten Privater, S. 104; Külz, in: FS Gieseke, S. 187 (196); Schmidbauer, Enteignung zugunsten Privater, S. 113 – 115; Schwerdtfeger, Die dogmatische Struktur der Eigentumsgarantie, S. 32; Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S. 265 f.; J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 99. Einzig Schack, BB 1961, 74 (75) hält die Bedeutung des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG für „klar“.

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Kap. 1: Einführung

Entlang dieser Marschroute liegen zahlreiche Nebenkriegsschauplätze, die zum Teil in die vorliegende Untersuchung einbezogen werden, wenn daraus ein Gewinn für die Beantwortung der Kernbereiche dieser Arbeit gezogen werden kann. Demgegenüber müssen freilich auch zahlreiche ungelöste Probleme der verfassungsrechtlichen Eigentumsdogmatik außer Betracht bleiben. Nur am Rande gestreift werden insbesondere die mit Art. 14 Abs. 3 Satz 2 und 3 GG verbundenen Fragen rund um die Bestimmung von Art und Ausmaß der Enteignungsentschädigung.3 Nicht erörtert wird etwa die Rechtswegzuweisung für Entschädigungsrechtsstreitigkeiten gemäß Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG. Mit der vorliegenden Arbeit ist das besondere Anliegen verbunden, die hergebrachten Eigentümlichkeiten der Dogmatik des Art. 14 GG auf ihren Ursprung und Sinn zu hinterfragen. Im Einzelnen sind demnach auch die historischen Hintergründe zu reflektieren. Um ein insgesamt stimmiges Konzept für die Eigentumsgarantie entwickeln zu können, muss ferner den staatshaftungsrechtlichen Bezügen nachgegangen werden. Die Zielfrage nach der Bedeutung der Gemeinwohlbindung gemäß Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG erfordert sodann eine Auseinandersetzung mit der verfassungstheoretischen Bedeutung des Gemeinwohls, wobei auch Gemeinwohltheorien jenseits des juristischen Horizonts einbezogen werden sollen. Insoweit versteht sich die vorliegende Untersuchung auch als Beitrag zur fächerübergreifenden Gemeinwohldebatte, der freilich seinen Ursprung und sein Ziel in der geltenden Verfassungsordnung und insbesondere in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG hat. Zugleich sucht die Arbeit damit Impulse für die allgemeinen Grundrechtslehren zu setzen.

3

Siehe unten S. 126.

Kapitel 2

Eigentumsgewährleistung gemäß Art. 14 Abs. 1 und 2 GG Die Gewährleistung des Eigentums unterscheidet sich grundlegend von denjenigen Grundrechten, deren Schutzgegenstand der Tatsachenwelt zuzuordnen ist. Im Gegensatz zu etwa Leib und Leben oder auch tatsächlicher Sachherrschaft ist das Eigentum kein natürliches oder vorstaatliches Gut, welches unabhängig vom objektiven Recht besteht.4 Eigentum bezeichnet keinen Gegenstand, sondern ein subjektives Recht an einem Gegenstand.5 Genauer ausgedrückt: Eigentum ist die Rechtsstellung eines Eigentümers gegenüber anderen Personen in Ansehung eines Gegenstands.6 Als subjektives Recht ist Eigentum in seiner Existenz auf das objektive Recht angewiesen, denn ohne objektives Recht gibt es keine subjektiven Rechte.7 Vielmehr ergeben sich subjektive Rechte erst aus der Anwendung objektiven Rechts auf Personen in einem Lebenssachverhalt.8

4

Bumke, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 179 (207); Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S. 94 f., 99; Herzog, in: FS Zeidler II, S. 1415 (1417 – 1420); Layer, Principien des Enteignungsrechtes, S. 8; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 62; Schwerdtfeger, Die dogmatische Struktur der Eigentumsgarantie, S. 13. 5 Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen des Eigentums, S. 25. 6 Nicht überzeugend ist hingegen die Vorstellung von Eigentum als Rechtsverhältnis zwischen einer Person und einem Gegenstand. Denn Rechtsverhältnisse können nur zwischen Rechtssubjekten, also zwischen rechtsfähigen Personen existieren. Ein Gegenstand ist aber niemals Träger von Rechten und Pflichten und mithin kein Rechtssubjekt, sondern Rechtsobjekt. Vgl. hierzu Bumke, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 179 (203); Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S. 104; Kopp/Schenke, VwGO, § 43 Rn. 11; Remmert, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 18 Rn. 8; Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 166 – 169; R. Stober, in: Wolff/Bachof u. a., Verwaltungsrecht I, 12. Aufl. 2007, § 32 Rn. 32. 7 Appel, Entstehungsschwäche und Bestandsstärke des verfassungsrechtlichen Eigentums, S. 88 – 96; O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 29 f.; J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 III 1 (S. 2169 f.); Gallwas, Grundrechte, Rn. 530 f.; Grochtmann, Die Normgeprägtheit des Art. 14, S. 24 – 36; ausführlich Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 12 – 74. Siehe aber auch Sieckmann, Modelle des Eigentumsschutzes, S. 123 – 127, 143 f., 244 f., 253 – 255, der den subjektiven Eigentumsrechten eine gewisse Selbstständigkeit gegenüber dem objektiven Recht beimisst; vgl. zur Vorstellung von der Totalität oder Abstraktheit des Eigentums Bumke, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 179 (203 – 209, 212 f.).

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

A. Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Gesetz Das objektive Recht, aus dem sich subjektive (Eigentums-)Rechte9 im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG ergeben, ist nicht in der Verfassung selbst enthalten.

I. Gesetzesvorbehalt Für das erforderliche objektive Recht verweist Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG auf „die Gesetze“. Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes erscheint bis heute nicht abschließend geklärt.10 Für den hier relevanten Bereich der Grundrechte soll davon ausgegangen werden, dass der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes weder „nur formelle“11 noch „nur materielle“12 Gesetze ausschließt.13 Dass insoweit auch Anordnungen, die zwar im formellen Gesetzgebungsverfahren zustande gekommen sind, aber keine allgemeinen Regelungen enthalten, als Gesetze erfasst sind, ergibt sich aus Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG. Denn nach dieser Vorschrift müssen grundrechtseinschränkende Gesetze „allgemein“ sein. Würde der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes von vornherein nur Rechtsnormen umfassen, wäre die Vorschrift des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG tautologisch, denn Rechtsnormen sind per definitionem allgemein. „Nur formelle“ Gesetze sind also nicht begrifflich ausgeschlossen, sondern lediglich

8 Ein anderes Verständnis vertritt Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 144 – 159, der das Primat des objektiven Rechts bestreitet und davon ausgeht, dass das subjektive Recht in seiner Existenz dem objektiven Recht vorgegeben ist. 9 Da der Begriff des Eigentums ein subjektives Recht bezeichnet (s. soeben), ist er mit dem Begriff „Eigentumsrecht“ gleichbedeutend. 10 Vgl. dazu BVerfGE 1, 184 (189); Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, S. 195 – 197; Chlosta, Der Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung, S. 33 – 38; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rn. 4, § 9 Rn. 14; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR V, 3. Aufl. 2007, § 100 Rn. 5 – 13; M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 80 IV 3 (S. 426 – 429); Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 21 – 26; Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S. 193 – 200; Stern, Staatsrecht II, § 37 I (S. 560 – 577). 11 Formelle Gesetze sind alle Anordnungen, die in einem unmittelbar auf die Verfassung gestützten, nicht abgeleiteten Verfahren zustande gekommen sind. Auf Bundesebene sind dies die vom Bundestag gemäß Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG beschlossenen Bundesgesetze sowie die gemäß Art. 81, Art. 115e, Art. 119 Satz 1, Art. 132 Abs. 4 und Art. 127 GG gleichwertigen Anordnungen. Keine formellen Gesetze sind hingegen Rechtsverordnungen im Sinne des Art. 80 GG und Satzungen, die im Grundgesetz nicht geregelt sind. 12 Gesetz im materiellen Sinn ist jede Rechtsnorm, also jede allgemeine, abstrakt-generelle Regelung; vgl. Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, S. 195; Ehlers, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 2 Rn. 35; Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, S. 254; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rn. 4, § 9 Rn. 14; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR V, 3. Aufl. 2007, § 100 Rn. 11. 13 Vgl. Chlosta, Der Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung, S. 33 – 38.

A. Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Gesetz

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im Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG unzulässig.14 Weiterhin zeigt ein Umkehrschluss aus Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG, dass auch nicht formelle Rechtsnormen vom Gesetzesbegriff des Grundgesetzes umfasst sind.15 Nach dieser Vorschrift kann die Freiheit der Person nur auf Grund eines „förmlichen Gesetzes“ beschränkt werden. Das Adjektiv „förmlich“ wäre überflüssig, wenn als Gesetze begrifflich nur formelle Anordnungen in Betracht kämen. Für den Vorbehalt einer Anordnung „durch Gesetz“ bedeutet dies im Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG, dass sowohl „zugleich formelle und materielle“ als auch „nur materielle“ Gesetze zulässig sind.16 Der Vorbehalt einer Maßnahme „auf Grund eines Gesetzes“ erfasst demgegenüber nur Einzelfallmaßnahmen. Dabei bezeichnen diese Vorbehalte jeweils nur die letzte, unmittelbar grundrechtsrelevante Maßnahme, während ansonsten ein vollzugsbedürftiges Gesetz, das die Verwaltung zu Eingriffen im Einzelfall ermächtigt, seinerseits schon als Grundrechtseingriff angesehen werden muss.17 Bleibt man aber in der Terminologie des Grundgesetzes, so zeigt sich der Sinn der hier vorgenommenen Unterscheidung zwischen den Vorbehalten „durch Gesetz“ und „auf Grund eines Gesetzes“ anhand derjenigen Grundrechtsartikel, die Grundrechtseingriffe nur „auf Grund eines Gesetzes“ zulassen.18 Für diese Grundrechte ist davon auszugehen, dass Eingriffe unmittelbar „durch Gesetz“ entweder logisch nicht denkbar sind oder aber verfas-

14 BVerfGE 25, 371 (398); 95, 1 (17). Nicht zum Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG gehört etwa Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG, s. dazu unten S. 125. 15 Sachs, Verfassungsrecht II. Grundrechte, Kap. A 9 Rn. 10; vgl. dens., in: Stern, Staatsrecht III/2, § 80 IV 3 (S. 444 – 448, insbes. S. 445). 16 Entgegen M. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 14; K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 83 II 7 (S. 732) schließt auch der Gesetzesbegriff des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG „nur materielle“ Gesetze nicht aus. Allerdings gebietet die Logik, dass diese Vorschrift für untergesetzliche Rechtsakte wie Rechtsverordnungen oder Satzungen keine Regelung trifft. Ist eine nicht formelle Anordnung nämlich nicht allgemein, so handelt es sich per definitionem auch nicht um ein „nur materielles“ Gesetz und der Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG ist nicht eröffnet. Stellt eine nicht formelle Anordnung hingegen ein (nur) materielles Gesetz dar, weil sie eine allgemeine Regelung enthält, so ist die Anforderung des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG von vornherein erfüllt. 17 Vgl. Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 51 f.; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 25 – 27 jeweils m. w. N. Freilich löst eine solche vollzugsbedürftige Ermächtigungsgrundlage keine unmittelbare Betroffenheit aus und kann daher ohne den erforderlichen Vollzugsakt grundsätzlich nicht mit einer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht angegriffen werden; s. statt aller BVerfGE 72, 39 (43 f.); Schlaich/ Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 238 m. w. N. Diese Einschränkung der Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden gegen vollzugsbedürftige Befugnisnormen ändert aber nichts daran, dass es sich dabei bereits um Grundrechtseingriffe handelt. 18 Dies sind Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (Leben und körperliche Unversehrtheit), Art. 6 Abs. 3 GG (Trennung von Kindern und Familie), Art. 10 Abs. 2 Satz 1 GG (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis), Art. 13 Abs. 7 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung), Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG (Verlust der Staatsangehörigkeit) und Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG (Freiheitsbeschränkungen).

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

sungsrechtlich unzulässig sein sollen.19 So kann etwa in die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG unmittelbar nur durch Einzelfallmaßnahme eingegriffen werden. Ebenso ist es ausgeschlossen, dass Kinder unmittelbar „durch Gesetz“ von der Familie getrennt werden (Art. 6 Abs. 3 GG) oder die Freiheit der Person unmittelbar „durch Gesetz“ beschränkt wird (Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG). Nach dem Sinn dieser Bestimmungen sind hier Eingriffe nicht nur unmittelbar durch „zugleich formelle und materielle“ Gesetze, sondern ebenso durch „nur materielle“ Gesetze ausgeschlossen. Nach alledem sind allgemeine Regelungen in Rechtsverordnungen oder Satzungen unter den Vorbehalt „durch Gesetz“ und nicht unter den Vorbehalt „auf Grund eines Gesetzes“ zu fassen20, auch wenn derartige untergesetzliche Rechtsnormen aus anderen verfassungsrechtlichen Gründen einer formellgesetzlichen Grundlage bedürfen.21 Betrifft die Unterscheidung zwischen den Vorbehalten „durch Gesetz“ und „auf Grund eines Gesetzes“ somit nur die Frage, ob Eingriffe einerseits durch formelles Gesetz oder allgemeinen Rechtsakt und andererseits durch nicht formelle Einzelfallmaßnahme zulässig sind, so sind diese „Gesetzesvorbehalte“ streng vom „Vorbehalt des formellen Gesetzes“ zu trennen.22 Denn während der Vorbehalt „durch Gesetz“ nach diesem Verständnis keine Aussage darüber trifft, welche staatliche Stelle den Eingriff vornehmen darf23, geht es beim Vorbehalt des formellen Gesetzes gerade um ein Prinzip der Gewaltenteilung im demokratischen Rechtsstaat. Er kann daher nicht aus den grundrechtlichen Gesetzesvorbehalten gelesen werden, sondern ist in Art. 20 GG verankert24 und gilt auch für solche Grundrechte, die nicht mit einem Gesetzesvorbehalt versehen sind. Bei Abwehrrechten lässt sich der Unter19

halt“. 20

Vgl. Michael/Morlok, Grundrechte, Rn. 583 – 586 zum „Verwaltungsvollzugsvorbe-

Soweit Rechtsverordnungen oder Satzungen hingegen Einzelfallregelungen enthalten, fallen diese unter den Vorbehalt „auf Grund eines Gesetzes“ mit der Folge, dass ihre formellgesetzliche Grundlage gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG allgemein sein muss. 21 Unabhängig von grundrechtlichen Anforderungen bedürfen Rechtsverordnungen nach Art. 80 GG und den parallelen Bestimmungen der Landesverfassungen (zum Beispiel Art. 70 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen v. 28. 06. 1950, GV. NRW., S. 127) einer formellgesetzlichen Grundlage. Dasselbe Erfordernis lässt sich für Satzungen aus Art. 20 GG ableiten, ohne dass es insoweit auf den Vorbehalt des Gesetzes ankäme (str.). Vgl. zum Ganzen B. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 12/2007), Art. 20 Teil VI Rn. 131 – 140 m. w. N.; s. auch BVerfGE 111, 191 (215 – 218) und M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 80 IV 3 (S. 454). 22 Vgl. dazu Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, S. 200 – 204; M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 80 I 3 (S. 384 f.), § 80 IV 2, 3 (S. 426 – 459), § 80 V 6 (S. 479 – 488); dens., Verfassungsrecht II. Grundrechte, Kap. A9 Rn. 6 – 8; Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S. 32 f.; s. auch Stern, Staatsrecht II, § 37 I 4 (S. 568 – 570). 23 Vgl. Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, S. 198, Fn. 753. 24 Vgl. aber Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S. 162 – 189, der die Begründung des Vorbehalts des formellen Gesetzes aus den Staatsstrukturprinzipien des Art. 20 GG ablehnt und dafür stattdessen die Unterschiede zwischen den Regelungsformen des Parlamentsgesetzes und der Rechtsverordnung heranzieht, S. 201 – 233.

A. Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Gesetz

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schied besonders deutlich machen: Haben nämlich Gesetzesvorbehalte insoweit die Funktion, Eingriffe in Grundrechte zuzulassen (Eingriffsvorbehalte), so verbietet der Vorbehalt des formellen Gesetzes den Grundrechtseingriff ohne formellgesetzliche Grundlage.25 Auf die Bedeutung des Vorbehalts des formellen Gesetzes im Bereich des Art. 14 GG wird zurückzukommen sein.26 Allein der Gesetzesvorbehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG schließt jedenfalls „nur materielle“ Gesetze nicht aus. In gleicher Weise wurde bereits Art. 153 Abs. 1 Satz 2 WRV27 ausgelegt.28 Dass demgegenüber „nur formelle“ Gesetze im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG unzulässig sind, ergibt sich aus Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG.29 Im Ergebnis kommen also sowohl „zugleich formelle und materielle“ als auch „nur materielle“ Gesetze in Betracht, mithin alle (formellen und nicht formellen) Rechtsnormen.30

II. Inhalt und Schranken des Eigentums Die gesetzliche Eigentumsordnung schafft die Voraussetzung für das Entstehen und den Bestand von Eigentum, indem sie Inhalt und Schranken abstrakt für eine unbestimmte Zahl von Anwendungsfällen und generell für eine unbestimmte Zahl von Personen bestimmt.

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M. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 113, der a. a. O., Rn. 118 allerdings den Vorbehalt des Gesetzes nicht auf formelle Gesetze beschränkt, sondern auch materielle Gesetze ausreichen lässt, „deren Erlass freilich grds. formell-gesetzlicher Ermächtigung bedarf“. Diese Auffassung mag zwar in vielen Fällen zum gleichen Ergebnis führen, jedoch lässt sich für ungeschriebene Normen schwerlich eine formellgesetzliche Ermächtigung fordern; vgl. zum Richterrecht unten S. 37 f. 26 Siehe unten S. 32 – 35, 38 – 40, 62 – 64, 69 f., 79, 82, 123 f. 27 Verfassung des Deutschen Reichs v. 11. 08. 1919, RGBl., S. 1383. 28 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Vorbem. vor Art. 68 (S. 358), Art. 153 (S. 705); W. Schelcher, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, Art. 153 (S. 208); Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, S. 19. 29 Vgl. für einen entsprechend weiten Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 VI 2 (S. 2245); H. Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 19 I Rn. 11; W. Krebs, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 13; C. F. Menger, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 06/1979), Art. 19 Abs. 1 S. 1 Rn. 82 – 89; K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 83 II 7 (S. 729 – 732) jeweils m. w. N.; gegen die Anwendbarkeit des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG allerdings BVerfGE 24, 367 (396); H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 337; offen lassend BVerfGE 25, 371 (399). 30 BVerfGE 8, 71 (79); Ipsen, VVDStRL 10 (1952), 74 (84); Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 33 f.; R. Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 85; vgl. H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 37, dem zufolge eine Inhalts- und Schrankenbestimmung zwar „durch jede Rechtsnorm erfolgen“ kann, zugleich „aber generell eine formellgesetzliche Ermächtigung“ erforderlich sein soll. Indes lässt sich für ungeschriebene Normen schwerlich eine formellgesetzliche Ermächtigung fordern; vgl. zum Richterrecht unten S. 37 f.

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

1. Einheit von Inhalts- und Schrankenbestimmung Inhalt und Schranken sind nicht trennbar, sondern beziehen sich gemeinsam auf den Begriff des Eigentums in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG.31 Insoweit formulierte Art. 153 Abs. 1 Satz 2 WRV viel deutlicher: „Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet. Sein Inhalt und seine Schranken ergeben sich aus den Gesetzen.“ [Hervorhebungen nicht im Original] Denkt man den im Grundgesetz ausgelassenen Bezugspunkt wieder hinzu32, so lautet Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG: „Inhalt und Schranken des Eigentums werden durch die Gesetze bestimmt.“ Gegenstand der gesetzlichen Bestimmung von Inhalt und Schranken ist also das „einfache“ Eigentumsrecht und nicht etwa das Grundrecht der Eigentumsgewährleistung. Wollte man den Schrankenbegriff in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG auf die Eigentumsgewährleistung beziehen, so müsste Gleiches auch für die Bestimmung des Inhalts gelten. Der einfache Gesetzgeber ist aber niemals befugt, den verfassungsrechtlichen Inhalt eines Grundrechts zu bestimmen, vielmehr ist er gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an diesen Inhalt gebunden. Freilich darf der Gesetzgeber die Eigentumsgewährleistung „einschränken“, dies geschieht aber durch die Bestimmung von Schranken des Eigentums ebenso wie durch die Bestimmung von dessen Inhalt. Denn der Inhalt des Eigentums endet an dessen Schranken.33 Inhaltsbestimmungen und Schrankenbestimmungen bezeichnen lediglich zwei verschiedene Definitionstechniken.34 So können die Gesetze positiv den Inhalt oder negativ die Schranken definieren und dabei auch die Verwaltung zur Vornahme von Einzelfallregelungen35 oder von Realakten36 gegenüber dem Eigentümer ermächtigen.37 Solche Befugnisse der 31 Appel, Entstehungsschwäche und Bestandsstärke des verfassungsrechtlichen Eigentums, S. 269 – 272; J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 V 1 (S. 222 f.), § 113 VI 1 (S. 2233 – 2235); Jaschinski, Der Fortbestand des Anspruchs aus enteignendem Eingriff, S. 140 – 142; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 307; H. Rittstieg, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 14/15 Rn. 165 – 167; eingehend Albrod, Entschädigungsbedürftige Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums nach Art. 14 I 1, 2 GG, S. 105 – 118 m. w. N.; Dagegen differenziert Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, S. 190 – 194 innerhalb des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zwischen einem Ausgestaltungs- und einem Begrenzungsvorbehalt. Chlosta, Der Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung, S. 31 f. meint, dass Inhaltsbestimmungen privatrechtlich und Schrankenbestimmungen öffentlich-rechtlich seien. Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 145 – 163 zufolge regeln Inhaltsnormen nur Befugnisse und Schrankennormen nur Pflichten. Nach einer weiteren Auffassung sind Schrankenbestimmungen Eingriffe in bestehendes Eigentum, während Inhaltsbestimmungen lediglich zukünftig entstehendes Eigentum ausgestalten; so etwa Grochtmann, Die Normgeprägtheit des Art. 14 GG, S. 216 – 230; Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen des Eigentums, S. 69 – 75; s. dazu unten S. 68 f. 32 Vgl. Böhmer, NJW 1988, 2561 (2571 f.). 33 Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, S. 179 f.; vgl. schon Wolff, in: Festg. Kahl IV, S. 7. 34 Vgl. BVerfGE 58, 300 (336). 35 Siehe dazu unten S. 74 – 81. 36 Siehe dazu unten S. 82.

A. Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Gesetz

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Verwaltung sind dann Teil von Inhalt und Schranken des Eigentums.38 Die einheitlich zu verstehenden „Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch die Gesetze“ bilden insgesamt die gesetzliche Eigentumsordnung. 2. Privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Gesetze Inhalt und Schranken des Eigentums werden gleichrangig durch privatrechtliche und durch öffentlich-rechtliche Gesetze bestimmt.39 Beispielhaft für das Ineinandergreifen des privaten und öffentlichen Rechts ist die Bestimmung der Befugnisse des Sacheigentümers in § 903 Satz 1 BGB.40 Diese Vorschrift begründet ein grundsätzlich umfassendes Eigentümerbelieben, soweit nicht das Gesetz (oder Rechte Dritter) entgegenstehen. Gesetz im Sinne des BGB ist gemäß Art. 2 EGBGB jede Rechtsnorm. Die Gesetzesbegriffe des § 903 Satz 1 BGB und des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG sind also identisch. Definieren gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmungen – gleich ob privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich – die Befugnisse des Sacheigentümers in einer Weise, die hinter einem umfassenden Eigentümerbelieben zurückbleibt, so handelt es sich um entgegenstehende Gesetze im Sinne des § 903 Satz 1 BGB. Mit Blick auf die ausdifferenzierte Eigentumsordnung und die Subsidiarität des § 903 Satz 1 BGB kommt dieser Vorschrift daher nur eine Auffangfunktion zu.

III. Eigentumsgewährleistung als Leistungsrecht Aufgrund der Abhängigkeit des Eigentums vom objektiven Recht wäre die Eigentumsgewährleistung unvollständig, wenn sie nicht das Bestehen und Fortbestehen einer objektiven Eigentumsordnung garantieren würde.41 Weil die Eigentumsordnung Voraussetzung für die Existenz von Eigentum ist, verleiht die Eigentumsgewährleistung den Grundrechtsträgern einen Anspruch gegen den Staat auf Be-

37 Ossenbühl, VVDStRL 51 (1992), 285 (287) zufolge umfasst die Definition des Eigentums auch „die Umgrenzung der zulässigen Eingriffe und damit auch den Umfang des Eigentumsschutzes.“ 38 Vgl. dazu J.-R. Sieckmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), BerlK-GG, Losebl. (Stand: 10/ 2000), Teil C Art. 14 Rn. 23, der zwischen „Außentheorie“ und „Innentheorie“ unterscheidet. 39 BVerfGE 58, 300 (335 f.). 40 Siehe zur Historie des Verhältnisses von § 903 Satz 1 BGB zu Art. 153 Abs. 1 Satz 2 WRV und Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Appel, Entstehungsschwäche und Bestandsstärke des verfassungsrechtlichen Eigentums, S. 109 – 111; Böhmer, Der Staat 24 (1985), 157 (197 – 199); dens., NJW 1988, 2561 (2566 – 2573) jeweils m. w. N.; vgl. ferner zur historischen Trennung von öffentlichen und privaten Eigentumsrechten Bumke, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 179 (181 – 183). 41 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 441 – 444 betrachtet die Eigentumsgarantie als „Recht auf privatrechtliche Kompetenzen“; s. dazu Borowski, Grundrechte als Prinzipien, S. 339 – 344.

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

reitstellung des erforderlichen objektiven Rechts.42 Soweit die geschuldeten Rechtsnormen noch nicht gelten, müssen sie vom zuständigen Normgeber geschaffen werden. Soweit sie bereits bestehen, müssen sie erhalten bleiben, dürfen also in dem geschuldeten Umfang nicht abgeschafft werden.43 Dieser Gehalt der Eigentumsgewährleistung ist Leistungsrecht44, genauer: Dauerleistungsrecht. Ausgehend von einem theoretischen Urzustand, in dem nur die Verfassung, aber noch keine Eigentumsordnung besteht, ist die Eigentumsgewährleistung auf Normerlass gerichtet.45 Immerhin darf man davon ausgehen, dass jedenfalls die meisten von der Eigentumsgewährleistung geforderten Rechtsnormen mit Inkrafttreten des Grundgesetzes bereits existierten.46 Art. 123 Abs. 1 GG enthält dafür eine Fortgeltungsanordnung. Die geschuldete Leistung besteht aber nicht nur im erstmaligen Normerlass, sondern im dauerhaften Bestand einer Eigentumsordnung.47 Als Dauerleistungsrecht enthält die Eigentumsgewährleistung also auch ein Abwehrrecht gegen staatlichen Normerlass, der die Eigentumsordnung dahingehend verändert, dass sie hinter dem geschuldeten Bestand an Rechtsnormen zurückbleibt. Welche Normen im Einzelnen geschuldet sind, wird noch zu erörtern sein.48

IV. Grundrechtsverpflichtete Der leistungsrechtliche Grundrechtsgehalt der Eigentumsgewährleistung richtet sich an alle „Gesetz-Geber“ im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Dies sind alle staatlichen Stellen, die objektives Recht setzen, das für das Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG relevant ist. Derartige Rechtsnormen können zu42 Vgl. J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 III 1 (S. 2170): „Auftrag an den Gesetzgeber“. Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (214 Fn. 9) spricht von einem „Recht auf Gesetzgebung“. Siehe ferner Bumke, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 179 (221); Morgenthaler, Freiheit durch Gesetz, S. 247 – 249; Peter, Grundeigentum und Naturschutz, S. 77; Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 191. 43 Dieser „Normbestandsschutz“ ist Teil des leistungsrechtlichen Gehalts der Ausgestaltungsgarantie und unterscheidet sich darin vom eigenständigen negatorischen „Normbestandsschutz“ im Sinne von Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 125 – 153. 44 Borowski, Grundrechte als Prinzipien, S. 340; vgl. Morgenthaler, Freiheit durch Gesetz, S. 263 – 265; J.-R. Sieckmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), BerlK-GG, Losebl. (Stand: 10/2000), Teil C Art. 14 Rn. 22. 45 Borowski, Grundrechte als Prinzipien, S. 170 – 172, inbes. Fn. 29; vgl. zur Gesetzgebungspflicht des formellen Gesetzgebers Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 232 – 235 und zur parallelen Problematik bei grundrechtlichen Schutzpflichten Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 175 f. Siehe zu den Folgen einer Verletzung der Gesetzgebungspflicht und zur Normerlassklage unten S. 39 f. 46 Vgl. Borowski, Grundrechte als Prinzipien, S. 170 Fn. 29, S. 341. 47 Vgl. zum „In-Geltung-Halten“ von Normen Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 434 – 436. 48 Siehe unten S. 27 – 66.

A. Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Gesetz

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nächst von den Parlamentsgesetzgebern des Bundes und der Länder erlassen werden, weiterhin durch die Verwaltung im Rahmen ihres abgeleiteten Verordnungsrechts und durch Selbstverwaltungskörperschaften im Rahmen ihres Satzungsrechts.49 Darüber hinaus ist auch die Rechtsprechung mittelbar Adressat der Leistungsverpflichtung, soweit sie ihrer Rechtsfindung Richterrecht zugrunde legen darf und muss.50 Voraussetzung dafür ist, dass Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG überhaupt durch gewohnheitsrechtliche oder richterrechtliche Normen zulässig sind, was noch zu erörtern sein wird.51

V. Vorgegebene Eigenschaften des Eigentums Zuvor stellt sich die Frage, was die leistungsrechtliche Gewährleistung von den Grundrechtsverpflichteten verlangt. Gegenstand der Leistungsverpflichtung sind Gesetze im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, also Rechtsnormen. Erforderlich sind aber nicht bloß irgendwelche Rechtsnormen, sondern solche, die Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG ermöglichen, ansonsten liefe die” Eigentumsgewährleistung ins Leere. Da der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff gemäß Art. 1 Abs. 3 GG Kontrollmaßstab für das einfache Recht ist, muss er grundsätzlich unabhängig von dem sein, was die Gesetze als (Sach-)Eigentum bezeichnen.52 Unter Eigentum versteht das Grundgesetz subjektive Rechte mit verfassungsrechtlich vorgegebenen Eigenschaften. Hinter den vorgegebenen Eigenschaften verbirgt sich die Frage, welche Typen von subjektiven Rechten die Gesetze ermöglichen und wie diese Eigentumstypen ausgestaltet sein müssen.53 Dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben insofern nur sehr allgemein sein können, bedingt das hohe Abstraktionsniveau der Verfassung und findet Ausdruck in Art. 14 Abs. 1

49 Weber, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte II, S. 331 (355 f.); vgl. auch O. Kimminich, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 08/1992), Art. 14 Rn. 119. 50 Siehe unten S. 37 – 40 und 70 – 73. 51 Siehe zum Vorbehalt des formellen Gesetzes als Grenze von Richterrecht unten S. 38 – 40 und 70 – 73. 52 Vgl. BVerfGE 58, 300 (335); Appel, Entstehungsschwäche und Bestandsstärke des verfassungsrechtlichen Eigentums, S. 32 – 38; Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 253 f., 297 – 303; Gallwas, Grundrechte, Rn. 528, 532 f.; eingehend Grochtmann, Die Normgeprägtheit des Art. 14 GG, S. 43 – 100. Ein anderes Verständnis vertritt Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S. 104 f., 112 f., dem zufolge „der Schutzgegenstand der Individualgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG, sein Inhalt und seine Reichweite nicht unmittelbar aus der Verfassung ableitbar sind, sondern sich erst aus den eigentumskonstituierenden Bestimmungen des einfachen Rechts ergeben.“ 53 Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 309, 336 f.; vgl. zum Grundrecht auf Anerkennung von Eigentumstypen Borowski, Grundrechte als Prinzipien, S. 341 f., Fn. 94; J.-R. Sieckmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), BerlK-GG, Losebl. (Stand: 10/2000), Teil C Art. 14 Rn. 91 f.

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

Satz 2 GG, nach dem der (genaue) Inhalt des Eigentums durch die einfachen Gesetze bestimmt wird.

VI. Einrichtungsgarantie Bei dem Versuch, die vorgegebenen Eigenschaften durch Auslegung der Verfassung zu ermitteln, stößt man zunächst auf das aus der Weimarer Zeit überlieferte Modell der Einrichtungsgarantie54, das die verfassungsrechtlichen Vorgaben als unantastbaren Kernbereich im Sinne von absoluten Mindesteigenschaften versteht, hinter denen die von den einfachen Gesetzen ermöglichten subjektiven Rechte in keinem Fall zurückbleiben dürfen.55 Konsequenterweise bleibt innerhalb dieses Kernbereichs kein Raum für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips.56 Ob gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmungen aber außerhalb einer solchen Mindestgarantie dem Verhältnismäßigkeitsprinzip unterliegen, wird kontrovers diskutiert.57 Hier muss zwischen der leistungsrechtlichen Dimension einerseits und dem noch zu erörternden abwehrrechtlichen Gehalt der Eigentumsgewährleistung58 differenziert werden. Für die Frage der Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Rahmen der leistungsrechtlichen Gewährleistung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG muss die Beeinträchtigung etwaiger bereits bestehender Rechts54

Siehe hierzu eingehend Mager, Einrichtungsgarantien, S. 6 – 68. Grundlegend für Art. 153 Abs. 1 Satz 1 WRV Wolff, in: Festg. Kahl IV, S. 6, dem zufolge die Einrichtungsgarantie allerdings nur das Sacheigentum, nicht aber die übrigen anerkannten Typen verfassungsrechtlichen Eigentums umfassen sollte; s. auch Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, vor Art. 109 (S. 519 f.); Art. 153 (S. 706 f.); W. Schelcher, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, Art. 153 (S. 207); ferner grundlegend für Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG Weber, in: Neumann/Nipperdey/ Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte II, S. 331 (355 – 361); BVerfGE 24, 367 (389 f.); vgl. Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, S. 68; dens., in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 179 (192); J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 III 1 (S. 2171 f.) m. w. N.; Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S. 320 f.; eingehend Grochtmann, Die Normgeprägtheit des Art. 14 GG, S. 197 – 216. 56 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 224; vgl. K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 68 VI 5 (S. 870 f.) m. w. N. 57 Dagegen insbesondere Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. XVI f., 140 – 144, der für die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips ein „spezifisches Eindringen in Rechtsbezirke“ voraussetzt, einen solchen Rechtsbezirk aber durch den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff nicht substantiiert sieht. Siehe zum Ganzen Albrod, Entschädigungsbedürftige Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums nach Art. 14 I 1, 2 GG, S. 84 – 88; J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 III 1 (S. 2173 – 2174); Schulze-Osterloh, Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht und im öffentlichen Recht, S. 249 – 255 jeweils m. w. N.; vgl. auch Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S. 328 – 363; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 127 – 136; Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 280 – 287, der die von ihm getrennt betrachteten Inhaltsbestimmungen nur den Geboten der Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, nicht aber der Erforderlichkeit unterwirft. 58 Siehe unten S. 67 – 74. 55

A. Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Gesetz

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stellungen ausgeblendet werden.59 Losgelöst von der abwehrrechtlichen Rechtsstellungsgarantie vermag das tradierte Modell der Einrichtungsgarantie eine Begründung für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips indes nicht zu liefern.60 Denn die Einrichtungsgarantie enthält jenseits des Kernbereichs keine Vorgaben für die Ausgestaltung des Eigentums.61

VII. Ausgestaltungsgarantie An dieser Stelle setzt der Versuch an, die Einrichtungsgarantie zu einer Garantie der Ausgestaltung des Eigentums (Ausgestaltungsgarantie) weiterzuentwickeln.62 Unter der Geltung des Grundgesetzes wurden alsbald die Parallelen der tradierten Einrichtungsgarantie zur Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG hergestellt.63 Wenn man diese Norm im Bereich des Art. 14 GG anwendet64 und dazu berücksichtigt, dass in der Weimarer Reichsverfassung keine Wesensgehaltsgarantie geregelt war, dann ergibt sich daraus ein Schlüssel für das Verständnis der Eigentumsgewährleistung des Grundgesetzes.

59 Vgl. BVerfGE 83, 201 (212); J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 III 1 (S. 2173, 2175 f.); Schulze-Osterloh, Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht und im öffentlichen Recht, S. 250 – 252; J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 127. 60 Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (227 Fn. 87). 61 Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, S. 68. 62 Vgl. hierzu einerseits Grochtmann, Die Normgeprägtheit des Art. 14 GG, S. 125 – 181, 197 – 216, der eine „objektive Verhältnismäßigkeitsprüfung“ außerhalb der Institutionsgarantie vorschlägt, und andererseits Appel, Entstehungsschwäche und Bestandsstärke des verfassungsrechtlichen Eigentums, S. 201 – 222, der die Einrichtungsgarantie mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erweitern will. Kritisch gegenüber derartigen Weiterentwicklungen der Institutsgarantie äußert sich Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S. 113 – 125. 63 Weber, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte II, S. 331 (357); s. auch K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 68 VI 5 (S. 868 – 871); dens., in: Stern, Staatsrecht III/2, § 85 I 5 (S. 843 – 847), § 85 III 2 (S. 865 f.). 64 BVerfGE 61, 82 (113); Chlosta, Der Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung, S. 39; H. Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 19 II Rn. 9; Herzog, in: FS Zeidler II, S. 1415 (1423 – 1426); Ipsen, VVDStRL 10 (1952), 74 (85); v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, Art. 14 (S. 102); M. Nierhaus, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 02/2008), Art. 19 Abs. 2 Rn. 97; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 332 – 336; dagegen O. Kimminich, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 08/1992), Art. 14 Rn. 147, dem zufolge die Wesensgehaltsgarantie „nicht unmittelbar auf Art. 14 GG anzuwenden“ sei, weil Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG keinen Gesetzesvorbehalt enthalte. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 248 f. hält den Schutz der Wesensgehaltsgarantie bei Art. 14 GG wegen der Einrichtungsgarantie für überflüssig. Vgl. auch Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 277 – 280, der zwischen Inhalts- und Schrankenbestimmungen trennt und die Wesensgehaltsgarantie nur auf einschränkende Gesetze anwendet.

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

1. Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG Art. 19 Abs. 2 GG hat die Grundrechte selbst, nämlich deren Wesensgehalt, zum Schutzgegenstand. Geschützt werden die Grundrechte mit allen objektiv- und subjektiv-rechtlichen Funktionen, die sie im demokratischen und sozialen Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland erfüllen.65 Hier ist neben der individuellen Grundrechtsberechtigung nicht zuletzt die institutionelle Dimension der Grundrechte zu nennen.66 Am Ende des Grundrechtskatalogs ergänzt Art. 19 Abs. 2 GG dessen erste Bestimmung in Art. 1 Abs. 1 GG, die ebenfalls einen unantastbaren Schutzgehalt aufweist und dabei den Menschen mit seiner Würde in den Mittelpunkt stellt.67 Beide Bestimmungen haben gemeinsam, dass sich in ihrem Schutzbereich jegliche Abwägung und Rechtfertigung von Eingriffen verbietet. Ebenso wie es bei Art. 1 Abs. 1 GG sinnvoll erscheint, dessen Anwendungsbereich nicht zu überdehnen68, schmälert auch eine seltene praktische Anwendung des Art. 19 Abs. 2 GG nicht dessen verfassungsrechtliches Gewicht als Eckpfeiler einer modernen Grundrechtsdogmatik. Der Wesensgehalt der Grundrechte lässt sich ebenso wenig wie der Inhalt der Menschenwürde durch Abwägung ermitteln.69 Vielmehr geht es um grundlegende typusbestimmende Merkmale der Grundrechte, die unabhängig von im Einzelfall kollidierenden Verfassungsgütern aus der Funktion des einzelnen Grundrechts heraus entwickelt werden müssen.70 Versteht man den Wesensgehalt somit als absolutes Grundrechtsminimum, so verbleibt ein dynamischer Randbereich, in dem die Grundrechte einer Abwägung zugänglich sind.71 2. Optimierungsgebot und Verhältnismäßigkeitsprinzip Hier setzt die Ausgestaltungsgarantie an und beantwortet die Frage, welche Grundrechtsgehalte aufseiten der Eigentumsgewährleistung zur Abwägung stehen, 65

Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 268 f.; Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, S. 124 f. (Fn. 322), S. 332 – 334; K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 85 III 2 (S. 868 – 871) m. w. N.; vgl. eingehend Chlosta, Der Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung, S. 43 – 78. 66 Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, insbes. S. 70 – 125, der insoweit allerdings von einer immanenten Grundrechtsdimension ausgeht, für die Art. 19 Abs. 2 GG lediglich eine deklaratorische Bedeutung hat, s. dens. a. a. O., S. 234 – 238. Vgl. aus Sicht der politischen Soziologie Luhmann, Grundrechte als Institution mit der oft zitierten Einschätzung auf S. 59 f.: „Das Wesen des Wesens ist unbekannt.“ 67 Vgl. dazu K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 85 III 2 (S. 873 f.). 68 Michael/Morlok, Grundrechte, Rn. 142 – 148. 69 K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 85 III 1 f. (S. 864 – 876); so aber Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 269 – 272; Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, S. 51 – 67, 234 – 236; Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 235 – 250. 70 Vgl. dazu eingehend Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 191, 249 – 276. 71 Vgl. Schneider, Der Schutz des Wesensgehalts von Grundrechten nach Art. 19 Abs. 2 GG, S. 66 f.

A. Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Gesetz

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wenn es um die Ausgestaltung des Eigentums geht; sie liefert dafür das Abwägungsmaterial.72 Die Frage, welche Typen von subjektiven Rechten die Gesetze ermöglichen und wie diese Eigentumstypen ausgestaltet sein müssen, wird von der Ausgestaltungsgarantie nicht mit einem Mindeststandard beantwortet, sondern mit einem Maximum73, das der einschränkenden und abwägenden Ausgestaltung unter Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips unterliegt.74 Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die Gewährleistung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG gegenüber den Inhalts- und Schrankenbestimmungen nach Satz 2 ein Optimierungsgebot enthält.75 Im Gegensatz zur Einrichtungsgarantie, die lediglich einen unantastbaren Kernbereich im Sinne von absoluten Mindesteigenschaften gewährleistet76, begründet die Ausgestaltungsgarantie einen umfassenden dynamischen Grundrechtsgehalt.77 So verstanden erschöpft sich die aus der Weimarer Zeit tradierte Einrichtungsgarantie im Schutz des Wesensgehalts der Ausgestaltungsgarantie. Als Bezeichnung für einen Schutzgehalt, der bereits durch die Wesensgehaltsgarantie 72 Vgl. Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 336 f. Die Ausgestaltungsgarantie liefert die von Ossenbühl, VVDStRL 51 (1992), 285 (287) geforderten Kontrollmaßstäbe für die Eigentumsordnung. 73 Vgl. Jaschinski, Der Fortbestand des Anspruchs aus enteignendem Eingriff, S. 145; s. auch Chlosta, Der Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung, S. 24 – 28, 140 – 142, der den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff als „Zielbegriff“ versteht und diesem Vorgaben für die Ausgestaltung der einfachgesetzlichen Eigentumsordnung entnimmt. 74 J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 III 1 (S. 2174 f.) m. w. N. Im Sinne von J.-R. Sieckmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), BerlK-GG, Losebl. (Stand: 10/2000), Teil C Art. 14 Rn. 19 handelt es sich bei der Ausgestaltungsgarantie um ein Abwägungsmodell; vgl. zur Rechtsstellungsgarantie unten Fn. 326 Nicht zu überzeugen vermag die Kritik von Albrod, Entschädigungsbedürftige Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums nach Art. 14 I 1, 2 GG, S. 79 – 84, der davon ausgeht, dass „die Abwägung des Gesetzgebers auf generell-abstrakter Ebene keiner subjektiv-rechtlichen Kontrolle unterliegt“. Insoweit spricht allerdings auch das BVerfGE 114, 1 (37 f.) von einem objektivrechtlichen Gehalt; dazu Grochtmann, Die Normgeprägtheit des Art. 14 GG, S. 215; für eine Subjektivierung hingegen Borowski, Grundrechte als Prinzipien, S. 342 f. 75 Vgl. grundlegend Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 – 125, 300 – 307; ferner Borowski, Grundrechte als Prinzipien, S. 76 f.; Raabe, Grundrechte und Erkenntnis, S. 176 – 199; Sieckmann, Modelle des Eigentumsschutzes, S. 37 – 67; dens., in: Sieckmann (Hrsg.), Die Prinzipientheorie der Grundrechte, S. 17 – 38; s. auch Michael, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, S. 99 – 102; eingehend Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 47 – 51, 586 – 632; Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, S. 206 – 260. Vgl. zum Verhältnis von Optimierungsgeboten zur Prinzipientheorie Poscher, RW 2010, 349 – 372. Kritisch gegenüber Optimierungsgeboten im Allgemeinen äußert sich Lerche, in: FS Stern, S. 197 – 209; ferner Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S. 66 – 73; s. auch Scherzberg, Grundrechtsschutz und „Eingriffsintensität“, S. 169 – 183. Breuer, in: FS Redeker, S. 11 (52. f) lehnt die Annahme eines Optimierungsgebots für „Ansprüche auf Schutz, Teilhabe und Leistung“ ab und sieht das Schutzniveau auf einen notwendigen „Minimalstandard“ beschränkt. 76 Siehe oben S. 26 f. 77 Siehe zur verfassungsrechtlichen Bindung der Ausgestaltungsgesetzgebung eingehend Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 271 – 286, 633 – 666.

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

des Art. 19 Abs. 2 GG gewährleistet wird, ist die Einrichtungsgarantie in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes im Grunde obsolet.78 Die Ausgestaltungsgarantie führt die Eigentumsgewährleistung näher an die übrigen Grundrechte heran, die ein natürliches oder vorstaatliches Gut zum Gegenstand haben. Hier schützt das Grundgesetz zunächst regelmäßig eine umfassende individuelle Freiheit, deren Funktion nicht zuletzt darin besteht, den Maßstab für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Eingriffen zu liefern.79 Der Maßstab für die Kontrolle von Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG besteht in den Ausgestaltungsprinzipien des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs.80 Diesen optimierungspflichtigen Eigenschaften des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG stellt die Verfassung in Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG das Wohl der Allgemeinheit gegenüber.81 Der Gemeinwohlvorbehalt richtet sich ausschließlich an den (materiellen) Gesetzgeber.82 Dieser hat den Auftrag, Inhalt und Schranken des Eigentums so zu bestimmen, dass dessen Gebrauch zugleich dem Gemeinwohl dient. Die Formulierung des Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG ist freilich weit zu verstehen. Der Gemeinwohlvorbehalt gilt für alle Inhalts- und Schrankenbestimmungen und für alle Eigentumstypen im verfassungsrechtlichen Sinne.83 Gegenüber der Ausgestaltungsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG erfüllt Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 14 Abs. 2 GG somit die Funktion eines einheitlichen Gesetzesvorbehalts zugunsten des Gemeinwohls.84 Danach ist das Wohl der Allgemeinheit tragender Grund für jedes Zurückbleiben 78

Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 443 f.; J.-R. Sieckmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), BerlK-GG, Losebl. (Stand: 10/2000), Teil C Art. 14 Rn. 85; s. auch Grochtmann, Die Normgeprägtheit des Art. 14 GG, S. 197, 200. 79 Vgl. zur grundlegenden Unterscheidung von „prima facie-Recht“ und effektivem Garantiebereich Borowski, Grundrechte als Prinzipien, S. 29 – 31, Fn. 4 m. w. N. 80 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 304 zum „Prinzip des Privateigentums“; ähnlich Borowski, Grundrechte als Prinzipien, S. 343 f. zum „Eigentumsprinzip“; Bumke, in: Münkler/ Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 179 (208 f.) zur „Idee des Eigentums“; ferner Chlosta, Der Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung, S. 145 – 147, der von „Regelungsmaximen“ spricht. Siehe zu den Ausgestaltungsprinzipien im Einzelnen unten S. 41 – 66, insbes. Fn. 145. 81 Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 290 f. 82 BVerfGE 89, 1 (5); H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 305 f.; Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 65 – 69; Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 299 – 306. Demgegenüber gehen B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 69; O. Kimminich, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BKGG, Losebl. (Stand: 08/1992), Art. 14 Rn. 154; v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, Art. 14 (S. 101); Schneider, in: FS v. Brünneck, S. 67 (70 – 74); J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 90 davon aus, dass Art. 14 Abs. 2 GG auch unmittelbare Grundpflichten des Eigentümers begründet; vgl. hierzu Bumke, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 179 (217 – 222). 83 Demgegenüber lehnt das BVerfGE 42, 263 (294 f.) die Anwendbarkeit des Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG auf Vergleichsansprüche ab. Allerdings betrifft diese Aussage wohl nur die Rechtsstellungsgarantie; vgl. dazu unten S. 69 f. 84 Vgl. H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 306.

A. Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Gesetz

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hinter dem Maximum der Ausgestaltungsprinzipien.85 In diesem Spannungsfeld belässt die Ausgestaltungsgarantie dem Gesetzgeber einen besonders weitreichenden Ausgestaltungsfreiraum86, der nicht zuletzt der Struktur der Ausgestaltungsgarantie als Leistungsrecht geschuldet ist87 und durch das Prinzipienmodell nicht in Frage gestellt oder verengt wird88. Das Zurückbleiben hinter dem Maximum der Ausgestaltungsprinzipien des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG) darf allerdings nicht außer Verhältnis zum verfolgten Gemeinwohlzweck (Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG) stehen.89 Dieses Verständnis entspricht im Ergebnis der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das Inhalts- und Schrankenbestimmungen seit jeher auf ihre Verhältnismäßigkeit überprüft.90 Die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips hatte das Gericht zunächst damit begründet, dass Inhalts- und Schrankenbestimmungen „mit dem öffentlichen Interesse motiviert“ würden und deshalb „auch von daher legitimiert sein“ [Hervorhebungen im Original] müssten.91 In einer späteren Entscheidung betont das Bundesverfassungsgericht, dass Inhalts- und Schrankenbestimmungen mit allen übrigen Verfassungsnormen in Einklang stehen müssten und erwähnt in diesem Zusammenhang unter anderem das Rechtsstaatsprinzip.92 Diese Begründungsansätze betreffen indes nur die rechtliche Verortung des Verhältnismäßigkeitsprinzips93. Logische Voraussetzung für seine Anwendbarkeit ist aber die Abweichung von einer Unterlassungspflicht etwa in Gestalt eines Eingriffsverbots oder einer Handlungspflicht in Gestalt eines Leistungsrechts.94 Denn ohne eine solche prinzipielle Schutzwirkung der Grundrechte fehlt für die Anwendung des 85

Vgl. BVerfGE 71, 230 (246); O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 225; Gallwas, Grundrechte, Rn. 534 jeweils ohne Bezugnahme auf die Lehre von der Ausgestaltungsgarantie. Jaschinski, Der Fortbestand des Anspruchs aus enteignendem Eingriff, S. 145 spricht insoweit von einem „Minus zur umfassenden Nutzungs-, Ausschlußund Verfügungsbefugnis“. 86 Vgl. BVerfGE 8, 71 (80); 21, 73 (83); 42, 263 (294); 50, 290 (341); Schulze-Osterloh, Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht und im öffentlichen Recht, S. 253 f.; Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 180 – 182. 87 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 420 – 428. 88 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 495 – 498; Sieckmann, Modelle des Eigentumsschutzes, S. 59 – 63. Raabe, Grundrechte und Erkenntnis, S. 176 – 327 konstruiert ausführlich den Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers mithilfe der Prinzipientheorie und des Abwägungsmodells. 89 Vgl. Schwerdtfeger, Die dogmatische Struktur der Eigentumsgarantie, S. 19, dem zufolge das Verhältnismäßigkeitsprinzip greift, sobald „dem Eigentümer Strukturprinzipien des Eigentums vorenthalten werden“. 90 BVerfGE 8, 71 (80); 18, 121 (132); 50, 290 (341); 58, 137 (148); 70, 191 (200); 79, 174 (198); 87, 114 (138); 100, 226 (240 f.); s. hierzu Mager, Einrichtungsgarantien, S. 183 – 188. 91 BVerfGE 8, 71 (80). 92 BVerfGE 14, 264 (278) mit Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf S. 280. 93 Vgl. dazu unten S. 214 f. 94 Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Freiheitsordnung, S. 108.

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

Verhältnismäßigkeitsprinzips ein präziser Maßstab zur Erfassung der Grundrechtsbeeinträchtigung.95 Indem die Lehre von der Ausgestaltungsgarantie dem Gesetzgeber die Bereitstellung einer optimalen Eigentumsordnung als Leistungspflicht auferlegt, bietet sie die konsistente Begründung für die Rechtfertigungsbedürftigkeit von Ausgestaltungen des Eigentums und für die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips. In diesem Sinne muss das Optimierungsgebot verstanden werden als rechtstheoretisch-strukturelles Modell, dessen Anwendung in der vorliegenden Untersuchung dazu dient, den leistungsrechtlichen Gehalt der Eigentumsgewährleistung96 zu erfassen und für die allgemeine Grundrechtsdogmatik handhabbar zu machen.97 3. Vorbehalt des formellen Gesetzes Als weitere verfassungsrechtliche Anforderung an die gesetzliche Eigentumsordnung ist nunmehr auf den Vorbehalt des formellen Gesetzes zurückzukommen.98 Nach diesem Prinzip sind bestimmte Regelungen aus Gründen der demokratischen Legitimation dem formellen Gesetzgeber vorbehalten.99 Zwar sind auch die übrigen vom Grundgesetz verfassten Gewalten mittelbar demokratisch legitimiert, über unmittelbare demokratische Legitimation verfügen aber nur die vom Volk gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG gewählten Abgeordneten des Bundestages.100 Gleiches gilt für die Staatsgewalten der Länder, deren verfassungsmäßige Ordnung insoweit durch Art. 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG vorgegeben ist. In Bund und Ländern gewährleistet das formelle Gesetzgebungsverfahren ein hohes Maß an Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und ermöglicht einen diskursiven und transparenten Ausgleich widerstreitender Interessen durch Beteiligung der parlamentarischen Opposition.

95 Vgl. Borowski, Grundrechte als Prinzipien, S. 343 f.; B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 63; Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 22 f.; s. auch eingehend Jaschinski, Der Fortbestand des Anspruchs aus enteignendem Eingriff, S. 136 – 146. 96 Siehe oben S. 23 f. 97 Hierin liegt im Rahmen der Eigentumsgewährleistung der von Lerche, in: FS Stern, S. 197 (205) bezweifelte Mehrgewinn des Optimierungsgebots. Siehe aber insoweit auch Bumke, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 179 (222), der seine Ablehnung eines Optimierungsgebots mit „der besonderen Struktur des Eigentums“ begründet, die jedoch gerade durch die Ausgestaltungsgarantie relativiert wird; s. soeben. 98 Vgl. zum Gesetzesvorbehalt oben S. 20 f. 99 BVerfGE 47, 46 (78 f.); 49, 89 (126 f.); 95, 267 (307 f.); 98, 218 (251 f.); vgl. zuvor schon BVerfGE 20, 150 (157 f.); 33, 125 (157 – 161); 34, 165 (192 f.); 40, 237 (248 – 250); 41, 251 (259 f.); 45, 400 (417 f.); vgl. zur historischen Entwicklung Seiler, Der einheitliche Parlamentsvorbehalt, S. 40 – 50. 100 BVerfGE 49, 89 (125); 68, 1 (89); 77, 1 (40 f.); Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 7 f.; Roth, Faktische Eingriffe in Freiheit und Eigentum, S. 504 f.

A. Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Gesetz

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a) Eingriffe in Freiheit und Eigentum Der ursprüngliche Anwendungsbereich des Vorbehalts des formellen Gesetzes lag bei hoheitlichen „Eingriffen in Freiheit und Eigentum“.101 Das Eigentum als Bezugsobjekt eines solchen Eingriffs darf nicht mit der Eigentumsgewährleistung verwechselt werden. Vielmehr meint die Formel vom „Eingriff in Eigentum“ nur klassische Eingriffe in bestehende subjektive Eigentumsrechte, die nach Maßgabe der Eigentumsordnung entstanden sind. Den verfassungsrechtlichen Schutz dieser Rechte leistet die Rechtsstellungsgarantie, in deren Zusammenhang auf den Vorbehalt des formellen Gesetzes zurückzukommen ist.102 Mit Blick auf die Ausgestaltungsgarantie wäre demgegenüber allenfalls denkbar, das Zurückbleiben der gesetzlichen Eigentumsordnung hinter dem Maximum der Ausgestaltungsprinzipien als Eingriff anzusehen103 und dem Vorbehalt des formellen Gesetzes zu unterwerfen. Wäre allerdings jede Abweichung vom Maximum dem formellen Gesetz vorbehalten, so käme dies praktisch einem Totalvorbehalt gleich.104 Denn die Aufgabe der einfachgesetzlichen Eigentumsordnung besteht darin, das Maximum der Ausgestaltungsprinzipien mit dem Gemeinwohl (Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG) zu einem gerechten Ausgleich zu bringen. Bei dieser Optimierung wäre es nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz geradezu verfassungswidrig, wenn das Maximum der Ausgestaltungsprinzipien ohne Abstriche auf Kosten des Gemeinwohls umgesetzt würde.105 Vielmehr müssen sowohl den Ausgestaltungsprinzipien auf der einen Seite als auch dem Gemeinwohl auf der anderen Seite jeweils Grenzen gezogen werden, damit ein verfassungskonformer Ausgleich erreicht werden kann. Hinzu kommt, dass die Eigentumsordnung auch Interessenkollisionen zwischen zwei oder mehr Eigentümern ausgleichen muss. Spätestens hier wird klar, dass eine Umsetzung des Maximums der Ausgestaltungsprinzipien für jeden Eigentümer ausgeschlossen ist.106 Gegen einen Totalvorbehalt des formellen Gesetzes ist schließlich anzuführen, dass die in Art. 20 Abs. 2 GG verankerte organisatorische sowie funktionelle Gewaltentrennung auch darauf zielt, dass staatliche Maßnahmen 101

Vgl. BVerfGE 8, 155 (166 f.). Siehe unten S. 69 f. 103 Siehe dazu unten S. 35 f. 104 Vgl. zum umfassenden Legalisierungszwang als Folge eines nicht präformierten Grundrechtsschutzes bei Leistungsrechten Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 228 – 230. 105 Vgl. zum Prinzip der praktischen Konkordanz Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 72. 106 So dienen etwa die §§ 932 – 936 BGB dem Ausgleich der kollidierenden Interessen mehrerer Grundrechtsträger am Eigentum einer Sache. Gelingt der gutgläubige Erwerb, so werden die Interessen des Erwerbers befriedigt. Schlägt er hingegen fehl, so setzt sich das Interesse des bisherigen Eigentümers durch. In beiden Fällen muss einer der beiden Grundrechtsträger zurücktreten. Siehe zum gutgläubigen Erwerb auch Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 381 – 385. Vgl. zur Grundrechtsberechtigung des Erwerbers unten S. 42 – 44. 102

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

von denjenigen Gewalten vorgenommen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen.107 Mit diesem Ziel ist ein Gewaltenmonismus in Form eines Totalvorbehalts des formellen Gesetzes nicht vereinbar. Der formelle Gesetzgeber ist also nicht verpflichtet, Inhalt und Schranken des Eigentums bis ins Letzte selbst zu regeln.108 Das bloße Zurückbleiben der gesetzlichen Eigentumsordnung hinter dem Maximum der Ausgestaltungsprinzipien löst den Vorbehalt des formellen Gesetzes nicht aus. b) Wesentlichkeit des Regelungsgegenstandes Der Anwendungsbereich des Vorbehalts des formellen Gesetzes umfasst allerdings nicht nur hoheitliche „Eingriffe in Freiheit und Eigentum“.109 Daneben unterliegen aus Gründen der demokratischen Legitimation alle wesentlichen Entscheidungen dem Vorbehalt des formellen Gesetzes.110 Soweit das Bundesverfassungsgericht die Geltung der sogenannten „Wesentlichkeitstheorie“ auf das Verhältnis zwischen Staat und Bürger beschränken will111, wird dieser Rechtsprechung nicht gefolgt.112 Vielmehr wird hier davon ausgegangen, dass der formelle Gesetzgeber auch für die Eigentumsverhältnisse zwischen gleichgeordneten Grundrechtsträgern die wesentlichen Rechtsfragen selbst regeln muss. Die Wesentlichkeit eines Regelungsgegenstandes ist eine Wertungsfrage.113 Wann eine Anordnung derart grundlegend ist, dass sie dem formellen Gesetzgeber vorbehalten ist oder zumindest nur auf Grund einer inhaltlich bestimmten formellgesetzlichen Ermächtigung ergehen darf, ist für den jeweiligen Sachbereich nach den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes unter Berücksichtigung der Intensität und Eigenart des Regelungsgegenstandes zu beantworten.114 Konkretisierende und weiterführende Anhaltspunkte ergeben sich zunächst aus den Grundrechten und den darin enthaltenen objektiven Wertentscheidungen. Hier kommt es für den Vorbehalt des formellen Gesetzes auf die Bedeutung des jeweiligen Regelungsgegenstandes für 107

BVerfGE 98, 218 (251 f.). Vgl. BVerfGE 58, 137 (146). 109 Vgl. zum Vorbehalt des formellen Gesetzes im Bereich der Leistungsverwaltung Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 175 – 205; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 19 – 23; Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 113 – 146; Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 281 – 287. 110 BVerfGE 47, 46 (78 f.); 49, 89 (126 f.); 95, 267 (307 f.); 98, 218 (251 f.); vgl. zuvor schon BVerfGE 20, 150 (157 f.); 34, 165 (192 f.); 40, 237 (248 – 250); 41, 251 (259 f.); 45, 400 (417 f.); eingehend zum Wesentlichkeitsvorbehalt Seiler, Der einheitliche Parlamentsvorbehalt, S. 51 – 146; Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S. 103 – 161 jeweils m. w. N. auch zur Kritik. 111 BVerfGE 84, 212 (226); vgl. auch BVerfGE 88, 103 (116). 112 Hillgruber, JZ 1996, 118 (123). 113 Vgl. BVerfGE 49, 89 (127) und BVerfGE 98, 218 (251), die von „Wertungskriterien“ für die Wesentlichkeit sprechen. 114 Vgl. BVerfGE 40, 237 (249); 47, 46 (79); 49, 89 (127); 95, 267 (308); 98, 218 (252). 108

A. Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Gesetz

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die Verwirklichung der Grundrechte an. Für die Ausgestaltungsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG folgt daraus, dass die wesentlichen Grundzüge und Leitlinien der Eigentumsordnung hinreichend bestimmt vom formellen Gesetzgeber geregelt werden müssen.115 Neben den Grundrechten und den darin enthaltenen objektiven Wertentscheidungen können sich Anhaltspunkte für die Wesentlichkeit eines Regelungsgegenstandes auch aus anderen verfassungsrechtlichen Prinzipien ergeben. Von besonderer Bedeutung im Bereich der Ausgestaltungsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG ist insofern das Prinzip der Budgethoheit des Parlaments, auf das zurückzukommen ist.116 4. Grundrechtseingriff Vor diesem Hintergrund lässt sich nunmehr beurteilen, ob das Zurückbleiben der gesetzlichen Eigentumsordnung hinter dem Maximum der Ausgestaltungsprinzipien als „Eingriff“ in die Ausgestaltungsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG bezeichnet werden sollte.117 Dafür kommt es allerdings nicht auf die Verwendung des Wortes „Eingriff“ an, entscheidend ist vielmehr die Übertragbarkeit des Eingriffsbegriffs.118 Ein Eingriff zeichnet sich begrifflich durch seinen Bezugspunkt aus, der im Schutzbereich eines Grundrechts besteht.119 Damit verbunden ist die Frage nach einer möglichen Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen.120 Diese Unterscheidung zwischen grundrechtlichem Schutzbereich und Möglichkeiten der Grundrechtseinschränkung ließe sich bei der Ausgestaltungsgarantie abbilden, indem das Maximum der Ausgestaltungsprinzipien als Schutzbereich und das Optimierungsgebot als Eingriffsminimierungspflicht verstanden würde. Die Übertragung des Eingriffsbegriffs hat allerdings nur Sinn, wenn damit die verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsanforderungen verbunden werden, die für klassische Eingriffe gelten. Seine Funktion besteht vor allem darin, in formeller Hinsicht den Vorbehalt des formellen Gesetzes und in materieller Hinsicht das 115

Vgl. Borowski, Grundrechte als Prinzipien, S. 340; O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 220; J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 VI 2 (S. 2242); Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 34; s. auch BVerfGE 58, 137 (146), das die Anwendung des Vorbehalts des Gesetzes mit der elementaren freiheitssichernden Bedeutung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG begründet. 116 Siehe unten S. 47 f. und 63 f. 117 Vgl. zum Streit um die Eingriffsqualität von Inhalts- und Schrankenbestimmungen Böhmer, Der Staat 24 (1985), 157 (197 – 199); Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzlichen Gewande, S. 96 f.; Jaschinski, Der Fortbestand des Anspruchs aus enteignendem Eingriff, S. 108 f.; Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 25 Fn. 38; Schulte, Eigentum und öffentliches Interesse, S. 48 – 67 jeweils m. w. N. Siehe zum Verhältnis von Eingriff und Ausgestaltung Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 666 – 676. 118 Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 209 f.; vgl. zur Ausweitung des Eingriffsbegriffs Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, S. 173 – 235. 119 Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 14, 25 – 27. 120 Vgl. dazu Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, S. 9 – 25.

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

Verhältnismäßigkeitsprinzip zur Anwendung zu bringen.121 Das Zurückbleiben der gesetzlichen Eigentumsordnung hinter dem Maximum der Ausgestaltungsprinzipien muss zwar verhältnismäßig sein, löst aber als solches nicht den Vorbehalt des formellen Gesetzes aus. Dieser greift vielmehr nur aus Gründen der Wesentlichkeit des Regelungsgegenstandes.122 Auch wenn der Anwendungsbereich des Vorbehalts des formellen Gesetzes nicht mehr nur auf Grundrechtseingriffe beschränkt ist, muss die Koordination der beiden Schutzfunktionen in dem Sinne, dass zugleich sowohl der Vorbehalt des formellen Gesetzes als auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip zur Anwendung gebracht wird, als ein wesentliches Merkmal des Eingriffsbegriffs gelten.123 Es empfiehlt sich daher, das Zurückbleiben der gesetzlichen Eigentumsordnung hinter dem Maximum der Ausgestaltungsprinzipien nicht als Eingriff in die Ausgestaltungsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG zu bezeichnen.124 Ein solcher terminologischer Rückschluss von der fehlenden Anwendbarkeit des Vorbehalts des formellen Gesetzes auf das Nichtvorliegen eines Eingriffs begründet bei Abwehrrechten freilich grundsätzlich den Verdacht, dass die für ein erwünschtes Ergebnis unliebsame Anwendung des Vorbehalts des formellen Gesetzes durch Ablehnung der Eingriffsqualität einer „Grundrechtsbeeinträchtigung“ umgangen wird.125 Hier ist das Auseinanderfallen von formellem und materiellem Grundrechtsschutz aber der besonderen Struktur der Ausgestaltungsgarantie als Leistungsrecht geschuldet.126 Die Bedeutung des Maximums der Ausgestaltungsprinzipien erschöpft sich damit in seiner Funktion als Maßstab der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Schließlich besteht die Funktion des Vorbehalts des formellen Gesetzes im Bereich der Ausgestaltungsgarantie nicht in einer Eingriffsverarbeitungsregel, sondern darin, den Schuldner der Leistungspflicht dahingehend zu konkretisieren, dass die wesentlichen Regelungen der Eigentumsordnung vom formellen Gesetzgeber erlassen werden müssen. Diesbezüglich behält die Eigentumsgewährleistung ihre Sonderstellung gegenüber denjenigen Grundrechten wie etwa Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit), die ein natürliches oder vorstaatliches Gut schützen. 121

Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 14, 27 – 30. Siehe oben S. 34 f. 123 Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 14, 30 – 32. 124 Vgl. Jaschinski, Der Fortbestand des Anspruchs aus enteignendem Eingriff, S. 145, der ein „Minus zur umfassenden Nutzungs-, Ausschluß- und Verfügungsbefugnis“ nur in Anführungsstrichen als „Eingriff“ bezeichnet. 125 Vgl. etwa die berechtigte Kritik von Schoch, DVBl. 1991, 667 (669 – 673) an BVerwGE 87, 37 – 52; s. auch nachgehend BVerfGE 105, 252 (273) mit der Figur des „funktionalen Äquivalents eines Eingriffs“; weiterhin BVerfGE 105, 279 (300): „Das Grundgesetz hat den Schutz vor Grundrechtsbeeinträchtigungen nicht an den Begriff des Eingriffs gebunden oder diesen inhaltlich vorgegeben.“ 126 Ein teilweise präformierter Grundrechtsschutz im Sinne von Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 231 – 236 lässt sich anhand der dafür entwickelten Kriterien (Differenzierungswirkung, Lenkungswirkung und Interventionswirkung) bei der Ausgestaltungsgarantie nicht annehmen; vgl. dies. a. a. O., S. 236 – 311. 122

A. Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Gesetz

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5. Regelungslücken der geschriebenen Eigentumsordnung Nach der Grundlegung der Ausgestaltungsgarantie hinsichtlich des Vorbehalts des formellen Gesetzes und des Eingriffsbegriffs lassen sich nunmehr die Grundrechtswirkungen mit Blick auf Regelungslücken der geschriebenen Eigentumsordnung erörtern. a) Gesetzesabhängigkeit des Eigentums Wenn sich die geschriebene Eigentumsordnung bei der Anwendung im Einzelfall als lückenhaft erweist, bleibt es dabei, dass Inhalt und Schranken des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ausschließlich durch die Gesetze bestimmt werden. In keinem Fall ergeben sich Inhalt und Schranken des Eigentums unmittelbar aus der Ausgestaltungsgarantie. Vielmehr ist die Ausgestaltungsgarantie immer auf die Vermittlung durch das einfache Recht angewiesen.127 Unabhängig davon, ob einschlägige geschriebene Gesetze im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG vorhanden sind, vermag die Ausgestaltungsgarantie selbst keine Ansprüche oder Befugnisse aus dem Eigentum zu begründen.128 Allein unter Rückgriff auf die Ausgestaltungsgarantie können Regelungslücken der geschriebenen Eigentumsordnung demnach nicht geschlossen werden.129 b) Richterrecht als Gesetze im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Allerdings umfasst der Gesetzesbegriff des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nach den bisherigen Ergebnissen auch „nur materielle“ Gesetze, mithin auch ungeschriebene Rechtssätze.130 Das objektive Recht, das für die Existenz von Eigentum erforderlich ist, besteht nicht nur aus geschriebenen Normen, sondern enthält auch ungeschrie127

Vgl. J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 III 1 (S. 2170); Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (214); s. auch Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 330 – 332. 128 Vgl. BVerwGE 101, 364 (373); NVwZ 1999, 523 (524 f.); eingehend Wahl, in: FS Redeker, S. 245 – 269; dens., in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO, Losebl. (Stand: 02/1996), Vorbem. vor § 42 Abs. 2 Rn. 85 – 87; anders die frühere Rechtsprechung BVerwGE 32, 173 (178 f.); 52, 122 (123 – 125, 128 – 131); NJW 1974, 811 (811 f.) zum Gebot der Rücksichtnahme; BVerwGE 72, 362 (363 – 365) zum aktiven Bestandsschutz. Zwischenzeitlich ließ das BVerwGE 84, 322 (334); 89, 69 (77 – 79); NVwZ 1996, 888 (888) die Frage dahinstehen, ob Rechte und Pflichten aus dem Eigentum unmittelbar auf Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG gestützt werden könnten, und beschränkte sich auf die Auffassung, dass dieser Rückgriff jedenfalls verschlossen sei, soweit einfachgesetzliche Regelungen existierten; vgl. Malmendier, Vom wohlerworbenen Recht zur verrechtlichten Freiheit, S. 279. Die Gesetzesabhängigkeit von Nutzungsbefugnissen betont zutreffend Appel, Entstehungsschwäche und Bestandsstärke des verfassungsrechtlichen Eigentums, S. 139 – 151; ders., NuR 2005, 427 – 433. 129 Soweit Ramsauer, AöR 111 (1986), 501 (513 – 515) davon ausgeht, dass die Grundrechte im Einzelfall „die Funktion einfachen Rechts übernehmen“ können, wird dieser Auffassung jedenfalls für den Bereich der Eigentumsgewährleistung nicht gefolgt. 130 Siehe oben S. 18 f.

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

bene Rechtssätze, die sich aus der geschriebenen einfachgesetzlichen Eigentumsordnung als einem Sinnganzen unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Ausgestaltungsgarantie ergeben.131 Zur Ausfüllung von Regelungslücken im geschriebenen Recht lassen sich die ungeschriebenen Rechtssätze nach den Regeln der juristischen Methodik ermitteln und im Einzelfall anwenden.132 Derartige ungeschriebene Rechtssätze sind Gesetze im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG und als solche Teil der einfachgesetzlichen Eigentumsordnung.133 Sie werden hier als „Richterrecht“134 bezeichnet, weil sie regelmäßig erst durch die Rechtsprechung ausformuliert und „ausgesprochen“ werden. Dabei sprechen die Gerichte freilich nur aus, was in der Gesamtheit der geschriebenen Rechtsordnung angelegt ist. Das Aufstellen von ungeschriebenen Rechtssätzen durch die Rechtsprechung hat keine konstitutive, sondern nur deklaratorische Bedeutung für die Geltung des Richterrechts.135 Denn höchstrichterliche Entscheidungen sind selbst kein Gesetzesrecht, sie erzeugen keine damit vergleichbare Rechtsbindung im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG.136 Richterrecht leitet seinen Geltungsanspruch also nicht von den Gerichtsentscheidungen ab, in denen es formuliert wird, sondern von dem geschriebenen Recht, aus dem es hervorgeht. c) Vorbehalt des formellen Gesetzes als Grenze von Richterrecht Neben dem Vorrang des Gesetzes ergibt sich die wichtigste Grenze für die Zulässigkeit von Richterrecht aus dem Vorbehalt des formellen Gesetzes.137 Demnach 131

Vgl. BVerfGE 34, 269 (287). Siehe dazu unten S. 70 – 73. 133 R. Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO, Losebl. (Stand: 02/ 1996), Vorbem. vor § 42 Abs. 2 Rn. 80 – 84, 89 – 91; vgl. BVerfGE 34, 269 (292) zur Geltung eines ungeschriebenen Rechtssatzes als allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG. Ein Beispiel für Richterrecht im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG bildet BVerfGE 82, 6 (11 – 13). Siehe auch Stern, Staatsrecht II, § 37 II 2 (S. 581 – 587, insbes. S. 586), der Richterrecht bei ständiger Rechtsprechung eine „gesetzesähnliche Rechtswirkung“ beimisst, bevor dieses zu Gewohnheitsrecht wird und dann Gesetzescharakter hat. Gegen die Anerkennung von Richterrecht innerhalb der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte spricht sich M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 80 IV 3 (S. 435 – 437) aus, der allerdings die damit verbundene Methodenfrage für „praktisch wichtiger“ hält; s. dazu unten S. 72 f. 134 Siehe dazu Ipsen, Richterrecht und Verfassung; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR V, 3. Aufl. 2007, § 100 Rn. 50 – 56; Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 235 – 256; Stern, Staatsrecht II, § 37 II 2 (S. 581 – 587); Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung; ferner aus der FS 600-Jahr-Feier der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg die grundlegenden Beiträge von Engisch, S. 3 – 9, Kirchhof, S. 11 – 37; Müller, S. 65 – 84 sowie speziell zum Richterrecht in der Eigentumsordnung von Jauernig, S. 87 – 105 und Schmidt-Aßmann, S. 107 – 135; s. auch aus Sicht seiner „Strukturierenden Rechtslehre“ Müller, ,Richterrecht‘. 135 Siehe dazu unten S. 70 – 72. 136 BVerfGE 84, 212 (227); vgl. Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 301 f., 321 f. 137 Vgl. Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 255 f.; Müller, ,Richterrecht‘, S. 96 f., 109 f. 132

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ist Richterrecht als Rechtsgrundlage für Grundrechtseingriffe ausgeschlossen. Wenn sich die geschriebene Eigentumsordnung hingegen bei der Anwendung auf Privatrechtsverhältnisse im Einzelfall als lückenhaft erweist, hängt die Zulässigkeit von Richterrecht alleine vom Anwendungsbereich des Vorbehalts des formellen Gesetzes im Rahmen der Ausgestaltungsgarantie ab.138 aa) Umsetzungsdefizite im Vorbehaltsbereich Nach den bisherigen Ergebnissen greift der Vorbehalt des formellen Gesetzes im Rahmen der Ausgestaltungsgarantie nicht aus Gründen eines Grundrechtseingriffs, sondern ausschließlich nach Maßgabe der Wesentlichkeit des betreffenden Regelungsgegenstandes. Betrifft die Regelungslücke der geschriebenen Eigentumsordnung aber einen wesentlichen Regelungsgegenstand, so haben die rechtsanwendenden Gewalten den Vorbehalt des formellen Gesetzes zu achten. Da die Regelung der wesentlichen Grundzüge und Leitlinien der Eigentumsordnung dem formellen Gesetzgeber vorbehalten ist, kommen insoweit „nur materielle“ Gesetze, also Rechtsverordnungen, Satzungen und ungeschriebene Rechtssätze als Rechtsquellen nicht in Betracht. Demnach scheidet auch Richterrecht zur Ausfüllung von Regelungslücken im Vorbehaltsbereich aus.139 Zur Regelung der wesentlichen Fragen ist der formelle Gesetzgeber nicht nur allein berechtigt, sondern auch verpflichtet. Solange er diese Leistungspflicht nicht erfüllt hat, ist die Ausgestaltungsgarantie verletzt. Im Falle eines Rechtsstreits bleibt den Fachgerichten dann nur die Vorlage des lückenhaften Regelungskomplexes an ein zuständiges Verfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG. Im Übrigen dürfte eine fachgerichtliche Normerlassklage gegen den formellen Gesetzgeber unzulässig sein, wohingegen für die Durchsetzung eines subjektiven Rechts auf formelle Ge-

138

örtert. 139

Das Verhältnis der Rechtsstellungsgarantie zum Richterrecht wird unten S. 70 – 73 er-

Hillgruber, JZ 1996, 118 (123 f.); s. auch Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 255 f.; offen lassend BVerfGE 108, 150 (159 f.); anders Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 238 – 240, der im Fall einer verfassungswidrigen Untätigkeit des formellen Gesetzgebers von einer „Kompetenzerweiterung für die Gerichte“ ausgeht mit der Folge, dass „der Richter notwendig zum Ersatzgesetzgeber wird.“ Entgegen Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, S. 204 – 206 (S. 204 Fn. 782); dems., in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 179 (220) stellt sich insoweit nicht die Frage, ob der Vorbehalt des formellen Gesetzes im Verhältnis von Gesetzgebung und Rechtsprechung Geltung beanspruchen kann. Vielmehr ist Richterrecht deshalb ausgeschlossen, weil der Vorbehalt des formellen Gesetzes für die Ausgestaltung der gesetzlichen Eigentumsordnung gilt, auf die es im Verhältnis zwischen den am Rechtsstreit Beteiligten ankommt. Über die Geltung des Vorbehalts des formellen Gesetzes im Rahmen der gesetzlichen Eigentumsordnung dürfen sich die Gerichte wegen ihrer Gesetzesbindung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG nicht hinwegsetzen; vgl. ähnlich B. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 12/2007), Art. 20 Teil VI Rn. 90; s. auch unten Fn. 335

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

setzgebung das Verfassungsbeschwerdeverfahren eröffnet sein muss.140 Das Verfassungsgericht muss den Gesetzgeber dazu anhalten, den verfassungswidrigen Zustand durch Nachbesserung, also Ausfüllung der Regelungslücken zu beseitigen.141 bb) Regelungslücken außerhalb des Vorbehaltsbereichs Betrifft die Regelungslücke der geschriebenen Eigentumsordnung hingegen keinen wesentlichen Regelungsgegenstand, so kann von einem Umsetzungsdefizit nicht die Rede sein, weil der formelle Gesetzgeber zur Regelung solcher „nichtwesentlicher“ Rechtsfragen nicht verpflichtet ist. Die Ausgestaltungsgarantie verlangt nicht die Lückenlosigkeit der geschriebenen Eigentumsordnung – ein Zustand, der zwar im Sinne der Rechtssicherheit wünschenswert, aber praktisch unerreichbar ist.142 Müssen Inhalt und Schranken des Eigentums also nicht bis ins Letzte durch formelle Gesetze bestimmt werden, so bleibt auch Raum für Richterrecht zur Ausfüllung von Regelungslücken der geschriebenen Eigentumsordnung. In diesem Bereich sind die Gerichte nicht nur berechtigt, sondern durch die Ausgestaltungsgarantie auch verpflichtet, die erforderlichen ungeschriebenen Rechtssätze nach den Regeln der juristischen Methodik zu ermitteln und anzuwenden. In diesem Rahmen ist dann auch ein „Rückgriff“ auf die Wertungen der Ausgestaltungsgarantie geboten.143 Denn das Richterrecht unterliegt wie alle gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmungen den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Ausgestaltungsprinzipien einerseits und des Gemeinwohls gem. Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG andererseits. Außerhalb dieser Bindungen kann es kein gültiges Richterrecht geben.144 Was der Gesetzgeber nicht als geschriebenes Gesetz zu regeln vermag, kann auch nicht als ungeschriebenes Recht in der verfassungsmäßigen Eigentumsordnung angelegt sein.

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Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 176 – 181 m. w. N.; s. aber auch BVerfGE 6, 257 (264 f.); 11, 255 (261); 12, 139 (142); 23, 242 (249 f.); 56, 54 (70 f.); BVerfG (Vorprüfungsausschuss), NJW 1983, 2931 (2932), das solche Verfassungsbeschwerden nur dann für zulässig erachtet, wenn sich der Beschwerdeführer auf einen ausdrücklichen Auftrag des Grundgesetzes berufen kann, der Inhalt und Umfang der Gesetzgebungspflicht im Wesentlichen bestimmt. Soweit hingegen die Handlungspflicht des formellen Gesetzgebers erst im Wege der Verfassungsinterpretation aus den in den Grundrechten verkörperten Grundentscheidungen herleitbar ist, sei das Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht ohne Weiteres eröffnet. 141 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 180 f.; anders Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 238, der ausschließt, dass der untätige formelle Gesetzgeber im Wege eines Gerichtsverfahrens zum Normerlass gezwungen wird. 142 Vgl. BVerfGE 34, 269 (287). 143 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rn. 50. 144 BVerfGE 82, 6 (15 – 17); vgl. BVerfGE 79, 283 (290).

A. Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Gesetz

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6. Ausgestaltungsprinzipien Die verfassungsrechtlichen Ausgestaltungsprinzipien müssen durch Auslegung aus dem Grundgesetz selbst ermittelt werden.145 Die Ausgestaltungsgarantie ist also nicht „normgeprägt“.146 Der Ausgangspunkt für die Ermittlung der Ausgestaltungsprinzipien besteht in dem Spannungsverhältnis von Ausgestaltungsgarantie in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG und Gemeinwohlvorbehalt in dessen Abs. 2. Im Gegensatz zur Förderung des Gemeinwohls verkörpern die Ausgestaltungsprinzipien in erster Linie die Individualinteressen der Grundrechtsträger. a) Leitbild des Sacheigentums Zunächst darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes bei der Schaffung der Verfassung eine einfachgesetzliche Eigentumsordnung vorfanden.147 Bei der Auslegung des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs kann also nicht unberücksichtigt bleiben, was die einfachen Gesetze als „Eigentum“ bezeichneten.148 Daher kommt dem Sacheigentum im Sinne des § 903 BGB eine gewisse Leitbildfunktion für den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff zu.149 Zugleich knüpft Art. 14 GG aber auch an seinen Vorgänger in Art. 153 WRV an.150 Im Vergleich zum 19. Jahrhundert wurde der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff bereits in der Weimarer Republik deutlich weiter gefasst und über das Sacheigentum und die beschränkten dinglichen Rechte hinaus auf alle privaten Vermögensrechte einschließlich Forderungen erstreckt.151 Das Bundesverfassungs145 Siehe J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 III 2 (S. 2178 – 2184), der von „Konstitutionselementen oder Direktiven des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffes“ spricht; J.-R. Sieckmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), BerlK-GG, Losebl. (Stand: 10/2000), Teil C Art. 14 Rn. 19, 37 – 41, 70 – 82, der „Eigentumsprinzipien“ erörtert. Vgl. zur Eigenständigkeit des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs BVerfGE 58, 300 (335); Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 336 f.; anders Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S. 112 f. Eine ausführliche Untersuchung des Sinngehalts der Eigentumsgewährleistung findet sich bei Chlosta, Der Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung, S. 79 – 147. 146 Soweit Burgi, NVwZ 1994, 527 (529) die Eigentumsgarantie insgesamt als „rechtsgeprägtes Grundrecht“ versteht, wird dieser Auffassung nicht gefolgt. Vielmehr kann innerhalb des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG lediglich die Rechtsstellungsgarantie als „rechtsgeprägt“ oder „normgeprägt“ bezeichnet werden; s. dazu unten S. 67; vgl. eingehend Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 265 – 268, 518 – 544 147 Vgl. K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 68 VI 5 (S. 870). 148 Vgl. zur Rezeption einfachgesetzlicher Begriffe durch die Verfassung Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Artikel 19 Abs. 2 Grundgesetz, S. 167 – 178. 149 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 31 – 34, 112. 150 Vgl. Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 17 – 33. 151 Wolff, in: Festg. Kahl IV, S. 3; zustimmend Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 153 (S. 704) m. w. N.; Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, S. 16; gegen die Einbeziehung von Forderungen W. Schelcher, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, Art. 153 (S. 201 – 207). Vgl. zum

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

gericht hat sich dem angeschlossen152 und den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff außerdem für vermögenswerte subjektive öffentliche Rechte geöffnet153. Das Sacheigentum im Sinne des § 903 BGB ist somit nur ein Typ von verfassungsrechtlichem Eigentum unter vielen. Damit wird die Frage nach den allen Eigentumstypen zugrunde liegenden Ausgestaltungsprinzipien ungleich komplexer. aa) Privatnützigkeit und Verfügungsfreiheit In Anlehnung an die einfachgesetzliche Ausgestaltung des privaten Sacheigentums sind zunächst die Ausgestaltungsprinzipien der Privatnützigkeit und der Verfügungsfreiheit überwiegend anerkannt.154 So hat das Bundesverfassungsgericht die wesentlichen Merkmale des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs darin gesehen, dass „ein vermögenswertes Recht dem Berechtigten ebenso ausschließlich wie Eigentum an der Sache zur privaten Nutzung und zur eigenen Verfügung zugeordnet ist“.155 Aus dem Leitbild des Sacheigentums ergeben sich ferner die Prinzipien der Fruchtziehungs- und Vindikationsbefugnis. bb) Freiheit des Eigentumserwerbs Ob ebenfalls die Freiheit des Eigentumserwerbs als Ausgestaltungsprinzip anzuerkennen ist, wird kontrovers diskutiert.156 Nachdem die Verfügungsfreiheit als verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff des 19. Jahrhunderts, der vorwiegend in seiner Funktion als Enteignungsgegenstand erörtert wurde, Frenzel, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, S. 37; W. Schelcher, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, Art. 153 (S. 198 f., 201). Damals war noch streitig, ob lediglich Grundeigentum und sonstige Rechte an Grundstücken oder auch Rechte an beweglichen Sachen darunter fielen. 152 Vgl. für Forderungen BVerfGE 42, 263 (294); 45, 142 (179); 68, 193 (222); 70, 278 (285); insbesondere für das vertragliche Besitzrecht des Mieters BVerfGE 89, 1 (5 – 8); für Warenzeichenrechte BVerfGE 51, 193 (216 – 218). 153 BVerfGE 4, 219 (239 – 243); 14, 288 (293 f.); 16, 94 (111 – 116); 40, 65 (82 – 84); 45, 142 (170); 53, 257 (289); 72, 175 (193); ablehnend noch BVerfGE 1, 264 (276 – 279); 2, 380 (399 – 403); 3, 58 (153). 154 BVerfGE 38, 348 (370); 53, 257 (290); 91, 294 (308); 100, 226 (241); Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 304; Appel, Entstehungsschwäche und Bestandsstärke des verfassungsrechtlichen Eigentums, S. 41 – 49; Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 328 – 330; J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 III 2 (S. 2178 – 2182); grundlegend Reinhardt, in: Reinhardt/Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums, S. 1 (12 – 33). Dagegen ordnet Hösch, Eigentum und Freiheit, S. 164 – 166 den Schutz der Eigentumsnutzung nicht der Eigentumsgarantie, sondern der Handlungsfreiheit zu. 155 BVerfGE 83, 201 (208) mit Verweis auf BVerfGE 78, 58 (71); vgl. schon BVerfGE 4, 219 (241). 156 Grundlegend für die Einbeziehung der Erwerbsfreiheit in die Eigentumsgarantie Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 35 – 49; ebenso Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 443. Dagegen sieht H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 223 – 225 die Freiheit des Eigentumserwerbs nur von der all-

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Ausgestaltungsprinzip anerkannt ist, verbirgt sich hinter diesem Streit im Grunde die Frage nach der Grundrechtsberechtigung. Die Ausgestaltungsgarantie verlangt vom Gesetzgeber die Bereitstellung einer Eigentumsordnung, die eine optimale Freiheit der Verfügung über Eigentum ermöglicht. Verfügung bedeutet im Regelfall (abgesehen etwa von der Dereliktion und von Mehrpersonenverhältnissen) die Übertragung subjektiver Rechte unter Beteiligung zweier Personen, von denen einer veräußert und der andere erwirbt. Insoweit sind Veräußerung und Erwerb in dem Begriff der Verfügung untrennbar verbunden. Dies wirft die Frage auf, ob sich auch ein Nicht-Eigentümer auf das Ausgestaltungsprinzip der Verfügungsfreiheit berufen kann. Es ist anzuerkennen, dass die Verfügungsfreiheit auch im Interesse des Erwerbers gewährleistet wird. Damit kommt es nur noch auf die Frage an, ob auch ein (Noch-)Nicht-Eigentümer aus der Ausgestaltungsgarantie vom Gesetzgeber eine für ihn optimale Eigentumsordnung verlangen kann. Die Antwort ergibt sich aus dem theoretischen Urzustand, in dem nur die Verfassung, aber noch keine einfachgesetzliche Eigentumsordnung existiert. In dieser Situation sind alle grundrechtsfähigen Personen Nicht-Eigentümer und als solche Grundrechtsberechtigte, weil sie vom Gesetzgeber eine Leistung verlangen können, die in der Bereitstellung einer optimalen Eigentumsordnung besteht.157 Existiert eine Eigentumsordnung, so ändert dies nichts an der Grundrechtsberechtigung der Nicht-Eigentümer.158 Insgesamt ergibt sich, dass die Freiheit des Eigentumserwerbs in Verbindung mit der Verfügungsfreiheit als Ausgestaltungsprinzip anzuerkennen ist. Die Anerkennung der Freiheit des Eigentumserwerbs als Ausgestaltungsprinzip der Eigentumsgewährleistung wirft die Frage nach dem Verhältnis von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG zu Art. 12 Abs. 1 GG auf, wenn der Eigentumserwerb im Zusammenhang mit einem Beruf steht und daher in den Schutzbereich der Berufsfreiheit fällt. Im Anschluss an Peter Wittig159 meint das Bundesverfassungsgericht: „Art. 14 Abs. 1 GG schützt das Erworbene, das Ergebnis der Betätigung, Art. 12 Abs. 1 GG dagegen den Erwerb, die Betätigung selbst […]. Greift somit ein Akt der öffentlichen Gewalt eher in die Freiheit der individuellen Erwerbs- und Leistungstätigkeit ein, so ist der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG berührt; begrenzt er mehr das Innehaben und die Verwendung vorhandener Vermögensgüter, so kommt der Schutz des Art. 14 GG in Betracht.“160 Im Fall von Überschneidungen geht das gemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG umfasst; ähnlich Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 296 f.; vgl. auch J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 III 3 (S. 2182 – 2184). 157 Siehe oben S. 23 f. und 28 – 32. 158 Rein prozessual ist demgegenüber die Einschränkung, dass eine Verfassungsbeschwerde nur erheben kann, wer selbst, gegenwärtig und unmittelbar in seinen Grundrechten betroffen ist, s. etwa BVerfGE 102, 197 (206). 159 Wittig, in: FS Müller, S. 575 (590 Fn. 67): „Allgemein wird man die Abgrenzung zwischen Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 GG darin sehen müssen, daß Art. 14 GG mehr das Erworbene, das Ergebnis der Betätigung schützt. Art. 12 Abs. 1 GG bezieht sich mehr auf den Erwerb, auf die Betätigung selbst.“ 160 BVerfGE 30, 292 (335).

