Edmund Husserls System der phänomenologischen Psychologie 9783110832327, 9783110032413

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Edmund Husserls System der phänomenologischen Psychologie
 9783110832327, 9783110032413

Table of contents :
Vorbemerkungen
Einleitung: Die Phänomenologie innerhalb der Diskussion um die psychologische Methodik
I. Die phänomenologische Unterstellung einer permanenten Krise in der Psychologie der Neuzeit – Der Grund dieser Krise: Die Psychologie nicht am Leitfaden des Psychischen, sondern am Vorbild von Einzeldisziplinen ausgerichtet
§ 1. Die stetig wechselnden Ansätze in der Psychologie der Neuzeit
§ 2. Descartes’ psychologische Unzulänglichkeit: Der Verlust eines einheitlichen Aspekts des Psychischen
§ 3. Der neuzeitliche Dualismus
§ 4. Die Naturwissenschaften als Leitbilder der Psychologie
§ 5. Die empiristische Psychologie als zwar genetisches, aber auch naturalistisches Unternehmen
§ 6. Diltheys Kritik der naturwissenschaftlichen Psychologie
§ 7. Logik bzw. Erkenntnistheorie als geforderte kritische Instanzen der Psychologie
§ 8. Das Versagen der Transzendentalphilosophien gegenüber der Psychologie
§ 9. Ablehnende Stellungnahmen gegenüber der Möglichkeit des Wissenschaftscharakters psychologischer Unternehmungen
§ 10. Das „Versagen“ der neuzeitlichen Psychologien
II. Probleme der Wissenschaftstheorie (innerhalb der phänomenologischen Thematik und Methodik)
A. Die Stufungen des kritisch-wissenschaftlichen Verfahrens
§ 11. Wissenschaften: ihre Gebiete und ihre Kritik
§ 12. Apriorische Wissenschaften
B. „Natur“ als wissenschaftliche Aufgabe der Neuzeit
§ 13. Der neuzeitliche Naturbegriff
§ 14. Der Anspruch der neuzeitlichen Naturwissenschaft
§ 15. Das Problem einer Somatologie
§ 16. Exkurs: Der Psychologismus
III. Die Methode der phänomenologischen Psychologie (innerhalb des Bereiches, in dem sie dem sog. „Prinzip aller Prinzipien“ untersteht)
A. Die Hierarchie der geforderten phänomenologischen Psychologie
§ 17. Explikation des Stufenbaues der neuen Psychologie
§ 18. „Apriorität“ in der neuen Psychologie
§ 19. Das Verhältnis von apriorischer zu empirischer Psychologie
§ 20. Die Aufgabe der empirischen Psychologie
B. Die Betrachtung des Psychischen als Nicht-Natur
§ 21. Die Erschließung des subjektiven Bereiches
§ 22. Die „schlichte Erfahrungswelt“ als Welt passiver Vorgegebenheit und die „Lebensweit“ als konkrete Welt
§ 23. Der Irrtum des psychophysischen Parallelismus
C. Das Verfahren zur reinen Erfassung des Psychischen als ein sich der psychischen Funktionen bedienendes
§ 24. Die Erfahrung
§ 25. Die Wahrnehmung
§ 26. Abwandlungen der Wahrnehmung
§ 27. Die Reflexion
§ 28. Die innere Wahrnehmung
§ 29. Adäquate und inadäquate Gegebenheit
§ 30. Das Verhältnis zwischen Selbstbeobachtung und immanenter Wahrnehmung
D. Die Grundcharaktere der neuen Psychologie
§ 31. Evidenz
§ 32. Schauen
§ 33. Intentionalität
IV. Die in abstraktiv psychologischer Einstellung aufweisbaren Erscheinungsweisen des individuell-subjektiven Psychischen in der Welt
§ 34. Psychologische Erfahrung
§ 35. Die Leiblichkeit
§ 36. Das Seelische
§ 37. Das Erlebnis
V. Das Verhältnis der transzendentalen Phänomenologie zur Psychologie und ihren einzelnen Stufen
A. Die Reduktionen als methodische Verfahrensweisen zur radikalen Klärung der psychologischen Problematik
§ 38. Die natürliche Einstellung
§ 39. Die eidetische Reduktion
§ 40. Die phänomenologische Reduktion
§ 41. Das gegenseitige Verhältnis der Reduktionen
B. Die Beziehungen zwischen Psychologie und Phänomenologie: Die Psychologie als methodische Vorstufe der transzendentalen Phänomenologie – Die Phänomenologie als begründende Vorstufe der Psychologie
§ 42. Die transzendentale Forschung als „enthüllende“
§ 43. Die letztmögliche Klärung des Verhältnisses zwischen Psychologie und Transzendentalphilosophie
C. Der Horizont der Phänomenologie
§ 44. Das transzendental-phänomenologische Grundgesetz: Seiendes = „Sinn für“
§ 45. Der phänomenologische Idealismus
§ 46. Der phänomenologische Positivismus
§ 47. Die Phänomenologie als Bewegung der Vernunft
D. Konstitution und Genesis
§ 48. Die Welt als transzendentales Problem
§ 49. Das Auftreten des Bewußtseins
§ 50. Die objektivierte Geistigkeit als auf Objektivationsvollzüge verweisende
§ 51. Die Stufen der Konstitution
§ 52. Aktive und passive Genesis
§ 53. Die Genesis des subjektiven Lebens
§ 54. Das Leben der absoluten Subjektivität – Ihre Unsterblichkeit
Literaturverzeichnis
Namenregister

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HERMANN EDMUND

DRÜE

HUSSERLS

DER PHÄNOMENOLOGISCHEN

SYSTEM PSYCHOLOGIE

PHÄNOMENOLOGISCH-PSYCHOLOGISCHE FORSCHUNGEN

HERAUSGEGEBEN

VON

C. F. G R A U M A N N U N D J. L I N S C H O T E N

BAND 4

1963 WALTER

DE

G R U Y T E R

&

CO.

/

B E R L I N

VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG - J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG - G E O R G R E I M E R - K A R L J. T R Ü B N E R - V E I T & C O M P

E D M U N D HUSSERLS SYSTEM DER PHÄNOMENOLOGISCHEN

PSYCHOLOGIE

VON

HERMANN

DRÜE

1963 W A L T E R

DE

G R U Y T E R

& CO.

/

B E R L I N

VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG - J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG - G E O R G R E I M E R - K A R L J. T R U B N E R - V E I T & C O M P .

Ardiiv-Nr.: 34 99 63 1 © 1962 by Walter de Gruyter Sc Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung · J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung · Georg Reimer · Karl J. Trübner · Veit U Comp. Berlin 30 (Printed in Germany) Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanisaiem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Thormann & Goetsdi. Berlin.

DER S T U D I E N S T I F T U N G D E S D E U T S C H E N VOLKES in Dankbarkeit gewidmet

VORBEMERKUNGEN „ . . . die Idee universaler Wissenschaft aus absoluter Begründung hinsichtlich ihrer Möglichkeit und Erzielbarkeit noch nicht entschieden, obsdion das Meditieren leitend." Cartesianische Meditationen (12, 188) W e n n m a n die Meinung vertritt, Husserl sei kein Feind der Psychologie, sondern im Gegenteil ein bedeutender Denker psychologischer Probleme gewesen, so wird man auch heute noch manchmal auf Widerstand stoßen. Diese immer noch nicht eindeutige Beurteilung ist ein Rest jener Einordnung, die Husserl in Folge seiner Parteinahme im Psychologismusstreit der Jahrhundertwende zuteil wurde. Die Tatsache, d a ß Husserl sich gegen den Psychologismus aussprach, verschaffte ihm f ü r einige Jahrzehnte weithin — zumindest auf psychologischer Seite — das Prädikat, auch ein Feind der Psychologie zu sein. D a ß Husserl im L a u f e seines langen Forscherlebens zu einer intensiven Beschäftigung mit der Psychologie gelangte, wurde u n d wird erst allmählich bekannt. Diese Entwicklung h a t ihren Grund darin, d a ß es Husserl nicht mehr vergönnt gewesen ist, seine psychologischen Gedanken in zusammenhängender Form zu systematisieren oder gar zu veröffentlichen. Husserl war also nicht nur „Philosoph". I n jüngeren Jahren h a t er sich — was bekannt ist — mit den Grundlagenproblemen der Mathematik beschäftigt. I n späteren Jahren hat ihn — was eben noch nicht so b e k a n n t ist — das Interesse an der Psychologie u n d ihrer wissenschaftlichen Begründung nie verlassen. E r war an dieser Disziplin einmal „pro domo" interessiert, weil er sie im Dienste der universalen Phänomenologie zu verwenden gedachte (wie er es in seinem Spätwerk „Die Krisis der europäischen Wissenschaften u n d die transzendentale Phänomenologie" anzeigte), d a n n aber vor allem u m ihrer selbst willen, weil er sie nämlich bislang f ü r falsch bzw. unzulänglich begründet ansah. U m den letztgenannten Mangel zu beheben, nahm er sich vor, die Psychologie „streng" zu fundieren. Auch in den bisher veröffentlichten Schriften Husserls ist zwar schon eine Menge an psychologischen Gedanken enthalten; dessen wird m a n sich aber meist nicht bewußt, weil m a n die betreffenden Werke gewöhnlich in systematisch-phänomenologischer u n d nicht in psychologischer Absicht liest. Und daß Husserl ein System der Psychologie — ein System in d e m strengen Sinne, in dem m a n von einem philosophischen „System" spricht — erdacht hat, auf diesen Gedanken wird man ohne weiteres kaum kommen.

In dieser Abhandlung soll nun versucht werden, Husserls psychologisches System nachzuzeichnen, so wie es sich aus seinen auf diesen Themenkreis Bezug nehmenden Schriften — besonders also auch aus den unveröffentlichten Manuskripten — von selbst ergibt. Bei dieser Gelegenheit sei auf die Tatsache besonders hingewiesen, daß hier nicht eine gewaltsame Konstruktion aus unzusammenhängenden Gedankenfragmenten versucht wird. Es ist vielmehr beabsichtigt, eine Arbeit auszuführen, die Husserl gedanklich selbst geleistet hat, von der er an vielen einzelnen Stellen Zeugnis gibt, von der er jedoch die schriftliche Zusammenfassung nicht mehr geliefert hat. (Die Verteilung der Husserl'schen Analysen auf die einzelnen psychologischen Probleme ist der Menge nach sehr unterschiedlich; manchen Problemen, zu denen Husserl sehr minutiöse und auch sich wiederholende Analysen geliefert hat, stehen andere gegenüber, ζ. B. das Problem des Unbewußten, bei denen man sich ein Mehr an Analysen wünschen würde.) Wenn man nun hört, daß Husserl nicht nur psychologische Forschung getrieben hat, sondern daß sich die betreffenden Analysen bei ihm sogar zu einem System verdichteten, so wird man vielleicht erneut skeptisch werden. Denn das kritische Bewußtsein des gegenwärtigen, nun schon „nachHusserl'schen" Zeitalters kann sich die Wahrheit kaum mehr in der Harmonie eines geschlossenen Systems denken. Diese allgemeine Skepsis wird sich heute gegen jedes System richten, das diesen Namen im strengen Sinne beansprucht, das also eine Erkenntnisbegründung bieten will, die sich aus im einzelnen einsichtigen, hierarchisch ineinander fundierten Erkenntnisschritten zusammensetzen soll. Wenn man also heute gegen Systeme recht skeptisch ist, so wird man darum andererseits doch nicht verkennen, daß sie weithin die Höhepunkte denkerischer Leistung ausmachen, daß sie zumindest bedeutende Ansätze zur Interpretation der Welt und ihrer Grundrätsel enthalten. Die Schöpfer der Systeme pflegen auch heute noch unter die „Großen" gezählt zu werden. Skepsis gegenüber dem System wird man aber auch bei Husserl haben. Andererseits wird man ihm den verdienten Rang eines bedeutenden Psychologen nicht mehr aberkennen, wenn man sich klar gemacht hat, welche denkerische Anstrengung er in systematischer Absicht auf die Psychologie verwandt und zu welcher Leistung er es gebracht hat. Welche Bedeutung nun auch fernere Jahrhunderte, die in Folge ihrer zeitlichen Distanz natürlicherweise über mehr Beurteilungskriterien verfügen werden, dem „Psychologen" Husserl zuerkennen mögen, es wird nicht zu leugnen sein, daß die Psychologie durch ihn eine bemerkenswerte Ausdehnung ihrer Problematik erfuhr. (In ganz anderer Weise sorgte der ebenso wie Husserl aus Mähren stammende Freud für eine solche, freilich völlig anders geartete, Problemerweiterung der Psychologie.)

Die vorliegende Abhandlung versucht, der Gesamtheit von Husserls psychologischen Bemühungen gerecht zu werden und festzustellen, was Husserl über die Probleme der Psychologie gedacht hat. Es wird hier also Darstellung und Interpretation geboten; Kritik an Husserl muß aus zwei Gründen ausdrücklich ausgeschlossen werden: Erstens hat Husserl Anspruch darauf, daß zunächst einmal die Linien seines Denkens in Sorgfalt nachgezeichnet werden, ehe sich die gewiß berechtigte Kritik an ihre Arbeit macht; zweitens aber wäre die Abhandlung zu umfangreich geworden. (Weil es hier also um Husserls eigene Absichten geht, sind aus der Sekundärliteratur fast nur solche Autoren herangezogen worden, die noch auf Husserl selbst eingewirkt haben bzw. mit denen er in Diskussion stand.) Zum Text: Altertümliche Schreibweise wurde in den Zitaten nicht verändert. Die Hervorhebungen in Husserlzitaten können nicht — besonders was Manuskriptzitate anbelangt — alle als durch Husserl belegt gelten. Die abkürzende Redeweise „Reduktion" bezeichnet immer die „phänomenologische Reduktion". Die Abfassung der Arbeit wurde in freundlichster Weise von der Kölner Abteilung des Husserl-Archivs unterstützt. Besonders Herrn Doz. Dr. Biemel sei für seine unermüdliche Bereitwilligkeit und seine sachkundigen Hinweise gedankt. Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. van Breda, dem Direktor des Husserl-Archivs in Löwen, gilt der Dank für die freundlich erteilte Druckerlaubnis der Zitate aus den Manuskripten Husserls. Der Verfasser

VERZEICHNIS der in der Husserl-Literatur gebräuchlichen Abkürzungen für die bisher veröffentlichten Hauptwerke Husserls LU

= Logische Untersuchungen

ZBW = Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins EU

= Erfahrung und Urteil

FTL

= Formale und transzendentale Logik

CM

= Cartesianische Meditationen

Id I

= Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, I. Band

Id II

= II. Band der Ideen

Id III = III. Band der Ideen Krisis = Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Philosophie

INHALTSVERZEICHNIS Vorbemerkungen E i n l e i t u n g : Die Phänomenologie i n n e r h a l b der k u s s i o n um die p s y c h o l o g i s c h e M e t h o d i k

VII Dis-

I. D i e p h ä n o m e n o l o g i s c h e U n t e r s t e l l u n g e i n e r p e r m a n e n t e n Krise in d e r P s y c h o l o g i e d e r N e u z e i t — D e r G r u n d d i e s e r K r i s e : Die P s y c h o l o g i e n i c h t am L e i t f a d e n des P s y c h i s c h e n , s o n d e r n am V o r b i l d von E i n z e l d i s z i p l i n e n a u s g e r i c h t e t § 1. Die stetig wechselnden Ansätze in der Psychologie der Neuzeit § 2. Descartes' psychologische Unzulänglichkeit: Der Verlust eines einheitlichen Aspekts des Psychischen . . . . § 3. Der neuzeitliche Dualismus § 4. Die Naturwissenschaften als Leitbilder der Psychologie . . . . aa) Die Psychologie in der Rolle einer ergänzenden Wissenschaft: empirisch-praktischer Dualismus bb) Der psychologische Naturalismus § 5. Die empiristische Psychologie als zwar genetisches, aber auch naturalistisches Unternehmen § 6. Diltheys Kritik der naturwissenschaftlichen Psychologie . . . . § 7. Logik bzw. Erkenntnistheorie als geforderte kritische Instanzen der Psychologie § 8. Das Versagen der Transzendentalphilosophien gegenüber der Psychologie § 9. Ablehnende Stellungnahmen gegenüber der Möglichkeit des Wissenschaftscharakters psychologischer Unternehmungen . . . . § 10. Das „Versagen" der neuzeitlichen Psychologien II. P r o b l e m e d e r W i s s e n s c h a f t s t h e o r i e (innerhalb der p h ä n o m e n o l o g i s c h e n Thematik und Methodik) A. Die Stufungen des kritisch-wissenschaftlichen Verfahrens § 11. Wissenschaften: ihre Gebiete und ihre Kritik aa) Wissenschaften als grundsätzlich kritische Verfahrensweisen bb) Grundlagenkritische Probleme der Wissenschaften § 12. Apriorische Wissenschaften B. „Natur" als wissenschaftliche Aufgabe der Neuzeit § 13. Der neuzeitliche Naturbegriff § 14. Der Anspruch der neuzeitlichen Naturwissenschaft § 15. Das Problem einer Somatologie § 16. Exkurs: Der Psychologismus III. D i e M e t h o d e d e r p h ä n o m e n o l o g i s c h e n P s y c h o l o g i e ( i n n e r h a l b d e s B e r e i c h e s , in d e m s i e d e m sog. „Prinzip aller Prinzipien" untersteht) A. Die Hierarchie der geforderten phänomenologischen Psychologie § 17. Explikation des Stufenbaues der neuen Psychologie § 18. „Apriorität" in der neuen Psychologie § 19. Das Verhältnis von apriorischer zu empirischer Psychologie . . § 20. Die Aufgabe der empirischen Psychologie

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7 9 10 11 11 13 19 21 25 27 29 30

34 34 35 38 41 46 48 51

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Β. Die Betrachtung des Psychischen als Nicht-Natur § 21. Die Erschließung des subjektiven Bereiches § 22. Die „schlichte Erfahrungswelt" als Welt passiver Vorgegebenheit und die „Lebenswelt" als konkrete Welt § 23. Der Irrtum des psychophysischen Parallelismus C. Das Verfahren zur reinen Erfassung des Psychischen als ein sich der psychischen Funktionen bedienendes § 24. Die Erfahrung § 25. Die Wahrnehmung § 26. Abwandlungen der Wahrnehmung §27. Die Reflexion § 28. Die innere Wahrnehmung § 29. Adäquate und inadäquate Gegebenheit aa) Die Inadäquatheit der Gegebenheit des äußeren Gegenstandes bb) Die Adäquatheit der immanenten Wahrnehmung cc) Abgrenzung der immanenten Wahrnehmung § 30. Das Verhältnis zwischen Selbstbeobachtung und immanenter Wahrnehmung

68 72 81

83 88 92 94 98 101 101 103 105 109

D. Die Grundcharaktere der neuen Psychologie §31. Evidenz §32. Schauen §33. Intentionalität aa) Die Intentionalität bei Brentano (Lipps, Hume) bb) Die Psychologie als Wissenschaft von der Intentionalität cc) Die Intentionalität als leistende dd) Die intentionalen Erlebnisse ee) Die intentionalen Vollzüge als reingeistige Ereignisse . . . .

114 119 128 128 131 133 140 146

IV. D i e i n a b s t r a k t i v p s y c h o l o g i s c h e r Einstellung aufweisbaren Erscheinungsweisen des individ u e l l - s u b j e k t i v e n P s y c h i s c h e n in der W e l t § 34. Psychologische Erfahrung § 35. Die Leiblichkeit §36. Das Seelische aa) Das Resultat der Beseelung der Körperlichkeit: der Leib . . bb) Das psychische Leben §37. Das Erlebnis aa) Die Erlebniskomponenten bb) Die „Flußartigkeit" des Erlebnisses cc) Die Individualität des einzelnen Erlebnisses dd) Empfindung und Empfindnis

148 159 162 162 165 170 170 172 175 176

V. D a s V e r h ä l t n i s d e r t r a n s z e n d e n t a l e n P h ä n o m e n o logie zur Psychologie und ihren einzelnen Stufen

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A. Die Reduktionen als methodische Verfahrensweisen zur radikalen Klärung der psychologischen Problematik § 38. Die natürliche Einstellung § 39. Die eidetische Reduktion aa) Der Vollzug der eidetischen Reduktion bb) Die Bedeutung der eidetischen Reduktion f ü r eine phänomenologische Psychologie § 40. Die phänomenologische Reduktion aa) Die Notwendigkeit einer phänomenologischen Reduktion bb) Die Leistung der phänomenologischen Reduktion XIV

181 183 184 188 191 191 197

cc) Die transzendentale Wendung der Reduktion; ihre universale Ausweitung dd) Der praktische Vollzug der phänomenologischen Reduktion ee) Die Stellung des Psychologen in der Reduktion ff) Die Rüdekehr in die natürliche Einstellung § 41. Das gegenseitige Verhältnis der Reduktionen B. Die Beziehungen zwischen Psychologie und Phänomenologie: Die Psychologie als methodische Vorstufe der transzendentalen Phänomenologie — Die Phänomenologie als begründende Vorstufe der Psychologie § 42. Die transzendentale Forschung als „enthüllende" § 43. Die letztmögliche Klärung des Verhältnisses zwischen Psychologie und Transzendentalphilosophie aa) Die transzendentale Differenz zwischen Subjektivität und Objektivität bb) Die Überwindung der historischen Differenz zwischen Psychologie und Transzendentalphilosophie cc) Der Unterschied zwischen jeder weltlichen Psychologie und der transzendentalen Phänomenologie dd) Das Aufgehen der Psychologie in der transzendentalen Phänomenologie ee) Der Unterschied und der Zusammenhang zwischen der transzendentalen Psychologie und der transzendentalen Phänomenologie C. Der Horizont der Phänomenologie § 44. Das transzendental-phänomenologische Grundgesetz: Seiendes = „Sinn für" § 45. Der phänomenologische Idealismus § 46. Der phänomenologische Positivismus § 47. Die Phänomenologie als Bewegung der Vernunft D. Konstitution und Genesis § 48. Die Welt als transzendentales Problem § 49. Das Auftreten des Bewußtseins § 50. Die objektivierte Geistigkeit als auf Objektivationsvollzüge verweisende § 51. Die Stufen der Konstitution § 52. Aktive und passive Genesis § 53. Die Genesis des subjektiven Lebens aa) Psychisches im Sinne der Psychologie als Produkt einer Genesis bb) Die Stellung der Subjektivität in den verschiedenen methodischen Einstellungen cc) Die Genesis der Habitualitäten dd) Die Genesis des Unbewußten § 54. Das Leben der absoluten Subjektivität — Ihre Unsterblichkeit

207 212 214 218 219

223 227 227 232 236 240 243

246 248 251 253 255 260 268 273 279 284 284 287 297 307 315

Literaturverzeichnis

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Namenregister

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XV

EINLEITUNG DIE PHÄNOMENOLOGIE INNERHALB DER DISKUSSION UM D I E PSYCHOLOGISCHE METHODIK

Ständig zwar sind wir psychisch in Funktion, müssen es aber erst mühsam lernen, das Psychische besehbar zu machen, wenn es in wissenschaftlicher Weise angegangen werden soll. Stellt man nun die Frage, ob es heute einen Weg gebe, der das Psychische in seiner Gesamtheit oder auch nur unter bestimmten Aspekten ausgewählte „Teile", Regionen, Schichten, Erscheinungsformen desselben, oder wie immer man die Bezeichnungen wählen mag, in wissenschaftlich unanfechtbarer Weise untersuchbar mache, so daß im jeweiligen Forschungsfalle eine adäquate und restlose Aufklärung des in Frage stehenden Themas erzielbar sei, so heißt die Antwort noch immer: nein, und keineswegs ist es sicher, ob dieses „nein" nur ein relatives, ein zeitlich begrenztes sei, ob es also durch ein späteres „ja" abgelöst werden könne, oder ob es ein absolutes „nein" sei. Diese Situation der Psychologie vor jedem wissenschaftlichen psychologischen Tun sich nicht verdeutlicht zu haben, heißt unehrlich zu sein und vorzugeben, den Logos des Psychischen zu kennen, wo man ihn doch nicht kennt. Noch gilt Brentanos Wort von der Psychologie: „Kein Zweig des Wissens hat geringere Früchte für Natur und Leben getragen, und keiner ist, von welchem wesentlichere Bedürfnisse ihre Befriedigung erhoffen. Kein Teil ist — die Metaphysik allein ausgenommen — auf welchen die Mehrzahl mit größerer Verachtung zu blidcen pflegt, und keiner doch ist, welcher von Einzelnen so hoch und wert gehalten wird." (Brentano 66 I, 5) An diesem Dilemma der Psychologie hat nun aber, nach ihrer Wirkung betrachtet, auch die Phänomenologie bis heute noch nichts geändert, obwohl sie den Anspruch erhob, Psychologie als Wissenschaft fundieren zu können. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, müßte die Phänomenologie in der Lage sein, 1. die prinzipielle Möglichkeit seiner Erfüllung aufweisen zu können, was ein wissenschaftstheoretisches, logisches bzw. transzendentales Problem ist, und 2. diese Möglichkeit im Bewußtsein der Forscher zur Geltung bringen zu können, ihr also auch faktisch im Betrieb der Wissenschaften zur Durchsetzung zu verhelfen. Zu einer faktischen Anerkennung der Bedeutimg der Phänomenologie für die Psychologie ganz allgemein und in allen Kontinenten ist es bis heute aber nicht gekommen. Mit dem Terminus „phänomenologische Forschungs1 Drüe

