Vom Gleichheitssatz zum arbeitsrechtlichen Diskriminierungsverbot: Eine rechtsvergleichende Betrachtung der europäischen, italienischen und deutschen Rechtsentwicklung unter besonderer Berücksichtigung älterer Arbeitnehmer in befristeten Arbeitsverhältnissen [1 ed.] 9783428545773, 9783428145775

»From a General Principle of Equality to the Prevailing Non-Discriminatory Labor Laws«The terms equality, equal treatmen

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Vom Gleichheitssatz zum arbeitsrechtlichen Diskriminierungsverbot: Eine rechtsvergleichende Betrachtung der europäischen, italienischen und deutschen Rechtsentwicklung unter besonderer Berücksichtigung älterer Arbeitnehmer in befristeten Arbeitsverhältnissen [1 ed.]
 9783428545773, 9783428145775

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Schriften zum Internationalen Recht Band 203

Vom Gleichheitssatz zum arbeitsrechtlichen Diskriminierungsverbot Eine rechtsvergleichende Betrachtung der europäischen, italienischen und deutschen Rechtsentwicklung unter besonderer Berücksichtigung älterer Arbeitnehmer in befristeten Arbeitsverhältnissen

Von

Christian Becker

Duncker & Humblot · Berlin

CHRISTIAN BECKER

Vom Gleichheitssatz zum arbeitsrechtlichen Diskriminierungsverbot

Schriften zum Internationalen Recht Band 203

Vom Gleichheitssatz zum arbeitsrechtlichen Diskriminierungsverbot Eine rechtsvergleichende Betrachtung der europäischen, italienischen und deutschen Rechtsentwicklung unter besonderer Berücksichtigung älterer Arbeitnehmer in befristeten Arbeitsverhältnissen

Von

Christian Becker

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat diese Arbeit im Jahre 2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 978-3-428-14577-5 (Print) ISBN 978-3-428-54577-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-84577-4 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Familie

Vorwort Im gesellschaftlichen Zusammenleben und in der Rechtswissenschaft ist die Frage nach einer Gleichheit der Menschen untereinander seit jeher von herausragender Bedeutung. Dies gilt in Zeiten eines zusammenwachsenden Europas und einer immer weiter voranschreitenden Globalisierung mehr als je zuvor. Diskriminierungsverbote bilden dabei eine moderne Ausprägung des Gleichheitsgedankens. Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag zur näheren Bestimmung von Definiton und Inhalt der Diskriminierungsverbote liefern und im Rahmen der Rechtsvergleichung die Notwendigkeit einer Harmonisierung von Rechtsbegriffen in einem vereinten Europa hervorheben. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Armin Höland, der sich bereit erklärt hat, die Betreuung meines Promotionsvorhabens zu übernehmen. Er hat mich bei der Erstellung dieser Arbeit nicht nur durch regelmäßige wissenschaftliche Diskussion unterstützt, sondern mir auch den Austausch mit italienischen Wissenschaftlern ermöglicht. Dies gilt nicht zuletzt insoweit, als es ihm gelungen ist, Herrn Prof. Matteo Borzaga von der Università degli Studi di Trento als Zweitgutachter zu gewinnen. Herrn Prof. Borzaga möchte ich insbesondere dafür danken, dass mit ihm die Begutachtung meiner rechtsvergleichenden Dissertation auch aus dem Blickwinkel eines Wissenschaftlers aus der in Bezug genommenen Rechtsordnung möglich geworden ist. Schließlich möchte ich meiner Familie für ihre Unterstützung danken. Besonders hervorzuheben ist meine Frau Ivana, die in den Jahren der Erstellung der Arbeit ein steter Rückhalt gewesen ist. Gleiches gilt für meine Eltern, die mit ihrer steten Förderung und ihrem wissenschaftlichen Vorbild die Erstellung dieser Arbeit erst ermöglicht haben. Auch meinen Freunden Roman Theuerjahr und Mirko Stepan bin ich für deren Unterstützung sehr dankbar. Mainz, im November 2014

Christian Markus Becker

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Aktualität der Thematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Gegenstand der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I. Der Begriff der Gleichheit von der Antike bis zur Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Der Begriff der Gleichheit in der Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 a) Platons Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 b) Gleichheit bei Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 c) Gleichheit im antiken Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 d) Antike christliche Gleichheitsvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2. Der Begriff der Gleichheit im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3. Der Begriff der Gleichheit in der Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 a) Naturwissenschaftliche Grundlagen des Gleichheitsbegriffs . . . . . . . . . . . . 33 b) Philosophische Ansätze eines neuzeitlichen Gleichheitsbegriffs . . . . . . . . 34 c) Entwicklung eines neuzeitlichen naturrechtlichen Gleichheitsbegriffs . . . . 34 d) Gleichheit in der neuzeitlichen Wissensgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 4. Gleichheitsforderung in der Französischen Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 II. Entwicklung des Gleichheitsbegriffs in Deutschland nach 1789 . . . . . . . . . . . . . 38 1. Einflüsse der Französischen Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Sapere aude: Gleichheit als Produkt menschlicher Vernunft . . . . . . . . . . . . . . 39 3. Gleichheit zu Zeiten Napoleons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 4. Bedeutung der Gleichheit für die Revolution von 1848/49 . . . . . . . . . . . . . . . 42 a) Die preußischen Verfassungen der Jahre 1848/1850 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 b) Die nachrevolutionäre Zeit in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 5. Die Gleichheit in den Reichsverfassungen 1871 und 1919 . . . . . . . . . . . . . . . 45 a) Die Reichsverfassung vom 16. April 1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 b) Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 . . . . . . . . . . 45 6. Der Begriff der Gleichheit in der Zeit des Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . 47 7. Der Begriff der Gleichheit im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 a) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 b) Der Merkmalskatalog des Art. 3 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 c) Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen im Rahmen von Art. 3 GG . . . 53 aa) Rechtfertigung und Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG . . 54

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Inhaltsverzeichnis bb) Rechtfertigung und besonderer Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 3 GG . . . 55 III. Entwicklung des Gleichheitsbegriffs in Italien nach 1789 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1. Der Begriff der Gleichheit in den italienischen Regionalverfassungen . . . . . . 57 a) Verfassungen der Repubbliche Cisalpina, Cispadana und des ligurischen Volkes von 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 b) Verfassung der Repubblica Romana von 1798 und neapolitanische Verfassung von 1799 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2. Das „Statuto Albertino“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3. Vom Statuto Albertino bis zum Regno d’Italia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 4. Der Begriff der Gleichheit im faschistischen Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 5. Der Begriff der Gleichheit in der italienischen Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . 69 a) Der Begriff der Gleichheit in Art. 3 Costituzione Italiana . . . . . . . . . . . . . 70 aa) Art. 3 Abs. 1 Costituzione Italiana (formelle Gleichheit) . . . . . . . . . . . 70 (1) Formelle Gleichheit in der italienischen Verfassung . . . . . . . . . . . 70 (2) Formelle Gleichheit in den Verfassungen Italiens und Deutschlands 73 bb) Art. 3 Abs. 2 Costituzione Italiana (materielle Gleichheit) . . . . . . . . . 74 (1) Materielle Gleichheit in der italienischen Verfassung . . . . . . . . . . 74 (2) Materielle Gleichheit in den Verfassungen Italiens und Deutschlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 b) Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 aa) Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen im italienischen Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung . . . . . 82 I. Das Verbot der Diskriminierung in der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 a) Akzessorietät von Diskriminierungsverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 aa) Art. 14 EMRK als akzessorische Garantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 bb) Art. 1 des 12. Zusatzprotokolls zur EMRK als bedingt akzessorische Garantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 b) „Autonomie“ des Art. 14 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3. Der Begriff der Diskriminierung in der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 a) Art. 14 EMRK: Diskriminierungsbegriff und Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . 86 b) Schutz vor Altersdiskriminierung in der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 aa) Schutz vor Altersdiskriminierung in Art. 14 EMRK . . . . . . . . . . . . . . 88 bb) Schutz vor Altersdiskriminierung in Art. 1 des 12. Zusatzprotokolls zur EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

Inhaltsverzeichnis

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II. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . 90 1. Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 a) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 b) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 aa) Akzessorietät des Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 bb) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 cc) Kompetenzeinschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 dd) Der Begriff der Diskriminierung in Art. 13 EGV/AEUV . . . . . . . . . . . 95 ee) Der Begriff des Alters in Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV . . . . . . . . . . . . . 98 2. Europäische Grundrechtecharta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 a) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 b) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 aa) Normadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 bb) Normbegünstigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 c) Grundrecht auf Nichtdiskriminierung, Art. 21 EU-GRCharta . . . . . . . . . . . 101 aa) Der Begriff der Diskriminierung in Art. 21 EUR-GRCharta . . . . . . . . 101 bb) Altersbezogenes Diskriminierungsverbot in Art. 21 EU-GRCharta . . . 102 III. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Sekundärrecht: Die Rahmenrichtlinie 2000/78/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 1. Entstehungsgeschichte und rechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . 103 a) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 b) Grundsatz der Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 c) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Anwendungsbereich der Rahmenrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 a) Zugang zu Erwerbstätigkeit und Aufstieg im Beruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 b) Zugang zu Berufsberatung und Berufsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 c) Arbeitsbedingungen und Entgelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 d) Mitgliedschaft in Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 e) Staatliche Systeme der sozialen Sicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 f) Eingeschränkte Anwendung auf Streitkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 3. Der Begriff der Diskriminierung in der Rahmenrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . 117 a) Der Begriff der unmittelbaren Diskriminierung, Art. 2 Abs. 2 lit. a) Rahmenrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 b) Der Begriff der mittelbaren Diskriminierung, Art. 2 Abs. 2 lit. b) Rahmenrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 c) Reichweite des Diskriminierungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 aa) Art. 2 Abs. 2 Rahmenrichtlinie als absolutes Diskriminierungsverbot . 122 bb) Art. 2 Abs. 2 Rahmenrichtlinie als relatives Diskriminierungsverbot . 126 4. Stellungnahme: Relative Geltung des Diskriminierungsbegriffs . . . . . . . . . . . 133 a) Wortlaut der Rahmenrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

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Inhaltsverzeichnis b) Erwägungs- und Hintergründe der Rahmenrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 c) Rechtsprechung des EuGH und Diskriminierungsverbote als Begründungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 d) Fazit und Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 5. Das Merkmal „Alter“ in der Rahmenrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 a) Der Begriff des „Alters“ in der Rahmenrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 b) Der Rechtfertigungstatbestand des Art. 6 Rahmenrichtlinie . . . . . . . . . . . . 144 aa) Rechtfertigung altersbezogener Ungleichbehandlungen, Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (1) Art. 6 Abs. 1 lit. a) Rahmenrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (2) Art. 6 Abs. 1 lit. b) Rahmenrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (3) Art. 6 Abs. 1 lit. c) Rahmenrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (4) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 (5) Exkurs: Art. 6 Rahmenrichtlinie als Konkretisierung „positiver Maßnahmen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 bb) Rechtfertigung altersbezogener Ungleichbehandlungen, Art. 6 Abs. 2 Rahmenrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland . . . . . . . . 152 I. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Deutschland – Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. Einfluss des Sekundärrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 3. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 a) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 aa) Der Begriff des „Beschäftigten“ in § 6 Abs. 1 AGG . . . . . . . . . . . . . . 155 (1) Arbeitnehmerbegriff des § 6 Abs. 1 Nr. 1 AGG . . . . . . . . . . . . . . . 156 (2) Beschäftigte zur Berufsbildung, § 6 Abs. 1 Nr. 2 AGG . . . . . . . . . 156 (3) Arbeitnehmerähnliche Personen und Heimarbeiter, § 6 Abs. 1 Nr. 3 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 bb) Der Begriff des Arbeitgebers im AGG, § 6 Abs. 2 AGG . . . . . . . . . . . 157 cc) Anwendung auf Selbstständige und Gesellschaftsorgane, § 6 Abs. 3 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (1) Anwendung der Vorschriften des AGG auf Selbstständige . . . . . . 158 (2) Anwendung der Vorschriften des AGG auf Organmitglieder . . . . . 160 b) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 aa) Hauptanwendungsbereich des AGG, § 2 Abs. 1 AGG . . . . . . . . . . . . . 162 (1) Zugang zu selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit, § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (2) Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG . 163 (3) Zugang zu Berufsbildung- und Beratung, § 2 Abs. 1 Nr. 3 AGG . . 164 (4) Mitgliedschaft in Organisationen, § 2 Abs. 1 Nr. 4 AGG . . . . . . . . 165

Inhaltsverzeichnis

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(5) Sozialschutz, § 2 Abs. 1 Nr. 5 – 7 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (6) Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, § 2 Abs. 1 Nr. 8 AGG . . 165 bb) Bereichsausnahmen und Gesetzeskonkurrenzen, § 2 Abs. 2 und 3 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 cc) Antidiskriminierung und Kündigungsschutz, § 2 Abs. 4 AGG . . . . . . . 166 (1) Rechtsprechung des BAG zum Verhältnis von AGG und KSchG . 166 (2) Stellungnahme: Verhältnis von AGG und KSchG . . . . . . . . . . . . . 168 4. Der Begriff der Benachteiligung im AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Benachteiligung contra Diskriminierung: Ein deutscher Sonderweg? . . . . 170 aa) Erwägungen des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 bb) Erwägungen in der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 b) Legaldefinition der Benachteiligung, § 3 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 aa) Der Begriff der unmittelbaren Benachteiligung, § 3 Abs. 1 AGG . . . . 174 bb) Der Begriff der mittelbaren Benachteiligung, § 3 Abs. 2 AGG . . . . . . 176 c) Benachteiligung und Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 aa) Rechtfertigung im Rahmen unmittelbarer Benachteiligung . . . . . . . . . 177 bb) Rechtfertigung im Rahmen mittelbarer Benachteiligung . . . . . . . . . . . 180 d) Das Diskriminierungsverbot in der Arbeitswelt und dessen Rechtsfolgen . 181 aa) Das Diskriminierungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . 181 bb) Benachteiligung: Prävention und Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (1) Präventive Pflichten des Arbeitgebers, § 12 AGG . . . . . . . . . . . . . 181 (2) Unwirksamkeit von Vereinbarungen, § 7 Abs. 2 AGG . . . . . . . . . . 182 (3) Schadensersatz und Entschädigung, §§ 7 Abs. 3 und 15 AGG . . . . 182 (a) Materieller Schadensersatz, § 7 Abs. 3 i.V.m. § 15 Abs. 1 AGG 183 (b) Immaterieller Schadensersatz (Entschädigung), § 15 Abs. 2 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 (c) Konkurrenz der Ersatzansprüche, § 15 Abs. 5 AGG . . . . . . . . . 186 5. Das Merkmal „Alter“ im AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 a) Der Begriff des „Alters“ im AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 b) Rechtfertigung von altersbezogenen Ungleichbehandlungen . . . . . . . . . . . 188 aa) Rechtfertigung altersbezogener Ungleichbehandlungen, § 10 AGG . . 189 bb) Altersdiskriminierung in befristeten Arbeitsverhältnissen . . . . . . . . . . 190 (1) Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (a) Die Rechtssache Mangold . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (b) Die Rechtssache Kumpan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (c) Stellungnahme: spezifische Rechtfertigungstatbestände im Rahmen befristeter Arbeitsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 (2) Die Regelung des § 14 Abs. 3 TzBfG n.F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

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Inhaltsverzeichnis II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien – decreto legislativo 9. Juli 2003, Nr. 216 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Entstehungsgeschichte und Vorläufer des d.lgs. 216/2003 . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2. Anwendungsbereich, Art. 3 d.lgs. 216/2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 a) Grundlegendes zum Anwendungsbereich, Art. 3 Abs. 1 d.lgs. 216/2003 . . 199 b) Zugang zu lavoro autonomo und lavoro dipendente, Art. 3 Abs. 1 a) d.lgs. 216/2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 aa) Der Begriff des lavoro subordinato . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 bb) Der Begriff des lavoro autonomo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 cc) Abgrenzung von lavoro subordinato und lavoro autonomo . . . . . . . . . 202 dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 c) Beschäftigungsbedingungen, Art. 3 Abs. 1 b) d.lgs. 216/2003 . . . . . . . . . . 205 d) Zugang zu Berufsbildung und -beratung, Art. 3 Abs. 1 c) d.lgs. 216/2003 . 206 e) Mitgliedschaft in Organisationen, Art. 3 Abs. 1 d) d.lgs. 216/2003 . . . . . . 207 f) Sonstige Anwendungsfälle, Art. 3 Abs. 2 d.lgs. 216/2003 . . . . . . . . . . . . . 207 g) Das Verhältnis von d.lgs. 216/2003 und Art. 15 stat. lav. . . . . . . . . . . . . . . 208 3. Der Begriff der discriminazione im d.lgs. 216/2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Parità di trattamento und discriminazione im d.lgs. 216/2003 . . . . . . . . . . 209 b) Der Begriff der discriminazione diretta, Art. 2 Abs. 1 Buchst. a) d.lgs. 216/ 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 c) Der Begriff der discriminazione indiretta, Art. 2 Abs. 1 Buchst. b) d.lgs. 216/2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 d) Rechtfertigung und discriminazioni dirette und indirette . . . . . . . . . . . . . . 215 aa) Rechtfertigung im Rahmen der discriminazioni dirette . . . . . . . . . . . . 215 bb) Rechtfertigung im Rahmen der discriminazioni indirette . . . . . . . . . . . 219 e) Rechtsschutz bei Verstoß gegen divieti di discriminazione . . . . . . . . . . . . . 220 aa) Verfahrensform des rito sommario di cognizione, d.lgs. 150/2011 . . . 221 bb) Rechtsfolgen bei Verstößen gegen Diskriminierungsverbot, Art. 28 Abs. 5 – 7 d.lgs. 150/2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 (1) Schadensersatzansprüche, Art. 28 Abs. 5 d.lgs. 150/2011 . . . . . . . 223 (a) Anspruch auf Schadensersatz (danno patrimoniale), Art. 28 Abs. 5 d.lgs. 150/2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 (b) Anspruch auf Entschädigung (danno non patrimoniale), Art. 28 Abs. 5 d.lgs. 150/2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 (c) Grundsätze der Schadensbemessung und Konkurrenzen . . . . . 226 (2) Verbot fortgesetzten diskriminierenden Verhaltens, Art. 28 Abs. 5 d.lgs. 150/2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 (3) Entscheidungsveröffentlichung, Art. 28 Abs. 7 d.lgs. 150/2011 . . . 228 4. Das Merkmal des „Alters“ im d.lgs. 216/2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 a) Der Begriff des „Alters“ im d.lgs. 216/2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

Inhaltsverzeichnis

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b) Rechtfertigung altersbezogener Ungleichbehandlungen, Art. 3 Abs. 4 d.lgs. 216/2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 aa) Rechtfertigung altersbezogener Ungleichbehandlung im Rahmen des Zugangs zu Erwerbstätigkeit und Berufs(aus)bildung, Art. 3 Abs. 4-bis Buchst. a) d.lgs. 216/2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 (1) Exkurs: contratto di inserimento, Art. 54 ff. d.lgs. 276/2003 a.F. . . 232 (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 bb) Rechtfertigung altersbezogener Ungleichbehandlung bei der Festlegung von Mindest- und Höchstalter, Art. 3 Abs. 4-bis Buchst. b) und c) d.lgs. 216/2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 cc) Allgemeine Rechtfertigungsvoraussetzungen altersbezogener Ungleichbehandlungen, Art. 3 Abs. 4-ter d.lgs. 216/2003 . . . . . . . . . . . . . 237 5. Altersbezogene Ungleichbehandlungen im Rahmen befristeter Arbeitsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 a) Befristung von Arbeitsverhältnissen in Italien, d.lgs. 368/2001 . . . . . . . . . 238 aa) Sachgrunderfordernis im Rahmen des contratto a termine, Art. 1 d.lgs. 368/2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 bb) Verlängerung und Höchstdauer der Befristung im Rahmen des contratto a termine, Art. 4 d.lgs. 368/2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 cc) Zuvor bestehende Arbeitsverhältnisse (successione dei contratti), Art. 5 Abs. 3 ff. d.lgs. 368/2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 b) Altersdiskriminierung in befristeten Arbeitsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . 245 aa) Quantitative betriebsbezogene Beschränkungen, Art. 10 Abs. 7 d.lgs. 368/2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 bb) Ausnahmen vom Grundsatz der quantitativen betriebsbezogenen Beschränkungen, Art. 10 Abs. 7 d.lgs. 368/2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 (1) Rechtfertigung altersabhängiger Ungleichbehandlungen bei quantitativen betriebsbezogenen Beschränkungen, Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 (a) Exkurs: limiti quantitativi und Sachgrunderfordernis . . . . . . . . 250 (b) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 (2) Stellungnahme: Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 europarechtswidrig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 E. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. ADG AEUV a.F. AGG AktG ArbG Art. BAG BBiG BeschSchG

anderer Ansicht am angegebenen Ort Antidiskriminierungsgesetz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Aktiengesetz Arbeitsgericht Artikel Bundesarbeitsgericht Berufsbildungsgesetz Gesetz zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz BGB Bürgerliches Gesetzbuch BT-Drucks. Deutscher Bundestag – Drucksachen Buchst. Buchstabe BVerfG Bundesverfassungsgericht CCNL contratto collettivo nazionale di lavoro (ital. nationaler Tarifvertrag) d. h. das heißt d.lgs. decreto legislativo (ital. Gesetzesverordnung) EG Europäische Gemeinschaft EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft EMRK Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten etc. et cetera EU Europäische Union EuGH Gerichtshof der Europäischen Union EU-GRCharta Charta der Grundrechte der Europäischen Union EUV Vertrag über die Europäische Union EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG-Vertrag Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung h.M. herrschende Meinung i.E. im Ergebnis i. e.S. im engeren Sinne IVA imposta sul valore aggiunto (ital. Mehrwertsteuer) Kap. Kapitel KSchG Kündigungsschutzgesetz LAG Landesarbeitsgericht m.w.N. mit weiteren Nachweisen

Abkürzungsverzeichnis n. NGO Nr. P.N.F. RGZ Rn. SGB I SGB III SGB IV stat. lav. TzBfG UWG vgl. WRV z. B. ZP

Nummer (ital.) Nichtregierungsorganisation Nummer Partita Nazionale Fascista (ital. National-Faschistische Partei) Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Randnummer Sozialgesetzbuch Buch I. Allg. Teil Sozialgesetzbuch Buch III. Arbeitsförderung Viertes Buch Sozialgesetzbuch statuto dei lavoratori (Gesetz v. 20 Mai 1970, Nr. 300) Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vergleiche Weimarer Reichsverfassung zum Beispiel Zusatzprotokoll

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A. Einleitung I. Aktualität der Thematik Die Begriffe Gleichheit, Gleichbehandlung und Antidiskriminierung sind in der aktuellen politischen Diskussion allgegenwärtig. Es hat insbesondere den Anschein, dass mit dem Wachstum eines Vereinten Europas diesem Thema von der Politik besondere Beachtung geschenkt wird. Dies kann nicht verwundern, birgt doch das weitere Zusammenwachsen unterschiedlicher Völker, Ethnien und Bevölkerungsstrukturen ein großes Potential möglicher Ungleichheit, Ungleichbehandlung als auch kreativer Vielfalt. Bemerkenswert ist, dass die Politik nicht zuvorderst auf Grund eines aus der Gesellschaft geäußerten Verlangens tätig wird. In Anbetracht des gesellschaftlichen Stellenwerts der Thematik ist das Handeln der Politik zumindest in Teilen antizipierend. Sowohl nationale als auch Studien auf Unionsebene belegen das politisch antizipative Handeln. Aus einer Untersuchung der deutschen Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus dem Jahr 2008 geht hervor, dass die Angst vor Diskriminierung und Ungleichbehandlung in Deutschland nicht zu den größten Sorgen der Bürger zählt. Ausweislich der Studie der Antidiskriminierungsstelle gaben lediglich 14 Prozent der Befragten an, sich sehr für das Thema Diskriminierung zu interessieren, 37 Prozent der Befragten antworteten, „eher nicht“ bzw. „überhaupt nicht“ an diesem Thema interessiert zu sein. Die übrigen 49 Prozent der Befragten standen dem Themengebiet Diskriminierung indifferent gegenüber. Zutreffend wird daher in der Studie gefolgert, es handle sich bei dieser Gruppe der „Indifferenten“ um die Gruppe mit dem größten gesellschaftlichen Potential.1 Dieses Ergebnis mag auch damit zusammenhängen, dass Diskriminierung und Ausgrenzung naturgemäß oftmals nur Minderheiten betrifft und damit die Relevanz für große Teile der Bevölkerung gering erscheint. Nicht nur die jüngere europäische Vergangenheit, insbesondere die deutsche lehrt jedoch, dass der Schutz von Minderheiten und Gruppen ohne gesellschaftliche und politische Lobby immanent wichtig ist. Die Anstrengungen der Politik, Diskriminierungen und Ungleichbehandlungen möglichst zu unterbinden, sind daher keinesfalls überflüssig. Der dem Gleichbehandlungs- und Antidiskriminierungsrecht zugrundeliegende Gedanke der Gleichheit der Menschen ist nicht neu. Seit der Antike beschäftigen sich Philosophen und (Rechts-)Gelehrte mit der Frage, wie die Gleichheit der Menschen zu definieren ist. Die Geschichte zeigt, dass der Gedanke der Gleichheit immer dann 1

Antidiskriminierungsstelle, Diskriminierung, S. 41.

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A. Einleitung

besondere Prominenz genießt, wenn bedeutende gesellschaftliche Umbrüche anstehen.

II. Gegenstand der Arbeit Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich zunächst mit den historischen Grundlagen des Gleichheitsbegriffs. Der Gedanke der Gleichheit kann und muss als Nukleus der europäischen Antidiskriminierungspolitik angesehen werden. Die historische Betrachtung soll die Entwicklung bis in die Gegenwart aufzeigen und eine Einordnung und Bewertung des aktuellen Rechtsrahmens ermöglichen. Angesichts dieses rechtsgeschichtlichen Hintergrunds wird erkennbar sein, welche Bedeutung den jüngeren und jüngsten Entwicklungen, insbesondere den Diskriminierungsverboten, beizumessen ist und was genau unter dem Begriff „Diskriminierung“ zu verstehen ist. Untersucht wird der europäische Rechtsrahmen, wobei im Mittelpunkt die Regelungen der beschäftigungs- und berufsbezogenen Rahmenrichtlinie 2000/78/EG stehen.2 Die beiden Mitgliedstaaten Deutschland und Italien haben bei der Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben unterschiedliche Ansätze gewählt und weisen eine jeweils unterschiedliche Tradition der Gleichheit und Gleichbehandlung auf. Während in Italien die einschlägigen europäischen Richtlinien fast wörtlich in das nationale Recht übernommen wurden, ist die deutsche Umsetzungsgesetzgebung zum Teil weit über die europäischen Vorgaben hinausgegangen. Die vergleichende Betrachtung der nationalen Gegebenheiten verspricht einen hohen Erkenntnisgewinn und eröffnet die Möglichkeit, nationalen Handlungsbedarf zu definieren. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei in der Weiterentwicklung und Präzisierung des Begriffs „Diskriminierung“. An einer exakten Begriffsdefinition fehlt es insbesondere deshalb, weil nicht geklärt ist, ob und unter welchen Voraussetzungen eine merkmalsbezogene unmittelbare Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein kann. Die statistischen Daten rechtfertigen es zudem, einer Gruppe von Merkmalsträgern besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Hierbei handelt es sich um ältere bzw. alte Menschen. Auf die Frage nach besonders benachteiligten Gruppen, werden an prominenter Stelle ältere Arbeitslose (28 Prozent) sowie alte oder ältere Menschen (21 Prozent) genannt. Die Befragten nennen das Merkmal Alter an zweiter bzw. vierter Stelle.3 In der subjektiven Wahrnehmung der befragten Personen wird das Alter sogar als prominentester Grund für eine an sich selbst wahrgenommene Diskriminierung genannt.4 Es verwundert also wenig, dass 26 Prozent der Befragten die Erhöhung des Schutzes vor altersbezogenen Diskriminierungen verlangen und

2 Abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 32000 L0078. 3 Antidiskriminierungsstelle, Diskriminierung, S. 48. 4 Antidiskriminierungsstelle, Diskriminierung, S. 53.

II. Gegenstand der Arbeit

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diesem Verlangen damit die zweithöchste Priorität überhaupt zukommt.5 Hierbei handelt es sich nicht allein um ein deutsches Phänomen. Umfragen der Europäischen Union bestätigen die Angst vor Altersdiskriminierung. Durch die jüngste Wirtschaftskrise hat diese Angst weitere Nahrung gefunden. 58 Prozent der Befragten nahmen im Jahr 2009 Diskriminierung aufgrund des Alters wahr. Im Vergleich zum Vorjahr 2008 bedeutete dies einen Anstieg um 16 Prozent.6 Diese zentrale Rolle des Merkmals „Alter“ im Katalog der Diskriminierungsmerkmale ist Anlass dafür, die vorliegende Untersuchung darauf zu fokussieren, wie es in Italien und Deutschland aktuell um den Schutz von alten bzw. älteren Arbeitnehmern bestellt ist und welche Erkenntnisse sich aus dem Vergleich der Situation in beiden Ländern ergeben. Dem Phänomen der Altersdiskriminierung wird in Italien und Deutschland eine unterschiedliche Relevanz beigemessen. Dies könnte darauf hindeuten, dass der Schutz vor Altersdiskriminierung in Italien verglichen mit Deutschland ausgeprägter ist. Laut einer weiteren EU-Studie aus dem Jahr 2012 gehen lediglich 32 Prozent der befragten Italiener davon aus, dass sich bei gleicher fachlicher Qualifikation der Bewerber das Alter eines über 55-jährigen Arbeitnehmers negativ auf dessen Beschäftigungschancen auswirken könnte. Damit liegt der Wert in Italien 22 Prozent unter dem EU-Durchschnitt und sogar eklatante 33 Prozent unter dem Niveau in Deutschland.7 Gleichzeitig ist die unbefristete Beschäftigung von Arbeitnehmern längst nicht mehr die Regel. In Deutschland und Italien ist annähernd jeder sechste Arbeitnehmer auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags tätig.8 Das Verfahren vor dem EuGH in Sachen Mangold9 hat zudem gezeigt, dass dem Merkmal Alter im Rahmen befristeter Arbeitsverträge eine besondere Relevanz zukommt. Dies rechtfertigt es, besonders genau zu untersuchen, inwieweit ältere Arbeitnehmer im Rahmen befristeter Arbeitsverhältnisse vor Diskriminierung geschützt sind. Die Arbeit ist wie folgt gegliedert. Nach einer kurzen Einleitung (Kapitel 1) folgen in Kapitel 2 die historische Herleitung des Gleichheitsbegriffs mit den Schwerpunkten Antike, Mittelalter und Neuzeit. Besonderes Augenmerk wird der deutschen und der italienischen Entwicklung geschenkt (Kapitel 2, II. und III.). Kapitel 3 behandelt die Entwicklung der Rechtsgrundlagen mit besonderer Betonung der europäischen Entwicklung eines Antidiskriminierungsrechts. In diesem Rahmen erfolgt eine nähere Bestimmung von Inhalt und Umfang des Diskriminie5

Antidiskriminierungsstelle, Diskriminierung, S. 50. Eurobarometer Spezial 317, S. 4, abrufbar im Internet unter http://ec.europa.eu/public_opi nion/archives/eb_special_en.htm. 7 Eurobarometer Spezial 393 (Factsheet), jeweils S. 3, abrufbar im Internet unter http://ec. europa.eu/public_opinion/archives/eb_special_en.htm. 8 Jahresbericht 2012 von EuroStat; abrufbar im Internet unter http://epp.eurostat.ec.europa. eu/cache/ITY_OFFPUB/KS-CD-12 – 001/EN/KS-CD-12 – 001-EN.PDF. 9 Urteil des EuGH v. 22. 11. 2005, Az. C-144/04, abrufbar im Internet unter http://curia.euro pa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 6

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A. Einleitung

rungsbegriffs sowie der damit verbundenen Frage nach der möglichen Rechtfertigung unmittelbarer Ungleichbehandlungen. Kapitel 4 bezieht sich ganz konkret auf die Länder Italien und Deutschland und dient primär der Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden der diskriminierungsbezogenen Gesetzgebung und Rechtsprechung. Besonders intensiv wird die altersbezogene Diskriminierung, insbesondere im Rahmen befristeter Arbeitsverhältnisse, beleuchtet, um der besonderen Problematik einer zunehmenden Alterung der Bevölkerung und der Zunahme flexibler Beschäftigungsformen wie der befristeten Beschäftigung im Lichte des Diskriminierungsschutzes Rechnung zu tragen.

B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“ Von der Annahme ausgehend, dass die modernen Begriffe Gleichbehandlung und Antidiskriminierung für die Ergänzung des allgemeinen Gleichheitssatzes durch besondere Gleichheitssätze stehen, spielt der Begriff der Gleichheit und dessen Entwicklung für die vorliegende Betrachtung eine fundamentale Rolle. Dies gilt insbesondere aus dem Grund, dass – wie im Verlauf der Arbeit zu zeigen sein wird – Definitionen der wesentlichen Begriffe zu den Themengebieten Antidiskriminierung, Gleichheit und Gleichbehandlung nicht oder nur in unbefriedigendem Umfang vorliegen. Die Betrachtung der historischen Wurzeln ist notwendig, um die Begriffe des Antidiskriminierungsrechts näher bestimmen zu können. Die Erfassung der Begriffsinhalte zur Gleichheit erfolgt unter besonderer Berücksichtigung der Länder Italien und Deutschland. Untersucht werden die antiken Grundlagen der Gleichheit sowie die besonderen Entwicklungen in den beiden Ländern, beginnend mit der Französischen Revolution als gemeinsamer Ausgangspunkt der „modernen“ Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtspraxis beider Länder. Im Verfassungsrecht stellt die Gleichheit vor dem Gesetz einen fundamentalen Bestandteil dar. Ausgehend von dort fand dieser Grundsatz der Gleichheit und Gleichbehandlung schließlich seinen Eingang in das Privatrecht. Dies rührt daher, dass die Gleichheit zentraler Bestandteil und Merkmal der Gerechtigkeit ist und damit zu den Grundprinzipien des Rechts gehört. Demgemäß kann das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot als die Positivierung eines allgemein geltenden Grundsatzes unseres Rechtssystems betrachtet werden.1 Gleichheit erfasst in fundamentaler Beschreibung das Verhältnis zweier oder mehrerer Sachverhalte zueinander. Gleichheit beinhaltet als Grundprinzip der Gerechtigkeit auch die Gleichbehandlung, also den Grundsatz, Personen oder Sachverhalte, die im Hinblick auf ein bestimmtes Attribut gleich sind (oder als gleich zu erachten sind), gleich zu behandeln. Auf diese Weise statuiert das Prinzip der Gleichheit ein grundsätzliches Willkürverbot.2

1 2

Hueck, Gleichbehandlung, S. 2. Nef, Gleichheit, S. 13 ff.

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

I. Der Begriff der Gleichheit von der Antike bis zur Neuzeit 1. Der Begriff der Gleichheit in der Antike Die Wiege des Begriffs der Gleichheit steht im antiken Griechenland. In den Polisstaaten des 6. und 5. Jahrhunderts v. Chr. und in der dort vorherrschenden griechischen Naturphilosophie stellte die Gleichheit ein zentrales Anliegen dar. Die Gleichheit diente zur Identifikation der Zugehörigkeit zu einer gewissen gesellschaftlichen Gruppe oder eines Standes.3 Es finden sich die ersten Quellen, die erkennen lassen, dass der Gleichheitsbegriff im politischen wie gesellschaftlichen Bereich an Bedeutung gewinnt und eine Auseinandersetzung mit der Praxis der Gleichheit im gesellschaftlichen Leben stattfindet. Die in der Antike entwickelte Idee der Gleichheit bildet gleichsam die Wurzel des neuzeitlich-bürgerlichen Gleichheitsbegriffs. Schon in der Antike war die Entwicklung des Gleichheitsbegriffs von dem Grundgedanken geleitet, dass Gleichheit Inbegriff eines gerechten Verhältnisses zwischen rechtsfähigen Menschen ist und folglich als Kriterium der Ausgestaltung von Recht und Gerechtigkeit zu dienen hat.4 Im antiken Athen und den ionischen Städten gewann der Begriff der Gleichheit und Gleichberechtigung mit dem Wandel des sozialen Lebens immer mehr an Bedeutung. Insbesondere die Veränderung wirtschaftlicher Abläufe führte dazu, dass in der Gesellschaft ein Gleichheitsgedanke zunächst innerhalb bestimmter sozialer Schichten entstand und im Laufe der Zeit die standesübergreifende Gleichstellung förderte. Insoweit gilt es zu beachten, dass Unterschiede nur innerhalb der Gruppe der Vollbürger5 entwickelt wurden. Die Besserbehandlung adliger Vollbürger wurde nicht länger akzeptiert.6 Von der politischen Mitsprache und damit auch von der Gleichheitsbewegung ausgeschlossen, blieben die Sklaven und die eingewanderten Freien7.8 Eine erste – einzelne griechische Stadtstaaten überschreitende – Definition von Gleichheit stammt von den Sophisten9. Diese entwickelten ein Begriffsverständnis von naturrechtlicher Gleichheit, der Gleichheit zwischen den Bürgern nicht durch Gesetze begründbar ansah, sondern Gleichheit von Natur aus voraussetzte.10 Das damalige Verständnis von Gleichheit ging so weit, dass auch Sklaven und Nichtgriechen ausdrücklich einbezogen wurden, und beinhaltete damit eine enorme ge3

Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1000. Dann, Gleichbehandlung, S. 32. 5 Griechisch: Politen. 6 Dann, Gleichbehandlung, S. 34. 7 Griechisch: Metöken. 8 Dann, Gleichbehandlung, S. 37. 9 Bei den Sophisten handelte es sich um eine Gruppe von griechischen vorsokratischen Philosophen. 10 Dann, Gleichbehandlung, S. 37. 4

I. Der Begriff der Gleichheit von der Antike bis zur Neuzeit

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sellschaftliche Sprengkraft bei der praktischen Ausgestaltung von Gleichheit im Zusammenleben ansonsten sehr ungleicher sozialer Gruppen.11 Prägend für die Entwicklung des modernen Gleichheitsbegriffs sind die antiken Philosophen, allen voran Platon und sein Schüler Aristoteles. a) Platons Gesetze Nach Platon12, der sich in seinem Werk „Gesetze“ mit dem Begriff der Gleichheit auseinandersetzt, gibt es zwei Formen der Gleichheit. Die eine bezeichnet er als Gleichheit nach Maß, Gewicht und Zahl. Diese sei von jedem Staat unproblematisch einführbar, indem Entscheidungen dem Los überlassen würden. Als die allein wahrhafte und beste Gleichheit erachtet Platon die Gleichheit, die nicht für jedermann so leicht erkennbar sei wie die eben genannte. Diese Gleichheit gewähre dem Größeren mehr und dem Geringeren weniger und damit jedem dasjenige, was ihm seiner natürlichen Anlage nach zustehe. Nach dieser Definition einer proportionalen Gleichheit stünden dem Tüchtigen auch größere Ehren zu, wohingegen denen, die an Tüchtigkeit und Bildung das Gegenteil sind, nur so viel als ihnen gerade zusteht, zugebilligt wird. Platon führt zur Begründung dieser Auffassung an, dass diese Verteilung mittels des Prinzips der Verhältnismäßigkeit jedem gerecht werde. Ungleiche Naturanlagen führten eben zu einer Gerechtigkeit, bei der jeder verhältnismäßig das Gleiche erhalte.13 Platons Gleichheit orientiert sich am Subjekt. In Ansehung der Verschiedenartigkeit der Menschen sah diese proportionale Gleichheit im Gegensatz zur absoluten Gleichheit vor, dass eben nicht alle das Gleiche erhalten sollten, sondern nur die tatsächlich Gleichen (Vergleichbaren).14 Platon erkannte aber auch die Notwendigkeit, eine weitere Form der Gleichheit zur Anwendung zu bringen, bei der eine Verteilung unabhängig von der Persönlichkeit des Rechtssubjekts erfolgt. Den Grund für die Notwendigkeit der Anwendung beider Formen der Gleichheit sieht er jedoch weniger darin, dass auch die erste Form der Gleichheit eine substantielle Daseinsberechtigung habe. Seine Begründung ist vielmehr pragmatisch. Seiner Ansicht nach gebiete sich auch die Anwendung der ersten Form der Gleichheit, um ein Kollektiv von innerer Zwietracht freizuhalten. Gleichzeitig bringt er jedoch unmissverständlich zum Ausdruck, dass die Form der Gleichheit, welche sich nicht an ihrem Subjekt orientiere, so selten wie möglich anzuwenden sei.15 Die Ausprägung von zwei Arten von Gleichheit entwickelte Platon nicht grundlos. Platon zufolge barg eine absolute (demokratische) Gleichheit aller Bürger 11 12 13 14 15

Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1000. 427 v. Chr. bis 347 v. Chr. Platon, Gesetze, Buch VI, St. 757; Leibholz, Gleichheit, S. 45. Riezler, Rechtsgefühl, S. 104 f. Platon, Gesetze, Buch VI, St. 757.

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die Gefahr, dass schwächere, aber zahlenmäßig stärkere Schichten die reicheren und gebildeteren, aber zahlenmäßig schwächeren Schichten, im Rahmen von Mehrheitsentscheidungen übertrumpfen könnten.16 b) Gleichheit bei Aristoteles Platons Schüler Aristoteles17 ordnete die Gleichheit als einen Grundpfeiler der Gerechtigkeit ein.18 Seine Grundanschauung lässt sich verkürzt an folgendem Satz darstellen: „Wenn nun das Ungerechte Ungleichheit bedeutet, so bedeutet das Gerechte Gleichheit. Das ist eine allgemein verbreitete Annahme, für die kein Beweis verlangt wird.“19 Der Gleichheitssatz bei Aristoteles bestand somit in der Annahme, dass für gleichen Verdienst gleicher Lohn zu gewähren sei und für gleichen Unwert auch gleicher Nachteil verhängt werden müsse.20 Ähnlich wie Platon unterscheidet Aristoteles zwei Arten von Gleichheit. Die Unterscheidung der beiden Arten von Gleichheit, die einfache Gleichheit zum einen und die verhältnismäßige Gleichheit zum anderen, ist eng mit dem Begriff der Gerechtigkeit verknüpft. Aristoteles unterscheidet in austeilende (iustitia distributiva) und ausgleichende Gerechtigkeit (iustitia commutativa).21 Der Unterschied zwischen der austeilenden Gerechtigkeit und der ausgleichenden Gerechtigkeit liegt darin, dass die einfache, verteilende Gerechtigkeit in Ansehung der Person angewendet wird, wohingegen die ausgleichende Gerechtigkeit ohne Ansehung der Person Anwendung findet.22 Die austeilende Gerechtigkeit führt folglich zur Gleichbehandlung im eigentlichen Sinne. Die ausgleichende Gerechtigkeit regelt den gegenseitigen Austausch.23 Da die ausgleichende Gerechtigkeit (iustitia commutativa) im Verhältnis der Nebenordnung, die austeilende Gerechtigkeit (iustitia distributiva) im Verhältnis der Über- und Unterordnung gilt, kann gefolgert werden, dass die Erste die Gerechtigkeit des Privatrechts und die Zweite die Gerechtigkeit des öffentlichen Rechts erfasst.24 Aristoteles erkennt das Problem, dass es zu Zerwürfnissen zwischen den Menschen kommen kann, wenn entweder gleiche Personen ungleich oder nicht-gleiche

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Platon, Gesetze, Buch VI, St. 757; Dann, Gleichbehandlung, S. 40. 384 v. Chr. bis 322 v. Chr. 18 Hueck, Gleichbehandlung, S. 3. 19 Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 33. 20 Rümelin, Gleichheit, S. 8. 21 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 125. 22 Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 100; Salomon, Gerechtigkeit, S. 26; del Vecchio, Rechtsphilosophie, S. 82; Dann, Gleichbehandlung, S. 41. 23 Hueck, Gleichbehandlung, S. 4. 24 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 126; Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1001. 17

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Personen gleich behandelt werden.25 Das Prinzip der austeilenden Gerechtigkeit und der damit verbundenen verhältnismäßigen Gleichheit hält Aristoteles daher nur für den Fall anwendbar, dass es um die Verteilung von Leistungen geht. Auch er knüpft bei der Verteilung sowohl an die Subjekte als auch an das zu Verteilende, die Objekte, an.26 Aristoteles sieht als Grundlage der Gerechtigkeit die Gleichheit, deren Grundsätze verletzt würden, wenn bei der Verteilung von Leistungen ungleiche Verdienste mit einer gleichen Behandlung bedacht würden. Dies führt zu dem Schluss, dass nach Aristoteles die verteilende Gerechtigkeit ein Proportionenverhältnis verwirklicht, welches von ihm als geometrische Proportion bezeichnet wird.27 Von diesem Grundsatz weicht Aristoteles bei der Definition einer Gerechtigkeit im engeren Sinne, der ausgleichenden Gerechtigkeit, ab. So bedeute das Gerechte zwar auch bei vertraglichen Beziehungen zwischen Menschen28 eine Art von Gleichheit, jedoch unterscheide sich diese von der Proportion, welche die austeilende Gerechtigkeit ausmache.29 Bei dem Verhältnis der Menschen untereinander komme es nicht darauf an, welche Menschen sich gegenüberstünden. Im Gegensatz zu der geometrischen Proportion bei der verteilenden Gerechtigkeit handle es sich bei der austeilenden Gerechtigkeit um eine arithmetische Proportion.30 Diese stellt sich dergestalt dar, dass nur die Höhe des verursachten Schadens und die Frage, wer Verursacher und wer Betroffener ist, von Bedeutung sein sollte. Ein Ausgleich erfolgt somit ohne Ansehung der Person. Als das „Gleiche“ bezeichnet Aristoteles folglich dasjenige, welches zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig liege, also schlussendlich ein akzeptiertes Kontinuum zwischen Gewinn und Verlust.31 Es wird somit, ähnlich wie bei Platon, offenkundig, dass Aristoteles in verschiedene Arten von Gleichheit unterteilt. Auch er unterscheidet zwischen einer Gleichheit, die sich an ihrem Subjekt, den Personen, orientiert und einer Gleichheit, die objektiv, ohne Ansehung der Person, zur Anwendung kommt. Ebenfalls wird bei Aristoteles deutlich, dass die Entwicklung eines doppelten Gleichheitsbegriffs ein klares Ziel verfolgt. Mit Hilfe des geometrischen Gleichheitsbegriffs sollen an sich ungerechte und ungleiche politische Systeme als gleich und gerecht erscheinen.32 Aristoteles nutzte die Theorie von der natürlichen Ungleichheit der Menschen, um 25

Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 103. Salomon, Gerechtigkeit, S. 25: Gleichheit beinhaltet immer auch als Voraussetzung die Möglichkeit des Vergleichs, bezieht sich also mindestens auf zwei vergleichbare Glieder. Bei der austeilenden Gerechtigkeit werden jedoch Dinge und Personen berücksichtigt, so daß eine Mindestzahl von vier Gliedern Merkmal der austeilenden Gerechtigkeit ist. 27 Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 102; del Vecchio, Rechtsphilosophie, S. 81 f. 28 Im Gegensatz zur austeilenden Gerechtigkeit bei Leistungen des Staates gegenüber den Bürgern. 29 Nach Aristoteles handelt es sich vielmehr um eine arithmetische Proportion. 30 Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 103; del Vecchio, Rechtsphilosophie, S. 82. 31 Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 103. 32 Dann, Gleichbehandlung, S. 41. 26

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu rechtfertigen, und schrieb demgemäß nur einigen Menschen eine natürliche Prädestination zur Herrschaft zu. Für die griechische Antike ist festzuhalten, dass zwischen den Trägern und dem Maß an Gleichheit unterschieden wird, wenn es um ausgleichende Gerechtigkeit geht. Die natürliche Gleichheit wird unabhängig von Bildung und sozialem Stand als allgemein zu achtender Anspruch hervorgehoben. Für die aktuelle Diskussion ist diese Trennung deshalb bedeutsam, weil sie auf die Unterscheidung primärer personaler Dimensionen wie Geschlecht, Alter, Rasse etc. ebenso hinweist wie auf die sekundären Aspekte der Gleichheit bzw. Verschiedenheit. Zu den sekundären Dimensionen zählen Bildungsabschluss, hierarchische Position usw. c) Gleichheit im antiken Rom Im Gegensatz zum antiken Griechenland sucht man im antiken Rom vergebens nach nennenswerten historischen Fundamenten des Gleichheitsbegriffs. Vielmehr ist festzuhalten, dass es trotz des spärlichen Auftauchens von Begriffen33, die dem Feld der Gleichheit zugeordnet werden könnten, zu keiner einheitlichen Entwicklung eines Gleichheitsbegriffs kam. Die aequitas34 war ein Begriff der antiken Rechtsprechung.35 Es handelte sich folglich nicht um einen theoretisch/philosophischen Begriff, wie das in Griechenland der Fall gewesen ist. In der römischen Rechtsprechung wurde der Begriff der aequitas nicht im strikten Sinne einer Gleichheit interpretiert. Die römische Rechtsprechung verstand hierunter etwas, was im Deutschen als „Billigkeit“ oder „Angemessenheit“ bezeichnet würde.36 Der Inhalt des Begriffs der aequitas steht dennoch nicht vollkommen isoliert und ohne Parallelen zu den in Griechenland entwickelten Begriffen. Wie der austeilenden Gerechtigkeit bei Platon und Aristoteles wohnt auch der aequitas das Prinzip inne, dass nicht jeder gleich zu behandeln ist, sondern eine Differenzierung nach dem sozialen Status zu erfolgen hat.37 Trotz dieser Gemeinsamkeit mit der austeilenden Gerechtigkeit ist die römische aequitas eher mit der ausgleichenden Gerechtigkeit im Sinne 33

Neben der aequitas führte Cicero weitere Begriffe wie aequalitas, aequabilitas und par auf, die im Gegensatz zur aequitas weniger im Bereich des Rechts- als des Gesellschaftslebens an Bedeutung gewannen. Hierzu Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1001. 34 Eine Form der austeilenden Gerechtigkeit (ius distributiva), insoweit vergleichbar mit der im antiken Griechenland anzutreffenden geometrischen Gleichheit. 35 Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1001. 36 Hirzel, Themis, 229 f.; Dann, Gleichbehandlung, S. 45; a.A.: Riezler, Rechtsgefühl, S. 99: Riezler widerspricht Hirzel insoweit, als dass seiner Auffassung nach die griechischen und römischen Begriffe für „gleich“ und „Gleichheit“ durchaus sinnverwandt seien, da in beiden Kulturen den Worten der Sinn „gleich“ zukäme. Dabei werde der griechische Begriff ¨ („ ¨ _sor/_som“) für „gleich“ und „Gleichheit“ nicht ausschließlich in einem positivrechtlichen Sinne gebraucht, das römische „aequum“ andererseits sei nicht nur im Sinne eines natürlichen Rechtsgefühls verwendet worden, sondern auch im Sinne der Befolgung einer Ordnung oder dem Gesetz gemäß. 37 Dann, Gleichbehandlung, S. 45.

I. Der Begriff der Gleichheit von der Antike bis zur Neuzeit

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des griechischen Verständnisses zu vergleichen. Dem naturrechtlichen Ansatz der freien Geburt aller Menschen wurde im römischen Rechtskreis entgegengehalten, dass das ius gentium38 einer solchen Annahme entgegenstehe und eine andere Anordnung treffe.39 Eine Art von Gleichbehandlung im privatrechtlichen römischen Prozess- und Vertragsrecht wurde, trotz der ansonsten strikten Trennung nach Ständen, praktiziert. Cicero40 vertrat die Auffassung einer grundsätzlichen Gleichheit der Menschen. Demnach gleiche kein Wesen so sehr dem anderen, wie dies bei den Menschen untereinander der Fall sei. Gemeinsam sei den Menschen die Fähigkeit zur Vernunft, welche schließlich den Menschen von den übrigen Lebewesen unterscheide. Diese Fähigkeit sei grundsätzlich allen Menschen gemein, auch wenn diese aufgrund verschiedenartiger Bildung in unterschiedlichem Maß verteilt sei.41 Die bei Cicero dominierende Idee von Gleichheit wird in dessen Streben deutlich, jedem Bürger gleiches Wahlrecht zukommen zu lassen. Zudem vertrat Cicero die Auffassung, dass eine ungleiche Verteilung von Vermögen hinzunehmen sei, dies aber nichts daran ändere, dass eine grundsätzliche Rechtsgleichheit zwischen den Bürgern herrsche.42 Seneca43 sah in der Vernunft und der Tugend das verbindende Element der Gleichheit. Nach seiner Auffassung waren in ihr alle Menschen gleich, Freie wie Freigelassene, Sklaven und König, und er verband damit die (utopische) Idee eines Weltstaates, in dem für alle Menschen ein einheitliches Recht Geltung haben sollte. Für Seneca stand fest, dass alle Personen denselben Ursprung haben und einziger Vater aller das All sei. Lediglich derjenige sei vornehmer, der auf Grund von guten Charaktereigenschaften eine bessere Gesinnung habe.44 d) Antike christliche Gleichheitsvorstellungen Auf Grund der überwiegend christlich geprägten Gesellschaften Europas kommt der Frage des christlichen Menschenbildes eine besondere Bedeutung zu. Bietet das Alte Testament noch wenig Anhaltspunkte für einen Begriff von Gleichheit, so ist dies im Neuen Testament anders. Jesus von Nazareth45 verbreitete nicht nur die Botschaft, dass alle Menschen untereinander gleich seien, er ging darüber hinaus und stellte sich mit Gott auf eine Stufe. Sahen die Juden in Verhalten und Ansichten Jesu 38 Das ius gentium regelte das Recht der Völker und damit der Ausländer im römischen Reich. Es stand damit im Gegensatz zum ius civile, welches das nationale Zivilrecht der römischen Bürger war. 39 Rümelin, Gleichheit, S. 8. 40 106 v. Chr. bis 43 v. Chr; Rümelin, Gleichheit, S. 8. 41 Dann, Gleichbehandlung, S. 46. 42 Hierzu m.w.N. Adomeit/Mohr, AGG 2011, A. Rn. 11 ff. 43 Ca. 1 v. Chr. bis 65 n. Chr. 44 Seneca: De clementia, S. 261 f.; Dann, Gleichbehandlung, S. 48. 45 Ca. 5 v. Chr. bis ca. 31 n. Chr.

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

eine Anmaßung, so bewerteten diejenigen, die Jesus anerkannten, Gottes Willen darin, sich auf die Stufe der Menschen hinab zu begeben, um sich mit diesen zu versöhnen, ihnen gleich zu werden.46 Im christlichen Glauben bildeten nicht Gesetz, Recht und Vernunft den Ausgangspunkt, an dem die Gleichheit der Menschen untereinander Orientierung fand, sondern Gott bildete den Ausgangspunkt der Gleichheit. Gestützt wird der Gedanke der Gleichheit auf die biblische Aussage, dass Gott den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen habe. Das Christentum betont, dass mit dem Sündenfall Ungleichheit und Ungerechtigkeit zwischen den Menschen entstanden und mit der Erlösungstat von Jesus Christus ein erneutes Zeichen der Gleichheit geschenkt worden sei.47 Diese Gleichheit vor Gott führte zu einer gelebten Gleichheit der Christen untereinander, wobei sich diese Gleichheit zunächst nicht auf das politische und gesellschaftliche Leben erstreckte.48 Die philosophische Grundhaltung lässt sich mit dem christlich-anthropologischen Verständnis des Menschen erklären. Nach diesem, bereits seit Platon bekannten Prinzip, konstituiert sich die menschliche Existenz aus Körper und Seele. Nach christlicher Auffassung bezieht sich die Gleichheit lediglich auf die Seele, so dass es durchaus möglich war, dass der Körper in einem politischen oder gesellschaftlichen System existierte, der Mensch folglich in Verhältnissen zu leben hatte, in denen eine gleiche Behandlung nicht garantiert war.49 Zur Legitimierung bestehender Ungleichheiten zogen nachkonstantinische Theologen auch das Dogma der Erbsünde heran und sahen fortan die Ungleichheit als Folge der Abwendung der Menschen vom göttlichen Willen.50 Die Schuld der Erbsünde, so ließe sich formulieren, ist die vom Menschen in freier Entscheidung geschaffene unvollkommene Lebenswirklichkeit, die Ungleichheit erzeugt und zulässt. 2. Der Begriff der Gleichheit im Mittelalter Das Mittelalter war durch Ständeteilung geprägt. Der Adel beherrschte das politische und gesellschaftliche Leben. Ihm oblagen Kriegsführung, Rechtsprechung und Verwaltung. Alle anderen Stände, die persönlich Freien, die Halbfreien und Unfreien, waren dem Adel untergeordnet. Lediglich dem Klerus kam eine dem Adel nahekommende, herausgehobene gesellschaftliche Stellung zu, wobei innerhalb des kirchlichen Lebens ein striktes System von Über- und Unterordnung herrschte.51 Gleichsam wurde das Mittelalter von kirchlichen Traditionen geprägt und damit von den Begriffen der aequitas und aequalitas beherrscht. Die aequitas blieb weiterhin

46 47 48 49 50 51

Dann, Gleichbehandlung, S. 51. Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1001. Dann, Gleichbehandlung, S. 52. Dann, Gleichbehandlung, S. 56 ff. Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1002. Dann, Gleichbehandlung, S. 59 f.

I. Der Begriff der Gleichheit von der Antike bis zur Neuzeit

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ein Spezialterminus der Rechtsprechung und war eng verknüpft mit der iustitia distributiva.52 Der Gleichheitsbegriff entwickelte sich in den maßgeblichen intellektuellen Kreisen des Klerus und des Adels unterschiedlich. Unter den führenden Köpfen der theologischen Entwicklung des Gleichheitsbegriffs fanden sich jedoch auch Vertreter, z. B. Thomas von Aquin53, die im wesentlichen Bezug auf den aristotelischen Gleichheitsbegriff nahmen. Aufgegriffen wurden die bereits aus der Antike bekannten Begriffe der aequalitas und der aequitas, wobei die aequitas als ein hauptsächlich in der Rechtsprechung gebräuchlicher Begriff zu verstehen ist. Die weltliche Rechtsprechung sah diesen Begriff wiederum eng verknüpft mit der austeilenden Gerechtigkeit, wohingegen die kirchliche Rechtsprechung den Begriff um die misericordia54 erweiterte.55 Die Grundbedeutung der aequalitas lag im quantitativen Vergleich, wohingegen die direkte Anwendung auf qualitative Vergleiche grundsätzlich ausgeschlossen war. Lediglich im übertragenen Sinne wurde der Begriff der aequitas verwendet.56 Die aequalitas setzte voraus, dass Gleichheit nur innerhalb eines Standes, somit zwischen sozial vergleichbaren Personen, herrschen konnte.57 Gleichheit zwischen den Ständen war ausgeschlossen. Das naturrechtliche Gleichheitsverständnis, welches noch in der Antike sowie im frühen Christentum die Menschen dem Grunde nach gleichstellte, war im Mittelalter so nicht mehr vorhanden. Das Naturrecht wurde zur Legitimation der „gottgewollten“ mittelalterlichen hierarchischen Struktur herangezogen.58 Lediglich im Klerus und hier vorwiegend im klösterlichen Bereich blieb die antike christliche Idee von der Gleichheit der Menschen vor Gott lebendig. Zweifel an der der weltlichen Gesellschaft entlehnten hierarchischen Struktur der Kirche und Klöster führten zur kritischen Auseinandersetzung mit der Struktur der Kirche und der praktizierten Lebensweise des Klerus. Letztlich blieb es jedoch im klösterlichen Alltag dabei, dass Unterordnung und Hierarchie eine feste Größe bildeten.59 An diesem Umstand konnten auch die Reformen aufgeschlosseneren Orden, beispielsweise des von Bernhard von Clairvaux60 gegründeten Zisterzienserordens, nichts Wesentliches ändern. Trotz der grundsätzlich verfolgten Rückbesinnung auf den Heilsauftrag der Kirche blieben die kirchlichen Strukturen bis zur Reformation annähernd unverändert.

52 53 54 55 56 57 58 59 60

Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1002. Philosoph und Theologe; 1225 bis 1274. Lateinisch für: Barmherzigkeit. Dann, Gleichbehandlung, S. 62. Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1002. Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1003; Dann, Gleichbehandlung, S. 65 f. Dann, Gleichbehandlung, S. 64. Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1004. 1090 bis 1153.

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

Im 14. und 15. Jahrhundert kam es zu einer ersten nennenswerten europäischen Gleichheitsbewegung. Die „Gleichheitsbewegung“, die im kirchlichen Bereich sehr stark war, blieb nicht ohne Wirkung auf die säkularen gesellschaftlichen Verhältnisse. Auch in den unteren Volksschichten des Spätmittelalters entwickelte sich ein Bewusstsein dafür, dass sie die bestehende gesellschaftliche Ordnung und Hierarchie auf ungerechte Weise benachteiligte.61 Mit Martin Luther62 erreichte die Reformbewegung, die die Pfründe der Reichen anprangerte, ihren Höhepunkt. Luther machte eine klare Unterscheidung bei der Definition von Gleichheit. Gleich waren für ihn die Menschen bezogen auf ihr geistiges Sein. Bezogen auf das religiöse Leben herrschte nach Luther der „einzige Meister“ Jesus Christus. Aus der reformatorischen communio fidei63 leitete Luther eine cummunio iuris64 ab. Ein gemeinsames Recht aller Christen, das ius commune Christianorum65, herrschte nach Auffassung Luthers zwischen allen Christen und führte dazu, dass es unter Christen keine privilegierten und vom geltenden Recht ausgenommene Personen geben konnte.66 In dieser Epoche des Umbruchs entwickelten sich aus den lateinischen Begriffen der Gleichheit distinkte Begriffe der Gleichheit in den europäischen Nationalsprachen. Sowohl im Französischen (equité und égalité) als auch im Englischen (equity und equality) entstanden Begriffspaare, die dem ursprünglichen Gehalt im Lateinischen ähnelten. Die Entwicklung in Deutschland vereinte die beiden Begriffe in dem Wort „Gleichheit“. Die Bedeutung des Begriffs „Gleichheit“ blieb im deutschen Mittelalter der Bedeutung der lateinischen aequalitas eng verbunden. Es herrschte weiterhin das traditionelle Verständnis. Gleichheit war somit allenfalls unter Standesgenossen denkbar.67 Auch wenn das Mittelalter häufig als dunkle Epoche des Stillstands, der Inquisition und praktischer Ungleichheit in den Lebensverhältnissen apostrophiert wird, war es eine wichtige Zeit des Umbruchs, eine Zeit der beginnenden Erneuerung und Säkularisierung. Die naturwissenschaftlichen Fortschritte der Entdeckung natürlicher Zusammenhänge „entzauberten“ den Glauben und die Fügung an den Umstand der naturgegebenen Ungleichheit der Menschen. Das aufkeimende Bürgertum verlangte mit der Diesseitsbetonung die Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse, basierend auf Vernunft und Verstand. Das später von Kant aufgegriffene horaz’sche sapere aude ermunterte die Menschen, bei aller Ungleichheit, den eigenen Verstand zur optimalen Beteiligung am gesellschaftlichen und beruflichen Leben aktiv zu nutzen.

61 62 63 64 65 66 67

Dann, Gleichbehandlung, S. 72. 1483 bis 1546. Lateinisch für: Gemeinschaft der Gläubigen. Lateinisch für: Rechtsgemeinschaft. Lateinisch für: Allgemeines Recht Christi. Heckel, Lex Charitatis, S. 209 f. Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1003 f.

I. Der Begriff der Gleichheit von der Antike bis zur Neuzeit

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3. Der Begriff der Gleichheit in der Neuzeit Mit dem Beginn der Neuzeit bekommt die Entwicklung des Gleichheitsbegriffs einen neuen Schub. Ausgehend von der Entwicklung und Emanzipation des Bürgertums erhielt der Gleichheitsbegriff eine wesentlich stärkere politische und gesellschaftliche Bedeutung. Das neuzeitliche Bürgertum entwickelte sich aus dem Bürgertum der mittelalterlichen Städte heraus, in denen bereits Vereinigungen von Gleichen, z. B. Gilden und Zünfte, möglich waren. Unter dem ius civile wurden alle Bürger zu einer Rechtsgemeinschaft zusammengefasst. Dieses Phänomen blieb jedoch zunächst auf die Städte beschränkt. Unterschiede hinsichtlich Geburt oder Herkunft konnten durch finanziellen Wohlstand ausgeglichen werden.68 Die über die Geburt erfolgende Zuordnung in einen Stand konnte durch die Akkumulation von Kapital durchbrochen werden.69 Als weiteres Element, das die Entwicklung der Gleichheit vorantrieb, kann das im 16. Jahrhundert einsetzende Bestreben von Territorialstaaten angesehen werden, ein für ihr Gebiet einheitliches Recht und Rechtssystem zu schaffen. Der Aufbau von Verwaltung und Gerichtsbarkeit ließ sich personell bald nicht mehr allein von Adel und Klerus leisten. Dies führte dazu, dass dem Bürgertum Aufgaben in diesen Bereichen zugedacht wurden, und es damit weiter an gesellschaftlichem Einfluss gewann.70 Letztlich lag in diesem Aufstieg des Bürgertums der Beginn der Entwicklung eines „modernen“ Gleichheitsgedankens begründet. Denn die nunmehr zu Macht und materiellem Wohlstand gelangten Bürger stellten mit der Zeit mehr und mehr die Frage danach, welche Rechtfertigung es für eine Ungleichbehandlung zwischen ihnen und der formal noch herrschenden Schicht des Adels gebe. a) Naturwissenschaftliche Grundlagen des Gleichheitsbegriffs Als Ausgangspunkt und prägendes Merkmal des neuzeitlichen Gleichheitsbegriffs kann die immer stärker in das Blickfeld rückende Naturwissenschaft betrachtet werden. Das Menschengeschlecht wurde als Gattung angesehen, die sich durch grundsätzlich gleiche Anlagen auszeichnet.71 Das Gattungswesen Mensch wurde Grundlage der Neuinterpretationen „allgemeiner“ und „spezieller“ Gleichheit. Die starke naturwissenschaftliche Prägung dieser Epoche führte dazu, dass auch der Gleichheitsbegriff eine stark naturwissenschaftliche, vor allem mathematische, Bedeutung erhielt.72 Generelle Bildungsbedürftigkeit und Bildungsfähigkeit, das allen Menschen eigene Streben nach Entwicklung, Entfaltung, Teilnahme und Teilhabe wurden „Gattungseigenschaften“, die alle Menschen „gleichermaßen“ 68

Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1006; Dann, Gleichbehandlung, S. 85 f. Z. B. den Roman Jud Süß von Lion Feuchtwanger, der den Aufstieg und anschließenden Fall des Finanziers Süß am Hof des württembergischen Herzogs Karl Alexander aufzeigt. 70 Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1007; Dann, Gleichbehandlung, S. 87. 71 Dann, Gleichbehandlung, S. 89 f. 72 Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1008. 69

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

auszeichnen. So sind gesellschaftliche Institutionen der Bildung, der Gesundheitsvorsorge und der Sicherheit zwangsläufige Folge der gattungsbezogenen Gleichheit. Das „Sein“ als Mensch gewinnt gegenüber dem „so sein“ als Individuum an Bedeutung. b) Philosophische Ansätze eines neuzeitlichen Gleichheitsbegriffs Immer mehr kristallisierte sich in der neuzeitlichen Philosophie heraus, dass die alten Merkmale der Unterscheidung, die überwiegend durch die Kategorisierung der Gesellschaft in (Geburts-)Stände geprägt war, keine Geltung mehr haben konnten. Eine Gleichheit über die Standesgrenzen hinweg sah der französische Philosoph Montaigne73. Er ging davon aus, dass die Menschen von Natur aus grundsätzlich gleich angelegt sind. Als Unterscheidungskriterium zog Montaigne Tugenden heran, also Merkmale, die nicht von der Natur gegeben sind, sondern die jeder Mensch aktiv beeinflussen kann.74 Tugendhaftes Leben gleicht den Menschen an das tugendhafte Ideal an. Leben alle Menschen tugendhaft, dann werden sie einander gleich, leben Menschen lasterhaft, entfernen sie sich vom Ideal, sie werden ungleicher. Ebenfalls größeren Einfluss erlangten die aus der Antike bekannten utopischen Gesellschaftstheorien. Als einer der wichtigsten Vertreter dieser Strömung kann Thomas Morus75 genannt werden. Dieser zeichnete bereits zu dieser Zeit das Bild einer Gesellschaft, die sich durch Besitzgleichheit und Chancengleichheit in Bezug auf Bildung und Rechtsgleichheit auszeichnen sollte. Besonderes Augenmerk legte Morus auf die Besitzgleichheit, eine equality of distribution76. Er hielt es für kaum denkbar, dass ein Gemeinwesen, in dem (Privat-)Eigentum eine große Rolle spiele, Gerechtigkeit oder Wohlstand erlangen könne. Vielmehr sei Wohlstand für alle Menschen nur in einer Gesellschaft erreichbar, in der das Privateigentum vollkommen abgeschafft ist. Denn sollten alle Menschen nur nach allem Eigentum, das sie irgendwie erreichen können, streben, so würde dies aus Mangel an Gütern dazu führen, dass letztlich einige Wenige sich alles teilen würden und der Rest in Armut zu leben habe.77 Utopia wäre als Modell gesellschaftlicher Ordnung der ideale Referenzpunkt tugendhafter Lebensführung, die z. B. ungerechtfertigte Bereicherung ausschließt und so die Gleichheit aller Bürger von Utopia optimal fördert. c) Entwicklung eines neuzeitlichen naturrechtlichen Gleichheitsbegriffs Gleichzeitig mit der bereits beschriebenen fortschreitenden Entwicklung der Naturwissenschaften wurde auch die Entwicklung eines naturrechtlichen Gleichheitsbegriffs weiter vorangetrieben. Ihre Grundlage fanden die naturrechtlichen 73 74 75 76 77

1533 bis 1592. Montaigne, Essais, S. 280 ff. Englischer Staatsmann und Autor; ca. 1478 bis 1535. Englisch für: Gleichheit der Verteilung. More, Utopia, S. 103 ff.

I. Der Begriff der Gleichheit von der Antike bis zur Neuzeit

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Gleichheitstheorien in der Annahme, dass es sich bei dem Menschen um ein freies und selbstverantwortliches Individuum handle.78 Einer der bekanntesten Vertreter der aufkommenden Naturrechtslehre war Thomas Hobbes.79 Hobbes ging davon aus, dass alle Menschen grundsätzlich gleichen Wert und gleiche Rechte besitzen, auch wenn manche Menschen zum Teil in geistiger oder physischer Hinsicht stärker seien als andere. Solche etwaigen Unterschiede sollten jedoch den vermeintlich Überlegenen nicht veranlassen zu glauben, dass er auf Grund seiner Vorzüge Vorrechte beanspruchen dürfe. Der Annahme folgend, dass trotz unterschiedlich stark ausgeprägter Anlagen dennoch jeder Mensch dazu fähig sei, das Leben seines Nächsten zu bedrohen, führte Hobbes zu der Schlussfolgerung, dass zwischen den Menschen eine Gleichheit im Interesse der Erhaltung des eigenen Lebens bestehe. Diese natürliche Gleichheit zwischen den Menschen sei durch die Gesetze beseitigt worden.80 Besondere Bedeutung kommt in der Naturrechtslehre dem Modell des Gesellschaftsvertrags zu. In und mit diesem Vertrag wurden alle Menschen als grundsätzlich gleichwertige Parteien angesehen, was zugleich die essentielle Grundlage für die Gültigkeit des Vertrags bildet. Mittels dieses Vertrags wird das gesellschaftliche Zusammenleben geregelt, werden gesellschaftliche Institutionen eingeführt und legitimiert. Rechte zu sichern, Ansprüche auszugleichen und nachhaltige Ungleichheit zu vermeiden, ist das vertragliche Ziel. d) Gleichheit in der neuzeitlichen Wissensgesellschaft Unter den Wissenschaftlern und Gelehrten der frühen Neuzeit entwickelte sich ein Verständnis von Gleichheit, das auf der Annahme beruhte, dass bezogen auf Bildung grundsätzlich alle Menschen gleich seien. Auch wenn diese Gleichheit zuvorderst darauf beruhte, dass die Wissenschaftler sich gegenseitig als gleich betrachteten, um sich damit deutlich von der Masse der Ungebildeten abzugrenzen, diente die Annahme der Gleichheit doch zu mehr als nur zur Schaffung eines neuen intellektuellen Standes. Der erweiterte Schwerpunkt lag darauf, die Standesunterschiede in der bis dahin existenten Form zu überwinden. Die Geburtsstätte dieses Denkens der gelehrten Welt waren die Universitäten. Hier wurde eine Behandlung ohne Ansehung von Herkunft oder Stand gewährleistet. Ob Adlige, Bürger oder „Niedrigste“, mit der Immatrikulation wurden Standesunterschiede aufgehoben, die Menschen wurden zu Gleichen.81 Das gestiegene gesellschaftliche Interesse an Wissenschaft, Kunst und Bildung führte dazu, dass ursprünglich durch Standesgrenzen getrennte Gesellschaftsgrup78 79 80 81

Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1009. Englischer Mathematiker und Staatstheoretiker; 1588 bis 1679. Hobbes, De cive, S. 45. Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1007.

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pen zueinander fanden. Jedoch gilt insbesondere für die Zeit des 18. Jahrhunderts, dass auch diese Bewegung, die oft auch in der Gründung von Vereinigungen bestand, zunächst nur im Verborgenen wirkte. 4. Gleichheitsforderung in der Französischen Revolution Die Entwicklung des 18. Jahrhunderts in Europa unterscheidet sich etwa von der in Amerika. In Europa hatte sich das aufstrebende Bürgertum nach und nach emanzipiert und im Gleichschritt mit der Industrialisierung und der wachsenden Bevölkerung so viel an Selbstbewusstsein gewonnen, dass die Zweifel an der Richtigkeit des bestehenden politischen Systems immer größer wurden. Das Verlangen nach grundlegenden Änderungen wuchs enorm. Produkt dieser sich immer weiter verbreitenden Annahme der Gleichheit war auch ein neuer Gesetzesbegriff. Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu82 ging von dem naturrechtlich geprägten Gedanken aus, dass alle Menschen gleich geboren würden, im Laufe der Zeit diese Gleichheit aber verloren ginge. Diesen bereits bekannten Gedanken führte Montesquieu dergestalt weiter, dass die verlorene Gleichheit über Gesetze wiedererlangt werden könne.83 Eine solche bis dahin unbekannte Art von Gesetzen musste, um den Anforderungen Montesquieus zu genügen, allgemeingültig sein und eine Gleichbehandlung aller garantieren. Gesetze, die ohne Ansehung des Standes und der Herkunft des Gesetzessubjektes Anwendung finden sollten, waren geeignet, praktizierte Ungleichheit zu beheben und drohender Ungleichheit Schranken zu setzen.84 Bereits von Montesquieu wurde die égalité85, einer der zentralen Begriffe der Französischen Revolution, zur elementaren Grundlage einer demokratischen Staatsform erklärt. In den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Diskussion geriet diese allerdings erst durch Jean-Jacques Rousseau86, der die inégalité naturelle/physique87 von einer inégalité morale ou politique88 abgelöst sah.89 Tatsächlich neu bei Rousseau war, dass die natürliche Ungleichheit der Menschen einerseits und der Wunsch 82

Französischer Schriftsteller und Staatstheoretiker; 1689 bis 1755. Montesquieu, Geist, S. 159. 84 Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1015. 85 Französisch für: Gleichheit. 86 Frz. Schriftsteller, Philosoph, Naturforscher und Komponist; 1712 bis 1778. 87 Französisch für: natürliche/physische Ungleichheit; darunter verstand Rousseau eine naturgegebene Ungleichheit, die sich beispielsweise in unterschiedlichem Alter, Gesundheit oder Körperkräften manifestieren konnte. 88 Französisch für: moralische oder politische Ungleichheit; diese Form der Ungleichheit war von Menschen gemacht und hing von deren herangehen ab. Nach Rousseau kennzeichnete die moralische oder politische Ungleichheit, dass Reichtum, Ehre oder Macht zwischen den Menschen verschieden verteilt sei. 89 Rousseau, contrat social, S. 131 f.; Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1015. 83

I. Der Begriff der Gleichheit von der Antike bis zur Neuzeit

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nach sozialer Gleichheit andererseits keinen Widerspruch mehr bildeten. Die bis dahin faktisch herrschende Ungleichheit in der Gesellschaft, die seit der Antike damit begründet wurde, dass nur so soziale Unruhe vermieden und Fortschritt erreicht werden könnten, verlor bei Rousseau ihre Rechtfertigung. Rousseau beschränkte sich nicht darauf, die herrschende Ungleichheit anzuprangern. Die Lösung dieses Missstandes sah er in einer volonté générale90, einer kollektiven Willensbildung, die an die Stelle der Herrschaft Weniger tritt.91 Die tragende Bedeutung des Gleichheitsbegriffs bei Rousseau wird deutlich, wenn er ausführt, dass die Freiheit92 ohne die Gleichheit nicht existieren könne.93 Diese Rückbindung der Freiheit bricht mit der bis dahin vorherrschenden Vorstellung von Freiheit. Frei war bis zu diesem Zeitpunkt der Besitzende und der Eigentümer. Von nun an wurde unter Freiheit verstanden, dass man grundsätzlich frei von der Herrschaft anderer sei.94 Aus diesem Grund galt bis zu diesem Zeitpunkt die Gleichwertigkeit von Menschen vornehmlich als negativ und wurde im Hinblick auf die Gesamtgesellschaft mit Herrschaftslosigkeit und Anarchie gleichgesetzt.95 Dies sah Rousseau grundlegend anders und beförderte die Gleichheit zum anzustrebenden prominenten Ziel gesellschaftlicher Ordnung. Manifestiert wurde dieser Drang nach Gleichheit in der „Déclaration des droits de l’homme et du citoyen“96 vom 26. August 1789. Neben der Grundaussage, dass alle Menschen gleich geboren werden und frei und gleich in ihren Rechten sind, wurde den Bürgern auch die Gleichheit vor dem Gesetz, ein Mitwirkungsrecht an der Gesetzgebung, das Recht auf Zugang zu öffentlichen Ämtern und Schulen sowie eine gleiche Verteilung von Abgaben garantiert.97 Im Verlauf der Französischen Revolution und der nachfolgenden Verfassungspraxis entwickelte sich der Begriff der égalité98 zum zentralen Begriff der Revolution und löste damit die zunächst an der Spitze stehende liberté99 ab. Das Vorstehende führt zu der Erkenntnis, dass Gleichheit vor allem Freiheit voraussetzt. Wird Freiheit gewährt, kann sich der Prozess aktiver Gleichheit entfalten. Ohne Gewährung der fundamentalen Menschenrechte der Freiheit bleiben selbstbestimmte Autonomie und Gleichheit unerfüllbare Postulate. 90

Französisch für: allgemeiner Wille; Jedes Mitglied der Gesellschaft sollte sich folglich zugunsten der Gesamtheit seiner persönlichen Rechte entäußern. Durch die Entäußerung der Rechte sollte eine Gleichheit hergestellt werden, die so nicht vorhanden sein konnte, wenn einzelne – wenn auch nur Teile – ihrer Rechte behalten würden. 91 Rousseau, contrat social, S. 360 f. 92 Französisch: liberté. 93 Aldag, Gleichheit, S. 13. 94 Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1016. 95 Dann, Gleichbehandlung, S. 135 ff. 96 Französisch für: Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. 97 Dann, Gleichbehandlung, S. 140. 98 Französisch für: Gleichheit. 99 Französisch für: Freiheit.

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

Die Französische Revolution kann als Startschuss sozialer Emanzipation auch der unteren Bürgerschichten eingestuft werden. Im Zentrum der Französischen Revolution stand der Begriff der Gleichheit der Menschen und Bürger. Eine über Standesgrenzen hinweg existierende Gleichheit sowohl in politischer als auch rechtlicher Hinsicht war ausgesprochenes Ziel der revolutionären Bewegung. Offenkundig wurde auch seinerzeit der Begriff der Gleichheit nicht allumfassend ausgelegt. Beispielhaft sei hier nur erwähnt, dass von der Gleichheitsbewegung Frauen weitgehend ausgeschlossen blieben.100 Die Französische Revolution markiert die beginnende Ablösung des „Ancien Regime“ durch die stärker werdende Kraft bürgerlicher Emanzipation in Europa.

II. Entwicklung des Gleichheitsbegriffs in Deutschland nach 1789 1. Einflüsse der Französischen Revolution Auch wenn Deutschland als direkter Nachbar Frankreichs sicherlich unmittelbar erfahren konnte, was dort vor sich ging, hielt die anfängliche Begeisterung für die Vorkommnisse und die Ziele der Französischen Revolution in Deutschland nur kurz an. In überkommener naturrechtlicher Tradition wurde den Forderungen nach Freiheit und Gleichheit der Vorwurf entgegengehalten, dass es sich bei den Forderungen nur um umstürzlerische Tendenzen handle, die von den jeweiligen Vertretern weniger aus Interesse an der Allgemeinheit und der Gesellschaft als aus einem egoistischen Motiv heraus resultierten. Folglich dauerte es nicht lange, bis die revolutionäre Bewegung in ein fast ausschließlich schlechtes Licht gerückt wurde.101 Gleichheit wurde zu dieser Zeit noch so verstanden, dass es zwar eine grundsätzliche Gleichheit aller vor dem Gesetz geben müsse, dies aber keinesfalls in Widerspruch zu den Privilegien gesetzt wurde, die den führenden Schichten, Königtum, Erbadel und Klerus, zustanden. Eine Gleichheit der Stände wurde als vollkommen abwegig abgelehnt.102 Die Gleichheitsforderung der Französischen Revolution wurde wohl aus Angst vor tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen – bewusst oder unbewusst – falsch verstanden und das Verlangen nach Gleichheit als rücksichtslose Gleichmacherei interpretiert. Man kann sagen, dass die Französische Revolution zwar die akademisch-philosophische Diskussion um den Begriff und die Bedeutung von Gleichheit stark belebte, es aber zunächst dabei blieb. Die Schicht des gehobenen Bürgertums, die die Diskussion vornehmlich führte, war noch nicht bereit dafür, unteren Schichten weitgehende Partizipationsrechte zuzugestehen.

100 101 102

Dann, Gleichbehandlung, S. 141 f. Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1019. Dann, Gleichbehandlung, S. 145 f.

II. Entwicklung des Gleichheitsbegriffs in Deutschland nach 1789

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2. Sapere aude: Gleichheit als Produkt menschlicher Vernunft Immanuel Kant103 läutete mit seinen Werken eine Neudefinition des naturrechtlichen Begriffs der Gleichheit ein. Für ihn lag die Basis für die Annahme, dass Gleichheit zwischen den Menschen herrsche, nicht in einer naturrechtlich verstandenen gleichen Ausgangslage. Vielmehr sei es die dem Menschen gegebene Vernunft, die es ihm erlaube, sich von der Natur unabhängig zu machen. Der Mensch habe also mit Hilfe der nur ihm gegebenen Vernunft erkannt, dass er nicht Mittel zum Zweck, sondern selbst der Zweck der Natur sei.104 Mit der „Vernunftphilosophie“ Immanuel Kants erhielten die in Deutschland zunächst pejorativ belegten Begriffe der Französischen Revolution von Freiheit und Gleichheit eine neue theoretische Grundlage und verloren ihre negative Bewertung. In Anlehnung an Kant wurde Freiheit nicht länger mit anarchischen Verhältnissen gleichgesetzt, sondern mit der Gabe des Menschen, sich mittels des Vernunftwillens von der Natur unabhängig zu machen. Von dieser Neudefinition des Freiheitsbegriffs war auch der mit diesem eng verknüpfte Gleichheitsbegriff betroffen. Schließlich wurde Freiheit dergestalt definiert, dass das verbindende Element die Freiheit von fremder Willkür war. Die an die Vernunft des Menschen angelehnte Definition des Gleichheitsbegriffs beschränkte sich dabei nicht nur auf die Philosophie. Auch in der Rechtswissenschaft gewann die Gleichheit des Menschen eine zentrale Bedeutung. Jakob Friedrich Fries105 unterschied zwischen der politischen und der philosophischen Interpretation der Rechtslehre. Die politische Rechtslehre stelle demnach lediglich die Frage, wie sich die Menschen zu verhalten hätten, wenn sie friedlich, also nach dem Prinzip der Gleichheit, miteinander leben wollten. In der philosophischen Rechtslehre werde das Fakultative durch einen Imperativ ersetzt und das Wollen in ein Sollen gewandelt. Demnach sollen die Menschen nach dem Prinzip der Gleichheit zusammenleben und ihre Gesellschaft gemessen an diesem Prinzip gestalten.106 Gleichheit unter den Menschen soll erst dadurch erreicht werden, dass diese sich untereinander als gleich behandeln. Resultierend aus der Annahme, dass jedem Menschen derselbe absolute Wert zukomme, gebiete das Rechtsgesetz, dass jeder den anderen nur soweit beschränkt, wie er durch den anderen beschränkt wird. Abschließend gibt Fries auf die knappe Frage „Was ist Recht?“ die prägnante Antwort „Gleichheit ist Recht“.107 Diese Gedanken repräsentieren den Gehalt des kantschen kategorischen Imperativs: „Handle nach der Maxime, die sich selbst zugleich zum allgemeinen Gesetze machen kann.“108

103

Deutscher Philosoph; 1724 bis 1804. Kant, Anthropologie, S. 90 f.; Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1021; Dann, Gleichbehandlung, S. 154. 105 Deutscher Philosoph; 1773 bis 1843. 106 Fries, Rechtslehre, S. XVIII. 107 Fries, Rechtslehre, S. 33. 108 Kant, Vernunft, S. 436 f. 104

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

Unter den Anhängern Kants entwickelte sich eine Begriffsunterscheidung, die bis in die Gegenwart von größter Bedeutung ist. Dabei handelt es sich um die Unterscheidung von „formeller Gleichheit“109 und „materieller Gleichheit“. Unter „formeller Gleichheit“ versteht man die Gleichheit vor dem Gesetz. Als „materielle Gleichheit“ wird die Gleichheit des Rechtes für alle ohne Privilegien Einzelner bezeichnet. Anhand dieser Definitionen lassen sich auch die Anhänger Kants in zwei Gruppen trennen. Eine Gruppe, die lediglich formelle Gleichheit propagierte, die andere, die weitergehend materielle Gleichheit forderte. Die Befürworter einer materiellen Gleichheit gingen so weit, dass sie eine „absolute Gleichheit“ forderten, die bis dahin lediglich Gegenstand von Utopien gewesen war.110 Kant ist, auch wenn bei ihm Ansätze von materieller Gleichheit zu finden sind, grundsätzlich als Vertreter einer formellen Gleichheit anzusehen. Für ihn war Voraussetzung für eine Gleichbehandlung, dass der angesprochene Mensch „sein eigener Herr“ ist. Dies war nach Kant dann der Fall, wenn er über Eigentum verfügt, das ihn ernährt. Dies sprach er zumindest den Gutsbesitzern zu, differenzierte jedoch nicht nach der Größe des einzelnen Gutes und nach dem Umfang des Eigentums, sondern sah eine „Gleichheit nach Köpfen“.111 Dennoch ging Kant davon aus, dass die Gesetze eine Transzendenz, also einen Übergang aus dem passiven Bürgerstatus in den aktiven Bürgerstatus, zumindest nicht verhindern dürften.112 Wie bereits erwähnt, erhielt Kant für seine Definition von Gleichheit nicht von allen Seiten Zustimmung. Johann Gottlieb Fichte113 vertrat die Auffassung, dass die von Kant favorisierte formelle Gleichheit nur als das äußerste Minimum betrachtet werden könnte. In den Mittelpunkt geriet dabei die Frage des Eigentums. Nach Fichtes Auffassung war es Aufgabe des Staates auszugleichen, was von Natur und Zufall ungleich verteilt wurde. Dies war die logische Konsequenz seiner Annahme, dass jeder Mensch gleichermaßen einen Rechtsanspruch auf Eigentum habe.114 3. Gleichheit zu Zeiten Napoleons Aus Angst vor der aus Frankreich überschwappenden Gleichheitsbewegung kam es dazu, dass die Obrigkeit in den „deutschen“ Staaten, zum Beispiel in Preußen, einer Revolution vorbeugen wollte und Gegenmaßnahmen organisierte. Diese bestanden vor allem darin, dass Gesetze erlassen wurden, die zumindest dem Anschein nach dem Wunsch der Bürger nach mehr Gleichheit Rechnung tragen sollten. Die Verfassungen und Gesetze waren allerdings häufig derart gestaltet, dass sie zwar 109 Synonym zu dem Begriff formelle Gleichheit wird der Begriff formale Gleichheit verwendet. 110 Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1023. 111 Kant, Anthropologie, S. 151 f.; Dann, Gleichbehandlung, S. 159. 112 Kant, Ethik, S. 433 f. 113 Deutscher Philosoph und Vertreter des deutschen Idealismus; 1762 bis 1814. 114 Fichte, Grundzüge, S. 217.

II. Entwicklung des Gleichheitsbegriffs in Deutschland nach 1789

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allgemein eine Gleichheit aller Bürger anerkannten, den bisher privilegierten Ständen – mehr oder weniger versteckt – dennoch Vorrechte sicherten.115 Friedrich von Genz116, ein Vertreter der gleichheitskritischen konservativen Gegenströmung, vertrat die Auffassung, dass Gleichheit im Verlauf der Geschichte zu sehen sei und dass von Natur aus Ungleichheit zwischen den Menschen herrsche. Die Ungleichheit wurde von ihm als elementar für das Funktionieren einer Gesellschaft bezeichnet. Eine Gleichheit vor dem Gesetz lehnte er konsequenterweise ab.117 Diese Meinung teilte auch Friedrich von Schlegel118, der Kants Theorie eines vernunftbasierten Rechts verwarf. Ausgehend von dem Begriff der Freiheit kritisierte Schlegel, dass eine abstrakte Betrachtung zu einer Gleichheit aller führen würde und damit kein Raum mehr für eine differenzierende Betrachtung der Menschen bliebe. Als Korrektiv zu Kants rein vernunftbegründetem Rechts- und Gesellschaftsbegriff, benannte Schlegel die Sittlichkeit. Darunter verstand er die Liebe, die auf Verbindung und Vereinigung ziele und daher geeignet sei, als Grundlage einer gerechten Gesellschaft zu fungieren. Schlegel wandte sich offen dagegen, die Gesellschaft als empirisches Datum anzusehen. Nach seiner Auffassung wäre dies ein Verstoß gegen das grundlegende Prinzip philosophischer Denktradition gewesen. Zur Begründung eines Faktums sei stets das Mittel der Deduktion zu wählen.119 Erkennt man den deduktiven Ableitungsalgorithmus zur (Er-)Klärung und Begründung materieller Gleichheit an, dann realisiert sich Gleichheit jeweils als Ableitung nachgelagerter Gleichheit aus übergeordneter. Dieser deduktive Algorithmus setzt voraus, dass eine Wertekette „von oben nach unten“ gilt. Auch ist damit anerkannt, dass die Bestimmung und die Ausgestaltung „gleicher“ Rechte über die Instanzen definiert und vorbestimmt würde. Es ist offenkundig, dass das Verhältnis von Freiheit und Gleichheit insofern berührt ist, als die Freiheit materieller Gleichheitsbestimmung an Instanzen ausgelagert wird. Freiheit als individuelle Freiheit wird beschnitten. Georg Friedrich Wilhelm Hegel120 vertrat den empirischen Begriff von Gesellschaft und Recht und konnte aus dem naturrechtlichen Verständnis von Gleichheit keine Begründung für die emanzipatorischen Bestrebungen des Bürgertums seiner Zeit gewinnen. Hegel argumentierte, bei der Annahme, alle Menschen seien von Natur aus gleich, handle es sich um einen Irrglauben und vertrat die Auffassung, dass der Mensch vielmehr von Natur aus ungleich sei. Hegel zufolge lag die „Gleichheit“ der Menschen in ihrer Ungleichheit, somit in ihrer abstrakten Subjektivität als Person, welche diese letztlich auch zum Eigentum befähige. Die Aussage, dass die 115 116 117 118 119 120

Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1025. Deutscher Schriftsteller und Politiker; 1764 bis 1832. Genz, Abhandlungen, S. 87 f. und Genz, Aufsätze, S. 233 ff. Deutscher Philosoph; 1772 bis 1829. Schlegel, Vorlesungen, S. 108 ff. Deutscher Philosoph und Vertreter des Idealismus; 1770 bis 1831.

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

Bürger vor dem Gesetz gleich seien, stellte für Hegel eine Tautologie dar. Er begründete dies damit, dass mit der Gleichheit vor dem Gesetz lediglich gemeint sein könne, dass die Gesetze grundsätzlich gelten. Von dieser abstrakten Gleichheit sei der konkrete Einzelfall zu unterscheiden. Vor dem Gesetz sei auch nur derjenige einem anderen gleich, der ihm auch außerhalb der Gesetze gleich sei. Diese Gleichheit war nach Hegel eine zufällige. Hegel wollte folglich auch im Rahmen der Gesetzesanwendung beachtet wissen, dass es sich bei den Bürgern um ungleiche Rechtssubjekte handle, deren Unterschiedlichkeit es bei der Anwendung der Gesetze zu berücksichtigen gelte.121 4. Bedeutung der Gleichheit für die Revolution von 1848/49 a) Die preußischen Verfassungen der Jahre 1848/1850 Gleichheit spielte im Rahmen der deutschen Revolution der Jahre 1848/49 keine solch zentrale Rolle wie dies in der Französischen Revolution der Fall war. Hingegen bildete die Forderung nach Freiheit auch innerhalb der deutschen Revolution ein zentrales Anliegen der Revolutionäre. Dies galt gleichermaßen für die politische Situation in den deutschen Gebieten. Da eine Einheit Deutschlands zu diesem Zeitpunkt noch nicht realisiert war, ergibt sich ein plurales Bild. Viele Verfassungsentwürfe dieser Zeit nahmen Aussagen zur Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz auf, wobei es sich hierbei zumeist mehr um Lippenbekenntnisse als um wahrhaft revolutionäre Regelungen handelte. Ehrgeizige Entwürfe kodifizierter Gleichheitsrechte überlebten den Prozess vom Entwurf zur Endfassung nicht, wie das Beispiel Preußen belegt. In den Beratungen zu einem Paragraphen zur Gleichstellung der Bürger wurde sogar ausdrücklich die Abschaffung des Adels in den Gesetzestext aufgenommen. Man war der Ansicht, dass es eine wahre Gleichheit nur ohne die Standesunterschiede geben könne. In einem Entwurf der Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1849 hieß es in § 137: „Vor dem Gesetz gilt kein Unterschied der Stände. Der Adel als Stand ist aufgehoben. […] Die Deutschen sind vor dem Gesetze gleich. […] Die öffentlichen Aemter sind für alle Befähigten gleich zugänglich.“122 Die schlussendliche Aufnahme dieser Verfassungsgrundsätze in die Reichsverfassung scheiterte hauptsächlich am Widerstand Preußens, der in der „oktroyierten Verfassung“123 vom 5. Dezember 1848 gipfelte. In dieser Fassung fehlten die Formulierungen zur Abschaffung des Adels völlig. Der Einfluss des Adels war ungebrochen, das liberale Bürgertum unentschlossen.124 Die „oktroyierte Ver121

Hegel, Enzyklopädie, S. 375 f. Huber, Verfassungsdokumente, S. 318. 123 Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 44 f.: Ihren Namen verdankt die „oktroyierte Verfassung“ dem Umstand, dass diese vom König (Friedrich Wilhelm IV. von Preußen) auf Grund der ihm seinerzeit zustehenden umfassenden legislativen Befugnisse gegen den Willen der Nationalversammlung durchgesetzt worden ist. 124 Huber, Verfassungsdokumente, S. 385 ff. 122

II. Entwicklung des Gleichheitsbegriffs in Deutschland nach 1789

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fassung“ wurde überarbeitet und schließlich durch die revidierte preußische Verfassung vom 31. Januar 1850 ersetzt. Beide Verfassungen sahen in ihrem Art. 4 ein Gleichheitsrecht vor.125 Gleichlautend hieß es in beiden Verfassungen: „Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich.“ Dabei war bereits seinerzeit sehr umstritten, was mit diesem Satz zum Ausdruck kommen sollte. Es stellte sich insbesondere die Frage, ob eine „Gleichheit vor dem Gesetz“ oder eine „Gleichheit der Gesetze“ gemeint sei. Über die Auslegung hinaus, dass damit eine Rechtsanwendung ohne Ansehung der Person ausgedrückt werden sollte, wurde vertreten, dass Standesunterschiede keine Rolle mehr spielen sollten. Art. 4 sollte demnach keine formelle Anwendungsregel sein, sondern einen materiellen Prüfungsmaßstab bilden.126 Die wohl h.M. interpretierte den Bedeutungsgehalt von Art. 4 anders. In Art. 4 wurde lediglich ein Anspruch darauf gesehen, die vorhandenen Gesetze ohne Ansehung der Person anzuwenden. Die Formulierung „Vor dem Gesetz“ bedeutete folglich, dass unabhängig von der Person, an die sich das Gesetz richtet, dieses rückhaltlos zur Anwendung kommen sollte. Damit wurde aber nicht garantiert, dass die Gesetze gleichermaßen auf jeden Anwendung fanden.127 Die verfassungsmäßige „Quadratur des Kreises“ als momentaner Ausgleich zwischen dem Ancien-Regime und der Neuzeit schien gelungen; die Entscheidung für die Moderne war vertagt. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde offenkundig eine deutliche Differenzierung zwischen dem, was nunmehr unter formeller Gleichheit verstanden wird und tatsächlich ausgleichender materieller Gleichheit deutlich. Seinerzeit wurde diese Differenzierung durch die Begriffe „Gleichheit vor dem Gesetz“ und „Gleichheit der Gesetze“ oder „Rechtsgleichheit“ ausgedrückt. Insgesamt verblieb es bei einer Gleichheit „vor“ und nicht „durch“ das Gesetz.128 b) Die nachrevolutionäre Zeit in Deutschland Wie im Nachgang zur Französischen Revolution folgte auch auf die deutsche Revolution von 1848/49 eine vorwiegend sehr kritische Auseinandersetzung mit den Zielen der Revolution. Der Begriff der Gleichheit verblasste und tauchte als Forderung kaum noch auf. Ungleichheit wurde als eine Voraussetzung der Zivilisation angesehen. An exponierte Stelle der gesellschaftlichen und politischen Diskussion traten andere Begriffe. So wurden beispielsweise Begriffe wie „Recht“ und „Macht“ in die Diskussion eingeführt.129 Heinrich von Treitschke130 brachte diese Meinung mit 125

Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 624 u. 633. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 107 f. 127 Arndt, Verfassungsurkunde, S. 51. 128 Leibholz, Gleichheit, S. 30. 129 Als Fundament des Begriffs des Rechts, wurde zwar die Gleichheit herangezogen, jedoch wurde der Begriff der Macht so ausgelegt, dass er dazu gereichte, die vorherrschenden Ungleichheiten zu rechtfertigen. 130 Deutscher Historiker und politischer Publizist; 1834 bis 1896. 126

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

seinem Ausspruch: „Die Gleichheit aber ist ein inhaltloser Begriff, sie kann ebensowohl bedeuten: gleiche Knechtschaft aller als: gleiche Freiheit aller.“ zum Ausdruck und betitelte die Idee von der natürlichen Gleichheit der Menschen als „Wahngebilde“.131 Die Angst des Bürgertums vor „Gleichmacherei“ und dem Verlust materieller und anderer Privilegien entwerteten den Begriff der Gleichheit. Friedrich Nietzsche132 lehnte jedwede Form von Gleichheit ab. Weder in der Gesellschaft noch in der Theologie akzeptierte er Gleichheit. Die kontemporären Entwicklungen betrachtete Nietzsche kritisch. Er sah die Gefahr, dass die „Gleichheit der Rechte“ sich zu schnell in eine „Gleichheit im Unrecht“ wandeln könnte. Im Sinne einer Gleichmacherei verstand er die Forderung nach Gleichheit als eine Bekämpfung von jedwedem (auch hierarchischem) Unterschied zwischen den Menschen.133 Der Gleichheitsbegriff überlebte in dieser Zeit lediglich in der Arbeiterbewegung, die sich an die Stelle des Bürgertums setzte und Forderungen nach Gleichberechtigung in Gesellschaft und Politik erhob. Durch diese Tendenzen fühlte sich das Bürgertum bedroht und verschloss sich mehr und mehr. Dies führte dazu, dass die ursprünglich vom Bürgertum vertretenen Gleichheitsideen durch ein wieder erstarktes Standesbewusstsein verdrängt wurden. Der ursprüngliche Kampf gegen die Aristokratie wurde aufgegeben. Das Bürgertum zählte sich nunmehr selbst zur gesellschaftlichen Aristokratie.134 Karl Marx135 ist der bekannteste Vertreter der sich emanzipierenden Arbeiterklasse. Stark geprägt von Hegel, sah er Gleichheit als Voraussetzung und Triebfeder der kapitalistischen Marktwirtschaft. Der Austausch von Waren, aber auch von Lohn und Arbeitskraft, setze zumindest juristisch in gleichem Maße vertragsfähige Personen voraus. Zusammen mit dieser These vertrat er die Ansicht, dass politische Revolution und Gleichheitsforderung spezielle Forderungen des Bürgertums gewesen seien, um sich vom vormals herrschenden feudalistischen System zu emanzipieren.136 Marx Ansatzpunkt war zweigeteilt. Während er die rechtliche und staatsbürgerliche Gleichheit zumindest im Ansatz verwirklicht sah, hielt er dies bezogen auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Gleichheit für keineswegs erreicht. Das Wechselspiel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus einem rein (privat-)rechtlichen Blickwinkel betrachtend, führte Marx zu dem Schluss, dass „Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Bentham137“ herrschen würden. Mit dem Ver131 Treitschke, Freiheit, S. 9 f. Brunner/Dann, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1042; Dann, Gleichbehandlung, S. 214 f. 132 Deutscher Philosoph und Dichter; 1844 bis 1900. 133 Nietzsche, Gut und Böse, S. 678. 134 Dann, Gleichbehandlung, S. 218. 135 Deutscher Philosoph und politischer Journalist; 1818 bis 1883. 136 Marx, 1839 – 1844, S. 367 f.; Dann, Gleichbehandlung, S. 226. 137 Englischer Jurist, Philosoph und Sozialreformer; 1748 bis 1832; Marx stand den utilitaristischen Ansichten Benthams überaus skeptisch gegenüber.

