Urkunden und ihre Erforschung: Zum Gedenken an Heinrich Appelt 9783205792932, 9783205789499

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Urkunden und ihre Erforschung: Zum Gedenken an Heinrich Appelt
 9783205792932, 9783205789499

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Urkunden und ihre Erforschung

Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Band 62

2014 Böhlau Verlag Wien

Urkunden und ihre Erforschung Zum Gedenken an Heinrich Appelt Herausgegeben von Werner Maleczek

2014 Böhlau Verlag Wien

Gedruckt mit Unterstützung durch Amt der Steiermärkischen Landesregierung Dekanat der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien Kulturabteilung der Stadt Wien (MA 7)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http  ://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, i­ nsbesondere die der Über­setzung, des Nachdruckes, der Entnahme von A ­ bbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf f­ otomechanischem oder ä­ hnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Daten­ver­arbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2014 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. und Co.KG, Wien, Köln, Weimar http  ://www.boehlau-verlag.com Lektorat: Mag. Anne Mrasek, Wien. Umschlagabbildung: Kaiser Friedrich I. für das Kloser Kastl (1165). D. F.I. 487, ed. Heinrich Appelt et al. (Hannover 1979), hier nach: Kaiserurkunden in Abbildungen (wie S. 95 Anm. 11) Lieferung X Taf. 10 (http://geschichte.digitale-sammlungen.de/kaiserurkunden/seite/bsb00009145_00422).

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier. Druck: General Druckerei, 6726 Szeged ISBN 978-3-205-78949-9



Heinrich Appelt (1910–1998) Bildvorlage: Archiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (AÖAW), Bildarchiv, Heinrich Appelt, P-0616. Mit freundlicher Genehmigung der ÖAW und Foto Reiberger, Wien 1997.



Inhalt Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Walter Koch Heinrich Appelt und die Edition der Diplome Kaiser Friedrich Barbarossas . .

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Theo Kölzer Konstanz und Wandel. Zur Entwicklung der Editionstechnik mittelalterlicher Urkunden . . . . . . . 33 Irmgard Fees Zur Bedeutung des Siegels an den Papsturkunden des frühen Mittelalters . . . 53 Andreas Meyer Regieren mit Urkunden im Spätmittelalter. Päpstliche Kanzlei und weltliche Kanzleien im Vergleich . . . . . . . . . . .

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Christian Lackner Die Vielgestaltigkeit der spätmittelalterlichen Herrscherurkunde . . . . . . . . 93 Martin P. Schennach Mittelalterliche Urkunden in Staatsrecht, politischer Kommunikation und Historiographie in der Neuzeit . . . . . . . . 109 Christoph Friedrich Weber Urkunden auf Bildquellen des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Marie Bláhová Die Herrscherurkunden in den böhmischen Ländern in der Zeit der přemyslidischen Fürsten (bis zum Ende des 12. Jahrhunderts): Formular – Stilistik – Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

8 Inhalt

Benoît-Michel Tock Actes confirmatifs et vidimus dans le Nord de la France jusqu’à la fin du XIIIe siècle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Juraj Šedivý Deutschsprachige Beurkundung im Donaugebiet des mittelalterlichen Königreichs Ungarn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Beiträgerinnen und Beiträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269



Siglenverzeichnis

AASS Abh. ADB AHY AfD AfK AHP Annales AÖG

Acta Sanctorum Abhandlung(en) (allgemein) Allgemeine Deutsche Biographie Austrian History Yearbook Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde Archiv für Kulturgeschichte Archivum Historiae Pontificiae Annales. Histoire. Sciences Sociales Archiv für Österreichische Geschichte (bis Bd. 33: für Kunde österreichischer Geschichts-Quellen) ARTEM Atelier de recherche sur les textes médiévaux ASV Archivio Segreto Vaticano AUF Archiv für Urkundenforschung BAV Biblioteca Apostolica Vaticana BEC Bibliothèque de l’École des chartes BDHIR Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom BISI(M) Bullettino dell’Istituto Storico Italiano per il Medio Evo (e Archivio Muratoriano) BlldtLG Blätter für deutsche Landesgeschichte BlLkNÖ Blätter des Vereins für Landeskunde von Niederösterreich BN Bibliothèque Nationale CCCM Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis COD Conciliorum Oecumenicorum Decreta CSEL Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum DA Deutsches Archiv für Erforschung (bis 1944: Geschichte) des Mittelalters DBF Dictionnaire de Biographie Française DBI Dizionario Biografico degli Italiani DDC Dictionnaire de Droit Canonique DHGE Dictionnaire d’Histoire et de Géographie Ecclésiastiques EHR English Historical Review FMSt Frühmittelalterliche Studien FRA Fontes Rerum Austriacarum FSI Fonti per la Storia d’Italia HHStA Haus-, Hof- und Staatsarchiv AUR Allgemeine Urkundenreihe HJb Historisches Jahrbuch

10 Siglenverzeichnis

HRG HVjS HZ JbLkNÖ JE JL LCI LMA LThK Mansi

Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte Historische Vierteljahrschrift Historische Zeitschrift Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich Jaffé–Ewald, Regesta Pontificum Romanorum Jaffé–Löwenfeld, Regesta Pontificum Romanorum Lexikon der Christlichen Ikonographie Lexikon des Mittelalters Lexikon für Theologie und Kirche Johannes Dominicus Mansi, Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio. Florenz–Venedig 1757–1798 (Nachdr. Graz 1960– 1961) MEFRM Mélanges de l’École Française de Rome. Moyen Age MGH Monumenta Germaniae Historica D, DD Diploma, Diplomata LL Leges SS Scriptores MIÖG (MÖIG) Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung (1923– 1942: des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung; 1944: des Instituts für Geschichtsforschung und Archivwissenschaft in Wien) MOÖLA Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs MÖStA Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs NA Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde NDB Neue Deutsche Biographie NÖLA Mitteilungen aus dem Niederösterreichischen Landesarchiv ÖAW Österreichische Akademie der Wissenschaften ÖNB Österreichische Nationalbibliothek PL Migne, Patrologia Latina Potthast Potthast, Regesta Pontificum Romanorum QFIAB Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken Reg. Imp. Regesta Imperii Rep. Font. Repertorium fontium Medii Aevi RH Revue Historique RHE Revue d’Histoire Ecclésiastique RHF Recueil des Historiens des Gaules et de la France RHM Römische Historische Mitteilungen RIS (RIS2) Ludovicus Antonius Muratori, Rerum Italicarum Scriptores ... . Mailand 1723–1751, bzw. Editio altera. Rerum Italicarum Scriptores. Raccolta degli storici italiani ... ordinata da Lodovico Antonio Muratori. Nuova edizione riveduta ... . Città di Castello (ab 1917: Bologna) 1900ff. RömQua Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und (für) Kirchengeschichte RSI Rivista Storica Italiana RTA Deutsche Reichstagsakten SB Sitzungsberichte (allgemein)



SZG TRE VIÖG VL2 VSWG VuF ZBLG ZHF ZHVSt ZRG Germ. Abt. ZSG

Kan. Abt.

Siglenverzeichnis 11

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte / Revue d’Histoire Suisse / Rivista Storica Svizzera Theologische Realenzyklopädie Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon (2. Auflage) Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Vorträge und Forschungen Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte Zeitschrift für historische Forschung Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung Kanonistische Abteilung Zeitschrift für Schweizerische Geschichte / Revue d’Histoire Suisse / Rivista Storica Svizzera



Vorwort Dieser Sammelband ist das Ergebnis einer Tagung, die am 24. und 25. Juni 2010 an der Universität Wien im Gedenken an Heinrich Appelt (1910–1998) stattfand. Mit ihr sollte vor allem der Urkundenforscher geehrt werden, der im Rahmen der Kooperation zwischen den Monumenta Germaniae Historica, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung seine monumentale, fünfbändige Edition der Diplome Kaiser Friedrich Barbarossas als sein eigentliches Lebenswerk schaffen und dabei in mustergültiger Zusammenarbeit mit einem von ihm geprägten Team die Traditionen der Wiener Schule der Diplomatik fortführen konnte. Bei der Auswahl der Referenten und der Themen ihrer Vorträge, die nun in zum Teil erheblich erweiterter Fassung vorliegen, ließen wir uns in einem gewissen Sinn von Heinrich Appelt leiten: Keine diffizilen Spezialprobleme, keine geographische, zeitliche und thematische Enge, viele fließende Übergänge in die allgemeine Geschichte, besonders die Rechts- und Verfassungsgeschichte, vor allem aber kein Lamento über eine Krise der Diplomatik in Form von Geld- oder Personalmangel. Auch schien uns eine Mischung von älteren, arrivierten Urkundenforschern und jüngeren Kollegen für angebracht, und die Einbeziehung von unseren Nachbarn im Osten und Westen war mehr als nur ein Gebot der Höflichkeit. Bei der Vorbereitung war die Kooperation mit Ferdinand Opll, dem ehemaligen Direktor des Wiener Stadt- und Landesarchivs, Schüler Appelts und Bearbeiter der Regesta Imperii Barbarossas, eine erfreuliche Erfahrung. Einige Beiträge stammen von damals eingeladenen Diplomatikern, die wohl keinen Vortrag hielten, aber sich sofort bereit erklärten, schriftlich nachträglich mitzuwirken: Marie Bláhová, Irmgard Fees und Benoît-Michel Tock. Ihnen und den damaligen Referenten sei für ihre Beiträge herzlich gedankt. Dass dieser Sammelband erst mit unangenehmer Verzögerung erscheinen kann, ist nicht nur auf das lange, vergebliche Warten auf einen dann doch nicht gelieferten Beitrag und auf die bei diesen wissenschaftlichen Publikationen üblichen Finanzierungsprobleme zurückzuführen, sondern liegt auch in der Verantwortung des Herausgebers, der den zeitlichen Aufwand der Organisation bei der Fertigstellung des Bandes in der Phase rund um seine Emeritierung unterschätzt hat. Alle Betroffenen seien deshalb um Nachsicht und Verständnis gebeten. Unser Dank gilt aber nicht nur den Autoren und der wie immer exzellenten Lektorin Anne Mrasek, sondern auch den Subventionsgebern, der Stadt Wien, dem Land Steiermark, der Universität Wien, dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung. Werner Maleczek





Heinrich Appelt und die Edition der Diplome Kaiser Friedrich Barbarossas Walter Koch

Vor über hundert Jahren, am 25. Juni 1910, erblickte Heinrich Appelt in Wien das Licht der Welt. Das Institut für Österreichische Geschichtsforschung veranstaltete aus diesem Anlass diesem herausragenden Gelehrten zu Ehren ein wissenschaftliches Symposium. War er doch als Mediävist, Diplomatiker und vor allem als meisterhafter Editor der Diplome Friedrich Barbarossas, der bis dahin größten Edition im Rahmen der Kaiser­ diplomatik, einer der renommiertesten Vertreter der Wiener Historischen Schule, die den internationalen Rang des Wiener Instituts ausmachte. Nicht weniger steht es uns an, des Menschen Heinrich Appelt und all dessen, wofür er stand, dankbar und respektvoll zu gedenken. Mit ihm steht eine Persönlichkeit von unbestechlicher Gesinnung vor uns, erhaben über jegliche Modeerscheinungen, die heute gar nicht so wenig auch den Wissenschaftsbetrieb bestimmen, eine Persönlichkeit mit höchstem Anspruch an sich selbst und seine Arbeit, die nicht nach dem raschen und vielfach medienwirksamen Erfolg in der Öffentlichkeit schielte, zugleich ein verständnisvoller und gütiger Mensch, der immer um Konsens im Zusammenleben bemüht war – fern jeglichen Radikalismus und Fundamentalismus, die in der Zeit, die er durchlebte, den Menschen des 20. Jahrhunderts so viel an unglückseligem Leid gebracht hatten. Appelts Eltern stammten väterlicher- und mütterlicherseits aus dem Kronland Böhmen, aus den einst deutsch besiedelten Gebieten der heutigen Tschechischen Republik, die in reichem Maß der alten Monarchie, aber auch hernach dem kleinen Österreich Führungskräfte in Administration, Politik, Wirtschaft, Kunst und nicht zuletzt Wissenschaft schenkten. Der aus kleinen Verhältnissen kommende Vater war nach einem Jus-Studium in Prag nach Wien gegangen und dort in den Ministerialdienst eingetreten. Die Mutter, der sich Appelt besonders eng verbunden fühlte, stammte aus dem Reichenberger Bürgertum. Ihre Familie konnte bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgt werden. Sie war die Tochter des Reichsratsabgeordneten Heinrich Prade, der zweimal als deutscher Landsmannminister für Böhmen der Regierung der österreichischen Reichshälfte in Wien angehörte, eine Persönlichkeit, der der Enkel stets größten Respekt entgegenbrachte. Die Ereignisse des Jahres 1918 mit dem Kriegsende und dem Zusammenbruch der Monarchie hinterließen in dem damals achtjährigen Buben einen tiefen und prägenden Eindruck. Jahrzehnte später noch schrieb Appelt in einer selbstbiographischen Skizze: „Wer nicht das Jahr 1918 erlebt hat, der weiß nicht, wie grau ein November sein kann“1.   Appelt, in: Recht und Geschichte 9. – Es wurde der Sprechtext dieses am Vorabend der hundertsten

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Zuweilen erzählte er, es sei einfach unvorstellbar, ja unfassbar gewesen, dass man eines Tages aufgewacht sei und es habe keinen Kaiser mehr gegeben, eine Jahrhunderte alte, gottgewollte Selbstverständlichkeit. So jedenfalls empfand man es in einer Beamtenfamilie, die dem Staat und seinen Institutionen in tiefer Loyalität gegenüberstand. Es war die erste Zäsur eines an Umbrüchen reichen Jahrhunderts, denen die Menschen – zumindest in der ersten Jahrhunderthälfte – ausgesetzt waren. Uns Jüngere pries Appelt nicht selten, unter welch nunmehr glücklichen äußeren Bedingungen wir in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts leben und arbeiten könnten – mit der leisen Sorge, dass das Verständnis für die schwierigen Lebensumstände unserer Väter und Großväter verloren gehen könnte. Für Appelt und für viele seiner Generation waren die epochalen Ereignisse der Jahre 1918/1919 für Österreich, aber auch für die europäische Ordnung insgesamt mit ihren weitreichenden und nachhaltigen Folgen Anregung, sich für die Frage nach den Ursachen und nach dem Sinn historischer Abläufe zu interessieren. Dies führte ihn – auch bedingt durch ein historisch interessiertes Elternhaus – frühzeitig hin zur Geschichte, wobei dies keineswegs das einzige Interessensgebiet des heranwachsenden jungen Mannes war. Da waren die große Zuneigung zur Klassischen Philologie und insbesondere zum Griechischen und der romantische Traum in seiner Gymnasialzeit, Dichter zu werden. Die ­Matura legte er am Wiener Schottengymnasium ab und inskribierte 1928 an der Alma Mater Rudolfina die Fächer Geschichte und Deutsch, um zunächst das Lehramt anzustreben. Er widersetzte sich hierbei dem Wunsch seines Vaters, der gerne ein JusStudium als besten Einstieg in eine Beamtenlaufbahn gesehen hätte. Der junge Student war zunächst wie viele seiner Kommilitonen von den Vorlesungen des Neuhistorikers Heinrich Ritter von Srbik, einer der dominierenden Gelehrtengestalten von internationalem Rang in der Zwischenkriegszeit, besonders angetan, von seiner weitgespannten und um Objektivität bemühten Form der Darstellung. Doch als dieser im Jahre 1929 in die Regierung von Bundeskanzler Schober berufen wurde und so für einige Zeit der Universität nicht zur Verfügung stand, wandte sich Appelt – und dies sollte für sein wissenschaftliches Leben von grundlegender Bedeutung werden – dem Mediävisten und Diplomatiker Hans Hirsch zu, der von 1929 bis zu seinem frühen Tod im Jahre 1940 an der Spitze des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung, wie es damals hieß, stand2. Seine ehemaligen Studenten sprachen noch Jahrzehnte später in tiefer Verehrung von der Ausstrahlung dieses Gelehrten, ebenso von seiner klar eingesetzten Autorität. Der von Hirsch vertretenen Verbindung von strenger Quellenkritik, der Wiederkehr des Geburtstages von Heinrich Appelt gehaltenen Vortrages weitgehend beibehalten, ein wenig aktualisiert und ergänzt um notwendige Belege. Zu danken ist den Monumenta Germaniae Historica und ihrem ehemaligen Präsidenten, Herrn Prof. Dr. Rudolf Schieffer, für die Erlaubnis, die in deren Archiv liegende Korrespondenz mit Heinrich Appelt und Leo Santifaller auswerten zu dürfen. – Gekürzt zitierte Arbeiten Appelts finden sich am Ende dieses Beitrags. 2  Zu Hans Hirsch und seiner maßgeblichen Rolle als Institutsvorstand siehe zuletzt Manfred Stoy, Das Österreichische Institut für Geschichtsforschung 1929–1945 (MIÖG Ergbd. 50, Wien–München 2007). Das Werk ist im Wesentlichen der Zeit dieses maßgeblichen Gelehrten und Wissenschaftsorganisators gewidmet. Siehe jüngst – mit anderem Zugang – auch Andreas Zajic, Hans Hirsch (1878–1940). Historiker und Wissenschaftsorganisator zwischen Urkunden- und Volkstumsforschung, in: Österreichische Historiker 1900–1945. Lebensläufe und Karrieren in Österreich, Deutschland und der Tschechoslowakei in wissenschaftsgeschichtlichen Porträts, hg. von Karel Hruza (Wien–Köln–Weimar 2008) 307–417. Die Grunddaten zu seiner Person siehe bei Fritz Fellner–Doris A. Corradini, Österreichische Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein biographisch-bibliographisches Lexikon (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 99, Wien 2006) 187.



Heinrich Appelt und die Edition der Diplome Kaiser Friedrich Barbarossas 17

von Sickel geschaffenen neuen Methoden von Diplomatik und Editionstechnik sowie der Verfassungsgeschichte fühlte sich Appelt zeit seines Lebens auf das engste verbunden. Er sah in Hirsch „seinen verehrten Lehrer“, wie er es immer wieder formulierte. Die Erudition des „Instituts“ – so zitierte er traditionell das Institut für Österreichische Geschichtsforschung ohne nähere Bezeichnung, etwa in der Barbarossa-Edition – war bis zuletzt seine maßgebliche Richtschnur. Den auf wenige Teilnehmer jeweils beschränkten und vornehmlich auf die Hilfswissenschaften ausgerichteten Ausbildungslehrgang absolvierte Appelt – parallel zum regulären Doktoratsstudium – auf Einladung, ja Aufforderung von Hirsch in den Jahren 1931–1933. In diese Zeit fällt auch der Beginn von Appelts lebenslanger Freundschaft mit Hans Goetting und Peter Acht, da beide damals einige Zeit am Wiener Institut studierten, beide später Ordinarien für Historische Hilfswissenschaften, der eine in Göttingen, der andere in München. (Peter Acht ist knapp vor seinem 99. Geburtstag, am 7. Mai 2010, in Regensburg verstorben. Wann immer ich Acht besuchte, war stets eine seiner Fragen: Was ist los im Institut in Wien? Verzeihen Sie bitte diese kleine Abschweifung.) Neben Hirsch waren bedeutende Gelehrte, deren Namen nach wie vor unvergessen sind, seine Lehrer, ein Oswald Redlich, der Schöpfer der Privaturkundenlehre, der Wirtschaftshistoriker Alfons Dopsch, ein Otto Brunner, schließlich die Kunsthistoriker – Appelt hatte inzwischen Kunstgeschichte als Studienfach hinzugewählt – Julius von Schlosser und Karl Maria Swoboda. Mit einer Arbeit über die Eigenklöster des Bistums Basel wurde Appelt bei Hans Hirsch 1932 promoviert. Im Dezember 1933 legte er die Staatsprüfung des Instituts ab, wobei Hirsch ihm als Thema der Institutshausarbeit die falschen Papsturkunden des Klosters St-Bénigne in Dijon gestellt hatte3. Da die beruflichen Chancen im öffentlichen Dienst in Österreich damals sehr schlecht waren, ging Appelt auf Vermittlung von Hirsch mit einem Stipendium der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft 1934 zu Leo Santifaller nach Breslau4. Damit trat Appelt in das Umfeld jenes Mannes, der von schicksalhafter Bedeutung für sein ­weiteres Leben werden sollte. Der Südtiroler Santifaller, Absolvent des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, hatte sich in Berlin bei Paul Kehr, dem langjährigen Präsidenten der Monumenta Germaniae Historica, Generaldirektor der Preußischen ­Archive und führenden Papstdiplomatiker, habilitiert und war seit 1929 Professor an der Universität der schlesischen Hauptstadt. Appelt unterstützte zunächst Santifaller bei dessen zweitem Band der Ausgabe der Brixener Hochstiftsarchive5 und trat schließlich in den Mitarbeiterstab des neu begründeten Schlesischen Urkundenbuches ein, dessen Bearbeitung Leo Santifaller im Auftrag Hermann Aubins, des damaligen Leiters der Historischen Kommission für Schlesien und führenden Vertreters einer modernen Historischen Landeskunde im Sinne einer Kulturraumforschung, übernommen hatte, wobei die strengen Methoden der Wiener Schule in einer kritischen Beurteilung der ältesten schlesischen Urkunden zum Tragen kommen sollten. Nach einer Einarbeitungsphase in die schlesische Diplomatik habilitierte sich 1939 der erst 29-jährige Appelt bei Santifaller mit einer Arbeit über die Urkundenfälschungen des Klosters Trebnitz6. Die Thematik „Schlesien“   Siehe die Druckfassung in MIÖG 51 (1937) 249–312.   Zu Leo Santifaller siehe zuletzt Hannes Obermair, Leo Santifaller (1890–1974). Von Archiven, Domkapiteln und Biografien, in: Österreichische Historiker (wie Anm. 2) 597–617. Die Grunddaten zu seiner Person siehe auch Fellner–Corradini, Geschichtswissenschaft (wie Anm. 2) 353f. 5  Die Urkunden der Brixner Hochstiftsarchive 1295–1336, ed. Leo Santifaller–Heinrich Appelt–Bertha Richter-Santifaller (Brixner Urkunden 2/1–2, Leipzig 1940–1943). 6   Heinrich Appelt, Die Urkundenfälschungen des Klosters Trebnitz. Studien zur Verfassungsentwicklung 3 4

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sollte Appelt nie ganz aus dem Auge verlieren, wenn auch dann andere Arbeiten im Zentrum seines Interesses standen. Als Santifaller 1943 den Ruf nach Wien erhielt, wurde im Dezember dieses Jahres auf dessen Initiative hin Appelt als sein Nachfolger zum Extra­ ordinarius ernannt. Was damals nach einer zukunftsträchtigen Karriere in noch verhältnismäßig jungen Jahren aussah, brach unter dem politischen Geschehen der Zeit zusammen. Bereits 1940 war Appelt zur Wehrmacht eingezogen worden und diente ab 1941 im bescheidenen Range eines Obergefreiten in der Funkstelle des deutschen Generals beim Oberkommando der italienischen Streitkräfte. Erst im Sommer 1944 freigestellt, wurde er bald wieder für Schanzarbeiten dienstverpflichtet. Als er im November 1944 endlich mit seinen Lehrveranstaltungen beginnen konnte, wurde er nach wenigen Wochen, als die Russen vor Breslau standen, zum Volkssturm eingezogen und bei den Kämpfen in der zur Festung erklärten Stadt auch leicht verwundet. Der erste große Abschnitt in seinem Berufsleben, der Basis für seine weitere Arbeit hätte werden sollen, war nach kaum mehr als zehn Jahren zu Ende gegangen. Er hatte seine Habseligkeiten, seinen Beruf und auch sein Forschungsgebiet verloren. Im Juli 1945 schlug sich Appelt mühsam nach Wien durch, wo die Familie Santifaller den völlig Mittellosen zunächst in ihrer Wohnung aufnahm. Leo Santifaller – nach dem Kriegsende zum Vorstand des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, zum Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs, zum Obmann der Historischen Kommission an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und bald auch zum Direktor des Österreichischen Kulturinstituts in Rom aufgestiegen – vereinigte damals eine große Machtfülle in seiner Hand, die es ihm ermöglichte, vielfach helfend einzugreifen und mit dem ihm eigenen Organisationstalent den Wiederaufbau der Geschichtswissenschaft in Österreich zu betreiben. Gegen eine kleine monatliche Vergütung wurde Appelt die Neubearbeitung der Regesta Imperii Konrads II. übertragen, die dann 1951 erschien7. 1945/46 wurde er aushilfsweise auch für die eine oder andere Lehrveranstaltung an der Wiener Universität und am Institut herangezogen. Mit Graz, dem zweiten großen Lebensabschnitt Appelts, der über 17 Jahre währen sollte, verbindet sich der wissenschaftliche Wiederaufstieg und die berufliche Konsolidierung. Mit Unterstützung Santifallers, aber auch von steirischer Seite gewollt, die einen profunden Diplomatiker erstrebte, wurde Appelt im Herbst 1946 zunächst mit der Supplierung der verwaisten Lehrkanzel für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften betraut, 1948 zum Extraordinarius und 1959 zum Ordinarius ernannt. Jahre später noch sprachen seine Grazer Studenten voll Respekt von seinen Lehrveranstaltungen, aber auch von den hohen Anforderungen, die er damals stellte. Im Studienjahr 1960/61 wurde er in das Dekanat berufen, dessen Amtsführung ihm hohe Reputation einbrachte. Die Grazer Jahre hatte er immer wieder als sehr glückliche Zeit erachtet und gelegentlich Graz als die eigentliche Heimatstadt seiner vier Kinder, eines Sohnes und dreier Töchter, bezeichnet. Geheiratet hatte er schon im Sommer 1946, wobei er seine künftige Gattin im Hause Santifaller kennengelernt hatte. Bald wählte ihn die einflussreiche Historische Landeskommission für Steiermark in ihren Ständigen Ausschuss und übertrug ihm die Fortführung des Urkundenbuches des Herzogtums Steiermark. Er nahm die Arbeiten am vierten Band, der den Jahren 1260–1276 galt, in Angriff und der deutschrechtlichen Klosterdörfer und zur Entstehung des Dominiums (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Schlesien, 2. Reihe: Forschungen zum Schlesischen Urkundenbuch 2, Breslau 1940). 7  J. F. Böhmer, Regesta Imperii III. Salisches Haus 1024–1125, 1. Abt.: Die Regesten des Kaiserreiches unter Konrad II. 1024–1039, ed. Heinrich Appelt (Graz 1951).



Heinrich Appelt und die Edition der Diplome Kaiser Friedrich Barbarossas 19

überließ Gerhard Pferschy die Fertigstellung, als er Graz verließ8�. In mühevoller Kleinarbeit gelang es auch, den wissenschaftlichen Apparat des Schlesischen Urkundenbuches zu rekonstruieren. Die im Besitz der in Mainz wieder ins Leben gerufenen Historischen Kommission für Schlesien befindlichen und geretteten Filmrollen, die Santifaller, als er 1943 Breslau verließ, mitnahm, hatte man Appelt nach Graz gesandt, so dass er die Arbeiten am ersten Band aufnehmen konnte, der schließlich zwischen 1963 und 1971 in drei Lieferungen erschien9. In der Folgezeit begnügte er sich mit der Oberaufsicht und der Herausgeberschaft, wobei die unmittelbaren Arbeiten jüngeren Kräften, vornehmlich Winfried Irgang, übertragen wurden. Denn noch in den fünfziger Jahren trat eine Herausforderung größten Stils an Appelt heran, die sein Leben in die für ihn und die wissenschaftliche Nachwelt entscheidende Richtung lenken sollte. Bekanntlich war 1904 in einem Revirement der Zuständigkeiten von der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica in Berlin der Wiener Diplomata-Abteilung am Institut für Österreichische Geschichtsforschung die kritische Edition der Diplome Lothars III. und der Staufer bis einschließlich des Welfen Otto IV. übertragen worden 10, doch hatte aufgrund der schwierigen Zeitverhältnisse hiervon bloß die verhältnismäßig kleine Edition der Diplome Lothars III. 1927 erscheinen können11. Es wurden aber auf zahlreichen Archivreisen vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, vornehmlich von Hans Hirsch, Heinz Zatschek und schließlich Friedrich Hausmann, aber auch anderen, Materialien bis einschließlich Heinrich VI. gesammelt. Der Friedrich Barbarossa betreffende Teil wurde zu Anfang 1956 Appelt nach Graz übersandt. Es war das unermüdliche Engagement und die Menschenkenntnis Santifallers, dass er dieses riesige Projekt Appelt zutraute und übertrug, denn es gab damals in der wissenschaftlichen Welt niemanden – dies galt auch für den damaligen Monumenta-Präsidenten Herbert Grundmann, wie Appelt gelegentlich erzählte, wie auch etwa für Theodor Mayer, wie Horst Fuhrmann Jahre später berichtete –, der die Realisierung eines solchen Großprojekts – und dies nach den diffizilen Kriterien der Diplomata-Abteilung – für möglich hielt. Es war zweifellos keine leichte Entscheidung, ein solches Vorhaben zu übernehmen. Appelt tat es und er tat dies von allem Anfang an mit nahezu unüberbietbarer Energie, Konsequenz und generalstabsmäßiger Planmäßigkeit. Kaiserurkunden zu edieren und besonders jene einer strahlenden und zentralen Herrscherpersönlichkeit, wie es Friedrich Barbarossa war, war für Heinrich Appelt eine Herzenssache. Es sollte zu seinem großen Lebenswerk und zu einem Ruhmesblatt der österreichischen Mediävistik werden. Doch davon später. Die zweifellos besseren Möglichkeiten in Wien mit der vorzüglichen Bibliothek des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, nicht weniger mit der Österreichischen Nationalbibliothek, dieses riesige Unternehmen durchzuführen, ebenso die Chance, aus dem Kreis der Institutsabsolventen gleichmäßig ausgebildete Mitarbeiter zu gewinnen, waren für ihn zweifellos die maßgeblichen Gründe, 1963 den Ruf auf die zweite, wieder geschaffene Professur für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften 8   Urkundenbuch des Herzogtums Steiermark 4: 1260–1276, ed. Gerhard Pferschy unter der Leitung von Heinrich Appelt nach Vorarbeiten von Heinrich Appelt–Berthold Sutter (4 Lief., Wien 1960–1975). 9   Schlesisches Urkundenbuch 1: 971–1230, ed. Heinrich Appelt (3 Lief., Graz–Köln 1963–1971). 10  Zur Bedeutung des Wiener Instituts bei dessen Arbeiten für die Diplomata-Reihe der MGH siehe die sehr nützliche und ausführliche Darstellung durch Bettina Pferschy-Maleczek, Die Diplomata-Edition der Monumenta Germaniae Historica am Institut für Österreichische Geschichtsforschung (1875–1990). MIÖG 112 (2004) 412–467. 11   MGH DD. Lo.III., ed. Emil von Otthenthal–Hans Hirsch (Berlin 1927).

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an der Universität seiner Heimatstadt Wien anzunehmen. Als Mitglied des Lehrkörpers des Instituts für Geschichtsforschung mit seinem dreijährigen Ausbildungslehrgang lehrte er – seinen unmittelbaren Arbeits- und Interessensgebieten entsprechend, in denen er hervorragend ausgewiesen war – „Kaiserurkunde“, „Papsturkunde“ und „Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters“ in großen mehrstündigen Vorlesungen. Im Rahmen der normalen Universitätsausbildung – Appelt war turnusmäßig auch Vorstand des Historischen Instituts – führte er nicht weniger pflichtbewusst zahlreiche Studenten zu Doktorat und Lehramt. Seine ungemein systematisch aufgebauten sowie präzise und verständlich vorgetragenen Vorlesungen waren sehr beliebt. Beim „Appelt“ kannte man sich aus. Standen auch mit den drei großen Lebensabschnitten – Breslau, Graz und vor allem Wien – Editionen im Zentrum des Schaffens Appelts, so sah er sich immer wieder verpflichtet, Fragen, die sich aus den Editionen ergaben oder deren Klärung der Vorbereitung der Edition dienen sollten, in Spezialstudien aufzugreifen. Dies galt bereits für seine Breslauer Habilitationsschrift, nicht weniger für zahlreiche Aufsätze in Begleitung der Barbarossa-Edition. Diese Arbeiten, die meist im Zwischenbereich von Diplomatik und Verfassungsgeschichte des Hochmittelalters angesiedelt waren, gingen von bis in die letzten Details hinterfragten Quellen, überwiegend urkundlichen Quellen, aus, auf denen er seine Thesen und Aussagen aufbaute, die sich vielfach um Fragen der werdenden Landeshoheit und der Reaktion der Reichsspitze hierzu als seinen zentralen Themen drehten, d. h. diplomatische Erkenntnisse12, in Editionen umgesetzt, als Basis für die Lösung verfassungsgeschichtlicher Fragen und Probleme. Unter den zahlreichen Arbeiten sei hierbei vor allem seine in zwei Auflagen erschienene Monographie zum Privilegium minus genannt13, die mustergültig die erstrebten Ziele seines Forschens klar macht. Als spektakuläre Lösung eines Einzelproblems sei exemplarisch auf die endgültige Klärung der durch Jahrzehnte umstrittenen Frage der „libertas affectandi“ hingewiesen14. Mag auch das 12. Jahrhundert im Zentrum seiner Arbeiten gestanden haben, so sind etwa sein Aufsatz zur Ostarrîchi-Urkunde von 99615 oder seine Studien zu den Rudolfinischen Freiheitsbriefen von 1358/59 – methodisch und inhaltlich – nicht weniger wegweisend16. Ein Teil seiner Aufsätze – nach verfassungsgeschichtlichen Gesichtspunkten zusammengestellt – ist unter dem programmatischen Titel „Kaisertum, Königtum, Landesherrschaft. Gesammelte Studien zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte“ als 28. Ergänzungsband der MIÖG, von Othmar Hageneder und Herwig Weigl herausgegeben, 1988 erschienen. Als Appelt als 80-Jähriger mit der Fertigstellung der Barbarossa-Edition sich bereits ein bleibendes Denkmal geschaffen hatte, wandte er sich in hohem Alter noch der Edition 12  Hinzuweisen ist hierbei auch auf Appelts grundsätzliche Ausführungen zur Methode des Diktatvergleichs: Diktatvergleich und Stilkritik erörtert am Beispiel der Diplome Friedrichs I. MIÖG 100 (1992) 181– 196. 13  Heinrich Appelt, Privilegium minus. Das staufische Kaisertum und die Babenberger in Österreich (Böhlau Quellenbücher, Wien–Köln–Graz 21976). 14  Heinrich Appelt, Die libertas affectandi des Privilegium minus. MÖStA 25 (1972) 135–140. 15   Heinrich Appelt, Zur diplomatischen Beurteilung der Ostarrîchi-Urkunde, in: Babenberger-Forschungen, red. von Max Weltin (JbLkNÖ N. F. 42, Wien 1976) 1–8. 16   Heinrich Appelt, Zur diplomatischen Beurteilung des Privilegium maius, in: Grundwissenschaften und Geschichte. Festschrift für Peter Acht, hg. von Waldemar Schlögl–Peter Herde (Münchener Historische Studien. Abt. Geschichtl. Hilfswissenschaften 15, Kallmünz 1976) 210–217; ders., Die Bedeutung des Titels „archidux palatinus Austriae“, in: Festschrift Friedrich Hausmann, hg. von Herwig Ebner (Graz 1977) 15–20; ders., Anregungen zu einem Kommentar der österreichischen Hausprivilegien, in: Festschrift Berthold Sutter, hg. von Gernot Kocher–Gernot D. Hasiba (Graz 1983) 9–16.



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der Urkunden Heinrichs VI. zu. War er zwar bereits bald nach Kriegsende hierfür im Gespräch gewesen und auch schon tätig geworden, als von der Edition der BarbarossaUrkunden noch nicht die Rede war, so hatte Appelt 1990 sicherlich nicht die Absicht, ein weiteres Großprojekt in Angriff zu nehmen. Es tat es aus Pflichtbewusstsein, um die gefährdete Tradition nicht abreißen zu lassen. Peter Csendes, der hierfür die nötigen kanzleigeschichtlichen Vorarbeiten geleistet hatte und auch schon in die Editionsarbeiten eingestiegen war, war es damals aufgrund der hohen beruflichen Belastung im Archivdienst der Stadt Wien schließlich doch nicht möglich gewesen, dieses Projekt, für das er vorgesehen war, endgültig zu übernehmen bzw. fortzuführen. So machte sich Appelt, unterstützt von einem rasch wechselnden Kreis an Helfern, ans Werk. Es gelang ihm immerhin, den Textteil – es sind dies mehr als 700 Urkunden – zu erstellen. Leider gelang es ihm nicht mehr, dem Werk den abschließenden Schliff zu geben, die notwendigen Kontrollen durchzuführen, die Einleitungskapitel, mögliche Ergänzungen und die Register zu erarbeiten bzw. unter seiner Ägide erarbeiten zu lassen. Es ist zu hoffen, dass diese Schritte in Wien – jetzt auch wieder unter der Mitarbeit von Peter Csendes – von Bettina Pferschy-Maleczek bald zu Ende geführt werden können – in mindestens zwei stattlichen Bänden nach den Kriterien der Diplomata-Reihe, eine dem Andenken Appelts geschuldete Verpflichtung. Jedenfalls kann man sagen, dass wir letztlich die Edition der Urkunden dieses Herrschers ebenfalls dem unermüdlichen Engagement und Pflichtbewusstsein Appelts verdanken werden. Im März 1998, auf dem Heimweg von einer Akademie-Sitzung, zog sich der fast 88-Jährige bei einem Sturz schwerste Verletzungen zu, von denen er sich zwar zwischenzeitlich, aber nicht mehr dauerhaft erholte – trotz fürsorglichster Pflege durch seine in Wien lebende Tochter, Frau Dr. Elisabeth Gam. Am 16. September 1998 ist Heinrich Appelt im 89. Lebensjahr verstorben. Ehrenvolle Mitgliedschaften und Auszeichnungen als äußere Zeichen der Wertschätzung wurden Appelt zuteil. 1962 wurde er zum Korrespondierenden und zwei Jahre ­später bereits zum Wirklichen Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gewählt. Im Rahmen der Akademie stand er einigen Kommissionen vor, darunter der 1974 eingerichteten Kommission für die Wiener Diplomata-Ausgabe der MGH, und war Mitglied einer Reihe weiterer Kommissionen, alles Funktionen, denen er mit großer Gewissenhaftigkeit bis zuletzt nachkam. 1964 wurde er in die Zentraldirektion der MGH gewählt, nachdem er bereits 1948 deren Korrespondierendes Mitglied geworden war. Appelt gehörte auch als mein Vorgänger bis 1983 dem Büro der Commission Internationale de Diplomatique an. Er war Mitglied des Johann-Gottfried-Herder-Forschungsrates in Marburg, Ehrenvorsitzender des Historischen Vereines für Schlesien und Mitglied der Mediaeval Academy of America. Die Universitäten zu Graz und Innsbruck verliehen ihm juridische Ehrendoktorate. Er war Träger des Österreichischen Ehrenzeichens für Wissenschaft und Kunst. Die Stadt Wien ehrte ihn durch die Wiener Ehrenmedaille in Gold und den Preis für Geistes- und Sozialwissenschaften. Sehr freute er sich noch über den Großen Wissenschaftspreis, den ihm die Staufergesellschaft in Göppingen für sein Lebenswerk im Dienste der Stauferforschung verliehen hatte. In Empfang nehmen konnte er ihn nicht mehr. Posthum übernahm ihn am 7. November 1998 eine seiner Töchter, Frau Prof. Dr. Hertha Richter-Appelt. Nach den Akten ergab sich Appelts erster greifbarer Kontakt zu den Monumenta Germaniae Historica am 23. November 1948, als er in einem Dankschreiben für seine Aufnahme unter deren Korrespondierende Mitglieder dem Präsidenten Friedrich Baethgen gegenüber seine Bereitschaft zum Ausdruck brachte, „gegebenenfalls einen geeigneten

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Arbeitsauftrag zu übernehmen“17. Dies betraf damals allerdings sicherlich noch nicht eine Edition der Urkunden Barbarossas. Die Jahre nach dem Krieg waren geprägt von Leo Santifallers in gleicher Weise unermüdlichen wie verdienstvollen Bemühungen, die Arbeiten der Wiener Diplomata-Abteilung wieder in Gang zu bringen, nachdem die unter der Ägide von Hans Hirsch Ende 1936 getroffenen Vereinbarungen mit Berlin und Rom hinsichtlich der Sammlung und Ausgabe der staufischen Diplome und vor allem jener Barbarossas18 durch die Zeitereignisse obsolet geworden waren. In den jährlichen Arbeitsberichten über die „Tätigkeit der Wiener Diplomata-Abteilung (Ältere Staufer)“ an die MGH19 – der erste galt den Jahren 1948–1949 – benannte Santifaller anfangs für die Arbeiten an Konrad III. Friedrich Hausmann, für Friedrich I. als Mitarbeiter den Züricher Hans Conrad Peyer, dem kurzfristig der junge Heinrich Koller zur Seite trat, für Philipp von Schwaben und Otto IV. zunächst Anton Julius Walter, für die Weiterführung der Herausgabe der Diplome Heinrichs VI. Heinrich Appelt. Er hatte die Arbeiten Anfang 1949 übernommen und nahm die Sichtung und Ergänzung der Materialien, die nach Pommersfelden kriegsbedingt ausgelagert und ihm dann nach Graz übersandt worden waren, unverzüglich auf. Santifallers Arbeitsbericht für die Jahre 1954–1955 berichtet zu Barbarossa bloß, dass einige Vorfeldarbeiten durch Institutsmitglieder getätigt wurden, nachdem sich die zunächst ins Auge gefasste Lösung mit Peyer offensichtlich als nicht tragbar erwiesen hatte. Von Heinrich VI. war nunmehr vorerst überhaupt nicht mehr die Rede, erst einige Zeit später sollten wieder Ordnungsarbeiten zu diesem Kaiser unter der Leitung Santifallers und schließlich weiterführende Aktivitäten Erwähnung finden (ab dem Arbeitsbericht 1956/57). Im Arbeitsbericht für die Jahre 1955/56 – und das ist für uns von Bedeutung – wird erstmals berichtet, dass im Einvernehmen mit dem Präsidenten der MGH die Bearbeitung der Diplome Friedrich Barbarossas an Heinrich Appelt übertragen worden sei. Zunächst die Arbeitsberichte Santifallers über die Wiener Diplomata-Abteilung insgesamt, schließlich die intensive und regelmäßige Korrespondenz Appelts mit den jeweiligen Monumenta-Präsidenten von Friedrich Baethgen, Herbert Grundmann, dem interimistischen Präsidenten Hermann Krause, Horst Fuhrmann – mit dem ihn ein besonders herzliches Verhältnis verband –, bis hin zu Rudolf Schieffer, geben einen ausgezeichneten Einblick in den systematischen Aufbau und den Verlauf des Großunternehmens. In seinen Briefen – neben den jährlichen Arbeitsberichten, meist im Vorfeld der Sitzung der Zentraldirektion – berichtete er eingehend über alle Ereignisse, über die Nöte in gleicher Weise wie zunehmend über die großen Erfolge planmäßigen Arbeitens. Die Antwortschreiben lassen jeweils die hohe Wertschätzung, die Appelt in München, dem nunmehrigen Sitz der MGH, genoss, erkennen. Sofort begann Appelt – im stetem Einvernehmen mit Santifaller20 – zunächst mit den vordringlichsten Arbeiten, um einen entsprechenden Apparat aufzubauen, der dann in der Tat weitestgehend bis zum Abschluss der Arbeiten dienlich war. Es wurde die Erstellung einer Grund-, Empfänger- und Archivkartei in Angriff genommen. Es setzten die Bemühungen um die Vervollkommnung der Überlieferung, insbesondere des itali  Brief Appelts an Friedrich Baethgen vom 23. 11. 1948 (MGH-Archiv).   Abschrift einer „Niederschrift der Ergebnisse einer Unterredung zwischen Prof. Dr. Wilhelm Engel– Berlin und Prof. Dr. Hans Hirsch und Dr. Wilfried Krallert–Wien über die Sammlung und Ausgabe der Diplome Kaiser Friedrichs I.“ vom 4. 12. 1936, beiliegend einem Brief Santifallers an Friedrich Baethgen vom 6. 1. 1951 (MGH-Archiv). 19  Siehe im Archiv der MGH. 20   Vgl. etwa den Brief Appelts an Friedrich Baethgen vom 9. 10. 1956 (MGH-Archiv). 17 18



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enischen Materials, ein, ebenso bemühte man sich um die Erfassung der Literatur, der ­Drucke und der Untersuchungen. Appelt selbst konnte bei einem dreiwöchigen Aufenthalt in Rom und bei einem siebenwöchigen Aufenthalt in Wien diese Vorhaben wesentlich fördern. Santifaller ließ auch manches in Übungen am Institut durch junge Institutsmitglieder aufarbeiten. Diese Anfangsphase des Unternehmens in Graz war für Appelt gewiss nicht leicht, standen doch keine fix installierten Mitarbeiter zur Verfügung. Es wurden vielmehr ad hoc – je nach vorhandenen Möglichkeiten und Mitteln bzw. Stipendien – Helfer, in der Regel junge Absolventen des IÖG, eingesetzt, die rasch wieder ausschieden, wenn sich für sie eine feste berufliche Aussicht ergab. So stand Appelt zunächst Franz Otto Roth für weniger als ein Jahr – anfangs ganztägig, dann halbtägig – zur Verfügung. Immerhin erstellte dieser die wichtige chronologische Grundkartei und die Empfängerkartei. Paul Uiblein, der wenig Neigung empfand, die Archivreisen nach Italien vorzubereiten, verließ Graz nach wenigen Wochen wieder und widmete sich in Wien kurzzeitig Literaturstudien, vor allem der Erfassung alter Drucke im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek. Appelt selbst untersuchte im Frühjahr durch einige Wochen die Originale und die wichtigste kopiale Überlieferung zu Friedrich I. im Bayerischen Hauptstaatsarchiv. Grundsätzlich unterstützte das Deutsche Historische Institut in Rom und hierbei vor allem Wolfgang Hagemann durch Übersendung von Photos sowie das Lichtbildarchiv in Marburg die Erfassung des Materials. Für die Reisekosten wie auch für finanzielle Zuschüsse an die jeweiligen Helfer und Mitarbeiter kamen, worum sich Appelt vorbildlich kümmerte, all die Jahre weitestgehend die MGH auf. Im Oktober 1958 etwa besuchte Appelt eine Reihe von Archiven in der Lombardei, da er es damals, wie er in einem Schreiben an Baethgen betonte21, für zweckmäßig hielt, die Italienreisen selbst zu unternehmen, wobei Helfer ihn bei der Vorbereitung und Auswertung unterstützen sollten. Sehr optimistisch meinte er damals, bei zwei sechswöchigen Reisen im Jahr in zwei bis drei Jahren die Materialsammlung in Italien abschließen zu können. Um die Reisekosten und die Reisedauer zu minimieren, bemühte man sich allerdings vielfach um die Übersendung von Mikrofilmen. Die einzelnen Mitarbeiter der ersten Stunde, die oft nur kurze Zeit mitarbeiten konnten, leisteten nichtsdestoweniger ihren Beitrag in der Aufbauphase. Otto Rommel, der sich um die Vorbereitung der Italienreisen bemühte, folgte auf Roth, Elisabeth Reiner besuchte mit einem Stipendium des Österreichischen Kulturinstituts in Paris französische Archive. Das große Verdienst Rainer Eggers war es, dass er in seiner Dissertation22 die Hände der originalen Urkunden Friedrichs I. untersuchte und somit die Grundlage für alle weiteren kanzleigeschichtlichen Arbeiten legte. Als Egger mit Jahresende 1961 ausschied, um in den Archivdienst einzutreten, klagte Appelt gegenüber Grundmann, dass nun der letzte eingearbeitete Mitarbeiter weg sei23. Doch schon bald darauf, am 13. Januar 1962, stellte Appelt in einem Schreiben an Santifaller seinen Dissertanten, den aus Neuß stammenden Rheinländer Rainer Maria Herkenrath als ausgereifte Persönlichkeit mit besonderen Kenntnissen in der Liturgiegeschichte vor, dessen Grazer Dissertation, eine Biographie Rainalds von Dassel, vor dem Abschluss stehe, und benannte ihn Santifaller gegenüber als erwünschten Nachfolger ­Eggers. Man sollte, da Herkenrath nicht mehr ganz jung sei, versuchen, eine feste   Brief Appelts an Friedrich Baethgen vom 18. 9. 1957 (MGH-Archiv).   Rainer Egger, Die Schreiber der Urkunden Kaiser Friedrich Barbarossas (Vorstudien zu einer Kanzleigeschichte) (Diss. Wien 1961). 23   Brief Appelts an Herbert Grundmann vom 20. 12. 1961 (MGH-Archiv). 21 22

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staatliche Stelle zu schaffen, zumal dieser bereit sein würde, gegebenenfalls auch nach Wien zu übersiedeln24. Appelt wollte auch eine erste Archivreise – nach Mittelitalien und Verona – gemeinsam mit Herkenrath unternehmen, um ihn einzuarbeiten25. Herkenraths erster Bericht über seine erste, mit Auto unternommene, selbständige Archivreise datiert vom November 196326. Appelts und Santifallers Bemühungen – Letzterer war bekanntlich Obmann der Historischen Kommission –, für Herkenrath eine feste Stelle im Bereich der Akademie zu schaffen, fielen beim Akademiepräsidenten Richard Meister auf fruchtbaren Boden und waren schließlich von Erfolg gekrönt. Herkenrath konnte rückwirkend mit 1. Januar 1964 die Stelle antreten27. Appelt hatte inzwischen den Ruf nach Wien auf ein Ordinariat, auf die aufgestockte einstige außerordentliche Professur Heinrich Fichtenaus, des neuen Institutsvorstands, angenommen. Mit der Installierung Herkenraths war erstmals eine feste Struktur geschaffen, die ein von Wechselfällen nicht gefährdetes planmäßiges Arbeiten ermöglichte, und Herkenrath begleitete auch die Arbeiten an der Barbarossa-Edition an Appelts Seite bis zu deren erfolgreichem Ende. Eine fixe Stelle nunmehr im Akademiebereich bedeutete auch den Beginn einer zukunftsträchtigen Konstellation, nämlich die Zusammenarbeit von MGH, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung, das als Arbeitsstätte mit seinen reichen Ressourcen unverzichtbar war. Als Santifaller 1974 starb und Fichtenau sein Nachfolger auch an der Spitze der Historischen Kommission der Akademie wurde, bildete man eine eigene Kommission für die Wiener Diplomata-Ausgabe der Monumenta Germaniae Historica mit Appelt als Obmann. Waren die Institutsvorstände zuvor auch immer Leiter der Wiener Diplomata-Abteilung gewesen, so standen nunmehr Fichtenau und seine Nachfolger in der Institutsleitung dem Unternehmen zwar durchaus wohlwollend gegenüber, ohne sich jedoch näher für diese Arbeiten zu engagieren. 1999 wurde dieser Dreiklang MGH, Österreichische Akademie der Wissenschaften und Institut – inzwischen war 1975/76 die für den Verfasser dieses Beitrags neu geschaffene und für Monumentaarbeiten reservierte Planstelle am Institut hinzugekommen – auch vertraglich fixiert28, nachdem diese Konstellation schon jahrelang eingespielt war. Appelt nützte nun voll und planmäßig seine Möglichkeiten als Lehrer im Rahmen des dreijährigen Institutskurses. Sein Institutsassistent Josef Riedmann und Kurt Zeillinger übernahmen als Hausarbeiten kanzleigeschichtliche Untersuchungen, um rechtzeitig die Kanzleiverhältnisse für die ersten beiden Bände als Voraussetzung einer kritischen Edition aufzuarbeiten, zugleich als beste Einführung für sie in die diplomatische Methode. Diese Studien mit der Klärung von Schrift und Diktat, ebenso dann die für die folgenden Zeitphasen (1167–1190) aus der Feder des Autors dieser Zeilen sowie Rainer M. Herkenraths stellen zweifellos die intensivsten kanzleigeschichtlichen, auf die Erfordernisse einer Edition abgestimmten Vorarbeiten im Bereich der Kaiserdiplomatik dar29. Es ent  Brief Appelts an Leo Santifaller vom 13. 1. 1962 (in Abschrift im Archiv der MGH).   Brief Appelts an Herbert Grundmann vom 7. 9. 1962 (MGH-Archiv). 26   Brief Appelts an Herbert Grundmann vom 13. 11. 1963 mit beiliegendem Arbeitsbericht Herkenraths (MGH-Archiv). 27  Brief Appelts an Herbert Grundmann vom 18. 9. 1964 (MGH-Archiv). 28  „Vereinbarung zwischen den Monumenta Germaniae Historica, der ÖAW/Forschungsstelle für Geschichte des Mittelalters und dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung“ vom 18. März 1999. 29   An umfangreichsten, für die Edition unmittelbar maßgeblichen Arbeiten siehe: Kurt Zeillinger, Die Notare der Reichskanzlei in den ersten Jahren Friedrich Barbarossas. DA 22 (1966) 472–555; Josef Riedmann, Studien über die Reichskanzlei unter Friedrich Barbarossa in den Jahren 1156–1166. 1. Teil: MIÖG 75 (1967) 24 25



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sprach der strategischen Vorgangsweise Appelts, diese Untersuchungen jeweils im Vorfeld des zu edierenden Zeitabschnittes rechtzeitig anfertigen zu lassen. In einem Schreiben an Grundmann im Februar 1964 gab Appelt seiner Hoffnung Ausdruck, Kurt Zeillinger nach Abschluss des laufenden Institutskurses (1965) als zweiten vollen Mitarbeiter mit fester Stelle – neben Herkenrath – zu gewinnen, was das große Volumen der Arbeiten erfordern würde30. Dies ließ sich bekanntlich nicht realisieren. Zeillinger erhielt zunächst wieder einen Werkvertrag der Akademie und wurde schließlich Appelts Assistent am Historischen Institut. Mit Anfang des Jahres 1966 begann Appelt mit der Ausarbeitung der Urkundentexte für den ersten, bis 1158 reichenden Teilband31, dem nun die volle Konzentration gehören sollte. Appelts regelmäßige Berichte nach München lassen die raschen Fortschritte der Arbeiten erkennen, wobei bei der Fertigstellung für die Drucklegung Herkenrath Appelt bei den italienischen und burgundischen Diplomen und Zeillinger bei Urkunden für süddeutsche Empfänger unterstützen sollten, während die Ausarbeitung für die norddeutschen Empfänger Appelt selbst übernehmen wollte. Die Entwürfe insgesamt sollten von Appelt und Riedmann überprüft werden. Der Überblick über das gesamte Material war Anfang 1968 bereits so weit gediehen, dass Appelt die Aufteilung der Urkunden auf vier Teilbände fixieren konnte32. Im Herbst 1968 erfolgte – nach Abschluss des 51. Institutskurses und zunächst neben der Tätigkeit im Gymnasialdienst – der Einstieg des Verfassers dieses Beitrages in das Barbarossa-Unternehmen. Meine Aufgabe lag anfangs in der Erstellung des Wort- und Sachregisters und hierauf in der abschließenden Revision der Urkundentexte des ersten Teilbandes. 1969 und 1970 ergab sich ein Revirement in Appelts Mitarbeiterteam, das auch organisatorische Veränderungen mit sich brachte. Mit 1. März 1969 hatte Josef Riedmann zum größten Bedauern Appelts Wien verlassen, um eine Assistentenstelle in Innsbruck anzutreten. Sein Nachfolger Winfried Stelzer, der die Druck- und Literaturangaben für den ersten Band revidiert hatte, und Kurt Zeillinger, der mit Herkenrath die Identifizierung der Namen vornahm, sahen sich aufgrund der großen universitären Belastung nicht mehr in der Lage, ihre Tätigkeit an der Barbarossa-Edition fortzuführen33. Appelt konnte die Vorlage des Druckmanuskripts des ersten Bandes für die kommende Sitzung der Zentraldirektion im März 1971 ankündigen34. Dass der Band dann erst 1975 erscheinen konnte35, lag nicht an Appelt und seinen Mitarbeitern, sondern an der langwierigen Auseinandersetzung der MGH mit dem Verlag Weidmann-Reimer, die erst ei322–402; 2. Teil: MIÖG 76 (1968) 23–105; Walter Koch, Die Reichskanzlei in den Jahren 1167 bis 1174 (ÖAW, phil.-hist. Kl., Denkschriften 115, Wien 1973), und Rainer Maria Herkenrath, Die Reichskanzlei in den Jahren 1174–1180 (ÖAW, phil.-hist. Kl., Denkschriften 130, Wien 1977), sowie ders., Die Reichskanzlei in den Jahren 1181–1190 (ÖAW, phil.-hist. Kl., Denkschriften 175, Wien 1985). Siehe weiters Josef Riedmann, Die Beurkundung der Verträge Friedrich Barbarossas mit den italienischen Städten. Studien zur diplomatischen Form von Vertragsurkunden im 12. Jahrhundert (ÖAW, phil.-hist. Kl., SB 291/3, Wien 1973), und Walter Koch, Die Schrift der Reichskanzlei im 12. Jahrhundert. Untersuchungen zur Diplomatik der Kaiserurkunde (ÖAW, phil.-hist. Kl., Denkschriften 134, Wien 1979). 30   Brief Appelts an Herbert Grundmann vom 27. 2. 1964 (MGH-Archiv). 31   Arbeitsbericht Appelts für die Zeit von April 1965 bis März 1966 (MGH-Archiv). 32   Arbeitsbericht Appelts von März 1967 bis Ende Februar 1968 mit Plan der Gliederung auf vier Teilbände (MGH-Archiv). 33  Brief Appelts an Hermann Krause vom 27. 11. 1970 (MGH-Archiv). 34  Arbeitsbericht Appelts für die Zeit von März 1970–März 1971 (MGH-Archiv). Die Vorlage des Manuskripts hatte Appelt bereits in seinem Schreiben vom November 1970 (siehe vorige Anm.) in Aussicht gestellt. 35   MGH DD. F.I., ed. Heinrich Appelt et al. (Hannover 1975).

