Werkbuch Diakonisches Lernen 9783666702167, 9783647702162, 9783525702161

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Werkbuch Diakonisches Lernen
 9783666702167, 9783647702162, 9783525702161

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V

Michael Fricke / Martin Dorner

Werkbuch Diakonisches Lernen Mit einem Beitrag von Elisabeth Buck und einem Geleitwort von Heinrich Bedford-Strohm

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 31 Abbildungen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-647-70216-2 Umschlagabbildung: Alexander Keller, FOTOGRAFIE, München © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen /  Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Produced in Germany. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

Inhalt

Geleitwort von Heinrich Bedford-Strohm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Teil 1: Worum es geht – Einführung in Diakonisches Lernen . . . . . . . . . . 13 1. Womit wir beginnen – erste Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Der Aufbau des »Diakonischen Lernens« – Kurzübersicht . . . . . . . . . . . 17 3. »Diakonie ist …« – Fachwissenschaftliche Überlegungen . . . . . . . . . . . . 19 3.1 Facetten von Diakonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3.2 Diakonie im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 4. Didaktik des Diakonischen Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Soziale Bildung: Klippen und Wege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Was können und brauchen Kinder und Jugendliche? . . . . . . . . . . . . 4.3 »Soziales Lernen kann man nicht an die Tafel malen« – Potenziale Diakonischen Lernens aus Lehrersicht . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Vorgeschichte des Diakonischen Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Begriff und Konzepte Diakonischen Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Dimensionen des Diakonischen Lernens bei Schülern . . . . . . . . . . .

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Teil 2: Wie wir es machen können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 5. »Durch die Schüler kommt Energie in unser Haus« – Chancen für die Diakonie aus praktischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 5.1 Warum lohnt es sich, zum Diakonischen Lernen anzuleiten? . . . . . 92

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Inhalt

5.2 Was bedeutet es, als diakonische Ansprechpartnerin Schülern und Lehrkräften die »Welt der Diakonie« aufzuschließen? . . . . . . . 5.3 Welchen Gewinn haben Diakonie und Kirchengemeinden, wenn sie Schüler als ›temporäre Mitarbeiter‹ aufnehmen? . . . . . . . 5.4 Was ist entscheidend, damit die Anwesenheit von Schülerinnen und Schülern niemand in der Einrichtung überfordert? . . . . . . . . . 5.5 Wie gelingt der Kontakt zu Schulleitungen und Lehrkräften? . . . . 5.6 Was kostet das Engagement? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6. »Diakonie berühren« – Entwürfe für den (Religions-)Unterricht von Elisabeth Buck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Voraussetzungen thematisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Die Perspektive thematisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Die Haltung thematisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Diakonisch handeln – sich stark machen für andere . . . . . . . . . . . . . 6.5 Nachbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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7. Die Rolle der Lehrkraft beim Diakonischen Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Unterricht in Klassenzimmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Unterricht am Lernort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Weiterarbeit im Klassenzimmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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8. Beispiele guter Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 »Ich war der Oberkellner!« – Diakonischer Aktionstag mit Grundschülern bei einer diakonischen Tischgemeinschaft . . . . . . . 8.2 »Wenn ich mal alt bin, dann wünsche ich mir, dass immer jemand da ist, der sich um mich kümmert!« – Diakonische Aktion mit Mittelschülern und Bewohnern eines Seniorenheims . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 »Das kann man nur durch Ausprobieren erleben!« Einwöchiges Sozialpraktikum/Diakonisches Praktikum mit Schülerinnen und Schülern der 10. Jahrgangsstufe am Gymnasium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 »Geschichten gehen durch den Magen« – Diakonisches Projektseminar mit Schülerinnen und Schülern der gymnasialen Oberstufe und Bewohnern eines Seniorenheimes .

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Herzlicher Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

Inhalt

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Literatur und Internetquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Übersicht O-Töne von Schülern, Lehrkräften und Anleitern . . . . . 4. Informationsblatt der Lehrkraft für den diakonischen Lernort . . .

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Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

Geleitwort

Ganzheitliches Lernen bedeutet Lernen in Theorie und Praxis. Lernen geschieht dabei im Idealfall nicht nur kognitiv, sondern auch erfahrungsbasiert. Im »Diakonischen Lernen« ist dieses Ideal verwirklicht. Dafür braucht es keine speziell für diesen Bereich ausgestatteten eigenen Bildungseinrichtungen. »Diakonisches Lernen« kann an jeder Schule stattfinden. Die Schülerinnen und Schüler lernen im Schulunterricht die theoretischen Grundlagen, die sie in der Praxis dann vertiefen und umsetzen und durch die eigene konkrete Erfahrung verinnerlichen. Das Diakonische Lernen findet dabei auf verschiedenen Ebenen statt: »Wissen«, »Wahrnehmen«, »Handeln«, »Weiterdenken«, »Haltungen«, »Spiritualität« und »Identität«. Diese Form des Lernens im Bereich der Diakonie geht weit über ein theoriebegleitetes Sozialpraktikum hinaus. Die Umsetzung kann ganz vielgestaltig sein. Sei es in wöchentlich wiederkehrenden Begegnungen von Schülern und Schülerinnen mit Mitarbeitenden und Menschen, die diakonisches Handeln in Anspruch nehmen, sei es durch einen Aktionstag, an dem Schüler und Diakonieangehörige gemeinsam arbeiten, oder in Form eines konkreten Praktikums, das zwei bis mehrere Wochen dauert. Die persönlichen Erfahrungen, die Schülerinnen und Schüler im praktischen Teil des »Diakonischen Lernens« sammeln, lassen sie meist nicht unberührt. Die Begeisterung kann man allein an einem Statement wie diesem ablesen: »… wenn man’s mal durch hat, dann hat man’s im Herzen … Und ich empfehl’s halt, egal wem! Einfach mitmachen!« Auch Mitarbeitende in der Diakonie sehen das »Diakonische Lernen« äußerst positiv: »Durch die Schüler kommt Energie ins Haus.« Ebenso die Lehrkräfte an den Schulen, die die unvergleichlichen Vorteile und den Mehrwert, den »Diakonisches Lernen« mit sich bringt, wahrnehmen: »Soziales Lernen kann man nicht an die Tafel malen.« »Diakonisches Lernen« ist somit ein Gewinn für Schülerinnen und Schüler, für die Lehrkräfte, für die Mitarbeitenden in diakonischen Einrichtungen sowie für die Personen, die in den Einrichtungen zuhause sind. Man kann also von

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Geleitwort

einer win-win-win-win-Situation sprechen. Darum freue ich mich sehr, dass diese Form des ganzheitlichen Lernens im Diakonischen Lernen eine so gute praktische Umsetzung gefunden hat, seit geraumer Zeit in den unterschiedlichen Schulen eingeübt und praktiziert ist und nun über die vorliegende Publikation als konkretes Handbuch für alle Interessierten zugänglich ist. Mein Dank gilt denen, die das »Diakonische Lernen« mit viel eigenem Engagement haben Wirklichkeit werden lassen und damit zahlreichen Schülerinnen und Schülern diesen Bereich unserer Gesellschaft und unserer Kirche eröffnet und erfahrbar gemacht haben. Allen voran danke ich Pfarrer Martin Dorner und Prof. Dr. Michael Fricke, die dieses Thema maßgeblich vorangetrieben und im vorliegenden Buch nun dokumentiert haben. Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern viel Freude bei der Beschäftigung mit dem »Diakonischen Lernen« sowie eigene inspirierende Erfahrungen mit diesem Thema. Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm

Vorwort

Das vorliegende »Werkbuch« hat zwei Gesichter. Es führt in die Grundlagen des Diakonischen Lernens ein (Teil 1: Worum es geht) und ist zugleich eine Anleitung zum Aktivwerden (Teil 2: Wie wir es machen können). Das Buch hat einen offenen Charakter, weil die Ergebnisse nicht feststehen, die daraus erwachsen. Oder, um mit dem Titelbild zu sprechen: Zwei Personen spielen Himmel und Hölle, aber wohin sie gehen und was sie möglicherweise nach dem Spiel machen, bleibt offen. Diakonisches Lernen hängt jeweils von dem konkreten Lernort und der konkreten Klasse ab – und ändert sein Aussehen immer wieder neu. Wie kann man das Buch lesen? »Eilige« Leser und Leserinnen können mit dem zweiten Teil beginnen. Er ist aus sich heraus verständlich und enthält das Notwendige, um Diakonisches Lernen in der Praxis zu organisieren. Wenn man die Zusammenhänge besser begreifen und das Lernen an und mit »Diakonie« grundsätzlich verstehen will, liest man Teil 1. Das Buch ist crossmedial angelegt. Im Buch weisen die Icons und darauf hin, dass Originaltöne von Schülern und Anleiterinnen aus diakonischen Einrichtungen sowie Vorlagen für Anschreiben, Informationslisten, Zertifikat und Namensschilder im Internet unter der Adresse www.v-r.de/Diakonisches_ Lernen abrufbar sind. Exemplarisch finden sich einige Dokumente auch im Buch, etwa eine thematisch geordnete Übersicht der O-Töne der Interviewpartner, ein Informationsblatt der Lehrkraft für den Lernort und das Zertifikat »Diakonisches Lernen« (Anhang). Das Werkbuch Diakonisches Lernen richtet sich an verschiedene Personengruppen. Als erstes sei der Bereich der Schule genannt: ȤȤ an Lehrkräfte und Referendare, die in ihrem Unterricht Diakonisches Lernen umsetzen möchten, ȤȤ an Schulleiter und -leiterinnen, die vor der Entscheidung stehen, Gruppen und Klassen am Diakonischen Lernen außerhalb des Klassenzimmers teilnehmen zu lassen,

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Vorwort

ȤȤ an Schüler und Schülerinnen der Oberstufe, die für ihre Aktionen, Referate oder Seminare rund um das Diakonisches Lernen Informationen suchen. Zum anderen hat das Buch die Personen im Blick, die die sozial-diakonische Arbeit verkörpern: ȤȤ Hauptamtlich und ehrenamtlich Tätige in diakonischen Zentren und Ge­ meinden, die Schüler und Schülerinnen konkret in ihre Arbeit mithineinnehmen und sie begleiten, ȤȤ Leitende von diakonischen und sozialen Einrichtungen bzw. Verantwortliche von Projekten und Initiativen, die sich im Sinne der Sozialraumorientierung für die Kooperation mit Schulen interessieren. Schließlich richtet sich das Buch an den Bereich der Aus- und Fortbildung und Hochschule: ȤȤ Studierende der Theologie, Religionspädagogik und Diakoniewissenschaften können es für ihre Studien, Referate und Seminararbeiten nutzen, ȤȤ Seminarlehrer bzw. Dozenten im Bereich in ihren Seminaren bzw. Weiterbildungen und Professoren an der Universität für die eigene Lehre. Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern interessante Entdeckungen, ein tieferes Verständnis der eigenen Praxis sowie Mut und Lust, Neues auszuprobieren. Pfingsten 2015

Martin Dorner und Michael Fricke

Teil 1: Worum es geht – Einführung in Diakonisches Lernen

1.  Womit wir beginnen – erste Definition

Diakonisches Lernen folgt einer einfachen Grundidee: Schüler und Schülerinnen wollen erleben, dass sie nützlich sind und gebraucht werden. Auf diese Weise weiten sie ihren Blick. Sie entdecken ganz natürlich, im Handeln, den Wert des Sozialen und gewinnen Zugang zu biblisch-christlichen Grundlagen sowie Anliegen und Formen von Diakonie. Diakonisches Lernen ist erlebnis- und wissensorientierte soziale Bildung in christlicher Perspektive. Es gibt zwei Orte beim Diakonischen Lernen: Der Unterricht findet zunächst im Klassenzimmer statt und Diakonisches wird dann am außerschulischen Lernort fortgesetzt. Lernen Dort ist nicht mehr die Lehrkraft »Vermittlerin« von Wissen, vielmehr gibt der besondere Lernort mit den Begegnungen, die dort stattfinden, zu lernen auf. Anschließend wird das Lernen wieder ins KlassenLernort zimmer zurückverlagert bzw. findet es bei wiederaußerKlassenkehrenden Praxiselementen parallel im Klassenzimmer halb zimmer statt. Damit ist Diakonisches Lernen von seiner Struktur Abb. 1: Die zwei Orte her dreischrittig. des Diakonischen Die Ziele im Diakonischen Lernen sind der Erwerb Lernens von Wissen und von Erfahrungen mit diakonischem Handeln. Schülerinnen und Schüler nehmen in diesem Lernarrangement Anliegen und Ausprägungen von Diakonie auf kognitiver und affektiver Ebene wahr, sammeln eigene praktische Erfahrungen mit diakonischem Handeln bzw. erlernen Fähigkeiten des diakonischen Handelns und reflektieren diese im Hinblick auf ihre Person und darüber hinausgehende gesellschaftlichen Zusammenhänge. Sie vertiefen durch diese nun reflektierten Erfahrungen ihr Wissen und den Blick auf Diakonie sowie die mit ihr verbundenen biblisch-christlichen Traditionen und können zugleich ihre Haltungen, ihre Werturteile und ihre Persönlichkeit weiterentwickeln. Diakonisches Lernen ist damit eine zirkulierende Bewegung zwischen

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Teil 1: Worum es geht – Einführung in Diakonisches Lernen

Theorie und Praxis, zwischen Sehen, Urteilen und Handeln. Bildlich gesprochen: Diakonisches Lernen steht auf zwei Beinen.1 Der Schwerpunkt kann sich je nach Zielsetzung und Situation von einem Bein zum anderen verlagern. Das hier im Werkbuch entwickelte Verständnis von Diakonischem Lernen wird in Abschnitt 4.5 eingehend und im Gespräch mit anderen Konzeptionen Diakonischen Lernens dargelegt.

Diakonisches Lernen

Wissen

Handeln

Abb. 2: Die zwei Beine des Diakonischen Lernens

1

Das Bild verwendet bereits Merkel 2009, 85.

2. Der Aufbau des »Diakonischen Lernens« – Kurzübersicht

Diakonisches Lernen beinhaltet, dass die Schüler und Schülerinnen »etwas« über und von Diakonie lernen. Aus Lehrersicht ist zunächst zu fragen, wie der »Gegenstand« beschaffen ist, das heißt, welche Facetten von Diakonie es gibt. Auch in Zeiten des kompetenzorientierten Unterrichts bleibt die fachliche Erschließung und Klärung der erste Schritt der Unterrichtsvorbereitung, da nur angesichts der Kenntnis der Inhalte die zu erwerbenden Kompetenzen sachgerecht formuliert werden können. Parallel dazu machen sich die gastgebenden sozialen und diakonischen Einrichtungen und Initiativen Gedanken darüber, aus welchen Gründen und mit welchen Zielen sie Schüler und Schülerinnen »hereinholen« und beteiligen möchten. An zeitlich nächster, aber sachlich gleichrangiger Stelle folgen die religionspädagogischen Überlegungen. Sie betreffen die Fragen, was Kinder und Jugendliche aus entwicklungspsychologischer Sicht können und was sie brauchen, wie sich soziales Lernen in der Schule ereignen kann, d. h. welche Klippen hier zu überwinden sind, auf welchen (Kompetenz-)Ebenen Schüler etwas lernen können, welcher Grundstruktur das Lernen folgt, welche Traditionen und Konzeptionen des Diakonischen Lernens es bereits gibt und wie die Rollen von Lehrkräften und Anleitern der diakonischen Lernorte aussehen. Diakonisches Lernen lebt von gelungenen Beispielen und deren Verbreitung. Unsere Best Practice-Fälle aus Grundschule, Mittelschule und Gymnasium zeigen einerseits Lehrern und Schülern, wie man die Sache konkret angehen kann, welche Orte und Aktionen sich anbieten, welche Schritte der Organisation zu unternehmen und welche Kompetenzen zu erwerben sind. Die Beispiele ermutigen andererseits auch Einrichtungen und Initiativen der sozialdiakonischen Träger, sich für Schule und Schüler zu öffnen. Unter diese Kategorie der anregenden Beispiele fällt auch die Beschreibung von Unterrichtswegen, die sich der affektiv-erlebnisbezogenen Annäherung an das Thema Diakonie und deren Reflexion widmen (siehe das von E. Buck verfasste Kapitel 6).

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Teil 1: Worum es geht – Einführung in Diakonisches Lernen

Unsere Grafik zum Diakonischen Lernen hat entsprechend diesen Überlegungen folgendes Aussehen:

Abb. 3: Übersicht zum Diakonischen Lernen

3. »Diakonie ist …« – Fachwissenschaftliche Überlegungen

3.1 Facetten von Diakonie »Die Diakonie ist der soziale Dienst der evangelischen Kirchen«, so lautet die Selbstbeschreibung der Diakonie.2 Diesem Motto entspricht in gewisser Weise auch die erste Wahrnehmung von Diakonie in der Öffentlichkeit. Diakonie wird mit sozialem Handeln und der Kirche als Arbeitsgeber in Verbindung gebracht. Zuweilen ist auch bekannt, dass Diakonie im 19. Jahrhundert entstand. Nun ist dieser erste Blick nicht falsch, aber doch recht eng. Diakonie ist zwar eine sichtbare soziale Institution der Kirche, aber sie ist gleichzeitig mehr – eine große und vielfältige Welt. Sie hat mit den elementaren Aspekten des Menschseins zu tun, mit seinen Befindlichkeiten, Bedürfnissen und Beziehungen. Zu dieser Welt hat jeder Mensch durch seine eigenen Existenzfragen und -erfahrungen Zugang. In diesem Kapitel wollen wir die Grundlagen und Erscheinungsformen von Diakonie darstellen und zugleich den Blick auf dieses »Mehr« ermöglichen. Definition und biblische Grundlagen Von ihrem Selbstverständnis ist Diakonie eine Grunddimension des Christseins3 und eine zentrale »Wesens- und Lebensäußerung«4 der christlichen Kirche. Das deutsche Lehnwort »Diakonie« leitet sich von der griechischen Wortfamilie diakon- ab und wird meist mit »dienen« bzw. »Dienst« übersetzt. Der Dienst versteht sich als Verpflichtung gegenüber der Liebe, die Jesus Christus gezeigt und gelebt hat.5 2 http://www.diakonie.de/selbstverstaendnis-9005.html, Zugriff vom 31.01.2015. 3 Vgl. Luz 2005, 19. 4 Vgl. die Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland, Art 15: http://www.ekd. de/download/grundordnung_fassung_amtsblatt_januar_2007.pdf, Zugriff vom 22.11.2013. 5 Vgl. ebd.

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Teil 1: Worum es geht – Einführung in Diakonisches Lernen

Als erste Orientierung ist die Bestimmung von Diakonie als Dienst zutreffend. Allerdings kann man fragen: Steht die griechische Wortfamilie diakon- in der Bibel wirklich immer für »dienen« bzw. »Dienst«? Und: Können wir das, was wir mit diesem Dienst meinen, allein von der Wortfamilie diakon- her ableiten? Einerseits lässt sich festhalten, dass das Dienen im Sinne eines »Liebeswerkes«6 am Nächsten (vgl. Mk 12,31/Lev 19,18) bzw. einer »ganzheitlichen Zuwendung«7 eine inhaltliche Hauptlinie des Neuen Testaments und Urchristentums darstellt. Andererseits muss man sich bewusst machen, dass die entsprechenden Texte nicht immer auf die oben genannte griechische Wortfamilie diakon- zurückgreifen, sondern andere Begriffe verwenden: Christen sollen nach Paulus etwa »allen Menschen Gutes (agatos) tun« (Gal 6,10), sich um die Heiligen in Not »kümmern« (koinoneo) und »Gastfreundschaft« (philoxenia) üben (Röm 12,13). Entsprechend möge Christus die Christen reicher werden lassen »in der Liebe (agape) zueinander und zu allen Menschen« (1 Thess 3,12, alle Zitate Zürcher Bibel). Auch bei der Übersetzung des griechischen Verbs diakoneo gibt es Fragen. Früher verstand man das Verb als ein »Dienen bei Tisch« (Lk 10,40) und im erweiterten Sinn als »für den Lebensunterhalt sorgen« und »dienen«, daneben war auch der Aspekt des Verkündigungsdienstes im Blick.8 Die neuere neutestamentliche Exegese ist dagegen der Auffassung, dass diakonia/diakoneo im Griechischen nicht vorrangig etwas mit Wohltätigkeit und Niedrigkeit zu tun haben. Vielmehr bezeichnen diese Begriffe »in der Regel eine Beauftragung, die […] häufig eine Vermittlungsfunktion dahingehend nach sich zieht, dass der Beauftragte eine Sache oder Nachricht an die Adressaten überbringen muss.«9 Die Menschen, die im NT diakonia tun, sind also eher »Botschafter des Evangeliums«10, betraut mit »Verkündigung und Gemeindeleitung«11. Die Verbindung mit dem Tischdienst (Lk 10,40) ist dagegen eine lukanische Besonderheit. Die Diskussion in der Bibelwissenschaft ist also offen. Einig sind sich die Exegeten darin, dass das Wort diakoneo sehr vielschichtig ist und seine Bedeutung vom Einzelkontext abhängt (weitere Beispiele unten). Die Betonung der oben genannten Liebeswerke knüpft an jüdische Wurzeln an.12 An erster Stelle ist hier an die alttestamentliche Forderung zu denken, den   6   7   8   9 10 11 12

Vgl. Luz 2005, 17 f. Vgl. ebd., 21. Weiser 1992, 726. Hentschel 2007, 433. Ebd., 435. Ebd., 305. Vgl. Luz 2005, 18 ff.

»Diakonie ist …« – Fachwissenschaftliche Überlegungen

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Nächsten wie sich selbst zu lieben, die einen Abschluss bildet zu einer Reihe von Schutzbestimmungen für die Armen, Fremden, Tagelöhner und Menschen mit Behinderungen (Lev 19, 9–18).13 Dieses Handeln wird in Entsprechung zum Handeln Gottes verstanden. Der barmherzige Gott (Ex 34,6; Ps 103,8) verschafft den schwächsten Gliedern der Gesellschaft (Witwen und Waisen) Recht und liebt die Fremden (Dtn 10,18).14 Nicht nur die Tora, also die fünf Bücher Mose, sondern auch die prophetischen Bücher vertreten diese Linie, vgl. exemplarisch Mi 6,8 (Zürcher Bibel): »Er hat dir kundgetan, Mensch, was gut ist, und was der HERR von dir fordert: Nichts anderes, als Recht zu üben und Güte zu lieben und in Einsicht mit deinem Gott zu gehen.« Eine wichtige Voraussetzung für das Wahrnehmen von Not ist die in den Psalmen häufig anzutreffende Gebetsform der Klage. Im Klagepsalm erhebt ein Mensch seine Stimme und schreit seine Probleme, Nöte und Ängste gleichsam heraus. Hier bekommt ein Mensch Raum, verschafft sich Gehör. Dabei spricht er über sich selbst, meist in bildreichen, allgemein-menschlichen Formulierungen: Mir geht das Wasser bis an den Hals, mein Herz ist wie Wachs, ich kann meine Knochen zählen (Ps 69,2; 22,15). Er spricht über seine Gegner, das sind Menschen, die sich ihm entfremdet haben (Ps 69,9), die falsche Anschuldigungen gegen ihn vorbringen (Ps 69,5) und ihn vor Gericht zerren (Ps 7) oder es handelt sich um Ängste, die zu Menschen- oder Tiergestalt geworden sind (Ps 22,13–22). Schließlich erhebt der Beter auch seine Stimme zu Gott, in zweifacher Weise. Er fragt Gott klagend, wie lange das Elend noch dauern soll (Ps 22,2), gleichzeitig erhofft er sich Hilfe von Gott (Ps 6,3.5) – und drückt meist am Ende des Klagepsalms seinen Dank für den Beistand Gottes aus (Ps 69,31).15 Die Klage ist menschlich dreifach wichtig: Die Leidenden finden Worte für ihre Not und werden damit Handelnde, die Klage bringt durch ihren öffentlichen Charakter mit sich, dass soziale Beziehungen und Zustände geheilt werden, und in der Klage werden beim Betenden durch Lob und Dank Gegenkräfte mobilisiert, so dass er oder sie neues Zutrauen zum Leben findet.16 Im Neuen Testament ist zunächst im direkten Wirkungskreis Jesu die Umkehrung der üblichen Rangordnungen augenfällig. Jesus lebt eine radikale Alternative zur vorfindlichen Realität und auch zu den damaligen philosophischen Idealen vor: »Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber 13 14 15 16

Vgl. ebd., 19. Vgl. ebd., 20. Vgl. Crüsemann 1990, 72. Ebd., 77.

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Teil 1: Worum es geht – Einführung in Diakonisches Lernen

soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener (diakonos) sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein« (Mk 10.43 f.). Ganz anders ist beispielsweise die Überlegung bei Platon: »Denn wie könnte wohl ein Mensch glückselig sein, der irgendwem diente?« (Gorgias 491e).17 Jesus dagegen betont, dass sein heilsbringendes Kommen gerade auf dem Dienen beruht: »Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen« (Mk 10,45). Daraus entwickelte sich die Vorstellung, dass die Jüngerschaft an sich ein »Dienen« ist (Mk 9,35). Jesus und seine Jünger lebten arm, familien- und heimatlos (Lk 10,4; Mt 10,9), gleichzeitig gründeten sich sesshafte Jesusgemeinden, die die Wanderprediger aufnahmen (Mt 10,40–42). Diese Doppelbewegung setzte sich in der österlichen Urgemeinde fort. Es entwickelte sich eine besondere Hinwendung zu den »Geringen« und »Kleinen« d. h. den Wandermissionaren. Wer sie aufnimmt und ihnen Gutes tut, nimmt Jesus selbst auf (Mt 25,31–46). Die Urgemeinde selbst war gekennzeichnet von einem tief gemeinschaftlichen Leben, in dem spirituelle und materielle Verbundenheit Hand in Hand gingen: »Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten […] Und alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte.« (Apg 2,42–45). Auch in der paulinischen Verkündigung findet sich die Praxis der Solidarität und des Helfens wieder: »Einer trage des anderen Last; so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen« (Gal 6,2). Fassen wir zusammen: Verschiedene Dimensionen ›diakonischen Handelns‹ lassen sich in den biblischen Traditionen ausmachen: 1. Einander Dienen (z. B. Mk 10,43–45; Joh 13,1–17), 2. solidarisches Handeln Bedürftigen gegenüber (Lk 10,25–37; Mt 25,31–46), 3. gesetzlich geforderter Schutz von Schwächeren (Ex 22,20–25; Dtn 15,1–11),18 4. prophetische Anwaltschaft für die Schwachen (Am 5,4–17; Lk 6,20–25), 5. Leben mit den Armen und Schwachen (Apg 2,42– 47; 4,32–37; 6,1–7; 1 Kor 12,12–31) und 6. Klage als heilsames Sichtbarmachen der erlebten Not (Ps 13; 69; 88)19. 17 Platons Werke. Zweiter Theil, übers. von Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: http://gutenberg.spiegel.de/buch/platons-werke-zweiter-theil-7315/3, Zugriff vom 22.02.2015. 18 Vgl. Crüsemann 1990, 77–84. 19 Vgl. ebd., 76 f.

»Diakonie ist …« – Fachwissenschaftliche Überlegungen

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Altes und Neues Testament zeigen hier also große Übereinstimmungen. Die Unterschiede im Neuen Testament liegen darin, dass diakonisches Handeln nun christologisch begründet wird und dass die sich aus dem Judentum herauslösende Kirche als neu entstehende Institution genötigt war, eigene entsprechende Strukturen der Nächstenliebe zu gründen.20 Alte Kirche Wie verlief die weitere geschichtliche Entwicklung? Die Alte Kirche zeichnete sich durch eine besondere soziale Praxis in den Gemeinden aus. Aristides von Athen, Christ und Philosoph, schreibt in seiner Apologie an Kaiser Antonius Pius um 140 n. Chr. über die Christen: »Sie lieben einander. Die Witwen missachten sie nicht; die Waise befreien sie von dem, der sie misshandelt. Wer hat, gibt neidlos dem, der nicht hat. Wenn sie einen Fremdling erblicken, führen sie ihn unter Dach und freuen sich über ihn, wie über einen wirklichen Bruder. Denn sie nennen sich nicht Brüder dem Leibe nach, sondern [Brüder] im Geiste und in Gott. Wenn aber einer von ihren Armen aus der Welt scheidet und ihn irgendeiner von ihnen sieht, so sorgt er nach Vermögen für sein Begräbnis. Und hören sie, dass einer von ihnen wegen des Namens ihres Christus gefangen oder bedrängt ist, so sorgen alle für seinen Bedarf und befreien ihn, wo möglich. Und ist unter ihnen irgendein Armer oder Dürftiger, und sie haben keinen überflüssigen Bedarf, so fasten sie zwei bis drei Tage, damit sie den Dürftigen ihren Bedarf an Nahrung decken.«21 Aus antiken Quellen wie dieser lässt sich folgendes Bild rekonstruieren: Kranke erhielten Besuche, das Abendmahl und Pflege. Es gab eine Versorgung bedürftiger Gemeindeglieder, zu diesen Bedürftigen gehörten, wie überall in der Antike, die Witwen und Waisen. Sie erhielten Nahrungsmittel und Geldleistungen. Ebenso wurden Bestattungen von mittellosen Gemeindegliedern finanziert. Christen aus anderen Gemeinden, Durchreisende oder Flüchtlinge, wurden aufgenommen. Menschen, die wegen der Taufe ihren Beruf wechseln mussten, erhielten Arbeitsvermittlung. Zu Christen im Gefängnis wurden Kontakte geknüpft und versucht, Hafterleichterungen bzw. Freilassung für sie zu erreichen. In bestimmten Fällen wurden Sklaven freigekauft. Unterschiede 20 Vgl. Luz, 20. 21 Frühchristliche Apologeten 1913, 50 f., abrufbar unter http://www.unifr.ch/bkv/kapitel76–15. htm, Zugriff vom 31.01.2015.

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zwischen Sklaven und Freien waren in den Gemeinden aufgehoben. Die Mittel für diese diakonischen Leistungen entstammten zunächst den gottesdienstlichen Sammlungen und anderen Spenden, später gab es Gemeindekassen, die durch das Prinzip freiwilliger Selbstbesteuerung Gelder einnahmen.22 Die Triebkraft für diese soziale Praxis ist, wie Aristides in seiner Schrift erläutert, die Liebe. Die junge Kirche, in der Gottesdienst und diakonisches Handeln verbunden waren, erregte Aufmerksamkeit. Die Ausrichtung der Religion zum sozialen Handeln hin war ein Novum im bisherigen römischen Staatskult. Sie wurde zeitweise sogar von den römischen Herrschern zu imitieren versucht, um das Anwachsen des Christentums zu verhindern. Kaiser Julius Apostata (361–363) schrieb über das Christentum: »Wir sollten doch einsehen, dass die Gottlosigkeit [= das Christentum] nur deshalb an Boden hat gewinnen können, weil sie sich liebevoll um Fremde gekümmert oder auch für die Bestattung Friedhöfe besorgt hat, […] die gottlosen Galiläer unterstützen nicht nur ihre eigenen Armen, sondern nicht minder unsere.« 23 Die Liebestätigkeit war gut organisiert und auch in der Ämterstruktur der Kirche verankert, es gab Bischof, Presbyter und Diakon.24 Dem Diakon fiel die Aufgabe zu, die »Gemeinschaft der nach Herkunft, Geschlecht und Stand Verschiedenen im Kontext der heidnischen Städte zu stärken und aufrecht zu erhalten«25. Diakonie schlug eine Brücke »zwischen dem christlichen Glauben, der Gemeindepraxis und dem schwierigen Alltag in einem heidnischen Umfeld«26. Diakonie im Spiegel menschlicher Erfahrungen und Bedürfnisse Diakonie hat mit den elementaren Aspekten des Menschseins zu tun und damit, wie man sie lebt oder »gut« mit ihnen umgeht. Unsere Liste von Begriffen deckt einige dieser Aspekte ab, ist aber als offen anzusehen: Verletzlichkeit, Leiblichkeit, Feier, Gemeinschaft, Wertschätzung, Gerechtigkeit, Für-andere-Sprechen, Nachbarschaft und Kooperation angesichts von Grenzen. Bei der Darstellung der Aspekte arbeiten wir auch mit den Zeugnissen junger Menschen, die sich im Rahmen Diakonischen Lernens selbst ein Bild über Diakonie gemacht haben sowie von Mitarbeitenden in der Diakonie. 22 23 24 25 26

Schäfer/Herrmann 2005, 38 f. Zit. n. Schäfer/Herrmann 2005, 37. Vgl. ebd., 38. Ebd., 39. Ebd., 39.

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Verletzlichkeit: Vom ersten Augenblick seines Daseins an ist der Mensch seelisch und körperlich verletzlich.27 Das Leben selbst ist es, welches diese Verletzungen zufügt, sei es durch Mangel, Verlust, Krankheit, Sucht, Alterung, Konflikte oder Gewalt. Die Sterblichkeit des Menschen ist der elementarste Ausdruck für diese Verletzlichkeit. In unserer Gesellschaft wird die Tatsache, dass der Mensch verletzlich ist, unterschiedlich bewertet. Oft gilt Verletzlichkeit als Makel. Sie ist das Gegenteil von Leistungsfähigkeit. Ziel ist es, Widerstandsfähigkeit (Resilienz) zu entwickeln.28 Der gesellschaftliche Diskurs, etwa in den Massenmedien, ist darüber hinaus geprägt von Idealvorstellungen der Unverletzlichkeit, wie sie sich in Heldenfiguren (»Superman«) niederschlagen. In anderen Bereichen und Diskursen unserer Gesellschaft, etwa in psychotherapeutischen, kirchlichen und religionspädagogischen Kontexten, wird Verletzlichkeit dagegen bewusst als Teil des Menschseins gewürdigt.29 So widmet der Lehrplan für den Evangelischen Religionsunterricht in der gymnasialen Oberstufe in Bayern diesem Thema das Kapitel »Gesund und heil? – Das Leben angesichts der Unvollkommenheit«. Darin heißt es: »Die Schüler nehmen eigene und gesellschaftliche Vorstellungen von Gesundheit und Leistungsfähigkeit in den Blick und bringen sie mit christlichen Impulsen zum Umgang mit Krankheit und Endlichkeit ins Gespräch. […] irdisches Leben als fragmentarisches Leben in Begrenzung durch Körperlichkeit, Endlichkeit, Eingebundenheit in die Zeit usw. […].«30 Verletzlichkeit bettet sich in einen größeren Kontext ein: Schwachheit, Unvollkommenheit und Fragmentarität. Fragmentarität bezieht sich dabei sowohl auf die Welt31 als auch auf die Biografie des Einzelnen. H. Luther formulierte dazu: »Blickt man […] auf menschliches Leben insgesamt, […] so scheint mir einzig der Begriff des Fragments als angemessene Beschreibung legitim. […] Erst wenn wir uns als Fragmente verstehen, erkennen wir unser Angewiesensein auf Vollendung, auf Ergänzung an.« 32

27 Vgl. Riess 2014, 207–213. 28 Vgl. http://www.psychology48.com/deu/d/vulnerabilitaet/vulnerabilitaet.htm, Zugriff vom 18.02.2015. 29 Vgl. Leonhard 2014, 39 f. 30 Vgl. http://www.isb-gym8-lehrplan.de/contentserv/3.1.neu/g8.de/index.php?StoryID=26176, Zugriff vom 20.02.2015. 31 Vgl. Plotkin 2008. Ähnlich Habermas 2004, 2–4, der von einer »fragmentierten Weltgesellschaft« spricht. 32 Luther, 1992, 168 und 173.

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Aus christlicher Sicht gilt es also, das Leben im Bewusstsein und angesichts dieser Fragmentarität zu leben. Noch einmal H. Luther: »Das eigentümlich Christliche scheint mir nun darin zu liegen, davor zu bewahren, die prinzipielle Fragmentarität von Ich-Identität zu leugnen oder zu verdrängen. Glauben hieße dann, als Fragment zu leben und leben zu können.«33 Diakonie ist der nicht wertende Blick auf diese Fragmentarität und Verletzlichkeit. Sie nimmt den verletzten Menschen wahr und sieht ihn deswegen wirklich an. Diakonie hilft dem Menschen, in seiner Angewiesenheit Mensch zu sein und zu bleiben. Sie steht ihm zur Seite, ohne die Verletzung »wegzumachen«. Sie lässt erleben, dass nicht nur die Schwachen, sondern auch die Starken verletzbar sind. Sie hilft dabei, die eigene Verletzlichkeit anzuerkennen und dadurch »ganz« zu werden. Der Mensch findet seine eigene Identität erst durch die Begegnung mit der Verletzlichkeit der anderen. »Das Ich ohne die anderen ist fragmentarisch. […] Zur identitätsbildenden Begegnung mit anderen zählt auch die Erfahrung des Leidens anderer.«34 Diakonie macht den Blick auf Verletzlichkeit und Angewiesenheit konkret. Eine Schülerin erzählt über ihre Erfahrungen während des Sozialpraktikums: DL_OT_part04_fremde_neue_eindrücke

»Was ich irgendwie so erschreckend finde, ist: Also die alten Leute sind teilweise wieder wie so Babys und sie hatten ja schon so ein Leben, in dem sie z. B. ein Geschäftsmann waren. Und dann sieht man die Bilder von ihnen an der Wand und jetzt sind sie wieder so zurück auf null sozusagen. Also das Leben macht so einen Bogen […] Versteht ihr, was ich meine?«35 (Eleni, 16 Jahre, Sozialpraktikum, Gymnasium Eckental). Eleni und zwei ihrer Klassenkameradinnen hatten sich für ihr einwöchiges Sozialpraktikum das Rummelsberger Stift St. Lorenz in Nürnberg ausgesucht. Die Feedbackrunde mit ihnen wurde in einem Moment sehr tiefgründig und existenziell. Eleni versucht mit tastenden Worten ihren Mitschülerinnen zugänglich zu machen, was sie bei den Begegnungen mit den Seniorinnen und Senioren besonders bewegt hat: Menschen, die eine ganze Zeit ihres Lebens fit und erfolgreich waren, können sich teilweise sogar mit der Person, die auf dem Foto an 33 Ebd., 172. 34 Ebd., 169. 35 Eleni im Gespräch mit Martin Dorner am 12.03.2013, http://www.diakonisches-lernen.de/ hoeren/, Zugriff vom 01.06.15.

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der Wand des eigenen Zimmers zu sehen ist, nicht mehr in Verbindung bringen. Man kann die Ursachen und den Verlauf einer Demenzerkrankung erklären, aber verstehen? Als Eleni von »zurück auf null« spricht, lachen die anderen Schülerinnen. Ihr Lachen ist sicher kein Auslachen, sondern Ausdruck von Hilflosigkeit. Eleni hat irritierende, überraschende und beglückende Erfahrungen während ihres diakonischen Praktikums im Seniorenheim gesammelt. Am Ende des Gesprächs sagt sie, dass sie das Sozialpraktikum anderen Schülern auf jeden Fall empfehlen würde. »Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?«, so betet Psalm 8, in dem es weiter heißt: »Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.« Die Würde und das Ansehen eines Menschen hängen nicht von seiner Leistungsfähigkeit ab. Menschen haben ihr Ansehen allein dadurch, dass Gott sie geschaffen hat. Bei diakonischen Praktika begegnen Schülerinnen und Schüler Menschen in ihrer Verletzlichkeit. Manche Lehrkräfte möchten ihren Schülerinnen und Schülern diese Erfahrung nicht zumuten, andere hingegen bringen gerade durch diakonische Praktika Erfahrungen von Verletzlichkeit mit den religiösen und philosophischen Traditionen zur Anthropologie zusammen, um sich dadurch mit ihren Schülern angesichts aktueller gesellschaftlicher Fragestellungen orientieren zu können. Leiblichkeit: Leiblichkeit ist die Grundlage unseres Menschseins. Ohne unseren Körper können wir nicht leben, handeln oder denken. Der Leib bildet Ausgangspunkt sowohl unserer Subjektivität als auch unserer Beziehungshaftigkeit.36 Dies lässt sich differenzieren:37 Ich nehme meine Lebenswelt über die körperlichen Sinne wahr. Mein Körper ist das Tor zur Welt. Der Andere, dem ich begegne, ist keine völlig fremde Person, sondern jemand, mit dem ich gemeinsame menschliche Grundbedingungen habe. Zusammensein bedeutet, den zwischenleiblichen Raum zu teilen. Mit dem Körper gestalte ich meine Umwelt. Er ist Werkzeugleib, bestimmt die Bewegungs- und Handlungsmöglichkeiten meines Organismus. Mein Körper kann gesehen, gehört und berührt werden; er drückt sich aus, teilt Gemütslagen und Bedürfnisse mit und empfindet Sehnsüchte – er ist Erscheinungsleib. Neben kognitiven Erinnerungen speisen sich in meinem Gedächtnis leibliche Erfahrungen ein. Ich bin nicht nur Körper in der Gegenwart, sondern greife Spuren des Ge- und Erlebten auf. Lebensgeschichte schreibt sich – in beglückender wie traumatisierender Sicht – in meinen Körper ein. Der 36 Vgl. Leonhard 2014, 35. 37 Darstellung nach Leonhard 2014, 36 f., und Fricke/Riegel 2011, 21 f.

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Körper ist Beziehungsleib: Mit ihm baue ich sozialen Kontakt und Bindungen zu anderen auf. Mit der Körpersprache habe ich eine besondere Ausdruckssphäre, die Kommunikation mit dem Anderen auf verschiedenen Ebenen ermöglicht. Körper- und verbale Sprache lassen sich miteinander verbinden. In jeder Begegnung oder Handlung, in jeder Geste und jedem Gespräch konkretisiert sich dies körperlich, räumlich und zeitlich. Diakonie macht erfahrbar, dass der Mensch durch seine Leiblichkeit zum Menschen wird. Sie zeigt Bedürfnisse und Beeinträchtigungen des Leibes auf – ebenso wie die Möglichkeit, Begegnung und Beziehung über und durch den Leib zu erleben. Ein Schüler erzählt von seinen diesbezüglichen Erfahrungen: »Und dann hab’ ich einfach zusammen mit den behinderten Menschen mitgemacht und mich zur Musik bewegt. Dieses Gemeinschaftsgefühl zu erleben, das war einfach bewegend.«38 (Oscar, 18 Jahre, diakonisches P-Seminar, Paul-Pfinzing-Gymnasium Hersbruck). Der Abiturient Oscar verbrachte während eines diakonischen Projektes Zeit mit Menschen mit Behinderung, die gemeinschaftlich leben. Für viele, so Oscar in einem Gespräch, sei der Freitag jedesmal das »Highlight« der Woche. Es wird irgendwann Musik aufgelegt und Musik gemacht und alle lassen sich vom Rhythmus der Musik anstecken und beginnen, sich zu bewegen und zu tanzen. Ein tiefes Gemeinschaftserlebnis breitet sich aus und Oscar ist ganz selbstverständlich Teil davon. Diakonisches Handeln selbst ist häufig leibliches Handeln: Das erlebt die Krankenpflegerin einer Diakoniestation, die ihre Patientin wäscht, eincremt und verbindet, so dass sie sich danach in ihrer Haut wieder wohler fühlt. Die Altenpflegerin, die einem Bewohner die Haare kämmt und die Fingernägel schneidet und ihm ein Kompliment vor dem Spiegel macht. Die Ergotherapeutin, die Musik von früher auflegt und mit den Seniorinnen einen Tanz unter Zuhilfenahme des Rollators einstudiert, so dass alle ihren Spaß haben. So erleben es auch die Schülerinnen und Schüler einer sechsten Klasse, die bei ihren wiederkehrenden Besuchen im Seniorenheim von einer Fachkraft gezeigt bekamen, wie man sanft den Handrücken von Seniorinnen oder Senioren massiert. Sie spüren bald selbst, wie sie älteren Menschen durch diese Massagen wohltun. Diakonie macht durch dieses leibliche Handeln nachvollziehbar, dass und wie die Zuwendung des Geistes Gottes zum Menschen den Körper miteinschließt. Segenshandlungen, Handauflegungen im Gebet und Salbungen verbinden die 38 Im Gespräch mit Martin Dorner am 10.01.13, http://www.diakonisches-lernen.de/hoeren/, Zugriff vom 01.06.15.

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geistlichen Zuwendungen mit körperlichen Gesten (Mk 6,13; 10,16; Jak 5,15). Diakonie in diesem leiblichen Sinne drückt sich auch im Psalm 23 aus: »Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein!« Im Psalm ist es Gott, der Menschen segnet, so dass sie das mit Haut und Haaren spüren können. In der Diakonie sind es die Mitarbeiter und beim Diakonischen Lernen auch die Schüler, die durch leibliche Zuwendung anderen zum Segen werden können. Feier: Feiern ist ein Kennzeichen menschlicher Kultur. Die Feier setzt sich gegenüber dem Alltag ab, sie ist anders. Das lässt sich an drei Punkten deutlich machen:39 Im Alltagsleben reagiert der Mensch auf Augenblickserfordernisse und Zufälle. Das Handeln dient vorrangig dem Erreichen von Zwecken und ist in formaler Hinsicht eher beliebig. Das Fest dagegen ist das Geformte, Festgelegte. Es stellt eine bewusste Inszenierung dar, die sich nicht am Erreichen eines Zweckes, sondern am Stil der Ausführung orientiert. Der Alltag ist, zweitens, geprägt von Arbeit angesichts der Knappheit von Gütern. Das Fest ist utopische Fülle, ein selbstvergessenes Verausgaben und Verschwenden. Schließlich ist der Alltag geprägt vom Banalen und der Routine, die nicht hinterfragt wird. Feste dagegen unterbrechen die Routine des Alltags durch den Einbruch einer ganz anderen Wahrheit. Sie transzendieren den im Alltagshandeln verengten Sinnhorizont, ermöglichen die Besinnung auf das Grundlegende und lassen die Ergriffenheit von Leib und Seele zu. Das Fest und Alltag stehen sich also spannungsvoll gegenüber, wie J. Assmann zusammenfasst: »Das Fest ist der Ort der Inszenierung von Schönheit und Ganzheit, auf die der Mensch angewiesen ist, ohne sie in seinem Alltagshandeln realisieren zu können.«40 Ebenso ist der christliche Glaube von der Spannung zwischen Gottesdienst und Leben im Alltag geprägt. Gottesdienst ist Ort der »Feier des Lebens«, des Vorgeschmacks auf das Reich Gottes, »Poesie ohne Zweck«.41 Diakonie knüpft daran an. Sie ist geprägt von ihrer sozialen Praxis, aber sie geht nicht darin auf. Auch sie lebt von der Feier und vom Gottesdienst, wie es im Leitbild der Diakonie heißt: »Diakonie geht aus vom Gottesdienst der Gemeinde«.42 Deswegen hat die gottesdienstliche Feier in den Einrichtungen der Diakonie ihren Platz. Daran können auch die Schülerinnen und Schüler beim Diakonischen Lernen teilhaben. »Jeden Montag gibt es in unserem Diakonischen Werk eine Morgenandacht für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wenn Schülerinnen und Schüler 39 Vgl. Assmann 1991, 14 f. 40 Ebd., 17. 41 Vgl. dazu Steffensky 1988, 91–101. 42 Vgl. http://www.diakonie.de/leitbild-9146.html, Zugriff vom 20.02.2015.

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bei uns ein Praktikum machen, dann lade ich sie ein, mich zur Andacht zu begleiten.« (Christine Strasser-Harr, »kiloweise«. Materielle Hilfen und Informationen, Augsburg). Die Schüler erfahren dadurch etwas darüber, wo und wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Diakonie »auftanken«. Die Morgenandacht zum Arbeitsbeginn am Montag im Diakonischen Werk Augsburg ist eine Möglichkeit, die spirituelle Dimension diakonischer Arbeit wahrzunehmen. Unterschiedliche Mitarbeiter gestalten die Morgenandacht: Eine Zeit der Stille, ein Lied, einige persönliche Gedanken zu einem biblischen Wort, ein gemeinsames Vaterunser und ein Segen für den anschließenden Dienst an den Menschen. So wie jeder Ratsuchende, der z. B. in eine Beratungsstelle oder eine Kleiderkammer der Diakonie kommt, leibliche und seelische Bedürfnisse hat, so haben auch alle Mitarbeiter diese Bedürfnisse. Martin Luther sagt in seiner Auslegung zum dritten Gebot im Kleinen Katechismus: »Man kann Gott nicht allein mit Arbeit, sondern auch mit Feiern und Ruhen dienen, darum hat er das dritte Gebot gegeben und den Sabbat geboten.«43 Die spirituelle Dimension der Diakonie können Schülerinnen und Schü­ ler auch aktiv mitgestalten. Der Arbeitskreis »Oldies but Goldies« an der Nürnberger Mittelschule Insel Schütt überlegte sich z. B. mehrere Andachten für die Bewohner eines Seniorenheimes.44 »Liebe«, »Freiheit«, »Frühling« und »Gesundheit« waren Themen, die die Schüler durch Symbole, Gegenstände, Gebete, Texte und durch einen Tanz auslegten. Vier spannende Andachten für alle, sowohl für die Schülerinnen und Schüler und die Bewohner als auch für diejenigen, die sonst das gottesdienstliche Leben im Haus verantworten. Gemeinschaft: Jeder Mensch ist ein Individuum und für sich selbst verantwortlich. Gleichzeitig ist auch wahr: Mensch bin ich nicht für mich, Mensch bin und werde ich durch die Beziehungen, in denen ich lebe. Menschliches Leben ohne Gemeinschaft ist schwer vorstellbar. Nur in der Gemeinschaft kann der Einzelne die Erfahrung machen, getragen und angenommen zu sein. Nur hier kann sich die Einzelne Rückmeldungen darüber holen, wie sie auf andere wirkt. Die anderen fordern mich heraus, sind mir Beispiele und Modelle des Lebens, mit denen ich mich auseinandersetzen und dadurch als Person weiterentwickeln kann. 43 Evangelisches Gesangbuch 1994, 1452. 44 Unter Leitung von Religionspädagogin Jenny Graumann, Nürnberg; weitere Aktionen s. Ka­ pitel 8.2.

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Das Ziel von Diakonie ist, alle Menschen in die tragende christliche Gemeinschaft mit hineinzunehmen. Es geht nicht darum, dass die Mitarbeitenden den Patienten, Klienten usw. gegenüberstehen wie Helfer den Hilfe-Empfängern. Auch wenn Diakonie den Auftrag zum sozialen Handeln hat und damit auch bestimmte Strukturen vorgegeben sind, gibt es ein weitergehendes Ziel. Im Leitbild der Diakonie ist das ausgedrückt: »Als Gebende sind wir auch Empfangende. Als Helfer sind wir zugleich Hilfsbedürftige. Im gegenseitigen Geben und Nehmen erleben wir Gemeinschaft und entdecken, dass Glaube und Persönlichkeit wachsen. Wir verstehen helfende Beziehungen umfassend als Für-, Vor- und Nachsorge. Dabei geht es uns sowohl um den Menschen in seiner persönlichen Situation als auch in seinen sozialen Verhältnissen. […] Die Teilhabe aller am Leben in der Gemeinschaft ist unser Ziel.«45 In einem Projekt des Diakonischen Lernens haben Schüler die Erfahrung von Gemeinschaft machen können: DL_OT_part03_was_es_ist

»Ich finde, wir haben mehr zusammengearbeitet, als wir in der Schule zusammenarbeiten. Mir hat’s richtig gut gefallen, dass wir wie ein Team waren, ein Dreamteam. Es hat sehr viel Spaß gemacht! Und falls jemand Hilfe gebraucht hat, konnten wir zu den Älteren, also zu den Mithelfern gehen.«46 (Daniele, 10 Jahre, Grundschule Augsburg-Kriegshaber). Der Grundschüler Daniele hat mit seinen Mitschülerinnen und Mitschülern und seiner Lehrkraft bei einem diakonischen Aktionstag für Menschen in Einsamkeit oder Armut aus dem Stadtteil ein Drei-Gänge-Menü zubereitet. Anschließend hat ein Teil der Klasse die Gäste bei Tisch bedient und die anderen haben zusammen mit den Gästen gegessen. Dies war Danieles erste Erfahrung im Ehrenamt in einer evangelischen Kirchengemeinde. Es hat ihm nicht nur Spaß gemacht, sondern er hat seine Klasse bei der Aktion als »Dreamteam« erlebt. Daniele redet fast so, als wäre ein Wunder geschehen: Im Unterschied zum Klassenzimmerunterricht hätten sie mehr zusammengearbeitet! Der Apostel Paulus findet es auch wunderbar, wenn mit Hilfe des Heiligen Geistes sich unterschiedlichste Menschen als »ein Leib in Christus« (Röm 12,5) 45 Vgl. Leitbild der Diakonie http://www.diakonie.de/leitbild-9146.html, Zugriff vom 20.02.2015. 46 Im Gespräch mit Martin Dorner am 18.07.12, http://www.diakonisches-lernen.de/hoeren/, Zugriff vom 01.06.15.

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sehen. Deswegen lassen sich die erwachsenen Ehrenamtlichen der diakonischen Tischgemeinschaft »Nicht nur ein Ma(h)l!«, bei der Daniele und seine Klasse sich engagierten, regelmäßig von Schülern aus dem Stadtteil helfen. Sie zeigen ihnen, wie es sich anfühlt, wenn verschiedene Generationen zusammen arbeiten und essen. Jeder Schüler und jede Schülerin hat Gaben, Charismen. Im Laufe eines Schuljahres können sich aber bestimmte Verhaltensweisen verfestigen: Manche verhalten sich häufig nach einem vorhersehbaren Muster, andere beginnen an ihren Begabungen zu zweifeln und wieder andere blicken auf Schüler mit schlechteren Zensuren herab. Während der Vorbereitung der Speisen und beim Bedienen der Gäste machen die Schüler die Erfahrung, dass jeder Einzelne gebraucht wird. Dabei kommen häufig völlig unbekannte Begabungen zum Vorschein. In Danieles Klasse hat dies eine neue Dynamik freigesetzt. Die Schülerinnen und Schüler spüren, was sonst noch in ihnen steckt, wenn sie mal nicht rechnen oder schreiben müssen. Sie werden zum »Dreamteam« und ergänzen sich gegenseitig. Sie werden zum einen »Leib«, der harmonisch funktioniert, weil Hand, Fuß, Herz, Verstand und Kopf zusammenwirken. Wertschätzung: Jeder Mensch ist darauf angewiesen, mit einem wertschätzenden Blick bedacht zu werden. Dieser Grundsatz wird in einigen Bereichen unserer Gesellschaft programmatisch vertreten. So sollen Erziehung und Bildung in einer »Atmosphäre der Wertschätzung und der Geborgenheit« stattfinden.47 Menschliche Kommunikation im Allgemeinen und die Grundhaltung in der Psychotherapie im Speziellen sollen von unbedingter Wertschätzung geprägt sein.48 Paare sollen entsprechend miteinander umgehen: »Gib von dir aus so oft wie möglich Zeichen der Anerkennung, Wertschätzung und Zuneigung.«49 Auch Führungspersonen in Unternehmen reflektieren, inwieweit sie Wertschätzung für Mitarbeitende aufbringen.50 Im Alltag, der sich vielfach darum dreht, die Gesetze und Erfordernisse des Marktes zu erfüllen, ist Wertschätzung jedoch eine »Währung«, die wenig zählt. Je tiefer Menschen in der sozialen Hierarchie sinken, desto weniger Wertschätzung erfahren sie. In der am Markt orientierten Gesellschaft haben Menschen mit Behinderungen, kranke und alte Menschen nicht das gleiche Ansehen wie Nicht-Behinderte, Gesunde und Junge. Ihr Wert ist oftmals in Frage gestellt. Diese Erfahrung machen auch Schüler und Schülerinnen, die nicht mit guten Noten glänzen können, und Menschen, die keine Erwerbsarbeit haben. 47 48 49 50

http://www.lehrplanplus.bayern.de/leitlinien/grundschule, Zugriff vom 23.02.2015. Vgl. Rogers 1981, 68. Schindler u. a. 2007, 138. Seiwert/Gay 2006, 219 ff.

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Christliche Kirche ist eindeutig. Sie praktiziert Liebe und Wertschätzung zu allen Menschen, weil sie sich als Geschöpf des Wortes Gottes versteht, das selbst Liebe ist: »Lasst uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott … denn Gott ist die Liebe« (1 Joh 4,7 f.). Gottes Wertschätzung gegenüber den Menschen ist nicht auf deren gesellschaftlichen Stand oder ihre Stärke und Leistungsfähigkeit gegründet. Gott hilft, weil Menschen angewiesen sind, so etwa den israelitischen Sklaven in Ägypten (Ex 2,23 ff.), sie werden erwählt, nicht weil sie ein großes Volk sind, sondern weil Gott sie geliebt hat (Dtn 7,7). Die Bibel nimmt auch die liebende Wertschätzung in den Blick, die sich zwischen Frau und Mann entspinnt (Hld). Der Mensch vor Gott kann sich selbst mit einem liebenden Blick ansehen: »Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin« (Ps 139,14). Der liebende und wertschätzende Blick Jesu schließt Menschen ein, die ansonsten nur mit Verachtung angesehen werden: die Zöllner, Sünder (Mk 2,15 ff.) und Sünderinnen (Lk 7,36–50). Jesus liebt auch Menschen, die seine Forderungen nicht erfüllen, etwa den reichen Jüngling (Mk 10,21). Kirche sieht sich zum »Dienst der helfenden Liebe« gerufen51 und Diakonie ist »präsente Liebe«52. In diakonischen Einrichtungen finden Menschen ohne Ansehen ihrer Person einen Raum zum Leben. Gerade Menschen, die aufgrund von Alter, Krankheit oder Behinderung nicht »marktkonform« sind, erfahren hier Wertschätzung. Ihr Leben ist wert, geachtet zu werden. Ein Schüler berichtet über seine Erfahrung aus einer diakonischen Einrichtung: DL_OT_part05_fürs_leben_lernen

»Der eine Mann, der konnte halt weder gehen noch wirklich richtig reden und saß halt eigentlich die meiste Zeit im Rollstuhl und ja, allerdings hatte ich trotzdem noch das Gefühl, dass er glücklich war, so lachen konnte er sogar noch […] Allerdings hat dann eine andere Frau zu mir gesagt, die eben auch auf dem Stockwerk war, ja, der kann weder laufen noch sprechen, ist doch eigentlich schlimm, dass der Mann noch, dass so ein Mensch noch leben muss, noch weiterleben muss. Aber das fand ich dann auch schon heftig, weil ich find, da ist es ganz unterschiedlich, wenn man dann selbst in der Rolle steckt, ob man dann, wie es einem dabei geht, also, aber ich denke, da haben die da auch in dem Altenheim schön was dafür getan, dass 51 Art. 1, Abs. 1 Kirchenverfassung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, http:// www.bayern-evangelisch.de/downloads/ELKB-Kirchenverfassung-2014.pdf, Zugriff vom 30.03.2015. 52 Vgl. Leitbild der Diakonie http://www.diakonie.de/leitbild-9146.html, Zugriff vom 20.02.2015.