II. Entwicklung des Gleichheitsbegriffs in Deutschland nach 1789

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tragsschluss verliehen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ihrem freien Willen „einen gemeinsamen Rechtsausdruck“. In diesem Moment bestünde nach Marx „Gleichheit“.138 5. Die Gleichheit in den Reichsverfassungen 1871 und 1919 a) Die Reichsverfassung vom 16. April 1871 Bismarcks139 Reichsverfassung vom 16. April 1871 enthielt keinen Grundrechtskatalog. Die Grundrechte blieben Bestandteil des Rechtes der jeweiligen Bundesstaaten des neugegründeten Deutschen Reichs. Einzig Art. 3 der Reichsverfassung 1871 enthielt ein Diskriminierungsverbot der Bürger der einzelnen Bundesstaaten. Es wurde garantiert, dass jeder Angehörige eines Bundesstaates in jedem anderen Bundesstaat als Inländer zu behandeln sei. Dies hatte zur Folge, dass das Recht auf einen festen Wohnsitz, auf den Zugang zu öffentlichen Ämtern, zum Erwerb von Grundbesitz etc. auf die Territorialebene des Deutschen Reichs ausgedehnt wurde.140 Insgesamt gibt die Reichsverfassung 1871 wenig Auskunft darüber, wie die damalige politische Willensbildung im Hinblick auf die Gleichheitsidee ausgesehen hat. b) Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 Die deutsche Verfassung vom 11. August 1919, „Weimarer Reichsverfassung“ genannt, enthielt an mehreren Stellen Gleichheitsaussagen. Ähnlich wie die preußische Verfassung vom 31. Januar 1850 wurde mit Art. 109 proklamiert: „Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich“. Doch es mehrten sich Stimmen in der juristischen Literatur, die im Unterschied zur preußischen Verfassung von 1850 in S. 1 des Art. 109 WRV eine Forderung nach Rechtsgleichheit, also der Gleichheit durch Gesetze sahen. Die konservative Gegenauffassung zu dieser vermeintlich „fälschlich“ extensiven Auslegung des Art. 109 S. 1 WRV, wurde unter anderem damit begründet, dass von einem falschen Begriff der Ungleichheit ausgegangen würde. Zudem unterstellten die konservativen Meinungsführer eine unzulässige Vermischung von Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Sie waren der Meinung, dass nicht jede Ungleichheit auch ungerecht sei.141 Ein Vorreiter des neuen Gleichheitsbegriffs war Heinrich Triepel142. Er legte Art. 109 WRV tatsächlich wesentlich extensiver aus und bejahte eine Bindung aller

138

Marx, Kapital, S. 189 f. Ministerpräsident von Preußen und erster Reichskanzler des Deutschen Kaiserreichs; 1748 bis 1832. 140 Limbach, Deutsche Verfassungen, S. 135. 141 Anschütz, Weimarer Verfassung, S. 522 f. 142 Deutscher Staats- und Völkerrechtler; 1868 bis 1946. 139

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

staatlichen Gewalten, die Legislative eingeschlossen.143 Triepel ging davon aus, dass – bezogen auf Art. 109 WRV und einige andere Verfassungsnormen – nicht nur ein Verbot unterschiedlicher Behandlung von Bürgern gelte, sondern ein generelles Verbot „differenzieller Behandlung von Tatbeständen, die […] gleichmäßig behandelt werden müssen.“144 Unter Bezugnahme auf ausländische Verfassungen und deren Gleichheitsnormen argumentierte er, dass ein rechtlich geregelter Tatbestand zwangsläufig Bezug zu einem Rechtssubjekt habe und damit eine Differenzierung der Tatbestände auch mit einer Differenzierung der Rechtssubjekte einhergehen müsse. Unter konkreter Auseinandersetzung mit Art. 4 der preußischen Verfassung von 1850 wurde weiter argumentiert, dass die seinerzeit und fortan vertretene Auffassung, der Gleichheitssatz binde nur Judikative und Exekutive/Administration, nicht aufrechterhalten werden könne.145 Die Verankerung der Forderung nach Rechtsgleichheit in der Verfassung führte in der Folge zu der Frage, was unter dem Begriff der Gleichheit, genauer einer Gleichheit vor dem Gesetz, zu verstehen sei. Ex negativo wurde konstatiert, dass Gleichheit weder absolut noch schematisch verstanden werden dürfe. Differenzierungen zwischen Alt und Jung sowie Arm und Reich, sollten und mussten vorgesehen sein. Eine absolute Gleichheit würde sich geradewegs in ihr Gegenteil, die Ungleichheit, verwandeln. Es sollte folglich verhältnismäßige Gleichheit herrschen. Deren Definition lautete „gleiche Behandlung von Tatbeständen, die in bestimmtem Zusammenhange gleich behandelt zu werden verdienen.“ Die Frage nach der Rechtfertigung für eine rechtliche Differenzierung zwischen den Bürgern war konsequenterweise bereits damals gestellt. In diesem Zusammenhang wurde das noch heute geltende Verbot der Willkür ausgesprochen. In Bezug auf die Gleichheit bedeutete dies, dass Gesetze und Rechtssätze so konstruiert sein mussten, dass sie alles gleich behandelten, was bei Ungleichbehandlung Willkür bedeutete. Der Begriff der Willkür wurde untersucht und schließlich als Entscheidung charakterisiert, die auf dem Mangel einer ernsthaften Erwägung beruht. Eine ohne (sachlichen) Grund durchgeführte Ungleichbehandlung wurde als ungerechtfertigt erachtet.146 Diese Auffassung wurde nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Rechtsprechung vertreten. So urteilte das Reichsgericht im Jahr 1925 bezogen auf die Frage, ob Gerichte zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von Reichsgesetzen befugt seien, folgendermaßen: „Der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz kann nur die Bedeutung haben, dass Tatbestände vom Gesetz als gleich zu behandeln sind, die ungleich zu behandeln Willkür bedeuten würde. Eine unterschiedliche Behandlung, 143

Leibholz, Gleichheit, S. 86 f.; Aldag, Gleichheit, S. 4 f. Triepel, Goldbilanzen, S. 26. 145 Zur Vertiefung Triepel, Goldbilanzen, S. 27 f.; Aldag, Gleichheit, S. 5 ff. 146 Triepel, Goldbilanzen, S. 29 f.; Leibholz, Gleichheit, S. 87: Leibholz liefert folgende Definition der Gleichheit (vor dem Gesetz): „In diesem Sinne kann die Gleichheit aller Deutschen vor dem Gesetz definiert werden als die nach dem jeweiligen Rechtsbewusstsein nicht willkürliche Handhabung des an die Adresse von Rechtssubjekten gerichteten Rechtes durch den Gesetzgeber und die Vollziehung (Justiz und Verwaltung).“ 144

II. Entwicklung des Gleichheitsbegriffs in Deutschland nach 1789

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die durch keinen auf vernünftigen Erwägungen beruhenden Grund zu rechtfertigen ist, würde als willkürlich erscheinen und gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen.“147 6. Der Begriff der Gleichheit in der Zeit des Nationalsozialismus Die liberalen Strömungen konnten sich allerdings zunächst nicht durchsetzen und fielen, wie vieles andere auch, der unsäglichen Pseudo-Wissenschaft des Nationalsozialismus zum Opfer. Die Auslegung des Gleichheitssatzes in der Form, dass auch die Legislative an diesen gebunden ist, konnte im Nationalsozialismus keine Fortführung finden. Vielmehr wurde den liberalen Kräften, wie bereits in früheren Zeiten, entgegengehalten, dass ihre Form der Interpretation des Gleichheitssatzes gleichmacherisch sei. Der Gleichheitsgedanke wurde als Ausdruck einer „relativistischen Gesinnung“ abgetan, die alle natürlichen Werte und Unterscheidungen aufheben wolle. Dem liberalen Verständnis von Gleichheit wurde offen widersprochen und das nationalsozialistische „Rechtsdenken“ gegenübergestellt. Otto Koellreutter148 formulierte hierzu offen, dass im Nationalsozialismus die formelle Gleichheit durch die organische Gleichheit zu ersetzen sei. Seine Ablehnung gegenüber einer liberalen und humanen Interpretation von Art. 109 WRV brachte er mit der Feststellung, dass nicht mehr „jedem das Gleiche“ gebühre, sondern „jedem das Seine“, unmissverständlich zum Ausdruck.149 Die Nationalsozialisten gingen davon aus, dass es keine abstrakte Gleichheit der Menschen gebe. Vielmehr wurde die Beurteilung dessen, was als gleich und ungleich zu erachten sei, anhand der „Grundtatsache“ der blutmäßigen Verschiedenheit der Völker vorgenommen. Dies bot nach der so vertretenen Auffassung zugleich Ansatz für die Annahme einer „völkischen Artgleichheit“. Zum anderen konnte eine so interpretierte Form von Gleichheit als Differenzierungskriterium gegenüber „Artfremden“ verwendet werden. Unter dem Begriff „Volk“ wurde eine „Gemeinschaft physisch und seelisch gleichartiger Menschen“ verstanden. Der Begriff des „Volkes“ wurde in Bezug zu den Begriffen der „Abstammung“ und der „Rasse“ gesetzt.150 Ulrich Scheuner151 fasste das vorstehende folgendermaßen zusammen: „Der Gleichheitsgedanke des nationalsozialistischen Rechts wurzelt in der Artgleichheit der Volksgenossen als dem bestimmenden Prinzip der deutschen Volksgemeinschaft und ihrer Rechtsordnung.“152 147 148 149 150 151 152

RGZ 111, 320 (329 f.). Deutscher Staatsrechtler; 1883 bis 1972. Koellreutter, Verfassungsrecht, S. 92. Poetzsch-Heffter, Staatsleben, S. 3. Deutscher Staats- und Staatskirchenrechtler, 1903 bis 1981. Scheuner, Gleichheitsgedanke, S. 246 f.

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

Liberale Grundrechte, also Rechte des staatsbürgerlichen Individuums gegenüber dem Staat, fanden in der nationalsozialistisch geprägten Rechtswissenschaft keine Legitimation mehr.153 Dies führte auch zu einem Bedeutungswandel des Art. 109 Abs. 1 WRV. Die Interpretation dieser Norm als Grundrecht wurde schon in der Benennung abgelehnt. Es sollte sich nicht um ein Grundrecht, sondern vielmehr um ein „allgemeines Rechtsprinzip“ oder einen „objektivierten Rechtsgrundsatz“ handeln. Als „altliberal“ und nicht mehr mit dem demokratischen Volksstaat vereinbar wurde die ursprüngliche Auffassung abgelehnt, es würde sich bei dem Gleichheitssatz um eine subjektive Berechtigung des Einzelnen gegenüber dem Staat handeln.154 Die subjektive Komponente wurde zwar nicht ausdrücklich verneint, jedoch wurde die Bedeutung des Gleichheitssatzes immer mehr als eine verobjektivierte Zweckrichtung und Rechtfertigung des Staates verstanden. Die Auslegung, dass es sich bei dem Gleichheitssatz um eine Positivierung des allgemeinen Gerechtigkeitsprinzips und eine Festlegung des rechtsstaatlichen Gesetzesbegriffs handle,155 bildete das Einfallstor für die nationalsozialistischen Theorien. ErnstRudolf Huber vertrat diese Auffassung mit der Schlussfolgerung, dass das Gleichheitsrecht nicht länger vorrangig als Ausdruck einer subjektiven Berechtigung des Einzelnen gegenüber dem Staat verstanden werden könne. Art. 109 Abs. 1 WRV sei vielmehr als Rechtfertigung des Staates denn als Abwehrrecht des Einzelnen zu betrachten.156 Wilhelm Hofacker billigte dem Gleichheitssatz des Art. 109 Abs. 1 WRV keine eigenständige Bedeutung zu. Vielmehr bedürfe es jeweils weiterer Rechtssätze als Referenz. Kurzum resümierte er, dass „Art und Umfang der Gleichheit abhängig von „dem Gesetz“ sind, nicht umgekehrt das Gesetz sich nach einem […] Gleichheitsbegriff richten muss.“157 Die despektierliche Art und Weise, mit der Hofacker den Gleichheitssatz aus Art. 109 Abs. 1 WRV behandelt und ins Gegenteil verkehrt, zeigt deutlich, dass dieses Grundrecht in besonderem Maß mit der nationalsozialistischen Philosophie im Widerspruch stand. Die von Hofacker vorgenommene Relativierung und Bindung des Gleichheitssatzes an andere Gesetze war das Mittel, um einen Widerspruch des nationalsozialistischen Handelns mit dem Gedanken des Gleichheitssatzes zu vermeiden. Dem Gedanken folgend, dass es sich bei dem Gleichheitssatz weniger um ein Recht des Individuums als vielmehr um ein „Aufbaugesetz“ der deutschen Volksgemeinschaft handelte, wurde unter Gleichheit zuvorderst die gleichmäßige Verteilung von Bürgerpflichten verstanden. Beispiele für solche Pflichten waren Arbeitsdienste oder der Wehrdienst.158 Als „Substanz“, die den Gleichheitssatz ausfüllen sollte, wurde eine blutmäßige Artgleichheit ausgemacht. Gleichzeitig wurde 153 154 155 156 157 158

Scheuner, Gleichheitsgedanke, S. 249. Huber, Grundrechte, S. 83 f.; i.E. auch Forsthoff, Verwaltung, S. 41 f. Huber, Grundrechte, S. 33. Huber, Grundrechte, S. 33. Hofacker, Grundrechte, S. 17. Scheuner, Gleichheitsgedanke, S. 253.

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klargestellt, dass eine Gleichheit nicht von Staatsbürgern, sondern von Volksgenossen anzustreben sei. Damit war die rassistische Begründung für die Rechtmäßigkeit der antisemitischen Ungleichbehandlung der deutschen Staatsbürger mit jüdischer Religion geliefert.159 Neben der Voraussetzung der blutmäßigen Zugehörigkeit zur Volksgemeinschaft wurde zur Gleichstellung des Volksgenossen ein bewusstes und willentliches Bekenntnis zur Volksgemeinschaft verlangt.160 7. Der Begriff der Gleichheit im Grundgesetz Nach Kriegsende erfuhr die liberale Strömung aus den Anfängen der Weimarer Republik eine Wiederbelebung und der Gleichheitssatz fand Eingang in das Bonner Grundgesetz vom 23. Mai 1949.161 a) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG Weitergehend als in Art. 109 WRVenthält Art. 3 Abs. 1 GG die Aussage, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Eine Beschränkung auf „Deutsche“, wie dies in Art. 109 WRV noch der Fall war, sieht das Grundgesetz nicht mehr vor. Klarstellung erfuhr die – noch in Zeiten der Weimarer Verfassung umstrittene – Frage, ob die Formulierung „vor dem Gesetz gleich“ lediglich eine Bindung der rechtsanwendenden oder auch eine Bindung der rechtsetzenden staatlichen Gewalt bedeutet. Art. 3 Abs. 1 GG bindet auch den Gesetzgeber an den Gleichheitssatz. Dies folgt zuvorderst aus Art. 1 Abs. 3 GG, wonach alle drei Gewalten, darunter explizit auch die Gesetzgebung, an die Grundrechte gebunden sind. Jedoch nicht allein Art. 1 Abs. 3 GG belegt, dass auch der Gesetzgeber durch den Gleichheitssatz gebunden sein soll. Bereits im Herrenchiemseer Verfassungsentwurf aus dem August 1948 wurde wörtlich festgehalten, dass der Gesetzgeber an den Gleichheitssatz gebunden sei.162 Die Formulierung in Art. 1 Abs. 3 GG wurde als ausreichend erachtet und deshalb die Bindung des Gesetzgebers in Art. 3 GG nicht ausdrücklich formuliert.163 Der Gleichheitssatz ist in engem Zusammenhang mit den Freiheitsrechten zu sehen. Gleichheit und damit verbundene Gleichbehandlung einzelner bedeutet oft159

Scheuner, Gleichheitsgedanke, S. 267. Scheuner, Gleichheitsgedanke, S. 276; hierzu auch § 2 des Reichsbürgergesetzes vom 15. 09. 1935: „Reichsbürger ist nur der Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes, der durch sein Verhalten beweist, daß er gewillt und geeignet ist, in Treue dem Deutschen Volk und Reich zu dienen.“ 161 Ausführlich zur Frage des Inhalts des Gleichheitssatzes Gusy, Gleichheitssatz, S. 2505 ff. 162 Huber, Verfassungsdokumente Gegenwart, S. 221: In Art. 14 des Entwurfes heißt es: „(1) Vor dem Gesetz sind alle gleich. (2) Der Grundsatz der Gleichheit bindet auch den Gesetzgeber.“ 163 Mangoldt/Starck, Grundgesetz, Art. 3 Rn. 2. 160

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

mals, dass die Freiheit anderer eingeschränkt wird. Die am Freiheitsbegriff orientierte Betrachtung der Gleichheit wird rechtliche Gleichheit oder Rechtsgleichheit genannt. Dabei wird angenommen, dass die Menschen nicht durch Gesetzgebung gleichgestellt werden müssen, sondern dass die bereits vorhandene natürliche Gleichheit erst durch eine diskriminierende und zu Unrecht differenzierende Gesetzgebung entsteht. Rechtliche Gleichheit verlangt folglich die Wiederherstellung des natürlichen Zustands, in dem alle Menschen gleich sind, und damit die Abschaffung einer diskriminierenden und künstliche Unterschiede schaffenden Gesetzgebung.164 In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff der faktischen Gleichheit diskutiert und überprüft, ob diese das Grundverständnis der verfassungsmäßigen Garantie des Art. 3 Abs.1 GG sein kann. Bei der faktischen Gleichheit handelt es sich im Gegensatz zur vorgenannten rechtlichen Gleichheit oder Rechtsgleichheit nicht um einen naturgegebenen Zustand. Während die rechtliche Gleichheit in bestimmter Hinsicht den Rahmen liefert, innerhalb dessen die Menschen als gleiche Individuen, also mit gleichen Rechten leben, würde faktische Gleichheit sie nicht in einen Naturzustand zurückversetzen, sondern erst durch staatliches oder obrigkeitliches Eingreifen und Einwirken zu erreichen sein. Auch die faktische Gleichheit steht in enger Beziehung zur Freiheit, wobei faktische Gleichheit durch rechtlich frei handelnde Menschen ständig bedroht wäre und damit ein ständiges Eingreifen der Obrigkeit erforderlich würde.165 Teilweise wird dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zugesprochen, dass dieser faktische Gleichheit gewährleiste. Dabei ist nach dieser Auffassung zunächst zu klären, was unter dem Begriff der faktischen Gleichheit zu verstehen ist. Einerseits könnte mit faktischer Gleichheit die faktische Durchsetzung rechtlicher Gleichheit gemeint sein. Darunter wird die Verhinderung faktischer oder versteckter Diskriminierungen verstanden, die auch als mittelbare Ungleichbehandlung bezeichnet werden. Darüber hinaus wird vertreten, dass faktische Gleichheit mit sozialer Gleichstellung gleichzusetzen ist und zur Begründung der enge Bezug zum Grundsatz der Menschenwürde herangezogen. Gleichzeitig wird einer schematischen Betrachtungsweise des Art. 3 Abs. 1 GG entgegengetreten. Ungleichbehandlungen zur Förderung einzelner benachteiligter Gruppen müssten demnach mit Gründen sozialer Gerechtigkeit gerechtfertigt werden können. Folglich gewährleiste Art. 3 Abs. 1 GG auch die Herstellung faktischer Gleichheit.166 Die vorbeschriebene Literaturdiskussion zeigt, wie schwierig die Begriffsbildung bezogen auf den Gleichheitssatz und generell die Frage der Gleichheit betreffend ist. Dennoch besteht insoweit Einigkeit, dass der Gleichheitssatz mit Leben gefüllt werden muss und die entsprechenden Ergänzungen in weiteren Staatsprinzipien findet. Die Meinungen unterscheiden sich nur bezüglich der Frage entscheidend, wie 164 165 166

Mangoldt/Starck, Grundgesetz, Art. 3 Rn. 3. Mangoldt/Starck, Grundgesetz, Art. 3 Rn. 4. Dreier/Heun, Grundgesetz, Art. 3 Rn. 67.

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und an welcher Stelle die weiteren gesellschaftlichen und verfassungsmäßig gewährleisteten Rechte Einfluss auf den Gleichheitssatz nehmen. Klarer und eindeutiger erscheint insoweit die Argumentation, die Art. 3 Abs. 1 GG als Gewährleistung einer reinen Rechtsgleichheit ansieht und andere Werte (wie z. B. das Sozialstaatsprinzip) nicht ebenfalls aus der Norm an sich herleitet. Diese rechtliche Gleichheit muss im Sinne einer Chancengleichheit verstanden werden. Faktische Gleichheit zwischen den Menschen ist nicht vollständig herstellbar und auch mit den Grundwerten der Verfassung nicht endgültig einzulösen.167 Selbst wenn man annähme, dass es möglich wäre, eine generelle faktische Gleichheit zwischen den Menschen herzustellen, würde dies im offenen Widerspruch zu den Grundsätzen einer Leistungsgesellschaft stehen. Eben diese Leistungsgesellschaft bildet jedoch die Basis für eine erfolgreiche, marktwirtschaftlich orientierte Gesellschaft. Die durch Art. 3 Abs. 1 GG garantierte Rechtsgleichheit im Sinne einer Chancengleichheit bietet jedem dieselben Gelegenheiten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Gleichzeitig wird auf diese Weise vermieden, was Dahrendorf168 als „Perfektion des Terrors oder der absoluten Langeweile“ beschreibt.169 Gleichzeitig darf sich der Staat nicht darauf zurückziehen, die Voraussetzungen einer Rechtsgleichheit geschaffen zu haben, aber gleichzeitig die Augen vor der Lebenswirklichkeit zu verschließen. Diese erweiterte Anforderung ergibt sich aus der in Deutschland durch die in Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 S. 1 GG gewährte Sozialstaatsgarantie. Sie bildet das Korrektiv, das den Gesetzgeber dazu verpflichtet, auch die tatsächlichen Lebensverhältnisse zu berücksichtigen. Gleichzeitig bildet das Vorhandensein der Sozialstaatsgarantie im Grundgesetz ein Argument dafür, dass mit Art. 3 Abs. 1 GG lediglich Rechtsgleichheit verbrieft werden soll. Andernfalls wäre die Sozialstaatsgarantie obsolet.170 b) Der Merkmalskatalog des Art. 3 Abs. 3 GG Neben dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG enthält Abs. 3 eine Konkretisierung dieses allgemeinen Gleichheitssatzes.171 Die Konkretisierung erfolgt durch Aufzählung unterschiedlicher Merkmale. Der Wortlaut des Abs. 3 verbietet hinsichtlich der aufgeführten Merkmale jede Bevorzugung oder Benachteiligung. Bei den Merkmalen handelt es sich um das Geschlecht, die Abstammung, die Rasse, die Sprache, die Heimat und Herkunft, den Glauben sowie die religiösen oder politischen Anschauungen eines Grundrechtsträgers. Die in Art. 3 Abs. 3 GG ent167 Hier sei insbesondere Art. 1 Abs. 3 GG genannt, mittels dessen auch der Gleichheitssatz an die Achtung der Menschenwürde gebunden ist. 168 Deutsch-britischer Politiker, Soziologe und Publizist; 1929 bis 2009. 169 Dahrendorf, Ungleichheit, S. 32. 170 Mangoldt/Starck, Grundgesetz, Art. 3 Rn. 6. 171 In den Debatten der Ausschüsse des Parlamentarischen Rates stellte der Berichterstatter deutlich heraus, dass Art. 3 Abs. 3 GG dazu gedacht sei, bestimmte Merkmale „im Hinblick auf die Erfahrungen in der Vergengenheit“ hervorzuheben; Leibholz/Matz, JöR 1951, S. 67.

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

haltenen Regelungen werden als spezielle Gleichheitssätze172 oder besondere Differenzierungsverbote173 bezeichnet. Auch wenn es an einer einheitlichen Bezeichnung fehlt, besteht hinsichtlich des Zwecks der Norm weitgehende Einigkeit. Art. 3 Abs. 3 GG untersagt, die genannten Merkmale für eine Differenzierung heranzuziehen. Dieses Verbot darf aber nicht so verstanden werden, dass dies zu einer Egalisierung im Sinne einer vollkommenen Unbeachtlichkeit der Merkmale führen würde. Bei einer solchen Annahme würde der Sinn der Vorschrift geradewegs ins Gegenteil verkehrt. Ein solcher Gleichheitssatz ist vielmehr Ausdruck eines besonderen Bewusstseins des Gesetzgebers. Allerdings führt die Verwendung der Merkmale dennoch gewissermaßen zu einer positiven Egalisierung. Sollte sich etwa zeigen, dass sich Vergleichspersonen oder Vergleichsgruppen lediglich im Hinblick auf eines der genannten Merkmale unterscheiden, führt der besondere Gleichheitssatz dazu, dass dieser Unterschied dann nicht berücksichtigt wird, wenn er als Begründung für eine Differenzierung herangezogen wird. Auf diese Weise werden auf den ersten Blick nicht vergleichbare Grundrechtsträger oder Grundrechtsträgergruppen doch vergleichbar, wenn kein anderes – zugelassenes – Differenzierungsmerkmal vorliegt. Bezogen auf das im besonderen Gleichheitssatz genannte Merkmal erfolgt in diesem Augenblick eine Egalisierung. Mittels des besonderen Gleichheitssatzes wird eine faktisch bestehende Ungleichheit in Bezug auf ein bestimmtes Merkmal durch die Anwendung von Rechtsgleichheit aufgehoben. Starck ist zuzustimmen, dass die vorzunehmende rechtliche Egalisierung im Hinblick auf die genannten Merkmale nicht mit einem Gebot gleichzusetzen ist, die bestehenden faktischen Ungleichheiten in Bezug auf die genannten Merkmale abzuschaffen. Tatsächlich handelt es sich vielmehr um eine Anerkennung eben dieser faktischen Ungleichheiten.174 Die konkrete Auswahl der in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmale ist auf die enge Verbindung von Art. 3 GG mit der in Art. 1 Abs. 1 GG verbrieften Menschenwürde zurückzuführen. Sämtliche genannten Merkmale sind in besonderem Maße identitätsprägend. Durch das Verbot, die Merkmale zum Kriterium einer Differenzierung zu machen, werden diese Unterschiede geschützt. Dass ausgerechnet diese Merkmale gesondert benannt werden, ist wohl tatsächlich auf die nationalsozialistische Vergangenheit zurückzuführen.175 Die Nationalsozialisten hatten oftmals gerade an die genannten Merkmale angeknüpft, um eine unterschiedliche Behandlung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen ideologisch zu begründen. Neben der Benachteiligung aufgrund des Vorliegens eines der genannten Merkmale untersagt Art. 3 Abs. 3 GG auch die Bevorzugung aufgrund des Vorliegens einer der Merkmale. An dieser Stelle wird wiederum deutlich, dass die grundgesetzlich verbriefte Gleichheitsgarantie als Chancengleichheit und nicht als 172 173 174 175

Epping/Kischel, Grundgesetz, Art. 3 Rn. 188. Mangoldt/Starck, Grundgesetz, Art. 3 Rn. 366. Mangoldt/Starck, Grundgesetz, Art. 3 Rn. 366. Mangoldt/Starck, Grundgesetz, Art. 3 Rn. 367.

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Garantie einer faktischen Gleichheit zu verstehen ist. Wie Starck zutreffend beschreibt, soll die Gewährung der grundgesetzlichen Gleichheit lediglich dazu führen, dass für alle Grundrechtsträger gleiche Ausgangsbedingungen herrschen. Mittelbar und langfristig soll auf diese Weise zudem auch eine Angleichung der faktischen Verhältnisse erreicht werden. Eine Durchbrechung des Bevorzugungsverbotes im Sinne kompensatorischer Maßnahmen soll daher allenfalls auf die in Art. 20 Abs. 1 GG enthaltene Sozialstaatsgarantie gestützt werden können.176 Nicht vollständig nachvollziehbar ist die Auffassung Kischels, wonach die Erwähnung von sowohl Benachteiligung als auch Bevorzugung ohne besondere Bedeutung und damit zu vernachlässigen ist. Seine Auffassung begründet er damit, dass es bei Vorliegen einer Ungleichbehandlung gleichzeitig immer sowohl zu einer Benachteiligung als auch zu einer Bevorzugung käme.177 Dieser Auffassung liegt offenkundig eine ungenaue Definition des Begriffs der Bevorzugung zu Grunde. Offensichtlich geht dieses Verständnis auf die Annahme zurück, dass demjenigen, der in einer bestimmten Situation eine schlechtere Behandlung erfährt als eine andere, vergleichbare Person, die Behandlung der (nicht schlechter behandelten) vergleichbaren Person als Bevorzugung vorkommen mag. Dies ist rechtlich betrachtet nicht zwingend der Fall. Eine Ungleichbehandlung – die keine Bevorzugung darstellt – liegt dann vor, wenn eine Person abweichend von einer bestehenden Norm schlechter behandelt wird. Die Vergleichsperson erfährt hingegen eine Behandlung, die der Norm entspricht. Eine Behandlung, die der Norm entspricht, ist aber keine Bevorzugung. Dies würde sonst zu dem skurrilen Ergebnis führen, dass auch eine normkonforme Behandlung plötzlich als Bevorzugung bezeichnet werden müsste, selbst wenn lediglich einem einzigen die entsprechende „Normbehandlung“ versagt wird. Der Begriff „Bevorzugung“ impliziert aber gerade eine besserstellende (normabweichende) (Ungleich-)Behandlung. Bei einer Ungleichbehandlung erfolgt – dem Grundsatz Dürigs „keine Gleichheit im Unrecht“178 folgend – keine Anpassung der Verhältnisse um jeden Preis. Bevorzugung und Benachteiligung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 GG sind folglich immer ausgehend von einer ordnungsgemäßen Rechtsanwendung zu messen. Daraus folgt, dass entgegen der Auffassung Kischels, Benachteiligung und Bevorzugung nie gleichzeitig vorliegen, sondern in einem ausschließlichen Alternativverhältnis zueinander stehen. c) Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen im Rahmen von Art. 3 GG Bezüglich des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG, insbesondere aber für den besonderen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 3 GG, stellt sich die Frage, ob jede Ungleichbehandlung oder Gleichbehandlung zu einer Verletzung des Grundrechts führt oder ob noch weitere Umstände hinzutreten müssen, damit von 176 177 178

Mangoldt/Starck, Grundgesetz, Art. 3 Rn. 371 f. Epping/Kischel, Grundgesetz, Art. 3 Rn. 190. Hierzu ausführlich Maunz/Dürig/Scholz, GG, Art. 3 Rn. 164 ff.

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

einer Verletzung des Grundrechts gesprochen werden kann. Entscheidend ist hierbei die Frage, ob die in Art. 3 GG verbrieften Grundrechte die Möglichkeit einer Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen oder Gleichbehandlungen vorsehen. aa) Rechtfertigung und Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG In Literatur und Rechtsprechung besteht weitgehend Einigkeit, dass Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich jede Gleichbehandlung von Ungleichem oder Ungleichbehandlung von Gleichem untersagt. Dieser Grundsatz gilt jedoch nur mit Einschränkungen. Sowohl Literatur als auch Rechtsprechung verlangen das Hinzutreten weiterer Umstände, um eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG anzunehmen.179 Das BVerfG betont diesbezüglich in ständiger Rechtsprechung, dass das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG nur dann verletzt ist, wenn der Gesetzgeber Normadressaten, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden, ohne gewichtigen Grund unterschiedlich behandelt.180 Die genannte Rechtsprechung basiert auf dem Gedanken, dass die Auswahl der gleich oder ungleich zu behandelnden Sachverhalte grundsätzlich dem Gesetzgeber überlassen sein soll. Im Rahmen dieses grundsätzlich freien Ermessens ist es dem Gesetzgeber untersagt, sachfremde Erwägungen heranzuziehen. Die Kriterien zur Bestimmung, wann das gesetzgeberische Ermessen sachgerecht ausgeübt ist, können nach Auffassung des BVerfG nicht abstrakt definiert werden. Eine Betrachtung des konkreten Einzelfalls ist immer notwendig.181 Die Strenge des Prüfungsmaßstabs variiert entsprechend der ständigen Rechtsprechung des BVerfG von der Anlegung eines reinen Willkürverbots bis zur Anwendung eines strengeren Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.182 Eine einheitliche Bestimmung der den konkreten Situationen angemessenen Prüfungsintensität lässt sich – naturgemäß – nur schwerlich erreichen. Im Wesentlichen kann danach unterschieden werden, ob die Differenzierung anhand von Sachverhalten oder anhand von Personen erfolgt. Wird die Differenzierung anhand bestimmter Persönlichkeitsmerkmale vorgenommen, ist ein strengerer Prüfungsmaßstab anzulegen.183 Wohingegen bei der Differenzierung nach Sachverhalten ein etwas großzügigerer Prüfungsmaßstab zur Anwendung gelangt.184 Mit der Frage, wann eine Ungleichbehandlung willkürlich ist, hatte sich das neu geschaffene BVerfG im Jahr 1951 in seinem ersten Urteil zu befassen. Der 2. Senat 179 Hierzu Mangoldt/Starck, Grundgesetz, Art. 3 Rn. 10 f.; ausführlich zur Frage der Rechtfertigung im Rahmen von Art. 3 GG: Epping/Kischel, Grundgesetz Rn. 24 ff und Jarass/ Jarass, GG, Art. 3, Rn. 14 ff. 180 BVerfG, Entscheidungen v. 28. 04. 1999, Az. 1 BvL 11/94, 1 BvL 33/95, 1 BvR 1560/97, Rn. 129, zitiert nach Juris. 181 BVerfG, Entscheidungen v. 09. 03. 1994, Az. 2 BvL 43/92, 2 BvL 51/92, 2 BvL 63/92, 2 BvL 64/92, 2 BvL 70/92, 2 BvL 80/92, 2 BvR 2031/92, Rn. 182, zitiert nach Juris. 182 BVerfG, Beschl. v. 07. 11. 2006, Az. 1 BvL 10/02, Rn. 93, zitiert nach Juris. 183 Jarass/Jarass, GG, Art. 3, Rn. 17 ff.; Epping/Kischel, Grundgesetz, Art. 3 Rn. 28. 184 Jarass/Jarass, GG, Art. 3, Rn. 20.

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des BVerfG urteilte seinerzeit: „[…] Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muß.“185 In Fällen, in denen Umstände vorliegen, die eine Anwendung des großzügigeren Willkür-Prüfungsmaßstabs ausscheiden lassen, hat die strengere Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen. Die Intensität der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist der jeweiligen Schwere des Eingriffs anzupassen. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ist zu prüfen, ob die ergriffene Maßnahme geeignet, erforderlich sowie verhältnismäßig i. e.S. d.h. angemessen ist.186 Letztlich ist Kischel zuzustimmen, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung der Willkürprüfung immanent ist. Dafür spricht auch die Rechtsprechung des BVerfG. Dieses forderte bereits in seinen Anfängen einen „einleuchtenden Grund“ für eine Differenzierung. Ob ein Grund einleuchtend ist, lässt sich aber nur in Ansehung des konkreten Sachverhalts und unter Beantwortung der Fragen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit feststellen.187 Das Vorgesagte macht deutlich, dass der Allgemeine Gleichheitssatz nicht „blind“ gegenüber den konkreten Eigenheiten eines Sachverhalts ist. Vielmehr ermöglicht die Überprüfung der jeweiligen Maßnahmen auf Willkür bzw. Verhältnismäßigkeit, dass den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung getragen wird. Insbesondere im Hinblick auf die deutsche Vergangenheit ist mit der Willkür- bzw. Verhältnismäßigkeitsprüfung die richtige Lehre aus den Erfahrungen gezogen worden, die mit einem willkürlich und unverhältnismäßig handelnden nationalsozialistischen Gesetzgeber gemacht wurden. Darüber hinaus wird auf diese Weise sichergestellt, dass in besonders begründeten Ausnahmefällen Wohl und Interesse der Allgemeinheit nicht durch eine schematische Anwendung des Gleichheitssatzes beeinträchtigt werden. bb) Rechtfertigung und besonderer Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 3 GG Die Frage der Möglichkeit der Rechtfertigung einer ungleichen Behandlung stellt sich gleichermaßen bei den besonderen Gleichheitssätzen des Art. 3 Abs. 3 GG. Es ist offenkundig, dass der Gesetzgeber mit der Aufzählung bestimmter Merkmale in Art. 3 Abs. 3 GG diese besonders hervorheben wollte. Diese Hervorhebung bleibt auch für die Frage der Rechtfertigungsmöglichkeit nicht ohne Bedeutung. Das BVerfG versteht Art. 3 Abs. 3 GG vor diesem Hintergrund als Konkretisierung des im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes geltenden Willkürverbots.188 Wie Kischel zutreffend feststellt, liegen die Anforderungen an eine Rechtfertigung von 185 186 187 188

BVerfG, Urteil v. 23. 10. 1951, Az. 2 BvG 1/51, Rn. 139, zitiert nach Juris. Jarass/Jarass, GG, Art. 3, Rn. 27. Epping/Kischel, Grundgesetz, Art. 3 Rn. 29. BVerfG, Beschluss v. 14. 02. 1968, Az. 2 BvR 557/62, Rn. 32, zitiert nach Juris.

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

Ungleichbehandlungen bezüglich eines der genannten Merkmale im Vergleich zum allgemeinen Gleichheitssatz wesentlich höher.189 Eine Abstufung der Rechtfertigungsgründe erfolgt jedoch nicht nur im Vergleich zum allgemeinen Gleichheitssatz. Auch die einzelnen in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmale stellen unterschiedlich hohe Anforderungen an die Rechtfertigungsgründe. Entsprechend den Grundsätzen, die das BVerfG in seinem „Nachtarbeitsurteil“ aus dem Jahr 1992 entwickelt hat, ist die Konkretisierung der besonderen Gleichheitssätze – im damaligen Fall bezogen auf das Merkmal des Geschlechts – nicht als absolutes Anknüpfungsverbot zu verstehen. Nach Auffassung des Gerichts können „differenzierende Regelungen vielmehr zulässig sein, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind“.190 Im Vergleich zu den Anforderungen an eine Rechtfertigung im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes sind die Anforderungen im Rahmen des besonderen Gleichheitssatzes (etwa in Bezug auf das Geschlecht) wesentlich erhöht. Dies verwundert nicht, wenn man sich die abstufende Wertung des BVerfG zum allgemeinen Gleichheitssatz in Erinnerung ruft. Bereits in diesem Zusammenhang ist deutlich geworden, dass eine Ungleichbehandlung, die unmittelbar an die Person bzw. ein Persönlichkeitsmerkmal anknüpft, einer strengeren Verhältnismäßigkeitskontrolle unterliegt. Bei Betrachtung eines weiteren Merkmals des Art. 3 Abs. 3 GG, dem im Jahr 1994 in das Grundgesetz aufgenommenen Begriff der Behinderung, ergibt sich ein ähnliches Bild. In einem Beschluss aus dem Jahr 1999 definierte das BVerfG die Benachteiligung zunächst als nachteilige Ungleichbehandlung und machte darüber hinaus deutlich, dass das „verfassungsrechtliche Gebot des Art. 3 Abs. 3 GG nicht ohne jede Einschränkung gilt“. Eine Schlechterstellung von Behinderten ist wiederum nur dann zulässig, wenn zwingende Gründe dafür vorliegen. Um eine Rechtfertigung zu ermöglichen, müssen die Gründe für eine abweichende – benachteiligende – Behandlung gerade darin bestehen, dass merkmalsbezogenen Unterschieden Rechnung getragen wird.191 Die zwingenden Gründe, die mit den in Art. 3 Abs. 3 GG aufgezählten Merkmalen verbunden sind, bilden nicht die einzige Möglichkeit der Rechtfertigung. Knüpft eine Ungleichbehandlung/Gleichbehandlung an eines der in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmale an, kann diese Ungleichbehandlung/Gleichbehandlung auch durch konkurrierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt werden.192 Das Verhältnis der grundrechtsimmanenten zwingenden Gründe zu dem kollidierenden 189

Epping/Kischel, Grundgesetz, Art. 3 Rn. 193. BVerfG, Urteil v. 28. 01. 1992, Az. 1 BvR 1025/82, 1 BvL 16/83, 1 BvL 10/91, Rn. 55. 191 BVerfG, Beschluss v. 19. 01. 1999, Az. 1 BvR 2161/94, Rn. 56. 192 So BVerfG, Kammerbeschluss v. 17. 02. 1999, Az. 1 BvL 26/97, Rn. 13, zitiert nach Juris; unter Verweis auf BVerfG, Urteil v. 28. 01. 1992, Az. 1 BvR 1025/82, 1 BvL 16/83, 1 BvL 10/91 sowie BVerfG, Beschluss v. 24. 01. 1995, Az. 1 BvL 18/93, 1 BvL 5/94, 1 BvL 6/94, 1 BvL 7/94, 1 BvR 403/94, 1 BvR 569/94, zitiert nach Juris. 190

III. Entwicklung des Gleichheitsbegriffs in Italien nach 1789

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Verfassungsrecht kann der Rechtsprechung des BVerfG entnommen werden. Aus dieser wird deutlich, dass die Rechtfertigung anhand zwingender Gründe unterhalb des kollidierenden Verfassungsrechts einzuordnen ist.193 Daraus kann abgeleitet werden, dass die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen anhand von kollidierendem Verfassungsrecht für alle in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmale möglich ist. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Die besonderen Gleichheitssätze des Art. 3 Abs. 3 GG bilden gegenüber dem Allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG – wie vom BVerfG festgestellt – eine Konkretisierung. Dies bleibt nicht ohne Konsequenzen für die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen/Gleichbehandlungen. Die besondere Betonung der Merkmale in Art. 3 Abs. 3 GG, deren Aufzählung grundsätzlich als abschließend zu verstehen ist194, verlangt auch, dass im Rahmen möglicher Rechtfertigungsgedanken höhere Anforderungen gestellt werden. Dennoch besteht auch in diesen Fällen die Möglichkeit der Rechtfertigung. Die besonderen Gleichheitssätze stellen folglich kein absolut geltendes Differenzierungsverbot dar. Dies erscheint insbesondere im Hinblick darauf angemessen, dass Art. 3 Abs. 3 GG auf Grund der nationalsozialistischen Verbrechen in das Grundgesetz aufgenommen wurde. Allein diese historischen Gründe, die zur Aufnahme des Art. 3 Abs. 3 GG in das Grundgesetz führten, können eine derart herausgehobene Stellung gegenüber anderen – nicht genannten Differenzierungsmerkmalen – nicht begründen. Ein absolutes Differenzierungsverbot ist – wie bereits in Bezug auf den Allgemeinen Gleichheitssatz – auch für die besonderen Gleichheitssätze des Art. 3 Abs. 3 GG zu verneinen.

III. Entwicklung des Gleichheitsbegriffs in Italien nach 1789 1. Der Begriff der Gleichheit in den italienischen Regionalverfassungen In den unabhängigen Regionen Italiens existierte in der Zeit nach Napoleon eine Vielzahl von Verfassungen. Ein vereinigter italienischer Staat formte sich aber erst Ende des 19. Jahrhunderts und die Lebensdauer der Verfassungen der Regionen war oftmals relativ kurz. Es wird dennoch die Ansicht vertreten, dass die Autoren der Verfassungen versuchten, spezifisch italienisches Gedankengut in den Verfassungen zu implementieren. Auf diese Weise war eine Grundlage für den italienischen Freiheitskampf gelegt. Schließlich standen bis dahin weite Teile Italiens unter französischer oder österreichischer Fremdherrschaft.195 Gemeinsam mit den beiden 193 BVerfG, Beschluss v. 24. 01. 1995, Az. 1 BvL 18/93, 1 BvL 5/94, 1 BvL 6/94, 1 BvL 7/ 94, 1 BvR 403/94, 1 BvR 569/94, Rn. 68, zitiert nach Juris. 194 So zumindest BAG, Urteil v. 16. 02. 1989, Az. 2 AZR 347/88, Rn. 39, zitiert nach Juris. 195 Nur beispielhaft werden hier einige der Verfassungen aufgezählt: Costituzione della Repubblica di Bologna (1796), Costituzione della Repubblica Cispadana (1797), Costituzione della Repubblica Ligure (1802), Statuto Costituzionale dello Stato di Lucca (1805), Cos-

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

Republiken Genua und Venedig bildete das Königreich Sardinien-Piemont die Gruppe unabhängiger italienischer Staaten.196 Dies änderte sich Ende des 18. Jahrhunderts durch die Italienfeldzüge Napoleons. a) Verfassungen der Repubbliche Cisalpina197, Cispadana198 und des ligurischen Volkes von 1797199 In Art. 1 der Verfassung der Repubblica Cisalpina waren (Grund-)Rechte des Menschen kodifiziert. Die Rechte des Menschen in der Gesellschaft waren demnach Freiheit, Gleichheit, Sicherheit sowie Eigentum.200 Eine vergleichbare Regelung enthielt der unter der Überschrift „diritti dell’uomo in società“201 stehende Art. 2 der Verfassung des ligurischen Volkes. Art. 9 der Verfassung der Repubblica Cisalpina verpflichtete alle Bürger, ihre Dienste dem Vaterland zur Verfügung zu stellen, um die vorgenannten Grundsätze zu verteidigen. Die ligurische Verfassung sah sogar vor, dass eine solche Verteidigung notfalls auch unter Einsatz des eigenen Lebens zu erfolgen habe. In Art. 3 der Verfassung der Repubblica Cisalpina wurde näher definiert, was unter Gleichheit zu verstehen war. Gleichheit wurde dort dergestalt definiert, dass das Gesetz für alle gleich sei. Dies gelte sowohl soweit es Schutz gewähre, aber auch soweit es Bestrafung zulasse und insofern Bürgerpflichten begründe. Dieser Ausspruch einer formellen Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz fand auch in der Verfassung der Repubblica Cispadana ihren Platz.202 Explizit herausgestellt wurde, dass die Gleichheit keine Unterschiede der Geburt zulasse und keine vererbbaren Rechte gelten sollten. Eine vergleichbare Regelung wurde von den Verfassungsgebern des ligurischen Volkes in Art. 4 der Verfassung aufgenommen. Den Verfassungsentwürfen gemein war eine deutliche Absage an die bis dahin vorherrschenden absolutistischen und monarchischen Herrschaftssysteme.

tituzione della Repubblica Italiana (1802); ausführlicher hierzu Schidor, Statuto Albertino, S. 11. 196 Schidor, Statuto Albertino, S. 68. 197 Http://www.dircost.unito.it/cs/docs/cisalpina1797.htm. 198 Http://www.dircost.unito.it/cs/docs/cispadana1.htm. 199 Http://www.dircost.unito.it/cs/docs/liguria179.htm. 200 Mit demselben Wortlaut auch Ziff. I der Verfassung der Repubblica Cispadana. 201 Italienisch für: Rechte des Menschen in der Gesellschaft. 202 Ziff. III der Verfassung der Repubblica Cispadana.

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b) Verfassung der Repubblica Romana von 1798203 und neapolitanische Verfassung von 1799204 Die unter der Überschrift „diritti“205 stehenden Art. 1 und 3 der Verfassung der Repubblica Romana von 1798 enthielten Grundrechte, die bereits aus den Verfassungen des Jahres 1797 bekannt waren. Ein Indiz für einen immer stärker werdenden Gleichheitsgedanken fand sich in Art. 20 der Verfassung. Weniger abstrakt als die bisher aufgezeigten Formulierungen, gestand die Verfassung von 1798 allen Bürgern das gleiche Recht zu, mittelbar oder unmittelbar an der Gestaltung der Gesetze durch die Wahl von Volksvertretern, mitzuwirken. Dieses, allen Bürgern gleichermaßen gegebene, Recht führte im Umkehrschluss dazu, dass die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft ihre Pflichten gegenüber der Gesellschaft kannten und diesen wiederum in „gleicher Art und Weise“ nachkamen. Dies geschah allen voran, um die Werte der Freiheit und der Gleichheit zu verteidigen.206 Der Verfassung der Repubblica Neapoletana von 1799 wurde ein Bericht des Gesetzgebungskomitees vorangestellt. Dieser Bericht enthielt die grundlegenden Leitgedanken der Verfassungsautoren. Als eines dieser grundlegenden Prinzipien der Verfassung wurde das Prinzip der Gleichheit herausgestellt. Nach Auffassung des Gesetzgebungskomitees handle es sich bei der Gleichheit nicht nur um ein „einfaches“ Menschen- oder Grundrecht. Vielmehr wurde die Gleichheit als ein Fundament angesehen, auf dem die weiteren Grundrechte aufbauten. Gleichheit wurde als die Beziehung der Menschen zueinander verstanden. Die Menschen- und Grundrechte waren Befugnisse, die den Menschen unter Zugrundelegung der Gleichheit zustanden. Diese Handlungsermächtigungen standen jedem Einzelnen entweder aus der unveränderlichen Vernunft in Kenntnis der natürlichen Beziehungen oder aus dem positiven sozialen Recht zu. Aus dem Verhältnis der natürlichen Gleichheit zwischen den Menschen wurde auch eine Gleichheit der Rechte abgeleitet. Eine Gleichheit der physischen und moralischen Befugnisse führte dazu, dass sich jeder berechtigterweise aufgrund seiner natürlichen Kräfte als gleichwertig erachten konnte.207 Für die Verfassungsautoren führte die vorgenannte Feststellung zu der Erkenntnis, dass die ursprünglich nicht definierten natürlichen Befugnisse einer Definition durch die Vernunft und damit durch den Menschen bedurften. Auf diesem Wege sollte verhindert werden, dass die Ausübung der Befugnisse und Freiheiten des Einen zu Einschränkungen bei Anderen führte. Damit war gleichzeitig die Begründung für eine Gleichheit der Rechte geliefert. Gleichen Menschen mussten nach damaligem 203 204 205 206 207

Http://www.dircost.unito.it/cs/docs/romana1798.htm. Http://www.dircost.unito.it/cs/docs/napoli1799.htm. Italienisch für: Rechte. Unter der Überschrift „doveri“ (= Pflichten) Art. 1 und 9. Http://www.dircost.unito.it/cs/docs/napoli1799.htm.

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

Verständnis auch die gleichen Rechte zukommen. Im Umkehrschluss sahen die Verfassungsautoren die natürliche Gleichheit der Menschen nicht nur als Grundlage für Rechte, sondern leiteten Pflichten aus ihr ab. Die vorstehenden Erwägungen der Verfassungsautoren führten diese zu einer einfachen Handlungsmaxime: „Die oberste Pflicht, und Basis jeder Moral ist es, dass jeder gegenüber seinem Nächsten sein soll, wie er gegenüber sich selber ist.“208 Es ist seit der Formulierung des kategorischen Imperativs durch Immanuel Kant vernunftgemäß einleuchtend, dass dieses formale Prinzip zweifelsfrei richtig ist. Problematisch bleibt die Realisierung im Umgang der Menschen miteinander. Die Beweggründe der Verfassungsautoren machen dennoch deutlich, dass der demokratische Gedanke einigen Einschränkungen unterlag. Nach Auffassung der Verfassungsautoren konnte politische Gleichheit nicht dazu führen, dass Mitglieder der Gesellschaft in öffentliche und politische Ämter gewählt wurden, die den dafür notwendigen Intellekt nicht mitbrächten. Nach Auffassung der Verfassungsautoren war es daher Aufgabe des Gesetzes, ein Anforderungsprofil zu erstellen. Von diesem Profil sollte die Verleihung des passiven Wahlrechts abhängig gemacht werden. Begründet wurden diese höheren Anforderungen an das passive Wahlrecht damit, dass es einfacher sei, die Befähigung zu einem öffentlichen Amt bei einem anderen zu erkennen, als ein Amt selber auszufüllen und den Staat zu lenken.209 2. Das „Statuto Albertino“ Die Forderung nach einem italienischen Nationalstaat und einer einheitlichen Verfassung setzte sich in den Köpfen der Liberalen durch, als sie die Revolutionsbewegungen in Frankreich und Belgien sowie die dortige Entwicklung der Verfassungen studierten. Sie verstanden, dass eine Verfassung auch und vor allem den spezifischen geschichtlichen und gesellschaftlichen Besonderheiten eines italienischen Gesamtstaates Rechnung tragen müsste. Eine einfache Übernahme fremder Verfassungen ohne Anpassung an die eigenen Verhältnisse – wie zuvor praktiziert – wurde nunmehr als Fehler erkannt. 1830/31 wurde daher ernsthaft mit der Entwicklung eigener Verfassungsprogramme begonnen.210 Besondere Bedeutung für die italienische Geschichte der Vereinigung und damit auch der Demokratisierung und Liberalisierung kommt dem Königreich von Sardinien-Piemont zu. Vittorio Emmanuele I.211 war alles andere als ein Befürworter der liberalen Ideen, die nun immer stärker wurden. Er versuchte nach dem Ende der napoleonischen Besatzung den „status quo ante“ herzustellen.212 208 209 210 211

1824. 212

Http://www.dircost.unito.it/cs/docs/napoli1799.htm. Http://www.dircost.unito.it/cs/docs/napoli1799.htm. Schidor, Statuto Albertino, S. 18 f. Herzog von Savoyen, Piemont und Aosta, König von Sardinien (1802 – 1821); 1759 bis Schidor, Statuto Albertino, S. 72.

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Carlo Alberto213 wurde der Nachfolger Vittorio Emmanueles I. auf dem Thron, nachdem sein zwischenzeitlich regierender Onkel, Carlo Felice214, gestorben war. Carlo Albertos liberale Gesinnung zeigte sich zunächst während seiner kurzen Zeit als Regent. Als Indiz dafür kann die Adaption der spanischen Verfassung für das Königreich Sardinien-Piemont gewertet werden.215 Die spanische Verfassung hatte durchaus liberale Züge. Auch Aspekte der Gleichheit wurden in ihr berücksichtigt. Art. 8 der Verfassung sah eine Steuerpflicht ohne Differenzierung vor. Jeder „Spanier“ war damit zur Entrichtung von Steuern nach seinen Fähigkeiten verpflichtet.216 1831 bestieg Carlo Alberto schließlich als absolutistischer Monarch den Thron. Es dauerte allerdings viele Jahre, bis die einstmals vorhandene Offenheit Carlo Albertos gegenüber liberalen Ideen wieder zurückkehrte. Spätestens 1848 war es jedoch soweit. Bereits mit dem Erlass verschiedener Edikte, unter anderem zu Agrarfragen, hatte Carlo Alberto gezeigt, dass er die Idee eines absolutistischen Staates nicht mehr ohne jede Einschränkung vertrat. Bis zum Jahr 1848 hatten verschiedene gesellschaftliche Gruppen die liberale Idee immer weiter vorangetrieben. Die Idee fand sich nicht mehr nur in den Köpfen der Intellektuellen, sondern breitete sich auch in anderen Schichten der Bevölkerung weiter aus. Im Gegensatz zu der Entwicklung in anderen Regionen Italiens wurde in Piemont ein revolutionärer Umsturz abgelehnt. Es sollte eine gemeinsame Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse im Zusammenspiel mit dem Monarchen erreicht werden.217 Anfang Februar 1848 blieb Carlo Alberto keine andere Wahl, als von sich aus und in Abstimmung mit seinen Ministern eine Verfassung zu erlassen. Den Namen „costituzione“ verweigerte er dem Verfassungswerk allerdings, was dazu führte, dass das Verfassungswerk am 8. Februar 1848 unter der Bezeichnung „Statuto Albertino“ proklamiert wurde. Die endgültige Fassung datiert vom 4. März 1848.218 Bei dem Statuto Albertino handelte es sich um eine sogenannte costituzione flessibile219, ein Gegenstück zu der sogenannten costituzione rigida220. Die costituzione flessibile unterliegt keinen besonderen politischen und rechtlichen Sicherungsmechanismen. Sie kann grundsätzlich von den gleichen Organen und unter den gleichen Voraussetzungen erlassen oder geändert werden wie legge ordinarie221.222 Nach dem Zusammenfall des teilweise revolutionär erfolgten liberalen Umbruchs in Italien bildete 213

1849. 214 215 216 217 218 219 220 221 222

Herzog von Savoyen, Piemont und Aosta, König von Sardinien (1831 – 1849); 1798 bis Herzog von Savoyen, König von Sardinien (1821 – 1831); 1765 bis 1831. Schidor, Statuto Albertino, S. 74. Siehe http://www.dircost.unito.it/cs/docs/pdf/18210316_SardegnaCostituzione_ita.pdf. Schidor, Statuto Albertino, S. 98 f. Siehe http://www.dircost.unito.it/cs/docs/albertino1848.htm. Italienisch für: flexible Verfassung. Italienisch für: starre Verfassung. Italienisch für: ordentliche Gesetze. Cereti, diritto costituzionale, S. 21 f.

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

das so verfasste Piemont eine Besonderheit in ganz Italien. Zwischen den Jahren 1848 bis 1859 war das Königreich Sardinien-Piemont der einzige italienische Staat, der sich liberale Institutionen bewahrte.223 In dem bedeutenden und grundlegenden Verfassungswerk, das später auch als Grundlage für die Verfassung des vereinten Italiens dienen sollte, erlangte die Formulierung des Gleichheitsgedankens eine besondere Bedeutung. Art. 24 lautete: „Tutti i regnicoli, qualunque sia il loro titolo o grado, sono eguali dinanzi la legge. Tutti godono egualmente i diritti civili e politici, e sono ammissibili alle cariche civili, militari, salve le eccezioni determinate dalle Leggi.“224 In der italienischen Literatur wurde Art. 24 Statuto Albertino unterschiedliche Bedeutung beigemessen. Die Gleichheit wurde als subjektives Recht, als Norm225, als die Abschaffung antiker Privilegien, als die Verneinung zukünftiger Willkür, als gleichmäßige Unterwerfung unter die bestehende Ordnung, als Verbot von ungerechtfertigten oder nicht dem öffentlichen Interesse entsprechenden Spezialgesetzen, als substanzielles Verhältnis zwischen der Ausübung der einzelnen Rechte und der Natur der Rechte selber, als formale Abstraktheit und Generalität des Gesetzes angesehen.226 Die Meinungen, was genau Inhalt der Garantie des Art. 24 des Statuto Albertino sei und wie die Gleichheit und deren Umfeld zu definieren seien, gingen folglich weit auseinander. Es wurde auch vertreten, dass das Prinzip der Gleichheit einherzugehen habe mit der Gleichstellung aller Individuen auf dem niedrigst möglichen Niveau. Der „kleinste gemeinsame Nenner“ stellte nach dieser Auffassung die Rechtsfähigkeit dar.227 Andererseits wurde von den Vertretern dieser Auffassung zugleich vertreten, dass das Prinzip der Gleichheit eine weitergehende Bedeutung habe und als eine abstrakte Garantie der Rechtsfähigkeit aller Individuen beurteilt werden müsste. Gleichzeitig wurde vertreten, dass das Gebot der Gleichbehandlung notwendigerweise so zu verstehen sei, dass in gleichen Situationen eine gleiche Behandlung zu erfolgen habe.228 Trotz der vorgenannten divergierenden Auslegungsinterpretationen bestand grundsätzliche Einigkeit darüber, dass Art. 24 Statuto Albertino insbesondere einen Bezug zum formellen Recht darstellte. Es wurde in Art. 24 Statuto Albertino eine 223

Martucci, storia costituzionale, S. 21. Italienisch für: „Alle Bürger, ungeachtet von Titel oder Stand, sind vor dem Gesetz gleich. Alle genießen gleichermaßen die zivilen und politischen Rechte und sind für die zivilen und militärischen Ämter zugelassen, soweit die Gesetze nicht ein anderes bestimmen.“ 225 Hierzu Chimienti, diritto costituzionale, S. 167: Chimienti verneint die Auffassung, dass es sich bei dem Prinzip der Gleichheit um ein Bürgerrecht handelt. Vielmehr handelt es sich nach seiner Meinung um eine faktische Voraussetzung, welche das verfassungsmäßige Fundament eines modernen Staates bildet. 226 Paladin, eguaglianza, S. 52. 227 Paladin, eguaglianza, S. 52. 228 Paladin, eguaglianza, S. 52 f. 224

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Aufforderung an die Legislative gesehen, unter Beachtung bestimmter festgelegter Kriterien eine Rechtsvereinheitlichung herbeizuführen. Dies galt auch, wenn der Bezug des Art. 24 Statuto Albertino gewöhnlich als materieller Bezug gedeutet wurde, womit jeder gesetzgeberische Akt eingeschlossen sein sollte.229 Auch wenn die wohl h.M. davon ausging, dass dem Prinzip der Gleichheit eine nur untergeordnete Rolle zukäme, wurde dennoch in Teilen die Auffassung vertreten, dass das Prinzip der Gleichheit mehr als nur eine reine Handlungsdirektive für den Gesetzgeber sei. Die Vertreter dieser Auffassung maßen dem allgemeinen Gleichheitsgedanken im Statuto Albertino gleich eine doppelte Bedeutung bei. Zunächst sollte der Gleichheitssatz als Interpretationsmaßstab für alle anderen Normen verstanden werden. Speziell wurde in dem allgemeinen Gleichheitssatz ein Verbot der Ausdehnung des Anwendungsbereiches sowie der Bildung von Analogien gesehen. Auf diese Weise sollte verhindert werden, dass sich die einführenden Bestimmungen des Statuto Albertino in ein jus singulare230 verwandeln.231 In zweiter Instanz wurde das Prinzip der Gleichheit als eine Vorgabe an die Legislative erachtet. Auch wenn Ausnahmen in Form von Gesetzen grundsätzlich möglich waren, sollte das Prinzip der Gleichheit verhindern, dass diese Ausnahmen zur Regel werden oder es an entsprechenden rechtfertigenden Voraussetzungen fehlte.232 Letztlich bleibt zu konstatieren, dass der in Art. 24 Statuto Albertino verankerte Gleichheitsgrundsatz als Kodifizierung formeller Gleichheit zu verstehen ist. Keine Beachtung fanden die faktischen Unterschiede der Bürger, wenn sie mit den entsprechenden Normen oder Institutionen des Staates in Berührung kamen. Für große Teile der Gesellschaft handelte es sich bei der vermeintlichen Rechtsgleichheit somit um eine reine Fiktion.233 3. Vom Statuto Albertino bis zum Regno d’Italia In den Jahren nach 1859 – 1860 begann das sardische Königreich seine Expansion auf der italienischen Halbinsel. Am Anfang stand dabei die Lombardei. Es folgte die Annektierung der unabhängigen und neutralen Staaten Zentralitaliens, die Herzogtümer Modena und Parma sowie das Großherzogtum Toskana. Trotz der mehrfachen Intervention Giuseppe Manzinis234 kam es nicht zu einer – aus gewählten Vertretern zusammengesetzten – verfassungsgebenden Versammlung für ganz Ita229

Paladin, eguaglianza, S. 53. Sohm, Roman Law, S. 18: Bei dem jus singulare handelt es sich um ein Recht, welches Personen, welche bestimmten Klassen angehören, eine bevorzugte Behandlung zuteil werden lässt. 231 Paladin, eguaglianza, S. 55 f. 232 Paladin, eguaglianza, S. 56. 233 Azara/Ruffìa, Teo, S. 1088. 234 Italienischer Jurist, Demokrat und Freiheitskämpfer in der Zeit der italienischen Risorgimento, 1805 bis 1872. 230

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

lien. Vielmehr wurden in einzelnen annektierten Gebieten, zu denen später auch das Königreich beider Sizilien, Venedig und Rom gehörten, Plebiszite durchgeführt. In deren Folge wurde das in Piemont bestehende Verfassungswerk – das Statuto Albertino – in seinem Geltungsbereich auf die gesamte italienische Halbinsel ausgedehnt.235 Zuletzt galt es, die Region um die spätere Hauptstadt Rom, den Lazio, dem restlichen Gebiet des heutigen Italiens anzuschließen. Dies barg die besondere Brisanz, dass sich hier auch der vom Papst geführte Kirchenstaat befand. Der Beitritt Roms und der umgebenden Region „Lazio“ gelang schließlich, so dass das Parlament, das bis dahin in Turin und später in Florenz tagte, am 27. November 1871 zum ersten Mal in der neuen Hauptstadt Rom zusammentreten konnte.236 Die Art der Gründung des vereinten italienischen Staates hatte auch bedeutenden Einfluss auf die Frage, inwieweit das Statuto Albertino – und damit im Besonderen auch die darin enthaltenen Gleichheitssätze – Geltung für die neu hinzugekommenen Teile Italiens haben konnten. Eine wohl eher schwache Mindermeinung ging davon aus, dass es sich bei der Verfassung des gesamtitalienischen Staates nicht mehr um die Verfassung handelte, die Carlo Alberto gewährt hatte. Die h.M. vertrat die Auffassung, dass der Beitritt der italienischen Staaten und Regionen lediglich zur Folge hatte, dass sich das ursprünglich sardisch-piemontesische Territorium flächenmäßig vergrößerte und zu einer Vervielfachung der Einwohnerzahl führte. Nach allgemeiner Auffassung sollte dies keinen Einfluss auf das ununterbrochene Fortbestehen des vormaligen Staates haben. Die bis dahin geltende gesetzmäßige Ordnung hatte weiterhin Bestand.237 Letztlich behielt das Statuto Albertino, dass durch die Annektierung der übrigen Gebiete der italienischen Halbinsel überall Anwendung fand, bis zur Niederlage Italiens im 2. Weltkrieg am 08. September 1943 grundsätzliche Geltung.238 4. Der Begriff der Gleichheit im faschistischen Italien Der Faschismus prägte in Italien eine ganze Epoche. Wie für die Gesellschaft insgesamt, hatte dies auch – wie schon in Deutschland beobachtet – schwerwiegende Auswirkungen auf den Gleichheitsgedanken. Das größte Feindbild des italienischen Faschismus waren die Demokraten. Dementsprechend verwundert es wenig, dass auch das demokratische Gedankengut, zu dem auch die Vorstellung einer natürlichen Gleichheit der Menschen gehörte, abgelehnt wurde. Für die Faschisten war die Vorstellung, dass die Demokratie auf dem Gedanken fußt, dass alle Menschen von Natur aus gleich sind und letztlich damit auch ein gleiches Recht an der Führung des Staates haben sollten, reine Utopie. Sie hielten die Gleichheit für eine Errungenschaft der Menschheit und nicht für eine (von 235 236 237 238

Cereti, diritto costituzionale, S. 34 f. Racioppi, Statuto, S. 43. Cereti, diritto costituzionale, S. 35. Martucci, storia costituzionale, S. 36.

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Gott) gegebene Voraussetzung. Dementsprechend verfolgten sie die Idee einer heterogenen Gesellschaft, in der man es nicht erwarten konnte, dass allein aufgrund eines vermeintlichen Naturgesetzes der Gleichheit der Starke Zurückhaltung walten lassen müsse, um einen Kampf um die führenden gesellschaftlichen Positionen zu vermeiden.239 Den Demokraten und liberalen Kräften warfen die Faschisten vor, sich lediglich auf zwei Aspekte der seit der Französischen Revolution bestehenden sozialen Wirklichkeit zu fokussieren. Dabei handelte es sich zum einen um die Gleichheit vor dem Gesetz und zum anderen um die Gleichheit des Willens sowie der öffentlichen Macht. Beide Aspekte waren – nach Auffassung der Faschisten – nicht geeignet, die Gleichheit der Menschen im Staat zu begründen.240 Auch wenn die Faschisten erkannten, dass die Gleichheit vor dem Gesetz einen hohen Stellenwert einnahm, gingen sie davon aus, dass es sich dabei lediglich um eine vorgespiegelte Gleichheit handelte. Sie hielten es zudem für unwahrscheinlich, dass es tatsächlich zu sozialer Gleichheit kommen könne. Sie waren vielmehr davon überzeugt, dass allein die gleiche Anwendung von Gesetzen auf Arm und Reich nicht dazu führen würde, dass sich arme und schwache Mitglieder der Gesellschaft als sozial gleichwertig empfinden würden.241 Was die Gleichheit des Willens bzw. der gleichen öffentlichen Befugnisse angeht, hielten die Faschisten diese für eine Art Mythos, der durch konträre Fakten widerlegt worden sei. Eine Gleichheit des Willens sei nicht denkbar, weil dafür angenommen werden müsste, dass die Massen einen gemeinsamen Willen hätten. Man nahm aber an, dass dies gerade nicht so sei. Eine zweite Möglichkeit bildet die Übertragung des Gesamtwillens auf einige Wenige, die den Willen der Mehrheit im Nachgang vertreten, womit man sich in unmittelbaren Widerspruch zu dem eigentlich verfolgten Ziel setzen würde.242 In der Konsequenz gelangten die Faschisten zu einer heftigen Ablehnung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts. Die vermeintliche Schwäche dieses demokratischen Grundprinzips sahen die Faschisten darin, dass es ein Instrument der Massen sei, um die vermeintlich Fähigsten auszuwählen und in die öffentlichen Funktionen zu bringen. Dies könne jedoch nur zu schlechten Ergebnissen führen, da gerade die mit der Auswahl der vermeintlich Fähigsten beauftragt würden, die selber nicht zu den Besten und Fähigsten gehörten. Insgesamt widerlege sich das gleichheitlich ausgelegte demokratische System mit der Anwendung eines solchen Wahlrechts selbst. Letztlich würde damit nämlich indirekt eingestanden, dass doch Unterschiede zwischen den Menschen bestünden und diese damit keineswegs gleich seien.243 Dies brachte die Faschisten zu dem Ergebnis, dass die Demokraten – wie die 239 240 241 242 243

Tripodi, eguaglianza del fascismo, S. 6. Tripodi, eguaglianza del fascismo, S. 7. Tripodi, eguaglianza del fascismo, S. 8. Tripodi, eguaglianza del fascismo, S. 8. Tripodi, eguaglianza del fascismo, S. 8.

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Faschisten – letztlich selber die Theorie von einer „Herrscherklasse“ verträten. Bereits hier wird deutlich, wem die Faschisten die Macht eigentlich zusprechen wollten. Diese sollte nicht, wie bei einer Demokratie, beim Volk, sondern beim Staat liegen. Dessen Recht zu bestimmen wird ihm bei Durchsetzung eines gleichen und allgemeinen Wahlrechts genommen. Auch Benito Mussolini244 selbst hatte hierzu eine eindeutige Meinung. Demnach waren diejenigen, die meinten, dass sie gleichwertig mit den Regierenden seien (nämlich das Volk), einer Illusion erlegen. Nur in den Phasen, in denen ordentlich regiert würde, könnte ein solches Gefühl aufkommen. In kritischen Phasen werde die Souveränität des Volkes brüsk aufgehoben, und es bliebe dem einstigen Souverän, dem Volk, nichts anderes übrig, als zu gehorchen.245 Doch nicht nur das allgemeine Wahlrecht war den Faschisten ein Dorn im Auge. Sie definierten die Gleichheit nicht, wie die demokratischen und liberalen Kräfte, vorrangig im Sinne einer Gewährung gleicher Rechte für alle, sondern wählten den umgekehrten Weg und definierten die Gleichheit der Menschen dergestalt, dass alle gleichermaßen Pflichten gegenüber dem Staat treffen würden. Gleichzeitig wurde den Demokraten vorgeworfen, dass sie die eigentliche Bindung der Gleichheit an moralische und ideelle Werte versäumt hätten. Eine solche Bindung hätte der Persönlichkeit des Menschen jedoch wesentlich näher gelegen als ein allgemeines Wahlrecht oder die Bildung von Parlamenten.246 Der Faschismus trat in deutliche Abgrenzung zum demokratischen Verständnis des Gleichheitsbegriffs. Dort, wo die Demokratie eine Gleichheit von gleichen biophysischen menschlichen Gaben, von nivellierten Funktionen im Sinne einer gleichen Möglichkeit aller zur Wahrnehmung von Gleichheit sah, erkannte der Faschismus nicht nur das Vorhandensein von Ungleichheit, vielmehr sah er diese als Notwendigkeit an. Eine durch irgendwie geartete Gesetze „künstlich limitierte“ Existenz des Menschen wurde abgelehnt. Vielmehr wurde zum Grundsatz erhoben, dass der Mensch sich ohne ein mechanisch limitiertes Schicksal darum zu bemühen habe, seine eigene Welt zu gestalten. Aus unterschiedlicher physischer, intellektueller Kraft und willensmäßiger Stärke würde sich das kreative Potential eines Staates ableiten.247 Gleichzeitig gaben die Faschisten auch die vermeintlich passenden Argumente zur Begründung eines Führerstaates. Schließlich lasse sich schon bei den ältesten Gruppen menschlicher Gemeinschaften eine nach dem zuvor geschilderten System funktionierende Gesellschaft beobachten, so die Argumentation. Ohne eine wirkliche Organisation sei die Autorität des Stammesführers ausreichend, um eventuelle Konflikte zwischen den verschiedenen Stammesmitgliedern beizulegen.248 244 245 246 247 248

Italienischer Diktator, 1883 bis 1945. Tripodi, eguaglianza del fascismo, S.9. Tripodi, eguaglianza del fascismo, S.9. Tripodi, eguaglianza del fascismo, S. 10. Tripodi, eguaglianza del fascismo, S. 10 f.

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Ein weiteres Schwerpunktthema der faschistischen Lehre war das Verhältnis zwischen Leistungsfähigkeit und tatsächlich erbrachter Leistung. Nach der faschistischen Lehre war die Leistung(sfähigkeit) entscheidendes Richtmaß dafür, welcher Stellenwert einem Individuum im Staat zuzukommen hatte. Die Differenz zwischen Leistungskapazität und der tatsächlich erbrachten Leistung sollte zudem ein Indikator für die Verwirklichung der von den Faschisten propagierten und favorisierten Gleichheit der Pflichten sein.249 Die Bemessung der Gleichheit der Pflichten erfolgte nicht allein anhand des Leistungsvermögens des Einzelnen. Daneben sollten auch exogene Ereignisse und Umstände in die Bemessung Eingang finden. Die Faschisten erkannten in diesem Zusammenhang auch privates Eigentum und Vermögen an. Dieses wurde der jeweiligen Person als Eigenschaft zugeordnet. Je nach Ausprägung des Eigentums/Vermögens wurde dem betreffenden Individuum eine unterschiedliche „Nützlichkeit“ zugeschrieben. Entsprechend gingen die Faschisten davon aus, dass jeder, der durch ein Rechtsgeschäft unter Lebenden oder als Erbe in Besitz von Vermögensrechten gelangte, in Proportion zu dem Ertragswert gegenüber dem Gemeinwesen verpflichtet sei. Der Faschismus sah folglich neben dem rein ökonomischen Vorgang und dem in der Regel damit verbundenen ökonomischen Vorteil des jeweiligen Individuums eine Bestimmung der Gebiete, auf denen das Individuum seine produktiven Energien zeigte. Die ursprünglich dissoziative Eigenschaft von Eigentum, Besitz und Vermögen sollte auf diese Weise überwunden werden.250 Der von den Faschisten ins Gegenteil verkehrte Begriff der Gleichheit war nicht nur insoweit limitiert, als er sich vorrangig auf eine Gleichheit der Pflichten beschränkte. Wie im deutschen Nationalsozialismus wurde auch in Italien eine rassistische Abgrenzung gegenüber Angehörigen ausgewählter Minderheiten vorgenommen. Der offenkundige Widerspruch zwischen einer Gleichheit der Pflichten aller Bürger gegenüber dem Staat und der Ausgrenzung bestimmter Gesellschaftsgruppen bestand für die Faschisten nicht. Nichtmitgliedern der Partita Nazionale Fascista (P.N.F.), aber vor allem jüdischen Bürgern, wurden die persönlichen Rechte – beispielsweise Vermögensrechte – abgesprochen. Überdies – und dies wog nach der faschistischen Ideologie weitaus schwerer – sprach man den genannten Minderheiten die Möglichkeit zur Erbringung der Pflichten gegenüber dem Staat ab. Gerade mit den jüdischen Bürgern hatten die Faschisten kein Nachsehen. Nach faschistischer Auffassung war es lediglich solchen Personen gestattet, an der Unabhängigkeit, dem Fortbestand und der Weiterentwicklung des italienischen Staates teilzunehmen, die zu den vermeintlich staatsbildenden Kräften gehörten. Den Juden warfen die Faschisten vor, schon immer ein zersetzendes Element gewesen zu sein. Diese vermeintliche geschichtliche Wahrheit ließ es für die Faschisten unangemessen erscheinen, Juden an der Verteidigung eines spirituellen Schatzes teilhaben zu lassen, der zuvor angeblich von diesen bekämpft worden war. Den die Gleichheit 249 250

Tripodi, eguaglianza del fascismo, S. 13. Tripodi, eguaglianza del fascismo, S. 14.

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verwirklichenden Pflichten wurden kollektive Ziele zugrunde gelegt und damit individuelle Interessen abgelehnt. Diffamierend wurde den Juden unterstellt, dass diese politisch und sozial noch nie jemandem außer sich selbst gedient hätten.251 Offenkundig blieb die vorgenannte Ausgrenzung von Gruppen nicht nur Theorie. Vielmehr wurde mit einer Mehrzahl von Gesetzen die zuvor gewährleistete Gleichheit der Rechte faktisch abgeschafft. Hierzu gehörten Art. 4 legge 3 aprile 1926, n. 563; Art. 107 Nr. 11, legge 2 settembre 1928, n. 199 sowie Art. 166 e 167 leggi di pubblica sicurezza 6 novembre 1926, n. 1848. Diese Gesetze machten es für die genannten Personenkreise unmöglich, irgendeine öffentliche Position im Staat wahrzunehmen. Auch das Verbot besonderer Gerichtsstände, im Rahmen des Statuto Albertino noch als Errungenschaft gefeiert, wurde faktisch abgeschafft. Mit dem legge 25 novembre 1926, n. 2008, wurde bestimmt, dass jegliches Vergehen gegen die faschistische Partei ein Verfahren vor einem besonderen Gericht zur Folge hatte.252 Das Recht zur politischen Betätigung wurde den Nichtparteimitgliedern mit der Begründung abgesprochen, dass nur die Partei die notwendige „ethische Vorbereitung“ gewährleisten könne, die zur politischen Teilhabe notwendig sei. Weiterhin wurde argumentiert, dass Nichtmitglieder nicht an dem einzigartigen Geist der faschistischen Revolution teilhätten, und ihnen damit der Zugang zu den neuen geschichtlichen Kräften, die den Ausbau des italienischen Reiches trugen, verwehrt bliebe.253 Zusammengefasst bedeutete dies, dass die Pflichten gegenüber dem Staat, die nach der faschistischen Auffassung Gleichheit vermittelten, solchen Personen nicht zuerkannt werden konnten, die entweder aufgrund ihrer „Rasse“ oder eines irgendwie gearteten „feindlichen Verhaltens“ als unwürdig erachtet wurden. Die Gleichheit der Pflichten wurde in Verbindung zu einer vermeintlichen Eignung zur Erbringung einer solchen gesetzt. Diese Eignung wurde insbesondere den Juden abgesprochen.254 Die Gleichheitstheorie der Faschisten wurde nicht nur zur Abgrenzung gegenüber Minderheiten genutzt, sondern auch zur Begründung einer faschistischen Hierarchieordnung. Weil innerhalb des Gleichheitsgedankens der Faschisten der vermeintlich Leistungsfähigere im Rahmen einer proportionalen Gleichheitsverteilung der Pflichten gegenüber dem Staat mit mehr Verantwortung belegt wurde, sollte dessen Position im Staat wiederum anhand seines Grades an Verantwortung bemessen werden. Damit war für die Faschisten belegt, dass es sich bei der hierarchischen Gliederung der faschistischen Gesellschaft um eine direkte Ableitung aus der Gleichheit der Pflichten unter den Bürgern handelte. Das aus dieser Annahme resultierende tatsächliche Ungleichgewicht wurde ignoriert.255 251 252 253 254 255

Tripodi, eguaglianza del fascismo, S. 15. Trentin, Statuto Albertino, S. 286. Tripodi, eguaglianza del fascismo, S. 15. Tripodi, eguaglianza del fascismo, S. 16. Tripodi, eguaglianza del fascismo, S. 16.

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Definitionen von natürlicher, politischer oder ziviler Gleichheit lehnten die Faschisten ab. Nach ihrer Auffassung handelte es sich dabei um einen rein wissenschaftlichen Versuch, etwas zu klassifizieren und zu definieren, was nach ihrer Auffassung in der Form nicht definierbar war. Für die italienischen Faschisten war eine Definition der Gleichheit nur in Bezugnahme auf einen weiteren Oberbegriff denkbar, an dem sich die Gleichheit messen lassen sollte. Diese Institution war der Staat. Es existierte folglich keine Gleichheit der Menschen untereinander, sondern lediglich eine Gleichheit vor dem Staat. Alle Menschen sollten mit all ihren Energien gleichermaßen der nationalen Gemeinschaft dienen.256 Die Gleichheit der Pflichten, die nur zur Rechtfertigung einer diktatorischen Oligarchie diente, wurde von den Faschisten nicht nur auf nationaler Ebene vertreten. Sie diente darüber hinaus auch zur internationalen Abgrenzung. Entsprechend der rassistischen Ideologie der Faschisten gingen diese davon aus, dass das italienische Volk eine ausgewählte Rasse sei, die bereits in der Vergangenheit die Welt beherrscht hätte. Die Pflichten, die für sie aus dieser Vergangenheit resultierten, wurden im Umkehrschluss als Rechtfertigung für einen – gegenüber anderen Völkern – erhöhten Machtanspruch herangezogen. Nach Mussolini bestand die Natur aus der Herrschaft der Ungleichheit. Auch wenn in einer Gesellschaft grundsätzlich ein gewisser gemeinsamer „Nenner“ existiere, lag nach Auffassung Mussolinis in der Ungleichheit letztlich die Stärke eines Volkes. Dies sollte nach Mussolinis Meinung für einzelne Individuen aber auch für ganze Nationen gelten. Demnach sollte es Völker geben, die zu „neuen Horizonten aufbrächen, solche die im Stillstand verharren und solche die sterben.“257 5. Der Begriff der Gleichheit in der italienischen Verfassung Nachdem der Faschismus in Italien spätestens mit der Entmachtung Mussolinis am 25. Juli 1943 in die Knie gezwungen und mit Hilfe des Gran Consiglio die Institutionen des faschistischen Regimes abgeschafft waren, musste eine neue Verfassung für das nunmehr zum Teil von Alliierten und zum Teil von Deutschen besetzte Land geschaffen werden. Am 8. September 1943 wurde das Waffenstillstandsabkommen zwischen den Alliierten und Italien veröffentlicht, was den König, Vittorio Emanuele III.,258 und das kurzfristige Staatsoberhaupt, den maresciallo259 256

Tripodi, eguaglianza del fascismo, S. 19. Mussolini, scritti e discorsi, S. 162; Tripodi, eguaglianza del fascismo, S. 20: Tripodi schmückt seine Auffassung noch aus, indem er ausführt, dass den Italiener größere Pflichten treffen würden als den Albaner, wohingegen den Albaner wiederum größere Pflichten träfen als den Libyer. Selbstredend stellten die Faschisten auch in diesem Zusammenhang klar, dass die größeren Pflichten auch dazu führen müssten, dass derjenige, der mit größeren Pflichten belegt sei, gemäß dem System der Gleichheit der Pflichten, in der Hierarchie höher anzusiedeln sei. 258 König von Italien (1900 – 1946), Kaiser von Äthiopien (1936 – 1941) und König von Albanien (1939 – 1943); 1869 bis 1947. 259 Italienisch für: Marschall. 257

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

Pietro Badoglio260, zur Flucht aus der Hauptstadt Rom veranlasste.261 Zur Schaffung einer neuen Verfassung für Italien wurde eine Kommission in direkter und freier Wahl gewählt. Das Wahlrecht wurde zu diesem Anlass auch auf die italienischen Frauen ausgedehnt. Neben der Besetzung des verfassungsgebenden Gremiums konnte das Volk auch darüber entscheiden, welche Staatsform Italien zukünftig haben sollte. Zur Auswahl standen die Staatsformen der Monarchie und der Republik. Auf diese Weise war die Staatsform bereits vor der ersten Sitzung des verfassungsgebenden Gremiums grundsätzlich festgelegt. Dem verfassungsgebenden Gremium kam die Aufgabe zu, die nähere Ausgestaltung vorzunehmen und zu bestimmen, welche Variante der Republik (repräsentative, parlamentarische etc.) entstehen sollte.262 Am 2. Juni 1946 fanden schließlich die Wahlen zur Bestimmung der Mitglieder der verfassungsgebenden Versammlung sowie der zukünftigen Staatsform statt. Am 10. Juni wurde das Ergebnis der Wahlen verkündet. Wie kaum anders zu erwarten, entschied sich die Mehrheit der Bürger für die Republik.263 Nach ihrer Wahl nahm die verfassungsgebende Versammlung unverzüglich die Arbeit auf und präsentierte am 31. Januar 1947 einen aus 131 Artikeln bestehenden Verfassungsentwurf. Nach ausgiebigen Diskussionen im Plenum wurde am 22. Dezember 1947 eine finale Version der zukünftigen Verfassung verabschiedet, am 27. Dezember 1947 vom Staatsoberhaupt erlassen und am 1. Januar 1948 in Kraft gesetzt.264 a) Der Begriff der Gleichheit in Art. 3 Costituzione Italiana Vergleichbar zur Situation in der deutschen Verfassung, ist Art. 3 Costituzione Italiana in Bezug auf den Gleichheitsgedanken die zentrale Vorschrift. aa) Art. 3 Abs. 1 Costituzione Italiana (formelle Gleichheit) (1) Formelle Gleichheit in der italienischen Verfassung Im Unterschied zu dem deutschen Gleichheitsgrundrecht ist das italienische Grundrecht auf Gleichheit nicht offen unter dem Oberbegriff „Menschen“ formuliert. In Abs. 1 des Art. 3 Costituzione Italiana heißt es: „Tutti i cittadini hanno pari dignità sociale e sono eguali davanti alla legge […]“.265 In der italienischen Wissenschaft und Rechtsprechung herrscht dennoch Einigkeit darüber, dass das 260

Herzog von Addis Abeba, italienischer Soldat und Politiker, 1871 bis 1956. Cereti, diritto costituzionale, S. 35 f. 262 Cereti, diritto costituzionale, S. 37. 263 Cereti, diritto costituzionale, S. 38. 264 Cereti, diritto costituzionale, S. 40. 265 Italienisch für: „Alle Bürger haben die gleiche soziale Würde und sind gleich vor dem Gesetz […].“ 261

III. Entwicklung des Gleichheitsbegriffs in Italien nach 1789

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Gleichheitsrecht nicht nur italienischen Staatsbürgern zusteht, sondern auch Ausländer unter den Schutzbereich des Grundrechts fallen. Wenn auch bisher mit eher zweifelhafter Begründung, wird das Gleichheitsrecht auch auf bestimmte juristische Personen ausgedehnt.266 Die Corte Costituzionale hat hierzu in einer Entscheidung aus dem Jahr 1966 festgehalten, dass das Prinzip der Gleichheit verbietet, dass ein Gesetz direkt oder indirekt eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung hervorruft, unabhängig von der Natur und Einordnung der betroffenen Subjekte.267 Konkretisiert wurde die Auslegung in einer Entscheidung aus dem Jahr 1992. In dieser Entscheidung urteilte die Corte Costituzionale, dass der Gleichheitsgrundsatz nicht nur gegenüber physischen Personen Geltung besitzt, sondern auch gegenüber juristischen Personen und Zusammenschlüssen von Rechtssubjekten im Allgemeinen.268 Der Entscheidung aus dem Jahr 1966 wurde zudem ein weites Anwendungsfeld der Vorschrift des Art. 3 Abs. 1 entnommen. Der Gleichheitssatz ist dementsprechend in Bezug auf alle Gesetze und Normen des Gesetzesbestandes zu beachten. Eine Beschränkung auf bestimmte einzelne Gebiete existiert nicht. Vielmehr gilt das Gleichheitsgebot auf allen Ebenen und in jedweder Hinsicht einer gesetzlichen Regelung.269 Was den Inhalt des Art. 3 Abs. 1 Costituzione Italiana angeht, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Eine Mindermeinung geht davon aus, dass die Gleichheit der Bürger darauf beruhe, dass diese allesamt Subjekte des gleichen Systems von Rechtsquellen seien.270 Die wohl überwiegende Meinung in der italienischen Literatur geht hingegen davon aus, dass der Begriff der Gleichheit in Abs. 1 weiter zu fassen ist. Demnach soll das Gebot der Gleichheit zwar nicht so weitgehend verstanden werden, dass eine gleichmäßige Verteilung von Gütern auf alle Normadressaten angestrebt wird. Alle sollen jedoch in gleicher Weise die Möglichkeit haben, Wohlstand zu erlangen. Die verfassungsrechtliche Gleichheitsgarantie wird demgemäß als Chancengleichheit oder Gleichheit des Startpunktes verstanden.271 Diese Ansicht wird auch durch eine Entscheidung der Corte Costituzionale untermauert. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1995 hat diese klargestellt, dass die Gleichheitsvorschriften nicht unmittelbar auf die übrigen fundamentalen Rechte der Menschen einwirken, sondern als Garantie einer Gleichheit des Ausgangspunktes oder Chancengleichheit zu verstehen sind.272 266 Crisafulli/Dolso, Commentario Costituzione, Art. 3, II., 1, 2; Branca/Agrò, Commentario Costituzione, Art. 3, I, 3. 267 Corte Costituzionale v. 17. 03. 1966, Nr. 25/1966; abrufbar unter http://www.cortecostitu zionale.it/actionPronuncia.do. 268 Corte Costituzionale v. 21. 02. 1992, Nr. 87/1992; abrufbar unter http://www.cortecostitu zionale.it/actionPronuncia.do. 269 Branca/Agrò, Commentario Costituzione, Art. 3, I., 4. 270 Crisafulli/Dolso, Commentario Costituzione, Art. 3, II., 3. 271 Crisafulli/Dolso, Commentario Costituzione, Art. 3, II., 3. 272 Corte Costituzionale v. 06. 09. 1995, Nr. 422/1995; abrufbar unter http://www.cortecosti tuzionale.it/actionPronuncia.do.

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

In der Rechtsprechung der Corte Costituzionale zur Frage der Gleichheit zeigt sich überdies, dass der Gleichheitssatz zunächst nicht als Ermächtigung dafür gesehen wurde, Gesetze daraufhin zu überprüfen, ob diese weniger den Gleichheitssatz, sondern vielmehr Fragen der Gerechtigkeit tangieren. Die frühe Nachkriegsrechtsprechung der Corte Costituzionale macht deutlich, dass die Beantwortung der Frage, was gerecht oder ungerecht ist, weitgehend dem italienischen Gesetzgeber überlassen bleiben sollte. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1960 führte die Corte Costituzionale aus, dass eine ungleiche Behandlung nicht zwingend zu einer Verletzung des (allgemeineren) Gleichheitssatzes führe. Dies gelte dann, wenn die ungleiche Behandlung nicht mit den Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 Costituzione Italiana im Widerspruch steht und auf der anderen Seite die ungleiche Behandlung aus einer Situation resultiere, die einer besonderen Behandlung bedürfe.273 Nach und nach war jedoch zu beobachten, dass die Corte Costituzionale unter dem Oberbegriff der „inneren Widersprüchlichkeit“ Argumente anführte, die nicht immer von einer Überprüfung unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten zu unterscheiden waren.274 In einer Entscheidung aus dem Jahr 1991 zur Altersversorgung der Beschäftigten von lokalen Körperschaften wurde unter dem Oberbegriff der Rationalität die Notwendigkeit der Konformität der Gesetzgebung mit den Werten von Gerechtigkeit und Unparteilichkeit hervorgehoben.275 Da eine solche Überprüfung durch die Corte Costituzionale erfolgt, geht damit immer auch das Risiko einher, dass das eigentlich bestehende Ermessen des Gesetzgebers untergraben wird. Es ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass die eigentlich vorgesehene reine Rechtmäßigkeitsprüfung zu einer materiellen Überprüfung von Gesetzen wird. Diese Kompetenz steht aber ausschließlich dem Gesetzgeber, also dem Parlament, zu. Letztlich lassen jedoch Urteile der Corte Costituzionale aus der jüngeren Zeit darauf schließen, dass diese an einer solchen Befugnis kein wirkliches Interesse hat.276 Die Bedeutung der formellen Gleichheit in Italien lässt sich damit wie folgt zusammenfassen: Zunächst wird mit formeller Gleichheit eine Gleichheit der Anwendung des Rechts und der Justiz für alle Bürger gewährleistet. Ausnahmen von diesem Prinzip werden nur für einige wenige Verfassungsorgane sowie für die Kirchen zugelassen. Die Kirchen sind aufgrund von Konkordaten dazu berechtigt, vor den Kirchengerichten über die Wirksamkeit von Ehen, geschlossen nach katholischem Ritus, zu entscheiden. Die formelle Gleichheit des Art. 3 Abs. 1 garantiert den Bürgern weiterhin, in den gleichen Genuss von privaten und öffentlichen Rechten zu kommen. Darin enthalten ist insbesondere der gleiche Zugang zu öffentlichen Ämtern. 273

Corte Costituzionale v. 16. 03. 1960, Nr. 15/1960; abrufbar unter http://www.cortecostitu zionale.it/actionPronuncia.do. 274 Crisafulli/Dolso, Commentario Costituzione, Art. 3, IX., 4. 275 Corte Costituzionale v. 18.-22. 11. 1991, Nr. 421/1991; abrufbar unter http://www.cort ecostituzionale.it/actionPronuncia.do. 276 Biscaretti, diritto costituzionale, S. 834.

III. Entwicklung des Gleichheitsbegriffs in Italien nach 1789

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Dieser ist unabhängig vom Geschlecht und hängt allein von den Voraussetzungen ab, die in den jeweiligen Vorschriften vorgesehen sind.277 Die formelle Gleichheit erschöpft sich in der modernen italienischen Verfassung nicht darin, dass den Bürgern gleiche Rechte zugesprochen werden. Vielmehr gebietet der Grundsatz der formellen Gleichheit eine einheitliche Heranziehung zur Erfüllung öffentlicher Pflichten. Zu diesen Pflichten gehören höchstpersönliche Dienste, wie beispielsweise die – zwischenzeitlich abgeschaffte – Wehrpflicht oder das Laienrichteramt.278 Zum Teil wird zudem vertreten, dass eine Hauptfunktion des Gleichheitssatzes darin besteht, Inhalt und Anwendung anderer Normen zu überprüfen. Dies soll insbesondere für allgemeine Gesetze gelten, durch die verfassungsmäßige (Grund-) Rechte über die Maße einschränkt werden.279 Augusto Cerri resümiert, dass das in Art. 3 Costituzione Italiana verankerte Prinzip der Gleichheit vor allem ein Verbot der Differenzierung basierend auf rein subjektbezogenen Kategorien sei. Das heißt, die bloße Berücksichtigung des jeweiligen Subjekts/Normadressaten ist unstatthaft. Damit einhergehend bestimmt er die Notwendigkeit, getroffene Differenzierungen ausschließlich auf Basis objektiver Kriterien (die allerdings durchaus mittelbar auch Bezug zu den Subjekten/Normadressaten nehmen können) und universalen Normen vorzunehmen, letztlich also die Verpflichtung, vergleichbare Situationen gleich zu behandeln und ungleiche Situationen ungleich.280 Das Resümee Cerris lässt deutlich erkennen, dass eine missbräuchliche Auslegung des Gleichheitssatzes – wie im faschistischen Italien geschehen – unter allen Umständen vermieden werden soll. (2) Formelle Gleichheit in den Verfassungen Italiens und Deutschlands Der Begriff der formellen Gleichheit wird in Italien im Wesentlichen so wie in Deutschland interpretiert. Beachtenswert ist dabei die Interpretation der formellen Gleichheit als Gleichheit des Startpunktes bzw. der Chancengleichheit, die so in Deutschland ebenfalls vertreten wird. Die Hervorhebung des Gleichheitssatzes in der Art, dass Inhalt oder Anwendung anderer Normen an diesem Grundsatz zu messen sind, findet sich in Deutschland so nicht wieder. Dieser Umstand kann wohl auf die deutsche Geschichte zurückgeführt werden. War doch die Staatsbezogenheit – wie auch in Italien – ein prägendes Element der nationalsozialistischen Interpretation des Gleichheitssatzes. Da – wie bei der Lektüre Cerris deutlich wird – der Gleichheitssatz in Italien darüber hinaus selbstredend auch als Abwehrrecht des Bürgers gegenüber dem Staat interpretiert wird, unterscheidet sich die in Italien vertretene Interpretation mehr als deutlich von der nationalsozialistischen/faschistischen Ideologie. 277 278 279 280

Biscaretti, diritto costituzionale, S. 830. Biscaretti, diritto costituzionale, S. 831. Biscaretti, diritto costituzionale, S. 832. Cerri, Eguaglianza, S. 127.

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

bb) Art. 3 Abs. 2 Costituzione Italiana (materielle Gleichheit) (1) Materielle Gleichheit in der italienischen Verfassung Während der vorbeschriebene Absatz 1 des Art. 3 der Costituzione Italiana als Verbriefung formeller Gleichheit verstanden wird, verpflichtet Abs. 2 den italienischen Gesetzgeber, in verschiedener Hinsicht bestehende Ungleichheiten zwischen den Bürgern zu beseitigen. Aufgrund der Formulierung könnte man diese eguaglianza sostanziale, also materielle Gleichheit, weniger als Prinzip der Gleichheit, sondern als Prinzip der Ungleichheit, beschreiben.281 Während bei der formellen Gleichheit – zur Gewährleistung einer gleichen Rechtsanwendung – grundsätzlich keine Unterscheidung zwischen den Normadressaten vorgenommen wird, soll bei der materiellen Gleichheit durch geeignete juristische Mittel eine Gleichstellung der unterschiedlichen Individuen erreicht werden. Dabei ist die materielle Gleichheit als Ergänzung der formellen Gleichheit zu verstehen und lässt – zur Förderung benachteiligter Personen – Ausnahmen von dieser Norm zu.282 Dort, wo allein mittels Garantie und Anwendung formeller Gleichheit faktische Ungleichheiten verbleiben, können diese mittels differenzierter Gesetzgebung ausgeglichen werden. Auf eine kurze Formel gebracht, kann formelle Gleichheit als Gleichheit durch Gleichbehandlung (Gesetzesanwendung) und materielle Gleichheit als Gleichheit durch gezielte Ungleichbehandlung definiert werden. In der materiellen Gleichheit der Costituzione Italiana spiegelt sich der Anspruch einer sozialen Gesellschaft wieder, der auf diesem Wege erreicht werden soll. Die relativ offene Formulierung des Abs. 2283 hat dazu geführt, dass hinsichtlich der Interpretation der Norm in der italienischen Literatur ein kontroverser Diskurs geführt wird. Teile der Literatur betrachten Art. 3 Abs. 2 Costituzione Italiana als „Supernorm“, die geeignet ist, die Entwicklung des gesamten Normgefüges zu beeinflussen. Andere Stimmen hingegen sehen in Art. 3 Abs. 2 Costituzione Italiana eine Vorschrift mit rein programmatischem Charakter.284 Letztlich wird man konstatieren können, dass Art. 3 Abs. 2 Costituzione Italiana dem Gesetzgeber eine Zielrichtung vorgibt. Diese Zielrichtung besteht darin, die bereits durch Art. 3 Abs. 1 garantierte Gleichheit des Startpunkts, zu gewährleisten. Die faktischen Ungleichheiten, die in Geschlecht, Alter, Herkunft etc. bestehen können, sollen durch aktives 281

Guastini, grammatica di eguaglianza, S. 210. Brunelli/Ziotti, eguaglianza, S. 1236 f. 283 Http://www.governo.it/governo/costituzione/principi.html: È compito della Repubblica rimuovere gli ostacoli di ordine economico e sociale, che, limitando di fatto la libertà e l’eguaglianza dei cittadini, impediscono il pieno sviluppo della persona umana e l’effettiva partecipazione di tutti i lavoratori all’organizzazione politica, economica e sociale del Paese. Deutsche Übersetzung: Es ist Aufgabe der Republik, ökonomische und soziale Hürden zu beseitigen, die faktisch die Freiheit und die Gleichheit der Bürger beschränken sowie die freie Entfaltung der menschlichen Person verhindern und die effektive Beteiligung aller Arbeitnehmer an den politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Organisationen des Landes zu ermöglichen. 284 Crisafulli/Dolso, Commentario Costituzione, Art. 3, XIX, 1 m.w.N. 282

III. Entwicklung des Gleichheitsbegriffs in Italien nach 1789

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(gesetzgeberisches) Vorgehen überwunden werden. Dieses konstitutionelle Gebot richtet sich nicht allein an den Gesetzgeber. Es sollen sowohl die Exekutive als auch die Judikative an diesen Grundsatz gebunden werden.285 Im Vergleich zum Prinzip der formellen Gleichheit ist das Prinzip der materiellen Gleichheit des Art. 3 Abs. 2 Costituzione Italiana in der Rechtsprechung von geringerer Bedeutung. Teile der Literatur begründen dies u. a. damit, dass Abs. 2 eher mit Vorschriften in Verbindung zu bringen sei, die dem Staat die Durchsetzung sozialer Ziele mittels wirtschaftlicher Mittel zuweisen. Es handelt sich nach dieser Auffassung also weniger um ein Gebot, durch die Schaffung von Normen einen gewissen Erfolg, hier materielle Gleichheit, zu erreichen. Vielmehr soll dieses Ziel durch den Einsatz finanzieller Mittel verwirklicht werden. Dies führt zu der Konsequenz, dass bei Fehlen finanzieller Mittel ein entsprechendes staatliches Handeln entfallen kann.286 Das Prinzip der materiellen Gleichheit ist als Ausprägung einer sozialen Demokratie zu verstehen. Schließlich wird bereits aus dem Wortlaut deutlich, dass insbesondere Arbeitern und weniger einflussreichen Bürgern die Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen Leben gleichermaßen gewährt werden soll. Die Verfassungsgeber gingen davon aus, dass Mitglieder dieser gesellschaftlichen Gruppen oftmals faktisch an einer Wahrnehmung der ihnen zustehenden Rechte gehindert seien. Durch verschiedene (gesetzliche) Eingriffe des Staates soll die Einhaltung eines Niveaus garantiert werden, das allen Bürgern ein Mindestmaß an gleicher sozialer Sicherheit garantiert. Mittels dieses Sozialsystems soll zudem gewährleistet werden, dass kein Bürger in wirkliche Not gerät. Das soziale System wird insbesondere deshalb als notwendig erachtet, um den Bestand des demokratischen Staates zu gewährleisten. Schließlich bedeuten große soziale Ungleichheiten eine stete Gefahr für einen demokratischen Staat.287 Die Formulierung des Art. 3 Abs. 2 Costituzione Italiana trägt auch zur Klärung eines Problems bei, das sich regelmäßig – zumindest in theoretischer Gestalt – bei einer ausschließlichen Garantie formeller Gleichheit stellt. Wie Fredman zutreffend beschreibt, wird mit formeller Gleichheit lediglich gewährleistet, dass vergleichbare Sachverhalte gleich und ungleiche Sachverhalte ungleich behandelt werden. Damit ist jedoch noch keine Aussage dazu getroffen, ob vergleichbare Individuen gleich „gut“, oder gleich „schlecht“ zu behandeln sind. Dies kann – wie ein von Fredman beschriebener Fall aus den USA zeigt – zu „kuriosen“ Ergebnissen führen. In dem beschriebenen Fall war einer Stadt aufgegeben worden, beim Zugang zu öffentlichen Schwimmbädern gleichen Zugang für alle Bürger zu gewähren. Zuvor war Bürgern mit dunkler Hautfarbe der Zugang zu den Schwimmbädern verwehrt worden. Doch anstatt den Bürgern mit dunkler Hautfarbe fortan Zugang zu den Schwimmbädern zu gewähren, wurden kurzerhand alle öffentlichen Schwimmbäder geschlossen. Auf 285 286 287

Guastini, grammatica di eguaglianza, S. 206. Crisafulli/Dolso, Commentario Costituzione, Art. 3, XIX, 2. Biscaretti, diritto costituzionale, S. 832.

