Ehre und Beleidigungsfähigkeit von Verbänden [1 ed.] 9783428408627, 9783428008629

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Ehre und Beleidigungsfähigkeit von Verbänden [1 ed.]
 9783428408627, 9783428008629

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PAUL·EBERHARD KRUG

Ehre und Beleidigungsfähigkeit von Verbänden

Schriften zum Strafrecht Band 3

Ehre und Beleidigungsfähigkeit von Verbänden

Von

Dr. Paul-Eberhard Krug Rechtsanwalt in Freiburg i. Br.

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlln 41 Gedruckt 1965 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlln 61 Printed in Germany

© 1965 Duncker

Meinen Eltern

Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung

13 1'. Kapitel

Die Kollektivbeleidigung

15

I. Beleidigung einer Gesamtheit und Kollektivbeleidigung H. Die dogmatische Struktur der Kollektivbeleidigung ................

16

A. Die objektive Seite der Kollektivbeleidigung

18

B. Die subjektive Seite der Kollektivbeleidigung

20

HI. Die Erscheinungsformen der Kollektivbeleidigung

21

A. Die Beleidigung einzelner Kollektivmitglieder 1. Mehrheit von Individualbeleidigungen ...................... 2. Kollektivbeleidigung im weiteren Sinne .....................

21 21 22

B. Die Kollektivbeleidigung im eigentlichen Sinne ................ 1. Kollektivbeleidigung durch Einzelbezeichnung .............. 2. Kollektivbeleidigung durch Kollektivbezeichnung ..... 00.....

23 23 23

C. Die Kollektivbeleidigung unter Ausnahme einzelner .. 1. Scheinbare Ausnahmen ....................... 2. Gewollte Ausnahmen ...................

25 25 25

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D. Die Grenzen der Kollektivbeleidigung .....

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IV. Schlußbetrachtung ............... 0.................................

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2. Kapitel

Die Beleidigung eines VerbandsDas Problem als Streitpunkt seit Erlaß des ReiclJ.sstrafgesetzbuclJ.s I. Die Entwicklung in der Rechtsprechung ..................... Ho Die Entwicklung im Schrifttum .......................... A. Rückblick auf die Doktrin des gemeinen Rechts .

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B. Der Meinungswandel seit Erlaß des Reichsstrafgesetzbuchs .....

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Inhaltsverzeichnis

8

C. Die Widerstände gegen eine prinzipielle Verneinung der Verbands beleidigung ............................................... 1. Der Gedanke der "inneren Einheit" .......................... 2. Der Organisationsgedanke ................................ o.

40 41 42

D. Die Befürworter der Verbandsbeleidigung auch de lege lata .. 0. .. 1. Der Gedanke der Rechtssubjektivität ........................ 2. Der Organisationsgectanke ................

43 44 44

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E. Ideologisch-weltanschaulich bestimmte Problembehandlung unter der Herrschaft des Nationalsozialismus.. .. . .. . .. . . . . . . .. . . . . . . .. 47 F. Der Meinungsstand heute ................................. 0.0.. 49 1. Die Anhänger einer weitgespannten Bejahung der Verbandsbeleidigung ................................................. 49 2. Die Befürworter unter Einschränkungen... .. . . . .. . . . .. . . . . .. 53 3. Die Gegner der Verbandsbeleidigung ................. 55 0









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III. Zusammenfassung ................................................

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3. Kapitel

Das Wesen der Ehre und der Beleidigung - begriffliche Grundlegung 1. Allgemeine Bemerkungen ......................................

Ho Die Beleidigung als Angriff auf die Ehre

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A. Abgrenzung von der iniuria des römischen Rechts.

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III. Der Bel!riff der Ehre .......... A. Vorbemerkung -

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B. Abgrenzung von der Beleidigung des germanischen Rechts . C. Beleidigung als Ehrangriff ......

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Die Möglichkeiten einer Systematik ....

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B. Der faktische Ehrbegriff ...... 1. Die sozialpsychologischen Grundlagen des "guten Rufs" . o. 2. Das Selbstgefühl ............. o. 3. Die faktische Ehrsicht und ihre Vorzüge .. a) Die äußere Ehre ... aa) Die äußere Ehre als formaler Begriff ex) Der fehlende und der schlechte Ruf . ß) Das unterschiedliche Ansehen in verschiedenen Gruppen y) Die Schutzwürdigkeit des guten Rufs - Die Wahrheit der Behauptung ................... bb) Der materiale Gehalt des faktischen Ehrbegriffs . o. ex) Die Verschiedenartigkeit der gruppenspezifischen Wertvorstellungen ............ . . .. . . . . . ... . . .. . . . .. ß) Das Erfordernis einer normativen Korrektur ...... y) Die Gefahr der Ausuferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 0

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Inhaltsverzeichnis

9

b} Die innere Ehre .......................................... 94 aa} Die Auflösung der systematischen Einheit ............ 95 bb} Die Subjektivierung des Beleidigungsbegriffs .. . . . . . . .. 95 cc) Das Erfordernis der objektiven Korrektur ............ 97 dd} Das Werturteil vor Dritten ..................... , . . . . .. 99 c} Zusammenfassung ........................................ 100 C. Der normative Ehrbegriff ...................................... a} Die normative Ehre als formaler Begriff .................. aa} Die systematische Einheit ............................ bb) Die Verletzbarkeit und Schutzwürdigkeit der normativen Ehre - Der Achtungsanspruch .................. cc) Die Vermutung des ungeschmälerten Ehrbestands .... dd) Der verdiente Achtungsanspruch ..................... ee) Erweislichkeit und Schuldprinzip Der Wahrheitsbeweis ............................................... b) Der materiale Gehalt des normativen Ehrbegriffs - Sittliche und soziale Ehrsicht ................................ aa) Das Gemeinsame beider Auffassungen - Der prinzipielle Unterschied ...................................... bb) Der sittliche Ehrbegriff im Spiegel der Einwände .... .. 01:) Der Sprachgebrauch ............................... ß) Der notorisch Unsittliche .......................... 1') § 193 StGB ........................................ Cl) Die Schimpfworte ................................. cc) Der soziale Ehrbegriff und seine Konsequenzen ...... Ci:) Die Gefahr der Ausuferung ...................... ß) Die Einschränkung der Meinungsfreiheit .......... 1') Verdienter Achtungsanspruch und unverdiente Befähigung .......................................... Cl) Der Wahrheitsbeweis und seine Verkürzung des Ehrenschutzes .................................... e) Die Schimpfworte ................................ dd) Zusammenfassung ....................................

101 103 103 104 106 108 114 120 121 129 129 130 131 133 136 137 139 141 144 146 154

IV. Das Wesen der Beleidigung ...................................... 155 A. Beleidigung als maßstabswidrige Behandlung - Das Moment der Fehlwertung im Ehrangriff ..................................... 155

B. Das Verbot der Abwertung .................................... 158 C. Der objektive Abwertungssinn .. ,............................... 161 D. Systematische Einteilung ...................................... 1. Die Ehrabsprechung ........................................ 2. Die Ehrzuwiderhandlung .................................... a) Die motivierte Unwerterklärung .......................... b) Reine Ehrzuwiderhandlung ..............................

166 167 167 168 169

E. Abgrenzung .................................................... 169 F. Zusammenfassung .............................................. 171

Inhaltsverzeichnis

10

4. Kapitel

Die Beleidigungsfihigkeit von Verbinden I. Vorbemerkung .................................................... 175 11. Vermeintliche Anhaltspunkte im materiellen und Prozeßstrafrecht.. 176 A. Die Staatsverleumdung (§ 131 StGB) ............................ 177 B. Die Beschimpfung von Religionsgemeinschaften (§ 166 2. Fall StGB) 177 C. Der Wortlaut der §§ 186, 187 StGB .............................. 178 D. Die Kreditverleumdung (§ 187 2. Fall StGB) .................... 178 E. Die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB) .. 179 F. Die Regelung der §§ 196, 197 StGB .............................. 179 G. Die Vorschrift des § 374 Abs. 3 StPO ............................ 181 III. Beleidigungsfähigkeit -

Ehrfähigkeit .............................. 182

A. Ehre und Beleidigungsfähigkeit in formaljuristischer Sicht ...... 183 B. Ehre und Beleidigungsfähigkeit vom Standpunkt einer faktischen Ehrbetrachtung ................................................ 184 C. Moderne faktische Ehrsicht und Beleidigungsfähigkeit .......... 186 1. Der Standpunkt Mezgers .................................... 186 2. Der Standpunkt Maurachs .................................. 191 D. Normativ-soziale Ehrkonzeption und Beleidigungsfähigkeit ...... 195 1. Der Wert als Funktionsträger ................................ 196 2. Das Erfordernis der Organisation ............................ 199 E. Die Ehrfähigkeit des Verbands in normativ-ethischer Sicht ...... 1. Personaler Eigenwert als Voraussetzung der Beleidigungsfähigkeit .................................................... 2. Das Wesen des Verbands .................................. 3. Das Wesen der Personalität ................................ 4. Person und Verband - Ehre, Wert nur des Einzelmenschen .... 5. Abweichende Auffassungen ..................................

203 203 203 206 209 213

F. Rechtspolitische Schlußbetrachtung .............................. 221

Literaturverzeichnis

227

Abkürzungsverzeichnis a.a.O. AG Anm.

BB Bd. BayObLG BGE BGH BGHZ BVerfGE DJ DJT DÖV DR DRpfl DRZ DStR EI962 GA

GG

GmbH-Rundschau GS GrSSt

=

HESt

HRR JR JW JZ KGE LBI LBII LG LK MDR

NJW OGHBZ OLG RG RGRspr. RGZ

S. s.

=

am angeführten Orte Amtsgericht Anmerkung Der Betriebsberater Band Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Deutsche Justiz Deutscher Juristentag Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Recht Der Deutsche Rechtspfleger Deutsche Rechtszeitschrüt Deutsches Strafrecht Entwurf eines Strafgesetzbuches mit Begründung Bundestagsvorlage - Bonn 1962 Goltdammers Archiv für Strafrecht Bonner Grundgesetz Rundschau für GmbH Der Gerichtssaal Großer Senat, Strafsachen Höchstrichterliche Entscheidungen in Strafsachen Höchstrichterliche Rechtsprechung Juristische Rundschau Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Entscheidungen des Kammergerichts in Strafsachen Lehrbuch, Allgemeiner Teil Lehrbuch, Besonderer Teil Landgericht Leipziger Kommentar Monatsschrift für Deutsches Recht Neue Juristische Wochenschrift Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone in Strafsachen Oberlandesgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Rechtsprechung des Deutschen Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Seite Siehe