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die Menschen sich da gut gefühlt haben«.53 (Joris, 17 Jahre, Sozialpraktikum Gymnasium Eckental). Joris war eine Woche im Herrmann-Bezzel-Haus, einem Senioren- und Pflegeheim der Rummelsberger Diakonie in Nürnberg, tätig. Er half bei der Essensausgabe und besonderen Aktivitäten und Spielen, unterhielt sich mit Bewohnern und verbrachte Zeit mit ihnen. Er entdeckt, dass die Bewohner lachen können, ein Zeichen dafür, dass sie Glück empfinden. Gleichzeitig weist er die Vorstellung zurück, dass ein Leben mit Behinderungen nicht lebenswert ist. Er sieht, dass eine liebevolle Pflege den Menschen die Lust am Leben erhält. Diakonie ist Ort praktizierter Nächstenliebe. Eine Schülerin konnte die tiefere Bedeutung des Begriffs selbst erfahren: DL_OT_part05_fürs_leben_lernen

»Hier konnten wir uns selber aktiv einbringen, mit dem, was wir vorher in der Schule gehört haben. Mit Nächstenliebe zum Beispiel. Nicht […] dass man da sitzt in der Schule und das lernt, sondern, dass wir’s praktisch gemacht haben und dabei vielleicht, also ich weiß nicht, ob ich da jetzt zu viel sag, aber viel mehr gelernt haben für uns selber, für unseren ja Charakter, für unsere Persönlichkeit.«54 (Laura, 18 Jahre, diakonisches P-Seminar, PaulPfinzing-Gymnasium Hersbruck). Schülerinnen wie Laura hören im Religionsunterricht von unterschiedlichen ethischen Konzeptionen. Sie können z. B. den Utilitarismus darstellen, ihn mit anderen historischen oder aktuellen ethischen Positionen vergleichen und begründet Stellung beziehen. Ebenso könnte Laura über Nächstenliebe als christlich-jüdische ethische Position Auskunft geben. Dann aber macht sie in Sachen Nächstenliebe im Rahmen eines diakonischen Projektseminars neue und prägende Erfahrungen. Laura verbringt z. B. einen Tag mit Grundschülerinnen und Grundschülern mit einer Behinderung. Sie hat sich diese Begegnung vorher ganz anders vorgestellt. Sie hat gedacht, sie müsse Kinder mit einer Behinderung mit Glacéhandschuhen anfassen. Sie ist völlig überrascht, wie diese ihr Leben meistern und welche Lebensfreude und Begeisterungsfähigkeit sie bei ihnen entdeckt. Eigentlich besteht Lauras Hilfe »nur« darin, dass sie den Text eines 53 Im Gespräch mit Martin Dorner am 08.04.2014, http://www.diakonisches-lernen.de/hoeren/, Zugriff vom 24.02.2015. 54 Im Gespräch mit Martin Dorner am 10.01.13, http://www.diakonisches-lernen.de/hoeren/, Zugriff vom 01.06.15.

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spanischen Songs aus den Charts aufschreibt und das Lied gemeinsam mit einem Mädchen singt, weil dieses sie darum bat. Es gibt ein Lernen im »Sitzen« und ein Lernen »auf der Straße«. Diakonisches Lernen fasst das Lernen im Klassenzimmer und das Lernen »draußen« zusammen. Jesus lehrte häufig auf Straßen, er war mehr ein Wanderer als ein Sitzender. Seine Wanderungen rund um den See Genezareth brachten ihn mit den Männern und Frauen zusammen, die viele sonst nicht beachteten oder um die sie aus verschiedenen Gründen lieber einen weiten Bogen machten: Menschen mit einer Körperbehinderung, Menschen mit psychischen Leiden, eine Frau, deren Monatsblutung einfach nicht mehr stoppte, oder Fischer, die die ganze Nacht keinen einzigen Fisch gefangen hatten. Seine Liebe zu diesen Menschen war göttlich und menschlich zugleich. Sie galt auch seinen Feinden. Diese Liebe erdrückt nicht, hat den ganzen Menschen im Blick und befreit zum aufrechten Gang: »Und siehe, eine Frau war da, die hatte seit achtzehn Jahren einen Geist, der sie krank machte; und sie war verkrümmt und konnte sich nicht mehr aufrichten. Als aber Jesus sie sah, rief er sie zu sich und sprach zu ihr: Frau, sei frei von deiner Krankheit! Und legte die Hände auf sie; und sogleich richtete sie sich auf und pries Gott.« (Lk 13,11–13). Gerechtigkeit: Jeder Mensch hat eine eigene Vorstellung von dem, was gerecht und ungerecht ist. Für Aristoteles war ein Handeln gerecht, wenn es dem Gesetz entspricht oder wenn es auf Gleichheit bedacht ist, ungerecht dagegen handelt derjenige, der das Gesetz missachtet, andere übervorteilt und Gleichheit ablehnt.55 Die Frage nach »Gerechtigkeit« kann sich also auf ganz verschiedene Bereiche beziehen. So lässt sich nach der Verteilungsgerechtigkeit fragen, d. h. danach, ob Güter, Lohn, Anerkennung sowie Lasten, Strafe, Verantwortung nach einem angemessenen Maßstab verteilt sind. Bei der Verfahrensgerechtigkeit steht die Frage im Zentrum, ob alle Beteiligten fair behandelt wurden, ob sie ausreichend Mitsprache- und Mitbestimmungsrecht hatten, ob die gefällten Urteile und die erlassenen Regeln und Gesetze fair sind. Im Hinblick auf Beziehungen lässt sich fragen, ob die Verhältnisse in einer Gesellschaft sowie Beziehungen zwischen Individuen oder Gruppen in der Gesellschaft gerecht sind. Und schließlich kann man den Einzelnen daraufhin befragen, ob Handeln gerecht ist. Im christlichen Glauben finden sich diese grundlegenden Fragen wieder, allerdings in einer besonderen Zuspitzung. Im Zentrum steht die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit. Der hebräische Begriff zedaqah meint auf der einen Seite die gesellschaftlichen Strukturen, die ein Leben im Schalom, in Frieden 55 Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, 5. Buch (1129a), http://www.textlog.de/33481.html, Zugriff vom 22.02.2015.

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und Wohlergehen, zulassen. Dazu ist es nötig, dass sich alle dem Recht unterwerfen, das die Schwachen schützt. Immer wieder haben die Propheten im Namen Gottes dahingehend den Rechtsbruch der Mächtigen öffentlichkeitswirksam aufgedeckt, so etwa Jesaja in seinem Lied vom Weinberg: »Er hoffte auf Rechtsspruch – doch siehe da: Rechtsbruch, und auf Gerechtigkeit – doch siehe da: Der Rechtlose schreit« (Jes 5,7 Einheitsübersetzung). Ganz ähnlich lauten die Klagen des Amos: »Weh denen, die das Recht in bitteren Wermut verwandeln und die Gerechtigkeit zu Boden schlagen. Bei Gericht hassen sie den, der zur Gerechtigkeit mahnt, und wer Wahres redet, den verabscheuen sie. Weil ihr von den Hilflosen Pachtgeld annehmt und ihr Getreide mit Steuern belegt, darum baut ihr Häuser aus behauenen Steinen, legt ihr euch prächtige Weinberge an … Denn ich kenne eure vielen Vergehen und eure zahlreichen Sünden. Ihr bringt den Unschuldigen in Not, ihr lasst euch bestechen und weist den Armen ab bei Gericht. … Das Recht ströme wie Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach« (Am 5,7–12.24 EÜ). Die »Gemeinschaftstreue« – so kann man zedaqah auch übersetzen – ist so elementar, dass im Alten Testament der Zugang zum Gottesdienst und zu Gott an sie gebunden ist: So heißt es in Ps 15: »Herr, wer darf Gast sein in deinem Zelt, wer darf weilen auf deinem heiligen Berg? Der makellos lebt und das Rechte tut; der von Herzen die Wahrheit sagt und mit seiner Zunge nicht verleumdet; der seinem Freund nichts Böses antut und seinen Nächsten nicht schmäht; der den Verworfenen verachtet, doch alle, die den Herrn fürchten, in Ehren hält; der sein Versprechen nicht ändert, das er seinem Nächsten geschworen hat; der sein Geld nicht auf Wucher ausleiht und nicht zum Nachteil des Schuldlosen Bestechung annimmt. Wer sich danach richtet, der wird niemals wanken« (EÜ). Es geht hier also um Verfahrens- und um Verteilungsgerechtigkeit ebenso wie um die Gerechtigkeit des Einzelnen. C. Rose fasst zusammen: »Der Ausdruck ›Gerechtigkeit‹ ist im Alten Testament grundsätzlich ein Relationsbegriff und artikuliert zunächst ein konkret-soziales Lebensverhältnis von Partnern oder Bundesgenossen; bezogen auf Gott bedeutet ›Gerechtigkeit Gottes‹ dann Gottes bundesgemäßes Verhalten gegenüber den Menschen.«56 56 Rose, Art. Gerechtigkeit Gottes, http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/59496, Zugriff vom 22.02.2015.

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Im Neuen Testament zeigt sich diese Gerechtigkeit Gottes auf zwei Arten. Zum einen erzählt Jesus im Gleichnis von einem Weinbergsbesitzer, der so gütig ist, dass alle Arbeiter den Lohn erhalten, der das Leben sicherstellt (Mt 20,15), zum anderen wird die Gerechtigkeit Gottes als barmherziger Blick verstanden, der den Menschen, der Sünder ist, nicht verurteilt, sondern um Jesus Christus willen gerecht spricht (Röm 3,24). Für die Diakonie ergibt sich der Auftrag, einen Beitrag zu einer gerechten Gesellschaft zu leisten. In ihrem Leitbild heißt es: »Gott traut uns zu, solidarisch zu handeln, das Recht der Schwachen und Fremden zu achten und jedem Gerechtigkeit zukommen zu lassen. […] Gemeinsam mit anderen treten wir für eine menschenwürdige Gesetzgebung, chancengerechte Gesellschaft und eine konsequente Orientierung am Gemeinwohl ein. Gerade in Zeiten des Umbruchs halten wir an der Verheißung von Frieden und Gerechtigkeit fest.«57 Dabei stellt sich die wichtige Frage, wie Menschen ein Gefühl für Gerechtigkeit bekommen können. Diese Sensibilität stellt sich meist (erst) dann ein, wenn Menschen, die selbst nicht in sozialer Bedrängnis leben, Situationen miterleben, in denen sie an der Seite von Menschen in Not sind. In solchen Momenten ist ein Perspektivenwechsel möglich. Von dieser Erfahrung können Schüler berichten, die am Diakonischen Lernen teilgenommen haben. Max, Abiturient aus Aschaffenburg, erzählt von seinen Erfahrungen im Sozialkaufhaus der Diakonie im Rahmen eines P-Seminars in Evangelischer Religionslehre: »Ich habe gesehen, was Armut bedeutet. Man geht mit anderen Augen durch die Stadt.«58 Ähnliche Erfahrungen gewann Yessika in der Tafelarbeit: »Wenn man zur Tafel geht, dann sieht man die Situation von bedürftigen Menschen mal direkt und hört nicht nur, dass es viele arme Menschen gibt. Für mich war es wichtig, einfach mal zu erleben, wie sich das vielleicht auch anfühlt, in der Situation zu stecken.«59 (Yessika, 18 Jahre, diakonisches P-Seminar, Paul-Pfinzing-Gymnasium Hersbruck). In einem diakonischen Projektseminar hat Yessika eine Ahnung davon bekommen, wie es ist, in der Schlange der Wartenden einer Tafelausgabe zu stehen. Tafeln oder Tafelausgaben sind eine wichtige Möglichkeit des diakonischen Engagements für 57 http://www.diakonie.de/leitbild-9146.html, Zugriff vom 20.02.2015. 58 Bruchlos 2014, 18. 59 Im Gespräch mit Martin Dorner am 10.01.13, http://www.diakonisches-lernen.de/hoeren/, Zugriff vom 01.06.15.

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Schülerinnen und Schüler. Sie begleiten z. B. die Ehrenamtlichen beim Abholen von Lebensmitteln in Supermärkten oder bei großen Bäckereien. Sie kommen in Kontakt mit den sogenannten Tafelkunden, dies sind z. B. Facharbeiter, die der Rationalisierung zum Opfer gefallen sind, Arbeiterinnen, die mit ihrer ersten Arbeitsstelle nicht genug verdienen, und Menschen mit psychischen Erkrankungen, die schon lange arbeitslos sind. Zur Tafel kommen aber auch alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern sowie Einwanderer. Viele Tafeln sind in diakonischer Trägerschaft und viele Ausgabestellen befinden sich in Räumen von Kirchengemeinden. Eigentlich sind über 900 Tafeln mit über 2.000 Ausgabestellen in einem der reichsten Länder der Erde eine Schande. Andererseits sind viele Menschen auf die günstigen Lebensmittel angewiesen. Das eingesparte Geld verschafft ihnen an einer anderen Stelle etwas Luft. Ein Dilemma. Mit Barmherzigkeit allein erhalten sie noch keine echte Perspektive für ihr weiteres Leben. In der Bibel steht: »Es sollte überhaupt kein Armer unter euch sein« (Dtn 15,4). Das ist eine klare Position. Deswegen können die Ehrenamtlichen bei Tafeln, die in diakonischer oder kirchlicher Verantwortung betrieben werden, auch nie mit der bloßen Weitergabe von Lebensmitteln an Bedürftige zufrieden sein. Die Gründe von Armut müssen öffentlich gemacht werden. Eigentlich sollten alle Tafeln der Diakonie und der Kirche einmal für einen Tag streiken, um die Not publik zu machen. Gerechtigkeit ist ein öffentliches und damit auch ein diakonisches Thema. Deswegen gibt es in der Diakonie z. B. Rechtsberatung, Ausbildungsmöglichkeiten für Jugendliche, die schon mehrfach gescheitert sind, und Programme für Menschen, die ihre Gefängnisstrafe verbüßt haben. Dies kostet Geld. Aber es ist der einzige Weg, dass möglichst alle Menschen sich mit ihren Gaben in die Gesellschaft einbringen können. Für andere sprechen: Ein Mensch kommt in eine Lebenssituation, in der er schwach und ohnmächtig ist. Allein kann er sich nicht behaupten. Weder Kraft, Kenntnisse noch Fähigkeiten sind dafür ausreichend. Der Gegner ist übermächtig. Was kann der Ohnmächtige tun? Er muss darauf hoffen, dass jemand kommt und ihn unterstützt. Gesucht ist ein Fürsprecher. Er hat den Mut und die Autorität, vor Dritten – Personen oder Institutionen – Lage und Bedürfnisse des Ohnmächtigen darzustellen. Er verteidigt den Ohnmächtigen, verhandelt für ihn und fordert Abhilfe der Not. In der biblisch-christlichen Tradition finden sich Beispiele von solchen Fürsprechern. Abraham tritt für die Stadt Sodom ein, die vor der Vernichtung steht. Er verhandelt mit Gott und kann ihn überzeugen, die Stadt zu verschonen (Gen 18,20–32). Propheten wie Amos und Micha setzen sich für die Menschen

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ein, die zu arm sind, um vor Gericht gehört zu werden und für diejenigen, die von den Reichen um ihren Besitz gebracht werden (Am 5,12; Mi 2,2). Im Neuen Testament wird von vier Freunden eines Gelähmten erzählt, die auf eine ungewöhnliche Idee kommen, um ihm zu helfen. Sie klettern auf das Dach des Hauses, in dem Jesus sich aufhält, decken es ab und lassen den Freund hinunter, damit er direkt vor Jesus zu liegen kommt (Mk 2,3 f.). Schließlich wird Gott in der Bibel selbst als Anwalt der Ohnmächtigen gepriesen: »Den Schwachen hebt er empor aus dem Staub und erhöht den Armen, der im Schmutz liegt; er gibt ihm einen Sitz bei den Edlen, einen Ehrenplatz weist er ihm zu« (1 Sam 2,8 EÜ). Die Diakonie sieht sich in dieser Tradition, die sich für andere stark macht und die Stimme für diejenigen erhebt, die nicht gehört werden.60 Schüler, die am Diakonischen Lernen teilnahmen, konnten selbst erfahren, dass man sich erfolgreich für jemanden vor einer »Autorität« einsetzen kann, auch wenn dies Mut und Selbstbewusstsein erfordert. DL_OT_part03_was_es_ist

»Ich habe gelernt, dass man Menschen vielleicht nicht immer mit Samthandschuhen anpacken muss, sondern einfach mal offen auf sie zugehen soll und sich reinstellen soll und auch keine Angst haben muss vor Bürgermeistern oder Menschen, die man sonst auf der Straße so vielleicht nie ansprechen würde.«61 (Laura, 18  Jahre, diakonisches P-Seminar, PaulPfinzing-Gymnasium Hersbruck) Laura hat in ihrem diakonischen Projekt Zeit mit jugendlichen Asylbewerbern aus dem Iran verbracht. In dem kleinen Ort, in dem die Asylbewerber leben, ist nicht viel los. Langeweile breitet sich aus. Die Warterei tötet den Nerv. Laura und die anderen Schüler aus dem Projektseminar besuchten die Iraner. Sie tranken Tee, unterhielten sich auf Englisch, fuhren mit ihnen auf den Nürnberger Christkindlesmarkt. Sie hörten ihren Geschichten zu und interessierten sich für sie. Ganz ähnlich wie viele Jugendliche in Deutschland halten die jugendlichen Iraner z. B. viel von körperlicher Fitness. Sie können sich aber die Monatsrate in einem Fitnessstudio nicht leisten. Deswegen hatten Laura und die anderen Schüler des Projektseminars die Idee, ihren Schulleiter zu bitten, den Kraftraum der Schule zeitweise zur Verfügung zu stellen. Ihre Bitte stieß nicht auf taube Ohren, die Türen der Sporthalle gingen auf. Auf diesem Hintergrund muss 60 Vgl. Leitbild der Diakonie http://www.diakonie.de/leitbild-9146.html, Zugriff vom 20.02.2015. 61 Im Gespräch mit Martin Dorner am 10.01.13, http://www.diakonisches-lernen.de/hoeren/, Zugriff vom 01.06.15.

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Lauras Äußerung verstanden werden, wenn sie davon spricht, sie habe gelernt, Menschen nicht immer mit »Samthandschuhen« anzupacken. Manchmal dürfe man keine Angst haben, auch nicht vor »Bürgermeistern« oder Schulleitern. Diakonisches Lernen kann bedeuten, seinen Einfluss geltend zu machen. Manchmal darf Diakonie nicht nur die »Samthandschuhe« anhaben. Prophetie ist ein großes Wort. Aber eine der Bedeutungen von Diakonie ist, für andere den Mund aufzutun, Sprachrohr für Benachteiligte zu sein. Diakonisches Lernen hilft Schülerinnen und Schülern z. B., die andere Wirklichkeit zu sehen und Strukturen zu erkennen, die Mitmenschen benachteiligt. »Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde« (Off 21,21), das letzte Wort im Neuen Testament hat der Seher Johannes. Diakonisches Lernen öffnet Augen und führt Schülerinnen und Schüler an Orte, die oft nicht im Scheinwerferlicht stehen. Nachbarschaft: Die moderne Gesellschaft ist individualisiert, pluralisiert und globalisiert. Vor der Industrialisierung lebten die Menschen in überschaubaren und ortsnahen Beziehungen, meist in dörflichen Verbänden. Arbeitsund Familienleben fiel nicht räumlich auseinander. Das Leben heute ist ganz anders. Menschen leben gerade in den Städten überwiegend anonym, oft in Wohngebieten, die wenig überschaubar sind, bunt zusammengewürfelt nach Kulturen und Ethnien. Arbeit und Wohnung liegen oft weit auseinander, das Leben ist »zerfahren«. Gleichzeitig ist die Wahrnehmung durch Mobilität und den Zugang zum weltweiten Netz auf den ganzen Erdkreis ausgedehnt. Die Globalisierungsprozesse machen die Gesichter vieler Städte und Dörfer austauschbar, die Besonderheiten gehen verloren. In dieser Situation fragen viele Menschen nach Möglichkeiten, um Mobilität und Stabilität, Entgrenzung und Identität miteinander zu versöhnen. Christliche Kirche hat seit jeher einen Doppelcharakter. Die Gemeinde vor Ort in ihrer einmaligen Ausprägung ist voll und ganz Kirche. Sie ist zugleich Teil der Ökumene, des weltweiten Netzes von Kirche. Kirche ist damit lokal und global ausgerichtet. Diakonie entspricht dieser Ausrichtung. Sie hat einen gesamtgesellschaftlichen Auftrag, ist aber vor Ort präsent. Gerade in den letzten Jahren ist in der Diakonie das Bewusstsein dafür gewachsen, dass es wichtig ist, mit Einrichtungen und Bewegungen, die in der Nachbarschaft oder im Stadtviertel ähnliche Ziele wie die Diakonie verfolgen, Kontakte zu knüpfen und Bündnisse zu schließen. Zum einen ergeben sich Synergieeffekte und zum anderen entwickelt sich Diakonie dadurch selbst weiter. So kann etwa mit dem Diakonischen Lernen die Pflege der Nachbarschaft von diakonischen Einrichtungen und Schulen nicht nur dem Stadtviertel guttun, sondern auch der Diakonie selbst. Eine Diakoniemitarbeiterin erläutert dies:

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DL_OT_part07_fachkräfte_empfehlen

»Der Gewinn ist erst einmal, dass man nicht ›einrichtungsstupide‹ wird. Ich finde, je mehr Netzwerke man in einer Einrichtung nach außen spinnt, desto mehr Lebendigkeit und Einflüsse von außen kommen in das Haus. Man setzt sich mit gegenwärtigen Dingen viel mehr auseinander. Sagen wir es mal so: Das hat ja auch was mit Leben im Quartier zu tun.«62 (Friederike Döring, Gerontopsychiatrische Fachkraft, Diakonisches Seniorenzentrum – Haus Lehmgruben der Rummelsberger Diakonie, Marktheidenfeld) Friederike Döring arbeitet als Gerontopsychiatrische Fachkraft in einem Seniorenheim. Zwischen der Einrichtung und dem Gymnasium in der Nachbarschaft liegen nur etwa 250 Meter Luftlinie. Eigentlich ein Katzensprung! Die Abiturienten und ihr Religionslehrer suchten nach einem außerschulischen Kooperationspartner für ein diakonisches Projekt. Manche Einrichtungstür, an die sie klopften, ging überhaupt nicht auf. Andere Einrichtungen hatten viel zu vorgefertigte Vorstellungen von dem, was die Schüler »bringen« sollten. Bei Friederike Döring und dem Haus Lehmgruben stießen die Abiturientinnen und Abiturienten aber auf das, was sie suchten: Offenheit! Vielleicht ist es kein Wunder, dass das Projekt der Abiturienten zur Erforschung von Lieblingsrezepten und Lebensgeschichten einiger Seniorinnen genau in diesem Haus funktioniert hat. Die diakonische Einrichtung ist nicht nur zufällig Teil des Quartiers, sondern sie bringt sich mit ihrem Potenzial auch sonst aktiv in den Sozialraum ein. In einer der verblüffendsten Geschichten des Neuen Testaments geht es darum, wie sich Räume wieder mit Leben füllen: Der Zöllner Zachäus hat sich im Laubwerk eines Baumes versteckt, um Jesus aus der Distanz zu sehen. Zachäus ist ein Isolierter, einer mit dem keiner näheren Kontakt hatte oder haben wollte. Jesus bleibt stehen, sieht nach oben und sagt: »Steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren (Lk 19,5).« Dann erzählt das Neue Testament von einem Gastmahl mit ungeahnten Folgen: Zachäus ist außer sich vor Freude, denn Leben ist in sein Haus zurückgekehrt, weil Jesus und seine Jünger mit ihm speisen. Kritische Stimmen (der religiösen »Profis«) bleiben nicht aus, weil Jesus das Haus eines Ausgestoßenen betritt. Und auch das wird erzählt: Zachäus, reich an Geld und arm an Beziehungen, teilt die Hälfte seines Besitzes mit materiell Armen. Am Ende des diakonischen Projekts hatten die Abiturienten und die Senioren viel miteinander geteilt: Lebensgeschichten und Lebenserfahrungen, Koch62 Im Gespräch mit Martin Dorner am 08.12.2011, http://www.diakonisches-lernen.de/hoeren/, Zugriff vom 01.06.15.

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rezepte, Energie, Humor, Leid, Perspektiven. Die Schülerinnen und Schüler veröffentlichten ein kleines Buch über ihre Begegnungen mit den Senioren (genaue Beschreibung siehe 8.4). Dem Haus, dem Religionslehrer und den Mitarbeitenden in der diakonischen Einrichtung brachte das Projekt eine große Sympathie in der Öffentlichkeit und das Bewusstsein, dass Schule und Seniorenheim tatsächlich nur einen Katzensprung voneinander entfernt liegen. Kooperation angesichts von Grenzen: Menschen machen die Erfahrung sich kulturell, ethnisch, sozial oder in sonst einer Hinsicht von anderen zu unterscheiden. Unterschiede bauen Grenzen auf. Es gibt aber auch die Erfahrung, dass trotz Grenzen Zusammenarbeit möglich ist. Es gehört auch zur Eigenart von Religionen, dass Grenzen zwischen ihnen existieren. Menschen sind durch religiöse Bekenntnisse, Riten und Handlungsvorschriften voneinander getrennt. In früheren Jahrhunderten galt das in Deutschland für evangelische und katholische Christen, heute noch gibt es etwa Grenzen zwischen Christen und Moslems und umgekehrt. Gleichzeitig kann man die Erfahrung machen, dass die Religionen jeweils aus sich heraus eine bestimmte soziale Botschaft verkünden und eine soziales Praxis leben. Darin liegt eine Möglichkeit, miteinander in Verbindung zu kommen. Jesus selbst erlebt eine Begegnung mit einer Angehörigen einer anderen Religion. In Mk 7,24–30 (par Mt 15,21–28) wird erzählt, wie er ins Ausland nach Tyrus ging und dort von einer Griechin gebeten wird, deren kranker Tochter zu helfen. Jesus verweigert die Hilfe zunächst, ändert dann seine Haltung, weil ihn die Argumente der Frau überzeugen. Jesus lernt dazu. Die Episode kann man zusammen mit der bekannten Erzählung vom barmherzigen Samariter (s. u.) als Impuls verstehen, religiöse Grenzen durch soziales Engagement – für einen Moment – zu relativieren. Diakonie ist eine Lebens- und Wesensäußerung der christlichen Kirche. Deswegen wird ihr Handeln immer auf diesen bekenntnismäßigen Hintergrund bezogen sein. Dennoch ergeben sich Möglichkeiten der sozialen Zusammenarbeit mit Vertretern einer anderen Religion. So erzählen muslimische Schüler über ihre Erfahrungen sozialen En­ga­ge­ ments in der Kirche: »Jede Religion tut irgendetwas für ärmere Leute, zum Beispiel bei uns Moslems gibt’s das auch an den Tagen, an denen wir fasten. Da bauen wir auch Zelte auf für ärmere Leute, die in der Fastenzeit dann dorthin gehen, um zu essen. So was gibt’s eigentlich, find ich, bei jeder Religion. Also, das

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ist schon was Gutes, was die da machen.«63 (Yunus, 16 Jahre, diakonischer Aktionstag, Vesperkirche Nürtingen). Yunus ist Berufsschüler. Mit einem Lehrer und mit den anderen Schülerinnen und Schülern hat er in der Vesperkirche Nürtingen die Gäste bei Tisch bedient, Kaffee ausgeschenkt oder älteren Ehrenamtlichen in der Spülküche geholfen. In einer Vesperkirche können Gäste für wenig Geld während einer bestimmten Zeit des Jahres täglich in Gemeinschaft essen und umsonst an kulturellen Angeboten teilnehmen. Zu Vesperkirchen kommen nicht nur Menschen, die wenig Geld haben. So begegnen sich an den gedeckten Tischen im Kirchenraum auch Gäste, die unter »normalen« Bedingungen niemals miteinander essen würden. Yunus ist, wie viele seiner Klassenkameraden, Moslem. Für ihn bedeutete das soziale Engagement in einer Kirche, dass er sich zu Hause gegenüber seinen Eltern und Verwandten erklären musste. Umso interessanter ist, wie er den Begegnungsort Vesperkirche mit der Verköstigung armer Menschen während des Fastenmonats Ramadan vergleicht. Yunus zieht Parallelen zu einem Zelt, in dem arme Menschen während des Ramadans umsonst essen können. Diakonie macht ihre Angebote und Hilfe nicht vom Glaubensbekenntnis Hilfesuchender abhängig. Dies erleben die Berufsschüler, als sie für einen Tag mit anderen Ehrenamtlichen bei der Vesperkirche mitarbeiten, denn zur Vesperkirche kommen Christen, Konfessionslose und Muslime. Wenn sich muslimische oder konfessionslose Schülerinnen und Schüler mit christlichen Schülern im Klassenverband gemeinsam diakonisch betätigen, dann bieten sich für die inhaltliche Weiterarbeit im Unterricht noch einmal neue und weitere Chancen. Welche sozialen Geschichten sind z. B. für Muslime oder Christen normgebend? Für Christen ist dies u. a. die Geschichte vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25–37). Jesus erzählt seine diakonische Urgeschichte von dem Menschen, der zwischen Jericho und Jerusalem unter die Räuber fiel, mit einer überkonfessionellen Pointe: Barmherzigkeit erfährt der Verwundete und Verdurstende von einem Andersgläubigen, einem Samariter. Dieser unterbricht seinen Weg, geht zu ihm hin, reinigt seine Wunden und bringt ihn an einen sicheren Ort. Jesus sagt: »So geh hin und tu desgleichen!«

63 Im Gespräch mit Martin Dorner in der Fritz-Ruoff-Berufsschule Nürtingen am 11.02.2011.

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3.2 Diakonie im Wandel Woher die moderne Diakonie kommt Die Geschichte der Diakonie in der zweitausendjährigen Geschichte der Kirche kann hier nicht nachgezeichnet werden. In der Alten Kirche gab es eine nach innen wie außen sichtbare und vielfältige soziale Praxis der Gemeinde (s. o. Alte Kirche, S. 23 f.). Die folgenden Jahrhunderte (Mittelalter, Reformation, Neuzeit) waren davon geprägt, dass die Kirche in jeder Epoche versuchte, die aktuellen Probleme der sozialen Not theologisch wahrzunehmen und zu deuten und dann praktisch darauf zu reagieren.64 Dabei bestand immer eine gewisse Spannung in der Frage, inwieweit Kirche oder inwieweit Obrigkeiten bzw. der Staat die Verantwortung für das soziale Handeln in der Gemeinde und in der Gesamtgesellschaft übernehmen sollten. Diakonie in ihrer heutigen Form entstand im 19. Jahrhundert aus einer spezifischen Situation.65 Sie war der Versuch der Kirche, den Kampf gegen die soziale Not mit der (Re-)Evangelisation der Gesellschaft zu verbinden, oder, mit den Worten Johann H. Wicherns, des Begründers der Diakonie, die »aus der Sünde und ihren Folgen hervorgegangenen Nothstände des Volkes durch das Wort Christi und die Handreichung brüderlicher Liebe zu heben«.66 Sowohl soziale Not als auch politische Aufstandsbewegungen Mitte des 19. Jahrhunderts wurden als Sünde gedeutet und dagegen die Hoffnung gesetzt, dass durch Glaube und Liebe die Zukunft von »Vaterland und Kirche« für Christus und sein Reich gewonnen werden könnte.67 Zur Situation: Große Teile der Bevölkerung litten aufgrund der wirtschaftlich-sozialen Umwälzungen und der damit einhergehenden Fehlstrukturen Mangel und Armut. Lebte die Mehrheit der Menschen zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch auf dem Land, meist eingebunden in die Herrschaft eines Lehnsoder Gutsherrn, der zugleich auch eine gewisse Fürsorgepflicht hatte, lösten sich diese Strukturen in den folgenden Jahrzehnten durch die Industrialisierung auf und es kam zu einer rasanten Landflucht und Verstädterung. In Verbindung mit immer wieder auftretenden Hungerkrisen einerseits und hohem Bevölkerungs-

64 Vgl. Schäfer/Herrmann 2005, 42–56. 65 Ebd., 56, vgl. auch Herrmann, 19. Jahrhundert, http://www.diakonie.de/19-jahrhundert-9111. html, Zugriff vom 30.01.2015. 66 Wichern [1849] 1889, 5. 67 Ebd., Vorwort zur 1. Auflage, IV.

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wachstum und einem starken Anteil unehelicher Kinder andererseits kam es zu einer Massenarmut.68 Die bestehenden Armenordnungen der Städte waren den neuen Entwicklungen nicht gewachsen. Christliche Netzwerke wurden aufgebaut, vor allem, um sich der vielen Straßenkinder in Rettungshäusern anzunehmen. Ein Markstein in der Entwicklung der Diakonie war das Jahr 1833, als Wichern das Rauhe Haus im Hamburg eröffnete, um Straßen- und Waisenkinder aufzunehmen. In der Geborgenheit familienähnlicher Strukturen und durch die Förderung der individuellen und sozialen Fähigkeiten fanden die Heranwachsenden eine neue Lebensperspektive. 1843 schloss sich eine Ausbildungsstätte für Diakone an. Wichern galt als einer der »herausragendsten Sozialexperten des Protestantismus«69. In seiner Rede auf dem Wittenberger Kirchentag im Jahr 1848 rief er zur Gründung der Inneren Mission auf. Einerseits war die Innere Mission Teil und Aufgabe der Kirche, ein »Organismus der Werke freier, rettender Liebe«, andererseits ging sie über die bestehende Struktur der Kirche hinaus, indem sie die »geordnete Arbeit der gläubigen Gemeinde in freien Vereinen« führte.70 Im Laufe der Zeit erwuchsen Netzwerke und Verbände als Zweitstruktur neben den jeweiligen landeskirchlichen Struktur (»Verbandsprotestantismus«).71 Begrifflich unterschied man erst den Central-Ausschuss der Inneren Mission einerseits und »Diakonie« im Sinne einer christlichen Armenpflege andererseits. »Diakonie« selbst unterteilte man noch in die freie Diakonie (Familien und Vereine), staatliche Diakonie (Armengesetzgebung) und die kirchliche Diakonie (Predigt an Arme und Hausarmenpflege). Später verlor sich die inhaltliche Trennschärfe zwischen Innerer Mission und Diakonie, es ging der Sache nach nur noch um »christliche Liebestätigkeit«.72 Neben Wichern spielte Theodor Fliedner eine wichtige Rolle. Er war es, der die katastrophalen Zustände in den Hospitälern als Problem erkannte und durch den Aufbau einer professionellen Krankenpflege überwinden wollte. Seit 1836 verband sein Diakonissenmutterhaus Kaiserswerth (Düsseldorf) Krankenpflege mit der Möglichkeit der Erwerbsarbeit und Absicherung der eigenen Existenz unverheirateter Frauen sowie dem Angebot einer geistlichen Gemein-

68 Vgl. Speitkamp 1998, 84 f. 69 Schäfer/Herrmann 2005, 58. 70 Zit. nach Schäfer/Herrmann 2005, 58, vgl. Herrmann http://www.diakonie.de/19-jahrhundert-9111.html, Zugriff vom 30.01.2015. 71 Schäfer/Herrmann 2005, 60. 72 Vgl. ebd., 59

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schaft, ein Modell dass überregional Nachahmer fand.73 Einige Jahrzehnte später machte F. Bodelschwingh von sich reden, als er in Bethel eine mehrere tausend Bewohner und Angestellte starke »Stadt der Barmherzigkeit« als Gegenentwurf zur Verstädterung in der modernen Industriegesellschaft gründete.74 Die neue Arbeit der Kirche brachte eine neue Berufsgruppe hervor, die der Diakone und Diakonissen. Ein Jahrhundert lang wurde diese Arbeit von ihnen geleistet. Mit der Zeit entstanden immer mehr Handlungsfelder und Einrichtungen, zunächst noch auf Basis von Kollekten, Spenden, Vermächtnissen und Schenkungen. Der zunächst eher charismatische und an der Reich-GottesErwartung orientierte Charakter der Inneren Mission wandelt sich zu dem einer bleibenden Institution.75 Im Hinblick auf das Menschenbild war bedeutsam, dass die Diakonie einforderte, dass »jeder Mensch in seiner Menschenwürde anerkannt werde als Ebenbild Gottes« und sich diese Anerkennung »durch alle menschlichen Beziehungen hindurchziehen muss«.76 Der im Kaiserreich mit Einführung der Kranken-, Unfall-, Renten- und Invalidenversicherung entstehende Sozialstaat engagierte sich nun bei der Finanzierung der sozialen Arbeit und gab den rechtlichen Rahmen vor.77 In der Weimarer Republik bildete die Innere Mission mit den anderen Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege (Caritas, DRK u. a.) eine wichtige Säule des Sozialstaats. Der Nationalsozialismus brachte mit dem Verbot und der Gleichschaltung der Verbände auch die Diakonie in Bedrängnis. Gleichzeitig öffnete sich die Diakonie – zumindest in Teilen – der Ideologie des unwerten Lebens und lud durch die Sterilisationen und Tötungen große Schuld auf sich. Nach dem Ende des Krieges 1945 wurde neben dem Central-Ausschuss das Hilfswerk der EKD gegründet, um die akuten Nöte in der Bevölkerung zu lindern, 1959 kam die Aktion Brot für die Welt hinzu. Bereits 1957 wurde die Zusammenführung von Hilfswerk und Central-Ausschuss beschlossen, Die Gründung des Diakonischen Werkes der EKD erfolgte 1975. Wie in der Weimarer Republik übernahmen auch in der Bundesrepublik die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege erneut soziale Aufgaben. Im Rahmen des Bundessozialhilfe- und des Kinder- und Jugendhilfegesetzes wurde ihnen eine bedingte Vorrangstellung bei der Übernahme sozialer Aufgaben vor dem Staat eingeräumt. 73 74 75 76

Vgl. ebd., 57. Vgl. ebd., 60. Ebd., 60. Denkschrift des Central-Ausschusses 1884, zit. n. Herrmann http://www.diakonie.de/19-jahrhundert-9111.html, Zugriff vom 27.02.2015. 77 Vgl. auch Herrmann, 20. Jahrhundert, http://www.diakonie.de/20-jahrhundert-9114.html, Zugriff vom 30.01.2015.

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Große Umbrüche erfuhr die Diakonie in den 1960- und 70er-Jahren. Die Zahl der Diakonissen ging zurück, ein breites Spektrum sozialer Berufe (Pflege, Heilpädagogik, Sozialarbeiter, Erzieher) prägte nun das Bild einer professionalisierten Diakonie. In den Gemeinden verschwand zusehends die Gemeindeschwester – an ihrer Stelle entstanden Diakonie- und Sozialstationen. Mitte der 1980er-Jahre geriet der Sozialstaat in die Krise. Die sozialen Leistungen konnten aufgrund der demographischen Entwicklung nicht mehr in gewohnter Weise finanziert werden. Deswegen musste der Staat geeignete Maßnahmen zur Umstrukturierung ergreifen. Der freie Sozialmarkt entstand. Das bedeutete: Der traditionelle Vorrang der freien Wohlfahrtspflege wurde aufgegeben, private Unternehmen übernahmen finanzielle lohnende Bereiche (z. B. Alten- und Krankenpflege), gleichzeitig blieben die unrentablen (Obdachlosen- und Asylarbeit, Schuldnerberatung) in Händen der Diakonie. Die Diakonie bietet heute eine breite Palette von Arbeitsfeldern: Altenhilfe, Behindertenhilfe, Beratungsstellen, Telefonseelsorge, Gemeindediakonie, Krankenhauswesen, Kur- und Erholungsheime, Erziehungshilfe, Evangelische Jugendsozialarbeit, Evangelische Kindergartenarbeit, Psychiatrische Hilfen, Seemanns- und Flussschiffermission, Suchtkrankenhilfe, Brot für die Welt, Katastrophenhilfe, Wohnungslosenhilfe.78 Dabei vollzieht sich Diakonie heute in verschiedenen organisatorischen Formen.79 Wir beginnen vor Ort: Es gibt diakonische Gemeinden im Stadtteil, die neben dem diakonischen Grundprogramm wie Kindergarten z. B. Tafeln oder diakonische Tischgemeinschaften organisieren oder Flüchtlinge und Asylbewerber unterstützen oder Gottesdienste für pflegende Angehörige anbieten. Der Anteil der Ehrenamtlichen ist hier hoch. Vereinzelt gibt es kommunitäre Basisgemeinschaften, die diakonisch aktiv sind, so etwa die Gemeinschaft Brot und Rosen in Hamburg,80 deren Ziele der Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit, Gastfreundschaft für Flüchtlinge und Leben in Gemeinschaft sind. Eine Ebene höher finden wir Diakonische Werke in den Dekanaten. Sie bilden die flächendeckende diakonische Grundstruktur und betreiben z. B. Beratungsstellen, Diakoniestationen, Tageseinrichtungen oder Pflegeeinrichtungen. Auf Landesebene fungieren Diakonische Werke als rechtliche Träger und organisatorische Schaltstellen, so koordinieren etwa die Bezirksstellen des Diakonischen Werkes einer Landeskirche die Arbeit in den jeweiligen Dekanaten. Schließlich sind die großen diakonischen Unternehmen mit oft Hunderten oder auch Tausenden 78 http://www.diakonie.de/arbeitsfelder-9116.html, Zugriff vom 31.01.2015. 79 Vgl. Hofmann 2010, 7–14. 80 http://www.brot-und-rosen.de/letzter Zugriff am 26.02.13.

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Mitarbeitern zu nennen, z. B. Bethel oder Neuendettelsau, die in den Bereichen Behinderten-, Alten- oder Jugendhilfe, Krankenhaus und Berufsschulen bzw. Fachakademien wirken. Ist diese Diakonie mit der des 19. Jahrhunderts vergleichbar? Drei Unterschiede fallen auf: 1. Die Handlungsfelder wurden enorm ausgeweitet. 2. Die Organisationsformen haben sich auf komplexe Weise ausdifferenziert. 3. Theologische Motivation und Bewertung erfuhren einen Wandel. Zwar betont Diakonie heute genauso den Zusammenhang von Menschenwürde und Gottesebenbildlichkeit wie im 19. Jahrhundert, aber die damalige Erwartung auf eine Durchdringung von Kirche und Gesellschaft im Zuge einer Evangelisierung hat sich dahingehend gewandelt, dass Diakonie heute die Weltlichkeit der Gesellschaft akzeptiert und bewusst in diesem Rahmen einen Beitrag für die Gesellschaft leisten will. So formuliert die Konferenz Europäischer Kirchen: »Diakonie wirkt auf eine Erneuerung der Menschenwürde in der Gemeinschaft mit anderen hin, die der Ebenbildlichkeit Gottes entspricht. […] Unsere Zukunftsvision für Europa ist gekennzeichnet durch Offenheit gegenüber der übrigen Welt und durch die Beseitigung von tiefgreifenden wirtschaftlichen Spaltungen, Rassismus und Diskriminierung und durch die Schaffung gleichberechtigter Chancen und Behandlung von Menschengruppen, die zur Zeit ausgeschlossen werden. Es ist eine Vision tragfähiger Gemeinschaften, die sich durch Nachbarschaftsgeist, Miteinander-Teilen und Sorge um den Menschen und die Umwelt auszeichnen. Diakonie ist dazu berufen, in Zusammenarbeit mit anderen zur Verwirklichung dieser Vision beizutragen.«81 Chancen für die Diakonie Diakonie ist also vielförmig. Es gibt sie im Stadtviertel vor Ort, aber auch als Verbandsstrukturen oder große Dienstleistungsbetriebe weitab der Wohnquartiere. Viele innovative Entwicklungen wie Bürgerinitiativen usw. sind in den letzten Jahren gerade in den Stadtvierteln entstanden. Heute versucht Diakonie deswegen über den sogenannten sozialräumlichen Ansatz, den Kontakt zum Stadtviertel erneut bzw. verstärkt herzustellen. In dieser Situation bietet es sich als

81 Konferenz Europäischer Kirchen: Bratislava-Erklärung, https://diadakt.files.wordpress. com/2007/04/bratislava-erklarung.pdf, Zugriff vom 16.02.2015.

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besondere Chance für die Diakonie an, mit den Schulen am Ort bzw. im Stadtviertel enge Beziehungen aufzubauen.82 Im Einzelnen gibt es beim Diakonischen Lernen mehrere Chancen für die Diakonie. Sie profitiert von den Kontakten mit der Schule: Die Arbeit der diakonischen Einrichtung und ihrer Mitarbeiter wird wahrgenommen und erfährt eine Würdigung in der schulischen Öffentlichkeit (Schüler, Lehrer, Eltern). Die Situation der Menschen, die diakonische Hilfe in Anspruch nehmen, wird aus erster Hand erlebt. Das Leben in den diakonischen Einrichtungen wird durch die Präsenz und Mitwirkung der Schüler bereichert: »Positiv ist, wenn die Schüler zu uns ins Haus kommen, wenn sie viel Energie mitbringen, gute Laune. Sie lachen, sie bringen die Bewohner auf andere Gedanken und unternehmen ganz viel und das ist eine richtig schöne Sache.«83 Die Begegnung mit jungen Menschen stellt häufig eine Horizonterweiterung für ältere Menschen dar. Sie erfahren etwas über das Lebensgefühl und den Lebensstil der Jungen. Gleichzeitig sind die Bewohner in den Einrichtungen auf Grund ihres Erfahrungsschatzes auch in der Lage, den jungen Menschen etwas über das Leben zu vermitteln. Die Motivation der Mitarbeiter wird gesteigert. Sie werden herausgefordert, ihre Arbeit neu zu reflektieren und für Kinder und Jugendliche verständlich zu machen. Nicht zuletzt erhalten sie von den Kindern und Jugendlichen Dank und Wertschätzung für die Begleitung während des Aufenthalts in der Einrichtung. Darüber hinaus ist bedeutsam, dass die Diakonie als zukünftiges Berufsfeld bei den Schülern in den Blick kommen kann. Das Bewusstsein bei den Schülern für die gegenwärtige und zukünftige Unterstützungswürdigkeit diakonischer Einrichtungen wird grundgelegt. Begegnungen oder offizielle Kooperationen zwischen Schulen und diakonischen Initiativen fördern die Lebensqualität im Quartier. Es entstehen Netzwerke, die einen Stadtteil lebenswerter machen. Schließlich bauen Schüler eine innere Beziehung zum Wert des Sozialstaats und dem gesetzlich verbrieften Recht auf Hilfe in Notlagen auf. Eine Frucht, die der Diakonie nicht direkt nützt, die aber dennoch gesamtgesellschaftlich wichtig ist, manifestiert sich darin, dass diakonische Lernerfahrungen für die Schüler in die Nähe freiwilligen Lernens rücken, obwohl sie im Rahmen des schulischen Lernens stattfinden. Das bedeutet, dass Diakonie dabei hilft, dass Schüler und Schülerinnen ihre Schule als angenehmer und interessanter wahrnehmen. Dadurch steigt die Schulmotivation. Diese Chancen gibt es nicht zum »Nulltarif«, sondern sie setzen einen Prozess voraus, den die Einrichtung oder Initiative durchlaufen sollte: Die Bereitschaft 82 Vgl. Haas 2012, 272–284. 83 https://www.youtube.com/watch?v=ty0A8PBAS5Q, letzter Zugriff am 18.02.15.

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Teil 1: Worum es geht – Einführung in Diakonisches Lernen

zur Öffnung für Kinder und Jugendliche im Allgemeinen ist nötig, diese kann in der Beschäftigung und Auseinandersetzung mit den Zielen Diakonischen Lernens geschehen. Im Besonderen ist die Bereitschaft nötig, die Schüler im Rahmen der Möglichkeiten in ihre Aufgaben einzuführen, sie zu begleiten und mit ihnen die geleistete Arbeit wahrzunehmen und zu reflektieren. Gegebenenfalls kann diese Öffnung eine Umstellung bei der Aufgabenverteilung der hauptund ehrenamtlichen Mitarbeiter mit sich bringen, damit Ansprechpartner für die Schüler vorhanden sind. Ein bescheidenes Budget von Sachmitteln zur Begleitung der Schüler fördert die Motivation und Einsatzfreude. Was Mitarbeitende der Diakonie über die Anwesenheit von Schülern und Schülerinnen denken und wie man sich als diakonische Einrichtungen konkret auf die Begegnung mit diesen vorbereitet, ist in Kapitel 5 ausführlich nachzulesen.

4.  Didaktik des Diakonischen Lernens

4.1 Soziale Bildung: Klippen und Wege Diakonisches Lernen ist soziale Bildung in christlicher Perspektive.84 Aber wie »funktioniert« soziale Bildung? Wie lassen sich Werte und Haltungen an Kinder und Jugendliche »weitergeben«? Beginnen wir mit der Praxis: 4. Klasse Religion. Die Kinder hören von der Religionslehrerin die Geschichte Wo die Liebe ist, da ist Gott von Leo Tolstoi.85 Sie handelt von Martin, einem armen Schuster. Martin wohnt in einem Keller, der ihm zugleich als Laden und Werkstatt dient. Er arbeitet von früh bis spät, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Erst am Abend gönnt er sich ein wenig Muße und liest dabei in der Bibel. Besonders gern vertieft er sich in die Geschichten von Jesus. Eines Abends ist er schon am Einschlafen, als er eine Stimme hört, die zu ihm sagt: »Martin! Sieh morgen auf die Straße. Ich werde kommen.« Am nächsten Tag lädt Martin Hungrige und Frierende, die an seinem kleinen Laden vorbeikommen, zu sich ein. Er versorgt sie mit Nahrung und Kleidung. Verfolgte nimmt er in Schutz und ermöglicht Versöhnung unter Streitenden. Allen zeigt er sein Mitgefühl und handelt barmherzig an ihnen. Abends vernimmt er wieder jene Stimme vom Tag zuvor, die ihm nun deutlich macht, dass ihm in diesen Menschen Christus selbst begegnet ist. Die Geschichte endet mit dem für das Konzept christlicher Barmherzigkeit fundamentalen Bibelzitat nach Mt 25,40: »Das, was du dem Geringsten meiner Schwestern und Brüder getan hast, das hast du mir getan.« Die Religionslehrerin wendet sich nun an die Schüler und sagt: »Weil wir in jedem Menschen ein Ebenbild Gottes sehen können, sind wir dazu aufgerufen, dem anderen zu helfen.« Die Klasse schweigt. Doch eine Schülerin meldet sich und sagt: »Aha, wohl auch

84 Vgl. Schmidt 2004, 9. 85 Vgl. Tolstoi 1919, 205–217.

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Teil 1: Worum es geht – Einführung in Diakonisches Lernen

bei Adolf Hitler?« Die Lehrerin ist sichtlich aus dem Konzept gebracht, nickt nur kurz und gibt den Kindern einen Arbeitsauftrag.86 Was ist hier geschehen? Eine Spannung ist zu spüren. Die Lehrerin erzählt eine Geschichte vom Helfen. Sie richtet dann den Appell zum Helfen an die Kinder. Die Schüler und Schülerinnen reagieren mit Schweigen und einer provokanten Gegenfrage. Reflektieren wir die Stunde vor dem Hintergrund dreier religionspädagogischer Modelle vom sozialen und ethischen Lernen. Das erste Modell ist die »Wertvermittlung«87 oder auch »Wertübertragung«88 Dabei werden Schüler in einen Kanon von überlieferten Werten eingewiesen und sollen sich ihn aneignen. Es handelt sich somit um »Tugenderziehung«89, durch die der Wille des Schülers geprägt werden soll. Dies kann kognitiv, affektiv und voluntativ akzentuiert werden. Beim kognitiven Schwerpunkt geht es um die Verarbeitung von Informationen. Die Lernenden sollen Werte kennenlernen, sie reproduzieren und klassifizieren können.90 Die affektive Akzentuierung hat das Ziel, Werte einzuprägen und zu internalisieren. Inhaltlich wird an Vorbildern, Tugenden und Idealen gearbeitet, so wie das im Unterrichtsbeispiel mit der Tolstoi-Geschichte der Fall war. Das Lernen an Modellen kann an für das Christentum und im weiteren Sinn für die Ethik prägenden historischen oder zeitgenössischen Persönlichkeiten oder an beindruckenden Menschen aus dem Nahbereich erfolgen, den »local heroes«.91 Bei der voluntativen Ausrichtung schließlich wird versucht, die Willensausrichtung von Kindern und Jugendlichen zu beeinflussen. In jedem Fall legen in diesem Modell die Gesellschaft oder die Familie und im schulischen Bereich der Lehrplan und die Lehrkraft fest, was das Gute ist. Der Lernprozess ist stark von der Lehrkraft gesteuert. Das Menschenbild ist positiv: Man geht davon aus, dass jeder lernen kann, Gutes zu tun, wenn er nur die Regeln und die Werte kennt, nach denen er sich richten muss. Die Problematik dieses Weges liegt auf der Hand. Man nimmt an, dass es allgemeine Werte gibt, die von jedem verinnerlicht werden sollen. Das Individuum und sein spezieller Lernweg werden kaum beachtet. Widerständen gegen den Wertekanon und das passive Rezipieren wird hier keine produktive Funktion zugewiesen. Der zweite Weg ist das Modell der »Wertklärung« (values clarification)92 oder 86 87 88 89 90 91 92

Darstellung nach Naurath 2007, 265. Mokrosch 2009, 35. Ziebertz 2008, 407. Mokrosch 2009, 35. Vgl. Ziebertz 2008, 407. Mendl 2005. Ziebertz 2008, 408.

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der »Werterhellung«93. Es grenzt sich vom ersten darin ab, dass es vom Einzelnen als lernendem Subjekt ausgeht. »Konkrete moralische Werte und Inhalte sollen nicht vermittelt werden, sondern die Schüler und Schülerinnen sollen ihre eigenen – bewussten oder unbewussten – Wertsetzungen in ihrem bisherigen Leben reflektieren und diese ggf. stärken oder korrigieren. Es geht um Selbstexploration und nicht um Übernahme eines moralischen Kulturgutes.«94 Deshalb sind hier auf der methodischen Ebene Fragen wichtigere Mittel als Instruktionen: »Mit welchen Werten bin ich aufgewachsen? Welche Personen haben mich in meinem ethischen Verhalten geprägt? Welche Werte sind mir heute wichtig? Lebe ich danach?« In diesem Modell soll sich also jeder über seine eigenen Werte klar werden und entsprechend dieser Werte entscheiden und handeln. So kann ein Schüler etwa auch Inkonsistenzen bei sich entdecken und daran lernen. Im Hintergrund steht – ebenfalls – ein positives Menschenbild: »Jeder Mensch wird für fähig gehalten, vernünftige Selbststeuerungsprozesse an sich vorzunehmen und aufgrund einer lebensförderlichen Werte-Einstellung auch lebensförderlich handeln zu können. Außerdem wird jedem zugetraut, ohne gesellschaftlichen und kulturellen Referenzrahmen sich selbst einen Werte-Rahmen für das eigene Leben bilden zu können.«95 Dieses Modell entspricht der modernen Auffassung vom Menschen und seinem Lernen.96 Allerdings: Auch wenn die Betonung der Individualisierung des Lernens ein wesentlicher Erkenntnisfortschritt ist, wohnt diesem Modell die Gefahr inne, dass der Einzelne in einem Wertesubjektivismus und -relativismus versinkt. Soll man sich ganz aus der Tradition »ausklinken«, soll jeder selbst entscheiden, welches Verhalten ethisch geboten ist? Ein dritter Weg ist das »Wertfühlungsmodell«. Es »möchte das Gefühlsleben, besonders Sympathie, Empathie und Rollenreziprozität fördern, um zu einem Urteilen und Handeln ›mit dem Herzen‹ zu bewegen. Durch Sensibilisierung für Selbstwert-, Nächstenwert-, Naturwertund Menschheitswertgefühle sollen soziale und moralische Einstellungen und Verhaltensweisen gefördert werden.«97

93 Mokrosch 2009, 36. 94 Ebd. 95 Ebd. 96 Vgl. zum Ganzen Göhlich/Zirfas 2007. 97 Mokrosch 2009, 37.

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Die Bedeutung des Mitgefühls als Basis ethischer Bildung und ethischen Handelns hat Elisabeth Naurath überzeugend dargelegt. Mitgefühl wird zunächst noch nicht als eine Handlung verstanden, sondern vielmehr als eine Form der Wahrnehmung. Ich nehme den anderen wahr. Ich lasse eine andere Perspektive zu. Ich sehe nicht mehr nur meine Welt, sondern die Welt mit den Augen des anderen. Man könnte auch sagen: Ich lasse den anderen in mein Blickfeld hinein. Ich lasse mich berühren, von dem, was der andere ist, was er erlebt und womöglich erleidet. Die Grundidee beim Mitgefühl ist, dass es sich um eine emotionale Beziehung und Anteilnahme zweier Subjekte handelt.98 Freilich: Mitgefühl kann man nicht von außen »machen«. Das gilt auch für den Kontext Schule und Religionsunterricht. Aber man kann Lerngelegenheiten zur Verfügung stellen, bei denen sich eine Perspektivveränderung ereignet. Durch die Veränderung der Perspektive kann es sein, dass sich auch ein anderes Verhalten einstellt. Nach der Durchsicht dieser drei Wege ergibt sich als Fazit, zunächst für die oben beschriebene Stunde: Es ist gut begründet, eine Geschichte vom Helfen zu erzählen. An ihr kann man sich reiben, man kann sich in ihre (fiktive) Welt hineinversetzen und etwas erleben. Jeder kann individuell für sich Schlüsse ziehen, sich womöglich auch einmal vorstellen, wie das ist und wie es sich anfühlt, wenn man allen Menschen, die einem begegnen, hilft, und wie es sich anfühlt, wenn man in einem Menschen »Christus sieht«. Die Verknüpfung der Geschichte mit einem Appell löst offensichtlich Widerstand aus. Sie hat den Charakter einer Indoktrination. Sie engt die Schüler ein, gibt Urteile vor, lässt wenig eigenen Spielraum übrig. Wenn man sich an die Wand gedrückt fühlt, weicht man aus oder »drückt« zurück, was in der Stunde auch passierte. Damit hat man als Lehrkraft die Kinder und sich selbst in eine Sackgasse geführt. Im Hinblick auf die drei religionspädagogischen Modelle lässt sich festhalten: Wertvermittlung, Wertklärung, Wertfühlung sind wichtig und haben ihre Berechtigung. Vermittlung von Werten ist insofern unverzichtbar, als konkrete inhaltliche Vorgaben, ggf. auch in Form eines überlieferten Wertekanons, für einen Lernprozess notwendig sind. Die Kenntnis der Inhalte ist Voraussetzung für eine Auseinandersetzung und möglicherweise auch Ablehnung. Wer sich intensiv mit Inhalten auseinandersetzt, wird unterscheiden können und nicht in einem resignativen Relativismus (»alles ist gleich«) steckenbleiben. Die Klärung ist unverzichtbar, weil sie den einzelnen Schüler und die einzelne Schülerin aktiviert, über sich selbst und die eigenen Werte, die erworben wurden oder als erstrebenswert angesehen werden, im Austausch mit anderen nach98 Vgl. Naurath 2007, 284.