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richtung" (vgl. Jaspers 96) kann man außerdem nicht die Einheit eines systematischen Fragens bezeichnen, denn „Phänomenologie" ist ein Modewort geworden, in Psychologie und in Philosophie (vgl. Husserl 16, 57), aber Einigkeit über seinen Gebrauch herrscht keineswegs, wobei hier noch davon abgesehen wird, daß die Ansprüche, die dieses Wort stellt, nicht nur durch eine Einigung über seine Verwendung befriedigt werden können. Im wissenschaftlichen Gebrauch des Wortes „Phänomenologie" ist zwar heute Hegels, Lamberts und Kants Inanspruchnahme geklärt. Die Phänomenologien der „Phänomenologie des Geistes", die des „Neuen Organon" und die der „Metaphysischen Anfangsgründe" werden nicht verwechselt. Die große Verwirrung beginnt dann, wenn man auf die Husserl'sche Phänomenologie rekurriert und sie im ganzen auffaßt als das, was sie nicht ist, nämlich als Methode zu einer möglichst genauen Klärung der sog. positiven Tatbestände irgend einer Region. Im Vordergrund steht für dieses Verständnis der Phänomenologie der Schlachtruf „Zu den Sachen selbst", aber die Phänomenalität der Sachen bzw. der Phänomene wird nicht thematisch. Ebenso bleiben die Probleme der Genesis bzw. der evtl. transzendental zu verstehenden Genesis notwendig verschlossen, wenn man die Phänomenologie als Methode statischer Deskription auffaßt. Den Ausbildungsstand einer weitgehend nur sachlich deskriptiven Wissenschaft hat zwar die Husserl'sche Phänomenologie auch gehabt, nämlich als Phänomenologie der „Logischen Untersuchungen", aber man darf nicht übersehen, daß er doch nur eine Phase innerhalb des Prozesses ihrer Ausbildung war, in der die phänomenologischen Probleme, die sich aus der Thematisierung des Problems der Phänomenalität späterhin ergaben, nur deshalb zurücktreten mußten, weil sich sonst der Kreis der Untersuchungen zu weit ausgedehnt hätte. Über die Husserl'sche Göttinger Schule wurde diese Phase der „Sach"-wendung aber von großem Einfluß auf die Psychologie. Von den vom Göttinger Entwicklungsstand der Phänomenologie ausgehenden Phänomenologen Scheler, Stein, Geiger, Pfänder u. a. bezog eine ganze Generation von Psychologen ihr Wissen von und ihre Einstellung zu der Phänomenologie, wobei der späte Husserl bestenfalls noch gerade gekannt war (ζ. B. durch die „Formale und transzendentale Logik"), aber ohne Wirkung blieb. Dabei hatte sich gerade zwischen dem frühen Husserl — dem der „Logischen Untersuchungen" — und dem späten Husserl — den man der Sache nach schon mit den „Ideen I" beginnen lassen muß — die philosophisch entscheidende Wendung vollzogen: Husserl war philosophischer Idealist geworden, und er beanspruchte nun den Terminus „Phänomenologie" ganz für seine transzendental begründete Phänomenologie. Die Schule aber hatte die Phänomenologie, was das Idealismus-RealismusProblem angeht, aus der unentschiedenen Position des Standes der „Logischen Untersuchungen" durchweg in eine realistisch verstandene Auffas2

sung überführt. Man denke besonders an Scheler. Aber audi die Untersuchungen der schon genannten Stein, Pfänder, Heidegger usw. beanspruchten auf ihre Weise, „phänomenologisch" zu sein. Diese Zersplitterungen trugen natürlich nicht zur Klarheit über das, was Phänomenologie ist, bzw. was Husserl damit bezeichnet wissen wollte, bei. Und schon gar nicht konnte so eine Vereinheitlichung der phänomenologischen Forschungsrichtung erzielt werden. Noch zu Husserls Lebzeiten war es also dahin gekommen, daß jede Analyse — gleich ob in Philosophie oder in Psychologie — in der ein Sachverhalt „genau" beschrieben wurde, sich, ohne Widerspruch zu finden, als „phänomenologisch" ausgeben konnte. „Phänomenologisch verfahren" hieß also oft nur so viel wie „deskriptiv genau sein". So wurde denn auch „phänomenologische Psychologie" oft mit „deskriptiver Psychologie" gleichgesetzt. Und die phänomenologische Psychologie sollte dann jeweils eine „schlichte" Beschreibung dessen geben, „was im Erlebnis gegenwärtig ist". Der Unterschied zwischen solcher „naiven" Phänomenologie und Husserls Auffassung besteht aber nun kurz gesagt in Folgendem: Nach der „populären" Auffassung erschöpfen sich die phänomenologischen Möglichkeiten in einer unkritisierten Deskription der Erlebnisse. Nach Husserl wäre weiterhin zu klären: 1. wie einem solchen Verfahren methodische Einheit gegeben werden kann, 2. wie ein solches Verfahren kritisch gesichert werden kann und 3. welche systematischen Konsequenzen aus den Ergebnissen kritisch gesicherter Erlebnisanalyse gezogen werden können bzw. müssen. Um auf diese Fragen eine Antwort zu finden, begann Husserl zwar notwendig auch mit sachgewendeten Deskriptionen; seine Phänomenologie mündete aber schließlich in einer Lehre von der Bewegung der Vernunft. Der mit der schlichten Erlebnisanalyse beginnende Husserl kam so — systematisch und zeitlich gesehen—am Ende seiner philosophischen Entwicklung zur Untersuchung des Flusses des absoluten Bewußtseins in seinen Konkretionen. Nach dem Tode Husserls führten die Kriegswirren bald dazu, daß die Verbindungen unter den phänomenologisch interessierten Forschem weitgehend zerrissen. Dann fanden aber auch jüngere Kräfte, die mit der ersten Generation der Phänomenologen keinen persönlichen Kontakt mehr hatten, an der Phänomenologie Interesse. Nach dem Kriege konnte so festgestellt werden, daß Husserls Saat in einer Reihe von Ländern aufgegangen war. Zu den bekannten alten Namen gesellten sich neue, die bald ebenso bekannt waren und von denen nur einige genannt werden können: ζ. B. Sartre, Merleau-Ponty, Gurwitsch, Chastaing, Buytendijk; auch sie sehen sich Husserl verpflichtet. Das wiederauflebende Interesse an der „originären" Phänomenologie dokumentierte sich dann äußerlich besonders darin, daß nach dem Kriege die Herausgabe von Husserls gerettetem Nachlaß in Angriff genommen wurde: 1950 kamen die „Cartesianischen Meditationen"



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als erster Band der „ H u s s e r l i a n a " heraus. (Als Band 9 der „Husserliana" erscheint ein von W. Biemel herausgegebener Band, der sehr wichtige Untersuchungen Husserls zu den Problemen der Psychologie enthält.) In den USA wird — gewissermaßen als Fortsetzung von Husserls „Jahrbuch" — seit 1940 die Zeitschrift „Philosophy and Phenomenological Research" herausgebracht; in Deutschland gibt es — nachdem in den Fachzeitschriften Husserls Phänomenologie nach dem Kriege ein bisher unerschöpfliches Diskussionsthema ist—neuerdings auch eine Publikationsreihe, die den Begriff „Phänomenologie" im Titel führt und damit sdion ihre Absichten dokumentiert: es sind die von Graumann und Linschoten herausgegebenen „Phänomenologisch-Psychologisdien Forschungen". Interessanterweise wird nun in der neuesten Phänomenologie durchweg mit dem Phänomenbegriff wieder in einer Weise verfahren, die sich Husserls Ansichten weitgehend nähert, die sich also von dem Verständnis des Phänomenbegriffs bei der Göttinger Schule, bei den Fundamentalontologen oder auch bei den substanztheoretisch orientierten Psychologen genügend unterscheidet. Zu dieser Annäherung an Husserls Phänomenbegriff ist es gekommen, weil dem gedanklichen Gehalt des Nachsatzes des „Prinzips aller Prinzipien" („daß jede originär gebende Anschauung eine Rechtsquelle der Erkenntnis sei", vgl. § 32) wieder mehr Beachtung geschenkt wird, des Nachsatzes, der besagt, daß das Selbstgegebene nur in den Schranken zu nehmen sei, in denen es sich gibt. Das bedeutet: Das Phänomen selbst ist das ganze Thema; das Phänomen ist nicht ein unselbständiger, abhängiger Abkömmling eines ontologisch Höherwertigen. — Bei Husserl führte das konsequente Zu-Ende-Denken dieses gedanklichen Ansatzes zur idealistischen Fassung der Phänomenologie; man könnte fragen, was entgegenstünde, denselben Ansatz in ontologisch offener Weise skeptisch zu Ende zu denken. Jedenfalls verbietet sich, wenn man den Phänomenbegriff also kritisch faßt und ihn vor naiven Wucherungen schützt, das traditionell gern gesehene Verfahren, ihn so zu verstehen, als ob ein „Phänomen" etwas Unselbständiges sei, das substanziell fundiert sein müsse. Will man jedoch noch nicht über Husserl hinausdenken — mit ihm oder gegen ihn —, sondern ihn zunächst einmal interpretieren, so muß man das Grundmotiv seines Philosophierens stets vor Augen haben, das sich in die einfache Frage bringen läßt: Wie kommt es, daß etwas so ist, wie es ist?, was in Husserls eigener Sprache hieße, nach der Leistung der konstituierenden Intentionalität zu fragen und die in ihrem Fungieren sich ereignenden genetischen Prozesse zu enthüllen. Dabei ist es Husserls zweifellos ehrliches Bemühen, trotz dieser Ansprüche auf „Tiefsinn" zu verzichten, denn Tiefsinn ist in den Wissenschaften ein „Anzeichen des Chaos . . . Echte Wissenschaft kennt, soweit ihre wirkliche Lehre reicht, keinen Tiefsinn." 4

(Husserl 6,339) Die Wissenschaft, auch die transzendentale Wissenschaft, ist aber andererseits nicht hermetisch abgetrennt von den Einsichten der Weisheit. Vielmehr sollen und müssen „die Ahnungen des Tiefsinns in eindeutige rationale Gestaltungen" (Husserl 6, 339) umgeprägt werden. Husserls Absicht und sein ganzes leidenschaftliches philosophisches Bemühen zielte auf kritische Sicherung der phänomenologichen Methode und der mit ihrer Hilfe gewonnenen wissenschaftlichen Resultate. Die gesamte Weiterentwicklung der Phänomenologie von den „Logischen Untersuchungen" an stand unter dieser Maxime. Sogar die idealistische Wendung hatte bei Husserl dieses Motiv. Gerade deshalb wird man fragen können, ob Husserl sein wissenschaftliches Sicherheitsideal erreichen und durchhalten konnte. Diese Frage soll jedoch hier weder untersucht noch beantwortet werden. Hier geht es vielmehr nur darum klarzulegen, was Husserl unter „phänomenologischerPsychologie" bzw. „Methode der phänomenologischen Psychologie" verstanden hat.

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I. D I E PHÄNOMENOLOGISCHE UNTERSTELLUNG E I N E R PERMANENTEN KRISE IN D E R PSYCHOLOGIE DER NEUZEIT Der Grund dieser Krise: Die Psychologie nicht am Leitfaden des Psychischen, sondern am Vorbild von Einzeldisziplinen ausgerichtet § 1. D i e s t e t i g w e c h s e l n d e n A n s ä t z e in d e r P s y c h o l o g i e d e r N e u z e i t Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß zwischen dem Zustand der Psychologie und dem gewisser anderer Wissenschaften, etwa dem der Physik, ein Unterschied besteht. Gelang es der Physik vom Beginn ihrer wissenschaftlichen Systematisierung an, seit man die Naturerkenntnis also nicht mehr in Weltanschauungen begründete, eine kontinuierliche Folge von Schritten zu vollziehen, unter denen sich zwar auch Rückschritte und Fehltritte befanden, die aber die Kontinuität einer sinnvollen Entwicklung nicht beeinträchtigten, so läßt sich das von der Psychologie nicht sagen. Selbst die gewaltigen Umwälzungen in der Physik um die letzte Jahrhundertwende stießen das schon errichtete Gebäude des Wissens- und Lehrschatzes dieser Disziplin nicht um, sondern gaben ihm nur einen neuen Rahmen. Kein Satz der klassischen Physik ist dadurch ungültig geworden; er gilt genau wie früher, nur seine Relationalität ist erweitert worden. Dasselbe gilt von der Mathematik. Was sich da als exakte Wissenschaft anbietet, ist, wenn auch nicht unberührt, so doch praktisch unerschüttert geblieben von Grundlagenkrisen usw.. In der Psychologie dagegen bedeutet fast jeder Forschername ein neues System, ein mit allen anderen Systemen unverträgliches System. Cartesischer Dualismus, Hobbes'scher Materialismus, Spinozistischer Monismus, Locke'sche innere Erfahrung, Kantische Anthropologie, Herbartische Vorstellungsmechanik, Fechner'schePsychophysik, Pawlow'scheReflexologie, Watson'scher Behaviorismus usw., sie alle wollen das Seelische — mehr oder weniger — wissenschafdich erfassen, aber keine dieser Lehren ist mit einer anderen der genannten vereinbar in der Weise, daß eine als Ergänzung oder Vervollkommnung einer anderen angesehen werden könnte. Es ergab sich in der Geschichte der Psychologie keine zu vereinbarende Folge von Lehren, die zu einer Einheit zusammengewachsen wären und zu einer Psychologie in der Form kontinuierlich höher steigender Entwickeltheit geführt hätten, so daß diese Psychologie in sich ein festes und weit verzweigtes Feld

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von sich gegenseitig fundierenden Axiomen, Theorien und speziellen Methoden vereinigt hätte. Das genaue Gegenteil ist eingetreten; es ist dahin gekommen, daß „der Ausdruck ,psychisdi'... rein konventionell" geworden ist, er ist „nach der Elimination der ,Seele' nichtssagend". (Avenarius 60, 185) Also nicht nur zu einer Wissenschaft vom Psychischen ist es nicht gekommen, das Psychische selbst erweist sich in der bisherigen Einstellung und unter Verwendung der bisher üblichen Methoden als wissenschaftlich nicht faßbar. Jedes bisherige wissenschaftliche Unternehmen ging das Psychische jeweils anders an, aber keines konnte es adäquat bearbeitbar machen. „Da ...psychisch' für die Psychologie — sofern sie empirisch ist — seinen alten guten Sinn: ,zur Seele gehörig', eingebüßt hat, so hat der Ausdruck überhaupt keinen eigenen und eigentlichen Sinn mehr. Nur infolge eines sog. .allgemein menschlichen Trägheitsprinzips' dient er dazu, alles dasjenige zu benennen, was ehemals als .Funktion' usw. der ,Seele' zugeschrieben wurde — und für das eine neue Wesenheit oder sonst irgend ein neues Etwas als .Organ', .Substrat', .Träger' usw. zu suchen blieb." (Avenarius 60,185) Die wissenschaftliche Idee der Neuzeit ganz allgemein hat gegenüber dem Psychischen versagt. Man wird Jaspers nicht widersprechen, wenn er meint, daß das Beste an psychologischer Erkenntnis in der Neuzeit nicht in der bisherigen wissenschaftlichen Psychologie, sondern außerhalb derselben, in den Schriften der bedeutenden philosophischen Essayisten zu finden sei: „Durchaus einzig und die größten von allen verstehenden Psychologen sind Kierkegaard und Nietzsche." (Jaspers 97,262) Die sog. wissenschaftliche Psychologie dagegen verfügt nachHusserls bekannter Meinung, die er in seinem Logosaufsatz präzisierte, nicht einmal über einigermaßen exakte Grundbegriffe. Es gibt nach ihm eben bis heute keine wirklich angepaßte und umfassende Auslegung von Begriffen wie Wahrnehmimg, Erinnerung, Reflexion usw., die die Grundbegriffe der Psychologie sein müßten, wobei man unter Grundbegriffen der Psychologie nicht solche verstehen darf, die von besonderem anthropologischem Interesse sind wie Libido, Unbewußtes usw., sondern diejenigen, die als fundierende auftreten, die also stets vorausgesetzt werden, wenn man sich praktisch in der konkreten wissenschaftlichen Forschung befindet, um die man sich aber dann, wenn man praktisch-wissenschaftlich arbeitet, nicht mehr kümmert. Eine solche notwendige radikale Klärung der psychologischen Grundbegriffe wurde nun in der Neuzeit nicht angestrengt, und deshalb arbeitete man in der neuzeitlichen Psychologie immer unter ständiger Weiterverschleppung der jeweils unaufgeklärten Voraussetzungen der einzelnen Systeme weiter, bis wieder ein angefangener Versuch einer wissenschaftlichen Neubegründimg der Psychologie unglaubwürdig wurde oder sich in Antinomien auflöste. Der Forschungsrichtung der Psychologie der Neuzeit ist also allgemein dadurch gekennzeichnet, daß sie konstruierend verfährt, sich aber nur wenig mit ihren Voraussetzungen beschäftigt. 8

Deshalb geriet sie ständig von einer Krise in die andere. Ist aber eine Wissenschaft, wie es die Psychologie ist, in einem solchen Zustande permanenter Krisen, dann vermag nur noch eine radikale Besinnung zu helfen, eine Besinnung auf das Thema dieser Disziplin, u. z. innerhalb des Gesamtrahmens, aus dem sie ihr Thema als Aufgabe zur Erforschung entnimmt. Es müßte zur Klarheit kommen, was diesem vorläufig leeren Erkenntnisthema „Psychologie" Einheit gibt, was ihm nach allen Seiten eine deutliche Abgrenzung sichert. Es bleibt also die einfache Frage zu stellen und zu beantworten, was die eigentlich thematische Sphäre der Psychologie sei. Dies haben die historischen Psychologien der Neuzeit in der nötigen Radikalität nicht getan. § 2. D e s c a r t e s ' p s y c h o l o g i s c h e U n z u l ä n g l i c h k e i t : Der Verlust eines einheitlichen Aspekts des P s y c h i s c h e n Vergegenwärtigt man sich in ein paar Schlagworten die Psychologie Descartes', so ergibt sich: Die Seele ist Geist; die Realität des Geistes erkennt der Geist selbst nur auf Grund seiner Selbstgewißheit und ist diese selbst, so daß ohne sie kein Denken und kein Geist, keine Seele ist. Alles, was ohne Selbstbewußtsein ist, ist also ohne Seele und, falls es sich bewegt, nur Automat; auch die Empfindungen solchen Bewegens sind nur körperliche Vorgänge. Außer den Leidenschaften ist alles andere, also ζ. B. Empfindungen und Triebe, nur ein mechanischer Vorgang. Es bleibt Descartes gegenüber die bekannte Frage, ob die Empfindungen nicht vielleicht gerade psychischer, und die Leidenschaften „tierischer" Art seien, ob also sich nicht die Klassifikation genau umgekehrt verhalte. Die Antwort auf diese Probleme ist jedoch nicht ad hunc locum zu geben, da sie an einer systematisch zentraler gelegenen Stelle im Denkgebäude Descartes' mit vorentschieden ist. Die ungelöste Hauptschwierigkeit in seinem System, die er selbst freilich nicht gesehen hat, besteht nämlich darin, daß es absolut uneinsichtig bleibt, wie das von ihm so leicht von der Immanenz des Psychischen unterschiedene „Außen" der realen Welt zu einer transzendenten Realität werden soll, besonders dann, wenn man mit der Immanenz des Psychischen ernst macht. Deshalb gilt es zu prüfen, ob Descartes in diesem Punkte die nötige Radikalität hat walten lassen. Damit tut sich, wenn man diese philosophie-historische Frage nicht aus historischem, sondern aus systematischem Interesse heraus stellt, freilich ein philosophisches Grundproblem auf. Was ist daran psychologisch interessant? Dies, daß nämlich der ganze Widersinn der Cartesischen Psychologie dadurch erzwungen worden ist, daß, obwohl mit der Cartesischen Reduktion auf das ego als Subjekt eines reinen Bewußtseins sich eine neuartige Erkenntnisproblematik von ungeheurer Trag9

weite hätte ergeben können, die in diesem Aufweis latent enthaltenen Andeutungen der Aufdeckung eines subjektiv an sich Seienden, nur für sich Seienden, verdeckt wurden von Descartes' Wendung, mit Hilfe der — ihm unerkannt gebliebenen — Mißdeutung des Bewußtseins als eines realen Weltvorkommnisses und unter Benutzung des Weges über die metaphysische Entität Gottes, auf anderes, nämlich die Außenwelt, zu rekurrieren. Das ego des immanenten Bewußtseins wurde von Descartes verwechselt mit der Realität des Ich als menschlicher Seele. Im allgemeinen Drang der heraufziehenden Neuzeit, im Drang, ein „Stück Welt" zu entdecken, zu erobern und zu sichern, verwechselte das Bewußtsein bei Gelegenheit der Cartesisdien Forschungen sich selbst mit etwas Weltlichem. In dieser Selbstmißdeutung des Bewußtseins zu Beginn der Neuzeit erblickt Husserl in seiner späteren Zeit den Grund der gesamten wissenschaftlichen Krisen der Neuzeit. Gewisse Nuancen können manchmal Geschichte machen. Eine solche, höchst folgenreiche Nuance war aber das Versehen, das aus der Seele als in Wahrheit rein unnaturaler Seele eine äußerliche Realität machte, die gekennzeichnet sein soll durch „ein Sinnesmoment der Äußerlichkeit. . . . Liegt also nicht jede mögliche Problematik, die von diesem Ego aus zu stellen ist, ganz in ihm selbst, in seinen Bewußtseinswirklichkeiten und Möglichkeiten, in seinen Leistungen und den ihnen zugehörigen Wesensstrukturen?" (Husserl 9, 204 f.) Descartes sah nicht, daß jedes Außen erfahren wird in der Innerlichkeit des ego, „als intentionaler Pol der Erfahrung" (Husserl 9, 205) und daß es ein Nonsens ist, daß die Seele gekennzeichnet sein soll durch etwas, was sie nicht ist, und was seinen Sinn (den Sinn einer Realität) nur in ihr annehmen kann. Jede Frage über das ego, die an das ego herangetragen wird, kann nie und nimmer gelöst werden dadurch, daß man auf etwas rekurriert, das nicht in ihm enthalten ist, das außerhalb seiner ist, also nicht es selbst ist. § 3. D e r

neuzeitliche

Dualismus

Das Ergebnis der Cartesisdien Überlegungen war in der Folge die Ausbildung des neuzeitlichen Dualismus. Für die Psychologie erwuchs daraus der Dualismus einerseits der rationalen Psychologie, die die unsterbliche, einfache, gottgestiftete „Geistseele" zum Thema hatte und andererseits der induktiven Psychologie, die die empirische, zufällige, leibgebundene „Körperseele" erforschen sollte. Zwar sprach niemand von den Wissenschaftlern ernsthaft von „zwei Seelen in einer Brust", aber die Weichen der Untersuchung waren so gestellt, daß von einem umfassenden Einheitsbegriff des Psychischen, eben „Seele überhaupt", nicht mehr die Rede sein konnte. In der Forschung ergab sich nun langsam, aber stetig, dann durch die Kantische Vernichtung der alten rationalen Psychologie erheblich gefördert, eine Ver10

Stärkung des Interesses an der zweitgenannten Richtung, die die Seelen ganz so wie Körper und mit Körpern als Realitäten der einen, objektivistisch gesehenen, „an sich" raumzeitlichen Welt untersuchen wollte. Die Seele sollte demnach der Natur einverleibt werden, aber einer solchen Natur, die ihren Einheitsbegriff als wissenschaftlich erfahrbare Natur selbst einer bestimmten selektiven Einstellung gegenüber der erfahrbaren Weltwirklichkeit verdankte. Der Mensch der Neuzeit hat es ja, insbesondere natürlich seitdem die technischen Erzeugnisse zur Lebenswelt gehören, also seit etwa 100 Jahren, schon von früh auf gelernt, die körperlichen Einheiten in der universalen Natur unter Außerachtlassung aller ihrer individuellen, „sekundären" Bestimmungen nur als einen geschlossenen Zusammenhang von „physikalischen" Realitäten zu betrachten. Natur ist dem Menschen der Neuzeit nur die naturwissenschaftlich erforschbare Natur. Die sog. Wirklichkeit ist für ihn total erfaßbar in Maßsystemen, ist ausreichend bestimmt durch ihre „primären" Qualitäten. Fast ohne Zögern ist der neuzeitliche Mensch dann auch bereit, die Seelen als „ergänzende Realitäten" (Husserl Ms. 55,97), als überhaupt nur in Körpern möglich und nach Art von Körpern denkbar, anzusehen. Die offensichtliche Tatsache, daß als Bedingung des weltlich-seelischen Lebens von subjektiven Individuen Leiber auftreten, wird als psycho-physische Kausalität gedeutet (vgl. Husserl Ms. 55, 98); und das Vorhaben, die Menschen als Doppelrealitäten erfassen zu wollen, als Unionen zweier verschiedenartiger, aber gleichberechtigter und in ihrer ontischen Relevanz gleichwertiger Realitäten, ergab den Forschungsauftrag, die Seelen wie Körper untersuchen zu sollen, unter Ansetzung desjenigen Apriori für sie, das der Körperrealität Einheit gibt: der Kausalität.