Abkürzungsverzeichnis

12 SchwJZ SchwStGB SJZ

Sp. StG StGB StPO StuBI StuB 11 ZAkDR ZR ZStrR ZstW

=

=

Schweizer Juristenzeitung Schweizerisches Strafgesetzbuch Süddeutsche Juristenzeitung Spalte Österreichisches Strafgesetzbuch Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung Studienbuch, Allgemeiner Teil Studienbuch, Besonderer Teil Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Blätter für Zürcherische Rechtsprechung Schweizer Zeitschrift für Strafrecht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Vorbemerkung Das Problem des strafrechtlichen Ehrenschutzes von Verbänden ist als Streitfrage nicht neu. Schon seit nahezu einem Jahrhundert wird die Frage nach der passiven Beleidigungsfähigkeit überpersönlicher Einheiten in Wissenschaft und Rechtsprechung immer wieder aufgeworfen und lebhaft erörtert, ohne daß der einen oder anderen Auffassung der endgültige Durchbruch gelungen wäre, der ihre Gegner in die Rolle von Außenseitern gedrängt hätte. Und wenn Hurwicz im Jahre 1911 den Meinungsstreit zu diesem Problem als "bellum omnium contra omnes" kennzeichnen konntet, so hat dieses Bild auch heute noch seine Berechtigung nicht verloren, auch wenn die Zahl derer, die sich generell gegen eine Beleidigungsfähigkeit aussprechen, immer mehr zusammengeschrumpft ist. Gerade heute haben die Arbeiten an der Reform unseres Strafgesetzes die Frage besondere Aktualität gewinnen lassen. Eine Einigung, die positiven Niederschlag in dem von der Großen Strafrechtskommission erarbeiteten Gesetzentwurf gefunden hätte, ließ sich auch hier nicht erzielen. Man sah vielmehr bewußt von einer Stellungnahme des Gesetzgebers ab und überließ so auch künftig Rechtsprechung und Rechtslehre die Entscheidung des umstrittenen Problems!. Aus dieser Sachlage rechtfertigt sich die vorliegende Untersuchung auch angesichts der nicht gerade spärlichen Literatur auf diesem Gebiet. Die Frage, ob neben der Einzelperson auch Gesamtheiten irgendwelcher Art beleidigt werden können, ist nicht in erster Linie nach rein kriminalpolitischen Gesichtspunkten zu entscheiden. Eine Antwort läßt sich nur aus dem Wesen der Beleidigung und des durch sie verletzten Rechtsgutes gewinnen. überpersönliche Zusammenschlüsse mögen in ihrem Prestige schutzwürdig sein, ob sie beleidigungsfähig sind, ist nur zu entscheiden, wenn zuerst geklärt wird, was Beleidigung eigentlich ist und wogegen sie sich richtet. Eine kritische Auseinandersetzung mit den zur Frage der Verbandsbeleidigung vertretenen Ansichten ist damit, will sie nicht Gefahr laufen, sich in ausschließlich rechtspolitischer oder sogar weltanschaulich gefärbter Argumentation zu verlieren, von selbst auf die dogmatischen Grundlagen verwiesen. Denn rechtfertigt das zugrunde gelegte Ehrverständnis den zur Verbandsbeleidigung eingenommenen Standpunkt, so mag über Einzelheiten der AusS.873. , Vgl. Entwurf 1962 S. 313 f.; Lange, Niederschriften 9 S. 96; Dreher, Niederschriften 9 S. 97. 1 2

14

Vorbemerkung

gestaltung und Abgrenzung diskutiert werden können, im grundsätzlichen ist eine Auseinandersetzung nicht möglich. Es erscheint deshalb ebenso notwendig wie sinnvoll, bereits im Vorfeld des zu untersuchenden Problems anzusetzen und, von der zumeist anzutreffenden Art der Behandlung abweichend, der grundsätzlichen Frage nach dem Wesen der Beleidigung nachzugehen. Das Ziel kann hier nicht sein, einen möglichen rechtswissenschaftlichen Ehr- und Beleidigungsbegriff herauszuarbeiten, um dann seine Anwendbarkeit auf Gesamtheiten zu prüfen; die Aufgabe geht vielmehr dahin, anhand der gesetzlichen Bestimmungen das Wesen der Ehre und der Beleidigung zu ermitteln, wie es dem geltenden und, sollte der Entwurf 1962 Gesetz werden, damit auch dem künftigen Recht zugrunde zu legen ist. Sicherlich mag es hier nicht nur einen Ehr- und Beleidigungsbegriff geben. Gerade deshalb aber scheint es berechtigt, das heute in Literatur und Rechtsprechung ganz überwiegend anzutreffende Ehrverständnis nicht als das allein richtige unumstößlich vorauszusetzen, sondern die Frage aufzuwerfen, welcher der verschiedenen möglichen Ehrbegriffe nach seiner inneren Geschlossenheit und seinen praktischen Konsequenzen in der Anwendung auf das Beleidigungsrecht den Vorzug verdient. Hier soll die Untersuchung ansetzen. Und von hier aus wird dann zu prüfen sein, ob das so gewonnene Ehr- und Beleidigungsverständnis neben der Einzelperson auch überpersönliche Zusammenschlüsse, und wenn ja, welche, in den strafrechtlichen Schutz einbeziehen läßt. In ihrem Aufbau gliedert sich die Arbeit in vier Teile. Im ersten Teil erscheint es angezeigt, das Thema zunächst abzugrenzen gegen eine verwandte Rechtsfigur, die Kollektivbeleidigung als Beleidigung einzelner unter zusammenfassender Bezeichnung, was ein genaueres Erfassen der andersgearteten dogmatischen Struktur ermöglicht. Eine gedrängte übersicht über die neuere Entwicklung und den heutigen Stand der Meinungen soll im zweiten Teil der Arbeit mit dem zur Untersuchung gestellten Problem vertraut machen. Die Auffassung, daß für die Entscheidung der Frage das Wesen von Ehre und Beleidigung bestimmt werden muß, wird im dritten Teil zu einer eingehenden Erörterung der begrifflichen Grundlagen führen. Auf dem Ergebnis dieser Untersuchung baut sich dann im vierten Teil der Arbeit die Prüfung der Frage auf, ob es das gewonnene Beleidigungsverständnis erlaubt, den Ehrenschutz auf überpersönliche Zusammenschlüsse auszudehnen, nachdem zuvor der Nachweis versucht wird, daß der innere Zusammenhang zwischen Ehrsicht und dem zur Frage der Verbandsbeleidigung eingenommenen Standpunkt jeweils auch durchweg die Problembehandlung in Literatur und Rechtsprechung bestimmt. Eine kurze überprüfung der Antwort unter kriminalpolitischen Erwägungen wird die Arbeit abschließen.

1. Kapitel

Die Kollektivheleidigung J. Beleidigung einer Gesamtheit und Kollektivbeleidigung Für den flüchtigen Blick besteht zwischen der Beleidigung einer Personengesamtheit und der Kollektivbeleidigung als Beleidigung mehrerer einzelner unter einer zusammenfassenden Bezeichnung eine enge Verwandtschaft, die sich vor allem in der Ähnlichkeit der Erscheinungsform ausprägt. Ob man die Münchener Polizei der Anwendung rüder Gestapomethoden bezichtigt oder sich über die Orgien der Studentenverbindung X ergeht, ob gegen einen Verlag der Vorwurf pornographischer Tendenzen erhoben oder die hessische Richterschaft als korrupt abgetan wird - ein wesenhafter Unterschied scheint hierin nicht zu bestehen. Und in der Tat sind die Grenzen der Kollektivbeleidigung und der Beleidigung einer Gesamtheit oft flüssig. Dies ergibt sich schon daraus, daß "die Grundlage zum mindesten, der tatsächliche Vorgang, der den Ausgangspunkt bildet, ... in beiden Fällen derselbe" ist1• Sachverhalte, in denen sich eine beleidigende Äußerung auf eine Mehrheit von Personen bezieht, nötigen deshalb immer zu einer doppelten Fragestellung: 1. Ist die Gesamtheit als solche beleidigt? 2. Sind die einzelnen, der Gesamtheit zuzurechnenden Personen individuell beleidigt? Diese differenzierende Betrachtung ist notwendige Folge der Erkenntnis, daß, trotz der teilweise engen Verknüpfung, beide Rechtsinstitute ihrer dogmatischen Struktur nach in keinem Zusammenhang stehen und im Kern scharf voneinander zu trennen sind2• Während hier die Gesamtheit als solche Gegenstand des Angriffs ist und verletzt wird als verselbständigter und von der Summe der Einzelglieder losgelöster Träger des von der Strafbestimmung geschützten Interesses, sind es dort die einzelnen Hammeley S. 3. Vgl. Liepmann S.350; Schlosky S.86; Graf Lehndorff S.15. Siehe auch Hammeley S.3: Das alte Problem der passiven Beleidigungsfähigkeit von 1 2

Personengesamtheiten und das der Beleidigung durch Kollektivbezeichnung - "beide von jeher scharf voneinander geschieden und doch zusammen behandelt, in einem unverkennbaren Gegensatz stehend und doch wieder verwandt".

16

1. Kap.: Die Kollektivbeleidigung

Angehörigen des Kollektivs, die ausnahmslos oder auch nur zu einem Teil in ihrer Individualität betroffen und als einzelne beleidigt werden. So stellt Hammeley fest: "Verschieden von der Frage, ob eine Personengesamtheit als solche beleidigt werden kann, ist die andere, ob einzelne Personen in der Art beleidigt werden können, daß sich die Äußerung der Form nach gegen eine Gesamtheit, zu der sie gehören, richtet, also dem Wortlaut nach nicht ein bestimmter einzelner herausgehoben und zum Gegenstand der Äußerung gemacht wird, sondern die Gesamtheit selbst das Objekt der Aussage bildet ...3." Diese Andersartigkeit gilt es zu erkennen, wenn die den Kern der vorliegenden Untersuchung bildende Fragestellung in ihrer Begrenzung deutlich werden soll. Damit wird eine gedrängte Darstellung der Kollektivbeleidigung notwendig, zum al der durch denselben tatsächlichen Vorgang begründete logische Zusammenhang eine gemeinschaftliche Behandlung beider Fragen rechtfertigt'. Während für die Frage der Beleidigungsfähigkeit von Personengemeinschaften der Streit über die Begriffe Beleidigung und Ehre unmittelbare Bedeutung gewinnt, erübrigt sich für eine Untersuchung der Kollektivbeleidigung, bei der die Schwerpunkte im Bereich der tatsächlichen Feststellung und der Auslegung im konkreten Fall liegen, eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Ehr- und Beleidigungsbegriff5 • Es mag deshalb genügen, das Wesen der Beleidigung im Einklang mit der durchaus als einhellig zu bezeichnenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur als vorsätzliche Kundgebung der Nichtachtung oder Mißachtung im Bewußtsein ihres ehrverletzenden Inhalts8 zu kennzeichnen und diese nur grobe Bestimmung zur Grundlage der nachfolgenden Erörterung zu machen.

11. Die dogmatische Struktur der Kollektivheleidigung Unter Kollektivbeleidigung wird gemeinhin die vorsätzliche und rechtswidrige Verletzung der Ehre einer Mehrzahl von Einzelpersonen durch eine Gesamtbezeichnung verstanden7 • Es handelt sich also um einen Angriff auf die Individualehren einer Mehrheit von einzelnen, die sprachlich unter einer Gesamtbezeichnung, einem Kollektivnamen zusammengefaßt werden. Diese Zusammenfassung schafft keine neue, selbständige Einheit, vielmehr bleibt die Selbständigkeit der von der Sammelbezeichnung ergriffenen Einzelehren unberührt. Die Eigentümlichkeit der KollektivbeleidiS.3. Vgl. auch EisteT S. 115; Ambach S. 5 ff. Vgl. Hammeley S.3. 5 Vgl. Hammetey S.3. 6 Vgl. RG 71, 159 (160); BGH 1, 288 (289); Schönke-SchTödeT, § 185 Randnote 1; Wetzet, Strafrecht S.263. 7 Vgl. StTehte S.37. 3 4