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ner Lösung bedurfte. Horst Fuhrmann – er war inzwischen als Monumenta-Präsident installiert worden – hat es nie vergessen, wie er immer wieder dankbar bemerkte36, dass Appelt bereit war, die Lösung der Verlagsfrage abzuwarten, und nicht auf einem sofortigen Druck des ersten Bandes bestand. Die Arbeiten am sehr umfangreichen Editionsband für die Jahre 1158–1167 waren inzwischen voll angelaufen mit Herrn Herkenrath und mir als Hauptmitarbeitern. Diese Konstellation war auch beim Folgeband gegeben, beim dritten Band trat bekanntlich Bettina Pferschy(-Maleczek) hinzu. Anfangs – 1971/72 – wirkten bei der Herstellung von Urkundenabschriften auch die Herren Karl Ehrenfellner, Wolfgang Hilger und Ferdinand Opll sowie Frau Christine Mittendorfer mit, deren Texte dann Appelt und ich kollationierten37. Die Arbeiten verliefen nunmehr in eingespielten Bahnen. Um es klar zu sagen: Appelt thronte nicht als Chef über einem Großunternehmen, das er leitete, wie wir es in der Wissenschaftslandschaft immer wieder finden. Er war auch nicht bloß der verantwortliche Bearbeiter der Diplome Barbarossas, er war vielmehr von der ersten Minute an voll in den Arbeitsprozess an vorderster Front integriert, wobei die Mitarbeiter mit den ihnen übertragenen Aufgaben ihm zuzuarbeiten hatten. Appelt schrieb zunehmend selbst die Urkundentexte, konzipierte die Kopfregesten, stellte die Drucke und Regesten zusammen und verfasste die Vorspanne. Herkenrath unterstützte ihn bei Sachfragen, ich selbst stellte meine paläographische und philologische Kompetenz zur Verfügung, wirkte bei der Kollationierung der Texte und bei der Erstellung der Variantenapparate mit. Während die Identifizierung der Namen und die Gestaltung des Namenregisters Appelt in Zusammenarbeit mit Herkenrath und vornehmlich dem inzwischen hinzugekommenen Ferdinand Opll durchführte, lag das Glossar bei mir, ab dem dritten Band bei Bettina Pferschy (-Maleczek) nach den vorgegebenen Richtlinien. Gemeinsam arbeiteten wir dann jeweils an den Schlussredaktionen. Es sei mir eine private Bemerkung erlaubt: Gerne denke ich an die nahezu jede Woche verbrachten Stunden zurück, als Appelt und ich das, was ich jeweils vorzubereiten hatte, Punkt für Punkt nebeneinander sitzend anhand der Texte durchbesprachen. Eine bessere Einführung in Fragen des Edierens hätte es nicht geben können. Wir alle, die wir an Appelts Seite in all den Jahren an der großen Edition mitarbeiten durften, nicht zuletzt auch ich, sind ihm zu höchstem Dank verpflichtet – für seine noble Art der Menschenführung und die unmittelbare wissenschaftliche Ausbildung, die wir genießen konnten. All dies, nicht weniger seine Sicht sowie Auffassung von Wissenschaft, war für uns und unsere weitere Laufbahn und Karriere von entscheidender Bedeutung. Nun – dass die weiteren Bände zügig erscheinen konnten – Band 2 (für die Jahre 1158–1167) 1979, Band 3 (für die Jahre 1168–1180) 1985, Band 4 (für die Jahre 1181– 1190) 1990 sowie mit gleichem Erscheinungsjahr ein fünfter Band mit der zusammenfassenden Kanzleigeschichte und den Verzeichnissen – lag einerseits an der planmäßigen Organisation der Arbeitsschritte und an der Tatsache, dass es gelang, die Arbeiten an den Bänden ineinanderzuschieben. 35 Jahre nach der Betrauung mit der Edition der Barbarossa-Diplome lag nunmehr 1990 das große Werk abgeschlossen vor. Im Hinblick auf die bevorstehende Fertigstellung schrieb Horst Fuhrmann in einem Gratulationsschreiben an Appelt anlässlich dessen 80. Geburtstages u. a.: „Die wissenschaftlich-intellektuellen Fähigkeiten und Leistungen sind nur die eine Seite, die Sie zu so großem Erfolg hat kom  Schriftlich etwa in einem Brief an Appelt vom 14. 5. 1990 (Durchschlag im Archiv der MGH).   Arbeitsberichte Appelts für die Zeit von März 1970 bis März 1971 und April 1971 bis März 1972 (MGH-Archiv). 36 37



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men lassen. Hinzu kommt Ihre Hartnäckigkeit als Forscher und Ihre unbedingte Zuverlässigkeit, die sich nicht nur im Einhalten von Terminen und Zusagen zeigt, sondern vor allem im menschlichen Bereich. Hier dürfte einer der Gründe liegen, dass, abgesehen von Ihrer Anziehungskraft als akademischer Lehrer, Sie Ihren Mitarbeitern das Gefühl zu vermitteln vermochten, dass sie auf Ihre [Appelts] Zuverlässigkeit bauen konnten. ... Ich [so Fuhrmann] weiß aus eigener Tätigkeit, dass jedem Mitarbeiter eine Selbstschätzung vermittelt werden muß, damit er mit der Einsicht arbeitet, daß es auf ihn entscheidend ankäme – was ja auch der Fall ist. Und schon ist eine neue Seite der Leistung von Heinrich Appelt sichtbar: sein Organisationstalent, das die Aufarbeitung und das Voranschreiten als selbstverständlich erscheinen läßt“38. Dem ist nichts hinzuzufügen. Inzwischen sind die Arbeiten in Wien weitergelaufen – neben den Bemühungen um die Fertigstellung der Edition der Diplome Heinrichs VI. am Institut für Österreichische Geschichtsforschung steht bekanntlich derzeit die Ausgabe der Urkunden Philipps von Schwaben durch Andrea Rzihacek und Renate Spreitzer im Rahmen des Mittelalterzentrums der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erfolgreich nicht weit von ihrem Abschluss entfernt. Beide Damen waren Mitarbeiterinnen Appelts in seiner letzten Phase in Ausarbeitung der Edition der Urkunden Heinrichs VI. gewesen. Nicht weniger in der Tradition Appelts und der Wiener Schule stehen unsere Münchener Arbeiten an der Edition der Urkunden Kaiser Friedrichs II., in der mehr als zweieinhalbtausend Urkunden – und dies ohne Briefe, Manifeste und Deperdita – zu bewältigen sind, wobei die Überlieferung, die erfasst werden musste, in Archiven und Bibliotheken zwischen Stockholm und Malta, Spanien und dem Osten Europas liegt. Ja die Tatsache, dass Appelt mit der Edition der Urkunden Friedrich Barbarossas ein damals in seiner Dimension nicht für möglich gehaltenes Großprojekt erfolgreich zu Ende hatte führen können, war überhaupt die Voraussetzung dafür, dass man sich an Friedrich II. heranwagen konnte. Appelt hatte nämlich vorbildhaft gezeigt, dass große Vorhaben bei entsprechender Planung möglich sind. In meiner Antragstellung an die Deutsche Forschungsgemeinschaft 1984 habe ich daher auch auf das nachzuahmende Vorbild Appelts hingewiesen – in der Organisation der Arbeitsschritte, in der Kooperation mit dem Mitarbeiterteam wie auch in der unmittelbaren editionstechnischen Vorgangsweise. Auch die äußere Konstruktion bei uns in München im Rahmen des sogenannten Akademienprogramms, die Zusammenarbeit von Akademie – in unserem Fall der Bayerischen Akademie der Wissenschaften –, der Monumenta Germaniae Historica und mit einem Arbeitsplatz an der Universität folgt annähernd der Wiener Konstruktion39. Pragmatismus war eine der großen Stärken Appelts. Dies zeigte sich in vielem, nicht zuletzt in der Handhabung der Editionsrichtlinien. Stand er zwar grundsätzlich auf der Basis der von Theodor von Sickel in der (ersten) Vorrede zum ersten Band der Diplomata-Reihe (Conradi I., Heinrici I. et Ottonis I. Diplomata, 1879) sowie schon in den Instruktionen für die Mitarbeiter im ersten Band des Neuen Archivs (1876) aufgestellten Regeln, so war er sich nichtsdestoweniger im Klaren, dass diese Richtlinien nach dem Material – eben solchem des 12. Jahrhunderts – adaptiert werden mussten 40. Er   Brief an Appelt vom 30. 6. 1990 (Durchschlag im Archiv der MGH).   Erschienen sind bisher drei Bände: MGH DD. F.II., Bd. 1–3, ed. Walter Koch–Klaus Höflinger– Joachim Spiegel–[seit Bd. 2] Christian Friedl (Hannover 2002–2010). Es ist demnach die Zeit von 1198 bis 1220 aufgearbeitet. Ein vierter Band (bis Mitte 1222) steht derzeit vor dem Abschluss. Dem Unternehmen mit zehn projektierten Bänden ist insgesamt eine Laufzeit bis 2034 in Aussicht gestellt. 40  Diese Notwendigkeit ist bereits frühzeitig ausgesprochen, und zwar in einem Brief an Friedrich Baethgen vom 20. 12. 1956 (MGH-Archiv). 38 39

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stellte die von ihm im ersten Band der Barbarossa-Edition angewandten Modifikationen und Vorgangsweisen als Beispiel für ein Großunternehmen in einem Exposé für ein den Editionsmethoden gewidmetes Symposium der Commission Internationale de Diplomatique, das in Barcelona im Oktober 1974 stattfand, zusammen41. In unserer Arbeit an Friedrich II. machten wir uns die editionstechnische Vorgangsweise Appelts zu eigen – wiederum mit einigen wenigen Neuerungen, die sich aus dem Material des 13. Jahrhunderts, vor allem aus dem Zusammenstoß mit den sizilischen Kanzleiusancen, ergaben. Großangelegte Editionsunternehmungen und vor allem ihre Fertigstellung ziehen meist einen Boom an Publikationen, vielfach Spezialuntersuchungen, aber auch Monographien, nach sich. Immerhin liegen durch eine Edition kritisch aufgearbeitete und somit gesicherte Texte vor und – was für die wissenschaftliche Welt genauso wichtig ist – sie finden sich in einem einzigen Kompendium – und dies in Vollständigkeit – und müssen nicht in zahllosen, oft nur sehr schlecht zugänglichen Einzelpublikationen mühsam zusammengesucht werden. Dies gilt nicht weniger für die Staufer und somit auch für Friedrich Barbarossa, eine seit dem 19. Jahrhundert viel behandelte Thematik. So ist es markant und durchaus verständlich, dass etwa Alfred Haverkamp für die beiden von ihm 1989 und 1990 veranstalteten und Friedrich I. gewidmeten Symposien auf der Reichenau zwar als „äußeren Anlass“ die achthundertjährige Wiederkehr des Todestages Barbarossas nannte, aber als einen wesentlichen, ja eigentlichen Grund die durch Appelt und seine Mitarbeiter „abgeschlossene Edition der Diplome“ bezeichnete. In seiner Einleitung zum Tagungsband42 sprach er von der nunmehr „erheblich verbesserten Quellenerfassung“, die es ermögliche, Sichtweisen und Methoden der Forschung entsprechend zu nutzen und zu stützen. Aber auch schon vor der Fertigstellung der Barbarossa-Edition wurde von Appelt Kollegen in überaus großzügiger Weise Einblick in die Materialien bzw. noch halbfertigen Ausarbeitungen gewährt. So betonten etwa Gottfried Koch und Jürgen Petersohn ausdrücklich, dass die Monographie des ersteren „Auf dem Wege zum Sacrum Imperium“43 sowie die Studie des zweiten „Der Vertrag des Römischen Senats mit Papst Clemens III. (1188) und das Pactum Friedrich Barbarossas mit den Römern (1167)“44 ganz wesentlich ihr Entstehen der Möglichkeit der Benützung des Barbarossa-Apparates in Wien verdankten. Mitarbeiter des Wiener Barbarossa-Teams selbst legten mit ihren Arbeiten nicht nur wesentliche Grundlagen für die Kanzleigeschichte im Vorfeld der Edition, sondern werteten in einer Reihe von sehr speziellen Studien auch die fertigen Texte der Edition in größerem Zusammenhang aus. Ein Großunternehmen, das ganz wesentlich der Edition der Diplome Barbarossas verpflichtet ist, verdankt ebenfalls Heinrich Appelt sein Entstehen. Es ist dies die Bearbeitung der Regesten Friedrichs I., die Appelt in seiner Eigenschaft als langjähriger Obmann der 41   Ein Exemplar dieses Exposés findet sich im Ordner „Appelt“, zum Oktober 1974 eingereiht, im Archiv der MGH. 42  Alfred Haverkamp, Einführung, in: Friedrich Barbarossa. Handlungsspielräume und Wirkungsweisen des staufischen Kaisers, hg. von dems. (VuF 40, Stuttgart 1992) 9–47, hier 10. 43   Gottfried Koch, Auf dem Wege zum Sacrum Imperium. Studien zur ideologischen Herrschaftsbegründung der deutschen Zentralgewalt im 11. und 12. Jahrhundert (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 20, Wien–Köln–Graz 1972). 44  In MIÖG 82 (1974) 289–337. – Die jüngst erschienene umfassende Monographie Jürgen Petersohns, Kaisertum und Rom in spätsalischer und staufischer Zeit. Romidee und Rompolitik von Heinrich V. bis Friedrich II. (MGH. Schriften 62, Hannover 2010), die im Wesentlichen dem 12. Jahrhundert und vor allem den Bezügen Friedrich Barbarossas zur Stadt Rom gewidmet ist, zeigt nicht weniger die maßgebliche Rolle der Barbarossa-Edition Appelts für dieses Werk, in dem Petersohn jahrzehntelange Forschungen zum Abschluss bringt.



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Kommission für die Neubearbeitung der Regesta Imperii der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ins Leben rief. Als Bearbeiter gewann er Ferdinand Opll, der sich als Mitarbeiter an der Edition bewährt und als Vorarbeit dem Itinerar Barbarossas eine wertvolle Monographie gewidmet hatte45. Das Unternehmen wurde parallel zu den vier Urkundenbänden geführt und erschien zeitversetzt. Der erste der Bände, in die zu den Urkunden die erzählenden Quellen eingearbeitet sind, konnte 1980 veröffentlicht werden. Der vierte und letzte Band ist 2010 erschienen46. Opll ist übrigens auch durch eine Biographie Barbarossas hervorgetreten, die erstmals 1990 erschien und nunmehr schon in vierter Auflage vorliegt47. Ein unmittelbares und offenkundiges Nachleben der Edition Appelts findet sich in einer Reihe von Arbeiten, die die Vollständigkeit des Materials – und dieses über die Register auch vielfach gut abrufbar – voraussetzen, die also eine Auswertung der Bände nach bestimmten Gesichtspunkten vornahmen. Ich denke u. a. etwa an Rudolf Schieffers „Rheinische Zeugen in den Urkunden Barbarossas“48, Alheydis Plassmanns „Struktur des Hofes unter Friedrich I. Barbarossa nach den deutschen Zeugen seiner Urkunden“49, Theo Kölzers „Der Hof Friedrich Barbarossas und die Reichsfürsten“50, Michael Stephans „Statistische Anmerkungen zu den Urkunden Friedrichs I. Barbarossa“51, Heinz Kriegs „Herrscherdarstellung in der Stauferzeit. Friedrich Barbarossa im Spiegel seiner Urkunden und der staufischen Geschichtsschreibung“52 und Johannes Laudages „Der Hof Friedrich Barbarossas. Eine Skizze“53. Die Mediävistik wird heute vielfach – unter dem maßgeblichen Einfluss Gerd Althoffs und seiner Schule54 – von Begriffen wie „Inszenierung“, „Ritual“ und „Symbolik“ als Triebfedern des Geschehens bestimmt. Mein Münchener Kollege Knut Görich hat vor noch nicht allzu langer Zeit dem Begriff des honor imperii bzw. honor imperatoris als langfristigem Forschungsproblem und seiner Rolle in der wissenschaftlichen Entwicklung eine tiefschürfende Studie gewidmet55, trug doch seine umfangreiche Tübinger Habili45  Ferdinand Opll, Das Itinerar Kaiser Friedrich Barbarossas (1152–1190) (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 1, Wien–Köln–Graz 1978). 46   J. F. Böhmer, Regesta Imperii IV. Ältere Staufer, 2. Abt.: Die Regesten des Kaiserreiches unter Friedrich I. 1152 (1122)–1190, Lieferung 1: 1152 (1122)–1158, ed. Ferdinand Opll–Hubert Mayr (Wien–Köln–Graz 1980). Die zweite bis vierte Lieferung – unter alleiniger Bearbeitung von Ferdinand Opll – sind 1991 (2. Lief.: 1158–1168), 2001 (3. Lief.: 1168–1180) und 2010 (4. Lief.: 1181–1190) erschienen. 47   Ferdinand Opll, Friedrich Barbarossa (Darmstadt 42009). 48   In: Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande. Regionale Befunde und raumübergreifende Perspektiven. Georg Droege zum Gedenken, hg. von Marlene Nikolay-Panter–Wilhelm Janssen–Wolfgang Herborn (Köln–Weimar–Wien 1994) 104–130. 49  MGH Studien und Texte 20 (Hannover 1998). – Siehe zuletzt die reiche Verwendung der BarbarossaEdition sowie der bisher erschienenen Bände der Edition der Urkunden Friedrichs II. bei Alheydis Plassmann, Herrschaftspraxis. Möglichkeiten und Grenzen der Urkundenauswertung am Beispiel der Staufer in Burgund. AfD 56 (2010) 43–63. 50  In: Stauferreich im Wandel, hg. von Stefan Weinfurter (Mittelalter-Forschungen 9, Stuttgart 2002) 220–236. 51   In: Mabillons Spur. Zweiundzwanzig Miszellen aus dem Fachgebiet für Historische Hilfswissenschaften der Philipps-Universität Marburg zum 80. Geburtstag von Walter Heinemeyer, hg. von Peter Rück (Marburg an der Lahn 1992) 253–263. 52   VuF Sonderbd. 50 (Ostfildern 2003). 53   In: Rittertum und höfische Kultur der Stauferzeit, hg. von Johannes Laudage–Yvonne Leiverkus (Europäische Geschichtsdarstellungen 12, Köln 2006) 75–92. 54   Vgl. etwa Gerd Althoff, Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter (Darmstadt 2003). 55   Knut Görich, Die „Ehre des Reichs“ (honor imperii). Überlegungen zu einem Forschungsproblem, in: Rittertum und höfische Kultur der Stauferzeit (wie Anm. 53) 36–74.

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tationsschrift, die 2001 erschienen ist, den programmatischen Titel „Die Ehre Friedrich Barbarossas“56, in der er das Geschehen der Ereignisgeschichte unter dem Gesichtspunkt der Einforderung, der Verletzung bzw. der Wiederherstellung des kaiserlichen Honor thematisierte. Seine vor kurzem erschienene Biographie des Kaisers macht deutlich, dass für ihre Ausrichtung und seine eigene Fragestellung das Studium der Arengen und der Narrationen in den Urkunden von ganz essentieller Bedeutung waren57. Auch Appelt sah die wesentliche Bedeutung des „Honor“ für die ritterliche Welt des 12. Jahrhunderts und insbesondere für Friedrich Barbarossa selbst, wie er dies etwa in seiner „Kaiseridee Friedrich Barbarossas“, einem 1967 erstmalig publizierten Akademie-Vortrag58, thematisierte und dies auch in seiner Interpretation des Privilegium minus für Heinrich Jasomirgott herausstrich59. Er leistete demnach durchaus auch seinen Beitrag für diese heutige Sichtweise. Für ihn jedoch, für den nicht erzählende Quellen, sondern die rechts- und verfassungsgeschichtliche Auswertung der Urkunden überwiegend Inhalt seiner Studien war, stand honor imperii – meist als dem Kaiser zustehende Rechte gedeutet – zweifellos nicht im Zentrum seiner Aufsätze, mag er sich auch der Rolle des Honor-Denkens durchaus bewusst gewesen sein. Wie weit dies in einer Biographie Barbarossas, zu deren Abfassung er sich nach Ermunterung von verschiedenen Seiten in seinen letzten Lebensjahren allem Anschein nach durchzuringen begann und für die er schon Grundzüge entwarf, verstärkt der Fall gewesen wäre, ist nicht zu beantworten, wenn auch gut denkbar. Er kam bekanntlich nicht mehr dazu. Was immer an Publikationen zu Barbarossa, mit welcher Thematik immer, erscheint und wohl auch künftig erscheinen wird, wird an der großen Urkunden­ edition nicht vorbeigehen können. Sie ist der Garant für das bleibende Nachleben Appelts. Der Mensch Heinrich Appelt war geprägt von Selbstdisziplin, hohem Pflichtbewusstsein und Pünktlichkeit. Man konnte nach seinem täglichen Erscheinen im Institut, wo er bis zuletzt seinen Arbeitsplatz hatte, geradezu die Uhr stellen. Vornehme Haltung im Umgang mit Menschen, wer immer es war, zeichnete ihn aus. Seine Persönlichkeit in Verbindung mit seinem hohen Arbeitsethos half ihm, Schwierigkeiten in seinem äußeren Lebensweg wie auch schwere familiäre Schicksalsschläge zu ertragen und zu meistern. Sein wissenschaftliches Œuvre generell und seine monumentale Barbarossa-Edition im Besonderen geben ihm, solange die Mediävistik an Originalquellen interessiert ist, einen bleibenden Rang in der Geschichtswissenschaft. Autobiographische Skizzen bzw. Schriften mit autobiographischen Elementen Heinrich Appelt, Erinnerungen eines österreichischen Historikers an die Universität Breslau 1944/45. Jb. der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 28 (1987) 365–380. Heinrich Appelt, Die Mediävistik an der Universität Breslau am Vorabend des Zweiten 56  Knut Görich, Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12. Jahrhundert (Darmstadt 2001). 57  Knut Görich, Friedrich Barbarossa. Eine Biographie (München 2011). 58  Heinrich Appelt, Die Kaiseridee Friedrich Barbarossas (ÖAW, phil.-hist. Kl., SB 252/4, Wien 1967) 31, wieder abgedruckt in: Friedrich Barbarossa, hg. von Gunther Wolf (Wege der Forschung 390, Darmstadt 1975) 208–244, hier 241. 59  Heinrich Appelt, Privilegium minus (wie Anm. 13) 50f.



Heinrich Appelt und die Edition der Diplome Kaiser Friedrich Barbarossas 31

Weltkrieges. Jb. der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 30 (1989) 320–337. Heinrich Appelt, in: Recht und Geschichte. Ein Beitrag zur österreichischen Gesellschafts- und Geistesgeschichte unserer Zeit. Zwanzig Historiker und Juristen berichten aus ihrem Leben, hg. von Hermann Baltl–Nikolaus Grass–Hans Constantin Faussner (Studien zur Rechts-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte 14, Sigmaringen 1990) 9–22. Nachrufe Peter Csendes–Ferdinand Opll, Heinrich Appelt (1910–1998). Wiener Geschichtsblätter 65 (1998) 288–291. Othmar Hageneder, Heinrich Appelt †. MIÖG 107 (1999) 507–511. Walter Koch, Heinrich Appelt. DA 55 (1999) 413–415. Walter Koch, Zur Verleihung des Wissenschaftspreises an Univ. Prof. Dr. Dr. h. c. Heinrich Appelt, in: Reisen und Wallfahren im Hohen Mittelalter (Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 18, Göppingen 1999) 151–166 (Laudatio und Nachruf ). Gerhard Pferschy, Nachruf Heinrich Appelt. ZHVSt 89/90 (1999) 385–387. Josef Riedmann, Heinrich Appelt. ÖAW, Almanach 149 (1998/99) (Wien 1999) 463– 473. Schriftenverzeichnis bis 1979: MIÖG 88 (1980) 164–169 (Winfried Stelzer). ab 1980: Reisen und Wallfahren im Hohen Mittelalter (Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 18, Göppingen 1999) 163–166 (Walter Koch).





Konstanz und Wandel Zur Entwicklung der Editionstechnik mittelalterlicher Urkunden Theo Kölzer

„Wie soll man Urkunden ediren?“ Das ist nicht etwa eine eigenmächtige Neuformulierung des mir gestellten Themas, sondern der Titel eines Aufsatzes von Georg Waitz in der Historischen Zeitschrift von 18601. Waitz reagierte damit noch vor Eröffnung der Diplomata-Reihe der MGH auf einige jüngere Urkundeneditionen, um für die Zukunft bestimmte Normen festzulegen, nachdem er schon zehn Jahre zuvor die französische Neuausgabe des Bréquigny durch Pardessus scharf kritisiert hatte 2. Seinen Richtlinien lagen jetzt zugrunde Böhmers Ausgabe der Urkunden Konrads I., das Mittelrheinische Urkundenbuch und die Urkundenbücher der Herzöge von Braunschweig und Lüneburg sowie der Stadt Hannover3. Jean Mabillon, der Begründer der Diplomatik, hatte noch keine Anweisungen für die Erstellung einer Edition gegeben, aber im letzten Buch (VI) seines Werkes zahlreiche Urkundentexte nach dem Original oder einer ihm zugesandten Kopie ediert4, garniert – wie das ganze Werk – mit zahlreichen illustrierenden Kupferstichen, deren Detailgenauigkeit auch im Zeitalter von Photographie und Scanner beeindruckt. Solche „Beylagen“ oder „Pièces justificatives“ waren bereits den Streitschriften der seit dem 17. Jahrhundert geführten „Bella diplomatica“ beigegeben5 oder historischen Darstellungen, wie etwa Ughellis Italia 1   HZ 4 (1860) 438–448. Zur Diskussion um die Editionsprinzipien im Rahmen der MGH vgl. Horst Fuhrmann, Überlegungen eines Editors, in: probleme der edition mittel- und neulateinischer texte. Kolloquium der DFG, Bonn, 26.–28. Februar 1973, hg. von Ludwig Hödl–Dieter Wuttke (Boppard 1978) 1–34, bes. 18; Hartmut Hoffmann, Die Edition in den Anfängen der Monumenta Germaniae Historica, in: Mittelalterliche Texte: Überlieferung  – Befunde  – Deutungen, hg. von Rudolf Schieffer (MGH Schriften 42, Hannover 1996) 189–232. 2   Göttingische Gelehrte Anzeigen 1850/I, 604–616, 617–632; Diplomata, chartae, epistolae, leges aliaque instrumenta ad res Gallo-Francicas spectantia, prius collecta a Louis George Oudard Feudrix de Bréquigny et François Jean Gabriel La Porte du Theil, nunc nova ratione ordinata, plurimumque aucta ..., ed. Jean Marie Pardessus, 1–2 (Paris 1843, 1849, Nachdr. Aalen 1969). 3   Acta Conradi regis. Die Urkunden König Conrads I. 911–918, hg. von Johann Friedrich Böhmer (Frankfurt/M. 1859); Urkundenbuch zur Geschichte der, jetzt die Preussischen Regierungsbezirke Coblenz und Trier bildenden mittelrheinischen Territorien 1, ed. Heinrich Beyer (Coblenz 1860); Urkundenbuch zur Geschichte der Herzöge von Braunschweig und Lüneburg und ihrer Lande, ed. Hans Sudendorf, Teil 1 (Hannover 1859); Urkundenbuch der Stadt Hannover 1, ed. Carl Ludwig Grotefend–Georg Friedrich Fiedeler (Hannover 1860). 4  Jean Mabillon, De re diplomatica libri VI (Paris 1681) 461–648. 5   Eine Liste bei Carl Traugott Gottlob Schönemann, Versuch eines vollständigen Systems der allgemei-

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sacra oder der Gallia Christiana6. Urkundeninsertion in narrative Texte war schon dem Mittelalter nicht unbekannt, das sogar die Gattung der Chartularchronik hervorbrachte7. In all diesen Fällen ging es um die bloße Wiedergabe von Urkundentexten nach der greifbaren Überlieferung, nicht um „die Sorge um den rechten Text“8. Das gilt auch für die im 17. Jahrhundert einsetzenden Urkundensammlungen, die im 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt sahen9. Allenfalls wurden hier und da äußere Merkmale (Monogramme, Chrismen, Siegel) nachgebildet oder angedeutet, während andererseits die Texte nicht selten retuschiert oder Namen modernisiert wurden. Diese lange Vorgeschichte bleibe hier außer Betracht, ebenso grundsätzliche Probleme des Edierens lateinischer Texte10. Waitz11 forderte nun die „volle Authenticität des Textes“, gegründet „nur auf das Original oder die älteren Copien“, unter Beibehaltung aller Unebenheiten der Orthographie, konzedierte aber eine „das Verständnis der Urkunden erleichternde“ Interpunktion und die Normalisierung von u und v bzw. i und j sowie die Großschreibung von Personen- und Ortsnamen, von der er freilich die Monatsnamen sowie deus und dominus ausgenommen wissen wollte. Er forderte die Auflösung aller Abkürzungen – gegen die englische und italienische Praxis – und der chronologischen Daten, wollte dafür allerdings (wie in den älteren Scriptores-Bänden) arabische Ziffern verwenden „statt der viel Raum erfordernden und oft schwer zu übersehenden oder gar undeutlichen römischen“. Problematisch war und auch später noch diskutiert wurde sein Plädoyer für die Beseitigung „wirklicher Schreibfehler“. Überdies forderte Waitz eine dem Editionstext vorgesetzte knappe Inhaltsangabe, die genaue Beschreibung der Originale sowie die Auflösung der Ortsnamen im Register, und er fuhr fort: „Von geringerer Wichtigkeit, aber doch nicht ohne Bedeutung ist die Angabe früherer Drucke“; es genüge unter Umständen der jüngste oder beste Abdruck. Wenn aber mehrere angegeben würden, solle chronologisch geordnet und die Abhängigkeit geklärt werden. Diese restriktive Lösung wurde nur für die Edition der Urkunden Lothars III. angewandt, welche nur Drucke verzeichnet, die selbständige Überlieferungen darstellen; die komplette Sammlung sei Aufgabe eines Regestenwerkes12. nen besonders älteren Diplomatik 1 (Leipzig 21818) 213–229, beginnend mit dem Streit Erzstift Trier vs. St. Maximin: Archiepiscopatus et electoratus Trevirensis, per refractarios Monachos Maximinianos, aliosque, turbati (Augustae Trevirorum 1633); Nikolaus Zyllesius, Defensio abbatiae imperialis S. Maximini ... ([Trier] 1638). 6  Vgl. den Überblick in: Conseils pour l’édition des textes médiévaux 2: Actes et documents d’archives (Comité des travaux historiques et scientifiques, École nationale des chartes, Paris 2001) 31–51: L’évolution des pratiques éditoriales; Olivier Guyotjeannin–Jacques Pycke–Benoît-Michel Tock, Diplomatique médiévale (L’atelier du médiéviste 2, Turnhout [1993] 32006) 397–417, 453–455. 7  Hans Reppich, Die Urkunden in der Geschichtsschreibung des Mittelalters (Diss. Berlin 1924); Alessandro Pratesi, Cronache e documenti, in: Fonti medioevali e problematica storiografica. Atti del Congresso internazionale tenuto in occasione del 90° anniversario della fondazione dell’Istituto storico Italiano (1883– 1973) 1 (Roma 1976) 337–350; Girolamo Arnaldi, Cronache con documenti, cronache „autentiche“ e pubblica storiografia, ebd. 351–374. 8  Horst Fuhrmann, Die Sorge um den rechten Text. DA 25 (1969) 1–16; auch in: ders., Einladung ins Mittelalter (München 1987) 222–236, 293f. 9   Vgl. Schönemann, Versuch (wie Anm. 5) 236–254. Die Urkundensammlungen im deutschsprachigen Bereich stammen ausnahmslos aus dem 18. Jh. 10  Vgl. statt anderer R. B. C. Huygens, Ars edendi. Introduction pratique à l’édition des textes latins du moyen âge (Turnhout 2001). 11  Wie Anm. 1. 12   MGH DD. Lo.III., ed. Emil von Ottenthal–Hans Hirsch (Berlin 1927) X. Die hyperkritische Kenntlichmachung nicht unmittelbar voneinander abgeleiteter Drucke durch Komma und Gleichheitsszeichen gaben die Editoren, wie auch die späteren, auf.



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Entgegen der Praxis französischer Editoren sprach sich Waitz dafür aus, „daß die Verwerthung der Urkunden nicht mit der Bekanntmachung verbunden zu sein braucht, ja nicht passend verbunden wird“. Unabdingbar sei aber die Prüfung der Echtheit als Grundpflicht, v. a. hinsichtlich der „formelle(n) Richtigkeit“13. Das Ziel einer kritischen Edition und die Mittel der praktischen Umsetzung waren damit benannt, blieben aber im Detail strittig: – Wiedergabe bzw. Rekonstruktion des authentischen Textes; – genaue Beschreibung der Originale; – diplomatische Beurteilung der Urkunde ohne tiefergehende sachliche Kommentierung. Der erste Band der Diplomata-Reihe der MGH14, die 1872 vorgelegte Edition der merowingischen Königsurkunden von Karl Pertz15, dem Sohn des Leiters der MGH, zeigt sich von Waitz’ Vorschlägen und den zeitgenössischen Fortschritten der Diplomatik völlig unberührt und war ein wissenschaftliches Fiasko16. Die Gründe sind vielfältig: Die Aufgabe wurde von allen Beteiligten maßlos unterschätzt, denn wie kann man sich sonst erklären, dass man die Diplomata-Reihe ausgerechnet mit der schwierigsten Aufgabe eröffnen wollte, dazu mit einem völlig überforderten Editor, der zusammen mit seinem Vater angebotene Hilfe, z. B. vonseiten Theodor Sickels, ausgeschlagen hatte? Die Pertz’sche Merowingeredition war, wie die ausführlichen Rezensionen klarstellten17, bestenfalls eine Fortsetzung der vorwissenschaftlichen Editionspraxis: Sie war – wie sich erst während der Arbeit an der Neuedition herausstellte – im Grunde nur ein hier und da ohne erkennbares System leicht veränderter Nachdruck der seltenen Ausgabe Bréquignys (1791); den Beweis liefert das durch Zufall in der Heidelberger Universitätsbibliothek erhaltene Pertz’sche Handexemplar von Bréquignys Edition mit handschriftlichen Retuschen von der Hand von Karl Pertz und Bemerkungen wie: „Fertig für den Druck“ o. Ä.18. Bréquigny selbst hatte sich, dem Usus seiner Zeit entsprechend, vornehmlich auf ältere Drucke gestützt und nur gelegentlich auf Archivalien zurückgegriffen, etwa auf Originale und Chartulare aus dem Fonds St-Denis19. Dasselbe gilt für Karl Pertz, galt aber etwa auch für Ferdinando Ughelli († 1670), Jean Mabillon († 1707) u. a., die oft auf zugesandte Kopien von Gewährsmännern vertrauen mussten, die für den Druck allenfalls mehr oder weniger kenntnisreich retuschiert wurden; große Teile dieser Materialien sind erhalten20.   Waitz, Wie soll man Urkunden ediren (wie Anm. 1) 446f.   Für die Edition der Herrscherurkunden waren 1831 Georg Heinrich Pertz selbst und Johann Friedrich Böhmer vorgesehen, doch trat Letzterer 1845 von dieser Aufgabe zurück und veröffentlichte 1859 die Urkunden Konrads I. selbständig (oben Anm. 3): Harry Bresslau, Geschichte der Monumenta Germaniae historica (NA 42, Hannover 1921) 173, 355–367. 15   MGH DD. Mer. (1872), ed. Karl August Friedrich Pertz (Hannover 1872). 16   Carlrichard Brühl, Studien zu den merowingischen Königsurkunden, hg. von Theo Kölzer (Köln– Weimar–Wien 1998) 1–49. 17   Karl Friedrich Stumpf, Ueber die Merovinger Diplome in der Ausgabe der Monumenta Germaniae historica. HZ 29 (1873) 343–407; Theodor Sickel, Monumenta Germaniae Historica. Diplomatum Imperii tomus I, besprochen von Th. S. (Berlin 1873); Auguste Longnon, in: Revue critique d’histoire et de littérature 7/ II (1873) 74–83, 89–97, 107–118, 121–131 = (separat) Examen géographique du Tome Ier des Diplomata Imperii (Monumenta Germaniae Historica) (Paris 1873). 18   Carlrichard Brühl, Die Urkunden der Merowingerkönige. Bemerkungen zu der künftigen Edition, in: Documenti medievali greci e latini. Studi comparativi, ed. Giuseppe De Gregorio–Otto Kresten (Incontri di studio 1, Spoleto 1998) 1–16, bes. 5f. Zur Neuedition vgl. Anm. 40, 48. 19   Brühl, Studien zu den merowingischen Königsurkunden (wie Anm. 16) 7. 20   Zu Ferdinando Ughellis Unterlagen vgl. Horst Enzensberger, Beiträge zum Kanzlei- und Urkun13 14

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Theodor Sickel Das Desaster des Eröffnungsbandes der Diplomata-Reihe der MGH trug bekanntlich zum Sturz der „Dynastie“ Pertz bei und führte zur Neuorganisation der MGH unter der Leitung von – Georg Waitz! Ein doppelter Fehlstart also zu Beginn, wenn man Böhmers verunglückte Edition der Urkunden Konrads I. hinzu nimmt21, zugleich aber Licht am Ende des Tunnels in Gestalt von Theodor Sickel (1826–1908), der als junger Mann gleichsam als „Gasthörer“ die École des chartes hatte besuchen dürfen und so mit der französischen Diplomatik eng vertraut wurde. In Wien wohl nicht ganz freiwillig auf die Historischen Hilfswissenschaften festgelegt22, entwickelte Sickel mit seinen „Acta Karolinorum“ von 186723 eine gegenüber Mabillon erheblich verbesserte und verfeinerte diplomatische Methodik. Für die praktische Umsetzung wählte Sickel dann jedoch die ostfränkischen Herrscherurkunden des 10. Jahrhunderts. Der erste Band erschien in zwei Teilen 1879 bzw. 188424, und zwar nicht mehr in dem von Böhmer kritisierten „Foliokrinolinformat“ der „Scriptores“ und der Merowingeredition25, sondern in Quart. In den beiden Vorreden erläuterte Sickel die Prinzipien seiner Edition, der weltweit ersten wirklich kritischen Urkundenedition. Sie war im Grundsatz das maßgebliche Vorbild für alle künftigen Diplomata-Bände, die in Kürze das gesamte Mittelalter bis Ende des 12. Jahrhunderts abdecken werden26 und bereits in das 13. Jahrhundert ausgreifen27. Sie galt überdies – trotz mancher Abweichungen im Detail – auch als Richtschnur für andere nationale Editionsunternehmen, etwa im Rahmen der „Fonti per la storia d’Italia“ (ab 1903)28, denwesen der normannischen Herrscher Unteritaliens und Siziliens (Münchener historische Studien. Abt. Geschichtl. Hilfswissenschaften 9, Kallmünz 1971) 22–27; zu Materialien der Mauriner vgl. Léopold Delisle, Le Cabinet des manuscrits de la Bibliothèque impériale 2 (Histoire générale de Paris 6, Paris 1874) 67f. 21   Vgl. oben Anm. 3. 22  Heinrich Fichtenau, Diplomatiker und Urkundenforscher. MIÖG  100 (1992) 9–49, bes.  17. Zur Person vgl. Winfried Stelzer, Art. Sickel, Friedrich Adolf Theodor Ritter v. NDB 24 (Berlin 2010) 309–311. Zur Geschichte der Wiener Diplomata-Abteilung vgl. Bettina Pferschy-Maleczek, Die Diplomata-Edition der Monumenta Germaniae Historica am Institut für Österreichische Geschichtsforschung (1875–1990). MIÖG 112 (2004) 412–467. 23  Theodor Sickel, Acta regum et imperatorum Karolinorum digesta et enarrata 1–2 (Wien 1867). 24  MGH DD. Ko.I., H.I., O.I., ed. Theodor Sickel (Hannover 1879–1884). 25   Bresslau, Geschichte der Monumenta (wie Anm. 14) 358f., 362–365, 367. In dem neuen Format erschienen auch die MGH SS seit Bd. 31 (1903); nur der Supplementbd. 30/2 (1926–1934) orientierte sich verständlicherweise noch an dem Folioformat von Bd. 30/1 (1896). 26  Weit fortgeschritten sind die Editionen der Urkunden Ludwigs d. Fr., Heinrichs V. und Heinrichs VI. 27   Jenseits der Urkunden Friedrichs  II. (siehe Anm.  46) sind in Arbeit bzw. erschienen die Urkunden Philipps von Schwaben, Ottos IV., Heinrichs (VII.), Manfreds und Konradins. 28   Der Bearbeiter, Luigi Schiaparelli, war Mitarbeiter des Sickel-Schülers Paul Fridolin Kehr. Zu den Normen vgl. Norme per le pubblicazioni dell’Istituto storico italiano. BISI 28 (1906) VII–XXI; Alessandro Pratesi, Una questione di metodo: l’edizione delle fonti documentarie, in: ders., Tra carte e notai. Saggi di diplomatica dal 1951 al 1991 (Miscellanea della Società Romana di storia patria 35, Roma 1992) 7–48 (Erstdruck in: Rassegna degli Archivi di Stato 17 [1957] 312–333); ders., Fonti narrative e documentarie. Problemi e metodi di edizione, ebd. 33–44 (Erstdruck in: Actum Luce 6 [1977] 25–37); Armando Petrucci, L’edizione delle fonti documentarie: un problema sempre aperto. RSI 75 (1963) 69–80; Progetto di norme per l’edizione delle fonti documentarie. BISI 91 (1984) 491–503; Attilio Bartoli Langeli, L’edizione dei testi documentari. Riflessioni sulla filologia diplomatica. Schede medievali 20/21 (1991) 116–131; Maria Pia Alberzoni, Considerazioni su nuove proposte metodologiche nell’edizione delle fonti in ambito italiano, in: Vom Nutzen des Edierens. Akten des internationalen Kongresses, hg. von Brigitte Merta–Andrea Sommerlechner–Herwig Weigl (MIÖG Ergbd. 47, Wien–München 2005) 313–328.



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der „Chartes et diplômes“ (ab 1908)29 oder andere30. Nur England blieb in „splendid isolation“ und hielt bis in die 1970er Jahre an sogenannten diplomatischen, „imitativen“ Editionen fest31. Normierungsversuche seitens der Commission internationale de Diplomatique, sehr stark von den französischen Kollegen geprägt32, blieben ohne erkennbares Echo33; sie waren gegenüber fest eingebürgertem Brauch a priori wenig aussichtsreich und eigentlich auch unnötig, weil diese nationalen Besonderheiten in der Sache unerheblich, aber für den Benutzer klar und transparent sind. Mit Fug und Recht kann man daher Sickels Ottonen-Editionen als epochales Ereignis in der Geschichte der diplomatischen Editionen werten. Seine maßgeblichen Festlegungen betrafen drei Bereiche: 1.  Die Normierung der Architektur einer Edition: Fortlaufende Nummer, Kopfregest, Ort und Zeit der Ausstellung, Überlieferung, Drucke und Regesten, diplomatische Vorbemerkung mit Aussagen zu Schreiber und Diktat und daran anschließend der Urkundentext. 2.  Die Einbeziehung der äußeren Merkmale in den Editionstext durch standardisierte Siglen und Zeichen und die Kennzeichnung der Vorlagenverwendung (Petitdruck und Asterisk)34. 3.  Das Ziel, den ursprünglichen, authentischen Text nicht nur für Originale und Pseudo-Originale zu präsentieren, sondern jeweils auch aus der kopialen Überlieferung zu rekonstruieren durch Adaptation der historisch-kritischen philologischen, der Lachmann’schen Methode. Der letzte Punkt ist in meinen Augen der wichtigste, und dieser wirklich revolutionäre Schritt hatte auch einen biographischen Hintergrund, denn Sickel wuchs nach dem Tod seines Vaters in Lachmanns Haus auf, und er bezeugt, von Lachmann selbst in dessen 29   Als letzte Edition erschien: Recueil des actes de Louis VI, roi de France (1108–1137), ed. Jean Dufour, 1–4 (Paris 1992–1994). Bzgl. der Königsurkunden klaffen noch erhebliche Lücken; vgl. Olivier Guyotjeannin, Éditions diplomatiques et recherche historique: quelques remarques sur le cas français (XIXe–XXe siècles), in: Vom Nutzen des Edierens (wie Anm.  28) 303–312, bes. 307 Anm.  11. Schnellere Fortschritte macht die Edition von Chartularen: Les cartulaires, hg. von Olivier Guyotjeannin–Laurent Morelle–Michel Parisse (Mémoires et documents de l’École des chartes 39, Paris 1993). 30  Für die Editionen der Académie royale de Belgique, Commission royale d’histoire, Recueil des princes belges (Koninklijke Academie van België, Koninklijke Commissie voor Geschiedenis, Verzameling van de akten der belgische vorsten) sei nur der zuletzt erschienene Band genannt: De oorkonden der graven van Vlaanderen (Juli 1128–September 1191) II: Uitgave 3: Regering van Filips van de Elzas (tweede deel: 1178–1191), ed. Thérèse de Hemptinne–Adriaan Verhulst (†)–Lieve de Mey (Recueil des actes des princes belges / Verzameling van de akten der belgische vorsten 6/II/3, Bruxelles/Brussel 2009). 31  The Acts of William I King of Scots 1165–1214, ed. Geoffrey W. S. Barrow (Regesta regum Scottorum 2, Edinburgh 1971); vgl. Petrucci, L’edizione (wie Anm. 28) 75–79. In jüngeren Bänden ist das System aufgegeben: The Acts of David II King of Scots 1329–1371, ed. Bruce Webster (Regesta regum Scottorum 6, Edinburgh 1982); Regesta Regum Anglo-Normannorum: The Acta of William I (1066–1087), ed. David Bates (Oxford 1998). 32  Robert-Henri Bautier, Normalisation internationale des méthodes de publication des documents latins du Moyen Age. Bulletin philologique et historique 1976, 9–54. 33  Normes internationales pour l’édition des documents médiévaux, in: Diplomatica et sigillographica (Folia Caesaraugustana 1, Zaragoza 1984) 13–54; ebd. 55–64 Empfehlungen für die Edition von Urkundenbüchern, 65–74 für die Edition von Briefen und Korrespondenzen. Die Vorschläge sind gespiegelt in: Conseils pour l’édition des textes médiévaux 1: Conseils généraux (Comité des travaux historiques et scientifiques, École nationale des chartes, Paris 2001) und Conseils 2 (wie Anm. 6); Guyotjeannin–Pycke–Tock, Diplomatique médiévale (wie Anm. 6) 10–13, 397–417. 34   Nach Stuart Jenks, Dekonstruktion und Rekonstruktion der Quellenedition. Mitteilungen aus dem Bundesarchiv 11/1 (2003) 5–13, hier 6, erscheint eine solche Anlage „für die Anfänger ... wie Funksignale einer fremden Zivilisation aus dem Weltall“.

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Methode eingeführt worden zu sein35, wie auch Georg Waitz Mitglied in Lachmanns Seminar gewesen war36. Und obwohl die Lachmann’sche Methode bei den Philologen viel von ihrem einstigen Glanz verloren hat, ja geradezu in Misskredit geraten ist 37, gelten für die Diplomatik doch andere Voraussetzungen. Denn jedes editorische Bemühen im Bereich der Diplomatik zielt auf einen klar definierten Punkt: die Ausfertigung, der man sich lege artis auch aus späterer Überlieferung zumindest annähern können sollte. Die kritische Edition mag im Bereich der Philologien inzwischen ein „Mythos“ sein38, in der Diplomatik ist sie es keineswegs, sondern ein erstrebenswertes und erreichbares Ziel. Sie hat in der Sickel’schen Methodik und Editionspraxis ihren bewährten Halt, wohingegen fortwährende „turns“ bekanntlich Schwindel und gelegentlich Orientierungsverlust verursachen39. Gleichwohl habe ich angesichts der Besonderheiten der Merowingeredition nur von einem „Zwischenergebnis“ gesprochen in dem klaren Bewusstsein, die Hoffnung auf eine definitive Edition niemals erfüllen zu können40. Die Kanzleimäßigkeit, die von Sickel eingeführte zentrale Bewertungskategorie, wird überprüft mittels Schrift- und Diktatvergleichs. Letzterem begegnen unsere französischen Kollegen nach wie vor mit großer Skepsis, und manche Fehlleistungen schienen ihre Vorbehalte zu bestärken. Gleichwohl hat Heinrich Appelt die Berechtigung und den Wert dieses methodischen Mittels nachdrücklich verteidigt41, und die moderne computergestützte Kontextlinguistik gibt ihm recht42. Klar ist nach den Vorgaben Sickels auch, dass der Aufwand für eine kritische Edition sprunghaft stieg: systematische Sammlung des Materials, recensio, emendatio, begleitet von Schrift- und Diktatuntersuchungen, und schließlich die Anfertigung erschließender Register mit Identifizierung auch der Orte sind ein ungleich größerer Aufwand als die Transkription der erstbesten Überlieferung. Dabei hatte Sickel zunächst nicht einmal ein Wortregister geplant, „weil ich den rechten Umfang desselben nicht zu bestimmen wusste“43. In dieser Hinsicht haben die Editionen Theodor Schieffers und Heinrich Appelts neue Qualitätsstandards gesetzt: Die Register schlagen nicht selten mit einem Drittel des Gesamtumfangs zu Buche, aber erst so werde 35  Peter Rück, Fünf Vorlesungen für Studenten der Ecole des chartes, Paris, in: Arbeiten aus dem Marburger hilfswissenschaftlichen Institut, hg. von Erika Eisenlohr–Peter Worm (elementa diplomatica 8, Marburg 2000) 243–315, hier 266. Zur Lachmann’schen Methode vgl. Sebastiano Timpanaro, La genesi del metodo del Lachmann (Bibliotechina del saggiatore 18, Firenze 1963); Harald Weigel, „Nur was du nie gesehn wird ewig dauern“. Carl Lachmann und die Entstehung der wissenschaftlichen Edition (Rohrbach-Wissenschaft. Reihe Litterae, Freiburg i. Br. 1989). 36   Fuhrmann, Überlegungen eines Editors (wie Anm. 1) 19. 37  Statt anderer vgl. Werner Schröder, Bumke contra Lachmann oder: Wie die „Neue Philologie“ die mittelhochdeutschen Dichter enteignet. Mittellateinisches Jahrbuch 33 (1998) 171–183; Edith Wenzel, „Original“ oder Fassungen? Zum aktuellen Forschungsstand in der germanistischen Mediävistik, in: Vom Nutzen des Edierens (wie Anm. 28) 65–72. 38   Colette Sirat, Les éditions critiques: un mythe?, in: Les problèmes posés par l’édition critique des textes anciens et médiévaux, ed. Jacqueline Hamesse (Louvain-la-Neuve 1992) 159–170, bes. 166: „L’édition critique est un mythe parce qu’elle veut être parfaite ou totale, revenir au texte authentique ou donner un tableau complet de la manuscrite. Dans les deux cas, nous savons maintenant que cela est impossible.“ 39   Theo Kölzer, Diplomatik und Urkundenpublikationen, in: Historische Hilfswissenschaften. Stand und Perspektiven der Forschung, hg. von Toni Diederich–Joachim Oepen (Köln–Weimar–Wien 2005) 7–34, hier 11. 40  MGH DD. Mer. 1, ed. Theo Kölzer (Hannover 2001) VII. 41  Heinrich Appelt, Die Kaiseridee Friedrich Barbarossas (ÖAW, phil.-hist. Kl., SB 252/4, Wien 1967), Nachdr. in: Friedrich Barbarossa, hg. von Gunther Wolf (Wege der Forschung 390, Darmstadt 1975) 208– 244, hier 209f.; s. auch MGH DD. F.I., ed. Heinrich Appelt et al. (Hannover 1975) 1 X–XII. 42  Kölzer, Diplomatik und Urkundenpublikationen (wie Anm. 39) 16. 43  MGH DD. O.I., ed. Theodor Sickel (Hannover 1879) XVIII.



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die Edition laut Schieffer „zu einer Klaviatur ..., auf der Historiker und Diplomatiker, Juristen und Philologen mit der wünschenswerten Sicherheit spielen können“44. Dass die modernen Recherchefunktionen des Computers dem Editor künftig diese Mühsal ersparen, würde ich aus Eigeninteresse gerne glauben wollen, erwarte es aber nicht, denn die Register sind zugleich Teil der Interpretation des Editors (und ihre Erstellung bewahrt ihn in der Regel vor mancherlei Irrtümern ...). Aber der aufgrund unserer vorläufigen Arbeitstexte vom Computer als Hilfsmittel erstellte keyword-in-context-Index leistet uns bei Ludwig d. Fr. wertvolle Hilfe bei der emendatio und beim Diktatvergleich und wird auch das Registermachen entscheidend erleichtern45. Es geht seit Sickel eben nicht mehr bloß um das Bereitstellen von Texten zur bequemen Benutzung, obwohl auch das ein Verdienst sein kann, wie etwa Huillard-Bréholles’ „Historia diplomatica Friderici secundi“ zeigt46. Es geht um das Bereitstellen von nach wissenschaftlichen Standards kritisch geprüften und gesicherten Urkundentexten – das ist ein Unterschied, wie man heutzutage immer häufiger klarmachen muss. Denn der substantielle Zuwachs des ersten Ottonen-Bandes hielt sich in Grenzen: ein neues Fragment (D O.I. 370) und sechs vollständige Texte für bis dahin nur fragmentarisch bekannte Urkunden47. Ähnliches gilt auch für unsere Merowinger-Edition, die nur ein Ineditum enthält (D. Merov. †54), aber im discrimen veri ac falsi drastische Neubewertungen vornimmt48. Aber niemand, auch unter den heutigen Gutachtern, wird den gewaltigen Erkenntnisfortschritt der Sickel’schen Edition infrage stellen, auch wenn wir derzeit bemüht sind, die betagte Edition mittels einer Datenbank à jour zu halten49 – bislang übrigens fast ausschließlich mit Unterstützung von computerfrei sozialisierten älteren Fachkollegen. Bedenkenswert ist schließlich auch Sickels Feststellung: „Das Hauptaugenmerk auch der königlichen Kanzlei war darauf gerichtet für das Rechtsleben giltige Zeugnisse über bestimmte Rechtshandlungen zu schaffen und nicht darauf historisches Zeugniss für alle die Handlung begleitende Nebenumstände abzulegen“50. Das wird offenbar heute von manchen anders gesehen51.

44   MGH DD. Lo.I., ed. Theodor Schieffer (Berlin–Zürich 1966) XVII. Das Wortregister erarbeitete Schieffers Schüler Hans Heinrich Kaminsky, später Professor in Gießen. 45  Die technische Durchführung lag in den bewährten Händen von Herrn Dr.  Horst Zimmerhackl (MGH). 46  Jean-Louis-Alphonse Huillard-Bréholles, Historia diplomatica Friderici secundi 1–6/2 (Paris 1852– 1861, Nachdr. Torino 1963); auf ihn nimmt Böhmer, Acta Conradi I. regis (wie Anm. 3) 3, implizit Bezug. Die in Arbeit befindliche Edition von Walter Koch (München) wird etwa ein Drittel mehr Texte enthalten: Walter Koch, Das Projekt der Edition der Urkunden Kaiser Friedrichs II., in: Friedrich II., hg. von Arnold Esch– Norbert Kamp (BDHIR 85, Tübingen 1996) 87–108. Ähnliches gilt auch für die umfangreichste Sammlung von Urkunden Ludwigs d. Fr. bei Martin Bouquet, Recueil des historiens des Gaules et de la France 6 (Paris 2 1870) 450–632. 47   MGH DD. O.I. XIV. 48   Theo Kölzer, Die Edition der merowingischen Königsurkunden. Voraussetzungen und Folgen, in: Vom Nutzen des Edierens (wie Anm. 28) 285–296. 49  http.://www.mgh.de/datenbanken/diplomata-ergaenzungen/. 50  MGH DD. O.I. XVIII. 51  Vgl. etwa Peter Worm, Beobachtungen zum Privilegierungsakt am Beispiel einer Urkunde Pippins II. von Aquitanien. AfD 49 (2003) 15–48.

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Sickels Erben In der Zeit nach Sickel, so urteilt ein Kollege, sei „die Editionstechnik nicht mit Siebenmeilenstiefeln voran(geschritten), sondern millimeterweise“52. Das war kritisch gemeint aus der Sicht eines Computer-Fans, kann aber doch auch positiv gesehen werden: Denn Sickels Prinzipien sind im Grundsatz bis heute normsetzend, wenn sich auch manche Adepten mehr oder weniger begründete Abänderungen erlaubten53, und dazu zählt auch unsere Merowingeredition54. Das ist hier nicht im Einzelnen zu diskutieren, obwohl der exkulpierende Begründungsaufwand gelegentlich sogar einen gewissen Unterhaltungswert hat: ob man Archivsignaturen angeben solle, ob Ort oder Datum in der Datierungsangabe voranzustellen sei, ob man die Maße eines Originals angeben solle und wo, ob man Drucke, Regesten und Faksimiles getrennt oder in einem Block nennen müsse, welches Siglen-System für die Überlieferung anzuwenden sei, ob Fälschungen chronologisch einzureihen oder geschlossen ans Ende zu setzen seien, ob man auch Briefe aufnehmen müsse usw. Erinnert sei aber daran, dass Sickel selbst schon gewissen hyperkritischen Auswüchsen vorzubeugen versucht hatte, denn kritisch sein heißt nicht nur „urteilen“, sondern auch „auswählen“. So sei z. B. im Apparat „auf rein orthographische Varianten“ kein Wert zu legen55, und dasselbe sollte auch für den Petitdruck gelten, weil sonst der Druck „zu buntscheckig“ würde56; selbst die Varianten ac / atque, vel / aut, ipsius / eiusdem usw. wollte er vernachlässigt wissen, ebenso Wortumstellungen, die z. B. Bresslau später durch Sperrdruck kenntlich zu machen pflegte. Die Interpunktion solle der Verdeutlichung dienen, die Vorbemerkung der Erklärung und Beurteilung der Urkunde. Und gegenüber einer allzu schematischen Behandlung der Texte betonte Sickel weise, „daß die conforme Behandlung der Texte in der Anerkennung und Beibehaltung der Mannigfaltigkeit besteht“57. Gegenüber Sickel hat sein Schüler Paul Fridolin Kehr nicht nur die Erfassung der kopialen Überlieferung befürwortet, sondern auch ihre Berücksichtigung im Apparat gefordert58, was zugleich die Einbeziehung der Wirkungsgeschichte einer Urkunde bedeutete. Das hat sich zu Recht nicht durchgesetzt59, weil es eine ganz neue Dimension eröffnet   Jenks, Dekonstruktion (wie Anm. 34) 8 mit Anm. 11.   Alfred Gawlik, Ziele einer Diplomata-Edition, in: Mittelalterliche Textüberlieferungen und ihre kritische Aufarbeitung (München 1976) 52–59; Walter Koch, Eine Urkundenedition im Rahmen der Monumenta Germaniae Historica und ihre Anforderungen, in: Historische Edition und Computer. Möglichkeiten und Probeme interdisziplinärer Textverarbeitung und Textbearbeitung, hg. von Anton Schwob–Karin KranichHofbauer–Diethard Suntinger (Graz 1989) 13–28. 54   Zeilengetreue Edition der Papyrus-Urkunden mit Kennzeichnung der Kürzungen und Ausmessen der Lücken; Siglenvergabe gemäß Überlieferungsart; besondere Kennzeichnung des Datums (aufgelöst, erschlossen, historisch unmöglich); Einreihung der Spuria; ausführlichere Vorbemerkungen usw. 55  MGH DD. O.I. IX. 56  Das gilt gelegentlich auch für die ausufernde Auszeichnung von Vorlagen, v. a. bei größeren Fälschungskomplexen. Dass ein Fälscher sogar für einzelne Wörter jeweils auf eine andere Vorlage zurückgegriffen hätte, ist nicht vorstellbar, sondern fehlgeleitete Hyperkritik, aufseiten des Fälschers das Resultat von Kryptomnesie; vgl. Theo Kölzer, Ein Fälscher bei der Arbeit: Abt Berengoz von St. Maximin. Landeskundliche Vierteljahrsblätter 47 (2001) 161–172, bes. 166. 57  MGH DD. O.I. XV. 58  MGH DD. LdD., ed. Paul Kehr (Berlin 1934) VIII. 59  Ähnlich plädiert freilich auch Theodor Schieffer, MGH DD. Lo.I. XIIf.; MGH DD. Burg., ed. ders. (München 1977) XII. 52 53



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und der damit verbundene zusätzliche Arbeitsaufwand nicht zu rechtfertigen ist und – zumindest bei umfangreicheren Editionen – auch gar nicht zu leisten wäre. Schon Waitz hatte dafür plädiert, „wirkliche Schreibfehler“ in den Originalen zu beseitigen, und Mühlbacher hat dies noch in der Karolinger-Edition durchexerziert – übrigens gegen die Vorbehalte seines Mitarbeiters Tangl60. Methodenkonform im Sinne Lachmanns sind solche Eingriffe natürlich nicht, ganz abgesehen davon, dass z. B. die von Rainer Maria Herkenrath entdeckten Legastheniker in der Kanzlei Barbarossas61 einer Spontanheilung unterzogen würden. Die heutige Editionspraxis hat in souveräner Weise Theodor Schieffer in seiner Edition der beiden Lothare von 1966 umschrieben, in der er sich ausdrücklich zu Sickels Prinzipien bekennt, ohne auf „eine gewisse Abrundung“ zu verzichten62. Auch er spricht sich für eine Ausdünnung des Varianten-Apparates aus, wobei freilich der Wert der einzelnen Überlieferungen erkennbar bleiben und die Entscheidung über die Textkonstituierung deutlich werden müsse. Andererseits befürwortet er – ähnlich wie Sickel – die Einbeziehung von Varianten der Wirkungsgeschichte, um eventuell spätere Manipulationen zu markieren, wie das z. B. bei Eberhard von Fulda der Fall ist. Bezüglich der Suche nach kopialen Überlieferungen rät Schieffer – wohl auch aufgrund des Verlustes seines ersten Editionsapparates im Krieg – zu Augenmaß, zu einer vernünftigen Abwägung von Aufwand und Ertrag, weil übertriebener Ehrgeiz leicht zu einem „zeit- und kräftevergeudenden Sport“ ausufern könne. Dem ist zuzustimmen, zugleich aber zu unterstreichen, dass eine Edition nicht nur vom Schreibtisch aus gemacht werden kann im Vertrauen auf das Engagement der Archivare und Bibliothekare vor Ort. Man wird erwarten dürfen, dass den bekanntgewordenen Archivspuren nachgegangen wird, aber niemand kann verlangen, dass in der Hoffnung auf Finderglück lange Reihen frühneuzeitlicher Prozessakten in Paris oder Neapel systematisch durchgesehen werden63. Andererseits hat unsere Merowingeredition ganz erheblich profitiert von der entsagungsvollen Durchsicht frühneuzeitlicher Gelehrten-Handschriften, die Josef Semmler während seiner Zugehörigkeit zu dem Vorläuferinstitut des DHI in Paris durchgeführt hat64. Aber aktuell, in der Schlussphase der Edition Ludwigs d. Fr., gehen wir offen gestanden nicht mehr jeder noch so vagen Spur nach und gönnen das „Heureka!“ glücklicheren Rezensenten. Als eine wichtige Abweichung gegenüber Sickel und Kehr verlangte Schieffer, dass bei den Editionsentscheidungen der Eindruck zu vermeiden sei, „als handele es sich um Akte einer vor profanen Blicken verschleierten Arkandisziplin“65. In aller Kürze seien daher „Roß und Reiter“ bzgl. der diplomatischen Probleme zu nennen, ohne den Benutzer ausschließlich auf begleitende Studien zu verweisen, wie es bei den ex cathedra gefällten apodiktischen Urteilen Sickels der Fall ist. Wichtig war Schieffer überdies eine „angemessene 60  MGH DD. Kar. I, ed. Engelbert Mühlbacher–Alfons Dopsch–Johann Lechner–Michael Tangl (Hannover 1906)  XI. Vgl. auch die Rezension von Karl Uhlirz in: Deutsche Literaturzeitung  1907, 1519– 1527, bes. 1522ff.; DD. Lo.III. X. 61  Rainer M. Herkenrath, Ein Legastheniker in der Kanzlei Barbarossas. Studien zum kaiserlichen Notar Arnold II. D (1152–1155). AfD 33 (1987) 269–291; dort wird auch Arnold II. C (Gottfried von Viterbo!) behandelt. 62  MGH DD. Kar. I XII. 63   Neapel, Archivio di Stato, Processi di Regio Padronato; Paris, Archives Nationales, Bestand JJ. 64  MGH DD. Mer. 1 XII. 65  MGH DD. Lo.I. XIII.

