Echo-Fragen: Vom Satztyp zur Fragebedeutung 9783110426267, 9783110421477, 9783110421545

Echo questions differ formally from interrogative sentences, yet they consistently have a questioning character. What is

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Echo-Fragen: Vom Satztyp zur Fragebedeutung
 9783110426267, 9783110421477, 9783110421545

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
1 Einleitung
2 Echo-Fragen – Der Prototyp
2.1 Merkmale des Prototyps
2.1.1 Der Prototyp
2.1.2 Formtypen
2.1.3 Formale Kennzeichen
2.1.4 Zusammenfassung
2.2 Abseits des Prototyps
2.2.1 Nachfragen versus Rückfragen
2.2.2 Umformulierungen
2.2.3 Initiative w-in-situ-Fragen
2.2.4 Assertive Fragen
2.2.5 Zusammenfassung
3 Satztyp, Illokution und Common Ground
3.1 Vom Satztyp zur Illokution
3.1.1 Satztyp und Satzmodus
3.1.2 Sprechakt und Illokution
3.2 Common Ground und Grounding
3.2.1 Kontext und Common Ground
3.2.2 Verständnissichernde Nachfragen als Grounding-Sprechakte
3.2.3 Vom Grounding zum Common Ground
3.2.4 Zusammenfassung
4 Syntaktische und semantische Eigenschaften
4.1 Syntaktische Eigenschaften von Echo-Fragen
4.1.1 Satztypvariation
4.1.2 Echo-w-Phrasen als Nicht-Operator-Phrasen
4.1.3 Distribution von Echo-w-Phrasen
4.1.4 Zusammenfassung
4.2 Semantische Eigenschaften von Echo-Fragen
4.2.1 Frage und Antwort in Echo-Fragen
4.2.2 Kontextgebundenheit
4.2.3 Metarepräsentativer Charakter
4.2.4 Metasprachlicher Charakter
4.2.5 Zusammenfassung
5 Bisherige Lösungsansätze
5.1 Syntaktische Lösungsansätze
5.1.1 Echo-Fragen als reguläre Interrogativsätze
5.1.2 Echo-Fragen als eigener Satztyp
5.1.3 Echo-Fragen als Vertreter der geechoten Satztypen
5.1.4 Zusammenfassung
5.2 Fokusbasierte Analyse
5.2.1 Echo-Fragen als fokusgenerierte Fragen
5.2.2 Satztypvariation
5.2.3 Distribution von Echo-w-Phrasen
5.2.4 Beschränkungen
5.2.5 w-in-situ und Pseudo-Echo
5.2.6 Probleme der fokusbasierten Analyse
5.2.7 Zusammenfassung
6 Echo-w-Fragen
6.1 w-Fragen und Fokus
6.1.1 w-Interrogative und Fokus
6.1.2 Echo-w-Fragen und Fokus
6.1.3 Zusammenfassung
6.2 Restriktionen für w-in-situ
6.2.1 Echo
6.2.2 QUD
6.2.3 Exist
6.2.4 Deakzent
6.3 Ableitung der Metarepräsentation
6.3.1 Nachfrage
6.3.2 Erinnerungsfrage
6.3.3 Zwei Typen von w-in-situ-Fragen?
6.4 Zusammenfassung
7 Echo-E-Fragen
7.1 Das Echo-E-Problem
7.1.1 Fokusalternativen als Fragealternativen
7.1.2 Fragebedeutung durch steigende Intonation?
7.1.3 Intonation und Metarepräsentation in Echo-Fragen
7.2 Fallbeispiel: Deklarativsätze als (Echo-)Fragen
7.2.1 Deklarative Fragen
7.2.2 Gunlogson (2003)
7.2.3 Kritik an Gunlogson (2003)
7.2.4 Zusammenfassung
7.3 Analyse von Assertiven Fragen
7.3.1 Assertive Fragen als Assertionen
7.3.2 Die Rolle der steigenden Intonation
7.3.3 Problem: Contextual Bias Condition
7.4 Analyse von EEFs
7.4.1 Metarepräsentation durch Implikatur?
7.4.2 Die Rolle des Fokus
7.4.3 Das Präferenz-Problem
7.4.4 Ableitung der Metarepräsentation
7.5 Zusammenfassung
8 Echo-Fragen und Metarepräsentation
8.1 Echo-Fragen und Redewiedergabe
8.1.1 Formen der Redewiedergabe in Echo-Fragen
8.1.2 Unterschiede zwischen Echo-Fragen und Redewiedergabe
8.1.3 Zusammenfassung
8.2 Metasprachlicher Charakter von Echo-Fragen
8.2.1 Echo-Fragen als genuin metasprachliche Fragen?
8.2.2 Fokus und Zitat
8.2.3 Zusammenfassung
9 Klassifikation und Verwendungsmöglichkeiten
9.1 Reaktive Verwendungen
9.1.1 Verständnissichernde Nachfragen
9.1.2 Problemmanifestierende Nachfragen
9.1.3 Rückfragen
9.1.4 Echo-Exklamationen
9.2 Initiative Verwendungen
9.2.1 Antizipatorische Fragen und Erinnerungsfragen
9.2.2 Quizfragen und Courtroom-Questions
9.3 Zusammenfassung
10 Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Sachregister

Citation preview

Claudia Poschmann Echo-Fragen

Linguistische Arbeiten

Herausgegeben von Klaus von Heusinger, Gereon Müller, Ingo Plag, Beatrice Primus, Elisabeth Stark und Richard Wiese

Band 558

Claudia Poschmann

Echo-Fragen

Vom Satztyp zur Fragebedeutung

ISBN 978-3-11-042626-7 e-ISBN [PDF] 978-3-11-042147-7 e-ISBN [EPUB] 978-3-11-042154-5 ISSN 0344-6727 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: PTP-Berlin, Protago-TEX-Production GmbH, Berlin Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Dieses Buch basiert im Wesentlichen auf meiner Dissertation aus dem Jahre 2010, die im Rahmen des DFG Graduiertenkollegs „Satzarten“ in Frankfurt a. M. entstand. Mein erster Dank gilt daher meinen beiden Gutachtern, Jörg Meibauer, ohne den weder die Dissertation noch dieses Buch entstanden wäre, und Thomas Ede Zimmermann, der mir mit viel Geduld und unzähligen wertvollen Anregungen half, die Grundzüge dieser Arbeit zu entwickeln, sowie Klaus von Heusinger, dem Herausgeber dieser Reihe, der mich maßgeblich dabei unterstützte, die Dissertation in ein Buch zu verwandeln. Ganz besonders danken möchte ich aber auch allen Mitstreitern im Graduiertenkolleg „Satzarten“, allen voran Felix Schumann, Elena Castroviejo Miró und Shin-Sook Kim, die mir in allen Höhen und Tiefen mit Kritik und Rat zur Seite standen und mir nicht nur wissenschaftlich ein zweites Zuhause gaben. Nicht zuletzt aber danke ich meiner Familie und meinen Freunden, die mich immer unterstützt haben (obwohl sie die Sprachwissenschaft als eine der absurdesten Formen der Zeitverschwendung betrachten), und natürlich Michael und Paul, die mir nicht nur die Kraft zum Durchhalten gaben, sondern am Ende auch die entscheidende natürliche Deadline setzten. Frankfurt a. M., im Mai 2015

Claudia Poschmann

Inhalt Vorwort | V 1

Einleitung | 1

2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5

Echo-Fragen – Der Prototyp | 4 Merkmale des Prototyps | 4 Der Prototyp | 4 Formtypen | 7 Formale Kennzeichen | 9 Zusammenfassung | 14 Abseits des Prototyps | 14 Nachfragen versus Rückfragen | 15 Umformulierungen | 18 Initiative w-in-situ-Fragen | 20 Assertive Fragen | 21 Zusammenfassung | 23

3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4

Satztyp, Illokution und Common Ground | 24 Vom Satztyp zur Illokution | 24 Satztyp und Satzmodus | 24 Sprechakt und Illokution | 29 Common Ground und Grounding  | 31 Kontext und Common Ground | 32 Verständnissichernde Nachfragen als Grounding-Sprechakte | 34 Vom Grounding zum Common Ground | 37 Zusammenfassung | 39

4 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3

Syntaktische und semantische Eigenschaften | 41 Syntaktische Eigenschaften von Echo-Fragen | 41 Satztypvariation | 41 Echo-w-Phrasen als Nicht-Operator-Phrasen | 44 Distribution von Echo-w-Phrasen | 52 Zusammenfassung | 55 Semantische Eigenschaften von Echo-Fragen | 56 Frage und Antwort in Echo-Fragen | 56 Kontextgebundenheit | 58 Metarepräsentativer Charakter | 60

VIII   

4.2.4 4.2.5

   Inhalt

Metasprachlicher Charakter | 62 Zusammenfassung | 64

5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5 5.2.6 5.2.7

Bisherige Lösungsansätze | 65 Syntaktische Lösungsansätze | 65 Echo-Fragen als reguläre Interrogativsätze | 65 Echo-Fragen als eigener Satztyp | 71 Echo-Fragen als Vertreter der geechoten Satztypen | 74 Zusammenfassung | 80 Fokusbasierte Analyse | 80 Echo-Fragen als fokusgenerierte Fragen | 81 Satztypvariation | 86 Distribution von Echo-w-Phrasen | 88 Beschränkungen | 91 w-in-situ und Pseudo-Echo | 92 Probleme der fokusbasierten Analyse | 98 Zusammenfassung | 100

6 6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.4

Echo-w-Fragen | 102 w-Fragen und Fokus | 102 w-Interrogative und Fokus | 102 Echo-w-Fragen und Fokus | 109 Zusammenfassung | 115 Restriktionen für w-in-situ | 116 Echo | 116 QUD | 123 Exist | 125 Deakzent | 129 Ableitung der Metarepräsentation | 132 Nachfrage | 133 Erinnerungsfrage | 136 Zwei Typen von w-in-situ-Fragen? | 137 Zusammenfassung | 141

7 7.1 7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.2

Echo-E-Fragen | 144 Das Echo-E-Problem | 144 Fokusalternativen als Fragealternativen  | 144 Fragebedeutung durch steigende Intonation? | 146 Intonation und Metarepräsentation in Echo-Fragen | 148 Fallbeispiel: Deklarativsätze als (Echo-)Fragen | 150

Inhalt   

7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.2.4 7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.4 7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.4 7.5

   IX

Deklarative Fragen | 151 Gunlogson (2003) | 152 Kritik an Gunlogson (2003) | 160 Zusammenfassung | 166 Analyse von Assertiven Fragen | 167 Assertive Fragen als Assertionen | 168 Die Rolle der steigenden Intonation | 171 Problem: Contextual Bias Condition | 177 Analyse von EEFs | 180 Metarepräsentation durch Implikatur? | 180 Die Rolle des Fokus | 183 Das Präferenz-Problem | 184 Ableitung der Metarepräsentation  | 189 Zusammenfassung | 190

8 8.1 8.1.1 8.1.2 8.1.3 8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3

Echo-Fragen und Metarepräsentation | 192 Echo-Fragen und Redewiedergabe | 192 Formen der Redewiedergabe in Echo-Fragen | 192 Unterschiede zwischen Echo-Fragen und Redewiedergabe | 199 Zusammenfassung | 204 Metasprachlicher Charakter von Echo-Fragen | 205 Echo-Fragen als genuin metasprachliche Fragen? | 205 Fokus und Zitat | 209 Zusammenfassung | 213

9 9.1 9.1.1 9.1.2 9.1.3 9.1.4 9.2 9.2.1 9.2.2 9.3

Klassifikation und Verwendungsmöglichkeiten | 215 Reaktive Verwendungen | 215 Verständnissichernde Nachfragen  | 216 Problemmanifestierende Nachfragen | 220 Rückfragen | 222 Echo-Exklamationen | 223 Initiative Verwendungen | 225 Antizipatorische Fragen und Erinnerungsfragen | 225 Quizfragen und Courtroom-Questions | 226 Zusammenfassung | 228

10

Zusammenfassung und Ausblick | 230

Literaturverzeichnis | 235 Sachregister | 243

1 Einleitung Im Fokus dieses Buches steht die Beziehung zwischen Satztyp und Äußerungsbedeutung in Echo-Fragen. Als Echo-Fragen bezeichnet man in der Regel Nachfragen wie (1B) und (2B), mit denen der Sprecher signalisieren möchte, dass er Teile oder das Ganze der Vorgängeräußerung nicht verstanden hat und daher erfragen möchte. Dabei wird die erfragte Konstituente obligatorisch akzentuiert (EchoE-Frage) bzw. durch eine obligatorisch akzentuierte w-Phrase ersetzt (Echo-wFrage).¹ (1)

A: Rainer ist Limnologe. B: Rainer ist LIMNOLOGE?

(2) A: Rainer ist Limnologe. B: Rainer ist WAS?