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

Gericht überwiegend von einem Konkurrenzverhältnis aus, nach dem nur das sachnähere Grundrecht anwendbar sei161, in dem der „Schwerpunkt des Eingriffs“162 liege.163 Diese Rechtsprechung hat aber zur Folge, dass die spezifischen Abwägungsgehalte des verdrängten Grundrechts nicht zur Geltung kommen. Daher erscheint auch die pauschale Annahme, dass eine zulässige Beschränkung der Berufsfreiheit regelmäßig eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums sei164, nicht statthaft.165 Vielmehr sind bei Überschneidungen der Gewährleistungsgehalte beide Grundrechte in einem Verhältnis der Idealkonkurrenz anzuwenden.166 b) Vermögensrechtlicher Freiheitsraum Angesichts der Eigenständigkeit des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs ist das Leitbild des Sacheigentums nicht hinreichend, um die Ausgestaltungsprinzipien umfassend zu ermitteln. Je mehr sich ein Eigentumstyp vom Sacheigentum im Sinne des § 903 BGB unterscheidet, desto weniger passen möglicherweise die Ausgestaltungsprinzipien der Privatnützigkeit und der Verfügungsfreiheit. In der Tat gibt es Anzeichen dafür, dass das Bundesverfassungsgericht den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff weiter von dem Leitbild des Sacheigentums zu lösen versucht.167 Hilfreich erscheint insbesondere ein auch in der Verfassungsrechtsprechung anklingender Ansatz, der die Funktion des Eigentums im Gesamtgefüge der Verfassung zum Ausgangspunkt für die Ermittlung von Ausgestaltungsprinzipien nimmt168 : Dem Eigentum „kommt im Gesamtgefüge der Grundrechte die Aufgabe 161

BVerfGE 13, 290 (296); 84, 133 (157); 102, 26 (40). BVerfGE 121, 317 (345). 163 Anders aber BVerfGE 50, 290 (361 f.): „Art. 12 Abs. 1 GG wird durch Art. 14 Abs. 1 GG nicht verdrängt. Zwar sind beide Grundrechte funktionell aufeinander bezogen; sie haben jedoch selbständige Bedeutung.“ 164 B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 109; H.-J. Papier, in: Maunz/ Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 222; vgl. BVerfGE 50, 290 (364 f.). 165 R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 06/2006), Art. 12 Rn. 150; R. Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 186. 166 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Art. 14 Rn. 99; J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 111 VII 2 (S. 1928 f.), § 113 XII 1 f. (S. 2331 – 2333); R. Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 186; eingehend R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 06/2006), Art. 12 Rn. 130 – 150; s. ferner J.-R. Sieckmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), BerlK-GG, Losebl. (Stand: 10/2000), Teil C Art. 14 Rn. 99. Bemerkenswert ist, dass auch Wittig, in: FS Müller, S. 575 (590), auf den sich das BVerfGE 30, 292 (335) für die Abgrenzung zwischen Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG beruft, für eine parallele Anwendung beider Grundrechte plädiert. 167 Siehe BVerfGE 53, 257 (290); 83, 201 (208 f.). 168 Vgl. BVerfGE 36, 281 (290); 51, 193 (217 f.); 69, 272 (299 f.); 83, 201 (208 f.); Appel, Entstehungsschwäche und Bestandssicherung des verfassungsrechtlichen Eigentums, S. 38 – 41; Bumke, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 179 (213, 216 f.); H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 123; Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 75 – 80. 162

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zu, dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sicherzustellen und ihm damit eine eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens zu ermöglichen.“169 Von diesem Ansatz her lässt sich die Eigentumsgewährleistung als modernes Wirtschaftsgrundrecht entfalten, das dem Wandel der Zeit gerecht wird.170 Die Ausgestaltungsgarantie verlangt demnach vom Gesetzgeber eine Eigentumsordnung, die den Grundrechtsträgern einen optimalen wirtschaftlichen Freiheitsraum ermöglicht. Geeignetes Mittel für die Entfaltung wirtschaftlicher Freiheit sind alle vermögenswerten Rechte. Ob diese privatrechtlich oder öffentlichrechtlich ausgestaltet sind, ist aus Sicht der Ausgestaltungsgarantie unerheblich.171 In der heutigen Gesellschaft haben jedenfalls die durch Sozialversicherungsabgaben erworbenen öffentlich-rechtlichen Vermögensrechte eine erhebliche Bedeutung für die wirtschaftliche Existenzsicherung der meisten natürlichen Personen.172 aa) Äquivalent für vermögenswerte Leistung Das Bundesverfassungsgericht betont in diesem Zusammenhang seit jeher den Gedanken, dass subjektive Vermögensrechte, die durch eigene Leistung erworben werden, als Eigentum im verfassungsrechtlichen Sinne anzuerkennen sind.173 Auch bei der Anerkennung des (privatrechtlichen) Urheberrechts als Eigentum im verfassungsrechtlichen Sinne hat das Gericht die „Zuordnung des vermögenswerten Ergebnisses der schöpferischen Leistung an den Urheber“ für entscheidend gehalten.174 Daraus lässt sich als Ausgestaltungsprinzip entwickeln, dass die Eigentumsordnung subjektive Rechte als Äquivalent für vermögenswerte Leistung der Grundrechtsträger zur Verfügung stellen muss.175 Insofern erfüllt das Eigentum eine besondere Funktion beim verfassungsrechtlichen Schutz der Früchte eigener Arbeit. Soweit das Bundesverfassungsgericht die Anerkennung von öffentlich-rechtlichen, insbesondere sozialrechtlichen Vermögensrechten als Eigentum im verfassungs169

BVerfGE 24, 367 (389); s. auch BVerfGE 40, 65 (83 f.); 53, 257 (290); 79, 292 (303 f.). Vgl. Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 261 – 270. 171 Vgl. BVerfGE 16, 94 (111 f.), dem zufolge es für den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff nicht darauf ankommt, ob die subjektiven Rechte im privaten oder öffentlichen Recht wurzeln; ferner W. Rupp-v. Brünneck, Sondervotum, BVerfGE 32, 111 (142), die mit Blick auf die Eigentumsordnung darauf hinweist, dass die strenge Trennung der Bereiche des privaten und öffentlichen Rechts durch die Rechtsentwicklung überholt ist. 172 BVerfGE 53, 257 (290). 173 BVerfGE 1, 264 (278); 4, 219 (242); 14, 288 (293 f.); 45, 142 (170); 53, 257 (291 f.); 69, 272 (300 – 303); 72, 175 (193); 92, 365 (405); 97, 271 (283 f.); s. hierzu Appel, Entstehungsschwäche und Bestandsstärke des verfassungsrechtlichen Eigentums, S. 50 – 60, Eschenbach, Der verfassungsrechtliche Schutz des Eigentums, S. 272 – 293. 174 BVerfGE 31, 229 (240 f.); siehe hierzu Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 363 – 366; vgl. auch BVerfGE 51, 193 (218): Warenzeichenrechte als Ausdruck des Leistungswillens. 175 Ähnlich Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 258 – 261. Demnach ist die vermögenswerte Leistung hinreichendes, aber nicht notwendiges Ausgestaltungsprinzip des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs; vgl. dens. a. a. O., S. 113 – 121. 170

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

rechtlichen Sinne auf solches Äquivalent vermögenswerter Leistung beschränkt, das der Existenzsicherung der Berechtigten zu dienen bestimmt ist176, wird dieser Rechtsprechung hingegen nicht gefolgt.177 Es überzeugt nicht, öffentlich-rechtliche Ansprüche insoweit anders zu behandeln als privatrechtliche, für die der Zweck der Existenzsicherung kein konstitutives Merkmal des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs darstellt.178 Vielmehr ist davon auszugehen, dass eine Unterscheidung und Ungleichbehandlung von Vermögensrechten des öffentlichen und des privaten Rechts insoweit überholt ist.179 Demnach verlangt die Ausgestaltungsgarantie die Gewährleistung des Äquivalents vermögenswerter Leistung unabhängig von dessen Rechtsnatur. bb) Herrschafts- und Ausschließungsbefugnis Aus einer Kombination des Leitbildgedankens des Sacheigentums und einer Funktionsbetrachtung des Eigentums lässt sich folgern, dass die Eigentumsordnung eine optimale Vielfalt vermögenswerter Rechte ermöglichen soll, die ihrem Rechtsträger in der Weise zugeordnet sind, dass er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben kann.180 Als Kehrseite dieser Herrschaftsbefugnis181 gehört zu den Ausgestaltungsprinzipien weiterhin die Ausschließungsbefugnis182 zur Durchsetzung der Zuordnung des subjektiven Rechts zu seinem Rechtsträger. c) Nachfolgefähigkeit Als Ausgestaltungsprinzip ist ferner die Nachfolgefähigkeit anzuerkennen. Hier bestehen Überschneidungen mit der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG. Die Erbrechtsgarantie sichert den Fortbestand des Eigentums im Wege der Rechtsnachfolge. In dieser Funktion ergänzt sie die Eigentumsgewährleistung. Zusammen bilden die beiden Garantien die Grundlage für die verfassungsrechtlich vorgegebene Vermögensordnung.183 Gewährleistet sind damit nicht nur die Privat176

BVerfGE 69, 272 (300, 303 f.); 92, 365 (405); 97, 271 (283 f.). Zweifelnd auch Appel, Entstehungsschwäche und Bestandsstärke des verfassungsrechtlichen Eigentums, S. 60 – 62; Herzog, NZA 1989, 1 (3 f.); H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 12; J.-R. Sieckmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Komm. GG, Losebl. (Stand: 10/2000), Teil C Art. 14 Rn. 47; vgl. eingehend Eschenbach, Der verfassungsrechtliche Schutz des Eigentums, S. 293 – 329. 178 Sachs, Verfassungsrecht II. Grundrechte, Kap. B 14 Rn. 13; in diese Richtung auch Jarass, NZS 1997, 545 (546). 179 Siehe oben Fn. 171. 180 Vgl. BVerfGE 89, 1 (6). 181 Vgl. BVerfGE 31, 229 (239) und bereits Wolff, in: Festg. Kahl IV, S. 6. 182 J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 III 2 (S. 2179); vgl. BVerfGE 69, 272 (300); 72, 175 (195) und Hösch, Eigentum und Freiheit, S. 123 – 177, der das Eigentum ausschließlich als Verbotsrecht versteht. 183 BVerfGE 91, 346 (358); 93, 165 (173 f.). 177

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erbfolge und die Testierfreiheit, sondern auch die Nachfolgefähigkeit von Eigentum, ohne die Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG insoweit ins Leere laufen würde. Als allgemeine Vorgabe gilt das Ausgestaltungsprinzip der Nachfolgefähigkeit für alle Typen von Eigentum im verfassungsrechtlichen Sinne. Dies ist insbesondere für öffentlichrechtlich ausgestaltetes Eigentum zu betonen.184 Die Nachfolgefähigkeit von Eigentum wird nicht unmittelbar von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, sondern von den einfachen Gesetzen bestimmt, die dabei aber den Vorgaben des Ausgestaltungsprinzips der Nachfolgefähigkeit unterliegen.185 Daraus folgt indes nicht, dass der Gesetzgeber die Nachfolgefähigkeit von Eigentum unter keinen Umständen ausschließen könnte. Die Versagung der Nachfolgefähigkeit bedarf aber der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. d) Ausgleich für Sonderopfer Zu den Ausgestaltungsprinzipien des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs gehört weiterhin die verfassungsrechtliche Dogmatik des Ausgleichs für Sonderopfer.186 Bleibt eine Inhalts- und Schrankenbestimmung in unverhältnismäßiger oder gleichheitswidriger Weise hinter dem Maximum der Ausgestaltungsprinzipien zurück, so kann dieser Verfassungsverstoß durch einen finanziellen Ausgleich abgewendet werden.187 aa) Vorbehalt des formellen Gesetzes Ein solcher Ausgleichsanspruch kann nur in einem formellen Gesetz begründet werden. Die Wesentlichkeit des Regelungsgegenstandes, die den Vorbehalt des formellen Gesetzes auslöst188, lässt sich bereits mit der Bedeutung der Ausgleichsregelungen für die Verwirklichung des Eigentumsgrundrechts begründen.189 Ein weiterer Grund für die Wesentlichkeit des Regelungsgegenstandes muss spätestens 184

Dietlein, Nachfolge im Öffentlichen Recht, S. 136 – 140. Nicht überzeugend ist daher die pauschale Formulierung in BVerwGE 35, 278 (287): „Art. 14 GG bestimmt nicht, welche Ansprüche zum Vermögen des Erblassers gehören und mit seinem Tode auf den Erben übergehen.“ 186 Dass die Ausgleichsdogmatik nicht erst bei der Rechtsstellungsgarantie (s. u. S. 73 f.), sondern auch schon bei der Ausgestaltungsgarantie einzuordnen ist, lässt sich etwa an der Pflichtexemplar-Entscheidung erkennen; s. BVerfGE 58, 137 (144 f.). Darin geht es um eine abstrakt-generelle Abgabepflicht bezogen auf jeweils ein Exemplar der Druckstücke einer Auflage. Diese Abgabepflicht greift immer wieder neu mit dem Entstehen von Eigentum an Druckwerken. Dabei ist die Rechtsstellungsgarantie gar nicht betroffen, weil die Abgabepflicht von Anfang an Teil von Inhalt und Schranken des Eigentums am Druckwerk ist. Vgl. dazu Jaschinski, Der Fortbestand des Anspruchs aus enteignendem Eingriff, S. 138 f., 141. 187 Vgl. BVerfGE 58, 137 (149 f.); weiterhin BVerfGE 79, 174 (192); 83, 201 (212 f.); eingehend BVerfGE 100, 226 (243 – 247); s. auch Jaschinski, Der Fortbestand des Anspruchs aus enteignendem Eingriff, S. 151 – 154; Stöhr, Verfassungsrechtliche Aspekte des Anspruchs aus enteignendem Eingriff, S. 139 – 142. 188 Siehe dazu oben S. 34 f. 189 Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 131 f. 185

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seit der Nassauskiesungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts190 in der Budgethoheit des formellen Gesetzgebers gesehen werden.191 Darin hat das Gericht zunächst mit Blick auf Enteignungen ausgesprochen, dass die Gerichte eine Entschädigung nur zusprechen dürfen, wenn dafür eine formellgesetzliche Anspruchsgrundlage vorhanden ist.192 Diesen Grundsatz hat das Bundesverfassungsgericht später auch für die Ausgleichsdogmatik bekräftigt und dafür ausdrücklich auf das Budgetrecht des Parlaments verwiesen.193 Dahinter steht der Gedanke, dass durch Ausgleichsansprüche am Ende das ganze Volk als finanzieller Träger des Staates belastet wird. Nach alledem zählt die Regelung von Ausgleichsansprüchen zu den wesentlichen Grundzügen der Eigentumsordnung, die dem formellen Gesetzgeber vorbehalten sind.194 bb) Anspruchsbegründung Die Dogmatik des Ausgleichs für Sonderopfer ist in keinem Fall unmittelbar anspruchsbegründend. Weder bietet dieses Ausgestaltungsprinzip eine Anspruchsgrundlage dafür, dass die Gerichte Ausgleichsleistungen ohne formellgesetzliche Ausgleichsregelung zusprechen, noch begründet die Ausgestaltungsgarantie einen Anspruch gegen den Gesetzgeber auf Regelung von Ausgleichsansprüchen: Hat der Gesetzgeber eine „ausgleichspflichtige“ Inhalts- und Schrankenbestimmung ohne Ausgleichsregelung erlassen, so ist die Bestimmung verfassungswidrig. Der Gesetzgeber ist zwar daran gehindert, die „ausgleichspflichtige“ Inhalts- und Schrankenbestimmung ohne Ausgleichsregelung in Kraft zu setzen, er ist aber entgegen der insoweit missverständlichen Bezeichnung nicht verpflichtet, die „ausgleichspflichtige“ Bestimmung (mit Ausgleichsregelung) neu zu erlassen. Vielmehr belässt die Ausgleichsdogmatik dem Gesetzgeber die freie Wahl, ob er auf die „ausgleichspflichtige“ Inhalts- und Schrankenbestimmung insgesamt verzichten oder zur Abwendung des Verfassungsverstoßes von seiner Ausgleichsbefugnis Gebrauch machen will.195 So verstanden schränkt die Ausgleichsdogmatik die Befugnisse des Gesetzgebers nicht ein, sondern erweitert seine Gestaltungsmöglichkeiten, indem sie

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BVerfGE 58, 300 – 353. Vgl. auch BGHZ 102, 350 (362); Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 448 f. 192 BVerfGE 58, 300 (319, 324). 193 BVerfGE 100, 226 (245); ebenso Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 130 f. m. w. N.; anders Jaschinski, Der Fortbestand des Anspruchs aus enteignendem Eingriff, S. 203 – 217, der davon ausgeht, dass der Verwaltung in einem für den Gesetzgeber nicht regelungsfähigen Bereich die Kompetenz zukommt, selbst Ausgleichsansprüche zu gewähren. 194 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 220 f., 243 – 248; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 447 – 451. 195 Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S. 363; vgl. BVerwGE 84, 361 (368); Kempen, Der Eingriff des Staates in das Eigentum, Rn. 250 f.; Osterloh, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 55 Rn. 17; Peter, Grundeigentum und Naturschutz, S. 99 – 102. 191

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ihm ermöglicht, eine ansonsten verfassungswidrige Inhalts- und Schrankenbestimmung zu erlassen.196 cc) Voraussetzungen und Subsidiarität Eine solche Ausgleichsbefugnis ist aber nur unter bestimmten engen Voraussetzungen anzuerkennen. Denn die Eigentumsgewährleistung würde leer laufen, wenn sich der Gesetzgeber generell von den Bindungen der Ausgestaltungsgarantie „freikaufen“ könnte.197 Ausgleichsregelungen setzen demnach voraus, dass die unverhältnismäßigen oder gleichheitswidrigen Belastungen einer Inhalts- und Schrankenbestimmung lediglich ausnahmsweise eintreten, also nicht über Sonderopfer hinausgehen.198 Nach dieser Maßgabe lassen sich für die Beurteilung einer Belastung als unverhältnismäßiges oder gleichheitswidriges Sonderopfer die „enteignungsrechtlichen Schwellentheorien“199 heranziehen200, weil sie strukturell und inhaltlich mit den verfassungsrechtlichen Maßstäben des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Gleichheitssatzes übereinstimmen.201 Aber auch wenn danach ein besonderer Härtefall anzunehmen ist, kann die Wahrung der Verhältnismäßigkeit durch Gewährung eines finanziellen Ausgleichs nur erreicht werden, wenn andere Maßnahmen, die den Ausgestaltungsprinzipien so weit wie möglich nachkommen, nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich sind.202 Vorrangig sind hier insbesondere Ausnahme- und Befreiungsregelungen. dd) Regelungsfähigkeit und Regelungsbedürftigkeit Damit die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmung entfällt, muss der Ausgleich zugleich mit der Bestimmung von Inhalt und 196

Darüber hinaus bleibt es dem Gesetzgeber unbenommen, auch eine ansonsten bereits verfassungsmäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung mit einer Ausgleichsregelung zu versehen, um Belastungen jenseits des verfassungsrechtlich gebotenen Maßes abzumildern; s. Osterloh, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 55 Rn. 149. 197 Vgl. Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 443 – 445; Kempen, Der Eingriff des Staates in das Eigentum, S. 252; s. auch Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S. 282 – 284. 198 BVerfGE 100, 226 (244). 199 Siehe unten S. 92. 200 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Art. 14 Rn. 248, 254, 256 – 272; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 362, 528; Ossenbühl, VVDStRL 51 (1992), 285 (287); Stöhr, Verfassungsrechtliche Aspekte des Anspruchs aus enteignendem Eingriff, S. 137 – 139. 201 Diese Übereinstimmung weist Schulze-Osterloh, Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht und im öffentlichen Recht, S. 240 – 248 nach; s. auch Osterloh, DVBl. 1991, 906 (909 f.). Da sich die Argumentationsmuster der Schwellentheorien somit in die Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes einpassen lassen, müssen sie entgegen Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 272 f. nicht aufgegeben werden, wenn auch beim Rückgriff darauf ein kritischer Blick durchaus angemessen erscheint. 202 Vgl. BVerfGE 100, 226 (245 f.).

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

Schranken des Eigentums normiert werden.203 Demnach sind einer Ausgleichsregelung nur abstrakt vorhersehbare Sonderopfer zugänglich. Nicht jeder regelungsfähige Sonderopferausgleich ist aber auch regelungsbedürftig, denn nicht jedes Sonderopfer lässt sich auf eine gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung zurückführen und dieser zurechnen. Von der Regelungsfähigkeit zu trennen ist daher die Frage, welche besonderen Belastungen überhaupt zur Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmung führen und mithin einer Ausgleichsregelung bedürfen.204 Hierfür bedarf es eines Zurechnungskriteriums, das der Funktion der Gesetzgebung gerecht wird.205 Der Erlass abstrakt-genereller Regelungen erfordert neben Prognosen vor allem Typisierungen. Einer Rechtsnorm zurechenbar sind demnach nur die typischen Folgen206, die sich nicht nur durch eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, sondern zudem durch eine gewisse Häufigkeit auszeichnen.207 Ist also ein unverhältnismäßiges oder gleichheitswidriges Sonderopfer zwar abstrakt vorhersehbar, aber höchst selten, so lässt es die Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden formellgesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmung unberührt, ohne dass es einer Ausgleichsregelung bedürfte.208 Ein Beispiel für ein atypisches Sonderopfer ist die Beschädigung eines hoheitlich in Verwahrung genommenen Fahrzeugs durch Vandalismus Dritter, die gewaltsam in den Verwahrungsort eingedrungen sind.209 Tritt ein solches Sonderopfer hingegen derart häufig auf, dass es als typisch angesehen werden muss, so schlägt seine Rechts- und Verfassungswidrigkeit auf die zugrundeliegende gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung durch. Insoweit ist etwa an Beeinträchtigungen von Anliegern durch Infrastrukturmaßnahmen oder an schädliche Umwelteinwirkungen als typische Folge der Zulassung von emittierenden Anlagen zu denken.210

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BVerfGE 100, 226 (246). Siehe dazu O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Art. 14 Rn. 253 – 292; Kischel, JZ 2003, 604 – 613. 205 Vgl. hierzu grundlegend Schulze-Osterloh, Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht und im öffentlichen Recht, S. 99 – 188. 206 Schmidt-Aßmann, DVBl. 1987, 216 (218); vgl. auch dens., DVBl. 1976, 170 (172). 207 Vgl. BGHZ 102, 350 (361 f.), der die Regelungsbedürftigkeit eines Ausgleichs und mithin die Zurechnung des Sonderopfers zu der zugrundeliegenden formellgesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmung damit begründet, dass die Belastung „in einer Vielzahl von Fällen“ auftritt; s. auch Leisner, DVBl. 1981, 76 (81). 208 Vgl. Leisner, DVBl. 1981, 76 (81); Ossenbühl, in: FS Geiger, S. 475 (479); Stöhr, Verfassungsrechtliche Aspekte des Anspruchs aus enteignendem Eingriff, S. 126. Siehe zu Abwehr und Ersatz des verbleibenden Erfolgsunrechts unten S. 59 – 61. 209 Vgl. BGHZ 100, 335 (339): „Die Unterstellung eines sichergestellten und in Verwahrung genommenen Kraftfahrzeugs in der verschlossenen Halle eines Kraftfahrzeugbetriebes begründet nicht typischerweise die Gefahr, daß sich Dritte gewaltsam Zutritt verschaffen und das Fahrzeug vorsätzlich beschädigen.“ 210 Vgl. Külpmann, Enteignende Eingriffe?, S. 203 – 206; Stöhr, Verfassungsrechtliche Aspekte des Anspruchs aus enteignendem Eingriff, S. 54 f. 204

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ee) Zurechnung von Sonderopfern bei Vollzugsakten Dabei wirft die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer formellgesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmung besondere Schwierigkeiten auf, wenn sich die eigentliche Belastung erst aus deren Vollzug durch die Verwaltung ergibt. Als Vollzugsmaßnahmen kommen sowohl Realakte211 als auch Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch untergesetzliche Normen212 oder durch Einzelfallregelungen213 in Betracht. Ohne Weiteres müssen hier solche Vollzugsmaßnahmen einbezogen werden, die in formellgesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmungen zwingend vorgeschrieben sind. Steht die Entscheidung über die Vollzugsmaßnahme hingegen im Ermessen der Verwaltung, so wird deren Ermessensfreiraum von vornherein durch die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) beschränkt. Unverhältnismäßige oder gleichheitswidrige Vollzugsmaßnahmen sind demnach bei einer verfassungskonformen Auslegung und Anwendung der formellgesetzlichen Inhaltsund Schrankenbestimmung ausgeschlossen.214 Auch in diesen Fällen bleibt für die Ausgleichsdogmatik aber ein Anwendungsbereich, wenn zur Erreichung des verfolgten Gemeinwohlzwecks (Art. 14 Abs. 2 GG) eine ausnahmslose Gesetzesanwendung einschließlich der Sonderopfer erforderlich ist.215 Dann kann der Gesetzgeber die von Verfassungs wegen vorzunehmende Reduktion des Ermessensfreiraums der Verwaltung mithilfe einer Ausgleichsregelung abwenden. ff) Bindung der Verwaltung und Bestimmtheitsgebot Bei der Entscheidung über die Gewährung des Ausgleichs im Einzelfall darf der formelle Gesetzgeber die Verwaltung einbinden. Entsteht das Sonderopfer erst beim 211

Siehe dazu unten S. 82. Siehe dazu oben S. 18 – 21. 213 Siehe dazu unten S. 74 – 81. 214 Gestützt auf eine geltungserhaltende verfassungskonforme Auslegung hätte das BVerfGE 58, 137 in der Pflichtexemplar-Entscheidung die formellgesetzliche Ermächtigungsnorm auch halten können, wenn nicht sogar müssen. Zwar ermächtigte das Parlamentsgesetz den Verordnungsgeber dazu, die Pflicht zur Ablieferung eines Belegstücks ausnahmslos ohne Kostenerstattung anzuordnen. Diese Anordnung war aber zugleich in das Entschließungs- und Auswahlermessen des zuständigen Ministers gestellt. Somit hätte eine geltungserhaltende Reduktion des Ermessensfreiraums näher gelegen als die Verfassungswidrigkeit der Ermächtigungsgrundlage. Dann wäre nur die Pflichtexemplarverordnung verfassungswidrig, was die Verwaltungsgerichtsbarkeit kraft ihrer Verwerfungskompetenz für untergesetzliche Normen selbst hätte entscheiden können und müssen, s. dazu grundlegend BVerfGE 1, 184 (189 – 201); weiterhin BVerfGE 17, 208 (209 f.); 48, 40 (44 f.). Das BVerfGE 58, 137 (143 f.) hat eine verfassungskonforme Auslegung allerdings mit der Begründung abgelehnt, dass die verfassungswidrige Vollzugsmaßnahme „nach dem objektiven Willen des formellen Gesetzgebers zugelassen sein soll.“ 215 Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S. 364; vgl. insoweit schon die Rechtsgrundsätze in § 74 f. Einl. PrALR. 212

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

Vollzug einer formellgesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmung durch die Verwaltung, so muss das formelle Gesetz allerdings sicherstellen, dass die Verwaltung bei ihrer Maßnahme zugleich über den gegebenenfalls erforderlichen Ausgleich zumindest dem Grunde nach entscheidet.216 Neben diesem Verwaltungsverfahren unterliegt vor allem die Regelung von Voraussetzungen sowie Art und Umfang des Ausgleichsanspruchs dem Vorbehalt des formellen Gesetzes.217 Damit einher gehen verfassungsrechtliche Anforderungen an die Bestimmtheit der formellgesetzlichen Regelung. Freilich kann vom formellen Gesetzgeber insofern nichts Unmögliches verlangt werden (impossibilium nulla est obligatio). Da aber ohnehin nur die typischen Sonderopfer ausgeglichen werden müssen, um die Verfassungswidrigkeit einer unverhältnismäßigen oder gleichheitswidrigen Inhalts- und Schrankenbestimmung abzuwenden, ist jedenfalls eine über bloße Generalklauseln hinausgehende Regelungsdichte möglich und erforderlich.218 Im Einzelnen hängen die verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen vom Grad der Regelungsfähigkeit der betreffenden Sachmaterie ab.219 Dafür kommt es insbesondere auf das Maß der Typisierbarkeit der Sonderopfer an. gg) Sonderopfer zugunsten Privater Nach Maßgabe der Ausgestaltungsgarantie ist es dem Gesetzgeber auch bei der Regelung der Eigentumsverhältnisse zwischen gleichgeordneten Grundrechtsträgern nicht verwehrt, Sonderopfer zugunsten einzelner Privater zuzulassen. Als Beispiel ist etwa der sogenannte „Squeeze-out“ zu nennen, bei dem Minderheitsaktionäre ihre Beteiligungsrechte zugunsten eines privaten Hauptaktionärs verlieren.220 Dessen Interessen darf der Staat bei der Ausgestaltung der Eigentumsordnung zum Wohl der Allgemeinheit fördern.221 Allerdings ist die Förderung solcher Interessen einzelner Privater nur als verhältnismäßig schwacher Gemeinwohlzweck zu bewerten222, so dass das verfassungsrechtliche Optimierungsgebot zugunsten der von dem Eigentumsverlust betroffenen Grundrechtsträger umso stärker ins Gewicht fällt. Daher kann ein Sonderopfer zugunsten einzelner Privater regelmäßig nur durch einen Ausgleich in Höhe des vollen Verkehrswertes des betroffenen Eigentums kompen216

BVerfGE 100, 226 (246); Hermes, NVwZ 1990, 733 (734). BVerfGE 100, 226 (246). 218 Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 129 – 131. Der Streit um die Zulässigkeit salvatorischer Ausgleichsklauseln entpuppt sich damit als Bestimmtheitsproblem; vgl. dazu O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 221, 240 – 248; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 83 jeweils m. w. N. 219 Vgl. O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 248; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 451 – 461; Jaschinski, Der Fortbestand des Anspruchs aus enteignendem Eingriff, S. 184 – 186; Külpmann, Enteignende Eingriffe?, S. 214 – 226. 220 Siehe hierzu Schmidt-Aßmann, in: FS Badura, S. 1009 (1021 – 1026). 221 Siehe zur Anerkennung der Interessen Privater als Gemeinwohlzwecke unten S. 207 f. 222 Vgl. unten S. 209. 217

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siert werden223, während bei stärkerer Gemeinwohlförderung die Belastung grundsätzlich nur insoweit ausgeglichen werden muss, als sie das zumutbare Maß übersteigt.224 hh) Folgen fehlender Ausgleichsregelungen Wenn schließlich eine Ausgleichsregelung alle verfassungsrechtlichen Anforderungen erfüllt, dann sind sowohl die formellgesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung einschließlich etwaiger Vollzugsmaßnahmen als auch die Sonderopfer insgesamt verfassungskonform und rechtmäßig.225 Der Eigentümer muss die Belastung dulden, Primärrechtsschutz wäre erfolglos. Fehlt hingegen eine verfassungsmäßige Ausgleichsregelung, so richtet sich die Rechtslage nach der Regelungsbedürftigkeit eines Ausgleichs und mithin nach der Typisierbarkeit der Sonderopfer226 : Im Fall von typischen Sonderopfern sind die gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung einschließlich etwaiger Vollzugsmaßnahmen und die Sonderopfer rechts- und verfassungswidrig. Sind die Sonderopfer aber atypisch, so schlägt deren Rechts- und Verfassungswidrigkeit nicht auf die gesetzliche Inhaltsund Schrankenbestimmung durch. Die Rechts- und Verfassungsmäßigkeit etwaiger Vollzugsmaßnahmen richtet sich in dieser Konstellation nach der Vorhersehbarkeit im Einzelfall. Denn die mangelnde abstrakt-generelle Ausgleichsregelungsbedürftigkeit atypischer Sonderopfer entlässt die Verwaltung nicht aus der Pflicht, im Einzelfall vorhersehbares Erfolgsunrecht zu vermeiden. Zur Kompensation von unheilbar227 rechtswidrigen Verwaltungsmaßnahmen oder Sonderopfern können in keinem Fall vorhandene Ausgleichsregelungen herangezogen werden, auch wenn diese von der Rechtswidrigkeit der Verwaltungsmaßnahme oder des Sonderopfers unberührt bleiben und insgesamt verfassungskonform sind. Denn Voraussetzung für die Gewährung eines Ausgleichs ist, dass der Eigentumseingriff durch die Kompensation insgesamt rechtmäßig wird.228 Die Frage nach der Abwehr rechtswidriger Verwaltungsmaßnahmen und etwaiger Ersatzansprüche für Erfolgsunrecht gehört vielmehr zum Regelungsgegenstand der Ausgestaltungsprinzipien des Integritätsschutzes und der Unrechtshaftung, die sogleich erörtert werden.

223

BVerfGE 14, 263 (283 f.); 100, 289 (303 – 311); BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), NJW 2001, 279 (280); BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), NJW 2007, 3268 (3270); Schmidt-Aßmann, in: FS Badura, S. 1009 (1026 f.). 224 BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), NJW-RR 2005, 741 (742); NVwZ 2010, 512 (514 f.). 225 Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 437 f. spricht insoweit vom „Ausgleichsanspruch als Rechtmäßigkeitsbedingung“. 226 Siehe oben S. 49 f. 227 Vgl. zur „Heilung“ von unvorhersehbarem Erfolgsunrecht Morlok, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 52 Rn. 30 f. 228 Vgl. zur parallelen Problematik bei der Enteignung unten S. 116 – 119.

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

e) Integritätsschutz und Unrechtshaftung Schließlich gehören auch Integritätsschutz und Unrechtshaftung zu den Ausgestaltungsprinzipien des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs. aa) Schutz vor Rechtsakten und Realakten Nach dem Prinzip des Integritätsschutzes muss die vom Gesetzgeber geschaffene Eigentumsordnung Ansprüche zur Abwehr und Beseitigung (rechtswidriger) Verletzungen des Eigentums und der darin enthaltenen Herrschafts- und Ausschließungsbefugnisse zur Verfügung stellen.229 In diesen Ansprüchen findet der sogenannte Primärrechtsschutz seine Grundlage. Gegenstand des Integritätsschutzes sind die nach Maßgabe der Eigentumsordnung entstandenen subjektiven Eigentumsrechte. Diese müssen sowohl gegen Rechtsakte als auch gegen Realakte geschützt werden. Freilich kann ein subjektives Recht unmittelbar nur durch Rechtsakt verändert werden. Soweit ein Eigentumstyp einen körperlichen Zuordnungsgegenstand hat, wird die Integrität des Eigentums aber auch durch Realakte verletzt, die entgegen der Herrschafts- und Ausschließungsbefugnis des Eigentümers in tatsächlicher Hinsicht auf den Zuordnungsgegenstand des Eigentums einwirken.230 In Betracht kommen hier etwa Sachentziehungen, Substanzverletzungen oder Gebrauchsbehinderungen.231 bb) Haftung für exekutives Erfolgsunrecht Das Ausgestaltungsprinzip der Unrechtshaftung führt den Integritätsschutz weiter und verlangt die Bereitstellung von Ersatzansprüchen bei Verletzungen des Eigentums (Erfolgsunrecht), soweit der Schaden nicht zumutbar abgewehrt oder gemindert werden konnte.232 (1) Gleichlauf von privatem und öffentlichem Recht Das Erfordernis derartiger Ansprüche dürfte für den Bereich des Privatrechts weitgehend anerkannt sein.233 Hier steht seit Inkrafttreten des Grundgesetzes gemäß 229 Vgl. dazu allgemein R. Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO, Losebl. (Stand: 02/1996), Vorbem. zu § 42 Abs. 2 Rn. 77. 230 Vgl. BVerwGE 50, 282 (287). 231 In ähnlicher Weise wird § 823 Abs. 1 Alt. 5 BGB ausgelegt. Dieser Haftungstatbestand setzt dem Wortlaut nach die Verletzung von Eigentum voraus. Sacheigentum bezeichnet aber ein subjektives Recht an einer Sache und nicht die Sache selbst. Dennoch werden nicht nur Einwirkungen auf das Eigentumsrecht, sondern auch tatsächliche Einwirkungen auf die Sache als „Eigentumsverletzungen“ verstanden; vgl. dazu G. Wagner, in: MüKo-BGB, § 823 Rn. 102. 232 Vgl. Schulte, Zur Dogmatik des Art. 14 GG, S. 33. Allerdings ist Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG niemals selbst Anspruchsgrundlage, sondern verpflichtet den Gesetzgeber, entsprechende Anspruchsgrundlagen zu erlassen. 233 Vgl. BVerfGE 58, 300 (335).

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Art. 123 Abs. 1 GG etwa für das Sacheigentum ein umfassendes Schutz- und Haftungsrecht rund um die Vorschriften des § 823 Abs. 1 Var. 5, § 894, § 985 und § 1004 BGB zur Verfügung. Eine den Ersatzanspruch ganz oder teilweise ausschließende Obliegenheit zur Schadensabwendung oder -minderung ist allgemein in § 254 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 und 3 BGB normiert. Gleichermaßen beanspruchen die Ausgestaltungsprinzipien des Integritätsschutzes und der Unrechtshaftung auch Geltung für die Rechtsverhältnisse zwischen Grundrechtsträgern und der Verwaltung.234 Denn die Eigentumsordnung regelt nicht nur die Rechtsverhältnisse der Grundrechtsträger untereinander, sondern ebenso die öffentlich-rechtlichen Befugnisse und Pflichten im Verhältnis von Eigentümern und Verwaltung.235 Der Gesetzgeber hat also die Integrität des Eigentums auch gegenüber der seiner Regelungskompetenz unterworfenen Verwaltung zu schützen. Für den Fall von Eigentumsverletzungen durch die Verwaltung muss die Eigentumsordnung Ersatzansprüche vorsehen. (2) Haftung für legislatives Unrecht Außerhalb der Regelungskompetenz des einfachen Gesetzgebers liegt allerdings die Haftung für legislatives Unrecht, also für rechtswidrige Sonderopfer, die ohne Vollzugsmaßnahmen der Verwaltung entstehen und somit unmittelbar auf formellgesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmungen zurückzuführen sind.236 Diese Problematik gehört von vornherein nicht zur einfachgesetzlichen Eigentumsordnung, weil eine Haftung für legislatives Unrecht nicht durch Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG begründet werden kann. Denn der formelle Gesetzgeber ist gemäß Art. 20 Abs. 3 Var. 1 GG nur an die verfassungsmäßige Ordnung, nicht aber an seine eigenen Gesetze gebunden. Daher kann eine Haftung für legislatives Unrecht allein durch die Verfassung begründet werden. Der Amtshaftungsanspruch gemäß Art. 34 GG in Verbindung mit § 839 BGB kommt insoweit nicht in Betracht.237 Ob sich ansonsten dem Grundgesetz unmittelbar Staatshaftungsansprüche entnehmen lassen, wird hier nicht untersucht.238 Geht man davon aus, dass es insoweit in der geltenden Verfassung an einer 234

Vgl. oben Fn. 171. BVerfGE 58, 300 (335 f.); Bumke, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 179 (203); vgl. BVerwGE 50, 282 (286). 236 Vgl. dazu Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 104 – 107, 233 f. 237 Vgl. BGHZ 56, 40 (44 – 47); 84, 292 (298 – 302); 87, 321 (334 – 337); 102, 350 (367 f.). 238 Einen neuerlichen Vorstoß in diese Richtung unternimmt etwa Grzeszick, Rechte und Ansprüche. Er rekonstruiert verfassungsunmittelbare Staatshaftungsansprüche als Reaktion auf die Verletzung von grundrechtlichem Freiheitsschutz und beruft sich dafür insbesondere auf das liberal-negatorische Grundrechtsverständnis, S. 186 – 338; ablehnend allerdings BVerfGE 61, 149 (198 f.); BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), NVwZ 1998, 271 (272); vgl. auch Höfling, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 51 Rn. 83 – 88. Im Unterschied zu diesem Ansatz sind die in der vorliegenden Arbeit erörterten Ausgestaltungsvorgaben der Unrechtshaftung Ausfluss des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs 235

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

hinreichend bestimmten Anspruchsgrundlage fehlt, so erscheint zur Begründung einer Haftung für legislatives Unrecht eine Verfassungsänderung rechtspolitisch wünschenswert. Auf diesem Wege ließe sich ein konsistentes Haftungssystem schaffen, das auch mit der europarechtlich gebotenen Haftung für legislatives Unrecht239 im Einklang stünde. (3) Haftung für Beruhensakte Einer einfachgesetzlichen Regelung zugänglich ist die Unrechtshaftung hingegen für die Fälle des Vollzugs von verfassungswidrigen formellgesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch die Verwaltung.240 Auch wenn dann die Eigentumsverletzung auf der Verfassungswidrigkeit des formellen Gesetzes beruht (sogenannter Beruhensakt), entsteht durch den Vollzugsakt doch ein eigenständiges Verwaltungsunrecht. Freilich ist es der Verwaltung verwehrt, ein verfassungswidriges formelles Gesetz ohne Weiteres unangewendet zu lassen.241 Die Verwaltung darf ein solches Gesetz aber auch nicht ohne Weiteres vollziehen, denn im Grundsatz

und somit gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG auf die Umsetzung durch die einfachen Gesetze angewiesen. Dagegen schlägt Grzeszick zur Gewährung verfassungsunmittelbarer Staatshaftungsansprüche eine Rechtsfortbildung im Wege des Richterrechts vor, S. 403 – 421. Diese richterrechtlichen Staatshaftungsansprüche hält er aber gegenüber gesetzlichen Ansprüchen für subsidiär, S. 393 – 395. Für den Bereich der Eigentumsgarantie erscheint indes die Annahme überzeugender, dass verfassungsunmittelbare Staatshaftungsansprüche ausgeschlossen sind, soweit das Ausgestaltungsprinzip der Unrechtshaftung reicht, auch wenn dieses vom einfachen Gesetzgeber bislang nicht hinreichend umgesetzt worden ist. Muss eine verfassungsunmittelbare Staatshaftung für exekutive Eigentumsverletzungen somit ausscheiden, so kommen verfassungsunmittelbare Ansprüche hier nur in Betracht zur Haftung für legislatives Unrecht, die Grzeszick ebenfalls als Grundrechtsverletzungsreaktion begründen will (S. 424 – 430). Auch insoweit verbleiben jedoch Zweifel, die allerdings ohne vertiefte Auseinandersetzung mit der Problematik hier nicht geklärt werden können. Vgl. zum verfassungsrechtlichen Fundament des sekundären Rechtsschutzes auch J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/2, § 123 XI 1 (S. 2005 f.). 239 Siehe J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/2, § 123 XVI (S. 2104 – 2112); Höfling, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 51 Rn. 56 – 61; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 509 – 511 zur unionsrechtlichen und Höfling, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 51 Rn. 62; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 536 f. zur konventionsrechtlichen Haftung. 240 Vgl. zur Amtshaftung und zum enteignungsgleichen Eingriff Baumeister/Ruthig, JZ 1999, 117 – 125; Schenke, NJW 1988, 857 – 864 jeweils m. w. N. gegen BGHZ 100, 136 (145 – 147); 102, 350 (359); 111, 349 (352 f.); 125, 27 (39 f.); 134, 30 (33); s. auch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 91. 241 Dies ist in der Verfassung allerdings nicht ausdrücklich geregelt. Nur gegenüber den Gerichten begründet Art. 100 GG ein Verwerfungsmonopol zugunsten der Verfassungsgerichte. Aus deren Funktion, dem Prinzip der Gewaltenteilung und nicht zuletzt aus der insofern übertragbaren Wertung des Art. 100 GG lässt sich aber ein Verwerfungsverbot auch für die Verwaltung begründen; vgl. H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 36.; Ph. Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 1 Rn. 61; Chr. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Art. 1 Abs. 3 Rn. 233; K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 74 II 2 (S. 1345 – 1349).

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ist ein verfassungswidriges Gesetz von Anfang an und von selbst nichtig242, so dass es für die Verwaltungsmaßnahme an einer Rechtsgrundlage fehlt. Für den Konflikt zwischen Verwerfungs- und Anwendungsverbot könnte ein erster Lösungsansatz darin bestehen, dass der Verwaltung ein Aussetzungsrecht zugestanden wird verbunden mit einer Pflicht zur Einleitung eines Normenkontrollverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht durch die übergeordnete Bundes- bzw. Landesregierung als Verwaltungsspitze gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG oder gegebenenfalls vor dem zuständigen Landesverfassungsgericht.243 Durch eine solche Aussetzung verzögert sich aber die Ausführung der Gesetze in erheblichem Maße. Dieses Problem wird weiter verschärft, wenn man das Ausgestaltungsprinzip der Unrechtshaftung auf Beruhensakte erstreckt. Muss danach der Gesetzgeber für den Vollzug von verfassungswidrigen formellgesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch die Verwaltung ein einfachgesetzliches Haftungsregime vorsehen, so steht zu befürchten, dass die Verwaltung angesichts des Haftungsrisikos zunehmend vor der Ausführung von kritischen Gesetzen zurückschrecken könnte, auch wenn sie dabei eine Verletzung ihrer Gesetzesbindung in Kauf nehmen müsste. In politischer Hinsicht wird dieser Verfassungsverstoß dadurch erleichtert, dass die Verwaltungsspitzen im Regelfall nicht von dem jeweiligen Parlament abhängig sind, das die auszuführenden Gesetze erlassen hat. Dies gilt für die Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder bzw. von Bundes- oder Landesgesetzen durch die Kommunen. Wenn die gesetzgebende und die vollziehende Gewalt unterschiedlichen Rechtsträgern zugeordnet sind, sollte die Haftung für den Vollzug verfassungswidriger formeller Gesetze diejenige Körperschaft treffen, die das Gesetzgebungsorgan trägt. Zu diesem Zweck kommen Freistellungs- und Regressansprüche, Haftungsüberleitungen oder eine entsprechende Bestimmung des Schuldners in Betracht. Im Verhältnis zwischen Bund und Ländern ließe sich eine solche Veranlassungshaftung (Gesetzeskausalität) allerdings mit dem geltenden Finanzverfassungsrecht, insbesondere mit der Lastenverteilungsregel des Art. 104a Abs. 1 GG schwerlich vereinbaren.244 Auch insoweit erscheint eine Verfassungsänderung 242 E. Klein, in: Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1251 f.; H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 33; K. Stern, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 03/1982), Art. 93 Rn. 269 – 276; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 379 – 383; dagegen Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 20 Rn. 14 – 18, dem zufolge verfassungswidrige Parlamentsgesetze solange gültig sind, bis sie durch Gestaltungsentscheidung eines zuständigen Verfassungsgerichts für nichtig erklärt werden. 243 Vgl. zu der umstrittenen Problematik neben den in Fn. 241 f. genannten BVerfGE 12, 180 (186); Arndt, DÖV 1959, 81 – 84; Bachof, AöR 87 (1962), 1 – 48; Gril, JuS 2000, 1080 – 1085; Hall, Die Prüfung von Gesetzen auf ihre Verfassungsmäßigkeit durch die Verwaltung; dens., DÖV 1965, 253 – 264; Hoffmann, JZ 1961, 193 – 205; Kabisch, Prüfung formeller Gesetze im Bereich der Exekutive; Kopp, DVBl. 1983, 821 – 829; Ossenbühl, Die Verwaltung 2 (1969), 393 – 410. 244 Als Ausnahme von dem Prinzip der Vollzugskausalität gem. Art. 104a Abs. 1 GG kommt hier allenfalls Art. 104a Abs. 3 GG in Betracht, nach dem der Bund Geldleistungen tragen kann, die durch Bundesgesetz gewährt werden. Allerdings soll eine Gewährung von Geldleistungen nur vorliegen, wenn diese freiwillig und nicht aufgrund bestehender, auch

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

sinnvoll245, um dem Gesetzgeber bei der Umsetzung des Ausgestaltungsprinzips der Unrechtshaftung einen größeren Ausgestaltungsfreiraum zur Vermeidung von unzumutbaren Haftungsrisiken der gesetzesausführenden Verwaltung zu verschaffen. (4) Vorrang des Primärrechtsschutzes Von besonderer Bedeutung für die Rechtsverhältnisse zwischen Grundrechtsträgern und der Verwaltung ist die im Ausgestaltungsprinzip der Unrechtshaftung enthaltene Einschränkung, dass die Eigentumsordnung Ersatzansprüche nur vorsehen muss, soweit der Schaden nicht zumutbar abgewehrt oder gemindert werden konnte. Danach kann der Gesetzgeber hier insbesondere den Vorrang des Primärrechtsschutzes anordnen.246 Dieser Grundsatz erscheint interessensgerecht247 und findet sich etwa für den Amtshaftungsanspruch bereits in § 839 Abs. 3 BGB normiert.248 Durch eine entsprechende Regelung im Haftungsrecht für Eigentumsverletzungen durch die Verwaltung wird dem Integritätsschutz Vorrang gegenüber der Unrechtshaftung eingeräumt und ein „Dulden und Liquidieren“ ausgeschlossen.249

verfassungsrechtlicher Verpflichtungen erbracht werden. Demnach ist Art. 104a Abs. 3 GG auf die Gewährung von Ersatzansprüchen nicht anwendbar; so ausdrücklich M. Heintzen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 104a Rn. 44; H. Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 104a Rn. 28; s. auch J. Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 104a Rn. 82; Th. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 1977), Art. 104a Rn. 34; B. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 104a Rn. 6. 245 Vgl. zu entsprechenden Reformüberlegungen M. Heintzen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Art. 104a Rn. 74 – 76; J. Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 104a Rn. 158 – 169; H. Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 104a Rn. 4 f. 246 Vgl. BVerfGE 58, 300 (324): „Wer von den ihm durch das Grundgesetz eingeräumten Möglichkeiten, sein Recht auf Herstellung des verfassungsmäßigen Zustandes zu wahren, keinen Gebrauch macht, kann wegen eines etwaigen, von ihm selbst herbeigeführten Rechtsverlustes nicht anschließend von der öffentlichen Hand Geldersatz verlangen.“ 247 Vgl. anders Morlok, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 52 Rn. 116 f. 248 Den Vorrang des Primärrechtsschutzes im Bereich des enteignungsgleichen Eingriffs und die Übertragbarkeit des Rechtsgedankens aus § 254 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 und 3 oder aus § 839 Abs. 3 BGB erörtert Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 95 – 99; s. auch Kempen, Der Eingriff des Staates in das Eigentum, Rn. 280 – 285. 249 Damit dürften die Bedenken von O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 247 gegen Ersatzansprüche für rechtswidrige Maßnahmen ausgeräumt sein; allerdings nimmt ders. ebda. auch eine „Pflicht zur Freiheit“ an. Demgegenüber ist der gesetzliche Ausschluss des „Duldens und Liquidierens“ von Verfassungs wegen nicht verpflichtend. Vielmehr belässt die Ausgestaltungsgarantie dem Gesetzgeber die Gestaltungsfreiheit, Ersatzansprüche trotz unterlassener Schadensabwendung oder -minderung zu gewähren. Zwingend ist insofern nur, dass daneben die (Wahl-)Möglichkeit des Integritätsschutzes nicht geschmälert wird.

A. Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Gesetz

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cc) Anspruchsbegründung Die Vorgaben der Ausgestaltungsprinzipien des Integritätsschutzes und der Unrechtshaftung gelten unabhängig davon, ob die Eigentumsverletzung der Verwaltung beim Vollzug einer formellgesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmung erfolgt oder nicht. Auch kommt es in den Vollzugsfällen nicht auf die Verfassungsmäßigkeit der formellgesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmung an. Vielmehr sollten diese Unterscheidungen zugunsten einer einheitlichen Anspruchsbegründung aufgegeben werden, die an das Erfolgsunrecht anknüpft.250 Als anspruchsbegründende Tatbestände kommen damit sowohl der Nichtvollzug251 als auch der Vollzug einer gültigen Inhalts- und Schrankenbestimmung sowie der Vollzug einer verfassungswidrigen und damit nichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung in Betracht.252 Ansprüche auf Integritätsschutz und Unrechtshaftung werden ferner durch rechtswidrige Administrativenteignungen ausgelöst.253 Schließlich kommt auch eine Anspruchsbegründung durch Unterlassen in Betracht, wenn eine Rechtspflicht zur Abwendung des Erfolgsunrechts bestand. dd) Verhältnis zum Ausgleich für Sonderopfer Angesichts dieses weiten Anwendungsbereichs von Integritätsschutz und Unrechtshaftung muss deren Verhältnis zum Ausgleich für Sonderopfer geklärt werden.254 Mangels einfachgesetzlicher Haftung für legislatives Unrecht255 werden hier nur die Vollzugsfälle erörtert. Wenn für ein unverhältnismäßiges oder gleichheitswidriges Sonderopfer eine verfassungskonforme Ausgleichsregelung existiert, gibt es bei rechtmäßigem Vollzug von vornherein weder Handlungs- noch Erfolgsunrecht, so dass Integritätsschutz und Unrechtshaftung nicht in Betracht kommen. Entsteht ein solches Sonderopfer hingegen beim Vollzug einer Inhalts- und Schrankenbestimmung ohne die erforderliche verfassungskonforme Ausgleichsregelung, so muss die Eigentumsordnung für dieses Erfolgsunrecht Ersatzansprüche vorsehen, soweit der Schaden nicht zumutbar abgewendet oder gemindert werden

250 In diese Richtung etwa Kempen, Der Eingriff des Staates in das Eigentum, Rn. 277 – 279; Külpmann, Enteignende Eingriffe?, S. 239 – 249; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 111; Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 239 – 241; Stöhr, Verfassungsrechtliche Aspekte des Anspruchs aus enteignendem Eingriff, S. 153. Damit wird die Unterscheidung zwischen dem „enteignenden Eingriff“ und dem „enteignungsgleichen Eingriff“ hinfällig, denn beide setzen einen rechtswidrigen Eingriffserfolg voraus. 251 Vgl. dazu Külpmann, Enteignende Eingriffe?, S. 150 f., 214 – 220. 252 Vgl. Kempen, Der Eingriff des Staates in das Eigentum, Rn. 268 – 279. 253 Siehe unten S. 118 f. 254 Vgl. zur Trennung von Ausgleichsdogmatik und Unrechtshaftung Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 240 Fn. 297 m. w. N. 255 Siehe oben S. 55 f.

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

konnte.256 Zu diesem Zweck umfasst der verfassungsrechtlich gebotene Integritätsschutz Abwehransprüche gegen den rechtswidrigen Vollzug von gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch die Verwaltung. Handelt es sich um ein typisches und damit ausgleichsregelungsbedürftiges Sonderopfer, so ist der Vollzug einer mangels Ausgleichsregelung verfassungswidrigen und nichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung in jedem Fall rechtswidrig, weil die Belastung ohne Rechtsgrundlage erfolgt.257 Primärrechtsschutz muss aber auch bei atypischen Sonderopfern gegeben sein, wenn im Einzelfall vorhersehbar ist, dass der Vollzug einer verfassungskonformen gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmung zu Erfolgsunrecht führen wird. Solange demgegenüber kein Erfolgsunrecht vorhersehbar oder erkennbar ist, hat der Grundrechtsträger kein Recht, die Vollzugsmaßnahme der Verwaltung abzuwehren. Verursacht die Vollzugsmaßnahme dennoch zurechenbar Erfolgsunrecht, so muss die Eigentumsordnung Ersatzansprüche für den entstandenen Schaden zur Verfügung stellen.258 Schwierigkeiten im Verhältnis von Integritätsschutz und Unrechtshaftung zum Ausgleich für Sonderopfer ergeben sich weiterhin, wenn eine Ausgleichsregelung zwar vorhanden ist, diese den verfassungsrechtlichen Anforderungen aber nicht vollständig genügt. Hier besteht die Gefahr, dass der Bürger möglichen Primärrechtsschutz verstreichen lässt im Vertrauen auf eine Ausgleichszahlung, für die es wegen der verfassungswidrigen und damit nichtigen Ausgleichsregelung aber keine gültige Anspruchsgrundlage gibt. Damit der Grundrechtsträger hier nicht das Risiko der Verfassungswidrigkeit der Ausgleichsregelung trägt, muss das Ergreifen von Primärrechtsschutz als unzumutbar bewertet werden, solange das Bestehen von Abwehransprüchen für den Grundrechtsträger nicht erkennbar war. Insoweit kann der Betroffene zwar nicht den vorgesehenen Ausgleich verlangen, wohl aber Ersatzansprüche für das Erfolgsunrecht geltend machen. Problematisch ist schließlich die Konstellation, in der eine gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung samt erforderlicher Ausgleichsregelung verfassungskonform ist, aber in rechtswidriger Weise vollzogen wird. Soweit die Rechtswidrigkeit des Vollzugsaktes vorhersehbar oder erkennbar ist, geht Primärrechtsschutz vor. Im Übrigen dürften Ausgleichsregelungen grundsätzlich dahingehend auszulegen sein, dass sie nur für solche Maßnahmen Ansprüche gewähren, die durch den Ausgleich insgesamt rechtmäßig werden. Kommt ein Ausgleichsanspruch für das hier in Rede stehende Erfolgsun256

Vgl. Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 453, 455, der insoweit ebenfalls das Staatshaftungsrecht wegen rechtswidriger Maßnahmen heranzieht. 257 Vgl. Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 452 – 461. 258 Vgl. Külpmann, Enteignende Eingriffe?, S. 238 – 258, der diese Fälle als „Unfallhaftung“ bezeichnet. Soweit Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 461 davon ausgeht, dass atypische Folgen niemals dem Staat zugerechnet werden können, sondern die Realisierung des allgemeinen Lebensrisikos darstellen, dürfte diese Auffassung auf einer unterschiedlichen Terminologie beruhen. Nach hiesigem Verständnis ist ein Erfolgsunrecht atypisch, wenn es aus Sicht des Gesetzgebers entweder nicht abstrakt vorhersehbar oder nicht hinreichend häufig ist, vgl. oben S. 49 f.

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recht dann nicht in Betracht, so ist dieses im Rahmen der Unrechtshaftung zu ersetzen, soweit der Schaden nicht zumutbar abgewehrt oder gemindert werden konnte. ee) Einordnung des Staatshaftungsrechts Sind nach alledem Integritätsschutz und Haftung für Eigentumsverletzungen durch die Verwaltung Gegenstand der Leistungspflicht des Gesetzgebers aus der Eigentumsgewährleistung259, so stellt sich die Frage, ob diese Leistungspflicht bisher erfüllt worden ist. (1) Richterrechtlich geprägtes Gewohnheitsrecht Abgesehen vom Amtshaftungsanspruch in Art. 34 GG in Verbindung mit § 839 BGB, von einigen polizei- und ordnungsrechtlichen Ersatzansprüchen260 und vom Staatshaftungsgesetz der DDR261 existieren Integritätsschutz und Haftung für Eigentumsverletzungen durch die Verwaltung bis heute nur als richterrechtlich geprägtes Gewohnheitsrecht.262 Dies gilt im Bereich des Integritätsschutzes insbesondere für Unterlassungs-, (Folgen-)Beseitigungs-, Herstellungs- und Abwehransprüche263 sowie im Bereich der Haftung für die Institute des „enteignenden Eingriffs“264 und des „enteignungsgleichen Eingriffs“. Diese Ansprüche lassen sich nicht unmittelbar auf die Eigentumsgewährleistung des Grundgesetzes stützen.265 Denn der Norminhalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG ist viel zu unbestimmt, als dass Integritätsschutz- und Ersatzansprüche unmittelbar daraus abgeleitet werden könnten.266 Aus Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG folgt vielmehr, dass Integritätsschutz und Unrechtshaftung „durch die Gesetze“ vermittelt werden müssen.267 Nach dem historisch gewachsenen materiellen Gesetzesbegriff ist davon auszugehen, dass Art. 14 259 Ob und inwieweit sich eine Verpflichtung zum staatshaftungsrechtlichen Schutz anderer Grundrechte aus der Verfassung ergibt, ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Für eine solche Verpflichtung könnten die grundrechtlichen Schutzpflichten gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG sprechen. 260 Dazu Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 392 – 413. 261 Dazu Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 457 – 491. 262 Vgl. J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/2, § 123 XI 4 (S. 2007); Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 3 f.; dens., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR V, 3. Aufl. 2007, § 100 Rn. 53. 263 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 286 – 335 spricht insofern vom „grundrechtlichen Schutzanspruch auf Unterlassung, Beseitigung und Herstellung“. 264 Vgl. aber Stöhr, Verfassungsrechtliche Aspekte des enteignenden Eingriffs, S. 155 – 188, der eine gewohnheitsrechtliche Geltung des Entschädigungsanspruchs aus „enteignendem Eingriff“ ablehnt und stattdessen einen aus den Grundrechten herzuleitenden Folgenersatzanspruch vorschlägt. 265 BGHZ 90, 17 (29 – 31); 91, 20 (26 – 28); vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 36. 266 Vgl. M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 65 VI 2 (S. 597, 601 f.). 267 J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 III 3 (S. 2170); Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (214, Fn. 9).

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Abs. 1 Satz 2 GG Inhalts- und Schrankenbestimmungen auch durch gewohnheitsund richterrechtliche Normen zulässt.268 (2) Vorbehalt des formellen Gesetzes Die Geltung von richterrechtlich geprägtem Gewohnheitsrecht als Teil der Eigentumsordnung hängt davon ab, inwieweit die Umsetzung von Integritätsschutz und Unrechtshaftung dem formellen Gesetzgeber vorbehalten ist.269 (a) Fortgeltung vorkonstitutionellen Rechts Der Vorbehalt des formellen Gesetzes könnte wegen Art. 123 Abs. 1 GG unanwendbar sein. Danach gilt Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des Bundestages fort, soweit es dem Grundgesetz nicht widerspricht. Unter „Recht“ im Sinne dieser Vorschrift sind alle materiellen Gesetze zu verstehen, also auch gewohnheitsund richterrechtliche Normen.270 Diese müssen lediglich nach den zu ihrer Entstehungszeit geltenden Normerzeugungsregeln wirksam geworden sein und bis zum Zeitpunkt des Zusammentretens des ersten Bundestages fortgegolten haben.271 Damit ist die Fortgeltung des alten Rechts nur bei einem materiellen (inhaltlichen) Widerspruch zum Grundgesetz ausgeschlossen. Enthalten die Übergangsbestimmungen somit einen Verzicht auf die formellen Anforderungen des Grundgesetzes, so gilt insbesondere der Vorbehalt des formellen Gesetzes nicht.272 Allerdings hat namentlich das Bundesverfassungsgericht Zweifel an der unbefristeten Fortgeltung formell verfassungswidrigen alten Rechts geäußert und sich dabei auf den Zweck der Übergangsbestimmungen gestützt273 : Ohne Art. 123 Abs. 1 GG hätte es rechtlose Zustände gegeben, bis alles ältere Recht auf seine Weitergeltung überprüft und notwendiger Ersatz im Wege formeller Gesetzgebung geschaffen worden wäre.274 Wenn man davon ausgeht, dass Art. 123 Abs. 1 GG den Gesetzgeber nicht aus der Pflicht entlassen wollte, den formellen Anforderungen des Grundgesetzes Rechnung zu tragen, sondern ihm lediglich hinreichend Zeit dafür 268

Vgl. zum Grundgesetz H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 339; zur Weimarer Reichsverfassung W. Schelcher, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, Art. 153 (S. 208); Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, S. 19; zur germanischen Zeit Stern, Staatsrecht II, § 37 I 3 (S. 565); dagegen ohne Begründung Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 1006. 269 Siehe zum Vorbehalt des formellen Gesetzes als Grenze für Richterrecht oben S. 38 – 40. 270 BVerfGE 15, 226 (233); 34, 293 (303); 41, 251 (263); H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 123 Rn. 5; eingehend M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 80 IV 3 (S. 442 – 444) m. w. N. 271 H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 123 Rn. 7. 272 BVerfGE 15, 226 (233); 34, 293 (303); 41, 251 (262 f.); M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 80 IV 3 (S. 437 f.). 273 BVerfGE 78, 179 (198) für Rechtsverordnungen auf der Grundlage von Verordnungsermächtigungen, die gemäß Art. 129 Abs. 3 GG außer Kraft getreten sind. 274 BVerfGE 9, 338 (343).

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einräumen wollte, so dürfte diese Frist mittlerweile abgelaufen sein.275 Hält man demgegenüber die Dauer der Fortgeltung mangels entsprechender Anhaltspunkte im Wortlaut des Art. 123 Abs. 1 GG nicht für befristet276, so wird altes Gewohnheitsund Richterrecht immerhin dann nachkonstitutionell und unterliegt somit auch den formellen Anforderungen des Grundgesetzes, wenn es nach dem Zusammentritt des Bundestages weiterentwickelt wurde.277 Nach alledem fallen die heutigen gewohnheits- und richterrechtlichen Institute des Integritätsschutzes und der Unrechtshaftung nicht oder jedenfalls nicht mehr unter die Fortgeltungsanordnung des Art. 123 Abs. 1 GG. Denn soweit diese Institute im Zeitpunkt des Zusammentritts des Bundestages gültiges Gewohnheits- und Richterrecht waren, sind sie insbesondere durch die Gerichte des Bundes weiterentwickelt worden.278 (b) Wesentlichkeit des Regelungsgegenstandes Somit wird der Schuldner der Leistungspflicht zur Umsetzung von Integritätsschutz und Unrechtshaftung durch den Vorbehalt des formellen Gesetzes konkretisiert. Dessen Anwendbarkeit im Bereich der Ausgestaltungsgarantie hängt nach den bisherigen Ergebnissen von der Wesentlichkeit des betreffenden Regelungsgegenstandes ab.279 Ist demnach der formelle Gesetzgeber nicht verpflichtet, Inhalt und Schranken des Eigentums bis ins Letzte selbst zu regeln, so erscheint eine differenzierende Betrachtung überzeugend, die das Gewohnheits- und Richterrecht nicht vollständig aus der Eigentumsordnung verbannt.280 Weniger intensive („nichtwesentliche“) Ausfüllungen und Ergänzungen der geschriebenen Eigentumsordnung durch Gewohnheits- und Richterrecht sind mit Blick auf die Ausgestaltungsgarantie demnach zulässig.281 Wenn man allerdings wie hier den Integritätsschutz und die Unrechtshaftung zu Ausgestaltungsprinzipien des verfassungsrechtlichen Eigen275

Vgl. H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 123 Rn. 9, dem zufolge altes Gewohnheitsrecht mittlerweile zu nachkonstitutionellem Gewohnheitsrecht geworden sei. M. Kirn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 123 Rn. 7 und R. Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 123 Rn. 21 beschränken den Fristauflauf auf schwerwiegende Grundrechtseingriffe. Nach H. A. Wolff, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 123 Abs. 1 Rn. 34 kommt es darauf an, ob der Gesetzgeber ausreichende Gelegenheit und Veranlassung für eine Rechtsänderung hatte. 276 M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 80 IV 3 (S. 438 f.); C. Schulze, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 123 Rn. 12. 277 Vgl. BVerfGE 15, 226 (233); 22, 114 (122); M. Kirn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 123 Rn. 8; s. auch H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 123 Rn. 9. 278 Vgl. zur Bedeutung der Rechtsprechung der Bundesgerichte Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 3 f. 279 Siehe oben S. 34 f. 280 Soweit J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 86 für einen vollständigen Ausschluss von Gewohnheitsrecht den Zweck des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG anführt, wird dieser Auffassung nicht gefolgt. Wäre danach die Reichweite des Eigentumsschutzes in allen Einzelheiten dem formellen Gesetzgeber überantwortet, so käme dies einem Totalvorbehalt des formellen Gesetzes gleich. 281 Siehe oben S. 40.

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tumsbegriffs erhebt, so lässt sich die Wesentlichkeit dieses Regelungsgegenstandes bereits mit dessen Bedeutung für die Verwirklichung der Eigentumsfreiheit begründen. Als weiteres Argument für die Wesentlichkeit des Regelungsgegenstandes der Unrechtshaftung kommt die Budgethoheit des formellen Gesetzgebers hinzu.282 Der vom Bundesverfassungsgericht für Enteignungen283 und Ausgleichsregelungen284 aufgestellte Grundsatz, dass die Gerichte keine Entschädigungs- bzw. Ausgleichsansprüche ohne formellgesetzliche Anspruchsgrundlage zusprechen dürfen, muss verallgemeinert und auf Ersatzansprüche für rechtswidrige Eigentumsverletzungen durch die Verwaltung erstreckt werden.285 Nach alledem gehört die Umsetzung der Ausgestaltungsprinzipien des Integritätsschutzes und der Unrechtshaftung zu den wesentlichen Grundzügen der Eigentumsordnung, deren Regelung dem formellen Gesetzgeber vorbehalten sind. Das Staatshaftungsrecht für Eigentumsverletzungen durch die Verwaltung hat in der Form von richterrechtlich geprägtem Gewohnheitsrecht keine Gültigkeit. (3) Bestimmtheitsgebot und Generalklauseln Ergibt sich damit ein konsistentes Bild, was den Anwendungsbereich des Vorbehalts des formellen Gesetzes angeht, so bestehen doch hinsichtlich dessen verfassungsrechtlicher Anforderungen an die Bestimmtheit der formellgesetzlichen Regelung gewichtige Unterschiede zwischen der Ausgleichsdogmatik für Sonderopfer286 einerseits sowie dem Integritätsschutz und der Unrechtshaftung andererseits. Während es dort um eine im Voraus erlassene Ausgleichsregelung für typische Gesetzesfolgen geht, kann die Verursachung von Erfolgsunrecht in einem Rechtsstaat nicht als „typisch“ angesehen werden. Dennoch zeigt die allgemeine Lebenserfahrung, dass Eigentumsverletzungen durch die Verwaltung geschehen, wenn auch vereinzelt und teilweise zufällig. Die Vielgestaltigkeit von Eigentumsverletzungen durch die Verwaltung rechtfertigt im Unterschied zur Ausgleichsdogmatik den Einsatz von Generalklauseln.287 Entsprechend der mangelnden Typisierbarkeit reichen daher für das öffentlich-rechtliche Integritätsschutz- und Haftungsrecht 282 Siehe bereits oben S. 47 f.; ferner zum Haushaltsrecht des Parlaments als Grenze richterlicher Rechtsfortbildung Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 256. Der BGHZ 100, 136 (145 f.) hat sich nicht zuletzt wegen der Haushaltsprärogative des Parlaments daran gehindert gesehen, eine Haftung für legislatives Unrecht wegen enteignungsgleichen Eingriffs als Richterrecht anzuerkennen. Freilich muss diese Argumentation für das richterrechtliche Institut des enteignungsgleichen Eingriffs insgesamt gelten, also auch für die Entschädigung administrativen Unrechts. 283 BVerfGE 58, 300 (319, 324). 284 BVerfGE 100, 226 (245). 285 Vgl. O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 220 f., der allgemein von „Entschädigungs- und Ausgleichsleistungen“ spricht. 286 Siehe oben S. 47 – 53. 287 Vgl. insoweit O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 247; s. auch oben Fn. 249.

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ähnlich abstrakte Regelungen, wie sie das Privatrecht rund um die Vorschriften des § 823 Abs. 1 Var. 5, § 894, § 985 und § 1004 BGB enthält. Diese Vorschriften sind zugleich der beste Beweis dafür, dass auch atypische Eigentumsverletzungen regelungsfähig sind.288 (4) Erforderlichkeit einer Kodifikation Der zuständige formelle Gesetzgeber hat also den Integritätsschutz und die Haftung für Eigentumsverletzungen durch die Verwaltung selbst zu regeln.289 Im Einzelnen belassen die Ausgestaltungsprinzipien dem Gesetzgeber einen Ausgestaltungsfreiraum.290 Die Grenzen eines verhältnismäßigen Zurückbleibens hinter dem Maximum werden hier nicht im Einzelnen erörtert. Offen bleibt insbesondere die Frage, inwieweit der Gesetzgeber den Integritätsschutz und die Unrechtshaftung verschuldensabhängig ausgestalten darf.291 Jedenfalls kann die Leistungspflicht des zuständigen Gesetzgebers zur Kodifikation eines Integritätsschutz- und Haftungsrechts für Eigentumsverletzungen insgesamt bisher nicht als erfüllt angesehen werden. Nachdem der erste Anlauf des Bundes für den Erlass eines Staatshaftungsgesetzes292 an einer mangelnden Gesetzgebungskompetenz gescheitert war293, hat der Bund durch eine Änderung des Grundgesetzes294 im Jahr 1994 die (konkurrierende) Gesetzgebungskompetenz für das Staatshaftungsrecht in Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG erhalten.295 Seitdem hat es jedoch kein neues Gesetzgebungsverfahren für die Schaffung eines Staatshaftungsrechts gegeben. Der im Jahr 2004 geäußerten Auffassung der Bundesregierung, dass eine Kodifikation des Staatshaftungsrechts nicht dringend geboten sei296, wird entgegengetreten. Hier besteht Handlungsbedarf.

288 Vgl. aber Külpmann, Enteignende Eingriffe?, S. 229 – 237, der atypische und „unfallartige“ Eigentumsverletzungen als nicht regelungsfähig betrachtet; ähnlich bereits Leisner, DVBl. 1981, 76 (81); s. auch Jaschinski, Der Fortbestand des Anspruchs aus enteignendem Eingriff, S. 195, der zwar die „Hauptgruppen der Haftung aus enteignendem Eingriff“ für regelungsfähig hält, aber von einem nicht näher erläutertem Restbereich ausgeht, in dem der Gesetzgeber zur Regelung bestimmter Folgen nicht in der Lage sei. 289 Ob sich über den Eigentumsschutz hinaus etwa aus einer Zusammenschau von Art. 20 Abs. 3 und Art. 34 GG (evtl. in Verbindung mit den Grundrechten) eine Verpflichtung zum Erlass eines umfassenden Staatshaftungsgesetzes zum Schutz auch anderer Rechtsgüter ergibt, wird hier nicht untersucht. 290 Siehe oben S. 28 – 32. 291 Siehe hierzu eingehend Morlok, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 52 Rn. 60 – 78. 292 Staatshaftungsgesetz v. 26. 06. 1981, BGBl. I, S. 553; vgl. dazu Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 438 – 456. 293 BVerfGE 61, 149 (173 f.). 294 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 27. 10. 1994, BGBl. I, S. 3146. 295 Siehe aber zu gesetzgebungskompetenziellen Problemen Höfling, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 51 Rn. 115 – 117. 296 BT-Drucks. 15/3952, S. 1 f.

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

f) „Enteignender“ und „enteignungsgleicher“ Eingriff Aus den Ausgestaltungsprinzipien des Ausgleichs für Sonderopfer und der Haftung für (rechtswidrige) Eigentumsverletzungen folgt insbesondere, dass die Ansprüche aus „enteignendem“ und „enteignungsgleichem“ Eingriff kodifiziert werden müssen. Während der Anspruch aus „enteignungsgleichem“ Eingriff vollständig im Ausgestaltungsprinzip der Unrechtshaftung aufgeht und nach dessen Maßgabe normiert werden muss, ist für „enteignende“ Eingriffe zu differenzieren: Soweit es um typische Folgen297 von gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmungen geht, ist der Anspruch aus „enteignendem“ Eingriff im Rahmen der Dogmatik des Ausgleichs für Sonderopfer regelungsbedürftig.298 In allen anderen Fällen, also insbesondere bei atypischen Gesetzesfolgen und Nichtvollzugsschäden ist der Anspruch aus „enteignendem“ Eingriff der Unrechtshaftung zuzuordnen299 und muss nach Maßgabe dieses Ausgestaltungsprinzips kodifiziert werden; insofern unterliegt er denselben verfassungsrechtlichen Vorgaben wie der Anspruch aus „enteignungsgleichem“ Eingriff. 7. Verhältnis der Ausgestaltungsprinzipien Insgesamt wirft die Untersuchung der Ausgestaltungsprinzipien des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs viele weitere Fragen auf, die hier nicht erörtert werden. Insbesondere ist das Verhältnis der Ausgestaltungsprinzipien untereinander weitgehend ungeklärt. So hat das Bundesverfassungsgericht einerseits Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen der Privatnützigkeit und der Verfügungsfreiheit eingeräumt300, andererseits im Bereich des Privatrechts die Bedeutung der Verfügungsfreiheit zugunsten der Privatnützigkeit zurückgestellt301. Dabei muss der Sinn einer Differenzierung zwischen dem privatrechtlichen und dem öffentlich-rechtlichen Teil der Eigentumsordnung im Ausgangspunkt angezweifelt werden.302 Wohl aber ist anzuerkennen, dass je nach Eigentumstyp unterschiedliche Ausgestaltungsprinzipien hervor- bzw. zurücktreten.303 297

Siehe dazu oben S. 49 f. Külpmann, Enteignende Eingriffe?, S. 226 f.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 108; vgl. auch J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/2, § 123 XVII 1 (S. 2117 f.); Osterloh, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 55 Rn. 27, 30 f., 47, 77 f.; teilweise anders H. Rittstieg, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AKGG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 14/15 Rn. 193, der die enteignenden und enteignungsgleichen Eingriffe ausnahmslos der Unrechtshaftung zuordnen will. 299 Külpmann, Enteignende Eingriffe?, S. 258; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 111. 300 BVerfGE 53, 257 (290). 301 BVerfGE 83, 201 (209); 91, 294 (307). 302 Vgl. oben S. 23. 303 Vgl. Ossenbühl, VVDStRL 51, 285 (287 f.), der für die Kontrolle des Gesetzgebers eine Differenzierung der Maßstäbe je nach Eigentumstyp vorschlägt. 298

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VIII. Rechtsstellungsgarantie Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Gesetz sind weiterhin an der Rechtsstellungsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG zu messen. 1. Schutz von Bestandseigentum Die Rechtsstellungsgarantie schützt den Inhaber subjektiver Rechte, die vom verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff umfasst sind, vor nachteiligen Veränderungen seines Eigentums.304 Sie schützt das Eigentum in seiner personenhaften Bezogenheit und ist damit „nicht zunächst Sach-, sondern Rechtsträgergarantie.“305 Schutzgegenstand der Rechtsstellungsgarantie ist Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG, das einmal nach Maßgabe der einfachgesetzlichen Eigentumsordnung entstanden ist.306 Vor seiner Entstehung hängt die Reichweite der Rechtsstellungsgarantie damit vom einfachen Gesetzgeber ab, der durch die Ausgestaltung der Eigentumsordnung über die Anerkennung von vermögenswerten subjektiven Rechten entscheidet.307 Ist ein bestimmter Typ von vermögenswertem subjektivem Recht (zum Beispiel Wohnungseigentum bis zum Erlass des Wohnungseigentumsgesetzes308) in der Rechtsordnung nicht vorgesehen, dann können solche Rechte nicht entstehen und folglich auch nicht dem Schutz der Rechtsstellungsgarantie unterfallen. Insoweit kann die Rechtsstellungsgarantie als „normgeprägt“ bezeichnet werden.309 Diesbezüglich bleibt aber die der Ausgestaltungsgarantie zuzuordnende Frage, ob der Gesetzgeber zur Anerkennung des betroffenen Typs von subjektivem Recht durch Erlass eines entsprechenden Gesetzes verpflichtet ist.

304 M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 65 VI 2 (S. 612). In Bezug auf Art. 153 Abs. 1 WRV wurde vereinzelt noch bestritten, dass die Eigentumsgarantie überhaupt das bestehende Privateigentum schütze, so Hofacker, Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen, S. 37, der den Gewährleistungsgehalt des Art. 153 Abs. 1 WRV auf die Einrichtungsgarantie beschränken wollte. Auch die Sichtweise von Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 120 – 130, dass der Eigentumsschutz nach Art. 14 GG keinen konkreten Bestand in der Verfügungsgewalt des Eigentümers, sondern lediglich Marktchancen umfasse, die um der Funktionsfähigkeit der geldgesteuerten Wirtschaft willen garantiert würden, hat sich im Verfassungsrecht nicht durchsetzen können. 305 BVerfGE 24, 367 (400). 306 Vgl. BVerfGE 53, 257 (293); 58, 81 (109); 69, 272 (305); 71, 66 (80); 74, 129 (148); BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), NJW 1988, 250 (251); Appel, Entstehungsschwäche und Bestandsstärke des verfassungsrechtlichen Eigentums, S. 96 – 100. 307 Herzog, in: FS Zeidler II, S. 1415 (1419 f.). 308 Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht v. 15. 03. 1951, BGBl. I, S. 175. 309 Vgl. zur Ausgestaltungsgarantie, die nicht „normgeprägt“ ist, oben S. 41.

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

2. Verhältnis zur Ausgestaltungsgarantie Die Rechtsstellungsgarantie ist zusätzlich zur Ausgestaltungsgarantie berührt, wenn ein neues Gesetz im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG in bestehendes Eigentum eingreift.310 Während ausnahmslos jede gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung an der Ausgestaltungsgarantie zu messen ist, betrifft die Rechtsstellungsgarantie nur solche Gesetze, die zugleich bestehendes Eigentum nachteilig umgestalten, also dessen Inhalt und Schranken ändern oder bestehendes Eigentum sogar vollständig beseitigen.311 Wird hingegen das bestehende Eigentum der Neuregelung nicht angeglichen oder lediglich das Entstehen von Eigentum, das nach bisherigem Recht möglich war, für die Zukunft ausgeschlossen, so ist die Rechtsstellungsgarantie nicht berührt.312 Eine nachteilige Umgestaltung von bestehendem Eigentum erfolgt auch durch den Erlass eines vollzugsbedürftigen Gesetzes, das die Verwaltung zu belastenden Einzelfallregelungen313 oder Realakten314 gegenüber Bestandseigentümern ermächtigt. Eine solche Befugnis der Verwaltung wird Teil von Inhalt und Schranken des bestehenden Eigentums.315 Daher ist ein Eigentümer durch die Neuschaffung einer auf sein Eigentum anwendbaren Befugnisnorm in seiner Rechtsstellung betroffen, ohne dass es auf den vorgesehenen Vollzugsakt ankäme.316 Erwirbt ein Eigentümer sein Eigentum allerdings erst, nachdem der Gesetzgeber eine solche Befugnisnorm geschaffen hat, so enthält dieses Gesetz keine nachteilige Veränderung seiner Rechtsstellung, weil die Befugnis der Verwaltung von vornherein Teil von Inhalt und Schranken seines Eigentums ist. Dieser Eigentümer kann sich gegenüber der Befugnisnorm nur auf die Ausgestaltungsgarantie berufen. In seiner Rechtsstellung ist er erst betroffen, wenn Inhalt und Schranken seines Eigentums durch einen Vollzugsakt der Verwaltung nachteilig verändert werden.317

310 Vgl. die Unterscheidung in BVerfGE 31, 275 (281 f.) zwischen der Änderung des geltenden objektiven Rechts einerseits und dem Eingriff in subjektive Rechte, die den Grundrechtsträgern bisher nach dem geltenden objektiven Recht erwachsen waren. Vorbildlich nimmt das Gericht a. a. O., S. 285 – 289 und S. 289 – 295 eine getrennte Prüfung der beiden Gewährleistungsgehalte vor und betont a. a. O., S. 290, dass der Eingriff in bestehende subjektive Rechte „nicht schon deshalb verfassungsmäßig [ist], weil das in Zukunft anzuwendende objektive Recht dem Grundgesetz entspricht.“ Ebenso BVerfGE 36, 281 (292). 311 Die erforderliche Abgrenzung zur Enteignung wird unten S. 83 – 119 erörtert. 312 Vgl. zu diesen Fallgruppen BVerfGE 83, 201 (212) allerdings ohne die Differenzierung zwischen der Ausgestaltungs- und der Rechtsstellungsgarantie. 313 Siehe unten S. 74 – 81. 314 Siehe unten S. 82. 315 Siehe oben S. 22 f. 316 Siehe zum eingeschränkten Rechtsschutz gegen vollzugsbedürftige Befugnisnormen oben Fn. 17 und zum Schutz der Rechtsstellungsgarantie gegen den Vollzug durch Einzelfallregelungen unten S. 79 f. 317 Siehe unten S. 79 f.

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Nebenbei sei bemerkt, dass das Verhältnis zwischen Ausgestaltungsgarantie und Rechtsstellungsgarantie Ähnlichkeiten mit der zeitlichen Unterscheidung aufweist, die nach anderen Auffassungen zwischen Inhaltsbestimmungen und Schrankenbestimmungen318 bzw. zwischen Ausgestaltungen und Umgestaltungen319 vorgenommen wird.320 Versteht man unter Inhaltsbestimmungen bzw. Ausgestaltungen solche Gesetze, die lediglich zukünftig entstehendes Eigentum ausgestalten, ohne in bestehendes Eigentum einzugreifen, dann sind diese ausschließlich an der Ausgestaltungsgarantie zu messen. Demgegenüber kann es „reine“ Schrankenbestimmungen bzw. Umgestaltungen durch Gesetz, die nur an der Rechtsstellungsgarantie, nicht aber an der Ausgestaltungsgarantie zu messen wären, nicht geben. Denn die Ausgestaltungsgarantie beansprucht Geltung für jegliche gesetzliche „Gestaltung“ der Eigentumsordnung. Im Gegensatz zu der Unterscheidung nach der Art von Gesetzen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zeichnet sich das hier vorgeschlagene Verständnis der Eigentumsgewährleistung durch die Differenzierung der Gewährleistungsgehalte des Grundrechts aus. 3. Abwehrrecht und Vorbehalt des formellen Gesetzes Anders als die Ausgestaltungsgarantie ist die Rechtsstellungsgarantie ein Abwehrrecht. Nachteilige Veränderungen von bestehendem Eigentum sind Grundrechtseingriffe – oder anders formuliert: Eingriffe in bestehende einfachgesetzlich anerkannte Rechtsstellungen sind zugleich Eingriffe in die Rechtsstellungsgarantie. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthält hierfür einen einfachen (schlichten) Eingriffsvorbehalt zugunsten des Gemeinwohls. Der in Art. 14 Abs. 2 GG normierte Gemeinwohlvorbehalt gilt für alle Eigentumstypen im verfassungsrechtlichen Sinne und ist trotz der Formulierung in Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG nicht auf den Gebrauch des Eigentums beschränkt.321 Vielmehr sind die beiden Sätze des Art. 14 Abs. 2 GG dahingehend zu verstehen, dass bestehendes Eigentum dem Wohl der Allgemeinheit verpflichtet ist, also vom Gesetzgeber zu Gemeinwohlzwecken beschränkt werden kann. Solche Beschränkungen bestehender subjektiver Eigentumsrechte sind „Eingriffe in das Eigentum“, die dem Vorbehalt des formellen

318 Grochtmann, Die Normgeprägtheit des Art. 14 GG, S. 216 – 230; Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen des Eigentums, S. 69 – 75. 319 Appel, Entstehungsschwäche und Bestandsstärke des verfassungsrechtlichen Eigentums, S. 176 – 198. 320 Siehe auch oben S. 22 f. 321 Vgl. anders BVerfGE 42, 263 (294 f.), das die Anwendung des Art. 14 Abs. 2 GG auf die Umgestaltung bestimmter Eigentumstypen, insbesondere Ansprüche, ausschließen will. Immerhin unterwirft BVerfGE 74, 203 (214) die Umgestaltung von Ansprüchen dem Erfordernis eines Gemeinwohlzwecks, ohne dafür allerdings Art. 14 Abs. 2 GG ausdrücklich heranzuziehen.

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

Gesetzes in seinem herkömmlichen Anwendungsbereich unterliegen.322 In materieller Hinsicht muss das Verhältnismäßigkeitsprinzip gewahrt bleiben.323 Insgesamt geht die Rechtsstellungsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG über den rechtsstaatlichen Vertrauensschutz hinaus.324 Denn ohne die Rechtsstellungsgarantie kann aufgrund der Gesetzesabhängigkeit des Eigentums und der Existenz des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG von vornherein kein schutzwürdiges Vertrauen darauf entstehen, dass nach Maßgabe der Eigentumsordnung einmal entstandenes bzw. anerkanntes Eigentum für alle Zeiten in seinem Inhalt unangetastet bleiben wird. Aber auch die Rechtsstellungsgarantie bietet insoweit keine absolute Sicherheit, denn sie bedeutet nicht, dass jede nachteilige Veränderung einer geschützten Rechtsstellung unzulässig wäre.325 Immerhin begründet die Rechtsstellungsgarantie aber dadurch Schutz, dass sie Eingriffe in bestehendes Eigentum dem Erfordernis der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung unterwirft, mithin insbesondere den Vorbehalt des formellen Gesetzes auslöst und das Verhältnismäßigkeitsprinzip zur Anwendung bringt.326 4. Zulässigkeit von erstmaligem Richterrecht Unterliegt nach alledem die Neuschaffung von gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmungen, die bestehendes Eigentum nachteilig verändern, dem Vorbehalt des formellen Gesetzes, so stellt sich unter dem Blickwinkel der Rechtsstellungsgarantie erneut die Frage nach der Zulässigkeit von Richterrecht.327 Ausgehend davon, dass richterrechtliche Normen zu den Gesetzen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG gehören328, ist zu klären, ob die Gerichte bei der erstmaligen Ermittlung und Anwendung von nachteiligem Richterrecht in die Rechtsstellung der betroffenen Bestandseigentümer eingreifen mit der Folge, dass der Vorbehalt des formellen Gesetzes ausgelöst würde und solches Richterrecht unzulässig wäre.