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zudenken. Die Fühlung von Werten ist unverzichtbar, weil soziales Lernen auf Wahrnehmung und Einfühlung beruht. Die drei Wege sind also nicht als konkurrierende Modelle, sondern als Komponenten eines Weges zu verstehen, die zur Wertentwicklung führt. Fassen wir im Hinblick auf Diakonisches Lernen zusammen. Schüler sollen den Wert des Sozialen verDiakonisches stehen, anerkennen und in ihrem Handeln umsetzen. Lernen Es gibt jedoch Schüler, die solchen Ansprüchen mit Indifferenz oder Ablehnung begegnen. Damit ihre Bereitschaft wächst, die gewünschten Haltungen auszubilden, brauchen sie nicht nur Informationen und Aufforderungen, sondern eigene Erfahrungen sowie Gelegenheit zur Reflexion darüber. Das didaktische Handeln Wissen Szenario muss also die normative Ebene durch SubjektAbb. 4: Die zwei Beine bezogenheit erreichen. Wissen muss durch Handeln des Diakonischen ergänzt werden (s. Abb. 4). Der programmatische Satz Lernens ›Gegenseitige Hilfe ist Grundlage unserer Gesellschaft‹ bedarf der Verifikation durch den Erfahrungssatz: Diakonisches ›Anderen zu helfen, bringt mich weiter.‹ Lernen Darüber hinaus steht soziales Lernen innerhalb des Klassenzimmers in der Gefahr, künstlich und all­ tagsfern und deswegen wenig nachhaltig zu sein. Die Hirnforschung belegt, dass die Lernsituation und ihr emotionaler Gehalt in besonderer Weise für das AufLernort außerKlassennehmen und Verarbeiten von Wissen relevant sind.99 halb zimmer Deswegen finden sich in den Lehrplänen die Hinweise, dass Schüler diakonische Prinzipien nicht nur Abb. 5: Die zwei Orte im Klassenzimmer kennenlernen sollen, sondern des Diakonischen Lernens eine diakonische Einrichtung vor Ort ›besuchen‹ oder ›erkunden‹ sollen (siehe Kapitel 7). Jedoch reicht es nicht aus, wenn sie die Menschen dort aus der Distanz bestaunen. Vielmehr ist es notwendig, dass sie mit ihnen zusammenarbeiten und aufgrund aktiver Erfahrungen über den Wert des diakonisch-sozialen Handelns nachdenken (s. Abb. 5). Schüler und Schülerinnen können auf verschiedenen Ebenen Lernprozesse erleben. Bevor wir diese darstellen (vgl. Kapitel 4.3 und 4.6), wenden wir uns zunächst den Voraussetzungen von Kindern und Jugendlichen zu.

99 Vgl. Schirp 2006, 200–214.

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4.2 Was können und brauchen Kinder und Jugendliche? Schülerinnen und Schüler sollen sich am Diakonischen Lernen beteiligen. Welche alters- bzw. entwicklungsbezogenen Fähigkeiten und Bedürfnisse junger Menschen sind für das Arbeiten am Lernort und im Klassenzimmer von Bedeutung? Zwischen Gaben und Herausforderungen Dem amerikanischen Psychologen B. Plotkin zufolge sind Kinder »Forscher im Garten« und ihre Gabe an die Gesellschaft ist das »Staunen«, Jugendliche sind »Schauspieler in der Oase« und ihre Gabe ist das »Feuer«. Verweilen wir einen Moment bei diesen Bildern. Plotkin, der nicht nur Therapeut, sondern auch »Wildnis-Führer« ist, hat ein Modell zur lebenslangen Persönlichkeitsentwicklung entworfen. Dabei lässt er sich zwar auch von der westlichen Psychologie beeinflussen, aber noch mehr von naturnah lebenden Völkern wie den nordamerikanischen Indianern und von der Spiritualität des Ostens. In seinem »Rad des Lebens« gibt es acht Phasen, die der Mensch von der Geburt bis zum Tod durchläuft. Jede Phase oder Stufe steht für eine Rolle, die der Mensch ausübt, eine Aufgabe, die typischerweise zu bearbeiten ist und schließlich für eine Gabe an die Gesellschaft. Das kleine Kind, der oder die »Unschuldige im Nest«, hat etwa die Gabe der »lichten Gegenwart« und der Mensch in der letzten Lebensphase, der »Weise in der Berghöhle«, die Gabe der »Gnade«. Was bedeutet nun das Bild vom »Forscher im Garten«100? Plotkin beschreibt das Kind in der Grundschulzeit zunächst durch dessen Aufgaben: Es soll die umgebende Natur entdecken und die soziale Umgebung wahrnehmen, in die es hineinwächst. Dazu gehören z. B. Bräuche, Werte und kultur- und religionsbedeutsame Erzählungen. Das Kind probiert aus, es »sammelt« seine Welt. Es entdeckt seinen Körper, seine Fantasie und seine Gefühle. Seine Gabe ist das Staunen über alles, was da ist, vom kleinsten Tier und Stein bis zum Himmel und Weltall. Dieses Staunen kann Erwachsene anstecken und ihnen die Bewunderungswürdigkeit der Welt wieder vermitteln. Die Welt des Kindes ist noch begrenzt durch die Struktur der Familie, und, soweit verfügbar, durch die Erfahrung der Natur in unmittelbare Nähe. Der Platz des Jugendlichen ist in der Vorstellung Plotkins die »Oase« (gr. óasis, d. h. »bewohnter Ort«), ein sozialer Treffpunkt (in der Wüste), ein Marktplatz und zugleich ein von der Natur mit Wasser und Vegetation beschenkter 100 Vgl. Plotkin 2008, 111–164.

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Ort.101 Die Aufgabe des Jugendlichen ist es, ein soziales Ich aufzubauen, das authentisch und zugleich sozial verträglich ist. Dem Kind waren Kultur und soziale Formen vorgegeben, der Jugendliche darf sie neu gestalten. Jugendliche sind »im Fieber«, sind »heiß«. Das gilt nicht nur für die hormonellen Zustände und die Entdeckung des Geschlechtlichen, sondern auch für das Gestalten der Welt – Jugendliche »entzünden« sie, ihre Gabe ist somit das »Feuer«. Plotkin betont, dass die Pubertät die Phase des Heranwachsens einläutet, nicht aber das Erwachsenenalter selbst. Es geht nicht um eine endgültige, sondern um eine erste Form des Lebens in einer größeren Gemeinschaft, der gegenüber der Jugendliche treu ist. Wenn diese Phase gut verläuft, kann sich der Jugendliche am Ende realistisch ein- und auch selbst wertschätzen. Mit Shakespeare sagt Plotkin, dass das ganze Leben eine »Bühne« sei. Dies treffe besonders für die Jugend zu. Jugendliche sind deswegen »Schauspieler«, und ihre Bühne ist das soziale Leben, auf der sie ständig neue Rollen ausprobieren und Bühnenbilder entwerfen. Plotkins Modell beschreibt Kinder und Jugendliche im Blick auf Fähigkeiten und Herausforderungen. Damit steht er in der Nähe zu anderen, klassischen Entwürfen aus der Psychologie, wie etwa dem Modell der Entwicklungsaufgaben von R. Havighurst oder der Identitätsentwicklung von E. Erikson102, aber auch zur pädagogischen Anthropologie103, die den jungen Menschen, ausgestattet mit spezifischen Gaben, zwischen Selbstwerdung und Hineinwachsen in die Kultur sieht. Erikson sieht den Menschen in den verschiedenen Lebensphasen jeweils in einer Spannung zwischen zwei Polen, die in eine produktive Richtung zu bearbeiten ist. Beim Kind im Grundschulalter kann aus der Spannung von »Fleiß und Inferiorität« als Synthese die »Kompetenz« erwachsen und beim Jugendlichen die »Treue« aus der Spannung von »Identität und Identitätskonfusion«.104 Die Fähigkeiten des Kindes und Jugendlichen betont auch der international bekannte Familientherapeut Jesper Juul: Kinder sind von Geburt an sozial, sie kooperieren kompetent mit jeglicher Form von Erwachsenenverhalten und müssen nicht eigens zur Kooperation ›erzogen‹ werden.105 Was können wir davon für das Diakonische Lernen mitnehmen? Ein Modell, das sich an Fähigkeiten und Herausforderungen orientiert, ist letztlich ein zutiefst pädagogisches Modell. Denn es ist Aufgabe von Schule, Kinder und Jugendliche im Hinblick auf ihre Potenziale anzusehen. Diakonisches Lernen 101 Vgl. ebd., 165–230. 102 Vgl. Gruber 2006, 120 ff. 103 Vgl. Dunker 2005, 141–145. 104 Erikson 1988, 70–72. 105 Juul 2008, 63.

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lebt von diesem Blick auf Potenziale. Es sieht die Schülerinnen und Schüler nicht als »zu klein«, sondern als »groß genug«. Es traut den Heranwachsenden etwas zu, besonders was das Mitarbeiten am Lernort betrifft. Dass ein solcher positiver Blick pädagogisch lohnend ist, zeigt die erfolgreiche Etablierung des Projekts Eine Herausforderung meistern an der Evangelischen Schule in Berlin, bei dem Acht-, Neunt- und Zehnt-Klässler – allein oder in der Gruppe für drei Wochen außerhalb von Berlin unterwegs sind, mit einem persönlichen Budget von 150 € auskommen und dabei nur von einer erwachsenen Person im Hintergrund begleitet werden, ansonsten aber alle Entscheidungen selbst treffen.106 Jemanden für fähig halten heißt nicht, blind für die Realität zu sein. Kinder und Jugendliche können – allein aus rechtlichen Gründen – natürlich nur einen kleinen Teil der Aufgaben übernehmen, die es in der Diakonie gibt. Es gibt Grenzen, die wahrzunehmen und zu wahren sind. Jedoch lässt sich aus der positiven Perspektive, im Sinne eines ermutigenden Zuspruchs, sagen: Schülerinnen und Schüler verfügen bereits über Fähigkeiten. Solche sind für den außerschulischen Lernort: Verantwortungsübernahme, Einfühlungsvermögen, das Gefühl für sich selbst, praktische Fähigkeiten, Kommunikationsfähigkeit und Kooperationsfähigkeit. Im Klassenzimmer verfügen sie über soziales Verstehen und Wahrnehmen, Reflexionsfähigkeit, moralische Urteilsfähigkeit und kognitive Fähigkeiten zur Erfassung der Inhalte. Dabei ist offensichtlich, dass sich Fähigkeiten, die am Lernort gebraucht werden, teilweise mit denen überschneiden, die im Klassenzimmer wichtig sind, und umgekehrt, allerdings dabei mit anderer inhaltlicher Füllung oder in einer anderen Rolle. Man könnte die genannten Fähigkeiten auch in allgemeinere Bereiche subsummieren und dann von Sachkompetenz, Sozialkompetenz und Selbstkompetenz sprechen,107 allerdings geht dies auch mit einer gewissen Gefahr einher, die verschiedenen Teilbereiche mit ihren Eigenheiten aus den Augen zu verlieren. Die Grundaussage jedenfalls ist, dass Kinder und Jugendliche bereits über die genannten Fähigkeiten verfügen, sie können aber noch weiter darin wachsen. Genügt das den Anforderungen des Unterrichts? Sind die positiven Aussagen in ihren Formulierungen nicht zu »romantisch«? Sind sie nicht zu unbestimmt, gerade im Hinblick auf kognitive und affektive Fähigkeiten und auf daraus folgende didaktische Entscheidungen?

106 http://www.ev-schule-zentrum.de/index.php?id=3318, Zugriff vom 14.11.2014. 107 Dies wird heute bei den Zielen von Bildung und Erziehung in vielen Lehrplänen getan; die Begriffe finden sich bereits bei Roth 1971, 11.

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Nutzen entwicklungspsychologischer Stufenmodelle In der Fachliteratur zum Diakonischen Lernen wird gern auf die entwicklungspsychologischen Stufenmodelle J. Piagets, L. Kohlbergs, R. Selmans und W. Damons zurückgegriffen.108 Man erhofft sich, damit die zu erwartenden Ausgangsbedingungen und Entwicklungen bei Schülerinnen und Schülern, Bedingungsfaktoren, die Entwicklungen beeinflussen, sowie Entwicklungsziele und deren Erreichbarkeit exakt beschreiben zu können.109 Sehen wir uns deshalb diese Modelle genauer an. Sie haben drei gemeinsame Kennzeichen: 1. Die im Rahmen von standardisierten Interviews gezeigten Reaktionen von Kindern und Jugendlichen bilden den Ausgangspunkt. 2. Die beobachteten Reaktionen werden zu einem Modell geformt, das klar abgrenzbare Entwicklungsstufen in einer aufsteigenden, unumkehrbaren Folge behauptet. 3. Inhaltlich kreist das Modell um kognitive Leistungen, d. h. Denk- und Urteilsfähigkeit sowie Perspektivenübernahme. Die Stufenzuordnungen möchten einen sachgerechten, nicht wertenden Blick auf die Heranwachsenden ermöglichen, allerdings werden die Fähigkeiten in Abgrenzung zum Erwachsenen dargestellt, und Beschränkungen und Fehlleistungen der kindlichen Vorstellung spielen eine große Rolle. Der Wegbereiter war J. Piaget. Er ordnete die kognitive Entwicklung in vier Stufen, von denen für uns die beiden letzten relevant sind: Kinder im Grundschulalter befinden sich in der konkret-operatorischen Phase. Das kindliche Denken und seine Begriffsbildungen sind an Anschauliches gebunden. Ausgehend von gegebenen Informationen, die dem Kind visuell oder verbal vermittelt werden, nimmt es eine erste Systematisierung seiner Welt vor. Ein Weiterdenken ohne gegebene Informationen ist noch nicht möglich. In der folgenden formal-operatorischen Phase (ab 12  Jahre) bewältigen Jugendliche Denkoperationen (z. B. Analogieschlüsse) ohne Hilfe von konkreten Anschauungen und kommen zu Folgerungen, die sie mit Hilfe von Informationen gewinnen, die ihrerseits selbst noch zu erarbeiten sind.110 Die heutige psychologische Forschung widerspricht Piaget allerdings dahingehend, dass zwischen dem Denken von Kindern und Erwachsenen deutlich 108 Vgl. Boës 2013, 169–192, Toaspern 2007, 257–261.297–300, Englert 2014, 143–147, Schmidt 2014, 23–29. 109 Vgl. Gruber 2006, 130 f. 110 Vgl. Montada 1998, 540.

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mehr Ähnlichkeiten bestehen, als Piaget annahm. Seine Defizitbehauptungen, besonders über jüngere Kinder, konnten widerlegt werden.111 Kohlberg konstruierte sein Modell zur Entwicklung des moralischen Urteils aufbauend auf Piagets kognitiver Stufentheorie. Er interessierte sich besonders für einen Aspekt der moralischen Entwicklung: Wie werden Normen und Werte begründet? So lässt sich etwa die Norm »nicht stehlen« unterschiedlich begründen: Aus Angst vor Strafe, aus Achtung vor dem Eigentum anderer oder aus Sorge um die Erhaltung der Ordnung in der Gesellschaft. Unterschiedliche Begründungen moralischer Normen können ihrerseits Folgen für das moralische Handeln haben. Die Angst vor Strafe etwa verhindert den Diebstahl nicht, wenn man ihr durch die Heimlichkeit des Tuns entgehen kann. Demgegenüber bleibt die gesellschaftlich begründete Norm auch in der Heimlichkeit wirksam. Das von Kohlberg eingesetzte Forschungsinstrument, um Begründungen für moralische Handlungen zu erforschen, war die Dilemmageschichte, zu der sich die Probanden verhalten sollten: Heinz ist verheiratet. Seine Frau hat Krebs und ist dem Tode nahe. Nur ein Mittel kann helfen. Dies entwickelte ein Apotheker. Er verlangt dafür zehnmal mehr, als ihn die Herstellung gekostet hat. Heinz leiht sich Geld, aber bekommt nur die Hälfte zusammen. In seiner Not bittet Heinz den Apotheker, das Medikament billiger zu verkaufen, aber dieser besteht auf dem Preis. In seiner Verzweiflung dringt Heinz in die Apotheke ein und stiehlt das Medikament. Frage: »Sollte der Ehemann dies tun? Warum?«112 Aufgrund der Ergebnisse der Befragungen postulierte Kohlberg drei Hauptstufen: das präkonventionelle, konventionelle und postkonventionelle moralische Urteil. Wenn gesellschaftliche Normen nicht weiter begründet werden müssen, handelt es sich um konventionelle Moral. Die meisten Jugendlichen (und Erwachsenen) befinden sich auf dieser Stufe. Wenn individuelle Motive (z. B. Angst vor Strafe, Zweck-Mittel-Denken) leitend sind, spricht man von präkonventioneller Moral, weil der gesellschaftliche Charakter von Normen noch nicht in den Blick kommt. Kinder bis neun Jahre finden sich auf dieser Stufe. Postkonventionelle Moral bedeutet, dass gesellschaftliche Normen als begründungsbedürftig angesehen werden. Sie gelten nur dann, wenn sie als verallgemeinerbare Prinzipien anzusehen sind. Es gibt dann eine der Gesellschaft noch vorgeordnete Perspektive. Nur einige Erwachsene sind dieser Stufe zuzuordnen. An Kohlbergs Modell ist die Behauptung der Universalität und Unumkehrbarkeit der Stufen kritisiert worden. Neuere Forschungen konnten zeigen, dass

111 Vgl. Schneider/Lindenberger 2012, 393. 112 Kohlberg 1978, 111.

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bereits Kinder die postkonventionelle Stufe erreichen können.113 Damit stellt sich natürlich die Frage nach Aussagekraft und Nutzen dieses Modells. Das Modell von Selman zum sozialen Verstehen lehnt sich an Piagets Theorie an und bezieht sich dabei auf die Entwicklung der Perspektivenübernahme. Es geht um die Fähigkeit, sich in das Denken einer anderen Person hinzuversetzen. Auch Selman arbeitete wie Kohlberg mit Interviews zu einer Dilemmageschichte. Darin geht es um die achtjährige Holly, die sich einmal, unter den Augen ihres Vaters, beim Klettern auf einem Baum verletzt hat. Sie verspricht ihm, nicht mehr zu klettern. Eines Tages versteigt sich ein Kätzchen im Baum. Holly ist die Einzige, die hochklettern könnte, um das Tier zu retten. Was aber würde Hollys Vater denken? »Wird er, sollte sie tatsächlich auf den Baum klettern, ihre Gründe dafür verstehen oder nicht?«114 Selman postulierte in Bezug auf die Vorstellungen von Personen und von Beziehungen ein fünfstufiges Schema:115 Auf dem Niveau 0 (etwa 3–8 Jahre) erkennt das Kind nicht, dass ein anderer dieselbe Situation anders als es selbst sehen könnte. Das Kind des Niveaus 1 (etwa 5–9 Jahre) unterscheidet die eigene Perspektive von der des anderen, aber die Beziehungen zwischen den Perspektiven werden nur aus einer Richtung gesehen. So steht z. B. für einen Schenkenden fest, dass sich der Empfänger über das Geschenk freuen wird. Auf dem Niveau 2 (etwa 7–12 Jahre) können Kinder aus sich heraustreten und eine Zweite-Person-Perspektive auf eigene Handlungen und Gefühle einnehmen. Sie können sich an die Stelle des anderen versetzen und wissen, dass ihr Gegenüber das auch tun kann. Im Gegensatz zu Stufe 1 weiß das Kind nun um die Möglichkeit, den anderen über die eigene Seelenlage zu täuschen. Jugendliche auf Niveau 3 (etwa 10–15 Jahre) nehmen eine Perspektive ein, die ihnen erlaubt, »abstrakt aus einer zwischenmenschlichen Interaktion herauszutreten, gleichzeitig die Perspektiven des Selbst und des Anderen miteinander zu koordinieren und deren gegenseitiges Aufeinanderwirken miteinander zu koordinieren«116 Daraus folgt, dass Jugendliche auf diesem Niveau glauben, dass soziales Verständnis und Miteinander-Auskommen notwendigerweise gegenseitig sein müssen. Auf Niveau 4 (etwa 12 Jahre bis Erwachsenenalter) werden Personen als bewusst, aber auch unbewusst Handelnde gesehen. Der Jugendliche kann von den unterschiedlichen konkreten Perspektiven auf solche abstrahieren, die alle Menschen miteinander teilen können. Die Aussagen über die einzelnen Stufen wirken teilweise sehr konstruiert und setzen Einsichten voraus, die nicht durch die eigentliche empirische Unter113 Vgl. Schneider/Lindenberger 2012, 540. 114 Selman 1984, 49. 115 Vgl. ebd., 50–55. 116 Selman 1984, 53.

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suchung gewonnen wurden. Als Quintessenz kann man jedoch die Annahme plausibel finden, dass Perspektivenübernahme ein wichtiger Faktor beim moralischen Handeln ist, der entwickelt werden muss. Schließlich ist noch das Modell von W. Damon über die Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit zu nennen.117 Er arbeitete mit kleinen Geschichten, zu denen sich die Probanden im Alter von 4–8 Jahren äußern mussten, und postulierte aus den Antworten ein Stufenschema mit drei Niveaus, die jeweils in zwei Stufen zerfielen. Die Vorstellungen von Gerechtigkeit sind klar altersbedingt.118 Die Aussagen der Stufen lauten:119 Stufe 1: Gerecht ist, was ich will. Stufe 2: Gerecht ist, was ich will, weil …, d. h. egoistische Wünsche werden mit quasi-objektiven Kriterien gerechtfertigt. Stufe 3: Gerecht ist, wenn jeder gleich behandelt wird. Stufe 4: Gerecht ist, wenn jeder bekommt, was er verdient. Stufe 5: Gerecht ist, wenn die Bedürftigen mehr bekommen. Stufe 6: Alle in den drei Stufen zuvor genannten Gerechtigkeitsansprüche werden berücksichtigt; die Verteilung wird im Hinblick auf die Funktion der Belohnung in der besonderen Situation entschieden. Damon hält es jedoch für falsch anzunehmen, ein Kind der Stufe 5 könnte das komplexe Problem der Sozialfürsorge mit diesen Überlegungen lösen.120 Die Leistungsfähigkeit des Damon-Modells ist begrenzt, weil es nur Kinder bis zur 3. Klasse in den Blick nimmt. Wichtig für das Diakonische Lernen scheint zu sein, dass die Fähigkeit, Gerechtigkeit mit Bedürftigkeit und Barmherzigkeit zusammenzudenken, erst allmählich entwickelt wird, was auch durch Untersuchungen zum Verständnis des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20) bei 11/12-Jährigen bestätigt wird.121 Was tragen nun diese Modelle für das Diakonische Lernen aus? Wo liefern sie wertvolle Erkenntnisse und sind für unterrichtliche Entscheidungen nützlich? Hier ist zu differenzieren in die Anforderungen im Klassenzimmer und in diejenigen am diakonischen Lernort. Dabei lässt sich jeweils die Ebene der Diagnostik von der Ebene der Intervention unterscheiden.

117 Damon 1984; vgl. auch Englert 2014, 145 f. 118 Damon 1984, 106. 119 Vgl. ebd., 105–107. 120 Vgl. ebd., 109. 121 Vgl. Englert 2014, 146.

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Die Stufenmodelle haben mit ihrer Ausrichtung auf die kognitive Entwicklung ihre vorrangige Bedeutung beim Lernen im Klassenzimmer. Sie können die Voraussetzungen und Ziele von kognitiven Entwicklungen näher beschreiben, dazu gehört das Deuten von Texten, Verstehen von Zusammenhängen, Analysieren von Motiven, Beurteilen von Argumentationen. Beim Diakonischen Lernen sind hier Bereiche wie das Deuten der sozialen Not im gesellschaftlichen Kontext und das Verstehen wichtiger biblisch-christlicher Aussagen relevant.122 Mit Hilfe der Modelle kann die Lehrkraft auf der Ebene der Diagnostik arbeiten und feststellen, auf welchem Komplexitätsgrad die Inhalte für die Schüler in der konkreten Lerngruppe zugänglich sind. Für die jüngeren Schüler ergibt sich die Notwendigkeit, diakonische Inhalte in Form elementarer, also von ihrer Komplexität befreiter Lernanstöße einzusetzen. Die zweite Ebene betrifft die Interventionen: Hat die Lehrkraft festgestellt, auf welchem Niveau sich die Schüler befinden, kann sie daran arbeiten, dass die Schüler ihr jeweils aktuelles »Niveau« heben.123 Dies kann etwa durch das Arbeiten an Dilemmageschichten aus der Literatur (z. B. R. Selman) geschehen, die die entsprechenden Grundfragen enthalten, durch das Arbeiten an Dilemmasituationen, die zum Themenbereich der Diakonie gehören oder aus den Praktikumserfahrungen entstanden sind, und schließlich durch das Anbieten von Analysen und Argumentationen auf »höheren« Niveaustufen durch die Lehrkraft. In der genannten Literatur zum Diakonischen Lernen (etwa W. Boës) wird davon ausgegangen, dass diese Arbeit erfolgreich sein kann. Allerdings wurde in den bisherigen empirischen Untersuchungen zum Diakonischen Lernen dieser mögliche »Stufenzuwachs« nie untersucht oder festgestellt. Der Nutzen der kognitiven Stufenmodelle am Lernort ist weitaus geringer, weil dort, wie bereits erwähnt, andere Fähigkeiten im Vordergrund stehen: Verantwortungsübernahme, Einfühlungsvermögen, das Gefühl für sich selbst, praktische Fähigkeiten, Kommunikationsfähigkeit und Kooperationsfähigkeit. Der erfolgreiche Zugang zum Lernort ergibt sich nicht in erster Linie durch kognitive Fähigkeiten, sondern dadurch, Kontakt aufzubauen. Hier stehen Kinder den Jugendlichen und Erwachsenen nicht nach. W. Boës macht dagegen geltend, dass die Theorie zur sozialen Kognition auch am diakonischen Lernort wichtig sei, weil sie Aussagen zum angemessenen Wahrnehmen der Menschen dort machen kann.124 Er führt folgendes Beispiel an: In der 6. Klasse ist der Besuch eines Heims für behinderte Kinder geplant. Ein Schüler der Klasse denkt, 122 Vgl. Boës 2013, 177. 123 Vgl. ebd., 177 f. 124 Vgl. ebd., 177.

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dass die besuchte Person dankbar ist, und rechnet nicht damit, dass diese auch andere Gefühle, z. B. Verunsicherung, Scham oder Ärger, empfinden könnte. Er kann damit, so Boës,125 sein Gegenüber nicht angemessen wahrnehmen, weil er sich auf Selman-Niveau 1 befindet. Zwei kritische Rückfragen sind hier nötig: Ist denn sicher, dass der Schüler Dankbarkeit beim Besuchten erwartet und ist nicht die gegenteilige Annahme genauso plausibel, nämlich dass er keine Dankbarkeit erwartet, weil ihm selbst der Besuch auch unangenehm ist? Und: Ist denn sicher auszuschließen, dass das besuchte Kind nicht auch Dankbarkeit empfindet – vielleicht freut es sich ja auch? Das starre Hantieren mit Stufenschemata kann also in pädagogische Schieflagen führen. Kommen wir zur Intervention. Nehmen wir an, es verhielte sich so, wie Boës sagt. Welche Maßnahmen sollte die Lehrkraft nun treffen? Sie könnte den Schüler über den ›wirklichen‹ Sachverhalt aufklären und ihn davor ›warnen‹, nur Dankbarkeit seitens der besuchten Person zu erwarten. Dann könnte sie beschließen, dass alle Schüler der Selman-Stufe 1 nicht am Besuch im Behindertenheim teilnehmen oder, um den sozialen Frieden in der Klasse zu bewahren, die diakonische Aktion in eine höhere Klasse verlegen. An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Diagnostik mit Hilfe der Stufenmodelle eine zweischneidige Angelegenheit ist. Die genaue Stufenzuordnung (falls sie wirklich möglich ist) ruft nach pädagogischen Konsequenzen (die in der Praxis kaum gezogen werden). Zusammenfassung: Was die Einsatzformen am Praxisort und auch die Motivation von Schülern, sich zu beteiligen angeht, scheinen entwicklungspsychologische Stufenmodelle nicht mehr auszutragen als das, was bereits pädagogische Erfahrung lehrt.126 Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen Kommen wir zu den Bedürfnissen. Was brauchen Kinder und Jugendliche? Hier sind drei Dinge zu nennen: Vertrauen, Schutz und Regeln. 1.  Kinder sind für ihre Entwicklung darauf angewiesen, dass sie sich bewähren können. Schon Erikson stellte in seinem bereits erwähnten Modell der Identitätsentwicklung fest: Kinder im Schulalter werden »früher oder später unbefriedigt und mürrisch, wenn sie nicht das Gefühl haben, auch nützlich zu sein, etwas machen zu können und es sogar gut und vollkommen zu machen; dies nenne ich den Werksinn.«127 Dies gilt natürlich auch für die Altersgruppe 125 Beispiel ebd., 176 f. 126 Zur geringen Bedeutung der Stufenmodelle in diesem Kontext vgl. auch Noormann 2009, 56. 127 Erikson 2000, 102.

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der Jugendlichen, wie der Jugendforscher Klosinski notiert: »Jugendliche müssen das Gefühl entwickeln können, nützlich zu sein.«128 Ähnlich äußerte sich der Pädagoge H. von Hentig über »die nützliche Erfahrung«, nützlich zu sein und die notwendigen Chancen, sich zu bewähren.129 Letztlich sind Kinder und Jugendliche darauf angewiesen, dass Vertrauen in sie gesetzt wird und sie Anerkennung erfahren, indem sie Herausforderungen bestehen. Jugendliche unserer Zeit leiden L. Kuld zufolge nicht an »Defiziten sozialer Sensibilität, sie leiden an Ängsten, sozial nicht geachtet und gebraucht zu werden«.130 2. Gleichzeitig brauchen Kinder und Jugendliche Fürsorge und Schutz vor Überforderung, vor Vereinnahmung, vor Bloßstellungen und vor Grenzverletzungen. Dies wird zuerst geleistet durch eine entsprechende Orientierung der Schüler im Hinblick auf ihren praktischen Einsatz. Im Vorfeld, sei es im Klassenzimmer oder am Lernort, geben die Verantwortlichen wichtige Informationen und bereiten die jungen Menschen darauf vor, was auf sie zukommt, etwa Begegnung mit Alter, Krankheiten, Armut, Sucht, Ekel, unangenehmen Gerüchen und Anblicken usw. Sie weisen darauf hin, dass die Schüler keine Schuldgefühle haben müssen und auch nicht verantwortlich für das Wohlergehen der Menschen sind, die sie kennenlernen werden. Die Schüler erhalten Gelegenheit, Befürchtungen und Fragen aller Art zu äußern. So findet eine Form der Entlastung statt. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die Konfrontation mit der Wirklichkeit von Not, Krankheit und Armut nicht für alle Altersstufen in gleicher Weise erfolgen kann. Dasselbe gilt für die Aufgaben, die die jungen Menschen vor Ort übernehmen. Diese müssen altersund entwicklungsangemessen sein. Damit Fürsorge und Schutz greifen können, braucht es entsprechende Aufmerksamkeit seitens der Lehrkraft gegenüber den verbalen und nonverbalen Signalen der Kinder und Jugendlichen, eine tragfähige Kommunikation und verantwortungsvolle Entscheidungen. Nach Auffassung des Familientherapeuten Juul kann man davon ausgehen, dass Kinder hier bereits die notwendige Kompetenz besitzen: Sie können den Inhalt und die Grenzen ihrer Integrität kennzeichnen und geben den Erwachsenen entsprechende verbale und nonverbale Rückmeldungen.131 Integrität ist dabei der Sammelbegriff »für die physische und psychische Existenz des Kindes: für Selbständigkeit, Grenzen, Unverletzbarkeit, Eigenart, ›Ich‹, Identität.«132 Insgesamt gesehen benötigen Schüler jedoch beim Diakonischen Lernen nichts anderes 128 Klosinski 2004, 200. 129 Hentig 2007. 130 Kuld 1997, 49. 131 Vgl. Juul 2008, 63. 132 Ebd., 55.

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als das, was sie im Regelfall institutionalisierter Bildung und Erziehung seitens der Verantwortlichen bereits an Schutz und Fürsorge erfahren, nur dass dies nun auf die spezifischen Ausprägungen des Diakonischen Lernens bezogen ist. 3. Kinder und Jugendliche brauchen Regeln, und dies gilt besonders für das Verhalten am Lernort. Sie erhalten klare und konkrete Vorgaben, welche Aufgaben am Lernort zu übernehmen sind, und an wen sie sich wenden, wenn sie unsicher sind und Fragen haben. Sie wissen, dass sie keinerlei verletzende und diskriminierende Reaktionen gegenüber den Menschen an den Lernorten zeigen und niemanden schädigen dürfen. Sie wissen auch, dass sie sich kooperativ, ernsthaft und einfühlsam, freundlich und höflich zu verhalten haben, da sie nicht nur für sich selbst stehen, sondern auch für ihre Lerngruppe und ihre Schule.

4.3 »Soziales Lernen kann man nicht an die Tafel malen« – Potenziale Diakonischen Lernens aus Lehrersicht Was »bringt« Diakonisches Lernen aus Lehrersicht? Im Folgenden stellen wir Äußerungen von Lehrkräften vor, die sich auf konzeptioneller Ebene mit dem Diakonischen Lernen auseinandergesetzt oder auch bereits eigene praktische Erfahrungen mit dieser Unterrichtsform gemacht haben. Lehrkräfte äußerten sich im Rahmen einer Fortbildung zu der Frage, inwiefern sie sich vom Konzept des Diakonischen Lernens angesprochen fühlen bzw. welche Aspekte sie attraktiv finden. Als Begründungen gaben sie an:133 ȤȤ »Weil es den Schülern ›reelle‹ Erfahrungen ermöglicht und Einsichten erlaubt, die sie sonst nicht hätten.« ȤȤ »Weil Schüler nicht nur über etwas reden, sondern echte Begegnungen haben, erleben, handeln und ihre Empathiefähigkeit fördern.« ȤȤ »Weil es im Computerzeitalter umso wichtiger wird, ›Beziehungen‹ zu pflegen.« ȤȤ »Weil ich es wichtig finde, dass Schüler und Schülerinnen auch diese Lebenswirklichkeit kennenlernen.« ȤȤ »Weil ich der Meinung bin, dass jeder Mensch/Schüler auch mal soziale Arbeit selber tun sollte.« ȤȤ »Weil Handeln das beste Lernmittel ist und mir die ›Herzensbildung‹ meiner Schüler wichtig ist. Außerdem lernen sie, ihr Leben besser zu meistern.«

133 Schriftliche Äußerungen auf einer Lehrerfortbildung, geleitet von M. Dorner am 15.10.2014 im Raum Passau.

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ȤȤ »Weil es bei den Schülern und mir nachhaltige Erfahrungen hinterlässt. Das Lernen ist mit Gefühlen verbunden.« ȤȤ »Weil ich mir das als Schülerin gewünscht hätte.« ȤȤ »Weil es eine Methode ganzheitlichen Lernens darstellt, die Schüler und Schülerinnen informell, mit Freude und Herz weiterbildet und Vorurteile abbaut.« ȤȤ »Weil ich es wertvoll finde, dass Schüler ›sich einbringen‹ können! (Herz und Hand).« ȤȤ »Was nicht zur Tat wird, hat keinen Wert.« [Anm. M.F./M.D.: Lebensmotto Gustav Werners, Diakoniegründer in Baden-Württemberg] ȤȤ »Weil ich es nur als konsequent empfinde, christliche Inhalte zu kon­kre­ tisieren.« ȤȤ »Weil praktisches Handeln überzeugender wirkt als Theorie.« ȤȤ »Weil soziales Handeln reflektiert werden kann.« ȤȤ »Reflexion ethischer Ansätze inklusive Praxis.« ȤȤ »Weil Kirche (Religionsunterricht) ein Teil der Gesellschaft ist (sein soll und deshalb auch vor Ort/auch an Brennpunkten sein muss).« ȤȤ »Weil ich darin auch große Möglichkeiten gerade in Diasporagebieten sehe!« ȤȤ »Weil ich die Chance sehe, Religionsunterricht wieder weiter in den ›wichtigen Unterricht‹ zu bringen.« In einem Interview kommentiert die Religionspädagogin J. Graumann aus Nürnberg die Lernaktion, die sie mit Schülern der Mittelstufe in der Begegnung mit einem Seniorenheim durchführte (siehe ausführlich Kapitel 8.2): »Soziales Lernen kann man nicht an die Tafel malen. Soziales Lernen muss ich spüren und dazu muss ich einen Menschen treffen. Deshalb erzeuge ich als Lehrkraft Begegnungen zwischen Schülern und anderen Menschen. Es geht ums Ausprobieren und deshalb dürfen die Schüler auch Fehler machen!«134 Versuchen wir, diese sehr verschiedenen Aussagen zu größeren Motivgruppen zusammenzufassen. 1. Die Inhalte des Unterrichts werden leichter und sachgemäßer zugänglich. Christliche Inhalte erfordern Konkretionen und das Anliegen des Sozialen braucht eine Lernsituation im »wirklichen« Leben. Diese werden durch das Lernarrangement des Diakonischen Lernens geschaffen. Soziales Lernen auf alleiniger Basis von Kognition funktioniert nicht – man kann es »nicht an die Tafel malen«. Offenkundig ist das soziale Lernen, das in der Klassengemeinschaft stattfindet, diesen »reellen« Begegnungen in Bezug auf die 134 https://www.youtube.com/watch?v=ty0A8PBAS5Q, Zugriff vom 29.03.2015.

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Lerneffekte nicht vergleichbar. Darüber hinaus bietet Diakonisches Lernen in seinem komplexen Arrangement den Rahmen für die Reflexion sowohl ethischer Ansätze als auch ethischer Handlungen. 2. Die Schüler und Schülerinnen profitieren. Sie erfahren eine Persönlichkeitsförderung, wenn sie anderen Menschen im Rahmen Diakonischen Lernens begegnen, die ihnen auch helfen kann, das eigene Leben zu »meistern«. Das Lernen erzeugt bei ihnen nachhaltige Wirkung. 3. Der Unterricht wird attraktiver für die Schüler, weil sie sich aktiv einbringen können und sie »informell, mit Freude und Herz« einen Lernprozess durchlaufen. Schüler dürfen etwas ausprobieren und erhalten das Recht zugesprochen, hierbei Fehler zu machen. Auch die Lehrkräfte fühlen sich persönlich von dem Lernarrangement angesprochen, was das Unter­ richsklima begünstigt. 4. Das Fach Religion erfährt eine Aufwertung im Kanon der Schulfächer, weil in ihm lebensbedeutsame Erfahrungen gemacht und eine Alltags- und Bildungsrelevanz sichtbar werden. Die Gründe, Diakonisches Lernen durchzuführen, sind also aus Lehrersicht vielfältig und gewichtig. Es ist aber auch einzuräumen, dass manche Lehrkräfte trotz dieser erkannten Vorzüge und dem Interesse der Schüler zögern, Diakonisches Lernen in Angriff zu nehmen, weil sie fürchten, dass »der schulische Alltagsrahmen solche Bewegungs- und Begegnungsmodelle nicht zulässt«.135 Hier ist zu empfehlen, dass sich Lehrkräfte, die ein entsprechendes Interesse haben, aber den organisatorischen Aufwand für zu groß erachten, mit anderen Kollegen zusammenschließen und so Entlastung und Unterstützung erfahren. Lernprojekte, wie sie in diesem Band beschrieben sind, z. B. Kochaktionen (siehe Kapitel 8), lassen sich teilweise auch gemeinsam mit anderen Klassen durchführen.

4.4 Vorgeschichte des Diakonischen Lernens Bevor wir im nächsten Kapitel die aktuellen Konzepte Diakonischen Lernens betrachten, werfen wir hier einen Blick auf die historischen Vorläufer. So wird spürbar, dass wir Heutigen nicht alles neu erfinden. Auch wenn es in der Vergangenheit noch kein »Diakonisches Lernen« gab, verfolgte man früher in der 135 Schriftliche Äußerung auf einer Lehrerfortbildung, geleitet von M. Dorner am 15.10.2014 im Raum Passau.

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christlichen Erziehung und allgemeinen Pädagogik bereits zwei Prinzipien, die bleibende Bedeutung haben (wie auch die Lehreräußerungen im Kapitel zuvor zeigen). Zum einen ist die pädagogische Diakonie136 zu nennen, die einen Teil der sozial-diakonischen Arbeit an bedürftigen Kindern und Jugendlichen (siehe oben 3.2) darstellte. Hier wirkten sozialpädagogische Ziele, Ausbildung in praktischen Berufen und Moralunterricht zusammen, deshalb kann man auch von einer diakonischen Pädagogik sprechen.137 Inhaltlich waren zwei Haltungen prägend. Das Helfen wurde als ein »Samariterdienst« verstanden, als ein sich Herablassen zum Bedürftigen; die Objekte der Hilfe waren Menschen, die der »Rettung« aus ihrer »sündhaften« Natur bedurften.138 Die Erziehung der Verwaisten oder Vernachlässigten fand statt in einem »patriarchalisch geordneten Familienleben« und unter »Anleitung zur fleißigen Arbeit«.139 Einige Beispiele: Im Pietismus des 17. Jahrhunderts versuchte A. H. Francke, in den von ihm gegründeten kirchlichen Anstalten einen christlichen Erziehungsgedanken zu verwirklichen, der Glauben und sozialen Dienst verband.140 J. F. Oberlin, Pfarrer aus dem Elsass, bot in seinen 1770 gegründeten »christlichen Kleinkinderschulen«, auch »Strickschulen« genannt, eine kompensatorische Erziehung für Kinder an, deren Eltern keine Zeit für diese Aufgaben hatten.141 Handwerkliche Ausbildung wurde mit religiösem und naturkundlichem Unterricht verknüpft. Diese Schulen waren Vorläufer der Kindergärten, die 50 Jahre später aufkamen und ebenfalls religiöse mit sozialer Bildung verbanden. In dieser Linie sind auch die Einrichtungen der aufkommenden Diakonie des 19. Jahrhunderts zu nennen, die nicht nur konkrete soziale Arbeit am Menschen leisteten, sondern berufliche Ausbildungsgänge ins Leben riefen, in denen das Helfen als Ausdruck des christlichen Glaubens zum Lerngegenstand wurde.142 Im Bereich der allgemeinen Pädagogik setzte J. A. Comenius in der gleichen Epoche wie Francke einen wichtigen Markstein auf dem Weg zu einem handlungsorientierten Unterricht. Er forderte: »Tätigkeit soll durch Tätigkeit erlernt werden. Die Handwerker halten ihre Lehrlinge nicht mit Betrachtungen hin, sondern führen sie sogleich zur Arbeit, daß sie schmieden durchs Schmieden, bildhauen durch bildhauen, malen durch malen, tanzen durch tanzen lernen. 136 Begriff wird verwendet von Heimbrock 1987, 428–438. 137 Schmidt 2005, 423. 138 Heimbrock 1987, 431. 139 Ebd., 431. 140 Vgl. Schmidt 2005, 424. 141 Heimbrock 1987, 429. 142 Vgl. Schmidt 2005, 425.

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Deshalb soll auch in den Schulen schreiben durch schreiben, sprechen durch sprechen, singen durch singen, rechnen durch rechnen gelernt werden.«143 Dieser Grundsatz wurde u. a. durch J. Dewey’s Motto learning by doing anfangs des 20. Jahrhunderts popularisiert.144 Im Kern meint das Prinzip, dass Unterrichtsinhalte nicht erschlossen werden, wenn Schüler und Schülerinnen lediglich über sie informiert werden. Ein Erschließen findet erst dann statt, wenn es zu einem – zumindest partiellen – Ein- oder Ausüben der Inhalte kommt. Für das heutige Diakonische Lernen sind die zwei genannten historischen Prinzipien bedeutsam: 1. Pädagogische Diakonie bzw. diakonische Pädagogik zeigt, dass christlicher Glaube und soziales Handeln sachlich untrennbar miteinander verbunden sind und diese Verbindung auch Gegenstand religiöser Erziehung und Bildung sein muss. Allerdings sind die Voraussetzungen heute vollkommen anders. Es geht nicht darum, Schüler und Schülerinnen religiös-ideologisch zu vereinnahmen und gleichsam ungefragt in Dienst zu nehmen, sondern ihnen eine Möglichkeit zu eröffnen, die Verbindung von Glaubensinhalten und sozialer Praxis zu entdecken. 2. Die pädagogische Handlungsorientierung macht deutlich, dass Themen wie »prosoziales Denken und Verhalten« von Schülern erst dann im Vollsinn erschlossen werden können, wenn sie in reale Lebenssituationen eingepflanzt werden.

4.5 Begriff und Konzepte Diakonischen Lernens Diakonisches Lernen – der Begriff Der Begriff Diakonisches Lernen wurde Ende des 20. Jahrhunderts geprägt. Diakonisches Lernen meint in dieser ersten Phase das aus einem Praktikum und der anschließenden Reflexion bestehende soziale Praxislernen im christlichen Kontext. Diakonisches Lernen hat nicht nur den Anspruch, die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler und Schülerinnen im Hinblick auf Empathie, Prosozialität und Engagement zu fördern, sondern auch die Schulkultur zu verändern.145 Für das Aufkommen des Diakonischen Lernens waren zwei Entwicklungen bedeutsam, die fruchtbar zusammenwirkten. 143 Comenius 1982, 142. 144 Vgl. Knoll 2011, 287–298. 145 Vgl. auch die Darstellung bei Witten 2014, 13 f., Hanisch 2000, 11–18, sowie Diakonisches Werk der EKD 1998, 61 f.

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1. Im Schul- und Bildungswesen gab es die Wahrnehmung, dass in der Gesellschaft gravierende Veränderungen wie Individualisierung, Entsolidarisierung und Ökonomisierung am Wirken sind.146 Daraus folgte die entsprechende Entscheidung, soziales Lernen an der Schule aufzuwerten. So fanden Sozialpraktika einen festen Platz. 2. Auf kirchlicher Seite wurde die bildungstheoretische Relevanz von »Diakonie« für die Gesellschaft verstärkt betont.147 Kirche und Diakonie setzen sich in der Diakoniedenkschrift von 1998 zum Ziel, »Diakonisches Lernen« in der Gesellschaft »anzustoßen« und die damit verbundenen »Bildungsaufgaben wahrzunehmen«.148 »Da soziale Erfahrungen heute für immer mehr Menschen nicht mehr von allein zustande kommen, benötigen wir neue gesellschaftliche Orte, neue ›soziale Lernarrangements‹, in denen Formen der Solidarität gelernt und erfahren werden. […] Die Diakonie leistet ihren Beitrag zum Diakonischen Lernen. Die Entwicklung des ›diakonischen Jahres‹ (das zum sog. ›freiwilligen sozialen Jahr‹ wurde), das ›freiwillige soziale Jahr im Ausland‹, begleitete Sozialpraktika in Schulen, integrative Kindertagesstätten und integrative Schulen sind anerkannte Beispiele und können zu Elementen eines Gesamtkonzepts Diakonischen Lernens werden.«149 Auch wenn der Inhalt des Diakonischen Lernens hier noch recht allgemein gehalten ist, fanden Begriff und Anliegen durch die Denkschrift weite Verbreitung.150 Die Sache des Diakonischen Lernens ist nicht auf die evangelische Konfession beschränkt. Im Bereich der katholischen Kirche finden sich identische Ansätze unter anderem Namen. Compassion ist eine Initiative der Zentralstelle Bildung der Deutschen Bischofskonferenz und wurde 1994 erstmals konzeptionell vorgestellt. Ausgangspunkt ist die Wahrnehmung eines »sozial-moralischen Defizits« in der Gesellschaft.151 Ziel des Ansatzes ist »die Entwicklung und Stärkung sozialverpflichteter Handlungen unter Schülerinnen und Schülern«.152 Die Schule könne gesellschaftspolitisch bedeutsam zu einer Entwicklung sozialer 146 Vgl. Schmidt 2005, 423, Kuld/Gönnheimer 2000, 7. 147 Vgl. Toaspern 2007, 17. 148 Kirchenamt der EKD 1998, 61 f., abrufbar unter http://www.ekd.de/EKD-Texte/herz_mund_ tat_leben_1998_diakonie3.html, Zugriff vom 20.03.2015. 149 Ebd. 150 Vgl. Witten 2014, 13. 151 Kuld/Gönnheimer 2000, 7. 152 Ebd.

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Sensibilität und eines entsprechenden Engagements beitragen. Dies wird mit dem englischen Begriff compassion ausgedrückt. In moralpädagogischer Sicht versucht das Projekt, die Disposition zur sozialmoralischen Selbstverpflichtung zu fördern, erlebnispädagogisch wirkt es durch die Begegnung mit Menschen in (leidvollen) Realsituationen und auf Schulebene bietet es die Möglichkeit der Öffnung auf bisher wenig beachtete Lebenswelten und damit einer Veränderung des Unterrichts selbst.153 In der Regel absolvieren die beteiligten Schüler ein zweiwöchiges Praktikum in einer sozialen Einrichtung. Der Unterricht der verschiedenen Fachgruppen begleitet dies, insofern er soziale, historische, biologische und ethische Fragen bearbeitet, die im Zusammenhang mit dem Praktikum aufkommen. Dies soll den Schülern helfen, ihre Erfahrungen auszudrücken, zu reflektieren und einzuordnen.154 Die konkrete Umsetzung Diakonischen Lernens erfolgte in dieser ersten Phase überwiegend in kirchlichen Schulen. Diakonisches Lernen ist dort eingebettet in ein Gesamtkonzept christlicher Bildung. An einigen evangelischen Schulen gibt es neben dem Religions­unterricht sogar ein Fach Diakonie, in dessen Rahmen die Schüler in mehreren Jahrgangsstufen immer wieder Sozialpraktika an diakonischen Einrichtungen erleben. Für den Bereich der kirchlichen Schulen kann man konstatieren, dass Diakonisches Lernen im Hinblick auf Konzeptualisierung und Implementierung etabliert ist.155 Diakonisches Lernen an der öffentlichen156 Schule im Kontext des Religionsunterrichts ist jedoch in den Anfangsjahren noch wenig im Blick gewesen (siehe unten: Diakonisches Lernen – ein integraler Ansatz, S. 78 ff.).157 Mittlerweile haben sich an öffentlichen Schulen Ansätze aus dem säkularen Bereich, wie z. B. das »Service-Learning« Aufmerksamkeit verschaffen können.158 Schließlich ist zu erwähnen, dass es in den 1980er-Jahren einen Ansatz aus der katholischen Religionspädagogik gab, der den Namen »diakonischer Religionsunterricht« trug. Er wollte den Schülern und Schülerinnen »dienen«, indem er sie in »samaritanischer Aufmerksamkeit« wahrnahm; Ziel war »helfender Beistand bei der Sinnorientierung und Lebensgestaltung«.159 Damit ist der Schüler

153 Vgl. ebd., 11. 154 Vgl. ebd., 150. 155 Vgl. Adam 2008, 364. 156 Kirchliche Schulen sehen sich zwar unter einem »öffentlichen« Bildungsauftrag, vollziehen diesen aber aus einer positionellen Programmatik und homogenen Schulkultur heraus. 157 Vgl. Boës 2013, 12 und 266. 158 Vgl. Seifert 2012. 159 Bitter 2001, 327 f.

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jedoch Objekt des Dienens bzw. Helfens. Diakonisches Lernen dagegen meint etwas anderes: Schüler werden zu Subjekten des Dienens bzw. Handelns. Differenzierungen Nach der Gründungsphase (bis 2006)160 setzte eine Differenzierung ein. Für das Diakonische Lernen gibt es mittlerweile eine breite Palette an Konzepten sowie Lern- und Organisationsformen.161 Aus dem Pool der Lernformen sind etwa fachbezogene oder -übergreifende diakonische Projekte, einmalige oder sich wiederholende Aktionen, Praktika und eigene Lernbereiche über mehrere Klassenstufen zu nennen. Die Konzeptionen Diakonischen Lernens zeigen bei aller Verwandtschaft in der Grundthematik auch eine große Bandbreite von Akzentsetzungen. Hier seien wichtige Ansätze und ihre Vertreter genannt. H. Noormann, der einer der ersten war, die den Begriff verwendeten, betont, dass »Diakonisches Lernen« etwas anderes sei als Lernen »über Diakonie«.162 Diakonisches Lernen bedeute, dass Schülerinnen und Schüler über einen längeren bzw. wiederholten Zeitraum praktische Arbeit in einer diakonischen Einrichtung leisten, diese Tätigkeit in Lerntagebüchern und Berichten dokumentieren und ihre Erlebnisse gemeinsam mit anderen im Unterricht reflektieren.163 »Diakonie lernen« dagegen sei das im klassischen Unterricht angesiedelte, optional mit einem kurzen Besuch einer diakonischen Einrichtung erweiterte Lernen von Inhalten. Ziele seien dabei: Kenntnisse über Angebote der Diakonie vor Ort und allgemein erwerben, Diakonie als ein unverwechselbares Kennzeichen des christlichen Glaubens kennenlernen, verstehen, was Kirche gemäß ihrer Grundfunktionen (koinonia, leiturgia, martyria und diakonia) ausmacht, und die Übereinstimmung von Idealen der Kirche und ihren Handlungen im Sinne einer Glaubwürdigkeitserfahrung wahrnehmen.164 Der tiefere Sinn des Diakonischen Lernens liege nicht in der »Werteerziehung« zum Ausgleich gesellschaftlicher Fehlentwicklungen, sondern darin, diakonische Erlebnisse »religionspädagogisch zu durchdringen in ihrem Verweischarakter […] für die Grundhaltung gegenüber

160 Nach Adam 2008, 364. 161 Vgl. Adam 2006, Horstmann 2011. 162 Noormann 1998, 8. 163 Vgl. Noormann 2009, 54. 164 Vgl. ebd.

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dem Menschsein und seinen Beschädigungen im Licht der guten Nachricht von der Menschenfreundlichkeit Gottes.«165 Diakonisches Lernen hat damit zu tun, sich auf fremde Lebenswirklichkeiten einzulassen und Anfragen an den eigenen Lebensstil zu riskieren. In Anlehnung an das Diktum Bonhoeffers »Jesus ruft nicht zu einer neuen Religion auf, sondern zum Leben«166 kann er zugespitzt formulieren: »Diakonisches Lernen (nicht [über] ›Diakonie lernen‹) dagegen postuliert einen voraussetzungslosen Lernweg religiöser Bildung für Kinder und Jugendliche, seien sie nun (nominell) Christen, Konfessionslose oder Angehörige anderer Religionen.«167 Charakteristisch ist bei Noormann das Entgegensetzen von »Handeln« und »Wissen«, die Weigerung, Diakonisches Lernen gesellschaftlich zu funktionalisieren und das Ziel, christliche Erfahrungen unter jungen Menschen zu verlebendigen. H. Hanisch, ebenfalls ein früher Protagonist Diakonischen Lernens, teilt Noormanns Position, indem er Diakonisches Lernen in erster Linie als »Persönlichkeitslernen« versteht und daraus folgert, dass das Ziel nicht darin besteht, Schüler »zum Nachdenken über Diakonie und diakonisches Handeln […] oder zu akademischen Erörterungen über Sinn und Zweck sozialer oder diakonischer Einrichtungen« zu befähigen.168 F. Bargheer weitet Diakonisches Lernen zu einem Synonym positiver gesellschaftlicher Veränderungen aus. Diakonisches Lernen ist demnach »zu verstehen als Änderung von Denkgewohnheiten und als Entwicklung der Fähigkeit, psycho-soziale Umwelten lebensdienlich und menschengerecht zu gestalten. Subjekte Diakonischen Lernens können Individuen und soziale Systeme bzw. gesellschaftliche Gruppen sein.«169 Dieses unspezifische Verständnis von Diakonischem Lernen hat sich in der weiteren Entwicklung nicht durchsetzen können. Viel beachtet ist der von H. Hanisch, H. Toaspern und C. Gramzow vertretene Ansatz, Diakonisches Lernen als situiertes Lernen innerhalb einer PraxisGemeinschaft zu verstehen.170 Das aus dem Amerikanischen stammende situated learning bezieht sich auf die beruflich-betriebliche Ausbildung, beispielsweise von Schneidern oder Hebammen. Der Lehrling beobachtet, fragt und arbeitet in aus165 Ebd., 55. 166 Bonhoeffer (Brief vom 18.7.1944) 1952, 246. 167 Noormann 1998, 8. 168 Hanisch 2006, 43 f. 169 Bargheer 2001, 330. 170 Vgl. Hanisch 2006, 48–53, Toaspern 2007, 69–72, Gramzow 2010, 61–66.