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

diese Weise war nach Auffassung der Verantwortlichen formelle Gleichbehandlung gewährleistet.288 Einem solchen Verständnis von Gleichheit wird mit Art. 3 Abs. 2 Costituzione Italiana entgegengetreten. Dort heißt es, dass es Aufgabe des Staates ist, die sozialen und wirtschaftlichen Hindernisse zu beseitigen, die einer Gleichheit der Bürger entgegenstehen. Auf diese Weise wird verdeutlicht, dass eine Angleichung der Verhältnisse „nach oben“, d. h. durch eine Besserstellung des ungleich behandelten Rechtssubjekts, erfolgen soll. Eine Herstellung sozialer oder wirtschaftlicher Gleichheit allein durch den Abbau von Privilegien ist damit grundsätzlich nicht beabsichtigt. Ein Fall, wie der aus den USA, scheint daher für Italien ausgeschlossen. Die spärliche Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 2 ist in sich konsistent. Neben Art. 3 Abs. 2 finden sich meistens Verletzungen weiterer (konstitutionell verankerter) Normen. Ein Beispiel bildet der Kündigungsschutz junger Mütter289. Diesbezüglich wurde Art. 3 gemeinsam mit Art. 37 der Costituzione Italiana als Maßstab angelegt. Art. 37 sieht einen konkreten Schutz von Mutter und Kind vor und bestimmt, dass dieser Beziehung insbesondere in ihrer frühen Phase ein besonderer Schutz zukommen soll. Frauen sollen durch die Geburt eines Kindes keine Nachteile entstehen. Ähnliche Entscheidungen des Corte Costituzionale finden sich in Bezug auf Menschen mit Behinderung. In diesen Fällen wurde neben Art. 3 Abs. 2 auch auf Art. 32 und 42 zurückgegriffen.290 (2) Materielle Gleichheit in den Verfassungen Italiens und Deutschlands Die Garantie einer materiellen Gleichheit in der italienischen Verfassung findet im Text des deutschen Grundgesetzes keine unmittelbare Entsprechung.291 Zutreffend wird der Kern der materiellen Gleichheit in ihrem Bezug auf die faktisch bestehende Ungleichheit der Menschen gesehen. Hier besteht der wesentliche Unterschied zur formellen Gleichheit. Während diese die faktische Ungleichheit der Normadressaten bewusst außer Acht lässt, um sie als Differenzierungsmerkmal auszuschließen, stellt die materielle Gleichheit die faktische Ungleichheit der Menschen in den Mittelpunkt. Formelle Gleichheit besteht damit im Wesentlichen darin, dass faktisch Ungleiches (z. B. Mann und Frau) rechtlich gleich behandelt wird. Durch die strenge Einhaltung der formellen Rechtsgleichheit wird erwartet, dass sich – zumindest auf lange Sicht – ein gesellschaftlicher Zustand einstellt, der faktischer Gleichheit angenähert ist oder dieser sogar entspricht. Im Gegensatz 288

Fredman, Discrimination Law, S. 8. Corte Costituzionale v. 28. 01. 1991, Nr. 61/1991; abrufbar unter http://www.cortecostitu zionale.it/actionPronuncia.do. 290 Corte Costituzionale v. 29. 04. 1999, Nr. 167/1999; abrufbar unter http://www.cortecosti tuzionale.it/actionPronuncia.do. 291 Auch wenn der Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 GG anderes vermuten lassen könnte, ist hier kein Auftrag an den Gesetzgeber zur Herstellung von faktischer Gleichheit gemeint. Vielmehr gilt auch hier der Grundsatz, dass mittels der strengen Einhaltung der Rechtsgleichheit eine Gleichheit des Startpunktes bzw. Chancengleichheit zu wahren ist. Hierzu Jarass/Jarass, GG, Art. 3 Rn. 90 sowie Mangoldt/Starck, Grundgesetz, Art. 3 Rn. 309. 289

III. Entwicklung des Gleichheitsbegriffs in Italien nach 1789

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hierzu wird zur Erreichung von materieller Gleichheit eigentlich rechtlich Gleiches (z. B. Mann und Frau) gezielt ungleich behandelt, um faktischer Gleichheit näherzukommen. Dieses Anliegen darf allerdings nicht mit einem unmittelbaren Auftrag zur Herstellung von Ergebnisgleichheit verwechselt werden. Eine solche Vorgabe des Verfassungsgebers existiert in Italien ebenso wenig wie in Deutschland. Die in der italienischen Verfassung verankerte materielle Gleichheit entspricht nach ihrer Definition daher am ehesten dem, was in der deutschen Verfassung in Art. 3 Abs. 3 GG mit Bevorzugung bezeichnet wird. Durch den gezielten Einsatz sogenannter azioni positive – also gezielter Förderung – soll benachteiligten Gruppen Chancengleichheit, also eine Gleichheit des Startpunktes, verschafft werden. b) Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen aa) Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen im italienischen Verfassungsrecht Art. 3 Abs. 1 Costituzione Italiana enthält einen Katalog von Merkmalen bezüglich derer eine Ungleichbehandlung untersagt ist. Die in Art. 3 Abs. 1 Costituzione Italiana enthaltene Aufzählung (Geschlecht, Rasse, Sprache, Religion, politische Orientierung und persönliche sowie soziale Verhältnisse) ist nicht abschließend. Dies ergibt sich bereits aus der Gestaltung des Artikels. Anders als im deutschen Grundgesetz ist der allgemeine Gleichheitssatz in der italienischen Fassung unmittelbar mit dem Merkmalskatalog verbunden. Dennoch kann kein Zweifel daran bestehen, dass auch die italienische Verfassung ein allgemeines Gleichheitsrecht kennt. Stendardi resümiert, dass die Frage, ob es sich bei dem in Art. 3 Abs. 1 Costituzione Italiana enthaltenem Katalog um eine erschöpfende Aufzählung handelt, einfach zu beantworten sei. Schließlich sei grundsätzlich jedes Merkmal geeignet, die Basis für eine Diskriminierung zu bilden. Dementsprechend sei dem Merkmalskatalog lediglich Beispielscharakter beizumessen.292 Die ausdrückliche Benennung der Merkmale in Art. 3 Abs. 1 Costituzione Italiana führte in der italienischen Literatur und Rechtsprechung zu keiner Zeit zu der Auffassung, dass diese speziellen Verbote der Ungleichbehandlung absolut und ausnahmslos gelten.293 Die Meinung, dass das Gebot der Gleichheit in Art. 3 Costituzione Italiana nicht rigide und ausnahmslos Anwendung finde, bildete sich spätestens Ende der 1950er Jahre heraus. Die Bedeutung der Vorschrift wurde bereits

292

Stendardi, eguaglianza, S. 151 f. Hierzu Rossano, eguaglianza giuridica, S. 291: Rossano zitiert Spagnuolo der in seinem Werk „L’iniziativa“ festhält, dass selbst dann, wenn man den Begriff der Gleichheit in rein formalem Sinne interpretiert, dies nicht zur Einführung einer mechanischen Gleichbehandlung führen kann, die ungeachtet einer objektiven Rechtfertigung aus der Natur der konkreten Situation heraus Anwendung findet. 293

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

damals dahingehend verstanden, dass es sich um eine Einschränkung der ansonsten grundsätzlich bestehenden gesetzgeberischen Freiheit handle.294 Dieser Ansatz wurde stetig weiter entwickelt. Darauf basierend geht die h.M. heute davon aus, dass Art. 3 Abs. 1 Costituzione Italiana eigentlich gedanklich zu ergänzen ist und daher wie folgt lauten müsste: „Tutti i cittadini hanno pari dignità sociale e sono eguali davanti alla legge, senza a r b i t r a r i e distinzione di sesso, di razza, di lingua, di religione, di opinioni politiche, di condizioni personali e sociali.“295 Mit dieser korrigierten Lesart unter Hinzufügung des Begriffs „arbitrario“296 wird deutlich, dass nicht jedwede ungleiche Behandlung von vornherein ausgeschlossen ist. Ausgeschlossen sind damit nur solche Ungleichbehandlungen, die willkürlich erfolgen. Wird in einem Gesetz anhand einer der genannten Merkmale differenziert, steht diesem jedoch zunächst eine Vermutung der Unrechtmäßigkeit entgegen. Diese Vermutung ist widerlegbar.297 Auch die Corte Costituzionale lässt unter bestimmten Umständen ein Abweichen vom grundsätzlichen Prinzip der Gleichbehandlung zu. In einem Urteil aus dem Jahr 1959298 machte die Corte Costituzionale – gestützt auf die damals bereits existierende Lehre – deutlich, dass Art. 3 Costituzione Italiana dazu dient, den Gesetzgeber daran zu hindern, Gesetze zu erlassen, die ungerechtfertigte Privilegien zugunsten oder zu Lasten einzelner Bürgern, beinhalten.299 Der Begriff der Gleichheit wird grundsätzlich so verstanden, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist. Daher gilt einerseits der Grundsatz, dass Normen unrechtmäßig sind, die eine ungleiche Behandlung von Sachverhalten einführen, die grundsätzlich vergleichbar sind. Andererseits sind auch solche Normen unrechtmäßig, die Ungleiches auf gleiche Art behandeln und auf diese Weise den vorhandenen Unterschieden keine Rechnung tragen.300 Der vorgenannte Grundsatz soll dazu beitragen, Ausnahmevorschriften zu Gunsten einer möglichst einheitlichen Gesetzgebung zu verhindern. Trotz dieses Bestrebens wird zugestanden, dass keine Rechtsordnung vorstellbar ist, in der Gesetze völlig abstrakt, und ohne auf Besonderheiten einzugehen, erlassen werden. Das Prinzip der Gleichheit drücke vielmehr das Bestreben nach einer Rechtsordnung mit möglichst wenigen Ausnahmen aus. Aus dem Vorgesagten wird geschlussfolgert, dass Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung nicht generell unzulässig sind, sondern nur dann, wenn diese ungerechtfertigt sind. Dies soll dann der Fall sein, wenn auf einen Sachverhalt, der grundsätzlich vergleichbar mit 294

M.w.N. Rossano, eguaglianza giuridica, S. 289 ff. Italienisch für: Alle Bürger haben die gleiche soziale Würde und sind, ohne w i l l k ü r l i c h e Unterscheidung auf Grund des Geschlechts, der Rasse, der Sprache, der Religion, der politischen Meinung und der persönlichen oder sozialen Umstände, vor dem Gesetz gleich. 296 Italienisch für: beliebig, willkürlich. 297 Crisafulli/Dolso, Commentario Costituzione, Art. 3, IV, 1. 298 Corte Costituzionale v. 15. 07. 1959, Nr. 46/1959; abrufbar unter http://www.cortecostitu zionale.it/actionPronuncia.do. 299 Hierzu auch Rossano, eguaglianza giuridica, S. 331 ff, insbesondere S. 335. 300 Crisafulli/Dolso, Commentario Costituzione, Art. 3, XII, 1. 295

III. Entwicklung des Gleichheitsbegriffs in Italien nach 1789

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einem bereits geregelten Sachverhalt ist, eine abweichende und schlechterstellende Regelung Anwendung findet.301 Immer wieder werden im Rahmen der Fortentwicklung der Rechtsordnung Ungleichbehandlungen offenkundig, die das grundlegende Prinzip der Gleichbehandlung von Gleichem (oder umgekehrt der Ungleichbehandlung von Ungleichem) verletzen.302 Die Corte Costituzionale sieht bei der Beurteilung von solchen Ausnahmevorschriften jedoch nicht zwangsläufig das Prinzip der Gleichheit verletzt. Offenkundig geht die Corte Costituzionale dabei sogar noch weiter, als dies – wie vorgeschildert – in Teilen der Literatur der Fall ist. Die Corte Costituzionale sieht den Erlass von Ausnahmevorschriften als Ausprägung der Ermessensfreiheit des Gesetzgebers, die im Hinblick auf Ungleichbehandlungen nur dann überprüfbar sein soll, wenn die Grenzen der Willkür überschritten sind und/oder eine solche Regelung völlig ohne nachvollziehbaren Grund erfolgt.303 Die Möglichkeit einer Rechtfertigung besteht im Übrigen nicht nur bei Fällen, in denen vergleichbare Sachverhalte vom Gesetzgeber ungleich behandelt werden. Auch im umgekehrten Fall, in dem eigentlich ungleiche Sachverhalte einer einheitlichen Behandlung ausgesetzt werden, bildet dies nur dann einen Verstoß gegen Art. 3 Costituzione Italiana, wenn eine ungerechtfertigte Gleichbehandlung von Sachverhalten vorliegt.304 Die Corte Costituzionale hat in einem Urteil aus dem Jahr 1971 angedeutet, dass sich eine Verschärfung des Prüfungsmaßstabs einstellt, wenn eines der in Art. 3 Abs. 1 Costituzione Italiana explizit genannten Merkmale betroffen ist. In dem Urteil wird ein Verstoß gegen Art. 3 Costituzione Italiana verneint, da die Ungleichbehandlung durch ein anderes Grundrecht – in diesem Fall Art. 7 Costituzione Italiana – gedeckt ist.305 In der italienischen Literatur wird aber darüber hinaus vertreten, dass weitere Ausnahmen möglich sind. Solche Ausnahmen sollen etwa dann erlaubt sein, wenn „die Natur der Dinge eine solche Ausnahme notwendig mache“. Dies soll insbesondere dann der Fall sein, wenn es schlichtweg unmöglich ist, das Prinzip der Gleichheit anzuwenden.306 bb) Stellungnahme Die vorgeschilderten Überlegungen sind auch auf eine allgemeine Interpretation des Art. 3 Abs. 1 Costituzione Italiana zurückzuführen. Das in Art. 3 Costituzione Italiana enthaltene Gleichheitsgebot wird nur nachrangig als Mittel zur Regelung einzelner Sachverhalte verstanden. Vielmehr wird das Gebot der Gleichheit als 301

Crisafulli/Dolso, Commentarion Costituzione, Art. 3, XII, 2 f. Crisafulli/Dolso, Commentario Costituzione, Art. 3, XII, 2. 303 Zum Nachweis der entsprechenden Rechtsprechung der Corte Costituzionale: Crisafulli/Dolso, Commentario Costituzione, Art. 3, XII, 3. 304 Zum Nachweis der entsprechenden Rechtsprechung der Corte Costitutionale: Crisafulli/Dolso, Commentario Costituzione, Art. 3, XII, 4. 305 Corte Costituzionale v. 01. 03. 1971, Nr. 32/1971; abrufbar unter http://www.cortecostitu zionale.it/actionPronuncia.do. 306 Hierzu mit Nachweisen Crisafulli/Dolso, Commentario Costituzione, Art. 3, IV, 1. 302

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B. Historische Begriffsklärung „Die Gleichheit“

strukturelles Prinzip erachtet, das Einfluss auf die normative Gesamtstruktur ausüben soll. Dies zeigt sich in der italienischen Rechtsprechung insbesondere in dem bereits genannten Umstand, dass eine Verletzung von Art. 3 Costituzione Italiana häufig gemeinsam mit der Verletzung weiterer Rechte geltend gemacht wird. Im Großen und Ganzen ist es erstaunlich, wie sich die Ansichten in Bezug auf die Rechtfertigungsmöglichkeiten von Ungleichbehandlungen in Italien und Deutschland gleichen.307 Die Verfassungsnormen beider Länder geben sich im Wortlaut absolut. Dennoch besteht in Italien und in Deutschland Einigkeit, dass eine solche absolute Geltung des Gleichheitsbegriffs tatsächlich nicht gemeint ist. Die Verfassungsgerichte beider Länder legen ihren einschlägigen Entscheidungen zu Grunde, dass das Ermessen des Gesetzgebers grundsätzlich nicht allzu sehr beschnitten werden soll. Und selbst wenn einzelne Entscheidungen der Corte Costituzionale eine Tendenz hin zu einer Überprüfung auf „Gerechtigkeitsgesichtspunkte“ zeigten, vertreten beide Verfassungsgerichte die Auffassung, dass eine Gleichbehandlung von Ungleichem oder eine Ungleichbehandlung von Gleichem grundsätzlich denkbar ist. Beide Verfassungsgerichte unterziehen solche Maßnahmen einer Willkürprüfung. Die weitgehende Übereinstimmung in beiden Ländern vermag umso mehr verwundern, als sich der Inhalt des Gleichheitsrechts in Deutschland und Italien durchaus unterscheidet. Gemeinsam ist den Verfassungsartikeln der beiden Länder, dass sie formelle Gleichheit garantieren. Die Interpretationen von Inhalt und Umfang formeller Gleichheit sind dabei weitgehend deckungsgleich. Einen deutlichen Unterschied bildet der Umstand, dass das italienische Gleichheitsgrundrecht sich nicht darauf beschränkt, formelle Gleichheit zu verbriefen. Neben der Garantie formeller Gleichheit enthält Art. 3 Costituzione Italiana in seinem Abs. 2 das Rechtsinstitut der materiellen Gleichheit. Die in Art. 3 Abs. 3 GG ausdrücklich untersagte Bevorzugung wird folglich durch die italienische Verfassung ausdrücklich gebilligt. Die tatsächlichen Unterschiede zwischen den beiden Verfassungen sind im Ergebnis zu vernachlässigen. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass das Gebot der formellen Gleichheit in Deutschland durch die Vorschriften zur Staatszielbestimmung (insbesondere Art. 20 Abs. 1 GG) ergänzt wird.308 Die Förderung bestimmter faktisch benachteiligter Gruppen erfolgt in Deutschland folglich nicht auf der Grundlage des Gleichheitssatzes, sondern anhand ergänzender Verfassungsnormen wie der Sozialstaatsgarantie. Auch in Italien wird die materielle Gleichheit als Ausprägung des Sozialstaatsgedankens angesehen. Die beiden Verfassungen bedienen sich daher lediglich einer unterschiedlichen Technik zur gezielten Förderung faktisch benachteiligter Gruppen. Die deutsche Methode, die Förderung benachteiligter Gruppen auf das Sozialstaatsprinzip und andere Normen 307

Ob dies Zufall ist, oder die italienischen Rechtsgelehrten sich womöglich in dieser Frage an ihren deutschen Nachbarn orientierten, kann nur spekuliert werden. Wie Rossanos Ausführungen aus dem Jahr 1966 zeigen, bestand jedenfalls bereits zu dieser Zeit ein Bewusstsein, dass in Deutschland in Bezug auf Art. 3 GG die Möglichkeit der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen bestand. 308 Hierzu Mangoldt/Starck, Grundgesetz, Art. 3 Rn. 27.

III. Entwicklung des Gleichheitsbegriffs in Italien nach 1789

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außerhalb des Gleichheitsgrundrechts zu stützen, erscheint dabei dogmatisch die vorzugswürdige Vorgehensweise. Schließlich verkehrt das Institut der materiellen Gleichheit den eigentlichen Gehalt des Gleichheitssatzes geradewegs ins Gegenteil. Wie bereits beschrieben, kann materielle Gleichheit verkürzt als „Gleichheit durch (gezielte) Ungleichbehandlung“ definiert werden, wohingegen formelle Gleichheit auf die verkürzte Formel „Gleichheit durch Gleichbehandlung“ gebracht werden kann. Da es sich bei den in Frage stehenden Verfassungsrechten vorrangig um Abwehrrechte gegenüber dem Staat handelt, sind diese, unter Rückgriff auf die aristotelische Unterscheidung von iustitia distributiva und iustitia commutativa, grundsätzlich in den Bereich der iustitia distributiva (Gleichheit des öffentlichen Rechts) einzuordnen. Die nach aristotelischer Denkart im Rahmen der iustitia distributiva zu leistende Berücksichtigung des jeweiligen Rechtssubjekts sollte – in dogmatisch zu bevorzugender Art und Weise – nicht im Rahmen des Gleichheitssatzes erfolgen. Das verfassungsrechtlich garantierte Gleichheitsrecht ist daher – wie in Deutschland geschehen – auf die Garantie einer formellen Gleichheit zu beschränken. Die im Sinne der iustitia distributiva zu verlangende Förderung benachteiligter Gruppen erfolgt dann auf anderem Wege. Hierzu bietet sich – wie in Deutschland geschehen – die Bezugnahme auf die Grundsätze des Sozialstaatsprinzips an. Diese Systematik hat den Vorteil, dass die praktische Umsetzung der Konstruktion nicht zu unauflösbaren Konflikten zwischen formeller Gleichheit und Sozialstaatsprinzip führt. Auch wenn formal betrachtet eine Ungleichbehandlung vorliegt, kann eine solche durch das Sozialstaatsprinzip – als kollidierende Verfassungsnorm – gerechtfertigt werden.

C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung Spätestens mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) im Jahr 1957 nahm die Vereinigung der europäischen Staaten Schwung auf. Zu den sechs Gründungsmitgliedern der EWG gehörten sowohl Italien als auch Deutschland. Die Gründung der EWG bildete den Grundstein für die Entwicklung eines in wesentlichen Teilen einheitlichen oder zumindest angeglichenen europäischen Rechtsrahmens. Neben dem Begriff der Freiheit spielt der Begriff der Gleichheit auch im rechtlichen Gefüge des vereinten Europas eine zentrale Rolle. Besonders hervorzuheben ist die Einführung und Entwicklung besonderer Gleichheitssätze, der Diskriminierungsverbote. In Anbetracht der „alternden“ Gesellschaften Mitteleuropas muss auch das vereinte Europa Strategien entwickeln, um älteren Menschen „gleiche“ Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Der Schutz vor Diskriminierung in Bezug auf das Merkmal „Alter“ findet sich sowohl im Primär- als auch im Sekundärrecht. Insbesondere über das Sekundärrecht soll eine Angleichung der entsprechenden Lebensverhältnisse in den Mitgliedsstaaten erreicht werden. Urteile des EuGH – wie etwa in der Sache Mangold1 – haben den Einfluss der europäischen Rechtsetzung auf dem Gebiet der Antidiskriminierung verdeutlicht. Eine vertiefte Betrachtung des europäischen Regelungswerks ist daher angebracht. Im Mittelpunkt steht das Problem des Zugangs älterer Personen zu Arbeit und Beschäftigung. Das Urteil in Sachen Mangold dokumentiert diesbezüglich den zunächst gescheiterten Versuch, die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer zu fördern, indem geringere Anforderungen an die Befristung eines Arbeitsverhältnisses gestellt wurden.

I. Das Verbot der Diskriminierung in der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten 1. Entstehungsgeschichte Als Startpunkt für die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Grundrechtscharta kann der Europakongress aus dem Jahre 1948 gesehen werden. Auf diesem berieten Gesandtschaften aus 16 europäischen Ländern über das Vorhaben einer Vereinigung Europas. Bei den Initiatoren dieses Kongresses handelte es sich nicht um offizielle Vertreter der Regierungen der jeweiligen Länder. Vielmehr waren 1 Urteil des EuGH v. 22. 11. 2005, Az. C-144/04, abrufbar im Internet unter http://curia.euro pa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de.

I. Verbot der Diskriminierung zum Schutze der Menschenrechte

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die Teilnehmer Angehörige von Nichtregierungsorganisationen (NGO), die sich die europäische Idee auf die Fahnen geschrieben hatten. Diese waren jedoch nicht minder einflussreich, handelte es sich doch zum Teil um prominente ehemalige europäische Politiker. Das Fundament der europäischen Einigung sollte nach Auffassung der Protagonisten dieser Bewegung eine Menschenrechtscharta darstellen, welche die Werte aller europäischen Völker abbilden sollte. Auf dem Kongress, der nicht lediglich auf rechtliche Fragen beschränkt war, sondern auch wirtschaftliche und kulturelle Fragen behandelte, wurde schlussendlich im Kulturausschuss die Forderung erhoben, eine Konvention zum Schutz fundamentaler Menschenrechte zu erarbeiten.2 Einer entsprechenden Forderung aus der Abschlussresolution des Kongresses folgend wurde eine Kommission eingesetzt, der die Ausarbeitung einer solchen Menschenrechtserklärung aufgetragen wurde.3 Die Kommission identifizierte die maßgeblichen Grundrechte, die Bestandteile einer Menschenrechtskonvention werden sollten. Aufbauend auf diesen Arbeiten wurde von einem eigens gebildeten Rechtsausschuss der Entwurf einer Konvention gefertigt, der zur Vorlage an den zwischenzeitlich gegründeten Europarat gedacht war.4 Nach einigen Unstimmigkeiten wurde schließlich der Beschluss gefasst, den Rechts- und Verwaltungsausschuss der Beratenden Versammlung des Europarates mit der weiteren Beratung zu beauftragen. Dieser konkretisierte die bisher vorhandenen Grundlagen und leitete sie schließlich an das Ministerkomitee weiter.5 Nach der Einsetzung eines weiteren Beratergremiums durch das Ministerkomitee konnte diesem für seine Sitzung im August 1950 eine Fassung der Konvention präsentiert werden, die einen weitest gehenden Kompromiss aller Beteiligter darstellte.6 Nach eingehenden Beratungen wurde dieser Kompromissvorschlag an die Beratende Versammlung weitergeleitet. Die von der Versammlung vorgeschlagenen Änderungen fanden jedoch – da insoweit offenkundig kein kurzfristiger Konsens erreichbar erschien – keinen Eingang in die finale Version der Konvention. Diese wurde schlussendlich am 4. November 1950 feierlich in Rom unterzeichnet. Nach erfolgter Ratifizierung durch 10 Unterzeichnerstaaten – darunter auch Deutschland – trat die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) am 3. September 1953 in Kraft.7 Durch eine spätere Ratifizierung in Italien trat die EMRK dort erst am 26. Oktober 1955 in Kraft.8

2

Konkordanzkommentar/Grote, Kap. 1 Rn. 13. Konkordanzkommentar/Grote, Kap. 1 Rn. 14. 4 Konkordanzkommentar/Grote, Kap. 1 Rn. 15. 5 Konkordanzkommentar/Grote, Kap. 1 Rn. 18 ff. 6 Konkordanzkommentar/Grote, Kap. 1 Rn. 28. 7 Konkordanzkommentar/Grote, Kap. 1 Rn. 30; Text der Konvention abrufbar unter http:// conventions.coe.int („SEV“-Nr. 005). 8 Status der EMRK abrufbar unter http://conventions.coe.int („SEV“-Nr. 005). 3

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

Dass es sich bei der EMRK um eine Kompromisslösung handelt, lässt sich auch an Art. 14 EMRK erkennen. Einige der zunächst verhandelten Entwürfe sahen nicht nur ein reines Diskriminierungsverbot vor, sondern enthielten auch den Entwurf eines allgemeinen Gleichheitssatzes. Grundsätzlich sollte die EMRK eine Garantie dahingehend enthalten, dass bestimmte Freiheitsrechte gewährt werden. Diese wurden von den meisten Mitgliedsstaaten allerdings ohnehin zumeist gewährt. Die konkrete Ausgestaltung sollte den jeweiligen Mitgliedsstaaten überlassen bleiben. Der Katalog von Freiheitsrechten sollte durch das Diskriminierungsverbot ergänzt werden. Ein anderer Ansatz lautete, die Freiheitsrechte in der Konvention klar zu definieren und die Möglichkeiten zur Einschränkung durch die einzelnen Mitgliedsstaaten ebenfalls zu kodifizieren. Da sich das Ministerkomitee nicht auf eine einheitliche Lösung einigen konnte, kam es wiederum zu einer Kompromisslösung. Obwohl ursprünglich geplant war, dem Diskriminierungsverbot einen allgemeinen Gleichheitssatz an die Seite zu stellen, gelang dies im Rahmen dieser Kompromisslösung nicht.9 Auch in den Folgejahren wurde immer wieder versucht, insoweit eine Korrektur des Art. 14 EMRK herbeizuführen, bislang jedoch ohne Erfolg.10 Eine Erweiterung erfuhr Art. 14 EMRK durch Art. 1 des Zwölften Zusatzprotokolls, welches nach Ratifizierung durch zehn Mitgliedsstaaten am 1. April 2005 in Kraft trat. Durch dieses Zusatzprotokoll wurde die Beschränkung des Diskriminierungsverbots auf die Konventionsrechte aufgehoben und auf alle „rechtlich festgelegten Rechte“ ausgedehnt.11 Letztlich bedeutete dies eine Fortentwicklung des Diskriminierungsverbots hin zu einem gleichheitsverwirklichenden Tatbestand.12 Zur Aufnahme eines allgemeinen Gleichheitssatzes kam es nicht, da bei vielen Unterzeichnerstaaten die Sorge herrschte, dass ein solcher Gleichheitssatz und dessen Überprüfbarkeit durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu einer Überprüfbarkeit der gesamten nationalen Rechtsordnung der Unterzeichnerstaaten führen könnte. Mit Einführung des Art. 14 EMRK in seiner Form eines Diskriminierungsverbots schien die Gefahr einer solchen umfassenden Überprüfung durch den EGMR gebannt.13 Allerdings stützt sich der EGMR in den auf Art. 14 EMRK Bezug nehmenden Urteilsbegründungen immer wieder auch auf den Grundsatz der Gleichbehandlung.14

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Konkordanzkommentar/König/Peters, Kap. 21 Rn. 5. Konkordanzkommentar/König/Peters, Kap. 21 Rn. 6. 11 Konkordanzkommentar/König/Peters, Kap. 21. Rn. 7. 12 Ovey/White, EMRK, S. 430. 13 Konkordanzkommentar/König/Peters, Kap. 21 Rn. 15. 14 Urteil des EGMR vom 23. 07. 1968 in dem Fall „Relating to Certain Aspects of the Laws on the Use of Languages in Education in Belgium“ in dem auf das „principle of equality treatment“ verwiesen wird; abrufbar im Internet unter: http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/search. asp?skin=hudoc-en. 10

I. Verbot der Diskriminierung zum Schutze der Menschenrechte

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2. Anwendungsbereich a) Akzessorietät von Diskriminierungsverboten aa) Art. 14 EMRK als akzessorische Garantie Die Art der Formulierung des Anwendungsbereichs von Art. 14 EMRK hat zu einer vielfältigen Begriffsschöpfung und –zuweisung geführt. Diese Vielfalt rührt aus der besonderen Eigenschaft des Art. 14 EMRK als unselbstständige Garantie. In Art. 14 EMRK heißt es „[…] der Genuß der in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung […] zu gewährleisten“. In Rechtsprechung und Literatur ist aus dieser Formulierung gefolgert worden, dass Art. 14 EMRK keine „unabhängige Existenz“ zukomme. Diese Auffassung hat der EGMR in einem Urteil aus dem Jahr 1968 deutlich zum Ausdruck gebracht und eine Anwendbarkeit des Art. 14 EMRK auf solche Fälle beschränkt, in denen der Schutzbereich weiterer (Freiheits-)Rechte der Konvention eröffnet ist.15 Andere bezeichneten Art. 14 EMRK daher auch als „komplementär“, „zusätzlich“, „kontingent“ oder gar „parasitär“. König und Peters wählten den Begriff der „akzessorischen Garantie“.16 bb) Art. 1 des 12. Zusatzprotokolls zur EMRK als bedingt akzessorische Garantie Die vorstehend getroffenen Aussagen zur Akzessorietät lassen sich auf das Folgeprotokoll Nr. 1217, das eine Ergänzung zu Art. 14 EMRK darstellt, nicht einfach übertragen. Der im Gegensatz zu Art. 14 EMRK etwas abgeänderte Wortlaut des Art. 1 ZP 12 deutet darauf hin, dass eine Akzessorietät zu Freiheitsrechten sich diesbezüglich nicht herleiten lässt. Dort heißt es „der Genuß eines jeden gesetzlich niedergelegten Rechtes ist ohne Diskriminierung […] zu gewährleisten.“. Auch wenn aus dieser Formulierung deutlich wird, dass eine Bezugnahme auf die Freiheitsrechte, entsprechend der Formulierung in Art. 14 EMRK, nicht existiert, ist Art. 1 ZP 12 dennoch keine vollständig losgelöste Garantie. Dies lässt sich dem erläuternden Bericht zum ZP 12 entnehmen. Schließlich sollte die in ZP 12 enthaltene Erweiterung des Anwendungsbereichs vor allem dazu führen, dass das 15 Urteil des EGMR vom 23. 07. 1968 in dem Fall „Relating to Certain Aspects of the Laws on the Use of Languages in Education in Belgium“; heißt es in den Erwägungsgründen des EGMR „[…] While it is true that t h i s g u a r a n t e e h a s n o i n d e p e n d e n t e x i s t e n c e in the sense that under the terms of Article 14 (art. 14) it relates solely to ,rights and freedoms set forth in the Convention‘, a measure which in itself is in conformity with the requirements of the Article enshrining the right or freedom in question may however infringe this Article when read in conjunction with Article 14 (art. 14) for the reason that it is of a discriminatory nature. […]“; abrufbar im Internet unter: http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/se arch.asp?skin=hudoc-en. 16 Konkordanzkommentar/König/Peters, Kap. 21 Rn. 28. 17 Protokoll Nr. 12 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04. 11. 2000; abrufbar unter http://conventions.coe.int („SEV“-Nr. 177).

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

Diskriminierungsverbot verhindert, dass Menschen bei dem Genuss von solchen nationalen Rechten diskriminiert werden, zu denen die öffentliche Hand verpflichtet ist. Gleichzeitig dient es als Kontrollinstanz im Rahmen der Ausübung des Ermessens durch öffentliche Stellen und/oder bei sämtlichem sonstigen Tun der öffentlichen Hand.18 b) „Autonomie“ des Art. 14 EMRK Spätestens seit Mitte der 1960er Jahre konkretisierte sich die Rechtsprechung des EGMR dahingehend, dass eine Anwendbarkeit des Art. 14 EMRK nicht nur dann anzunehmen sei, wenn eine Konventionsgarantie, mit der Art. 14 EMRK in akzessorischer Weise verbunden ist, tatsächlich verletzt ist, sondern es ausreiche, dass der Schutzbereich der jeweiligen Garantie eröffnet sei. Diese Auslegung führt dazu, dass Art. 14 EMRK eine eigenständige, oder wie gemeinhin ausgedrückt, „autonome“ Bedeutung zukommt. Trotz dieser Annahme ist Art. 14 EMRK als eine Ergänzung der Freiheitsrechte zu verstehen. Selbst wenn ein Eingriff in den Schutzbereich eines Freiheitsrechtes von einem Rechtfertigungstatbestand gedeckt ist, kann in Verbindung mit Art. 14 EMRK dennoch ein Verstoß vorliegen.19 Art. 14 EMRK kommt eine Kontrollfunktion der freiheitsrechtsbezogenen Rechtfertigungsgründe zu und bildet damit einen integralen Bestandteil eines jeden Freiheitsrechts.20 3. Der Begriff der Diskriminierung in der EMRK a) Art. 14 EMRK: Diskriminierungsbegriff und Rechtsnatur Der Begriff der Diskriminierung in Art. 14 EMRK hat im Laufe der Zeit eine Konkretisierung erfahren. Dies resultiert nicht zuletzt daraus, dass die beiden entscheidenden Sprachversionen (Englisch/Französisch) der Konvention begrifflich divergierten. In der französischen Fassung hieß es „[…] La jouissance des droits et libertés reconnus dans la présente Convention doit être assurée, sans distinction 18

Ebenfalls abrufbar unter http://conventions.coe.int („SEV“-Nr. 177). Ovey/White, EMRK, S. 415 f.: Die Autoren stellen hier jedoch nochmals deutlich heraus, dass eine alleinige Verletzung von Art. 14 EMRK nicht denkbar ist. Deutlich beziehen sie jedoch Stellung und bejahen die Möglichkeit der Verletzung eines anderen Konventionsrechts in Kombination mit Art. 14 EMRK, selbst dann, wenn das Konventionsrecht für sich genommen nicht verletzt gewesen wäre; Konkordanzkommentar/König/Peters, Kap. 21 Rn. 30. 20 Urteil des EGMR vom 23. 07. 1968 in dem Fall „Relating to Certain Aspects of the Laws on the Use of Languages in Education in Belgium“; wo es heißt: „[…] In such cases there would be a violation of a guaranteed right or freedom as it is proclaimed by the relevant Article read in conjunction with Article 14 (art. 14). It is as though the l a t t e r f o r m e d a n i n t e g r a l part of each of the Articles laying down rights and freedoms. […]“; auf diese Entscheidung bezugnehmend auch in dem Uteil des EGMR vom 27. 10. 1975 in dem Fall „National Union of Belgian Police v. Belgium“; dort heißt es: „[…] It is as though Article 14 (art. 14) formed an integral part of each of the Articles laying down rights and freedoms whatever their nature. […]“; abrufbar im Internet unter: http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/search.asp?skin=hudoc-en. 19

I. Verbot der Diskriminierung zum Schutze der Menschenrechte

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aucune, fondée notamment sur le […]“; demgegenüber lautete die entsprechende Passage in der englischen Fassung „[…] The enjoyment of the rights and freedoms set forth in this Convention shall be secured without discrimination on any ground such as […]“.21 Der entscheidende Unterschied der beiden Sprachversionen bestand in der Wahl des französischen Begriffs „distinction“22 einerseits und des englischen Begriffs „discrimination“23 andererseits. Ausgehend von der französischen Fassung wäre durch Art. 14 EMRK bereits jede irgendwie geartete Unterscheidung untersagt. Eine solche Auslegung entspricht nicht der eigentlichen Schutzrichtung des Art. 14 EMRK. Diese wird durch die spezifischer formulierte englische Fassung der Konvention zutreffend wiedergegeben.24 Der Diskriminierungsbegriff im Kontext des internationalen Menschenrechts ist zwischenzeitlich weiterentwickelt worden. Demnach besteht eine Diskriminierung aus vier unterschiedlichen Faktoren.25 Nach dieser Definition ist unter einer Diskriminierung eine Gleich- oder Ungleichbehandlung zu verstehen, die auf Basis von gruppenbezogenen Merkmalen erfolgt, nicht durch einen Rechtfertigungstatbestand gedeckt ist und dadurch zu einem Nachteil beim Betroffenen führt.26 Diese Definition lässt sich auch auf Art. 14 EMRK übertragen. Dies gilt, obwohl der Wortlaut des Art. 14 EMRK nicht explizit das Vorliegen eines Nachteils zur Voraussetzung macht. Die Notwendigkeit des Vorliegens eines Nachteils wird mit der Systematik des Art. 14 EMRK als akzessorische Norm begründet. Schließlich kommt Art. 14 EMRK – wie zuvor beschrieben – erst dann zur Anwendung, wenn der Betroffene im Hinblick auf ein sonstiges Konventionsfreiheitsrecht eine Ungleichbehandlung erfahren hat.27 Art. 14 EMRK ist damit gleichermaßen autonom und akzessorisch.28 Davon ausgehend stellt sich die Frage, ob und wenn ja welcher Gleichheits- und daraus folgend Gleichbehandlungsbegriff Art. 14 EMRK zu Grunde liegt. Bezugnehmend auf den belgischen Sprachenfall29 wird in der Literatur davon ausgegangen, dass Art. 14 EMRK in erster Linie den Begriff einer formellen Gleichheit zugrundelegt. Da dies allerdings bedeuten würde, dass faktische Unterschiede zwischen den Normadressaten unbeachtet blieben, hat der EGMR in seinem Urteil zum belgischen Sprachenfall bereits klargestellt, dass Art. 14 EMRK nicht allein auf eine Anwen21

Text in beiden Sprachen abrufbar unter http://conventions.coe.int („SEV“-Nr. 005). Französisch für: Unterscheidung. 23 Englisch für: Diskriminierung/Benachteiligung. 24 Text in englischer Sprache abrufbar unter http://conventions.coe.int („SEV“-Nr. 005); vgl. für das vorstehende auch Konkordanzkommentar/König/Peters, Kap. 21 Rn. 44; Grabenwarter, EMRK, S. 526 f.; Ovey/White, EMRK, S. 416. 25 Konkordanzkommentar/König/Peters, Kap. 21 Rn. 47 ff. 26 Konkordanzkommentar/König/Peters, Kap. 21 Rn. 47. 27 Konkordanzkommentar/König/Peters, Kap. 21 Rn. 49. 28 Wolfrum/Trechsel, Nichtdiskriminierung, S. 120. 29 Urteil des EGMR vom 23. 07. 1968 in dem Fall „Relating to Certain Aspects of the Laws on the Use of Languages in Education in Belgium“; abrufbar im Internet unter: http://cmiskp. echr.coe.int/tkp197/search.asp?skin=hudoc-en. 22

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

dung im Sinne der Verwirklichung formeller Gleichheit reduziert werden dürfe. Vielmehr eröffne er auch die Möglichkeit der Herstellung materieller Gleichheit. Materielle Gleichheit soll durch materielle Gleichbehandlung erreicht werden. Der Begriff der materiellen Gleichbehandlung täuscht jedoch über seinen wahren Inhalt hinweg. Schließlich versteckt sich dahinter eine bewusst eingesetzte Ungleichbehandlung zum Ausgleich bestehender faktischer oder tatsächlicher Ungleichheiten.30 Das Vorgesagte zeigt, dass Art. 14 EMRK im Sinne der aristotelischen iustitia distributiva dazu geeignet ist, durch die sogenannte formelle Ungleichbehandlung faktische Ungleichheiten zu beseitigen. Dabei wird, wie bei der iustitia distributiva, in Ansehung der Person die Verteilung von Gütern oder Leistungen gesteuert. An dieser Stelle wird deutlich, dass die Frage, in welchen Situationen materielle Gleichheit hergestellt werden soll, also wann durch gezielte Ungleichbehandlung bestimmter Gruppen faktische Ungleichheiten ausgeglichen werden sollen, originär keine juristische, sondern eine politische bzw. gesellschaftliche Frage ist. Es liegt oftmals im Auge des Betrachters, aus welchem Grund bestimmte faktische Ungleichheiten bestehen. Nicht zuletzt wird eine politische Gesellschaft jeweils eigene Prioritäten setzen, an welchen Stellen durch gezielte Maßnahmen eine faktische Gleichstellung angestrebt werden soll. b) Schutz vor Altersdiskriminierung in der EMRK aa) Schutz vor Altersdiskriminierung in Art. 14 EMRK Der politische bzw. gesellschaftliche Wille konkretisiert sich durch die Aufnahme bestimmter sogenannter „verpönter Kriterien“31. Eine Diskriminierung, also eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung, ist nicht immer mit Art. 14 EMRK unvereinbar, sondern grundsätzlich nur dann, wenn es sich um eine Differenzierung handelt, die unter Bezugnahme auf eines der in Art. 14 EMRK genannten verpönten Kriterien erfolgt. Der Katalog verpönter Kriterien ist nicht als abschließende Aufzählung zu verstehen. Vielmehr ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass weitere ungeschriebene Diskriminierungskriterien existieren.32 Beispiele für solche Differenzierungsmerkmale sind die im EG-Vertrag oder in der Grundrechtecharta explizit genannten. Daraus ergibt sich auch ein Verbot der Diskriminierung aus Gründen des Alters. Dies folgt nicht zuletzt aus der Formulierung des Art. 14 EMRK, wonach eine Diskriminierung aufgrund „eines sonstigen Status“ nicht dazu führen darf, dass für

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Konkordanzkommentar/König/Peters, Kap. 21 Rn. 69. Zum Begriff Konkordanzkommentar/König/Peters, Kap. 21 Rn. 102; im Italienischen als fattori di rischio bezeichnet. 32 Ovey/White, EMRK, S. 418; Konkordanzkommentar/König/Peters, Kap. 21 Rn. 153. 31

I. Verbot der Diskriminierung zum Schutze der Menschenrechte

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den Betroffenen die in der Konvention verbürgten Freiheitsrechte nicht in vollem Umfang gewährleitstet sind.33 Dass unter dem „sonstigen Status“ im Sinne von Art. 14 EMRK auch das Alter zu verstehen ist, wird in der Literatur auch aus Entscheidungen des EGMR abgeleitet. Auch wenn sich der EGMR in den betreffenden Verfahren nicht vorrangig mit der Frage einer Diskriminierung aufgrund des Alters beschäftigt, wird aus diesen deutlich, dass eine solche Diskriminierung aufgrund des Alters zu einer Verletzung einer Konventionsfreiheit im Zusammenhang mit Art. 14 EMRK führen kann.34 Der EGMR wendet bezüglich der einzelnen Diskriminierungsmerkmale ein unterschiedliches Schutzniveau an. Den Mitgliedsstaaten wird insbesondere in Bezug auf eine differenzierende Behandlung von Personen aufgrund des Alters ein weitreichender Ermessenspielraum bei der Auswahl von Rechtfertigungsgründen zugebilligt.35 bb) Schutz vor Altersdiskriminierung in Art. 1 des 12. Zusatzprotokolls zur EMRK Art. 1 ZP 12 ist allgemeiner formuliert und nicht akzessorisch wie Art. 14 EMRK. Dennoch ergibt sich keine wesentlich abweichende Beurteilung. Dem erläuternden Bericht zu Art. 1 ZP 12 kann entnommen werden, dass die Aufzählung der verpönten Kriterien absichtlich in Übereinstimmung mit den in Art. 14 EMRK genannten Merkmalen gewählt wurde. Auch wenn weitere, im Wortlaut nicht ausdrücklich genannte Diskriminierungsgründe, wie etwa das Alter, immer mehr an Bedeutung gewinnen, sahen die Verfasser des Zusatzprotokolls keine Veranlassung, Art. 1 ZP 12 in seinem Wortlaut über die in Art. 14 EMRK genannten Gründe hinaus zu erweitern. Dies wurde damit begründet, dass Art. 1 ZP 12 – genauso wie Art. 14 EMRK – ausdrücklich bestimmt, dass die Aufzählung der verpönten Kriterien nicht abschließend ist. Mit einer erweiterten Aufzählung der verpönten Kriterien hätte in den Augen der Verfasser des ZP 12 die Gefahr bestanden, ein Umkehrschluss könne zu der Annahme führen, dass Merkmale, die in einer solchen erweiterten Aufzählung nicht genannt werden, nicht vom Schutzbereich umfasst sind.36 Es wird daher in dem erläuternden Bericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der EGMR bereits in

33

Schilling, Menschenrechtsschutz, S. 288; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 14 Rn. 16; Grabenwarter, EMRK, S. 525. 34 Hierzu ausführlich Temming, Altersdiskriminierung, S. 73 ff. 35 Temming, Altersdiskriminierung, S. 74 f. 36 Explanatory Report zu „SEV“-Nr. 177 abrufbar unter http://conventions.coe.int; insoweit zumindest mißverständlich Temme, Altersdiskriminierung, S. 76, der meint, dass sich in ZP 12 ein „ausdrückliches Verbot der Altersdiskriminierung“ findet. Auch wenn die Aufzählung in Art. 1 ZP 12 gegenüber der in Art. 14 EMRK leicht erweitert und abgewandelt ist, findet das Merkmal des Alters auch im ZP 12 zu Art. 14 EMRK keine ausdrückliche Erwähnung. Zutreffend ist, wie Temme argumentiert, dass die noch in Art. 14 EMRK vorhandene Limitierung auf die Konventionsrechte weggefallen ist.

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

einem Urteil aus dem Jahr 1999 auch solche Diskriminierungskriterien genannt hat, die sich nicht in der Aufzählung des Art. 14 EMRK fanden.37 Für die vorliegende Betrachtung hat das ZP 12 allerdings nur zu vernachlässigende Bedeutung, da sowohl Italien als auch Deutschland das Zusatzprotokoll zwar am 04. November 2000 unterzeichneten, eine Ratifikation bislang allerdings weder in Deutschland noch in Italien erfolgt ist.38

II. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Primärrecht 1. Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV a) Entstehungsgeschichte Auf europäischer Ebene wurde das demografische Phänomen einer alternden Gesellschaft in den Mitgliedsstaaten bereits in den 1980er-Jahren erkannt. In der Folge kam es zu verschiedenen Entschließungen und Initiativen, da die Europäische Union zu diesem Zeitpunkt noch nicht über die Befugnis verfügte, rechtlich verbindliche Regelungen auf diesem Gebiet zu treffen. Dies führte dazu, dass zwar eine Reihe von Maßnahmen eingeführt wurde, diese jedoch aufgrund der mangelnden rechtlichen Verbindlichkeit weitgehend ohne tatsächliche Wirkung blieben.39 Das Europäische Parlament zeigte sich mit dieser Situation gegen Ende der 1990er Jahre immer unzufriedener, so dass mit dem Vertrag von Amsterdam die Möglichkeit für das Parlament geschaffen wurde, auf dem Gebiet der Antidiskriminierung verbindliche Regelungen zu erlassen. Während der Regierungskonferenzen zur Aushandlung des Amsterdamer Vertrags forderten verschiedene Institutionen (u. a. das Europäische Parlament) vehement, die Grundrechte in den Europäischen Verträgen zu stärken. Das Europäische

37 Urteil des EGMR vom 21. 12. 1999, Antragsnummer 33290/96, abrufbar unter http:// www.echr.coe.int/echr/en/hudoc/: Dort heißt es wörtlich „The Court reiterates in that connection that the list set out in that provision is illustrative and not exhaustive, as is shown by the words ,any ground such as‘ (in French ,notamment‘) (see the Engel and Others v. the Netherlands judgment of 8 June 1976, Series A no. 22, pp. 30 – 31, § 72).“ Mit der Bezugnahme sowobhl auf die französische als auch die englische Fassung des Art. 14 EMRK stellt der EGMR deutlich heraus, dass dieser so zu verstehen ist, wie er auch in der deutschen Übersetzung dargestellt ist. Die verschiedensprachlichen Formulierungen sind im Deutschen richtigerweise mit „insbesondere“ übersetzt, was deutlich werden lässt, dass es sich bei der anschließenden Aufzählung lediglich um nicht abschließende Beispiele handelt. 38 Ratifikationsstatus abrufbar unter http://conventions.coe.int („SEV“-Nr. 177). 39 Für eine ausführliche Darstellung der Maßnahmen, beginnend mit dem Jahr 1982 Schmidt/Senne, Verbot der Altersdiskriminierung, S. 81.

II. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Primärrecht

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Parlament und verschiedene Nichtregierungsorganisationen setzten sich insbesondere dafür ein, Diskriminierungsverbote aufzunehmen.40 Im Jahr 1997, dem „Europäischen Jahr gegen Rassismus“, wurden die Regelungen des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (vormals Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, kurz EWG-Vertrag) schließlich durch den Amsterdamer Vertrag um eine Regelung zur Verhinderung der Diskriminierung bestimmter Personengruppen erweitert.41 Dieser Art. 13 EGV ergänzte den bereits zuvor bestehenden Art. 12 EGV (vormals Art. 6 EGV), auf dessen Grundlage bereits die Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit untersagt war.42 Art. 13 EGV wurde mit den Verträgen von Nizza ein zweiter Absatz hinzugefügt. Hierbei handelt es sich jedoch um eine reine Verfahrensvorschrift.43 Mit Inkrafttreten des Reformvertrages von Lissabon am 1. Dezember 2009 und der damit einhergehenden Auflösung der Europäischen Gemeinschaft fand die Regelung Eingang in das nunmehr als Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bezeichnete Vertragswerk. Der betreffende Art. 19 AEUV ist gegenüber Art. 13 EGV annähernd wortgleich geblieben. Änderungen wurden lediglich im Hinblick auf das Rechtssetzungsverfahren notwendig, da Art. 19 AEUV dem Parlament weitergehende Rechte zubilligt, als dies zuvor der Fall war. Dem Parlament steht nicht nur ein Anhörungsrecht zu, sondern jedweder auf Grundlage von Art. 19 AEUV erlassene Rechtsakt bedarf zu seiner Wirksamkeit der Zustimmung des Parlamentes.44 b) Anwendungsbereich aa) Akzessorietät des Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV Umstritten ist das Verhältnis von Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV zu den anderen Vorschriften des EGV/AEUV. Nach der Meinung von Holoubek45 steht Art. 13 EGV/ Art. 19 AEUV eigenständig neben den anderen (antidiskriminierenden) Ermächtigungsgrundlagen, wohingegen Epiney46 davon ausgeht, dass es sich bei Art. 13 EGV/ Art. 19 AEUV um eine gegenüber den anderen Vorschriften subsidiäre Vorschrift handelt. Insoweit wird eine Parallele zu Art. 12 EGV/Art. 18 AEUV gezogen.

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ILGA, Leitfaden, S. 17; Lenz/Lenz, EUV/EGV, Art. 13 Rn. 1. Das Verbot der Diskriminierung war in der Ursprungsfassung des Amsterdamer Vertrags in Art. 6a kodifiziert, vgl. Europäische Union, Vertrag von Amsterdam, S. 26. In der konsolidierten Fassung des Amsterdamer Vertrages vom 01. Mai 1999 fand sich die Regelung hinsichtlich des Verbotes von Diskriminierungen dann in Art. 13 EGV wieder, siehe http://eur-lex. europa.eu/de/treaties/dat/11997D/htm/11997D.html#0145010077. 42 Europäische Kommission, Leitfaden Amsterdamer Vertrag, S. 14. 43 Lenz/Lenz, EGV/EUV, Art. 13 Rn. 1. 44 Schwarze/Holoubek, EU-Recht 2012, Art. 19 AEUV Rn. 22. 45 Schwarze/Holoubek, EU-Recht 2012, Art. 19 AEUV Rn. 6 f. 46 Calliess/Epiney, EUV/EGV, Art. 13 EGV Rn. 3. 41

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

Mit der in Formulierung „Unbeschadet der sonstigen Bestimmungen dieses Vertrages“ in Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV unterscheidet sich dieser vom Wortlaut des Art. 12 EGV/Art. 18 AEUV. Dort heißt es „unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrages“. Daraus wird abgeleitet, dass es sich bei Art. 13 EGV/ Art. 19 AEUV nicht um eine gegenüber anderen Vorschriften subsidiäre Regelung handelt, sondern diese Vorschrift durchaus (kumulativ) neben diesen Bestand hat. Insoweit unterscheide sich die Vorschrift von dem staatsangehörigkeitsbezogenen Diskriminierungsverbot.47 Dem Argument Epineys, es handle sich lediglich um eine subsidiäre Vorschrift, tritt Holoubek mit einem Hinweis auf die Schlussakte zum Amsterdamer Vertrag entgegen. Dort ist in Nr. 22 der Erklärung festgehalten, dass auf Personen mit einer Behinderung sowohl Art. 95 als auch Art. 13 gleichzeitig Anwendung finden. Dies soll belegen, dass es sich bei Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV nicht um eine subsidiäre Vorschrift handelt, die erst dann als Rechtsgrundlage herangezogen werden darf, wenn eine entsprechende Maßnahme nicht auf andere Rechtsgrundlagen gestützt werden kann.48 Epiney hält dem entgegen, dass die Formulierung des Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV von der des Art. 12 EGV/Art. 18 AEUV abweiche und nicht nur die besonderen Bestimmungen vorbehalte. Es sei allgemeiner gefasst und umfasse auch alle sonstigen Bestimmungen. Dies führt nach Auffassung von Epiney zu dem Ergebnis, dass Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn die übrigen vertraglichen Regelungen den Erlass eines Diskriminierungsverbots nicht begründen können. Einigkeit mit Holoubek besteht nur insoweit, dass eine solche Subsidiarität gegenüber Art. 308 EGV nicht in Betracht kommt, da dieser eine „allgemeine subsidiäre Rechtsgrundlage“ sei.49 Aus dem Verhältnis des Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV zu Art. 141 EGV lässt sich schließen, dass es sich bei Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV um eine subsidiäre Vorschrift handelt. Dies zeigt auch der Erlass der Richtlinie 2000/78/EG. Es war in diesem Zusammenhang die Auffassung der Kommission und schließlich auch des Rates der Europäischen Union sowie des Parlamentes, dass Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV neben andere – zum Teil speziellere – Vorschriften tritt und diese ergänzt. So enthält Art. 141 EGV spezielle Regelungen zur Sicherstellung gleicher Vergütung bei gleichwertiger Arbeit im Verhältnis von Mann und Frau. Explizit heißt es in den Erwägungsgründen der Richtlinie 2000/78/EG (Erwägungsgrund Nr. 13), dass diese Richtlinie keine Anwendung findet „[…]auf die Sozialversicherungs- und Sozialschutzsysteme, deren Leistungen nicht einem Arbeitsentgelt in dem Sinne gleichgestellt werden, der diesem Begriff für die Anwendung des Artikels 141 des EGVertrags gegeben wurde […]“. Dies verdeutlicht bereits, dass die explizit auf Art. 13 EGV gestützte Richtlinie, wenn auch nur ergänzend, auf den Gebieten Anwendung finden soll, die sonst in den Anwendungsbereich des Art. 141 EGV fallen. Diese 47 48 49

Schwarze/Holoubek, EU-Recht 2012, Art. 19 AEUV Rn. 7. Schwarze/Holoubek, EU-Recht 2009, Art. 13 EGV Rn. 3. Calliess/Epiney, EUV/EGV, Art. 13 EGV Rn. 3.

II. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Primärrecht

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Annahme findet bei Betrachtung des Geltungsbereichs der Richtlinie 2000/78/EG eine weitere Stütze. In Art. 3 heißt es hierzu: „[…] (1) Im Rahmen der auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf […] c) die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts.“

Gegen eine gleichrangige Regelung spricht zudem, dass die Richtlinie 2000/78/ EG alle Diskriminierungsmerkmale mit Ausnahme des Geschlechts aufnimmt. Dies legt den Schluss nahe, dass die Verantwortlichen in der Kommission davon ausgegangen sind, dass insoweit bereits eine ausreichende Regelungsgrundlage bestünde.50 Die Ausklammerung der Geschlechterdiskriminierung in dieser Vorschrift spricht dafür, dass Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV einen subsidiären Charakter hat und damit gegenüber den spezielleren Diskriminierungsverboten zurücktritt. bb) Persönlicher Anwendungsbereich Weitgehende Einigkeit in der Literatur besteht hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs des Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV. Danach sind vom Anwendungsbereich nicht allein Bürger der Europäischen Union umfasst, sondern auch Dritte. Die Begründung hierfür liegt darin, dass gemäß dem Wortlaut des Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV der Abbau von Diskriminierungen zwischen Menschen und nicht lediglich zwischen den Angehörigen von Mitgliedsstaaten gefördert werden soll.51 Von weitaus größerer Bedeutung für die vorliegenden Betrachtungen ist jedoch, dass auf Grundlage von Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV nicht lediglich die Mitgliedsstaaten inklusive deren Exekutive verpflichtet werden können, sondern auch der private Sektor Normadressat ist.52 Auf der Grundlage von Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV ist es auch möglich, für die Verhältnisse zwischen Privaten, z. B. im Arbeitsrecht, bestimmende Wirkung zu erlangen. Dies sollte – wie noch zu sehen sein wird – insbesondere in Deutschland dazu führen, dass über das bis dahin bestehende Maß hinaus Antidiskriminierungsvorschriften Eingang in die zwischen Privaten bestehenden Rechtsverhältnisse fanden. Letztlich verbleibt es jedoch dabei, dass Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV lediglich eine Handlungsermächtigung zum Erlass solcher Richtlinien darstellt, mit denen einer Diskriminierung entgegengewirkt werden kann. Ein unmittelbar geltender

50 So auch Lenz/Lenz, EUV/EGV, Art. 13 Rn. 8 und bezugnehmend auf diesen: Kummer, Antidiskriminierungsrichtlinie, S. 140. 51 Calliess/Epiney, EUV/EGV, Art. 13 EGV Rn. 5. 52 Calliess/Epiney, EUV/EGV, Art. 13 EGV Rn. 5; Lenz/Lenz, EUV/EGV, Art. 13 Rn. 22.

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

subjektiver Rechtsschutz vor Ungleichbehandlungen lässt sich aus Art. 13 EGV/ Art. 19 AEUV nicht ableiten.53 cc) Kompetenzeinschränkung Neben dem beschriebenen subsidiären Charakter des Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV gegenüber spezielleren Diskriminierungsverboten wird dessen Anwendungsbereich durch eine weitere Formulierung eingeschränkt. Mit Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV sollte nämlich keine allgemeine Ermächtigungsgrundlage geschaffen werden, mit der die Kompetenzen des Rates über das bis dahin bestehende Maß ausgedehnt werden. Vielmehr sieht Abs. 1 des Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV eine klare Einschränkung vor. Danach kann der Europäische Rat lediglich tätig werden „im Rahmen der durch den Vertrag auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlamentes“. An dieser Stelle wird das Verhältnis von Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV zu den übrigen Ermächtigungsnormen – unabhängig von deren Zielbereich – klargestellt.54 In Bezug auf das Verhältnis zu anderen Ermächtigungsnormen finden Epiney und Holoubek eine gemeinsame Auffassung und vertreten gleichermaßen die Ansicht, dass die Formulierung des Abs. 1 des Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV zwar nicht dazu führt, dass dieser nur dann Anwendung findet, wenn weitere Ermächtigungsgrundlagen einschlägig sind. Jedoch kann davon ausgegangen werden, dass allein eine irgendwie geartete Betroffenheit des Vertrags eben nicht ausreicht. Vielmehr wird vertreten, dass Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV nur dann die Möglichkeit zum Erlass antidiskriminierender Maßnahmen eröffnet, wenn bereits eine grundsätzliche materielle Zuständigkeit der Gemeinschaft bestehe.55 Dieses Erfordernis wird insoweit gelockert, als es wohl ausreicht, wenn sich diese materielle Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs ergibt. Epiney bezeichnet dieses Phänomen der Abhängigkeit des Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV von einer allgemeinen materiellen Kompetenz zutreffend als akzessorisch.56 Damit steht Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV in der Tradition des Art. 14 EMRK. Wie beschrieben, findet auch dieses Diskriminierungsverbot nur dann Anwendung, wenn auch der Schutzbereich eines Freiheitsrechts eröffnet ist. 53

Runggaldier, Rechtsentwicklung, S. 41; Meyer, Diskriminierungsverbot, S. 47; Schwarze/Holoubek, EU-Recht 2012, Art. 19 AEUV Rn. 3 f. m.w.N. 54 Schwarze/Holoubek, EU-Recht 2012, Art. 19 AEUV Rn. 9 f. 55 Calliess/Epiney, EUV/EGV, Art. 13 EGV Rn. 6; Schwarze/Holoubek, EU-Recht 2012, Art. 19 AEUV Rn. 9; i.E. so wohl auch Kummer, Antidiskriminierungsrichtlinie, S. 142 f.: Nicht zu folgen ist diesem, wenn er meint, dass eine irgendwie geartete Betroffenheit des Vertrages ausreichen solle. Vielmehr ist die Meinung von Epiney überzeugend, die für eine Anwendbarkeit des Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV voraussetzt, dass eine materielle Zuständigkeit der EG/EU auf dem Gebiet besteht, jedoch umgekehrt es nicht auf die zugelassene Form ankommt. 56 Calliess/Epiney, EUV/EGV, Art. 13 EGV Rn. 6.

II. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Primärrecht

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Zusammenfassend ist Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV als eine gleichermaßen subsidiäre wie auch akzessorische Vorschrift zu bezeichnen. Subsidiär gegenüber den spezielleren Diskriminierungsverboten und akzessorisch im Hinblick auf die Notwendigkeit des Bestehens einer grundsätzlichen Rechtssetzungskompetenz auf dem jeweiligen Gebiet oder Sektor. Art. 13 EGV hat es ermöglicht, auf europäischer Ebene wirksame Maßnahmen auf dem Gebiet des Diskriminierungsschutzes zu treffen. dd) Der Begriff der Diskriminierung in Art. 13 EGV/AEUV Bis in die 1990er Jahre gab es im EGV kein Verbot der Altersdiskriminierung. Erst mit dem Amsterdamer Vertrag hat ein solches geschriebenes Verbot der Diskriminierung aus Gründen des Alters Eingang in die europäischen Verträge gefunden. Die Initiative zur Aufnahme des Alters als Diskriminierungsmerkmal ging zum überwiegenden Teil vom Europäischen Parlament aus, das erkannt hatte, dass gerade im Bereich des Arbeitslebens eine zunehmende Ungleichbehandlung älterer Arbeitnehmer erfolgte.57 Im Gegensatz zu dem Katalog der verpönten Kriterien im Rahmen des Art. 14 EMRK findet sich daher bereits im Wortlaut des Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV eine ausdrückliche Benennung des „Alters“ als Kriterium. Demnach ist eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung, eine Diskriminierung, aus Gründen des Alters unzulässig. Entgegen Art. 14 EMRK ist die Aufzählung der verpönten Kriterien des Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV abschließend zu verstehen. Eine über die aufgezählten Diskriminierungsmerkmale hinausgehende Kompetenz steht dem Rat nicht zu.58 Bis Anfang des Jahrtausends war die Altersdiskriminierung im Rahmen des Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV äußerst selten Gegenstand der gemeinschaftsrechtlichen Rechtspraxis. Sie erschöpfte sich in einzelnen Aktionen, wie dem Erlass einer unverbindlichen Empfehlung der Europäischen Kommission zur Einführung eines europäischen Seniorenausweises oder eines Beschlusses des Europarates über gemeinschaftliche Aktionen zugunsten älterer Menschen.59 Weder EGV noch AEUV enthalten eine Legaldefinition des Diskriminierungsbegriffs, obwohl der Begriff der Diskriminierung nicht allein in Art. 13 EGV zu finden ist. Auch andere Vorschriften, wie Art. 12 und Art. 31 EGV, verwenden den Begriff der Diskriminierung. Nach der wohl herrschenden Auffassung in der europarechtlichen Literatur versteht man unter einer Diskriminierung eine unterschiedliche Behandlung.60 Dem Wort Diskriminierung wird – entgegen seiner ursprünglichen Bedeutung im Lateinischen – jedoch im Allgemeinen eine pejorative Bedeutung beigemessen. Es soll also eine Diskriminierung vorliegen, wenn gleiche 57 58 59 60

Korthaus, Antidiskriminierungsrecht, S. 33. Scholz, Altersdiskriminierung, S. 15; Calliess/Epiney, EUV/EGV, Art. 13 Rn. 4. Mit ausführlichem Nachweis: Schmidt/Senne, Verbot der Altersdiskriminierung, S. 80 f. Groeben/Hochbaum, EUV/EGV, Bd. 1, Art. 31 Rn. 58.

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

Tatbestände ungleich behandelt bzw. gleiche Tatbestände ohne Grund gleich behandelt werden und dies zu einer Benachteiligung eines der Betroffenen führt.61 Dieser Bedeutungsgehalt wird aus der Vermutung hergeleitet, dass dem Diskriminierungsbegriff in Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV der gleiche Begriff zugrunde liegen soll wie in den genannten Vorschriften des EGV/AEUV.62 Weiter wird diese Definition des Diskriminierungsbegriffs darauf gestützt, dass der EuGH in seiner Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten immer dann vom Vorliegen einer Diskriminierung gesprochen hat, wenn unterschiedliche Vorschriften auf gleiche Sachverhalte oder dieselbe Vorschrift auf ungleiche Sachverhalte angewendet wurden. Hinzukommen muss auch nach der Rechtsprechung des EuGH, dass die womöglich vorgenommene Differenzierung benachteiligend wirkt. Eine Diskriminierung ist nach der Rechtsprechung des EuGH nur dann gegeben, wenn die Differenzierung sachlich nicht gerechtfertigt ist.63 Im Hinblick auf diese „Rechtfertigung von Diskriminierungen“, die zutreffender als eine gerechtfertigte Ungleichbehandlung von grundsätzlich Gleichem zu bezeichnen ist, wird wiederum auf die Rechtsprechung des EuGH Bezug genommen. Insbesondere wird auf die Diskriminierungen im Sinne von Art. 141 EGV verwiesen. Eine Ungleichbehandlung soll dann gerechtfertigt sein, wenn dieser ein legitimes Ziel zugrunde liegt. Der EuGH führt aus, dass ein solches legitimes Ziel dann vorliegt, wenn ein sachlicher Grund für die Diskriminierung gegeben und zudem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.64 Damit eine Ungleichbehandlung zur Diskriminierung wird, ist es also notwendig, dass diese entweder einen die Würde des Betroffenen berührenden Charakter aufweist oder sonst willkürlich erscheint.65 Bezüglich Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV ist die vom EuGH entwickelte Definition der Diskriminierung in gewisser Hinsicht abzuändern. Weitgehend zutreffend ist die in der Literatur vertretene Auffassung, dass in Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV lediglich eine Ungleichbehandlung von Gleichem untersagt wird. Die Umkehrung dieses Prinzips, das Verbot einer (ungerechtfertigten) Gleichbehandlung unterschiedlicher Sachverhalte, enthält Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV nicht. Der Grund hierfür liegt darin, dass aufgrund des in Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV enthaltenen Kataloges verpönter Merkmale tatbestandlich keine ungleichen Sachverhalte existieren.66 Tatsächlich haben die verpönten Merkmale eine „egalisierende“ Wirkung. Durch die Vorgabe dieser Merkmale wird es möglich, Vergleichsgruppen zu definieren, die grundsätzlich als gleich zu betrachten sind. Letztlich heißt das aber nicht, dass diese 61

Groeben/Hochbaum, EUV/EGV, Bd. 1, Art. 31 Rn. 59. Grabitz/Grabenwarter, EUV/AEUV, Art 19 AEUV Rn. 25. 63 Korthaus, Antidiskriminierungsrecht, S. 48; Grabitz/Grabenwarter, EUV/EGV, Art. 13 EGV Rn. 25. 64 Grabitz/Grabenwarter, EUV/EGV, Art. 13 EGV Rn. 27. 65 Hierzu mit entsprechenden Belegen aus der Rechtsprechung des EuGH Stalder, Antidiskriminierungsmaßnahmen, S. 65 f. 66 Meyer, Diskriminierungsverbot, S. 35. 62

II. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Primärrecht

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Gruppen auch in jeder Hinsicht homogen sind. Im Gegenteil. Letztlich sind die entsprechenden Personengruppen sogar äußerst heterogen, da die Begriffe so weit und allgemein gefasst sind, dass sie Menschen mit unterschiedlichen Merkmalen zu einer Vergleichsgruppe zusammenfassen. So werden Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlichen Geschlechts oder unterschiedlicher Weltanschauung etc. ungeachtet der tatsächlichen Unterschiede jeweils als vergleichbar bzw. gleich definiert. Aufgrund dieser vorgenannten egalisierenden Wirkung ist es tatsächlich nicht möglich, in Art. 13 EGV/Art. 19 AEUVein reines Verbot der Gleichbehandlung von Ungleichem zu sehen. Die in der Literatur von Meyer gezogene Schlussfolgerung, dass es sich im Rahmen von Art. 13 EGV/Art. 19 AEUVaus diesem Grund um einen „eindimensionalen Diskriminierungsbegriff“ handelt, ist deshalb unzutreffend.67 Es ist allerdings an dieser Stelle festzuhalten, dass auch die vom EuGH gelieferten Definitionen in dieser Hinsicht nicht immer die notwendige Präzision besitzen, um eine eindeutige Begriffsdefinition der Diskriminierung zu schaffen.68 Es wäre dennoch verfehlt, deshalb im Rahmen von Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV von einem „eindimensionalen Diskriminierungsbegriff“ zu sprechen. Vielmehr liegt es in der Natur des Diskriminierungsbegriffs, nicht die Reichweite eines allgemeinen Gleichheitssatzes zu besitzen. Die Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte fällt gerade aufgrund des Umstandes, dass mittels eines verpönten Merkmals eine Vergleichsgruppe definiert wird, bzw. bestehende Unterschiede in der Vergleichsgruppe egalisiert werden, nicht in den Begriff der Diskriminierung. Dies ist im Übrigen das „Schicksal“ aller speziellen Gleichheitssätze und lässt sich auch im deutschen Verfassungsrecht nachvollziehen. Hier umfasst der Schutzbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG sowohl die Ungleichbehandlung (unterschiedliche Behandlung zweier vergleichbarer Sachverhalte) als auch die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem.69 Die Situation bezogen auf den speziellen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 2 GG ist jedoch eine andere. Im Rahmen des speziellen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 2 GG, der nach herrschender Auffassung ein absolutes Differenzierungsverbot darstellt, werden vom sachlichen Schutzbereich bzw. Anwendungsbereich lediglich Ungleichbehandlungen vergleichbarer Sachverhalte erfasst.70 Wenn man also bezogen auf den Begriff der Diskriminierung von „Eindimensionalität“ sprechen möchte, kann ein Diskriminierungsverbot als eindimensionale Konkretisierung eines allgemeinen Gleichheitssatzes bezeichnet werden. 67

Meyer, Diskriminierungsverbot, S. 35. Hierzu insbesondere die Definition des EuGH in der Rechtssache C-411/96, Rn. 39, abrufbar im Internet unter http://curia.europa.eu/: In diesem Urteil führt der EuGH zum Begriff der Diskriminierung folgendes aus: „Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine Diskriminierung vor, wenn unterschiedliche Vorschriften auf gleiche Sachverhalte angewandt werden oder wenn dieselbe Vorschrift auf ungleiche Sachverhalte angewandt wird (Urteil Gillespie u. a., Randnr. 16, und Urteil vom 14. Februar 1995 in der Rechtssache C-279/93, Schumacker, Slg. 1995, I-225, Randnr. 30).“ 69 Jarass/Jarass, GG, Art. 3 Rn. 6 ff. 70 Jarass/Jarass, GG, Art. 3 Rn. 85 f. 68

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

Auch soweit Meyer von „Unterscheidungsverboten“ und der Untersagung der „Ungleichbehandlung von Gleichem“ spricht, ist diese Begriffswahl unscharf. Richtigerweise ist Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV als Diskriminierungsverbot zu bezeichnen. Ein Diskriminierungsverbot beinhaltet – wie sich bei Betrachtung des auf Grundlage von Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV ergangenen Sekundärrechts genauer zeigen wird – lediglich das Verbot nicht gerechtfertigter Ungleichbehandlungen von Gleichem im Hinblick auf ein bestimmtes verpöntes Merkmal. Auch innerhalb der über die verpönten Merkmale egalisierten Gruppen ist eine Differenzierung folglich nicht ausgeschlossen. Vielmehr sind Ungleichbehandlungen innerhalb der egalisierten Gruppen unter gewissen Umständen möglich und auch zulässig. Es ist daher zwischen relativen und absoluten Diskriminierungsverboten zu unterscheiden. Abzulehnen ist das Verständnis eines Diskriminierungsverbots als dergestalt absolut, dass eine Ungleichbehandlung ohne Ausnahme verboten ist.71 Nur in diesem extremen und nicht vertretbaren Fall würden die Begriffe Ungleichbehandlung und (absolute) Diskriminierung deckungsgleich. Vom tatbestandlichen Begriff der Diskriminierung im Sinne des Art. 13 EGV/ Art. 19 AEUV sind sowohl unmittelbare als auch mittelbare Diskriminierungen erfasst.72 Eine unmittelbare Diskriminierung liegt dann vor, wenn sich die diskriminierende Handlung, bezogen auf das jeweilige Diskriminierungsmerkmal, direkt gegen den Betroffenen richtet. Bei der mittelbaren Diskriminierung kommt es in der Folge einer nicht merkmalsbezogenen Ungleichbehandlung zu einer merkmalsbezogenen Wirkung. ee) Der Begriff des Alters in Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV Auch für den Begriff des Alters enthält Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV keine Legaldefinition. Aufgrund der aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt wird zum Teil vertreten, dass die vorwiegende Zielrichtung von Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV die Bekämpfung der Diskriminierung älterer Personen ist. Letztlich anerkannt ist aber die Definition des Alters, wonach es sich dabei um „die vergangene Zeit eines Menschenlebens“ handelt. Daher wird von der h.M. vertreten, dass grundsätzlich auch jüngere Menschen unter den Schutzbereich des Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV fallen.73 2. Europäische Grundrechtecharta Neben dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist auch der Vertrag über die Europäische Union (EUV) für das europäische Antidiskriminierungsrecht von maßgeblicher Bedeutung. Über Art. 6 EUV werden eine 71 72 73

Schiek, Gerechtigkeit, S. 50. Grabitz/Grabenwarter, EUV/EGV, Art. 13 EGV Rn. 26. M.w.N. Korthaus, Antidiskriminierungsrecht, S. 55.

II. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Primärrecht

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Verbindlichkeit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUGRCharta) sowie eine Gleichstellung mit den Verträgen gewährleistet. a) Entstehungsgeschichte Der Grundstein für die EU-GRCharta wurde durch den EuGH gelegt. Dieser hatte bereits Ende der 1960er Jahre geurteilt, dass aus Grundsätzen der allgemeinen Gemeinschaftsrechtsordnung Grundrechte abzuleiten seien. Weil diese Grundrechte lediglich auf Richterrecht beruhten, gab es zunächst keinen geschriebenen Grundrechtskatalog. Dieser Nachteil blieb auch dem Europäischen Parlament nicht verborgen, das schließlich im Jahr 1989 die „Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten“ präsentierte.74 Eine tatsächliche Rechtswirkung ging jedoch von dieser Erklärung zunächst nicht aus. Der Europäische Rat beauftragte im Jahr 1999 eine Kommission unter der Leitung von Roman Herzog damit, eine Grundrechtecharta zu entwickeln. Der aus mehreren Mitgliedern zusammengesetzte Konvent stellte schließlich am 2. Oktober 2000 das Ergebnis seiner Arbeit vor. Der Text wurde als „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“ bezeichnet. Die Charta stellte einen Kompromiss unterschiedlicher Strömungen innerhalb des Konventes dar. Einige Mitglieder beabsichtigten lediglich die Inkorporierung bereits bestehender Rechte. Andere verlangten, neu formulierte Rechte zu verankern. Der auf diese Weise entstandene Kompromiss wurde vom Europäischen Parlament, dem Europäischen Rat sowie der Europäischen Kommission schließlich am 7. Dezember 2000 feierlich proklamiert. Da die Frage der Verbindlichkeit der Grundrechtecharta zurückgestellt worden war, erfolgte die Proklamation mit einem erkennbaren „Schönheitsfehler“.75 Etwa ein Jahr später beschloss schließlich der Europäische Rat in Laeken, der Europäischen Union eine Verfassung zu geben. Zur Ausarbeitung des entsprechenden Vertragstextes wurde wiederum ein Konvent einberufen. Die Leitung des Konvents hatte der ehemalige französische Staatspräsident Valéry Marie René Giscard d’Estaing76 inne. Zu dem vom Konvent erarbeiteten Verfassungsvertragsentwurf gehörte auch ein Grundrechtekatalog. Dieser war weitgehend identisch mit dem Grundrechtekatalog, der zuvor unter Roman Herzog als eigenständige Grundrechtecharta erarbeitet worden war.77 Am 29. Oktober 2004 wurde die abschließende Fassung des Vertrages über eine Verfassung für Europa samt Grundrechtskatalog unterzeichnet.78 Das anschließende Schicksal des Vertrages über eine Verfassung für Europa ist hinreichend bekannt. Nach gescheiterten Volksreferenden in Frankreich und den Niederlanden wurde der Ratifizierungsprozess bis auf weiteres ausgesetzt. 74 75 76 77 78

Jarass, EU-Grundrechte, S. 7 f. Jarass, EU-Grundrechte, S. 9 f. Französischer Politiker und ehemaliger Staatspräsident, geb. 1926. Jarass, EU-Grundrechte, S. 10 f. Jarass, EU-Grundrechte, S. 10.

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

Damit blieb es zunächst auch dabei, dass die Europäische Union über keinen gemeinsamen Grundrechtskatalog verfügte. Erst durch den Vertrag von Lissabon sollte sich diesbezüglich etwas ändern. Art. 6 Abs. 1 der durch den Vertrag von Lissabon konsolidierten Fassung des EUV79 bestimmt, dass die Europäische Union die Rechte, Freiheiten und Grundsätze in der Form anerkennt, in der sie am 07. Dezember 2000 proklamiert worden waren. Die in der EU-GRCharta80 kodifizierten Rechte sind gemäß Art. 6 EUV rechtlich gleichrangig mit den übrigen Vorschriften des EUV. b) Anwendungsbereich aa) Normadressaten Der Anwendungsbereich der EU-GRCharta war insbesondere im Hinblick auf die Adressaten, also die durch die Grundrechte verpflichteten Parteien, von Interesse. Aus diesem Grund war er Gegenstand reichhaltiger Diskussionen im Rahmen des Konvents.81 Die Sorge vieler Mitgliedsstaaten ging dahin, dass mit Einführung eines solchen Grundrechtskatalogs auf europäischer Ebene die nationalen Grundrechte beeinflusst, wenn nicht sogar überlagert werden könnten. Diese Sorge ist in Art. 51 EU-GRCharta dokumentiert. Einigkeit besteht insoweit, dass die Adressaten der EUGRCharta vorrangig die Einrichtungen der Europäischen Union sein sollen.82 Gebunden sind gemäß dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EU-GRCharta alle Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips. Auch dieser ausdrückliche Hinweis auf das Subsidiaritätsprinzip spiegelt die Sorge der Mitgliedsstaaten vor einem übergroßen Einfluss durch die Charta wieder. Zudem wird durch die ausdrückliche Erwähnung der Subsidiarität die in Art. 6 Abs. 2 EU-GRCharta enthaltene Kompetenzschutzklausel unterstrichen.83 Inwiefern die einzelnen Mitgliedsstaaten an die Grundrechte der Union gebunden sind, war bereits vor deren Kodifizierung in der EU-GRCharta umstritten. Die Rechtsprechung des EuGH war hierzu nicht eindeutig. Diese sah eine Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur Achtung der Unionsgrundrechte zunächst immer dann, wenn diese im „Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts“ tätig wurden. Eine Bindung sollte also insbesondere bei der Durchführung von Gemeinschaftsrecht vorliegen. Umstrittener war die Bindung der Mitgliedsstaaten bei der Einschränkung von Grundfreiheiten. Nicht zuletzt um Missverständnisse zu vermeiden, wurde in 79

htm.

Konsolidierte Fassung des EUV abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/index.

80 Gültige Fassung der EU-GRCharta abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/in dex.htm. 81 Meyer/Borowsky, EU-GRCharta, S. 643 ff.; Jarass, EU-Grundrechte, S. 37 ff. 82 Meyer/Borowsky, EU-GRCharta, S. 648. 83 Meyer/Borowsky, EU-GRCharta, S. 651.

II. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Primärrecht

101

Art. 51 EU-GRCharta eine diesbezüglich klarstellende Formulierung verwendet. Demnach sind die Mitgliedsstaaten nur dann gebunden, wenn sie Gemeinschaftsrecht ausführen.84 bb) Normbegünstigte Die in der EU-GRCharta verbrieften Grundrechte stehen grundsätzlich allen natürlichen Personen zu. Dabei sind das Alter oder sonstige Eigenschaften der jeweiligen Person grundsätzlich nicht ohne Belang.85 Eine Beschränkung auf Bürger der Europäischen Union besteht, auch wenn einige Grundrechte ihrem Tatbestand nach nur für Bürger der Europäischen Union Geltung besitzen, nicht. Beispiele für Unionsbürgern vorbehaltene Grundrechte sind das Wahlrecht (Art. 39 EUGRCharta), in Teilen die Berufsfreiheit (Art. 15 Abs. 2 EU-GRCharta) und der Zugang zu bestimmten Dokumenten (Art. 42 EU-GRCharta).86 Auch juristische Personen sind Begünstigte der EU-GRCharta. Allerdings sind die juristischen Personen nur in bestimmten Grundrechten ausdrücklich genannt.87 Es ist davon auszugehen, dass juristische Personen auch Begünstigte der „übrigen“ Unionsgrundrechte sein können, soweit dies nicht aufgrund deren Inhalts sinnwidrig wäre.88 c) Grundrecht auf Nichtdiskriminierung, Art. 21 EU-GRCharta aa) Der Begriff der Diskriminierung in Art. 21 EUR-GRCharta Der Grundrechtskatalog der EU-GRCharta sieht in Art. 21 ein Verbot der Diskriminierung vor. Dabei geht das Grundrecht auf Nichtdiskriminierung über das hinaus, was bisher in Europa oder in Deutschland gegolten hatte. Es werden auch solche Diskriminierungsmerkmale in Art. 21 EU-GRCharta genannt, die bis dahin nicht in Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV enthalten waren. Auch die Regelungen des deutschen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) sehen entsprechende Diskriminierungsmerkmale nicht vor. Hierbei handelt es sich um Diskriminierungsmerkmale wie die „soziale Herkunft“, die „Sprache“ etc.89 Art. 21 Abs. 1 EU-GRCharta ist in seiner Konstruktion eng an Art. 13 EGV/ Art. 19 AEUV sowie Art. 14 EMRK angelehnt, wobei der Schutzbereich des Art. 21 EU-GRCharta weitergehend ist als der der EMRK. Dies resultiert daraus, dass der 84

Meyer/Borowsky, EU-GRCharta, S. 652 f. Jarass, EU-Grundrechte, S. 44. 86 Jarass, EU-Grundrechte, S. 44 f. 87 So in Art. 42 bis 44 EU-GRCharta. 88 Dies gilt zum Beispiel für die in Art. 1 EU-GRCharta verankerte Menschenwürde. In der Literatur gilt diese als Indiz für die Anwendbarkeit eines Grundrechts. Bezogen auf juristische Personen wird darauf abgestellt, ob in dem jeweiligen Grundrecht davon die Rede ist, dass es für „Menschen“ gilt (dann keine Übertragung auf juristische Personen) oder ob von „Personen“ die Rede ist (dann meist übertragbar auch auf juristische Personen). 89 Hanau, Grundrechtecharta, S. 2. 85

102

C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

Anwendungsbereich nicht allein auf die Grundrechte beschränkt ist, sondern dem Rechtsträger jegliche Rechte ohne Diskriminierung zu gewähren sind.90 Die Aufzählung der Merkmale in Art. 21 EU-GRCharta ist wiederum lediglich als beispielhaft und nicht abschließend zu verstehen. Auch hieraus wird der Bezug zu Art. 14 EMRK deutlich.91 Ausdrücklich genannt ist in Art. 21 EU-GRCharta das Alter. Art. 21 EU-GRCharta verbietet jegliche Diskriminierung aufgrund der dort genannten Kriterien. Zur Bestimmung des Begriffs der Diskriminierung im Rahmen des Art. 21 EU-GRCharta ist mangels einer entsprechenden Legaldefinition auf die Rechtsprechung des EuGH abzustellen. Daher kann auf die Ausführungen zu Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV verwiesen werden. Die Verwendung des Begriffs „Diskriminierung“ im Rahmen des Art. 21 EUGRCharta ist nicht unumstritten. Hölscheidt argumentiert, dass die Wahl des Begriffs nicht korrekt sei. Demnach hätte der Artikel eher mit „Diskriminierungsverbot“ überschrieben werden müssen, um den Inhalt des Art. 21 EU-GRCharta korrekt wiederzugeben. Hölscheidt führt weiter aus, dass dem Begriff „Diskriminierung“ bei einer etymologischen Betrachtung ursprünglich die Bedeutung „unterschiedliche Behandlung“, „Unterscheidung“ oder „Abtrennung“ zugekommen sei. Eine pejorative Konnotation habe diesen Begriffen nicht innegewohnt. Dies hält Hölscheidt grundsätzlich für richtig, da eine Unterscheidung schließlich gerechtfertigt sein könne. Die Verwendung des Begriffs „Diskriminierung“ erfolgt nach Auffassung von Hölscheidt im Rahmen von Art. 21 EU-GRCharta in keiner Weise wertneutral im vorstehenden Sinne. Vielmehr werde der Begriff – wie auch in der übrigen Praxis – mit negativer Bedeutung verwendet. Dies ergibt sich nach seiner Meinung daraus, dass Diskriminierungen generell verboten werden. Hölscheidt erachtet daher die Verwendung eines Begriffs wie „Benachteiligung“ als passender. In diesem Zusammenhang konkretisiert er die Frage, ob „Diskriminierung“ lediglich als „Ungleichbehandlung“ verstanden werden soll oder ob der Begriff darüber hinaus ein Rechtfertigungselement enthält. Dann wäre eine Definition als „sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung“ zutreffender. Eine Definition im letztgenannten Sinne lehnt Hölscheidt jedoch kategorisch ab, da dies nach seiner Auffassung dazu führen würde, dass nicht mehr von der Rechtfertigung einer Diskriminierung gesprochen werden könne.92 bb) Altersbezogenes Diskriminierungsverbot in Art. 21 EU-GRCharta Der Begriff des Alters ist auch im Rahmen des Art. 21 EU-GRCharta nicht dergestalt beschränkt, dass der Schutzbereich lediglich das fortgeschrittene Le90 91 92

Jarass, EU-Grundrechte, S. 294; Calliess/Rossi, Art. 21 GRCh Rn 1. Kölner GK/Sachs, EUGRCh, Art. 21 Rn. 23. Meyer/Hölscheidt, EU-GRCharta, S. 356.

III. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Sekundärrecht

103

bensalter umfasst. Da Art. 21 EU-GRCharta sowohl an Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV als auch an Art. 14 EMRK angelehnt ist, kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der Altersbegriff mit dem der beiden vorgenannten Vorschriften übereinstimmt. Es soll sowohl die Benachteiligung junger als auch alter Menschen verhindert werden. Dies führt zu dem Schluss, dass der Begriff des Alters in Art. 21 EU-GRCharta nicht lediglich auf das fortgeschrittene Alter zu reduzieren ist. Vielmehr umfasst der Begriff Alter alle Menschen unabhängig vom Fortschritt des jeweiligen Alters.93

III. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Sekundärrecht: Die Rahmenrichtlinie 2000/78/EG Art. 13 EGV ermächtigt den Europäischen Rat, Richtlinien zu erlassen, um Diskriminierungen im Gebiet der Europäischen Union zu bekämpfen. Von dieser Möglichkeit hat der Rat Gebrauch gemacht und die beiden Richtlinien 2000/78/EG94 und 2000/43/EG95 erlassen. Während die Richtlinie 2000/43/EG darauf abzielt, Gleichbehandlung ohne Ansehung von Rasse und ethnischer Zugehörigkeit zu gewährleisten, bezieht sich die Richtlinie 2000/78/EG auf die Gleichbehandlung beim Zugang zum Beruf und auf Arbeitsbedingungen. 1. Entstehungsgeschichte und rechtliche Rahmenbedingungen a) Entstehungsgeschichte Kurz nachdem mit dem Amsterdamer Vertrag Art. 13 EGV seinen Eingang in das Europäische Primärrecht gefunden hatte, machte die Kommission von der darin enthaltenen Ermächtigung Gebrauch. Die letzten Vorarbeiten für den Vorschlag einer Richtlinie wurden im Jahr 1999 geleistet, so dass die Kommission letztlich am 6. Januar 2000 den „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Proposta di Direttiva del Consiglio che stabilisce un quadro generale per la parità di trattamento in materia di occupazione e di condizioni di lavoro)“96 vorlegen konnte. Der Richtlinienvorschlag für die sogenannte „Rahmenrichtlinie“ war Bestandteil eines Maßnahmenpakets zur Bekämpfung von Diskriminierungen auf der Grundlage von Art. 13 EGV. Das Maßnahmenpaket bestand, 93

Meyer/Hölscheidt, EU-GRCharta, S. 360. Abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 32000 L0078. 95 Abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 32000 L0043. 96 Abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 51999PC0565. 94

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

neben der Richtlinie 2000/78/EG, aus einem weiteren Richtlinienvorschlag und einem Aktionspaket. Bei dem zweiten Richtlinienvorschlag handelte es sich um die „Richtlinie des Rates zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (Direttiva del Consiglio che attua il principio della parità di trattamento fra le persone indipendentemente dalla razza e dall’origine etnica)“ mit der Bezeichnung 2000/43/EG.97 Nach seiner Präsentation durch die Kommission wurde der Richtlinienvorschlag für die Rahmenrichtlinie von den verschiedenen Europäischen Institutionen behandelt. Es folgten die Beratung im Europäischen Parlament, dem Ausschuss der Regionen sowie die Konsultation und Stellungnahme durch den Wirtschafts- und Sozialausschuss98. Schließlich erließ der Europäische Rat am 27. November 2000 die Rahmenrichtlinie 2000/78/EG99. Art. 18 der Richtlinie 2000/78/EG verpflichtete die Mitgliedsstaaten, die Richtlinie bis spätestens zum 2. Dezember 2003 in nationales Recht umzusetzen. Es blieb den Mitgliedsstaaten überlassen, die Umsetzung durch gesetzgeberische Maßnahmen oder durch entsprechende verbindliche Vereinbarungen der Sozialpartner vorzunehmen. Die Erwägungsgründe der Rahmenrichtlinie machen zudem deutlich, dass die Idee der Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz die grundlegende Motivation für den Erlass der Richtlinie bildete.100 Dieser Rückbezug macht deutlich, dass der allgemeine Gleichheitssatz den Nukleus und damit den rechtsgeschichtlichen Ausgangspunkt für die modernen Diskriminierungsverbote bildet. b) Grundsatz der Subsidiarität Die Kommission musste ausführlich begründen, warum Regelungen zur Antidiskriminierung auf Unionsebene101 erlassen wurden. Diese Notwendigkeit zur erweiterten Begründung bestand, da die in Art. 13 EGV enthaltene Ermächtigung zum Erlass von Maßnahmen kein ausschließliches Recht der Union begründete, auf diesem Feld tätig zu werden. Gemäß dem zu dieser Zeit noch in Kraft befindlichen Art. 5 EGV war es der Union in einem solchen Fall nur dann erlaubt tätig zu werden, 97

Abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 51999PC0566. 98 Abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 52000AC0596. 99 Abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 32000 L0078. 100 Husmann, Gleichbehandlungsrichtlinie, S. 114; ähnlich auch Ballestrero, eguaglianze e differenze, S. 511 die ausführt: „Parlare di eguaglianza significa dunque parlare anzitutto del diritto antidiscriminatorio: espressione riassuntiva del corpus normativo ormai imponente che regola appunto il ,come‘ dell’eguaglianza.“ Ballestrero bestätigt den engen Zusammenhang zwischen Antidiskriminierung und Gleichheit. Nach Ihrer Meinung bedeutet es von der Gleichheit zu sprechen gleichzeitig vom Antidiskriminierungsrecht zu sprechen. Unter dem Antidiskriminierungsrecht wiederum versteht sie den bestehenden normativen Korpus der das „Wie“ der Gleichheit regelt. 101 Damals noch auf Gemeinschaftsebene.

III. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Sekundärrecht

105

„sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedsstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkung besser auf der Gemeinschaftsebene erreicht werden können“.102 Eine solche Subsidiaritätsklausel findet sich auch im aktuellen Vertragswerk der Europäischen Union. Sie „wanderte“ vom EGV103, nunmehr AEUV, in Art. 5 EUV. Zur Begründung ihres Tätigwerdens führte die Kommission im Vorschlag zur Rahmenrichtlinie an, dass in den sozialen Grundrechten der Gemeinschaftcharta, die über Art. 136 EGV ausdrücklich einbezogen wurden, die Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit der Bürger der Gemeinschaft statuiert worden seien. Die gemeinschaftsweite Anerkennung des Rechts des Einzelnen auf Gleichbehandlung sei notwendig, da eine erhebliche Divergenz in Maß und Ausgestaltung der Gleichbehandlungsvorschriften in den Mitgliedsstaaten herrsche. Mit der Rahmenrichtlinie und dem damit einhergehenden Maßnahmenpaket sollte „eine klare Botschaft“ gesendet werden, dass bestimmte Mindeststandards des Diskriminierungsschutzes im Beschäftigungsleben zu gewährleisten sind.104 c) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Die Kommission hatte nicht nur den Grundsatz der Subsidiarität zu beachten. Ihr oblag es zudem, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Dies ergab sich ebenfalls aus Art. 5 EGV. Dieser sah vor, dass die von der Gemeinschaft getroffenen Maßnahmen nicht „über das für die Erreichung der Ziele“ des EG-Vertrages „erforderliche Maß hinaus“ gehen dürften.105 Zwischenzeitlich wurde auch diese Regelung in den EUV übernommen und findet sich dort in Art. 5 Abs. 3 u. 4 EUV. Der Kommission war bewusst, dass in verschiedenen Mitgliedsstaaten bereits Diskriminierungsverbote existierten, deren Anwendungsbereich sich auf den Zugang zu und die Ausübung von Beschäftigung erstreckte. Aus diesem Grunde wählte die Kommission auch den Weg einer Rahmenrichtlinie. Diese sollte dem differenzierten Status in den Mitgliedsstaaten gerecht werden und eine flexible Handhabung bei der Umsetzung der Rahmenrichtlinie erlauben. Besonderes Augenmerk legte die Kommission darauf, die verschiedenen verpönten Kriterien nicht hierarchisch bzw. priorisierend zu gliedern. Auch in dieser Hinsicht sollte es den jeweiligen Mitgliedsstaaten überlassen bleiben, eigene politische Präferenzen und Prioritäten bei der Umsetzung der Rahmenrichtlinie zu setzen. Schließlich bestand das Hauptziel 102 Hierzu auch Meyer, Diskriminierungsverbot, S. 120 f.; Bauer, Antidiskriminierungsrichtlinien, S. 2672. 103 Dieser wird nunmehr als Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bezeichnet. 104 Vorschlag der Kommission der EG vom 25. 11. 1999, abrufbar imInternet unter: http:// eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 51999PC0565, S. 5. 105 Abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; Amtsblatt-Nr.: C 321/ 1E; hierzu auch Meyer, Diskriminierungsverbot, S. 120.

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

der Rahmenrichtlinie darin, einen Mindestschutz vor Diskriminierung in den Mitgliedsstaaten zu garantieren.106 2. Anwendungsbereich der Rahmenrichtlinie Der persönliche Anwendungsbereich ist in Art. 3 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie kurz definiert. Demnach gilt die Richtlinie „für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen“. Bereits der Wortlaut macht deutlich, dass nicht nur der private Sektor, also die Arbeitsvertragsparteien, vom persönlichen Anwendungsbereich umfasst sind, sondern die Richtlinie auch auf öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse Anwendung findet.107 Aus Erwägungsgrund 13 der „Schwesterrichtlinie“ 2000/43/EG wird hergeleitet, dass die Richtlinie nicht nur dem Schutz von Unionsangehörigen dienen soll, sondern auch Angehörige von Drittstaaten Diskriminierungsschutz genießen.108 Dies gilt jedoch nicht so uneingeschränkt, wie dies Högenauer zu vertreten scheint. Vielmehr ist Kummer beizupflichten, dass grundsätzlich auch Drittstaatsangehörige einzubeziehen sind.109 Insbesondere ist der von Högenauer gewählte Bezug auf den 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/43/EG überflüssig. Wie Kummer richtig feststellt, ist auch der Rahmenrichtlinie ein entsprechender Erwägungsgedanke vorangestellt. Ausweislich des 12. Erwägungsgrundes der Rahmenrichtlinie sollen die Diskriminierungsverbote zwar grundsätzlich auch für Angehörige dritter Länder gelten. Aber bereits die Formulierung „sollen“110 spricht dafür, dass der Richtliniengeber eine Anwendung nicht zwingend vorschreibt, sondern die Formulierung vielmehr als deutliche Empfehlung dahingehend zu verstehen ist. In dem 12. Erwägungsgrund findet sich ein weiteres Argument gegen eine generelle Anwendbarkeit. Danach wird die Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ausdrücklich vom Schutzbereich der Rahmenrichtlinie ausgenommen. Gleiches gilt für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen sowie deren Zugang zu Beschäftigung und Beruf.111 In der Praxis ist der Schutzbereich der Rahmenrichtlinie für Drittstaatsangehörige unter Umständen sehr weit eingeschränkt. Schließlich darf davon ausgegangen werden, dass in den meisten Ländern der Europäischen Union relativ hohe Hürden 106

Vorschlag der Kommission der EG vom 25. 11. 1999, abrufbar imInternet unter: http:// eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 51999PC0565, S. 7 f. 107 Schmidt/Senne, Verbot der Altersdiskriminierung, S. 82; Waltermann, Altersdiskriminierung, S. 1266. 108 Högenauer, Diskriminierungsrichtlinien, S. 89. 109 Kummer, Antidiskriminierungsrichtlinie, S. 34. 110 In der italienischen Fassung der Rahmenrichtlinie ist die entsprechende Stelle ebenfalls so formuliert, dass eine zwingende Regelung nicht vorliegt. Hier heißt es „[…] dovrebbe essere pertanto proibita […]“. 111 Erwägungsgrund 12 der Rahmenrichtlinie; abrufbar imInternet unter: http://eur-lex.euro pa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 51999PC0565.

III. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Sekundärrecht

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für Drittstaatsangehörige bestehen, soweit der Zugang zu Beschäftigung und Beruf betroffen ist. Dies gilt im Übrigen nicht nur für Drittstaatsangehörige. Selbst Bürger der Mitgliedsstaaten, die im Rahmen der EU-Erweiterungen 2004 und 2007 der Europäischen Union beigetreten sind, wie Esten, Litauer etc., hatten aufgrund von Übergangsregelungen zunächst keinen gleichberechtigten Zugang zu Beschäftigung und Beruf. Faktisch kann dies dazu führen, dass die Rahmenrichtlinie für Drittstaatsangehörige weniger den Zugang zu Beschäftigung und Beruf schützt, sondern der Schutzbereich sich auf solche Drittstaatsangehörige bezieht, die bereits den Schritt in Beruf oder Beschäftigung in der Europäischen Union geschafft haben. Letztlich hängt dies von der Ausgestaltung in den jeweiligen Mitgliedsstaaten ab. Die eingeschränkte Geltung der Grundsätze für Drittstaatsangehörige lässt sich auch im Vergleich der verschiedenen Versionen des Kommissionsvorschlages ablesen. In den ursprünglichen Entwürfen der Richtlinie war die eingeschränkte Geltung gegenüber Drittstaatsangehörigen noch nicht enthalten. Die entsprechenden Formulierungen fanden erst mit dem geänderten Vorschlag vom 27. Februar 2001 Eingang in den 12. Erwägungsgrund.112 Diese Art der Gestaltung hat zumindest in der Literatur Kritik geerntet. Chieco sieht in einer solchen Regelung einen möglichen Verstoß gegen Art. 12 EGV/Art. 18 AEUV. Nach seiner Auffassung enthält Art. 12 EGV/Art. 18 AEUV ein generelles Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Ausnahmen seien lediglich für den Fall zulässig, dass diese sich aus dem europäischen Vertragswerk selbst ergeben. Demnach ist nach Chieco die Annahme durchaus vertretbar, dass die Gemeinschaftsorgane überhaupt nicht über die notwendige Kompetenz verfügten, es den Mitgliedsstaaten zu gestatten, weitere (nationale) Differenzierungen vorzunehmen. Dies soll jedenfalls dann gelten, wenn eine solche Differenzierung nicht durch Primärrecht gedeckt sei. An dieser Stelle sieht Chieco einen entscheidenden Unterschied der Anwendungsbereiche der Rahmenrichtlinie sowie der Richtlinie 2000/43/EG. Während die Rahmenrichtlinie in Erwägungsgrund 12 aber auch insbesondere in Art. 3 Abs. 2 weitere Beschränkungen vorsieht, erweitert die Richtlinie 2000/43/EG das Anwendungsgebiet von Antidiskriminierungsregeln im Zusammenhang mit Rasse und ethnischer Zugehörigkeit.113 Auch die nachfolgenden Absätze des Art. 3 geben Aufschluss über die Reichweite des persönlichen Anwendungsbereichs. Wie Kummer114 richtig feststellt, lässt sich der persönliche Anwendungsbereich der Rahmenrichtlinie erst in Zusammenschau mit den in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) bis d) enthaltenen Regelungen abschließend bestimmen. Insgesamt ist der Anwendungsbereich der Rahmenrichtlinie dem Anwendungsbereich der auf Grundlage von Art. 235 EWG-Vertrag ergangenen 112 Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf im KOM (2000) 652 endgültig – 1999/0225/CNS), abrufbar imInternet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/ index.htm; CELEX-Nummer: 52000PC0652. 113 Chieco, direttive communitarie, S. 98 f. 114 Kummer, Antidiskriminierungsrichtlinie, S. 34.