§ 4. D i e N a t u r w i s s e n s c h a f t e n als L e i t b i l d e r der P s y c h o l o g i e aa) Die Psychologie in der Rolle einer ergänzenden empirisch-praktischer Dualismus

Wissenschaft:

Begeistertes Nachfolgen auf dem Wege eines augenscheinlich erfolgreichen Unternehmens war wohl eher als kritische Überlegung das Motiv dafür, daß, als die methodisch neue und ungewohnte, aber in ihren Erfolgen frappierende Naturwissenschaft ihre ersten Siege errungen hatte, die Psychologie sich die Naturwissenschaft zum Vorbild nahm. Die im Anschluß an dieses Leitbild aufgekommene, die Forscher faszinierende Absicht, auch die Psychologie zur Wissenschaft zu erheben, u. z. wie die Naturwissenschaft zu einer mathematisch fundierten, exakten Gesetzeswissenschaft, hat zwar bis heute ihr Ziel nicht erreicht, ist aber in ihren Bestrebungen kaum schwächer geworden. Die voreilig gefaßte Uberzeugung, also das Vorurteil, 11

daß die Anwendung mathematischer und überhaupt naturwissenschaftlicher Methoden, wenn auch unter leichter Modifikation ihrer Anwendung, auch in der Psychologie zu großartigen Erfolgen führen werde, kräftigte und kräftigt auch heute noch weithin die Hoffnung, daß man ohne tiefere Reflexionen über das Psychische zu richtigen es betreffenden Ergebnissen kommen könne; und Ergebnisse, in dem spezifischen Sinne sichtbarer Erfolge glücklich verlaufener Leistungen, waren und sind, ganz ebenso wie in der Naturwissenschaft, auch eben in der Psychologie gefragt. Die Ansetzung der Psychologie als induktiv konstruierender Wissenschaft war nämlich keine singuläre wissenschaftliche Willkürlichkeit, sondern ist innerhalb der Perspektiven zu sehen, die in der Neuzeit eine Richtung der Welterforschung für die Wissenschaften so strahlend und erfolgreich anboten: „auf dem Grund der abstraktiven Herausstellung der Thematik einer bloß physischen Natur". (Husserl Ms. 53,157 a) Man hatte in der Neuzeit kein Vertrauen mehr zum Reich der subjektiven Innerlichkeit; als Leitfaden und Garant der Richtigkeit galt allein das mathematisch faßbare „An sich" der Körperwelt, in der Sinnestäuschungen ausgeschlossen waren. So gewannen die Ergebnisse der psychophysischen Forschung ihr Kriterium in den Ergebnissen der physischen Forschung; die Untersuchung der Seele als einer Einheit, die in der Körperwelt verräumlicht und verzeitlicht gesehen wurde, machte allmählich den Gesamtbereich psychologischer Forschung aus. Die Seele wurde so stillschweigend zum kausalen Annex des nur physisch gesehenen Leibes. — Von Descartes war der Gesamtbereich des Psychischen aufgespalten und in die beiden Substanzen des Systems seines metaphysischen Dualismus gepreßt worden. Als man in der Folgezeit die Cartesische Metaphysik aufgab, blieb die in diesem System metaphysisch begründete Auffassung von der Teilung des Psychischen jedoch als allgemeines Vorurteil erhalten, u. z. in der Weise, daß man einerseits die Geistsubstanz des Descartes von jedem psychologischen Sinn entleerte und im besten Fall als transzendentales Agens gelten ließ (so Kant) und andererseits auf der „empirischen" Seite Psychisches nur als Naturalpsychisches anerkannte. In der wissenschaftlichen Praxis führte das auf eine Erforschung des Psychischen unter dem Apriori, daß das Psychische ein nur induktiv untersuchbarer, an den organischen Leib gesetzmäßig gekuppelter Bereich sei. In der wissenschaftlichen psychologischen Praxis wirkt sich diese Einstellung so aus, daß man zwar konkret Menschen erfährt, diese aber nach ihrer Körperseite in den allgemeinen Naturzusammenhang eingeordnet weiß; als Antwort auf die Frage nach der Gegenseite als der Komponente, die die Menschen und die Lebewesen überhaupt von toten Dingen unterscheidet, bleibt dann aus der allgemeinen Konzeption heraus nur die übrig, daß sie eine „ergänzende" sei. (vgl. Husserl 17,231) Und dieses Verfahren hat den zunächst so blendenden Anschein, als ob damit ohne 12

importierte Metaphysik eine sauber dualistische — zumindest heuristisch dualistische — Wissenschaft vom Menschen begründet sei. Durch die Zuordnung an Natur soll das Psychische Objektivierbarkeit erlangen, „eine Stellung im Räume und in der Zeit der Natur, in derjenigen, die wir durch Uhren messen". (Husserl 6, 319) bb) Der psychologische

Naturalismus

Husserl ist der Ansicht, daß diese Einstellung, die das Psychische parallel zu Körperlichem untersucht, die sich heuristisch dualistisch gibt, ohne diesen Dualismus begründen zu können, nichts anderes als Naturalismus ist. Psychisches, das bloß eine abhängige Veränderliche von Physischem ist, kann „bestenfalls eine sekundäre .parallele Begleittatsache'" sein. (Husserl 6, 294) Einen solchen psychologischen Naturalismus vertritt heute ausdrücklich in ausgezeichneter Weise etwa Rohracher, früher vertraten ihn in ihren psychologischen Anschauungen u. a. Spencer und Mach, von den Essayisten Nietzsche. — Man unternahm es aber auch, den empirischen, dualistisch verbrämten Naturalismus „in einen monistischen Naturalismus mit zwei parallelen Gesichtern — also eine Abwandlung des spinozistischen Parallelismus" (Husserl 17, 235) umzudeuten; dies tat ζ. B. Wundt in seiner Lehre von den zwei Gesichtspunkten. Danach soll die Scheidimg physischer und psychischer Lebensvorgänge nur für die Lösung der wissenschaftlichen Probleme „nützlich und sogar notwendig" sein. (vgl. Wundt 142 I. Bd., 1) „Im übrigen verbleibt es in dieser Wundt'schen wie in .den anderen Weisen der Rechtfertigimg der im empirischen Dualismus gebundenen Psychologie bei der naturalistischen Dateninterpretation des Bewußtseins nach der Lodce'schen Überlieferung, was aber nicht hinderte, von Vorstellung, Wille, von Wert und Zwecksetzung als Bewußtseinsgegebenheiten zu sprechen, ohne radikal die Frage zu stellen, wie aus solchen Daten und ihrer psychischen Kausalität diejenige Vernunftsaktivität verstanden werden soll, welche die Voraussetzung aller psychologischen Theorien als ihrer Leistungen ist, während sie doch in diesen Theorien selbst unter den Ergebnissen als ein Ergebnis auftreten soll." (Husserl 17,235) Für diese letztgenannten Probleme aber war die naturalistische Psychologie blind. Nicht Probleme der Vernunft, sondern vornehmlich solche des Organischen standen in ihr im Vordergrund des Interesses. Bei Wundt etwa wird behauptet, daß das „Lehen eines organischen Wesens" (vgl. Wundt 142 I. Bd., 1) doch als ein einheitlicher Zusammenhang gedacht werden müsse. „Das körperliche Leben und die Bewußtseinsvorgänge sind . . . ebensowenig voneinander zu trennen, wie die äußere, durch unsere Sinneswahrnehmung vermittelte Erfahrung dem, was wir unsere ,innere Erfahrung' nennen, unseren Bewußt.seinserlebnissen, als ein völlig gesonderter Tatbestand gegenübergestellt 13

werden kann." (Wundt 142 I.Bd., 1) Wundt ist zu entgegnen: Was sich unter methodischen Gesichtspunkten eventuell als nützlich erweisen kann, nämlich ein Wundt'scher Dualismus, das erschöpft seine Berechtigung auch in dieser Nützlichkeit; in der Wirklichkeit braucht dieser Arbeitserleichterung keineswegs — man weiß nämlich wirklich nicht „warum" — ein naturalistischer Monismus zu korrespondieren. Wundts Gründe, u. a. sein Verweis auf die Einheit des „Lebens eines organischen Wesens" repräsentieren einen eingekleideten Biologismus; sie können nicht beanspruchen, einer radikalen Kritik standzuhalten. Für Wundt ist das Verfahren der Ausführung der Psychologie ebenso wie das der Naturwissenschaften ein konstruktives. Mit Beobachtung und Experiment sollen nacheinander folgende Aufgaben gelöst werden: 1. die Analyse der zusammengesetzten Vorgänge, 2. die Nachweisung der Verbindungen und 3. die Erforschimg der Gesetze, die die Entstehung solcher Verbindungen bewirken. Wo ist aber in diesen Problemfixierungen noch nach originär Psychischem gefragt? Unbedingt richtig bemerkte Natorp hierzu, daß mit „Analyse" und „Verbindung" noch keine Entfernung von der unmittelbaren psychischen Erfahrung verbunden sein müsse. „Aber Gesetzeserkenntnis [so wie Wundt sie versteht] jedenfalls ist theoretische Konstruktion, und ohne Abstraktion, die sich vom unmittelbar Erfahrenen entfernt, nicht möglich." (Natorp 118,268) Wenn Wundt in der Psychologie induktiv Gesetzeserkenntnis betreiben wollte, so legte er diesem Tun ein Vorstellungsmodell des Psychischen zu Grunde, in dem das Psychische analog dem Gegenstand der klassischen Physik gesehen wurde. Es ist später viel zu wenig beachtet worden, daß es mit der Glaubwürdigkeit der Voraussetzungen der Wundt'schen Psychologie auch gerade in den Jahren zu Ende war, als — einmal abgesehen von der ebenfalls einsetzenden Erfolgsbreite der Dilthey'schen Lehren und ebenso abgesehen von der einsetzenden philosophischen Auswertung der insbesondere durch Driesch eröffneten neuen Anschauungen über die biotischen Einheiten — die Ideen der neueren Physik ihre ersten Niederschläge im philosophischen Schrifttum (Planck, Heisenberg) fanden. Das menschliche Seelenleben ist für Wundt letztlich — und damit tritt die seine psychologischen Konzeptionen bestimmende Weltanschauung zu Tage — die, entwicklungsgeschichtlich betrachtet, höchste und letzte Stufe biologischer Organisation. „Es bildet den Knotenpunkt im Naturverlauf, in welchem die Welt sich auf sich selber besinnt." (Wundt 143 II. Bd., 648) In dieser Wundt'schen Betrachtungsweise verschwindet, wie zu sehen ist, jede Möglichkeit, überhaupt etwas als Niditnatur zu erfassen. Dies gilt insbesondere natürlich für das Psychische. „Der Naturalist also, . . . sieht nichts anderes als Natur . . . " (Husserl 6, 294) Wenn dann in der naturalistischen Einstellung trotzdem noch von Psychischem gesprochen und es angeblich 14

bestimmt wird, so selbstverständlich unter der expliziten Voraussetzung, daß damit psycho-physische Bestimmungen getroffen worden seien. „Psychische Gesetzmäßigkeit" heißt dann: Gesetzmäßigkeit der Natur, gesehen in einem psychologischen Vorstellungsmodell. Zu übergroß, auch noch auf Wundt, war also der Einfluß der cartesischen Lehre, die das Psychische als eigene Region mißachtete. Für die ganze Neuzeit wurde so eine originäre, selbständige Betrachtung des Psychischen verhindert, wenngleich dieser Einfluß auch leider nicht radikal untersucht und befragt wurde, wodurch es vielleicht schon früher als erst bei Husserl zu der Entdeckung der regionalen Selbständigkeit (auf die schon Dilthey aufmerksam machte) und der Autonomie (verstanden im echten Sinne als „Selbstgesetzgebung") des Psychischen gekommen wäre. In Bezug auf die Psychologie ist also fast die gesamte Neuzeit vorausgesetzter oder paraphrasierter Cartesianismus, aber in der Gestalt seiner historischen Unzulänglichkeit; dies gilt — auch über Wundt hinaus — weithin bis ins jetzige Jahrhundert hinein. Oder ist es nicht auch typischer Cartesianismus, was der Marburger Neukantianismus von der Psychologie hält — nachdem freilich die metaphysische Bedeutung der cogitierenden Substanz zum „Bewußtsein überhaupt" säkularisiert worden war —?: „Dieser unserer Grundauffassung, daß sich Psychologie von Naturwissenschaft, von der Wissenschaft des Objektiven überhaupt nur nach der Richtung der Betrachtung, nicht im Betrachteten selbst unterscheide, ist die neuere Psychologie oft schon mehr oder minder nahe gekommen." (Natorp 116, 147) Und es ist „alles, was nur als Phänomen im Bewußtsein auftritt, auch Phänomen für die objektivierende Wissenschaft, in diesem Fall Naturwissenschaft. Eine Erscheinung, welche nicht als zu erklärendes, mithin auch beweisendes Moment zum objektiven Zusammenhange des Geschehens (zum Naturzusammenhange) gehörte und auf ihn zu beziehen wäre, gibt es so wenig . . . " (Natorp 118, 118) Der sog. Einheit des Wirklichen wird also bei Natorp — jedoch nicht wie bei Wundt aus biologisierenden Motiven, sondern aus rein erkenntnistheoretischen Gründen — noch ein dualistischer Aspekt der Betrachtungsweise vergönnt. Im Südwestdeutschen Neukantianismus, bei Rickert, ist auch das nicht mehr der Fall. „Die Wirklichkeit in ihrer Totalität, d. h. als Inbegriff alles körperlichen und seelischen Daseins, kann und muß man in der Tat als einheitliches Ganzes oder »monistisch' . . . ansehen und dementsprechend auch in jedem ihrer Teile durch Einzeldisziplinen nach ein und derselben Methode behandeln." (Rickert 124, 13 f.) Jeder Bereich der sog. Wirklichkeit, also auch das Psychische, wird somit generalisierend als Natur aufgefaßt, und unterliegt der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung. Auch die Psychologie ist also eine Naturwissenschaft: sie bedarf der generalisierenden Methode, und ihr Gegenstand ist die Natur in einem bestimmten Ausschnitt, aber nicht die Kultur, die ja nur deshalb nicht zu den Gegenständen zählt, die der generali15

sierenden Methode unterliegen, weil sie „für uns eine besondere Bedeutung oder Wichtigkeit" hat. (Rickert 124,14) Als Beweis für dieses Ergebnis dient Rickert „. . . die Tatsache, daß die empirische Psychologie . . . auf dem generalisierenden Wege der Naturwissenschaft allein bisher ihre Resultate gewonnen hat". (Rickert 124, 53) Husserl würde dem entgegenhalten, daß zwar „jede wissenschaftliche Empirie . . . ihr ursprüngliches Recht" (Husserl 17, 217) hat. Aber aus der Empirie, die unter Umständen ganz erfolgreich verlaufen kann, wenn sie fleißig und systematisch betrieben wird, ergibt sich nicht die Wissenschaftlichkeit der Empirie. Den generalisierenden oder statistischen psychologischen Empirismus treffen in Analogie dieselben Argumente, wie sie Husserl zur Widerlegung der Supposition, daß die Gesetzlichkeit der logischen Gesetze eine Gesetzlichkeit des sie realisierenden psychischen Tuns sei, wie sie der sog. Psychologismus vertrat (vgl. § 16), geliefert hat. Wie weitgehend und wie naiv die Vorurteile waren, die die Aspekte der Auffassungen der Wirklichkeit überhaupt im Gefolge des historisch-unzulänglichen Cartesianismus prägten, geht besonders aus der Vorzugsstellung hervor, die den Vorstellungen der Mechanik dabei eingeräumt wurde. Für die Körperwissenschaften sollen nach Rickert sogar nur die Begriffsbildungen relevant sein, „die mit einer mechanischen Auffassung nicht prinzipiell unvereinbar sind" (Rickert 124, 47), welches Postulat inzwischen allerdings — nun jedoch induktiv — durch die neue Physik seine Aufhebung erfuhr. "Zwar betont Rickert: „Selbstverständlich soll hiermit nicht einer unkritischen Übertragung des in den Körperwissenschaften erprobten Verfahrens auf die Psychologie das Wort geredet werden. Im einzelnen hat jede wissenschaftliche Untersuchungsmethode sich nach den inhaltlichen Eigentümlichkeiten ihrer Objekte zu richten. Hier kommt es nur darauf an, ob diese Eigenarten eine derartige logische Bedeutung haben, daß sie eine generalisierende Begriffsbildung von der Art, wie die Naturwissenschaften sie vollziehen, ausschließen, und das dürfte aus dem Wesen des für sich betrachteten seelischen Lebens nicht zu folgern sein." (Rickert 124, 48) Prinzipiell ist Seelisches für Rickert eben etwas, für das, wenn man von wertsetzenden Akten, die aus psychischen Betätigungen hervorgehen, absieht, kein genereller Grund angegeben werden könnte, es als Nicht-Natur aufzufassen und •zu untersuchen. Sowohl Körperliches als auch Seelisches kann nach ihm nur in auf Grund induktiver Vergleiche herauszufindenden Allgemeinheiten, die die Form von Naturgesetzen haben müssen, erforscht werden. Zwar entging es auch Rickert nicht, daß in der historischen Ausbildung von Psychologie und Naturwissenschaft zwischen beiden Disziplinen eine bemerkenswerte Differenz ihrer Reife besteht. Aber Rickert bagatellisiert den Unterschied: „Die Psychologie hat es bisher zu einer allgemein anerkannten Theorie vom Seelenleben nicht gebracht und steht aus diesem Grunde 16

hinter den Körperwissenschaften mit Rücksicht auf systematische Durchbildung noch weit zurück. Doch ist der Unterschied nicht prinzipiell, sondern nur graduell." (Rickert 124, 48) „Es bleibt daher dabei, daß jede Wirklichkeit, also auch die psychische, generalisierend als Natur aufgefaßt werden kann und folglich auch naturwissenschaftlich begriffen werden muß. Sonst wäre ein die gesamte psychophysische Natur umfassender wissenschaftlicher Begriff überhaupt nicht zu bilden." (Rickert 124, 51) Und darin hat Rickert Recht: Einen Begriff der psychophysischen Natur kann es nicht geben, es sei denn, man ist wie er bereit, das Psychische als dem Physischen ontisch äquivalent oder sogar als ihm appendixhaft nachgeordnet anzusehen. Unter den Modifikationen des psychologischen Naturalismus ist noch zu erwähnen die Lehrmeinimg, die sich selbst ohne Hemmnisse als Biologismus versteht, und die, wenn sie auch nicht von starker Wirkkraft war, so doch zumindest im 20. Jahrhundert ständig gelehrt wurde, und die dadurch gekennzeichnet werden kann, daß sie im Psychischen nur „Lebendiges" sieht. In wissenschaftssystematischer Konsequenz ergibt sich aus dieser Auffassung das Recht, die Psychologie konkret als Teil der Biologie anzusehen: „Alle psychischen Phänomene werden als . . . Lebensvorgänge aufgefaßt" (Blumenfeld 63, 8); das Psychische wird also aufgefaßt „als" , und dieses „als" bedingt, daß nicht das Psychische selbst aufgefaßt wird als das, was es ist, sondern, daß es aufgefaßt wird „als" — cogitatum: Der Begriff „Konstitution" läßt das ego im Dunkel, und das cogito ist ihm notwendig nur Mittel ich Dienste der Herstellung des cogitatum: Der Begriff „Konstitution" ist vorwiegend an „Sachlichem" (das natürlich als cogitatum verstanden wird) interessiert. — Der universale Vorgang der transzendentalen Sinnbildung läßt sich in seiner ganzen Ausdehnung und unter Beachtimg aller seiner Stufen also nur mit „transzendentale Genesis" bezeichnen, während „Konstitution" nur auf die Bereiche der transzendentalen Genesis beziehbar ist, die sich mit der aktiven Sinnvereinheitlichung von Gegenständlichem beschäftigen. Die Bezeichnung der Universalität der genetischen Vorgänge als „Konstitution" wäre also sinnwidrig. Es bleibt noch die Frage, was Husserl wohl bewogen haben mag, den Problemen einer transzendentalen Passivität in seinem Spätwerk eine solch überragende Stellung einzuräumen, wie es der Fall ist. Die Antwort ist: dies bewirkte das Problem der Geschichte, wobei Geschichte ganz allgemein — also nicht nur im Sinne der wissenschaftlichen Disziplin „Geschichte" — zu verstehen ist. Denn es „kann das meditierende ego durch Eindringen 281

in den intentionalen Gehalt der Erfahrungsphänomene selbst . . . intentionale Verweisungen finden, die auf eine Geschichte führen, also diese Phänomene als Nachgestalten anderer, ihnen wesensmäßig vorangehender . . . Vorgestalten kenntlich machen. Da aber stoßen wir bald auf Wesensgesetzmäßigkeiten einer passiven, teils aller Aktivität voranliegenden, teils alle Aktivität selbst wieder umgreifenden Bildung von immer neuen Synthesen, auf eine passive Genesis der mannigfaltigen Apperzeptionen als in einer eigenen Habitualität verharrender Gebilde, die für das zentrale Ich geformte Vorgegebenheiten scheinen, wenn sie aktuell werden, affizieren und zu Tätigkeiten motivieren." (Husserl 12, 113) Wie schon ausgeführt, hat das individuelle Subjekt nur auf Grund dieser vorgängigen passiven Genesis qualitativer und raum-zeitlicher „Differenzen", welche Genesis natürlich auch eine Leistung der transzendentalen Subjektivität ist (und die niederste passive Stufe der genetischen Prozesse ausmacht, siehe oben), die Möglichkeit, überhaupt von solchen schon passiv erzeugten Einheiten affiziert zu werden, worauf dann in weiterer, zunächst noch rezeptiver, dann aktiver Zuwendung aus solchen unbenannten Einheiten „benannte Gegenstände" werden können. Der mit der Zahl der aktiven Zuwendungen ständig zunehmende und sich modifizierende Grad der Bekanntheit ist dann die subjektiv bekannte „Geschichte" der betreffenden Gegenstände, u. a. natürlich die Geschichte „geschichtlicher" Ereignisse. Zu Beginn ihrer Geschichte, d. h. zum Zeitpunkt der ersten sich ihnen aktiv zuwendenden subjektiven Interessenahme, aber sind die bis dahin noch unbenannten Einheiten vom Status des „Gegenüber" eben auch nicht nichts, sondern sie haben schon die Gestalt synthetischer, wenn auch qualitätsarmer Urstiftungsgebilde. „Nehmen wir das Feld passiver Vorgegebenheiten in seiner, freilich nur abstraktiv herzustellenden Ursprünglichkeit, d. h. sehen wir ab von all den Bekanntheitsqualitäten, Vertrautheiten, mit denen alles, was uns affiziert, im voraus schon, auf Grund früherer Erfahrungen vor uns dasteht. Nehmen wir es so, wie es ist, bevor ichliche Aktivität daran noch irgendwelche sinngebenden Leistungen geübt hat, so ist es im eigentlichen Sinne noch kein Feld von Gegenständlichkeiten." (Husserl 8, 74 f.) Aus diesen Bestandstüdcen der sinnlichen Vorgegebenheit werden nun nicht unmittelbar — gewissermaßen in einem „Rudk-Zuck" — durch sich ihnen zuwendende ichliche Prädikationen „fertige Gegenstände", sondern diesem Endergebnis geht ein allmähliches Erwachen der Aktivität voraus, allmählich überschichten sich die Stufen der Konstitution: „Sofern das Ich in der Zuwendung aufnimmt, was ihm durch die affizierenden Reize vorgegeben ist, können wir hier von der Rezeptivität des Ich sprechen. Dieser phänomenologisch notwendige Begriff der Rezeptivität steht keineswegs in ausschließendem Gegensatz zur Aktivität des Ich, unter welchem Titel alle spezifisch vom Ichpol ausgehenden Akte 282

zu befassen sind; vielmehr ist die Rezeptivität als unterste Stufe der Aktivität anzusehen." (Husserl 8, 83) Es gilt also: Aktivität und Passivität sind keine absoluten Gegensätze, sondern bezeichnen Prozeßgliederungen der einen, entweder fremdkonstitutiv gerichteten oder bei Gelegenheit von Konstitutionen am Subjektpol sedimentativ sich ereignenden Genesis. Bezogen auf die Geschichte der menschlichen Individuen in ihrer Entwicklung gilt: Im Zustande der weltlebenden menschlichen Aktivität ist das konkrete Ich sich seiner selbst nur, obschon es natürlich auch als solches transzendentale Vollmachten hat, als Ich seiner konkreten Beschränktheit bewußt, d. h. es kann, indem es ohne sein Wollen und Wissen transzendental fungiert, aktiv Sinneinheiten konstituieren, wobei sich die diesen Vollzügen entsprechenden Erlebnissedimente ohne irgendwelches weitere Zutun am Subjektpol niederschlagen, sich miteinander verbinden und dem Subjekt so zu einer Geschichte verhelfen. Aber solche Geschichtlichkeit können selbstverständlich nur sich ihrer selbst bewußte Subjekte erlangen: solange die subjektive Konkretion sich ihrer selbst noch nicht bewußt ist, wie es wohl für das Tier und für den Säugling zutrifft, solange ist das betreffende Subjektivitätszentrum natürlich noch nicht zu einer Konkretion eines geschichtlichen Ich gelangt. Die Sinngebungsvollzüge eines solchen Subjekts stiften für es keine ihm selbst bewußten Uberzeugungen, obschon es in diesen Vollzügen doch geprägt wird; aber die sich so ereignenden Konkretisierungen von Prägungen ordnen sich genau so wenig wie die aus den entsprechenden Sinngebungsvollzügen hervorgehenden objektiven Poleinheiten einer individuellen, subjektiven Bekanntheitstypik ein. Ein Subjekt, das sich seiner selbst nicht bewußt ist, kann nicht noetisch aktiv sein, es ist noetisch passiv. Noetische Passivität hat aber das Resultat subjektiver Geschichtslosigkeit. „Passivität" bedingt somit „Geschichtslosigkeit". Geschichtlichkeit aber ist nur im Rahmen eines nur anthropologischen Verständnisses des Menschen „absolut" bedeutungsvoll. Eine „Geschichtslosigkeit" tut also den transzendentalen Leistungen und deren Ergebnissen, die von einem transzendentalen Subjekt im Gewände ichlicher Unbewußtheit, ichlicher Unerwecktheit (etwa als Säugling) bewirkt werden, selbst keinen Abbruch; die entsprechenden Resultate ordnen sich nur nicht dem Schatz eines „beliebig aufzuweckenden" Gedächtnisses ein; geprägt wird die konkrete individuelle Einheit Noch-nicht-Ich-Mensch (der Säugling) aber trotzdem auch bei Gelegenheit aller sich in ihr auslebenden konstitutiven Vollzüge, und das gilt ebenso für alle anderen Erlebnisse ichlicher Passivität (und natürlich selbstverständlich für solche ichlicher Aktivität), (vgl. § 53 cc) Auch nicht-ichliche Subjekte erfahren also als weltlebende kontinuierliche Prägung, aber sie können nicht über sie verfügen, sie haben keinerlei „Geschichte". 283

Aktivität und Passivität sind in transzendentaler Betrachtung nur in anthropologischer Hinsicht kontradiktorische Begriffe. Für ein transzendentales cogitatum ist und bleibt es demnach gleich, ob es aktiv oder passiv konstituiert wurde, denn die Möglichkeit und der Sinn des cogitatum hängt nicht daran, ob es okkasionell gewußt, behalten, wiedererinnert usw. wird. Aktivität und Passivität sind Begriffe zur Bezeichnung eines jeweiligen Zustandes eines Subjekts: im Zustande der noetischen Aktivität ist das Subjekt sich seiner selbst bewußt; in einem Zustand noetischer Passivität ist das nicht der Fall. Die transzendentale Subjektivität aber fungiert, indem sie überhaupt weltlebend tätig wird; dabei von aktiver oder passiver Funktion zu sprechen, ist sinnlos.