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Berücksichtigung des historischen Aspektes“, wohingegen Sickel „an einer esoterischen Diplomatik sein Genügen“ gefunden habe66. An anderer Stelle betont Schieffer, dass eine Urkundenedition schließlich „ein Hilfsmittel für die historische, nicht nur für die diplomatische Forschung“ sei67. Schon Mühlbacher, Kehr und Bresslau hatten der historischen Erschließung mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Und Horst Fuhrmann hat die Editoren allgemein vor der „Gefahr der Verkümmerung zur Editionsvirtuosität“ gewarnt, sie daran erinnert, dass sie doch in erster Linie Historiker seien, und festgestellt: „Die Sorge um den rechten Text bedeutet auch die Sorge um das rechte Verständnis der kritisch aufgearbeiteten Überlieferung, und beides hat ein Herausgeber in den Blick zu nehmen und im Blick zu behalten“68. Natürlich liegt es Schieffer fern, für jede Einzelurkunde zugleich eine tiefe sachliche Erschließung zu fordern, aber knappe Hinweise auf die geschichtliche Situation, den Rechtsinhalt, die beteiligten Personen usw. – wie dies unsere französischen Kollegen praktizieren – gehören unseres Erachtens sehr wohl zur Bringschuld des Editors, wobei auch diesbezüglich arbeitsökonomische Grenzen des Leistbaren zu beachten sind. Zugleich sollten aber giftige Rezensenten beachten, dass wir längst nicht alles zitieren, was wir gelesen haben, dass längst nicht jeder nur bibliographisch erfasste Titel hält, was er verspricht69, und dass schließlich das Ermitteln und Beschaffen von Literatur eher lokalen oder regionalen Zuschnitts, erst recht aus dem Ausland, mitunter höchst beschwerlich ist. Eingebürgert ist inzwischen, dass nicht-urkundliches Material (Briefe, Capitularien, Manifeste etc.) in der Regel ausgespart bleibt70, doch hat Schieffer aus sachlichen Gründen auch Privaturkunden, Konsensakte und ergänzende Hinweise in seine Edition der Urkunden der burgundischen Rudolfinger aufgenommen, diese Maßnahme zugleich aber ausdrücklich als Sonderfall bezeichnet71. Solche Freiheiten haben wir uns in der Merowingeredition gleichfalls genommen und werden das bei Ludwig d. Fr. wiederholen. Dagegen gehört die Aufnahme der Deperdita inzwischen zum festen Bestandteil ­einer kritischen Edition. Sickel hatte sie noch beiseitegelassen, weil er ihre Bedeutung für die Geschichte der Könige geringschätzte, den Aufwand aber zu Recht für beträchtlich hielt und eine daraus rührende Verzögerung der Edition nicht hinnehmen wollte. Kehr hatte in der Einleitung zur Edition Karls III. wenigstens eine summarische Liste vornehmlich nach den von Lechner in den Regesta Imperii gesammelten Deperdita geboten 72, um „die endgültige Zusammenstellung der Deperdita aus der Karolingerzeit dem Schlussband der ganzen Serie der Diplomata Karolinorum vorzubehalten“ 73, woraus freilich nichts geworden ist. Erst unter der Ägide von Edmund E. Stengel wurden für Heinrich IV. auch die Deperdita mit eigener Nummer verzeichnet. Schieffer folgte dem und platzierte die Deperdita – dem Beispiel der „Chartes et diplômes“ folgend – en bloc am Ende, weil häufig nur ungefähre Daten zu ermitteln sind. Das gilt erst recht für die Merowinger  Ebd. XIV.   MGH DD. Burg. XI. 68  Fuhrmann, Einladung (wie Anm. 8) 235f. 69   Alain Stoclet, Zur Edition der Merowingerurkunden. Rheinische Vierteljahrsblätter 66 (2002) 333– 339, bes. 338f. 70   In Einzelfällen aber tolerabel: D. Mer. 37 (indicolus Dagoberts I. an Bf. Sulpicius von Bourges) wurde aufgenommen wegen seiner exemplarischen Bedeutung, D. Mer. 107 (Brief Childerichs II. an Bf. Dido von Poitiers) wegen des sachlichen Zusammenhangs mit einer Urkundengruppe. 71  MGH DD. Burg. XI. 72  MGH DD. K.III., ed. Paul Kehr (Berlin 1936/37) XVf. 73   MGH DD. LdD. XVI Anm. 1. 66 67



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und Langobardenurkunden, weshalb dort die Deperdita im Anschluss an die Textedition alphabetisch nach Empfängern gereiht wurden74, wie das schon Lechner in den Mühlbacher’schen Regesten praktiziert hatte75. Das Sammeln der Deperdita erfordert einen hohen Aufwand und bietet doch die wohl sichere Gewissheit, dass es trotz aller Sorgfalt nicht gelingen wird, das Material vollständig zu erfassen. Dass wir für Ludwig d. Fr. deutlich über die vorzüglichen Regesten Mühlbachers hinauskommen werden, verdeutlicht das Problem, auch wenn für die Ansetzung eines Deperditums strenge Maßstäbe, nämlich die klare Bezeugung einer Urkunde, angelegt werden. Für die Merowinger haben wir aber z. B. ausdrücklich auf die systematische Auswertung der „Acta Sanctorum“ verzichtet, weil damals die digitale Version noch nicht verfügbar war76. Dem Rezensenten, der offenbar unsere Vorbemerkung nicht gelesen hatte, gönnen wir die beiden nachgereichten Deperdita aus eben dieser Quellenreihe77 und könnten diesen inzwischen weitere an die Seite stellen. Eine besondere Crux für den Editor sind die Fälschungen, die er diplomatisch-historisch entlarven muss, zugleich aber auch deren Zeitstellung und Veranlassung benennen sollte. Dass dies oft nur näherungsweise erfolgen kann, liegt auf der Hand, denn man wird nicht für alle einschlägigen Komplexe vorausgehende Spezialstudien fordern und erwarten dürfen, die die Sachverhalte präziser erfassen oder gar endgültig klären könnten. Seit meiner Habilitations-Schrift über die St. Maximiner Fälschungen78, die mit einem beachtlichen Aufsatz Bresslaus von 1886 als durchschaut galten79, weiß ich, wovon ich spreche. Gleiches gilt auch für verwickelte Überlieferungsverhältnisse, etwa für St-Martin in Tours80. Moderne Fälschungen bleiben in der Regel außer Betracht. In der Merowingeredition haben wir sie in einer Appendix nachgedruckt81 und wollen es auch bei Ludwig d. Fr. so halten. Andere Appendices planen wir dort für die Regesten der Briefe, die teilweise bereits in den MGH Epp. gedruckt sind82, sowie der von Zeumer veröffentlichten „Formulae imperiales“83. Über all das kann man natürlich unterschiedlicher Meinung sein; für uns ist bestimmend, das für Ludwig d. Fr. einschlägige Quellenmaterial zur leichteren Orientierung für den Benutzer beisammen zu haben.

74   MGH DD. Mer. 2, ed. Theo Kölzer–Martina Hartmann–Andrea Stieldorf (Hannover 2001); Codice diplomatico longobardo 3/1, ed. Carlrichard Brühl (FSI 64, Roma 1973) 267–312. 75  J. F. Böhmer, Regesta imperii I. Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern 751–918, ed. Engelbert Mühlbacher–Johann Lechner (Innsbruck 1908, Nachdr. ed. Carlrichard Brühl–Hans Heinrich Kaminsky, Hildesheim 1966) 839–873. 76   http://acta.chadwyck.co.uk. 77   Stoclet, Zur Edition (wie Anm. 69) 338. 78  Theo Kölzer, Studien zu den Urkundenfälschungen des Klosters St. Maximin vor Trier (10.–12. Jahrhundert) (VuF Sonderbd. 36, Sigmaringen 1989). 79   Harry Bresslau, Über die älteren Königs- und Papsturkunden für das Kloster St. Maximin bei Trier. Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst 5 (1886) 20–65. 80   Pierre Gasnault, Étude sur les chartes de Saint-Martin de Tours, des origines au milieu du XIIe siècle (Thèse de l’École nationale des chartes, Paris 1953); Teildruck: ders., Les actes privés de l’abbaye de SaintMartin de Tours du VIIIe au XIIe siècle. BEC 112 (1954) 24–66. 81  MGH DD. Mer. 2 703–718. 82  MGH Epp. 5, ed. Ernst Dümmler et al. (Berlin1899). 83   MGH Formulae Merowingici et Karolini aevi, ed. Karl Zeumer (Hannover 1886) 285–328.

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Neue Horizonte? Semiotik und Computer Wenig Beachtung, zumindest keine konsequente Umsetzung erfahren hat bislang die grundstürzende Kritik des leider frühverstorbenen Peter Rück an den überkommenen Editionsprinzipien. Er sah in der Fokussierung auf den Text und in der Vernachlässigung der semiotischen Botschaften (einschließlich der normalisierten Interpunktion) eine Verengung und bisweilen gar eine Verfälschung der Aussage einer Urkunde, die doch zugleich „ein inszenierter Text“ sei84, während uns die Sickel’sche Editionspraxis „einen nackten Herold vorstell(e), ein Skelett ohne Fleisch und ohne Stimme“. Rück plädierte dafür, die Editionsregeln neu zu überdenken, „um sie von der Auswahl und den Intentionen des 19. Jahrhunderts zu befreien und für die Möglichkeiten des aud(i)o-visuellen Zeitalters zu adaptieren“85. Das verstehe ich als einen Appell an die Protagonisten digitaler Editionen, denn Peter Rück war es nicht mehr vergönnt, seine Vorstellungen in die Praxis umzusetzen. Dieses weite Feld möchte ich nur kurz streifen, weil erst im vergangenen Jahr Berufenere ausführlich über „Digitale Diplomatik“ gehandelt haben86 und Georg Vogeler jüngst im Archiv für Diplomatik einen profunden Überblick über „Digitale Urkundenbücher“ gegeben hat87. Die Entwicklung hin zu wirklich digitalen Editionen (im Sinne von „born digital“) ist in meinen Augen unausweichlich88, und Patrick Sahle hat soeben noch einmal unterstrichen: „Digital ist besser“89. Tatsächlich bietet die digitale Edition immense Vorteile hinsichtlich der Verfügbarkeit des Materials und gesteigerter Analyse- und Recherchepotentiale, erst recht, wenn man von einem vernetzten „digitalen diplomatischen Informationsraum“ träumen dürfte90. Es eröffnen sich auch ganz neue Möglichkeiten, nicht nur im Sinne Peter Rücks, sondern etwa auch hinsichtlich der Diktatanalyse, der Erschließung spätmittelalterlicher Massenüberlieferung, der Vorab-Publikation bei Lang84  Rück, Fünf Vorlesungen (wie Anm. 35) 243–315, bes. 261–274: „Reproduktion – Edition – Regest: Techniken und Ideologie“, hier 265. 85   Ebd. 274. 86   Digitale Diplomatik. Neue Technologien in der historischen Arbeit mit Urkunden, hg. von Georg Vogeler (AfD Beih. 12, Köln–Weimar–Wien 2009); vgl. Paul Bertrand, La numérisation des actes: évolutions, révolutions. Vers une nouvelle forme d’édition de textes diplomatiques?, in: Vom Nutzen des Edierens (wie Anm. 28) 171–182; Patrick Sahle, Urkunden-Editionen im Internet. Einführung und Überblick. AfD 52 (2006) 429–448; Georg Vogeler, Vom Nutz und Frommen digitaler Urkundeneditionen. Ebd. 449–466; Henning Steinführer, Methodische Überlegungen zur zukünftigen Erschließung und Edition von mittelalterlichen Urkunden und Stadtbüchern im Stadtarchiv Braunschweig, in: Quellenarbeit und Schriftgutverwaltung – Historische Hilfswissenschaften im Kontext archivischer Aufgaben, hg. von Karsten Uhde (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg 48, Marburg 2009) 13–24. 87   Georg Vogeler, Digitale Urkundenbücher. AfD 56 (2010) 363–392; vgl. Jürgen Sarnowsky, Digitale Urkundenbücher zur mittelalterlichen Geschichte, in: Forschung in der digitalen Welt. Sicherung, Erschließung und Aufbereitung von Wissensbeständen, hg. von Rainer Hering–Jürgen Sarnowsky–Christoph Schäfer–Udo Schäfer (Hamburg 2006) 93–107. Retrodigitalisierte Editionen werden in die Bibliographie zur Edition Ludwigs d. Fr. nur dann aufgenommen, wenn sie einen „Mehrwert“ bieten, wie etwa im Falle des „Württembergischen Urkundenbuches“ (http://www.wubonline.de/). 88   Patrick Sahle, Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels, 3 Bde. (Schriften des Inst. f. Dokumentologie und Editorik 7–9, Norderstedt 2013). 89   Patrick Sahle, Digital ist besser. Die Monumenta Germaniae Historica mit den dMGH auf dem Weg in die Zukunft – eine Momentaufnahme (Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik 1, Norderstedt 2008). 90   Patrick Sahle, Urkunden-Editionen im Internet. Einführung und Überblick. AfD 52 (2006) 429–448, bes. 445f.



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zeitunternehmen91 sowie der dynamischen Präsentation von Quellenmaterial, etwa zur Wirtschaftsgeschichte, das auf herkömmlichem Wege bislang kaum sinnvoll zu edieren war92. Noch nicht zufriedenstellend gelöst sind freilich die Probleme der Qualitätskontrolle und einheitlicher Standards sowie der Nachhaltigkeit. Wenn überdies die unterschiedlichsten Bedürfnisse befriedigt werden (Stichwort: Multifunktionalität), wenn gar Internet-Publikationen, wie vielfach postuliert wird, nicht mehr nur Fachleute als Adressaten haben sollen, dann bedarf es über die traditionellen Arbeitsschritte hinaus zahlreicher Anreicherungen (Erläuterungen, Links zu Quellen und Literatur etc.) – Anreicherungen, die in der Sache keinen Fortschritt erbringen, aber als Serviceleistungen einen hohen zusätzlichen Zeitaufwand erfordern. Vor allem wären die zahlreichen Vorschläge zur Architektur digitaler Editionen von Originalurkunden einmal dem Praxistest zu unterziehen für ein Urkundencorpus, das – wie bei den Merowingern oder Ludwig d. Fr. – nur zu einem geringen Teil aus Originalen93 besteht, dafür aber schwierigste quellenkritische Probleme bietet. Das Ins-Netz-Stellen von Scans nebst bloßen Transkriptionen ist noch keine kritische Edition94, und – mit Verlaub – auch die sündhaft teuren Faksimiles der „Chartae Latinae Antiquiores“95 und unsere Merowinger-Edition sind zwei verschiedene Seiten derselben Medaille! So bleibe ich einstweilen bei aller Sympathie bei meiner früheren Feststellung: „Der Computer bietet vielfache Erleichterungen, steigert in mancherlei Hinsicht auch die Anforderungen, aber er ersetzt keinesfalls die Methode!“96 Eine neue Diplomatik sehe ich folglich derzeit nicht entstehen, und dass „die Diplomatik auf dem Weg zu eScience“ (electronic science) sei97, kann allenfalls in dem Sinne gelten, dass sie künftig ohne den computergestützten Instrumentenkoffer nicht auskommen wird, weil 91   http://www.mgh.de/datenbanken/datenbanken-allgemeines/. Seit Juni 2010 ist eine vorläufige Textversion der Diplomata Heinrichs V. im Netz: http://www.mgh.de/ddhv, seit Frühjahr 2012 eine Edition der Diplome Heinrichs  VI. für deutsche Empfänger: http://www.mgh.de/fileadmin/Downloads/pdf/Heinrich_ VI_2012-12-18.pdf. Peter Thorau (Saarbrücken) plant, das im Rahmen seiner Regestenarbeit zu Heinrich VII. gesammelte Material ins Netz zu stellen mit deutlich reduzierten Editionsprinzipien, für die Walter Koch und ich eine Vorlage erstellt haben. Nicht übersehen werden sollte freilich, dass solche vorläufigen Serviceleistungen wertvolle Personalressourcen binden. 92   Vgl. den Hinweis bei Kölzer, Diplomatik und Urkundenpublikationen (wie Anm. 39) 19, auf das Grazer Projekt des „Steierischen Marchfutterurbars von 1414/26“. In Verbindung mit neuen technischen Verfahren ließen sich jetzt auch Bearbeitungsstufen sicherer voneinander scheiden und darstellen; vgl. Patrick Shiel–Malte Rehbein–John Keating, The Ghost in the Manuscript: Hyperspectral Text Recovery and Segmentation, in: Kodikologie und Paläographie im digitalen Zeitalter (Codicology and Paleography in the Digital Age), hg. von Malte Rehbein–Patrick Sahle–Christiane Fritze (Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik 2, Norderstedt 2009) 159–174. 93  Auf Originalurkunden kann zurückgreifen der „Codice diplomatico della Lombardia medievale“ (http:// cdlm.unipv.it); vgl. Michele Ansani–Valeria Leoni, Experiment einer digitalen Edition urkundlicher Quellen. Der Codice diplomatico della Lombardia medievale (8.–12. Jahrhundert). QFIAB 86 (2006) 538–561. 94  Arnold Esch, Der Umgang des Historikers mit seinen Quellen. Über die bleibende Notwendigkeit von Editionen, in: Quelleneditionen und kein Ende?, hg. von Lothar Gall–Rudolf Schieffer (HZ Beiheft 28, München 1999) 129–147, bes. 144 (auch separat: Quelleneditionen und kein Ende? Zwei Vorträge [München 1999] 7–29); Kölzer, Diplomatik und Urkundenpublikationen (wie Anm. 39) 32. 95   Chartae Latinae Antiquiores XIII–XIV, XVII, XIX: France I–II, V, VII, ed. Hartmut Atsma–Robert Marichal–Jan-Olof Tjäder–Jean Vezin (Dietikon–Zürich 1981–1982, 1984, 1987); zur Neuedition der Merowingerurkunden vgl. oben Anm. 40, 48. 96  Kölzer, Diplomatik und Urkundenpublikationen (wie Anm. 39) 29. 97  Georg Vogeler, Digitale Diplomatik. Die Diplomatik auf dem Weg zur eScience?, in: Digitale Diplomatik (wie Anm. 86) 1–12; Vogeler definiert (S. 1) eScience als eine Wissenschaft, „deren Arbeit entscheidend von der Nutzung moderner Informationstechnologien bestimmt ist“.

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der technische Fortschritt zugleich neue Fragen und Standards kreiert. Mit Jacques Le Goff, einem prominenten Vertreter der „Nouvelle histoire“, sind wir uns aber hoffentlich einig, dass es weiterhin möglichst viele und möglichst gute Editionen geben sollte und muss98. Dabei sind die seit Sickel etablierten Grundanforderungen unverzichtbar, die von ihm entwickelte Präsentationsform ist es sicher nicht. Es gilt freilich auch in diesem Bereich die Grundregel des Rudersports: Es können nicht alle nur den Steuermann spielen wollen, einige müssen auch rudern99!

Ausblick Erlauben Sie mir abschließend noch einen etwas anderen Ausblick auf „Konstanz und Wandel“. Die Übernahme einer nicht fondsgestützten kritischen Edition, etwa im Rahmen der Diplomata-Reihe der MGH, bedeutet nachweislich jahrelange Askese und Konzentration auf die Aufgabe, dem Benutzer das Material so aufzubereiten, dass der Rekurs auf die Überlieferungen selbst überflüssig wird, weil die Entscheidungen und Wertungen des Editors transparent sind und ein eigenes Urteil erlauben. Es dürfte aber auch deutlich geworden sein, dass die Anforderungen an Editionen seit Sickel kontinuierlich gestiegen sind100 und im Computer-Zeitalter weiter steigen, so dass wir Gefahr laufen, bei dem Versuch der Erfüllung aller Erwartungen die Fertigstellung einer Edition ad Kalendas Grecas zu vertagen, es sei denn, wir könnten Editionen künftig tatsächlich als „joint venture“ einer „internationalen Forschungsgemeinschaft“ organisieren; aber dafür fehlt m. W. bislang ein Prototyp. Heinrich Appelt übernahm die Barbarossa-Edition 1956 in Graz, lieferte den ersten Band 1975 und beendete das Unternehmen erfolgreich im Jahre 1990. Im derzeitigen Wissenschaftsbetrieb wäre dieses unbeirrte Verfolgen eines fernen Zieles eine sehr subtile Form des Karriere-Selbstmords! Innerhalb einer Fakultät oder im Kollegenkreis wird der „Hieronymus im Gehäuse“ scheel angesehen, weil er sich vielerlei kurzatmigen Aktivitäten verschließen muss, um zum Ziel zu gelangen. In der heutigen Forschungsförderung scheint zudem paradoxerweise die Ansicht vorzuherrschen, dass solche Langzeit98   Jacques Le Goff–Pierre Toubert, Une histoire totale du moyen âge est-elle possible?, in: Tendances, perspectives et méthodes de l‘histoire médiévale (Actes du 100e Congrès National des Sociétés Savantes. Section de philologie et d’histoire jusqu’en 1610, Bd. 1, Paris 1977) 31–44, hier 38ff.; vgl. Kölzer, Diplomatik und Urkundenpublikationen (wie Anm. 39) 31; Hubert Seibert, Wozu heute Urkunden edieren? ZBLG 64 (2001) 295–308; Claudia Märtl, Wozu heute Quellen edieren?, in: Wozu Historie heute? Beiträge zu einer Standortbestimmung im fachübergreifenden Gespräch, hg. von Amalie Fößel–Christoph Kampmann (Köln– Weimar–Wien 1996) 17–27; Rudolf Schieffer, Die Erschließung der historischen Quellen des Mittelalters: alte Probleme und neue Entwicklungen, in: Editionen – Wandel und Wirkung, hg. von Annette Sell (Beihefte zu editio 25, Tübingen 2007) 55–64. 99   „Es besteht Anlaß genug, vor Theoretikern der Methode zu warnen, die nichts mehr scheuen als den Umgang mit den Texten selbst“: Erich Köhler, Esprit und arkadische Freiheit. Aufsätze aus der Welt der Romania (München 21972, erw. Nachdr. München 1984), Vorwort. 100  Erst recht, wenn systematisch Kortüms Forderung nach stärkerer Berücksichtigung der Empfängerperspektive und einem streng philologisch durchzuführenden Diktatvergleich erfüllt werden soll: Hans-Henning Kortüm, Zur päpstlichen Urkundensprache im frühen Mittelalter. Die päpstlichen Privilegien 896–1046 (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 17, Sigmaringen 1995) 16–18, 19–31. Überdies zwingt die Kritik an Sickels Kanzleistruktur zur Stellungnahme: Wolfgang Huschner, Transalpine Kommunikation im Mittelalter. Diplomatische, kulturelle und politische Wechselwirkungen zwischen Italien und dem nordalpinen Reich (9.–11. Jahrhundert) 1–3 (MGH Schriften 52/1–3, Hannover 2003); Rosamond McKitterick, Karl der Große (Darmstadt 2008) 173–190, und dazu vorerst Wilfried Hartmann, Karl der Große (Urban-Taschenbücher 643, Stuttgart 2010) 115.



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Unternehmen die Forschung eher behindern, weil diese „Riesentanker“ auf lange Zeit nicht unerhebliche Geldmittel binden, die sinnvoller, weil innovativer, doch für wendige Schnellboote ausgegeben werden sollten. Aber das ist Wissenschaftspolitik, nicht Wissenschaft101! Der „Nutzen des Edierens“ steht jedenfalls unvoreingenommener Betrachtung deutlich vor Augen102, zumal der Editor der historischen Interpretation die Richtung vorgibt. Und hat nicht Appelts Barbarossa-Edition einen regelrechten Boom auf einem seit jeher intensiv beackerten Forschungsfeld initiiert? Eine wesentliche Beschleunigung des Editionsprozesses wäre nur durch günstigere Rahmenbedingungen103 oder durch Verzicht auf das erreichte Editionsniveau zu erreichen104. Heinrich Appelt arbeitete mit einem Team gestandener Wissenschaftler, die später teilweise selbst Lehrstühle übernahmen105; Walter Kochs Mitarbeiter haben praktisch eine Lebenszeitstellung. Aber welche Perspektiven können wir Jüngeren bieten, die sich auf bemessene Zeit einer Edition verschreiben? Die Lorbeeren werden jedenfalls auf anderen Feldern vergeben, denn: Leibniz- oder Wittgenstein-Preis-verdächtig ist die Arbeit eines Editors nicht – trotz garantierter Langzeit-Wirkung für die Forschung! Mangelnde Perspektiven, arbeitsrechtliche Befristungstatbestände und die schon fühlbaren Auswirkungen des Bologna-Prozesses behindern die Arbeit an der Edition Ludwigs d. Fr. massiv, weil sie eine der Arbeit unzuträgliche personelle Fluktuation bewirken, sofern überhaupt noch handwerklich qualifizierter Nachwuchs zu finden ist. Mein persönliches Fazit lautet daher: Diplomatische Grundlagenforschung dieses Volumens und Schwierigkeitsgrades ist an einer deutschen Universität nicht mehr durchzuführen – wir haben es „so herrlich weit gebracht“106! Nachtrag: Antonella Ghignoli, Filologia e storia nelle edizioni dei Monumenta Germaniae Historica da Theodor ­Sickel a Paul Fridolin Kehr (1879–1940), in: Contributi. IV Settimana di studi medievali, Roma, 28–30 maggio 2009, hg. von Valeria de Fraja–Salvatore Sansone (Istituto storico italiano. Quaderni della Scuola Nazionale di Studi Medievali. Fonti, studi e sussidi 4, Roma 2012) 83–91. Digitale Urkundenpräsentationen. Beiträge zum Workshop in München, 16. Juni 2010, hg. von Joachim Kemper–Georg Vogeler (Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik 6, Norderstedt 2011) (http:// kups.ub.uni-koeln.de/4532/ [Dezember 2013]).

101  Roland Reuss, Edieren in Deutschland: Ein Krisenbericht. Frankfurter Allgemeine Zeitung  202 (1. 9. 2010), S. N5. 102  Vom Nutzen des Edierens (wie Anm. 28). Für einseitig und daher falsch halte ich die Aussage von Jörg Barberowski, Der Sinn der Geschichte (München 2005) 26: „Der Fortschritt der Geisteswissenschaften besteht in der Verfeinerung der Fragen und Methoden, nicht in der Vermehrung von Zeugnissen aus der Vergangenheit“; ähnlich auch Hans-Werner Goetz, Moderne Mediävistik. Stand und Perspektiven der Mittelalterforschung (Darmstadt 1999) 157f. Empfohlen sei die Lektüre von Esch, Umgang (wie Anm. 94) passim. 103  Besonders zeitaufwendig ist die Materialbeschaffung (bei Ludwig d. Fr. aus rund 200 europäischen Archiven und Bibliotheken) sowie die recensio (Handschriften und Drucke), die wie die Erstellung der Texte und begleitende Untersuchungen im laufenden Universitätsbetrieb allenfalls auf Lücke, d. h. in den – zunehmend kürzer werdenden – Semesterferien, durchgeführt werden können. 104  Nach Esch, Umgang (wie Anm. 94) 143f., sollten sich Historiker freilich „nicht zu schade sein“, im Zweifel auch wieder einmal „nach Art der Goldast, Leibniz, Muratori, Migne Texte erst einmal flott herauszubringen“. 105   DD F.I., ed. Heinrich Appelt et al. (Hannover 1975) 1 VIII: Rainer Egger, Rainer Maria Herkenrath, Walter Koch, Josef Riedmann, Winfried Stelzer, Kurt Zeillinger. 106  Wagner in: Goethe, Faust I, v. 573.

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Abb. 1: Urkunde Ludwigs d. Fr. für St-Bertin, 830 März 19 (BM2 [wie Anm. 75] 873), ed. Jean Mabillon, De re diplomatica libri VI (Paris 21709) 612.



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Abb. 2: Konrad I. für Fulda, 912 Juli 1, Acta Conradi regis, ed. Böhmer (1859) 13f. Nr. 7.

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Abb. 3: Konrad I. für Utrecht, 914 Juli 9, D. Ko.I. 24, ed. Sickel (1879).



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Abb. 4: Friedrich II. für Ebrach, 1213 Februar 26, D. F.II. 193, ed. Koch (2007).

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Zur Bedeutung des Siegels an den Papsturkunden des frühen Mittelalters Irmgard Fees

Vom Beginn des 7. Jahrhunderts an, aller Wahrscheinlichkeit nach jedoch schon früher, waren die Briefe und Urkunden der Bischöfe von Rom mit Bleisiegeln versehen. Die ältesten uns bekannten dieser päpstlichen Bullen sind ohne die dazugehörigen Schreiben überliefert1. Erst seit der Mitte des 9. Jahrhunderts haben sich Papstsiegel mitsamt den entsprechenden Urkunden erhalten; die frühesten stammen aus den Jahren 850 und 8552. Die Bullen wurden am unteren Rand der Schriftstücke zumeist mittig angehängt; bei den auf Papyrus geschriebenen Urkunden rollte man zur sicheren Anbringung den Rand mehrfach ein und drückte ihn flach, bei den seit 967 bzw. 1005 auftretenden Pergamenturkunden3 bog man zur Stabilisierung des Materials den unteren Rand wenige Zentimeter breit 1   Vgl. Thomas Frenz, Papsturkunden des Mittelalters und der Neuzeit (Historische Grundwissenschaften in Einzeldarstellungen 2, Stuttgart 22000) 54f., mit Angabe der weiterführenden Literatur; Erich Kittel, Siegel (Bibliothek für Kunst- und Antiquitätenfreunde 11, Braunschweig 1970) 383–385, mit Abbildungen der ältesten erhaltenen Bullen; gute Abbildungen auch in: Thomas Frenz, I documenti pontifici nel medioevo e nell’età moderna, ed. Sergio Pagano (Littera antiqua 6, Città del Vaticano 1989) 185 Taf. 22; vgl. auch Achim Hack, Die zwei Körper des Papstes ... und die beiden Seiten seines Siegels, in: Das Siegel. Gebrauch und Bedeutung, hg. von Gabriela Signori–Gabriel Stoukalov-Pogodin (Darmstadt 2007) 53–63, hier 54. – Herrn Dr. Otfried Krafft danke ich herzlich für seine Gesprächsbereitschaft und seine zahlreichen weiterführenden Hinweise. – Abkürzung: Böhmer–Herbers = Johann Friedrich Böhmer, Regesta Imperii I. Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern 751–918 (926/962) 4: Papstregesten 800–911. Teil 2: 844–872, Lieferung 1: 844–858, ed. Klaus Herbers (Köln–Weimar–Wien 1999). 2   Es handelt sich um die Urkunden Leos IV. von 850 (JE 2606) und Benedikts III. von 855 (JE 2663). – Zu JE 2606: Druck zuletzt in Chartae latinae antiquiores. Facsimile-edition of the latin charters. 2nd series: Ninth century 55, Italy 27, Ravenna II, Roma, Città del Vaticano, ed. Rita Cosma (Dietikon–Zürich 1999) 47–51 Nr. 4; Regest: Böhmer–Herbers Nr. 232. – Zu JE 2663: Bulle sur papyrus de Benoît III pour l’abbaye de Corbie (855), ed. Clovis Brunel (Société des Antiquaires de Picardie. Documents inédits sur l’abbaye, le comté et la ville de Corbie, Atlas, Amiens 1912) Taf. 22; Böhmer–Herbers Nr. 374. 3   Zum Wechsel vom Papyrus zum Pergament als Beschreibstoff in der Zeit zwischen 967 und 1057 vgl. Leo Santifaller, Beiträge zur Geschichte der Beschreibstoffe im Mittelalter. Mit besonderer Berücksichtigung der päpstlichen Kanzlei 1: Untersuchungen (MIÖG Ergbd. 16/1, Wien–München 1953) 87–92; Frank M. Bischoff, Urkundenformate im Mittelalter. Größe, Format und Proportionen von Papsturkunden in Zeiten expandierender Schriftlichkeit (11.–13. Jahrhundert) (elementa diplomatica 5, Marburg 1996) 45, 85 mit Anm. 484. – Die erste auf Pergament geschriebene Papsturkunde ist das in Ravenna ausgestellte JL 3714 (Druck: Papsturkunden 896–1046, Bd. 1: 896–996; Bd. 2: 996–1046, ed. Harald Zimmermann [ÖAW, phil.-hist. Kl., Denkschriften 174, 177, Wien 21988–1989] 1 341–344 Nr. 175), die erste erhaltene in Rom auf Pergament ausgestellte Papsturkunde ist JL 3947 (Druck: ebd. Nr. 422). Die letzte bekannte, auf Papyrus geschriebene Urkunde wurde von Viktor II. im Jahr 1057 ausgestellt (JL 4366), ist jedoch nicht erhalten. Die letzte überlieferte Papyrusurkunde (nur Fragment) ist eine Urkunde Leos IX. von 1051, dazu Joachim Dahlhaus, Aufkommen

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zur Plica um. In der wissenschaftlichen Literatur gelten diese Bullen allgemein als das Beglaubigungsmittel der Papsturkunden. Auf diese Weise werden sie etwa in den älteren siegelkundlichen Handbüchern charakterisiert4; so sieht es aber auch neuere Literatur zur Sphragistik5. So stellen es Grundlagenwerke zur päpstlichen Diplomatik dar6, ebenso wie solche zur Diplomatik allgemein7, Überblicksdarstellungen der Papstgeschichte8, Einfüh-

und Bedeutung der Rota in den Urkunden des Papstes Leo IX. AHP 27 (1989) 7–84, hier 68f. Nr. 21; eine weitere, nicht überlieferte stammt ebenfalls von Leo IX. (1049, JL 4163). 4  Theodor Ilgen, Sphragistik, in: Grundriß der Geschichtswissenschaft I/4, hg. von Aloys Meister (Leipzig 21912) 1–58, hier 9, betont, dass die Siegel der Merowingerkönige noch nicht als Beglaubigungsmittel gedient hätten, sondern dass diese Bedeutung erst den Siegeln der karolingischen Herrscher zugekommen sei, und fährt fort: „Nachrichten über die ältesten besiegelten päpstlichen Bullen stammen aus dem 7. Jh. ... . Zunächst nach den Kaisern und Päpsten beginnt dann die hohe Geistlichkeit Urkunden auszustellen, denen zur Beglaubigung ein Siegel aufgedrückt ist.“ Wilhelm Ewald, Siegelkunde (Handbuch der Mittelalterlichen und Neuen Geschichte IV/4, München 1914, Nachdr. 1969) 28, 32, unterscheidet zwischen Versiegelung und Untersiegelung, wobei die Untersiegelung der Beglaubigung, „dem Beweise der Echtheit des betreffenden Schriftstücks“, gedient habe, und fährt fort: „Eine Untersiegelung läßt sich in den ältesten Perioden des Mittelalters nur für wenige Gruppen von Urkunden nachweisen. Die Urkunden der römischen Päpste waren seit dem 6. Jahrhundert und wohl auch schon früher untersiegelt.“ Nur sehr kurz Kittel, Siegel (wie Anm. 1) 383: „Die Päpste besiegeln seit den ältesten Zeiten bis in unsere Gegenwart ihre Urkunden mit Bleibullen.“ 5  Andrea Stieldorf, Siegelkunde (Hahnsche Historische Hilfswissenschaften 2, Hannover 2004): „Seit dem Frühmittelalter wurden päpstliche Urkunden, von denen wir erste Originale aus dem 9. Jh. besitzen, durch das Siegel des ausstellenden Papstes beglaubigt. Der Gebrauch des Bleisiegels als päpstliches Hauptsiegel wurde durch die Jahrhunderte hinweg beibehalten“ (S. 38); „für lange Zeit blieben allerdings Papst- und Herrscherurkunden die einzigen Siegelurkunden“ (S. 39). 6  Julius von Pflugk-Harttung, Die Bullen der Päpste bis zum Ende des 12. Jahrhunderts (Gotha 1901, Nachdr. Hildesheim 1976) 17: „Die Datierung galt als eines der Beglaubigungsmittel, und zwar der Regel nach als vorletztes, das letzte bildete die Plumbierung“; ebd. 160: „In der Plumbierung haben wir die hauptsächlichste Beglaubigung zu sehen.“ Eher vorsichtig äußert sich Ludwig Schmitz-Kallenberg, Die Lehre von den Papsturkunden, in: Grundriß der Geschichtswissenschaft I/2: Urkundenlehre, hg. von Aloys Meister (Leipzig–Berlin 21913) 56–116; er spricht zwar mehrfach von Besiegelung, jedoch nicht ausdrücklich von Beglaubigung: „In bezug auf die äußeren Merkmale wissen wir nur, daß sie auf Papyrus geschrieben sind und wohl auch von Anfang an – in Anlehnung an byzantinischen Brauch – mit einem Bleisiegel, bulla, versehen waren. Nachweisbar ist diese Art der Besiegelung jedenfalls seit Papst Agapit“ (S. 76); zum Urkundenwesen von der Mitte des 8. Jh. bis Leo IX.: „Den Abschluß des Ganzen bildet die Besiegelung“ (S. 84); „besiegelt wurden sämtliche Privilegien mit dem Bleisiegel“ (S. 86). Paulus Rabikauskas, Diplomatica pontificia. Praelectionum lineamenta, geht in der 4. Auflage (Roma 1980) 52–55 auf die rechtliche Funktion des päpstlichen Siegels nicht ein, verweist jedoch in den Literaturangaben zur 5. Auflage (Roma 1994) 57–61 auf die Arbeit von Peter Classen; darauf wird zurückzukommen sein. – Frenz, Papsturkunden (wie Anm. 1), geht auf die Frage der Beglaubigung durch die Siegel ebenfalls nicht ein. – Neuere allgemeine Darstellungen der päpstlichen Diplomatik insbesondere der frühen Zeit fehlen bekanntlich. 7   Thomas Vogtherr, Urkundenlehre. Basiswissen (Hahnsche Historische Hilfswissenschaften 3, Hannover 2008) 50: „Das Siegel tritt als Beglaubigungsmittel ... seit merowingischer Zeit auf Königs- und Kaiserurkunden auf und ist gleichzeitig auch in der päpstlichen Kanzlei belegt. Dabei bedienten sich die Päpste metallener Siegel (Bleibullen).“ Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien 1 (Leipzig 2 1912 [Nachdr. Berlin 41969]), 2/1 (Leipzig 21915); 2/2, hg. von Hans-Walter Klewitz (Berlin–Leipzig 1931); Register, bearb. von Hans Schulze (Berlin 1960, Nachdr. Berlin 41969), geht in den ausführlichen Darlegungen zur „Besiegelung der Urkunden“ (1 677–738) im Rahmen des Kapitels „Die rechtliche Beweiskraft der Urkunden des Mittelalters“ an keiner Stelle auf Papsturkunden ein; im Kapitel „Die Besiegelung“ (2/2 548–624) kommen zwar auch die päpstlichen Siegel vor (2/2 608–612), jedoch nur bezüglich ihres Erscheinungsbilds und der Technik der Anbringung und Verwendung, nicht in ihrer Funktion. 8  Thomas Frenz, Das Papsttum im Mittelalter (Köln–Weimar–Wien 2010) 186: „Abschluß und Beglaubigung der Urkunde (neben dem Siegel) bildet die eigenhändige Unterschrift des Papstes.“



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rungen in das Studium der mittelalterlichen Geschichte9, Nachschlagewerke und Lexika10 und die neuere Fachliteratur11, sofern die Frage überhaupt behandelt wird. Zwar gibt es Unterschiede in der Interpretation der Begriffe „Untersiegelung“ und „Besiegelung“12; trotzdem ist klar ersichtlich, dass die zitierten Autoren den päpstlichen Bullen eine beglaubigende Funktion zuschreiben und dass nur selten eine davon abweichende Ansicht formuliert wird13. 9  „Für die Entwicklung des Siegelwesens war entscheidend, dass sowohl die römischen Kaiser als auch die Päpste aus der antiken Tradition heraus seit der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts ihre Urkunden mit einem Siegel beglaubigten“, so Martina Hartmann, Mittelalterliche Geschichte studieren (Konstanz 2004) 220. „Das Siegel war im Mittelalter das wichtigste Beglaubigungsmittel. Im frühen Mittelalter weitgehend auf Königsund Papsturkunden beschränkt, wurde es erst seit dem hohen Mittelalter auch für Bischöfe, Äbte, weltliche Fürsten und Städte üblich“, so Hans-Werner Goetz, Proseminar Geschichte: Mittelalter (Stuttgart 32006) 141; vgl. allerdings ebd. 207, wo das Siegelrecht ausdrücklich als „anfangs auf die Könige beschränktes Hoheitsrecht“ bezeichnet wird, „das sich erst allmählich auf breitere Kreise ausweitete: So führten seit dem 10./11. Jh. geistliche, dann auch weltliche Fürsten Siegel.“ 10  „Seit dem 6. Jh. wird die Bleibulle auch von der päpstlichen Kanzlei gebraucht. ... In der päpstlichen Kanzlei ist die an Hanf- oder Seidenfäden hängende Bleibulle die durchgängige Art der Besiegelung geworden“, so Karl Jordan, Art. Bulle. HRG 1 (1971) 534–536, hier 535. In der 2. Aufl. des HRG 1 (2008) 712f. geht Thomas Vogtherr in seinem Artikel „Bulle“ nicht auf die rechtliche Funktion des päpstlichen Siegels ein. Sébastien Barret, Siegel, in: Enzyklopädie des Mittelalters 1, hg. von Gert Melville–Martial Staub (Darmstadt 2008) 260f.: „Das Siegel ist das heute sicherlich bekannteste Beglaubigungsmittel für schriftliche Dokumente des Mittelalters ... . Papsturkunden wurden seit dem 6. Jahrhundert besiegelt. Fürsten und Bischöfe folgten (um das 11. Jahrhundert mit regionalen Unterschieden).“ Anders Jörg Oberste im selben Band, 307f.; siehe dazu unten Anm. 13. 11  „Das Wesen der päpstlichen Urkunde ist ... rein verbal; ihre Beglaubigung erfolgt allein durch das päpstliche Siegel“, so Thomas Frenz, Graphische Symbole in päpstlichen Urkunden (mit Ausnahme der Rota), in: Graphische Symbole in mittelalterlichen Urkunden. Beiträge zur diplomatischen Semiotik, hg. von Peter Rück (Historische Hilfswissenschaften 3, Sigmaringen 1996) 399–405, hier 399. „Die Papsturkunden waren mittels Bleibullen besiegelt“, so Mark Mersiowsky, Papstprivilegien in der graphischen Welt karolingerzeitlicher Originalurkunden, in: Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters: Äußere Merkmale, Konservierung, Restaurierung, hg. von Irmgard Fees–Andreas Hedwig–Francesco Roberg (Leipzig 2011) 139–173, hier 159; auf die rechtlichen Implikationen des Begriffs „Besiegelung“ geht der Autor an dieser Stelle nicht ein, macht aber Angaben zur Technik der Besiegelung (ebd. mit Anm. 87). 12   Ewald, Siegelkunde (wie Anm. 4) 28, verwendet den Begriff „Untersiegelung“ und schreibt der Untersiegelung beglaubigende Funktion zu; ebenso Leo Santifaller, Urkundenforschung. Methoden, Ziele, Ergebnisse (Weimar 1937, Nachdr. Darmstadt 1967) 25: „Das Siegel kann bei der Urkunde in zweifacher Art Verwendung finden: zur Versiegelung, also zum Verschluß, und zur Untersiegelung; bei der Untersiegelung dient das Siegel als Beglaubigungsmittel.“ In der jüngeren Literatur wird der Begriff „Untersiegelung“ für die Anbringung eines Siegels auf einem Schriftstück ohne beglaubigende Funktion verwendet, während für die Siegelanbringung zur Beglaubigung der Begriff „Besiegelung“ Anwendung findet; vgl. etwa Stieldorf, Siegelkunde (wie Anm. 5) 37: „Kaiser- und Beamtenurkunden wiesen Siegel unterhalb des Urkundentextes auf. Doch hatte diese Untersiegelung, die im Urkundentext nicht erwähnt wird, keine dauerhafte Funktion.“ Vgl. zum Problem auch Andrea Stieldorf, Gestalt und Funktion der Siegel auf den merowingischen Königsurkunden. AfD 47/48 (2001/2002) 133–166, hier 142 mit Anm. 41. 13  So etwa durch Toni Diederich, Siegel und andere Beglaubigungsmittel, in: Die archivalischen Quellen. Eine Einführung in ihre Benutzung, hg. von Friedrich Beck–Eckart Henning (Weimar 1994) 291–305, hier 293; Diederich spricht zwar auch davon, dass „sowohl die Päpste als auch die oströmischen bzw. die byzantinischen Kaiser ... ihre Urkunden untersiegelten, d. h. mit ihrem Siegel beglaubigten“, macht aber zweifelsfrei einen Unterschied zwischen dieser aus der antiken Tradition kommenden Siegelverwendung und dem „voll ausgebildeten mittelalterlichen Urkunden- und Siegelwesen“. – Stefan Tebruck, Sphragistik, in: Mittelalter, hg. von Matthias Meinhardt–Andreas Ranft–Stephan Selzer (Oldenbourg Geschichte Lehrbuch, München 2007) 335–340, spricht nirgends vom Siegel als Beglaubigungsmittel der frühen Papsturkunde, sondern leitet die beglaubigende Funktion des Siegels im Mittelalter aus der Siegelungspraxis der Merowinger und Karolinger ab. – Ähnlich Jörg Oberste, Urkunden, in: Enzyklopädie des Mittelalters (wie Anm. 10) 307f., der Siegel

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Eine eingehende Erörterung der päpstlichen Besiegelungspraxis findet sich jedoch in keinem der genannten Werke. Eine solche Erörterung hatte allerdings bereits 1956 Peter Classen im zweiten Teil seiner epochemachenden Abhandlung „Kaiserreskript und Königsurkunde“ vorgelegt14, die er im Jahre 1977 in erweiterter Form erneut publizierte15. Darin nahm er im Exkurs „Zur Entstehung des Papstprivilegs“16 kurz, aber grundlegend zur formalen und rechtlichen Entwicklung der Papsturkunde seit der Spätantike Stellung. Er legte dar, wie sich die Urkunden, bei denen es zunächst nur auf den Rechtsinhalt ankam, nicht auf das Urkundenexemplar selbst, durch den Verfall der kirchlichen Aktenführung seit dem Ende des 6. Jahrhunderts und der gleichzeitig steigenden Autorität der Päpste in kirchenrechtlichen Fragen zu Schriftstücken entwickelten, deren Ausfertigungen für die Empfänger besondere Bedeutung gewannen, und wie sie schließlich im 7. und 8. Jahrhundert zu Urkunden wurden, die das in ihnen verliehene Recht in sich selbst trugen17. In einem weiteren Exkurs, „Zur Frage der Besiegelung“18, äußerte Classen sich – allerdings mit der Einschränkung, es handele sich um Hypothesen19 – vor allem zu den fränkischen Königsurkunden sowie den byzantinischen Kaiserurkunden, ging jedoch dabei auch auf die Bullen der Papsturkunden ein. Der Ursprung des an einer Schnur hängenden Bleisiegels ist ihm zufolge zweifelsfrei in einem Verschlusssiegel zu sehen, das die Enden einer um die Urkunden-Papyrusrolle geschlungenen Schnur verband. Erst als sich die Verwendung der einzelnen Urkunde als Beweisstück durchsetzte, sei man wohl dazu übergegangen, die Schnur so um die Urkunde zu legen, dass eine Öffnung des Schreibens unter Erhalt sowohl von Schnur und Siegel wie auch des Zusammenhalts beider Teile mit dem Schriftstück möglich wurde. Bei den Urkunden der fränkischen Könige, der byzantinischen Kaiser und der frühmittelalterlichen Päpste lasse sich nirgends mit Sicherheit nachweisen, dass das Siegel der Beglaubigung diente; im Urkundentext werde es nicht erwähnt, und die Rechtsquellen schenkten ihm keine besondere Beachtung20. Erst im 8. Jahrhundert sei das Siegel zum wichtigsten, in der Corroboratio angekündigten Beglaubigungsmittel der karolingischen Königsurkunden geworden21. als Beglaubigungsmittel für Papsturkunden nicht erwähnt, sondern ausdrücklich sagt, Siegel seien ab dem 6. Jh. „ausschließlich für Herrscherurkunden benutzt“ worden, ab dem 10. Jh. auch für Bischöfe, und hätten ab dem 11. Jh. weite Verbreitung gefunden; zudem betont er zweifellos zu Recht, „daß keine strenge Grenze zwischen der Anwendung formaler Beglaubigungsmittel und juristischen Ritualen“ zu ziehen sei (S. 308). Alain de Boüard, Manuel de diplomatique française et pontificale. Diplomatique générale avec un album de 54 planches en phototypie (Paris 1929) 353–359, leitet die mittelalterliche Siegelurkunde allein aus der königlichen Besiegelungspraxis ab; ebenso Olivier Guyotjeannin–Jacques Pycke–Benoît-Michel Tock, Diplomatique médiévale (L’atelier du médiéviste 2, Turnhout 1993 [32006]) 90. 14  Peter Classen, Kaiserreskript und Königsurkunde. Diplomatische Studien zum Problem der Kontinuität zwischen Altertum und Mittelalter. AfD 1 (1955) 1–87; AfD 2 (1956) 1–115. 15   Ders., Kaiserreskript und Königsurkunde. Diplomatische Studien zum Problem der Kontinuität zwischen Altertum und Mittelalter (Thessaloniki 1977). 16  Classen, Kaiserreskript (1956, wie Anm. 14) 92–97; in der Fassung von 1977 (wie Anm. 15) erweitert zu: „Zur Entstehung des Papstprivilegs im Frühmittelalter und des Papstreskriptes im Hochmittelalter“, 211–219. 17   Classen, Kaiserreskript (1956, wie Anm. 14) 96; unverändert in der Fassung von 1977 (wie Anm. 15) 216. 18  Classen, Kaiserreskript (1956, wie Anm. 14) 105–115; in der Fassung von 1977 (wie Anm. 15) 229–239 erweitert zu: „Zur Frage der Besiegelung der Herrscherurkunden“. 19  Ebd. 114 (1956), 239 (1977). 20  Ebd. 108f. (1956), 232f. (1977). 21   Ebd. 115 (1956), 239 (1977).



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Diese Ausführungen wurden in der Fassung von 1977 wortgleich wiederholt, jedoch mit einer modifizierten Überschrift, „Zur Frage der Besiegelung der Herrscherurkunden“; die Bedeutung des Passus’ auch für die Papsturkunden wurde also weniger deutlich hervorgehoben, was dazu beigetragen haben mag, dass sie weitgehend in Vergessenheit gerieten. Denn während Classens Thesen zu Funktion und Bedeutung der Siegel auf den merowingischen Königsurkunden umfassend rezipiert wurden und den Ausgangspunkt für weitergehende Forschung bildeten22, blieben seine Ausführungen zu den päpstlichen Bullen eher unbeachtet, wenn man nicht die oben zitierten, zurückhaltenderen Äußerungen zur päpstlichen Siegelpraxis23 als Indizien für die Rezeption seiner Theorien werten will. Einzig Peter Rück reagierte auf Classens bereits 1956 vorgetragene Thesen und führte seine Gedanken weiter, allerdings in sehr knapper Form und ohne ausführlich auf den Sachverhalt einzugehen: Zweimal, 1996 und 2000, zuletzt unter ausdrücklichem Verweis auf Classen, legte Rück dar, dass die Papsturkunde des frühen Mittelalters keine Siegelurkunde gewesen sei. In der Gestaltung der päpstlichen Privilegien seit Leo IX. und unter seinen Nachfolgern in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts erkannte Rück 1996 Indizien dafür, „daß die Papsturkunde auch um 1100 noch keine Siegelurkunde im nordwesteuropäischen Sinn des sigillum authenticum von Alexanders III. bekannter Dekretale Meminimus (1167/69) gewesen“ sei24. Einige Jahre später äußerte er sich in seinem Aufsatz „Die hochmittelalterliche Papsturkunde als Medium zeitgenössischer Ästhetik“ noch entschiedener; in der Schilderung der äußeren Merkmale der Papsturkunde vor Papst Leo IX. heißt es hier zur päpstlichen Bulle: „Am untersten, meist zur Plica gefalteten Rand hängt als reines Schriftsiegel die Bulle, die hier offensichtlich nicht die Funktion eines Beglaubigungszeichens, sondern eines Verschlußsiegels übernimmt und insofern mit den seit den Karolingern in der Corroboratio angekündigten Siegeln der Königsurkunden nicht vergleichbar ist“25, zumal, so fuhr Rück fort, die Besiegelung von Urkunden in Rom vor dem 12. Jahrhundert nicht üblich gewesen sei. Sein Statement von 1996 wiederholte er an dieser Stelle in prägnanterer Form: „Die frühe Papsturkunde ist keine Siegelurkunde“26. Die Frage nach der Funktion des Siegels an den älteren Papsturkunden soll im Folgenden im Anschluss an die Ausführungen Classens und Rücks und im Lichte der seitdem auf dem Gebiet der frühmittelalterlichen Siegel- und Unterschriftspraxis erzielten Erkenntnisse erneut aufgegriffen werden.

  Vgl. zuletzt Stieldorf, Gestalt (wie Anm. 12).   Etwa diejenigen von Diederich, Siegel; Tebruck, Sphragistik, und Oberste, Urkunden (alle wie Anm. 13) und den Hinweis auf Classen durch Rabikauskas, Diplomatica (wie Anm. 6); vgl. etwa auch Toni Diederich, Die Siegel der Kölner Erzbischöfe von Bruno I. bis zu Hermann II., in: Kaiserin Theophanu. Begegnung des Ostens und Westens um die Wende des ersten Jahrtausends. Gedenkschrift des Kölner Schnütgen-Museums zum 1000. Todesjahr der Kaiserin, hg. von Anton von Euw–Peter Schreiner (Köln 1991) 1 89–108, hier 89. 24  Peter Rück, Bildberichte vom König. Kanzlerzeichen, königliche Monogramme und das Signet der salischen Dynastie (elementa diplomatica 4, Marburg 1996) 43. Als Grund für seine Annahme führt Rück an, dass die Rota „als skripturales Siegelbild verstanden worden“ sei, wie ihre Gestaltung seit Urban II. zeige, „als nur noch Apostelnamen und Papstname sowohl das Zentrum der Rota füllen wie auch die Siegelbeschriftung ausmachen“ (ebd.). 25  Peter Rück, Die hochmittelalterliche Papsturkunde als Medium zeitgenössischer Ästhetik, in: Arbeiten aus dem Marburger hilfswissenschaftlichen Institut, hg. von Erika Eisenlohr–Peter Worm (elementa diplomatica 8, Marburg 2000) 3–29, hier 13; Rück verweist dabei auf Classen, Kaiserreskript (wie Anm. 14) 105ff. 26   Rück, Papsturkunde 13. 22 23

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Unbestritten ist, dass die päpstlichen Urkunden in der Tradition der spätantiken Beamtenurkunden stehen und ursprünglich die Form eines Briefes an die Begünstigten oder die Empfänger hatten. In einer allmählichen Entwicklung setzte sich im Laufe des frühen Mittelalters die päpstliche Urkunde immer deutlicher von den Briefen ab. Zäsuren in diesem Prozess sind zum einen im späten 4. Jahrhundert zu erkennen, als an den Papst gerichtete Anfragen erstmals nicht in Reskript-Form beantwortet wurden, sondern in einer Dekretale27; „päpstliche Schreiben dieser Art, kraft apostolischer Autorität erlassen, hatten alle Kleriker der christlichen Ökumene zur Kenntnis zu nehmen und in ihren örtlichen Kirchenarchiven aufzubewahren“28. Ein weiterer Einschnitt ist mit Peter Classen im Verfall der kirchlichen Aktenführung seit dem Ende des 6. Jahrhunderts und der gleichzeitig steigenden Autorität der Päpste in kirchenrechtlichen Fragen zu erkennen29, in deren Folge sich die päpstlichen Urkunden zu Schriftstücken entwickelten, deren Ausfertigungen für die Empfänger besondere Bedeutung gewannen und die im 7. und 8. Jahrhundert das in ihnen verliehene Recht in sich selbst trugen30. Schließlich trat Ende des 8. Jahrhunderts mit dem unter Papst Hadrian I. erstmals bezeugten päpstlichen Privileg eine weitere, und wohl die bedeutendste, Zäsur ein. Das Privileg unterschied sich von den älteren Briefen und Urkunden durch zwei Elemente: die den Kontext abschließende Skriptumformel, die den Schreibernamen und das Ausstellungsdatum enthält, und die Große Datierung mit der Nennung zumeist des Vorstehers der päpstlichen Kanzlei und einer ausführlichen Datumsangabe31. Überzeugend ist angesichts dieser Entwicklung Classens Herleitung des anhängenden Bleisiegels der päpstlichen Schreiben aus einem Verschlussmittel, denn eine beglaubigende Funktion hatten die Siegel der spätrömischen Beamtenurkunden ebenso wenig wie diejenigen der Kaiserurkunden. Die Tatsache, dass die ältesten erhaltenen päpstlichen Bullen ohne die dazugehörigen Urkunden oder Briefe überliefert sind32, lässt sich somit nicht nur aus der Empfindlichkeit und Vergänglichkeit des Schriftträgers Papyrus erklären, der in dieser Zeit ausschließlich verwendet wurde, sondern könnte durchaus auch damit zusammenhängen, dass das mit Bulle und Schnur versiegelte Schreiben bei Erhalt geöffnet und damit die Bulle vom Schriftstück getrennt wurde, da man ihr über den Verschluss hinaus keinen besonderen Wert zuerkannte. Im Laufe des Entwicklungsprozesses vom spätantiken Brief zum Privileg des ausgehenden 8. Jahrhunderts mag auch der den Schriftstücken anhängenden und sie verschließenden Bulle allmählich größere Bedeutung zugemessen worden sein33, so dass man versuchte, beim Öffnen der Schriftstücke die Siegelschnur nicht mehr zu zerstören, sondern zu erhalten und damit den Zusammenhang zwischen Schreiben und Bulle zu wahren. Möglicherweise trat dieser Entwicklungsschritt, abweichend von der Meinung Peter Classens, nicht schon zu Beginn des 8. Jahrhunderts, sondern erst mit der Entstehung des päpstlichen Privilegs unter Hadrian I. oder in ihrer 27  Achim Thomas Hack, Codex Carolinus. Päpstliche Epistolographie im 8. Jahrhundert 1–2 (Päpste und Papsttum 35/1–2, Stuttgart 2006–2007) 1 30f., mit der älteren Literatur. 28   Ebd. 31. 29   Siehe oben, bei Anm. 17f. 30   Classen, Kaiserreskript (1956, wie Anm. 14) 96; unverändert in der Fassung von 1977 (wie Anm. 15) 216. 31  Bresslau, Handbuch (wie Anm. 7) 1 76–78; Schmitz-Kallenberg, Lehre (wie Anm. 6) 82f.; Frenz, Papsturkunden (wie Anm. 1) 17f. 32  Siehe oben bei Anm. 1f. 33   Classen, Kaiserreskript (1956, wie Anm. 14) 112.