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gewählten Bereichen mit. Er erlangt eine bedingte Teilhabe (legitimate peripheral participation) in der Dienstgemeinschaft (community of practice), um sich auf eine spätere Vollmitgliedschaft darin vorzubereiten.171 Das Modell ist nicht vollständig auf unsere deutschen Verhältnisse in der Schule übertragbar, denn Schüler kommen als Gäste bzw. Praktikanten an die Lernorte und nicht als Mitarbeiter in einem für mehrere Jahre rechtlich bindenden Arbeits- und Ausbildungsverhältnis oder sogar als künftiger fester Mitarbeiter. Dennoch lassen sich aus ihm wichtige Erkenntnisse gewinnen. Zum einen bedeutet situiertes Lernen, dass »das Lernen stets in einer bestimmten Kultur erfolgt, in die der Lernende hineinwächst«.172 Die Lernenden erschließen sich schrittweise die Kultur des Helfens in einer konkreten Initiative oder Einrichtung und nicht durch »reines Denken«. Sie können durch Teilhabe und Mitarbeit wichtige Lernprozesse durchlaufen und erfahren, dass sie im ›wirklichen Leben‹ etwas gestalten können und gebraucht werden.173 H. Toaspern begreift Diakonisches Lernen vor allem vom Ausüben der Nächstenliebe her. Diakonisches Lernen ist der »Anteil von diakonischer Bildung, der sich auf das Kennenlernen und Einüben von Nächstenliebe als sozial verantwortliches Handeln bezieht«.174 Die besonderen Lernbedingungen sind es, die den Anstoß zur Persönlichkeitsentwicklung geben. »Diakonisches Lernen stellt für die Förderung der Identitätsentwicklung, den Erwerb sozialer Fähigkeiten und die Übernahme sozialer Verantwortung geeignete Strukturen in Diakonie und Schule bereit, die den Lernenden Hilfe zur individuellen Ausbildung sozialer Kompetenz auf dem Hintergrund des christlichen Wertesystems bieten.«175 In seiner »Didaktik diakonischen Lernens« unterscheidet Toaspern das fachliche d. h. praktische, das soziale und das theologische Lernen. Toasperns Verdienst ist es, die didaktischen Chancen der angeleiteten Reflexion aufzuzeigen, in der nicht nur die Aufarbeitung der Erfahrungen, sondern auch eine theologische Orientierung stattfindet: »Die schulische Aufarbeitung diakonischer Praktika überführt Erlebtes in Erfahrung. Durch die Reflexion werden Gedanken und Gefühle bewusst gemacht und wird einem schnellen Verblassen der Eindrücke entgegengesteuert. Verbindungen zu anderen Denk- und Erfahrungsbereichen werden hergestellt. Ausdrückliche Bedeutung kommt der biblisch-theo171 Vgl. Lave/Wenger 1991. 172 Witten 2014, 25. 173 Vgl. Hentig 2007, 21. 174 Toaspern 2007, 22. 175 Ebd., 215.

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logischen und theologisch-ethischen Arbeit in der Reflexion zu. In ihr wird nach Beurteilungs- und Handlungskriterien für das diakonische Wirken gefragt und die Herausbildung individueller Haltungen befördert.«176 W. Boës sieht es im Anschluss an H. Schmidt als notwendig an, begriffsmäßig den Überschritt vom »diakonischen Lernen« zur »diakonischen Bildung« zu vollziehen, um deutlich zu machen, dass Bildung über funktionales Lernen hinausgeht.177 Bildung im christlichen Sinn soll abzielen auf eine »Kultur des Mitgefühls, der Barmherzigkeit und der Hilfsbereitschaft«.178 Als Strukturelemente diakonisch-sozialer Bildungsprozesse ergeben sich nach H. Schmidt/R. Zitt: »1. Analyse der Kontexte, Räume und Rahmenbedingungen, 2. Verar­bei­ tung der Erfahrungen in subjektiver Perspektive, 3.  Konfrontation mit Erfahrungen und Bewertungen anderer, 4. Information über Strukturen und Systeme, 5. Reflexion unter normativen Gesichtspunkten (z. B. Menschenwürde, Gerechtigkeit, Nächstenliebe), 6. Auseinandersetzung mit Traditionen humaner Sinn- und Wertorientierung, 7.  Erarbeitung von Handlungsperspektiven für Lernende und Betroffene in unterschiedlichen Kontexten und 8. Präsentation und Kommunikation«.179 Diakonisches Lernen lässt sich also in einen Bildungsbegriff einbetten, der nicht nur die Selbstbildung als Eigenaufgabe und -leistung, sondern das Momentum des »Widerfahrnisses« (K. E. Nipkow) stark macht.180 Man kann im Sinne H. Roths betonen, dass Diakonisches Lernen auf Basis »originaler Begegnungen«181 am Lernort funktioniert, allerdings ist im Hinblick auf die Wirksamkeit die Vermutung nahezulegen, dass der Lernort allein es nicht ist, der »wirkt«, sondern dass das selbsttätige Lernen noch hinzutreten muss, damit sich eine Wirkung entfaltet.182 Schließlich kann Diakonisches Lernen nicht nur zur Veränderung des Religionsunterrichts beitragen, sondern zur Entwicklung der Schule im Sinne einer Umgestaltung zum »Erfahrungs- und Handlungsraum«.183 Zunehmend wird eine Beschränkung des Diakonischen Lernens auf das »Praktische« als konzeptionell unbefriedigend angesehen. R. Merkel begrüßt 176 Ebd., 276. 177 Vgl. Boës 2013, 32. 178 Vgl. Kirchenamt der EKD 2003, 63. 179 Schmidt/Zitt 2004, 71–74; vgl. Boës 2013, 38. 180 Nipkow 2007, 78–89, ferner Toaspern 2007, 20; Boës 2013, 34. 181 Vgl. Roth 1969, 109–117. 182 Vgl. Schulte 2013, 14. 183 Vgl. Schmidt 2004, 27.

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den Erfolg Diakonischen Lernens, sieht aber drei Schwierigkeiten: Erstens fehlten entsprechende Handlungsroutinen, zweitens sei der Lernerfolg im Sinne religiöser Kompetenzförderung schwer bestimmbar und drittens herrsche Unklarheit darüber, wie die Praxiserfahrungen didaktisch fruchtbar gemacht werden sollen.184 Diakonisches Lernen sei dem Kern nach zwar ein »Handeln in Begegnung«, zugleich müsse man im schulischen Kontext nach theoretischen Verknüpfungen fragen.185 Er fordert deshalb: »Persönlichkeitsbildendes Praxislernen und schulischer Religionsunterricht, die zwei Beine des Diakonischen Lernens, können allein nicht stehen.« Für Merkel ergeben sich notwendig drei Phasen, die zu durchlaufen sind: Anbahnung, Praktikum und Reflexion. In der Anbahnungsphase sollen die Schüler die »(religiös-)ethische Herausforderung« und »die eigenen Fremdheitsempfindungen in Bezug auf Menschen in besonderen Lebenslagen« erspüren sowie die »diakonischen Handlungsfelder (gegebenenfalls exemplarisch) ins Blickfeld« bekommen.186 Die Reflexion verarbeitet die Erfahrungen aus der Praxis zu Lernerfahrungen. Die Praxiserfahrungen sollen ruhig und detailliert in einer wertschätzenden Atmosphäre kommuniziert werden. Zudem soll die Sequenz im Religionsunterricht eine »fachspezifische Kontur erhalten, also religiöse Kompetenzen fördern«.187 Auch U. Witten unterstreicht mit ihrem Ansatz Diakonisches Lernen an Biographien die Bedeutung des Klassenzimmerunterrichts vor und nach der Praxisphase des Diakonischen Lernens auf andere Weise.188 Der intensive und kritische Umgang mit bedeutenden diakonischen Persönlichkeiten, hier den weiblichen Protagonisten Elisabeth von Thüringen, Florence Nightingale und Mutter Teresa, unterstützt die Schüler beim Erwerb eines umfassenden Diakoniebegriffs, dem Kennenlernen diakonischer Handlungsfelder, dem Zugang zur diakonisch tätigen Gemeinschaft, dem Ausbilden von sozialer Sensibilität und der Bereitschaft soziale Verantwortung zu übernehmen, der Entwicklung des Selbstkonzepts und der Identität und schließlich beim Entdecken der religiösen Dimension diakonischen Handelns.189 Ähnlich betont J. Kramer in seinem Ansatz Diakonie inszenieren, dass Diakonisches Lernen nicht auf Praxislernen verengt werden dürfe. Im Gespräch mit den Einsichten der performativen Religionspädagogik entwickelt er Lernarrangements für den Unterricht im Klassenzimmer. Eine besondere Rolle 184 Vgl. Merkel 2009, 85. 185 Ebd., 85. 186 Ebd., 86. 187 Ebd. 188 Vgl. Witten 2014, 19. 189 Vgl. ebd., 348 und 357.

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spielen dabei einerseits die Didaktik des Narrativen und andererseits die des Inszenierens, die versucht, Diakonie über die Gesten der Zuwendung und des Trostes erlebbar zu machen.190 Schließlich ist darauf zu verweisen, dass das in kirchlichen Schulen etablierte Diakonische Lernen intensiv empirisch erforscht wurde. Auf katholischer Seite untersuchten Kuld/Gönnheimer die Effekte von Compassion an über 600 Schülerinnen und Schülern. Wichtige Ergebnisse waren zum einen, dass die untersuchten Teilnehmer keine Schwierigkeiten haben, individualistische und altruistische Wertorientierungen miteinander zu verbinden.191 Zum anderen ergab sich, dass sozialverpflichtetes Handeln mit dem eigenen Selbstbild, dem Grad der sozialen Integration, der Elternbeziehung, den geschlechtsspezifischen Sozialisationserfahrungen und den beteiligten Lehrkräften zusammenhängt.192 Auf evangelischer Seite legte – neben anderen Autoren –193 C. Gramzow eine beachtenswerte mehrperspektivische Studie zum Diakonischen Lernen am Evangelischen Schulzentrum Michelbach vor. Er führte nicht nur eine Fragebogenerhebung an Schülern (davon 160 als Querschnitt- und 94 als Längsschnittuntersuchung) durch, sondern auch 40 qualitative Einzelinterviews und Dokumentenanalysen (Berichte, Jahresarbeiten).194 Dadurch konnte er wichtige Einsichten über Persönlichkeit und Sozialverhalten der Lernenden, ihr Verständnis von Diakonie und Diakonischem Lernen und ihre Einschätzungen zum absolvierten Praktikum gewinnen.195 Diakonisches Lernen – ein integraler Ansatz Wie der vorangehende Abschnitt gezeigt hat, erlebte der Diskurs des Diakonischen Lernens eine Weiterentwicklung. Man verstand, dass Diakonisches Lernen nicht nur ein christliches Sozialpraktikum mit anschließender Reflexion ist, das das Ziel verfolgt, Prosozialität zu fördern. Diakonisches Lernen ist demnach das pädagogische Konzept, sich erlebnis- und wissensorientiert mit der Welt der Diakonie zu befassen. So lebt unser Werkbuch von der Auffassung, dass Diakonisches Lernen »integral« zu verstehen ist, und zwar auf dreifache Weise:

190 Vgl. Kramer 2015, 105–122; 196–206. 191 Vgl. Kuld/Gönnheimer 2000, 151. 192 Vgl. ebd. 193 Vgl. Hanisch/Gramzow/Hoppe-Graff 2004, 76–170. 194 Vgl. Gramzow 2010, 163–203. 195 Vgl. ebd., 163–203; 205–499.

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1. Diakonisches Lernen beruht gleichermaßen auf Wissen und Handeln. Der Wissenserwerb über Diakonie erweitert die Wahrnehmung und vertieft das Verstehen. Das Praktikum, das im Nachgang reflektiert und dokumentiert wird, ist essentiell, aber dem Klassenunterricht, der vorausgeht und dem, der danach folgt, nicht übergeordnet. Der Lernprozess ist erst vollständig, wenn die drei Phasen durchlaufen sind. Von daher sind rein praktisch und persönlichkeitsbezogen ausgerichtete Ansätze theologisch und pädagogisch unbefriedigend. 2. Das Verständnis von Diakonie beschränkt sich dabei nicht auf die Institution. »Diakonie« steht für eine große und vielfältige Welt, die mit den elementaren Aspekten des Menschseins zu tun hat, mit seinen Befindlichkeiten, Bedürfnissen und Beziehungen. Zu dieser Welt hat jeder Mensch durch seine eigenen Existenzfragen und -erfahrungen Zugang. Im Unterricht wird dieser Welt ganzheitlich nachgespürt. 3. Diakonisches Lernen ist von seinem Selbstverständnis her nicht auf kirchliche Schulen beschränkt, sondern es ist so anschlussfähig, dass es an allen allgemeinbildenden Schulen praktiziert werden kann. Auch Schüler und Schülerinnen anderer Religionen sowie Konfessionslose können in sinnvoller Weise teilnehmen.196 Die Struktur des Lernens ist eine dreiphasige Bewegung. Im Klassenunterricht findet eine Phase der kognitiven und affektiven Annäherung und Wahrnehmung statt. Das Handeln bildet in der Praxisphase den Schwerpunkt, allerdings begleitet vom Wahrnehmen vor Ort. Die dritte Phase führt zurück zu einer neuen Wahrnehmung und zu einem veränderten Urteilsvermögen. Die Begriffe Wahrnehmen (Sehen), Urteilen und Handeln wurden in der lateinamerikanischen Befreiungstheologie verbreitet. »Sehen« bedeutet demnach das Wahrnehmen der Wirklichkeit in ihren verschiedenen Aspekten, »Urteilen« die Frage nach der theologischen Sicht auf diese Wirklichkeit und »Handeln« das Ergebnis des Urteilens und Wahrnehmens.197 Dieses Raster hilft, die Strukturen von Diakonischem Lernen in einem weiteren theologischen Kontext einzuordnen. Die bayerische Initiative Diakonisches Lernen, konzipiert vom Diakonischen Werk Bayern und dem Institut für Evangelische Theologie der Universität 196 Vgl. oben S. 42 ff.: »Kooperation angesichts von Grenzen«. 197 Vgl. Mette 1989, 23–29. Das Konzept stammt ursprünglich von Joseph Kardinal Cardijn, dem Begründer der Christlichen Arbeiterjugend, und ist mittlerweile in die Katholische Soziallehre (Enzyklika Mater et Magistra 1961, 236) eingegangen. Vertiefend zur Thematik vgl. Boff/ Pixley 1987.

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Regensburg gemeinsam mit den Kooperationspartnern Religionspädagogisches Zentrum Heilsbronn, Gymnasialpädagogische Materialstelle Erlangen und Evangelische Schulstiftung in Bayern, versucht, diese Form des Lernens an der öffentlichen Schule zu fördern und gleichzeitig sozial-diakonisch aktive Gemeinden, Projekte und Einrichtungen zu gewinnen, die bereit sind, Schüler aufzunehmen, und zwar nicht nur als ›Besucher‹, sondern als ›temporäre Mitarbeiter‹. 150 diakonische Lernorte in Bayern stehen interessierten Lehrern und Schulklassen über die vermittelnde Plattform www.diakonisches-lernen.de zur Verfügung. Lernorte finden sich z. B. in Bereichen wie Pflege, Begegnung von behinderten und nicht behinderten Menschen, Freizeitangebote für Kinder, Mittagstische, Kleiderläden oder Bahnhofsmission. Vier Grundformen Dia­ko­ nischen Lernens bieten sich an: 1. Die wiederkehrende, regelmäßige Begegnung von Schülern mit Mitarbeitern und Menschen, die diakonisches Handeln in Anspruch nehmen; 2. Aktionstage, an denen Schüler und Diakonieangehörige gemeinsam arbeiten; 3. das Praktikum über einen Zeitraum von mehreren Wochen oder Monaten; 4. das Projektseminar zur Studien- und Berufsorientierung (P-Seminar) der gymnasialen Oberstufe. Die Qualität der Lernorte ergibt sich aus der Bereitschaft der Einrichtung, sich grundsätzlich für Kinder und Jugendliche zu öffnen, sie in ihre Aufgaben einzuweisen und bei der Arbeit und der Auswertung zu begleiten sowie sich auf Leitungsebene mit Zielen Diakonischen Lernens auseinanderzusetzen. In anderen Bundesländern bzw. Landeskirchen gibt es ähnliche Angebote.198

4.6 Dimensionen des Diakonischen Lernens bei Schülern Was können Schüler und Schülerinnen aus den praktischen Projekten des Diakonischen Lernens mitnehmen? Welche Dimensionen spielen beim Lernen eine Rolle?199 Das Schaubild soll helfen zu zeigen, welche Ebenen Diakonischen Lernens theoretisch denkbar sind und in welcher Ordnung sie zueinander stehen. Im Hintergrund stehen die klassische Lernzieltaxonomie und die Auffassung, dass zwischen dem Erleben am Einsatzort und dem Weiterdenken sowie dem Ausbildungen von Haltungen, insbesondere von Spiritualität, differenziert 198 Vgl. das Angebot der Evangelischen Kirche Berlin – Brandenburg – schlesische Oberlausitz unter http://www.diakonieatlas.de/, Zugriff vom 23.04.2015. 199 Vgl. hierzu auch die Übersicht der Lernebenen bei Noormann 2009, 56.

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Dimensionen des Diakonischen Lernens bei Schülern

werden muss.200 Ergänzt wird die Darstellung durch das Verarbeiten von exemplarischen Äußerungen, die von Schülern stammen, die an Projekten Diakonischen Lernens an bayerischen Schulen teilnahmen und von Martin Dorner in Gruppeninterviews befragt wurden.201 Taxonomie Diakonischen Lernens

Reflexion

Haltungen/Identität

Spiritualität

Bildung

Weiterdenken Praxis

Wahrnehmen/Erleben

Handeln

Lernen

Wissen Abb. 6: Dimensionen Diakonischen Lernens

1. Wissen: Darunter sind deklarative Inhalte zu fassen, erstens die biblischtheologischen, sozialethischen und ekklesiologischen Aspekte der christlichen Tradition, die Diakonie begründen, zweitens die anthropologischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge, die diakonisches Handeln erfordern, und drittens die konkreten Organisationsformen und Abläufe in diakonischen Einrichtungen. Dabei muss der Wissenserwerb nicht am Anfang stehen. Vielmehr kann es für Schüler besonders ergiebig sein, erst im Zuge der Begegnung mit einem Lernort die diakonischen Traditionen und Motivationen kennenzulernen und zu reflektieren. Hierfür bieten Timos Aussagen (10. Klasse) Anhalt. Er hat im »Leb-mitLaden« mitgearbeitet, einem Ort, an dem Menschen mit wenig Geld einkaufen können, und berichtet: Timo: »Im ›Leb-mit-Laden‹, also davor wusste ich nicht genau, was da so vor sich geht. Es sind einfach viele Leute, denen man ansieht, dass sie hilfsbedürftig 200 Bei der Bestimmung der Lernebenen »Wissen«, »Wahrnehmen« und »Weiterdenken« flossen auch Forschungserkenntnisse aus dem Leiblichen Lernen ein, vgl. Fricke/Riegel 2011, 61. 201 Meist nahmen jeweils etwa fünf Schüler teil, die Dauer lag bei ca. 30 Minuten. Nach Aufzeichnung und Transkription erfolgte die inhaltsanalytische Auswertung in Bezug auf die genannten Ebenen. Einige der Gespräche sind abrufbar unter http://www.diakonisches-lernen. de/hoeren/, Zugriff vom 01.06.15.

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sind. Den Leuten wird da richtig geholfen. Die müssen zwei Euro zahlen, dann bekommen sie einen Korb mit Essen.« […] M.D.: »Gibt es für dich eine biblische Geschichte, die du vielleicht mit dem ›Leb-mit-Laden‹ in Zusammenhang bringen kannst?« Timo: »Na z. B. der ›barmherzige Samariter‹, dass sozusagen einfach jemand jemand anderem hilft, den er nicht kennt, aber trotzdem alles für ihn tut, damit’s dem besser geht.« Der Schüler wählt in seiner Antwort einen sehr bekannten und naheliegenden Text. Interessant ist seine Akzentsetzung: Der helfende Mensch kennt den anderen nicht, aber trotzdem wendet er sich ihm zu, tut ›alles‹, damit es ihm besser geht. Der Schüler entdeckt also diesen wichtigen Aspekt des Bibeltextes gerade aufgrund seiner spezifischen Erfahrung im »Leb-mit-Laden«. 2. Wahrnehmen und Erleben: Wer an einen fremden Ort kommt, nimmt mit seinen Sinnen wahr, Räume, Gegenstände, Gerüche, Geräusche, Stimmungen. Es ist eine zunächst ›passiv‹ erscheinende Tätigkeit. Jule (8. Klasse) erzählt von ihrer Wahrnehmung im Seniorenheim: »Als man reingegangen ist, da waren links so kleine Vögel, die waren schon ganz lustig, die haben ziemlich gezwitschert.« Juliane: »Also im ersten Moment schaut’s eigentlich gar nicht aus wie in ’nem Altenheim, sondern halt wie ein ganz normales Haus.« Kleine Beobachtungen wie diese sind wichtig. Sie zeigen den Fokus der Schüler. Sie entdecken im Haus von ›Alten‹ Zeichen des Lebens. Die Wahrnehmung ist möglichweise anders, als sie es selbst aufgrund ihres Vorwissens bzw. ihrer Vorurteile erwarten würden. Des Weiteren geht es darum, das Handeln der diakonischen Mitarbeiter zu beobachten, die Situation derjenigen Menschen kennenzulernen, die diakonische Hilfe beanspruchen, und sich selbst im Praxisfeld wahrzunehmen. Diese Eindrücke gilt es im Hinblick auf das Wissen (s. o.) und das Handeln (s. u.) zu reflektieren. Dazu gehören auch die genannten »Widerfahrnisse«. Esther (12. Klasse) traf sich mit Senioren im Rahmen des P-Seminars Mensch und Menschlichkeit in Religion. Eine Bewohnerin erzählte ihr, wie sie in den 1950er-Jahren die überraschende Nachricht erhielt, ihr Mann käme aus der mehrjährigen Kriegsgefangenschaft heim. »[…] und dann hat er gesagt, er läuft jetzt, und das waren glaube ich 30 km oder so, bis von Würzburg zu ihnen nach Hause und dann hat sie gesagt, sie will ihm entgegenlaufen. Und dann ist sie gelaufen und gelaufen und hat ihn aber nicht getroffen, und ist wieder zurück und dann kam er dann nachts irgendwann um Fünf an, und dann hat sie erzählt: der erste Kontakt […].«

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Esther kommentiert die Begegnung zwischen ihr selbst und der Frau: »Und dann hat man richtig gesehen, wie die Freude in ihren Augen war, weil man sich das gar nicht vorstellen kann, in welcher Angst man lebt, wenn dann der Mann, man weiß nicht, ob er überhaupt noch lebt, und dann war diese Freude, dass er noch lebt und dass er noch da ist, so riesengroß bei ihr, das war richtig toll zu erleben.« Die Schülerin gibt die Szene in gebrochenen Sätzen wieder, weil sie davon bewegt ist, wie die Gefühle der Frau auf sie selbst übergesprungen sind. Dieses Phänomen lässt sich nach H. Schmidt mit der Kategorie der »Intimität« deuten, die in der persönlichen Begegnung entsteht und »Grundlage und Auslöser einer Erotik des Mitempfindens« ist.202 Sie wird zu einer existenziellen Grunderfahrung von Schülern. 3. Handeln: Das beschreibt die aktiven Tätigkeiten am Lernort. Die Schüler übernehmen einfache Aufgaben in Bereichen, die am Lernort typischerweise anfallen. Das Handeln bringt auf der praktischen Ebene neue Kompetenzen; die Schüler stellen fest, dass sie mehr Kompetenzen besitzen als vorher: Phil (9. Klasse, Krankenhaushilfe): »[…] man lernt sehr viel dazu, finde ich, weil auf der Straße, wenn man normal steht, weiß man doch nie, wie man mit einem Alkoholisierten umgehen soll, oder so. Im Krankenhaus wird ja speziell gezeigt, wie du mit solchen Menschen umgehen musst.« Simon (10. Klasse) erzählt vom Praktikum im Krankenhaus: »[…] heute durft’ ich zum Beispiel schon Blutzuckerspiegel messen, das ist auch eher etwas für Erfahrenere, aber es war, fand ich gut, dann hab ich’s immerhin gleich gelernt und dann kann ich’s jetzt.« Das Gefühl zu haben, im Rahmen des P-Seminars eigenständig etwas erarbeiten zu können, betont Greta (12. Klasse): »[Weil] wir gleich das Gefühl hatten, dass wir da was zusammen erarbeiten können, wirklich was machen können, und nicht nur sagen: ›hier habt ihr Geld, macht was draus‹, sondern dass wir da wirklich angepackt haben, und halt irgendwie was geschaffen haben.« 4. Weiterdenken: Das bezieht sich auf das Verarbeiten und kreative Umgehen mit den erworbenen Kenntnissen und Erfahrungen, etwa das Verallgemeinern der 202 Schmidt 2004, 22.

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exemplarischen Einblicke, das Stellen von weitergehenden Fragen, das Entdecken neuer Erkenntniszusammenhänge und das Integrieren der gelernten Inhalte in die eigene Lebenswelt. Klassischerweise wird dies mit Transfer bezeichnet. Inhaltlich geht es um die Fähigkeit, den Diskurs rund um die Bereiche »Armut, Gerechtigkeit, Solidarität« und »Kirche und Diakonie« aufmerksam und mit Urteilskraft zu verfolgen und sich selbst an ihm zu beteiligen. Tammo (12. Klasse, Seniorenheim): »Was sich bei mir verändert hat, die Sicht auf andere alte Menschen, da war ich immer ein bisschen hin- und her gerissen, weil gerade heute haben wir in Deutschland ein sehr großes Problem, weil sehr wenige Junge nachkommen, und dadurch halt sehr viele Alte übrigbleiben, die auch versorgt werden müssen, aber wenn man sich selber mal mit Leuten beschäftigt hat, die man vielleicht von Anfang an nicht kannte, hat man einfach gemerkt, dass da mehr dahinter ist, dass das immer noch Menschen sind, und dass man sie nicht einfach als Zahl in einer Statistik stehen lassen kann, sondern dass es weitaus mehr ist und man sich darum kümmern muss.« Moritz: »Ich fand das auch ganz wichtig. Also was in den Medien uns immer ganz problematisch dargestellt wird, dass eben nirgendwo gelingt, dass man es schafft, die ältere Generation und die Jungen zusammenzubringen […], dass man das an dem Projekt jetzt gesehen hat, dass das gar nicht so schwer ist, also man muss sich Gedanken machen, […] dass es aber schon im Prinzip eigentlich möglich ist.« Die Schüler merken, dass sie durch die Tätigkeiten und Beobachtungen am Lernort neue, begründete Einsichten erworben haben. Dadurch sind sie auch in der Lage, gegen den Trend, etwa in den Medien, ihre eigene Position zu entfalten. Ein besonderer Bereich des Weiterdenkens bezieht sich auf das Lernen selbst. Jule (8. Klasse, Seniorenheim): »[…] ich glaub, da kann man oft mehr lernen, als wenn man halt im Klassenzimmer sitzt […].« Juliane: »Weil, wenn man’s im Unterricht behandelt, […] wird man schon ein bisschen auf das Thema vorbereitet, aber so richtig lernen, also so richtig kennenlernen also macht man das nur, wenn man richtig im Altenheim ist.« Es wird die Nachhaltigkeit der Teilnahme im direkten Geschehen expliziert, der Unterschied zwischen Hören der Lehrererklärung in der Schule und das eigene Erleben und Wahrnehmen vor Ort. Die Begrenztheit der Schule und des Lehrers wird wahrgenommen und es wird verstanden, welchen Unter-

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schied ein Zugang zur Wirklichkeit, in der das Thema eingebettet ist, beim Lernen ausmacht. 5. Haltungen und Identität: Das bezieht sich auf das Wachrufen und Fördern von Mitgefühl und Prosozialität. Dabei spielt die Interaktion mit den Beteiligten vor Ort sowie mit den Mitschülern eine entscheidende Rolle. Hier kann einfühlsames und sorgendes Hinsehen über das »natürliche Tun« eingeübt werden. Aus der emotionalen Komponente des Einfühlens und Helfens kann eine wichtige Quelle für das eigene Ethos entstehen. Sie ist beim ethischen Lernen eine unverzichtbare Ergänzung zu rationalen Erwägungen und Argumentationsmodellen. Die Dimension »Haltung und Identität« hat eine stark reflexive Seite, sie ist den Beteiligten auf unterschiedliche Weise zugänglich und kann durch Nachfragen bewusst gemacht werden. Mirjam (12. Klasse) erzählt vom P-Seminar im Seniorenheim: »Aber ich glaube das Wichtigste war […], dass wir wirklich uns mit alten Leuten getroffen haben und mit denen geredet haben. Die waren […] so lieb zu uns und dann fiel es einem auch nicht so schwer, dass man etwas gefragt hat und auch von sich erzählt hat, weil das einfach auch so offen war. Ich persönlich bin da echt gerne hingegangen und habe mich mit denen unterhalten, weil man auch einfach merkt, wie sich die Leute gefreut haben. Das war ein richtig gutes Gefühl, da so rauszugehen und sich zu freuen, dass man jemand ein bisschen helfen konnte wenigstens.« Über ähnliche Gefühle erzählt Daniele aus der Grundschule nach dem Kochprojekt: »Denn manche Kinder mögen’s [das Kochen für Alte] und manche nicht und wenn man’s nicht macht, dann denkt man: ›Ja, ja, mein, Gott, das macht doch keinen Spaß, so kochen für alte Leute!‹ Aber wenn man’s mal durch hat, dann hat man’s im Herzen: ich hab jetzt etwas Gutes getan. Ich hab für alte Leute gekocht, sie haben sich darüber gefreut und am Ende haben sie ja sich noch bedankt. Da hat man einfach ein gutes Gefühl.« Prosoziale Haltung und das Gefühl von Erfülltsein schließen sich in der Wahrnehmung dieser Schüler nicht aus, was eine wichtige Voraussetzung dafür ist, die Welt der Diakonie anders wahrzunehmen als es traditionell der Fall war, als sie überwiegend mit Verzicht, Demut und Selbstaufopferung assoziiert wurde.203

203 Vgl. Schmidt 2004, 18, klassisch dazu Uhlhorn [1895] 1958.

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Des Weiteren geht es um das Einordnen des Erlebten als wichtige Lebenserfahrung:204 Timo (10. Klasse) reflektiert: »Also ich find’s auch wichtig, so was mal erlebt zu haben, weil es gehört einfach dazu, dass man mal jemand gesehen hat, der einfach Hilfe benötigt, und das öffnet einem auch die Augen, dass man dann sieht, die brauchen wirklich Hilfe, und man kann auch was für sie tun […].« Schließlich gehört in diesen Bereich auch das Heranlassen der Angewiesenheit, Schwachheit, und Ohnmacht des anderen an die eigene Person.205 Theresa (12. Klasse) erzählt von der Begegnung mit einer Seniorin im Heim: »Die hat dann erzählt, dass sie gar nicht hier sein will, weil sie lieber bei ihrer Familie wäre, aber […] dass sie quasi eine Last wäre, […] hat sie uns halt erklärt und das hat man dann schon gemerkt, wie sie sich fühlt, und man hat sich selber vorgestellt, wie wäre das für einen selbst, wenn man wo ist, wo man eigentlich gar nicht sein will, aber nichts dagegen machen kann […].« Beim Teilaspekt »Identität« stellen sich folgende Fragen: Haben die Begegnung mit der (fremden) Welt der Diakonie und die diakonischen Tätigkeiten zu einer Veränderung geführt, wie die Schüler sich selbst sehen und was die Facetten der eigenen Identität angeht? Haben sie zu einer Verschiebung im Gefüge des pluralen Selbst,206 zu einer »Persönlichkeitsentwicklung«,207 zum Aufbau einer »diakonischen Identität«208 beigetragen? Hier ist mit sehr differenzierten Entwicklungen zu rechnen. Schüler können ihre Fortschritte benennen, aber auch Grenzen deutlich machen. Philipp (10. Klasse, Seniorenheim) erklärt: »Ich glaub, wir sind alle von Grund auf materiell eingestellt, und wenn man dann solche Leute sieht, ist es schon im Moment anders, man fühlt anders, man denkt anders, aber damit man sowas verinnerlicht für längere Zeit, müsste man das einfach vertiefen.« 6. Spiritualität: Diese Ebene berücksichtigt Tradition und Praxis des christlichen Glaubens. In diesem Zusammenhang können Schüler die Spiritualität der in der Diakonie Aktiven sowie der Hilfe Erfahrenden kennenlernen. Sie können etwa die Frömmigkeit von Menschen wahrnehmen, die sich in einem Sterbehospiz befinden oder mit einer Krankheit leben. Ziel ist hier, Impulse 204 Ein Befragter bei Gramzow 2010, 389, nennt es »Vorpraktikum fürs Leben«. 205 Vgl. Gramzow 2010, 438. 206 Vgl. Hermans/Kempen 1993; Schulz von Thun 1998. 207 Vgl. Hanisch 2006, 43. 208 Vgl. Toaspern 2007, 186 ff.

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zu erhalten, sich die eigene spirituelle Haltung bewusst zu machen und ggf. neu auszurichten. Auch hier spielen die »Widerfahrnisse« eine wichtige Rolle. Allerdings ist zu beachten, dass die Lernprozesse auf der spirituellen Ebene womöglich sehr indirekt wahrgenommen und kommuniziert werden können, was damit zusammenhängt, dass Religion als etwas ›Privates‹ erlebt wird. Zum anderen gibt es Schüler, die Diakonisches Lernen ausschließlich auf der sozialen Ebene erleben.209 Das folgende Beispiel zeigt, wie die Frage nach lebensrelevanten Schulinhalten zum Nachdenken über religiöse Themen führt: M.D.: »Gab es irgend ein Fach, bei dem ihr sagt, ja durch meine Arbeit bei der Krankenhaushilfe […] habe ich gemerkt, das, was ich in der Schule mache, hat ja doch irgendwas mit dem Leben zu tun?« Florian: »Ja, im Religionsunterricht hatten wir das Thema Tod, ja und das hat sich dann schon ein bisschen verändert für mich, das Thema […].« M.D.: »Inwiefern hat sich das verändert?« Florian: »[…] wenn man dann halt einen Toten auf der Station sieht, dann kriegt man das natürlich anders zu spüren, als wenn man das jetzt liest oder in den Nachrichten hört, das ist ein ganz anderes Gefühl.« Phil: »Ja, das Thema mit dem Tod, das hat in Religion auch was anderes bedeutet […]. Man fragt sich schon, was ist jetzt mit dem Menschen passiert, den man also dort nicht mehr treffen wird im Krankenhaus, was ist mit dem passiert? Wie ist der Tod? Also, man kriegt irgendwie eine andere Ansichtssache davon, wenn man es selbst miterlebt hat. […] Also, ich denke einfach, der Tod ist für manche Menschen eine Erlösung, und dass es danach für die irgendwie weitergehen wird.« Auch im nächsten Beispiel wurde nicht explizit nach der spirituellen Ebene gefragt, sondern allgemein nach Begegnungen, die die Schüler beeindruckt haben. Alexandra (12. Klasse), erzählt vom P-Seminar im Altenheim: »Ja, wir waren auch noch bei Herrn B. und der hat ganz viel von seiner Jugend erzählt, wie er den Nationalsozialismus erlebt hat. In der Schule […] wurde das Kreuz abgehängt in den Klassenzimmern und dann hat er erzählt, wie die Klasse immer so zusammengehalten hat. Also, die haben dann alle ihre Sparbüchsen herausgeholt und haben die geschlachtet und haben dann mit diesem Geld dann ein neues Kreuz gekauft für das Klassenzimmer und durften es dann nicht aufhängen, haben immer Strafen bekommen […].« 209 Vgl. Gramzow 2010, 477.

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Teil 1: Worum es geht – Einführung in Diakonisches Lernen

Es wird deutlich, wie der Mut der Klasse die Schülerin beeindruckt hat. Für den Unterricht könnte die Frage interessant werden, warum die Schülerin das erzählt, und weiter gefasst, ob es sich heute lohnt, für eigene religiöse Über­ zeugungen und Werte einzustehen. Aus den Schülergesprächen gewinnt man den Eindruck, dass die Schüler, die eine Tätigkeit vor Ort ausgeübt haben, zufrieden und engagiert sind. Sie können darüber Auskunft geben, was sie wahrgenommen und getan haben und was ihnen widerfahren ist. Sie denken in der Reflexion darüber nach, welche Auswirkungen die Erfahrungen in ihren Meinungs- und Wertesystemen haben. Diakonisches Lernen versucht, die Erfahrungen aus der Praxis wieder in den Unterricht einfließen zu lassen. Hier gibt es vielfältige Möglichkeiten: Erlebnisse in den Lernorten können neue Themen, neue Diskussionen, neue Erkenntnisse im Unterricht anstoßen. Sie können die Motivation erhöhen, sich mit ›Theorie‹ zu befassen, Nähe zum Unterrichtsgegenstand aufbauen und bei der Erschließung und Bearbeitung von Themen Sachkenntnisse und gewonnene Urteile zur Verfügung stellen. Damit kann der Unterricht auf neue Weise beginnen (vgl. Kapitel 7.4).

Teil 2: Wie wir es machen können

5. »Durch die Schüler kommt Energie in unser Haus« – Chancen für die Diakonie aus praktischer Sicht

Ohne die haupt- oder ehrenamtlichen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner diakonisch aktiver Kirchengemeinden und Einrichtungen, die Schülerinnen und Schüler als ›temporäre Mitarbeiter‹ bei sich aufnehmen, kann Diakonisches Lernen nicht stattfinden. Ein Hinweis zur Begrifflichkeit: Unter Ansprechpartnerinnen oder Ansprechpartnern verstehen wir Kontaktpersonen für Schulen. Sie repräsentieren im Zusammenhang mit dem Diakonischen Lernen den Träger des Lernortes oder die diakonische Initiative. Anleiterinnen oder Anleiter hingegen führen die Schüler in die konkreten Aufgaben ein (z. B. Kochen, Umgang mit dem Rollstuhl) und geben ihnen Sicherheit. Manchmal arbeiten sie mit ihnen im Tandem. Zwischen- oder Auswertungsgespräche mit den Schülern können sowohl von den Ansprechpartnern als auch von den Anleitern geleitet werden. Je nach Einrichtung oder Initiative werden beide Funktionen auch von ein- und derselben Person ausgeübt. Diakonisches Lernen ist ein Wechselspiel zwischen Theorie und Praxis, zwischen Erlebnis und Begegnung an den Lernorten und deren inhaltlicher Vor- und Weiterarbeit im Klassenzimmer. Warum lohnt sich das persönliche Engagement, Schüler beim diakonischen Praxislernen anzuleiten? Was bedeutet es, als diakonische Ansprechpartnerin Schülern und Lehrkräften die »Welt der Diakonie« aufzuschließen? Welchen Gewinn haben Diakonie und Kirchengemeinden, wenn sie Schüler als ›temporäre Mitarbeiter‹ bei sich aufnehmen? Was sind entscheidende Voraussetzungen, damit die Anwesenheit von Schülern niemand in der Einrichtung überfordert? Wie gelingt der Kontakt zu Schulleitungen und Lehrkräften?

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5.1 Warum lohnt es sich, zum Diakonischen Lernen anzuleiten? Nahezu alle Ansprechpartnerinnen oder Ansprechpartner des Diakonischen Lernens für Schüler stellen sich zu Beginn dieselbe Frage: »Eigentlich habe ich genug zu tun. Lohnt es sich überhaupt, Ansprechpartnerin für Schulen und Schüler zu sein?« Der Arbeitsalltag in den diakonischen Einrichtungen ist sehr intensiv. Häufig geht es hierbei um belastende Lebenssituationen. Für viele Mitarbeitende in der Diakonie oder für Ehrenamtliche ist die Schule zudem eine fremde oder fremd gewordene Welt. Man gehört einer anderen Generation an. Man hat im Berufsalltag vielleicht noch mit Berufspraktikanten wie z. B. Altenpflegeschülerinnen oder Pädagogikstudentinnen zu tun, aber beim Diakonischen Lernen geht es um den Kontakt zu Grund-, Mittel- und Realschülern und um die Begegnung mit Gymnasiasten und Fachoberschülern. Sie sind da, weil ihnen ihre Lehrkräfte eine besondere Chance zum Erwerb sozialer Fähigkeiten schenken wollen. Sie kommen, um sich in der Welt des Sozialen und im Ehrenamt auszuprobieren. Sie wissen selten, was sie erwartet. Der Umgang mit Menschen mit Behinderung oder mit psychisch kranken Menschen ist ihnen fremd. Es ist klar, dass sie bei ihren Aktivitäten auch Fehler machen dürfen und unsicher sein dürfen. Für die meisten Schüler und teilweise auch für deren Lehrkräfte ist die »Welt der Diakonie« also zunächst eine fremde Welt.

Abb. 7: Ansprechpartnerin für Schüler bei kiloweise – Materielle Hilfe, Diakonisches Werk Augsburg, © Heiner Staib

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Ein Motiv für das Engagement als Ansprechpartnerin kann die Dankbarkeit der Schüler sein, ihnen Begegnungen zu ermöglichen, die sie im Klassenzimmer so nicht hätten. Zum Beispiel Barbara. Sie ist Abiturientin und hat im Rahmen eines Projektseminars an einem Kochbuch mit Lieblingsgerichten und Geschichten von Bewohnerinnen eines Seniorenheimes mitgewirkt. Auf die Frage, wie denn die Kooperation mit der diakonischen Einrichtung ablief, antwortet sie: »Ich glaube ohne die Frau Döring wäre das gar nicht so in die Wege gekommen. Sie hat eigentlich von Anfang an die Initiative ergriffen und ist auf uns zugegangen. Das war gut, dass sie unsere erste Bezugsperson war.«1 Die diakonische Einrichtung wird für diese Schülerin also durch die Ansprechpartnerin des Lernortes verkörpert. Diese Sozialpädagogin hat die Schülerin als eine Mitarbeiterin erlebt, die Lust auf das Projekt mit den Schülern hatte. Sie wurde zu ihrer wichtigsten Bezugsperson und sie bekommt dafür ein positives Feedback. Dies ist übrigens eine wichtige Erfahrung, die Anleiter des Diakonischen Lernens in ihrem Engagement bestärkt: Häufig erhalten sie Dank, kleine Zeichen der Anerkennung. Viele Begegnungen erfahren eine Resonanz in lokalen Medien. Die Anleiterin wird in der Zeitung erwähnt oder die Begegnung wird in der Schülerzeitung dokumentiert. Ein weiteres Motiv, Schülern als Ansprechpartner zur Seite zu stehen, ist die Beobachtung, dass die Energie der Schüler auf viele Menschen ansteckend wirkt. Hanna Bäurle arbeitet als Ergotherapeutin in einem Seniorenstift. In einem Videoclip äußert sie während einer Begegnung zwischen Mittelschülern und Senioren: DL_OT_part07_fachkräfte_empfehlen

»Positiv ist, wenn die Schüler zu uns ins Haus kommen, wenn sie viel Energie mitbringen, gute Laune. Sie lachen, sie bringen die Bewohner auf andere Gedanken und unternehmen ganz viel und das ist eine richtig schöne Sache.«2 Gerade im Blick auf ältere haupt-und ehrenamtliche Anleiterinnen ergibt sich noch ein weiteres Motiv. Die Begegnung mit jungen Menschen stellt häufig eine Horizonterweiterung dar. Wie die Sonderauswertung des dritten Freiwilligensurveys für die evangelische Kirche zeigt, engagieren sich entsprechend dem allgemeinen Trend in Deutschland gerade die Älteren (60 Jahre und älter) aktuell 1

Im Gespräch mit Martin Dorner am 08.12.2011, http://www.diakonisches-lernen.de/hoeren/, Zugriff vom 01.06.15. 2 https://www.youtube.com/watch?v=ty0A8PBAS5Q, Zugriff am 18.02.15.

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verstärkt im Ehrenamt.3 Eine Erwartung von ihnen findet der Studie zufolge im Jahr 2009 überdurchschnittlich Zuspruch: »Die Älteren wollen ihre erworbenen Kenntnisse einbringen. Nach dem Ende des Erwerbslebens stellt das freiwillige Engagement eine Möglichkeit dar, zu zeigen, dass man noch lange nicht zum alten Eisen gehört. Diese Erwartung lässt sich offenbar auch in der Kirche einlösen.«4 Für viele ist es eine gewisse Befriedigung, als älterer Mensch nicht nur in der eigenen Generation zu bleiben, wie das Beispiel der 83-jährigen Annamarie zeigt. Sie ist verwitwet und engagiert sich an einigen Tagen im Jahr bei einer württembergischen Vesperkirche, in der auch sehr viele Schüler mitarbeiten. Nach ihrer Motivation gefragt, sagt die 83-jährige Frau: »Ich habe selber ein Erfolgserlebnis, es bestätigt mich irgendwie. Ich habe Spaß an der Sache, dass ich auch in Kontakt mit jungen Leuten komme. Wo habe ich das sonst, sonst bin ich im Seniorenkreis oder treffe mal jemand. Aber hier kann ich direkt mal junge Leute studieren. Der Eindruck, den junge Leute da auf mich machen, das ist sehr, sehr wichtig und das findet man eigentlich nur hier, weil die jungen Leute hier mit dabei sind. Das ist ganz wichtig für mich.«5

5.2 Was bedeutet es, als diakonische Ansprechpartnerin Schülern und Lehrkräften die »Welt der Diakonie« aufzuschließen? Die Ansprechpartner des Diakonischen Lernens fungieren in mehrfacher Hinsicht als Türöffner für die Schülerinnen und Schüler. Im schulischen Bildungsprozess wirken sie mit, dass neue, erlebnisorientierte Lernformen die überwiegend kognitiven Lernmethoden schulischen Lernens ergänzen. Die Hirnforschung belegt, dass die Lernsituation und ihr emotionaler Gehalt in besonderer Weise für die Verarbeitung von Wissen relevant sind: »Was uns Menschen umtreibt, sind nicht Fakten und Daten, sondern Gefühle, Geschichten und vor allem andere Menschen«, so Manfred Spitzer.6 Soziales Lernen innerhalb des Klassenzimmers ist relativ künstlich und wenig nachhaltig. An den Lernorten stehen die Schüler hingegen vor echten und nicht vor konstruierten Herausforderungen: Ihre Kraft, ihre Kreativität, ihre Begeisterungsfähigkeit und ihr Mitgefühl sind gefragt und sie machen schnell die Erfahrung, dass sie 3 Evangelisch engagiert 2012, 22. 4 Ebd. 5 Im Gruppengespräch mit Martin Dorner am 10.02.2011, Vesperkirche Nürtingen. 6 Spitzer 2002, 160, vgl. auch Heckmair/Michl 2013, 13–21.

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anderen Menschen etwas wert sind. Der Besuch auf dem Adventsmarkt für Senioren, die auf einen Rollator oder Rollstuhl angewiesen sind, ist z. B. ohne die Unterstützung der Jugendlichen nicht möglich. Diakonische Aktionen oder Sozialpraktika werden deshalb im Nachhinein positiv mit Schule in Verbindung gebracht. Häufig drücken Schüler ihr Erstaunen darüber aus, dass Schule auch Freude machen kann. Diakonische Lernerfahrungen rücken deshalb für sie in die Nähe freiwilligen Lernens, obwohl sie im Rahmen des schulischen Lernens stattfinden. Oscar hat sich in der gymnasialen Oberstufe für ein Projektseminar mit diakonischer Schwerpunktsetzung entschieden. Er und seine Mitschüler begegneten z. B. Menschen mit Behinderung oder jugendlichen Asylbewerbern. Auf die Frage nach dem Zusammenhang zwischen den Lernerfahrungen an den diakonischen Orten und dem Lernen im Klassenzimmer sagt er: »Ich habe mich am Anfang schwer getan, die Verbindung zu realisieren, dass es Schule ist und trotzdem Spaß macht. Häufig ist es so, dass alles, was mit Schule zu tun hat, eine Belastung ist. Es war sehr interessant und aufschlussreich, dass Schule nicht so sein muss. Eben wie im Rahmen dieses P-Seminars, da ist alles mehr oder weniger freiwillig, weil man mit Leuten zusammen ist, die sich gerne engagieren und nicht nur, weil sie ihre Stunden ableisten müssen.«7 Zum anderen tragen Ansprechpartner des Diakonischen Lernens dazu bei, dass Menschen in sozialen Berufen und Ehrenamtliche diakonischer Initiativen in der Schule ihren entsprechenden Platz finden und eine Würdigung erfahren. Viele Schüler und Schülerinnen zeigen sich erstaunt, wie vielfältig die Hilfsund Unterstützungsangebote für Menschen in Not sind. Die Schüler erleben, mit welcher Hinwendung z. B. Pflegekräfte arbeiten. Sie sehen, was eine Heilerziehungspflegerin leistet. Sie beobachten aber auch den Stress der Beschäftigten in der Pflege und die Not und die Armut derjenigen Menschen, die bei einer Tafelausgabe anstehen. Sie bauen somit eine innere Beziehung zum Wert des Sozialstaates und dem gesetzlich verbrieften Recht auf Hilfe in Notlagen auf. Sie werden sensibel für Ungerechtigkeiten. Außerdem kann bei den Jugendlichen Sympathie für Kirche und deren diakonisches Engagement entstehen, weil sie erleben, wie sich in ihr viele unterschiedliche Menschen für andere engagieren. Die gegenwärtige und zukünftige Unterstützungswürdigkeit diakonischer Einrichtungen wird somit grundgelegt.

7 Im Gespräch mit Martin Dorner am 10.01.2013, http://www.diakonisches-lernen.de/hoeren/, Zugriff vom 01.06.15.

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5.3 Welchen Gewinn haben Diakonie und Kirchengemeinden, wenn sie Schüler als ›temporäre Mitarbeiter‹ aufnehmen? Der Gewinn für Diakonie und diakonisch aktive Kirchengemeinden, die einzelne Schüler, kleine Schülergruppen oder Schulklassen als zeitlich befristete Mitarbeitende bei sich aufnehmen, ist vielfältig. Unter sozialräumlichen Gesichtspunkten sind Schulen ein Teil der Nachbarschaft. Immer wieder stellen diakonische Einrichtungen und Schulleitungen erstaunt fest, dass sie eigentlich nur wenige Schritte voneinander entfernt liegen. Begegnungen oder offizielle Kooperationen zwischen Schulen und diakonischen Initiativen fördern die Lebensqualität im Quartier. Es entstehen Netzwerke, die einen Stadtteil lebenswerter machen. Wenn junge Menschen in die Einrichtung kommen, dann kommen neue Impulse herein. Senioren nehmen z. B. wahr, wie sich Jugendliche kleiden und welche Moden gegenwärtig angesagt sind. Und umgekehrt: Viele ältere Menschen tragen einen großen Schatz an Wissen in sich, den sie an die Jugendlichen weitergeben möchten. Ehrenamtliches und professionelles soziales Handeln hat in Deutschland u. a. christliche Wurzeln. Schülerinnen und Schüler, die sich z. B. für einen Praktikumsplatz in der Diakonie entscheiden, erleben soziales Handeln in dieser christlichen Prägung. Damit bekommen sie einen Einblick, mit welchem Geist Diakonie hilft, arbeitet und feiert, damit die Beschäftigten wieder zu Kräften kommen. Die Anleiterin macht den Schülern dieses Kulturgut zugänglich. Sie lässt sie spüren, dass sie willkommen sind. Kaffee und Kuchen, Zeit für Gespräche und die Gelegenheit, z. B. eine Morgenandacht der Mitarbeitenden zu erleben, sind in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Die Willkommenskultur gegenüber den ›temporären Mitarbeitern‹ drückt sich auch dadurch aus, dass sie von den Menschen in der Einrichtung mit Namen angesprochen werden. Klebe-Etiketten mit dem Logo der Initiative Diakonisches Lernen zum Selbstausfüllen oder zum Bedrucken am PC leisten hier einen guten Dienst. Material zum download: Namensetiketten_Initiative_Diakonisches_Lernen

Durch die aktive Mitwirkung in diakonischen Einrichtungen erhalten Schü­le­ rin­nen und Schüler die Chance, diakonische Berufe zu »testen«. Diakonievereine oder Kirchengemeinden wiederum legen ihr ehrenamtliches diakonisches Engagement einer nächsten Generation ans Herz. Diakonische Träger haben die Möglichkeit, Interesse am Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) oder am Bundesfreiwilligendienst (BFD) zu wecken. Yessika, die während einer Orientierungsphase im Rahmen eines diakonischen Projektseminars mehrere soziale Ein-

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richtungen und Initiativen kennengelernt hat, sagt über die Bedeutung dieser Erfahrungen: »Ich würde mich auf jeden Fall auch gern weiterhin ehrenamtlich engagieren. Wir waren einen Tag bei der Tafel und das hat mir auch super viel Spaß gemacht. Ich könnte es mir auf jeden Fall vorstellen, das regelmäßiger zu machen. Selbst wenn man beruflich in eine ganz andere Richtung geht, kann man sich ja ehrenamtlich immer noch weiter engagieren.« DL_OT_part06_bedeutung_für_diakonie

Für die Orientierung über diakonische Berufe, Studienmöglichkeiten, Karrierechancen und die notwendigen persönlichen Voraussetzungen sind die Nachwuchstests der Homepage www.soziale-berufe.com besonders nützlich. Sie helfen Jugendlichen herauszufinden, was ihnen im Leben wichtig ist und wie sie mit anderen Menschen umgehen. Die Berufstests aller diakonischen Berufe können online absolviert oder als Fragebogen heruntergeladen und ausgedruckt werden.8 Nicht zuletzt soll von einem Nutzen die Rede sein, der für kirchliche oder diakonische Ohren ungewöhnlich klingt: Die Begegnung mit Schülerinnen und Schülern macht häufig Freude und sogar »Spaß«. In einem Arbeitsfeld, in dem geschichtlich fast ausschließlich Begriffe wie »dienen«, »Dienst« und das Gebot »Einer trage des anderen Last« (Gal 6,2) diakonisches Handeln ausdrückten, mag die Einschätzung des Einrichtungsleiters eines Seniorenheimes deshalb immer noch befremdlich klingen. Nach nur einem Jahr der Zusammenarbeit mit Real- und Mittelschülern seiner Stadt drückt er aus, was ihm diese Begegnungen bedeuten: »Nach anfänglichem Zögern und Unsicherheit macht mir die generationenübergreifende Arbeit jetzt richtig Spaß. Sie ist nicht leichter als am Anfang, weil sich aber der Erfolg einzustellen beginnt, fällt sie mir leichter.«9

8 http://www.soziale-berufe.com/nachwuchstest, letzter Zugriff am 20.02.15. 9 Thomas Flach, Seniorenhaus Helmbrechts der Diakonie Hochfranken, im Gespräch mit Martin Dorner.