322

Vgl. dazu oben S. 33 f. BVerfGE 31, 275 (289 f.); 36, 281 (293); 74, 203 (214). 324 So ausdrücklich BVerfGE 31, 275 (293); 58, 81 (121). Siehe zur Spezialität der Rechtsstellungsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG gegenüber dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutz und Rückwirkungsverbot Appel, DVBl. 2005, 340 – 348. Vgl. auch Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 257 – 261. 325 BVerfGE 31, 275 (284 f.); Chlosta, Der Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung, S. 19. 326 Im Sinne von J.-R. Sieckmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), BerlK-GG, Losebl. (Stand: 10/2000), Teil C Art. 14 Rn. 20 handelt es sich bei der Rechtsstellungsgarantie um „formellabwehrrechtlichen Schutz“; vgl. zur Ausgestaltungsgarantie oben Fn. 74. 327 Siehe dazu bereits oben S. 37 f. und dort Fn. 134. 328 Siehe oben S. 37 f. 323

A. Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Gesetz

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a) Erzeugen oder Erkennen von Richterrecht Die Antwort ergibt sich aus dem hier zugrunde gelegten Verständnis von Richterrecht: Danach besitzt Richterrecht „seine Quelle in der verfassungsmäßigen Rechtsordnung als einem Sinnganzen“.329 Wenn die Gerichte bei der Ermittlung von ungeschriebenen Rechtssätzen „nicht das System der Rechtsordnung verlassen und keinen eigenen rechtspolitischen Willen zur Geltung [bringen], sondern lediglich Grundgedanken der von der Verfassung geprägten Rechtsordnung mit systemimmanenten Mitteln“ weiterentwickeln330, setzen sie kein Recht, sondern „finden“331 es.332 Ausdrücklich formuliert das Bundesverfassungsgericht, dass der „so gefundene Rechtssatz […] legitimer Bestandteil der Rechtsordnung [ist]“ [Hervorhebung nicht im Original].333 In diesem Sinne ist die erstmalige Ermittlung und Anwendung von Richterrecht also keine „Neuschaffung“ von gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmungen, sondern „Aufdeckung“ von Rechtssätzen, die zwar ungeschrieben, aber doch zuvor in der geschriebenen Eigentumsordnung bereits angelegt waren. Insoweit erscheint der Begriff der „richterlichen Rechtsfortbildung“334 missverständlich. Denn die Gerichte erzeugen kein Richterrecht, sondern erkennen es. Daher stellt das erstmalige Auffinden und Anwenden von Richterrecht keine Veränderung von Inhalt und Schranken des Eigentums und mithin keinen Eingriff in die Rechtsstellungsgarantie dar. Der Vorbehalt des formellen Gesetzes wird dadurch nicht ausgelöst.335 Dieses Verständnis von Richterrecht soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass das ungeschriebene Richterrecht keineswegs frei von subjektiven Auffassungen der beteiligten Richter sein kann – aus diesem Grund erscheint auch die Bezeichnung „Richter-Recht“ durchaus treffend. Diesbezüglich formuliert das Bundesverfassungsgericht: „Die Aufgabe der Rechtsprechung kann es insbesondere erfordern, Wertvorstellungen, die der verfassungsmäßigen Rechtsordnung immanent, aber in den Texten der geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt sind, in einem Akt des bewertenden Erkennens, dem auch willenhafte Elemente nicht fehlen, ans Licht zu bringen und in Entscheidungen zu realisieren.“336 Ebensowenig kann der schöpferische Charakter richterlicher Rechtsfindung in 329

BVerfGE 34, 269 (287). BVerfGE 34, 269 (292). 331 BVerfGE 34, 269 (287). 332 Vgl. zu dieser Problematik Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 221 – 223 m. w. N. 333 BVerfGE 34, 269 (292). 334 Vgl. § 11 Abs. 4 VwGO, § 132 Abs. 4 GVG: „Fortbildung des Rechts“. 335 Die von Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, S. 204 – 206; dems., in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III); S. 179 (220) aufgeworfene Frage nach der Erstreckung des Vorbehalts des formellen Gesetzes auf das Verhältnis zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung ist für das hiesige Verständnis von Richterrecht nicht relevant; s. auch oben Fn. 139. 336 BVerfGE 34, 269 (287). 330

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

Abrede gestellt werden.337 Daher spricht das Bundesverfassungsgericht auch von „schöpferischer Rechtsfindung“.338 b) Methodik der Rechtsfindung Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des so verstandenen Richterrechts stellt Anforderungen an die Methodik der Rechtsfindung339, die gewährleisten muss, dass sich die Gerichte nicht „aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben“.340 Die Gerichte haben keine Kompetenz, ihre Entscheidungsmaßstäbe selbst zu setzen.341 Sie müssen die geschriebene Rechtsordnung respektieren und bei der Rechtsfindung den anerkannten Methoden folgen.342 Dabei muss die Rechtsprechung frei von Willkür sein und auf rationaler Argumentation beruhen.343 Die Anwendung eines ungeschriebenen Rechtssatzes muss transparent gemacht werden.344 Ausgangspunkt jeder Auslegung ist der Wortlaut der geschriebenen Gesetze.345 Maßstab und Grenze für die Ausfüllung von Regelungslücken durch Richterrecht bilden die Wertentscheidungen des Gesetzgebers, wie sie im geschriebenen Recht zum Ausdruck gekommen sind.346 Demnach ist die Bildung von Analogien zu den geschriebenen Gesetzen nur zulässig, wenn den Wertungen des geschriebenen Rechts entnommen werden kann, dass eine Regelungslücke besteht

337 Vgl. Müller, ,Richterrecht‘, S. 36 f., 54, der zwischen Normtext und Rechtsnorm unterscheidet und daher Rechtsprechung mit Blick auf das notwendige Erarbeiten von Rechtsnormen aus dem Normtext grundsätzlich als schöpferisch ansieht. 338 BVerfGE 3, 225 (243); 34, 269 (287 f.); 65, 182 (194). 339 Siehe dazu Hillgruber, JZ 1996, 118 – 125; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 262 – 270; eingehend Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 220 – 324; Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 17 – 81. 340 BVerfGE 87, 273 (280); 96, 375 (394); A. Voßkuhle/L. Osterloh/U. Di Fabio, Sondervotum, BVerfGE 122, 248 (282). 341 Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 6 f.; vgl. Müller, ,Richterrecht‘, S. 89. 342 BVerfGE 34, 269 (280); 96, 375 (395); A. Voßkuhle/L. Osterloh/U. Di Fabio, Sondervotum, BVerfGE 122, 248 (286). 343 BVerfGE 34, 269 (287). 344 BVerfGE 34, 269 (287). 345 Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 21 – 23; A. Voßkuhle/L. Osterloh/U. Di Fabio, Sondervotum, BVerfGE 122, 248 (283). 346 Vgl. Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 288 – 293, 298 – 303, die nur für die Grenzen der Lückenschließung unmittelbar die gesetzgeberischen Wertentscheidungen heranziehen, während sie für den Maßstab auf den mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers abstellen, der wiederum anhand der im geschriebenen Recht enthaltenen Wertungen zu bestimmen sei. Im Ergebnis kommt es nach dieser Auffassung also auch für den Maßstab der Lückenschließung auf das Wertsystem der geschriebenen Rechtsordnung an.

A. Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Gesetz

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und wie diese geschlossen werden soll.347 Hingegen ist eine Lückenschließung unzulässig, wenn sie keinerlei Widerhall im geschriebenen Recht findet.348 Schließlich muss an die Grenzen erinnert werden, die sich für das Richterrecht aus der Ausgestaltungsgarantie ergeben: Danach gilt insbesondere ein Analogieverbot im Bereich des Vorbehalts des formellen Gesetzes, der sich auf alle wesentlichen Regelungsgegenstände erstreckt.349 c) Stärkung des formellen Gesetzgebers Insgesamt sucht die hier vertretene Auffassung von verfassungsrechtlich zulässigem Richterrecht gleichsam den Mittelweg zwischen einem Verständnis des Richters als „Diener des Gesetzes“ auf der einen und als „Herrn der Rechtsordnung“ [Hervorhebungen im Original] auf der anderen Seite.350 Gegenüber der Annahme unmittelbarer Ansprüche aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG ergibt sich eine Stärkung des formellen Gesetzgebers daraus, dass Richterrecht nicht allein aus der Eigentumsgewährleistung ermittelt werden kann, sondern seinen Ausgangspunkt in der geschriebenen Rechtsordnung nimmt.351 Nur im Rahmen dessen, was das geschriebene Recht regelt, kann auf die verfassungsrechtlichen Ausgestaltungsprinzipien der Eigentumsgewährleistung zurückgegriffen werden. 5. Ausgleich für Sonderopfer Führt ein Eingriff in die Rechtsstellungsgarantie zu einem unverhältnismäßigen oder gleichheitswidrigen Sonderopfer, so hat der Gesetzgeber die Möglichkeit, diesen Verfassungsverstoß durch einen finanziellen Ausgleich abzuwenden.352 Für diese schon bei der Ausgestaltungsgarantie erörterte Ausgleichsdogmatik353 besteht hier nur insofern eine Besonderheit, als gegenüber der Umgestaltung oder Beseitigung bestehenden Eigentums neben vorrangigen Ausnahme- und Befreiungsvorschriften auch der Einsatz von Übergangsregelungen in Betracht kommt. Nur wenn 347 BVerfGE 82, 6 (11 – 13); vgl. BVerfGE 65, 182 (190 – 195) mit einem Beispiel für Richterrecht, das die Grenzen zulässiger Rechtsfindung überschreitet. 348 Vgl. BVerfGE 118, 212 (243); A. Voßkuhle/L. Osterloh/U. Di Fabio, Sondervotum, BVerfGE 122, 248 (283). 349 Siehe oben S. 39 f. 350 So die Gegenüberstellung bei Rüthers, JZ 2002, 365 (366); siehe zu der angesprochenen Kontroverse ferner dens., NJW 2005, 2759 – 2761; dens., JZ 2006, 53 – 60; dens., JZ 2007, 556 – 564; dens., JZ 2008, 446 – 451 und Hirsch, ZRP 2006, 161; dens., JZ 2007, 853 – 858; dazu Hassemer, ZRP 2007, 213 – 219; Wenzel, NJW 2008, 345 – 349. 351 Vgl. R. Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO, Losebl. (Stand: 02/1996), § 42 Abs. 2 Rn. 59. 352 Vgl. grundlegend BVerfGE 58, 137 (149 f.); weiterhin BVerfGE 79, 174 (192); 83, 201 (212 f.); eingehend BVerfGE 100, 226 (243 – 247). 353 Siehe oben S. 47 – 53.

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

solche Vorkehrungen, die die Rechtsstellung des Eigentümers schonen, im Einzelfall nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich sind, ist ein finanzieller Ausgleich ausnahmsweise zulässig.354

B. Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Einzelfallregelung Inhalt und Schranken des Eigentums werden nicht nur durch die materiellen Gesetze bestimmt, sondern für den Einzelfall auch durch Rechtsakte, die keine abstrakt-generellen Regelungen enthalten.355 So wird etwa die Bebaubarkeit eines Grundstücks als Teil von Inhalt und Schranken des daran bestehenden Eigentums nicht zuletzt durch Baugenehmigungen bestimmt, also durch Verwaltungsakte „zur Regelung eines Einzelfalls“ gemäß § 35 Satz 1 der Verwaltungsverfahrensgesetze. Auch wenn die Verwaltung durch Einzelfallregelung eine Sache unter Denkmalschutz356 stellt, verändert sie damit Inhalt und Schranken des an der Sache bestehenden Eigentums. Solche Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Einzelfallregelung enthält auch eine Rechtsverordnung über ein Naturschutzgebiet, deren Anwendungsbereich auf einzelne, näher bezeichnete Grundstücke begrenzt ist.357 Nur Realakte können mangels Regelungswirkung Inhalt und Schranken des Eigentums nicht bestimmen.

I. Gesetzesvorbehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Einzelfallregelungen, die Inhalt und Schranken von Eigentum bestimmen, sind von den gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmungen zu unterscheiden.358 Dies ergibt sich bereits aus Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, der nur Inhalts- und Schrankenbestimmungen „durch die Gesetze“ regelt. Einzelfallregelungen fallen nicht 354

BVerfGE 100, 226 (245). Kempen, Der Eingriff des Staates in das Eigentum, Rn. 139. 356 Vgl. hierzu Melchinger, Die Eigentumsdogmatik des Grundgesetzes und das Recht des Denkmalschutzes. 357 Vgl. unten Fn. 359. 358 Verwirrend erscheint demgegenüber die Terminologie von H. D. Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 29 und R. Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 121, die zwischen „Inhalts- und Schrankenbestimmungen“ und „Einzelfallregelungen ohne Enteignungscharakter“ unterscheiden, denn diese Einzelfallregelungen bestimmen Inhalt und Schranken des Eigentums. Auch die Einordnung von Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Einzelfallregelung als sonstige Eingriffe, so Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 1003; ähnlich Jarass, NJW 2000, 2841 (2841), vermag nicht vollends zu überzeugen. In der Systematik der Regelungen von Inhalt und Schranken des Eigentums bei J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 73 – 84 sucht man Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Einzelfallregelung vergeblich. 355

B. Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Einzelfallregelung

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darunter – und zwar auch dann nicht, wenn sie gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmungen vollziehen.359 Soweit hier eine „berichtigende Auslegung“ des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG vorgenommen wird, um Rechtsakte, die der Anwendung oder des Vollzugs von gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmungen dienen, ebenfalls unter Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zu fassen360, wird dieser Auffassung nicht gefolgt.361 Vielmehr muss im Ergebnis davon ausgegangen werden, dass Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Einzelrechtsakte in Art. 14 GG nicht ausdrücklich vorgesehen sind. Dies bestätigt ein Blick auf Art. 11 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG, die in ihrer ursprünglichen Fassung Einschränkungen bzw. Regelungen ebenfalls nur „durch Gesetz“ zuließen.362 Indem der verfassungsändernde Gesetzgeber beiden Normen die Wendung „oder auf Grund eines Gesetzes“ hinzufügte363, hat er zum Ausdruck gebracht, dass diese Unterscheidung ernst zu nehmen ist, zumal sich das Bundesverfassungsgericht zuvor darüber hinweggesetzt hatte.364 Erschwerend kommt hinzu, dass sich sogar innerhalb von Art. 14 GG, nämlich in Abs. 3 Satz 2 in Bezug auf die Enteignung, die Formulierung „durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes“ findet.365 Trotz alledem muss Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nicht so verstanden werden, dass Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Einzelfallregelung verfassungsrechtlich unzulässig wären. Ob dies „schon mit redaktionellen Problemen erklärt“ werden kann366, mag dahinstehen. In formaler Hinsicht fällt jedenfalls auf, dass Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nicht die ansonsten im Grundgesetz übliche Formulierung „durch Gesetz“ (im Singular), sondern die Wendung „durch die Gesetze“ (im Plural) enthält.367 Diese Formulierung dürfte auf Art. 153 Abs. 1 Satz 2 WRV zurückgehen, nach dem sich Inhalt und Schranken des Eigentums „aus den Gesetzen“ (ebenfalls im Plural) ergeben. Die im Hinblick auf den Plural anachronistische Formulierung des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG mag darauf hindeuten, dass mit dem aus Art. 153 Abs. 1

359

Eine Rechtsverordnung, deren Anwendungsbereich auf einzelne, näher bezeichnete Grundstücke begrenzt ist, ist demnach zwar eine Inhalts- und Schrankenbestimmung, aber nicht im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG durch Gesetz, sondern durch Einzelfallregelung; vgl. aber BVerwGE 94, 1 (3 – 5), das insoweit nicht differenziert und solche Einzelfallregelungen als „Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG“ einordnet. 360 Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 31 – 34. 361 Vgl. auch Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, S. 193 Fn. 730. 362 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland v. 23. 05. 1949, BGBl. I, S. 1. 363 Siebzehntes Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes v. 24. 06. 1968, BGBl. I, S. 709. 364 Vgl. BVerfGE 33, 125 (156) m. w. N. Für Art. 11 Abs. 2 GG hatte das BVerfGE 2, 266 (274) ein redaktionelles Versehen erwogen, die Frage dann allerdings offen gelassen. 365 Siehe dazu unten S. 125 f. 366 So M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 80 V 6 (S. 482). 367 Vgl. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S. 194 Fn. 160, der diesen Formulierungsunterschied heranzieht, um den materiellen Gesetzesbegriff des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zu begründen.

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

Satz 2 WRV übernommenen Gesetzesvorbehalt keine Differenzierung zwischen materiellen Gesetzen und diese vollziehenden Einzelfallregelungen verbunden ist. Vor allem aber schließt Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG aus sachlichen Gründen Einzelfallregelungen zur Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums nicht aus. Denn im Gegensatz zu den meisten anderen Grundrechten, die ein natürliches oder vorstaatliches Gut schützen, ist Eigentum in seiner Existenz von vornherein abhängig von der einfachgesetzlichen Eigentumsordnung. Sieht diese eine Befugnis der Verwaltung zur weiteren Inhalts- und Schrankenbestimmung durch Einzelfallregelung vor, so ist diese Befugnis Teil von Inhalt und Schranken des betroffenen Eigentums.368 Nach alledem bedarf es für solche Einzelfallregelungen keiner ausdrücklichen Erwähnung in Art. 14 GG, weil der Gesetzgeber die Verwaltung nicht zum Eingriff in ein natürliches oder vorstaatliches Gut ermächtigt, sondern das Eigentum von vornherein mit der Befugnis der Verwaltung zur Einzelfallregelung definiert.

II. Ausgestaltungsgarantie Die Ausgestaltungsgarantie bindet unmittelbar nur die Gesetzgebung.369 Die abstrakt-generelle Ausgestaltung des Eigentums kann durch Einzelfallregelungen nicht berührt werden.370 1. Ausstrahlungswirkungen In Bezug auf Einzelfallregelungen entfaltet die Ausgestaltungsgarantie aber Ausstrahlungswirkungen, die sich aus der Vermittlung subjektiver Rechte durch die Eigentumsordnung ergeben371: Weil die Ausgestaltung des einfachen Rechts grundrechtsgebunden ist, gehen die von der gesetzlichen Eigentumsordnung anerkannten subjektiven Rechte mittelbar auf die Ausgestaltungsgarantie zurück. Diese verlangt, dass die vom Gesetzgeber umgesetzten Ausgestaltungsprinzipien im Einzelfall beachtet werden.372 368 Siehe oben S. 22 f. und zum Schutz der Rechtsstellungsgarantie gegen den Vollzug durch Einzelfallregelungen unten S. 79 f. 369 Siehe oben S. 24 f. 370 Vgl. zur Einrichtungsgarantie O. Kimminich, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 08/1992), Art. 14 Rn. 119; K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 68 IV 9 (S. 829); Weber, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte II, S. 331 (355). 371 M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 65 VI 2 (S. 597, 601 f.) spricht insofern von „mittelbarer Grundrechtsberechtigung“; vgl. grundlegend dazu Wahl, NVwZ 1984, 401 – 409; dens., in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO, Losebl. (Stand: 02/1996), Vorbem. vor § 42 Abs. 2 Rn. 49 – 54, 75 – 79, 85 – 93, 98 – 117; § 42 Abs. 2 Rn. 56 – 63; s. auch Ramsauer, AöR 111 (1986), 501 – 536. 372 Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 105 – 125, 199 – 203 spricht insofern von grundrechtlichem „Normanwendungsschutz“ gegen die Nichtanwendung oder grundrechtswidrige Falschanwendung einer Norm.

B. Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Einzelfallregelung

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Deshalb ist zugleich die Ausgestaltungsgarantie verletzt, wenn ein Eigentümer in Bezug auf eine Einzelfallregelung in Rechten verletzt ist, die ihm von der einfachen Eigentumsordnung zur Umsetzung eines Ausgestaltungsprinzips verliehen sind. Wird etwa einem Grundeigentümer die Erteilung einer Baugenehmigung versagt, obwohl ihm das einfache Baurecht einen Anspruch darauf gewährt, so stellt dies zugleich eine Verletzung der Ausgestaltungsgarantie dar, weil das einfache Recht insoweit der Umsetzung der Baufreiheit als Ausprägung des Ausgestaltungsprinzips der Privatnützigkeit dient.373 Auf die Rechtsstellungsgarantie kann sich der Grundeigentümer in diesem Fall nicht berufen, weil er eine Erweiterung seiner Rechtsstellung begehrt. Ohne die Genehmigung ist das gesetzliche präventive Bauverbot Teil von Inhalt und Schranken seines Eigentums an dem Grundstück. Die Rechtsstellungsgarantie schützt aber nur die im Zeitpunkt der hoheitlichen Maßnahme bestehende Rechtsstellung.374 Die Ausgestaltungsgarantie wird weiterhin durch die Fachgerichte verletzt, wenn Entscheidungen, die naturgemäß für den Einzelfall getroffen werden, gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen, die der Umsetzung eines Ausgestaltungsprinzips dienen. Ein Beispiel für solche Vorschriften sind etwa die Normen des Mietrechts, die das Besitzrecht des Mieters und die Befugnisse des Vermieters, insbesondere dessen Kündigungsrecht, zuordnen und abgrenzen.375 Bei der verfassungskonformen Auslegung und Anwendung solcher Rechtsnormen, die im Gewährleistungsbereich der Ausgestaltungsgarantie liegen, muss den Ausgestaltungsprinzipien hinreichend Rechnung getragen werden.376 Dies gilt insbesondere bei Auslegungs- und Anwendungsspielräumen wie etwa im Fall von unbestimmten Rechtsbegriffen, Generalklauseln und Ermessensnormen. Wenn dabei die Ausgestaltungsgarantie nicht oder fehlerhaft angewendet wird, wenn insbesondere deren Bedeutung und Gewährleistungsgehalt verkannt werden, dann liegt darin eine Verletzung der Ausgestaltungsgarantie. Schließlich wird die Ausgestaltungsgarantie verletzt durch die Anwendung eines Gesetzes, das wegen Verstoßes gegen die Ausgestaltungsgarantie verfassungswidrig und nichtig ist.

373 Vgl. zu diesem Beispiel und zum Ganzen M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 65 VI 3 (S. 614), § 65 VI 4 (S. 616 f.). 374 BVerfGE 58, 300 (352). 375 Vgl. BVerfGE 68, 361 (367 – 371); 79, 292 (302 f.); 89, 1 (8 f.) zum Kündigungsrecht des Wohnraumvermieters wegen Eigenbedarfs gemäß § 546b Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 BGB a. F. = § 573 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 2 BGB n. F. 376 Vgl. Bumke, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 179 (220 f.). Siehe etwa BVerfGE 68, 361 (372 f.); 79, 292 (303 f.); 89, 1 (9 f.), dem zufolge die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung des § 546b Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 BGB a. F. = § 573 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 2 BGB n. F. einerseits das Besitzrecht des Mieters, andererseits die Verfügungsbefugnis des Vermieters sowie dessen Recht zur Eigennutzung als Ausprägung der Privatnützigkeit seines Eigentums berücksichtigen müssen.

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

2. Verletzung spezifischen Verfassungsrechts Von alledem zu trennen ist die Frage der prozessualen Geltendmachung von Verletzungen der Ausgestaltungsgarantie. Im Verfassungsbeschwerdeverfahren sind allein die soeben genannten Verletzungsmöglichkeiten relevant.377 Denn der Verstoß gegen einfaches Recht ist der Nachprüfung durch die Verfassungsgerichte entzogen. Deren Prüfungsumfang umfasst nur die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts.378 Daher kann eine Verletzung der Ausgestaltungsgarantie, die ausschließlich auf einem Verstoß gegen einfaches Recht beruht, das ihrer Umsetzung dient, im Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht geltend gemacht werden. Die Verletzungen spezifischen Verfassungsrechts können bereits vor den Fachgerichten geltend gemacht werden, wobei das Verwerfungsmonopol der Verfassungsgerichte aus Art. 100 Abs. 1 GG zu beachten ist. 3. Anwendungsvorrang des einfachen Rechts Dass eine Verletzung des einfachen Rechts zugleich eine (akzessorische) Verletzung der Ausgestaltungsgarantie darstellt, wenn die verletzte Rechtsnorm ihrer Umsetzung dient379, ist hier im Ergebnis wenig bedeutsam. Die Verfassungsverletzung tritt zu dem Verstoß gegen einfaches Recht hinzu, ohne aber zusätzliche Rechtsfolgen auszulösen. Zwar lässt sich neben dem einfachgesetzlich begründeten subjektiven öffentlichen Recht auf Beseitigung der Rechtsverletzung ein inhaltsgleicher Anspruch aus der Ausgestaltungsgarantie annehmen, dem einfachen Recht kommt aber Anwendungsvorrang zu.380 Daher kann das Eigentumsgrundrecht in solchen Fällen nicht zur Begründung einer Klagebefugnis gemäß oder analog § 42 Abs. 2 VwGO herangezogen werden. Vielmehr ergibt sich die Klagebefugnis aus der möglichen Verletzung des einfachen Rechts.

377

Vgl. BVerfGE 89, 1 (9 f.): „Die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht, den das Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hat, ist erst erreicht, wenn die Auslegung der Zivilgerichte Auslegungsfehler erkennen läßt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Eigentumsgarantie, insbesondere vom Umfang ihres Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind.“ Ebenso schon BVerfGE 68, 361 (372); 79, 292 (303). 378 BVerfGE 1, 418 (420); 18, 85 (92 f.); vgl. eingehend Schenke, Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit. 379 Siehe oben S. 76 f. 380 Malmendier, Vom wohlerworbenen Recht zur verrechtlichen Freiheit, S. 275 f. zu BVerwGE 89, 69 (77 f.); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rn. 50. Zu weitgehend erscheint demgegenüber die Auffassung von R. Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO, Losebl. (Stand: 02/1996), Vorbem. vor § 42 Rn. 85, der wohl bereits die Annahme des inhaltsgleichen verfassungsrechtlich fundierten Anspruchs ablehnt, so dass es mangels Anspruchskonkurrenz auf den Anwendungsvorrang des einfachen Rechts hier nicht mehr ankommt; s. dazu auch dens. a. a. O., § 42 Abs. 2 Rn. 57 – 59.

B. Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Einzelfallregelung

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III. Rechtsstellungsgarantie Die Rechtsstellungsgarantie schützt den Eigentümer davor, dass Inhalt und Schranken seines bestehenden Eigentums nachteilig durch Einzelfallregelungen verändert werden. Solche „Eingriffe in Eigentum“ sind – wie auch diejenigen durch Gesetz381 – der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung unterworfen. Insbesondere löst die Rechtsstellungsgarantie den Vorbehalt des formellen Gesetzes382 aus und bringt das Verhältnismäßigkeitsprinzip zur Anwendung. Gewohnheits- oder richterrechtliche Normen kommen demnach als Rechtsgrundlage für Einzelfallregelungen, die in die Rechtsstellungsgarantie eingreifen, nicht in Betracht. Vielmehr hat der formelle Gesetzgeber die Voraussetzungen für Eingriffe in die Rechtsstellungsgarantie durch eine nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmte Ermächtigung selbst zu regeln.383 1. Vollzugsakte Bedarf eine belastende Inhalts- und Schrankenbestimmung durch Einzelfallregelung somit einer formellgesetzlichen Rechtsgrundlage, so ergibt sich die auf den ersten Blick verwirrende Situation, dass die in der Ermächtigungsnorm enthaltene abstrakt-generelle Befugnis der Verwaltung ihrerseits schon Teil von Inhalt und Schranken des betroffenen Eigentums ist384. Soweit daraus gefolgert wird, dass der Vollzug einer solchen Ermächtigungsgrundlage lediglich eine „Aktualisierung“ der in Inhalt und Schranken des Eigentums bereits enthaltenen Befugnis darstelle385, wird dieser Auffassung nicht gefolgt. Abgelehnt wird insbesondere die Annahme, dass der Vollzugsakt nicht weiter in die Rechtsstellung des betroffenen Eigentümers eingreife. Vielmehr ist davon auszugehen, dass eine Inhalts- und Schrankenbestimmung durch Einzelfallregelung eine gegenüber ihrer Rechtsgrundlage eigenständige Regelungswirkung hat, mit der sie die Rechtsstellung des Eigentümers verändert. Zwar bezeichnet auch das Bundesverfassungsgericht solche Vollzugsakte – insoweit missverständlich – als „Aktualisierung der Eigentumsbeschränkung“,

381

Siehe oben S. 69 f. Vgl. dazu oben S. 32 – 35. 383 BVerfGE 58, 137 (146). 384 Siehe oben S. 22 f. 385 Böhmer, Der Staat 24 (1985), 157 (198 f.): „Die Anwendung verfassungsmäßiger Vorschriften im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG durch die Verwaltung ist Aktualisierung der dem Eigentum in legitimer Weise gezogenen Schranken, nicht aber ein Eingriff in eine an sich weiterreichende Rechtsstellung. Es werden deklaratorisch die den Befugnissen des Eigentümers gezogenen Grenzen festgestellt.“ Siehe auch dens., NJW 1988, 2561 (2572); ferner Appel, Entstehungsschwäche und Bestandsstärke des verfassungsrechtlichen Eigentums, S. 240 – 245; O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 220; eingehend Grochtmann, Die Normgeprägtheit des Art. 14 GG, S. 356 – 396. 382

80

Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

spricht aber zugleich von dem „die Eigentumsbeschränkung aktualisierenden Eingriffsakt“ [Hervorhebung nicht im Original].386 Indem die Rechtsstellungsgarantie vor Eingriffen durch Vollzugsakte schützt, geht sie – wie auch gegenüber gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmungen – über den rechtsstaatlichen Vertrauensschutz hinaus.387 Denn soweit beim Erwerb von Eigentum eine gesetzliche Grundlage für Eingriffe in die neue Rechtsstellung besteht, kann von vornherein kein schutzwürdiges Vertrauen darauf entstehen, dass davon kein Gebrauch gemacht wird. 2. Faktische Beeinträchtigungen Der Schutzbereich der Rechtsstellungsgarantie ist nur eröffnet, wenn die betreffende Einzelfallregelung unmittelbar darauf gerichtet ist, die rechtliche Stellung des Eigentümers nachteilig zu verändern. Hingegen greifen faktische Beeinträchtigungen, die nur mittelbar einer Einzelfallregelung zugerechnet werden können, nicht in die Rechtsstellungsgarantie ein.388 Dies betrifft etwa die klassischen Nachbarkonflikte, in denen Nachteile durch eine neu genehmigte Anlage auf dem Nachbargrundstück befürchtet werden. Solange sich die Genehmigung in diesen Fällen nicht auch an den dritten Eigentümer richtet und diesem etwa eine Duldungspflicht auferlegt389, ist seine rechtliche Eigentümerstellung nicht betroffen, weil Inhalt und Schranken seines Eigentums nicht verändert werden. Eine solche Einzelfallregelung ist hingegen als Eingriff in die Rechtsstellung des Eigentümers zu bewerten, wenn die gesetzliche Eigentumsordnung daran eine Veränderung von Inhalt und Schranken des Eigentums knüpft.390 Abwehrrechte gegen Einzelfallregelungen, mit denen kein Eingriff in die Rechtsstellungsgarantie verbunden ist, können sich ausschließlich aus den einfachen Gesetzen ergeben, die wiederum den Vorgaben der Ausgestaltungsgarantie genügen müssen.391 Danach obliegt der einfachgesetzlichen Eigentumsordnung nicht zuletzt im Hinblick auf den Ausgleich multipolarer Interessenslagen (wie etwa Nachbarkonflikte) die Ausgestaltung der

386 BVerfGE 100, 226 (246, s. auch S. 240). Demgegenüber greifen die in BVerfGE 58, 300 (337); BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), NJW 1998, 367 (368); BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), NVwZ 2005, 1412 (1414 f.) als Aktualisierung bezeichneten Versagungen von Genehmigungen bereits deshalb nicht in die Rechtsstellungsgarantie ein, weil sie lediglich die Erlaubnis von etwas ohnehin gesetzlich Verbotenem verweigern und daher das Eigentum nicht nachteilig verändern; s. o. S. 76 f. 387 Vgl. oben S. 69 f. 388 Vgl. zu mittelbaren Beeinträchtigungen Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (221 – 223); s. auch BVerwGE 50, 282 (287). Den Eingriffscharakter staatlicher Genehmigungen erörtert ausführlich Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 178 – 203. 389 Vgl. BVerwGE 50, 282 (286); Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (222). 390 Vgl. Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 198 f. 391 Siehe oben S. 54 – 65.

B. Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Einzelfallregelung

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Abwehr von rechtswidrigen Einzelfallregelungen unter Gewährung (oder Verweigerung) von Drittschutz.392 3. Konkurrenz zum einfachgesetzlichen Integritätsschutz Aber auch für die Fälle, in denen eine rechtswidrige Einzelfallregelung unmittelbar in die Rechtsstellung des Eigentümers eingreift, muss die einfachgesetzliche Eigentumsordnung Abwehrrechte gewähren. Diese sind Teil des Integritätsschutzes, den die Eigentumsordnung nach Maßgabe der Ausgestaltungsgarantie zur Verfügung stellen muss. Demnach lassen sich im Grunde alle Eingriffsgrundlagen dahingehend verfassungskonform auslegen, dass sie dem Eigentümer ein Abwehrrecht gegen einen Eingriff gewähren, der die gesetzlichen Grenzen überschreitet. Soweit eine Rechtsgrundlage den Eingriff nicht zulässt, verbietet sie ihn. Eingriffsgrundlagen sind damit regelmäßig zugleich Verbotsgesetze und Rechtsgrundlagen für Abwehrrechte. Diese Abwehrrechte auf Grundlage der einfachgesetzlichen Eigentumsordnung treten in Konkurrenz zu den Abwehrrechten, die sich als unmittelbare Grundrechtswirkung aus der Rechtsstellungsgarantie ergeben. Im Unterschied zur Ausgestaltungsgarantie393 ist der Gewährleistungsgehalt der Rechtsstellungsgarantie derart bestimmt, dass die Rechtsgewährung nicht der Vermittlung durch das einfache Recht bedarf.394 Die Rechtsstellungsgarantie gewährt den Grundrechtsträgern also unmittelbar ein Abwehrrecht gegen einen ungerechtfertigten Eingriff in ihre subjektiven Rechte, die vom verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff umfasst sind. Der Rückgriff auf die Rechtsstellungsgarantie ist aber verschlossen, soweit sich der einfachgesetzlichen Eigentumsordnung eine einschlägige Regelung über die Abwehr der betreffenden Einzelfallregelung entnehmen lässt.395 Der Anwendungsvorrang des einfachen Rechts gilt nicht nur, wenn die einfachgesetzliche Eigentumsordnung und die verfassungsrechtliche Rechtsstellungsgarantie inhaltsgleiche Abwehrrechte gewähren, sondern auch, wenn die Abwehr einer rechtswidrigen Einzelfallregelung durch das (verfassungsmäßige und verfassungskonform ausgelegte) einfache Recht ausgeschlossen ist, etwa durch Präklusionsregelungen. Nur soweit sich dem einfachen Recht keine Regelung über den Integritätsschutz entnehmen lässt, bleibt der Anwendungsbereich des grundrechtsunmittelbaren Abwehrrechts aus der Rechtsstellungsgarantie eröffnet.396 392

Vgl. BVerwG, NVwZ 1997, 384 (386). Vgl. oben S. 37. 394 Vgl. dazu M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 65 VI 2 (S. 597 f.), der allerdings a. a. O., S. 602 für Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG nicht zwischen der Ausgestaltungs- und der Rechtsstellungsgarantie unterscheidet. 395 Vgl. zum Anwendungsvorrang des einfachen Rechts oben S. 78. 396 Vgl. Malmendier, Vom wohlerworbenen Recht zur verrechtlichten Freiheit, S. 279 f.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rn. 50. 393

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Kap. 2: Eigentumsgewährleistung

C. Realakte Staatliche Realakte können mangels Regelungswirkung keine Inhalts- und Schrankenbestimmungen sein. Sie wirken nicht auf das Eigentum selbst, sondern auf dessen körperlichen Zuordnungsgegenstand ein.397 Die Rechtsstellung des Eigentümers, also Inhalt und Schranken seines Eigentums, kann nur durch Rechtsakte verändert werden.398 Daher ist logisch nicht denkbar, dass ein Realakt in die Rechtsstellungsgarantie eingreift. Allerdings lässt sich subsidiär regelmäßig ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG annehmen, der ebenfalls den Vorbehalt des formellen Gesetzes auslöst. Die Rechtmäßigkeit von hoheitlichen Realakten, die auf einen körperlichen Zuordnungsgegenstand einwirken, beurteilt sich nach Inhalt und Schranken des Eigentums, wie sie durch die Gesetze und gegebenenfalls durch Einzelfallregelungen bestimmt werden. Zugunsten des Eigentümers gebietet die Ausgestaltungsgarantie eine optimale Ausgestaltung der Herrschafts- und Ausschließungsbefugnis399, die der Rechtmäßigkeit von Realakten entgegensteht. Hinter dem Maximum dieses Ausgestaltungsprinzips kann die Eigentumsordnung zugunsten des Gemeinwohls im Sinne des Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG in verhältnismäßiger Weise zurückbleiben, indem sie Befugnisse zum Vornehmen von Realakten gegen den Zuordnungsgegenstand von Eigentum gewährt. Solche Einwirkungsbefugnisse schränken die Herrschafts- und Ausschließungsbefugnis des Eigentümers ein und sind damit Teil von Inhalt und Schranken seines Eigentums. Zur Veranschaulichung lässt sich insoweit eine Duldungspflicht konstruieren, die an die Stelle der Herrschafts- und Ausschließungsbefugnis tritt. Die Rechtsfolgen von rechtswidrigen Realakten, die gegen die Herrschafts- und Ausschließungsbefugnis des Eigentümers verstoßen, ergeben sich aus der Eigentumsordnung. Nach Maßgabe der Ausgestaltungsprinzipien des Integritätsschutzes und der Unrechtshaftung müssen die einfachen Gesetze hierfür Abwehrrechte und Haftungsansprüche vorsehen.400 Hinsichtlich der Grundrechtswirkungen der Ausgestaltungsgarantie kann im Übrigen auf die Ausführungen zu Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Einzelfallregelung verwiesen werden.401 Realakte haben mit diesen gemein, dass es sich um Einzelfallmaßnahmen handelt.

397 398 399 400 401

Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen des Eigentums, S. 31. Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen des Eigentums, S. 27. Siehe oben S. 46. Siehe oben S. 54. Siehe oben S. 76 – 78.

Kapitel 3

Enteignung gemäß Art. 14 Abs. 3 GG Die Enteignung ist ein Eingriff in die Rechtsstellungsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG. Begriffsvoraussetzung ist die nachteilige Veränderung von subjektiven Rechten402, die zum Zeitpunkt des Eingriffs durch die einfachen Gesetze anerkannt sind und unter den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff fallen. Gegenstand einer Enteignung ist demnach ein vorhandener Bestand an Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG.403 Enteignungen erfolgen durch Rechtsakte404, da subjektive Rechte in ihrem Bestand nur von solchen angetastet werden können.405 Realakte kommen als Enteignung nicht in Betracht.406 Voraussetzung des Enteignungsbegriffs ist weiter, dass der Rechtsakt hoheitlich durch einen Grundrechtsverpflichteten vorgenommen wird.407

402

Vgl. schon Layer, Principien des Enteignungsrechtes, S. 390. J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 VII 1 (S. 2260) m. w. N.; vgl. zur Weimarer Reichsverfassung W. Schelcher, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, Art. 153 (S. 209, 212); Wolff, in: Festg. Kahl IV, S. 23. 404 BVerwGE 77, 295 (298); 84, 361 (366); H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 71; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 359, 532, 535; Roth, Faktische Eingriffe in Freiheit und Eigentum, S. 240 f.; Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 144; Schwerdtfeger, Die dogmatische Struktur der Eigentumsgarantie, S. 30; J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 80. Dagegen hält Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 84 f., eine „faktische Enteignung“ durch Realakt für möglich. 405 Vgl. Maurer, in: FS Dürig, S. 293 (304). 406 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 412; Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (238); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 50; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 359, 532. 407 BVerfGE 14, 263 (277); BVerwGE 77, 295 (298); 84, 361 (366); H. D. Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 71; ders., NJW 2000, 2841 (2843); H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 530; Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 144; Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 334 – 344. Ein anderes Verständnis vertreten Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 82 – 84, der einen Hoheitsakt als Begriffsmerkmal der Enteignung ablehnt, und Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 118 – 139, der einen materiellen Enteignungsbegriff unter Einschluss von Enteignungen durch Private mit der Drittwirkung der Grundrechte zu begründen sucht; vgl. dazu Schulze-Osterloh, Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht und im öffentlichen Recht, S. 43 – 45, 67 – 70. Überholt ist die Vorstellung, dass der Staat für jede Enteignung zugunsten Privater sein Enteignungsrecht an den Privaten verleiht und somit der Private selbst die Enteignung vornimmt; vgl. dazu Bullinger, Der Staat 1 (1962), 449 (461 – 403

84

Kap. 3: Enteignung

A. Verhältnis zu Inhalts- und Schrankenbestimmungen Die oben erörterten Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Gesetz oder Einzelfallregelung sind ebenfalls Rechtsakte, die in die Rechtsstellungsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG eingreifen können. Deshalb ist eine Abgrenzung zwischen Inhalts- und Schrankenbestimmungen auf der einen Seite und Enteignungen auf der anderen Seite erforderlich. Das Verhältnis der Enteignung zur Eigentumsgewährleistung und zu Inhalts- und Schrankenbestimmungen ist in hohem Maße historisch belastet. Bevor die Abgrenzung im Einzelnen vorgenommen werden kann, muss zunächst der prägende verfassungsgeschichtliche Hintergrund erörtert und die Berechtigung der historischen Einflüsse auf das heutige Verständnis des Art. 14 GG kritisch hinterfragt werden.

I. Historischer Hintergrund Sowohl die Eigentumsgewährleistung als auch die Enteignungsregelung des Grundgesetzes haben historische Vorgänger. Bemerkenswert ist, dass beide Regelungsgegenstände in den Verfassungen des deutschen Frühkonstitutionalismus überwiegend getrennt normiert waren.408 Teilweise wurden die Eigentumsgewährleistung und die Enteignungsregelung sogar als eigenständige Grundrechte angesehen.409 Erst im Zuge der Paulskirchenverfassung410, der Preußischen Verfassungen von 1848/1850411 und der Weimarer Reichsverfassung412 hat sich die gemeinsame 463). Immerhin ist eine Enteignung durch einen beliehenen Privaten auch nicht von vornherein ausgeschlossen; s. BVerfGE 14, 263 (277). 408 Vgl. Art. 23 und 27 der Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Hessen v. 17. 12. 1820, Hess. Regierungsbl., S. 535, abgedr. in: Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 221 (224); §§ 24 und 30 der Verfassungs-Urkunde für das Königreich Württemberg v. 25. 09. 1819, Staats- und Regierungs-Bl., S. 634, abgedr. in: ders. a. a. O., S. 187 (190 f.); s. auch §§ 27 und 31 der Verfassungsurkunde für das Königreich Sachsen v. 04. 09. 1831, Sächs. GS., S. 241, abgedr. in: ders. a. a. O., S. 263 (268); §§ 13 und 14 Abs. 4 der Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Baden v. 22. 08. 1818, Staats- und Regierungsbl., S. 101, abgedr. in: ders. a. a. O., S. 172 (173); §§ 31 und 32 der Verfassungsurkunde für das Kurfürstentum Hessen v. 05. 01. 1931, Kurhess. GVS, S. 1, abgedr. in: ders. a. a. O., S. 238 (242). Gemeinsam in einem Paragraphen finden sich die Regelungsgegenstände hingegen in Tit. IV § 8 Abs. 1 und Abs. 4 der Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern v. 26. 05. 1818, BayGBl., S. 101, abgedr. in: ders. a. a. O., S. 155 (161). 409 Arndt, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat, Art. 9 (S. 101); vgl. Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat I, Art. 9 (S. 153). 410 § 164 Abs. 1 und 2 der Verfassung des Deutschen Reiches v. 28. 03. 1849, RGBl., S. 101, abgedr. in: Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 375 (393); s. dazu dens., Deutsche Verfassungsgeschichte II, S. 780. 411 Art. 8 Sätze 1 und 2 der Verfassungsurkunde für den preußischen Staat v. 05. 12. 1848, Pr. GS, S. 375, abgedr. in: Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I,

A. Verhältnis zu Inhalts- und Schrankenbestimmungen

85

Normierung von Eigentumsgewährleistung und Enteignungsregelung in einer Vorschrift durchgesetzt. Ob die Eigentumsgewährleistung aber lediglich auf die Enteignungsregelung bezogen war oder ob sie darüber hinausging, war unter den Preußischen Verfassungen von 1848/50 zunächst noch unklar.413 Auch nachdem ein weiter Anwendungsbereich der Eigentumsgewährleistung anerkannt war, beschränkten sich ihre Grundrechtswirkungen auf eine Ausprägung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und des Vorbehalts des materiellen Gesetzes414: Die Verwaltung durfte in das Eigentum nur eingreifen, soweit sie ein Recht dazu hatte. Ein solches Recht konnte sich aus formellen Gesetzen, aus formellgesetzlich ermächtigten Verordnungen und aus Gewohnheitsrecht ergeben. In diesem Sinne heißt es in der Sächsischen Verfassung von 1831 wörtlich, dass „die Gebahrung mit dem Eigenthume […] keiner Beschränkung unterworfen [ist], als welche Gesetz und Recht vorschreiben.“415 Die Gesetzgebung hingegen wurde von der Eigentumsgewährleistung in keiner Weise gebunden. Dieser Befund gilt nicht nur für die Preußischen Verfassungen416, sondern auch für die übrigen Landesverfassungen des 19. Jahrhunderts, deren Grundrechte überwiegend nur als objektive Rechtssätze betrachtet wurden, die noch keine subjektiven Rechte gewährten und somit vor den Gerichten nicht durchsetzbar waren.417 Sie vermochten das einfache Recht nicht zu verdrängen oder zu derogieren. Somit waren die Grundrechte im Wesentlichen deklaratorische Programmsätze und darauf angewiesen, dass der Gesetzgeber sie mit Leben füllte.418 Auch unter der Weimarer Reichsverfassung419 blieb die Eigentumsgewährleistung weitestgehend bedeutungslos. Zwar entfaltete sie nun gegenüber dem GeS. 484 (484) bzw. Art. 9 Sätze 1 und 2 der revidierten Verfassung v. 31. 01. 1850, Pr. GS, S. 17, abgedr. in: ders. a. a. O., S. 501 (502). 412 Art. 153 Abs. 1 und 2 WRV. Vgl. zur Genese des Eigentumsschutzes in der Weimarer Reichsverfassung Kühne, in: FS v. Brünneck, S. 37 – 51. 413 Vgl. Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat I, Art. 9 (S. 155 f.). 414 Vgl. Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat I, Art. 9 (S. 156 – 163); s. auch Bumke, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 179 (184). Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte III, S. 110 kritisiert diese Entwertung der Eigentumsgewährleistung als „verfehlte Auslegung“. 415 § 27 der Verfassungsurkunde für das Königreich Sachsen v. 04. 09. 1831, Sächs. GS., S. 241, abgedr. in: Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 263 (268). 416 Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat I, Art. 9 (S. 161 f.): „Für den Gesetzgeber ist das Eigentum nicht unverletzlich.“ 417 Vgl. K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 59 V 3 (S. 106 – 108), § 72 I 2 (S. 1180 f., 1182 f.) m. w. N.; s. auch H. Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG, Vorbem. vor Art. 1 Rn. 13. 418 Vgl. etwa Anschütz, Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat I, Art. 9 (S. 167): „Direktive für die Gesetzgebung“, „Programm und Richtschnur“. 419 Siehe zur Geltungs- und Bindungskraft der Grundrechte in der Weimarer Republik H. Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG, Vorbem. vor Art. 1 Rn. 16; Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 538 – 542; Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, S. 272 – 286; Hufen,

86

Kap. 3: Enteignung

setzgeber immerhin einen Mindestschutz in Gestalt der Einrichtungsgarantie420, gegenüber der Verwaltung bedeutete sie aber weiterhin nur den Vorbehalt eines materiellen Gesetzes für Eingriffe in das Eigentum.421 Eine materielle Schutzwirkung in Gestalt des Verhältnismäßigkeitsprinzips kannte die Eigentumsgewährleistung nicht. Auch die Prinzipien des Ausgleichs für Sonderopfer und der Unrechtshaftung waren nicht verfassungsrechtlich verankert.422 Art. 153 Abs. 1 WRV wurde zu den Grundrechtsartikeln gezählt, die lediglich das rechtsstaatliche Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung konkretisierten und somit „leerlaufend“ waren.423 Anders als die Eigentumsgewährleistung gewann die verfassungsrechtliche Enteignungsregelung zunehmend an Bedeutung. Während die Enteignungsregelung in den Preußischen Verfassungen noch als nicht justiziable Direktive an den Gesetzgeber verstanden wurde, die auf die Gewährung von Entschädigungsansprüchen durch ein Enteignungsgesetz zielte424, garantierte Art. 153 Abs. 2 Satz 2 und 3 WRV unmittelbar eine angemessene Entschädigung und eröffnete im Streitfall wegen deren Höhe den Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten. Diese Grundrechtswirkungen konnten zwar durch formelles Reichsgesetz sowie durch reichsgesetzlich ermächtigte Landesgesetze und Verordnungen, nicht aber durch sonstige Landesgesetze ausgeschlossen werden.425 Durfte unter den Preußischen Verfassungen kein Gericht ohne anspruchsbegründendes einfaches Gesetz eine Enteignungsentschädigung zusprechen426, so konnten Entschädigungsansprüche für Enteignungen nunmehr unmittelbar auf Grundlage des Art. 153 Abs. 2 Satz 3 WRV gewährt werden.427 In der Theorie sollte zwar auch die Gemeinwohlbindung des Art. 153 Abs. 2 Satz 1 WRV einen gewissen primären Schutz vor Enteignungen gewähren, Staatsrecht II. Grundrechte, § 2 Rn. 16; K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 59 V 6 (S. 123 – 127), § 72 I 3 (S. 1187 – 1190) jeweils m. w. N. 420 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 153 (S. 706 f.); W. Schelcher, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, Art. 153 (S. 207); s. zur Einrichtungsgarantie oben S. 26 f. 421 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 153 (S. 705). 422 Vgl. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 153 (S. 712, vgl. auch S. 707 – 710); W. Schelcher, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, Art. 153 (S. 217); Wolff, in: Festg. Kahl IV, S. 8; s. zur Preußischen Verfassung Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat I, Art. 9 (S. 165 f.). 423 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Vorbem. vor Art. 109 (S. 518); Thoma, in: Festg. zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens des PrOVG, S. 183 (194 – 196), vgl. aber zur Bindung des Gesetzgebers an die Eigentumsgarantie Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, S. 15 f.; Wolff, in: Festg. Kahl IV, S. 6. 424 Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat I, Art. 9 (S. 167 – 169); vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte III, S. 110 f. 425 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Vorbem. vor Art. 109 (S. 518), Art. 153 (S. 717); Thoma, Festg. zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, S. 183 (193 f.). 426 Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat I, Art. 9 (S. 167). 427 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 153 (S. 717 f.).

A. Verhältnis zu Inhalts- und Schrankenbestimmungen

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eine Prüfung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Enteignungen fand aber in der Praxis kaum statt, so dass das Eigentumsgrundrecht seine Wirkung weitgehend nur als sekundärer Entschädigungsanspruch entfaltete.428

II. Bedeutungswandel der Eigentumsgewährleistung Der verfassungsgeschichtliche Rückblick hat gezeigt, dass vor der Geltung des Grundgesetzes nur der Enteignungsregelung und darin insbesondere der Entschädigungsanordnung eine zentrale Bedeutung innerhalb der Eigentumsgarantie zukam.429 Obwohl Art. 14 GG von der Formulierung des Art. 153 WRV nur wenig abweicht, hat die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes einen erheblichen Bedeutungswandel erfahren.430 Der Grund dafür ist nicht zuletzt in den veränderten allgemeinen Rahmenbedingungen von Geltung und Durchsetzbarkeit der Grundrechte gemäß Art. 1, 19, 20, 93 und 100 GG zu sehen.431 Im Zuge einer effektiven Grundrechtswirkung bietet die Rechtsstellungsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG nunmehr umfassenden primären Schutz vor Eingriffen in das Eigentum. Weiterhin ist in der Ausgestaltungsgarantie eine Haftung für Eigentumsverletzungen432 verankert und die Eigentumsgewährleistung ermöglicht einen Ausgleich für Sonderopfer433. Diese wesentlichen Aufwertungen der Eigentumsgewährleistung sind nicht ohne Auswirkung auf die Enteignungsregelung geblieben. Insbesondere darf die Enteignungsregelung nicht isoliert ausgelegt werden, sondern muss in ihrem Verhältnis zur Eigentumsgewährleistung erfasst werden. Aus dem Verständnis der historischen Vorgänger des Art. 14 Abs. 3 GG können nur mit kritischer Vorsicht Rückschlüsse auf dessen Regelungsgehalt gezogen werden. Ziel der folgenden Untersuchung ist es, die Grundrechtswirkungen der Enteignungsregelung gemeinsam mit dem Schutz der Eigentumsgewährleistung in ein insgesamt stimmiges Konzept der Eigentumsgarantie zu integrieren.

428

Siehe unten S. 141 f. Bezeichnend ist, dass die Kommentierungen der Weimarer Reichsverfassung von Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat I, Art. 9; dems., Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 153; W. Schelcher, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, Art. 153 und Wolff, in: Festg. Kahl IV jeweils der Enteignung einen deutlich größeren Umfang einräumen als der Eigentumsgewährleistung. Eine solche Tendenz zeichnete sich bereits während der Verfassungsgebung ab; vgl. Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, S. 344. 430 Vgl. BVerfGE 4, 219 (232); 24, 367 (400 f.). 431 Appel, Entstehungsschwäche und Bestandsstärke des verfassungsrechtlichen Eigentums, S. 114 m. w. N.; Böhmer, NJW 1988, 2561 (2561 f.); Osterloh, DVBl. 1991, 906 (909); Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 11 f. 432 Siehe oben S. 54 – 65. 433 Siehe oben S. 47 – 53. 429

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Kap. 3: Enteignung

III. Art. 14 Abs. 3 GG als lex specialis Mit der Weiterentwicklung der Eigentumsgewährleistung ist die Enteignungsregelung in ein Spezialitätsverhältnis zu den allgemeinen Regelungen des Art. 14 Abs. 1 und 2 GG gerückt. Das Verhältnis von Enteignungen zu Inhalts- und Schrankenbestimmungen ist wesentlich dadurch gekennzeichnet, dass Enteignungen gegenüber Inhalts- und Schrankenbestimmungen einen Sonderfall darstellen.434 Im Grunde sind Enteignungen „spezielle Inhalts- und Schrankenbestimmungen“, weil sie Inhalt und Schranken des betroffenen Eigentums verändern. Terminologisch sollte der Begriff der „Inhalts- und Schrankenbestimmung“ aber solchen Regelungen vorbehalten bleiben, die keine Enteignungen sind.435 Regelungen, die in das Eigentum eingreifen, sind Inhalts- und Schrankenbestimmungen, wenn sie die Voraussetzungen des Enteignungsbegriffs nicht erfüllen. Denn nach der Systematik des Art. 14 GG sind Eingriffe in die Rechtsstellungsgarantie des Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG nach Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 zu beurteilen, soweit nicht Abs. 3 einschlägig ist. Art. 14 Abs. 3 GG ist lex specialis zu Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG. Soweit der Anwendungsbereich des Art. 14 Abs. 3 GG eröffnet ist, sind Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 verdrängt. Dass allerdings ein Rechtsakt zugleich eine Inhalts- und Schrankenbestimmung sowie eine Enteignung enthalten kann, bleibt noch zu erörtern.436 Der Schlüssel für die Anwendbarkeit des Art. 14 Abs. 3 GG liegt im Enteignungsbegriff, der nach der Systematik des Abs. 3 an zentraler Stelle am Anfang des ersten Satzes steht. Hingegen ist das in Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG bezeichnete Gesetz nicht unmittelbar Abgrenzungskriterium. Diese Differenzierung ist von besonderer Bedeutung in Vollzugsfällen, in denen der Eingriffsakt auf der Grundlage mindestens eines vorgelagerten Gesetzes erfolgt. Entscheidend ist dann allein, ob der letzte Rechtsakt, der unmittelbar in das Eigentum eingreift, die Voraussetzungen des Enteignungsbegriffs erfüllt. Nur danach richtet sich, ob die vorgelagerten Rechtsakte den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 Sätze 2 und 3 GG oder denen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG unterliegen. Entgegen verbreiteter Auffassung437 teilt also nicht der Vollzugsakt die Rechtsnatur seiner gesetzlichen Grundlagen, sondern die Einordnung der Rechtsgrundlagen richtet sich nach den darin vorgesehenen Vollzugsakten. Dies bedeutet aber nicht, dass eine vorbereitende Rechtsgrundlage 434 Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, S. 192; vgl. Jarass, NJW 2000, 2841 (2841 – 2843); Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 287. Osterloh, DVBl. 1991, 906 (911) weist darauf hin, dass Enteignungen bei ersatzloser Streichung des Art. 14 Abs. 3 GG wohl auch als Inhalts- und Schrankenbestimmungen zulässig wären. 435 Vgl. zur Trennung von Inhalts- und Schrankenbestimmungen sowie Enteignungen J. Berkemann, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 52; J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 VI 1 (S. 2237 f.). 436 Siehe unten S. 103 – 105 und 112 – 115. 437 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 211; Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 30 – 34; Kempen, Der Eingriff des Staates in das Eigentum, Rn. 140, 160; Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 161 – 163, 225 – 227; in diesem Sinne wohl auch BVerfGE 58, 300 (320); 100, 226 (240).

B. Enteignungsbegriff

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erst eingeordnet werden könnte, nachdem die darin vorgesehene Vollzugsmaßnahme vorgenommen wurde. Vielmehr lässt sich ein Gesetz von Anfang an nach der Qualität der Maßnahmen beurteilen, zu denen es ermächtigt.438 Damit lässt sich schließlich der Begriff des Enteignungsgesetzes nur abhängig vom Enteignungsbegriff definieren: Ein Enteignungsgesetz ist ein Gesetz, das entweder eine Enteignung selbst vornimmt oder zur Vornahme einer Enteignung ermächtigt.439 Unerheblich für die Einordnung von Enteignungsgesetzen ist hingegen, ob sie „der Gesetzgeber als solche gewollt und gekennzeichnet hat.“440 Auch das Fehlen einer Entschädigungsregelung kann nicht als Indiz gegen ein Enteignungsgesetz gewertet werden.441

B. Enteignungsbegriff Der Enteignungsbegriff, der von Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG nicht definiert, sondern vorausgesetzt wird, ist in hohem Maße historisch geprägt. Ohne diesen geschichtlichen Hintergrund können die Begriffsmerkmale einer Enteignung nicht erörtert werden.

I. Historischer Hintergrund Seit der römischen Kaiserzeit ist die Enteignung überliefert als Wegnahme einzelner Rechtsobjekte, um sie einer vom Träger der Enteignungsgewalt bestimmten Verwendung zuzuführen.442 In der deutschen Verfassungsgeschichte war die Enteignung erstmals in den Verfassungen des Konstitutionalismus geregelt. 1. Klassischer Enteignungsbegriff Deren Enteignungsregelungen enthielten allerdings nicht den Begriff der Enteignung, sondern verwendeten andere Formulierungen. Die bayerische443, würt438 Vgl. Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 17; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 27. 439 Vgl. O. Kimminich, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 09/1992), Art. 14 Rn. 417. 440 So aber Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 179; vgl. Rausch, DVBl. 1969, 167 (168 f.); ähnlich Peter, Grundeigentum und Naturschutz, S. 89, vgl. auch S. 86. Siehe eingehend unten S. 94 – 96. 441 So aber Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 179; dagegen wie hier Jarass, NJW 2000, 2841 (2842, 2844). 442 Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, S. 219; ders., in: Denninger/HoffmannRiem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 14/15 Rn. 11. 443 Tit. IV § 8 Abs. 4 der Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern v. 26. 05. 1818, BayGBl., S. 101, abgedr. in: Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 155 (161).

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Kap. 3: Enteignung

tembergische444 und sächsische445 Verfassung sprach von Zwangsabtretungen; die badische Verfassung446 regelte die Zwangsabgabe von Eigentum. Die Verfassungen Hessens447 und Kurhessens448 normierten die Inanspruchnahme von Eigentum, während die preußischen Verfassungen449 von der Entziehung oder Beschränkung von Eigentum handelte. Erst die Paulskirchenverfassung450 verwendete den Begriff der Enteignung, der später in die Weimarer Reichsverfassung451 und ins Grundgesetz übernommen wurde. Aus den unterschiedlichen Formulierungen in den Verfassungen und den Enteignungsgesetzen des 19. Jahrhunderts kristallisierte sich der „klassische Enteignungsbegriff“ heraus. Danach bedeutete Enteignung die Entziehung von Sacheigentum durch Verwaltungsakt zur Übertragung auf ein dem Gemeinwohl dienendes Unternehmen.452 Sie stellte sich als eine Art „Zwangskauf“ dar.453 Mit dieser engen Definition machten Enteignungen im klassischen Sinne nur einen sehr geringen Anteil der Eingriffe in das Eigentum aus.

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§ 30 Satz 1 der Verfassungs-Urkunde für das Königreich Württemberg v. 25. 09. 1819, Staats- und Regierungs-Bl., S. 634, abgedr. in: Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 187 (191). 445 § 31 Abs. 1 der Verfassungsurkunde für das Königreich Sachsen v. 04. 09. 1831, Sächs. GS., S. 241, abgedr. in: Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 263 (268). 446 § 14 Abs. 4 der Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Baden v. 22. 08. 1818, Staats- und Regierungsbl., S. 101, abgedr. in: Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 172 (173). 447 Art. 27 der Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Hessen v. 17. 12. 1820, Hess. Regierungsbl., S. 535, abgedr. in: Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 221 (224). 448 § 32 Satz 1 der Verfassungsurkunde für das Kurfürstentum Hessen v. 05. 01. 1931, Kurhess. GVS, S. 1, abgedr. in: Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 238 (242). 449 Art. 8 Satz 2 der Verfassungsurkunde für den preußischen Staat v. 05. 12. 1848, Pr. GS, S. 375, abgedr. in: Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 484 (484) bzw. Art. 9 Satz 2 der revidierten Verfassung v. 31. 01. 1850, Pr. GS, S. 17, abgedr. in: ders. a. a. O., S. 501 (502). 450 § 164 Abs. 2 der Verfassung des Deutschen Reiches v. 28. 03. 1849, RGBl., S. 101, abgedr. in: Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 375 (393). 451 Art. 153 Abs. 2 Satz 1 WRV. 452 Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat I, Art. 9 (S. 164 – 166); ders., Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 153 (S. 707 f.); Frenzel, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, S. 36 – 38; Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, S. 346; Layer, Principien des Enteignungsrechtes, S. 5 – 28; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 7 f.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 176 f.; W. Schelcher, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, Art. 153 (S. 210); Weber, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte II, S. 331 (334, 338). 453 Vgl. BVerfGE 45, 297 (338 f.); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 8; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 177; Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, S. 412; dens., in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 14/15 Rn. 193; Weber, NJW 1950, 401 (402).

B. Enteignungsbegriff

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2. Verzicht auf das Übertragungsmerkmal In der Weimarer Republik entstand angesichts der Schwäche der Eigentumsgewährleistung454 das rechtspolitische Bedürfnis, einen stärkeren verfassungsrechtlichen Schutz vor anderen Eigentumseingriffen zu gewähren, die keine Enteignung im klassischen Sinne waren.455 Dieses Ziel wurde nicht etwa durch eine Aufwertung der Eigentumsgewährleistung, sondern durch eine Ausdehnung des Enteignungsbegriffs verfolgt456, die neben Gegenstand457 und Rechtsform458 der Enteignung auch das Begriffsmerkmal der Übertragung betraf. Nachdem sich der Verzicht auf dieses Begriffsmerkmal durchgesetzt hatte459, konnte jede vollständige oder teilweise Entziehung von Eigentum als Enteignung gewertet werden.460 Insbesondere ließ sich aus formaler Sicht jede Eigentumsbeschränkung als Teilentziehung von Eigentum und damit als Enteignung ansehen.

454

Siehe oben S. 84 – 87. Vgl. zum politischen und gesellschaftlichen Hintergrund der Weimarer Zeit Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 153 (S. 709 – 711); Wolff, in: Festg. Kahl IV, S. 21; s. ferner Bumke, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 179 (203); H. Rittstieg, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 14/15 Rn. 186 mit Verweis auf Rn. 13 f. 456 Siehe zu den Gründen dieser Entwicklung unten S. 108 – 110. 457 Siehe oben S. 83. 458 Siehe dazu unten S. 119 – 126. 459 RGZ 129, 146 (148); 132 69 (74); Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 153 (S. 709 f.); W. Schelcher, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, Art. 153 (S. 223 – 225); für das Güterbeschaffungsmerkmal aber Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, S. 16 f.; Wolff, in: Festg. Kahl IV, S. 24 – 30; vgl. zum Ganzen Weber, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte II, S. 331 (339 f.) m. w. N. 460 Soweit der Grund für diesen Befund von Böhmer, NJW 1988, 2561 (2568 – 2571) und ihm folgend Appel, Entstehungsschwäche und Bestandsstärke des verfassungsrechtlichen Eigentums, S. 108 – 111 darin gesehen wird, dass das Reichsgericht den Schutzbereich des Art. 153 Abs. 1 Satz 1 WRV als umfassendes Eigentümerbelieben im Sinne des § 903 Satz 1 BGB verstanden, zugleich aber öffentlich-rechtliche Inhalts- und Schrankenbestimmungen nicht zu den entgegenstehenden Gesetzen im Sinne des § 903 Satz 1 BGB gezählt habe, wird dieser Auffassung nicht gefolgt. Denn auch wenn man anerkennt, dass Inhalt und Schranken des Eigentums gleichrangig durch privatrechtliche und durch öffentlich-rechtliche Gesetze bestimmt werden (s. o. S. 23), bleibt es dabei, dass nachteilige Umgestaltungen von bestehendem Eigentum als Eingriffe in die Rechtsstellungsgarantie zu bewerten sind und von Enteignungen abgegrenzt werden müssen. 455

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Kap. 3: Enteignung

3. Eingriffswirkung Es bedurfte somit neuer Kriterien für die Abgrenzung der Enteignung von sonstigen Eigentumseingriffen.461 Dabei setzte sich die „Einzeleingriffstheorie“ durch, nach der Enteignungen nicht alle Eigentümer gleichmäßig, sondern einzelne Personen oder verhältnismäßig eng begrenzte Personenkreise mit besonderen Opfern belasteten.462 Unter der Geltung des Grundgesetzes hatte der Bundesgerichtshof diese Begriffsbestimmung für seine „Sonderopfertheorie“ übernommen, bei der er den Verstoß gegen den Gleichheitssatz besonders betonte.463 Das Bundesverwaltungsgericht lehnte die Sonderopfertheorie allerdings als wenig sachgerecht ab und erachtete anstelle dessen die Merkmale der Schwere und Tragweite des Eingriffs für maßgeblich („Schweretheorie“).464 Gemein ist allen drei Theorien, dass sie für die Bestimmung des Enteignungsbegriffs auf die konkreten Eingriffswirkungen abstellten. Für die Bewertung eines Eingriffs als Enteignung kam es demnach wesentlich auf dessen Intensität an.

II. Junktimklausel gegen Schwellentheorien Diesen „Schwellentheorien“ ist das Bundesverfassungsgericht schließlich entgegengetreten, indem es ausgeschlossen hat, dass Inhalts- und Schrankenbestimmungen je nach Intensität in Enteignungen „umschlagen“ können.465 Hier ist zu betonen, dass die Unvereinbarkeit der „Schwellentheorien“ mit dem Grundgesetz vor allem aus der sogenannten Junktimklausel des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG folgt.466 Nach dieser Vorschrift müssen Art und Ausmaß der Entschädigung in dem Gesetz geregelt werden, durch das oder auf Grund dessen eine Enteignung erfolgt. Fehlt die Entschädigungsregelung in einem Gesetz, das eine Enteignung vornimmt oder zulässt, so ist das Gesetz verfassungswidrig und nichtig.467 Um insoweit nichts Un461 Vgl. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 153 (S. 710 – 714); W. Schelcher, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, Art. 153 (S. 216 – 218) jeweils m. w. N. 462 RGZ 129, 146 (149); Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 153 (S. 710, 712 – 714) m. w. N. 463 Grundlegend BGHZ 6, 270 (279 f.); s. Hans Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 58 m. w. N. 464 Grundlegend BVerwGE 5, 143 (145 f.); s. Hans Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 59 m. w. N. 465 Grundlegend BVerfGE 52, 1 (27); 58, 137 (145); 58, 300 (320); aus der neueren Rechtsprechung BVerfGE 79, 174 (192); 100, 226 (240), 102, 1 (16); s. auch BVerwGE 84, 361 (367); 94, 1 (5); vgl. Kempen, Der Eingriff des Staates in das Eigentum, Rn. 141; Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 18 f., 22 f. und zur „Umschlagtheorie“ Böhmer, Der Staat 24 (1985), 157 (158 f., 178, 181, 196); dens., NJW 1988, 2567. 466 Lege, NJW 1993, 2565 (2565 Fn. 3). 467 BVerfGE 4, 219 (235); 46, 268 (287).

B. Enteignungsbegriff

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mögliches zu fordern (ultra posse nemo obligatur)468, muss beim Erlass eines Gesetzes feststehen, ob dieses eine Enteignung vornimmt oder zulässt (Warn- und Offenbarungsfunktion).469 Diese verfassungsrechtliche Vorgabe lässt sich mit den Schwellentheorien, die folgenorientiert auf die Gleichheitswidrigkeit, Zumutbarkeit oder Schwere von konkreten Enteignungswirkungen abstellen, nicht erfüllen. Denn danach ist kaum vorhersehbar, ob ein eigentumsrelevantes Gesetz im Einzelfall zu einer Enteignung führt oder nicht.470 Vielmehr verlangt das Grundgesetz einen formalen Enteignungsbegriff, der das Vorliegen einer Enteignung anhand der staatlichen Handlungsform definiert.471 Jegliche Ansätze, die das Vorliegen einer Enteignung anhand der Intensität ihrer Auswirkungen beurteilen wollen472, werden daher abgelehnt.473 Für den Enteignungsbegriff sind die „Schwellentheorien“ somit obsolet und werden deshalb hier nicht vertieft dargestellt.

III. Entziehung von Eigentum Ausgangspunkt eines formalen Enteignungsbegriffs bleibt das Merkmal einer vollständigen oder teilweisen474 Entziehung von Eigentum.475

468 Gronefeld, Preisgabe und Ersatz des enteignungsrechtlichen Finalitätsmerkmals, S. 47, 64 – 66; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 206; Weyreuther, Über die Verfassungswidrigkeit salvatorischer Entschädigungsregelungen im Enteignungsrecht, S. 19 jeweils m. w. N. 469 Vgl. BVerfGE 4, 219 (235); 46, 268 (287). 470 Dürig, JZ 1954, 4 (8); Gronefeld, Preisgabe und Ersatz des enteignungsrechtlichen Finalitätsmerkmals, S. 46 – 48; Rausch, DVBl. 1969, 167 (168, 170); Weyreuther, Über die Verfassungswidrigkeit salvatorischer Entschädigungsregelungen im Enteignungsrecht, S. 10 – 17; abschwächend Leisner, DVBl. 1981, 76 (77). 471 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Art. 14 Rn. 205; Dürig, JZ 1954, 4 (8); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 12; Rausch, DVBl. 1969, 167 (169 – 171, Fn. 22); vgl. Weyreuther, Über die Verfassungswidrigkeit salvatorischer Entschädigungsregelungen im Enteignungsrecht, S. 18 jeweils m. w. N. 472 So etwa Leisner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, 2. Aufl. 2001, § 149 Rn. 148 – 152; Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 323 – 325; vgl. dens., in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 150; s. auch Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 206; Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 88 f. 473 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 401; Jarass, NJW 2000, 2841 (2844); Osterloh, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 55 Rn. 118; vgl. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S. 264 f. 474 Vgl. dazu unten S. 101 – 103. 475 BVerfGE 24, 367 (394); 38, 175 (180 f.); 45, 297 (326); 52, 1 (27); 58, 300 (321); 79, 174 (191); 101, 239 (259); 102, 1 (15); 104, 1 (9).

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Kap. 3: Enteignung

1. Finalität des Rechtsakts Überwiegend wird gefordert, dass es sich bei der Enteignung um einen gezielten bzw. finalen Eingriff handeln müsse.476 Das Finalitätsmerkmal bedarf genauer Betrachtung. a) Vorsatz Teilweise wird das Merkmal der Finalität in einem subjektiven Sinne dahingehend gedeutet, dass die Entziehung von Eigentum „vorsätzlich“, „bewusst“ oder „gewollt“ erfolgen müsse.477 aa) Relikt der Schwellentheorien Fragt man nach dem Sinn eines solchen Begriffsmerkmals, so entpuppt sich das Vorsatzerfordernis als Relikt der Schwellentheorien. Die Beschränkung des Enteignungsbegriffs auf vorsätzliche Eigentumsentziehungen war ein Versuch, die Schwellentheorien mit den Anforderungen der Junktimklausel zu vereinbaren.478 Nur bewusste bzw. gewollte Enteignungswirkungen sollten als Enteignung bewertet werden. Auf diesem Wege sollte sichergestellt werden, dass das Eintreten von Enteignungen immer vorhersehbar war, damit die Anforderungen der Junktimklausel erfüllt werden konnten.479 Damit würde die Warnfunktion der Junktimklausel480 allerdings ihren Sinn verfehlen, denn Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG wäre bei unbeabsichtigten Eigentumsentziehungen mangels Enteignung von vornherein nicht anwendbar. Im Übrigen ist auch unter Zugrundelegung der Schwellentheorien nicht ersichtlich, wieso überhaupt ein Enteignungsvorsatz verlangt wurde, zumal es für die Junktimklausel ausgereicht hätte, den Enteignungsbegriff auf vorhersehbare Ent476 B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Art. 14 Rn. 73 a. E.; J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 VII 1 (S. 2260); Hendler, DVBl. 1983, 873 (875); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 49 f.; ders., in: FS Dürig, S. 293 (304); H.-J. Papier, in: Maunz/ Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 359, 532; Schmitt-Kammler, in: FS 600-JahrFeier der Universität zu Köln, S. 821 (823 Fn. 9); R. Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 151. 477 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 50; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 179; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Rn. 534; Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 145; J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 81. 478 Vgl. zu dieser Problematik Dürig, JZ 1954, 4 (8 – 12); Gronefeld, Preisgabe und Ersatz des enteignungsrechtlichen Finalitätsmerkmals, S. 45 – 47, 64 – 77, 82 – 97; Jaenicke, VVDStRL 20 (1963), 135 (155, Fn. 47 f.); Leisner, DVBl. 1981, 76 (78); Rausch, DVBl. 1969, 167 (168 – 173, Fn. 22); Weyreuther, Über die Verfassungswidrigkeit salvatorischer Entschädigungsregelungen im Enteignungsrecht, S. 17 – 21 jeweils m. w. N. 479 Vgl. H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 536; Weyreuther, Über die Verfassungswidrigkeit salvatorischer Entschädigungsregelungen im Enteignungsrecht, S. 18. 480 BVerfGE 4, 219 (235); 46, 268 (287).

B. Enteignungsbegriff

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eignungswirkungen zu beschränken.481 Das Bundesverfassungsgericht ging sogar noch weiter, indem es die Anwendbarkeit der Junktimklausel und mithin das Vorliegen einer Enteignung ohne Rücksicht darauf beurteilte, ob der Enteignungscharakter erkennbar war oder nicht.482 Wurde dieser verkannt, so müssten die Gerichte über das Vorliegen einer Enteignung aufklären.483 Selbst wenn man dieser Rechtsprechung nicht folgen wollte, ist die Grundlage für das Vorsatzerfordernis mit der Ablehnung der Schwellentheorien entfallen. Unvorhersehbare Enteignungen („Zufallsenteignungen“484) sind unter einem formalen Enteignungsbegriff nicht denkbar.485 bb) Auslegung von Enteignungserklärungen Weitere Einwände gegen das Vorsatzerfordernis ergeben sich aus der Erwägung, dass auch hoheitliche Rechtsakte durch Willenserklärungen vorgenommen werden, die der Auslegung bedürfen. Als Auslegungsregeln lassen sich grundsätzlich die im Privatrecht entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätze heranziehen, wie sie in den §§ 133 und 157 BGB angedeutet sind.486 Danach hängen die anzuwendenden Auslegungsregeln von der Empfangsbedürftigkeit der Willenserklärung ab.487 Zwar bedürfen nur Verwaltungsakte der individuellen Bekanntgabe (§ 41 der Verwaltungsverfahrensgesetze), während Gesetze allgemein verkündet werden (für den Bund: Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG), jedenfalls aber sind sowohl Administrativ- als auch Legalenteignungen an einen im Zeitpunkt der Regelungswirkung bestimmbaren Personenkreis gerichtet488. Im Hinblick auf die konkret betroffenen Adressaten lässt sich die Enteignung als empfangsbedürftige Willenserklärung begreifen. Dann kommt es für die Auslegung von Enteignungserklärungen nach den allgemeinen 481

Rausch, DVBl. 1969, 167 (173); vgl. zur Unterscheidung von subjektiver und objektiver Finalität auch Gronefeld, Preisgabe und Ersatz des enteignungsrechtlichen Finalitätsmerkmals, S. 45 m. w. N. 482 BVerfGE 4, 219 (228 – 230); vgl. dazu Leisner, DVBl. 1981, 76 (81 f.). 483 BVerfGE 4, 219 (235). 484 Dazu Kimminich, NuR 1985, 1 – 7. 485 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 411; Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (238); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 27; Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S. 361 f.; J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 77, 81; vorsichtiger formulierend BVerwGE 84, 361 (367); BGHZ 99, 24 (28 f.); dagegen Ossenbühl, JZ 1991, 89 (90); ders., Staatshaftungsrecht, S. 206, der darauf verweist, dass die Intensität von Eigentumsbeschränkungen im Einzelfall nicht immer vorhersehbar ist. Dem ist zu entgegnen, dass die Beeinträchtigungsintensität nichts über das Vorliegen einer Enteignung aussagt; s. o. S. 92 f. 486 Gurlit, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 28 Rn. 8 f. Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 319 – 321 weist zutreffend darauf hin, dass die Vorschriften der §§ 133 und 157 BGB „verunglückt“ sind. Weder die Unterscheidung von Willenserklärungen (§ 133 BGB) und Verträgen (§ 157 BGB) noch die einseitige Betonung des wirklichen Willens in § 133 BGB vermögen zu überzeugen. 487 Statt aller Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 322 f. 488 Siehe dazu unten S. 98 – 101.

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Kap. 3: Enteignung

Regeln letztlich nicht auf den wirklichen „inneren“ Willen des Erklärenden an. Entscheidend ist vielmehr der „normative“ Wille, auf den die Adressaten aus der Erklärung rückschließen können.489 Diese objektive Feststellung des erklärten Willens ist zumal im Bereich von Grundrechtseingriffen ein Gebot der Rechtssicherheit und der Bestimmtheit.490 Im Unterschied zum Privatrechtsverkehr beruhen belastende Hoheitsakte aber nicht auf Privatautonomie, sondern auf formellgesetzlicher Ermächtigung.491 Nach alledem ist für das Vorliegen einer Enteignung der objektive Erklärungsgehalt entscheidend, nicht aber ein entsprechender Wille oder Vorsatz.492 b) Regelungsinhalt Kann das Finalitätserfordernis demnach nur objektiv verstanden werden, so stößt die Annahme eines weiteren Begriffsmerkmals neben dem des Rechtsakts auf Zweifel. Denn jeder Rechtsakt enthält per definitionem eine Regelung und ist damit final auf die Setzung einer Rechtsfolge gerichtet.493 Nicht auf die Finalität an sich, sondern auf den Inhalt der (finalen) Regelung eines Rechtsakts kommt es an. In diesem Sinne ist das Bundesverfassungsgericht zu verstehen, wenn es formuliert, dass die Enteignung auf die Entziehung von Eigentum „zielt“ bzw. „gerichtet“ ist.494 Der Inhalt der Regelung des hoheitlichen Rechtsakts, der für eine Enteignung

489

Gurlit, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 28 Rn. 9; vgl. Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 323. Dass es nicht auf den „inneren“, sondern auf den erklärten Willen ankommt, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen kann, hat das BVerwGE 29, 310 (312); 41, 305 (306) zunächst ohne Bezugnahme auf Vorschriften des BGB geurteilt. Später zitiert BVerwGE 48, 279 (282); 49, 244 (247); 88, 286 (292) die Vorschrift des § 133 BGB als Auslegungsregel für einseitige Hoheitsakte. Dabei verkennt das Gericht, dass die Vorschrift des § 133 BGB „verunglückt“ ist und auch im Privatrecht gemeinsam mit § 157 BGB anzuwenden ist, obwohl letztere Vorschrift dem Wortlaut nach nur für Verträge gilt, was ebenso wenig zu überzeugen vermag; s. dazu oben Fn. 486. So kommt es in der Rechtsprechung des BVerwGE 60 223 (228 f.) zu der widersprüchlichen Ausführung, dass „gemäß der […] Auslegungsregel des § 133 BGB nicht der innere, sondern der erklärte Wille maßgebend ist“; ähnlich BVerwGE 74, 15 (17); NVwZ 1984, 36 (37); NVwZ-RR 1994, 13 (14); s. auch Kluth, NVwZ 1990, 608 (610); M. Müller, in: Wolff/Bachof u. a., Verwaltungsrecht I, 12. Aufl. 2007, § 36 Rn. 11, obwohl § 133 BGB seinem Wortlaut nach im Gegenteil gerade die Erforschung des „inneren“ Willens vorschreibt. In genau diesem Sinne hat das BVerwGE 67, 305 (307 f.) allerdings an anderer Stelle unter Berufung auf § 133 BGB eine „den wirklichen Absichten entsprechende Auslegung“ gefordert, was ebenfalls auf Bedenken stößt. Lediglich bei der Auslegung von vertraglichen Vereinbarungen zitiert BVerwGE 84, 257 (264 f.); 108, 1 (6) die Vorschriften der §§ 133, 157 BGB gemeinsam. 490 Vgl. dazu Kluth, NVwZ 1990, 608 (610 f.). 491 Gurlit, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 28 Rn. 8. 492 Vgl. Jarass, NJW 2000, 2841 (2844). 493 Vgl. H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 535; Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen des Eigentums, S. 30. 494 BVerfGE 52, 1 (27); 79, 174 (191); 101, 239 (259); 102, 1 (15); 104, 1 (9); vgl. schon BVerfGE 45, 297 (326).

B. Enteignungsbegriff

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konstitutiv ist, muss also in der Entziehung von Eigentum bestehen.495 Wenn ein Rechtsakt über seine unmittelbare Rechtsfolge hinaus weitere Beeinträchtigungen verursacht496, sind diese Folgewirkungen für das Vorliegen einer Enteignung irrelevant.497 Die unmittelbare Rechtsfolge der Entziehung besteht in dem vollständigen oder teilweisen Verlust von Eigentum.498 Diesen Rechtsverlust bewirkt die Entziehung durch Umgestaltung der betroffenen subjektiven Rechte.499 Der Enteignungsbegriff setzt somit einen einseitig-autoritativ gestaltenden500 Rechtsakt voraus, der seinem Inhalt nach die vollständige oder teilweise Entziehung von Eigentum regelt, mithin unmittelbar auf den vollständigen oder teilweisen Verlust von subjektiven Eigentumsrechten gerichtet ist. c) Enteignungsrechtliche Vorwirkungen Nach diesem Verständnis kann in Vollzugsfällen immer nur der letzte Eingriffsakt, der unmittelbar die Entziehung von Eigentum bewirkt, als Enteignung angesehen werden. Nicht selten gehen der Enteignung aber vorbereitende Rechtsakte voraus, die bereits Rechtsfolgen für die spätere Eigentumsentziehung entfalten. Dies gilt insbesondere für Planfeststellungsbeschlüsse der Verwaltung und für planersetzende formelle Gesetze (Legalplanung). Soweit solche rechtsförmigen Pläne kraft formellgesetzlicher Anordnung einem nachfolgenden Enteignungsverfahren zugrunde zu legen und für die Enteignungsbehörde bindend sind, unterliegen sie wegen dieser enteignungsrechtlichen Vorwirkungen bereits den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG.501 Allerdings haben derartige Pläne als solche noch keine unmittelbaren sachenrechtlichen Auswirkungen auf das Eigentum und können daher nicht selbst als Enteignung angesehen werden.502 Enteignung bleibt vielmehr allein der spätere Rechtsakt, mit dem die Eigentumsentziehung bewirkt wird.

495

Vgl. H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 535. Vgl. Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen des Eigentums, S. 30 f. 497 Eine andere Auffassung vertritt H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/ 2010), Art. 14 Rn. 535 a. E., der für den Enteignungsbegriff ausreichen lässt, dass sich die Entziehung von Eigentum „als zielgerichtete (rechtliche oder faktische) Auswirkung des Regelungsinhalts erweist.“ [Hervorhebung im Original] 498 Das Merkmal des Rechtsverlustes betonen BVerfGE 24, 367 (394); 83, 201 (211). 499 Vgl. zum Merkmal der Umgestaltung BVerfGE 45, 297 (326). 500 Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen des Eigentums, S. 29. 501 BVerfGE 45, 297 (319 f.); 56, 249 (264 f.); 74, 264 (281 f.); 95, 1 (21 f.); BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), NVwZ 2007, 573 (573); vgl. dazu Battis/Otto, DVBl. 2004, 1501 (1503 – 1505); Dietlein/Riedel, in: FS Schnapp, S. 65 (72 – 74); Jarass, NJW 2000, 2841 (2845); Osterloh, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 55 Rn. 124; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 535, 556; Selmer, JuS 1988, 731 (731). 502 BVerfGE 45, 297 (337); 56, 249 (263); 74, 264 (281); 95, 1 (21); Osterloh, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 55 Rn. 123. 496

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Kap. 3: Enteignung

Vergleichbar mit der planakzessorischen Enteignung ist die Auferlegung einer Pflicht zur Übertragung von Eigentum. Solch eine Übertragungspflicht wird zwar durch Rechtsakt begründet, sie gestaltet aber nicht unmittelbar das Eigentum um, sondern verpflichtet den Eigentümer, sein Eigentum selbst umzugestalten. Nach dem Abstraktionsprinzip lässt eine solche schuldrechtliche Pflicht die Sachenrechtslage unberührt. Insbesondere wird dem Eigentümer die dingliche Veräußerungsfreiheit, die Teil des Eigentums ist, nicht entzogen. Vielmehr könnte der Eigentümer sein Eigentum sogar noch an einen Dritten übertragen, wenn kein Veräußerungsverbot besteht. Das „freie Belieben“ des Eigentümers im Sinne dinglicher Handlungsmacht wird demnach durch die Auferlegung der obligatorischen Pflicht nicht eingeschränkt.503 Allerdings kommt es zur Eigentumsentziehung, wenn der Eigentümer der Pflicht zur Übertragung seines Eigentums nicht nachkommt und diese vollstreckt wird. Wenn dann die Zwangsvollstreckung alle Merkmale des Enteignungsbegriffs erfüllt504, muss bereits die vorgelagerte Auferlegung der Übertragungspflicht den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG genügen, weil sie rechtliche Bindungen für die spätere Eigentumsentziehung entfaltet. Unerheblich ist dabei, ob es zu der Enteignung durch Zwangsvollstreckung wirklich kommt oder ob der Eigentümer die auferlegte schuldrechtliche Pflicht freiwillig erfüllt. Wie bei der planakzessorischen Enteignung wird die Enteignungsentscheidung durch die Auferlegung der Übertragungspflicht teilweise vorweggenommen. Aufgrund dieser enteignungsrechtlichen Vorwirkung unterliegt die Auferlegung einer Übertragungspflicht wie eine Enteignung den Maßstäben des Art. 14 Abs. 3 GG, wenngleich der vorbereitende Rechtsakt mangels sachenrechtlicher Wirkung nicht selbst als Enteignung angesehen werden kann.505 2. Einzelfallregelung Nach dem Bundesverfassungsgericht ist die Enteignung auf die „Entziehung konkreter subjektiver Rechtspositionen gerichtet, die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet sind“.506 Diese Definition ist insofern missverständlich, als subjektive 503 Vgl. aber Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen des Eigentums, S. 29, der insoweit nicht zwischen der Auferlegung schuldrechtlicher Pflichten und der Entziehung sachenrechtlicher Befugnisse unterscheidet. 504 Vgl. zum Merkmal der Güterbeschaffung unten S. 112 – 115. 505 Vgl. aber H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 540, der den Enteignungsbegriff auf die Auferlegung einer schuldrechtlichen Übertragungspflicht ausdehnt, wenn diese sich „auf eine bestimmte Sache oder ein bestimmtes Recht bezieht“ und somit eine „Speziesschuld“ darstellt; im Ergebnis ebenso Stern/Dietlein, Staatliche Eingriffe in Bankenbeteiligungen, S. 73; zur Weimarer Reichsverfassung Wolff, in: Festg. Kahl IV, S. 22 f.; s. auch M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 78 II 3 (S. 108 f.), der einen staatlichen Befehl an einen Grundrechtsträger zur Veräußerung von Eigentum als klassischen Eingriff in die Eigentumsgarantie ansieht, ohne diesen allerdings ausdrücklich als Enteignung zu bezeichnen. 506 BVerfGE 52, 1 (27); ebenso BVerfGE 58, 300 (321); 79, 174 (191); 101, 239 (259); 102, 1 (15); 104, 1 (9).