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Folge ein. Die schlechte Überlieferungslage lässt exakte zeitliche Aussagen nicht zu, jedoch spricht für diesen Ansatz der späte Zeitpunkt, von dem an die ersten Urkunden mit anhängenden Bullen überliefert sind, nämlich die Mitte des 9. Jahrhunderts34. Eine beglaubigende Funktion kam dem päpstlichen Siegel in dieser Zeit jedoch ebenso wenig zu wie in den Jahrhunderten zuvor. Im Urkundentext wurde es nicht erwähnt; eine Corroboratio, eine die Beglaubigungsmittel ankündigende, den Kontext abschließende Formel, kannte die Papsturkunde nicht35. Authentifiziert wurde das ältere päpstliche Privileg vielmehr durch Unterschriften, in erster Linie durch die Unterschrift des Papstes selbst. Sie bestand von den ersten von uns zu beobachtenden Anfängen an bis zum Jahr 1049, also bis zu den Neuerungen Papst Leos IX. (1049–1054), nicht in einer Namensunterschrift36, sondern in einem an den oder die Empfänger gerichteten Schlussgruß. Dieser Schlussgruß lässt sich, auch in seiner Form, wiederum aus der Tradition der spätrömischen Beamtenurkunden ableiten37; aus den unterschiedlichen Möglichkeiten der Formulierung wie etwa Vale, Bene vale oder Bene valere te cupimus setzte sich Bene valete langfristig als einzige Form durch38. Das abschließende Benevalete wurde nicht immer, aber doch häufig und seit dem Ende des 10. Jahrhunderts regelmäßig vom Papst eigenhändig ausgeführt 39, und zwar in ausgeschriebener Form, zweizeilig angeordnet, zumeist von zwei Kreuzen eingeschlossen und   Siehe oben bei Anm. 2.   Auch hierin stand die Papsturkunde in spätantiker Tradition; die Corroboratio gehörte zu den Neuerungen der merowingischen Königsurkunde; vgl. Stieldorf, Gestalt (wie Anm. 12) 151 mit Anm. 87. Leo Santifaller, Die Verwendung des Liber Diurnus in den Privilegien der Päpste von den Anfängen bis zum Ende des 11. Jahrhunderts. MÖIG 49 (1935) 225–366, hier 240, erwähnt einige in älteren Urkunden in Ausnahmefällen vorkommende Corroborationes; sie kündigen jedoch in keinem Fall Beglaubigungsmittel an. Es handelt sich um die Urkunden Gregors I. JE 1082, 1362, 1458, 1499, 1607, 1607A (MGH Epp. 1, ed. Paul Ewald–Ludo M. Hartmann [Berlin 1891] 14f. Nr. I 14a ; 348f. Nr. V 49; 454f. Nr. VII 12; MGH Epp. 2, ed. Ludo M. Hartmann [Berlin 1899] 14f. Nr. VIII 12; 97f. Nr. IX 82). Gelegentlich wird die aus zwei Formeln bestehende Sanctio späterer Urkunden als Corroboratio bezeichnet, z. B. bei Frenz, Papsturkunden (wie Anm. 1) 26; Beglaubigungsmittel werden darin nicht angekündigt. Siehe dazu auch unten Anm. 69. 36   Zu vereinzelten Fällen, in denen – lange vor dem Auftreten des Privilegs – ausdrücklich eine Unterschrift des Papstes angekündigt wird, vgl. Bresslau, Handbuch (wie Anm. 7) 1 75; es handelt sich um Schreiben Gregors I. (MGH Epp. 1 390f. Nr. VI 12; MGH Epp. 2 107 Nr. IX 97); vgl. auch Bresslau, Handbuch (wie Anm. 7) 1 76. 37   Peter Classen, Spätrömische Grundlagen mittelalterlicher Kanzleien, in: ders., Ausgewählte Aufsätze, hg. von Josef Fleckenstein et al. (VuF 28, Sigmaringen 1983) 67–84, hier 75; vgl. zu den Schlussformeln in den Papstbriefen der Spätantike und des frühen Mittelalters Hack, Codex (wie Anm. 27) 137–141, 930–945. 38  Vgl. außer Classen, Grundlagen, jetzt umfassend Otfried Krafft, Bene Valete. Entwicklung und Typologie des Monogramms in Urkunden der Päpste und anderer Aussteller seit 1049 (Leipzig 2010) 16f. mit Anm. 35, 37. 39   Zur Frage der Eigenhändigkeit der abschließenden Grußformel vgl. zuletzt mit einem umfassenden Überblick über die ältere Literatur Krafft, Bene Valete (wie Anm. 38) 17 mit Anm. 39f., und ders., Der monogrammatische Schlußgruß (Bene valete). Über methodische Probleme, historisch-diplomatische Erkenntnis zu gewinnen, in: Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters (wie Anm. 11) 209–247, hier 236 mit Anm. 123f.; vgl. auch Hack, Codex (wie Anm. 27) 137. Einen Ausnahmefall stellt Papst Johannes VIII. dar, der nach dem ausgeschriebenen Benevalete sein Namensmonogramm auf die Urkunde setzte; vgl. dazu zuletzt Krafft, Bene Valete 19 mit Anm. 56. Ein weiterer ungewöhnlicher Fall ist wohl Silvester II. (999–1003), der ein wahrscheinlich von ihm eigenhändig ausgeführtes Benevalete mit seinem in Tironischen Noten geschriebenen Namen ergänzte; vgl. Werner Maleczek, Die eigenhändigen Unterschriften der Kardinäle – ein Spiegelbild ihrer Persönlichkeit? Mit einem Überblick über eigenhändige Unterschriften auf Urkunden vom Frühmittelalter bis ins 13. Jahrhundert, in: Päpstliche Herrschaft im Mittelalter. Funktionsweisen – Strategien – Darstellungsformen, hg. von Stefan Weinfurter (Mittelalter-Forschungen 38, Ostfildern 2012) 239–299, hier 265. 34 35

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manchmal von einem gekürzt geschriebenen subscripsi oder von Interpunktionszeichen gefolgt, aus denen sich das spätere Großkomma entwickelte40. Als weitere Unterfertigung weisen die päpstlichen Privilegien die Skriptumformel auf, die den Namen des Schreibers nennt und knappe, Monat und Indiktion der Ausstellung umfassende Angaben zum Datum macht. Die Skriptumformel trat wie erwähnt erst mit der neuen Form des Privilegs auf; durch die Angabe des Schreibernamens wich sie grundsätzlich von der älteren Tradition der in den römischen Beamtenurkunden enthaltenen Unterschriften ab, die „niemals den Namen des Ausstellers und fast niemals den Namen und das Amt anderer an der Beurkundung beteiligter Personen“ enthielten41. Die Skriptumzeile stellte nach den Untersuchungen von Rudolf Schieffer zumindest in der Zeit zwischen 896 und 1046 „das mit Abstand beständigste Element der Unterfertigung“ der päpstlichen Urkunde dar42. Wichtig für Funktion und Bedeutung der Formel scheint, dass sie fehlen konnte, wenn es sich um eine Empfängerausfertigung handelte, wie Paulius Rabikauskas nachgewiesen hat43. Ebenso wichtig ist der mehrfach belegbare Befund, dass die gesamte Skriptumformel oder auch nur der Name des Schreibers erst dann eingetragen wurden, wenn das Privileg durch den Datar geprüft und mit der Großen Datierung versehen worden war44. Die Skriptumformel gehörte damit ohne Zweifel zu den ein päpstliches Privileg authentifizierenden Merkmalen. Als dritte Unterfertigung tragen die Privilegien die Datum-per-manus-Formel oder Große Datierung45. Sie wurde von dem Vorsteher der päpstlichen Kanzlei46 unter Nennung seines Namens eingetragen und besteht aus eben dieser Namensnennung sowie aus ausführlichen Angaben zur Datierung. In den ältesten Urkunden tritt sie weniger regelmäßig auf als die Skriptumformel47. Der Grund dafür könnte in der Überlieferung zu suchen sein; allerdings gab es auch Urkunden, die ohne die Datum-per-manus-Formel den Empfängern ausgehändigt wurden48. Dass dem Vermerk des obersten Amtsträgers der päpstlichen Kanzlei eine die Urkundenausstellung abschließende, authentifizierende Rolle zukam, ist trotzdem kaum zu bezweifeln49. 40   Frenz, Symbole (wie Anm. 11) 399, 403–405; Krafft, Bene Valete (wie Anm. 38) 16f., 18 mit Anm. 45; Mersiowsky, Papstprivilegien (wie Anm. 11) 156. 41   Classen, Grundlagen (wie Anm. 37) 75. 42  Rudolf Schieffer, Zum Datierungsformular der Papsturkunden des 10. und des frühen 11. Jahrhunderts, in: Ex ipsis rerum documentis: Beiträge zur Mediävistik. Festschrift für Harald Zimmermann zum 65. Geburtstag, hg. von Klaus Herbers–Hans Henning Kortüm–Carlo Servatius (Sigmaringen 1991) 73–84, hier 75. 43  Paul Rabikauskas, Zur fehlenden und unvollständigen Skriptumzeile in den Papstprivilegien des 10. und 11. Jahrhunderts, in: Saggi storici intorno al papato (Miscellanea Historiae Pontificiae 21, Roma 1959) 91–116, hier 97; darauf weist Schieffer, Datierungsformular (wie Anm. 42) 75, ausdrücklich hin. 44   Rabikauskas, Skriptumzeile 110f., 115; Schieffer, Datierungsformular (wie Anm. 42) 75f. – Vgl. dazu auch Rück, Papsturkunde (wie Anm. 25) 13, der in der Skriptumzeile einen „Findbehelf für die Registratur“ sieht; auch dann wäre die Formel eine Art Beglaubigung. 45  Frenz, Papsturkunden (wie Anm. 1) 17. 46  Der Eintrag erfolgte durch den Primicerius, den Bibliothecarius und später den Cancellarius; dazu, zum Vorsteher der Kanzlei und zur Problematik des Begriffs „Kanzlei“ auch in der Anwendung auf die päpstliche Kurie bis wenigstens zum Ende des 10. Jhs. vgl. Rabikauskas, Skriptumzeile (wie Anm. 43) 97–107. 47   Schieffer, Datierungsformular (wie Anm. 42) 79. 48  Rabikauskas, Skriptumzeile (wie Anm. 43) 96f.; Schieffer, Datierungsformular (wie Anm. 42) 79. 49  Vgl. Bresslau, Handbuch (wie Anm. 7) 2/2 473f.: „Ich kann … die Datumzeile nur als eine Formel der Beglaubigung durch den Leiter der Kanzlei oder einen Stellvertreter des Leiters betrachten“; Paul Rabikauskas, Die römische Kuriale in der päpstlichen Kanzlei (Miscellanea Historiae Pontificiae 20, Roma 1958) 32, führt aus, dass „die Datumzeile wohl als eine Art Recognition zu gelten hat“; Schieffer, Datierungsformular (wie



Zur Bedeutung des Siegels an den Papsturkunden des frühen Mittelalters 61

Es war also ein Ensemble von Unterschriften, das die ältesten Papstprivilegien bis zu den Reformen Leos IX. aufwiesen: zum einen die eigenhändig ausgeführte Skriptumformel des Schreibers, der in der Formel seinen Namen nannte, zum andern der zumeist eigenhändig ausgeführte, an den Empfänger gerichtete, den Namen des Ausstellers nicht enthaltende Schlussgruß des Papstes, sowie schließlich die Unterfertigung des Datars, zumeist des Vorstehers der päpstlichen Kanzlei, der sich wie der Skriniar mit seinem Namen bezeichnete. Mit der neu entwickelten Form des Privilegs hatte sich die päpstliche Urkunde von ihrem Ursprung, der spätrömischen Beamtenurkunde, entfernt, indem die Unterfertigungen nunmehr – vom Benevalete-Schlussgruß abgesehen – mit den Namen der an der Urkundenausstellung Beteiligten oder für sie Verantwortlichen versehen wurden. Der Gedanke liegt nahe, dass diese Veränderungen eine Reaktion auf die Entwicklung darstellten, die die fränkische Herrscherurkunde seit der späten Merowingerzeit durchlaufen hatte50: Die Diplome der Merowingerkönige waren durch die eigenhändige Unterschrift des Ausstellers, also des Herrschers, und durch die Nennung des verantwortlichen Kanzleibeamten, des Referendars, ebenfalls von den spätantiken Kaiser- und Beamtenurkunden abgewichen; die frühen Karolinger hatten das merowingische Beispiel in modifizierter Form nachgeahmt, durch die königliche Signumzeile mit dem Monogramm des Herrschers im Zentrum auf der einen und der mit dem Rekognitionszeichen endenden Rekognitionszeile auf der anderen Seite. Kaum zufällig fällt nun das erste Auftreten des Privilegs in die Zeit Hadrians I., dessen Pontifikat von einer Annäherung des Papsttums an die fränkischen Herrscher gekennzeichnet ist51. Angesichts der äußerst lückenhaften Überlieferung der Papsturkunden des 9. und 10. Jahrhunderts52 lässt sich die Entwicklung der äußeren Merkmale der Papsturkunde in dieser Zeit nur ansatzweise verfolgen; es scheint jedoch so zu sein, dass sich die hier skizzierte Annäherung an die Herrscherurkunde vor allem auf die inhaltlich-rechtliche Seite bezog und die beglaubigenden Unterschriften anders als in der Herrscherurkunde grafisch Anm. 42) 75f.: „wenn das Privileg nach gehöriger Prüfung durch Niederschrift der großen Datierung vollendet wurde“; Dahlhaus, Aufkommen (wie Anm. 3) 9, spricht von der „Datumformel (große Datierung), mit der ein höherer ‚Beamter‘ das Stück beglaubigt“. 50  Ähnliches deuteten bereits Bresslau, Handbuch (wie Anm. 7) 2/2 474, und Rabikauskas, Skriptumzeile (wie Anm. 43) 95 an; Letzterer hielt es für möglich, dass bei der Einführung der Skriptumzeile und der Großen Datierung „das juridische Moment mitgespielt“ habe: „Die Neuerung geschah zu einer Zeit, da das Ansehen und die politische Bedeutung des päpstlichen Stuhles im Aufstieg begriffen war, da der Papst auch im irdischen Bereich eine größere Geltung und Selbständigkeit erlangte. Die päpstlichen Rechtsentscheidungen sollten nicht weniger als die Bestimmungen der weltlichen Herrscher bindende Kraft besitzen“ (ebd.). 51   Zur Einführung der Namensunterschrift in der merowingischen Königsurkunde vgl. Stieldorf, Gestalt (wie Anm. 12) 152f.; zu Papst Hadrian I. vgl. Florian Hartmann, Hadrian I. (772–795). Frühmittelalterliches Adelspapsttum und die Loslösung Roms vom byzantinischen Kaiser (Päpste und Papsttum 34, Stuttgart 2006), hier bes. 105–109. 52  Zur Überlieferung der Papstbriefe vgl. Hack, Codex (wie Anm. 27) 25–29. Zu den Papsturkunden des 9. Jhs. vgl. Paul Fridolin Kehr, Die ältesten Papsturkunden Spaniens, erläutert und reproduziert, mit 12 Tafeln (Abh. der Preußischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 1926/2, Berlin 1926) 7f.; Nachdr. in: ders., Ausgewählte Schriften, hg. von Rudolf Hiestand (Abh. der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, phil.-hist. Kl., 3. Folge 250, Göttingen 2005) 2 943–1002; zu ihnen jetzt vor allem Mersiowsky, Papstprivilegien (wie Anm. 11), mit Nachweis der Überlieferung, der Abbildungen und der maßgeblichen Drucke ebd. 141f. Anm. 10; zu den überlieferten Originalen des 10. Jhs. (bis 1003) Kehr, Papsturkunden 13–22; sämtliche überlieferten Papsturkunden der Zeit 896 bis 1046 in: Papsturkunden, ed. Zimmermann (wie Anm. 3); vgl. vor allem auch Rabikauskas, Kuriale (wie Anm. 49) 33–39, 225–230.

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nicht besonders ausgestaltet wurden, sieht man von der althergebrachten Stilisierung des Schlussgrußes53, der Akzentuierung des letzten Buchstabens der Skriptumformel54 oder des ersten Buchstabens der Datierung55 einmal ab. Seit der Mitte des 10. Jahrhunderts jedoch begann sich die päpstliche Kanzlei bei der Urkundenausstellung in zunächst sehr geringem, dann allmählich zunehmendem Maße auch vom äußeren Erscheinungsbild der Herrscherurkunde beeinflussen zu lassen – ein Prozess, der bekanntlich seinen Höhepunkt im 11. Jahrhundert erreichte. Die grundlegenden, ja radikalen Veränderungen, die die äußere und innere Gestalt des Papstprivilegs in der Zeit des Reformpapsttums, insbesondere unter Leo IX., jedoch auch noch in den späteren Jahrzehnten des 11. Jahrhunderts durchlief, sind von kompetenter Seite erforscht und dargelegt worden56; an dieser Stelle sollen nur die für die vorliegende Fragestellung relevanten Aspekte hervorgehoben werden. Dem päpstlichen Schlussgruß war von der Mitte des 10. Jahrhunderts an, vor allem aber in den ersten Jahrzehnten des 11. Jahrhunderts, zunehmend grafische Bedeutung zugewachsen57. Er hatte sich aus seiner engen Bindung an den Kontext gelöst, war in einer freien Fläche zwischen Kontext und Großer Datierung angeordnet und in unterschiedlich gestalteten, jedenfalls aber auffälligeren Formen als zuvor ausgeführt worden58. Sein Bedeutungszuwachs gipfelte im grundlegenden Wandel des Erscheinungsbildes des Privilegs durch die Reformen Leos IX. Die durch den Papst selbst veranlasste Einführung der Rota, des Benevalete-Monogramms und des Großkommas kann als Bemühen gedeutet werden, der Papsturkunde eine äußerlich ebenso eindrucksvolle Gestalt zu geben, wie sie die Herrscherurkunde bereits seit Langem aufwies. Das Eschatokoll wandelte sich aber mit diesen Reformen nicht nur in seinem Aussehen, sondern auch grundlegend in seinem   Siehe oben bei Anm. 40.   Vgl. Mersiowsky, Papstprivilegien (wie Anm. 11) 155f. 55  Vgl. ebd. 158. 56   Hingewiesen sei lediglich auf die jeweils die ältere Literatur erschließenden Arbeiten zur Schriftentwicklung von Rabikauskas, Kuriale (wie Anm. 49); zur Rota von Dahlhaus, Aufkommen (wie Anm. 3), sowie dems., Aufkommen und Bedeutung der Rota in der Papsturkunde, in: Graphische Symbole in mittelalterlichen Urkunden (wie Anm. 11) 407–423; zum Benevalete-Monogramm von Krafft, Bene Valete (wie Anm. 38), und dems., Schlußgruß (wie Anm. 39); zu den Unterschriften des Papstes in der zweiten Hälfte des 11. Jhs. von Joachim Dahlhaus, Rota oder Unterschrift. Zur Unterfertigung päpstlicher Urkunden durch ihre Aussteller in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts (Anhang: Die Originalurkunden der Päpste von 1055 bis 1099), in: Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters (wie Anm. 11) 249–303; zu den Siegelbildern Ingo Herklotz, Zur Ikonographie der Papstsiegel im 11. und 12. Jahrhundert, in: Für irdischen Ruhm und himmlischen Lohn. Stifter und Auftraggeber in der mittelalterlichen Kunst, hg. von Hans-Rudolf Meier–Carola Jäggi–Philippe Büttner (Berlin 1995) 116–130, sowie ders., Bildpropaganda und monumentale Selbstdarstellung des Papsttums, in: Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts, hg. von Ernst-Dieter Hehl–Ingrid Heike Ringel–Hubertus Seibert (Mittelalter-Forschungen 6, Stuttgart 2002) 273–291. Vgl. auch Rudolf Schieffer, Motu proprio. Über die papstgeschichtliche Wende im 11. Jahrhundert. HJb 122 (2002) 27–41; ders., Zum Urkundenwesen Papst Gregors VII., in: Nulla historia sine fontibus. Festschrift für Reinhard Härtel zum 65. Geburtstag, hg. von Anja Thaller–Johannes Giessauf–Günther Bernhard (Graz 2010) 426–448. 57   Zum älteren Befund vgl. Kehr, Papsturkunden (wie Anm. 52) Taf. 2–4, 7, 9–11; die weitere Entwicklung ist in den in deutschen Archiven verwahrten Papsturkunden der Zeit exemplarisch zu verfolgen; vgl. die Abbildungen in: Frühe Papsturkunden (891–1054), hg. von Irmgard Fees–Francesco Roberg (Digitale Urkundenbilder 2/I, Leipzig 2006) Taf. 3–10 (Urkunden von 1005 bis 1047). 58  Als Schrift wurde die Unziale zugunsten der Capitalis aufgegeben; die Buchstaben nahmen in Höhen- und Breitenausdehnung stark zu; die Buchstaben N und E, V und A sowie T und E erscheinen im Nexus Litterarum. Vgl. dazu Frenz, Graphische Symbole (wie Anm. 11) 403–405; Krafft, Bene Valete (wie Anm. 38) 16f., 18 mit Anm. 45. 53 54



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Inhalt. An die Stelle des nicht individualisierten Benevalete als Schlussgruß des Papstes traten die unter eigenhändiger Beteiligung des Papstes ausgeführten Zeichen der Rota, des Benevalete-Monogramms und des Großkommas59, die ursprünglich offenbar als Ensemble die päpstliche Unterfertigung darstellten60. Unter den drei Zeichen kam sehr bald der Rota die größte Bedeutung zu, auch was die eigenhändige Beteiligung des Papstes an seiner Ausführung anging. Die Rota symbolisierte die päpstliche Unterschrift, ja sie stellte mit dem in ihr enthaltenen Namen, dem Titel und der Devise des Papstes dessen Unterfertigung selbst dar61. Damit hatte auch die Papsturkunde die spätantike Tradition verlassen, nach der der Aussteller mit einer seinen Namen nicht nennenden Grußformel unterfertigte. Die Namensunterschrift, der sich Leo IX. nun zugewandt hatte und in der ihm die späteren Päpste nachfolgen sollten, wurde in einer ähnlich stilisierten Form präsentiert, wie es für die königliche Unterfertigung in den Herrscherurkunden seit Karl dem Großen üblich geworden war. Leo IX. führte die neu geschaffenen Zeichen zunächst fast zur Gänze selbst aus; der Grad seiner Mitwirkung an der Gestaltung ging nach den Anfängen zwar zurück, jedoch lässt sich nachweisen, dass er in 33 von 38 anhand der Originale zu beurteilenden Fällen die gesamte Beschriftung der Rota eigenhändig erledigte62. Die Frage, inwieweit sich die Päpste des 11. Jahrhunderts nach Leo IX. persönlich an der Ausführung der Rota beteiligten, wurde kürzlich von Joachim Dahlhaus, der bereits die maßgeblichen Untersuchungen zur Umgestaltung der Privilegien durch Leo vorgelegt hat63, grundlegend untersucht64. Dahlhaus setzte seine Befunde zum ersten Auftreten der päpstlichen Unterschrift in subjektiver Fassung, das ebenfalls in diese Epoche fällt, in Beziehung. Er gelangte zu zwei bemerkenswerten Ergebnissen, dass nämlich erstens in mindestens 87 Prozent der Fälle eine eigenhändige Beteiligung des Papstes an der Vollziehung der Urkunden sichtbar wird65, und dass sich zweitens bis zum Ende des Pontifikats Urbans II. (1088–1099) „Rota und Papstunterschrift gegenseitig ausschließen, Rota und nichtpäpstliche Unterschriften aber zusammen vorkommen“66. Angesichts dieses Befundes liegt der Schluss nahe, dass die Rota die päpstliche Unterzeichnung und damit eines der Beglau  Zusammenfassende Darstellung der Veränderungen jetzt bei Dahlhaus, Rota (wie Anm. 56) 250.   Vgl. Dahlhaus, Aufkommen (wie Anm. 3) 7, wo der Autor die neuen Schriftzeichen mit „Auto­ gramme[n] des Papstes“ vergleicht; vgl. auch Krafft, Bene Valete (wie Anm. 38) 157–159. 61   Vgl. Dahlhaus, Aufkommen (wie Anm. 3) 29: „Wie nichtpäpstliche Urkunden durch Namensunterschrift oder signum manus bekräftigt wurden, so die päpstlichen Privilegien seit Leo IX. durch die Rota“; vgl. auch ebd. 62: „Auf die Rota haben offenbar nichturkundliche Vorbilder eingewirkt, sie ist aber kein urkundenfremdes Element, sondern ein Mittel zur rechtlichen Vollziehung der Urkunde“. Es trifft demnach nicht zu, dass in päpstlichen Urkunden grafische Symbole keine rechtliche Funktion hatten, wie Frenz, Graphische Symbole (wie Anm. 11) 399, annimmt. Das hatte schon Peter Rück anders als Frenz gesehen: Peter Rück, Beiträge zur diplomatischen Semiotik, in: Graphische Symbole (wie Anm. 11) 13–47, hier 31. 62  Dahlhaus, Rota (wie Anm. 56) 251: „[Leo] hat in 33 von 38 Original-Rotae die gesamte Beschriftung und in einer weiteren immerhin die Umschrift eigenhändig angebracht. Inschrift und Umschrift erscheinen als zweierlei Unterschriften, eine persönliche und eine unpersönliche, die sich in der Rota mit einem Handzeichen verbinden. Leos Rota ist ein Mittel zur rechtlichen Vollziehung und religiösen Bekräftigung der Urkunde.“ 63  Dahlhaus, Aufkommen (wie Anm. 3); Dahlhaus, Aufkommen und Bedeutung (wie Anm. 56). 64  Dahlhaus, Rota (wie Anm. 56); Basis der Untersuchung waren 156 im Original überlieferte Urkunden des Zeitraums 1055 bis 1099, die anhand von Abbildungen oder durch Autopsie geprüft werden konnten; insgesamt sind aus dieser Zeit 197 Exemplare im Original erhalten, unter denen 161 eine Rota aufweisen (ebd. 287). 65  Zusammenfassung der Ergebnisse ebd. 289. 66  Ebd. 288. 59 60

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bigungsmittel darstellte67. Immer noch also war es wie im 9. und 10. Jahrhundert ein Ensemble von Unterfertigungen, das die päpstliche Urkunde beglaubigte: die päpstliche Unterschrift in Form entweder der Rota oder der ausformulierten Unterschrift, wohl auch das Benevalete-Monogramm68 sowie zweifellos die Datierung; nicht auszuschließen ist, dass auch die Skriptumformel noch eine gewisse Rolle für die Authentifizierung spielte, auch wenn sie auf die in Kuriale mundierten Stücke beschränkt war. Den inhaltlichen Unterschied zum Privileg der Zeit vor Leo IX. stellt die Nennung des Ausstellernamens dar – der sich sowohl in der Rota als auch in der alternativ zur Rota ausformulierten päpstlichen Unterschrift findet –, den äußerlichen Unterschied die Verwendung der grafisch eindrucksvollen Zeichen von Rota und Benevalete-Monogramm. Welche Bedeutung kam nun der päpstlichen Bulle im 11. Jahrhundert zu? Auch weiterhin wurde eine Besiegelung im Urkundentext nicht angekündigt69. Trotzdem scheint am Ende des Jahrhunderts die Papsturkunde, anders als von Peter Rück postuliert, zu einer Siegelurkunde geworden zu sein, zumindest in dem Sinne, dass dem päpstlichen Siegel nunmehr eine beglaubigende Funktion zukam. Es sind zwei grundlegende Veränderungsprozesse, die auf diese Tatsache hindeuten: zum einen die Weiterentwicklung der Papstbriefe zum Urkundentypus der Litterae, die später zur häufigsten Form von Papsturkunden überhaupt werden sollten70 und deren einziges Beglaubigungsmittel die Bulle darstellte, zum anderen der Wandel der päpstlichen Bulle von einem reinen Schrift- zu einem Bildnissiegel. Die Litterae waren keine völlig neu aufkommende Urkundenart, sondern setzten nach allgemeiner Ansicht die Papstbriefe der älteren Zeit fort. Festzuhalten ist aber, dass sie sich von diesen älteren Briefen formal unterscheiden, und dass die Briefe aus der Mitte des 11. Jahrhunderts offenbar eine Übergangsform im Entwicklungsprozess von den älteren Briefen zu den jüngeren Litterae darstellen. Den im Original erhaltenen Papstbriefen dieser Zeit – sie stammen aus den Jahren 1036 (?), 1064–1070, 1078 und 108071 – fehlen 67  Dahlhaus formuliert ebd. 288f. allerdings sehr viel zurückhaltender: „So fällt es schwer zu glauben, dass die in mindestens 87 % der Fälle sichtbar werdende eigenhändige Vollziehung durch den Aussteller rechtlich irrelevant sei“, wie Frenz annehme; Dahlhaus bezieht sich hier auf die oben, Anm. 11, zitierte Darlegung von Frenz, „Das Wesen der päpstlichen Urkunde ist ... rein verbal; ihre Beglaubigung erfolgt allein durch das päpstliche Siegel“. 68  Krafft, Bene Valete (wie Anm. 38) 157–159. 69  Die päpstliche Urkunde kennt, wie erwähnt, keine die Beglaubigungsmittel ankündigende Corroboratio; siehe dazu oben bei Anm. 35. Im späteren Mittelalter sind allerdings in Ausnahmefällen Siegelankündigungen belegt, etwa bei den Litterae ante coronationem, in denen unmittelbar vor der Datierung auf die Besiegelung mit der Bulla dimidia hingewiesen wird; vgl. Frenz, Papsturkunden (wie Anm. 1) 27. 70  Ebd. 24. 71  Das älteste Beispiel ist JL 4113 von ca. 1036; Druck: Papsturkunden, ed. Zimmermann (wie Anm. 3) 2 1130f. Nr. †600; dazu Germania Pontificia X: Provincia Treverensis 1: Archidioecesis Treverensis, hg. von Egon Boshof (Göttingen 1992) 54 Nr. 91, und umfassend Otfried Krafft, Papsturkunde und Heiligsprechung. Die päpstlichen Kanonisationen vom Mittelalter bis zur Reformation. Ein Handbuch (AfD Beih. 9, Köln–Weimar– Wien 2005) 32–35; vgl. auch J. F. Böhmer, Regesta Imperii III. Salisches Haus 1024–1125, 5. Abt.: Papstregesten 1024–1058, Lieferung 1: 1024–1046, bearb. von Karl Augustin Frech (Köln–Weimar–Wien 2006) Nr. 186. Die weiteren Beispiele: Drei Briefe Alexanders II., JL 4748 von (1064–1068), JL 4659 von (1068–1069), JL 4754 von (1069–1070); vgl. dazu Germania Pontificia III: Provincia Maguntinensis 3: Dioeceses Strassburgensis, Spirensis, Wormatiensis, Wirciburgensis, Bambergensis, hg. von Albert Brackmann (Berlin 1935) 179f. Nr. 12; Germania Pontificia IV: Provincia Maguntinensis 4: S. Bonifatius, Archidioecesis Maguntinensis, Abbatia Fuldensis, hg. von Hermann Jakobs (Göttingen 1978) 385 Nr. 82, 386f. Nr. 87, 387 Nr. 89. Bei JL 4748 und JL 4659 ist die Bulle verloren, bei JL 4754 erhalten. Außerdem zwei Briefe Gregors VII. von 1078 und 1080, JL 5088, JL 5167; vgl. dazu Schieffer, Urkundenwesen (wie Anm. 56) 428. – Alle Beispiele verbindet, außer dem Fehlen von Schlussgruß und Datierung, die Mundierung in einer schlichten Buchminuskel.



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die üblichen älteren Authentifizierungsmerkmale, nämlich der Schlussgruß des Papstes und die Datierung; sie tragen lediglich das Siegel. Insbesondere das Fehlen des Schlussgrußes, der eigenhändigen Unterschrift des Papstes, erstaunt. Sieht man von dem nur mit dem Anfangsbuchstaben angeführten Namen des Ausstellers und seinem Titel episcopus servus servorum ab, so liefert in diesen Briefen das Siegel den einzigen Hinweis auf den Aussteller. Erst seit Urban II. (1088–1099) wurde den Briefen wieder eine Datierung, bestehend aus Ort, Tag und Monat, beigegeben72; auch jetzt aber fehlte ihnen jegliches Authentifizierungsmerkmal außer der Bulle73. Um die Wende zum 12. Jahrhundert erschienen die ersten Litterae, deren Bullen mit Seidenschnüren befestigt waren, die Litterae cum serico, die zunächst offenbar noch sehr selten waren und erst seit den 1140er Jahren in größerer Anzahl ausgestellt wurden74; ihrem Rechtsgehalt nach waren die Seidenschnurbriefe Privilegien gleichgestellt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war die Entwicklung der päpstlichen Bulle zum Beglaubigungsmittel der Papsturkunde abgeschlossen, denn beide Formen der Litterae, die Hanfschnur- wie die Seidenschnurbriefe, weisen weder einen ausgeschriebenen Schlussgruß wie das ältere Privileg, noch die Rota oder das Benevalete-Monogramm wie die Privilegien seit Leo IX., noch eine päpstliche Unterschrift auf. Der Kleinen Datierung, mit der sie versehen wurden, fehlt der Name des Datars. Für die Litterae war also tatsächlich das Siegel das Beglaubigungsmittel, und zwar das einzige75. In auffälliger zeitlicher Parallelität zu dieser Entwicklung vollzog sich der fundamentale Wandel der äußeren Merkmale der Papstbullen, der unter dem Nachfolger Leos IX., Viktor II. (1055–1057), einsetzte und unter Paschalis II. (1099–1118) endete. Das Ergebnis war die bekannte Gestalt des Papstsiegels, die vom Beginn des 12. Jahrhunderts an bis in die Gegenwart hinein in ihren Grundzügen unverändert blieb 76. Das Siegel, das über Jahrhunderte fast ausnahmslos ein reines Schriftsiegel gewesen war, wenn man von Sternen, Rosetten, Kreuzen oder Christusmonogrammen absieht77, wurde unter den Päpsten der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts zu einem Bildsiegel78.

  Bischoff, Urkundenformate (wie Anm. 3) 53 Anm. 314.   Durch eine Untersuchung aller, also auch der kopial überlieferten, Briefe des 11. Jhs., die an dieser Stelle nicht geleistet werden kann, wären vielleicht weitere Erkenntnisse zu den formalen Veränderungen der Stücke zu gewinnen. So versah offenbar Papst Johannes (XIX.) 1032 sein Schreiben an Abt Odilo von Cluny mit einem (eigenhändig ausgeführten?) Schlussgruß; Druck: Papsturkunden, ed. Zimmermann (wie Anm. 3) 2 1119–1121 Nr. 594. Schwer zu entscheiden ist aber, ob ein entsprechender Schlussgruß in drei weiteren Schreiben desselben Papstes (Druck: ebd. Nr. 572, 573, 574) tatsächlich fehlte oder von dem um das Jahr 1100 tätigen Kopisten weggelassen wurde. 74   Bischoff, Urkundenformate (wie Anm. 3) 62f.; zu den Litterae allgemein Frenz, Papsturkunden (wie Anm. 1) 23–27; Bischoff, Urkundenformate 62–67; zur allmählichen Ausdifferenzierung der äußeren Merkmale im Laufe des 12. Jhs. vgl. Andrea Birnstiel–Diana Schweitzer, Nicht nur Seide oder Hanf! Die Entwicklung der äußeren Merkmale der Gattung Litterae im 12. Jahrhundert, in: Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters (wie Anm. 11) 305–334. 75   So auch Frenz, Papsturkunden (wie Anm. 1) 24. 76  Ebd. 55. 77  Einzige bekannte Ausnahme ist die Bulle des Papstes Deusdedit (615–618), die das Bild des Guten Hirten zeigt; vgl. ebd. 54. 78  Ausführliche Beschreibung der Veränderungen von Viktor II. bis zu Paschalis II.: Pflugk-Harttung, Bullen (wie Anm. 6) 50–53; Herklotz, Ikonographie (wie Anm. 56) 117–119; Manfred Groten, Die gesichtslose Macht: Die Papstbullen des 11. Jahrhunderts als Amtszeichen, in: Päpstliche Herrschaft im Mittel­ alter (wie Anm. 39) 199–220. 72 73

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Während Leo IX. am Typus des Schriftsiegels festgehalten und lediglich auf der Namensseite seinem Namen (in Umschrift) die Ordnungszahl (in Aufschrift) hinzugefügt hatte79, veränderte sich die Siegelgestalt unter seinem Nachfolger Viktor II. grundlegend: Auf einer Seite sah man nun im Bild Christi Schlüsselübergabe an den Apostel Petrus, umgeben von einer auf die Darstellung bezogenen Umschrift; die andere Seite zeigte die Stadt Rom in Form einer Stadtabbreviatur mit der Aufschrift Aurea Roma, während die Umschrift Namen, Titel und Ordnungszahl des Papstes im Genitiv anführte80. Unmittelbares Vorbild dieses Neuentwurfs waren ganz offensichtlich die zeitgenössischen Bullen der römisch-deutschen Könige und Kaiser, die seit der zweiten Kaiserbulle Konrads II. von 1033 auf dem Revers die Aurea Roma zeigten, ein Motiv, das die Siegelbilder der Königs- und Kaiserbullen Heinrichs III. übernahmen81. Das Petrus-Bild im Siegel Viktors II. stellte ein von den Herrscherbullen unabhängiges Thema dar, ahmte aber in der Gestaltung dieses Motivs ebenfalls ein herrscherliches Siegelbild nach, nämlich die Darstellung Heinrichs III. auf dem Avers seiner Bullen. Heinrich wie Petrus werden im nach heraldisch rechts gewandten Brustbild mit erhobener rechter Hand gezeigt; während der Herrscher das Lilienszepter oder den Reichsapfel hält, streckt der Apostel seine Hand dem von Christus dargebotenen Schlüssel entgegen82. Den Neuentwurf Viktors II. übernahmen seine Nachfolger Stephan IX. (1057–1058) und Nikolaus II. (1058–1061) mit leichten Varianten83. Unter Alexander II. (1061– 1073) dagegen veränderte sich das Siegelbild erneut: Die Schlüsselübergabe wurde beibehalten, nur wendet sich der Apostel nun nach heraldisch links – wie übrigens auch 79   Abb.: Ewald, Siegelkunde (wie Anm. 4) Taf. 35 Nr. 9–10 (nach Pflugk-Harttung); Kittel, Siegel (wie Anm. 1) 384 d (nach Pflugk-Harttung); Frühe Papsturkunden (891–1054), ed. Irmgard Fees–Francesco Roberg (Digitale Urkundenbilder 2/I, Leipzig 2006) Taf. 11b, 16c (Fotos); Groten, Gesichtslose Macht (wie Anm. 78) 203 Abb. 1 (nach Pflugk-Harttung). Zu den Veränderungen unter Leo IX. vgl. Pflugk-Harttung, Bullen (wie Anm. 6) 50; zur Ordnungszahl Leos IX. vgl. Karl-Augustin Frech, Die Urkunden Leos IX. Einige Beobachtungen, in: Léon IX et son temps, Actes du colloque international organisé par l’Institut d’Histoire Médiévale de l’Université Marc Bloch, Strasbourg-Eguisheim, 20–22 juin 2002, hg. von Georges Bischoff– Benoît-Michel Tock (ARTEM 8, Turnhout 2006) 161–186, hier 170–183. 80  Abb.: Kittel, Siegel (wie Anm. 1) 384 e (Foto); Frenz, Documenti (wie Anm. 1) Taf. 22 Nr. 6 (Foto); Herklotz, Bildpropaganda (wie Anm. 56) Abb. l (nach Pflugk-Harttung); Groten, Gesichtslose Macht (wie Anm. 78) 203 Abb. 2 (nach Pflugk-Harttung). Umschrift auf der Apostelseite: Tu pro me navem liquisti, suscipe clavem, auf der Romseite: Victoris papae II. 81   Abb. der zweiten Kaiserbulle Konrads II. in: Percy Ernst Schramm, Die deutschen Kaiser und Könige in Bildern ihrer Zeit 751–1190 (München 21983) 387 Abb. 138 a, b; vgl. dazu ebd. 233; Abb. der Bullen Heinrichs III., nachweisbar 1040–1056: ebd. 398 Abb. 150–153; vgl. dazu ebd. 228; Abb. auch bei Groten, Gesichtslose Macht (wie Anm. 78) 203 Abb. 3. 82   Eine ausführliche und überzeugende Interpretation der Bulle Viktors II. bietet Groten, Gesichtslose Macht 204–213, insbesondere in ihrem Verhältnis zum kaiserlichen Vorbild, mit dem Fazit: „Kaiser- und Papstbulle sprechen die gleiche Sprache, aber die in dieser Sprache formulierten Aussagen unterscheiden sich fundamental“ (ebd. 211). 83  Stephans IX. Bulle zeigt den Hirtenauftrag Christi an Petrus mit entsprechender Umschrift (Si diligis me, Petre, pasce agnos meos) und setzt Felix Roma an die Stelle von Aurea Roma; Abb.: Herklotz, Bildpropaganda (wie Anm. 56) Abb. 2 (nach Pflugk-Harttung); Groten, Gesichtslose Macht 214 Abb. 5; zur Interpretation vgl. ebd. 213. Die Bulle Nikolaus’ II. kehrte zur Darstellung der Schlüsselübergabe (mit der Umschrift: Tibi Petre dabo claves regni celorum ) und zur Formulierung Aurea Roma zurück, veränderte jedoch die Form der Stadtabbreviatur; Abb.: Ewald, Siegelkunde (wie Anm. 4) Taf. 35 Nr. 11–12 (nach Pflugk-Harttung); Herklotz, Bildpropaganda Abb. 3 (nach Pflugk-Harttung). Schlüsselübergabe (mit der Umschrift Corrige, parce, feri, Petre, pande, memento mederi) und Aurea Roma zeigt auch die Bulle des Gegenpapstes Clemens’ III. (1080–1084); Abb.: Herklotz, ebd. Abb. 6; Groten, Gesichtslose Macht 219 Abb. 10.



Zur Bedeutung des Siegels an den Papsturkunden des frühen Mittelalters 67

Heinrich IV. in seiner für dieselbe Zeit belegten Goldbulle84. Die Darstellung Roms auf der anderen Seite wurde dagegen aufgegeben – und zwar endgültig – und durch Namen, Titel und Ordnungszahl des Papstes ersetzt. Eine erneute grundlegende Änderung lässt sich unter Gregor VII. beobachten: Er fügte dem Abbild des Apostels Petrus dasjenige des Paulus hinzu. Seine Bulle zeigt also auf einer Seite beide Apostelfürsten, bezeichnet mit ihren Namen; auf der anderen Seite schließt sie sich dem Vorbild Alexanders II. an und beschränkt sich auf Papstnamen und Titel in der Umschrift und die Ordnungszahl als Aufschrift85. Urban II. (1088–1099) kehrte vorübergehend zum reinen Schriftsiegel zurück; unter Beibehaltung der Betonung der doppelten Apostolizität zeigt sein Siegel die Apostelfürsten nicht mehr im Bild, sondern nennt nur beider Namen, in Aufschrift und durch einen Kreuzstab voneinander getrennt. Bedeutend ist die Siegelgestaltung Urbans II. vor allem dadurch, dass in Papstnamen und Papsttitel auf der Namensseite der Nominativ den bislang verwendeten Genitiv ablöste86. Die letzte Stufe der Entwicklung der päpstlichen Bullen in der Umbruchszeit stellen die Siegel Papst Paschalis’ II. (1099– 1118) dar. Sie knüpfen ikonographisch an diejenigen Gregors VII. an, indem sie zunächst die Büsten beider Apostelfürsten zeigen, zwischen denen sich ein Kreuzstab erhebt – dies eine Wiederaufnahme des unter Urban II. verwendeten Motivs. Bei Paschalis II. erscheinen nun die Namen in gekürzter Form unmittelbar über den Köpfen der Heiligen. Das Siegelbild war zunächst noch leichten Veränderungen unterworfen, indem die Apostel Nimben erhielten und die anfangs verwendeten Büsten auf reine Kopfbilder reduziert wurden. Das so modifizierte, erstmals um 1113 nachweisbare Siegelbild sollte fortan kanonisch werden; ergänzt wird es auf der anderen Seite durch den in Aufschrift angebrachten Papstnamen mit Titel und Ordnungszahl im Nominativ87.

84   Zur Interpretation der Bulle Alexanders II. mit der Umschrift Quod nectis nectam, quod solvis, Petre, resolvam vgl. Groten, Gesichtslose Macht (wie Anm. 78) 216f.; Abb.: Herklotz, Bildpropaganda (wie Anm. 56) Abb. 4 (nach Pflugk-Harttung); Papsturkunden der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts (1057–1098), ed. Irmgard Fees–Francesco Roberg (Digitale Urkundenbilder 2/II, Leipzig 2007) Taf. 5b, 6, 11, 12b (Fotos); Groten, Gesichtslose Macht 214 Abb. 7; Bulle Heinrichs IV., belegt 1065, Abb.: Schramm, Kaiser (wie Anm. 81) 419 Abb. 170a, b. 85   Zur Interpretation vgl. Groten, Gesichtslose Macht 217f.; Abb.: Ewald, Siegelkunde (wie Anm. 4) Taf. 35 Nr. 13–14 (nach Pflugk-Harttung); Kittel, Siegel (wie Anm. 1) 384 f (nach Pflugk-Harttung); Herklotz, Bildpropaganda (wie Anm. 56) Abb. 5 (nach Pflugk-Harttung); Papsturkunden, ed. Fees–Roberg (wie Anm. 83) Taf. 13b, 14 (Fotos); Groten, Gesichtslose Macht 219 Abb. 8. Eventuell zeigte bereits die Bulle des Gegenpapstes Benedikt X. (1058–1060) den zweiten Apostelfürsten; sie ist jedoch nur stark beschädigt überliefert, ihre Interpretation umstritten; vgl. dazu Herklotz, Ikonographie (wie Anm. 56) 118; eine vorsichtige, eingehende Interpretation bei Groten, Gesichtslose Macht 213–216; Abb. ebd. 214 Abb. 6. Bemerkenswert ist, dass Clemens III. bei Schlüsselübergabe und Aurea Roma bleibt; siehe oben Anm. 83. 86   Abb.: Ewald, Siegelkunde (wie Anm. 4) Taf. 35 Nr. 15–16 (nach Pflugk-Harttung); Frenz, Documenti (wie Anm. 1) Taf. 23 Nr. 7 (Foto); Papsturkunden, ed. Fees–Roberg (wie Anm. 84) Taf. 17, 18b, 20, 23, 24b (Fotos); Groten, Gesichtslose Macht 219 Abb. 9. Zur Interpretation des Wechsels vom Genitiv zum Nominativ vgl. ebd. 218–220, mit dem Fazit: „Damit wurde die Legende der Papstbulle an die Umschriften der Siegel der europäischen Herrscher angeglichen, die auch nach dem Siegeszug des neuen Siegelverständnisses, das die Legende Sigillum plus Name des Siegelführers im Genitiv obligatorisch machte, an der ehrwürdigen alten Form festhielten“ (S. 220). 87  Abb.: Ewald, Siegelkunde (wie Anm. 4) Taf. 35 Nr. 17–18, Brustbilder, mit Nimben (Foto); Kittel, Siegel (wie Anm. 1) 384 g (nach Ewald); Frenz, Documenti (wie Anm. 1) Taf. 23 Nr. 8, nach 1113 (Foto); Herklotz, Bildpropaganda (wie Anm. 56) Abb. 7 (nach Pflugk-Harttung); Papsturkunden des 12. Jahrhunderts: Feierliche Privilegien, ed. Irmgard Fees–­Francesco Roberg (Digitale Urkundenbilder 2/III, Leipzig 2010), Taf. 2, 3, 4, Brustbilder, mit Nimben (Fotos).

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Von grundsätzlicher Bedeutung in diesem mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmenden Veränderungsprozess der päpstlichen Bulle ist die Abkehr vom reinen Schriftsiegel; mit der Hinwendung zum Bildnissiegel fügte sich das päpstliche Siegelwesen in die europäische Siegelpraxis der Zeit ein. Die Epoche war gekennzeichnet durch die zunehmende Bedeutung der Siegelurkunde und ihre allmähliche Ausweitung auf die geistliche und weltliche Führungsschicht einerseits und durch die Verwendung von Siegelbildern, die den Siegelführer zeigten, in Verbindung mit einer auf den Siegelführer verweisenden Siegelumschrift andererseits. Seit der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts hatten Vertreter der hohen Geistlichkeit, als erste die rheinischen Erzbischöfe, in Nachahmung der Herrscher begonnen, Bildnissiegel zu führen, bei denen es sich zunächst um Brustbildsiegel handelte88. Auch die ältesten Bischofssiegel waren Brustbildsiegel, ebenso wie die frühen, seit der Mitte des 11. Jahrhunderts auftretenden Abtssiegel89. Der hohe weltliche Adel wählte, wie anhand der frühesten als echt geltenden Beispiele aus der Zeit um die Mitte des 11. Jahrhunderts deutlich wird, den Typus des Standbildsiegels 90, also ebenfalls eine Darstellung des Siegelführers im Siegelbild. Das päpstliche Siegel stellte zwar nicht den Siegelführer persönlich dar, aber mit Petrus und Paulus doch die beiden Apostelfürsten, in deren Nachfolge der Papst stand und in deren Abbild er sich im übertragenen Sinne selbst wiedergegeben fand91. Dass die Veränderungen vor allem zu Anfang in Nachahmung des kaiserlichen Vorbildes erfolgten, ist offensichtlich92. Kaum anzuzweifeln ist zudem, dass auch der Wechsel von der genitivischen Formulierung der päpstlichen Namensnennung zur nominativischen Fassung ebenfalls in der Nachfolge des herrscherlichen Musters zu sehen ist. Im Laufe des Umgestaltungsprozesse emanzipierte man sich jedoch zunehmend von der Vorlage; die grundlegende Veränderung – Abkehr vom Schriftsiegel, Hinwendung zum Bildsiegel – behielt man bei, entwickelte aber Schritt für Schritt in der Berufung auf die doppelte Apostolizität der römischen Kirche ein eigenständiges Bildprogramm und gelangte auch formal zu einer von den Kaiserbullen unabhängigen Gestaltung. Im selben Zeitraum also, in dem sich die älteren Papstbriefe zum neuen Urkundentypus der Litterae wandelten, setzte auch der Veränderungsprozess der päpstlichen Bullen ein. Als die Neugestaltung des Siegels unter Paschalis II. zum Abschluss gekommen war, begann die Urkundenform der Litterae, deren einziges Beglaubigungsmittel jetzt das   Stieldorf, Siegelkunde (wie Anm. 5) 68.   Ebd. Das das älteste überlieferte Abtssiegel Fuldas ist jedoch nicht das dort angeführte Siegel Abt Richards von Fulda (1018–1031), sondern dasjenige Abt Egberts (1048–1058); vgl. dazu dies., Der Schutz der Heiligen und die Macht des Abtes. Die Stellung der Abtei Fulda im Spiegel der Konvents- und Abtssiegel, in: Fulda und seine Urkunden. Moderne archivische Erschließung und ihre Perspektiven für die historische Forschung, hg. von Sebastian Zwies (Fuldaer Studien 19, Frankfurt a. M. 2014) 121–145. 90   Beispiele bei Stieldorf, Siegelkunde (wie Anm. 5) 68: die Siegel des Herzogs von Bayern, Heinrich von Luxemburg, von 1045, und Graf Adalberts von Anhalt von 1073. 91   Hinzuweisen wäre auch auf den Typus des Heiligensiegels, der seit der ersten Hälfte des 11. Jhs. auftritt; in den ältesten bekannten Beispielen wird ein solches Siegel durch Bischöfe geführt und trägt das Bild des Patrons oder der Patronin ihrer Kirche; vgl. Manfred Groten, Vom Bild zum Zeichen. Die Entstehung korporativer Siegel im Kontext der gesellschaftlichen und intellektuellen Entwicklungen des Hochmittelalters, in: Die Bildlichkeit korporativer Siegel im Mittelalter. Kunstgeschichte und Geschichte im Gespräch, hg. von Markus Späth–Saskia Hennig von Lange (Sensus. Studien zur Mittelalterlichen Kunst 1, Köln–Weimar–Wien 2009) 65–85, hier 70f. Vgl. dazu auch Groten, Gesichtslose Macht (wie Anm. 78) 201f., 207. 92  So bereits Pflugk-Harttung, Bullen (wie Anm. 6) 118–121; Herklotz, Ikonographie (wie Anm. 56) 119–121; ders., Bildpropaganda (wie Anm. 56) 273f.; Stieldorf, Siegelkunde (wie Anm. 5) 66f.; Groten, Gesichtslose Macht (wie Anm. 78) 204–213. 88 89



Zur Bedeutung des Siegels an den Papsturkunden des frühen Mittelalters 69

Siegel darstellte, häufiger aufzutreten und sich in die immer klarer voneinander zu trennenden Varianten der Litterae cum filo canapis und der Litterae cum serico zu scheiden. Fassen wir die Ergebnisse der im Anschluss an Classen und Rück angestellten Überlegungen zusammen: Der Wandel der päpstlichen Bulle vom Verschlussmittel zum beglaubigenden Merkmal der Papsturkunde war ein langgestreckter Prozess, dessen früheste Anfänge im späten 8. Jahrhundert zu suchen sind und der erst gegen Ende des 11. Jahrhunderts seinen Abschluss fand. Seit dem Ende des 8. Jahrhunderts war dem päpstlichen Siegel mit der Entstehung der neuen Urkundenform des Privilegs zunehmend größere Bedeutung zugewachsen, die sich etwa darin äußerte, dass die Empfänger päpstlicher Schreiben sich bemühten, es mitsamt der zugehörigen Urkunde zu erhalten. Eine beglaubigende Funktion kam ihm jedoch auch weiterhin nicht zu; vom Ende des 8. bis in die Mitte des 11. Jahrhunderts waren es vielmehr Unterschriften, die das päpstliche Privileg authentifizierten. Die Papsturkunde des frühen Mittelalters war also keine Siegelurkunde. Es war die Besiegelungs- und Beglaubigungspraxis der karolingischen Könige – selbst in Weiterentwicklung und Modifizierung des merowingischen Modells93 entstanden –, auf deren Grundlage sich die europäische Siegelurkunde des Mittelalters entwickelte. Nachahmer fanden die karolingischen Könige und Kaiser und die Herrscher der karolingischen Nachfolgereiche zuerst beim hohen geistlichen und weltlichen Adel; die päpstliche Kanzlei hielt dagegen lange an ihrer auf spätantiken Traditionen beruhenden Urkundengestaltung und Besiegelungspraxis fest. Erst um die Mitte des 11. Jahrhunderts, nachdem bereits das päpstliche Urkundenbild innerhalb weniger Jahre in Anlehnung an die Herrscherurkunde völlig umgestaltet worden war, begann der Wandel von einer durch Unterschriften beglaubigten Urkunde zur Siegelurkunde auch am Papsthof, und auch er orientierte sich anfänglich am herrscherlichen Vorbild. An der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert erscheint dieser Prozess abgeschlossen. Die päpstliche Bulle war zum Beglaubigungsmittel der päpstlichen Urkunden geworden; für den Urkundentypus der Litterae, der seit der Wende zum 12. Jahrhundert in größerer Zahl aufzutreten begann, stellte sie sogar das einzige Beglaubigungsmittel dar.

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  Dazu grundlegend Stieldorf, Gestalt (wie Anm. 12).





Regieren mit Urkunden im Spätmittelalter Päpstliche Kanzlei und weltliche Kanzleien im Vergleich Andreas Meyer

Die päpstliche Kanzlei war im Spätmittelalter zweifellos das größte Schreibbüro im ganzen Abendland. Keine andere Kanzlei dürfte auch nur annährend so viele Schriftstücke wie die Cancellaria apostolica produziert haben. Lassen wir zunächst einige Zahlen sprechen. Für die vierzig Jahre von 1159 bis 1198 sind rund 7.000 Papstbriefe oder 175 pro Jahr bekannt1. Die Kurienreform Innocenz’ III. ließ den Urkundenausstoß weiter ansteigen, was nicht zuletzt auch die Ausgangsregister andeuten, die seit 1198 in großer Zahl, wenn auch nicht lückenlos überliefert sind2. Die Register Honorius’ III. enthalten 6288 Briefe, jene Gregors IX. 6183 und jene Innocenz’ IV. 83523. Auf einen Pontifikatsmonat heruntergerechnet ergeben sich für diese drei Päpste 49, 35,5 oder 55,5 litterae. Im 14. Jahrhundert machte die Produktivität der päpstlichen Kanzlei unter Papst ­Johannes XXII. einen weiteren gewaltigen Satz nach vorne. Nach Ausweis seiner Register verschickte dieser Papst zwischen 1316 und 1334 mindestens 64.421 litterae communes. Das sind fast 3600 pro Jahr oder mehr als ein Dutzend pro Werktag. Doch damit war der Höhepunkt noch längst nicht erreicht, denn Josef Hergenröther, der am Ende des 1  Kenneth Pennington, Decretal Collections 1190–1234, in: The History of Medieval Canon Law in the Classical Period, 1140–1234. From Gratian to the Decretals of Pope Gregory IX, ed. Wilfried Hartmann– Kenneth Pennington (Washington D.C. 2008) 293–317, hier 294; Rudolf Hiestand, Die Leistungsfähigkeit der päpstlichen Kanzlei im 12. Jahrhundert mit einem Blick auf den lateinischen Osten, in: Papsturkunde und europäisches Urkundenwesen. Studien zu ihrer formalen und rechtlichen Kohärenz vom 11. bis 15. Jahrhundert, hg. von Peter Herde–Hermann Jakobs (AfD Beih. 7, Köln 1999) 1–26, hier 4 und 6: er rechnet für das 12. Jh. mit rund 20.000 Papsturkunden und für 1153–1187 mit etwa 9.500 Stücken. 2   Die Register Innocenz’ III., ed. Othmar Hageneder et al., bisher 10 Bände (Publikationen der Abteilung für Historische Studien des Österreichischen Kulturinstituts in Rom bzw. Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturinstitut [Kulturforum] in Rom II/1/1, 2, 5–12, Wien 1964–2012); Othmar Hageneder, Die Register Innozenz’ III., in: Innozenz III. Weichensteller der Geschichte Europas, hg. von Thomas Frenz (Stuttgart 2000) 91–101, mit weiterführender Literatur; zur Überlieferung päpstlicher Register vor Innocenz III. vgl. Rudolf Schieffer, Die päpstlichen Register vor 1198, in: Das Papsttum und das vielgestaltige Italien. Hundert Jahre Italia Pontificia, hg. von Klaus Herbers–Jochen Johrendt (Abhandlungen der Akadademie der Wissenschaften zu Göttingen, phil.-hist. Kl. N. F. 5, Berlin 2009) 261–273. 3  Vgl. Petrus Pressutti, Regesta Honorii papae III, 1–2 (Rom 1885–1895, Nachdr. Hildesheim 1978); Les Registres de Grégoire IX (1227–1241). Recueil des bulles de ce pape publiées ou analysées d’après les manuscrits originaux du Vatican par Lucien Auvray, 1–4 (Paris 1896–1955); Les Registres d’Innocent IV (1243–1254) publiés ou analysés d’après les manuscrits originaux du Vatican et de la Bibliothèque nationale par Élie Berger, 1–4 (Paris 1881–1921).

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Andreas Meyer

19. Jahrhunderts die Briefe des Medici-Papstes Leo X. zu regestieren begann, stellte seine Bemühungen nach zweieinhalb Pontifikatsjahren bei Nr. 18.070 ein: die sechshundert registrierten päpstlichen Briefe pro Monat hatten ihn offenbar geschafft4. Weil die Registrierung der litterae nicht obligatorisch war, trug man längst nicht jeden Brief ein, der seit Innocenz III. die päpstliche Kanzlei verließ5. Aus diesem Grund suchen wir in den Papstregistern die meisten der Besitzbestätigungen, die unsere Archive bereichern, aber auch die zahllosen einfachen Mandate an delegierte Richter vergeblich6. Von den 58 päpstlichen Briefen beispielsweise, die der Luccheser Notar Ciabattus in den Pontifikaten Gregors IX. und Innocenz’ IV. Wort für Wort in seine Register transkribierte, findet sich nur ein einziger im päpstlichen Register7. Müssen wir also die 14.535 registrierten Briefe dieser beiden Päpste mit dem Faktor 58 multiplizieren, um die Proportionen richtig zu erfassen? – Wenn dem so wäre, hätten bereits unter Gregor IX. und Innocenz IV. monatlich mindestens 2610 litterae die päpstliche Kanzlei verlassen; mindestens, weil meine Hochrechnung die in Lucca original überlieferten, aber nicht registrierten Papsturkunden nicht berücksichtigt. * * * Lassen wir die gestellte Frage unbeantwortet. Ergiebiger ist zu fragen, warum denn die päpstliche Kanzlei überhaupt so viele Urkunden produzierte. Auch wenn landesgeschichtlich orientierte Forschung Papsturkunden gerne als Ausdruck päpstlichen Gestaltungswillens liest und sich daher oft mit empörtem Unterton fragt, warum der Papst sogar nach den Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts noch so viele unwürdige Kleriker, sogenannte 4  Josef Hergenröther, Leonis X pontificis maximi regesta (1513–1515), Faszikel 1–8 (Freiburg/Br. 1884–1891). 5  Peter Herde, Beiträge zum päpstlichen Kanzlei- und Urkundenwesen im 13. Jahrhundert (Münchener historische Studien. Abt. Geschichtl. Hilfswissenschaften 1, Kallmünz 21967) 241f.; Othmar Hageneder, Probleme des päpstlichen Kirchenregiments im hohen Mittelalter (Ex certa scientia, non obstante, Registerführung), in: Lectiones eruditorum extraneorum in facultate philosophica universitatis Carolinae Pragensis factae 4 (Praha 1995) 49–77, hier 53, schätzt für diese frühe Zeit die Quote der registrierten auf 18 % der ausgestellten Stücke; Jane E. Sayers, Papal Government and England during the Pontificate of Honorius III (1216–1227) (Cambridge studies in medieval life and thought III/21, Cambridge 1984) 51, spricht davon, dass jeder vierte Brief registriert worden sei, vgl. auch ihre interessanten Beobachtungen zur Registrierung von Papstbriefen englischer Petenten, ebd. 68–93; Pascal Montaubin, L’administration pontificale de la grâce au XIIIe siècle, in: Suppliques et requêtes. Le gouvernement par la grâce en Occident (XIIe–XVe siècle), hg. von Hélène Millet (Collection de l’École française de Rome 310, Rome 2003) 321–342, hier 335, meint, dass unter Urban IV. wohl die Hälfte der Briefe registriert worden sei, mit steigender Tendenz gegen das Ende des Jhs.; Schieffer, Register (wie Anm. 2) 266, stellt für die Zeit vor 1198 ein weites Auseinanderklaffen zwischen Aussteller- und Empfängerüberlieferung von Papstbriefen fest. 6   Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien 1 (Leipzig ²1912 [Berlin 31958]); 2/1 (Leipzig 21915); 2/2, hg. von Hans-Walter Klewitz (Berlin–Leipzig 1931), hier 2/1 18–22; Herde, Beiträge (wie Anm. 5) 63f.: Suppliken in einfachen Justizsachen (commissiones simplices vel communes) wurden seit dem 13. Jh. vom Vizekanzler bewilligt. Weil der delegierte Richter seine Beauftragung (commissio) in die zu führenden Prozessakten inserieren musste, konnte die Kanzlei problemlos auf die Registrierung der litterae de iustitia verzichten, vgl. dazu Bresslau, Handbuch 2/1 13f. Anm. 1. Dies erklärt auch, weshalb die päpstliche Beauftragung oft in die Urteilsurkunden der delegierten Richter inseriert wurde, vgl. etwa Archivio di Stato di Firenze, Dipl. Pistoia, Vescovado 1216.11.24, und folgende Anm. Die schriftliche Aktenführung hatte das 4. Laterankonzil vorgeschrieben, Conciliorum Oecumenicorum Decreta, ed. Giuseppe Alberigo (Bologna ³1973) 252 § 38. 7  Asami Kobayashi, Die Briefe von Gregor IX. und Innozenz IV. bei dem Luccheser Notar Ciabattus (Magisterarbeit Marburg 2006). Frau Kobayashi bereitet zu dieser Thematik eine Dissertation vor.



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Pfründenjäger, begünstigen konnte8, so hat sich mittlerweile doch die Einsicht durchgesetzt, dass die litterae communes Antworten auf eingereichte Bittschriften, also Reskripte sind und sich der päpstliche Gestaltungswille in der Dispositio der litterae höchstens indirekt ausdrückt9. Doch bleiben wir vorerst beim quantitativen Aspekt. Wenn die meisten litterae also Antworten auf eingereichte Fragen bzw. Bitten sind, so ist der Papst zunächst eben nicht der Jäger, sondern der Gejagte, denn wie hätte er die Zahl der eingereichten Bittschriften begrenzen können? Nach seinem Amtsverständnis war antragsberechtigt, wer zwischen Lissabon im Westen und Riga im Osten oder zwischen Bergen im Norden und Limassol im Süden lebte. Mit diesen geographischen Eckpunkten übertraf sein „Reich“ zweifellos jedes andere um ein Mehrfaches. Doch die schiere Größe seines „Reiches“ ist meines Erachtens nicht das Entscheidende. Der wesentliche Unterschied zu den weltlichen Herrschaften liegt auf einer ganz anderen Ebene. Betrachten wir daher die päpstliche Herrschaft über die seit dem Investiturstreit streng hierarchisierte Amtskirche etwas genauer. Das Verbot, Kirchenbesitz zu veräußern, das im Laufe des Hochmittelalters entstandene kirchliche beneficium sowie das sich im Gefolge des Investiturstreites herausgebildete Patronatsrecht ließen eine ökonomische Verfügungsmasse entstehen, die in jener Zeit einzigartig war10. Der Zwangszölibat verhinderte zudem zuverlässig, dass an diesem Gut irgendwelche Erbansprüche entstanden. Das heißt im Klartext nichts anderes, als dass dieses riesige Vermögen in jeder Generation neu verteilt werden musste. Gemäß der im Liber Sextus enthaltenen Konstitution Licet ecclesiarum Clemens’ IV. erstreckte sich die päpstliche Verfügungsgewalt nicht nur über alle frei gewordenen kirchlichen Pfründen, sondern schloss auch Optionen oder Anwartschaften auf noch nicht erledigte Benefizienkorpora ein. Damit war aber keineswegs gemeint, dass der Papst alle Benefizien in der Weltkirche, also vom Erzbistum an der Spitze bis hinunter zum Altarbenefizium in irgendeiner entlegenen Stifts- oder Pfarrkirche, eigenhändig besetzen w o l l t e , sondern nur, dass er sie rechtmäßig besetzen k o n n t e , wenn er einen rechten Grund dafür hatte11. Gute Gründe konnte man ihm natürlich mittels einer 8   Vor solch groben Fehlern hätten Paul Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts mit besonderer Rücksicht auf Deutschland 1 (Berlin 1869); Berthold Černík, Das Supplikenwesen an der römischen Kurie und Suppliken im Archiv des Stiftes Klosterneuburg. Jahrbuch des Stiftes Klosterneuburg 4 (1912) 325–345 und Taf. 4–7; Bresslau, Handbuch 2/1 (wie Anm. 6) 1–61, oder Geoffrey Barraclough, Papal Provisions. Aspects of Church History Constitutional, Legal and Administrative in the Later Middle Ages (Oxford 1935, Nachdr. Westport 1971), durchaus bewahren können, wenn man sie denn zur Kenntnis genommen hätte; Ernst Pitz, Papstreskript und Kaiserreskript im Mittelalter (BDHIR 36, Tübingen 1971) 290, hat Hinschius offenbar auch nicht richtig gelesen, sonst hätte er seinen Ärger vielleicht zügeln können. 9  Der päpstliche Gestaltungswille drückt sich in der (gegebenenfalls einschränkenden oder gar verweigerten) Signatur, den Klauseln und seit dem 14. Jh. hauptsächlich in den Kanzleiregeln aus, vgl. etwa Paul Kehr, Bemerkungen zu den päpstlichen Supplikenregistern des 14. Jahrhunderts. MIÖG 8 (1887) 84–102, hier 98–102; Tilmann Schmidt, Benefizialpolitik im Spiegel päpstlicher Supplikenregister von Clemens VI. bis Urban V., in: Aux origines de l’État moderne. Le fonctionnement administratif de la papauté d’Avignon (Collection de l‘École française de Rome 138, Rome 1990) 351–369. 10   Vgl. dazu Andreas Meyer, Das Aufkommen des Numerus certus an Dom- und Stiftskirchen, in: Stift und Wirtschaft. Die Finanzierung geistlichen Lebens im Mittelalter, hg. von Sönke Lorenz–Andreas Meyer (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 58, Ostfildern 2007) 1–17. 11   Ausgenommen waren die Pfründen, deren Patronatsrecht in Laienhand war, vgl. Andreas Meyer, Zürich und Rom. Ordentliche Kollatur und päpstliche Provisionen am Frau- und Großmünster 1316–1523 (BDHIR 64, Tübingen 1986) 127; ders., Arme Kleriker auf Pfründensuche. Eine Studie über das in forma pauperum-Register Gregors XII. von 1407 und über päpstliche Anwartschaften im Spätmittelalter (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 20, Köln–Wien 1990) 58.