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5.4 Was ist entscheidend, damit die Anwesenheit von Schülerinnen und Schülern niemand in der Einrichtung überfordert? Ein erster entscheidender Punkt für die erfolgreiche Mitwirkung von Schülern in diakonischen Einrichtungen und bei diakonischen Initiativen besteht darin, die Lehrkräfte mit einzubinden. Da Diakonisches Lernen als zirkulierende Bewegung zwischen Theorie und Praxis konzipiert ist, sollte die Lehrkraft die Praxiserfahrung mit den Schülern und Schülerinnen teilen. D. h., die Lehrkraft wird zum aktiven Teil der Praxisgruppe. Dies hat zwei wesentliche Vorteile: Die Schüler erleben ihre Lehrkraft in einer anderen Rolle. Sie ist, wie die Schüler auch, Lernende. Manches gelingt den Schülern vielleicht auf Anhieb besser. Eine wichtige Erfahrung. Der zweite Vorteil: Die inhaltliche Weiterarbeit wird aufgrund der gemeinsamen Erlebnisse, Überraschungen und Widerfahrnisse zu einem spannenden Prozess. Sollte die Klasse sich an einem diakonischen Aktionstag auf mehrere Lernorte verteilen, so ist es ratsam, dass der Lehrer seine Präsenz auf einen Lernort beschränkt und nicht etwa als rasender Reporter alle Lernorte besucht. Es ist besser, er lernt durch konkrete Mitarbeit nur ein diakonisches Angebot kennen, als überall sein zu wollen. Die Dokumentation der Begegnungen an den jeweiligen diakonischen Lernorten übernehmen dabei besser die Schülerinnen und Schüler. Smartphones und Kameras leisten hier gute Dienste. Wenn Schülerinnen und Schüler in die Einrichtung kommen, beeinflussen sie den gewohnten Ablauf. Deshalb ist es erst einmal gut, sie am ganz gewöhnlichen Alltagsgeschäft teilhaben zu lassen. Nicht jeder Aufenthalt von Schülern an diakonischen Orten und nicht jede Begegnung muss z. B. gleich als Projekt angelegt werden. Projekte sind per Definition dazu da, etwas Neues zu schaffen, um z. B. neue Geschäfts- oder Arbeitsfelder zu erschließen. Sie benötigen finanzielle Mittel, einen konkrete Projektauftrag, klare Ziele, zeitlich fixierte Meilensteine, um die Erreichung der Ziele zu überprüfen. Projekte binden Mittel und Menschen. Im Sinne des Diakonischen Lernens ist es aber völlig ausreichend, wenn die Schüler an diakonischen Orten bei bereits bestehenden Angeboten im Rahmen einer diakonischen Aktion einfach »nur« mitmachen. Konkret: In vielen Seniorenheimen gibt es regelmäßige Angebote für die Bewohner, wie z. B. am Montag den »Tante-Emma-Laden«, am Dienstag die Bibelstunde und den Hundebesuchsdienst, am Mittwoch das Kegelturnier und das »Café Gugelhupf«, am Donnerstag Sport, am Freitag Spiel und Spaß am Vormittag und am Nachmittag Gottesdienst in der Hauskapelle, Samstags den Hundebesuchsdienst mit Einzelbesuch im Zimmer und am Sonntag eine Andacht zum Feiertag und das

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Konzert eines Posaunenchors aus der Region.10 Diese Fülle an Angeboten muss nicht durch ein zusätzliches Schülerprojekt »getoppt« werden. Es reicht, wenn die Schüler bei den bereits bestehenden Angeboten eine echte und sinnvolle Aufgabe erhalten. Die Angebote gewinnen allein dadurch eine neue Charakteristik. Im Sinne eines ressourcenorientierten Arbeitens in diakonischen Einrichtungen und auch mit Rücksicht auf die schulischen Gegebenheiten ist es sinnvoll, wenn diakonische Einrichtungen erst einmal auf das schauen, was sie Schülern und Lehrkräften bereits anzubieten haben. Ähnliches gilt für diakonische Initiativen, die überwiegend oder ausschließlich von Ehrenamtlichen geleitet und verantwortet werden. Bei Tafelausgaben und bei diakonischen Tischgemeinschaften sollte der Leiter in Teambesprechungen die Chancen des Schülerengagements deutlich machen. Der Leiter sucht dabei nach Mitarbeitenden, die ein besonderes Interesse an der Zusammenarbeit mit Schülern erkennen lassen. Gemeinsam wird die Frage nach dem »realen Bedarf« des Schülerengagements geklärt.11 Am besten ist, wenn Schüler 1:1 das tun dürfen, was auch die Erwachsenen tun, also z. B. Kochen oder Lebensmittel in Supermärkten mit dem Tafelfahrzeug abholen. Initiativen machen gute Erfahrungen damit, wenn ein ausgewähltes Team aus Ehrenamtlichen mit den Schülern gemeinsam arbeitet. Sollte vonseiten der Schüler und der Lehrkräfte der Wunsch nach »mehr«, z. B. nach Projektarbeit, vorhanden sein, dann ist mit den Verantwortlichen genau zu klären, welches realistische Projektziel erreicht werden soll, welchen Gewinn beide Seiten haben, wie das Projekt dokumentiert wird und wie es eine entsprechende Würdigung in der Öffentlichkeit und den Medien findet. Für alle Begegnungen im Rahmen des Diakonischen Lernens gilt, dass diese einen wichtigen Baustein in der persönlichen Lernbiografie darstellen. Der Wert des Engagements drückt sich für die Schülerinnen und Schüler auch dadurch aus, dass ihre Teilnahme an einer diakonischen Aktion, an wiederkehrenden Begegnungen oder an einem diakonischen Projekt zertifiziert wird. Material zum download: Zertifikat Initiative Diakonisches Lernen

10 Das Beispiel bezieht sich auf das Johann-Gramann-Haus in Neustadt a.d. Aisch http://www. diakonisches-lernen.de/diakonische-lernorte-finden/in-der-region-nuernberg/neustadtadaisch-johann-gramann-haus-diakonisches-werk-neustadt/, letzter Zugriff am 19.02.15. 11 Vom »realen Bedarf« sprechen bereits Seifert/Zentner/Nagy 2012, 54–71.

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5.5 Wie gelingt der Kontakt zu Schulleitungen und Lehrkräften? Am nachhaltigsten für die diakonische Einrichtung oder eine diakonische Initiative ist eine offizielle Kooperation mit einer Schule. Ist die Kooperation erst einmal beschlossen und hat man sich vonseiten der Schule und vonseiten der Diakonie auf bestimmte Lernformen, günstige Zeiten im Schuljahr und die entsprechende inhaltliche Vor- und Weiterarbeit geeinigt, dann können die Begegnungen mit geringem organisatorischem Aufwand jedes Schuljahr aufs Neue stattfinden. In diesem Fall signalisiert die diakonische Einrichtung in den Anfangswochen des Schuljahrs die Zahl an Praktikumsangeboten gegenüber den kooperierenden Fächern und den Sprechern der jeweiligen Fachschaft. Ein Schreiben mit den Angeboten, einer Kurzbeschreibung und allen notwendigen Kontakten wird von Schülern und deren Eltern dankbar angenommen. Material zum download: Briefentwurf_DL_Schueler_Eltern.docx

Wie aber gelingt der Erstkontakt zu Schulen und was ist dabei zu berücksichtigen? Der Kontakt zur Schule sollte in jedem Fall über den Schulleiter oder die Schulleiterin erfolgen. Wird jedoch direkt mit einer Lehrerin z. B. ein diakonischer Aktionstag vereinbart, so muss in jedem Fall die Schulleitung informiert werden. Die Kontaktaufnahme mit der Schulleitung erfolgt zunächst telefonisch und beinhaltet die Bitte nach einem Termin, um Diakonisches Lernen und die möglichen Praxisangebote vorstellen zu dürfen. Alle Begegnungen benötigen aus Gründen der Schulorganisation einen ausreichenden zeitlichen Vorlauf. Ideal für geplante Aktionen im Schuljahr sind deshalb Gespräche im September oder Oktober. Das erste Gespräch mit der Schulleitung beinhaltet u. a.: Vorstellung der Praxismöglichkeiten und des Trägers, Einführung in das Konzept, Lehrplanrelevanz, Betonung der Öffentlichkeitswirksamkeit, Aussicht auf dauerhafte Kooperation und Bereitstellung eines Kontingents an jährlichen Praktikumsplätzen plus kompetente Betreuung der Schüler an den Praxisorten. Ein zweites Gespräch wird gemeinsam mit der Schulleitung und den Lehrkräften aus den für das diakonische Lernen in Frage kommenden Unterrichtsfächern geführt. Eventuell ist es sinnvoll, zu diesem Gespräch auch die Schülersprecher und Elternvertreter einzuladen. Bei diesem Gespräch werden bereits alle Termine für die Anwesenheit an den diakonischen Lernorten für das gesamte Schuljahr vereinbart. Außerdem werden die jeweiligen schulischen und diakonischen Ansprechpartner benannt. Drei Infolisten für Lehrkräfte, diakonische Ansprechpartner und Schüler bzw. Eltern helfen, den

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organisatorischen und inhaltlichen Rahmen abzustecken und die beabsichtigten Lernerfahrungen im Laufe des Schuljahres auch zu erreichen.

Material zum download: Infoblatt_DL_von Lehrkraft für Lernort.docx Infoblatt_DL_von Lernort für Lehrkraft.docx Infoblatt_DL_von Lernort für Schüler.docx

5.6 Was kostet das Engagement? Die Öffnung diakonischer Einrichtungen gegenüber Schulen gibt es nicht zum Nulltarif. Dies bedeutet, dass sich der diakonische Träger oder die diakonisch aktive Kirchengemeinde zunächst mit dem Konzept des Diakonischen Lernens auseinandersetzt. Für inhaltliche Auseinandersetzungen innerhalb eines diakonischen Trägers eignen sich z. B. Bereichsleiterrunden oder Mitarbeiterbesprechungen. Ein Ziel ist es, Ansprechpartner für Schüler und Lehrkräfte zu finden. Diese Tätigkeit üben die meisten Ansprechpartner bisher zusätzlich zu ihren sonstigen Tätigkeiten innerhalb der diakonischen Organisation aus. Hier ist zu berücksichtigen, dass dieses Engagement, will man Erfolg haben, nicht ›en passant‹ geleistet werden kann. Die Anleitung und Begleitung von Schülern kostet Zeit. Bei Mitarbeiterjahresgesprächen sollte deshalb das Engagement für das diakonische Lernen ein wichtiger Gesprächspunkt sein. Bei der Überarbeitung der Dienstvereinbarung muss auch darüber gesprochen werden, warum aus strategischen Gründen (z. B. stärkere Akzentuierung der sozialräumlichen Arbeit, stärkere Betonung des Ehrenamts innerhalb der Einrichtung, Betonung der Zusammengehörigkeit von Diakonie und Kirche, Mitarbeiterakquise) an einer anderen Stelle die Arbeit des Mitarbeiters zurückgefahren oder zukünftig von jemand anderem übernommen wird. Für Kirchengemeinden gilt entsprechend, dass sich der Kirchenvorstand/das Presbyterium mit dem Konzept befasst und beschließt, bei diakonischen Aktivitäten mit Schulen kooperieren zu wollen. Einmal im Jahr sollte die ehren- oder hauptamtliche Anleiterin im Kirchenvorstand über die Erfahrungen berichten. Die finanziellen Auswirkungen Diakonischen Lernens sind hingegen gering. Sie bestehen z. B. darin, dass Schüler während des Praxislernens mit einem Imbiss und Getränken versorgt werden. Kleine Anerkennungen, wie z. B. Kinokarten, sind in manchen Fällen sicher ein schönes Zeichen des Dankes für ein besonderes Engagement.

6. »Diakonie berühren« – Entwürfe für den (Religions-)Unterricht Elisabeth Buck

Diakonische Projekte im Rahmen des Religionsunterrichts werden in der Fachliteratur besonders dann als fruchtbringend bewertet, wenn sie begleitet und nachbearbeitet werden: »Eine Übertragung von schulischem Theoriewissen über Nächstenliebe auf eine Lebenspraxis, in der sozialdiakonische Verantwortung wahrgenommen werden soll, funktioniert nicht oder nur sehr bedingt. Dagegen bestehen enorme Lernchancen, wenn Helfen in der Praxis eingeübt und dann unterrichtlich vertieft wird. Die Verbindung von Glaube und Nächstenliebe kann von den Lernenden wahrgenommen werden, wenn Reflexion sich auf von ihnen selbst geübte Nächstenliebe bezieht.«12 Gemäß den Modellen des Situated Learning seien es die Begegnungen mit hilfsbedürftigen Menschen als Widerfahrnisse selbst, welche die entscheidenden Lernimpulse auslösten.13 Demzufolge wird die unterrichtliche Vorbereitung auf die Projekte des Diakonischen Lernens in verschiedenen Publikationen relativ knapp abgehandelt. Doch gibt es auch Stimmen, die gerade die gründliche unterrichtliche Vorbereitung für das Gelingen Diakonischen Lernens zur Voraussetzung machen: »Diakonisches Lernen im Religionsunterricht muss in diakonisches Probehandeln einführen. Schülerinnen und Schüler können die helfende Handlung nur als diakonisch wahrnehmen, wenn sie dafür Muster des Erzählens ausgebildet haben und sie können nur dann selbst diakonisch handeln, wenn sie dies probeweise im Religionsunterricht geübt haben. Gelingen kann dies durch […] gestische Inszenierung, in der Schülerinnen und Schüler diakonisches Handeln einüben.«14 12 Toaspern 2007, 50. 13 Vgl. ebd. 14 Kramer 2012, 48.

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Es kann also auch eine gute Vorbereitung hilfreich sein, dem Diakonischen Lernen in einem Praxisfeld einen guten Start zu ermöglichen. Denn die Schülerinnen und Schüler sollten nicht einfach von den für sie völlig neuen Situationen überrollt werden. Stattdessen können im Unterricht vorbereitend ihre Einstellungen, Erfahrungen und Erwartungen, die ihre Haltungen zunächst prägen, betrachtet und reflektiert werden. Und so sollen hier einige Fragen und methodische Impulse für die Vorbereitungsphase im Rahmen des Bewegten Religionsunterrichts zur Sprache kommen. Gerade im Bewegten Religionsunterricht sind die Schülerinnen und Schüler in ihrer leiblichen Persönlichkeit ins Unterrichtsgeschehen involviert. Im Diakonischen Lernen sind leibliche Handlungsvollzüge gefordert, deren Facetten zuvor im Unterricht (gemäß dem oben angesprochenen Probehandeln) in Ausschnitten gestaltet werden. »Der Bewegte Religionsunterricht eröffnet im schulischen Rahmen ein Begegnungsfeld für Schülerinnen und Schüler, mit religiösen Themen und Fragen umzugehen, sie in leiblichen Handlungsvollzügen zu untersuchen, verschiedene räumliche und geistige Perspektiven zu gewinnen, zu deuten und zu werten und sich eigener Standpunktmöglichkeiten gewahr zu werden. Dabei wird von einem erweiterten Erkenntnisbegriff ausgegangen: Erkenntnis ist mehr, als was in Sprache gefasst werden kann. ›Erkennen‹ ist eine veränderte Sicht- und Erlebnisweise, eine Reorganisation der Achtsamkeit. Ein Lernverbund von Motorik, Sensorik, Emotion und Kognition im Religionsunterricht ermöglicht den Lernenden eine religiöse Symbolbildung in sprachlichen wie nichtsprachlichen Denkprozessen.«15 Aus dem leib-und bewegungsorientierten Blickwinkel auf die Inhalte des Unterrichts ergeben sich spezifische Methoden aus Wahrnehmungs- und Bewegungsspielen, die aus dem Spannungsfeld zwischen sozialen Interaktionen, schöpferischen Gestaltungsprozessen und sensomotorischen Erlebnissen ihren Zündstoff für das Unterrichtsgespräch beziehen. Da leibliches Erleben nur subjektiv beschrieben und bewertet werden kann, sind die Schülerinnen und Schüler in den Gestaltungen des Bewegten Religionsunterrichts individuell angesprochen. Die voneinander völlig verschiedenen Biografien und daraus resultierenden Haltungen und Verhaltensstrategien können somit in der Klassengemeinschaft betrachtet und diskutiert werden. Da in diakonischen Projekten alle Lernenden geradezu hautnah mit neuen Situationen konfrontiert sind und immer wieder auch eigenständig handeln, tritt jede Persönlichkeit aus der sonst als Gruppe angesprochenen Schülerschaft heraus. Der Schutz der Gruppe und 15 Buck 2006, 209.

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der Anspruch der Vergleichbarkeit, dem die Einzelnen im schulischen Kontext sonst zugeordnet sind, fallen in den diakonischen Begegnungsfeldern aus: »Die Grunderfahrung oder die Bedingung für diakonisch-soziales Lernen hat etwas mit Empfindung, mit Berührung, mit leiblich-seelischem Sich-Nahekommen zu tun«.16 Der Einstieg in Diakonisches Lernen kann somit durch einen vorbereitenden Unterricht erleichtert werden, der – wie z. B. im Bewegten Religionsunterricht konzipiert – den leiblichen Menschen und die Menschwerdung Gottes in den Fokus rückt.

6.1 Voraussetzungen thematisieren Zur Vorbereitung gehört die Auseinandersetzung mit den persönlichen Voraussetzungen: Über welche Erfahrungen verfügen Lehrkräfte in Bezug auf diakonische Handlungsfelder? Wie sind die einzelnen Schülerinnen und Schüler mit hilfsbedürftigen Menschen bisher in Kontakt gekommen? Gibt es Ängste vor Menschen, die anders sind, als man es bisher im eigenen Umfeld erlebt hat? Hat man bereits gelingende Begegnungen mit ihnen erfahren oder gibt es vielleicht in der eigenen Biografie Momente, in denen man vor dem Anderen erschrocken ist? Welche Prägungen haben Kinder und Jugendliche in Bezug auf ihr Menschenbild bisher erfahren? Da die Schülerinnen und Schüler als individuelle Persönlichkeiten in diakonischen Projekten gefordert sind, sind sie auch in ihren individuellen Lebensgeschichten und Entwicklungen angesprochen. Gerade der Religionsunterricht ist der Ort, in der die einzigartige Verfasstheit jeder Person Respekt erfahren sollte, auch mit ihren problematischen und gehemmten Seiten. Sich der prägenden Leitmodelle für die Entwicklung des eigenen Menschenbilds bewusst werden Denn kommt man mit religiös nicht sozialisierten Kindern und Jugendlichen ins Gespräch – also mit den Teilnehmenden einer typischen Religionsunterrichtsgruppe –, kann man wahrnehmen, welche Attribute des Menschen ihnen in der Regel erstrebenswert erscheinen: Körperform, Erscheinungsbild der Haut, Beweglichkeit und Kleidung sollten sich an den Modellen aus Werbung, Mode und Musikindustrie orientieren. Vielen Kindern und Jugendlichen ist 16 Schmidt 2004, 22.

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der Anblick eines Menschen mit Spasmen oder Wirbelsäulenverkrümmung unerträglich. »Bist du behindert oder was?« wird selbst innerhalb einer PeerGroup als gängige Redewendung gebraucht, um einander herabzusetzen. Wer auf Hilfe angewiesen ist, wird zuweilen als »Opfer« diskriminiert. Ein junger Mann im Rollstuhl mit einem ebenmäßig schönen Gesicht und einer interessanten Vita wie Sebastian Koch, der seit seinem Unfall bei Wetten Dass querschnittsgelähmt ist, stößt da weniger auf Akzeptanzprobleme. Aber wenn den herrschenden Normen von Ästhetik nicht entsprochen wird, kommen selbst wohlmeinende Jugendliche kaum gegen ihre ersten Abwehrimpulse an. Ein schiefes Gebiss – wie bei Asylbewerbern zuweilen vorzufinden – kann da durchaus Abscheu auslösen. Ein großer Teil der Kinder und Jugendlichen hat verinnerlicht, was durch Medien und Werbeindustrie vermittelt wird: Erwünscht ist der schlanke, ebenmäßig schöne, sportliche, gut gekleidete und autonome Mensch. Junge Menschen sind darüber hinaus sehr geruchsempfindlich. Sie können sich nicht gegen Missempfindungen wehren, wenn sie unangenehme Körpergerüche wahrnehmen. In einer gesprächsbereiten und offenen Schulklasse kann das angesprochen und problematisiert werden. Gemäß kulturellen Normen geformte und angenehm duftende Körper leistungsfähiger Menschen sind das Ideal unserer Gesellschaft. Dieses Ideal wird über die ständige Präsenz von Abbildungen makelloser Körper geradezu ins Gehirn eingebrannt. Und da die »Formung« des Körpers mittels plastischer Chirurgie und Körpertraining zunehmend als eigene Leistung eingefordert wird, erscheint die Erfüllung der ästhetischen Norm zwingend als machbar. Das hat unter anderem zur Folge, dass Menschen, die diese Norm nicht erfüllen, als Versager angesehen werden, als Zumutung für die Leistungsgesellschaft. Nachdenken können die Schülerinnen und Schüler über ihre ästhetischen Normvorstellungen beispielsweise mit folgendem Spiel, das ergebnisoffen diskutiert werden sollte und ohne abschließende Werturteile der Lehrkraft, die aber durchaus problematisierende Provokationen einbringen wird (für Jahrgangsstufe 4–8): Mehrere Personen (mindestens drei) aus der Klasse schlüpfen ohne Kenntnis der anderen unter große Tücher, die sie vollkommen verbergen. Sie können eine auffällige Haltung einnehmen oder eher unauffällig drunterstehen. Wichtig ist nur, dass keine Schuhe unter dem Tuch zu sehen sind, an denen man die Personen identifizieren könnte. Dann kommen die übrigen Schülerinnen und Schüler dazu und mutmaßen, wer unter dem jeweiligen Tuch versteckt sein könnte. Nach einer Weile reden die versteckten Personen mit, damit sie dann anhand ihrer Stimme erkannt werden können. Sie bleiben aber noch den Blicken verborgen.

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Abb. 8: Versteck-Übung in der Klasse, © Elisabeth Buck

Nun kann sich ein Gespräch entwickeln zu Impulsfragen wie: ȤȤ Wenn die Personen unter dem Tuch eine grüne Hautfarbe hätten, ihr aber mit ihnen ansonsten dieselben Erlebnisse geteilt hättet, und wenn ihr von Anfang an deren grüne Hautfarbe gewohnt gewesen wäret, meint ihr, eure Freundschaft hätte dann eine andere Bedeutung? Was denkt ihr darüber? Die drei Personen unter den Tüchern werden durch andere Personen ausgetauscht, ohne dass die Klasse sehen kann, wer von den Dreien unter welchem Tuch verborgen ist. So kann das Spiel eine Weile weitergehen mit jeweils neuen Impulsfragen: ȤȤ Wenn die Personen unter dem Tuch blind wären, ihr aber mit ihnen ansonsten dieselben Erlebnisse geteilt hättet, und wenn ihr von Anfang an deren Blindsein gewohnt gewesen wäret, meint ihr, eure Freundschaft hätte sich dann anders entwickelt? ȤȤ Wie wichtig ist uns denn das Aussehen, wenn wir nach einiger Zeit mit einem Menschen vertraut geworden sind und eine gute Freundschaft entstanden ist? ȤȤ Inwiefern ist für euch das Aussehen eines Menschen von Bedeutung, um euch mit ihm langfristig befreunden zu können? ȤȤ Hindert euch das Aussehen mancher Menschen daran, mit ihnen etwas zu tun haben zu wollen? Woran, meint ihr, liegt das? In diesem Spiel können die Schülerinnen und Schüler darüber nachsinnen, was ihnen in der Begegnung mit Menschen über das Erscheinungsbild hinaus wichtig ist. Vielleicht wird ihnen bewusst, dass Idealbilder des Menschen relativ

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sind sowie zeit- und kulturabhängig. Science-Fiction-Serien spielen geradezu mit einer großen Variationsbreite humanoider Erscheinungsbilder. Das »StarTrek-Universum«17 durchbricht beispielsweise immer wieder die Erwartungshaltungen mit einer schockierend aussehenden Spezies, die sich dann aber als freundlich und solidarisch erweist. Es kann auch bewusst werden, wie wichtig vielen ein gefälliges Aussehen ist und wie sehr sie zu kämpfen haben, in einem Schwerstbehinderten mit entstellender Mimik den Menschen zu sehen, dessen Würde unantastbar ist. Wenn sie selbst unter dem Tuch stehen, können die Schülerinnen und Schüler teilweise eigene Infragestellungen empfinden: »Ich hätte ja auch anders geboren werden können mit einem ganz anderen Aussehen. Ich kann vielleicht auch einmal in die Situation kommen, in der mein Erscheinungsbild nicht mehr meinem heutigen entspricht – ja eigentlich ganz sicher, dann nämlich, wenn ich einmal sehr alt bin.« Erfahrungen mit hilfsbedürftigen Menschen und die daraus folgenden Erwartungshaltungen zu diakonischen Projekten bedenken Je mehr Inklusion in den Schulen umgesetzt und gelebt wird, je mehr also z. B. sinneseingeschränkte, körperbehinderte oder lernbehinderte Schülerinnen und Schüler ganz selbstverständlich im Schulalltag vorkommen, umso geringer werden die Berührungsängste sein. Gibt es keine Inklusion an einer Schule, muss man damit rechnen, dass die Teilnehmenden des Religionsunterrichts bisher kaum näheren Kontakt zu Menschen mit Behinderungen hatten. Im Alltag wird zudem meist die Begegnung mit Obdachlosen oder Asylbewerberinnen vermieden, so dass auch hier kaum von Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen mit diesen Menschen auszugehen ist. Einzig das Altenheim ist ein Ort, in dem viele junge Leute hilfsbedürftigen Menschen begegnen, wenn sie dort Familienangehörige besuchen. Einzelne Schülerinnen und Schüler haben behinderte Familienmitglieder. Bei manchen führt es dazu, dass sie den Cousin mit Down-Syndrom oder die Tante mit Halbseitenlähmung als gleichwertige Menschen schätzen gelernt haben, mit denen man ganz selbstverständlich das Leben teilen kann – im Feiern, im gemeinsamen Lachen, im Alltag und in schwierigen Zeiten. Problematischer kann es sein, wenn die eigene Schwester oder der eigene Bruder eine Behinderung aufweist. Manches nicht behinderte Kind findet sich in der schwierigen Situation

17 Urheber: Gene Roddenberry.

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wieder, weniger Aufmerksamkeit in der Familie zu finden oder aus Rücksicht die vielleicht notwendigen Konflikte umgehen zu müssen. Die unterschiedlichen Erwartungshaltungen sind von unterschiedlichen Erfahrungen und unterschiedlichen Lebensgeschichten abhängig. Folgendes Spiel kann bewusst machen, dass verschiedene Personen verschieden empfinden und verschiedene Erwartungen hegen (für Jahrgangsstufe 3–6): Die Schülerinnen und Schüler sitzen im Kreis. Ein Beutel, der mehrere verschiedene kleine Gegenstände enthält, wird von Person zu Person weitergegeben. Jede Person bekommt die Gelegenheit, einmal in den Beutel hineinzugreifen und zu fühlen, was sich darin befindet. Vor jedem Hineingreifen gibt es die Frage: »Was erwartest du?« Niemand verrät, was er ertastet hat, damit die nachfolgenden Personen ebenso wenig über den Inhalt wissen wie die vorangehenden. Beispiel aus einer Tast-Runde: Die erste Schülerin sagt: »Ich denke, dass da Perlen in dem Beutel sind. Ach, nein, huch?« Lehrkraft: »Psst! Du darfst nicht verraten, was du da drin jetzt fühlst.« Der zweite Schüler: »Also ich erwarte, dass da was zu essen drin ist.« Der dritte Schüler: »Ich fürchte, dass da irgendwas Gruseliges drin ist.« Usw.

Abb. 9: Mit welcher Erwartung greifen die Schülerinnen und Schüler in den Beutel?, © Elisabeth Buck

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Nun kann im Gespräch aufgearbeitet werden: »Und? Ist in dem Beutel das drin gewesen, das du erwartet hattest?« Nach einer Runde, in der die Tasterfahrungen beschrieben werden, schüttet ein Schüler den Inhalt des Beutels zur Ansicht aus. Daraufhin wird diskutiert: »Warum hast du Perlen erwartet, warum du etwas Essbares, warum du etwas Gruseliges?« Nicht alle können ihre Erwartungen begründen. Aber einige sind durchaus in der Lage, dies zu früheren Erlebnissen in Beziehung zu setzen. Denn Erwartungen hängen an früheren Erfahrungen. Wer fürchtet, in dem Beutel könnte etwas Gruseliges sein, aktiviert hier vielleicht eine Furcht vor bissigen kleinen Tieren. Oder wer öfter verborgene süße Überraschungen gefunden hat, greift vielleicht mit einer positiven Erwartungshaltung in den Beutel. Es geht also nicht darum, was in diesem konkreten Beutel ist – das wird ja anschließend sichtbar gemacht –, sondern es geht um die Erwartungshaltung kurz vor und während des Hineingreifens. Nun können die Erwartungshaltungen der Schülerinnen und Schüler zum geplanten diakonischen Projekt zu den Erwartungshaltungen im vorhergehenden Spiel in Beziehung gesetzt werden. In einer ausführlichen Gesprächsrunde können diese Erwartungshaltungen in Bezug auf das Diakonieprojekt und die verschiedenen Vorerfahrungen zur Sprache gebracht werden. Prägnante Äußerungen können auf Kärtchen geschrieben werden, die man um den Beutel gruppiert, der in der Stuhlkreismitte auf dem Boden liegt. In der Nachbearbeitung der Erfahrungen – also nach dem diakonischen Projekt – können die Aufschriften auf den Kärtchen mit den tatsächlichen Erlebnissen verglichen werden.

6.2 Die Perspektive thematisieren Das Verhalten der Schülerinnen und Schüler in Situationen des Diakonischen Lernens ist maßgeblich geprägt von ihrem Blick auf sich selbst und von ihrem Blickwinkel auf Menschen, die diakonischen Handelns bedürfen. Perspektiven, die wir einnehmen, sind uns in der Regel nur wenig bewusst. Oft wird der eigene Blickwinkel für eine allgemeingültige Realitätswahrnehmung gehalten. Es lohnt sich, im Unterricht gemeinsam darüber nachzudenken, dass vieles aus einer anderen Perspektive auch anders aussieht, dass es noch andere Perspektiven als die eigene geben kann und dass der eigene Blickwinkel seine Geschichte und seine eigenen Gründe hat. Ging es oben um das eigene Menschenbild, geht es hier um den eigenen Standpunkt, aus dem heraus sich ein bestimmter Anblick

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der Welt eröffnet, der immer eine Beschränkung ist, da kein Mensch Ubiquität besitzt. Den eigenen Blickwinkel erkunden Wenn beim Anblick hilfsbedürftiger Menschen die ästhetischen Normvorstellungen gravierend irritiert sind, dürfen die daraus folgenden Schockempfindungen nicht bagatellisiert werden. Bisherige Erlebnisse, die schockierend gewirkt haben, sollten im Unterricht zur Sprache kommen dürfen. Es gibt jüngere Kinder, die Angst davor haben, sich beispielsweise bei einem Menschen mit Behinderung wie bei einer viralen Erkrankung »anzustecken«. Neben Aufklärung ist für Erwachsene, Kinder und Jugendliche gleichermaßen die Frage hilfreich: »Was kann mir passieren, wenn ich diesem Menschen nahe komme?« Wenn man diese Frage gemeinsam konsequent weiterdenkt, kann sich manche Befürchtung auflösen. Denn bei näherer Betrachtung ist eine Angst, wenn sie ausgesprochen wird, längst nicht mehr so wirkmächtig, wie wenn sie verschwiegen würde. Ebenso bedenkenswert sind Erwartungen, die viele Menschen mit ihrer Hilfehandlung verbinden. Ein Jugendlicher erzählte im Unterricht davon, wie sein Vater einem Obdachlosen zehn Euro gegeben habe. Als er bemerkte, dass der Obdachlose sich davon eine Schachtel Zigaretten kaufen wollte, forderte der Vater des Schülers seine Spende zurück. Für den Jugendlichen war klar: Die Spende seines Vaters durfte nur zu einer moralisch wertvollen Reaktion führen. Dass Menschen, die einer Hilfe bedürfen, nicht dankbarer, freundlicher, liebenswerter sind als alle anderen selbstständigen Personen, ist ein wichtiger Aspekt, der von den Schülerinnen und Schülern reflektiert werden sollte. Die Perspektive, wer Hilfe verdiene und wer nicht, ist vielfach unterfüttert mit jener gängigen, aber unseligen Formulierung, »jemand sei unschuldig in Not geraten«. Dass diakonisches Handeln nicht nur »guten armen Menschen« gilt, sondern allen Menschen ohne Ansehen der Person, sollte ebenfalls im Unterricht bearbeitet werden. Die Selbstreflexion im Unterricht kann angestoßen werden durch folgendes Gestaltungsbeispiel (für Jahrgangsstufe 4–5): Die Schülerinnen und Schüler fertigen menschliche Figuren in Lebensgröße an. Z. B. können sich Einzelne auf ausgerollte Bahnen von Tapetenrollen legen und sich von ihren Freunden ummalen lassen. Diese Figur wird ausgeschnitten und mit Sehschlitzen in den Augen versehen. Für jede Figur wird nun ein verletzlicher Status ausgewählt: Altenheimbewohnerin, Obdachloser, Asylbewerber, Menschen mit verschiedenen Behinderungen …

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Auf die Vorderseite der Figur schreiben die Schülerinnen und Schüler dann ihre Meinungen über Menschen in der zugeschriebenen Situation. Es ist also der Frontalanblick, dem man bestimmte Attribute zuschreibt. Dann kann jede Person einmal hinter die Figur gehen, durch die Sehschlitze blicken und imaginieren, wie sich die Situation für die jeweilige Person anfühlen könnte – also aus dem Blickwinkel der Figur heraus. Im Gespräch werden diese Imaginationen diskutiert und differenziert. Ergebnisse des Gesprächs werden dann auf der Rückseite der Papierfigur notiert.

Abb. 10: Stellvertreter für die Selbstreflexion, © Elisabeth Buck

Durch dieses Gestaltungsspiel können die Schülerinnen und Schüler ihrer eigenen Einstellungen und Ansichten in Bezug auf verletzliche Menschen gewahr werden. In den durchgespielten Perspektivenwechseln können sie dann Möglichkeiten finden, ihre eigenen Einstellungen zu reflektieren und zu relativieren. Die eigenen Fähigkeiten betrachten »Was kann ich, was habe ich bisher geschafft, was kann ich mir zutrauen?« Diese Fragen haben ebenfalls ihren Ort in der unterrichtlichen Vorbereitung für diakonische Projekte. Fällt es manchen schwer, fremde Menschen anzusprechen? Welche Hemmnisse können bei unangenehmen Gerüchen entstehen? Gibt es Ängste, etwas falsch zu machen? Was sind die eigenen Stärken im Umgang mit anderen? Manche Kinder und Jugendliche packen lieber an als zu reden, und

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sie schauen sich lieber ab, was sie bei anderen beobachten, – andere wiederum haben die Erfahrung gemacht, dass man weiter kommt, wenn man fragt. Solche persönlichen Einschätzungen sollten in den Blick genommen und ihre Vielfalt in der Klasse diskutiert werden. Man könnte hierfür zum Beispiel ein Bewerbungsspiel gestalten, um ein Nachdenken über die eigenen Stärken anzustoßen(für Jahrgangsstufe 4–10): Die Schülerinnen und Schüler finden sich zu Gruppen von je drei bis vier Personen zusammen. Sie wählen sich eine diakonische Institution aus, für die sie als Rollenspiel ein Bewerbungsgespräch entwickeln. Die Grundfrage an die Bewerber ist jeweils: Welche Fähigkeiten können Sie einbringen, wenn wir Sie in diesem Altenheim (Tafel/Asylbewerberheim/Obdachlosenhilfe/Krankenhaus/ Einrichtung für Menschen mit Behinderung) einstellen möchten? Das so im Gespräch entwickelte Fähigkeitenprofil wird in ein – mit Namen versehenes – gefaltetes Kärtchen eingetragen. Nach dem diakonischen Projekt können dann neu entdeckte Fähigkeiten dazu notiert werden. Einblicke und Aufklärungen erfahren »Eine gezielte, auf den Einsatzort abgestimmte Praxisvorbereitung in der Schule kann Bedenken der Lernenden gegenüber der vor ihnen liegenden Tätigkeit abbauen und Bereitschaft erzeugen, sich auf die Aufgabe einzulassen.«18 Steht ein konkreter diakonischer Einsatzbereich für die Schülerinnen und Schüler fest, sollten ihnen bereits zuvor informative Einblicke ermöglicht werden (für Jahrgangsstufe 4–10): Dies kann übers Internet, über Broschüren oder über Gastbesuche von Mitarbeitenden der jeweiligen Institution in der Klasse geschehen. Auch können sich die Schüler selbst kundig machen und in Referaten oder durch Plakatgestaltungen ihre Kenntnisse untereinander weitervermitteln. Je nach diakonischem Projekt kann das die Situation von Asylbewerbern betreffen sowie medizinische und sozialwissenschaftliche Fakten in Bezug auf geistige Behinderungen oder Demenzerkrankungen u.v.m.

18 Toaspern 2007, 275.

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6.3 Die Haltung thematisieren Diakonisches Handeln ist leibliche Bewegung. Zuwendung vollzieht sich in leiblichem Zuwenden. Auf Füßen ist der helfende Mensch unterwegs zu Menschen, die Hilfe brauchen. Helfendes Handeln geschieht in der Hinwendung, in Handreichungen, im Ansprechen, Hinsehen und Zuhören. Alle Sinne öffnen sich für den Nächsten. Diakonisches Handeln ist geprägt von einer inneren und äußeren Haltung. Wer instabil ist und sich an Hilfsbedürftige anlehnen möchte, wer sich selbst an andere verliert, kann in der Hilfesituation unter Umständen sogar zur Belastung werden. Wer sich im Gegensatz dazu abschottet, im Schreck erstarrt oder sich aus Unsicherheit panzert, ist unbeweglich und findet nur wenig Spielraum, Hilfsbedürftigen gerecht zu werden. Diakonische Haltung lebt aus der Standhaftigkeit. Wer auf eigenen Füßen steht, wer mit beiden Beinen auf dem Erdboden steht, findet viele Möglichkeiten, Hilfsbedürftigen aufzuhelfen, Hilfsbedürftige zu tragen, Hilfsbedürftigen zu helfen. Solche körperlichen Bedingungen korrelieren mit Lebenshaltungen und mit Ein-Stellungen zum »Nächsten«. Gerade die inszenierten Möglichkeiten von Gesten, Haltung und Bewegungshandlungen eröffnen Erkenntnisprozesse in der unterrichtlichen Vorbereitung für Diakonisches Lernen. Zu-Wendung/Zu-Neigung erproben »Zuneigung ist die aktive Hinwendung zum Nächsten, die insofern dia­ konisch ist, als dass der Nächste angewiesen ist auf solche Gesten, er wird in seinem Menschsein angenommen als Ebenbild Gottes und nicht nach seiner Herkunft, Religion oder nach seinem Einkommen. Das Handeln Jesu ist bestimmt von solchen Gesten der Zuneigung, darin zeigt sich, dass Jesus sich in seiner Barmherzigkeit den Menschen zuwandte.«19 Bevor es eine Geste der Zu-Neigung geben kann – die nicht mit Sympathie verwechselt werden sollte –, braucht es erst die Wahrnehmung des Anderen. »Sehe« ich die Not oder »betrachte« ich sie? »Registriere« ich sie nur oder »wende ich mich zu und öffne ich mich dafür?« Für das diakonische Lernen zeigt sich, »dass es offenbar von grundlegender Bedeutung ist, jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Wahrnehmungsfähigkeit für andere zu schulen

19 Kramer 2012, 46.

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und ein Konzept der Zuwendung zu entfalten, das von den Bedürfnissen und dem Einverständnis der Betroffenen getragen ist.«20 Viele Menschen können mühelos ausblenden, was ihnen an Veränderungen abverlangt werden könnte. Fünftklässler haben in einer Inszenierung den Redewendungen nachgesonnen, »mit Scheuklappen« unterwegs zu sein und »mit offenen Augen durchs Leben gehen« (für Jahrgangsstufe 4–10): Die Schülerinnen und Schüler wanderten durchs Klassenzimmer, während sie ihre Hände als Blickbegrenzung seitlich neben ihre Augen hielten.

Abb. 11: Mit Scheuklappen durchs Leben gehen, © Elisabeth Buck

Anschließend diskutierten sie die so eingeschränkte Wahrnehmung und die Frage, ob es im Alltag auch unsichtbare Scheuklappen gebe. Später wollten sie dann mit offenen Augen durchs Klassenzimmer wandern und sich anschließend befragen, was sich in der veränderten Blicksituation Neues entdecken ließ, das ihnen zuvor verborgen geblieben war. In Jesu Gleichnis vom Barmherzigen Samariter in Lk 10,25–37 führt der unterschiedliche Blick bei Priester, Levit und dem Mann aus Samarien zu völlig verschiedenen Haltungen und Handlungen. Der zielorientierte Tunnelblick visualisiert zwar den Verletzten einen Moment (»und als er ihn sah«), aber die Scheuklappen, die dem Kultus folgen, nicht mit Blut in Berührung kommen zu wollen, lenken die Schritte vorbei (»ging er vorüber«). Der Mann aus Samarien visualisiert den Verletzten ebenfalls (»und als er ihn sah«), aber es geht ihm nahe 20 Hanisch/Gramzow/Hoppe-Graf 2004, 90.

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(Luther übersetzt: »jammerte er ihn«), er wendet sich dem Verletzten zu, und er neigt sich zu ihm herab. Der Schriftgelehrte fragt Jesus in Lk 10,29: »Wer ist mein Nächster?« Als logische Antwort auf seine Fragerichtung wäre nun ein Hinweis zu erwarten, der auf andere Personen deutet: »Dieser oder jener da.« Aber Jesus macht das Von-Sich-Weg-Zeigen auf andere nicht mit. Er dreht den Blickwinkel um: »Wer von den dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war?« Der Schriftgelehrte wird auf sich selbst verwiesen mit seiner Frage nach dem Nächsten. »Diakonische Sozialkompetenz besteht in der Fähigkeit, vom Anderen her denken zu können. Der Andere ist dabei dem diakonisch Tätigen existenziell näher, als es oft scheint. Diese Erkenntnis ist Ausgangspunkt diakonischen Handelns.«21 Folgendes Spiel dient dieser Wahrnehmung und der Zu-Neigung zum Anderen, von dessen Lage man sich selbst betroffen erlebt (für Jahrgangsstufe 5–8): L. [die Lehrerin/der Lehrer]: Im Evangelium des Lukas wird erzählt: Da ist einmal ein Fachmann für Religion zu Jesus gekommen und hat gesagt: Es heißt, man soll Gott lieben mit seinem ganzen Leben und man soll seinen Nächsten lieben wie sich selbst. Ja, gut – aber wer ist denn mein Nächster? Wer alles ist denn damit gemeint? Da hat sich Jesus Zeit genommen für diesen Mann und hat ihm diese Geschichte erzählt: Ein Mann war einmal unterwegs von Jerusalem nach Jericho. Und plötzlich wurde er überfallen. Straßenräuber sprangen hinter Felsblöcken hervor und stürzten sich auf den Mann. Sie schlugen ihn zusammen und nahmen ihm alles weg, was er bei sich trug – seine Tasche, seinen Geldbeutel, seine Wasserflasche. Dann rannten die Räuber davon und sie ließen den Mann halbtot liegen. Wir versuchen, uns die Situation des zusammengeschlagenen Mannes vorzustellen. Dazu bitte ich euch, dass ihr euch verteilt im Raum auf den Boden legt. Ihr könnt auch euren Stuhl irgendwohin in den Raum stellen und euch fast wie erschlagen auf dem Stuhl sitzend hängen lassen …

21 Hinzen 2013, 384.

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Abb. 12: Auf dem Boden, © Elisabeth Buck

(Wenn alle in dieser Lage sind, erzählt L. weiter.) Da liegt der Mann. Blut sickert aus seinen Wunden in den Staub. Die Sonne brennt gnadenlos. Kein Schatten ist hier, der ihn schützt. Fliegen setzen sich auf seine Wunden. Die Lippen verkrusten. Der Mann hat quälenden Durst. Da – Schritte, da kommt jemand! (L. lässt im Sitzen mit den Füßen Schritte ertönen.) Gott sei Dank! Jetzt ist er gerettet. Unter den verquollenen Augenlidern sieht der Mann: Da kommt ein Priester. Welch ein Glück! Besser kann es gar nicht sein. Jetzt hat seine Qual gleich ein Ende. Doch was ist das?! (L. lässt die Schritte leiser werden) – Der Priester geht vorbei. Halt! So hilf mir doch! Hier bin ich! O nein! Der Priester ist tatsächlich vorbeigegangen. Er hat nicht geholfen. Der Priester ist fort. Er hat den verletzten Mann liegen lassen. Wenn niemand mehr kommt und ihm hilft, wird er sterben. In der sengenden Sonne hält er das nicht mehr lange aus. Da, endlich, da kommt noch jemand. (L. lässt wieder im Sitzen mit den Füßen Schritte ertönen.) Da kommt ein Levit, ein Tempeldiener, er ist das Helfen gewohnt, er ist geübt, mit beiden Händen zuzupacken, wenn Hilfe gebraucht wird. Doch nein! Das kann doch nicht sein! Er geht auch vorbei! Der Tempeldiener eilt weiter und lässt den Mann einfach liegen in seinem Blut! (L. lässt die Schritte leiser werden.) – Jetzt ist alles aus! Der Mann denkt an seine Familie. Er hätte noch so viel vorgehabt in seinem Leben. Doch jetzt soll er schon sterben. Da – wieder Schritte! (L. lässt wieder im Sitzen mit den Füßen Schritte ertönen.) Mühsam kann der Mann seine

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Augen einen Spalt weit öffnen. Er sieht einen Ausländer kommen auf einem Esel. Aus Samaria ist er, ein Samariter. Der verletzte Mann schließt wieder die Augen. Lieber nicht mehr hoffen. Er wird ja doch wieder enttäuscht. (Jetzt stoppt L. die Schritte.) Aber der Samariter steigt ab und geht hin zu dem Mann. (Während der weiteren Erzählung geht L. zu einer Schülerin, hilft ihr auf und flüstert ihr danach zwischen zwei Sätzen zu: »Hilf du nun einer anderen Person auf und bitte sie danach, dasselbe bei anderen zu tun.« Dazwischen weiter erzählend geht L. von Schüler zu Schülerin, hilft ihnen jeweils auf und bittet sie, das Gleiche zu tun, bis alle Schülerinnen und Schüler aus der misslichen Lage befreit sind.)

Abb. 13: Helfende Hände, © Elisabeth Buck

Hab keine Angst, sagt der Samariter. – Ich helfe dir. – Ich gebe dir Wasser zu trinken, vorsichtig, verschlucke dich nicht. – So ist es gut. – Schau, ich habe Verbandszeug in meinen Taschen. Ich verbinde dir jetzt die Wunden. – So können dich die Fliegen nicht mehr quälen. – So, jetzt hebe ich dich auf meinen Esel. – Ganz langsam. – So ist es gut. – Ich bringe dich in eine Herberge. – Dort wirst du gesund gepflegt. – Ich lasse einen Arzt holen für dich. – Und ich bezahle, was du dort brauchst, bis es dir wieder gut geht …22 22 Buck 2011, 63.

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Jede Schülerin und jeder Schüler erfährt sich also in einer Situation der Verletzlichkeit, des Ausgeliefertseins, der Hilflosigkeit, der Enttäuschungen, als die Schritte wieder leiser werden. Jede Person erlebt, wie jemand ihr nahe kommt und ihr aufhilft, und jede Person erlebt, wie sie sich anschließend selbst jemandem zu-neigt und ihm unter die Arme greift. (Für die letzte Person kann sich L. als »hilfsbedürftig über dem Stuhl hängend« zur Verfügung stellen, dass auch die letzte Person das Helfen durchspielen kann.) Im Gespräch reflektiert werden dann Fragen wie: ȤȤ Erkennen wir Scheuklappen in dieser Geschichte? ȤȤ Wie unterscheidet sich das Sehen des Samaritaners vom Sehen des Priesters und des Tempeldieners? ȤȤ Wie vollzieht sich die Zu-Neigung des Samaritaners? ȤȤ Was sind seine Gesten des Helfens? ȤȤ Was ist seine Geste des Tröstens? Schließlich wird das Gleichnis in der Schulbibel gemeinsam gelesen. Die Eingangsfrage des Schriftgelehrten (Lk 10,29) und die Antwort Jesu (Lk 10,36) werden zum erlebten Spiel in Beziehung gesetzt und reflektiert. Jens Kramer betont, »dass sich in Gesten nicht nur eine Haltung ausdrückt, sondern auch ein dahinter liegender Inhalt.«23 Dabei sind für ihn drei Gesten kennzeichnend: Die Geste der Zuneigung, die Geste der tätigen Hilfe sowie die Geste des Trostes.24 Das Sehen erproben: Von oben herab oder auf gleicher Augenhöhe »In einem Dokumentarfilm über den Alltag in Einrichtungen für geistig behinderte Kinder […] fragt der Leiter der Einrichtung Fanny, die eine leichte kognitive Beeinträchtigung und eine geringfügige körperliche Behinderung hat: ›Wo liegt für dich die Behinderung, Fanny? Was bedeutet sie für dich?‹ Sie antwortet: ›Im Blick der anderen.‹«25 Es ist nicht nur der Blick, der sich auf die Behinderung oder das Anderssein beschränkt und damit den Menschen auf seine Beeinträchtigung reduziert und ihn ausgrenzt, sondern es kann auch der Blick der Helfenden sein, der von oben herab verletzend wirkt: »Ich, die Starke, komme dir Schwachem zu Hilfe, du 23 Kramer 2012, 45. 24 Vgl. ebd. 25 Pozzo di Borgo/Vanier/de Cherisey 2012, 47.

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Armer, du kannst ja nichts ohne mich. Du kannst dich glücklich schätzen, dass ich mich deiner erbarme …«. Im Film Ziemlich beste Freunde (2011) wird für den querschnittsgelähmten reichen Philippe ein neuer Pfleger gesucht. Nach den Vorstellungsgesprächen mit einigen Bewerbern fällt die Wahl auf Driss, der über keinerlei Pflege-Erfahrungen verfügt, dafür aber auf eine kriminelle Karriere zurückblickt. Philippe begründet seine ungewöhnliche Wahl so: »Er hatte kein Mitleid.« Über diesen Blick – von oben herab oder auf Augenhöhe, haben Fünftklässler die folgende Inszenierung gestaltet und anschließend im Gespräch reflektiert (für Jahrgangsstufe 5–10): Die Hälfte der Schülergruppe setzte sich verteilt auf den Boden. Die übrigen Schülerinnen und Schüler gingen zwischen den Sitzenden aufrecht umher.

Abb. 14: Von oben herab, © Elisabeth Buck

Abschließend wurden die Sitzenden befragt: »Wie habt ihr es erlebt, als ihr am Boden gesessen seid und andere Personen umhergegangen sind, zwischen euch hindurch und an euch vorbei?«

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Es kamen Äußerungen wie »Ich habe mich angestarrt empfunden.« – »Es war wie Ausgestoßensein« – »Irgendwie einsam!«

Abb. 15: Von oben herab, © Elisabeth Buck

Nun verließen die Umhergehenden nach einer Weile ihre Wege. Sie setzten sich neben eine der Personen am Boden, um sich mit ihr über Eissorten und die eigenen Geschmacksvorlieben auszutauschen.

Abb. 16: Gespräch auf Augenhöhe, © Elisabeth Buck

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Anschließend äußerten sich wieder die von Beginn an Sitzenden und sagten Sätze wie: »Ich hatte den Eindruck, dass ich nun ernst genommen worden bin.« Der Spielablauf wurde noch einmal mit vertauschten Rollen wiederholt. Wir kamen im Gespräch auf den Ausdruck »auf Augenhöhe« zu sprechen und auf die Redewendung »von oben herab«. Die Schülerinnen und Schüler erzählten von ihren Erlebnissen, in denen sie sich von oben herab angeblickt sahen oder sich auf Augenhöhe angesprochen wähnten. Das Gespräch wandte sich dann der Situation verletzlicher Menschen zu, die Hilfe brauchen, aber nicht von oben herab behandelt werden wollen. Bewusst werden kann auch, dass in der Haltung »auf Augenhöhe« Ge­mein­ samkeiten entstehen können. In der Situation diakonischen Helfens geht es ja nicht nur um die Unterstützung, die eine hilfsbedürftige Person durch die hilfegebende Person erfährt. Es geht auch darum, miteinander menschliche Erfahrungen zu teilen, in denen der Unterschied nicht mehr die Themen bestimmt: Miteinander ins Gespräch kommen zu unterschiedlichsten Themen, miteinander lachen, miteinander neugierig sein usw. Nähe und Distanz (Vereinnahmung oder Respekt) thematisieren Karikiert werden Pfleger oder Ärzte oft mit ihrer vereinnahmenden Rede: »Na, wie geht’s uns denn heute?« Immer wieder kann man erleben, wie Menschen in ihrem Wunsch zu helfen übergriffig werden; in ihrer Meinung, schon zu wissen, was der verletzliche Mensch an Hilfe braucht. Dieses Verhalten wirkt sich demütigend aus. Vor allem aber engt es hilfsbedürftige Personen in ihrer noch verbliebenen Autonomie ein und verwehrt ihnen die nötige Übersicht über ihre eigene Situation und ihre eigenen Stärken. Mit folgendem Spiel können die Schülerinnen und Schüler diese Mechanismen reflektieren (für Jahrgangsstufe 7–10): Jeweils zwei Personen stellen sich einander gegenüber. Sie experimentieren mit dem Abstand zueinander: Wie weit kann man voneinander entfernt sein, dass man der anderen Person bequem die Hand reichen kann? Wie weit muss man voneinander entfernt sein, um die andere Person noch klar in ihren Konturen und in ihrer Größe sehen zu können? Die Erkenntnisse aus diesem Spiel werden im Anschluss diskutiert und auf diakonisches Handeln bezogen. Zu große Distanz verhindert den helfenden Umgang. Zu große Nähe, innerlich wie dauerhaft räumlich, verhindert die freie Sicht und damit die Selbstbestimmung der Personen, die der Hilfe bedürfen.

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6.4 Diakonisch handeln – sich stark machen für andere Im Buch Mein Urgroßvater, die Helden und ich denkt James Krüss26 in vielen Facetten darüber nach, was denn einen Helden ausmache. Eines seiner Beispiele ist die Ballade von Heinrich Haltaus. Ein unbeliebter schwächlicher Junge gerät da in eine Situation, die ihn zum Lebensretter seiner Spielkameraden werden lässt, weil ihm in dieser Extremsituation schier übermenschliche Kräfte zuwachsen. Alle können schließlich aus der tödlichen Falle gerettet werden und Heinrich lag Wochen Gebrochen die Knochen, geschient und verbunden im Bett. Doch kam man mit Kuchen Ihn täglich besuchen. Da war er der König im Haus. Und Heinrich war fröhlich, Und Heinrich war selig, Denn jetzt war er Heinrich Haltaus! Wenn Menschen für andere zum Helfer werden, dann verändert dies eben auch die Helfer. Es ist in Mk 2,1–12 zwar nichts Näheres berichtet über die Vier, die den Gelähmten zu Jesus bringen und wegen des Menschengedränges aufs Dach steigen, das Dach aufdecken und öffnen und das Bett mit dem Kranken zu Jesus herunterlassen. Aber ihre Arbeit ist detailliert beschrieben. Es ist anschaulich geschildert, wie sie sich stark machen für den kranken Mann und keine Mühen und kein Aufsehen scheuen. Es könnte reizvoll sein, mit den Schülerinnen und Schülern einmal darüber nachzusinnen, was eine solche Aktion für Helfende bedeuten kann und wie sich solche Erfahrungen im eigenen Leben zukünftig niedergeschlagen könnten. In zahlreichen biblischen Erzählungen können wir sehen, wie sich Jesus selbst für die Schwachen stark macht durch das, was er tut und durch das, was er sagt. Und in Mt 25,31–40 identifiziert sich Jesus mit den Schwachen sogar dergestalt, dass jeder, der sich für Schwache stark macht, es mit Jesus selbst zu tun hat: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. In der Philippuskirche in Rummelsberg sind die Werke der Barmherzigkeit, die sich auf Mt 25 beziehen, als Wandbilder dargestellt. Rummelsberger 26 Krüss 2009, 233.

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Diakoninnen und Diakone werden vor diesem Bild in ihr Amt eingesegnet und erfahren stärkenden Zuspruch für ihren Dienst:

Abb. 17: Werke der Barmherzigkeit (Mt 25), Philippuskirche, Rummelsberger Diakonie, © Heiner Staib

Wenn sich Menschen stark machen für andere, stärkt sie das selbst. Diese Kraftquellen miteinander im vorbereitenden Unterricht zu bedenken, kann in Schülerinnen und Schülern erwartungsvolle Freude auf das Diakonieprojekt wecken. Allerdings sollte diese Frucht des Helfens nicht alleiniger Motivator für diakonisches Handeln sein. Es ist zu wenig, wenn Menschen für ein Helfen motiviert werden sollen, indem man nur den persönlichen Nutzen für sie herausstellt, der das Helfen für Helfende haben kann. Ein alter Spruch aus dem Poesiealbum macht dies deutlich. Willst du glücklich sein im Leben, trage bei zu andrer Glück, denn die Freude, die wir geben, kehrt ins eigne Herz zurück. So fragen auch viele Menschen, wenn sie anderen helfen sollen: »Und was bringt mir das?« Jüngeren Kindern ist diese Frage zwar in der Regel fremd. Aber

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unter Erwachsenen oder Jugendlichen findet man zuweilen das Bestreben, eine Rechnung aufmachen zu wollen und für den eigenen Einsatz einen – wenigstens ideellen – Gewinn einzufahren. Diese Frage »Was bringt mir das?« wurde und wird auf verschiedene Weise beantwortet: ȤȤ In vorreformatorischer Zeit galt caritatives Handeln als Einzahlung auf das persönliche Heilskonto. Jede gute Tat, jede Almosengabe, jede Handreichung für Leidende bedeutete einen Schritt weg vom Höllentor und näher zur Himmelspforte. ȤȤ In der Gegenwart werden die Zuwendung und die Unterstützung Hilfsbedürftiger häufig als Verbesserung des eigenen Lebensglücks und des eigenen Lebenssinns verbucht. Das Helfen, um das ewige Heil zu verdienen, ist mit Paulus und Luther ad absurdum geführt. Das Helfen um des eigenen Glücks willen verliert spätestens dann seine Aura, wenn die Glücksverheißung durch verschiedene Umstände nicht eingelöst werden kann. In beiden Ansätzen wird diakonisches Handeln als Voraussetzung für etwas anderes verstanden: Helfen, um … Man kann jedoch diese Kausalkette auch umdrehen: Helfen, weil … Nicht »Helfen, um glücklicher zu werden« oder »Helfen, um einen Sinn im Leben zu finden« ist dann die Maxime, sondern es geht um »Helfen, weil man es kann«. Das ist der völlig andere Zugang, der den Hilfsbedürftigen nicht verzweckt. So kann ich Nahrung geben dem Hungernden, weil meine Speisekammer gefüllt ist. Meine Zuwendung und meine Orientierung kann ich dem leihen, der sich als Flüchtling verloren und orientierungslos erlebt, weil ich hier Heimat habe. Wer in Lumpen geht, den kann ich einkleiden, weil mein Schrank überquillt: »Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn …« (Jes. 58,7) So kann im vorbereitenden Unterricht für diakonisches Handeln dieser Aspekt größeren Raum einnehmen: Ich kann mich stark machen für andere. Ich entdecke meine Stärke und meine Möglichkeiten für andere – nicht auf Kosten anderer, nicht, um aus dem anderen mein Glück oder meine Kraft zu beziehen. Sondern weil ich es kann. Diakonisches Handeln sollte also nicht aus der Optimierung für das Selbstmanagement erwachsen, sondern von der Wahrnehmung des anderen bestimmt sein, der diakonisches Handeln braucht. Dass dadurch den Helfenden selbst Stärke zuwächst, ist dann ein wunderbares Geschenk. »Sich stark machen für andere« kann in folgenden Spielvorschlägen für die Jahrgangsstufen 4–8 gestaltet, untersucht und diskutiert werden:

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Die Schülerinnen bilden Kleingruppen. Jede Kleingruppe wählt unter den folgenden Karten eine aus. Die Spielidee auf der jeweiligen Karte wird ausprobiert und auf die physischen Anforderungen hin untersucht. Anschließend wird die Gestaltung dem Plenum vorgeführt. Gemeinsam diskutiert wird dann: Was kann das »Sich-stark-machen« dieser Gestaltung erzählen über den Umgang mit anderen, für die wir uns im Alltag oder im diakonischen Projekt stark machen können? A Jemandem über die Mauer helfen mit einer Räuberleiter Ihr bildet Räuberleitern füreinander. Je eine Person faltet ihre Hände und hält die Handinnenflächen so, dass jemand anderes mit seinem Fuß hineinsteigen kann und sich höher heben lassen kann. So könnt ihr einander bequem auf einen Tisch oder auf ein Fensterbrett helfen. Überlegt gemeinsam: Worauf müsst ihr achten, damit jemand über die »Räuberleiter« sicher oben ankommt? Wie müsst ihr euch stark machen?