H. Die dogmatische Struktur der Kollektivbeleidigung

17

gung gegenüber der gewöhnlichen Individualbeleidigung liegt lediglich darin beschlossen, daß hier mit einer Kundgabe mehrere eigenständige Einzelehren in ihrer Summierung gleichzeitig kenntlich gemacht werdens. Unerheblich ist dabei, ob die Zusammenfassung eine vom Täter ad hoc willkürlich gewählte ist oder ob dieser nur einen im Verkehr gebräuchlichen Kollektivnamen aufgreift, der eine Mehrzahl von Einzelpersonen aufgrund und gleichzeitig im Hinblick auf übereinstimmende, ihnen gemeinsame Merkmale zusammenfaßt. Die vom Nationalsozialismus verfolgten Juden, die Abgeordneten einer bestimmten Landtagsfraktion, die bei einem Einzelvorgang beteiligten Kriminalbeamten stellen solche Möglichkeiten sprachlicher Zusammenfassung dar, ohne daß damit eine selbständige Einheit geschaffen und durch die Beleidigung betroffen würde. Denkbar ist aber auch, daß die Bezeichnung nicht eine unzusammenhängende, einer einheitlichen Funktion unfähige Mehrheit kennzeichnet, sondern eine selbständige Gesamtheit oder Gemeinschaft im Sinne der vorliegenden Aufgabenstellung anspricht, die losgelöst von dem Willen und dem Verhalten der Glieder im Verkehr als verselbständigte Einheit begriffen wird und möglicherweise einer einheitlichen Wertschätzung unterliegt. Enscheidend ist lediglich, daß der Angriff sich nicht gegen die Gesamtheit als solche richtet und richten soll, sondern gegen die Mehrheit der Einzelglieder in ihrer Zusammenfassungv• Daraus erhellt, daß die Schwierigkeiten für eine Abgrenzung weit eher im Bereich des Tatsächlichen begründet sind als im spezifisch dogmatischen Raum lO • Ob eine konkrete Äußerung nach den Umständen, nach Form und Inhalt sich gegen eine Mehrzahl von Einzelpersonen richtet und richten soll, oder gegen eine Einheit, hinter und in der die Glieder zurücktreten, ist zuvörderst eine Frage der Auslegung, wenn auch die Struktur des mit der verwandten Bezeichnung angesprochenen Gebildes gewisse Schranken aufrichtet, über die eine sachgerechte Auslegung sich nicht hinwegsetzen kann. Dem wird in anderem Zusammenhang noch näher nachzugehen sein. Hier gilt es, den dogmatischen Strukturun terschied aufzuzeigen. Charakteristisch ist für die Kollektivbeleidigung, daß der betroffene einzelne nicht direkt, sondern im Wege einer Schlußfolgerung erkennbar wird, indem seine Zugehörigkeit zu der mit dem Kollektivnamen umrissenen Mehrheit festzustellen istlI. So Schaejer, LK Vorb. H 3 vor § 185. Vgl. Kohler S. 147: " ... beleidigt ist, wer beleidigt ist, nicht wer genannt ist". Siehe hierzu auch v. Groß S. 30; Flatten S. 47 ff. 10 So auch Strehle S. 53. 11 Vgl. v. Groß S. 31; Strehle S. 37; ebenso RG 7, 169 (172). 8 9

2 Krug

18

1. Kap.: Die Kollektivbeleidigung

Daraus ergeben sich zwei Voraussetzungen für das Vorliegen einer Kollekti vbeleidigung12• 1. Objektiv muß die Äußerung auf die betroffenen Einzelpersonen der

Gesamtheit bezogen werden können.

2. Subjektiv muß diese Beziehbarkeit vom Vorsatz des Täters umfaßt werden, sie muß ihm m. a. W. bewußt geworden oder doch, als möglich erkannt, von ihm in Kauf genommen worden sein.

A. Die objektive Seite der Kollektivbeleidigung Jeder Mensch steht in Beziehungskreisen, die ihn mit anderen verbinden. Ob dies nun die Gemeinsamkeit der weltanschaulichen oder politischen Zielsetzung, der gleiche Beruf, dieselbe Volkszugehörigkeit oder nur der Zufall eines gemeinsamen Erlebnisses ist, rein theoretisch schafft jeder Teil des aus dem mitmenschlichen Zusammenleben sich aufbauenden Beziehungsgefüges Ansatzpunkte für eine sprachliche Zusammenfassung mehrerer einzelner. Die Skala der Möglichkeiten ist weit gespannt und reicht insoweit von dem gemeinsamen Merkmal der Menschqualität bis zu dem Kennzeichen der zufällig gleichzeitigen Anwesenheit bei einem bestimmten Ereignis13• So scheint es, als ob die in einem Anflug von Weltschmerz gefallene Äußerung: alle Menschen sind schlecht! genauso als Kollektivbeleidigung zu bestrafen wäre wie die Abwertung der nach einem Flugzeugabsturz die Unglücksstelle eifrig filmenden Reporter als sensationslüsterne Hyänen. Denn in beiden Fällen lassen sich durch Schlußfolgerung die Betroffenen unschwer bestimmen. Gleichwohl liegt es auf der Hand, daß ein solches Ergebnis nicht richtig sein kann. Wenig glücklich, weil allzu konstruiert, ist die Auffassung, wonach Äußerungen der erstgenannten Art deshalb als Beleidigung ausscheiden, weil der Kläger als Angehöriger desselben Kollektivs wie die die Äußerung vernehmenden Dritten in deren Wertschätzung nicht zu sinken vermag14• Die Berechtigung des hier verwandten Ehrbegriffs unterstellt, wird dieses Argument schon dann hinfällig, wenn eine weniger umfassende Gesamtheit vor Kollektivfremden angesprochen wird, also etwa die Europäer gegenüber einem Asiaten herabgesetzt werden. Daß in einer 12 Es muß hier genügen, die ganz herrschende Auffassung nachzuzeichnen. Zu abweichenden Meinungen vgl. Strehle S. 38 ff.; v. Groß S. 31 ff.; Ambach S. 23 ff. 13 Man denke an Vorfälle wie etwa einen Großbrand oder einen Flugzeugabsturz. 14 So aber v. Groß S. 33; Brunschvig S.32.

Ir. Die dogmatische Struktur der Kollektivbeleidigung

19

solchen Äußerung keine Kollektivbeleidigung zu erblicken ist, dürfte kaum bezweifelt werden können 15 • Ebensowenig überzeugt eine weitere Ansicht, die das objektive Moment der Bestimmbarkeit des Verletzten vom Umfang des Kollektivs abhängig macht, indem mit dessen Anwachsen die Möglichkeit schwinde, in der Gesamtbezeichnung eine hinreichend bestimmte Beziehung auf die einzelnen Kollektivangehörigen zu erkennen16• Eine rechtliche Bedeutung kommt dem größeren oder kleineren Umfang des mit der Kollektivbezeichnung umschriebenen Kreises nicht zu, wenn dies auch im Tatsächlichen eine Rolle spielen mag17 • Dem Erfordernis der persona certa designata ist genügt, wenn der betroffene einzelne individualisiert werden kann. Diese Möglichkeit aber ist gegeben, wenn die Gruppe, als der zugehörig er erkannt werden muß, sich deutlich von den übergreifenden Gruppen abhebt, deutlich und scharf abgegrenzt aus der Allgemeinheit hervortriW 8• Von dem Umfang der Gruppe, von der größeren oder geringeren Anzahl der von ihr umgriffenen Einzelglieder ist diese Eigenschaft indes prinzipiell unabhängig. Entscheidend sind vielmehr die spezifischen Merkmale, die die Gruppe von anderen und von der Allgemeinheit abheben und unterscheiden. Und hier ist nun allerdings neben der Qualität der Merkmale deren Quantität von Bedeutung. Ein einzelnes Kennzeichen kann wohl einmal so hervorstechend, so unverwechselbar sein, daß es schon für sich allein eine Mehrheit deutlich abgrenzt. Weit häufiger wird jedoch erst das Zusammentreffen mehrerer Charakteristika eine solche Abscheidung ergeben. Die entscheidende Bedeutung kommt damit nicht dem Umfang der Gruppe zu, sondern der Unterscheidungskraft und der Häufung der sie kennzeichnenden Merkmale, wobei bei des austauschbar ist. Die Äußerung bedarf der Auslegung, die keine rein grammatischsprachliche sein kann. Nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen ist der Sinn der Kundgebung nach dem Maßstab eines durchschnittlichen Beobachters zu ermitteln19• Und hier nun, im Bereich des Tatsächlichen, gewinnt der Umfang des Kollektivs eine Bedeutung, denn bei sehr umfänglichen Gesamtheiten wird häufig weder objektiv festgestellt werden können, daß die Kundgebung die Richtung, noch subjektiv, daß ihr 15 Anders wohl v. Groß S.33, der beleidigende Bemerkungen über die Schweizer, außerhalb der Schweiz gefallen, als Beleidigung bestraft wissen

will.

16 So vor allem Hammeley S. 54; vgl. hierzu auch Kahler S.145; Binding, Lehrbuch S. 143; Liepmann S.349; Schlosky S.86; Strehle S.40 und S.52. 17 Ebenso Knör S.690; Strehle S.53. 18 Vgl. RG 68, 120 (124); RG GA 75 S. 295; BGH 2,38 (39); BGH 11,207 (208). 19 Zur Auslegungsbedürftigkeit im Bereich der Äußerungsdelikte, zum Ziel und den Mitteln der Auslegung vgl. allgemein Kern, Äußerungsdelikte S. 67 ff.



20

1. Kap.: Die Kollektivbeleidigung

Urheber die Vorstellung und den Willen hatte, die einzelnen Individuen, die die Gesamtheit ausmachen, in ihrer Ehre zu treffen20. Zusammenfassend ist somit festzustellen: Eine Kollektivbeleidigung als die eine Mehrzahl von Einzelpersonen kränkend oder herabsetzend erfassende Äußerung setzt eine hinreichend erkennbare Beziehung auf die unter das Kollektiv fallenden Personen voraus. Dies ist nur dann erfüllt, wenn die angesprochene Personenmehrheit "so deutlich aus der Allgemeinheit hervortritt, daß der Kreis der beteiligten Einzelpersonen scharf umgrenzt ist"21. "Läßt sich dieser Kreis nicht zweifelsfrei feststellen, so ist mangels einer sicheren Zuordnung zu der bezeichneten Menge in Wirklichkeit keine einzelne Person verletzt22 ."

B. Die subjektive Seite der Kollektivbeleidigung Die Beleidigung ist nur als vorsätzliches Delikt strafbar. Der Täter einer Kollektivbeleidigung muß also die Beziehbarkeit seiner Äußerung auf alle oder auch nur einen Teil der dem angesprochenen Kollektiv angehörenden Personen in seine Vorstellung aufgenommen haben. Nicht erforderlich ist, wie auch sonst nicht bei der Beleidigung, die hierauf gerichtete Absicht. Es genügt schon, wenn der Täter sich die Beziehbarkeit als möglich vorgestellt hat und mit dem Eintritt dieses Erfolgs einverstanden war23 . Einer scharfen Abgrenzung von dolus eventualis und bloßer Fahrlässigkeit, die straflos bleibt, kommt hier besondere Bedeutung zu. Es leuchtet auch ein, daß solche bedingt vorsätzlichen Kollektivbeleidigungen strafwürdig sind. Obwohl der Täter es sich als möglich vorstellt, daß sein allgemein gehaltener Vorwurf, der möglicherweise nur wenige einzelne treffen soll, den Verdacht unehrenhaften Verhaltens auf jeden Kollektivangehörigen lenkt, nimmt er dies in Kauf, anstatt durch eine entsprechende Wahl seiner Bezeichnung jeden Zweifel über die Identität des Gemeinten auszuschließen24 • Selbst wenn die Äußerung ihrer Aufmachung nach nur auf eine einzige Person einer Gesamtheit gemünzt ist, diese jedoch nicht näher bestimmt wird, so liegt darin eine strafwürdige Beleidigung sämtlicher Mitglieder des Kollektivs, sofern nur der Vgl. BayObLG JW 1928 S. 2994; RG 9, 1 (3); RG Rspr. 3, 606. BGH 2, 38 (39). BGH 2, 38 (39); vgl. auch RG 68, 120 (124); RG JW 1928 S.806; RG JW 1932 S. 3113 f.; BGH NJW 1952 S.1183 (Hedler-Urteil); BGH 11, 207 (208); Schönke-Schröder, Randnote 11 vor § 185. 23 So die ganz herrschende Meinung. Vgl. etwa Strehle S.47; Liepmann S. 348; Frank, Vorb. III vor § 185; Schönke-Schröder, Randnote 11 vor § 185; anderer Ansicht Hammeley S. 57 ff., der wohl Absicht verlangt (S. 62): Das subjektive Moment des "Beziehensollens" muß mit dem objektiven des "Bezogenwerdens" zusammentreffen. 24 Vgl. Strehle S.47, Fußnote 38. 20 21 22

III. Die Erscheinungsformen der Kollektivbeleidigung

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Täter die Vorstellung hat, der Verdacht werde damit auf alle fallen 25 • Daß der Täter die durch seine Äußerung betroffenen Einzelpersonen kennt, ist nicht erforderlich, ja er braucht sie sich noch nicht einmal in ihrer individuellen Beschaffenheit als Einzelwesen vorgestellt zu haben26 • Sein Vorsatz muß lediglich das Bewußtsein umfassen, daß er durch die Ausgestaltung seiner Äußerung nach Form und Umständen eine Beziehbarkeit auf alle unter die Gesamtbezeichnung fallenden Personen schafft, kurz, daß "die beleidigende Kundgebung auf jedes Mitglied der angegriffenen Gesamtheit sich bezieht oder bezogen werden kann"27.