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Bittschrift suggerieren. Während in den weltlichen Reichen die Lehen schon im Hochmittelalter erblich wurden, ein Herrscher also nur noch im Ausnahmefall über Herzogtümer, Grafschaften oder andere Teilherrschaften verfügen konnte, einmal ausgegebene Regalien kaum je mehr an ihn zurückfielen und schließlich irgendwann auch das letzte Königsgut verschenkt oder entfremdet war, füllte Gevatter Tod die päpstliche Schatulle auf natürliche Weise immer wieder von neuem auf. Was eben über die kirchlichen Benefizien gesagt wurde, gilt mutatis mutandis auch für die Laien, denn die päpstliche Autorität beschränkte sich ja nicht nur auf die Kirchenhierarchie und ihre Angehörigen. Wegen der umfassenden päpstlichen Absolutions- und Dispensgewalt erstreckte sie sich kurzerhand über alle Christen. Immer wieder verliebten sich beispielsweise Männer und Frauen ineinander, die so nahe verwandt waren, dass sie keine rechtsgültige Ehe schließen konnten, oder Nachwuchs stellte sich ein, bevor die Hochzeit gefeiert war, oder er hätte sich erst gar nicht einstellen dürfen, weil die Eltern schon gebunden waren, wenn auch nicht aneinander. Das Leben mit seinen chaotischen Zügen schuf also immer wieder Sanierungsbedarf und angesichts der menschlichen Schwächen selbstverständlich auch reichlich. Dispens und Absolution waren zudem leichter zu handhaben als die Stärkung des Verantwortungsbewusstseins eines jeden Menschen. Daher wuchs das auf den päpstlichen Feldern zu erntende Getreide wie im Schlaraffenland ganz alleine immer wieder nach. Zudem schuf auch der Lauf der Geschichte immer wieder neue Geschäftsbereiche12. Welcher weltliche Herrscher verfügte damals auch nur im Ansatz über Ähnliches? Erst dank zweier Säkularisationen verfügt der moderne Sozialstaat heute über ähnliche Mittel, Gnaden zu verteilen. * * * Was ist unter päpstlicher Herrschaft im Spätmittelalter zu verstehen? Die Antwort ist kurz und bündig: Jurisdiktion und Administration oder zeitgenössischer gesprochen: iustitia und gratia. In der Folge des Investiturstreites setzte sich in der hierarchisierten Kirche die universale päpstliche Rechtssprechung durch. Aus allen Teilen der Welt trafen an der päpstlichen Kurie Anfragen zu Rechtsproblemen ein, wurde Rom um rechtliche Entscheide gebeten. Bald schon war der Papst mit zwei Problemen konfrontiert. Einerseits überstieg die Zahl der vorgebrachten Fälle die Entscheidungskapazität der Kurie bereits im 12. Jahrhundert bei weitem; andererseits lagen ihr die für einen Entscheid notwendigen Informationen nur selten vor. Sie waren bei den damaligen Kommunikationswegen auch gar nicht einzuholen. Diese Probleme harrten einer Lösung. Die gefundene Lösung war schlichtweg genial. Während sich die Päpste die wichtigsten und grundlegendsten Entscheide vorbehielten, setzten sie mittels des römischrechtlichen Instituts der Delegation oder commissio, der richterlichen Beauftragung, vor Ort wirkende Richter ein, die den Fall in ihrem Auftrag und Namen untersuchen und entscheiden sollten13. Auf diese Weise konnte in der Gesamtkirche 12   Innocenz III. war mit seinem vom 4. Laterankonzil verabschiedeten moralischen Reformprogramm besonders erfolgreich, denn es ließ die päpstliche Pönitentiarie als neues kuriales Dikasterium mit eigener Urkundenproduktion entstehen; vgl. zu diesem Themenbereich neuerdings: Kirchlicher und religiöser Alltag im Spätmittelalter. Akten der internationalen Tagung in Weingarten, 4.–7. Oktober 2007, hg. von Andreas Meyer (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 69, Ostfildern 2010). 13  Vgl. zum Folgenden Hinschius, Kirchenrecht 1 (wie Anm. 8) 171–195. Vorbildliche historische Untersuchungen dieser Zusammenhänge sind Jane E. Sayers, Papal judges delegate in the province of Canterbury 1198–1254. A study in ecclesiastical jurisdiction and administration (Oxford 1971, 21997); Harald Müller,



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seit dem 12. Jahrhundert fast jeder Prälat päpstlich delegierter Richter werden14, oder anders gesprochen: es gab in der ganzen christlichen Welt keinen Ort, der außerhalb der päpstlichen Rechtssprechung lag. Der nächste delegierte päpstliche Richter wohnte gleich um die Ecke. Durch die gleichen Kanäle diffundierte auch das Wissen über die Dekrete der Kirchenzentrale sehr schnell. Dieses sich immer wieder neu formierende, also informelle, aber sehr enge Netz päpstlich delegierter Richter bestand auch dann fort, als im Laufe des 13. Jahrhunderts mit den Offizialaten in allen Diözesen ordentliche bischöfliche Gerichte entstanden. Das im Prozess vor dem delegierten Richter bzw. später vor dem bischöflichen Richter anzuwendende Verfahren war seit dem 12. Jahrhundert durch den römisch-kanonischen Ordo iudiciarius vorgegeben, also vereinheitlicht, berechenbar und schriftlich. Damit die überall auf der Welt tätigen delegierten Richter Gleiches gleich entschieden, begann man allenthalben, die päpstlichen Dekrete zu sammeln. Auf diese Weise entstanden zwischen 1190 und 1226 fünf Sammlungen päpstlicher Dekretalen, die dann 1234 durch den von Papst Gregor IX. initiierten Liber Extra hinfällig wurden15. Bestimmungen über das Richteramt und das Prozessrecht nahmen in diesen Rechtssammlungen verständlicherweise viel Raum ein16. 1298 und 1316 folgten zwei weitere päpstliche Rechtsbücher. Die Päpste waren also sehr produktive Gesetzgeber geworden, die sich mit ihrem Eifer deutlich von ihren gekrönten Zeitgenossen absetzten17. Dazu kam, dass mit den Rechtsschulen, den delegierten Richtern und den Offizialaten Institutionen existierten, die zur schnellen Verbreitung der Rechtsbücher und der Kenntnis des neuen Rechtes beitrugen, wie dies etwa Winfried Stelzer am österreichischen Beispiel aufgezeigt hat18. Die Vorteile der päpstlichen Gerichtsbarkeit waren für die Zeitgenossen offensichtlich und der Gang zum „MitPäpstliche Delegationsgerichtsbarkeit in der Normandie (12. und frühes 13. Jahrhundert), 1–2 (Studien und Dokumente zur Gallia Pontificia 4, Bonn 1997); ders., Benefizienversprechen normannischer Abteien in Prozessen vor päpstlichen Delegaten (12.–Anfang 13. Jahrhundert), in: Proceedings of the Tenth International Congress of Medieval Canon Law, Syracuse, New York, 13–18 August 1996, ed. Kenneth Pennington–Stanley Chodorow–Keith H. Kendall (Monumenta iuris canonici. Series C. Subsidia 11, Città del Vaticano 2001) 331–360; ders., Gesandte mit beschränkter Handlungsvollmacht. Zu Struktur und Praxis delegierter Gerichtsbarkeit, in: Aus der Frühzeit europäischer Diplomatie. Zum geistlichen und weltlichen Gesandtschaftswesen vom 12. bis zum 15. Jahrhundert, hg. von Claudia Zey–Claudia Märtl (Zürich 2008) 41–65; Kerstin Hitzbleck, Exekutoren. Die außerordentliche Kollatur von Benefizien im Pontifikat Johannes’ XXII. (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 48, Tübingen 2009). Pitz, Papstreskript (wie Anm. 8) 281ff., verwendet für dieses Verfahren den unglücklichen Begriff „Reskripttechnik“. Anders als in Frankreich waren die päpstlichen Justizbriefe aber kein „Übergangsphänomen in der Aufbauphase des flächendeckenden Kronverwaltungs- und Justizsystems“, Hans-Günter Schmidt, Der Einfluss der päpstlichen Justizbriefe auf die Justizbriefe der französischen Königskanzlei um 1300, in: Papsturkunde und europäisches Urkundenwesen (wie Anm. 1) 365–391, hier 375. 14   Der angeschriebene Prälat konnte den ihm zugewiesenen Prozess weiterreichen, wenn er verhindert war. 15   Pennington, Collections (wie Anm. 1). 16   Laut Stephan Kuttner, Some Considerations on the Role of Secular Law and Institutions in the History of Canon Law [erstmals 1953], in: ders., Studies in the History of Medieval Canon Law (Collected Studies Series CS 325, Aldershot 1990) VI 351–362, hier 356f., werden diese beiden Bereiche in Gratians Dekret kaum behandelt. Das erste Buch des Liber Extra, im Merkvers iudex geheißen, umfasst 43 Titel und 429 Kapitel, das zweite, iudicium, 30 und 418 Kapitel, vgl. Johann Friedrich von Schulte, Die Geschichte der Quellen und Literatur des Canonischen Rechts von Papst Gregor IX. bis zum Concil von Trient (Stuttgart 1877) 10. 17  Im Liber Sextus gehen die meisten Bonifaz VIII. zugewiesenen Stücke nicht auf einen konkreten Fall zurück. 18  Winfried Stelzer, Gelehrtes Recht in Österreich von den Anfängen bis zum frühen 14. Jahrhundert (MIÖG Ergbd. 26, Wien–Köln–Graz 1982).

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telpunkt Europas“, um einer treffenden Formulierung Werner Maleczeks zu folgen, war für alle attraktiv19. * * * In diesem Kontext ist die spätmittelalterliche päpstliche Kanzlei anzusiedeln. Sie produzierte die Schriftstücke, um das Ganze am Laufen zu halten. Sie war der eigentliche kernel der päpstlichen Kirchenherrschaft, wenn Sie mir dieses Analogon aus der Welt der EDV erlauben20. Das von mir anfangs angesprochene Mengenproblem ließ wegweisende Lösungen entstehen, die nach und nach von den entstehenden Nationalstaaten oder Landesherrschaften übernommen wurden. Schon im ausgehenden 12. Jahrhundert hatte sich die äußere Form der päpstlichen litterae, auf die ich mich hier beschränken möchte21, so weit verfestigt, dass die Adressaten echte päpstliche Schreiben so leicht erkannten wie wir heute Banknoten. Die litterae de iustitia und die litterae de gratia waren der sichtbare Ausdruck der kurialen corporate identity. Aus dem späten 12. und frühen 13. Jahrhundert stammen nicht nur die ältesten Aufzeichnungen, welche die äußeren und inneren Merkmale der Papsturkunden erklären 22, sondern auch Formelbücher, welche die breite inhaltliche Palette päpstlicher Schreiben illustrieren. Einige dieser Texte sind zweifellos an der Kurie entstanden, wohl um Einheitlichkeit und Qualität der päpstlichen Schreiben auch bei hoher Produktionskadenz zu gewähren, andere dürften aus Informationsbedürfnissen außerhalb des kurialen Umfeldes entstanden sein. Einige dieser Texte sind in den Liber Extra, andere wiederum in das päpstliche Kanzleibuch eingeflossen, das sich bereits im 13. Jahrhundert nachweisen lässt und das enthielt, was für die Organisation der Kanzlei und ihre Tätigkeit grundlegend war23. Die Kanzlei stand seit dem frühen 13. Jahrhundert unter der Leitung des Vizekanzlers, der zunächst aus dem Kreis der ursprünglich sieben päpstlichen Notare rekrutiert und seit Bonifaz VIII. meist mit dem Kardinalspurpur ausgezeichnet wurde. In dem Maße, wie die Zahl der päpstlichen litterae zunahm, hatten die päpstlichen Notare die Reinschrift der Briefe an Skriptoren respektive die Erstellung der Briefkonzepte an Abbreviatoren delegiert, die zunächst noch von ihnen, seit der Mitte des 13. Jahrhunderts aber vom Vizekanzler aus den erfahreneren Skriptoren rekrutiert wurden. Die scriptores litterarum apostolicarum arbeiteten wie öffentliche Notare auf eigene Rechnung und organisierten sich auch schon früh wie diese als Kollegium, um Arbeit und Einkünfte gerecht auf sich zu verteilen. Doch anders als die öffentlichen Notare Italiens waren sie Kleriker, damit sie der kirchlichen Gerichtsbarkeit unterstanden. Amtseide, die seit dem 13. Jahrhundert für viele kuriale Funktionen überliefert sind, sorgten nicht nur für eine gleichbleibend hohe Qualität 19   Werner Maleczek, Der Mittelpunkt Europas im 13. Jahrhundert. Chronisten, Fürsten und Bischöfe an der Kurie zur Zeit Papst Innocenz’ III. RHM 49 (2007) 89–157. 20  Der kernel oder Betriebssystemkern ist die unterste Softwareschicht und hat direkten Zugriff auf die Hardware. Er legt die Prozess- und Datenorganisation fest. 21  Vgl. zu den feierlichen Privilegien, die im Spätmittelalter keine Rolle mehr spielten, Otfried Krafft, Bene Valete. Entwicklung und Typologie des Monogramms in Urkunden der Päpste und anderer Aussteller seit 1049 (Leipzig 2010) 151–156. 22   Einige dieser Texte sind bei Michael Tangl, Die päpstlichen Kanzleiordnungen von 1200–1500 (Innsbruck 1894, Nachdr. Aalen 1959), gedruckt; vgl. auch Andreas Meyer, Eine Verordnung gegen die Korruption an der päpstlichen Kurie aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, in: Kurie und Region. Festschrift für Brigide Schwarz zum 65. Geburtstag, hg. von Brigitte Flug–Michael Matheus–Andreas Rehberg (Geschichtliche Landeskunde 59, Stuttgart 2005) 169–173. 23   Vgl. dazu immer noch Bresslau, Handbuch 1 (wie Anm. 6) 346–352.



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der päpstlichen Briefe, sondern verhinderten auch, dass nicht autorisierte Schreiben ergingen. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts soll die Zahl der Skriptoren bei hundert gelegen haben; diesen Richtwert jedenfalls strebten im 14. und 15. Jahrhundert mehrere Reformen an24. Weil im 13. Jahrhundert ein öffentlicher Notar, der in einer italienischen Kommune von seiner Arbeit lebte, jährlich zwischen 400 und 800 Imbreviaturen festhielt, von denen er aber nur 10–20 Prozent, also etwa hundert, als Pergamenturkunden ausfertigte, ist es nicht abwegig, bei hundert päpstlichen Skriptoren den jährlichen Output der Kanzlei auf etwa fünfzigtausend Papsturkunden zu veranschlagen25. Dieser Wert würde zudem nicht schlecht mit den über 29.000 Urkunden harmonieren, die nach unseren Berechnungen bereits unter Gregor IX. und Innocenz IV. jedes Jahr die Kanzlei verlassen haben könnten und fände eine gewisse Entsprechung im jährlichen Verbrauch von Blei, wie er sich aus den päpstlichen Rechnungsbüchern erschließen lässt26. Das Outsourcing der Briefproduktion löste aber nicht alle Probleme, die sich an der Kurie wegen des riesigen Geschäftsvolumens stellten. Schon bei weit weniger als 30.000 Urkunden pro Jahr verlor ein Papst natürlich die Übersicht über all das, was in seinem Namen in alle Erdteile verschickt wurde27. Damit bei solchem Vorgehen nicht versehentlich Rechte Dritter geschädigt wurden, entstanden in der Kanzlei mit der Audientia publica und der Audientia litterarum contradictarum schon früh spezielle Instanzen, in denen noch nicht gesiegelte Briefe, die möglicherweise die Rechte Dritter beeinträchtigten, verlesen wurden, damit die Gegenpartei, sofern anwesend, bereits im Vorfeld sachliche Einwände gegen sie vorbringen und weitere Vorkehrungen getroffen werden konnten28. 24  Brigide Schwarz, Die Organisation kurialer Schreiberkollegien von ihrer Entstehung bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts (BDHIR 37, Tübingen 1972) 7–40. – Robert-Henri Bautier, Chartes, sceaux et chancelleries. Études de diplomatique et de sigillographie médiévales 2 (Paris 1990) 881–888, spricht von zehn Kanzleinotaren in Paris 1286, 33 im Jahr 1316 und 98 im Jahr 1343; im gleichen Jahr reduzierte man ihre Anzahl auf 58; der Richtwert lag fortan bei 60, bevor die Zahl der königlichen Kanzleinotare um die Mitte des 16. Jhs. steil auf 200 anstieg. 25  Vgl. dazu auch Sayers, Papal government (wie Anm. 5) 50–57, die von drei Urkunden pro Schreiber und Tag ausgeht und so den jährlichen Output der Kanzlei (ohne Justizbriefe!) im Pontifikat Honorius’ III. auf 1.930 Stücke hochrechnet. 26   Robert Fawtier, Documents négligés sur l’activité de la chancellerie apostolique à la fin du XIIIe siècle. Le registre 46A et les comptes de la chambre sous Boniface VIII. Mélanges d’archéologie et d’histoire 52 (1935) 244–272, hier 270, gibt das Gewicht einer Bleibulle mit ca. 40 g an. Die päpstliche Kammer kaufte 1299 und 1302 3173 bzw. 597 kg Blei, was für das Bullieren von fast 80.000 bzw. 15.000 Urkunden gereicht hätte; Zahlen korrigiert nach Tilmann Schmidt, Libri rationum camerae Bonifatii papae VIII (Archivum Secretum Vaticanum, Collect. 446 necnon Intr. et ex. 5) (Littera antiqua 2, Città del Vaticano 1984) XXI Anm. 5. Unter Johannes XXII. kaufte die Kammer insgesamt rund 100.000 lb. Blei, genügend für über 800.000 Urkunden, Fawtier, Documents 272. Hiestand, Leistungsfähigkeit (wie Anm. 1) irrt, wenn er einen Druckfehler vermutet. Vgl. auch die Berechnungen bei Thomas Frenz, Wie viele Papsturkunden sind jemals expediert worden?, in: Sit liber gratus, quem servulus est operatus. Studi in onore de Alessandro Pratesi per il suo 90° compleanno, ed. Paolo Cherubini–Giovanna Nicolaj (Littera antiqua 19, Città del Vaticano 2012) 623–634. 27   Eine gewöhnliche Papsturkunde enthält also nur ganz wenig „Papst“, vgl. Patrick Zutshi, The Personal Role of the Pope in the Production of Papal Letters in the Thirteenth and Fourteenth Centuries, in: Vom Nutzen des Schreibens: Soziales Gedächtnis, Herrschaft und Besitz im Mittelalter, hg. von Walter Pohl–Paul Herold (ÖAW, phil.-hist. Kl., Denkschriften 306 = Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 5, Wien 2002) 225–236; ders., Pope Honorius III’s Gratiarum omnium and the Beginnings of the Dominican order, in: Omnia disce. Medieval studies in memory of Leonard Boyle, O.P., hg. von Anne J. Duggan–Joan Greatrex– Brenda Bolton (Church, Faith and Culture in the Medieval West, Aldershot 2005) 199–210. 28   Paulius Rabikauskas, „Auditor litterarum contradictarum“ et commissions de juges délégués sous le pontificat d’Honorius III. BEC 132 (1974) 213–244; ergänzend dazu Sayers, Papal Government (wie Anm. 5) 35–41; Bresslau, Handbuch 1 (wie Anm. 6) 281–283; Herde, Beiträge (wie Anm. 5) 213–239; ders., Ein

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Weil die päpstlichen litterae auf Bittschriften der so Begünstigten zurückgingen, also weitgehend Reskripte waren, und der Papst eigentlich vermeiden wollte, von einer Partei instrumentalisiert zu werden, waren seine Schreiben nur unter gewissen Bedingungen gültig29. Mit der römischrechtlichen Klausel Si ita est etwa behielt er sich die Wahrheit der vom Begünstigten behaupteten Tatsachen vor. Andere wichtige Klauseln betrafen die Nonobstantien, also die dem Gesuch widersprechenden Tatsachen, Vorschriften oder Rechte30. Bis zum Pontifikat Clemens’ VI. beschränkte zudem die Klausel Si pro alio non scripsimus die Zahl der zu erfüllenden päpstlichen Bitten um Pfründen in forma comuni auf eine pro Kollatur und schützte auf diese Weise die Rechte der ordentlichen Kollatoren zuverlässig. Der Wegfall dieser Beschränkung stieß bei den Zeitgenossen auf höchstes Lob. Als man aber allenthalben die negativen Auswirkungen seiner Gnade realisierte, war Clemens VI. natürlich schon längst tot31. Zu bedenken ist schließlich, dass die päpstliche Gesetzgebung mit dem Erlass des Liber Sextus und der Clementinen keineswegs aufhörte. Was 1316 zunächst einmal endete, war nur die Promulgation des neuen Rechts in der Form einer verbindlichen Sammlung. Doch die Kodifizierung des neuen Rechts kam damals nicht zum Erliegen, denn die Regulae Cancellariae apostolicae, die erstmals unter Bonifaz VIII. auftauchen und seit Johannes XXII. in lückenloser Reihe überliefert sind, sind eine Teilkodifizierung des spätmittelalterlichen Kirchenrechts, was aber Emil von Ottenthal, dem ersten Herausgeber dieser Texte, entgangen ist32. Formelbuch Gerhards von Parma mit Urkunden des Auditors litterarum contradictarum aus dem Jahre 1277. AfD 13 (1967) 225–312; ders., Audientia litterarum contradictarum. Untersuchungen über die päpstlichen Justizbriefe und die päpstliche Delegationsgerichtsbarkeit vom 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts 1–2 (BDHIR 31–32, Tübingen 1970); Jane Sayers, Canterbury Proctors at the Court of Audientia litterarum contradictarum. Traditio 22 (1966) 311–345; dies., The Court of „Audientia litterarum contradictarum“ revisited, in: Forschungen zur Reichs-, Papst- und Landesgeschichte. Peter Herde zum 65. Geburtstag, hg. von Karl Borchardt–Enno Bünz (Stuttgart 1998) 411–427; Werner Maleczek, Ein unbeachtetes Zeugnis für den Kanonisten Guido da Baisio (gest. 1313) aus dem Steiermärkischen Landesarchiv. Papst- und Legatenurkunden für die Kartausen Seitz, Geirach und Freudenthal, in: Festschrift Gerhard Pferschy zum 70. Geburtstag, hg. von Gernot Peter Obersteiner–Peter Wiesflecker (Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 42 = Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark Sonderband 25 = Veröffentlichungen des Steiermärkischen Landesarchives 26, Graz 2000) 185–206; Bernd Michael, Eine neue Handschrift des Formularium Audientiae litterarum contradictarum. QFIAB 78 (1998) 141–188. Vollmachten für Prokuratoren an der päpstlichen Kurie lauteten im 13. Jh. oft ad litteras impetrandum pro nobis et nostro officio contra omnem personam et locum et ad contradicendum cuilibet impetrare volenti et iudices eligendos et ad narrationem ponendam in litteris, vgl. Ser Ciabattus. Imbreviature lucchesi del Duecento. Regesti 1: anni 1222–1232, ed. Andreas Meyer (Istituto Storico Lucchese, Strumenti per la richerca 7, Lucca 2005) Index s.  v. Roma; ebd. 2: anni 1236–1239 (im Druck) Nr. 74 (Zitat). Vertiefte Forschungen zur Audientia nach der Mitte des 14. Jhs. sind ein Forschungsdesiderat, vgl. etwa Novae constitutiones audientiae contradictarum in curia romana promulgatae a. d. 1375, ed. Joseph Förstemann (Leipzig 1897); Ernst Pitz, Supplikensignatur und Briefexpedition an der römischen Kurie im Pontifikat Papst Calixts III. (BDHIR 42, Tübingen 1972) 134–149. 29  Vgl. zum fehlenden Überblick Hageneder, Probleme des päpstlichen Kirchenregiments (wie Anm. 5) 60–65; Montaubin, Administration (wie Anm. 5) 338–341. 30   Vgl. dazu Othmar Hageneder, Kanonisches Recht, Papsturkunde und Herrscherurkunde. Überlegungen zu einer vergleichenden Diplomatik am Beispiel der Urkunden Friedrichs III. AfD 42 (1996) 419–443, hier 422 und 434–437. Erschleichung (subreptio) war auch regelmäßig Thema der Kanzleiregeln, vgl. Clemens VI. Nr. 1 unter http://www.uni-marburg.de/fb06/forschung/webpubl/magpubl/paepstlkanzl; Emil von Ottenthal, Regulae cancellariae apostolicae. Die päpstlichen Kanzleiregeln von Johannes XXII. bis Nikolaus V. (Innsbruck 1888, Nachdr. Aalen 1968) 36 Nr. 62, 68 Nr. 51f., 69 Nr. 56, 73f. Nr. 67, 102 Nr. 51 u. ö. 31  Meyer, Arme Kleriker (wie Anm. 11) 39f. 32   Dass sich Kanzleiregeln nur am Rande mit der Herstellung von Urkunden befassen, war Harry Bress-



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Kanzleiregeln legten im weitesten Sinne das Prozedere fest, mit dem die päpstliche Kurie auf die seit dem 13. Jahrhundert ständig steigende Nachfrage nach geistlichen Privilegien, Benefizien, Indulten und Dispensen reagierte. Sie interpretierten nicht nur die Genehmigungsvermerke auf den Suppliken33, sondern prägten auch den sogenannten stilus curiae, vor allem bezüglich der inneren Gestaltung der litterae, denn ihre äußere Form war damals bereits fixiert34. Kanzleiregeln waren außerdem eine Art „Dienstpragmatik“ der Kanzlei, denn sie enthielten die Kompetenzen des Vizekanzlers bzw. des Kanzleileiters und regelten den Geschäftsgang der päpstlichen Briefe, die sogenannte expeditio. Schließlich legten sie die päpstliche Verfügungsgewalt über die Kirche aus, besonders bezüglich päpstlicher Reservatrechte und Prärogativen bestimmter Bittstellergruppen. Hinsichtlich der päpstlichen Reservatrechte fassten sie die Bestimmungen des geschriebenen Rechts und der grundlegenden Extravaganten Ex debito (1316), Execrabilis (1317) und Ad regimen (1335) genauer und brachten sie angesichts der an der Kurie fortlaufenden Ämterdifferenzierung jeweils auf den neuesten Stand35. Weil die Kanzleiregeln eine Teilkodifizierung des spätmittelalterlichen Kirchenrechts sind, erklärt sich auch ihre breite Überlieferung36. Ich kenne mittlerweile über 180 handschriftliche Textzeugen, die Kanzleiregeln von Johannes XXII. bis Sixtus IV. oder Teile davon enthalten. Dazu kommen noch 18 Inkunabeln mit Regeln Pauls’ II.37. Die Kanzleiregeln Sixtus’ IV. schließlich liegen in 38 Inkunabeln vor38. Da Papst Alexander V. auf Druck der Pisaner Konzilsväter die unter ihm gültigen Kanzleiregeln im Januar 1410 veröffentlichte und ihm seine Nachfolger darin folgten, stammen mit wenigen Ausnahmen alle Manuskripte aus dem 15. Jahrhundert39. lau, dem auch das klitzekleinste einschlägige Quellenchen nicht entgangen ist, durchaus bewusst, vgl. Bresslau, Handbuch 1 (wie Anm. 6) 350–352. Zu Ottenthal vgl. Susanne Lichtmannegger, Emil von Ottenthal (1855–1931). Diplomatiker in der Tradition Theodor von Sickels und Julius von Fickers, in: Österreichische Historiker 1900–1945. Lebensläufe und Karrieren in Österreich, Deutschland und der Tschechoslowakei in wissenschaftlichen Porträts, hg. von Karel Hruza (Wien–Köln–Weimar 2008) 73–95. 33  Die Überschrift in Città del Vaticano, BAV, Vat. lat. 4989, lautet daher auch Regule Johannis XXII et Benedicti XII summorum pontificum instruunt abbreviatores, quomodo debeant littere expediri in cancellaria iuxta supplicationum diversas signaturas. 34   Von den Regeln Johannes’ XXII. betrifft nur die 17. die äußere Gestaltung der littere; Clemens VII. bestimmte 1387 in der 168. Regel, dass das Expeditionsdatum unter die Plica geschrieben werden sollte; Eugen IV. änderte am 11. September 1432 die bislang übliche Schreibweise des Datums in den litterae; Paulus II. verlangte bei der Ausstattung und der Schrift der päpstlichen Bullen größere Sorgfalt, vgl. Link wie Anm. 30; Ottenthal, Regulae (wie Anm. 30) 254 Nr. 111; Tangl, Kanzleiordnungen (wie Anm. 22) 192f. Nr. XLVIII. 35  Vgl. dazu das Faltblatt am Ende des Bandes bei Meyer, Zürich und Rom (wie Anm. 11). So integrierten beispielsweise Urban V. in seiner 7. Regel die Subkollektoren (Link wie Anm. 30) und Eugen IV. die Kursoren in die Liste der Kurialen, deren Pfründen als generell reserviert galten, Città del Vaticano, ASV, Reg. Suppl. 360, fol. 39v–40r. 36   Schulte, Geschichte (wie Anm. 16) 70–72, dem nur Mansis Druck der Kanzleiregeln Martins V. zur Verfügung stand, unterschätzte die Bedeutung der Kanzleiregeln völlig. 37  Gesamtkatalog der Wiegendrucke 2 (Leipzig 1926) Nr. 2069–2071; 5 (Leipzig 1932) Nr. 5782–5736; (http://www.gesamtkatalogderwiegendrucke.de/) M29920, M29935, M29936, M29944, M29945, M29947. 38   Gesamtkatalog der Wiegendrucke 3 (Leipzig 1928) Nr. 3321–3326; 7 (Leipzig 1938) Nr. 8206γ (= 0820620N), 8207, 8208; (Link wie Anm. 37) M29936, M42430, M42435, M42566, M4256610, M42571, M42579, M42581, M42583, M42586, M42587, M4258710, M42589, M42593, M42594, M42596, M42598, M42599, M42602, M42603, M42606, M42608, M42611, M42612, M42613, M42615, M42617, M42618, M42619. 39  Vgl. Andreas Meyer, „Dominus noster vult“. Anmerkungen zur päpstlichen Gesetzgebung im Spätmittelalter. HZ 289 (2009) 607–626, hier 618f. Bereits Clemens VII. hatte 1379 seine Kanzleiregeln promulgiert, vgl. Link wie Anm. 30, Nr. 1, 17, 27 u. ö. Laut der Konstitution Romani pontificis Martins V. vom 1. März

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Für unser Thema sind die Regeln, die seit Benedikt XIII. unter dem Titel De potestate domini vicecancellarii zusammengefasst wurden, am interessantesten40. Ihnen entnehmen wir, dass der Papst angesichts des riesigen Geschäftsvolumens die Entscheidung einfacherer Suppliken in Gnadensachen schon früh an den Vizekanzler delegierte, der die eingereichten Bittschriften sodann mit concessum signierte41. Was fiel denn alles in den Kompetenzbereich des Vizekanzlers42? Er konnte beispielsweise alle Bittschriften genehmigen, in denen Benefizien resigniert werden sollten, auch wenn dies tauscheshalber geschah; er durfte aber auch diejenigen absolvieren, die unwissentlich in Bittschriften oder litterae etwas korrigiert, zugefügt oder radiert hatten; weiter konnte er anordnen, dass das obligatorische Weiheexamen nicht an der Kurie, sondern in der Heimat des Petenten abgelegt werden durfte; er konnte aber auch die Frist, innerhalb derer ein erforderlicher Weihegrad erlangt werden musste, erstrecken. Kardinälen und anderen hohen geistlichen Würdenträgern oder weltlichen Großen konnte er Tragaltäre, Beichtbriefe oder Testierlizenzen und anderes mehr gewähren. Die Kanzleiregeln zeigen, wie sich seine Kompetenzen im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts deutlich erweiterten. Kurz, der Vizekanzler stieg zu einem Kleinpapst auf 43. Doch die Hierarchie blieb dabei immer gewahrt, denn signatura per „fiat“ preferetur per „concessum“ 44. Einige Kanzleiregeln zeigen uns zudem, wie der Vizekanzler seine Verfügungsgewalt erweitern konnte, nämlich durch eine Eingabe an den Papst. Die 96. Regel Martins V. beginnt mit den Worten Placet domino nostro, quod dominus vicecancellarius signare valeat et signet supplicationes novarum provisionum de quibuscumque beneficiis ecclesiasticis et officiis, dum tamen generaliter non sint reservata vel affecta und fährt dann bis Nr. 98 mit weiteren quod-Sätzen fort. Aus der Antwort des Papstes Placent predicta, O(ddo) geht deutlich hervor, dass diese Regeln zunächst als Anfragen oder Bitten eingereicht worden waren, die der Papst sodann mit „Ja, sie gefallen mir“ beantwortete bzw. gewährte45. Weil Martin V. 1423 sollten die Kanzleiregeln, welche die expeditio litterarum betrafen, nicht an Interessenten herausgegeben werden, Tangl, Kanzleiordnungen (wie Anm. 22) 149 Nr. 7: Prohibemus autem regulas dicte cancellarie, que solum concernunt modum expeditionis litterarum, cuiquam dicto modo concedi. 40   Emil von Ottenthal, Die Bullenregister Martins V. und Eugens IV., in: MIÖG Ergbd. 1 (Innsbruck 1885) 401–589, hier 447, schreibt irrtümlich seit Johannes XXIII. Thematisch geordnete Kanzleiregeln mit Zwischentiteln erscheinen erstmals unter Clemens VII. 41  Eine mit concessum signierte Supplik aus dem Pontifikat Clemens’ VI. erwähnt Zdenka Hledíková, Die Einflüsse päpstlicher Urkunden und Kanzleigebräuche auf das Urkunden- und Kanzleiwesen der Bischöfe und Erzbischöfe von Prag (prolegomena), in: Papsturkunde und europäisches Urkundenwesen (wie Anm. 1) 97–121, hier 108f.; Repertorium Germanicum. Verzeichnis der in den päpstlichen Registern und Kameralakten vorkommenden Personen, Kirchen und Orte des Deutschen Reiches, seiner Diözesen und Territorien vom Beginn des Schismas bis zur Reformation 1: Clemens VII. von Avignon 1378–1394, ed. Emil Göller (Berlin 1916) 75*f.; laut Kehr, Bemerkungen (wie Anm. 9) 101f., findet sich in den Supplikenregistern Innocenz’ VI. die Signatur des Vizekanzlers nur zweimal. Die Kanzleiregeln erwähnen sie erstmals unter Urban V., vgl. Urban V. (Link wie Anm. 30) Nr. 20. Suppliken per fiat bzw. per concessum wurden in unterschiedlichen Lagen bzw. Registern eingetragen, Repertorium Germanicum 1 3*–12*; Bresslau, Handbuch 2/1 (wie Anm. 6) 17 Anm. 1; Pitz, Supplikensignatur (wie Anm. 28) 33–40. 42   Vgl. zu den Kompetenzen des Vizekanzlers auch Walther von Hofmann, Forschungen zur Geschichte der kurialen Behörden vom Schisma bis zur Reformation 1–2 (BDHIR 12–13, Rom 1914) 1 25–28, und Thomas Frenz, Die Kanzlei der Päpste der Hochrenaissance (1471–1527) (BDHIR 63, Tübingen 1986) 95f. 43  Unter Eugen IV. signierte er mindestens eine von fünf Bittschriften, Bresslau, Handbuch 2/1 (wie Anm. 6) 17 Anm. 1; vgl. dazu auch ebd. 108f. 44   Diese Regel galt spätestens seit Nicolaus V., vgl. Ottenthal, Regulae (wie Anm. 30) 256 Nr. 11; vgl. auch Calixt III. Nr. 31 (Link wie Anm. 30). Das Zitat ist die Rubrik zur 34. Regel Pius’ II., ebd. 45  Ottenthal, Regulae 208 Nr. 96–98; ähnlich auch 213f. Nr. 111–113: (hier mit Fiat, O[tto] signiert),



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mit placet antwortet, mit dem Wort also, mit dem er sonst die commissiones de iustitia signierte46, beruhen die Kompetenzen des Vizekanzlers also genauso wie jene der delegierten Richter auf einer commissio. Gemäß den Kanzleiregeln konnte der Vizekanzler seine Befugnisse auch weiterreichen, wenn dies erforderlich war. So schlug der Vizekanzler Jean de Brogny dem Papst am 10. Juli 1422 vor, während einer kürzeren Abwesenheit von der Kurie seine Befugnisse dem Kanzleiregenten zu übertragen, was Martin V. drei Tage später mit Placet, O(ddo) anstandslos gewährte47. Nachdem Jean de Brogny am 16. Februar 1426 gestorben war, erbat sich der damalige Regent in gleicher Weise die potestat[es] in libro eiusdem Cancellarie descript[as] in signandis supplicationibus et commissionibus gratiam vel iustitiam continentes, bis der Papst über die Neubesetzung des Vizekanzleramtes entschieden habe48. Es macht nun den Eindruck, dass in der Folgezeit das geschilderte Antragsverfahren dergestalt vereinfacht wurde, dass der Vizekanzler Rodrigo Borgia unter Pius II. seine Kompetenzen aus eigener Machtvollkommenheit an den Kanzleiregenten delegieren konnte, wann immer er sich von der Kurie verabsentierte49. Außer dem Vizekanzler und dem Regens oblag das Genehmigen von Bittschriften im Spätmittelalter noch weiteren kurialen Funktionären50. Seit Eugen IV. zeichneten Referendare Suppliken mit concessum in presentia domini nostri pape51. Schon länger signierten die kurialen Examinatoren die Suppliken in forma pauperum mit habeat, nachdem sie die Bittsteller in litteratura geprüft hatten. Diese Subdelegation war offenbar erfolgt, weil die jeweils zu Beginn eines Pontifikats an die Kurie strömenden Heerscharen von armen, d. h. unbepfründeten Klerikern den üblichen Geschäftsgang zum Erliegen gebracht hatten52. Schließlich schuf Rodrigo Borgia, seit 1457 Vizekanzler, als er 1492 den Thron Petri bestieg, unter faktischer Entmachtung des neuen Vizekanzlers aus den bisherigen 216 Nr. 120f. (mit placet), 224f. Nr. 143–148 (mit placet und zeitlicher Begrenzung gewährt), 228 Nr. 158 (ohne Genehmigungsvermerk), 233–235 Nr. 188–196 (mit placet), 235f. Nr. 199–203. Dass diese Bitten wie die anderen Suppliken auf einer cedula eingereicht wurden, geht aus 229 Nr. 165 hervor. 46   Diese Signatur, die nur commissiones in forma speciali betreffen kann, vgl. oben bei Anm. 6, kommt nicht erst seit Innocenz VIII. vor, wie Frenz, Kanzlei (wie Anm. 42) 94, meint, sondern ist schon viel früher belegt, vgl. die Kanzleiregeln Johannes’ XXII. Nr. 5K u. ö., Benedikts XII. Nr. 3Kb, Nicolaus’ V. HO 17, Calixts III. Nr. 109–111 und 114–121, Pius’ II. Nr. 27, Pauls II. Nr. 25 (alles vorläufige Nummerierungen, Link wie Anm. 30). Bresslau, Handbuch 2/1 (wie Anm. 6) 19–22, und Herde, Beiträge (wie Anm. 5) 64–71, erwähnen diesen Genehmigungsvermerk bei der Behandlung der Suppliken in Justizsachen überhaupt nicht. Auch Kardinallegaten signierten die bei ihnen eingereichten Suppliken gelegentlich mit placet, vgl. Černík, Supplikenwesen (wie Anm. 8) 332. 47   Ottenthal Regulae (wie Anm. 30) 222 Nr. 132 und 135f. (zum Teil mit placet, zum Teil mit fiat signiert). 48   Ottenthal Regulae 230f. Nr. 168, vgl. dazu den Entscheid 232f. Nr. 187. 49   Vgl. Regeln Pius’ II. Nr. 169 u. ö. (Link wie Anm. 30). 50   Als Gregor XII. Ende 1409 von Cividale del Friuli nach Gaeta übersiedelte, signierten offenbar mehrere Kuriale in seinem Auftrag, u. a. auch der protonotarius Rotherius de Balhorn, vgl. Ottenthal, Regulae 87 Nr. 12. 51   Frenz, Kanzlei (wie Anm. 42) 96. Zum Aufstieg der Referendare unter Clemens VII. von Avignon vgl. Repertorium Germanicum 1 (wie Anm. 41) 71*–74*. Eine sola signatura-Supplik des Stiftes Klosterneuburg wurde 1478 vom protonotarius Alexander Numai, Bischof von Forlì, mit placet ... genehmigt, vgl. Černík, Supplikenwesen (wie Anm. 8) 342–344; Alexander Numai ist 1472/73 als referendarius nachzuweisen, Frenz, Kanzlei (wie Anm. 42) 274 Nr. 73. 52   Meyer, Arme Kleriker (wie Anm. 11) 21 Anm. 58 (bereits seit Benedikt XII., vgl. Repertorium Germanicum 1 [wie Anm. 41] 66*f. Anm. 4) 29–38. Vgl. zum Ansturm von Petenten nach der apertio gratie auch die Regel Martins V., Ottenthal, Regulae (wie Anm. 30) 216 Nr. 120.

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Referendaren eine Art Behörde mit zwei Abteilungen – die sogenannte signatura gratiae und die signatura iustitiae –, der jeweils ein Präfekt vorstand und der die Bittschriften nach Beratung mit den zuständigen Referendaren mit concessum in presentia ... signierte. Der Papst persönlich zeichnete fortan nur noch selten53. Damit war das ganze Geschäft der Supplikensignatur, das einst ein Kernbereich päpstlicher Herrschaft gewesen war, delegiert und bürokratisiert worden. * * * Innerhalb der eben beschriebenen Kanzlei mit all ihren Vizekanzlern, Abbreviatoren, Skriptoren und weiteren Entscheidungs- und Geschäftsträgern gab es einen geschützteren Bereich, dem das Anfertigen der politischen Korrespondenz der Päpste oblag. Dass die Kurial- und Sekretbriefe und seit dem 15. Jahrhundert auch die Breven „der lauten Öffentlichkeit der Kanzlei entzogen“ waren, um einer Formulierung von Thomas Frenz zu folgen, leuchtet ein54. Die politische Korrespondenz der Päpste entstand außerhalb des Machtbereiches des Vizekanzlers. Diese Tatsache erklärt gewiss auch seinen trotz riesiger Machtfülle eher schmucklosen Titel55 und die Tatsache, dass dieser Posten seit dem späten 14. Jahrhundert oft für längere Zeit unbesetzt blieb. In diesem geschützten Bereich, den man, weil in den Privaträumen des Papstes angesiedelt, durchaus als innere Kanzlei bezeichnen könnte, arbeiteten die päpstlichen Sekretäre, also hochgelehrte Leute wie etwa Flavio Biondo, die nicht unbedingt Kleriker waren, die aber das uneingeschränkte Vertrauen des Papstes genossen und ihn in seinem politischen Tagesgeschäft unterstützten. Die Freigabe dieser Urkunden zur Besiegelung erfolgte durch den Papst selbst und nicht wie bei den litterae communes durch den Vizekanzler56. Diese innere päpstliche Kanzlei, die im Vergleich zur seriell arbeitenden äußeren das Interesse der Forschung nie so richtig wecken konnte57, gleicht nun sehr viel mehr dem, was man in der Literatur anderweitig als „Kanzlei“ beschrieben vorfindet. Bei weltlichen Herrschaften interessiert nämlich die Kanzlei vor allem als Zentralbehörde des Herrschers, was sich in Buchtiteln und Untertiteln wie „Kanzlei, Rat und Urkundenwesen“ oder „Rat, Kanzlei und Regierung“ niederschlägt, während Begriffe wie „Verwalten“ oder   Frenz, Kanzlei (wie Anm. 42) 96f.   Frenz, Kanzlei (wie Anm. 42) 132; Repertorium Germanicum 1 (wie Anm. 41) 32*f. Auch die Pariser Kanzlei unterschied 1316 zwischen „lettres communes“ und Briefen, die aufgrund von Behördeninitiativen ergingen, Bautier, Chartes (wie Anm. 24) 756 und 786. 55  Im Reich hingegen verschleierten die Herrscher faktische Machtlosigkeit mit immer wohlklingenderen Titeln, vgl. etwa Gerhard Seeliger, Erzkanzler und Reichskanzleien. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Reiches (Innsbruck 1889); Heinrich Kretschmayr, Das deutsche Reichsvicekanzleramt. AÖG 84 (1898) 381–502. 56  Frenz, Kanzlei (wie Anm. 42) 132–140. Die Sekretäre wirkten aber auch bei der Expedition von Gratialsachen mit, vgl. folgende Anm. 57  Vgl. etwa Ottenthal, Bullenregister (wie Anm. 40) 461–484; Hofmann, Forschungen (wie Anm. 42) 1 142–157; Repertorium Germanicum 1 (wie Anm. 41) 34*f. und 93*–97*; Andreas Kraus, Die Sekretäre Pius’ II. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des päpstlichen Sekretariats. RömQua 52 (1958) 25–80; Pitz, Supplikensignatur (wie Anm. 28) 217–227; Germano Gualdo, Umanesimo e segretari apostolici all’inizio del Quattrocento. Alcuni casi esemplari, in: Cancelleria e cultura nel Medio evo. Comunicazioni presentate nelle giornate di studio della commissione, Stoccarda, 29–30 agosto 1985. XVI Congresso internazionale di Scienze Storiche, ed. Germano Gualdo (Città del Vaticano 1990) 307–318; Thomas Frenz, L’introduzione della scrittura umanistica nei documenti e negli atti della curia pontificia del secolo XV, con un saggio di Peter Herde (Littera antiqua 12, Città del Vaticano 2005). 53 54



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„Administration“ auf dieser Ebene gänzlich fehlen58. Dieser Befund widerspiegelt letztlich die Tatsache, dass administratio im Sinne von nachgeordneter, weisungsgebundener Tätigkeit bereits unter den Merowingern aus dem politischen Wortschatz weltlicher Herrscher verschwand59. * * * Damit sind wir beim Vergleich, dem zweiten, kürzeren Teil meiner Ausführungen angekommen, der argumentativ analog zum ersten aufgebaut ist. Beginnen wir mit dem G r ö ß e n p r o b l e m. Angesichts der Tatsache, dass sich keine weltliche Herrschaft über das ganze Abendland erstreckte, sind hier natürlich viel bescheidenere Zahlen zu erwarten. Zudem waren weltliche Herrschaften im Spätmittelalter – mit Ausnahme Englands – viel weniger zentralisiert als die Kirche. Wir erfahren den Urkundenausstoß weltlicher Kanzleien aber auch deshalb als so viel kleiner, weil er wegen der oft fehlenden oder erst spät einsetzenden Registerüberlieferung nur anhand original oder kopial überlieferter Stücke zu erfassen ist60. Die beinahe aber schon lächer58  Dass die rein diplomatische Aufarbeitung von Kanzleigeschichten den Blick auf wichtige Zusammenhänge versperrt, fiel bereits Peter Moraw, Gründzüge der Kanzleigeschichte Kaiser Karls IV. (1346–1378). ZHF 12 (1985) 11–42, hier 28, auf. „Verwaltung ist ein besonders wichtiges Merkmal der Landesherrschaft“, Peter Moraw, Die Entfaltung der deutschen Territorien im 14. und 15. Jahrhundert, in: Landesherrliche Kanzleien im Spätmittelalter. Referate zum VI. Internationalen Kongreß für Diplomatik, München 1983, hg. von Gabriel Silagi, 1–2 (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissanceforschung 35, München 1984) 1 61–108, hier 81. 59  Vgl. etwa Jörg W. Busch, Vom Amtswalten zum Königsdienst. Beobachtungen zur „Staatssprache“ des Frühmittelalters am Beispiel des Wortes administratio (MGH Studien und Texte 42, Hannover 2007); ders., Administratio in der frühen Stauferzeit. Ein abgebrochener Versuch politischer Begriffsbildung. ZRG Germ. Abt. 122 (2005) 42–86. 60   Einige Lesefrüchte für das Erscheinen von Ausgangs- oder Briefregistern, E n g l a n d: 1199, vgl. Thomas Frederick Tout, Chapters in the Administrative History of Mediaeval England. The Wardrobe, the Chamber and the Small Seals 1–6 (Manchester 1920–1933) hier 1 42ff.; Jane E. Sayers, The Influence of Papal Documents on English Documents before 1305, in: Papsturkunde und europäisches Urkundenwesen (wie Anm. 1) 161–199, hier 173; die überlieferten Rolls des Exchequer setzen 1130 ein, vgl. Michael T. Clanchy, From Memory to Written Record. England 1066–1307 (Oxford 21994) 58 und 138; bischöfliche Register setzen in England schon vor 1217 ein, vgl. ebd. 75; R e i c h: Helmut Bansa, Studien zur Kanzlei Kaiser Ludwigs des Bayern vom Tag der Wahl bis zur Rückkehr aus Italien (1314–1329) (Münchener Historische Studien. Abt. Geschichtl. Hilfswissenschaften 5, Kallmünz 1968) 300f.; Moraw, Gründzüge (wie Anm. 58) 21; ders., Kanzlei und Kanzleipersonal König Ruprechts. AfD 15 (1969) 428–531; Paul-Joachim Heinig, Kaiser Friedrich III. (1440–1493). Hof, Regierung und Politik 1–3 (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 17, Köln–Weimar–Wien 1997) 1 565–800; Wilhelm Bauer, Das Register- und Konzeptwesen in der Reichskanzlei Maximilians I. bis 1502. MIÖG 26 (1905) 245–279; P a s s a u: seit 1254/65, Franz-Reiner Erkens, Über Kanzlei und Kanzler König Sigmunds. Zum Kontinuitätsproblem in der deutschen Königskanzlei unter dem letzten Luxemburger. AfD 33 (1987) 429–458, hier 439; K l e v e: seit 1338/1360, Wolf-Rüdiger Schleidgen, Die Kanzlei der Grafen und Herzöge von Kleve im 14. und 15. Jahrhundert, in: Landesherrliche Kanzleien (wie Anm. 58) 1 171–192, hier 171; W e t t i n e r: seit 1349, Otto Posse, Die Lehre von den Privaturkunden (Leipzig 1887) 99, und Karlheinz Blaschke, Urkundenwesen und Kanzlei der Wettiner bis 1485, in: Landesherrliche Kanzleien 1 193–202, hier 196; K u r t r i e r: seit 1350, Paul Richter, Die kurtrierische Kanzlei im späteren Mittelalter (Mitteilungen der Preußischen Archivverwaltung 17, Leipzig 1911) 14–17; B a y e r n: seit 1353 (Tirol) bzw. 1360 (Bayern-Straubing), Alfons Sprinkart, Kanzlei, Rat und Urkundenwesen der Pfalzgrafen bei Rhein und Herzöge von Bayern 1294 bis 1314 (1317). Forschungen zum Regierungssystem Rudolfs I. und Ludwigs IV. (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 4, Köln–Wien 1986) 280 und 412f.; Klaus Freiherr von Andrian-Werburg, Urkundenwesen, Kanzlei, Rat und Regierungssystem der Herzoge Johann II., Ernst und Wilhelm III. von Bayern-München (1392–1438) (Münchener Historische Studien. Abt.

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lichen Werte, die aus den vorliegenden Studien zu gewinnen sind, erspare ich Ihnen 61. Erwähnenswert erscheint mir allerdings, was Robert-Henri Bautier anhand des Wachsverbrauchs der Pariser Kanzlei für die 1330er Jahre errechnet hat, nämlich jährlich beachtliche 15.000 bis 17.000 Wachssiegel, auch wenn er diesem Wert kaum zu glauben wagt62. Wenn aber im Berichtszeitraum noch von Empfängerausfertigung gesprochen wird63 oder gar davon, dass sich ein festes Urkundenlayout erst noch herausbilden musste64, so sind dies deutliche Indizien dafür, dass die Hauptaufgabe der Kanzlei damals wohl noch Geschichtl. Hilfswissenschaften 10, Kallmünz 1971) 76–79; P r a g: seit 1354, Hledíková, Einflüsse (wie Anm. 41) 116; K u r k ö l n: seit 1363, Wilhelm Janssen, Die Kanzlei der Erzbischöfe von Köln im Spätmittelalter, in: Landesherrliche Kanzleien 1 147–169, hier 157–169; Ö s t e r r e i c h: seit 1369, Christian Lackner, Hof und Herrschaft. Rat, Kanzlei und Regierung der österreichischen Herzoge (1365–1406) (MIÖG Ergbd. 41, Wien–München 2002) 268; W ü r z b u r g: seit 1372, Walter Scherzer, Die fürstbischöfliche Kanzlei zu Würzburg und der Weg von der Urkunde zur Akte. Jahrbuch für fränkische Landesforschung 52 (1992) 145–152, hier 147; O l m ü t z: seit 1388, Jan Bistřický, Das Kanzlei- und Urkundenwesen der Bischöfe von Olmütz im 14. Jahrhundert, in: Landesherrliche Kanzleien 1 351–360, hier 359f. 61   Moraw, Gründzüge der Kanzleigeschichte Kaiser Karls IV. (wie Anm. 58) 18, rechnet mit 10.000 erhalten gebliebenen Urkunden Karls IV. oder 25,7 Urkunden pro Herrschaftsmonat; für Ruprecht lauten die analogen Zahlen 4800 und 41, Moraw, Kanzlei und Kanzleipersonal (wie Anm. 60) 436; Paul-Joachim Heinig, Zur Kanzleipraxis unter Kaiser Friedrich III. (1440–1493). AfD 31 (1985) 383–442, hier 387, schätzt die Zahl der Urkunden Friedrichs III. auf 40–50.000 oder auf 78 pro Monat; an anderer Stelle spricht er von rund 200 Kaiserschreiben pro Jahr, Heinig, Friedrich III. (wie Anm. 60) 2 850; Elfie-Marita Eibl, Der schriftlich regierende Kaiser. Kanzlei und Urkundenproduktion zur Zeit Kaiser Friedrichs III. (1440–1493), in: Belliculum diplomaticum II Thorunense, hg. von Waldemar Chorążyczewskiego–Janusz Tandecki (Toruń 2007) 11–21, schätzt die Gesamtzahl der produzierten Stücke Friedrichs III. auf mindestens 50.000 und jene Maximilians auf 100.000. Ottokar II. stellte im 13. Jh. für böhmische Empfänger jährlich 2–12, für österreichische 3–41 Urkunden aus, Jindřich Šebánek–Sáša Dušková, Das Urkundenwesen König Ottokars II. von Böhmen. AfD 15 (1969) 251–427, hier 376f. Der jährliche Ausstoß der wettinischen Kanzlei verdoppelte sich zwischen 1381 und 1427 von 62 auf 133 Urkunden, Blaschke, Urkundenwesen (wie Anm. 60) 198; 1431 erreichte die Kanzlei der Herzöge von Bayern-München mit 181 Stück ihren Höhepunkt, Andrian-Werburg (wie Anm. 60) 6f.; K u r k ö l n: um die Mitte des 13. Jh.: 30 erhaltene Stücke pro Jahr, Janssen, Kanzlei (wie vorige Anm.) 150; K u r m a i n z: zwischen 1289 und 1328 74 Urkunden/Jahr, 1354–1371: 156 Urkunden/Jahr, Paul Kirn, Das Urkundenwesen und die Kanzlei der Mainzer Erzbischöfe im fünfzehnten Jahrhundert (Heidelberg 1929; auch in Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde N. F. 15 [1928] 302–347) 10 Anm. 1. 62  Bautier, Chartes (wie Anm. 24) 692f.; für 1329 lassen sich anhand eines erhalten gebliebenen Registers 1.150 Urkunden errechnen, ebd. 664; ebd. 882 spricht er von einer jährlichen Kapazität der königlichen Kanzlei von 20.000 bis 30.000 Urkunden unter dem großen Siegel und von 12.000 bis 18.000 unter dem kleinen Siegel. Zwischen Juli und Dezember 1395 erhielten 6.159 Urkunden das große Siegel, 1440/41 wurden innerhalb von zwölf Monaten 14.650 Urkunden gesiegelt, 1518 sogar 67.459, vgl. Georges Tessier, Diplomatique royale française (Paris 1962) 181f. Vgl. zum rasant steigenden Wachsverbrauch in der englischen Kanzlei im 13. Jh. (aber leider ohne Hochrechnung auf die Zahl der Urkunden) Clanchy, Memory (wie Anm. 60) 59. 63   Eine Kanzlei zu halten lohnte sich erst, wenn regelmäßig eine bestimmte Anzahl von Urkunden auszufertigen war. Empfängerausfertigungen verschwanden aber sehr langsam, vgl. Ludwig Schnurrer, Urkundenwesen, Kanzlei und Regierungssystem der Herzöge von Niederbayern 1255–1340 (Münchener Historische Studien. Abt. Geschichtl. Hilfswissenschaften 8, Kallmünz 1972) 261f. 64   Eine Typologisierung der Urkunden kann erst versucht werden, wenn sie in genügender Zahl vorliegen. Doch kaum eine weltliche Kanzlei erreichte in ihrer Produktion eine solche Homogenität wie die päpstliche, so dass die erhaltenen Resultate nur bedingt aussagekräftig sind, vgl. etwa Lackner, Hof und Herrschaft (wie Anm. 60) 218–234; Siegfried Hofmann, Urkundenwesen, Kanzlei und Regierungssystem der Herzoge von Bayern und Pfalzgrafen bei Rhein von 1180/1214 bis 1255/1294 (Münchener Historische Studien. Abt. Geschichtl. Hilfswissenschaften 3, Kallmünz 1967) 150–154; Sprinkart, Kanzlei (wie Anm. 60) 382–393; Gerda Maria Lucha, Kanzleischriftgut, Kanzlei, Rat und Regierungssystem unter Herzog Albrecht III. von BayernMünchen 1438–1460 (Europ. Hochschulschriften III/545, Frankfurt am Main 1993) 24–65.