(Echo-E-Frage)

(Echo-w-Frage)

Obwohl durchgängig als Fragen verwendet, unterscheidet sich dieser Äußerungstyp sowohl in Form als auch Funktion entscheidend von regulären Interrogativsätzen. So fragen Echo-Fragen, anders als reguläre Interrogativsätze, in der Regel nicht nach neuer, sondern nach im Kontext bereits gegebener (bzw. geäußerter) Information. Darüber hinaus können sie die Oberflächenstruktur der geechoten Äußerung kopieren und dabei Satztypmerkmale nicht-interrogativer Satztypen annehmen (z.B. eine deklarative Satztypstruktur wie in (1B) und (2B)). Besonders auffällig ist das abweichende syntaktische Verhalten der sogenannten Echo-w-Phrasen. Anders als w-Phrasen in regulären w-Interrogativsätzen werden Echo-w-Phrasen obligatorisch akzentuiert und müssen nicht in eine satzeinleitende Position (ex situ) bewegt werden, vielmehr können sie in der Basisposition (in situ) interpretiert werden. Umstritten ist in der Literatur daher, ob es sich bei Echo-Fragen um einen speziellen Typ von Interrogativsätzen oder einen eigenen Satztyp handelt. Altmann (1993: 1023) bezeichnet Echo-Fragen daher als „Mischtyp“ zwischen interrogativen und nicht-interrogativen Satztypen. Erschwert wird die Diskussion dadurch, dass bislang keine einheitliche Definition des Begriffs „Echo-Frage“ vorliegt. Sehen einige Analysen das Phänomen Echo-Frage auf die Verwendung als verständnissichernde Nachfragen wie (1) und (2) beschränkt (u.a. Selting 1995; Rost-Roth 2006; Ginzburg & Cooper 2004), so klassifzieren andere Ansätze ein ganzes Bündel verschiedenster Äußerungstypen wie die Assertive Frage und w-in-situ-Informationsfrage als Echo-Fragen bzw. Echo-Bil1 Im Folgenden werden die Konstituenten, die den Hauptakzent des Satzes tragen, durch Großschreibung hervorgehoben.

2   

   Einleitung

dungen (siehe u.a. Meibauer 1987; Altmann 1993; Noh 1998; Wilson 2000; Gunlogson 2003). Ein erstes Ziel dieses Buches besteht daher in der Beschreibung und Abgrenzung des Phänomenbereichs Echo-Frage, ein zweites in der Diskussion und Analyse des Zusammenspiels der syntaktischen, semantischen und pragmatischen Eigenschaften dieses Äußerungstyps. Nach einer ersten Abgrenzung des Phänomenbereichs (Kapitel 2) und einer knappen Einführung in die für die Diskussion benötigten Grundbegriffe wie „Satztyp“, „Illokution“ und „Common Ground“ (Kapitel 3), werden zunächst die syntaktischen, semantischen und pragmatischen Eigenschaften prototypisch als (verständnissichernde) Nachfragen verwendeter Echo-Fragen charakterisiert (Kapitel 4). Daraufhin wird in Kapitel 5 anhand einer Diskussion bisher vorliegender Lösungsansätze dafür argumentiert, dass es sich bei Echo-Fragen weder um spezielle Interrogativsätze (u.a. Escandell-Vidal 2002; Sobin 2003) noch um einen eigenen Satztyp (u.a. Ginzburg & Cooper 2004), sondern um beliebige Satztypen (siehe u.a. Reis 1991, 1999, 2012) handelt, deren Fragebedeutung über die spezielle Fokus-Hintergrund-Struktur der Äußerung abgeleitet wird (u.a. Wunderlich 1986; Hockey 1994; Artstein 2002; Reis 2012). Ausgangspunkt der Analyse bildet die Diskussion des fokussemantischen Lösungsansatzes von Artstein (2002) (Abschnitt 5.2). Dieser analysiert den charakteristischen Satzakzent in Echo-Fragen als Fokusakzent und leitet die Fragebedeutung der Echo-Frage über deren Fokuswert ab. Echo-w-Phrasen werden dabei nicht als syntaktisch lizensierte w-Phrasen, sondern als lexikalisierte Korrelate der Fokusvariable interpretiert, worüber u.a. auch ihre spezielle Distribution erklärt wird. Unzureichend geklärt bleibt bei Artstein (2002) jedoch u.a., aus welchem Grund im Falle von Echo-Fragen die Fokusalternativen überhaupt als Fragealternativen interpretiert werden können. Zudem weist die von Artstein (2002) vorgeschlagene Analyse Echo-Fragen die gleichen Alternativenmengen zu wie normalen w-Interrogativsätzen und lässt daher ungeklärt, woher die spezielle Kontextbindung (bzw. die Redewiedergabeinterpretation) von Echo-Fragen stammt. In Kapitel 6 und 7 wird daher jeweils für Echo-w-Fragen und Echo-E-Fragen diskutiert, wie die einschlägige Fragebedeutung ableitbar ist und unter welchen Kontextbedingungen die charakteristische Redewiedergabe-Interpretation (im Folgenden auch „Metarepräsentation“ genannt)² auftritt. Dies führt einerseits zu einer Abgrenzung von Echo-Fragen und regulären w-Interrogativsätzen (±fokusgeneriert) und andererseits zur Abgrenzung von Echo-Fragen mit verwandten (in der Literatur oftmals ebenfalls als Echo-Fragen klassifizierten) Äußerungstypen wie der Assertiven Frage sowie direkten w-in-situ-Informationsfragen (±Metarepräsentation). Insbesondere wird

2 Zum Begriff der Metarepräsentation siehe Abschnitt 4.2.3.

Einleitung   

   3

gezeigt, dass das Phänomen der w-in-situ-Frage im Deutschen und Englischen nicht auf Echo-Fragen beschränkt ist, sondern auch Verwendungen als direkte Informationsfragen zulässt. In Kapitel 8 wird schließlich die Redewiedergabe in Echo-Fragen mit anderen Redewiedergabeformen verglichen und in Kapitel 9 der Konstruktionstyp Echo-Frage definiert und sein Verwendungspotenzial skizziert. Damit liefert dieses Buch erstmals einen umfassenden Überblick über den Phänomenbereich Echo-Frage.³

3 Im Wesentlichen basiert dieses Buch auf einer überarbeiteten und aktualisierten Form meiner Dissertation aus dem Jahre 2010. Neuere Arbeiten konnten daher nur in begrenztem Rahmen berücksichtigt werden.

2 Echo-Fragen – Der Prototyp Die Schwierigkeiten bei der Analyse von Echo-Fragen beginnen bereits bei der Abgrenzung des Phänomenbereichs und der daraus folgenden Definition des Begriffs. In der Literatur variiert die Zuordnung sprachlicher Äußerungen zu diesem Typ je nach theoretischem Ansatz – ebenso wie die Antwort auf die Frage, ob es sich überhaupt um einen konsistenten, eindeutig abgrenzbaren Äußerungsbzw. Konstruktionstyp handelt. Die bisher vorliegenden Definitionen divergieren erheblich, u.a. in der Frage, ob sie Echo-Fragen als einen speziellen Illokutionstyp definieren oder als einen bestimmten Konstruktionstyp analysieren, der unterschiedliche Illokutionen umfassen kann. Ein erstes Ziel dieses Buches besteht folglich darin, Kriterien zur Klassifikation von Echo-Fragen zu erstellen.

2.1 Merkmale des Prototyps Als Ausgangspunkt der Beschreibung wähle ich einen Äußerungstyp, der theorieübergreifend als Prototyp einer Echo-Frage anerkannt ist – nämlich die reaktiv als verständnissichernde Nachfrage verwendete Echo-Frage. Ausgehend von den formalen und funktionalen Eigenschaften dieses Prototyps werden im Laufe dieses Buches im Vergleich mit verwandten Äußerungstypen unabhängige Kriterien für den Äußerungstyp Echo-Frage entwickelt.

2.1.1 Der Prototyp Als prototypische Echo-Fragen bezeichnet man in der Regel verständnissichernde Nachfragen wie (2B) und (1B), mit denen der Sprecher signalisieren möchte, dass er Teile oder das Ganze der Vorgängeräußerung nicht verstanden hat und diese erfragen möchte.⁴ (1)

A: Philipp ist Puppenspieler. B: Philipp ist PUPPENSPIELER?

(2) A: Philipp ist Puppenspieler. B: Philipp ist WAS?

(Echo-E-Frage)

(Echo-w-Frage)

4 Zur Funktion der „Nachfrage“ und weiterer nicht-prototypischer Verwendungsweisen von Echo-Fragen siehe u.a. Abschnitt 3.2.2, 3.2.3 und Kapitel 9.

Merkmale des Prototyps   

   5

Dabei übernimmt der Sprecher Teile der vorausgehenden Äußerung bzw. die Vorgängeräußerung als Ganzes und markiert durch intonatorische Akzentuierung⁵ (Echo-Entscheidungs-Frage) und eventuell zusätzlich durch Einfügung eines akzentuierten w-Ausdrucks (Echo-w-Frage), dass er die Vorängeräußerung nicht oder nur teilweise verstanden hat (siehe u.a. Zifonun, Hoffmann & Strecker 1997: 644–645). Anders als normale Informationsfragen richtet sich die Echo-Frage somit nicht nach neuer, sondern nach bereits im Kontext gegebener (bzw. geäußerter) Information. So lassen sich z.B. Echo-Fragen wie (3a) und (4a) durch Interrogativsätze wie (3b) und (4b) paraphrasieren, in denen jeweils der Bezug zur Vorgängeräußerung explizit gemacht wird. (3) A: Magda fährt nach Paris. B: a. Magda fährt nach PARIS? b. Hast du gesagt, dass Magda nach PARIS fährt? (4) A: Magda fährt nach Paris. B: a. Magda fährt WOhin? b. Wohin hast du gesagt, dass Magda fährt? Eine der Besonderheiten dieses Äußerungstyps ist seine syntaktische Oberflächenstruktur. Obwohl fast durchgängig als Fragen verwendet, weisen prototypische Echo-Fragen nicht die typische Syntax eines Interrogativsatzes auf, vgl. (5)–(6). Weder die Voranstellung des flektierten Verbs (sogenannte Subjekt-Auxiliar-Inversion), die in klassischen Entscheidungsfragen (E-Interrogativen) zu einer Verb-Erst-Struktur führt (5b), noch die Voranstellung des Fragepronomens in Konstituentenfragen (w-Interrogativen, (5a)) ist in den entsprechenden EchoFragen (6a) und (6b) obligatorisch. Anders als beim w-Interrogativ kann also die w-Phrase in der Echo-w-Frage (EwF) wie in (6a) in situ verbleiben und muss nicht ins Vorfeld (ex situ) bewegt werden (jedoch ist eine Bewegung ex situ möglich, siehe Abschnitt  5.2.5). Ebenso kann das flektierte Verb in der Echo-Entscheidungsfrage (EEF) (6b) die für Deklarative charakteristische Verb-Zweit-Position einnehmen, während für die entsprechenden E-Interrogativsätze (5b) Verbbewegung obligatorisch ist.

5 Dieser für Echo-Fragen charakteristische Hauptakzent wird, wie in der Literatur üblich (siehe u.a. Reis 1992, 1999), im Folgenden durch Großschreibung markiert.

6   

   Echo-Fragen – Der Prototyp

(5) Interrogativsätze a. Wen hat Phillip angerufen? b. Hat Phillip Peter angerufen?

(w-interrogativ) (E-interrogativ)

(6) Echo-Fragen (mit deklarativer Satzstruktur) a. Phillip hat WEN angerufen? b. Phillip hat PETER angerufen?

(Echo-w-Frage) (Echo-E-Frage)

Vielmehr scheinen Echo-Fragen die Struktur der jeweiligen Ausgangsäußerung kopieren zu können. So gibt es Echo-Fragen mit der Struktur unterschiedlichster Satztypen (deklarativ (7), imperativ (8), interrogativ (9)–(10), exklamativ (11)), ja sogar Echo-Fragen mit ungrammatischen Strukturen wie in (12). Interrogativsatzstruktur weisen Echo-Fragen nur dann auf, wenn sie wie in (9) und (10) einen Interrogativsatz echoen. (7) A: Philipp ist Puppenspieler. B: Philipp ist WAS/PUPPENSPIELER?

(Deklarativ)

(8) A: Lies die Bildzeitung! B: Lies WAS/die BILDZEITUNG?

(Imperativ)

(9) A: Hast Du Felix gesehen? B: Ob ich WEN/FELIX gesehen habe?

(E-Interrogativ)

(10) A: Wen hat Felix angerufen? B: Wen hat WER/FELIX angerufen?

(w-Interrogativ)

(11) A: Dass Magda noch nicht da ist! B: Dass WER/MAGDA noch nicht da ist? (12) A: Hier werden Sie geholfen. B: Hier werden Sie WAS/GEHOLFEN?

(Exklamativ)

(ungrammatisch)

Umstritten ist in der Literatur allerdings, ob es sich bei Echo-Fragen um Interrogativsätze oder einen eigenen Satztyp handelt, inwieweit Echo-Fragen die Form der Bezugsäußerung kopieren müssen, ob sie überhaupt einer Bezugsäußerung bedürfen oder auch initiativ verwendbar sind und somit nicht nur auf die Verwendung als verständnissichernde Nachfragen beschränkt werden können. Im Folgenden betrachten wir zunächst daher die formalen funktionalen Eigenschaften dieses Prototyps und erarbeiten eine Definition des Begriffs

Merkmale des Prototyps   

   7

„Echo-Frage“ in Abgrenzung zu verwandten Äußerungstypen. Wird in den folgenden Abschnitten von „Echo-Fragen“ gesprochen, sind zunächst nur reaktiv, als verständnissichernde Nachfragen verwendete Echo-Fragen gemeint, die sich auf eine konkrete Ausgangsäußerung beziehen.