III. Die Erscheinungsformen der Kollektivbeleidigung Nachdem im vorigen die Grundstruktur der Kollektivbeleidigung aufzuzeigen war, stellt sich nunmehr die Aufgabe, ihren verschiedenen Erscheinungsformen nachzugehen und gleichzeitig damit ihren Wirkungsbereich abzustecken, ohne indes in eine Kasuistik einzutreten. Innerhalb des objektiven Rahmens, der rechtlich nicht durch den Umfang, wohl aber durch die scharfe Umgrenzung der Gesamtheit abgesteckt wird, ist ausschlaggebend für eine rechtliche Unterscheidung der verschiedenen Unterarten der Kollektivbeleidigung, wie bereits oben anklang, die subjektive Seite des Delikts, die Willensrichtung des Täters, die sich aus der Form und den Umständen der Äußerung zumeist mit hinreichender Sicherheit bestimmen läßt28 • A. Die Beleidigung einzelner Kollektivmitglieder Häufig wird der Fall auftreten, daß der Täter mit seiner allgemein gehaltenen Äußerung nur einige bestimmte, ihm bekannte Einzelpersonen treffen will. Nach seinem Vorsatz sind nun zwei Unterarten zu unterscheiden. 1. Mehrheit von Individualbeleidigungen

Fehlt dem Täter die Vorstellung, daß außer den von ihm ins Auge gefaßten einzelnen auch noch weitere Angehörige des Kollektivs von seiner Äußerung ergriffen werden können, so liegt überhaupt keine 25 26

Vgl. RG 7, 169 (172 f.); RG 23,246 (248); Knör S. 694; BGH 14,48 ff. Das betont Frank, Vorb. III vor § 185. Ebenso RG 7, 169 (173); RG 23,

246 (247).

27 Strehle S. 48. Er führt hierzu ein anschauliches Beispiel aus der Literatur an (Weber in JW 1928, S. 1056): Der Ausruf: das ist ein Kolleg von Dummköpfen! - als Beleidigung sämtlicher im Beratungszimmer anwesenden Richter, von denen der im Gang schimpfende Täter weder die Zahl, noch, das Aussehen oder den Namen kennt. ' 28 Vgl. zum folgenden die eingehende Darstellung bei Strehle S. 54 ff.

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1. Kap.: Die Kollektivbeleidigung

echte Kollektivbeleidigung vor, sondern eine oder mehrere Individualbeleidigungen29. 2. Kollektivbeleidigung im weiteren Sinne

Umfaßt das Bewußtsein des Täters die Beziehbarkeit seiner Äußerung auf alle Kollektivangehörigen, so handelt es sich um eine echte Kollektivbeleidigung, ohne Unterschied, ob der Täter diesen Erfolg gerade bezweckt30 (Absicht), ihn als sicher eintretend erkennt und in seinen Willen mit aufnimmt (dolus directus) oder nur mit der Möglichkeit seines Eintritts rechnet, ohne deshalb seine Äußerung entsprechend zu modifizieren (dolus eventualis). Voraussetzung bleibt natürlich immer, daß objektiv die Kundgebung auf alle Kollektivglieder bezogen werden kann. Hierher gehört auch der Fall, daß der Täter zwar nur einen bestimmten einzelnen treffen will, aber aus irgendwelchen Gründen davon absieht, diesen mit seiner Äußerung zu individualisieren31 • Infolge der Unbestimmtheit des Betroffenen läßt sich die Äußerung auf alle beziehen, die dem angesprochenen Kollektiv zuzurechnen sind. Der beleidigende Angriff richtet sich damit objektiv gegen sämtliche in Betracht kommenden Personen und ist als Kollektivbeleidigung verfolgbar, soweit die Beziehbarkeit vom Vorsatz des Täters umfaßt wird. Wie bereits erwähnt, ist in der Rechtsprechung wie auch überwiegend in der Literatur anerkannt, daß durch eine Kundgebung, die ihrer Gestaltung nach auf nur eine einzige, nicht näher bestimmte, sondern lediglich nach ihrer Zugehörigkeit zu einer fest umrissenen Gruppe gekennzeichnete Person abgestellt ist, alle Angehörigen des Kollektivs beleidigt sein können, wenn zweifelhaft bleibt, wer gemeint ist, und so der Verdacht auf alle fällt 32• Die gegenteilige Auffassung, die nicht alle Kollektivangehörigen, auf die sich die Äußerung beziehen läßt, sondern nur den vom Täter 29 So mit Recht Knör S. 691; Strehle S. 55 f. Dahinstehen mag indes, ob, wie er meint, ein charakteristisches Beispiel für diese von ihm sogenannte "unechte Kollektivbeleidigung" wirklich der häufig zitierte Fall Franks, Vorb. !Ir vor § 185, ist, daß in Gegenwart eines deutschen Offiziers oder während von einem solchen die Rede ist, die deutschen Offiziere als Feiglinge bezeichnet werden. Die Beziehbarkeit der Äußerung auch auf weitere Offiziere kann hier durchaus vom Vorsatz des Täters umfaßt werden. 30 Fall der Kollektivbeleidigung im eigentlichen Sinne; siehe u. B.1 S.23. 31 Anderer Ansicht Strehle S. 56 ff., der diesen Fall der unechten Kollektivbeleidigung zurechnet. 32 Vgl. BGH 14, 48 (49 f.): "Für die Annahme einer Ehrenkränkung ist es nicht erforderlich, daß die betreffenden einzelnen Personen direkt bezichtigt werden, unehrenhaft gehandelt zu haben. Es genügt die Kennzeichnung der Person dergestalt, daß auf sie der Verdacht unehrenhaften HandeIns fällt. Dann sind alle diese Personen in ihrer Ehre gekränkt." Siehe hierzu auch RG 23,246 (248); RG 52,159 (160); RG 66, 128 (129); Knör S. 694; Schlosky S. 86; Liepmann S. 348. Vgl. auch den Bericht Grimms über den sog. "Kairoprozeß", der seinerzeit weltweites Aufsehen erregte. Zur (zivilrechtlichen) Beurteilung stand hier die Frage einer Kollektivbeleidigung des Welt judentums.

!lI. Die Erscheinungsformen der Kollektivbeleidigung

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speziell ins Auge gefaßten einzelnen als beleidigt ansieht, andererseits aber vor der mangelnden Bestimmbarkeit dieses einzelnen resignieren muß33, ist dogmatisch nicht zwingend und führt, wie ihr hauptsächlichster Vertreter, Binding, selbst formuliert, zu einer Prämiierung der Beleidigung durch das Recht "bei geflissentlicher Unkenntli.chmachung des Klageberechtigten"34. B. Die Kollektivbeleidigung im eigentlichen Sinne Praktisch weit weniger häufig ist die Kollektivbeleidigung im eigentlichen Sinne. Der Täter will hier sämtliche Kollektivangehörigen treffen; die Wahl der Gesamtbezeichnung ist von der Absicht getragen, jedes einzelne Mitglied mit der beleidigenden Kundgabe zu erreichen35. Je nach der äußeren Ausgestaltung der Kundgabe kann dies auf zwei verschiedene Arten geschehen: 1. Kollektivbeleidigung durch Einzelbezeichnung

Die nach ihrem Wortlaut scheinbar nur auf eine einzige, nicht näher bezeichnete Person einer Gesamtheit gemünzte Äußerung kann den Zweck verfolgen, sämtliche Angehörigen des Kollektivs herabzuwürdigen. Meist wird Haß oder Abneigung gegen diese Personengruppe das Motiv des Handelns sein. Die durch die Kundgebung betroffene Einzelperson kommt hier für den Beleidiger nur in ihrer Eigenschaft als Mitglied der Personenmehrheit in Betracht, der auf diesem Weg ein Makel angeheftet werden soll. Nur daran hat der Täter ein Interesse, daß die Zugehörigkeit des nach außen hin angesprochenen einzelnen zu dem bestimmt umgrenzten Kreis unverkennbar ist. Seine Zielsetzung, die ganze Gruppe zu treffen, läßt es im übrigen gleichgültig erscheinen, auf welches einzelne Individuum der Personengesamtheit die Äußerung bezogen wird38. Aus der Natur der Sache folgt, daß diese Ausgestaltung der Kollektivbeleidigung sich in aller Regel auf verhältnismäßig eng umgrenzte Personenkreise beschränken wird. 2. Kollektivbeleidigung durch Kollektivbeze.ichnung

Das Ziel, sämtliche Mitglieder der Gruppe herabzusetzen, kann schon im Wortlaut der Äußerung erkennbar werden, indem der Vorwurf 33 Vgl. Binding, Lehrbuch S.143: "Die Beleidigung Eines ist evident und sollte gestraft werden, aber Keiner kann klagen." 34 Lehrbuch S. 143. 35 Vgl. hierzu aus der reichsgerichtlichen Rechtsprechung: RG 3, 246 (247); RG 9, 1 (2); 18, 167 (169). Siehe auch Hammeley S.58. 36 Vgl. RG 23, 246 (248); Knör S.694, der folgendes Beispiel anführt: Zur Herabsetzung des Offiziersstands wird behauptet, ein Offizier der Garnison N. N. habe sich strafrechtlich verfehlt.

1. Kap.: Die Kollektivbeleidigung

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auch nach außen hin alle Kollektivangehörigen umfaßt. Wie die oben

(1.) behandelte Spielart bietet auch dieser Fall rechtlich keine Probleme.