B. Enteignungsbegriff

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Rechte im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG immer „konkret“ sind. Denn Eigentum auch im verfassungsrechtlichen Sinne bedeutet immer die Zuordnung eines bestimmten Gegenstandes zu einem bestimmten Rechtsträger. Der Sinn der Konkretheit als Merkmal des Enteignungsbegriffs ergibt sich erst aus der Abgrenzung zur Inhalts- und Schrankenbestimmung. Darunter versteht das Gericht „die generelle und abstrakte Festlegung von Rechten und Pflichten durch den Gesetzgeber hinsichtlich solcher Rechtsgüter, die als Eigentum im Sinne der Verfassung zu verstehen sind.“507 Dass diese Definition die Existenz von Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Einzelfallregelung508 außer Acht lässt, wird noch zu erörtern sein.509 Entscheidend für den Enteignungsbegriff ist jedenfalls, dass die Entziehung von Eigentum durch eine „konkrete“ Regelung erfolgt.510 Gemeint ist eine Einzelfallregelung, wobei die Betonung primär auf dem zeitlichen Bezugspunkt liegt.511 Die Festlegung des Zeitpunkts, in dem die Rechtsänderung eintreten soll, ist ein wesentliches Element der Enteignung.512 Das Eigentum muss demnach zeitlich punktuell entzogen werden. Die Enteignung kann insoweit als „Durchbrechung“ der Eigentumsordnung bezeichnet werden.513 Dabei bezieht sich die Durchbrechung nur auf den zeitlichen Bezugspunkt, nicht aber auf den personellen. Die Zahl der betroffenen Eigentümer ist für den Enteignungsbegriff irrelevant.514 Insbesondere setzt die Enteignung nicht voraus, dass die Eigentumsentziehung nur einzelne515 oder wenigstens nicht alle Eigentümer betrifft. Für die Enteignung ist es nicht begriffswesentlich, dass einem Eigentümer etwas entzogen wird, was andere behalten dürfen. Entscheidend ist vielmehr, dass die Eigentumsentziehung immer nur einen einzelnen Sachverhalt regelt, an dem aber beliebig viele Personen beteiligt sein können. Denn hinsichtlich des personellen Bezugspunktes reicht es für eine Einzelfallregelung aus, dass der betroffene Personenkreis im Zeitpunkt der Regelungswirkung individuell bestimmbar ist.516 Da eine Enteignung immer genau die507

BVerfGE 52, 1 (27); ähnlich BVerfGE 58, 300 (330); s. auch BVerfGE 102, 1 (16). Siehe oben S. 74 – 81. 509 Siehe unten S. 101 – 107. 510 BVerfGE 45, 297 (326) spricht insoweit von „Einzelentscheidungen“; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 1001; Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 224 f. 511 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 14 – 18. 512 BVerfGE 45, 297 (326). 513 J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 VII 1 (S. 2260); Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (238); Schmitt-Kammler, in: FS 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, S. 821 (823); vgl. auch O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 408; kritisch Osterloh, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 55 Rn. 118. 514 Schmitt-Kammler, in: FS 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, S. 821 (823 Fn. 12). 515 So aber wohl BVerfGE 45, 297 (326); 52, 1 (27); 58, 300 (331 f.); 79, 174 (191); 101, 239 (259); 102, 1 (15); 104, 1 (9). 516 Vgl. BVerfGE 45, 297 (325 f.); s. auch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 16; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 1001. 508

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Kap. 3: Enteignung

jenigen Grundrechtsträger betrifft, die zum konkreten Zeitpunkt der Regelungswirkung Inhaber der entzogenen Rechte sind, ist die Bestimmbarkeit des betroffenen Personenkreises517 gewährleistet. Die Entziehung kann demnach wenige, viele oder alle Rechtsträger eines bestimmten Typus von Eigentum betreffen.518 Nach alledem bedarf die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts einer Klarstellung: Begriffsmerkmal der Enteignung ist nicht die Entziehung konkreter Eigentumspositionen, sondern die konkrete Entziehung von Eigentum. Das Definitionsmerkmal der Einzelfallregelung gilt unabhängig davon, ob die Enteignung „durch Gesetz“ oder „auf Grund eines Gesetzes“ erfolgt.519 Wird die Eigentumsentziehung unmittelbar in einem formellen Gesetz angeordnet, so setzt der Enteignungsbegriff gleichwohl eine Einzelfallregelung voraus, die allerdings mehrere Eigentümer betreffen kann.520 „Die Legalenteignung unterscheidet sich in diesem Punkt von der Administrativenteignung nur dadurch, daß sie die Einzelentscheidungen gegen die von der Enteignung Betroffenen in einer Regelung zusammenfaßt.“521 Damit ist „die Legalenteignung wesensmäßig ,Verwaltung‘ durch Gesetz“522, sie ist materiell ein Verwaltungsakt.523 Hingegen muss in den Vollzugsfällen zwischen der unmittelbaren Eigentumsentziehung und den vorausgehenden Gesetzen differenziert werden: Das Erfordernis einer Einzelfallregelung gilt hier nur für den Enteignungsakt, während dessen Ermächtigungsgrundlagen abstrakt-generelle Regelungen treffen können. In jedem Fall setzt die Enteignung selbst eine Einzelfallregelung voraus. Abstrakte Regelungen können niemals Enteignungen sein.524 517 Dieses Merkmal betonen BVerfGE 45, 297 (325 f.); 52, 1 (27); 58, 300 (330 f.); 102, 1 (15 f.); vgl. dazu Schmidt-Aßmann, JuS 1986, 833 (836). 518 Vgl. zur Problematik der Enteignung eines ganzen Typus von Eigentum unten S. 103 – 105 und 112 – 115 sowie zur Wesensgehaltsgarantie als Grenze der Enteignung unten S. 127 – 129. 519 Zu den Auswirkungen der Einzelfallregelung auf den Gesetzesbegriff s. u. S. 125 f. 520 Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 224 f.; vgl. BVerfGE 95, 1 (21); 100, 226 (240); B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 55. Dagegen halten Dürig, JZ 1954, 4 (7); Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, S. 227 – 232; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 559 Individualenteignungen durch Gesetz wegen Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG für unzulässig. 521 BVerfGE 45, 297 (326). 522 BVerfGE 24, 367 (401). 523 Dies bestreitet allerdings H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 559, der die Legalenteignung durch „Einzelfallregelung in der Form eines Gesetzes“ sogar als Formenmissbrauch bezeichnet. 524 Soweit H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 532, 549 auch Enteignungen durch „normativ-abstrakten“ Rechtsakt bzw. durch Rechtssätze oder Normen für möglich hält, wird dieser Auffassung nicht gefolgt. Entgegen Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, S. 229 enthält „ein allgemeines Gesetz“, nach dem „äußerst gefährliche Gegenstände kraft Gesetz in das Eigentum des Staates übergehen“, keine Legalenteignung, denn es fehlt ihm die Festlegung auf einen bestimmten Zeitpunkt, in dem die Rechtsänderung eintreten soll; vgl. BVerfGE 45, 297 (326).

B. Enteignungsbegriff

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Im Ergebnis leistet das Begriffsmerkmal der Einzelfallregelung die Abgrenzung der Enteignung von der gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmung, die eine unbestimmte Zahl von Sachverhalten regelt.525 Dass Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Gesetz zwingend abstrakt-generelle Regelungen enthalten, ergibt sich bei formellen Gesetzen aus Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG und bei materiellen Gesetzen aus dem Gesetzesbegriff selbst.

IV. Verbleibende Abgrenzungsprobleme Wesentlich schwieriger gestaltet sich die Abgrenzung der Enteignung zur Inhaltsund Schrankenbestimmung durch Einzelfallregelung.526 Beide Maßnahmen sind Rechtsakte mit konkretem Regelungscharakter, die zeitlich punktuell eine nachteilige Veränderung der Rechtsstellung des Eigentümers herbeiführen. Insbesondere stellt nicht jede Entziehung von Eigentum eine Enteignung dar.527 Vielmehr kann auch eine Inhalts- und Schrankenbestimmung eine Eigentumsentziehung zum Gegenstand haben, so dass dieses Merkmal für den Enteignungsbegriff nicht hinreichend ist.528 1. Teilweise Entziehung Zur Abgrenzung der Enteignung von der Inhalts- und Schrankenbestimmung wird verbreitet auf das Merkmal der teilweisen Entziehung abgestellt.529 Nach dieser Auffassung setzt die Enteignung begrifflich voraus, dass die teilweise Entziehung einen rechtlich selbstständigen Teil des Eigentums betrifft.530 Wenn nicht das Vollrecht Eigentum ganz entzogen wird, so liege eine Enteignung nur vor, wenn die betroffene Eigentümerbefugnis vor der Entziehung als Teilrecht konturiert war.531

525

Rennert, VBlBW 1995, 41 (43). Vgl. Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 28 f., 33; Rennert, VBlBW 1995, 41 (43); Stöhr, Verfassungsrechtliche Aspekte des Anspruchs aus enteignendem Eingriff, S. 76 f., 90 – 92. 527 BVerfGE 104, 1 (10); 112, 93 (109); J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 77. 528 Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, S. 412 f.; Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S. 263 f. 529 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 178 Fn. 65 sieht darin die „Gretchenfrage“ hinsichtlich des Enteignungsbegriffs des Bundesverfassungsgerichts. Schwabe, DVBl. 1993, 840 (841) spricht von einem „höchst problematischen Schlüsselbegriff“. Osterloh, DVBl. 1991, 906 (912) erkennt in der Teilenteignung ein „zentrales Problem“. 530 Burgi, NVwZ 1994, 527 (529); Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (236 f.); Maurer, in: FS Dürig, S. 293 (304); Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 178 f. Fn. 65; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 1001; J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 79; vgl. Jarass, NJW 2000, 2841 (2845 f.); Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 201 – 212. 531 Burgi, NVwZ 1994, 527 (530 f.). 526

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Kap. 3: Enteignung

Diese Anforderung ist etwa erfüllt, wenn Sacheigentum mit einem beschränkten dinglichen Recht belastet wird. Denn die Belastung des Sacheigentums bezeichnet die Abspaltung und Verselbstständigung bestimmter Eigentümerbefugnisse, die fortan als beschränktes dingliches Recht existieren.532 Dadurch wird nicht etwa ein Recht am Sacheigentum (also ein Recht an einem Recht533) begründet, sondern das beschränkte dingliche Recht ist selbst (wie auch das Sacheigentum) Recht an einer Sache.534 Dieses selbstständige Recht ist insoweit beschränkt, als es nur einen Teil der als Sacheigentum definierten Befugnisse eines Vollrechtsinhabers enthält. Zugleich ist auch das belastete Sacheigentum selbst insoweit beschränkt, als ihm die abgetrennten Befugnisse fehlen.535 Indem ein anderer Rechtsträger das beschränkte dingliche Recht erwirbt, kommt es zu einer Aufteilung der im Sacheigentum verkörperten Befugnisse. Im Ergebnis stellt die Belastung des Sacheigentums für den Eigentümer den teilweisen Verlust seiner Eigentümerbefugnisse dar. Können somit mehrere Personen Rechte an ein und derselben Sache haben, so ergibt sich aus dem Sachenrecht heraus die Notwendigkeit einer Abgrenzung und klaren Typisierung der vom Eigentum abtrennbaren Rechte.536 Betrachtet man eine solche Konturierung als Begriffsvoraussetzung für die Enteignung durch teilweise Entziehung von Eigentum, so würde der Enteignungsbegriff im Ergebnis davon abhängen, ob im jeweiligen Regelungsbereich des betroffenen Eigentumstyps aus sich heraus das Erfordernis zur Konturierung von Teilrechten besteht oder nicht. Vor allem aber gerät der Enteignungsbegriff damit in eine nicht hinnehmbare Abhängigkeit vom einfachen Gesetzgeber, der vor einer teilweisen Entziehung von Eigentum mittels gesetzlicher Inhalts- und Schrankenbestimmungen über die Frage der Konturierung von Teilrechten entschieden hat. Schließlich fehlt es auch an einer sinnvollen Begründung dafür, dass die Entziehung von zuvor nicht konturierten Teilen des Eigentums pauschal aus dem Enteignungsbegriff herausfallen sollte. Nach alledem ist der Enteignungsbegriff nicht davon abhängig, ob die entzogenen Eigentumsteile zuvor durch die gesetzliche Eigentumsordnung konturiert waren oder nicht.537 Es reicht vielmehr aus, wenn die abzutrennenden Eigentümerbefugnisse mit der Entziehung hinreichend bestimmt werden. Infolgedessen erlangt die Teilentziehung einen sehr weiten Anwendungsbereich, der jegliche Eigentumsbeschrän-

532

Habersack, Examens-Repetitorium Sachenrecht, Rn. 10. Vgl. dazu Baur/Stürner, Sachenrecht, § 60; s. auch Wieling, Sachenrecht I, § 1 II 3 d (S. 21). 534 Habersack, Examens-Repetitorium Sachenrecht, Rn. 12; vgl. Wieling, Sachenrecht I, § 1 II 3 d (S. 21). 535 Wieling, Sachenrecht I, § 1 II 3 a (S. 18). 536 Baur/Stürner, Sachenrecht, § 1 Rn. 6 f. 537 Hösch, Eigentum und Freiheit, S. 223 – 225; Osterloh, DVBl. 1991, 906 (912); dies., in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 55 Rn. 118; zweifelnd mittlerweile auch Maurer, VVDStRL 51 (1992), 338 (339 f.). 533

B. Enteignungsbegriff

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kungen umfasst.538 Jede nachteilige Änderung von Bestandseigentum ist damit auch eine teilweise Entziehung. Dennoch rechtfertigt dieses Ergebnis nicht die Auffassung, dass qualitative Teilentziehungen regelmäßig als Inhalts- und Schrankenbestimmungen anzusehen seien539. Vielmehr kann die teilweise Entziehung von Eigentum weder pauschal als Inhalts- und Schrankenbestimmung noch pauschal als Enteignung eingeordnet werden, sondern es bedarf eines weiteren Begriffsmerkmals, um diese Abgrenzung sinnvoll vornehmen zu können.540 2. Entziehung durch Umgestaltung Bisher ungelöste Abgrenzungsprobleme betreffen weiterhin die Fälle, in denen ein Rechtsakt die Eigentumsordnung durch abstrakt-generelle Regelungen umgestaltet und dabei zugleich bestehendes Eigentum zeitlich punktuell entzieht. Aufgrund des konkreten Zeitpunkts der Regelungswirkung ist der betroffene Personenkreis von Eigentümern individuell bestimmbar. Wenn deren Eigentum durch die Umgestaltung nachteilig verändert wird, liegt darin ein Eingriff in die Rechtsstellungsgarantie. Eine solche Eigentumsbeschränkung stellt nach hier vertretener Auffassung541 eine Teilentziehung von Eigentum dar. Damit stellt sich die Frage, ob derartige Eingriffe in das Eigentum einheitlich entweder als Inhalts- und Schrankenbestimmung oder als Enteignung eingeordnet werden müssen oder ob sie zugleich beides sein können. Das Bundesverfassungsgericht ist zunächst davon ausgegangen, dass ein und derselbe Rechtsakt zugleich Inhalts- und Schrankenbestimmung sowie Enteignung sein kann542, hat aber später entschieden, dass Art. 14 Abs. 3 GG „nicht unmittelbar anwendbar [ist], wenn der Gesetzgeber im Zuge der generellen Neugestaltung eines Rechtsgebiets bestehende Rechte abschafft, für die es im neuen Recht keine Entsprechung gibt.“543 Auch im Schrifttum wird die Doppelqualifikation eines 538 Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 55 f.; Osterloh, DVBl. 1991, 906 (912); Papier, NWVBl. 1990, 397 (398); Pietzcker, JuS 1991, 369 (371); ders., NVwZ 1991, 418 (419); Schwabe, in: FS Thieme, S. 251 (257); ders., DVBl. 1993, 840 (841); Steinberg/Lubberger, Aufopferung – Enteignung und Staatshaftung, S. 96 f., 160 f., 166 f.; R. Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 149 m. w. N.; vgl. auch BVerfGE 52, 1 (27 f.); 56, 249 (260). 539 So aber O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 210, 409 m. w. N. 540 Ob von einer entzogenen Eigentümerbefugnis zuvor bereits Gebrauch gemacht worden ist, ist entgegen BVerfGE 58, 300 (338) kein überzeugendes Abgrenzungskriterium; vgl. dazu Peter, Grundeigentum und Naturschutz, S. 80 – 83 m. w. N. 541 Siehe oben S. 101 – 103 und insbesondere die Nachweise in Fn. 538. 542 BVerfGE 45, 297 (332); 52, 1 (28); 58, 300 (331 f.). 543 BVerfGE 83, 201 (211 – 213). Obwohl das Gericht solche Eingriffe demnach einheitlich als Inhalts- und Schrankenbestimmung versteht, sei das in Art. 14 Abs. 3 GG „zum Ausdruck kommende Gewicht des Eigentumsschutzes bei der vorzunehmenden Abwägung zu beachten, da sich der Eingriff für den Betroffenen wie eine (Teil- oder Voll-)Enteignung auswirkt.“ Hinter dieser Rechtsprechung lässt sich eine gewisse Unsicherheit vermuten; kritisch auch Lege, NJW

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Kap. 3: Enteignung

Rechtsaktes überwiegend abgelehnt.544 Dabei findet sich gelegentlich die Einschränkung, der Gesetzgeber könne eine Inhalts- und Schrankenbestimmung sowie eine gedanklich hiervon zu trennende Enteignung rein „äußerlich“ vereinen.545 Dass es für die Beurteilung somit entscheidend darauf ankäme, ob die Inhalts- und Schrankenbestimmung sowie die Enteignung nur „äußerlich“ oder auch „innerlich“ miteinander verbunden sind, vermag nicht zu überzeugen.546 Auch soweit diese Auffassung von einer zwingend einheitlichen Einordung ausgeht, weist sie Schwächen auf. Denn in diesem Fall soll der Rechtsakt niemals als Enteignung, sondern immer als Inhalts- und Schrankenbestimmung zu beurteilen sein.547 Nicht nur fehlt es für diese pauschale Einordnung jenseits des unliebsamen Ergebnisses548 an einer sinnvollen Begründung, sondern aus methodischer Sicht spricht auch dagegen, dass Abs. 3 des Art. 14 GG gegenüber dessen Abs. 1 Satz 2 eine Spezialregelung trifft, die die allgemeine verdrängt.549 Soweit also die Voraussetzungen des Enteignungsbegriffs vorliegen, ist der betreffende Rechtsakt an Art. 14 Abs. 3 GG und nicht an dessen Abs. 1 Satz 2 zu messen. Im Fall einer Umgestaltung der Eigentumsordnung unter nachteiliger Angleichung des Bestandseigentums muss demnach die darin enthaltene Entziehung von Eigentum gedanklich isoliert werden. Nur dieser Teil des Regelungsinhalts greift in die Rechtsstellungsgarantie ein und kommt als Enteignung in Betracht.550 Der restliche Teil, der über die Entziehung von Bestandseigentum hinausgeht und insbesondere zukünftig entstehendes Eigentum betrifft, ist in jedem Fall als Inhalts- und Schrankenbestimmung zu beurteilen.551 Trennt man hiervon den in die Rechtsstellungsgarantie eingreifenden Regelungsteil gedanklich ab, so ist die verbleibende 1993, 2565 (2565 – 2567); bestätigend aber BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), NJW 1998, 367 (368); vgl. Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 154 f., der insoweit kein Enteignungs-, sondern ein „Übergangsproblem“ sieht. 544 Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (235 f.); Engelhardt, NVwZ 1994, 337 (338); H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 70; ders., NJW 2000, 2841 (2842); H. Rittstieg, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 14/15 Rn. 181; Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 224; SchmittKammler, in: FS 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, S. 821 (831 f.); eingehend Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 54 – 57; Thormann, Abstufungen in der Sozialbindung des Eigentums, S. 82 – 89. 545 Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (236); Schmitt-Kammler, in: FS 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, S. 821 (834); Thormann, Abstufungen in der Sozialbindung des Eigentums, S. 89. 546 Vielmehr dürfte diese Unterscheidung allein relevant sein für die Frage der Teilbarkeit eines einheitlichen Rechtsakts, wenn nur einer der beiden zu trennenden Regelungsteile verfassungsmäßig ist. 547 Siehe die Nachweise in Fn. 544. 548 Vgl. die Argumentation von Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 55 f. 549 Siehe oben S. 88 f. 550 Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 287 f. 551 Vgl. BVerfGE 31, 270 (274 f.).

B. Enteignungsbegriff

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Neugestaltung der Eigentumsordnung nur an der Ausgestaltungsgarantie552 zu messen. Schwieriger zu beurteilen ist hingegen die in die Rechtsstellungsgarantie eingreifende Angleichung von Bestandseigentum, denn insoweit kann nicht pauschal von einer Enteignung ausgegangen werden.553 Vielmehr bleibt es dabei, dass eine Beschränkung von bestehendem Eigentum auch durch Inhalts- und Schrankenbestimmung erfolgen kann.554 Die logische Folge ist, dass der Enteignungsbegriff jenseits der Entziehung von Eigentum eines weiteren Begriffsmerkmals bedarf555, um eine sachlich sinnvolle Abgrenzung zwischen „reinen“ Inhalts- und Schrankenbestimmungen und solchen Rechtsakten vorzunehmen, die zwar hinsichtlich der Neugestaltung als Inhalts- und Schrankenbestimmung, hinsichtlich der Angleichung von Bestandseigentum aber als Enteignung zu beurteilen sind.556 3. Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben Ein vielversprechender Ansatz zur Entwicklung des letzten Abgrenzungskriteriums besteht darin, eine Zweckbestimmung in den Enteignungsbegriff aufzunehmen. So meint insbesondere die neuere Rechtsprechung, dass eine Entziehung von Eigentum nur dann als Enteignung anzusehen sei, wenn sie zum Zweck der Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben erfolge.557 Insbesondere wenn die Eigentumsentziehung nur zum Ausgleich privater Interessen vorgenommen wird, soll es sich bei diesem Zweck nicht um die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe handeln, so dass keine Enteignung vorliege.558 So sollen etwa die Flurbereinigung und die Umlegung aus diesem Grund aus dem Enteignungsbegriff herausfallen, solange sie ausschließlich dem Interesse der betroffenen Eigentümer dienen. Erfolge eine solche Maßnahme aber zur Landbeschaffung zugunsten eines Dritten, so handele es sich dabei wieder um die Erfüllung einer bestimmten öffentlichen Aufgabe und mithin um eine Enteignung.559 Weiterhin wird dieses Begriffsmerkmal herangezogen, um zu begründen, wieso die privatrechtliche Zwangsvollstreckung, die strafrechtliche

552

Siehe oben S. 27 – 66. Vgl. dazu Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 55 f. 554 BVerfGE 31, 275 (284 f.); 36, 281 (293); 42, 263 (294); 49, 382 (393); 58, 300 (350 f.); 83, 201 (212). 555 In diesem Sinne auch Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 56. 556 Vgl. R. Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 150a, der allerdings zur Abgrenzung auf Schwere und Zumutbarkeit des Eingriffs abstellt. 557 BVerfGE 70, 191 (199 f.); 72, 66 (76); 101, 239 (259); 102, 1 (15); 104, 1 (9); 112, 93 (109); 115, 97 (112); BVerwGE 77, 295 (297). 558 BVerfGE 101, 239 (259); 104, 1 (10); 112, 93 (109); vgl. schon BVerfGE 42, 263 (299); zustimmend J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 77. 559 BVerfGE 74, 264 (279 f.). 553

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Kap. 3: Enteignung

Einziehung oder die öffentlich-rechtliche Zerstörung560 gefährlicher Sachen wie etwa die Tötung eines seuchenkranken Tieres keine Enteignungen sind.561 Dieses Verständnis des Enteignungsbegriffs sieht sich erheblichen Einwänden ausgesetzt. Zunächst erschließt sich nicht recht, wieso der Ausgleich privater Interessen, die Zwangsvollstreckung, die Einziehung oder die Zerstörung gefährlicher Gegenstände nicht als Erfüllung einer bestimmten öffentlichen Aufgabe anzusehen wären.562 Vielmehr ist die Ordnung der Privatrechtsverhältnisse nicht zuletzt vor dem Hintergrund des staatlichen Gewaltmonopols eine öffentliche Aufgabe. Gleiches gilt für die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs und für die Abwehr von Gefahren, die von gefährlichen Gegenständen ausgehen. Insoweit lässt sich durchaus jeweils eine konkrete öffentliche Aufgabe benennen, was nicht weiter verwunderlich ist, denn im Grunde muss jedes staatliche Handeln der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienen563. Weitere Einwände gegen das Merkmal der „Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben“ ergeben sich aus Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG. Danach ist die Bindung an das „Wohl der Allgemeinheit“ Zulässigkeitsvoraussetzung der Enteignung, aber kein Begriffsmerkmal.564 Die begriffliche Nähe der „öffentlichen Aufgaben“ zum „Wohl der Allgemeinheit“ lässt sich kaum leugnen.565 Die Logik verbietet aber, dass der Enteignungsbegriff mithilfe eines Merkmals definiert wird, das bereits Zulässigkeitsvoraussetzung ist.566 Nach alledem ist die Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben als Begriffsmerkmal der Enteignung abzulehnen.567 Ebenso wenig zu überzeugen vermag auch ein Ansatz, der den Enteignungsbegriff anhand eines „konkreten öffentlichen Interesses“ zu umgrenzen sucht.568 560 Dabei ist die Zerstörung selbst gar kein Rechtsakt, sondern ein Realakt. Gemäß § 903 Satz 1 BGB hat aber der Eigentümer das Recht, andere von jeder Einwirkung auf die Sache auszuschließen. Hinsichtlich der Entziehung dieser Ausschließungsbefugnis durch Rechtsakt stellt sich die Frage nach einer Enteignung. 561 Jarass, NJW 2000, 2841 (2845); Maurer, in: FS Dürig, S. 293 (205). 562 Vgl. Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, S. 24; s. zur Umlegung auch Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S. 297 – 300. 563 Vgl. unten S. 168. 564 Siehe unten S. 135 f.; vgl. auch unten S. 116 – 118. 565 Vgl. unten S. 130 – 132. 566 Schulze-Osterloh, Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht und im öffentlichen Recht, S. 92; Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 137 – 139 Fn. 382 f.; ders., AöR 98 (1973), 143 f. 567 Vgl. Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 47; zweifelnd auch Appel, Entstehungsschwäche und Bestandsstärke des verfassungsrechtlichen Eigentums, S. 166 – 168; H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 72. 568 Schulte, Eigentum und öffentliches Interesse, S. 98 f., der das konkrete öffentliche Interesse auf S. 94 umschreibt als „Konkretisierung eines Zwecks, der unmittelbar dem Gemeinwohl dient, in einer Situation, aus der das Mittel des enteignungsrechtlichen Einzeleingriffs rational abgeleitet werden kann.“ Vgl. dazu Schulze-Osterloh, Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht und im öffentlichen Recht, S. 61 – 67.

B. Enteignungsbegriff

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Weiterführend ist demgegenüber die Auffassung, der zufolge der Entziehungszweck in der „Indienstnahme“ des entzogenen Eigentums für die Erfüllung von Staatsaufgaben besteht.569 Dabei wird das Begriffsmerkmal der „Indienstnahme für Staatsaufgaben“ ausdrücklich unterschieden von der Zulässigkeitsvoraussetzung des „Wohls der Allgemeinheit“.570 In dieser Abgrenzung liegt aber nicht die wesentliche Bedeutung der genannten Auffassung. Konturen gewinnt das Begriffsmerkmal vielmehr dadurch, dass die Form der Erfüllung öffentlicher Aufgaben als „Indienstnahme“ präzisiert wird. Damit verbunden ist der Gedanke, dass sich der Staat das entzogene Eigentum „positiv zunutze machen will“.571 Auf diesen Aspekt hat das Bundesverfassungsgericht abgestellt, um zu begründen, wieso die Tötung eines tollwutverdächtigen Tieres keine Enteignung ist: „Der Staat ist hier nicht primär am Eigentum interessiert; er bedarf seiner nicht, er will es nicht wirtschaftlich oder sonstwie nutzen.“572 Eine Enteignung sei aber typischerweise dadurch gekennzeichnet, dass der Staat das entzogene Eigentum „für einen öffentlichen Zweck ,braucht‘, d. h. in irgendeiner Weise nutzen will.“573 Bemerkenswert ist an dieser Formulierung, dass das Bundesverfassungsgericht das Brauchen „für einen öffentlichen Zweck“ offenbar mit der Nutzung „in irgendeiner Weise“ gleichsetzt. Demzufolge wäre der Grund des „Brauchens“ bzw. des „Nutzens“ für den Enteignungsbegriff beliebig. Hierin liegt der entscheidende Hinweis darauf, dass das gesuchte Abgrenzungskriterium ohne Bezugnahme auf öffentliche Aufgaben o. ä. auskommen könnte.

V. Güterbeschaffung Nach der frühen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts574 könnte der Enteignungsbegriff des Art. 14 Abs. 3 GG als Zweck der Eigentumsentziehung eine Güterbeschaffung voraussetzen. Das Gericht hat diesen Ansatz allerdings zunächst wieder verworfen: Ob eine Güterbeschaffung vorliege, sei für den Enteignungsbegriff ohne Bedeutung. Entscheidendes Begriffsmerkmal sei der durch die Eigentumsentziehung bewirkte Rechtsverlust, nicht aber die Übertragung des entzogenen Eigentums.575 Allerdings hat das Gericht in einer weiteren Entscheidung die Güterbeschaffung als typisch für die Administrativenteignung angesehen, wohingegen die Legalenteignung in erster Linie zur Aufopferung von Eigentum ohne Güterbeschaffung erfolge.576 Ohne diese Differenzierung erneut aufzugreifen, hat sich das 569 Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (239 f.); vgl. auch Peter, Grundeigentum und Naturschutz, S. 84; Weber, NJW 1950, 401 (402 f.). 570 Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (239 Fn. 143). 571 Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (239). 572 BVerfGE 20, 351 (359). 573 BVerfGE 20, 351 (359). 574 BVerfGE 20, 351 (359). 575 BVerfGE 24, 367 (394). 576 BVerfGE 45, 297 (332).

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Kap. 3: Enteignung

Gericht später für die Beurteilung einer Unternehmensflurbereinigung als Enteignung wesentlich darauf gestützt, dass die „anwendbaren Vorschriften gerade als Grundlage für die Landbeschaffung herangezogen“ würden.577 Dass mit der Eigentumsentziehung der Zweck verfolgt werde, „die für das Vorhaben benötigten Grundstücke zu beschaffen“, sei typisch für die Enteignung.578 Nach dieser Entscheidung hat sich das Bundesverfassungsgericht wiederum gegen die Güterbeschaffung als Begriffsmerkmal der Enteignung ausgesprochen.579 Gegen diese Rechtsprechung und ohne sich damit auseinanderzusetzen, hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts schließlich den Enteignungsbegriff beschränkt „auf solche Fälle, in denen Güter hoheitlich beschafft werden, mit denen ein konkretes, der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienendes Vorhaben durchgeführt werden soll“.580 Indem der Zweite Senat unter Bezugnahme auf diese Entscheidung ausführte, dass der Enteignungsbegriff „weitgehend zurückgeführt ist auf Vorgänge der Güterbeschaffung“581, hat er zwar einen Vorbehalt geäußert, aber doch auch Zustimmung signalisiert. Diese Wende in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist zu begrüßen582, auch wenn ihr hinsichtlich des Begriffsmerkmals der Erfüllung öffentlicher Aufgaben nicht gefolgt wird. Vor allem lässt sie eine Auseinandersetzung mit den zugrundeliegenden Fragen und eine tragfähige Begründung für das Begriffsmerkmal der Güterbeschaffung vermissen. Dem ist im Folgenden nachzugehen. 1. Korrektur einer historischen Fehlentwicklung Ein wichtiges Argument ergibt sich zunächst aus der historischen Betrachtung der Enteignung.583 Bis zur Weimarer Republik umfasste der Enteignungsbegriff ausschließlich Güterbeschaffungsvorgänge.584 Durch den Verzicht auf dieses ein577

BVerfGE 74, 264 (279 f.). BVerfGE 74, 264 (280). 579 BVerfGE 83, 201 (211). 580 BVerfGE 104, 1 (10). Diesbezüglich geht H.-J Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 355, 527 im Wesentlichen von einer Rückkehr zum klassischen Enteignungsbegriff aus; zweifelnd allerdings J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 VII 2 (S. 2263 – 2265). 581 BVerfGE 115, 97 (112). 582 Sie war allerdings von Schwerdtfeger, Die dogmatische Struktur der Eigentumsgarantie, S. 30 und Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 328 f. nicht für möglich gehalten worden; vgl. auch Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 200 f., der die Rückkehr zum Güterbeschaffungsmerkmal ablehnt. 583 Siehe oben S. 89 – 92. 584 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 8; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 177; Weber, NJW 1950, 401 (402); ders., in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte II, S. 331 (348, 370 f.); ausführlich Layer, Principien des Enteignungsrechtes, S. 597 – 660. 578

B. Enteignungsbegriff

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schränkende Begriffsmerkmal585 erhielt die Enteignung einen zusätzlichen Anwendungsbereich, der teilweise unter dem Begriff der Aufopferungsenteignung diskutiert wird586. Der wesentliche Grund für die Einbeziehung von Eigentumsentziehungen ohne Güterbeschaffung in den Enteignungsbegriff ist darin zu sehen, dass man sich einen Schutz vor staatlichen Eigentumseingriffen unter der Weimarer Reichsverfassung nicht im Wege der Eingriffsabwehr, sondern nur mittelbar durch Gewährung von Kompensation vorstellen konnte.587 Eine drohende Kompensationsverpflichtung vermochte den Staat angesichts der Belastung des öffentlichen Haushalts durchaus im Vorhinein von der Realisierung eines Eigentumseingriffs abzuhalten und erfüllte somit eine eingriffshemmende Funktion.588 Die Gewährung von Kompensationsansprüchen war ihrerseits nicht für Inhalts- und Schrankenbestimmungen, sondern nur über die Qualifikation des betreffenden Eigentumseingriffs als Enteignung vorstellbar.589 So wurde der Enteignungsbegriff ausgedehnt und die Entschädigungspflicht gemäß Art. 153 Abs. 2 Satz 2 WRV zum umfassenden Schutz vor Eigentumseingriffen entfaltet.590 Diese Situation hat sich mit dem Grundgesetz grundlegend gewandelt. Trotz des vergleichbaren Wortlauts von Art. 153 WRV und von Art. 14 GG unterscheiden sich die beiden Grundrechte insbesondere hinsichtlich der Eigentumsgewährleistungen des Art. 153 Abs. 1 Satz 1 WRV und des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG erheblich voneinander.591 Zunächst bietet die Rechtsstellungsgarantie nunmehr umfassende Abwehrrechte gegen unverhältnismäßige Eigentumseingriffe. Die Drohkulisse einer Kompensationsverpflichtung ist entbehrlich und würde ohnehin nicht mehr greifen, weil die Gerichte eine Kompensation nur zusprechen dürfen, wenn der formelle Gesetzgeber dafür selbst eine Anspruchsgrundlage geschaffen hat.592 Hervorzuheben ist ferner die Dogmatik des Ausgleichs für Sonderopfer593. Durch die Anerkennung dieser Ausgleichsbefugnis außerhalb von Enteignungen wurde die Kompensation für 585

Siehe oben S. 91. Weber, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte II, S. 331 (350 – 352, 371); kritisch H. Rittstieg, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 14/15 Rn. 193, der den „Zwitterbegriff“ der „Aufopferungsenteignung“ wegen seiner staatshaftungsrechtlichen Bezüge ablehnt. 587 Vgl. Bumke, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht III, S. 179 (195); Schwerdtfeger, Die dogmatische Struktur der Eigentumsgarantie, S. 10; Weber, NJW 1950, 401 (401 f.). 588 Bumke, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 179 (199 f.); vgl. Weber, NJW 1950, 401 (401 f.). 589 Sass, Art. 14 GG und das Entschädigungserfordernis, S. 270 f.; Weber, NJW 1950, 401 (401 f.); vgl. Schwerdtfeger, Die dogmatische Struktur der Eigentumsgarantie, S. 10. 590 Bumke, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 179 (199 f.); vgl. auch RGZ 132 69 (76); s. dazu Weber, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte II, S. 331 (344). 591 Siehe oben S. 84 – 87. 592 Siehe oben S. 62 – 64. 593 Siehe oben S. 47 – 53 und 73 f. 586

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Kap. 3: Enteignung

Eigentumseingriffe aus der Beschränkung auf Art. 14 Abs. 3 GG gelöst und auf Inhalts- und Schrankenbestimmungen erstreckt.594 Zur Gewährung einer angemessenen Kompensation bedarf es somit nicht mehr der Ausdehnung des Enteignungsbegriffs. Daher können die Gründe für den Verzicht auf das Begriffsmerkmal der Güterbeschaffung unter der Verfassungsordnung des Grundgesetzes keine Geltung mehr beanspruchen.595 Vielmehr ist diese historische Fehlentwicklung überholt und sollte korrigiert werden.596 2. Sinn der zwingenden Enteignungsentschädigung Neben diesem historischen Argument lässt sich die Güterbeschaffung als Begriffsmerkmal der Enteignung vor allem mit systematischen Erwägungen begründen. Stellt man nämlich der Enteignung gemäß Art. 14 Abs. 3 GG insbesondere die für Inhalts- und Schrankenbestimmungen geltende Dogmatik des Ausgleichs für Sonderopfer597 gegenüber, so besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Instituten darin, dass mit dem Vorliegen einer Enteignung gemäß Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG zwingend eine Entschädigung verbunden sein muss, während ein Ausgleich für eine belastende Inhalts- und Schrankenbestimmung nur bei unverhältnismäßigen oder gleichheitswidrigen Sonderopfern in Betracht kommt.598 Zwar darf die Abgrenzung zwischen Inhalts- und Schrankenbestimmungen sowie Enteignungen nicht folgenorientiert vorgenommen werden, aber es muss doch die Frage gestellt werden, welchen Sinn die zwingende Enteignungsentschädigung hat. Da der Entschädigungsanspruch untrennbar mit dem Vorliegen einer Enteignung verbunden ist, muss der Sinn der zwingenden Entschädigung in der Bedeutung des Enteignungsbegriffs gesucht werden. Auf den ersten Blick liegt es nahe, dass die zwingende Entschädigung ihren Grund in dem Verlust des entzogenen Eigentums hat.599 Allerdings kann eine Eigentumsentziehung auch durch Inhalts- und Schrankenbestimmung erfolgen, ohne dass ein Ausgleich erforderlich wäre. Demnach kann der bloße Verlust des entzogenen Eigentums nicht der Grund dafür sein, dass die Enteignungsentschädigung zwingend ist.

594 Grundlegend Schulze-Osterloh, Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht und im öffentlichen Recht, S. 232 – 294; s. auch dies., NJW 1981, 2537 – 2545; vgl. dazu Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 59. 595 Sass, Art. 14 GG und das Entschädigungserfordernis, S. 271 f.; Schulze-Osterloh, Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht und im öffentlichen Recht, S. 267 f. 596 Osterloh, DVBl. 1991, 906 (911); H. Rittstieg, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 14/15 Rn. 186, 193; Schwerdtfeger, Die dogmatische Struktur der Eigentumsgarantie, S. 30. 597 Siehe oben S. 47 – 53 und 73 f. 598 Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 25 f. 599 Vgl. Dürig, JZ 1954, 4 (9 f.); Layer, Principien des Enteignungsrechtes, S. 449 – 451; Rausch, DVBl. 1969, 167 (171).

B. Enteignungsbegriff

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Für dieses Ergebnis spricht auch, dass es für das Vorliegen einer Enteignung und mithin für die zwingende Entschädigung nicht auf die belastende Wirkung der Eigentumsentziehung ankommt600. Anders ist dies freilich bei der Dogmatik des Ausgleichs für Sonderopfer. Hier findet der Ausgleichsanspruch seinen tragenden Grund in der unverhältnismäßigen oder gleichheitswidrigen Belastung des Eigentümers. Es lässt sich aber nicht annehmen, dass die Enteignung immer oder typischerweise zu einer besonderen Belastung führt. Bedenkt man vielmehr, dass es auch Enteignungen mit sehr geringfügigen Eigentumsentziehungen und nur unwesentlichen Belastungen geben kann, so würden erhebliche Wertungswidersprüche im Verhältnis zur Ausgleichsdogmatik auftreten, wenn es bei der Enteignung nicht einen anderen Grund für die zwingende Entschädigung gäbe. Ein wichtiger Hinweis auf den gesuchten Grund ergibt sich aus dem historischen Verständnis der Enteignung als „Zwangskauf“601. Danach lässt sich die Entschädigung als Kaufpreis begreifen, der im Rahmen des Zwangsgeschäftes als Gegenleistung erbracht wird.602 Mit der Zahlung eines Kaufpreises verfolgt ein Käufer regelmäßig den Zweck, seinerseits Besitz und Eigentum an einer Sache zu erwerben. Demnach liegt das Wesen der Enteignung weniger in einem Rechtsverlust als vielmehr in einem Rechtserwerb. Treffend formulierte schon Martin Wolff: „Der Sinn der Enteignung ist die Gewinnung eines bestimmten Rechts, dessen man für einen bestimmten Zweck benötigt. Die Entziehung des Rechts dagegen ist nur das unerwünschte Opfer, das dem Berechtigten zugemutet werden muß, nur das Mittel, um die Gewinnung zu verwirklichen, nur das erste Stück des Enteignungstatbestandes“.603 Trotz begrifflicher Nähe der „Ent-schädigung“ zum Schaden geht es dabei weniger um Ersatz für ein besonderes Opfer als vielmehr um Kompensation für das erworbene Recht.604 Mit diesem Ansatz lässt sich endlich der Sinn der Entschädigung gemäß Art. 14 Abs. 3 Sätze 2 bis 4 GG erfassen: Die Enteignungsentschädigung ist Bereicherungsausgleich im Sinne von Wertersatz für einen vermögenswerten Vorteil, den sich der Staat hoheitlich verschafft hat. Dies heißt nicht, dass der Vermögensverlust aufseiten des Eigentümers bedeutungslos wäre. Vielmehr spielt er in Gestalt der Interessen der Beteiligten im Sinne von Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG eine gewichtige Rolle bei der Bestimmung der Höhe der Entschädigung.

600

Siehe oben S. 92 f. Siehe oben S. 89 f. Missverständlich ist dieser Begriff allerdings insofern, als er ein schuldrechtliches Zwangsgeschäft impliziert. Es bleibt aber dabei, dass die Enteignung immer eine dingliche Rechtsänderung bewirkt. 602 Layer, Principien des Enteignungsrechtes, S. 450; Weber, NJW 1950, 401 (402 f.). 603 Wolff, in: Festg. Kahl IV, S. 25; zustimmend Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, S. 18; ebenso H. Rittstieg, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AKGG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 14/15 Rn. 193. 604 Wolff, in: Festg. Kahl IV, S. 28. 601

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Kap. 3: Enteignung

3. Folgerungen für den Enteignungsbegriff Die zwingende Verknüpfung von Entschädigung und Enteignung gebietet, dass sich das verbindende Element der staatlichen Bereicherung im Enteignungsbegriff widerspiegelt. Dementsprechend liegt eine Enteignung begrifflich nur vor, wenn der Staat ein vermögenswertes Gut hoheitlich beschaffen will. Begriffsmerkmal der Enteignung ist somit die Güterbeschaffung als Zweck der Eigentumsentziehung. Dieser Entziehungszweck darf nicht mit dem Zweck der Enteignung verwechselt werden.605 Während ohne die Güterbeschaffung als Zweck der Entziehung gar keine Enteignung vorliegt, ist der Zweck der Enteignung schon aus Gründen der Logik kein Merkmal des Enteignungsbegriffs. Das Begriffsmerkmal der Güterbeschaffung setzt voraus, dass der Eigentumserwerb als Hauptziel der Entziehung angestrebt wird. Nicht hinreichend ist, dass er als bloße Nebenfolge eintritt. Güterbeschaffung ist wirtschaftlich zu bewerten606 und bedeutet die Bereitstellung von Einsatzfaktoren. Anders als beim Begriffsmerkmal der Eigentumsentziehung geht es nun nicht mehr um das subjektive Recht an einem Gegenstand, sondern um den Zuordnungsgegenstand selbst.607 Die Enteignung setzt demnach begrifflich voraus, dass der Gegenstand des entzogenen Eigentums einer vom Staat hinreichend bestimmten Verwendung zugeführt werden soll.608 Damit tritt die Enteignung funktional betrachtet an die Stelle des Einkaufs. Art. 14 Abs. 3 GG ist als Sonderregel für hoheitliche Güterbeschaffung anzusehen. Zwar muss der Staat grundsätzlich die von ihm benötigten Wirtschaftsgüter auf dem freien Markt nach den für alle geltenden Regeln beschaffen609, mit der Enteignung kann er aber ausnahmsweise aufgrund hoheitlichen Sonderrechts die Nichtbereitschaft eines Eigentümers zur

605

Siehe unten S. 136 f. B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 58; Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 75. 607 Vgl. zur Objektbezogenheit der Güterbeschaffung Bierlein, Der Ausgleich von Eigentumsbeeinträchtigungen bei der Vorhabenzulassung, S. 168 – 172, 336 – 338; s. auch BVerfGE 38, 175 (179 f.); 66, 248 (257); W. Böhmer, Sondervotum, BVerfGE 56, 249 (272, 290, 292); ferner zur Preußischen Verfassung von 1850 bereits Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat I, Art. 9 (S. 165), dem zufolge eine Enteignung nur vorliegt, wenn der Staat „das Opfer des Eigentums fordert, weil er des Objekts bedarf“ [Hervorhebung im Original]. 608 Vgl. B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 58; O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 414; Hösch, Eigentum und Freiheit, S. 224 f., 235; H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 72; Lege, NJW 1993, 2565 – 2570; dens., Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 75 f., Manssen, Staatsrecht II. Grundrechte, Rn. 663; Osterloh, DVBl. 1991, 906 (913); Rittstieg, NJW 1982, 721 (724); dens., in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 14/15 Rn. 191 – 195; Schulze-Osterloh, Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht und im öffentlichen Recht, S. 267 f.; Schwerdtfeger, Die dogmatische Struktur der Eigentumsgarantie, S. 25. 609 Osterloh, DVBl. 1991, 906 (911). 606

B. Enteignungsbegriff

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Veräußerung überwinden610. Die staatliche Bereicherung durch die erworbene vermögenswerte Nutzungsmöglichkeit ist der Grund dafür, dass Enteignungen stets entschädigt werden müssen. Das Begriffsmerkmal der Güterbeschaffung verlangt nur, dass mit der Eigentumsentziehung irgendeine vom Staat hinreichend bestimmte Nutzung bezweckt wird. Ob die beabsichtigte Verwendung ihrerseits der Erfüllung öffentlicher Aufgaben oder dem Wohl der Allgemeinheit dient, ist für den Enteignungsbegriff nicht von Bedeutung.611 Ebenfalls irrelevant für den Enteignungsbegriff ist die Person, die den Gegenstand des entzogenen Eigentums nutzen soll. Dass der Staat das Eigentum in die öffentliche Hand überführt, ist keine Begriffsvoraussetzung. Enteignung ist vielmehr auch die Eigentumsentziehung zum Zweck der Nutzung durch einen Privaten, wenn der Staat wesentlich über die Verwendung bestimmt.612 Trifft der Staat hingegen keine konkrete Nutzungsbestimmung, so handelt es sich nicht um eine Enteignung. Eine solche Umverteilung von Eigentum unter Privaten613 unterliegt aber auch als Inhalts- und Schrankenbestimmung strengen Anforderungen nach Maßgabe der Rechtsstellungsgarantie.614 Solche und andere Eigentumsentziehungen werden durch das Merkmal der Güterbeschaffung aus dem Enteignungsbegriff heraus in den Bereich der Inhalts- und Schrankenbestimmungen verschoben. Dadurch werden aber nicht bloß Probleme verlagert615, sondern die betreffenden Fallkonstellationen werden einer systemgerechten und sinnvollen Lösung zugeführt. Denn bei Eigentumsentziehungen, die nicht zum Zweck der Güterbeschaffung vorgenommen werden, bedarf es der Abgrenzung zwischen Maßnahmen, die ohne Ausgleich zulässig sind, und solchen, die nur mit einem Ausgleich vorgenommen werden können.616 Formale Kriterien vermögen diese Abgrenzung nicht zu leisten.617 Vielmehr bemisst sich die Belas-

610 Vgl. zur Inanspruchnahme von Sonderrechten Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 80, Fn. 92, der a. a. O., S. 82 – 84 allerdings für die Güterbeschaffung keinen Hoheitsakt voraussetzt; s. o. S. 83 f. Fn. 407. 611 Siehe unten S. 135 f.; vgl. auch unten S. 116 – 118. 612 Eine andere Frage ist die Zulässigkeit der Enteignung zugunsten Privater, siehe dazu unten S. 210 – 212. 613 Vgl. hierzu J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 VII 4 (S. 2278); H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 577; H. Rittstieg, in: Denninger/ Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 14/15 Rn. 211. 614 Insbesondere bedarf es dann im Verhältnis der Privaten untereinander eines gewichtigen Grundes, um die Eigentumsentziehung zu rechtfertigen. Fehlt ein solcher Rechtfertigungsgrund, so ist die Eigentumsentziehung verfassungswidrig. 615 So aber Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 132 – 134; R. Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 150. 616 Siehe oben S. 49 und 51. 617 Schulze-Osterloh, Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht und im öffentlichen Recht, S. 226 – 231; in diesem Sinne wohl auch O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 257.

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Kap. 3: Enteignung

tungsgrenze wie auch bei anderen Grundrechten618 nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und dem Gleichheitssatz. Diese Verfassungsprinzipien sind der tragende Grund für den Ausgleich von Eigentumsbelastungen619 und bilden dafür zugleich einen sachgerechten Maßstab, indem sie eine flexible Abwägung ermöglichen620. Das Begriffsmerkmal der Güterbeschaffung bietet endlich eine tragfähige Begründung dafür, dass die privatrechtliche Zwangsvollstreckung, die strafrechtliche Einziehung oder die öffentlich-rechtliche Zerstörung gefährlicher Sachen keine Enteignungen sind.621 Im Fall der Zwangsvollstreckung von Übereignungsansprüchen entzieht der Staat freilich auf der Grundlage seines Gewaltmonopols Eigentum und führt dies dem Gläubiger zu. Nicht ganz fernliegend ist dabei auch der Zweck, dass der Gläubiger den Gegenstand seines neuen Eigentums nutzen kann. Jedenfalls aber wird die Verwendung durch den Gläubiger nicht vom Staat bestimmt.622 Mangels Güterbeschaffung ebenfalls keine Enteignung ist die Einziehung nach dem Strafgesetzbuch. Unabhängig davon, ob diese der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs623 oder der Gefahrenabwehr624 dient, wird mit der Eigentumsentziehung jedenfalls keine vom Staat bestimmte Nutzung des Gegenstands des entzogenen Eigentums bezweckt. Weiterhin wird dem Eigentümer bei der Zerstörung von Sachen zur Gefahrenabwehr zwar mindestens das Recht entzogen, andere von der Einwirkung auf die Sache auszuschließen, dies erfolgt aber nicht zu dem Zweck, den Gegenstand des entzogenen Eigentums für eine positive Verwendung bereitzustellen. Besonders deutlich wird die Bedeutung des Begriffsmerkmals der Güterbeschaffung in den Fällen, in denen der Staat die Nutzung eines Grundstücks aus Gründen des Umweltschutzes beschränkt625. Diese Nutzungsbeschränkung ist zwar durchaus als Teilentziehung von Eigentum zu bewerten, sie erfolgt aber nicht zu dem Zweck, das Grundstück einer vom Staat bestimmten neuen Nutzung zuzuführen. Vielmehr bezweckt die Eigentumsentziehung, dass das Grundstück überhaupt nicht genutzt wird. 618

Schulze-Osterloh, NJW 1981, 2537 (2543 – 2545). Grundlegend Schulze-Osterloh, Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht und im öffentlichen Recht, S. 248 – 266. 620 Schulze-Osterloh, Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht und im öffentlichen Recht, S. 223 – 226. 621 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 414; Lege, NJW 1993, 2565 (2566 f.); Osterloh, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 55 Rn. 115 (S. 1265 f.); Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, S. 18; vgl. Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 47 f. Sektorale Restriktionen des Art. 14 Abs. 3 GG, wie sie Sass, Art. 14 GG und das Entschädigungserfordernis, S. 278 – 300 vornehmen will, sind demnach überflüssig. 622 Eine staatliche Verwendungsbestimmung kann aber vorliegen im Fall der Zwangsvollstreckung einer hoheitlich auferlegten Pflicht zur Übertragung von Eigentum; s. dazu oben S. 97 f. 623 § 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB. 624 § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB. 625 Vgl. BVerwGE 94, 1 (3 – 6). 619

B. Enteignungsbegriff

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Schließlich lassen sich mit dem Begriffsmerkmal der Güterbeschaffung auch diejenigen Fälle bewältigen, in denen ein Rechtsakt die Eigentumsordnung durch abstrakt-generelle Regelungen umgestaltet und dabei zugleich bestehendes Eigentum zeitlich punktuell entzieht.626 Ein solcher Eingriff in bestehendes Eigentum ist weder immer Inhalts- und Schrankenbestimmung noch immer Enteignung, sondern er ist dann Enteignung, wenn die Entziehung von Eigentum zum Zweck der Güterbeschaffung erfolgt. Nur unter Einbeziehung der Zwecksetzung, die mit der Eigentumsentziehung verfolgt wird, kann die Beurteilung solcher Rechtsakte sachgerecht vorgenommen werden. Irrelevant für den Enteignungsbegriff ist hingegen, ob der Staat einen Eigentumstyp aus der Hand einzelner, vieler oder aller Rechtsträger entzieht.627 Auch dürfen die Voraussetzungen der Enteignung und ihre zwingende Entschädigungsfolge nicht dadurch umgangen werden, dass die hoheitliche Güterbeschaffung im Gewande einer abstrakt-generellen Umgestaltung der Eigentumsordnung erfolgt. Wenn also mit dem zeitlich punktuellen Eingriff in die Rechtsstellung aller Inhaber eines Eigentumstyps der Zweck verbunden ist, das entzogene Eigentum einer vom Staat hinreichend bestimmten Nutzung zuzuführen, dann handelt es sich um eine Enteignung. In diesem Fall enthält der Rechtsakt dann insgesamt zugleich eine Inhalts- und Schrankenbestimmung und eine Enteignung. In allen anderen Fällen, in denen eine Güterbeschaffung nicht bezweckt wird, ist auch der in die Rechtsstellungsgarantie eingreifende Regelungsteil Inhalts- und Schrankenbestimmung.

VI. Einseitigkeit des Rechtsakts Aus der Funktion der Enteignung als Zwangsinstrument zur Güterbeschaffung folgt, dass der Enteignungsbegriff nur einseitige Rechtsakte umfasst. Die Eigentumsentziehung muss gegen oder ohne den Willen des Eigentümers erfolgen.628 Nur die Überwindung der Nichtbereitschaft des Eigentümers zur Veräußerung, mithin der rechtlich erzwungene Eigentumsverlust kann Enteignung sein. Als einseitiger Rechtsakt ersetzt die Enteignung das zweiseitige Rechtsgeschäft, das nach der einfachgesetzlichen Eigentumsordnung regelmäßig für die Übertragung von Eigentum erforderlich ist.629 Trifft der Eigentümer hingegen mit dem Staat eine Vereinbarung über den Eigentumsübergang, so mag es sich um einen öffentlichrechtlichen Vertrag handeln, nicht aber um eine Enteignung. Demnach ist eine Enteignung durch Vertrag bereits begrifflich ausgeschlossen.

626 627 628 629

Siehe oben S. 103 – 105. Siehe oben S. 98 – 101. Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 74. Vgl. BVerfGE 45, 297 (339).

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Kap. 3: Enteignung

VII. Rechtmäßigkeit als Begriffsmerkmal Umstritten ist schließlich die Frage, ob die Rechtmäßigkeit des Eingriffs zu den Begriffsmerkmalen der Enteignung gehört. 1. Abgrenzung vom enteignungsgleichen Eingriff Die Rechtmäßigkeit des Eingriffs als Begriffsmerkmal der Enteignung geht auf den klassischen Enteignungsbegriff zurück.630 Obwohl es schon in der Weimarer Republik gewichtige Stimmen gab, die sich für eine begriffliche Trennung der Enteignung von ihren Zulässigkeitsvoraussetzungen aussprachen631, ging der Bundesgerichtshof in einer grundlegenden Entscheidung wie selbstverständlich davon aus, dass der Enteignungsbegriff sowohl des Art. 153 Abs. 2 WRV als auch des Art. 14 Abs. 3 GG nur rechtmäßige Eingriffe umfasse.632 Hingegen sei die Zubilligung eines Anspruchs auf Enteignungsentschädigung nicht auf rechtmäßige Eingriffe beschränkt.633 Mit dieser Begründung entwickelte der Bundesgerichtshof das Institut des enteignungsgleichen Eingriffs, um rechtswidrige Eigentumsbelastungen gleichsam wie Enteignungen entschädigen zu können.634 Die Gegenauffassung zu dieser Rechtsprechung lehnte die Rechtmäßigkeit als Begriffsmerkmal der Enteignung ab.635 Dahinter stand das Ziel, rechtswidrige Eigentumsbelastungen in den Enteignungsbegriff einzubeziehen und unmittelbar als Enteignungen zu entschädigen. Das Institut des enteignungsgleichen Eingriffs wäre nach dieser Ansicht verzichtbar.636 2. Tatbestandsvoraussetzung für Enteignungsentschädigung Sowohl die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als auch die Gegenansicht sind abzulehnen, weil die Enteignungsentschädigung zur Kompensation von rechtswidrigen Eigentumseingriffen nicht systemgerecht ist, auch wenn solche Eingriffe abgesehen von ihrer Rechtswidrigkeit alle sonstigen Merkmale des Enteignungsbegriffs erfüllen mögen. Vielmehr ist zu dem Grundsatz zurückzukehren, 630

Bauschke/Kloepfer, NJW 1971, 1233 (1233). W. Schelcher, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, Art. 153 (S. 209 f.); Wolff, in: Festg. Kahl IV, S. 20. 632 BGHZ (Großer Senat) 6, 270 (290); vgl. dazu eingehend O. Kimminich, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 09/1992), Art. 14 Rn. 224 – 241. 633 BGHZ (Großer Senat) 6, 270 (290). 634 BGHZ (Großer Senat) 6, 270 (290 – 292). 635 Bauschke/Kloepfer, NJW 1971, 1233 (1233 f.); O. Kimminich, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 04/1976), Art. 14 Rn. 120; Schneider, VerwArch 58 (1967), 197/301 (308). 636 Bauschke/Kloepfer, NJW 1971, 1233 (1234, 1236); Schneider, VerwArch 58 (1967), 197/301 (334). 631

B. Enteignungsbegriff

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dass Enteignungsentschädigung nur für rechtmäßige Eingriffe gewährt wird.637 Freilich begründet Art. 14 Abs. 3 Sätze 2 und 3 GG ohnehin niemals unmittelbar einen Anspruch auf Enteignungsentschädigung – weder für rechtmäßige noch für rechtswidrige Eingriffe. Anspruchsbegründend kann allein eine einfachgesetzliche Entschädigungsregelung sein. Ob eine solche Anspruchsgrundlage nur für rechtmäßige oder auch für rechtswidrige Eigentumseingriffe eine Enteignungsentschädigung gewährt, ist eine Frage der Auslegung ihres Tatbestandes.638 In jedem Fall verlangt die Junktimklausel des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG vom Gesetzgeber die Regelung von Enteignungsentschädigung nur für rechtmäßige Eingriffe.639 In Anbetracht der Systemwidrigkeit der Gewährung von Enteignungsentschädigung für rechtswidrige Eingriffe sind einfachgesetzliche Anspruchsgrundlagen grundsätzlich dahingehend auszulegen, dass sie keine Enteignungsentschädigung für rechtswidrige Eingriffe gewähren. Soweit vor diesem Hintergrund die Rechtmäßigkeit des Eingriffs als Begriffsmerkmal der Enteignung angesehen wird, um ein „Dulden und Liquidieren“ von rechtswidrigen Eigentumseingriffen im Wege der Enteignungsentschädigung zu verhindern640, basiert diese Auffassung wohl auf der Annahme, dass das Vorliegen aller Merkmale des Enteignungsbegriffs hinreichende Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch ist.641 Damit rechtswidrige Eigentumseingriffe keine Enteignungsentschädigung auslösen, soll der Enteignungsbegriff von der Rechtmäßigkeit des Eingriffs abhängig gemacht werden. Das verfolgte Ziel wird indes überzeugender erreicht, wenn nicht schon der Enteignungsbegriff, sondern erst die Gewährung der Enteignungsentschädigung von der Rechtmäßigkeit des Eingriffs abhängig gemacht wird. In diese Richtung deutet bereits Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG, der die Enteignung mit dem (prädikativen) Adjektiv „zulässig“ qualifiziert und damit impliziert, dass es auch unzulässige Enteignungen geben kann. Hinsichtlich der Gemeinwohlbindung vermeidet die begriffliche Trennung der Enteignung von ihrer Rechtmäßigkeit einen logischen Zirkelschluss.642 Die terminologische Verwirrung 637

BVerfGE 24, 367 (397 f.); 38, 175 (185); 45, 63 (76); 56, 249 (260 f.); v. Brünneck, Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, S. 183, 403; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 54; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 545; Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 160; J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 78; vgl. grundlegend Schulze-Osterloh, Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht und im öffentlichen Recht, S. 90 – 98. 638 Vgl. Osterloh, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 55 Rn. 119. 639 Schulze-Osterloh, Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht und im öffentlichen Recht, S. 93. 640 H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 544 f.; im Ergebnis ebenso Schulte, Zur Dogmatik des Art. 14 GG, S. 30 – 32; Steinberg/Lubberger, Aufopferung – Enteignung und Staatshaftung, S. 132 – 134. 641 Vgl. Schmitt-Kammler, in: FS 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 821 (824). 642 Siehe unten S. 135 f.

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Kap. 3: Enteignung

wäre aber komplett, wenn ein Teil der Zulässigkeitsvoraussetzungen zum Enteignungsbegriff gehören würde, während ein anderer Teil kein Begriffsmerkmal der Enteignung wäre.643 Daher ist der Enteignungsbegriff insgesamt von allen Zulässigkeitsvoraussetzungen zu trennen. Ist die Rechtmäßigkeit des Eingriffs demnach kein Merkmal des Enteignungsbegriffs644, so wird ein „Dulden und Liquidieren“ von rechtswidrigen Enteignungen dadurch verhindert, dass das Vorliegen einer Enteignung nicht als hinreichende Voraussetzung für die Gewährung von Enteignungsentschädigung angesehen wird. Vielmehr muss die Rechtmäßigkeit der Enteignung als (ggf. ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal von einfachgesetzlichen Anspruchsgrundlagen auf Enteignungsentschädigung verstanden werden.645 Für die Gewährung von Enteignungsentschädigung ändert sich damit im Ergebnis nichts, denn das Merkmal der Rechtmäßigkeit wird lediglich aus dem Enteignungsbegriff herausgelöst und als Attribut der Enteignung in den Tatbestand der Entschädigungsregelung verschoben. Die Rechtmäßigkeit der Enteignung und die einfachgesetzliche Entschädigungsregelung bedingen sich also insoweit gegenseitig, als die Rechtmäßigkeit der Enteignung von der Existenz einer verfassungskonformen Entschädigungsregelung abhängt und ein Entschädigungsanspruch danach nur begründet wird, wenn die Enteignung insgesamt (auch im Übrigen) rechtmäßig ist. 3. Haftung für rechtswidrige Enteignungen Dies bedeutet schließlich nicht, dass eine Kompensation für rechtswidrige Enteignungen ausgeschlossen wäre, sondern nur, dass Art. 14 Abs. 3 GG über diese Problematik keinerlei Regelung trifft. Vielmehr gehört die Kompensation von rechtswidrigen Enteignungen zum Regelungsgegenstand der Unrechtshaftung, die nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG Ausgestaltungsprinzip des verfassungsrecht-

643 Vgl. aber H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 546, der zwischen den besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 14 Abs. 3 GG und den übrigen allgemeinen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen differenziert. 644 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 413; Jarass, NJW 2000, 2841 (2845); Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 85; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 54; Osterloh, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 55 Rn. 119; Rozek, Die Unterscheidung von Eigentumsbindung und Enteignung, S. 160; Schneider, NJW 1968, 1320 (1320); Schulze-Osterloh, Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht und im öffentlichen Recht, S. 93; J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 78; s. auch oben die Nachweise in Fn. 635 und aus der Weimarer Zeit in Fn. 631. Das Bundesverfassungsgericht verhält sich ambivalent zu dieser Frage, wenn es einerseits in BVerfGE 24, 367 (397 f.) davon spricht, dass eine „Enteignung verfassungswidrig ist“, und andererseits in BVerfGE 58, 300 (323 f.) den Begriff der Enteignung im Zusammenhang mit den Attributen der Verfassungswidrigkeit bzw. Rechtswidrigkeit in Anführungszeichen setzt, als ob es in diesem Fall eigentlich an einer Enteignung fehle. 645 Vgl. Jarass, NJW 2000, 2841 (2845).

C. Eingriffsvorbehalt

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lichen Eigentumsbegriffs ist.646 Zwar kann die einfache Rechtsordnung keine Haftung für legislatives Unrecht regeln647; im Übrigen macht es aber keinen Unterschied, ob die Eigentumsverletzung im Gewande einer Inhalts- und Schrankenbestimmung durch Einzelfallregelung, eines Realakts oder einer Enteignung erfolgt. Das einfachgesetzliche Haftungsrecht muss also auch für rechtswidrige Administrativenteignungen Ersatzansprüche gewähren, soweit der Schaden nicht zumutbar abgewehrt oder gemindert werden konnte. Vorrangig ist dabei die Abwehr rechtswidriger Enteignungen im Wege des Primärrechtsschutzes.648 Nach alledem ermöglicht das Ausgestaltungsprinzip der Unrechtshaftung für die Kompensation aller rechtswidrigen Eigentumseingriffe der Verwaltung ein einheitliches Regelungsregime, in dem auch das Institut des enteignungsgleichen Eingriffs aufgeht.

C. Eingriffsvorbehalt Mit Blick auf den Eingriff in die Rechtsstellungsgarantie besagt Art. 14 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GG: „Eine Enteignung ist […] zulässig. Sie darf […] erfolgen […]“. Insoweit stellen diese Vorschriften einen Eingriffsvorbehalt dar, weil sie gegenüber der Eigentumsgewährleistung einen Eingriff vorbehalten649 und diese damit begrenzen650. Im Übrigen präzisiert Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG die Form der erlaubten Enteignung, nämlich: „nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes“. Der Eingriffsvorbehalt ist also zugleich ein Gesetzesvorbehalt, weil er für den vorbehaltenen Eingriff ein Gesetz verlangt.651

646

Siehe oben S. 54 – 65. Vgl. Kempen, Der Eingriff des Staates in das Eigentum, Rn. 273, der beim rechtswidrigen Vollzug von Enteignungsgesetzen Ansprüche aus „enteignendem“ oder „enteignungsgleichem Eingriff“ gewähren will, die nach hiesiger Auffassung vom Ausgestaltungsprinzip der Unrechtshaftung umfasst sind. 647 Siehe oben S. 55 f. 648 Siehe oben S. 58. 649 Schmidbauer, Enteignung zugunsten Privater, S. 87 bezeichnet Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG als „Befugnisnorm“ für den Staat zum Zugriff auf das private Eigentum des Einzelnen. Missverständlich ist hingegen die Beschreibung der Enteignung von W. Böhmer, Sondervotum, BVerfGE 58, 249 (271) als „Überwindung grundrechtlicher Schranken“. Denn für die Enteignung existiert eine Schranke der Eigentumsgewährleistung in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG. 650 Vgl. zur Terminologie der Grundrechtsbegrenzung M. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, Vor Art. 1 Rn. 96 – 117 sowie ausführlich dens., in: Stern, Staatsrecht III/2, § 79 f. (S. 225 – 492). 651 Vgl. dazu die Verwendung der Begriffe „Eingriffsvorbehalt“ und „Gesetzesvorbehalt“ in BVerfGE 38, 175 (184).

120

Kap. 3: Enteignung

I. Gesetzesbegriff des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG Im Einzelnen wirft die Auslegung dieses Gesetzesvorbehalts erhebliche Schwierigkeiten hinsichtlich des Gesetzesbegriffs auf. 1. Entstehungsgeschichte Ob sich aus der Entstehungsgeschichte des Art. 14 Abs. 3 GG652 eine Beschränkung auf den formellen Gesetzesbegriff ergibt653, bedarf einer näheren Untersuchung. Nach dem klassischen Enteignungsbegriff, der den deutschen Verfassungen des 19. Jahrhunderts zugrunde lag, erfolgte eine Enteignung ausschließlich durch Verwaltungsakt.654 Gemäß Art. 153 Abs. 2 Satz 1 WRV konnte eine Enteignung nur „auf gesetzlicher Grundlage“ vorgenommen werden. Damit war zunächst noch keine Abweichung vom klassischen Enteignungsbegriff verbunden, denn diese Formulierung ließ sich als Beschränkung auf den Verwaltungsakt als Handlungsform verstehen.655 Dennoch setzte sich in der Weimarer Republik die Auffassung durch, dass eine Enteignung auch unmittelbar durch Gesetz oder durch Rechtsverordnung erfolgen konnte.656 Bei der Schaffung des Grundgesetzes wurde dieser Frage zunächst keine Beachtung geschenkt. So übernahm Art. 17 Abs. 2 des Verfassungsentwurfs von Herrenchiemsee657 die Formulierung „auf gesetzlicher Grundlage“. Das interne Redaktionskomitee des Ausschusses für Grundsatzfragen im Parlamentarischen Rat formulierte in Art. 17 Abs. 2 Satz 1 GG-E „auf Grund eines Gesetzes“.658 In seiner ersten Lesung änderte der Ausschuss für Grundsatzfragen die Formulierung in „auf 652 Vgl. dazu v. Brünneck, Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, S. 86 – 92; Chlosta, Der Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung, S. 103 – 112; Däubler/Sieling-Wendeling/ Welkoborsky, Eigentum und Recht, S. 148 – 153; Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat V/1, S. 117 (147 – 149), 172 (197 – 214), 333 (337), 361 (371 f.); dies. (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat V/2, S. 578 (582 f.), 712 (724 – 737), 784 (787), 875 (883), 910 (943 f.), 954 (961); Ipsen, VVDStRL 10 (1952), 74 (74 – 102); W. Matz, in: v. Doemming/ Füßlein/Matz, JöR n. F. 1 (1951), 144 – 154; v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, Art. 14 (S. 98 – 100); Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 205 (216), 569 (578 – 580), 603 (617), 743 (747); J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 11 – 14. 653 So Rausch, DVBl. 1969, 167 (168). 654 Siehe oben S. 89 f. 655 Vgl. W. Schelcher, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, Art. 153 (S. 210). 656 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 153 (S. 709 – 711, 714 – 717) m. w. N.; W. Schelcher, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, Art. 153 (S. 210 – 212, 227 – 229). 657 Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat II, S. 504 (582). 658 Parlamentarischer Rat, Drucks. 134 v. 06. 10. 1948, abgedr. in: Deutscher Bundestag/ Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat V/1, S. 172 (197 Fn. 34).

C. Eingriffsvorbehalt

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Grund eines förmlichen Gesetzes“.659 Erst der Allgemeine Redaktionsausschuss des Parlamentarischen Rates schlug in erster Lesung die entscheidende Ergänzung für Art. 17 Abs. 3 Satz 1 GG-E vor: „durch förmliches Gesetz oder auf Grund eines förmlichen Gesetzes“.660 Bei der Beratung dieses Vorschlags im Ausschuss für Grundsatzfragen billigten die Mitglieder, dass Enteignungen auch unmittelbar durch Gesetz erfolgen können.661 Weil der Ausdruck „gesetzliche Grundlage“ insoweit für unklar erachtet wurde, entschieden sich die Ausschussmitglieder für die Formulierung des Allgemeinen Redaktionsausschusses. Die Nennung der beiden Kategorien „durch Gesetz“ oder „auf Grund eines Gesetzes“ wurde bei den weiteren Beratungen nicht mehr in Frage gestellt. Umstritten war lediglich das Erfordernis eines „förmlichen“ Gesetzes. Die Einfügung des Adjektivs „förmlich“ in der ersten Lesung des Ausschusses für Grundsatzfragen geschah nebenbei im Zuge der Beratungen zu Art. 18 GG-E (Überführung in Gemeineigentum), nachdem die Beratungen zu Art. 17 GG-E bereits abschlossen waren.662 Es sollte sichergestellt werden, dass die Überführung in Gemeineigentum „nicht durch Verwaltungsakt“ vorgenommen werden könnte und dass Auslegungsschwierigkeiten vermieden würden. Ein tragender Grund für das Erfordernis eines „förmlichen“ Gesetzes ergibt sich daraus allerdings nicht. Jedenfalls wurde kurzerhand auch für die Enteignung gemäß Art. 17 Abs. 2 Satz 1 GG-E ein „förmliches“ Gesetz verlangt. Die Formulierung für Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Gesetz gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 GG-E wurde hingegen ausdrücklich ohne eine entsprechende Einfügung belassen. In der zweiten Lesung des Ausschusses für Grundsatzfragen kam das Erfordernis eines „förmlichen“ Gesetzes gemäß Art. 17 Abs. 2 Satz 1 GG-E nur kurz zur Sprache: Während ein Abgeordneter für die Enteignung ein „verfassungsmäßig zustande gekommenes Gesetz, nicht eine Verordnung“ verlangte, hielt ein anderer Abgeordneter entgegen, das Wichtigste sei, dass der Verwaltung kein zu großer Spielraum gegeben werden dürfe.663 Schließlich

659 Parlamentarischer Rat, Drucks. 200/203 v. 18. 10. 1948, abgedr. in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat V/1, S. 333 (337). 660 Parlamentarischer Rat, Drucks. 282 v. 16. 11. 1948, abgedr. in: Deutscher Bundestag/ Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat V/2, S. 578 (582 f.). 661 Parlamentarischer Rat, 26. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 30. 11. 1948, Wortprot. v. 08. 12. 1948, abgedr. in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat V/2, S. 712 (733 – 735). 662 Parlamentarischer Rat, 8. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 07. 10. 1948, Wortprot. v. 12. 10. 1948, abgedr. in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat V/1, S. 197 (213 f.). 663 Parlamentarischer Rat, 26. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 30. 11. 1948, Wortprot. v. 08. 12. 1948, abgedr. in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat V/2, S. 712 (734 f.).

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Kap. 3: Enteignung

beließ es der Ausschuss für Grundsatzfragen insoweit bei der in erster Lesung vorgeschlagenen Formulierung des Allgemeinen Redaktionsausschusses.664 Sodann wurde das Erfordernis eines „förmlichen Gesetzes“ in der ersten Lesung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rats beraten.665 Die Abgeordneten erörterten die Unterscheidung zwischen dem formellen und materiellen Gesetzesbegriff und strichen das Wort „förmlich“, weil sie es für überflüssig hielten. Man habe im Grundgesetz „Gesetz“ ebenso wie „Rechtsnorm“ unter einer ganz bestimmten Vorstellung gebraucht. Nach der in erster Lesung des Hauptausschusses formulierten Fassung durfte eine Enteignung demnach „durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes“ erfolgen.666 Nachdem nunmehr der Allgemeine Redaktionsausschuss die Formulierung „durch förmliches Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes“ befürwortete667, wurde im Ausschuss für Grundsatzfragen die Auffassung geäußert, dass ein förmliches Gesetz „durch den ordentlichen Gesetzgeber“ und „nicht im Wege einer Notverordnung“ erlassen werde, und sodann eine Fassung ohne das Wort „förmlich“ beschlossen.668 In seiner zweiten Lesung ging der Hauptausschuss auf diese Streitfrage nicht ein, sondern behielt die Fassung des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GGE ohne das Wort „förmlich“ bei.669 In der dazu ergangenen Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses wurde erneut die Einfügung des Wortes „förmlich“ vorgeschlagen mit der Begründung, dass unter „Gesetz“ nicht nur ein formelles Gesetz, sondern auch jede Rechtsverordnung und Gewohnheitsrecht zu verstehen sei.670 Eine Enteignung solle aber nur durch formelles Gesetz für zulässig erklärt werden und nicht durch Gesetz schlechthin. Nachdem sich auch der Fünferausschuss für die Fassung des Hauptausschusses ohne das Wort „förmlich“ ausgesprochen hatte671, erörterte der Hauptausschuss die Problematik erneut in dritter Lesung. Hierbei setzte sich die Auffassung durch, dass der Zusatz „förmlich“ nicht notwendig sei, weil nach den Organisationsbestimmungen des GG-Entwurfs „für Rechtsverordnungen Zweck und Inhalt ausdrücklich festgestellt werden müssen und daher eine Gefahr von Eingriffen durch Rechts664 Vgl. neben der vom Allgemeinen Redaktionsausschusses in erster Lesung formulierten Fassung (oben Fn. 660) Parlamentarischer Rat, Drucks. 326 v. 01. 12. 1948, abgedr. in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat V/2, S. 784 (787). 665 Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, 17. Sitzung am 03. 12. 1948, S. 205 (216). 666 Parlamentarischer Rat, Drucks. 340 v. 10. 12. 1948. 667 Parlamentarischer Rat, Drucks. 370 v. 13. 12. 1948, abgedr. in: Deutscher Bundestag/ Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat V/2, S. 875 (883). 668 Parlamentarischer Rat, 32. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 11. 01. 1949, Wortprot. undat., abgedr. in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat V/2, S. 910 (943 f.). 669 Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, 44. Sitzung am 19. 01. 1949, S. 569 (578 – 580); vgl. dens., Drucks. 548 v. 20. 01. 1949. 670 Parlamentarischer Rat, Drucks. 543 v. 25. 01. 1949. 671 Parlamentarischer Rat, Drucks. 543/591 v. 05. 02. 1949.

C. Eingriffsvorbehalt

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verordnung ausgeschlossen ist.“672 Auf den Einwand, dass damit auch Gewohnheitsrecht nicht ausgenommen sei, wurde entgegnet: „Wenn das Gewohnheitsrecht sich durchsetzt, ist dagegen überhaupt nichts zu machen.“673 Obwohl diese Auffassung von einem Abgeordneten für bedenklich gehalten wurde, stimmte der Ausschuss ohne Gegenstimme für die Formulierung ohne das Wort „förmlich“.674 In den weiteren Beratungen des Grundgesetzes wurde die Formulierung „durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes“ nicht mehr in Frage gestellt.675 Fasst man den Verlauf der Beratungen und Beschlüsse zusammen, so kreiste der Streit um die Forderung nach einem „förmlichen“ Gesetz vorwiegend um die Frage, ob der Gesetzesbegriff des Art. 14 Abs. 3 GG auch (Rechts-)„Verordnungen“ einschließen sollte oder nicht. Blickt man auf die letzte Erörterung dieser Streitfrage in der dritten Lesung des Hauptausschusses676, so erscheint die Auffassung maßgebend, dass Rechtsverordnungen aufgrund von anderen verfassungsrechtlichen Vorgaben ohnehin einer formellgesetzlichen Ermächtigung bedürften, sodass sie unbedenklich unter den Gesetzesbegriff des Art. 14 Abs. 3 GG gefasst werden könnten. Dahinter dürfte die Annahme stehen, dass die Frage nach der Kompetenzverteilung zwischen formellen und materiellen Gesetzgebern außerhalb des Gesetzesvorbehalts beantwortet wird.677 Dass sich die Abgeordneten in Kenntnis dieser Einschätzung gegen das Erfordernis eines „förmlichen“ Gesetzes entschieden haben, spricht dafür, dass der Gesetzesbegriff des Art. 14 Abs. 3 GG „nur materielle“ Gesetze nicht ausschließen sollte.678 2. Vorbehalt des formellen Gesetzes Soweit zur Begründung eines formellen Gesetzesbegriffs auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 10. 03. 1981 (Bad Dürkheimer Gondelbahn)679 oder vom 24. 03. 1987 (Boxberg)680 verwiesen wird681, bestehen Bedenken. In der 672 Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, 47. Sitzung am 08. 02. 1949, S. 603 (617). 673 Ebda. 674 Ebda. 675 Vgl. zum Entwurf nach der dritten Lesung des Hauptausschusses Parlamentarischer Rat, Drucks. 604/679 v. 10. 02. 1949, die Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses, Parlamentarischer Rat, Drucks. 751 v. 02. 05. 1949 und die in der vierten Lesung des Hauptausschusses, Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, 57. Sitzung am 05. 05. 1949, S. 743 (747) angenommene Formulierung, Parlamentarischer Rat, Drucks. 850 v. 05. 05. 1949, an der im Plenum des Parlamentarischen Rates keine Änderungen mehr vorgenommen wurden. 676 Siehe oben Fn. 672. 677 Vgl. zur Trennung von Gesetzesvorbehalt und Vorbehalt des formellen Gesetzes oben S. 20 f. und unten S. 123 f. 678 O. Kimminich, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 09/1992), Art. 14 Rn. 361; Weber, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte II, S. 331 (380 f.). 679 BVerfGE 56, 249 – 296. 680 BVerfGE 74, 264 – 297.

124

Kap. 3: Enteignung

erstgenannten Entscheidung führt das Gericht aus: „Allein dem parlamentarischdemokratischen Gesetzgeber ist nach dem Sinn und Kompetenzgefüge des Grundgesetzes vorbehalten, die eine Enteignung legitimierenden Gemeinwohlaufgaben zu bestimmen und die hierbei erforderlichen Rechtsvorschriften zu erlassen.“682 Indem das Gericht den Vorbehalt zugunsten des formellen Gesetzgebers aus „Sinn und Kompetenzgefüge des Grundgesetzes“ herleitet, bringt es zwar den in Art. 20 GG wurzelnden Vorbehalt des formellen Gesetzes zur Anwendung, trifft aber keine Aussage über den Gesetzesbegriff des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG. Die zweitgenannte Entscheidung betont unter Verweis auf die erstgenannte die Verantwortung, „welche die Verfassung dem parlamentarisch-demokratischen Gesetzgeber für die Regelung der Eigentumsordnung auferlegt.“683 Erneut stützt sich das Bundesverfassungsgericht nicht ausdrücklich auf Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG, sondern allgemein auf „die Verfassung“. Die angesprochene Verantwortung des formellen Gesetzgebers für die Regelung der Eigentumsordnung ergibt sich wiederum aus der Anwendung des verfassungsrechtlichen Vorbehalts des formellen Gesetzes im Bereich des Art. 14 GG. Enteignungen liegen im klassischen Anwendungsbereich des Vorbehalts des formellen Gesetzes, weil sie schon begrifflich einen „Eingriff in Eigentum“ (genauer: in die Rechtsstellungsgarantie) darstellen.684 Da der Vorbehalt des formellen Gesetzes somit bei Enteignungen ausnahmslos greift, besteht kein Grund dazu, dieses Verfassungsprinzip zusätzlich im Gesetzesvorbehalt des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG zu verankern685, indem von einem formellen Gesetzesbegriff ausgegangen wird. Ist vielmehr der Vorbehalt des formellen Gesetzes dogmatisch vom Gesetzesvorbehalt des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG zu trennen, so schließt dessen Gesetzesbegriff materielle Gesetze nicht aus. Damit deckt sich der Gesetzesbegriff des Art. 14 Abs. 3 GG mit dem des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, der ebenfalls offen für alle formellen und/ oder materiellen Gesetze ist686. Anstelle der misslichen und wenig überzeugenden Unterscheidung zweier unterschiedlicher Gesetzesbegriffe innerhalb eines Grundrechts687 ergibt sich ein insgesamt stimmiges Konzept für Art. 14 GG. 681

O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 415 Fn. 48; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 548 Fn. 3; R. Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 158 Fn. 535. 682 BVerfGE 56, 249 (261). 683 BVerfGE 74, 264 (285). 684 Siehe oben S. 83. 685 So aber Kimminich, NuR 1985, 1 (1); Gronefeld, Preisgabe und Ersatz des enteignungsrechtlichen Finalitätsmerkmals, S. 62 f.; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 547; Weyreuther, Über die Verfassungswidrigkeit salvatorischer Entschädigungsregelungen im Enteignungsrecht, S. 8 f.; ebenso zu Art. 153 Abs. 2 WRV Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, S. 19. 686 Siehe oben S. 18 – 21. 687 Soweit Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte und das grundgesetzliche Demokratieprinzip, S. 55 f.; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 548 die Gesetzesbegriffe der einzelnen Gesetzesvorbehalte je nach der Wichtigkeit des

C. Eingriffsvorbehalt

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II. Einzelfallregelung durch Gesetz und auf Grund eines Gesetzes Die endgültige Einordnung der verschiedenen Formen von Rechtsakten unter die Alternativen des Gesetzesvorbehalts „durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes“ kann schließlich nur unter Berücksichtigung des Enteignungsbegriffs erfolgen. Eine Besonderheit ergibt sich daraus, dass Enteignungen unabhängig von der Handlungsform begrifflich immer Einzelfallregelungen sind.688 Demzufolge sind Enteignungen unmittelbar durch materielle Gesetze, die per definitionem abstrakt-generelle Regelungen enthalten689, begrifflich ausgeschlossen.690 Eine Enteignung „durch Gesetz“ ist vielmehr ausschließlich durch „nur formelles“ Einzelfallgesetz denkbar.691 Daher ist die Zulassung von Legalenteignungen gemäß Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG als spezialgesetzliche Ausnahme vom allgemeinen Verbot des Einzelfallgesetzes nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG zu verstehen.692 Können weiterhin auch Rechtsverordnungen und Satzungen nur unter den Enteignungsbegriff fallen, wenn sie Einzelfallregelungen treffen, so stellen sie mangels abstrakt-genereller Regelungen keine materiellen und mithin überhaupt keine693 Gesetze dar. Enteignungen in Form von Rechtsverordnungen oder Satzungen sind daher Administrativenteignungen und werden durch den Vorbehalt „auf Grund eines Gesetzes“ zugelassen.694 Sie sind in den Grenzen zulässig, die der Vorbehalt des Grundrechts sowie Schwere und Reichweite der zugelassenen Beschränkungen in formelle und materielle unterscheidet, wird dieser Auffassung nicht gefolgt. Insoweit erscheint auch die Annahme einer pauschalen „Stufenordnung“ zwischen „bloßen“ Inhalts- und Schrankenbestimmungen sowie Enteignungen nicht überzeugend. 688 Siehe oben S. 98 – 101. 689 Siehe oben Fn. 12. 690 Dagegen hält H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 532, 549 Enteignungen durch „normativ-abstrakten“ Rechtsakt bzw. durch Rechtssätze oder Normen für möglich. 691 Ehlers, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 2 Rn. 35; Osterloh, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 55 Rn. 120. 692 BVerfGE 95, 1 (26); O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 421; J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 VII 3 (S. 2275); H. D. Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 78; W. Krebs, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 12; M. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 23; Schmitt-Kammler, in: FS 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 821 (830); J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 95. Dagegen halten Dürig, JZ 1954, 4 (7); Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, S. 227 – 232; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 559 Legalenteignungen für unzulässig, wenn sie einen Einzelfall betreffen; vgl. auch B. Remmert, in: Maunz/ Dürig, GG, Losebl. (Stand: 05/2008), Art. 19 Rn. 23 – 25. Nicht gefolgt wird auch der im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rats geäußerten Auffassung, dass wegen des Gebots der Allgemeinheit des Gesetzes „zum Beispiel ein Spezialenteignungsgesetz ausgeschlossen“ sei, Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, 44. Sitzung v. 19. 01. 1949, S. 569 (591 f.). 693 Vgl. M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 80 IV 2 (S. 426). 694 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 416; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 203; Osterloh, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle

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Kap. 3: Enteignung

formellen Gesetzes setzt. Regelungen, die danach dem formellen Gesetz vorbehalten sind, können nicht in Satzungen und Rechtsverordnungen erlassen werden.

III. Qualifizierte Anforderungen in Art. 14 Abs. 3 Sätze 2 und 3 GG Zu den wesentlichen Regelungsgegenständen, die dem formellen Gesetzgeber vorbehalten sind, gehören insbesondere die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 Sätze 2 und 3 GG.695 Danach muss das Enteignungsgesetz Art und Ausmaß der Entschädigung unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten bestimmen. Diese Anforderungen betreffen den Regelungsinhalt des Enteignungsgesetzes und qualifizieren den Gesetzesvorbehalt in materieller Hinsicht.696 Fehlt in einem Enteignungsgesetz die Entschädigungsregelung oder erfüllt sie nicht die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 Sätze 2 und 3 GG, so ist das Enteignungsgesetz verfassungswidrig.697 Ohne formellgesetzliche Anspruchsgrundlage dürfen die Gerichte keine Enteignungsentschädigung zusprechen.698

D. Ausgestaltungsgarantie Anders als hinsichtlich der Folgen von rechtswidrigen Enteignungen699 hat die Ausgestaltungsgarantie für die Zulässigkeit von Enteignungen keine Bedeutung. Dass Enteignungen nicht an der Ausgestaltungsgarantie gemessen werden können, ergibt sich zunächst daraus, dass der Enteignungsbegriff nur Einzelfallregelungen umfasst700. Wie für Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Einzelfallrege-

(Hrsg.), GVerwR III, § 55 Rn. 120; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/ 2010), Art. 14 Rn. 551; vgl. Schick, DVBl. 1962, 774 – 777; dazu Schwabe, JZ 1983, 273 (276 f.); s. auch zu Art. 153 Abs. 2 Satz 1 WRV Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, S. 19 f. 695 BVerfGE 4, 219 (232 f.); Jakob, DÖV 1970, 666 (671 f.); H.-J. Papier, in: Maunz/ Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 592; O. Kimminich, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 09/1992), Art. 14 Rn. 455. 696 Vgl. M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 80 V 4 (S. 470 – 476), dem zufolge Art. 14 Abs. 3 Sätze 1 – 3 GG eine „kumulative Mehrfachqualifizierung“ [Hervorhebung im Original] enthält (S. 476). 697 BVerfGE 4, 219 (233); 24, 367 (418). 698 BVerfGE 58, 300 (319, 324). Demgegenüber begründet Sieckmann, Modelle des Eigentumsschutzes, S. 410 – 483 ausführlich verfassungsunmittelbare Entschädigungsansprüche. 699 Siehe oben S. 118 f. 700 Siehe oben S. 98 – 101.

E. Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG

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lung701 gilt auch für Enteignungen, dass sie die abstrakt-generelle Ausgestaltung des Eigentums unberührt lassen.702 Fraglich ist aber, ob Enteignungsgesetze der Ausgestaltungsgarantie unterliegen, wenn sie nicht selbst eine Enteignung vornehmen, sondern die Verwaltung abstraktgenerell zu Enteignungen ermächtigen. Solche Enteignungsgesetze gehören im Grunde zur Ausgestaltung des Eigentums, weil sie wie Inhalts- und Schrankenbestimmungen abstrakt-generelle Eingriffsbefugnisse der Verwaltung regeln.703 Dennoch findet die Ausgestaltungsgarantie aus systematischen Gründen auf solche Enteignungsgesetze keine Anwendung. Denn die Bindungen der Ausgestaltungsgarantie beschränken sich auf die Ausgestaltung des Eigentums durch die Gesetze im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Diesen „Inhalts- und Schrankengesetzen“ stellt die Verfassung in Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG die Enteignungsgesetze gegenüber. Für die Enteignungsgesetze stellt Art. 14 Abs. 3 GG spezielle Zulässigkeitsvoraussetzungen auf, die an die Stelle der Ausgestaltungsgarantie treten und diese verdrängen.704 Der Gesetzgeber ist also beim Erlass eines abstrakt-generellen Enteignungsgesetzes nicht an die Ausgestaltungsprinzipien insbesondere der Privatnützigkeit, Verfügbarkeit sowie der Herrschafts- und Ausschließungsbefugnis gebunden. Weiterhin kommt mangels Anwendbarkeit der Ausgestaltungsgarantie auch eine Ausstrahlungswirkung705 auf die Auslegung und Anwendung von abstraktgenerellen Enteignungsgesetzen nicht in Betracht. Die Ausgestaltungsgarantie ist also insgesamt kein Maßstab für die Zulässigkeit von Enteignungsgesetzen und Enteignungen.

E. Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG Mangels Anwendbarkeit der Ausgestaltungsgarantie kann die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG mit Blick auf Enteignungen nur die Rechtsstellungsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG zum Gegenstand haben. Der Wesensgehalt der Rechtsstellungsgarantie besteht im Bestandsschutz von Eigentum. Versteht man Art. 19 Abs. 2 GG als institutionelle Garantie, so sind Enteignungen einer Vielzahl von Grundrechtsträgern unzulässig, wenn dadurch die Eigentumsgewährleistung als Institut bedroht ist, wenn also der soziale Lebensbereich der 701

Siehe oben S. 76. Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 287 f.; vgl. aber Chlosta, Der Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung, der Enteignungen einerseits nur für rechtmäßig hält, „wenn das Rechtsinstitut Eigentum auch nach ihrer Durchführung noch Bestand hat“ (S. 21), andererseits aber meint, dass Enteignungen die Einrichtungsgarantie des Art. 14 GG nicht verletzen (S. 181). 703 Siehe oben S. 22 f. 704 Siehe zur Spezialität der Enteignung gegenüber Inhalts- und Schrankenbestimmungen oben S. 88 f. 705 Siehe oben S. 76 f. 702

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Kap. 3: Enteignung

freien Eigentumsordnung denaturiert wird.706 Darüber hinaus schützt die Wesensgehaltsgarantie auch die subjektiven Grundrechte im einzelnen Fall.707 Gegen die Anwendbarkeit des Art. 19 Abs. 2 GG im Bereich von Enteignungen wird teilweise angeführt, dass vollständige Enteignungen immer den Wesensgehalt der Rechtsstellungsgarantie antasteten708 und der Eingriffsvorbehalt des Art. 14 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GG daher als Spezialgesetz angesehen werden müsse, das die Wesensgehaltsgarantie verdränge.709 Nach einer weiteren Ansicht wird Art. 19 Abs. 2 GG nur deshalb nicht verletzt, weil das enteignete Eigentumsrecht durch die Entschädigung dem Wert nach erhalten bleibe.710 Beiden Auffassungen wird nicht gefolgt, denn die Wesensgehaltsgarantie schützt nicht jedes einzelne Eigentumsrecht, auch nicht einen bestimmten Eigentumstyp, sondern die Grundrechtsstellung eines Eigentümers insgesamt, also in Ansehung all seiner Eigentumsrechte.711 Auch wenn ein Eigentümer ein einzelnes Eigentumsrecht durch Enteignung vollständig verliert, ist Art. 19 Abs. 2 GG nicht verletzt, wenn dem Grundrechtsträger der Wesensgehalt seiner Eigentümerstellung insgesamt verbleibt.712 Im Übrigen wäre die Enteignungsentschädigung nicht geeignet, eine Verletzung des Art. 19 Abs. 2 GG abzuwenden. Denn Schutzgegenstand der Wesensgehaltsgarantie ist ausschließlich die Rechtsstellungsgarantie, deren Wesensgehalt durch eine Entschädigung nicht ersetzt werden kann. Die sogenannte Eigentumswertgarantie ist hingegen keine Grundrechtsdimension der Eigentumsgarantie. Sie ist vielmehr nur ein missverständlicher Begriff für die Folgen einer zulässigen Enteignung.713 Daher muss die 706 Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Artikel 19 Abs. 2 Grundgesetz, S. 122; ähnlich Chlosta, Der Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung, S. 21; vgl. auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 332. 707 Chlosta, Der Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung, S. 39 – 43; Schneider, Der Schutz des Wesensgehalts von Grundrechten nach Art. 19 Abs. 2 GG, S. 148 – 154; vgl. zum Streit um den Schutzgegenstand des Art. 19 Abs. 2 GG eingehend dens. a. a. O., S. 76 – 147. 708 Chlosta, Der Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung, S. 181. 709 H. Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Art. 19 II Rn. 15, 20; K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 85 IV 2 (S. 822 f.); vgl. auch Knoll, AöR 79 (1953/54), 455 (487). 710 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 449; P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 19 Abs. 2 Rn. 179; Schneider, Der Schutz des Wesensgehalts von Grundrechten nach Art. 19 Abs. 2 GG, S. 67 f.; ebenso wohl H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 332; vgl. auch Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 125. 711 Vgl. E. Denninger, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 19 Abs. 2 Rn. 6; ähnlich M. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 46; s. auch Böhmer, NJW 1988, 2561 (2563); O. Kimminich, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 08/1992), Art. 14 Rn. 147. 712 Vgl. zum Schutzniveau der Wesensgehaltsgarantie bei Enteignungen Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 249 f. 713 Vgl. BVerfGE 24, 367 (397); 35, 348 (361); 38, 175 (184 f.); 56, 249 (260 f.); anders Sieckmann, Modelle des Eigentumsschutzes, S. 410 – 483, der als eigenen Garantiegehalt des Art. 14 Abs. 3 GG eine Wertgarantie annimmt, die dem Eigentum eine gewisse Selbstständigkeit gegenüber der gesetzlichen Eigentumsordnung verleihen soll; s. dazu oben Fn. 7.

E. Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG

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Eigentumswertgarantie von den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Enteignung strikt getrennt werden und ist somit für den Wesensgehalt der Rechtsstellungsgarantie ohne Bedeutung.

Kapitel 4

Gemeinwohlbindung der Enteignung gemäß Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG Die Untersuchung des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG erfordert zunächst eine terminologische Vorbemerkung.714

A. Terminologie des Gemeinwohls In Rechtsprechung und Rechtswissenschaft findet sich rund um das Gemeinwohl eine terminologische Vielfalt, die die Beschäftigung mit dem Begriff „Wohl der Allgemeinheit“, wie er in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG normiert ist, erschwert.

I. Begrifflichkeiten in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft So werden die Adjektive „öffentlich“ und „(all)gemein“ mit den Substantiven „Wohl“, „Nutzen“, „Werte“, „Güter“, „Gründe“, „Interesse(n)“ und „Belang(e)“ kombiniert, wobei letztere sowohl im Singular als auch im Plural stehen können.715 Hinzu kommen Genitivkonstruktionen mit den Substantiven „Allgemeinheit“ und „Gemeinschaft“. Das Bundesverfassungsgericht716 und die wohl überwiegende Meinung in der Rechtswissenschaft717 verwenden die genannten Begriffe synonym. 714

Vgl. zur Etymologie des Gemeinwohls Weustenfeld, Die Bedeutung des ,Gemeinwohls‘ im Rechts- und Staatsdenken der Gegenwart, S. 6 – 10. 715 Vgl. Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 23. 716 BVerfGE 13, 97 (104, 107, 113); 16, 147 (167); 17, 269 (276); 18, 353 (361 f.); 19, 330 (337); 20, 150 (157, 159, 161 f.); 20, 351 (361); 21, 73 (83 f., 86); 21, 173 (179 – 181, 183); 25, 236 (251); 32, 1 (34 f.); 32, 373 (379, 382); 38, 312 (321); vgl. dazu Häberle, AöR 95 (1970), 260 (295 Fn. 226); dens., Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, S. 308 (323 Fn. 88). 717 So Häberle, Rechtstheorie 14 (1983), 257 (257 Fn. 3) m. w. N.; s. auch dens., Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 37 f.; dens., AöR 95 (1970), 86 (89 f. Fn. 12); vgl. etwa Layer, Principien des Enteignungsrechtes, S. 179 f.; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 169; Obermayer, BayVBl. 1971, 209 (211); Schulte, Eigentum und öffentliches Interesse, S. 68; Steiger, in: FS Wolff, S. 385 (396 Fn. 34); Streissler, in: Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Freiburg (Hrsg.), Zur Einheit der Rechts- und Staatswissenschaften, S. 1 (3); Uerpmann, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf

A. Terminologie des Gemeinwohls

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Dabei legen manche Autoren eine Präferenz auf den Begriff des „öffentlichen Interesses“, weil sie darin den Prototyp oder die gebräuchlichste dieser Wortverbindungen sehen oder weil sie den Begriff des „Gemeinwohls“ demgegenüber für blass halten.718 Andere Stimmen wollen zwischen dem öffentlichen Interesse (im Singular) und dem Gemeinwohl differenzieren. Eine Auffassung sieht das Wohl der Allgemeinheit im Bereich der Eingriffsverwaltung als Gegensatz zu den individuellen Interessen der Bürger, während das öffentliche Interesse im Bereich der Leistungsverwaltung ein individuelles Interesse verstärke.719 Nach anderer Ansicht umfasst das öffentliche Interesse nur solche Belange, die ausschließlich den Staat an sich betreffen; das Gemeinwohl hingegen enthalte alle Belange, die auf individuelle Interessen zurückgeführt werden können.720 Zum Teil wird vertreten, dass das öffentliche Interesse als Komponente des Gemeinwohls diejenigen Gemeinwohlinteressen bezeichne, zu deren Realisierung der Staat tätig werden müsse.721 Ein weiterer Ansatz betrachtet das Gemeinwohl als materielle Konzeption, während das öffentliche Interesse in einem prozeduralen Sinne zu verstehen sei.722 In einem Urteil aus dem Jahre 1950 ging der Badische Staatsgerichtshof davon aus, dass das Gemeinwohl nicht mit jedem öffentlichen Interesse gleichgesetzt werden könne: Während das öffentliche Interesse nach den staatlichen Zweckmäßigkeitserwägungen zur Wahrnehmung öffentlicher Belange bestimmt werde, habe das Gemeinwohl daneben „nicht allein die öffentliche Wohlfahrt und die Macht des Staates zum Inhalt, sondern auch die Wahrung der Gerechtigkeit und des inneren Friedens.“723 Im Anschluss an diese Entscheidung wird zum einen das Gemeinwohl gegenüber dem öffentlichen Interesse als der höhere und strengere Begriff angesehen.724 Zum anderen wird zwischen öffentlichen Interessen (im Plural) und dem Gemeinwohl unterschieden.725 Verbreitet wird das Gemeinwohl als der Inbegriff eines oder mehrerer besonders qualifizierter öffentlicher Interessen angesehen und in

der Suche nach Substanz, S. 179 (179); Viotto, Das öffentliche Interesse, S. 22 – 24; v. Zezschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, S. 13 – 17. 718 Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 22; Layer, Principien des Enteignungsrechtes, S. 179 f.; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 169. 719 Schnur, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 57 (62 f.). 720 Schaeder, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 92 (112). 721 v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 81 f. 722 Fischer, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 65 (73 – 78); s. dazu unten S. 153 f., insbes. Fn. 877. 723 BadStGH, VerwRspr. 1950, 411 (416). 724 Külz, in: FS Gieseke, S. 187 (196 f.). 725 Ule, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 125 (125, 129 f.)

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

diesem Sinne bisweilen mit dem öffentlichen Interesse (im Singular) gleichgesetzt.726

II. Orientierung am Wortlaut des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG Vor derartigen terminologischen Gleichsetzungen und Differenzierungen im Umfeld des Gemeinwohls muss insofern gewarnt werden, als es um die Auslegung konkreter Normen geht. Hier mag ein unterschiedlicher Wortlaut im Einzelfall eine unterschiedliche Auslegung erfordern.727 Insbesondere wenn mehrere Begriffsvarianten des Gemeinwohls in einem Artikel verwendet werden, kann nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass die Begriffe gleichbedeutend sind. So unterscheidet Art. 14 GG zwischen dem „Wohle der Allgemeinheit“ in Abs. 2 Satz 2 sowie in Abs. 3 Satz 1 einerseits und den „Interessen der Allgemeinheit“ in Abs. 3 Satz 3 andererseits.728 Davon abgesehen verdient jedes Gesetz, beim Wort genommen zu werden. Ausgangspunkt jeder Auslegung ist der Wortlaut.729 Für die Betrachtung des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG ist somit allein die darin enthaltene Wendung maßgeblich.730 Lediglich aus Gründen der Lesbarkeit und Vereinfachung wird hier anstelle des Begriffs „Wohl der Allgemeinheit“ der Begriff „Gemeinwohl“ verwendet. Dabei wird vorausgesetzt, dass „Wohl der Allgemeinheit“ und „Gemeinwohl“ bereits sprachlich gleichbedeutend sind.731 Das Deutsche Wörterbuch der Gebrüder Grimm belegt, dass das „Gemeinwohl“ aus dem Begriff des „gemeinen Wohls“ hervorgegangen ist.732 Die Begriffe „gemein“ und „allgemein“ sind gleichbedeutend; „all-

726 Ryffel, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 13 (14 f.); H. J. Wolff, in: Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl. 1974, S. 170, 173 f.; vgl. dazu Anderheiden, Gemeinwohl in Republik und Union, S. 53 – 55; Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 9 – 12, 26 f. 727 Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffes „Öffentliches Interesse“, S. 7 – 9; Schack, BB 1961, 74 (74 Fn. 3); Ule, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 125 (130). 728 Vgl. W. Böhmer, Sondervotum, BVerfGE 56, 249 (274); H. Rittstieg, in: Denninger/ Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 14/15 Rn. 207. Siehe zur Unterscheidung der gleichlautenden Gemeinwohlbegriffe in Art. 14 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG unten S. 194 – 196. 729 Vgl. Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 21 – 23. 730 W. Böhmer, Sondervotum, BVerfGE 56, 249 (273); Schack, BB 1961, 74 (74 Fn. 3, S. 75); Schmidbauer, Enteignung zugunsten Privater, S. 82. 731 So auch Ule, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 125 (125). 732 R. Hildebrand/H. Wunderlich, in: Grimm/Grimm, Deutsches Wörterbuch IV, Abt. 1, Teil 2, Sp. 3272.

B. Funktion der Gemeinwohlbindung

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gemein“ ist lediglich ein durch „all“ verstärktes „gemein“.733 Sie lassen sich umschreiben mit „was alle angeht“ bzw. in anderer Formulierung „was die Allgemeinheit angeht“. Das „Gemeinwohl“, also das „gemeine Wohl“ oder das „allgemeine Wohl“734, ist damit inhaltlich deckungsgleich mit dem „Wohl der Allgemeinheit“.

B. Funktion der Gemeinwohlbindung Ein erster Ansatz zur Bestimmung der Funktion der Gemeinwohlbindung liegt in dem Versuch, den Gemeinwohlbegriff des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG in den Kategorien von unbestimmtem Rechtsbegriff und Ermessensbegriff zu erfassen.

I. Unbestimmter Rechtsbegriff oder Ermessensbegriff Der Streit um den Gemeinwohlbegriff als unbestimmten Rechtsbegriff oder Ermessensbegriff reicht bis in die Anfangsjahre der Bundesrepublik zurück. Unter Berufung auf die damalige Rechtsprechung735 setzte sich zunächst die Auffassung von einem Ermessensbegriff durch736, wurde aber später revidiert737. Seither wird der Gemeinwohlbegriff des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG allgemein als unbestimmter Rechtsbegriff eingeordnet.738 Damit ist die Streitfrage jedoch keineswegs überholt739, denn nicht nur diese Einordnung, sondern überhaupt die Verwendung der Figuren des unbestimmten Rechtsbegriffs und des Ermessens in diesem Kontext vermag kaum zu überzeugen. Hinter diesen Rechtsfiguren im Bereich des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG verbirgt sich zuvörderst die Problematik von Entscheidungsfreiräumen und Justi733 R. Hildebrand/H. Wunderlich, in: Grimm/Grimm, Deutsches Wörterbuch IV, Abt. 1, Teil 2, Sp. 3170. 734 R. Hildebrand/H. Wunderlich, in: Grimm/Grimm, Deutsches Wörterbuch IV, Abt. 1, Teil 2, Sp. 3177. 735 BVerwGE 2, 36 (38); 3, 332 (334 f.); 4, 185 (187); HambOVG, MDR 1953, 316 (317). 736 VG Frankfurt, DVBl. 1964, 158 (158); Th. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 05/1969), Art. 14 Rn. 110; ihm folgend O. Kimminich, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 04/1976), Art. 14 Rn. 267, 269. 737 Siehe H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 574, der die Annahme eines Ermessensbegriffs bereits in seiner ersten Kommentierung des Art. 14 GG (Stand: 09/1983) nicht von Maunz übernommen hatte; vgl. Fn. 736. Im Anschluss an H.-J. Papier ist nun auch O. Kimminich, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 09/1992), Art. 14 Rn. 390 der Auffassung, dass der Gemeinwohlbegriff in Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG ein unbestimmter Rechtsbegriff sei. 738 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 424; J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 VII 4 (S. 2276); Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht II, S. 54; Kaiser, in: Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Hrsg.), Staat und Privateigentum, S. 5 (46); vgl. auch Huber, ZSR n. F. 84 (1965), 39 (67 f.). 739 So aber B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 82.

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

ziabilität.740 Die Einordnung des Gemeinwohlbegriffs als unbestimmter Rechtsbegriff darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Frage nach dessen gerichtlicher Kontrolle741 bislang nicht abschließend geklärt ist. Diese diffizile Problematik, die eng mit der Bedeutung des Gemeinwohls742 verbunden ist, wird noch zu erörtern sein.743 Jedoch kann bereits hier davon ausgegangen werden, dass die Kategorien des unbestimmten Rechtsbegriffs und des Ermessens der Funktion des Gemeinwohlbegriffs in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG nicht gerecht werden. Denn diese Rechtsfiguren wurden für die Kontrolle der Verwaltung durch die Fachgerichte entwickelt und beziehen sich auf die Bindung der Verwaltung an das einfache Recht.744 Dagegen ist der Gemeinwohlbegriff in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG ein Verfassungsbegriff. Bereits die Interpretation der Verfassung unterscheidet sich in methodischer Hinsicht wesentlich von der Auslegung einfacher Gesetze.745 Dementsprechend unterliegt auch die gerichtliche Kontrolle von Gemeinwohlbegriffen unterschiedlichen Regeln je nachdem, ob diese im einfachen Recht vorkommen und sich nur an die Verwaltung wenden, oder ob es sich um Verfassungsbegriffe handelt.746 Nach alledem wird für den verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbegriff nicht nur die Rede vom Ermessen des Gesetzgebers747, sondern auch die Terminologie des unbestimmten Rechtsbegriffs abgelehnt.748 740 Vgl. BVerwGE 2, 36 (38); 3, 332 (335); VG Frankfurt, DVBl. 1964, 158 (158 f.); O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 424; J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 VII 4 (S. 2276); Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht II, S. 54; Jackisch, Die Zulässigkeit der Enteignung zugunsten Privater, S. 102 – 104; Kaiser, in: MaxPlanck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Hrsg.), Staat und Privateigentum, S. 5 (46); O. Kimminich, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 04/1976), Art. 14 Rn. 267 f.; O. Kimminich a. a. O. (Stand: 09/1992), Art. 14 Rn. 389 f.; Th. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 05/1969), Art. 14 Rn. 110; H.-J. Papier a. a. O. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 574; s. auch Huber, ZSR n. F. 84 (1965), 39 (67 – 72). 741 Vgl. zur rechtlichen Kontrolle Krebs, Kontrolle in staatlichen Entscheidungsprozessen. 742 Siehe unten S. 144 – 194. 743 Siehe unten einerseits S. 198 f. und andererseits S. 219 f. 744 Grundlegend Bachof, JZ 1955, 97 – 102; s. ferner Koch, Unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensermächtigungen im Verwaltungsrecht; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7; R. Stober, in: Wolff/Bachof u. a., Verwaltungsrecht I, 12. Aufl. 2007, § 31; vgl. zur Kritik am Dualismus von unbestimmtem Rechtsbegriff und Ermessen im Verwaltungsrecht Ehmke, „Ermessen“ und „unbestimmter Rechtsbegriff“ im Verwaltungsrecht, S. 23 – 51; Jestaedt, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 12 – 22 m. w. N.; ferner speziell zu einfachgesetzlichen Gemeinwohltatbeständen Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 595 – 625, 691 – 699, 727 f.; vgl. hierzu Stolleis, VerwArch 65 (1974), 1 (24 f.). 745 Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 53 (56 – 61, 86 f.); vgl. auch Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 204 – 209. 746 Ule, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 125 (140 – 143). 747 BVerfGE 24, 367 (404); J. Berkemann, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 596, 600.

B. Funktion der Gemeinwohlbindung

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II. Zulässigkeitsvoraussetzung Gemäß Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG ist eine Enteignung „nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig“. Entsprechend ihrem Wortlaut regelt diese Vorschrift eine Zulässigkeitsvoraussetzung der Enteignung.749 Daraus folgt nach den Gesetzen der Logik, dass das Gemeinwohl nicht zugleich Begriffsmerkmal der Enteignung sein kann.750 Allerdings meinte das Bundesverfassungsgericht früher noch, der Enteignungsbegriff sei dadurch gekennzeichnet, dass das Eigentum „im Interesse der Allgemeinheit“ entzogen werde.751 Demgegenüber hat die bisherige Untersuchung gezeigt, dass Merkmale wie das „Interesse der Allgemeinheit“, ein „konkretes öffentliches Interesse“ oder die „Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben“ weder geeignet noch erforderlich sind, um die Enteignung zu definieren.752 Vielmehr sind solche Begriffsmerkmale seit der Rückführung des Enteignungsbegriffs auf Vorgänge der Güterbeschaffung vollends verzichtbar753, zumal mit dem Güterbeschaffungsmerkmal eine sinnvolle und hinreichend trennscharfe Abgrenzung zwischen Enteignungen sowie Inhalts- und Schrankenbestimmungen erreicht ist. Stellt Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG also eine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit von Enteignungen auf, so zeichnet sich diese Vorschrift durch eine doppelte Funktion aus: Sie bildet nicht nur gemeinsam mit Satz 2 des Art. 14 Abs. 3 GG einen Eingriffsvorbehalt für Enteignungen754, sondern enthält neben dieser „Grundrechtsschranke“ insoweit zugleich eine „Schranken-Schranke“, als sie Enteignungen „nur zum Wohle der Allgemeinheit“ für zulässig erklärt. Diese Bedeutung des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG lässt sich als Gemeinwohlbindung beschreiben, die aus zwei Aspekten besteht: Gemeinwohl und Bindung. So wirft diese Vorschrift nicht nur die Frage auf, was unter dem „Wohle der Allgemeinheit“ zu verstehen ist, sondern auch, was es bedeutet, dass eine Enteignung „nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig“ ist. Daher differenziert die vorliegende Untersuchung zwischen der Bedeutung des 748

Ebenso wenig erhellend für die Funktion des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG erscheint die von Jackisch, Die Zulässigkeit der Enteignung zugunsten Privater, S. 102, Fn. 68 vorgenommene Aufteilung dieser Norm in Tatbestands- und Rechtsfolgenseite, wobei der Gemeinwohlbegriff zum „gesetzlichen Tatbestand“ gehören soll. 749 H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 573. 750 Schulze-Osterloh, Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht und im öffentlichen Recht, S. 92; Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 137 – 139 Fn. 382 f.; ders., AöR 98 (1973), 143 f.; s. ferner Dürig, JZ 1954, 4 (10); Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 75; R. Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 152. In der Weimarer Zeit zählte allerdings W. Schelcher, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, Art. 153 (S. 218 f.) das Gemeinwohl zu den Begriffsmerkmalen der Enteignung. 751 BVerfGE 24, 367 (394); 42, 263 (299). 752 Siehe oben S. 105 – 107. 753 Schulze-Osterloh, Das Prinzip der Eigentumsopferentschädigung im Zivilrecht und im öffentlichen Recht, S. 270 Fn. 128. 754 Siehe oben S. 119.

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

Gemeinwohlbegriffs und den Anforderungen der Gemeinwohlbindung. Zulässigkeitsvoraussetzung der Enteignung ist nicht der Gemeinwohlbegriff als solcher, sondern die Bindung an das Gemeinwohl.

III. Zweck der Enteignung Die Gemeinwohlbindung betrifft das Verhältnis von Enteignung und Gemeinwohl. Zwischen der Enteignung und dem Gemeinwohl besteht ein Bindeglied, das sich aus der Präposition „zu“ vor dem Gemeinwohlbegriff in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG erkennen lässt: Wenn das Grundgesetz vorschreibt, dass eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig ist, so bezieht sich das Gemeinwohl auf den Zweck der Enteignung.755 Die Enteignung wird über ihren Zweck an das Gemeinwohl gebunden. Folglich stellt die Gemeinwohlbindung verfassungsrechtliche Anforderungen erstens an den Enteignungszweck756 und zweitens an die Enteignung selbst757. Diese beiden Ebenen müssen getrennt betrachtet werden. Der Enteignungszweck ist wiederum streng zu unterscheiden vom Zweck der Eigentumsentziehung.758 Während der Entziehungszweck in einer Güterbeschaffung bestehen muss, damit überhaupt begrifflich eine Enteignung vorliegt, ist der Enteignungszweck Gegenstand der Gemeinwohlbindung, die eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Enteignung darstellt. Damit ist der Enteignungszweck kein Begriffsmerkmal der Enteignung, sondern liegt außerhalb des Enteignungsbegriffs.759 Ausgehend von der Eigentumsentziehung steht die Güterbeschaffung als „sozusagen nächster Zweck“ logisch vor dem „entfernten Zweck, […] zu dem die Enteignung selbst erst das Mittel sein soll“.760 Das Verhältnis des Entziehungszwecks zum Enteignungszweck ist aber nicht bloß eines von Nahziel und Fernziel. Vielmehr stellt innerhalb des Enteignungsbegriffs allein die Güterbeschaffung den Anknüpfungspunkt für den Zweck der Enteignung dar. Der Enteignungszweck bezeichnet also den Zweck, der mit der Güterbeschaffung verfolgt wird. Damit lässt sich das Verhältnis von Entziehungszweck und Enteignungszweck wie folgt beschreiben: Die Eigentumsentziehung muss zunächst eine Güterbeschaffung bezwecken, damit begrifflich 755 Vgl. Ipsen, VVDStRL 10 (1952), 74 (88) sowie bereits zur Weimarer Reichsverfassung Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, S. 22. 756 Siehe unten S. 194 – 214. 757 Siehe unten S. 214 – 220. 758 An einer fehlenden Differenzierung zwischen dem Entziehungszweck und dem Enteignungszweck leiden etwa die Ausführungen von W. Böhmer, Sondervotum, BVerfGE 56, 249 (271 f.); dems., Der Staat 24 (1985), 157 (185 Fn. 83); Steinberg/Lubberger, Aufopferung – Enteignung und Staatshaftung, S. 102 f. 759 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 413; vgl. bereits zur Weimarer Reichsverfassung Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, S. 18; Wolff, in: Festg. Kahl IV, S. 25 Fn. 4. 760 Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, S. 18.

B. Funktion der Gemeinwohlbindung

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überhaupt eine Enteignung vorliegt. Die Güterbeschaffung muss ihrerseits einen Enteignungszweck verfolgen, der den Anforderungen der Gemeinwohlbindung als Zulässigkeitsvoraussetzung der Enteignung genügt. Hingegen ist der Entziehungszweck nicht Gegenstand der Gemeinwohlbindung, sondern allein Begriffsmerkmal der Enteignung.761 Nach alledem kommt es für die Gemeinwohlbindung des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG ausschließlich auf den Enteignungszweck an, der mit der Güterbeschaffung verfolgt wird. Das Güterbeschaffungsmerkmal ist damit von entscheidender Bedeutung nicht nur für den Enteignungsbegriff762, sondern auch für den Enteignungszweck und damit gleichermaßen für die Gemeinwohlbindung der Enteignung.763 Mit Blick auf die Objektbezogenheit der Güterbeschaffung764 lässt sich der Gegenstand der Zulässigkeitsvoraussetzung des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG weiter präzisieren: Bezieht sich die Güterbeschaffung nämlich nicht auf das entzogene subjektive Eigentumsrecht, sondern auf dessen wirtschaftlichen Zuordnungsgegenstand, so betrifft die Gemeinwohlbindung den Verwendungszweck des Eigentumsobjekts. Maßgeblich ist ausschließlich, zu welchem Zweck der hinter dem Eigentum stehende Vermögenswert beschafft werden soll. Dieser Zweck, den der Staat mit der von ihm bestimmten Verwendung des Eigentumsobjekts verfolgt, ist der Enteignungszweck, der an der Zulässigkeitsvoraussetzung des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG zu messen ist.

IV. Vergleich enteignungsrechtlicher Gemeinwohlbindungen Die Gemeinwohlbindung der Enteignung ist kein spezifisch deutsches Phänomen und auch hierzulande in hohem Maße historisch geprägt. 1. Europäische Menschen- und Grundrechte Die Bindung von Enteignungen an das Gemeinwohl entspricht der europäischen Menschenrechts- und Verfassungstradition.765 Schon die am 26. 08. 1789 von der französischen Nationalversammlung verkündete Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die von der Präambel der geltenden Verfassung der Französischen Republik vom 04. 10. 1958 in Bezug genommen wird, schützt in ihrem Art. 17 das 761 Vgl. teilweise anders BVerfGE 38, 175 (185), dem zufolge neben dem Eigentumserwerb (Güterbeschaffung) auch die Eigentumsentziehung dem Gemeinwohl dienen muss. 762 Siehe oben S. 107 – 115. 763 Siehe unten S. 201 – 212. 764 Siehe oben S. 112 – 115, inbes. Fn. 607. 765 Vgl. zu den internationalen, europäischen und rechtsvergleichenden Bezügen der Eigentumsgarantie J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 15 – 24 sowie zu der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlbindung im Verfassungsrecht der Vereinigten Staaten von Amerika Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, S. 171 – 173, 418, 420.

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

Eigentum und lässt zugleich Enteignungen zu, wenn die gesetzlich festgestellte öffentliche Notwendigkeit („nécessité publique“) dies eindeutig erfordert. Nach Art. 545 des Code civil sind Enteignungen nur aus Gründen des öffentlichen Nutzens („utilité publique“) zulässig.766 Ebenso lässt Art. 1 Abs. 1 Satz 2 des ersten Zusatzprotokolls zur EMRK vom 20. 03. 1952767 den Entzug von Eigentum nur zu, wenn das „öffentliche Interesse“ es verlangt. In dieser Norm spiegeln sich nach der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs die gemeinsamen Verfassungskonzeptionen der Mitgliedstaaten wider.768 Der Gerichtshof zählt demnach die Eigentumsgarantie zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts.769 In der Tat finden sich in einigen europäischen Verfassungen ähnliche Regelungen über die Zulässigkeit von Enteignungen.770 Auch die EU-Grundrechte-Charta vom 07. 12. 2000 bestimmt in Art. 17 Abs. 1 Satz 2, dass Eigentum nur „aus Gründen des öffentlichen Interesses“ entzogen werden darf. 2. Historische und geltende deutsche Verfassungstexte Der Blick in enteignungsrechtliche Normierungen historischer deutscher Verfassungstexte zeigt eine Reihe unterschiedlicher Begrifflichkeiten auf771: Enteignungen für „öffentliche Zwecke“ regelten die bayerische772 und die badische773 Verfassung jeweils von 1818 sowie die hessische774 Verfassung von 1820. Die

766 Eine rechtsvergleichende Darstellung findet sich bei Karl, Wohl der Allgemeinheit und „utilité publique“ als verfassungsrechtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen der Enteignung von Grundeigentum nach deutschem und französischem Recht unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. 767 Siehe hierzu Dolzer, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR VI/1, § 140. 768 EuGH, Urt. v. 13.12.1979 – 44/79, Slg. 3727, Rn. 17 f. – Hauer. 769 EuGH, Urt. v. 17. 10. 1995 – C-44/94, Slg. I-3115, Rn. 55 – Fishermen’s Organisations. 770 Vgl. etwa Art. 16 der Verfassung des Großherzogtums Luxemburg i. d. F. d. Bek. v. 17. 10. 1868; Art. 42 Abs. 3 der Verfassung der Italienischen Republik v. 27. 12. 1947; § 73 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes des Reiches Dänemark v. 05. 06. 1953; Art. 14 Abs. 1 der Verfassung des Königreiches der Niederlande i. d. F. d. Neubek. v. 17. 02. 1983; Art. 16 der Verfassung Belgiens, koordinierter Text v. 17. 02. 1994. 771 Vgl. auch die Bestandsaufnahme der Begriffsvarianten des Gemeinwohls bei v. Zezschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, S. 13 – 16. 772 Tit. IV § 8 Abs. 4 der Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern v. 26. 05. 1818, BayGBl., S. 101, abgedr. in: Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 155 (161). 773 § 14 Abs. 4 der Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Baden v. 22. 08. 1818, Staats- und Regierungsbl., S. 101, abgedr. in: Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 172 (173). 774 Art. 27 der Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Hessen v. 17. 12. 1820, Hess. Regierungsbl., S. 535, abgedr. in: Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 221 (224).

B. Funktion der Gemeinwohlbindung

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Verfassung Württembergs775 von 1819 verwendete insofern die Formulierung „allgemeine Staats- und Korporationszwecke“, während die sächsische776 Verfassung von 1831 von „Staatszwecken“ sprach. Die Verfassung Kurhessens777 erlaubte Enteignungen „für Zwecke des Staates oder einer Gemeinde, oder solcher Personen, welche Rechte derselben ausüben“. Nach den Preußischen Verfassungen von 1848/ 50 konnte das Eigentum „nur aus Gründen des öffentlichen Wohles“ entzogen werden.778 Die Paulskirchenverfassung von 1849 ließ Enteignungen „nur aus Rücksichten des gemeinen Besten“ zu.779 In Art. 153 Abs. 2 Satz 1 WRV fand sich die Formulierung: „Eine Enteignung kann nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden.“ Die Begrifflichkeit „nur zum Wohle der Allgemeinheit“ in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG wurde also aus der Weimarer Zeit übernommen.780 Soweit die geltenden Verfassungen der Länder eigene enteignungsrechtliche Gewährleistungen enthalten, verwenden sie teilweise andere Formulierungen als Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG: Anstelle „Wohl der Allgemeinheit“ findet sich der Begriff „Gemeinwohl“ in den Verfassungen von Rheinland-Pfalz781, Bremen782 und des Saarlandes783. Die Verfassung Hessens lässt Enteignungen „nur im öffentlichen Interesse“ zu.784

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§ 30 Satz 1 der Verfassungs-Urkunde für das Königreich Württemberg v. 25. 09. 1819, Staats- und Regierungs-Bl., S. 634, abgedr. in: Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 187 (191). 776 § 31 Abs. 1 der Verfassungsurkunde für das Königreich Sachsen v. 04. 09. 1831, Sächs. GS., S. 241, abgedr. in: Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 263 (268). 777 § 32 Satz 1 der Verfassungsurkunde für das Kurfürstentum Hessen v. 05. 01. 1931, Kurhess. GVS, S. 1, abgedr. in: Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 238 (242). 778 Art. 8 Satz 2 der Verfassungsurkunde für den preußischen Staat v. 05. 12. 1848, Pr. GS, S. 375, abgedr. in: Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 484 (484) bzw. Art. 9 Satz 2 der revidierten Verfassung v. 31. 01. 1850, Pr. GS, S. 17, abgedr. in: ders. a. a. O., S. 501 (502). 779 § 164 Abs. 2 der Verfassung des Deutschen Reiches v. 28. 03. 1849, RGBl., S. 101, abgedr. in: Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 375 (393). 780 Vgl. zur Entstehungsgeschichte des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG unten S. 143 f. 781 Art. 60 Abs. 3 Satz 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz v. 18. 05. 1947, GVBl. RP, S. 209. 782 Art. 13 Abs. 2 der Verfassung der Freien Hansestadt Bremen v. 21. 10. 1947, Brem. GBl., S. 251. 783 Art. 51 Abs. 2 Satz 1 der Verfassung des Saarlandes v. 15. 12. 1947, ABl. SL, S. 1077. 784 Art. 45 Abs. 2 Satz 3 der Verfassung des Landes Hessen v. 01. 12. 1946, GVBl. HE, S. 229.

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

3. Bedeutungswandel Vielfach wird vertreten, dass sich die deutschen Begriffsvarianten der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlbindung formal nicht unterschieden.785 Diese Aussage darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass diese Gemeinwohlbindungen inhaltlich gleichbedeutend wären. Vielmehr waren die Anforderungen an den Enteignungszweck in der Geschichte des Enteignungsrechts einem erheblichen Bedeutungswandel unterworfen786, der für die Untersuchung des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG von Bedeutung ist. a) Absolutismus Die enteignungsrechtlichen Gemeinwohlbindungen in den deutschen Verfassungen des 19. Jahrhunderts müssen in die Nachfolge des mittelalterlichen Feudalismus und des frühneuzeitlichen Absolutismus eingeordnet werden. Als sich die Staatsgewalt von der dinglichen Lehnsherrschaft hin zu einer eigenständigen öffentlich-rechtlichen Gewalt entwickelte, wurde ihr das Eigentum als wohlerworbenes Recht (ius quaesitum) entgegengestellt.787 Allerdings hatten die Landesherren aufgrund ihres aus dem lehnsrechtlichen Obereigentum (dominium eminens) hervorgegangenen, überlegenen Staatsnotrechts (ius eminens) die Befugnis, zum Gemeinwohl in das Eigentum einzugreifen.788 Diese Gemeinwohlbindung der Enteignung vermochte der Herrschaftsmacht im Ergebnis allerdings kaum Schranken aufzuerlegen, denn es oblag allein den Landesherren zu entscheiden, ob eine Enteignung zum Gemeinwohl notwendig war.789 Der absolutistische, wohlfahrtsstaatliche Gemeinwohlbegriff lässt sich also im Sinne einer Staatsräson begreifen.790

785 Frenzel, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, S. 68; Layer, Principien des Enteignungsrechtes, S. 179 f.; Rittsteig, Eigentum als Verfassungsproblem, S. 416 f.; W. Schelcher, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, Art. 153 (S. 219). 786 Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem. S. 417. 787 Frenzel, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, S. 23; Malmendier, Vom wohlerworbenen Recht zur verrechtlichten Freiheit, S. 40 – 43; s. zu den wohlerworbenen Rechten auch Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, S. 207 – 219. 788 Malmendier, Vom wohlerworbenen Recht zur verrechtlichten Freiheit, S. 65; Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, S. 219 – 221. 789 Frenzel, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, S. 35; Malmendier, Vom wohlerworbenen Recht zur verrechtlichten Freiheit, S. 65 – 67; vgl. die Kodifikation in § 10 I 11 PrALR: „Ob der Fall einer Nothwendigkeit des Verkaufs zum gemeinen Wohl vorhanden sey, bleibt der Beurtheilung und Entscheidung des Oberhaupts des Staats vorbehalten.“ Siehe auch Bumke, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 179 (186). 790 Frenzel, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, S. 23 f.; Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 25 f.; Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, S. 60 f. Vgl. zum Begriff der Staatsräson Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR IV, 3. Aufl. 2006, § 71 Rn. 44 m. w. N.

B. Funktion der Gemeinwohlbindung

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b) Konstitutionalismus Erst der Übergang des absoluten Staates zum bürgerlich-liberalen Rechtsstaat schaffte die Voraussetzungen für ein Verständnis des Gemeinwohls als Grund und Grenze der Enteignung. In der Theorie sollten mit der Bindung der Enteignung an das Gemeinwohl die Herrschaftsrechte der Landesherren begrenzt werden.791 Allerdings stellten die Verfassungen des deutschen Frühkonstitutionalismus die enteignungsrechtliche Gemeinwohlbindung noch zur freien Disposition des Monarchen.792 Die späteren deutschen Verfassungen des 19. Jahrhunderts überließen die Entscheidung über die Voraussetzungen der Gemeinwohlbindung immerhin überwiegend der Gesetzgebung, in der auch das Bürgertum repräsentiert war und mitwirken konnte.793 Die Preußischen Verfassungen von 1848/50 enthielten darüber hinaus die Direktive an den Gesetzgeber, bei der Regelung eines Enteignungsgesetzes darauf zu achten, dass Administrativenteignungen nur zum Gemeinwohl zugelassen würden.794 Diese Direktive wurde zwar als rechtlich bindend angesehen, war aber gerichtlich nicht durchsetzbar.795 Bei der Vornahme von Legalenteignungen vermochte die Eigentumsgarantie den Gesetzgeber freilich von vornherein nicht zu binden.796 Für das 19. Jahrhundert lässt sich also insgesamt feststellen, dass die Bindung der Enteignung an das Gemeinwohl kaum eine bestandsschützende Funktion entfalten konnte.797 c) Weimarer Reichsverfassung Im Vergleich dazu hat sich die Bedeutung der Gemeinwohlbindung in der Weimarer Zeit erheblich weiterentwickelt.798 Art. 153 Abs. 2 Satz 1 WRV wurde als

791 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 424; H. Rittstieg, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 14/15 Rn. 206: „Durch die Gemeinwohlklauseln sollte erreicht werden, daß Enteignungen nicht mehr im ausschließlichen Interesse des Landesherrn, etwa zur Vergrößerung seines Grundbesitzes oder zur Verschönerung seiner Schlösser stattfanden.“ Siehe auch Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte I, S. 358 f. 792 Frenzel, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, S. 25 f. 793 Frenzel, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, S. 26. 794 Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat I, Art. 9 (S. 168); Frenzel, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, S. 26 f. 795 Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat I, Art. 9 (S. 168): „Niemals dürfte […] der Richter einem rechtsförmlich publizierten Enteignungsgesetz deshalb die Anwendung versagen, weil es nach seiner Ansicht von den Direktiven […] abweicht.“ 796 Frenzel, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, S. 28; vgl. Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat I, Art. 9 (S. 161 f.). 797 Frenzel, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, S. 66. Siehe zur Geltungs- und Bindungskraft der Eigentumsgarantie in den deutschen Verfassungen des 19. Jahrhunderts auch oben S. 84 – 87 m. w. N. 798 Siehe zur Gemeinwohlbindung des Eigentums im Nationalsozialismus, die hier nicht erörtert wird, Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, S. 107 – 126.

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

„reichsverfassungskräftige“ Gewährleistung „zweiten Grades“ angesehen.799 Demnach konnte die Gemeinwohlbindung zwar durch verfassungsänderndes Gesetz oder durch Notverordnung, nicht aber durch einfaches Reichsgesetz oder Landesgesetz eingeschränkt werden.800 Unterlag also auch der (einfache) Gesetzgeber der Gemeinwohlbindung, so kam hinzu, dass das Reichsgericht für die Rechtsprechung erstmals die Befugnis in Anspruch nahm, Parlamentsgesetze auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung zu überprüfen und im Fall ihrer Verfassungswidrigkeit zu verwerfen.801 Damit herrschten im Grunde gute Ausgangsvoraussetzungen, um Art. 153 Abs. 2 Satz 1 WRV als Zulässigkeitsvoraussetzung zur Geltung zu bringen, zumal die Gemeinwohlbindung als „die vornehmste Norm des Enteignungsrechts“ aufgefasst wurde802. Im Vordergrund der Rechtsentwicklung stand aber das rechtspolitische Bedürfnis der Ausdehnung von Entschädigungsansprüchen.803 „Diese betont entschädigungsrechtliche Sicht, die die Eigentumsgarantie als Vermögensgarantie begriff, versperrte freilich den Blick auf deren bestandsschützende Funktion.“804 So wurde die Überprüfung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Enteignungen in der Rechtsprechung vernachlässigt.805 Hinzu kommt, dass der Enteignungsbegriff erweitert wurde, um auch andere Eigentumseingriffe, die keine Enteignung im klassischen Sinne waren, entschädigen zu können.806 Spätestens nach dem Verzicht auf das Begriffsmerkmal der Übertragung (Güterbeschaffung) konnte die Gemeinwohlbindung keine klaren Konturen mehr gewinnen.807 Denn damit fehlte der wesentliche Bezugspunkt für den Enteignungszweck und mithin für die Gemeinwohlbindung.808 799 Thoma, in: Festg. zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, S. 183 (192 f. Fn. 10); s. auch Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 153 (S. 711 Fn. 2). Siehe zur Geltungs- und Bindungskraft der Grundrechte in der Weimarer Republik oben Fn. 419. 800 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 153 (S. 711); W. Schelcher, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, Art. 153 (S. 226); Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, S. 20 f.; Wolff, in: Festg. Kahl IV, S. 13 f. 801 RGZ 111, 320 (322 f.); dazu Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 70 (S. 373 f.); s. bereits RGZ 102, 161 (164); 107, 377 (379); dazu Frenzel, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, S. 59 f. 802 Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, S. 20; zustimmend W. Schelcher, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, Art. 153 (S. 226). 803 Siehe oben S. 91. 804 Frenzel, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, S. 58 f. 805 BVerfGE 24, 367 (400 f.); Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, S. 415 f.; vgl. J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 99. 806 Siehe oben S. 91. 807 Frenzel, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, S. 64 f., 67; Weber, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte II, S. 331 (340). 808 Siehe oben S. 91.

B. Funktion der Gemeinwohlbindung

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d) Grundgesetz Bei der Entstehung des Grundgesetzes wurde für die enteignungsrechtliche Gemeinwohlbindung an Art. 153 Abs. 2 Satz 1 WRV angeknüpft. So lautete Art. 17 Abs. 2 des Verfassungsentwurfs von Herrenchiemsee: „Eine Enteignung kann nur zum Wohl der Allgemeinheit auf gesetzlicher Grundlage und gegen angemessene Entschädigung vorgenommen werden.“809 Im Parlamentarischen Rat wurde Art. 17 Abs. 2 Satz 1 GG-E vom internen Redaktionskomitee des Ausschusses für Grundsatzfragen zunächst wie folgt gefasst: „Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit und nur auf Grund eines Gesetzes zulässig.“810 In der Ausschusssitzung wurde dieser Vorschlag erläutert: „Es muß die Möglichkeit bestehen, daß ein Eigentümer […] vor dem Interesse der Allgemeinheit zum Weichen gebracht werden kann, jedoch soll in diesem Falle die Enteignung nur auf Grund von Gesetzen erfolgen können, also nicht schlechthin aus Gründen der Staatsräson oder der administrativen Opportunität, und auch nur dann, wenn sie zum Wohl der Allgemeinheit notwendig ist.“811 Die CDU/CSU-Fraktion schlug die folgende, leicht abweichende Formulierung vor: „Enteignung ist nur zulässig, wenn das Wohl der Allgemeinheit es erfordert.“812 Allerdings ersetzte der Ausschuss für Grundsatzfragen die Wendung „wenn das Wohl der Allgemeinheit es erfordert“ wieder durch „zum Wohle der Allgemeinheit“.813 Im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates wurde Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG-E in der ersten Lesung zunächst wie folgt formuliert: „Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.“814 Nach der vierten Lesung des Hauptausschusses hatte Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG-E folgende Fassung, an der im Plenum des Parlamentarischen Rates keine Änderungen mehr vorgenommen wurden: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.“815 In formaler Hinsicht besteht der wesentliche Unterschied zwischen Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG und seinem Vorgänger Art. 153 Abs. 2 Satz 1 WRV in der Verwendung des Wortes „zulässig“. Zwar lässt sich anhand der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes nicht erkennen, ob diese Formulierung mit Bedacht gewählt wurde816, die Betonung der Funktion des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG als Zulässigkeitsvoraus809

Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat II, S. 504 (582). Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat V/1, S. 172 (197 Fn. 34). 811 Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat V/1, S. 172 (198). 812 Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat V/2, S. 712 (735). 813 Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat V/2, S. 712 (736). 814 Parlamentarischer Rat, Drucks. 340 v. 10. 12. 1948. 815 Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 743 (747); ders., Drucks. 850 v. 05. 05. 1949. 816 Insoweit kann die gegenteilige Behauptung von W. Böhmer, Sondervotum, BVerfGE 56, 249 (276) nicht nachvollzogen werden. 810

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

setzung entspricht aber dem Bedeutungswandel der Eigentumsgarantie817. So hat namentlich das Bundesverfassungsgericht die eingriffshemmende Funktion der Rechtsstellungsgarantie herausgestellt und damit die Eigentumsgarantie aus ihrer Beschränkung auf eine Eigentumswertgarantie herausgeführt: „[Die Eigentumsgarantie] hat nicht in erster Linie die Aufgabe – und schon insoweit geht sie über Art. 153 WRV hinaus –, die entschädigungslose Wegnahme von Eigentum zu verhindern, sondern den Bestand des Eigentums in der Hand des Eigentümers zu sichern.“818 Gegenüber dem vormals herrschenden ökonomischen Verständnis der Eigentumsgarantie betont das Gericht die menschenrechtliche Sicht auf das Eigentum in seiner personenhaften Bezogenheit als ein Freiheitsraum für eigenverantwortliche Betätigung.819 Zutreffend weist das Verfassungsgericht darauf hin, dass die Entschädigungspflicht nur einen schwachen Schutz vor Enteignungen bietet. „Unter diesem Gesichtspunkt kommt den verfassungsrechtlichen Zulässigkeitsnormen für die Enteignung im Gesamtgefüge der Eigentumsgarantie eine wesentlich größere Bedeutung als der Entschädigungsregelung zu.“820

C. Gemeinwohltheorien Nach dieser Grundlegung zur Funktion der Gemeinwohlbindung als Zulässigkeitsvoraussetzung der Enteignung wird nun die Bedeutung des Gemeinwohlbegriffs erörtert. Dabei geht es freilich noch nicht um die Frage, welche Anforderungen erfüllt sein müssen, damit eine Enteignung „nur zum Wohle der Allgemeinheit“ erfolgt.821 Vielmehr soll gleichsam als Vorfrage zunächst der theoretische Hintergrund des Gemeinwohlbegriffs betrachtet werden. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, die Vorschrift des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG auf der Grundlage einer juristischen Gemeinwohltheorie zu begreifen und damit ein insgesamt stimmiges Konzept der Gemeinwohlbindung zu entwickeln.

I. Interdisziplinärer Begriff Der Gemeinwohlbegriff in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG ist ein Verfassungsbegriff und muss als Rechtsproblem erfasst werden. Indes kommt die juristische Beschäftigung mit Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG nicht umhin, sich zu vergegenwärtigen, dass hier 817

Siehe auch oben S. 87. BVerfGE 24, 367 (400); vgl. dazu Frenzel, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, S. 68 – 71; s. auch BVerfGE 100, 226 (245); v. Brünneck, Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, S. 409. 819 BVerfGE 24, 367 (400); vgl. dazu Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, S. 415 f. und oben S. 44 f. 820 BVerfGE 24, 367 (401). 821 Siehe dazu unten S. 194 – 220. 818

C. Gemeinwohltheorien

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ein ursprünglich rechts- und staatsphilosophischer Begriff in die Verfassung aufgenommen wurde822. Bis heute beschäftigt der Gemeinwohlbegriff nicht nur die Rechtswissenschaft, sondern daneben viele andere Disziplinen, insbesondere die Philosophie und die Sozialwissenschaften. Mit Blick auf diese sogenannten Nachbarwissenschaften handelt es sich bei dem Gemeinwohl um einen interdisziplinären Begriff823. 1. Verhältnis der Rechtswissenschaft zu ihren Nachbarwissenschaften Angesichts der Fülle und Komplexität von nicht juristischen Gemeinwohlkonzeptionen erscheint es verständlich, wenn im Bereich der praktischen Rechtsanwendung gegenüber den Nachbarwissenschaften oftmals Zurückhaltung und Misstrauen vorherrschen und ein pragmatischer Ansatz zur Auslegung von Gemeinwohlbegriffen gewählt wird.824 In der Rechtswissenschaft, zumal in der Staatsund Verfassungswissenschaft ist aber ein offenerer Umgang mit den benachbarten Disziplinen, insbesondere mit den Sozialwissenschaften sowie der Rechts- und Staatsphilosophie anzustreben.825 Denn das Gemeinwohl als interdisziplinärer Be-

822

Vgl. Huber, ZSR n. F. 84 (1965), 39 (54); s. auch Böckenförde, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 43 (62), dem zufolge „der Gemeinwohlbegriff stets ein staatsphilosophisch bzw. staatstheoretisch affizierter Begriff und von dieser Grundlage nicht ablösbar“ ist. 823 Für interdisziplinäre Begriffe werden verschiedene Bezeichnungen verwendet, zum Beispiel Brücken-, Grundlagen-, Schlüssel-, Verbund- oder Verweisungsbegriff, s. dazu Möllers, VerwArch 93 (2002), 22 (44 – 46) m. w. N. Vgl. zum Brückenbegriff Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungswissenschaft, S. 9 (60 – 62); zum Grundlagenbegriff Häberle, Rechtstheorie 14 (1983), 257 (271 f.); zum Schlüsselbegriff Baer, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 223 – 251; Denninger, Der gebändigte Leviathan, S. 158 – 177; Voßkuhle, in: Bauer/Czybulka u. a. (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, S. 171 (186 – 188); zum Verbundbegriff Schmidt-Aßmann, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 387 (401 – 403); zum Verweisungsbegriff Gusy, JZ 1991, 213 (220). Vgl. zur Begriffsrezeption Lüdemann, in: Boysen/Bühring u. a. (Hrsg.), Netzwerke, S. 266 (269 f.). 824 Vgl. Stolleis, VerwArch 65 (1974), 1 (2); Lüdemann, in: Boysen/Bühring u. a. (Hrsg.), Netzwerke, S. 266 (278). 825 Vgl. zum Verhältnis der Rechtswissenschaft zu ihren Nachbarwissenschaften Grimm (Hrsg.), Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften I und II; Hoffmann-Riem (Hrsg.), Sozialwissenschaften im Öffentlichen Recht; Schmidt-Aßmann, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 387 (398 – 400); Schuppert, Staatswissenschaft, S. 43 – 47; Vesting, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 253 – 292; s. auch Schmidt, Einführung in die Probleme des Verwaltungsrechts, Rn. 351. Stolleis, VerwArch 65 (1974), 1 (3 Fn. 13, S. 4) weist zu Recht darauf hin, dass eine scharfe Abgrenzung der Rechtswissenschaft von anderen Wissenschaften, insbesondere der Politikwissenschaft, gar nicht möglich ist; s. auch Bumke, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 73 (128); ablehnend aber Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 50 – 52.

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

griff schafft einen gemeinsamen Argumentationsrahmen826, dem sich die Rechtswissenschaft als Argumentationswissenschaft nicht verschließen darf. Aus dem Fundus an nicht juristischen Gemeinwohlargumenten kann die Rechtswissenschaft nur profitieren, indem sie ausgewählte Impulse aufgreift und verarbeitet.827 Zugleich ermöglicht nur interdisziplinäre Offenheit ein juristisches Gemeinwohlverständnis, das der theoretischen und praktischen Bedeutung des Gemeinwohls als Schnittstelle zwischen politischer Wertentscheidung und normativer Wertsetzung gerecht wird.828 Erforderlich ist somit, dass die Rechtswissenschaft das Gemeinwohl als kulturwissenschaftlichen Grundlagenbegriff erfasst.829 „Juristische Grundlagenbegriffe wie das Gemeinwohl leben nicht aus sich selbst, sie erwachsen aus zahlreichen Integrationsleistungen der Kultur eines Volkes.“830 2. Juristische Rezeptionsmethode In methodischer Hinsicht stellt die Rezeption außerrechtlicher Begriffe und Theorien besondere Anforderungen.831 Unreflektierte und intransparente Theorieimporte sind zu vermeiden.832 Vielmehr muss die Rezeption einen sachgerechten Vgl. zum Verhältnis von Soziologie und Grundrechtsdogmatik Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 201 – 216. 826 Häberle, Rechtstheorie 14 (1983), 257 (258); vgl. Baer, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 223 (225); zur Erschließungsfunktion von Schlüsselbegriffen Denninger, Der gebändigte Leviathan, S. 158 (169 f.). 827 Vgl. Sontheimer, in: Grimm (Hrsg.), Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften I, S. 68 (80 f.) zu Fraenkels Gemeinwohlforschung; v. Zezschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, S. 4. Anschauliche Beispiele finden sich etwa bei Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 142 Fn. 336; dems., Rechtstheorie 14 (1983), 257 (272, 275 Fn. 76, 283); der das Grundgesetz als „Verfassung des Pluralismus“ bezeichnet und Fraenkels pluralistische Theorie vom Gemeinwohl als „regulative Idee“ aufgreift, sowie bei v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, S. 192, der die Vertragstheorie von Rawls für sein verfassungstheoretisches Gemeinwohlverständnis fruchtbar macht. 828 Stolleis, VerwArch 65 (1974), 1 (3). 829 Siehe dazu Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 815 – 848. 830 Häberle, Rechtstheorie 14 (1983), 257 (283); ders., Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 785, vgl. dens., Rechtstheorie 14 (1983), 257 (271 f.). 831 Grawert, Der Staat 43 (2004), 434 (436); Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Sozialwissenschaften im Öffentlichen Recht, S. 3 – 75; Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann/ Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungswissenschaft, S. 9 (58 – 62); Vesting, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 253 (278). Eine Rezeptionstheorie entwickelt Lüdemann, in: Boysen/Bühring u. a. (Hrsg.), Netzwerke, S. 266 – 285 m. w. N. Ausführlich zu einem differenziert-integrativen Methodenverständnis Voßkuhle, in: Bauer/Czybulka u. a. (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, S. 171 – 195 m. w. N. 832 Di Fabio, Die Staatsrechtslehre und der Staat, S. 79; Lüdemann, in: Boysen/Bühring u. a. (Hrsg.), Netzwerke, S. 266 (275 f.); Voßkuhle, in: Bauer/Czybulka u. a. (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, S. 171 (182 – 184); s. zur Methodentransparenz Hoffmann-Riem, in:

C. Gemeinwohltheorien

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Zugriff auf die Nachbarwissenschaften und eine Einpassung außerrechtlicher Begriffe und Theorien in das Recht leisten. Aus den Bindungen in Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG833 folgt, dass außerrechtliche Gemeinwohlvorstellungen nur im Rahmen des geltenden Rechts Berücksichtigung finden können.834 Der Einfluss von außerrechtlichen, gesellschaftlichen, ethischen oder historisch begründbaren Gemeinwohlkonzeptionen wird also vom Recht beherrscht.835 Für diejenigen Begriffe, die zugleich Rechts- und Schlüsselbegriffe sind, ist in der Rechtswissenschaft die Funktion als Rechtsbegriff vorrangig.836 Das Gemeinwohl muss demnach aus seinem außerrechtlichen Standort gelöst und in seinem konkreten juristischen Zusammenhang erfasst werden.837 Erforderlich ist eine juristische Gemeinwohltheorie.838 Innerhalb der Vielfalt der außerrechtlichen Gemeinwohlideen kommt dem Recht dabei auch die Aufgabe zu, eine Auswahl zu treffen, welche außerrechtlichen Gemeinwohlvorstellungen kompatibel sind und in welcher Form sie in die juristische Auslegung von Gemeinwohlbegriffen einfließen können. Angestrebt wird also nicht eine pauschale Einfärbung der juristischen Interpretation durch außerrechtliche Gemeinwohlformeln839, sondern eine selektive Integration einzelner Gemeinwohlargumente nach Maßgabe des geltenden Rechts. Um neue Erkenntnisquellen zum Gemeinwohl zu erschließen, werden zunächst ausgewählte Gemeinwohlkonzeptionen aus Philosophie und Sozialwissenschaften in den Blick genommen, bevor im Anschluss ein verfassungstheoretisches Gemeinwohlverständnis erörtert wird.

Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methode der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 9 (50 f.). 833 Vgl. Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Sozialwissenschaften im Öffentlichen Recht, S. 3 (10 f.); Lüdemann, in: Boysen/Bühring u. a. (Hrsg.), Netzwerke, S. 266 (276 f.). 834 Voßkuhle, in: Bauer/Czybulka u. a. (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, S. 171 (192) bezeichnet die Überprüfung der Vereinbarkeit mit dem bestehenden Recht als Rahmenanalyse. 835 Vgl. v. Zezschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, S. 41 f.; Stolleis, VerwArch 65 (1974), 1 (3). 836 Baer, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 223 (226). 837 Vgl. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 724; dens., Rechtstheorie 14 (1983), 257 (272). 838 Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 17 f., 716 u. ö.; ders., Rechtstheorie 14 (1983), 257 (272 – 281); s. auch Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffes „Öffentliches Interesse“, S. 3; v. Zezschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, S. 1 f. 839 Vgl. Stolleis, VerwArch 65 (1974), 1 (3); W. Böhmer, Sondervotum, BVerfGE 56, 249 (285).

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

II. Gemeinwohl in Philosophie und Sozialwissenschaften Die Begriffsgeschichte des Gemeinwohls umfasst einen Zeitraum, der bis in die Antike zurückreicht. Im Laufe der Jahrhunderte wurden zahlreiche Theorien entwickelt, die das Gemeinwohl unter vielen verschiedenen Blickwinkeln betrachten.840 Denkbar ist etwa eine Unterscheidung nach den sozialen, zeitlichen und sachlichen Dimensionen des Gemeinwohls oder eine Betrachtung der unterschiedlichen Gemeinwohlfunktionen.841 Die Auswahl der im Folgenden einbezogenen außerrechtlichen Gemeinwohltheorien orientiert sich an der Funktion des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG als Zulässigkeitsvoraussetzung der Enteignung842. 1. Klassische Gemeinwohlvorstellungen Seinen Ursprung hat der Begriff des Gemeinwohls in der Rechts- und Staatsphilosophie.843 Für die Klassiker von Sokrates über Platon, Aristoteles, Cicero, Thomas von Aquin, Thomas Hobbes, John Locke und Jean-Jaques Rousseau bis Immanuel Kant verwirklicht sich das Gemeinwohl in einer idealen, gerechten und guten Ordnung des menschlichen Zusammenlebens.844 Dem liegt ein apriorisches 840 Einen Überblick über den Facettenreichtum des Gemeinwohls liefern v. Arnim/Sommermann (Hrsg.), Gemeinwohlgefährdung und Gemeinwohlsicherung; Bonvin/Kohler/SitterLiver (Hrsg.), Gemeinwohl – Bien commun; Brugger/Kirste/Anderheiden (Hrsg.), Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt; Münkler/Bluhm/Fischer (Hrsg.), Forschungsberichte der interdisziplinären Arbeitsgruppe „Gemeinwohl und Gemeinsinn“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften; Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz. Ein Literaturbericht zum Gemeinwohl findet sich bei Grawert, Der Staat 43 (2004), 434 – 449. 841 Schuppert, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 19 (20 f.). 842 Siehe oben S. 135 f. 843 Huber, ZSR n. F. 84 (1965), 39 (54). Eine umfassende Darstellung findet sich bei Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie. 844 Vgl. Böckenförde, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 43 – 65; Cheneval, in: Bonvin/Kohler/Sitter-Liver (Hrsg.), Gemeinwohl – Bien commun, S. 15 – 45; Fisch, in: v. Arnim/Sommermann (Hrsg.), Gemeinwohlgefährdung und Gemeinwohlsicherung, S. 43 (43 – 51); Herzog, in: Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie III, Sp. 248 – 258; Isensee, Salus publica – suprema lex?, S. 9 – 19; Kunz/Mona, Rechtsphilosophie, Rechtstheorie, Rechtssoziologie, S. 48 – 101; Schultze, in: Nohlen/Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politik I, S. 137 (137 – 139); Stolleis, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Aus Politik und Zeitgeschichte, B 3/78, S. 37 (38 f.); umfassend Münkler/ Bluhm (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn I; zum klassischen römischen Recht Honsell, ZRG Rom. Abt. 95 (1978), 93 – 137; zum germanischen Staatswesen und zum Deutschen Reich Merk, Der Gedanke des gemeinen Besten in der deutschen Staats- und Rechtsentwicklung; zur Renaissance Münkler, in: Fetscher/Münkler (Hrsg.), Pipers Handbuch der politischen Ideen III, S. 23 – 72 sowie zu den Vertragstheorien Kersting, in: Nohlen/Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politik I, S. 680 (680 – 683).

C. Gemeinwohltheorien

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Verständnis von Gemeinwohl zugrunde, denn das Gemeinwohl geht dem Staat voraus; es ist vorgegeben und objektiv, weil unabhängig von den subjektiven Interessen der Einzelnen. Die Gemeinschaftsmitglieder haben sich dem autoritativen Gemeinwohl unterzuordnen. Zugleich ist das Gemeinwohl substanziell und normativ, denn es setzt inhaltliche Maßstäbe und bestimmt Aufgaben für die Ausübung von Herrschaft. 2. Gerechtigkeitstheorie von Rawls Für John Rawls verwirklicht sich das Gemeinwohl in „Verhältnissen und Zielen, die jedermann gleichermaßen zum Vorteil gereichen.“845 Inhalt des Gemeinwohls sind demnach materielle Gerechtigkeitsgrundsätze für die gesellschaftliche Grundstruktur.846 Diese Grundwertungen sind im Gerechtigkeitsempfinden der Menschen enthalten. Um bei der Erkenntnis der Gerechtigkeitsgrundsätze eine Verzerrung des menschlichen Gerechtigkeitsempfindens durch situationsbedingte Interessen zu vermeiden, versetzt Rawls die Menschen in einen theoretischen Urzustand, in dem alle gleich sind und ihre Stellung in der Gesellschaft nicht kennen. Hinter diesem „Schleier des Nichtwissens“ vereinbaren die Menschen in einem Gesellschaftsvertrag den materiellen Inhalt des Gemeinwohls.847 Als normatives Ergebnis dieser theoretischen Vereinbarung postuliert Rawls im Wesentlichen Freiheit, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit.848 3. Pluralismustheorie – insbesondere Fraenkel Die Vorstellung eines vorgegebenen, statischen Gemeinwohls lehnt die Pluralismustheorie als mit der demokratischen Willensbildung nicht vereinbar ab. Vielmehr bestimmt sich das Gemeinwohl im Einzelfall immer wieder neu, indem die einzelnen Individuen und Gesellschaftsgruppen mit ihren Partikularinteressen am Prozess der staatlichen Willensbildung mitwirken. So versteht Ernst Fraenkel, der wohl prominenteste Vertreter der Pluralismustheorie in Deutschland, das Gemeinwohl als „die Resultante, die sich jeweils aus dem Parallelogramm der ökonomischen, sozialen, politischen und ideologischen Kräfte einer Nation dann ergibt, wenn ein Ausgleich angestrebt und erreicht wird, der objektiv den Mindestanforderungen einer gerechten Sozialordnung entspricht und 845

Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 263. Vgl. zum Verhältnis von Gemeinwohl und Gerechtigkeit Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR IV, 3. Aufl. 2006, § 71 Rn. 45. 847 Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 27 – 29; vgl. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, S. 190 – 192. 848 Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 81, 104, 283, 336 f.; vgl. Kersting, in: Nohlen/ Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politik I, S. 680 (684); Kunz/Mona, Rechtsphilosophie, Rechtstheorie, Rechtssoziologie, S. 164 – 172; Schultze, in: Nohlen/Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politik I, S. 137 (141). 846

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subjektiv von keiner maßgeblichen Gruppe als Vergewaltigung empfunden wird.“849 Bei dem angestrebten bestmöglichen Ausgleich der heterogenen Gruppeninteressen kommt auf der einen Seite dem Verfahren ein Eigenwert zu.850 Auf der anderen Seite bekennt sich Fraenkel zu einer materiellen Wertordnung mit einem Minimum allgemein anerkannter Wertvorstellungen und grenzt seine Gemeinwohlkonzeption insofern von einer pluralistischen Harmonielehre ab.851 Zur Legitimation der Ergebnisse des politischen Prozesses verlangt er daher neben der Einhaltung der Verfahrensregeln, dass auch ein materieller Mindeststandard erreicht wird. Dazu setzt Fraenkel einen nicht kontroversen Wertkodex voraus, der zwar nicht so konkret ist, dass er im Einzelnen das Handeln der Politik bestimmen könnte, aber dennoch konkret genug, um ein Minimum an sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit zu gewährleisten.852 Dieser Wertkodex gewährleistet mit Blick auf das Mehrheitsprinzip und die ungleiche Chancenverteilung im pluralistischen Kräftespiel einen gewissen Minderheitenschutz.853 In diesem Sinne ist das Gemeinwohl „eine in ihrem Kern auf einem als allgemein gültig postulierten Wertkodex basierende, in ihren Einzelheiten den sich ständig wandelnden ökonomisch-sozialen Zweckmäßigkeitserwägungen Rechnung tragende regulative Idee […], die berufen und geeignet ist, bei der Gestaltung politisch nicht kontroverser Angelegenheiten als Modell und bei der ausgleichenden Regelung politisch kontroverser Angelegenheiten als bindende Richtschnur zu dienen.“854

849 Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 23 (34). Vgl. zu Fraenkels Gemeinwohlkonzeption Buchstein, in: Münkler/Bluhm (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn IV, S. 217 – 240 und zu seiner Pluralismustheorie v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, S. 103 – 123; Steffani, Pluralistische Demokratie, S. 40 – 54; s. auch Schubert, in: Nohlen/Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politik I, S. 407 – 423. 850 Fraenkel, Universität und Demokratie, S. 25; vgl. Fisch, in: v. Arnim/Sommermann (Hrsg.), Gemeinwohlgefährdung und Gemeinwohlsicherung, S. 43 (52 f.). 851 Die materiellen Aspekte in Fraenkels Gemeinwohlkonzeption betonen Buchstein, in: Münkler/Bluhm (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn IV, S. 217 (225 – 227) und Steffani, Pluralistische Demokratie, S. 43 f., 48 – 51. Vgl. zur Pluralismuskritik Schultze, in: Nohlen/ Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politik I, S. 137 (140 – 142) und ausführlich insbesondere zur Kritik der Gleichgewichtslehre v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 148 – 211 sowie Kremendahl, Pluralismustheorie in Deutschland, S. 237 – 467; s. auch Steffani, Pluralistische Demokratie, S. 46 f., 55 – 68. 852 Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 48 (61, 65); 297 (324 f.); 326 (354 – 356); ders., Universität und Demokratie, S. 26 – 28. 853 Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 326 (357 – 359); ders., Universität und Demokratie, S. 28: „Vergewaltigung der Interessen allzu schwacher“. 854 Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 261 (272 f.); vgl. hierzu Hellmann, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn II, S. 77 (98).

C. Gemeinwohltheorien

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4. Diskurstheorie – insbesondere Habermas Einen weiteren Ansatz zur Bestimmung des Gemeinwohls liefert die Diskurstheorie, die vor allem mit dem Namen Jürgen Habermas verbunden wird.855 Ausgangspunkt ist der Gedanke, dass moderne Rechtsordnungen ihre Legitimation nicht mehr aus Religion, Tradition oder dem Naturrecht, sondern nur noch aus der Idee der Selbstbestimmung ziehen können. Die einzig verbliebene Legitimationsinstanz ist daher das demokratische Verfahren, das im Kern als Diskurs verstanden wird. Legitime Geltung beruht demnach auf einem politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess, der in einer rechtsstaatlichen Verfassung institutionalisiert ist.856 Überträgt man diesen prozeduralen Ansatz auf die Rechtfertigung von Gemeinwohlinhalten, so lässt sich Gemeinwohl in einer deliberativen Demokratie als das Ergebnis eines rechtsstaatlich verfassten Diskurses begreifen.

5. Systemtheorie – insbesondere Luhmann Die insbesondere von Niklas Luhmann vertretene und weiterentwickelte Systemtheorie857 beschäftigt sich mit dem Gemeinwohl als Kontingenzformel.858 Bei dem Begriff der Kontingenzformel geht es um die Frage nach der Aufgabenzuständigkeit und Zielbestimmung eines Systems. Luhmann begreift die Gesellschaft als System von gleichgeordnet nebeneinander bestehenden Teilsystemen wie Politiksystem, Wirtschaftssystem, Rechtssystem und viele mehr.859 Alle diese Systeme haben ihre eigene Kontingenzformel860, mit der sie aus externer Sicht861 voneinander 855 Schuppert, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 19 (32). 856 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 110, 141 f., 359 – 362, 662 f.; vgl. Joób, in: Bonvin/Kohler/Sitter-Liver (Hrsg.), Gemeinwohl – Bien commun, S. 209 – 229; Kersting, in: Nohlen/Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politik I, S. 56 (57); Kunz/Mona, Rechtsphilosophie, Rechtstheorie, Rechtssoziologie, S. 180 – 186. 857 Luhmann, Soziale Systeme; dazu Kunz/Mona, Rechtsphilosophie, Rechtstheorie, Rechtssoziologie, S. 209 – 220 m. w. N. Vgl. zum Gemeinwohlverständnis in Talcott Parsons’ strukturell-funktionaler Systemtheorie Mayntz, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn II, S. 111 (119 – 125). 858 Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, S. 118 – 126; dazu Horster, in: Brugger/Kirste/ Anderheiden (Hrsg.), Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, S. 245 – 255; vgl. auch Hellmann, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn II, S. 77 (97 – 106). 859 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft I, S. 78 – 91; ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft II, S. 707 – 776; ders., Grundrechte als Institution, S. 14 f; s. zur Gesellschaft als umfassendes Sozialsystem dens., Soziale Systeme, S. 555 – 560. 860 Zum Begriff der Kontingenz s. Luhmann, Soziale Systeme, S. 152: „Kontingent ist etwas, was weder notwendig ist noch unmöglich ist; was also so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist. Der Begriff bezeichnet mithin Gegebenes (Erfahrenes, Erwartetes, Gedachtes, Phantasiertes) im Hinblick auf mögliches Anderssein; er bezeichnet Gegenstände im Horizont möglicher Abwandlungen. Er setzt die gegebene Welt voraus, be-

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abgegrenzt werden können.862 Die Kontingenzformel eines sozialen Systems ist verknüpft mit dessen Funktion und stellt systemintern einen unbestreitbar gesetzten Bezugspunkt dar.863 So sind Kontingenzformeln etwa Gott für das Religionssystem, Knappheit für das Wirtschaftssystem und Gerechtigkeit für das Rechtssystem.864 Betrachtet man vor diesem Hintergrund die klassischen Gemeinwohlvorstellungen aus systemtheoretischer Sicht, so stellt sich das Gemeinwohl als Kontingenzformel des Politiksystems dar mit der Folge, dass das Politiksystem entscheiden muss, was Gemeinwohl ist und was nicht.865 Der dadurch und durch die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft866 erforderliche Gegenbegriff zur Gemeinwohlformel liegt im Privatinteresse. Hinter diesem Gegensatz von öffentlichen und privaten Interessen erkennt Luhmann allerdings eine verdeckte Paradoxie: In der heutigen funktional gegliederten Gesellschaft gibt es nach seiner Auffassung kaum mehr private Interessen, deren Verfolgung nicht auch dem Gemeinwohl dienen kann, und umgekehrt keine öffentlichen Interessen, deren Förderung nicht zugleich Privatinteressen betrifft. Deshalb lehnt Luhmann das Gemeinwohl als Kontingenzformel des Politiksystems ab und ersetzt es durch die Legitimität.867 Während die Grenzziehung zwischen Gemeinwohl und Eigennutz demnach eine Frage politischer Opportunität wäre, stellt sich nunmehr die Problematik der Begründung von Legitimität. Dabei geht Luhmann von einem faktischen Legitimitätsbegriff aus.868 Legitimität ist demnach die „generalisierte Bereitschaft, inhaltlich noch unbestimmte Entscheidungen innerhalb gewisser Toleranzgrenzen hinzunehmen“.869 Ihm geht es also nicht um die Voraussetzungen einer anerkennungswürdigen Herrschaft im Sinne einer normativen Legitimation, sondern um eine empirische Begründung für das tatsächliche Akzeptieren von Herrschaftsentscheidunzeichnet also nicht das Mögliche überhaupt, sondern das, was von der Realität aus gesehen anders möglich ist.“ 861 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 219. 862 Vgl. Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, S. 120: „Die Formel, mit der das System selbst Limitationalität einführt, wollen wir Kontingenzformel nennen.“ [Hervorhebung im Original] 863 Vgl. Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft I, S. 469 f.; ders., Das Recht der Gesellschaft, S. 219; ders., Die Politik der Gesellschaft, S. 120. 864 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft I, S. 469 f.; ders., Das Recht der Gesellschaft, S. 218 f. m. w. N.; ders., Die Politik der Gesellschaft, S. 120 Fn. 50 m. w. N. 865 Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, S. 120 – 122. 866 Vgl. dazu mit Blick auf das Verfassungsrecht des Grundgesetzes Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, S. 209 – 243, insbes. S. 221 f. zur Systemtheorie Luhmanns; mit Blick auf die Staatslehre und Verfassungstheorie dens., Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit; Hesse, DÖV 1975, 437 – 443. 867 Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, S. 123; vgl. zum Festhalten am Gemeinwohl als Kontingenzformel des Politiksystems Fischer, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 65 (82 Fn. 23). 868 Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 259. 869 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 28.

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gen.870 So grenzt Luhmann sein Konzept ausdrücklich von einer Legitimation durch das Einhalten von Verfahrensrecht und von einer rechtspolitischen Würdigung ab.871 Beteiligung am Verfahren betrachtet er daher auch nicht als demokratischen Maßstab, sondern als Motivationsmechanismus für die Anpassung an Herrschaftsentscheidungen durch Zustimmung, Sichabfinden oder wenigstens Resignation.872 Ausgangspunkt der Legitimität sind Wertbeziehungen, die aber für die Lösung von Wertkonflikten keine Vorgaben enthalten, sondern Abwägungs- und Entscheidungsbedarf erzeugen.873 Zur Begründung von Legitimität durch Wertbezug verweist Luhmann auf die demokratische Offenheit politischer Entscheidungen. Legitimität entfaltet sich demnach in einem fairen, offenen Verfahren. Dabei bezeichnet der Verfahrensbegriff „Sozialsysteme besonderer Art, die kurzfristig und vorübergehend konstituiert werden, um bindende Entscheidungen zu erarbeiten“.874 In Übereinstimmung mit der Diskurstheorie wendet sich Luhmann gegen die apodiktische Geltungsfestlegung bestimmter Werte und plädiert für eine Lösung von politischen Kontroversen durch vernünftigen Konsens auf der Grundlage von handhabbaren Verfahrensregeln.875 Dabei sucht das Verfahren als wirkliches Geschehen nicht nach einer vorgegebenen Wahrheit, sondern erzeugt seine eigene formelle Wahrheit, die von den Beteiligten akzeptiert wird.876 6. Materielle und formelle Gemeinwohlkonzeptionen Vergleicht man die hier ausgewählten Gemeinwohlansätze miteinander, so werden zwei konträre Ansätze erkennbar, die wichtige Impulse für den Gemeinwohlbegriff des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG geben. Es geht um die Unterscheidung von materiellen und formellen Gemeinwohlkonzeptionen.877 Als „materiell“ („material“) lassen sich zunächst die klassischen Gemeinwohlvorstellungen bezeichnen, denen ein objektiv-apriorisches Verständnis von Gemeinwohl zugrunde liegt. Auf einer inhaltlich-normativen Ebene werden hier die 870

Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 32. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 36 f.; ders., Rechtssoziologie, S. 142. 872 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 107 – 120; vgl. dens., Rechtssoziologie, S. 264 f.; dazu auch Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, S. 155 (166 Fn. 46). 873 Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, S. 123 f. 874 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 263, s. auch S. 141 f. 875 Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, S. 124 f. 876 Vgl. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 1 f. und die Nachweise auf S. 7 Fn. 2. 877 Schultze, in: Nohlen/Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politik I, S. 137 (137); Schultze, in: Nohlen/Schultze/Schüttemeyer (Hrsg.), Lexikon der Politik VII, S. 210 (210 f.); vgl. Kohler, in: Bonvin/Kohler/Sitter-Liver (Hrsg.), Gemeinwohl – Bien commun, S. 63 (69); s. auch Fischer, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 65 (73 – 78), dem allerdings insoweit nicht gefolgt wird, als er die Unterschiede zwischen materiellen und formellen Konzeptionen in den Begriffskombinationen von allgemein und öffentlich sowie Wohl und Interesse abbildet. 871

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staatlichen Institutionen von einem vorgegebenen Gemeinwohl determiniert, das etwa religiös oder naturrechtlich definiert sein kann. Das materielle Gemeinwohl ist nicht von der Zustimmung und den Interessen der Einzelnen abhängig; es ist vielmehr autoritativ und verlangt, dass sich die Gemeinschaftsmitglieder ihm unterordnen. Bei der Pluralismus-, Diskurs- und Systemtheorie hingegen erlangt das Verfahren eine besondere Bedeutung. Diese deshalb „formell“ („formal“) oder „prozedural“ genannten Theorien orientieren ihr aposteriorisches Gemeinwohlkonzept an den individuellen Interessen der einzelnen Gemeinschaftsmitglieder. Hier sind die Gemeinwohlinhalte weder statisch noch absolut, sie sind vielmehr dem Wandel unterworfen und in jeder Situation neu zu bestimmen. Auf einer institutionell-organisatorischen Ebene ist das demokratische Meinungs- und Willensbildungsverfahren gleichsam Determinante und Legitimationsquelle für das Gemeinwohl. Eine differenzierte Betrachtung verlangt die Gerechtigkeitstheorie von Rawls: Danach erfolgt die Vereinbarung von Gerechtigkeitsgrundsätzen im Urzustand zwar theoretisch durch Zustimmung der Menschen, außerhalb des Urzustandes gilt das so definierte Gemeinwohl aber als autoritativ vorgegeben. Hinzu kommt, dass die situationsbedingten Interessen der Einzelnen im Urzustand ausgeblendet werden und lediglich die so „bereinigte“ Vernunft der Menschen zur Grundlage der Gerechtigkeitsgrundsätze gemacht wird.878 Im Ergebnis kann die Gerechtigkeitstheorie von Rawls wohl am ehesten als materielle Begründung von rationalistisch definierten Gemeinwohlinhalten gewertet werden.879 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Unterscheidung von materiellen und formellen Gemeinwohlkonzeptionen keine konsequente Trennung fordert, sondern vielmehr Überschneidungen und Abstufungen zulässt.880 In diesem Sinne bedarf vor allem die Zuordnung der Pluralismustheorie zu den formellen Gemeinwohlkonzeptionen einer Einschränkung: Wie oben dargestellt, verlangt namentlich Fraenkel auf inhaltlich-normativer Ebene einen gewissen materiellen Mindeststandard von allgemein anerkannten Gemeinwohlinhalten. Seine Pluralismustheorie ist somit kein reiner Prozeduralismus.881

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Vgl. Kunz/Mona, Rechtsphilosophie, Rechtstheorie, Rechtssoziologie, S. 165 f. Soweit Schultze, in: Nohlen/Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politik I, S. 137 (142) die Theorie von Rawls als aposteriorisch bezeichnet, weil dieser die Gerechtigkeitsprinzipien aus den Interessen des Einzelnen abzuleiten versuche, sind Zweifel angebracht. 880 Vgl. Böckenförde, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 43 (62 f.). 881 Ladwig, in: Münkler/Bluhm (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn IV, S. 85 (88 Fn. 9). 879

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III. Verfassungstheoretisches Gemeinwohlverständnis Die Unterscheidung von materiellen und formellen Gemeinwohlkonzeptionen bildet eine wesentliche Frage auf der Suche nach einem verfassungstheoretischen882 Verständnis des Gemeinwohlbegriffs. 1. Klassische Gemeinwohlquellen in Gott und Natur Ausgehend von den klassischen Gemeinwohlvorstellungen883 könnte Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG zunächst auf ein dem Staat vorgegebenes materielles Gemeinwohl verweisen, das seine Quelle in Gott oder der Natur hätte. So wird in der Präambel des Grundgesetzes die Achtung vor Gott zum Ausdruck gebracht. Auch naturrechtliche Einflüsse lassen sich ausmachen etwa in der Unantastbarkeit der Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG, dem Bekenntnis zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten gemäß Art. 1 Abs. 2 GG oder in der Gewährleistung von „natürlichen“ Elternrechten gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Bedenken gegen eine Bezugnahme auf Gott oder auf die Natur als Gemeinwohlvorgaben für den Staat folgen zunächst daraus, dass sich religiöse oder naturrechtliche Gemeinwohlinhalte kaum hinreichend bestimmt ermitteln lassen. Entscheidend gegen die unmittelbare Autorität dieser Gemeinwohlquellen spricht vor allem, dass der Staat von Menschenhand verfasst wird.884 Dementsprechend stellt das Grundgesetz nicht Gott oder die Natur in seinen Mittelpunkt, sondern den Menschen, der freilich zugleich als Geschöpf Gottes und als Teil der Natur angesehen werden kann. 2. Autorität des Souveräns Dem Menschen ist ein unbedingter Wille zur Selbstbestimmung gegeben, aus dem sich das Prinzip der Volkssouveränität ableitet. Danach gibt der Mensch in der Gemeinschaft als Volk dem Staat die Verfassung.885 Allein das Volk steht über der Verfassung. 882

v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, S. 127; Häberle, Rechtstheorie 14 (1983), 257 (272 Fn. 68); vgl. zum Begriff der Verfassungstheorie Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie? 883 Siehe oben S. 148 f. 884 Vgl. zur Orientierung des Gemeinwohlbegriffs an der menschlichen Sphäre Morstein Marx, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 32 (33 f.). 885 Vgl. zur verfassungsgebenden Gewalt des Volkes Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 90 – 112; Häberle, AöR 112 (1987), 54 – 92; Heckel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, 1. Aufl. 1995, § 197 Rn. 45 – 85; Henke, Die verfassunggebende Gewalt des deutschen Volkes, insbes. S. 24 – 53; dens., Der Staat 7 (1968), 165 – 182; dens., Der Staat 19 (1980), 181 – 211; Isensee, Das Volk als Grund der Verfassung; Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Aufl. 2004, § 21 Rn. 1 – 37; Leisner, Das Volk; Müller, Fragment (über) Verfassunggebende Gewalt des Volkes; Murswiek, Die verfassunggebende Gewalt nach dem

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a) Verfassungsgebende und verfassungstragende Gewalt Die Autorität des Souveräns wird im Verfassungstext selbst deutlich: Zunächst erkennt das Grundgesetz am Anfang und am Ende des Verfassungstextes die verfassungsgebende Gewalt des Volkes an. So geht die Präambel davon aus, dass sich das deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt die Verfassung des Grundgesetzes gegeben hat. In Art. 146 bestätigt das Grundgesetz, dass das deutsche Volk jederzeit die geltende Verfassung ablösen und eine neue in Kraft setzen kann. Die entscheidende Bedeutung des Souveräns besteht aber nicht für die Schaffung oder Beseitigung der Verfassung, sondern für deren andauernde Geltung.886 Keine Norm vermag ihre Geltung selbst herbeizuführen. Während aber einfachgesetzliche Normen ihren Geltungsgrund letztendlich in der Verfassung finden887, existiert für das Grundgesetz selbst keine höherrangige Grundnorm, von der es seine Geltung ableiten könnte.888 Vielmehr wird hier davon ausgegangen, dass das Grundgesetz gilt, weil der Souverän seine Geltung will. Das Volk erklärt seinen Willen zur Verfassung889 durch konkludentes Verhalten auf mannigfaltige Weise immer wieder neu, insbesondere indem es als Staatsvolk890 die verfasste Staatsgewalt gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG in Wahlen und Abstimmungen sowie mittelbar durch die Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausübt.891 Ferner kann der Wille des Volkes zur Verfassung auch in der öffentlichen Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, insbes. S. 163 – 168; Schneider, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HStR VII, 1. Aufl. 1992, § 158; Steiner, Verfassunggebung und verfassunggebende Gewalt des Volkes, insbes. S. 82 f., 91 f. 886 Zutreffend deutet Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Aufl. 2004, § 15 Rn. 31 die Evokation des Souveräns in der Präambel des Grundgesetzes nicht entstehungsgeschichtlich, sondern legitimatorisch. Die Präambel spiegelt kein historisches Geschehen wider, sondern begründet den Geltungsanspruch des Grundgesetzes. Dementsprechend kann die Verfassungsgebung durch das souveräne Volk mit Leisner, Das Volk, S. 103 f. als staatsrechtliche Fiktion betrachtet werden, denn es kommt allein darauf an, dass das Volk die Verfassung (nachträglich) akzeptiert; vgl. Isensee, in: FS Roellecke, S. 137 (140). 887 Mit der Geltung der Verfassung steht und fällt also die Geltung der gesamten verfassungsmäßigen Rechtsordnung des Staates. 888 Isensee, Das Volk als Grund der Verfassung, S. 9 f. Ein anderes Verständnis vertritt Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 196 f., 200 – 209, 228 – 230, der als Geltungsgrund der Verfassung eine fiktive Grundnorm voraussetzt mit dem Inhalt: „Man soll sich so verhalten, wie die Verfassung vorschreibt.“ (S. 204); s. ablehnend dazu Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 90 (92 f.). 889 Siehe zum Willen zur Verfassung Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, S. 12 f.; dens., Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 44; vgl. auch Denninger, VVDStRL 37 (1979), 7 (24 f.). 890 Siehe unten S. 164 f. 891 Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 90 (104); Heckel, in: Isensee/Kirchof (Hrsg.), HStR VIII, 1. Aufl. 1995, § 197 Rn. 68. Solche tatsächlichen Vorgänge der staatlichen Willensbildung sind zugleich integrierende Funktionen im Sinne von Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 119 (150, 154), sie begründen die geistig-soziale Wirklichkeit des Staates (S. 136 – 138). Denn der Staat ist überhaupt nur vorhanden in den kontinuierlichen Lebens-

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Meinung zum Ausdruck kommen.892 Insgesamt beruht damit die Geltung des Grundgesetzes auf der normativen Kraft der faktischen893 Zustimmung894 des Volkes zur Verfassung.895 Diese Rechtsmacht des Souveräns, die Geltung der Verfassung durch seine fortwährende Zustimmung zu perpetuieren, kann als „verfassungstragende Gewalt“ bezeichnet werden.896 Mit seiner verfassungstragenden Gewalt knüpft das Volk an die Verfassungsgebung an und führt diese fort.897 Während die verfassungsgebende Gewalt des Volkes als zeitlich punktuelles Phänomen erscheint,

äußerungen des Volkes; vgl. auch Heller, Die Souveränität, S. 82; Preuß, Zum staatsrechtlichen Begriff des Öffentlichen, S. 106 – 114. Ferner verhelfen sie der Verfassung zu ihrer Wirksamkeit, die in Übereinstimmung mit Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 9 f. von der Geltung einer Norm unterschieden werden muss. Während Geltung die „spezifische Existenz einer Norm“ als Sollensanordnung meint, bedeutet Wirksamkeit die Seinstatsache, dass die Norm „tatsächlich angewendet und befolgt wird, daß ein der Norm entsprechendes menschliches Verhalten tatsächlich erfolgt.“ 892 Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 90 (104); Heckel, in: Isensee/Kirchof (Hrsg.), HStR VIII, 1. Aufl. 1995, § 197 Rn. 68; s. auch Henke, Die verfassunggebende Gewalt des deutschen Volkes, S. 25, dem allerdings insoweit nicht gefolgt wird, als er meint, dass die Zustimmung des Volkes „in erster Linie“ in der öffentlichen Meinung erkennbar werde; vgl. differenzierend Heller, Staatslehre, S. 173 – 182. 893 Willenserklärungen sind zwar auf die Setzung einer Rechtsfolge gerichtet, gehören aber ihrerseits zu den Seinstatsachen; s. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 215. 894 Das BVerfGE 40, 237 (251) spricht vom „Einverstandensein“ des Bürgers mit dem (verfassten) Staat. 895 Heckel, in: Isensee/Kirchof (Hrsg.), HStR VIII, 1. Aufl. 1995, § 197 Rn. 57; vgl. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 90 (93 f.); Isensee, Das Volk als Grund der Verfassung, S. 35. Siehe zur normativen Kraft des Faktischen Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 337 – 344. Ein anderes Verständnis vertritt Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 196, der ohne Unterschied zwischen der Verfassung und den einfachen Gesetzen meint, dass eine Seinstatsache nicht Geltungsgrund einer Norm sein könne. Ferner geht ders. a. a. O., S. 10 f., 91 f., 215 – 221 davon aus, dass die Geltung einer Norm ein Minimum an Wirksamkeit voraussetze. Demgegenüber wird hier angenommen, dass die Geltung einer Norm unabhängig von deren Wirksamkeit ist. Lediglich auf Verfassungsebene geht mit der Geltung zwangsläufig auch die Wirksamkeit einher, weil beide auf dasselbe zustimmende Verhalten des Volkes zurückzuführen sind. Vgl. auch Heller, Staatslehre, S. 249 – 259, 276 f.; Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, S. 6 – 13. 896 Vgl. Heckel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, 1. Aufl. 1995, § 197 Rn. 58 f., der innerhalb der verfassungsgebenden Gewalt die Verfassungsgebung und die „Verfassungsträgerschaft“ bzw. die Funktion des Volkes als Verfassungsgeber und als „Verfassungsträger“ unterscheidet; ferner Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 90 (94), der die verfassungsgebende Gewalt definiert als „diejenige (politische) Kraft und Autorität, die in der Lage ist, die Verfassung in ihrem normativen Geltungsanspruch hervorzubringen, zu tragen und aufzuheben“ [Hervorhebung nicht im Original]; dens., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 7. 897 Demgegenüber gehen P. M. Huber, in: Sachs (Hrsg.), GG, Präambel Rn. 25 und Kriele, Einführung in die Staatslehre, § 69 (S. 237 – 242) davon aus, dass der demokratische Souverän nach der Verabschiedung einer Verfassung keine Funktion mehr hat.