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG115 aus dem Jahr 1976 nachgebildet. Die in Art. 3 bis 5 der Richtlinie 76/207/EWG enthaltenen Vorgaben fanden später Aufnahme in Art. 3 der Rahmenrichtlinie. Diese Verbindung der beiden Richtlinien wurde mit der Änderung der Richtlinie 76/207/EWG im Jahre 2002 geschaffen116. Die mit der vorgenannten Richtlinie vorgenommenen Änderungen der Ausgangsrichtlinie 76/207/EWG betrafen unter anderem deren – ursprünglich in Art. 3 bis 5 geregelten – Anwendungsbereich. Insofern lassen sich bei der Betrachtung insbesondere des sachlichen Anwendungsbereichs durchaus Bezüge zur Richtlinie zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen ziehen. Gleichzeitig wird aus dieser Änderung der Richtlinie 76/207/EWG deutlich, dass es offensichtlich Bestrebungen gibt, die europäischen Vorschriften zum Schutz vor Diskriminierung zu vereinheitlichen. a) Zugang zu Erwerbstätigkeit und Aufstieg im Beruf Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie umfasst der sachliche Geltungsbereich insbesondere die Bedingungen, die im Zusammenhang mit dem Zugang zu selbstständiger und unselbstständiger Erwerbsarbeit stehen. Damit ist also insbesondere der Zeitraum der Arbeitssuche vom Anwendungsbereich der Richtlinie umfasst.117 Die Formulierung der Rahmenrichtlinie bringt deutlich zum Ausdruck, dass sich das Anwendungsfeld nicht allein auf in der Entstehung befindliche Verhältnisse beziehen soll, also auf solche Fälle, bei denen sich zwei Parteien (bspw. potentieller Arbeitgeber und Arbeitnehmer) zum ersten Mal gegenüber stehen, sondern auch dann Anwendung findet, wenn es in bereits bestehenden Rechtsverhältnissen um den beruflichen Aufstieg geht. In dem Vorschlag der Kommission zur Rahmenrichtlinie führt diese aus, welche Voraussetzungen für einen ungehinderten Zugang zu Erwerbstätigkeit notwendig sind. Demnach ist es die Auffassung der Kommission, dass auf Vorschriften beruhende „Diskriminierungen“ zu beseitigen sind, die den einzelnen am Zugang zu Beschäftigung hindern.118 Aus dem hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs Vorgesagten folgt, dass in persönlicher Hinsicht insbesondere die Diskriminierung von Bewerbern 115

Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen, abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEXNummer: 31976 L0207. 116 Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, abrufbar im Internet unter http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 32002 L0073. 117 Groeben/Rust, EUV/EGV, Bd. 3, Protokoll Nr. 17 zu Art. 141 EGV, Rn. 539. 118 Vorschlag der Kommission der EG vom 25. 11. 1999, abrufbar im Internet unter: http:// eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 51999PC0565, S. 11.

III. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Sekundärrecht

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verhindert werden soll. Dabei sind nicht nur Bewerber um Stellen in abhängiger Beschäftigung vom Geltungsbereich umfasst, sondern auch solche, die selbstständig erwerbstätig sein wollen. Bezogen auf reguläre Arbeitsverhältnisse stehen sich Bewerber und potentieller Arbeitgeber gegenüber. Arbeitgeber in diesem Sinne kann dabei sowohl der private Unternehmer als auch die öffentliche Hand sein. Entscheidungen über den beruflichen Aufstieg von Personen dürfen nach Ansicht der Kommission nur an objektive Kriterien geknüpft werden. Nur auf diese Weise könne dem Grundsatz der Gleichbehandlung ausreichend Rechnung getragen werden. Als Beispiele für solche objektiven Kriterien nennt die Kommission berufliche Fähigkeiten, Qualifikationen und Kompetenzen. In jedem Fall müssen die Kriterien eine Relevanz für die betreffende Stelle haben.119 Die Rahmenrichtlinie findet also auch auf bereits bestehende vertragliche Beziehungen Anwendung. Eine Definition des beruflichen Aufstiegs findet sich weder in der Rahmenrichtlinie noch in der Begründung des Kommissionvorschlags. Die Übertragung auf eine selbstständige Tätigkeit erscheint deshalb schwierig. Der in Art. 3 Abs. 1 Buchst. b) genannte „berufliche Aufstieg“ bezieht sich aus diesem Grund vorwiegend auf den Bereich bereits bestehender Arbeitsverhältnisse. Gemeint ist der Fall, dass sich ein Arbeitnehmer innerhalb eines bestehenden Arbeitsverhältnisses fortentwickeln möchte und sich hierzu etwa auf eine entsprechend „höherwertige“ Stelle bewirbt.120 Diese Annahme wird durch den Wortlaut der italienischen Fassung der Rahmenrichtlinie gestützt. Dort wird der berufliche Aufstieg mit promozione bezeichnet. Dieser Begriff ist weniger mit beruflichem Aufstieg als mit Beförderung zu übersetzen. Der Begriff Beförderung steht in engem Zusammenhang mit abhängiger Beschäftigung, so dass insoweit eine Anwendung auf Selbstständige ausscheidet. Die generalisierende Schlussfolgerung von Kummer, dass sich Art. 3 Abs. 1 a) der Rahmenrichtlinie insgesamt lediglich auf Arbeitnehmer, potenzielle Arbeitnehmer sowie als Gegenpart den Arbeitgeber bezieht, trifft nicht zu. Dies gilt zumindest dann, wenn man die von Kummer verwendeten Begriffe „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ im deutschen Rechtssinn begreift. Ohne näher auf die – auch im deutschen Recht – nicht immer eindeutige Definition der Begriffe einzugehen, ergibt sich aus dem Wortlaut der Richtlinie, dass nicht nur abhängig Beschäftigte (dipendenti) in den Anwendungsbereich fallen. Wesentliche Merkmale der Beschäftigten (dipendenti) sind deren Weisungsgebundenheit und Eingliederung in die betriebliche Organisation. Der Anwendungsbereich der Rahmenrichtlinie ist allerdings so auszulegen, dass auch im Rahmen sonstiger vertraglicher Gestaltungen, in Deutschland etwa in Form von Dienst- oder Werkverträgen, Diskriminierungen verhindert werden sollen. Einen Anhaltspunkt hierfür liefert die italienische Text-

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Vorschlag der Kommission der EG vom 25. 11. 1999, abrufbar imInternet unter: http:// eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 51999PC0565, S. 11. 120 Kummer, Antidiskriminierungsrichtlinie, S. 36; m.w.N. Senne, Altersdiskriminierung, S. 146.

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

fassung der Rahmenrichtlinie. In dieser wird zwischen (lavoro) dipendente121 und autonomo122 unterschieden und klargestellt, dass beide Formen der Beschäftigung vom Anwendungsbereich umfasst sind. Geht man davon aus, dass die Formulierung in der italienischen Fassung die Begriffe dem Codice Civile entlehnen, spräche dies für eine entsprechend weite Auslegung der Begriffe. Die Regelungen zum lavoro autonomo finden sich im Wesentlichen im 3. Abschnitt des 5. Buches des Codice Civile. Gleich zu Beginn dieses Abschnitts, in Art. 2222 Codice Civile, ist der contratto d’opera geregelt. Dieser ist mit dem deutschen Werk- bzw. Dienstvertrag vergleichbar. Im weitesten Sinne kann also davon gesprochen werden, dass die Richtlinie einen wirksamen Schutz bezogen auf den Zugang zu Erwerbstätigkeit zwischen „Auftraggeber“ und „Auftragnehmer“ gewährleisten soll.123 b) Zugang zu Berufsberatung und Berufsbildung Der Grundsatz der Gleichbehandlung soll überdies in einem gleichberechtigten Zugang zu beruflicher Bildung verwirklicht werden. Diskriminierung in den Bereichen der Berufsberatung, Berufsausbildung, berufliche Weiterbildung und Umschulung ist untersagt.124 Der ursprüngliche Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission vom 25. November 1999 wurde im weiteren Verlauf dahingehend erweitert, dass auch der Zugang zum Erwerb praktischer Berufserfahrung in den Text des Art. 3 Abs. 1 b) aufgenommen wurde.125 Was allerdings genau unter praktischer Berufserfahrung zu verstehen ist, geht aus der deutschen Fassung der Rahmenrichtlinie nicht eindeutig hervor. Die italienische Fassung spricht an dieser Stelle von einem tirocinio professionale. Dies lässt den Schluss zu, dass von der Rahmenrichtlinie auch solche Beschäftigungsverhältnisse umfasst sein sollen, die in Deutschland als „Praktikum“ bezeichnet werden. Ob dies für Deutschland auch so gesehen wird, ist angesichts der Rechtsprechung des BAG zu Praktikumsverhältnissen, wonach Praktikanten zumindest im Sinne des KSchG nicht als Arbeitnehmer angesehen werden, zweifelhaft.126 Unter Berufsberatung sind alle Elemente einer aktiven Arbeitsförderung zu verstehen. Hierzu sollen Trainingsmaßnahmen, Mobilitätshilfen, Übernahme von Kosten und Arbeitsvermittlung, aber auch die Erteilung von Rat und Auskunft

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Italienisch für: abhängige Arbeit. Italienisch für: unabhängige Arbeit. 123 So auch Chieco, direttive comunitarie, S. 97. 124 Vorschlag der Kommission der EG vom 25. 11. 1999, abrufbar imInternet unter: http:// eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 51999PC0565, S. 11. 125 Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf im KOM (2000) 652 endgültig – 1999/0225/CNS), abrufbar imInternet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/ index.htm; CELEX-Nummer: 52000PC0652. 126 Urteil des BAG vom 05. 08. 1965, Az. 2 AZR 439/64 zitiert nach Juris. 122

III. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Sekundärrecht

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verstanden werden.127 Unter den Oberbegriff Berufsbildung ist hingegen die Erweiterung aller für die Ausübung der Tätigkeit notwendigen fachlichen Kenntnisse zu subsumieren.128 Auch wenn die vorstehenden von Kummer und Senne129 vertretenen Begriffsdefinitionen wesentlich auf ein deutsches Verständnis referieren, ist davon auszugehen, dass die Definitionen den wesentlichen Kern und damit auch das Begriffsverständnis der Verfasser der Rahmenrichtlinie wiedergeben. Der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 b) hebt besonders hervor, dass der Anwendungsbereich der Rahmenrichtlinie alle denkbaren Zeitabschnitte einer berufsbezogenen Bildung abdecken soll, beginnend mit der – einem Arbeitsverhältnis vorgelagerten – Berufsberatung. Eine solche kann auf Grund eines gegebenen Bildungsstandes oder sonstiger Qualifikationen oder Erfahrungen und auch Neigungen ein passendes, potentielles Beschäftigungsfeld definieren. Die zeitlich später liegende berufliche Weiterbildung hingegen setzt ein bestehendes Arbeitsverhältnis voraus und stellt eine weitergehende, vertiefende Qualifizierung dar. Sie ist damit der „Berufsfindungsphase“ ebenso nachgelagert wie die in der Rahmenrichtlinie genannte Umschulung. Auch wenn in Art. 3 Abs. 1 b) der „Selbstständigensektor“ nicht ausdrücklich genannt ist130, ist die Norm so auszulegen, dass sich der persönliche Anwendungsbereich nicht – wie von Kummer vertreten – allein auf Arbeitgeber und (abhängige) Arbeitnehmer erstreckt, sondern zumindest im Hinblick auf die Felder der Berufsberatung und Berufsausbildung auch Selbstständige in den Schutzbereich mit einbezieht.131 Dies führt dazu, dass wiederum nicht nur (potenzielle) Arbeitgeber und Arbeitnehmer vom persönlichen Anwendungsbereich umfasst sind, sondern bis zu einem gewissen Grad auch Selbstständige im Hinblick auf Berufsberatung und Berufsbildung vor Diskriminierungen geschützt sein sollen. c) Arbeitsbedingungen und Entgelt Art. 3 Abs. 1 c) Rahmenrichtlinie bestimmt eine Anwendung der Antidiskriminierungsvorschriften auf Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen. Auf diese Weise soll der Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes Rechnung getragen werden. Zwei dieser Bedingungen werden in der Rahmenrichtlinie hervorgehoben. 127

Senne, Altersdiskriminierung, S. 147. Kummer, Antidiskriminierungsrichtlinie, S. 37. 129 Senne konstatiert selber bei der Definition des Begriffs „praktischer Berufserfahrung“, dass die Auslegung der Rahmenrichtlinie anhand deutscher Vorschriften, wie beispielsweise des BBiG, eigentlich nicht maßgeblich sein kann; Senne, Altersdiskriminierung, S. 149. 130 Im Gegensatz zur Situation bei Art. 3 Abs. 1 a) Rahmenrichtlinie. 131 Hierzu auch Chieco, direttive comunitarie, S. 97: Chieco erachtet die Ausweitung des Anwendungsbereichs auf das lavoro autonomo und damit eine Verneinung einer Beschränkung auf das lavoro subordinato als nachvollziehbar und sieht diesbezüglich eine Tendenz in der europäischen Rechtssetzung eine gemeinsame Betrachtung von abhängiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit vorzunehmen. 128

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

Dabei handelt es sich zum einen um die Entlassungsbedingungen und andererseits um Fragen des Arbeitsentgelts. Nach Auffassung der Kommission ist diese Hervorhebung angezeigt, weil in den genannten Bereichen Ungleichbehandlungen ein besonderes Problem darstellen.132 Nach dem in Art. 3 Abs. 1 c) niedergelegten Anwendungsbereich ist davon auszugehen, dass alle arbeitsrechtlichen Maßnahmen, Weisungen und Vereinbarungen betroffen sind.133 Dieser Teil des Anwendungsbereichs ist der ursprünglichen Fassung des Art. 5 Richtlinie 76/207/EWG nachgebildet. Der in Art. 5 enthaltene Begriff der Arbeitsbedingungen wird äußerst extensiv ausgelegt. Dies gilt gleichermaßen für Art. 3 Abs. 1 c) Rahmenrichtlinie.134 Er erstreckt sich sowohl auf die Bedingungen, die Inhalt des Arbeitsvertrags sind, als auch auf solche Vorgaben, die in Bezug auf die Durchführung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber getätigt werden. Entsprechend der einschlägigen EuGH-Rechtsprechung sind zudem alle Leistungen einbezogen, die in notwendiger Weise mit dem Arbeitsverhältnis verbunden sind. Hierzu gehören der Anspruch auf jährliche Beurteilung, Ausstellung eines Arbeitszeugnisses, Anspruch auf Erholungs- und Erziehungsurlaub, berufliche Weiterbildung sowie Verkürzung der Arbeitszeit.135 Die Reichweite des Begriffs der Entlassungsbedingungen ist lange Zeit unklar gewesen. Insbesondere war nicht geklärt, ob und inwieweit der Anwendungsbereich auch auf solche Vorschriften Anwendung findet, die Regelungen hinsichtlich des Eintritts in den Ruhestand enthalten. Von besonderem Interesse war hierbei die Frage, ob der Eintritt in den Ruhestand bzw. die Berechtigung des Arbeitnehmers zum Bezug einer Altersrente den Arbeitgeber dazu ermächtigen, ein Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt zu beenden. Bezogen auf die Rahmenrichtlinie entbrannte diese Diskussion erneut. Grund hierfür bot der 14. Erwägungsgrund der Rahmenrichtlinie, wonach diese „nicht die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Festsetzung der Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand“ berührt.136 Eine wohl weitgehende Klärung dieser Frage lieferte das Urteil des EuGH aus dem Jahr 2007 in der Sache Palacios de la Villa.137 Aufgrund des Erwägungsgrundes stellte sich der für das Verfahren zuständige Generalanwalt Mazák auf den Standpunkt, dass der Begriff der Entlassungsbedingung eng auszulegen sei. Das Urteil des EuGH fiel jedoch anders aus. Mit einer ähnlichen Argu132

Vorschlag der Kommission der EG vom 25. 11. 1999, abrufbar imInternet unter: http:// eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 51999PC0565, S. 11. 133 Högenauer, Diskriminierungsrichtlinien, S. 103. 134 Schmidt/Senne, Verbot der Altersdiskriminierung, S. 82. 135 Groeben/Rust, EUV/EGV, Bd. 3, Protokoll Nr. 17 zu Art. 141 EGV, Rn. 550. 136 Für eine ausführliche Auseinandersetzung in Bezug auf die Frage der Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Art. 3 Abs. 1 c) der Rahmenrichtlnie Senne, Altersdiskriminierung, S. 150 ff. 137 Urteil des EuGH vom 16. 10. 2007 in NZA 2007, S. 1219 ff.; aber auch Urteil des EuGH v. 12. 10. 2010, Az. C-45/09, abrufbar im Internet unter http://curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/ form.pl?lang=de.

III. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Sekundärrecht

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mentation wie bereits in der zu Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG Marshall ergangenen Entscheidung138 nahm der EuGH an, dass der sachliche Schutzbereich der Rahmenrichtlinie sehr wohl die Festsetzung von Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand umfasse. Demnach sei der 14. Erwägungsgrund der Rahmenrichtlinie lediglich eine Klarstellung dahingehend, dass die Zuständigkeit für die Festsetzung eben solcher Altersgrenzen weiterhin bei den Mitgliedsstaaten liege. Dies bedeute im Umkehrschluss nicht, dass, wenn solche Regelungen im Rahmen der Zuständigkeit von den Mitgliedsstaaten getroffen würden, diese dann nicht mehr gerichtlich überprüfbar wären. Im Verfahren Palacios de la Villa war in einem Tarifvertrag geregelt worden, dass „zum Zweck der Beschäftigungsförderung“ eine Altersgrenze besteht, mit deren Überschreiten der Arbeitnehmer (im zu entscheidenden Fall Herr Felix Palacios de la Villa) in den Ruhestand treten sollte. Nach Auffassung des EuGH wirkt sich eine solche tarifvertragliche Regelung auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses und damit auf die Berufsausübung des betroffenen Arbeitnehmers aus. Das rechtfertigt es, eine solche Altersgrenzenklausel als Entlassungsbedingung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 c) Rahmenrichtlinie zu klassifizieren. Als weitere Argumente für dieses Ergebnis führte der EuGH den Titel der Rahmenrichtlinie, die restlichen Erwägungsgründe sowie deren Zweck ins Feld.139 Da die Rahmenrichtlinie auf Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV und nicht auf Art. 137 EGV fußt, zählt zu den Begriffen der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen auch das in Art. 3 Abs. 1 c) genannte Arbeitsentgelt. Insoweit ist der Anwendungsbereich der Rahmenrichtlinie weiter als der der Teilzeitrichtlinie.140 Selbst wenn man jedoch annehmen würde, dass Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV keine ausreichende Rechtsgrundlage darstellt, um den Anwendungsbereich der Rahmenrichtlinie auch auf das Arbeitsentgelt zu erstrecken, könnte eine solche Kompetenz der Europäischen Union aus Art. 308 EGV/Art. 352 AEUV hergeleitet werden.141 Gemäß der Legaldefinition des Entgelts in Art. 141 Abs. 2 EGV werden hierunter die üblichen Grund- oder Mindestlöhne sowie alle übrigen Vergütungen verstanden, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer aufgrund des Dienstverhältnisses unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen schuldet.142 Was den persönlichen Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 1 c) Rahmenrichtlinie angeht, beschränkt sich dieser aufgrund seines Wortlautes („Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“) auf das klassische Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Dem Arbeitnehmer soll gegenüber dem Arbeitgeber ein Schutz vor

138

Urteil des EuGH vom 26. 02. 1986 in NJW 1986, S. 2178 ff. Temming, Palacios, S. 1194 f.; a.A. Waas, Altersgrenzen, S. 359 f. 140 Für eine Darstellung der diesbezüglichen EuGH-Rechtsprechung: Senne, Altersdiskriminierung, S. 150. 141 Hierzu ausführlich Temming, Altersdiskriminierung, S. 501 ff. 142 Vgl. hinsichtlich des durch die Rechtsprechung des EuGH konkretisierten Entgeltbegriffs, Senne, Altersdiskriminierung, S. 163. 139

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

Diskriminierung, bezogen auf eben die genannten Bereiche, zustehen.143 Letztlich spricht für diese Begrenzung des Anwendungsbereichs auch der vorstehend definierte Begriff des Entgelts. Auch dieser zeigt einen deutlichen Bezug zu Arbeitsverhältnissen und bietet damit ein weiteres Indiz dafür, dass Art. 3 Abs. 1 c) Rahmenrichtlinie keine Anwendung auf selbstständig tätige Personen findet. d) Mitgliedschaft in Organisationen Art. 3 Abs. 1 d) Rahmenrichtlinie erstreckt den Anwendungsbereich auf die Mitgliedschaft in Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen. Weiterhin ist die Mitgliedschaft in solchen Organisationen vom Anwendungsbereich gedeckt, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören. Nach dem Entwurf der Kommission sind Diskriminierungen bezogen auf die Mitgliedschaft und die Mitwirkung in solchen Organisationen untersagt. Auch hat nach Ansicht der Kommission der Genuss der von solchen Organisationen gebotenen Leistungen frei von Diskriminierungen zu bleiben.144 Die Rahmenrichtlinie hat dennoch auch Einfluss auf die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft oder einem Arbeitgeberverband. Dies bedeutet keinen Verstoß gegen die Vorschrift des Art. 137 EGV/Art. 153 AEUV.145 Neben Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden fallen auch berufsständische Vereinigungen, wie z. B. Rechtsanwalts-, Ärzte- oder Handwerkskammern, unter den Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 1 c) Rahmenrichtlinie. Dabei ist die Richtlinie so zu verstehen, dass Arbeitnehmer nicht nur Schutz vor Diskriminierungen durch den Arbeitgeber bezogen auf die Mitgliedschaft genießen. Mit der Rahmenrichtlinie sollen offensichtlich auch solche Diskriminierungen beim Zugang zu einer entsprechenden Organisation oder der Mitgliedschaft in dieser verhindert werden, die unmittelbar von der Organisation selber herrühren. Auch die Auswahl der Mitglieder der Organisation hat damit diskriminierungsfrei zu erfolgen. Auf diese Weise soll allen Personen gleicher Zugang gewährleistet werden. Gleichermaßen wie der Zugang ist auch die Mitwirkung in einer der Organisationen geschützt. Dies führt dazu, dass Mitwirkungsrechte nicht derart ausgestaltet werden dürfen, dass bestimmte Mitgliedergruppen hierdurch diskriminiert werden.146 Da die Auslegung der Rahmenrichtlinie nicht auf einem deutschem Begriffsverständnis basieren darf, fallen auch Arbeitnehmervertretungen wie Betriebsräte und Sprecherausschüsse in den Anwendungsbereich.147 Bezogen auf Art. 3 Abs. 1 d) Rahmenrichtlinie verdient der Umstand, dass im Hinblick auf die Mitgliedschaft in den genannten Organisationen gleichermaßen die 143

Kummer, Antidiskriminierungsrichtlinie, S. 38. Vorschlag der Kommission der EG vom 25. 11. 1999, abrufbar imInternet unter: http:// eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 51999PC0565, S. 11. 145 Senne, Altersdiskriminierung, S. 160; Kummer, Antidiskriminierungsrichtlinie, S. 39; Schmidt/Senne, Verbot der Altersdiskriminierung, S. 82. 146 Högenauer, Diskriminierungsrichtlinien, S. 103 f. 147 Senne, Altersdiskriminierung, S. 160. 144

III. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Sekundärrecht

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Diskriminierung von Arbeitgebern wie Arbeitnehmern verhindert werden soll, besondere Beachtung. Diese Gleichstellung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern ist im europäischen Recht völlig neu.148 Nach der Auffassung von Chieco würde eine solch ausgedehnte Anwendung der Rahmenrichtlinie auf die Mitgliedschaft in (Tendenz-)Organisationen zu einem nicht vertretbaren Ergebnis führen. Schließlich würden bei entsprechender wörtlicher Auslegung Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorganisationen gezwungen, auch solche Mitglieder aufzunehmen, die offen gegen die politisch-weltanschaulichen Prinzipien opponieren, die von der jeweiligen Organisation vertreten werden. Zutreffend hält Chieco ein solches Ergebnis für unbillig. Es muss für eine Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorganisation möglich bleiben, ihre Mitglieder so auszuwählen, dass sie keine „Unterwanderung“ zu befürchten hat. Personen, die in Wahrheit völlig andere Ziele verfolgen, sollen sich nicht in eine Organisation einschleichen und auf diese Weise versuchen können, eine sinnvolle Vertretung der Interessen der Mitglieder zu verhindern oder zumindest zu erschweren. Ein Ausschluss aus einer Organisation, von deren Leistungen, oder die Verweigerung der Aufnahme eines bestimmten Mitgliedes, kann nur dann diskriminierend sein, wenn eine solche Tendenzorganisation nicht über eine klar spezifizierte (politische oder gesellschaftliche) Ausrichtung verfügt, die als verbindendes Element der Mitglieder fungiert.149 Bezogen auf den persönlichen Schutzbereich bleibt festzuhalten, dass Art. 3 Abs. 1 d) Rahmenrichtlinie von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen spricht. Für die Arbeitgeberseite bedeutet dies, dass die Rahmenrichtlinie sowohl aktiv als auch passiv Anwendung findet.150 Wie vorstehend dargestellt, ist auch die Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Organisationen vom sachlichen Schutzbereich umfasst, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören. Da solche Organisationen häufig bei Freiberuflern oder Selbstständigen vorkommen, sind diese in persönlicher Hinsicht ebenfalls vom Schutzbereich der Rahmenrichtlinie umfasst. e) Staatliche Systeme der sozialen Sicherung Da die Sozialpolitik nicht in die ausschließliche Kompetenz der Europäischen Union fällt, hat sie bei der Ausübung ihrer Kompetenzen insoweit das Subsidiaritätsprinzip zu beachten.151 Diesem Umstand wird mit Art. 3 Abs. 3 Rahmenrichtlinie Rechnung getragen. Wie auch im 13. Erwägungsgrund der Rahmenrichtlinie ist in Art. 3 Abs. 3 Rahmenrichtlinie niedergelegt, dass Leistungen, die in Bezug zu den staatlichen Sozialsystemen stehen, vom Anwendungsbereich der Rahmenrichtlinie ausgenommen sind. Gleiches gilt für die den Sozialsystemen gleichgestellten Ein-

148 149 150 151

Kummer, Antidiskriminierungsrichtlinie, S. 39; Chieco, direttive communitarie, S. 97. Chieco, direttive communitarie, S. 98. Kummer, Antidiskriminierungsrichtlinie, S. 39. Stalder, Antidiskriminierungsmaßnahmen, S. 55 ff.

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

richtungen.152 Explizit ausgenommen vom Anwendungsbereich werden insbesondere die staatlichen Systeme der sozialen Sicherheit oder des sozialen Schutzes. Durch diese Begrenzung des Anwendungsbereichs werden die staatlichen Sozialversicherungssysteme davor bewahrt, etwaig vorgenommene Ungleichbehandlungen nach den Vorschriften der Rahmenrichtlinie rechtfertigen zu müssen.153 Aus der in Erwägungsgrund 13 enthaltenen Konkretisierung ergibt sich, dass die Rahmenrichtlinie nur dann keine Anwendung auf Sozialversicherungs- und Sozialschutzsysteme findet, wenn Leistungen erbracht werden, die nicht unter die Definition des Begriffs „Arbeitsentgelt“ subsumiert werden können. Die Definition des Arbeitsentgelts im Sinne des 13. Erwägungsgrundes entspricht der des Art. 141 EGV/ Art. 157 VEAU. Gemäß den konkretisierenden Erläuterungen im 13. Erwägungsgrund ist vom Anwendungsbereich auch eine solche Vergütung ausgenommen, die den Zugang zu einer Beschäftigung oder die Aufrechterhaltung eines Beschäftigungsverhältnisses zum Ziel hat. Damit ist insbesondere die Eingliederung der beschäftigungsbegleitenden Versicherungen, wie etwa Kranken-, Arbeitslosen-, Renten- oder Unfallversicherung, in die Hoheit der Mitgliedsstaaten sichergestellt.154 Selbstverständlich bedeutet diese Eingrenzung des Anwendungsbereichs nicht, dass die nationalen sozialsystembezogenen Regelungen vollständig losgelöst von europäischem Recht bestehen. Diese sind an Unionsprinzipien, wie etwa dem Recht auf Freizügigkeit, zu messen.155 Zudem zeigt der Fall Palacios, dass die Einschränkung des Anwendungsbereichs nicht zu einer vollkommenen Immunität bei der Gestaltung der Sozialsysteme führt. f) Eingeschränkte Anwendung auf Streitkräfte Art. 3 Abs. 4 Rahmenrichtlinie enthält eine besondere Einschränkung des Anwendungsbereichs der Rahmenrichtlinie bezogen auf das Alter. Demnach verbleibt den Mitgliedsstaaten das Recht, im Rahmen der Umsetzung der Rahmenrichtlinie, die Streitkräfte bezogen auf die Merkmale Alter oder Behinderung vom Anwendungsbereich auszunehmen. Diese Ausnahmeregelung ist unter anderem eine Reaktion auf die EuGH-Rechtsprechung in der Sache Kreil.156 Die dahinterstehenden Überlegungen lassen sich den Erwägungsgründen 18 und 19 der Rahmenrichtlinie entnehmen. Gemäß des 18. Erwägungsgrunds ist der Begriff der Streitkräfte weit auszulegen. Gemeint sind nicht nur originär militärische Kräfte, sondern im weitesten Sinne alle Kräfte einer Notfallversorgung. Ausdrücklich genannt werden die Polizei, die Haftanstalten und die Notfalldienste. Die Anwendung der Rahmenrichtlinie soll im Hinblick auf Personalauswahl bzw. Personalverwaltung nicht dazu 152 153 154 155 156

Schmidt/Senne, Verbot der Altersdiskriminierung, S. 82. O’Cinneide, Altersdiskriminierung, S. 16. Kummer, Antidiskriminierungsrichtlinie, S. 48; Senne, Altersdiskriminierung, S. 163 f. Kummer, Antidiskriminierungsrichtlinie, S. 49. Kuras, Altersdiskriminierung, S. 12 f.

III. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Sekundärrecht

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führen, dass Personen eingestellt oder weiterbeschäftigt werden müssen, die die an sie gestellten Aufgaben nicht erfüllen können. Erwägungsgrund 19 enthält die Ermächtigung der Mitgliedsstaaten, die Streitkräfte oder Teile der Streitkräfte vom Anwendungsbereich der Rahmenrichtlinie auszunehmen. Eine solche Einschränkung des Anwendungsbereichs darf sich jedoch – wie bereits erwähnt – lediglich auf die verpönten Merkmale Alter und Behinderung beziehen. Gleichzeitig wird den Mitgliedsstaaten, die sich für eine solche Ausnahmeregelung entscheiden, auferlegt, den Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung zu definieren. Von dieser Möglichkeit, den Anwendungsbereich insoweit zu beschränken, haben nur sehr wenige Staaten Gebrauch gemacht.157 3. Der Begriff der Diskriminierung in der Rahmenrichtlinie Im Gegensatz zu Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV, der Rechtsgrundlage der Rahmenrichtlinie als auch der „Schwesterrichtlinie“ 2000/43/EG, enthalten die beiden Richtlinien in Art. 2 eine Legaldefinition des Begriffs der „Diskriminierung“. Die Definition des Begriffs der Diskriminierung ist dabei untrennbar verknüpft mit dem Begriff des „Gleichbehandlungsgrundsatzes“ und bildet dessen als Verbot formuliertes Gegenstück. Sicherlich kann dabei das Diskriminierungsverbot, das auf Grund der Verwendung verpönter Merkmale u. U. sehr konkret ist, nicht als exakt spiegelbildliches Gegenstück eines allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes bezeichnet werden. Es handelt sich vielmehr um ein bestimmtes, auf ein verpöntes Merkmal konkretisiertes, negativ formuliertes Gleichbehandlungsgebot. Ein Diskriminierungsverbot setzt mit seinen verpönten Merkmalen bestimmte Schwerpunkte, kann und soll aber nicht abschließend verstanden werden. Es handelt sich um eine schwerpunktsetzende Konkretisierung eines allgemein gültigen Gleichbehandlungsgrundsatzes, nicht aber um eine vollständige (negativ formulierte) Definition des Gleichheitssatzes.158 Diskriminierungsverboten sind besondere Gleichheitssätze immanent.159 Ähnlich sieht dies auch Ballestrero, die das divieto di discriminazione als Instrument ansieht, um die parità di trattamento zu verwirklichen, das ureigenste Ziel der Antidiskriminierungsrichtlinien. Jede bezogen auf andere vergleichbare Personen ungünstigere Behandlung einer oder mehrerer Personen ist untersagt, soweit diese direkt oder indirekt auf Grund eines verpönten Merkmals erfolgt.160

157

Senne, Altersdiskriminierung, S. 165. Wiedemann beschreibt insoweit zutreffend, dass „[…] wenn man alle für ein bestimmtes Rechtsverhältnis unsachlichen Argumente in einem Katalog besonderer Diskriminierungsverbote zusammenfassen, so nähert sich dies dem allgemeinen Gleichheitssatz; […]“ vgl. Wiedemann, Gleichbehandlungsgebote, S. 59. 159 Wiedemann, Gleichbehandlungsgebote, S. 6. 160 Ballestrero, eguaglianza e differenze, S. 517, wobei diese das Diskriminierungsverbot als Anknüpfungsverbot versteht. 158

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

Gemäß Art. 2 Abs. 1 Rahmenrichtlinie bedeutet „Gleichbehandlungsgrundsatz“, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund der in Art. 1 genannten verpönten Merkmale geben darf. Dieser Zusammenhang ist nicht neu. Bereits Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG aus dem Jahr 1976 enthielt eine entsprechende Formulierung.161 Es handelt sich bei Art. 2 Rahmenrichtlinie somit, wie bereits beim Anwendungsbereich gesehen, um die Weiterentwicklung einer Definition, die in der Gleichbehandlungsrichtline 76/207/EWG ihren Ursprung hat.162 Dennoch stellt diese Legaldefinition ein Novum dar. Zum ersten Mal in der Geschichte des Gemeinschaftsrechts wird eine Begriffsdefinition der Diskriminierung in das positive Gemeinschaftsrecht aufgenommen.163 Die in Art. 2 Abs. 1 Rahmenrichtlinie enthaltene Definition ist angelehnt an die Formulierung des Art. 2 der Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG.164 Durch die Voranstellung der Formulierung „… im Sinne dieser Richtlinie …“ wird deutlich, dass es sich nicht zwangsläufig um eine allgemeingültige Definition des Gleichbehandlungsgrundsatzes handelt. Insoweit ist es auch nicht verwunderlich, dass die gewählte Definition von dem klassischen Verständnis eines arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes in Teilen abweicht.165 Dennoch werden auf diese Weise die Wurzeln des in der Rahmenrichtlinie enthaltenen Diskriminierungsverbots deutlich. Die Verfasser der Rahmenrichtlinie gingen davon aus, dass eine untrennbare Verbindung zwischen Diskriminierungsverboten und dem Grundsatz der Gleichbehandlung besteht. a) Der Begriff der unmittelbaren Diskriminierung, Art. 2 Abs. 2 lit. a) Rahmenrichtlinie Die Rahmenrichtlinie enthält sowohl für die unmittelbare als auch für die mittelbare Diskriminierung eigene Legaldefinitionen. Nach dem Wortlaut der Rahmenrichtlinie liegt eine unmittelbare Diskriminierung dann vor, wenn eine Person wegen eines der verpönten Merkmale „in einer vergleichbaren Situation eine we161

Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen, abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEXNummer: 31976 L0207. 162 In diesem Sinne auch: Vorschlag der Kommission der EG vom 25. 11. 1999, abrufbar imInternet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 51999PC0565, S. 9. 163 Plötscher, Diskriminierungsbegriff, S. 262. 164 Kuras, Altersdiskriminierung, S. 13. 165 Hierzu Kuras, Altersdiskriminierung, S. 13: Kuras zieht einen Vergleich zu den Grundsätzen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes, wie er von dem Obersten Gerichtshof der Republik Österreich entwickelt worden ist. Nach dem österreichischem Verständnis ist unter dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz der Schutz von Minderheiten vor unsachlichen Benachteiligungen gegenüber der Mehrheit einer durch erkennbare Kriterien abgegrenzten Arbeitnehmergruppe zu verstehen.

III. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Sekundärrecht

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niger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.“ Wie aus der Legaldefinition bereits hervorgeht, bestimmt sich das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung danach, ob der Betroffene in einer bestimmten Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine tatsächliche oder fiktive Vergleichsperson. Die Heranziehung einer tatsächlichen Vergleichsperson zur Beantwortung der Frage, ob eine unmittelbare Diskriminierung vorliegt, ist dem englischen Rechtskreis entlehnt.166 An diesem System war bis dahin kritisiert worden, dass zur Bejahung einer Diskriminierung stets eine konkrete Vergleichsperson notwendig war. Wie Schiek zutreffend feststellt, ist dieser Kritik in den Richtlinien insoweit Rechnung getragen worden, als eine Diskriminierung nunmehr auch dann bejaht werden kann, wenn der Betroffene im Vergleich zu einer hypothetischen Vergleichsperson eine weniger günstige Behandlung erfährt.167 Zutreffend geht Högenauer davon aus, dass auf diese Weise ein Diskriminierungsschutz nicht nur in solchen Fällen besteht, in denen sich eine konkrete Diskriminierung nachweisen lässt. Vielmehr ist zunächst zu klären, was in dem konkreten Fall grundsätzlich die adäquate, normgemäße Behandlung gewesen wäre. Ausgehend von dieser Erkenntnis ist dann zu klären, ob eine „weniger günstige Behandlung“ im Sinne der Richtlinie vorliegt.168 Diese Vorgehensweise ist im Übrigen nicht nur in den Fällen notwendig, in denen es an einer konkreten Vergleichsperson fehlt. Schließlich ist es nicht Sinn und Zweck der Antidiskriminierungsvorschriften, im Falle der Bevorzugung einer einzelnen Person eine Angleichung dergestalt zu gewährleisten, dass alle Personen die Behandlung erfahren, die der einzelnen bevorzugten Person zu Teil geworden ist.169 Der Begriff der Diskriminierung ist weit auszulegen. Dies führt insbesondere dazu, dass eine Diskriminierung auch dann zu bejahen ist, wenn bei einer Ungleichbehandlung eines der verpönten Merkmale zu Grunde gelegt wird, obwohl dieses tatsächlich in der Person des Betroffenen überhaupt nicht vorliegt. Insoweit ist es also ausreichend, wenn die subjektiven Beweggründe eines Handelnden als Verstoß gegen ein Diskriminierungsverbot zu werten sind. Chieco ist darin zuzustimmen, dass es in bestimmten Fällen sogar unerheblich ist, ob sich die diskriminierenden Motive tatsächlich in einer Ungleichbehandlung realisieren.170 Für den Betroffenen kann eine „versuchte“ Diskriminierung unter Umständen die gleichen Belastungen mit sich bringen wie eine „vollendete“ Diskriminierung. Aus diesem Grund sind auch solche Fälle eine Diskriminierung im Sinne der Richtlinie, die bei 166

Schiek/Schiek, AGG, § 3 Rn. 2. Schiek/Schiek, AGG, § 3 Rn. 3. 168 Högenauer, Diskriminierungsrichtlinien, S. 94 f. 169 Hierzu Thüsing, Diskriminierungsschutz, S. 1: Thüsing bringt hier deutliche Zweifel daran zum Ausdruck, dass die Bevorzugung älterer Arbeitnehmer eine zu rechtfertigende Ungleichbehandlung sei. 170 In diesem Sinne Chieco, direttive communitarie, S. 80 f. 167

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objektiver Betrachtung lediglich den „untauglichen“ Versuch einer Diskriminierung darstellen. b) Der Begriff der mittelbaren Diskriminierung, Art. 2 Abs. 2 lit. b) Rahmenrichtlinie Der Gleichbehandlungsgrundsatz der Rahmenrichtlinie ist allerdings nicht nur bei Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung verletzt. Ergänzend ist eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auch bei Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung zu bejahen. Nach dem Richtlinienwortlaut liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, „wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen“ auf Grund eines der in Art. 1 genannten Merkmale „gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können“. Die Einführung der mittelbaren Diskriminierung kann auf die Rechtsprechung des EuGH zurückgeführt werden. Eine Vorläufervorschrift findet sich in der Richtlinie 97/80/EG. Den bis dahin notwendigen Nachweis einer statistisch erhöhten Wahrscheinlichkeit der Benachteiligung einer bestimmten Gruppe von Merkmalsträgern verlangen die Bestimmungen der Rahmenrichtlinie nicht.171 Anders als das Verbot der unmittelbaren Diskriminierung dient das Verbot der mittelbaren Diskriminierung weniger dem Schutz einzelner, sondern soll die Diskriminierung von Personengruppen verhindern.172 Der wesentliche Unterschied zwischen der unmittelbaren und der mittelbaren Diskriminierung besteht darin, dass bei der mittelbaren Diskriminierung die Differenzierung zwischen den Vergleichsgruppen (zumindest vordergründig) nicht direkt aufgrund des verpönten Merkmals erfolgt. Vielmehr führt eine Differenzierung anhand von Kriterien, die im Merkmalskatalog nicht aufgeführt sind, zu einer nachteiligen Wirkung bei bestimmten Merkmalsträgern. Dieser Nachteil resultiert im Regelfall daraus, dass das vermeintlich neutrale Kriterium überproportional häufig bei den Merkmalsträgern des Art. 1 Rahmenrichtlinie vorhanden ist. Dies wird durch die Verwendung der Formulierung „in besonderer Weise“ deutlich. Die mittelbare Diskriminierung setzt nicht voraus, dass das neutrale Kriterium ausschließlich bei Merkmalsträgern vorkommt. Es ist ausreichend, dass Merkmalsträger in besonderer Weise betroffen sind. Högenauer geht daher zu Recht davon aus, dass „geringfügige Beeinträchtigungen“ nicht ausreichen, um das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung zu bejahen.173 Zur Bejahung einer mittelbaren Diskriminierung genügt es nach dem Wortlaut der Rahmenrichtlinie aber nicht, dass eine Personengruppe durch eine bestimmte Regelung besonders benachteiligt wird. Eine mittelbare Diskriminierung ist trotz einer solchen besonderen Benachteiligung insbesondere dann ausgeschlossen, wenn die 171 Hierzu ausführlich Lingscheid, Antidiskriminierung, S. 58 f. oder Högenauer, Diskriminierungsrichtlinien, S. 96 f. 172 Schiek/Schiek, AGG, § 3 Rn. 25. 173 Högenauer, Diskriminierungsrichtlinien, S. 99.

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jeweilige Maßnahme durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist. Nach der Definition ist das Vorliegen einer sachlichen Rechtfertigung anzunehmen, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist. Dies ist dann der Fall, wenn die ergriffenen Maßnahmen zur Erreichung eines Ziels angemessen und erforderlich sind. Neben dem allgemeinen Rechtfertigungstatbestand des Art. 2 Abs. 2 lit. b) i) Rahmenrichtlinie sieht Art. 2 Abs. 2 lit. b) ii) Rahmenrichtlinie für die Mitgliedsstaaten die Möglichkeit vor, einen besonderen Rechtfertigungstatbestand für das Merkmal der Behinderung zu schaffen. Die Ausnahmevorschrift, die lediglich für einen bestimmten Adressatenkreis (Arbeitgeber oder sonstige Personen und Organisationen) gilt, lässt in Bezug auf Behinderte im Grundsatz mittelbar diskriminierende Maßnahmen zu, soweit die angesprochenen Kreise – bspw. Arbeitgeber – trotz der generell mittelbar diskriminierenden Regelung im Einzelfall sicherstellen, dass die besonderen Bedürfnisse Behinderter berücksichtigt werden.174 c) Reichweite des Diskriminierungsverbots Mit dem in der Rahmenrichtlinie enthaltenen Diskriminierungsverbot wird der Ansatz verfolgt, dass bestimmte Beweggründe (verpönte Merkmale) als Kriterium für eine Differenzierung zwischen Personen ausgeschlossen werden. Fraglich ist, ob ein solches Diskriminierungsverbot absolut gilt oder nur dann, wenn die Beweggründe für die unter Heranziehung eines verpönten Merkmals erfolgende Maßnahme unverhältnismäßig und unsachlich sind. Hierzu werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Teile der Literatur sprechen den Diskriminierungsverboten der Rahmenrichtlinie eine absolute Geltung zu und verneinen die Möglichkeit der tatbestandlichen oder außertatbestandlichen Rechtfertigung.175 Der überwiegende Teil der Literatur vertritt hingegen die Auffassung, dass nicht nur die in Art. 2 Abs. 2 lit. b) Rahmenrichtlinie definierte mittelbare Diskriminierung ein relatives Diskriminierungsverbot darstelle, sondern dies gleichermaßen für die in Art. 2 Abs. 2 lit. a) Rahmenrichtlinie definierte unmittelbare Diskriminierung gelte.176 174

Schiek/Schiek, AGG, § 3 Rn. 28. Lingscheid, Antidiskriminierung, S. 49 f. m.w.N., S. 58 und S. 92 f.; Bauer, Antidiskriminierungsrichtlinien, S. 2674; Barbera/Barbera, diritto antidsicriminatorio, S. XXXVII ff.; Barbera/Bonardi, diritto antidiscriminatorio, S. 138 ff.; Chieco, direttive communitarie, S. 81; Ballestrero, eguaglianza e differenze, S. 514; Novella, principio di eguaglianza, S. 563 f.; mit ausführlicher Stellungnahme zur Frage der Rechtfertigungsmöglichkeiten Izzi, eguaglianza, S. 62 ff.; mit Hinweisen zur Entstehung dieser Auffassung Savino, giustificazioni, S. 576; mit zumindest missverständlicher Begriffsverwendung Plötscher, Diskriminierungsbegriff, S. 263; Rechtfertigungsmöglichkeiten kritisch bejahend De Simone, eguaglianza e nuove differenze, S. 536. 176 Hierzu mit überzeugender Begründung Wernsmann, Diskriminierungsverbote, S. 227 ff.; ebenfalls mit überzeugender Begründung, wenn auch zu Art. 119 EGV, Kischel, Gleichheitssatz, S. 4 f.; auch Wiedemann/Thüsing, Richtlinienumsetzung, S. 1234 f. sowie Wiedemann/Thüsing, ADG-Entwurf, S. 467; Scholz, Altersdiskriminierung, S. 81 f.; Rudolf/ 175

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aa) Art. 2 Abs. 2 Rahmenrichtlinie als absolutes Diskriminierungsverbot Lingscheid lehnt die Annahme einer lediglich relativen Geltung des Begriffs der unmittelbaren Diskriminierung mit der Begründung ab, dass sehr wohl ein Unterschied zur mittelbaren Diskriminierung bestünde. Systematisch betrachtet komme daher die Rechtfertigung einer unmittelbaren Diskriminierung durch sachliche Gründe, im Gegensatz zur Situation bei der mittelbaren Diskriminierung, nicht in Betracht. Ein dogmatisches Problem sieht sie in der unterschiedlichen Behandlung von mittelbarer und unmittelbarer Diskriminierung nicht. Nach ihrer Auffassung handelt es sich bei der Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung nicht um eine Rechtfertigung wegen eines der verpönten Merkmale. Vielmehr erfahre auf diese Weise die Heranziehung des scheinbar neutralen Unterscheidungskriteriums, durch dessen Anwendung es erst zu der (mittelbar) diskriminierenden Wirkung kommt, eine Rechtfertigung. Dies führe dazu, dass bei Vorliegen eines sachlichen Grundes das nur vermeintlich neutrale Differenzierungskriterium tatsächlich neutral sei. Auf diese Weise erfolge eine Entkoppelung vom verpönten Merkmal und damit der Entfall einer Diskriminierung. Als weiteres Argument für ein Verständnis des Begriffs der Diskriminierung als absolut führt Lingscheid an, dass bei einer lediglich relativen Geltung des Diskriminierungsverbots die in der Rahmenrichtlinie in Art. 4 vorgesehenen sehr viel strengeren „Ausnahmeregelungen“ zu wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderungen überflüssig würden. Die Rechtfertigungsmöglichkeiten des Arbeitgebers würden auf diese Weise zu stark ausgeweitet. Zuletzt seien auch vom EuGH bislang keine Gründe anerkannt worden, die eine unmittelbare Diskriminierung rechtfertigten. Letztlich kommt Lingscheid zu dem Schluss, dass unmittelbare Diskriminierungen abgesehen von ausdrücklich geregelten Ausnahmen nicht gerechtfertigt sein können.177 Ballestrero ist grundsätzlich ebenfalls davon überzeugt, dass im Bereich einer unmittelbaren Diskriminierung kein Raum für Rechtfertigungsüberlegungen ist. Nach ihrer Auffassung sei es geboten, es als grundlegendes Prinzip zu verstehen, dass die unmittelbare Diskriminierung ein absolutes Diskriminierungsverbot sei. Aus diesem Grund seien auch die Formulierungen der beiden Richtlinien (2000/43/EG und 2000/78/EG) in diesem Kontext zu lesen. Die Anwendung des vorgenannten Prinzips führt ihrer Auffassung nach dazu, dass jede – unter Anknüpfung an ein verpöntes Merkmal erfolgende – nachteilige Behandlung nicht gerechtfertigt werden könne. Unter Vermeidung des Begriffs der Rechtfertigung soll es auf der anderen Mahlmann, Gleichbehandlungsrecht, S. 121 ff.; Stalder, Antidiskriminierungsmaßnahmen, S. 69 f.; Temming, Altersdiskriminierung, S. 460 ff.; Kummer, Antidiskriminierungsrichtlinie, S. 41 ff.; Senne, Altersdiskriminierung, S. 166 f.; Schmidt/Senne, Verbot der Altersdiskriminierung, S. 82 ff.; Kuras, Altersdiskriminierung, S. 13; auch in diesem Sinne Högenauer, Diskriminierungsrichtlinien, S. 62 ff.; Meyer, Diskriminierungsverbot, S. 122 f.; unter Bezugnahme auf die diesbezügliche EuGH-Rechtsprechung Schiek, Gerechtigkeit, S. 50 sowie Schiek/Schiek, AGG, § 3 Rn. 4; offen gelassen Waltermann, Altersdiskriminierung, S. 1267, auch Linsenmaier, Altersdiskriminierung, S. 25. 177 Lingscheid, Antidiskriminierung, S. 49 f.

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Seite Ausnahmen von dem generellen Verbot der unterschiedlichen Behandlung auf Grund eines der verpönten Merkmale geben. Solche Ausnahmen sind nach Ballestrero jedoch äußerst selten und nur in den explizit genannten Fällen anzunehmen. Es handle sich dabei um solche Ausnahmen, bei denen die Richtlinien die Definition und das Vorliegen eines legitimen Zwecks fordern.178 Im Zusammenhang mit Vergütungsfragen befasst sich Bauer mit dem Begriff der Diskriminierung in der Rahmenrichtlinie und stellt einen Vergleich zu dem deutschen Gleichbehandlungsgrundsatz im Arbeitsrecht an. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liegt nach Bauer dann vor, wenn der Arbeitgeber einzelne Arbeitnehmer ohne hinreichenden Grund von allgemein begünstigenden Regelungen ausnimmt und sie damit schlechter stellt als Arbeitnehmer in einer vergleichbaren Lage. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liege nur dann vor, wenn ein Arbeitnehmer in einer vergleichbaren Situation unterschiedlich behandelt werde und zudem diese Ungleichbehandlung ohne einen hinreichenden Grund erfolge. Diesem Verständnis von Gleichbehandlung stellt Bauer die Definition der Diskriminierung aus Art. 2 Abs. 2 der Rahmenrichtlinie gegenüber. Nach Bauers Ansicht kann die Definition – im Unterschied zum deutschen Gleichbehandlungsgrundsatz – nur so verstanden werden, dass unabhängig davon, ob eine vorgenommene Differenzierung nachvollziehbar ist, eine unterschiedliche Behandlung durch den Arbeitgeber immer eine verbotene Diskriminierung im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Rahmenrichtlinie darstellt.179 Auch Bonardi vertritt die Auffassung, dass eine unmittelbare Diskriminierung grundsätzlich nicht gerechtfertigt werden kann. Sie nimmt Bezug auf die Auffassung, dass die Möglichkeit einer Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen nur für die mittelbare Diskriminierung besteht. Eine Übertragung dieser Grundsätze auf die unmittelbare Diskriminierung ist für sie nicht denkbar. Insoweit bestehe allenfalls die Möglichkeit, Ausnahmen vom Anwendungsbereich zu definieren. Diese Ausnahmen sollen wiederum strengen Voraussetzungen unterliegen und lediglich in den vom Gesetzgeber ausdrücklich und abschließend benannten Fällen in Betracht kommen. Bezogen auf Art. 6 Rahmenrichtlinie, der ausdrücklich die Möglichkeit einer gerechtfertigten Ungleichbehandlung in Bezug auf das verpönte Merkmal „Alter“ vorsieht, verwendet Bonardi den Begriff der Rechtfertigung einer unmittelbaren Diskriminierung ebenfalls nicht. Vielmehr sieht sie darin eine sogenannte general defence, die für ihre normative Konstruktion und letztlich auch für die weit gefassten Rechtfertigungsmöglichkeiten, die in ihr eingeräumt werden, bereits harsche Kritik habe einstecken müssen.180 Schließlich kommt Bonardi zu dem Schluss, dass die Aufregung rund um Art. 6 Rahmenrichtlinie zum Teil entdramatisiert werden kann. Nach ihrer Auffassung müsse Art. 6 Rahmenrichtlinie als Ausnahme gelesen werden, die den Grundsatz bestätigt. Anders ausgedrückt soll Art. 6 Rahmenrichtlinie als 178 179 180

Ballestrero, eguaglianza e differenze, S. 514. Bauer, Antidiskriminierungsrichtlinien, S. 2674. Barbera/Bonardi, diritto antidiscriminatorio, S. 139.

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

Bestätigung dafür fungieren, dass Ungleichbehandlungen nicht gerechtfertigt werden können, wenn dies nicht explizit gesetzlich vorgesehen ist.181 Bonardi gesteht also ein, dass in Ausnahmefällen die Rechtfertigung von Diskriminierungen denkbar sein kann und gibt gleichzeitig zu erkennen, dass nach ihrer Auffassung der Begriff der Diskriminierung dem Begriff der Ungleichbehandlung aufgrund eines der verpönten Merkmale gleichzusetzen ist. Barbera differenziert die Ausnahmetatbestände von mittelbarer und unmittelbarer Diskriminierung inhaltlich und begrifflich. Die Ausnahmetatbestände bei der discriminazione diretta182 bezeichnet Barbera als „deroga“ und damit als eine teilweise Außerkraftsetzung des grundsätzlichen Verbots der unmittelbaren Diskriminierung auf Grund eines der genannten Merkmale. Bezogen auf die mittelbare Diskriminierung bringt sie durch die Verwendung des Ausdrucks giustificazioni183 zum Ausdruck, dass insoweit von Rechtfertigung gesprochen werden kann. Damit schlägt Barbera in die von Bonardi geschlagene Kerbe. Gibt sie doch zu erkennen, dass nach ihrer Auffassung im Grundsatz die unmittelbare Diskriminierung keine Ausnahmen zulässt und erst recht keine solchen Ausnahmen in Betracht kommen, die als Rechtfertigung bezeichnet werden könnten.184 Novella geht sogar noch einen Schritt weiter. Für ihn bildet Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie in gemeinsamer Betrachtung mit Art. 7 Rahmenrichtlinie ein Indiz für ein grundsätzliches Verbot eines „diritto diseguale“. Unter diritto diseguale versteht Novella eine unterschiedliche Behandlung von Personen anhand eines der verpönten Merkmale. In diesem Zusammenhang beschäftigt er sich mit der möglichen Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen. Den Grundsatz der verbotenen Anwendung des diritto diseguale will Novella nicht nur auf die unmittelbare Diskriminierung angewendet wissen, sondern auch bei der mittelbaren Diskriminierung. Art. 6 Rahmenrichtlinie stellt für Novella eine spezifische Ausnahmevorschrift dar, die das diritto diseguale bezogen auf das verpönte Merkmal des Alters zulässt. Gleichzeitig existiert mit Art. 7 Rahmenrichtlinie eine Vorschrift, auf deren Grundlage sogenannte positive Maßnahmen (azioni positive) ergehen können. Art. 7 Rahmenrichtlinie ist nach Novella dergestalt zu interpretieren, dass er die Grundlage für weitergehende Ungleichbehandlungen bilden könnte und, da wesentlich weiter im Anwendungsbereich, womöglich sogar die Rechtfertigung für Ungleichbehandlungen aus Art. 6 Rahmenrichtlinie inzident enthalte. Den Willen des europäischen Gesetzgebers will er so verstanden wissen, dass mit den positiven Maßnahmen allein die Gewährung „spezifischer Vorteile“ (specifici vantaggi) ermöglicht wird und Art. 6 Rahmenrichtlinie damit als besondere und spezifische Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung angesehen werden muss.185 Auch Novella 181 182 183 184 185

Barbera/Bonardi, diritto antidiscriminatorio, S. 141. Italienisch für: unmittelbare Diskriminierung. Italienisch für: Rechtfertigung. Barbera/Barbera, diritto antidiscriminatorio, S. XXXVII und 103. Novella, principio di eguaglianza, S. 563 f.

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bringt auf diese Weise zum Ausdruck, dass er eine Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen grundsätzlich ablehnt. Die in der Rahmenrichtlinie enthaltenen Sonderregelungen in Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 bilden im Sinne der Aussage von Bonardi allenfalls eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass eine Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen unter Heranziehung eines der verpönten Merkmale nicht möglich ist.186 Savino ist der Auffassung, dass sich die Frage einer möglichen Rechtfertigung von Diskriminierungen seit jeher hauptsächlich, wenn nicht sogar ausschließlich, bezogen auf die mittelbare Diskriminierung stelle. Demnach habe sich in Bezug auf die unmittelbare Diskriminierung mehr implizit als explizit eine Meinung herausgebildet, wonach diese unter keinen Umständen zu rechtfertigen sei. Nach dieser von Savino beschriebenen Auffassung sind die Verbote einer unmittelbaren Diskriminierung als absolute Verbote zu verstehen, die ein irgendwie geartetes entgegenstehendes Verhalten der Möglichkeit einer Rechtfertigung entzögen. Etwas anderes könne nur gelten, wenn nationale oder Quellen des Gemeinschaftsrechts ausnahmsweise ausdrücklich etwas anderes bestimmten.187 Im Sinne Savinos argumentiert auch Chieco. Dieser konstatiert zunächst, dass das in der Rahmenrichtlinie enthaltene Verbot, eines der verpönten Merkmale bei Abschluss eines Arbeitsvertrags heranzuziehen, keine absolute Geltung besitze. Dies ergibt sich nach seiner Auffassung aus Art. 4 sowohl der Rahmenrichtlinie als auch der Richtlinie 2000/43/EG. Der Wortlaut des Art. 4 spreche nach Chieco eindeutig dafür, dass es sich bei diesem nicht um eine Ausnahme vom Grundsatz des Verbotes einer unmittelbaren Diskriminierung handle. Seine Interpretation ist wesentlich radikaler. Nach seiner Meinung bilde Art. 4 einen Tatbestand, der völlig außerhalb des Begriffs der Diskriminierung liege. Er begründet dies damit, dass Art. 4 die materielle oder juristische Möglichkeit eröffne, einer Beschäftigung trotz einer Anknüpfung an ein verpöntes Merkmal nachzugehen.188 Es ist offenkundig, dass auch er davon ausgeht, dass es für die Verwendung des Begriffs Diskriminierung keinen Unterschied macht, ob für eine bestimmte Ungleichbehandlung womöglich (sachliche) Gründe vorliegen. Ein vergleichbares Verständnis vom Begriff der Diskriminierung hat auch Plötscher. Nach seiner Auffassung sind Rechtfertigungsüberlegungen nicht in der Definition der (unmittelbaren) Diskriminierung enthalten. Vielmehr liegt nach seiner Auffassung eine (unmittelbare) Diskriminierung ohne Ausnahme bereits dann vor, wenn an ein verpöntes Merkmal angeknüpft wird. Dies soll selbst dann gelten, wenn es für das entsprechende Vorgehen legitime Gründe gibt. Solche Rechtfertigungsgründe liegen nach Plötschers Auffassung außerhalb des Diskriminierungsbegriffs. Als Argument führt er an, dass die „legitimen Gründe“ auch in der Rahmenrichtlinie eine gesonderte Behandlung erfahren. Als Beispiel benennt auch er Art. 6 Rah186 187 188

Hierzu auch Izzi, eguaglianza, S. 69. Savino, giustificazioni, S. 576 a.E. Chieco, direttive comunitarie, S. 81.

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

menrichtlinie oder die Ausklammerung bestimmter Maßnahmen aus dem Anwendungsbereich in Art. 7 Rahmenrichtlinie (positive Maßnahmen) bzw. Art. 5 der Richtlinie 2000/43/EG. Für Plötscher ist der Diskriminierungstatbestand mit einer spezifischen Ungleichbehandlung gleichzusetzen.189 De Simone stellt bei Betrachtung der drei Richtlinien (Rahmenrichtlinie, 2000/43/ EG und 76/207/EWG) fest, dass der ursprünglich als gefestigt anzusehende Grundsatz, wonach unmittelbare Diskriminierungen nicht gerechtfertigt werden können, durch die entsprechenden Regelungen in den Richtlinien aufgehoben worden ist. De Simone bezieht sich dabei direkt auf Art. 4 der Rahmenrichtlinie sowie auf Art. 2 Abs. 6 der modifizierten Richtlinie 76/207/EWG. Nachdem die vorgenannten Vorschriften keine Beschränkung ihres Anwendungsbereichs allein auf die mittelbare Diskriminierung vorsähen, müsse, entgegen der bis dahin zumindest in Italien gefestigten Meinung, davon ausgegangen werden, dass auch eine Rechtfertigung von unmittelbaren Diskriminierungen möglich sei. Die Eröffnung dieser Möglichkeit kritisiert sie harsch. Ihrer Auffassung nach lasse die zweifelhafte Formulierung der Ausnahmetatbestände weite Räume für die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen. Dadurch komme es zu einem Verschwimmen der Grenzen. Es sei unklar, wann ohne jeden Zweifel eine Diskriminierung vorliegt.190 bb) Art. 2 Abs. 2 Rahmenrichtlinie als relatives Diskriminierungsverbot Der wohl überwiegende Teil der deutschen Literatur billigt Diskriminierungsverboten im Allgemeinen aber auch speziell denjenigen der Rahmenrichtlinie, keine absolute Geltung zu. So auch Wiedemann/Thüsing. Nach ihrer Auffassung gibt es stets sachliche Gründe, die es erlauben, Differenzierungen auch aufgrund eines der verpönten Merkmale vorzunehmen. Solche sachlichen Gründe können sowohl in der Sphäre des Vertragspartners oder dritter Personen liegen als auch in der Rechtssphäre des durch das Diskriminierungsverbot geschützten Rechtsträgers. Die Kunst besteht nach Wiedemann/Thüsing darin, die sachlichen Gründe für das jeweilige verpönte Merkmal zu individualisieren. Als Bestätigung für ihre Auffassung werten sie die Ausnahme- und Rechtfertigungsvorschriften des europäischen Sekundärrechts. Die Rahmenrichtlinie sowie deren Schwesterrichtlinie, die Richtlinie 2000/43/EG, unternähmen den Versuch einer Eingrenzung der in Frage kommenden sachlichen Gründe. Dies geschehe in Art. 4 der Richtlinien, in dem als Rechtfertigungsgrund für eine Ungleichbehandlung „eine wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung“ definiert werde und zudem die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorausgesetzt werde. Zudem verweisen Wiedemann/Thüsing auf Art. 5 und Art. 6 der Richtlinien, die insbesondere für das verpönte Merkmal des Alters besondere Regelungen enthalten. Trotz des Umstandes, dass die „Sachgesetzlichkeiten“ nach Auffassung der beiden Autoren noch nicht besonders umfassend er189 190

Plötscher, Diskriminierungsbegriff, S. 263. De Simone, eguaglianza e nuove differenze, S. 536.

III. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Sekundärrecht

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forscht wurden, steht zumindest fest, dass die Rechtfertigungsgründe im Rahmen eines Diskriminierungsverbotes „härteren Anforderungen“ unterliegen, als dies bezogen auf den allgemeinen Gleichheitssatz der Fall ist.191 Scholz geht zwar davon aus, dass der Rahmenrichtlinie selbst kein allgemeiner, für alle verpönten Merkmale, geltender Rechtfertigungsgrund zu entnehmen sei, erkennt aber in Art. 4 Rahmenrichtlinie jedenfalls eine diesbezügliche Ermächtigungsgrundlage. Diese versetzt die Mitgliedsstaaten in die Lage, einen entsprechenden Rechtfertigungsgrund einzuführen. Gleichzeitig verweist Scholz auf den 23. Erwägungsgrund der Rahmenrichtlinie. Aus diesem gehe hervor, dass eine unterschiedliche Behandlung im Zusammenhang mit den verpönten Merkmalen „unter sehr begrenzten Bedingungen“ gerechtfertigt sein könne. Nach Scholz ist streng zwischen dem Tatbestand der Diskriminierung und dem Tatbestand eines Diskriminierungsverbotes zu differenzieren. Er stellt diesbezüglich die Überlegung an, dass begriffslogisch auch Fälle von „erlaubten Diskriminierungen“ denkbar wären. Im Rahmen seiner Betrachtung kommt er zu dem Schluss, dass insbesondere Art. 6 Rahmenrichtlinie für eine zweigeteilte Prüfung spricht, die über die Definition der Diskriminierung hinausgeht.192 Mit der Theorie von einer zweistufigen Prüfung bezogen auf die Rechtfertigung macht Scholz deutlich, dass ein Diskriminierungsverbot grundsätzlich keine absolute Geltung besitzt. Gleichzeitig interpretiert er die Rahmenrichtlinie im Sinne von Wiedemann/Thüsing, indem er eine Rechtfertigung nur in ganz besonderen Ausnahmefällen für möglich hält. Mahlmann sieht in der Frage der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen „eine Kernfrage des Gleichbehandlungsrechts“. Erst an dieser Stelle entscheide sich, ob eine Ungleichbehandlung zulässig ist oder nicht. Bezogen auf das Gemeinschaftsrecht besteht nach seiner Auffassung ein „differenziertes Regime“ von Rechtfertigungen, die – mit ihren auf die verschiedenen verpönten Merkmale angepassten Anforderungen – letztlich als Konkretisierungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit anzusehen seien. Bezogen auf die Rahmenrichtlinie sieht er eine teilweise Überschneidung der Tatbestände. Die für Religion, Weltanschauung, Behinderung und Alter vorgesehenen besonderen Regelungen seien „Spezifikationen, anderer, allgemeiner Rechtfertigungsmöglichkeiten“.193 Besonders die Aussage, dass es sich bei den für spezielle verpönte Merkmale konkretisierten Rechtfertigungsmöglichkeiten um „Spezifikationen anderer, allgemeiner Rechtfertigungsmöglichkeiten“ handelt, zeigt, dass Mahlmann von der grundsätzlichen Möglichkeit der Rechtfertigung merkmalsbezogener Ungleichbehandlungen ausgeht. Auch Stalder misst den Diskriminierungsverboten in der Rahmenrichtlinie sowie der Schwesterrichtlinie lediglich relativen Charakter bei. Anders als Scholz erachtet sie die Rechtfertigungsgründe als negative Tatbestandsmerkmale. Nach ihrer Auf191 Wiedemann/Thüsing, ADG-Entwurf, S. 467 sowie Wiedemann/Thüsing, Richtlinienumsetzung, S. 1234. 192 Scholz, Altersdiskriminierung, S. 81 f. 193 Rudolf/Mahlmann, Gleichbehandlungsrecht, S. 121.

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

fassung kann damit erst dann der Begriff der Diskriminierung verwendet werden, wenn solche negativen Tatbestandsmerkmale nicht vorliegen. Sind hingegen solche negativen Tatbestandsmerkmale gegeben, liege lediglich eine gerechtfertigte Ungleichbehandlung vor. Stalder geht auch auf die diesbezügliche Rechtsprechung des EuGH ein. Nach dieser Rechtsprechung sei es Voraussetzung für die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung, dass ein legitimes Ziel verfolgt werde und sowohl der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als auch die Wesensgehaltsgarantie gewahrt blieben. Als legitime Ziele kämen höhere, gemeinschaftsrechtliche oder mit diesen vereinbare (auch betriebswirtschaftliche) Ziele in Betracht. Für Stalder bleibt es letztlich dem EuGH überlassen, auch ungeschriebene Rechtfertigungsgründe heranzuziehen.194 Temming hält die Frage der Rechtfertigungsmöglichkeit unmittelbarer (alters-) diskriminierender Vorschriften seit den Entscheidungen des EuGH in Sachen Mangold und Palacios de la Villa für entschieden. In beiden Entscheidungen urteilte der EuGH, dass die Möglichkeit für eine solche Rechtfertigung besteht. Temming argumentiert mit der Natur der besonderen Diskriminierungsverbote. Nach seiner – auf das deutsche BVerfG und den EuGH gestützten – Auffassung spricht das Verständnis der Diskriminierungsverbote als Anknüpfungsverbote dafür, dass auch „unmittelbar diskriminierende Maßnahmen“ einer Rechtfertigung zugänglich sind.195 Kummer argumentiert, dass die Diskriminierungsverbote der Rahmenrichtlinie nicht absolut innerhalb des Anwendungsbereichs gelten könnten, da dies negative Konsequenzen für das Zusammenleben und einen produktiven Fortbestand einer demokratischen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft haben könnte.196 Kummer wirft die Frage auf, ob die „Ausnahmen“ systematisch kategorisierbar seien, um sie jeweils entweder der Tatbestandsebene oder der Rechtfertigungsebene zuzurechnen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass dieses eher deutsche Ansinnen an einer Strukturierung in Tatbestand und Rechtfertigung auf europäischer Ebene nicht bzw. nicht konsequent praktiziert werde.197 Die Kategorisierung der – insbesondere in der Rahmenrichtlinie – normierten Ausnahmen in Rechtfertigungsmöglichkeiten und Geltungsbereichsausnahmen sei daher oftmals davon abhängig, ob bei der Auslegung der entsprechenden Vorschriften der Schwerpunkt auf die Formulierung oder auf den dahinter stehenden Sinn der Norm gelegt werde. Nach seiner Auffassung führt eine solche Kategorisierung in den meisten Fällen zu einem willkürlichen Ergebnis.198 Unabhängig von der gewählten Formulierung oder Kategorisierung ist für Kummer der einheitlich dahinterstehende Wille des Richtliniengebers von ent-

194 195 196 197 198

Stalder, Antidiskriminierungsmaßnahmen, S. 70. Temming, Altersdiskriminierung, S. 460 f. Kummer, Antidiskriminierungsrichtlinie, S. 40 f. Kummer, Antidiskriminierungsrichtlinie, S. 41. Kummer, Antidiskriminierungsrichtlinie, S. 44.

III. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Sekundärrecht

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scheidender Bedeutung. Dieser besteht nach seiner Auffassung in allen Fällen darin, die Antidiskriminierungsgrundsätze nicht anzuwenden.199 Senne billigt dem Verbot der unmittelbaren Diskriminierung in der Rahmenrichtlinie ebenfalls nicht den Status eines absolut geltenden Prinzips zu. Der unmittelbaren Diskriminierung sei ein weiter Anwendungsbereich zuzubilligen, indem man davon absehe, eine Diskriminierungsabsicht zu verlangen. Eine Begrenzung des Anwendungsbereichs werde sodann über Ausnahmetatbestände und Rechtfertigungsvorschriften erreicht.200 Senne scheint damit ihre ursprünglich zurückhaltender geäußerte Auffassung zwischenzeitlich korrigiert zu haben.201 Kuras zieht Parallelen zwischen der Rahmenrichtlinie und dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Bei dem Gleichbehandlungsgrundsatz würde aufgrund des Verhaltens des Arbeitgebers gegenüber einer Mehrheit eine Regel erschlossen, von der der Arbeitgeber danach gegenüber einer Minderheit nicht mehr abweichen dürfe. Die in der Rahmenrichtlinie enthaltenen Diskriminierungsverbote folgen nach seiner Auffassung einer anderen Systematik. Diese zielten nicht nur darauf ab, ein „nachteiliges Abweichen von einer Regel“ zu verhindern, sondern seien dazu bestimmt, gewisse Beweggründe insgesamt auszuschalten. Auf diese Weise bringt er zum Ausdruck, dass den in der Rahmenrichtlinie enthaltenen Diskriminierungsverboten lediglich relative und keine absolute Geltung beizumessen sei. Schließlich seien die in der Rahmenrichtlinie genannten Beweggründe (verpönten Merkmale) nur dann ausgeschlossen, wenn diese „unsachlich“ verwendet würden. Unter Bezugnahme auf Wiedemann/Thüsing begründet er diese Auffassung damit, dass mit den in der Rahmenrichtlinie enthaltenen Diskriminierungsverboten keine Ergebnisgleichheit verwirklicht werden solle.202 Schiek untersucht die Rechtsprechung des EuGH zur Frage der relativen oder absoluten Geltung von Diskriminierungsverboten. Grundsätzlich sieht sie in der Rechtsprechung des EuGH ihre eigene Meinung bestätigt. Demnach seien Diskriminierungsverbote besondere Gleichheitssätze und als solche relative Differenzierungsverbote. Der EuGH gehe mit einer verblüffenden Selbstverständlichkeit davon aus, dass Differenzierungen im Zusammenhang mit einem verpönten Merkmal zulässig seien. Eine solche Zulässigkeit soll nur dann zu verneinen sein, wenn die Differenzierung nicht objektiv gerechtfertigt ist. Sie bezieht sich dabei auf Urteile des EuGH aus den Jahren 1974 und 1980203 und konstatiert, dass der EuGH selbst bei 199

Kummer, Antidiskriminierungsrichtlinie, S. 42. Senne Altersdiskriminierung, S. 167. 201 Schmidt/Senne, Verbot der Altersdiskriminierung, S. 85 als sie gemeinsam mit Schmidt eine unmittelbare Diskriminierung noch als grundsätzlich nicht zu rechtfertigen erachtete, jedoch bereits seinerzeit für das Verbot der Altersdiskriminierung offenkundig davon ausging, dass die Rahmenrichtlinie eine Möglichkeit der Rechtfertigung (insb. Art. 6) vorsehe. 202 Kuras, Altersdiskriminierung, S. 13. 203 EuGH, Urteil vom 12. 02. 1974, C-152/74 Sottgiu, Slg. S. 153 ff.; EuGH, Urteil vom 16. 10. 1980, C-147/79, Slg. S. 3005 ff. 200

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

dem für die Weiterentwicklung der Union wichtigen Kriterium der Staatsangehörigkeit Ausnahmen zugelassen habe. Gleichzeitig gelte es zu bedenken, dass der EuGH – trotz diesbezüglicher Appelle des Generalanwaltes – in Bezug auf die Entgeltdiskriminierung bislang noch keine rechtfertigenden Tatbestände anerkannt habe. Dies führt Schiek zu dem Schluss, die Vorherrschaft des Verständnisses, dass Diskriminierungsverbote lediglich relativ und nicht absolut gelten, sei nicht unbedingt „logisch zwingend“.204 Die relative Geltung der Diskriminierungsverbote sei nicht zuletzt auf das formelle Verständnis des Gleichheitsbegriffs zurückzuführen. Auch ein modernes relatives Differenzierungsverbot nehme weiterhin Bezug auf die von Aristoteles entwickelte Idee der Gleichheit.205 Aufgrund der Gefahr von „assimilierenden Nebenwirkungen“ seien bei der unmittelbaren Diskriminierung die Anforderungen an mögliche Rechtfertigungsgründe deshalb besonders hoch.206 Konkret bezugnehmend auf die Diskriminierungsverbote der Rahmenrichtlinie sowie ihrer Schwesterrichtlinie 2000/43/EG, sei diesen – abgesehen von den in den Richtlinien selbst genannten Ausnahmen – absolute Geltung zuzusprechen.207 Insoweit seien die Richtlinien strenger als deren menschenrechtliche Grundlagen. Denkbar sei jedoch, dass sich Ausnahmen vom grundsätzlichen Verbot der Diskriminierung über erhöhte Anforderungen an die Vergleichbarkeit herleiten lassen könnten. Eine solche Auslegung stünde wiederum im Einklang mit dem aristotelischen Gleichheitsmodell.208 Kischel befasste sich insbesondere bezogen auf Art. 119 EGV mit der Frage, ob dem darin enthaltenen geschlechtsbezogenen Diskriminierungsverbot relative oder absolute Geltung zukommt. Der auf europäischer Ebene geltende Gleichheitssatz habe nach seiner Auffassung nur relative Geltung. Allein die Feststellung einer Ungleichbehandlung gleicher oder der Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte führe nicht automatisch und unwiderleglich zu der Annahme einer Verletzung des Gleichheitssatzes. Bezogen auf Art. 119 EGV und das darin ehemals enthaltene Verbot einer geschlechtsbedingten Diskriminierung konstatiert er, wie Schiek, dass der EuGH sich noch nicht eindeutig dazu geäußert habe, ob eine unmittelbare Diskriminierung gerechtfertigt sein könne. Kischel legt sich jedoch fest, bejaht eine solche Möglichkeit und verneint damit gleichzeitig die absolute Geltung des Diskriminierungsverbotes. Er begründet dies damit, dass der EuGH zur mittelbaren Diskriminierung bereits geurteilt habe, dass eine Diskriminierung unter Umständen gerechtfertigt sein könne. Dann müsse im Fall einer unmittelbaren Diskriminierung erst recht eine Rechtfertigungsmöglichkeit bestehen. Gerade eine (mittelbare) Diskriminierung könne unter (gezielter) Vermeidung des verpönten Merkmals erfolgen. Damit stehe sie einer unmittelbaren Diskriminierung, bezogen auf die dis204 205 206 207 208

Schiek, Gerechtigkeit, S. 50. Schiek, Gerechtigkeit, S. 55 u. 61. Schiek, Gerechtigkeit, S. 61 f. Schiek, Gleichbehandlungsrichtlinien, S. 876. Schiek/Schiek, AGG, § 3 Rn. 4.

III. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Sekundärrecht

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kriminierenden Konsequenzen für die Betroffenen, in nichts nach. Nach Kischels Auffassung führt eine solche ergebnisorientierte Betrachtung der beiden Diskriminierungsformen zu der Schlussfolgerung, dass eine unmittelbare Diskriminierung ebenfalls gerechtfertigt sein kann. Schließlich solle mit der Regelung des Art. 119 EGV nicht der Weg oder gar die subjektiven Beweggründe des Handelnden sanktioniert werden, sondern – wie durch die Aufnahme der Figur der mittelbaren Diskriminierung dokumentiert – das diskriminierende Ergebnis.209 Auch das Argument, dass eine solche Interpretation der unmittelbaren Diskriminierung diese – in Anbetracht des Bestehens eines allgemeinen Gleichheitssatzes – womöglich überflüssig mache, lehnt Kischel mit dem Gegenargument ab, dass dieses Problem allen speziellen Gleichheitssätzen gemein sei. Hinzu komme, dass an eine Rechtfertigung, bezogen auf ein spezifisches Diskriminierungsverbot, ein strengerer Maßstab anzulegen sei als bei dem allgemeinen Gleichheitssatz.210 Wernsmann beantwortet die Frage der relativen oder absoluten Geltung der Diskriminierungsverbote in der Rahmenrichtlinie mit einer Rückführung derselben auf ihren Ursprung, Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV. Es treffe zwar zu, dass die Rahmenrichtlinie nur für die mittelbare Diskriminierung definiere, dass eine solche nicht vorliege, wenn die insoweit vorgenommenen mittelbaren Differenzierungen sachlich gerechtfertigt werden könnten. Auch sehe die Rahmenrichtlinie für die unmittelbare Diskriminierung keine Rechtfertigungsmöglichkeiten vor, die eine Diskriminierung bereits begrifflich ausschlössen.211 Damit ist die Argumentationskette von Wernsmann jedoch noch nicht am Ende. Seiner Auffassung nach muss berücksichtigt werden, dass es sich bei der Rahmenrichtlinie um sekundäres Gemeinschaftsrecht handelt und dieses damit gemäß Art. 249 Abs. 1 EGV/Art. 288 AEUV an die Grenzen primären Gemeinschaftsrechts gebunden ist. Die Richtlinien seien Gegenstand der rechtlichen Prüfung und nicht deren Maßstab. Damit wirft Wernsmann die Frage auf, ob die „Verwendung“ eines der in Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV genannten verpönten Merkmale ohne Ausnahme eine unmittelbare Diskriminierung darstellt, oder ob sachliche Rechtfertigungen das Vorliegen einer Diskriminierung ausschließen können. Da Wernsmann in dieser Frage nicht auf Rechtsprechung des EuGH zu Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV zurückgreifen konnte, zieht er eine Parallele zu Art. 12 Abs. 1 EGV/Art. 18 AEUV. Auch dieser enthält ein unmittelbares Diskriminierungsverbot und ist bereits Gegenstand der Rechtsprechung gewesen. Auch wenn die zu Art. 12 EGV/Art. 18 AEUVergangene Rechtsprechung des EuGH nicht eindeutig ist, kommt Wernsmann, insbesondere bei Betrachtung des Urteils des EuGH vom 2. Oktober 1997 – Rs. C-122/96 – Saldanha, zu dem Schluss, dass der EuGH die Rechtfertigung auch einer unmittelbaren Diskriminierung für grundsätzlich möglich hält.212 209 210 211 212

Kischel, Gleichheitssatz, S. 4 f. Kischel, Gleichheitssatz, S. 5. Wernsmann, Diskriminierungsverbote, S. 227. Wernsmann, Diskriminierungsverbote, S. 228.

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

Wernsmann argumentiert wie Kischel, dass für die unmittelbare Diskriminierung dasselbe gelten müsse, wie für die mittelbare Diskriminierung. Dafür spräche, dass es bei alleiniger Differenzierung anhand des Wortlauts bzw. der Formulierung einer Norm im Ergebnis von reinen Zufälligkeiten abhänge, ob eine Diskriminierung vorliegt oder nicht. Würde man tatsächlich nur auf die Formulierung oder Gestaltung der entsprechenden Normen abstellen, hinge es allein vom Formulierungsgeschick des ungleich Behandelnden ab, ob eine Rechtfertigung von Ungleichheiten möglich ist oder nicht. Als weiteres Argument führt Wernsmann die Systematik der gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbote ins Feld. Insbesondere die Betrachtung von Art. 12 EGV/Art. 18 AEUV spricht seiner Auffassung nach für eine Rechtfertigungsmöglichkeit auch im Rahmen von Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV. Schließlich habe der EuGH in Bezug auf Art. 12 EGV/Art. 18 AEUV bereits entschieden, dass, obwohl auch Art. 12 EGV/Art. 18 AEUV ausdrücklich kein Rechtfertigungselement enthält, Art. 12 EGV/Art. 18 AEUV einer gerechtfertigten Differenzierung nicht entgegenstehe. Wie Schiek nimmt Wernsmann zum einen auf das zur Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit ergangene Urteil des EuGH aus dem Jahr 1980213 Bezug und ergänzt die Ausführungen um ein entsprechendes Urteil des EuGH aus dem Jahr 1998214. In dem Urteil aus dem Jahr 1998 prüfte der EuGH die Möglichkeit der Rechtfertigung einer unmittelbaren Diskriminierung bezogen auf das verpönte Merkmal der Staatsangehörigkeit und brachte damit zum Ausdruck, dass eine solche grundsätzlich möglich ist. Für Wernsmann bildet unter anderem die vorgenannte Rechtsprechung des EuGH die Grundlage für die Schlussfolgerung, dass die Diskriminierungsverbote des Gemeinschaftsrechts keine „absoluten Differenzierungsverbote“ seien, sondern begründbare Ausnahmen zulässig sind. Insbesondere Art. 12 EGV/Art. 18 AEUV sei demnach kein Anknüpfungsverbot, sondern ein Begründungsverbot. Den Vertretern der Auffassung, es handle sich um ein Anknüpfungsverbot, da die Diskriminierungsverbote im Gegensatz zu den Grundfreiheiten keine Durchbrechungsmöglichkeiten vorsähen, widerspricht Wernsmann. Systematisch sei es nicht erklärbar, einerseits im Bereich der Grundfreiheiten Durchbrechungen zuzulassen und dies hingegen bei den subsidiären allgemeinen Diskriminierungsverboten des Art. 12 EGV/Art. 18 AEUV nicht zu tun.215 Wernsmann kommt auf diesem Wege zu der Argumentation, dass wenn im Rahmen des unmittelbar anwendbaren Art. 12 EGV/Art. 18 AEUV eine Rechtfertigung möglich sei, dies für Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV im Sinne eines „erst rechtSchlusses“ in jedem Fall zu gelten habe. Schließlich finde Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV eben keine unmittelbare Anwendung, sondern erlaube lediglich den Erlass entsprechender Antidiskriminierungsmaßnahmen. Eine solche Ermächtigungsnorm könnte nicht weiter reichen als ein unmittelbar anwendbares Diskriminierungsverbot wie Art. 12 EGV/Art. 18 AEUV. Dies führt ihn letztlich zu dem Schluss, dass eine 213 214

eu/. 215

EuGH, Urteil vom 16. 10. 1980, C-147/79, Slg. S. 3005 ff. EuGH, Urteil vom 24. 11. 1998, C-274/96, abrufbar im Internet unter http://curia.europa. Wernsmann, Diskriminierungsverbote, S. 228 f.

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Diskriminierung im Sinne von Art. 13 EGV/Art. 19 AEUV lediglich dann vorliegt, wenn die differenzierende Maßnahme/Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt ist.216 4. Stellungnahme: Relative Geltung des Diskriminierungsbegriffs Diskriminierungsverbote gelten nicht absolut und ausnahmslos. Daraus folgt, dass auch der Diskriminierungsbegriff nicht absolut zu verstehen ist. Grundsätzlich trifft es zwar zu, dass der Sinn und Zweck von Antidiskriminierungsvorschriften darin besteht, einen möglichst umfassenden Schutz vor Diskriminierungen zu gewähren. Dennoch sprechen die besseren Argumente dafür, eine Diskriminierung begrifflich nur in den Fällen einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung anzunehmen. a) Wortlaut der Rahmenrichtlinie Betrachtet man den Wortlaut der Richtlinie, ist ein Bestreben zu erkennen, zu einer einheitlichen und klaren Definition des Begriffs der Diskriminierung zu gelangen. An mehreren Stellen der Richtlinie und unabhängig von der Sprachversion (Deutsch, Italienisch oder Englisch) zeigt der Richtliniengeber mit der jeweiligen Wahl der Formulierung, dass eine Diskriminierung seiner Auffassung nach nur dann vorliegt, wenn zu einer merkmalsbezogenen Ungleichbehandlung eine weitere Komponente hinzutritt. Eine einheitliche Definition dessen, welche zusätzliche Komponente hinzutreten muss, um aus einer Ungleichbehandlung unter Heranziehung eines der verpönten Merkmale eine Diskriminierung werden zu lassen, lässt sich den Richtlinien bisher nicht entnehmen. Man wird jedoch sagen können, dass eine sachliche Rechtfertigung die Verwendung des Begriffs der Diskriminierung ausschließt. Innerhalb der Rahmenrichtlinie finden sich verschiedene Konkretisierungen dieser Rechtfertigungsmöglichkeit. Speziell für die mittelbare Diskriminierung ist in Art. 2 Abs. 2 definiert, dass eine sachliche Rechtfertigung möglich ist. Für beide Formen der Diskriminierung gleichermaßen benennt Art. 4 Rahmenrichtlinie bestimmte Tatbestände, bei deren Vorliegen nicht mehr von einer Diskriminierung, sondern lediglich von einer Ungleichbehandlung zu sprechen ist. Art. 6 Rahmenrichtlinie gibt bereits mit seiner Überschrift deutlich zu erkennen, dass auch der Richtliniengeber davon ausgegangen ist, dass eine Rechtfertigung die Verwendung des Begriffs Diskriminierung ausscheiden lässt.217

216

Wernsmann, Diskriminierungsverbote, S. 299. In der deutschsprachigen Version der Rahmenrichtlinie lautet die Überschrift „Gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen des Alters“, in der italienischen Fassung ist die Rede von „Giustificazione delle disparità di trattamento collegate all’età“. Dem deutschen Begriff der Ungleichbehandlung entspricht im Italienischen damit der Begriff der disparità di trattamento. 217

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

b) Erwägungs- und Hintergründe der Rahmenrichtlinie Die Annahme, dass auch eine unmittelbare Diskriminierung nur dann vorliegt, wenn die zugrundeliegende Ungleichbehandlung sachlich nicht gerechtfertigt ist, findet – im Sinne Kischels – auch bei einer vergleichenden Betrachtung mit der mittelbaren Diskriminierung ihre Rechtfertigung. Tatsächlich wäre es unbillig, eine Rechtfertigung nur demjenigen vorzubehalten, der die merkmalsbezogene Ungleichbehandlung am geschicktesten „verschleiert“. Es ist aber nicht Sinn und Zweck des Antidiskriminierungsschutzes, lediglich offene Diskriminierung zu verhindern. Richtigerweise stellt Kischel darauf ab, dass es nicht allein darauf ankommen kann, diskriminierende subjektive Beweggründe zu sanktionieren, sondern darum, die Adressaten des Diskriminierungsschutzes vor ungerechtfertigten Diskriminierungen zu schützen.218 Nicht überzeugen kann insoweit die Argumentation von Lingscheid, die eine unterschiedliche Behandlung von mittelbarer und unmittelbarer Diskriminierung damit zu begründen versucht, dass bei der mittelbaren Rechtfertigung die Anwendung des vermeintlich neutralen Kriteriums gerechtfertigt würde.219 Streng genommen würde dies dazu führen, dass jedwede noch so intensive „mittelbare“ Bezugnahme auf ein diskriminierendes Merkmal gerechtfertigt werden könnte, wenn allein die Verwendung des vermeintlich neutralen Kriteriums sachlich gerechtfertigt ist. Die Formulierung in Art. 2 Abs. 2 i) Rahmenrichtlinie lässt jedoch den Schluss zu, dass auch im Rahmen der mittelbaren Diskriminierung das verpönte Kriterium Beachtung finden muss. Schließlich ist die Verwendung des neutralen Kriteriums allenfalls dann legitim, wenn dies zur Erreichung eines bestimmten Ziels angemessen und erforderlich ist. Es hat somit eine Abwägung stattzufinden, in deren Rahmen – wenn auch mittelbar – zu klären ist, ob die Bezugnahme auf das neutrale Kriterium ausreicht, um die negative Konsequenz bezogen auf das verpönte Merkmal zu rechtfertigen. Dies macht wiederum deutlich, dass Kischel mit seiner Annahme, dass letztlich auf das Ergebnis und nicht auf den Modus abzustellen ist, richtig liegt. Diese von Kischel im Hinblick auf Art. 119 EGV entwickelte Argumentation findet ihre Stütze im Übrigen auch in unterschiedlichen Erwägungsgründen der Rahmenrichtlinie. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang der 11. und 12. Erwägungsgrund der Rahmenrichtlinie. Bei einer Zusammenschau der Vorschriften wird deutlich, dass die Verfasser der Rahmenrichtlinie – offensichtlich bezogen auf das Schutzniveau – keine wesentlichen Unterschiede zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung beabsichtigten. Aus dem 11. Erwägungsgrund geht hervor, dass der in der Rahmenrichtlinie normierte Schutz vor Diskriminierungen ein Mittel ist, um bestimmte im EG-Vertrag verbriefte Rechte der Bürger zu gewährleisten. Nach dem Wortlaut der Rahmenrichtlinie steht insbesondere zu befürchten, dass Ziele wie die Erreichung eines hohen Beschäftigungsniveaus die Schaffung eines hohen Maßes an sozialem Schutz und die Förderung der Lebensqualität etc. durch 218 219

Kischel, Gleichheitssatz, S. 4 f. Lingscheid, Antidiskriminierung, S. 49 f.

III. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Sekundärrecht

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Diskriminierungen unterminiert werden können. Basierend auf dieser Annahme wird im 12. Erwägungsgrund ausgeführt, dass jede unmittelbare und mittelbare Diskriminierung aufgrund eines der verpönten Merkmale untersagt werden soll. Diese Formulierung verdeutlicht, dass für die Verfasser der Rahmenrichtlinie die unmittelbare und die mittelbare Diskriminierung auf ein und derselben Ebene zu betrachten sind. Die Erwägungsgründe bieten auch im Übrigen keinen Anhaltspunkt dafür, dass, bezogen auf die Rechtfertigungsmöglichkeit, Unterschiede zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung bestehen. Streiten mag man an dieser Stelle, ob – wenn es keine Differenzierung hinsichtlich des „ob“ einer Rechtfertigungsmöglichkeit gibt – zumindest das „wie“ bzw. in diesem Fall eher das „wann“ zu einer Differenzierung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung führt. Kischel meint, dass sich der Spezielle Gleichheitssatz gegenüber dem Allgemeinen Gleichheitssatz, bezogen auf die Rechtfertigungsmöglichkeit, unterscheidet. Die Anforderungen an eine Rechtfertigung seien bei einer spezifischen Ungleichbehandlung höher.220 Diesen Gedanken weiterführend, bietet die Gestaltung der Rahmenrichtlinie Anhaltspunkte dafür, dass für die Rechtfertigung unmittelbarer Diskriminierungen strengere Maßstäbe gelten als für die mittelbare Diskriminierung. Dies ergibt sich bei Betrachtung von Art. 2 Abs. 2 i) einerseits und Art. 4 Rahmenrichtlinie andererseits. Bezogen auf die mittelbare Diskriminierung spricht die Rahmenrichtlinie davon, dass diese gerechtfertigt sein kann, wenn die vermeintlich neutralen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich sind. Der allgemeine und grundsätzlich für beide Formen der Diskriminierung geltende Art. 4 Rahmenrichtlinie ist insoweit enger formuliert und konkretisiert, dass eine Diskriminierung auch dann nicht vorliegt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingung ihrer Ausübung eine wesentliche berufliche Anforderung darstellt, soweit es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt. Dass es sich – auch ohne dies explizit so zu benennen – bei Art. 4 Rahmenrichtlinie ebenfalls um einen Rechtfertigungstatbestand und nicht – wie beispielsweise von Ballestrero angenommen, um eine „Bereichsausnahme“ – handelt, wird in der Zusammenschau mit dem 23. Erwägungsgrund deutlich. Hier heißt es ausdrücklich, dass „eine unterschiedliche Behandlung g e r e c h t f e r t i g t “ sein kann, wenn ein Merkmal, das mit einem der verpönten Merkmale zusammenhängt, eine wesentliche berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt. Der 25. Erwägungsgrund spricht auch für diese Interpretation. Dieser, speziell auf Art. 6 Rahmenrichtlinie und damit auf das Verbot der Altersdiskriminierung bezogene Tatbestand, enthält eine Formulierung, wonach Ungleichbehandlungen aufgrund des Alters gerechtfertigt bzw. giustificate sein können. Nach dem Wortlaut können altersbezogene Ungleichbehandlungen insbe220

Kischel, Gleichheitssatz, S. 5.

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

sondere bzw. in particolare durch rechtmäßige Ziele im Bereich der Beschäftigungspolitik, des Arbeitsmarktes und der beruflichen Bildung gerechtfertigt sein. Durch die Verwendung des Begriffs insbesondere bzw. in particolare wird deutlich, dass die Aufzählung nicht abschließend zu verstehen ist. Hier zeigt sich, dass die von Lingscheid vertretene Auffassung, Ausnahmen vom Verbot der unmittelbaren Diskriminierung kämen allenfalls in den in der Richtlinie explizit aufgeführten Fällen in Betracht, die möglichen Rechtfertigungsgründe keinesfalls so exakt beschreibt, wie die Bezugnahme auf geschriebene Rechtfertigungstatbestände suggeriert. Wie soeben festgestellt, ist die Aufzählung etwa in Art. 6 Rahmenrichtlinie nicht abschließend und kann damit selbst als Verweis auf außerhalb des Richtlinientextes liegende mögliche Rechtfertigungsgründe verstanden werden. Weitere Ansatzpunkte bietet der Kommissionsvorschlag zur Rahmenrichtlinie. Zu Art. 6 Rahmenrichtlinie (im Vorschlag noch Art. 5) wird betont, dass es sich bei der Gleichbehandlung um ein grundlegendes Gemeinschaftsprinzip handelt. Demnach sei „in der Regel jede unterschiedliche Behandlung, die ausdrücklich“ an eines der verpönten Merkmale anknüpfe, grundsätzlich als Diskriminierung anzusehen. Weiter heißt es jedoch, dass „das geltende Recht der Gemeinschaft und der Mitgliedsstaaten“ bestimme, „dass eine Ungleichbehandlung nur unter ganz besonderen, außergewöhnlichen Umständen gerechtfertigt sein“ könnte. Speziell in Bezug auf Art. 6 Rahmenrichtlinie wird klargestellt, dass die darin enthaltene Aufzählung von altersbezogenen Ungleichbehandlungen nicht erschöpfend ist.221 Mit diesen Aussagen macht die Kommission deutlich, von welcher Grundlage ausgegangen wird. Dabei ist zu beachten, dass Art. 6 Rahmenrichtlinie für beide Formen der Diskriminierung gilt und damit auch die unmittelbare Diskriminierung erfasst. Die Kommission hat ihre diesbezügliche Rechtsauffassung bereits früher zum Ausdruck gebracht. In einem Verfahren vor dem EuGH Anfang der 1990er Jahre legte die Kommission ihre Definition des Begriffs Diskriminierung in aller Deutlichkeit dar. In dem Verfahren Birds Eye Walls Ltd. ./. Roberts vertrat die Kommission die Auffassung, dass unter dem Begriff Diskriminierung eine nicht gerechtfertigte unmittelbare oder mittelbare unterschiedliche Behandlung zu verstehen sei.222 Diesem Verständnis des Begriffs der Diskriminierung schloss sich grundsätzlich auch der damalige Generalanwalt Walter van Gerven an. In seinem Schlussantrag führte er aus, dass auch bei Vorliegen einer unmittelbaren Ungleichbehandlung anhand eines verpönten Merkmals (seinerzeit das Geschlecht) die Möglichkeit einer Rechtfertigung bestünde. Er begründete dies insbesondere damit, dass unmittelbare Diskriminierung und mittelbare Diskriminierung oftmals nur sehr schwer voneinander zu unterscheiden seien. Dies würde im Hinblick auf die Frage der Rechtfertigungsmöglichkeit unter Umständen zu willkürlichen Ergebnissen 221

Vorschlag der Kommission der EG vom 25. 11. 1999, abrufbar imInternet unter: http:// eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 51999PC0565, S. 12. 222 EuGH, Urteil vom 09. 11. 1993, C-132/92, abrufbar im Internet unter http://eur-lex.euro pa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 61992 J0132, Rn. 15.

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führen.223 Die aktuelle Position der Europäischen Kommission ist – auf das Merkmal Alter bezogen – nicht immer eindeutig. O’Cinneide vertritt in seiner für die Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit der Europäischen Kommission verfassten Schrift die Auffassung, dass bei einer merkmalsbezogenen unmittelbaren Diskriminierung eine Rechtfertigung tatsächlich nur dann in Betracht komme, wenn die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 1 Rahmenrichtlinie vorlägen, also das verpönte Merkmal als wesentliche berufliche Anforderung einzustufen ist.224 Damit wären jedoch weitere objektive Sachgründe, die sich etwa im Allgemeinwohl begründen könnten – unabhängig von deren Wichtigkeit – als Rechtfertigungsgründe ausgeschlossen. Für den Diskriminierungsbegriff als solchen verbliebe es dennoch dabei, dass – auch bezogen auf die unmittelbare Diskriminierung – nur dann von einer Diskriminierung gesprochen werden kann, wenn eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung vorliegt. c) Rechtsprechung des EuGH und Diskriminierungsverbote als Begründungsverbote Argumente für die Auffassung, wonach Diskriminierungsverboten lediglich eine relative Geltung zukommt, finden sich – entgegen Auffassung von Lingscheid – auch in der Rechtsprechung des EuGH. Insofern ist Wernsmann, der auf Urteile des EuGH Bezug nimmt und aus diesen ableitet, dass es sich bei den Diskriminierungsverboten nicht um absolute Differenzierungsverbote handelt, zustimmen.225 In der Sache Hochstrass226 führte der EuGH zu dem Fall einer vermeintlichen unmittelbaren Diskriminierung aus, dass es durchaus gerechtfertigt sein kann, an ein verpöntes Merkmal – im damaligen Fall das Merkmal der Staatsangehörigkeit – anzuknüpfen. Bei dem damaligen Streit um die Gewährung einer „Expatriierungszulage“, deren Gewährung von der Staatsangehörigkeit abhängig gemacht wurde, hatte der EuGH klargestellt, dass die betreffende Zulage unter Bezugnahme auf das Merkmal der Staatsangehörigkeit Nachteile ausgleichen solle, welche die seinerzeit betroffenen Beamten aufgrund ihres Ausländerstatus erfuhren.227 Wenn auch im Ergebnis eine Rechtfertigung verneint wurde, bestätigte der EuGH mit einer Entscheidung aus dem Jahr 1998, dass es im Falle einer unmittelbaren Diskriminierung durchaus Fälle geben kann, die die Bezugnahme auf ein verpöntes Merkmal gestatten. Der EuGH hielt es ausdrücklich für möglich, dass beispielsweise der Schutz einer Minderheit

223 Schlussanträge zum EuGH, Urteil vom 09. 11. 1993, C-132/92, abrufbar im Internet unter http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 61992C0132, S. I–5592 ff. 224 O’Cinneide, Altersdiskriminierung, S. 34. 225 Wernsmann, Diskriminierungsverbote, S. 228. 226 EuGH, Urteil vom 16. 10. 2008, 147/79, abrufbar im Internet unter http://eur-lex.europa. eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 61979CJ0147, S. 3006 ff. 227 EuGH, Urteil vom 16. 10. 2008, 147/79, abrufbar im Internet unter http://eur-lex.europa. eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 61979CJ0147, S. 3020.