Entscheidend ist nur, daß sich der umgreifende Tätervorsatz nachweisen läßt. Bei enger begrenzten Kollektiven ist dieser Nachweis in aller Regel unschwer zu erbringen, begegnet jedoch oft erheblichen Schwierigkeiten bei Gesamtheiten, deren Kreis sehr weit ausgedehnt ist. Die Annahme liegt hier nahe, daß der Täter mit seiner Äußerung nicht alle, sondern nur einen unbestimmten Teil der Kollektivangehörigen im Auge hatte37• Jedoch kann die Würdigung der Tatumstände, namentlich die Art der beleidigenden Äußerung, der Zusammenhang, in dem sie fiel, wie auch die im übrigen erkennbare Einstellung des Täters gegenüber der betreffenden Personenmehrheit im Einzelfall vernünftigerweise nur den Schluß auf eine Beleidigung sämtlicher Mitglieder der Gesamtheit zulassen 38• Der weite, selbst weiteste Umfang der Gruppe steht dieser Annahme prinzipiell nicht entgegen39• Daß die ehrverletzende Äußerung gegenüber der Gesamtheit den Zusatz "ohne Ausnahme" tragen muß, um, wie manche Autoren meinen, sämtliche Mitglieder zur Beleidigungsklage zu legitimieren40 , ist als zu weitgehend abzulehnen. Eine solche Auffassung müßte den Gegebenheiten des Lebens Gewalt antun. Strehle hat recht, wenn er meint, daß "kein vernünftiger Mensch von diesem Zusatz die Beleidigung sämtlicher unter die Kollektivbezeichnung fallender Personen abhängig machen wird", wenn nur die Gesamtbeurteilung der Äußerung nach den konkreten Umständen den Schluß auf einen alle umgreifenden Vorsatz rechtfertigt41 • Im Grunde ist dies nichts weiter als ein Streit im Bereich der Tatsachenbeurteilung. Wenn die hier abgelehnte Ansicht für die Verfolgbarkeit einer beleidigenden Kollektiväußerung generell den Zusatz "ohne Ausnahme" verlangt, so ist damit nichts anderes gesagt, als daß die sachgerechte Auslegung einer Kundgabe ohne diesen Zusatz immer ergeben müßte, der Täter räume selbst Ausnahmen ein. Daß der Formalismus dieser Auffassung mit ihrer starren Regel vor der Variationsbreite der tatsächlichen Möglichkeiten versagen muß, liegt auf der Hand. Kollektivbeleidigungen ohne den Zusatz "ausnahmslos" können, müssen jedoch nicht notwendig Ausnahmen als zugestanden erkennen lassen42 • Zur rechtlichen Beurteliung dieser Fallart vgl. u. C. 2. S. 25. Vgl. RG 9, 1 ff. 39 Vgl. Knör S.691; RG 9, 1 (3); RG 31, 185 (189); RG 33, 46 (47); RG GA 48, S.121. 40 So etwa Liepmann S. 349; ähnlich auch Kohler S. 144 f.; vgl. auch Binding, Lehrbuch S. 143. 41 S.6B unter Berufung auf Ambach S.33. 42 Vgl. etwa die Entscheidung des Reichsgerichts RG 68, 120 ff., das die Äußerung: "die SA und SS sind lauter Lumpe" - nach den Umständen, unter denen sie fiel, als erkennbar auf alle Verbands angehörigen gemünzt wertete. 37

38

III. Die Erscheinungsformen der Kollektivbeleidigung

25

C. Die Kollektivbeleidigung unter Ausnahme einzelner Damit ist schon die dritte Spielart der Kollektivbeleidigung aufgezeigt, in der nach dem Vorsatz des Täters ein unbestimmter, meist überwiegender Teil der Mehrheit betroffen werden soll, einzelne Ausnahmen jedoch offenbleiben. Auch hier lassen sich aus dem bloßen Wortlaut der Äußerung allein noch keine sicheren Anhaltspunkte gewinnen. 1. Smeinbare Ausnahmen

Die ihrer äußeren Form nach Ausnahmen einräumende Kundgabe kann gleichwohl von dem Bestreben getragen sein, sämtliche Angehörigen des bezeichneten Kollektivs zu treffen. Der einschränkende Zusatz dient hier nur dazu, nach dem Motto "Ausnahmen bestätigen die Regel" das auf alle gemünzte Urteil zu bekräftigen und zu unterstreichen. Für eine sachgerechte Auslegung kann sich diese Angriffsrichtung im Einzelfall aus den Gesamtumständen entnehmen lassen, unter denen die Äußerung fiel. Naturgemäß kommt diesfalls der bloß in der Wortfassung zutage tretenden Einschränkung keine Bedeutung zu. Es handelt sich vielmehr um einen Fall der oben behandelten Kollektivbeleidigung im eigentlichen Sinne43 , die in dieser Form allerdings kaum jemals praktische Bedeutung gewinnt. 2. Gewollte Ausnahmen

Die einschränkend gehaltene Äußerung kann demgegenüber aber auch auf dem Willen gründen, einen Teil der unter die Gesamtbezeichnung fallenden Einzelpersonen von dem Vorwurf auszunehmen. Trotz seines umfassenden Vorsatzes läßt hier der Täter durch den Zusatz "größtenteils", "meistenteils", "mit wenigen Ausnahmen" erkennen, daß er einzelne Glieder der Mehrheit ausnehmen möchteu . Diese Einschränkung bleibt so lange unerheblich, als sich nicht aus der Äußerung unmittelbar oder doch aus den Umständen mit Bestimmtheit ergibt, auf welche individuellen einzelnen sie abstellt45 • Wenn der Beleidiger bestimmten Personen gegenüber seine Äußerung einschränken will, so muß er diese eindeutig und bestimmt bezeichnen. Im übrigen fällt, solange offenbleibt, wer ausgenommen sein soll, wegen der Unbestimmtheit des Angriffs der Verdacht unehrenhaften Verhaltens auf alle Angehörigen der Gesamtheit; auf alle ist, auch für den Täter ersichtlich, der Vorwurf 43 Vgl. hierzu die aufschlußreiche Entscheidung des Schweiz. Bundesgerichts BGE 50 I, 206, auf die Strehle S. 71 hinweist. 44 Vgl. Strehle S. 71. 45 In diesem Sinne Knör S. 689; RG 7, 169 (173).

1. Kap.:

26

Die Kollektivbeleidigung

beziehbar46 • Dem Reichsgericht lag ein Fall zur Entscheidung vor, in dem sich der beleidigende Vorwurf gegen den "größten Teil" einer im übrigen fest umrissenen Mehrheit richtete. Das Gericht stellt hier zutreffend fest, daß an der Beleidigung aller Angehöriger auch die Wendung "größtenteils" nichts zu ändern vermöge, denn "der Kreis der ausgenommenen Personen ist so unbestimmt, daß sich alle Angehörigen des unter die Sammelbezeiclmung fallenden Kreises als getroffen ansehen konnten, was auch vom Täter bei seiner Äußerung erkannt" werden mußte 47 • Es ist auch nicht einzusehen, wieso die Möglichkeit, daß auch nur eine einzige Person ausgenommen ist, jeder einzelnen Klage die Einwendung mangelnder Legitimation entgegensetzen sollte 48 • Ganz abgesehen davon, daß eine solche Auffassung einen Freibrief für entsprechend gefaßte beleidigende Äußerungen ausstellt, unterscheidet sich dieser Fall im Grunde nicht von den oben (A. 2.) behandelten, so daß eine verschiedene rechtliche Behandlung unverständlich bliebe. Hier wie dort liegt die Ehrverletzung schon in dem Verdacht, der mit der unbestimmten Äußerung auf alle Angehörigen des Kollektivs fällt. Es macht keinen wesenhaften Unterschied, ob die einzelnen, nicht erkennbar individualisierten Personen, deren Gemeintsein zweifelhaft bleibt, wie dort gerade in erster Linie von dem Vorwurf getroffen, oder, wie hier, ausgenommen sein sollen. Ob unklar bleibt, auf welches Individuum unter den vielen sich der Vorwurf bezieht, oder nicht festzustellen ist, welche einzelnen davon unberührt bleiben sollen -, ein prinzipieller Unterschied besteht nicht. Das Gewicht des Verdachts mag für die einzelnen Gruppenangehörigen hier, wo der Vorwurf Ausnahmen zugesteht, größer, dort, wo er von vornherein nur auf wenige einzelne bezogen ist, geringer sein, daraus verschiedene rechtliche Konsequenzen zu ziehen, fehlt jedoch der Grund. Eine gleiche Beurteilung verdienen aber auch die strukturell gleichgelagerten Fälle, in denen nicht nur einzelne von dem umfassenden Vorwurf ausgenommen sein sollen, sondern von vornherein die beleidigende Äußerung auf einen nicht näher bestimmten Teil der im übrigen fest umrissenen Gesamtheit ausdrücklich beschränkt ist. In ihrer MittelsteIlung zwischen den bei den oben behandelten Grenzsituationen weist diese Fallgestaltung keinerlei Besonderheiten auf, die eine modifizierte rechtliche Behandlung nahelegen müßten. Für Fälle, in denen nicht der gesamte Kreis, sondern ausdrücklich nur ein Teil dieses Kreises von der Äußerung erfaßt wird, von einem klagenden Einzelangehörigen des Kollektivs den Nachweis zu verlangen, daß auch er von dem Beleidiger Das betont Strehle S. 71 mit Recht. Mitgeteilt in JW 1923 S.994 mit zustimmender Anmerkung von Alsberg. Das wörtliche Zitat findet sich bei Strehle S. 72. 46 47

48

Ambach S. 33; Strehle S. 68.

II!. Die Erscheinungsformen der Kollektivbeleidigung

27

gemeint sei49 , ist deshalb unrichtig. Diese Auffassung, etwa von Knör vertreten, ist verfehlt, wenn sie glaubt, der Nachweis des Betroffenseins sei erst dann erbracht, wenn der Kläger darzutun vermöge, daß und warum die beleidigende Äußerung gerade auch auf ihn gemünzt sei50, daß er m. a. W. zu dem angegriffenen Teil der mit der Bezeichnung umrissenen Gesamtgruppe gehöre. Wenn der Verdacht unehrenhaften Verhaltens für eine Beleidigung genügen soll, und das betont Knör selbst5\ dann ist der zu fordernde Nachweis schon mit der Zugehörigkeit zu der bezeichneten Mehrheit erbracht, soweit nur diese Mehrruüt und damit der Kreis der verdächtigten Personen scharf umgrenzt ist. Auf welchen Teil dieses sich deutlich abhebenden Kreises der Angriff zuvörderst ausgerichtet sein soll, ist belanglos, solange die alle ergreifende Verdächtigung vom Vorsatz des Täters umfaßt wird. In seinem bekannten Urteil wegen Beleidigung der preußischen Richterschaft aus dem Jahre 188052, das seinerzeit heftigen Widerspruch fand 58, hat das Reichsgericht, obwohl in der fraglichen Kundgebung "ihrer äußeren Form nach nur ein, jedoch nicht abgegrenzter und erkennbar gemachter Teil der Gesamtheit angegriffen" wurde, eine Beleidigung sämtlicher Richter Preußens bejaht, "da eben wegen der Unbestimmtheit des Angriffs die Beziehung der Beleidigung auf alle Mitglieder angenommen werden konnte". Man mag darüber streiten, ob die "preußische Richterschaft" als Gruppe deutlich genug aus der Allgemeinheit hervortritt, um eine Individualisierung der ihr zugehörigen einzelnen zu ermöglichen. Wer jedoch dem Reichsgericht darin zu folgen bereit ist, für den wird auch dessen zweiter Schritt unangreifbar. Denn dann ist es belanglos, welchen Teil der mit der Äußerung insgesamt verdächtigten Gruppe der Täter mit seiner Kundgabe treffen wollte54 • Es hat den Anschein, als ob in der Diskussion die beiden verschiedenen Momente "Abgrenzbarkeit der Gesamtgruppe" und "Bestimmbarkeit des von der Äußerung betroffenen Teils dieser Gruppe" nicht immer mit der So etwa Knör S. 692. Siehe Knör S.690, 692. 51 S.694. 52 RG Rspr. 1, 292 (293); zu ähnlichen Entscheidungen siehe die Nachweise bei Frank, Vorb. II! vor § 185 und Knör S. 691 f. 53 Vgl. etwa Hälschner, Strafrecht, S.167 f., Fußnote 2; Berner S.478, Fußnote 1; Wachenjeld S. 356, Fußnote 2; Kohler S. 145; Olshausen (11. Aufl.) § 185 Anm. 10; Liepmann S. 349; Frank, Vorb. II! vor § 185. 54 Bedenklich deshalb RG JW 1932 S. 3113: Nicht dann ist, den umfassenden Vorsatz als Eventualdolus vorausgesetzt, in Wirklichkeit keine einzelne Person verletzt, "wenn eingeräumt werden muß, daß die Äußerung nicht auf alle unter eine solche Gesamtbezeichnung fallenden Personen, sondern nur auf einen mangels äußerer Kennzeichen nicht abgrenzbaren und nicht bestimmten Teil abzielt", wie das Reichsgericht meint, sondern nur dann mangels einer Individualisierbarkeit der verdachtsbelasteten Einzelpersonen, wenn die mit der Gesamtbezeichnung deutlich gemachte G r u p p e als solche nicht hinreichend deutlich aus der Allgemeinheit hervortritt. Vgl. hierzu BayObLG NJW 1953 S. 554 f. und die Anm. von Bockelmann a.a.O. S.555. 49 50

1. Kap.: Die Kollektivbeleidigung

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erforderlichen Klarheit auseinandergehalten werden55• Das Argument, es lasse sich nicht feststellen, welcher Teil des mit der Gesamtbezeichnung umschriebenen Kreises gemeint sei, wird gegenstandslos, wenn die Gesamtgruppe so deutlich aus der Allgemeinheit hervortritt, daß die ihr zugehörigen einzelnen sich unschwer feststellen lassen. Auf jeden einzelnen läßt sich dann die Äußerung beziehen, jeder einzelne wird von dem Verdacht betroffen, der für eine Beleidigung ausreicht. Ist aber der Gesamtkreis nicht scharf abgegrenzt, dann fehlt es schon an der objektiven Beziehbarkeit der Äußerung auf einzelne Angehörige der vagen Mehrheit überhaupt56 • Die Frage, auf welchen Teil dieser Mehrheit der Angriff abzielt, stellt sich erst gar nicht.