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ist die Ausübung der verfassungstragenden Gewalt ständige Geltungsvoraussetzung für die Verfassung.898 b) Geltungsanspruch des Gemeinwohls Aus verfassungstheoretischer Sicht stellt sich die Frage nach der Geltung des Gemeinwohls. Zwar lässt sich das Wohl von Menschen als soziologisches Faktum auch losgelöst vom Staat betrachten899 ; als Vorgabe für den Staat muss das Gemeinwohl aber einen rechtlichen Geltungsanspruch entfalten, um den Staat binden zu können.900 Gleichsam wie die Verfassung vermag das normative Gemeinwohl seine Geltung nur vom Volk abzuleiten. Daher vermögen die klassischen Gemeinwohlvorstellungen nicht aus sich heraus den Staat zu binden. Vielmehr hat allein der Souverän die Macht, dem Staat ein rechtsverbindliches Gemeinwohlverständnis vorzugeben.901 3. Rationale Gerechtigkeitsgrundsätze Unter Rückgriff auf die Gerechtigkeitstheorie von Rawls902 ließe sich das Gemeinwohl als materielle Wertordnung verstehen, die aus dem natürlichen Gerechtigkeitsempfinden der Menschen zu ermitteln wäre.903 Indem Rawls die Wertüberzeugungen der Menschen um situationsbedingte Interessen bereinigen will, sucht er nach einer gemeinsamen Vernunft904, die in der menschlichen Natur verankert wäre. Ob eine solche Vernunft überhaupt begründbar ist und ob sich auf ihrer Grundlage die Einigung der Menschen auf eine bestimmte Wertbasis feststellen ließe, muss freilich bezweifelt werden.905 Denn unter Zugrundelegung der Theorie vom Urzustand sind die von Rawls postulierten Gerechtigkeitsgrundsätze nicht die einzig denkbaren.906 898 Vgl. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 90 (99 f.); dens., in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 7; Heckel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, 1. Aufl. 1995, § 197 Rn. 58 f., 68. In Anlehnung an Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 42 (60) lässt sich feststellen, dass die Verfassung von faktischen Voraussetzungen lebt, die sie selbst nicht garantieren kann; so auch Denninger, VVDStRL 37 (1979), 7 (24). 899 Vgl. Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffes „Öffentliches Interesse“, S. 55 – 58. 900 Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 48 (61) verortet das Gemeinwohl „nicht im Bereich des Seienden, sondern des Sein-Sollenden.“ 901 Vgl. M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 79 IV 4 (S. 350), der die Gemeinwohldefinition zu der (positiv-)rechtlich ungebundenen Macht des Souveräns zählt. Siehe auch zur Konkretisierung des Gemeinwohls durch die verfassten Staatsorgane unten S. 172 f. 902 Siehe oben S. 149. 903 Vgl. zum Verhältnis von Gemeinwohl und Gerechtigkeit Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR IV, 3. Aufl. 2006, § 71 Rn. 45. 904 Seelmann, in: Bonvin/Kohler/Sitter-Liver (Hrsg.), Gemeinwohl – Bien commun, S. 3 (9 f.). 905 Vgl. zu den Problemen der objektiven Wertbestimmung Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, S. 67 (85 f.).

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Im Unterschied zu den klassischen Gemeinwohlvorstellungen907 ließe sich ein rationalistisch definiertes Gemeinwohl zwar immerhin theoretisch auf die Gemeinschaft der selbstbestimmten Menschen zurückführen; es könnte aber dennoch keine rechtliche Geltung beanspruchen. Denn Geltung im Rechtssinne kann das Gemeinwohl nur aus der faktischen Zustimmung des Souveräns ableiten, nicht aber aus einem hypothetischen Gesellschaftsvertrag, der tatsächlich nicht existiert. Bedenken bestehen ferner gegen den Richtigkeitsanspruch, den Rawls mit dem von ihm postulierten Einigungsergebnis verbindet. Während seine Theorie darauf abzielt, die einzig richtigen Gerechtigkeitsgrundsätze zu ermitteln und zu begründen, beschränkt sich die verfassungstheoretische Betrachtung grundsätzlich auf das geltende Gemeinwohl. Dabei geht es nicht darum, was der Souverän dem Staat als Gemeinwohl vorgeben soll, sondern maßgeblich ist, was der Souverän als solches bestimmt.908 Insofern stellt sich die Wahrheitsfrage juristisch nicht909, weil die Verfassungstheorie etwas „substantiell bereits Entschiedenes“910 betrachtet911. Freilich lässt sich auch ein primär normatives Gemeinwohlverständnis nicht vollständig von einem inhaltlichen Richtigkeitsanspruch ablösen. Vielmehr geht die Verfassungstheorie davon aus, dass das Recht auf das Ideal der Gerechtigkeit ausgerichtet ist.912 Demnach spricht viel dafür, dass der Souverän seinerseits vorgegebenen Gerechtigkeitsgrundsätzen unterliegt913 und ferner der Begriff der Verfassung Mindestanforderungen an eine staatliche Ordnung in sich birgt914. Als Maßstab für 906 v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, S. 191 f.; Kersting, in: Nohlen/ Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politik I, S. 680 (684 f.). 907 Siehe oben S. 148 f. 908 Im Unterschied zu den statischen Gemeinwohlgrundsätzen von Rawls sind die Gemeinwohlvorgaben des Souveräns dynamisch. Denn der Souverän hat die Macht, seine Gemeinwohlvorgaben jederzeit zu ändern. 909 Häberle, AöR 95 (1970), 260 (261); s. auch Heller, Die Souveränität, S. 47. 910 Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 11 (20). 911 Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie?, S. 54 f. Allerdings hat der Souverän die Macht, seine Gemeinwohlvorgaben zu ändern, während die aus dem Urzustand abgeleiteten Gerechtigkeitsgrundsätze statisch sind. 912 Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie?, S. 55 f. 913 Vgl. BVerfGE 1, 14 (61); 3, 225 (232 f.); Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 90 (108 – 110); Heckel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, 1. Aufl. 1995, § 197 Rn. 82; Heller, Die Souveränität, S. 47 – 51; dens., Staatslehre, S. 222, 255 – 259; Kirchhof, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Aufl. 2004, § 21 Rn. 34, 37; Maurer, in: FS Heckel, S. 821 (828 Fn. 20); Murswiek, Die verfassunggebende Gewalt nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, S. 221 – 226; Schneider, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VII, 1. Aufl. 1992, § 158 Rn. 29, 32 f.; Stern, Staatsrecht I, § 5 I 2 (S. 150 f.); grundlegend Radbruch, SJZ 1946, 105 (107); ferner Osterkamp, Juristische Gerechtigkeit, S. 30 – 57, 169 – 204. Ein anderes Verständnis vertritt Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 201 dem zufolge jeder beliebige Inhalt Recht sein kann. 914 Treffend formuliert die am 26. 08. 1789 von der französischen Nationalversammlung verkündete Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die von der Präambel der geltenden Verfassung der Französischen Republik vom 04. 10. 1958 in Bezug genommen wird, in Art. 16:

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derartige Bindungen des Souveräns kommen neben der Gerechtigkeitstheorie von Rawls und völkerrechtlichen Ansätzen auch religiöse oder naturrechtliche Gemeinwohlvorstellungen915 wieder in Betracht.916 Diesen Grenzen der Macht des Souveräns wird im Folgenden nicht weiter nachgegangen. Denn die – wie auch immer zu bestimmende – Richtigkeit des vom Souverän vorgegebenen Gemeinwohls ist irrelevant, solange dieses nicht in einem derart unerträglichen Maß „unrichtig“ ist, dass ihm die Geltung oder sogar die Rechtsnatur abzusprechen wäre917. Für eine solchermaßen unerträgliche „Unrichtigkeit“ der noch zu erörternden Gemeinwohlvorgaben des deutschen Volkes gibt es aber keinerlei Anhaltspunkte.918 4. Zweck des Staates Die bisherigen Überlegungen führen zu der Feststellung, dass sich das Gemeinwohl im verfassungstheoretischen Sinne nicht aus Gott, aus der Natur oder aus der menschlichen Vernunft ermitteln lässt. Vielmehr nimmt eine verfassungstheoretische Gemeinwohlvorstellung ihren Ausgangspunkt in dem ihr zugrundeliegenden Verständnis der Legitimation von Herrschaft.919 Nach dem Prinzip der Volkssouveränität ist allein das Volk souveräner Träger der Staatsgewalt. Der Staat existiert überhaupt nur in dem Prozess der sich fortwährend erneuernden Lebens-

„Toute société dans laquelle la garantie des droits n’est pas assurée, ni la séparation des pouvoirs déterminée, n’a point de constitution.“ (Eine Gesellschaft, in der die Gewährleistung der Rechte nicht gesichert und die Gewaltenteilung nicht festgelegt ist, hat keine Verfassung.) Vgl. hierzu Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 90 (107 f.); Häberle, AöR 112 (1987), 54 (86 – 89); Heckel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, 1. Aufl. 1995, § 197 Rn. 80 f.; Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Aufl. 2004, § 21 Rn. 28 – 33, 35 f.; Schneider, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VII, 1. Aufl. 1992, § 158 Rn. 30 f. 915 Siehe oben S. 148 f. 916 Vgl. hierzu Kunz/Mona, Rechtsphilosophie, Rechtstheorie, Rechtssoziologie, S. 139 – 159. Siehe auch Art. 1 Abs. 3 der Verfassung für Rheinland-Pfalz v. 18. 05. 1947, GVBl. RP, S. 209: „Die Rechte und Pflichten der öffentlichen Gewalt werden durch die naturrechtlich bestimmten Erfordernisse des Gemeinwohls begründet und begrenzt.“ [Hervorhebung nicht im Original] 917 Vgl. BVerfGE 95, 96 (134 f.) mit Verweis auf Radbruch, SJZ 1946, 105 (107), dem nur insoweit nicht gefolgt wird, als er die Geltung des Rechts mit den darin verkörperten Werten begründet; s. hierzu Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, S. 67 – 91, der eine Wertbegründung des Rechts ablehnt. Vielmehr bleibt es abgesehen von der Gerechtigkeitskontrolle dabei, dass die rechtlichen Gemeinwohlvorgaben gelten, weil der Souverän ihre Geltung will. Werte sind nicht der Grund, sondern die Grenze des Rechts. 918 So dürften die unten S. 169 f. erörterten Gemeinwohlvorgaben etwa mit der von Rawls postulierten Wertbasis weitgehend übereinstimmen; vgl. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, S. 191. 919 Vgl. Böckenförde, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 43 (62): „Gemeinwohlbegriff und Gemeinwohlvorstellungen sind abhängig und inhaltlich geprägt von den Auffassungen über das Um-willen und die Legitimation der politischen Gemeinschaft.“ Siehe hierzu aber auch unten S. 163 f. und 173 – 183.

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äußerungen des Volkes.920 Ausgehend davon, dass jedes den Staat tragende Handeln der Menschen einen Zweck verfolgt, lässt sich der Staat als Zweckeinheit begreifen.921 a) Wohl des Volkes Der Staat wird nicht um seiner selbst willen vom Volk getragen.922 Vielmehr liegt es in der Natur des Menschen, das Beste für sich anzustreben. Gleichermaßen strebt auch ein Volk als menschliche Gemeinschaft nach dem Besten für sich. Dieses Ziel verfolgt der Souverän bei der Ausübung seiner verfassungstragenden Gewalt. Kurzum: Das Volk trägt den Staat zu seinem Wohl. Das Wohl des Volkes ist nicht nur faktischer Beweggrund für die Staatsträgerschaft des Souveräns, sondern vor allem normative Zweckvorgabe für den Staat. Der Staat soll dem Wohl des Volkes dienen. Die erforderliche rechtsverbindliche Geltung für den Staat erlangt das Volkswohl ebenso wie die Verfassung unmittelbar aus der normativen Kraft des faktischen Willens des Souveräns.923 Das Volkswohl gilt dem Staat als Zweck, weil der Souverän dies so will. Demnach bedarf die Geltung des Volkswohls als Staatszweck keiner konstitutiven Anordnung in der Verfassung und wurde im Grundgesetz auch nicht geregelt, sondern vorausgesetzt.924 Denn aus der Volksherrschaft folgt unmittelbar, dass der vom Volk getragene Staat dem Wohle des Volkes dienen soll.925 Deutlich wird die Geltung des Volkswohls als Staatszweck immerhin in dem Amtseid, den der Souverän gemäß Art. 56 Satz 1 GG dem Bundespräsidenten sowie in Verbindung mit Art. 64 Abs. 2 GG dem Bundeskanzler und den Bundesministern auferlegt. Danach schwören das Oberhaupt und die Regierung des Staates, dass sie ihre Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen werden. Vergleichbare deklaratorische Bindungen an das Wohl des Volkes finden sich auch in den Eidesformeln der Verfassungen vieler Bundesländer jeweils für den Ministerpräsidenten und die Landesminister.926 Im Übrigen verpflichtet die Ver920

Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 119 (136); vgl. auch Heller, Die Souveränität, S. 82. 921 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 234; vgl. auch Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 119 (160 – 170). 922 Vgl. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 13 – 15; M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 79 IV 4 (S. 356 f.); s. auch Art. 1 Abs. 1 des Verfassungsentwurfs von Herrenchiemsee, abgedr. in: Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat II, S. 504 (580): „Der Staat ist um des Menschen willen da“. 923 Siehe oben S. 156 – 158. 924 Vgl. Gröschner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 3. Aufl. 2004, § 23 Rn. 41, der das Gemeinwohl allerdings im Republikbegriff des Art. 20 Abs. 1 GG verankert sieht. 925 Vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 5; s. auch Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffes „Öffentliches Interesse“, S. 58. 926 Art. 53 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen v. 28. 06. 1950, GV. NRW., S. 127; Art. 100 der Verfassung für Rheinland-Pfalz v. 18. 05. 1947, GVBl. RP, S. 209; Art. 89 der Verfassung des Saarlandes v. 15. 12. 1947, ABl. SL, S. 1077, i. d. F. des Gesetzes Nr. 1102 v. 04. 07. 1979, ABl. SL, S. 650; Art. 61 der Verfassung des Freistaates Sachsen v. 27. 05. 1992,

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fassung Nordrhein-Westfalens927 die Landtagsabgeordneten zur „Rücksicht auf das Volkswohl“; in Thüringen hat jeder Abgeordnete nach der Landesverfassung928 die Pflicht, „seine Kraft für das Wohl des Landes und aller seiner Bürger einzusetzen.“ Die hessische Verfassung sieht vor, dass die Verfügung über Gemeineigentum und dessen Verwaltung an das Wohl des Volkes gebunden wird.929 Nach den Verfassungen Bremens930, Hessens931 und des Saarlandes932 soll die Wirtschaft dem Wohl des Volkes dienen. In der bayerischen Verfassung933 wird Arbeit als „die Quelle des Volkswohlstandes“ bezeichnet. Die Verfassungen Bayerns934 und Bremens935 normieren eine Treuepflicht aller gegenüber dem Volk. Bemerkenswert speziell mit Blick auf das Eigentumsgrundrecht ist schließlich Art. 51 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung des Saarlandes936 : „Eigentum verpflichtet gegenüber dem Volk.“ Das Wohl des Volkes ist zunächst nur eine abstrakte Idee vom Guten für das Volk. Die Bedeutung des Volkswohls hat der Souverän in der Verfassung konkretisiert. Mit dem Grundgesetz hat der Souverän den Staat zum Wohl des Volkes verfasst. Das Volk trägt die Verfassung nicht bloß in blinder Hoffnung auf sein Bestes, sondern weil es davon ausgeht, dass das Grundgesetz in seiner konkreten Gestalt den Staat so verfasst, dass dieser dem Wohl des Volkes dient.937 Mit der Ausübung seiner verfassungsgebenden und verfassungstragenden Gewalt bringt der Souverän zum AusSächs. GVBl., S. 234; Art. 66 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt v. 16. 07. 1992, GVBl. LSA, S. 600; Art. 28 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein v. 13. 12. 1949 i. d. F. v. 13. 05. 2008, GVBl. SH, S. 223; Art. 71 der Verfassung des Freistaats Thüringen v. 25. 10. 1993, GVBl. TH, S. 625; vgl. Art. 88 der Verfassung des Landes Brandenburg v. 20. 08. 1992, GVBl. Brandenburg, S. 298: Wohl der Menschen des Landes Brandenburg; Art. 38 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg v. 06. 06. 1952, HmbGVBl., S. 117 i. d. F. des Sechsten Gesetzes zur Änderung der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg v. 20. 06. 1996, HmbGVBl., S. 129: Wohl der Freien und Hansestadt Hamburg. 927 Art. 30 Abs. 2 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen v. 28. 06. 1950, GV. NRW., S. 127. 928 Art. 53 Abs. 3 der Verfassung des Freistaats Thüringen v. 25. 10. 1993, GVBl. TH, S. 625. 929 Art. 40 Satz 2 der Verfassung des Landes Hessen v. 01. 12. 1946, Hess. GVBl., 229. 930 Art. 38 Abs. 1 der Verfassung der Freien Hansestadt Bremen v. 21. 10. 1947, Brem. GBl., S. 251. 931 Art. 38 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung des Landes Hessen v. 01. 12. 1946, Hess. GVBl., 229. 932 Art. 43 Abs. 1 der Verfassung des Saarlandes v. 15. 12. 1947, ABl. SL, S. 1077. 933 Art. 166 Abs. 1 der Verfassung des Freistaates Bayern v. 02. 12. 1946, BayGVBl., S. 333 i. d. F. der Bekanntmachung v. 15. 12. 1998, BayGVBl., S. 991. 934 Art. 117 Satz 1 der Verfassung des Freistaates Bayern v. 02. 12. 1946, BayGVBl., S. 333 i. d. F. der Bekanntmachung v. 15. 12. 1998, BayGVBl., S. 991. 935 Art. 9 Satz 1 der Verfassung der Freien Hansestadt Bremen v. 21. 10. 1947, Brem. GBl., S. 251. 936 Verfassung des Saarlandes v. 15. 12. 1947, ABl. SL, S. 1077. 937 Vgl. zur Verfassung als Plan einer guten Ordnung Rinken, Das Öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, S. 259 f.

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druck, dass er das Grundgesetz als Konkretisierung des Volkswohls gelten lassen will. Betrachtet man die Verfassung unter diesem Blickwinkel, so lassen sich zahlreiche Erkenntnisse über das Verständnis des Souveräns von seinem Wohl gewinnen. Als erstes gibt das Grundgesetz Aufschluss über das Verhältnis des Volkswohls zum Wohl der Allgemeinheit. b) Volk und Allgemeinheit Verfassungstheoretischer Grundbegriff ist nach den bisherigen Überlegungen nicht das Gemeinwohl, sondern das Wohl des Volkes. Die Zugehörigkeit zu einem Volk als souveränem Träger eines Staates ist eine vorverfassungsrechtliche Frage938, die mit vielen Unklarheiten behaftet ist und hier nicht im Einzelnen erörtert wird. Für die vorliegende Untersuchung des Volkswohls wird davon ausgegangen, dass sich das souveräne deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden und verfassungstragenden Gewalt im Grundgesetz als Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland konstituiert.939 Das extra-konstitutionelle souveräne Volk940 im politischen Sinne von Nation941 und das Volk als verfasstes Staatsorgan942 sind im Kern dasselbe Volk.943 Im Randbereich dürfte es freilich Unterschiede geben, wobei nur die Mitgliedschaft im Staatsvolk rechtlich verfasst ist und rechtssicher bestimmt werden kann.944 Das Staatsvolk, von dem die Staatsgewalt der Bundesrepublik Deutschland ausgeht, besteht aus den deutschen Staatsangehörigen und denjenigen Personen „deutscher Volkszugehörigkeit“, die nach Maßgabe des Art. 116 Abs. 1 GG gleichgestellt sind 938 Vgl. zum Volk als vorstaatliche und vorrechtliche Größe Grawert, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Aufl. 2004, § 16 Rn. 3; Isensee, in: FS Roellecke, S. 137 (139 f., 146 f.); Stern, Staatsrecht II, § 25 II 2 (S. 20). 939 Hillgruber, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Aufl. 2004, § 32 Rn. 18, 21. 940 Vgl. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 90 (96 f.); Häberle, AöR 112 (1987), 54 (85 f.); Henke, Der Staat 19 (1980), 181 (201); Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Aufl. 2004, § 15 Rn. 119 – 127; dens., Das Volk als Grund der Verfassung, insbes. S. 43 – 48; Leisner, Das Volk, S. 42 – 105; Müller, Fragment (über) Verfassunggebende Gewalt des Volkes, S. 38 – 48; Murswiek, Die verfassunggebende Gewalt nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, S. 32 – 35; Schneider, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VII, 1. Aufl. 1992, § 158 Rn. 18 f. 941 Vgl. Grawert, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Aufl. 2004, § 16 Rn. 12 – 19; Isensee, in: FS Roellecke, S. 137 (146 – 155); dens., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Aufl. 2004, § 15 Rn. 121 – 127; Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 116 – 121. 942 Grawert, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Aufl. 2004, § 16 Rn. 31 f.; Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 426 f., 582 – 590. 943 Vgl. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 90 (104); Hillgruber, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Aufl. 2004, § 32 Rn. 18; Stern, Staatsrecht I, § 5 I 3 (S. 151). 944 Aus der Volkssouveränität folgt das vorverfassungsrechtliche Gebot, dass das Volk als Staatsorgan, das die Staatsgewalt ausübt, mit dem souveränen Volk, das die Verfassung trägt, identisch sein möge. Daher verfügt der verfasste Gesetzgeber bei der Regelung des Staatsangehörigkeitsrechts nur über einen eng begrenzten Gestaltungsfreiraum; vgl. hierzu Hillgruber, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Aufl. 2004, § 32 Rn. 17 – 33; Isensee, in: FS Roellecke, S. 137 (142).

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

(sogenannte Statusdeutsche).945 Danach ist allerdings nicht jeder „deutsche Volkszugehörige“ Mitglied des Staatsvolks der Bundesrepublik Deutschland.946 Unbeschadet der anzunehmenden Unterschiede zwischen Volkszugehörigkeit (Nationalität) und Staatsangehörigkeit haben alle Volksbegriffe gemeinsam, dass sie eine menschliche Gemeinschaft als Legitimationssubjekt der Staatsgewalt beschreiben, wohingegen insbesondere der Begriff der Gesellschaft vorwiegend das Objekt staatlicher Herrschaft bezeichnet.947 In diesem Sinne lässt sich die Allgemeinheit, die den Bezugspunkt des Gemeinwohls bildet, als Gemeinschaft der Herrschaftsunterworfenen verstehen. Im Unterschied zum Staatsvolk gehören zur Allgemeinheit auch die Ausländer im Staatsgebiet, die der Staatsgewalt aufgrund deren Gebietshoheit unterliegen.948 Das Gemeinwohl ist damit nicht auf das Wohl der Staatsangehörigen beschränkt, sondern umfasst das Wohl aller Herrschaftsunterworfenen.949 c) Verknüpfung von Volkswohl und Gemeinwohl Zwar lässt sich aus der Volksherrschaft unmittelbar nur das Volkswohl als Staatszweck ableiten950, die Verpflichtung des Nationalstaats auf das Wohl des Volkes schließt aber nicht aus, dass der Souverän dem Staat auch das Wohl der

945

BVerfGE 83, 37 (51); B. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 4; Grawert, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Aufl. 2004, § 16 Rn. 20, 35 – 39; Isensee, in: FS Roellecke, S. 137 (141 f.); E. Stein, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 20 Abs. 1 – 3 III Rn. 34; Stern, Staatsrecht I, § 8 I 4 (S. 257 f.). 946 Grawert, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Aufl. 2004, § 16 Rn. 26. 947 Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Aufl. 2004, § 15 Rn. 155; vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 26 f.; s. zur Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt von Herrschaft Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 406 f. Aus dem Verständnis der Gesellschaft als Objekt staatlicher Herrschaft folgt, dass die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft Bedingung der individuellen Freiheit ist; vgl. dazu mit Blick auf das Verfassungsrecht des Grundgesetzes Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, S. 209 – 243; mit Blick auf die Staatslehre und Verfassungstheorie dens., Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit; ferner Rupp, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Aufl. 2004, § 31; Hesse, DÖV 1975, 437 – 443. 948 Vgl. Wilms, Staatsrecht I, Rn. 66. Demgegenüber wollen Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffes „Öffentliches Interesse“, S. 93 und Viotto, Das öffentliche Interesse, S. 27 den Begriff der Allgemeinheit auf die Gesamtheit der Staatsangehörigen beschränken; vgl. auch Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 29. 949 Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR IV, 3. Aufl. 2006, § 71 Rn. 32. 950 Vgl. teilweise anders Link, VVDStRL 48 (1990), 7 (19), der es als hergebrachten Grundsatz ansieht, dass die „Herrschaft dem Wohl der Beherrschten und nicht dem der Herrschenden verpflichtet ist“. Allerdings folgt aus der Volkssouveränität zunächst nur, dass die Herrschaft dem Wohl des herrschenden Volkes dienen soll; s. o. S. 161 – 163. Im Ergebnis lässt sich freilich begründen, dass die vom deutschen Volk ausgeübte Herrschaft darüber hinaus auch dem Wohl der beherrschten Allgemeinheit verpflichtet ist; s. sogleich.

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Ausländer im Staatsgebiet als Zweck vorgibt.951 So lässt das deutsche Volk im Grundgesetz und in den Verfassungen der Länder erkennen, dass es sein Wohl mit dem Wohl der von ihm beherrschten Allgemeinheit verknüpft und dabei auch die Ausländer im Staatsgebiet einbezieht.952 aa) Grundgesetz Erkennbar wird die Ausdehnung des Volkswohls auf das Gemeinwohl als Staatszweck bereits im Amtseid, mit dem sich gemäß Art. 56 Satz 1 GG der Bundespräsident und in Verbindung mit Art. 64 Abs. 2 GG die Mitglieder der Bundesregierung nicht nur auf das Wohl des Volkes, sondern auch zu „Gerechtigkeit gegen jedermann“ [Hervorhebung nicht im Original] verpflichten. Ferner finden sich Belege für die Verknüpfung von Volkswohl und Gemeinwohl in den Menschenrechten, zu denen sich das Volk in Art. 1 Abs. 2 GG bekennt und die es jedermann in denjenigen Grundrechten gewährleistet, die keine deutsche Staatsangehörigkeit voraussetzen953. Hervorzuheben ist Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, der jede Benachteiligung oder Bevorzugung wegen der Abstammung, der Rasse, der Sprache oder der Heimat und Herkunft verbietet. Zu den „Jedermann-Grundrechten“ gehört nicht zuletzt auch Art. 14 GG. Daneben findet sich eine Gemeinwohlbindung in Art. 87e Abs. 4 GG. Eine weitere Verknüpfung des Volkswohls mit dem Wohl der Allgemeinheit stellt Art. 25 GG dar, der die allgemeinen Regeln des Völkerrechts für verbindlich erklärt. Schließlich hat das deutsche Volk sein Wohl gemäß Art. 23 GG in besonderer Weise mit dem Wohl aller Bürger der Europäischen Union verbunden. Aufgrund der europäischen Integration ist gemäß Art. 18 Abs. 1 AEUV grundsätzlich jede Diskriminierung von Unionsbürgern aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten, so dass ihnen jedenfalls auch der materielle Schutzgehalt der „Deutschen-Grundrechte“ zusteht. Auch sonst haben Unionsbürger im Geltungsbereich des Grundgesetzes besondere Rechte, insbesondere gemäß Art. 20 Abs. 2 lit. b, Art. 22 AEUV das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament und bei den Kommunalwahlen, wenn sie in Deutschland ihren Wohnsitz haben. Die Teilhabe der Unionsbürger an der demokratischen Willensbildung auf kommunaler Ebene findet sich in Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG verankert.

951 Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR IV, 3. Aufl. 2006, § 71 Rn. 32.; Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 29; vgl. auch Viotto, Das öffentliche Interesse, S. 27 Fn. 75. 952 M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 79 IV 4 (S. 357 f.) bezieht das Gemeinwohl auf die gesamte „Wohnbevölkerung“; vgl. auch Link, VVDStRL 48 (1990), 7 (22), der von den „im Staatsverband lebenden Menschen“ spricht. Die Einbeziehung des Wohls von Ausländern erfordert freilich keine vollständige Gleichstellung, die im Übrigen mit Blick auf die Rechtsstellung des Ausländers in seinem Heimatstaat nicht ohne Überschneidungen von Begünstigungen und Kollisionen von Belastungen realisierbar wäre; vgl. Isensee, in: FS Roellecke, S. 137 (143). 953 Vgl. zur Grundrechtsberechtigung von Ausländern Heintzen, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, § 50.

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

bb) Verfassungen der Länder Noch deutlicher als im Grundgesetz hat das Volk in den Verfassungen der Bundesländer sein Wohl mit dem Wohl der Allgemeinheit verknüpft und insgesamt das Gemeinwohl als Staatszweck vorgegeben. Zunächst sehen auch viele Landesverfassungen als Amtseid der jeweiligen Regierungsmitglieder die Verpflichtung zur „Gerechtigkeit gegen jedermann“954, zur „Gerechtigkeit gegenüber allen“955 oder zur „Gerechtigkeit gegenüber allen Menschen“956 vor. Mit besonderer Klarheit formuliert die bayerische Verfassung957 in Art. 3 Abs. 1: „Bayern ist ein Rechts-, Kultur- und Sozialstaat. Er dient dem Gemeinwohl.“ Ferner lautet Art. 99 Satz 1: „Die Verfassung dient dem Schutz und dem geistigen und leiblichen Wohl aller Einwohner.“ Das Volk des Landes Brandenburg erklärt in der Präambel der brandenburgischen Verfassung seinen Willen, „die Würde und Freiheit des Menschen zu sichern, das Gemeinschaftsleben in sozialer Gerechtigkeit zu ordnen [und] das Wohl aller zu fördern“. Nach der Verfassung Mecklenburg-Vorpommerns958 sollen das Land und seine Kommunen Initiativen fördern, die auf das Gemeinwohl gerichtet sind und der Selbsthilfe sowie dem solidarischen Handeln dienen. In der Präambel der Verfassung Nordrhein-Westfalens ist der Wille niedergeschrieben, „Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand für alle zu schaffen“. In Rheinland-Pfalz formuliert die Landesverfassung in Art. 1 Abs. 2 ausdrücklich: „Der Staat hat die Aufgabe, die persönliche Freiheit und Selbständigkeit des Menschen zu schützen sowie das Wohlergehen des Einzelnen und der innerstaatlichen Gemeinschaften durch die Verwirklichung des Gemeinwohls zu fördern.“ Weiterhin begründet Art. 1 Abs. 3 die Rechte und Pflichten der öffentlichen Gewalt mit den Erfordernissen des Gemeinwohls. Die Verfassung des Saarlandes959 gibt den Gemeinden die „Förderung des Wohls ihrer Einwohner“ als Aufgabe vor. In der Präambel der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt960 steht: „Ziel aller staatlichen Tätigkeiten ist es, das Wohl der Menschen zu fördern“. Nach Art. 82 Abs. 1 Satz 2 954 Art. 88 der Verfassung des Landes Brandenburg v. 20. 08. 1992, GVBl. Brandenburg, S. 298; Art. 53 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen v. 28. 06. 1950, GV. NRW., S. 127; Art. 89 der Verfassung des Saarlandes v. 15. 12. 1947, ABl. SL, S. 1077, i. d. F. des Gesetzes Nr. 1102 v. 04. 07. 1979, ABl. SL, S. 650; Art. 66 der Verfassung des Landes SachsenAnhalt v. 16. 07. 1992, GVBl. LSA, S. 600; Art. 71 der Verfassung des Freistaats Thüringen v. 25. 10. 1993, GVBl. TH, S. 625. 955 Art. 61 der Verfassung des Freistaates Sachsen v. 27. 05. 1992, Sächs. GVBl., S. 234. 956 Art. 28 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein v. 13. 12. 1949 i. d. F. v. 13. 05. 2008, GVBl. SH, S. 223. 957 Verfassung des Freistaates Bayern v. 02. 12. 1946, BayGVBl., S. 333 i. d. F. der Bekanntmachung v. 15. 12. 1998, BayGVBl., S. 991. 958 Art. 19 Abs. 1 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern v. 23. 05. 1993, GVOBl., S. 372. 959 Art. 117 Abs. 2 der Verfassung des Saarlandes v. 15. 12. 1947, ABl. SL, S. 1077, i. d. F. des Gesetzes Nr. 1102 v. 04. 07. 1979, ABl. SL, S. 650. 960 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt v. 16. 07. 1992, GVBl. LSA, S. 600.

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der sächsischen Verfassung961 ist die Landesverwaltung „dem Wohl der Allgemeinheit verpflichtet und dient dem Menschen.“ Die bayerische Verfassung962 sieht ferner vor, dass die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dem Gemeinwohl, insbesondere „der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltung aller Volksschichten“ dienen soll. Das „Wohl des Menschen“ steht nach der Verfassung Nordrhein-Westfalens963 im „Mittelpunkt des Wirtschaftslebens“. Nach der Verfassung Hamburgs964 soll die Stadt ihre Wirtschaft „zur Deckung des wirtschaftlichen Bedarfs aller“ befähigen. Einige Landesverfassungen normieren Grundpflichten für das Gemeinwohl. So ist der Mensch nach der Verfassung BadenWürttembergs965 berufen, seine Gaben „zu seinem und der anderen Wohl zu entfalten.“ Die bayerische Verfassung966 verpflichtet alle dazu, „ihre körperlichen und geistigen Kräfte so zu betätigen, wie es das Wohl der Gesamtheit erfordert.“ Nach der Verfassung Bremens967 hat jeder die Pflicht, „seine Kräfte zum Wohle der Allgemeinheit einzusetzen.“ Die hamburgische Verfassung968 geht davon aus, dass jedermann die „sittliche Pflicht“ hat, „für das Wohl des Ganzen zu wirken.“ Nach der Verfassung in Rheinland-Pfalz969 hat jeder Staatsbürger „seine körperlichen und geistigen Kräfte so zu betätigen, wie es dem Gemeinwohl entspricht.“ Schließlich ist in diesem Zusammenhang erneut auf die Eigentumsbindung gemäß Art. 51 Abs. 1 der Verfassung des Saarlandes970 hinzuweisen: Während Satz 1 aus dem Eigentum eine Verpflichtung „gegenüber dem Volk“ begründet, regelt Satz 2, dass der Gebrauch des Eigentums „nicht dem Gemeinwohl“ zuwiderlaufen darf.

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Verfassung des Freistaates Sachsen v. 27. 05. 1992, Sächs. GVBl., S. 234. Art. 151 Abs. 1 der Verfassung des Freistaates Bayern v. 02. 12. 1946, BayGVBl., S. 333 i. d. F. der Bekanntmachung v. 15. 12. 1998, BayGVBl., S. 991. 963 Art. 24 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen v. 28. 06. 1950, GV. NRW., S. 127. 964 Präambel der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg v. 06. 06. 1952, HmbGVBl., S. 117. 965 Art. 1 Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg v. 11. 11. 1953, GBl. BW, S. 173. 966 Art. 117 Satz 2 der Verfassung des Freistaates Bayern v. 02. 12. 1946, BayGVBl., S. 333 i. d. F. der Bekanntmachung v. 15. 12. 1998, BayGVBl., S. 991. 967 Art. 9 Satz 2 der Verfassung der Freien Hansestadt Bremen v. 21. 10. 1947, Brem. GBl., S. 251. 968 Präambel der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg v. 06. 06. 1952, HmbGVBl., S. 117. 969 Art. 20 der Verfassung für Rheinland-Pfalz v. 18. 05. 1947, GVBl. RP, S. 209 970 Verfassung des Saarlandes v. 15. 12. 1947, ABl. SL, S. 1077. 962

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

5. Grundgesetz als Gemeinwohlverfassung Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass das Volk mit seiner verfassungsgebenden und verfassungstragenden Gewalt nicht nur sein eigenes Wohl, sondern das Wohl aller Menschen verfolgt, die der Herrschaft des Grundgesetzes und der von ihm verfassten Staatsgewalt unterliegen. Daher wird im Folgenden davon ausgegangen, dass das Wohl der Allgemeinheit hinsichtlich seiner Funktion mit dem Volkswohl als Zweck des Staates gleichgesetzt werden kann.971 Ist das Gemeinwohl somit die oberste normative Zweckvorgabe für den Staat972, so folgt daraus die Verpflichtung allen staatlichen Handelns auf das Wohl der Allgemeinheit.973 Mit anderen Worten: „Das Gemeinwohl ist Grund und Grenze allen staatlichen Handelns.“974 Ähnlich wie das Wohl des Volkes bezeichnet das Gemeinwohl zunächst nur eine abstrakte Idee vom Guten für die menschliche Gemeinschaft.975 Mit dem Grundgesetz verfasst der Souverän den Staat zum Wohle der Allgemeinheit und „verfasst“ damit zugleich das Gemeinwohl. Somit lässt sich das Grundgesetz in einem doppelten Sinne als „Gemeinwohlverfassung“976 deuten.s gibt Auskunft darüber, was der Souverän als das Wohl der Allgemeinheit gelten lassen will.977 Denn der Verfassung liegt ein „Gemeinwohlkonsens“ zugrunde.978 „Das Gemeinwohl wird also nicht extra-konstitutionell bestimmt, vielmehr wird es von vornherein von der Verfassung her konkretisiert – es steht ihr nicht etwa gegenüber“.979

971 Vgl. zum Gemeinwohl als Staatszweck BVerfGE 42, 312 (332); Link, VVDStRL 48 (1990), 7 (19); s. auch Bull, NVwZ 1989, 801 (805). Siehe auch Gröschner, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 3. Aufl. 2004, § 23 Rn. 40 – 42, der einen gehaltvollen Republikbegriff als gemeinwohlorientiertes Gestaltungsprinzip entfaltet; ablehnend hierzu H. Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20 (Republik) Rn. 20 – 23. 972 Vgl. zum Wohl des Volkes oben S. 161 – 163. 973 Vgl. BVerfGE 44, 125 (141 f.); 49, 89 (132); 116, 135 (146 f.); 124, 235 (247); Krüper, Gemeinwohl im Prozess, S. 235; Meyer, Gemeinwohlauftrag und föderatives Zustimmungserfordernis – eine Antinomie der Verfassung?, S. 16, 59; Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 21; dens., in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 179 (179). 974 Kotzur, VVDStRL 69 (2010), 173 (184). 975 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR IV, 3. Aufl. 2006, § 71 Rn. 2 f.; s. auch Schultze, in: Nohlen/Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politik I, S. 137 (137), dem zufolge der Gemeinwohlbegriff einen allgemeinen Zweck oder gemeinsame Ziele bzw. Werte benennt, „zu deren Verwirklichung Menschen in einer Gemeinschaft zusammengeschlossen sind.“ 976 Häberle, AöR 95 (1970), 86 (90). 977 Rupp, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 116 (117); Uerpmann, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 179 (180). 978 Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 709; vgl. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 19. 979 Häberle, AöR 95 (1970), 86 (90); vgl. auch dens., Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 724.

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Dennoch müssen die Konkretisierungen des Gemeinwohls in der Verfassung von der Gemeinwohlidee unterschieden werden. Im Unterschied zu den verfassungsrechtlichen Gemeinwohlkonkretisierungen liegt die Idee des Gemeinwohls dem Grundgesetz voraus.980 Sie erlangt ihre Geltung unmittelbar aus dem Willen des Souveräns. Aus dem Grundgesetz lässt sich nur der Rückschluss ziehen, dass das Gemeinwohl vor der Verfassung gilt. Während die Geltung des Gemeinwohls also unabhängig von der Verfassung ist, gelten die Konkretisierungen des Gemeinwohls nach Maßgabe des Grundgesetzes. Vor diesem Hintergrund lässt sich das Gemeinwohl als solches nicht in einer einzigen Verfassungsnorm verorten981, sondern die verfassungsrechtlichen Konkretisierungen des Gemeinwohls setzen sich aus verschiedenen Normen zusammen. a) Wertordnung Zum Gemeinwohl gehört damit zuvörderst die freiheitliche demokratische Grundordnung982, die als wertgebundene Ordnung verstanden wird983. Insbesondere den Grundrechten kommt die Funktion einer Wertordnung zu.984 Konkretisiertes 980

Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR IV, 3. Aufl. 2006, § 71 Rn. 63. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR IV, 3. Aufl. 2006, § 71 Rn. 66 f. Eine andere Auffassung vertritt insoweit Anderheiden, Gemeinwohl in Republik und Union, Kap. 6, der eine Verortung der Gemeinwohlidee in einer einzigen Verfassungsnorm für notwendig hält und diese Norm im Republikprinzip erkennt (a. a. O., Kap. 7); kritisch hierzu H. Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20 (Republik) Rn. 22 Fn. 70; Frankenberg, JZ 2008, 191. Die Beziehungen zwischen Republik und Gemeinwohl erörtert Gröschner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 3. Aufl. 2004, § 23 Rn. 14 – 19, 40 – 44, 53 – 72 mit Verweis insbesondere auf Aristoteles und Cicero. 982 Siehe hierzu Gröschner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 3. Aufl. 2004, § 23 Rn. 72, der die „Republik als Modus einer gemeinwohlorientierten Gestaltung der freiheitlichen Ordnung des Grundgesetzes“ begreift. 983 Grundlegend BVerfGE 2, 1 (12 f.); ferner BVerfGE 5, 85 (204 – 207); 6, 32 (40 f.). Vgl. zu Gemeinwohlgrundwerten und deren Verankerung im Grundgesetz v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 22 – 47; dens., Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, S. 127 – 170. 984 Grundlegend BVerfGE 7, 198 (205); ferner BVerfGE 6, 55 (72); 21, 362 (371 f.); 25, 256 (263); 33, 303 (330); 35, 79 (113); 39, 1 (41); vgl. zur Wertordnungslehre Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 125 – 157; Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 115 (129 – 133); dens. a. a. O., S. 159 – 199; dens., Recht, Staat, Freiheit, S. 67 (87 – 89); Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 155 – 162; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 267 – 269; Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht, S. 65 – 70; Habermas, Faktizität und Geltung, S. 309 – 317; Isensee, NJW 1977, 545 – 551; Jarass, AöR 110 (1985), 363 – 397; Schapp, JZ 1998, 913 – 918; Scherzberg, Grundrechtsschutz und „Eingriffsintensität“, S. 155 – 169; eingehend Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz; dazu Häberle, JR 1974, 487 f. Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 119 (264 f.) sieht den Sinn von Grundrechtskatalogen in der Normierung eines Wert-, Güter- oder Kultursystems; vgl. hierzu Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 53 (70 – 74). Die Bedeutung der Grundrechte als konkretisiertes Gemeinwohl betonen etwa Anderheiden, Gemeinwohl in Republik und Union, S. 67 – 96; Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 355 – 359, 723 f.; Meyer, Gemeinwohlauftrag und föderatives Zustimmungserfordernis – eine Antinomie der Verfas981

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Gemeinwohl sind ferner die Werte, die in den Staatsstrukturprinzipien und in den Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes festgeschrieben sind.985 Diese Wertvorgaben bilden den materiellen Rahmen des Gemeinwohls. Sie sind insoweit statisch, als sie ihren Geltungsanspruch aus der Verfassung ableiten, die vom Souverän getragen wird.986 Einen materiellen Mindeststandard von unverbrüchlichen Gemeinwohlinhalten gewährleistet das Grundgesetz in Art. 79 Abs. 3.987 aa) Offenheit des Gemeinwohls Die verfassungsrechtliche Wertordnung reflektiert nicht erschöpfend den Zweck, den der Souverän mit dem Staat verfolgt.988 Obwohl das Grundgesetz die Idee vom Guten für die Gemeinschaft bereits konkretisiert, ist es unvollständig und noch zu abstrakt, um das Gemeinwohl im Einzelfall bestimmen zu können.989 Das Gemeinwohl ist also darauf angewiesen, dass die Wertordnung des Grundgesetzes in konkreten Lebenssituationen entfaltet und verwirklicht wird. Denn gleichsam wie das Streben nach dem Besten „eine nie endende, sich immer wieder in neuen Formen und unter neuen Aspekten stellende Aufgabe“ ist, kann das Wohl der Allgemeinheit nur „in Anpassung an die sich wandelnden Tatbestände und Fragen des sozialen und politischen Lebens durch stets erneute Willensentschließungen“verwirklicht werden.990 Das Gemeinwohl als Zweck des Staates muss demnach dynamisch und situationsbezogen verstanden werden.991 Es ist zeitlich nicht fixiert, sondern offen für den sung?, S. 24 – 47; Schultze, in: Nohlen/Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politik I, S. 137 (139); Schuppert, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 19 (40 – 42); Uerpmann a. a. O., S. 179 (180 f.). 985 Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 351 – 354, 723; Meyer, Gemeinwohlauftrag und föderatives Zustimmungserfordernis – eine Antinomie der Verfassung?, S. 47 – 57; Schuppert, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 19 (38 – 40); Uerpmann a. a. O., S. 179 (181 – 184); vgl. Böckenförde, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 43 (63); Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR IV, 3. Aufl. 2006, § 71 Rn. 2 bezeichnet das Gemeinwohl als Inbegriff aller Staatsziele. 986 Vollends statisch sind diese materiellen Gemeinwohlvorgaben allerdings nicht, denn sie unterliegen der Verfassungsänderung sowie der Revolution. 987 Streit, Entscheidung in eigener Sache, S. 106. 988 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR IV, 3. Aufl. 2006, § 71 Rn. 70 f.; Isensee, in: v. Arnim/Sommermann (Hrsg.), Gemeinwohlgefährdung und Gemeinwohlsicherung, S. 95 (102 – 104); Uerpmann, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 179 (185). 989 v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, S. 192 f.; Rupp, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 116 (120). 990 Vgl. zu dieser Anlehnung BVerfGE 5, 85 (197). 991 Vgl. BVerfGE 44, 125 (142), dem zufolge das Gemeinwohl „je und je“ zu bestimmen sei; s. auch Engel, Rechtstheorie 32 (2001), 23 (23 f.). Ohne jeden Situationsbezug ist das

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Wandel der Zeit.992 Die freiheitliche demokratische Grundordnung lehnt die Auffassung ab, dass „die geschichtliche Entwicklung durch ein wissenschaftlich erkanntes Endziel determiniert sei“.993 Vor diesem Hintergrund ist die Offenheit des Gemeinwohls994 nicht nur eine Folge von dessen notwendiger Unbestimmtheit995, sondern vor allem eine zentrale Funktionsbedingung des freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaats996. In diesem Sinne kommt der Offenheit des Gemeinwohls ein Eigenwert zu.997 bb) Unterscheidung von Interpretation und Konkretisierung Die neben der grundgesetzlichen Wertordnung erforderliche weitere Konkretisierung des Gemeinwohls darf allerdings nicht mit einer Interpretation der verfassungsrechtlichen Gemeinwohlvorgaben verwechselt werden.998 „Interpretation ist Inhalts- und Sinnermittlung von etwas Vorgegebenem“, während Konkretisierung „die (schöpferische) Ausfüllung von etwas nur der Richtung oder dem Prinzip nach Festgelegtem“ bedeutet.999 Verfehlt ist die Vorstellung, dass dem Grundgesetz im Wege der Interpretation ein vollständiges Gemeinwohlprogramm entnommen werden kann.1000 Denn das Grundgesetz enthält nur einzelne materielle Konkretisierungen des Gemeinwohls, die weder in der Breite abschließend noch in der Tiefe hinreichend konkret sind. In der Breite bedarf es zusätzlicher Konkretisierungen der Gemeinwohlidee, die neben die bereits in der Verfassung enthaltenen Konkretisierungen treten, und in der Tiefe bedarf es weiterer Konkretisierungen dieser verfassungsrechtlichen Gemeinwohlvorgaben. Die Verfassung darf aber nicht dadurch Gemeinwohl nicht geeignet, als Leitfaden für den Staat zu dienen; vgl. Luhmann, VerwArch 55 (1964), 1 (8). 992 Vgl. Schmidt, Einführung in die Probleme des Verwaltungsrechts, Rn. 328. 993 BVerfGE 5, 85 (197). 994 Böckenförde, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 43 (63) bezeichnet das Gemeinwohl als „offenen normativen Begriff“. 995 Vgl. dazu Mayntz, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn II, S. 111 – 126; Schuppert, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 19 (21 f.); s. auch Engel, Rechtstheorie 32 (2001), 23 (25 – 31). 996 Schuppert, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 19 (24). 997 Engel, Rechtstheorie 32 (2001), 23 (32 f.); Schuppert, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 19 (21 – 24). 998 Eine andere Auffassung vertritt insoweit Häberle, AöR 95 (1970), 260 (291), der „Verfassungsinterpretation als Gemeinwohlkonkretisierung“ begreift; vgl. zum zugrundeliegenden Verständnis von „Verfassungsinterpretation als Konkretisierung“ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 60 – 78. Die Schwächen dieser Auffassung erörtert Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 53 (74 – 80). 999 Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 159 (186) m. w. N. 1000 Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR IV, 3. Aufl. 2006, § 71 Rn. 70 f.; Isensee, in: v. Arnim/Sommermann (Hrsg.), Gemeinwohlgefährdung und Gemeinwohlsicherung, S. 95 (102 – 104).

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ergänzt oder sogar gewandelt werden, dass man das wechselnde Wertbewusstsein und die Wertauffassungen des jeweiligen Zeitgeistes als Interpretationsgrundlage einfließen lässt.1001 b) Staatliche Willensbildung Der Souverän hat die erforderliche weitere Konkretisierung des Gemeinwohls in der Verfassung nicht unmittelbar selbst vorgenommen, sondern an die demokratisch legitimierte Staatsgewalt delegiert, die gemäß Art. 20 Abs. 2 GG vom Volk ausgeht und ausgeübt wird.1002 Zwar bildet das Volk nur in Wahlen und Abstimmungen unmittelbar selbst einen Willen, auch die Willensbildung des formellen Gesetzgebers, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung geht aber mittelbar auf das Volk zurück. Der Staat konkretisiert das Gemeinwohl ausdrücklich oder konkludent in seinen Entscheidungen für die Ziele, die er in den einzelnen Lebenssituationen verfolgt. Solche situationsbezogenen Gemeinwohlentscheidungen beanspruchen Geltung nur für das jeweilige Mal, für das sie getroffen wurden.1003 Die Konkretisierung des Gemeinwohls durch staatliche Zweckverfolgung wird am Beispiel der Zwecke von Grundrechtseingriffen zu verdeutlichen sein.1004 Gemeinwohlkonkretisierungen erfolgen durch alle drei Staatsgewalten und auf allen staatlichen Ebenen.1005 An höchster Stelle stehen zunächst die Gemeinwohlkonkretisierungen mit Verfassungsrang. Sie können durch staatliche Willensbildung nach den Regeln des Grundgesetzes nur vom verfassungsändernden Gesetzgeber geschaffen werden. Im Rang darunter befinden sich die Konkretisierungen des Gemeinwohls durch formelles Gesetz. Die Gemeinwohlkonkretisierungen mit formellem Gesetzesrang stehen schließlich über den Gemeinwohlkonkretisierungen der 1001 Vgl. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 53 (72 f.); dens. a. a. O., S. 115 (130 – 132). 1002 Vgl. Badura, AöR 92 (1967), 382 (386); Isensee, in: v. Arnim/Sommermann (Hrsg.), Gemeinwohlgefährdung und Gemeinwohlsicherung, S. 95 (100); Link, VVDStRL 48 (1990), 7 (25 f.); Rupp, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 116 (118 f.); Uerpmann, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 179 (185 f.); anders Meyer, Gemeinwohlauftrag und föderatives Zustimmungserfordernis – eine Antinomie der Verfassung?, S. 59 – 105, der ein geschlossenes Gemeinwohlverständnis vorschlägt, das auf die verfassungsrechtlichen Gemeinwohlkonkretisierungen beschränkt ist; s. dazu unten S. 189 f. 1003 Engel, Rechtstheorie 32 (2001), 23 (23). 1004 Siehe unten S. 185 – 194. 1005 Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 709. Vgl. Gröschner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 3. Aufl. 2004, § 23 Rn. 53 – 72, der die Konkretisierung des Gemeinwohls in „Amtsrechtsverhältnissen“ betrachtet, wobei er a. a. O., Rn. 55 wie folgt definiert: „Amtsrechtsverhältnisse sind Rechtsverhältnisse des öffentlichen Rechts, in denen Amtswalter aufgrund der ihnen durch die Verfassung zugewiesenen Funktionen der gesetzgebenden, vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt und nach Maßgabe ihrer Zuständigkeiten, Aufgaben und Befugnisse das Gemeinwohl in generellen und individuellen, normativen und faktischen Entscheidungen gegenüber dem Bürger – einem, mehreren oder der Gesamtheit – konkretisieren.“

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exekutiven und der judikativen Gewalt, denn diese Gewalten sind gem. Art. 20 Abs. 3 GG an die formellen Gesetze gebunden. c) Zusammenwirken von Recht und Politik Ausgehend vom Verständnis des Grundgesetzes als Gemeinwohlverfassung lässt sich nun die Position des Gemeinwohls im Verhältnis von Recht und Politik bestimmen.1006 Betrachtet man die Verfassung isoliert als oberstes Gesetz des Rechtssystems, so lässt sich die Bedeutung des Gemeinwohls nicht vollständig erfassen. Denn als systeminterner Begriff des Verfassungsrechts zerfällt das Gemeinwohl in die Komponenten der Wertordnung und der staatlichen Willensbildung, die beide selbst im Grundgesetz verankert sind und eigenständige Geltung beanspruchen. Die darüber hinausgehende Bedeutung des Gemeinwohls erschließt sich erst vor dem Hintergrund der strukturellen Kopplung von Rechtssystem und Politiksystem durch die Verfassung1007. Verfassung muss verstanden werden als „ein positives Gesetz, das das positive Recht selbst begründet und von daher bestimmt, wie politische Macht organisiert und in Rechtsform mit rechtlich gegebenen Beschränkungen ausgeübt werden kann.“1008 Verfassungsrecht ist auch „politisches Recht, genauer: Recht für das Politische.“1009 Die Verfassung ist also nicht nur oberstes Gesetz des Rechtssystems, sondern auch ein Instrument der Politik für das Politiksystem.1010 Dabei stellt der Staat keine politisch-rechtliche Einheit dar, sondern Politik und Recht sind verschiedene Systeme, die getrennt operieren.1011 Der Staat muss als organisierte Entscheidungs- und Wirkungseinheit1012 begriffen werden, in der sich Politik und Recht laufend begegnen, ohne dass die Unterscheidbarkeit der beiden Systeme beeinträchtigt wäre.1013 Die Verfassung ist die Rechtsordnung des politischen Lebens, in dem der Staat seine Lebenswirklichkeit hat.1014 Sie hat die Funktion, die wechselseitige Beeinflussung von Recht und Politik zu ordnen.1015 Aus den Anforderungen der strukturellen Kopplung von Rechtssystem und Politiksystem erklären sich die Norminhalte der Verfassung, namentlich die Wertordnung einschließlich des 1006

Vgl. zum Verhältnis von Politik und Verwaltungsrecht Schmidt, Einführung in die Probleme des Verwaltungsrechts, Rn. 327. 1007 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft II, S. 782 f. 1008 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 472 m. w. N. 1009 Stern, in: FS 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, S. 845 (857). 1010 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 478. Vgl. zum spezifischen Politikbezug des Staatsrechts Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 11 (15 f.). 1011 Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, S. 390 f.; vgl. zur Unterscheidung von Rechtssystem und Politiksystem auch dens., Das Recht der Gesellschaft, S. 407 – 439. 1012 Heller, Staatslehre, S. 228 – 237. 1013 Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, S. 392. 1014 Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 119 (189). 1015 Vgl. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 470.

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Grundrechtskatalogs auf der einen Seite und die Organisation der staatlichen Willensbildung auf der anderen Seite.1016 Die Positionsbestimmung des Gemeinwohls im Verhältnis von Recht und Politik nimmt ihren Ausgangspunkt darin, dass der Souverän dem Staat das Gemeinwohl als Zweck vorgegeben hat und dass sowohl das Rechtssystem als auch das Politiksystem zum Staat gehören. Begreift man nun nicht das Gemeinwohl, sondern die Legitimität als Kontingenzformel des Politiksystems1017 und lehnt man zugleich eine Verschiebung der Gemeinwohlverantwortung in das Rechtssystem ab1018, so ist im Ergebnis kein Teilsystem der Gesellschaft allein für das Gemeinwohl zuständig. Vielmehr fällt das Gemeinwohl in die Aufgabenzuständigkeit der Gesellschaft als Gesamtsystem1019 und stellt somit die Kontingenzformel der Intersystemkompatibilität dar. Als Konsequenz der heutigen Ausdifferenzierung der Teilsysteme sind deren wechselseitige Beziehungen gesamtgesellschaftlich betrachtet von zunehmender Wichtigkeit. Im Folgenden beschränkt sich die Betrachtung auf die Bestimmung des Gemeinwohls im Verhältnis von Politik und Recht.1020 Dabei behält das Rechtssystem zwar einen maßgeblichen Anteil, kann aber die Konkretisierung des Gemeinwohls nicht alleine leisten. Ebenso wenig lässt sich das Gemeinwohl ausschließlich anhand politischer Opportunität bestimmen.1021 Ausgehend davon, dass das Grundgesetz den Staat zum Wohl der Allgemeinheit verfasst, soll vor allem das Zusammenwirken von Politik und Recht dem Gemeinwohl dienen. Mit anderen Worten: Die Verfassung koppelt Recht und Politik zum Wohl der Allgemeinheit. Für das Politiksystem ist das Recht ein Instrument zur Verwirklichung politischer Ziele. Das Politiksystem benutzt dazu die im Recht vorgesehenen Formen der staatlichen Willensbildung. Dabei wird das Politiksystem vom Rechtssystem unter dem Code rechtmäßig/rechtswidrig beobachtet.1022 Das Rechtssystem operiert mit diesem Code, um zu bestimmen, was gilt. Unter dem Code rechtmäßig/rechtswidrig bewertet das Rechtssystem also die Geltung von Gemeinwohlkonkretisierungen, kann aber nicht über deren Legitimität entscheiden. Verbindet man nun die Kategorie 1016

Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, S. 391 f. Siehe oben S. 151 – 153. 1018 Vgl. dazu Fischer, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 65 (82). 1019 Horster, in: Brugger/Kirste/Anderheiden (Hrsg.), Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, S. 245 (251). 1020 Nicht unbedeutend für das Gemeinwohl sind freilich auch andere strukturelle Kopplungen, die hier nicht erörtert werden. Zu denken ist etwa an das Zusammenwirken von Politik und Wirtschaft, s. dazu Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, S. 382 – 388, sowie von Recht und Wirtschaft, s. dazu dens., Das Recht der Gesellschaft, S. 452 – 468. Vgl. zu diesen und weiteren strukturellen Kopplungen auch dens., Die Gesellschaft der Gesellschaft II, S. 776 – 788. 1021 Anderheiden, Gemeinwohl in Republik und Union, S. 48. 1022 Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, S. 392. 1017

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der rechtlichen Geltung mit der Legitimität als Kontingenzformel des Politiksystems, so lässt sich die gemeinsame Aufgabenzuständigkeit des Rechtssystems und des Politiksystems für das Gemeinwohl näher beschreiben: Ziel des Zusammenwirkens von Politik und Recht ist die Herstellung von legitimer Geltung des Gemeinwohls. Bevor im Folgenden die Bedeutung der Legitimität betrachtet wird, muss zunächst das Verhältnis von Legitimität und Geltung erörtert werden. aa) Rechtliche Geltung Ähnlich wie das vom Souverän vorgegebene Gemeinwohl sind Gemeinwohlkonkretisierungen durch staatliche Entscheidung in ihrer Geltung grundsätzlich unabhängig von einer – wie auch immer zu bestimmenden – Richtigkeit.1023 Gemeinwohlkonkretisierungen unterhalb der Verfassungsebene gelten, weil und soweit sie auf die Verfassung zurückgehen, die ihrerseits gilt, weil der Souverän ihre Geltung will. Auf diese Weise verleiht der Wille des Volkes zur Verfassung mittelbar allen unterverfassungsrechtlichen Gemeinwohlkonkretisierungen Geltung, die entsprechend den formellen und materiellen Regeln des Grundgesetzes zustande kommen. Maßstab für die Geltung von unterverfassungsrechtlichen Gemeinwohlkonkretisierungen ist somit deren Verfassungs- und Rechtmäßigkeit. bb) Politische Legitimität Vom Geltungsanspruch zu unterscheiden ist die Legitimität der Gemeinwohlkonkretisierungen durch staatliche Entscheidung.1024 Während sich Geltung unmittelbar oder mittelbar vom Willen des Souveräns als Herrschaftssubjekt ableitet, geht es bei der Legitimität um das Objekt der Herrschaft. Legitimität bezeichnet die Anerkennungswürdigkeit von Herrschaft oder zumindest die grundsätzliche Bereitschaft der Herrschaftsunterworfenen zur Hinnahme zukünftiger staatlicher Entscheidungen.1025 Legitimität ist keine Voraussetzung für rechtliche Geltung.1026 Dennoch bedarf jede Gemeinwohlkonkretisierung, die nicht unmittelbar auf das Volk zurückgeht, der

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Vgl. oben S. 158 – 160; ferner Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffes „Öffentliches Interesse“, S. 56. 1024 Vgl. hierzu die Unterscheidung von Rechtssicherheit und Legitimität bei Brugger, in: FS Quaritsch, S. 45 (50 – 56); dems., in: Gosepath/Merle (Hrsg.), Weltrepublik, S. 23 (25 – 29); Brugger, in: Brugger/Kirste/Anderheiden (Hrsg.), Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, S. 17 (22 – 29). 1025 Nohlen, in: Nohlen/Schultze/Schüttemeyer (Hrsg.), Lexikon der Politik VII, S. 350 – 352; vgl. oben S. 151 – 153; s. auch Mandt, in: Nohlen/Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politik I, S. 284 – 298. 1026 Vgl. Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 783, der die Rechtsgeltung eines Gesetzes streng von dessen politischer Bedeutung trennt.

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Legitimation.1027 Denn mit der Delegierung von Entscheidungsmacht über Gemeinwohlkonkretisierungen an den verfassten Staat verbindet der Souverän die Erwartung, dass die staatlichen Konkretisierungen des Gemeinwohls legitim sind. Der Wille des Volkes zur Verfassung, der Geltungsgrundlage der Verfassung und mithin der gesamten Rechtsordnung ist, hängt faktisch davon ab, dass der Souverän die Herrschaft im Ganzen als legitim betrachtet.1028 Es kann davon ausgegangen werden, dass das Volk die Verfassung nur so lange trägt, wie der dadurch verfasste Staat das oberste Ziel verfolgt, das der Souverän ihm vorgibt – also das Gemeinwohl. Will der Verfassungsstaat sich selbst erhalten1029, so muss er den Willen des Volkes zur Verfassung fördern. Hierbei kommt der Legitimität staatlicher Gemeinwohlkonkretisierungen eine herausragende Bedeutung zu. Die Erwartung des Souveräns, dass der Staat legitime Gemeinwohlkonkretisierungen vornimmt, ist keine rechtliche Anforderung an staatliche Entscheidungen. Die Legitimität staatlicher Entscheidungen ist für das Rechtssystem nicht messbar.1030 Allerdings ist die Legitimitätserwartung des Souveräns der tragende Gedanke hinter zahlreichen verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Vorschriften, deren Einhaltung bei der Konkretisierung des Gemeinwohls rechtlich überprüfbar ist. Vor diesem Hintergrund müssen die Mittel zur Erzeugung von Legitimität in ein verfassungstheoretisches Gemeinwohlverständnis einbezogen werden. (1) Mehrheitsprinzip Ein wichtiger Faktor, der die Akzeptanz staatlicher Gemeinwohlkonkretisierungen fördert, ist das Mehrheitsprinzip.1031 Es trägt der Tatsache Rechnung, dass sich der Idealfall von einstimmigen Gemeinschaftsentscheidungen selten verwirklicht.1032 Als Maßstab für Gemeinschaftsentscheidungen muss die legitimierende Kraft des Mehrheitsprinzips freilich dort enden, wo staatliche Entscheidungen einem einzelnen Amtsträger obliegen. Dagegen wird teilweise gefordert, dass der Amtsträger bei der Konkretisierung des Gemeinwohls die jeweilige Mehrheitsauffassung

1027 Vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 11 – 25 zur Notwendigkeit und zu den Formen von Legitimation. 1028 Vgl. Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, S. 8, dem zufolge sich der Geltungsanspruch der Verfassung nicht von den Bedingungen seiner Realisierung, insbesondere nicht von den gesellschaftlichen Anschauungen ablösen lässt. 1029 Vgl. Luhmann, Soziale Systeme, S. 57 – 65 zur Selbstreferenz und Selbstreproduktion (Autopoiesis) von Systemen. 1030 Vgl. Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, S. 123 f., dem zufolge Legitimität als Kontingenzformel für das Rechtssystem „gänzlich ungeeignet“ ist. 1031 Vgl. Isensee, in: FS Roellecke, S. 137 (144, 146); s. zur Konkretisierung des Gemeinwohls durch Mehrheitsbeschluss Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 509 f. Fn. 22. 1032 Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffes „Öffentliches Interesse“, S. 40; Gusy, AöR 106 (1981), 329 (329).

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im Volk zu beachten habe.1033 Eine solche unmittelbare Rückbindung der Verwaltung an das Volk ist aber mit der repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes nicht vereinbar.1034 Die Legitimation von Einzelentscheidungen der Verwaltung vollzieht sich über das Parlament, das mit seiner Mehrheit nicht nur die Regierung wählt, sondern auch die Gesetze beschließt, die die Entscheidungen der Verwaltung determinieren. Nur auf diesem Wege kann die legitimierende Kraft des Mehrheitsprinzips entfaltet werden, indem man davon ausgeht, dass die wesentlichen Gemeinwohlkonkretisierungen einem formellen Gesetz und mithin dem Parlament vorbehalten sind, das darüber eine Mehrheitsentscheidung trifft. Als Mittel zur Legitimation von Gemeinwohlkonkretisierungen darf das Mehrheitsprinzip nicht verabsolutiert werden.1035 Soweit etwa im römischen Recht die Meinung der Mehrheit kraft Fiktion zur Meinung der Gesamtheit erhoben wurde1036, stellt dies ein unzulässiges Ausblenden der Minderheitsauffassung dar. Ebenso wenig überzeugend ist die Vorstellung, dass die Meinung der Minderheit immer falsch sei.1037 Die Mehrheit ist kein Garant für das Gemeinwohl.1038 Verfehlt ist es daher, in einem Optimismus gegenüber der Zahl zu unterstellen, dass Mehrere besser das Gute fänden als Wenigere.1039 Zweifelhaft ist ferner die Annahme, dass die Minderheit aus ethischen oder rechtlichen Gründen verpflichtet sei, die Meinung der Mehrheit zu übernehmen oder sich der Mehrheitsentscheidung zu fügen.1040 Allein 1033 Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffes „Öffentliches Interesse“, S. 68, 71, 88; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 193 – 195. 1034 Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 8 f.; vgl. J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/ 2, § 114 I 2 (S. 8 – 10). 1035 Vgl. BVerfGE 44, 125 (141 f.); Engel, Rechtstheorie 32 (2001), 23 (35); s. auch die Kritik von Habermas, Faktizität und Geltung, S. 352 – 358 an einem Demokratiekonzept, das seine Legitimität allein aus der Mehrheitsherrschaft bezieht. 1036 Vgl. Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffes „Öffentliches Interesse“, S. 40. 1037 Vgl. Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffes „Öffentliches Interesse“, S. 40; Link, VVDStRL 48 (1990), 7 (21 f.); s. auch BVerfGE 5, 85 (224); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 154. 1038 Vgl. Schiller, Sämtliche Werke, S. 245 (260): „Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn, Verstand ist stets bei wen’gen nur gewesen. […] Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen, Der Staat muss untergehn, früh oder spät, Wo Mehrheit siegt, und Unverstand entscheidet.“ 1039 So aber Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffes „Öffentliches Interesse“, S. 41; kritisch hierzu Klein, Zum Begriff des öffentlichen Interesses, S. 28, Fn. 96; ferner Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 85 – 93; vgl. zum Ganzen Gusy, AöR 106 (1981), 329 (337 – 341); s. auch Anderheiden, Gemeinwohl in Republik und Union, S. 5 – 13; Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, S. 565 (573). 1040 So aber Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffes „Öffentliches Interesse“, S. 41.

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mit dem Mehrheitsprinzip dürfte sich eine solche Verpflichtung nicht begründen lassen. Immerhin ergibt sich eine „Gehorsamspflicht“ der Minderheit aber aus einem rechtlichen Geltungsanspruch, der sich jedoch nicht allein aus dem Mehrheitsprinzip, sondern insgesamt von der geltenden Verfassung ableitet.1041 Nach alledem darf das Mehrheitsprinzip als Legitimationsfaktor nicht abstrakt und isoliert, sondern nur eingebettet in die Gesamtordnung der Verfassung und ihrer Prozesse verstanden werden.1042 Es ist von großer Bedeutung für die Rückführung von staatlichen Gemeinwohlkonkretisierungen auf den Willen des Volkes, bietet zugleich aber keine alleinige Legitimationsgrundlage, um Anerkennung durch die Minderheit zu begründen. (2) Pluralismus Von besonderer Bedeutung für die Erzeugung von Legitimität ist der Zusammenhang von Mehrheitsprinzip und Pluralismus.1043 Mit Blick auf die Legitimation durch Mehrheitsentscheidung bedeutet Pluralismus zweierlei: Erstens muss die Bildung der Mehrheit flexibel für vielfältige Zusammensetzungen sein, damit die Möglichkeit eines Wechsels der Mehrheit besteht.1044 Vor allem müssen zweitens die Willensbildungsprozesse, die zur Mehrheitsentscheidung führen, offen sein für die Pluralität der verschiedenen Meinungen.1045 Nur so kann sich in der Demokratie ein Wettbewerb von Meinungen um Mehrheiten entfalten.1046 Aus Sicht der Pluralismustheorie gehört das Mehrheitsprinzip zu den statischen Verfahrensregeln für die Konkretisierung des Gemeinwohls.1047 Die Vorstellung, dass sich legitime Gemeinwohlkonkretisierungen – wie von einer unsichtbaren Hand 1041

Vgl. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 386 – 392, der die Gehorsamspflicht gegenüber ungerechten Gesetzen damit begründet, dass das Mehrheitsprinzip Teil einer gerechten Verfassung sei, die man unterstützen müsse. 1042 Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, S. 565 (577). 1043 Gusy, AöR 106 (1981), 329 (334 f.); Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, S. 565 (571); vgl. zur Bedeutung der Pluralismustheorie von Fraenkel (s. o. S. 149 f.) in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 150 f., Fn. 22; Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 17 (Fn. 40); dens., Rechtstheorie 14 (1983), 257 (275 Fn. 76); dens., AöR 95 (1970) 260 (260 f.); dens., Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, S. 308 (239); s. ferner zum Grundgesetz als „Verfassung des Pluralismus“ dens., Verfassung als öffentlicher Prozeß, S. 121 (140 – 152). 1044 Gusy, AöR 106 (1981), 329 (342 – 344); Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 194 – 201; Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 58 f., 60 f.; s. auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 154 – 158. 1045 Gusy, AöR 106 (1981), 329 (334 f.); Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 190 – 194; Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 14, 54 f., 57 f., 61 f.; s. auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 159 – 161; Rinken, Das Öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, S. 261 f.; vgl. zur pluralen Struktur des Volkes dens. a. a. O., S. 254 f. 1046 Vgl. zur Demokratie als Wettbewerbsordnung Hatje, VVDStRL 69 (2010), 135 – 172; Kotzur, VVDStRL 69 (2010), 173 – 226. 1047 Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 326 (354 f.).

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geleitet1048 – als Resultante einer pluralistischen Willensbildung ergeben, sieht sich freilich dem Vorwurf der Gleichgewichtsideologie ausgesetzt. Dieser Vorwurf enthält die Aussage, dass die Pluralismustheorie, die dem Staat Interessenneutralität unterstelle und das Gemeinwohl als Ergebnis des Kräftespiels der Gruppeninteressen betrachte, eine allzu harmonistische Lehre sei.1049 Der Kritik ist zuzugeben, dass strukturelle Machtunterschiede sowie ungleiche Organisations- und Durchsetzungschancen sozialer Gruppen die Legitimität von Gemeinwohlkonkretisierungen in Frage stellen. Dem Vorwurf der Gleichgewichtsideologie kann zunächst dadurch begegnet werden, dass das Gemeinwohl mehr als regulative Idee1050 denn als Resultante und mehr als Aufgabe1051 oder Suche1052 denn als Ergebnis betrachtet wird. So lässt sich das Ziel aller politischen Prozesse in der Herstellung und Sicherung des Gemeinwohls sehen. Um aber zu vermeiden, dass das Gemeinwohl „unter Vergewaltigung der Interessen allzu schwacher und unter Vergewaltigung der Interessen der allumfassenden Gruppe“ konkretisiert wird, ist ferner ein Minimum an generell anerkannten Wertvorstellungen unabdingbar.1053 Legitimierende Kraft kann der Pluralismusgedanke unter der Herrschaft des Grundgesetzes somit nur in Verbindung mit dessen Wertordnung1054 entfalten.

1048

In Anlehnung an Smith, Der Wohlstand der Nationen, Buch IV, Kap. 2 (S. 371); vgl. hierzu Fischer, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 65 (78). 1049 Vgl. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 151 – 163 m. w. N.; Kremendahl, Pluralismustheorie in Deutschland, S. 451; Schultze, in: Nohlen/Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politik I, S. 137 (140 f.); Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, S. 393 – 395; Stolleis, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Aus Politik und Zeitgeschichte, B 3/78, S. 37 (43); s. zur Pluralismuskritik eingehend Kremendahl, Pluralismustheorie in Deutschland, S. 237 – 409; vgl. auch Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 29 – 53. Anderheiden, Gemeinwohl in Republik und Union, S. 15 äußert sich kritisch gegenüber Gemeinwohlkonzeptionen, die auf der „Vorstellung vom guten Ende aller Geschichte“ beruhen. Siehe zur Gefahr des „Gemeinwohlterrors“ Stolleis, VerwArch 65 (1974), 1 (28) mit Blick auf das nationalsozialistische Gemeinwohlmaterial; vgl. hierzu eingehend dens., Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht. 1050 Vgl. Schubert, in: Nohlen/Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politik I, S. 407 (414); s. auch Gröschner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 3. Aufl. 2004, § 23 Rn. 42, 52. 1051 Vgl. Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 326 (356); s. auch Böckenförde, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 43 (62): „Das Gemeinwohl fungiert als Zielbegriff, um das, was Aufgabe der politischen Gemeinschaft bzw. des Staates […] ist und ihre gute Ordnung ausmacht, umzusetzen und zu realisieren.“ [Hervorhebung nicht im Original] 1052 Vgl. Kremendahl, Pluralismustheorie in Deutschland, S. 451. 1053 Fraenkel, Universität und Demokratie, S. 27 f.; s. auch dens., Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 326 (354 – 359). 1054 Siehe oben S. 169 f.

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(3) Diskurs Ein weiterer Legitimationsfaktor, der das Mehrheitsprinzip und den Pluralismusgedanken ergänzt, ist der Diskurs.1055 In Anlehnung an die Diskurstheorie lässt sich die Legitimität von Gemeinwohlkonkretisierungen daran messen, inwieweit der jeweiligen staatlichen Entscheidung ein diskursiver Willensbildungsprozess vorausgegangen ist. Die legitimierende Kraft des Diskurses hängt von der Einhaltung demokratischer Kommunikationsformen ab. Dafür verlangt die Diskurstheorie erstens die Institutionalisierung entsprechender Verfahren und Kommunikationsvoraussetzungen und zweitens das Zusammenspiel der institutionalisierten Willensbildungsprozesse mit informell gebildeten öffentlichen Meinungen.1056 Erforderlich ist eine rechtsstaatliche Verfassungsordnung, die auf dem Prinzip der Volkssouveränität gründet und die einen umfassenden individuellen Rechtsschutz, eine unabhängige Justiz, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, eine gerichtliche und parlamentarische Verwaltungskontrolle sowie die Trennung von Staat und Gesellschaft gewährleistet.1057 Diese statischen Diskursvoraussetzungen1058 sind in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes verankert.1059 (4) Beteiligung am Verfahren Eng verbunden mit dem Diskursgedanken ist die Legitimation von Gemeinwohlkonkretisierungen durch die Beteiligung der Betroffenen am Verfahren der staatlichen Willensbildung1060. Soweit die Konkretisierung des Gemeinwohls durch formelles Gesetz erfolgt, sind die von der Entscheidung Betroffenen freilich regelmäßig nur mittelbar beteiligt.1061 Das Grundgesetz sieht eine Beteiligung des Volkes weitgehend nur in Gestalt der Parlamentswahlen vor.1062 Formal betrachtet entscheidet das Volk dabei nur über Personal, nicht aber über Sachfragen.1063 Unmittelbar beteiligt werden die Betroffenen hingegen regelmäßig an Verfahren von Gerichten oder Verwaltungsbehörden. Während Gerichtsprozesse darauf angelegt 1055 Siehe oben S. 151; vgl. zum diskurstheoretischen Legitimitätsbegriff Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, S. 124 f. 1056 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 361 f. 1057 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 208 f. 1058 Vgl. Joób, in: Bonvin/Kohler/Sitter-Liver (Hrsg.), Gemeinwohl – Bien commun, S. 209 (224 f.). 1059 Vgl. etwa BVerfGE 5, 85 (197 – 200), in dessen Verständnis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sich auch diskurstheoretische Gedanken erkennen lassen. 1060 Vgl. zum Ganzen Luhmann, Legitimation durch Verfahren; Schuppert, in: Münkler/ Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 67 (81 – 84); s. auch Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 54 – 65. 1061 Zu denken ist aber etwa an die Anhörungen der Parlamentsausschüsse. Vgl. zum Verfahren von Wahl und Gesetzgebung Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 137 – 200. 1062 Soweit Abstimmungen vorgesehen sind, handelt es sich um eine unmittelbare Beteiligung am Verfahren. 1063 Gusy, AöR 106 (1981), 329 (331 f.).