Abb. 18: Räuberleiter, © Elisabeth Buck

B Jemanden tragen auf einem Geflecht von Händen In Gruppen zu je vier Personen verbinden sich drei von euch zu einem Händegeflecht, auf dem ihr die vierte Person tragen könnt. (Die vierte Person muss sich in die Mitte des Geflechts setzen, nicht nur auf den Rand! Sonst ist die Belastung für nur zwei Unterarme zu groß.) Überlegt gemeinsam: Worauf müsst ihr achten, dass ihr die vierte Person gut tragen könnt? Wie könnte ihr euch für sie stark machen?

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Abb. 19: Händegeflecht, © Elisabeth Buck

C Nichtsehende verantwortungsvoll führen Ihr findet euch zu zweit zusammen. Jeweils eine Person schließt die Augen, und die andere Person führt sie achtsam durchs Schulhaus. Wer mit offenen Augen führt, sucht Möglichkeiten, wie sich die »blinde« Person unterwegs vollkommen sicher fühlen kann. Überlegt gemeinsam: Wie muss die »blinde« Person geführt werden – an einer Hand, zwei Händen oder an den Schultern? In welchem Tempo muss gegangen werden? Wie kannst sich der/die Führende für die Sicherheit der anderen Person stark machen? D Die Verteidigungsrede Situation: Eine Nachbarin lästert über einen körperbehinderten jungen Mann, der vor kurzem im Mehrfamilienhaus eingezogen ist. Ihr schreibt eine Rede, wie ihr den jungen Mann vor der Nachbarin verteidigen könnt. Überlegt gemeinsam: Wie könnt ihr euch stark machen für den jungen Mann? E Eigene Ideen: Sich stark machen für andere Überlegt in eurer Gruppe eine Situation, wie man sich für jemand anderen stark machen kann. Vielleicht habt ihr euch schon einmal für jemanden eingesetzt. Oder ihr habt jemandem eure Kräfte geliehen. Entwickelt die Szene und übt sie ein, damit ihr sie dann der Gesamtgruppe vorspielen könnt. Überlegt gemeinsam: Wie kann in diesem Theaterstück für Zuschauer sichtbar werden, dass ihr euch stark macht für jemand anderen? In einer abschließenden Diskussion können alle gemeinsam noch einmal re­ flektieren: Was verändert sich dadurch, dass sich Menschen stark machen für andere? Wie geht es in Familien, Schulen, Dörfern, Städten und Ländern zu,

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wenn sich niemand für andere stark macht? Wie sieht es aus, wenn sich immer mehr durchsetzt, dass sich die, die es können, für andere stark machen? Letztendlich: Welche Welt wünschen wir uns? Man könnte die Gesprächsergebnisse in bunten Farben in einen großen Kreis schreiben, der die Weltkugel symbolisiert.

6.5 Nachbetrachtung In einem Vortrag mit dem Thema Wer ist mein Nächster äußert sich Heinrich Bedford-Strohm zum Spannungsfeld Individualisierung und Gemeinschaft wie folgt: »Der in sozialem Engagement zum Ausdruck kommende solidarische Gebrauch der Freiheit ist ein lebendiges Zeugnis dafür, dass Individualisierung und Gemeinschaft keineswegs in Gegensatz zueinander stehen müssen. Es geht um Gemeinschaft aus Freiheit!«27 Wenn Schule Diakonisches Lernen in außerschulischen Projekten ermöglichen will, bringt man Schülerinnen und Schüler in Situationen, auf die sie durch unser Pflichtschulsystem nur wenig vorbereitet sind. Verordnet anderen helfen, geht das? An der Schule gibt es keine Gemeinschaft aus Freiheit. Und so wird es immer eine Gratwanderung sein, Schülerinnen und Schülern die Widerfahrnisse im Diakonischen Lernen zuzumuten, ohne sie in Zwangssituationen zu bringen, gegen die sie innere Widerstände entwickeln könnten. Umso wichtiger ist ein Religionsunterricht, in dem sich die Schülerinnen und Schüler in ihrer Individualität wertgeschätzt erleben. Mit einem Religionsunterricht als Rückhalt (vorbereitend und nachbereitend), der ihnen eine Auseinandersetzung mit christlichem Glauben als Liebe zum Leben anbietet, kann eine solche Gratwanderung gelingen. Wenn Kinder und Jugendliche von Gott erfahren, der Menschen so sehr liebt, dass er sich selbst ins menschliche Leben hineinbegibt, kann die Zuwendung zum anderen für sie auch eine neue Freiheit bedeuten. Vielleicht können sie im Rahmen des Religionsunterrichts christliche Gemeinden kennenlernen, in denen die Menschen ohne von oben verordnete Pflicht – wie bei der Schulpflicht – Gemeinschaft in Freiheit leben und aus ihrem christlichen Glauben heraus diakonisch handeln. »In der Gemeinde Christi sind vor Gott alle gleich. Reichtum oder Armut, Tüchtigkeit oder Behinderung bestimmen hier nicht den Wert einer Person, jede und jeder werden in ihrer Menschenwürde geachtet und brüderlich 27 Bedford-Strohm 2014, 37.

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Teil 2: Wie wir es machen können

und schwesterlich begrüßt, angenommen und anerkannt. In der Gemeinde Christi herrscht Vertrauen, nicht Kontrolle. Die christlichen Gemeinden werden auch zu diakonischen Gemeinschaften werden, wenn sie Zentren gegenseitiger Hilfe bilden. Die moderne Konkurrenzgesellschaft vereinzelt, die Gemeinde Christi verbindet. Sie ist die Realität sozialer Liebe, und nicht nur in der Compassion, sondern auch in der gegenseitigen Freude am geliebten Leben.«28

28 Moltmann 2014, 154.

7.  Die Rolle der Lehrkraft beim Diakonischen Lernen

Aus Sicht der Lehrkraft ist Diakonisches Lernen vierphasig. Sie bereitet sich fachlich vor und trifft didaktische Entscheidungen (Vorbereitungsphase). Dann erfolgt der Dreitakt: Unterricht im Klassenzimmer, Unterricht am Lernort, Unterricht im Klassenzimmer (»Weiterarbeit«).

7.1 Vorbereitung Der erste Schritt für die Lehrkraft ist die persönliche Annäherung und Auseinandersetzung. Die Lehrkraft klärt ihr Interesse und ihre Beziehung zur Sache. Ohne diesen Schritt bleibt der Unterricht zum Diakonischen Lernen äußerlich und womöglich »kraftlos«. Mögliche Fragen sind: ȤȤ Was berührt mich persönlich beim Thema »Diakonie«? – »Diakonie« im engeren Sinn als sozialer Dienst der Kirche und im weiteren Sinn im Spiegel menschlicher Erfahrungen und Bedürfnisse und gesellschaftlicher Grundfragen (siehe Kapitel 3.1) ȤȤ Gibt es Erlebnisse oder Bilder, auf die ich dabei zurückgreifen kann? ȤȤ Wo habe ich Vorbehalte, Ängste oder Hemmungen? Kann ich sie mir gegenüber eingestehen? Kann ich sie ausdrücken? ȤȤ Welche Facetten von Diakonie interessieren mich? Womit will ich mich näher befassen? Jede Lehrperson hat einen eigenen, individuellen Zugang zum Thema, eigene Vorerfahrungen und auch individuelle Ängste. In diesem Klärungsprozess kristallisiert sich möglicherweise heraus, welches einzelnes Thema zur »Herzensangelegenheit« werden kann und genauso auch, welcher Aspekt als »unangenehm« erlebt wird. So kann etwa die Vorstellung von einem Alten- oder Pflegeheim, vom Kontakt mit bedürftigen Menschen innere Barrieren hervorrufen. In Gesprächen mit Lehrkräften, die sich am Diakonischen Lernen beteiligten, hat sich gezeigt, dass

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es produktiv ist, die eigenen Grenzen und Ängste beim Thema Diakonie wahrzunehmen und zu ihnen zu stehen. Das Bewusstmachen der eigenen Grenzen und das Ausdrücken dieser Gefühle ist wertvoll. Es ist menschlich, Grenzen zu empfinden. Diese Botschaft kann, wenn sie erkannt wurde, zu einer »kraftvollen« werden und auch für Schüler und Schülerinnen hilfreich sein. Zu den Vorbehalten gehört auch die allgemeine Befürchtung, dass der organisatorische Aufwand für solche Exkursionen zu hoch ist und in der Schule, etwa bei der Schulleitung und im Kollegium, nicht gut »ankommt«. In solchen Fällen kann es hilfreich sein, sich mit Partnern, etwa Kollegen aus Parallelklassen oder aus dem katholischen Religionsunterricht zusammenzuschließen, organisatorische Aufgaben zu teilen und dadurch erste positive Erfahrungen zu machen. Zur weiteren fachlichen Anregung und Vertiefung kann die Lehrperson die Darstellung über Diakonie (s. Kapitel 3) und auch die Unterrichtsentwürfe von E. Buck (s. Kapitel 6) benutzen. Der zweite Schritt ist die Orientierung über die große didaktische Linie. ȤȤ Was möchte ich mit den Schülern erleben? ȤȤ Welche Ziele habe ich für meinen Unterricht? ȤȤ Welche Kompetenzen sollen die Schüler erwerben? Wir starten dazu bei den bestehenden Vorgaben der Lehrpläne zum Themenfeld Diakonie.29 Diese sind in der Regel im Internet zugänglich, deswegen sollen hier exemplarische Hinweise aus einigen Bundesländern (Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen) genügen. Lehrpläne weisen in der alten Form Lernziele, in der neuen Form Kompetenzerwartungen aus. Beispiele für Lernziele sind: In der 8. Klasse der Mittelschule lernen Jugendliche, dass »diakonisches Handeln als Hinwendung zu den Schwachen eine zentrale Lebensäußerung christlichen Glaubens ist. Sie sollen wissen, welche Aufgaben Diakonie wahrnimmt, wie sie auf neue Herausforderungen eingeht und damit auch zu einer Humanisierung der Gesellschaft beiträgt. Schließlich sollen die Schüler dafür offen werden, selbst Nöte wahrzunehmen und auf sie einzugehen«.30 Schüler der gymnasialen Oberstufe »werden befähigt, eine christliche Per­spek­ tive in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs einzubringen«; dabei kann sie 29 Vgl. Schmidt 2005, 430. 30 http://www.isb.bayern.de/download/13268/05lp_er_8_r.pdf, Zugriff vom 10.03.2015; ähnlich in Realschule und Gymnasium.

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die »Zusammenarbeit mit kirchlichen und diakonischen Einrichtungen« (im »Projektseminar zur Studien- und Berufsorientierung«) unterstützen.31 Beispiele für Kompetenzerwartungen: Im Lernbereich Mit anderen gut zusammenleben »beschreiben« Schüler des 1. und 2. Jahrgangs, »wie Menschen sich im Sinne der Botschaft Jesu für andere einsetzen, und erproben einfache Formen diakonischen Handelns im schulischen Umfeld.« Die Inhalte zu den Kompetenzen sind: »einfache Formen diakonischen Lernens und Handelns, z. B. soziale Aktionen, Beteiligung an Hilfsprojekten, Helferdienste, Patenschaften; Aspekte des Helfens, z. B. Helfen ist nicht immer einfach, kostet Anstrengung, befriedigt, eröffnet neue Sichtweisen« (Bayern).32 Im 3. und 4. Schuljahrgang »wissen« die Schüler »von Menschen, die aus dem Geist Jesu lebten und leben und handeln in diesem Sinne an einem konkreten Beispiel«. Sie »kennen Möglichkeiten der Hilfe für Schwache und Benachteiligte und können Motive dafür benennen«. Mögliche Aufgaben zur Überprüfung der Kompetenzen sind »eine diakonische Aktion planen und daran teilnehmen (z. B. Vorlesen im Altenheim)« respektive »eine Ausstellung zu einem diakonischen Projekt […] unter Nutzung von Informationsquellen (Bibliothek, Internet, …) durchführen und zeigen, wie geholfen wird« (Niedersachsen).33 Die Schüler in Jg. 4 »erproben diakonisches Handeln und setzen es in Bezug zu biblischen Texten und Personen aus der Wirkungsgeschichte« (NRW).34 In der Mittelstufe, etwa im 7. Jg. Gymnasium, im Lernschwerpunkt Ethik: Helfend handeln – Wer teilt, schenkt Leben lautet ein Inhalt »Beispiel des Teilens: Das Diakonische Werk«, darin »Arbeit im sozialen Brennpunkt; Sucht- und Nichtsesshaftenhilfe; Erziehungs- und Familienberatung; Schuldnerberatung; Behindertenwerke; Altenhilfe; Hospizbewegung« (Hessen).35 In der Oberstufe (11/12) im Bereich Grundfragen christlicher Ethik – Was soll ich tun? Was sollen wir tun? lauten inhaltsbezogene Kompetenzen: Schüler »zeigen die Konsequenzen der christlichen Hoffnung für das individuelle Lebenskonzept und das alltägliche Handeln von Christen auf.« Mögliche Inhalte sind »christliche Biographien, diakonische Einrichtungen, Brot für die Welt […]«.36 Im 31 http://www.isb-gym8-lehrplan.de/contentserv/3.1.neu/g8.de/index.php?StoryID=26176, Zugriff vom 10.03.2015. 32 http://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/grundschule/1/evangelische-religionslehre, Zugriff vom 10.03.2015. 33 http://db2.nibis.de/1db/cuvo/datei/kc_gs_evrel_nib.pdf, Zugriff vom 10.03.2015. 34 http://www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/upload/klp_gs/LP_GS_2008.pdf, Zugriff vom 10.03.2015. 35 https://verwaltung.hessen.de/irj/HKM_Internet?cid=9e0b5517dfc688683c15ce252202d4b9, Zugriff vom 10.03.2015. 36 http://db2.nibis.de/1db/cuvo/datei/kc_evrel_go_i_12_11.pdf, Zugriff vom 10.03.2015.

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Teil 2: Wie wir es machen können

Bereich Kirche und Staat – Konflikt oder Partnerschaft? »erörtern« die Schüler die Frage, »wie die Evangelische Kirche in Deutschland ihren Auftrag zur gesellschaftlichen Mitverantwortung und Weltgestaltung wahrnimmt« u. a. am Beispiel der »Diakonie« (Niedersachsen). Im Fall des vierstündigen Fachs in der Oberstufe lauten die Kompetenzerwartungen zum Thema Diakonie: Schüler »setzen sich mit Formen der Nachfolge Jesu auseinander, stellen biblisch-theologische Grundlagen christlicher Ethik dar, entwerfen Perspektiven für eine zukunftsfähige Kirche« (Niedersachsen). In Jahrgang 13 gibt es als Evangelischkatholisches Projekt: Ökumene konkret u. a. »Caritative und diakonische Projekte« (Hessen).37 Es finden sich auch jahrgangsübergreifende Kompetenzbeschreibungen: Bei der Wahrnehmungskompetenz können Schüler »Formen und Zielgruppen diakonischen Handelns beschreiben und unterscheiden« und »diakonisches Handeln als Ausdruck und Gestaltung christlich motivierter Nächstenliebe identifizieren« (NRW).38 Als »Gestaltungskompetenz« wird angestrebt: »An Ausdrucksformen christlichen Glaubens erprobend teilhaben und ihren Gebrauch überprüfen (auch diakonische Vorhaben)« (Niedersachsen).39 Schließlich gibt es bereits auch einen Lehrplan mit einem »diakonisch-sozialen Profil«, welches sich durch alle Jahrgangsstufen hindurchzieht. Den Standards gemäß realisieren Grundschüler z. B. »eine diakonische Aufgabe, die anderen eine Freude bereitet«, Schüler der Mittelstufe »kennen christliche Organisationen und Initiativen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen, führen ein diakonisches Praxisprojekt durch und dokumentieren ihre Erfahrungen. Sie kennen biblische Weisungen für die Lebensgestaltung und können diese – unter Berücksichtigung der Auslegungsgeschichte – auf aktuelle ethische Fragestellungen und Entscheidungskonflikte beziehen und ihre Tragfähigkeit für das eigene Leben reflektieren« (Berlin).40 Das Thema Diakonie erscheint in den Lehrplänen in sechs didaktischen Zusammenhängen.

37 https://verwaltung.hessen.de/irj/HKM_Internet?cid=9e0b5517dfc688683c15ce252202d4b9, Zugriff vom 10.03.2015. 38 http://www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/upload/klp_SI/GE/ER/3109_KLP_GE_Ev_ Religionslehre_Endfassung_2012–12–14.pdf, Zugriff vom 10.03.2015. 39 http://db2.nibis.de/1db/cuvo/datei/kc_evrel_igs_i.pdf, Zugriff vom 10.03.2015. 40 Rahmenlehrplan für den Evangelischen Religionsunterricht in den Jahrgangsstufen 1 bis 10, hg. v. der Evangelischen Kirche Berlin – Brandenburg – schlesische Oberlausitz, Berlin 2007, 29 und 31, abrufbar unter http://www.ekbo.de/documents?id=60503, Zugriff vom 24.03.2015.

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Die Rolle der Lehrkraft beim Diakonischen Lernen

professionell analytisch

biblischtheologisch sozialethisch

Diakonie gemeinschaftsbezogen

ekklesiologisch existenziell biografisch

Abb. 20: Diakonie in den Lehrplänen

Im biblisch-theologischen Zusammenhang wird von Texten wie dem Barmherzigen Samariter (Lk 10) oder dem Pfingstereignis (Apg 2 ff.) ausgegangen. Der sozialethische Ansatz stellt den Aufruf zum Dienen und zur Nächstenliebe in den Vordergrund, der ekklesiologische die Bedeutung der Diakonie als Institution der Kirche. Diese drei Ansätze folgen einer Didaktik der normativ orientierten Werteübertragung, während die anderen drei dem Ansatz der vom Individuum her bestimmten Werterhellung und -entwicklung zuzuordnen sind (vgl. dazu Kapitel 4.1). Im existenziell-biografischen Ansatz geht es darum, die Bedeutung des Gebens und Empfangens von Hilfe für die eigene Person in den Blick zu nehmen. Hierzu zählt etwa auch die Möglichkeit am Gymnasium, diakonische Einrichtungen vor dem Hintergrund einer Klärung des eigenen Lebensentwurfs bis hin zu einer möglichen Berufswahl in diesem Feld kennenzulernen. Der gemeinschaftsbezogene Ansatz betont die Verbundenheit und Freude, die aus dem Erleben einer Gemeinschaft hervorgerufen werden kann. Hier ist auch der professionell-analytische Ansatz aus dem Fach Hauswirtschaftslehre (Mittelschule) zu nennen, wo Schüler nicht nur diakonische Einrichtungen kennenlernen, sondern die Tätigkeiten der Mitarbeiter beobachten, kleinere Aufgaben übernehmen, den Dienst am Nächsten reflektieren und eigene Fähigkeiten weiterentwickeln (z. B. Gesprächsführung). Weiterführung: Im Sinne des Diakonischen Lernens, wie wir es verstehen, lassen sich Lernziele und Kompetenzerwartungen ausweiten und dann systematisieren: Kognitive Lernziele sind das Kennenlernen 1. der Diakonie im Sinne des Auftrags der Kirche als Dienst am hilfebedürftigen Menschen, 2. der biblisch-historischen Wurzeln dieses Auftrages und

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Teil 2: Wie wir es machen können

3. der Bedeutung diakonischen Handelns auf gesellschaftlicher Ebene. Weitere Lernziele liegen auf affektiver und pragmatischer Ebene: Die Schüler sollen die existenzielle Seite von Diakonie erfahren, d. h. Angewiesen-Sein als Existenzial des Menschen bei anderen und sich selbst kennenlernen. Sie sollen eine sensible und prosoziale Haltung und Handlungsbereitschaft aufbauen und entsprechende Handlungen exemplarisch im Rahmen des Diakonischen Lernens vornehmen. Die Kompetenzerwartungen decken fünf verschiedene Ebenen ab:41 1. Perzeption, im Sinne von Wahrnehmen und Beschreiben, etwa Wahrnehmen und Erläutern der Lebensumstände von hilfebedürftigen Menschen (am Praktikumsort) und der Maßnahmen, die Unterstützung von hilfebedürftigen Menschen verwirklichen; Beschreiben, wie Christen Verantwortung für den Zusammenhalt der Gesellschaft übernehmen und Erläutern von Begründungen des sozialen Handelns aus kirchlicher und staatlicher Sicht; Darstellen von Formen der Diakonie und ihrer biblischhistorischen Wurzeln. 2. Kognition, im Sinne von Verstehen und Deuten, etwa Erläutern der Bedeutung diakonischen Handelns auf gesellschaftlicher Ebene, Auslegen biblischer Sätze zum Lebensgefühl angewiesener Menschen. 3. Performanz, im Sinne von Gestalten und Handeln, etwa Einüben von Perspektivenübernahme und Empathie, Erproben einfacher Formen dia­ ko­nischen Handelns vor Ort, altersgemäßes Anwenden der Schritte Vorbereitung, Durchführung und Reflexion eines Projekts im Rahmen des Diakonischen Lernens, Anwenden der Schritte einer Kontaktanbahnung mit einem Praktikumsort (Sach- und Methodenkompetenz). 4. Interaktion, im Sinne von Kommunizieren und Urteilen, etwa Achten von und Umgehen mit Menschen verschiedenster sozialer Situation und Angewiesenheit. 5. Partizipation, im Sinne von Teilhaben und Entscheiden, etwa Partizipieren an der Lebenssituation hilfebedürftiger Menschen sowie an den Aktivitäten einer sozial-diakonischen Einrichtung oder Initiative. Die Lehrperson entscheidet für ihre spezielle Lerngruppe und anhand der diakonischen Gegebenheiten vor Ort, welche Ziele und Kompetenzerwartungen sie in den Mittelpunkt stellen will.

41 Nach Fischer/Elsenbast 2006, 17.

Die Rolle der Lehrkraft beim Diakonischen Lernen

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7.2 Unterricht in Klassenzimmer Diakonisches Lernen erfolgt seinem Selbstverständnis nach an zwei Orten: Im Klassenzimmer und am Lernort »draußen« (vgl. Kapitel 1). Konkrete Beispiele für verschiedene Schularten und Formen der Projektarbeit sind ausführlich im Kapitel 8 beschrieben. Im Klassenzimmer nehmen Schüler Anliegen und Ausprägungen von Diakonie auf kognitiver und affektiver Ebene wahr, es geht um Kenntnisse (vgl. Kapitel 3) und Haltungen (vgl. Kapitel 6). Die Aktion am Lernort beginnt bereits im Klassenzimmer mit der inhaltlichen Auseinandersetzung und dann mit der Vorbereitung auf das Lernen außerhalb des Klassenzimmers. Dabei spielt das Motivieren der Schüler für eine Praxisaktion eine wichtige Rolle. In der Grundschule sind die Schüler und Schülerinnen in der Regel leicht zu motivieren. Jugendliche der Mittelstufe brauchen eine Lehrkraft, die sie »mitzieht«. In der Oberstufe ist die Motivationsarbeit insofern wieder etwas leichter, als junge Erwachsene in der Lage sind, die Bedeutung von praktischen Erfahrungen im Lernprozess zu erkennen, allerdings muss auch hier das Lernfeld in irgendeiner erkennbaren Weise »attraktiv« sein. Welche Möglichkeiten der Motivation gibt es? Bei der sachbezogenen Motivation gelingt es der Lehrkraft, den Schülern zu zeigen, dass die Be­schäf­ tigung mit der Sache selbst attraktiv ist bzw. ihnen einen Nutzen bringt. Beim Thema Diakonie ist das etwa das Aufzeigen der Lebensnähe von Fragen wie »Was brauche ich? Was brauchst du?«42 Schüler erleben Facetten von Diakonie auf existenzielle Weise, wenn sie sich etwa mit Verletzlichkeit, Leiblichkeit, Gemeinschaft, Wertschätzung usw. (s. Unterkapitel Diakonie im Spiegel menschlicher Erfahrungen und Bedürfnisse, S. 20 ff.) befassen. In den Unterrichtsentwürfen von E. Buck (Kapitel 6) wird deutlich, welche Bedeutung Empfindung, Berührung und leiblich-seelisches Sich-Nahekommen für Kinder und Jugendliche haben können. Zur Veranschaulichung folgt hier noch ein konkretes Beispiel für die sachbezogene Motivation im Unterricht, das auch der Vorbereitung für die Begegnung mit den Menschen am diakonischen Lernort dient: Jeder Mensch hat von früher Kindheit an Berührungen erfahren. Es gibt achtsame Berührungen, die gut tun. Unachtsame Berührungen dagegen sind unangenehm. In einer Partnerübung sitzen sich zwei Schüler (schräg) gegenüber. Der aktive bittet den passiven Schüler um Erlaubnis, dessen Unterarm zu berühren. Er konzentriert sich. Der passive Schüler kann seine Augen schließen, wenn er möchte, damit er 42 Vgl. den Unterrichtsentwurf von Tzeetzsch/Wittmann 2009.

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bewusster wahrnehmen kann. Auch der Aktive kann die Augen schließen, um sensibler zu sein. Der Aktive legt nun seine Hand ganz achtsam auf den Unterarm des anderen und verweilt dort einen Moment. Nach einer Zeit zieht er die Hand langsam zurück. Der Passive öffnet die Augen (der Aktive ggf. auch). Nun bittet der Aktive den passiven Partner um Erlaubnis, den Arm des Partners – am besten den anderen Arm – »für dieses eine Mal unachtsam« zu berühren. Nach der Einwilligung berührt der Aktive mit seiner anderen Hand den anderen Arm des Passiven »unachtsam« (allerdings nicht zu fest). Nach einer Weile zieht er seine Hand wieder zurück. Beide Partner verweilen einen Moment und spüren den Eindrücken nach. Dann wechseln sie die Rollen. Nach der Durchführung der Übung tauschen sich die Partner zur der Frage aus: Wie hat sich die achtsame, wie hat sich die unachtsame Berührung auf meinem Arm angefühlt? Gab es einen Unterschied? Welche Folgerungen ziehe ich daraus? Zum Abschied geben sich die Schüler eine achtsame, freundliche Berührung mit. Durch diese Übung kann im Unterricht die Bedeutung des achtsamen Umgangs mit den Menschen, die besucht werden sollen, thematisiert werden. Gleichzeit lernen die Schüler etwas Wichtiges über ihre eigenen Wahrnehmungen und Bedürfnisse.43 Eine sachbezogene Motivation liegt auch im folgenden Beispiel von einer Lehrkraft vor, die in der Oberstufe ein Projektseminar durchführte. Die Schüler zeigen sich dann motiviert, wenn sie entdecken, dass das Thema sie selbst angeht und eine gesellschaftliche Relevanz hat. »[…] es kommt auf ’s Thema an. Ist das etwas, was beim jungen Menschen zündet, bei dem er denkt, dass es sich lohnt, sich damit zu befassen? Verspricht er sich davon irgendeinen Erkenntnisgewinn oder einen Persönlichkeitsgewinn? Ich denke, es ist wichtig zu sehen, wie krieg’ ich einen Schüler dazu, dass er sich mit den diakonischen Einrichtungen beschäftigen mag. Er muss erkennen können, da geschieht etwas, was für die Gesellschaft wichtig ist, was für seine Familie wichtig ist und was auch für ihn, für seine Persönlichkeitsentwicklung und Reifung, wenn er sich damit auseinandersetzt, elementar sein kann. […] Wenn Sie allerdings hingehen und sagen: So, ihr geht jetzt ins Altersheim und macht mit denen da irgendwas, dann werden die Schüler wohl kaum Lust dazu verspüren und sich ganz bestimmt nicht ins Zeug legen. Allenfalls wird eine lieblose Pflichtübung dabei herauskommen, aber bestimmt kein Engagement mit Herzblut. […] Es ist wichtig, den Schülern dieses diakonische Engagement schmackhaft zu machen, und zwar nicht so, dass es dabei um irgendwelche armen Menschen geht, sondern

43 Zur Geste der Zuwendung vgl. auch Kramer 2015, 204 f.

Die Rolle der Lehrkraft beim Diakonischen Lernen

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dass hier Dinge in Gang kommen können, bei denen für den Einzelnen und die Gesellschaft etwas auf dem Spiel steht.«44 Die zweite Möglichkeit ist die Motivation durch eine Person, welche Schüler und Schülerinnen von der Attraktivität und Bedeutung der praktischen Erfahrung überzeugt. Dies kann durch die Lehrkraft selbst, Kinder und Jugendliche oder durch Ansprechpersonen der sozial-diakonischen Einrichtung oder Initiative geschehen. Zur Illustration ein Beispiel aus dem Grundschulbereich, das (wie das nächste) auch als Hörversion abgerufen werden kann. Daniele erzählt über das Kochprojekt, das er mit seiner Klasse durchgeführt hat: »Also, (betont) ich würde allen Kindern auf der Welt das empfehlen. Ich hoffe, es geht in ganz Deutschland herum. Denn manche Kinder mögen’s und manche nicht und wenn man’s nicht macht, dann denkt man (tiefe, veränderte Stimmlage): ›Ja, ja, mein, Gott, das macht doch keinen Spaß, so kochen für alte Leute!‹ Aber wenn man’s mal durch hat, dann hat man’s im Herzen, ich hab jetzt etwas Gutes getan. Ich hab alten, ich hab für alte Leute gekocht, sie haben sich darüber gefreut und am Ende haben sie ja sich noch bedankt. Da hat man einfach ein gutes Gefühl. Und ich empfehl’s halt, egal wem! Einfach mitmachen!«45 DL_OT_part08_schüler_empfehlen

Joris, ein Schüler der Mittelstufe fasst seine Erfahrungen aus dem Praktikum im Seniorenheim zusammen: »Ja, also, es ist auf jeden Fall anders, weil man halt wirklich die praktische Erfahrung hat, anders als jetzt in der Schule, wo man eigentlich nur was erzählt bekommt und vielleicht auch Aufgaben dazu lösen muss, aber jetzt wirklich in dem Sinne, dass man was Praktisches macht und ja, Erfahrungen dabei sammeln kann, ist jetzt in der Schule nicht so meiner Meinung nach. […] Also, ja, man kann auch wirklich viel von denen lernen, also, allerdings in einem ganz anderen Sinn, als wie man es hier in der Schule lernt.«46 DL_OT_part01_nicht_theoretisch

Eine Lehrkraft berichtet über ihre Erfahrungen mit Diakonischen Lernen in der Mittelstufe. Wie gelingt es, die Schüler zu einer diakonischen Aktion, hier 44 Im Gespräch mit Michael Fricke und Martin Dorner am 26.04.2012. 45 Abrufbar unter http://www.diakonisches-lernen.de/hoeren/, Zugriff am 24.03.15. 46 Abrufbar unter http://www.diakonisches-lernen.de/hoeren/, Zugriff vom 01.06.15.

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im Seniorenheim, zu motivieren? Welche Hürden gibt es und wie kann man sie überwinden? »Für mich stellte sich die Frage, wie ich die Schüler dafür interessieren kann, denn gerade männliche Schüler haben meist nicht das Bedürfnis, ins Altenheim zu gehen. Das ist zu negativ belegt. Wenn der Religionslehrer mit dieser Idee ankommt, muss er also zunächst einmal mit Ablehnung rechnen. Deshalb habe ich mich gefragt: Wie schaffe ich das, sie jetzt dafür zu gewinnen? Ich bin zunächst vom Unterricht ausgegangen und habe gesagt: ›Es gibt die Möglichkeit euch einen Reli-Unterricht zu bieten, der euch wahrscheinlich unvergesslich bleiben wird, im Gegensatz zu vielen anderen Stunden, die ihr gesehen habt. An das werdet ihr euch noch in zehn Jahren erinnern.‹ Dadurch war schon einmal ein bisschen Interesse geweckt. Dann habe ich gesagt: ›Es geht auch darum, dass wir die Schule verlassen können und rausgehen.‹ Auch das war attraktiv. ›Wir können den ganzen Vormittag die Schule verlassen. Das heißt, ihr habt an diesem Tag überhaupt keinen Unterricht.‹ In dieser Art habe ich versucht, sie zu ködern. Als dann ›Seniorenheim‹ herauskam, fanden das viele Schüler erst mal nicht so toll. Dann ist die Stimmung gekippt und ich musste um die Sache kämpfen, indem ich gesagt habe: ›Lasst euch drauf ein! Ich verspreche euch, ihr macht da ein paar tolle Erfahrungen. Ihr werdet überrascht sein über das, was ihr dann da erfahrt […].‹ Es war echt schwierig, die Kurve zu kriegen. Aber dann hatte ich doch geschafft, sie runter ins Seniorenheim zu bringen. Und als wir erst mal drin waren und die ersten positiven Erfahrungen gemacht hatten, war es ja leicht.   MF: Können Sie ein Beispiel sagen, wie Sie ›gekämpft‹ haben?   Ich habe mir Unterstützer gesucht. Es gibt ja Schüler, da weiß man als Lehrer, dass sie dahingehend ansprechbarer sind als andere. Ich habe sie ermutigt, ihre Meinung kundzutun. Dann hatte ich in der Klasse Unterstützer und Gegner. Danach haben wir versucht, die Gegner nach und nach auf unsere Seite zu holen. Die Unterstützer haben z. B. gesagt: ›Überlegt doch mal, das ist doch toll, den ganzen Tag kein Unterricht! Ihr wisst doch gar nicht, was da unten ist! Jetzt lasst euch halt einmal darauf ein!‹   MD: Was hat Sie denn so sicher gemacht, dass das etwas Unvergessliches wird?   Natürlich habe ich da ein bisschen gepokert. Das gehört bei unserem Beruf mit dazu. Aber ich hatte ja auch im Jahr zuvor diesen kleinen Diakonischen Tag im Leb-mit-Laden durchgeführt. Da hatte ich bereits die Erfahrung gemacht, dass Schüler zunächst Vorbehalte haben können, dass es sogar deutliche Widerstände geben kann, aber dass sie dann trotzdem im Nachhinein fast alle oder sogar alle gesagt haben: ›Das war toll, dass wir das gesehen

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haben! Jetzt verstehen wir besser, wie es den Leuten geht. Jetzt haben wir auch sofort gesehen, dass das keine Drückeberger sind, sondern den Leuten geht es wirklich schlecht, das sieht man auf den ersten Blick.‹ Sie haben auch Respekt bekommen vor den Leuten, die da arbeiten, und haben das jetzt mit anderen Augen gesehen. Aufgrund dieser Erfahrungen konnte ich diesmal solche Aussagen machen, sonst hätte ich mich das nicht getraut.«47 Es wird deutlich, dass in der Motivationsphase die Lehrkraft selbst ihre Überzeugung in die Waagschale legen muss. Das gelingt umso besser, je tiefer und authentischer die eigenen Erfahrungen mit dem Diakonischen Lernen sind. Zudem ist es sehr hilfreich, sich Schüler als »Verbündete« zu suchen, die ihre Mitschüler zum Mitmachen anregen. Neben dem wichtigen Mosaikstein »Motivation« fallen in diese Phase die weiteren konkreten organisatorischen Vorbereitungen: Das Gespräch mit der Schulleitung wird gesucht, um das außerschulische Lernprojekt vorzustellen und die entsprechende Erlaubnis einzuholen. Je nach Altersstufe folgen Elternabende, Elternbriefe, eine Infoveranstaltung und die Gestaltung des Kontakts mit dem diakonischen Lernort. Hier geben die konkreten Unterrichtsbeispiele in Kapitel 8 eine gute Orientierung.

7.3 Unterricht am Lernort Im Kontakt mit den Ansprechpartnern des Lernorts werden Entscheidungen über Ort, Dauer, Zielsetzung, Aktivitäten, Einführung, Formen der Reflexion getroffen (siehe hierzu die Leitfäden für Lehrkräfte, diakonische Ansprechpartner und Schüler). Welche Rolle nimmt die Lehrperson am Lernort ein? Auch hier ist eine persönliche Reflexion hilfreich: ȤȤ Wie sehe ich mich dort? ȤȤ Was brauchen die Schüler von mir? ȤȤ Was braucht die Ansprechperson am Lernort von mir? Der Weg führt hindurch zwischen der schulrechtlichen Pflicht, die Schüler zu beaufsichtigen, und dem pädagogischen Ziel, die Schüler eigene Erfahrungen machen zu lassen. Es ist zu klären, wo Zurückhaltung und wo Unterstützung nötig sind. Eine Antwort darauf findet sich durch und im Kontakt mit den 47 Im Gespräch mit M. Fricke und M. Dorner am 26.04.2012.

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Schülern. Es ist sinnvoll, nicht zu viel zu »dirigieren«, sondern den Schülern zuzutrauen, sich selbst zurechtzufinden und eigenständig zu lernen (vgl. Kapitel 4.1). Auf der anderen Seite fühlen sich die Schüler von der Lehrkraft umso positiver wahrgenommen, je stärker deren Engagement im Projekt ist.48 Im Blick auf die fachliche Inhalte liegt die Chance darin, die »Experten« der Einrichtung reden lassen und sich zurückzunehmen. Auch hier liegt ein wichtiges Lernfeld für die Schüler: Sie erhalten Gelegenheit, die Kompetenzen der Diakonievertreter und der Lehrkraft angemessen einzuschätzen. Juliane aus der 8. Klasse reflektiert ihren diakonischen Aktionstag im Seniorenheim: »Ich find das auch gut, weil dann sieht man mal, wie das wirklich ist, weil ich denke, der Herr Scharrer [Lehrkraft]49 kann uns das nicht genau erklären, wie sich alte Menschen so verhalten, oder wie man sich denen gegenüber verhalten soll. Der kann’s einem schon sagen, aber ich denke, es ist dann trotzdem nochmal anders, wenn man bei denen jetzt ist, als wenn der uns das erklärt. […] Und ich fand das dann halt auch gut, weil dann ist der Herr Abt [Anleiter am Lernort]50 noch mal ’ne Stunde danach zu uns in die Klasse gekommen und hat uns auch noch erzählt z. B. so Fragen, welche Angebote gibt’s da für die, die noch ein bisschen rüstiger sind, wie viel kostet das, wie viele Zimmer hat das Altenheim und ja, welches Personal die haben und so hat er uns beantwortet, weil das weiß ja der Herr Scharrer eigentlich, denk ich jetzt, nicht so.«51 Die Lehrperson klärt im Gespräch mit den Ansprechpersonen am Lernort, ob es passend ist oder nicht, wenn sie selbst eine Aufgabe am Lernort übernimmt. Auch das reine Dasein im Hintergrund ist wertvoll: Die Lehrperson kann sich selbst beobachten: Welche Erfahrungen mache ich, wenn ich mit meinen Schülern zusammen bin, ohne sie direkt zu unterrichten? Wie wirken die Menschen am Lernort auf mich? Wie fühlen sich Körper, Seele und Kopf an? Diese Wahrnehmungen können in den weiteren Unterrichtsprozess einfließen.

48 So das Ergebnis der empirischen Untersuchung von Kuld/Gönnheimer 2000, 153. 49 Pfarrer Georg Scharrer unterrichtet Evangelische Religionslehre am Paul-Pfinzing-Gymnasium in Hersbruck. Er ermöglicht seit vielen Jahren Begegnungen zwischen seinen Schülerinnen und Schülern und den Bewohnern des Sigmund-Faber-Heims der Diakonie Neuendettelsau in Hersbruck. 50 Stephan M. Abt ist Leiter des Sigmund-Faber-Heims der Diakonie Neuendettelsau in Hersbruck. 51 Mit Martin Dorner im Gespräch am 12.04.2011, http://www.diakonisches-lernen.de/hoeren/, Zugriff vom 01.06.15.

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7.4 Weiterarbeit im Klassenzimmer Die Schüler und Schülerinnen haben Einblicke und Irritationen auf mehrfacher Ebene erfahren: Ihre Welt ist größer geworden. Sie nehmen mehr wahr und sehen Zusammenhänge, die sie vorher nicht sahen. Sie haben Zutrauen in ihre kommunikativen und praktischen Fähigkeiten gewonnen. Und: Sie blicken nun von außen auf Schule. Im Diakonischen Lernen bleiben wir nicht beim Tun stehen. Wir greifen die Einblicke und Irritationen auf. Dadurch kann Unterricht »ganz neu beginnen« (s. Kapitel 4.6). Deshalb ist der dritte Schritt beim Diakonischen Lernen genauso wichtig wie die beiden vorhergehenden. Die Schüler reflektieren die Erfahrungen im Hinblick auf ihre Person und auf gesellschaftliche Zusammenhänge. Sie vertiefen durch diese nun reflektierten Erfahrungen ihr Wissen und den Blick auf Diakonie sowie die mit ihr verbundenen biblisch-christlichen Traditionen und können zugleich ihre Haltungen, Werturteile und ihre Persönlichkeit weiterentwickeln (s. Kapitel 1 und 4.5). Konkrete Beispiele und Anregungen finden sich dazu im Kapitel 8. Wir verweilen beim neuen Blick der Schüler und Schülerinnen auf die Schule. Die Grundfrage lautet: Ist Schule nur graue Theorie und hat mit dem Leben in der Praxis nichts zu tun? Matthis, Felix und Andreas aus der 10. Klasse absolvierten ein einwöchiges Sozialpraktikum in einer sozial-diakonischen Einrichtung und denken über diese Frage nach: MD.: Ihr hattet eine Woche Sozialpraktikum. Hat das, was du dort erlebt hast, etwas mit Unterrichtsfächern sonst im Gymnasium zu tun?   Matthis: Also, das würde ich jetzt so eigentlich überhaupt nicht sagen. Ich finde auch, dass man es so, jetzt wenn man irgendwie drüber spricht, jetzt gerade zum Beispiel, auch nicht so rüberbringen kann, wie man es wirklich erlebt hat, also dadurch, dass man wirklich was Praktisches macht, was man leider Gottes hier in der Schule sehr wenig macht. […]   Felix: Ja, in der Schule ist es ja so, dass man z. B. im Sozialkunde- oder im Religionsunterricht schon über solche Themen redet, wie man eben mit älteren Menschen oder mit jüngeren Menschen umgeht, aber man hat eben keine praktische Erfahrung, also. Und dazu fand ich das Sozialpraktikum ziemlich gut, dass man das eben mal selber kennengelernt hat, wie es wirklich ist und dass man eben nicht nur drüber redet oder Berichte liest, oder Bilder halt sich anschaut und dass man es halt richtig mal erfährt. […]   MD: Wenn du jetzt mit deinen Erfahrungen in den Unterricht gehst, wie müssen die nächsten Stunden ausschauen?

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  Felix: Na ja, also, man weiß auf alle Fälle jetzt mehr und na ja, man kann sich das besser vorstellen halt.   Andreas: Ich glaube, das kann man gar nicht. Diese Erfahrungen kann man gar nicht in theoretischen Unterricht verpacken. Also das geht nicht, das kann man nur durch, ich sage mal, Ausprobieren erleben. Also das ist was, was die Schule nicht kann, solche Erfahrungen eben beizubringen.52 Diese Schüler grenzen die erlebte Praxis schroff von dem, ab, was Schule ihrer Auffassung nach ist. Praktikum hat »überhaupt« nichts mit Schule zu tun. Erfahrungen lassen sich nicht in theoretischen Unterricht verpacken und umgekehrt kann Schule solche Erfahrungen nicht beibringen, sondern nur ein Praktikum. Das reale Leben ist anders als das der Bildungsanstalt. Möglicherweise kann man die Abgrenzung aber auch so verstehen, dass die Schüler auf den besonderen Wert des praktischen Erlebens und Handels hinweisen wollen. Dass diese Sichtweise individuell und möglicherweise auch dem »Lernformat« geschuldet ist, zeigt sich aus einem anderen Interview. Laura und Luisa absolvierten in der Oberstufe ein Projektseminar im Fach Evangelische Religionslehre zum Thema Dimensionen des Helfens. MD.: Hat das P-Seminar etwas mit dem zu tun, was Sie sonst im Religionsunterricht oder in anderen Fächern machen?   Laura: Ja, aber auf andere Weise. Also, hier konnten wir uns selber aktiv einbringen, in dem was wir vorher in der Schule ja wirklich gehört haben. […]   Luisa: Vielleicht, dass man mal in die Schulbücher eintaucht und sich das einfach mal anschaut. In Religionsbüchern ist ja viel Nächstenliebe und Ethik und so was. Aber das man dann mal wirklich hingeht und das ausprobiert und schaut, was das für einen persönlich bedeutet. Das war ja eigentlich auch unser Grundsatz: Nächstenliebe. Und dann haben wir ja diesen Satz genommen und ausgeweitet und versucht das Beste draus zu machen.53 Hier gibt es keine schroffe Kluft zwischen Theorie und Praxis, sondern die Theorie wird »auf andere Weise« in der Praxis aufgegriffen. Sie ist nicht bedeutungs52 Im Gespräch mit Martin Dorner am 08.04.2014, http://www.diakonisches-lernen.de/hoeren/, Zugriff vom 01.06.15. 53 Im Gespräch mit Martin Dorner 13.01.2013, http://www.diakonisches-lernen.de/materialmedien/hoeren/. Die Schülerinnen äußern sich über ihre Erfahrungen im Zusammenhang des von StR Andreas Beck, Paul-Pfinzing-Gymnasium Hersbruck, konzipierten und durchgeführten P-Seminars Formen des Helfens – Nächstenliebe als Forderung des Christentums, http://www.diakonisches-lernen.de/seminarfaecher-gymnasium/p-seminar/.

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oder wertlos, sondern man kann auch ruhig noch einmal in sie »eintauchen«, sie auf die persönliche Bedeutung hin befragen und in der Praxis erproben. Zusammenfassung: Die Lehrperson ist im dritten Schritt des Diakonischen Lernens pädagogisch und theologisch herausgefordert, zu zeigen, worin der gegenseitige Bezug von Praxis und Theorie liegt. Sie hat die Chance, die Erfahrung des Praktischen, einschließlich der Einblicke und Irritationen, zu würdigen und den Schülern zu vermitteln, dass die Praxis wichtig für das (neue) Wahrnehmen und Verstehen ist – also für die »Theorie« selbst. Diese Phase des Lernens eröffnet den Schülern Wege, die praktischen Erfahrungen als wesentlich für eine (neue) Theorie anzusehen und sogar auf ihnen eine Theorie aufzubauen. Damit lässt sich auch der vermeintliche Gegensatz von Praxis und Theorie, Leben und Schule überwinden.

8.  Beispiele guter Praxis

8.1 »Ich war der Oberkellner!« – Diakonischer Aktionstag mit Grundschülern bei einer diakonischen Tischgemeinschaft Darum geht es: Eine Grundschulklasse kocht für 80 bis 100 Gäste mit unterschiedlichen Bedürfnissen ein Mittagessen. Sie werden von erfahrenen erwachsenen Ehrenamtlichen einer diakonischen Tischgemeinschaft (offener Stadtteilmittagstisch einer Kirchengemeinde) angeleitet. Ein Teil der Klasse serviert das Essen, der andere Teil isst mit den Gästen an schön gedeckten Tischen. Die Schülerinnen und Schüler erleben diakonische Basisarbeit, die »durch den Magen geht«. Sie reflektieren, was ehrenamtliches Engagement im Stadtteil für den Zusammenhalt in der Gesellschaft bedeutet. Wird der diakonische Aktionstag im Rahmen des Religionsunterrichts durchgeführt, spielen die neutestamentlichen Tischgemeinschaften Jesu mit anderen bereits in der Hinführung und in der inhaltlichen Weiterarbeit eine zentrale Rolle. Hinweis: Die folgende Anleitung beschreibt den von Hannelore Weber und dem Team von »Nicht nur ein Ma(h)l!« durchgeführten diakonischen Aktionstag mit der Grundschule Augsburg-Kriegshaber.

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Abb. 21: Schülerinnen bei »Nicht nur ein Ma(h)l!« in Augsburg St. Thomas, © Heiner Staib

Kompetenzen Die Schülerinnen und Schüler –– nehmen wahr, wie Christen Verantwortung für den Zusammenhalt der Gesellschaft übernehmen, –– erproben einfache Formen diakonischen Handelns, –– erleben sich bewusst als Teil eines Teams, das anderen Menschen hilft, –– kennen Schritte der Essenszubereitung und -organisation für eine Großgruppe, –– üben den Umgang mit Menschen verschiedenster sozialer Herkunft, –– setzen sich im Sinne der Botschaft Jesu für andere ein und helfen mit, die neutestamentlichen Tischgemeinschaften Jesu (›Essen mit anderen‹) unter aktuellen Bedingungen umzusetzen. Inhaltliche Komponenten: –– Aspekte des Helfens: z. B. Helfen macht Spaß, kostet Anstrengung, eröffnet neue Sichtweisen und überrascht, –– Wertschätzung handwerklicher Fähigkeiten und organisatorischer Gaben, –– Beispielhafte Auseinandersetzung damit, wie Christen im sozialen Nahraum Verantwortung für andere übernehmen, –– Toleranz gegenüber unterschiedlichen Kulturen und Essgewohnheiten, –– Ehrenamt in Kirche und Diakonie, –– Tischgemeinschaften Jesu und Tischgemeinschaften heute.

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Wie können sich Schülerinnen und Schüler bei einer diakonischen Tischgemeinschaft (offener Mittagstisch) engagieren? »Ich war der Oberkellner!«, so bringt Daniele seine Rolle bei einem diakonischen Aktionstag mit seiner vierten Klasse auf den Punkt. Er ist »Oberkellner«, er bediente die Gäste einer diakonischen Tischgemeinschaft. Seine Klassenkameraden sind »Köche« oder »Gastgeber«, sie klopften und panierten Schnitzel, putzten Salat und kümmerten sich um das Wohlergehen der Gäste. Unter dem Motto »Nicht nur ein Ma(h)l« lädt die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde St. Thomas in Augsburg jede Woche zum offenen Mittagstisch ein. In der Tradition von Jesu Tischgemeinschaften kochen mehrere Teams von Ehrenamtlichen ein Drei-Gänge-Menü für 80 bis 100 Gäste. Willkommen sind Kinder und Erwachsene, Arme und Reiche, Menschen mit und ohne Behinderung. Die Tischgemeinschaft ist ein offenes Angebot für die ganze Stadt. Niemand muss sich anmelden und es gibt keine Stammplätze. Es zählt die Begegnung mit anderen, die Solidarität mit Schwächeren und der Zusammenhalt zwischen den Generationen. Damit jeder mitessen kann, kostet das Essen 1,– €, Kinder sind frei. Wer mehr Geld hat, darf mehr bezahlen. Die Initiative gibt es seit über zehn Jahren. Fast genauso lange kooperieren die Verantwortlichen von »Nicht nur ein Ma(h)l!« mit der Schulleitung der städtischen Grundschule Augsburg-Kriegshaber. Mehrfach im Jahr kocht ein ausgewähltes Team von Ehrenamtlichen mit allen vierten Klassen und der jeweiligen Klassenleiterin das Menü. Die Ehrenamtlichen zeigen den Kindern so ihr Engagement für ihren Stadtteil. Die Schule wird von vielen Schülerinnen und Schülern muslimischen Glaubens besucht. Ein großer Teil der Schülerschaft spricht zu Hause mehrere Sprachen. Auf den religiösen und familiären Hintergrund wird Rücksicht genommen. Die Aufgaben bei diesem diakonischen Aktionstag sind vielfältig: Entscheidung über das zu kochende Menü, Kochen eines kompletten Drei-Gänge Menüs, Gestaltung der Speisekarte, Eindecken der Tische, Ankündigung der Speisenfolge vor den Gästen und Vorstellung der Klasse, Wahl eines Tischgebets, Service an den Tischen und Abtragen des Geschirrs, evtl. musikalischer Beitrag durch einzelne Schüler. Sie haben sich folgenden Anforderungen zu stellen: Zusammenarbeit mit erwachsenen Ehrenamtlichen (überwiegend Senioren), gemeinsames Essen und Begegnung mit den unterschiedlichen Gästen. Dauer des diakonischen Aktionstages: 9:00–14:00 Uhr.

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Abb. 22: Pfarrer, Schüler und Lehrerin begrüßen Gäste bei »Nicht nur ein Ma(h)l!« © Heiner Staib

Was geschieht vorher? Der Aktionstag »fällt nicht vom Himmel«, sondern ist in den Unterricht eingebettet. Im Klassenzimmer sind zum einen organisatorische Fragen zu bearbeiten und zum anderen ist zu vermitteln, welchen Bezug das außerschulische Lernen zu den Inhalten des Religionsunterrichts hat. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die biblischen Traditionen zu Tischgemeinschaften Jesu sowie zum Teilen. Die Lehrkraft kann selbst entscheiden, ob eine Auseinandersetzung mit den biblischen Texten im Vorfeld, erst im Nachgang der Aktion oder »sowohl als auch« stattfinden soll. Alle Wege sind gut begründbar. Organisation

Die diakonischen Aktionstage mit allen vierten Klassen werden zu Beginn des Schuljahres terminlich zwischen Schulleitung und der Verantwortlichen von »Nicht nur ein Ma(h)l!« festgelegt sowie den Eltern der jeweiligen Klasse rechtzeitig beim ersten Klassenelternabend bekanntgegeben. Die Klassenlehrerin beschreibt die Zielsetzung der Aktion. Gegenüber Eltern muslimischen Glaubens oder nicht konfessionsgebundenen Eltern erklärt sie den offenen Charakter der Tischgemeinschaft (keine Anmeldung, Angebot für jedermann) und erklärt den Stellenwert ehrenamtlichen Engagements für die Gesellschaft. In einem Elternschreiben informiert die Lehrkraft rechtzeitig (mindestens 14 Tage vorher) über den konkreten Termin der diakonischen Aktion und lädt

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die Eltern ein, an dem Mittagessen teilzunehmen. Sie benennt in dem Schreiben die Zielsetzungen der verbindlichen Unterrichtsveranstaltung: ȤȤ Engagement für den Zusammenhalt der Generationen im Stadtteil, ȤȤ Kennenlernen ehrenamtlichen Engagements, ȤȤ Spaß am Kochen und Servieren, ȤȤ Begegnung mit alten Menschen, einsamen Menschen, mit Menschen in Armut und mit Menschen, die gern mit anderen essen, ȤȤ Reflexion über die Erfahrungen der Schüler mit dem »Helfen«, ȤȤ Auseinandersetzung mit dem Thema »Tischgemeinschaften Jesu und Tischgemeinschaften heute«. Inhaltliches Die Lehrkraft ermuntert die Schülerinnen und Schüler in einer Unterrichtsstunde etwa 14 Tage vor dem geplanten Aktionstag, evtl. vorhandene Fotos von einem Familienfest und dem damit verbundenen gemeinsamen Essen mitzubringen. Die Kinder erzählen, wer zu dem Fest eingeladen war, was es zu essen gab, was lustig war. Sie erkennen, dass Essen zu einem Fest dazugehört, Tische festlich gedeckt sind und die Gastgeber sich große Mühe machen, dass den Gästen das Essen schmeckt. Die Klasse bildet nun einen Stuhlkreis und breitet in dessen Mitte eine weiße Tischdecke aus. Die Lehrkraft stellt einen Teller, Besteck, Servietten und eine Rose auf die Tischdecke. Auf den Teller legt sie ein Kuvert mit der Aufschrift »Einladung«. Sie bittet die Personen zu benennen, die bei gewöhnlichen Festen im Verwandtenkreis eingeladen werden, schreibt Begriffe wie »Oma«, »Opa«, »Tante«, »Onkel«, »Bruder«, »Schwester«, »Mama«, »Papa« usw. auf Pappteller und legt sie auf die Tischdecke. Darauf beginnt sie die Geschichte von Jesu Tischgemeinschaft z. B. nach Mk  2,13–17 (möglich sind auch Mk 6,30–44; Lk 14,15–24, Mk 14,12–25; Lk 24,13–35) frei zu erzählen oder liest diese aus einer geeigneten Kinderbibel vor. Sie fragt die Schülerinnen und Schüler nach den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den geschilderten Festen und den Einladungen im Familienkreis. Dabei ist es sinnvoll, mit den Gemeinsamkeiten anzufangen. Also: Auch Jesus isst gern mit anderen Menschen, auch Jesus feiert gern … Dann äußert sich die Klasse zu den Unterschieden. Die Lehrkraft schreibt nun Personen, die mit Jesus essen, auf Pappteller (z. B. »arme Menschen«, »reiche Menschen«, »behinderte Menschen«, »kranke Menschen«, »fremde Menschen«). Immer mehr Teller sind es, die neben dem Teller mit der Rose und dem Kuvert mit der Aufschrift »Einladung«, liegen. Dann öffnet die Lehrkraft das Kuvert und liest:

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»Für unser gemeinsames Mittagessen im Gemeindezentrum von St. Thomas mit ganz vielen unterschiedlichen Gästen suchen wir in zwei Wochen noch Schülerinnen und Schüler, die mit uns kochen und unsere Gäste bedienen. Vielleicht könnt ihr uns helfen. Ich besuche euch morgen in der Schule und erzähle euch mehr von unserer Einladung für alle. Ich freue mich auf euch.« Hannelore Weber Bei ihrem Besuch in der Schulklasse führt die Teamleiterin mithilfe von authentischen Fotos aus vorangegangenen Aktionen in einer kleinen Präsentation in die Zielsetzung von »Nicht nur ein Ma(h)l!« ein, schildert die Lebenssituation einiger Gäste und bittet die Schüler um ihre Unterstützung beim Kochen, bei der Raumgestaltung, beim Servieren eines Drei-Gänge Menüs und bei Tischgesprächen mit den Gästen. In einem Brainstorming sammelt sie Vorschläge für Suppe, Salat, Hauptspeise und Nachtisch. Sie ermuntert die Schülerinnen und Schüler, eigene Wünsche und Lieblingsrezepte aus ihrer eigenen familiären Tradition einzubringen. Den Schülern mit ausländischen Wurzeln wird besonders Mut gemacht, Rezeptvorschläge einzubringen. Die Vorschläge werden an der Tafel festgehalten.