D. Die Grenzen der Kollektivbeleidigung Die Behandlung der verschiedenen Erscheinungsformen der Kollektivbeleidigung im vorigen ließ deutlich werden, wo die Grenzen liegen, jenseits derer von einer Beleidigung einzelner als persönlicher Ehrverletzung unter einer zusammenfassenden Bezeichnung nicht mehr gesprochen werden kann. Objektiv wird ihr Geltungsbereich abgesteckt durch die Individualisierbarkeit der einzelnen, von deren Betroffensein auszugehen ist, wenn sich eine Beziehung zwischen der beleidigenden Äußerung und den Einzelindividuen als Gliedern des angesprochenen Kollektivs herstellen läßt. Die Gruppe muß so deutlich aus der Allgemeinheit hervortreten, daß der Kreis der Betroffenen scharf umgrenzt ist. Ihre subjektive Begrenzung findet die Kollektivbeleidigung im allumfassenden Tätervorsatz, der im Einzelfall nach den Gesamtumständen zu ermitteln ist, ohne daß sich hierfür generelle Regeln aufstellen ließen. Einer sachgerechten Tatsachenwürdigung wird in der Regel mit hinreichender Sicherheit die Feststellung möglich sein, ob der Täter in concreto zumindest die Verdächtigung der Kollektivglieder für den Fall ihres Eintretens in seinen Willen mit aufnahm. Wo Zweifel bleiben, erfolgt Freispruch nach dem Grundsatz in dubio pro reo. Jenseits dieser Grenzen liegen die Fälle allgemein gehaltener Äußerungen über nur vage umrissene Gesamtheiten. Der Täter will hier nicht 55 Charakteristisch hierfür ist die Kritik Strehles S. 75, Fußnote 101, an RG Rspr. 1,292 f. Er hält die Argumentation des Reichsgerichts, daß - und schon in seiner Interpretation wird das Mißverständnis deutlich - "einzelne umso eher getroffen würden, wenn ein unbestimmter und unbegrenzter Personenkreis angegriffen sei", für "völlig unzutreffend", Dabei verkennt er jedoch, daß das Reichsgericht zutreffend auf die Unbestimmtheit des Te i I s der im übrigen für scharf abgegrenzt erachteten Gesamtheit abstellt und wegen des damit auf alle fallenden Verdachts eine Beleidigung bejaht. 56 Vgl. etwa RG 68, 120 (124); RG JW 1928 S. 806; RG JW 1932 S, 3113; BGH

NJW 1952 S,392.

IV. Schlußbetrachtung

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bestimmte einzelne oder alle der Gesamtheit zuzurechnenden Personen treffen, sondern nur den Gesamteindruck wiedergeben, den die Berührung mit dem betreffenden Personenkreis bei ihm hinterlassen hat57• Der Täter hebt gewisse in einem Personenkreis häufig anzutreffende Eigenschaften als typisch hervor, ohne damit eine direkte Verbindung zu den einzelnen Kollektivangehörigen herstellen zu wollen58• Die Erklärung wendet sich hier lediglich gegen die allgemeine politische, soziale, wirtschaftliche Einstellung, die, wie der Kritiker festgestellt zu haben glaubt, das Gesicht des betreffenden Personenkreises prägt. Das Reichsgericht, das die Grenzen für eine Kollektivbeleidigung sehr weit zu ziehen geneigt war, stellt selbst fest: "Äußerungen, die sich mit einer Personenmehrheit befassen, müssen sich nicht notwendig gegen deren einzelne Glieder richten, häufig wird vielmehr der Verfasser bei ihnen nur die unbestimmte Personenmehrheit im Auge haben ... Es bedarf also der besonderen Darlegung, daß die Kundgebung ersichtlich und vom Täter gewollt sich nicht gegen die Personenmehrheit als solche, sondern gegen deren, wenn auch nicht im einzelnen bezeichneten Glieder richtet59 • " Doch selbst wenn der Vorsatz eines Fanatikers etwa jeden einzelnen Angehörigen eines nur vage umgrenzten Personenkreises treffen will, bleibt diese beabsichtigte Angriffsrichtung rechtlich irrelevant, da der subjektive Wille den Mangel des objektiven Erfordernisses, die fehlende Beziehbarkeit der Äußerung auf Einzelindividuen, nicht zu ersetzen vermag60 •

IV. Schlußbetrachtung Wie die Untersuchung gezeigt hat, kann die Abgrenzung der Kollektivbeleidigung im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. Es ist dies jedoch eine Erscheinung, die im Wesen der Sache gründet und sich, wenn auch mehr oder weniger ausgeprägt, allgemein im Bereich strafrechtlicher Tatbestandsbestimmung und Subsumtion findet. Grundsätzliche Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit gegen eine Anerkennung der Kollektivbeleidigung überhaupt lassen sich daraus jedoch nicht rechtfertigen. Das Bedenkliche mancher reichsgerichtlichen Entscheidungen, die heftige Kritik gefunden habenat, scheint denn auch weniger auf dogmati57 Vgl. Schlosky S.87; Strehle S.73, der hier von "scheinbarer Kollektivbeleidigung" spricht; Hurwicz S.888. G8 Vgl. Kohler S. 145; Schlosky S.87. 59 HRR 1931 Nr. 265; vgl. auch RG Rspr. 3 S.606; RG GA 75 S.295. 60 Vgl. beispielsweise RG JW 1932 S. 3267; HammeZey S. 62; Ambach S. 30 fi. 61 Vgl. etwa RG 31, 185 (die mit Polen im Gemenge wohnenden Deutschen); RG 33, 46 (die preußischen Großgrundbesitzer); RG GA 48 S.121 (die Geist-

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1. Kap.: Die Kollektivbeleidigung

schem Gebiet als im Bereich der Subsumtion und Sachverhaltsbeurteilung zu liegen. Hier ist es einmal die Großzügigkeit, mit der das Reichsgericht das objektive Moment der scharfen Umgrenzung einer Gruppe zu bejahen bereit war, die zu Skepsis berechtigt; zum andern hat es zumindest den Anschein, als ob bei der Feststellung des subjektiven Gehalts einer Kollektiväußerung bisweilen logisch-abstrakte Folgerungen über eine sachgebundene Auslegung der tatsächlichen Umstände die Oberhand gewannen82• Die Gefahr einer zu weiten Ausdehnung der Kollektivbeleidigung liegt darin begründet, daß manche Sachverhalte rechtspolitisch so strafwürdig erscheinen, daß dogmatische Bedenken demgegenüber in den Hintergrund treten. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß eine zu weite Ausdehnung der Strafbarkeit eines Kollektivurteils der öffentlichen Meinungsbildung und Meinungsfreiheit in ihrer wichtigen sozialen Funktion unerträgliche Fesseln anlegen müßte 63 • Eine nachdrücklichere Betonung der objektiven Voraussetzungen, wie sie der Bundesgerichtshof mit dem vom Reichsgericht übernommenen Moment der scharfen Umgrenzung des angesprochenen Kreises vornimmt, vermag jedoch einer uferlosen Ausweitung weitgehend zu steuern64 • Sicherlich lassen sich nicht feste Regeln dafür aufstellen, wann diesem Erfordernis genügt ist. Sicherlich bleiben in manchen Fällen Zweifel bestehen, ob mit einer Bejahung nicht schon die gezogene Grenze überschritten ist. über diese Bedenken hilft jedoch hinweg die Einsicht in die sachnotwendige Beschränktheit und Unvollkommenheit jeder rechtlichen abstrakten Normierung angesichts der Mannigfaltigkeit und Vielschichtigkeit des Lebens. Die Zuversicht ist berechtigt, daß die Rechtsprechung im Einzelfall zu gerechten Ergebnissen zu gelangen versteht. Die Juden lichen christlicher Konfession); RG JW 1932 S.3113 (die deutschen Ärztej; RG JW 1936 S.751 (die deutschen Rechtsanwälte); AG Hamburg JW 1936 S.751 (die Rechtsanwälte). Weitere Nachweise finden sich bei Olshausen (12. Aufl.) , § 185 Anm. 3. An kritischen Stimmen seien genannt: Frank, Vorb. III vor § 185; Kohle1' S.146; Liepmann S.349; Strehle S.77; Olshausen (11. Aufl.) § 185 Anm. 10; v. Liszt-Schmidt S. 507 ff., insb. Fußnote 9; Hammeley S.58; Ambach S.34. Siehe auch: oben Fußnote 53. 62 So auch Strehle S. 77; vgl. weiter Hammeley S. 58. ~3 Vgl. in diesem Sinne Hurwicz S.890; Kohler S. 45 ff., der schon den "ersten Schritt" der Anerkennung kollektiver Beleidigungen für verfehlt und die dadurch bewirkte Ausdehnung des Beleidigungsbegriffs für verhängnisvoll hält: " ... denn hierdurch wird die Kritik wesentlich eingeschränkt, die freie Meinungsäußerung in ihrem Fundament gefährdet, die gerechte Würdigung unserer Zeitströmungen unmöglich gemacht und jede kulturhistorische Betrachtung unserer Entwicklung ernstlich in Frage gestellt", S. 145. M So ist auch die Kritik heute merklich verstummt. Die Rechtsprechung unterstützen: Maurach, Lehrbuch 11 S.123; Schönke-Schröder, Randnote 11 vor § 185; Mezger, StuB 11 S.99; Schaejer, LK Vorb. II 3 vor § 185; Welzel, Strafrecht S.264; Schwarz-Dreher, § 185 Anm. 3 B. Vgl. hierzu auch Paepcke S. 81 ff.

IV. Schluß betrachtung

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ja, die an der Entnazifizierung Beteiligten nein - dem Bundesgerichtshof ist zuzugeben, daß erstere aufgrund ihres gemeinsamen, vom NSStaat auferlegten Schicksals in der Allgemeinheit als eng umgrenzte Gruppe erscheinen, während letztere, die Katholiken, die Akademiker Deutschlands kein vergleichbares Ereignis zu einer aus der Allgemeinheit hervortretenden Einheit verbunden hat65 •

65 Vgl. BGH 11, 207; ebenso BGH NJW 1952 S.1138; BGH 16,49 (57); OGH BZ 2, 312; anderer Ansicht OLG Neustadt HESt 2, 270. Vgl. andererseits BGH 2, 38. Siehe auch BayObLG NJW 1953 S. 554 mit Anm. Bockelmann (die Patentanwälte).