2.1.2 Formtypen Ähnlich wie reguläre Interrogativsätze treten Echo-Fragen sowohl als Entscheidungsfragen als auch als w-Fragen in Erscheinung: Dabei greifen Echo-Entscheidungs-Fragen (EEFs) die Vorgängeräußerung als Ganzes auf (13B). Echo-w-Fragen (EwFs) dagegen ersetzen eine oder mehrere Komponenten des geechoten Satzes durch einen w-Ausdruck (14B). (13) A: Philipp ist Puppenspieler. B: Philipp ist Puppenspieler? (14) A: Philipp ist Puppenspieler. B: Philipp ist WAS? Beide Typen werden häufig in elliptischer Form verwendet. Hierbei handelt es sich um eine typische Hintergrundellipse: Da prototypische Echo-Fragen sich auf eine Vorgängeräußerung im Kontext beziehen, kann alles bis auf den erfragten Begriff als bereits bekannte Information vorausgesetzt werden und daher als Hintergrundellipse entfallen. (15) A: Magda hat Ulrich eingeladen. B: WEN? (16) A: Magda hat Ulrich eingeladen. B: ULRICH? Reis (1992) unterscheidet darüber hinaus noch einen dritten Typ, die Echo-VerbLetzt-Frage. Dieser weist die Struktur eines eingebetteten Verb-Letzt-Interrogativsatzes auf und ist, anders als Echo-Fragen mit Matrixsatzstruktur, auf die Wiedergabe von Interrogativsätzen beschränkt (17B)–(18B). (17) A: Ist Philipp denn Puppenspieler? B: Ob Philipp Puppenspieler ist?

8   

   Echo-Fragen – Der Prototyp

(18) A: Wen hat Phillip angerufen? B: Wen Phillip angerufen hat? Allerdings existiert auch die Echo-Verb-Letzt-Frage in zwei Varianten, als EchoEntscheidungs-Frage (17B)–(18B) und als Echo-w-Frage (19B)–(20B). Meines Erachtens stellt die Echo-Verb-Letzt-Frage daher keinen eigenen Typ im oben genannten Paradigma dar. Vielmehr betrifft diese Unterscheidung eine andere Kategorie, nämlich die Direktheit oder Indirektheit der der Echo-Frage zugrunde liegenden Redewiedergabe (siehe Abschnitt 8.1). (19) A: Ist Philipp denn Puppenspieler? B: Ob Philipp WAS ist? (20) A: Wem hat Phillip sein Auto geliehen? B: Wem Phillip WAS geliehen hat? In der Literatur kaum Beachtung geschenkt wird der Möglichkeit, dass Echo-Fragen ebenso wie Interrogative auch als Alternativfragen auftreten können. So führt Rost-Roth (2006) folgendes Beispiel einer Echo-Alternativ-Frage an: (21) X: Übrigens gibt’s grad bei Ikea zur Zeit ein wahnsinnig billiges Geschirr. E: Besteck oder Geschirr? Anders als in EEF und EwF scheint diese Art von Alternativfragen jedoch weitgehend auf die elliptische Nennung der Alternativen beschränkt zu sein. Daher lässt sich nur schwer überprüfen, ob es sich in diesem Fall wirklich um EchoFragen handelt, die den Satztyp der Ausgangsäußerung übernehmen (22a), oder um Nachfragen in der Form interrogativer Alternativfragen (22b). Nach meinem Dafürhalten sind die Alternativ-Nachfragen in interrogativer Form (22b) jedoch angemessener als solche mit nicht-interrogativem Satztyp (22a). Dies gilt auch für die für Echo-Fragen so typische Redewiedergabe-Paraphrase in (23). Auch hier scheint die interrogative Variante (23b) gebräuchlicher als die Nachfrage in Deklarativsatzstruktur (23a). Dies spricht jedoch eher gegen eine Analyse als Echo-Fragen und für eine Analyse als interrogative Alternativfragen. Die im Folgenden vorgeschlagene Analyse beschränkt sich daher weitgehend auf die Analyse von Echo-E-Fragen und Echo-w-Fragen. (22) a. Es gibt Besteck oder es gibt Geschirr? b. Gibt es Besteck oder gibt es Geschirr?

Merkmale des Prototyps   

   9

(23) a. Du meinst „Besteck“ oder „Geschirr“? b. Meinst Du „Besteck“ oder „Geschirr“? Ebenfalls nur erwähnt werden soll an dieser Stelle die Möglichkeit von sogenannten Fokusellipsen wie (24). In (24) hat A den Namen der Person, die A sprechen wollte, akustisch nicht verstanden und möchte ihn in Erfahrung bringen. Anstatt jedoch wie in einer vergleichbaren Echo-w-Frage den Namen mittels w-Ausdruck zu erfragen, lässt A eine Lücke in seiner Äußerung, die S ergänzen soll. „Diese Art von Wiederholung fungiert quasi als ‚Prompt‘, das den Gesprächspartner zu einer Wiederholung bzw. Ergänzung des anschließenden Äußerungsteils veranlasst.“ (Rost-Roth 2006: 193)⁶ (24) S: Ich wollte mal mit dem sprechen. A: Mit dem …? S: Mit dem Markus. (Rost-Roth 2006: 193) (25) S: Ich wollte mal mit dem sprechen. A: Mit WEM? S: Mit dem Markus.

(Echo-w-Frage)

„Fokus-Ellipsen“ sind in ihrer Funktion eng verwandt mit als Nachfragen verwendeten Echo-w-Fragen, formal jedoch wesentlich restringierter. Unter anderem liegt die Lücke der Fokus-Ellipsen obligatorisch am Äußerungsende. Inwieweit sich Fokus-Ellipsen und Echo-Fragen auf eine gemeinsames Verfahren der Echobildung zurückführen lassen, sei daher dahingestellt. Der interessierte Leser sei hierbei zunächst auf die Arbeit von Gretsch (2000) verwiesen. Wird im Folgenden von Echo-Fragen (EFs) gesprochen, sind im Wesentlichen zwei Typen gemeint: Echo-Entscheidungs-Fragen (EEFs) und Echo-w-Fragen (EwFs).

2.1.3 Formale Kennzeichen Die formalen Merkmale von Echo-Fragen sind stark abhängig vom jeweiligen Bezugssatz. Denn, wie gezeigt (vgl. (7)–12)), können Echo-Fragen die Struktur der Vorgängeräußerung kopieren und dabei ganz unterschiedliche Satztypen, ja sogar ungrammatische Strukturen übernehmen. In diesem Fall richtet sich 6 Als „Prompt“ bezeichnet man im IT-Bereich in der Regel eine Eingabeaufforderung, welche auf die Stelle verweist, an der man Kommandozeilenbefehle eingeben kann.

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   Echo-Fragen – Der Prototyp

die Wortstellung in Echo-Fragen meist ebenso nach dem Satztyp der Vorgängeräußerung wie die morphologische Markierung des Verbs (z.B. +IMP bei Imperativsätzen) und ihre kategoriale Füllung. Als Fragen gekennzeichnet werden Echo-Fragen lediglich durch das Auftreten eines akzentuierten, stellungsfreien w-Ausdrucks (im Falle von EwFs) und/oder durch prosodische Akzentuierung des zu erfragenden Ausdrucks und steigende Intonation am Satzende (im Falle von EEFs). Am markantesten ist das Auftreten einer akzentuierten stellungsfreien Echo-w-Phrase in EwFs. In der Regel sind interrogative w-Phrasen (in satzeinleitender Position) im Deutschen (und Englischen) unbetont (Erteschik-Shir 1986; Reis 1992; Reich 2003). Dagegen tragen Echo-w-Phrasen obligatorisch den Hauptakzent des Satzes. (26) a. Wer hat HONG eingeladen? b. WER hat Hong eingeladen?

(Interrogativsatz) (Echo-Frage)

Der Tonumfang dieses Akzents ist zum Teil beträchtlich. Der Tonakzent variiert von H* über L* bis L+H* (nach Pierrehumbert 1980), je nach Emphase und Interpretation der Echo-Frage (Reis 1992; Hockey 1994; Bartels 1999; Artstein 2002). Wie Reis (1992) anhand der Betonung zweisilbiger w-Phrasen im Deutschen nachweist, liegt die Akzentuierung dabei immer auf dem w-Teil der Echo-w-Phrase. (27) Felix fährt WOhin/*woHIN? Hatice ist WOmit/*woMIT gekommen? Hong hat WARum/*waRUM angerufen? Dies unterscheidet Echo-w-Phrasen klar von w-Phrasen in der Vorfeldposition regulärer Interrogativsätze. Denn im Vorfeld von Interrogativsätzen sind w-Phrasen in der Regel nicht akzentuiert. (28) Wen MAG er denn? (adaptiert nach Haida 2008: 180) Zwar können w-Phrasen im Vorfeld von w-Interrogativsätzen durchaus akzentuiert werden, in der Regel erfolgt die Akzentuierung dann jedoch nicht auf dem w-Teil.⁷

7 Ausnahmen bilden u.a. sogenannte Pseudo-Echo-Fragen mit w-Teil akzentuiertem w-Ausdruck im Vorfeld. Diese werden im Folgenden aber zumindest für das Deutsche nicht als w-Interrogativsätze, sondern als reguläre Echo-w-Fragen analysiert (siehe Abschnitt 5.2.5).

Merkmale des Prototyps   

(29) a. b. c. d.

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Mich interessiert nicht, WANN Felix fährt, sondern nur woHIN er fährt. Mich interessiert nicht, WANN Felix fährt, sondern nur *WOhin er fährt. Mir ist egal, woHIN Felix fährt, ich möchte nur wissen, waRUM er fährt Mir ist egal, *WOhin Felix fährt, ich möchte nur wissen, *WArum er fährt.

Ein weiterer Unterschied in den Akzentuierungsbedingungen von Echo-w-Fragen und w-Interrogativsätzen liegt in der Deakzentuierung des Rests der Gesamtäußerung. In prototypischen Echo-Fragen ist die Gesamtäußerung (bis auf den Inhalt der mit der w-Phrase erfragten Konsituente) im Kontext bereits durch die Vorgängeräußerung gegeben. Daher ist in Echo-w-Fragen in der Regel alles bis auf die Echo-w-Phrase deakzentuiert. (30) A: Peter hat Tim getroffen. B: a. WER hat Tim getroffen? b. ??WER hat TIM getroffen?

(Echo-w-Frage) (als Echo-w-Frage)

Reguläre Interrogativsätze hingegen fragen in der Regel nach neuer nicht gegebener Information. In ihnen liegt daher der Hauptakzent des Satzes in der Regel außerhalb der w-Phrase. (31) Wer hat eigentlich TIM getroffen?

(w-Interrogativsatz)

Reis (1992) nimmt an, dass w-Teil-Fokussierung ein ausschließliches Kennzeichen von Echo-w-Fragen ist und obligatorisch zu einer Deakzentuierung des Rests der Gesamtäußerung führt (siehe Abschnitt  5.1.3). Allerdings müssen im Deutschen in regulären Interrogativsätzen interrogative w-Phrasen in situ ebenfalls obligatorisch akzentuiert sein, andernfalls erhalten sie eine Interpretation als Indefinitum (Haida 2008). So können (32b) und (33b), im Gegensatz zu (32a) und (33a), nicht als multiple, sondern nur als einfache w-Interrogativsätze interpretiert werden. (32) a. Wer mag WAS? b. Wer MAG was? (Haida 2008: 180) (33) a. Wer sieht WEN? b. Wer SIEHT wen? (Haida 2008: 180)

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   Echo-Fragen – Der Prototyp

Interessanterweise weisen zweisilbige in-situ-w-Phrasen in solchen multiplen w-Interrogativsätzen die gleiche Akzentstruktur auf wie Echo-w-Phrasen, nämlich obligatorische Akzentuierung auf dem w-Teil. w-Teil-Akzentuierung scheint daher keine spezifische Eigenschaft von Echo-w-Fragen, sondern ganz allgemein ein Kennzeichen stellungsfreier interrogativer w-Phrasen im Deutschen zu sein (siehe hierzu auch Abschnitt 6.1). (34) a. Wer fährt WOhin? b. Wer fährt woHIN?

(als multipler w-Interrogativsatz) (*als multipler w-Interrogativsatz)

Im Gegensatz zu Echo-w-Fragen können solche multiplen w-Interrogativsätze neben dem obligatorischen Akzent auf dem w-Teil der in situ befindlichen w-Phrase noch einen weiteren prominenten Akzent enthalten (siehe hierzu die Diskussion in Abschnitt 6.1). Anders als Reis (1992) annimmt, führt w-Teil-Fokussierung offensichtlich nicht obligatorisch zu einer Deakzentuierung der Gesamtäußerung. (35) Wen hat WOhin nur der DIRK gebracht?