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ein solches legitimes Ziel darstellen kann.228 Wernsmann ist weiterhin zuzustimmen, soweit er im Rahmen einer vergleichenden Betrachtung mit den Grundfreiheiten davon ausgeht, dass es sich bei den Diskriminierungsverboten um Begründungs-, nicht jedoch um Anknüpfungsverbote handelt.229 Dies ist die logische Konsequenz aus der Annahme, dass die Diskriminierungsverbote keine absolute, sondern relative Geltung besitzen, also grundsätzlich einer Rechtfertigung zugänglich sind. Der Begriff des Begründungsverbots impliziert bereits, dass nicht jede bloße Anknüpfung an ein verpöntes Merkmal unzulässig ist. Vielmehr können Sachgründe, die außerhalb des verpönten Merkmals liegen, die bloße Anknüpfung an ein verpöntes Merkmal rechtfertigen. Die Argumentation des EuGH in der Sache Hochstrass stützt diese Annahme. Der EuGH bestätigte in seiner Entscheidung, dass es in bestimmten Situationen durchaus denkbar ist, dass an ein verpöntes Merkmal angeknüpft wird. Deutlich wird jedoch auch, dass der EuGH eine weitergehende Begründung verlangt, damit diese Anknüpfung an ein verpöntes Merkmal zulässig sein kann. Das Verlangen nach einer weitergehenden Begründung verdeutlicht, dass es sich bei den Diskriminierungsverboten nicht um absolut geltende Anknüpfungsverbote handelt, sondern um relativ geltende Begründungsverbote. Die jüngere Rechtsprechung des EuGH gibt jedoch Anlass zu Zweifeln, ob und inwieweit der EuGH eine Rechtfertigung von unmittelbaren Ungleichbehandlungen weiterhin für möglich hält. Anlass für diese Zweifel ist das Urteil in Sachen Römer230 aus dem Jahr 2011. Diesem Urteil lag ein Vorabentscheidungsersuchen des ArbG Hamburg aus dem Jahr 2008 zugrunde. Das ArbG hatte sich mit der Frage zu befassen, inwieweit die in einer Lebenspartnerschaft lebenden gleichgeschlechtlichen Personen in Bezug auf Versorgungsbezüge anders behandelt werden dürfen als in einer Ehe lebende Personen unterschiedlichen Geschlechts. Das ArbG Hamburg legte dem EuGH dabei unter anderem die Frage vor, ob und inwieweit eine „unmittelbar diskriminierende gesetzliche Regelung“ gerechtfertigt sein kann. Ganz konkret begehrte das ArbG Hamburg eine klarstellende Entscheidung des EuGH dahingehend, ob nationales Recht (im konkreten Fall Art. 6 Abs. 1 GG) eine solche Rechtfertigung darstellen könne.231 Deutlich und entschieden gegen eine solche Möglichkeit sprach sich der zuständige Generalanwalt Jääskinen aus. Selbst eine im Verfassungsrang stehende Vorschrift wie Art. 6 Abs. 1 GG könne den Gleichbehandlungsgrundsatz der Rahmenrichtlinie nicht zu Fall bringen. Gleichzeitig sah er das Ausgangsgericht in Hamburg berufen, diese Frage letztlich selbst zu beant-

228

eu/. 229

EuGH, Urteil vom 24. 11. 1998, C-274/96, abrufbar im Internet unter http://curia.europa.

Wernsmann, Diskriminierungsverbote, S. 228. Urteil des EuGH v. 10. 05. 2011, Az. C-147/08, abrufbar im Internet unter http://curia.eu ropa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 231 Vorlagefrage Ziff. 7 b), einsehbar im Urteil des EuGH v. 10. 05. 2011, Az. C-147/08, abrufbar im Internet unter http://curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 230

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worten.232 Anders als die eindeutige Vorlagefrage des ArbG Hamburg erwarten lassen durfte, vermied der EuGH eine eindeutige Antwort. Fast hat es den Anschein, als wollte der EuGH im Hinblick auf die Frage, ob eine grundsätzliche Möglichkeit der Rechtfertigung von „unmittelbaren Diskriminierungen“ besteht, bewusst keine klare Stellung beziehen. Der EuGH urteilte, dass eine der Voraussetzungen für die Nichtanwendbarkeit einer nationalen Norm233 sei, dass „[…] eine unmittelbare Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung vorliegt, weil sich der genannte Lebenspartner im nationalen Recht hinsichtlich dieser Bezüge in einer rechtlichen und tatsächlichen Situation befindet, die mit der einer verheirateten Person vergleichbar ist.“234 Der EuGH vermied es – ob bewusst oder unbewusst – die aufgeworfene Frage nach der Rechtfertigungsmöglichkeit von „unmittelbaren Diskriminierungen“ eindeutig zu beantworten. Der Wortlaut der getroffenen Entscheidung lässt weiterhin Spielraum für Spekulationen. Den Ausgangspunkt für solche Spekulationen bildet der vorzitierte Passus des Urteils. Demnach müssen sich die Lebenspartner in einer rechtlich und tatsächlich vergleichbaren Situation befinden. Angesichts des im Raum stehenden Art. 6 Abs. 1 GG könnte man die Auffassung vertreten, dass die genannten Personen gerade nicht rechtlich vergleichbar sind, da Art. 6 Abs. 1 GG lediglich die Ehe und damit eine Lebensgemeinschaft unterschiedlich geschlechtlicher Partner unter grundgesetzlichen Schutz stellt. Auf diese Weise würde eine Diskriminierung bereits auf tatbestandlicher Ebene ausscheiden, da der EuGH die rechtliche Vergleichbarkeit im Rahmen des Vorliegens einer vergleichbaren Situation prüft. Das Urteil in Sachen Römer könnte also als Anhaltspunkt dafür gewertet werden, dass Schiek mit ihrer Annahme richtig liegt, dass „Ausnahmen“ vom Diskriminierungsverbot möglicherweise über höhere Anforderungen an die Vergleichbarkeit eingeführt werden.235 Im Übrigen kann die Sache Römer als ein weiteres Beispiel dafür gelten, dass es sich bei den Diskriminierungsverboten um Begründungs- und nicht lediglich um Anknüpfungsverbote handelt. Tatsächlich wird in dem vorliegenden Fall an das verpönte Merkmal der sexuellen Ausrichtung angeknüpft. Die Begründung für die ungleiche Behandlung ist aber nicht in dem verpönten Merkmal selbst, sondern in dem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz der Ehe zu suchen. Die Frage, ob Art. 6 Abs. 1 GG als Begründung für die ungleiche Behandlung in dem konkreten Sachverhalt tragen kann, ist für die grundsätzlichen Erwägungen zum Diskriminierungsbegriff ohne Belang. Die Einordnung der Diskriminierungsverbote als Begründungsverbote birgt jedoch die Gefahr, deren Inhalt unrichtig zu interpretieren. Insoweit ist die von Plöt232 Schlussanträge des Generalanwalts zum Verfahren Az. C-147/08, abrufbar im Internet unter http://curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 233 Hier § 10 Erstes Ruhegeldgesetz der Freien und Hansestadt Hamburg (1. RGG). 234 Urteil des EuGH v. 10. 05. 2011, Az. C-147/08, Rn. 52, abrufbar im Internet unter http:// curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 235 Schiek/Schiek, AGG, § 3 Rn. 4; eine ähnliche Vermutung äußert auch Izzi; Izzi, discriminazione, S. 70.

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scher geäußerte Kritik an dem Verständnis der Diskriminierungsverbote als Begründungsverbote in Teilen gerechtfertigt.236 Plötscher lehnt die Einordnung der Diskriminierungsverbote als Begründungsverbote mit dem Argument ab, dass oftmals die für eine Ungleichbehandlung gegebene Begründung von der tatsächlich zugrundeliegenden Begründung abweiche. So würde etwa häufig mangelnde Leistungsfähigkeit oder Unzuverlässigkeit vorgeschoben, um einer tatsächlich anhand eines der verpönten Merkmale vorgenommenen Diskriminierung den Deckmantel der Rechtmäßigkeit überzustreifen.237 Werden Diskriminierungsverbote zutreffend als Begründungsverbote verstanden, darf sich dieses Verständnis nicht darin erschöpfen, lediglich vorgeschobene – vermeintlich neutrale – Begründungen ohne nähere Prüfung zu akzeptieren und in der Folge eine Diskriminierung zu verneinen. Wie in vielen anderen Bereichen auch, wird es in solchen Fällen die Aufgabe der Gerichte sein, festzustellen, ob und inwieweit die gegebene Begründung auch tatsächlich die Motivation für eine Differenzierung ist. Zudem wird weiterhin – im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung – zu prüfen sein, ob die gegebene Begründung überhaupt geeignet, erforderlich und angemessen ist, eine Differenzierung zu begründen. Im Übrigen führt ein solches Verständnis der Diskriminierungsverbote auch nicht zu einer Absenkung des Schutzniveaus. Dies verhindert für das 2. Kapitel der Rahmenrichtlinie Art. 10 Rahmenrichtlinie. Danach reicht es aus, wenn von einem potentiellen Diskriminierungsopfer Tatsachen glaubhaft gemacht werden, die das Vorliegen einer Diskriminierung vermuten lassen. Es obliegt sodann der Gegenseite, den Beweis dafür anzutreten, dass keine Diskriminierung vorliegt. Es ist also darzulegen, dass die Differenzierung nicht aufgrund eines der verpönten Merkmale vorgenommen worden ist. Der Beweis für eine abweichende Begründung obliegt dem potentiell Diskriminierenden. d) Fazit und Begriffsklärung Bei den Diskriminierungsverboten der Rahmenrichtlinie handelt es sich um relative Begründungsverbote. Zur Bejahung einer Diskriminierung genügt nicht allein die Anknüpfung an eines der verpönten Merkmale. Eine solche Anknüpfung kann – wie vorstehend beschrieben – durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein. Ein solcher sachlicher Grund muss nach der hier vertretenen Auffassung nicht zwangsläufig in der Rahmenrichtlinie – wie etwa in Art. 4 – genannt sein. Auch darüber hinaus sind Rechtfertigungsgründe denkbar. In solchen Fällen wird regelmäßig eine strengere Verhältnismäßigkeitsprüfung angezeigt sein. Die nunmehr erarbeitete Definition der Diskriminierung als „unmittelbare oder mittelbare ungerechtfertigte Ungleichbehandlung“ beantwortet noch nicht abschließend, wie der Begriff der Diskriminierung rechtlich korrekt zu verwenden ist. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Frage zu klären, ob die Verwendung 236 237

Plötscher, Diskriminierungsbegriff, S. 286. Plötscher, Diskriminierungsbegriff, S. 286.

III. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Sekundärrecht

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des immer wieder auftauchenden Begriffs der „gerechtfertigten Diskriminierung“ zutreffend sein kann. Nach dem in Deutschland vorherrschenden Verständnis – so zum Beispiel im Strafrecht – handelt es sich bei einer Rechtfertigung im Regelfall um einen besonderen Erlaubnistatbestand.238 Ohne dass dies in der Praxis zu anderen Ergebnissen führen würde, wird jedoch auch die Meinung vertreten, dass es sich bei einer Rechtfertigung um ein sogenanntes negatives Tatbestandsmerkmal handelt.239 Dieses deutsche und zudem noch strafrechtliche Verständnis einer Rechtfertigung kann, bezogen auf den Begriff der Rechtfertigung in der Rahmenrichtlinie, nur colorandi causa angeführt werden und wird – da im Ergebnis zu keinen Unterschieden führend – hier auch nicht vertieft. Es spricht jedoch einiges dafür, dass die Verfasser der Rahmenrichtlinie tatsächlich die Rechtfertigung als eine Art negatives Tatbestandsmerkmal verstanden haben. Hierfür spricht etwa der Wortlaut der Rahmenrichtlinie. An keiner Stelle der Richtlinie wird der Terminus einer gerechtfertigten Diskriminierung verwendet. Art. 4 Rahmenrichtlinie schließt die Verwendung des Begriffs Diskriminierung aus, wenn bestimmte entscheidende berufliche Anforderungen eine Ungleichbehandlung im Hinblick auf ein bestimmtes Merkmal zulässig werden lassen. In diesem Kontext ist auch Art. 6 Rahmenrichtlinie anzuführen. Hier wird bereits aus der Überschrift deutlich, dass eine wie auch immer geartete Rechtfertigung dazu führt, dass eine Verwendung des Begriffs der Diskriminierung ausscheidet. Die Rechtfertigung (giustificazione) führt dazu, dass eine gerechtfertigte Ungleichbehandlung (disparità di trattamento giustificata) vorliegt, nicht aber eine gerechtfertigte Diskriminierung (discriminazione giustificata). Auch das Urteil des EuGH in Sachen Römer ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Rechtfertigung als Teil des Tatbestandes einzuordnen ist. Schließlich hat der EuGH in dem genannten Urteil auf die Frage nach der Rechtfertigungsmöglichkeit einer unmittelbaren Diskriminierung mit Ausführungen zu einer „rechtlichen Vergleichbarkeit“ auf Tatbestandsebene geantwortet. Unabhängig von einer Einordnung des Rechtfertigungselements als negatives Tatbestandsmerkmal oder als eigenständiger besonderer Erlaubnistatbestand lässt sich bezogen auf die Begriffsverwendung konstatieren, dass eine Verwendung des Begriffs Diskriminierung nur dann in Betracht kommt, wenn eine unmittelbare oder mittelbare, sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung bezogen auf ein verpöntes Merkmal vorliegt.240 Doch auch der EuGH hat die Begriffe Diskriminierung und Ungleichbehandlung bereits so behandelt, als würde ihnen dieselbe Bedeutung innewohnen. So etwa in der Rechtssache Barber ./. Guardian Royal Exchange241, wie der Generalanwalt van Gerven in seinem Schlussantrag in der Sache 238

Schönke/Lenckner/Sternberg-Lieben, Strafgesetzbuch, vor §§ 32 ff. Rn. 4. Schönke/Lenckner/Sternberg-Lieben, Strafgesetzbuch, vor §§ 32 ff. Rn. 5. 240 Insoweit fälschlich verwendet von Temming, der von der Rechtfertigung einer unmittelbaren Diskriminierung spricht: Temming, Palacios, S. 1195. 241 EuGH, Urteil vom 17. 05. 1990, C-262/88, abrufbar im Internet unter http://eur-lex.euro pa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 61988 J0262, Rn. 32. 239

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

Birds Eye Wall zutreffend bemerkt.242 Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die deutsche Übersetzung des Urteils in Sachen Barber diese Gleichsetzung des Ungleichbehandlungs- und Diskriminierungsbegriffs nicht wiedergibt. Die entsprechende Stelle in der deutschen Fassung des Urteils lautet: „Artikel 119 verbietet jede das Entgelt betreffende Ungleichbehandlung von Männern und Frauen ohne Rücksicht darauf, woraus sich diese Ungleichbehandlung ergibt.“ Es wird zweimal der Begriff der Ungleichbehandlung verwendet. Hingegen heißt es an derselben Stelle in der italienischen Textfassung des Urteils: „L’ art . 119 del Trattato vieta qualsiasi discriminazione in materia di retribuzione tra lavoratori di sesso maschile e lavoratori di sesso femminile, quale che sia il meccanismo che genera questa ineguaglianza.“ Entsprechend der englischen und französischen Sprachfassungen wird in der italienischen Fassung des Urteils der Begriff der Diskriminierung als auch der Ungleichbehandlung verwendet. Entgegen der von van Gerven vertretenen Auffassung spricht dies jedoch nicht zwangsläufig dafür, dass der EuGH davon ausgegangen ist, dass die Begriffe „Diskriminierung“ und „Ungleichbehandlung“ inhaltsgleich sind. Zwar verwendet der EuGH in dem betreffenden Abschnitt zunächst den Begriff Diskriminierung und sodann den Begriff der Ungleichheit/Ungleichbehandlung. Dieses Vorgehen ist jedoch nur logisch. Schließlich setzt eine Diskriminierung nach der hier vertretenen Definition zwingend eine Ungleichbehandlung voraus. In jedem Fall ändert die – höchstwahrscheinlich versehentlich unterlaufene – Verwendung lediglich des Begriffs „Ungleichbehandlung“ in der deutschen Fassung nichts. Auch van Gerven machte seinerzeit deutlich, dass er die hier und von der Kommission vertretene Auffassung als zutreffender erachtet. In seiner Begriffswahl im besagten Urteil wich er lediglich aufgrund einer vermeintlich abweichenden Verwendung der Begriffe durch den EuGH hiervon ab.243 Nach alledem ist unter Diskriminierung die unmittelbar oder mittelbar merkmalsbezogene, benachteiligende, ungerechtfertigte Ungleichbehandlung zu verstehen.244 Der Sorge Adomeits, dass der Begriff der Diskriminierung einer immer weiter voranschreitenden „Inflation“ unterliegt und womöglich sogar zur Abschaffung der Privatautonomie führt245, trägt diese Definition des Diskriminierungsbegriffs Rechnung und bildet gleichzeitig eine konsequente Fortentwicklung des bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts von Triepel oder Leibholz vertretenen Verständnisses von Gleichheit.

242 Schlussanträge zum EuGH, Urteil vom 09. 11. 1993, C-132/92, abrufbar im Internet unter http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 61992C0132, S. I–5592. 243 Schlussanträge zum EuGH, Urteil vom 09. 11. 1993, C-132/92, abrufbar im Internet unter http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 61992C0132, S. I–5592. 244 Vgl. hierzu auch Mazzotta, diritto del lavoro, S. 177; dieser konstatiert, dass das Vorliegen einer objektiven Rechtfertigung (für das Handeln eines Arbeitgebers) in jedem Fall das Vorliegen einer Diskriminierung ausschließt. 245 Adomeit, Diskriminierung, S. 1622 ff.

III. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Sekundärrecht

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5. Das Merkmal „Alter“ in der Rahmenrichtlinie Im Fokus dieser Betrachtung steht das verpönte Merkmal des Alters. Im Kanon der verpönten Merkmale nimmt das Alter eine Sonderstellung ein. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Art. 6 Rahmenrichtlinie, der die Rechtfertigung altersbezogener Ungleichbehandlungen unter bestimmten Umständen expressis verbis für zulässig erklärt. a) Der Begriff des „Alters“ in der Rahmenrichtlinie Es besteht in der Literatur weitgehende Einigkeit, dass der Begriff des Alters in seiner Bedeutung und Tragweite schwieriger als etwa das Merkmal des Geschlechts zu definieren ist. Historisch betrachtet, handelt es sich bei dem Merkmal „Alter“ um ein relativ „junges“ verpöntes Merkmal. In den wenigsten europäischen Ländern existierte vor der Umsetzung der Rahmenrichtlinie ein explizites Verbot der Altersdiskriminierung. In Italien wurde vor Umsetzung der Rahmenrichtlinie angenommen, dass dieses Verbot implizit in der Gleichheitsgarantie des Art. 3 Costituzione enthalten sei.246 Eine Geltung dieses Diskriminierungsverbots auch zwischen Privaten sah die Rechtsordnung Irlands vor. Die Vorschrift war Teil des Employment Equality Acts247. Gemäß Art. 6 des Employment Equality Acts waren vom Schutzbereich der Vorschrift lediglich Personen zwischen dem 18. und 65. Lebensjahr erfasst.248 Die Frage, ob eine solche Einschränkung des Begriffs Alter rechtmäßig ist, wurde – allerdings vor Inkrafttreten der Rahmenrichtlinie – dem irischen Supreme Court zur Klärung vorgelegt. Dieser erachtete diese Einschränkung als rechtmäßig und begründete dies damit, dass die objektive Einschränkung des Altersbegriffs weder willkürlich noch irrational sei. Schließlich ließe sie sich damit begründen, dass innerhalb der gesetzten Zeitspanne die überwiegende Mehrzahl der Personen entweder in das Arbeitsleben eintrete bzw. wieder aus diesem ausscheide.249 Eine derart einschränkende Auslegung kann für die Rahmenrichtlinie nicht angenommen werden. Auch wenn in der Praxis die Mehrzahl der Fälle sicherlich die genannte Alterspanne betreffen, würde bereits die Festlegung einer solchen Altersspanne an eine Diskriminierung grenzen. Die Kommission hebt in ihrem Vorschlag für die Rahmenrichtlinie deutlich hervor, dass es angesichts der demografischen Entwicklung besonders wichtig sei, sicherzustellen, dass ein möglichst hoher

246

Barbera/Bonardi, diritto antidiscriminatorio, S. 128 f. Employment Equality Act, 1998: abrufbar im Internet unter http://www.irishstatutebook. ie/1998/en/act/pub/0021/index.html. 248 Employment Equality Act, 1998: abrufbar im Internet unter http://www.irishstatutebook. ie/1998/en/act/pub/0021/index.html. 249 Barbera/Bonardi, diritto antidiscriminatorio, S. 131. 247

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

Prozentsatz der Personen im erwerbsfähigen Alter einer Beschäftigung nachgeht.250 Auch wenn diese neutrale Aussage der Kommission noch dadurch ergänzt wird, dass ältere Menschen in bestimmten arbeitsplatzbezogenen Situationen besonders benachteiligt seien, ist der Begriff des Alters umfassend zu verstehen und unterliegt damit grundsätzlich keiner Einschränkung bezogen auf ein gewisses Alter. Kummer kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Begriff des Alters in der Rahmenrichtlinie weit auszulegen ist. Auch wenn der Wortlaut keinen eindeutigen Schluss zulässt, ob der Begriff des Alters womöglich enger auszulegen ist, sprechen nach seiner Auffassung die Ergebnisse der systematischen, historischen und teleologischen Auslegung für die Annahme, dass der Begriff des Alters in der Rahmenrichtlinie weit auszulegen ist.251 Dabei überzeugen insbesondere die Ergebnisse der teleologischen und noch mehr der systematischen Auslegung. Im Zusammenhang mit der Rahmenrichtlinie war insbesondere das Ziel formuliert worden, das Beschäftigungsniveau aller Arbeitnehmergruppen zu erhöhen. Dies vorausgesetzt, wäre es geradezu kontraproduktiv, wenn der Begriff des Alters in der Rahmenrichtlinie sich auf eine bestimmte Altersgruppe, etwa nur ältere Menschen, beschränken würde.252 Noch gewichtiger ist das systematische Argument. In Art. 6 Abs. 1 lit. a) Rahmenrichtlinie wird bezogen auf mögliche Rechtfertigungen auf das Merkmal des Alters auch die Eingliederung von Jugendlichen genannt. Damit wird deutlich, dass der Begriff des Alters in der Rahmenrichtlinie nicht etwa allein auf ältere Arbeitnehmer zu beschränken ist.253 b) Der Rechtfertigungstatbestand des Art. 6 Rahmenrichtlinie Bezogen auf das Verbot der Altersdiskriminierung ist die Frage der absoluten oder relativen Geltung von Verboten einer unmittelbaren Diskriminierung etwas weniger virulent. Mit der Überschrift von Art. 6 Rahmenrichtlinie „Gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen des Alters“/“Giustificazione delle disparità di trattamento collegate all’età“ haben die Verfasser der Rahmenrichtlinie eine eindeutige Einordnung dieser „Ausnahmevorschrift“ vorgenommen. Sowohl in Art. 6 Abs. 1 als auch in Art. 6 Abs. 2 Rahmenrichtlinie ist der Hinweis enthalten, dass die Ausnahmen vom grundsätzlichen Verbot der Altersdiskriminierung „ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2“ erfolgen. Insoweit wird deutlich, dass die beiden Vorschriften nicht in einem Exklusivitätsverhältnis zueinander stehen, sondern in Ergänzung zueinander gelesen werden müssen.

250

Vorschlag der Kommission der EG vom 25. 11. 1999, abrufbar imInternet unter: http:// eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 51999PC0565, S. 3. 251 Kummer, Antidiskriminierungsrichtlinie, S. 72. 252 Kummer, Antidiskriminierungsrichtlinie, S. 69 ff. 253 Hierzu auch Kummer, Antidiskriminierungsrichtlinie, S. 68 und Schmidt/Senne, Altersdiskriminierung, S. 82.

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Art. 6 Rahmenrichtlinie ist in zwei Absätze unterteilt. Während Abs. 1 der Vorschrift einen relativ allgemeinen Rahmen definiert, wann die nationalen Gesetzgeber Ausnahmen von dem Verbot der Altersdiskriminierung vorsehen können, enthält Abs. 2 Regelungen bezüglich gerechtfertigter Differenzierungen anhand des Alters in sozialen Sicherungssystemen. Dem Kommissionsvorschlag vom November 1999 lassen sich die Motive entnehmen, die zur Aufnahme des Art. 6 Rahmenrichtlinie in den Richtlinienentwurf führten. Weiterhin wird klargestellt, dass „in der Regel“ die auf einem verpönten Merkmal basierende Ungleichbehandlung eine Diskriminierung darstellt und nur unter „ganz besonderen, außergewöhnlichen Umständen gerechtfertigt sein kann“. Die Motivation für die Aufnahme des Art. 6 in die Rahmenrichtlinie wird hauptsächlich mit zwei Argumenten begründet. Zunächst soll eine einschränkende Definition vorgenommen werden, die klärt, welche Anforderungen Rechtfertigungsgründe erfüllen müssen. Darüber hinaus soll durch die Vorgaben in Art. 6 Rahmenrichtlinie gewährleistet werden, dass die „begrenzte Anzahl von Ausnahmen“ den Anforderungen des EuGH an eine gerechtfertigte Ungleichbehandlung genügt, die dieser, bezogen auf die mittelbare Diskriminierung, entwickelt hat. Rechtfertigungen haben demnach „den Grundsätzen der Erforderlichkeit, der Verhältnismäßigkeit und der Legitimität zu genügen“. Gleichzeitig enthält der Kommissionvorschlag den Hinweis, dass die in Art. 6 Rahmenrichtlinie genannten Situationen, in denen eine an das Alter anknüpfende Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein kann, nicht abschließend sind.254 Neben den Ausführungen im Kommissionvorschlag finden sich die Motive für die Einführung des Art. 6 Rahmenrichtlinie in dem bereits erwähnten 25. Erwägungsgrund der Richtlinie. Demnach ist das Verbot der Altersdiskriminierung eine wesentliche Maßnahme zur Umsetzung der beschäftigungspolitischen Leitlinien und zur Förderung der Vielfalt im Bereich der Beschäftigung. Gleichzeitig wird zugestanden, dass unter bestimmten Voraussetzungen Ungleichbehandlungen wegen des Alters gerechtfertigt sein können. Dies erfordert nach dem Wortlaut des 25. Erwägungsgrundes „besondere Bestimmungen, die je nach der Situation in den Mitgliedsstaaten unterschiedlich sein können.“ Bereits eingehend untersucht wurde die Formulierung, dass eine Rechtfertigung insbesondere/in particolare durch die in Art. 6 Rahmenrichtlinie genannten Motive erfolgen kann.255 Die im Kommissionsvorschlag gegebene Begründung für die Einführung des Rechtfertigungstatbestandes überzeugt nicht vollends. Besonders widersprüchlich ist, dass die Kommission einerseits gewisse Bereiche benennt, aus denen eine Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung resultieren kann, sie gleichzeitig jedoch deutlich zu verstehen gibt, dass die Aufzählung in zweierlei Hinsicht nicht 254

Vorschlag der Kommission der EG vom 25. 11. 1999, abrufbar imInternet unter: http:// eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 51999PC0565, S. 12. 255 Abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 32000 L0078.

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abschließend ist.256 Tatsächlich schlüge damit die vermeintliche Absicht der Kommission fehl, eine „Beschränkung“ der denkbaren Rechtfertigungsgründe zu erreichen. Die Rechtfertigungsgründe in Art. 6 Rahmenrichtlinie müssen daher vielmehr so verstanden werden, dass es sich hierbei um eine Aufzählung dessen handelt, was in jedem Fall als Rechtfertigung in Betracht kommt. Dies bedeutet gleichzeitig, dass die Vorschrift dergestalt zu interpretieren ist, dass auch solche Rechtfertigungsgründe, die in Art. 6 Rahmenrichtlinie nicht ausdrücklich genannt sind, denkbar sind.257 Realistischer ist der Ansatz der Kommission in Bezug auf das darüber hinaus mit Art. 6 Rahmenrichtlinie verfolgte Ziel. Die Skizzierung des Rahmens, wann eine Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen aufgrund des Alters in Betracht kommt und wann die an eine Rechtfertigung zu stellenden Anforderungen gegeben sind, können tatsächlich dazu dienen, dass solche – von den Mitgliedsstaaten im Rahmen der Umsetzung eingeführten Vorschriften – einer Überprüfung durch den EuGH standhalten. aa) Rechtfertigung altersbezogener Ungleichbehandlungen, Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie ist eine Konkretisierung des sachlichen Grundes, der eine Ungleichbehandlung aufgrund des Alters rechtfertigen kann. Mittels Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie wird den Mitgliedsstaaten zugestanden, bei der Umsetzung der Richtlinie Ungleichbehandlungen aufgrund des Alters zu rechtfertigen, wenn diese objektiv und angemessen sind und der Verfolgung eines legitimen Ziels dienen. Legitime Ziele lassen sich nach dem Wortlaut der Rahmenrichtlinie insbesondere in den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung finden. Art. 6 Abs. 1 lit. a), b) und c) Rahmenrichtlinie geben einen Überblick darüber, welche konkreten Maßnahmen in den zuvor genannten Bereichen denkbar sind. Eine Zuordnung der Aufzählung zu den Oberbegriffen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung ist nur bedingt möglich. Die jeweiligen Aufzählungen beziehen sich grundsätzlich gleichermaßen auf die drei genannten Oberbegriffe. Grundsätzlich gilt, dass die Generalklausel und die explizit genannten Beispiele dazu dienen sollen, einen Rahmen dafür vorzugeben, was unter einem rechtmäßigen Ziel zu verstehen ist. Es handelt sich um „breite Leitlinien“. Sie sollen nicht als konkrete und abschließende Kategorien möglicher Rechtfertigungstatbestände missverstanden werden.258 Rechtmäßige Ziele können sowohl solche des Allge256 Durch Hinzufügung des Wortes „insbesondere“ wird, wie bereits ausführlich dargestellt, sowohl bei der Benennung der Grobbereiche, aus denen eine Rechtfertigung resultieren kann, als auch vor der Aufzählung einzelner konkreter Beispiele, klargestellt, dass die jeweiligen Beispiele nicht abschließend zu verstehen sind. 257 Auch in diesem Sinne: Waltermann, Altersdiskriminierung, S. 1267 m.w.N. 258 O’Cinneide, Altersdiskriminierung, S. 39; in diesem Sinne auch Urteil des EuGH v. 12. 10. 2010, Az. C-45/09, Rn. 40, abrufbar im Internet unter http://curia.europa.eu/jurisp/cgibin/form.pl?lang=de.

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meinwohls sein als auch solche Gründe, die sich aus wirtschaftlichen Erwägungen ergeben. Dabei ist zu beachten, dass die Anforderungen an ein rechtmäßiges Ziel aus ökonomischen Gründen einer strengeren Kontrolle zu unterziehen sind, als dies bei einem legitimen Ziel im Sinne des Allgemeinwohls der Fall ist. Hinzukommt, dass von den Adressaten verlangt wird, die Rechtmäßigkeit des Ziels fortwährend zu überprüfen. Weiterhin muss eine subjektive Komponente hinzutreten. Es reicht nicht aus, dass ein rechtmäßiges Ziel vorliegt. Vielmehr muss dieses auch der Beweggrund für das differenzierende Vorgehen gewesen sein.259 Letztlich gilt damit – wie O’Cinneide zutreffend resümiert – für alle in der Rahmenrichtlinie normierten Rechtfertigungstatbestände (Art. 2, Art. 4 und Art. 6), dass eine Ungleichbehandlung, bei angemessener Anwendung der jeweiligen Mittel, objektiv erforderlich sein muss, um ein bestimmtes rechtmäßiges Ziel zu erreichen.260 (1) Art. 6 Abs. 1 lit. a) Rahmenrichtlinie Art. 6 Abs. 1 lit. a) Rahmenrichtlinie statuiert die Möglichkeit, besondere Vorschriften zu erlassen, um den Zugang zu Beschäftigung und beruflicher Bildung zu regeln. Bezugnehmend auf den Oberbegriff der „Beschäftigungspolitik“ gibt die Rahmenrichtlinie die Möglichkeit zum Erlass besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen. Nach dem Wortlaut der Rahmenrichtlinie können diese besonderen Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen insbesondere darin bestehen, dass bezogen auf die Entlassung oder Entlohnung von besonders schutzwürdigen Personengruppen Sonderregelungen getroffen werden. Als besonders schutzwürdig definiert die Rahmenrichtlinie jugendliche und ältere Personen sowie Personen mit Fürsorgepflichten. Der Grundgedanke der Vorschrift ist, dass zur Förderung der Beschäftigung bestimmter Personengruppen, denen geringere Chancen am Arbeitsmarkt eingeräumt werden, Ungleichbehandlungen gerechtfertigt sein können. Eine genaue Definition der Begriffe „Jugendliche“ und „ältere Arbeitnehmer“ liefert die Richtlinie nicht. Einen Hinweis darauf, was unter den Begriffen zu verstehen ist, lässt sich aber einer Kommissionmitteilung aus dem Jahr 2004 entnehmen.261 Demnach werden unter dem Begriff „Jugendliche“ Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren verstanden und ältere Arbeitskräfte in einen Altersrahmen von 55 bis 64

259 O’Cinneide, Altersdiskriminierung, S. 40; etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Age Concern England Entscheidung des EuGH (Urteil des EuGH v. 5. 03. 2009, Az. C-388/07, abrufbar im Internet unter http://curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de). Adomeit/ Mohr halten hierzu zutreffend fest, dass es nach der Entscheidungsbegründung auch weiterhin möglich ist, selbst Unternehmensinteressen bei der Rechtfertigung altersbezogener Ungleichbehandlungen zu berücksichtigen, Adomeit/Mohr, AGG 2011, § 10 Rn. 10. 260 O’Cinneide, Altersdiskriminierung, S. 34. 261 Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Anhebung der Beschäftigungsquote älterer Arbeitskräfte und des Erwerbsaustrittsalters, KOM (2004) 146 endgültig, abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 52004DC0146.

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Jahren eingeordnet.262 Nicht zu Unrecht fragt Galantino an dieser Stelle, weshalb Personen mit Fürsorgepflichten in diesem Zusammenhang genannt werden. Die Vermutung Galantinos, dass hier auf Erwachsene mittleren Alters abgestellt wird, ist plausibel.263 Auf diese Weise wird deutlich, für welche Altersgruppen eine besondere Problematik beim Zugang zum Arbeitsmarkt gesehen wird. Ungleichbehandlungen zur Förderung der Beschäftigungsquote der genannten Personengruppen können insbesondere darin bestehen, dass diese niedriger entlohnt werden oder einen geringeren Schutz bei Entlassungen genießen. Gleichzeitig sollen für potentielle Arbeitgeber „Risiken“ verringert werden, um deren Bereitschaft zur Beschäftigung solcher Personengruppen zu steigern. Bezogen auf die Entlohnung ist allerdings fraglich, inwieweit hier staatliches Handeln denkbar ist. In Deutschland ist die Vergütung eine Größe, deren Bestimmung weitgehend der Autonomie der Arbeitsvertragsparteien überlassen ist. Denkbar wäre aber beispielsweise eine gesetzliche Ausnahme für eine der genannten Personengruppen im Fall der Einführung gesetzlicher Mindestlöhne. Hier könnte eine Ungleichbehandlung zugelassen werden, um die Eingliederung der genannten Personengruppen zu erleichtern. (2) Art. 6 Abs. 1 lit. b) Rahmenrichtlinie Gerechtfertigte Ungleichbehandlungen von (dienst-)jüngeren Personen können gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. b) Rahmenrichtlinie vorgesehen werden. Die Mitgliedsstaaten dürfen Mindestanforderungen festlegen, die sich auf das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter beziehen. Diese Ausnahmen können wiederum beim Zugang zur Beschäftigung greifen, aber auch im bestehenden Beschäftigungsverhältnis, etwa wenn bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile betroffen sind. (3) Art. 6 Abs. 1 lit. c) Rahmenrichtlinie Art. 6 Abs. 1 lit. c) Rahmenrichtlinie ermöglicht die Festsetzung eines Höchstalters, bis zu dem eine Einstellung in ein Beschäftigungsverhältnis erfolgt. Die Festsetzung eines solchen Höchstalters ist allerdings nur zulässig, wenn entweder die spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes dies notwendig machen oder die Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor

262 Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Anhebung der Beschäftigungsquote älterer Arbeitskräfte und des Erwerbsaustrittsalters, KOM (2004) 146 endgültig, abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 52004DC0146; eine ähnliche Einordnung ergibt sich aus der Verordnung 2204/2002/EG, abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 32002R2204; die in Art. 2 enthaltenen Begriffsbestimmungen stellen ebenfalls auf junge Personen unter 25 Jahren ab, die Grenze für ältere Personen wird jedoch wohl bereits ab einem Alter von 50 Jahren gesehen. 263 Galantino, discriminazioni per età, S. 954 f.

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dem Eintritt in den Ruhestand besteht. Bei lit. c) handelt es sich um eine Vorschrift, die vorwiegend ältere Personen betrifft. (4) Fazit In den Fällen der lit. b) und c) wird die benachteiligte Personengruppe häufig nicht von dem höherrangigen Ziel profitieren können. Während lit. a) die Beschäftigungschancen der jeweils betroffenen Personengruppe vermutlich erhöht, ist ein entsprechender Effekt bei lit. b) und c) eher unwahrscheinlich. (5) Exkurs: Art. 6 Rahmenrichtlinie als Konkretisierung „positiver Maßnahmen“ Für alle drei ausdrücklich genannten Rechtfertigungsmöglichkeiten gleichermaßen zu verneinen ist die – von Temming u. a. zu lit. a) vertretene Auffassung – es handle sich hierbei um Fälle „positiver Diskriminierung“.264 Die Auslegung der Vorschrift zeigt, dass die Rahmenrichtlinie an dieser Stelle den Mitgliedsstaaten nicht lediglich die Möglichkeit eröffnen will, mittels positiver Maßnahmen faktische Benachteiligung auszugleichen. Eine positive Diskriminierung – wie von Temming vertreten – scheidet zudem bereits begrifflich aus. Von einer Diskriminierung kann, wie ausführlich dargestellt, nur dann gesprochen werden, wenn eine Person „weniger günstig“ behandelt wird als eine andere Person in einer vergleichbaren Lage. Es wäre mit dem Sinn und Zweck von Art. 6 Rahmenrichtlinie nicht vereinbar, wenn man annähme, dass dieser lediglich definiere, dass auch solche Personen Betroffene einer Diskriminierung sind, die nicht „positiv diskriminiert“ werden. Sinn und Zweck des Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie ist es – insoweit auch von Temming vertreten – unter den in Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie genannten Voraussetzungen das Unterschreiten eines bestehenden Schutzniveaus zum Nachteil einer bestimmten Altersgruppe zu erlauben, um auf diese Weise bestimmte Ziele des Allgemeinwohls zu erreichen.265 Dies erschließt sich insbesondere, wenn Art. 6 Rahmenrichtlinie im systematischen Zusammenhang mit den übrigen Regelungen der Rahmenrichtlinie gelesen wird. Besondere Bedeutung kommt insofern Art. 7 Rahmenrichtlinie zu. Gemäß Art. 7 Abs. 1 Rahmenrichtlinie soll der in der Rahmenrichtlinie verbriefte Gleichbehandlungsgrundsatz „die Mitgliedsstaaten nicht daran hindern, zur Gewährleistung der völligen Gleichstellung im Berufsleben spezifische Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, mit denen Benachteiligungen wegen eines in Artikel 1 genannten Diskriminierungsgrunds verhindert oder ausgeglichen werden“. Dies macht deutlich, dass – würde Art. 6 Rahmenrichtlinie als „positive Diskriminierung“ verstanden – Art. 7 Rahmenrichtlinie obsolet würde. 264

Temming, Altersdiskriminierung, S. 508 und 471. Temming spricht die Möglichkeit an, dass es sich lediglich um positive Diskriminierungen handle, solange „die Förderung bzw. der Schutz nicht über die Absenkung des Bestandsschutzes erreicht werden soll“; Temming, Altersdiskriminierung, S. 471; so auch Linsenmaier, Altersdiskriminierung, S. 26. 265

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C. Europäische Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung

Gemäß Art. 7 Abs. 1 Rahmenrichtlinie bleibt es den Mitgliedsstaaten unbenommen, für alle in Art. 1 genannten Diskriminierungsgründe positive Maßnahmen, also Maßnahmen im Sinne materieller Gleichheit, vorzusehen. Art. 7 Abs. 1 Rahmenrichtlinie fungiert dabei nicht nur eindimensional, da er nicht nur die Befugnis enthält, eine bestimmte Personengruppe besser zu stellen, sondern implizit auch ein Rechtfertigungselement gegenüber denjenigen enthält, die an der positiven Maßnahme nicht teilhaben. Diese können nicht mit dem Argument, schlechter behandelt zu werden als die vergleichbare geförderte Personengruppe, gegen die positive Maßnahme vorgehen. Damit ist es auf Grundlage von Art. 7 Rahmenrichtlinie auch problemlos möglich, etwa bestehenden Benachteiligungen bestimmter Altersgruppen durch kompensatorische Maßnahmen entgegenzuwirken. Diese Annahme führt zu einem weiteren systematischen Gegenargument zu der Auffassung, Art. 6 Rahmenrichtlinie stelle den Fall einer erlaubten „positiven Diskriminierung“ dar. Würde man Art. 6 Rahmenrichtlinie im Sinne Temmings oder Linsenmaiers verstehen, stellte dieser nicht eine Ausnahmevorschrift (konkretisierter Rechtfertigungstatbestand) vom Diskriminierungsverbot dar, sondern müsste vielmehr als Ausnahmevorschrift zu Art. 7 Rahmenrichtlinie gesehen werden. Art. 6 Rahmenrichtlinie enthielte dann eine konkretere Definition unter welchen – eingeschränkten – Voraussetzungen positive Maßnahmen in Bezug auf das Merkmal „Alter“ zulässig sind. Gegen eine solche Annahme spricht aber nicht nur das systematische Argument, dass in diesem Fall die Ausnahme (Art. 6 Rahmenrichtlinie) vor der Regel (Art. 7 Rahmenrichtlinie) genannt würde. Hinzu tritt die in Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie enthaltene Bezugnahme auf Art. 2 Abs. 2 Rahmenrichtlinie. Daraus geht hervor, dass es sich um eine Ausnahmevorschrift zu dem durch die Rahmenrichtlinie grundsätzlich verbrieften Diskriminierungsverbot handelt.266 An dieser Stelle mag beispielhaft auch das Verfahren in Sachen Mangold267 zur Verdeutlichung herangezogen werden. In dem Verfahren wurde § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. überprüft. Dieser sah die Möglichkeit vor, mit Arbeitnehmern, die das 52. Lebensjahr vollendet haben, ohne das Vorliegen eines sachlichen Grundes befristete Arbeitsverträge zu schließen. Bei § 14 Abs. 3 TzBfG handelte es sich um eine weniger günstige Behandlung derjenigen Arbeitnehmer, die das 52. Lebensjahr bereits vollendet hatten. Auch wenn nach Auffassung des EuGH die vom deutschen Gesetzgeber verfolgten Ziele (Förderung der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer) nicht den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie gerecht wurden, zeigt sich daran jedenfalls, dass Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie (zumindest) nicht (vorrangig) auf Fälle „positiver Diskriminierungen“ abzielt. Schließlich kann die Eröffnung der 266 In diesem Sinne auch Wiedemann/Thüsing, Richtlinienumsetzung, S. 1237; Wiedemann und Thüsing bezeichnen Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie als „[…] eine das allgemeine Benachteiligungsverbot einschränkende Sonderregel […]“ und bestätigen damit die hier vertretene Meinung, dass Art. 6 Rahmenrichtlinie nicht als eine Art. 7 Rahmenrichtlinie konkretisierende Vorschrift zu verstehen ist. 267 Urteil des EuGH v. 22. 11. 2005, Az. C-144/04, abrufbar im Internet unter http://curia.eu ropa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de.

III. Das Verbot der Diskriminierung im Europäischen Sekundärrecht

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Möglichkeit, mit älteren Arbeitnehmern ohne Einschränkungen befristete Arbeitsverträge abschließen zu können, nicht als eine besserstellende Behandlung („positive Diskriminierung“) der betroffenen älteren Arbeitnehmer bezeichnet werden. Die Abgrenzung, wann eine Rechtfertigung entsprechend Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie oder gemäß Art. 7 Rahmenrichtlinie zu erfolgen hat, muss daher anhand des jeweils verfolgten Ziels einer Maßnahme vorgenommen werden, wobei zuzugestehen ist, dass eine Zuordnung in bestimmten Einzelfällen schwierig sein kann.268 bb) Rechtfertigung altersbezogener Ungleichbehandlungen, Art. 6 Abs. 2 Rahmenrichtlinie Art. 6 Abs. 2 Rahmenrichtlinie behandelt die auf die sozialen Sicherungssysteme bezogenen Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf Altersgrenzen, die in den unterschiedlichen Sicherungssystemen eine Rolle spielen können. Darüber hinaus wird das Alter als Kriterium für versicherungsmathematische Berechnungen eliminiert. Beachtenswert ist dabei, wie von Schmidt/Senne zutreffend festgestellt,269 dass die Rahmenrichtlinie die Verwendung des Merkmals „Alter“ als Differenzierungsmerkmal zulässt, ohne dies – wie in Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie geschehen – davon abhängig zu machen, dass hierfür ein legitimes Ziel zur Voraussetzung gemacht wird. Entgegen der Auffassung von Schmidt/Senne ist jedoch das zulässige Mittel sehr eng eingegrenzt. Art. 6 Abs. 2 Rahmenrichtlinie gestattet ausdrücklich nur die „Festlegung von Altersgrenzen“.

268 Vgl. zu dem Problem der Einordnung von Altersgrenzen Lingscheid, Antidiskriminierung, S. 241 m.w.N. 269 Schmidt/Senne, Verbot der Altersdiskriminierung, S. 89.

D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland Auf der Grundlage des europäischen Rechtsrahmens ist das nationale Antidiskriminierungsrecht der europäischen Mitgliedsstaaten in Teilen ergänzt, in Teilen völlig neu geschaffen worden. Insbesondere der Umsetzung der Rahmenrichtlinie sowie ihrer Schwesterrichtlinie (2000/43/EG) kam hierbei besondere Bedeutung zu. Die unterschiedliche Herangehensweise der nationalen Gesetzgeber in Italien und Deutschland, insbesondere in Bezug auf das Verbot der Altersdiskriminierung, verspricht Erkenntnisse für die jeweils andere Rechtsordnung. Gleichzeitig können anhand der Untersuchung nationaler Besonderheiten Rückschlüsse gezogen werden, an welchen Stellen bereits ein weitgehend einheitliches Verständnis herrscht und an welchen Stellen gegeben falls eine weitere Vereinheitlichung angezeigt ist.

I. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Deutschland – Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) 1. Entstehungsgeschichte Deutschland tat sich mit der Umsetzung der Vorgaben der Rahmenrichtlinie in nationales Recht schwer. Von dem Erlass der Rahmenrichtlinie im November 2000 bis zum Inkrafttreten der deutschen Umsetzung, dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), vergingen annähernd sechs Jahre. Erst am 18. August 2006 trat das AGG in Deutschland in Kraft1. Art. 18 Rahmenrichtlinie verlangte eine Umsetzung bis spätestens zum 2. Dezember 2003.2 Für die Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung sieht die Rahmenrichtlinie in Art. 18 Abs. 2 eine Ausnahme vor. Diesbezüglich konnte von den Mitgliedsstaaten eine Verlängerung der Umsetzungsfrist um drei Jahre in Anspruch genommen werden. Deutschland machte von dieser Möglichkeit Gebrauch.3 Ein erster Entwurf eines nationalen Gesetzes zur Umsetzung der europäischen Vorgaben aus dem Jahr 2001, vorgeschlagen vom Bundesministerium der Justiz unter Leitung der damaligen Ministerin Herta Däu-

1

Vgl. Gesetzestext des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, abrufbar im Internet unter http://www.gesetze-im-internet.de/agg/. 2 Vgl. Text der Rahmenrichtlinie, abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/in dex.htm; CELEX-Nummer: 32000 L0078. 3 Bauer/Arnold, Mangold, S. 7.

I. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Deutschland

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bler-Gmelin, scheiterte.4 Der Entwurf sah im Wesentlichen eine Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuchs vor, um die Vorgaben der Rahmenrichtlinie umzusetzen.5 Nachdem der – im Wesentlichen auf der Richtlinie 2000/43/EG basierende – Entwurf in der Wissenschaft überaus deutlich auf Ablehnung stieß, wurde dieser zurückgezogen.6 Nach der Bundestagswahl 2002 kündigte die neue Bundesjustizministerin, Brigitte Zypries, zunächst an, die Richtlinien exakt zu übernehmen und keine darüber hinausgehenden Erweiterungen des Schutzbereichs vornehmen zu wollen. Nach Ablauf der Umsetzungsfrist war Deutschland neben Griechenland der einzige Staat, der die Richtlinien noch nicht umgesetzt hatte. Die zuständige EU-Kommissarin drohte daher damit, Deutschland zu verklagen, wozu es schließlich auch kam.7 Deutschland wurde daraufhin vom EuGH im April 2005 verurteilt.8 Unter dem Titel „Gesetz zum Schutz vor Diskriminierungen – Antidiskriminierungsgesetz – ADG“ legte die Regierung noch im Jahr 2004 einen zweiten Gesetzesentwurf vor.9 Da jedoch Regierung und Opposition kein Einvernehmen erzielen konnten, und die Länder im Bundesrat eine Verabschiedung des Gesetzes blockierten, kam es vor den Neuwahlen des Bundestags im Jahr 2005 nicht mehr zu einem Inkrafttreten des Gesetzes. Erst nach den vorgezogenen Neuwahlen und der Bildung der großen Koalition konnte schließlich im Juni 2006 ein neuer Gesetzesentwurf vorgelegt werden.10 Der „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung“ wurde schließlich vom Bundestag, nach vom Bundesrat angeregten unwesentlichen Änderungen11, beschlossen12. Art. 1 des „Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung“ sah die Einführung eines „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)“ vor, das nach Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten und anschließender Veröffentlichung im Bundesge4 Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Verhinderung von Diskriminierungen im Zivilrecht (Stand 10. 12. 2001) abrufbar im Internet unter http://gesetzgebung.beck.de/node/71080. 5 Stork, Diskriminierungsrecht, S. 244 ff. mit Beschreibung der einzelnen seinerzeit vorgesehenen Maßnahmen. 6 Hierzu m.w.N. MüKo/Thüsing, AGG 2007, Einl. AGG, Rn. 20. 7 Für eine detaillierte Darstellung der Entstehungsgeschichte http://gesetzgebung.beck.de/ node/71080. 8 Urteil des EuGH v. 28. 04. 2005, Az. C-329/05, abrufbar im Internet unter http://curia.euro pa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 9 „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien“, abrufbar im Internet unter http://beck-aktuell.beck.de/sites/default/files/rsw/upload/Beck_Aktu ell/Entwurf-Koalition.pdf; oder BT-Drucks. 15/4538, abrufbar im Internet unter http://drucksa chen.bundestag.de/drucksachen/index.php. 10 BT-Drucks. 16/1780, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundestag.de/drucksa chen/index.php. 11 BT-Drucks. 16/1852, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundestag.de/drucksa chen/index.php. 12 BR-Drucks. 466/06, abrufbar im Internet unter http://www.bundesrat.de/nn_8336/DE/par lamentsmaterial/berat-vorg/.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

setzblatt13 am 18. August 2006 in Kraft trat. Der Titel des Gesetzes war von ursprünglich Antidiskriminierungsgesetz (ADG) zu Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geändert worden, obwohl bis zuletzt einige Parlamentarier verlangten, den Titel Antidiskriminierungsgesetz (ADG), zu verwenden, um dadurch Inhalt und Zielsetzung des Gesetzes besser Rechnung zu tragen.14 Dem deutschen Gesetzgeber wird seit dem Inkrafttreten des AGG vorgeworfen, die Vorgaben der Richtlinien in bestimmter Hinsicht (unnötigerweise) übererfüllt, an anderer Stelle aber auch fahrlässig unterschritten zu haben.15 Bereits vor der Umsetzung der Richtlinien war unter anderem die Befürchtung geäußert worden, dass der Inhalt der Richtlinien eine ernste Gefahr für die Privatautonomie darstellen würde.16 Seit dem Inkrafttreten im Jahr 2006 ist das AGG dreimal geändert worden.17 Die wesentlichste Änderung wurde zeitnah nach Inkrafttreten im Dezember 2006 vorgenommen, in deren Rahmen einige Paragraphen teilweise bzw. vollständig gestrichen wurden.18 2. Einfluss des Sekundärrechts Auch nach Umsetzung der europäischen Richtlinien kann die nationale Rechtslage nicht losgelöst vom europarechtlichen Rechtsrahmen betrachtet werden. Gemäß Art. 249 Abs. 3 EGV/Art. 288 Abs. 3 AEUV gilt zwar grundsätzlich, dass Richtlinien erst dann eine nationale Wirkung entfalten, wenn diese durch einen staatlichen Umsetzungsakt inkorporiert worden sind. Nach der Rechtsprechung des EuGH können diese aber unter bestimmten Voraussetzungen auch vor einer erfolgten Umsetzung in nationales Recht unmittelbare Wirkung entfalten. Zur Begründung führt der EuGH den effet-utile sowie das sogenannte estoppel-Prinzip heran.19 Bis zur Entscheidung im Verfahren Mangold wurde eine Geltung des Sekundärrechts zwischen Privaten abgelehnt. In seinem Urteil aus dem Jahr 2005 gab der EuGH diese Rechtsprechung auf. Bis dahin konnten europäische Richtlinien allenfalls durch die entsprechende Auslegung nationaler Rechtsakte durch nationale Gerichte Geltung erlangen. Den Wandel in der Rechtsprechung begründete der EuGH für die Rahmenrichtlinie damit, dass diese lediglich eine Ausgestaltung des Grundsatzes der 13

BGBl. I 2006 S. 1897, abrufbar im Internet unter http://www1.bgbl.de/. BT-Drucks. 16/2034, S. 2, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundestag.de/ drucksachen/index.php. 15 MüKo/Thüsing, AGG 2012, Einl. AGG, Rn. 24 f. 16 Hierzu mit ausführlicher Darstellung der verschiedenen Positionen: Adomeit/Mohr, AGG 2007, D. Rn. 214 ff. 17 Die Änderungen erfolgten durch das „Gesetz zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze“, BGBl I 2006, S. 2742, das „Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts“, BGBl I 2007, S. 2840, sowie das „Dienstrechtsneuordnungsgesetz“, BGBl I 2009, S. 160, sämtlich abrufbar im Internet unter unter http://www1.bgbl.de/. 18 MüKo/Thüsing, AGG 2007, Einl. AGG, Rn. 22. 19 Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 288 Rn. 47 ff.; Wendeling/Wendeling-Schröder, AGG, S. 8 ff.; Däubler/Däubler, AGG, Einleitung, Rn. 77 ff. 14

I. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Deutschland

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Gleichbehandlung darstelle und damit ohnehin Anwendung zu finden habe.20 Weitgehend ungeklärt in diesem Zusammenhang ist – wie Bauer/Göpfert/Krieger zutreffend beschreiben – inwieweit es in Zukunft notwendig sein wird, sich auf das AGG zu berufen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es ebenso denkbar, dass eine unmittelbare Bezugnahme auf die Antidiskriminierungsrichtlinie erfolgt.21 3. Anwendungsbereich Die §§ 2 und 6 AGG definieren den Anwendungsbereich. Während § 2 AGG die Vorgaben der Richtlinien bezogen auf den sachlichen Anwendungsbereich umsetzt, wird in § 6 AGG der persönliche Anwendungsbereich des Gesetzes definiert. a) Persönlicher Anwendungsbereich Die Definition eines persönlichen Anwendungsbereichs in § 6 AGG macht die Zweiteilung des AGG deutlich. Diese ist dem Umstand geschuldet, dass mit dem AGG sowohl die Rahmenrichtlinie als auch deren Schwesterrichtlinie 2000/43/EG umgesetzt wurden. Während der 2. Abschnitt des AGG besondere Vorschriften bezüglich der Antidiskriminierung in Beschäftigung und Beruf enthält, werden im 3. Abschnitt des AGG die allgemein-zivilrechtlichen Regelungen aufgeführt. § 6 AGG, der den Beginn des 2. Abschnitts markiert, ist erforderlich, um eine Definition der beteiligten (Arbeitsvertrags-)Parteien (Anspruchsteller und Anspruchsgegner) zu liefern und damit eine Abgrenzung zum allgemein-zivilrechtlichen Bereich zu gewährleisten. § 6 AGG selbst gliedert sich in seinen drei Absätzen in eine nähere Beschreibung der potentiellen Anspruchsteller (Absatz 1), eine Definition der Anspruchsgegner (Absatz 2) sowie eine Regelung bezüglich der Anwendbarkeit der Vorschriften auf Selbstständige oder Organmitglieder (Absatz 3). aa) Der Begriff des „Beschäftigten“ in § 6 Abs. 1 AGG Der Personenkreis, der vor Benachteiligungen in Beschäftigungsverhältnissen geschützt werden soll, wird in § 6 Abs. 1 AGG mit dem Oberbegriff „Beschäftigter“ bezeichnet. Nach der Gesetzesbegründung sind unter „Beschäftigten“ sowohl solche zu verstehen, die in der Privatwirtschaft tätig sind als auch solche, die im öffentlichen Dienst tätig sind. § 6 AGG ist insbesondere von § 24 AGG abzugrenzen, der Sonderregelungen für Beamte, Richter und Zivildienstleistende enthält.22 20

Für eine detaillierte Auseinandersetzung mit der diesbezüglichen Rechtsprechung des EuGH: Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, Einl. Rn. 44 ff. 21 Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, Einl. Rn. 54 f. 22 Hierzu BT-Drucks. 16/1780, S. 34, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundes tag.de/drucksachen/index.php.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

(1) Arbeitnehmerbegriff des § 6 Abs. 1 Nr. 1 AGG Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 AGG fallen Arbeitnehmer unter den persönlichen Schutzbereich des AGG und den Begriff des Beschäftigten im Sinne von § 6 AGG. Der Arbeitnehmerbegriff ist dabei in seiner in Deutschland „herkömmlichen“ Form zu verstehen. Eine solche Arbeitnehmereigenschaft liegt nach der einschlägigen Rechtsprechung des BAG dann vor, wenn eine Person aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags zur Leistung weisungsgebundener und fremdbestimmter Dienste in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist.23 Aufgrund der bestehenden Verpflichtung zur europarechtskonformen Auslegung der Vorschriften des AGG ist auch die Rechtsprechung des EuGH zum Arbeitnehmerbegriff relevant. Dieser definiert den Arbeitnehmer als eine Person, die für eine bestimmte Zeit für eine andere Person und nach deren Weisung tätig werden muss und hierfür eine Vergütung erhält. Dabei ist unbeachtlich, ob es sich um ein privatrechtliches oder öffentlich-rechtliches Anstellungsverhältnis handelt.24 Ebenfalls in den persönlichen Anwendungsbereich des AGG fallen Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis. Auch nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses können Personen als Beschäftigte in den Anwendungsbereich des AGG fallen. Während die Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf Bewerber große Relevanz hat, ist die Bedeutung der Ausdehnung des Schutzbereichs auf ehemalige Arbeitnehmer vernachlässigbar.25 (2) Beschäftigte zur Berufsbildung, § 6 Abs. 1 Nr. 2 AGG Neben den „regulären“ Arbeitnehmern unterfallen gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 AGG auch solche Personen dem Anwendungsbereich des 2. Abschnitts des AGG, die zu ihrer Berufsbildung beschäftigt sind. Darüber, um welche Personen es sich dabei exakt handelt, gehen die Meinungen in der Literatur auseinander. Schrader/Schubert vertreten dabei eine enge Auslegungslinie. Nach deren Auffassung sollen lediglich solche Personen erfasst sein, die in einem anerkannten Ausbildungsberuf ausgebildet werden.26 Schrader/Schubert interpretieren den Begriff „Berufsbildung“ in § 6 Abs. 1 Nr. 2 AGG wie die in § 1 Abs. 1 BBiG genannte „Berufsausbildung“. Die wohl h.M. fasst den Anwendungsbereich des § 6 Abs.1 Nr. 2 AGG weiter. Demnach fallen in den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 Nr. 2 AGG zumindest alle unter § 1 BBiG subsumierbaren Berufsbildungsmaßnahmen. Erfasst sind damit etwa auch Bildungsmaßnahmen wie berufliche Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen.27 Mit der herrschenden Meinung ist der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 Nr. 2 AGG weit auszulegen. Die von Schuster/Schrader angenommene Reduzierung des 23

BAG, Urteil v. 16. 02. 2000, Az. 5 AZB 71/99, Rn. 17, zitiert nach Juris m.w.N. Hierzu Adomeit/Mohr, AGG 2011, § 6 Rn. 11. 25 Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 6 Rn. 14. 26 Däubler/Schrader/Schubert, AGG, § 6 Rn. 20. 27 Hierzu Hey/Hey, AGG, § 6 Rn. 6 f.; Wendeling/Stein, AGG, § 6 Rn. 8 f.; Bauer/Göpfert/ Krieger, AGG, § 6 Rn. 7; Schleusener/Schleusener, AGG, § 6 Rn. 8 f.; Adomeit/Mohr, AGG 2011, § 6 Rn. 18; Meinel/Heyn/Herms, AGG, § 6 Rn. 6. 24

I. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Deutschland

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Schutzbereichs auf klassische Ausbildungsverhältnisse überzeugt nicht. Eine europarechtskonforme Auslegung gebietet ein solches weites Verständnis des Begriffs der „Berufsbildung“. Dass nicht nur die klassische „Berufsausbildung“ gemeint ist, ergibt sich zudem aus dem deutschen Regierungsentwurf. Hier wurde der zunächst noch verwendete Begriff „Berufsausbildung“ durch den Begriff „Berufsbildung“ ersetzt.28 Der italienische Wortlaut der Rahmenrichtlinie spricht sogar dafür, auch Praktikanten in den Anwendungsbereich einer nationalen Umsetzung der Rahmenrichtlinie einzubeziehen.29 (3) Arbeitnehmerähnliche Personen und Heimarbeiter, § 6 Abs. 1 Nr. 3 AGG Die Vorschriften des 2. Abschnitts des AGG finden zudem Anwendung auf sogenannte „arbeitnehmerähnliche Personen und Heimarbeiter“. Wie der Begriff bereits nahelegt, handelt es sich bei diesen nicht um klassische Arbeitnehmer, sondern um Selbstständige. Aufgrund einer starken Vergleichbarkeit der arbeitnehmerähnlichen Personen mit den „regulären“ Arbeitnehmern finden die Bestimmungen des 2. Abschnitts des AGG auch auf diese Anwendung. Auch wenn sich arbeitnehmerähnliche Personen dadurch auszeichnen, dass sie in der Bestimmung ihrer Arbeitszeit weitgehend frei sind, rechtfertigt ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von einem der Auftraggeber die Anwendung der Vorschriften des AGG.30 Ein eingeschränktes Weisungsrecht eines Auftraggebers – insbesondere im Hinblick auf die Wahl des Arbeitsortes – rechtfertigt die Anwendung der Vorschriften des 2. Abschnitts des AGG auf die sogenannten Heimarbeiter. Da der Heimarbeiter per definitionem nicht nach außen auftritt, sondern lediglich einem selbstständig agierenden Auftraggeber zuarbeitet, ist seine Situation mit dem eines regulären Arbeitnehmers weitgehend vergleichbar.31 bb) Der Begriff des Arbeitgebers im AGG, § 6 Abs. 2 AGG Als Konterpart zu den in Abs. 1 definierten Beschäftigten nennt § 6 Abs. 2 AGG den „Arbeitgeber“. In der Literatur stößt es auf Kritik, dass in § 6 Abs. 2 AGG der Begriff des Arbeitgebers Verwendung findet.32 Dieser Kritik ist zumindest in Teilen zuzustimmen. Da der Begriff im AGG weitergehend ist, werden auch solche Personen in den Anwendungsbereich einbezogen, deren Beschäftigungsverhältnis bereits beendet ist. Da die Begriffe Arbeitgeber und Beschäftigter im Zusammenhang zu lesen sind, führt das weite Verständnis des Beschäftigtenbegriffs in der Folge zu

28

Hierzu MüKo/Thüsing, AGG 2012, § 6 Rn. 7. In diesem Sinne auch Meinel/Heyn/Herms, AGG, § 6 Rn. 7. 30 MüKo/Thüsing, AGG 2012, § 6 Rn. 8; Adomeit/Mohr, AGG 2011, § 6 Rn. 20. 31 Hey/Hey, AGG, § 6 Rn. 9. 32 So etwa Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 6 Rn. 16 oder Adomeit/Mohr, AGG 2011, § 6 Rn. 22. 29

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

einem weiten Verständnis des Arbeitgeberbegriffs.33 § 6 Abs. 2 S. 2 AGG hat hingegen keine Erweiterung des originären deutschen Arbeitgeberbegriffs zur Folge. Gemäß § 6 Abs. 2 S. 2 AGG ist in Fällen der Arbeitnehmerüberlassung auch der Entleiher als Arbeitgeber im Sinne des AGG anzusehen. Dies stimmt mit dem deutschen Verständnis des Begriffs „Arbeitgeber“ überein. Grundsätzlich kommen dem Entleiher, in dessen Betriebsorganisation der Leiharbeitnehmer überlassen wird, zumindest gewisse Arbeitgeberaufgaben zu.34 Die Arbeitgeberfunktion kann von natürlichen sowie juristischen Personen als auch von rechtsfähigen Personengesellschaften wahrgenommen werden. Im Gleichklang mit § 6 Abs. 1 Nr. 3 AGG werden die Auftraggeber von Beschäftigten in Heimarbeit sowie mit diesen gleichgestellter Personen mit Arbeitgebern gleichgesetzt. cc) Anwendung auf Selbstständige und Gesellschaftsorgane, § 6 Abs. 3 AGG In eingeschränkter Form statuiert § 6 Abs. 3 AGG eine Anwendung der Vorschriften des 2. Abschnitts des AGG auch für solche Personengruppen, die nach deutschem Verständnis nicht unter den Begriff „Arbeitnehmer“ subsumiert werden. Hierbei handelt es sich um Selbstständige und Gesellschaftsorgane wie Geschäftsführer oder Vorstände. Wie Stein zutreffend feststellt, enthält § 6 Abs. 3 AGG eine Einschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs für die genannten Personengruppen.35 Danach kommt eine (entsprechende) Anwendung der Vorschriften nur bei solchen Sachverhalten in Betracht, bei denen der Zugang zur Erwerbstätigkeit oder der berufliche Aufstieg betroffen sind. (1) Anwendung der Vorschriften des AGG auf Selbstständige Die Geltung des 2. Abschnitts des AGG für sogenannte „Selbstständige“ führt dazu, dass auch solche Personen in den Genuss der Schutzvorschriften dieses Abschnitts des AGG gelangen, von denen man dies zunächst nicht erwarten würde. Über die Tragweite der Aufnahme von Selbstständigen in den Anwendungsbereich des AGG herrscht in der Literatur jedoch Uneinigkeit. Während zum Teil davon ausgegangen wird, dass die Vorschrift des § 6 Abs. 3 AGG auf annähernd jede Art von selbstständiger Tätigkeit Anwendung findet36, gehen andere davon aus, dass der Anwendungsbereich im Wege der Auslegung auf eine bestimmte Gruppe von Selbstständigen zu begrenzen ist.37 33

In diesem Sinne Adomeit/Mohr, AGG 2011, § 6 Rn. 22. MüHdbArb/Richardi, § 21 Rn. 13. 35 Wendeling/Stein, AGG, § 6 Rn. 19. 36 So Meinel/Heyn/Herms, AGG, § 6 Rn. 24 u. § 2 Rn. 9; ebenfalls in diesem Sinne Willemsen/Schweibert, AGG, S. 2584; mit entsprechendem Ansatz zur Richtlinie 76/207/EWG: Roetteken, Gemeinschaftsrecht, S. 417. 37 In diesem Sinne Wendeling/Stein, AGG, § 6 Rn. 21 ff. und Adomeit/Mohr, AGG 2007, § 6 Rn. 29 und AGG 2011 Rn. 49 ff. 34

I. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Deutschland

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Die Vertreter der Auffassung, dass der Begriff der Selbstständigkeit weit zu fassen ist, nehmen dabei Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH und dessen Definition der unselbstständigen Erwerbstätigkeit. In Abgrenzung zu dieser Definition der unselbstständigen Erwerbstätigkeit wird gefolgert, dass es sich bei einer selbstständigen Tätigkeit um solche Tätigkeiten handelt, die „unabhängig von Weisungen und damit frei in Bezug auf die Organisation der Arbeit“ erbracht werden. Diese weite Auslegung des Begriffs der Selbstständigkeit führt die Vertreter der Auffassung zu dem Schluss, dass selbst einmalig erbrachte Dienstleistungen als selbstständige Leistung im Sinne des § 6 Abs. 3 AGG zu klassifizieren sind.38 Die anwendungsbereichsbezogenen sekundärrechtlichen Vorgaben der Rahmenrichtlinie (Art. 3 Abs. 1 lit. a) Rahmenrichtlinie), werden ebenfalls als Argument für eine weite Auslegung des § 6 Abs. 3 AGG herangezogen.39 Adomeit/Mohr und Stein sind bei der Auslegung des § 6 Abs. 3 AGG zurückhaltender. Nach Adomeit/Mohr ist es ausgeschlossen, dass das AGG auf solche Personen Anwendung findet, die als Alleinunternehmer oder Freiberufler tätig sind. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die in § 6 Abs. 3 AGG genannten Selbstständigen solche seien, die einerseits weder als Arbeitnehmer noch andererseits als wirkliche Selbstständige zu klassifizieren seien. Als Beispiele werden freie Mitarbeiter, wirtschaftlich abhängige Subunternehmer oder Franchisenehmer genannt.40 Die Problematik, dass eine solche Auslegung zu erheblichen Abgrenzungsproblemen zwischen § 6 Abs. 3 AGG und § 6 Abs. 1 Nr. 3 AGG führen würde, übersehen Adomeit/Mohr dabei. Die Definition von Adomeit/Mohr lässt schließlich nicht erkennen, wo genau der Unterschied zu den in § 6 Abs. 1 Nr. 3 AGG genannten arbeitnehmerähnlichen Personen liegen soll. Stein hingegen ist sich dieser Problematik bewusst und geht davon aus, dass in § 6 Abs. 3 AGG solche Personen gemeint sind, die „wie Arbeitnehmer des Unternehmers beschäftigt werden, ohne arbeitnehmerähnlich im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 3 AGG zu sein“. „Wie ein Arbeitnehmer“ sei eine Person dann beschäftigt, wenn diese in „betrieblicher Funktion“ beschäftigt würde. Damit meint Stein, dass eine Einbindung des „Selbstständigen“ in den Produktionsoder Dienstleistungsablauf des Unternehmers vorliegen müsse.41 Der Begriff der „Selbstständigkeit“ im Sinne von § 6 Abs. 3 AGG ist weit auszulegen und erfasst auch nach deutschem Verständnis „reguläre Selbstständige“. In der Zusammenschau mit § 6 Abs. 1 Nr. 3 AGG wird deutlich, dass eine Abgrenzung zwischen arbeitnehmerähnlichen Unselbstständigen und selbstständigen Personen zu erfolgen hat. Die gemeinsame Nennung von arbeitnehmerähnlichen, unselbstständigen Personen und Heimarbeitern macht deutlich, dass das Abgrenzungskriterium zur Selbstständigkeit im Sinne von § 6 Abs. 3 AGG nicht in der Eingliederung der Personen in den Betrieb des Auftraggebers liegen kann. Auch Heimarbeiter 38 39 40 41

Meinel/Heyn/Herms, AGG, § 2 Rn. 9. Willemsen/Schweibert, AGG, S. 2584. Adomeit/Mohr, AGG 2011, § 6 Rn. 50. Wendeling/Stein, AGG, § 6 Rn. 23.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

werden ohne originäre Eingliederung in die betriebliche Organisation tätig. Insbesondere können sie in der Regel ihre Arbeitszeit frei einteilen. Das wesentliche Auslegungskriterium des § 6 Abs. 1 Nr. 3 AGG bildet damit die wirtschaftliche Abhängigkeit der genannten Personen von ihren Auftraggebern. Auch die Systematik lässt zudem darauf schließen, dass es sich bei den in § 6 Abs. 3 AGG genannten Personen um solche handelt, die noch weiter entfernt vom ursprünglichen Arbeitnehmerbegriff anzusiedeln sind. Liegt keine Eingliederung in die betriebliche Organisation und auch keine wirtschaftliche Abhängigkeit von einem Auftraggeber vor, muss es sich bei den in § 6 Abs. 3 AGG genannten Personen um „klassische Selbstständige“ handeln. Auch wenn der Begriff der Selbstständigkeit selbst nicht einschränkend auszulegen ist, wird die diesem Umstand vermeintlich innewohnende praktische Brisanz auf anderem Wege genommen. Schließlich beinhaltet § 6 Abs. 3 AGG neben der Definition des persönlichen Schutzbereichs gleichzeitig eine Einschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs. Demnach kommen die dort genannten Selbstständigen nur dann in den Genuss der Anwendung der Vorschriften des 2. Abschnitts des AGG, wenn deren Zugang zur Erwerbstätigkeit oder deren beruflicher Aufstieg betroffen ist. Willemsen/Schweibert ist in diesem Zusammenhang beizupflichten, dass aufgrund dieser Einschränkung des sachlichen Schutzbereichs wesentliche Bereiche wie Vertragsgestaltung und Beendigung eines Vertragsverhältnisses nicht in den Anwendungsbereich der Vorschriften des 2. Abschnitts des AGG fallen.42 (2) Anwendung der Vorschriften des AGG auf Organmitglieder Gemäß § 6 Abs. 3 AGG unterliegen auch Organmitglieder dem (eingeschränkten) Schutz des 2. Abschnitts des AGG. In § 6 Abs. 3 AGG werden Geschäftsführer und Vorstände beispielhaft hervorgehoben. Aus der Nennung dieser beiden Gesellschaftsorgane kann geschlussfolgert werden, dass der Gesetzgeber bei Organmitgliedern vorrangig an solche Personen gedacht hat, die dazu befugt sind, die Gesellschaft zu vertreten.43 Für diese Annahme spricht insbesondere, dass in diesen Fällen das in § 6 Abs. 3 AGG geforderte Merkmal der „Erwerbstätigkeit“ vorliegen wird. Jedoch kann die Vorschrift nicht so verstanden werden, dass damit andere Organmitglieder, wie etwa Aufsichtsräte, per se aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen sind.44 Unterschiedliche Auffassungen werden in Bezug auf die Frage vertreten, ob das AGG bei Organmitgliedern lediglich das zugrundeliegende Dienstverhältnis in

42

Willemsen/Schweibert, AGG, S. 2584. Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 6 Rn. 27. 44 Schließlich besteht etwa gemäß § 113 AktG die Möglichkeit auch Aufsichtsratsmitgliedern eine Vergütung für ihre Tätigkeit zu bezahlen. Das Kriterium der Erwerbstätigkeit dürfte foglich auch in solchen Fällen erfüllt sein; hierzu Bauer/Göpfert/Krieger, § 6 Rn. 28; Lutter, Anwendungsbereich AGG, S. 730; Wendeling/Stein, AGG, § 6 Rn. 24. 43

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seinem Anwendungsbereich umfasst45 oder ob das Dienstverhältnis als auch die (gesellschaftsrechtliche) Organstellung vom Anwendungsbereich umfasst werden.46 Bauer/Göpfert/Krieger vertreten den Standpunkt, dass § 6 Abs. 3 AGG lediglich auf das Dienstverhältnis des Organmitglieds Anwendung findet. Sie begründen diese Auffassung damit, dass sowohl § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG als auch § 6 Abs. 3 AGG auf eine Erwerbstätigkeit abstellen. Dieses Merkmal der Erwerbstätigkeit sehen Bauer/ Göpfert/Krieger ausschließlich mit dem Dienstverhältnis verknüpft, da auf dessen Grundlage die Vergütung für das Organmitglied gezahlt würde.47 Die wohl h.M. geht davon aus, dass § 6 Abs. 3 AGG sehr wohl eine Anwendung des AGG auf die Organstellung – etwa im Hinblick auf die Bestellung eines Organmitglieds – statuiert. Nach der Auffassung Lutters würde eine ausschließliche Anwendung des AGG auf den Dienstvertrag dazu führen, dass § 6 Abs. 3 AGG im Wesentlichen „leer liefe“. Als Begründung führt Lutter an, dass das Dienstverhältnis nicht ohne die Bestellung bestehen könne.48 Stein hält die Beschränkung des Anwendungsbereichs auf den Dienstvertrag aus ähnlichen Gründen für unzutreffend. Zwar könne zugestanden werden, dass die für die Erwerbstätigkeit relevanten Gesichtspunkte (wie etwa die Vergütung) im Dienstvertrag eines Geschäftsführers enthalten seien, allerdings sei auch zu bedenken, dass die Bestellung conditio sine qua non für die Tätigkeit als Organ insgesamt sei. Als weiteres Argument führt Stein an, dass die strenge Abstraktion zwischen Bestellung und Abschluss eines Anstellungsvertrages ein speziell deutsches Phänomen sei. Aufgrund des europarechtlichen Hintergrunds des erweiterten Schutzes vor Diskriminierungen verbiete sich eine solch national eingetrübte Betrachtungsweise.49 Die Argumente für eine Begrenzung des Anwendungsbereichs auf das Anstellungsverhältnis überzeugen nicht. Stein ist zuzustimmen, dass die deutsche Besonderheit der Abstraktion zwischen Bestellung als Organ und Anstellungsverhältnis aufgrund der europarechtlichen Vorgaben eine Einschränkung des Schutzbereichs nicht zu begründen vermag. Tatsächlich wird im Regelfall die Bestellung die Voraussetzung dafür sein, überhaupt einen Anstellungsvertrag zu schließen. Im Übrigen ist die Argumentation von Bauer/Göpfert/Krieger auch in sich nicht konsistent. Diese argumentieren vorrangig mit der vermeintlich notwendigen Abstraktion zwischen Organstellung und Anstellungsverhältnis. Sie räumen jedoch selber ein, dass auch nicht vertretungsberechtigte Organmitglieder, etwa Aufsichtsräte, Organmitglieder im Sinne von § 6 Abs. 3 AGG sein können. Dies soll insbesondere dann gelten, wenn deren Tätigkeit für eine Gesellschaft als Erwerbstätigkeit ange45 So etwa Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 6 Rn. 27 und wohl auch Däubler/Schrader/ Schubert, AGG, § 6 Rn. 30. 46 So etwa Lutter, Anwendungsbereich AGG, S. 726; Wendeling/Stein, AGG, § 6 Rn. 28; Rust/Rust, AGG, § 6 Rn. 25 und mit Einschränkungen auch Adomeit/Mohr, AGG 2011, § 6 Rn. 45. 47 Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 6 Rn. 27. 48 Lutter, Anwendungsbereich AGG, S. 726. 49 Wendeling/Stein, AGG, § 6 Rn. 28.

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sehen werden kann. Zumindest dem Grundsatz nach ist das Aufsichtsratsamt jedoch nicht zwangsläufig zu vergüten. Erfolgt eine solche Vergütung, wird diese – im Unterschied etwa zum Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) – nicht auf der Basis eines schuldrechtlichen Vertragsabschlusses geleistet, sondern auf der Grundlage eines sogenannten „kooperationsrechtlichen Rechtsverhältnisses“. Vertragliche Regelungen finden insoweit keine Anwendung.50 Dies macht deutlich, dass selbst im deutschen Recht eine Auslegung im Sinne von Bauer/ Göpfert/Krieger zu einer übermäßigen Einschränkung des Anwendungsbereichs führen würde. Durch die Formulierung „insbesondere“ wird zudem deutlich, dass nicht nur Vorstände und Geschäftsführer gemeint sind. § 6 Abs. 3 AGG gilt also nicht lediglich bezogen auf das Anstellungsverhältnis, sondern auch für die Organstellung an sich. Wie auch bei Selbstständigen ist für Organmitglieder der sachliche Geltungsbereich im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG eingeschränkt. Das führt dazu, dass die Beendigung des Organ- wie auch des Dienstverhältnisses nicht unter den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 3 AGG fällt.51 b) Sachlicher Anwendungsbereich § 2 AGG enthält die zentralen Bestimmungen zum sachlichen Anwendungsbereich des AGG. Daneben enthalten Vorschriften, wie etwa § 6 Abs. 3 AGG, weitere Ausnahmen oder Konkretisierungen des sachlichen Anwendungsbereichs. § 19 AGG definiert näher, in welchen Fällen das AGG auch im allgemeinen Zivilrechtsverkehr Anwendung findet. aa) Hauptanwendungsbereich des AGG, § 2 Abs. 1 AGG Die Nummern 1 bis 8 des § 2 Abs. 1 AGG enthalten einen Katalog der Fälle, in denen eine Anwendung des AGG in Betracht kommt. Bereits aus der Gesetzesbegründung geht hervor, dass es sich bei wesentlichen Teilen des § 2 Abs. 1 AGG um eine sehr strenge Umsetzung der entsprechenden Vorschriften der Richtlinien handelt. Die Nummern 1 bis 4 des § 2 Abs. 1 AGG sind den Anwendungsbereichen der Richtlinien 2000/43/EG, 2000/78/EG und 76/207/EWG entnommen. Wortgleich mit den entsprechenden Vorgaben der Richtlinie 2000/43/EG sind die Nummern 5 bis 8.52

50

Hörster/Hambloch-Gesinn/Gesinn, AktG, § 113 Rn. 4. Willemsen/Schweibert, AGG, S. 2584; Lutter, Anwendungsbereich AGG, S. 728. 52 BT-Drucks. 16/1780, S. 31, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundestag.de/ drucksachen/index.php. 51

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(1) Zugang zu selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit, § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG entspricht weitgehend dem Richtlinienwortlaut. Die deutsche Adaption des Richtlinienwortlauts gebietet allenfalls, bezogen auf die Reichweite des Begriffs der selbstständigen bzw. unselbstständigen Erwerbstätigkeit, eine abweichende Interpretation. Entsprechend der europarechtlichen Vorgaben wird unter dem Begriff „Zugang“ verstanden, dass nicht nur bestehende Vertragsverhältnisse in den Anwendungsbereich fallen, sondern bereits die Anbahnungsphase vom Schutzbereich des AGG umfasst ist. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der Verwendung des Begriffs „Bedingungen“. Dessen Legaldefinition lässt sich § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG entnehmen. Demnach unterfallen dem Begriff sowohl beidseitige Verträge als auch einseitige Maßnahmen des Arbeit- oder Auftraggebers. 53 Damit sind insbesondere Bewerber vom Anwendungsbereich des AGG erfasst. Der gesamte Ablauf eines Bewerbungsverfahrens ist nach Maßgabe der im AGG enthaltenen Diskriminierungsverbote zu gestalten. Entsprechend sind Stellenausschreibungen, Bewerbungsgespräche und Personalfragebögen so anzupassen, dass eine Verletzung der Diskriminierungsverbote vermieden wird.54 Die den beruflichen Aufstieg betreffende Formulierung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG verdeutlicht, dass nicht nur der Zugang einer Person zu einem völlig neuen Arbeitsbzw. Vertragsverhältnis unter Schutz gestellt ist, sondern auch der Zugang zu einer neuen Stelle oder Position innerhalb eines bereits bestehenden Vertragsverhältnisses. Vergleichbar der Situation beim Zugang zu einer völlig neuen Beschäftigung setzt der Diskriminierungsschutz bereits bei den Grundlagen an. Damit finden die Benachteiligungsverbote Anwendung auf solche Beurteilungen eines Bewerbers, die als Grundlage für einen beruflichen Aufstieg des Einzelnen in Betracht kommen können.55 Konkrete Anwendungsfälle des Schutzes des beruflichen Aufstiegs in Bezug auf selbstständig tätige Personen sind schwerlich bis gar nicht denkbar.56 (2) Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG Vom sachlichen Schutzbereich ebenfalls umfasst sind die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen. Zur Auslegung der Vorschrift kann weitestgehend auf die Ausführungen zur Rahmenrichtlinie verwiesen werden. Sowohl der Begriff der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen als auch der Begriff des Arbeitsentgelts werden in Deutschland anhand der europäischen Vorgaben, insbesondere gemäß 53

Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 2 Rn. 19. Hey/Beitzel, AGG, § 2 Rn. 8; ausführlich zu den Auswirkungen auf das Bewerbungsverfahren Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 2 Rn. 20 ff. 55 Schleusener/Schleusener, AGG, § 2 Rn. 6. 56 In diesem Sinne auch Däubler/Däubler, AGG, § 2 Rn. 31 und Meinel/Heyn/Herms, AGG, § 2 Rn. 11. 54

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denen des EuGH, nachvollzogen.57 Der Wortlaut des Anwendungsbereichs wurde im Vergleich zu den Vorgaben der Rahmenrichtlinie um eine Konkretisierung erweitert. Demnach fallen insbesondere individual- oder kollektivrechtliche Vereinbarungen in den Anwendungsbereich. Wie aus der Gesetzesbegründung hervorgeht, soll diese im AGG vorgenommene Konkretisierung nicht zu einer Einschränkung des Anwendungsbereichs führen. Das AGG findet nicht nur auf bilaterale Vereinbarungen Anwendung, sondern auch auf unilaterale Vorgaben des Arbeitgebers/Auftraggebers z. B. Versetzungen und Umsetzungen.58 Als Ergänzung zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG umfasst § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG die gesamte Dauer einer Beschäftigung bis hin zu ihrer Beendigung. Das Verhältnis des AGG zum Kündigungsschutz wird in § 2 Abs. 4 AGG näher erläutert.59 (3) Zugang zu Berufsbildung- und Beratung, § 2 Abs. 1 Nr. 3 AGG Annähernd wortgleich mit den entsprechenden Vorgaben der Rahmenrichtlinie (Art. 3 Abs. 1 Buchst. b) Rahmenrichtlinie) ist auch § 2 Abs. 1 Nr. 3 AGG. Wie in der Rahmenrichtlinie ist der Zugang zu allen Formen der Berufsbildung und Berufsausbildung auf diese Weise vom Anwendungsbereich umfasst. Ohne praktische Relevanz ist der Meinungsstreit, ob § 2 Abs. 1 Nr. 3 AGG lediglich eine eigenständige Bedeutung beizumessen ist, wenn die betreffende Person nicht bereits aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit einen Schutz aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AGG genießt.60 Es ist davon auszugehen, dass der Anwendungsbereich der Rahmenrichtlinie in Bezug auf den Zugang zu Bildung und Berufsberatung weit auszulegen ist. Auch Praktikanten fallen damit grundsätzlich in den Anwendungsbereich des AGG. Die Rechtsprechung des BAG, wonach das KSchG keine Anwendung auf die Beendigung eines Praktikumsverhältnisses findet61, widerspricht dabei weder den Vorgaben der Rahmenrichtlinie noch § 2 Abs. 1 Nr. 3 AGG. Schließlich schützt § 2 Abs. 1 Nr. 3 AGG lediglich den Zugang zu Bildung bzw. Berufsberatung. Ein bestehendes Beschäftigungsverhältnis wird nicht vorausgesetzt. Vielmehr ist auch der erstmalige Kontakt mit einem Betrieb, der ein Praktikum anbietet, ausreichend, um den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 3 AGG zu eröffnen.62

57

Hierzu Meinel/Heyn/Herms, AGG, § 2 Rn. 20 ff. Hierzu BT-Drucks. 16/1780, S. 31, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundes tag.de/drucksachen/index.php. 59 Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 2 Rn. 28. 60 Für eine kurze Darstellung der unterschiedlichen Positionen: Hey/Beitzel, AGG, § 2 Rn. 14. 61 Urteil des BAG vom 05. 08. 1965, Az. 2 AZR 439/64 zitiert nach Juris. 62 So auch Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 2 Rn. 32; a.A. Adomeit/Mohr, AGG 2011, § 2 Rn. 118 die einen Zusammenhang mit einem bereits bestehenden Arbeitsverhältnis zur Voraussetzung machen. 58

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(4) Mitgliedschaft in Organisationen, § 2 Abs. 1 Nr. 4 AGG § 2 Abs. 1 Nr. 4 AGG ist fast wortgleich mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. d) Rahmenrichtlinie. Insoweit wird die Mitgliedschaft in verschiedenen Organisationen unter den Schutz des AGG gestellt. Im Wesentlichen soll der Zugang zu solchen Organisationen geschützt werden, die einen Bezug zum Erwerbsleben besitzen. Zuvorderst sind an dieser Stelle die Gewerkschaften zu nennen. Die Wahl des Wortes „Beschäftigtenvereinigung“ an Stelle von Gewerkschaft ist nach der zutreffenden Auffassung Däublers dem Umstand geschuldet, dass eine Eingrenzung des Anwendungsbereichs nicht gewollt war. Auch auf andere Art organisierte Interessenvertretungen können damit unter den Anwendungsbereich fallen.63 Vom Anwendungsbereich ebenfalls umfasst ist die Organisationsfreiheit der Selbstständigen.64 (5) Sozialschutz, § 2 Abs. 1 Nr. 5 – 7 AGG Mit den Nummern 5 bis 7 des § 2 Abs. 1 AGG wurden die Vorgaben der Schwesterrichtlinie 2000/43/EG in das nationale Recht übernommen. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Gewährung von Sozialleistungen und Bildungsangeboten auf öffentlich-rechtlicher Basis erfolgt. Denkbar ist aber auch, dass diese in privatrechtlicher Form angeboten und erbracht werden. In diesem Fall ist § 2 Abs. 1 Nrn. 5 bis 7 AGG in Verbindung mit § 19 Abs. 2 AGG zu lesen.65 (6) Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, § 2 Abs. 1 Nr. 8 AGG Der Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, ist nach den Bestimmungen des AGG diskriminierungsfrei zu gewähren. Die Vorschrift dient der Umsetzung der Schwesterrichtlinie 2000/43/EG. Nach der Gesetzesbegründung stehen Güter und Dienstleistungen der Öffentlichkeit dann zur Verfügung, wenn deren Bewerbung außerhalb einer als privat zu erachtenden Sphäre, etwa in Tageszeitungen oder im Internet, erfolgt. Da es sich im Wesentlichen um den Austausch von Gütern bzw. Dienstleistungen handelt, ist überwiegend der privat- und weniger der öffentlich-rechtlich organisierte Sektor angesprochen.66 bb) Bereichsausnahmen und Gesetzeskonkurrenzen, § 2 Abs. 2 und 3 AGG Auf dem Gebiet der Sozialpolitik besitzt die Europäische Union keine ausschließliche Normsetzungskompetenz. Demgemäß konnte in Deutschland den vorher bestehenden Regelungen Rechnung getragen werden. Der diesbezügliche 63

Däubler/Däubler, AGG, § 2 Rn. 37 f. Däubler/Däubler, AGG, § 2 Rn. 41. 65 Hierzu BT-Drucks. 16/1780, S. 31 f., abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bun destag.de/drucksachen/index.php. 66 Hierzu BT-Drucks. 16/1780, S. 32, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundes tag.de/drucksachen/index.php. 64

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Diskriminierungsschutz wird über §§ 33c SGB I und 19a SGB IV gewährleistet.67 Husmann beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit der Frage, ob und inwieweit Ungleichbehandlungen gerechtfertigt sein können. In Anbetracht der Vorgaben der europäischen Richtlinien geht er davon aus, dass die deutschen sozialrechtlichen Vorschriften insoweit eine Regelungslücke aufweisen. Diese ist nach Ansicht Husmanns durch eine entsprechende Analogie zu schließen.68 § 2 Abs. 3 AGG hingegen besitzt lediglich einen klarstellenden Charakter. Aus der Gesetzesbegründung geht hervor, dass die Einfügung dieses Absatzes verdeutlicht, dass das AGG ausschließlich eine Umsetzung der entsprechenden europäischen Richtlinien69 darstellt. Bei dem AGG handelt es sich um kein abschließendes und allumfassendes Regelungswerk zur Antidiskriminierung.70 cc) Antidiskriminierung und Kündigungsschutz, § 2 Abs. 4 AGG § 2 Abs. 4 AGG befasst sich mit dem Verhältnis der im AGG enthaltenen Diskriminierungsverbote zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz. Das Verhältnis von Kündigungsschutz und Diskriminierungsverboten ist bei weitem nicht so unkompliziert, wie die knappe Formulierung des § 2 Abs. 4 AGG suggeriert, und auch die Gesetzesbegründung gibt keine klare Marschroute vor. Demnach dient § 2 Abs. 4 AGG zur Klarstellung, „dass Rechtsstreitigkeiten bei Kündigungen auch in der Zukunft vorwiegend nach dem Kündigungsschutzgesetz zu entscheiden sein werden.“ Diese sehr vagen Vorgaben haben zu unterschiedlichen Interpretationen in Rechtsprechung und Literatur geführt. Die Kommission der Europäischen Union hat ernsthafte Zweifel angemeldet, ob es sich dabei um eine adäquate Umsetzung der europarechtlichen Richtlinienvorgaben handelt.71 (1) Rechtsprechung des BAG zum Verhältnis von AGG und KSchG Tatsächlich gibt § 2 Abs. 4 AGG wenig Aufschluss darüber, wie das Verhältnis zwischen Kündigungsschutz und Diskriminierungsverboten zu beurteilen ist. Eine denkbare Interpretation ist, § 2 Abs. 4 AGG als Bereichsausnahme zu verstehen. Dies würde allerdings zu dem Ergebnis führen, dass eine Kündigung trotz Verstoßes gegen ein Diskriminierungsverbot wirksam sein könnte. Da § 2 Abs. 1 AGG –

67 Hierzu BT-Drucks. 16/1780, S. 32, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundes tag.de/drucksachen/index.php und ausführlich zu diesem Thema Husmann, Antidiskriminierung, S. 94 ff. 68 Husmann, Antidiskriminierung, S. 98 ff. 69 2000/78/EG, 2002/73/EG und 2004/113/EG. 70 Hierzu BT-Drucks. 16/1780, S. 32, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundes tag.de/drucksachen/index.php. 71 Hierzu Thüsing, Blick ins Arbeitsrecht, S. 310.

I. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Deutschland

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entsprechend den europarechtlichen Vorgaben – eine Geltung auch für Entlassungen statuiert, scheidet eine solche Interpretation des § 2 Abs. 4 AGG aus.72 Ausgehend von einem Urteil des ArbG Osnabrück aus dem Jahr 200773 bahnte sich die Frage, ob § 2 Abs. 4 AGG die Anwendung der Diskriminierungsverbote auf Kündigungen ausschließe, den Weg bis zum BAG und mündete schließlich in einer Entscheidung aus dem Jahr 2008.74 In dem Urteil nahm sich das BAG der wohl zumindest als misslungen zu bezeichnenden Umsetzung an und konkretisierte das Verhältnis von Diskriminierungs- und Kündigungsschutz. Nach der Auffassung des BAG ist § 2 Abs. 4 AGG keinesfalls europarechtswidrig. Dies war in Teilen der Literatur angenommen worden.75 Andere Stimmen in der Literatur vertraten die Auffassung, dass sowohl das Kündigungsschutzrecht als auch das Antidiskriminierungsrecht richtlinienkonform auszulegen seien.76 Das BAG hingegen schlussfolgert aus § 2 Abs. 4 AGG, dass die Diskriminierungsverbote als Konkretisierung des kündigungsschutzrechtlichen Begriffs der Sozialwidrigkeit Anwendung finden.77 Die Bedenken der Kommission verwarf das BAG mit der Begründung, dass eine wirksame Durchsetzung der Diskriminierungsverbote im Kündigungsschutzrecht dementsprechend gewährleistet sei. Der Ausspruch der Unwirksamkeit einer Kündigung sei die denkbar schärfste Sanktion für eine diskriminierende Kündigung.78 Das BAG äußerste sich nicht dazu, ob neben der Möglichkeit, eine Kündigung wegen Verstoßes gegen ein Diskriminierungsverbot anzugreifen, auch ein Entschädigungsanspruch im Sinne von § 15 Abs. 2 AGG verlangt werden kann, sondern ließ die Frage in Entscheidungen aus dem Jahr 200979 und zuletzt aus dem Jahr 201180 offen. Das BAG ließ jedoch erkennen, dass es sich einen solchen Anspruch durchaus vorstellen kann. Zumindest sei ein solcher nicht „systemwidrig“. Bereits in der Vergangenheit sei es möglich gewesen, den Ersatz immaterieller Schäden – etwa auf Basis von § 823 Abs. 1 BGB – geltend zu machen.81

72

So auch Adomeit/Mohr, diskriminierende Kündigungen, S. 2256. Urteil des ArbG Osnabrück vom 29. Januar 2007, Az: 3 Ca 761/06; für eine Urteilsbesprechung Thüsing, Altersgruppenbildung, S. 1504 ff. 74 Urteil des BAG vom 06. 11. 2008, Az. 2 AZR 523/07 zitiert nach Juris. 75 Für die entsprechenden Nachweise in der Literatur Urteil des BAG vom 06. 11. 2008, Az. 2 AZR 523/07, Rn. 31 zitiert nach Juris. 76 Für die entsprechenden Nachweise in der Literatur Urteil des BAG vom 06. 11. 2008, Az. 2 AZR 523/07, Rn. 32 zitiert nach Juris. 77 Urteil des BAG vom 06. 11. 2008, Az. 2 AZR 523/07, Rn. 34, zitiert nach Juris. 78 Urteil des BAG vom 06. 11. 2008, Az. 2 AZR 523/07, Rn. 41, zitiert nach Juris. 79 Urteil des BAG vom 22. 10. 2009, Az. 8 AZR 642/08, zitiert nach Juris. 80 Urteil des BAG vom 28. 04. 2011, Az. 8 AZR 515/10, zitiert nach Juris. 81 Urteil des BAG vom 22. 10. 2009, Az. 8 AZR 642/08, Rn. 16, zitiert nach Juris. 73

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(2) Stellungnahme: Verhältnis von AGG und KSchG Die Entscheidung des BAG vom 06. November 2008 stößt in der Literatur auf geteiltes Echo. Während einige die Entscheidung als richtig begrüßen82, gehen andere davon aus, dass die Auslegung des BAG der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers zuwiderläuft.83 Tatsächlich ist Bauer/Göpfert/Krieger darin zuzustimmen, dass das Urteil des BAG einige Fragen unbeantwortet lässt. Dennoch ist die Argumentation des BAG durchaus stringent und im Ergebnis zutreffend. Der vom BAG vertretenen Auslegung des § 2 Abs. 4 AGG steht insbesondere nicht der ausdrücklich formulierte Wille des Gesetzgebers entgegen. Aus der Gesetzesbegründung geht hervor, dass auch zukünftig bei Kündigungen nach dem allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz verfahren werden soll. Unter allgemeinem Kündigungsschutz versteht der Gesetzgeber dabei sowohl die Vorschriften des BGB als auch die des 1. Abschnitts des KSchG.84 Auch die von Bauer/Göpfert/Krieger angesprochene Problematik bei Kündigungen außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG85 besteht nicht. Im Rahmen einer Kündigung außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG würde die Wirksamkeit einer Kündigung anhand von § 242 BGB geprüft. Dabei ist es kein Widerspruch, wenn im Rahmen des § 242 BGB Diskriminierungen berücksichtigt werden. Dies gilt, obwohl Diskriminierungen grundsätzlich ausgeschlossen sein könnten, da diese vom BAG als Konkretisierung der Sozialwidrigkeit im Sinne des § 1 KSchG verstanden werden und die Anwendung von § 242 BGB nicht zu einer Ausweitung des (sonstigen) allgemeinen Kündigungsschutzes führen soll. Gesichtspunkte wie die Sozialwidrigkeit und damit – der Argumentation des BAG folgend – auch mittelbar die Diskriminierungsverbote wären also grundsätzlich ausgeschlossen.86 Das BVerfG hat jedoch bereits vor Inkrafttreten des AGG entschieden, dass ein Verstoß gegen Diskriminierungsverbote – etwa gegen Art. 3 Abs. 3 GG – ebenfalls die Unwirksamkeit einer Kündigung zur Konsequenz hat.87 Die Argumentation des BAG zu den Diskriminierungsverboten des AGG fügt sich damit in die bisher geltenden Grundsätze ein. Wenn nach dem BVerfG bereits vor Inkrafttreten des AGG Diskriminierungen zur Unwirksamkeit einer Kündigung führen konnten, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber mit Einführung des AGG den Schutzstandard absenken wollte. Diese Annahme findet ihre Stütze in der Gesetzesbegründung zu § 2 Abs. 4 AGG. Dort heißt es, dass „auch in Zukunft vorwiegend nach dem Kündigungsschutzgesetz“

82 So etwa Adomeit/Mohr, diskriminierende Kündigungen, S. 2256 und Hey/Beitze, AGG, § 2 Rn. 48. 83 In diesem Sinne Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 2 Rn. 59. 84 Hierzu BT-Drucks. 16/2022, S. 12, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundes tag.de/drucksachen/index.php. 85 Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 2 Rn. 63 f. 86 MüKo/Hesse, BS Teil II, Vorbem. zu §§ 620 – 630 BGB, Rn. 189. 87 Hierzu MüKo/Hesse, BS Teil II, Vorbem. zu §§ 620 – 630 BGB, Rn. 189.

I. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Deutschland

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entschieden werden soll.88 Mit dieser Formulierung bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass es im Grundsatz bei den Verfahrensweisen verbleiben soll, die vor Inkrafttreten des AGG bestanden hatten. Im Wesentlichen ist § 2 Abs. 4 AGG eine Klarstellung des formalen Prozedere im Falle einer diskriminierenden Kündigung. § 2 Abs. 4 AGG verhindert insbesondere, dass zwei parallele Verfahren gerichtet auf die Unwirksamkeit einer Kündigung geführt werden. Weiterhin wird auf diese Weise deutlich, dass sich die wesentlichen Form- und Verfahrensvorschriften nach dem KSchG richten. Diese Absicht des Gesetzgebers zeigt sich auch darin, dass er bereits kurz nach Inkrafttreten des AGG eine Änderung in § 10 AGG vornahm. § 10 AGG enthielt in seiner Ursprungsfassung Regelungen auch bezogen auf die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Kündigung. Mit der Begründung, es habe sich hierbei um ein Redaktionsversehen gehandelt, wurden die entsprechenden Passagen (§ 10 S. 3 Nr. 6 und 7 a.F.) gestrichen.89 Daraus folgt, dass im Fall einer diskriminierenden Kündigung etwa die dreiwöchige Klagefrist des § 4 KSchG gewahrt werden muss.90 Unzutreffend ist daneben die Auffassung, wonach § 2 Abs. 4 AGG in jedem Fall zu einem Ausschluss von Entschädigungsansprüchen aus § 15 Abs. 2 AGG führt. Bauer/Göpfert/Krieger begründen diese Auffassung unter anderem damit, dass im Fall der Unwirksamkeit einer Kündigung das Arbeitsverhältnis fortgesetzt werde. Dies sei aus schadensersatzrechtlicher Sicht als Naturalrestitution zu begreifen. Eine Vermögenseinbuße werde damit von vornherein vermieden.91 Mag diese Auffassung von Bauer/Göpfert/Krieger im Hinblick auf § 15 Abs. 1 AGG zutreffen, da insoweit der Ersatz materieller Schäden garantiert wird, kann dies für § 15 Abs. 2 AGG nicht gelten. Schließlich gewährleistet § 15 Abs. 2 AGG den Ersatz immaterieller Schäden. Solche immaterielle Schäden sind allein durch die Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung und die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses noch nicht kompensiert. Im Fall einer diskriminierenden Kündigung kann der Betroffene daher sowohl die Wirksamkeit der Kündigung anfechten – wobei er innerhalb und außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG die Drei-Wochen-Frist zu beachten hat92 – als auch Entschädigungsansprüche im Sinne von § 15 Abs. 2 AGG geltend machen. Für den Entschädigungsanspruch sind die Fristen des AGG, § 15 Abs. 4 AGG, zu beachten.

88

Hierzu BT-Drucks. 16/1780, S. 34, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundes tag.de/drucksachen/index.php. 89 Hierzu mit Nachweisen Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 10 Rn. 41 – 43. 90 So im Ergebnis auch Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 2 Rn. 67; a.A. Rust/Bertelsmann, AGG, § 2 Rn. 267 ff. 91 Hierzu Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 2 Rn. 69 ff, 71. 92 Rust/Bertelsmann, AGG, § 2 Rn. 268.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

4. Der Begriff der Benachteiligung im AGG § 1 AGG enthält die Definition des mit dem AGG verfolgten Zwecks. Demnach ist es Ziel des Gesetzes, Benachteiligungen auf Grund der verpönten Merkmale zu verhindern. Bereits aus dieser Gesetzeszielbestimmung wird deutlich, dass sich die deutsche Umsetzung zwar im Grundsatz annähernd wortgleich mit den europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien zeigt, an einer wesentlichen Stelle jedoch von diesen abweicht. Während die europäischen Richtlinien zur Beschreibung der sanktionierten „Tathandlung“ den Begriff der Diskriminierung verwenden, spricht die deutsche Umsetzung von einer „Benachteiligung“. a) Benachteiligung contra Diskriminierung: Ein deutscher Sonderweg? aa) Erwägungen des Gesetzgebers Die Gesetzesbegründung gibt näheren Aufschluss über die Beweggründe dafür, warum die Verwendung des Begriffs „Diskriminierung“ vermieden wurde. Die Intention des Gesetzgebers bestand darin, auf diese Weise zu verdeutlichen, dass nicht jede unterschiedliche Behandlung auch eine Diskriminierung darstellt. Ausweislich der Gesetzesbegründung ging man in Deutschland davon aus, dass unter dem Begriff der „Diskriminierung“ bereits „im Allgemeinen Sprachgebrauch nur die rechtswidrige, sozial verwerfliche Ungleichbehandlung“ verstanden werde. Die §§ 5, 8, 10 und 20 AGG belegten aber auch „Fälle der zulässigen unterschiedlichen Behandlung“.93 Aus diesem Grund sei auf den Begriff der Diskriminierung verzichtet worden. Dieser Verzicht auf den Begriff der Diskriminierung kann in der deutschen Gesetzgebung auf eine gewisse Tradition zurückblicken. Bereits bei der Umsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG aus dem Jahr 197694 verzichtete der deutsche Gesetzgeber auf die Verwendung des Begriffs der Diskriminierung. Stattdessen wurde bereits seinerzeit der Begriff „Benachteiligung“ verwendet.95 Aus der damaligen Gesetzesbegründung lässt sich aber auch entnehmen, dass mit dem Austausch des Begriffs keine inhaltliche Abweichung zum in der Richtlinie verwendeten Begriff der „Diskriminierung“ dokumentiert werden sollte. In der Ge-

93 Hierzu BT-Drucks. 16/1780, S. 30, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundes tag.de/drucksachen/index.php. 94 Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen, abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEXNummer: 31976 L0207. 95 BT-Drucks. 8/3317, S. 8, abrufbar im Internet unter http://dip.bundestag.de/.

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setzesbegründung werden Benachteiligung und Diskriminierung als Synonyme gebraucht.96 bb) Erwägungen in der Wissenschaft Die Verwendung des Begriffs der Benachteiligung an Stelle des Begriffs der Diskriminierung findet in der Literatur teils Zustimmung97, in Teilen wird die Wahl des Begriffs Benachteiligung – mit unterschiedlicher Begründung – jedoch auch kritisiert98. Die Stimmen in der Literatur, die der Verwendung des Begriffs der Benachteiligung positiv gegenüberstehen, übernehmen zur Begründung ihres Standpunktes im Wesentlichen die – vorstehend dargestellten – Argumente des Gesetzgebers. Nach Bauer/Göpfert/Krieger ist der Begriff der Diskriminierung – entsprechend der gesetzgeberischen Begründung – weitergehend als der Begriff der Ungleichbehandlung. Dabei gehen Bauer/Göpfert/Krieger davon aus, dass Diskriminierung nach den „gemeinsamen Wertvorstellungen unseres Wertekreises“ eine unterschiedliche Behandlung wegen bestimmter Merkmale bedeute. Darüber hinaus impliziere der Begriff der Diskriminierung ein „herabwürdigendes Verhalten desjenigen, der benachteiligt“. Da ein solches subjektives Element – außer bei der Belästigung – vom AGG nicht verlangt werde, halten Bauer/Göpfert/Krieger den Begriff der Benachteiligung für zutreffender.99 Rust kritisiert, dass der Gesetzgeber seine eigenen Maßgaben in Bezug auf die Begriffswahl nur unzureichend umgesetzt habe. Ihrer Meinung nach hätte der Gesetzgeber bei konsequenter Anwendung der eigenen Grundsätze, bezogen auf die in §§ 15 und 21 AGG genannten Rechtsfolgen, den Begriff der Diskriminierung verwenden müssen. Auch Rust konstatiert jedoch, dass die deutsche Umsetzung des AGG in inhaltlicher Hinsicht nicht von den Vorgaben des einschlägigen europäischen Sekundärrechts abweicht.100 Adomeit/Mohr kritisieren die im AGG getroffene Begriffswahl insgesamt. Im Mittelpunkt steht dabei wiederum der Begriff der Benachteiligung. Adomeit/Mohr halten es für äußerst unglücklich, dass verschiedene Begriffe wie u. a. Belästigung und Anweisung unter einen schwammigen Oberbegriff der Benachteiligung sub-

96

BT-Drucks. 8/3317, S. 8, abrufbar im Internet unter http://dip.bundestag.de/, wo es wie folgt heißt: „Bei der unmittelbaren Benachteiligung wird offen wegen des Geschlechts diskriminiert, während bei der mittelbaren Diskriminierung wegen anderer vorgeschobener Gründe, die im Ergebnis nur die Arbeitnehmer eines Geschlechts diskriminieren, eine unterschiedliche Behandlung erfolgt.“; so im Ergebnis auch MüKo/Müller-Glöge, BS Teil II (3. Aufl.), § 611a Rn. 6. 97 Allen voran Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, Einl., Rn. 10 sowie Däubler/Däubler, AGG, § 1 Rn. 12; Meinel/Heyn/Herms, AGG, § 3 Rn. 1; wohl auch Wendeling/Wendeling-Schröder, AGG, § 1 Rn. 4 f. 98 Adomeit/Mohr, AGG 2007, § 3 Rn. 1 f.; Rust/Rust, AGG, § 3 Rn. 2. 99 Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, Einl. Rn. 10. 100 Rust/Rust, AGG, § 3 Rn. 2.

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sumiert werden.101 Sie kritisieren weiterhin, dass sowohl das AGG als auch die entsprechenden europäischen Richtlinien zu Unrecht das Vorliegen einer Diskriminierung annehmen, wenn eine Benachteiligung vorliegt und diese nicht ausnahmsweise gerechtfertigt ist. Aus diesem Grund wollen Adomeit/Mohr nur dann von einer Diskriminierung sprechen, wenn eine Benachteiligung nicht gerechtfertigt ist.102 cc) Stellungnahme Die vom deutschen Gesetzgeber getroffene Wahl, den Begriff der Diskriminierung im AGG nicht zu verwenden, sondern stattdessen den Begriff der Benachteiligung zu nutzen, überzeugt nicht. Dies resultiert zunächst aus dem Umstand, dass nicht nachvollziehbar ist, auf welcher empirischen oder statistischen Grundlage der Gesetzgeber davon ausgeht, dass im „allgemeinen Sprachgebrauch“ unter dem Begriff der Diskriminierung eine sozial verwerfliche Ungleichbehandlung verstanden wird. Selbst wenn man ein solches Verständnis unterstellen würde, ist fraglich, ob dies als Rechtfertigung dafür herangezogen werden kann, den Begriff der Diskriminierung im AGG nicht zu verwenden. Die Verwendung des Begriffs der Benachteiligung bietet keine erkennbaren Vorteile. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, warum das Verständnis der Diskriminierung als nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung einer Verwendung im AGG entgegenstehen sollte. Das Gegenteil ist der Fall. Diese Definition des Begriffs hätte gerade dazu führen müssen, den Begriff der Diskriminierung im Gesetz zu verwenden. Auf diese Weise wäre es möglich gewesen, den Bedeutungsgehalt des Begriffs der Diskriminierung auch im Gesetzestext darzulegen. Die Einführung des weiteren – wie Adomeit/Mohr zutreffend feststellen – unspezifischen Begriffs „Benachteiligung“ kann nur zu fortschreitender Unklarheit führen. Der Ansatz des Gesetzgebers, den Begriff der Benachteiligung zu wählen, weil unter Diskriminierung stets eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung verstanden wird, ist nicht nur aus den vorgenannten Gründen verfehlt, sondern zudem – wie Rust zutreffend feststellt – inkonsequent umgesetzt. Tatsächlich sprechen die im AGG ausdrücklich genannten Rechtfertigungstatbestände, §§ 8 bis 10 und 20 AGG, nicht etwa von einer gerechtfertigten Benachteiligung, sondern von „zulässigen unterschiedlichen Behandlungen“. Diese Formulierung ist in doppelter Hinsicht verfehlt. Erstens zeigt die Formulierung, dass der Begriff der Benachteiligung – entsprechend der ansonsten aus den europäischen Richtlinien übernommenen Definition – ebenfalls so verstanden wird, dass dieser nur dann Verwendung findet, wenn eine ungerechtfertigte schlechterstellende Ungleichbehandlung vorliegt. Eine gerechtfertigte Benachteiligung ist folglich ebenso

101

Adomeit/Mohr, AGG 2007, § 3 Rn. 1; a.A. Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, Einl. Rn. 10: Bauer/Göpfert/Krieger gehen davon aus, dass die Belästigung „aus nachvollziehbaren gesetzestechnischen Gründen als Unterfall der Benachteiligung“ anzusehen sei. 102 Adomeit/Mohr, AGG 2007, § 3 Rn. 2.

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wenig denkbar, wie eine gerechtfertigte Diskriminierung.103 Hier wurde der sprichwörtliche Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben, wobei es stringenter gewesen wäre, von „zulässigen, weniger günstigen Behandlungen“ zu sprechen und damit auf die Definition der Benachteiligung in § 3 AGG Bezug zu nehmen. Diese fehlende Stringenz zeigt sich aber auch darin, dass der Begriff der Diskriminierung im AGG nicht vollständig vermieden wird. Vielmehr spricht das Gesetz in den §§ 23 und 25 ff. von Antidiskriminierungsverbänden und regelt die Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Dies geschieht wohlweislich, da die Bezeichnung als Benachteiligungsstelle des Bundes oder Benachteiligungsverband – zu Recht – bei weitem nicht als gleichermaßen selbsterklärend empfunden worden wäre. Letztlich zeigt sich, dass die Verwendung des Begriffs der Diskriminierung – insbesondere in Bezug auf die europäischen Vorgaben und eine diesbezügliche Harmonisierung der Rechtsbegriffe – geboten gewesen wäre. Die Annahme des Gesetzgebers, zur Bejahung einer Diskriminierung bedürfe es einer „sozial verwerflichen Ungleichbehandlung“, spricht jedenfalls nicht gegen die Verwendung des Begriffs. Tatsächlich wird man einer nicht gerechtfertigten schlechterstellenden Ungleichbehandlung (unabhängig davon, ob als Diskriminierung oder Benachteiligung bezeichnet), ein solches Prädikat zuschreiben können oder sogar müssen. Es ist gerade Sinn und Zweck der Antidiskriminierungsgesetzgebung solchen Differenzierungen entgegenzutreten, die in rechtlich zu missbilligender Art und Weise mit spezifischen Persönlichkeitsmerkmalen begründet werden. Die ungerechtfertigte Heranziehung eines der verpönten Merkmale zur Begründung einer Ungleichbehandlung stellt – wie im Hinblick auf die Rahmenrichtlinie ausführlich dargestellt – den zu sanktionierenden Tatbestand dar. b) Legaldefinition der Benachteiligung, § 3 AGG Eng angelehnt an die sekundärrechtlichen Vorgaben für das AGG enthält § 3 AGG eine Legaldefinition des zu sanktionierenden Tatbestands. § 3 AGG inkorporiert Art. 2 Abs. 2 bis 4 der Richtlinie 2000/43/EG, der Rahmenrichtlinie, der Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG sowie Art. 2 a bis d der Richtlinie 2004/113/EG. Nach der Gesetzesbegründung wurde zu Klarstellungszwecken von einer annähernd wortgleichen Übersetzung und Umsetzung nur an bestimmten Stellen abgewichen.104 Ein Unterschied im Vergleich zu den europarechtlichen Vorgaben besteht allerdings darin, dass im AGG die Begriffsdefinition sowie die eigentliche Verbotsnorm in getrennten Normen untergebracht wurden. Während § 3 AGG lediglich einzelne Begriffsdefinitionen enthält, findet sich in § 7 AGG das eigentliche Verbot der 103 Ebenso Schleusener/Schleusener, AGG, § 1 Rn. 14; a.A. Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, Einl. Rn. 10: Nach Auffassung von Bauer/Göpfert/Krieger kann eine Benachteiligung sowohl gerechtfertigt als auch ungerechtfertigt sein. 104 Hierzu BT-Drucks. 16/1780, S. 32, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundes tag.de/drucksachen/index.php.

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Benachteiligung für den Bereich der Beschäftigung. § 19 AGG enthält das Verbot der Benachteiligung für das Zivilrecht. Dieser Trennung kommt lediglich gesetzestechnische Bedeutung zu und hat keinen weiteren Einfluss auf den Inhalt oder den Umfang des Benachteiligungsverbots.105 aa) Der Begriff der unmittelbaren Benachteiligung, § 3 Abs. 1 AGG Mit § 3 Abs. 1 AGG existiert erstmals in Deutschland eine Legaldefinition der unmittelbaren Benachteiligung/Diskriminierung.106 Abgesehen von der abweichenden Verwendung des Begriffs der Benachteiligung anstelle des Begriffs der Diskriminierung, stimmt die Definition der Benachteiligung mit der Definition der Diskriminierung aus der Rahmenrichtlinie weitgehend überein. Dementsprechend ergeben sich für Inhalt und Umfang des Benachteiligungsverbots im AGG keine wesentlichen Abweichungen zu der bereits näher dargelegten Definition des Diskriminierungsbegriffs. Das Benachteiligungsverbot untersagt eine unmittelbar oder mittelbar benachteiligende, ungerechtfertigte Ungleichbehandlung auf Grund eines der in § 1 AGG genannten Merkmale. Von dieser Definition abweichend wird das Benachteiligungsverbot in der deutschen Literatur noch weitgehend als Anknüpfungsverbot verstanden.107 Auch wenn aus der Legaldefinition der unmittelbaren Benachteiligung hervorgeht, dass eine Benachteiligung bereits dann vorliegen kann, wenn sich im Abgleich mit einer hypothetischen Vergleichsperson eine weniger günstige Behandlung des Merkmalsträgers ergibt, bedeutet dies nicht, dass allein die Gefahr einer Benachteiligung ausreicht. Vielmehr ist die hypothetische Vergleichsperson ein Vehikel zur Erleichterung der Feststellung einer Benachteiligung.108 Zutreffend wird davon ausgegangen, dass eine unmittelbare Benachteiligung nur dann vorliegt, wenn eine Zurücksetzung der betroffenen Person erfolgt. Dies folgt aus dem Gesetzeswortlaut, der eine „weniger günstige Behandlung“ zur Voraussetzung einer unmittelbaren Benachteiligung macht.109 Die Frage, ob eine Zurücksetzung vorliegt, ist anhand objektiver Kriterien zu klären. Das rein subjektive Empfinden des Betroffenen reicht

105

Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 3 Rn. 6 und § 7 Rn. 2. ErfK/Schlachter, § 3 AGG Rn. 2; wobei diese Ansicht Schlachters wohl zu weitgehend ist, da mit § 4 TzBfG bereits seit dem 1. Januar 2001 eine Norm im deutschen Recht existierte, die zumindest in Grundzügen auch als Definition einer unmittelbaren Benachteiligung angesehen werden kann. 107 Etwa Adomeit/Mohr, AGG 2011, § 3 Rn. 25 f.; Schiek/Schiek, AGG, § 3 Rn. 31 ff.; Wendeling/Wendeling-Schröder, AGG, § 3 Rn. 7; MüKo/Thüsing, AGG 2012, § 3 Rn. 14; Däubler/Däubler, AGG, § 1 Rn. 15 und § 3 Rn. 24, der nicht nur im Hinblick auf die verpönten Merkmale von einer Anknüpfung spricht, sondern auch im Hinblick auf die tatsächliche oder hypothetische Vergleichsperson. 108 ErfK/Schlachter, AGG, § 3 Rn. 5. 109 Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 3 Rn. 7. 106

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nicht aus, um eine unmittelbare Benachteiligung zu begründen.110 Diese Auffassung vertritt auch das BAG. In einer Entscheidung aus dem Jahr 2010111 urteilte das BAG, dass anhand eines objektiven Maßstabs zu beurteilen ist, ob eine Benachteiligung vorliegt.112 Wie bereits bezogen auf die Rahmenrichtlinie näher eruiert, setzt das Vorliegen einer Benachteiligung voraus, dass zunächst Feststellungen getroffen werden, welches Verhalten in der konkreten Situation norm- und rechtmäßig ist. Existieren normative Vorgaben, bilden diese den Ausgangspunkt der Untersuchung. Ausgehend von den normativen Vorgaben ist zu bestimmen, ob eine weniger günstige Behandlung vorliegt. Wird mit einer Spezialregelung von einer normativ geregelten Verfahrensweise abgewichen, ist anhand der Grundnorm zu prüfen, ob die Spezialregelung eine benachteiligende Abweichung darstellt. Die Formulierung „wegen eines in § 1 genannten Grundes“ spricht zum einen für die Auffassung, dass es sich bei dem Benachteiligungsverbot um ein Begründungsverbot handelt. Außerdem wird auf diese Weise deutlich, dass eine Kausalität zwischen der Ungleichbehandlung und der nachteiligen Folge für den Betroffenen bestehen muss. Es genügt daher nicht, wenn das verpönte Merkmal vorliegt, die Ungleichbehandlung jedoch aufgrund eines Merkmals erfolgt, das nicht in dem Katalog des § 1 AGG enthalten ist. Erfolgt eine Ungleichbehandlung nicht allein aufgrund eines Merkmals, sondern begründen sogenannte „Motivbündel“ die Ungleichbehandlung, genügt es zur Bejahung einer Benachteiligung, wenn in dem Motivbündel zumindest eines der verpönten Merkmale enthalten ist.113 Abweichend vom Wortlaut der europäischen Richtlinien statuiert § 3 Abs. 1 S. 2 AGG, dass eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts auch dann vorliegt, wenn eine Frau wegen ihrer Schwangerschaft oder Mutterschaft eine ungünstigere Behandlung erfährt. In Bezug auf § 611a BGB a.F. war in Teilen vertreten worden, dass es sich bei der Benachteiligung/Diskriminierung aufgrund einer Schwangerschaft um eine mittelbare Diskriminierung handle. Mit der Aufnahme von § 3 Abs. 1 S. 2 AGG ist der diesbezügliche Meinungsstreit hinfällig. Zutreffend ist die Schwangerschaft als eine „geschlechtsbezogene Disposition“ einzuordnen, die untrennbar mit dem eigentlichen verpönten Merkmal verknüpft ist.114 Bauer/Göpfert/ Krieger ist zuzustimmen, dass der § 3 Abs. 1 S. 2 AGG zugrundeliegende Gedanke nicht ausschließlich auf das Merkmal „Geschlecht“ Anwendung findet, sondern als allgemeiner Grundsatz auch für die übrigen verpönten Merkmale gilt.115 Im Sinne des von Bauer/Göpfert/Krieger zitierten Annuß liegt eine unmittelbare Diskriminierung

110

Insoweit zutreffend zum Begriff der Belästigung: Wisskirchen, AGG, S. 1491. Urteil des BAG vom 25. 02. 2010, Az. 6 AZR 911/08, zitiert nach Juris. 112 Urteil des BAG vom 25. 02. 2010, Az. 6 AZR 911/08, Rn. 33, zitiert nach Juris. 113 Wenn auch bei einem Verständnis des Benachteiligungsverbots als Anknüpfungsverbot hierzu Wendeling/Wendeling-Schröder, AGG, § 3 Rn. 7. 114 Hierzu Pallasch, Diskriminierungsverbot, S. 306. 115 Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 3 Rn. 19 f. 111

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also nicht nur bei einer „geschlechtsspezifischen Disposition“116, sondern bei jeglicher „merkmalsbezogenen Disposition“ vor. bb) Der Begriff der mittelbaren Benachteiligung, § 3 Abs. 2 AGG Wie die unmittelbare Benachteiligung ist auch die mittelbare Benachteiligung117 im AGG legal definiert. Die Definition entspricht ebenfalls weitgehend dem Wortlaut der europäischen Richtlinien. Eine mittelbare Benachteiligung setzt im Gegensatz zur unmittelbaren Benachteiligung nicht voraus, dass die Differenzierung unmittelbar mit einem der verpönten Merkmale begründet wird. Vielmehr ist der Tatbestand der mittelbaren Benachteiligung bereits dann erfüllt, wenn die Differenzierung anhand von Kriterien erfolgt, die bei Trägern der verpönten Merkmale statistisch überproportional häufig vorkommen.118 Nach der Rechtsprechung des BAG ist es dabei nicht notwendig, dass es zu einer tatsächlichen Benachteiligung kommt. Es reicht aus, wenn im Rahmen einer hypothetischen Betrachtung eine mittelbare Benachteiligung typischerweise möglich erscheint.119 Dies darf allerdings nicht dergestalt interpretiert werden, dass auch rein potentielle mittelbare Benachteiligungen ausreichen, um einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot zu bejahen. Voraussetzung ist, dass tatsächlich die Möglichkeit einer mittelbaren Benachteiligung besteht.120 Dennoch zeigt sich an dieser Stelle ein Unterschied zu den Fällen der unmittelbaren Diskriminierung. Bei der unmittelbaren Diskriminierung muss – zumindest nach der wohl h.M. – eine tatsächliche Benachteiligung vorliegen. Das Vorliegen lediglich einer Gefahr der Benachteiligung reicht nicht aus. Im Übrigen ist die deutsche Umsetzung des Richtlinientextes zumindest in Teilen unglücklich formuliert. Nach dem Gesetzeswortlaut liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn „Personen in besonderer Weise benachteiligt“ werden können. Die Verwendung des Begriffs der Benachteiligung sowohl als Substantiv als auch als Verb („benachteiligen“) führt zu dem paradoxen Ergebnis, dass der zu definierende Begriff sich selbst erklären soll. Erst in Zusammenschau mit Abs. 1 lässt sich erahnen, dass unter Benachteiligung wiederum eine „weniger günstige Behandlung“ folglich eine normunterschreitende Ungleichbehandlung zu verstehen ist. Diese Unzulänglichkeit des Gesetzeswortlauts ist ebenfalls auf den (unnötigen) Austausch der Begriffe Diskriminierung und Benachteiligung zurückführen.

116

Staudinger/Annuß, BGB, § 611a Rn. 33. Als Austauschbegriff zur mittelbaren Benachteiligung wird auch der Begriff „materielle Diskriminierung/Benachteiligung“ verwendet; hierzu etwa MüKo/Thüsing, AGG 2012, § 3 Rn. 29 f. 118 Hierzu ausführlich Schiek/Schiek, AGG, § 3 Rn. 37 ff.; Schleusener/Schleusener, AGG, § 3 Rn. 71 ff. 119 BAG, Beschluss v. 18. 08. 2009, Az. 1 ABR 47/08, zitiert nach Juris. 120 ErfK/Schlachter, AGG, § 3 Rn. 12. 117

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c) Benachteiligung und Rechtfertigung Nicht nur bezogen auf die Rahmenrichtlinie ist es streitig, ob und in welchem Umfang die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen möglich ist. Dies gilt in besonderem Maße für die unmittelbare Ungleichbehandlung. Die Rahmenrichtlinie sieht für diese nur einige wenige ausdrückliche Rechtfertigungstatbestände vor. Die deutsche Umsetzung vermeidet zwar – wie gesehen – die Übernahme des Begriffs der Diskriminierung. Der verwendete Begriff Benachteiligung ist jedoch – wie bereits festgestellt – inhaltsgleich mit dem der Diskriminierung. aa) Rechtfertigung im Rahmen unmittelbarer Benachteiligung Die Vorstellungen bezogen auf die Möglichkeit der Rechtfertigung von unmittelbaren Ungleichbehandlungen gehen weit auseinander. Weitgehende Einigkeit besteht insoweit, dass sowohl die Richtlinien als auch das AGG für die Alternative der unmittelbaren Ungleichbehandlung konkrete Rechtfertigungstatbestände enthalten. Einige Stimmen in der Literatur vermeiden den Begriff der Rechtfertigung und bezeichnen die entsprechenden Vorschriften als Ausnahmen. Weniger verbreitet ist die Auffassung, dass die Rechtfertigung von unmittelbaren Ungleichbehandlungen auch in (besonderen) nicht ausdrücklich im Gesetz genannten Fällen möglich ist. Der wohl überwiegende Teil der Stimmen in der Literatur hält die Rechtfertigung unmittelbarer Ungleichbehandlungen für möglich, soweit dies gesetzlich ausdrücklich vorgesehen ist. Diese Auffassung wird insbesondere auf § 8 AGG gestützt. § 8 AGG eröffnet die Möglichkeit, auch unmittelbare Ungleichbehandlungen zu rechtfertigen.121 Andere Teile der Literatur vermeiden den Begriff der Rechtfertigung und sprechen stattdessen von Ausnahmeregelungen.122 Nur wenige befassen sich mit der Frage, ob die Rechtfertigung einer unmittelbaren Ungleichbehandlung auch dann in Frage kommt, wenn ein gesetzlich normierter Rechtfertigungsgrund nicht vorliegt. Körner konstatiert, dass sich die unmittelbare Benachteiligung von der mittelbaren Benachteiligung in dieser Hinsicht unterscheide. Während die mittelbare Benachteiligung einer Rechtfertigung zugänglich sei, müsse dies für die unmittelbare Benachteiligung grundsätzlich ausgeschlossen werden. Eine unmittelbare Benachteiligung könne nach § 8 Abs. 1 AGG nur dann zulässig sein, wenn sie eine wesentliche berufliche Anforderung darstelle.123 Schiek wiederum meint, dass die Rechtfertigung einer unmittelbaren Diskriminierung/Benachteiligung nur in den ausdrücklich im Gesetz genannten Fällen in Betracht komme. Ungeschriebene Rechtfertigungs-

121

Willemsen/Schweibert, AGG, S. 2584; MüKo/Thüsing, AGG 2012, § 8 Rn. 4 ff.; Wendeling/Wendeling-Schröder, AGG, § 8 Rn. 1 ff.; Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 8 Rn. 1 ff.; Däubler/Brors, AGG, § 8 Rn. 1 ff. 122 So etwa ErfK/Schlachter, AGG, § 8 Rn. 1; Bertelsmann, Altersdiskriminierung, S. 243. 123 Körner, AGG, S. 498 f.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

gründe existieren nach ihrer Auffassung nicht.124 In Bezug auf § 8 Abs. 1 AGG konkretisiert Annuß diese Auffassung und stellt deutlich heraus, dass eine Berufung auf § 8 Abs. 1 AGG nicht möglich sei, wenn eine Ungleichbehandlung „einer besonderen (sozial-)politischen Motivation entspringt“.125 Auch Rust vertritt grundsätzlich die Auffassung, dass die Rechtfertigung unmittelbarer Benachteiligungen nur in den gesetzlich genannten Fällen in Betracht komme.126 Im Gegensatz zu Schiek meint sie jedoch, dass noch nicht abschließend geklärt sei, ob es auch nicht kodifizierte Rechtfertigungsgründe geben könne. Es erscheint ihr insoweit jedoch vorzugswürdig, das Vorliegen einer Benachteiligung unter Rückgriff auf (ungeschriebene) Rechtfertigungsgründe zu verneinen, anstatt eine solche auf eine (vermeintlich) fehlende Vergleichbarkeit zu stützen.127 Damit spricht sich Rust gegen die vom EuGH offensichtlich favorisierte Lösung aus. Adomeit/Mohr halten eine Rechtfertigung durch ungeschriebene Rechtfertigungsgründe auch für die unmittelbare Benachteiligung für zulässig. Diese Auffassung beruht auf der Annahme, dass es sich bei Diskriminierungsverboten nicht um objektive Grundsätze handle, sondern diese vielmehr auf die gesellschaftliche Wahrnehmung und den Umgang mit den verpönten Merkmalen Einfluss nehmen sollen. Dies führe dazu, dass bereits begrifflich keine Diskriminierung/Benachteiligung vorliege, wenn ein sachliches Kriterium für die Differenzierung gegeben sei.128 Wie bereits bezogen auf die Rahmenrichtlinie ausführlich dargestellt, ist das Diskriminierungsverbot nicht als ein Verbot mit absoluter Geltung zu verstehen. Abweichend von der Ansicht der wohl herrschenden Meinung in der deutschen Literatur gilt diese Annahme auch für das Benachteiligungsverbot des AGG. Auch die Argumentation von Adomeit/Mohr unterstützt die Annahme, dass das Benachteiligungsverbot des AGG als Begründungsverbot zu verstehen ist und eine Rechtfertigung auch in nicht gesetzlich ausdrücklich normierten Fällen in Betracht kommt. Schließlich wollen sie eine Benachteiligung – unter Bezugnahme auf Wernsmann – nur dann annehmen, wenn kein sachliches Kriterium für die Differenzierung ersichtlich ist. Im Umkehrschluss führt dies zu dem bereits formulierten Ergebnis, dass das Benachteiligungsverbot lediglich untersagt, eine Differenzierung mit einem der verpönten Merkmale zu begründen. Der von Annuß vertretenen Auffassung, dass im Rahmen von § 8 Abs. 1 AGG keine sozialpolitischen Überlegungen als Rechtfertigungsgründe herangezogen werden können, mag insoweit noch zuzustimmen sein. Tatsächlich können solche Überlegungen nicht über § 8 Abs. 1 AGG Berücksichtigung finden. Als ungeschriebene Rechtfertigungsgründe sind jedoch auch solche 124

Schiek/Schiek, AGG, § 3 Rn. 4. Annuß, AGG, S. 1633. 126 Rust/Rust, AGG, § 3 Rn. 24 f. Bertelsmann zeigt sich gegenüber seiner Mitautorin Rust im selben Werk jedoch inkonsequent, indem er alle Diskriminierungsverbote – mit Ausnahme des Verbots der Altersdiskriminierung – als absolute Verbote der Ungleichbehandlung bezeichnet: Rust/Bertelsmann, AGG, § 10 Rn. 1. 127 Rust/Rust, AGG, § 3 Rn. 26. 128 Adomeit/Mohr, AGG 2011, § 3 Rn. 27. 125

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Gründe denkbar. Die Anforderungen an solche ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe sind jedoch strenger, als bei den gesetzlich normierten Rechtfertigungstatbeständen. Lassen sich bestimmte sozialpolitische Erwägungen aber etwa auf andere Grundsätze mit Verfassungsrang zurückführen, können auf dieser Grundlage erfolgende unmittelbare Ungleichbehandlungen gerechtfertigt sein. Eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne des AGG liegt dann nicht mehr vor. Für diese Annahme spricht im Übrigen auch die Betrachtung älterer Diskriminierungsverbote des deutschen Arbeitsrechts. Bereits seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG) am 1. Januar 2001 existiert mit § 4 TzBfG eine spezielle Vorschrift, die eine Legaldefinition des Diskriminierungsbegriffs enthält. § 4 TzBfG untersagt die Schlechterbehandlung eines Arbeitnehmers aufgrund seiner Tätigkeit in Teilzeitarbeit. Dabei wird aus § 4 TzBfG aber auch deutlich, dass eine unterschiedliche Behandlung unter Umständen gerechtfertigt sein kann, wenn sachliche Gründe für diese unterschiedliche Behandlung vorliegen. Es muss zugestanden werden, dass die Vorschriften des TzBfG als auch der Befristungsrichtlinie 1999/70/EG129 nur bedingt zur Interpretation der Vorschriften des AGG und der Rahmenrichtlinie herangezogen werden können. Sowohl das TzBfG als auch die Befristungsrichtlinie unterscheiden nicht zwischen unmittelbarer und mittelbarer Ungleichbehandlung. Man wird dennoch annehmen dürfen, dass – wie im AGG – mit § 4 TzBfG ein Schutz sowohl vor unmittelbarer als auch vor mittelbarer Diskriminierung gewährleistet werden soll.130 In Bezug auf die Ungleichbehandlung von in Teilzeit oder befristet beschäftigten Personen trifft das TzBfG folglich keine Unterscheidung zwischen Fällen unmittelbarer und mittelbarer Ungleichbehandlung. Insoweit ist die deutsche Umsetzung den europarechtlichen Vorgaben nachgebildet. Die entsprechende Vorschrift der Befristungsrichtlinie (§ 4) statuiert ebenso, dass eine unterschiedliche Behandlung – unabhängig davon, ob diese unmittelbar oder mittelbar wirkt – nur dann unzulässig ist, wenn ein sachlicher Grund für die Unterscheidung nicht vorliegt. Die Auffassung, dass die Rechtfertigung unmittelbarer Ungleichbehandlungen auch in gesetzlich nicht normierten Fällen denkbar ist, lässt sich für den deutschen Rechtskreis auch mit den grundsätzlichen Erwägungen Rufferts zur Gleichbehandlung im Privatrecht begründen. Ruffert spricht in diesem Zusammenhang von einer „privatrechtsspezifischen Überlagerung durch die Freiheitsrechte“. Für ihn ist es auf Grund dieser Überlagerung geradezu undenkbar, im Privatrecht „die gleichmäßige Behandlung der Privatrechtssubjekte durch andere Privatrechtssubjekte“ zu gewährleisten. Durch die Freiheitsrechte werde die Privatautonomie geschützt, deren Inhalt gerade auch in „der willkürlichen Differenzierung durch Private gegenüber

129 Abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 31999 L0070. 130 ErfK/Preis, TzBfG, § 4 Rn. 4.

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Privaten“ bestehe.131 Allenfalls den besonderen Diskriminierungsverboten billigt Ruffert eine gewisse „Privatrechtsrelevanz“ zu.132 Nach seiner Auffassung komme den besonderen Diskriminierungsverboten des Art. 3 Abs. 3 GG eine „prinzipiell absolute“ Geltung zu.133 Nach der wohl h.M. zu Art. 3 Abs. 3 GG besitzen die besonderen Gleichheitssätze aber auch im Verfassungsrecht keine absolute und ausnahmslose Geltung. Jedenfalls dort, wo die Negierung der Unterschiede willkürlich würde, sollen Unterscheidungen zulässig sein.134 Geht man gleichzeitig mit Ruffert davon aus, dass die besonderen Diskriminierungsverbote (wie hier des AGG) überdies im Widerstreit mit der im Privatrecht geltenden Vertragsfreiheit stehen, spricht dies dafür, im Rahmen der privatrechtlichen Diskriminierungsverbote – verglichen mit den grundgesetzlich normierten besonderen Gleichheitssätzen – einen größeren Spielraum zur Rechtfertigung bestimmter Ungleichbehandlungen einzuräumen. Unter den genannten Voraussetzungen ist die Rechtfertigung unmittelbarer Ungleichbehandlungen (im Privatrecht) daher auch dann möglich, wenn eine solche nicht ausdrücklich gesetzlich normiert ist. bb) Rechtfertigung im Rahmen mittelbarer Benachteiligung Ebenso wie in der Rahmenrichtlinie ist eine mittelbare Benachteiligung bereits nach dem ausdrücklichen Wortlaut zu verneinen, wenn die in Frage stehenden Maßnahmen „durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel […] zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich“ sind. Auf diese Weise wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Regulativ für den ansonsten relativ weiten Begriff der mittelbaren Benachteiligung implementiert. Zutreffend ist die Annahme, dass eine mittelbare Benachteiligung bereits tatbestandlich ausscheidet, wenn eine sachliche Rechtfertigung für die mittelbare Benachteiligung vorliegt. Wie bereits im Rahmen der Betrachtung der europäischen Vorgaben festgestellt, sind die Rechtfertigungstatbestände im normativen Gefüge der Antidiskriminierung als negative Tatbestandsmerkmale zu klassifizieren.135

131

Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 175: Ruffert formuliert sogar noch deutlicher: „Privatautonomie lebt von der willkürlichen Differenzierung durch Private gegenüber Privaten, die Schutzüberlegungen aus Art. 3 I GG vollständig verdrängt.“; ausführlich zur Frage des Verhältnisses zwischen Privatautonomie und Diskriminierungsverbot Baer, Antidiskriminierungsrecht, S. 290 ff.; gegen eine starke Einschränkung der Privatautonomie im Arbeitsrecht: Fastrich, Gleichbehandlung, S. 72. 132 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 177 ff. 133 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 177 f. 134 Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Rn. 267. 135 Auch in diesem Sinne die Gesetzesbegründung vgl. hierzu BT-Drucks. 16/1780, S. 33, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundestag.de/drucksachen/index.php sowie Bauer/ Göpfert/Krieger, AGG, § 3 Rn. 31; Schleusener/Schleusener, AGG, § 3 Rn. 88.

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d) Das Diskriminierungsverbot in der Arbeitswelt und dessen Rechtsfolgen § 7 AGG enthält das Benachteiligungsverbot für die Bereiche Beschäftigung und Beruf und definiert die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen dieses Benachteiligungsverbot. Bezüglich dieser Rechtsfolgen wird § 7 AGG durch § 15 AGG ergänzt. aa) Das Diskriminierungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG Das Diskriminierungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG dient dem Schutz der Beschäftigten. In Verbindung mit § 6 AGG ist eindeutig bestimmbar, wer von dem speziellen Diskriminierungsverbot geschützt wird. Umgekehrt kann in Zusammenschau mit § 7 Abs. 3 AGG auch der Kreis derjenigen bestimmt werden, die potentiell gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen. Zuvorderst sind hier die Arbeitgeber zu nennen. Das Benachteiligungsverbot kann überdies aber auch von Arbeitskollegen oder Dritten verletzt werden.136 Die sanktionierenden Rechtsfolgen treffen ausschließlich den Arbeitgeber.137 Noch klarer als aus dem Wortlaut der europäischen Richtlinien ergibt sich aus § 7 Abs. 1 AGG, dass der Tatbestand der Benachteiligung auch dann erfüllt ist, „[…] wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.“ Es genügt die tatbestandsgemäße subjektive Gesinnung der benachteiligenden Person. Soweit die Ungleichbehandlung aufgrund des vermeintlichen Vorliegens eines der verpönten Merkmale erfolgt, liegt ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG vor. bb) Benachteiligung: Prävention und Sanktion Um eine wirksame Durchsetzung des Benachteiligungsverbots zu gewährleisten, sieht § 12 AGG präventive Pflichten des Arbeitgebers vor. Dort, wo dennoch benachteiligt wird, regeln §§ 7 und 15 AGG die Rechtsfolgen bzw. die Ansprüche der Betroffenen. Ergänzt werden die vorgenannten Vorschriften durch § 22 AGG. Demnach genügt es, wenn im Streitfall eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung im Sinne des § 1 AGG vermuten lassen. Der gegnerischen Partei wird sodann aufgebürdet, zu beweisen, dass eine Benachteiligung tatsächlich nicht vorliegt. (1) Präventive Pflichten des Arbeitgebers, § 12 AGG Über § 12 AGG wird den Arbeitgebern auferlegt, präventiv dafür Sorge zu tragen, dass es nicht zu Benachteiligungen kommt. § 12 Abs. 1 AGG normiert in Form einer 136 Hierzu BT-Drucks. 16/1780, S. 34, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundes tag.de/drucksachen/index.php. 137 Schiek/Schiek, AGG, § 7 Rn. 1; Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 7 Rn. 7.

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Generalklausel, dass die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen zu ergreifen sind, und ergänzt, dass ein solcher Schutz auch durch vorbeugende Maßnahmen erreicht werden kann. Eine Vorschrift ähnlichen Inhalts existierte bereits zuvor in den §§ 2 Abs. 1, 4 Abs. 1 BeschSchG.138 Der Umfang der vom Arbeitgeber zu ergreifenden Maßnahmen richtet sich nach objektiven Kriterien und ist insbesondere an der Größe des Betriebes zu bemessen.139 Der Pflicht aus § 12 AGG kann der Arbeitgeber vorrangig durch Ergreifen geeigneter organisatorischer Maßnahmen, aber, wie aus Abs. 2 deutlich wird, auch durch entsprechende Aufklärungs- und Fortbildungsarbeit nachkommen.140 Die Absätze 3 und 4 des § 12 AGG regeln Fälle, in denen die Benachteiligung nicht unmittelbar vom Arbeitgeber ausgeht, sondern von Beschäftigten oder Dritten begangen wird. Dass der Gesetzgeber in § 12 Abs. 3 AGG im Gegensatz zu § 12 Abs. 4 AGG konkrete Handlungsoptionen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung benennt, zeigt, dass dem Arbeitgeber in Bezug auf vertraglich mit ihm verbundene Beschäftigte, die schärferen Waffen zur Sanktionierung gesetzeswidriger Benachteiligungen zur Verfügung stehen.141 Zuletzt ist der Arbeitgeber gemäß § 12 Abs. 5 AGG verpflichtet, bestimmte Informationen, insbesondere den Text des AGG selbst, im Betrieb bekannt zu machen. (2) Unwirksamkeit von Vereinbarungen, § 7 Abs. 2 AGG Entsprechend der sekundärrechtlichen Vorgaben normiert § 7 Abs. 2 AGG die Unwirksamkeit solcher Vereinbarungen, die unter Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot zustande gekommen sind. Unter anderem dient § 7 Abs. 2 AGG damit auch der Umsetzung von Art. 16 Rahmenrichtlinie, der ausdrücklich verlangt, dass solche Normen aufgehoben oder für nichtig erklärt werden, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwiderlaufen. Zu Recht wird in der Literatur weitgehend einstimmig darauf hingewiesen, dass § 7 Abs. 2 AGG im Wesentlichen lediglich klarstellende Funktion zukommt. Das Verständnis von § 7 Abs. 1 AGG als Verbotsgesetz würde schließlich zu demselben Ergebnis führen.142 (3) Schadensersatz und Entschädigung, §§ 7 Abs. 3 und 15 AGG Liegt eine Benachteiligung vor, ist die Unwirksamkeit solcher Vereinbarungen, die die Grundlage einer Benachteiligung bilden, nicht die einzig denkbare Rechtsfolge. Daneben treten Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche.

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ErfK/Schlachter, AGG, § 12 Rn. 1. MüKo/Thüsing, AGG 2012, § 12 Rn. 1. 140 MüKo/Thüsing, AGG 2012, § 12 Rn. 3. 141 In diesem Sinne auch MüKo/Thüsing, AGG 2012, § 12 Rn. 10. 142 So zutreffend Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 7 Rn. 20; Schiek/Schmidt, AGG, § 7 Rn. 2; wenn auch § 7 Abs. 1 und 2 verwechselnd ErfK/Schlachter, AGG, § 7 Rn. 6; Schleusener/Schleusener, AGG, § 7 Rn. 38. 139

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(a) Materieller Schadensersatz, § 7 Abs. 3 i.V.m. § 15 Abs. 1 AGG Die klarstellende Formulierung des § 7 Abs. 3 AGG dient nach der Gesetzesbegründung zur Verdeutlichung, dass eine Benachteiligung auch eine Verletzung vertraglicher Pflichten darstellt. In Verbindung mit § 32 AGG ergibt sich, dass zudem die Regelungen des vertraglichen Leistungsstörungsrechts des BGB Anwendung finden.143 Die Regelung des § 15 Abs. 1 AGG ist der des § 280 Abs. 1 BGB sehr ähnlich. Im Unterschied zu § 280 Abs. 1 BGB ist die Pflichtverletzung – als ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG – genau bezeichnet. Inhaltlich zutreffend weist Stein darauf hin, dass ein Ersatzanspruch nur dann in Betracht kommt, wenn eine „rechtswidrige Benachteiligung“ vorliegt.144 Allerdings ist seine diesbezügliche Begriffswahl zu beanstanden. Wie ausführlich dargestellt, impliziert der Begriff der Benachteiligung die Rechtswidrigkeit einer Ungleichbehandlung. Gleiches gilt für das im europäischen Kontext genutzte Synonym „Diskriminierung“. Zutreffend muss es daher heißen, dass ein Ersatzanspruch nur dann in Betracht kommt, wenn eine ungerechtfertigte, merkmalsbezogene Ungleichbehandlung vorliegt. Verpflichteter des Schadensersatzanspruchs ist der Arbeitgeber. Das Verhalten von Erfüllungsgehilfen oder gesetzlichen Vertretern ist dem Arbeitgeber in entsprechender Anwendung der zivilrechtlichen Normen zuzurechnen.145 Analog zu § 280 Abs. 1 BGB tritt bei § 15 Abs. 1 AGG eine Ersatzpflicht nur dann ein, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung, also die Benachteiligung, zu vertreten hat. Die in § 15 Abs. 1 AGG enthaltene Verschuldensvermutung kann und muss der Arbeitgeber widerlegen, wenn er eine Inanspruchnahme vermeiden will.146 Diese Verschuldensvermutung wird angesichts der Vorgaben aus Europa äußerst kritisch gesehen. Nach der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH in den Verfahren Dekker147 und Draempaehl148 ist das Erfordernis eines „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden“ Ersatzanspruchs nicht gewährleistet, wenn ein Verschulden zur Voraussetzung eines Schadensersatzanspruchs gemacht wird.149 Aus diesem Grund wird § 15 Abs. 1 AGG in weiten Teilen der Literatur als nicht 143 Hierzu BT-Drucks. 16/1780, S. 34, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundes tag.de/drucksachen/index.php. 144 Wendeling/Stein, AGG, § 15 Rn. 14. 145 Wendeling/Stein, AGG, § 15 Rn 7 f. 146 Wendeling/Stein, AGG, § 15 Rn. 15. 147 EuGH, Urteil vom 08. 11. 1990, C-177/88, abrufbar im Internet unter http://eur-lex.euro pa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 61988 J0177. 148 EuGH, Urteil vom 22. 04. 1997, C-180/95, abrufbar im Internet unter http://eur-lex.euro pa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 61995 J0180. 149 EuGH, Urteil vom 08. 11. 1990, C-177/88, abrufbar im Internet unter http://eur-lex.euro pa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 61988 J0177, Rn. 22; EuGH, Urteil vom 22. 04. 1997, C-180/95, abrufbar im Internet unter http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 61995 J0180, Rn. 24.

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richtlinienkonform erachtet.150 Bauer/Göpfert/Krieger vertreten die Gegenauffassung – gemeinsam mit dem Gesetzgeber151 – weitgehend alleine. Tatsächlich ist mit der h.M. davon auszugehen, dass die Vorschrift in ihrer derzeitigen Form die Vorgaben der Richtlinien (insb. Art. 17 Rahmenrichtlinie) nicht erfüllt. Abzulehnen ist das Argument, dass mit § 15 Abs. 2 AGG ein verschuldensunabhängiger Schadensersatztatbestand existiert und es deshalb unbeachtlich ist, ob § 15 Abs. 1 AGG ein Verschulden voraussetzt.152 Dem lässt sich zu Recht entgegenhalten, dass die Gewährung eines lediglich immateriellen verschuldensunabhängigen Schadensersatzes153 gerade keinen vollständigen und wirksamen Schadensersatz im Fall einer Benachteiligung bietet. Würde man dies annehmen, könnte das unter Umständen dazu führen, dass ein Betroffener auf den Ersatz signifikanter Schäden, konkret des entstandenen materiellen Schadens, verzichten müsste.154 Mit der herrschenden Meinung konstatiert Stoffels, dass die aktuelle Gestaltung des § 15 Abs. 1 AGG die Maßgaben des Sekundärrechts nicht anforderungsgemäß umsetzt.155 Ihm ist – insbesondere in Anbetracht der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH – weiterhin darin zuzustimmen, dass an dieser Stelle der deutsche Gesetzgeber zur Nachbesserung aufgefordert ist.156 Umfang und Höhe des Schadensersatzes bestimmen sich – entsprechend der Verweisung in § 32 AGG – nach den allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen, §§ 249 ff. BGB. Dem benachteiligten Arbeitnehmer ist derjenige Schaden zu ersetzen, der ihm durch die Benachteiligung entstanden ist. Ersetzt wird das sogenannte positive Interesse.157 Zum Teil wird aufgrund einer fehlenden Beschränkung und der damit drohenden Gefahr eines „Endlosschadens“ vertreten, dass § 15 Abs. 1 AGG lediglich den Ersatz des sogenannten negativen Interesses gewährleiste.158 Im Gesetz finden sich keine 150 Wendeling/Stein, § 15 Rn. 16; ausführlich zu dieser Frage Rust/Bücker, AGG, § 15 Rn. 6 ff.; ErfK/Schlachter, AGG, § 15 Rn. 1; Meinel/Heyn/Herms, AGG, § 15 Rn. 2 sowie Stoffels, Schadensersatzverpflichtung, S. 210; a.A. Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 15 Rn. 15. 151 Der Gesetzgeber geht bezugnehmend auf die Entscheidung Dreahmpeahl davon aus, dass § 15 Abs. 2 AGG eine ausreichend abschreckende Wirkung entfalte, um den europäischen Anforderungen gerecht zu werden: Hierzu BT-Drucks. 16/1780, S. 38, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundestag.de/drucksachen/index.php. 152 Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 15 Rn. 15. 153 Es darf – wie Walker zutreffend beschreibt – sogar daran gezweifelt werden, ob § 15 Abs. 2 AGG in Anbetracht der Regelung des § 15 Abs. 3 AGG überhaupt als vollkommen verschuldensunabhängig bezeichnet werden kann: hierzu Walker, Entschädigungsanspruch, S. 6 f. 154 Stoffels, Schadensersatzverpflichtung, S. 210. 155 Stoffels, Schadensersatzverpflichtung, S. 211 m.w.N. 156 Stoffels, Schadensersatzverpflichtung, S. 211. 157 Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 15 Rn. 24; Jauernig/Mansel, AGG, § 15 Rn. 3. 158 Hierzu etwa Heyn/Meinel, Diskriminierungsklagen, S. 22 f. und Schleusener/Voigt, AGG, § 15 Rn. 18.

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Anhaltspunkte dafür, dass ein Anspruch auf das negative Interesse besteht. Vielmehr sprechen die Parallelen zu § 280 Abs. 1 BGB dafür, dass der Ersatz des positiven Interesses geschuldet ist. Dennoch ist eine Deckelung des Schadensersatzanspruchs notwendig.159 In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung zeigt sich gleichwohl die Tendenz, in gewissen Situationen zu einer zeitlich unbegrenzten Schadensersatzleistung zu verurteilen.160 (b) Immaterieller Schadensersatz (Entschädigung), § 15 Abs. 2 AGG Der Schutz des Betroffenen vor einer Benachteiligung und die Sanktion des benachteiligenden Verhaltens wird nicht allein durch den Ersatz materieller Schäden im Sinne von § 15 Abs. 1 AGG erreicht. Mit § 15 Abs. 2 AGG kann der Betroffene darüber hinaus auch die erlittenen immateriellen Schäden ersetzt verlangen. Die Gesetzesbegründung macht deutlich, dass § 15 Abs. 2 AGG offensichtlich mit der Absicht eingefügt wurde, auf diese Weise den Vorgaben des Sekundärrechts gerecht zu werden und einen verschuldensunabhängigen Ersatzanspruch zu gewährleisten. Für diese Annahme spricht auch die Bezugnahme auf § 611a BGB a.F.161 Anspruchsberechtigt ist die in § 6 Abs. 1 AGG definierte Gruppe der Beschäftigten. Stellenbewerber haben nur dann einen Entschädigungsanspruch, wenn die Bewerbung ernsthaft und der Kandidat grundsätzlich für die ausgeschriebene Stelle geeignet ist.162 Anspruchsgegner sind die Arbeitgeber entsprechend der Definition in § 6 Abs. 2 AGG. Die Höhe des Entschädigungsanspruchs ist weitgehend in das Ermessen des zur Entscheidung berufenen Gerichts gestellt. Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich lediglich, dass die Entschädigung angemessen sein soll. Ausweislich der Gesetzesbegründung kann auf die Grundsätze zurückgegriffen werden, die zum Schmerzensgeld (§ 253 BGB) entwickelt wurden. Nach der Gesetzesbegründung ist bei der Bemessung zu berücksichtigen, wenn eine Benachteiligung oder Belästigung aufgrund mehrerer verpönter Merkmale erfolgt.163 Ausdrücklich gedeckelt ist die Entschädigungsleistung in Fällen der Nichteinstellung. Wäre der Kandidat auch ohne die Benachteiligung nicht eingestellt worden, handelte es sich also nicht um den bestqualifizierten und geeigneten Stellenbewerber, darf die Entschädigung drei Monatsgehälter nicht übersteigen. Nähere Angaben zur Berechnung des Monatsgehalts eines Stellenbewerbers macht das Gesetz nicht. Insoweit wird zutreffend auf 159

Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 15 Rn. 26 f. So zumindest LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 26. 11. 2008, Az. 2 Sa 517/08, zitiert nach Juris. Das BAG hat sich in seiner diesbezüglichen Revisionsentscheidung nicht dazu geäußert, ob § 15 Abs. 1 AGG tatsächlich einen ungedeckelten Schadensersatzanspruch gewährt: BAG, Urteil v. 22. 07. 2010, Az. 8 AZR 1012/08, zitiert nach Juris. 161 Hierzu BT-Drucks. 16/1780, S. 38, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundes tag.de/drucksachen/index.php. 162 Walker, Entschädigungsanspruch, S. 6. 163 BT-Drucks. 16/1780, S. 38, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundestag.de/ drucksachen/index.php. 160

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die zu § 611a BGB a.F. ergangene Rechtsprechung Rückgriff genommen.164 In § 611a Abs. 3 S. 2 BGB a.F. wurde der Monatsverdienst definiert und diente der Rechtsprechung zumindest als Anhaltspunkt. Der Entschädigungsanspruch des § 15 Abs. 2 AGG ist kein Strafschadensersatz. Ebenso wie der materielle Schadensersatz des § 15 Abs. 1 AGG, ist der Entschädigungsanspruch als kompensatorischer Ersatzanspruch zu begreifen.165 In der Entscheidung Draempaehl166 hat der EuGH bestätigt, dass die europarechtlichen Vorgaben ausreichend umgesetzt sind, wenn ein verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch gewährt wird.167 (c) Konkurrenz der Ersatzansprüche, § 15 Abs. 5 AGG Das Verhältnis zwischen § 15 Abs. 1 AGG und § 280 Abs. 1 BGB ist in der Literatur umstritten. Teile der Literatur nehmen an, dass beide Regelungen uneingeschränkt nebeneinander Anwendung finden.168 Andere Stimmen vertreten die Auffassung, dass die Regelungen des § 15 AGG die Anwendung der §§ 280 ff. BGB im Sinne einer Spezialität ausschließen.169 Voigt begründet sein Dafürhalten für eine parallele Anwendbarkeit mit § 7 Abs. 3 AGG. Dieser bestimmt, dass eine Benachteiligung eine Vertragsverletzung darstellt.170 Praktische Relevanz wird der Frage lediglich in Bezug auf die Anwendbarkeit der Fristenregelung beigemessen.171 Bauer/Göpfert/Krieger begründen ihre Auffassung mit § 15 Abs. 5 AGG. Aus § 15 Abs. 5 AGG ergebe sich, dass neben den Ansprüchen auf Schadensersatz und Entschädigung (§ 15 Abs. 1 und 2 AGG) weitere Ansprüche geltend gemacht werden könnten. Dabei handle es sich unter anderem auch um Ansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB.172 Andere halten § 15 Abs. 1 AGG für die speziellere Regelung. Dafür spreche die „Spezifik“ der Pflichtverletzung sowie der zum Teil abweichende Inhalt des Anspruchs. Ein weiteres Argument ergebe sich aus der Regelung des § 15 Abs. 4 BGB. Die relativ kurzen Fristen des § 15 Abs. 4 BGB würden bei einer gleichzeitigen 164

Rust/Bücker, AGG, § 15 Rn. 35. MüKo/Thüsing, AGG 2012, § 15 Rn. 14. 166 EuGH, Urteil vom 22. 04. 1997, C-180/95, abrufbar im Internet unter http://eur-lex.euro pa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 61995 J0180. 167 MüKo/Thüsing, AGG 2012, § 15 Rn. 16. 168 Schleusener/Voigt, AGG, § 15 Rn. 11 f. sowie Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 15 Rn. 65 ff., die jedoch die Beschränkungen des § 15 AGG auch auf § 280 BGB anwenden wollen; Rust/Bücker, AGG, § 15 Rn. 56 ff. sowie MüKo/Thüsing, AGG 2012, § 15 Rn. 23. 169 Wendeling/Stein, AGG, § 15 Rn. 87 ff.; Däubler/Deinert, AGG, § 15 Rn. 24; offen gelassen, im Ergebnis jedoch auch eine Spezialität bejahend: Adomeit/Mohr, AGG 2011, § 15 Rn. 135 f.; wenn auch für den Entschädigungsanspruch gem. § 15 Abs. 2 AGG: Walker, Entschädigungsanspruch, S. 10 f. 170 Schleusener/Voigt, AGG, § 15 Rn. 11. 171 Schleusener/Voigt, AGG, § 15 Rn. 12. 172 Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 15 Rn. 65. 165

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Anwendbarkeit des § 280 BGB verloren gehen.173 Deinert plädiert ebenfalls für eine Spezialität des § 15 Abs. 1 BGB gegenüber § 280 Abs. 1 BGB. Soweit sich die in Frage stehende Pflichtverletzung als Benachteiligung darstelle, sei § 15 Abs. 1 AGG vorrangig anzuwenden. Für Pflichtverletzungen, die keine solche Benachteiligung seien, komme § 280 Abs. 1 BGB weiterhin uneingeschränkt zur Anwendung.174 Aodmeit/Mohr vertreten eine vermittelnde Auffassung. Als Argument gegen eine gleichermaßen mögliche Anwendbarkeit sehen sie insbesondere die Fristenregelungen des AGG. Sollten parallel Ansprüche aus dem BGB bestehen, die diesen Fristen nicht unterworfen sind, würden diese weitgehend leerlaufen und deren Schutzzweck (geringerer Dokumentationsaufwand für Arbeitgeber) unterlaufen.175 Adomeit/Mohr begründen ihre Skepsis zudem mit einem Wortlautargument. Die Verwendung der Formulierung „im Übrigen“ mache deutlich, dass das AGG eben nur dort Raum für andere Vorschriften lassen wolle, wo es selbst keine Regelungen treffe. Dies führt Adomeit/Mohr zu dem Schluss, dass – selbst wenn man eine parallele Anwendung bejahen würde – diese den Einschränkungen des AGG unterliegen müsste.176 Die gewichtigeren Argumente sprechen dafür, dass es sich bei § 15 Abs. 1 AGG im Verhältnis zu § 280 Abs. 1 BGB um die speziellere Vorschrift handelt. Wie Stein zutreffend feststellt, ginge Sinn und Zweck der übrigen Regelungen – etwa der Fristenregelung des § 15 Abs. 4 AGG – verloren, wenn ein Betroffener auch aus § 280 Abs. 1 BGB Schadensersatz verlangen könnte.177 Im Übrigen spricht auch eine parallele Betrachtung von § 15 Abs. 2 AGG für eine Spezialität des § 15 Abs. 1 AGG. In Bezug auf den Entschädigungsanspruch (immaterieller Schadensersatz) ist die Gesetzesbegründung eindeutig. Demnach handelt es sich bei § 15 Abs. 2 AGG im Verhältnis zu § 253 BGB um die speziellere Norm.178 In Bezug auf deren Konkurrenz zu zivilrechtlichen Ansprüchen sind keine Unterschiede zwischen Schadensersatzbzw. Entschädigungsansprüchen erkennbar, die eine unterschiedliche Handhabung rechtfertigen würden. Daher handelt es sich bei beiden Ansprüchen gegenüber den entsprechenden zivilrechtlichen Ersatz- bzw. Entschädigungsansprüchen um lex specialis. 5. Das Merkmal „Alter“ im AGG Das Alter bildet eines der verpönten Merkmale, für das eine Benachteiligung gemäß den Bestimmungen des AGG untersagt ist. In Umsetzung der entsprechenden sekundärrechtlichen Vorgaben enthält das AGG für das Merkmal Alter spezielle 173

Wendeling/Stein, AGG, § 15 Rn. 88. Däubler/Deinert, AGG, § 15 Rn. 24. 175 Adomeit/Mohr, AGG 2011, § 15 Rn. 135. 176 Adomeit/Mohr, AGG 2011, § 15 Rn. 136. 177 Wendeling/Stein, AGG, § 15 Rn. 88. 178 Hierzu BT-Drucks. 16/1780, S. 38, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundes tag.de/drucksachen/index.php. 174

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Rechtfertigungstatbestände. Das macht deutlich, dass dem Merkmal des „Alters“ eine Sonderrolle innerhalb des Katalogs der verpönten Merkmale zukommt. a) Der Begriff des „Alters“ im AGG Zutreffend weisen viele Autoren bezogen auf das Merkmal Alter darauf hin, dass diesem im deutschen Sprachgebrauch eine doppelte Bedeutung zukommt. Der Begriff wird im Deutschen einerseits verwendet, um die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt verstrichene Zeit seit der Geburt in Lebensjahren wiederzugeben. Nach diesem Verständnis sind alle Menschen unabhängig vom jeweiligen Lebensalter einbezogen. Nach einer anderen Definition wird das „Alter“ als Bezeichnung eines – nicht exakt spezifizierbaren – fortgeschrittenen Lebensabschnitts eines erwachsenen Menschen verstanden.179 Im Lichte des demografischen Wandels könnte die Annahme nahe liegen, das ausschließlich Personen im fortgeschrittenen Alter vom Schutzbereich umfasst sein sollen. Einem solchen Verständnis erteilt die Gesetzesbegründung aber eine deutliche Absage und übertrifft insoweit noch die diesbezüglichen Ausführungen in der Rahmenrichtlinie unmittelbar sowie in den zugehörigen Erwägungsgründen. Demnach ist mit dem Begriff „Alter“ das jeweilige konkrete Lebensalter gemeint.180 Der diesbezügliche Schutz bezieht sich nicht lediglich auf eine bestimmte Phase im Leben eines Menschen.181 Was den Schutz vor Benachteiligung, bezogen auf die Teilhabe am Erwerbsleben angeht, kommt dem Benachteiligungsverbot praktisch erst ab einem bestimmten Alter eine Relevanz zu. Mit dem Bild der alternden, deutschen Gesellschaft vor Augen182 argumentiert der deutsche Gesetzgeber, dass der Schutz älterer Menschen den Schwerpunkt des Benachteiligungsverbots bildet.183 b) Rechtfertigung von altersbezogenen Ungleichbehandlungen Das Merkmal des „Alters“ nimmt im Katalog der verpönten Merkmale eine Sonderstellung ein. Nur für das Verbot der altersbezogenen Benachteiligung existiert eine gesonderte Vorschrift, die sich mit den Rechtfertigungsmöglichkeiten befasst. Art. 6 Rahmenrichtlinie eröffnete den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, bestimmte 179

In diesem Sinne Adomeit/Mohr, AGG 2011, § 1 Rn. 153; Schleusener/Schleusener, AGG, § 1 Rn. 70. 180 Die Auslegung, dass der Mensch in allen Phasen seines Lebens vor Benachteiligungen geschützt sein soll, wird so auch in der Literatur geteilt: Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 1 Rn. 45; Wendeling/Wendeling-Schröder, AGG, § 1 Rn. 66; MüKo/Thüsing, AGG 2012, § 1 Rn. 86; Rust/Bertelsmann, AGG, § 1 Rn. 86; Adomeit/Mohr, AGG 2011, § 1 Rn. 153; Schleusener/Schleusener, AGG, § 1 Rn. 70. 181 Hierzu BT-Drucks. 16/1780, S. 31, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundes tag.de/drucksachen/index.php. 182 Mit statistischen Daten hierzu: Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 10 Rn. 1 ff. 183 Hierzu BT-Drucks. 16/1780, S. 31, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundes tag.de/drucksachen/index.php.

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Ausnahmen vorzusehen, um bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen Ungleichbehandlungen wegen des Alters zu rechtfertigen. Deutschland hat von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht und hat eine entsprechende Vorschrift in das AGG aufgenommen. aa) Rechtfertigung altersbezogener Ungleichbehandlungen, § 10 AGG Mit § 10 AGG werden die Art. 6 und 7 der Rahmenrichtlinie umgesetzt. Der Gesetzgeber hat bewusst davon abgesehen, die Vorgaben der Rahmenrichtlinie weiter zu konkretisieren. Hinter dieser relativ wortnahen Umsetzung steckt der Gedanke, dass durch die Aufnahme von allgemeinen Grundsätzen eine weitgehend flexible Handhabung ermöglicht werden soll.184 Im Verhältnis zu § 8 Abs. 1 AGG, der ebenfalls die Grundlage für eine Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen aufgrund des Alters bilden kann, handelt es sich bei § 10 AGG – wie WendelingSchröder es nennt – um eine Konturierung des altersbezogenen Benachteiligungsverbots.185 Wie Art. 6 Rahmenrichtlinie enthält § 10 AGG eine Generalklausel sowie einen Beispielkatalog, aus dem sich die Fälle entnehmen lassen, bei denen insbesondere vom grundsätzlichen Benachteiligungsverbot abgewichen werden darf. Die in dem Katalog aufgezählten Bereiche geben den Wortlaut der Rahmenrichtlinie fast identisch wieder. Besonders interessant ist die Frage, wie die Generalklausel auszulegen ist. Nach dem Wortlaut des § 10 S.1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung anhand des Alters dann zulässig, wenn diese objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Das Erfordernis, dass eine differenzierende Behandlung durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sein muss, bildet den Unterschied zu § 8 Abs. 1 AGG. Dort wird ein legitimer Zweck bzw. eine angemessene Anforderung vorausgesetzt.186 Im Wesentlichen werden die Vorgaben der Rahmenrichtlinie, bezogen auf die Rechtfertigung altersbezogener Ungleichbehandlungen, übernommen. Es hat daher eine dreistufige Prüfung zu erfolgen, um festzustellen, ob eine Ungleichbehandlung zulässig ist, obwohl diese auf Grund des Alters erfolgt. Zunächst ist zu untersuchen, ob die Ungleichbehandlung auf einem legitimen Ziel beruht. Abweichend von der Schwerpunktsetzung in der Rahmenrichtlinie kann es sich im Rahmen des AGG auch um solche Ziele handeln, die autonom von den jeweiligen Tarif- oder Vertragsparteien festgelegt werden.187 Dies schließt selbstverständlich nicht aus, dass legitime 184 Hierzu BT-Drucks. 16/1780, S. 36, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundes tag.de/drucksachen/index.php. 185 Wendeling, Prüfungsmaßstab, S. 1399 und Adomeit/Mohr, AGG 2011, § 10 Rn. 29: Adomeit/Mohr führt dies zu dem Schluss, dass es sich bei § 10 AGG gegenüber § 8 Abs. 1 AGG um lex specialis handele. 186 Zur Abgrenzung zwischen §§ 8 und 10 AGG Rust/Bertelsmann, AGG, § 10 Rn. 19 ff. 187 Wendeling, Prüfungsmaßstab, S. 1400; zur Frage, ob ein legitimes Ziel auch von den Vertragsparteien festgelegt werden kann, Schiek/Schmidt, AGG, § 10 Rn. 6.

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Ziele im Sinne des § 10 AGG auch solche des Allgemeininteresses sein können.188 Sodann hat – entsprechend den Vorgaben der Rahmenrichtlinie – eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen. Dementsprechend ist eine Ungleichbehandlung nur dann gerechtfertigt, wenn diese überhaupt geeignet ist, das jeweilige Ziel zu erreichen. Durch das Merkmal der Erforderlichkeit wird zudem sichergestellt, dass das legitime Ziel nicht auch ohne Ungleichbehandlung erreicht werden kann.189 bb) Altersdiskriminierung in befristeten Arbeitsverhältnissen In Deutschland erlangte die Frage besondere Beachtung, inwieweit eine altersbezogene Ungleichbehandlung im Rahmen befristeter Arbeitsverhältnisse möglich ist. Im Fokus dieser Diskussion stand § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. Dieser ließ die Befristung eines Arbeitsverhältnisses mit einem Arbeitnehmer, der das 52. (bzw. 58.) Lebensjahr vollendet hat, auch ohne das Vorliegen eines sachlichen Grundes zu. Verglichen mit § 14 Abs. 2 TzBfG, wonach eine sachgrundlose Befristung nur bis zu einer maximalen Dauer von zwei Jahren möglich ist, stellte dies eine offensichtliche Ungleichbehandlung der älteren Arbeitnehmer dar. Die wohl überwiegende Meinung in der deutschen Literatur ging zunächst davon aus, dass die Vorschrift des § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. mit den unionsrechtlichen Vorgaben im Einklang stünde.190 (1) Rechtsprechung des EuGH (a) Die Rechtssache Mangold Die in Deutschland vertretene Auffassung, dass § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. im Einklang mit dem Unionsrecht stünde, teilte der EuGH nicht und urteilte in der Rechtssache Mangold dementsprechend.191 Er begründete seine Auffassung damit, dass auf diese Weise eine große Gruppe von Arbeitnehmern von einer festen (unbefristeten) Beschäftigung ausgeschlossen würde. Die Motive des deutschen Gesetzgebers zur Einführung des § 14 Abs. 3 TzBfG billigte der EuGH zwar grundsätzlich, lehnte die konkrete Ausgestaltung – insbesondere vor dem Hintergrund von Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie – jedoch ab.192 § 14 Abs. 3 TzBfG lag und liegt der gesetzgeberische Gedanke zu Grunde, durch die Möglichkeit einer sachgrundlosen Befristung arbeitslose, ältere Menschen in das Arbeitsleben zu reintegrieren.193 Die erste, durch Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie vorgegebene Prüfungsstufe, das Vor188

Bauer/Göpfert/Krieger, § 10 Rn. 20. Schiek/Schmidt, AGG, § 10 Rn. 10. 190 Preis, Altersdiskriminierung, S. 403. 191 Urteil des EuGH v. 22. 11. 2005, Az. C-144/04, abrufbar im Internet unter http://curia.eu ropa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 192 Urteil des EuGH v. 22. 11. 2005, Az. C-144/04, abrufbar im Internet unter http://curia.eu ropa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 193 Urteil des EuGH v. 22. 11. 2005, Az. C-144/04, Rn. 59, abrufbar im Internet unter http:// curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 189

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liegen eines legitimen Ziels, sah der EuGH noch als gegeben an. Der EuGH problematisierte jedoch, inwieweit die eingesetzten Mittel zur Erreichung des legitimen Ziels erforderlich und angemessen seien. Diese Prüfung führte den EuGH schließlich dazu, die deutsche Vorschrift abzulehnen. Nach Auffassung des EuGH war die Vorschrift des § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. zu weitgehend, da diese den Abschluss beliebig vieler befristeter Arbeitsverträge mit älteren Arbeitnehmern erlaubte. Eine alleinige Anknüpfung an das Merkmal des „Alters“ ging nach Auffassung des EuGH zu weit. Begründet wurde dies mit dem fehlenden Nachweis, dass allein auf diese Weise ein entsprechender beschäftigungspolitischer Fortschritt erreicht werden könne. Im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung könne die Vorschrift daher nicht als angemessen und erforderlich angesehen werden.194 Offen blieb seinerzeit das Verhältnis des Diskriminierungsverbots der Rahmenrichtlinie und der Vorschrift § 5 Nr. 1 der Befristungsrichtlinie 1999/70/EG.195 Der EuGH verneinte eine Anwendbarkeit der Vorschrift der Befristungsrichtlinie, da im damaligen Sachverhalt lediglich ein befristeter Arbeitsvertrag mit dem Arbeitnehmer geschlossen worden war. Die Frage, ob mehrere Befristungen nacheinander sachgrundlos erfolgen können, spielte in dem Verfahren Mangold keine Rolle.196 (b) Die Rechtssache Kumpan Mit der Entscheidung in Sachen Mangold war die Frage der Zulässigkeit von § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. – trotz einer zwischenzeitlich erfolgten Gesetzesänderung – noch nicht abschließend beantwortet.197 Ein vor dem ArbG Frankfurt a.M. initiiertes Verfahren zur Befristung des Arbeitsverhältnisses einer Flugbegleiterin, Frau Gertraud Kumpan, lag dem BAG zur Entscheidung vor. Da in dem zugrundeliegenden Sachverhalt altes Recht zur Anwendung kam, und obwohl das BAG § 14 Abs. 3 TzBfG in der für die Rechtssache Mangold entscheidenden Fassung bereits für unanwendbar erklärt hatte198, stellte sich dem BAG wiederum die Frage, ob und inwieweit § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. im Einklang mit Gemeinschaftsrecht stand. Um diese Frage zu klären, legte das BAG den Sachverhalt dem EuGH vor. Ausdrücklich war die Vorlagefrage formuliert, ob die Vorschriften der Rahmenrichtlinie, insbesondere Art. 6 Abs. 1, einer nationalen Regelung entgegenstehen, die den unbe194 Urteil des EuGH v. 22. 11. 2005, Az. C-144/04, Rn. 65, abrufbar im Internet unter http:// curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 195 Abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 31999 L0070. 196 Urteil des EuGH v. 22. 11. 2005, Az. C-144/04, Rn. 43, abrufbar im Internet unter http:// curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 197 Dies lag daran, dass § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. in unterschiedlichen Fassungen die Zulässigkeit von sachgrundlosen Befristungen ab dem 52. und später ab dem 1. Januar 2007 ab dem 58. Lebensjahr zuließ. Mit dem Mangold-Urteil war lediglich eine Entscheidung über § 14 Abs. 3 S. 4 TzBfG a.F. in Form von Art. 7 des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. 12. 2002 getroffen worden (vgl. BAG, Vorlagebeschluss v. 16. 10. 2008, Az. 7 AZR 253/07, Rn. 33 f., zitiert nach Juris). 198 BAG, Urteil v. 26. 04. 2006, Az. 7 AZR 500/04, zitiert nach Juris.

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schränkten Abschluss von unbefristeten Arbeitsverhältnissen mit Arbeitnehmern zulässt, die das 58. Lebensjahr vollendet haben. Der nunmehr zur Entscheidung anstehende Sachverhalt unterschied sich von dem Verfahren Mangold insofern, als mit der Klägerin, beginnend mit ihrem 55. Lebensjahr, jeweils auf ein Jahr befristete Arbeitsverträge geschlossen wurden. Nach Vollendung des 58. Lebensjahrs war mit dieser der letzte Einjahresvertrag geschlossen und nach Ablauf desselben der Abschluss eines weiteren Vertrags verweigert worden.199 Dementsprechend ging auch das BAG davon aus, dass nunmehr die Bestimmungen der Befristungsrichtlinie entscheidungserheblich sein würden.200 Der EuGH nahm die Vorlage zur Entscheidung an und stellte erneut die Unvereinbarkeit des § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. mit Unionsrecht fest.201 Wie bereits im Verfahren Mangold waren die Vorlagefragen konkret auf die Vereinbarkeit der deutschen Bestimmungen a.F. mit der Rahmenrichtlinie sowie der Befristungsrichtlinie gerichtet. Aufgrund der gegebenen Kettenbefristung waren die Regelungen der Befristungsrichtlinie anwendbar. Der EuGH stützte seine Entscheidung ausschließlich auf diese Bestimmungen. Die Rahmenrichtlinie hielt der EuGH für nicht entscheidungserheblich.202 Der EuGH problematisierte die Unionsrechtskonformität von § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. im Wesentlichen bezogen auf § 5 Abs. 1 der in der Befristungsrichtlinie enthaltenen Rahmenvereinbarung203. § 5 Nr. 1 Rahmenvereinbarung verpflichtet die Mitgliedsstaaten zur Vermeidung rechtsmißbräuchlicher Kettenbefristungen, bestimmte Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer zu treffen. Die Mitgliedsstaaten haben, um die Verlängerung einer Befristung zu rechtfertigen, entweder ein Sachgrunderfordernis, eine Maximaldauer für befristete Arbeitsverhältnisse oder eine maximale Anzahl von Verlängerungen befristeter Arbeitsverhältnisse zu bestimmen.204 Der EuGH sah für den gegebenen Fall einer Kettenbefristung bei § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. keine der betreffenden Sicherungsmaßnahmen als gegeben. Vielmehr bot die Vorschrift des § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. nach Ansicht des EuGH die Möglichkeit, ohne einen sachlichen Grund zur Bedingung zu machen, nach Zeit und Anzahl unbegrenzt befristete Arbeitsverträge mit älteren Arbeitnehmern zu schließen.205 Dabei schoss der deutsche Gesetzgeber nach Auffassung des EuGH auch über das 199

BAG, Vorlagebeschluss v. 16. 10. 2008, Az. 7 AZR 253/07, zitiert nach Juris. BAG, Vorlagebeschluss v. 16. 10. 2008, Az. 7 AZR 253/07, Rn. 55, zitiert nach Juris. 201 Urteil des EuGH v. 10. 03. 2011, Az. C-109/09, abrufbar im Internet unter http://curia.eu ropa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 202 Urteil des EuGH v. 10. 03. 2011, Az. C-109/09, Rn. 58, abrufbar im Internet unter http:// curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 203 Die Rahmenvereinbarung war nach einer entsprechenden Aufforderung des Europäischen Rates zwischen der Union der Industrie- und Arbeitgeberverbände Europas (UNICE), dem Europäischen Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft (CEEP) und dem Europäischen Gewerkschaftsbund geschlossen worden. 204 Richtlinie 1999/70/EG, abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index. htm; CELEX-Nummer: 31999 L0070. 205 Urteil des EuGH v. 10. 03. 2011, Az. C-109/09, Rn. 41, abrufbar im Internet unter http:// curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 200

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ursprünglich formulierte Ziel der Vorschrift des § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. hinaus. Dieses bestand in der Verbesserung der Eingliederungsmöglichkeiten älterer Arbeitsloser/Beschäftigungsloser. Durch die Gestaltung des § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. erlaubte dieser die sachgrundlose Befristung für alle älteren Arbeitnehmer und führte somit nach Meinung des EuGH zu einer Absenkung des Schutzniveaus älterer Arbeitnehmer insgesamt.206 Aufgrund der mangelnden Bestimmtheit des § 5 Nr. 1 Rahmenvereinbarung war es nach Auffassung des EuGH aber fraglich, ob sich ein Arbeitnehmer vor einem nationalen Gericht auf diesen berufen kann.207 Dennoch ließ der EuGH für die genannten Fälle der Kettenbefristung bei seiner Zurückverweisung des Rechtsstreits an das BAG wenig Zweifel an der Unvereinbarkeit von § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. mit Unionsrecht und verlangte eine entsprechende Auslegung durch die in der Sache zur Entscheidung berufenen nationalen Gerichte.208 In seinem Urteil gab das BAG der Klägerin – wenn auch mit anderer Begründung – Recht und erklärte die Befristung für unwirksam.209 (c) Stellungnahme: spezifische Rechtfertigungstatbestände im Rahmen befristeter Arbeitsverhältnisse Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Kumpan lässt, insbesondere in der Zusammenschau mit der Entscheidung in Sachen Mangold, Rückschlüsse darauf zu, in welchen Fällen altersbezogene Ungleichbehandlungen im Rahmen befristeter Arbeitsverhältnisse gerechtfertigt sind. Besonders relevant ist die Prüfungsmethodik des EuGH in Sachen Kumpan. Wie beschrieben, beantwortete der EuGH in der Sache Kumpan lediglich die Fragen, die sich auf die Rahmenvereinbarung bezogen. Die Prüfung der Vorschriften der Rahmenrichtlinie, insbesondere Art. 6 Abs. 1, hielt der EuGH nach Feststellung eines Verstoßes gegen § 5 Nr. 1 Rahmenvereinbarung für obsolet.210 Daraus lässt sich die Auffassung des EuGH ableiten, dass Rechtfertigungen für Ungleichbehandlungen, im speziellen Fall von altersbezogenen Ungleichbehandlungen, nicht allein in der Rahmenrichtlinie zu suchen sind. Rechtfertigungstatbestände können sich auch in anderen Vorschriften finden, in diesem speziellen Fall in der Befristungsrichtlinie. Diese Interpretation der Methodik des EuGH drängt sich angesichts der gewählten Prüfungsreihenfolge bezogen auf die Befristungs- und die Rahmenrichtlinie auf. Wäre der EuGH davon ausgegangen, dass im Fall Kumpan ohnehin eine („ungerechtfertigte“) Altersdiskriminierung im Sinne 206

Urteil des EuGH v. 10. 03. 2011, Az. C-109/09, Rn. 40, abrufbar im Internet unter http:// curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 207 Urteil des EuGH v. 10. 03. 2011, Az. C-109/09, Rn. 51, abrufbar im Internet unter http:// curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 208 Urteil des EuGH v. 10. 03. 2011, Az. C-109/09, Rn. 56 f., abrufbar im Internet unter http://curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 209 BAG, Urteil v. 19. 10. 2011, Az. 7 AZR 253/07, zitiert nach Juris; ebenfalls in diesem Sinne Müller-Mundt, Befristung, S. 130. 210 Urteil des EuGH v. 10. 03. 2011, Az. C-109/09, Rn. 58, abrufbar im Internet unter http:// curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de.

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der Rahmenrichtlinie vorliegt, hätte er seine Prüfung der Vorlagefragen – entsprechend deren numerischer Reihenfolge – mit der Prüfung der Rahmenrichtlinie begonnen und damit das Prüfschema des Verfahrens in Sachen Mangold wiederholt. § 14 TzBfG unterscheidet sich in der Fassung nur marginal von der noch im Verfahren Mangold geltenden Fassung (58 statt 52 Jahre). Die Argumentation in Sachen Kumpan hätte also mit der im Fall Mangold identisch oder zumindest annähernd identisch sein können. Da dies nicht der Fall ist, ist davon auszugehen, dass der EuGH grundsätzlich der Auffassung war, dass es sich bei § 5 Nr. 1 Rahmenvereinbarung um eine Konkretisierung des Rechtfertigungstatbestands der Rahmenrichtlinie handelt. § 5 Nr. 1 kann daher zur Bestimmung dessen herangezogen werden, was im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie als objektiv und angemessen anzusehen ist. Die Argumentation des EuGH in den beiden Verfahren macht deutlich, dass eine unmittelbare Ungleichbehandlung anhand eines der verpönten Merkmale auch auf der Grundlage von außerhalb der Rahmenrichtlinie liegenden Normen oder Umständen gerechtfertigt werden kann. (2) Die Regelung des § 14 Abs. 3 TzBfG n.F. Nach der Entscheidung des EuGH in Sachen Mangold und dem bestätigenden Urteil des BAG211 war für den deutschen Gesetzgeber evident, dass § 14 Abs. 3 TzBfG neu geregelt werden musste.212 Diese Neuregelung erfolgte im Rahmen des Gesetzes zur Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Menschen213 vom 19. April 2007, das am 1. Mai 2007 in Kraft trat. Bedacht hangelte sich der Gesetzgeber an den Vorgaben des EuGH aus dem Urteil in Sachen Mangold entlang.214 Im Rahmen der Neuregelung des § 14 Abs. 3 TzBfG beharrte der Gesetzgeber auf der Beibehaltung einer Regelung, die ab der Vollendung des 52. Lebensjahres eine erleichterte Befristung vorsah. Zur Begründung führt der Gesetzgeber an, dass Menschen im Alter zwischen 50 und 64 Jahren signifikant häufiger und länger arbeitslos seien, als dies in anderen Altersgruppen der Fall sei.215 Auch ist die Befristung mit älteren Arbeitnehmern weiterhin ohne das Vorliegen eines sachlichen Grundes möglich. Um den Vorgaben des EuGH gerecht zu werden, wurden aber zwei wesentliche Änderungen vorgenommen. Zunächst setzt § 14 Abs. 3 TzBfG in seiner aktuellen Fassung voraus, dass der betroffene ältere Arbeitnehmer unmittelbar vor Beginn eines entsprechenden befristeten Arbeitsvertrags mindestens vier Monate

211

BAG, Urteil v. 26. 04. 2006, Az. 7 AZR 500/04, zitiert nach Juris. Für eine ausführliche Darstellung zu diesem Thema: Bader, Befristungen, S. 713 ff. 213 BGBl. I 2007 S. 538, abrufbar im Internet unter http://www1.bgbl.de/. 214 Hierzu BT-Drucks. 16/3793, S. 1, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundes tag.de/drucksachen/index.php. 215 Hierzu BT-Drucks. 16/3793, S. 7, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundes tag.de/drucksachen/index.php. 212

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beschäftigungslos im Sinne der Vorschriften des SGB III gewesen sein muss.216 Der Begriff Beschäftigungslosigkeit wurde gewählt, um einen größeren Personenkreis in den Anwendungsbereich der Vorschrift einzubeziehen.217 In Anbetracht der Rechtsprechung des EuGH ist noch wesentlicher, dass in § 14 Abs. 3 TzBfG nunmehr eine Höchstbefristungsdauer vorgesehen ist. Demnach können mit demselben Arbeitgeber nur bis zu einer Höchstdauer von fünf Jahren beliebig viele befristete Arbeitsverhältnisse abgeschlossen werden. Auf diese Weise soll bei der Vertragsgestaltung größtmögliche Flexibilität erhalten bleiben.218 Wie Bader zutreffend feststellt, unterscheidet sich § 14 Abs. 3 TzBfG n.F. von der Vorgängerregelung im Übrigen dadurch, dass diese nur noch kalendermäßige Befristungen i.S.v. § 3 Abs. 1 S. 2 TzBfG gestattet. Die Vereinbarung von Zweckbefristungen bzw. auflösenden Bedingungen scheidet aus.219 Es ist davon auszugehen, dass die Neuregelung des § 14 Abs. 3 TzBfG den Anforderungen des Unionsrechts sowie des EuGH gerecht wird. Die tatbestandliche Voraussetzung einer vorherigen Beschäftigungslosigkeit gewährt die vom EuGH geforderte Berücksichtigung der persönlichen Situation des Betroffenen. Die Bestimmung einer zulässigen Höchstdauer für die sachgrundlose Befristung trägt dazu bei, dass auf diese Weise zumindest eine der in § 5 Nr. 1 Rahmenvereinbarung ausdrücklich genannten Voraussetzungen erfüllt ist. Da es sich dabei im Verhältnis zu dem in der Rahmenrichtlinie enthaltenen Verbot der Altersdiskriminierung um eine konkretere und speziellere Rechtfertigungsnorm handelt, ist nicht zu erwarten, dass in der Vorschrift erneut ein Verstoß gegen das Verbot der Altersdiskriminierung gesehen wird. Dennoch birgt die Verwendung eines konkreten Alters, im vorliegenden Fall des 52. Lebensjahres, die Gefahr, dass sich Personen benachteiligt fühlen. Nach eigener Aussage geht der Gesetzgeber davon aus, dass ältere Arbeitnehmer zwischen 50 und 64 Jahren besonders von Arbeitslosigkeit betroffen sind.220 Gleichermaßen spricht der Gesetzgeber davon, dass die Korrelation zwischen dem Merkmal „Alter über 52 Jahre“ und erhöhter Langzeitarbeitslosigkeit empirisch belegt sei.221 Sollte sich herausstellen, dass diese empirische Basis nicht valide ist, bestehen ernste Zweifel an der Legitimität des verfolgten Ziels. Auf diese Weise

216 Hierzu BT-Drucks. 16/3793, S. 8, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundes tag.de/drucksachen/index.php; die Aufnahme eines solchen Erfordernisses und darüber hinaus den Entfall einer Altersgrenze forderte auch Preis, Mangold, S. 410. 217 Hierzu BT-Drucks. 16/3793, S. 7, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundes tag.de/drucksachen/index.php. 218 Hierzu BT-Drucks. 16/3793, S. 8, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundes tag.de/drucksachen/index.php. 219 Bader, Befristungen, S. 716. 220 Hierzu BT-Drucks. 16/3793, S. 7, abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bundes tag.de/drucksachen/index.php. 221 Hierzu BT-Drucks. 16/3793, S. 8 f., abrufbar im Internet unter http://drucksachen.bun destag.de/drucksachen/index.php.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

könnte sich eine erneute Unvereinbarkeit von § 14 Abs. 3 TzBfG mit Unionsrecht ergeben.

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien – decreto legislativo 9. Juli 2003, Nr. 216 1. Entstehungsgeschichte und Vorläufer des d.lgs.222 216/2003 Noch viel ausgeprägter als die deutsche Rechtsordnung enthielt die italienische Gesetzgebung Vorläufer der Diskriminierungsverbote, die durch die europäischen Vorgaben – insbesondere durch die Rahmen- sowie deren Schwesterrichtlinie – vertieften Eingang in das italienische Rechtssystem fanden.223 Die nationale italienische Gesetzgebung zur Diskriminierungsbekämpfung erstreckt sich bis heute über eine Zeitspanne von 40 Jahren.224 Diskriminierungsverbote bezogen auf die Merkmale Geschlecht, Rasse, Sprache, Religion oder Gewerkschaftszugehörigkeit waren bereits vor Umsetzung der Richtlinienvorgaben in Italien anerkannt.225 Besondere Bedeutung kam in Italien der Vermeidung von geschlechtsbezogenen Diskriminierungen zu. Bis in die 1970er Jahre war die Ungleichbehandlung von Mann und Frau in Italien durchaus greifbar und manifestierte sich nicht nur im Umgang zwischen Privaten. Auch von staatlicher Seite wurde geschlechtsbezogen ungleich behandelt, indem etwa bei Arbeitsämtern unterschiedliche Listen für arbeitssuchende Männer und Frauen geführt wurden. Diese Praxis wurde – nicht zuletzt mit der legge 903/1977226 – beendet. Die legge 903/1977 ist der Ausgangspunkt des geschlechtsbezogenen Diskriminierungsschutzes in Italien.227 Sie sah das Verbot jedweder Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts vor.228 Der Zugang von Frauen zur Beschäftigung sollte auf diese Weise gewährleistet werden. Eine Konkretisierung erlangte das Verbot der Geschlechterdiskriminierung mit Erlass der legge 125/ 1991229. Die legge 125/1991 enthielt in Art. 4 nicht nur ein Verbot unmittelbarer Diskriminierung, sondern untersagte auch die mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Sowohl die legge 903/1977 als auch die legge 125/1991 sind nach 222

Abkz. für decreto legislativo. Für einen Kurzüberblick über die Vorgängervorschriften: Nicolini, diritto del lavoro, S. 90 f.; Borelli, normativa antidisciminatorio, S. 219 ff oder Cendon/Staiano, danno, S. 1513 ff. 224 Galgano/Lassandri, discriminazioni, S. 21. 225 La Tegola, discriminiazione, S. 472. 226 Legge vom 09. 12. 1977, Nr. 903, zwischenzeitlich aufgehoben durch decreto legislativo vom 11. 04. 2006, Nr. 198, abrufbar im Internet unter http://www.normattiva.it. 227 Galgano/Lassandri, discriminazioni, S. 23. 228 Für eine ausführliche Darstellung der legge 903/1977 Galantino, diritto del lavoro, S. 203 ff. 229 Legge vom 10. 04. 1991, Nr. 125, in der ursprünglichen Fassung abrufbar im Internet unter http://www.lavoro.gov.it/Lavoro/Strumenti/normativa; hierzu etwa Rotondi, diritto del lavoro, S. 49 f. 223

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einigen Gesetzesänderungen zwischenzeitlich weitgehend in dem. d.lgs. 198/2006230 aufgegangen.231 Spezielle Regelungen existieren auch auf dem Gebiet der Befristung von Arbeitsverhältnissen. Art. 6 d.lgs. 368/2001232 gebietet die Gleichstellung von Arbeitnehmern in befristeten Arbeitsverhältnissen mit Arbeitnehmern in unbefristeten Arbeitsverhältnissen. Dies gilt insbesondere bezogen auf Urlaubsansprüche und bestimmte Gehaltsbestandteile, etwa das Weihnachtsgeld. Noch vor Inkrafttreten der legge 903/1977 existierte mit Art. 15 der legge 300/ 1970233, in Italien besser bekannt als das statuto dei lavoratori (stat. lav.), ein gesetzlich normiertes Diskriminierungsverbot. Art. 15 stat. lav. sah vor, dass Handlungen oder Vereinbarungen, die das Diskriminierungsverbot verletzen, unwirksam sind. Es war insbesondere untersagt, die Beschäftigung bzw. Art der Behandlung (im Sinne von Versetzungen, Gewährung von Fortbildung etc.) eines Arbeitnehmers von dessen Mitgliedschaft oder Nichtmitgliedschaft in einer Gewerkschaft abhängig zu machen. Die Geltung des Diskriminierungsverbots wurde auch auf politisch oder religiös begründete Diskriminierungen erstreckt.234 Auf der Grundlage von Art. 13 der legge 903/1977 wurde dann auch die Diskriminierung aufgrund bestimmter politischer Ansichten, der Religion, der Rasse, der Sprache und des Geschlechts in Art. 15 stat. lav. aufgenommen. Mit Inkrafttreten des d.lgs. 216/2003235 traten – auf Grundlage des Art. 4 Abs. 1 – die Merkmale der Behinderung, des Alters, der sexuellen Ausrichtung sowie der persönlichen Überzeugung hinzu. In Teilen der italienischen Literatur und Rechtsprechung wird Art. 15 stat. lav. als Ausprägung verfassungsrechtlicher Grundsätze (wie etwa Art. 3 Costituzione Italiana) verstanden. Andere vertreten die Auffassung, dass die gleichen Rechtsfolgen auch bei Anwendung bestimmter Vorschriften über die Unwirksamkeit von Verträgen aufgrund verwerflicher Beweggründe des Codice Civile erreicht werden könnten.236 Insgesamt ist das Diskriminierungsverbot des Art. 15 stat. lav. in engem Zusammenhang mit anderen Vorschriften zu sehen, die dem Arbeitnehmer freie politische oder religiöse Betätigung zusichern.237

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Decreto legislativo vom 11. 04. 2006, Nr. 198, abrufbar im Internet unter http://www.nor mattiva.it. 231 Mit für eine Darstellung verschiedenster Gleichbehandlungsvorschriften Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 483 f. sowie Cendon/Staiano, danno, S. 1513 ff. 232 Decreto legislativo vom 06. 09. 2001, Nr. 368, abrufbar im Internet unter http://www.nor mattiva.it. 233 Legge vom 20. 05. 1970, Nr. 300, in der aktuellen Fassung abrufbar im Internet unter http://www.normattiva.it. 234 Galgano/Lassandri, discriminazioni, S. 24. 235 Decreto legislativo vom 09. 07. 2003, Nr. 216, abrufbar im Internet unter http://www.nor mattiva.it. 236 Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 485. 237 Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 486.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

Ein weiteres wichtiges Element des italienischen Diskriminierungsschutzes bildet das d.lgs. 286/1998238.239 Es enthält wesentliche Bestimmungen bezüglich des Umgangs mit Immigranten und deren gesellschaftlicher Eingliederung. Um einen wirksamen Schutz von Immigranten zu gewähren, statuiert Art. 43 d.lgs. 286/1998 ein entsprechendes Diskriminierungsverbot. Als verpönte Merkmale gelten – unter Bezugnahme auf die annähernd wortgleiche Vorschrift der legge 40/1998240 (Art. 41) – die Rasse, die ethnische Herkunft, die Nationalität und die Religion. Art. 43 Abs. 1 d.lgs. 286/1998 enthält zudem eine Legaldefinition der Diskriminierung. Demnach ist eine Diskriminierung jede Handlung, die unmittelbar oder mittelbar zu einer Unterscheidung, einem Ausschluss, einer Einschränkung oder Bevorzugung aufgrund eines der verpönten Merkmale führt. Art. 43 Abs. 2 d.lgs. 286/1998 konkretisiert bestimmte Sachverhalte, die insbesondere als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot anzusehen sind. Die umfassendste beschäftigungsbezogene Regelung wurde in Italien im Zuge der Umsetzung der Rahmenrichtlinie erlassen. Die Umsetzung erfolgte in Form des d.lgs. 216/2003. Die Schwesterrichtlinie 2000/43/EG wurde mit dem d.lgs. 215/ 2003241 umgesetzt. Das bis dahin vor allem in Art. 15 stat. lav. enthaltene allgemeine Diskriminierungsverbot wurde mit den beiden Gesetzen zur Umsetzung der europäischen Vorgaben weiter ausgebaut.242 Mit der Rahmenrichtlinie war den Mitgliedsstaaten eine Frist zur Umsetzung bis zum 2. Dezember 2003 eingeräumt worden. Anders als in Deutschland, das erst einige Jahre nach Ablauf der Umsetzungsfrist ein entsprechendes Gesetz präsentieren konnte, trat in Italien die Umsetzung der Rahmenrichtlinie bereits am 28. August 2003 in Kraft. Die Frist zur Umsetzung war damit eingehalten. Ein Grund für diese zügige Umsetzung der Vorgaben mag darin gesehen werden, dass Italien im zweiten Halbjahr 2003 turnusgemäß den Vorsitz des Europäischen Rates inne hatte und aus diesem Grund eine verzögerte Umsetzung vermeiden wollte. Insgesamt orientieren sich die italienischen Gesetze sehr eng an den entsprechenden europarechtlichen Vorgaben. Das als minimalistisch bezeichnete Umsetzungsverfahren wurde insbesondere deshalb kritisiert, da das Verfahren keinerlei Einbeziehung solcher Institutionen der Zivilgesellschaft vorsah, die den Kampf gegen Diskriminierung im Land führten.243 Der oftmals fast identische Wortlaut von italienischem Umsetzungsgesetz und Richtlinie

238 Decreto legislativo vom 25. 07. 1998, Nr. 286, abrufbar im Internet unter http://www.nor mattiva.it. 239 So auch Galgano/Lassandri, discriminazioni, S. 28 f. sowie Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 483, wenn auch durchgängig fehlerhaft als d.lgs. 286/1986 bezeichnet. 240 Legge vom 06. 03. 1998, Nr. 40, in der aktuellen Fassung abrufbar im Internet unter http://www.normattiva.it. 241 Decreto legislativo vom 09. 07. 2003, Nr. 215, abrufbar im Internet unter http://www.nor mattiva.it. 242 Galantino, diritto comunitario, S. 229. 243 Izzi, eguaglianza, S. 389.

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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darf jedoch nicht über den Umstand hinwegtäuschen, dass – insbesondere in Bezug auf Begriffsdefinitionen – nationale Besonderheiten zu beachten sind.244 2. Anwendungsbereich, Art. 3 d.lgs. 216/2003 Anders als beim AGG ist die Definition des sachlichen bzw. persönlichen Anwendungsbereichs im d.lgs. 216/2003 nicht in getrennten Vorschriften untergebracht. Das d.lgs. 216/2003 ist in seiner gesetzestechnischen Gestaltung eng an die Rahmenrichtlinie angelehnt.245 a) Grundlegendes zum Anwendungsbereich, Art. 3 Abs. 1 d.lgs. 216/2003 Art. 3 Abs. 1 d.lgs. 216/2003 enthält eine allgemeine Definition des Anwendungsbereichs. Danach finden die Bestimmungen des d.lgs. 216/2003, namentlich die parità di trattamento, auf alle diejenigen Personen Anwendung, die im öffentlichen und im privaten Sektor beschäftigt sind. Aus Art. 3 d.lgs. 216/2003 geht überdies hervor, dass diesem Personenkreis Zugang zu dem in Art. 4 d.lgs. 216/2003 verbrieften Rechtsschutz gewährt wird. Der Verweis auf den Rechtsschutz des Art. 4, die Nennung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und die Aufzählung der verpönten Merkmale bilden die wesentlichen Unterschiede zu den Vorgaben der Rahmenrichtlinie. Diese Abweichungen resultieren allerdings weniger aus inhaltlichen Modifikationen, sondern sind der Gesetzestechnik bei der nationalen Umsetzung europäischer Vorgaben geschuldet. Mit der Formulierung „[…] con specifico riferimento alle seguenti aree […]“246 wird auf den nachfolgenden Katalog bestimmter Anwendungsgebiete hingeleitet. Daraus folgt, dass eine Anwendung der Vorschriften des d.lgs. 216/2003 ausschließlich in den genannten Bereichen in Betracht kommt.247 Die Regelungen des d.lgs. 216/2003 beziehen sich ausschließlich auf den Bereich der Beschäftigung. Der Anwendungsbereich ist damit enger gefasst als der des d.lgs. 215/2003.248 b) Zugang zu lavoro autonomo und lavoro dipendente, Art. 3 Abs. 1 a) d.lgs. 216/2003 Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) d.lgs. 216/2003 erstreckt den Anwendungsbereich auf den Zugang zum lavoro autonomo und lavoro dipendente. Ausdrücklich vom sachlichen Anwendungsbereich mit umfasst sind Personalauswahlkriterien sowie Anstellungsbedingungen.