2. Ka pi tel

Die Beleidigung eines Verbands Das Problem als Streitpunkt seit Erlaß des Reichsstrafgesetzbuchs Im Gegensatz zu der eben erörterten Kollektivbeleidigung, die in Lehre und Rechtsprechung wenigstens im grundsätzlichen nicht umstritten ist, läßt sich für das Problem der passiven Beleidigungsfähigkeit von Gemeinschaften und Verbänden der heute geltende Rechtszustand "einigermaßen exakt überhaupt nicht fixieren"l. Das Gesetz selbst hüllt sich in Schweigen, von der noch zu behandelnden Einzelregelung der §§ 196, 197 StGB abgesehen, und auch der Entwurf 1962 spricht sich weder positiv noch negativ zu der Frage aus 2• Ob grundsätzlich Verbände und Gemeinschaften als überpersönliche Einheiten überhaupt Gegenstand einer Beleidigung sein können, zu dieser Frage läßt sich heute eine wohl überwiegende Auffassung feststellen 3• Sobald es aber um die Abgrenzung von beleidigungsfähigen und nicht beleidigungsfähigen Gemeinschaften geht, sind die vorgeschlagenen Lösungen so mannigfach und vielgestaltig, daß es unmöglich ist, eine an~ nähernde übereinstimmung der Ansichten zu erkennen. Auch sind die im einzelnen verwandten Kriterien in ihrer nach der Natur der Sache wohl unvermeidlichen Allgemeinheit und mangelnden Faßbarkeit für eine reinliche Abscheidung wenig geeignet. Die Folge ist, wie Kaufmann mit Recht beklagt, "eine geradezu beispiellose Rechtsunsicherheit"4. Wenn heute die Diskussion immer ärmer wird an Stimmen, die sich gegen eine Anerkennung der passiven Beleidigungsfähigkeit von Verbänden aussprechen, und der Bereich der beleidigungsfähigen Gemeinschaften zusehends ausgedehnt wird, so geht diese Entwicklung im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte deutlich Hand in Hand mit der zuneh1 2

Kaufmann S. 418.

4

S.418.

Vgl. Entwurf 1962 S. 313 f. Hier wird ausdrücklich festgestellt, daß der Entwurf zu der umstrittenen Frage, ob unter gewissen Voraussetzungen auch Personenmehrheiten den Schutz der Beleidigungstatbestände genießen, nicht Stellung nimmt, da die Zeit für eine gesetzliche Entscheidung "noch nicht reif" sei. 3 Vgl. Schaefer, LK Vorb. II 2 vor § 185; Schönke-Schröder, Randnote 4 vor § 185; Maurach, Lehrbuch II S. 120. 3 Krug

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2. Kap.: Die Verbandsbeleidigung - dogmengeschichtlicher überblick

menden Bedeutung von Kollektivzusammenschlüssen im öffentlichen Leben. Diese Tendenz läßt sich in der Rechtsprechung wie auch in der Literatur nachweisen5 •

I. Die Entwicklung in der Rechtsprechung Das Reichsgericht hatte seit seinem Bestehen in ständiger Rechtsprechung an der Auffassung festgehalten, daß, von den durch die §§ 196 197 im Strafgesetzbuch selbst statuierten Ausnahmen abgesehen, Verbände nicht als beleidigungsfähig anzusehen seien, "da die Ehre ein Attribut der menschlichen Persönlichkeit und daher eine Ehrenkränkung nur in Bezug auf Personen denkbar" sei ß • Einen ersten Einbruch in diese Haltung zeigt die bekannte BierreiseEntscheidung vom 13. 2. 1936, in der deutlich der Gedanke einer selbständigen Familienehre anklingt7 • Aus der "deutschen Auffassung der Familie" folgert das Reichsgericht: "Der Schimpf, den ein Mitglied erleidet, trifft die Gemeinschafts." Zwar dient diese Argumentation letztlich nur der Feststellung, daß in der Ehefrau der Ehemann selbst, mittelbar oder unmittelbar, beleidigt sein könne 9 , jedoch rückt das Gericht merklich von der bisherigen Auffassung ab, wonach die Vorschriften der §§ 185 ff. StGB "nur die Ehre der Einzelperson, nicht aber die ,Familienehre' schützen" sollen1o• Wenig später verwirft dann das Reichsgericht in seiner Entscheidung vom 12. 3. 1936 ausdrücklich die bisherige Rechtsprechung zur passiven Beleidigungsfähigkeit von Personengesamtheiten als "unvereinbar" mit der "jetzigen Rechtsanschauung, die die Gemeinschaften in den Mittelpunkt der rechtlichen Betrachtungsweise stellt", und spricht die Ehrfähigkeit zumindest den Personenmehrheiten zu, "die das Recht anerkennt und die mit staatlicher Billigung der Erfüllung öffentlicher Aufgaben zu dienen bestimmt sind"l1. 5 Zum Rechtszustand zur Zeit der Partikulargesetzgebung vgl. Köstlin S. 22 ff.; Goltdammer S. 841 ff.; Hammeley S. 26 f.; Ambach S. 15 ff.; zur Stellungnahme der Entwürfe vgl. die übersicht bei Gerland GS 110 S. 35 ff., 67 ff. 6 Vgl. hierzu und zum folgenden die übersicht bei Kaufmann S. 419 f., insbes. Note 6 und RG GA 59 S. 318. 7 RG 70, 94. 8 RG 70, 94 (97). Offenbar leitet das Reichsgericht hier die Vorstellung von einer selbständigen Familienehre, deren Träger der Ehemann sein soll: "Ihn (den Schimpf) abzuwehren sind die männlichen Familienmitglieder und besonders der Ehemann als das Haupt der Familie berufen." D Vgl. hierzu auch RG 70, 173 (176); 70, 245 (247); 75, 257 (259). Vgl. in diesem Zusammenhang auch Engisch ZAkDR 1939 S. 596. 10 RG 70, 98. 11 RG 70, 140 (141) mit Anm. Schäfer DJ 1936 S. 608.

I. Die Entwicklung in der Rechtsprechung

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Eine grundsätzliche Anerkennung der Familienehre enthält dann die Entscheidung RGSt 73,113 (117), auch wenn eine endgültige Klärung damit noch nicht erfolgt12 • In Verfolgung dieser vorgezeichneten Richtung wird der Kreis der ehrfähigen Gemeinschaften weiter ausgedehnt und einer Ortsgruppe der NS-Frauenschaft13, einer öffentlichen Krankenkasse14, dem "Stahlhelm"15, ja sogar dem Anwaltsstand18 die passive Beleidigungsfähigkeit zugesprochen. Zu beachten ist dabei, daß es sich bei den für ehrfähig erachteten Vereinigungen fast durchweg um Organisationen mehr oder minder politischen Charakters handelt, während für Gesamtheiten mit lediglich wirtschaftlichen Zielen an der früheren Auffassung festgehalten wird17. Eine scharfe Wendung nahm die Rechtsprechung nach dem Zusammenbruch und knüpfte unter Verwerfung der als Ausfluß nationalsozialistischen Gedankenguts angesehenen Bejahung der Beleidigungsfähigkeit wieder an die ältere Praxis an. So sprachen sich verschiedene Oberlandesgerichte gegen einen Ehrenschutz von Gemeinschaften als überpersönlicher Einheiten aus18. Auch der Bundesgerichtshof verneinte den strafrechtlichen Schutz der Familienehre, die er als soziologisches Faktum im übrigen anerkannte, mit der Begründung, das Strafrecht anerkenne nur den Einzelmenschen als Träger einer Ehre 19• Von der unter dem Einfluß nationalsozialistischer 12 In DJ 1937 S. 585 (586) hatte das Reichsgericht noch: eine selbständige Familienehre verneint. Hier wird demgegenüber eine Verletzung der Familienehre ohne nähere Begründung - das Gericht verweist lediglich auf RG 70, 245 - als möglich vorausgesetzt und im konkreten Fall nur deshalb abgelehnt, weil das "Familienoberhaupt ... als Träger der Familienehre ... selbst die Tat begangen hat". 13 Unveröffentlichtes Urteil des RG vom 29. 4. 1937 3 D 232/37 -, zit. nach RG 74, 268. VgI. auch KGE 16, 86 (Amtswalterkorps als ehrfähige Gemeinschaft). 14 RG 74, 268. Die Entscheidung stützt sich letztlich allerdings auf § 196. 15 OLG Hamburg HRR 1935 Nr. 1348; ebenfalls den Stahlhelm betraf RG 70, 140 (vgI. den Abdruck der Entscheidung DJ 1936 S.608). 16 LG Ravensburg JW 1937 S. 181. 17 VgI. etwa RG 44, 143 (147), das die Beleidigungsfähigkeit eines Detaillistenvereins verneint; RG DR 1941 S.2125 (KG); aus der obergerichtlichen Rechtsprechung ablehnend: OLG Düsseldorf DRpfl.. 1936 S.114 (Kapitalgesellschaft); OLG Königsberg HRR 1939 Nr. 1487 (Darlehenskasse). 18 VgI. OLG Freiburg DRZ 1947 S.416 (Familie); OLG Frankfurt SJZ 1950 Sp. 353 (Nachrichtenagentur) mit abI. Anm. Mezger, a.a.O. S.355; OLG Neustadt HESt 2, 270 (die Juden als Gesamtheit); siehe auch BayObLG NJW 1953 S.554, wo die Frage der Beleidigungsfähigkeit der Patentanwälte nur unter dem Gesichtspunkt der Kollektivbeleidigung erörtert wird; hierzu auch die Anm. Bockelmann a.a.O. VgI. andererseits LG Hannover NJW 1948 S. 349 (die Anwälte eines OLG-Bezirks als ehrfähige Personenmehrheit) mit abI. Anm. Müller. 19

JZ 1951 S.520; ablehnend zu dieser Entscheidung Mezger, a.a.O. S.521;

Welzel, MDR 1951 S.501.

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2. Kap.: Die Verbands beleidigung - dogmengeschichtlicher überblick

Gedankengänge zustande gekommenen "überbewertung der Gemeinschaften", so führt er aus, habe sich das Grundgesetz und die deutsche Rechtsprechung abgewandt und den "Menschen als Persönlichkeit wieder in den Mittelpunkt gerückt". Menschenwürde und damit Ehre komme nur dem Menschen zu; er allein sei in seinem Eigenwert und seiner Eigenständigkeit unverbrüchliche Grundlage der gesamten Ordnung20 • Wenig später wurden diese Grundsätze jedoch in ihrem Geltungsanspruch erheblich erschüttert. In radikaler Umkehr verbündete sich der Bundesgerichtshof der Auffassung des späteren Reichsgerichts und dehnte den Ehrenschutz von Gesamtheiten noch über den seinerzeit umschriebenen Kreis hinaus aus. In seiner vielerörterten Entscheidung vom 8. 1. 1954 folgert der Bundesgerichtshof aus der" unlösbaren Beziehung, in der Mensch und Gemeinschaft stehen", daß Beleidigungsfähigkeit den Personengesamtheiten zukomme, die "eine rechtlich anerkannte, gesellschaftliche (auch wirtschaftliche) Aufgabe (,soziale Funktion')" erfüllen und "einen einheitlichen Willen bilden" können21 • Während das Reichsgericht noch eine "öffentliche Aufgabe" verlangte 22, soll hier schon die rechtliche Anerkennung der Aufgabe ohne Rücksicht auf die soziale Bedeutung genügen: sie muß nur im täglichen Leben mit rechtlicher Billigung üblicherweise erfüllt werden. Auf die Rechtsform des Aufgabenträgers kommt es nicht an. Nicht um ihrer Eigenschaft als juristischer Person willen wird hier der klagenden Kapitalgesellschaft Ehrenschutz zugebilligt, sondern wegen ihrer sozialen Funktion als Verlegerin einer Tageszeitung. Andererseits hält der Bundesgerichtshof offenbar an seiner ablehnenden Haltung gegenüber der Familienehre fest, da hier "die klare Abgrenzbarkeit des zugehörigen Personenkreises und die einheitliche Willensbildung" fehle 23 . Die Annahme liegt nahe, daß das letzte Wort hierzu noch nicht gesprochen ist. Denn trotz dieser Argumentation ist unverkennbar, daß die beiden Entscheidungen in unversöhnlichem Widerspruch zueinander stehen. Mit der früheren Feststellung, die Familienehre sei strafrechtlich nicht geschützt, weil das Strafrecht "nur den Einzelmenschen als Träger einer Ehre" anerkenne 24, ist die erste Grundthese des neuen Urteils von der Beleidigungsfähigkeit bestimmter Personengesamtheiten" schlechterdings unvereinbar"25. Die Entscheidung läßt sich damit nicht als ein Abschluß in der Entwicklung, sondern nur als ein neuer Anfang verstehen28 , der manche Fragen offenläßt. JZ 1951 S. 520. BGH 6, 186; zustimmend Bruns, NJW 1955 S. 689 ff.; Niese S. 358 f. Vgl. aus der Rechtsprechung weiter LG Hannover NJW 1948 S. 349 und LG Würzburg NJW 1959 S. 1935 mit zustimmender Anmerkung Lürken. 22 RG 70, 140; weitere Rechtsprechungsnachweise siehe o. Fußnote 17. 23 BGH 6, 186 (192). 24 BGH JZ 1951 S.521. 25 Bruns S. 689. 26 So Bruns S.693; ihm zustimmend Kaufmann S.421. 20 21

II. Die Entwicklung im Schrifttum

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11. Die Entwicklung im Schrifttum Eine ähnliche Entwicklung, wie sie in der Rechtsprechung zu verfolgen war, zeichnet sich auch im Schrifttum seit dem Ausgang des vergangenen Jahrhunderts ab.