Abb. 23: Speisekarte, © Heiner Staib

In einem zweiten Schritt werden die Vorschläge ausgewertet. Richtschnur ist: Lieber etwas aufwendigere Gerichte als »Fast Food«, damit es für die Schüler auch genügend handwerkliche Tätigkeiten und zu erlernende Fähigkeiten gibt. Ein wichtiges Kriterium ist der Zeitrahmen und die Kombinierbarkeit: Welche Rezepte lassen sich auch unter den gegebenen zeitlichen Bedingungen kochen? Was passt gut, was weniger gut zusammen? In jedem Fall werden die religiösen Gebote z. B. der muslimischen Schüler berücksichtigt (also bspw.: Puten- statt Schweineschnitzel). Die Teamleiterin erklärt den Schülern, dass deren Eltern oder Großeltern beim Kochen unbekannter oder exotischer Gerichte mitmachen können. Der Kostenrahmen wird von der Teamleiterin ebenso als ein zu beachtendes Argument eingebracht. Zum Schluss findet eine Abstimmung statt.

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Abb. 24: Mehrgängiges Menü aus dem Kochbuch »Nicht nur ein Ma(h)l!« mit Mengenangaben für 4 oder 60 Personen, © Heiner Staib

Die Einteilung der Dienste erfolgt am Tag vor der diakonischen Aktion und wird durch die Lehrkraft – unter Berücksichtigung der Schülerwünsche und der Teamfähigkeit Einzelner – vorgenommen. Auf einer Stellwand sind dazu alle Arbeitsbereiche mit Symbolen dargestellt. Eine Zahl gibt an, wie viele Schüler in jedem Arbeitsbereich benötigt werden. Für folgende Bereiche können sich die Schüler entscheiden: ȤȤ Tische mit Blumen, Geschirr und Servietten eindecken, ȤȤ Service (Auf- und Abtragen der Schüsseln und Platten, Versorgung der Gäste mit Wasser, Abtragen des Geschirrs nach den einzelnen Gängen) – diese Gruppe muss sich auch bei der Vorbereitung der Speisen beteiligen und wird hier je nach Bedarf eingesetzt, ȤȤ Zubereitung der Vorspeise (z. B. Suppe), ȤȤ Zubereitung der Beilagen, ȤȤ Zubereitung des Fleisch-, Fisch- oder vegetarischen Gerichts, ȤȤ Zubereitung des Desserts, ȤȤ Auswahl des Tischgebets oder Liedes, ȤȤ Präsentation der Klasse und des Menüs. Alle Schüler beteiligen sich im Laufe der Aktion beim Gestalten der Speisekarten. Zusätzlich können sich einzelne Schüler mit einem musikalischen Beitrag oder einem Gedicht beteiligen.

Was geschieht bei der Aktion? Am diakonischen Aktionstag treffen die Lehrkraft und die Schülerinnen und Schüler um 9:15 Uhr im Gemeindezentrum ein. Die erwachsenen Ehrenamtlichen stellen sich vor; sie tragen Namensschilder mit ihren Vor- und Nach-

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namen. Die Schüler werden mit Schürzen und Kochmützen eingekleidet; sie erhalten Aufkleber, auf die sie ihre Vornamen schreiben.

Abb. 25: 21 Köche und Köchinnen der Grundschule Augsburg-Kriegshaber, © Heiner Staib

Die Teamleiterin unterweist die Schüler in hygienischer Hinsicht (gründliches Händewaschen vor dem Einsatz, gründliches Händewaschen nach jedem Toilettengang, kein »Naschen« der Zutaten während der Zubereitung der Speisen, Essen, welches auf den Boden fiel, darf nicht mehr verwendet werden). Die Schülerinnen und Schüler müssen außerdem nach einer eventuell bestehenden Magen-Darminfektion gefragt werden. Diese Unterweisung ist gesetzlich vorgeschrieben. Die Teamleiterin erklärt abschließend, dass alle Schüler gemeinsam mit den Gästen essen werden. Nur die Servicekräfte essen gemeinsam mit dem Team der erwachsenen Ehrenamtlichen anschließend. Für die einzelnen Arbeitsschritte oder Teilbereiche ist jeweils eine ehrenamtliche Person verantwortlich. Diese arbeitet nun eigenverantwortlich mit ihrer Schülergruppe. Die Aufgaben werden konkret erklärt; z. B.: Wie klopfe und paniere ich ein Schnitzel? Worauf muss ich beim Braten von Fleisch achten? Wie lassen sich Servietten auf ansprechende Weise falten? Die Schülerinnen und Schüler probieren aus und übernehmen dann selbstständig die Aufgaben. Die Lehrkraft arbeitet in einer Arbeitsgruppe mit und übernimmt dieselben Aufgaben wie die Schüler und die Ehrenamtlichen. Es empfiehlt sich, zu Dokumentation Fotos anfertigen zu lassen; das können nach Möglichkeit Eltern übernehmen.

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Abb. 26: Schüler, Lehrkraft und Mutter bei der Zubereitung der Beilage und des Nachtischs; Fotos: Heiner Staib

Die Schülerinnen und Schüler arbeiten von 9:30 Uhr bis 12:00 Uhr in ihren Teams. Von 12:00 Uhr bis 12:15 Uhr gibt es eine Pause und ein Erfrischungsgetränk. Um 12:15 Uhr mischen sich diejenigen, die nicht im Serviceteam sind, unter die Gäste und sorgen dort für gute Stimmung. Die Servicekräfte werden in ihre Arbeit eingewiesen. Um 12:30 Uhr beginnt das Mittagessen. Die Klasse präsentiert sich, die Lehrkraft und das Menü. Eine Schülerin und ein Schüler (mit christlicher Konfession) sprechen das Tischgebet; eventuell wird auch gemeinsam ein Lied gesungen. Texte liegen auf Kärtchen auf den Tischen aus. Das Essen dauert ca. 1,5 Stunden. Die Schülerinnen und Schüler im Serviceteam essen gegen 14:00 Uhr mit den erwachsenen Teammitgliedern. Die anderen werden mit dem Ende der Tischgemeinschaft verabschiedet. Inhaltliche Weiterarbeit danach? Möglichst zeitnah zum außerschulischen Einsatz bei »Nicht nur ein Ma(h)l!« visualisiert, verbalisiert und reflektiert die Lehrkraft mit der Klasse die gemeinsamen Erlebnisse. Ein erster Schritt klärt, ob der diakonische Aktionstag für die Schülerinnen und Schüler interessant war. Hierzu können sich die Schüler frei oder strukturiert mit Hilfe von »Smileys« äußern. Die Lehrkraft wagt eine erste Deutung des Ergebnisses. Sie fragt nach, ob sie mit ihrer Deutung richtig liegt. Sie lässt die Minderheitenstimmen zu Wort kommen und versucht herauszufinden, was beim nächsten Mal besser gemacht werden könnte. Ernst: Ich durfte mit Daniele und Bastian Schnitzel panieren. Das hat Spaß gemacht! Und wir haben uns sehr dreckig gemacht […].

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Melike: […] wir haben die Suppe, Schnitzel, Kartoffelsalat, den gemischten Salat und den Nachtisch bringen dürfen. Der Daniele hat, glaub’ ich, auch ein Gebet ausgesucht, was wir dann auch gesagt haben. Daniele: Ich war der Oberkellner […] Und ich konnt’s auch gut, weil meine Mutter war auch mal Kellnerin […]. Dennis: Und am Ende, wo wir noch gegessen haben, wo die ganzen Leute rausgekommen sind, haben sie noch ›Dankeschön‹ gesagt, dass wir für sie gekocht haben […]. DL_OT_part02_was_ich_gemacht_habe

In einem zweiten Reflexionsschritt richtet die Lehrkraft den Blick dann auf die Dynamik innerhalb der Schülergruppe. Hat das ehrenamtliche Engagement evtl. Auswirkungen auf die Klasse als Team? Die Lehrkraft legt dazu unterschiedlich farbige Satzstreifen in die Mitte des Stuhlkreises. Die folgenden Satzanfänge sollen schriftlich ergänzt werden: »Als Klasse waren wir gestern ein gutes Team, weil …« »Als Klasse waren wir gestern kein so gutes Team, weil …« DL_OT_part03_was_es_ist

Alle lesen ihr Statement vor. Die Lehrkraft fragt nach, um die Zusammenhänge besser zu verstehen. Die Statements werden anschließend auf ein zweifarbiges Plakat geklebt. Die Überschrift lautet: »Sich für andere einsetzen bedeutet …« Die Unterüberschriften lauten: Teamarbeit/Menschen kennenlernen/Spaß/ Anderen helfen/Anstrengung/»Belohnung« Ein dritter Schritt besteht in der Arbeit an den neutestamentlichen Er­zählungen zu Jesu Tischgemeinschaften (z. B. Mk 2,13–17; Mk 6,30–44; Lk  4,15– 24, Mk 14,12–25; Lk 24,13–35). Die Schülerinnen und Schüler entdecken, welche Menschengruppen eingeladen sind und wem sich Jesus verbunden fühlt. Den Ehrenamtlichen von »Nicht nur ein Ma(h)l!« ist es ein Vorbild, dass Jesus mit Menschen isst, die sonst nirgends eingeladen werden. Abschließend gestalten die Schüler ein Heft mit ihren persönlichen Eindrücken, Statements aus der Reflexion und Hintergrundwissen: ȤȤ Ideen für die weitere Gestaltung des Heftes ȤȤ Unser Menü

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ȤȤ Titelseite: »Sich für andere im Stadtteil einsetzen«. Motiv für die farbige Titelseite kann z. B. sein: Teller mit Besteck, Herz mit Besteck, Tisch mit Tellern, Tisch mit unterschiedlichen Gästen o. ä. ȤȤ »Ein überraschendes Erlebnis beim Essen mit anderen war für mich …« ȤȤ »Als Klasse 4 waren wir bei »Nicht nur ein Ma(h)l!« ein gutes Team, weil …« ȤȤ »Anderen Menschen helfen macht Spaß, weil …« ȤȤ Die Mitarbeiter von »Nicht nur ein Ma(h)l!« bekommen für ihre Arbeit kein Geld. Sie bekommen aber zum Beispiel … ȤȤ Porträt einer Ehrenamtlichen/eines Ehrenamtlichen ȤȤ Informationen zur diakonischen Tischgemeinschaft: Alle, die Spaß am Kochen haben, können mitmachen; beim Essen treffen sich alte und junge, behinderte und nichtbehinderte, reiche und arme Menschen; schön gedeckte Tische zeigen, dass Essen ein Fest ist ȤȤ Menschen mit wenig Geld können umsonst mitessen. Dazu fällt mir ein … ȤȤ Zahlen zur diakonischen Tischgemeinschaft: z. B. Zahl der Ehrenamtlichen, Zahl der Gäste am diakonischen Aktionstag, Zahl der Gäste pro Jahr, … ȤȤ Fotos vom diakonischen Aktionstag ȤȤ Text einer neutestamentlichen Geschichte zur Tischgemeinschaft Weitere Informationen »Nicht nur ein Ma(h)l!« in Augsburg unter http://www.st-thomas-augsburg.de/diakonie/nichtnur-ein-ma-h-l/, letzter Zugriff am 15.09.14 Essen mit Anderen  – Kontakte zu diakonischen Tischgemeinschaften in der EvangelischLutherischen Kirche Bayern unter www.bayern-evangelisch.de/engagement-vor-ort.php.

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8.2 »Wenn ich mal alt bin, dann wünsche ich mir, dass immer jemand da ist, der sich um mich kümmert!« – Diakonische Aktion mit Mittelschülern und Bewohnern eines Seniorenheims Darum geht es: Schülerinnen und Schüler aus der 7. Klasse der Mittelschule Insel Schütt in Nürnberg begleiten eine Seniorenheim-Gruppe zum sogenannten Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne. Die Schüler und die Senioren begegnen sich bei dieser Aktion zum ersten Mal. Gemeinsam müssen sie zu Fuß und mit Rollstühlen und Rollatoren den Weg zum »Erfahrungsfeld« bewältigen. Auf spielerische Art und Weise erkunden sie am Ziel gemeinsam physikalische Phänomene und Gesetze der Natur und lassen unterschiedliche Reize auf sich wirken. Die Schüler erleben bei der Aktion die professionelle Seite diakonischer Arbeit, da eine Altenpflegerin und eine Ergotherapeutin aus dem Seniorenheim an der Aktion und an der inhaltlichen Vor- und Nacharbeit im (Klassenzimmer-) Unterricht beteiligt sind. Sie bekommen aber auch eine Ahnung davon, wie wichtig manchen Senioren der Kontakt zur jüngeren Generation für ihr Zufriedenheitsgefühl ist. Die Schüler reflektieren, wie der Zusammenhalt der Generationen angesichts des demographischen Wandels gestärkt werden kann. Wird die diakonische Aktion im Rahmen des Religionsunterrichtes durchgeführt, erfährt sie eine inhaltliche Fortführung mit Hilfe biblischer Aussagen zum Generationenzusammenhalt und Lebensgefühl junger und alter Menschen. Hinweis: Die folgende Anleitung beschreibt die von Religionspädagogin (FH) Jenny Graumann konzipierte und durchgeführte diakonische Aktion zwischen Schülerinnen und Schülern der Mittelschule Insel Schütt und dem Rummelsberger Stift St. Lorenz in Nürnberg.

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Abb. 27: Seniorin aus dem Rummelsberger Stift St. Lorenz, Schüler der Mittelschule Insel Schütt Nürnberg und Religionspädagogin (FH) Jenny Graumann gemeinsam unterwegs, © Jürgen Holzenleuchter

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Kompetenzen: Die Schülerinnen und Schüler –– kennen Schritte der Vorbereitung und Durchführung eines kleinen Ausflugs mit Senioren, –– können Senioren im »Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne« führen und begleiten, –– nehmen wahr, wie das gemeinsame Spiel und die gemeinsame Entdeckung soziales Miteinander stärken, –– spüren Stärke, Willenskraft und Begeisterungsfähigkeit von älteren Menschen sowie deren Respekt gegenüber Jüngeren, –– lernen mit älteren Menschen umzugehen, auf sie zu achten und zu respektieren, –– können mit einem Rollstuhl oder Rollator umgehen, –– legen biblische Sätze zum Lebensgefühl alter Menschen und zum Generationenzusammenhalt aus. Inhaltliche Komponenten: –– Phasen des Älterwerdens, –– Auseinandersetzung mit dem demographischen Wandel, –– Verantwortung für Menschen mit altersbedingten Beeinträchtigungen, –– Struktur und Absicht des »Erfahrungsfeldes zur Entfaltung der Sinne«, –– Reflexion der durch Altersunterschiede bedingten Barrieren zwischen Generationen, –– Diakonische Berufe zur Aktivierung, Unterstützung und Pflege alter Menschen kennenlernen und wertschätzen, –– Wertschätzung und Lebensgefühl alter Menschen in der biblischen Überlieferung, –– Biblische Motive, die diakonisches Handeln begründen.

Wie können sich die Schülerinnen und Schüler bei einer einmaligen diakonischen Aktion mit Bewohnern eines Seniorenheimes engagieren? »Wenn ich mal alt bin, dann wünsche ich mir, dass immer jemand da ist, der sich um mich kümmert!«, dieses Resümee zog Robert nach einem gemeinsamen Nachmittag, den er und seine Mitschüler mit Bewohnern des Rummelsberger Stifts St. Lorenz im Nürnberger Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne verbracht haben. »Staunen, entdecken, forschen und erleben«, so lautet das Motto dieses Aktionsparcours.

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Material zum Anschauen auf youtube: https://www.youtube.com/  watch?v=ty0A8PBAS5Q

Die Aufgaben für die Schülerinnen und Schüler sind bei dieser diakonischen Aktion vielseitig: Sie überlegen im Vorfeld, welche der insgesamt über 100 Stationen im Aktionsparcours für die gemeinsame Entdeckung mit den Senioren geeignet sein könnten und wer von ihnen die ausgewählten Stationen vorstellt. Sie unterstützen die Senioren dabei, den Fußweg vom Seniorenheim bis zum Erfahrungsfeld zu bewältigen (etwa 1 km), da diese auf den Rollstuhl oder Rollator angewiesen sind. Die Schüler üben deshalb vor der Aktion, mit einem Rollstuhl umzugehen. Einige von ihnen testen, welcher Weg zum »Erfahrungsfeld« für Rollstuhlfahrer geeignet ist. Die Begegnung selbst soll durch einen Schüler oder eine Schülerin dokumentiert werden. Es wird überlegt, welche Situationen im Foto festgehalten werden sollen. In einer Pause befragen Schüler in Kleingruppen einzelne Senioren, was ihnen die Begegnung der unterschiedlichen Generationen bedeutet. An der diakonischen Aktion beteiligen sich auch eine Pflegekraft und eine Ergotherapeutin aus dem Seniorenstift. Sie nehmen ebenso wie die Schüler, die Senioren und die Lehrkraft an allen Aktivitäten teil. Wenn es notwendig ist, unterstützen sie die Schüler oder zeigen ihnen, wie man sich in bestimmten Situationen verhält. Was geschieht vorher? Die nachmittägliche diakonische Aktion wird im Unterricht vor- und nachbereitet. Hier sind zum einen organisatorische Fragen zu bearbeiten und zum anderen ist zu vermitteln, in welchem Zusammenhang das außerschulische Lernen zu den Inhalten des Religionsunterrichts steht. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang biblische Aussagen zum Stellenwert älterer Menschen und zum Miteinander der Generationen sowie Begründungen für diakonisches Handeln. Eine Auseinandersetzung mit einem der biblischen Texte ist bereits im Vorfeld sinnvoll. Das alttestamentliche Weisheitswort »Jugendliche können stolz sein auf ihre Kraft und die Alten auf den Schmuck ihres grauen Haares« (Spr 20,29) kann als Leitmotiv der inhaltlichen Vor- und Nacharbeit der Aktion dienen. Organisation Da die diakonische Aktion mit den Schülern der 7. Klasse und den Senioren außerhalb des Seniorenheims (»im Freien«) stattfindet, wird ein Termin in der

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zweiten Schuljahreshälfte gewählt. Der Aktionsparcours Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne hat zudem nur in der warmen Jahreszeit geöffnet. Die konkrete terminliche Festlegung findet deshalb zu Beginn der zweiten Schuljahreshälfte statt. Mit der Klassenleiterin und der Leitung des Seniorenheims werden zwei mögliche Termine vereinbart (der zweite dient als Ausweichtermin im Falle von Regenwetter). Der Fachdienst (z. B. Ergotherapeutin) im Seniorenstift nimmt die diakonische Aktion mit den Schülern in die Planungen des Wochenprogramms auf, kommuniziert die Begegnungsmöglichkeit mit den Schülern gegenüber den Bewohnern und hält die Namen der interessierten Senioren schriftlich fest. In einem Elternschreiben informiert die beteiligte Lehrkraft rechtzeitig (mindestens 14 Tage vorher) über den konkreten Termin der diakonischen Aktion. Sie benennt in dem Schreiben die Zielsetzungen der verbindlichen Unterrichtsveranstaltung: ȤȤ Auseinandersetzung mit den Herausforderungen einer älter werdenden Gesellschaft, ȤȤ Wertschätzung älterer Menschen, ȤȤ Verantwortung für Menschen mit unterschiedlichen altersbedingten Beeinträchtigungen übernehmen, ȤȤ diakonisch-soziales Handeln der Kirche erleben, ȤȤ Berufsorientierung durch Begegnung mit Fachkräften. Inhaltliches Die Lehrkraft führt mit einer Präsentation über Menschen im Alter in das Thema ein. Sie achtet dabei darauf, dass die Phasen des Älterwerdens möglichst facettenreich gezeigt werden. Sie zeigt in ihrer Präsentation eine Auswahl an ausdrucksstarken Fotos über »jüngere Alte«, die z. B. Sport treiben, reisen oder eine Fremdsprache erlernen. Es finden sich Fotos über alte Menschen, die sich ehrenamtlich bei Bürgerinitiativen, in der Musik, in Kirchen, Vereinen oder beim Sport engagieren. Ebenso zeigt die Lehrkraft Beispiele älterer Menschen, die sich um ihre Enkelkinder kümmern oder Jugendliche fördern. Sie zeigt auch Fotos von alten Menschen, die mit einem Rollator unterwegs sind. Auf einem Bild ist ein hochbetagter Mann oder eine hochbetagte Frau zu sehen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Für das anschließende Gespräch bilden die Schüler einen Stuhlkreis. Die Lehrkraft setzt folgenden Impuls: »Erinnere dich an ein oder zwei Fotos und beschreibe, was du auf diesen Bildern gesehen hast.« Am Ende versucht die Lehrkraft zu deuten, welche Bilder des Alters die Schüler ausgesucht haben. Eventuell ergibt sich eine Tendenz (z. B. Schüler haben überwiegend Fotos mit aktiven Senioren oder Fotos mit Senioren plus Rollator oder

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Rollstuhl ausgesucht), eventuell zeichnet sich aber auch ein differenziertes Bild von den Phasen des Alters ab, z. B.: Altwerden bedeutet Freiraum, Altwerden kann aber auch größere Einschränkungen mit sich bringen. Die Lehrkraft stellt den Schülern das Ergebnis der Generali-Altersstudie zur Lebenszufriedenheit und -perspektive der heute 65–85-Jährigen vor. Die entsprechende Grafik zeigt, dass die ältere Generation ihre Zufriedenheit mit dem Leben auf einer zehnstufigen Skala von null bis zehn durchschnittlich bei einem hohen Wert von 7,4 einstuft. Die Unterrichtsstunde endet mit einem »Schreibgespräch«. Die Überschrift auf einem Plakat lautet: »Der Schmuck des Alters«. Während des »Schreibgesprächs« läuft leise Musik und die Fotos der Präsentation werden als stiller Impuls in einer Endlosschleife gezeigt. Die Schüler kommentieren die biblische Aussage aus dem Buch der Spr 20,29: »Jugendliche können stolz sein auf ihre Kraft und die Alten auf den Schmuck ihres grauen Haares.« (Übertragung Martin Dorner) Folgende Regeln gelten: Man darf lesen, was die anderen geschrieben haben. Wenn man ähnlich wie ein Mitschüler oder eine Mitschülerin denkt, soll man seine Gedanken mit eigenen Worten trotzdem auf das Plakat schreiben. Alle sollen etwas schreiben. In der darauffolgenden Unterrichtsstunde stellt die Lehrkraft Aussagen aus dem »Schreibgespräch« vor. Sie stellt Nachfragen und beginnt die Kommentare zu deuten. Sie versucht im Gespräch mit den Schülern die Tiefe der biblischen Weisheit auszuloten, die jugendliche Kraft und die »grauen Haare« (»Schmuck des Alters«) nicht gegeneinander ausspielt. Danach gestalten die Schülerinnen und Schüler ihre Hefte oder Ordner zum Thema Schönheit und Last des Altwerdens – Begegnungen mit alten Menschen. Sie kleben auf die Titelseite drei Fotos alter Menschen, die unterschiedliche Phasen des Altwerdens zeigen (z. B. alte Frau am Computer oder beim Sport, alter Mann in einem Ehrenamtsprojekt wie z. B. Hausaufgabenhilfe oder Lesepatenschaft, alter Mann oder Frau mit Rollator beim Einkaufen im Supermarkt). Die Schüler schreiben zum Beispiel: Wie in der Kindheit und im Erwachsenenalter durchlebt auch der Mensch im Alter verschiedene Phasen. Viele Menschen sind mit 65 oder sogar mit 80 Jahren noch sehr fit. Sie treiben Sport, gehen auf Reisen, lernen Sprachen. Sie kümmern sich um Enkelkinder oder engagieren sich in Vereinen oder in der Kirche. Viele alte Menschen sind zufrieden. Oft sind sie sogar glücklicher als in früheren Lebensjahren, weil sie sich jetzt freier fühlen. Die Zufriedenheit nimmt dann ab, wenn zum Alter schwere körperliche oder seelische

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Krankheiten hinzukommen. Entscheidend für die Zufriedenheit im Alter sind vor allem Kontakte zu Freunden, zur Familie und auch zu Vertretern aus einer anderen Generation. Info: »Die Hälfte der älteren Männer und 41 % der älteren Frauen engagieren sich gesellschaftlich, im Durchschnitt rund vier Stunden pro Woche. Das bürgerschaftliche Engagement findet insbesondere im kirchlichen oder religiösen Bereich sowie in Freizeit-, Sport- und Kultureinrichtungen statt. Das wichtigste Motiv ist der Spaß an der Aufgabe. Ab einem Alter von 80 Jahren und mit einem schlechter werdenden Gesundheitszustand nimmt das Engagement deutlich ab.« (Demografie-Portal des Bundes und der Länder)

Gegen Ende dieser Unterrichtseinheit stellt die Lehrkraft den Schülerinnen und Schülern die Begegnung mit Bewohnern aus einem Seniorenheim im Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne in Aussicht. Während sie die diakonische Aktion einführt, legt sie als Impuls das Weisheitswort: »JUGENDLICHE können stolz sein auf ihre KRAFT und die Alten auf den Schmuck ihres grauen Haares« (Spr 20,29) mit Satzstreifen in die Mitte. Die Worte »Jugendliche« und »Kraft« sind dabei in einer deutlich größeren Schrift gestaltet. Sie erklärt, dass eigentlich alle Senioren, die für den Begegnungsnachmittag in Frage kommen, auf einen Rollstuhl oder zumindest auf einen Rollator angewiesen und meist über 80 Jahre alt sind. Sie sagt, dass die »Kraft« der Schüler die Voraussetzung dafür ist, dass die Senioren überhaupt den Aktionsparcours erreichen. Sie weist darauf hin, dass in einem Seniorenheim die Menschen zwar gut gepflegt und auch gefördert werden, dass es aber nicht genügend bezahltes Personal gibt, um z. B. mit Bewohnern in das »Erfahrungsfeld« zu gehen. Sie wartet nun die spontanen Äußerungen zu ihrem Vorschlag ab. Sie nimmt Ideen, Fragen und mögliche Ängste auf. Zuletzt wählt die Lehrkraft einige Schülerinnen und Schüler aus, die bis zur nächsten Stunde das Erfahrungsfeld besuchen, um sich Notizen über etwa 10 bis 15 Versuche oder Aktionen zu machen, die gemeinsam von Senioren und Schülern ausgeführt werden können. Der Pädagoge und Künstler Hugo Kükelhaus (1900–1984) lehrte, dass vielgestaltige und wohldosierte Reize die Entwicklung des Menschen optimal fördern. Das Nürnberger »Erfahrungsfeld« macht diesen pädagogischen Ansatz von Kükelhaus zugänglich. Seine über 100 Stationen laden auf sensible Art und Weise zu besonderen Sinneserfahrungen ein. Der Parcours ist nicht weit vom Nürnberger Hauptbahnhof entfernt und wirkt doch wie eine Oase im Grünen. Er liegt idyllisch an einem Flussufer und Bäume spenden Schatten.

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In der nächsten Unterrichtsstunde ist die Ergotherapeutin oder eine Vertreterin des Fachdienstes des Seniorenheims zu Gast. Sie stellt sich vor, erzählt an einem Beispiel, wie sie alte Menschen fördert, und erklärt auf einfache Weise den Unterschied zwischen ihrem Dienst und dem Dienst einer Pflegekraft in einem Seniorenheim. Die Lehrkraft bittet nun diejenigen Schüler, die sich im Erfahrungsfeld umgesehen haben, von ihren Vorschlägen für mögliche Aktionen mit den Senioren zu berichten. Gemeinsam mit der Ergotherapeutin werden dann etwa fünf Stationen ausgesucht. Die Fachkraft benennt Gründe, warum manche Stationen besser und andere weniger gut geeignet sind. Außerdem wird vereinbart, welche Schüler die ausgewählten Stationen vorstellen. Die Ergotherapeutin leitet darauf eine erste Übung mit einem Rollstuhl an, den sie aus dem Seniorenheim mitgebracht hat. Sie übernimmt zunächst die Rolle derjenigen, die auf den Rolli angewiesen ist. Nach und nach probieren sich alle einmal in der Rolle des Rollstuhlfahrers aus und anschließend in der des Schiebenden. Der Rollstuhl verbleibt im Klassenzimmer. Die Schüler können auch an den folgenden Tagen weiter mit ihm üben. Außerdem soll eine Gruppe von Freiwilligen an einem Nachmittag den für Rollstuhlfahrer besten Weg zwischen dem Seniorenheim und dem Erfahrungsfeld erkunden. Zwei oder drei Schüler sind aufgefordert, die bevorstehende Begegnung fotografisch festzuhalten. Was geschieht bei der Aktion? Für die diakonische Aktion stehen etwa 2,5 Zeitstunden zur Verfügung. Es ist die Zeitspanne nach der Mittagsruhe bis zum Abendessen. Im Seniorenheim werden die Schüler vom Leiter begrüßt. Die Senioren und die Fachkräfte tragen bereits ein Namensschild. Der Leiter stellt die Senioren mit ihren Namen vor. Die Lehrkraft stellt alle Schüler vor. Jede Schülerin und jeder Schüler erhält einen Aufkleber mit ihrem/seinem Vornamen. Die Gruppe wird verabschiedet und setzt sich auf dem erkundeten Weg in Bewegung. Die Distanz zwischen dem Seniorenheim und dem Erfahrungsfeld beträgt etwa 1.000 Meter. Im Erfahrungsfeld steht nun das gemeinsame Tun im Rahmen von Experimenten, Übungen und Spielen im Mittelpunkt. Ein fast menschengroßer Marmorblock ist zum Beispiel so bearbeitet, dass er sich von Menschenhand in Schwingungen versetzen lässt und die Schwingung einen leisen Ton erzeugt. Schüler und Senioren versuchen gemeinsam den Block in Schwingung zu versetzen. Wer hört den Ton? Einige der gemeinsamen Aktionen werden fotografiert. Zwischendurch wird eine Pause eingelegt. Die Ergotherapeutin und die Pflegekraft haben Wasser, Becher und Kekse dabei. Man lässt sich auf

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einer Wiese oder an einer Tischgruppe nieder. Einige Schüler übernehmen den Ausschank. In der Pause befragen Schüler in Kleingruppen einzelne Senioren, was ihnen die Begegnung bedeutet. Ein Schüler schreibt jeweils einen Satz einer Seniorin oder eines Seniors auf Heftstreifen mit der Überschrift: Für Herrn/Frau N.N. bedeutet die Begegnung mit uns Schülern … Die Lehrkraft sammelt die Heftstreifen ein. Nach der Pause werden die letzten ausgewählten Stationen besucht. Die Schüler begleiten die Senioren erneut bis zum Seniorenheim und verabschieden sich von ihnen. Was geschieht nach der Aktion? In der Unterrichtsstunde nach der Aktion zeigen diejenigen Schülerinnen und Schüler, die die Begegnung mit den Senioren fotografierten, eine Auswahl ihrer Fotos. Jeder/jede kann sich sein persönliches Lieblingsmotiv aussuchen. Es schließt sich eine Phase der Einzelarbeit an. Die Schülerinnen und Schüler beschreiben auf etwa einer halben DIN-A4-Seite, was sie überrascht hat. Sie kleben das ausgewählte Foto zu ihrem Text. Anschließend werden alle Texte vorgelesen. Die Lehrkraft hält jeweils eine Aussage pro Schüler/Schülerin auf einem farbigen Satzstreifen fest. Sie versucht die Aussagen zu bündeln. Gemeinsam werden Kategorien überlegt, die den Aussagen zugeordnet werden können. Sie stehen auf großen, andersfarbigen Satzstreifen. Mögliche Kategorien sind beispielsweise: ȤȤ Willenskraft, ȤȤ Begeisterungsfähigkeit, ȤȤ Neues entdecken, ȤȤ Spaß an Begegnung, ȤȤ Miteinander, ȤȤ Erinnerung. Die Weiterarbeit erfolgt je nach Neigung in drei Kleingruppen: Zwei Gruppen gestalten farbige Plakate. Das Plakat von Gruppe 1 trägt die Überschrift: »An der Begegnung mit den Senioren aus dem Rummelsberger Stift St. Lorenz hat uns überrascht …«. Bestandteil des Plakats sind die oben genannten Kategorien, die jeweiligen Schüleraussagen und Fotos der Aktion. Das Plakat von Gruppe 2 hat die Überschrift: »Bewohnern aus dem Rummelsberger Stift St. Lorenz bedeutet die Begegnung mit uns …«. Gestaltungselemente dieses Plakates sind z. B.: Logo

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Abb. 28: Die Begegnung wird fotografisch dokumentiert, © Jürgen Holzenleuchter

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der Schule, Logo des Trägers der Einrichtung, Logo der Diakonie, Weg von der Schule zum Seniorenheim, gemeinsamer Weg der Schüler und Senioren zum Aktionsparcours, Darstellung einer gemeinsamen Übung oder eines Spiels. Außerdem kleben auf diesem Plakat auch die Heftstreifen mit den Äußerungen der Senioren während der Pause im »Erfahrungsfeld« (»Für Herrn/Frau N.N. bedeutet die Begegnung mit uns Schülern …«). Die dritte Gruppe bereitet gemeinsam mit der Lehrkraft ein Interview mit der Altenpflegekraft vor, die bei dem diakonischen Aktionstag mit dabei war. Sie schreiben ihre Impulse auf Karteikarten und entscheiden, wer die Fragen in der darauffolgenden Unterrichtsstunde stellen wird. Fragen des Interviews können u. a. sein: »Wie sind Sie überhaupt dazu gekommen, Altenpflegerin zu werden?«, »Was macht Ihnen an Ihrem Beruf Spaß?«, »Was brauchen pflegebedürftige Menschen besonders?«, »Wie erkennt man, ob dieser Beruf oder ein anderer pflegerischer Beruf etwas für einen ist?«, »Wo holen Sie sich Kraft?« »Hilft ihnen Ihr Glaube für Ihren Beruf?«, »Haben Sie schon einen Menschen beim Sterben begleitet?« In der darauffolgenden Stunde besucht die Altenpflegekraft die Schulklasse. Zunächst stellen die Schülerinnen und Schüler die Plakate vor und zeigen, wie sie inhaltlich an dem Thema Begegnungen zwischen Schülern und alten Menschen weitergearbeitet haben. Im Stuhlkreis interviewen ein oder mehrere Schüler die Pflegerin. Ein Schüler hat die Aufgabe, Äußerungen, die ihn berühren, mitzuschreiben. Aus dieser Mitschrift fertigt die Lehrkraft für die Abschlussstunde ein Porträt der Altenpflegefachkraft an. Ein Schüler fotografiert sie. Die abschließenden Stunden dienen der weiteren Vertiefung und der Heftgestaltung. Die Schüler erhalten grundlegende Informationen über Chancen und Herausforderungen der älter werdenden deutschen Gesellschaft. Sie reflektieren die Herausforderungen an ihre Generation unter den Aspekten der Solidarität und biblischer Aussagen zum Generationenzusammenhalt. Sie überlegen, ausgehend von ihren Erfahrungen mit den Senioren, welche Bedeutungen ausgewählte biblische Aussagen haben (»Was könnten die Sprecher dieser Sätze selbst erlebt haben?« »Was möchten sie mitteilen?« »Was denkst du über diese Sätze?«). Mögliche Texte sind hier das vierte Gebot (»Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren …«, Ex 20,12), die Hoffnung der Psalmen (»Verwirf mich nicht in meinem Alter, verlass mich nicht, wenn ich schwach werde« Ps 71,9) und neutestamentliche Weisungen (»Einer trage des anderen Last«, Gal 6,2). Das Porträt der Altenpflegerin (Foto und Statements) findet unter der Überschrift »Berufsorientierung über einen diakonischen Beruf« Platz im Heft/ Ordner der Schülerinnen und Schüler. Bei Interesse an einem Pflegeberuf bietet sich die Bearbeitung des Berufsfindungstests Altenpfleger/Altenpflegerin der

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Plattform »SOZIALE BERUFE kann nicht jeder« an. Dieser Test zeigt Alltagssituationen aus der Ausbildung. Er fragt nach Eigenschaften, Einstellungen und Erfahrungen, die für diese Ausbildung nützlich sein können. Weitere Informationen Videoclip einer diakonischen Aktion mit Religionspädagogin Jenny Graumann im Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne unter https://www.youtube.com/watch?v=ty0A8PBAS5Q, letzter Zugriff am 04.03.2015 Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne in Nürnberg/Stadt Nürnberg Amt für Kultur und Freizeit/Abteilung kulturelle & politische Bildung unter http://www.kuf-kultur.de/weitere-kufeinrichtungen/erfahrungsfeld-zur-entfaltung-der-sinne/ueber-das-erfahrungsfeld.html, letzter Zugriff am 30.09.2014 Literatur zum Lebensgefühl älterer Menschen: Generali Zukunftsfonds (Hrsg.), Generali-Altersstudie 2013: Wie ältere Menschen leben, denken und sich engagieren. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 2013 Lebenszufriedenheit von Menschen im Alter: Generali Alterstudie 2013 unter http://www.generalialtersstudie.de/online/portal/gdinternet/altersstudie/content/815252/815208, letzter Zugriff am 05.11.14 Zusammenfassung wichtiger Ergebnisse der Generali Altersstudie 2013 auf dem Demografie Portal des Bundes und der Länder unter http://www.demografie-portal.de/SharedDocs/Informieren/ DE/Studien/Generali_Altersstudie_2013.html, letzter Zugriff am 06.11.14 Diagramme zur Altersstruktur und zum Jugend- und Altenquotient unter http://www.demografieportal.de/SharedDocs/Informieren/DE/Statistiken/Jugendquotient_Altenquotient.html, letzter Zugriff am 06.11.14 Berufsfindungstest Altenpfleger/in der Plattform »SOZIALE BERUFE kann nicht jeder« (Impressum: Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e. V. Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband) zum Download http://www.soziale-berufe.com/berufsfindungstest-altenpflegerin, letzter Zugriff am 06.11.14

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8.3 »Das kann man nur durch Ausprobieren erleben!« Einwöchiges Sozialpraktikum/Diakonisches Praktikum mit Schülerinnen und Schülern der 10. Jahrgangsstufe am Gymnasium Darum geht es: Zum Schulprofil des Gymnasiums Eckental (Naturwissenschaftlich-technologisches und Sprachliches Gymnasium) gehört das verpflichtende einwöchige Sozialpraktikum für alle Schülerinnen und Schüler in der 10. Klasse. Die Schüler können ihren Praktikumsplatz aus einem Pool von über 50 verschiedenen diakonischen/caritativen und weiteren sozialen Angeboten auswählen. Sie unterstützen z. B. (jugendliche) Flüchtlinge bei Sprachübungen, begleiten Senioren in Seniorenheimen, üben einfache pflegerische und unterstützende Tätigkeiten in einem Krankenhaus aus oder begegnen Schülerinnen und Schülern mit einer Behinderung. Ein weiterer Teil des Angebots umfasst Kindertagesstätten und Horte. Das Praktikum dient dem Kennenlernen der sozialen und diakonischen Landschaft in der Region, der Berufs- und Studienorientierung, der Stärkung des Verantwortungsgefühls, der Förderung der sozialen Kompetenzen und der inhaltlichen Weiterarbeit an einer aktuellen ethischen Fragestellung. Hinweis: Die folgende Anleitung beschreibt in Teilen das von OStR Markus Feiler konzipierte Sozialpraktikum. Die inhaltliche Vor- und Nacharbeit des Praktikums erfolgt im jeweiligen evangelischen und katholischen Religionsunterricht oder im Ethikunterricht. Damit hat das Sozialpraktikum eine ökumenische Dimension. Die Lehrkräfte werden in der Vorbereitung von einer Verwaltungskraft der Schule unterstützt. Kompetenzen Die Schülerinnen und Schüler –– kennen Schritte der Kontaktanbahnung mit einem Praktikumsort, –– verfügen über die Bereitschaft, ein Praktikum zu absolvieren, –– nehmen wahr, mit welchen Maßnahmen die Unterstützung von hilfebedürftigen Menschen am Praktikumsort verwirklicht wird, –– partizipieren an der Lebenssituation hilfebedürftiger Menschen (z. B. Menschen auf der Flucht), –– üben Perspektivenübernahme und Empathie, –– üben den Umgang mit Menschen, die schwierige Lebenssituationen zu meistern haben,

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–– erläutern Lebensumstände von hilfebedürftigen Menschen (z. B. von Menschen auf der Flucht), –– erläutern Begründungen des sozialen Handelns aus kirchlicher und staatlicher Sicht, –– haben einen Überblick über soziale und diakonische Studiengänge und Berufswege. Inhaltliche Komponenten: –– diakonische/soziale Einrichtungen und Initiativen in der Region, –– diakonische und soziale Berufe und Studiengänge, –– ehrenamtliches Engagement bei Diakonie/Caritas/Lebenshilfe u. a., –– Freiwilligendienste (FSJ/BFD) bei diakonischen und weiteren Trägern, –– Menschen in Verletzlichkeit, –– Fluchtmotive aufgrund von Krieg, Gewalt und Perspektivlosigkeit, –– Sinnfragen angesichts von Krankheit, Verletzlichkeit und Tod, –– biblische Aussagen zum diakonischen Handeln der Kirche, –– unterschiedliche Traditionen zur Begründung des deutschen Sozialstaats.

Wie können sich Schülerinnen und Schüler beim Sozialpraktikum engagieren? Andreas geht in die 10. Klasse des Gymnasiums Eckental. Er hat sich während eines verpflichtenden einwöchigen Sozialpraktikums bei Bahia engagiert. Bahia ist eine Jugendhilfeeinrichtung in Nürnberg für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und steht für: Begleiten, Annehmen, Heilen, Integrieren und Aktivieren. Die Jugendlichen wohnen bis zum 18. Lebensjahr in der Einrichtung der Diakonie Rummelsberg. Andreas bewertet seine Zeit an diesem diakonischen Lernort so: »Diese Erfahrungen kann man gar nicht in den theoretischen Unterricht verpacken. Also das geht nicht, das kann man nur durch, ich sage mal, Ausprobieren erleben. Also das ist etwas, was die Schule nicht kann, einem solche Erfahrungen beizubringen.« DL_OT_part01_nicht_theoretisch

Das Sozialpraktikum bietet Schülern wie Andreas die Chance, sich aus einer Liste von etwa 50 Angeboten das Praktikumsfeld und den Praktikumsort in der Region Eckental/Nürnberg/Fürth/Erlangen auszusuchen, für den er sich besonders interessiert. Andreas half z. B. unter 18-jährigen männlichen Flüchtlingen aus Afghanistan, China, Irak, Somalia, Syrien und Vietnam, ihre deutsche

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Sprachpraxis zu verbessern. Er unterstützte die Jugendlichen bei ihren Hausaufgaben und half in dem Wohnheim, in dem sie leben, bei hausmeisterlichen Tätigkeiten. Gemeinsam mit den Bewohnern entdeckte er Nürnberg. Andere Mitschülerinnen und Mitschüler entschieden sich z. B. für ein Praktikum im Krankenhaus Martha-Maria des Evangelisch-Methodistischen Diakoniewerks oder für das Hermann-Bezzel-Haus, eine Senioreneinrichtung der Diakonie Rummelsberg. Wieder andere wählten Praktikumsangebote in Kindertagesstätten und -horten in kirchlicher und anderer Trägerschaft. Was geschieht vorher? Am Gymnasium Eckental ist das Sozialpraktikum in ein mehrjähriges Konzept zur Berufs-und Studienorientierung für die Schülerinnen und Schüler eingebunden. In der 9. Klasse können die Schüler freiwillig an einem Berufspraktikum im Bereich von Industrie, Handwerk, Handel und Gewerbe teilnehmen. Das Sozialpraktikum in der 10. Klasse ist verpflichtend. Im Rahmen der Projektseminare in Q11 gibt es dann weitere Einheiten zur Berufs- bzw. Studienorientierung. Auf organisatorischer und inhaltlicher Ebene ist gegenüber Schülerschaft und Eltern zu vermitteln, wie das Sozialpraktikum in das schulische Lernen eingebunden ist. Organisation Das Praktikum findet während der Schulzeit in der zweiten Schuljahreshälfte statt. Damit das Praktikum im (Klassenzimmer-) Unterricht vor- und nachbearbeitet werden kann, wird ein Termin gewählt, der nicht zu nahe am Schuljahresende liegt (März oder April). Zu Beginn des Schuljahres können die Eltern ein Informationsschreiben des Gymnasiums zu den Zielen des Sozialpraktikums erhalten: ȤȤ Förderung des Verantwortungsgefühls gegenüber Menschen mit Be­hin­ derung, Kindern, Senioren und Seniorinnen, Zuwanderern, ȤȤ Lernen auf Augenhöhe von Menschen in schwierigen Lebenssituationen, ȤȤ praxisorientiertes soziales Lernen, ȤȤ Kennenlernen der sozialen Landschaft in der Region durch Angebote von Diakonie, Caritas, Kirchengemeinden und weiteren sozialen Anbietern wie z. B. Lebenshilfe, ȤȤ selbstständige Wahl des Praxisortes durch die Schülerinnen und Schüler aus einem Pool mit etwa 50 Angeboten für etwa 120 Schülerinnen und Schüler, ȤȤ Berufs- und Studienorientierung in Bezug auf soziale Berufe,

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ȤȤ inhaltliche Vor- und Weiterarbeit im Religions- oder Ethikunterricht. Der Elternbrief enthält zudem ein Foto, das eine Schülerbegegnung an einem Praktikumsort des vergangenen Jahres zeigt. Als Bildunterschrift wird eine prägnante Schüleräußerung zum »Wert« sozialer Praxiserfahrungen aus der inhaltlichen Nacharbeit des vergangenen Schuljahres gewählt. Das Schreiben gibt den Eltern den zusätzlichen Hinweis, dass auf der Homepage des Gymnasiums unter dem Menüpunkt »Sozialpraktikum« weitere Informationen und Aussagen von Schülerinnen und Schülern eingestellt sind. Unmittelbar nach den Weihnachtsferien führen die Religions- und Ethiklehrkräfte in einer Unterrichtsstunde in die Zielsetzungen des Sozialpraktikums ein. Dem kann sich ein Eltern- und Schülerabend in der ersten Januarhälfte anschließen. Der Abend startet mit zwei Statements von Schülern oder Schülerinnen, die im vorigen Schuljahr am Sozialpraktikum teilgenommen haben. Sie zeigen an einem konkreten Beispiel, was sie durch die Praxiserfahrung gelernt haben. Andreas erzählt z. B. über seine Lernerfahrungen im Blick auf Zuwanderer und auf deren Wertvorstellungen: »Die Meinung von vielen Menschen gegenüber Ausländern ist immer: ›Ja, die sprechen kein gutes Deutsch, die kommen hierher und viele führen sich auf!‹ Aber diese Meinung hat sich total widerlegt in meinem Sozialpraktikum. Alle waren total nett und total hilfsbereit. Ich hab z. B. mal Batterien gewechselt von den Feuermeldern, und dann kam ich nicht hoch, da stand sofort einer da, hat die Leiter geholt. Was ich auch gelernt habe ist, dass diese Jugendlichen sich in vielen Dingen viel mehr Zeit lassen. Zum Beispiel wenn’s ums Essen geht, dann ist das Essen wichtiger als alles andere. Bei uns ist es oft so: Wir essen schnell und dann sind wir schon wieder am Gehen. Aber da wird dann gegessen und lieber kommen sie dann zehn Minuten zu spät zum Fußball.« Die Lehrkraft präsentiert alle Praxisorte. Auf diese Präsentation können Schüler und Eltern ab diesem Zeitpunkt online zugreifen. Inhaltlich zusammengehörende Einsatztypen werden im Block vorgestellt (z. B. 1. Hilfe für und Begleitung von Senioren in Pflegeheimen; 2. Hilfen und Bildungsangebote für Kinder in Kindertagesstätten; 3. Begegnungs- und Lernangebote für Flüchtlinge; 4. Handwerkliche Tätigkeiten in Gebrauchtwarenmärkten/Kleiderkammern; 5. Einfache Hilfs- und pflegerische Tätigkeiten im Krankenhaus; 6. Lebensmittelweitergabe bei »Tafeln«). Die Lehrkraft gibt an, wie viele Plätze an dem jeweiligen Praktikumsort zur Verfügung stehen. Eltern und Schüler erhalten die Informationen zu den einzelnen Praktikumsplätzen anschließend in gedruckter

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Form mit den Kontaktdaten der zuständigen Ansprechperson des Lernortes und der Homepage der Einrichtung oder Initiative. Nach der Präsentation arbeiten Schüler und Eltern in zwei Gruppen weiter: Arbeitsgruppe Eltern: Die organisierende Lehrkraft benennt die wesentlichen Zielsetzungen des Praktikums, beantwortet Verständnisfragen und präsentiert dann alle wichtigen organisatorischen Informationen: ȤȤ Wer übernimmt die Aufsichtspflicht während des Praxiseinsatzes? ȤȤ Wie müssen sich die Schüler im Krankheitsfall verhalten? ȤȤ Was ist, wenn ein Unfall geschieht? ȤȤ Wer muss die Fahrtkosten tragen? ȤȤ Dürfen Schüler in einer sozialen Einrichtung arbeiten, die der eigene Vater oder die Mutter leitet? Folgende Regeln gelten: Die Aufsichtspflicht am Praxisort hat während der Arbeitszeiten der Praxisbegleiter oder die Praxisbegleiterin. Im Krankheitsfall sind die Praktikanten verpflichtet, vor dem jeweiligen Arbeitsbeginn den Praxisort und die Schule telefonisch zu informieren. Sollte ein Unfall geschehen oder jemand zu Schaden kommen, so besteht sowohl gesetzlicher Unfallversicherungsschutz als auch Haftpflichtversicherungsschutz über die Schule (die Haftpflichtversicherung schließt jeder Schüler verpflichtend über die Schule ab, Kosten ca. 2,– €). Die Fahrtkosten tragen die Familien (Ausnahme: Familien, die sich in einer schwierigen finanziellen Situation befinden, erhalten die Fahrtkosten z. B. aus kirchengemeindlichen oder schulischen Spendenmitteln erstattet). Ein Praxiseinsatz in einer sozialen Einrichtung, die der eigene Vater oder die Mutter leitet, ist nicht möglich (das gilt auch für Arztpraxen o. ä.). Arbeitsgruppe Schülerinnen und Schüler: Einer der Religions- oder Ethiklehrkräfte beantwortet mögliche Fragen und bittet die Schüler während einer 20-minütigen Murmelphase (Zweiergruppen) folgende Fragen zu klären (die Antworten werden auf einem Skizzenblock festgehalten): ȤȤ Hast du schon Vorerfahrungen auf sozialem Gebiet? (z. B. durch Babysitting bei Nachbarn, Konfirmandenpraktikum o. ä., in einem Seniorenheim, durch die eigene familiäre Situation) ȤȤ Welche (neuen) Erfahrungen möchtest du mit dem Sozialpraktikum machen? ȤȤ Welche Einsatzmöglichkeit wäre deine erste Wahl? ȤȤ Was wäre eine mögliche Alternative, wenn die erste Wahl eventuell nicht klappt?

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Das Ende der Informationsveranstaltung für die Eltern und Schüler findet im Plenum statt. Der »Fahrplan« bis zum Start des Sozialpraktikums wird vorgestellt: Die Wahl des Einsatzortes durch die Schüler erfolgt bis Ende Januar (mit Angabe eines Alternativortes). Das entsprechende Formular zur Bewerbung wird im Religions- bzw. Ethikunterricht ausgeteilt. Die Religions- oder Ethiklehrkraft informiert über den tatsächlichen Einsatzort nach Rücksprache mit den Praktikumsorten in der zweiten Februarwoche. Unmittelbar darauf (bis spätestens letzte Februarwoche) erfolgt die direkte Kontaktaufnahme vonseiten der Praktikanten mit der Ansprechpartnerin des Praktikumsplatzes via E-Mail. Die Mail enthält folgende Inhalte: Vorstellung des Schülers, Kontaktdaten des Schülers, Fragen des Schülers nach Ort/Raum und Uhrzeit des Praktikumsbeginns, Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Verpflegung vor Ort, besondere Kleidungsvorschriften, Sonstiges. Inhaltliches Die Hefteinträge zum Sozialpraktikum stehen unter dem Motto: Sozialpraktikum zur Förderung der sozialen Kompetenzen und zur Berufs- und Studienorientierung. In den beiden Unterrichtseinheiten des Religions- oder Ethikunterrichts vor dem unmittelbaren Beginn des Sozialpraktikums stellen sich die Schülerinnen und Schüler ihre Einsatzorte aufgrund eigener Internetrecherche gegenseitig vor. Jeder zeigt dazu erste Informationen zu Ort und Träger der Einrichtung oder Initiative, die er auf einem Infoblatt festgehalten hat. Dieses Arbeitsblatt ist Teil der Heftgestaltung zum Sozialpraktikum und trägt die Überschrift: Mein Praxisort: Worum geht es? In der anschließenden Unterrichtsstunde schreiben die Schülerinnen und Schüler ihre Gedanken zur Wahl ihres Praxisortes nieder: ȤȤ Meine Motivation: Was will ich während des Sozialpraktikums lernen? ȤȤ Meine Sorge: Vor welchen möglichen Situationen habe ich Angst? Sie stellen der Klasse ihre Lernmotivation vor. Die Lehrkraft geht auch auf mögliche Ängste ein. Sie klärt, dass Schwierigkeiten oder schwierige Situationen unmittelbar mit der Ansprechpartnerin am Lernort geklärt und um Hilfe gebeten werden soll. Sollten Situationen oder Begegnungen womöglich so belastend sein, dass eine Fortdauer des Praktikums nicht möglich ist, dann steht die Lehrkraft für ein Notfallgespräch bereit. Sie klärt mit den Schülerinnen und Schülern, wie sie während des Praktikums kurzfristig mit ihr Kontakt aufnehmen können.