(als multipler w-Interrogativsatz)

Charakteristisch für Echo-w-Fragen ist daher w-Teil-Akzentuierung nur bei gleichzeitiger Deakzentuierung des Rests der Gesamtäußerung (d.h. minimaler Fokus auf dem w-Teil der w-Phrase). Dennoch lassen sich Echo-w-Fragen eindeutig von normalen w-Interrogativsätzen unterscheiden. So muss in Echo-w-Fragen, anders als in regulären w-Interrogativsätzen, die Vorfeldposition nicht von einer w-Phrase besetzt sein. Bei (36) kann es sich somit nicht um einen w-Interrogativsatz handeln (siehe Abschnitt 4.1.2). (36) Du hast WEN gesehen?

(* als w-Interrogativsatz)

Steht wie in (37) eine deakzentuierte w-Phrase im Vorfeld des Satzes, entscheidet die Interpretation der Äußerung darüber, ob es sich um einen w-Interrogativsatz oder eine Echo-w-Frage handelt. So wird ein w-Interrogativsatz wie (37) als multiple w-Frage (37a), die vergleichbare Echo-w-Frage hingegen als einfache w-Frage beantwortet (37b). (37) Wer fährt WOhin? a. F fährt nach Paris, M fährt nach Dublin … (Antwort auf w-Interrogativsatz) b. Wer fährt nach Paris. (Antwort auf Echo-w-Frage)

Merkmale des Prototyps   

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Bei der Echo-w-Fragen-Lesart von (37) handelt es sich dann um eine Nachfrage auf einen vorausgehenden w-Interrogativsatz wie in (38). (38) A: Wer fährt nach Paris? B: Wer fährt WOhin? A: Wer fährt nach Paris. Anders als normale w-Interrogativphrasen in situ nehmen die akzentuierten w-Phrasen in Echo-Fragen somit als einzige Skopus über den Gesamtsatz (siehe Abschnitt 4.2.1). Solche und nur solche w-Teil-fokussierten w-Phrasen in EchoFragen werden im Folgenden Echo-w-Phrasen genannt. Eine ganz ähnliche Akzentstruktur weisen auch EEFs auf. Zwar fehlt der für EwFs typische w-Ausdruck, dennoch ist die zu erfragende Konstituente ebenso wie in EwFs obligatorisch akzentuiert. Auch hier variiert der Umfang des Akzents je nach Interpretation von H* über L* bis L+H*. (39) A: Peter hat sich den Porsche gekauft. B: a. Peter hat sich den PORSCHE gekauft? Ich dachte, das war ein Jaguar. b. Peter hat sich den Porsche GEKAUFT? Ich dachte, er hätte ihn nur geliehen. Dagegen unterscheiden sich EwFs und EEFs in der Intonation am Satzende. EwFs können sowohl mit steigender (↑) als auch mit fallender (↓) Intonation am Satzende realisiert werden (mehr zu diesem Unterschied in Kapitel 6). (40) A: Ich habe Ede getroffen. B: Du hast WEN getroffen↑ (41) A: Ich habe ihn getroffen. B: Du hast WEN getroffen↓ Im Gegensatz dazu scheint steigende Intonation in EEFs obligatorisch, um diese als Frage überhaupt erst zu kennzeichnen (siehe u.a. Bartels 1999; Iwata 2003). (42) A: Magda hat Hong eingeladen. B: a. Magda hat HONG eingeladen ↑ b. #Magda hat HONG eingeladen ↓ (als Frage)

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   Echo-Fragen – Der Prototyp

So kann nur (42a) als Echo-Frage interpretiert werden. Mit fallender Intonation ist die Äußerung (42b) zwar ebenfalls möglich, jedoch lediglich als eine bestimmte Art von Assertion oder Exklamation, nicht jedoch als Frage (siehe Abschnitt 7.1.1). Gut dokumentiert ist in Korpusstudien die Variation im Tonverlauf steigender Echo-Fragen, der sowohl als H* H-H% und H* L-H% als auch als L* H-H% realisiert werden kann. Dabei variiert die Interpretation der Echo-Frage von Signalisierung eines Verständnisdefizits (H* H-H%) über Überraschung (H* L-H%) bis Ungläubigkeit (L* H-H%): „The low rise (L* H-H%) is somewhat more likely than the high rise or fall-rise to be used if incredulity or surprise are involved.“ (Bartels 1999: 158)

2.1.4 Zusammenfassung Einziges konstitutives Merkmal von Echo-w-Fragen ist die Anwesenheit einer w-Teil-akzentuierten Echo-w-Phrase. Anders als interrogative w-Phrasen sind Echo-w-Phrasen weitgehend „stellungsfrei“ (Altmann 1993:  1023), sie können entweder in situ verbleiben oder ex situ in satzinitiale Position bewegt werden. Echo-E-Fragen fehlt dieses Merkmal, sie sind allein durch steigende Intonation als Fragen gekennzeichnet. Verbindendes Kennzeichen von EwFs und EEFs ist der markante Satzakzent. Dieser liegt in EwFs obligatorisch auf der Echo-wPhrase, in EEFs auf dem zu erfragenden Element. Der Rest der Äußerung wird in der Regel deakzentuiert. Dies wird von entscheidender Bedeutung für die hier verfolgte Analyse von Echo-Fragen sein. In Abschnitt  5.2 und 6.1 wird das einschlägige Akzentmuster in Echo-Fragen als Fokusakzent analysiert, von dem ausgehend die wesentlichen strukturellen und semantischen Besonderheiten von Echo-Fragen erklärt werden.

2.2 Abseits des Prototyps Bisher wurden lediglich protoypische Echo-Fragen betrachtet, die direkt als verständnissichernde Nachfragen auf eine konkrete Ausgangsäußerung verwendet werden und den Satztyp der Ausgangsäußerung übernehmen. Jenseits dieses Prototyps ist in der Literatur stark umstritten, welche Äußerungstypen nun als Echo-Fragen zählen und welche nicht. Streitpunkte sind dabei im Wesentlichen, ob und inwieweit Echo-Fragen die Ausgangsäußerung umformulieren dürfen, ob Echo-Fragen überhaupt einer solcher Ausgangsäußerung bedürfen, und eng damit verbunden, ob Echo-Fragen nur als Nachfragen oder auch als andere Sprechakte verwendet werden können. Je nachdem, ob es sich bei den Analy-

Abseits des Prototyps   

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sen um merkmalsbasierte oder illokutionsabhängige, konversationelle Analysen handelt, fällt die Beantwortung dieser Fragen recht unterschiedlich aus. Im Hintergrund dieser Diskussion steht letztendlich die Frage, ob es sich bei Echo-Fragen um einen eigenen Satztyp oder um einen speziellen Illokutionstyp handelt, bzw. ob und inwieweit sich die syntaktischen und semantischen Eigenheiten von Echo-Fragen regulär aus den syntaktischen und semantischen Restriktionen dieses Äußerungstyps und der jeweiligen pragmatischen Kontextbedingungen ableiten lassen.

2.2.1 Nachfragen versus Rückfragen Zunächst ist in der Literatur umstritten, ob sich das Phänomen Echo-Frage auf den Funktionstyp der verständnissichernden Nachfrage beschränken lässt. Zifonun, Hoffman & Strecker (1997) unterscheiden z.B. grundsätzlich zwischen zwei verschiedenen Funktionstypen äußerungsbezogener Fragesätze, verständnissichernden „Nachfragen“ und problemmanifestierenden „Rückfragen“, mit welchen der Sprecher „eine Divergenz mit der Vorgängeräußerung signalisiert“ (Zifonun, Hofmann & Strecker 1997: 647). Im Gegensatz zum Sprecher einer Nachfrage hat der Sprecher einer Rückfrage die Ausgangsäußerung zwar verstanden, möchte jedoch Erstaunen bzw. Zweifel an der Richtigkeit bzw. Angemessenheit der vorausgehenden Sprachhandlung ausdrücken. So kann B eine Äußerung wie (43a) sowohl dazu verwenden, zu erfragen, ob A gesagt, dass Marie nach Paris fährt (43b), oder aber sein Erstaunen über die Äußerung von A ausdrücken (43b), z.B. weil er Zweifel an der Richtigkeit von As Äußerung hegt. Nur im Falle einer Verwendung als verständnissicherende Nachfrage bezeichnen Zifonun, Hoffmann & Strecker (1997: 644) eine Äußerung wie (43a) und (45a) als „Echo-Fragesatz“. (43) A: Magda fährt nach Paris. B: a. Magda fährt nach PARIS? b. Nachfrage: Hast Du gesagt, dass Magda nach Paris fährt? c. Rückfrage: Weshalb behauptest Du, dass Magda nach Paris fährt? Formal sind die beiden Funktionstypen mitunter schwer unterscheidbar, „zumal wenn bezugnehmend auf eine Aussage maximaler Fokus vorliegt“ (Zifonun, Hoffmann & Strecker 1997: 644), d.h. wenn wie in (44B) die Gesamtäußerung erfragt, bzw. in Frage gestellt werden soll.

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   Echo-Fragen – Der Prototyp

(44) A: Die Bayern spielen schlecht. B: a. Die Bayern spielen schlecht? b. Nachfrage: Hast Du gesagt, „die Bayern spielen schlecht“? c. Rückfrage: Wie kannst Du behaupten, dass die Bayern schlecht spielen? (Zifonun, Hoffmann & Strecker 1997: 645) In diesem Fall unterscheiden sich die beiden Verwendungen von (44B) lediglich in ihrem Intonationsverlauf. So weisen Rückfragen, in denen Erstaunen über oder gar Zweifel am Inhalt der Ausgangsäußerung ausgedrückt wird, in der Regel einen größeren Tonverlauf auf als verständnissichernde Nachfragen (siehe u.a. Selting 1995: 299; Zifonun, Hoffmann & Strecker 1997: 645; Bartels 1999: 204) . Zifonun, Hoffmann & Strecker (1997: 644) gehen dennoch davon aus, dass es sich bei „Nachfragesätzen“ und „Rückfragesätzen“ um unterschiedliche Formtypen handelt.⁸ Unter anderem nehmen sie an, dass die für Echo-w-Fragen charakteristischen obligatorisch akzentuierten w-Ausdrücke nur in Nachfragen, nicht aber in Rückfragen auftreten (da in letzteren ja kein Verständnisdefizit zugrunde liegt). Eine Äußerung wie (45a) nur als Nachfrage wie in (45b) und nicht als Rückfrage wie in (45c) verwendet werden kann. (45) A: Die Bayern spielen schlecht. B: a. WAS? (…) b. (…) Was hast Du gesagt? c. (…) Wie kommst Du darauf, so etwas zu behaupten?

(Nachfrage) (Rückfrage)

Dies ist jedoch aus meiner Sicht fraglich. So ist es meines Erachtens nach durchaus möglich, dass B als Reaktion auf As Äußerung die Frage in (45a) stellt und, ohne eine Antwort von A zu erwarten, unmittelbar die Frage in (45c) anschließt. Dies aber setzt ein Verständnis der Vorgängeräußerung voraus. (46) A: Die Bayern spielen schlecht. B: WAS? Wie kommst Du denn darauf? Die spielen doch super! Auch eine weitere Annahme von Zifonun, Hoffman & Strecker (1997:  645) ist durchaus umstritten. So gehen Zifonun, Hoffman & Strecker (1997) davon aus,

8 Im Gegensatz zu Zifonun, Hoffmann & Strecker (1997) gehe ich davon aus, dass es sich bei Nachfragen und Rückfragen nicht um unterschiedliche Satztypen, sondern um unterschiedliche Sprechakttypen handelt. Die Bezeichnung „Nachfragesätze“ bzw. „Rückfragesätze“ wird daher in Anführungszeichen gesetzt. Zur Abgrenzung von Satztyp und Sprechakt und einer Charakterisierung des Sprechakttyps „Nachfrage“ vgl. Abschnitt 3.2.2.