§53. D i e

Genesis

des

subjektiven

Lebens

aa) Psychisches im Sinne der Psychologie als Produkt einer Genesis Wenn der Reflektierende begonnen hat, die Reflexion konsequent durchzuführen und in diesem Tun auch auf die vermeintlich größte „Selbstverständlichkeit" reflektiert, daß nämlich die Welt mit all ihren Bestandstücken einfach da ist, und ihm der Aufweis der Schwierigkeiten der Ausweisung dieser Selbstverständlichkeit gelungen ist, so merkt er bald, daß diese Entdeckung sich auch auf die „Selbstverständlichkeit" seines eigenen Daseins bezieht. „Konstituierte Leistung . . . ist alle reale, mundane Objektivität, auch die der Menschen und Tiere, auch die der .Seelen'. . . . Solche Probleme auf naiv-objektivem Boden und in der Methode der objektiven Wissenschaften behandeln zu wollen, wäre ein widersinniger Zirkel." (Husserl 17, 208) Dem konkreten Subjekt, das sich in den Weltzusammenhang einordnet, muß demnach eine es transzendental leistende subjektive Vorinstanz entsprechen. Um die Welt richtig interpretieren zu können, muß man sie als transzendental-konstitutives Produkt deuten; und da auch das Subjekt zunächst als ein in der Welt befindliches und dieser zugehöriges aufgefaßt wird, ist die Frage nach der Genesis dieser subjektiven Befindlichkeit eine konsequente Folgerung. „Nicht alles Sein ist Natur, ist seelisches Sein, ist personales, ist geistiges Sein, aber alles objektive Sein dieser Art ist, was es ist, als Produkt sich entwickelnder und sich transzendental gestaltender absoluter Subjektivität: die man nicht mehr personal verstehen darf." (Husserl Ms. 37, I V 26) Husserl hält es also nicht nur für die Durchführung der auf ihre universalen Aufgaben bedachten Transzendentalphilosophie für notwendig, sondern auch für eine transzendentale Psychologie für absolut entscheidend, daß die phänomenologische Reduktion nicht bei dem vor dem Vollzug der Reduktion als objektive Materie, evtl. organische Materie in der Gestalt von

284

Leibern, verstandenen Seienden Halt macht, wie es schon Descartes tat, sondern daß diese Reduktion auch auf das geistige und seelische Sein ausgedehnt wird. Man kann nicht radikale Reduktion treiben und das konkret cogitierende Subjekt samt seinen Habitualitäten dabei methodisch unberührt lassen. Außerdem geht es natürlich erst recht nicht an — und auch nicht in der Reduktion —, das Subjekt als ein nur noetisch cogitierendes aufzufassen, sondern man muß es auch — je nachdem — als volitiv, emotional, sensitiv usw. cogitierendes begreifen; es ist nämlich sonst ganz immöglich, die subjektiv konkreten Ausformungen, die Habitualitäten, adäquat zu verstehen und sie transzendental in die Herkunft ihrer sie stiftenden Genesen aufzulösen. Erst wenn man die Reduktion auch subjektiv universal durchführt, kann man die weltlichen Ausrüstungen eines konkreten Subjekts verstehen als das, was sie sind, also z.B. den Verstand als Inbegriff der praktisch-noetischen Habitualitäten, die Vernunft als Inbegriff der theoretisch-noetischen Habitualitäten, das Gemüt als Inbegriff der emotionalen Habitualitäten, das Gewissen als Inbegriff der korrigierenden Habitualitäten, das Gefühl als Inbegriff der sensitiven Habitualitäten, den Willen als Inbegriff der volitiven Habitualitäten, die „Lebenstriebe" als Habitualitäten, die der weiteren Verweltlichung des transzendentalen Lebens dienen, den Todestrieb (sofern es ihn überhaupt gibt) als Habitualität, die der Rüdekehr des transzendentalen Lebens zu sich selbst dient, indem sie ununterbrochen die Entweltlichung des transzendentalen Lebens betreibt, seine Rückkehr in sich selbst „wünscht". (Zum Begriff der Habitualität siehe § 53 cc.) Alle diese genannten subjektiven Ausformungen stellen auf das Weltleben abgestimmte „Leistungsbereitschaften" an Subjekten vor; „an sich" gibt es sie natürlich nicht, sondern es gibt sie nur insofern, als ein Subjekt entsprechend agiert oder reagiert; in der „natürlichen Vorstellung" der genannten Begriffe (ζ. B. Trieb, Gemüt usw.) werden die entsprechenden Inhalte aber als reale, weltliche Einheiten aufgefaßt: ein „Verstand" ist dem Menschen der natürlichen Einstellung genau so real wie eine „Bank". Und keines der genannten „Vermögen" (dieser Ausdruck stehe an Stelle mehrerer möglicher und üblicher) stellt im eigentlichen Sinne das Ich dar; als „Ich" wird das Subjekt sich vielmehr seiner selbst und seiner Vermögen bewußt, aber nicht werden die Vermögen sich ihrer selbst bewußt: nur ich bin ich; alles andere habe ich, ζ. B. meinen Verstand. Ein Subjekt muß, um in die Welt hinein wirken zu können, mit gewissen, dieser Welt angepaßten „Vorkehrungen" und „Sicherungen" ausgerüstet sein. Dazu dient natürlich zu unterst ein Leib, gewissermaßen als Wirkzentrale und dienen weiterhin subjektive Vermögen wie Verstand, Gemüt, Wille (oder wie man die subjektiven Ausstattungen, die die bisherige Psychologie schon zu unterscheiden gewußt hatte, sonst benennen will). Freilich beging die Psychologie bis heute den Fehler, diese 255

„Subjektabteilungen" entweder als real, ζ. B. als „angeboren", aufzufassen oder auch als bloße Konventionen zu betrachten. In transzendentaler Sicht bedeuten alle derartigen „Wirkabteilungen" oder „Vermögen" Ausstattungen und Gestaltnahmen des individuierten transzendentalen Lebens: es handelt sich bei dieser Verweltlichung um einen Prozeß bzw. nachfolgend um einen Zustand, innerhalb dessen „Vermögen" — von außen gesehen — zwar als induktiv einigermaßen exakt feststellbare Funktionszentralen bestimmter subjektiver Funktionen aufgefaßt werden können, aber nicht nach Art realer Schichten scharf umgrenzbare Bereiche des „Aufbaus der Person" darstellen. Phänomenologisch läßt sich zu diesem Problem sagen: Die Person ist die Einheit, die dadurch entsteht, daß dem individuierten subjektiven Leben aus jeder seiner Betätigungen eine Bereicherung, ein Gewinn, zuwächst. Eventuell und mit aller Vorsicht kann man sogar sagen, daß in der Person die transzendentale Subjektivität selbst geschichtlich wird. Transzendental gesehen wäre es aber glatter Widersinn, das konkrete Psychische der Personen, die Eigenschaften der Persönlichkeit, als absolut reales Seiendes zu verstehen. Alles, was den Weltsinn weltlicher Interpretierbarkeit hat — und das gilt auch für alles Psychische, von den „höchsten" Vermögen, etwa der Vernunft, angefangen bis hin zu den „niedersten", etwa den Trieben — stellt eine genetisch gewordene Einheit dar, ist irgendwie Produkt subjektiver Leistungen. Husserl selbst hält in seinen späten Fragmenten die Lehre von der Verweltlichung der transzendentalen Subjektivität für ein schwieriges Stück der transzendentalen Untersuchungen: „Ich finde als konstituiertes Reales mich selbst als diesen Menschen in der natürlichen Welt und finde, daß ich, dasselbe transzendentale Ich in meinem transzendentalen Leben Erfahrung wie von anderen Dingen so von dem für mich ausgezeichneten Leib habe und in Bezug auf ihn mein seelisches Leben, als diesen Leib ,beseelend'. Ich finde dann, daß mein gesamtes transzendentales Leben, sowie ich natürliche Erfahrung vollziehe, den Sinn eines beseelenden und natural verleiblichten Lebens annimmt, daß sich im transzendentalen Leben also das Ich und konkret die transzendentale Monade selbst objektiviert in Form Ich-Mensch. Das mag keine ganz leicht zu analysierende Sachlage sein." (Husserl Ms. 35, X 27) Das transzendentale Leben geht also allen seinen weltlichen Konkretionen voran; dieses Vorangehen darf man aber nicht objektiv-zeitlich auffassen, sondern im Sinne der transzendentalen Notwendigkeit, daß empirische Vereinzelung ohne transzendentale Ermöglichung überhaupt nicht sein kann. Aufgabe der transzendentalen Philosophie ist es jedenfalls, „Licht" in die Stufen dieses intentionalen Geflechtes zu bringen. Diese Arbeit zu leisten, ist für das Gelingen einer echten Psychologie notwendig und einem radikaleren und begründeteren Selbstverständnis des Menschen förderlich. Die dazu nötige Leistung besteht darin aufzuklären, wie sich die Verobjekti286

vierung der transzendentalen Subjektivität vollzieht, u. z. transzendental vollzieht. So begreift die transzendentale Phänomenologie „die rätselhafte und zweideutige Natur des Menschen: einmal subjektiv leistendes Leben für alle Objekte, dann wieder selbst Objekt unter Objekten zu sein". (Η usserl Ms. 55, 138) bb) Die Stellung der Subjektivität in den verschiedenen methodischen Einstellungen Das psychologisch vorläufig wichtigste Ergebnis der Reflexion der phänomenologischen Reduktion bestand in der Entdeckung einer Differenz zwischen dem psychologischen Subjekt, als einer nur aus der Begründung naiver Erfahrung geltenden Einheit, und der transzendentalen Subjektivität. Die konkrete individuelle Person entpuppte sich in der Reduktion als ein zwar überaus differenziert und reich gestalteter Seinssinn, aber eben auch als ein Sinn, also als etwas Ableitbares, das aus einer Vereinheitlichung der bei Gelegenheit konstitutiver Vollzüge sich ergebenden Prägungen am Subjektpol entsteht, welche Vollzüge letztlich natürlich alle ausgehen von der zunächst noch in Analogie zu einem empirischen Subjekt gedachten transzendentalen Subjektivität, die aber durch die Umkehr der phänomenologischen Stufe der Reduktion in die transzendentale ihren absoluten, apersonalen Charakter enthüllt, (vgl. Husserl Ms. 37, I V 26) Es sei an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß die Reduktion, nachdem sie so weit zurüdcgeschritten ist, wie sie auch Descartes gelang, nämlich — nach der Phänomenalisierung der Außenwelt — bis an die Grenze der subjektiven personalen Einheit, und nun im Begriffe steht, die individuellen persongebundenen Ausformungen von Subjekten zu phänomenalisieren, in der Ausführung dieses Unternehmens nicht eine bestimmte Gliederung (bzw. ein Vermögen) der Welt-Person reduktiv bevorzugen oder benachteiligen darf. Es geht darum, den Vollsinn des empirisch konkreten ego zu reduzieren, also nicht etwa die „Seele" oder den „Geist" von der Reduktion auszunehmen; es geht also nicht an, die eine oder die andere dieser beiden Einheiten für den (nicht reduzierbaren) „Kern" des Ich zu halten, wie es seit je üblich ist, um so die Radikalität der Reduktion zu verwässern und schließlich zu annullieren. Weder Seele noch Geist machen das Wesen des sich selbst bewußten Subjekts, sein „Ich" aus, denn „die Seele ist nicht das Ich, das hat und sich verhält, nicht das personale Subjekt der Vermögen, sondern das dem Leib als Psychisches eingelegte Daseiende im objektiven Raum und in der objektiven Zeit". (Husserl 15, 349) Und — wie angedeutet — auch der Geist ist nicht das Ich, sondern der Geist ist die spezielle Konkretion des Subjekts, mit Hilfe derer Akte in Bezug auf die theoretischen Strukturen und die Wertstrukturen der Welt, die Strukturen der Natur und die anderer Iche ge287

tätigt werden und mit der als Hilfsmittel konkrete Subjekte sich ihrer selbst als „Iche" bewußt werden können. Der Geist arbeitet also als eine Habitualität am Subjekt, gewissermaßen mit Erlaubnis der transzendentalen Subjektivität; und die transzendentale Subjektivität kann durch ihn wirken, aber der Geist ist selbst nicht die transzendentale Subjektivität. Daß ein Subjekt sich seiner selbst bewußt sein kann, daß es sich bedenken kann, das vermag allein aus der Tatsache, daß es einen Geist „hat", nicht abgeleitet zu werden, wenn auch dieses Sich-selbst-bewußt-werden bei Menschen nur vermittels des Geistes sich ereignen kann: Aber der Geist kann, indem er nur auf sich als Konkretion reflektiert, nicht aufklären, wer er eigentlich ist. Hier schafft erst eine transzendentale Betrachtungsweise Klarheit: Man muß nämlich den Geist als „subjektive Wohnimg" der individuierten transzendentalen Subjektivität, durch die hindurch sie theoretisch und axiologisch usw. wirkt, also als das weltliche Organ der transzendentalen Sinngebungen, verstehen und muß entsprechend die Seele verstehen als das weltliche Organ der fühlenden Rezeption, der pathischen Hin-nahme von Beeindruckungen. Die weltlebende transzendentale Subjektivität tritt als individuierte Subjektivität mit vielerlei Ausstattungen, mit vielerlei subjektiven Vermögen auf: Das transzendentale Leben wirkt dann in der Gestalt mannigfacher Fähigkeiten und Eigenheiten der individuellen Subjekte auf die schon im Vorhinein, ζ. B. durch das transzendentale Wirken in anderen Subjekten, konstituierte Welt, dabei in jeder subjektiven Betätigung als „weltbeseelend" tätig werdend. Diese Tatsache ändert an der Genesis der „Gestalt" und an der Vielzahl der hier in Frage kommenden subjektiven Vermögen gar nichts, und eines von ihnen — nämlich den Geist — nur deshalb, weil es „Organ des Denkens" ist, für den absoluten, nicht weiter zu befragenden Kem der egologischen Subjektivität, für vollidentisch mit ihr zu halten, ist widersinnig. Es gehören eben zum Ich, als der sich selbst bewußten Gestalt der Ausformung der weltlich individuierten transzendentalen Subjektivität, mannigfache fundierende Vermögen, bzw. Ausstattungen hinzu, soll das Ich mit der konkreten Welt und anderen Ichen korrespondieren können. Ein reiner Nur-Geist kann sich nur in „rein geistigem" Selbstbewußtsein befinden; wendet die Subjektivität sich aber einer Welt zu und vergibt sie sich sogar in Subjekten in sie hinein, so muß sie sich dem Stil der betreffenden Welt entsprechend ausstatten. Eine weltlebende Subjektivität ohne „Vermögen" wäre ein „transzendentaler Kaspar Hauser". „Zu mir gehört . . . ein Untergrund von Erlebnissen und ein Untergrund von Natur (,meine Natur'), die sich in dem Getriebe der Erlebnisse bekundet. Diese Natur ist das niedere Seelische, reicht aber auch in die Sphäre der Stellungnahmen hinein: das stellungnehmende Ich. ist υοη der Unterlage abhängig ..." (Husserl 15, 280) Die große Differenz innerhalb der subjektiven Zusammenhänge, auf die 288

die phänomenologische Reduktion aufmerksam macht, besteht — wie angedeutet — zwischen 1. der transzendentalen Subjektivität, die sich zur transzendentalen Intersubjektivität ausweitet und dann zur absoluten, nicht mehr egologischen Subjektivität mit ihren transzendentalen Potenzen und 2. dem individuellen Subjekt in der Gestalt des Menschenich, „der menschlichen Person und Personengemeinschaft, mit ihren psychischen Erlebnissen im psychologischen Sinne, Bestandstücken der objektiven Welt, in psychophysisch-induktivem Zusammenhang mit den der Welt zugehörigen physischen Leiblichkeiten". (Husserl 9, 223) Nur vor dem Hintergrund personaler Subjekte, als der konkreten Zentren von Akten, die, wenn sie vollzogen werden, zugleich auch bewußt sind, kann man mit vollem Recht Iche ansetzen; das „Ich" ist ja der weltliche Ausdruck der innerhalb einer Person zu konkretem, weltlich beschränktem Selbstbewußtsein gelangten Subjektivität. Dabei gilt es aber, Folgendes zu beachten: Ob man nun vom Ich der Menschen-Person der natürlichen Einstellung spricht oder vom transzendentalen ego der Monade, in keinem Fall ist ein konkretes ego eine „leere" Einheit, bloß ein Schema eines ego; das gilt für das Ich der natürlichen Einstellung ebenso wie für das der phänomenologisch reduzierten: auch ein transzendentales ego ist, wenn es ohne Habitualitäten gedacht wird, nicht ein konkretes, sondern ein eidetisch reines. Was aber ein Eidos ist, kann zwar apriorisch-begrifflich verwendet werden, aber es fungiert selbst in keiner Weise. Und daraus ergibt sich ohne weiteres, daß alle Rede von einem eidetisch-generell gedachten „transzendentalen ego" ein Notbehelf ist, der bei der Ausgestaltung der Phänomenologie zwar unerläßlich ist, dessen nur-methodischer Bedeutung man sich aber vergewissert haben muß: das eidetisch gefaßte transzendentale ego ist nicht das fungierende Absolutum der Subjektivität, sondern nur eine begriffliche Fixierung auf dem Rückzug der Reduktion in die Subjektivität. Streng genommen ist es überdies auch so, daß ein ego als individuierte Subjektivität nicht im Vollsinne transzendental sein kann, und was transzendental ist, also die Möglichkeit der Erfahrbarkeit betrifft oder ausmacht, kann nicht irgendwie konkret sein. Die Welt und alles Weltliche konstituiert sich zwar durch transzendentale Leistung, aber deshalb konstituiere ich — als singulare Erscheinung — die Welt nicht, sondern bin selbst konstituiert, u. z. nicht „auf eigenen Entschluß" hin. Auch der Ich-Sinn der selbstbewußten individuierten Subjektivität ist ein konstitutives Produkt. Zwar gilt auch: „Ich, das transzendentale Ego', bin das allem Weltlichen .vorausgehende', als das Ich nämlich, in dessen Bewußtseinsleben sich die Welt als intentionale Einheit allererst konstituiert." (Husserl 9, 211) Unter Berufung auf den Sinn solcher und ähnlicher Sätze ist öfters argumentiert worden, daß Husserl eben doch ein typisch 289 19

Drüe

Fichte'sdier Bewußtseinsphilosoph sei. Diese Behauptung stimmt nicht: Das transzendentale ego ist nur die Gelegenheit, „worin die Welt mit all ihrem Physischen und Psydiisdien sich für mich [!!] konstituiert". (Husserl 9, 211) Durch das transzendentale ego als ego wird also ursprünglich gar nicht der Vorgang der Konstitution veranlaßt, sondern nur dem Konstituierten die „Für-mich"-Geltung verliehen. Das ego als ego hat also nur in Hinsicht auf die Konstitution des „Für-Bewußtsein"-Gharakters der Gegenständlichkeiten transzendentale Fähigkeiten. Es kann also zwar nicht für ein Subjekt, das Selbstbewußtsein hat, insofern es ein solches Subjekt ist, etwas konstituiert werden, ohne daß das diesem Subjekt einwohnende transzendentale ego, als die Potenz des subjektiven Selbstbewußtseins, daran beteiligt ist. Ein Subjekt aber, das kein Selbstbewußtsein hat, ζ. B. ein niederes Tier, konstituiert seine Leistungen selbstverständlich ohne ein transzendentales ego. Konstitutive Leistungen kommen also auch als nichtichliche zustande, sie haben als solche nur eben nicht den Charakter des „Für-Bewußtsein-Seins". Zum bloßen Vollzuge konstitutiver Leistungen gehört demnach unbedingt nur fungierende Subjektivität, sie braucht aber nicht egologisch zentriert zu sein. Konstitution unter Teilnahme eines transzendentalen ego ist — transzendental gesehen — also gerade nicht der Normalfall der Konstitution, sondern ein Sonderfall, obgleich es sich vom „normalen Menschen" aus gesehen genau umgekehrt verhalten mag. Daß die Welt und ihre Einzelheiten sich in subjektivem Leben konstituieren, im transzendentalen Leben von cogitationes natürlich, kann also nicht heißen, daß die cogitationes zu solchen Leistungen nur auf Grund der Tatsache, daß sie cogitationes eines ego sind, im Stande sind. Man kann sich sogar leicht überzeugen, daß zu konstitutiven Leistungen prinzipiell ein ego überhaupt nicht notwendig ist. Üben nicht der Säugling, der Imbezille — als transzendental-subjektive Einheiten — auch schon konstitutive Leistungen? Und wenn sie dies tun, was unbestreitbar ist, sind dies Leistungen eines ego? Da dies anzunehmen unsinnig ist, bleibt nichts anderes übrig, als sich der hier notwendigen Einsicht nicht zu verschließen: daß nämlich die Konstitutionen letztlich die transzendentale Subjektivität, zwar wirkend in Individuen, tätigt, aber nicht jeweilig „ein" transzendentales ego. "Transzendentales ego", das kann also nur heißen: Wirken der transzendentalen Subjektivität bei Gelegenheit eines selbstbewußten Subjekts; nur wenn man sich über dieses Verhältnis im klaren ist, darf man abkürzend von „transzendentalem ego" sprechen. Man muß wissen, daß der Begriff der „Konstitution" den· Begriff eines „ego" transzendental nicht voraussetzt. Das transzendentale Leben ist ursprünglich kein ichliches, und alle transzendentalen Leistungen erweisen sich in radikaler Ursprungsklärung 290

als letztlich nicht-ichliche, obschon viele sich nur bei Gelegenheit eines Ich! (dem Ich des normalen Vollmenschen) ereignen. — Man vergegenwärtige sich Folgendes: Das transzendentale, absolute, nicht mehr personal-subjektive Leben (der Gegenstand der Psychologie fünfter Stufe) ist nicht identisch mit dem transzendentalen Individuum (dem Gegenstand der Psychologie vierter Stufe), dieses nicht mit dem reinen Ich, dem nicht-transzendentalen Eidos „ego" (dem Gegenstand der Psychologie dritter Stufe), dieses nicht mit dem konkreten, aber von seiner leiblichen Fundierung losgelösten Ich (dem Gegenstand der Psychologie zweiter Stufe) und dieses schließlich nicht mit dem empirischen Ich des psychophysischen Menschen (dem Gegenstand der Psychologie erster Stufe). Man kann also vereinfachend sagen: das naive Ich ist transzendentales Leben im Modus der natürlichen Auffassung, das transzendentale ego aber ist transzendentale Subjektivität in (reduziert gesehener) individueller Vereinzelung und ist, was es ist, nur als transzendental-genetisches Erzeugnis, und auch seine Leistungen sind also letztlich („radikal") nicht ichliche, sondern ur-transzendentale. „Ich weiß, daß zu mir . . . unabtrennbar eine konstituierende Gegenseite gehört und damit erst meine volle Konkretion herstellt; ich weiß von dieser ganzen Dimension ins Endlose reichender, miteinander durchgängig verwobener transzendentaler Funktionen." (Husserl 17, 214) Da nun von einem Subjekt transzendentale Leistungen vollzogen werden können, ohne daß gleichzeitig ihre transzendental-konstituierende Bedeutung erkannt wird, ist es auch unbedingt nötig, methodisch zwischen einerseits dem Subjekt als transzendentalem Leistungszentrum, also als Zentrum der konstituierenden Subjektivität, die in jeder der genannten fünf subjektiven Konkretionsstufen — erkannt oder unerkannt — tätig ist, und andererseits der transzendental phänomenologisierenden Egologie des Phänomenologen, die die Anonymität der transzendentalen Problemdimensionen angeht und aufschließt, zu unterscheiden. Das transzendentale Leben wird in den Konkretionen der bezeichneten Stufen konstituierend tätig, „es lebt sich in ihnen aus"; erst infolge der Bemühung prinzipieller und radikaler Reflexion wird dann aus der nur „blindlings" konstituierenden Subjektivität eine auch phänomenologisierende, die sich selbst zu verstehen sucht. (Prinzipiell sind natürlich die Phänomenalisierungen auch Konstitutionen.) Die transzendentale Durchforschung der subjektiven und der ichlichen Problematik gibt dem phänomenologisierenden Ich, das sich als transzendental individuierte Subjektivität durchschaut, die Gelegenheit besserer Selbsterkenntnis, aber nicht irgendwie mehr an transzendentaler Macht, und zwar deshalb nicht, weil das transzendentale Leben eben in jeder weltlichen Wirkweise beschränkt ist, und auch dadurch, daß es sich dieser Beschränkung bewußt wird, an der Beschränkung selbst nichts zu ändern 291 19·

vermag. Die transzendentale Philosophie gibt so definitiv das Wissen, daß, wie es seit jeher vermutet wurde, auch eine radikalere subjektive Selbstbesinnung als alle historisch vorangegangenen Varianten dieser Absicht in der Philosophie dem Besinnungsträger nicht mehr an Mitteln zur Weltbeherrschung oder an Konstitutionsvermögen zu geben vermag, als er vor der Besinnung schon besaß. Insofern die Phänomenologie also Wissenchaft zu sein und Wissen zu geben beansprucht, ist sie zugleich die heftigste Gegnerin der Formel „Wissen ist Macht". Eine durchaus praktische Bedeutung kommt der transzendentalen Phänomenologie jedoch zu: Sie enthüllt an Hand der Betrachtung der subjektiven Problematik den geschichtlichen Gang der weltlebenden Subjektivität, sie klärt die Subjektivität über die Geschichte ihrer Veräußerlichungen auf: „Ich bin ja als transzendentales Ich dasselbe, das in der Weltlichkeit menschliches Ich ist. Was in der Menschlichkeit mir verdeckt war, enthülle ich in transzendentaler Forschung. Sie ist selbst ein weltgeschichtlicher Prozeß, sofern sie die Geschichte der Konstitution der Welt selbst nicht nur um eine neue Wissenschaft bereichert, sondern den Inhalt der Welt in allem und jedem bereichert; alles Weltliche hat seine transzendentalen Korrelate, es sind mit jeder neuen Enthüllung für den Menschenforscher, den Psychologen, neue Bestimmungen des Menschen in der Welt . . . . Das alles ist evident, und doch paradox für uns alle, die wir in den alten Denkgewohnheiten der Jahrhunderte und zum Teil der Jahrtausende erzogen sind." (Husserl 17, 267 f.) Auch innerhalb der transzendentalen Dimension der Phänomenologie ist die zweifellos thematisch primäre Forschungsrichtung die noematische; d. h. zunächst bleibt auch innerhalb der Reduktion das Interesse der Forschung an „nicht-subjektiven" Phänomenen ausgerichtet, an objektiven Individual- und Allgemeinphänomenen. In der Idee der phänomenologischen Reduktion ist ja auch nichts enthalten, woraus man entnehmen müßte, daß die Beschreibungsrichtung innerhalb der Reduktion eine nur-reflexive, eine sich nur mit der subjektiven Problematik beschäftigende, sein müßte. Die Reduktion hebt die Intentionalität in all ihren Dimensionen nicht auf, betont sie vielmehr durch ihre diesbezügliche exakte Formel ego-cogitocogitatum. Als cogitata von ausgezeichneter Stellung aber können die Gegenstandsphänomene gelten, denen sich alle anderen Klassen von Phänomenen anschließen. „Von da ging es zurück zu den tieferliegenden Erscheinungen in einem neuen Sinn, in dem dieses Gegenständliche . . . im subjektiven Wie erscheint, ζ. B. die perspektivischen Anblicke oder die entsprechenden Zeitperspektiven, in denen sich das Zeitliche als solches konstituiert" (Husserl Ms. 53, 150 a f.), eventuell natürlich als Zeit für nicht-ichliches subjektives Bewußtsein, wie ζ. B. beim Säugling usw.. Die die transzendental-phänomenologische Reflexion zum Vollzug bringende Anstrengung ist aber nicht unbedingt an diese übliche Route gebunden. 292

Statt die Richtung der Forschung von den noematischen Gegenstandspolen aus zu den zugehörigen Erscheinungsweisen sich wenden zu lassen, um, getrennt davon, danach erst zur Betrachtung des subjektiven Verhaltens in den noetischen Vollzügen überzugehen, kann die noetische Betrachtung auch unmittelbar mit der Betrachtung des Verhaltens des Subjektzentrums in den noetischen Vorgängen gekoppelt werden. Dann stellt sich heraus, daß das konkrete Subjekt sich genetisch als gewissermaßen „rückwärtiges" Polsystem seiner konstituierenden Vollzüge ausbildet, während deren „vorwärtige" Ergebnisse die intentionalen cogitata sind. Bekanntlich ergibt sich ja auf der Seite des Noema unter der Überschrift eines x-beliebigen seienden Gegenstandes durch die synthetisch fortschreitende Verdichtung der „Außenseite" der gegenstandsinteressierten Konstitutionen eine entsprechende Poleinheit, ein eben sinnvoller Gegenstand, und unzählige solcher sinnvollen gegenstandspoligen Einheiten verdichten sich zur jeweiligen Erfahrungswelt ihres sie stiftenden Subjekts. Diesen „Außenzentrierungen" der individuell wirkenden Intentionalität entspricht „innen" aber auch jeweils eine Poleinheit: „Von jedem, was sich geradehin als ein Gegenstand gibt, führt nicht nur die Reflexion auf konstituierende Erlebnisse, in denen der Gegenstand als Pol sich konstituiert, sondern jederzeit ist eine Reflexion möglich auf das identische Ich." (Husserl Ms. 53, 150 b) Dieses Ich ist der Rezeptor aller seiner Erlebnisse, und nur es kann seine Erlebnisse haben, und kein anderes Ich kann es dabei vertreten; und sofern dieses Ich der subjektiv erlebende Einheitspol seiner Intentionalitäten ist, ist es selbst, darin unvertretbar, der Einheitsstifter seiner noematischen Poleinheiten als der für es geltenden Sinneinheiten. Es ist klar, daß diese Aufgabe dem Ich nicht abgenommen werden kann, da nur es seine Erlebnisse als seine haben kann, obwohl es selbst originär kein Erlebnis ist. Sowohl das Ich als auch der (sog. reale) Gegenstand sind gegenüber dem Erlebnis irreell, es transzendierend, denn — was den Gegenstand anbelangt -— die gesamte Fülle aller Sinnuancen eines Gegenstandssinnes kann, wie schon öfters gesagt, nicht in einer einzelnen perspektivierenden Abschattung — in einem Erlebnis — erscheinen. Vielmehr trifft es für jeden Gegenstand zu, daß er in auseinanderliegenden Erlebnissen auch verschiedenartig aktualisiert werden kann; er kann also auf keinen Fall in einem singulären Erlebnis ganz aufgehen. (Bekanntlich war die Feststellung und Aufrollung der Problematik dieses Sachverhalts mitbestimmend für Husserls Invektive gegen den Psychologismus.) Und für die Irrealität des Ich gilt: „Andererseits, auch das Ich ist im reellen Strom der Erlebnisse nicht zu finden, weder als Erlebnis, noch als Teil, als reelles Moment der Erlebnisse. Ich, der ich jetzt wahrnehme und diese Wahrnehmung vollziehe, bin identisch derselbe, der ich mich in der Wiedererinnerung finde, als das Ich, das das Vergangene wahrgenommen hat." 293