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sind, dass die Betroffenen bestimmte Rollen im Verfahren übernehmen1064, erfolgt die Beteiligung an Verwaltungsverfahren etwa durch Anhörung oder durch Antragstellung bei Mitwirkungsbedürftigkeit1065. All diese Beteiligungsformen tragen dazu bei, dass die Bereitschaft der Betroffenen zur Hinnahme einer missbilligten Gemeinwohlkonkretisierung steigt. Neben dem Aspekt der personalen Beteiligung der Betroffenen beruht die legitimierende Wirkung von Verfahren darauf, dass sie in sachlicher Hinsicht die Zahl und Pluralität der einbezogenen Gesichtspunkte erhöhen.1066 So kommt dem Verfahren der Gemeinwohlkonkretisierung die Funktion zu, eine Vielzahl und Pluralität von Gemeinwohlaspekten zu integrieren und zu dem zu synthetisieren, was als Gemeinwohl gelten soll.1067 (5) Politische Betätigung in der Gesellschaft Ein weiterer Legitimationsfaktor für Gemeinwohlkonkretisierungen ist schließlich die politische Betätigung in der Gesellschaft1068. Im Unterschied zur (internen) Beteiligung am Verfahren geht es bei der politischen Betätigung um Einflussnahme auf die staatliche Willensbildung von außen. Während in Verfahren regelmäßig nur ein exklusiver Kreis von Beteiligten einbezogen ist, steht die Einflussnahme durch politische Betätigung jedermann offen. Dadurch wird die Pluralität der Stimmen, die sich zu einer Gemeinwohlkonkretisierung äußern, weiter erhöht. Politische Betätigung zielt darauf, dass öffentliche Meinungen1069 aus der Gesellschaft in einen Diskurs mit dem Staat eintreten.1070 Zugleich lässt sich die Bildung einer öffentlichen Meinung ihrerseits als Diskurs pluralistischer Stimmen verstehen: „Nur die freie öffentliche Diskussion über Gegenstände von allgemeiner Bedeutung sichert die freie Bildung der öffentlichen Meinung, die sich im freiheitlich demokratischen Staat notwendig ,pluralistisch‘ im Widerstreit verschiedener und aus verschiedenen Motiven vertretener, aber jedenfalls in Freiheit vorgetragener Auffassungen, vor allem in Rede und Gegenrede vollzieht.“1071 Die Freiheit der Teilnahme an dieser öffentlichen Diskussion wird für jedermann durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet.1072 1064

Vgl. zur Rollenübernahme Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 82 – 90. Vgl. zur Zuteilung von Kommunikations- und Artikulationschancen Schuppert, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 67 (81 f.) 1066 Vgl. Kriele, Einführung in die Staatslehre, § 7 (S. 25). 1067 Vgl. Schuppert, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 67 (73 – 75). 1068 Vgl. hierzu eingehend J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/2, § 114 (S. 3 – 159). 1069 Siehe zum Begriff der öffentlichen Meinung Heller, Staatslehre, S. 173 – 182. 1070 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 362 spricht vom „Zusammenspiel der institutionalisierten Beratungen mit informell gebildeten öffentlichen Meinungen“. 1071 BVerfGE 12, 113 (125); s. zur Bezugnahme auf den Pluralismus Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 297 (297); vgl. auch Häberle, Rechtstheorie 14 (1983), 257 (273). 1072 BVerfGE 12, 113 (125); s. auch Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 121 zum grundrechtlichen Schutz der öffentlichen Meinungsbildung. 1065

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

Die Macht der öffentlichen Meinung ist auf die Auseinandersetzung mit dem Staat beschränkt. Darüber hinausgehende Herrschaftsansprüche der öffentlichen Meinung sind mit der repräsentativ-demokratischen Ordnung des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren. Für eine autonome Gemeinwohlkonkretisierung durch die öffentliche Meinung1073 bleibt kein Raum.1074 Denn der Souverän hat die Konkretisierung des Gemeinwohls innerhalb der verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Staat delegiert. Indem das Volk die geltende Verfassung trägt, beschränkt es selbst die Macht seiner Meinung. Die eigentliche Volksherrschaft kanalisiert sich im Wesentlichen in den periodischen Parlamentswahlen. Daneben und in der Zwischenzeit ermöglicht die grundrechtlich geschützte1075 Freiheit der politischen Betätigung eine nicht zu unterschätzende Einflussnahme des Volkes auf die staatliche Willensbildung. Zugleich wird die Legitimität staatlicher Gemeinwohlkonkretisierungen dadurch gefördert, dass die Gesellschaft vor der staatlichen Entscheidung hinreichend Gelegenheit zur Bildung und Äußerung einer öffentlichen Meinung hat.1076 (6) Input- und Output-Legitimation Den hier vorgestellten Theorien zur Legitimation von Gemeinwohlkonkretisierungen ist gemeinsam, dass sie sich auf den Input der staatlichen Willensbildung beziehen. Input-Legitimation betrachtet die Bedingungen, unter denen Herrschaftsentscheidungen zustande kommen. Demgegenüber schaut Output-Legitimation auf das Ergebnis der Herrschaftsausübung. Ergänzend zum Output lassen sich auch Outcome und Impact, also die Wirkung von Herrschaft heranziehen. Insoweit spiegelt sich die Legitimität einer staatlichen Entscheidung in der öffentlichen Meinung über die Wirkung der Herrschaftsausübung wider.1077 Dementsprechend ist nicht zuletzt die Wiederwahl oder Abwahl von Entscheidungsträgern ein wesentlicher Indikator für bzw. gegen die Output-Legitimation von Herrschaft.1078 Während Input-Legitimation die „Herrschaft durch das Volk“ betont, stellt Output-Legitimation die „Herrschaft für das Volk“ [Hervorhebungen jeweils im Original] in den Vordergrund.1079 Aus der input-orientierten Perspektive sind staat1073

Vgl. dazu Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 232 (240). Vgl. Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 8 f., 29. 1075 Vgl. zur demokratisch-funktionalen Grundrechtstheorie Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 115 (133 – 136); J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/2, § 114 III 1 (S. 27 – 32); Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 9 – 47; dazu Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 59; Stern, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR V, 2. Aufl. 2000, § 109 Rn. 22 – 27. 1076 Vor diesem Hintergrund wird etwa die Legitimität von formellgesetzlichen Gemeinwohlkonkretisierungen durch eine hinreichend lange „Liegezeit“ im Parlament gesteigert; vgl. dazu Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, S. 414 f., 570 f. 1077 Vgl. Heller, Staatslehre, S. 175 f. 1078 Vgl. Scharpf, Regieren in Europa, S. 22 f. 1079 Scharpf, Regieren in Europa, S. 16; vgl. dens., Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 21 – 28. 1074

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liche Entscheidungen legitim, soweit sie sich von den Meinungen der Gemeinschaftsmitglieder ableiten. Die output-orientierte Perspektive bemisst hingegen die Legitimität von staatlichen Entscheidungen im Grunde danach, wieweit die Herrschaftsausübung das Wohl der Allgemeinheit fördert.1080 Hierin liegt die Erklärung dafür, dass Output-Legitimation von Gemeinwohlkonkretisierungen wenig Sinn hat.1081 Denn es wäre zirkelschlüssig, die Legitimität von Gemeinwohlkonkretisierungen daran zu messen, wieweit diese das Gemeinwohl fördern. Dieses Problem stellt sich bei der input-orientierten Perspektive nicht, denn die Input-Legitimation von Gemeinwohlkonkretisierungen ist unabhängig vom Ausgang der staatlichen Entscheidung. Auch wenn dann mit dem Output des politischen Prozesses die Vermutung der Gemeinwohlhaltigkeit verbunden wird, erkennt die Input-Legitimation aber an, dass es selbst unter Anwendung aller denkbaren Legitimationsfaktoren keine materielle Richtigkeitsgewähr geben kann.1082 d) Synthese von materiellem und formellem Gemeinwohl Indem das Grundgesetz zur Konkretisierung des Gemeinwohls eine Wertordnung und die staatliche Willensbildung regelt, kann es gleichsam als Synthese von materiellen und formellen Gemeinwohlkomponenten angesehen werden.1083 „Inhalte und Verfahren konstituieren eine Verfassung, Inhalte und Verfahren bestimmen das Gemeinwohl.“1084 Die Verfassung „gibt inhaltliche Direktiven für das Gemeinwohl, sie eröffnet aber auch eine Vielfalt von Verfahren zu seiner Konkretisierung“.1085 Während das Gemeinwohl auf der formellen Seite Gegenstand einer offenen Auseinandersetzung ist, enthält es auf der materiellen Seite eine objektive Festlegung, die anhand der grundgesetzlichen Wertordnung bestimmbar bleibt. Für die staatliche Willensbildung, insbesondere für die Gesetzgebung ist die Konkretisierung des 1080

Scharpf, Regieren in Europa, S. 16. Vgl. zur Ablösung der Output-Legitimation von Gemeinwohlkonkretisierungen durch demokratische Input-Legitimation Hofmann, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 25 (30 f.). 1082 Vgl. Häberle, Rechtstheorie 14 (1983), 257 (279 f.); Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR IV, 3. Aufl. 2006, § 71 Rn. 93; Isensee, in: v. Arnim/Sommermann (Hrsg.), Gemeinwohlgefährdung und Gemeinwohlsicherung, S. 95 (99); Link, VVDStRL 48 (1990), 7 (25 f.). 1083 Vgl. hierzu Schuppert, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 19 (39), der materielle Gemeinwohlinhalte und formelle Prozeduren der Gemeinwohlkonkretisierung als „zusammengehörig bzw. einander notwendig entsprechend“ betrachtet; ähnlich Böckenförde, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 43 (62 f.); s. auch Gröschner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 3. Aufl. 2004, § 23 Rn. 71; anders hingegen Anderheiden, Gemeinwohl in Republik und Union, S. 1, der von einer Antinomie materieller und formeller Gemeinwohlbegriffe auszugehen scheint; vgl. hierzu Frankenberg, JZ 2008, 191 (191). 1084 Häberle, Rechtstheorie 14 (1983), 257 (275 f.). 1085 Häberle, Rechtstheorie 14 (1983), 257 (283); ders., Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 784 f. 1081

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

Gemeinwohls innerhalb der verfassungsrechtlich fixierten Rahmenbedingungen variabel.1086 Zwischen der materiellen und der formellen Seite des Gemeinwohls bestehen zahlreiche Wechselbeziehungen, die sich etwa anhand der Grundrechte verdeutlichen lassen: Als Teil der materiellen Wertordnung bilden die Grundrechte zunächst eine Grenze für die staatliche Willensbildung. Zugleich zielen die Grundrechte auf Verwirklichung durch die Grundrechtsträger1087 und bedürfen dazu der Umsetzung durch den Staat. Insoweit sind die Grundrechte gleichsam wie Staatszwecke auch Handlungsaufträge an den Staat, der mit den Mitteln seiner Willensbildung die Entfaltung von grundrechtlicher Freiheit ermöglichen und fördern soll.1088 Schließlich sei auf ein Folgeproblem des hier vertretenen Gemeinwohlverständnisses hingewiesen: „Das Gemeinwohl wird, verfassungsrechtlich gesehen, zur Kompetenz- und Verfahrensfrage, ohne aber aufzuhören, eine material-ethische Frage zu sein.“1089 Das angesprochene Kompetenzproblem1090 betrifft die staatliche Willensbildung als formelle Gemeinwohlkomponente. Die Frage, welche der drei Staatsgewalten im Einzelnen zur Konkretisierung des Gemeinwohls befugt ist, lässt sich nicht aus dem Gemeinwohlbegriff heraus beantworten, sondern richtet sich nach den allgemeinen Kompetenzverteilungsregeln.1091 Dieses Problem wird im Folgenden am Beispiel von Grundrechtseingriffen zu erörtern sein.1092

1086

Scheuner, in: Jakobs (Hrsg.), Rechtsgeltung und Konsens, S. 33 (45). Isensee, in: FS Heckel, S. 739 (745 f.) betont, dass das Gemeinwohl darauf angewiesen ist, dass die Menschen von ihren grundrechtlichen Freiheiten Gebrauch machen; vgl. auch Isensee, in: v. Arnim/Sommermann (Hrsg.), Gemeinwohlgefährdung und Gemeinwohlsicherung, S. 95 (107 – 109). 1088 Vgl. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 159 (187 – 189). 1089 Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Aufl. 2004, § 15 Rn. 130; s. auch Isensee, in: v. Arnim/Sommermann (Hrsg.), Gemeinwohlgefährdung und Gemeinwohlsicherung, S. 95 (98 f.); vgl. Gröschner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 3. Aufl. 2004, § 23 Rn. 69; Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 709; dens., Rechtstheorie 14 (1983), 257 (271); Ryffel, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 13 (27, 30 f.); Stolleis, in: Kunst/ Grundmann, Evangelisches Staatslexikon I, 3. Aufl. 1987, Sp. 1061 (1062). 1090 Vgl. dazu eingehend Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 141 – 267 m. w. N.; s. auch Anderheiden, Gemeinwohl in Republik und Union, S. 13 – 21; Häberle, AöR 95 (1970), 260 (296); Lerche, Verfassungsrechtliche Zentralfragen des Arbeitskampfes, S. 29 f.; Ossenbühl, DÖV 1970, 84 (87); dens., VR 1983, 301 (301 f.); Schnur, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 57 (61 f.); Schuppert, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 67 (75 – 79); Uerpmann a. a. O., S. 179 (186 f.). 1091 M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 79 IV 4 (S. 350). 1092 Siehe unten S. 187 f. 1087

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6. Zweck von Grundrechtseingriffen Die Verpflichtung des Staates auf das Gemeinwohl als obersten Staatszweck1093 gilt auch und zumal, wenn der Staat in Grundrechte eingreift. Aus der umfassenden Gemeinwohlverpflichtung des Staates folgt, dass Grundrechtseingriffe nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig sind.1094 Greift der Staat in Grundrechte ein, ohne dabei einen Gemeinwohlzweck zu verfolgen, so handelt er willkürlich und verfassungswidrig.1095 Als Inbegriff aller Zwecke, die zur Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen in Betracht kommen, umfasst das Gemeinwohl insbesondere auch den Schutz der Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen1096 sowie den Bestand und die Funktionsfähigkeit des Staates.1097 a) Bezugspunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung Die Anforderungen der Gemeinwohlbindung an den Zweck von Grundrechtseingriffen sind zunächst zu trennen von der Rechtfertigungsvoraussetzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips.1098 Mit der Verhältnismäßigkeitsprüfung lässt sich eine Zweck-Mittel-Relation beurteilen1099, indem das Mittel anhand des damit verfolgten Zwecks überprüft wird. Dabei ist die Verhältnismäßigkeit ausschließlich eine Eigenschaft des Mittels. Über die Zulässigkeit des damit verfolgten Zwecks trifft die Verhältnismäßigkeitsprüfung hingegen keine Aussage, vielmehr nimmt sie den Zweck als gegeben hin.1100 Bei der grundrechtlichen Eingriffsrechtfertigung ist das zu überprüfende Mittel der Grundrechtseingriff. Bezugspunkt der Verhältnis1093

Siehe oben S. 168 f. Vgl. BVerfGE 100, 313 (359), dem zufolge mit jedem Grundrechtseingriff ein Gemeinwohlzweck verfolgt werden muss; s. auch M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 79 IV 4 (S. 357 – 364); Schnur, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 57 (71 f.). 1095 Vgl. Gentz, NJW 1968, 1600 (1601 f.); Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 224. 1096 Siehe zur Anerkennung von Interessen Privater als Gemeinwohlzwecke unten S. 207 – 209. 1097 Vgl. M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 79 IV 4 (S. 349, 352, 359). 1098 Siehe auch unten S. 192 f. 1099 Gentz, NJW 1968, 1600 (1601); Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR V, 2. Aufl. 2000, § 111 Rn. 71; Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 19; Michael, in: Heun/Honecker u. a. (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, Neuausgabe 2006, Sp. 2571 (2571); Ossenbühl, JURA 1997, 617 (617); Schnapp, JuS 1983, 850 (854); Wernsmann, NVwZ 2000, 1360 (1362). 1100 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR V, 2. Aufl. 2000, § 111 Rn. 74. Entgegen Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 223 f. ist „die Frage, ob die Verfassung von vornherein aus dem unabsehbaren Umkreis anerkannter Rechtsgüter gewisse Güter als Zielobjekte des gesetzgeberischen Vorgehens ausscheidet“, kein Bestandteil der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Allerdings lassen sich die Anforderungen an den Zweck von Grundrechtseingriffen als „Vorfragen der eigentlichen Verhältnismäßigkeit“ verstehen; vgl. in diesem Sinne Gentz, NJW 1968, 1600 (1601), der a. a. O., S. 1602 betont, dass es für die Anforderungen an den Eingriffszweck noch nicht auf eine Zweck-Mittel-Relation ankommt. 1094

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mäßigkeitsprüfung ist der konkrete Zweck, den der Staat mit dem jeweiligen Eingriff verfolgt.1101 Dabei werden Eigenschaften beurteilt, die der Eingriff im Verhältnis zu seinem Zweck aufweist. Im Einzelnen sind dies die Geeignetheit, die Erforderlichkeit und die Angemessenheit des Eingriffs zur Erreichung des damit verfolgten Zwecks.1102 Stellt das Verhältnismäßigkeitsprinzip nach alledem ausschließlich Anforderungen an den Grundrechtseingriff selbst, so scheidet es als Instrument zur Kontrolle des Eingriffszwecks aus. b) Anforderungen der Gemeinwohlbindung Damit bleibt zu klären, welche Anforderungen die Gemeinwohlbindung an den Zweck von Grundrechtseingriffen stellt. aa) Legitimität und Geltung Indem der Staat zu bestimmten Zwecken in Grundrechte eingreift, nimmt er durch die Auswahl der Eingriffszwecke Gemeinwohlkonkretisierungen vor. Aus der ganzheitlichen verfassungstheoretischen Sicht sollen staatliche Gemeinwohlkonkretisierungen politisch legitim und rechtlich gültig sein. Aus (verfassungs-)rechtlicher Sicht lässt sich aber nur die rechtliche Geltung der Gemeinwohlkonkretisierungen kontrollieren. Verfehlt ist es daher, von Rechts wegen zu verlangen, dass die konkretisierten Gemeinwohlzwecke, die der Staat mit Grundrechtseingriffen verfolgt, legitim sind.1103 Denn das Rechtssystem vermag Legitimität als solche nicht zu messen.1104 Immerhin unterliegen staatliche Gemeinwohlkonkretisierungen aber 1101

M. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 149; vgl. hierzu Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 204 f.; Wernsmann, NVwZ 2000, 1360 – 1364; s. ferner unten Fn. 1135. 1102 Gentz, NJW 1968, 1600 (1603 – 1605); Michael, JuS 2001, 148 (148 – 150); M. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 150 – 157. 1103 So aber BVerfGE 30, 292 (311 f., 318); 39, 210 (236); 77, 84 (107); 80, 137 (159, 162 f.); 82, 60 (102); 92, 140 (152); 92, 365 (403, 406); 93, 362 (370); 94, 268 (289, 291 f.); 96, 189 (198); 100, 59 (92, 99); 100, 313 (359, 373, 398); 110, 274 (297); 109, 279 (335); 111, 115 (139); 113, 167 (232, 259, 264, 266); 115, 1 (17 f.); 118, 1 (22 f.); 120, 378 (427); 121, 69 (89, 91 f., 98), ohne dass das Gericht Anforderungen an die Legitimität von Gemeinwohlzwecken formulieren würde. Dass die Eingriffszwecke „legitim“ sein müssen, verlangen ferner etwa Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, S. 216; Kraft, BayVBl. 2007, 577 (579); Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 223; Michael, JuS 2001, 148 (148 f.); Ossenbühl, JURA 1997, 617 (618); Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 200; Wernsmann, NVwZ 2000, 1360 (1362). BVerfGE 109, 190 (236) bezeichnet sogar einen Grundrechtseingriff als „verfassungsrechtlich legitim“; vgl. dazu Gentz, NJW 1968, 1600 (1602 f.) der Legitimität nicht nur für den Eingriffszweck, sondern ausdrücklich auch für das Mittel eines Grundrechtseingriffs voraussetzt. Demgegenüber lehnt Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, S. 123 f. die Verwendung der Legitimitätsformel im Rechtssystem ab und warnt insoweit vor einer Politisierung der Rechtsprechung insbesondere des Bundesverfassungsgerichts. 1104 Siehe oben S. 175 f. Hingegen hält Engel, in: Brugger/Kirste/Anderheiden (Hrsg.), Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, S. 103 – 172 (insbes. S. 140) verfas-

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zahlreichen Rechtsregeln, die Legitimität erzeugen sollen und deren Einhaltung zugleich in einem rechtlichen Sinne überprüfbar ist.1105 Gemeint sind neben dem Mehrheitsprinzip etwa alle Vorschriften, die auf einen pluralistischen Diskurs zielen, Beteiligungsrechte gewähren oder die Meinungsbildung der Öffentlichkeit ermöglichen. Auch wenn die Erzeugung von Legitimität der tragende Gedanke hinter derartigen Regeln ist, bleiben diese aus Sicht des Rechtssystems doch bloße Rechtsnormen, deren Einhaltung Voraussetzung für die Geltung staatlicher Gemeinwohlkonkretisierungen ist. Eine rechtliche Kontrolle der politischen Legitimität von staatlichen Gemeinwohlkonkretisierungen erfolgt also nur insoweit, als die Erzeugung von Legitimität rechtlich verankert und damit zugleich Geltungsvoraussetzung ist. Staatliche Gemeinwohlkonkretisierungen sind rechtlich gültig, wenn sie mit dem Recht in Einklang stehen, wenn sie also rechtmäßig sind. Gemäß Art. 20 Abs. 3 GG müssen die Gemeinwohlkonkretisierungen der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung mit Gesetz und Recht vereinbar sein, während die Gemeinwohlkonkretisierungen des formellen Gesetzgebers nicht gegen die Verfassung verstoßen dürfen.1106 bb) Vorbehalt des formellen Gesetzes und Bestimmtheitsgebot Die Verteilung der Kompetenzen zur Konkretisierung des Gemeinwohls zwischen dem formellen Gesetzgeber und den übrigen Gewalten regelt in seinem Anwendungsbereich der Vorbehalt des formellen Gesetzes.1107 Danach bedürfen (Grundrechts-)Eingriffe in Freiheit und Eigentum einer formellgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage; ferner müssen alle wesentlichen Entscheidungen vom formellen Gesetzgeber getroffen werden.1108 Angesichts ihrer weitreichenden Bedeutung für die Legitimität der Staatsherrschaft unterliegen die wesentlichen staatlichen Gemeinwohlkonkretisierungen dem Vorbehalt des formellen Gesetzes.1109 Aus alledem folgt, dass die Zwecke von Grundrechtseingriffen vom formellen Gesetzgeber bestimmt werden müssen. Insoweit erfüllt der Vorbehalt des formellen Gesetzes die Funktion, eine größtmögliche Legitimität der Gemeinwohlkonkretisierung zu gesungsrechtliche Aussagen über die Legitimität von Gemeinwohlzwecken für möglich und geboten. 1105 Vgl. M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 79 IV 1 (S. 301 f.). 1106 M. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 149; ders., in: Stern, Staatsrecht III/2, § 79 IV 4 (S. 350 f.). 1107 M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 79 IV 4 (S. 351); vgl. auch Hofmann, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 25 (33 – 36). 1108 Siehe oben S. 32 – 35. 1109 Vgl. Rupp, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 116 (118 – 120); Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 181 – 183; dens., in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 179 (187 f.).

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währleisten. Denn nicht nur ist der formelle Gesetzgeber als einzige Staatsgewalt unmittelbar dem Volk verantwortlich, sondern formelle Gesetzgebungsverfahren entfalten die oben erörterten Legitimationsfaktoren1110 auch in höherem Maße als Verwaltungsverfahren. Der formelle Gesetzgeber ist verpflichtet, sich eine Vorstellung vom Gemeinwohl zu machen1111 und hinreichend konkrete Gemeinwohlzwecke als Eingriffszwecke festzulegen.1112 Dabei ist dem Bestimmtheitsgebot Genüge getan, wenn sich der Zweck aus dem Gesetzestext in Verbindung mit den Gesetzesmaterialien oder zumindest aus dem Zusammenhang ergibt, in dem der Gesetzestext zu dem geregelten Lebensbereich steht.1113 Durch Entscheidung der vollziehenden Gewalt oder der Rechtsprechung darf das Gemeinwohl nur in dem Rahmen konkretisiert werden, den die formellen Gesetze vorgeben.1114 Während sich der Konkretisierungsfreiraum der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung somit maßgeblich nach dem (verfassungsmäßigen und verfassungskonform angewendeten) einfachen Recht richtet, ist der Freiraum des formellen Gesetzgebers zur Konkretisierung des Gemeinwohls deutlich größer. cc) Konkretisierungsfreiraum des formellen Gesetzgebers Der Konkretisierungsfreiraum des formellen Gesetzgebers wird von der Verfassung bestimmt, denn der Gesetzgeber ist gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden. Im Einzelnen ergeben sich die Grenzen der gesetzgeberischen Konkretisierung von Eingriffszwecken aus den jeweils betroffenen Grundrechtsartikeln. (1) Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte Bei Eingriffen in vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte ist der Konkretisierungsfreiraum des Gesetzgebers von vornherein auf die Ausfüllung der verfassungsrechtlichen Gemeinwohlvorgaben beschränkt.1115 Zulässige Eingriffszwecke sind nur solche Gemeinwohlzwecke, die in der grundgesetzlichen Wertordnung 1110

Siehe S. 175 – 183. Vgl. zum Gemeinwohl als Reflexionsgebot Rinken, Das Öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, S. 260 f. 1112 Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaats, S. 290 – 292 spricht von einem „Zweckverdeutlichungsgebot“, das er als normative Vorbedingung aus dem Verhältnismäßigkeitsgebot ableitet. Eine effektive Verhältnismäßigkeitsprüfung setzt als Bezugspunkt einen hinreichend bestimmten Zweck der zu prüfenden Maßnahme voraus. 1113 BVerfGE 65, 1 (54). 1114 Vgl. Gentz, NJW 1968, 1600 (1605); Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaats, S. 133, 143. 1115 Vgl. hierzu Anderheiden, Gemeinwohl in Republik und Union, S. 199 – 201, der die vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte unter einen „verfassungsimmanenten Vorbehalt des Verfolgens kollektiver Güter“ stellen will. 1111

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bereits angelegt sind.1116 Werden demnach die Gemeinwohlzwecke, zu denen in vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte eingegriffen werden darf, im Wesentlichen von der Verfassung selbst bestimmt1117, so darf der Gesetzgeber insoweit aus der Gemeinwohlidee keine neuen Eingriffszwecke konkretisieren, die nicht in der verfassungsrechtlichen Wertordnung enthalten sind. Immerhin bleibt dem Gesetzgeber die Aufgabe und Kompetenz, die Gemeinwohlvorgaben mit Verfassungsrang weiter zu konkretisieren und zu verfolgen. (2) Grundrechte mit Eingriffsvorbehalt Soweit Grundrechte hingegen mit einem Eingriffsvorbehalt versehen sind, ist der formelle Gesetzgeber grundsätzlich nicht darauf beschränkt, nur solche Gemeinwohlzwecke zu konkretisieren und zu verfolgen, die im Grundgesetz bereits angelegt sind. Er ist also nicht nur berechtigt, die grundgesetzliche Wertordnung durch weitere Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Gemeinwohlvorgaben zu vollziehen und auszufüllen. Vielmehr bedeutet die Existenz eines Eingriffsvorbehalts, dass die Verfassung dem Gesetzgeber auch die Kompetenz zuweist, eigenständige Konkretisierungen der Gemeinwohlidee vorzunehmen, die neben die grundgesetzliche Wertordnung treten und diese ergänzen.1118 Demnach sind alle Eingriffszwecke zulässig, die nicht durch die Verfassung ausgeschlossen sind.1119 Während einfache (schlichte) Eingriffsvorbehalte die freie Gemeinwohlkonkretisierung durch den formellen Gesetzgeber nicht beschränken, enthalten viele qualifizierte Eingriffsvorbehalte besondere materielle Anforderungen an die konkreti-

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BVerfGE 28, 243 (261): „Nur kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte sind mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Wertordnung ausnahmsweise imstande, auch uneinschränkbare Grundrechte in einzelnen Beziehungen zu begrenzen.“ Vgl. hierzu Schuppert, in: Schuppert/ Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 19 (37 f.); ferner Michael, JuS 2001, 148 (150); anders insoweit Isensee, in: FS Leisner, S. 359 (388 – 391), der als verfassungsimmanente Schranken neben der Wertordnung des Grundgesetzes auch Rechtswerte aus den Landesverfassungen, europäische und universale Menschenrechtsgehalte sowie ungeschriebene Grenzen der Freiheitsausübung anerkennt. 1117 Vgl. BVerfGE 30, 173 (193). 1118 Vgl. BVerfGE 13, 97 (107); Badura, AöR 92 (1967), 382 (385 f.); Gentz, NJW 1968, 1600 (1602); Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 186; M. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 149; dens., in: Stern, Staatsrecht III/2, § 79 IV 4 (S. 350 f.); Uerpmann, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 179 (185 f.); s. auch oben S. 172 f. Hingegen fordert Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 230 zur Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen „die unmittelbare Verfolgung eines in Verfassungshöhe hinreichend konkretisierten Rechtsguts“, wobei er a. a. O., S. 234 f. offenbar substantiierte Konkretisierungen „der allgemeinen Freiheitsklausel des Art. 2 Abs. 2 GG“ ausreichen lässt. Demnach wären allerdings „allgemeine Organisations- und Ordnungszwecke“ keine zulässigen Eingriffszwecke; s. auch dens. a. a. O., S. 187 – 190. 1119 Gentz, NJW 1968, 1600 (1602); vgl. BVerfGE 98, 218 (246).

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sierten Gemeinwohlzwecke, zu denen Grundrechtseingriffe erfolgen dürfen.1120 Zu nennen sind etwa folgende Vorschriften: Art. 5 Abs. 2 Var. 2 (Jugendschutz), Art. 10 Abs. 2 Satz 2 (Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes), Art. 11 Abs. 2 (Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes; Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen; Schutz der Jugend vor Verwahrlosung; Vorbeugung von strafbaren Handlungen), Art. 13 Abs. 3 Satz 1 (akustische Überwachung zur Verfolgung einer durch Gesetz einzeln bestimmten besonders schweren Straftat), Art. 15 Satz 1 (Vergesellschaftung), Art. 17a Abs. 2 GG (Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung). Ein weiteres Beispiel bildet Art. 102 GG, der Tötungen zu Zwecken der Bestrafung verbietet und damit die Gemeinwohlzwecke beschränkt, die der Gesetzgeber mit Eingriffen in das Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG) verfolgen darf. (3) Politischer Entscheidungsfreiraum Innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen ist die Gemeinwohlkonkretisierung der Zwecke von Grundrechtseingriffen dem formellen Gesetzgeber zur politischen Entscheidung überantwortet.1121 Im Sinne eines Verständnisses der Verfassung als Rahmenordnung des Gemeinwohls ist „die Zuständigkeit zu rechtsschöpferischer Konkretisierung nicht eine konkurrierende von Gesetzgeber und Rechtsprechung“, sondern fällt ausschließlich dem Gesetzgeber zu.1122 Im Rechtssystem können formellgesetzliche Gemeinwohlkonkretisierungen von den Gerichten nur auf die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Anforderungen, nicht aber darauf überprüft werden, ob sie richtig1123 oder vernünftig1124 sind.1125 In Ermangelung von Richtigkeitsmaßstäben kommt auch eine reduzierte Richtigkeitskontrolle, die nur 1120 Gentz, NJW 1968, 1600 (1603); vgl. Michael, JuS 2001, 148 (149); M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 80 V 4 (S. 474 – 476). 1121 Vgl. Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, Rn. 458 – 460; s. auch Engel, Rechtstheorie 32 (2001), 23 (33), der die Definition des Gemeinwohls als „politische Aufgabe“ begreift. 1122 Vgl. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 53 (87). 1123 Vgl. oben S. 175. 1124 Vgl. anders BVerfGE 7, 377 (405); s. auch EGMR (Große Kammer), Urt. v. 21.02.1986 – 8793/79, Série A no 98 – James, Rn. 46: „The Court […] will respect the legislature’s judgment as to what is ,in the public interest‘ unless that judgment be manifestly without reasonable foundation.“ [Hervorhebung nicht im Original] und hierzu Dolzer, in: Merten/ Papier (Hrsg.), HGR VI/1, § 140 Rn. 31. 1125 Demgegenüber geht Grabitz, AöR 98 (1973), 568 (602 – 605) von einer Typik abgestufter Konkretisierungsfreiräume des formellen Gesetzgebers und einer entsprechenden Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht aus. Eine andere Auffassung vertritt ferner Engel, Rechtstheorie 32 (2001), 23 (24), der aus „dem Rangverhältnis von Verfassungsrecht und einfachem Recht […] notwendig die autonome Befugnis des Verfassungsgerichts zur Definition des Gemeinwohls“ folgert.

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danach fragt, ob die politischen Entscheidungen des formellen Gesetzgebers „offensichtlich fehlsam“ sind, nicht in Betracht.1126 Allerdings dürfen formellgesetzliche Gemeinwohlkonkretisierungen ebenso wie die Gemeinwohlvorgaben des Souveräns nicht in einem derart unerträglichen Maß ungerecht sein, dass ihnen die Geltung oder sogar die Rechtsnatur abzusprechen wäre.1127 Sind formellgesetzliche Gemeinwohlkonkretisierungen demnach im Rechtssystem abgesehen von den verfassungsrechtlichen Grenzen und den Mindestanforderungen der Gerechtigkeit nicht überprüfbar, so obliegt die Kontrolle insoweit allein dem Politiksystem, für das die Verfassung auch Verfahren zur Revidierung von Gemeinwohlkonkretisierungen bereithält1128. Diesbezüglich kommt nicht zuletzt den periodischen Parlamentswahlen eine besondere Bedeutung zu. Der dem formellen Gesetzgeber durch die Verfassung eingeräumte politische Entscheidungsfreiraum bei der Konkretisierung des Gemeinwohls hat zur Folge, dass auch die Verfassungsgerichtsbarkeit als Teil des Rechtssystems auf die Kontrolle der verfassungsrechtlichen Grenzen und der Mindestanforderungen der Gerechtigkeit beschränkt ist. Auf diese Weise vermeidet die Verfassung für die Gemeinwohlkonkretisierung eine Dominanz der demokratisch kaum kontrollierbaren Verfassungsgerichtsbarkeit über den formellen Gesetzgeber, der vom Volk gewählt wird und abgewählt werden kann.1129 Es bleibt darauf hinzuweisen, dass der soeben erörterte politische Konkretisierungsfreiraum des formellen Gesetzgebers ausschließlich die Bestimmung von Eingriffszwecken durch Konkretisierung des Gemeinwohls betrifft. Von der fehlenden Überprüfbarkeit der politischen Gemeinwohlkonkretisierung zu trennen ist die Frage, ob der jeweilige Grundrechtseingriff durch den solchermaßen bestimmten Gemeinwohlzweck gerechtfertigt ist.1130 Hierfür prüft das Rechtssystem die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs. Deren Bezugspunkt ist der Eingriffszweck, der für die 1126 Demgegenüber bezieht das BVerfGE 13, 97 (107); 14, 288 (301) die rechtliche Kontrolle auch auf die Bestimmung der Eingriffszwecke; s. ferner Ule, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 125; vgl. zur Gewichtung der Gemeinwohlzwecke sogleich. 1127 Vgl. oben S. 158 – 160. 1128 Häberle, Rechtstheorie 14 (1983), 257 (283); ders., Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 784 f. 1129 Schultze, in: Nohlen/Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politik I, S. 137 (140) ist insoweit zu widersprechen, als er beklagt, dass das Gemeinwohl „in starkem Maße von der demokratisch nicht kontrollierbaren Verfassungsgerichtsbarkeit definiert“ wird. 1130 Vgl. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 189, der betont, dass die Anerkennung der Kompetenz des formellen Gesetzgebers zur Gemeinwohlkonkretisierung der Zwecke von Grundrechtseingriffen nicht dazu führt, dass die Grundrechte einem ungehemmten gesetzgeberischen Zugriff ausgeliefert werden. Denn die Grundrechte lassen sich ohnehin nicht dadurch schützen, dass der Entscheidungsfreiraum des formellen Gesetzgebers beschränkt wird. Vielmehr erfolgt ein wirksamer Grundrechtsschutz durch die Überprüfung der Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen insbesondere anhand des Verhältnismäßigkeitsprinzips; s. dazu sogleich.

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Verhältnismäßigkeitsprüfung als gegeben hinzunehmen ist.1131 Die Gewichtung des Gemeinwohlzwecks1132 obliegt hingegen ebenso wie die Bewertung der Eingriffsintensität und die Abwägung beider Positionen dem Rechtssystem.1133 c) Geltung des Eingriffszwecks als Gemeinwohl Wenn die mit Grundrechtseingriffen verfolgten Zwecke die rechtlichen Anforderungen an die Gemeinwohlkonkretisierung erfüllen, dann gelten sie im Rechtssystem als Gemeinwohl, ohne dass es auf ihre politische Legitimität ankommt. Steht hingegen die Gemeinwohlkonkretisierung nicht mit dem Recht im Einklang, so ist der Eingriffszweck kein gültiger Gemeinwohlzweck, weil ihm das Recht die Geltung als Gemeinwohl verwehrt. Der verfolgte Zweck ist dann nicht geeignet, den Grundrechtseingriff zu rechtfertigen. Diese mangelnde Geeignetheit des Zwecks ist von der Geeignetheit als Teil der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu trennen.1134 Während es bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung unter anderem um die Geeignetheit eines Grundrechtseingriffs als Mittel zur Erfüllung des damit verfolgten Zwecks geht, betrifft die vorgelagerte Gemeinwohlprüfung die Geeignetheit dieses Zwecks zur Eingriffsrechtfertigung.1135 Verfolgt etwa die Verwaltung mit einem Grundrechtseingriff einen Zweck, der außerhalb der formellgesetzlichen Zweckvorgaben liegt, so ist der Eingriff bereits aus diesem Grund rechtswidrig, ohne dass sich die Frage der Verhältnismäßigkeit des

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Siehe oben S. 185 f. Siehe unten S. 193 f. 1133 Vgl. unten S. 219 f. 1134 Vgl. Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 60; K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 84 II 2 (S. 777); s. bereits oben S. 185 f. 1135 Eine andere Auffassung vertritt insoweit Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 75 – 81, der die Gemeinwohlprüfung des Eingriffszwecks mit der Verhältnismäßigkeitsprüfung vermischt, indem er die Geeignetheit eines Eingriffs auf den „Gesetzeszweck“ bezieht; so aber auch M. Ruffert, in: Knack/Hennecke, VwVfG, § 40 Rn. 73 f.; vgl. ferner Kopp/ Ramsauer, VwVfG, § 40 Rn. 29. Dieses Verständnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung ginge ohnehin nur bei exekutiven, nicht aber bei legislativen Grundrechtseingriffen auf, weil der formelle Gesetzgeber nicht an „Gesetzeszwecke“ gebunden ist; vgl. zu dessen Zwecksetzungsfreiraum oben S. 188 – 192. Vielmehr bezieht sich die Geeignetheit im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf den Zweck, den die jeweilige in Grundrechte eingreifende staatliche Stelle mit ihrem Grundrechtseingriff verfolgt. Mit diesem Verständnis lässt sich die Verhältnismäßigkeitsprüfung in gleicher Weise sowohl auf exekutive als insbesondere auch auf legislative Grundrechtseingriffe anwenden. Für Grundrechtseingriffe durch die Verwaltung folgt somit aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, dass die Maßnahme geeignet sein muss „zur Erreichung des Verwaltungszwecks, den die erlassende Behörde verwirklichen will“; so ausdrücklich Weides, Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren, S. 185. Auf den Zweck der gesetzlichen Ermächtigung kommt es hingegen für die Prüfung der Ermessensausübung gemäß § 40 der Verwaltungsverfahrensgesetze und § 114 Satz 1 VwGO an, die insoweit von der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterscheiden ist. 1132

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Eingriffs in Bezug auf den damit verfolgten (unzulässigen) Zweck noch stellt.1136 Dass die Prüfung des Eingriffszwecks von der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu trennen ist, lässt sich in dem genannten Beispiel daran verdeutlichen, dass der Grundrechtseingriff, obwohl die Verwaltung damit einen unzulässigen Zweck verfolgt, durchaus zur Verfolgung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein mag. Auch in der umgekehrten Konstellation ist die Trennung von Gemeinwohlzweck und Verhältnismäßigkeit zu beachten: Wenn die Gemeinwohlprüfung ergibt, dass der Staat mit einem Grundrechtseingriff einen gültigen Gemeinwohlzweck verfolgt, im Anschluss aber die Verhältnismäßigkeitsprüfung zu dem Ergebnis kommt, dass der Eingriff außer Verhältnis zu dem damit verfolgten Gemeinwohlzweck steht, so bleibt es gleichwohl dabei, dass der verfolgte Eingriffszweck als Gemeinwohl gilt. Denn der verfassungsrechtliche Fehler betrifft nicht die Konkretisierung des Gemeinwohls, sondern die Art und Weise der Verfolgung des (gültigen) Gemeinwohlzwecks mittels eines unverhältnismäßigen Eingriffs. d) Gewichtung von Gemeinwohlzwecken Während die Geltung von Eingriffszwecken als Gemeinwohl unabhängig von deren Gewicht ist, kann eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht vorgenommen werden, ohne dass der mit einem Grundrechtseingriff verfolgte Gemeinwohlzweck gewichtet wird. In die erforderliche Gewichtung, die dem Rechtssystem als wertende Entscheidung obliegt1137, fließen zahlreiche Faktoren ein, die hier nicht im Einzelnen erörtert werden. Nicht jeder gültige Gemeinwohlzweck ist geeignet, einen Grundrechtseingriff zu rechtfertigen. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass die eigenständigen Konkretisierungen der Gemeinwohlidee durch den einfachen Gesetzgeber, die neben die grundgesetzliche Wertordnung treten, den verfassungsrechtlichen Gemeinwohlvorgaben im Rang nachstehen.1138 Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass ein besonders belastender Grundrechtseingriff trotz einfachen (schlichten) Eingriffsvorbehalts1139 nur durch Gemeinwohlzwecke mit Verfassungsrang gerechtfertigt werden kann.1140 Ein solches Ergebnis stellt aber keine 1136 Vgl. Gentz, NJW 1968, 1600 (1602); v. Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 90 f., 94. 1137 Siehe unten S. 219 f.; vgl. oben S. 190 – 192. 1138 Vgl. Isensee, in: v. Arnim/Sommermann (Hrsg.), Gemeinwohlgefährdung und Gemeinwohlsicherung, S. 95 (103 f.); M. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 156; zur Bewertung von Rang und Gewicht eines Gemeinwohlzwecks anhand der grundgesetzlichen Wertordnung Schmidt-Aßmann, in: FS Redeker, S. 225 (233 f.). Siehe ferner BVerfGE 7, 198 (215), dem zufolge die grundgesetzliche Wertordnung zugleich eine „Wertrangordung“ ist. Freilich lassen sich die verfassungsrechtlichen und die einfachgesetzlichen Gemeinwohlkonkretisierungen häufig nicht trennscharf abgrenzen; vgl. M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 79 IV 4 (S. 352). 1139 Siehe oben S. 189 f. 1140 Vgl. Grabitz, AöR 98 (1973), 568 (602 f.).

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

Einschränkung des gesetzgeberischen Freiraums zur Gemeinwohlkonkretisierung dar, sondern ist eine Folge der Dynamik des Verhältnismäßigkeitsprinzips, das umso gewichtigere Gemeinwohlzwecke voraussetzt, je belastender der betreffende Grundrechtseingriff ist.1141

D. Folgerungen für die Gemeinwohlbindung der Enteignung Nach diesen Grundlegungen zu einem verfassungstheoretischen Gemeinwohlverständnis kann nun der Frage nachgegangen werden, welche Anforderungen die Gemeinwohlbindung des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG aufstellt. Bei der Prüfung einer Enteignung ist zu differenzieren zwischen den Anforderungen an den Enteignungszweck und den Anforderungen an die Enteignung im Verhältnis zu ihrem Zweck.

I. Anforderungen an den Enteignungszweck Die Anforderungen an die Gemeinwohlkonkretisierung des Enteignungszwecks ergeben sich aus dem für Enteignungen geltenden Eingriffsvorbehalt des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG. 1. Maßgaben des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG Nach Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG sind Enteignungen „nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig“. a) Einfacher (schlichter) Eingriffsvorbehalt Ausgehend von einer umfassenden Bindung aller Grundrechtseingriffe an das Gemeinwohl1142 besagt die Gemeinwohlbindung der Enteignung nichts, was in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes nicht ohnehin gelten würde. Der Gemeinwohlbegriff in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG hat keine spezifisch enteignungsrechtliche Bedeutung1143, sondern stellt lediglich eine „Chiffre“1144 dar, die auf das verfassungstheoretische Gemeinwohlverständnis des Grundgesetzes verweist. Die Ge1141

Vor diesem Hintergrund erklären sich nicht zuletzt die unterschiedlichen Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht an Gemeinwohlzwecke zur Rechtfertigung von Eingriffen in die Berufsfreiheit stellt; s. zur sogenannten Drei-Stufen-Theorie grundlegend BVerfGE 7, 377 (405 – 408); vgl. hierzu Schuppert, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 19 (35 – 37). 1142 Siehe oben S. 185 und zur Verpflichtung allen staatlichen Handelns auf das Gemeinwohl oben S. 168 f. 1143 Siehe unten S. 197. 1144 Vgl. M. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 149.

D. Folgerungen für die Gemeinwohlbindung der Enteignung

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meinwohlvorgaben der grundgesetzlichen Wertordnung und die Kompetenz der staatlichen Willensbildung zur weiteren Gemeinwohlkonkretisierung werden damit zwar in Bezug genommen, gelten aber auch ohne den ausdrücklichen Verweis. Im Übrigen stellt Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG keine eigenständigen Voraussetzungen für die Rechtfertigung von Enteignungen auf. Auch aus der Formulierung mit dem Wort „nur“ lässt sich kein besonderer Bedeutungsgehalt der Gemeinwohlbindung ableiten.1145 Freilich unterscheidet sich der Wortlaut des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG von der Formulierung des Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG, wonach der Gebrauch des Eigentums lediglich „zugleich“ dem Gemeinwohl dienen soll. Der unterschiedliche Wortlaut erklärt sich aber dadurch, dass im Fall der Enteignung ein Grundrechtseingriff an das Gemeinwohl gebunden wird, während bei Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG mit dem Gebrauch des Eigentums die Gewährleistung einer Grundrechtsausübung unter Gemeinwohlvorbehalt gestellt wird. Der Gemeinwohlbegriff erfüllt jeweils eine unterschiedliche Funktion1146, ohne dass daraus auf einen unterschiedlichen Inhalt geschlossen werden könnte.1147 Aufgrund der verschiedenartigen Bezugspunkte des Gemeinwohls lassen sich aus dem Vergleich der beiden Vorschriften keine besonderen Voraussetzungen für die Rechtfertigung von Enteignungen ableiten. Somit erschöpft sich die Bedeutung des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG darin, dass Enteignungen zugelassen werden.1148 Die Norm stellt keine qualifizierten Rechtfertigungsanforderungen auf, die über die für alle Grundrechtseingriffe geltende Gemeinwohlbindung hinausgingen.1149 Folglich ist Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG als einfacher (schlichter) Eingriffsvorbehalt zu verstehen.1150 Mit einer Enteignung darf der Staat demnach alle Zwecke verfolgen, die nach Maßgabe des Grundgesetzes als

1145 Vgl. M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 80 V 4 (S. 475), dem zufolge die textlichen Unterschiede der Zweckbindungen des Grundgesetzes nicht von entscheidender Bedeutung sind. 1146 W. Böhmer, Sondervotum, BVerfGE 56, 249 (274 – 276); v. Brünneck, Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, S. 407 f.; O. Kimminich, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BKGG, Losebl. (Stand: 09/1992), Art. 14 Rn. 392. 1147 H. Rittstieg, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 14/15 Rn. 207. Einen unterschiedlichen Inhalt folgern hingegen etwa Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (240); Kaiser, in: Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Hrsg.), Staat und Privateigentum, S. 5 (45 f.); Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, S. 26. 1148 Siehe zur Funktion des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG als Eingriffsvorbehalt bereits oben S. 119 – 124. 1149 Vgl. unten S. 212 – 214. 1150 Vgl. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 225 Fn. 259. Eine andere Auffassung vertritt insoweit M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 80 V 4 (S. 474 f.), der Art. 14 Abs. 3 Satz 1 als qualifizierten Eingriffsvorbehalt ansieht; s. in diese Richtung auch Leisner, DVBl. 1988, 555 (557). Allerdings finden sich qualifizierte Anforderungen in den Sätzen 2 und 3 des Art. 14 Abs. 3 GG; s. dazu oben S. 126.

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

Gemeinwohl gelten.1151 „Der abstrakte Rechtsbegriff des Gemeinwohls deckt eine Vielfalt von Sachverhalten und Zwecken“.1152 Zulässige Enteignungszwecke sind sowohl die in den verfassungsrechtlichen Gemeinwohlvorgaben angelegten Zwecke als auch solche Gemeinwohlzwecke, die erst durch die staatliche Willensbildung aus der Gemeinwohlidee konkretisiert werden.1153 b) Historischer Anachronismus Nicht die Bindung der Enteignung an das Gemeinwohl ist eine Besonderheit, sondern die Tatsache, dass die Gemeinwohlbindung in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG ausdrücklich formuliert ist, während bei anderen Grundrechten des Grundgesetzes nichts davon zu lesen ist.1154 Freilich besteht für eine schriftliche Fixierung der Gemeinwohlbindung bei jedem einzelnen Grundrecht auch kein Bedürfnis, denn die Bindung aller Grundrechtseingriffe an das Gemeinwohl ist eine allgemeine Regel des Grundgesetzes als Gemeinwohlverfassung. Der ausdrückliche Verweis auf das Gemeinwohl in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG ist somit überflüssig und ohne eigenständige Bedeutung.1155 Für die Formulierung der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlbindung im Grundgesetz gibt es allerdings eine Erklärung aus der Historie der Eigentumsgarantie. Die Bindung der Enteignung an das Gemeinwohl stammt aus einer Zeit, in der die Monarchen ihre Herrschaft von Gottes Gnaden ableiteten1156. Damals wurde 1151 Vgl. Schwerdtfeger, Die dogmatische Struktur der Eigentumsgarantie, S. 32: „Prinzipiell sind es alle Gemeinwohlbelange, welche eine Enteignung rechtfertigen können.“ [Hervorhebung im Original] 1152 BVerfGE 24, 367 (403); vgl. auch BVerfGE 56, 240 (261). 1153 Wenn das BVerfGE 74, 264 (285) insoweit von einem „durch das Grundgesetz vorgegebenen und durch den Gesetzgeber hinreichend festgelegten Ziel“ spricht, ist diese Formulierung zumindest missverständlich. Denn der formelle Gesetzgeber darf aus der Gemeinwohlidee auch solche Enteignungszwecke konkretisieren, die nicht bereits in der grundgesetzlichen Wertordnung angelegt sind; vgl. dazu oben S. 189 f.; s. aber auch Leisner, DVBl. 1988, 555 (557), der das Bundesverfassungsgericht aufruft, die vorgegebenen Ziele in einer Grundsatzentscheidung zu präzisieren oder zumindest „deren Raum und Wesen in Einzelfalljurisprudenz topisch abzustecken.“ 1154 M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 79 IV 4 (S. 344 – 346); Schnur, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 57 (71 f.). 1155 Schnur, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 57 (71). 1156 Vgl. die Präambeln der Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern v. 26. 05. 1818, BayGBl., S. 101, abgedr. in: Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 155 (155); der Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Baden v. 22. 08. 1818, Staatsund Regierungsbl., S. 101, abgedr. in: ders. a. a. O., S. 172 (172); der Verfassungs-Urkunde für das Königreich Württemberg v. 25. 09. 1819, Staats- und Regierungs-Bl., S. 634, abgedr. in: ders. a. a. O., S. 187 (187); der Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Hessen v. 17. 12. 1820, Hess. Regierungsbl., S. 535, abgedr. in: ders. a. a. O., S. 221 (221); der Verfassungsurkunde für das Kurfürstentum Hessen v. 05. 01. 1931, Kurhess. GVS, S. 1, abgedr.

D. Folgerungen für die Gemeinwohlbindung der Enteignung

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verbreitet zugunsten des Grundbesitzes und der Schlösser der Landesherren enteignet.1157 Derartige Enteignungen im ausschließlichen Eigeninteresse der Monarchen sollten durch die enteignungsrechtliche Gemeinwohlbindung in den Verfassungen des deutschen Konstitutionalismus ausgeschlossen werden.1158 Das Gemeinwohl fungierte insoweit als Gegenbegriff zum Eigeninteresse der Monarchen. Diese historische Gemeinwohlbindung wurde von Verfassung zu Verfassung übernommen. Im Unterschied zu den deutschen Staaten des 19. Jahrhunderts wird die Bundesrepublik Deutschland aber nicht von einem Monarchen, sondern vom Volk getragen. Damit ist der Dualismus zwischen dem Monarchen und der Allgemeinheit entfallen. In der Gemeinwohlverfassung des Grundgesetzes hat die Gemeinwohlbindung der Enteignung ihre eigenständige Funktion verloren. Der Verweis auf das Gemeinwohl in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG muss daher als bedeutungsloser Anachronismus betrachtet werden. c) Einbeziehung allgemeiner Rechtfertigungsanforderungen Die im Folgenden erörterten Anforderungen an den Enteignungszweck lassen sich zwar auch der Norm des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG zuschreiben, ergeben sich aber zuvörderst aus der umfassenden Bindung aller Grundrechtseingriffe an das Gemeinwohl und aus der Anwendung allgemeiner Rechtfertigungsanforderungen auf den Grundrechtseingriff der Enteignung. Dementsprechend wird die These verfolgt, dass eine spezifisch enteignungsrechtliche Bedeutung des Gemeinwohlbegriffs in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG nicht existiert1159 und es ihrer auch nicht bedarf.1160 Vielmehr lassen sich aus den allgemeinen Voraussetzungen für die Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen jene Anforderungen ableiten, die verbreitet speziell der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlbindung zugeschrieben werden.1161

in: ders. a. a. O., S. 238 (238); der Verfassungsurkunde für das Königreich Sachsen v. 04. 09. 1831, Sächs. GS., S. 241, abgedr. in: ders. a. a. O., S. 263 (263); der Verfassungsurkunde für den preußischen Staat v. 05. 12. 1848, Pr. GS, S. 375, abgedr. in: ders. a. a. O., S. 484 (484) bzw. der revidierten Verfassung v. 31. 01. 1850, Pr. GS, S. 17, abgedr. in: ders. a. a. O., S. 501 (501). 1157 Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, S. 219. 1158 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 424; H. Rittstieg, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 14/15 Rn. 206; J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 99. 1159 Vgl. schon Layer, Principien des Enteignungsrechtes, S. 190: „Das öffentliche Interesse im Enteignungsrechte kann aber principiell kein anderes sein als überhaupt, und zu einer halbwegs befriedigenden Erklärung seines Wesens wird man daher nur auf Grund allgemeiner Erwägungen gelangen können.“ Siehe auch Schnur, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 57 (71). 1160 So aber Schulte, Eigentum und öffentliches Interesse, S. 70 f., 85 – 87 m. w. N.; vgl. auch Ule, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 125 (129). 1161 Siehe unten S. 202 – 212.

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

2. Adressaten der Gemeinwohlbindung Anders als die qualifizierten Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 Sätze 2 und 3 GG, die ausschließlich das Enteignungsgesetz betreffen1162, knüpft die Gemeinwohlbindung des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG unmittelbar an die Enteignung selbst an. Während im Fall einer Legalenteignung das Enteignungsgesetz mit der Enteignung zusammenfällt, stellt in Vollzugsfällen immer erst der letzte Eingriffsakt, der unmittelbar die Entziehung von Eigentum bewirkt, die Enteignung dar1163. Dem Wortlaut nach würde Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG somit im Fall einer Administrativenteignung lediglich die Verwaltung binden, die mit ihrem Vollzugsakt erst die Enteignung vornimmt. Hingegen richtet sich aber die umfassende Gemeinwohlbindung von Grundrechtseingriffen an alle staatliche Gewalt. Vor allem folgt aus dem allgemeinen Vorbehalt des formellen Gesetzes1164 eine besondere Verantwortung des formellen Gesetzgebers für die Konkretisierung des Gemeinwohls.

3. Gemeinwohlverantwortung des formellen Gesetzgebers Das Grundgesetz hat die Entscheidung von Konflikten zwischen dem Gemeinwohl und den Rechten der Eigentümer nicht selbst getroffen.1165 Dazu ist der Gemeinwohlbegriff viel zu abstrakt; er bedarf erst der Konkretisierung.1166 Die Bestimmung von Enteignungszwecken durch Konkretisierung des Gemeinwohls1167 hat die Verfassung dem formellen Gesetzgeber überantwortet.1168 Die Gemeinwohlverantwortung des formellen Gesetzgebers besteht aber nicht etwa in dem bloßen Vollzug verfassungsrechtlicher Vorgaben, sondern muss vielmehr als politischer Entscheidungsfreiraum1169 begriffen werden.1170 Der formelle Gesetzgeber ist

1162

Vgl. oben S. 126. Siehe oben S. 97 f. 1164 Siehe oben S. 187 f. 1165 So aber W. Böhmer, Sondervotum, BVerfGE 56, 249 (270). 1166 BVerfGE 24, 367 (403). 1167 BVerwGE 19, 171 (172): „Der verfassungsrechtliche Begriff des Wohles der Allgemeinheit wird durch die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen konkretisiert.“ BVerfGE 24, 367 (403 f.): „Diese Gesetze fixieren den Gemeinwohlbegriff auf konkrete Sachbereiche.“ 1168 BVerfGE 56, 240 (261); Battis/Otto, DVBl. 2004, 1501 (1504); J. Berkemann, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 597, 611 f.; Dietlein/Riedel, in: FS Schnapp, S. 65 (69); Labbé, AnwBl. 1989, 530 (530); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 57; Nüßgens/Boujong, Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, Rn. 348; Osterloh, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 55 Rn. 121; SchmidtAßmann, NJW 1987, 1587 (1589); R. Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 158; Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S. 269. Hingegen äußert Papier, JZ 1987, 619 (619 f.) ernsthafte Zweifel an der Konkretisierungslast des formellen Gesetzgebers für den Gemeinwohlzweck der Enteignung; vgl. in diese Richtung auch Brugger, ZfBR 1987, 60 (63 f.). 1169 Siehe oben S. 190 – 192. 1163

D. Folgerungen für die Gemeinwohlbindung der Enteignung

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kompetent zur Konkretisierung des Gemeinwohls; was er im Rahmen seiner Kompetenz als Enteignungszweck bestimmt, ist ein Gemeinwohlzweck.1171 Abgesehen von den Mindestanforderungen der Gerechtigkeit1172 und von den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die im Folgenden erörtert werden, ist die gesetzgeberische Bestimmung von Enteignungszwecken im Rechtssystem nicht überprüfbar, sondern unterliegt der politischen Verantwortung.1173 Ob allerdings eine Enteignung durch ihren Gemeinwohlzweck gerechtfertigt ist, ist Gegenstand der rechtlichen Kontrolle.1174 4. Vorbehalt des formellen Gesetzes und Bestimmtheitsgebot Wie jeder Grundrechtseingriff1175 kann eine Enteignung nicht schon durch die abstrakte Gemeinwohlidee, sondern nur durch einen konkreten Gemeinwohlzweck gerechtfertigt werden.1176 Daher muss der formelle Gesetzgeber bei Legalenteignungen einen hinreichend bestimmten Gemeinwohlzweck verfolgen. Mit Blick auf Administrativenteignungen ist es dem formellen Gesetzgeber vorbehalten, aus dem Gemeinwohl die Zwecke zu konkretisieren, zu denen die Verwaltung enteignen

1170

O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 425; J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 101; vgl. Osterloh, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 55 Rn. 121. Demgegenüber will der BadStGH, VerwRspr. 2 (1950), 411 (417) „auch die staatspolitischen und volkswirtschaftlichen Ziele“ einer Enteignung überprüfen; vgl. kritisch hierzu Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 188, der dem formellen Gesetzgeber für die „maßgebende Zweckbestimmung einer Enteignung […] einen denkbar weiten Spielraum freier Beurteilung“ zubilligt. 1171 Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 509 f.; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 188. Demgegenüber sprechen Papier, JZ 1987, 619 (619 f.) und J.-R. Sieckmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), BerlK-GG, Losebl. (Stand: 10/2000), Teil C Art. 14 Rn. 161 dem Gesetzgeber in Bezug auf Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG die Kompetenz zur Konkretisierung des Gemeinwohls ab. 1172 Vgl. oben S. 158 – 160. 1173 O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 425; vgl. Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, S. 415 f., dem zufolge sich die Bestimmung des Enteignungszwecks „allenfalls auf ihre formale Konsistenz, kaum aber inhaltlich überprüfen“ lässt; ferner Ipsen, VVDStRL 10 (1952), 74 (98) zur Kontrolle des Ausschlusses finanzieller Interessen des Staates als Enteignungszweck (s. u. S. 204 f.). Entgegen Leisner, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, 2. Aufl. 2001, § 149 Rn. 171, der hinsichtlich der Bestimmung des Enteignungszwecks von einer strengen Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht ausgeht, bezieht sich die rechtliche Kontrolle weniger auf die Konkretisierung des Gemeinwohlzwecks als auf die Anforderungen an die Enteignung im Verhältnis zu ihrem Zweck; s. dazu unten S. 219 f.; vgl. oben S. 190 – 192. 1174 Siehe oben S. 190 – 192 und unten S. 219 f., insbes. Fn. 1303. 1175 Siehe oben S. 187 f. 1176 Vgl. BVerwGE 87, 241 (243); Battis/Otto, DVBl. 2004, 1501 (1506); Schulte, Eigentum und öffentliches Interesse, S. 86 f.

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

darf.1177 Insoweit erfüllt der Vorbehalt des formellen Gesetzes die Funktion, die oben erörterten Legitimationsfaktoren1178 so weit wie möglich zu entfalten.1179 Der Vorbehalt des formellen Gesetzes erfordert ein solches Maß an Bestimmtheit, dass die Festlegung des Enteignungszwecks „nicht in die Hand der Verwaltung gegeben wird“.1180 Allerdings muss die Verwaltung nicht auf den bloßen Vollzug der formellgesetzlich vorgesehenen Enteignungszwecke beschränkt werden.1181 Vielmehr darf der Gesetzgeber ihr einen Entscheidungsfreiraum gewähren, in dem sie das Gemeinwohl im Einzelfall auf der Grundlage und in den Grenzen der formellgesetzlichen Zweckvorgaben weiter konkretisiert.1182 Der gebotene Bestimmtheitsgrad der Gemeinwohlkonkretisierung durch den formellen Gesetzgeber lässt sich nicht allgemein, sondern nur mit Blick auf die jeweils einschlägigen Sachgebiete ermitteln.1183 In jedem Fall verfassungswidrig ist allerdings ein formelles Gesetz, das die Verwaltung ohne nähere Eingrenzung der zulässigen Zwecke ermächtigt, Enteignungen zum Wohle der Allgemeinheit vorzunehmen.1184 Auch eine nur beispielhafte Aufzählung von Enteignungszwecken erscheint problematisch.1185 Immerhin genügt es nach allgemeinen Regeln1186, wenn sich die Gemeinwohlzwecke hinreichend deutlich aus dem Gesetzestext in Ver-

1177 BVerfGE 56, 249 (261 f.); 74, 264 (285); BVerwGE 87, 241 (246); Schwerdtfeger, Die dogmatische Struktur der Eigentumsgarantie, S. 32. 1178 Siehe S. 175 – 183. 1179 Vgl. oben S. 187 f. Siehe etwa zum Mehrheitsprinzip als Legitimationsfaktor Ipsen, VVDStRL 10 (1952), 74 (88), dem zufolge die Verfassung darauf vertraut, dass der formelle Gesetzgeber die Gemeinwohlzwecke von Enteignungen durch Mehrheitsbeschluss rational und verbindlich bestimmt. 1180 BVerfGE 74, 264 (268); vgl. J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 102. 1181 So aber wohl BVerfGE 56, 249 (262), dem zufolge die Verwaltung nur die formellgesetzlich vorgesehenen Enteignungszwecke „verwirklichen“ dürfe; vgl. kritisch hierzu Schmidt-Aßmann, NJW 1987, 1587 (1589 f.). 1182 Vgl. in diesem Sinne BVerfGE 74, 264 (285), dem zufolge Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG einen Gemeinwohlzweck verlangt, „der seine konkrete Ausformung in gesetzlichen Vorschriften oder auf deren Grundlage gefunden haben muß“ [Hervorhebung nicht im Original] Ferner spricht das Gericht a. a. O., S. 296 von „Vorgaben des Gesetzgebers für die Gemeinwohlaktualisierung“; s. auch B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 82. 1183 Vgl. BVerfGE 49, 89 (127); Battis/Otto, DVBl. 2004, 1501 (1504 f.); Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (240 f.); Gerhardt, in: FS Zeidler II, S. 1663 (1664 f.). Siehe etwa zu dem Streit um die hinreichende Bestimmtheit des § 85 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 87 Abs. 1 BauGB Brugger, ZfBR 1987, 60 – 65; Labbé, AnwBl. 1989, 530 (530 – 532). 1184 Obermayer, BayVBl. 1971, 209 – 213; anders Brugger, ZfBR 1987, 60 (64) und H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 573, die offenbar die einfachgesetzliche Wiederholung des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG für ausreichend erachten. 1185 Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (240 Fn. 153). 1186 Siehe oben S. 187 f.

D. Folgerungen für die Gemeinwohlbindung der Enteignung

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bindung mit den Gesetzesmaterialien oder zumindest aus dem Gesetzeszusammenhang ergeben.1187 Darüber hinaus schuldet der Gesetzgeber weder eine Dokumentation seines Entscheidungsprozesses noch eine Begründung seines Entscheidungsergebnisses.1188 Zwar erhalten Gemeinwohlkonkretisierungen durch eine Begründung zusätzliche Legitimität1189, das Grundgesetz regelt aber keine Begründungspflicht. Auch die Dokumentation der übrigen Legitimationsfaktoren ist verfassungsrechtlich nicht verpflichtend, zumal Legitimität ohnehin keine Geltungsvoraussetzung ist.1190 5. Eigenständigkeit des Enteignungszwecks Die wichtigste inhaltliche Grenze des gesetzgeberischen Entscheidungsfreiraums für die Bestimmung des Enteignungszwecks ergibt sich aus dem Enteignungsbegriff. Im Vergleich mit anderen Grundrechtseingriffen weist die Enteignung insoweit eine Besonderheit auf, als sie bereits begrifflich die Verfolgung eines Zwecks bedingt. So setzt der Enteignungsbegriff die Güterbeschaffung als Zweck der Eigentumsentziehung voraus.1191 Dieses Begriffsverständnis der Enteignung ist von großer Bedeutung für die zulässigen Enteignungszwecke. Denn es gilt der Grundsatz, dass ein Eingriff nicht zum Zweck gemacht werden darf.1192 Demnach ist weder eine Ent1187 Vgl. BVerwGE 87, 241 (247); O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 425; J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 102. 1188 Vgl. hierzu BVerfGE 75, 246 (268); Blum, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des fünfundsechzigsten Deutschen Juristentages I, Teil I, Gutachten I, S. 123 – 131; Burghart, Die Pflicht zum guten Gesetz, S. 201 – 205; J. Dietlein, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG, Art. 76 Rn. 2.2; Geiger, in: Berberich/Holl/Maaß (Hrsg.), Neue Entwicklungen im öffentlichen Recht, S. 131 (141 f.); Gusy, in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, § 60 Rn. 35; Janssen, Über die Grenzen des legislativen Zugriffsrechts, S. 190 – 198; J. Masing, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 76 Abs. 1 Rn. 62; Schlaich, VVDStRL 39 (1981), 99 (108 – 111); Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 539 – 543; E. Schmidt-Jortzig/M. Schürmann, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 11/ 1996), Art. 76 Rn. 181, 359; R. Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 76 Rn. 16; Vogel, Das Bundesverfassungsgericht und die übrigen Verfassungsorgane, S. 204 – 208; eingehend Kischel, Die Begründung, S. 260 – 304; Skouris, Die Begründung von Rechtsnormen, S. 119 – 175; Waldhoff, in: FS Isensee, S. 325 – 343; s. auch Gusy, ZRP 1985, 291 – 299 (insbes. 298); für entsprechende Pflichten des Gesetzgebers hingegen Jekewitz, Der Staat 27 (1988), 631 (631 f.); Lücke, Begründungszwang und Verfassung, S. 11 – 18, 37 – 124; dens., ZG 2001, 1 (30 – 33); Th. Mann, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 76 Rn. 7; R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), GG, Art. 76 Rn. 20; Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, S. 178 f., 516 – 521; s. auch Mengel, Gesetzgebung und Verfahren, S. 276 – 280, 326 – 341. 1189 Engel, Rechtstheorie 32 (2001), 23 (36 – 40). 1190 Siehe oben S. 175 f. 1191 Siehe oben S. 112 – 115. 1192 Engel, in: Brugger/Kirste/Anderheiden (Hrsg.), Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, S. 103 (110); Schlink, in: FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht II, S. 445 (450).

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

eignung als Selbstzweck zulässig, noch dürfen einzelne Merkmale des Enteignungsbegriffs zugleich Zwecke der Enteignung sein. Vielmehr muss der Staat einen Gemeinwohlzweck verfolgen, der über die Begriffsmerkmale der Enteignung hinausgeht. Erforderlich ist also ein eigenständiger Enteignungszweck. Diese Anforderung des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG an den eigenständigen Enteignungszweck ist nicht erfüllt, wenn der Staat mit einer Enteignung einen Zweck verfolgt, der sich in dem Eigentumsverlust und/oder in der Güterbeschaffung erschöpft. Mit der Rückkehr zum Güterbeschaffungsmerkmal1193 erlangt die Eigenständigkeit des Enteignungszwecks ihre in Vergessenheit geratene Bedeutung zurück. Da die Güterbeschaffung als Zweck der Eigentumsentziehung bereits für den Begriff der Enteignung vorausgesetzt wird, kann sie nicht zugleich Zweck der Enteignung sein. Demnach vermag die bloße Beschaffung vermögenswerter Güter niemals eine Enteignung zu rechtfertigen. Vielmehr ist die Güterbeschaffung ihrerseits Bezugspunkt für den eigenständigen Zweck der Enteignung – oder anders formuliert: Enteignungszweck ist der Zweck, der mit der Verwendung der beschafften Eigentumsgüter verfolgt wird.1194 Die Güterbeschaffung selbst muss mit Blick auf die Rechtfertigung einer Enteignung konsequent ausgeblendet werden. Dies wird im Folgenden verdeutlicht am Beispiel finanzieller Interessen des Staates und mit Blick auf Interessen privater Dritter an einer Enteignung. a) Finanzielle Interessen des Staates Das Bundesverfassungsgericht geht von einem „seit der Entstehung der Enteignung als Verfassungsinstitut unangefochtenen Rechtssatz“ aus, dass „die Enteignung kein Instrument zur Vermehrung des Staatsvermögens ist und Enteignungen aus fiskalischen Gründen unzulässig sind, auch wenn hierdurch eine finanzielle Entlastung in anderen Bereichen eintritt.“1195 Ebenso findet sich im Schrifttum die allgemeine Auffassung, dass finanzielle Interessen des Staates keine zulässigen Enteignungszwecke seien.1196

1193

Siehe oben S. 107 – 115. Siehe oben S. 136 f. 1195 BVerfGE 38, 175 (180); vgl. bereits BVerfGE 24, 367 (407). 1196 Vgl. B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 83; O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 424; J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 VII 4 (S. 2277); Hans Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 66; H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 80; O. Kimminich, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 09/1992), Art. 14 Rn. 396; v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, Art. 14 (S. 103); Osterloh, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 55 Rn. 121; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 576; H. Rittstieg, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 14/15 Rn. 208; J.-R. Sieckmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), BerlK-GG, Losebl. (Stand: 10/2000), Teil C Art. 14 Rn. 161; R. Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 163; J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 100. 1194

D. Folgerungen für die Gemeinwohlbindung der Enteignung

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aa) Historischer Hintergrund Diese Bedeutung der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlbindung stammt aus einer Zeit, in der die absolute Herrschaft der Monarchen durch die ersten Verfassungen beschränkt wurde.1197 Der Ausschluss finanzieller Interessen als Enteignungszwecke sollte verhindern, dass die Monarchen weiterhin ihre persönlichen Bereicherungswünsche im Wege der Enteignung befriedigen würden. Diesen Sinn kann die Gemeinwohlbindung der Enteignung allerdings nicht mehr erfüllen, seitdem der Dualismus zwischen dem Monarchen und der Allgemeinheit entfallen ist. Vielmehr müssen finanzielle Interessen eines Staates, der vom Volk getragen und finanziert wird, grundsätzlich als Gemeinwohlzwecke anerkannt werden.1198 Überholt ist im Übrigen das Staatsverständnis der Fiskustheorie, die den Staat als Hoheitsträger von dem privatrechtlichen Fiskus als Vermögensträger unterschied.1199 „Die Gründe, die es gerechtfertigt haben, finanzielle Interessen des Staates insgesamt als Privatinteressen von den öffentlichen Interessen abzusetzen, sind damit entfallen.“1200 Dennoch hielt sich in der Weimarer Republik die Auffassung, es dürfe nicht enteignet werden zum Vorteil „von Interessen des Staates als Privatrechtssubjekt, als Fiskus. Enteignungen, die nur dazu bestimmt sind oder darauf hinauslaufen würden, den Fiskus zu bereichern, sind verfassungswidrig.“1201 In einer Entscheidung über eine Entziehung von Rentenansprüchen zum Zweck der Ersparung von Rentenzahlungen begründete das Reichsgericht die Verfassungswidrigkeit der von ihm angenommenen Enteignung allerdings nicht mit dem Ausschluss finanzieller Interessen des Staates, sondern mit der fehlenden Eigenständigkeit des Enteignungszwecks: „Der im Art. 153 erforderte Nutzen für die Allgemeinheit aber muß über den durch die vorgenommene Rechtsentziehung an sich und ohne weiteres erreichten 1197

Siehe zum Folgenden bereits oben S. 196 f. Vgl. hierzu OVG RP, DVBl. 1967, 239 m. Anm. Häberle, Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, S. 330 – 344; HessVGH, NVwZ 1983, 747 (748); Blanc, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, S. 27, 97; Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 512 – 524, 689 – 691, 726; dens., AöR 95 (1970), 86 (90 f.); dens., AöR 95 (1970), 260 (275 – 278); dens., Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, S. 308 (319); dens., Rechtstheorie 14 (1983), 257 (259 Fn. 7); Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 199 f.; Rupp, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 116 (123 f.); Schulte, Eigentum und öffentliches Interesse, S. 86 Fn. 53 a. E.; Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 124 – 131; s. auch Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffes „Öffentliches Interesse“, S. 112 – 115. 1199 Burmeister, DÖV 1975, 695 (699 f.); Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 127 f. Dagegen bleibt Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffes „Öffentliches Interesse“, S. 112 – 115 weitgehend der Fiskustheorie verpflichtet. 1200 Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 128. Hingegen hält Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffes „Öffentliches Interesse“, S. 112 – 115 an der Trennung von fiskalischen und öffentlichen Interessen fest. 1201 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 153 (S. 717); vgl. auch Wolff, in: Festg. Kahl IV, S. 15. 1198

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

Vorteil hinausgehen oder außerhalb dieses Vorteils bestehen.“1202 Zu dieser Rechtsprechung des Reichsgerichts, das auf die Güterbeschaffung als Begriffsmerkmal der Enteignung verzichtete1203, sei bemerkt, dass eine bloße Entledigung staatlicher Schulden mangels Güterbeschaffung nicht als Enteignung, sondern als Umgestaltung durch Inhalts- und Schrankenbestimmung anzusehen ist.1204 Auch „die Schaffung einer dauernden Grundlage für die Finanzwirtschaft des Reiches, der Länder und der Gemeinden sowie die Wiederherstellung ihrer Kreditfähigkeit“ würden als Zwecke der Eigentumsentziehung mangels konkreter Verwendung der entzogenen Forderungen nicht die Anforderungen an eine Güterbeschaffung erfüllen1205 ; allerdings hat das Reichsgericht diese Ziele als Enteignungszweck akzeptiert, weil darin „ein über die Rechtsentziehung selbst hinausgehender Vorteil“ gelegen habe1206. bb) Ausschluss der Bereicherung durch Güterbeschaffung Dagegen werden unter Zugrundelegung des Güterbeschaffungsmerkmals nicht nur der Enteignungsbegriff enger1207, sondern auch die Anforderungen an den eigenständigen Enteignungszweck klarer und zugleich strenger.1208 Denn es macht einen erheblichen Unterschied, ob der Enteignungszweck lediglich über den Rechtsverlust und dessen Folgen oder zusätzlich über die Bereicherung hinausgehen muss. Dementsprechend formulierte etwa Heinrich Triepel, der entgegen dem Reichsgericht von der Güterbeschaffung als Begriffsmerkmal der Enteignung ausging1209, die erforderliche Eigenständigkeit des Enteignungszwecks wie folgt: Das „Opfer, das die Enteignung dem Bürger auferlegt, muß ein Interesse befriedigen, das nicht bloß in der Auferlegung des Opfers und der Hinnahme des Geopferten selber besteht.“ [Hervorhebung nicht im Original]1210 Zugleich begründete Triepel den 1202 RGZ 103, 200 (202); vgl. RGZ 136, 113 (123); s. zu dieser Rechtsprechung des Reichsgerichts Weber, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte II, S. 331 (382 f.). 1203 Siehe oben S. 91. 1204 Vgl. oben S. 103 – 105 und 112 – 115. 1205 Vgl. oben S. 112 – 115. 1206 RGZ 139, 6 (9). Zu Recht bezeichnet Schack, BB 1961, 74 (76 Fn. 35) diese Entscheidung als „Entgleisung“. 1207 Siehe oben S. 107 – 115. 1208 Vgl. Weber, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte II, S. 331 (340) mit dem Hinweis, dass sich die Gemeinwohlbindung des Art. 153 Abs. 2 Satz 1 WRV wegen des Verzichts auf die Güterbeschaffung als Begriffsmerkmal der Enteignung in eine „allgemeine, dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung verflüchtigen“ musste; ebenso Frenzel, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, S. 64 f., 67. Auch Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 328, der das Güterbeschaffungsmerkmal ablehnt, muss zugeben, dass die Gemeinwohlbindung des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG unter Zugrundelegung dieses Begriffsmerkmals „wesentlich präziser zu bestimmen“ ist; vgl. dens., in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 80. 1209 Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, S. 16 f. 1210 Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, S. 24.

D. Folgerungen für die Gemeinwohlbindung der Enteignung

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Ausschluss finanzieller Interessen ausdrücklich mit der erforderlichen Eigenständigkeit des Enteignungszwecks: „Aber jedenfalls muß der Zweck der Enteignung ein anderer sein, als die bloße Vermögensverschiebung, in der die Enteignung selber besteht.“ [Hervorhebung im Original]1211 „Darum ist ja auch immer anerkannt worden, daß lediglich zu ,fiskalischen‘, zu ,ärarischen‘ Staats- und Gemeindezwecken nicht enteignet werden dürfe.“ [Hervorhebung nicht im Original]1212 In diesem Sinne stellte später noch der Badische Staatsgerichtshof in einem Urteil vom 27. 02. 1948 die Verbindung zwischen dem Ausschluss finanzieller Interessen des Staates als Gemeinwohlzwecke der Enteignung und der erforderlichen Eigenständigkeit des Enteignungszwecks her: „Die bloße Vermehrung des öffentlichen Vermögens stellt noch keine Förderung des Allgemeinwohls im Sinne des Enteignungsrechts dar, auch wenn durch die Stärkung der Staats- oder Gemeindefinanzen die Erfüllung öffentlicher Aufgaben gefördert oder die Steuerlast erleichtert werden kann. Die dem Gemeinwohl dienende Enteignung muß mehr sein als eine Vermögenstransaktion zum Vorteil der öffentlichen Hand. Sonst würde jede Vermögensverschiebung zugunsten des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften als verfassungsmäßig zulässige Enteignung zu betrachten sein, da die öffentlichen Gelder naturgemäß dazu bestimmt sind, zum gemeinen Besten verwendet zu werden. Die Enteignung muß daher ein über die Bereicherung der öffentlichen Hand hinausgehendes selbständiges Ziel verfolgen.“ [Hervorhebungen nicht im Original]1213 cc) Berücksichtigung von finanziellen Enteignungsinteressen Nach alledem ist der tradierte Ausschluss finanzieller Interessen des Staates als Gemeinwohlzwecke der Enteignung keine negative Definition des Gemeinwohls1214, sondern eine Folge der erforderlichen Eigenständigkeit des Enteignungszwecks und auch nur insoweit begründbar. Grundsätzlich gehören finanzielle Interessen des Staates zum Gemeinwohl.1215 Sie sind jedoch keine zulässigen Enteignungszwecke, soweit sie sich in der Bereicherung durch die Beschaffung vermögenswerter Güter erschöpfen. Darüber hinausgehende finanzielle Interessen dürften regelmäßig marginal sein, da der vermögenswerte Beschaffungsvorteil durch die zwingende Enteignungsentschädigung erheblich gemindert, wenn nicht sogar aufgewogen wird. Verfolgt der Staat mit einer Enteignung dennoch finanzielle Interessen jenseits der Güterbeschaffung, so richtet sich deren Zulässigkeit als Gemeinwohlzwecke nach 1211 Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, S. 24; zustimmend W. Schelcher, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, Art. 153 (S. 221). 1212 Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, S. 24. 1213 BadStGH, VerwRspr. 2 (1950), 411 (416). 1214 Vgl. zum wirklichen Grund des Ausschlusses finanzieller Interessen als Enteignungszwecke auch Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 188 Fn. 97; Schack, BB 1961, 74 (76 f.). 1215 Siehe oben S. 203 Fn. 1198.

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

den allgemeinen verfassungsrechtlichen Vorgaben. Beschränkungen ergeben sich insbesondere aus der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland als Steuerstaat1216, wobei dieser diffizilen Thematik hier nicht weiter nachgegangen wird. Soweit finanzielle Interessen des Staates nach dem allgemeinen (Finanz-)Verfassungsrecht als Gemeinwohl gelten, besagt die Zulässigkeit der Gemeinwohlzwecke noch nichts darüber, ob diese Zwecke eine Enteignung rechtfertigen können1217, sondern sie besagt lediglich, dass die finanziellen Interessen in die Rechtfertigungsprüfung der Enteignung einbezogen werden dürfen. Dies lässt sich an folgendem fiktiven Beispiel verdeutlichen: Der Staat verfolgt etwa den Ausbau eines Netzes (zum Beispiel im Bereich des Verkehrs oder der Energieversorgung) oder die Verwirklichung eines sonstigen Vorhabens. Dabei kommen zwei Trassen bzw. Standorte in Betracht, wovon die erste Alternative die Vornahme einer Enteignung erfordern würde. Die zweite Alternative würde hingegen – etwa aufgrund erschwerter baulicher Bedingungen – ein Vielfaches der Kosten verursachen, die bei Verwirklichung der ersten Alternative einschließlich der Entschädigungszahlung für die Enteignung anfallen würden. In diesem Beispiel treten die finanziellen Interessen des Staates als zulässige Enteignungszwecke neben die primär mit der konkreten Verwendung des Eigentumsobjektes verfolgten Gemeinwohlzwecke (zum Beispiel Förderung des Verkehrs oder der Energieversorgung), was im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung1218 der Enteignung zu berücksichtigen ist. Insbesondere die Erforderlichkeit einer solchen Enteignung ließe sich ohne Einbeziehung der finanziellen Interessen des Staates überhaupt nicht begründen.1219 Denn in Anbetracht einer Alternativplanung, die keine Enteignung erfordern würde, gäbe es ein milderes, aber ebenso effektives Mittel, wenn man von den höheren Kosten absieht. Im Übrigen wirken sich die finanziellen Interessen des Staates auch auf der Ebene der Angemessenheit aus, indem sie das Gewicht des für die Enteignung streitenden Gemeinwohls vergrößern.1220 Allerdings kann eine Enteig1216 Vgl. Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 121 f., 129 m. w. N.; s. auch Blanc, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, S. 97; Böhmer, Sondervotum, BVerfGE 56, 249 (290); v. Brünneck, NVwZ 1986, 425 (427); Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 200; Schmidbauer, Enteignung zugunsten Privater, S. 95 f.; Weber, in: Neumann/Nipperdey/ Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte II, S. 331 (392). 1217 Siehe zu den Anforderungen an die Enteignung im Verhältnis zu ihrem Zweck unten S. 214 – 220. 1218 Siehe ebda. 1219 Vgl. BGH, NJW 1967, 2305 (2306), der ein finanzielles Interesse des Staates an der Vermeidung einer laufenden Zahlungspflicht anerkannt hat, um die Erforderlichkeit der Vollenteignung eines Grundstücks zu begründen, obwohl eine Pacht oder Belastung mit einem Nutzungsrecht gegen Entrichtung einer laufenden Vergütung möglich gewesen wäre. 1220 Vgl. v. Brünneck, NVwZ 1986, 425 (429 f.); Schmidbauer, Enteignung zugunsten Privater, S. 100; s. auch Wilhelm, DÖV 1965, 397 (399). Das BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), NJW 1999, 1176 (1176) hat die Frage offen gelassen, inwieweit finanzielle Interessen des Staates berücksichtigt werden können, wenn abhängig von der Standortwahl eine Enteignung zur Verwirklichung eines dem Gemeinwohl dienenden Vorhabens erforderlich wird.

D. Folgerungen für die Gemeinwohlbindung der Enteignung

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nung trotz höherer Alternativkosten unverhältnismäßig sein, wenn die Intensität der Belastung des Eigentümers entsprechend hoch zu gewichten ist.1221 b) Interessen privater Dritter an einer Enteignung Als weitere negative Anforderung der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlbindung ist die Auffassung weit verbreitet, dass Interessen privater Dritter keine zulässigen Enteignungszwecke seien.1222 aa) Anerkennung als Gemeinwohlzwecke Der Ausschluss von Interessen privater Dritter als Enteignungszwecke lässt sich allerdings nicht am Gemeinwohlbegriff des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG festmachen. Das Wohl der Allgemeinheit ist kein Gegenbegriff zu den Interessen Privater. Vielmehr umfasst die verfassungstheoretische Gemeinwohlidee auch die Interessen der Einzelnen.1223 Gleichsam wie die Allgemeinheit den Einzelnen nicht gegenübersteht, sondern diese einschließt, sind die Interessen der Einzelnen in der Gemeinwohlidee enthalten. So konkretisiert bereits die verfassungsrechtliche Wert-

1221 Vgl. BGH, NJW 1976, 1266 (1266) zu der Enteignung eines Grundstücks, das bislang vom Staat gepachtet worden war. Das Eigentum an dem Grundstück sollte im Wesentlichen zu dem gleichen Zweck beschafft werden, zu dem es bisher aufgrund des Pachtvertrages genutzt worden war. Damit reduziert sich der Enteignungszweck weitgehend auf die Einsparung der für die Pacht des Grundstücks laufend aufzubringenden Vergütung. Der Bundesgerichtshof stellt dieses finanzielle Interesse zwar in die Abwägung ein, misst ihm aber nicht hinreichend Gewicht bei, um als alleiniger Gemeinwohlzweck die Enteignung rechtfertigen zu können. 1222 Vgl. W. Böhmer, Sondervotum, BVerfGE 59, 249 (285 f.); B.-O. Bryde, in: v. Münch/ Kunig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 84; Bullinger, Der Staat 1 (1962), 449 (450 f.); O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 424; J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 VII 4 (S. 2277 f.); Hans Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 66; v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, Art. 14 (S. 103); Osterloh, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVerwR III, § 55 Rn. 121; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 577; J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 103. 1223 Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 527 schreibt, dass „das private Interesse für das öffentliche Interesse mit konstituierend ist“. Külz, in: FS Gieseke, S. 187 (206) betont, dass das Interesse des Einzelnen immer ein gewisses Element des Gemeinwohls in sich trägt. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S. 267 spricht von einer „Teilidentität öffentlicher und privater Interessen“. Vgl. ferner BVerfGE 57, 250 (284); VerfGH RP, Entsch. v. 22. 03. 1954 – VGH 2/52, AS 3, 227 (234); OVG NRW, NVwZ 1997, 512 (513); Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 198 f.; dens., DÖV 1976, 457 (461); Rupp, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 116 (117 f.); Schmidt, Einführung in die Probleme des Verwaltungsrechts, Rn. 328; Uerpmann, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 179 (179 f.); eingehend dens., Das öffentliche Interesse, S. 40 – 140, insbes. S. 61 – 69; s. zur Transformation von Privatinteressen in öffentliches Interesse Leisner, DÖV 1970, 217 – 223.

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

ordnung zahlreiche Interessen der Einzelnen als Gemeinwohl.1224 Ferner hat im Rahmen der staatlichen Willensbildung vor allem der formelle Gesetzgeber die Kompetenz, Interessen Einzelner zu Gemeinwohlzwecken zu bestimmen. Ein prominentes Beispiel dafür, dass sich das Wohl der Allgemeinheit in einem verfassungstheoretischen Gemeinwohlverständnis nicht von den Interessen der Einzelnen trennen lässt, bildet das Boxberg-Urteil des Bundesverfassungsgerichts1225. In dieser Entscheidung hat das Gericht anerkannt, dass der formelle Gesetzgeber die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur und die Schaffung von Arbeitsplätzen als Gemeinwohlzwecke einer Enteignung konkretisieren darf.1226 Sollte demnach die Wirtschaftsstruktur durch eine regionale Auftragsvergabe verbessert werden, so läuft dies auf die Förderung von einzelnen Zulieferbetrieben hinaus.1227 Auch die Schaffung von Arbeitsplätzen dient primär einzelnen Menschen in der Region, die Arbeit suchen. Sowohl die Gewinnerzielungsabsicht der Zulieferbetriebe als auch der Wunsch nach einem Arbeitsplatz sind Interessen einzelner Grundrechtsträger, denen bereits die Verfassung in Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG Gemeinwohlwert beimisst. Die Interessen einzelner Privater werden zu Gemeinwohlzwecken einer Enteignung, indem der formelle Gesetzgeber sie dazu bestimmt.1228 In diesem Zusammenhang ist erneut darauf hinzuweisen, dass die Anerkennung von Enteignungszwecken noch nichts darüber besagt, ob diese Gemeinwohlzwecke eine Enteignung rechtfertigen können.1229 Für die Geltung von Interessen Einzelner als Gemeinwohlzwecke einer Enteignung kommt es nicht darauf an, welches Gewicht sie

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Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 526: Das „private Interesse ist ein Teilgesichtspunkt der Gemeinwohlgehalte der Verfassung.“ 1225 BVerfGE 74, 264 – 297. 1226 BVerfGE 74, 264 (291, 296 f.). In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt fehlte es für diese Enteignungszwecke allerdings an einer hinreichend bestimmten Gemeinwohlkonkretisierung des formellen Gesetzgebers. 1227 Vgl. BVerfGE 74, 264 (271 f.). 1228 Vgl. in diesem Sinne Gentz, NJW 1968, 1600 (1602), der außerdem darauf hinweist, dass auch die „Rechte anderer“ im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG nichts anderes sind als rechtlich geschützte Privatinteressen, die durch die rechtliche Anerkennung einen Gemeinwohlbezug erhalten; s. auch Schmidt, Einführung in die Probleme des Verwaltungsrechts, Rn. 328. Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 119 betrachtet alle Interessen, die der Staat verfolgt, als öffentlich und diejenigen Interessen, die nur von Privaten verfolgt werden, als privat. Eine andere Auffassung vertreten insoweit W. Böhmer, Sondervotum, BVerfGE 56, 249 (284 – 286) und H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 577, denen zufolge Privatinteressen niemals zu Gemeinwohlzwecken werden können. Hingegen meint J.-R. Sieckmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), BerlK-GG, Losebl. (Stand: 10/2000), Teil C Art. 14 Rn. 161: „Private Interessen als solche können eine Enteignung nicht rechtfertigen, aber deren Erfüllung kann zugleich ein öffentliches Interesse darstellen.“ [Hervorhebung nicht im Original] 1229 Siehe oben S. 205 – 207.

D. Folgerungen für die Gemeinwohlbindung der Enteignung

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haben1230 oder ob sie in großer Zahl bestehen1231. Bedeutsam sind diese Faktoren allerdings bei der Gewichtung des für die Enteignung streitenden Gemeinwohls, die im Rahmen der Prüfung der Enteignung auf ihre Verhältnismäßigkeit1232 erfolgt. Je größer die Zahl Einzelner ist, die ein Interesse an einer Enteignung haben, desto gewichtiger ist der vom Staat zu ihren Gunsten verfolgte Gemeinwohlzweck.1233 Je kleiner diese Zahl ist, desto gewichtigere sonstige Gemeinwohlzwecke muss der Staat neben den Interessen Einzelner verfolgen, damit eine Enteignung gerechtfertigt werden kann.1234 bb) Historischer Hintergrund Die Auffassung, dass die Interessen privater Dritter keine zulässigen Enteignungszwecke seien, hat dieselben historischen Wurzeln wie der Ausschluss finanzieller Interessen des Staates als Enteignungszwecke. Dass die finanziellen („fiskalischen“) Interessen des Staates als private Interessen angesehen wurden, wird besonders deutlich bei Gerhard Anschütz, dem zufolge „nicht enteignet werden darf zum Vorteil bloßer Privatinteressen, auch nicht von Interessen des Staates als Privatrechtssubjekt, als Fiskus.“1235 Auch Manfred Wolff nennt quasi in einem Atemzug die „Staats- oder Unternehmer bereicherung“ [Hervorhebung im Original] als unzulässigen Enteignungszweck.1236 Ferner schließt Walter Schelcher Enteignungen zum Zweck der „Bereicherung des Staatsvermögens oder sonst der finanziellen Kräfte des Enteignungsberechtigten“ [Hervorhebung im Original] aus und beruft sich dafür auf die Begründung von Heinrich Triepel1237, dass „der Zweck der Ent-

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Vgl. insoweit zutreffend W. Böhmer, Sondervotum, BVerfGE 56, 249 (284 – 286); B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 84; Bullinger, Der Staat 1 (1962), 449 (450 f.); H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 577, die allerdings die Anerkennung von Interessen Privater als Enteignungszwecke rundum ablehnen. 1231 Vgl. Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 118 f.; anders insoweit Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 189; H. Rittstieg, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 14/15 Rn. 207; J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 101, die als Gemeinwohlzweck einer Enteignung nur die Interessen einer unbestimmten Vielzahl von Menschen anerkennen wollen. 1232 Siehe unten S. 214 – 220. 1233 Vgl. Streissler, in: Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Freiburg (Hrsg.), Zur Einheit der Rechts- und Staatswissenschaften, S. 1 (16). 1234 Vgl. in diesem Sinne Bullinger, Staat 1 (1962), 449 (452), der für den Fall, dass „die Förderung des einen Privaten mit einem Sondereingriff in die Rechte eines anderen Privaten erkauft“ wird, verlangt, dass das Gemeinwohl „neben der Förderung“ ein besonderes Gewicht besitzen muss. 1235 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 153 (S. 717); ebenso v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, Art. 14 (S. 103). 1236 Wolff, in: Festg. Kahl IV, S. 15. 1237 W. Schelcher, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, Art. 153 (S. 221).