244 245 246 247 248

Carinci/De Simone, diritto del lavoro, S. 267. Nicolini, diritto del lavoro, S. 91. Italienisch für: unter Bezugnahme auf die folgenden Gebiete. Hierzu Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 493 f. Centini, discriminazioni, S. 2433.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

Wie bereits im Rahmen der Betrachtungen zur Rahmenrichtlinie, aber auch zum AGG gesehen, beschränkt sich der persönliche Anwendungsbereich der Diskriminierungsverbote nicht allein auf den Bereich abhängiger Beschäftigung. Während der in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) genannte Begriffe lavoro autonomo mit einer Legaldefinition im Codice Civile hinterlegt ist, fehlt es an einer entsprechenden Legaldefinition für den Begriff des lavoro dipendente. aa) Der Begriff des lavoro subordinato Der Begriff des lavoro dipendente ist im italienischen Recht wenig gebräuchlich. Der Begriff des dipendente, einer Person in abhängiger Beschäftigung, findet sich in dem das Arbeitsrecht betreffende 5. Buch des Codice Civile an nur wenigen Stellen. So ist etwa in Art. 2429 bis Codice Civile von „personale dipendente“, also abhängig beschäftigtem Personal, die Rede. Aus der – auch in Art. 3 Abs. 1 d.lgs. 216/2003 zu Tage tretenden – Abgrenzung zum lavoro autonomo wird deutlich, dass der Begriff „lavoro dipendente“ mit dem weiter verbreiteten Begriff des lavoro subordinato gleichzusetzen ist. Der Begriff des lavoro subordinato ist in Art. 2094 Codice Civile des 5. Buchs des Codice Civile definiert.249 Demnach erbringt eine Person (der sogenannte prestatore di lavoro) ihre Leistungen in Form des lavoro subordinato, wenn sie sich gegen Zahlung einer entsprechenden Vergütung zur Erbringung einer intellektuellen oder physischen Arbeit im Betrieb eines Unternehmers (des sogenannten imprenditore) verpflichtet und im Rahmen dieser Leistung dem Weisungsrecht des Unternehmers unterliegt.250 Definitionsgemäß liegt die Beschäftigungsform des lavoro subordinato dann vor, wenn eine Person in wirtschaftlicher Abhängigkeit für einen Arbeitgeber tätig wird und die Arbeitsleistung gemäß den Weisungen des Arbeitgebers zu erbringen hat. Diese Form der Abhängigkeit des prestatore di lavoro von den Weisungen des Arbeitgebers ergibt sich auch aus Art. 2104 Abs. 2 Codice Civile. Demnach obliegt es dem prestatore di lavoro, die Weisungen des imprenditore sowie der übrigen Vorgesetzten zu befolgen. Perulli bezeichnet Art. 2086 Codice Civile als Krönung des das lavoro subordinato prägenden hierarchischen Prinzips. Danach ist der imprenditore der Kopf des Unternehmens, dem die übrigen Mitarbeiter des Unternehmens hierarchisch untergeordnet sind.251 Dieses Ungleichgewicht im Verhältnis zwischen prestatore di lavoro und imprenditore/datore di lavoro wird in Italien historisch begründet. Konkret wird dem imprenditore/datore di lavoro das Direktionsrecht mit dem Argument zugestanden, dass innerhalb produktiver Einheiten eine Koordination notwendig sei.252 Der Begriff des prestatore di lavoro ist damit weitgehend mit dem Begriff des 249

Carinci/Perulli, diritto del lavoro, S. 10. Art. 2094 Codice Civile lautet: „È prestatore di lavoro subordinato chi si obbliga mediante retribuzione a collaborare nell’impresa, prestando il proprio lavoro intellettuale o manuale alle dipendenze e sotto la direzione dell’imprenditore.“ 251 Carinci/Perulli, diritto del lavoro, S. 10. 252 Carinci/Perulli, diritto del lavoro, S. 10. 250

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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deutschen Arbeitnehmers gleichzusetzen. Gemäß Art. 2095 Codice Civile fallen unter den Begriff des prestatore di lavoro leitende Angestellte, Stabsangestellte, Angestellte und Arbeiter.253 Unter den Oberbegriff des lavoro subordinato fallen unterschiedliche Beschäftigungs- und Vertragsformen. Im Wesentlichen kann zwischen dem contratto tipico auf der einen Seite und den contratti atipici bzw. flessibili auf der anderen Seite unterschieden werden. Zur näheren Bestimmung des Inhalts des Begriffs des contratto tipico ist die in der italienischen Rechtswissenschaft herrschende Auffassung, dass die Vertragstypen als Ausfluss einer entsprechenden vorherrschenden Praxis im Wirtschaftsleben zu verstehen sind, heranzuziehen. Ausgehend von ihrer praktischen Relevanz finden contratti tipici Eingang in das gesetzliche Regelungswerk. Dies bildet unter Anlegung allgemeiner zivilrechtlicher Grundsätze den wesentlichen Unterschied zu den contratti atipici. Diese sind grundsätzlich nicht normativ geregelt. In Anbetracht des Grundsatzes der Privatautonomie sind sie dennoch ein zulässiges rechtliches Gestaltungsinstrument.254 Die zivilrechtlichen Kriterien zur Abgrenzung von contratti atipici und flessibili können nicht auf das Arbeitsrecht übertragen werden. Eine Abgrenzung kann im Arbeitsrecht also nicht allein anhand dessen erfolgen, ob ein Vertragsverhältnis gesetzlich geregelt ist oder nicht. Nach der herrschenden Auffassung werden im Arbeitsrecht auch kodifizierte Vertragstypen als contratti atipici bezeichnet. Also auch solche Vertragstypen, die aufgrund ihrer normativen Regelung im allgemeinen Zivilrecht als contratti tipici bezeichnet würden. Contratti atipici im arbeitsrechtlichen Sinne sind solche Vertragstypen bzw. Beschäftigungsformen, an denen entweder ein besonderes öffentliches Interesse besteht, oder die Besonderheiten bezogen auf die Stellung von prestatore und datore di lavoro aufweisen. Dazu zählen die Verträge mit Seeleuten oder des öffentlichen Dienstes (lavoro dei marittimi und lavoro del pubblico impiego) und die Haus- oder Heimarbeit (lavoro a domicilio bzw. domestico). Unter die Gruppe der contratti atipici fallen zudem Vertragstypen wie der Ausbildungsvertrag (apprendistato) oder der – zwischenzeitlich abgeschaffte – Eingliederungsvertrag (contratto di inserimento). Zu der Kategorie der contratti flessibili gehören der befristete Vertrag (contratto a termine) oder die Vertragstypen der Abrufarbeit (le tipologie contrattuali ad orario flessibile).255 bb) Der Begriff des lavoro autonomo Der in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) d.lgs. 216/2003 verwendete Begriff des lavoro autonomo findet sich im Codice Civile als Bezeichnung des 3. Abschnitts des 5. Buches wieder. Der mit der Bezeichnung contratto d’opera bezeichnete Art. 2222 Codice Civile beinhaltet eine – wenn auch ungenügende – Legaldefinition des lavoro 253 254 255

Hierzu auch Grundmann/Grundmann, Einführung, S. 374. Carinci/Perulli, diritto del lavoro, S. 115 f. Carinci/Perulli, diritto del lavoro, S. 127.

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autonomo. Nach dem Wortlaut des Art. 2222 Codice Civile liegt ein contratto d’opera und damit grundsätzlich die Beschäftigungsform des lavoro autonomo dann vor, wenn sich eine Person gegenüber dem Auftraggeber verpflichtet, für eine bestimmte Vergütung ein Werk zu erstellen oder eine Dienstleistung zu erbringen und die Leistungserbringung vorwiegend selbstständig und weisungsfrei erfolgt. Sind diese Voraussetzungen gegeben, finden die Vorschriften des 3. Abschnitts des 5. Buches des Codice Civile Anwendung.256 Soweit die Legaldefinition des contratto d’opera und die Widmung eines eigenen Abschnitts für das lavoro autonomo eine einheitliche Regelung nicht abhängiger Beschäftigungsformen suggerieren, trügt dieser Schein. Eine solche einheitliche Regelung existiert tatsächlich nicht. Dies wird bereits daraus deutlich, dass die Vorschriften des Art. 2222 Codice Civile nur zur Anwendung kommen, wenn das 4. Buch des Codice Civile „Delle Obbligazioni“ keine besonderen Regelungen bezüglich des Vertragsverhältnisses vorsieht. Neben dem contratto d’opera enthält der Codice Civile Regelungen zu weiteren, spezielleren Vertragstypen. Diese finden sich zum Teil ebenfalls im 3. Abschnitt des 5. Buches (Art. 2229 Codice Civile), in der Masse jedoch im 4. Buch des Codice Civile. Hier sind Vertragstypen wie der contratto di appalto, contratto di spedizione oder der contratto di trasporto geregelt. Auf die Vertragstypen des 4. Buches finden die allgemeinen Regelungen des 3. Abschnitts des 5. Buches dann Anwendung, wenn es an einer spezifischen Regelung fehlt und die Anwendung dieser allgemeinen Vorschriften nicht zu sinnwidrigen Ergebnissen führt. Dem Grundsatz nach werden die speziellen Schuldverhältnisse des 4. Buches nach den dort enthaltenen Regelungen behandelt. Perulli beschreibt den contratto d’opera daher zutreffend als Nukleus der übrigen Vertragsverhältnisse des 4. Buches.257 Der 3. Abschnitt des 5. Buches des Codice Civile enthält nach dem Vorgesagten keine allumfassende Regelung des lavoro autonomo. Aus Art. 2222 Codice Civile ist dennoch zumindest die allgemeine Definition zu entnehmen, dass ein Vertragsverhältnis dann zum Bereich des lavoro autonomo gehört, wenn der Auftragnehmer (prestatore d’opera, appaltatore, vettore etc.) seine Leistung erbringt, ohne in die Unternehmenshierarchie des Auftraggebers (committente) eingegliedert zu sein und ein eigenes wirtschaftliches Risiko trägt.258 cc) Abgrenzung von lavoro subordinato und lavoro autonomo Nach der Rechtsprechung der Corte di Cassazione sind lavoro subordinato und lavoro autonomo anhand dessen voneinander abzugrenzen, ob und inwieweit ein Auftragnehmer/Arbeitnehmer dem Direktions- und Organisationsrecht eines Auf256 Art. 2222 Codice Civile lautet: „Quando una persona si obbliga a compiere verso un corrispettivo un’opera o un servizio, con lavoro prevalentemente proprio e senza vincolo di subordinazione nei confronti del committente, si applicano le norme di questo capo, salvo che il rapporto abbia una disciplina particolare nel libro IV.“ 257 Carinci/Perulli, diritto del lavoro, S. 62 f. 258 Carinci/Perulli, diritto del lavoro, S. 62.

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traggebers/Arbeitgebers unterliegt.259 Hier zeigt sich eine weitgehende Übereinstimmung zu der in Deutschland praktizierten typisierenden Unterscheidung von Arbeitsverhältnissen und freien Dienstverhältnissen. Basierend auf der von Hueck entwickelten Definition des Arbeitnehmerbegriffs ist nach Rechtsprechung und h.L. im Wesentlichen der Grad der persönlichen Abhängigkeit des Auftragnehmers vom Auftraggeber dafür entscheidend, ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt.260 Die persönliche Abhängigkeit wiederum wird vom BAG dann angenommen, wenn eine Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation erfolgt und die betreffende Person dem Weisungsrecht eines Arbeitgebers im Hinblick auf „Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit“ unterliegt.261 Auch die italienische Rechtsprechung und Rechtswissenschaft hat bestimmte Kriterien entwickelt, um zu bestimmen, wann eine – das lavoro subordinato prägende – subordinazione vorliegt.262 Ein wesentliches Kriterium wird in der Art der Leistungspflicht, des Vertragsgegenstands263, gesehen. Gemäß der traditionellen Auffassung ist ein Indiz für Beschäftigung in der Form des lavoro subordinato, dass die vertragliche Verpflichtung der einen Partei lediglich darin besteht, ihre Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, ohne dabei einen konkreten Erfolg zu schulden.264 Dieses Kriterium zur Klassifizierung von selbstständiger oder unselbstständiger Arbeit wird mit dem Argument kritisiert, dass auch im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses (lavoro subordinato) nicht allein die Erbringung einer Arbeitsleistung geschuldet wird, sondern – nach und nach konkretisiert durch das Weisungsrecht des Arbeitgebers – auch ein bestimmter Arbeitserfolg.265 Eng verbunden mit dem Kriterium des Vertragsgegenstands ist das Kriterium der Fortdauer. Grundsätzlich, wenn auch in diesem Fall nicht mit ausschließlicher Geltung, lassen sich lavoro autonomo und lavoro subordinato auch anhand dieses Kriteriums voneinander abgrenzen. Während die Erbringung der Dienste im Rahmen des lavoro subordinato ohne Bezug zu einem bestimmten Erfolg fortdauernd geschuldet wird, besteht im Rahmen des lavoro autonomo eine Konnexität zwischen Vertragsdauer und geschuldetem Erfolg.266 In jüngerer Zeit trat die Verteilung des wirtschaftlichen Risikos als weiteres Abgrenzungskriterium hinzu. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, das Kriterium der wirtschaftlichen Abhängigkeit könne im Falle einer breiteren Akzeptanz das Kriterium der Weisungsabhängigkeit ersetzen. Begründet wird dies damit, dass es oftmals gerade diese wirtschaftliche Abhängigkeit sei, die 259 Urteil der Corte Suprema di Cassazione vom 22. 11. 1999, Nr. 12926; für eine ausführliche Betrachtung des Urteils: Granata, lavoro subordinato, S. 633 ff. 260 Instruktiv zu diesem Thema: Ascheid/Preis, Kündigungsrecht, S. 37 ff. 261 Urteil des BAG vom 30. 11. 1994, Az. 5 AZR 704/93, Rn. 23, zitiert nach Juris. 262 Hierzu ausführlich Carinci/Perulli, diritto del lavoro, S. 19 ff. 263 Im Italienischen „oggetto dell’obbligazione“ gennant. 264 Carinci/Perulli, diritto del lavoro, S. 22. 265 Carinci/Perulli, diritto del lavoro, S. 25. 266 Carinci/Perulli, diritto del lavoro, S. 26 ff.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

Arbeitnehmer und Unternehmer unterscheide.267 Als letztes Kriterium wird der Parteiwille herangezogen.268 Würde jedoch den Vertragsparteien die Klassifizierung des Vertrags überlassen, käme es zu einer Vorabfestlegung und eine Einstufung anhand der tatsächlichen Umstände würde unmöglich. Wie Perulli zutreffend beschreibt, würde der Vertragsstatus auf diese Weise „eingegipst“. Zudem obliegt eine solche Typisierung eines Vertragsverhältnisses – nach italienischer Verfassungsrechtsprechung – allein dem zur Entscheidung berufenen Richter.269 dd) Stellungnahme Auch wenn die Abgrenzung zwischen abhängiger und selbstständiger Beschäftigung in Italien und Deutschland an vielen Stellen Übereinstimmungen aufweist, werden gleichzeitig Unterschiede deutlich. In Italien wird zur Bestimmung des Vorliegens einer abhängigen Beschäftigung auf ein Kriterium abgestellt, das in Deutschland vorrangig zur Abgrenzung zwischen Werk- und Dienstverträgen allgemein herangezogen wird.270 Hierbei handelt es sich um die Abgrenzung anhand des oggetto dell’obbligazione, des Vertragsgegenstands. Auch in Deutschland ist die Abgrenzung zum Werkvertrag nicht nur wegen dessen zum Teil mißbräuchlichen Einsatzes nicht unbeachtlich, sondern auch weil Arbeitsverträge klassisch als Dienstverträge im Sinne des § 611 BGB verstanden werden. Ist mittels der Abgrenzung zum Werkvertrag festgestellt, dass es sich um ein Dienstverhältnis handelt, müssen jedoch weitere Kriterien erfüllt sein, um das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses bejahen zu können. Hierzu wird in Deutschland vorrangig auf das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit des Arbeitnehmers abgestellt. Auch in der italienischen Rechtslehre wird dieses Kriterium herangezogen, um das Vorliegen des lavoro subordinato festzustellen. Im italienischen Recht stärker ausgeprägt ist die hierarchische Unterordnung des Arbeitnehmers unter den Arbeitgeber. Wie Perrulli zutreffend betont, wird diese herausgehobene Stellung des imprenditore insbesondere durch Art. 2086 Codice Civile dokumentiert.271 Der in der italienischen Literatur vertretenen Auffassung, wonach das Kriterium der Verteilung des wirtschaftlichen Risikos in Zukunft stärker als Abgrenzungskriterium in den Fokus rücken könnte272, hat das BAG für den deutschen Rechtsraum bereits in den 1990er Jahren eine Absage erteilt. Nach der Auffassung des BAG kann die wirtschaftliche Abhängigkeit nicht zur Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft herangezogen werden.273 267 268 269 270 271 272 273

Carinci/Perulli, diritto del lavoro, S. 29 f. Carinci/Perulli, diritto del lavoro, S. 30 ff. Carinci/Perulli, diritto del lavoro, S. 34. MüKo/Busche, BS Teil II, § 631 Rn. 14. Carinci/Perulli, diritto del lavoro, S. 10. Carinci/Perulli, diritto del lavoro, S. 29 f. Urteil des BAG vom 20. 07. 1994, Az. 5 AZR 627/93, Rn. 34, zitiert nach Juris.

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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Anders als das AGG (vgl. § 6 AGG) enthält das d.lgs. 216/2003 keine unmittelbare Definition der Personen, die unter den persönlichen Schutzbereich fallen. Wie dargestellt, ergeben sich die vom Anwendungsbereich umfassten Personen, bezogen auf den Zugang zur Beschäftigung (occupazione und lavoro), unter Heranziehung der Grundsätze des lavoro autonomo und des lavoro subordinato. Eine klarstellende Regelung im Sinne des § 6 Abs. 3 AGG aus der deutlich hervorgeht, für welche Teile des sachlichen Anwendungsbereichs ein Schutz auch für „Nicht-Arbeitnehmer“ gewährleistet wird, sucht man im d.lgs. 216/2003 vergeblich. Eine entsprechende Einschränkung lässt sich allenfalls daraus herleiten, dass Art. 3 Abs. 1 a) d.lgs. 216/2003 sowohl für das lavoro autonomo als auch das lavoro subordinato/dipendente gilt.274 Im Ergebnis bestehen jedoch keine Zweifel, dass der persönliche Anwendungsbereich des d.lgs. 216/2003 im Wesentlichen deckungsgleich mit dem des AGG ist. Die Benennung von lavoro autonomo und lavoro dipendente in Art. 3 Abs. 1 d.lgs. 216/2003 zeigt, dass – wie im AGG – nicht allein Arbeitnehmer im klassischen Sinne unter den Schutz des AGG fallen, sondern auch Selbstständige vom persönlichen Anwendungsbereich mit umfasst sind.275 Für eine solche weite Auslegung des Anwendungsbereichs spricht auch, dass die Vorschriften des d.lgs. 216/2003 – entsprechend den europarechtlichen Vorgaben – sowohl für den privaten als auch den öffentlichen Sektor Geltung besitzen.276 c) Beschäftigungsbedingungen, Art. 3 Abs. 1 b) d.lgs. 216/2003 Eine weitere Eingrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 b) d.lgs. 216/2003. Demgemäß ist nicht nur der Zugang zu einer Beschäftigung durch die Normen des d.lgs. 216/2003 geschützt, sondern überdies auch die Beschäftigung an sich sowie die mit einer solchen Beschäftigung verbundenen Beschäftigungsbedingungen. Zur genaueren Bestimmung des Inhalts von Art. 3 Abs. 1 b) d.lgs. 216/2003 enthält dieser eine kurze Aufzählung dessen, was insbesondere zum Bereich Beschäftigung bzw. Beschäftigungsbedingungen zu zählen ist. Explizit genannt sind die „avanzamenti di carriera“, die „retribuzione“ sowie die „condizioni del licenziamento“. Diese Konkretisierungen sind der Rahmenrichtlinie entlehnt, wobei die Rahmenrichtlinie eine andere systematische Ordnung aufweist. Während die „avanzamenti di carriera“ in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) Rahmenrichtlinie aufgeführt sind, finden sich die übrigen Beispielnennungen in Art. 3 Abs. 1 Buchst. c) Rahmenrichtlinie. Inhaltlich knüpft Art. 3 Abs. 1 Buchst. b) d.lgs. 216/2003 ergänzend an Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) d.lgs. 216/2003 an. Während Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) d.lgs. 216/ 274

In diesem Sinne auch Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 497 f. Mit dem gleichen Ergebnis Galgano/Lassandri, discriminazioni, S. 142. 276 Galantino, diritto comunitario, S. 229 f. sowie ausführlich mit dem gleichen Ergebnis Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 497 f. 275

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

2003 den Anwendungsbereich in zeitlicher Hinsicht auf die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses beschränkt, erweitert Art. 3 Abs. 1 Buchst. b) d.lgs. 216/ 2003 den Anwendungsbereich auch auf den Zeitraum des Bestehens des Beschäftigungsverhältnisses bis hin zu dessen Beendigung. Avanzamenti di carriera entspricht auf Deutsch dem Begriff des beruflichen Aufstiegs. Im Vergleich mit dem italienischen Wortlaut der Rahmenrichtlinie wird deutlich, dass der Begriff des avanzamento di carriera anstelle des Begriffs der promozione verwendet wird. Der Austausch der Begriffe dient zur Klarstellung, dass nicht allein das Fortkommen in abhängiger Beschäftigung vom sachlichen Anwendungsbereich umfasst sein soll, sondern auch in anderen „Beschäftigungsformen“, etwa im Sinne des lavoro autonomo. Wörtlich aus der Rahmenrichtlinie übernommen sind die beiden anderen konkretisierenden Begriffe „condizioni di licenziamento“ und „retribuzione“. Auch bezüglich dieser beiden Begriffe wäre es sicherlich angezeigt gewesen, nach Alternativen zu suchen. Tatsächlich sind beide Begriffe im Sprachgebrauch eng mit dem lavoro subordinato verknüpft. Da jedoch nach dem Wortlaut („compresi“) die aufgezählten Begriffe nur Beispiele für Beschäftigungsbedingungen sind, ist die Wahl der Begriffe nicht gleichbedeutend mit einer Verengung des Anwendungsbereichs auf die Fälle einer abhängigen Beschäftigung („lavoro subordinato“). Im Wesentlichen zeigen sich damit in der italienischen Umsetzung keine gravierenden Unterschiede zum AGG. Dementsprechend sind die Bedingungen einer Beschäftigung – unabhängig davon, ob für freie Auftragnehmer oder für abhängige Beschäftigte – diskriminierungsfrei zu gestalten. Mit der expliziten Einbeziehung der avanzamenti di carriera in den Schutzbereich wird zudem deutlich, dass nicht nur ein diskriminierungsfreier status quo gewährleistet wird, sondern auch das Fortkommen in den definierten Beschäftigungsformen diskriminierungsfrei zu gestalten ist. d) Zugang zu Berufsbildung und -beratung, Art. 3 Abs. 1 c) d.lgs. 216/2003 Mit Art. 3 Abs. 1 c) d.lgs. 216/2003 wird der Anwendungsbereich des d.lgs. 216/ 2003 auf den Zugang zu beruflicher Bildung und Beratung erstreckt. Die italienische Vorschrift ist im Wortlaut fast identisch mit dem entsprechenden Text der Rahmenrichtline (Art. 3 Abs. 1 Buchst. b) sowie der deutschen Umsetzung im AGG. Wie in der Rahmenrichtlinie wird in Art. 3 Abs. 1 c) d.lgs. 216/2003 zunächst generell verbrieft, dass auf allen Ebenen und zu allen Arten der Berufsberatung (orientamento professionale) und Berufsbildung (formazione professionale) ein diskriminierungsfreier Zugang zu gewährleisten ist. Als konkrete Beispiele werden die berufliche Fortbildung (perfezionamento professionale) als auch die Umschulung (riqualificazione professionale) genannt, wobei ebenso wie im deutschen AGG und im Richtlinientext explizit hervorgehoben wird, dass tirocini professionali, also der Erwerb von Berufserfahrung, etwa in Form eines Praktikums, ebenfalls vom Anwendungsbereich umfasst sind.

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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e) Mitgliedschaft in Organisationen, Art. 3 Abs. 1 d) d.lgs. 216/2003 Art. 3 Abs. 1 d) d.lgs. 216/2003 greift die Regelung des Art. 3 Abs. 1 d) Rahmenrichtlinie auf und garantiert eine diskriminierungsfreie Partizipation in Organisationen, die dem Kontext des Erwerbslebens zugeordnet werden können. Vom Anwendungsbereich umfasst ist sowohl der Zugang zu (affiliazione) als auch die Betätigung (attività) innerhalb einer solchen Organisation. Der Diskriminierungsschutz besteht für die Teilhabe an Arbeitnehmerorganisationen (organizzazioni di lavoratori), z. B. Gewerkschaften, sowie für Arbeitgeberzusammenschlüsse (organizzazioni di datori di lavoro), z. B. Arbeitgeberverbände. Zudem wird der Anwendungsbereich auf weitere berufsbezogene Organisationen (organizzazioni professionali) sowie auf die jeweils von den Organisationen erbrachten Leistungen erweitert. Im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 1 d) d.lgs. 216/2003 wird in der Literatur darauf verwiesen, dass der persönliche Anwendungsbereich in einem weiten Sinne zu begreifen ist. Das Diskriminierungsverbot garantiert nicht nur, dass Dritte (z. B. der Arbeitgeber) eine diskriminierungsfreie Mitwirkung in den genannten Organisationen zuzulassen haben. Dem Gleichbehandlungsgrundsatz ist auch innerhalb der Organisationen Rechnung zu tragen. Auf diese Weise werden auch die Verantwortlichen innerhalb einer solchen Organisation entsprechend verpflichtet.277 Ob und inwieweit sich bei dieser Lesart ein Unterschied zur Einordnung der entsprechenden Vorschrift des AGG ergibt, ist ungewiss. § 2 Abs. 1 Nr. 4 AGG könnte grundsätzlich so verstanden werden. Sicher ist aber, dass die speziellen Rechtsfolgen, wie etwa Entschädigung und Schadensersatz im Sinne von § 15 AGG, nur die in § 6 AGG genannten Verpflichteten, also die dort genannten Arbeitgeber treffen. Betrachtet man die italienische Umsetzung des Gesetzes, wären Entschädigungsoder Schadensersatzleistungen auch als Sanktion für diskriminierendes Verhalten von „Nicht-Arbeitgebern“ denkbar. Der Anwendungsbereich ist damit weitergehend als in Deutschland. f) Sonstige Anwendungsfälle, Art. 3 Abs. 2 d.lgs. 216/2003 In Art. 3 Abs. 2 d.lgs. 216/2003 werden weitere Anwendungsfelder aufgezählt. Art. 3 Abs. 2 S. 1 d.lgs. 216/2003 konkretisiert, dass die Anwendung der Vorschriften des d.lgs. 216/2003 auf bestimmten Gebieten unter Vorbehalt der spezielleren Gesetzesmaterie steht. Dies gilt gemäß Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) d.lgs. 216/ 2003 für die Bestimmungen über den Zugang von Ausländern aus Drittstaaten sowie staatenlosen Personen zu Beschäftigung (condizioni di ingresso, soggiorno ed accesso all’occupazione) sowie zu den sozialen Sicherungssystemen (assistenza e previdenza). Die nationalen Regelungen zum Sozialschutz (sicurezza e protezione sociale) sind ebenfalls bei der Anwendung der Vorschriften des d.lgs. 216/2003 zu 277

Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 494.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

berücksichtigen. Vorrangig zu beachten sind solche Vorschriften, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung (sicurezza pubblica e tutela dell’ordine pubblico) gemäß Art. 3 Abs. 2 Buchst. c) d.lgs. 216/2003 betreffen.278 Mit der Einschränkung auf die verpönten Merkmale des „Alters“ und der Behinderung werden die Streitkräfte aus dem Anwendungsbereich des d.lgs. 216/2003 herausgenommen, Art. 3 Abs. 2 Buchst. e) d.lgs. 216/2003.279 g) Das Verhältnis von d.lgs. 216/2003 und Art. 15 stat. lav. Während – wie gesehen – in Deutschland die Vorschriften des AGG vorrangig von den Regelungen des KSchG abzugrenzen sind, stellt sich in Italien die Frage, wie das Verhältnis des d.lgs. 216/2003 zu Art. 15 stat. lav. zu bewerten ist. Unstreitig sind die Regelungen der Rahmenrichtlinie sowie deren Schwesterrichtlinie wesentlich umfassender als die im Statuto dei lavoratori enthaltene überschaubare Antidiskriminierungsregelung des Art. 15.280 In der Literatur wird hierzu vertreten, dass durch die Umsetzung der europäischen Vorgaben in das italienische Recht die ältere Regelung des Art. 15 stat. lav. weder überholt noch ersetzt worden ist. Das soll selbst für solche Fälle gelten, in denen sich die Anwendungsbereiche des Statuto dei lavoratori und der decreti legislativi aus dem Jahr 2003 vermeintlich überlagern. Die Geister in der italienischen Literatur scheiden sich insbesondere an dem Merkmal des Vorsatzes. Die wohl h.M. in der Literatur argumentiert, dass die alte Regelung des Art. 15 stat. lav. insbesondere deshalb nicht überflüssig wird, da die neuen Regelungen für den Eintritt von Rechtsfolgen keine vorsätzliche Ungleichbehandlung voraussetzen.281 Gleichzeitig wird vertreten, dass durch die neuen Regelungen der Begriff der Diskriminierung neu definiert würde. Dies rechtfertigte die parallele Anwendbarkeit der Regelungen des d.lgs. 216/2003 und des Art. 15 stat. lav.282 Lassandri ist an dieser Stelle anderer Auffassung. Demnach existiere eine solche unterschiedliche Bedeutung der Diskriminierungsbegriffe in den unterschiedlichen normativen Quellen des italienischen Rechts nicht.283 Würden unterschiedliche Diskriminierungsbegriffe im positiven Rechts Italiens existieren, wäre dies nach der Auffassung Lassandris als schizophren zu bezeichnen.284 Das Vorhandensein unterschiedlicher Diskriminie-

278

Galantino, diritto comunitario, S. 230. Mit kritischen Anmerkungen zur Umsetzung der entsprechenden europäischen Vorgaben: Izzi, eguaglianza, S. 390. 280 Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 492. 281 M.w.N. zum Streitstand Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 493; zumindest missverständlich in dieser Hinsicht Nibi, riflessioni, die davon spricht, dass die Unrechtmäßigkeit der Ungleichbehandlung auf die „motivazione“ zurückzuführen ist, eine Differenzierung auf Grund eines der verpönten Merkmale vorzunehmen. 282 Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 493. 283 Galgano/Lassandri, disrciminazioni, S. 94 ff. 284 Galgano/Lassandri, discriminazioni, S. 95. 279

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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rungsbegriffe wird explizit auch für das Verhältnis von d.lgs. 216/2003 und stat.lav verneint.285 Entgegen der Auffassung Lassandris zeigt sich das positive Recht Italiens bezogen auf den Diskriminierungsbegriff uneinheitlich. Daher ist der – unter anderem von Pasqualetto vertretenen Auffassung – bezüglich der Beurteilung des Verhältnisses von d.lgs. 216/2003 und stat.lav. zuzustimmen. Hierfür spricht – neben den bereits angeführten Argumenten – das technische Vorgehen des italienischen Gesetzgebers. Es ist davon auszugehen, dass sich der italienische Gesetzgeber bewusst für eine parallele Anwendung der Vorschriften entschieden hat. Dies lässt sich insbesondere aus dem Umstand ableiten, dass mit Art. 4 Abs. 1 d.lgs. 216/2003 Änderungen an Art. 15 stat. lav. vorgenommen wurden. Mit Inkrafttreten des d.lgs. 216/2003 wurde die Aufzählung der verpönten Merkmale in Art. 15 stat. lav. um die Merkmale „Behinderung“, „Alter“, „sexuelle Orientierung“ und „Weltanschauung“ ergänzt. Eine solche Ergänzung wäre ohne Sinn, wenn der Gesetzgeber von einem deckungsgleichen Anwendungsbereich ausgegangen wäre. 3. Der Begriff der discriminazione im d.lgs. 216/2003 Im d.lgs. 216/2003 wird der Begriff der Diskriminierung/discriminazione nicht – wie im AGG – durch einen anderen Begriff ersetzt. In Art. 2 d.lgs. 216/2003, wie auch in der Rahmenrichtlinie, wird der Begriff „discriminazione“ verwandt und erhält dort eine Legaldefinition.286 Gemäß Art. 2 Abs. 1 d.lgs. 216/2003 wird der Begriff der discriminazione in engem Zusammenhang mit dem principio di parità di trattamento (Grundsatz der Gleichbehandlung) gesehen.287 Nach dem Gesetzeswortlaut ist das principio di parità di trattamento dann verwirklicht, wenn weder eine discriminazione diretta (unmittelbare Diskriminierung) noch eine discriminazione indiretta (mittelbare Diskriminierung) vorliegt, wobei gleichzeitig auf bestimmte, in Art. 3 Abs. 3 – 6 d.lgs. 216/2003 genannte, Ausnahmen hingewiesen wird. Art. 2 Abs. 1 Buchst. a) und b) d.lgs. 216/2003 enthalten sodann die nähere Definition dessen, was unter einer discriminazione diretta bzw. indiretta zu verstehen ist. a) Parità di trattamento und discriminazione im d.lgs. 216/2003 Die aus Art. 2 d.lgs. 216/2003 hervorgehende Verknüpfung von parità di trattamento und discriminazione wird in der italienischen Literatur durchaus kritisch betrachtet.288 Einige Stimmen in der italienischen Literatur, wie etwa Chieco, sehen keine feste Beziehung zwischen discriminazione und parità di trattamento. Vielmehr 285

Galgano/Lassandri, discriminazioni, S. 95 f. Nibi, riflessioni. 287 Nicolini, diritto del lavoro, S. 91. 288 Für eine ausführliche Darstellung des Streitstands: Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 482 f. 286

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

handle es sich bei den norme antidiscriminatorie (Antidiskriminierungsnormen) und dem Grundsatz der parità di trattamento um zwei völlig unterschiedliche Kategorien. Diese Auffassung wird unter anderem mit der einschlägigen italienischen Rechtsprechung begründet.289 Gestützt auf die Rechtsprechung wird argumentiert, dass es viele Sachverhalte gebe, in denen eine differenzierende Behandlung (differenzazione) von Arbeitnehmern als nicht diskriminierend eingestuft worden sei. Gleichzeitig sei die Rechtmäßigkeit bei Anlegung der Grundsätze der parità di trattamento angezweifelt worden.290 Andere – wie Ballestrero – sehen hingegen ein „nesso di strumentalità“ (eine instrumentale Verbindung) zwischen den divieti di discriminazione und dem Grundsatz der parità di trattamento. Nach dieser Auffassung dienen die divieti di discriminazione zur Erreichung der parità di trattamento, indem jedwede Schlechterbehandlung einer Person untersagt wird, die unmittelbar oder mittelbar anhand eines der verpönten Kriterien erfolgt.291 Dabei wird betont, dass Diskriminierungsverbote nicht mit Gleichmacherei verwechselt werden dürften. Es gehe nicht darum, Unterschiede bestimmter Rechtssubjekte zu nivellieren, sondern darum, solche unerwünschten Ungleichbehandlungen zu unterbinden, die aufgrund bestimmter Unterscheidungsmerkmale erfolgten.292 Ähnlich argumentiert Centini. Auch wenn er in der Verknüpfung der divieti di discriminazione und der parità di trattamento durchaus das Potential für eine widersprüchliche Wahrnehmung sieht. Art. 1 d.lgs. 216/2003 erwecke zumindest den Anschein, dass der Kampf gegen die discriminazioni als Mittel zur Erreichung der parità di trattamento zu verstehen sei, wohingegen die Betrachtung von Art. 2 d.lgs. 216/2003 zu dem Schluss führen könnte, dass divieti di discriminazione und parità di trattamento identisch seien. Ein solcher Widerspruch existiere aber nur vordergründig. Bereits der europäische Gesetzgeber habe deutlich gemacht, dass die Antidiskriminierungsvorschriften als Mittel zur Durchsetzung des Prinzips der parità di trattamento zu verstehen seien. Damit werde deutlich, dass die beiden Prinzipien nicht deckungsgleich seien und der parità di trattamento ein weiterer Anwendungsbereich zuzusprechen sei. Dort, wo nicht diskriminiert würde, sei die parità di trattamento noch nicht zwangsläufig verwirklicht. Folglich diene das d.lgs. 216/2003 dazu, einen Teilbereich der parità di trattamento, die non discriminazione, sicherzustellen.293 Die Diskriminierungsverbote und der Gleichbehandlungsgrundsatz stehen nicht – wie von Chieco vertreten – zusammenhangslos nebeneinander. Chieco ist jedoch – übereinstimmend mit der Argumentation von Centini – insoweit Recht zu geben, dass der Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes über den Anwendungsbereich der konkret auf bestimmte Faktoren ausgerichteten Diskriminie289 290 291 292 293

Chieco, direttive communitarie, S. 77 f. Chieco, direttive communitarie, S. 78. Ballestrero, eguaglianze e differenze, S. 517. Ballestrero, eguaglianze e differenze, S. 511. Centini, discriminazioni, S. 2434.

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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rungsverbote hinausgeht. Der Gleichbehandlungsgrundsatz findet schließlich auch in solchen Fällen Anwendung, in denen die Ungleichbehandlung nicht auf Grund eines der verpönten Merkmale erfolgt. Ballestrero wiederum ist darin zuzustimmen, dass die Diskriminierungsverbote akzentuiert die Verwirklichung des Gleichbehandlungsgedankens fördern. Diese Schlussfolgerung lässt sich auch nicht mit der Argumentation entkräften, dass im Rahmen der Diskriminierungsverbote faktisch Ungleiches gleich behandelt würde. Tatsächlich wird mittels der Diskriminierungsverbote zum Ausdruck gebracht, dass bestimmte faktische Ungleichheiten (etwa in Bezug auf das Geschlecht oder das Alter) im Rahmen einer rechtlichen Betrachtung nicht als ungleich erachtet werden. Faktisch Ungleiches wird mittels der Diskriminierungsverbote zu rechtlich Gleichem. Damit ist festzuhalten, dass dort wo diskriminiert wird, jedenfalls auch der Grundsatz der parità di trattamento verletzt ist. Umgekehrt sind dort, wo nicht diskriminiert wird, nicht automatisch die Grundsätze der parità di trattamento gewahrt. b) Der Begriff der discriminazione diretta, Art. 2 Abs. 1 Buchst. a) d.lgs. 216/2003 In Art. 2 Abs. 1 Buchst. a) d.lgs. 216/2003 wird die discriminazione diretta (unmittelbare Diskriminierung) definiert. Im Gegensatz zu der Situation in Deutschland enthielt das italienische Recht bereits zuvor – so etwa in Art. 43 d.lgs. 286/1998 – eine Legaldefinition der discriminazione diretta. Die entsprechenden Vorgaben der Rahmenrichtlinie, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a), wurden bei der Umsetzung in das italienische Recht weitestgehend wortgleich übernommen.294 Die discriminazione diretta wird als die Form der Diskriminierung definiert, bei der das Merkmal, dessen Heranziehung zur Begründung einer Ungleichbehandlung eigentlich verboten ist, dennoch als Kriterium für eine Ungleichbehandlung herangezogen wird.295 Wie das AGG sieht die italienische Umsetzung in Art. 2 Abs. 3 d.lgs. 216/2003 vor, dass die Anweisung zur Vornahme einer Diskriminierung den Tatbestand einer Diskriminierung erfüllt.296 Den Ursprung der discriminazione diretta sieht Ballestrero in der eguaglianza formale (formellen Gleichheit).297 Diese Annahme lässt sich besonders gut nachvollziehen, wenn man sich die Gedanken Cerris zur eguaglianza formale des Art. 3 Abs. 1 Costituzione Italiana in Erinnerung ruft. Cerri beschreibt die eguaglianza formale vornehmlich als Verbot einer rein subjektbezogenen Differenzierung. Diese Interpretation der eguaglianza formale spiegelt sich im Zweck der discriminazione diretta wieder. Das Verbot der discriminazione diretta bezweckt, bestimmte sub294

Zum italienischen Wortlaut der Definition Nicolini, diritto del lavoro, S. 91. Carinci/De Simone, diritto del lavoro, S. 267. 296 Carinci/De Simone, diritto del lavoro, S. 267; Nicolini, diritto del lavoro, S. 94. 297 Ballestrero, eguaglianze e differenze, S. 512; zustimmend Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 495 und Barbera/Barbera, diritto antidiscriminatorio, S. XXXII. 295

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

jektive Merkmale als Grund für eine schlechterstellende Ungleichbehandlung auszuschalten.298 Centini vertritt die Auffassung, dass der modus operandi des Diskriminierungsverbots des d.lgs. 216/2003 grundsätzlich dem Prüfungsmaßstab bei einer Verletzung des Gleichheitsprinzips entspricht. Da der Begriff „meno favorevole“ nicht näher erläutert wird, führt nach seiner Meinung letztlich jede Ungleichbehandlung aufgrund eines der verpönten Merkmale zu einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot.299 Der besondere „Mehrwert“ des Diskriminierungsverbotes des d.lgs. 216/2003 gegenüber den bis dahin existierenden Diskriminierungsverboten wird darin gesehen, dass zur Beurteilung, wann eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung vorliegt, nicht mehr ausschließlich ein konkreter Sachverhalt geprüft wird, sondern auch ein Abgleich mit einer hypothetischen Vergleichsperson erfolgen kann.300 Dies war bei den bis dahin in Italien bestehenden Diskriminierungsverboten, wie etwa Art. 15 stat. lav. oder Art. 4 Abs. 1 legge 125/1991301, nicht der Fall. Hier bedurfte es jeweils einer konkreten Vergleichsperson als Referenzpunkt zur Feststellung einer Diskriminierung.302 Die Art und Weise der Umsetzung des erweiterten Bezugsrahmens des Diskriminierungsbegriffs durch die Ermöglichung der Heranziehung einer hypothetischen Vergleichsperson wird in der Literatur kritisch bewertet. Gemäß Art. 2 Abs. 2 d.lgs. 216/2003 finden die Regelungen des d.lgs. 216/2003 nur dann Anwendung, soweit dadurch nicht von Art. 43 Abs. 1 und. 2 d.lgs. 286/1998 abgewichen wird. Art. 43 Abs. 1 d.lgs. 286/1998 enthält ebenfalls ein Diskriminierungsverbot. Bezogen auf die verpönten Merkmale „Rasse“, „ethnische Herkunft“, „Nationalität“ und „Religion“ besteht eine Schnittmenge zum Diskriminierungsverbot des d.lgs. 216/2003. Im Unterschied zu den Regelungen des d.lgs. 216/2003 eröffnet Art. 43 d.lgs. 286/1998 aber nicht die Möglichkeit des Abgleichs mit einer hypothetischen Vergleichsperson.303 Da sich die sachlichen Anwendungsbereiche für den Bereich des Arbeitslebens überschneiden, führt dies dazu, dass im Hinblick auf die genannten verpönten Merkmale ein anderer Diskriminierungsbegriff zur Anwendung kommt, als dies für die übrigen Merkmale, wie etwa das Alter, der Fall ist.304 298

Cerri, Eguaglianza, S. 127. Centini, discriminazioni, S. 2437. 300 Chieco, discriminazione, S. 563 sowie sehr ausführlich zum Thema Izzi, discriminazione, S. 423 ff. 301 Legge vom 10. 04. 1991, Nr. 125, in der ursprünglichen Fassung abrufbar im Internet unter http://www.lavoro.gov.it/Lavoro/Strumenti/normativa. 302 Chieco, discriminazione, S. 564; Barbera/Barbera, diritto antidiscriminatorio, S. XXXII sowie De Simone, eguaglianza e nuove differenze, S. 535, die in der Möglichkeit der Bezugnahme auf eine hypothetische Vergleichsperson eher eine Form der Beweiserleichterung sieht, als eine tatsbestandliche Ausweitung des Diskriminierungsbegriffs; ebenso Carinci/ Pasqualetto, commentario, S. 495. 303 Chieco, discriminazione, S. 566 f. 304 Chieco, discriminazione, S. 567. 299

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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Chieco konstatiert deshalb zutreffend, dass Italien hinter den Anforderungen der Rahmenrichtlinie zurückbleibt, da auch eine analoge Anwendung von Vorschriften – mangels entsprechender Regelungslücke – nicht möglich ist.305 Die Regelung des d.lgs. 216/2003 unterscheidet sich in diesem Punkt auch von der deutschen Umsetzung der Rahmenrichtlinie. Eine abweichende Begriffsdefinition für bestimmte verpönte Merkmale kennt das AGG nicht. Die Möglichkeit zur Heranziehung einer hypothetischen Vergleichsperson ist gemäß Art. 3 Abs. 1 AGG für alle verpönten Merkmale gleichermaßen möglich. c) Der Begriff der discriminazione indiretta, Art. 2 Abs. 1 Buchst. b) d.lgs. 216/2003 Sanktioniert wird nicht nur die unmittelbare Ungleichbehandlung auf Grund eines der verpönten Merkmale. Das Diskriminierungsverbot umfasst auch die Fälle der sogenannten discriminazione indiretta. Die Rechtsfigur der discriminazione indiretta existierte im italienischen Recht bereits vor Umsetzung der Rahmenrichtlinie.306 Sowohl die legge 125/1991 als auch das Immigrationsgesetz aus dem Jahr 1998, das d.lgs. 286/1998, enthielten eine Begriffsdefinition der discriminazione indiretta. Der bereits vorhandene Begriff wird durch die Umsetzung des d.lgs. 216/ 2003 jedoch erweitert.307 Während die mittelbare Diskriminierung zuvor nur auf einige, wenige Persönlichkeitsmerkmale beschränkt war, statuieren die italienischen Gesetze zur Umsetzung der Rahmenrichtlinie sowie deren Schwesterrichtlinie, dass sich die mittelbare Diskriminierung nunmehr auf alle dort genannten Merkmale bezieht.308 Gemäß der in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b) d.lgs. 216/2003 enthaltenen Legaldefinition liegt eine eine discriminazione indiretta vor, wenn scheinbar neutrale Vorschriften (disposizioni), Kriterien (criteri) oder Verfahren (prassi) dazu führen können, dass Träger eines verpönten Merkmals im Vergleich zu Nichtmerkmalsträgern in besonderer Weise einer Benachteiligung ausgesetzt sind. Der ansonsten eng an die Vorgaben der Rahmenrichtlinie angelehnte Wortlaut des d.lgs. 216/2003 geht bei der Beschreibung der möglichen Verletzungshandlungen über die Vorgaben der Rahmenrichtlinie hinaus. Demnach kann gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. b) d.lgs. 216/2003 eine discriminazione indiretta ausdrücklich auch aus einer Handlung (atto), einem Vertrag (patto) oder einem sonstigen Verhalten (comportamento) resultieren.309 Wie bereits bei der discriminazione diretta gesehen, ordnet Ballestrero die discriminazione indiretta in das Gefüge von formeller und materieller Gleichheit 305

Chieco, discriminazione, S. 568. Für eine ausführliche Darstellung Savino, giustificazioni, S. 571 ff. 307 Kritisch zur unterschiedlichen nationalen Definition des Diskriminierungsbegriffs: Amato, discriminazioni, S. 274 ff. 308 Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 495 f. 309 Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 496 sowie Nibi, riflessioni. 306

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

ein und kategorisiert die discriminazione indiretta als Ausprägung der eguaglianza sostanziale.310 Diese Einordnung lässt sich durchaus mit dem Inhalt der eguaglianza sostanziale in Einklang bringen. Die eguaglianza sostanziale soll in Situationen, in denen bei ausschließlicher Anwendung formeller Gleichheit unerwünschte faktische Ungleichheiten verbleiben, zu einer Angleichung der Verhältnisse führen. Die gleiche Absicht wird auch im Rahmen der discriminazione indiretta verfolgt. Auch im Falle der discriminazione indiretta verbleiben, trotz oder gerade wegen Gewährleistung formeller Gleichheit, bei materieller Betrachtungsweise unerwünschte Ungleichheiten. Weitergehend als in Deutschland zu Fällen der mittelbaren Benachteiligung vertreten, geht die wohl h.M. in der italienischen Literatur davon aus, dass es zur Bejahung einer discriminazione indiretta ausreicht, wenn eine der Tathandlungen theoretisch dazu geeignet ist, diskriminierend zu wirken. Es ist demnach nicht erforderlich, dass sich das diskriminierende Handeln konkret als Schaden bei einem Betroffenen niederschlägt.311 Chieco vertritt, dass sogar rein „virtuelle“ Fälle als ungerechtfertigte Ungleichbehandlung und damit als discriminazione indiretta eingestuft werden können.312 Wie in Deutschland wird in der italienischen Literatur vertreten, dass nicht jede mittelbare Ungleichbehandlung den Tatbestand einer discriminazione indiretta im Sinne des d.lgs. 216/2003 erfüllt. Vielmehr liegt diese erst ab einer gewissen Eingriffsintensität vor. Ob eine discriminazione indiretta zu bejahen ist, soll sich nach dem tatsächlichen Grad der (womöglich auch nur hypothetischen) Benachteiligung bestimmen. Im Falle der deutschen Umsetzung kommt dieses Erfordernis dadurch zum Ausdruck, dass eine mittelbare Benachteiligung nur dann vorliegt, wenn die Betroffenen in „b e s o n d e r e r Weise“ benachteiligt werden. Im d.lgs. 216/ 2003 lässt sich dieses Erfordernis aus der Formulierung „mettere […] in una situazione di p a r t i c o l a r e svantaggio“ entnehmen. Bereits zuvor existierte im nationalen Recht ein solches quantitatives Erfordernis. Hier wurde lediglich eine proportional stärkere Benachteiligung gefordert.313 Das Erfordernis einer bestimmten „Eingriffsintensität“ ist – nach Auffassung von Centini – ein weiterer Aspekt, in dem sich discriminazione diretta und indiretta unterscheiden.314 Tatsächlich ist Savino zuzustimmen, dass dies zu einer qualitativen Veränderung des Begriffs der discriminazione indiretta führt.315

310

Ballestrero, eguaglianze e differenze, S. 512. Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 496. 312 Chieco, direttive comunitarie, S. 90 sowie Izzi, discriminazione, S. 424. 313 Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 496. 314 Centini, discriminazioni, S. 2437. 315 Savino, giustificazioni, S. 574 f.; die Veränderung des Diskriminierungsbegriffs begrüßend: Izzi, discriminazione, S. 431 und De Simone, eguaglianza e nuove differenze, S. 532 f. 311

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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d) Rechtfertigung und discriminazioni dirette und indirette Ob und inwieweit merkmalsbezogene Ungleichbehandlungen gerechtfertigt sein können, ist in der italienischen Literatur ein ständig und intensiv bearbeitetes Thema. Die Umsetzung der Vorgaben der Rahmenrichtlinie in nationales Recht haben die Diskussionen zu diesem Thema wieder befeuert. Besonders heftig diskutiert wird, ob unmittelbare Ungleichbehandlungen gerechtfertigt sein können. aa) Rechtfertigung im Rahmen der discriminazioni dirette Eng angelehnt an Art. 4 Abs. 1 Rahmenrichtlinie ergibt sich aus Art. 3 Abs. 3 d.lgs. 216/2003, dass eine im Zusammenhang mit einem der verpönten Merkmale stehende Ungleichbehandlung keine Diskriminierung darstellt, wenn diese den Besonderheiten einer bestimmten beruflichen Aktivität oder dem Umfeld, in dem diese ausgeübt wird, Rechnung trägt, und es sich dabei um eine wesentliche berufliche Anforderung handelt. Diese Annahme steht nach dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 d.lgs. 216/2003 unter dem Vorbehalt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Demnach stellt eine Ungleichbehandlung lediglich dann keine Diskriminierung dar, wenn die Prinzipien der proporzionalità und der ragionevolezza Beachtung finden und das mit der Ungleichbehandlung verfolgte Ziel rechtmäßig ist. Der Zusatz „[…] e purché la finalità sia legittima“, also die Voraussetzung der Verfolgung eines rechtmäßigen Ziels, war in der Ausgangsfassung des d.lgs. 216/2003 noch nicht enthalten, sondern fand erst später durch das decreto-legge n. 59/2008316 bzw. die legge 101/2008317 Eingang in den Wortlaut des d.lgs. 216/2003.318 Dieser Gesetzesänderung war ein Vertragsverletzungsverfahren319 gegen die Italienische Republik vorangegangen. Trotz des, insbesondere im Hinblick auf die Rechtsfolge, recht eindeutigen Wortlauts des Art. 3 Abs. 3 d.lgs. 216/2003 wird das Thema der Rechtfertigungsmöglichkeiten in der italienischen Literatur ausführlich und mit durchaus unterschiedlichen Ergebnissen thematisiert. Centini vermeidet bezogen auf Art. 3 Abs. 3 d.lgs. 216/2003 die Verwendung des Begriffs der giustificazione. Die Möglichkeit, eines der verpönten Merkmale zur Grundlage einer differenzierten Behandlung zu machen, ohne dabei gegen das Diskriminierungsverbot zu verstoßen, bezeichnet Centini als Ausnahme von der 316

Decreto-legge vom 08. 04. 2008, Nr. 59: Disposizioni urgenti per l’attuazione di obblighi comunitari e l’esecuzione di sentenze della Corte di giustizia delle Comunita’ europee, abrufbar im Internet unter http://www.normattiva.it. 317 Legge 06. 06. 2008, Nr. 101: Conversione in legge, con modificazioni, del decreto-legge 8 aprile 2008, n. 59, recante disposizioni urgenti per l’attuazione di obblighi comunitari e l’esecuzione di sentenze della Corte di giustizia delle Comunita’ europee, abrufbar im Internet unter http://www.normattiva.it. 318 De Simone kritisiert diese zunächst unterlassene Umsetzung der Vorgaben der Rahmenrichtlinie, Carinci/De Simone, diritto del lavoro, S. 270. 319 Vertragsverletzungsverfahren 2006/2441; Pressemitteilungen der EU-Kommission IP/ 09/1620 sowie IP/10/408, abrufbar im Internet unter: http://europa.eu/rapid/search.htm.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

Regel (eccezione/regola). Bezugnehmend auf den Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 d.lgs. 216/2003 hält er eine solche Ausnahme für möglich, wenn sich die Gründe für die Heranziehung eines der verpönten Merkmale mit der Natur spezieller beruflicher Anforderungen begründen lassen.320 Darüber hinausgehend sieht er keinen Spielraum für Ausnahmen von der grundsätzlichen Regel der Gleichbehandlung.321 Eine noch rigidere Auffassung vertritt La Tegola. Für ihn kommt den Diskriminierungsverboten eine absolute Geltung zu.322 Diese absolute Geltung führe dazu, dass ein Außerkraftsetzen der Diskriminierungsverbote oder die Einführung von Ausnahmen nicht toleriert werden könne. Vor diesem Hintergrund verbiete sich bezogen auf Art. 3 Abs. 3 d.lgs. 216/2003 die Verwendung der Begriffe „giustificazione“ bzw. „eccezione“. Die in Rede stehenden Vorschriften führten vielmehr zu einem Ausschluss der entsprechenden Situationen aus dem Anwendungsbereich.323 Diese von La Tegola vertretene Auffassung wird von Ballestrero als h.M. charakterisiert. Eine Rechtfertigung (giustificazione) einer unmittelbaren Ungleichbehandlung scheidet auch nach Ballestreros Auffassung aus. Lediglich in solchen Fällen, in denen ausdrücklich Ausnahmen (eccezioni) zugelassen seien, könne eine Diskriminierung zu verneinen sein, obwohl eines der verpönten Merkmale unmittelbar als Differenzierungskriterium herangezogen wurde. Voraussetzung hierfür sei jedoch, dass der Ausnahme (eccezione) ein rechtmäßiges Ziel zugrundeliege.324 Pasqualetto hielt es auf unionsrechtlicher Ebene für einen herrschenden Konsens, dass den Verboten einer unmittelbaren Diskriminierung absolute Geltung zukomme und allenfalls bezogen auf die mittelbare Diskriminierung eine Rechtfertigung denkbar sei. Umso mehr kritisiert sie eine in dieser Hinsicht vermeintlich unzulängliche Umsetzung europäischer Vorgaben in das nationale Recht. Sie hält insbesondere die Gestaltung von Art. 3 Abs. 3 d.lgs. 216/2003 als eine auf beide Formen der Diskriminierung anwendbare Generalklausel („clausola generale eccettuativa“) für verunglückt. Eine Anwendung dieser Ausnahmevorschrift auf beide Diskriminierungsformen finde in den zugrundeliegenden Richtlinien keine Entsprechung. Vielmehr sei in den Richtlinien die Anwendung der entsprechenden Ausnahmevorschrift lediglich für die Fälle der mittelbaren Diskriminierung vorgesehen.325 Barbera steht der Verwendung der Begriffe „giustificazione“ und „deroga“ weniger skeptisch gegenüber. Im Gegenteil, für Barbera haben beide Begriffe ihre Daseinsberechtigung. Während nach ihrer Auffassung der Begriff der deroga (Ab320

Centini, discriminazioni, S. 2438. Centini, discriminazioni, S. 2438 f. 322 Soweit von der absoluten Geltung der Diskriminierungsverbote die Rede ist, wird diesem Begriff oftmals eine unterschiedliche Bedeutung beigemessen. Barbera verwendet den Begriff um der Erweiterung des Diskriminierungstatbestands auf hypothetische Vergleichspersonen gerecht zu werden, Barbera/Barbera, diritto antidiscriminatorio, S. XXXII. 323 La Tegola, discriminazione, S. 474 f. 324 Ballestrero, eguaglianza e differenze, S. 514. 325 Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 503. 321

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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weichungen) bezogen auf die discriminazione diretta zur Anwendung komme, sei hinsichtlich der discriminazione indiretta von giustificazioni (Rechtfertigung) zu sprechen.326 Für Barbera führt die voranschreitende Ausdehnung des Anwendungsbereichs von Diskriminierungsverboten zu einer wachsenden Bedeutung der Ausnahme- und Rechtfertigungstatbestände und lässt die Diskussion rund um die Rechtfertigungsmöglichkeit unmittelbarer Ungleichbehandlungen wieder aufflammen.327 In den Diskriminierungsverboten der Rahmenrichtlinie und des d.lgs. 216/2003 sieht De Simone vorrangig eine Begrenzung der dem Arbeitgeber grundsätzlich zustehenden Befugnisse zur Gestaltung seiner jeweiligen unternehmerischen Betätigung. Zutreffend spricht De Simone in diesem Zusammenhang von „giustificazioni delle differenze di trattamento“ und nicht etwa von „discriminazioni giustificate“.328 Wie a.a.O. bereits erörtert, schließt die Annahme eines Rechtfertigungstatbestands die Verwendung des Begriffs Diskriminierung aus. In Art. 3 Abs. 3 d.lgs. 216/2003 sieht De Simone eine Art von Generalklausel zur Abgrenzung der Begriffe Diskriminierung und gerechtfertigter Ungleichbehandlung. Eine unmittelbare Ungleichbehandlung könne auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 3 d.lgs. 216/2003 gerechtfertigt sein, wenn es sich um eine wesentliche Anforderung (requisito essenziale) handle. Darüber hinaus müsse mit der Differenzierung anhand eines verpönten Merkmals ein rechtmäßiges Ziel (obiettivo legittimo) verfolgt werden, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sei.329 Izzi beschäftigt sich insbesondere intensiv mit der Frage, ob Rechtfertigungen im Bereich der discriminazioni dirette möglich sind.330 Den vermeintlich geltenden Grundsatz, dass discriminazioni dirette nicht gerechtfertigt sein können, sieht sie an bestimmten Stellen in Zweifel gezogen. Die verschiedenen Auffassungen unterscheiden sich nach ihrer Auffassung weniger im Ergebnis als dahingehend, auf welchem Weg man zu einem Ergebnis gelangt. Sie gesteht ein, dass insbesondere die europäische Rechtsprechung zwischenzeitlich öfter dazu tendiert hat, bestimmte Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung zuzulassen. Diese Ausnahmen seien aber nicht mit dem Vorliegen einer Rechtfertigung begründet worden, sondern es sei bereits verneint worden, dass vergleichbare Situationen vorlägen. Die Tatsache, dass im Ergebnis beide Auffassungen in vielen Fällen zu demselben Ergebnis 326 Guaglianone nimmt eine sehr ähnliche Unterteilung vor und spricht unter dem Oberbegriff deroga von eccezioni in Bezug auf unmittelbare Ungleichbehandlungen und giustificazioni in Bezug auf mittelbare Ungleichbehandlungen, Barbera/Guaglianone, diritto antidiscriminatorio, S. 272 ff. 327 Barbera/Barbera, diritto antidiscriminatorio, S. XXXVII; Galantino geht noch weiter und verwendet im Hinblick auf die in Art. 3 Abs. 3 d.lgs. 216/2003 niedergelegten Grundsätze undifferenziert den Begriff der giustificazione (Rechtfertigung), Galantino, diritto comunitario, S. 230; a.A. del Punta, diritto del lavoro, S. 444 f. 328 Carinci/De Simone, diritto del lavoro, S. 267. 329 Carinci/De Simone, diritto del lavoro, S. 268. 330 Izzi, discriminazione, S. 62 ff.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

kommen, führt sie nicht zu der Schlussfolgerung, dass das vermeintlich falsche Dogma von der absoluten Geltung des Verbots der discriminazioni dirette zu Fall gebracht werden müsste. Auch wenn das Antidiskriminierungsrecht offenkundig einen starken Hang zur Ambiguität habe, dürfe dies nicht dazu führen, dass Generalklauseln eine Vielzahl von Ausnahmen zulassen. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass die europäische Rechtsprechung immer wieder das Bedürfnis einer restriktiven Auslegung der Diskriminierungsverbote betone.331 Auch wenn die Umsetzung der Rahmenrichtlinie in italienisches Recht dazu geführt hat, dass die Diskussion über die Rechtfertigungsmöglichkeit unmittelbarer Ungleichbehandlungen wieder neu aufgeflammt ist, geht die wohl h.M. weiterhin davon aus, dass – außer in gesetzlich explizit geregelten Fällen – keine irgendwie gearteten Ausnahme- oder Rechtfertigungstatbestände denkbar sind. Die im d.lgs. 216/2003, aber auch in anderen Vorschriften vorgesehenen gesetzlichen Ausnahmevorschriften, werden als die Regel bestätigende Ausnahmen angesehen.332 Die Auffassung, wonach die Rechtfertigung einer unmittelbaren Ungleichbehandlung auch in gesetzlich nicht explizit geregelten Fällen möglich ist, wird in Italien in der Form (noch) nicht vertreten. Dies dürfte nicht zuletzt dem Umstand geschuldet sein, dass in Bezug auf die in Italien bereits zuvor bestehenden Diskriminierungsverbote, weitgehende Einigkeit dahingehend bestand, dass unmittelbare Ungleichbehandlungen einer Rechtfertigung nicht zugänglich seien. Ein Abweichen von diesem Standpunkt fällt offenkundig schwer. Dies zeigt sich insbesondere in der uneinheitlichen Benennung der gesetzlich normierten „Ausnahmetatbestände“ wie Art. 3 Abs. 3 d.lgs. 216/2003. Die Bandbreite reicht hier von deroga (Ausnahme) bis hin zu giustificazione (Rechtfertigung). Darüber hinaus wird in der italienischen Literatur aber auch die Reichweite der Vorgaben der Richtlinien verkannt. So etwa von Pasqualetto, soweit sie dem italienischen Gesetzgeber unterstellt, dieser habe mit Art. 3 Abs. 3 d.lgs. 216/2003 eine Ausnahmevorschrift geschaffen, die in dieser Weise keine Entsprechung in der Rahmenrichtlinie finde. Europarechtlich sei die entsprechende Regelung ausschließlich auf die Fälle der mittelbaren Diskriminierung anwendbar.333 Tatsächlich lässt sich Art. 4 Abs. 1 Rahmenrichtlinie aber keine solche Beschränkung auf Fälle der mittelbaren Diskriminierung entnehmen. Dieser doch recht massive Widerstand gegen die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen im Privatrecht verwundert insbesondere deshalb, weil in der italienischen Literatur und Rechtsprechung der Grundsatz der Vertragsfreiheit eine besonders zentrale Rolle spielt. Insoweit ist sogar die Rede von der „intangbilità della volontà contrattuale“, also der „Unantastbarkeit des vertraglichen Willens“.334 Lediglich nach und nach kommen in der italienischen Literatur Stimmen auf, die eine 331

Izzi, discriminazione, S. 70 f. Barbera/Bonardi, diritto antidiscriminatorio, S.141; Novella, principio di eguaglianza, S. 563. 333 Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 503. 334 Träger, Vertragsfreiheit, S. 500. 332

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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Einschränkung der Vertragsfreiheit befürworten.335 Im Gegensatz zu der Situation in Deutschland, wo der Konflikt zwischen Privatautonomie und privatrechtlichen Diskriminierungsverboten durchaus diskutiert wird, ist dies in Italien offenkundig (noch) nicht der Fall. Obwohl Italien – wie gesehen – auf eine weitaus längere Tradition privatrechtlicher Diskriminierungsverbote zurückschauen kann. bb) Rechtfertigung im Rahmen der discriminazioni indirette Nach der wohl h.M. ist im Fall der mittelbaren Diskriminierung/discriminazione indiretta eine Rechtfertigung denkbar. Die Rechtfertigungsmöglichkeit wurde sogar als integraler Bestandteil dieser Form der Ungleichbehandlung angesehen.336 Neben Art. 3 Abs. 3 d.lgs. 216/2003 existiert mit Art. 3 Abs. 6 d.lgs. 216/2003 ein konkret auf das Verbot mittelbarer Diskriminierung bezogener Ausnahmetatbestand. Es handelt sich dabei um die Umsetzung des Art. 2 Abs. 2 b) i) Rahmenrichtlinie. Nach dem Wortlaut der Vorschrift liegt eine Diskriminierung dann nicht vor, wenn die unterschiedliche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist („[…] pur risultando indirettamente discriminatorie, siano giustificate oggettivamente […]“). Von einer objektiven Rechtfertigung wird gesprochen, wenn mit einer Ungleichbehandlung ein rechtmäßiges Ziel verfolgt wird und die dabei zur Anwendung gebrachten Mittel angemessen und notwendig sind („[…] finalità legittime perseguite attraverso mezzi appropriati e necessari, […]“).337 La Tegola bezieht sich zur Definition dessen, was unter finalità legittime zu verstehen ist, auf die Erwägungsgründe der Rahmenrichtlinie, insbesondere Erwägungsgrund Nr. 25. Nach ihrer Auffassung gelten die in Erwägungsgrund 25 niedergelegten Grundsätze nicht nur für Fälle der Altersdiskriminierung, sondern können allgemein und für beide Arten der Diskriminierung herangezogen werden. Demnach sei das Erfordernis einer finalità legittima (rechtmäßiges Ziel) ein Instrument, um die Balance zwischen der Absicht herzustellen, ein verpöntes Merkmal zu bestimmten Zwecken heranziehen zu wollen und den Wertgehalt der eguaglianza zu wahren. Demnach kommen als rechtmäßige Ziele insbesondere (in particolare) solche der Beschäftigungspolitik (politica dell’occupazione), des Arbeitsmarktes (mercato di lavoro) sowie der beruflichen Bildung (formazione professionale) in Betracht. Daraus schließt La Tegola, dass eine finalità legittima nur dann vorliegen kann, wenn diese in der Verfolgung eines schützenswerten Interesses besteht.338 Ballestero äußert harsche Kritik an der Form, wie Art. 2 Abs. 2 b) i) Rahmenrichtlinie mit Art. 3 Abs. 6 d.lgs. 216/2003 vom italienischen Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt wurde. Dieser habe – den bis dahin vermeintlich aner335

Träger, Vertragsfreiheit, S. 501. Izzi, eguaglianza, S. 62; Barbera/Barbera, diritto antidiscriminatorio, S. XXXVII. 337 Nicolini, diritto del lavoro, S. 93. 338 La Tegola, discriminazione, S. 500 sowie ausführlich zum Thema Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 509. 336

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

kannten – Grundsatz vernachlässigt, wonach Fälle einer objektiven Rechtfertigung nicht in den Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots fallen. Sobald der Begriff Diskriminierung verwendet würde, könne von Rechtfertigung keine Rede mehr sein. Im italienischen Gesetz würde Diskriminierung, die grundsätzlich immer untersagt sei, mit der Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung verwechselt, die, wenn sie vorliege, eine Diskriminierung bereits begrifflich ausschließe.339 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die h.M. Ausnahmen vom Prinzip der mittelbaren Diskriminierung zulässt. Ausnahmen vom grundsätzlichen Verbot einer mittelbaren Ungleichbehandlung auf Grund eines der verpönten Merkmale werden überwiegend mit dem Begriff der giustificazione bezeichnet. Der von La Tegola verfolgte Ansatz, in Erwägungsgrund 25 der Rahmenrichtlinie eine Definitionsstütze für das rechtmäßige Ziel (finalità legittima) zu sehen, darf allerdings nicht so weit führen, dass rechtmäßige Ziele ausschließlich in der Beschäftigungspolitik, dem Arbeitsmarkt oder der beruflichen Bildung zu finden sind. Vielmehr sind auch solche Ziele denkbar, die nicht unmittelbar den – beispielhaft – genannten Feldern zuzuordnen sind. Soweit Ballestrero dem italienischen Gesetzgeber handwerkliche Fehler bei der Umsetzung von Art. 2 Abs. 2 b) i) Rahmenrichtlinie in das d.lgs. 216/2003 vorwirft, ist ihr weitestgehend zuzustimmen. Tatsächlich muss die verunglückte Formulierung des Art. 3 Abs. 6 d.lgs. 216/2003 so verstanden werden, dass auch gerechtfertigte (mittelbare) Diskriminierungen denkbar sind. Dies ist, bezogen auf die insoweit gelungenere deutsche Umsetzung, nicht der Fall.340 e) Rechtsschutz bei Verstoß gegen divieti di discriminazione Mit Art. 9 Rahmenrichtlinie ist den Mitgliedsstaaten aufgegeben worden, die Durchsetzung der Diskriminierungsverbote durch geeignete Rechtsschutzmaßnahmen zu gewährleisten. Die konkrete Umsetzung dieses Rechtsschutzes wurde weitgehend den Mitgliedsstaaten überlassen. Aus Art. 9 Rahmenrichtlinie geht hervor, dass gerichtlicher Rechtsschutz zu gewährleisten ist. Diese Vorgaben werden in den Art. 4 und 5 d.lgs. 216/2003 aufgenommen.

339 Ballestrero, eguaglianze e differenze, S. 514; dieser Kritik schließt sich auch Savino an, Savino, giustificazioni, S. 590; auch La Tegola, discriminazione, S. 478 und 500, die den italienischen Gesetzgeber ebenfalls im Hinblick auf Art. 3 Abs. 6 d.lgs. 216/2003 kritisiert, wenn auch mit der zusätzlichen Begründung, dass der in Abs. 6 explizit genannte Fall in Bezug auf die Erziehung Minderjähriger durch vorbestrafte Sexualstraftäter in Wirklichkeit Ausdruck einer Homophobie des italienischen Gesetzgebers sei. 340 Zum AGG Schleusener/Schleusener, AGG, § 1 Rn. 14.

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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aa) Verfahrensform des rito sommario di cognizione, d.lgs. 150/2011 Seit dem Inkrafttreten im Jahr 2003 bis zum Ende des Jahres 2011 sah Art. 4 d.lgs. 216/2003 in 8 Absätzen ausführliche Regelungen zum prozessualen Verfahren im Falle einer Diskriminierung vor. Mit dem Inkrafttreten des d.lgs. 1 settembre 2011, Nr. 150341 wurde die – erst im Jahre 2009 – neu eingeführte Verfahrensform des rito sommario di cognizione342 auf Verstöße gegen die im d.lgs. 216/2003 kodifizierten Diskriminierungsverbote für anwendbar erklärt. Nach dem neu gestalteten Art. 4 Abs. 2 d.lgs. 216/2003 findet daher vorrangig die Vorschrift des Art. 28 d.lgs. 150/2011 Anwendung. In besonderen Fällen ist zudem Art. 44 Abs. 11 d.lgs. 286/1998 anwendbar. Die neue Verfahrensform des rito/procedimento sommario di cognizione wurde implementiert, um gegenüber dem herkömmlichen Verfahren, dem procedimento ordinario, eine Verfahrensbeschleunigung zu erreichen.343 Diese Verfahrensbeschleunigung soll allerdings nicht dadurch erzielt werden, dass eine Entscheidung weniger erkenntnisfundiert getroffen wird. Eindringlich wird darauf hingewiesen, dass sich die sommarietà auf das procedimento/rito bezieht und nicht auf die cognizione, also den notwendigen Grad richterlicher Erkenntnis. Um die Beschleunigung des Verfahrens zu erreichen, werden dem zur Entscheidung berufenen Richter weitgehende Befugnisse eingeräumt, von den üblichen formellen Abläufen eines Gerichtsverfahrens abzuweichen und das Verfahren im Wesentlichen in der Weise zu führen, die er bezogen auf den vorliegenden Sachverhalt für angebracht hält.344 Die Frage, ob ein Verstoß gegen eines der Diskriminierungsverbote des d.lgs. 216/ 2003 vorliegt, wird grundsätzlich im Rahmen des procedimento/rito sommario di cognizione beantwortet. Die Zuordnung zu einem neuen – beschleunigten – Verfahren ist in Deutschland nicht vorgenommen worden. In Deutschland sind die aus einer Diskriminierung/Benachteiligung resultierenden Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis grundsätzlich im regulären Urteilsverfahren vor den Arbeitsgerichten geltend zu machen. Das italienische Ansinnen, in Diskriminierungsverfahren möglichst schnell zu einer Entscheidung zu kommen, ist durchaus nachvollziehbar. Auf diese Weise könnte dem Betroffenen einer Diskriminierung eine lange Auseinandersetzung erspart bleiben. Inwieweit das procedimento/rito sommario di cognizione dazu führt, dass die – insbesondere im Vergleich zu Deutschland –

341

Exakter Titel des d.lgs. 150/2011: Disposizioni complementari al codice di procedura civile in materia di riduzione e semplificazione dei procedimenti civili di cognizione, ai sensi dell’articolo 54 della legge 18 giugno 2009, n. 69, abrufbar im Internet unter http://www.normat tiva.it. 342 Eingeführt mit der legge 18. 06. 2009, Nr. 69: Disposizioni per lo sviluppo economico, la semplificazione, la competitivita’ nonche’ in materia di processo civile, abrufbar im Internet unter http://www.normattiva.it. 343 Zum alten Verfahren ausführlich: Amoroso/Amoroso, processo, S. 1044 ff. 344 Viola, procedimento sommario.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

überlange Verfahrensdauer arbeitsgerichtlicher Streitigkeiten abnimmt, mag sich noch zeigen.345 Gemäß Art. 28 Abs. 2 d.lgs. 150/2011 ist örtlich das Gericht zuständig, an dem der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz hat. Art. 28 Abs. 3 d.lgs. 150/2011 bestimmt überdies, dass die Parteien sich in der 1. Instanz persönlich vertreten können. Entsprechend der deutschen Vorschrift des § 22 AGG bestimmt Art. 28 Abs. 4 d.lgs. 150/2011, dass der Beschwerdeführer zunächst nur solche Daten – auch statistischer Natur – vorzubringen braucht, die eine Vermutung nahe legen, dass ein diskriminierendes Verhalten vorliegt. Gelingt es dem Beschwerdeführer, solche Daten vorzulegen, führt dies zu einem Übergang der Beweislast. Fortan ist der potentiell Diskriminierende verpflichtet, das Nichtvorliegen einer Diskriminierung zu beweisen. Im Gegensatz zur entsprechenden Vorschrift des AGG sah die Ursprungsfassung des Art. 4 Abs. 4 d.lgs. 216/2003 keine echte Beweislastumkehr vor. Dieser Umstand wurde in der italienischen Literatur heftig kritisiert. Die Kritik zielte darauf ab, dass die nationale Vorschrift hinter den Maßgaben des Art. 10 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie zurückbleibe und anstatt einer echten Beweislastumkehr lediglich dem Richter die Möglichkeit eröffnete, die vorgebrachten Daten nach der Maßgabe des Art. 2729 Abs. 1 Codice Civile zu bewerten.346 Bereits durch das decreto-legge 59/2008 wurde der entsprechende Absatz des d.lgs. 216/2003 geändert und schließlich in dieser Form als Satz 1 in Art. 28 Abs. 4 d.lgs. 150/2011 übernommen. In der neuen Fassung ergeben sich in Art und Umfang keine wesentlichen Unterschiede zur Regelung des § 22 AGG. bb) Rechtsfolgen bei Verstößen gegen Diskriminierungsverbot, Art. 28 Abs. 5 – 7 d.lgs. 150/2011 Die Absätze 5 – 7 des Art. 28 d.lgs. 150/2011 enthalten die wesentlichen Regelungen zu den Rechtsfolgen, die ein Verstoß gegen ein Diskriminierungsverbot des d.lgs. 216/2003 nach sich zieht. Auch aus diesen Absätzen wird deutlich, dass dem zur Entscheidung berufenen Richter ein großer Spielraum zusteht. Die Bandbreite möglicher Rechtsfolgen reicht von der Verurteilung zur Unterlassung des diskriminierenden Verhaltens bis hin zur Veröffentlichung des Urteils in einer Tageszeitung.

345

Im Jahr 2004 lag die durchschnittliche Dauer eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens in Italien bei 798 Tagen (vgl. Statistik des Istituto nazionale di statistica, abrufbar im Internet unter: http://www3.istat.it/salastampa/comunicati/non_calendario/20060516_01/Cause_di_la voro.pdf) wohingegen im Jahr 2010 in Deutschland die durchschnittliche Verfahrensdauer in arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten 3,3 Monate betrug und lediglich 2,9 % der Verfahren länger als 12 Monate dauerten (vgl. Daten des Statistischen Bundesamtes, abrufbar im Internet unter https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Rechtspflege/GerichtePersonal/Arbeits gerichte2100280107004.pdf?__blob=publicationFile). 346 Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 512 sowie Izzi, eguaglianza, S. 430.

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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(1) Schadensersatzansprüche, Art. 28 Abs. 5 d.lgs. 150/2011 (a) Anspruch auf Schadensersatz (danno patrimoniale), Art. 28 Abs. 5 d.lgs. 150/2011 Mit dem d.lgs. 150/2011 wurde bezüglich des den Betroffenen zustehenden Schadensersatzanspruchs weitere Klarheit geschaffen. Bis zum Inkrafttreten des d.lgs. 150/2011 enthielt Art. 4 d.lgs. 216/2003 die Formulierung „[…] se richiesto, al risarcimento del danno anche non patrimoniale […]“. Beim Vergleich mit der seinerzeit geltenden Fassung des Art. 44 d.lgs. 286/1998 fiel auf, dass dieser die Wendung „se richiesto“ nicht enthielt. Ob und inwieweit mit der Abweichung eine inhaltliche Abweichung einherging, war nicht eindeutig geklärt. Der neugefasste Art. 28 Abs. 5 d.lgs. 150/2011 entspricht nunmehr der Formulierung des Art. 44 d.lgs. 286/1998. Aus dieser Anpassung wird in der italienischen Literatur geschlussfolgert, dass auch zuvor eine inhaltliche Abweichung nicht gewollt war. Für eine Verurteilung zur Leistung von Schadensersatz ist es also notwendig, dass zuvor ein entsprechender Antrag gestellt worden ist.347 Bei einem Verstoß gegen ein Diskriminierungsverbot wird der Schwerpunkt des materiellen Schadensersatzes oder des Ersatzes des Vermögensschadens, des danno patrimoniale, im sogenannten „danno di perdita di chance“348 gesehen. Nach einer allgemeinen Definition ist der Schaden zu ersetzen, der einem Betroffenen durch die Minderung der Wahrscheinlichkeit zur Erreichung eines bestimmten Ziels entsteht, wobei die Zielerreichung von Beginn (zumindest zu einem gewissen Grad) ungewiss gewesen ist.349 Im Bereich des Arbeitsrechts besteht dieser Schaden im Regelfall im Verlust der Möglichkeit des Zugangs zu einer bestimmten Beschäftigung oder eines Karrierefortschritts und dem daraus resultierenden Verlust höherer Einkommensmöglichkeiten. Dieser Schaden soll nicht mit dem tatsächlichen Schaden im Falle einer Nichtberücksichtigung gleichzusetzen sein. Es soll ausschließlich der Verlust der Möglichkeit zu berücksichtigen sein und die entsprechende Beweislast – wenn auch in abgeschwächter Form – dem Betroffenen obliegen. Zur Bestimmung des Umfangs des Schadens ist eine Vergleichsbetrachtung zu dem Zustand anzustellen, der bei vollständiger Wahrnehmung der „verpassten“ Gelegenheit bestanden hätte. Dieses Ergebnis ist dann mit einem zu bestimmenden Wahrscheinlichkeitskoeffizienten zu kombinieren, um den Schaden im konkreten Einzelfall zu bestimmen.350 Im Grundsatz entspricht die in Art. 28 Abs. 5 d.lgs. 150/2011 vorgesehene Möglichkeit des Betroffenen, den Ersatz des ihm entstandenen Vermögensschadens zu verlangen, der im deutschen Recht in § 15 Abs. 1 AGG vorgesehenen Regelung. Interessant ist jedoch der italienische Ansatz, den materiellen Schadensersatz im Wesentlichen als einen Ersatz des danno di perdita di chance zu begreifen. Der um 347 348 349 350

Barbera/Guariso, diritto antidiscriminatorio, S. 592 f. Italienisch für: Schadensersatz für entgangene Gelegenheit. Barbera/Guariso, diritto antidiscriminatorio, S. 594. Barbera/Guariso, diritto antidiscriminatorio, S. 594.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

einen „Wahrscheinlichkeitskoeffizienten“ geminderte Schadensersatzanspruch – etwa für eine entgangene Beförderung oder den verwehrten Zugang zu einer Beschäftigung – besteht in vergleichbarer Form in Deutschland nicht. Während § 15 Abs. 2 AGG eine Deckelung des immateriellen Schadensersatzes im Falle der Nichtberücksichtigung bei Einstellung auf maximal drei Monatsgehälter vorsieht, fehlt eine solche Regelung für den materiellen Schadensersatz. In Deutschland ist ein Vermögensschaden – zumindest in den Fällen der diskriminierenden Nichteinstellung oder versagten Beförderung – nur denkbar, wenn der Bewerber nachweist, der bestqualifizierte Bewerber gewesen zu sein. Über eine Begrenzung anhand hypothetischer Verläufe – etwa der anzunehmenden Verweildauer im Unternehmen – wird aber auch in der deutschen Literatur nachgedacht.351 Die italienischen Überlegungen, auch im Rahmen des materiellen Schadensersatzes eine Deckelung der Ansprüche vorzunehmen, sind nachvollziehbar und lassen sich auch nicht mit dem Argument entkräften, dass der Wahrscheinlichkeitsgrad nicht ausreichend kalkulierbar sei. In Deutschland ließe sich eine solche Kalkulation auf § 287 ZPO stützen, der den zur Entscheidung berufenen Richter unter bestimmten Voraussetzungen berechtigt, die Höhe eines Schadensersatzanspruchs nach freier Überzeugung zu bestimmen.352 (b) Anspruch auf Entschädigung (danno non patrimoniale), Art. 28 Abs. 5 d.lgs. 150/2011 Nach dem Wortlaut des Art. 28 Abs. 5 d.lgs. 150/2011 kann der Betroffene nicht nur den Ersatz des ihm entstandenen materiellen Schadens, danno patrimoniale, verlangen, sondern darüber hinaus auch immateriellen Schadensersatz, den sogenannten danno non patrimoniale. Gemäß Art. 2059 Codice Civile kann der Ersatz des danno non patrimoniale nur verlangt werden, wenn dies gesetzlich vorgesehen ist. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der danno non patrimoniale vom danno patrimoniale, der stets gefordert werden kann, wenn ein geschütztes Rechtsgut verletzt ist.353 Der danno non patrimoniale gliedert sich nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung in drei Unterkategorien, den danno biologico, den danno morale sowie den danno esistenziale. Die Abgrenzung zwischen den drei Unterkategorien ist zum Teil unklar. Als danno biologico wird ein Schaden bezeichnet, der aufgrund eines schädigenden Ereignisses einen medizinisch diagnostizierbaren pathologischen Zustand hervorruft. Es handelt sich damit um einen medizinisch objektiv feststellbaren Schaden. Dies unterscheidet ihn vom sogenannten danno morale, der das subjektive Leiden einer Person in Folge eines schädigenden Ereignisses bezeichnet. Die dritte Form des danno non patrimoniale bildet der danno esistenziale. Hierbei handelt es 351

MüKo/Thüsing, AGG 2012, § 15 Rn. 30. In diesem Sinne auch MüKo/Thüsing, AGG 2012, § 15 Rn. 30. 353 Mellone, diritto privato, abrufbar im Internet unter http://www.dirittoprivatoinrete.it/ danno_non_patrimoniale.htm. 352

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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sich um den Schaden, der einer Person durch die Beeinträchtigung der Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung entsteht. Eine solche Beeinträchtigung kann etwa in einer Störung des familiären Zusammenlebens oder des gesunden Lebensumfelds bestehen. Der danno esistenziale unterscheidet sich vom danno biologico, da er keine Verletzung von Physis oder Psyche voraussetzt. Vom danno morale unterscheidet sich der danno esistenziale, da das schädigende Ereignis nicht in einem subjektiven Leiden des Betroffenen münden muss.354 Die Unterkategorisierung des danno non patrimoniale, insbesondere die Kategorie des danno esistenziale, wird von der Rechtsprechung, speziell von der Corte di Cassazione, abgelehnt. Begründet wird dies damit, dass insbesondere die Schaffung der Unterkategorie des danno esistenziale dazu führen würde, dass die im italienischen Recht existierende Grenze zwischen atypischem Schaden (danno patrimoniale) und typischem Schaden (danno non patrimoniale) überschritten würde.355 Für Guariso stellt sich im Lichte mehrerer Entscheidungen der Cassazione aus dem Jahr 2003356 darüber hinaus die Frage, ob und inwieweit die Antidiskriminierungsvorschriften Rechtsgüter schützen, die den von der Cassazione geforderten Verfassungsrang besitzen.357 Die Cassazione hatte entschieden, dass ein Anspruch auf Schadensersatz (danno non patrimoniale) gemäß Art. 2059 Codice Civile voraussetzt, dass ein verfassungsmäßig geschütztes personenbezogenes Rechtsgut verletzt wird, das nicht wirtschaftlicher Natur und damit einem materiellen Schadensersatz (gem. Art. 2043 Codice Civile) nicht zugänglich ist.358 Diese Rechtsprechung der Cassazione erfuhr eine Bestätigung durch die Corte Costituzionale.359 Guariso schließt daraus zutreffend, dass auch die Verletzung von Diskriminierungsverboten einen Anspruch auf Ersatz des danno non patrimoniale begründet. Dies resultiert daraus, dass bei der Einordnung der Diskriminierungsverbote nicht auf eine Anknüpfung der Diskriminierungsverbote an im Einzelfall durch Diskriminierung verwehrte (nicht verfassungsrechtlich geschützte) Rechtsgüter oder –positionen abgestellt werden darf. So könne beispielsweise das in diskriminierender Art und Weise verwehrte Recht, einen Computer zu erwerben nicht als Grundrecht mit Verfassungsrang angesehen werden.360 Sinn und Zweck der Antidiskriminie354 Mellone, diritto privato, abrufbar im Internet unter http://www.dirittoprivatoinrete.it/ danno_non_patrimoniale.htm. 355 Urteil der Corte Suprema di Cassazione vom 11. 11. 2008, Nr. 26972, Zusammenfassung abrufbar im Internet unter http://www.altalex.com/index.php?idnot=43677; hierzu auch die ausführliche Urteilsbesprechung von Viola, abrufbar im Internet unter http://www.altalex.com/ index.php?idnot=18. 356 Urteile der Corte Suprema di Cassazione vom 31. 05. 2003, Nr. 8827 und 8828, Nr. 8828 abrufbar im Internet unter http://www.altalex.com/index.php?idnot=6247. 357 Barbera/Guariso, diritto antidiscriminatorio, S. 598 ff. 358 Urteil der Corte Suprema di Cassazione vom 31. 05. 2003, Nr. 8828, abrufbar im Internet unter http://www.altalex.com/index.php?idnot=6247. 359 Corte Costituzionale v. 11. 07. 2003, Nr. 233/2003; abrufbar unter http://www.cortecosti tuzionale.it/actionPronuncia.do. 360 Barbera/Guariso, diritto antidiscriminatorio, S. 599.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

rungsvorschriften ist nicht der Schutz solch spezieller Rechtsgüter. Diese dienen vielmehr dazu, das jedem Menschen zustehende Gleichheitsrecht zu schützen. Da eben dieses Gleichheitsrecht verfassungsrechtlich garantiert ist, führt dies dazu, dass im Falle eines Verstoßes gegen ein Diskriminierungsverbot als Rechtsfolge grundsätzlich auch ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens, des danno non patrimoniale, besteht.361 (c) Grundsätze der Schadensbemessung und Konkurrenzen Gemäß Art. 28 Abs. 6 d.lgs. 150/2011 hat der zur Entscheidung berufene Richter bei der Bemessung des konkreten Schadens bestimmte Umstände zu berücksichtigen, die Einfluss auf die Höhe des Schadensersatzes haben können. Der Umfang des Schadensersatzes soll auch davon abhängen, ob die diskriminierende Handlung sich als Reaktion auf ein vorheriges gerichtliches Vorgehen des Betroffenen darstellt oder als ungerechtfertigte Reaktion auf den irgendwie gearteten Versuch des Betroffenen zu werten ist, die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu erreichen. Aus dieser Vorschrift wird abgeleitet, dass den Ersatzansprüchen des d.lgs. 150/2011 nicht nur eine rein kompensatorische Funktion zukommt, sondern sie einen darüber hinausgehenden Strafcharakter besitzen. Es wird nicht nur der einzelne Sachverhalt in die Bemessung des Schadensersatzes einbezogen und der entsprechende Vermögens- bzw. Nichtvermögensschaden (danno patrimoniale und danno non patrimoniale) kompensiert, sondern der wiederholte Verstoß strenger sanktioniert.362 Insoweit geht die italienische Umsetzung über das hinaus, was in Deutschland im Rahmen der Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche des AGG gewährt wird. Für § 15 AGG wird unter Bezugnahme auf das in Art. 20 Abs. 2, Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip vertreten, dass kein Strafschadensersatz zu leisten ist, sondern Vermögens- und Nichtvermögensschäden lediglich kompensiert werden.363 Anders als das deutsche, gewährt das italienische Recht in bestimmten Fällen einen überkompensatorischen Strafschadensersatz. Die in Deutschland relevante Frage, wie sich Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche des AGG zu den Ersatzvorschriften des BGB verhalten, stellt sich im italienischen Recht nicht. Wie Carinci im Hinblick auf den risarcimento del danno non patrimoniale zutreffend feststellt, wird mit den entsprechenden Vorschriften der Antidiskriminierungsgesetzgebung lediglich der Anwendungsbereich für bereits bestehende Ersatzansprüche erweitert364 und nicht – wie in Deutschland – eine eigene Anspruchsgrundlage geschaffen, deren Verhältnis zu bereits bestehenden Anspruchsgrundlagen in anderen Gesetzen zumindest teilweise fraglich ist.

361 362 363 364

Barbera/Guariso, diritto antidiscriminatorio, S. 600. Centini, discriminazioni, S. 2444 f. MüKo/Thüsing, AGG 2012, § 15 Rn. 14. Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 514.

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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(2) Verbot fortgesetzten diskriminierenden Verhaltens, Art. 28 Abs. 5 d.lgs. 150/2011 Neben den Ansprüchen auf Ersatz materieller sowie immaterieller Schäden ermächtigt Art. 28 Abs. 5 d.lgs. 150/2011 den zur Entscheidung berufenen Richter, eine Anordnung zu erlassen, mit der die Unterlassung der diskriminierenden Handlung oder eines entsprechenden Verhaltens bestimmt wird. Gleichzeitig wird dem Richter das Recht eingeräumt, andere Maßnahmen zu ergreifen, die dazu geeignet sind, die Auswirkungen der Diskriminierung zu beseitigen.365 Die Erklärung der Nichtigkeit einer bestimmten Regelung kommt nur in solchen Fällen in Betracht, in denen eine sogenannte discriminazione privativa vorliegt. D.h. in solchen Fällen, in denen der Betroffene in den Regelungsbereich einer Regelung fällt und dadurch Betroffener einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung ist. In Fällen, in denen sich eine Diskriminierung daraus ergibt, dass der Betroffene gerade – in ungerechtfertigter Art und Weise – nicht in den Anwendungsbereich fällt (sogenannte discriminazione concessiva), soll die Rechtsfolge der Nichtigkeit der entsprechenden Regelung nicht zur Verfügung stehen. Hier soll dadurch Abhilfe geschaffen werden, dass der Betroffene in den Schutzbereich der Regelung aufgenommen wird.366 Dem Richter steht weiterhin die Möglichkeit offen, in seinem Urteil anzuordnen, dass innerhalb einer vom Gericht zu bestimmenden Frist ein sogenannter „piano di rimozione delle discriminazioni“, also ein Plan zur Beseitigung von Diskriminierungen, aufgestellt wird. Einen Antrag auf Erstellung eines piano di rimozione können sowohl der einzelne Betroffene einer Diskriminierung als auch die zur Klage berechtigten Verbände stellen.367 Gemäß dem Gesetzeswortlaut besteht der primäre Zweck eines solchen Planes darin, die Gefahr einer wiederholten Diskriminierung zu bannen. Die Institution eines solchen piano di rimozione ist im italienischen Recht bereits länger bekannt. Bereits die legge 125/1991 enthielt eine ähnliche Vorschrift. Auch das d.lgs 198/2006 enthält in Art. 37 eine entsprechende Vorschrift. In Teilen der italienischen Literatur wird insoweit eine mangelnde Einheitlichkeit kritisiert.368 Während im d.lgs. 198/2006 dem Diskriminierenden auferlegt wird, einen entsprechenden piano di rimozione zu erstellen, ist die Regelung des Art. 28 d.lgs. 150/ 2011 so formuliert, dass die Erstellung eines entsprechenden Plans dem Richter obliegt. Zudem sieht Art. 37 d.lgs. 198/2006 lediglich im Falle kollektiver Diskriminierungen einen piano di rimozione vor, wohingegen Art. 28 d.lgs. 150/2011 diese Sanktion auch im Falle von Diskriminierungen Einzelner zur Anwendung bringt.369 Guariso steht der Anwendung des piano di rimozione skeptisch gegenüber, da mit der Anordnung der Beendigung des diskriminierenden Verhaltens die Diskriminierung 365 Noch zur alten Regelung: Barbera/Guariso, diritto antidiscriminatorio, S. 587 ff.; Cendon/Berrutti/Chiozzi, commentario, S. 82; Cendon/Staiano, danno, S. 1515. 366 Amoroso/Amoroso, processo, S. 1046. 367 Carinci/Pasqualetto, commentario, S. 515. 368 Barbera/Guariso, diritto antidiscriminatorio, S. 589 ff. 369 Barbera/Guariso, diritto antidiscriminatorio, S. 589 f.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

beseitigt sei und damit kaum Raum für einen piano di rimozione verbleibe. Dies führt ihn zu der nachvollziehbaren Schlussfolgerung, dass der piano di rimozione im Falle individueller Diskriminierungen vorrangig darauf abziele, für die Zukunft eine Wiederholung eines entsprechenden diskriminierenden Vorfalls gegenüber anderen zu verhindern.370 Die Durchsetzung der Rechte auf und aus einem piano di rimozione ist wegen fehlender effektiver Sanktionsmechanismen allerdings schwierig.371 Lediglich in Fällen, in denen sich eine vorsätzliche Missachtung nachweisen lässt, kommt eine Strafbarkeit gem. Art. 388 Abs. 1 codice penale in Betracht.372 Dies gilt, obwohl die alte Verweisungskette bestehend aus Art. 4 Abs. 2 d.lgs. 216/2003 a.F. über Art. 44 Abs. 8 d.lgs. 286/1998 hin zu Art. 388 Abs. 1 codice penale sich in der aktuellen Fassung, insbesondere in Art. 28 d.lgs. 150/2011, so nicht mehr wiederfindet. Im Vergleich zum deutschen Recht, hat der italienische Gesetzgeber bei den die Schadensersatz- bzw. Entschädigungsansprüche ergänzenden Maßnahmen einen leicht abweichenden Ansatz gewählt. Schließlich kommt der piano di rimozione erst dann zum Einsatz, wenn tatsächlich eine Diskriminierung festgestellt wurde. In Bezug auf den von der Diskriminierung konkret Betroffenen kommt dem piano di rimozione eine repressive, in Bezug auf unbeteiligte Dritte im Anwendungsbereich des piano di rimozione eine präventive, Wirkung zu. In Deutschland obliegen einem Arbeitgeber die Pflichten des § 12 AGG hingegen auch, ohne dass es hierzu zuvor einer konkreten Diskriminierung bedarf. Darin dokumentiert sich der vorwiegend präventive Charakter der entsprechenden Vorschrift. Beide Systeme haben Vor- und Nachteile. Während die italienische Regelung erst dann eingreift, wenn zumindest ein Fall von Diskriminierung vorliegt, wird dies in Deutschland nicht vorausgesetzt. Umgekehrt wird es oftmals anhand eines konkreten Diskriminierungsfalls einfacher sein, präventive Maßnahmen für die Zukunft zu identifizieren, in Form eines entsprechenden piano di rimozione umzusetzen und auf diese Weise eine gleichgelagerte wiederholte Diskriminierung zu verhindern. Im Ergebnis ist dennoch die deutsche Lösung vorzugswürdig. Sie ermöglicht präventiv tätig zu werden und kann auch nach einer konkreten Diskriminierung in einer repressiv/präventiven Kombination Anwendung finden. (3) Entscheidungsveröffentlichung, Art. 28 Abs. 7 d.lgs. 150/2011 Art. 28 Abs. 7 d.lgs. 150/2011 ermächtigt den Richter auf entsprechenden Antrag, die Anordnung zu erlassen, dass die gerichtliche Entscheidung einmalig auf Kosten der unterliegenden Partei in einer landesweit erscheinenden Tageszeitung veröffentlicht wird. In der Gewährung des Anspruchs auf Entscheidungsveröffentlichung drückt sich – wie bereits im Rahmen der Ersatzansprüche – der überkom-

370 371 372

Barbera/Guariso, diritto antidiscriminatorio, S. 590. Barbera/Guariso, diritto antidiscriminatorio, S. 591. Carinci/Pasqualetto, diritto antidiscriminatorio, S. 515.