(Husserl Ms. 53,151 a) In einer diesen Verhältnissen gerecht werdenden Reflexion läßt sich also die Identität des Ich als Identität, die sich in allen ichlichen Erlebnissen durchhält, evident feststellen; in der Reflexion ergibt sich, daß auch das nicht ausdrücklich auf sich reflektierende Ich in dem Sinne ein identisches ist und bleibt, daß es sich als Träger aller seiner Erlebnisse weiß. Das Ich ist das identische subjektive Zentrum für alles, was ihm gegenständlich werden kann, auch für die in der Reflexion auf es selbst sich ihm ergebende Gegenständlichkeit des „Mich" als des Begriffs des Ich. Das Ich als identische Poleinheit erhält sich als identisch ungebrochenes, obschon zeitweilig, ζ. B. durch Schlaf, Ohnmacht usw. unterbrochenes, durch den ganzen Erlebnisstrom eines Subjekts hindurch, solange ein identisches Subjekt überhaupt ein Ich hat. Jedenfalls gibt es kein Subjekt mit etwa alternierenden Ichen. Auf die Erhaltung der Kontinuität seines Ich braucht ein Subjekt keine Mühe zu verwenden. Dieses seine unaufhebbare Kongruenz mit sich selbst erweisende Ich ist natürlich letztlich nicht das sich bald bereichernde, bald verarmende Ich des Vollmenschen, sondern die Konkretion dieses letztgenannten Ich ist hier reseziert auf das, was der Rede vom Ich ihren primären Sinn gibt: auf das Seiner-selbst-Bewußtsein eines subjektiven Poles. Das Ich des konkreten Weltmenschen ist aber ein Ich, das nicht meditativ in einem in dieser Weise gearteten puren Selbstbewußtsein verharrt, sondern ein solches, das Aktionen tätigt und Affektionen erleidet; es ist waches, weltlebendes, d. h. mit der Welt korrespondierendes Ich. Es ist das Ich, „das im Strom der Erlebnisse nur darum sein Leben hat, einerseits weil es in diesen als intentionalen Intentionen übt, also auf ihre intentionalen Gegenständlichkeiten gerichtet i s t . . . , und andererseits, weil es von diesen Gegenständlichkeiten Reiz erfährt". (Husserl Ms. 53,151 b) Die Thematisierung der konstitutiven Verhältnisse ergibt zunächst, daß sich bei Gelegenheit von Ichen durch das Wirken der Subjektivität Seiendes konstituiert als Sinn für ichliche Subjektivität. (Das schließt natürlich nicht aus, daß — wie es tatsächlich der Fall ist — die Subjektivität auch als nicht-ichlich leistende fungieren kann.) In der sich hier thematisch anschließenden egologischen Betrachtungsweise ist nun jedoch weiterhin zu klären, ob etwas und was alles mittelbar oder unmittelbar als Folge solcher ichlichen konstitutiven Vollzüge mit dem Ich selbst geschieht. Daß sich hier tatsächlich auch etwas ereignet, wird wohl immer mit ziemlichem Recht vermutet, denn schon in nur weltlicher Reflexion macht man ja die Erfahrung, daß sich bei Gelegenheit von weltzugewandten ichlichen Vollzügen auch — u. z. unbeabsichtigt — einiges am konkreten Ich verändern kann. Was dieses „einiges" ist, muß jedoch noch geklärt werden. Im bisherigen Gang der Untersuchung der konstitutiven Verhältnisse war das Ich zunächst thematisiert worden als ein durch entsprechende Reflexion (die an das im Ich sich ausdrückende Selbstbewußtsein der individuierten Sub294

jektivität anknüpft) aufweisbarer Welt-Quellpunkt von konstitutiven Leistungen der transzendentalen Subjektivität; nun ist aber auch danach zu fragen, welche ich-modifizierende Wandlung der Vollzug von Konstitutionen subjektiv bewirkt. Das konkrete Ich bleibt nämlich im Vollzug seiner Aktivitäten kein unveränderbarer bloßer Identitätspol ( = von Husserl häufig verwandter Ausdruck für das eidetisch gefaßte Pölich der phänomenologischen Reduktion) oder ein bloßes reines Ich ( = Ausdruck für das Polich der eidetisdien Reduktion), sondern „so wie ein Gegenstandspol mit Fortgang von seinen Erscheinungen zu immer neuen einstimmig synthetisch sich anknüpfenden Erscheinungen numerisch-identisch derselbe ist, aber dabei doch als sich immer neu durch immer neue Gegenstandsgehalte bestimmend, [und so] Niederschläge dieser Bestimmungen von nun ab weiter in sich trägt, so ähnlich für das Ich. . . . [es] ist nicht ein leerer ideeller Polpunkt, bloß bestimmt als Schnittpunkt der aus ihm herausströmenden und dann vorgegebenen Aktivitäten; sondern eben damit in eins Pol von entsprechenden Habitualitäten". (Husserl Ms. 53, 153 a) Das „reine Ich" und das „Ich als Identitätspol", das sind methodisch nützliche Abstraktionen auf dem Wege zum Verständnis des Schemas der Intentionalität und der konstitutiven Leistungen der Subjektivität als Leistungen, die sich auf einen Subjektpol, der im hier gegebenen Falle ein Ichpol ist, hin ordnen; diese Abstraktionsresultate sind aber nicht identisch mit dem vollen konkreten Ich eines Weltmenschen, seinem Person-Ich (in reduzierter Einstellung: der Monade). Diese Abstraktionsiche stehen vielmehr im Dienst der Gewinnung gesetzlicher Wesensbeziehungen; sie bezeichnen das identische Schema eines reinen Selbstbewußtseins, das Eidos eines „Ich". Sie bezeichnen also nicht konkret bewußt lebende Subjektivität, sondern deren wesensmäßige Struktur. — Vollzieht man die phänomenologische Reduktion, so ändert das am vollen Sinnbestand der thematisierten Phänomene, also auch an dem einer in solcher Weise thematisierten Ich-Einheit, bekanntlich nichts; es wird vielmehr hierdurch nur der Geltungsanspruch des weltlebenden Ich, ein real seiendes Welt-Ich zu sein, als ein bloßes Geltungsphänomen aufgefaßt. (Im Gegensatz zur eidetischen Reduktion hebt die phänomenologische Reduktion den Individualcharakter ihrer Phänomene also nicht eo ipso auf.) „Enthalte ich mich . . . jedes Erfahrungsglaubens, so daß für mich das Sein der Erfahrungswelt außer Geltung bleibt, so ist doch dieses Mich-Enthalten, was es ist und es ist mitsamt dem ganzen Strom des erfahrenden Lebens. Und zwar ist es für mich beständig da, beständig ist es nach einem Gegenwartsfelde wahrnehmungsmäßig bewußt in ursprünglichster Originalität, es als es selbst. . . . Jederzeit kann ich reflektierend besondere aufmerkende Blicke auf dieses ursprüngliche Leben richten, Gegenwärtiges als Gegenwärtiges, Vergangenes als Vergangenes, als wie es selbst ist, erfassen." (Husserl 12, 59) 295

Nur zu einem einzigen Zeitpunkt seiner Existenz ist das konkrete Ich zugleich auch ein reines Ich; nämlich nur wenn das drei- oder vierjährige Kind zum erstenmal überhaupt zur bewußten Apperzeption seiner selbst vorstößt, indem es sich als „Ich" erfaßt, nur dann ist es als weltlebendes, als konkretes Ich zum einzigen Mal zugleich auch ein leerer Ithpol, aber auch nur im einmaligen Moment dieses seines Ich-Erwachens: Ein gerade erst welterwachendes Ich hat als Ich selbst noch keine Habitualitäten, es ist ein noch un-gezeichnetes Ich. Alsdann aber bleibt es für immer ein Ich mit ständig sich vermehrenden Habitualitäten, die sich proportional zu seinem Erleben anreichem und ausformen, das Ich-Subjekt zum „individuell geprägten" machen. Bevor das Subjekt aber im Ich zum Einsatz seines beginnenden Selbstverständnisses kommt, ist es auch schon Subjekt, hat als solches Erlebnisse, stiftet Noemata und erwirbt Habitualitäten, ohne indessen ein Wissen davon zu haben. Objektivzeitlich können sich an einem Menschensubjekt also schon Habitualitäten ausgeformt haben, ehe es zum Ich erwacht ist: Auch Kleinstkinder (Monaden im dumpfen Zustande vor dem Beginn des Welterwachens), die ja auch notwendig ihre cogitationes (wenn man so sagen kann) als ihre eigenen haben, ohne daß indessen ihnen diese Eigenheit bewußt wäre, was ja nicht möglich ist, da sie noch kein Ich haben, haben schon gewisse individuelle Gewohnheiten, die der weltliche Ausdruck von Habitualitäten sind. In der Formel ego-cogitocogitatum ist also das cogito notwendig das transzendental erste und geht somit dem ego transzendental voran. Das ego ist der Ausdrude des weltlichen Zu-sich-selbst-gekommen-seins der transzendentalen Subjektivität in individueller Gestalt; es ist die Anzeige des Vermögens der Reflexion. Reflektiert werden aber kann prinzipiell nur auf etwas, das vorgängig konstituiert wurde; Reflexion setzt Konstitution voraus; die cogitatio muß notwendig dem ego vorangehen: Auch das Zu-sich-kommen der individuierten Subjektivität im Ich ist natürlich eine transzendentale Leistung, aber es kann keine ichliche sein, da durch diese Leistung ja überhaupt erst ein Ich konstituiert wird. Der Prozeß der Individuation der Subjektivität bis hin zum konkreten Ich dürfte sich durch folgende Formel einer transzendentalen Reihenfolge ausdrücken lassen: absolute Subjektivität durch Individuation > individuierte Subjektivität; daraus durch Zu-sich-kommen der individuierten Subjektivität im menschlichen Kinde -> konkretes Ich. (Diese Reihenfolge ist transzendental-genetisch und nicht natural-genetisch zu verstehen.) So ist das Ich der Ausdruck des in der Verweltlichung „beschränkten Bewußtseins" der Subjektivität, und insofern ist das Ich, das doch Habitualitäten als eigene Ausstattungen erwerben und mit sich führen kann, selbst wieder eine Habitualität: nämlich als weltlich beschränktes Reflexionsorgan der verweltlichten Subjektivität. Im Ich ge296

winnt und schafft sich die Subjektivität die Möglichkeit zur Reflexion auf ihr eigenes Wesen; vom reflektierenden Ich aus wird die transzendentale Regression angestrengt. Das Ich ist der Ort der Geschiditlichwerdung der Subjektivität, und es ist selbst fortlaufend das Erzeugnis seiner Geschichte; es ist der Ertrag der subjektiven Niederschläge aller bewußten Erlebnisse seines Subjektzentrums: „Das Ich hat keine sachlichen Eigenschaften, es hat ausschließlich Sosein als Subjekt selbstgestifteter Uberzeugungen..." (Husserl Ms. 53,153 b) cc)

Die Genesis der

Habitualitäten

Im Alltagsleben gibt es eine allbekannte psychologische Sachlage: Jedes subjektive Individuum, jeder Mensch hat einen Charakter, verstanden als den Inbegriff seiner ihm aus den Ergebnissen seiner vergangenen Erlebnisse und evtl. aus seinen „angeborenen Anlagen" zuwachsenden Möglichkeiten für künftiges Verhalten. Jedes Individuum hat aber nicht nur diesen seinen Charakter, sondern auch eine bestimmte „Meinimg" von sich, in der es sich in der Regel über seinen Charakter täuscht, indem es sich ζ. B. mehr oder weniger zutraut, als es tatsächlich vermag, sich mehr oder weniger dünkt, als es tatsächlich ist. Die aus dieser Differenz leichterweise zu ziehende Folgerung besagt: das Ich kann nicht im bewußten Vollbesitz aller Erlebnisniederschläge der Erlebnisse seines monadischen Subjekts und der sich daraus ergebenden Charakterausformungen sein, denn sonst könnte es sich nicht über die Charakterkonkretion seines Subjekts täuschen. Da oben schon angedeutet wurde, daß durchaus nicht alle Erlebnisse eines Subjekts von einem ichlichen Bewußtsein registriert werden müssen (was der Kantischen Behauptung nicht widerspricht, daß nämlich alle meine Vorstellungen, aber natürlich nur, insofern sie auch tatsächlich beicußt meine eigenen Vorstellungen sind, vom Ich begleitet sein müssen), ist die Existenz dieser Tatsache kein prinzipielles Rätsel mehr. Zweierlei ist also der Charakter ( = die Gesamtheit der verhaltensbestimmenden Habitualitäten) eines Individuums und das Wissen des Ich davon. Das kritische Durchdenken dieser unbezweifelbaren Sachlage führt zu bedeutsamen Folgerungen im Wissen um die genetische Ausformung der konkreten Person, besonders dann, wenn man überlegt, was es bedeutet, daß, wie sich zeigen wird, das Wissen, die Meinung des Ich über sich und die konkrete Gestalt der individuellen Person selbst völlig verschiedene genetische Bildungsweisen haben. Für die Genesis der Meinungen gilt: „Alle Meinungen, die ich von mir selbst habe, stammen aus Selbstapperzeptionen, Erfahrungen und Urteilen, die ich reflexiv auf mich selbst gerichtet und mit einfühlenden Apperzeptionen im Konnex mit Anderen übernommen habe. Ich vollziehe also Selbstvergegenständlichung und kann es in immer neuer Stufe. So wie Dingliches, Nicht-ichliches in jeder schlich297

ten Wahrnehmung, so bin ich in jeder schlichten Selbstwahrnehmung schon mit einem objektiven apperzeptiven Sinn ausgestattet, der immer schon seine apperceptive Geschichte hat." (Husserl Ms. 55, 70 f.) „Selbsterkenntnis" (und natürlich auch „Selbsttäuschung") als Meinungen des Ich über sich, seinen Charakter usw. werden also in bewußten reflexiven Vollzügen gewonnen. Die Entstehung solcher Meinungen ist also relativ einfach aufzuklären; schwierig wird die Sachlage erst, wenn man auf die Entstehung des in derartigen Meinungen Gemeinten selbst rekurriert. Offenbar darf nämlich — soll durch eine solche Meinung irgendeine bestimmte psychische Ausformung, ζ. B. eine Gemütsartung originär erfaßt werden (evtl. natürlich in verfälschender oder unrichtiger Weise, was aber der Originalität des Erfaßten keinen prinzipiellen Abbruch tut), und sollen so nicht nur immer schon reflektierte Meinungen erfaßt werden und so in infinitum — das Ich eine Meinung oder ein Urteil über bestimmte Differenzierungen seiner individuellen Ausprägung letztlich nur auf etwas gründen, das originär nicht Gegenstand und Erzeugnis einer Reflexion ist, d. h. seine Existenz nicht einer reflexiven Konstitution verdankt; denn letzteres anzunehmen hieße, daß das Ich, wenn es subjekterfassende Meinungen hat, Meinungen immer nur von Meinungen habe, während es doch Meinungen von sich als wirklich so und so gewordenem haben soll. Diese Meinungen mögen also evtl. verfälschen oder überhaupt nur einen geringen Gehalt haben; was in ihnen gemeint wird, kann ursprünglich nicht nur Reflexionsgut sein. Wenn die individuelle Person in ihrer vollen konkreten Einheit nämlich nur ein additives Produkt aus ausdrücklichen Konstitutionen wäre und sich auch selbst als solches erfaßte, dann wäre sie die objektive Geschichte ihrer Leistungen und erfaßte sich auch als das. Es bestände keine genetische Differenz zwischen der vollen Realität der Person und dem ichlichen Wissen von ihr selbst: Das subjektive Individuum wäre, da seine Genesis sich von der eines objektiven Gegenstandes überhaupt nicht unterschiede, nach Art eines „objektiven" Geschichtsgegenstandes zu interpretieren. So liegen die Verhältnisse aber nicht. In Wirklichkeit ist nämlich die Person nicht die objektive, sondern die subjektive, ihr selbst zunächst verborgen bleibende Geschichte ihrer Leistungsvollzüge: Das subjektive Individuum geht nicht darin auf, nur aktiv konstituierendes Subjektivitätszentrum zu sein und sich selbst auch so aktiv zu konstituieren. Es macht sich nämlich nicht selbst, sondern es wird passiv in seinem Erleben. Aus keiner seiner aktiven Unternehmungen geht es unverändert hervor. Ein Subjekt ist keine pure Leistungsmaschine, die blindlings und ohne Veränderung „darauflos arbeitet", sondern es wird zugleich vom Gesamt dieses Tuns selbst passiv geprägt. Das gilt für ichliche wie für nicht-ichliche Subjekte. Wenn das Subjekt aber ichliches Subjekt ist, so gilt außerdem: Bei dieser Prägung überwiegt „effektiv" der subjektive unwillkürliche Prägungseffekt der konstitutiven Vollzüge das die 298

Konstitutionen begleitende ichliche Wissen um ihre subjektive Bedeutung. (Man täuscht sich ja bekanntlich meistens über den wirklichen Effekt des Erlebten für die eigene Persönlichkeit.) Ein ichliches Subjekt weiß also zwar — sofern es eben ichliches Subjekt ist — auch von seinen Konstitutionen, d. h. das Ich muß — in seiner Funktion als Bewußtsein der individuierten Subjektivität — bei den von ihm registrierten Konstitutionen ein diese Konstitutionen erlebendes und behaltendes Ich sein; trotzdem aber gilt: einerseits das Ereignis eines konstitutiven Geschehens nur als Ereignis zu erleben und andererseits die Bedeutung eines konstitutiven Vollzuges in seiner subjektmodifizierenden Wirkungsweise zu erfassen, ist ja wohl etwas beträchtlich Verschiedenes. Das Ich erlebt also alle seine Erlebnisse, u. z. notwendig, aber es erfährt nicht unmittelbar die an ihm durch die Erlebnisse bewirkte Modifikation und Bereicherung, und es erfährt ohne ausdrückliche Reflexion nichts vom transzendentalen Charakter seiner Erlebnisse. Es braucht einfach in seiner „natürlichen" Ich-Existenz nicht zu wissen, daß das, was es da erlebt, in Bezug auf das intentionale „Draußen" die Bedeutung transzendentaler Konstitutionen und in Bezug auf den Subjektpol des Geschehens die Bedeutung passiv-unbemerkter Bereicherungsgenesen hat. (Solange die individuiert wirkende transzendentale Subjektivität aber nicht die Gestalt des Ich angenommen hat (also etwa als Foetus, als Säugling), solange weiß sie überhaupt nichts von den Weltbedeutungen ihrer Konstitutionen, da sie erst im Ich zum weltlichen Bewußtsein ihrer selbst und somit erst in ihm zu einem echten Weltbewußtsein erwacht, obschon sie natürlich auch ohne ichliches Bewußtsein, wie ζ. B. im (nun schon öfter bemühten) Säugling, tätig ist.) In Anbetracht dieser Sachlage muß man bei der Behauptung bleiben: Das Ich ist die Anzeige, daß die individuierte Subjektivität zu weltlichem, geschichtlichem Selbstbewußtsein gelangt ist. Erst im Ich wird die Monade, die individuierte Subjektivität, zum geschichtlichen Wesen. Auch sofern die Monade als noch-ichlose Einheit Habitualitäten erwirbt, vermögen diese subjektiven Bereicherungen die Geschichtslosigkeit der Monade nicht aufzuheben. Das Tier, der Embryo, der Säugling, dann wieder der Entschlafende: sie alle sind ichlose Monaden und deshalb („noch" oder „schon wieder") ungeschichtliche Subjektivitätszentren. Erst ein Ich-Akt ist die geschichtliche Gestalt eines konstitutiven Vollzuges; schon der Säugling hat zwar in seiner dumpfen Zeitlichkeit als transzendentale Monade die „Fähigkeit" zu konstitutiven Leistungen, aber erst den cogitativen Vorkommnissen, die ein „Ich denke" begleiten kann, wird man die Gestalt von geschichtlichen Akten zusprechen, wenn immer ein geschichtliches Ereignis durch prinzipielle Erinnerbarkeit gekennzeichnet sein soll. Und zur Möglichkeit des „Ich denke" gehört nun einmal das individuelle „Ich", d. h. die mindest einmalig vollzogene Identifikation der Mo299

nade mit sich selbst im erstmaligen Vollzuge des „Ich bin Ich". (Bei Kindern hat dieser bedeutsame Vorgang natürlich eine ganz einfache Gestalt.) Wer aber — als „Wissender" — einmal Gelegenheit gehabt hat, den Umschlag des kindlichen „Hans will" oder „Willi mag nicht" — in welchem Zustande das Kind noch nur ein subjektives Es-als-es-selbst ist — in das „Ich will" oder „Ich mag nicht" zu erleben und es nicht stumpf hinnimmt, weiß, was es heißt: die individuierte Subjektivität wird im Ich geschichtlich. Geschichtswesen ist der Mensch also nicht auf Grund des Vollzuges der Korrespondenz zwischen Ichen, der Kommunikation, sondern auf Grund seines eigenen „Ich". Wenn die Weltgenesis des „Ich" aber für gewöhnlich interindividuelle Korrespondenz voraussetzt, so ist das eine faktische, nicht eine transzendentale Voraussetzung der Geschichtlichkeit des Menschen. — Wie schon angedeutet, ist es zur Ermöglichung der Existenz eines Subjekts absolut nicht notwendig, daß erstens die konstitutiven Leistungen des betreffenden Subjekts ununterbrochen von einem dazugehörigen ego erlebt werden, was ζ. B. beim normalen Menschen etwa — um nur etwas zu nennen — für die Konstitution des „Umdrehens im Bette während des Schlafens, des Atmens dabei usw." zutrifft, oder daß zweitens eine Monade überhaupt jemals ein ego hat, wie es ζ. B. bei total-idiotischen Monaden der Fall ist. Solche Monaden sind trotzdem subjektive Monaden, nur eben im strengen Sinne ungeschichtliche, solche „ohne Geschichte". Der Erlebnisfluß besteht bei derartigen, auf immer ungeschichtlichen Monaden in einem Aneinanderreihen von Erlebnisbildchen, die auftauchen, eine kurze und schwache Präsenzzeit haben und dann — unerinnerbar — für immer verschwinden. Und doch ist es unleugbar, daß auch solche Monaden je eigene, individuelle Gewohnheiten haben, auf Grund derer solche bedauernswerten Kreaturen durchaus und ohne weiteres als „gefräßig" oder „rabiat" usw. bezeichnet werden können, obwohl es unmöglich ist, daß diese Gewohnheiten solche eines Ich sind. Dem Fachmann sind die entsprechenden Vorkommnisse auch in allen Details vertraut: Es gibt ζ. B. Anstalts-Vollidioten, die ständig unruhig sind, wenn sie nicht ein bestimmtes Köfferchen mit Lumpen bei sich haben, und andere, die zu weinen beginnen, wenn man ihnen ihren glitzernden Glastand abnimmt usw.. Diese Idioten haben also unbezweifelbar sogar sehr differenzierte individuelle Gewohnheiten; sie haben aber nie einen Gedanken gefaßt, nie ein Wort gesprochen, nie nichtaffektiv reagiert. Es sind ichlose Monaden, deren Habitualitäten — deren weltlicher Ausdruck die Gewohnheiten sind — also nicht solche eines Ich, sondern solche des ichlosen Subjekts sind. Auch ichlose Monaden können also evidentermaßen Habitualitäten erwerben. Auf dieses Ergebnis hin gilt es nun, die Frage nach der Genesis der Habitualitäten der Vollmenschen genauer zu stellen. Zunächst steht fest: Schon als ichlose Monade — z.B. als Kleinstkind — kann der Mensch Habitualitäten erwerben. Aber auch 300

dann, wenn der Mensch ichliches Wesen geworden ist, kann er natürlich seine Gewohnheiten vermehren und verändern. Schließlich hört, wie die Alltagserfahrung eindringlich zeigt, ein Subjekt ja nicht damit auf, Habitualitäten zu erwerben, wenn es im Ich zu sich gekommen ist, wenngleich die Behauptung der Tiefenpsychologen, daß der Charakter eines Menschen im Alter von vier bis fünf Jahren im wesentlichen geprägt sei, auch nicht von vorneweg als unsinnig abzutun ist. — Es ist also noch genau zu klären, wie Habitualitäten überhaupt entstehen und wie sie entstehen, wenn das Subjekt im Ich zu sich gekommen ist. Mit der Betrachtung der letzteren Sachlage sei — wie sich ergeben wird: mit gutem Grund — angefangen. Die Betätigungen der als Ich fungierenden Subjektivität nennt man, wie gesagt, Akte. Indem jeder Akt aber originär erfahrender oder wiederholend erfahrender ist, ist „jeder Akt . . . Bewußtsein von etwas, aber jeder Akt ist auch bewußt. Jedes Erlebnis ist »empfunden', ist immanent .wahrgenommen' (inneres Bewußtsein), wenn auch natürlich nicht gesetzt, gemeint (wahrnehmen heißt hier nicht meinend zugewendet sein und erfassen). . . . jedes ,Erlebnis' im prägnanten Sinn ist innerlich wahrgenommen. Aber das innere Wahrnehmen ist nicht im selben Sinn ein ,Erlebnis'. Es ist nicht selbst wieder innerlich wahrgenommen." (Husserl 5, 481) Das Ich weiß also von allen seinen Akten, ohne besonders auf dieses Wissen achten zu müssen. Das Ich ist sich also des Vollzuges seiner Akte gewiß, ohne auf diese Tatsache intentionale Bemühungen richten zu müssen wie auf die Gegenstände der Akte. Nicht dasjenige aber, was es in einem jeweiligen Akt bewußt und deutlich erfährt, also der Aktgegenstand, sondern vielmehr der Vollzug des Aktes bestimmt und bereichert das Ich. Das konkrete Person-Ich ist nämlich nicht ein Ich, das „distanziert" nur von seinen Akten und ihren Inhalten weiß, sondern ein solches, das zwar seine Identität in allen seinen Vollzügen durchhält, aber dabei ständig und unfreiwillig durch das Erleben in seinem konkreten Bestände modifiziert wird. Als „Ich-Person" etwas erfahren heißt also nicht: einmal etwas mitbekommen, davon unberührt bleiben und es dann im „Wissensschrank" aufheben, sondern „erfahren" hat hier auch den Sinn von „erleiden": nämlich „im Erfahrungsvollzuge bestimmt werden". Das Ich ist so das Ich seiner Erleidungen; es ist das passive Produkt der von ihm ausgehenden und von ihm wegstrebenden Aktivitäten der Akte. Die ichlichen konstitutiven Vollzüge bewirken so ein doppeltes Ergebnis: Es wird erstens angestrebt, in ihnen gegenstandshafte objektive Einheiten herzustellen, zu verändern usw.. Es ist aber nicht möglich, daß dies geschieht, ohne das zweitens das Ich aus diesem Tun immer als ein solches hervorgeht, das dadurch, daß es in seiner transzendentalen Funktion auch als ein erlebendes Ich fungierte, selbst variiert wird, und folglich hinterher niemals mehr konkret dasjenige sein kann, das es vor dem Vollzug der 301