Abseits des Prototyps   

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dass nur Rückfragen nicht-deklarative Satztypen der Ausgangsäußerung zitathaft übernehmen können ((47a) und (48a)), in Nachfragen hingegen nicht-deklarative Satztypen „stets in ,indirekter Redeweise‘ formuliert“ werden müssen ((47b) und (48b)). Echo-w-Fragen nicht-deklarativen Satztyps halten Zifonun, Hoffman & Strecker (1997) daher für ungrammatisch ((47c) und (48c)). (47) A: Helft den Entrechteten! B: a. Helft den Entrechteten? (Rückfrage) b. Wir sollen den Entrechteten helfen? (Nachfrage) c. Wir sollen WEM helfen? (Nachfrage) d. (*) Helft WEM? (?) (adaptiert nach Zifonun, Hoffman & Strecker 1997: 464) (48) A: Hilft man den Entrechteten? B:  a. Hilft man den Entrechteten? (Rückfrage) b. Ob man den Entrechteten hilft? (Nachfrage) c. Ob man WEM hilft? (Nachfrage) d. (*) Hilft man WEM? (?) (adaptiert nach Zifonun, Hoffman & Strecker 1997: 464) Reis (1992, 1999, 2012) hingegen beurteilt Sätze wie (47c) und (48c) als grammatisch und hält die Satztypvariation für ein charakteristisches Merkmal von (verständnissichernden) Echo-w-Fragen. Im Englischen bilden Äußerungen wie (48c) sogar den Regelfall in Reaktion auf eine interrogative Ausgangsäußerung (Noh 1998; Ginzburg & Sag 2000; Artstein 2002).⁹ Meines Erachtens sind Echow-Fragen nicht-deklarativer Satztypen im Deutschen möglich, jedoch (anders als im Englischen) z.T. stark kontextuell restringiert. Wie Kaufmann & Poschmann (2013) experimentell belegen konnten, verbessert sich die Akzeptabilität von Echo-w-Fragen imperativen Satztyps signifikant, wenn der Adressat der geechoten Ausgangsäußerung und der Adressat der Echo-Frage übereinstimmen. (49) A zu C: Hilf den Entrechteten! B zu C: Hilf WEM? In diesem Buch gehe ich daher davon aus, dass es sich bei der Unterscheidung zwischen „Nachfragesätzen“ und „Rückfragesätzen“ (in der Terminologie von Zifonun, Hoffman & Strecker 1997) nicht um unterschiedliche Formtypen,

9 Siehe Abschnitt 8.1.1.

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   Echo-Fragen – Der Prototyp

sondern um einen einheitlichen Konstruktionstyp handelt, der je nach Kontext unterschiedliche Verwendungsweisen aufweisen kann.¹⁰

2.2.2 Umformulierungen Einen weiteren Streitpunkt in der Echo-Fragen-Literatur bildet die Diskussion, ob Echo-Fragen einen Bezug zu einer konkreten Ausgangsäußerung aufweisen müssen und wenn ja, inwieweit sie deren Struktur übernehmen bzw. sich von dieser entfernen dürfen. So definieren u.a. Peretti (1993), Rost-Roth (2006) und Ginzburg & Cooper (2004) Echo-Fragen als Spezialfall von Nachfragen, nämlich als Nachfragen, in welchen „die Bezugnahme (auf die Ausgangsäußerung) mittels einer Echokomponente, i.e. einer Wiederholung von Komponenten der Bezugsäußerung erfolgt. Nur Nachfragen, die die Bezugsstruktur tatsächlich wie ein Echo (ggf. mit deiktischem Wechsel) wiederholen,“ (Peretti 1993: 104) zählen demnach als „Echo-Fragen“. Diese Restriktion von Echo-Fragen auf mehr oder weniger wörtliche Wiedergabe einer Bezugsäußerung dient vor allem zur Abgrenzung gegenüber anderen Nachfrageformen, wie Nachfragen mittels Fragepartikeln (50c) oder expliziter Klärungsaufforderungen (50b). (50) A: Rainer ist Limnologe. B: a. Rainer ist WAS?/ Rainer ist LIMNOLOGE? b. Was ist denn ein Limnologe?/ Was hast Du gesagt?… c. Wie bitte?/ He?/ Entschuldigung?/… Allerdings führt sie dazu, dass u.a. Peretti (1993), Ginzburg & Cooper (2004) oder Rost-Roth (2006) Äußerungen wie (51B) und (52B) als Echo-Fragen betrachten, Äußerungen wie (51B’) und (52B’) hingegen nicht, da (51B’) die Wortstellung der Ausgangsäußerung verändert und (52B’) sogar den Satztyp wechselt. (51) A: Wo wohnt sie denn jetzt? B: Wo wohnt WER? B’:Wo WER wohnt?

10 Zur Unterscheidung zwischen verständnissichernden und problemmanifestierenden Nachfragen siehe u.a. Abschnitt 3.2.2 und 3.2.3. Ein eingehender Vergleich der unterschiedlichen Verwendungsweisen von Echo-Fragen erfolgt in Kapitel 9.

Abseits des Prototyps   

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(52) A: Lass ihn in Ruhe. B: Lass WEN in Ruhe? B’:Ich soll WEN in Ruhe lassen? Dies ist jedoch wenig plausibel, angesichts der Tatsache, dass Äußerungen wie (51B’) und (52B’) die gleichen charakteristischen formalen und syntaktischen Eigenschaften aufweisen wie die prototypischen Echo-Fragen in (51B) und (52B) (z.B. den akzentuierten, stellungsfreien w-Ausdruck). Dem Phänomen EchoFrage wird eine Restriktion auf unmittelbare Wiedergabe der Ausgangsäußerung daher nicht gerecht. Echo-Fragen scheinen vielmehr eine Vielzahl an Umformulierungen zu erlauben. Nicht nur kann die Deixis der des aktuellen Sprechers angeglichen werden (53), die Ausgangsäußerung kann auch inhaltlich paraphrasiert werden. Dabei sind Echo-Fragen keineswegs beschränkt auf synonyme Begriffe, wie z.B. Banfield (1982) annimmt, sondern erlauben relativ freie Interpretationen der Ausgangsäußerung (54)–(57). Nicht einmal der Satztyp der Ausgangsäußerung muss übernommen werden (57). Die erfragten Ausdrücke können dabei ebenso umformuliert werden (56) wie der Rest der Äußerung (54)–(57). (53) A: My parents will be arriving tonight. B: They’ll be arriving WHEN? (Blakemore 1994: 208) (54) A: Mr. Clinton will be speaking tonight. B: The president will be speaking WHEN? (Blakemore 1994: 208) (55) A: Let Johnson go. B: Fire my best executive? (Bartels 1999: 129) (56) A: Ich habe Angela Merkel gewählt. B: Du hast DIESE SCHRECKSCHRAUBE gewählt? (57) A: Jag ihn zum Teufel! B: Ich soll WAS? Alle diese Fragen weisen die charakteristischen Merkmale prototypischer EchoFragen auf und werden auch wie diese interpretiert (nämlich klassischerweise als Nachfragen zu der geechoten Äußerung). Die meisten Analysen betrachten

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   Echo-Fragen – Der Prototyp

solche Äußerungen daher ebenfalls als Echo-Fragen (Meibauer 1987; Reis 1992; Noh 2000; Artstein 2002). Nimmt man jedoch an, dass Fragen wie (53)–(57) EchoFragen sind, kann der Bezug zur Ausgangsäußerung nicht mehr allein durch wörtliche Wiedergabe oder durch Übernahme des Satztyps der Ausgangsäußerung definiert werden.

2.2.3 Initiative w-in-situ-Fragen Ebenfalls umstritten ist die Frage, ob Echo-Fragen überhaupt eine konkrete Ausgangsäußerung erfordern. In der Tat scheint es zahlreiche initiative Verwendungen von w-in-situ-Fragen ohne vorausgehende Bezugsäußerung zu geben. (58) „Nun, die Signora Manuela ist die Portiersfrau. Sie …“ „Sie WAS?“ schnappt die Inhaberin der Portiersloge drohend. (C.E. Gadda, Die gräßliche Bescherung der Via Merulana, S. 38; zit. nach Meibauer 1987: 349) (59) Quizfrage Die Schlacht von Issos war WANN? (Altmann 1993: 1023) (60) Resümierend Und wenn ihr etwas nicht wißt, dann lest ihr bitte WO nach, Kinder? (Reis 1992: 222) So besteht der Witz von Äußerungen wie (58) ja gerade darin, dass „antizipatorisch alles, was der erste Sprecher (gerade erst) zu behaupten im Begriff steht, bestritten wird“ (Meibauer 1987: 349). Allerdings nimmt diese Art von Nachfragen klar Bezug auf eine bereits begonnene, wenn auch nicht vollendete Ausgangsäußerung. Ob es sich hier also wirklich um eine initiative und nicht doch eher um eine reaktive Verwendung handelt, wird noch eingehender zu diskutieren sein. Dagegen liegt in (59) keinerlei Vorgängeräußerung vor. Die Frage wird klar initiativ gestellt. Will man in diesen Fällen den Nachfrage-Charakter von Echo-Fragen erhalten, muss man annehmen, dass es sich bei Fällen wie in (59) um eine Art gespieltes Echo handelt. So argumentieren u.a. Meibauer (1987), Reis (1991) und Altmann (1993), dass Quizfragen wie in (59) die Antwort als bekannt voraussetzen, obwohl sie vom Prüfling noch nicht gegeben wurde: „Durch diese Formulierung (als Echo-Frage) entsteht der Eindruck, dass der Fragende auf jeden Fall die

Abseits des Prototyps   

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Antwort schon kennt (bzw. kennen sollte).“ (Meibauer 1987:348) Ähnlich verhält es sich mit resümierenden Fragen wie in (60). Darüber hinaus gibt es jedoch w-in-situ-Fragen, die als „normale“ Informationsfragen verwendet werden und offenbar nach neuer, im Kontext nicht gegebener Information fragen. Hier fällt es schwer, ein gespieltes Echo anzunehmen. (61) A: (Dann schildern Sie mir doch mal kurz, wie dieser Abend verlaufen ist. Wie Sie in das Lokal gekommen sind.) Sie haben WO getrunken? B: Im Köpi. (Büring 1996: 206) (62) A: Well, anyway, I’m leaving. B: OK, so you’ll be leaving WHEN? (Ginzburg & Sag 2000: 280) Während im Fall von (61) nicht ganz auszuschließen ist, dass eventuell Bezug auf ein vorher stattgefundenes Gespräch genommen wird, zeigt Bs Frage in (62), dass durchaus auch über die Ausgangsäußerung hinausgehende neue Information erfragt werden kann. So gibt A in (62), keine Auskunft über den genauen Zeitpunkt ihres Aufbruchs. Dennoch kann B die in-situ-w-Frage dazu verwenden, genau diese nicht-gegebene Information zu erfragen (siehe auch Abschnitt 6.2). Während merkmalsbasierte Ansätze (Meibauer 1987; Reis 1992; Bartels 1999) und Metarepräsentations-Ansätze (Blakemore 1994; Noh 2000; Iwata 2003) dazu tendieren, solche Äußerungen ebenfalls als Echo-Fragen zu klassifizieren, unterscheiden illokutionsbasierte Ansätze wie Peretti (1993) und Rost-Roth (2006), aber auch Ginzburg & Sag (2000) strikt zwischen w-in-situ-Fragen, die als Nachfragen und solchen, die als Informationsfragen verwendet werden. Hinter dieser Diskussion verbirgt sich daher die Frage, ob w-in-situ-Fragen im Deutschen generell als Echo-Fragen zu analysieren sind, oder ob wir zwei verschiedene Typen von w-in-situ-Fragen annehmen müssen (zu dieser Diskussion mehr in Kapitel 6).

2.2.4 Assertive Fragen Auch die initiative Verwendung von EEFs ist in der Literatur heftig umstritten. Kernpunkt der Diskussion bildet der Vergleich zwischen EEFs mit deklarativer Satztypstruktur (63) und sogenannten Assertiven Fragen (Altmann 1993) wie (64).

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   Echo-Fragen – Der Prototyp

(63) Echo-Frage (deklarativer Satztyp) A: Ich fahre nach Berlin. B: Du fährst nach Berlin? (64) Assertive Frage (A blättert in einem Berlin-Reiseführer.) B: Du fährst nach Berlin? In (63) nimmt B mit seiner Echo-Frage klar Bezug auf die von A gemachte Ausgangsäußerung. Dagegen liegt in (64) keine solche Ausgangsäußerung vor. Der Sprecher scheint mit seiner Assertiven Frage vielmehr eine Vermutung zu äußern, die er gern bestätigt haben möchte. Abgesehen von diesem Kontextunterschied (reaktiv versus initiativ) scheinen sich beide Äußerungstypen kaum zu unterscheiden: In beiden Fällen handelt es sich um einen als Frage verwendeten Deklarativsatz mit steigender Intonation. Aufgrund dieser strukturellen Ähnlichkeiten zwischen beiden Äußerungstypen drängt sich die Frage auf: „Was ist der Unterschied?“ (Meibauer 1987:  340) So findet sich bereits bei Altmann (1993: 1023) die Vermutung, dass sich beide Typen „eventuell auf ein gemeinsames Verfahren der Echobildung“ zurückführen lassen. Auch in der Relevanz-Theorie werden Assertive Fragen als Echo-Fragen analysiert (siehe u.a. Noh 1998; Wilson 2000). Dort dienen sie als Hauptbeleg dafür, dass Echo-Fragen nicht nur auf Äußerungen, sondern auch auf unausgesprochene Gedanken Bezug nehmen können. (65) Mary seeing Peter walk towards the door: a. You’re going shopping? b. #Henry VIII had seven wives? (Wilson 1999: 152) Anders als (65a) ist die deklarative Frage (65b) im Kontext (65) nicht angemessen¹¹. Als Grund hierfür gibt Wilson (1999) an, dass Mary Peter in (65) zwar den Gedanken zuschreiben kann, dass er einkaufen geht, nicht jedoch den Gedanken, dass Henry VIII sieben Frauen besaß. Nur (65a), nicht jedoch (65b) sei in diesem Kontext daher plausibel als Echo-Frage interpretierbar:¹²

11 Im Gegensatz zu ungrammatischen Beispielen (*), werden Beispiele, die zwar grammatisch, aber im Kontext unangemessen sind, im Folgenden mit # markiert. 12 Eine Interpretation von Assertiven Fragen als Echo-Fragen findet sich bereits bei Meibauer (1987), Reis (1992) und Altmann (1993) u.a. Eine detaillierte Analyse findet sich bei Gunlogson (2003). Aufgrund erheblicher struktureller Unterschiede zwischen Echo-Fragen und Assertiven

Abseits des Prototyps   

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The obvious way of explaining this would be to treat the utterances in [65a] and [65b] [Wilsons (35a) und (35b)] as echoing and questioning thoughts that Mary attributes to Peter. In [65a], his behaviour gives her ground for inferring his thoughts even though he hasn’t spoken: in [65b], it does not. (Wilson 1999: 152)

Eine ganz ähnliche Analyse solcher „rising declaratives“ (Deklarativsätze mit steigender Intonationskurve) schlägt auch Gunlogson (2003) vor. In Kapitel  7 wird daher eine ausführliche Diskussion dieses Ansatzes den Ausgangspunkt der hier vorgeschlagenen Analyse von EEFs bilden.