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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pensatorische Strafcharakter der italienischen Antidiskriminierungsvorschriften aus.373 Auch im deutschen Recht sehen bestimmte Rechtsvorschriften die Möglichkeit vor, der obsiegenden Partei einen Anspruch auf Veröffentlichung einer Gerichtsentscheidung einzuräumen. So statuiert § 12 Abs. 3 UWG, dass in wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten das Gericht der obsiegenden Partei das Recht zusprechen kann, ein Urteil auf Kosten der unterliegenden Partei veröffentlichen zu lassen, wenn und soweit die obsiegende Partei ein berechtigtes Interesse dartut.374 Das deutsche AGG hingegen sieht eine solche Möglichkeit nicht vor. Im deutschen Recht dient die Entscheidungsveröffentlichung als Teil der Störungsbeseitigung. Es erscheint fraglich, inwieweit eine Veröffentlichung im Bereich der Antidiskriminierung sinnhaft ist. Sollte es lediglich fahrlässig zu einer Diskriminierung gekommen sein, erscheint die Veröffentlichung eines Urteils als eine unverhältnismäßig harte Sanktion. Bereits im Rahmen der Ersatzansprüche hat der italienische Gesetzgeber jedoch dokumentiert, dass er zur Abschreckung vor (wiederholter) Diskriminierung nicht vor harten Sanktionen zurückschreckt. 4. Das Merkmal des „Alters“ im d.lgs. 216/2003 Dem Merkmal „Alter“ kommt auch im italienischen d.lgs. 216/2003 eine besondere Rolle innerhalb des Katalogs der verpönten Merkmale zu. Bei der Umsetzung des Sekundärrechts hat Italien von der in Art. 6 Rahmenrichtlinie enthaltenen Ermächtigung Gebrauch gemacht und einen speziellen Rechtfertigungstatbestand für das Merkmal „Alter“ in das Umsetzungsgesetz aufgenommen. a) Der Begriff des „Alters“ im d.lgs. 216/2003 Auch wenn Italien bezogen auf Diskriminierungsverbote bereits auf eine längere Tradition zurückblicken kann, ist ein ausdrücklich formuliertes altersbezogenes Diskriminierungsverbot für den italienischen Rechtskreis neu. Differenzierungen anhand des Alters waren in Italien lange Zeit anerkannt. Begründet wurde dies bezogen auf den Arbeitsmarkt mit dem lapidaren Argument, die „Alten“ hätten bereits ihren Teil bekommen oder müssten aufgrund vermeintlich nachlassender Produktivität im Alter nunmehr Platz für die jüngere Generation machen.375 Vor Einführung des altersbezogenen Diskriminierungsverbots ergab sich ein Schutz vor altersbezogener Ungleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 Costituzione Italiana. Das Alter wird dabei zu den dort genannten condizioni personali (persönliche Verhält373

Noch zur inhaltsgleichen Regelung des Art. 4 Abs. 7 d.lgs. 216/2003 a.F.: Centini, discriminazioni, S. 2445. 374 Vergleichbare Regelungen finden sich überdies in § 103 UrhG sowie § 7 UKlaG: Köhler/Köhler, UWG, § 12 Rn. 4.1. 375 Barbera/Bonardi, diritto antidsicriminatorio, S. 126.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

nisse) gezählt. Gemeinsam mit den Merkmalen Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit sowie sozialer Stand bildet das Alter die wesentlichen Grundpfeiler des menschlichen Daseins.376 Das Verbot der Altersdiskriminierung ist nach Auffassung von Bonardi also nicht vollkommen neu. Neu ist demnach vor allem die Intensität des Schutzes, der den Merkmalsträgern zuteil wird.377 Verstünde man den Schutzbereich des Verbots der Altersdiskriminierung umfassend, könnte man zu der Auffassung gelangen, dass altersbezogene Ungleichbehandlungen bereits deshalb ausgeschlossen sind, weil aufgrund des voranschreitenden Alters über die Lebensspanne hinweg eine Gleichbehandlung erreicht wird. Eine solche Auffassung wird zu Recht mit dem Argument abgelehnt, dass nicht alle Menschen gleich lange leben. Vor allem aber lässt die vorgenannte Auffassung außer Acht, dass sich die Lebensumstände für junge und alte Menschen im Laufe der Zeit wandeln und es damit selbst bei formeller Gleichbehandlung zu unbilligen Ergebnissen kommen würde.378 Die Rahmenrichtlinie macht keine Vorgaben dahingehend, dass nur bestimmte Altersgruppen vom Schutzbereich des Diskriminierungsverbots profitieren. Diese Auffassung wird grundsätzlich auch von Galantino vertreten. Dennoch diskutiert sie die Frage, inwieweit die Definition des Alters mittelbar aus der Rahmenrichtlinie sowie sonstigem europäischem Recht entnommen werden kann. Sie bezieht sich dabei auf die in Art. 6 Abs. 1 Buchst. a) Rahmenrichtlinie genannten Personengruppen giovani (Jugendliche), lavoratori anziani (ältere Arbeitnehmer) sowie lavoratori con persone a carico (Arbeitnehmer mit Fürsorgepflichten).379 Zur weiteren Eingrenzung zieht sie in ihre Betrachtungen die Kommissionsverordnung 2204/2002/EG380 mit ein. Diese enthält in Art. 2 Buchst. f) eine Definition dessen, wer als lavoratore svantaggiato (benachteiligter Arbeitnehmer) anzusehen ist. Konkret benannt werden dabei insbesondere Jugendliche unter 25 Jahren, Erwachsene, Alleinerziehende oder über 50-jährige.381 Die entsprechenden Definitionen können letztlich nur als Anhaltspunkt dafür dienen, welche Personen besonders von Altersdiskriminierung betroffen sein können. Eine Einschränkung des Altersbegriffs lässt sich daraus nicht ableiten. Daher wird, wie auch in Deutschland bezüglich des AGG, in Italien davon ausgegangen, dass der Begriff età (Alter) ohne nähere Festlegung auf bestimmte Altersgruppen zu verstehen ist.382 Dies ändert nichts daran, dass die Wahrscheinlichkeit für jüngere und ältere Arbeitnehmer am größten ist, von Altersdiskriminierungen betroffen zu sein.383 376

Barbera/Bonardi, diritto antidiscriminatorio, S. 128 f. Barbera/Bonardi, diritto antidiscriminatorio, S. 129. 378 Barbera/Bonardi, diritto antidiscriminatorio, S. 130. 379 Galantino, discriminazioni per età, S. 954 f. 380 Abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 32002R2204. 381 Galantino, discriminazioni per età, S. 956. 382 Barbera/Bonardi, diritto antidiscriminatorio, S. 131. 383 Rymkevitch/Villosio, discrimination, S. 3. 377

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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b) Rechtfertigung altersbezogener Ungleichbehandlungen, Art. 3 Abs. 4 d.lgs. 216/2003 Die Sonderstellung des verpönten Merkmals „Alter“ dokumentiert sich unter anderem darin, dass eine Legaldefinition vorgibt, wann und unter welchen Umständen eine altersbezogene Ungleichbehandlung keine Diskriminierung darstellt. Gemäß den Vorgaben der Rahmenrichtlinie blieb es den Mitgliedsstaaten überlassen, ob sie bei der Umsetzung in nationales Recht von der diesbezüglichen Ermächtigung zur Definition bestimmter Ausnahmetatbestände Gebrauch machen oder ob sich die Beurteilung dessen, ob und wann eine Diskriminierung wegen des Alters vorliegt, nach den allgemeinen Grundsätzen richten soll. Ebenso wie in Deutschland wurde in Italien von der in der Rahmenrichtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht und wurden spezielle Regelungen zur Altersdiskriminierung in das nationale Umsetzungsgesetz aufgenommen. Die Aufnahme eines speziell auf das Merkmal Alter bezogenen Rechtfertigungstatbestandes ist darauf zurückzuführen, dass ein Gleichgewicht zwischen dem generellen Diskriminierungsverbot und einer flexiblen Arbeitsmarktpolitik hergestellt werden soll.384 Art. 3 Abs. 4 ff. d.lgs. 216/2003 enthält diesen speziellen Rechtfertigungstatbestand. Die ursprüngliche Fassung der einschlägigen Absätze des Art. 3 d.lgs. 216/2003 musste – wie bereits in Bezug auf Art. 3 Abs. 3 gesehen – vom italienischen Gesetzgeber im Jahr 2008 geändert werden, nachdem zuvor ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien eingeleitet worden war. Italien wurde vorgeworfen, die entsprechenden Vorgaben der Rahmenrichtlinie nicht ausreichend umgesetzt zu haben.385 Art. 3 Abs. 4 d.lgs. 216/2003 enthält eine dahingehende Klarstellung, dass die allgemeinen Regelungen zum Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots, wie sie in Art. 3 Abs. 2 und 3 d.lgs. 216/2003 geregelt sind, unbeschadet der speziellen altersbezogenen Regelungen Geltung besitzen. Exakter als in der ursprünglichen Fassung des Art. 3 Abs. 4 d.lgs. 216/2003, werden in Art. 3 Abs. 4-bis d.lgs. 216/2003 spezielle Ausnahmetatbestände für das Merkmal Alter definiert, die unbeachtlich der sonstigen Vorschriften zur Anwendung kommen können. Aus Art. 4-bis S. 1 d.lgs. 216/2003 geht zudem hervor, dass solche Vorschriften unbeschadet des grundsätzlichen Diskriminierungsverbots zur Anwendung kommen, die eine differenzierte Behandlung von Arbeitnehmern (lavoratori) gewährleisten und führt gleichzeitig zu dem in Art. 3 Abs. 4-bis Buchst. a) bis c) d.lgs. 216/2003 enthaltenen Beispielkatalog hin. Durch die Verwendung der Formulierung in particolare (insbesondere) wird deutlich, dass der Katalog der altersbezogenen Ausnahmevorschriften in Art. 3 Abs. 4-bis Buchst. a) bis c) d.lgs. 216/2003 nicht abschließend zu verstehen ist.

384 385

Imberti, criterio età, S. 303 f. Imberti, criterio età, S. 313 f.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

aa) Rechtfertigung altersbezogener Ungleichbehandlung im Rahmen des Zugangs zu Erwerbstätigkeit und Berufs(aus)bildung, Art. 3 Abs. 4-bis Buchst. a) d.lgs. 216/2003 Mit dem neugestalteten Art. 3 Abs. 4 d.lgs. 216/2003 wird den Besonderheiten des Merkmals „Alter“ Rechnung getragen und es werden die Lehren aus dem Vertragsverletzungsverfahren gezogen. Im Gegensatz zu Art. 3 Abs. 4 d.lgs. 216/2003 a.F., der im Vergleich zu den übrigen Regelungen des d.lgs. 216/2003 weitgehend unabhängig vom Wortlaut der Rahmenrichtlinie gestaltet war, bildet Art. 3 Abs. 4bis d.lgs. 216/2003 n.F. die Vorgaben der Rahmenrichtlinie aus Art. 6 Abs. 1 lit. a) annähernd wortwörtlich ab. Damit ist die Vorschrift des Art. 3 Abs. 4-bis Buchst. a) d.lgs. 216/2003 im Wesentlichen auch mit § 10 Nr. 1 AGG deckungsgleich. Demnach führen differenzierte Behandlungen auf Grund des Alters rund um den Zugang zu Erwerbstätigkeit und beruflicher Bildung nicht per se zu einer Diskriminierung. Der nationale Gesetzgeber wird mittels Art. 3 Abs. 4-bis Buchst. a) d.lgs. 216/2003 dazu ermächtigt, entsprechende Spezialbedingungen zu erlassen oder bereits bestehende Regelungen vom Diskriminierungsverbot des d.lgs. 216/2003 auszunehmen. Auch der italienische Gesetzgeber bleibt eine ausdrückliche Definition dessen, was unter giovani (Jugendliche), lavoratori anziani (ältere Arbeitnehmer) und lavoratori con persone a carico (Arbeitnehmer mit Fürsorgepflichten) zu verstehen ist, schuldig. Auch wenn unabhängig von einem konkreten Lebensalter Schutz vor Diskriminierung gewährleistet werden soll, ist davon auszugehen, dass der italienische nationale Gesetzgeber die Klassifizierung entsprechend der europäischen Lesart übernehmen wollte. Damit ist der Begriff giovani mit jungen Personen im Alter von 15 bis 24 Jahren gleichzusetzen. Lavoratori anziani sind Personen im Alter von 55 bis 64 Jahren.386 Ausdrücklich von dieser Legitimation umfasst ist die Ermächtigung zum Erlass spezieller Kündigungs- sowie Vergütungsvorschriften. Mit Art. 3 Abs. 4-bis Buchst. a) d.lgs. 216/2003 wird das Ziel verfolgt, die genannten Personengruppen in das Erwerbsleben einzugliedern (l’inserimento professionale) bzw. die Teilhabe am Erwerbsleben zu erhalten. (1) Exkurs: contratto di inserimento, Art. 54 ff. d.lgs. 276/2003 a.F. Bis zum 31. Dezember 2012 bildete der mit dem d.lgs. 276/2003387 eingeführte contratto di inserimento388 eine der Maßnahmen, mit denen die Beschäftigungssi386 Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Anhebung der Beschäftigungsquote älterer Arbeitskräfte und des Erwerbsaustrittsalters, KOM (2004) 146 endgültig, abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm. 387 Decreto legislativo vom 10. 09. 2003, Nr. 276: Attuazione delle deleghe in materia di occupazione e mercato del lavoro, di cui alla legge 14 febbraio 2003, n. 30, abrufbar im Internet unter http://www.normattiva.it. 388 Der contratto di inserimento ersetzte den zuvor vorhandenen contratto di formazione e lavoro; Rymkevitch/Villosio, discrimination, S. 8.

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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tuation älterer Arbeitnehmer in Italien verbessert werden sollte.389 Die Art. 54 ff. d.lgs. 276/2003 sahen einen eigenen Vertragstypus vor, der die Reintegration arbeitsuchender Personen in das Erwerbsleben ermöglichen sollte. Unter bestimmten Voraussetzungen waren in diesem Zusammenhang altersbezogene Ungleichbehandlungen bestimmter Personengruppen zulässig. Gemäß Art. 54 Abs. 1 d.lgs. 276/ 2003 a.F. sollte noch erwerbstätigen Arbeitnehmern im Rahmen eines individuellen Projekts (progetto individuale) eine Anpassung der beruflichen Fähigkeiten ermöglicht und damit einhergehend Einsatzmöglichkeiten in einer neuen beruflichen Umgebung erschlossen werden.390 Auf diese Weise sollte solchen Personengruppen die Eingliederung bzw. Wiedereingliederung in das Berufsleben ermöglicht werden, die nach Auffassung des Gesetzgebers in dieser Hinsicht besonderer Berücksichtigung bedurften.391 Bei dem contratto di inserimento handelte es sich um eine besondere Form des befristeten Vertrags (contratto a termine), dessen Zulässigkeit jedoch nicht an objektive Merkmale geknüpft war, sondern nur für bestimmte – gesetzlich festgelegte – Personengruppen zur Anwendung kam.392 Der persönliche Anwendungsbereich des contratto di inserimento wurde im Wesentlichen altersbezogenen bestimmt. Neben sehr jungen Personen im Alter von 18 bis 21 Jahren (Art. 54 Abs. 1 Buchst. a) d.lgs. 276/2003 a.F.) erstreckte sich der persönliche Anwendungsbereich des contratto di inserimento auch auf Arbeitslose mit einem Alter von über 50 Jahren (Art. 54 Abs. 1 Buchst. c) d.lgs. 276/2003 a.F.).393 Art. 54 Abs. 2 d.lgs. 276/2003 a.F. enthielt eine komplizierte Quotenregelung zur Bestimmung der Sachverhalte, in denen eine Anstellung mittels des contratto di inserimento zulässig war. Demnach durfte eine Person nur dann mit einem contratto di inserimento angestellt werden, wenn der Arbeitgeber mindestens 60 Prozent der Personen weiterbeschäftigte, die er in den vorhergehenden 18 Monaten mittels eines contratto di inserimento angestellt hatte. Gemäß Art. 54 Abs. 3 S. 2 d.lgs. 276/2003 a.F. wirkten sich solche Fälle nicht negativ auf die Quote aus, in denen die unterlassene Weiterbeschäftigung dem Arbeitgeber nicht zuzurechnen war. Diese Zurechenbarkeit entfiel, im Fall einer berechtigten Arbeitgeberkündigung, einer Arbeitnehmerkündigung oder wenn nach Ablauf des befristeten contratto di inserimento ein Weiterbeschäftigungsangebot des Arbeitgebers abgelehnt wurde. Die vorgenannte Quotenregelung fand überdies keine Anwendung, wenn in den letzten 18 Monaten vor Anstellung des Beschäftigten lediglich ein contratto di inserimento auslief, ohne in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt worden zu sein, Art. 54 Abs. 4 d.lgs. 276/2003 a.F.394 389

Persico, strumenti contrattuali, S. 12. Pellacani, commentario, S. 329. 391 Pellacani, commentario, S. 330. 392 Filadoro, nuovi contratti, S. 76 sowie Magnani, contratti di lavoro, S. 111. 393 Hierzu auch Prax, Legge Biagi, S. 184 f.; Pellecani, commentario, S. 335 sowie Filadoro, nuovi contratti, S. 80 ff. 394 Filadoro, nuovi contratti, S. 85 ff. 390

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

Der Zeitraum von 18 Monaten korrespondierte mit der in Art. 57 Abs. 1 d.lgs. 276/2003 a.F. vorgesehenen zulässigen Höchstdauer eines contratto di inserimento.395 Lediglich für körperlich oder geistig beeinträchtigte Personen war die Vereinbarung einer längeren Laufzeit von bis zu maximal 36 Monaten möglich. Wurde die in Art. 56 d.lgs. 276/2003 a.F. vorgesehene Schriftform nicht eingehalten, galt die entsprechende Person als auf unbefristete Dauer eingestellt. Eine weitere Voraussetzung für die Anstellung im Rahmen eines contratto di inserimento bestand darin, dass in Abstimmung mit der beschäftigten Person ein individuelles Projekt bestimmt werden musste, mittels dessen eine Anpassung der Fähigkeiten des Beschäftigten an die beruflichen Anforderungen erreicht werden sollte, Art. 55 d.lgs.276/2003 a.F.396 Die nähere Definition, in welcher Form ein solches Projekt gestaltet sein musste, wurde – wie gesetzlich vorgesehen – durch eine Vereinbarung zwischen Gewerkschaften und Industrieverbänden geregelt.397 Die Attraktivität des contratto di inserimento für Arbeitgeber resultierte aus einer Begünstigung bei den zu leistenden Steuern und Abgaben sowie der Möglichkeit, die mittels eines contratto di inserimento beschäftigten Personen niedriger zu entlohnen als vergleichbare reguläre Arbeitnehmer. Art. 59 Abs. 1 d.lgs. 276/2003 a.F. erlaubte eine Vergütung, die bis zu zwei Kategorien unter der Vergütung liegen durfte, die bei einer regulären Einstufung in einen nationalen Tarifvertrag Anwendung gefunden hätte.398 Überdies wurde die Beschäftigung im Rahmen eines contratto di inserimento mit einer Abgabenvergünstigung in Höhe von max. 25 Prozent bedacht.399 Ein weiterer Vorteil für Arbeitgeber bestand darin, dass mittels des contratto di inserimento die Möglichkeit zur befristeten Beschäftigung bestand, ohne – wie im Rahmen der regulären Befristung erforderlich – das Vorliegen eines objektiven Sachgrunds nachweisen zu müssen. Eine sachgrundlose Befristung war bis dahin im italienischen Recht nicht möglich. (2) Stellungnahme Durch Art. 1 Abs. 14 der legge 92/2012400 wurde der Vertragstypus des contratto di inserimento abgeschafft und fand nur noch Anwendung auf Vertragsverhältnisse, die bis zum 31. Dezember 2012 geschlossen wurden. Die Abschaffung des Vertragstypus war Teil der Reformbemühungen der Regierung Monti und sollte als 395

Die gesetzlichen Bestimmungen sahen eine Mindestlaufzeit von neun und eine grundsätzliche Höchstdauer von 18 Monaten vor; Magnani, contratti di lavoro, S. 111. 396 Prax, Legge Biagi, S. 185; Filadoro, nuovi contratti, S. 77 und 88 ff. 397 Magnani, contratti di lavoro, S. 110. 398 Novella, principio di eguaglianza, S. 562. 399 Prax, Legge Biagi, S. 185; in bestimmten Regionen, wie etwa Sardinien, Sizilien, Apulien und Basilicata, waren sogar Vergünstigungen von über 25 % möglich, Pellacani, commentario, S. 336; für Verträge mit einer Dauer zwischen 9 und 12 Monaten war eine Abgabenerleichterung von über 25 % faktisch nicht möglich: Filadoro, nuovi contratti, S. 115. 400 Legge vom 28. 06. 2012, Nr. 92: Disposizioni in materia di riforma del mercato del lavoro in una prospettiva di crescita, abrufbar im Internet unter http://www.normattiva.it.

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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Flexibilisierungsmaßnahme beschäftigungsfördernd wirken. Insbesondere für junge Menschen sollte die Abschaffung zu einer Kanalsierung der Beschäftigung in der Vertragsform des apprendistato führen.401 Die Abschaffung des contratto di inserimento erntete in der italienischen Literatur harsche Kritik. Dem Gesetzgeber wird vorgeworfen, durch die Fokussierung auf die Vorschriften des apprendistato und dessen abweichenden Anwendungsbereichs für bestimmte schutzbedürftige Personengruppen eine Absenkung des Schutzniveaus herbeigeführt zu haben. Während der contratto di apprendistato die Aus- und Weiterbildung von Jugendlichen zum Regelungsgegenstand hat, sollte mit dem contratto di inserimento bestimmten benachteiligten Personengruppen, etwa älteren Arbeitslosen, ein Wiedereinstieg ins Berufsleben ermöglicht werden. Eine ernsthafte Konkurrenz zwischen den beiden Vertragsformen bestand nicht.402 Das Ziel, durch die Abschaffung des contratto di inserimento eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zu erreichen, wird ebenfalls für unrealistisch gehalten. Im Gegenteil, es wird vermutet, dass die Abschaffung den Arbeitsmarkt sogar belaste. Insbesondere für die ursprünglich vom contratto di inserimento besonders bedachten über 50-jährigen Arbeitslosen wird angenommen, dass diese die benachteiligenden Wirkungen der Gesetzesänderung zu spüren bekommen werden.403 Für Tolve führt das zu der Schlussfolgerung, dass die im Hinblick auf ihre Arbeitsmarktchancen schwachen Personen zukünftig allenfalls im Rahmen befristeter Verträge Zugang zu Erwerbstätigkeit finden werden. Da die Anstellung im Rahmen befristeter Verträge jedoch ohne Rechtsgrund – nunmehr – maximal für zwölf Monate zulässig ist, würde die maximale Beschäftigungsdauer der genannten Personengruppen im Vergleich zu den im Rahmen des contratto di inserimento möglichen max. 18 Monaten merklich reduziert.404 Die Kritik in Bezug auf die Abschaffung des contratto di inserimento darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Vertragsform nicht unumstritten gewesen ist. So äußerte Bonardi arge Zweifel, ob die Vorschriften zum contratto di inserimento das Verbot der Altersdiskriminierung ausreichend berücksichtigten.405 Bonardi kam zu dem Schluss, dass die Normen über den contratto di inserimento keine ausreichenden Garantien zum Schutz vor Altersdiskriminierung vorsahen. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH in Sachen Mangold barg für sie die befristete Anstellung in Form des contratto di inserimento insbesondere die Gefahr, dass Arbeitnehmer dauerhaft in prekären Anstellungsverhältnissen verharren

401 Die ursprünglich ebenfalls im d.lgs. 276/2003 (Art. 47 ff.) enthaltenen Vorschriften hinsichtlich des apprendistato wurden im Jahr 2011 durch Art. 7 Abs. 6 d.lgs. 167/2011 (Testo unico dell’apprendistato, a norma dell’articolo 1, comma 30, della legge 24 dicembre 2007, n. 247, abrufbar im Internet unter http://www.normattiva.it) aufgehoben und im vorgenannten Gesetzesdekret neu formuliert. 402 Tolve, inserimento, S. 1. 403 Tolve, inserimento, S. 2. 404 Tolve, inserimento, S. 3. 405 Barbera/Bonardi, diritto antidiscriminatorio, S. 151 ff.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

müssten und kaum eine oder keine Möglichkeit geboten bekämen, in Formen stabiler Beschäftigung überzugehen.406 Die Kritik an der Vertragsform des contratto di inserimento mag in Teilen berechtigt sein. Bonardis Bedenken, ob der contratto di inserimento mit dem Verbot der Altersdiskriminierung in Einklang zu bringen war, sind aber unbegründet. Zwar wurde der Abschluss befristeter Arbeitsverhältnisse mit älteren Arbeitnehmern durch die Vorschriften über den contratto di inserimento in gewisser Hinsicht erleichtert und bildete damit grundsätzlich auch eine altersbezogene Ungleichbehandlung. Diese war jedoch gemäß Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie und der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH gerechtfertigt. Den Regelungen lag das legitime beschäftigungspolitische Ziel der Förderung der Beschäftigung älterer Personen zu Grunde, dass sich insbesondere in der obligatorischen Qualifizierung der betroffenen Arbeitnehmer im Rahmen des persönlichen Projekts wiederspiegelte. Die Vorschriften waren daher erforderlich und angemessen zur Erreichung des angestrebten Ziels. Die Abschaffung der Regelung des contratto di inserimento wird daher aller Wahrscheinlichkeit nach – wie von Tolve zutreffend festgestellt – negative Auswirkungen auf die Beschäftigungschancen solcher Personengruppen haben, die aufgrund bestimmter persönlicher Merkmale, wie etwa des Alters, schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. In Deutschland existiert keine dem contratto di inserimento vergleichbare Beschäftigungsform. Die Schaffung einer gesonderten Vertragsform für solche Personengruppen, für die der Zugang zur Erwerbstätigkeit besonders schwierig ist, erscheint aber durchaus sinnvoll. Dabei wurde im Rahmen der Regelungen des contratto di inserimento ein besonderes Augenmerk darauf gelegt, dem Arbeitnehmer während seiner befristeten Beschäftigung eine möglichst gute Ausgangsposition zu verschaffen, um die Chancen für einen späteren Übergang in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu erhöhen. Andererseits wurden die Arbeitgeber durch die Gewährung durchaus signifikanter ökonomischer Anreize dazu motiviert, Personen auf Basis des contratto di inserimento einzustellen. Solche finanzielle Anreize für Arbeitgeber bei der Beschäftigung von älteren Personen bestehen in Italien zwar auch nach der Abschaffung des contratto di inserimento fort. Gemäß Art. 4 Abs. 8 legge 92/2012 wird bei der Anstellung von Personen mit einem Alter von mindestens 50 Jahren, die zuvor mindestens zwölf Monate arbeitslos gewesen sind, eine Entlastung von 50 Prozent der Arbeitgeberabgaben gewährt. Dies setzt voraus, dass die Personen auf Grundlage eines befristeten oder unbefristeten Vertrags angestellt werden.407 Inwieweit diese Anreize zu einer Steigerung der Beschäftigungschancen führen, ist allerdings zweifelhaft. Eine sachgrundlose Beschäftigung von Arbeitnehmern ist nur bis zu einer maximalen Dauer von zwölf Monaten zulässig und benachteiligt daher und auf Grund des fehlenden Qualifizierungsbestandteils insbesondere geringqualifizierte Arbeitnehmer. Es ist also zu vermuten, dass die Ab406 407

Barbera/Bonardi, diritto antidiscriminatorio, S. 153 f. Tiraboschi/Oddo/Tolve, riforma sbagliata, S. 68.

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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schaffung des contratto di inserimento insbesondere auch älteren Arbeitnehmern den Zugang zu Beschäftigung weiter erschweren wird. bb) Rechtfertigung altersbezogener Ungleichbehandlung bei der Festlegung von Mindest- und Höchstalter, Art. 3 Abs. 4-bis Buchst. b) und c) d.lgs. 216/2003 Art. 3 Abs. 4-bis Buchst. b) d.lgs. 216/2003 enthält ergänzende Regelungen zur Frage, inwiefern der Zugang zu Erwerbstätigkeit von altersbezogenen Kriterien abhängig gemacht werden darf. Demnach ist es grundsätzlich zulässig, einer Person nur dann Zugang zu einer Beschäftigung zu gewähren, wenn diese ein gewisses Alter hat, über einen bestimmten Grad an beruflicher Erfahrung verfügt oder ein gewisses Dienstalter vorweisen kann. Die genannten Kriterien können neben der Anwendung auf den Beschäftigungszugang an sich auch innerhalb bestehender Beschäftigungsverhältnisse Anwendung finden. Dies soll dann der Fall sein, wenn es innerhalb bestehender Beschäftigungsverhältnisse um den Zugang zu bestimmten Vorteilen geht, die mit der Beschäftigung verbunden sind. Der Passus des d.lgs. 216/2003 ist eng an die Vorgaben der Rahmenrichtlinie (hier Art. 6 Abs. 1 Buchst. b) angelehnt und entspricht damit im Wesentlichen der deutschen Regelung des § 10 S. 1 Nr. 2 AGG. Neben der Festlegung eines Mindestalters kann eine altersbezogene Ungleichbehandlung nach den Bestimmungen des d.lgs. 216/2003 auch dann gerechtfertigt sein, wenn die Beschäftigung davon abhängig gemacht wird, dass ein bestimmtes Maximalalter nicht überschritten wird. Ein solches Höchstalter soll – entsprechend den deutschen und europäischen Regelungen – insbesondere dann zulässig sein, wenn für die Ausübung einer Tätigkeit eine bestimmte Ausbildung notwendig ist und nach Abschluss einer solchen Ausbildung und vor Eintritt der Person in den Ruhestand keine sinnhafte Zeitspanne zur eigentlichen Ausübung der Tätigkeit verbliebe (vgl. Art. 3 Abs 4-bis Buchst. c) d.lgs. 216/2003). cc) Allgemeine Rechtfertigungsvoraussetzungen altersbezogener Ungleichbehandlungen, Art. 3 Abs. 4-ter d.lgs. 216/2003 Besondere Kritik im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens 2006/2441 erntete der italienische Gesetzgeber für die Umsetzung der in Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie enthaltenen Regelung. Die Kommission bemängelte, dass aus Art. 3 Abs. 4 d.lgs. 216/2003 a.F. nicht deutlich genug hervorging, dass solche Rechtfertigungen strikt an die Verfolgung rechtmäßiger Ziele gebunden sein müssen. Das Ministero del Lavoro e delle Politiche Sociali408 reagierte auf die entsprechende

408

Italienisch für: Arbeitsministerium.

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Kritik und nahm mittels des decreto-legge 59/2008 Änderungen vor.409 Aus Art. 3 Abs. 4-ter d.lgs. 216/2003 geht nunmehr deutlich(er) hervor, dass die in Art. 3 Abs. 4-bis d.lgs. 216/2003 genannten Ausnahmen vom grundsätzlichen Gleichbehandlungsgebot nur in Betracht kommen, sofern diese objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sind.410 Besondere Kreativität kann dem italienischen Gesetzgeber insoweit nicht attestiert werden. Deshalb erntet die aktuelle Fassung des Art. 3 Abs. 3 d.lgs. 216/2003 in der italienischen Literatur weiterhin Kritik, auch wenn zugestanden wird, dass durch die Aufnahme von Art. 3 Abs. 4-ter d.lgs. 216/2003 eine Annäherung an die Vorgaben der Rahmenrichtlinie erreicht wurde.411 Art. 3 Abs. 4-ter d.lgs. 216/2003 ist annähernd wortgleich mit dem entsprechenden Passus in Art. 6 Rahmenrichtlinie. Da auch die deutsche Umsetzung in § 10 S. 1 AGG sich sehr stark am Wortlaut der Rahmenrichtlinie orientiert, ist diese auch mit der neuen Fassung des italienischen Gesetzestextes im Wesentlichen kongruent. 5. Altersbezogene Ungleichbehandlungen im Rahmen befristeter Arbeitsverhältnisse Insbesondere durch die Entscheidung des EuGH in Sachen Mangold geriet ins Blickfeld, inwieweit das Alter bei der arbeitsvertraglichen Sonderform des befristeten Arbeitsverhältnisses als Kriterium für eine unterschiedliche Behandlung herangezogen werden kann. Die Sache Mangold hat durch das Verfahren vor dem EuGH über die Grenzen hinweg Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Auch in Italien fand die Entscheidung erhebliche Beachtung und führte zu einer belebten Diskussion bezogen auf die nationale Befristungsgesetzgebung.412 Das italienische nationale Recht gewährt Arbeitnehmern, die im Rahmen befristeter Arbeitsverhältnisse beschäftigt werden, ein hohes Schutzniveau. Aber auch das Befristungsrecht war Gegenstand der Reformen der Regierung Monti, die das Ziel verfolgte, durch eine größere Flexibilisierung des Vertragsregimes die Beschäftigung zu fördern.413 a) Befristung von Arbeitsverhältnissen in Italien, d.lgs. 368/2001 Betrachtet man die Anzahl der im Rahmen eines contratto a termine Beschäftigten, kommt diesem in etwa die gleiche Bedeutung wie dem befristeten Vertrag in Deutschland zu. Während im Jahr 2011 14,8 Prozent der in Deutschland beschäftigten Personen befristetet beschäftigt waren, sind in Italien 13,4 Prozent der Be-

409

Servizio, dossier 10, S. 128. La Tegola, discriminazione, S. 484. 411 La Tegola, discriminazione, S. 485 bzw. 487. 412 Imberti, criterio età, S. 301 ff. 413 Ausführlich zur Reform des contratto a termine Tiraboschi/Costa/Tiraboschi, riforma sbagliata, S. 53 ff. sowie Magnani/Tiraboschi/Costa, nuova riforma, S. 97 ff. 410

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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schäftigten im Rahmen befristeter Arbeitsverhältnisse tätig gewesen.414 Die Befristungsrichtlinie 1999/70/EG wurde in Italien im Jahr 2001 durch das d.lgs. 368/ 2001 umgesetzt.415 Nationale gesetzliche Regelungen zur Befristung von Arbeitsverhältnissen existieren bereits seit den 1960er Jahren.416 Im Rahmen einer Reform des d.lgs. 368/2001 im Jahr 2007417 wurde dieses in Art. 1 Abs. 01 um die klarstellende Formulierung „Il contratto di lavoro subordinato e’ stipulato di regola a tempo indeterminato“418 ergänzt. Im Jahr 2012 wurde der entsprechend Passus nochmals reformiert419 und lautet nunmehr „Il contratto di lavoro subordinato a tempo indeterminato costituisce la forma comune di rapporto di lavoro.“420 Daraus ergibt sich, dass – noch prominenter als in Deutschland – in Italien die grundsätzliche Auffassung vertreten wird, dass es sich bei befristeten Arbeitsverhältnissen um die Ausnahme handelt, wohingegen die Beschäftigung in unbefristeten Arbeitsverhältnissen die Regel darstellen soll.421 Der restriktivere Umgang mit dem Vertragstypus des contratto a termine zeigt sich nicht nur in der „Quasi“-Präambel des Art. 1 Abs. 01 d.lgs. 368/2001, sondern auch in den – im Vergleich zu Deutschland – strengeren übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen. aa) Sachgrunderfordernis im Rahmen des contratto a termine, Art. 1 d.lgs. 368/2001 Ausgehend von dem vorgenannten Grundsatz, dass das befristete Arbeitsverhältnis im Verhältnis zum unbefristeten Arbeitsverhältnis die Ausnahme darstellen soll, wird die Zulässigkeit der Vereinbarung eines für eine gewisse Zeitdauer geschlossenen Arbeitsverhältnisses in Italien grundsätzlich unter die Bedingung gestellt, dass ein bestimmter Sachgrund vorliegt, der eine solche Befristung rechtfer-

414 Daten abrufbar im Internet bei Eurostat unter http://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/ show.do?dataset=lfsq_etpga&lang=en. 415 Für eine ausführlich Darstellung der Umsetzung der Befristungsrichtlinie: Paola/Fedele, contratto determinato, S. 3 ff. 416 Für eine kurzen Überblick zur Entwicklung des Befristungsrechts in Italien, Magnani, contratti di lavoro, S. 63 ff; ausführlicher Franza, lavoro a termine, S. 101 ff. 417 Die Modifikation erfolgte durch die Legge vom 29. 12. 2007, Nr. 301, abrufbar im Internet unter http://www.normattiva.it. 418 Italienisch für: Der Arbeitsvertrag wird regelmäßig unbefristet abeschlossen. 419 Die Reform erfolgte durch die Legge vom 28. 06. 2012, Nr. 92, abrufbar im Internet unter http://www.normattiva.it. 420 Italienisch für: Der unbefristete Arbeitsvertrag stellt die reguläre Form des Arbeitsvertrags dar. 421 So auch Tiraboschi/Costa/Tiraboschi, riforma sbagliata, S. 53; es wird jedoch in der Literatur auch die Meinung vertreten, dass zwischen den beiden Vertragsformen (contratto a tempo indeterminato und contratto a tempo determinato) ein prioritätsfreies Alternativverhältnis besteht, m.w.N. Persiani/Ferrari, nuovi contratti, S. 282.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

tigt.422 Dieses Sachgrunderfordernis ist in Art. 1 Abs. 1 d.lgs. 368/2001 niedergelegt. Demnach kommt eine Befristung grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn dies durch technische (ragione di carattere tecnico), produktive (ragione di carattere produttivo), organisatorische (ragione di carattere organizzativo) Gründe gerechtfertigt ist oder der jeweilige Arbeitnehmer zum Zweck der Vertretung (ragione di carattere sostitutivo) eingestellt werden soll. Insoweit zeigt sich das italienische Recht bezogen auf das Sachgrunderfordernis zur Begründung eines befristeten Arbeitsverhältnisses sehr ähnlich zu den in Deutschland in § 14 TzBfG enthaltenen Grundsätzen. Denn obwohl die Aufzählung in Art. 1 Abs. 1 d.lgs. 368/2001 im Gegensatz zur deutschen Regelung des § 14 TzBfG eine abschließende Aufzählung in Frage kommender Sachgründe zu enthalten scheint, ist – etwa im Hinblick auf die ragioni di carattere sostitutivo – in der italienischen Literatur und Rechtsprechung schon vor Einführung des Art. 1 Abs. 1bis die Frage diskutiert worden, ob nicht der erste befristete Vertrag zumindest faktisch sachgrundfrei abgeschlossen werden kann.423 Diese Diskussion dürfte sich im Wesentlichen durch die jüngste Reform des Befristungsrechts erledigt haben. Mit der legge 92/2012, zwischenzeitlich durch das decreto-legge 76/2013424 modifiziert, wurde der zuvor genannte Art. 1 Abs. 1-bis d.lgs. 368/2001 eingeführt. Dieser ermöglicht es nunmehr, dass unter bestimmten Voraussetzungen eine Befristung auch ohne das Vorliegen der in Abs. 1 genannten Sachgründe zulässig ist (contratto a tempo determinato acausale). Nach Art. 1 Abs. 1-bis Buchst. a) entfällt das in Abs. 1 statuierte Sachgrunderfordernis, wenn zwischen zwei Arbeitsvertragsparteien zum ersten Mal ein befristetes Arbeitsverhältnis besteht (primo rapporto a tempo determinato) und die Befristung einen Zeitraum von zwöf Monaten nicht überschreitet. Aus einer Klarstellung des zuständigen italienischen Arbeitsministeriums geht hervor, dass die Formulierung primo rapporto bewusst gewählt wurde und die Befristung ohne Angabe von Sachgründen nur ein einziges Mal zwischen denselben Vertragsparteien denkbar ist.425 Mit dem zunächst durch die legge 92/2012 und sodann nochmals durch das decreto-legge 76/2013 geänderten Art. 1 Abs. 1-bis Buchst. b) d.lgs. 368/2001 wurde nicht nur die Möglichkeit einer sachgrundlosen Befristung für die ersten zwölf Monate eingeführt. In der durch die legge 92/2012 geänderten Fassung war es Ar422 Hierzu Franza, lavoro a termine, S. 209 ff.; Paola/Fedele, contratto determinato, S. 99 ff.; Persiani/Ferrari, nuovi contratti, S. 284 ff.; Magnani, contratti di lavoro, S. 68 ff. 423 Hierzu Magnani, contratti di lavoro, S. 68 ff. 424 Decreto-legge vom 28. 06. 2013, Nr. 76, Primi interventi urgenti per la promozione dell’occupazione, in particolare giovanile, della coesione sociale, nonche’ in materia di Imposta sul valore aggiunto (IVA) e altre misure finanziarie urgenti, abrufbar im Internet unter http://www.normattiva.it. 425 Circolare Nr. 18/2012 del Ministero del lavoro e delle politiche sociali, S. 2, abrufbar im Internet unter: http://www.lavoro.gov.it/NR/rdonlyres/21FDF179-5B66-4ED5-B017-1EEE67 DECE27/0/20120718_Circ_18.pdf.

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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beitgebern unter Umständen auch erlaubt, über den Zwölf-Monatszeitraum hinaus und ohne Beschränkung auf eine erste vertragliche Beziehung Arbeitnehmer befristet anzustellen. Diese Alternative zum zwölfmonatigen befristeten Vertrag des Art. 1 Abs. 1-bis Buchst. a) d.lgs. 368/2001 stand dem Arbeitgeber dann zur Verfügung, wenn dies die einschlägigen Kollektivverträge zuließen und bestimmte betriebsbezogene bzw. betriebsorganisatorische Voraussetzungen gegeben waren. Dabei handelte es sich etwa um die Aufnahme einer neuen Tätigkeit, die Einführung eines neuen Produkts etc. Überdies durften, bezogen auf die jeweilige Betriebseinheit, maximal 6 Prozent der Arbeitnehmer auf diese Weise beschäftigt werden.426 Die nunmehr aufgrund des decreto-legge 76/2013 geltende Fassung ist noch viel weitergehend. Nunmehr ist eine sachgrundlose Befristung in jeder von Abs. 1 Buchst. a) abweichenden Situation Lage denkbar, soweit dies Kollektivverträge (auch Unternehmenstarifverträge) vorsehen, die von solchen Kollektivertragsparteien geschlossen wurden, die auf nationaler Ebene verhältnismäßig am meisten Mitglieder vertreten. Die Einführung der Möglichkeit zur sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen stößt in der italienischen Literatur auf harsche Kritik. Costa und Tiraboschi sehen hierin einen Rückschritt sowohl in normativer als auch in kultureller Hinsicht. Dass die Liberalisierung des Sachgrunderfordernisses einen Ausgleich für den Verlust von Vertragstypen wie dem des contratto di inserimento bilden soll, tröstet dabei offenkundig nur wenig, da die seinerzeit geschützten Personengruppen sich nunmehr gleichgestellt mit anderen Personengruppen sehen und damit geringere Chancen auf Zugang zur Beschäftigung haben. Gleichzeitig wird befürchtet, dass zukünftig auch dort Personen befristet eingestellt werden, wo es keine reale Notwendigkeit für eine solche befristete Beschäftigung gibt. Aus der von Tiraboschi und Costa geäußerten Kritik wird deutlich, dass – wie Art. 1 Abs. 1 d.lgs. 368/2001 zum Ausdruck bringt – nach wie vor das unbefristete Arbeitsverhältnis die anzustrebende Form sein soll. Umgekehrt wird es abgelehnt, den befristeten Vertrag im Vergleich zum unbefristeten Vertrag grundsätzlich als prekäre Beschäftigungsform anzusehen. Eine eben solche Einordung zeige sich jedoch in der Ermöglichung sachgrundloser Befristungen.427 Eine Regelung, wie sie das deutsche Recht in § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. vorsah und – wenn auch in abgemilderter Form – auch in neuer Fassung vorsieht, ist dem italienischen Recht unbekannt. Bis zur Reform im Jahr 2012 war die Befristung eines Arbeitsverhältnisses, ohne dass die Befristung ihre Rechtfertigung durch einen Sachgrund erhielt, nicht möglich. Lediglich der contratto di inserimento sah eine unter anderem an das Alter anknüpfende Ungleichbehandlung bestimmter Personengruppen vor, wobei durch das Erfordernis eines progetto individuale das betriebsbezogene Sachgrunderfordernis auf die subjektive Ebene verschoben wurde.

426 427

Tiraboschi/Costa/Tiraboschi, riforma sbagliata, S. 55. Tiraboschi/Costa/Tiraboschi, riforma sbagliata, S. 54.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

Die Befristung im Rahmen des contratto di inserimento war nur dann möglich, wenn die Person bestimmte gesetzliche Merkmale aufwies. bb) Verlängerung und Höchstdauer der Befristung im Rahmen des contratto a termine, Art. 4 d.lgs. 368/2001 Befristete Arbeitsverhältnisse unterliegen nach den Regelungen des d.lgs. 368/ 2001 auch Beschränkungen in Bezug auf die Möglichkeit der zeitlichen Verlängerung sowie auf die zulässige Höchstdauer. Gemäß Art. 4 Abs. 1 d.lgs. 368/2001 ist die Verlängerung eines befristeten Arbeitsverhältnisses möglich, wenn ursprünglich eine kürzere Vertragslaufzeit als drei Jahre vereinbart wurde. Aus Art. 4 Abs. 1 d.lgs. 368/2001 geht gleichermaßen hervor, dass die zulässige Höchstdauer eines befristeten Arbeitsvertrags nicht auf drei Jahre (36 Monate) beschränkt ist. Lediglich die Verlängerung eines (zunächst kürzer) befristeten Arbeitsvertrags über die Dauer von 36 Monaten hinaus ist unzulässig.428 Ein befristeter Arbeitsvertrag darf nur ein einziges Mal verlängert werden. Des Weiteren ist eine Verlängerung nur dann zulässig, wenn diese durch objektive Gründe (ragioni oggettive) gerechtfertigt ist und die Verlängerung sich auf dasselbe Tätigkeitsumfeld (attività lavorativa) bezieht, für den der befristete Vertrag ursprünglich geschlossen wurde.429 Bei den objektiven Gründen muss es sich nach wohl h.M. in der italienischen Literatur nicht zwingend um dieselben Gründe handeln, die als Grundlage für den originären Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags dienten. Das Erfordernis desselben Tätigkeitsumfelds wird arbeitgeber- und nicht arbeitnehmerbezogen interpretiert. Der Arbeitgeber ist also grundsätzlich nicht gehindert, dem Arbeitnehmer im Rahmen der Verlängerung des Vertragsverhältnisses andere Aufgaben zu übertragen oder ihn für andere Tätigkeiten einzusetzen.430 Ursprünglich war es nicht möglich, den mit der legge 92/2012 eingeführten, sachgrundlos befristeten Vertrag zu verlängern. Dies untersagte Art. 4 Abs. 2-bis d.lgs. 368/2001 a.F. Diese Regelung wurde durch das decreto-legge 76/2013 aufgehoben. Damit kann ein ursprünglich sachgrundlos geschlossener befristeter Vertrag ebenso wie ein mit Sachgrund befristeter Vertrag verlängert werden. Im Falle der Verlängerung findet dann aber auch Art. 4 Abs. 1 d.lgs. 368/2001 Anwendung. Selbst wenn also zur wirksamen Begründung des befristeten Vertrags kein Sachgrund vorliegen muss, ist eine Verlängerung ohne das Vorliegen eines Sachgrunds (ragione oggettiva) nicht möglich und die Gesamtdauer des befristeten Vertrags darf die Dauer von drei Jahren nicht überschreiten.

428 429 430

Hierzu Magnani, contratti di lavoro, S. 74; Persiani/Ferrari, nuovi contratti, S. 302. Persiani/Ferrari, nuovi contratti, S. 301. Paola/Fedele, contratto determinato, S. 246 f.

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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Umstritten ist die Frage, ob aus den Vorschriften zur Verlängerung eines befristetet abgeschlossenen Vertrags hergeleitet werden kann, dass ein befristeter Arbeitsvertrag generell nur für eine maximale Dauer von nicht mehr als 36 Monaten geschlossen werden darf. Die h.M. in der italienischen Literatur geht davon aus, dass dies nicht der Fall ist. Der befristete Vertrag kann also bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen zu Beginn auch mit einer längeren Laufzeit abgeschlossen werden.431 Eine Mindermeinung vertritt die Auffassung, dass eine solche Interpretation dem grundlegenden Anliegen, die Verwendung des befristeten Vertrags auf eine maximale Dauer von 36 Monaten zu begrenzen, widerspräche.432 Folgt man der herrschenden Meinung, zeigt sich das italienische Recht in Bezug auf die zulässige Höchstverwendungsdauer befristeter Verträge nur unwesentlich rigider als das deutsche Recht, wobei aus dem TzBfG deutlicher hervorgeht, dass es grundsätzlich keine Höchstdauer eines befristeten Vertrags gibt. Nicht zuletzt durch die jüngste Entscheidung des EuGH433 zu den Fällen der sogenannten „Kettenbefristung“ wurde klargestellt, dass – soweit die sonstigen Voraussetzungen wie etwa ein Sachgrund gegeben sind – Befristungen in Deutschland über einen unbestimmten Zeitraum hinweg möglich sind.434 Lediglich in Bezug auf die sachgrundlose Beschäftigung älterer Arbeitnehmer (vgl. § 14 Abs. 3 TzBfG) hat der deutsche Gesetzgeber – nicht zuletzt als Reaktion auf das Urteil in Sachen Mangold – eine Obergrenze von fünf Jahren aufgenommen. Eine solche altersbezogene Sonderregelung kennt das italienische Recht nicht. cc) Zuvor bestehende Arbeitsverhältnisse (successione dei contratti), Art. 5 Abs. 3 ff. d.lgs. 368/2001 Standen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bereits zuvor in vertraglichen Beziehungen, so scheidet eine Beschäftigung im Rahmen eines contratto a termine unter gewissen Umständen aus. Im Falle einer zweiten befristeten Anstellung eines Arbeitnehmers wird der Folgevertrag als unbefristet angesehen, wenn nicht zwischen dem Ende des ersten und dem Abschluss des zweiten befristeten Vertrags bestimmte Wartezeiten eingehalten werden. Die Wartezeit beträgt für den Fall, dass der erste Vertrag maximal sechs Monate dauerte, zehn Tage. Hatte der erste Vertrag eine Laufzeit, die sechs Monate übersteigt, ist eine Wartezeit von mindestens 20 Tagen einzuhalten. Die Herabsetzung auf diese sehr kurzen Zwischenzeiträume erfolgte durch das decreto-legge 76/2013. Zuvor war zumindest ein Zeitraum von 60 bzw. 90 Tagen erforderlich. Art. 5 Abs. 3 d.lgs. 368/2001 überlässt es für bestimmte Fälle den Kollektivvertragsparteien die Befugnis einzuräumen, die entsprechenden Fristen 431

Persiani/Ferrari, nuovi contratti, S. 309 f. Persiani/Ferrari, nuovi contratti, S. 310. 433 Urteil des EuGH v. 26. 01. 2012, Az. C-586/10, abrufbar im Internet unter http://curia.eu ropa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 434 Drosdeck/Bitsch, Kettenbefristungen, S. 977 ff. 432

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

sogar noch weiter zu verkürzen.435 Wird hingegen das Beschäftigungsverhältnis auf Basis eines zweiten befristeten Vertrags unmittelbar nach Ablauf des ersten Vertrags fortgeführt, ohne dass es zu einer Lösung der Vertragsbeziehung kommt, wird die vertragliche Beziehung gemäß Art. 5 Abs. 4 d.lgs. 368/2001 bereits von Beginn des ersten Vertrags an als unbefristet betrachtet.436 Die aus Deutschland bekannten Fälle der sogenannten Kettenbefristung lassen sich grundsätzlich auch dann im italienischen Recht nicht reproduzieren, wenn die (kurzen) Wartezeiten zwischen zwei befristeten Verträgen (Art. 5 Abs. 3 d.lgs. 368/ 2001) eingehalten werden. Dies gilt gemäß Art. 5 Abs. 4-bis d.lgs. 368/2001 zumindest für solche Fälle, in denen ein Arbeitnehmer auf Grund einer Mehrzahl von befristeten Verträgen für die im Wesentlichen gleichen Tätigkeiten beschäftigt wird. In einem solchen Fall wird das Arbeitsverhältnis, unabhängig davon, dass Wartezeiten eingehalten, Sachgründe gegeben und jeweils neue befristete Verträge abgeschlossen wurden, nach einer zusammengerechneten Höchstdauer von 36 Monaten unbefristet.437 Selbst wenn den Kollektivvertragsparteien insoweit gewisse Spielräume eingeräumt werden, sind diese offenkundig nicht so weitgehend, dass auch die Höchstdauer von 36 Monaten zur Disposition steht.438 Nach Ablauf der (ggf. summierten) 36 Monate ist der Abschluss eines (und nur eines) weiteren befristeten Vertrags nur möglich, wenn der Vertrag unter Mitwirkung eines Gewerkschaftsvertreters bei der zuständigen regionalen Arbeitsverwaltung (direzione provinciale del lavoro) geschlossen wird.439 Die Festlegung der Höchstdauer dieses befristeten Vertrags ist grundsätzlich den Kollektivvertragsparteien überlassen.440 Sonderregelungen für ältere Arbeitnehmer enthält das italienische Recht in Bezug auf aufeinanderfolgende befristete Verträge bzw. die zulässige Höchstdauer nicht. Generell ist das diesbezügliche italienische Recht im Vergleich zu den entsprechenden Regelungen in Deutschland strenger. Auch wenn die konkrete Maximaldauer des letzten befristeten Vertrags den Kollektivvertragsparteien überlassen bleibt, besteht insoweit ein Unterschied zur Rechtslage in Deutschland. Selbst bei Vorliegen entsprechender Sachgründe ist – die in Deutschland denkbare – „unbefristete Befristung“ in Italien nicht zulässig. Nach der Rechtsprechung des BAG jedoch ist nach Ablauf von drei Jahren sogar eine sachgrundlose Befristung zwischen zwei identischen Vertragsparteien wieder möglich.441

435

Paola/Fedele, contratto determinato, S. 265 f. Paola/Fedele, contratto determinato, S. 266 f. 437 Paola/Fedele, contratto determinato, S. 273 ff. 438 Paola/Fedele, contratto determinato, S. 275 f. 439 Magnagni, contratti di lavoro, S. 74 f; Paola/Fedele, contratto determinato, S. 281. 440 Paola/Fedele, contratti di lavoro, S. 283: Im Jahr 2008 einigte man sich – zumindest vorläufig – auf eine Höchstdauer von maximal acht Monaten. 441 BAG, Urteil v. 06. 04. 2011, Az. 7 AZR 716/09, in NZA 2011, S. 905 ff. 436

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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b) Altersdiskriminierung in befristeten Arbeitsverhältnissen aa) Quantitative betriebsbezogene Beschränkungen, Art. 10 Abs. 7 d.lgs. 368/2001 Das italienische Befristungsrecht sieht noch eine weitere Zulässigkeitsschranke vor. Gemäß Art. 10 Abs. 7 d.lgs.368/2001 sind die Kollektivvertragsparteien befugt, betriebsbezogene Obergrenzen festzulegen. Wird von dieser Befugnis Gebrauch gemacht, kann nur ein bestimmter Prozentsatz der Belegschaft im Rahmen befristeter Arbeitsverhältnisse angestellt werden. Diese Begrenzung auf eine bestimmte Prozentuale wird als contingentamento bezeichnet. Bis zur Reform des Befristungsrechts im Jahre 2001 war den Kollektivvertragsparteien ein Recht zur qualitativen Bestimmung des Anwendungsbereichs zugebilligt, das durch die Regelungen des contingentamento abgelöst wurde. Den Kollektivvertragsparteien steht nunmehr ein quantitatives Steuerungselement zur Verfügung.442 Der italienische Gesetzgeber ermächtigt die Sozialpartner mittels Art. 10 Abs. 7 d.lgs. 368/2001 dazu, die konkrete Form des contingentamento auszugestalten. Die clausola di contingentamento bestimmt, ob ein befristeter Arbeitsvertrag zulässigerweise geschlossen werden darf. Die Anforderungen sind hierbei noch strenger als dies etwa in vergleichbaren Bestimmungen des contratto di inserimento (Art. 55 d.lgs. 276/2003 a.F.) der Fall gewesen ist. Es sind zwar wiederum die jeweils führenden Gewerkschaften zur Ausführung berufen, jedoch kann eine Festlegung der konkreten Anforderungen nicht mehr auf territorial begrenzter oder sogar betrieblicher Ebene erfolgen, sondern nur noch auf nationaler Ebene im Rahmen der sogenannten contratti collettivi nazionali di lavoro. Es ist h.M., dass im Falle der Missachtung von limiti quantitativi die Befristungsabrede nichtig und damit der Vertrag als unbefristet geschlossen anzusehen ist.443 Umstritten ist, ob befristete Verträge im Sinne von Art. 1 Abs. 1 d.lgs. 368/ 2001 in solchen Bereichen geschlossen werden können, in denen eine tarifvertragliche Regelung zu den limiti quantitativi fehlt. Nach einer Auffassung ist die Zulässigkeit des Abschlusses befristeter Verträge nicht davon abhängig, dass solche quantitativen Limits bestimmt worden sind. Noch weitergehend wird vertreten, dass die Sozialpartner auch ganz darauf verzichten könnten, entsprechende Limits festzulegen. Zum Teil wird dies mit dem Wortlaut des Art. 10 Abs. 7 d.lgs. 368/2001 begründet. Dieser sei dergestalt gefasst, dass damit den berufenen Sozialpartnern lediglich die Möglichkeit eröffnet werden sollte, entsprechende Obergrenzen festzulegen, ohne diese zu einer zwingenden Voraussetzung für die Zulässigkeit von befristeten Verträgen werden zu lassen.444 Ein weiteres Argument 442

Ciucciovino, contratto determinato, S. 488. Paola/Fedele, contratto determinato, S. 361 f.; Franza, lavoro a termine, S. 328; wohl a.A. Ciucciovino, contratto determinato, S. 492 ff. 444 Paola/Fedele, contratto determinato, S. 356 und Franza, lavoro a termine, S. 327 m.w.N. 443

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

ist die Ablehnung der Rechtsfolgen des Art. 1419 Codice Civile. Es wird für unbillig gehalten, dass ein Vertrag, der grundsätzlich gemäß den Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 d.lgs. 368/2001 befristet abgeschlossen werden könnte, aufgrund des Fehlens einer kollektivvertraglichen Regelung und in Anwendung der Grundsätze des Art. 1419 Codice Civile als unbefristet anzusehen wäre.445 Übereinstimmend sehen die Vertreter der Gegenauffassung in der clausola di contingentamento das Gegengewicht zu einer durch den Gesetzgeber erfolgten Liberalisierung des Anwendungsbereichs des befristeten Vertrags.446 Die in Art. 10 Abs. 7 d.lgs. 368/2001 enthaltenen Regelungen werden als Ergänzung zu den Bestimmungen des Art. 1 Abs. 1 d.lgs. 368/2001 gesehen. Der in Art. 1 Abs. 1 d.lgs. 368/2001 nach und nach erleichterte Zugang zum Instrument des befristeten Vertrags soll einem Arbeitgeber demnach nur im Rahmen der quantitativen Grenzen möglich sein, die von den Kollektivverträgen vorgegeben werden.447 Die clausola di contingentamento wird als zwingende tatbestandliche Voraussetzung für den befristeten Vertrag angesehen.448 Als Argument dafür wird unter anderem angeführt, dass die Festlegung der quantitativen Grenzen nicht auf betrieblicher oder regionaler Ebene erfolgen können, sondern lediglich im Rahmen der national geltenden contratti collettivi nazionali di lavoro. Die Sozialpartner haben nach den Bestimmungen des d.lgs. 368/2001 keinen Einfluss mehr auf den Katalog möglicher Sachgründe, erhalten jedoch zum Ausgleich die Möglichkeit, die Verwendung der Vertragsform in quantitativer Hinsicht zu beschränken.449 Als dahinterstehende Überlegung des Gesetzgebers wird unverändert angenommen, dass, ohne eine entsprechende Regelung durch die Sozialpartner, der Abschluss befristeter Arbeitsverträge nur in den in Art. 10 Abs. 7 Buchst. a) bis c) d.lgs. 368/2001 ausdrücklich genannten Fällen wirksam möglich ist.450 Die gewichtigeren Argumente sprechen für die Annahme, das Erfordernis eines quantitativen Limits als verbindliche Voraussetzung für die Zulässigkeit eines befristeten Vertrags anzusehen. Die Kollektivverträge jüngeren Datums nehmen sich der quantitativen Beschränkung auch an. Eine Vielzahl der (neueren) contratti collettivi nazionali di lavoro enthalten eine entsprechende Vorgabe. Die Sozialpartner scheinen sich bewusst zu sein, dass eine diesbezügliche Regelung zu treffen ist. Zumeist sehen die Verträge eine maximale Obergrenze von 15 Prozent bis 20 Prozent vor.451 445

Franza, lavoro a termine, S. 327 f. Ferraro/Monda, contratto determinato, S. 284; Paola/Fedele, contratto determinato, S. 356 f m.w.N. 447 Paola/Fedele, contratto determinato, S. 356 f. m.w.N. 448 So etwa Ferraro/Monda, contratto determinato, S. 284 ff. 449 Ferraro/Monda, contratto determinato, S. 284. 450 Paola/Fedele, contratto determinato, S. 356 m.w.N. 451 Beispielhaft hierfür Art. 16-bis CCNL per i dipendenti e i soci lavoratori delle asscociazioni; Art. 6 CCNL per i dipendenti dalle Aziende di lavorazione della foglia di tabacco 446

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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bb) Ausnahmen vom Grundsatz der quantitativen betriebsbezogenen Beschränkungen, Art. 10 Abs. 7 d.lgs. 368/2001 Einigkeit besteht in der italienischen Literatur, dass bestimmte, abschließend in Art. 10 Abs. 7 d.lgs. 368/2001 normierte Fälle keinen quantitativen Begrenzungen unterliegen.452 Art. 10 Abs. 7 Buchst. a) bis c) d.lgs. 368/2001 sehen solche Ausnahmen im Wesentlichen für bestimmte betriebliche Sachverhalte vor. So existieren keine betrieblichen Obergrenzen für die Beschäftigung im Rahmen befristeter Arbeitsverhältnisse, wenn diese im Zusammenhang mit der Aufnahme einer neuen betrieblichen Betätigung erfolgt (Art. 10 Abs. 7 Buchst. a) d.lgs. 368/2001). Gleiches gilt im Falle von Vertretungsbefristungen oder saisonaler Beschäftigung (Art. 10 Abs. 7 Buchst. b) d.lgs. 368/2001) sowie für bestimmte Bereiche des Schauspiels und der Radio- und Fernsehprogramme (Art. 10 Abs. 7 Buchst. c) d.lgs. 368/2001). Dabei lässt der italienische Gesetzgeber mit dem von ihm gewählten Wortlaut keine Zweifel daran, dass die genannten Bereiche der Dispositionsbefugnis der Kollektivvertragsparteien vollständig entzogen sind.453 (1) Rechtfertigung altersabhängiger Ungleichbehandlungen bei quantitativen betriebsbezogenen Beschränkungen, Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 Eine Sonderrolle in dem auf die limiti quantitativi bezogenen Ausnahmekatalog kommt Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 zu. Diese besondere Stellung des Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 resultiert aus der Bezugnahme auf das Merkmal Alter. Im Gegensatz zu den in den Buchst. a) bis c) normierten Fällen wird die Ausnahme des Buchst. d) nicht an das Vorhandensein einer bestimmten betrieblichen Voraussetzung geknüpft, sondern nimmt unmittelbar Bezug auf ein persönliches Merkmal einer der Arbeitsvertragsparteien. Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 statuiert eine Altersgrenze von 55 Jahren. Alle Arbeitnehmer, die dieses Alter überschritten haben, können ohne Rücksicht auf quantitative Obergrenzen im Rahmen befristeter Verträge eingestellt werden.454 Zur Begründung für diese Regelung wird die schwierige Beschäftigungssituation älterer Menschen angeführt. Mit der Herausnahme älterer Menschen aus dem Anwendungsbereich des Art. 10 Abs. 7 d.lgs. 368/2001 und den auf dessen Grundlage existierenden maximalen Obergrenzen soll der schwierigen Beschäftigungssituation dieser Personen-

secco allo stato sciolto; Art. 15 CCNL per i lavoratori dipendenti delle imprese esercenti attività di Investigazione Privata, Agenzia di Sicurezza Sussidiaria, Guardie Giurate, Portierato, Guardiania, Steward da Stadio e Sicurezza Privata, sämtlich abrufbar im Internet unter http:// www.cnel.it/347?contrattazione_testo=5. 452 Paola/Fedele, contratto determinato, S. 363. 453 Paola/Fedele, contratto determinato, S. 363 ff. 454 Ferraro/Monda, contratto determinato, S. 285; Paola/Fedele, contratto determinato, S. 367 f.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

gruppe Rechnung getragen werden und sollen Beschäftigungschancen erhöht werden.455 Die einer solchen Regelung im Hinblick auf die bestehenden Gleichbehandlungsvorschriften potentiell innewohnende Problematik ist der italienischen Wissenschaft nicht verborgen geblieben. Es wird diesbezüglich konkret auf die zum deutschen Befristungsrecht ergangene Rechtsprechung des EuGH in Sachen Mangold Bezug genommen. Wie a.a.O. bereits erörtert, hatte sich der EuGH in dem genannten Verfahren mit der Rechtfertigung unmittelbar auf das Alter bezogener Ungleichbehandlungen zu beschäftigen.456 Im Abgleich mit der genannten Rechtsprechung wird Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 als mit den europäischen Vorgaben der Rahmenrichtlinie konform erachtet.457 Tatsächlich muss sich Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 an den Vorgaben der Rahmenrichtlinie messen lassen. Konkret stellen sich die Fragen, ob Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 zu schlechterstellenden Ungleichbehandlungen auf Grund der Heranziehung eines verpönten Merkmals ermächtigt, und, wenn ja, ob solche Ungleichbehandlungen möglicherweise nach den in Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie enthaltenen Grundsätzen gerechtfertigt sein können. Diesbezüglich kann Rückgriff auf die vom EuGH im Verfahren Mangold entwickelten Prüfungsgrundsätze genommen werden.458 Tatbestandlich ist Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 als unmittelbar schlechterstellende Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Buchst. a) Rahmenrichtlinie einzuordnen.459 Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 definiert mit der dort genannten Altersgrenze eine klar abgrenzbare Personengruppe und erlaubt für diese eine Anstellung auf der Grundlage eines befristeten Vertrags. Dies erfüllt den Tatbestand einer Ungleichbehandlung, da jüngere Arbeitnehmer im gleichen Fall nur unbefristet beschäftigt werden könnten. Es handelt sich auch nicht um eine „positive Diskriminierung“, eine Ungleichbehandlung, die ältere Personen besser stellt, sondern um eine schlechterstellende Ungleichbehandlung. Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 ist somit nur dann keine verbotene Diskriminierung und mit den Vorgaben der Rahmenrichtlinie vereinbar, wenn für die Ungleichbehandlung der älteren Personen eine Rechtfertigung existiert. Die Voraus-

455

Paola/Fedele, contratto determinato, S. 367. Urteil des EuGH v. 22. 11. 2005, Az. C-144/04, abrufbar im Internet unter http://curia.eu ropa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 457 Paola/Fedele, contratto determinato, S. 368 sowie Ferraro/Monda, contratto determinato, S. 39. 458 Urteil des EuGH v. 22. 11. 2005, Az. C-144/04, Rn. 55 ff., abrufbar im Internet unter http://curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 459 Urteil des EuGH v. 22. 11. 2005, Az. C-144/04, Rn. 57, abrufbar im Internet unter http:// curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 456

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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setzungen einer solchen Rechtfertigung ergeben sich aus Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie.460 Demnach stellen Ungleichbehandlungen nur dann keine Diskriminierung dar, „sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.“461 Insbesondere gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. a) Rahmenrichtlinie können besondere Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen vorgesehen werden, um u. a. ältere Arbeitnehmer beruflich einzugliedern.462 Wie § 14 Abs. 3 TzBfG (a.F.) bezweckt auch Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 die Schaffung besserer Chancen zur (Wieder-)Eingliederung älterer Arbeitnehmer in das Erwerbsleben.463 Der EuGH hat im Verfahren Mangold deutlich zu erkennen gegeben, dass die Förderung der Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer grundsätzlich ein – im Allgemeininteresse liegendes – legitimes Ziel im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie bildet.464 Gleichsam stellt die Förderung der Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer damit grundsätzlich eine „objektive und angemessene Rechtfertigung einer von den Mitgliedsstaaten vorgesehenen Ungleichbehandlung wegen des Alters“ dar.465 Überträgt man diese Grundsätze des Urteils in Sachen Mangold auf Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001, ist davon auszugehen, dass die hinter der Vorschrift stehende gesetzgeberische Intention gemäß den Vorgaben des EuGH nicht zu beanstanden ist. Geht man also davon aus, dass gesetzgeberischer Sinn und Zweck von Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 die Förderung der Beschäftigungschancen älterer Menschen ist, wird mit der Vorschrift ein legitimer Zweck im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie verfolgt. Eine gerechtfertigte altersbezogene Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie setzt jedoch weiter voraus, dass die Mittel, die zur Erreichung eines legitimen Ziels eingesetzt werden, angemessen und erforderlich

460 Urteil des EuGH v. 22. 11. 2005, Az. C-144/04, Rn. 58 ff., abrufbar im Internet unter http://curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 461 Abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 32000 L0078 und Urteil des EuGH v. 22. 11. 2005, Az. C-144/04, Rn. 58, abrufbar im Internet unter http://curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 462 Abrufbar im Internet unter: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; CELEX-Nummer: 32000 L0078 und Urteil des EuGH v. 22. 11. 2005, Az. C-144/04, Rn. 58, abrufbar im Internet unter http://curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 463 Paola/Fedele, contratto determinato, S. 367. 464 Urteil des EuGH v. 22. 11. 2005, Az. C-144/04, Rn. 59 f., abrufbar im Internet unter http://curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 465 Urteil des EuGH v. 22. 11. 2005, Az. C-144/04, Rn. 61, abrufbar im Internet unter http:// curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de.

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

sind.466 Eine nähere Definition dessen, was unter angemessen und erforderlich zu verstehen ist, enthält die Rahmenrichtlinie für diese aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entlehnten Begriffe nicht. Grundsätzlich ist ein Mittel dann zur Erreichung des legitimen Ziels erforderlich, wenn kein milderes und gleich wirksames Mittel zur Zielerreichung zur Verfügung steht.467 Soweit – wie vorliegend mit Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 der Fall – staatliche Maßnahmen unter Anlegung des Erfoderlichtkeitsmaßstabs überprüft werden, steht den Mitgliedsstaaten ein erweiterter Ermessensspielraum zur Verfügung.468 Dennoch hat auch dieser erweiterte Ermessensspielraum seine Grenzen. Im Verfahren Mangold beanstandete der EuGH an § 14 Abs. 3 TzBfG a.F., das Alter dürfe nicht als alleiniges Kriterium herangezogen werden, sondern allenfalls im Zusammenhang mit weiteren Kriterien. Zu berücksichtigen sei insoweit die Struktur des jeweiligen Arbeitsmarktes sowie die persönliche Situation des Betroffenen. Begründet wurde dies damit, dass eine Ausnahme von einem Individualrecht gewährt werde und daher „die Erfordernisse des Gleichbehandlungsgrundsatzes so weit wie möglich mit denen des angestrebten Zieles in Einklang gebracht werden“ müssten.469 Die italienische Literatur setzt sich mit dieser Frage in Bezug auf Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 nur oberflächlich auseinander. Die Richtlinienkonformität wird zum einen auf das recht generische Argument gestützt, dass Sinn und Zweck des Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 nicht darin bestünde, eine höhere Flexibilität für die befristete Anstellung älterer Arbeitnehmer herbeizuführen, sondern diese Personengruppe lediglich von den maximalen betriebsbezogenen quantitativen Obergrenzen ausgenommen werden sollen.470 Etwas konkreter fassen Paola/Fedele die in ihren Augen für eine Konformität mit den Vorgaben der Rahmenrichtlinie sprechenden Argumente. Demnach stehe die Ausnahmevorschrift jedenfalls dann im Einklang mit den Vorgaben der Rahmenrichtlinie, wenn man die limiti quantitativi als ergänzende Voraussetzungen zu dem in Art. 1 Abs. 1 d.lgs. 368/2001 normierten Sachgrunderfordernis verstehe.471 (a) Exkurs: limiti quantitativi und Sachgrunderfordernis Die Frage, ob Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 im Zusammenhang mit Art. 1 Abs. 1 d.lgs. 368/2001 zu sehen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Würde man Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 dergestalt interpretieren, dass ältere Personen nicht nur vom Anwendungsbereich der limiti quantitativi ausgenommen 466 Urteil des EuGH v. 22. 11. 2005, Az. C-144/04, Rn. 62, abrufbar im Internet unter http:// curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 467 Rolfs/Roloff, Arbeitsrecht, § 10 AGG Rn. 7. 468 Urteil des EuGH v. 22. 11. 2005, Az. C-144/04, Rn. 63, abrufbar im Internet unter http:// curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 469 Urteil des EuGH v. 22. 11. 2005, Az. C-144/04, Rn. 65, abrufbar im Internet unter http:// curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de. 470 Ferraro/Monda, contratto determinato, S. 39. 471 Paola/Fedele, contratto determinato, S. 368.

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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werden, sondern für diese Personen auch das Sachgrunderfordernis des Art. 1 Abs. 1 d.lgs. 368/2001 entfällt, wäre dies mit den Vorgaben der Rahmenrichtlinie – so wie diese vom EuGH insbesondere im Verfahren Mangold definiert wurden – nicht mehr vereinbar. Die wohl h.M. geht davon aus, dass die in Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/ 2001 enthaltenen limiti quantitativi im Zusammenhang mit Art. 1 Abs. 1 d.lgs. 368/ 2001 zu sehen sind.472 Andere Teile der Literatur verneinen diese Verknüpfung von Art. 1 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001.473 Die Mindermeinung hält Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 für eine Sonderform des befristeten Vertrags, bei der nicht darauf abzustellen ist, ob (gesetzlich normierte) objektive Sachgründe vorliegen, sondern auf das konkrete Rechtssubjekt. Montuschi bezeichnet diese Sonderform als contratto a termine di tipo soggettivo. Darunter soll zu verstehen sein, dass die Rechtfertigung der Befristung eines Arbeitsverhältnisses allein subjektiv anhand der persönlichen Umstände des Betroffenen erfolgt. Die Bezugnahme auf das Alter von 55 Jahren sei dabei gerechtfertigt, da die entsprechenden Personen noch verhältnismäßig weit entfernt von einer Altersrente seien, gleichzeitig sich aber mit jüngeren, wettbewerbsfähigeren Arbeitskräften zu messen hätten, deren Beschäftigung zudem noch gefördert werde. Die einzige Möglichkeit, ältere Arbeitnehmer davor zu bewahren, von Beschäftigung ausgeschlossen zu werden, bestehe daher darin, deren befristete Beschäftigung ohne weitere Kontrollen (wie etwa objektiver Sachgründe) und Quoten (wie den limiti quantitativi) zuzulassen.474 Die wohl h.M. begründet ihre Annahme, dass Verträge mit den in Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 genannten Personen nicht vom Sachgrunderfordernis ausgeschlossen seien, mit dem bereits genannten Argument, dass mit Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 keine weitere Flexibilisierung der befristeten Beschäftigung älterer Arbeitnehmer bezweckt werden sollte, sondern ältere Arbeitnehmer lediglich dem Anwendungsbereich der limiti quantitativi entzogen werden sollten.475 Die Begründung befristeter Arbeitsverhältnisse allein auf Grund des Vorliegens eines subjektiven Merkmals wie des „Alters“ wird ausdrücklich abgelehnt. Es wird vielmehr vertreten, dass sich die Befreiung lediglich auf die limiti quantitativi beziehe und die Zulässigkeit einer Befristung im Übrigen von dem Vorliegen objektiver Sachgründe abhänge.476

472

Paolo/Fedele, contratto determinato, S. 367 f. m.w.N. Montuschi, lavoro a termine, S. 47. 474 Montuschi, lavoro a termine, S. 47. 475 Ferraro/Monda, contratto determinato, S. 39; Paola/Fedele, contratto determinato, S. 368; Biagi/Russo/Salmone, lavoro a termine, S. 237 f. 476 Biagi/Russo/Salmone, lavoro a termine, S. 238. 473

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D. Rechtsgrundlagen der Antidiskriminierung in Italien und Deutschland

(b) Ergebnis Der herrschenden Meinung in der italienischen Literatur ist insoweit zuzustimmen, dass mit Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 nicht beabsichtigt wurde, die Befristung von Arbeitsverhältnissen mit älteren Personen allein auf Grund des Erreichens einer Altersgrenze zuzulassen. Dies gilt, obwohl das Argument der herrschenden Meinung, mit Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 sei keine weitere Flexibilisierung der Befristungsmöglichkeiten für ältere Personen bezweckt worden, nicht überzeugt. Tatsächlich liegt die Annahme nahe, dass mit Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 vom Gesetzgeber gerade eine solche Flexibilisierung beabsichtigt gewesen ist. Denn nichts anderes als eine solche ist es, wenn allein auf Grund des Alters eine Befristung möglich wird, wo diese für jüngere Personen auf Grund des Bestehens der limiti quantitativi nicht mehr möglich ist. Diese Flexibilisierung ist allerdings nicht so weitgehend, dass für ältere Arbeitnehmer dort, wo ein Sachgrund für die Befristung erforderlich ist, dieses Erfordernis vollständig entfällt. Eine solche Interpretation scheidet aus, weil sie im direkten Widerspruch zum Wortlaut von Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 stünde. Dort heißt es in S. 2 „Sono in ogni caso esenti da limitazioni quantitative […]“ (Von quantitativen Begrenzungen ausgenommen sind in jedem Fall […]) und nicht etwa „Sono esenti da ogni limitazioni“ (Von jeder Begrenzung ausgenommen sind […]). Bei der Argumentation der herrschenden Meinung bleibt aber der Umstand unberücksichtigt, dass durch die mit der legge 92/2012 vorgenommenen Änderungen auch in Italien die Möglichkeit geschaffen wurde, unter bestimmten Umständen ohne das Vorliegen eines Sachgrunds befristete Arbeitsverträge zu schließen (Art. 1 Abs. 1-bis d.lgs. 368/2001). (2) Stellungnahme: Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 europarechtswidrig Die mit Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 verbundene Ungleichbehandlung älterer Arbeitnehmer findet in Art. 6 Abs. 1 Rahmenrichtlinie keine Rechtfertigung und stellt folglich eine verbotene Altersdiskriminierung dar. In dem Verfahren Mangold hat der EuGH deutlich zum Ausdruck gebracht, dass eine Rechtfertigung dann ausscheidet, wenn das Alter das einzige Kriterium für die Befristung eines Arbeitsvertrages darstellt und nicht nachgewiesen ist, dass diese Ungleichbehandlung arbeitsmarktpolitischen Erwägungen und der persönlichen Situation des Betroffenen Rechnung trägt.477 Insbesondere in den Fällen der sachgrundlosen Befristung gemäß Art. 1 Abs. 1-bis d.lgs. 368/2001 ist genau dies der Fall. Hier hängt die Frage, ob eine Befristung statthaft ist, allein vom Alter des Betroffenen ab. Selbst wenn man, wie die h.M., in dem Sachgrunderfordernis des Art. 1 Abs. 1 d.lgs. 368/ 2001 ein Argument für die Konformität mit der Rahmenrichtlinie sehen würde, scheitert diese Argumentation an Art. 1 Abs. 1-bis d.lgs. 368/2001. Dieser setzt weder betriebs- und/oder arbeitsplatzbezogene Erwägungen voraus, noch solche, die 477 Urteil des EuGH v. 22. 11. 2005, Az. C-144/04, Rn. 65, abrufbar im Internet unter http:// curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de; Rolfs/Roloff, Arbeitsrecht, § 10 AGG Rn. 8.

II. Umsetzung des Verbots der Altersdiskriminierung in Italien

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sich auf die persönlichen Umstände des Betroffenen beziehen. Wie die Rechtsprechung in Sachen Mangold zeigt, reicht allein der – hier unterstellte – gesetzgeberische Wille, die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer zu fördern, zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung nicht aus. Um der vom EuGH im Rahmen der Erforderlichkeits- und Angemessenheitsprüfung geforderten Kombination objektiv arbeitsmarktbezogener Kriterien einerseits und der persönlichen Situation des jeweils Betroffenen andererseits im Rahmen von Art. 10 Abs. 7 Buchst. d) d.lgs. 368/2001 in ausreichendem Maße Rechnung zu tragen, hätte auch ein (weiteres) subjektives Element, wie nunmehr in § 14 Abs. 3 TzBfG n.F. vorgesehen, aufgenommen werden müssen. Die Bezugnahme auf eine vorherige Arbeitslosigkeit bzw. Beschäftigungslosigkeit des Betroffenen wäre ein adäquates Mittel, um in der persönlichen Situation des Betroffenen eine Rechtfertigung für eine altersbezogene Ungleichbehandlung zu begründen. Eine solche Bezugnahme ist im Übrigen dem italienischen Recht nicht unbekannt. Der persönliche Anwendungsbereich des abgeschafften contratto di inserimento sah in Art. 54 Abs. 1 Buchst. c) d.lgs. 276/2003 a.F. vor, dass eine Anwendung der Vorschriften nur für solche Personen mit einem Alter von über 50 Jahren in Betracht kam, die arbeitslos waren. Ein Grund mehr, die Abschaffung des contratto di inserimento durch den italienischen Gesetzgeber in Frage zu stellen.

E. Schlussbetrachtung Die historische Untersuchung der Bedeutung, des Umfangs und des Inhalts des Gleichheitsbegriffs zeigt, dass es sich hierbei um Fragen handelt, denen in Philosophie, Soziologie, aber auch insbesondere in der Rechtswissenschaft, seit Jahrhunderten eine zentrale Bedeutung zukommt. Ausgehend von den antiken Ursprüngen bis zur französischen Revolution wurde Gleichheit im Wesentlichen „gruppen- oder segementbezogen“ verstanden. Nicht alle Mitglieder einer Gesellschaft wurden als grundsätzlich gleich(-wertig) angesehen. Vielmehr verstand man sich innerhalb bestimmter gesellschaftlicher Gruppen (wie etwa dem Adel) als gleich und schloss andere von der Anwendung des Gleichheitssatzes aus. Noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts zeigte sich, dass eine funktionierende Zivilgesellschaft nur dann existieren kann, wenn gewisse Grundsätze, zu denen insbesondere auch die Anerkennung und Anwendung einer grundsätzlichen Gleichheit aller Gesellschaftsmitglieder gehört, respektiert werden. Immer dann, wenn von diesem Grundsatz abgewichen wurde, indem etwa bestimmten gesellschaftlichen Minderheiten versagt wurde, sich unter Berufung auf den Gleichheitssatz gegen Unterdrückung zur Wehr zu setzen, ging dies mit gravierenden gesellschaftlichen Missständen einher oder endete in Katastrophen wie der nationalsozialistischen Diktatur des Dritten Reichs. Auch wenn Ausgestaltung und Umfang der Gleichheitsrechte in den beiden untersuchten nationalstaatlichen Rechtsordnungen und im europäischen Regelungswerk in Teilen noch immer divergieren, ist allen zumindest die Gewährung einer formellen Gleichheit der Bürger als fundamentaler Bestandteil gemein. Dies gilt insbesondere für die Verfassungen. Damit ist es für alle Bürger grundsätzlich möglich, eine Gleichbehandlung von Gleichem und eine Ungleichbehandlung von Ungleichem zu verlangen. Die mechanische Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes führt aber mitunter dazu, dass beim Vorliegen bestimmter faktischer Unterschiede (persönlicher Merkmale) die Vergleichbarkeit bestimmter Sachverhalte verneint wird, ein solches Ergebnis angesichts eines politisch und gesellschaftlich gewollten Sozialschutzes bestimmter Merkmalsträger aber unbillig erscheint. Als Beispiel kann die Vergleichbarkeit von Jung und Alt herangezogen werden, die aufgrund des unterschiedlichen Alters verneint werden könnte. Hier werden die mit dem allgemeinen Gleichheitssatz verbundenen Unwägbarkeiten deutlich. Die Vergleichbarkeit der Sachverhalte wird zur Rechtsfrage, deren Beantwortung in der Praxis mangels konkreter gesetzlicher Vorgaben der Judikative überlassen bleibt. Ausgehend von der europäischen Ebene besteht das Bestreben, die im Rahmen der Vergleichbarkeitsprüfung bestehenden Unsicherheiten durch legislative Maß-

E. Schlussbetrachtung

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nahmen zu verringern und gleichzeitig das Schutzniveau in den Mitgliedsstaaten zu vereinheitlichen. Ein Mittel dafür bilden die hier eingehend untersuchten Diskriminierungsverbote. Als besondere Gleichheitssätze sind sie eine moderne Ergänzung des allgemeinen Gleichheitssatzes. Zunächst fanden sie Eingang in das europäische Primärrecht wie die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) oder die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GRCharta). Die Überführung der Diskriminierungsverbote in das Sekundärrecht, wie etwa in Form der Rahmenrichtlinie oder der Schwesterrichtlinie 2000/43/EG, verdeutlicht deren immer weiter wachsende Bedeutung. Die Diskriminierungsverbote sind, ohne den Grad materieller Gleichheit zu erreichen, dazu gedacht, die Benachteiligung bzw. Diskriminierung bestimmter Merkmalsträger dadurch zu verhindern, dass bestimmte persönliche Merkmale als Begründung für eine Differenzierung grundsätzlich ausgeschlossen werden. Eine weitere Besonderheit speziell der auf Sekundärrecht basierenden Diskriminierungsverbote besteht darin, dass dem originär im öffentlichen Recht verwurzelten Gleichheitsgrundsatz nunmehr auch im Privatrecht eine zentrale Bedeutung zukommt. Dort fristete er bis dahin – angesichts des herrschenden Grundsatzes der Privatautonomie – im Wesentlichen ein Schattendasein. Durch die Bestimmungen der Rahmenrichtlinie ist das Arbeitsrecht im besonderen Maße von diesem Umbruch betroffen. Da mit der Rahmenrichtlinie für Italien und Deutschland dieselbe rechtliche Vorgabe existiert, zeigen sich die Gesetze zur Umsetzung der europäischen Vorgaben, wenn auch weniger formal denn materiell, in vielerlei Hinsicht deckungsgleich. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass, bezogen auf bestimmte Aspekte, auch erhebliche Unterschiede bestehen. Die Einführung und Umsetzung neuer Regelungen birgt häufig die Gefahr, dass Umfang, Inhalt und Bedeutung einzelner Tatbestände oder Rechtsbegriffe noch nicht abschließend geklärt sind. So verhält es sich auch im Fall der durch die Rahmenrichtlinie eingeführten besonderen Gleichheitssätze. Wie sich gezeigt hat, besteht auch in Bezug auf zentrale Begriffe der besonderen Gleichheitssätze, wie dem Begriff der Diskriminierung, noch kein einheitliches Verständnis. Der deutsche Gesetzgeber scheute sich sogar, den Begriff im Rahmen der Umsetzung der europäischen Vorgaben zu verwenden und wählte stattdessen den Begriff der Benachteiligung. Unter Diskriminierung/Benachteiligung ist eine unmittelbar oder mittelbar merkmalsbezogene, benachteiligende, ungerechtfertigte Ungleichbehandlung zu verstehen. Diese Definition folgt insbesondere aus dem Verständnis der besonderen Gleichheitssätze als merkmalsbezogene Begründungsverbote. Eine Diskriminierung liegt damit nicht bereits dann vor, wenn bei einer differenzierten Behandlung an eines der verpönten Merkmale angeknüpft wird. Vielmehr ist der Tatbestand der Diskriminierung/Benachteiligung erst dann erfüllt, wenn das verpönte Merkmal als Begründung für eine Ungleichbehandlung herangezogen wird und die Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt ist. Dies gilt – wenn auch in abgestufter Intensität – sowohl für Fälle unmittelbarer als auch mittelbarer Ungleichbehandlung.

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E. Schlussbetrachtung

Die noch bestehende Begriffsunsicherheit zeigt sich vor allem in Bezug auf die unmittelbare Diskriminierung und die Frage, ob und inwieweit diese einer Rechtfertigung zugänglich ist. Die europäischen Vorgaben haben diesbezüglich insbesondere dem italienischen Rechtskreis neuen Diskussionsstoff geliefert. Dort hielt man die Frage – bezogen auf die zuvor bestehenden nationalen Diskriminierungsverbote – bereits für beantwortet. Eine Rechtfertigung unmittelbarer Ungleichbehandlungen sollte demnach nicht möglich sein. Für bestimmte Fälle der unmittelbaren Ungleichbehandlung sehen die Bestimmungen der Rahmenrichtlinie jedoch ausdrücklich vor, dass im Rahmen der Umsetzung in nationales Recht Rechtfertigungstatbestände aufgenommen werden können. Eine entsprechende Regelung enthält Art. 6 für das verpönte Merkmal Alter. Von der Möglichkeit zur Aufnahme solcher altersbezogenen Rechtfertigungsgründe wurde sowohl in Italien (Art. 3 Abs. 3 d.lgs. 216/2003) als auch in Deutschland (§ 10 AGG) Gebrauch gemacht. Aber auch über diese ausdrücklich normierten Rechtfertigungstatbestände hinaus sind Ausnahmen vom Verbot der merkmalsbezogenen unmittelbaren Ungleichbehandlung denkbar. Angesichts des grundsätzlichen, wenn auch nicht absoluten, Verbots der Ungleichbehandlung sind solche ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe allerdings einer besonders strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterwerfen. Ob man diese Rechtfertigungsgründe ausgehend von der Rechtsprechung des EuGH, auf Tatbestandsebene und damit in gewissem Sinn als negatives Tatbestandsmerkmal oder als gesonderten Rechtfertigungstatbestand prüft, ist dabei für das Ergebnis und die Definition des Begriffs der Diskriminierung zwar wissenschaftlich interessant und untersuchenswert, für die Praxis jedoch wohl von geringerer Bedeutung. In Anbetracht dieser Definition des Diskriminierungsbegriffs ist die deutsche Entscheidung, im AGG von der Verwendung des Begriffs Diskriminierung abzusehen, bedauernswert. Diese Entscheidung war allerdings bereits getroffen, als Entwürfe das Gesetz im Jahr 2004 noch als Antidiskriminierungsgesetz – ADG bezeichneten. Zwar ist dem deutschen Gesetzgeber zu Gute zu halten, dass der gewählte Begriff Benachteiligung zutreffend wiedergibt, dass die besonderen Gleichheitssätze nur eine schlechterstellende (benachteiligende) Ungleichbehandlung untersagen. Im Rahmen der Umsetzung der Vorgaben der Rahmenrichtlinie wäre es aber möglich gewesen, die Unsicherheit im Umgang mit diesem sehr präsenten Begriff zu beseitigen. Man muss dem Gesetzgeber sogar anlasten, dass die Unsicherheit durch das AGG noch größer geworden ist, da er die Begriffswahl selbst innerhalb des Gesetzes nicht stringent durchhält, wenn er etwa in § 25 AGG die Errichtung einer Antidiskriminierungsstelle des Bundes bestimmt. In Italien ist man – bezogen auf den Begriff Diskriminierung/discriminazione – keinen solchen Sonderweg gegangen. Im d.lgs. 216/2003 findet der Begriff discriminazione konsequent und durchgehend Verwendung. Dies ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass die italienische Umsetzung sehr eng an den Text der Richtlinie angelehnt ist. Zusätzlich kann der Begriff discriminazione in Italien auf eine lange nationale Tradition zurückblicken. Er wurde unter anderem bereits in der legge 903/

E. Schlussbetrachtung

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1977 verwendet. Es hat sich dennoch gezeigt, dass auch eine eng an den Richtlinienwortlaut angelehnte Umsetzung nicht zwangsläufig zu mehr Begriffssicherheit führt. In der Auseinandersetzung mit dem Diskriminierungsbegriff fällt es der italienischen Wissenschaft besonders schwer, sich mit der Rechtfertigung/giustificazione unmittelbarer Ungleichbehandlungen auseinanderzusetzen. Dies zeigt sich bereits in den kreativen Anstrengungen der Wissenschaft, den Begriff giustificazione möglichst zu vermeiden. Stattdessen werden Begriffe wie eccezione oder deroga gebraucht, um die durch die Rahmenrichtlinie eingeführten Ausnahmetatbestände zu bezeichnen. Auf diese Weise dokumentiert sich die im Vergleich zu Deutschland ausgeprägtere Ablehnung (ungeschriebener) Rechtfertigungstatbestände. Es bleibt also auch zukünftig die Aufgabe von Legislative, Judikative und Wissenschaft, Inhalt und Umfang des Diskriminierungsbegriffs weiter zu konkretisieren und damit im Zusammenhang stehende Fragen wie die Möglichkeit der Rechtfertigung bestimmter Ungleichbehandlungen eindeutig zu beantworten. Weitere Unterschiede zwischen den beiden Rechtsordnungen haben sich, bezogen auf die Rechtsfolgen, bei einem Verstoß gegen ein Diskriminierungsverbot gezeigt. In Deutschland wurde insoweit ein stärkerer Akzent auf die präventive Bekämpfung von Diskriminierungen gesetzt. Die den Arbeitgebern durch § 12 AGG auferlegten Pflichten sollen verhindern, dass es überhaupt zu Diskriminierungen kommt. In Italien hingegen kann Arbeitgebern nach einer tatsächlich erfolgten Diskriminierung vom Gericht aufgegeben werden, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um entsprechende Wiederholungsfälle zu vermeiden. Auch wenn insoweit ein konkreteres Vorgehen möglich ist, sprechen die besseren Argumente dafür, den Arbeitgebern auch unabhängig von einem konkreten Verstoß eine generelle Pflicht zur präventiven Bekämpfung von Diskriminierungen aufzuerlegen. Im Falle einer Diskriminierung kann der Betroffene außerdem den Ersatz der ihm entstandenen materiellen und immateriellen Schäden verlangen. Beide untersuchten Rechtsordnungen haben entsprechende Vorschriften in das nationale Recht aufgenommen, wobei sich das italienische Recht zumindest in bestimmten Fragen als differenzierter und ausgereifter erweist. Dies gilt insbesondere für die Bestimmung der Höhe des materiellen Schadens. Das italienische Recht ermächtigt den zur Entscheidung berufenen Richter, die Höhe des materiellen Schadens anhand eines Wahrscheinlichkeitskoeffizienten zu bestimmen. In Deutschland hingegen ist die Frage, ob es eine Begrenzung materieller Schadensersatzansprüche gibt, noch immer umstritten. Die Annahme, dass dem Merkmal Alter im Kanon der Diskriminierungsmerkmale eine besondere Rolle zukommt, hat sich im Verlauf der Untersuchung bestätigt. Weitgehend geklärt ist das Verständnis des Begriffs Alter. Die h.M. sowohl auf der Ebene des Unionsrechts wie auch auf der Ebene des Rechts der Nationalstaaten Italien und Deutschland legt den Begriff weit aus. Grundsätzlich können sich Personen jeden Alters auf das Verbot der Altersdiskriminierung berufen. Als besonders prominentes Beispiel hat die vor dem EuGH verhandelte Rechtssache Mangold

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E. Schlussbetrachtung

gezeigt, dass dem Merkmal Alter im Rahmen flexibler Beschäftigungsformen – wie dem befristeten Arbeitsvertrag – häufig eine besondere Rolle zukommt. Durch eine besondere Behandlung bestimmter – vermeintlich oder tatsächlich am Arbeitsmarkt benachteiligter – Altersgruppen sollen deren Beschäftigungschancen erhöht werden. In der deutschen Regelung des § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. hat der EuGH zu Recht einen Verstoß gegen das Verbot der Altersdiskriminierung erkannt. Gleichzeitig belegen die Urteilsbegründungen des EuGH in den Rechtssachen Kumpan und Mangold, dass die Prüfung der Rechtfertigung bestimmter auf Grund eines verpönten Merkmals erfolgender Ungleichbehandlungen, sich nicht darauf beschränken darf, solche Rechtfertigungstatbestände ausschließlich in der Rahmenrichtlinie oder in den jeweiligen nationalen Gesetzen zu suchen. Für merkmalsbezogene Ungleichbehandlungen im Rahmen befristeter Arbeitsverhältnisse hat der EuGH auf die Regelungen der Befristungsrichtlinie zurückgegriffen und anhand der dort genannten Kriterien die Unvereinbarkeit des § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. mit den Grundsätzen des altersbezogenen Diskriminierungsverbots festgestellt. Diese Vorgehensweise spricht deutlich dafür, dass die in der Rahmenrichtlinie oder den jeweiligen nationalen Gesetzen enthaltenen Rechtfertigungstatbestände keine abschließende Regelung darstellen. Die aktuelle Fassung des § 14 Abs. 3 TzBfG trägt der Rechtsprechung des EuGH insbesondere dadurch Rechnung, dass zur Rechtfertigung altersbezogener Ungleichbehandlungen nicht nur objektive Gründe, z. B. solche der Arbeitsmarktpolitik, ausreichen, sondern zudem subjektive Tatbestandsmerkmale (vorherige Arbeitslosigkeit/Beschäftigungslosigkeit) erfüllt sein müssen. Die Einführung der Diskriminierungsverbote verlangt eine komplexe und nicht einfach zu meisternde Synchronisierung der bestehenden rechtlichen Regelungen mit den Inhalten der Diskriminierungsverbote. Dass diese Synchronisierung noch nicht überall erfolgreich bewerkstelligt ist, hat der Blick in das italienische Befristungsrecht gezeigt. Die dort für ältere Arbeitnehmer enthaltene Ausnahme von den betriebsbezogenen quantitativen Beschränkungen ist bei Anlegung des durch den EuGH entwickelten Prüfungsmaßstabs nicht mit dem Verbot der Altersdiskriminierung vereinbar. Es fehlt insbesondere ein subjektives Kriterium, das ein Abweichen vom grundsätzlich geltenden Diskriminierungsverbot rechtfertigen könnte. Die Urteile in Sachen Mangold und Kumpan haben gezeigt, dass es zur Rechtfertigung merkmalsbezogener Ungleichbehandlungen nicht ausreicht, wenn diese auf mehr oder minder fundierte beschäftigungspolitische Erwägungen gestützt werden. Das Beispiel aus Italien macht deutlich, dass weiterhin Normen existieren, die nicht die Anforderungen erfüllen, die an gerechtfertigte merkmalsbezogene Ungleichbehandlungen zu stellen sind und daher mit den Diskriminierungsverboten konfligieren. Die in Italien noch sehr spärliche Auseinandersetzung mit der Frage der Vereinbarkeit von Diskriminierungsverboten und den im Befristungsrecht enthaltenen Ausnahmeregelungen zeigt, dass das Bewusstsein in Bezug auf mögliche Diskriminierungen weiter geschärft werden muss und bestehende sowie zukünftige nationale Normen auf die Konformität mit den Diskriminierungsverboten überprüft

E. Schlussbetrachtung

259

werden müssen. Dies gilt nicht nur für den Normenbestand. Die nationalen Gesetzgeber wie auch die nationalen Normadressaten, z. B. Arbeitgeber, werden noch strenger darauf achten müssen, die Diskriminierungsverbote bei ihrem Handeln zu berücksichtigen. Schließlich wäre die Annahme naiv, dass es sich bei der italienischen Vorschrift zu den betriebsbezogenen quantitativen Beschränkungen um einen für Italien, Deutschland oder Europa singulären Fall handelt. Insbesondere dort, wo Rechtfertigungstatbestände in Anspruch genommen werden sollen, ist sorgfältig darauf zu achten, dass die Voraussetzungen für eine solche Inanspruchnahme vorliegen. Diskriminierungsschutz wird nicht allein durch den Erlass mehr oder weniger sklavisch an den europäischen Vorgaben orientierter nationaler Gesetze gewährleistet. Im Vergleich zum allgemeinen Gleichheitsbegriff hat sich gezeigt, dass der Diskriminierungsbegriff noch nicht entsprechend konturiert ist. Dies ist angesichts der langen Entwicklungsgeschichte und der mannigfaltigen Auseinandersetzung mit dem Gleichheitsbegriff allerdings auch nicht weiter verwunderlich. Die Erkenntnis ist allerdings zugleich als Auftrag zu verstehen, Inhalt und Umfang des Diskriminierungsbegriffs weiter zu untersuchen. Insbesondere gilt es zu erforschen, unter welchen Voraussetzungen und in welchen konkreten Fällen die Rechtfertigung bestimmter merkmalsbezogener Ungleichbehandlungen in Betracht kommt. Es ist durchaus denkbar, dass die Antwort für jedes der genannten Diskriminierungsmerkmale unterschiedlich ausfallen wird.

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Stichwortverzeichnis Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 154 Altersdiskriminierung 21, 88 f., 95, 135, 143 – 145, 152, 190, 193, 195 f., 219, 230 f., 235 f., 245, 252, 257 f. Anknüpfungsverbot 56, 117, 128, 132, 138 f., 174 f. Antidiskriminierung 19, 23, 82, 90, 104, 152, 155, 166, 180, 229 apprendistato 201, 235 Arbeitgeberbegriff 158 Arbeitnehmerbegriff 156, 160 azioni positive 77, 124

clausola di contingentamento 245 f. Codice Civile 110, 197, 200 – 202, 204, 222, 224 f., 246 contratto a tempo determinato 239 f. contratto a tempo determinato acausale 240 contratto collettivo nazionale di lavoro 245 f. contratto di inserimento 201, 232 – 236, 241, 245, 253

d.lgs. 276/2003 232 – 235, 245, 253 d.lgs. 286/1998 198, 211 – 213, 221, 223, 228 d.lgs. 368/2001 197, 238 – 252 danno biologico 224 danno di perdita di chance 223 danno esistenziale 224 danno morale 224 danno non patrimoniale 224 – 226 danno patrimoniale 223 – 226 datore di lavoro 200 f. – imprenditore 200, 204 decreto-legge 59/2008 222, 238 decreto-legge 76/2013 240, 242 f. decreto-legge n. 59/2008 215 deroga 124, 216 – 218, 257 differenzazione 210 discriminazione – concessiva 227 – diretta 124, 209, 211, 213 – 215, 217 f. – indiretta 209, 213 f., 217, 219 – privativa 227 Diskriminierung – mittelbare 98, 118, 120 f., 123 – 126, 131 – 133, 135 f., 145, 175, 196, 209, 213, 216 – unmittelbare 98, 118 f., 121 – 125, 129 – 132, 134, 136 f., 139, 175, 209, 211, 256 Diskriminierungsverbot 45, 84, 86, 92, 94, 97 f., 102, 117, 119, 121 f., 126 f., 130 – 132, 139, 150, 166 f., 176, 178, 181, 197 f., 207, 212 f., 215, 222 f., 226, 229, 231 f., 257 f. divieto di discriminazione 117, 210, 220

d.lgs. 150/2011 221 – 224, 226 – 228 d.lgs. 167/2011 235 d.lgs. 215/2003 198 f. d.lgs. 216/2003 197 – 201, 205 – 223, 228 f., 231 f., 237, 256

eccezione 216, 257 eguaglianza – formale 211 – sostanziale 74, 214 Entschädigung 167, 169, 185 – 187

befristete Arbeitsverträge 150, 179, 192, 252 Befristung 82, 190 – 192, 194 f., 197, 234, 238 – 242, 244, 251 f. Begründungsverbot 132, 137 – 140, 175, 178, 255 Benachteiligung 51 – 53, 56, 96, 102 f., 120, 149, 170 – 178, 180 – 188, 213 f., 221, 255 f. Benachteiligungsverbot 150, 174 f., 178, 181 – 183, 188 f. Bevorzugung 51 – 53, 77, 80, 119, 198

274 finalità legittima

Stichwortverzeichnis 217

Gerechtigkeit – ausgleichende 26, 28 – austeilende 26 f. giustificazione 124, 141, 215 – 218, 220, 257 – discriminazione giustificata 141 – disparità di trattamento giustificata 141 – finalità legittima 215, 219 f. Gleichbehandlung 19 f., 23, 26, 29, 36, 40, 49, 53 – 56, 62, 74, 76, 78 – 81, 84, 88, 96, 103, 105, 108 – 110, 118, 123 f., 130, 136, 151, 153, 155, 179, 209, 216 f., 230, 254 Gleichbehandlungsrichtline 118 Gleichheit – allgemeiner Gleichheitssatz 23, 49, 51, 53, 55 – 57, 63, 77, 84, 97, 104, 117, 127, 131, 135, 254 f. – besonderer Gleichheitssatz 23, 52, 56, 117, 129, 255 – Chancengleichheit 34, 51 f., 71, 73, 76 f., 137 – faktische 50 f., 76 f. – formelle 40, 47, 70, 72 – 74, 80 f. – materielle 40, 74 – 77, 80 f., 88 – Rechtsgleichheit 29, 34, 43, 45 f., 50 – 52, 63, 76 – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 54, 215, 250 – Willkürverbot 23, 54 f. iustitia commutativa 26, 81 iustitia distributiva 26, 31, 81, 88 Kettenbefristung 192, 243 f. Kündigungsschutz 76, 164, 166 – 168 Kündigungsschutzgesetz 166, 168 lavoro autonomo 110 f., 199 – 203, 205 f. lavoro subordinato 200 – 206, 239 legge 40/1998 198

legge 92/2012 234, 236, 240, 242, 252 legge 101/2008 215 legge 125/1991 196, 212 f., 227 legge 903/1977 196 f., 257 limiti quantitativi 245, 247, 250 – 252 Mangold 21, 82, 128, 150, 154, 190 f., 193 f., 235, 238, 243, 248 – 252, 257 f. Nichtdiskriminierung

101

parità di trattamento 103, 117, 199, 209 – 211 piano di rimozione 227 f. prestatore di lavoro 200 Rahmenrichtlinie 20, 103, 105 – 118, 120 – 131, 133 – 138, 140 f., 143 – 152, 154 f., 157, 159, 163 – 165, 173 – 175, 177 – 180, 182, 184, 188 – 191, 193, 195, 198 – 200, 205 – 209, 211, 213, 215, 217 – 220, 222, 229 – 232, 236 f., 248 – 252, 255 – 258 Rechtfertigung – legitimes Ziel 96, 128, 138, 151, 189, 238, 249 – unmittelbarer Diskriminierung 135 – unmittelbarer Ungleichbehandlung 22, 177, 179 f., 256 rito sommario di cognizione 221 Schadensersatz – immaterieller Schaden 167, 169, 185, 187, 224, 226 f., 257 – materieller Schaden 184, 223 – 225, 257 stat. lav. 197 f., 208 f., 212 Statuto Albertino 60 – 64, 68 Ungleichbehandlung – mittelbare 50, 214, 217 – unmittelbare 20, 177, 179, 194, 213, 215, 217 f.