entsprechenden konstitutiven Leistung war: Das Ich-Subjekt wird bei Gelegenheit aller von ihm erlebten bzw. getätigten konstitutiven Leistungen selbst passiv verändert. Dies ist dadurch möglich, „daß das Ich . . . kontinuierlich als behaltend fungiert, . . . auf den Ichpol hin gehen die Affektionen, mehr oder minder vordringlich ziehen sie das Ich an, motivieren eventuell seine Zuwendung und eine eigentliche Aktivität. Das und ähnliches sind Anzeigen für die besonderen Tiefenanalysen des Ich als Ichpol." (.Husserl 17, 174) Man muß also in Bezug auf die Erlebnisse ein doppeltes „Behalten" derselben unterscheiden: Einmal wird der Erlebnistnhdt, die Objektseite der Erlebnisse, behalten; daraus erwächst cogitatives, gegenständliches Wissen. Dann aber wird auch das Erleben selbst behalten, u. z. nicht nur objektiv als „verflossener Vorgang", sondern auch subjektiv; daraus resultiert jedoch kein objektives Wissen, sondern subjektiv ein „passives Bestimmtwerden". Diese Art des Behaltens des Erlebens „verbraucht" sich und „stapelt" sich gewissermaßen in der Subjektmodifizierung, im subjektiven Erwerb von Eigenschaften, der selbst nicht wieder erlebt wird. Fungiert das Ich als in letzterer Weise passiv behaltend, so sind die aus diesem Behalten resultierenden Erwerbe von Eigenschaften natürlich primär solche des Ich und nicht solche des es fundierenden Subjekts oder der organischen Leiblichkeit. Die sog. „höheren geistigen Eigenschaften", die in unverlierbarer Weise dem Ich eines subjektiven Individuums zugehören, dürften also in der reduzierten Einstellung als solche ichlichen Habitualitäten zu kennzeichnen sein, also beispielsweise etwa die Fähigkeiten zu moralischen Überzeugungen. Ichlose Subjekte (wie Tiere, Vollidioten, Säuglinge) haben keine solchen Eigenschaften; ein „gewissenhafter Säugling", ein „überzeugungsfreudiger Idiot", ein „bescheidener Regenwurm": das sind lauter contradictiones in adjectis. Andererseits die Habitualitäten, die die „niederen seelischen Eigenschaften" vorstellen, dürften als Habitualitäten des nichtichlichen Subjektanteils der Monade (und nicht als solche des Ich) zu kennzeichnen sein; sie setzen kein Ich voraus: auch der Säugling, der Idiot usw. haben Triebe, Fähigkeiten zur Empfindung und wohl auch, wenn auch nur knospenhaft, Ansätze des Gefühls und Gemüts usw.. Zunächst sei noch weiter auf die Genesis der Habitualitäten des Ich eingegangen. — Funke hat es deutlich herausgestellt, daß — wie oben angedeutet — jede konstitutive Leistung ein doppeltes Ergebnis hat, eins, das zur Begründung von „intersubjektiven Objekten", und ein anderes, das zur Begründung von „subjektiven Habitualitäten" führt: neben dem gegenstandserfassenden intentionalen Akt geht eine Genesis des ,inneren Bewußtseins' einher, die nicht so fungiert, daß mit Bezug auf den ersten (gegenstand-gebenden) Akt als objektivierenden ein zweiter, selbst wieder vergegenständlichender Akt vollzogen würde. . . . Dementsprechend ist es falsch, hier [bei der Ge302

nesis der Habitualitäten] von einer Art gegenständlicher Konstitution sprechen zu wollen, wo die gegenstands-intentionalen Akte selbst nicht wieder aktmäßig „wahrgenommen" werden. . . . Die Genesis des . . . ego ist nicht wieder aus einer (objektivierenden) Aktkonstitution zu verstehen, wenn sie freilich auch bei Gelegenheit solcher gegenstandsintentionalen Erlebnisse in die Erscheinung tritt." (Funke 87, 521) Akte konstituieren also nicht absichtlich Ich-Habitualitäten (was zwar versucht werden kann, etwa in den Bemühungen der Selbsterziehung, aber den unwillkürlich gestifteten Habitualitäten meist nur sehr wenig anzuhaben vermag), noch viel weniger sind Akte selbst Habitualitäten. „Aber jeder Akt, ,erstmalig' vollzogen, ist ,Urstiftung' einer bleibenden Eigenheit, in die immanente Zeit hinein dauernd (im Sinne eines dauernden Identischen)." (Husserl 15, 311) (Als Eigenheiten sind die Habitualitäten passiver Besitz eines Subjekts; werden sie aktiviert, besinnt sich das Ich auf seine Eigenheiten, so faßt es sie auf als seine Überzeugungen, Meinungen, die es in seinen Weltbegegnungen gewonnen hat. „Das Ich bleibt solange unverändert, als es ,bei seiner Uberzeugung, Meinimg bleibt'; die Überzeugung ändern ist ,sich' ändern." (Husserl 15, 311)) Kein Akt, kein subjektives Geschehen ereignet sich ohne 1. eine Stiftung oder eine Modifikation eines objektiven cogitatum, 2. eine Modifikation des bewußten Wissens um den bisher erlebten Erlebnisbestand, 3. eine passive Modifikation des subjektiven Zentrums infolge des Erlebens. Diese Trias hat sich aus den bisherigen Darlegungen heraus ganz klar ergeben. In Bezug auf die Punkte 2 und 3 ist es deshalb gleich, ob das Ich, wenn es etwa korrigierend tätig wird, in seiner intentionalen Beziehung auf Gegenstände sich für deren Sein, spezielles Sosein oder Nichtsein entscheidet; dadurch wird positiv oder negativ nur der Modus des cogitatum variiert, während für das Ich jede, auch eine negierende intentionale Setzung, also eine Verneinung, immer eine positive habitualitätenstiftende Bedeutung hat. In dem Satz etwa: „ein vorgängig angenommenes χ ist doch nicht" hat das Ich über das χ als cogitatum zwar negativ beschieden; dieser Bescheid ist für es selbst jedoch positiver Art, insofern es künftig ein Ich ist, das seine positive Überzeugung über den negativen Charakter des betreffenden χ hat und in Hinsicht seiner Habitualitäten künftig evtl. mehr „traurig" ist ab bisher, weil die Negation vielleicht passiv einen Effekt in dieser Hinsicht erzeugte. Auch die neuerliche Durchstreichung jeder früheren Gewißheit, also etwa die Gewinnung der Uberzeugung von der Minderwertigkeit eines bestimmten Gegenstandes, über den vorher eine bessere Meinung bestand, ergibt demnach eine ichliche Bereicherung: die alte Gewißheit wird aufgegeben und stattdessen eine neue gewonnen; der bewußte Erlebnisbestand wird modifiziert, und — worauf es hier ankommt — 303

subjektiv-passiv resultiert eine Habitualitätenmodifikation, also etwa vielleicht „Enttäuschung" aus diesem Vorgang. Unbedingt muß aber immer im Auge behalten werden, daß aktiv jeweils nur der objektive Sachverhalt angegangen wird. Unmerklich und unfreiivilUg wird als Folge dieser Unternehmungen dann der konkrete Bestand des Ich in Korrespondenz zu den konstitutiven Vorgängen verändert. Jeder Akt hinterläßt also — ohne daß dabei seine konstitutive Modalität eine Rolle spielte — notwendigerweise passiv eine positive Spur am Ich: das Ich wird durch jeden Aktvollzug bereichert: Ein Ich, das etwas erlebt, kann nach dem Erleben kein solches mehr sein, das nichts erlebt hat. Das Erleben läßt das Ich nicht „unberührt". — Wenn die Habitualitäten nun aber nicht geradlinig ungebrochen durch Akte konstituiert werden, sondern unbeabsichtigte Vereinheitlichungen von „Erlebnisniederschlägen" darstellen, dann stellen sie natürlich auch keine gegenständlichen Einheiten dar, denn Gegenstände als objektive Sinneinheiten können nur durch aktive Konstitutionen aufgebaut werden. Husserl selbst gibt dadurch, daß er bei Gelegenheit der Darstellung der Lehre von den Habitualitäten auf die Austauschbarkeit der Ergebnisse zwischen Transzendentalphilosophie und mundaner Psychologie verweist, den um das Problem des Verhältnisses der Habitualitäten des Ich zu den ihnen in weltlicher Einstellung entsprechenden Vorkommnissen kreisenden Überlegungen eine eindeutige Richtung: „Dem konkreten transzendentalen ego entspricht dann das Menschen-Ich, konkret als rein in sich und für sich gefaßte Seele, mit der seelischen Polarisierung: Ich als Pol meiner Habitualitäten, meiner Charaktereigenschaften." (Husserl 12, 107) Den egologisch zentrierten Habitualitäten der transzendentalen Einstellung entsprechen also die (höheren) Charaktereigenschaften, dem konkreten phänomenalen ego entspricht natürlich das Menschen-Ich. Gerade auf Grund dieses eindeutig parallelen Verhältnisses von Ich-Habitualitäten und Charaktereigenschaften ergibt sich aber nun sogleich die Frage, ob die volle Einheit „Mensch" in einer Betrachtung nur ihrer ichzentrierten Habitualitäten genügend „weit und tief" befragt werden kann, also die Frage: können die Möglichkeiten der weltlichen Verhaltensweisen des Menschen, die doch in transzendentaler Hinsicht alle Habitualitäten vorstellen, genügend weit aufgedeckt werden, wenn man den Menschen als nur egologisch zentrierte Einheit untersucht? Die Antwort hierauf muß entschieden lauten: nein. Die ganze Fülle der Möglichkeiten der Verhaltensweisen, die dem Menschen aus seiner Stellung als organischem Naturwesen notwendig zuwachsen, ist zunächst vielmehr nicht-ichlich zentriert. (Menschen, die nicht-ichliche Wesen geblieben sind, zeigen es überdeutlich: Auch die ichlosen Idioten haben einen individuell geregelten Stil festen Verhaltens, haben Habitualitäten, obschon sie nie Ich-Wesen gewesen sind.) Die aus solchen Erwägungen zu ziehende Folgerung lautet dann: Die Habitualitäten eines Menschen können 304

einfach nicht erschöpfend behandelt sein, wenn man sie nur vom egologischen Standpunkt aus betrachtet. Alle Habitualitäten als Prägungen nur des egologischen Strukturanteils der Monade anzusehen, heißt: die Resultate der psychologischen Erfahrung zu verfälschen. In wie vielen, bei Gelegenheit von Menschen vollzogenen Konstitutionsvollzügen ist das transzendentale Leben nämlich in Subjekten konstitutiv tätig und bildet passiv Habitualitäten aus, ohne daß das jeweils betroffene Subjekt dabei als egologisch zentriertes auftritt! Man braucht zur Demonstration dieser Sachlage gar nicht unbedingt auf psychisch pathologische Vorkommnisse zu rekurrieren: von den frühkindlichen Zuständen und Vorläufen unichlichen subjektiven Lebens angefangen, über die ständigen Unterbrechungen der Kontinuität (nicht der Identität) des ichlichen Lebens in Schlaf, Ohnmacht, Rausch, Ekstase usw. hinweg bis hin zu den öfters wieder ichlosen Zuständen vor dem Tode lassen sich genügend Hinweise finden: Zum Zeitpunkt des ersten Zu-sich-selbst-kommens des Subjekts im Ich (beim drei- oder vierjährigen Kinde) ist es schon im Besitz zahllo^r Habitualitäten, deren Erwerb also seinem ichlichen Selbstinnewerden vorausgeht („das Kind ist brav", „das Kind anerkennt seinen Vater", „das Kind hat evtl. seinen Ödipuskomplex" usw.). Und in den Unterbrechungen des ichlichen Zustandes des Subjekts im späteren Leben erscheinen fernerhin manchmal (für „andere" sichtbar) die Äußerungen gewisser subjektiver Eigenheiten, die, da die Monade dann gerade nicht-ichlich lebt, nicht die Äußerungen von ichlichen Eigenheiten sein können: Ein bestimmter Narkotisierter stöhnt ζ. B. anders als ein anderer. Er hat also eine andere Eigenheit „zu stöhnen" als ein anderer. Sein Ich hat aber damit nichts zu tun; es weiß nichts davon. Dasselbe gilt auch für das Lebensende: der in der Agonie befindliche, wieder ichlose Mensch stirbt mit der Stärke oder Schwäche seines individuellen weltabschiednehmenden Seufzens. — Im Zustande des Selbstbewußtseins der Monade hat nun freilich das (jeweilige) Ich weithin die Kontrolle über alle Habitualitäten der Monade, der es angehört, sowohl über seine eigenen ichlichen (die sog. höheren geistigen Eigenschaften) als auch über die des puren fundierenden Subjekts (die fundierenden seelischen Eigenschaften). Aber daraus, daß das Ich die Kontrolle über die Gesamtheit der monadischen Habitualitäten hat, solange es dazu im Stande ist, folgt nicht, daß alle einer Monade (als der Synthesis von Subjekt und Ich) zugehörigen Habitualitäten originär solche nur des Ich sind. Es bleibt sich in Bezug auf die aus allem Vollzug von subjektiven Betätigungen notwendig resultierende Genesis von Habitualitäten sogar völlig gleich, ob die Monade zum Zeitpunkt einer singulären Habitualitätengenesis als waches Ich fungiert oder im ichlosen Zustande als seiner selbst nicht bewußtes Subjekt sich befindet: von allen monadischen Unternehmungen verbleibt an der Monade ein habitueller Niederschlag, der nur in den Fällen, in denen die Monade ich305 20 Driie

lieh selbstbewußt wirkt, originär Habitualität des Ich wird, in allen anderen Fällen aber Habitualität des zu Grunde liegenden nicht-ichlichen Subjekts: Solche nitht-ichlichen Habitualitäten einer Monade, also solche nur-subjektiven Habitualitäten sind dem Ich völlig unbekannt, obwohl es gleichwohl beeinflussend: Das Subjekt fundiert ja das Ich; nur auf dem Grunde schon vorangegangener subjektiver Betätigungen kommt das Subjekt im Ich zu einem Bewußtsein seiner selbst. Das Ich ist somit abhängig von dem ihm zu Grunde liegenden Subjektpol und ist, wie es ist, auch eine Frucht der seiner Konkretion vorausgehenden subjektiven Betätigung des betreffenden Subjektpols. Das Ich wird von den Habitualitäten seines Subjekts beeinflußt: „Zu mir gehört dann mit ein Untergrund von Erlebnissen und ein Untergrund von Natur (,meine Natur'), die sich in dem Getriebe der Erlebnisse bekundet. Diese Natur ist das niedere Seelische, reicht aber auch in die Sphäre der Stellungnahmen hinein: das stellungnehmende Ich ist von der Unterlage abhängig, sofern ich, um Motivationen in meinen Stellungnahmen zu erfahren, eben die motivierenden Erlebnisse haben muß, und diese im assoziativen Zusammenhang stehen und unter Regeln assoziativer Dispositionen." (Husserl 15, 280) So ergibt sich nun leicht eine Lösung der anfänglichen Frage des letzten Unterteils dieses Paragraphen, in der gefragt wurde, wie es komme, daß der konkrete Mensch ( = die Monade der natürlichen Einstellung) von der Gesamtheit seiner Eigenschaften nur eine partielle Kenntnis habe: Das kommt — wie sich jetzt antworten läßt — daher, weil das Ich des Menschen gar nicht bei allem, was dem Menschen (bzw. der Monade) passiv übereignet wird, dabei und zugegen ist, was aber nicht hindert, daß der Mensch (die Monade) im Gefolge aller seiner Vollzüge bereichert und modifiziert wird, so daß der volle Bestand der habituellen Erwerbe des habitualitätenhaltigen Menschen sein ichlich-subjektives Wissen davon immens übersteigt. „Nehmen wir also das persönliche Ich in seinem Entwidclungszusammenhange, so finden wir zwei Stufen, die evtl. sich trennen mögen (ζ. B. die Unterstufe als ,reine' Tierheit), eine doppelte Subjektivität': die höhere ist die spezifisch geistige, die Schicht des intellectus agens, des freien Ich als Ich der freien Akte, darunter aller eigentlichen Vernunftakte, der positiv, aber auch der negativ vernünftigen Akte. . . . Dieses spezifisch geistige Ich, das Subjekt der Geistesakte, die Persönlichkeit, findet sich abhängig von einem dunklen Untergrunde von Charakteranlagen, ursprünglichen und verborgenen Dispositionen, andererseits abhängig von der Natur. . . . durch alles Leben des Geistes hindurch geht die ,blinde' Wirksamkeit von Assoziationen, Trieben, Gefühlen als Reizen und Bestimmungsgründen der Triebe, im Dunkeln auftauchenden Tendenzen etc., die den weiteren Lauf des Bewußtseins nach ,blinden' Regeln bestimmen." (.Husserl 15, 276 f.) 306

dd) Die Genesis des

Unbewußten

Unter dem Eindruck der Brentano'schen Philosophie sprach Husserl in der „Philosophie der Arithmetik" noch ironisch davon, daß man dann, wenn man in der Bewußtseinsphilosophie in Schwierigkeiten komme, ja gem „Anleihen bei dem allzeit gefälligen Unbewußten" (Husserl 1, 289) mache. Als Husserl dies schrieb, hatte er sich jedoch überhaupt noch nicht eigens mit dem Problem des Unbewußten beschäftigt, sondern folgte weithin noch Brentano in dessen Lehren über das Psychische, die in Bezug auf das Unbewußte in der Feststellung gipfeln: „Durchgehends haben die begleitende und die begleitete Erscheinung gleiche Stärke, und dieses beweist, daß niemals ein psychisches Phänomen in uns besteht, von welchem wir keine Vorstellung haben." (Brentano 66, I. Bd. 194) Weil Husserl die Annahme der Parallelität der Intensität von begleitender und begleiteter Erscheinung nun aber nie vertrat, war für ihn der Zugang zum Reich des Unbewußten prinzipiell nie versperrt. Außerdem ergaben sich schon in den LU unausgesprochene sachliche Differenzen zwischen Husserl und Brentano, deren Gehalt Husserl dann Zug um Zug ausarbeitete. Allmählich nahmen deshalb die Termini „Intentionalität", „immanente Wahrnehmung" usw. die neue, nun nicht mehr Brentano'sche, sondern Husserl'sche, d. h. phänomenologische Bedeutung an, und infolgedessen taten sich auch ganz neue Perspektiven psychologischer Forschung auf. (vgl. Illemann 94, 59) In seiner späteren Zeit anerkennt Husserl — wohl aus dem unabwendbaren Eindruck der Freud'schen Entdeckungen heraus — dann auch die Möglichkeit eines Unbewußten (vgl. Husserl Ms. 49), und er beschäftigt sich mit dem Problem seiner Genesis: „Es scheidet sich . . . die Eigenart des Ichsubjekts als habituelle Eigenart des Sich-verhaltens von der Eigenart im Sichweben der Hintergründe. Es ist gewissermaßen ein Wurzelboden da in dunklen Tiefen." (Husserl 15, 279) Wenn man sich auf Untersuchungen über das „Unbewußte" einläßt, muß zuvor eindeutig festgelegt sein, was man im betreffenden Falle mit diesem Begriff bezeichnen will, da man in der neueren philosophischen und psychologischen Terminologie (neben einer Reihe anderer Wahlmöglichkeiten) besonders zweierlei damit meinen kann, nämlich 1. all die Bestandteile des Wissensschatzes eines Menschen, die er, abgesehen von dem einen, der ihm aktuell gerade bewußt ist, eben gleichzeitig nicht bewußt hat, die ihm also, obschon er prinzipiell über sie verfügen kann, aktuell unbewußt sind. Es handelt sich um das Unbewußte des positiven Wissens. In der phänomenologischen Formel steht es auf Seiten des cogitatum. Freud nennt es das Vorbewußte: „Alles Unbewußte, das sich so verhält, so leicht den unbewußten Zustand mit dem bewußten vertauschen kann, heißen wir darum lieber bewußtseinsfähig oder vor307 20»

beumßt." {Freud 82, 82) Die das Problem dieses intentional objektiven'unbewußten Wissens betreffenden Schwierigkeiten sollen hier jedoch nicht ausführlich thematisiert werden. Es sei nur daran erinnert, daß das „jeweilige beliebige Wiedererinnern", also die willkürliche Intention eben einer speziellen vorbewußten Wissenspartikel, hierbei die größte Schwierigkeit ausmachen dürfte. Diese Schwierigkeit läßt sidi in die Frage kleiden: Wie kann man überhaupt etwas intendieren, das einem zur Zeit überhaupt nicht bewußt ist? Oder: Wie kann man etwas intendieren, das man nicht intendiert? Doch in dieser Weise ist die Frage sicher falsch gestellt. Man muß sich nämlich vor Augen halten, daß die einzelnen intenta keine in sich und für sich hermetisch abgeschlossenen Themen sind, sondern dadurch, daß sie einen Außenhorizont (vgl. die Ausführungen in der Einleitung zu EU) haben, mit anderen intenta schon von der noematischen Seite her verflochten und verflechtbar sind. (vgl. Husserl Ms. 49) Zwischen den einzelnen intenta eines Subjekts gibt es so die vielgliedrige und nuancenreiche Verzahnung ihrer jeweiligen Außenhorizonte: Es kann im Rahmen des Gesamthorizontes eines Subjekts also kein vorbewußtes cogitatum geben, das dem betreffenden Subjekt zu jeder Zeit nicht mindestens in dem Sinne potentiell bewußt wäre, daß es im offenen Außenhorizont des gerade aktuell bewußten Intentums konkrete Gestalt annehmen kann, eben durch Assoziation oder durch Verdichtung anderer Art. Doch auf das Reich dieses objektpolzentrierten Unbewußten des Wissens auf Seiten des cogitatum sei hier nicht eingegangen. Hier geht es um 2. das Unbewußte als Habitualität; in der Weltsprache: um die unbewußten Anteile der individuellen Persönlichkeit, um das Unbewußte, das den Gegenstand der sog. Tiefenpsychologie ausmacht. Die Aufklärung der Entstehung des Reiches dieses Unbewußten ist für die Phänomenologie nun ebenfalls kein unlösbares Problem, wie sich schon aus dem letzten Unterteil dieses Paragraphen ergibt: Die Habitualitäten der Monade, die auf Sedimentierungen gründen, die am Subjektpol bei Gelegenheit von solchen subjektiven Vollzügen zustande kommen, in denen die Monade als nicht-idilidie fungiert, bilden im weitesten Umfange das Reich des habituellen individuellen Unbewußten. Vieles davon ist subjektiv praktisch bedeutungslos (so ζ. B. die Vorkommnisse (und die ihnen zugehörigen subjektiven Resultate), die die Monade etwa als schlafende erfährt); vieles ist „nicht so wichtig" (ζ. B. die individuell mögliche, spezielle Habitualität eines Subjekts, die sich eventuell in einer Sammelneigung für Schmetterlinge oder Münzen usw. auslebt und die vielleicht aus bestimmten kleinkindlichen Eindrücken erwachsen ist), manches vielleicht höchst bedeutsam (ζ. B. die quälenden Folgen des Erwerbs einer sog. Kernneurose). Für die Gesamtheit der Genesis dieses nicht noematischen, sondern subjektpolzentrierten Unbewußten gilt: Auch als un-ichlich (ζ. B. als klein308

kindlich) fungierendes Zentrum schafft das Subjekt sich durch kontinuierliche passive Assoziation und Verschmelzung der Erlebnisniederschläge seiner Erlebnisse solche Prägungen, die es als Subjekt dieser und keiner anderen Erlebnisse bestimmen; es schafft sich gewissermaßen also ein für es nicht verfügbares, obschon latent sich an ihm auswirkendes Reich verborgener Prägungen, bei dessen Entstehung die diese Prägungen stiftenden Erlebnisse — wie vorausgesetzt — nicht ichlich bewußt erlebt werden und deshalb prinzipiell nicht erinnerbar sind. Durch den Vollzug solcher, obschon unichlichen, so doch individuellen subjektiven Weltbegegnungen, durch das Erleben der spezifischen, für jedes Subjekt in jedem einzelnen Erleben anders gearteten Auswahl des zugehörigen Erlebten wird also auch dem unichlich lebenden Subjekt passiv und kontinuierlich eine Reihe bestimmter Habitualitäten eingeprägt, eben als passiver, „rückgewendeter" Niederschlag der „außengewendeten", konstitutiven Vollzüge. Es ist also möglich und sogar unabwendbar, daß sich ζ. B. die sich der Welt zuwendende Monade (also das kleine Kind), als ein Subjekt, das diesen Bedingungen entspricht, mit jedem einzelnen Erlebnisvollzuge unwillkürlich ihren individuellen Stil weiter ausgestaltet und sich für weiter nachfolgende ichliche Weltbegegnungen schon prägt, noch ehe sie ichliche Monade ist. Dieser Aufweis bezieht sich prinzipiell natürlich auf alle Prägungen, die Subjekte erfahren, die noch nicht zu einem Bewußtsein ihrer selbst gekommen sind, also nicht nur auf das Subjekt des menschlichen Säuglings bzw. Kleinkindes, sondern auch auf das des Vollidioten und das des Tieres. Die Kindespsychologie, die ja bekanntlich wie jede Abteilung der empirischen Psychologie den transzendentalen Überlegungen Leitfäden zur Verfügung stellen kann, zeigt nun auf: Das Erwachen des Selbstbewußtseins, das Erwachen der Ichlichkeit der Monade im Kinde, ist nicht wie eine Ruck-zuck-Schaltung zu verstehen. Erwachen des Selbstbewußtseins heißt vielmehr: Eine Folge von Zuständen zu durchlaufen, vom gedanklichen „Dämmern" angefangen über das entsprechende Hell-werden bis hin zum Hell-sein. (Jedes Erwachen des Vollmenschen aus dem Schlaf späterhin ist dann ein solches verkürztes Ich-erwachen.) Das kindlich urerwachende Ich ist in dieser Dämmerung zugleich das „hilflose" Ich (Freud): Das erstmalige bewußte Erfahren der Schwierigkeiten der Welt und der Ansprüche aus dem fundierenden Es erschrickt das Ich, da es seiner noch nicht in ausreichender Weise mächtig ist. Nach Freud kommt es dabei zur Urverdrängung. Wenn ein Subjekt aber einmal zu seinem Ich erwacht ist, so bewahrt es zwar für immer die Identität dieses seines Ich, nicht aber fungiert das Ich dann auch ununterbrochen. Man denke etwa zunächst an die Unterbrechungen des Ichzustandes durch Schlaf und Ohnmacht. Darüber hinaus kommen im Leben des menschlichen Subjekts späterhin aber auch immer wieder solche Zustände vor, in denen die Monade, obschon sie 309