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„die Sicherung und Aufbereitung der Rechtstitel“65 gewesen war und die Kanzleien sich erst noch zu einem ganz wesentlichen Instrument entwickeln mussten, „um eine zentrale Regierung auszuüben“. Es dauerte jedenfalls noch eine ganze Weile, bis die Kanzleivorstände „in Verwaltung, Diplomatie und Politik universell einsetzbare Persönlichkeiten“ waren, die dem Herrscher beim Regieren zur Seite stehen konnten66, was auch immer man sich darunter vorstellen mag. Weil dem aber offenbar in fast aller Herren Länder so war und der Historiker sich meistens mit den Quellen begnügt, die ihm vorliegen 67, gilt das besondere Interesse der einschlägigen Forschung fast uneingeschränkt dem Kanzleileiter und dem weiteren Kanzleipersonal, deren individuellem Anteil an der Herstellung bestimmter Urkunden oder der sich gegebenenfalls wandelnden Amtsbezeichnung (etwa notarius – protonotarius – cancellarius) als Ausdruck des Organisationsgrades der Kanzlei68. Kanzleivermerke wiederum werden dankbar als Anzeichen dafür genommen, dass sich die Dinge verkomplizierten und bei der Urkundenproduktion gewisse Sicherungen nötig wurden69. Schließlich kommen mit großer Regelmäßigkeit Formularsammlungen, Registerwesen oder Gebühren und Sporteln zur Sprache70. Das Auslagern bzw. Verpachten der Urkundenherstellung hingegen erscheint im Reich erst unter Friedrich III.71. Kurz, die meisten Kanzleigeschichten sind sehr hilfswissenschaftlich und prosopographisch orientiert. An der „Frage nach dem Warum und Wozu“ sind sie jedoch trotz Peter Moraws   Schleidgen, Kanzlei (wie Anm. 60) 177.   Die Zitate aus Winfried Stelzer, Zur Kanzlei der Herzoge von Österreich aus dem Hause Habsburg (1282–1335), in: Landesherrliche Kanzleien (wie Anm. 58) 1 297–313, hier 306. 67  Wie sehr die Überlieferung die Perspektiven verzerrt, wird nur ausnahmsweise thematisiert, vgl. Andreas Meyer, Felix et inclitus notarius. Studien zum italienischen Notariat vom 7. bis zum 13. Jahrhundert (BDHIR 92, Tübingen 2000) 235–320, oder Arnold Esch, Überlieferungs-Chance und Überlieferungs-Zufall als methodisches Problem des Historikers. HZ 240 (1985) 529–570. 68  Vgl. etwa zur Reichskanzlei Bansa, Studien (wie Anm. 60); Heinig, Friedrich III. (wie Anm. 60); Hans Moser, Die Kanzlei Kaiser Maximilians I. Graphematik eines Schreibusus 1–2 (Innsbruck 1977) 1 31–46; zu Österreich Stelzer, Kanzlei (wie Anm. 66) 311–313, und Lackner, Hof (wie Anm. 60) 271–332; zu Bayern Schnurrer, Urkundenwesen (wie Anm. 63) 167–195; Sprinkart, Kanzlei (wie Anm. 60) 46–269; Lucha, Kanzleischriftgut (wie Anm. 64) 103–175. 69  R e i c h: seit 1347, Theodor Lindner, Beiträge zur Diplomatik Karls IV. und seiner Nachfolger. MIÖG 3 (1882) 229–245, hier 230; Ö s t e r r e i c h: seit der Mitte des 14. Jhs., Lackner, Hof (wie Anm. 60) 267; K u r k ö l n: ab 1357, Janssen, Kanzlei (wie Anm. 61) 155; K u r m a i n z: spätestens ab 1404, Kirn, Urkundenwesen (wie Anm. 61) 32f.; Schnurrer, Urkundenwesen (wie Anm. 63) 5, und Sprinkart, Kanzlei (wie Anm. 60) 288f., können für ihre Beobachtungszeiträume keine Kanzleivermerke feststellen; in Bayern-München werden sie 1431 zur Regel, Andrian-Werburg, Urkundenwesen (wie Anm. 60) 65–74; Lucha, Kanzleischriftgut (wie Anm. 64) 175–196; Moser, Kanzlei (wie Anm. 68) 1 22f. 70  Taxlisten sind ein guter Indikator für größere Geschäftsvolumina, weil nun Gleiches (offiziell) gleich viel kostet, sie erleichtern aber auch die interne Abrechnung. Bekannt sind Taxlisten aus Savoyen (1344), vgl. Chantal Reydellet-Guttinger, La chancellerie d’Humbert II, dauphin du Viennois (1333–1349). AfD 20 (1974) 241–383, hier 370–380; aus Kurtrier (1426) vgl. Richter, Kurtrierische Kanzlei (wie Anm. 60) 112–114. Vgl. auch die Hinweise auf Sporteln in den Würzburger Kanzleiordnungen von 1506 und 1526, Scherzer, Kanzlei (wie Anm. 60) 149. Privilegierung war schon immer teuer gewesen, vgl. etwa Bresslau, Handbuch 1 (wie Anm. 6) 555–559; Gerhard Seeliger, Kanzleistudien I: Die kurmainzische Verwaltung der Reichskanzlei in den Jahren 1474–1475. MIÖG 8 (1887) 1–64, hier 36–64; Ivan Hlaváček, Das Urkundenund Kanzleiwesen des böhmischen und römischen Königs Wenzel (IV.) 1376–1419. Ein Beitrag zur spätmittelalterlichen Diplomatik (MGH Schriften 23, Stuttgart 1970) 283–289; Schnurrer, Urkundenwesen (wie Anm. 63) 239, oder Kirn, Urkundenwesen (wie Anm. 61) 66f. Fruchtbar sind auch Taxregister, vgl. Heinig, Friedrich III. 2 (wie Anm. 60) 854–865. 71  Seeliger, Kanzleistudien (wie Anm. 70); Heinig, Kanzleipraxis (wie Anm. 61) 415f., 420–427; Eibl, Kaiser (wie Anm. 61) 14–16. 65 66

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mahnender Worte nur ausnahmsweise interessiert und daher für unseren Vergleich nur beschränkt ergiebig72. Der herrschaftlichen Urkundenausstellung gingen „wohl in den meisten Fällen mehr oder weniger langwierige Bemühungen der Empfänger“ voraus, auch in der Form schriftlicher Petitionen73, auch wenn Bitten nur ausnahmsweise überliefert sind74. Suppliken oder Petitionen sind für die Bevölkerung aber erst dann interessant, wenn der Herrscher etwas zum Entscheiden oder zum Verteilen hat und nicht mehr ständig in seinem Land herumreist, also zunächst vor allem dort, wo er wie etwa in Sizilien, England, Frankreich oder in den italienischen Kommunen ein zentralisiertes, flächendeckendes Gerichts- und Steuerwesen aufgebaut und auch das Kirchenregiment nicht völlig verloren hat75. Erst wenn der Herrscher Steuern verlangt, kann man ihn um einen Nachlass bitten76. Erst bei schriftlich fixierten Prozessen lohnt sich das Gnadengesuch an den Herrscher77. Erst wenn der soziale Rang durch den Herrscher formalisiert wird, gelangt man wegen Rangstreitigkeiten an ihn78. Solange all dies fehlt, kann sich auch kein Herrscher und kein Regiment mit einem Schriftstück als gnädig erweisen – und was sollte unter solchen Umständen eine Kanzlei? Der Ausbau der Herrschaft ging also einer notgedrungen leistungsfähigen Kanzlei voraus79. Der große Aufwand für Registrierung und Archivierung der ausgestellten Dokumente musste sich ja auch lohnen80. Schließlich ist daran zu erinnern, dass der Bittgestus, der sich im Einreichen einer Supplik manifestierte, „immer wieder von unten 72  Moraw, Grundzüge (wie Anm. 58) 28; Heinrich Koller, Probleme der Schriftlichkeit und Verwaltung unter Friedrich III., in: Europa 1500. Integrationsprozesse im Widerstreit: Staaten, Regionen, Personenverbände, Christenheit, hg. von Ferdinand Seibt–Winfried Eberhard (Stuttgart 1987) 96–114. 73  Sprinkart, Kanzlei (wie Anm. 60) 342f., 401–406; das Zitat Lackner, Hof (wie Anm. 60) 258; Heinig, Friedrich III. (wie Anm. 60) 2 849. Musste man wie bei der sogenannten Mutung persönlich vor dem Herrscher erscheinen, erübrigte sich das schriftliche Fixieren von Bitte und ihrer Gewährung, vgl. Claudia Garnier, Die Kultur der Bitte. Herrschaft und Kommunikation im mittelalterlichen Reich (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne, Darmstadt 2008) 206f. 74  Auf einen interessanten Fall einer überlieferten Supplik, die jedoch in der Narratio der Herrscherurkunde völlig verschwiegen wird, macht Hlaváček, Urkunden- und Kanzleiwesen (wie Anm. 70) 225f., aufmerksam. 75   Bereits unter Heinrich II. Plantagenet soll die englische Kanzlei mehr als 4.000 Urkunden produziert haben, Hiestand, Leistungsfähigkeit (wie Anm. 1) 6; Clanchy, Memory (wie Anm. 60) 28, schätzt, dass ein im County herumreisendes königliches Gericht unter Eduard I. vier- bis fünfhundert Dokumente pro Woche herstellte. Zum Kirchenregiment vgl. etwa Ann Deeley, Papal Provision and Royal Rights of Patronage in the Early Fourteenth Century. EHR 43 (1928) 497–527; Quentin Griffiths, Les collégiales royales et leurs clercs sous le gouvernement capétien. Francia 18/1 (1991) 93–110. 76  Vgl. etwa Schnurrer, Urkundenwesen (wie Anm. 63) 241f.: seit Ende 13. Jh. 77  Vgl. etwa Peter Blastenbrei, Funktion und Bedeutung von Suppliken in der päpstlichen Strafjustiz um 1600, in: Forme della comunicazione politica in Europa nei secoli XV–XVIII. Suppliche, gravamina, lettere / Formen der politischen Kommunikation in Europa, Bitten, Beschwerden, Briefe, hg. von Cecilia Nubola–Andreas Würgler (Annali dell’Istituto Storico Italo-Germanico in Trento, Contributi 14, Bologna/Berlin 2004) 53–72, und Carl A. Hoffmann, Die gesellschaftliche und rechtliche Bedeutung von Suppliken im städtischen Strafverfahren des 16. Jahrhunderts, ebd. 73–93. 78   Vgl. etwa Maren Bleckmann, Suppliken zu Rangkonflikten an den Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel im 17. und 18. Jahrhundert, in: Forme della comunicazione politica (wie Anm. 77) 95–115. 79   Vgl. etwa Peter Moraw, Entfaltung (wie Anm. 58) 74f.; die sogenannte Reformatio Friderici von 1442 betonte die Schriftlichkeit, Koller, Probleme (wie Anm. 72) 104; die zunehmende Verfügungsgewalt des Kaisers über kirchliche Benefizien nach dem Wiener Konkordat (1448) führte zu einer Steigerung der Urkundenproduktion, ebd. 106. Zum Wiener Konkordat vgl. Andreas Meyer, Wiener Konkordat, 1448, in: Historisches Lexikon Bayerns (http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_45690). 80   Vgl. etwa Clanchy, Memory (wie Anm. 60) 70.



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die souveränen Befugnisse der Entscheidungsträger“ bestätigte81. Herrschaft drückte sich eben in iustitia und gratia ganz besonders gut aus. Im Römischen Reich nördlich und südlich der Alpen erfolgte der Aufbau eines flächendeckenden Gerichts- und Steuerwesens auf der Ebene der Landesherrschaften oder der Stadtstaaten. Residenzen bzw. Regierungssitze entstanden ebenfalls auf dieser Ebene. In deutschen Landen lief dieser Prozess zudem noch mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung ab82. Auch das Kirchenregiment ging hier eigentlich erst mit Reformation und Gegenreform wieder an die weltliche Herrschaft über83. Noch lange waren viele der im Laufe des 13. Jahrhunderts entstandenen Territorialherrschaften so übersichtlich und klein, dass vieles informell zu erledigen war84. Wer vom Herrscher etwas Schriftliches wollte, brachte daher besser gleich die Urkunde zur Besiegelung mit. 81   Blastenbrei, Funktion (wie Anm. 77) 53. In Bayern waren schriftliche Petitionen schon früh üblich, Schnurrer, Urkundenwesen (wie Anm. 63) 241f. In der letzten Zeit befassten sich mehrere, vor allem frühneuzeitliche Tagungen mit dieser Thematik, vgl. etwa Suppliche e „gravamina“. Politica, amministrazione, giustizia in Europa (secoli XIV–XVIII). Atti del primo e secondo seminario del Progetto „Petizioni, ‚gravamina‘ e suppliche nella prima età moderna in Europa (secoli XIV–XVIII)“, Trento, 25–26 novembre 1999, Trento, 14–16 dicembre 2000, hg. von Cecilia Nubola–Andreas Würgler (Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento. Quaderni 59, Bologna 2002, dt.: Bittschriften und Gravamina. Politik, Verwaltung und Justiz in Europa [14.–18. Jahrhundert] [Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient 19, Berlin 2005]); Suppliques et requêtes (wie Anm. 5); Forme della comunicazione (wie Anm. 77); Operare la resistenza. Suppliche, gravamina e rivolte in Europa (secoli XV–XIX) / Praktiken des Widerstandes. Suppliken, Gravamina und Revolten in Europa (15.–19. Jahrhundert), hg. von Cecilia Nubola–Andreas Würgler (Annali dell’Istituto Storico Italo-Germanico in Trento. Contributi 18, Bologna–Berlin 2006); Medieval petitions. Grace and Grievance, hg. von W. Mark Ormrod–Gwilym Dodd–Anthony Musson (Woodbridge 2009). 82   Dem Verdikt von Martin Kaufhold, Landesherrschaft auf dem Prüfstand. Geistliche Gerichtsrechte und kirchliche Strafgewalt im späten Mittelalter. HJb 127 (2007) 13–31, hier 30f.: „Das Interdikt und der Erfolg geistlicher Gerichte lassen sich als Indikatoren für eine noch schwache öffentliche Ordnungsgewalt verstehen“, ist zuzustimmen. 83   Weder der englische noch der französische König verloren im Mittelalter den Zugriff auf kirchliche Pfründen in dem Maße wie der römische, vgl. etwa Geoffrey Barraclough, The English Royal Chancery and the Papal Chancery in the Reign of Henry III. MIÖG 62 (1954) 365–378, hier 371–374; Deeley, Papal Provision (wie Anm. 75); Jean Gaudemet, La collation par le roi de France des bénéfices vacants en régale des origines à la fin du XIV e siècle (Bibliothèque de l’École des Hautes Études. Section des sciences religieuses 51, Paris 1935); Guillaume Mollat, Le roi de France et la collation plénière (pleno jure) des bénéfices ecclésiastiques (Paris 1951); Pierre Santoni, Les „nominations“ royales aux bénéfices ecclésiastiques sous le régime de la Pragmatique Sanction, in: Crises et réformes dans l’Église de la Réforme grégorienne à la Préréforme (Actes du 115e Congrès National des Sociétés Savantes. Section d’histoire médiévale et de philologie, Paris 1991) 357–370; Paul Van Peteghen, Les rôles des bénéfices à la collation princière. L’Église belgique au service des Bourgui­gnons et des Habsbourg, in: Hommes d’Eglise et pouvoirs à l’époque bourguignone (XIVe–XVIe s.), hg. von Jean-Marie Cauchies (Publication du Centre européen d’études bourguignonnes [XIVe–XVIe s.] 38, Neuchâtel 1998) 229–246. Zum Recht der Ersten Bitten, das weiterverliehen werden konnte, vgl. Bansa, Studien (wie Anm. 60) 301; Kirn, Urkundenwesen (wie Anm. 61) 68–70; Hanns Bauer, Das Recht der ersten Bitten bei den deutschen Königen bis auf Karl IV. (Stuttgart 1919); Hans Erich Feine, Papst, Erste Bitten und Regierungsantritt des Kaisers seit dem Ausgang des Mittelalters. ZRG 51 Kan. Abt. 20 (1931) 1–101; Peter O ­ ffergeld, Erste Bitten (Preces primariae) deutscher Kaiser und Könige um Benefizien des Aachener Marienstifts. Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 93 (1986) 39–86; Garnier, Kultur (wie Anm. 73) 257– 277. Götz-Rüdiger Tewes, Die römische Kurie und die europäischen Länder am Vorabend der Reformation (BDHIR 95, Tübingen 2001), zeigt im europäischen Vergleich die geringen Einwirkungsmöglichkeiten des römischen Königs. Enno Bünz–Christoph Volkmar, Das landesherrliche Kirchenregiment in Sachsen vor der Reformation, in: Glaube und Macht. Theologie, Politik und Kunst im Jahrhundert der Reformation, hg. von Enno Bünz et al. (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 5, Leipzig 2005) 89–109. 84   Zur Vorliebe symbolischer Handlungen bei Belehnungsakten im spätmittelalterlichen Reich vgl. Garnier, Kultur (wie Anm. 73) 207–227, 309–324.

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Der regelmäßige Rekurs der Untertanen an die Herrschaft, wie er etwa in den Königreichen England oder Sizilien, vor allem aber auch in den ober- und mittelitalienischen Stadtstaaten bereits im 13. Jahrhundert zu konstatieren ist, führte in diesen Herrschaften zu Lösungsansätzen, wie wir sie an der päpstlichen Kurie vorfinden, ohne dass ich dies hier weiter vertiefen möchte85. Die in Italien fest verwurzelte Notarskultur dürfte dabei sowohl hier wie dort die Entwicklung vorangetrieben haben86. Betrachtet man Kanzleien nicht als freischwebende Institutionen, in denen sich ein vager Herrscherwille irgendwie in Schriftstücken manifestierte, sondern verwaltungsgeschichtlich87, so hat sich unser Blick auch auf die jeweilige G e s e t z g e b u n g zu richten, denn je mehr Gesetze erlassen wurden, desto mehr Schreibarbeit musste die Kanzlei anschließend bewältigen, desto geschulter hatte ihr Personal zu sein88 und desto ausgefeilter waren ihre Arbeitsabläufe zu organisieren. Kurz: die Gesetzgebung schafft der Administration ständig neue Geschäftsfelder89. In der Kirche entstand seit dem Investiturstreit neues Recht fast ausschließlich aus päpstlichen Einzelfallentscheiden, denen man später, weil als vernünftig und praktikabel erkannt, oft allgemeine Gültigkeit zumaß90. Diese Tradition des case law lebt in den Gebieten des common law weiter, während königliche Gesetzessammlungen, städtische Statuten, Landrechte oder Weistümer zwar von Anfang an einen insgesamt höheren Abstraktionsgehalt aufweisen, aber weniger regelmäßig erlassen wurden. Auf jeden Fall konkretisierte die Gesetzgebung die Macht des Herrschers, weil sie Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und Abläufe festlegte. Daher stieg mit der Zahl der Gesetze fast automatisch auch die Zahl der möglichen herrschaftlichen Eingriffe oder Entscheide, die wiederum bei den Untertanen unzählige Gnadengesuche oder Beschwerdeschriften auslösen konnten91. 85  Vgl. etwa Barraclough, English Royal Chancery (wie Anm. 83). Die ältesten erhaltenen englischen Bittschriften stammen aus dem späten 13. Jh., vgl. Patrick Zutshi, The Origins of the Registration of Petitions in the Papal Chancery in the First Half of the Fourteenth Century, in: Suppliques et requêtes (wie Anm. 81) 177–188, hier 178; in England gewährten König und Vizekanzler Bittschriften, ders., The Papal Chancery and English Documents in the Fourteenth and Early Finfteenth Centuries, in: Papsturkunde und europäisches Urkundenwesen (wie Anm. 1) 201–218, hier 209f. Zu Bittschriften an das englische Parlament bzw. den König vgl. Timothy Haskett, Access to Grace: Bills, Justice, and Gouvernance in England, 1330–1500, in: Suppliques et requêtes 297–317; Medieval petitions (wie Anm. 81), und Petitions to the Crown from English Religious Houses, c. 1272– c. 1485, hg. von Gwilym Dodd (Woodbridge 2010); Andrea Barlucchi, Le „petizioni“ inviate dalle comunità del contado al governo senese (secoli XIII–XV), in: Suppliques et requêtes 265–279; Cassiere della bolla ducale, Grazie, registro n. 16 (1364–1372), anticamente Liber gratiarum XIIII, ed. Stefano Piasentini 1–2 (Venezia 2009); Olivier Mattéoni, „Plaise au roi“: les requêtes des officiers en France à la fin du Moyen Âge, in: Suppliques et requêtes 281–296. Die Würzburger Gebrechenbücher oder libri hadrorum, in denen seit der Mitte des 15. Jhs. einlaufende Schreiben registriert wurden, gehören in diesen Zusammenhang, Scherzer, Kanzlei (wie Anm. 60) 148. 86  Meyer, Felix et inclitus notarius (wie Anm. 67). Das Fehlen einer lokal verwurzelten Notarskultur erklärt auch, weshalb im Gegensatz zur päpstlichen kaum eine weltliche Kanzlei das Urkundenschreiben außenstehenden Schreibern anvertraute. 87  Dies eine Forderung von Moraw, Entfaltung (wie Anm. 58) 86–88. 88  Ebd. 92–95; Dietmar Willoweit, Die Entwicklung und Verwaltung der spätmittelalterlichen Landesherrschaft, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, hg. von Kurt G. A. Jeserich, 1: Vom Spätmittelalter bis zum Ende des Reiches (Stuttgart 1983) 66–143. 89  Im Spätmittelalter von den römischen Königen und Kaisern erfolgreich beackerte neue Felder waren beispielsweise der Judenschutz oder das Pfalzgrafenamt, vgl. zu Letzterem Meyer, Felix et inclitus notarius (wie Anm. 67) 29–43. 90   Charles Duggan, Decretal Collections from Gratian’s Decretum to the Compilationes antiquae. The Making of New Case Law, in: History of Medieval Canon Law (wie Anm. 1) 246–292. 91  Vgl. dazu etwa Georges Tessier, L’activité de la chancellerie royale française au temps de Charles V. Le Moyen Âge 48 (1938) 14–52 und 81–113.



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Erste K a n z l e i o r d n u n g e n oder Kanzleiregeln, welche die Urkundenproduktion auf eine gesetzliche Basis stellten, tauchten zwar schon am sizilischen Hof Friedrichs II. auf92, also fast zu der Zeit, aus der auch die frühesten kurialen Texte stammen. Im Römischen Reich hingegen stammt die älteste dieser Ordnungen, die sich nicht ganz unerwartet am kurialen Vorbild orientiert, von 149493. Dennoch erreicht ihre Regelungsdichte nicht annähernd das Niveau eines savoyischen Vorläufers von 1340, um nur ein Beispiel zu nennen94. Auf Länderebene wiederum sind die wenigen mittelalterlichen Texte so wortkarg, dass wir ihnen über verwaltungsinterne Kompetenzverschiebungen oder über das Gerangel der unteren Chargen um mehr Einfluss nichts entnehmen können95. Trostreich hingegen erscheint dabei die mehrfach festgestellte Tatsache, dass auch Landesherren trotz tiefem Organisationsniveau ihrer Kanzlei ihnen wichtige Schreiben an ihren Kanzlern vorbeischleusten96. Darf man in solchem Verhalten bereits so etwas wie eine informelle innere Kanzlei erkennen? Ertragreicher als das Studium spätmittelalterlicher weltlicher Kanzleiordnungen sind in unserem Kontext römischrechtliche Klauseln wie etwa Si ita est, Motu proprio, Ex certa scientia oder Non obstante97, denn ihr Auftauchen in den Urkunden ist das beste An92  Bresslau, Handbuch 1 (wie Anm. 6) 579–581, mit frappanten Ähnlichkeiten zur päpstlichen Kanzlei; Eduard Winkelmann, Sicilische und päpstliche Kanzleiordnungen und Kanzleigebräuche des XIII. Jahrhunderts (Innsbruck 1880): Texte von 1242/46, ca. 1260, 1268 und 1272. 93  Gerhard Seeliger, Die älteste Ordnung der deutschen Reichskanzlei. 1494 Oktober 3, Mecheln. Archivalische Zeitschrift 13 (1888) 1–7; Andreas Walther, Kanzleiordnungen Maximilians I., Karls V. und Ferdinands I. AUF 2 (1909) 335–406; Bresslau, Handbuch 1 (wie Anm. 6) 541; Moser, Kanzlei (wie Anm. 68) 1 14f. und 20–25; K u r s a c h s e n: von 1501, Posse, Lehre von den Privaturkunden (wie Anm. 60) 212; W ü r z b u r g: 1506, Scherzer, Kanzlei (wie Anm. 60) 148f.; K u r m a i n z: 1541, Kirn, Urkundenwesen (wie Anm. 61) 22. 94   Reydellet-Guttinger, Chancellerie (wie Anm. 70) 357–370. In Frankreich stammt die älteste Kanzleiordnung von ca. 1300, Tessier, Diplomatique (wie Anm. 62) 178f.; vgl. auch ders., La chancellerie roy­ ale française d’après l’ordonnance cabochienne (1413). Le Moyen Âge 69 (1963) 679–690; in England von 1388/89, Tout, Chapters (wie Anm. 60) 3 443–447; Barraclough, Royal Chancery (wie Anm. 83) 367 Anm. 20; zu älteren einschlägigen Quellen vgl. Pierre Chaplais, English Royal Documents. King John – Henry VI, 1199–1461 (Oxford 1971) 20; aus dem Herzogtum Bretagne ist eine solche Ordnung mit Taxliste von 1404 bekannt, Michael Jones, The Chancery of the Duchy of Brittany from Peter Mauclerc to Duchess Ann, 1213–1514, in: Landesherrliche Kanzleien (wie Anm. 58) 2 681–728. 95  In Kurtrier stammt die älteste sehr rudimentäre Kanzleiordnung aus der Zeit vor 1426, vgl. Richter, Kanzlei (wie Anm. 70) 19 und 114f., die nächstjüngere von 1489, ebd. 116f.; in Kurköln wird um 1436/39 eine schriftliche Kanzleiordnung angemahnt, 1469 fehlte sie noch immer, ca. 1490/1500 ist sie da, Wolf-Dietrich Penning, Die weltlichen Zentralbehörden im Erzstift Köln von der ersten Hälfte des 15. bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts (Veröffentl. d. Histor. Vereins für den Niederrhein 14, Bonn 1977) 31 mit Anm. 15, 52 und 58; Janssen, Kanzlei (wie Anm. 61) 169. – Lackner, Hof (wie Anm. 60) 258, stellt in Abrede, dass es im 14. Jh. Kanzleiordnungen der österreichischen Herzöge gegeben habe. 96   In Bayern umging der Herzog den Kanzler aus Gründen der politischen Geheimhaltung, indem er Briefe eigenhändig schrieb, Lucha, Kanzleischriftgut (wie Anm. 64) 153–156. In der Reichskanzlei verursachte der „Kontrollwahn“ des Kaisers, dass die Kanzlei umgangen wurde, Moser, Kanzlei (wie Anm. 68) 1 24; zu den eigenhändigen Schreiben Friedrichs III. vgl. auch Heinrich Koller, Zur Bedeutung der eigenhändigen Briefe Friedrichs III., in: Geschichte der Zentraljustiz in Mitteleuropa. Festschrift für Bernhard Diestelkamp zum 65. Geburtstag, hg. von Friedrich Battenberg–Filippo Ranieri (Weimar–Köln–Wien 1994) 119–129, und Eibl, Kaiser (wie Anm. 61) 19. Zu eigenhändigen Briefen der Päpste vgl. Zutshi, Personal Role (wie Anm. 27) 234f. 97  Wir finden solche Klauseln bereits in Urkunden Friedrichs II. und Wilhelms von Holland, Hageneder, Probleme (wie Anm. 5) 68f., oder Heinrichs III. von England, Barraclough, English Royal Chancery (wie Anm. 83) 374, vgl. auch Zutshi, Papal Chancery (wie Anm. 85) 207f.; Olivier Guyotjeannin, Traces d’influence pontificale dans les actes épiscopaux et royaux français (XIIIe–XVe siècle), in: Papsturkunde und europäisches Urkundenwesen (wie Anm. 1) 337–364, hier 353f. Neuere Literatur über Kanzleien verweist leider

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zeichen dafür, dass der Geschäftsumfang einer Kanzlei mittlerweile ein Ausmaß erreicht hat, das den Über- und Durchblick über ihre Produkte nicht nur erschwerte, sondern verunmöglichte. Diese Klauseln weisen auch darauf hin, dass Erschleichung herrschaftlicher Gunst als Gefahr erkannt worden ist. Auf diesen Sachverhalt hat Othmar Hageneder schon mehrfach hingewiesen98. Doch mit der Übernahme solcher Klauseln endete die Übernahme des römischen Rechts in die Reichs- oder Landesherrschaft keineswegs. Auf Reichsebene folgten beispielsweise die kaiserliche delegierte Gerichtsbarkeit und somit auch die unzähligen damit zusammenhängenden Mandate99. * * * Päpstliche Herrschaft konkretisierte sich für alle Christenmenschen in iustitia und gratia. Bezüglich ersterer konnten die Päpste auf eine seit der Spätantike ununterbrochene und seit 1100 intensivierte Gesetzgebung zurückgreifen. Für letztere standen ihnen vor allem das Kirchengut und der thesaurus ecclesiae zur Verfügung. Zwei römischrechtliche Instrumente – rescriptum und commissio – prägten sodann nicht nur die Administration der Gesamtkirche, sondern weitgehend auch die Arbeitsabläufe in der päpstlichen Kanzlei. Das bereits zu Beginn des Beobachtungszeitraums riesige und dennoch ständig weiterwachsende Geschäftsvolumen der päpstlichen Kanzlei führte dazu, dass immer mehr Kompetenzen und Verantwortung vom Papst bzw. Vizekanzler an untere Chargen delegiert wurden, was natürlich die Attraktivität dieser Posten steigerte, aber trotz ständig vertiefter Regelungsdichte Kontrolle und Verantwortung anonymisierte und atomisierte. Institutionen wie die Audientia litterarum contradictarum oder römischrechtliche Vorbehaltsklauseln waren der Komplexität der Sache wie auch der allgegenwärtigen mensch­ lichen Schwäche geschuldet. Doch administrative Kollateralschäden ließen sich auf diese Weise natürlich nicht vermeiden. Klauseln wiederum wie Motu proprio oder Ex certa scientia, die suggerieren, dass der Papst aus eigenem Antrieb oder gut informiert handle100, öffneten das weite Feld der Prärogativen, ja sie setzten ein eigentliches Karussell der Vorrechte in Bewegung, das sich kaum mehr bremsen ließ, besonders nachdem die Reformkonzilien von Konstanz und Basel die kuriale Verfügungsgewalt über das Kirchengut begrenzt und daher den Druck nur ausnahmsweise auf ihren Gebrauch, obwohl sie nicht nur einen Gradmesser für das Geschäftsvolumen, sondern auch für das Organisationsniveau sind. Laut Bansa, Studien (wie Anm. 60) 63, kommt die Nonobstante-Klausel erst auf dem Italienzug Ludwigs des Bayern in seine Urkunden; bereits um die Mitte des 14. Jh. erscheint ex certa scientia in den Urkunden der Herzöge von Burgund, Jean Richard, La Chancellerie des Ducs de Bourgogne de la fin du XIIème au début du XVème siècle, in: Landesherrliche Kanzleien (wie Anm. 58) 1 381–413, hier 400 mit Anm. 77. 98   Othmar Hageneder, Die Übernahme kanonistischer Rechtsformen im Norden, in: Kommunikation und Mobilität im Mittelalter. Begegnungen zwischen dem Süden und der Mitte Europas (11.–14. Jahrhundert), hg. von Siegfried de Rachewiltz–Josef Riedmann (Sigmaringen 1995) 249–260; ders., Kanonisches Recht (wie Anm. 30); ders., Die Rechtskraft spätmittelalterlicher Papst- und Herrscherurkunden „ex certa scientia“, „non obstantibus“ und „propter importunitatem petentium“, in: Papsturkunde und europäisches Urkundenwesen (wie Anm. 1) 401–429. Zur Erschleichung vgl. auch Schmidt, Einfluss der päpstlichen Justizbriefe (wie Anm. 13) 370f. und 383; zu widersprüchlichen Mandaten Eibl, Kaiser (wie Anm. 61) 20f. Leider gehen viele Kanzleigeschichten überhaupt nicht auf diese Klauseln ein oder übergehen ihre Bedeutung wie etwa Hlaváček, Urkunden- und Kanzleiwesen (wie Anm. 70) 111f. 99   Hageneder, Kanonisches Recht (wie Anm. 30) 437–442. Frankreich ist diesbezüglich viel schneller, vgl. Schmidt, Einfluss der päpstlichen Justizbriefe (wie Anm. 13) 365–391. 100   Vgl. zu motu proprio etwa Kehr, Bemerkungen (wie Anm. 9) 96, und die diesbezüglichen Bestimmungen in den Kanzleiregeln (Link wie Anm. 30).



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erhöht hatten. Dieser Effekt zeigt sich besonders deutlich in der damals einsetzenden Flut von Kanzleiregeln betreffend Prärogativen Kurialer, die natürlich genauso auf Bittschriften der Begünstigten beruhten wie jene des Vizekanzlers betreffend seiner Kompetenzen. Der bürokratische Optimismus der spätmittelalterlichen päpstlichen Kurie fand in den Produkten der Cancellaria apostolica, den litterae, seinen besonderen Ausdruck. Obwohl Reformation und Gegenreformation den Machbarkeitswahn der kurialen Administration brachen, lebt er eigentlich bis heute fort, weil er in vielen Reichen und Herrschaften damals schon längst Fuß gefasst hatte.





Die Vielgestaltigkeit der spätmittelalterlichen Herrscherurkunde Christian Lackner

Dass die Diplomatik sich mit der spätmittelalterlichen römisch-deutschen Königsund Kaiserurkunde seit jeher schwergetan hat, wird man nicht gänzlich in Abrede stellen können. Die letzten Jahrzehnte, obzwar in der Mediävistik allgemein von einer Aufwertung des späteren Mittelalters geprägt, änderten daran wenig. Allen anders lautenden Beteuerungen zum Trotz führt die spätmittelalterliche Herrscherurkunde in der diplomatischen Forschung nach wie vor ein Schattendasein. Der Grund dafür ist einfach und nicht der Herrscherurkunde spezifisch, vielmehr leidet darunter die gesamte Spätmittelalter-Diplomatik: das Phänomen der „Masse“1; nur zwei Zahlen: man schätzt zwischen 10.000 und 11.000 Urkunden Kaiser Karls IV.2, sicherlich mehr als 40.000 Schriftstücke Friedrichs III.3 Nichts hat das Spätmittelalter nachdrücklicher bestimmt als der sprunghafte Anstieg der Urkundenproduktion seit dem 14. Jahrhundert, der die diplomatische Forschung in ganz Europa nach einer neuen, der Herausforderung der Masse adäquaten Methodologie rufen ließ. Bekannt sind die ebenso wortgewaltigen wie kategorischen Verdikte, die den klassischen Methoden des Schrift- und Diktatvergleichs für die spätmittelalterliche Diplomatik jegliche Existenzberechtigung absprachen. Robert-Henri Bautier hält das Verfahren der Schriftbestimmung bei spätmittelalterlichen Urkunden für gänzlich nutzlos, ja geradezu absurd. Ebenso gut könnte man bei Schriftstücken des 20. Jahrhunderts untersuchen, mit welcher Schreibmaschine sie getippt wurden, so der Doyen der französischen Diplomatik 19834. Feinfühliger, doch in der Sache wohl zustimmend, formulierte Heinrich Appelt im Jahre 1992: „So wäre es selbstverständlich ein müßiges Beginnen, etwa für die Zeit der Könige Philipp VI. oder Ludwig XI. von Frankreich, unter denen 98 beziehungsweise 120 Notare nachweisbar sind, das Diktat der Verfasser der Urkunden oder ihre Hände zu bestimmen; Schrift und Stil sind ja inzwischen längst so stereotyp geworden, dass beide konventionelle und nicht mehr individuelle Züge   Ivan Hlaváček, Das Problem der Masse: das Spätmittelalter. AfD 52 (2006) 371–393.   Eckhard Müller-Mertens, Konzept für künftige Bände Constitutiones et acta publica imperatorum et regum (1357–1378). DA 50 (1994) 615–630, hier 618f., rechnet mit rund 10.500 Urkunden Kaiser Karls IV. 3   Paul-Joachim Heinig, Kaiser Friedrich III. (1440–1493). Hof, Regierung und Politik 1–3 (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 17, Köln–Weimar– Wien 1997) XI. 4  Robert-Henri Bautier, Propositions méthodologiques pour la Diplomatique du Bas Moyen Age et des débuts des temps modernes, in: Landesherrliche Kanzleien im Spätmittelalter. Referate zum VI. Internationalen Kongreß für Diplomatik, München 1983, Bd. 1, hg. von Gabriel Silagi (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissanceforschung 35, München 1984) 49–59, hier 51f. 1 2

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tragen“5. Weil eine derartige Materialfülle, wie sie das Spätmittelalter bereithält, editorisch nicht bewältigbar schien, blieben Editionen spätmittelalterlicher Herrscherurkunden die seltene Ausnahme – einzig noch die Constitutiones-Reihe der MGH6 und die Deutschen Reichstagsakten7 bieten solche, zumindest partiell und in Auswahl. Auf den großen Editionsunternehmen basierte aber seit dem 19. Jahrhundert die diplomatische Forschung zu den Herrscherurkunden. Die unmittelbare „Beziehung von diplomatischer Forschung und der voranschreitenden Editionstätigkeit im Rahmen der Diplomata-Reihe“ der MGH haben unsere Kenntnis vom Erscheinungsbild und Aufbau der kaiserlichen Urkunden und von den Veränderungen, die sie im Laufe der Jahrhunderte durchmachten, zum gesicherten Wissen der Diplomatik werden lassen8. Für das Spätmittelalter sollten die Regesta Imperii das Fehlen von breit angelegten Editionsvorhaben ausgleichen, eine hohe, in den Anfängen oftmals zu hohe Erwartung, der sie in jüngster Zeit aber zusehends gerecht werden. Dass von den Regestenprojekten für Ludwig den Bayern, Wenzel, Sigismund und Friedrich III. aktuell wichtige Impulse zur Erforschung der spätmittelalterlichen römisch-deutschen Herrscherurkunde ausgehen, ist wohl unbestritten9. Den Zugang zur spätmittelalterlichen Herrscherurkunde erschwert indessen nicht nur die Masse des Materials, Unbehagen verursacht vielfach auch die extreme formale wie inhaltliche Vielfalt derselben. Mit Harry Bresslau hat man sich angewöhnt, die Vielgestaltigkeit der kaiserlichen Dokumente aus dem 14. und 15. Jahrhundert geradezu als deren Kennzeichen und Wesensmerkmal anzusehen10. Was verbindet das feierliche Diplom mit Signumzeile, Monogramm und Goldbulle mit der ganz einfach gehaltenen, eigenhändigen Quittung des Herrschers in Zettelform? Wappenbrief und Hofgerichtsurkunde müssen ebenso Gegenstand einer Diplomatik der spätmittelalterlichen Herrscherurkunde sein 5   Heinrich Appelt, Diktatvergleich und Stilkritik erörtert am Beispiel der Diplome Friedrichs I. MIÖG 100 (1992) 181–196, hier 181. 6  Vgl. Harriet M. Harnisch, Gesetzgebung und Rechtsetzung in den Urkunden Kaiser Karls IV. Entwicklung neuer Auswahlkriterien für die Edition der Constitutiones et acta publica imperatorum et regum. AfD 38 (1992) 193–216; Müller-Mertens, Konzept (wie Anm. 2) 615–630; ders., Constitutiones et acta publica – Paradigmenwechsel und Gestaltungsfragen einer Monumenta-Reihe, in: Kaiser, Reich und Region. Studien und Texte aus der Arbeit an den Constitutiones des 14. Jahrhunderts und zur Geschichte der Monumenta Germaniae Historica, hg. von Michael Lindner–Eckhard Müller-Mertens–Olaf B. Rader (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berichte und Abhandlungen. Sonderbd. 2, Berlin 1997) 1–59. Zum aktuellen Stand: Michael Menzel, Wissenschaftlicher Beirat für die Monumenta Germaniae Historica. BerlinBrandenburgische Akademie der Wissenschaften. Jahrbuch 2005 (2006) 368f.; Rudolf Schieffer, Diplomatik und Geschichtswissenschaft. AfD 52 (2006) 233–248, hier 234. 7  Siehe Eike Wolgast, Deutsche Reichstagsakten, in: „ … für deutsche Geschichts- und Quellenforschung“: 150 Jahre Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. von Lothar Gall (München 2008) 79–120. 8   Walter Koch, Typologie der Königsurkunde – Die Urkunden Lothars III. und der älteren Staufer, in: Typologie der Königsurkunden. Kolloquium der Comission [!] Internationale de Diplomatique in Olmütz 30. 8.–3. 9. 1992, hg. von Jan Bistřický (Acta colloquii Olomucensis 1992, Olomouc 1998) 143–162. 9  Vgl. die Sammelbände: Diplomatische und chronologische Studien aus der Arbeit an den Regesta Imperii, hg. von Paul Joachim Heinig (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 8, Köln–Wien 1991) (mit Beiträgen von Ronald Neumann und Dieter Rübsamen); Die Regesta Imperii im Fortschreiten und Fortschritt, hg. von Harald Zimmermann (Forschungen zur Kaiserund Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 20, Köln–Weimar–Wien 2000) (insbesondere die Beiträge von Paul-Joachim Heinig und Michael Menzel). 10   Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien 1 (Leipzig 21912 [Nachdr. Berlin 41969]) 67: „Bedeutend vermehrt hat sich in diesen späteren Jahrhunderten des Mittelalters die Zahl der nach sachlichen Gesichtspunkten zu unterscheidenden Gruppen von Königsurkunden“.



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wie Gesandteninstruktionen oder die Familienkorrespondenz des Königs. Und selbst dem Medienwechsel heißt es Rechnung zu tragen, weil in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts die Druckerpresse auf breiter Front im königlichen Urkundenwesen Einzug hielt. Der vorliegende Beitrag, der der Vielgestaltigkeit der spätmittelalterlichen römischdeutschen Königs- und Kaiserurkunde gilt, versucht von drei Seiten eine Annäherung an das schwierige Thema: vom derzeitigen Forschungsstand her, über methodische Fragen und schließlich über mögliche Forschungsperspektiven. Die vielen Gesichter der spätmittelalterlichen Herrscherurkunde einzufangen, gelang in eindrucksvoller Weise bei dem vor bald einhundertzwanzig Jahren abgeschlossenen Monumentalwerk der „Kaiserurkunden in Abbildungen“11, das den römisch-deutschen Königen und Kaisern von Heinrich VII. bis Maximilian I. immerhin 99, nimmt man Rudolf I., Adolf und Albrecht I. hinzu, sogar 11112 von insgesamt 361 Abbildungen widmete und damit wesentlich breiteren Raum gab, als dies in den nachfolgenden klassischen Handbüchern der Diplomatik der Fall war. Richtungweisende Ansätze zu einer Kategorisierung der spätmittelalterlichen Herrscherurkunde sind Sigmund Herzberg-Fränkel, Hermann Grauert und Samuel Steinherz in den einleitenden Ausführungen des Textbandes zu den Lieferungen VIII (211–261), IX (299–310) und XI (470–479) der „Kaiserurkunden in Abbildungen“ zu danken. Dies gilt sowohl für die Typologie der Urkundenformen als auch für die Systematisierung der Inhaltsgruppen, welcher für das Spätmittelalter besondere Bedeutung zukommt. Die der Typologie der Urkundenformen zugrunde gelegte eingängige Klassifizierung nach der Art der Siegelbefestigung13: 1) Ausfertigung mit anhangendem Siegel, 2) solche mit aufgedrücktem Siegel ohne Verschlussfunktion und 3) solche, die mittels des aufgedrückten Siegels verschlossen waren, hat sich, mit wechselnden Benennungen für die drei Typen14, bis heute als für die spätmittelalterliche römischdeutsche Königsurkunde am besten geeignet und handhabbar erwiesen15. Stärker an den inneren Merkmalen der Urkunde orientierte Typenbildungen, wie sie in den 1960er und

11  Kaiserurkunden in Abbildungen, Text- und Tafelband, hg. von Heinrich von Sybel–Theoder Sickel (Berlin 1880–1891). 12  Vgl. dazu Wilhelm Erben, Die Kaiser- und Königsurkunden des Mittelalters in Deutschland, Frankreich und Italien (München–Berlin 1907, Nachdr. München 1967) 234. 13   Erben, Kaiser- und Königsurkunden 238–241. – Entschieden für eine Klassifizierung nach äußeren Merkmalen tritt Bresslau, Handbuch (wie Anm. 10) 67, ein: „Unter den angeführten Umständen werden wir gut tun, für die Einteilung der Urkunden dieser letzten Periode [i. e. die luxemburgische Periode] nicht mehr, … die inneren, sondern die äußeren Merkmale in den Vordergrund zu stellen“. 14   Am stärksten nachgewirkt hat die von Bresslau, Handbuch 67, gewählte Terminologie. Er unterscheidet feierliche und einfache Diplome, offene Briefe oder Patente und geschlossene Briefe, wohingegen Erben, Kaiser- und Königsurkunden 241, jegliche Benennung der nach Art der Siegelbefestigung gebildeten Urkundentypen überhaupt vermied. 15  Siehe Regesten Kaiser Ludwigs des Bayern (1314–1347) 1: Die Urkunden aus den Archiven und Bibliotheken Württembergs, ed. Johannes Wetzel (Köln–Weimar–Wien 1991) XVII; Julian Holzapfl, Kanzleikorrespondenz des späten Mittelalters in Bayern. Schriftlichkeit, Sprache und politische Rhetorik (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 159, München 2008) 8f.

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70er Jahren von Dieter Hägermann16 oder Heinrich Koller17 vorgeschlagen wurden, vermochten sich ebenso wenig durchzusetzen wie das anhand der Urkunden König Wenzels von Ivan Hlaváček entwickelte Dreiermodell, das als Klassifikationsmerkmal die Siegelbefestigung teilweise durch das Siegel selbst ersetzte18. Beim Versuch, Mängel und Widersprüche der älteren Typologie auszumerzen, schufen diese erwähnten Ansätze unvermeidlich neue Inkongruenzen, so dass ein Mehrwert insgesamt schwerlich erkennbar ist. Wahrscheinlich weil die Litterae clausae, die Ausfertigungen mit Verschlusssiegel, unter den drei Urkundenformen die kohärenteste Gruppe darstellen – auch alle neueren Klassifizierungsansätze haben bezeichnenderweise an der Einheit dieser Gruppe nicht gerührt –, wandte sich ihnen die Diplomatik vor den anderen zu. Die Aufmerksamkeit galt namentlich der Entstehung und Entwicklung der so genannten Briefform „neuen Typs“. Gemeint ist jene charakteristische Anordnung der Intitulatio, die vom Brieftext abgesetzt als Über- oder Unterschrift, je nach dem Rangverhältnis zwischen Aussteller und Adressaten, entgegentritt. Ihren Einzug in das Urkundenwesen der römischen Könige und Kaiser hielt die Briefform neuen Typs – darüber besteht in der diplomatischen Forschung schon seit längerem Einhelligkeit – um die Mitte der 1330er Jahre, wobei die Praxis der Kanzlei Kaiser Ludwigs, die Intitulatio durch ein an die Form des französischen de par le roy erinnerndes „von“ bzw. ex parte einzuleiten, offenkundig eine Übergangsphase bezeichnet, ehe sich im Urkundenwesen der Luxemburger die endgültige Form ohne derartige die Intitulatio einleitende Partikel etablierte. Im Detail ist manches freilich noch ungeklärt, etwa die Herkunft des neuen Formulars. Dieser Thematik hat sich jetzt die boomende neue Briefforschung angenommen19. Eine nähere Untersuchung würde noch die Frage verdienen, ob das Formular mit der abgesetzten Intitulatio den Litterae clausae exklusiv 16   Dieter Hägermann, Studien zum Urkundenwesen Wilhelms von Holland. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Königsurkunde im 13. Jahrhundert (AfD Beih. 2, Köln–Wien 1977) 237f., schied das Urkundenmaterial Wilhelms von Holland in „Diplome (Dokumente rechtlicher Natur) und Briefe (Mitteilungen ohne rechtlich verbindlichen Charakter)“. Die Diplome ihrerseits untergliedert er in Privilegien (Rechtsverleihungen mit dauernder Wirkung) und Mandate. Ähnlich zuletzt auch die Typologie von Sebastian Gleixner, Sprachrohr kaiserlichen Willens. Die Kanzlei Kaiser Friedrichs II. (1226–1236) (AfD Beih. 11, Köln–Weimar–Wien 2006) 3f., der zusätzlich zu feierlichem und einfachem Privileg, Mandat und Brief auch noch den Begriff „Briefprivileg“ einführt. Diesen will er für eine Urkundenform gebraucht sehen, die in der Regel den Textaufbau eines einfachen Privilegs besitzt, im Protokoll allerdings eine Adresse aufweist. 17   Heinrich Koller, Das Reichsregister König Albrechts II. (MÖStA Ergbd. 4, Wien 1955) 5f., unterscheidet Privilegien, Urkunden in Briefform (beginnen im Deutschen mit embieten, haben direkte Anrede und Adresse) und geschlossene Briefe. Bei diesem System, das auch auf die zeitgenössische Terminologie Rücksicht nehmen will, werden innere und äußere Merkmale zur Klassifikation herangezogen, was zu erheblichen Widersprüchen und Verwerfungen führt. 18   Ivan Hlaváček, Das Urkunden- und Kanzleiwesen des böhmischen und römischen Königs Wenzel (IV.) 1376–1419 (MGH Schriften 23, Stuttgart 1970) 52–56, gliedert in 1) Urkunden mit Majestätssiegel, 2) solche mit dem (anhangenden oder vorne aufgedrückten) kleinen Siegel bzw. Sekretsiegel und 3) litterae clausae mit dem Sekretsiegel (bzw. Signet) als Verschluss. An dem von Hlaváček vorgeschlagenen Modell orientierte sich zuletzt Olaf B. Rader, Pars pro toto. Bemerkungen zur Kanzlei und Diplomatik der Kaiserurkunden Karls IV. aus den Archiven des Bundeslandes Sachsen-Anhalt, in: Archivistica docet. Beiträge zur Archivwissenschaft und ihres interdisziplinären Umfelds, hg. von Friedrich Beck–Wolfgang Hempel–Eckart Henning (Potsdamer Studien 9, Potsdam 1999) 491–515, hier 497f. 19   Jürgen Herold, Von der „tertialitas“ zum „sermo scriptus“. Diskurswandel im mittelalterlichen Briefwesen und die Entstehung einer neuen Briefform von der Mitte des 13. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, in: Briefe in politischer Kommunikation vom Alten Orient bis ins 20. Jahrhundert, hg. von Christina Antenhofer–Mario Müller (Schriften zur politischen Kommunikation 3, Göttingen 2008) 83–113, hier 88–93; Holzapfl, Kanzleikorrespondenz (wie Anm. 15) 110–114.



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vorbehalten war. Dass herrscherliche Ausfertigungen mit einer solchen Anordnung des Titels ab und an auch offen, ja sogar mit anhangendem Siegel hinausgingen, hat schon Wilhelm Erben angemerkt, und er wies auch auf die Entwicklung in der französischen Königsurkunde hin, wo die so genannte Intitulatio en vedette im späteren 14. Jahrhundert auf die lettres de sceau plaqué übergegangen ist20. Bei den mit anhangendem Siegel ausgestellten Herrscherurkunden stand und steht die Vielfalt potentieller Formen einer einheitlichen diplomatischen Analyse entgegen, weshalb von Beginn an allein den Merkmalen für feierliche Ausfertigungen wie dem Gebrauch der Goldbulle, des Herrschermonogramms oder verschiedener Auszeichnungsschriften spezielle Untersuchungen gewidmet wurden21. Die hier einzuschlagende Richtung haben der Diplomatik einmal mehr bereits die Bearbeiter der „Kaiserurkunden in Abbildungen“ vorgegeben, indem sie, der zunehmenden Differenzierung des spätmittel­ alterlichen Schriftguts in Abhängigkeit von der Rechtsentwicklung und der Ausweitung der Verwaltungsaufgaben des Herrschers Rechnung tragend, auf eine Systematisierung der Urkunden nach Inhaltsgruppen abzielten. Dass dergestalt beachtliche Ergebnisse erzielbar sind, dokumentieren neuere Forschungen zum Typus „Wappenbrief“, dessen Genese und Formentwicklung durch Detailanalysen aufgehellt werden konnten22. Die intensivste Bearbeitung haben zuletzt Urkunden aus der Rechtsprechung des königlichen Hofgerichts (Klageschriften, Ladungen, Achturteile, Schiedssprüche) erfahren, begünstigt durch die Existenz eines eigenen Hofgerichtssiegels, das dieser Gruppe von Herrscher­ urkunden ­einen eigenständigen Charakter verleiht23. Gerade die Analyse von Sonderformen des spätmittelalterlichen Schriftgutes ist freilich nach wie vor als dringliches Forschungsdesiderat anzusehen. Um nur einen Urkundentypus herauszugreifen, dem bisher fast gar keine Beachtung zuteil wurde: Instruktionen24. Dass diese ihren Ursprung in der Gesandtenpraxis hatten, scheint unbestritten. Ab   Erben, Kaiser- und Königsurkunden (wie Anm. 12) 243.   Berthold Sutter, Die deutschen Herrschermonogramme nach dem Interregnum. Ein Beitrag zur Diplomatik des Spätmittelalters, in: Festschrift Julius Franz Schütz, hg. von Berthold Sutter (Graz–Köln 1954) 246–314. 22   Jürgen Arndt, Die Entwicklung der Wappenbriefe von 1350 bis 1806 unter besonderer Berücksichtigung der Palatinatswappenbriefe, in: Hofpfalzgrafen-Register 2 (Neustadt an der Aisch 1971) V–XXXVII; Gustav Pfeifer, Wappen und Kleinod. Wappenbriefe in öffentlichen Archiven Südtirols (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 11, Bozen 2001) bes. 16–28; ders., Wappenbriefe (unter besonderer Berücksichtigung der Tiroler Verhältnisse), in: Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.–18. Jahrhundert), hg. von Josef Pauser–Martin Scheutz–Thomas Winkelbauer (MIÖG Ergbd. 44, Wien–München 2004) 291–302. Vgl. auch Andreas Zajic–Petr Elbel, Wappenmarkt und Marktwappen – Diplomatische und personengeschichtliche Überlegungen zum Wappenbrief König Sigismunds für Mohelno aus der Zeit des Konstanzer Konzils, in: Kaiser Sigismund (1368–1437). Zur Herrschaftspraxis eines europäischen Monarchen, hg. von Karel Hruza (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 31, Wien–Köln–Weimar 2012) 301–364. 23   Friedrich Battenberg, Die Hofgerichtssiegel der deutschen Kaiser und Könige 1225–1451. Mit einer Liste der Hofgerichtsurkunden (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich. Reihe B, Forschungen 6, Köln–Wien 1979); ders., Reichsacht und Anleite. Ein Beitrag zur Geschichte der höchsten königlichen Gerichtsbarkeit im Alten Reich besonders im 14. und 15. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich. Reihe B, Forschungen 18, Köln–Wien 1986); ders., Die Hofgerichtsbriefe Karls IV. von Luxemburg. Vorstudien zu einer kanzlei- und personengeschichtlichen Beurteilung. AfD 40 (1994) 123–169; ders., Die königlichen Hofrichter im 13. bis 15. Jahrhundert. Eine Untersuchung zur sozialen und funktionalen Einbindung der Hofgerichtsbarkeit in den Königshof, in: Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späten Mittelalter, hg. von Peter Moraw (VuF 48, Stuttgart 2002) 239–290. 24   Literatur gibt es nur über Gesandteninstruktionen. Vgl. Viktor Menzel, Deutsches Gesandtschafts20 21

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der Mitte des 14. Jahrhunderts, als Verhandlungen immer komplexer wurden, drängte die Entwicklung zu vermehrtem Schrifteinsatz bei der bis dahin in der Hauptsache mündlich erfolgenden Instruierung von Boten und Unterhändlern. Solange Instruktionen nur im Gesandtschaftswesen gebraucht wurden, blieb deren Bedeutung als Schriftguttypus indessen begrenzt. Zu einem wichtigen dynamischen Segment des Verwaltungsschriftguts entwickelten sich die Instruktionen erst im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts, als der herrscherliche Ordnungswille in das tägliche Verwaltungshandeln von Amtsträgern auf allen Ebenen massiv einzugreifen begann. Was die Begriffsgeschichte anlangt, lohnt eine nähere Betrachtung. Bei den römischen Königen und Kaisern, die ihre Verhandlungsinstruktionen seit dem 14. Jahrhundert überwiegend in deutscher Sprache abfassen ließen, begegnet der Begriff „Instruktion“ zunächst gar nicht. Eine Anweisung König Ruprechts für Friedrich zur Huben, seinen Gesandten an König Heinrich IV. von England, vom 10. August 1403 weist im Protokoll als Selbstbenennung den Terminus werbunge auf 25. Vermerkt die werbung … – mit diesen Worten werden noch in den späten Jahren Kaiser Friedrichs III. verschiedentlich Anweisungen für kaiserliche Amtsträger eingeleitet. An die Funktion der Instruktion als Gedächtnisstütze gemahnen Bezeichnungen wie „Gedächtnis“, „Gedenkzettel“ oder „Memorial“, die sämtlich im letzten mittelalterlichen Jahrhundert für deutschsprachige Schriftstücke mit „Instruktions“-Charakter in Gebrauch standen. Ausgehend vermutlich von lateinischen Ausfertigungen, verbreitete sich dann im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts auch im Hl. Römischen Reich die Bezeichnung „Instruktion“. Regelmäßig, so scheint es, haben die römisch-deutschen Könige ihre Instruktionen im Spätmittelalter besiegelt, bei Friedrich III. sind selbst Instruktionen bezeugt, die den autographen Zusatz des Kaisers Prescripta recognoscimus tragen. Dieser findet sich u. a. an einer vermutlich im März 1490 verfassten Geheiminstruktion (particularis et secreta instructio) für Bernhard Perger, Wilhelm von Bibra und Ruprecht von Blitterswijk als Gesandte Kaiser Friedrichs III. zur Kurie26. Was bei dieser wie bei sämtlichen älteren Instruktionen indes gänzlich fehlte, war das urkundliche Formular. Es dauerte bis in die Zeit Maximilians I., ehe die Instruktionen, deren Layout von Anfang an durch ein mittig wesen im Mittelalter (Hannover 1892) 40–55; René A. de Maulde-La Clavière, La diplomatie au temps de Machiavel (Paris 1892–1893) 128–134; Joycelyne Gledhill Dickinson, The Congress of Arras 1435. A Study in Medieval Diplomacy (Oxford 1955) XX–XXII; Donald Queller, The Office of Ambassador in the Middle Ages (Princeton 1967) 122–126; Garrett Mattingly, Renaissance Diplomacy (London 1955, Nachdr. 1970) 40–42; Alois Schütz, Die Prokuratorien und Instruktionen Ludwigs des Bayern für die Kurie (1331–1345). Ein Beitrag zu seinem Absolutionsprozeß (Münchener Historische Studien. Abt. Geschichtl. Hilfswissenschaften 11, Kallmünz 1973) 112–122; Joachim Wild, Formen und protokollarische Inszenierung der internationalen Diplomatie der Frühen Neuzeit im Spiegel ihres Schriftguts, in: Geschichte „in die Hand genommen“, hg. von Georg Vogeler (Münchner Kontaktstudium Geschichte 8, München 2005) 245–251. Siehe jetzt auch Christian Lackner, Spätmittelalterliche Instruktionen aus der Sicht eines Diplomatikers, in: Ordnung durch Tinte und Feder? Genese und Wirkung von Instruktionen im zeitlichen Längsschnitt vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert, hg. von Anita Hipfinger–Josef Löffler–Jan Paul Niederkorn–Martin Scheutz–Thomas Winkelbauer–Jakob Wührer (VIÖG 60, Wien–München 2012) 39–48. 25   RTA Ältere Reihe 5, ed. Julius Weizsäcker (Gotha 1885) 403–406 Nr. 295. Ähnlich eine Anweisung für drei Gesandte König Ruprechts an Papst Bonifaz IX. im Jänner 1402: Werbunge an unsern heiligen in got vatter den babst, die wir enpholhen han Philippen von Falkenstein und Nicolaus Buman (RTA Ältere Reihe 4, ed. Julius Weizsäcker [Gotha 1882] 42–44 Nr. 28). 26  Auf dieses Stück, das im HHStA Wien in der Allgemeinen Urkundenreihe unter 1490 erliegt, machte mich Mag. Daniel Luger aufmerksam, wofür ich herzlich danke. – Zur Sache vgl. Susanne Wolf, Die Doppelregierung Kaiser Friedrichs III. und König Maximilians (1486–1493) (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 25, Köln–Weimar–Wien 2005) 372 Anm. 389.



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über den Text gesetztes Protokoll in objektiver Formulierung gekennzeichnet war, eine umfassende urkundliche Einkleidung mit Intitulatio erhielten27. Hinsichtlich der Medialität der Herrscherurkunde bringt vor allem das 15. Jahrhundert wesentliche Neuerungen. Der individuellsten Form der Kommunikation in Gestalt eigenhändiger Urkunden tritt im letzten spätmittelalterlichen Jahrhundert die weitestgehende Stereotypisierung durch den Einsatz des Buchdrucks für Urkunden gegenüber. Auch wenn eigenhändige Ausfertigungen bis zum Ende des Mittelalters einen verschwindend geringen Anteil an den Königs- und Kaiserurkunden ausmachten – bei Friedrich III. vielleicht gerade einmal ein Dutzend der mehr als 40.000 Stück –, beanspruchen sie mit vollem Recht unsere besondere Aufmerksamkeit. Den Bearbeitern der „Kaiserurkunden in Abbildungen“ sind mehrere im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv verwahrte Stücke Friedrichs III. bekannt geworden28, von welchen Faksimile freilich ohne entsprechenden diplomatischen Kommentar geliefert wurden. Einen solchen versuchte erstmals vor nicht allzu langer Zeit 1994 Heinrich Koller29. Die Maßstäbe für herrscherliche Eigenhändigkeit haben die westeuropäischen Monarchen gesetzt, und dies bereits in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts30. Der erste französische König, von dem vollständig eigenhändige Schriftstücke erhalten sind, ist Karl V31. Von dessen markanter Hand rühren ein Schreiben an den trésorier Pierre Scatisse vom 7. Dezember (1367) und ein vermutlich 1376 entstandener Brief an Margarethe, Gräfin von Flandern32. Auf der iberischen Halbinsel war es der aragonesische König Peter IV. (el Ceremonioso), der als erster Herrscher nicht nur seine Urkunden unterfertigte, sondern, wie Gimeno-Blay33 jüngst in einer der Literalität des Königs gewidmeten Untersuchung nachgezeichnet hat, seit 1344 auch wichtige an Päpste sowie hohe geistliche und weltliche Würdenträger des Königreichs gerichtete Briefe zur Gänze eigenhändig niederschrieb34. In England schließ27   Zur Anwendung gelangt bei Maximilian der kleine oder Reskriptentitel des Landesherrn ohne Wir. Siehe Michael Hochedlinger, Aktenkunde. Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit (Wien–München 2009) 185. 28  Kaiserurkunden in Abbildungen (wie Anm. 11) Lf. XI T. 6b, 22b1 u. 2. 29  Heinrich Koller, Zur Bedeutung der eigenhändigen Briefe Kaiser Friedrichs III., in: Geschichte der Zentraljustiz in Mitteleuropa. Festschrift für Bernhard Diestelkamp zum 65. Geburtstag, hg. von Friedrich Battenberg–Filippo Ranieri (Weimar–Köln–Wien 1994) 119–129; Martin Wagendorfer, Eigenhändige Unterfertigungen Kaiser Friedrichs III. auf seinen Urkunden und Briefen, in: König und Kanzlist, Kaiser und Papst. Friedrich III. und Enea Silvio Piccolomini in Wiener Neustadt, hg. von Franz Fuchs–Paul-Joachim Heinig–ders. (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 32, Wien–Köln–Weimar 2013) 215–265, 336–338. 30   Vgl. allgemein Heinz Noflatscher, Zur Eigenhändigkeit der Herrscher in der politischen Kommunikation des Ancien Régime (16. bis 18. Jahrhundert), in: Briefe in politischer Kommunikation (wie Anm. 19) 141–167, hier 148f. 31   Claude Jeay, La naissance de la signature dans les cours royales et princières de France (XIVe–XVe siècle), in: Auctor et auctoritas. Invention et conformisme dans l’écriture médiévale. Actes du colloque tenu à l’université de Versailles–Saint-Quentin-en-Yvelines (14–16 juin 1999), hg. von Michel Zimmermann (Mémoires et documents de l’École des chartes 59, Paris 2001) 457–475, hier 461f.; ders., La signature comme marque d’individuation. La chancellerie royale française (fin XIIIe–XVe siècle), in: L’individu au Moyen Age, hg. von Brigitte Miriam Bedos-Rezak (Paris 2005) 59–77, hier 63. 32   Schreiben an Pierre Scatisse: Musée des Archives nationales. Documents originaux de l’histoire de France exposés dans l’Hôtel Soubise (Paris 1872) 219f. Nr. 386 (mit Facs. 221); der Brief an Margarethe von Flandern (11. November ?): Mandements et actes divers de Charles V (1364–1380) dans les collections de la Bibliothèque Nationale, ed. Léopold Delisle (Paris 1874) 662f. Nr. 1276 A. Vgl. dazu Jeay, Naissance 461. 33   Francisco M. Gimeno Blay, Escribir, reinar. La experiencia gráfico-textual de Pedro IV el Ceremonioso (1336–1387) (Madrid 2006) bes. 84–105. 34  Eine Liste der autographen Schriftstücke bei Gimeno Blay, Escribir, reinar 195–214; T. 11 die Abb. eines autographen Schreibens von [1382] Februar 5.