2.2.5 Zusammenfassung In der Literatur ist stark umstritten, wie der Begriff der Echo-Frage zu definieren ist. Allein der Prototyp der reaktiv als verständnissichernde Nachfrage verwendeten Echo-Frage, die Inhalt bzw. Form der Ausgangsäußerung weitgehend übernimmt, wird theorieunabhängig als „Echo-Frage“ bezeichnet. Diese Definition scheint jedoch willkürlich gesetzt und viel zu restriktiv zu sein. Zum einen scheinen Echo-Fragen sich relativ weit von Form und Inhalt der Ausgangsäußerung entfernen zu können. Zum anderen ist es fraglich, ob Echo-Fragen nicht auch ohne konkrete Ausgangsäußerung, d.h. initiativ, geäußert werden können. Ebenso umstritten ist, ob Echo-Fragen lediglich als Nachfragen oder auch als normale Informationsfragen verwendet werden können. Die Antwort auf diese Fragen wiederum ist stark davon abhängig, wie der Begriff der Echo-Frage nun definiert wird. Daher sollen im Folgenden zunächst die formalen, syntaktischen, semantischen und pragmatischen Eigenschaften prototypischer Echo-Fragen untersucht werden und erst dann im Vergleich mit verwandten Äußerungstypen (wie initiative w-in-situ-Fragen und Assertive Fragen) eine merkmalsbasierte Definition von Echo-Fragen entwickelt werden.

Fragen regt sich aber auch Kritik an der Echo-Interpretation Assertiver Fragen. Eine ausführliche Diskussion dieses Problems findet sich in Kapitel 7.

3 Satztyp, Illokution und Common Ground Einer der wesentlichen Streitpunkte innerhalb der Echo-Fragen-Literatur besteht in der Diskussion, ob es sich bei Echo-Fragen um reguläre Interrogativsätze (u.a. Sobin 2003; Escandell-Vidal 2002), einen eigenen Satztyp (u.a. Ginzburg & Sag 2000; Ginzburg & Cooper 2004) oder gar um eine eigene Illokution handelt (u.a. Peretti 1993; Rost-Roth 2006). Unabdingbar für eine Analyse von Echo-Fragen ist somit die Unterscheidung zwischen Satztypen (wie Deklarativsätzen, Interrogativsätzen, Imperativsätzen) einerseits und Illokutionstypen (wie Behauptungen, Fragen oder Aufforderungen etc.) andererseits sowie deren Interpretation im Kontext. Bevor wir in die Analyse selbst einsteigen, daher vorab eine knappe Einführung in die wichtigsten Begriffe.

3.1 Vom Satztyp zur Illokution Entscheidend ist zunächst die Unterscheidung zwischen den „Satztypen“ einer Sprache (wie z.B. Deklarativsätze, Interrogativsätze und Imperativsätze) und „Sprechakten“, d.h. den sprachlichen Handlungen, die mit der Äußerung dieser Sätze ausgeführt werden können (wie z.B. Behauptungen, Fragen oder Aufforderungen).

3.1.1 Satztyp und Satzmodus Unter „Satztyp“ versteht man in der Regel ein komplexes Form-Funktions-Paar, das einer bzw. mehreren formal individuierbaren satzförmigen Strukturen (Formtyp) eine bestimmte Interpretation (Funktionstyp), ihren sogenannten Satzmodus zuweist (siehe u.a. Sadock & Zwicky 1985; Altmann 1993; Lohnstein 2000). Sprachübergreifend unterscheidet man dabei im Wesentlichen drei Grundtypen: Deklarativsätze wie in (1), Interrogativsätze wie in (2) und Imperativsätze wie in (3) sowie je nach Einzelsprache weitere zusätzliche Randtypen, wie z.B. Exklamativsätze (4) und Optativsätze (5).¹³ Dabei kann ein Satztyp (Interroga-

13 Für das Deutsche ist es umstritten, ob es sich bei Exklamativsätzen und Optativsätzen ebenfalls um eigene Satztypen handelt, oder ob sich diese auf die oben genannten elementaren Satztypen zurückführen lassen. So argumentieren u.a. Zaefferer (1983), Michaelis (2001) und Portner & Zanuttini (2003) für die Annahme eines eigenen exklamativen Satztyps, während sich Fries (1988), Rosengren (1992) und d’Avis (2001) dagegen aussprechen.

Vom Satztyp zur Illokution   

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tivsatz, Deklarativsatz etc.) verschiedene Formtypen umfassen (z.B. Verb-ZweitDeklarativsatz und Verb-Erst-Deklarativsatz). (1)

a. Ein Mann kommt in die Bar. b. Kommt ein Mann in die Bar.

(Verb-Zweit-Deklarativ) (Verb-Erst-Deklarativ)

(2) a. Kommst Du auch zur Party? b. Wer kommt zur Party?

(E-Interrogativ) (w-Interrogativ)

(3) a. Lies das mal! b. Ruf doch mal an!

(Imperativsatz) (Imperativsatz)

(4) a. Hat der aber einen dicken Bauch! b. Was der für einen dicken Bauch hat!

(Verb-Erst-Exklamativsatz) (w-Verb-Zweit-Exklamativsatz)

(5) a. Wäre ich doch bloß etwas schlauer! (Verb-Erst-Optativsatz) b. Wenn ich doch bloß etwas schlauer wäre! (Wenn-Verb-Letzt-Optativsatz) Die Unterscheidung der Formtypen erfolgt in der Regel über ein ganzes Merkmalsbündel aus morphosyntaktischen Merkmalen wie Verbstellung (Verb-Erst, VerbZweit, Verb-Letzt), Verbmodus (Indikativ, Imperativ oder Konjunktiv), kategoriale Füllung des Vorfeldes und der linken Satzklammer (z.B. mit w-Ausdrücken oder Komplementierern) sowie über intonatorische Merkmale (z.B. steigende versus fallende Intonation am Satzende, sowie bestimmte Akzentkonturen). Dabei sind die einzelnen Formtypen zwar formal individuierbar, überlappen jedoch stark in Hinblick auf Einzelmerkmale. Kaum ein Merkmal ist spezifisch für einen einzigen Satztyp. So gibt es z.B. sowohl Verb-Erst-Interrogativsätze (2a), wie Verb-ErstDeklarativ- (1b) und Verb-Erst-Imperativsätze (3a) und (3b) etc. (siehe Altmann 1993).¹⁴ Die Klassifikation der Formtypen nach Satztypen hingegen erfolgt nach funktionalen Aspekten. Im Gegensatz zu Deklarativsätzen können Interrogativsätze weder wahr noch falsch sein, vielmehr lassen sie offen, ob der ausgedrückte Sachverhalt wahr ist oder nicht. In Imperativsätzen hingegen scheint (grob gesagt) der Wunsch ausgedrückt zu werden, dass der Adressat den fraglichen Sachverhalt

14 Allein der Verbmodus Imperativ wird in der Regel als eindeutiges Kennzeichen eines Imperativsatzes gewertet. Zumindest für das Deutsche jedoch wurde diese Annahme zuletzt angezweifelt. So argumentieren Schwager (2006) und Kaufmann & Poschmann (2013) anhand empirischer Daten aus dem Deutschen dafür, dass unter bestimmten Kontextbedingungen imperative Verbformen auch in regulären w-Interrogativsätzen verwendet werden können.

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   Satztyp, Illokution und Common Ground

erfüllt. Gemeinsam ist allen Deklarativsätzen somit, dass sie Wahrheitsbedingungen ausdrücken, während Interrogativsätze Antwortbedingungen und Imperativsätze Erfüllungsbedingungen formulieren. Prototypisch werden Deklarativsätze daher als Behauptungen, Interrogative als Fragen und Imperative als Aufforderungen verwendet. (6) a. Peter geht nach Hause. ~> Ich behaupte, dass Peter nach Hause geht. b. Geht Peter nach Hause? ~> Ich frage, ob Peter nach Hause geht. c. Geh nach Hause, Peter! ~> Ich fordere dich auf, nach Hause zu gehen. Allerdings gibt es keine 1:1-Entsprechung zwischen den einzelnen Satztypen und ihrer Verwendung als Sprechakte. Jeder Satztyp kann für unterschiedliche Sprechakt-Typen, sogenannte Illokutionen, verwendet werden. Ebenso kann jeder Sprechakt durch unterschiedliche Satztypen realisiert werden. So kann eine Aufforderung wie in (7) nicht nur mithilfe eines Imperativs, sondern auch mit der Äußerung eines Deklarativsatzes oder eines Interrogativsatzes vollzogen werden. (7) a. Komm sofort hier her! b. Du kommst sofort hier her! c. Kommst du (bitte) her? Umgekehrt kann die Äußerung eines Imperativsatzes nicht nur als Aufforderung, sondern auch als Bitte, Rat oder gar Erlaubnis verwendet werden (siehe u.a. Schwager 2006). (8) a. b. c. d. e.

Lies dieses Buch! Ich fordere dich auf, dieses Buch zu lesen. Ich empfehle dir, dieses Buch zu lesen. Ich erlaube dir, dieses Buch zu lesen. (…)

(Aufforderung) (Empfehlung) (Erlaubnis)

Ansätze, wie u.a. Stenius (1967) oder Lewis (1070), die den Satzmodus eines Satzes direkt mit bestimmten Illokutionen bzw. Sprechereinstellungen verknüpfen (z.B. wie in (6) Deklarativsätze mit Behauptungen, Interrogativsätze mit Fragen und Imperativsätze mit Aufforderungen), sind daher problematisch. Zwar beeinflusst der Satzmodus eines Satzes dessen Verwendungspotenzial, er bestimmt jedoch nicht die mit diesem Satz ausgeführte Illokution (siehe u.a. Gazdar 1981; Hausser

Vom Satztyp zur Illokution   

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1980).¹⁵ Daher hat sich in der Literatur weitgehend eine semantische Konzeption des Satzmodus durchgesetzt. Der Satzmodus eines Satzes definiert demnach zunächst den semantischen Typ des Satzes. Die Illokution hingegen ergibt sich erst aus dem jeweiligen Kontext. Im Folgenden gehe ich daher davon aus, dass sich mit dem Satztyp der semantische Typ des Satzes ändert. Dabei nehme ich an (siehe Hamblin 1973), dass Deklarativsätze Propositionen (d.h. Mengen möglicher Welten) und Interrogative Mengen an Propositionen (d.h. Mengen an Mengen möglicher Welten) denotieren.¹⁶ (9) a. Peter kommt. b. λw. Peter kommt in w (10) a. Wer kommt? b. λp. ∃x ∈ De [p = λw. x kommt in w] Für Imperative wurde u.a. angenommen, dass sie Eigenschaften (Hausser 1980; Portner 2005 u.a.) entsprechen. Hingegen argumentiert Kaufmann in Schwager (2006) und Kaufmann (2012) dafür, dass Imperative ebenso wie Deklarative Propositionen denotieren (die ein deontisch interpretiertes Modal enthalten), „die […] aber aufgrund einer zusätzlichen propositionalen Bedeutungskomponente (z.B. spezifischen Präsuppositionen in Hinblick auf die Sprecher-Authorität) von einer assertorischen Verwendung ausgeschlossen bleiben“ (Kaufmann 2013: 701). Demnach entspräche die Bedeutung eines Imperativsatzes wie (11a) in etwa einer Proposition wie in (11b).¹⁷ (11) a. Lies das Buch! b. Du sollst das Buch lesen. Umstritten ist in der Literatur, inwieweit sich die semantischen Eigenschaften der jeweiligen Satztypen aus ihren formalen Merkmalen kompositionell ableiten lassen. Altmann (1993: 1007) geht davon aus, dass es sich beim Satzmodus um ein „komplexes sprachliches Zeichen handelt“, bei dem dem jeweiligen satzwertigen 15 Ein kritischer Vergleich verschiedener Satzmodus-Ansätze findet sich u.a. in Grewendorf & Zaefferer (1991) und Lohnstein (2000). 16 Für eine kurze Einführung in die Hamblin-Semantik von Fragen siehe u.a. Abschnitt 5.2.1. 17 Auf die Formalisierung der von Kaufmann in Schwager (2006) und Kaufmann (2013) vorgeschlagenen Imperativsemantik wird an dieser Stelle verzichtet, da sie die Einführung einer graduierten Modalität erfordern würde (Kratzer 1981), die für die weitere Diskussion in diesem Buch nicht benötigt wird. Entscheidend für die folgende Diskussion ist lediglich die Annahme, dass Imperative ähnlich wie Deklarative Propositionen denotieren (siehe hierzu Kaufmann 2013).