in ihnen prinzipiell wachlebende ist, nicht primär als Ich fungiert, sondern von einem „dunklen Untergrunde" gesteuert wird. (vgl. Husserl 15, 277) Man könnte auch sagen, daß die Monade in diesen Fällen in doppelter Weise fungiert, ζ. B. als das Vollich, das etwas Bestimmtes sagen will, und als das dann das Vollich tatsächlich steuernde blinde Subjekt, das stattdessen etwa eine Fehlleistung zustande bringt. Von allen ihren Erlebnissen, sowohl von den vollichlich bewußt als von den nur dumpf bewußt als von den bewußt gar nicht erlebten wird die Monade aber geprägt und von jedem Erlebnis in verschiedener Weise. Da nun eine Monade, die einmal zu ihrem Ich erwacht ist, deshalb jedoch auch weiterhin bisweilen als primär unichliche fungieren kann, sei es, daß sie dabei völlig unbewußt ist, sei es, daß sie als wachlebende passiv etwas registriert, wovon das Ich bewußt nichts merkt, so kann für die Genese unbewußter Habitualitäten im Sinne des tiefenpsychologischen Unbewußten deshalb gelten, daß hierbei die Monade wiederum nicht als ichliche, sondern in urtümlicher, unichlidier Weise fungiert. „Die eigentliche Verdrängung ist also ein Nachdrängen. Man tut übrigens unrecht, wenn man nur die Abstoßung hervorhebt, die vom Bewußten her auf das zu Verdrängende wirkt. Es kommt ebenso sehr die Anziehung in Betracht, welche das Urverdrängte auf alles ausübt, womit es sich in Verbindung setzen kann." (Freud 80, 250 f.) Daß auch Freud also nicht nur das Ich die störenden Vorstellungen verdrängen, sondern sie auch vom Es her „abschwemmen" läßt, wird in der gängigen Freudinterpretation nur zu gern übersehen. — Oben wurde darauf hingewiesen, daß auch die Monade, die schon zum Ich erwacht ist, ohne weiteres wieder urtümlich fungieren kann. Zur Demonstration dieser Annahme braucht man übrigens nicht auf Beispiele der therapeutischen Praxis mit ihrem besonderen Fluidum zu rekurrieren, sondern kann auf viel einfachere Verhältnisse verweisen. So hat ζ. B., um auf etwas überaus Einfaches zu verweisen, den 281. Atemzug nach meinem Einschlafen in der letzten Nacht die Monade, der „ich" angehöre, als „zur entsprechenden Zeit" nicht-ichlidie vollzogen, und sie ist nun auf immer eine Monade, die dies geleistet hat, mag das auch praktisch für sie unbedeutsam sein. Und auf ewig bleibt mir, dem ihr zugehörigen Ich, sowohl diese konstitutive Leistung als auch ihr eventuelles subjektives Prägungsresümee unverfügbar, mithin unbewußt; es ist für mich durchaus nicht erinnerbar, ob der 281. Atemzug etwa unregelmäßig verlief, ob er etwa kürzer war als die voraufgehenden und ob das für die Monade irgendwelche subjektiven Folgen hatte. Unter den Vollzügen, die die Monade als wieder unichlich fungierende tätigt, haben nur diejenigen nämlich bedeutsame Folgen, deren subjektiver Prägungseffekt im Widerspruch zu vorgängig ichlich erworbenen Habitualitäten, Uberzeugungen usw. steht. Wenn durch unichlich monadische Tätigkeit dem Ich etwas „vergessen gemacht" wird, indem die Monade als unichlich fungie310

rende dem Ich einen bestimmten Inhalt „wegflutet", dann nämlich muß das Ich „unsicher" werden, weil ihm eine Lücke in seinen mühsam harmonisierten Überzeugungen entstanden ist: Ein bestimmter Intentionspol, der den „eshaften" Trieben zuwider war, ist dann vom Es her aus den vorbewußten Inhalten des Ich abgeschwemmt und somit der Verfügungsgewalt des Ich entzogen worden. Das Ich ist deshalb genötigt, sich für die Dienste, die es dem für es inzwischen abhanden gekommenen Pol zu widmen pflegte, ein neues Ziel zu suchen. Aufgehoben worden ist ja durch die Abschwemmung nur ein spezieller Gegenstand des ichlichen Interesses, nicht aber auch das „Interesse" daran; d. h. die entsprechende, dem abgeschwemmten Inhalt zugehörige ichliche Prägung bleibt weiter bestehen. (Wie überall in der Psychologie, darf auch hier beim Problem der Entstehung des Unbewußten die Intentionalität nicht außer acht gelassen werden.) Die weiterbestehenden ichlichen Prägungen, die, wenn sie nicht mehr auf ihre gewohnten Gegenstände sich richten können, ziel-los geworden sind, leben sich dann in Ersatz-Zielbildungen aus: „Wir werden sehen, daß eine solche Rückverwandlung vorbewußter Inhalte (oder Vorgänge) in den unbewußten Zustand eine große Rolle in der Verursachung neurotischer Störungen spielt." (Freud 82, 83) Außerdem erfährt man von Freud, „daß die Verdrängung in der Regel eine Ersatzbildung schafft". (Freud. 80, 256) Ich und Selbstbewußtsein sind unaufhebbar miteinander verbunden; Selbstbewußtsein aber ist Voraussetzung der Möglichkeit der aktiven Erinnerung. Deshalb können die an der nicht-ichlich lebenden Monade sich ereignenden subjektiven Vollzüge späterhin ichlich nicht erinnerbar sein (ganz gleich, ob es sich dabei um Vollzüge der Säuglingsmonade oder um solche der nicht-ichlich fungierenden des erwachsenen Menschen handelt), sie sind prinzipiell nicht bewußt zu machen — es sei denn durch QuasiBewußtmachung der induktiven analytischen Therapie, deren praktische Bedeutung in keiner Weise geschmälert wird, wenn man darauf hinweist, daß mit ihrer Hilfe die unichlichen Erlebnisse und die Niederschläge der nicht von einem Ich begleiteten Erlebnisse der Monade selbst nicht originär erfaßt, sondern durch die analytischen Techniken immer nur „angepeilt" werden können, gewissermaßen also durch „bereitwillige Leerintention". Die einmal verflossenen Erlebnisse und die zugehörigen subjektiven Erlebnisniederschläge des nicht-ichlich fungiert habenden Subjektzentrums selbst kann auch die Tiefenpsychologie originär nicht gewinnen. Eins ist hier mit dem andern notwendig verknüpft: weil die Tiefenpsychologie das einzelne, inzwischen versunkene, nicht-ichliche Erleben des Subjekts selbst nicht aufhellen kann, kann sie die sich aus diesem Erleben ergebenden und sich unbewußt vollziehenden subjektiven Prägungen auch nicht in die Hand bekommen, sondern sie in Bezug auf ihre Entstehung nur aus dem 311

Vergleich mit anderen zur Verfügung stehenden Daten aus der konkreten Welt des zu therapierenden Subjekts von — zeitlich gesehen — beiden Seiten aus einkreisen. Daß die Inhalte des Unbewußten selbst nicht originär erfaßt werden können, wird auch von Freud angenommen: „Andere psychische Vorgänge, Inhalte haben keinen so leichten Zugang zum Bewußtwerden, sondern müssen auf die beschriebene Weise erschlossen [!], erraten [!] und in bewußten Ausdruck übersetzt werden. Für diese reservieren wir den Namen des eigentlich Unbewußten." (Freud 82, 82) Die Tiefenpsychologie — die übrigens Psychologie der zweiten Stufe wäre, weil sie als Psychologie, die abstraktiv rein verfährt, sich um die psychophysischen Verhältnisse nicht zu kümmern braucht — muß notwendigerweise induktiv „zielend" verfahren: sie muß aus den durch Erfolge bestätigten Erfahrungen, die sie bei positiv verlaufenen Versuchen der Vergleichung von akuten Folgen und möglicherweise diese Folgen ergebenden vorgängigen Erlebnisweisen (bzw. Abschwemmungen) gewinnen konnte, in der Praxis immer von den Folgen (etwa den Neurosen) auf gewisse, sie wahrscheinlicherweise fundierende Erlebnisse bzw. Erlebnisabschwemmungen schließen. Die auslösenden, „neurosestiftenden" Erlebnisse selbst können jedoch auch in der individuellen Therapie nicht originär aufgedeckt werden. An dieser Sachlage ist nicht zu rütteln! Das Ich als Ausdruck subjektiven Selbstbewußtseins ist der Subjektivität überhaupt nachgeordnet und kann sich nicht in den Verfügungsbesitz der noematischen oder der subjektiven Folgen solcher konstitutiven Leistungen seines Subjekts bringen, bei deren Konstitution es nicht als „gegenwärtig merkendes" dabei war. Bei allem, was man Verdrängung, Abspaltung, Abschwemmung usw. nennt, ist das Ich aber nicht „dabei"; es merkt nichts davon. Daß dies immer und in jedem Falle so ist, dafür lassen sich im besonderen zwei Gedankengänge anführen: 1. Man nehme an, daß Ich sei es, das „verdränge", und nicht das Es, der Untergrund, sei es, der „abschwemme". Dann ist es völlig unplausibel, warum das Ich neben einem Gegenstande der Verdrängung nicht auch die subjektiven Gewohnheiten, die es dem betreffenden Gegenstande bisher widmete, verdrängt, sondern diese Gewohnheiten beibehält, sie neuen Zielen widmen muß und sich so die bekannten Ersatzbildungen schafft. Warum verdrängt das Ich etwa neben einem bestimmten Religionsobjekt nicht auch die Habitualität der Neigung zu bestimmten religiösen Übungen ganz und total, sondern baut sich stattdessen ersatzweise ein System gewisser starrer Zwangshandlungen auf? 2. Wenn das Ich es ist, das verdrängt, dann müssen diese Verdrängungen in Akten sich ereignen. Wie schon aufgewiesen, ist das nidit möglich, (vgl. den letzten Unterteil dieses Paragraphen) Man nehme aber methodisch einmal an, es gehe. Dann ist es unerklärbar, wieso von der Verdrängungsleistung, in der das zu Verdrängende vom Ich verdrängt wird, dem Ich kein Wissen bleibt, 312

und zwar nie. Allein die Tatsache, daß die sog. Verdrängungen nicht als ichliche Vollzüge erinnerbar sind, genügt, sie, da es zu den notwendigen Bestimmungen des Wesens ichlicher Leistungen gehört, daß sie erinnerbar sind, als nicht-ichliche subjektive Vollzüge zu kennzeichnen. Auch durch feinste analytische Technik ist ja immer herauszubringen nur die Faktizität des „daß", nie die Erinnerung an das „wann" und „wie" des Erlebnisses eines Verdrängungs- bzw. Abschwemmungsvorganges. Das gilt nicht nur für die entsprechenden kleinkindlichen Vorgänge, sondern auch für die sog. „Verdrängungen" des erwachsenen Menschen. Übrigens sah — wie schon angedeutet — Freud selbst, im Gegensatz zu manchen seiner Anhänger, nicht nur im Ich die auslösende Kraft der Verdrängungen. Am Ende seines Lebens sagt er ganz unmißverständlich: Es können, „übergroße Triebstärken das Ich in ähnlicher Weise schädigen wie die übergroßen .Reize' der Außenwelt. Sie können es zwar nicht vernichten, wohl aber die ihm eigene dynamische Organisation zerstören, das Ich wiederum in einen Teil des Es verwandeln." (Freud 82, 130) Nach Freud ist die Sachlage also so, daß sowohl das Ich unliebsame Vorstellungen verdrängt als auch so, daß das Es sie aus dem Ich abschwemmt. Unter den phänomenologischen Axiomen läßt sich, wie oben dargelegt, dieser dualistische Standpunkt nicht halten: Daß gewisse Erlebnisinhalte aus dem Vorbewußten verbannt werden, unbewußt werden, kann allein nur durch den subjektiv-nicht-ichlichen Strukturanteil der Monade bewirkt werden, dessen Triebzielen diese Erlebnisinhalte — eventuell natürlich in mannigfacher dialektischer Umkehrung — im Wege stehen. Die störenden Inhalte, die die Trieberfüllung hindern, werden deshalb abgeschwemmt. Wenn eine direkte Trieberfüllung nicht möglich ist, kann zur Not ein Triebverlangen ja auch dadurch gestillt werden, daß ihm von anderen Trieben her sein Triebziel aufgehoben wird. Sogar Frustation ist prinzipiell eine Trieberfüllung, wenngleich keine Triebbefriedigung. Dabei ist es dem Es, d. h. dem unichlichen Monadenanteil — wenn man so sagen kann — ganz gleich, ob das Ich dadurch, daß ihm gewisse Inhalte entwendet werden, neurotisch wird: Denn das Ich steht ja nach einer Abschwemmung infolge der Tatsache, daß ihm gewisse Inhalte entwendet wurden, mit den subjektiven Gewohnheiten, die es auf die betreffenden Inhalte vor ihrer Entwendung bezog, nunmehr allein da. Deshalb muß es sich für diese Gewohnheiten Ersatzgegenstände suchen, denen es die habituellen Tendenzen wieder widmen kann. Uber diesen Vorgängen wird das „beraubte" Ich neurotisch. — Wenn die phänomenologische Ansicht, daß die Verdrängung nicht vom Es und vom Ich, wie Freud lehrt, sondern nur vom Es (verstanden als urtümlich fungierende Monade) ausgehen kann, richtig ist, so würde das natürlich notwendigerweise mannigfache Abänderungen der psychoanalytischen Theorie bedingen. 313

Die phänomenologische These, daß es also keine ichliche Verdrängung, sondern nur eshafte, d. h. urmonadische Abschwemmung gebe, ist für den Fall der entsprechenden Vorkommnisse beim Kleinkind und beim Erwachsenen getrennt zu rechtfertigen: Zur Genesis des Unbewußten beim Kleinkind läßt sich sagen: Freud selbst tut sich schwer damit, die hierzu nötigen Vollzüge dem Ich zuzutrauen. Er spricht vom unfertigen, vom erwachenden Ich usw.: „Das hilflose Ich erwehrt sich ihrer [der Aufgaben, die es späterhin spielend lösen könnte] durch Fluchtversuche (Verdrängungen.), die sich später als unzweckmäßig herausstellen und dauernde Einschränkungen für die weitere Entwicklung bedeuten." (Freud 82, 111) Dazu ist zu sagen: Ein Ich, das flieht, verdrängt nicht; ein Rückzug ist kein Vormarsch. Wenn das Ich „flieht", dann ist das Es auf dem „Vormarsch" und nimmt dem Ich, was es nehmen kann. Was das Es sich aber wieder einverleibt hat, ist dem Ich abhanden gekommen; das Ich verfügt dann nur noch über den Stil der auf die ihm genommenen Inhalte sich beziehenden Verhaltensweisen, die sich nun neue Inhalte suchen müssen. — Der Fall des Vorkommnisses der Verdrängung resp. Abschwemmung beim erwachsenen Vollmenschen aber sei im Beispiel auf seine Genesis hin geprüft: Man sagt etwa: ich habe den Namen des Hotels „X" im Ort F. vergessen. Dabei hat es mir dort so gut gefallen. Nach Tagen entdecke ich durch Zufall den gesuchten Namen im Telefonbuch: Aber fast noch eher, als daß ich mich daran erinnere, daß das Hotel in F. so hieß, fällt mir ein, daß im Ort M. ein schlechtes Hotel denselben Namen führte. Ich weiß jetzt, daß es — wenn man etwa hier nach dem Lust-Unlust-Prinzip verfahren wollte — meiner lustsuchenden Triebregion eine geringere Unlust bedeutete, den Namen des mir zusagenden Hotels zu vergessen, als den des mir unangenehmen zu behalten. Ein alltäglicher Fall. Aber im Ernst: kann man sagen, daß ein „Ich", mein „Ich", dieses Vergessen zustande gebracht habe? Das anzunehmen ist unmöglich, denn dann müßte ja auch, wie schon angezeigt, durch eine — eventuell kunstvoll angestellte — Wiedererinnerung diese vergessen-machende Leistung erinnerbar sein, wie es bei allen ichlichen Leistungen prinzipiell möglich ist. Im Gegensatz zu ihnen läßt sich aber bei Abschwemmungen — als nicht-ichlichen Leistungen — die zugehörige Vergessensleistung nie aufweisen; der Vorgang des Abschwemmungsvollzuges ist originär nie beschrieben worden und kann auch nicht beschrieben werden, weil er nämlich nie eine Leistung des Ich, sondern jeweils eine des nicht-ichlichen Subjektanteils der Monade ist. Es ist jeweils nur beschreibbar, „warum", etwa aus welchen der konkreten Vereinheitlichung oder Zerstörung eines personalen Individuums förderlichen Gründen, ein Vergessen erfolgen mußte, aber nicht ist angebbar, was bei einem Ichakt prinzipiell möglich sein müßte, zu welchem Zeitpunkt und unter welchen ichlichen Überlegungen. Und das nicht, weil die Abschwemmung eben nicht unter 314

Überlegungen des Ich geschah, sondern weil das Subjekt den Vollzug als nicht-ichlich fungierendes tätigte, wodurch — im obigen Beispiel — konstitutiv der störende Name „blindlings" ausgelöscht wurde, so daß er den lustsuchenden Trieben keinen Ärger mehr bereitete. Man sieht sich hier also vor folgendes Ergebnis gestellt: Wenn das Ich zu konstitutiven Leistungen, die im Interesse der Triebe des Es der Monade liegen, also etwa zur „Vernichtung unlusterzeugender Namen", nicht fähig ist — aktives, ichliches Vergessen-wollen bewirkt, wie gehört, nur umso festere Einprägung des zu Vergessenden —, dann muß man sich also vorstellen, daß die nichtichlichen subjektiven Zentren der Monade selbst eingreifen und die nötige Leistung vollziehen. Eine solche Annahme ist zwar eine Spekulation; jedenfalls sieht sie zunächst so aus. Von dem jedoch, was man sich üblicherweise unter „Spekulation" vorstellt, unterscheidet sie sich jedoch dadurch, daß es sich nicht um eine Spekulation nach freier Wahl handelt, sondern um eine notwendige Spekulation, d. h.: anders als in der angenommenen Weise kann der be-spekulierte Verlauf, dessen Ergebnisse auch ohne Spekulation bekannt sind, nicht gedacht werden. Es erweist sich aufs neue, daß die Phänomenologie, die zunächst die immanent gegebenen Bewußtseinsvorkommnisse als allein adäquat Gegebenes ansieht, also methodisch radikalste Bewußtseinsphilosophie ist, schließlich zu einer Auffassung gelangt, die das Bewußtsein nur noch als eine „zufällige" Funktion des Subjekts auffaßt. Es ist für das Sein der Monade nicht wesentlich, ob sie Bewußtsein hat oder nicht, genau so wenig, wie es wichtig ist, ob sie sich als weltliche oder als nicht-weltliche Monade apperzipiert: „Sein der Monade ist Insich- und Fürsichsein in einer nie anfangenden und nie aufhörenden Selbstkonstitution in immanenter Zeitlichkeit. Eine besondere Gestalt dieser Konstitution, die einen Anfang und ein Ende hat, ist die verweltlichende Konstitution, in der die Monade eine umweltlich lebende wird..." (Husserl Ms. 46, II 6) Die vorstehenden Darlegungen haben nicht das Ziel, Freud durch Husserl zu beweisen oder teilweise zu widerlegen, sondern sie wollen — in äußerster Knappheit — nur dartun, daß eine phänomenologische Psychologie nicht am Problem des Unbewußten scheitert wie so manche bisherige Philosophie und Psychologie, so noch die Brentano'sche. Die faktische Erforschung der tiefenpsychologischen Vorkommnisse aber ist natürlich Aufgabe einer abstraktiv rein verfahrenden Tiefenpsychologie. § 5 4. D a s L e b e n d e r a b s o l u t e n S u b j e k t i v i t ä t — Ihre Unsterblichkeit Die weltliche Gestaltnahme der absoluten Subjektivität als ichliche Person oder als nicht-ichliches Subjekt ist für sie selbst nur ein akzidentelles 315

Ereignis, das sie jedoch in Selbstentfremdung bringt. Solange der Mensch sich aber nicht als in verweltlichter Weise fungierende absolute Subjektivität versteht, kann er dieses Verhältnis nicht durchschauen, und er mißt den Problemen des Beginnens und des Endens seiner menschlichen individuellen Konstitution eine überragende „absolute" Bedeutung zu, die ihnen nidit gebührt: „Die Fragen ,vor der Geburt' — ,nach dem Tode'. Die Geburt des Ich — als Ich —. Die Geburt der ursprünglichen Habitualitäten, der Instinkte. Geht das Schlafen dem Wachen voraus? Wie wird das Ich als schlafend geboren? Oder setzt Schlaf schon vorangehende Aktivität voraus, (die sich .erschöpfen' muß)? Wie kann das Ich, und als aktives, ,anfangen' zu sein? — Und der Tod. Er ist kein Einschlafen, von dem ein Wiedererwachen möglich wäre. Oder ist die Unmöglichkeit des Gewecktwerdens nur ein Zufall? Wie stirbt das Ich selbst, . . . — was setzt der Sinn eines Nichtmehrseins, eines Nichtseins überhaupt voraus, was für Zeitlichkeit, was für Sem?" (Husserl Ms. 49, 62) Diese Fragen können in dreierlei Absicht gestellt sein: 1. Der konkrete Mensch der realen Welt kann so fragen. Dann sind diese Fragen anthropologisch „entscheidend" und „bedeutsam", aber unlösbar. 2. Der Phänomenologe kann so fragen, u. z. aus wissenschaftlichem Interesse an den Problemen des Beginnens und Endens der monadisch-weltlichen Einheiten. Dann sind die Fragen wissenschaftliche Fragen der transzendentalen Phänomenologie und die Antworten solche einer wissenschaftlichen transzendentalen Metaphysik. 3. Und der Mensch kann wieder so fragen, aber diesmal der durch die Schule der phänomenologischen Selbstbesinnimg gegangene oder zumindest in sie eingetretene Mensch. Dann sind die Fragen Besinnungen, die die absolute Subjektivität in ihrer menschlichen Gestalt über ihre Verweltlichung anstellt, speziell über den Beginn ihrer Verweltlichung in der Geburt bzw. in der Genese der embryonalen Gestalt, und über das Ende ihrer Verweltlichung im Tode des subjektiven Individuums: „Tod als reales Vorkommnis in der Welt hat . . . nicht die Bedeutung einer Ablösung der Seele zu einem eigenen R e a l e n . . . . Weltlich ist Tod Vernichtung der Seele, notabene als Seele in der Welt. Die Unsterblichkeitslehre müßte also, wenn sie dem Sinn der Welt, wie er durch die universale objektive Erfahrung festgelegt ist, nicht widersprechen soll, eine ganz andere Bedeutung haben und kann sie in der Tat haben, wenn es wahr ist, daß die natürliche Weltbetrachtung, die alles natürlichen und weltkundlichen Lebens und aller Wissenschaft, nicht das letzte Wort behalten muß und vielleicht behalten darf. M. a. W., wenn gezeigt werden kann, daß dies ganze Weltall, das All der Gegenstände möglicher objektiver Erfahrung nicht gelten darf als das im absoluten Sinn Seiende, und daß das Abso316

lute, das die Welt schon voraussetzt, Geist ist, aber dann keineswegs als verweltlichter Geist, insbesondere als Seele." (Husserl Ms. 53, 80 b) Diese Aufgabe aber, das, was in der natürlidien Erfahrung als objektives Sein auftritt, in seinen wahreren Charakter als „Sinn" erkannt zu haben, glaubt die Phänomenologie durch das System ihrer Reduktionen und die in ihren Grenzen vollzogenen — und noch zu vollziehenden — Betrachtungen erfüllt zu haben bzw. erfüllen zu können, wobei sich korrelativ ergibt: in allen transzendental-phänomenologischen Erwägungen bleibt einzig die absolute transzendentale Subjektivität völlig unableitbar. Allem einzelweise zu Denkenden geht sie transzendental vorher: Alles Seiende ist nur Sinn für sie. Audi der „Sinn" von Sinn ist für sie schon eine konstiuierte Einheit, ist ihr gegenüber transzendental unselbständig. So löst sich natürlich auch der Sinn von „Sterben" auf in eine Bezeichnung, die nur auf Vorgänge in einer realen Welt angewandt werden kann, die schon in einer idealen Welt keinen Sinn mehr abgibt und schon gar nicht in einer transzendentalen: „Der Mensch kann nicht unsterblich sein. Der Mensch stirbt notwendig. Der Mensch hat keine weltliche Proexistenz, in der zeiträumlichen Welt war er früher nichts und wird er nachher nichts sein. Aber das transzendentale urtümliche Leben kann nicht aus dem Nichts werden und ins Nichts übergehen, es ist ,unsterblich', weil das Sterben dafür keinen Sinn hat." (Husserl Ms. 56, 399) Das Leben des einzelnen Menschen, das weit-geschichtliche Auftreten der absoluten Subjektivität sind nicht notwendige, sind vergängliche Vorkommnisse; ihnen gegenüber: „das Absolute verharrend in Ewigkeit im Wandel seiner Modi."