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

eignung ein anderer sein [muss], als die bloße Vermögensverschiebung, in der die Enteignung selber besteht.“ [Hervorhebung im Original]1238 Demnach geht der Ausschluss von Interessen privater Dritter als Enteignungszwecke ebenso wie der Ausschluss finanzieller Interessen des Staates auf die erforderliche Eigenständigkeit des Enteignungszwecks zurück und lässt sich nur mit dieser Begründung aufrechterhalten. Die Interessen privater Dritter sind insoweit keine zulässigen Enteignungszwecke, als sie sich in der Bereicherung durch die Beschaffung vermögenswerter Güter erschöpfen. cc) Enteignung zugunsten Privater Seinen wesentlichen Anwendungsbereich findet der Ausschluss der Bereicherung Privater durch Güterbeschaffung bei Enteignungen zugunsten Privater1239. Aus der erforderlichen Eigenständigkeit des Enteignungszwecks gegenüber dem Enteignungsbegriff und namentlich gegenüber dessen Güterbeschaffungsmerkmal folgt, dass der Gemeinwohlzweck einer Enteignung zugunsten Privater insbesondere über die Bereicherung des privaten Enteignungsbegünstigten hinausgehen muss.1240 Bei der Rechtfertigung einer Enteignung zugunsten Privater ist demnach das Interesse des Privaten an der Bereicherung, die durch die Beschaffung vermögenswerter Güter bewirkt wird, vollständig auszublenden.1241 Wie schon bei den finanziellen Interessen des Staates zeigt sich nach alledem auch mit Blick auf Interessen Privater, dass

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Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, S. 24, Siehe hierzu BVerfGE 66, 248 (257 f.); 74, 264 (284 – 287) m. Anm. Papier, JZ 1987, 619 – 621; Schmidt-Aßmann, NJW 1987, 1587 – 1590; vgl. W. Böhmer, Sondervotum, BVerfGE 56, 249 (284 – 294), der die Zulässigkeit von Enteignungen zugunsten Privater ablehnte, während das Bundesverfassungsgericht dieser Frage in der genannten Entscheidung noch ausgewichen ist; s. ferner v. Brünneck, NVwZ 1986, 425 – 431; B.-O. Bryde, in: v. Münch/ Kunig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 84; Bullinger, Der Staat 1 (1962), 449 – 477; O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 428 – 430; J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 VII 4 (S. 2278 f.); H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 80a; O. Kimminich, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 09/1992), Art. 14 Rn. 378 – 387; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 577 – 588; H. Rittstieg, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 14/15 Rn. 210; R. Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 161 f.; J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 102 – 106; eingehend Frenzel, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, S. 72 – 192; Jackisch, Die Zulässigkeit der Enteignung zugunsten Privater; Schmidbauer, Enteignung zugunsten Privater; Stengel, Die Grundstücksenteignung zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen. 1240 Vgl. Schack, BB 1961, 74 (76); Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 121. 1241 Vgl. in diesem Sinne v. Brünneck, NVwZ 1986, 425 (430): „Daß mit dem beabsichtigten Unternehmen private Interessen verfolgt werden, schließt nicht aus, daß seine Verwirklichung auch im öffentlichen Interesse liegt. Allerdings muß das öffentliche Interesse an der Enteignung unabhängig von dem privaten Interesse geprüft werden.“ Siehe auch Dietlein/ Riedel, in: FS Schnapp, S. 65 (68). 1239

D. Folgerungen für die Gemeinwohlbindung der Enteignung

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erst das Güterbeschaffungsmerkmal des Enteignungsbegriffs den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Enteignungszweck klare Konturen verleiht.1242 Im Übrigen kommt der Person des Enteignungsbegünstigten keine ausschlaggebende Bedeutung zu – und zwar weder für den Begriff der Enteignung1243 noch für deren Rechtfertigung1244. Insgesamt unterliegen Enteignungen zugunsten Privater somit im Grunde denselben verfassungsrechtlichen Anforderungen wie Enteignungen zugunsten des Staates.1245 Soweit das Bundesverfassungsgericht speziell bei Enteignungen zugunsten Privater verlangt, dass der formelle Gesetzgeber festlegt, „für welche Vorhaben unter welchen Voraussetzungen und für welche Zwecke eine Enteignung zulässig sein soll“1246, folgt dies bereits aus dem allgemeinen Prinzip des Vorbehalts des formellen Gesetzes, der ebenso wie die vom Gericht hervorgehobenen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichheit1247 für alle Enteignungen gilt. Ebenfalls nicht speziell bei Enteignungen zugunsten Privater ist die Rechtfertigungsvoraussetzung, dass „insbesondere die Erforderlichkeit der Enteignung sorgfältig geprüft wird.“1248 Damit bleibt als scheinbar spezifische Anforderung an die Enteignung zugunsten Privater nur die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Sicherung des Enteignungszwecks1249. Bei dieser Anforderung dürfte es sich jedoch lediglich um eine besondere Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes handeln, dass eine Enteignung nur so lange gerechtfertigt bleibt, wie das beschaffte Eigentumsobjekt tatsächlich entsprechend der staatlichen Nutzungsbestimmung verwendet wird1250. Den entscheidenden Anhaltspunkt für diese These liefert das Bundesverfassungsgericht selbst, indem es als Beleg für die gebotene Sicherung des Enteignungszwecks bei der Enteignung zugunsten Privater auf seine Entscheidung zur „Rückenteignung“1251 verweist1252, die eine Enteignung zugunsten des Staates betrifft1253. Bei der Enteignung zugunsten Privater besteht allerdings die Besonderheit, dass der enteignungsbegünstigte Private nicht der Gemeinwohlbindung des Staates1254 unterliegt, sondern Grundrechtsträger ist. Mithin kann sich der private Enteignungsbegünstigte 1242

Siehe oben S. 204 f., insbes. Fn. 1208. Siehe oben S. 112 – 115. 1244 BVerfGE 74, 264 (284 f.). 1245 Eingehend Gerhardt, in: FS Zeidler II, S. 1663 – 1675; zustimmend Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S. 268 Fn. 70. 1246 BVerfGE 74, 264 (285). 1247 BVerfGE 74, 264 (286). 1248 Siehe BVerfGE 74, 264 (286). 1249 BVerfGE 74, 264 (285 f.). 1250 Vgl. hierzu BVerfGE 38, 175 (180 f.). 1251 BVerfGE 38, 175 – 187. 1252 BVerfGE 74, 264 (286) mit Verweis auf BVerfGE 38, 175 (180). 1253 BVerfGE 38, 175 (184): die „durch die Enteignung begünstigte öffentliche Hand“. 1254 Siehe oben S. 185. 1243

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

auch in Ansehung des durch die Enteignung erworbenen Eigentums auf die Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG berufen. Zur Rechtfertigung der Enteignung muss der Staat daher den enteignungsbegünstigten Privaten von vornherein dauerhaft auf den konkreten Gemeinwohlzweck der Enteignung verpflichten1255 und dafür Sorge tragen, dass der vormalige Eigentümer im Fall der Verfehlung des Enteignungszwecks sein enteignetes Eigentum zurückerhält. 6. Steigerungs- und Abwägungsformeln Als weitere Anforderung an den Enteignungszweck ist die Ansicht weit verbreitet, dass der Gemeinwohlzweck einer Enteignung ein qualifiziertes (gesteigertes) öffentliches Interesse voraussetze.1256 Teilweise wird auch eine „bilanzierende und abwägende Gesamtschau der berührten öffentlichen Interessen“ verlangt1257 und das Gemeinwohl dementsprechend als „Bilanzbegriff“ verstanden1258. Ferner wird zur Konkretisierung des Gemeinwohls oftmals eine Abwägung1259 zwischen dem öffentlichen Interesse an der Enteignung und dem Interesse des betroffenen Eigentümers an der Erhaltung seiner Rechtsstellung vorausgesetzt.1260 1255

BVerfGE 74, 264 (286). BVerfGE 74, 264 (289); BVerwG, NVwZ 2001, 1050 (1051); Bullinger, Der Staat 1 (1962), 449 (452); A. Hamann jun., in: Hamann/Lenz, GG, Art. 14 (S. 294); Kaiser, in: MaxPlanck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Hrsg.), Staat und Privateigentum, S. 5 (45); O. Kimminich, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 09/1992), Art. 14 Rn. 395; v. Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 94; Leisner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, 2. Aufl. 2001, § 149 Rn. 170; Th. Maunz, in: Maunz/ Dürig, GG, Losebl. (Stand: 05/1969), Art. 14 Rn. 110; H.-J. Papier a. a. O. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 585; H. Rittstieg, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 14/15 Rn. 207; Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 122; Zimmer, DÖV 1986, 1001 (1008, Fn. 60); offen lassend noch BVerwGE 71, 108 (124); vgl. auch W. Böhmer, Sondervotum, BVerfGE 56, 249 (273 f., 278); R. Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 160; s. ferner oben S. 130 – 132 m. w. N. auch zu einem Urteil des Badischen Staatsgerichtshofs, auf das die Auffassung von der Steigerungsformel zurückgehen dürfte. 1257 Breuer, DVBl. 1981, 971 (974); H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/ 2010), Art. 14 Rn. 585; vgl. B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 81. 1258 J. Berkemann, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 603; H. Rittstieg, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 14/15 Rn. 207. 1259 Vgl. allgemein zum Gemeinwohl als Abwägungsproblem eingehend Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 268 – 315; s. auch Engel, Rechtstheorie 32 (2001), 23 (48 – 50); Häberle, Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, S. 308 (324 – 327); Hofmann, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 25 (25, Fn. 3); Schuppert, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 19 (42 – 50); R. Stober, in: Wolff/Bachof u. a., Verwaltungsrecht I, 12. Aufl. 2007, § 29 Rn. 9 – 12; Uerpmann, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, S. 179 (184 f.). 1260 BVerwGE 117, 138 (139); OVG RP, Urt. v. 29.01.1959 – 1 A 41/58, AS 7, 201 (204); Badura, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, § 10 Rn. 62; v. Brünneck, Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, S. 410; ders., NVwZ 1986, 425 (427); B.-O. Bryde, in: 1256

D. Folgerungen für die Gemeinwohlbindung der Enteignung

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Soweit der Begriff des öffentlichen Interesses verwendet wird, um gesteigerte Anforderungen der Gemeinwohlbindung zu umschreiben, bestehen zunächst terminologische Bedenken, denn der Begriff des öffentlichen Interesses ist mit dem Gemeinwohlbegriff eng verwandt.1261 Im Übrigen wird nicht recht ersichtlich, welche Steigerung gegenüber einem „einfachen“ öffentlichen Interesse vorausgesetzt wird.1262 Bereits aus diesem Grund ist ein Erkenntnisgewinn der Steigerungsformeln kaum erkennbar.1263 Vor allem aber fehlt es an einer stichhaltigen Begründung dafür, dass überhaupt gesteigerte Anforderungen an die Gemeinwohlkonkretisierung von Enteignungszwecken zu stellen sind. Vielmehr bleibt es dabei, dass der Staat mit einer Enteignung alle Zwecke verfolgen darf, die nach Maßgabe des Grundgesetzes als Gemeinwohl gelten.1264 Hingegen erfolgt eine Gewichtung von Gemeinwohlzwecken erst im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung1265, um zu ermitteln, ob die jeweilige Enteignung, deren Belastungsintensität ebenfalls gewichtet werden muss, durch ihren Zweck gerechtfertigt ist.1266 Soweit ferner zur Konkretisierung des Gemeinwohls eine Abwägung unter Einbeziehung der Interessen des von der Enteignung betroffenen Eigentümers vorausgesetzt wird, sind im Ergebnis keine Kriterien zu erkennen, die über die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips1267 hinausgingen.1268 Entscheidend gegen diese Auffassung spricht ferner, dass sie die Anforderungen an die Gemeinwohlkonkretisierung des Enteignungszwecks mit den Anforderungen an die Ent-

v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 81; Jackisch, Die Zulässigkeit der Enteignung zugunsten Privater, S. 106 f., 113 – 120; Kaiser, in: Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Hrsg.), Staat und Privateigentum, S. 5 (45); H. Rittstieg, in: Denninger/Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), AK-GG, Losebl. (Stand: 2001), Art. 14/15 Rn. 207; Schmidbauer, Enteignung zugunsten Privater, S. 147 – 150; Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 122; R. Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 160. 1261 Siehe auch zur gebotenen Orientierung am Wortlaut des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG oben S. 132 f.; vgl. v. Brünneck, NVwZ 1986, 425 (426); Jackisch, Die Zulässigkeit der Enteigung zugunsten Privater, S. 105 f.; Schmidbauer, Enteignung zugunsten Privater, S. 120. 1262 v. Brünneck, NVwZ 1986, 425 (426); Schmidbauer, Enteignung zugunsten Privater, S. 120; Schnur, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 57 (69); J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 101. 1263 Frenzel, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, S. 99; J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 101. 1264 Siehe oben S. 194 – 196. 1265 Siehe unten S. 214 – 220. 1266 Siehe oben S. 193 f., 205 – 209. 1267 Siehe unten S. 214 – 220. 1268 Jackisch, Die Zulässigkeit der Enteignung zugunsten Privater, S. 199; J.-R. Sieckmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), BerlK-GG, Losebl. (Stand: 10/2000), Teil C Art. 14 Rn. 161 Fn. 550 a. E.; vgl. auch Schmidbauer, Enteignung zugunsten Privater, S. 148, dem zufolge „keine inhaltlichen Meinungsverschiedenheiten, sondern lediglich ein unterschiedlicher Sprachgebrauch“ vorliege.

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

eignung im Verhältnis zu ihrem Zweck vermischt.1269 Das Gemeinwohl ist nicht begrifflich als „Ergebnis eines Abwägungsprozesses“ zu verstehen1270 und insbesondere nicht „durch eine Abwägung nach Verhältnismäßigkeitskriterien“ zu bestimmen1271. Vielmehr ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip eine eigenständige Rechtfertigungsvoraussetzung1272, die sich nicht an den Zweck der Enteignung, sondern an die Enteignung selbst richtet. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip gehört also nicht zu den Anforderungen an die Gemeinwohlkonkretisierung, sondern – umgekehrt – muss der konkretisierte Gemeinwohlzweck in die Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eingestellt werden1273. Die Abwägung des Gemeinwohls mit dem Interesse des betroffenen Eigentümers an der Erhaltung seiner Rechtsstellung erfolgt somit außerhalb des Gemeinwohlbegriffs.1274 Mit anderen Worten: Das Gemeinwohl ist nicht Ergebnis, sondern Gegenstand der Abwägung.

II. Anforderungen an die Enteignung im Verhältnis zu ihrem Zweck Sind Steigerungs- und Abwägungsformeln einschließlich Verhältnismäßigkeitskriterien nach den bisherigen Ergebnissen nicht Bestandteil des Gemeinwohlbegriffs, so lässt sich das Verhältnismäßigkeitsprinzip immerhin zu den Anforderungen 1269

Vgl. zur Trennung des Gemeinwohlzwecks von den Anforderungen an die Enteignung bereits BVerwGE 3, 332 (334). 1270 So aber v. Brünneck, NVwZ 1986, 425 (427); O. Kimminich, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 09/1992), Art. 14 Rn. 391, 399; s. auch Schmidbauer, Enteignung zugunsten Privater, S. 147 – 150. 1271 So aber BVerwGE 117, 138 (139); v. Brünneck, NVwZ 1986, 425 (429); ähnlich bereits ders., Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, S. 410; s. auch O. Kimminich, in: Dolzer/ Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 09/1992), Art. 14 Rn. 391, 399; Schmidbauer, Enteignung zugunsten Privater, S. 148 – 150; Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S. 267. 1272 Jackisch, Die Zulässigkeit der Enteignung zugunsten Privater, S. 198 – 201; Schnur, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 57 (61), dem zufolge „der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch in jedem Falle als weitere sachliche Schranke zu beachten ist“ [Hervorhebungen im Original]; vgl. H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 589, der das „allgemeine rechtsstaatliche Übermaßverbot“ als Ergänzung der Gemeinwohlbindung betrachtet; s. auch BVerfGE 24, 367 (404); Badura, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, § 10 Rn. 63; W. Böhmer, Sondervotum, BVerfGE 56, 249 (283). Eine andere Auffassung vertreten hingegen v. Brünneck, NVwZ 1986, 425 (427); O. Kimminich, in: Dolzer/ Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 09/1992), Art. 14 Rn. 395, 399 und Schmidbauer, Enteignung zugunsten Privater, S. 148, denen zufolge das Verhältnismäßigkeitsprinzip keine zusätzliche Rechtfertigungsvoraussetzung darstelle, sondern in die Prüfung des Gemeinwohls gehöre. 1273 Vgl. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 189 – 191. 1274 Demgegenüber wollen v. Brünneck, NVwZ 1986, 425 (427) und B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 81 die Interessen des betroffenen Eigentümers schon innerhalb des Gemeinwohlbegriffs berücksichtigen.

D. Folgerungen für die Gemeinwohlbindung der Enteignung

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der Gemeinwohlbindung1275 hinzuzählen.1276 Zwar dürfte das Verhältnismäßigkeitsprinzip zuvörderst im Rechtsstaatsprinzip verankert sein1277, daneben ergibt es sich aber bereits „aus dem Wesen der Grundrechte selbst“.1278

1. Gegenstand und Bezugspunkt Als Eingriffe in die Rechtsstellungsgarantie der Eigentumsgewährleistung1279 unterliegen Enteignungen den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips.1280 Dieses Verfassungsprinzip verlangt die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit eines Eingriffs mit Bezug auf den damit verfolgten Zweck.1281 Unter 1275 Siehe zur Differenzierung zwischen dem Gemeinwohlbegriff und der Gemeinwohlbindung oben S. 135 f. 1276 Kaiser, in: Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Hrsg.), Staat und Privateigentum, S. 5 (46), dem zufolge sich das Verhältnismäßigkeitsprinzip „auch aus dem Erfordernis des Gemeinwohls begründen“ lässt. Vgl. zur Verortung von Verhältnismäßigkeitserwägungen innerhalb der enteignungsrechtlichen Gemeinwohlbindung Weber, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte II, S. 331 (383) und bereits aus der Weimarer Zeit Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 153 (S. 717); W. Schelcher, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, Art. 153 (S. 231 f.). Siehe auch Dürig, JZ 1953, 193 (199), der das allgemeine Verhältnismäßigkeitsprinzip im Grunde aus der Gemeinwohlbindung des Staates ableitet; hierzu Naumann, DWW 1959, 180 (180). 1277 Siehe statt aller BVerfGE 17, 306 (313 f.); 19, 342 (348 f.); 23, 127 (133 f.); 76, 256 (359); 108, 129 (136); 111, 54 (82); M. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 146; vgl. BVerfGE 80, 109 (119 f.). 1278 BVerfGE 19, 342 (348 f.); 61, 126 (134); 65, 1 (44); 76, 1 (50 f.); vgl. BVerfGE 17, 306 (313 f.); 77, 308 (334); 90, 145 (173); Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 101; W. Böhmer, Sondervotum, BVerfGE 49, 220 (232); Borowski, Grundrechte als Prinzipien, S. 115; H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 80; Merten, in: FS Schambeck, S. 349 – 379, insbes. S. 372 – 379; F. E. Schnapp, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 32; Chr. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 285; s. zur Verortung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ferner Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 83 – 124; B. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Losebl. (Stand: 11/2006), Art. 20 Teil VII Rn. 108; Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 27 – 45; Krebs, JURA 2001, 228 (229 f.); Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 29 – 97; Michael, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, S. 267 f.; Schlink, in: FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht II, S. 445 (445 – 449); Stern, Staatsrecht I, § 20 IV 7 (S. 861); dens., in: FS Lerche, S. 165 (171 – 175); dens. in: Stern, Staatsrecht III/2, § 84 I 4 f. (S. 769 – 775) jeweils m. w. N. 1279 Vgl. oben S. 67 – 74 und 79 – 81. 1280 BVerfGE 24, 367 (404 f.); 45, 297 (321 f., 335); 58, 300 (322 f.); Badura, in: Benda/ Maihofer/Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, § 10 Rn. 63; J. Berkemann, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 620 – 629; B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 85; J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 VII 4 (S. 2279 f.); H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 82; O. Kimminich, in: Dolzer/Kahl u. a. (Hrsg.), BK-GG, Losebl. (Stand: 09/ 1992), Art. 14 Rn. 399 – 402; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 205; H.-J. Papier, in: Maunz/ Dürig, GG, Losebl. (Stand: 07/2010), Art. 14 Rn. 589 f.; J. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 128. 1281 Siehe oben Fn. 1102.

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

Einbeziehung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in die Gemeinwohlbindung ist eine Enteignung „zum Wohle der Allgemeinheit zulässig“, wenn sie zur Verfolgung eines konkreten Gemeinwohlzwecks geeignet, erforderlich und angemessen ist.1282 Ist Gegenstand der Verhältnismäßigkeitsprüfung somit die Enteignung, so findet diese Prüfung ihren Bezugspunkt im Enteignungszweck.1283 Dabei nimmt die Verhältnismäßigkeitsprüfung den konkreten Gemeinwohlzweck, den der Staat mit einer Enteignung verfolgt, als gegeben hin.1284 Dieser Gemeinwohlzweck repräsentiert nur diejenigen Interessen, die für die Enteignung streiten.1285 Ihm werden die Interessen gegenübergestellt, die gegen die Enteignung gerichtet sind.1286 Für das Verhältnismäßigkeitsprinzip kommt es auf die Nachteile einer Maßnahme in zweierlei Hinsicht an: Zur Beurteilung der Erforderlichkeit werden die Nachteile der betreffenden Maßnahme mit den Nachteilen milderer alternativer Maßnahmen von mindestens gleicher Effektivität verglichen.1287 Weiterhin werden zur Prüfung der Angemessenheit die Nachteile der betreffenden Maßnahme ins Verhältnis zu dem damit verfolgten Gemeinwohlzweck gesetzt.1288 Als Nachteile einer Enteignung sind nicht nur die Beeinträchtigungen des betroffenen Eigentümers einzubeziehen, sondern auch alle sonstigen Interessen, die gegen die Enteignung streiten.1289 2. Berücksichtigung der Enteignungsentschädigung In die Bemessung der Intensität der Beeinträchtigungen, die der betroffene Eigentümer durch die Enteignung erleidet, soll die Enteignungsentschädigung nach umstrittener Auffassung nicht als mildernder Faktor einfließen.1290 Dann müsste allerdings auch der Wertverlust, den die Enteignungsentschädigung kompensieren soll, unberücksichtigt bleiben. Die Beeinträchtigung des Eigentümers würde sich demnach auf den Bestandsverlust beschränken. Überzeugender erscheint es hingegen, bei der Bemessung der Beeinträchtigungsintensität neben dem Bestandsverlust

1282

Vgl. B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 85. O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 425. 1284 Siehe oben S. 185 f. O. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 425 betont, dass sich die Verhältnismäßigkeitskontrolle an dem Gemeinwohlzweck orientieren muss, den der formelle Gesetzgeber konkretisiert hat. 1285 Siehe bereits oben S. 212 – 214, insbes. Fn. 1274; vgl. Häberle, Rechtstheorie 14 (1983), 257 (259). 1286 Gentz, NJW 1968, 1600 (1604). 1287 Gentz, NJW 1968, 1600 (1603 f.); M. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 152. 1288 Gentz, NJW 1968, 1600 (1604 f.); M. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 154. 1289 v. Brünneck, NVwZ 1986, 425 (428); J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 VII 4 (S. 2277); vgl. Gentz, NJW 1968, 1600 (1604 f.); Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 34 f. 1290 So etwa J. Berkemann, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 628 f. 1283

D. Folgerungen für die Gemeinwohlbindung der Enteignung

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auch den Wertverlust und die Entschädigung einzubeziehen.1291 Freilich wird der Wertverlust regelmäßig durch die zwingende Entschädigung ausgeglichen. Soweit die Enteignungsentschädigung den Wert des entzogenen Eigentums aber nicht vollständig kompensiert, lässt sich der verbleibende Wertverlust immerhin als Beeinträchtigung des Eigentümers berücksichtigen. Allerdings dürfte die Differenz zwischen Wertverlust und Enteignungsentschädigung regelmäßig eher gering ausfallen, so dass ein verbleibender Wertverlust allenfalls von nachrangiger Bedeutung für die Beeinträchtigungsintensität der Enteignung ist. Im Vordergrund der Beeinträchtigung steht damit der Eingriff in den Bestand des Eigentums, den der Eigentümer unabhängig von der Entschädigung für den Wertverlust erleidet. Gerade die personenhafte Bezogenheit des Eigentums ist wesentlicher Schutzzweck der Rechtsstellungsgarantie.1292 Soweit die Entschädigung gemäß Art. 14 Abs. 3 Sätze 2 und 3 GG geboten ist, vermag sie allenfalls den Wertverlust, nicht aber den Bestandsverlust zu kompensieren. Für die Gewichtung des Bestandsverlustes als wesentlichem Teil der Beeinträchtigung wird sie daher nicht berücksichtigt. Fraglich bleibt allerdings, ob die Gewährung einer Entschädigung über das gemäß Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG gebotene Maß hinaus geeignet ist, einen unverhältnismäßigen Bestandsverlust abzumildern, so dass die Enteignung insgesamt verfassungskonform wäre. Eine solche Ausgleichsdogmatik ähnlich wie bei Inhalts- und Schrankenbestimmungen1293 ist aber bei Enteignungen nicht anzuerkennen. Dies folgt aus der Funktion der Enteignung als Zwangsinstrument zur Güterbeschaffung: Die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen dafür, dass der Staat ausnahmsweise die Nichtbereitschaft eines Eigentümers zur Veräußerung überwinden kann, dürfen nicht durch eine übermäßige Enteignungsentschädigung abgeschwächt werden. Für die Verhältnismäßigkeit des Bestandsverlustes bleibt die Enteignungsentschädigung demnach unberücksichtigt. Insgesamt ergibt sich, dass die Entschädigung die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Enteignung in keinem Fall abmildern oder ersetzen kann.1294 3. Maßstab der Angemessenheit Für die Abwägung der Nachteile einer Enteignung mit dem damit verfolgten Gemeinwohlzweck wird verbreitet gefordert, dass das Gemeinwohl die Rechte des Eigentümers überwiegen müsse.1295 Demgegenüber wendet das Bundesverfas1291

H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 82. BVerfGE 24, 367 (400). 1293 Siehe oben S. 47 – 53 und 73 f. 1294 BVerfGE 24, 367 (405); 38, 175 (184); 56, 249 (260 f.); 74, 264 (283). 1295 Badura, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, § 10 Rn. 62; Battis/Otto, DVBl. 2004, 1501 (1504); J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 VII 4 (S. 2277); A. Hamann jun., in: Hamann/Lenz, GG, Art. 14 (S. 294); Schack, BB 1961, 74 (77); Schnur, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 57 (69); Schulte, Eigentum und öffentliches Interesse, S. 85 f.; Weber, 1292

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

sungsgericht bei der allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprüfung einen leicht abweichenden Maßstab an: „Angemessenheit ist gegeben, wenn die Maßnahme nicht außer Verhältnis zu dem verfolgten Zweck steht.“1296 Demnach ist noch von einem angemessenen Verhältnis auszugehen, wenn die Nachteile einer Maßnahme gleich viel oder sogar geringfügig mehr wiegen als der damit verfolgte Gemeinwohlzweck. Erst wenn die Nachteile einer Maßnahme den damit verfolgten Gemeinwohlzweck „deutlich überwiegen“1297, liegt ein unangemessenes Verhältnis vor.1298 Bei der Enteignung besteht kein Grund, von diesem allgemeinen Maßstab der Angemessenheit abzuweichen und in die Gemeinwohlbindung des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG strengere Anforderungen als bei anderen Grundrechten hineinzulesen. Im Sinne einer Vereinheitlichung der Grundrechtsdogmatik ist auch für eine Enteignung „lediglich“ zu verlangen, dass ihre Nachteile nicht außer Verhältnis zu dem mit ihr verfolgten Gemeinwohlzweck stehen. Für die Eingriffsschwelle des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG folgt daraus, dass eine Enteignung nur durch einen angemessen gewichtigen Gemeinwohlzweck gerechtfertigt werden kann. Ob das Gewicht des mit einer Enteignung verfolgten Gemeinwohlzwecks ausreicht, um die Maßnahme zu rechtfertigen, kann nur in Abhängigkeit der Nachteile der Enteignung und insbesondere der Belastung des Eigentümers beurteilt werden.1299 Daher überzeugt die pauschale Forderung von besonders gewichtigen Gemeinwohlzwecken nicht1300, zumal auch Enteignungen mit marginalen Eigentumsentziehungen und nur unwesentlichen Belastungen denkbar in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte II, S. 331 (383); R. Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 160. Kaiser, in: Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Hrsg.), Staat und Privateigentum, S. 5 (45) verlangt sogar, dass der Vorteil einer Enteignung den Nachteil des Eigentümers „beträchtlich überwiegt“. Hingegen ließ Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 153 (S. 717) schon einen gleichwertigen Vorteil ausreichen. 1296 BVerfGE 113, 167 (260); vgl. grundlegend bereits BVerfGE 7, 377 (407); ferner BVerfGE 46, 120 (154, 156); 67, 157 (178); 77, 308 (334); 81, 156 (195); 113, 167 (261); 118, 168 (196); s. auch BVerfGE 70, 1 (27); 115, 320 (345); 118, 168 (195); 120, 274 (321 f.); 120, 378 (428); ebenso Gentz, NJW 1968, 1600 (1604); v. Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 18; M. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 154; K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 84 II 4 (S. 782 f.). 1297 BVerfGE 90, 145 (185). 1298 Vgl. in diesem Sinne Gentz, NJW 1968, 1600 (1604), der a. a. O., S. 1606 betont, dass ein Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip „nur dann vorliegt, wenn ein offensichtliches Mißverhältnis zwischen Zweck und Mittel besteht.“ [Hervorhebung im Orginal] und v. Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 18, der für eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips voraussetzt, dass „das Opfer des Einzelnen in auffälligem Mißverhältnis zu dem Gewinn für die Allgemeinheit steht.“ [Hervorhebung nicht im Original]; s. auch dens. a. a. O., S. 16 m. w. N.: „in offenbarem oder krassem Mißverhältnis“. 1299 Vgl. v. Brünneck, NVwZ 1986, 425 (429), dem zufolge der Gemeinwohlzweck einer Enteignung „im Verhältnis zu dem rechtlich anerkannten Bestandsschutzinteresse des Eigentümers angemessen bedeutsam“ sein muss. 1300 So aber BVerfGE 74, 264 (289).

D. Folgerungen für die Gemeinwohlbindung der Enteignung

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sind1301. Aus diesem Grunde können auch an Enteignungen nicht generell höhere Anforderungen als an Inhalts- und Schrankenbestimmungen gestellt werden.1302 Vielmehr sind Inhalts- und Schrankenbestimmungen vorstellbar, die im Vergleich zu einer Enteignung weitaus gravierende Nachteile und größere Belastungen mit sich bringen. Demgegenüber bleibt es dabei, dass belastungsintensive Enteignungen nur durch dementsprechend besonders gewichtige Gemeinwohlzwecke gerechtfertigt werden können. 4. Rechtliche Kontrolle Die soeben erörterten Rechtfertigungsanforderungen an die Enteignung im Verhältnis zu ihrem Zweck unterliegen grundsätzlich der rechtlichen Kontrolle.1303 Aus der Eigentumsgewährleistung in Verbindung mit der grundrechtlichen Rechtsschutzgarantie folgt ein Anspruch des Eigentümers darauf, dass eine Enteignung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch die Gerichte umfassend auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft wird.1304 Bei dieser Prüfung ist die Rechtsprechung, wie das Bundesverfassungsgericht zutreffend betont, „nicht an die Rechtsauffassung des Gesetzgebers gebunden“. „Dessen Beurteilung, ob ein Vorhaben dem Wohl der Allgemeinheit dient und zu seiner Durchführung die Enteignung erforderlich ist, bleibt daher zunächst eine für die verfassungsgerichtliche Prüfung unverbindliche Qualifizierung; sonst würde letztlich der einfache Gesetzgeber den Inhalt des Grundrechts bestimmen. Die maßgeblichen Sachverhalte sind auch für das Gericht beurteilbar.“1305 Allerdings nimmt das Bundesverfassungsgericht die rechtliche Prüfung zurück, soweit „dabei Wertungen und Erwägungen des Gesetzgebers von Bedeutung sind“. Diesbezüglich will sich das Bundesverfassungsgericht über die Einschätzungen des formellen Gesetzgebers „nur dann hinwegsetzen, wenn sie eindeutig widerlegbar oder offensichtlich fehlsam sind oder der Wertordnung des Grundgesetzes widersprechen.“1306 1301

Siehe bereits oben S. 110 f. So aber etwa B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 81; J. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 VII 4 (S. 2276); Kaiser, in: Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Hrsg.), Staat und Privateigentum, S. 5 (45 f.); R. Wendt, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 14 Rn. 160. 1303 Vgl. in diesem Sinne BVerfGE 24, 367 (406); BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), NVwZ 2003, 726 (727) sowie bereits VerfGH RP, Entsch. v. 22. 03. 1954 – VGH 2/52, AS 3, 227 (245 – 248); OVG RP, Urt. v. 29.01.1959 – 1 A 41/58, AS 7, 201 (205 – 208); ferner A. Hamann jun., in: Hamann/Lenz, GG, Art. 14 (S. 295); Schack, BB 1961, 74 (77); Wilhelm, DÖV 1965, 397 (401); s. aus der Weimarer Zeit Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, S. 21. Teilweise wird allerdings nicht zwischen der Bedeutung des Gemeinwohlbegriffs und den Anforderungen der Gemeinwohlbindung differenziert; s. dazu oben S. 135 f. und 198 f. 1304 BVerfGE 45, 297 (322, 333); vgl. BVerfGE 24, 367 (400 f.); 35, 348 (361); 37, 132 (141). 1305 BVerfGE 24, 367 (406). 1306 BVerfGE 24, 367 (406); ebenso BVerwGE 117, 138 (139); s. auch BVerfGE 13, 97 (105). 1302

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Kap. 4: Gemeinwohlbindung der Enteignung

Diese Reduktion der rechtlichen Kontrolle dürfte freilich zu pauschal formuliert sein; sie bedarf weiterer Differenzierungen: Zunächst ist daran zu erinnern, dass eine Überprüfung der Gemeinwohlkonkretisierung von Enteignungszwecken, die als politische Entscheidung ebenfalls Wertungen erfordert, im Rechtssystem abgesehen von den verfassungsrechtlichen Vorgaben1307 und den Mindestanforderungen der Gerechtigkeit1308 überhaupt nicht erfolgt – auch nicht auf eindeutige Widerlegbarkeit oder offensichtliche Fehlsamkeit.1309 Im Übrigen bezieht sich der Einschätzungsfreiraum des formellen Gesetzgebers vor allem auf Prognosen über die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme.1310 Für die Geeignetheit kommt es auf die Voraussage an, ob die Enteignung ihren Gemeinwohlzweck fördern wird. Bei der Erforderlichkeit geht es um die voraussichtliche Effektivität der Förderung des Gemeinwohlzwecks durch die Enteignung im Vergleich zu milderen alternativen Maßnahmen. Dagegen ist im Rahmen der Angemessenheitsprüfung hinsichtlich der Gewichtung des Gemeinwohlzwecks1311 einerseits und der Nachteile der Enteignung andererseits sowie hinsichtlich der Abwägung beider Positionen ein Bewertungsfreiraum nicht anzuerkennen.1312 Immerhin ergibt sich diesbezüglich eine gewisse Reduktion der Rechtskontrolle daraus, dass eine Enteignung erst dann als unangemessen zu bewerten ist, wenn ihre Nachteile außer Verhältnis zu dem verfolgten Gemeinwohlzweck stehen.1313 1307

Siehe oben S. 199 – 212. Vgl. oben S. 158 – 160. 1309 Siehe oben S. 190 – 192 und 198 f. Dieser politische Entscheidungsfreiraum beruht unmittelbar auf der verfassungsrechtlichen Kompetenz des formellen Gesetzgebers zur freien Konkretisierung des Gemeinwohls. Daher bedarf es zu seiner Begründung nicht der Annahme einer Selbstbeschränkung oder Funktionsgrenze der Verfassungsgerichtsbarkeit; vgl. hierzu Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 303 – 312, 332 – 350; Kriele, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR V, 2. Aufl. 2000, § 110; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 501 – 529 m. w. N. 1310 BVerfGE 30, 250 (263 f.); 50, 290 (332 f.); 77, 84 (106); 90, 145 (173); Gentz, NJW 1968, 1600 (1607); Sachs, Verfassungsrecht II. Grundrechte, Kap. A 10 Rn. 38; vgl. eingehend Ossenbühl, in: Festg. aus Anlass des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts I, S. 458 (496 – 518); Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 530 – 538 jeweils m. w. N.; s. zum Ganzen auch Raabe, Grundrechte und Erkenntnis. 1311 Siehe oben S. 193 f. 1312 Vgl. hierzu Hufen, NJW 1994, 2913 (2918 f.); anders insoweit v. Zezschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, S. 183 f., der die Gewichtung des Gemeinwohlzwecks von einem Bewertungsfreiraum des formellen Gesetzgebers umfasst sieht und zugleich zugibt, dass die rechtliche Kontrolle der Gemeinwohlbindung von Grundrechtseingriffen dann weitgehend ausgehebelt ist; vgl. aber auch BVerfGE 77, 84 (111 f.). Vielmehr kommt im Rahmen der Angemessenheit ein Einschätzungsfreiraum des formellen Gesetzgebers nur in Betracht, soweit es um empirische Annahmen als Grundlage der Abwägung geht; vgl. BVerfGE 25, 1 (12 f.); 68, 193 (219 f.); Raabe, Grundrechte und Erkenntnis, S. 333 f.; s. zur Kontrolle der Angemessenheit auch Michael, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, S. 137 – 141. 1313 Vgl. Gentz, NJW 1968, 1600 (1606); v. Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 16. Siehe zum Maßstab der Angemessenheit oben S. 217 – 219. 1308

Kapitel 5

Ergebnis Die Untersuchung der Dogmatik des Art. 14 GG auf den Ebenen der Eigentumsgewährleistung, des Enteignungsbegriffs und der Gemeinwohlbindung der Enteignung hat differenzierte Ergebnisse über Sinn und Berechtigung der hergebrachten Eigentümlichkeiten zutage gefördert: Während hinsichtlich des Enteignungsbegriffs eine Rückbesinnung auf das ursprüngliche Verständnis der Enteignung als Instrument für hoheitliche Güterbeschaffung angezeigt war, bedurfte insbesondere die Eigentumsgewährleistung einer Weiterentwicklung, um sich konsistent in die Grundrechtsdogmatik der geltenden Verfassungsordnung einzufügen. So war als leistungsrechtliche Gewährleistungsdimension die Ausgestaltungsgarantie zu entfalten, die eine wesentliche Grundlage für die Überprüfung der gesetzlichen Eigentumsordnung am Verhältnismäßigkeitsprinzip darstellt und in der die überlieferte Einrichtungsgarantie aufgeht. Bei der Erörterung der verfassungsrechtlichen Ausgestaltungsprinzipien in Verbindung mit dem Vorbehalt des formellen Gesetzes ergab sich, dass die bisherige Konzeption eines Integritätsschutz- und Haftungsrechts für Eigentumsverletzungen durch die Verwaltung als richterrechtlich geprägtes Gewohnheitsrecht nicht tragfähig ist. Vielmehr besteht insoweit dringender Handlungsbedarf für eine Kodifikation des Staatshaftungsrechts. Die Gemeinwohlbindung der Enteignung hat sich weitgehend als eine für alle Grundrechtseingriffe geltende Selbstverständlichkeit entpuppt. Die Bestimmung der Zwecke von Grundrechtseingriffen im Allgemeinen wie auch der Enteignung im Besonderen erfolgt durch Konkretisierung des Gemeinwohls, die dem formellen Gesetzgeber weitgehend als politische Entscheidung obliegt und im Rechtssystem abgesehen von den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht überprüfbar ist. Dieses Ergebnis ist nicht als Kapitulation vor den Schwierigkeiten einer positiven Definition des Gemeinwohls1314 zu verstehen. Ebenso wenig soll sich das Recht seiner Verantwortung für das Gemeinwohl entziehen.1315 Vielmehr ist es einem verfassungstheoretischen Gemeinwohlverständnis immanent, dass sich das Gemeinwohl nur situationsbezogen im Zusammenwirken von Recht und Politik bestimmen und verwirklichen lässt. Aus diesem Grund ist die Konkretisierung des Gemeinwohls nach geltendem Verfassungsrecht zuvörderst dem formellen Gesetz1314

Vgl. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 508; Schmidbauer, Enteignung zugunsten Privater, S. 91 f.; Schnur, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 57 (60 f.). 1315 Vgl. Stolleis, VerwArch 65 (1974), 1 (4 f.).

222

Kap. 5: Ergebnis

geber anvertraut. Die weitreichende Kompetenz des formellen Gesetzgebers zur politischen Entscheidung über das Gemeinwohl ist keine Verlegenheitslösung1316, sondern zielt gemeinsam mit dem Vorbehalt des formellen Gesetzes und dem Bestimmtheitsgebot auf die Erreichung höchstmöglicher Legitimität von Gemeinwohlkonkretisierungen. Zugleich entfaltet die Gemeinwohlverantwortung des formellen Gesetzgebers vor dem Wahlvolk in einer funktionierenden Demokratie eine eingriffshemmende Wirkung. Allerdings sind weder der formelle Gesetzgeber noch das Volk davor gefeit, das Gemeinwohl zu verfehlen. Auch ist nicht zu verkennen, dass die Gemeinwohlbindung des Staates in einer Diktatur nicht nur keinen Schutz bietet, sondern sogar zur Rechtfertigung der Überwältigung, Unterdrückung und Entrechtung der Einzelnen zum vermeintlichen Vorteil des Kollektivs missbraucht werden kann1317, wie insbesondere die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Terrorherrschaft des Nationalsozialismus1318 gezeigt haben. Als „Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes“1319 bezieht das Grundgesetz von vornherein die Würde, Rechte und Interessen des Einzelnen in das Gemeinwohl ein. In materieller Hinsicht entfaltet das Grundgesetz die eingriffshemmende Funktion der Gemeinwohlbindung als Zulässigkeitsvoraussetzung der Enteignung vor allem in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip.1320 Im Rückblick auf den Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung1321 wird der Mythos einer Sonderstellung der Eigentumsgarantie unter Zugrundelegung der hier gefundenen Ergebnisse weitgehend entzaubert. Das Eigentum ist kein „Paradigma für ein dem Gemeinwohl verpflichtetes Rechtsinstitut“1322, weil es dem Gemeinwohl nicht mehr verpflichtet ist als alle anderen Institute des Rechts und überhaupt alles staatliche Handeln. Ebenso wenig unterscheidet sich Art. 14 GG durch die ausdrückliche Formulierung der Gemeinwohlbindung wesentlich von den übrigen im Grundgesetz garantierten Grundrechten1323, denn die Bindung aller Grundrechts1316 So aber Schnur, in: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, S. 57 (70); Schulte, Eigentum und öffentliches Interesse, S. 69 Fn. 7. 1317 Stolleis, in: Kunst/Grundmann, Evangelisches Staatslexikon I, 3. Aufl.1987, Sp. 1061 (1061). 1318 Siehe zur Bedeutung des Gemeinwohls im Nationalsozialismus eingehend Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht. 1319 BVerfGE 124, 300 (328). 1320 Badura, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, § 10 Rn. 62 hält die Anforderung der Verhältnismäßigkeit gar für „die ausschlaggebende limitative Bedingung einer zulässigen Enteignung“; vgl. zur Bedeutung der Verhältnismäßigkeitsprüfung als Kontrollinstrument Schlink, in: FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht II, S. 445 (445 f.). 1321 Siehe oben S. 15 f. 1322 So aber Bumke, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 179 (179). 1323 So aber Bumke, in: Münkler/Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht (III), S. 179 (215 f.).

Kap. 5: Ergebnis

223

eingriffe an das Gemeinwohl beansprucht als ungeschriebenes Verfassungsprinzip ohnehin umfassende Geltung. Nach alledem erscheint die Eigentumsgarantie bei weitem nicht mehr so eigentümlich wie zunächst befunden.

Kapitel 6

Zusammenfassung Die vorliegende Untersuchung nimmt ihren Ausgangspunkt in der Eigentumsgewährleistung gemäß Art. 14 Abs. 1 und 2 GG, erörtert dann den Enteignungsbegriff und schließlich die Gemeinwohlbindung gemäß Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG.

A. Eigentumsgewährleistung gemäß Art. 14 Abs. 1 und 2 GG Eigentum bezeichnet ein subjektives Recht, das in seiner Existenz auf die gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmungen angewiesen ist (S. 17 f.). Der Gesetzesbegriff des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG umfasst alle formellen und/oder materiellen Gesetze; allerdings sind „nur formelle“ Gesetze wegen Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG unzulässig (S. 18 – 21). Inhalts- und Schrankenbestimmungen lassen sich nicht trennen, sondern bezeichnen lediglich zwei verschiedene Definitionstechniken (S. 22 f.). Befugnisse der Verwaltung zur Vornahme von Einzelfallregelungen oder von Realakten sind Teil von Inhalt und Schranken des Eigentums. Inhalt und Schranken des Eigentums werden gleichrangig durch privatrechtliche und durch öffentlich-rechtliche Gesetze bestimmt (S. 23). Mit Blick auf die Abhängigkeit des Eigentums vom objektiven Recht enthält die Eigentumsgewährleistung ein (Dauer-)Leistungsrecht, das den Gesetzgeber zur Bereitstellung einer Eigentumsordnung verpflichtet (S. 23 – 25). Die Frage, wie die gesetzliche Eigentumsordnung ausgestaltet sein muss, ist nicht mit einem Minimum im Sinne der hergebrachten Einrichtungsgarantie, sondern mit einem Maximum zu beantworten, das der einschränkenden und abwägenden Ausgestaltung unter Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips unterliegt (S. 26 – 32). Die so verstandene Ausgestaltungsgarantie enthält auf der einen Seite ein Optimierungsgebot, das den Gesetzgeber prima facie auf die Ausgestaltungsprinzipien des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs verpflichtet. Auf der anderen Seite ist der Gesetzgeber gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG befugt und beauftragt, Inhalt und Schranken des Eigentums so zu bestimmen, dass dessen Gebrauch zugleich dem Gemeinwohl dient. In diesem Spannungsfeld belässt die Ausgestaltungsgarantie dem Gesetzgeber einen weitreichenden Ausgestaltungsfreiraum, der allerdings durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip begrenzt wird. Die tradierte Einrichtungsgarantie erschöpft sich im

A. Eigentumsgewährleistung

225

Schutz des Wesensgehalts der Ausgestaltungsgarantie gemäß Art. 19 Abs. 2 GG und ist damit als eigenständiger Gewährleistungsgehalt im Grunde obsolet. Der Vorbehalt des formellen Gesetzes, der nicht mit dem Gesetzesvorbehalt zu verwechseln ist (S. 20 f.), gilt in seinem ursprünglichen Anwendungsbereich für hoheitliche „Eingriffe in Freiheit und Eigentum“ (S. 33 f.). Diesem Vorbehalt unterliegt das Zurückbleiben der gesetzlichen Eigentumsordnung hinter dem Maximum der Ausgestaltungsprinzipien zwar nicht als Grundrechtseingriff, wohl aber im Fall der Wesentlichkeit des betreffenden Regelungsgegenstandes (S. 34 – 36). Infolgedessen muss Richterrecht als gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung zur Ausfüllung wesentlicher Regelungslücken der Eigentumsordnung ausscheiden, bleibt aber immerhin außerhalb des Vorbehaltsbereichs zulässig (S. 37 – 40). Bei der Ermittlung der verfassungsrechtlichen Ausgestaltungsprinzipien aus dem Grundgesetz kann zunächst das Leitbild des Sacheigentums nicht unberücksichtigt bleiben, in dem sich die Prinzipien der Privatnützigkeit und der Verfügungsfreiheit sowie der Freiheit des Eigentumserwerbs erkennen lassen (S. 41 – 44). Aus der Funktion des Eigentums, einen vermögensrechtlichen Freiheitsraum zu ermöglichen, ergeben sich weiterhin das Prinzip des Äquivalents für vermögenswerte Leistung sowie – in Kombination mit dem Leitbild des Sacheigentums – die Prinzipien der Herrschafts- und Ausschließungsbefugnis (S. 44 – 46). Ferner ist das Prinzip der Nachfolgefähigkeit anzuerkennen (S. 46 f.). Zu den Ausgestaltungsprinzipien gehört weiterhin die verfassungsrechtliche Dogmatik des Ausgleichs für Sonderopfer (S. 47). Bleibt eine Inhalts- und Schrankenbestimmung in unverhältnismäßiger oder gleichheitswidriger Weise hinter dem Maximum der Ausgestaltungsprinzipien zurück, so kann dieser Verfassungsverstoß durch einen finanziellen Ausgleich abgewendet werden. Die Gewährung von solchen Ausgleichsansprüchen unterliegt allerdings dem Vorbehalt des formellen Gesetzes (S. 47 f.). Anspruchsbegründend kann nur eine einfachgesetzliche Anspruchsgrundlage, niemals aber die verfassungsrechtliche Ausgestaltungsgarantie sein (S. 48 f.). Eine Ausgleichsregelung ist nur zulässig, wenn die unverhältnismäßigen oder gleichheitswidrigen Belastungen einer Inhalts- und Schrankenbestimmung nicht über Sonderopfer hinausgehen (S. 49). Von den regelungsfähigen abstrakt vorhersehbaren Sonderopfern sind nur die typischen Sonderopfer ausgleichsregelungsbedürftig (S. 49 f.). Atypische Sonderopfer lassen die Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden formellgesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmung unberührt, ohne dass es einer Ausgleichsregelung bedürfte. Stehen Vollzugsmaßnahmen im Ermessen der Verwaltung, so bedarf es ebenfalls keiner Ausgleichsregelung, da der Ermessensfreiraum von vornherein durch die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Gleichheitssatzes beschränkt wird (S. 51). Der formelle Gesetzgeber darf die Verwaltung bei der Entscheidung über die Gewährung eines Ausgleichs im Einzelfall einbinden, wenn er sicherstellt, dass die Verwaltung bei ihrer Maßnahme zugleich über den gegebenenfalls erforderlichen Ausgleich zumindest dem Grunde nach entscheidet (S. 51 f.).

226

Kap. 6: Zusammenfassung

Bei der formellgesetzlichen Regelung des Verwaltungsverfahrens und der Voraussetzungen sowie der Art und des Umfangs von Ausgleichsansprüchen ist eine über bloße Generalklauseln hinausgehende Regelungsdichte möglich und erforderlich. Lässt der Gesetzgeber Sonderopfer zugunsten Privater zu, so bedarf es regelmäßig eines Ausgleichs in Höhe des vollen Verkehrswertes des betroffenen Eigentums (S. 52 f.). Fehlt eine zulässige und erforderliche Ausgleichsregelung für ein typisches Sonderopfer, so sind die gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung einschließlich etwaiger Vollzugsmaßnahmen und die Sonderopfer rechts- und verfassungswidrig (S. 53). Hingegen schlägt die Rechts- und Verfassungswidrigkeit eines atypischen Sonderopfers nicht auf die zugrundeliegende gesetzliche Inhaltsund Schrankenbestimmung durch. Die Kompensation von unheilbar rechtswidrigen Verwaltungsmaßnahmen oder Sonderopfern kann nicht auf der Grundlage von Ausgleichsregelungen erfolgen, sondern unterliegt dem Regelungsgegenstand der Ausgestaltungsprinzipien des Integritätsschutzes und der Unrechtshaftung, s. sogleich. Nach dem Ausgestaltungsprinzips des Integritätsschutzes muss die einfachgesetzliche Eigentumsordnung Ansprüche zur Abwehr und Beseitigung (rechtswidriger) Verletzungen des Eigentums und der darin enthaltenen Herrschafts- und Ausschließungsbefugnisse zur Verfügung stellen (S. 54). Das Ausgestaltungsprinzip der Unrechtshaftung verlangt die Bereitstellung von Ersatzansprüchen bei Verletzungen des Eigentums (Erfolgsunrecht), soweit der Schaden nicht zumutbar abgewehrt oder gemindert werden konnte. Die Ausgestaltungsprinzipien des Integritätsschutzes und der Unrechtshaftung beanspruchen auch Geltung für die Rechtsverhältnisse zwischen Grundrechtsträgern und der Verwaltung, hingegen nicht für legislatives Unrecht, jedoch für Beruhensakte (S. 54 – 58). Durch den Vorrang des Primärrechtsschutzes wird ein „Dulden und Liquidieren“ ausgeschlossen (S. 58). Haftungsbegründend ist jegliches Erfolgsunrecht einschließlich nicht oder fehlerhaft ausgeglichener Sonderopfer sowie rechtswidriger Administrativenteignungen (S. 59 – 61). Das bislang als richterrechtlich geprägtes Gewohnheitsrecht existierende Staatshaftungsrecht für Eigentumsverletzungen durch die Verwaltung gilt nicht als vorkonstitutionelles Recht fort, sondern unterliegt aufgrund der Wesentlichkeit des Regelungsgegenstandes dem Vorbehalt des formellen Gesetzes (S. 61 – 64). Eine formellgesetzliche Kodifikation von Integritätsschutz und Unrechtshaftung für Eigentumsverletzungen durch die Verwaltung ist zumindest in Form von Generalklauseln dringend geboten (S. 64 f.). Damit geht der Anspruch aus „enteignungsgleichem“ Eingriff vollständig im Ausgestaltungsprinzip der Unrechtshaftung auf, während für den Anspruch aus „enteignendem“ Eingriff zu differenzieren ist (S. 66): Soweit es um typische Folgen von gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmungen geht, ist der Anspruch aus „enteignendem“ Eingriff im Rahmen der Dogmatik des Ausgleichs für Sonderopfer regelungsbedürftig. In allen anderen Fällen muss der Anspruch aus „enteignendem“ Eingriff nach Maßgabe des Ausgestaltungsprinzips der Unrechtshaftung kodifiziert werden.

A. Eigentumsgewährleistung

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Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch Gesetz sind weiterhin an der Rechtsstellungsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG zu messen, die den Inhaber subjektiver Rechte, die vom verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff umfasst sind, vor nachteiligen Veränderungen seines Eigentums schützt (S. 67). Die Rechtsstellungsgarantie ist „normgeprägt“, weil sie voraussetzt, dass das zu schützende Eigentum zuvor nach Maßgabe der einfachgesetzlichen Eigentumsordnung entstanden ist. Wird im Falle einer Neuregelung der Eigentumsordnung das bestehende Eigentum nicht angeglichen, so ist die Rechtsstellungsgarantie nicht berührt (S. 68 f.). Gegen Eingriffe in Eigentum, die im Übrigen dem Vorbehalt des formellen Gesetzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip unterliegen, bietet die Rechtsstellungsgarantie ein Abwehrrecht, das über den rechtsstaatlichen Vertrauensschutz hinausgeht (S. 69 f.). Obwohl die Rechtsstellungsgarantie vor der nachteiligen Veränderung bestehenden Eigentums schützt, hindert sie nicht die erstmalige Ermittlung und Anwendung von nachteiligem Richterrecht (S. 70 – 72). Denn Richterrecht wird nicht geschaffen, sondern gefunden; es ist von vornherein in der geschriebenen Rechtsordnung angelegt. Allerdings bestehen Anforderungen an die Methodik der Rechtsfindung, damit die Gerichte nicht vom Normanwender zur normsetzenden Instanz werden (S. 72 f.). Führt ein Eingriff in die Rechtsstellungsgarantie zu einem Sonderopfer, so gilt hier die bei der Ausgestaltungsgarantie erörterte Ausgleichsdogmatik entsprechend (S. 73 f.). Inhalt und Schranken des Eigentums werden nicht nur durch die materiellen Gesetze bestimmt, sondern für den Einzelfall auch durch Rechtsakte, die keine abstrakt-generellen Regelungen enthalten (S. 74). Einzelfallregelungen fallen nicht unter Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch die Gesetze im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, sind aber dennoch zulässig, weil eine entsprechende Befugnis der Verwaltung von vornherein Teil von Inhalt und Schranken des betroffenen Eigentums ist (S. 74-76). Die Ausgestaltungsgarantie gilt nicht unmittelbar für Einzelfallregelungen, entfaltet hierfür aber Ausstrahlungswirkungen (S. 76 f.). Wird den Ausgestaltungsprinzipien nicht hinreichend Rechnung getragen, so kann eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts geltend gemacht werden (S. 77 f.). Im Übrigen gilt der Anwendungsvorrang des einfachen Rechts (S. 78). Die Rechtsstellungsgarantie schützt den Eigentümer davor, dass Inhalt und Schranken seines bestehenden Eigentums nachteilig durch Einzelfallregelungen verändert werden (S. 79). Zwar ist die in der Ermächtigungsnorm enthaltene abstrakt-generelle Befugnis der Verwaltung bereits Teil von Inhalt und Schranken des betroffenen Eigentums, eine Inhaltsund Schrankenbestimmung durch Einzelfallregelung hat aber eine gegenüber ihrer Rechtsgrundlage eigenständige Regelungswirkung (S. 79 f.). Abwehrrechte gegen faktische Beeinträchtigungen können nicht aus der Rechtsstellungsgarantie, sondern nur aus dem einfachgesetzlichen Integritätsschutzrecht abgeleitet werden (S. 80 f.). Aber auch soweit die Rechtsstellungsgarantie Abwehrrechte gewährt, geht der einfachgesetzliche Integritätsschutz vor (S. 81). Da Realakte nicht auf das Eigentum selbst, sondern auf dessen körperlichen Zuordnungsgegenstand einwirken, sind sie keine Inhalts- und Schrankenbestim-

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Kap. 6: Zusammenfassung

mungen und können nicht in die Rechtsstellungsgarantie eingreifen (S. 82). Ihre Rechtmäßigkeit beurteilt sich nach Inhalt und Schranken des betroffenen Eigentums, das nach Maßgabe der Ausgestaltungsgarantie mit einer Herrschafts- und Ausschließungsbefugnis versehen sein muss.

B. Enteignung gemäß Art. 14 Abs. 3 GG Die Enteignung bezeichnet einen Eingriff in die Rechtsstellungsgarantie durch hoheitlichen Rechtsakt (S. 83). Die Abgrenzung der Enteignung von Inhalts- und Schrankenbestimmungen, die ebenfalls hoheitlich in die Rechtsstellungsgarantie eingreifen, ist historisch belastet (S. 84): Während die Eigentumsgewährleistung vor der Geltung des Grundgesetzes weitgehend leerlief, erlangte die verfassungsrechtliche Enteignungsregelung in der Weimarer Zeit eine zunehmende Bedeutung als Entschädigungsgrundlage, nicht aber als Zulässigkeitsvoraussetzung (S. 84 – 87). Demgegenüber bietet die Rechtsstellungsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG nunmehr umfassenden primären Schutz vor Eingriffen in das Eigentum (S. 87). Art. 14 Abs. 3 GG ist als lex specialis gegenüber den allgemeinen Regelungen des Art. 14 Abs. 1 und 2 GG anzusehen (S. 88 f.). Die Abgrenzung erfolgt anhand des letzten Rechtsakts, der unmittelbar in das Eigentum eingreift, nicht aber anhand etwaiger vorgelagerter Rechtsgrundlagen. Der Enteignungsbegriff ist historisch geprägt. Die klassische Enteignung des 19. Jahrhunderts bedeutete die Entziehung von Sacheigentum durch Verwaltungsakt zur Übertragung auf ein dem Gemeinwohl dienendes Unternehmen (S. 89 f.). In der Weimarer Republik wurde das Bedürfnis nach einem stärkeren verfassungsrechtlichen Schutz des Eigentums durch eine Ausdehnung des Enteignungsbegriffs verfolgt (S. 91). Das Übertragungsmerkmal wurde aufgegeben und Enteignungen fortan anhand ihrer Eingriffswirkung von sonstigen Eigentumseingriffen unterschieden. Die dazu entwickelten „Schwellentheorien“ sind jedoch mit der Junktimklausel des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG nicht vereinbar, so dass wieder ein formaler Enteignungsbegriff erforderlich ist (S. 92 f.). Der Enteignungsbegriff des Grundgesetzes setzt zunächst eine vollständige oder teilweise Entziehung von Eigentum voraus, die jedoch nicht „vorsätzlich“, „bewusst“ oder „gewollt“ erfolgen muss (S. 93 – 96). Allerdings muss der objektive Erklärungsgehalt (Regelungsinhalt) des Rechtsakts in der Entziehung von Eigentum bestehen (S. 96 f.). Vorbereitende Rechtsakte, die noch nicht selbst Eigentum entziehen, aber bereits Rechtsfolgen für eine spätere Enteignung entfalten, unterliegen wegen dieser enteignungsrechtlichen Vorwirkungen bereits den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG (S. 97 f.). Dies gilt insbesondere für Planungsentscheidungen wie auch für die Auferlegung einer schuldrechtlichen Pflicht zur Übertragung von Eigentum. Enteignungen – egal ob durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes – sind immer Einzelfallregelungen, die eine Rechtsänderung zu einem bestimmten Zeit-

B. Enteignung

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punkt bewirken (S. 98-101). Die Zahl der zeitlich punktuell betroffenen Eigentümer ist für den Enteignungsbegriff irrelevant. Lässt sich eine Enteignung als Einzelfallregelung von einer gesetzlichen Inhaltsund Schrankenbestimmung hinreichend abgrenzen, so gestaltet sich die Abgrenzung von einer Inhalts- und Schrankenbestimmung durch Einzelfallregelung erheblich schwieriger (S. 101). Denn beide Maßnahmen sind Rechtsakte mit konkretem Regelungscharakter, die zeitlich punktuell eine nachteilige Veränderung der Rechtsstellung des Eigentümers herbeiführen. Ansätzen, die zur Abgrenzung auf die teilweise Entziehung abstellen und etwa eine Konturierung von Teilrechten voraussetzen, wird nicht gefolgt (S. 101 – 103). Bislang ungelöst ist auch die Einordnung von abstrakt-generellen Umgestaltungen der Eigentumsordnung, die mit zeitlich punktuellen Eigentumsentziehungen einhergehen, wobei die pauschale Ablehnung von Enteignungen nicht überzeugt (S. 103 – 105). Das Merkmal der Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben vermag die erforderliche Abgrenzung nicht zu leisten und muss wegen seiner begrifflichen Nähe zur Zulässigkeitsvoraussetzung der Gemeinwohlbindung ausscheiden (S. 105 – 107). Der Gedanke einer „Indienstnahme“ des entzogenen Eigentums führt zurück zur Güterbeschaffung (S. 107 f.). Der Verzicht auf dieses Begriffsmerkmal war eine historische Fehlentwicklung, die korrigiert werden musste (S. 108 – 110). Im Übrigen lässt sich der Sinn der zwingenden Enteignungsentschädigung im Vergleich zum Ausgleich für Sonderopfer, der nur bei unverhältnismäßigen oder gleichheitswidrigen Belastungen gewährt werden kann, erst erklären, wenn man die Enteignung als Güterbeschaffung und die Enteignungsentschädigung als Kompensation für den beschafften Vermögensvorteil versteht (S. 110 f.). Die Güterbeschaffung bezeichnet den Zweck der Eigentumsentziehung (S. 112 f.). Sie ist wirtschaftlich zu bewerten und bedeutet die Bereitstellung von Einsatzfaktoren. Güterbeschaffung liegt vor, wenn mit der Eigentumsentziehung eine vom Staat hinreichend bestimmte Nutzung des Eigentumsgegenstands bezweckt wird (S. 113). Erst mit dem Güterbeschaffungsmerkmal lässt sich begründen, wieso die privatrechtliche Zwangsvollstreckung, die strafrechtliche Einziehung oder die öffentlich-rechtliche Zerstörung gefährlicher Sachen keine Enteignungen sind (S. 114). Ferner ermöglicht das Güterbeschaffungsmerkmal eine Einordnung von Eigentumsentziehungen, die mit einer abstrakt-generellen Umgestaltung der Eigentumsordnung einhergehen (S. 115). Die Enteignung setzt ferner einen einseitigen Rechtsakt voraus (S. 115). Kein Begriffsmerkmal der Enteignung ist hingegen die Rechtmäßigkeit des Eingriffs (S. 116). Ebenso wenig ist die Enteignungsentschädigung zur Kompensation von rechtswidrigen Eigentumseingriffen systemgerecht (S. 116 – 118). Demnach sind einfachgesetzliche Anspruchsgrundlagen dahingehend auszulegen, dass sie keine Enteignungsentschädigung für rechtswidrige Eingriffe gewähren. Die Kompensation von rechtswidrigen Enteignungen gehört zum Regelungsgegenstand der Unrechtshaftung, die Ausgestaltungsprinzip des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs ist (S. 118 f.).

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Kap. 6: Zusammenfassung

Art. 14 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GG enthalten einen Eingriffsvorbehalt für Enteignungen (S. 119). Dessen Gesetzesbegriff schließt materielle Gesetze nicht aus (S. 120 – 123). Allerdings unterliegen Enteignungen als Eingriffe in Eigentum dem allgemeinen Vorbehalt des formellen Gesetzes (S. 123 f.). Da der Enteignungsbegriff eine Einzelfallregelung voraussetzt, ist eine Legalenteignung ausschließlich durch „nur formelles“ Einzelfallgesetz denkbar, wohingegen Rechtsverordnungen und Satzungen nur „auf Grund eines Gesetzes“ enteignen können (S. 125 f.). Qualifizierte Anforderungen an das Enteignungsgesetz ergeben sich aus Art. 14 Abs. 3 Sätze 2 und 3 GG (S. 126). Für Enteignungen und für Enteignungsgesetze entfaltet die Ausgestaltungsgarantie der Eigentumsgewährleistung weder unmittelbare Bindungen noch Ausstrahlungswirkung (S. 126 f.). Hingegen beansprucht die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG mit Blick auf Enteignungen Geltung zum Schutz der Rechtsstellungsgarantie (S. 127 – 129). Danach sind Enteignungen einer Vielzahl von Grundrechtsträgern unzulässig, wenn dadurch die Eigentumsgewährleistung als Institut bedroht ist. Im Übrigen schützt die Wesensgehaltsgarantie nicht jedes einzelne Eigentumsrecht, sondern nur die Grundrechtsstellung eines Eigentümers insgesamt, also in Ansehung all seiner Eigentumsrechte.

C. Gemeinwohlbindung der Enteignung gemäß Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG In Rechtsprechung und Rechtswissenschaft findet sich rund um das Gemeinwohl eine terminologische Vielfalt, die die Beschäftigung mit dem Begriff „Wohl der Allgemeinheit“, wie er in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG normiert ist, erschwert (S. 130 – 132). Geboten ist indes eine Orientierung am Wortlaut der zu untersuchenden Norm, wobei lediglich aus Gründen der Lesbarkeit und Vereinfachung anstelle des Begriffs „Wohl der Allgemeinheit“ der gleichbedeutende Begriff „Gemeinwohl“ verwendet wird (S. 132 f.). Zur Bestimmung der Funktion der Gemeinwohlbindung gemäß Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG ist zunächst die Einordnung des Gemeinwohlbegriffs in die Kategorien des unbestimmten Rechtsbegriffs und des Ermessensbegriffs nicht förderlich (S. 133 f.). Die Gemeinwohlbindung als Zulässigkeitsvoraussetzung der Enteignung betrifft den Zweck der Enteignung und knüpft dabei an den Güterbeschaffungszweck der Eigentumsentziehung an (S. 135 – 137). Die Gemeinwohlbindung der Enteignung findet sich in zahlreichen europäischen Menschen- und Grundrechten sowie in verschiedenen historischen und geltenden deutschen Verfassungstexten (S. 137 – 139). Im Unterschied zum Absolutismus, zum Konstitutionalismus und zur Weimarer Zeit kann die Gemeinwohlbindung der Enteignung unter der Geltung des Grundgesetzes eine bestandsschützende Funktion entfalten (S. 140 – 144).

C. Gemeinwohlbindung der Enteignung

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Der Gemeinwohlbegriff ist ein interdisziplinärer Begriff, dessen juristische Bedeutung nicht ohne Blick auf die Nachbarwissenschaften ermittelt werden sollte, so dass eine juristische Rezeptionsmethode erforderlich ist (S. 144 – 147). Seit der Antike wurden verschiedene klassische Gemeinwohlvorstellungen entwickelt, die das Gemeinwohl als substanziell vorgegeben und objektiv betrachten (S. 148 f.). Ebenfalls materielle Gemeinwohlgehalte lassen sich mit der Gerechtigkeitstheorie von John Rawls ermitteln (S. 149). Hingegen lehnt Ernst Fraenkel als Vertreter der Pluralismustheorie die Vorstellung eines vorgegebenen, statischen Gemeinwohls ab und betrachtet das Gemeinwohl mehr als das Ergebnis eines Interessensausgleichs (S. 149 f.). Den politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess als Grundlage der Gemeinwohlbestimmung betont die Diskurstheorie, die vor allem mit dem Namen von Jürgen Habermas verbunden wird (S. 151). Die insbesondere von Niklas Luhmann vertretene und weiterentwickelte Systemtheorie erörtert das Gemeinwohl als Kontingenzformel des Politiksystems, zieht diesem aber die Legitimität vor (S. 151 – 153). Innerhalb der genannten Auffassungen lassen sich materielle und formelle Gemeinwohlkonzeptionen unterscheiden (S. 153 f.). Die Fragestellung eines Vorrangs von Inhaltsvorgaben oder Verfahren ist auch bei der Suche nach einem verfassungstheoretischen Verständnis des Gemeinwohlbegriffs relevant. Das Grundgesetz zeigt zwar religiöse und naturrechtliche Prägungen, stellt aber den Menschen in seinen Mittelpunkt (S. 155). Ausgehend von seinem unbedingten Willen zur Selbstbestimmung entfaltet das Volk seine Autorität über den Staat. Ebenso wie der Geltungsanspruch der Verfassung hängt auch der Geltungsanspruch des Gemeinwohls vom Willen des Souveräns ab (S. 156 – 158). Rationale Gerechtigkeitsgrundsätze im Sinne von Rawls gehen zwar auf den hypothetischen, nicht aber auf den realen Willen der Menschen zurück und müssen daher zur Bestimmung des verfassungstheoretischen Gemeinwohls ausscheiden (S. 158 – 160). Die verfassungstheoretische Gemeinwohlvorstellung nimmt ihren Ausgangspunkt in der Souveränität des Volkes (S. 160 f.). Der Staat soll dem Wohl des Volkes dienen (S. 161 – 163). Während das Volk Legitimationssubjekt der Staatsgewalt ist, lässt sich die Allgemeinheit, die den Bezugspunkt des Gemeinwohls bildet, als Gemeinschaft der Herrschaftsunterworfenen verstehen (S. 163 f.). Im Grundgesetz und in den Verfassungen der Länder lässt das deutsche Volk erkennen, dass es sein Wohl mit dem Wohl der von ihm beherrschten Allgemeinheit verknüpft (S. 164 – 167). Das Grundgesetz als Verfassung des Staates verfasst auch das Gemeinwohl (S. 168 f.). Zum Gemeinwohl gehören damit zunächst die freiheitliche demokratische Wertordnung einschließlich der Grundrechte sowie der Staatsstrukturprinzipien und der Staatszielbestimmungen (S. 169 f.). Diese verfassungsrechtlichen Konkretisierungen der Gemeinwohlidee sind jedoch nicht abschließend (S. 170 f.). Die erforderliche weitere Konkretisierung des Gemeinwohls hat der Souverän an die demokratisch legitimierte Staatsgewalt delegiert (S. 171 – 173).

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Kap. 6: Zusammenfassung

Ausgehend davon, dass die Verfassung das Rechtssystem und das Politiksystem zum Wohl der Allgemeinheit koppelt, lässt sich das Gemeinwohl nur im Zusammenwirken von Recht und Politik bestimmen und verwirklichen (S. 173 – 175). Ziel ist die Herstellung legitimer Geltung des Gemeinwohls, wobei Gemeinwohlkonkretisierungen durch staatliche Willensbildung in ihrer rechtlichen Geltung weder von einer – wie auch immer zu bestimmenden – Richtigkeit noch von ihrer politischen Legitimität abhängen (S. 175 f.). Dennoch erwartet der Souverän, dass der Staat bei seinen Entscheidungen höchstmögliche Legitimität anstrebt. Wichtige Legitimationsfaktoren sind das Mehrheitsprinzip, der Pluralismus, der Diskurs, die Beteiligung am Verfahren und die politische Betätigung in der Gesellschaft (S. 176 – 182). Diese Input-Legitimation von Gemeinwohlkonkretisierungen ist unabhängig vom Ausgang der staatlichen Entscheidung (S. 182 f.). Insgesamt kann das Grundgesetz gleichsam als Synthese von materiellen und formellen Gemeinwohlkomponenten angesehen werden (S. 183 f.). Aus der umfassenden Gemeinwohlverpflichtung des Staates folgt, dass Grundrechtseingriffe nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig sind (S. 185). Der Zweck von Grundrechtseingriffen ist nicht Gegenstand, sondern lediglich Bezugspunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung (S. 185 f.). Die Legitimität eines konkretisierten Gemeinwohlzwecks ist keine rechtliche Voraussetzung für die Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen (S. 186 f.). Der Vorbehalt des formellen Gesetzes und das Bestimmtheitsgebot sorgen dafür, dass der formelle Gesetzgeber die Verantwortung für die Gemeinwohlkonkretisierung von Eingriffszwecken übernehmen muss (S. 187 f.). Sein Konkretisierungsfreiraum hängt von der Existenz eines grundrechtlichen Eingriffsvorbehalts ab (S. 188 – 190). Im Rechtssystem können formellgesetzliche Gemeinwohlkonkretisierungen von den Gerichten nur auf die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Anforderungen, nicht aber darauf überprüft werden, ob sie richtig oder vernünftig sind (S. 190 – 192). Innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen obliegt die Kontrolle insoweit allein dem Politiksystem. Wenn die mit Grundrechtseingriffen verfolgten Zwecke die rechtlichen Anforderungen an die Gemeinwohlkonkretisierung erfüllen, dann gelten sie im Rechtssystem als Gemeinwohl, ohne dass es insoweit auf eine Gewichtung ankäme (S. 192 – 194). Nach diesen Grundlegungen zu einem verfassungstheoretischen Gemeinwohlverständnis besagt die Gemeinwohlbindung der Enteignung nichts, was in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes nicht ohnehin gelten würde (S. 194 – 196). Folglich ist Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG als einfacher (schlichter) Eingriffsvorbehalt zu verstehen. Die ausdrückliche Formulierung der Gemeinwohlbindung in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG lässt sich als historischer Anachronismus erklären (S. 196 f.). In diese Vorschrift lassen sich die allgemeinen Voraussetzungen für die Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen einbeziehen (S. 197). Obwohl die Gemeinwohlbindung des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG unmittelbar an die Enteignung selbst anknüpft, hat der formelle Gesetzgeber auch im Fall einer Administrativenteignung eine besondere Verantwortung für die Konkretisierung des Gemeinwohls (S. 198 f.). Die Bestim-

C. Gemeinwohlbindung der Enteignung

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mung von Enteignungszwecken unterliegt dem Vorbehalt des formellen Gesetzes und dem Bestimmtheitsgebot (S. 199 – 201). Die wichtigste inhaltliche Grenze des gesetzgeberischen Konkretisierungsfreiraums für die Bestimmung des Enteignungszwecks ergibt sich aus dem allgemeinen Grundsatz, dass ein Eingriff nicht zum Zweck gemacht werden darf (S. 201 f.). Ausgehend davon, dass die Enteignung bereits begrifflich den Zweck der Güterbeschaffung umfasst, muss der Enteignungszweck darüber hinausgehen und insoweit eigenständig sein. Verdeutlichen lässt sich dies am Beispiel von finanziellen Interessen des Staates, die entgegen verbreiteter Auffassung nicht von vornherein als Gemeinwohlzwecke ausscheiden (S. 202 – 204). Kein zulässiger Enteignungszweck ist allerdings die Bereicherung durch Güterbeschaffung (S. 204 f.). Der Ausschluss finanzieller Interessen des Staates an einer Enteignung ist eine Folge der erforderlichen Eigenständigkeit des Enteignungszwecks und auch nur insoweit begründbar (S. 205 – 207). Demnach kann ein finanzielles Interesse des Staates, soweit es über die Güterbeschaffung hinausgeht und nach den allgemeinen (finanz-)verfassungsrechtlichen Vorgaben zulässig ist, in die Rechtfertigungsprüfung der Enteignung einbezogen werden. Bedeutsam ist die Eigenständigkeit des Enteignungszwecks ferner mit Blick auf Interessen privater Dritter an einer Enteignung. Deren Ausschluss als Enteignungszwecke lässt sich nicht am Gemeinwohlbegriff festmachen, weil das Gemeinwohl keinen Gegenbegriff zu den Interessen Privater bildet (S. 207 – 209). Vielmehr können Interessen einzelner Privater durch den formellen Gesetzgeber zu Gemeinwohlzwecken bestimmt werden. Sie können aber insoweit keine Enteignung rechtfertigen, als sie sich in der Bereicherung durch die Beschaffung vermögenswerter Güter erschöpfen (S. 209 f.). Dies wird besonders bei der Enteignung zugunsten Privater relevant, die ansonsten im Grunde denselben verfassungsrechtlichen Anforderungen unterliegt wie Enteignungen zugunsten des Staates (S. 210 – 212). Keine verfassungsrechtliche Anforderung an den Enteignungszweck bilden hingegen Steigerungs- und Abwägungsformeln (S. 212 – 214). Den Begriff des öffentlichen Interesses bedarf es zur Umschreibung der Gemeinwohlbindung nicht. Auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip gehört nicht zu den Anforderungen an die Gemeinwohlkonkretisierung, sondern – umgekehrt – muss der konkretisierte Gemeinwohlzweck in die Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eingestellt werden (S. 214 f.). Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung repräsentiert der Gemeinwohlzweck nur diejenigen Interessen, die für die Enteignung streiten (S. 215). Ihm werden die Interessen gegenübergestellt, die gegen die Enteignung gerichtet sind. In die Bemessung der Intensität der Beeinträchtigungen, die der betroffene Eigentümer durch die Enteignung erleidet, werden neben dem Bestandsverlust auch der Wertverlust und die Entschädigung einbezogen (S. 216 f.). Allerdings ist die Gewährung einer Entschädigung über das gemäß Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG gebotene Maß hinaus nicht geeignet, einen unverhältnismäßigen Bestandsverlust abzumildern. Für die

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Angemessenheit einer Enteignung ist nicht erforderlich, dass das Gemeinwohl die Rechte des Eigentümers überwiegt; die Nachteile einer Enteignung dürfen aber nicht außer Verhältnis zu dem mit ihr verfolgten Gemeinwohlzweck stehen (S. 217 – 219). Während eine Überprüfung der Gemeinwohlkonkretisierung von Enteignungszwecken im Rechtssystem abgesehen von den verfassungsrechtlichen Vorgaben und den Mindestanforderungen der Gerechtigkeit überhaupt nicht erfolgt und der Gesetzgeber bei der Prognose über die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme über einen Einschätzungsfreiraum verfügt, ist im Rahmen der Angemessenheitsprüfung hinsichtlich der Gewichtung des Gemeinwohlzwecks einerseits und der Nachteile der Enteignung andererseits sowie hinsichtlich der Abwägung beider Positionen ein Bewertungsfreiraum nicht anzuerkennen (S. 219 f.).

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Sachwortverzeichnis Die Ziffern bezeichnen die Seiten, auf denen ein Abschnitt über das jeweilige Sachwort beginnt. Absolutismus 140 Abwägungsformel 212 Abwehrrecht 69 Allgemeinheit 163 Anspruchsbegründung 48, 59 Anwendungsvorrang des einfachen Rechts 78 Äquivalent für vermögenswerte Leistung 45 Aufgabe, öffentliche 105 Ausgestaltungsgarantie 27, 76, 126 – Anwendungsvorrang des einfachen Rechts 78 – Ausgestaltungsprinzip siehe dort – Ausstrahlungswirkung 76 – Eingriff 35, siehe auch dort – Optimierungsgebot 28 – Umsetzungsdefizit 39 – Verhältnis zur Rechtsstellungsgarantie 68 – Verhältnismäßigkeitsprinzip 28, siehe auch dort – Vorbehalt des formellen Gesetzes 32, siehe auch dort Ausgestaltungsprinzip 41, 66 – Äquivalent für vermögenswerte Leistung 45 – Ausgleich für Sonderopfer siehe dort – Ausschließungsbefugnis 46 – Eigentumserwerb 42 – Herrschaftsbefugnis 46 – Integritätsschutz siehe dort – Nachfolgefähigkeit 46 – Privatnützigkeit 42 – Sacheigentum 41 – Unrechtshaftung siehe dort – Verfügungsfreiheit 42 – vermögensrechtlicher Freiheitsraum 44 Ausgleich für Sonderopfer 47, 73

– – – – –

Anspruchsbegründung 48 Ausgleichsregelung, fehlende 53 Bestimmtheitsgebot 51, siehe auch dort Bindung der Verwaltung 51 Regelungsfähigkeit und Regelungsbedürftigkeit 49 – Verhältnis zu Integritätsschutz und Unrechtshaftung 59 – Voraussetzungen und Subsidiarität 49 – Vorbehalt des formellen Gesetzes 47, siehe auch dort – zugunsten Privater 52 – Zurechnung von Vollzugsakten 51 Ausschließungsbefugnis 46 Ausstrahlungswirkung 76 Beeinträchtigung, faktische 80 Beruhensakt 56 Bestandseigentum 67 Bestimmtheitsgebot 51, 64, 187, 199 Budgethoheit 47, 63 Diskurstheorie

151, 180

Eigentum 17 – Ausgestaltungsprinzip siehe dort – Eingriff 33, siehe auch dort – Funktion 44 – Gesetzesabhängigkeit 37 – Inhalt und Schranken 21 – vorgegebene Eigenschaften 25 Eigentumserwerb 42 Eigentumsgewährleistung 17 – als Leistungsrecht 23 – Ausgestaltungsgarantie siehe dort – Bedeutungswandel 87 – Grundrechtsverpflichtete 24 – historischer Hintergrund 84 – Rechtsstellungsgarantie siehe dort

Sachwortverzeichnis – Wesensgehaltsgarantie 28, siehe auch dort Eigentumsordnung 23 Eingriff 33, 35 – enteignender 66 – enteignungsgleicher 66 – Zweck siehe dort Eingriffsvorbehalt 119 – allgemeine Rechtfertigungsanforderungen 197 – einfacher 194 – Einzelfallregelung 125, siehe auch dort – Gesetzesbegriff 120 – historischer Hintergrund 120, 196 – Vorbehalt des formellen Gesetzes 123, siehe auch dort Einrichtungsgarantie 26 Einzelfallregelung 74, 98, 125 enteignender Eingriff 66 Enteignung 83 – Abgrenzung vom enteignungsgleichen Eingriff 116 – Ausgestaltungsgarantie 126, siehe auch dort – Eingriffsvorbehalt siehe dort – Gemeinwohlbindung siehe dort – Haftung für rechtswidrige 118 – historischer Hintergrund 84 – lex specialis 88 – Verhältnis zur Inhalts- und Schrankenbestimmung 84 – Verhältnismäßigkeit siehe dort – Vorwirkung 97 – Wesensgehaltsgarantie 127, siehe auch dort – zugunsten Privater 210 – Zweck siehe dort Enteignungsbegriff 89 – Abgrenzungsprobleme 101 – Eingriffswirkung 92 – Einzelfallregelung 98 – Enteignungserklärung 95 – Entziehung von Eigentum siehe dort – Erfüllung öffentlicher Aufgaben 105 – Güterbeschaffung siehe dort – historischer Hintergrund 89 – klassischer 89

265

– Rechtmäßigkeit als Begriffsmerkmal 116 – Regelungsinhalt 96 – Schwellentheorien 92, 94 – Übertragungsmerkmal 91 Enteignungsentschädigung – Art und Ausmaß 126 – Sinn 110 – Tatbestandsvoraussetzung 116 – Verhältnismäßigkeit der Enteignung 216, siehe auch dort Enteignungserklärung 95 enteignungsgleicher Eingriff 66, 116 enteignungsrechtliche Vorwirkung 97 Entziehung von Eigentum 93 – durch Umgestaltung 103 – Finalität 94 – Rechtsakt 94, siehe auch dort – Schwellentheorien siehe dort – teilweise 101 – Vorsatz 94 Erfolgsunrecht 54, siehe auch Unrecht Ermessensbegriff 133 exekutives Unrecht 51, 54 faktische Beeinträchtigung 80 Freiheitsraum, vermögensrechtlicher

44

Geltung 158, 175, 186, 192 Gemeinwohl 144 – Diskurstheorie 151, siehe auch dort – Ermessensbegriff 133 – Geltung 158, 175, 192, siehe auch dort – Gerechtigkeitstheorie 149, 158 – Gewichtung 193 – Gott 155 – Grundgesetz 165, 168 – in Philosophie und Sozialwissenschaften 148 – interdisziplinärer Begriff 144 – Interesse des Staates, finanzielles siehe dort – Interesse privater Dritter siehe dort – Interpretation 171 – klassisches 148 – Konkretisierung 171, 186, 188, 190, 198 – Legitimität siehe dort – materielles und formelles 153, 183

266 – – – – –

Sachwortverzeichnis

Natur 155 Offenheit 170 Pluralismustheorie 149, siehe auch dort Recht und Politik 173 Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften 145 – Rezeptionsmethode, juristische 146 – Souverän siehe dort – staatliche Willensbildung 172 – Systemtheorie 151, siehe auch dort – Terminologie 130 – unbestimmter Rechtsbegriff 133 – Verfassungen der Länder 166 – verfassungstheoretisches 155 – Volkswohl 164, siehe auch dort – Wertordnung 169 – Zweck der Enteignung siehe dort – Zweck des Staates 160 – Zweck von Grundrechtseingriffen siehe dort Gemeinwohlbindung der Enteignung 130, 194 – Absolutismus 140 – Adressaten 198 – Bedeutungswandel 140 – Bestimmheitsgebot siehe dort – europäische Menschen- und Grundrechte 137 – Funktion 133 – Grundgesetz 143 – historische und geltende deutsche Verfassungstexte 138 – Konstitutionalismus 141 – Rechtsvergleich 137 – Verhältnismäßigkeit siehe dort – Vorbehalt des formellen Gesetzes siehe dort – Weimarer Reichsverfassung 141 – zugunsten Privater 210 – Zulässigkeitsvoraussetzung 135 – Zweck der Enteignung 194, siehe auch dort Gemeinwohlverantwortung 198 Gemeinwohlverfassung 168 Gerechtigkeitstheorie 149, 158 Gesetzesabhängigkeit des Eigentums 37 Gesetzesbegriff 18, 120 Gesetzesvorbehalt 18, 74

Grundgesetz 143, 165, 168 – Wertordnung 169 Grundrecht – mit Eingriffsvorbehalt 189 – vorbehaltlos gewährleistet 188 Grundrechtseingriff siehe Eingriff Grundrechtsverpflichtete 24 Güterbeschaffung 107, 112 – Bereicherung 204 – historischer Hintergrund 108 – Interesse des Staates, finanzielles 204, siehe auch dort – Sinn der zwingenden Enteignungsentschädigung 110 Herrschaftsbefugnis

46

Inhalts- und Schrankenbestimmung – durch Einzelfallregelung 74, siehe auch dort – durch Gesetz 18 – durch Realakt 82, siehe auch dort – durch Richterrecht 37 – Einheit 22 – Gesetzesvorbehalt 18, 74 – Vollzugsakt 79 Input-Legitimation 182 Integritätsschutz 54 – Anspruchsbegründung 59, siehe auch dort – Rechtsakt und Realakt 54 – Verhältnis zum Ausgleich für Sonderopfer 59 – Verhältnis zur Rechtsstellungsgarantie 81 Interesse des Staates, finanzielles 202, 205 – Güterbeschaffung 204 – historischer Hintergrund 203 Interesse privater Dritter 207 – als Gemeinwohl 207 – historischer Hintergrund 209 Interpretation 171 Junktimklausel

92

Kernbereich 26 Konkretisierung 171 Konstitutionalismus 141

Sachwortverzeichnis legislatives Unrecht 55 Legitimation siehe Legitimität Legitimität 175, 186 – Beteiligung am Verfahren 180 – Diskurstheorie 180, siehe auch dort – Input und Output 182 – Mehrheitsprinzip 176 – Pluralismustheorie 178, siehe auch dort – politische Betätigung 181 Leistung, vermögenswerte 45 Leistungsrecht 23 Mehrheitsprinzip Nachfolgefähigkeit

176 46

öffentliche Aufgaben 105 öffentliches Recht und Privatrecht Optimierungsgebot 28 Output-Legitimation 182 Pluralismustheorie 149, 178 Politik 175, 181, 190 Politik und Recht 173 Primärrechtsschutz 58 Privatnützigkeit 42 Privatrecht und öffentliches Recht

23, 54

23, 54

Realakt 54, 82 Recht und Politik 173 Rechtsakt 54, 94 – einseitiger 115 Rechtsstellungsgarantie 67, 79 – Abwehrrecht 69 – Ausgleich für Sonderopfer 73, siehe auch dort – Bestandseigentum 67 – faktische Beeinträchtigung 80 – Konkurrenz zum einfachgesetzlichen Integritätsschutz 81 – Richterrecht 70, siehe auch dort – Verhältnis zur Ausgestaltungsgarantie 68 – Vollzugsakt 79 – Vorbehalt des formellen Gesetzes 69, siehe auch dort Regelungsfähigkeit und Regelungsbedürftigkeit 49 Regelungsgegenstand 34, 63

267

Regelungsinhalt 96 Regelungslücke 37 f., 40 Richterrecht 37 – Methodik 72 – Rechtsfindung 71 f. – Regelungslücke siehe dort – Staatshaftungsrecht 61 – und formeller Gesetzgeber 73 – Vorbehalt des formellen Gesetzes 38, 70, siehe auch dort Sacheigentum 41 Schwellentheorien 92, 94 Sonderopfer – Ausgleich siehe Ausgleich für Sonderopfer – zugunsten Privater 52 – Zurechnung von Vollzugsakten 51 Souverän 155 – verfassungsgebende Gewalt 156 – verfassungstragende Gewalt 156 spezifisches Verfassungsrecht 78 Staatshaftungsrecht – Bestimmtheitsgebot 64, siehe auch dort – Einordnung 61 – enteignender Eingriff 66 – enteignungsgleicher Eingriff 66 – Generalklausel 64 – Kodifikation 65 – richterrechtlich geprägtes Gewohnheitsrecht 61 – Vorbehalt des formellen Gesetzes 62, siehe auch dort – vorkonstitutionelles Recht 62 – Wesentlichkeitstheorie 63, siehe auch dort Steigerungsformel 212 Systemtheorie 151 unbestimmter Rechtsbegriff 133 Unrecht – exekutives 51, 54 – legislatives 55 Unrechtshaftung 54 – Anspruchsbegründung 59, siehe auch dort – Beruhensakt 56 – Rechtsakt und Realakt 54

268

Sachwortverzeichnis

– rechtswidrige Enteignung 118 – Unrecht siehe dort – Verhältnis zum Ausgleich für Sonderopfer 59 – Vorrang des Primärrechtsschutzes 58 Verfassungen der Länder 166 verfassungsgebende Gewalt 156 verfassungstragende Gewalt 156 Verfügungsfreiheit 42 Verhältnismäßigkeit der Enteignung 214 – Angemessenheit 217 – Enteignungsentschädigung 216 – Kontrolle 219 – Zweck als Bezugspunkt 215 Verhältnismäßigkeitsprinzip 28, 185 vermögensrechtlicher Freiheitsraum 44 vermögenswerte Leistung 45 Volk 163 Volkswohl 161, 164 Vollzugsakt 51, 56, 79 Vorbehalt des formellen Gesetzes 32, 62, 69, 123, 187, 199 – als Grenze von Richterrecht 38 – Budgethoheit 47, siehe auch dort – Wesentlichkeitstheorie siehe dort Vorrang des Primärrechtsschutzes 58 Vorsatz 94 Vorwirkung, enteignungsrechtliche 97 Weimarer Reichsverfassung 141 Wertordnung 169 Wesensgehaltsgarantie 28, 127

Wesentlichkeitstheorie 34, 38, 63 – Budgethoheit 63, siehe auch dort Willensbildung, staatliche 172 Zweck der Enteignung 136, 194 – Abwägungsformel 212 – Bestimmtheitsgebot siehe dort – Eigenständigkeit 201 – Eingriffsvorbehalt, einfacher 194, siehe auch dort – Gemeinwohlbindung 194, 198, siehe auch dort – Gemeinwohlkonkretisierung 198, siehe auch dort – Interesse des Staates, finanzielles siehe dort – Steigerungsformel 212 – Vorbehalt des formellen Gesetzes siehe dort Zweck von Grundrechtseingriffen 185 – Bestimmtheitsgebot 187, siehe auch dort – Geltung 186, 192, siehe auch dort – Gemeinwohlkonkretisierung 186, 188, 190, siehe auch dort – Gewichtung 193 – Grundrecht, vorbehaltlos gewährleistetes 188 – Grundrecht mit Eingriffsvorbehalt 189 – Legitimität 186, siehe auch dort – Verhältnismäßigkeitsprinzip 185 – Vorbehalt des formellen Gesetzes 187, siehe auch dort