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   Satztyp, Illokution und Common Ground

Formtyp seine Interpretation zugewiesen wird. Neuere semantische Arbeiten hingegen versuchen, die Eigenschaften der Satztypen kompositionell aus den Interpretationen verschiedener Formelemente aufzubauen z.B. über den Verbmodus des finiten Verbs (siehe u.a. Lohnstein 2000 und Kaufmann 2012) bzw. die Besetzung der linken Satzklammer (Truckenbrodt 2006). In der Syntax hingegen geht die Annahme eines semantischen Satzmodus meist einher mit der Annahme, dass der Satzmodus auf der Ebene der Syntax kovert oder overt markiert werden muss. So nehmen u.a. Chomsky (1981), Reis (1999) und Sabel (2006) an, dass Interrogativsätze mit einem Koverten +w-Merkmal gekennzeichnet sind, das sowohl die syntaktische Form des Interrogativsatzes als auch dessen semantische Interpretation auf der Ebene der L(ogischen) F(orm) regelt. Dieses +w-Merkmal, so die Annahme, unterscheidet Interrogativsätze von sogenannten –w-Strukturen wie Deklarativen [–w/–Imp] und Imperativen [–w/+Imp]. Evidenz für die Annahme solcher koverter Satzmodus-Operatoren liefert u.a. die Subkategorisierung von interrogativen bzw. deklarativen Nebensätzen unter Matrixprädikate, die auf die Anwesenheit bzw. Abwesenheit eines solchen +w-Merkmals in deren linksperipheren Positionen Bezug nimmt, sowie das Auftreten spezifischer overter Satztyp-Partikel in Sprachen wie dem Koreanischen oder Japanischen (siehe auch Abschnitt 4.1.2). In der Regel wird daher angenommen, dass die Satztypen einer Sprache ein sich wechselseitig ausschließendes Paradigma darstellen (u.a. Gazdar 1981; Sadock & Zwicky 1985; Cheng 1999). Demnach lässt sich in einer Sprache die Menge aller möglichen Sätze in Teilmengen gliedern, je nachdem welchem Satztyp sie aufgrund ihrer Syntax und Semantik zuzuordnen sind (z.B. deklarativ, interrogativ, imperativ). Dabei schließen sich die Teilmengen gegenseitig aus. Gemäß einer solchen Definition ist es folglich ausgeschlossen, dass ein Satz mehr als einem Satztyp (deklarativ, interrogativ, imperativ) angehört. EchoFragen hingegen scheinen auf den ersten Blick gegen eine solche syntaktische Typisierung zu verstoßen. Vereinen sie doch Merkmale der unterschiedlichsten Satztypen, z.B. für Interrogativsätze charakteristische w-Ausdrücke mit der für Deklarativsätze typischen Verb-Zweit-Struktur wie in (12a) oder mit einem imperativen Verb wie in (12b). (12) a. Peter geht WOHIN? b. Geh WOHIN?

(Echo-w-Frage mit deklarativem Satztyp) (Echo-w-Frage mit imperativischem Satztyp)

Altmann (1993:  1023) bezeichnet Echo-Fragen daher als „Mischtyp“ zwischen interrogativen und beliebigen anderen Satztypen aus dem Satztyp-Paradigma. In Kapitel 4 und 5 werde ich dafür argumentieren, dass es sich bei Echo-Fragen weder um einen interrogativen Satztyp noch um einen eigenen Satztyp handelt, sondern Echo-Fragen den Satztyp der jeweiligen Ausgangsäußerung überneh-

Vom Satztyp zur Illokution   

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men können und die Fragebedeutung erst in einem zweiten Schritt über die spezielle Fokussierung der Äußerung und die jeweiligen Kontextbedingungen abgeleitet werden werden kann.

3.1.2 Sprechakt und Illokution Im Gegensatz zu Satztyp und Satzmodus handelt es sich bei Sprechakten um eine rein pragmatische Kategorie. Als „Sprechakt“ bezeichnet man, unabhängig vom zugrunde liegenden Satztyp, sprachliche Handlungen wie Behauptungen, Aufforderungen oder Fragen (siehe u.a. Austin 1962; Searle 1971; Bach & Harnish 1979). Dabei bilden Sprechakte, Searle (1971) zufolge, die kleinsten Einheiten sprachlicher Kommunikation. Die Grundidee der sprachlichen Kommunikation ist nicht, wie allgemein angenommen wurde, das Symbol, das Wort oder der Satz, oder auch das Symbol-, Wort- oder Satzzeichen, sondern die Produktion oder Hervorbringung eines Satzzeichens unter bestimmten Bedingungen stellt einen Sprechakt dar, und Sprechakte […] sind die grundlegenden oder kleinsten Einheiten der sprachlichen Kommunikation. (Searle 1971: 30)

Nach Austin (1962) besteht jeder Sprechakt aus einzelnen Teilakten. Zum korrekten Verständnis eines Sprechaktes ist es dabei notwendig, dass der Adressat jeden dieser Teilschritte korrekt versteht und nachvollzieht. Zunächst ist erforderlich, dass der Hörer erkennt, dass überhaupt eine Äußerung vollzogen wird und dass er in der Lage ist, diese auch akustisch zu verstehen (phonetischer Akt). Ist z.B. in einer Kneipe der Geräuschpegel zu hoch, scheitert eine Konversation meist schon am rein akustischen Verständnis des phonetischen Materials. Erst im nächsten Schritt (phatischer Akt) wird die Lautfolge als Äußerung bestimmter sprachlicher Einheiten in einer bestimmten syntaktischen Struktur verstanden. Hier kommt es darauf an, dass der Hörer zunächst erkennt, welche Sprache überhaupt gesprochen wird, und dann die Lautfolge bestimmten Ausdrücken in seinem Lexikon und einer bestimmten Struktur seiner Syntax zuzuordnen versteht. Um jedoch die semantische Bedeutung des Satzes (seinen „propositionalen Gehalt“) ermitteln zu können, muss der Adressat die Referenz kontextabhängiger Ausdrücke wie indexikalischer Ausdrücke und Demonstrativa bestimmen. Dies geschieht beim Verständnis des rhetischen Akts. Erst wenn der semantische Gehalt der Äußerung richtig verstanden wurde, kann der Hörer aus dem Verwendungspotenzial des geäußerten Satzes und der Kenntnis des jeweiligen Kontextes ableiten, welchen

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   Satztyp, Illokution und Common Ground

illokutionären Akt (Behauptung, Frage, Aufforderung etc.) der Sprecher mit seiner Äußerung vollziehen wollte.¹⁸ Die Interpretation von Sprechakten ist in hohem Maße kontextabhängig. Welche Art von Sprechakt, d.h. welche Illokution der Sprecher mit seiner Äußerung vollziehen wollte, kann der Adressat nur aufgrund seiner Kenntnis des aktuellen Kontextes erschließen. Ob z.B. eine Äußerung wie (13) als Festellung, Versprechen oder gar als Drohung intendiert ist, hängt ganz entscheidend von der jeweiligen Situation und dem Verhältnis zwischen Sprecher und Adressat ab. (13) Ich komme dann morgen bei dir vorbei. Sind sich Sprecher und Adressat in (13) z.B. darüber im Klaren, dass der Adressat sich wünscht, dass der Sprecher ihn besucht, ist die Äußerung vermutlich als Versprechen intendiert, im entgegengesetzten Fall als Drohung. Bei der Definition und Interpretation von Illokutionen spielen daher Kontextbedingungen z.B. in Form von Glückensbedingungen (Searle 1971) eine entscheidende Rolle. So ist für das Gelingen eines Versprechens nach Searle (1971) u.a. entscheidend, dass der Sprecher S sich zu der Ausführung einer zukünftigen Handlung A verpflichtet, von der er annimmt, dass der Adressat H sich wünscht, dass sie von S vollzogen wird (1. Einleitungregel). Drohungen unterscheiden sich von Versprechen z.B. nur in Hinblick auf diese eine Einleitungsregel. Im Falle einer Drohung geht der Sprecher S davon aus, dass der Addressat H sich nicht wünscht, dass S die Handlung A vollzieht.

18 Austin (1962) selbst unterscheidet noch einen weiteren Akt, den sogenannten perlokutionären Akt, der die Wirkung des Sprechakts auf den Hörer bestimmt. So zielt eine Frage darauf ab, dass der Adressat sie beantwortet, und eine Aufforderung darauf, dass der Adressat die gewünschte Handlung auch tatsächlich ausführt. Dem perlokutionären Akt einer Frage entspräche somit die Antwort des Adressaten, dem perlokutionären Akt eines Befehls, die durch den Adressaten ausgeführte Handlung. Allerdings handelt es sich bei solchen „perlokutionären Akten“ nicht eigentlich um einen Teil des ausgeführten Sprechakts, sondern lediglich um Reaktionen auf diesen Sprechakt. Daher werden solche perlokutionären Effekte meist nicht zu den Teilakten eines Sprechaktes gezählt.

Common Ground und Grounding    

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(14) Glückensbedingungen für Versprechen (nach Searle 1971:88f.) Regeln des propositionalen Gehalts Die ausgedrückte Proposition p bezieht sich auf einen zukünftigen Akt A von S. Einleitungsregeln 1. S geht davon aus, dass H sich wünscht, dass S den Akt A vollzieht. 2. Es ist sowohl für S als auch für H nicht offensichtlich, dass S den Akt A sowieso vollziehen wird. Regeln der Aufrichtigkeit S hat die Absicht, A auszuführen. Wesentliche Regel Gilt als Übernahme der Verpflichtung zur Ausführung von A durch S. Wird eine der Glückensbedingungen nicht erfüllt, so scheitert entweder der Sprechakt oder er läuft Gefahr, vom Adressaten falsch interpretiert zu werden. Irrt sich der Sprecher z.B. in Hinblick auf die erste Einleitungsregel, kann ein Versprechen als Drohung interpretiert werden. Entscheidend für die erfolgreiche Ausführung und Interpretation eines Sprechaktes ist somit das wechselseitige Wissen von Sprecher und Hörer über die Beschaffenheit des Kontextes.

3.2 Common Ground und Grounding Der Kontext ist in zweierlei Hinsicht relevant für die Interpretation von Sprechakten. Zum einen lässt sich nur aufgrund des Kontextwissens erschließen, welchen Sprechakt der Sprecher mit seiner Äußerung intendiert. Zum anderen verändert jeder Sprechakt den aktuellen Kontext. So fügt z.B. jede Behauptung dem Kontext neue Information zu. First, speech is action, and speech acts should be understood in terms of the way they are intended to affect the situation in which they are performed. Second, speech acts are context-dependent: their contents (and so the way they are intended to affect the situation) depend not only on the syntactic and semantic properties of the types of expressions used, but also on facts about the situation in which the expressions are used. (Stalnaker 1998: 5)

Voraussetzung für eine Analyse von Sprechakten ist daher ein geeignetes Kontextmodell. Ein solches Modell bietet u.a. Stalnakers Konzept des „Common Ground“.

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   Satztyp, Illokution und Common Ground

3.2.1 Kontext und Common Ground Unter „Common Ground“ (CG) versteht man nach Stalnaker (1978), die Menge aller jener Propositionen, auf deren Wahrheit sich die Gesprächsteilnehmer für die Dauer des Gesprächs wechselseitig geeinigt haben.¹⁹, ²⁰ Entscheidend ist dabei, dass es sich beim Common Ground um wechselseitige und nicht nur um zufälligerweise gleiche Annahmen der Gesprächsteilnehmer handelt. Glauben zwei Gesprächsteilnehmer A und B zwar beide, dass die Proposition p wahr ist, wissen aber voneinander nicht, dass sie dies jeweils glauben, ist die Proposition nicht Common Ground. Erst wenn beide nicht nur jeweils glauben, dass p wahr ist, sondern voneinander wissen, dass sie jeweils glauben, dass p wahr ist, und voneinander wissen, dass sie dies wissen etc., zählt p zum Common Ground (siehe hierzu u.a. Clark & Schaefer 1989). Dieser Common Ground bildet nach Stalnaker (1998) nun die Grundlage für die Interpretation von Sprechakten. So ist für die Interpretation einer Äußerung wie (13), hier wiederholt als (15), entscheidend, ob der Adressat sich wünscht, dass der Sprecher ihn besucht, oder nicht. (15) Ich komme dann morgen bei dir vorbei. Ist also zwischen Sprecher und Adressat Common Ground, dass sich der Adressat wünscht, dass der Sprecher ihn besucht, kann angenommen werden, dass die Äußerung als Versprechen intendiert ist, im entgegengesetzten Fall als Drohung. Searles (1971) Glückensbedingungen für Sprechakte lassen sich somit als Common-Ground-Bedingungen begreifen (siehe u.a. Zeevat 1997). Der Common Ground bestimmt jedoch nicht nur die Interpretation der Sprechakte, er verändert sich auch selbst von Sprechakt zu Sprechakt. So fügt jede erfolgreiche Assertion dem Common Ground eine neue Proposition hinzu. Nehmen wir an, der Common Ground wäre zu Beginn eines Gespräches leer, so reichert er sich also von Assertion zu Assertion mit Propositionen an.²¹ Bei Stalnakers (1998) Common Ground handelt es sich somit nicht um ein statisches, 19 CG = {p: p gilt als wechselseitige Annahme aller Diskursteilnehmer} 20 Die Schnittmenge aller Propositionen im Common Ground, ⋂CG, bildet das sogenannte „context set“ (cs), die Menge aller möglichen Welten, die nach der wechselseitigen Annahme der Diskursteilnehmer wahr ist (d.h. sich nicht von der aktuellen Welt unterscheiden lässt). 21 Dabei handelt es sich um eine stark idealisierte, rein theoretische Annahme. Im natürlichen Gespräch ist kaum anzunehmen, dass der Common Ground zu Beginn eines Gespräches wirklich leer ist. So teilen Sprecher und Adressat stillschweigend eine ganze Anzahl von Annahmen, u.a. über die Beschaffenheit der aktuellen Welt, über die Teilnehmer des Gesprächs sowie über die verwendete Sprache.