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Was geschieht am Praktikumsort? In den ersten Stunden des Praktikums werden die Schüler von den Ansprechpartnern der diakonischen/sozialen Lernorte durch die Einrichtung geführt und den Mitarbeitenden vorgestellt, in deren Bereich sie beschäftigt sein werden. Es werden alle notwendigen Fragen besprochen, damit sich die Schüler vor Ort wohlfühlen, z. B.: Wann sind Pausen? Wo können sie sich verpflegen? Welche Hygienevorschriften sind zu beachten? Wie sieht ein liebevoller und respektvoller Umgang mit den Bewohnern aus? Wer ist bei Konflikten oder problematischen Situationen der Ansprechpartner? Wann findet das Zwischenfeedback, wann das abschließende Feedback statt? Gibt es eine schriftliche Bestätigung des Praktikums/z. B. ein Zertifikat Diakonisches Lernen? Je nach Einsatzort sind die praktischen Tätigkeiten der Schülerinnen und Schüler unterschiedlich. Andreas, der sich für Bahia, das Wohnheim für minderjährige Flüchtlinge entschied, übernahm in den Morgenstunden Hausmeisterund Reinigungstätigkeiten, da sich die Jugendlichen in der Schule befanden. Dann half er bei der Vorbereitung des Mittagessens und aß gemeinsam mit den Bewohnern. Die Nachmittagsstunden hat er so in Erinnerung: »Ich hab mit den Jugendlichen vor allem Hausaufgaben gemacht und die deutsche Sprache gelernt. Ich hab sie auch zu Terminen begleitet, z. B. zum Arzt oder zum Fußballtraining.« Matthis wählte für sein Praktikum eine Förderschule für Schüler mit Behinderung, die mit Methoden der Waldorf-Pädagogik arbeitet. Er begleitete die Schüler zu verschiedenen Unterrichtsgängen. Sie besuchten z. B. eine Schmiede und den Tiergarten. Er nahm mit ihnen am Eurythmieunterricht teil und unterstützte einzelne Schüler beim Essen oder beim Gehen. Jana, Joris und Felix, die sich für das Hermann-Bezzel-Haus (Seniorenheim) der Rummelsberger Diakonie entschieden, unterstützten die Beschäftigten z. B. bei der Essensausgabe, waren Spielepartner der Senioren bei Brettspielen, besuchten mit ihnen Veranstaltungen zur Sturzprävention, nahmen an regelmäßigen Terminen wie Yoga oder Gymnastik teil, begleiteten Senioren in den Garten und lernten Realschüler kennen, die zu regelmäßig wiederkehrenden Begegnungen im Haus sind. Gemeinsam mit den Senioren und den Realschülerinnen bastelten sie oder backten Kuchen. Simons Praktikumsort war das Krankenhaus Martha-Maria des EvangelischMethodistischen Diakoniewerks in Nürnberg. Er war überrascht, dass die Pflegekräfte ihm auch anspruchsvolle Tätigkeiten zugetraut haben:

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»Es hat damit angefangen, dass ich den Leuten das Essen gebracht habe oder wieder abgeräumt habe. Dann sollte ich ab und zu Blutproben zum Labor bringen und dann war ich auch überrascht, weil heute durfte ich zum Beispiel schon Blutzuckerspiegel messen, das ist auch eher etwas für Erfahrenere, aber es war, fand ich, gut, dann hab ich’s immerhin gleich gelernt und dann kann ich’s jetzt. Und dann hab ich noch Puls gemessen, Blutdruck halt und die Temperatur und so was.«

Abb. 29: Max, Yannick und Simon im Krankenhaus Martha-Maria in Nürnberg, © Diakoniewerk Martha-Maria

Am dritten Tag des Sozialpraktikums soll ein Zwischenfeedback am Praxisort stattfinden. Dessen Ziel ist es festzustellen, ob die Schüler mit den anvertrauten Aufgaben zurechtkommen, ob sie sich am Einsatzort nützlich vorkommen oder ob sie sich unter- oder überfordert fühlen. Die Ansprechperson klärt, ob die Schüler Interesse haben, ein weiteres Arbeitsfeld kennenzulernen. Sollte dies der Fall sein, lässt sie sie in der verbleibenden Zeit in diesem Bereich der Einrichtung Erfahrungen sammeln und bringt sie mit den entsprechenden Fachpersonen oder Ehrenamtlichen zusammen. Für das abschließende Feedback bereitet die Ansprechperson das Zertifikat über die Bestätigung des Praktikums vor und fordert die Praktikanten dazu auf,

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über das, was sie eventuell berührt und begeistert hat, zu sprechen. Ebenso bittet sie die Praktikanten auch das auszudrücken, was sie eventuell an der Praxis in der Einrichtung nicht verstanden haben. Neben dem Zertifikat erhalten die Schüler außerdem eine Infomappe, die z. B. die Hauszeitung, den Jahresbericht und Informationen zum Träger der Einrichtung enthält. Was geschieht nachher? In der ersten Stunde nach der Praxiswoche wird das Thema bestimmt, das in Verbindung mit den Lehrplaninhalten des Religions- oder Ethikunterrichts in den Folgestunden vertieft bearbeitet werden soll. Zunächst positionieren sich die Schülerinnen und Schüler dazu im Raum: Je nachdem, ob sie für sich selbst das Gefühl haben, dass sie die Begegnungen der vergangenen Woche im Inneren berührt, weniger berührt oder überhaupt nicht berührt haben, stellen sie sich entweder in der Mitte des Klassenzimmers, einige Schritte von der Mitte entfernt oder an seinem Rand auf. Die Lehrkraft versucht die Positionierungen zu deuten. Sie fragt nach, ob sie mit ihrer Deutung richtig liegt. In einer Phase der Stille lässt die Lehrkraft aufschreiben, was in Bezug auf die Erfahrungen während des Praktikums am meisten berührt oder am meisten beunruhigt hat. Joris, der eine Woche im Hermann-Bezzel-Seniorenheim verbrachte, hat diese Erfahrung besonders berührt: »Der eine Mann, der konnte weder gehen noch wirklich richtig reden und saß halt eigentlich die meiste Zeit im Rollstuhl und ja, allerdings hatte ich trotzdem noch das Gefühl, dass er glücklich war, lachen konnte er sogar noch. Er hat dann auch des Öfteren sogar wirklich gelacht. Allerdings hat dann eine Frau zu mir gesagt: ›Der kann weder laufen noch sprechen, ist doch eigentlich schlimm, dass so ein Mensch noch leben muss, noch weiterleben muss!‹ Aber das fand ich dann auch schon heftig, weil ich find, da ist es ganz unterschiedlich, wenn man dann selbst in der Rolle steckt, wie es einem dabei geht! Also, aber ich denke, da haben die in dem Altenheim schön was dafür getan, dass die Menschen sich da gut gefühlt haben. Also vor allem für mich hatte der Begriff ›Altenheim‹ ein bisschen was von trostlos, dass man da kaum noch Spaß haben kann und dass es halt wirklich dann nur noch so ein Warten ist. Also das hat sich für mich jetzt komplett geändert, seitdem ich da war.« DL_OT_part05_fürs_leben_lernen

Joris beschreibt das Seniorenheim als Ort der Überraschung, dass Menschen trotz schwerer Beeinträchtigungen noch Lebensfreude ausstrahlen. Er hat das Heim als Ort wahrgenommen, an dem durch das Engagement der Beschäftigten

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das Leben trotzdem »schön« ist. Es ist für ihn aber auch ein Ort, an dem sich Fragen nach einem lebenswerten Leben aufdrängen (u. a. provoziert durch die Äußerung einer Frau: »[…] dass so ein Mensch noch leben muss!«). In der Reflexion beginnt Joris seine (neue?) Position zu finden. Ist der Religionsunterricht der Ort, an dem die Erfahrungen des Sozialpraktikums weiter bearbeitet werden, dann lässt sich mit Hilfe der Erfahrungen von Joris z. B. der Bogen zum Lehrplaninhalt Tod und Leben spannen: Inwiefern erlebten die Schüler im Sozialpraktikum sinnerfülltes Leben trotz schwerer Verletzungen oder Behinderungen? Welche starken Kinder, Jugendliche oder Erwachsene sind ihnen begegnet? Welche Erfahrungen haben sie gemacht, wie Menschen ihr Geschick annehmen? Was bedeutet in diesem Zusammenhang der Kontakt zu Pflegekräften, zur Familie oder anderen Personen? Die aktuelle gesellschaftliche Debatte zur Sterbebegleitung oder zum ärztlich assistierten Suizid, eine Begegnung mit einer Mitarbeiterin der Hospizbewegung oder mit einem Arzt können sich anschließen. Die Schüler lernen unterschiedliche religiöse Deutungen des Todes kennen und nehmen wahr, wie sich die Sicht des Lebens im Horizont der christlichen Auferstehungshoffnung verändern und erweitern kann. Weitere Unterrichtseinheiten haben dagegen das Thema ›Berufs- und Studienorientierung‹ im Blick. Die Schüler stellen dazu den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin ihres Praktikumsortes vor, von denen sie am meisten gelernt haben. Sie füllen dazu einen »Steckbrief« aus. Die Überschrift lautet: Mein persönlicher Mitarbeiter der Woche. Der Steckbrief hat folgende Rubriken: ȤȤ Name des Mitarbeiters/der Mitarbeiterin: ȤȤ Berufsbezeichnung: ȤȤ Ausbildungs- bzw. Studiendauer: ȤȤ Aufgabenbereich in der Einrichtung: ȤȤ Unverwechselbare Eigenschaften: ȤȤ Was ich von ihr/ihm lernen durfte: In einer weiteren Stunde lassen die Schülerinnen und Schüler mit Hilfe der an den Praxisorten erhaltenen Flyer/Broschüren oder Jahresberichte in der Mitte des Klassenzimmers die soziale Landschaft der Region entstehen. Sie lernen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen diakonischen, caritativen und sozialen Organisationen kennen. Sie erhalten ein Infoblatt der Lehrkraft über die Charakteristika und Leistungen des deutschen Sozialstaates, wie z. B. das Subsidiaritätsprinzip, das gesetzliche verbriefte Recht der Bürger auf Unterstützung in Notlagen (Sozialgesetzgebung) und das Zusammenspiel von freier und öffentlicher Wohlfahrtspflege. Auf dem Infoblatt finden sich die

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Adressen von Homepages von Trägern des Freiwilligen Sozialen Jahrs/Bundesfreiwilligendienstes in der evangelischen und katholischen Kirche. Die inhaltliche Nacharbeit des Sozialpraktikums endet damit, dass die Lehrkraft mit den Schülerinnen und Schülern eine Dokumentation des Sozialpraktikums für die Aula der Schule vorbereitet und geklärt wird, welche Dokumente auf der Homepage der Schule eingestellt werden können und welche redaktionellen Veränderungen eventuell dafür vorgenommen werden müssen. Weitere Informationen Ein Gespräch von Andreas, Felix, Jana und Joris mit Martin Dorner zu den Erfahrungen im Sozialpraktikum als Live-Mitschnitt zum Anhören http://www.diakonisches-lernen.de/hoeren/ Ein Gespräch von Simon, Max und Yannick mit Martin Dorner zu den Erfahrungen im Sozialpraktikum im Krankenhaus Martha-Maria als Live-Mitschnitt zum Anhören http://www. diakonisches-lernen.de/hoeren/ Informationen zu den Evangelischen Freiwilligendiensten in Deutschland, Europa und weltweit http:// www.ev-freiwilligendienste.de/und Informationen zu den Katholischen Freiwilligendiensten http://www.kath-freiwilligendienste.de/

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8.4 »Geschichten gehen durch den Magen« – Diakonisches Projektseminar mit Schülerinnen und Schülern der gymnasialen Oberstufe und Bewohnern eines Seniorenheimes Die folgende Anleitung beschreibt das von StD Karl Küfner konzipierte und durchgeführte P-Seminar »Mensch und Menschlichkeit« am Balthasar-Neumann-Gymnasium in Marktheidenfeld. Der Kurs kooperiert mit dem Haus Lehmgruben, einer Einrichtung der Diakonie Rummelsberg. Darum geht es: Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe suchen für ihr Projektseminar im Leitfach Evangelische Religionslehre einen außerschulischen Kooperationspartner aus dem Bereich von Diakonie/Caritas (eventuell auch andere soziale Akteure). Sie veranstalten dazu ein »Casting« und wählen denjenigen Anbieter aus, der sie im Hinblick auf die Begleitung und die Umsetzung der Projektidee überzeugt. Ihr Projektziel ist die Veröffentlichung eines Buchs über die Lieblingsrezepte und damit verbundene Lebensgeschichten von Seniorinnen und Senioren. Sie nehmen in Zweiergruppen Kontakt zu Bewohnern eines Seniorenheims auf und dokumentieren deren Aussagen. Sie kochen einige Rezepte zusammen mit den Senioren und veranstalten ein gemeinsames Essen in den Räumlichkeiten des Heims. Sie suchen nach Sponsoren für den Druck des Buches. Sie stellen Geschichten gehen durch den Magen bei den örtlichen Seniorentagen vor. Sie gestalten und verkaufen das Buch. Bei ihrer Recherchearbeit und der Kontaktaufnahme zu den Seniorinnen und Senioren erhalten sie Unterstützung durch eine Fachkraft aus dem kooperierenden Seniorenheim. Die inhaltliche Vor- und Nacharbeit im Unterricht liegt in den Händen der Religionslehrkraft. Gemäß den Richtlinien für Projektseminare an Gymnasien in Bayern erhalten die Schülerinnen und Schüler im Rahmen des Projektseminars auch eine Orientierung über Berufswege und Studiengänge. Sie reflektieren die Begegnungen mit den Senioren unter religiösen, zeithistorischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten. Sie dokumentieren ihre individuellen Beiträge für das gemeinsame Projekt in ihrem jeweiligen Portfolio. Die Kontaktaufnahme zu den Senioren und eine erste Auswertung der Interviews erfolgt mit Hilfe der Fachkraft aus dem Seniorenheim. Das Seniorenheim unterstützt außerdem das intergenerative Kocherlebnis durch die im Haus vorhandenen logistischen Möglichkeiten.

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Kompetenzen: Die Schülerinnen und Schüler –– planen, gestalten und publizieren ein Geschichtenbuch mit Lieblingsrezepten von Seniorinnen und Senioren, –– partizipieren an prägenden Lebenssituationen älterer Menschen, –– lernen auf alte Menschen zuzugehen und steigern ihre Sozialkompetenz, –– führen Gespräche mit alten Menschen und werten die Gesprächsinhalte aus, –– bereiten gemeinsam mit ihren Interviewpartnern die Rezepte zu, –– essen gemeinsam mit Seniorinnen und Senioren, –– haben einen Überblick über soziale und weitere Studiengänge und Berufswege, –– verfügen über Sach- und Methodenkompetenz in Bezug auf Projektarbeit. Inhaltliche Komponenten: –– Suche und Auswahl eines außerschulischen Kooperationspartners, um das diakonisch-soziale Projekt Mensch und Menschlichkeit zu verwirklichen, –– diakonische Einrichtungen und diakonische Initiativen in der Region kennen­ lernen, –– diakonische und soziale Studiengänge und Ausbildungsberufe kennenlernen, –– ehrenamtliches Engagement in Diakonie und Kirche und Freiwilligendienste (FSJ/BFD) bei diakonischen Trägern kennenlernen, –– Interviews durchführen und auswerten, –– mit Seniorinnen und Senioren gemeinsam unterschiedliche Rezepte nachkochen, –– Layout eines Buches mit Texten, Rezepten und Fotos herstellen, –– Finanzierung der Buchveröffentlichung regeln, –– Darstellung des Projekts in der Öffentlichkeit einüben, –– Verkauf des Buches koordinieren, –– demographischen Wandel hautnah erfahren, –– Menschen in Verletzlichkeit wahrnehmen, –– Sich mit Sinnfragen angesichts der Erfahrung von Verletzlichkeit im (hohen) Alter auseinandersetzen, –– sich mit dem Tod auseinandersetzen, –– biblische Bilder und Grundtexte zum Altern kennenlernen.

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Wie können sich die Schülerinnen und Schüler bei dem Projekt­ seminar mit dem außerschulischen diakonischen Partner engagieren? Die Aktivitäten sind vielfältig und anspruchsvoll: Der außerschulische Ko­ operationspartner steht bei der Ausschreibung des Projektseminars noch nicht fest. Die Lehrkraft legt allerdings eine »Spur« und unterstützt die Schülerinnen und Schüler bei der Kontaktaufnahme. Die Entscheidung, mit welcher sozialen Einrichtung oder Initiative sie letztlich zusammenarbeiten wollen und für welches Projekt zur Verwirklichung von »Menschlichkeit« sie sich entscheiden, liegt aber bei den Schülerinnen und Schülern selbst. Typische Merkmale zur Verwirklichung eines Projekts, wie z. B. gruppendynamische Prozesse und Entscheidungen »Für und Wider« spielen also bereits von der ersten Projektphase an eine wichtige Rolle. Gemeinsam mit der für sie zuständigen Fachkraft des Projektpartners müssen außerdem die Vorgehensweise und den Zeitplan für die Recherche erarbeitet werden. In Absprache mit der Fachkraft des Seniorenheims nimmt die Gruppe selbstständig Kontakt zu Bewohnerinnen und Bewohnern des Heims auf, besucht sie jeweils zu zweit auf ihren Zimmern und führt Interviews zur Lebensgeschichte und einem eventuell damit verbundenen (Lieblings-)Rezept durch. Ein Schüler dokumentiert die Begegnungen, indem er Fotos von den beteiligten Seniorinnen und Mitschülern macht. Neben diesem Engagement auf menschlicher Ebene bestehen die Aktivitäten vor allem darin, die Ergebnisse der Forschungen in das Format Buch oder Broschüre zu bringen. Journalistische Texte werden verfasst und in der Gruppe besprochen. Das Fotomaterial muss bearbeitet und ausgewählt und der Kontakt zu einer Druckerei oder zu einem Copyshop hergestellt werden. Bei einer innerschulischen Präsentation im Rahmen der Vorstellung wei­ terer Projektseminare und bei den kommunalen Seniorentagen stellen die Abiturientinnen und Abiturienten ihr Projekt Geschichten gehen durch den Magen vor. Die Erlebnisse im Umgang mit den Senioren, Sinnfragen angesichts altersbedingter Verletzlichkeit, biblische und aktuelle Bilder vom Altern werden im Unterricht reflektiert. Was geschieht vorher? Das Projekt findet in der Q11 (Q11/1 und Q11/2) und der Q12/1 des achtstufigen Gymnasiums statt. Es wird am Ende der ersten Jahreshälfte der 10. Jahrgangsstufe ausgeschrieben. In der Ausschreibung wird betont, dass es sich um ein sozialdiakonisches Projekt zu Aspekten der Menschlichkeit und der Auseinandersetzung mit gegenwärtigen gesellschaftlichen Fragestellungen handelt,

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die unter der Perspektive unterschiedlicher ethischer Entwürfe reflektiert werden sollen. Den Schülern wird in Aussicht gestellt, dass sie sich den außerschulischen Kooperationspartner selbst aussuchen können. Durch die Entwicklung eines kleinen Kochbuchs sollen Geschichten von Mitmenschen zugänglich und einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt werden. Als mögliche Projektpartner werden diakonische Initiativen oder diakonische Träger aus dem Bereich der Jugendhilfe, der Behindertenhilfe und der ambulanten oder stationären Altenhilfe im Landkreis genannt. Auch die Kooperation mit einer sozialpsychiatrischen Einrichtung wird als Möglichkeit aufgeführt. Die Lehrkraft betont in ihrer Ausschreibung, dass die Bereitschaft, sich auf neue Lernerfahrungen einzulassen, Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Projektarbeit ist. Sie bittet, das Interesse an den mit dem Projekt verbundenen Begegnungen zu begründen. Inhaltliches In den ersten Sitzungen der Seminargruppe stellt die Lehrkraft die diakonische und caritative Landschaft in der Stadt und im Landkreis vor. Sie zeigt mittels einer Präsentation das Beispiel einer diakonischen Initiative einer Kirchengemeinde (z. B. aus dem Bereich der Flüchtlings- oder Asylarbeit), diakonische Angebote auf der Ebene des Dekanats (z. B. ambulanter Pflegedienst oder Tages-Angebote für psychisch kranke Menschen), eventuell eine Werkstatt oder eine Wohngemeinschaft für Menschen mit Behinderung eines überregionalen diakonischen Trägers (oder ein Angebot der »Offenen Behindertenarbeit«) und ein Angebot aus dem Bereich der Jugendhilfe (z. B. Wohnheim oder Jugendwerkstatt). Es folgen Bildungsangebote der offenen Seniorenarbeit und eine Einrichtung der stationären Altenhilfe (Seniorenheim). Außerdem werden Angebote der armutsorientierten Diakonie (z. B. Tafel, Kleiderkammer, diakonische Tischgemeinschaft) vorgestellt. Die Schüler und Schülerinnen richten darauf an die Verantwortlichen der Initiativen oder an die Leitung der jeweiligen Einrichtung ein Bewerbungsschreiben und bitten um Kooperation. Sie bieten an, gemeinsam mit einem Koordinator der Einrichtung ein öffentlichkeitswirksames Projekt durchzuführen. Sie schreiben, dass sie z. B. ein Koch-, Rezept- und Lebensgeschichtenbuch veröffentlichen möchten. Sie erläutern, dass sie von einer Lehrkraft angeleitet werden, die Projektarbeit in die Abiturnote einfließt, sie sich eine diakonische Berufs- oder Studienorientierung und eine Information zum Ehrenamt in Diakonie und Kirche erhoffen und insgesamt pro Schülerin/Schüler etwa 20 Wochenstunden vor Ort verbringen können. Sie machen gegenüber dem potenziellen Kooperationspartner deutlich, dass es nicht Bedingung ist, dass die komplette Gruppe immer zusammen »vor Ort« ist. Sie betonen, dass

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eventuell auch kleinere Gruppen aktiv werden können – wie es für die Einrichtung am besten ist. Sie bitten um Kontaktaufnahme innerhalb einer Frist von drei Wochen. Alle Schülerinnen und Schüler und die Lehrkraft unterschreiben den Brief. Der Brief wird mit dem Briefkopf des Gymnasiums versandt. Der Brief sollte nicht länger als eine DIN-A4-Seite sein. Vor-Ort-Begehung oder Casting Die Einrichtungen oder Initiativen, die innerhalb der festgelegten Frist geantwortet haben, werden von der Seminargruppe besucht oder zu einem »Casting« in die Schule eingeladen. Die Vor-Ort-Begehung hat den Vorteil, dass beobachtet werden kann, wie die Atmosphäre in der diakonischen Einrichtung ist; sie ist jedoch aufwendig. Sinnvoll ist es, wenn Teilgruppen die jeweiligen Institutionen besuchen und dann wechselseitig Bericht erstattet wird. Wird dagegen ein »Casting« in der Schule veranstaltet, so werden alle Interessenten in die Schule eingeladen. Die Verantwortlichen stellen sich vor, geben kurze Informationen über die jeweilige Einrichtung und das Arbeitsfeld und äußern, wie die Projektidee eventuell umgesetzt werden könnte und welchen Nutzen die Beteiligten von der Kooperation haben. Sie stellen vor, welche Fachkraft oder welche Ehrenamtlichen die Schülerinnen und Schüler anleiten und unterstützen können. Es werden Flyer und anderes Informationsmaterial für das Portfolio verteilt. Berufs- und Studienorientierung In die erste Phase des Projekts (Q 11/1) fällt neben der allgemeinen Berufsund Studienorientierung auch eine Information über soziale und diakonische Berufswege und Studiengänge. Die Lehrkraft und die Schüler können hierbei u. a. auf die Informationen des Portals SOZIALE BERUFE kann nicht jeder der Diakonie Deutschland zugreifen. Parallel dazu besuchen die Schülerinnen und Schüler die ausgewählte Einrichtung. Sie erhalten eine Führung durch das Haus, lernen die einzelnen Stationen und Bereiche kennen und erfahren etwas über das Konzept der Einrichtung. Jeweils eine Mitarbeiterin aus dem Bereich Pflege, Hausverwaltung, Haustechnik, Hauswirtschaft (Küche) und aus dem therapeutischen Bereich stellt sich bei dem Rundgang vor. Die Begegnung gibt auch die Chance, den Mitarbeitenden das Projekt vorzustellen. Bei der Erkundung der Einrichtung soll auch der Kontakt mit Ehrenamtlichen, die sich im Haus engagieren, ermöglicht werden und darüber hinaus etwas über die geistlichen Angebote der evangelischen und katholischen Seelsorge erfahrbar

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sein. Mit der das Projektseminar begleitenden Fachkraft der Einrichtung findet eine erste Feedbackrunde über die spontanen Eindrücke statt. Meilensteine Dann entwerfen die Schülerinnen und Schüler einen Zeitplan für die konkrete Durchführung des Projekts. Sie formulieren Meilensteine und überprüfen mit der Lehrkraft und der Koordinatorin aus dem ausgewählten Seniorenheim, ob die gesteckten Ziele und der Zeitplan realistisch sind. Sie klären, wer die Verantwortung für die Umsetzung der einzelnen Projektschritte trägt. Am Ende der Q11/1 ist ein Leitfaden mit Fragen zur Erforschung der LieblingsRezepte und der damit verbundenen Lebensgeschichte erstellt. Der Leitfaden wird im Gespräch mit der Fachkraft noch einmal in Dreiergruppen überprüft: Ein Schüler leitet das Gespräch, eine Schülerin dokumentiert, ein Schüler »ist« der Senior. Die Fragen orientieren sich zum Teil an Methoden des narrativen Interviews. Sie lauten z. B.: ȤȤ Wie ist es dazu gekommen, dass Sie gern kochen? ȤȤ Welches Gericht möchten Sie wieder einmal kochen, wenn Sie die Gelegenheit dazu hätten? ȤȤ Wer oder welche Situation fällt ihnen ein, wenn Sie an dieses Gericht denken? ȤȤ Wenn wir das Gericht zusammen kochen würden, welche Zutaten müsste ich besorgen? ȤȤ Hätten Sie Lust mir beizubringen, wie man das Gericht kocht? Es folgen biografische Fragen: Vor- und Nachname, Alter, Wohnort vor dem Einzug in das Seniorenheim, … Was geschieht in der »heißen« Projektphase? In der Q11/2 führen die Schülerinnen und Schüler die Interviews durch. Die Fachkraft des Seniorenheims hat zuvor überlegt, welche Seniorinnen und Senioren dafür in Frage kommen. Sie geht auf die einzelnen Senioren zu, weiht sie in das Projektziel ein und klärt, ob sie mit einer Veröffentlichung ihres Kochrezeptes, einer dazugehörigen Geschichte und einem Fotos einverstanden sind. Sie erklärt, dass immer zwei Jugendliche je einen Bewohner besuchen. Sie stellt in Aussicht, dass die Beteiligten die Rezepte auch gemeinsam kochen werden.

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Erste Begegnung Es kommt zu einer ersten Begegnung zwischen den Jugendlichen und den Senioren im Seniorenheim. Einige Schüler bringen dazu selbstgebackenen Kuchen mit, es wird zunächst Kaffee getrunken und Kuchen gegessen. Je vier Schüler und zwei Senioren sitzen dabei gemeinsam an den Tischen. Darauf stellt die Fachkraft alle Seniorinnen und Senioren vor und erläutert, welches Schülerpaar mit welchen Senioren zusammenarbeiten wird. Die Schüler setzen sich zu ihren Interviewpartnerinnen und vereinbaren selbstständig einen Besuchsund Interviewtermin. Am Ende begleiten sie die Seniorinnen auf ihre Stockwerke und geben ihnen zum Abschied einen Merkzettel mit dem vereinbarten Besuchstermin. Rollenspiel Vor dem ersten Interviewdurchgang erproben die Schüler unter Anleitung der Lehrkraft noch die Kontaktaufnahme. Sie wählen dazu die Methode des Rollenspiels. Sie spielen ihre Ankunft bei dem Bewohner, die persönliche Vorstellung, die Platzsuche und die Eröffnung des Interviews. Die beobachtenden Schülerinnen und Schüler achten vor allem auf Augenkontakt, Artikulation und das Erreichen einer ungekünstelten Gesprächsatmosphäre. Die Schüler vereinbaren, dass die Besuche auf den Zimmern etwa 45 bis 60 Minuten dauern sollen. Während der narrativen Phasen des Gesprächs sollen möglichst keine Notizen gemacht werden, um den Erzählfluss nicht zu unterbinden. Der Name des vorgestellten Gerichts, Angaben zu den Zutaten und Mengen sollen hingegen während des Gesprächs schriftlich festgehalten werden. Dasselbe gilt für die biografischen Angaben. Unmittelbar nach dem Interview soll ein zuvor beauftragter Schüler ein Gedächtnisprotokoll anfertigen. Das Protokoll wird noch am selben Tag vom zweiten Schüler gegengelesen. Er ergänzt es oder kommentiert, wenn er einzelne Inhalte anders in Erinnerung hat. Wichtiger als jede kleine Einzelheit ist, dass das Protokoll von den äußeren Umständen und den Gefühlen erzählt, die die Seniorin mit dem Rezept oder dem Kochen des Gerichts verbindet. Die Auswertung der Interviews Nachdem jedes Schülerpaar eine Seniorin oder einen Senior interviewt hat, findet unter Anleitung der Fachkraft und der Lehrkraft eine Auswertung des ersten Interviewdurchgangs statt. Zunächst tauschen sich Schüler und Fach-

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kraft darüber aus, ob sich die Fragen des Leitfadens bewährt haben. Eventuell muss die eine oder andere Frage für den zweiten Gesprächsdurchgang verändert werden oder eine Frage kann ganz entfallen. Anschließend sichtet man die »Ausbeute« an Rezepten. Es wird geklärt, ob die Mengenangaben für die Zutaten komplett erinnert wurden und für wie viele Personen die Mengenangaben überhaupt gedacht sind. Die einzelnen Rezepte werden entsprechend einer Menüfolge (Vorspeise, Suppe, Fleisch-, Fisch-, vegetarisches Gericht und Nachtisch bzw. Kuchen) geordnet. Sie erhalten ihren charakteristischen Namen durch die Verbindung mit dem Vornamen der Seniorin, also z. B. Rindsroulade à la Renate. Die Hauswirtschafterin des Seniorenheims oder eine passionierte Köchin aus den Reihen der Ehrenamtlichen sucht bei Unklarheit über Zutaten oder Mengenangaben den erneuten Kontakt mit der betreffenden Seniorin und klärt gemeinsam mit ihr die offenen Fragen. Miriam bewertet die Methode, via Rezept die Lebensgeschichte zu erforschen positiv: »Ich glaube, das war das Mittel dazu, dass sich die Seniorinnen auch wieder erinnert haben. Wir haben gemerkt, wie dann die Erinnerung wieder gekommen ist, beim Erzählen der Rezepte: ›Ah ja, das hab ich so und so gemacht!‹ Und: ›Kennt ihr das und das?‹ Ich hab wirklich was dabei gelernt und ich glaube, für die Frauen war das ein gutes Gesprächsthema.«54 Eine zweite Staffel mit Interviews weiterer Seniorinnen und Senioren wird vereinbart. Auch einige Männer, die allerdings keine Rezepte anzubieten haben, beteiligen sich an den Interviews, um einen Teil ihrer Lebensgeschichte zu erzählen. Im Rückblick äußert sich Esther über die Bedeutung der Fachkraft während der Projektarbeit: »Bei der Frau Döring hat man richtig gemerkt hat, dass die Lust darauf hat, mit uns zu arbeiten. Sie hat uns auch die ganze Zeit unterstützt und hat uns immer gefragt, wie es uns persönlich dabei geht, und war immer für alle Fragen offen. Sie hat uns immer geholfen, wenn es zum Beispiel Senioren gab, mit denen es nicht so gut geklappt hat.«55

54 Alle Schüleräußerungen aus den Gesprächen von Martin Dorner mit den Teilnehmern und Teilnehmerinnen des von StD Karl Küfner konzipierten P-Seminars »Mensch und Menschlichkeit« können als Live-Mitschnitt angehört werden http://www.diakonisches-lernen.de/ hoeren/. 55 Die Sozialpädagogin Friederike Döring arbeitet als Gerontopsychiatrische Fachkraft im Haus Lehmgruben der Diakonie Rummelsberg in Marktheidenfeld.

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Die Geschichten In der Schule lesen die Schülerinnen und Schüler einzelne Lebensgeschichten vor. Das Gedächtnisprotokoll ist die Basis der Texte. Leon begegnete z. B. Herrn B. Als Schüler waren er und seine Mitschüler einem überzeugten Nationalsozialisten als Schulleiter ausgesetzt. Was dies für den damals 15-Jährigen bedeutete, macht die Geschichte mit dem Kreuz deutlich. Das Schulkreuz im Klassenzimmer ließ der Schulleiter abhängen, was sich aber die Klassengemeinschaft nicht gefallen lassen wollte. Sie kauften, teilweise mit persönlichen Ersparnissen, ein neues Kreuz. Ein Lehrer denunzierte darauf die Klasse beim Schulleiter. Die Strafe und eine unvorhergesehene Wendung folgten: »[…] Mit sichtbarer Wut fuhr der Rektor die Schüler an: ›Ich habe gute Lust und sorg dafür, dass ihr in ein Heim kommt und als deutsche Jungs erzogen werdet!‹ Die Schüler bekamen daraufhin zwei Stunden Nachsitzen aufgebrummt. Hundertmal mussten sie folgenden Satz schreiben: ›Der deutsche Junge muss stets seinem Führer Adolf Hitler treu ergeben sein.‹ […] Am nächsten Morgen war dann wieder wie gewöhnlich beim Kaplan Religionsunterricht. Doch diesmal schien etwas anders zu sein: Nicht wie normalerweise schickte er die evangelischen Schüler hinaus, weil sie eigenen Unterricht hatten. Nein, sie sollten diesmal ausdrücklich im Klassenzimmer bleiben. Mit den Worten des Kaplans folgte dann die große Überraschung: ›Ich hab beim Rektor erreicht, dass ihr als einzige Klasse das Kreuz während des Religionsunterrichts aufhängen dürft. Nun wollen wir beten, dass der Herrgott euren Glauben stärken und erhalten möge.‹ Seitdem wurde das Kreuz jedes Mal im Religionsunterricht aufgehängt und wurde so zum Symbol für den Widerstand […].« Die Geschichte mit dem Kreuz, in: Kontakt-Geschichten gehen durch den Magen, Originalausgabe 11/2011, S. 52 f. © by Tammo Schwindt Die inhaltliche Weiterarbeit Die Erfahrungen im Umgang mit den Senioren werden in Zusammenhang mit dem Seminarthema Mensch und Menschlichkeit gebracht. Erfahrungen von Lebenskraft und Verletzlichkeit im (hohen) Alter werden unter der Perspektive von philosophischen, biblischen und theologischen Grundtexten zur Menschenwürde bzw. zur Gottesebenbildlichkeit reflektiert. Zu den klassischen oder aktuellen ethischen Texten tritt auch ein Statement von Friederike Döring. Sie deutet die Begegnungen von Schülern und Senioren als Zeichen bleibenden Lebenssinns: »Es ist ja nicht nur hier alles wunderbar, sondern auf einmal wird man mit einem Menschen konfrontiert, der in einem Rollstuhl sitzt und vielleicht

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keine Beine mehr hat, oder ein anderer sabbert und der Nächste schreit rum. Da findet letztendlich, allein durch das Hiersein, eine Vermittlung von Lehrinhalten statt. Wie ist das Alter? Alter ist nicht ›Honeymoon‹. Alter ist zum Teil mit Behinderungen verknüpft. Aber: Der Lebenssinn ist immer da – oder die Sinnsuche! Ich denke, das ist auch etwas Großes, Sinn zu erhalten, Sinn zu finden, auch für alte Menschen. Und einen Sinn bekommt man letztendlich, indem man sich mit anderen Menschen trifft, durch Begegnungen. Letztendlich haben alte Menschen auch etwas weiterzugeben. Selbst die, die über 90 sind, können ihre Persönlichkeit noch sehr zum Ausdruck bringen. Sie können auch jungen Menschen etwas geben, sie können von ihnen lernen. Es geht einfach um den Austausch von geschichtlichem Wissen, von Bräuchen, um zu sehen: Ich kann vielleicht das eine oder andere körperlich nicht mehr, aber trotz alledem bin ich hier recht zufrieden, so wie ich lebe […].« DL_OT_part07_fachkräfte_empfehlen

Das gemeinsame Kochen Als Abschluss und Höhepunkt der »heißen« Projektphase treffen sich die interviewten Seniorinnen und Senioren an einem Vormittag vor den Sommerferien, um einige der recherchierten Rezepte gemeinsam zu kochen. Schüler und Senioren nutzen dazu eine Etagenküche und einen zusätzlichen transportablen Herd. Eine Mitarbeiterin der Senioreneinrichtung hat die Einkäufe übernommen. Die Zutaten sind je nach Gericht auf einzelnen Tischen vorbereitet, sodass die gemischten Kleingruppen sofort mit der Zubereitung beginnen können.

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Abb. 30: Abiturientinnen des Balthasar-Neumann-Gymnasiums Marktheidenfeld kochen mit Seniorinnen aus dem Haus Lehmgruben der Diakonie Rummelsberg Rezepte aus Geschichten gehen durch den Magen, © Tammo Schwindt

Eine Mitarbeiterin aus der Küche hilft die gekochten Speisen warmzuhalten, so dass alle gemeinsam das Menü genießen können. Das Vorbereiten der Speisen und das gemeinsame Essen werden fotografisch festgehalten. Diese Fotos und die Porträts der Seniorinnen und Senioren, die während der Interviews entstanden, sind ein Baustein für das Buch mit den Rezepten und Lebensgeschichten. Was geschieht in der letzten Projektphase? In Q12/1, der letzten Phase des Projekts, geht es um dessen Präsentation und die Veröffentlichung des Buches »Geschichten gehen durch den Magen!«. Entsprechend den Meilensteinen zur Erreichung des Projektziels teilt sich die Seminargruppe in drei Teilgruppen: Gruppe 1 holt Kostenangebote für den Druck des Buches oder einer Broschüre mit Spiralbindung aus einer Druckerei bzw. einem Copyshop ein. Diese Gruppe ist auch für den Kontakt zu möglichen Sponsoren zuständig. Die Schülerinnen und Schüler gehen hierzu auf Verantwortliche lokaler Wirtschaftsunternehmen zu. Außerdem bereitet die Gruppe alles für den Verkauf der Broschüre vor und überlegt sich Wege der Ver-

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marktung. Dazu gehört auch die Kontaktaufnahme zur lokalen Presse. Gruppe 2 redigiert die Textbeiträge und achtet auf flüssigen Schreibstil, Rechtschreibung, korrekte Inhalte und eine vergleichbare Struktur in der Wiedergabe der Rezepte. Gruppe 3 kümmert sich um das Layout inklusive der Titelseite, Fotos und Platzierung der Logos von Schule, diakonischer Einrichtung und Sponsoren.

Abb. 31: Titelseite der im Rahmen der Projektarbeit entstandenen Buchveröffentlichung Kontakt. Geschichten gehen durch den Magen, Originalausgabe 11/2011, © Tammo Schwindt

Pressetermin Bei einem Pressetermin im Seniorenheim stellen alle Beteiligten gemeinsam ihr Produkt vor. Sie äußern, wie sich ihr Blick auf ältere bzw. junge Menschen durch die Begegnungen und die Arbeit an dem Koch- und Geschichtenbuch eventuell verändert hat. Zur Präsentation im Gymnasium laden die Schülerinnen und Schüler diejenigen Seniorinnen und Senioren ein, die ihnen die Rezepte für Geschichten gehen durch den Magen! erzählten und mit ihnen kochten.

Weitere Informationen Informationsportal über soziale Berufe und Studiengänge http://www.soziale-berufe.com/ Nach dem Abschluss des Projektseminars unterhielt sich Martin Dorner mit der Sozialpädagogin und Gerontopsychiatrischen Fachkraft Friederike Döring. U. a. geht es um die Frage, welchen Gewinn sie in diesen Begegnungen sieht. Der Live-Mitschnitt des Gesprächs steht zum Anhören unter http://www.diakonisches-lernen.de/hoeren/ Zwei Gespräche mit den Teilnehmern des von StD Karl Küfner konzipierten und durchgeführten P-Seminars »Mensch und Menschlichkeit« mit Martin Dorner als Live-Mitschnitt zum Anhören http://www.diakonisches-lernen.de/hoeren/

Herzlicher Dank

Dieses Buch ist im Dialog entstanden. An erster Stelle sind diejenigen Schü­ler­ innen und Schüler zu nennen, die uns von ihren Begegnungen mit Menschen in unterschiedlichsten diakonischen Einrichtungen oder Initiativen erzählten und mit uns nachdachten, inwiefern sie diese Form des sozialen Lernens persönlich weiterbringt. An zweiter Stelle stehen diejenigen Lehrkräfte, die uns Einblick in ihren Unterricht gaben und unseren Forschungen offen gegenüberstanden, und die vielen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner diakonischer Einrichtungen und Initiativen, die sich in den letzten Jahren für die Begegnung mit Schülern geöffnet haben und soziales Lernen in christlicher Perspektive erst möglich machen. Unser Dank gilt Dr. Ludwig Markert für wichtige Anfangsimpulse, Präsident des Diakonischen Werkes der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern Michael Bammessel, dem Vorstand und den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Diakonisches Werkes Bayern sowie Oberkirchenrat Detlev Bierbaum und der Abteilung Gesellschaftsbezogene Dienste im Landeskirchenamt der EvangelischLutherischen Kirche in Bayern für die wohlwollende Unterstützung. Zu danken ist den aktuellen und ehemaligen Mitgliedern der Projektgruppe und dem Beirat der Initiative Diakonisches Lernen in Bayern: StD Roland Deinzer, Wolfgang Grieshammer, Diakon Dr. Siegfried Rodehau, Dipl. Relpäd. (FH) Sabine Schwab, Christine Strasser-Harr, Dr. Uwe Steinbach, Lehrerin Regine Teichmann und StDin Vera Utzschneider sowie Angelika Gradl, Diakonisches Werk Bayern, für logistische Unterstützung, Michaela Daase für das Transkribieren der Schülergespräche und Andreas Biedermann für das Korrekturlesen, beide Universität Regensburg. Dem Diakonischen Werk der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern ist für den namhaften Druckkostenzuschuss zu danken.

Anhang

1. Literatur und Internetquellen Hinweis: Gedruckte Werke, von denen es auch eine Internetversion gibt, finden sich nur im Internetverzeichnis unter 2. 1. Gedruckte Werke Adam, Gottfried u. a. (Hg.): Unterwegs zu einer Kultur des Helfens. Handbuch des diakonischsozialen Lernens, Stuttgart 2006. Adam, Gottfried: Diakonisch-Soziales Lernen. Eine Zwischenbilanz in weiterführender Absicht, in: Johannes Eurich/Christian Oelschlägel (Hg.), Diakonie und Bildung. Heinz Schmidt zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2008, 362–374. Assmann, Jan: Der zweidimensionale Mensch: das Fest als Medium des kollektiven Gedächtnisses, in: Assmann, Jan/Sundermeier, Theo (Hg.): Das Fest und das Heilige. Religiöse Kontrapunkte zur Alltagswelt, Studien zum Verstehen fremder Religionen, Gütersloh 1991, 13–30. Bargheer, Friedrich W.: Art. Diakonisches Lernen, in: LexRP Bd. 1, Neukirchen-Vluyn 2001, 329–332. Bedford-Strohm, Heinrich: Wer ist mein Nächster? Gemeinschaft in der modernen Gesellschaft, in: Lederhilger, Severin J. (Hg.): Wer ist mein Nächster? Das Soziale in der Ego-Gesellschaft, 15. Ökumenische Sommerakademie, Kremsmünster 2013, Frankfurt am Main u. a. 2014, 31–50. Bitter, Gottfried: Art. Diakonischer Religionsunterricht, in: LexRP Bd. 1, Neukirchen-Vluyn 2001, 325–329. Boës, Walter: Diakonische Bildung. Grundlegung einer Didaktik diakonischen Lernens an der Schule, Leipzig 2013. Boff, Clodovis/Pixley, Jorge: Die Option für die Armen, Düsseldorf 1987. Bonhoeffer, Dietrich: Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hg. v. E. Bethge, München 1952. Bruchlos, Alexander: Die Armut ans Licht holen, in: Main Echo, 11.12.2014, S. 18. Buck, Elisabeth: Bewegter Religionsunterricht: Bewegung/Pantomime/Tanz/Symbolspiel, in: Adam, Gottfried/Lachmann, Rainer (Hg.): Methodisches Kompendium für den Religionsunterricht 2 – Aufbaukurs, Göttingen 2006, 209–222. Buck, Elisabeth: Neuland betreten – Bewegter Religionsunterricht im 7. bis 9. Schuljahr, München 2011. Comenius, Johannes Amos: Große Didaktik, hg. v. Andreas Flitner, Stuttgart 1982. Crüsemann, Frank: Das Alte Testament als Grundlage der Diakonie, in: Schäfer, Gerhard K./

Gedruckte Werke

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2. Sachregister

A Aktion/Aktionstag (diakonisch)  31, 43, 46, 64, 98–100, 122, 131, 135, 137, 140, 144, 146–148, 150, 152, 154 f., 157–159, 161–163, 165 f. Alte/alte Menschen/ältere Menschen  32, 49, 84, 96, 140, 159 f., 162, 166, 179, 187 Alte Kirche  23, 44 Altes Testament  23, 36 Angst  39 f., 60, 83, 110, 117, 172 Anleiter/Anleiterin  11, 91, 93, 96, 101, 140 Ansprechpartner/-person  50, 91–95, 100 f., 139, 172 f., 191 Armut/arm  22, 31, 37–39, 41, 44, 51, 65, 84, 95, 110, 127, 136, 148 B Bedürfnisse  19, 24, 27 f., 30, 38, 56, 64, 79, 114, 129, 135 f., 144 Berufsorientierung  80, 131, 159, 165 Berufsschule  43, 48 Bewegter Religionsunterricht  103 f. Bibel/biblisch  15, 20–22, 30, 33, 38 f., 51, 63, 75, 81, 122, 131–134, 141, 147, 157 f., 160, 186 Bildung  15, 32, 51, 54, 58, 66, 69–72, 74–76, 166 Botschaft  42, 130 f., 145 C Chancen  43, 48 f., 65, 75, 91, 99, 165 Compassion  71, 78, 128 D Denken  20, 27, 50, 59–61, 70, 75, 88, 115, 141, 166, 183 Diakon/Diakonin  24, 191

Diakonie Biblische Grundlagen  19 Definition  19 Diakoneo/diakonia  20, 73 Geschichte  44 im Spiegel menschlicher Erfahrungen und Bedürfnisse  24–37 Diakoniestation  28 Diakonisches Lernen Ansatz, integral  78–80 Aufbau  17–18 Begriff  70–73 Definition  70–80 Dimension  80–88 Entwicklung  73–78 Konzept/Konzeption  70–88 Vorgeschichte  68–70 zwei Beine  16, 55 zwei Orte  15, 55 Diakonisches Werk  70, 92, 191 Didaktik/didaktisch  51, 75, 77 f., 133 Distanz  41, 55, 121, 162 E echt – konstruiert  61 EKD/Evangelische Kirche in Deutschland  46, 70 f., 76 elementar  36, 136 Eltern  43, 49, 69, 100, 147–149, 151, 169–172 Empathie  53, 70, 134, 167 Empirie/empirisch  78 Erziehung  32, 58, 66, 69 f. Ethik  35, 52, 131 f., 142 F Feier/feiern  24, 29 Flüchtling/Asylbewerber  39, 47, 110, 124

Sachregister

Für-andere-Sprechen/Fürsprecher  24, 38 Fürsorge  65 f. G Gaben  32, 38, 56 f., 145 Gefühl  33, 37, 56, 58, 61, 63–65, 67, 75, 83, 85, 87, 94, 130, 137, 175, 184 Gemeinschaft  22, 24, 30 f., 43, 45, 47 f., 57, 74, 77, 127 f., 133, 135 Gerechtigkeit  24, 35–38, 47, 62, 76, 84, 132 Glaube  24, 26, 29, 31, 35, 44, 69 f., 73, 86, 102, 127, 130, 132, 146 f., 165, 186 Gottesdienst/Andacht  24, 29 f., 36, 98 Grenzen  24, 42, 58, 65, 79, 86, 130 Grundschule  17, 31, 85, 135, 144, 146, 151 Gymnasium  17, 26, 28, 34, 37, 39, 41, 130 f., 133, 140–142, 167, 169, 178, 189 H Haltung  42, 85, 87, 105, 113, 118, 121, 134 Handeln  15 f., 19, 21–24, 28 f., 31, 35, 42, 44, 53, 55, 60, 62, 66 f., 70, 74 f., 77–83, 96 f., 102, 110, 113, 121, 123 f., 130–132, 134, 157–159, 168 hauptamtlich  101 Hauptschule/Mittelschule  17, 30, 130, 133, 155 f. Helfen  22, 52, 54, 69, 73, 75, 85, 102, 116, 118, 121, 123 f., 131, 142, 145, 148 Herausforderung  56–58, 65, 77, 94, 130, 159, 165 hilfsbedürftig  81, 118 Humor/lachen  27, 33 f., 42, 49, 93, 121, 175 I Identität  26, 40, 57, 65, 77, 85 f. Innere Mission  45 f. Interaktion  61, 85, 134 Irritation  141, 143 J Jesus/Jesu  19, 21 f., 33, 35, 37, 39, 41–43, 51, 74, 113–115, 118, 122, 131 f., 144–148, 153 Jugendhilfe  48, 181 Jugendliche  17, 38 f., 49–52, 55–61, 63–66, 69, 74, 80, 95–97, 104 f., 107, 110 f., 124, 127, 130, 135, 137, 158–161, 168–170, 173, 176, 183 f.

199 K Kinder  17, 34, 38, 45 f., 49–52, 54–66, 69, 74, 80, 85, 104 f., 107, 110 f., 118, 123, 127, 135, 137, 146, 148, 169 f., 176 Kirchengemeinde, diakonische  91, 96, 101 Kochen  85, 91, 99, 137, 146, 148 f., 154, 178, 183 f., 187 f. Kognition/kognitiv  15, 27, 52, 58–60, 63, 67, 79, 94, 103, 118, 134 f. Kompetenz  17, 57, 65, 75, 77, 83, 130 f., 140, 145, 157, 167, 172, 179 Kooperation  12, 24, 42, 57, 79, 93, 100, 181 f. Krankheit/krank  25, 32 f., 35, 65, 86, 92, 122, 148, 161, 168, 181 L Lehrplan  25, 52, 132 Leib/Körper  27–29, 31 f., 56, 105, 140 Leiblichkeit  24, 27 f., 135 Leid  26, 35, 42 Leistung  24, 47, 59, 105, 176 Leistung/Leistungsgesellschaft  105 Lernen/Lernprozess  11–13, 15–18, 29, 35, 37, 39 f., 49, 51–57, 59, 62 f., 65–68, 70–81, 84 f., 87 f., 91 f., 94–96, 98–104, 113, 127, 129, 135, 137, 139, 141, 147, 158, 169, 173, 191 Lernerfahrung  49, 77, 95, 101, 170, 181 M Menschenbild/Ideal/Idealbild  46, 52 f., 100, 104–106, 109 Menschen mit Behinderung  28, 92, 95, 110, 112, 169, 181 Methode  67, 103, 173, 183–185 Mitarbeiter (auch ehrenamtlich)  29 f., 48–50, 75, 80, 82, 91, 93, 96, 133, 154, 176, 182, 187 f., 191 Modell  30, 46, 52–57, 59–64, 75, 102, 104 Motivation  48–50, 64, 88, 94, 135–137, 139, 172 N Nachbarschaft/Quartier/Stadtteil/Sozialraum  24, 31 f., 40 f., 47, 49, 96, 144, 146, 148, 154 Nächster  115, 127 Nähe  49, 56 f., 88, 95, 121 Neues Testament  20 f., 23, 37, 39–41 nützlich  15, 62, 64 f., 97, 166, 174

200

Sachregister

O Optimierung (des Selbst)  124 Organisation/organisatorisch  17, 47, 68, 101, 130, 132, 139, 147, 158, 169, 171, 176

Spiritualität/spirituell  22, 30, 56, 80, 86 f. Stärke/stark  33, 39, 52, 76, 85, 111 f., 121–127, 157 Stufenmodell  59, 63 f.

P Pädagogik  69 f., 173 Performanz/performativ  77, 134 Perspektive/Blickwinkel  15, 38, 42, 51, 54, 58, 60 f., 76, 103, 109–111, 115, 130, 132, 181, 186, 191 Perspektivenübernahme  59, 61 f., 134, 167 Pflege/Pflegekraft  23, 34, 40, 47, 80, 95, 119, 157 f., 162, 165, 176, 182 Potenzial  41, 57 f., 66 Praktikum/Sozialpraktikum  26 f., 30, 34, 70, 72, 77–80, 83, 137, 141 f., 167–173, 176 f. Praxis  11 f., 16, 22–24, 29, 42, 44, 51, 64, 67, 70, 74, 77, 86, 88, 91, 98, 102, 141–144, 175 Projektseminar/P-Seminar  28, 34, 37, 39, 80, 82 f., 85, 87, 95, 131, 136, 142, 169, 178, 180, 183, 185, 190 Prosozialität/prosozial  70, 78, 85, 134 Psalm/Ps  21 f., 27, 29, 33, 36, 165

T Tafel (Lebensmittelweitergabe)  37 f., 66 f., 97, 112, 149, 181 Teilhaben/Partizipation  134 Tischgemeinschaft (diakonisch)  32, 144, 146–148, 152, 154, 181 Tod  56, 87, 168, 176, 179

R Realschule  130 Reflexion/reflektieren  15, 17, 32, 49 f., 53, 55, 67 f., 70, 72 f., 75–78, 81 f., 88, 102, 111, 121, 126, 132–134, 139, 141, 144, 148, 153, 155, 157, 165, 176, 178 Religion  24, 42, 51, 68, 74, 82, 87, 113, 115 S Samariter  42 f., 82, 114, 117, 133 Schönheit  29, 160 Schulleitungen  91, 96, 100 Schutz  22, 51, 64–66, 103 Schwäche/schwach  38, 165 Sehen/Urteilen/Handeln  16, 53, 59, 79, 118, 134 Seminar  12, 181 f., 188 situiertes Lernen/situated learning  74 f. Sozialraum  41 Spaß  28, 31, 85, 94 f., 97 f., 137, 145, 148, 152–154, 161, 163, 165, 175

V Verantwortung  35, 38, 44, 75, 77, 102, 134, 145, 157, 159, 183 Verband (diakonisch)  48 Verletzlichkeit  24–27, 118, 135, 168, 179 f., 186 Vesperkirche  43, 94 Vorbereitung diakonischer Begegnungen/Aktionen  102, 104, 111, 113, 129, 134 f. W Wahrnehmung/wahrnehmen  19, 40, 49, 54–56, 64, 71, 73, 79, 82, 85 f., 102, 104 f., 113–115, 124, 136, 179 Weiterarbeit im Unterricht  43, 91, 98, 100, 129, 141, 144, 152, 163, 167, 170, 186 Welt  19, 23, 25, 27, 46–48, 54, 56 f., 59, 78 f., 85 f., 91 f., 94, 110, 127, 131, 137, 141 Werte  51–54, 56, 60, 88 Wertfühlung  54 Wertklärung  52, 54 Wertschätzung  24, 32 f., 49, 135, 145, 157, 159 Wertvermittlung  52, 54 Widerfahrnis  76, 82, 87, 98, 102, 127 Wirklichkeit/Realität  21, 40, 58, 65, 79, 85, 128 Z Zuneigung  32, 113, 118 Zutrauen/zutrauen  21, 111, 141

3. Ü  bersicht O-Töne von Schülern, Lehrkräften und Anleitern56

Worum geht es eigentlich beim Diakonischen Lernen? Was können Schülerinnen und Schüler dabei konkret machen? Wie lernen sie? Was haben diakonische oder soziale Initiativen davon, wenn sich Schüler bei ihnen engagieren? Am besten ist es, wir lassen einige Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Mitarbeiterinnen der Diakonie selber zu Wort kommen … Part01: Nicht theoretisch darüber reden, sondern ausprobieren – Die Religionspädagogin Jenny Graumann und die Schüler Andreas, Joris und Eleni aus der 10. Klasse und Juliane aus der 8. Klasse eines Gymnasiums beantworten die Frage, warum sie beim diakonischen und sozialen Lernen außerschulische Lernorte bevorzugen … Part02: Was ich am Lernort gemacht habe – Ernst, Melike, Daniele und Dennis sind Grundschüler. Sie erzählen, was sie bei ihrem diakonischen Aktionstag in einer Kirchengemeinde gemacht haben. Eleni ist Schülerin eines Gymnasiums. Sie beschreibt eine Erfahrung aus ihrem Sozialpraktikum … Part03: Was Diakonisches Lernen ist – Die Grundschüler Alex, Ernst, Melike, Anisa, Dennis und Daniele und die Abiturientin Laura erklären, was ihrer Meinung nach Diakonisches Lernen ist … Part04: Lernen durch fremde und neue Eindrücke  – Svenja und Denise besuchen eine Realschule. Isabella und Eleni sind Gymnasiastinnen und Daniele ist Grundschüler. Sie beschreiben, wie sie durch die fremden und neuen Eindrücke an den Praxisorten lernen …

56 Die Gruppen- oder Expertengespräche führte Martin Dorner. Sprecherin: Arianna Dorner; Schnitt: Susanne Lukas, Aufwind Film, München

202

Übersicht O-Töne von Schülern, Lehrkräften und Anleitern

Part05: Durch praktische Erfahrungen fürs Leben lernen – Laura und Luisa stehen kurz vor dem Abitur, Isabella und Joris besuchen die 10. Klasse eines Gymnasiums. Inwiefern lernen sie durch die praktischen Erfahrungen etwas für ihr Leben … Part06: Bedeutung von Diakonischem Lernen für Einrichtungen der Diakonie und für diakonisch aktive Kirchengemeinden – Eleni engagierte sich eine Woche in einem Seniorenheim und Yessika hat ein eigenes diakonisches Projekt durchgeführt. Sie begründen, welche Bedeutung die Gegenwart von Schülerinnen und Schülern für Einrichtungen der Diakonie und für diakonische Initiativen hat … Part07: Fachkräfte der Diakonie empfehlen Diakonisches Lernen – Hanna Bäurle und Friederike Döring sind im Fachdienst in unterschiedlichen Seniorenheimen tätig. Welchen Gewinn sehen sie in den Begegnungen mit den Schülern … Part08: Ein Schüler empfiehlt Diakonisches Lernen – Der zehnjährige Daniele hat mit seinen Mitschülern ein Menü für über 80 Gäste aus dem Stadtteil gekocht. Warum empfiehlt er Diakonisches Lernen? Audiomaterial sowie Arbeitsmaterial zum Download unter www.v-r.de/ Diakonisches_Lernen

4. Informationsblatt der Lehrkraft für den diakonischen Lernort

Bitte ausfüllen, soweit bereits feststehend Organisatorische Fragen Bemerkung Name der Schule Schulart Name der Lehrkraft Telefon Lehrkraft (Pfarrer/in) dienstl. Telefon priv. (evtl.) Handy E-Mail Beteiligte Klasse(n) Alter der Schüler Größe der Gruppe Beabsichtigte Lernform

□ Einmalige Aktion □ Einmaliger Aktionstag □ Aktionstage □ Aktionswoche □ wiederkehrende Begegnung □ Schülerpraktikum/ Sozialpraktikum □ Soziales Schul(halb)jahr □ P-Seminar □ Compassion-Projekt □ Weiteres:

Terminwunsch

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Informationsblatt der Lehrkraft für den diakonischen Lernort

Beginn (Uhrzeit) Ende (Uhrzeit) Alternativtermin Beginn (Uhrzeit) Ende (Uhrzeit) Erstkontakt zwischen Schüler(n) und Ansprechpartner/in (Datum/Uhrzeit) Wo (Ort/Raum) Evtl. weiteres Vorbereitungstreffen Gibt es bei einzelnen Schülern gesundheitliche Einschränkungen? (z.B. Allergie)

Hinweis: Falls die Lehrkraft nicht am diakonischen Lernort anwesend ist, wird eine Namensliste der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler benötigt, die aus Gründen der Aufsichtspflicht die Telefonnummern der Erziehungsberechtigten enthält.

205



Inhaltliche Fragen Unterrichtsfach Beschreibung der durch die Praxiserfahrung zu erwerbenden Kenntnisse und Kompetenzen Unterrichtsinhalte zu den Kenntnissen und Kompetenzen Inhaltliche Vorbereitung auf das Praxis­ lernen im Unterricht Welche Informationen für die ­inhaltliche Arbeit werden von der Einrichtung benötigt? Inhaltliche Weiterarbeit nach der Praxiserfahrung im Unterricht Mögliche Vorerfahrungen der Schüler bzgl. des Praxislernens Ist aktive Beteiligung der Lehrkraft bei dem Praxiseinsatz der Schüler möglich? Welche Informationen zu diakonischen oder sozialen Berufen bzw. zum Ehrenamt oder Freiwilligendienst werden gewünscht?

Autorinnen und Autoren

Elisabeth Buck, geb. 1958, ist Dozentin am Lehrstuhl für Evangelische Theologie mit Schwerpunkt Religionspädagogik und -didaktik sowie am Lehrstuhl für Musikpädagogik und -didaktik der Universität Bamberg. Sie hat das Konzept des Bewegten Religionsunterrichts entwickelt, das sie auf Lehrerfortbildungen vermittelt und in der Schule umsetzt. Pfarrer Martin Dorner, geb. 1964, war Inhaber der Projektstelle Diakonie im sozialen Nahraum im Diakonischen Werk der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Als Projektleiter hat er die bayernweite Initiative Diakonisches Lernen (www.diakonisches-lernen.de) in Zusammenarbeit mit Lehrkräften, Schülern, Verantwortlichen aus Diakonie und Kirche sowie mit Vertretern religionspädagogischer Institutionen aufgebaut. Ab dem Schuljahr 2015/16 unterrichtet er Evangelische Religionslehre am Maria-Ward-Gymnasium in Günzburg. Prof. Dr. Michael Fricke, geb. 1965, ist Inhaber des Lehrstuhls für Evangelische Theologie mit Schwerpunkt Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Universität Regensburg und hat das Konzept der bayerischen Initiative Diakonisches Lernen mitentwickelt und wissenschaftlich begleitet.