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LITERATURVERZEICHNIS A, a: V E R Z E I C H N I S D E R B E N U T Z T E N V E R Ö F F E N T L I C H T E N WERKE HUSSERLS A, b: V E R Z E I C H N I S D E R B E N U T Z T E N U N V E R Ö F F E N T L I C H T E N MANUSKRIPTE HUSSERLS A, c: V E R Z E I C H N I S D E R B E N U T Z T E N

SEKUNDÄRLITERATUR

Im Text verweist bei den Literaturangaben die erste Zahl hinter dem Verfassernamen auf das Werk, das unter dieser Zahl in Α aufgeführt ist, die Zahl hinter dem Beistrich auf die betr. Seite. (Bei den Angaben, die sich auf Husserl'sche Manuskripte beziehen, verweist der Buchstabe a oder b hinter der letzten Zahl auf die Vorder- bzw. Rückseite der Blätter der stenographierten Originalmanuskripte, die von Husserl nicht Seiten-, sondern blattweise nummeriert wurden. Erscheint bei Stellenangaben zu Manuskripten vor der zweiten arabischen Zahl noch eine römische Zahl, so wird auf den durch die römische Zahl bezeichneten Teil des betr. Manuskriptes verwiesen.) A, a: V E R Z E I C H N I S D E R B E N U T Z T E N V E R Ö F F E N T L I C H T E N WERKE HUSSERLS: 1 Philosophie der Arithmetik, Halle 1891 2 Bericht über deutsche Schriften zur Logik aus dem Jahre 1894, in: Archiv f. syst. Phil. 3, 1897 3 Logische Untersuchungen, 1. und 2. Teil, Halle 1900/01 4 Logische Untersuchungen, 3 Bde.: I, II 1, II 2, 4. Auflage, Halle 1928 5 Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins (hrsg. v. Martin Heidegger), Halle 1928 6 Philosphie als strenge Wissenschaft, in: Logos Bd. 1, 1910/11 7 Erinnerungen an Franz Brentano, in: Kraus, Oskar: Franz Brentano, München 1919 8 Erfahrung und Urteil (Untersuchungen zur Genealogie der Logik) (hrsg. v. Ludwig Landgrebe), Hamburg 1948 9 Formale und transzendentale Logik, Halle 1929 10 Phänomenologie und Anthropologie, in: Philosophy and Phenomenological Research ( = Research) 2, 1941/42 11 Die Welt der lebendigen Gegenwart und die Konstitution der außerleiblichen Umwelt, in: Research 6, 1945/46 Die gesammelten Werke Edmund Husserls werden im Auftrage der „International Phenomenological Society", hauptsächlich auf Grund des Nachlasses, herausgegeben als „Husserliana"; bisher sind erschienen: 12 Bd. I: Pariser Vorträge und Cartesianische Meditationen (hrsg. v. S. Strasser), Haag 1950 13 Bd. II: Die Idee der Phänomenologie (hrsg. v. W. Biemel), Haag 1950 14 Bd. III: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, 1. Band (hrsg. v. W. Biemel), Haag 1950 318

15 Bd. 16 Bd. 17 Bd.

IV: Ideen . . 2 . Band (hrsg. v. M. Biemel), Haag 1952 V: Ideen . . . , 3. Band (hrsg. v. M. Biemel), Haag 1952 VI: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie (hrsg. v. W. Biemel), Haag 1954 18 Bd. VII: Erste Philosophie, 1. Teil (hrsg. v. R. Boehm), Haag 1956 18a Bd. VIII: Erste Philosophie, 2. Teil (hrsg. v. R. Boehm), Haag 1959

A, b: V E R Z E I C H N I S D E R B E N U T Z T E N U N V E R Ö F F E N T L I C H T E N MANUSKRIPTE HUSSERLS: 19 20 21 22 23

Manuskript Manuskript Manuskript Manuskript Manuskript

A130: A131: A142: AIV 2: AV5:

Zur formalen und transzendentalen Logik Lehre von der Evidenz Auseinandersetzung mit Rickert Wissenschaftslehre (Vorbereitung zur Reduktion) Anthropologie und Weltanschauung, Funktion der Mitteilung, Soziale Akte Lebenswelt, Anthropologie 24 Manuskript A V 10: Zur Anthropologie 25 Manuskript A V 20: 26 Manuskript AVI 16: Problem der Ontologie der Seele 27 Manuskript A VI 18: Psychologie und Anthropologie, zur Psychologievorlesung 1925 28 Manuskript AVI 19: Psychologie (Methodologie) 1919 29 Manuskript A VI 20: Psychologie (Zur intentionalen Psychologie) 1928/29 30 Manuskript A VI 22: Zur intentionalen Psychologie 31 Manuskript AVI 26: Zur Lehre von der Intentionalität 32 Manuskript A VII 8: Weltanschauung 33 Manuskript A VII20: Natürlicher Weltbegriff 34 Manuskript Β I 5: Zur Reduktion 35 Manuskript Β I 9: Verhältnis von Psychologie und Phänomenologie 36 Manuskript Β 110: Anfangsbetrachtungen zur Reduktion 37 Manuskript Β 1 1 3 : Zur Reduktion 38 Manuskript Β 114: Zur Reduktion (Paradoxien) 39 Manuskript Β I 30: Sinn der konstitutiven Problematik 40 Manuskript Β II 10: Zur Reduktion 41 Manuskript Β II 19: Zur Reduktion 42 Manuskript Β I U I : Bezug der transzendentalen Subjektivität zur Welt, Programm der Konstitution 43 Manuskript Β III 10: Programmatisches zur konstitutiven Problematik 44 Manuskript Β IV 6: Phänomenologischer Idealismus 45 Manuskript C 2 I : Zeitigung (lebendige Gegenwart) 46 Manuskript C 8 I : Zeitkonstitution 47 Manuskript C 10: Zur lebendigen Gegenwart 48 Manuskript C 16 IV: Zeitigung (lebendige Gegenwart, Emotionalitäten) 49 Manuskript D 14: Reduktive Intentionalanalyse (Wachheit und Schlaf) 50 Manuskript D 15: Urkonstitution 51 Manuskript Ε III 2: Teleologie 52 Manuskript F I 33: Problem der intentionalen Psychologie, 1926/27 Phänomenologische Psychologie, SS 1925, (Ms. F I 36 53 Manuskript F I 36: wird mit Ergänzungen aus Ms. F I 44 und anderen Beilagen als Band IX der „Husserliana" veröffentlicht) 319

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Manuskript F I 44: Manuskript Κ I U I :

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Manuskript Κ III 6:

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Manuskript M i l :

Intentionale Psychologie, Colleg SS 1928 Das europäische Menschentum in der Krisis der europäischen Kultur Manuskripte zur Ausarbeitung der Krisis-Abhandlung Phänomenologie und Erkenntnistheorie

A, c: V E R Z E I C H N I S D E R B E N U T Z T E N

SEKUNDÄRLITERATUR:

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Anschütz, Georg: Spekulative, exakte und angewandte Psychologie (Eine Untersuchung über die Prinzipien der psychologischen Erkenntnisse), in: Archiv f. d. gesamte Psychologie ( = Archiv) 23/24, 1911/12

59

Anschütz, Georg: Uber die Methoden der Psychologie, in: Archiv 20, 1911

60 Avenarius, Richard: Der menschliche Weltbegriff (mit den „Bemerkungen zum Begriff des Gegenstandes der Psychologie"), 4. Auflage Leipzig 1927 61 Avenarius, Richard: Kritik der reinen Erfahrung, 2 Bde., 3. Auflage Leipzig 1928 62

Binswanger, Ludwig: On the Relationship between Husserl's Phenomenology and Psychological Insight, in: Philosophy and Phenomenological Research 11, 1941/1942

63

Blumenfeldi "Walter: Zur kritischen Grundlegung der Psychologie, Berlin 1920 Brand, Gerd: Welt, Ich und Zeit (Nach unveröffentlichten Manuskripten JSdmund Husserls), Haag 1955

64 65

Brentano, Franz: Die Psychologie des Aristoteles, Mainz 1867

66

Brentano, Franz: Psychologie vom empirischen Standpunkt, 2 Bde. (hrsg. v. Oskar Kraus), 3. Auflage Hamburg 1955

67

Brentano, Franz: Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis, Leipzig 1889

68

Brentano, Franz: Meine letzten Wünsche für Österreich, Stuttgart 1895

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Brentano, Franz: Von der Klassifikation der psychischen Phänomene, Leipzig 1911 70 Bühler, Karl: Die Krise der Psychologie, in: Kant-Studien 31, 1926 71

Camap, Rudolf: Psychologie in physikalischer Sprache, in: Erkenntnis 3, 1932/33

72

Cohen, Hermann: Logik der reinen Erkenntnis, 1. Teil aus: System der Philosophie, Berlin 1902

73

Diemer, Alwin: Edmund Husserl (Versuch einer systematischen Darstellung seiner Phänomenologie), Meisenheim 1956

74 Dilthey, Wilhelm: Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie (Sitzungsberichte d. Kgl. Preuß. Akad. d. Wiss. zu Berlin 1894), abgedruckt in: Wilhelm Diltheys gesammelte Schriften, V. Band, Berlin/Leipzig 1924 75

320

Ebbinghaus, Hermann: Uber erklärende und beschreibende Psychologie, in: Zeitschrift f. Psych, u. Phys. 9,1896

76

Elsenhans, Theodor: Phänomenologie, Psychologie, Erkenntnistheorie, in: Kant-Studien 20, 1915

77

Elsenhans, 1918

78

Fechner, Gustav Th.: Elemente der Psychophysik, 1. Teil, Leipzig 1860

79

Fink, Eugen: Die phänomenologische Philosophie Edmund Husserls in der gegenwärtigen Kritik (mit einem Vorwort von Husserl), in: Kant-Studien 38, 1933

80

Freud, Sigmund: Die Verdrängung, in: Bd. X von „Sigmund Freud, Gesammelte Schriften", London, von 1951 an

81

Freud, Sigmund: Das Ich und das Es, in: Bd. XIII von „Sigmund Freud, Gesammelte Schriften", London, von 1951 an

82

Freud, Sigmund: Abriß der Psychoanalyse, in: Bd. XVII von „Sigmund Freud, Gesammelte Schriften", London, von 1951 an

83

Frohes, Joseph: Lehrbuch der experimentellen Psychologie, 2. Bde., 3. Auflage Freiburg 1923—1929

84

Funke, Gerhard: Zur transzendentalen Phänomenologie, Bonn 1957

85

Funke, Gerhard: Geschichte als Phänomen, in: Zeitschrift f. phil. Forschung 11, 1957

86

Funke, Gerhard: Transzendental-phänomenologische Untersuchungen über „Universalen Idealismus", „Intentionalanalyse" und „Habitusgenese", in: Archivio di Filosofia ( = Archivio) 19, 1957

Theodor:

Phänomenologie und Empirie, in: Kant-Studien 22,

87

Funke, Gerhard: Gewohnheit, in: Archiv für Begriffsgeschichte 3, 1958

88

Gruhle, Hans W.:

89

Gruhle, Hans W.: Kritik der Psychoanalyse, in: Studium Generale 3, 1950

90

Heidegger,

91

Heidegger, Martin: Was ist Metaphysik? 5. Auflage mit Einleitung und Nachwort, Frankfurt 1949

92

Hume, David: Traktat über die menschliche Natur (hrsg. v. Theodor Hamburg/Leipzig 1904—06

93

Hume, David: Untersuchungen über den menschlichen Verstand (hrsg. v. Raoul Richter), Leipzig 1928

94

Illemann, Werner: Husserls vorphänomenologisdie Philosophie, Leipzig 1932

95

Illemann, Werner: Uber die gegenwärtigen Aufgaben der Phänomenologie, in: Archivio 19, 1957

96

Jaspers, Karl: Die phänomenologische Forschungsrichtung in der Psychopathologie, in: Zeitschrift f. Psych. 9, 1912

97

Jaspers, Karl: Allgemeine Psychopathologie, 4. Auflage Berlin 1946

98

Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft (Erste Auflage von 1781 = A), in: Kants gesammelte Schriften (hrsg. v. d. Kgl. Preuß. Akad. d. Wiss.), Bd. 4, Berlin 1903

Martin:

Verstehende Psychologie (Erlebnislehre), Stuttgart 1918 Sein und Zeit, 1. Hälfte, 8. Auflage Tübingen 1957

Lipps),

321 21

Drüe

99 Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft (Zweite Auflage von 1787 = B), in: Kants gesammelte Schriften . . . , Bd. 3, Berlin 1904 100 Kant, Immanuel: Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, in: Kants gesammelte Schriften . . . , Bd. 4, Berlin 1903 101 Kant, Immanuel. Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht hat?, in: Kants gesammelte Schriften . . . , Bd. 20, Berlin 1942 102 Koffka, Kurt: Zur Analyse der Vorstellungen und ihrer Gesetze, Leipzig 1912 103 Krueger, Felix: Die Aufgabe der Psychologie an den deutschen Hochschulen, in: Bericht über den XII. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, Jena 1932 104

Krueger, Felix: Zur Philosophie und Psychologie der Ganzheit, BerlinGöttingen-Heidelberg 1953

105

Landgrebe, Ludwig: Wilhelm Diltheys Theorie der Geisteswissenschaften (Analyse ihrer Grundbegriffe), in: Jahrbuch f. Phil. u. phän. Forschung ( = Jahrbuch) 9, 1928

106

Lefebre, Ludwig: Die Psychologie von Karl Jaspers, in: Schiipp, Paul Α.: Karl Jaspers, Stuttgart 1957

107

Linke, Paul F.: Das Recht der Phänomenologie, in: Kant-Studien 21, 1917

108

Linke, Paul F.: Grundfragen der Wahrnehmungslehre, 2. Auflage München 1929 109 Lipps, Theodor: Inhalt und Gegenstand, Psychologie und Logik, in: Sitzungsberichte d. Kgl.-bayerischen Akademie zu München, Philosophisch-philologische und historische Klasse, München 1905 110

Lipps, Theodor: Die Wege der Psychologie, in: Archiv 6, 1906

111 Lipps, Theodor: Leitfaden der Psychologie, Leipzig 1903 112

Mach, Ernst: Prinzipien der Wärmelehre, Leipzig 1896

113 Mainländer, Philipp: Die Philosophie der Erlösung, 2 Bde., 1. Bd. 3. Auflage Berlin 1876; 2. Bd. 2. Auflage Frankfurt 1894 114

Meinong, Alexius v.: Untersuchungen zur Gegenstandstheorie und Psychologie, Leipzig 1904

115 Messer, August: Husserls Phänomenologie in ihrem Verhältnis zur Psychologie, in: Archiv 22, 1911/12 116 Natorp, Paul: Philosophie (Ihr Problem und ihre Probleme, Einführung in den kritischen Idealismus), 3. Auflage Göttingen 1921 117 Natorp, Paul: Allgemeine Psychologie in Leitsätzen (zu akademischen Vorlesungen), 2. Auflage Marburg 1910 118 Natorp, Paul: Allgemeine Psychologie nach kritischer Methode, Tübingen 1912 119 Natorp, Paul: Philosophie und Psychologie, in: Logos 4, 1913 120 Österreich, Traugott K.: Die Phänomenologie des Ich in ihren Grundproblemen, Leipzig 1910 322

121 Planck, Max: Wege zur physikalischen Erkenntnis, 4. Auflage Leipzig 1944 122 Revesz, Geza: Die Bedeutung der Psychologie, Bern 1947 123 Rickert, Heinrich: Zur Lehre von der Definition, 3. Auflage Tübingen 1929 124 Rickert, Heinrich: Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, 6. Auflage Tübingen 1926 125 Rickert, Heinrich: Der Gegenstand der Erkenntnis, 4. u. 5. Auflage Tübingen 1921 126 Rickert, Heinrich: Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung (Eine logische Einleitung in die historischen Wissenschaften), 5. Auflage Tübingen 1920 127 Scheler, Max: Wesen und Formen der Sympathie, 5. Auflage von: Phänomenologie und Theorie der Sympathiegefühle, Frankfurt 1948 128 Scheler, Max: Schriften aus dem Nachlaß, Bd. I: Zur Ethik und Erkenntnislehre, Berlin 1933 129 Schümmer, Heinz: Die Wahmehmungs- und Erkenntnismetaphysik Max Schelers in den Stadien ihrer Entwicklung (Unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungen Schelers zu Husserl), Bonn 1954 130 Schmied-Kowarzik, Leipzig 1912

Walther:

Umriß einer neuen analytischen Psychologie,

131 Schmied-Kowarzik, Walther: Diltheys und Sprangers verstehende Psychologie in ihrem Verhältnis zur erklärenden (naturwissenschaftlichen) Psychologie, in: Archiv 58, 1927 132 Schuppe, Wilhelm: Das menschliche Denken, Berlin 1870 133 Schuppe, Wilhelm: Erkenntnistheoretische Logik, Bonn 1878 134

Schuppe, Wilhelm: Zum Psychologismus und Normcharakter der Logik (Eine Ergänzung zu „Husserls Logischen Untersuchungen"), in: Archiv f. syst. Phil. 7, 1901

135 Sigwart, Christoph v.: Logik, 2 Bde., 5. Auflage Tübingen 1924 136 Stein, Edith: Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften, in: Jahrbuch 5, 1922 137 Störring, Gustav: Die Frage der geisteswissenschaftlichen und der verstehenden Psychologie, in: Archiv 58, 1927; 61, 1928; 62, 1928 138 Strasser, Stephan: Das Gemüt (Grundgedanken zu einer phänomenologischen Philosophie und Theorie des menschlichen Gemütslebens) Utrecht/Antwerpen/Freiburg 1956 139 Watt, Henry: Sammelbericht (II.) über die neuere Forschung in der Gedächtnis- und Assoziationspsychologie aus dem Jahre 1905, in: Archiv 9, 1907 140 Weininger, Otto: Geschlecht und Charakter chung), 16. Auflage Wien/Leipzig 1917

(Eine prinzipielle Untersu-

141 Wellek, Albert: Die Entwicklung der Grundannahmen der Psychologie und die Überwindung des Phänomenalismus und Psychologismus, in: Jahrbuch f. Psychologie u. Psychotherapie 4, 1957 323 21·

142

Wundt, Wilhelm: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 3 Bde., 6. Auflage Leipzig 1908—11

143

Wundt, Wilhelm: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2 Bde., 4. Auflage Leipzig 1893

144

Wundt. Wilhelm:

145

Wundt, Wilhelm: Über empirische und metaphysische Psychologie (Eine kritische Betrachtung), in: Archiv 2, 1903/04

146

Ziehen, Theodor: Erkenntnistheorie auf psychophysiologischer und physikalischer Grundlage, Jena 1913

324

Logik, 3 Bde., 2. Auflage Stuttgart 1907/08

NAMENREGISTER Ansdiütz, G. 66, 109 Aristoteles 129 Avenarius, R. 8 Becker, O. 81 Berkeley, G. 20 Biemel, W. IX, 4 Billroth, Th. 33 Blumenfeld, W. 17 Brand, G. 138, 140 Breda, H. L. van IX Brentano, F. 1, 25, 53, 85, 106, 128 bis 131, 146, 196, 280, 307, 315 Buytendijk, F. J. J. 3 Carnap, R. 18 Chastaing, M. 3 Cohen, H. 26—28 Comte, A. 109 Cornelius, H. 53 Descartes, R. 3, 7, 9 f., 12, 15 f., 18, 20, 24, 69,130,164, 223, 253, 285, 287 Dilthey, W. 14 f , 18, 21—26, 53, 104, 280 Driesch, H. 14 Ebbinghaus, H. 24 Einstein, A. 190 Elsenhans, Th. 125, 128 Euklid 183, 249 Fediner, G. Th. 7, 18 Fichte, J. G. 281, 290 Fink, E. 38, 55, 61, 243—245 Frege, G. 53 •Freud, S. VIII, 126, 307—315 Funke, G. 302 f.

Galilei, G. 47, 56, 69, 80 Geiger, M. 2, 250 Graumann, C. F. 4, 97 Gruhle, H. W. 57, 59, 124 f. Gurwitsch, A. 3 Hartmann, E. v. 243 Hartmann, N. 186 Hegel, G. W. F. 2, 32 f. Heidegger, M. 3, 38, 81, 260 Heisenberg, W. 14, 56 Heraklit 264 Herbart, J. F. 7, 30 Hobbes, Th. 7, 19, 30 Hume, D. 20, 29, 128, 130, 209, 266 Illemann, W. 307 Jaspers, K. 2, 8, 23, 57, 85, 190 Jung, C. G. 49, 57 Kant, I. 2, 7, 10, 12, 26—30, 39, 63, 85, 102, 114, 234, 248, 259, 297 Kierkegaard, S. 8 Klages, L. 17 Koffka, K. 127 Kopemikus, N. 235 Kraus, O. 280 Krueger, F. 280 Lambert, J. H. 2 Lamettrie, J. O. de 164 Landgrebe, L. 22 Laplace, P. S. 218, 231 Leibniz, G. W. 63, 231 Linschoten, J. 4 Linke, P. F. 128 Lipps, Th. 52, 128, 130, 191 Locke, J. 7, 13, 19 f., 29 f., 106, 191, 234 325

Mach, Ε. 13, 53, 251 Merleau-Ponty, Μ. 3 Mozart, W. Α. 92 Natorp, P. 14 f., 279 Nietzsche, F. 8, 13 Österreich, Τ. K. 85 Pawlow, I. P. 7, 32 Pfänder, A. 2, 3 Planck, M. 14, 251 Piaton 121, 186, 279 Ramul, K. 250 Revesz, G. 126 f. Rickert, H. 15—17, 47, 271 Riehl, A. 53 Rohracher, H. 13 Sartre, J. P. 3 · Scheler, M. 2 f., 57, 120, 124—126, 186, 250

326

Schleiermacher, F. E. D. 114 Schlick, M. 114 Schmied-Kowarzik, W. 31 f. Schneider, K. 57 Spencer, H. 13 Spengler, O. 52 Spinoza, B. 7, 13 Spranger, E. 57 Stein, E. 2 f., 249 f., 267 Stern, W. 92 Störring, G. 24, 66, 109, 125 f. Vaihinger, H. 251 Virchow, R. 164 Volkmann, R. v. 33 Watson, J. 7 Watt, H. 111 Weber, M. 24, 226 Wolff, Ch. 63 Wundt, W. 13—15, 22, 30, 220 Ziehen, Th. 109

WILHELM WEISCHEDEL

Wirklichkeit und Wirklichkeiten Aufsätze

und

Vorträge

Groß-Oktav. V I I I , 286 Seiten. 1960. Ganzleinen D M 24 — Der Berliner Philosoph Wilhelm Weischedel legt hier Aufsätze und Vorträge aus den letzten 15 Jahren vor. So verschieden ihre Themen sind, sie kreisen doch alle um das heute im Mittelpunkt der philosophischen Diskussion stehende Problem der Wirklichkeit. Den Anfang bilden Abhandlungen historischen Charakters, im Zentrum steht die grundsätzliche Erörterung des Problems der Wirklichkeit. Es schließen sich Untersuchungen zum Wesen der Kunst, insbesondere in ihrer gegenwärtigen Problematik, an. Den Abschluß bilden Aufsätze zur Ethik, zur Philosophie des Rechts, sowie zur Philosophie der Politik; diese Aufsätze zeigen, daß das Problem der Wirklichkeit, so intensiv und streng es im philosophischen Gedanken angegangen wird, doch nicht abstrakt bleibt, sondern auf die Gestaltung des konkreten Daseins ausstrahlt.

JOHANNES ERICH HEYDE

Wege zur Klarheit Gesammelte

Aufsätze

Groß-Oktav. V I I I , 456 Seiten. 1960. Ganzleinen D M 2 8 , — Die einzelnen Arbeiten dieser Aufsatzsammlung umkreisen recht weit auseinander liegende Gegenstände. Was sie aber gleichwohl zusammengehörig erscheinen läßt, ist der Umstand, daß es sich jeweils um sogenanntes A l l g e m e i n s t e s handelt. WOLFGANG MÜLLER-LAUTER

Möglichkeit und Wirklichkeit bei Martin Heidegger Groß-Oktav. V I I I , 107 Seiten. 1960. Ganzleinen D M 1 4 , — Seit Hegel hat kein deutscher Philosoph das Denken seiner Zeit in so einschneidender und umfassender Weise bestimmt wie Martin Heidegger. An Heidegger scheiden sich heute die Geister. Trotz mancher bedeutsamen Untersuchung fehlt es heute noch weithin an der Bemühung, die grundlegenden Begriffe Heideggers zu klären. Unter diesen nimmt, von „Sein und Zeit" an, der Begriff der Möglichkeit eine zentrale Stelle ein. Seine charakteristische Bedeutung erhält er dadurch, daß Heidegger ihm einen Vorrang vor der Wirklichkeit zuspricht. Von diesem Vorrang her begreift Heidegger das Dasein des Menschen und von ihm her stellt er vor allem den Primat der Zukunft in der ursprünglichen Zeit, der Zeitlichkeit des Daseins, heraus. Diesem Grundthema des Denkens Heideggers gilt die hier angekündigte Abhandlung. Sich streng an die T e x t e Heideggers haltend analysiert der Verfasser im Ausgang von .existenzialen MöglichkeitsbegrifP insbesondere die Phänomene des Todes, der Zeitlichkeit, der Rede, der Zuhandenheit und Vorhandenheit, sowie den Wissenschaftsbegriff Heideggers und dessen Deutung der Kunst. W A L T E R

D E

G R U Y T E R

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CO.

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B E R L I N

Johann Gottlieb Fichte's nadigelassene Werke Aus dem Nachlasse herausgegeben von J . H. F I C H T E . Drei Bände Photomechanischer Nachdruck der 1834/35 erschienenen Ausgabe. Originalformat (12,5 χ 21,2 cm). Ganzleinen DM 108,— Erster Band: Einleitungsvorlesungen in die Wissenschaftslehre, die transscendentale Logik, und die Thatsachen des Bewußtseins; vorgetragen an der Universität zu Berlin in den Jahren 1812 und 1813. V I I I , 575 Seiten. Zweiter Band: Wissensdiaftslehre und das System der Rechtslehre; vorgetragen an der Universität zu Berlin in den Jahren 1804, 1812 und 1813. IV, 652 Seiten. Dritter Band: System der Sittenlehre; Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten und vermischte Aufsätze. V I I I , 453 Seiten. H. J . P A T O N

Der kategorische Imperativ E i n e U n t e r s u c h u n g ü b e r K a n t s Mo r a 1 ρ h i 1 ο s ο ρ h i e Groß-Oktav. X V I , 335 Seiten. 1962. Ganzleinen DM 28,— Der Verfasser des vorliegenden Buches ist einer der bedeutendsten KantForscher unserer Zeit. Er bietet mit diesem Werk nicht nur eine gelehrte Abhandlung, sondern zugleich eine Einführung in Kants Ethik und eine Untersuchung über das sittliche Bewußtsein im Sinne der Kantschen Theorie. Dabei schließt er sich sehr nahe an den Text der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten an, die Kants populärstes Werk ist. Er gibt zu allen ihren schwierigsten Stellen Interpretationen, die zum größten Teil neu sind. Sein Buch ist deshalb auch für den Kant-Kenner unentbehrlich. Es zeichnet sich im übrigen durch eine leicht verständliche Art der Darstellung aus. Aus dem Inhalt: I. Bud): Der Weg zum kategorischen Imperativ Die kritische Methode — Der gute Wille — Die Pflicht — Die Maxime der Sittlichkeit — Achtung — Das Gesetz — Mißverständnisse 2. Buch: Der Hintergrund des kategorischen Imperativs Die praktische Vernunft und ihre subjektiven Prinzipien — Die praktische Vernunft und ihre objektiven Prinzipien — Das Gute — Imperative — Wie sind Imperative möglich? 3. Buch: Die Formulierung des kategorischen Imperativs Die fünf Formeln — Die Formel des allgemeinen Gesetzes — Die Formel des Naturgesetzes — Die Formel des Zwecks an sich selbst — Die Formel der Autonomie — Die Formel des Reiches der Zwecke 4. Buch: Die Rechtfertigung des kategorischen Imperativs Das Problem — Freiheit und Autonomie — Die Freiheit als notwendige Voraussetzung — Die intelligible Welt — Die Zugehörigkeit zur intelligiblen Welt — Wie ist ein kategorischer Imperativ möglich? — Einige weitere Fragen — Die Verteidigung der Freiheit — Namen- und Sachregister Durch Nachdruck

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Kants gesammelte Schriften

Herausgegeben von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. 23 Bände. Oktav. Vorzugspreis bei Abnahme aller Bände. Einen Sonderprospekt mit Angaben über die einzelnen Bände erhalten Sie auf Anfrage.

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