Common Ground und Grounding    

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sondern um ein dynamisches Kontextmodell. Umstritten ist in der Literatur hingegen, inwieweit nicht-assertive Sprechakte wie z.B. Fragen oder Aufforderungen den Common Ground modizifieren können. Das Stellen einer Frage fügt dem Kontext ja auf den ersten Blick keine neue Information hinzu, sondern eröffnet lediglich eine Frage im Diskurs. Dies ist aber im Rahmen des Common-GroundModells nur schwer modellierbar. Der Common Ground kann nur mit Propositionen erweitert werden. Interrogative denotieren jedoch keine Propositionen, sondern Mengen an Propositionen (siehe Abschnitt 3.1.1), bestenfalls eröffnen sie daher eine Partition im Common Ground. Ginzburg (1996) und Roberts (1996) u.a. argumentieren daher dafür, dass die Teilnehmer eines Diskurses nicht nur eine Liste über die Propositionen führen, auf die sie sich wechselseitig geeinigt haben (Common Ground), sondern auch eine Liste (das sogenannte „Question Set“) über die Fragen, die sie in ihrem Diskurs beantworten möchten (die sogenannten „Questions Under Discussion“). Dabei werden Fragen nach Hamblin (1973) als Mengen an Propositionen definiert und das Question Set, die Liste der im Diskurs geäußerten Fragen, somit als Mengen an Mengen von Propositionen. Das Äußern einer Frage verändert demnach nach nicht den Common Ground, sondern lediglich das Question Set. Analog hierzu führt Portner (2005) eine „To-Do-Liste“ zur Aufzeichnung aller im Kontext geforderten oder eingegangenen Verpflichtungen (wie Aufforderungen, Versprechen etc.) ein. Zeevat (1997) hingegen argumentiert dafür, dass auch nicht-assertive Sprechakte direkt den Common Ground modifizieren. Dabei nimmt er direkt Bezug auf Searles Glückensbedingungen. Während die Einleitungsbedingungen und die Regel des propositionalen Gehalts im Common Ground erfüllt bzw. präsupponiert sein müssen, um einen Sprechakt erfolgreich vollziehen zu können, wird bei erfolgreicher Ausführung des Sprechaktes der Common Ground um die wesentliche Regel erweitert. So wird im Falle eines erfolgreichen Versprechens wie (15) der Common Ground nicht nur um die Proposition erweitert, dass A kommt, sondern um die Proposition, dass der Sprecher die Verpflichtung übernimmt, zu kommen. Im Falle einer Frage hingegen wird der Common Ground um die Proposition erweitert, dass der Sprecher die Antwort auf die geäußerte Frage vom Adressaten erfahren möchte. Dieser rein pragmatische Kontextbegriff, der auf dem wechselseitigen Kontextwissen von Sprecher und Adressat beruht, ist zunächst zu unterscheiden von einem semantischen Kontextbegriff, wie ihn Kaplan (1989) zur Interpretation deiktischer Ausdrücke einführt. Um den semantischen Inhalt einer Äußerung überhaupt ermitteln zu können, muss zunächst die Referenz kontextabhängiger Ausdrücke wie indexikalischer Ausdrücke und Demonstrativa bestimmt werden. So hängt die Interpretation einer Äußerung wie (15) u.a. davon ab, wer Sprecher und Adressat der Äußerung sind und zu welchem Zeitpunkt die Äußerung erfolgt. Nach Kaplan (1989) wird ein Äußerungskontext c daher definiert durch

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   Satztyp, Illokution und Common Ground

ein Quadrupel aus Sprecher s, Addressat a, Zeit t und Welt w. Jede Äußerung wird an einem bestimmten Kontext c ausgewertet. Im Default-Fall handelt es sich dabei um die aktuelle Äußerungssituation. So bezeichnet ich gewöhnlich den aktuellen Sprecher und du den Adressaten der aktuellen Äußerung. Nun können sich die Gesprächsteilnehmer aber auch irren bezüglich der Beschaffenheit des aktuellen Kontextes. So kann sich ein Gesprächsteilnehmer als Adressat angesprochen fühlen, obwohl er mit der Äußerung überhaupt nicht gemeint war. Um Missverständnisse zu vermeiden, müssen die Gesprächsteilnehmer sich zunächst bezüglich der Beschaffenheit ihres Äußerungskontextes c einigen. Im Grunde ist Kaplans semantischer Kontextbegriff daher auf eine Modellierung innerhalb eines pragmatischen Kontextbegriffs angewiesen.²²

3.2.2 Verständnissichernde Nachfragen als Grounding-Sprechakte Grundvoraussetzung für das Erreichen eines Common Ground ist das sogenannte „Grounding“ (Clark & Brennan 1991). Als solches bezeichnet man in der Sprechakttheorie den Prozess, mit dem Diskursteilnehmer das wechselseitige Verständnis ihrer Sprechakte sicherstellen. In communication, common ground cannot be properly updated without a process we shall call grounding […]. In conversation, for example, the participants try to establish that what has been said has been understood. In our terminology, they try to ground what has been said – that is, make it part of their common ground. (Clark & Brennan 1991: 128)

Jeder Sprechakt muss zunächst gegroundet werden. Das heißt Sprecher A und Adressat B müssen Common Ground darüber herstellen, dass B As Sprechakt korrekt verstanden hat (Uptake). Meist verläuft dieses Grounding implizit. Stellt der Adressat keine Nachfrage oder geht er korrekt auf den von A vollzogenen Sprechakt ein, antwortet B z.B. in (16) direkt auf As Frage, präsupponieren beide Gesprächsteilnehmer, dass der Sprechakt korrekt verstanden wurde.

22 Schwager (2006) z.B. definiert daher für jeden Kontext c ein sogenanntes „discourse set“ DS, als Menge all jener Kontexte c (aus der Gesamtmenge aller möglichen Kontexte C), für die gilt, dass Sprecher und Adressat c nicht von ihrem aktuellen Kontext co unterscheiden können. Damit jedoch wird Kaplans semantischer Kontext c seinerseits Gegenstand des pragmatischen Common Ground. Discourse-Set DS (co) = {c ∈ C: den wechselseitigen Annahmen der Gesprächsteilnehmer zufolge, kann c nicht von co unterschieden werden}

Common Ground und Grounding    

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(16) A: Hat Doro angerufen? B: Nein, die hat nicht angerufen. Grounding kann aber auch explizit erfolgen. So kann der Adressat jeweils zur Kontrolle rückbestätigen, dass bzw. was er verstanden hat (entweder durch Wiederholung des Gehörten oder durch konventionelle Bestätigungsformen wie o.k. oder hhm etc.). Umso schwieriger die Kommunikationsbedingungen sind oder umso essentieller das korrekte Verständnis jeder Einzeläußerung im Kontext ist, umso notwendiger wird explizites Grounding. Extrembeispiele hierfür sind z.B. die vorgeschriebenen Rückbestätigungen bei der Kommunikation zwischen Tower und Pilot oder zwischen Feuerwehrmännern im Einsatz (siehe u.a. Traum & Heemann 1997 oder Lindgren & Hirsch 2007). (17) Tower: Gehen Sie auf Flughöhe 1000 Fuß. Pilot: Roger. Gehe auf Flughöhe 1000 Fuß. Schlägt das Verständnis fehl oder ist sich der Adressat nicht sicher, ob er die Äußerung korrekt verstanden hat, kann er eine verständnissichernde Nachfrage stellen. Dies gibt dem Ausgangssprecher die Möglichkeit zur Klarstellung bzw. Korrektur. (18) Hong: Claudia: Hong: Claudia:

Wie heißt Du denn jetzt? Poschmann. Froschmann? Nein. Poschmann.

(Nachfrage) (Korrektur)

Die verständnissischernde Nachfrage eröffnet dabei innerhalb der laufenden Konversation eine eigene Reparatursequenz bezüglich der letzten Äußerung (Rost-Roth 2006). Bevor z.B. B’s Verstehensdefizit in (19) nicht geklärt ist, können die Kommunikationsteilnehmer nicht mit der Konversation fortfahren. Insbesondere kann B nicht auf A’s ursprüngliche Frage antworten. Denn dies ist erst möglich, wenn er die Frage auch richtig verstanden hat. (19) A: Hat Doro angerufen? B: Ob WER angerufen hat? A: Doro. Das verrückte Huhn aus dem dritten Stock. B: Nein, die hat nicht angerufen. Dabei erfolgt das korrekte Verständnis eines Sprechaktes stufenweise den Austinschen Teilschritten eines Sprechakts. Das Verständnis eines illokutionären

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   Satztyp, Illokution und Common Ground

Akts ist ohne das Verständnis der vorhergehenden Stufen nur schwer möglich. Dagegen kann eine Äußerung zwar sehr wohl akustisch richtig verstanden werden (phatischer Akt), ohne dass der Hörer auch die Bedeutung der Äußerung begreift (rhetischer Akt). Jeder Schritt setzt daher alle vorhergehenden voraus (upward completion and downward entailment). An jeder Stufe jedoch kann das Verständnis fehlschlagen. Daher kann auch zu jeder Stufe eine Nachfrage gebildet werden (Selting 1995; Peretti 1993; Rost-Roth 2006). So kann B mit seiner als Nachfrage verwendeten Echo-Frage (20a) sowohl signalisieren, dass er den Namen „Doro“ akustisch nicht verstanden hat (20b) (phatischer Akt), als auch dass er nicht weiß, wer mit dem Namen „Doro“ gemeint sein soll (20c) (rhetischer Akt). Ist für Sprecher und Addressat wechselseitig erkennbar, dass B A korrekt verstanden hat und weiß, wer mit Doro gemeint ist, so kann B die Äußerung (20a) auch verwenden, um die Intentionen hinter As Äußerung zu erfragen und den von A ausgeführten Sprechakt in Frage zu stellen (20d) (illokutionärer Akt). (20) A: Hat Doro angerufen? B: a. Ob WER angerufen hat? b. Ich habe dich nicht verstanden. Von wem hast Du gefragt, ob er angerufen hat? c. Wen meinst Du denn mit „Doro“? d. Soll das eine rhetorische Frage sein? Natürlich hat sie angerufen. Ebenso kann B aber auch eine Bestätigung für die unterschiedlichen Teilakte geben. (21) A: Hat Doro angerufen? B: a. Ob Doro angerufen hat. Wen meinst Du denn mit „Doro“? b. Ob Doro angerufen hat. Soll das eine rhetorische Frage sein? (…) So bestätigt B in (21a) zunächst, dass er den phonetischen und phatischen Akt von As Äußerung korrekt verstanden hat. Gleichzeitig stellt er jedoch eine Nachfrage bezüglich der Referenz von „Doro“ (rhetischer Akt). In (21b) hingegen ist B lediglich die illokutionäre Bedeutung von As Äußerung unklar. Phonetischer, phatischer und rhetischer Akt hingegen konnten korrekt nachvollzogen werden und werden bestätigt. Parallel zu den Standardsprechakten existiert somit eine zweite Klasse an Sprechakten, sogenannte Grounding-Akte. Traum & Allan (1992) zählen dazu Bestätigung (acknowledgement), Korrektur (repair), Aufforderungen zur Korrektur (request repair) und Aufforderungen zur Bestätigung (request acknowledgement). Grounding-Akte dienen allein der Verständnissicherung im

Common Ground und Grounding    

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Gesprächsverlauf, sie führen also keine neuen Themen in das Gespräch ein, vielmehr eröffnen sie einen Metadiskurs über das Gespräch selbst. Eben dies wird in der Analyse von Echo-Fragen eine entscheidende Rolle spielen (siehe Kapitel 6 und 7).

3.2.3 Vom Grounding zum Common Ground Nicht zu verwechseln ist das oben erwähnte „Grounding“, das Erreichen des wechselseitigen Verständnis eines Sprechaktes, mit dem Erreichen des Common Grounds einer Proposition p. Assertiert ein Sprecher z.B. eine Proposition p, so legt sich zunächst nur der Sprecher selbst auf den Wahrheitsgehalt der Proposition p fest. Common Ground erreicht die ausgedrückte Proposition jedoch erst, wenn die Diskursteilnehmer sich wechselseitig auf die Wahrheit von p geeinigt haben. Nach Ginzburg (1996) und Roberts (1996) besteht ein Kontext mindestens aus einem Common Ground (der Menge aller Propositionen, auf welche sich die Diskursteilnehmer wechselseitig geeinigt haben) und einem „Q(uestion)U(nder) D(iscussion)-Set“ (der Menge aller Fragen, deren Beantwortung sich die Diskursteilnehmer aktuell wechselseitig zum Ziel gesetzt haben).²³ Assertiert ein Sprecher eine Proposition p, so eröffnet diese (sobald sie erfolgreich gegroundet wurde) zunächst eine neue QUD