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lich begegnen königliche Autographen seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts. Bekannt ist eine eigenhändige Instruktion König Heinrichs V. Dieser griff im Jänner 1416 selbst zur Feder, um seinem Gesandten John Tiptoft politisch brisante Anweisungen zu erteilen35. Bald nach dem ersten Auftreten herrscherlicher Autographen entstand in Westeuropa denn auch schon ein theoretischer Diskurs über Funktion, Bedeutung und Gebrauch der königlichen Eigenhändigkeit. Während Peter IV. von Aragón sich in einem Schreiben an den Papst vom 1. Oktober 1355 gleichsam dafür entschuldigt, dass er den Brief ob seiner Länge nicht eigenhändig geschrieben habe, und den Adressaten ersucht, er möge ihm dies nicht zum Nachteil gereichen lassen36, artikuliert die politische Literatur im Frankreich der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bereits deutliche Skepsis gegenüber einer als allzu beliebig empfundenen Praxis königlicher Eigenhändigkeit. Zwar spricht man nur von der eigenhändigen Unterfertigung des Königs, doch was über diese gesagt wird, darf wohl mit besonderem Recht auf gänzlich autographe Schriftstücke bezogen werden. Philippe de Mézières lässt König Karl V. von Frankreich im Songe du Vieil Pelerin den Rat erteilen, mit seiner Unterschrift sparsamer als bisher umzugehen. Wohl gezieme sich die eigenhändige Unterschrift des Königs bei Schreiben an Papst, fremde Fürsten oder Familienmitglieder. Indem Karl jedoch auch häufig Schriftstücke für seine Untertanen autograph unterfertige, pflege er einen allzu familiären Umgang mit diesen und setze damit seine königliche Autorität leichtfertig aufs Spiel, ja der König gebe sich geradezu dem Spott und der Lächerlichkeit preis37. Bei den römisch-deutschen Königen und Kaisern scheint Eigenhändigkeit bis in die Zeit Friedrichs III. weder theoretisch noch praktisch ein Thema gewesen zu sein. Wir kennen eigenhändige Zusätze an einigen wenigen Urkunden Karls IV.38, jedoch kein einziges zur Gänze von diesem geschriebenes Stück. Autographe Zeugnisse der Könige Wenzel, Ruprecht und Sigismund fehlen überhaupt. Solche sind erst wieder von Friedrichs unmittelbarem habsburgischen Vorgänger Albrecht II. überliefert, merkwürdigerweise jedoch nicht aus dessen Königszeit. Erhalten ist eine eigenhändig geschriebene Urkunde desselben als Herzog von Österreich aus dem Jahre 143539, die bislang übrigens nahezu unbeachtet blieb. Es handelt sich um eine Schuldurkunde – ein Urkundengenus, das möglicherweise aus rechtlichen Gründen Eigenhändigkeit begünstigte40 –, ausgestellt für Albrechts habsburgischen Vetter Friedrich IV. Den Ausweis des eigenhändigen Schreibens 35   Instruktion für John Tiptoft: And for the secretnesse of this matere I have writen this instruccion [wyth myn owne] hand and seled hit with my signet of the [e]gle) (British Library London, Cotton Caligula D V fol. 16r–17r; siehe Pierre Chaplais, English Medieval Diplomatic Practice 1/1 [London 1982] 98–101 Nr. 65). 36  Per tal, sant Pare, car nós fora enuyg de scriure aquesta letra tan larga de nostra mà, la hauem feta scriure a nostre scriuà. Suplegam a la vostra santedat que aquella vullats hoïr et exhausir axí com si nós la haguessem scrita de nostra mà (Gimeno Blay, Escribir, reinar [wie Anm. 33] 100). 37   Philippe de Mézières, Le Songe du Vieil Pelerin 2, ed. Georges William Coopland (Cambridge 1969) 246f. Vgl. Jeay, Naissance (wie Anm. 31) 63f. 38  Erben, Kaiser- und Königsurkunden (wie Anm. 12) 258f. 39   HHStA AUR 1435 IV 26; Eduard M. Lichnowsky, Geschichte des Hauses Habsburg 5 (Wien 1841) Nr. 3394. Kaiser Friedrich III. nimmt in seinem Notizbuch auf diese Urkunde Bezug und betont dabei die Eigenhändigkeit: item ain geltprieff von künig Albrechden sein selbs hantgeschrift lautent dem alden herczog Fridreich umb VI dausent ungrisch gulden (Alphons Lhotsky, AEIOV. Die „Devise“ Kaiser Friedrichs III. und sein Notizbuch, in: ders., Aufsätze und Vorträge 2: Das Haus Habsburg, hg. von Hans Wagner–Heinrich Koller [Wien 1971] 164–222, hier 205). 40  Siehe u. a. Joachim Wild, Vom Handzeichen zur Unterschrift. Zur Entwicklung der Unterfertigung im Herzogtum Bayern. ZBLG 63 (2000) 1–21, hier bes. 18.



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stellte der österreichische Herzog durch den in die Datierung eingeflochtenen Vermerk geschribn mit unserr hand her. Bedeutung gewann die Eigenhändigkeit für die römisch-deutsche Königs- und Kaiserurkunde jedenfalls erst mit Friedrich III. Bei den zur Gänze von seiner Hand stammenden Schriftstücken – in der zeitgenössischen Terminologie handgeschrift genannt – könnte es sich dem Urkundentyp nach um Litterae clausae handeln, wie im Fall eines Schreibens an Herzog Heinrich (XVI.) von Bayern aus dem Jahre 144441, häufiger allerdings waren es offen versandte Schriftstücke. Zeigen die älteren eigenhändigen Ausfertigungen im Formular keine Abweichungen vom Erscheinungsbild der Kanzleiprodukte – einzig der der Datierung vorausgehende Vermerk geschrieben mit unser selbs hand weist auf den besonderen Charakter42 –, so scheint Friedrich in den letzten beiden Jahrzehnten seiner Herrschaft zu einer spezifischen Form für autographe Schriftstücke gefunden zu haben. Typisch für diese war ein mittig über den Text gesetztes großes f  43. Eventuell markierte Friedrich III. auch längere autographe Zusätze an Kanzleiausfertigungen in dieser Form, so geschehen bei einem kaiserlichen Kanzleischreiben an Herzog Albrecht von Sachsen vom 26. Februar 148744. Diesem hat Friedrich III. eigenhändig links unter dem Text ein sechszeiliges, blockhaft gestaltetes Postscriptum angefügt, das gleich einem seiner späten autographen Schriftstücke durch ein mittig platziertes f eingeleitet und durch die per m(anum) pro(priam)-Formel abgeschlossen wurde. Traditionsbegründend wirkte Kaiser Friedrich III. mit seinem Autographen-Formular offenkundig nicht. Den eigenhändigen Schriftstücken seines Sohnes Maximilian, bei welchen es sich fast ausnahmslos um Litterae clausae handelt, Briefen, die dem Genus der Familienkorrespondenz zuzurechnen sind, fehlt eine der eigenwilligen von Friedrich III. gebrauchten Kurzform vergleichbare Intitulatio. Die maximilianeischen Autographen haben am Ende die Unterschrift des Herrschers begleitet von der per m(anum) propriam-Formel. Dass diese Schriftstücke einer überschriebenen Intitulatio durchwegs entbehren, ist wohl dem besonderen Verhältnis zwischen Aussteller und Empfänger der Schreiben geschuldet. Die älteren eigenhändigen Briefe Maximilians sind, soweit bekannt, sämtlich an den habsburgischen Vetter des Königs und ehemaligen Tiroler Landesfürsten Sigismund adressiert45. Tatsächlich vollzieht sich von Friedrich III. zu Maximilian ein grundsätzlicher Wandel im Verständnis und den Usancen herrscherlicher Eigenhändigkeit. Der Sohn griff insgesamt gewiss häufiger selbst zur Feder als der Vater, aber er tat es bei anderen Gelegenheiten als dieser und auch das Schreibmotiv war ein anderes. Von Maximilian besitzen wir in nicht geringer Anzahl autographe Konzepte für Denkschriften, Mandate und Ausschreiben46, 41  München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Kurbayern, Äußeres Archiv 977 Bl. 182; vgl. Koller, Bedeutung (wie Anm. 29) 124f. 42   Ebd. 125. 43   Ebd. 126f. 44  Regesten Kaiser Friedrichs III. (1440–1493) nach Archiven und Bibliotheken geordnet 11: Die Urkunden und Briefe aus den Archiven und Bibliotheken des Freistaates Sachsen, ed. Elfie-Marita Eibl (Wien–Weimar–Köln 1998) 298 Nr. 566; vgl. dies., Zwischen Entwurf, Original und Kopie. Bemerkungen zu Formen von Urkunden und Briefen aus den Kanzleien Kaiser Friedrichs III. AfD 44 (1998) 19–41, hier 39. 45   Georg Steinhausen, Privatbriefe des Mittelalters 1: Fürsten und Magnaten, Edle und Ritter (Denkmäler der deutschen Kulturgeschichte 1. Abt. Briefe, Berlin 1899) 287f. Nr. 421, 311f. Nr. 461 (1495 III 8). Vgl. Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I. 1493–1519, Bd. 1, ed. Hermann Wiesflecker (Reg. Imp. 14/1, Wien–Köln 1990) 148 Nr. 1383. 46  Z. B.: RTA Mittlere Reihe 4: Reichsversammlungen 1491–1493, Teil 2, ed. Reinhard Seyboth (München 2008) 871–874 Nr. 704, 1007–1013 Nr. 826. Vgl. ders., Reichstag und politische Propaganda. Die Auseinandersetzung König Maximilians I. mit König Karl VIII. von Frankreich um die Bretagne im Spiegel

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während das eigenhändige Schreiben bei Originalausfertigungen für ihn im Gegensatz zur Praxis des Vaters anscheinend nicht in Frage kam. Die einzige Ausnahme sollte hier die Familienkorrespondenz bilden, die als bewusster Kontrapunkt zu den Kanzleischreiben intendiert war. Die Anfänge des Buchdrucks als Medium der Urkundenpublikation sind erst in jüngster Zeit verstärkt zum Gegenstand der Forschung gemacht worden, dies ohne nennenswerte Beteiligung der Diplomatik, was durchaus zu bedauern ist; vielmehr teilen sich Kommunikationsgeschichte und Inkunabelforschung das Feld47. Schon Kaiser Friedrich III. nutzte den Einblattdruck für politisch-administrative Zwecke, wenngleich noch überaus sparsam und zurückhaltend. Von den rund 30 der Forschung bekannt gewordenen gedruckten Schriftstücken Friedrichs III. scheint ein einziges, nämlich die am 14. Mai 1474 beurkundete Verlängerung des 1471 in Regensburg verkündeten Reichslandfriedens um weitere sechs Jahre, tatsächlich vom Kaiser bei Günter Zainer am Ausstellungsort Augsburg in Auftrag gegeben worden zu sein48. Alle übrigen entstanden auf Veranlassung der Empfänger beziehungsweise Begünstigten49. Das bei Johann Fust und Peter Schöffer in Mainz gedruckte Gebot an alle Reichsuntertanen vom 8. August 146150, das älteste im Druck vorliegende Schriftstück unter dem Namen Kaiser Friedrichs III. überhaupt, verdankt seine typographische Existenz dem Auftrag Adolfs von Nassau, der in seinem Kampf um den Mainzer Bischofsstuhl gleich seinem Kontrahenten Diether von Isenburg bei der „publizistischen Kriegführung“ entschieden auf das neue Druckmedium setzte51. Eine ganze Reihe kaiserlicher Mandate wurde 1475/1480 im Zusammenhang zeitgenössischer Medien, in: Der Reichstag 1486–1613: Kommunikation, Wahrnehmung, Öffentlichkeit, hg. von Maximilian Lanzinner–Arno Strohmeyer (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 73, Göttingen 2006) 239–257, hier 252f. 47  Falk Eisermann, „Darnach wisset euch zu richten“. Maximilians Einblattdrucke vom Freiburger Reichstag, in: Der Kaiser in seiner Stadt. Maximilian und der Reichstag zu Freiburg 1498. Ausstellungskatalog des Stadtarchivs Freiburg, hg. von Hans Schadek (Freiburg 1998) 198–215; Falk Eisermann–Volker Honemann, Die ersten typographischen Einblattdrucke. Gutenberg-Jahrbuch 75 (2000) 88–131; Falk Eisermann, Buchdruck und politische Kommunikation. Ein Fund zur frühen Publizistik Maximilians I. Gutenberg-Jahrbuch 77 (2002) 77–83; Jan-Dirk Müller, Publizistik unter Maximilian I. Zwischen Buchdruck und mündlicher Verkündigung, in: Sprachen des Politischen. Medien und Medialität in der Geschichte, hg. von Ute Frevert–Wolfgang Braungart (Göttingen 2004) 95–122; Falk Eisermann, Archivgut und chronikalische Überlieferung als vernachlässigte Quelle der Frühdruckforschung. Gutenberg-Jahrbuch 81 (2006) 50–61. 48   Verzeichnis der typographischen Einblattdrucke des 15. Jhs. im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation 2: Katalog A–I; 3: Katalog J–Z, hg. von Falk Eisermann (Wiesbaden 2004) 2 462 F-63. – Paul Joachim Heinig, Friedrich III. (wie Anm. 3) 2 998f., gelang der Nachweis, dass dieses Stück von der römischen Kanzlei Friedrichs in Auftrag gegeben worden war. Ausschlaggebend für die Erteilung des Auftrags an Zainer mag neben dem persönlichen Ansehen des Druckers bei Hof das Vorhandensein der Offizin am Ausstellungsort gewesen sein. Vgl. auch Ronald Neumann, Friedrich III. und der Einblattdruck, in: Kaiser Friedrich III. Innovationen einer Zeitenwende. Katalog zur Ausstellung im Stadtmuseum Nordico vom 1. April bis 23. Mai 1993, hg. von Fritz Mayrhofer–Willibald Katzinger (Linz 1993) 33–38, hier 33f.; Eisermann–Honemann, Einblattdrucke (wie Anm. 47) 107 Abb. 8 und 108. 49  Neumann, Friedrich III. und der Einblattdruck 34. 50   Verzeichnis der Einblattdrucke (wie Anm. 48) 2 457f. F-58 (Nachweis von 7 Exemplaren); Eisermann–Honemann, Einblattdrucke 102. 51   Vgl. zu diesem Aspekt der Mainzer Stiftsfehde Konrad Repgen, Antimanifest und Kriegsmanifest. Die Benutzung der neuen Drucktechnik bei der Mainzer Stiftsfehde 1461/63 durch die Erzbischöfe Adolf von Nassau und Diether von Isenburg, in: Studien zum 15. Jahrhundert. Festschrift für Erich Meuthen 2, hg. von Johannes Helmrath–Heribert Müller (München 1994) 781–803; ders., Die politischen Einblattdrucke der Mainzer Stiftsfehde in deutscher Sprache (1461/62). Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 46 (1994) 281–321.



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mit dem Konstanzer Bistumsstreit zwischen dem vom Domkapitel gewählten Otto von Sonnenberg und seinem päpstlich ernannten Gegenspieler Ludwig von Freiberg gedruckt, wobei hier die Druckorte Konstanz (?) bzw. Ulm wiederum auf die Initiative einer der Parteien verweisen52. Und auch das Mandat Friedrichs III. vom 5. September 1479 an alle Reichsuntertanen, das Achturteil gegen einen gewissen Michel Vyel zu exekutieren, wurde ohne Zweifel im Auftrag des Augsburger Bischofs Johann von Werdenberg, der den Spruch des Kammergerichts erwirkt hatte, in einer Augsburger Offizin gedruckt 53. An der Vorherrschaft des Empfängerdruckes dürfte sich bis in die letzten Regierungsjahre Friedrichs III. kaum etwas geändert haben. Unlängst ist der Druck eines Mandats Friedrichs III. in Betreff der Auseinandersetzung zwischen der Stadt Riga und dem Deutschen Orden vom 12. November 1488 bekannt geworden. Diesem von der Offizin Matthäus Brandis aus Lübeck hergestellten Blatt ist eine niederdeutsche Zusammenfassung beigegeben worden – ein durchaus singulärer Vorgang, der wohl nur so erklärbar ist, dass die Auftraggeber der Verbreitung des Drucks in Norddeutschland ein wenig auf die Beine helfen wollten54. Dass Kaiser Friedrich III. oder seine römische Kanzlei etwas damit zu schaffen hatten, darf als sehr unwahrscheinlich gelten. Ungleich gewandter im Umgang mit dem neuen Druckmedium erwies sich – darüber herrscht in der Forschung seit langem Einigkeit – Friedrichs Sohn Maximilian55, der bereits 1478 als junger Erzherzog bei Johannes Zainer dem Älteren in Ulm erstmals ein gedrucktes Mandat, eine Aufforderung zur Stellung von Söldnern für einen Kriegszug gegen König Ludwig XI. von Frankreich, in Auftrag gab56. Mit einem feinen Sensorium für das Potential des neuen Mediums ausgestattet, begann Maximilian noch zu Lebzeiten des Vaters mit dem massiven Einsatz der Druckerpresse. Das Jahr 1492 bezeichnet für das neue Medium in der königlichen Kanzlei gleichsam den Durchbruch. Vom 8. Oktober dieses Jahres liegt der erste Reichstagsabschied im Druck vor, jener des königlichen Tages in Koblenz, gedruckt in der Offizin von Peter Schöffer in Mainz57. Schöffer übernahm auch den Druck des königlichen Mandats an die Reichsstände vom 15. Oktober 1492, die auf dem Kob-

52   Verzeichnis der Einblattdrucke (wie Anm. 48) 2 463–466 F-64, 65, 66, 67, 68; vgl. Neumann, Friedrich III. und der Einblattdruck (wie Anm. 48) 34; Eisermann–Honemann, Einblattdrucke (wie Anm. 47) 106f. 53   Verzeichnis der Einblattdrucke 2 467f. F-69/70; Neumann, Friedrich III. und der Einblattdruck 34. 54   Regesten Kaiser Friedrichs III. (1440–1493) nach Archiven und Bibliotheken geordnet 20: Die Urkunden und Briefe aus den Archiven und Bibliotheken der Bundesländer Berlin, Brandenburg und MecklenburgVorpommern sowie des Archiwum Panstwowe w Szczecinie/Staatsarchivs Stettin für die historische Provinz Pommern, ed. Elfie-Marita Eibl (Wien–Weimar–Köln 2004) 212 Nr. 313; Eisermann, Archivgut (wie Anm. 47) 55. 55   Siehe Manfred Hollegger, Erwachen und aufsten als ein starcker stryter. Zu Formen und Inhalt der Propaganda Maximilians I., in: Propaganda, Kommunikation und Öffentlichkeit (11.–16. Jahrhundert), hg. von Karel Hruza (ÖAW, phil.-hist. Kl., Denkschriften 307 = Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 6, Wien 2002) 223–234; Christina Lutter, „An das Volk von Venedig!“ Propaganda Maximilians I. in Venedig, in: ebd. 235–253; zuletzt auch Müller, Publizistik (wie Anm. 47) 95–122. 56   Verzeichnis der Einblattdrucke (wie Anm. 48) 3 126f. M-17; Eisermann, Buchdruck (wie Anm. 47) 80, hält es allerdings für möglich, ja wahrscheinlich, dass der Druckauftrag für dieses Mandat von der Kanzlei Kaiser Friedrichs III. oder einem verantwortlichen Angehörigen des kaiserlichen Hofes erteilt wurde. 57  HHStA, Sammlung der Einblattdrucke fol. 32f., RTA Mittlere Reihe 4/2 (wie Anm. 46) 1047. Das Stück gehört als Beilage zum königlichen Mandat an die Reichsstände vom 15. Oktober 1492 (siehe Verzeichnis der Einblattdrucke 3 131 M-23 Anm.). Vgl. ausführlich Seyboth, Reichstag und politische Propaganda (wie Anm. 46) 254f.

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lenzer Tag beschlossene eilende Hilfe gegen Frankreich bereitzustellen58. Dass Maximilian mit diesen Drucken ganz neue Wege der Kommunikation erschlossen hat, ist schon vielfach gewürdigt worden. Es ist tatsächlich so, dass der König Schrifttum, das primär herrschaftsinternen Zwecken diente, wie Mandate, Reichstagsabschiede oder Aufrufe, im Sinne einer planmäßigen Informationspolitik benützte, um für die Ziele der Politik zu werben, diese zu erläutern und zu legitimieren59. Neu war aber nicht nur die publizistische Dimension der maximilianeischen Drucke, neu war auch, und dies wird gerne übersehen, die diplomatische Form derselben. Während bis dahin der Druckpublikation stets eine handschriftliche Ausfertigung vorausgegangen war, konnten die Druckexemplare nun selbst als Originale die Kanzlei verlassen. Eine diplomatisch tragfähige Lösung für die Frage der Authentifizierung – die Elemente der Beglaubigung wurden vom Medienwechsel besonders betroffen – war gefunden, sodass einer erfolgreichen Integration des Drucks in das traditionelle Kanzlei- und Urkundenwesen nichts mehr im Wege stand. Hatte man unter Friedrich III. einzig das schwerfällige und kostspielige Verfahren der notariellen Authentifizierung mittels Auskultationsvermerk gekannt, wurden die typographisch vervielfältigten Schriftstücke nunmehr einer seriellen, jedoch individuell durchzuführenden Bearbeitung durch die königliche Kanzlei unterzogen. Die Druckexemplare wurden dort mit einem handschriftlichen Kanzleivermerk, einer handschriftlichen Außenadresse und einem rückwärts zum Verschluss aufgedrückten Siegel versehen, ehe sie an die Empfänger gelangten. So geschah es bei dem von Peter Schöffer in Mainz gedruckten Ausschreiben Maximilians betreffend die Reichshilfe gegen die Niederländer vom 29. Juli 148960. Und so verfuhr man in der Folge regelmäßig, während die Form der notariellen Authentifizierung fast nur noch Drucken vorbehalten blieb, die über Auftrag der Empfänger hergestellt wurden. Als vordringliche Aufgabe einer modernen Spätmittelalter-Diplomatik, die er über weite Strecken als „histoire des institutions“, als Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, verstanden wissen wollte, bezeichnete es Robert-Henri Bautier schon vor einiger Zeit, den bürokratischen Entstehungsprozess der Urkunden transparent zu machen, zu bestimmen, wer die Ausstellung der unter dem Namen des Herrschers aus der Kanzlei ausgehenden Urkunden konkret veranlasste. Denn, so Bautier, „au Bas Moyen Age, comme à l’époque moderne, il est évident que, si les actes publics sont normalement intitulés au nom du souverain, l’affaire a été instruite par le service compétent ou par un officier à qui délégation a été donnée pour prendre la décision“61. Damit sind zunächst die Kanzleivermerke und deren Interpretation ins Spiel gebracht. Aber nicht diesen Punkt möchte ich hier anschneiden, vielmehr geht es mir um jene Fälle, wo die Einheit des Herrscheritinerars aufgebrochen wird, dann nämlich, wenn Personen oder Behörden, die räumlich separiert vom Hof agieren, im Namen des Königs Urkunden ausstellen. Derartiges war in Ungarn in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts allem Anschein nach bereits gängige Praxis62. Beim 58  Verzeichnis der Einblattdrucke 3 131f. M-23 (weltliche Fürsten), 132 M-24 (geistliche Fürsten), 132f. M-25 u. M-26 (Städte); RTA Mittlere Reihe 4/2 1073–1078 Nr. 861. Vgl. Seyboth, Reichstag und politische Propaganda (wie Anm. 46) 254f. 59  Müller, Publizistik (wie Anm. 47) 113f. 60  Zum ersten Mal so offenbar Verzeichnis der Einblattdrucke (wie Anm. 48) 2 127–129 M-18, 19, 20, 21. 61  Bautier, Propositions (wie Anm. 4) 54f. 62   Márta Kondor, Die Urkundenausstellung der zentralen Ausfertigungsorgane und der Kurialgerichte in Ungarn während der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Bemerkungen zu den Regesten der an ungarischen Kanzleien ausgefertigten Urkunden König und Kaiser Sigismunds. AfD 55 (2009) 191–224, bes. 203 u. 208f.:



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römisch-deutschen König wäre es naheliegend, an die unter dem Hofgerichtssiegel, wohl aus der von der Hofkanzlei abgetrennten Kanzlei des Hofgerichtsschreibers ausgehenden Herrscherurkunden zu denken. Indes die Dinge lagen hier anders, wie Battenberg nachwies. Die königlichen Hofrichter, so Battenberg, „konnten ihrem Amt nur am Königshof und in Anwesenheit des Königs nachgehen; das Itinerar des im Hofrichter verkörperten Hofgerichts stimmte mit dem des Königs völlig überein. … Die untrennbare Verklammerung der ‚politisch-administrativen‘ mit der ‚jurisdiktionellen‘ Sphäre des Hofs wurde durch diese räumliche Komponente gleichsam festgeschrieben“63. Ein Auseinandertreten von Aussteller und tatsächlich beurkundender Stelle, wie in Ungarn bezeugt, fand also im spätmittelalterlichen Reich nicht statt. Es blieb Maximilian vorbehalten, erstmals ortsfeste Behörden einzurichten, die auch in seiner Abwesenheit in seinem Namen Urkunden ausstellen konnten. Autorisiert dazu waren namentlich die Regimente, also die „Regierungen“ der österreichischen Ländergruppen64. Deren Ausfertigungen sind daran kenntlich, dass die Ortsangabe fast immer fehlt und die Unterfertigung durchwegs lautet: commissio domini regis (imperatoris) in consilio65. Ab und an kommen Unterschriften von Regimentsräten vor66, ohne dass diese Praxis freilich zu einer festen Gewohnheit wurde. Nicht nur Mandate, sondern ganz ebenso Privilegien gingen so unter herrscherlicher Intitulatio von den Regimentskanzleien aus, die für diese Zwecke über ein kaiserliches Sekretsiegel verfügten67. Im Unterschied zu den erbländischen Ländergruppenregierungen nur eingeschränkt selbstständig urkundend waren die Hofbehörden. Die Urkunden der Hofkammer haben üblicherweise links unter dem Text die Unterfertigung per regem N., rechts die Notiz visa in consilio camere oder schlicht in consilio camere. Wenn der Ausstellungsort fehlt, darf wohl auch hier auf Abwesenheit des Herrschers geschlossen werden. Dies war bei der Hofkammer allerdings, so scheint es, eher die Ausnahme68. Der Emanzipationsprozess der Behörden vom Herrscher verlief übrigens durchaus nicht friktionsfrei. Als das niederösterreichische Regiment am 30. Juli 1512 auf fortgesetztes Drängen der Wiener Bürgerschaft das alte Stapelrecht der Stadt im Namen des in den Niederlanden weilenden Kaisers unDie „Audienz“ und die „specialis presentia regia“ stellten ihre Schriftstücke im Namen des Königs aus. Bei der „Audienz“ geschah dies unter dem königlichen Mittelsiegel, bei der „specialis presentia“ unter dem Privatsiegel des Großkanzlers. 63  Battenberg, Hofgerichtsbriefe Karls IV. (wie Anm. 23) 130. 64   Hochedlinger, Aktenkunde (wie Anm. 27) 77 u. 199. 65   Kaiserurkunden in Abbildungen (wie Anm. 11) 477f.; Franz-Heinz Hye, Die Siegel Maximilians I. von 1486 bis 1519, ihre historisch-politische und ihre kanzleigeschichtliche Bedeutung. Numismatische Zeitschrift 82 (1967) 86–107, hier 102f. Im Unterschied zum niederösterreichischen Regiment, dessen Ausfertigungen unter königlicher Intitulatio stets einer Ortsangabe entbehren, scheint die Beurkundungspraxis der Innsbrucker Mittelbehörden uneinheitlich gewesen zu sein. 66   Z. B. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Bürgerspital Urk. 1497 III 11; mit Unterfertigungen von Rottal und Fuchsmagen. 67  Nach Hye, Siegel (wie Anm. 65) 102–105, gebrauchte das niederösterreichische Regiment in der Zeit von 1493 bis 1500 das seit 1486 als königliches Hofsekret bezeugte Siegel: Otto Posse, Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige von 751–1913, III: 1493–1711 (Dresden 1912) T. 5/5. Diesem ersten Amtssiegel folgte Siegel Posse III T. 5/2. Lediglich vorübergehend dürften die niederösterreichischen Behörden über das größere Siegel Posse III T. 5/1 verfügt haben. Das Innsbrucker Regiment hatte dagegen während der gesamten Regierungszeit Maximilians jeweils zwei Siegel zur Auswahl, ein Sekret und ein großes Siegel, deren Nutzung das Regiment freilich mit der Innsbrucker Schatz- bzw. Raitkammer zu teilen hatte. Vgl. allgemein Hochedlinger, Aktenkunde (wie Anm. 27) 77 u. 130. 68  Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I. 1493–1519, Bd. 3/1, ed. Hermann Wiesflecker (Reg. Imp. 14/3/1, Wien–Köln–Weimar 1996) 553 Nr. 12656 (1501 XI 7).

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verändert erneuerte, Maximilian sich deshalb aber bei seiner Rückkehr einem Sturm der Entrüstung seitens der oberdeutschen Kaufleute ausgesetzt sah, griff er am 2. Juli 1513 zum Mittel einer scharfen Demarche an die Adresse seiner widerstrebenden niederösterreichischen Regierung, deren in seinem Namen gefällte Entscheidung offen desavouierend69. Zum Abschluss noch ein Aspekt, an den man vielleicht beim Titel „Vielgestaltigkeit der spätmittelalterlichen Herrscherurkunde“ zuerst nicht denken würde: Empfängerausfertigungen. Hat dieses zentrale Thema der Diplomatik im Zusammenhang mit der römisch-deutschen Königs- und Kaiserurkunde des 14. und 15. Jahrhunderts überhaupt noch eine Berechtigung? Soweit ich sehe, trug bisher nur Ivan Hlaváček in seinem grundlegenden Werk über das Urkundenwesen König Wenzels dieser Frage Rechnung. Sein Resümee: Empfängerausfertigungen seien unter Wenzel „nur bei bestimmten Urkundengruppen und auch dann nur in Einzelfällen anzutreffen und vorauszusetzen, nämlich bei Privilegien, bei Landfrieden und bei Mandaten zugunsten einer dritten Person oder Institution“70. Die von Hlaváček aufgewiesenen Beispielfälle machen die Fülle methodischer Probleme deutlich, die mit dem Thema „Empfängerausfertigung“ im Spätmittelalter verbunden ist. Den philologischen Kriterien, vermittels welcher Helene Bindewald schon 1928 allein aus dem in den Deutschen Reichstagsakten erschlossenen Material nicht weniger als 23 Empfängerausfertigungen aus der Zeit König Wenzels bestimmen zu können glaubte71, kommt eher geringer Aussagewert zu. Klarheit vermag letztlich nur der Schriftvergleich zu schaffen, der hier aber die Kenntnis sowohl der Hände der Reichskanzlei als auch jene der territorialen Empfängerkanzleien notwendig voraussetzt. Das zeigt der Nürnberger Reichslandfrieden König Wenzels vom 11. März 138372, ein höchst bedeutsames Verfassungsdokument des spätmittelalterlichen Reichs – zum ersten Mal trat an die Stelle von Territorialeinungen eine reichsweite Selbstverpflichtung der Stände zur Landfriedenswahrung –, von dem ursprünglich möglicherweise 18 Exemplare, so viele nämlich, als Siegel an der Urkunde hängen, ausgefertigt wurden, heute aber noch fünf im Original erhalten sind, zwei im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München, und je eines im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien, im Sächsischen Staatsarchiv in Dresden und im Staatsarchiv Bamberg73. Es ist unübersehbar, dass die Fürsten dieser Landfriedenseinung über weite Strecken ihren Stempel aufgedrückt haben, nachdem Wenzels Versuche, die Städte mit ins Boot zu holen und sie zur Aufgabe ihres Bündnisses zu bewegen, vollständig misslungen waren. Sind die politischen Vorgänge rund um das Zustandekommen des Nürnberger Reichslandfriedens durch Heinz Angermeier weitgehend geklärt, so steht eine diplomatische Untersuchung der Urkunden bis heute noch aus, ja vor kurzem erst sind alle erhaltenen Ausfertigungen erfasst worden. Den Bearbeitern der Reichstagsakten waren lediglich zwei Originale, das Bamberger und das Wiener, bekannt gewesen. Mir lie69   Arnold Luschin von Ebengreuth, Münzwesen, Handel und Verkehr im späteren Mittelalter, in: Geschichte der Stadt Wien II/2 (Wien 1905) 741–866, hier 768–770. 70  Hlaváček, Urkunden- und Kanzleiwesen (wie Anm. 18) 264. 71  Helene Bindewald, Die Sprache der Reichskanzlei zur Zeit König Wenzels. Ein Beitrag zur Geschichte des Frühneuhochdeutschen (Halle a. d. Saale 1928) XXV. Der Nürnberger Landfrieden vom 11. März 1383 findet sich übrigens nicht unter den von Bindewald als Empfängerstücke erkannten Urkunden. 72   RTA Ältere Reihe 1, ed. Julius Weizsäcker (München 1867, Nachdr. Göttingen 1956) 367–374 Nr. 205. Vgl. allgemein zum Reichslandfrieden vom 11. März 1383 Heinz Angermeier, Königtum und Landfrieden im deutschen Spätmittelalter (München 1966) 278–282. 73  Zur Überlieferung siehe jetzt: Die Urkunden und Akten der oberdeutschen Städtebünde 3: Städte- und Landfriedensbündnisse von 1381 bis 1389, ed. Rainer C. Schwinges–Konrad Ruser (Göttingen 2005) 1623f. Nr. 1651.



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gen Abbildungen von drei Exemplaren, dem Bamberger, dem Dresdner und dem Wiener, vor. Es besteht kein Zweifel, dass diese von verschiedenen Händen ingrossiert wurden. Eine Übereinstimmung zeigen die drei Exemplare nur in der Schreiberhand, welche den wörtlich gleichlautenden Kanzleivermerk de mandato domini regis Conr(adus) episcopus Lubicen(sis) anbrachte. Es ist wohl in allen drei Fällen ein Autograph des königlichen Protonotars Konrad von Geisenheim, Bischof von Lübeck74, der den Vermerk auf den für Sachsen und für Bamberg bestimmten Exemplaren der Gewohnheit entsprechend rechts unten auf der Plica, bei der Wiener Ausfertigung dagegen unkanzleimäßig zentral in der Mitte unter den Text platzierte. Um die Schreiberhände bestimmen zu können, die die Urkunden ins Reine geschrieben haben, bedarf es der Kenntnis der territorialen Empfängerkanzleien. Das für den österreichischen Herzog Leopold III. ausgestellte und heute im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien erhaltene Exemplar rührt tatsächlich von Empfängerhand. Demselben Schreiber, der in Nürnberg auch ein Mandat König Wenzels für den österreichischen Herzog vom 14. März 1383 mundierte75, können zahlreiche österreichische Herzogsurkunden aus den 1380er Jahren zugewiesen werden. Es ist die Hand des habsburgisch-österreichischen Kanzleinotars Rüdiger Ölhafen aus Zürich76. Bloß Gedankensplitter sind es, die hier vorgetragen wurden, Gedankensplitter zu einem überaus vielschichtigen Thema, das erschöpfend zu behandeln in diesem Rahmen unmöglich die Absicht sein konnte. Um noch einmal auf Heinrich Appelt, dessen 100. Geburtstag diese Tagung gewidmet war, Bezug zu nehmen, die spätmittelalterliche Herrscherurkunde zählte gewiss nicht zu seinen, Appelts, bevorzugten Interessen und Themen. Ja sie stand ihm möglicherweise ferne. Nur einmal gab ihm die Bearbeitung der Spuria für die Monumenta-Ausgabe der Diplome Friedrichs I. Anlass, sich dem spätmittelalterlichen Urkundenwesen zuzuwenden. In einer aus der Vorbereitung der Monumenta-Edition erwachsenen Studie zum Fälschungskomplex des Privilegium Maius77 überträgt Heinrich Appelt ganz selbstverständlich die Instrumentarien des Schrift- und Diktatvergleiches auf das späte Mittelalter, und es gelingt ihm, diese auch dort fruchtbar zu machen. An den klassischen Methoden der Diplomatik, wie sie Heinrich Appelt in souveräner Meisterschaft an den hochmittelalterlichen Stauferdiplomen zur Anwendung brachte, sich zu orientieren, bei allen durch die veränderten spätmittelalterlichen Rahmenbedingungen einer vielfach ausgeweiteten Schriftlichkeit unvermeidlichen methodischen Anpassungen so viel wie möglich vom Kanon der Urkundenlehre zu bewahren, das darf vielleicht an dieser Stelle als Maxime an die Adresse der Spätmittelalter-Diplomatik formuliert werden. So wertvoll prosopographische Studien zum Personal der Herrscherkanzlei auch sein mögen, eine Diplomatik der spätmittelalterlichen Herrscherurkunde sollte sich nicht darin erschöpfen. Die diplomatische Forschung muss auch im Spätmittelalter mehr zu bieten haben.

  Hlaváček, Urkunden- und Kanzleiwesen (wie Anm. 18) 194–196.   RTA Ältere Reihe 1 (wie Anm. 72) 375f. Nr. 207. 76   Zur Person vgl. Christian Lackner, Hof und Herrschaft. Rat, Kanzlei und Regierung der österreichischen Herzoge (1365–1406) (MIÖG Ergbd. 41, Wien–München 2002) 317–321. 77  Heinrich Appelt, Zur diplomatischen Beurteilung des Privilegium maius, in: Grundwissenschaften und Geschichte. Festschrift für Peter Acht, hg. von Waldemar Schlögl–Peter Herde (Münchener historische Studien. Abt. Geschichtl. Hilfswissenschaften 15, Kallmünz 1976) 210–217; wiederabg. in: ders., Kaisertum, Königtum, Landesherrschaft. Gesammelte Studien zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte, hg. von Othmar Hageneder–Herwig Weigl (MIÖG Ergbd. 28, Wien–Köln–Graz 1988) 189–198. 74 75





Mittelalterliche Urkunden in Staatsrecht, politischer Kommunikation und Historiographie in der Neuzeit Martin P. Schennach

I. Einleitung Dass der nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 vom damaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika ausgerufene „War on terrorism“ und seine legislativen, die Grund- und Freiheitsrechte in signifikantem Ausmaß unterminierenden Begleiterscheinungen1 auch nur die geringsten Berührungspunkte mit einer mittelalterlichen Urkunde aufweisen könnte, dürfte selbst in der mediävistischen scientific community in Kontinentaleuropa eine nicht gerade nahe liegende Vermutung sein. Und dennoch wurde vom Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten im Rahmen der juristischen Beurteilung von legislativen Folgewirkungen des „Kriegs gegen den Terror“ wiederholt und teils mit bemerkenswerter Ausführlichkeit auf eine hochmittelalterliche Urkunde – die Magna Carta von 1215 – verwiesen2. Geradezu exemplarisch lässt sich diese Auseinandersetzung in der Entscheidung des Supreme Court of the United States Boumediene et al. vs. Bush nachverfolgen3. Der Kläger Lakhdar Boumediene, ein Staatsbürger von Bosnien-Herzegowina, war als vermeintliches Mitglied von Al Quaida in Afghanistan verhaftet und gemäß dem Military Commissions Act aus dem Jahr 2006 ohne Anhörung und Prozess auf nicht absehbare Zeit im US-amerikanischen Häftlingslager auf Guantanamo inhaftiert worden. Die Konformität dieser Inhaftierung ohne Anklage und ohne Möglichkeit einer Verteidigung vor einem Gericht sowie damit einhergehend 1  Vgl. z. B. Richard H. Fellon, The Dynamic Constitution. An Introduction to American Constitutional Law (Cambridge 2004) bes. 247–249; Scott M. Matheson, Presidential Constitutionalism in Perilous Times (Cambridge/Mass. 2009) 85–148; David Cole, Terrorism and the Constitution. Sacrificing Civil Liberties in the Name of National Security (New York 32006); Christopher H. Pyle, The President, Congress, and the Constitution: Power and Legitimacy in an Age of Terrorism (Durham 2010); zu einen Überblick für die entsprechenden Folgen in Großbritannien vgl. Vernon Bogfanor, The New British Constitution (Oxford 2009) 55f.; ferner allgemein Stefan Scottiaux, Terrorism and the Limitation of Rights. The ECHR and the US Constitution (Human Rights Law in Perspective 12, Oxford 2008). 2   Vgl. hierzu jüngst Roberto Pallitto, The Legacy of The Magna Carta in Recent Supreme Court Decisions on Detainees’ Rights. Political Science & Politics 43 (2010) 483–486. 3  553 U. S. 773 (2008); wichtige, vergleichbare Rechtsfragen berührende Fälle werden dargestellt bei Harold L. Polman, Terrorism and the Constitution. The Post-9/11 Cases (Lanham 2008); Terrorism, the Laws of War, and the Constitution. Debating the Enemy Combatant Cases, hg. von Peter Berkowith (Stanford/ Cal. 2005).

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die Vereinbarkeit des Military Commissions Act mit der Verfassung der Vereinigten Staaten wurden von den Klägern in Abrede gestellt. In seinem aufsehenerregenden Erkenntnis zu diesem Fall kam der Supreme Court tatsächlich zum Schluss, dass die Inhaftierung Verdächtiger in Guantanamo ohne richterlichen Haftbefehl, ohne Anklage und Verteidigungsmöglichkeit nicht den verfassungsmäßig gewährleisteten Garantien eines „due process of law“ entspreche. Dabei nimmt er ausführlich auf die Rechtsgrundlagen dieses Grundrechts Bezug, wobei er sich nicht auf die wörtliche Interpretation der einschlägigen Bestimmungen der Verfassung der Vereinigten Staaten beschränkt (hierbei handelt es sich um Art. 1, Section 9, Clause 24 sowie das fünfte Amendment zur Verfassung5 als Teil der amerikanischen Bill of Rights)6.Vielmehr galt es auch für den Supreme Court, den Bedeutungsgehalt der beiden Verfassungsbestimmungen zum Zeitpunkt ihres Zustandekommens 1787 bzw. im Fall des Amendments 1789 zu ergründen. Dies führte, dem Grundsatz des case-law basierenden Common law entsprechend, zu einer ausführlichen Skizzierung der rechtshistorischen Entwicklung, wobei speziell Art. 39 der Magna Carta besprochen, zitiert und interpretiert wurde: „No free man shall be taken, imprisoned, disseised, outlawed, banished, or in any way destroyed, not will we proceed against or prosecute him, except by the lawful judgment of his peers and by the law of the land“7. Die Konkretisierung dieses Grundsatzes würde, so der Supreme Court, in der Habeas Corpus-Akte von 1679 ausgeführt8. Hiermit setzte der Supreme Court seine Rechtsprechung seit dem 19. Jahrhundert fort, in der er in mehr als einem Dutzend Fällen darauf hinwies, dass die Formulierung der Verfassung „due process of law“ auf das in der Magna Carta erwähnte „law of the land“ verweise, weshalb die verfahrensmäßigen Anforderungen an einen „due process“ dem English common law zu entnehmen seien9 – womit die 4   „The privilege of the writ of habeas corpus shall not be suspended, unless when in cases of rebellion or invasion the public safety may require it“. 5   „No person shall be held to answer for a capital, or otherwise infamous crime, unless on a presentment or indictment of a Grand Jury, except in cases arising in the land or naval forces, or in the Militia, when in actual service in time of War or public danger; nor shall any person be subject for the same offense to be twice put in jeopardy of life or limb; nor shall be compelled in any criminal case to be a witness against himself, nor be deprived of life, liberty, or property, without due process of law; nor shall private property be taken for public use, without just compensation.“ Dieser Artikel richtet sich an das Federal government, während der 1868 ratifizierte 14. Zusatz zur Verfassung ein entsprechendes Gebot an die Bundesstaaten adressiert. Vgl. auch Matthew Lipman, Criminal Procedure (Los Angeles 2010) 622; skeptisch hinsichtlich des Bezugs zur respektive der Vorbildwirkung der Magna Carta (unter Anführung weiterführender Literatur) Edward J. Eller, The Great Fence to Liberty: The Right to Property in the American Foundation, in: Liberty, Property, and the Foundation of American Constitution, hg. von Ellen Frankel Paul–Howard Dickman (Albany/N. Y. 1989) 43–63, hier bes. 47–50. 6  Allgemein zur Bedeutung der Magna Carta für die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika vgl. Arthur Ellsworth Dick Howard, Art. Magna Carta, in: Encyclopedia of the American Constitution 4, hg. von Leonard W. Levy–Kenneth L. Karst (New York 22000) 1663ff.; ferner Geoffrey Hindley, A Brief History of the Magna Carta. The story of the Origins of Liberty (London 2008) 276. 7  Der Supreme Court zitiert nur die englische Übersetzung und geht selbstverständlich nicht auf die Problematik der verschiedenen Überlieferungen der Magna Carta ein (siehe hierzu Anm. 22). Die angeführte Bestimmung stellt so in der Konfirmationsurkunde von 1225 den Artikel 29 dar, in der Urkunde von 1215 hingegen den Artikel 39 – was unterschiedliche Zählungen erklärt (vgl. nur Hindley, Magna Carta [wie Anm. 6] 269). 8   Vgl. auch Richard J. Sharpe, The Law of Habeas Corpus (Oxford 21989) bes. 19. 9  Vgl. hierzu (samt Aufzählung der Fälle) Peter Linebaugh, The Magna Carta Manifesto. The Struggle to Reclaim Liberties and Commons for All (Berkeley/Cal.–London 2008) 186f.; ferner Hindley, Magna Carta (wie Anm. 6) XIX, XXI, 295f. und 301; leitend vor allem der Fall Ex parte Milligan, 71 US 2 (1866). Hierzu auch Brian C. Baldrate, The Supreme Court’s Role in Defining the Jurisdiction of Military Tribunals: A Study, Critique, & Proposal for Hamdan v. Rumsfeld. Military Law Review 186 (2005) 1–115, hier bes. 16 und 38f.



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schon im 17. Jahrhundert von Edward Coke entwickelte Interpretation aufgenommen und fortgesetzt wurde10. Jene Fälle, in denen der Supreme Court der Vereinigten Staaten auf die Magna Carta rekurrierte, beschränken sich jedoch keineswegs auf behauptete Verletzungen des Rechts der persönlichen Freiheit und des Rechts auf einen fairen Prozess: Ob es sich um Fragen des verfassungsmäßigen Schutzes von Eigentum, des Verbots grausamer und exzessiver Bestrafung, des Rechts auf freien Fischfang handelte – in allen diesen Fällen wurde von den Klägern unter anderem die Magna Carta herangezogen und vom Supreme Court behandelt11. Die Bezugnahmen auf die Magna Carta sind in den Vereinigten Staaten selbstverständlich nicht auf den Supreme Court limitiert; der Supreme Court des Bundesstaates Kalifornien bezog sich beispielsweise bei der Frage nach der Zulässigkeit der Verhängung von ein gewisses Ausmaß überschreitenden Strafen durch nicht juristisch ausgebildete Friedensrichter auf den Artikel 45 der Magna Carta, wonach nur Personen zu Richtern ernannt werden dürften, die „know the law of the realm, and are minded to observe it rightly“. Daraus könne vor dem Hintergrund der seit 1215 veränderten und mit höheren Anforderungen an das richterliche Personal einhergehenden Rahmenbedingungen („under today’s advanced standards“) abgeleitet werden, dass jedenfalls Gefängnisstrafen nur aufgrund eines von einem rechtswissenschaftlich ausgebildeten Richter geleiteten Verfahrens verhängt werden dürften12. Der Befund eines wenn nicht häufigen, so doch regelmäßigen Rekurses auf die Magna Carta gilt ebenfalls für andere ehemalige britische Kolonien, die noch dem Commonwealth of Nations angehören. Im Rahmen eines Verfahrens, in dem es um die Frage der Zulässigkeit der Auslieferung von eines Verbrechens beschuldigten kanadischen Staatsbürgern an die Vereinigten Staaten ging, wurde die Frage nach den verfassungsmäßig gebotenen Anforderungen an einen „due process of law“ im Vorfeld der Auslieferung aufgeworfen und im Zuge dessen auch auf Artikel 39 der Magna Carta verwiesen13. In einem anderen Fall erörterte der Supreme Court von Kanada ausführlicher die rechtshistorische Entwicklung von habeas corpus, beginnend wiederum mit Artikel 39 der Magna Carta14. In Neuseeland15 werden der Schutz des Eigentums und die Pflicht des Staates zu einer angemessenen Entschädigungsleistung im Fall einer Enteignung unmittelbar aus Artikel 39 der Magna Carta abgeleitet: „New Zealand law provides no general statutory protection for property rights equivalent to that given by the eminent domain doctrine under the Fifth Amendment to the United States Constitution ... . The New Zealand Bill of Rights Act 1990 does not protect interests in property from expropriation. The principal 10  Vgl. nur Daniel J. Meador, Habeas Corpus and Magna Carta: Dualism of Power and Liberty (Charlottesville 1966) 21–23. 11   Vgl. z. B. Ralph Turner, Magna Carta through the Ages (Harlow 2003) 218–224. 12  Gordon v. Justice Court, 12 Cal.3d 323 (1974), zit. nach http://www.loislaw.com/livepublish8923/doc­ link.htp?alias=CACASE&cite=525+P.2d+72#[fn13]00 [15. August 2010]. 13  United States of America v. Ferras; United States of America v. Latty, [2006] 2 S.C.R. 77, 2006 SCC 33, Randzahl 19. 14   May v. Ferndale Institution, [2005] 3 S.C.R. 809, 2005 SCC 82, Randzahlen 19–23; weitere kanadische Beispiele mit einem Rekurs auf die Magna Carta bei William E. Conklin, In Defence of Fundamental Rights (Alphen aan den Rijn 1979) 22f. 15  Zur Stellung und Bedeutung der Magna Carta in der neuseeländischen respektive für die neuseeländische Rechtsordnung vgl. David Baragwanath, Magna Carta and the New Zealand Constitution, e-text auf www.courtsofnz.govt.nz/speechpapers/29-06-08.pdf/at_download/file [15. August 2010]; zusammenfassend Hindley, Magna Carta (wie Anm. 6) 298.

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general measure of constitutional protection is under the Magna Carta which requires that no one ,shall be dispossessed of his freehold ... but by ... the law of the land‘“16. Tatsächlich stellen die Artikel 39 und 40 der Magna Carta in Neuseeland aufgrund des Imperial Laws Application Act von 1988 weiterhin in Geltung stehendes Recht dar17. Die Gerichtshöfe in den Staaten des Commonwealth waren dabei mit partiell durchaus eigenwilligen Klagen konfrontiert, die sich auf die Magna Carta beriefen: Ein wegen eines Parkvergehens mit einer geringen Geldbuße belegter Kanadier führte durch mehrere Instanzen erfolglos ins Treffen, dass eine solche Verwaltungsstrafe gleich mit mehreren Bestimmungen der Magna Carta kollidiere; der australische Supreme Court war in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts mit zwei Beschwerden konfrontiert, wonach die nationale Einkommenssteuergesetzgebung sowohl einen von der Magna Carta nicht gedeckten Eingriff in das Eigentum als auch eine durch diese Urkunde verbotene „unjust exaction“ darstelle18. Allerdings steht aufgrund der Lehre wie der höchstrichterlichen Judikatur sowohl in Großbritannien als auch in den Staaten des Commonwealth außer Frage, dass die Magna Carta grundsätzlich kein höherrangiges, eine besondere Bestandfestigkeit genießendes Recht darstelle und ihr daher aufgrund der sovereignty of Parliament durch spätere Gesetzgebungsakte derogiert werden könne19. Keinesfalls sind ihr widersprechende Gesetze ohne weiteres vom Supreme Court aufzuheben oder von den Gerichten nicht anzuwenden; allenfalls kann dies in Betracht gezogen werden, wenn ein Gesetz grundlegenden, im Common law verankerten Rechten, die (unter anderem) in der Magna Carta fixiert sind, widerspricht. Tatsächlich begann in Großbritannien 1828 ein sich bis weit in die Nachkriegszeit hinein erstreckender Prozess der sukzessiven formellen Derogation von Artikeln der Magna Carta, so dass im Vereinigten Königreich derzeit nur mehr drei Artikel der Magna Carta (Art. 1, 9 und 29) als in Geltung stehend angesehen werden20. Demgegenüber stehen beispielsweise in Australien noch alle Artikel der Magna Carta mit Ausnahme des Artikels 26 in Geltung: Für die australischen Kolonien wurden zwischen 1828 und 1836 Gesetze erlassen, die die Übernahme der zu diesem Zeitpunkt geltenden britischen Gesetze vorschrieben, so dass in diesem Zusammenhang eben auch die Magna Carta in jenem Umfang rezipiert wurde, wie sie zu diesem Zeitpunkt in Großbritannien galt. Spätere, der Magna Carta formell (oder materiell) derogierende, vom Parlament in London erlassene Gesetze galten nur mehr, falls deren Geltungsbereich ausdrücklich auf die Kolonien bzw. die Staaten des Commonwealth erstreckt wurde. Manche Bestimmungen sind natürlich auf die australischen Verhältnisse per se nicht anwendbar   Zit. nach Waitekere City Council v. Estate Homes Limited [New Zealand] SC 73/2005, Randzahl 45.   Public Act 1988 No 112, art. 3 (1) und Schedule 1; in den Statutes of New Zealand Art. 29; vgl. auch den Hinweis bei Hindley, Magna Carta (wie Anm. 6) 298. 18   Vgl. die Hinweise bei David Clark, The Icon of Liberty: The Status and Role of Magna Carta in Australian and New Zealand Law. Melbourne University Law Review 24 (2000) 866–892; Harry Evans, Bad King John and the Australian Constitution. Commemorating the 700th anniversary of the Magna Carta. Occasional Lecture 17 October 1997 [e-Text auf http://www.aph-gov.auf/senate/pubs/occa_lect/flyers/171097.htm] [22. August 2010]; zusammenfassend ferner Hindley, Magna Carta (wie Anm. 6) 297f. 19   Vgl. für andere David C. Yardley, Introduction to British Constitutional Law (London 31969) 26f.; einen historischen Überblick zur Entstehung der Doktrin der sovereinty of Parliament vermittelt auch Emlyn C. S. Wade–George Godfrey Phillips, Constitutional Law (London u. a. 31947) 28–35. 20  Vgl. nur die Darstellung im offiziellen britischen Rechtsinformationssystem „The UK Statute Law Database“ [www. statutelaw.gov.uk] [22. August 2010], wo zudem bei jedem der inzwischen derogierten Artikel angeführt ist, wann und aufgrund welchen Rechtsakts er außer Kraft trat; zur Derogation der Magna Carta durch Gesetze seit dem 19. Jahrhundert vgl. auch Turner, Magna Carta (wie Anm. 11) 188–190. 16 17



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und somit gegenstandslos; man denke in diesem Kontext nur an den Artikel 9, der die Privilegien der Stadt London zum Gegenstand hat.

II. Staatsrecht und Diplomatik Zurecht wird der Mediävist an dieser Stelle, zumal eingedenk des auf die Urkundenforschung fokussierten Generalthemas des Sammelbandes, auf die Existenz der vier unterschiedlichen Überlieferungen bzw. Überlieferungsstränge der Magna Carta im 13. Jahrhundert hinweisen, die zudem hinsichtlich des Textbestandes erheblich differieren: Neben jener im Jahr 1215 in Runnymede ausgestellten, König Johann I. von England von den Baronen abgetrotzten Urkunde existieren noch Fassungen aus den Jahren 1216 und 1217 sowie die Urkunde Heinrichs III. von 122521. Ab 1237 kam es zu insgesamt 34 Konfirmationen der Magna Carta, von denen der Konfirmationsurkunde Edwards I. von 1297 besondere Bedeutung zukam und zukommt: Ihr Textbestand wurde neben der Urkunde Heinrichs III. von 1225 in die seit 1499 regelmäßig gedruckten „Statute books“ aufgenommen22. Hingegen war noch im 13. Jahrhundert angesichts der Mehrzahl von Urkundenfassungen und aufgrund partiell verderbter kursierender Abschriften der Rekurs auf abweichende Textvarianten nachweisbar23. Die verschiedenen Fassungen sowie ihr Verhältnis zueinander wurden schließlich seit der 1759 publizierten Arbeit von William Blackstone („The Great Charter and the Charter of the Forest“24), der sich auch unter Heranziehung möglichst vieler Originale um die Edition eines authentischen Textes bemühte, immer wieder Gegenstand der Forschung25. Für die Rechtsprechung stellt sich dabei vor allem die Frage nach der authentischen im Sinne von allein rechtsverbindlichen Version: Die gedruckten „statute books“ waren in der Frühneuzeit zwar weit verbreitet, stellten jedoch keineswegs eine offizielle und vom Gesetzgeber sanktionierte Zusammenstellung des geltenden Rechtsbestands dar. Hieran änderten erst die auf umfassenden Erhebungen beruhenden Arbeiten der Records Commission etwas, die im Vorfeld einer geplanten, grundlegenden Rechtskonsolidierung und -bereinigung die geltenden „Statutes“ mit einem möglichst authentischen Text erfassen und in den Druck bringen sollte. Das Resultat der Erhebungen waren die ab 1810 in neun Bänden publizierten „Statutes of the Realm“, die ebenfalls die Urkunden von 1225 und 1297 nach einer eingehenden Unter21   Vgl. nur William Sharp McKechnie, Magna Carta. A Commentary on the Great Charter of King John (Glasgow 21914) 176f.; Hindley, Magna Carta (wie Anm. 6) 209, 251f. und 257 (mit einer Darlegung der Unterschiede zwischen den verschiedenen Fassungen). 22  Vgl. Linebaugh, Magna Carta Manifesto (wie Anm. 9) 39. Einen Überblick über die je nach Fassung divergierende Zählung der Titel liefert auch: Sources of English Legal and Constitutional History, hg. von Michael Evans–Rian Jack (Sidney 1984) 55–60; hindley, Magna Carta (wie Anm. 6) 209, 257f., 267, 269, 275. Für Ausführungen über die heutige rechtliche Relevanz der unterschiedlichen Überlieferungen (als authentisch, also rechtsverbindlich gilt die Konfirmation von 1297) samt ausführlichen bibliographischen Hinweisen auf Drucke und Editionen vgl. nur Clark, The Icon of Liberty (wie Anm. 18). 23   James Clarke Holt, Magna Carta (Cambridge 1969, Erstdr. 1965) 289–291. 24   William Blackstone, The Great Charter and the Charter of the Forest. With Other Authentic Instruments. To which is Prefixed an Introductory Discourse, Containing the History of the Charters (London 1759); zur Bedeutung Blackstones auch Linebaugh, Magna Carta Manifesto (wie Anm. 9) 37. 25  Vgl. z. B. die bis heute wesentliche Untersuchung von McKechnie, Magna Carta (wie Anm. 21) bes. 139–175; vgl. stellvertretend für Untersuchungen nach Blackstone Richard Thomson, An Historical Essay on the Magna Carta of King John. To Which are Added the Great Charter in Latin and English, the Charters of Liberties and Confirmation Granted by Henry III and Edward I (London 1829).