A. Rückblick auf die Doktrin des gemeinen Rechts Die Literatur des gemeinen Rechts hatte noch ganz überwiegend die Beleidigungsfähigkeit von juristischen Personen bejaht, eine solche jedoch allen übrigen Personengesamtheiten abgesprochen27 • Als Voraussetzung für eine Ehrverletzung glaubte man auf die "Individualität" des Beleidigten nicht verzichten zu können, die physisch, aber auch bloß juristisch sein konnte. Nur der juristischen Person, jedoch nicht auch sonstigen Kollektivgebilden, sah man "vermöge der gesetzlichen Fiktion einer Individualität die Rechtssubjektivität beigelegt"28, die sie zum Träger einer Ehre macht. Die vollkommene Gleichstellung von natürlicher und juristischer Person begegnete allerdings schon früh Bedenken. Man begann, die juristischen Personen nach ihrem Substrat zu trennen und unterschied zwei Gruppen von Korporationen, je nachdem, ob ihr Substrat aus physischen Personen oder lediglich aus Sachen bestand, wie etwa Stiftungen oder die hereditas jacens. Nur für jene erschien unter dem Blickpunkt der Beleidigungsfähigkeit die Gleichstellung mit der natürlichen Person als vertretbar. Zumindest die abstrakte Möglichkeit eines Wertbewußtseins glaubte man von der beleidigungsfähigen "moralischen Person" fordern zu müssen. Man vermißte es bei dem "des eigenen Bewußtseins unfähigen Substrat" der Stiftung, während es "bei dem aus physischen Personen bestehenden Substrat allerdings als vorhanden gedacht" wurde 29 • über die durch die formale Rechtsfähigkeit abgesteckten Grenzen ging man in der Regel nicht hinaus. Eine Anerkennung der Beleidigungsfähigkeit ganzer Stände, Familien oder Gesellschaften als solcher, in der Partikulargesetzgebung nicht nur vereinzelt anzutreffen, stieß überwiegend auf Ablehnung30 • Hier bot die Annahme einer Verletzung der einzelnen Mitglieder in ihrer 'lndi vid ualehre die Möglichkeit strafrech tlicher Sanktion31• Scharf unterschied man schon zwischen der "individuellen Ehre" und dem "Gemeingut der allgemeinen Ehre sozialer Organismen, deren Verletzung nur aus politischem Standpunkte bestraft" werde32• Man hatte 27 Vgl. hierzu Köstlin S. 22; Mittermaier, Noten I und II zu § 280; Hälschner S. 247 ff.; ders. Strafrecht S. 168 ff.; Klein S. 8 ff.; Goltdammer S. 840 ff.; Zim-

mermann S. 98 ff.; Ambach S.5 ff. 28 So etwa Goltdammer S. 844. 29 Goltdammer S. 848. 30 Vgl. Köstlin S. 22 ff. und die oben, Fußnote 27, Genannten. 31 Siehe Goltdammer S. 841 ff. mit Nachweisen aus der Partikulargesetzgebung; Köstlin S. 22 f. 32 So, nach Goltdammer S. 841, die Motive des Entwurfs von 1845.

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2. Kap.: Die Verbandsbeleidigung - dogmengeschichtlicher überblick

erkannt, daß öffentliche Behörden, Kammern, ständische oder Kommunalversammlungen, politische Körperschaften keine Ehre im eigentlichen Sinne haben, sondern daß hier ein strafrechtlicher Schutz der Amtswürde, der "obrigkeitlichen Autorität" zu gewähren sei, "welche ihre Anerkennung zur Wahrung der öffentlichen Ordnung nothwendig fordert"33. Diese "seltene übereinstimmung"34 in der Bejahung der Beleidigungsfähigkeit von juristischen Personen war indes schon früh Zielscheibe heftiger Angriffe. Schon im Jahre 1800 widersetzten sich Klein35 , und wenig später Mittermaier36, der ganz herrschenden Meinung. Vor allem Klein wandte sich mit Nachdruck gegen eine Gleichstellung von physischer und juristischer Person37 , welch letztere als "erdichtete" Person, als "bloßes Verhältnis zwischen mehreren Menschen" keine "wirkliche Substanz" aufweise 38 • Für ihn ist die juristische Person gewissermaßen nur der verkürzte Ausdruck für die Summe der einzelnen39. Die Beleidigung der moralischen Person löst sich in eine Beleidigung ihrer einzelnen Mitglieder auf. Zu diesem Ergebnis kommt auch Mittermaier: "Die Natur der Sache schließt bei Korporationen die Injurienklage aus ... Die Einzelnen mögen klagen." "Denke man nur, daß moralische Personen auch keine Verbrechen verüben können, daher die Beschuldigung verübter Verbrechen doch nur den Einzelnen trifft40 • " Widerhall fand diese Betrachtungsweise indes kaum in der Doktrin, deren einmütige Bejahung der Beleidigungsfähigkeit von Korporationen doch wohl in Zusammenhang mit der Stellungnahme der Partikulargesetzgebung gesehen werden muß, die, wie bereits erwähnt, in der Anerkennung der Korporationsbeleidigung verhältnismäßig weit ging und nicht selten auch Familien, Zünfte, ganze Klassen, Stände u. ä. in den Ehrenschutz einschloß41 •

B. Der Meinungswandel seit Erlaß des Reichsstrafgesetzbuchs Der entscheidende Einbruch in diese geschlossene Phalanx der Verfechter einer Beleidigungsfähigkeit von juristischen Personen war denn auch 33 34

35 38

Siehe Goltdammer S. 843 f. Zimmermann S.97. S. 8 ff. Note I zu § 280; so auch schon die 12. Auflage (1936), Note I zu § 280.

37 S.9: "Es ist noch niemand eingefallen, den, welcher Gesellschaften getrennt und also die moralische Person um ihre Existenz gebracht hat, wie einen Mörder zu bestrafen, und es ist mir noch kein Rechtslehrer vorgekommen, welcher behauptet hätte, daß der, welcher verhindere, daß eine Gesellschaft zu Stande komme, des Verbrechens der Abtreibung der Leibesfrucht schuldig sey .... es muß also doch in der besonderen Natur dieser Personen etwas liegen, warum nicht alles, was in Ansehung physischer Personen Rechtens ist, auf die moralischen angewendet werden kann." 38 S.17. 39 S. 12: " ... eine kürzere Art sich auszudrucken". 40 Note I zu § 280. 41 Vgl. die Nachweise oben, Fußnote 5.

H. Die Entwicklung im Schrifttum

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erst unter der Herrschaft des Reichsstrafgesetzbuchs möglich. Zum entschiedensten Gegner wurde Binding, der bald auch die herrschende Meinung hinter sich wußte42 . "Eine Kollektivehre von Familien, Ständen, Versammlungen, juristischen Personen, Firmen, Behörden ist ein Unding." Sie "entbehren des Menschenwertes", es "fehlt bei ihnen die Voraussetzung sittlichen Handeins", das eigene "Gewissen". Ihre Handlungsfähigkeit ist im Grunde nur die gesetzlich verankerte Zuordnung des Handeins ihrer Organe. Ihnen "gebührt die Ehre - nicht dem Ganzen: dessen Ehrenkonto läuft eben auf den falschen Namen"43. Der Schutz der §§ 196, 197 StGB trägt dem Anspruch der politischen Körperschaften "auf Respektirung ihrer Stellung und Autorität" Rechnung; dieser aber "fließt nicht aus der Ehre, sondern aus ihrer Stellung". Zu ähnlichen Formulierungen kommt BernerM • Da die juristische Person, "als bloß fingirte Person, der sittlichen Innerlichkeit entbehrt, auch alle aus dem Gesichtspunkte der Ehre zu beurtheilenden Handlungen nur durch Fiktion die ihrigen sind: so sind scheinbare Verletzungen der Ehre einer juristischen Person in Wahrheit nur Verletzungen der Ehre jener lebendigen Personen, welche die juristische Person vertreten". Der Grund der Ausnahmen in den §§ 196, 197 StGB ist "die Wahrung der obrigkeitlichen Autorität". Handelsgesellschaften können nicht beleidigt, wohl aber in ihrem Kredit gefährdet werden. Auch Bruhns löst sich vollkommen von der formalen Rechtsfähigkeit und findet in der Gesamtheit letztlich nur Einzelpersönlichkeiten45• Für die Frage, "ob eine organisch zusammengehörige Mehrheit von Personen als solche beleidigt werden könnte, ist der Umstand ... unerheblich, daß dieselbe die Rechte einer juristischen Person besitzt, und sie bleibt dieselbe mit Beziehung auf Körperschaften und Vertretungen juristischer Personen aller Art". Eine "Ehrverletzung, welche nicht die Einzelnen, sondern nur die Gesammtheit träfe, ist ... undenkbar, schon deßhalb, weil die Ge42 Lehrbuch S.140. Vgl. im übrigen etwa Wachenfeld S.355: "Die Beleidigungsunfähigkeit einer juristischen Person folgt schon daraus, daß sie ein künstlich geschaffenes Gebilde und ihr Rechtsgut der Ehre nur nach Analogie der Ehre der physischen Person konstruiert ist." Die herrschende Ansicht verneint "mit Recht die Beleidigungsfähigkeit juristischer Personen" (a.a.O. Fußnote 1). Ähnlich Finger S. 252 ff.: "Einem nicht faß- und greifbaren Schemen, einem gedanklichen Ding ,Ehre' zuzuerkennen, ist ein Unding" (S. 260 Fußnote 247). Ablehnend auch v. Buri, GS 28 S. 233 f.; Dochow S. 338 f.; van Calker, Strafrecht S.131; Schierloh S.12ff.; Passow S.17; Ambach S. 41 f.; v. Bar S. 189, von seinem Beleidigungsverständnis als Schmerzerregung aus zwingend: " .. juristische Personen und überhaupt Gesamtpersönlichkeiten .. (können) nicht beleidigt werden ... , da sie eben den der Beleidigung charakteristischen Seelenschmerz nicht empfinden können." Ebenso für den Ehrangriff, der nicht Rufgefährdung ist, Eisler S. 116 ff. 43 Lehrbuch S. 141. 44 S. 478 f. 45 S. 484 ff.

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2. Kap.: Die Verbandsbeleidigung - dogmengeschichtlicher Überblick

sammtheit keine Realität hat"46. Nur die einzelnen Mitglieder überlegen, wollen, handeln, was zwar "zufolge einer naheliegenden Fiktion" als Handeln, als Wollen der Korporation bezeichnet wird, aber doch nur, indem dem "Vornehmen jener betheiligten Menschen ... die Wirkung beigelegt wird, für Handlungen derselben zu gelten'