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suchung der Überlieferungssituation aufnahmen26. In Neuseeland gilt die Konfirmationsurkunde Edwards I. von 1297 als authentisch27, und auch nur diese Überlieferung wurde in das „Statute book“ von Neuseeland aufgenommen28. Ungeachtet dieser Entscheidung für die Fassungen von 1225 respektive 1297 wird sowohl in staatsrechtlichen Werken als auch in Erkenntnissen der nationalen Obersten Gerichtshöfe häufig das Jahr 1215 als Referenzdatum genannt und werden regelmäßig moderne englische Übersetzungen herangezogen und interpretiert29. In einem Fall wie der Magna Carta, die zumindest noch partiell ein Bestandteil der Rechtsordnung ist, erschließt sich somit der Zusammenhang mit der Diplomatik ohne Schwierigkeiten. Hier manifestiert sich zudem der zumindest bis zum Ende des Ancien Régime auch im Heiligen Römischen Reich gegebene enge Konnex zwischen den Rechtswissenschaften und der Urkundenlehre, war doch das discrimen veri ac falsi bei der Beurteilung von unter Umständen jahrhundertealten Urkunden, die freilich noch immer gültige Rechtstitel darstellten, für den Juristen im Streitfall von entscheidender Bedeutung zur Durchsetzung des Rechtsstandpunktes seines Auftraggebers. Dementsprechend beschäftigten sich nicht nur herausragende Juristen wie der häufig als Begründer der Deutschen Rechtsgeschichte apostrophierte30 Hermann Conring (1606–1681) mit Regeln für die Analyse zweifelhafter Urkunden31, sondern stellte auch die Urkundenlehre im 18. Jahrhundert ein im Wesentlichen an den rechtswissenschaftlichen Fakultäten gelehrtes Fach dar, das dem angehenden Juristen das Handwerkszeug für seine praktische Tätigkeit vermitteln sollte32. 26  The Statutes of the Realm. Printed on Command of His Majesty King George the Third. In Pursuance of an Address of the House of Commons of Great Britain. From Original Records and Authentic Manuscripts, hg. von John Raithby et al. (O. o. 1810–1828). Die beiden Fassungen der Magna Carta (1225 mit „The Great Charter of Liberties and the Charter of Forests“, 1297 mit „Magna Carta“ rubriziert) finden sich im ersten Band (London 1810, Nachdr. 1963). 27  Vgl. Clark, The Icon of Liberty (wie Anm. 18) 269f.; dies wurde durch den neuseeländischen Imperial Laws Application Act 1988, Art. 3 Abs. 1, und die entsprechende Erwähnung in Anhang 1 ausdrücklich festgestellt. 28   Presentation of New Zealand Statute Law. In Conjunction with Parliamentary Counsel Office (Issues Paper 2, Wellington 2007) 33. 29  Vgl. z. B. Anthony King, The British Constitution (Oxford 2007) 9; ohne jede Fundstelle schlicht auf die „Magna Carta (1215)“ verweist z. B. das Erkenntnis des Supreme Court of Canada im Fall May v. Ferndale Institution, [2005] 3 S.C.R. 809, 2005 SCC 82, ebenso im Fall United States of America v. Ferras; United States of America v. Latty, [2006] 2 S.C.R. 77, 2006 SCC 33. 30  Vgl. z. B. den bezeichnenden Titel des Werkes von Alberto Jori, Hermann Conring (1606–1681). Der Begründer der deutschen Rechtsgeschichte. Mit Anhang: „In Aristotelis laudem oratio prima“ (Originalfassung) und „De Origine Juris Germanici“ (Auszüge) (Tübingen 2006); zur Bedeutung Conrings für die Germanistik jüngst Frank Ludwig Schäfer, Juristische Germanistik. Eine Geschichte der Wissenschaft vom einheimischen Privatrecht (Juristische Abhandlungen  51, Frankfurt a.  M. 2008) 59–62; ferner Klaus Luig, Conring, das deutsche Recht und die Rechtsgeschichte, in: Hermann Conring (1601–1681). Beiträge zu Leben und Werk, hg. von Michael Stolleis (Historische Forschungen 23, Berlin 1983) 355–395. 31  Vgl. nur Hans-Jürgen Becker, Diplomatik und Rechtsgeschichte. Conrings Tätigkeit in den Bella Di­ plomatica um das Recht der Königskrönung, um die Reichsfreiheit der Stadt Köln und um die Jurisdiktion über die Stadt Lindau, in: Hermann Conring (wie Anm. 30) 325–353; Wilfried Peters, Späte Reichspublizistik und Frühkonstitutionalismus. Zur Kontinuität von Verfassungssystemen an nord- und mitteldeutschen Konstitutio­ nalismusbeispielen (Europäische Hochschulschriften II/1421, Frankfurt a. M. u. a. 1993) 17f. 32  Vgl. nur Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien 1 (Leipzig 21912 [Nachdr. Berlin 41969]) 32f.; Winfried Trusen, Zur Urkundenlehre der mittelalterlichen Jurisprudenz, in: Recht und Schrift im Mittelalter, hg. von Peter Classen (VuF 23, Sigmaringen 1977) 197–219, hier bes. 197; nunmehr auch Stefan Benz, Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken



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Daneben entwickelte sich insbesondere seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Reichshistorie zu einem wesentlichen Hilfsmittel für die an den Universitäten Jena, Göttingen und Halle entstandene Strömung eines streng positivrechtlichen deutschen Reichsstaatsrechts, das zur Interpretation maßgeblich auf die Reichshistorie als Hilfsdisziplin rekurrierte33. Nur durch den Rückgriff auf die historische Entwicklung könne das Reichsstaatsrecht richtig ausgelegt werden. Diese Ausrichtung unterschied diesen Zweig der Reichspublizistik, der im Bereich des Territorialstaatsrechts der einzelnen Länder sein Pendant hatte, vom naturrechtlich geprägten ius publicum universale, das sich um die Ableitung genereller, überzeitlicher staatsrechtlicher Prinzipien hinsichtlich Staatswerdung, Staatsform, Staatsorganisation oder Staatszweck bemühte34. Mit dem Rekurs auf die Reichs- respektive Landesgeschichte wuchs der Diplomatik eine dementsprechend prominente Rolle im Rahmen der Aufarbeitung des staatsrechtlich relevanten Urkundenmaterials zu. Geradezu exemplarisch formulierte diesen Grundsatz Franz Ferdinand von Schrötter in seinem 1771 publizierten „Grundriss des österreichischen Staatsrechts“, in dem er die Relevanz sowohl der Geschichte als auch der Urkundenlehre für die Staatsrechtslehre im Speziellen der österreichischen Länder folgendermaßen umschrieb: „Daß sowohl die allgemeine Reichs- als auch insbesondere die Geschichte der österreichischen Lande als der Schlüssel zu dem Staatsrechte angesehen werden müssen, ist ebenfalls allenthalben außer Zweifel. Es werden daher auch [...] bey allen Theilen dieses Lehrgebäudes die ächte Aufklärung aus der Historie eingerücket werden. Und da die Diplomatik gleichsam als das Auge der Geschichtswissenschaft zu betrachten ist; so hat man sich auch hievon die erforderlichen Kenntnisse beyzulegen, und stäts den richtigen Satz vor Augen zu haben; daß die aus richtigen, und gleichzeitigen Urkunden hergeholten Gründe immerhin in der Geschichte sowohl als in dem Staatsrechte den kräftigsten Beweiß ausmachen. An guten Einleitungen in die Diplomatick ist kein Mangel mehr übrig“35.

Heiligen Römischen Reich (Historische Studien 473, Husum 2003) 611f.; Becker, Diplomatik und Rechtsgeschichte (wie Anm. 31). 33   Vgl. hierzu vor allem Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland 1: Reichspublizistik und Policeywissenschaft 1600–1800 (München 1988) bes. 299 und 321f.; Ewald Grothe, Zwischen Geschichte und Recht. Deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung 1900 bis 1970 (München 2005) 43f.; Notker Hammerstein, Reichshistorie, in: Aufklärung und Geschichte. Studien zur deutschen Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert, hg. von Hans Erich Bödeler (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 81, Göttingen 1986) 82–104; ders., Jus und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des politischen Denkens an deutschen Universitäten im späten 17. und 18. Jahrhundert (Göttingen 1972); Ewald Grothe, Verfassungsgeschichte als Reichshistorie. Zur Vorgeschichte einer historischen und juristischen Teildisziplin im 18. Jahrhundert, in: Gesellschaft – Region – Politik. Festschrift für Hermann de Buhr, Heinrich Küppers und Volkmar Wittmütz, hg. von Jörg Hentzschel-Fröhlings (Norderstedt 2006) 295–304; zur zeitgenössischen Kritik an dieser „juristischen Secte“, die die Reichshistorie zu einer Hilfsdisziplin des Staatsrechts herabwürdige, vgl. Luigi Marino, Praeceptores Germaniae. Göttingen 1770–1820 (Göttingen 1995) 307. 34  Vgl. auch Paul Streidl, Naturrecht, Staatswissenschaften und Politisierung bei Gottfried Achenwall (1719–1772). Studien zur Gelehrtengeschichte Göttingens in der Aufklärung (Beiträge zur Geschichtswissenschaft, München 2003) 66f.; Hans Erich Bödeker, Das staatswissenschaftliche Fächersystem im 18. Jahrhundert, in: Wissenschaften im Zeitalter der Aufklärung. Aus Anlaß des 250jährigen Bestehens des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht, hg. von Rudolf Vierhaus (Göttingen 1985) 143–162, hier 147f.; Michael Stolleis, Aufklärung und öffentliches Recht, in: Bürgerliche Freiheit und christliche Verantwortung. Festschrift für Christoph Link zum siebzigsten Geburtstag, hg. von Heinrich de Wall (Tübingen 2003) 851–864; Michael Stolleis, Jus publicum und Aufklärung, in: Universitäten und Aufklärung, hg. von Notker Hammerstein (Göttingen 1995) 182–190. 35   Franz Ferdinand Schrötter, Grundriß des österreichischen Staatsrechtes (Wien 1775) § 20.

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III. Untersuchungsgegenstand und methodische Annäherung Nach diesem Brückenschlag zum Generalthema des Tagungsbandes sei noch der Untersuchungsgegenstand präziser umrissen. Wenn auch im Beitragstitel nur summarisch von „mittelalterlichen Urkunden“ die Rede ist, so ist schon mit Blick auf die Breite der Fragestellung, die sich mit drei unterschiedlichen Aspekten des Fortwirkens mittel­ alterlicher Diplome beschäftigt, eine Selbstbeschränkung unumgänglich. Daher seien im Folgenden ausgewählte, möglichst aussagekräftige Exempla mit dem Ziel einer breiteren zeitlichen und geographischen Streuung herausgegriffen. Neben der schon ansatzweise behandelten Magna Carta sollen der Schweizer Bundesbrief von 1291, die Goldene Bulle von 1356 und die Joyeuse Entrée von Brabant von 1356 in die Untersuchung mit einbezogen werden. Um dem österreichischen Raum einen entsprechenden Platz einzuräumen und überdies in Würdigung der Arbeiten von Heinrich Appelt36, Heinrich Fichtenau37 und Alphons Lhotsky38 seien ferner die österreichischen Freiheitsbriefe berücksichtigt, hinsichtlich derer sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Trennung zwischen „Privilegium minus“ und „Privilegium maius“ eingebürgert hat. Der habsburgische Herrschaftsbereich findet überdies durch die Einbeziehung des so genannten „Großen Tiroler Freiheitsbriefes“ von 1342 und des an der Wende zur Frühneuzeit entstandenen Tiroler Landlibells von 1511 Berücksichtigung. Im Mittelpunkt der Darstellungen stehen dabei naheliegenderweise nicht die Überlieferung oder Inhalte dieser Urkunden, sondern vielmehr jene Phänomene, die in ihrer Gesamtheit das ausmachen, was man etwas untechnisch als die „Rezeptionsgeschichte“ der betreffenden Diplome bezeichnen könnte. Erkenntnisleitend sei die Fragestellung, wie diese Urkunden in unterschiedlichen Kontexten wie der politischen Kommunikation, dem staatsrechtlichen Schrifttum sowie der Historiographie thematisiert und immer wieder aktualisiert wurden. Unter dem derzeit in der Geschichtswissenschaft besonders beliebten Terminus „politische Kommunikation“39 sei dabei ganz schlicht die Nutzbarmachung und Instrumentalisierung mittelalterlicher Urkunden im Rahmen politischer Auseinandersetzungen verstanden. Dabei deckt die Bezeichnung „politische Auseinandersetzung“ im Folgenden ein breites Spektrum von Diskursen ab, das von den zwischen 36   Heinrich Appelt, Privilegium minus. Das staufische Kaisertum und die Babenberger in Österreich (Böhlau Quellenbücher, Wien–Köln–Graz 21976). 37  Heinrich Fichtenau, Von der Mark zum Herzogtum. Grundlagen und Sinn des „Privilegium minus“ für Österreich (Österreich-Archiv, Wien 21965). Heinrich Appelt hat auch die MGH-Ausgabe der Diplome Friedrichs  I. besorgt, worin sich auch die maßgebliche Edition des (verlorenen) Privilegium minus findet: MGH DD. F.I., ed. Heinrich Appelt et al. (Hannover 1975) 151. 38   Alphons Lhotsky, Privilegium maius. Die Geschichte einer Urkunde (Österreich-Archiv, Wien 1957). 39  Vgl. hierzu nur beispielsweise Luise Schorn-Schütte, Politische Kommunikation als Forschungsfeld. Einleitende Bemerkungen, in: Die Sprache des Politischen in actu / Il linguaggio del „politico“ in actu. Zum Verhältnis von politischem Handeln und politischer Sprache von der Antike bis ins 20. Jahrhundert, hg. von Angela de Benedictis et al. (Schriften zur politischen Kommunikation 1, Göttingen 2009) 7–18; dies., Vorstellungen von Herrschaft im 16. Jahrhundert. Grundzüge europäischer politischer Kommunikation, in: Die Frühe Neuzeit als Epoche, hg. von Helmut Neuhaus (München 2009) 347–376; Stefan Haas–Mark Hengerer, Zur Einführung: Kultur und Kommunikation in politisch-administrativen Systemen der Frühen Neuzeit und der Moderne, in: Im Schatten der Macht. Kommunikationskulturen in Politik und Verwaltung 1600–1950, hg. von Stefan Haas (Frankfurt a. M.–New York 2008) 9–22; Ute Frevert, Politische Kommunikation und ihre Medien, in: Sprachen des Politischen. Medien und Medialität in der Geschichte, hg. von ders. (Göttingen 2004) 7–19.



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Landständen und Landesfürsten geführten Diskussionen bis hin zur Heranziehung mittelalterlicher Urkunden als Legitimationsbasis für Aufstände reicht. Unter der Staatsrechtslehre sei die sich ab der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert institutionalisierende wissenschaftliche Beschäftigung mit dem ius publicum verstanden: Im Reichsverband waren dies einerseits die so genannte Reichspublizistik (die sich mit dem Staatsrecht des Heiligen Römischen Reiches beschäftigt), andererseits das Territorialstaatsrecht, das sich mit dem öffentlichen Recht der einzelnen Länder befasste. Im Rahmen der historiographischen Betrachtung sei nicht nur den Erkenntnissen der Mediävistik, sondern ebenso der Rechtsgeschichte als juristischer Disziplin Beachtung geschenkt. Diese drei Stränge einer Beschäftigung mit dem Urkundenmaterial können, müssen aber nicht miteinander in einem engen Konnex stehen: Die politische Instrumentalisierung kann mit einer näheren staatsrechtlichen Betrachtung einhergehen, wie das Beispiel der Joyeuse Entrée in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts vor Augen führt. Eine derartige Parallelentwicklung ist aber keineswegs immer zu beobachten. Generell ist freilich die Beobachtung aufschlussreich, ob sich die Bedeutung, die einer Urkunde in den angesprochenen Untersuchungssegmenten in einem bestimmten Zeitraum zugeschrieben wurde, im Gleichklang entwickelt oder ob signifikante Diskrepanzen auszumachen sind: Musterbeispiel für Ersteres, eine gleichermaßen intensive Berücksichtigung in der politischen Kommunikation wie dem Staatsrecht und der Historiographie ist sicherlich die Magna Carta; Entsprechendes ist auch bei der Joyeuse Entrée und in abgeschwächter Weise bei der Goldenen Bulle auszumachen. Dabei sind häufig Interferenzen und gegenseitige Beeinflussung zwischen den Diskursebenen zu konstatieren. Die historiographische Beurteilung der brabantischen Joyeuse Entrée in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts schloss sich so sehr eng an staatsrechtliche Arbeiten des ausgehenden 18. Jahrhunderts an. Demgegenüber stellten das Privilegium minus und maius zwar einen hervorragenden Untersuchungsgegenstand für die Historiographie seit der Wilhelm Wattenbach’schen Untersuchung von 1852 dar, in der Staatslehre avancierten die österreichischen Freiheitsbriefe – sieht man von der eher randständigen Thematisierung im 17. Jahrhundert ab – jedoch erst im 18. Jahrhundert in einem intensiverem Ausmaß zu einem Beschäftigungsgegenstand. Auf politischer Ebene stellten sie nach der reichsrechtlichen Bestätigung durch Friedrich III. nur noch vereinzelt einen Streitgegenstand dar40. Und so intensiv das Landlibell in den Auseinandersetzungen zwischen Ständen und Landesfürsten vom 16. bis 18. Jahrhundert argumentativ herangezogen wurde, so blieb dessen ungeachtet eine staatsrechtliche Betrachtung praktisch aus. Der Große Tiroler Freiheitsbrief ebenso wie der Schweizer Bundesbrief stellen gleichermaßen Wiederentdeckungen durch die Historiographie dar.

40  Hierzu Günther Hödl, Die Bestätigung und Erweiterung der österreichischen Freiheitsbriefe durch Kaiser Friedrich III., in: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Historica (München, 16.–19. September 1986) 3: Diplomatische Fälschungen (I) (Schriften der MGH 33/III, München 1988) 225–246.

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IV. Gemeinsamkeiten 1. Die Prägung eines Eigennamens Kommen wir noch auf Gemeinsamkeiten der angesprochenen Urkunden zu sprechen. Augenfällig ist in allen Fällen die Prägung eines Eigennamens, der seinerseits die Rezeptionsgeschichte widerspiegelt. Der Eigenname unterstreicht den hervorgehobenen Charakter, die der Urkunde zugeschriebene besondere Wichtigkeit und erlaubt ein verkürztes Sprechen bzw. Schreiben von einer Urkunde bzw. einem Urkundenkomplex, weil das Referenzobjekt eindeutig ist: Wer im 18. Jahrhundert von den „österreichischen Freiheitsbriefen“ schreibt, muss die Urkunden nicht im Einzelnen aufzählen. Die Prägung eines Eigennamens in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Urkundenausfertigung ist dabei regelmäßig ein Hinweis auf intensivere Diskussionen, die sich im politischen Diskurs am betreffenden Diplom festmachten: Während beispielsweise mit dem Terminus „Landlibell“ zum Zeitpunkt der Urkundenausfertigung im Juni 1511 sowohl ein Landtagsabschied als auch in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts ein rechtlicher Normenkomplex im Sinne einer Landesordnung verstanden werden konnte41, verengte sich die Bedeutung in den vierziger Jahren ganz klar auf die Urkunde vom 23. Juni 151142. Zeitgleich wurde diese von den Landständen nunmehr als „Landesfreiheit“ angesehen und Ferdinand I. zur Abwehr von ressourcenintensiven Neuerungen im Bereich der Landesdefension entgegengehalten. Demgegenüber wurden die Bezeichnungen „Schweizer Bundesbrief“43 oder „Großer Tiroler Freiheitsbrief“44 erst von der Historiographie des 19. bzw. 20. Jahrhunderts geprägt. Eigennamen nehmen dabei häufig auf äußere Merkmale der Urkunden Bezug, die Goldene Bulle – der lateinische Erstbeleg für die Bezeichnung bulla aurea stammt hier aus dem Jahr 140045 – beispielsweise auf die Art der Besiegelung46. Dabei ist auf analoge Fälle zu verweisen, namentlich auf die Goldene Bulle von Ungarn, ausgestellt 1222 von Andreas II.47, oder auf die bulle d’or brabantine 41   Vgl. Martin P. Schennach, Gesetz und Herrschaft. Die Entstehung des Gesetzgebungsstaates am Beispiel Tirols (Forschungen zur Deutschen Rechtsgeschichte 28, Köln–Wien–Weimar 2010) 104f. 42  Martin P. Schennach, Ritter, Landsknecht, Aufgebot. Quellen zum Tiroler Kriegswesen 14.–17. Jahrhundert (Tiroler Geschichtsquellen 49, Innsbruck 2004) 56f. 43   Hierzu u. a. Georg Kreis, Der Mythos von 1291. Zur Entstehung des schweizerischen Nationalfeiertags (Basel 1991) 63–68. 44   Vgl. Werner Köfler, Land, Landschaft, Landtag. Geschichte der Tiroler Landtage von den Anfängen bis 1808 (Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs 3, Innsbruck 1985) 36–41; Sebastian Hölzl, Die Freiheitsbriefe der Wittelsbacher für Tirol (1342). Eine kritische Untersuchung der „Magna Charta Tirols“. Tiroler Heimat 46/47 (1982/83) 5–37; Wilhelm Baum, Rudolf IV. der Stifter. Seine Welt und seine Zeit (Graz–Wien– Köln 1996) 275f. 45   Vgl. Armin Wolf, Die Goldene Bulle. König Wenzels Handschrift Codex Vindobonensis 338 der Österreichischen Nationalbibliothek (Darmstadt 2002) 78–84, bes. 80 (die Erstnennung des Eigennamens „Goldene Bulle“ erfolgte im Zusammenhang mit der Absetzung König Wenzels); ders., Die Goldene Bulle und die Kurfürsten, in: Wahl und Krönung, hg. von Bernd Heidenreich–Frank-Lothar Kroll (Frankfurt a. M. 2006) 57–77, hier 57; vgl. aber noch die Bezeichnung als Karoli quarti constitutiones um 1460 bei Peter von Andlau, Arno Buschmann, Die Rezeption der Goldenen Bulle in der Reichspublizistik des Alten Reiches, in: Die Goldene Bulle. Politik, Wahrnehmung, Rezeption 2, hg. von Ulrike Hohensee (Berlin 2009) 1071–1119, hier 1076. 46  Vgl. schon die Ausführungen bei Johan Stephan Pütter, Historische Entwicklung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs 1: Bis 1558 (Frankfurt a. M. 1786) 236f. 47   Vgl. nur Herbert Helbig, Ungarns Goldene Bulle von 1222 und die Adelsrechte in Siebenbürgen,



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von Karl IV. aus dem Jahr 1349, die privilegia de non appellando et de non evocando für das Herzogtum Brabant verlieh48. Überhaupt ist die Verleihung der Bezeichnung „Goldbulle“ (oft mit einer näheren Spezifizierung), anknüpfend an die Besiegelung mit einem feierlichen Herrschersiegel aus Goldblech, häufiger auszumachen49. Demgegenüber nimmt das „Landlibell“ auf den Umfang der feierlichen Herrscherurkunde Maximilians I. Bezug50. Bei dem erstmals 1218 aufscheinenden und danach in den dreißiger und vierziger Jahren des 13. Jahrhunderts belegten Begriff Magna Carta ist fraglich, ob damit auf die Größe oder auf die inhaltlich herausragende Bedeutung – respektive auf beide Aspekte gleichermaßen – Bezug genommen wird51. Teils wird darauf verwiesen, dass der Terminus „Magna Carta“ in Abgrenzung von der (vom Format her deutlich kleineren) Konfirmationsurkunde Heinrichs III., die dieser nach Erreichen der Volljährigkeit 1237 ausstellte, aufgekommen sein könnte52. Sir Edward Coke betonte hingegen schon 1642, dass der Eigenname „Magna Carta“ wohl an die inhaltliche Relevanz der Urkunde anknüpfe53. Ähnliches wird man für das so genannte „große Privileg“ Marias von Burgund für die Niederlande aus dem Jahr 1477 annehmen können54. Begriffe wie „Freiheitsbriefe“ oder privilegium generale („privilegio general“) – so der Terminus für das Privileg Peters III. für Aragón von 128355 – stellen jedenfalls den privilegialen Rechtsinhalt in den Vordergrund. in: Album Elemér Mályusz (International Commission for the History of Representative and Parliamentary Institutions: Études 56, Bruxelles 1976) 109–121; Edition bei Werner Näf, Herrschaftsverträge des Spätmittelalters. Die Goldene Bulle Andreas’ II. von Ungarn 1222. Die aragonischen Privilegien von 1283 und 1287. Die Joyeuse Entrée von Brabant 1356. Der Vergleich des Markgrafen Albrecht von Brandenburg 1472. Der Tübinger Vertrag von 1514 (Quellen zur neueren Geschichte 17, Bern 1975) 45–67. Die lateinische Fassung samt Übersetzungen ins Ungarische, Italienische und Englische sowie weiteren Literaturhinweisen findet sich in De Bulla Aurea Andreae II Regis Hungariae MCCXXII, ed. Lajos Besenyei–Géza Érszegi–Maurizio Pedrazza Gorlero (Verona 1999). 48   Vgl. André Uyttebrouck, Le gouvernement du duché de Brabant au bas moyen âge (1355–1430) 1 (Université libre de Bruxelles. Faculté de philosophie et lettres 59, Bruxelles 1975) 127f. (und Nr. 93). 49  Weitere Beispiele bei Karel Hruza, Die drei „Sizilischen Goldenen Bullen“ Friedrichs II. von 1212 für die Přemysliden. Zu einem neuen Buch, diplomatischen Fragen und einer „Historikerdebatte“ in der tschechischen Forschung. AfD 53 (2007) 213–249; vgl. ferner Carl August Lückerath, Art. Goldene Bulle v. Rimini. LMA 4 (1989) 1541f. 50  Schennach, Quellen (wie Anm. 42) 51f. 51  Zum Erstbeleg 1218 und zur Frage der Herkunft des Eigennamens Linebaugh, The Magna Carta Manifesto (wie Anm. 9) 38; vgl. zudem A. B. White, The Name Magna Carta. EHR 30 (1915) 472–475 und 32 (1917) 554f.; Holt, Magna Carta (wie Anm. 23) 18; McKechnie, Magna Carta (wie Anm. 21) 120f. und 157. 52   Ebd. 157f., auch zu den Belegen in den dreißiger und vierziger Jahren des 13. Jahrhunderts; daran schließt sich an John Edward Austin Jolliffe, Magna Carta. Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte 10 (1952) 88–103, hier 99. 53  „It is called Magna Charta not that it is great in quantity, for there be many voluminous charters commonly passed, specially in these later times, longer than this is; nor comparatively in respect of the great importance, and weightiness of the matter“, Sir Edward Coke, Second Part of the Institutes of the Laws of England. Containing the Exposition of Many Ancient and Other Statutes (London 1797) Vorwort (unpag.). 54  Vgl. nur den Sammelband: Le Privilège Général et les privilèges régionaux de Marie de Bourgogne pour les Pays-Bas, hg. von Willem P. Blockmans (Anciens Pays et Assemblées d’Etats 80, Courtrai-Heule 1985); Martin van Gelderen, The Political Thought of the Dutch Revolt 1555–1590 (Ideas in Context, Cambridge 1995) 27–30; Hans W. Blum, The great Privilege (1477) as „Code of Dutch Freedom“, in: Das Privileg im europäischen Vergleich 1, hg. von Barbara Dölemeyer–Heinz mohnhaupt (Ius Commune. Sonderh. 93, Frankfurt a. M. 1997) 233–248. 55  Vgl. Manuel Danvila y Collado, Las libertades de Aragón. Ensayo histórico, jurídico y politico (Madrid 1881, Nachdr. 2002) 130–159; Esteban Sarasa Sánchez, Privilegio general de Aragón. La defensa de las libertades aragonesas en la Edad Media (Zaragoza 1984); Luis González Antón, Las uniones aragonesas y las Cortes del reino (1282–1301) 1–2 (Zaragoza 1975); José Luis Martin, Privilegios y Cartas de Libertad en

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Als Sonderfall präsentiert sich die Joyeuse Entrée, die auf den feierlich-zeremoniellen Herrschaftseinzug des Fürsten anlässlich der Erbhuldigung und der Privilegienkonfirmation Bezug nimmt. Auch die Vorgängerurkunden trugen dementsprechend bereits die Bezeichnung „Joyeuse Entrée“, die sich nach 1356 aber bald für die vom Herzogspaar Wenzel und Johanna ausgestellte Urkunde durchsetzte56. Für viele Urkunden wurde ein Eigenname jedoch erst durch die Historiographie geprägt. Dabei ist häufig das 19. Jahrhundert als Epoche der Professionalisierung und Verwissenschaftlichung der Geschichtsforschung maßgeblich, dass sich eine kurze, prägnante Bezeichnung für eine mittelalterliche Urkunde herauskristallisiert. Derartige Urkunden spielten vielfach in den Jahrhunderten nach ihrer Entstehung keine überragende Rolle; Bedeutung wurde ihnen jedoch von der Historiographie zugeschrieben, wobei die Konstruktion einer spezifischen, oftmals dezidiert patriotisch aufgeladenen Identität eine besondere Rolle spielte. Erst seitdem das Privilegium minus (die 1156 von Friedrich I. ausgestellte Urkunde) von dem Privilegium maius (der Fälschung durch Rudolf IV., im weiteren Sinn der gesamte Fälschungskomplex von 1358/1359) differenziert werden konnte, lösten diese Bezeichnungen den in der Frühneuzeit gängigen Terminus „österreichische Freiheitsbriefe“ bzw. „österreichische Hausprivilegien“ (für die unter Rudolf IV. hergestellten Urkunden) ab57. Wegweisend war sicherlich die Untersuchung Wilhelm Wattenbachs aus dem Jahr 185258, jedoch war er keineswegs der erste, der zwischen einem Privilegium minus und einem Privilegium maius unterschied59. la Corona de Aragón (1283–1289), in: Album Elemér Mályusz (wie Anm. 47) 125–170; Donald J. Kagay, Rebellion on Trial: The Aragonese Unión and its Uneasy Connection to Royal Law, 1265–1301, in: ders., War, Government, and Society in the Medieval Crown of Aragon (Collected Studies series CS 861, Aldershot 2007) VI 31f. (erstmals 1997); Odilo Engels, Königtum und Stände in Spanien während des späten Mittelalters, in: Das spätmittelalterliche Königtum im europäischen Vergleich, hg. von Reinhard Schneider (VuF 32, Sigmaringen 1987) 81–121, hier 87f. 56   Edition mit deutscher Übersetzung bei Näf, Herrschaftsverträge des Spätmittelalters (wie Anm. 47) 45–66; ferner Ria van Bragt, De Blijde Inkomst van de hertogen van Brabant Johanna en Wenceslas (3 Jan. 1356). Een inleidende studie en tekstuitgave (Standen en landen 13, Leuven 1956); Heinz Finger, Der „fröhliche Einzug“ (Blijde Inkomst, Joyeuse Entrée) als Grundlage der Brabanter Verfassung, in: Landes- und Reichsgeschichte. Festschrift für Hansgeorg Molitor zum 65. Geburtstag, hg. von Jörg Engelbrecht–Stephan Laux (Studien zur Regionalgeschichte 18, Bielefeld 2004) 23–40; Raymond Van Uytven, De rechtsgeldigheid van de Brabantse Blijde Inkomst van 3 januari 1356. Tijdschrift voor geschiedenis 82 (1969) 39–48. 57   Einen Überblick bietet Werner Maleczek, Art. Privilegium maius. Privilegium minus. LMA 7 (1995) 230f.; es ist darauf hinzuweisen, dass bereits Philipp Wilhelm von Hörnigk 1688 hinsichtlich der ihm zugänglichen zwei Textversionen der Urkunde Friedrichs I. von einem „breiteren Privileg“ spricht, „worinnen die ertheilte privilegia etwas breiter verfasset“ seien; hier verwendet nach der Zweitauflage: Philipp Wilhelm von Hörnigk, Historische Anzeige von denen Privilegiis des Hochlöblichen Ertzhauses Oesterreich ... (Regensburg 2 1708) 55, 51. Lhotsky, Privilegium maius (wie Anm. 38) 9, geht davon aus, dass es sich um das erstmalige Erwähnen eines „größeren Privilegs“ handelt; streng genommen ist freilich nicht von einem „größeren“, sondern von einem „breiteren“ Privileg die Rede. 58   Vgl. Wilhelm Wattenbach, Die österreichischen Freiheitsbriefe. Prüfung ihrer Echtheit und Forschungen über ihre Entstehung. AÖG 8 (1852) 77–119, hier bes. 83: „Dieses ist also das eigentliche Privilegium majus, so benannt zur Unterscheidung von dem Privilegium minus, einer Urkunde von demselben Datum, welche dem neuen Herzoge viel geringere Vorrechte verleiht.“ 59   Vgl. schon die Hinweise bei Karl Friedrich Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 2. Theil (Göttingen 41835) 131 Anm. i (mit den Hinweisen auf die Arbeiten von Joseph von Hormayr aus 1831 und 1832), sowie die Hinweise auf die Historiographie von Joseph Berchtold, Die Landeshoheit Oesterreichs nach den echten und unechten Freiheitsbriefen (Wien 1862) 18f. (ebd. 16 auch die bezeichnende Aussage über die Einführung der Unterscheidung zwischen einem „privilegium minus“ und einem „privilegium maius“); ferner schon Johann Friedrich Böhmer, Regesta Imperii inde ab anno MCXCVIII usque ad annum MCCLIV.



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Dieses Phänomen der Prägung eines Eigennamens erst durch die Geschichtswissenschaft ist übrigens nicht auf die soeben angeführten Urkunden beschränkt. Auch die „Georgenberger Handfeste“ erhielt ihren Namen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wobei hier die wegweisende Arbeit von Arnold Luschin von Ebengreuth über die steirischen Landhandfesten ausschlaggebend gewesen zu sein scheint. Mit einer solchen Benennung wurde der Aspekt der „iura et libertates“ der steirischen Ministerialen besonders betont60 (zuvor ist in der Historiographie regelmäßig vom „Georgenberger Vertrag“ oder schlicht von der „Georgenberger Urkunde“ die Rede)61. Der Schweizer Bundesbrief wiederum wurde schon einige Zeit nach seiner Entdeckung durch Johann Heinrich Gleser 1760 mit Blick auf seinen wesentlichen Inhalt als solcher bezeichnet62. Bezeichnend ist schließlich die Herausbildung der Bezeichnung „Großer Tiroler Freiheitsbrief “ für das Diplom Markgraf Ludwigs von Brandenburg von 1342. Mit dem Begriff des „Freiheitsbriefes“ wird nur allgemein der Charakter als einer unter mehreren „iura et libertates“ des Landes Tirol umschrieben63. Im 19. Jahrhundert wird allmählich die Spezifizierung durch Hinzusetzen des Ausstellers immer mehr durch jene der (vermeintlichen) Empfänger der Urkunde verdrängt, mithin aus dem „Freiheitsbrief Ludwigs des Brandenburgers“ der „Tiroler Freiheitsbrief“64. Schließlich glaubte man irrigerweise in der Salutatio der Urkunde einen ersten Beleg für eine voll ausgeformte landständische Verfassung (einschließlich der Vertretung der ländlichen Gerichte) zu sehen65. Nachdem schon im 19. Jahrhundert vereinzelt das epitheton ornans „groß“ hinzugesetzt worden war 66, bürgerte sich die Bezeichnung „Großer Tiroler Freiheitsbrief “ im Anschluss an die Forschungen von Otto Stolz ein67. Hiermit wurde ganz bewusst ein Konnex zur Magna Carta geschlagen, die inhaltlichen Bestimmungen in Beziehung zum englischen „Pendant“ gesetzt: Aus dem Die Regesten des Kaiserreichs unter Philipp, Otto IV, Friedrich II, Heinrich (VII) und Conrad IV. 1198–1254 (Stuttgart 1849) 199 Nr. 1086: „Dieses privilegium ist eine verunächtung des vorhergehenden (Minus), welche gleich einigen andern Urkunden unter herzog Rudolf IV. von Oestreich im jahr 1358 oder 1359 (weshalb es denn auch keine älteren abschriften gibt) entstanden ist: in der äusseren form täuschend, in der sprache auffallend, im inhalt täppisch.“ Nachdrücklich zur näheren, schließlich von Wattenbach geleisteten Untersuchung forderte (ebenfalls unter Differenzierung eines „privilegium minus“ und „privilegium maius“) auf: Joseph Chmel, Eine Hypothese, in: SB der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, phil.- hist. Cl. 5 (Wien 1850) 806–816. 60   Vgl. die Bezeichnung bei Arnold Luschin von Ebengreuth, Die steirischen Landhandfesten. Ein kritischer Beitrag zur Geschichte des ständischen Lebens in Steiermark. Beiträge zur Kunde steiermärkischer Geschichtsquellen 9 (1872) 119–207, zur Georgenberger Handfeste ebd. 125–130 (die Verhandlungen auf dem Georgenberg führten schließlich zu der am 17. August 1186 ausgestellten „Georgenberger Handfeste, dem ersten Freiheitsbriefe der Steiermark“). 61   Franz Xaver Krones, Umrisse des Geschichtslebens der deutsch-österreichischen Ländergruppe in seinen staatlichen Grundlagen vom X. bis XVI. Jahrhunderte. Ein Versuch (Innsbruck 1863) 346 und 424. 62   Vgl. die Darlegung der Historiographiegeschichte bei Kreis, Mythos von 1291 (wie Anm. 43) 61–64; siehe z. B. Gerhard Philipp Heinrich Norrmann, Geographisch-statistische Darstellung des Schweizerlandes mit beständiger Rücksicht auf physikalische Beschaffenheit, Produkte, Industrie, Handlung und Staatswirthschaft (Hamburg 1796) 1078. 63  Vgl. z. B. Alfons Huber, Geschichte der Vereinigung Tirols mit Oesterreich und der vorbereitenden Ereignisse (Innsbruck 1864) 38; Emil Werunsky, Geschichte Kaiser Karls IV. und seiner Zeit 1: 1316–1346 (Innsbruck 1880) 293. 64   Albert Jäger, Geschichte der landständischen Verfassung Tirols 2/1 (Innsbruck 1882) 38. 65   Köfler, Landtag (wie Anm. 44) 39f. 66  So z. B. bei Johann Jakob Staffler, Das deutsche Tirol und Vorarlberg topographisch mit geschichtlichen Bemerkungen 1 (Innsbruck 1847) 625. 67   Otto Stolz, Die Landstandschaft der Bauern in Tirol. HVjS 28 (1933) 699–736, hier 725–728, bes. 726.

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Tiroler Freiheitsbrief wurde die „Magna carta libertatum“ Tirols68, aus dem Land selbst „die älteste Festlanddemokratie Europas“69. 2. Die Magna Carta als Referenzpunkt Damit steht der Tiroler Freiheitsbrief von 1342 nicht allein: Tatsächlich dient die Magna Carta gleichsam regelmäßig als Bezugspunkt, um die Bedeutung anderer mittelalterlicher Urkunden hervorzuheben. In hohem Maße bemühen sowohl die Historiographie als auch der öffentliche politische Diskurs den Rekurs auf die Magna Carta zur inhaltlichen Beschreibung und Wertung einer ganzen Reihe von mittelalterlichen Urkunden: Die Goldene Bulle Andreas’ II. wird als „Magna Carta Ungarns“ tituliert70 und regelmäßig mit der sieben Jahre älteren englischen Urkunde in einem Atemzug genannt respektive verglichen71. Bei manchen der Diplome unseres Untersuchungscorpus ist dabei das tertium comparationis für den wiederholten Vergleich mit der englischen Magna Carta von 1215 – der nicht auf die Geschichtswissenschaft beschränkt ist, sondern sich ebenso in der (aktuellen) Staatsrechtslehre ausmachen lässt – in inhaltlichen Gemeinsamkeiten bzw. Affinitäten zu sehen72. Mit Ausnahme des Schweizer Bundesbriefes von 1291 sind sie alle 68  Vgl. Otto Stolz, Die alte Tiroler Landesverfassung – ein Erbstück bodenständiger Demokratie. Tiroler Heimat 2 (1922) 39–53, hier 43f.; ders., Die Magna Charta des Landes Tirol, in: Tirol. Natur, Kunst, Volk, Leben 2/2 (Innsbruck 1929) 8–17; ders., Die älteste Verfassungsurkunde der Tiroler Landschaft. Tiroler Heimatblätter 15 (1937) 98–102. 69  Vgl. nur die Hinweise bei Rudolf Palme, Die Identität der Länder aus der Geschichte der Landtage, in: Die Länderparlamente als Ausdruck der Identität der Länder, hg. von Peter Pernthaler–Helmut Schreiner (Institut für Föderalismus. Schriftenreihe 77, Wien 2000) 29–46, hier 39; ferner bei Sebastian Hölzl, Der Freiheitsbrief von 1342, in: Klischees im Tiroler Geschichtsbewußtsein. Symposium anläßlich des zehnjährigen Bestehens des Tiroler Geschichtsvereines 8.–10. Oktober 1992, hg. von Rudolf Palme (Innsbruck 1996) 17–37, hier 34. 70  So z. B. Otto Hintze, Weltgeschichtliche Bedingungen der Repräsentativverfassung, in: Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte. Mit einer Einleitung von Fritz Hartung, hg. von Gerhard Oestreich (Göttingen 21962) 140–185, hier 181; ebenso schon Anton Schütte, Ungarn und der Ungarische Unabhängigkeitskrieg nach den besten Quellen und zahlreichen Mittheilungen ungarischer Notabilitäten dargestellt 1 (Dresden 1850) 128 („Charta magna der Ungarn“); zurückhaltender hingegen Ákos von Timon, Ungarische Verfassungs- und Rechtsgeschichte. Mit Bezug auf die Rechtsentwicklung der westlichen Staaten. Nach der 2., vermehrten Auflage übersetzt von Dr. Felix Schiller (Berlin 1904) 316 (die Goldene Bulle von 1222 sei „ein Verfassungsgrundgesetz, und kann daher füglich mit der englischen Magna Charta von 1215 verglichen werden, obwohl zwischen beiden mehrfache wesentliche Unterschiede bestehen“.). 71  Vgl. Elemér Hantos, The Magna Carta of the English and the Hungarian Constitution. A Comparative View of the Law and Institutions of the Early Middle Ages (London 1904); vgl. hierzu auch János M. Bak, Probleme einer vergleichenden Betrachtung mittelalterlicher Eliten in Ostmitteleuropa, in: Das europäische Mittelalter im Spannungsbogen des Vergleichs. Zwanzig internationale Beiträge zu Praxis, Problemen und Perspektiven der historischen Komparatistik, hg. von Michael Borgolte–Ralf Lusiardi (Das europäische Mittelalter 1, Berlin 2001) 49–64, hier 50f.; Anikó Kovács-Bertrand, Der ungarische Revisionismus nach dem Ersten Weltkrieg. Der publizistische Kampf gegen den Vertrag von Trianon (1918–1931) (Südosteuropäische Arbeiten 99, München 1997) 21. 72   Vgl. nur für zahlreiche andere Michael Borgolte, Die Goldene Bulle als europäisches Grundgesetz, in: Die Goldene Bulle 2 (wie Anm. 45) 599–618, hier 611–615; Bernd Marquardt, Universalgeschichte des Staates. Von der vorstaatlichen Gesellschaft zum Staat der Industriegesellschaft (Der Europäische Sonderweg 3, Berlin–Wien 2009) 152f.; Karl Spreitzhofer, Georgenberger Handfeste. Entstehung und Folgen der ersten Verfassungsurkunde der Steiermark (Styriaca N. R. 3, Graz–Wien–Köln 1986) 108; Rudolf Hiestand, Magna Carta und Goldene Bulle, in: Isti moderni: Erneuerungskonzepte und Erneuerungskonflikte in Mittelalter und



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mit dem im 16. Jahrhundert geprägten Terminus der „leges fundamentales“ zu charakterisieren73. Diese Fundamental- oder Grundgesetze – im Rahmen der Reichsverfassung die „leges fundamentales imperii“, als welche die Goldene Bulle zu Beginn des 17. Jahrhunderts erstmals bezeichnet wird74 – konstituieren gemeinsam die rechtliche Grundordnung eines geographischen Raums. Als gesamteuropäisches Phänomen stellen sie den Versuch bindender fürstlicher Machtbeschränkung und ständischer Rechtesicherung dar. Soweit Stände respektive deren Vorläufer die Empfänger waren, waren sie auch als ständische „iura et libertates“ zu klassifizieren75. Die pro-ständische Ausrichtung der Staatslehre interpretierte die „iura et libertates“ dabei nicht als unter gewissen Voraussetzungen einseitig revozierbare Privilegien, sondern als Herrschaftsverträge, die ohne den Konsens beider am Zustandekommen beteiligten Parteien – Fürst und Stände – nicht geändert oder aufgehoben werden könnten (daraus erklärt sich beispielsweise der schon von der frühneuzeitlichen Staatsrechtslehre geprägte Terminus „Tübinger Vertrag“ für die Urkunde Herzog Ulrichs von Württemberg für die dortigen Landstände)76. Diese inhaltliche Affinität zur Magna Carta erstreckt sich nicht auf den Schweizer Bundesbrief von 1291. Dieser wird in jüngster Zeit – so er nicht ohnehin als (mögliche) Fälschung klassifiziert wird77 – stark in den Kontext von Landfriedensbünden eingebetRenaissance, hg. von Christoph Kann (Studia humaniora 32, Düsseldorf 2009) 117–152; Winfried Eberhard, Monarchie und Widerstand. Zur ständischen Oppositionsbildung im Herrschaftssystem Ferdinands I. von Böhmen (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 54, München 1985) 65; Kersten Krüger, Die Landständische Verfassung (Enzyklopädie deutscher Geschichte 67, München 2003) 1f.; Thomas Fleiner–Lidija R. Fleiner, Allgemeine Staatslehre. Über die konstitutionelle Demokratie in einer multikulturellen globalisierten Welt (Berlin et al. 2004) 137f.; Ellen Bos, Verfassungsgebung und Systemwechsel. Die Institutionalisierung von Demokratie im postsozialistischen Osteuropa (Wiesbaden 2004) 213; zum Privileg für Aragón von 1283 vgl. auch schon Danvila y Collado, Las Libertades de Aragón (wie Anm. 55) 138. 73   Zum Begriff der leges fundamentales vgl. insbesondere Heinz Mohnhaupt, Von den „leges fundamentales“ zur modernen Verfassung in Europa. Zum begriffs- und dogmengeschichtlichen Befund (16.–18. Jahrhundert). Ius Commune 25 (1998) 121–159 (Nachdr. in: ders., Historische Vergleichung im Bereich von Staat und Recht. Gesammelte Aufsätze [Ius commune. Sonderh. 134, Frankfurt a. M. 2000] 35–72); ders.–Dieter Grimm, Verfassung. Zur Geschichte des Begriffs von der Antike bis zur Gegenwart. Zwei Studien (Schriften zur Verfassungsgeschichte 47, Berlin 1995) 62–66; Heinz Mohnhaupt, Potestas legislatoria und Gesetzesbegriff im Ancien Régime. Ius Commune 4 (1972) 188–239, hier 195f. (Nachdr. in: ders., Historische Vergleichung im Bereich von Staat und Recht. Gesammelte Aufsätze [Ius commune. Sonderh. 134, Frankfurt a. M. 2000] 221–273). 74   Obwohl der Kreis der „Reichsgrundgesetze“ in der frühneuzeitlichen Reichspublizistik durchaus unterschiedlich weit gefasst wurde, zählten die verschiedenen Autoren die Goldene Bulle jedenfalls stets dazu, vgl. nur Gerd Kleinheyer, Die kaiserlichen Wahlkapitulationen. Geschichte, Wesen und Funktion (Studien und Quellen zur Geschichte des deutschen Verfassungsrechts A/1, Karlsruhe 1968) 123f.; Peters, Späte Reichspublizistik und Frühkonstitutionalismus (wie Anm. 31) 37. 75   Hierzu z. B. André Holenstein, Die Huldigung der Untertanen. Rechtskultur und Herrschaftsordnung (800–1800) (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 36, Stuttgart 1991) 344–347; Mohnhaupt– Grimm, Verfassung (wie Anm. 73) 62–66; Gerhard Oestreich, Vom Herrschaftsvertrag zur Verfassungsurkunde. Die „Regierungsformen“ des 17. Jahrhunderts als konstitutionelle Instrumente, in: Herrschaftsverträge, Wahlkapitulationen, Fundamentalgesetze, hg. von Rudolf Vierhaus (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 56, Göttingen 1977) 45–67, hier 46–50; Fritz Hartung, Herrschaftsverträge und ständischer Dualismus in deutschen Territorien. Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte 10 (1952) 162–177; Mohnhaupt, „leges fundamentales“ (wie Anm. 73). 76   Gegen die ständische Position ausgerichtet demgegenüber Johann Adam von Ickstatt–Johann Jacob Moser, Rettung der Landeshoheit gegen den Mißbrauch der Capitulationen, Landesverträge und Reversalien (Frankfurt a. M. 1764) 75. 77   Vgl. Roger Sablonier, Der Bundesbrief von 1291: eine Fälschung? Perspektiven einer ungewohnten Diskussion. Mitteilungen des historischen Vereins des Kantons Schwyz 85 (1993) 13–25 (Nachdr. in: Die Entste-

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tet78. Diese gänzlich andere inhaltliche Ausrichtung hinderte die Forschung (und übrigens auch den politischen Diskurs) nicht daran, diese seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert als Gründungsdokument der Eidgenossenschaft angesehene Urkunde fallweise als Schweizer „Magna Carta“ zu feiern79. 3. Weitere Gemeinsamkeiten Abgesehen vom Schweizer Bundesbrief resultiert aus dem inhaltlichen Charakter der hier behandelten Urkunden als ständische „iura et libertates“ ihre regelmäßige Bestätigung durch den Herrscher anlässlich des Regierungsantritts80. Dementsprechend finden sich ganze Konfirmationsreihen, die bis in das 18. Jahrhundert reichen. Anlässlich der Erbhuldigung wurden die „Rechte und Freiheiten“ entweder summarisch oder mittels Textinserts konfirmiert. Ob es dabei zu einem Insert kam, das den Wortlaut der ursprünglichen Urkunde wiederholte, oder ob eine Urkunde nur summarisch konfirmiert wurde, indem der Fürst ganz allgemein die Einhaltung früher erteilter Rechte und Freiheiten zusagte, war dabei maßgeblich von der Verhandlungsposition und -stärke abhängig. Während so der „Große Tiroler Freiheitsbrief “ durchgängig in den habsburgischen Privilegienkonfirmationen der „iura et libertates“ der Tiroler Stände enthalten ist, gelang Letzteren trotz wiederholten Drängens nie die Aufnahme des Volltextes des Landlibells in die Konfirmationsurkunden81. Je nach Machtkonstellation konnte es anlässlich von Privilegienkonfirmation zudem zu Eingriffen in den Textbestand der bestätigten Urkunde bzw. zum Einfügen von Ergänzungen kommen82, wie dies beispielsweise bei der Joyeuse Entrée von 1356 der Fall war. Sie wurde letztmalig 1792 konfirmiert; die letzten inhaltlichen Modifikationen hatte es anlässlich der Thronbesteigung Philipps II. im Herzogtum Brabant 1549 gegeben83. Auch der Text der englischen Magna Carta war zumindest anlässlich der ersten Neuausfertigungen bzw. Konfirmationen bis zum Jahr 1237 noch nicht endgülhung der Schweiz. Vom Bundesbrief zur nationalen Geschichtskultur des 20. Jahrhunderts, hg. von Josef Wiget [Schwyz 1999] 127–146); nunmehr zusammenfassend auch ders., Gründungszeit ohne Eidgenossen. Politik und Gesellschaft in der Innerschweiz um 1300 (Baden 2008) bes. 170–178. 78  Vgl. Bernhard Stettler, Art. Bundesbriefe. Historisches Lexikon der Schweiz 3 (2004) 4–6, hier 5; André Holenstein, Art. Landfrieden. Historisches Lexikon der Schweiz 7 (2008) 589–591, hier 590. 79   Vgl. nur den Hinweis auf das Jahr 1890 bei Kreis, Mythos von 1291 (wie Anm. 43) 69, sowie bei Marc Sieber, Johann Heinrich Gleser (1734–1773) und die Wiederentdeckung des Bundesbriefes von 1291. Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 91 (1991) 107–128, hier 107; Oliver Zimmer, A Contested Nation: History, Memory and Nationalism in Switzerland 1761–1891 (Cambridge u. a. 2003) 210; ferner Alessandro Daguet, Le vere origini della Confederazione Svizzera. L’educatore della Svizzera italiana 30 (1888) 189–191, hier 190: „Quest’atto per sempre memorabile, la nostra Magna Charta“; vgl. nunmehr auch die Homepage der International Bundesbrief Society auf http://www.bundesbrief.org/history.html [12. Dezember 2010]: „The Bundesbrief is often compared to the English Magna Carta“. 80  Vgl. allgemein Holenstein, Huldigung (wie Anm. 75) 348–350. 81  Martin P. Schennach, Tiroler Landesverteidigung 1600–1650. Landmiliz und Söldnertum (SchlernSchriften 323, Innsbruck 2003) 146–148; ders., Gesetz und Herrschaft (wie Anm. 41) 107. 82   Vgl. auch Sergij Vilfan, Chartes de Styrie, Carinthie, Carniole, in: Album Elemér Mályusz (wie Anm. 47) 201–207, hier 205f.; Otto Stolz, Die Bestätigung der alten Tiroler Landesfreiheiten durch die Landesfürsten, in: Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde Tirols. Festschrift zu Ehren Hermann Wopfners 1 (SchlernSchriften 52, Innsbruck 1952) 317–327. 83  Vgl. Émile Lousse, La Joyeuse Entrée brabançonne du 3 janvier 1356. Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte 10 (1952) 139–162, hier 159f.: „Elle [la Joyeuse Entrée] fut modifiée après chaque règne ... jusques et y compris l’avènement de Philippe II“.



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tig fixiert84. Die Goldene Bulle wiederum, die als Festschreibung kurfürstlicher „iura et libertates“ interpretiert werden konnte, wurde im Unterschied zu den bisher genannten Beispielen nicht gesondert konfirmiert; vielmehr wurde ihre Einhaltung ab 1519 in den Wahlkapitulationen der römisch-deutschen Könige zugesagt85. Zudem eint die hier näher behandelten Urkunden (mit Ausnahme der Magna Carta), dass ihre Rezeptions- und Wirkungsgeschichte lange Zeit nicht im Fokus der Forschung stand, sondern erst in den letzten Jahrzehnten, partiell erst in den letzten Jahren intensiver betrieben wurde. Die Rezeptionsgeschichte mittelalterlicher Urkunden stellte und stellt nämlich fast durchgehend kein eingehend beackertes Forschungsfeld dar, und entsprechend groß sind die partiell noch auszumachenden Lücken. Nur allzu häufig ist zu konstatieren, dass die Jahrhunderte der Rezeption – sieht man allenfalls von der Historio­ graphiegeschichte ab – nur in wenigen Sätzen skizziert wurden. Bei den österreichischen Freiheitsbriefen beschäftigte sich erstmals Alphons Lhotsky mit ihrer Behandlung durch das frühneuzeitliche Staatsrecht86; die intensive Diskussion der Goldenen Bulle durch die Reichspublizistik wurde nach ersten Vorarbeiten durch Michael Stolleis, Barbara Dölemeyer, Michael Matthäus und Hiram Kümper erst aus Anlass des 650-Jahr-Jubiläums von Arno Buschmann eingehender behandelt87. Teilweise fand man entsprechend verfälschte Aussagen: Bis vor einigen Jahren wurde so durchgehend (und unzutreffenderweise) behauptet, dass das Landlibell von 1511 in Tirol bis zum Ende der Habsburgermonarchie in Geltung gestanden hätte88. Diese randständige Rolle der Rezeptionsforschung ist wohl zumindest partiell wissenschaftsorganisatorisch bedingt: Mediävisten fühlen sich nicht mehr zuständig, für andere historische Disziplinen schien es vorderhand kein besonders ansprechendes Thema zu sein. Es ist wohl bezeichnend, dass die Beschäftigung mit der Rezeption der Goldenen 84   Vgl. die bezeichnende Aussage bei Jolliffe, Magna Carta (wie Anm. 52) bes. 99: Anlässlich der Neufassungen der Magna Carta von 1216, 1217 und 1225 „the text was still fluid, and, by addition, omission and re-wording, responsive to the changing spirit of the times. It was then a living document“. 85   Vgl. Hiram Kümper, Zwischen „kaiserlichem Recht-Buch“ und „Reichsgrundgesetz“. Beiträge zur Wirkungs- und Literaturgeschichte der Goldenen Bulle Karls IV. zwischen 1356 und 1806. Wolfenbütteler Beiträge 14 (2006) 155–191, hier 162; Günther Lottes, Zwischen Herrschaftsvertrag und Verfassungsnotariat. Die Wahlkapitulationen der deutschen Kaiser und Könige, in: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, hg. von Paul-Joachim Heinig et al. (Historische Forschungen 67, Berlin 2000) 133–148, hier 136 und 144; Kleinheyer, Wahlkapitulationen (wie Anm. 74) 64–66; Peters, Späte Reichspublizistik und Frühkonstitutionalismus (wie Anm.  31) 37. Zu den spätmittelalterlichen Abschriften der Goldenen Bulle siehe Marie-Luise Heckmann, Zeitnahe Wahrnehmung und internationale Ausstrahlung. Die Goldene Bulle Karls IV. im ausgehenden Mittelalter mit einem Ausblick auf die frühe Neuzeit (mit einem Anhang: Nach Überlieferungszusammenhang geordnete Abschriften der Goldenen Bulle), in: Die Goldene Bulle 2 (wie Anm. 45) 933–1042. 86   Lhotsky, Privilegium maius (wie Anm. 38) 47–61. 87  Vgl. Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts 1 (wie Anm. 33) 129f.; Barbara Dölemeyer, Reichsrecht, politische Propaganda und Festbeschreibung in den Wahl- und Krönungsdiarien, in: Die Kaisermacher. Frankfurt am Main und die Goldene Bulle. 1356–1806. Aufsätze, hg. von Evelyn Brockhoff– Michael Matthäus (Frankfurt a. M. 2006) 140–151; Michael Matthäus, „Reichsgrundgesetz“ oder nur „ein nichtsnützig Stück Pergament“? Die Rezeption der Frankfurter Goldenen Bulle in Wissenschaft und Literatur, in: ebd. 170–196; Buschmann, Rezeption (wie Anm. 45); vgl. demgegenüber die überaus kurze Abhandlung der Rezeptionsgeschichte der Goldenen Bulle bei Karl Zeumer, Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. 1 (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit 2, Weimar 1908) 230. 88  Martin P. Schennach, Zur Rezeptionsgeschichte des Tiroler Landlibells von 1511, in: Tirol – Österreich – Italien. Festschrift für Josef Riedmann zum 65. Geburtstag, hg. von Klaus Brandstätter–Julia Hörmann (Schlern-Schriften 330, Innsbruck 2005) 577–592.

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Bulle zu einem erheblichen Teil von Rechtshistorikern geleistet wurde. Erst in den letzten Jahren könnte sich hier eventuell eine gewisse Trendumkehr ankündigen. Es mehren sich Anzeichen, dass die Rezeption mittelalterlicher Urkunden im Rahmen von Forschungsströmungen zur „politischen Kommunikation“ stärker Berücksichtigung findet, wobei Urkunden neuerdings in Anlehnung an die Diktion von Aleida Assmann sogar als „lieux de mémoire“ angesehen werden89.

V. Staatsrechtslehre und Politische Kommunikation 1. Die Magna Carta Im ausgehenden 14. und 15. Jahrhundert spielte die Magna Carta im politischen Diskurs insgesamt nur eine untergeordnete Rolle, ohne dass sie gänzlich aus dem Bewusstsein entschwand90. Jedoch wurde sie bzw. wurden einzelne ihrer Bestimmungen nur vergleichsweise selten expressis verbis thematisiert, sei es durch das nunmehr voll ausgebildete Parlament, sei es durch einzelne Adelige, die insbesondere auf eine Prozessführung und Aburteilung durch ihre Peers bestanden91. An dieser noch keineswegs hervorstechenden Rolle der Magna Carta änderte sich auch im 16. Jahrhundert noch nichts Grundlegendes, wenngleich erste Drucke den Urkundentext einem breiteren Lesepublikum zugänglich machten (z. B. die Volltextwiedergabe durch Richard Pynson 1508) und noch im 16. Jahrhundert erste Übersetzungen ins Englische herausgegeben wurden92. Zudem blieb die Magna Carta auch den Common law-Juristen durchaus vertraut, wurde fallweise in Prozessen angesprochen und scheint auch in frühen Fallsammlungen des 16. Jahrhunderts – wenn auch selten – auf 93. Dies änderte sich grundlegend im 17. Jahrhundert, als die Magna Carta zu einem zentralen Dokument in der Auseinandersetzung zwischen dem Parlament und dem englischen Königtum wurde94. Dabei kam der Interpretation von Sir Edward Coke95 eine Schlüsselstellung zu, die dieser in seinen erst postum 1642 publizierten „Institutes of English Law“ geliefert hatte96. Coke, bis 1616 Generalstaatsanwalt Englands, aufgrund politischer Missliebigkeit von James I. abgesetzt und bald ein Führer der Opposition des House of Commons gegen James I. und Charles I., betonte nachdrücklich die „rule of law“ auch gegenüber dem absolutistisch auftretenden König. 89   Vgl. Astrid von Schlachta, Die „Verfassung des Landes“. Ein Erinnerungsort in der politischen Kommunikation in Tirol, in: Abschied vom Freiheitskampf. Tirol und „1809“ zwischen politischer Realität und Verklärung, hg. von Brigitte Mazohl–Bernhard Mertelseder (Schlern-Schriften 346, Innsbruck 2009) 129–151. 90   Vgl. auch McKechnie, Magna Carta (wie Anm. 21) 179; Holt, Magna Carta (wie Anm. 23) 9f.; ausführlich Faith Thompson, Magna Carta. Its Role in the Making of the English Constitution 1300–1629 (Minneapolis 1948) 9–136. Einen gelungenen Kurzüberblick über die Wirkungsgeschichte der Magna Carta in der Neuzeit bietet nunmehr Nicholas Vincent, Magna Carta. A Very Short Introduction (Oxford 2012), die wegen des Manuskriptabschlusses im Jahr 2011 nicht mehr eingearbeitet werden konnte. 91   Vgl. die Überblicksdarstellung bei Turner, Magna Carta (wie Anm. 11) 117–134; Hindley, Magna Carta (wie Anm. 6) 267f. 92  Vgl. Turner, Magna Carta (wie Anm. 11) 139f. 93  Vgl. ebd. 141f. 94  Ausführlich hierzu ebd. 145–171. 95  Zu Edward Coke nunmehr Allen D. Boyer, Sir Edward Coke and the Elizabethan Age (Stanford 2003). 96   Hierzu ausführlich Thompson, Role (wie Anm. 90) 354–374.



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So lehnte er bezeichnenderweise die These Jean Bodins, wonach der Wille des Herrschers ausschließlicher Geltungsgrund der Gesetze sei, mit dem Verweis auf die Unvereinbarkeit mit der Magna Carta ab97. Die (im Übrigen nicht umfangreiche) Auslegung der Magna Carta durch Coke ging dabei glossenartig vor98: Nachdem zunächst jeder Artikel in seiner lateinischen Fassung und mit daneben gestellter englischer Übersetzung präsentiert wird, folgt die Auslegung jedes einzelnen Wortes bzw. jeder Wortgruppe des Artikels vor dem Hintergrund des English common law, das zur Konkretisierung herangezogen wird99. Seine rechtshistorische Herangehensweise war „applied, politicized history“100. An dieser Stelle sei nur ein Beispiel angeführt101: Wenn gemäß Art. 29 jeder „homo liber“ nur gemäß den „leges terrae“ inhaftiert und verurteilt werden darf, lassen sich aus dem English common law präzise die rechtlichen Anforderungen an den Verfahrensablauf extrahieren, wobei Coke intensiv Präjudizfälle zur Untermauerung seiner Argumentation heranzieht. Begünstigter der Bestimmungen der Magna Carta ist nach Cokes Darstellung nicht eine kleine privilegierte Schicht, sondern der Englishman des 17. Jahrhunderts. Aus dem „commune consilium“ wurde so bei Edward Coke das Parlament des 17. Jahrhunderts, dem konsequenterweise das Steuerbewilligungsrecht zugesprochen wurde102. Klar zeigt sich in der Arbeitsweise Cokes die Prägung durch das dem Grundsatz des „stare decisis“ verpflichteten englischen Common law: Bei der Analyse einer mittelalterlichen Urkunde fragt er nicht nach dem konkreten Bedeutungsgehalt einer normativen Bestimmung zum Zeitpunkt seiner Entstehung, sondern hat die gesamte Auslegungspraxis vergangener Jahrhunderte im Auge und fragt nach der Nutzbarmachung für eigene Zielsetzungen, in concreto im Falle Cokes für die Frontstellung gegenüber den absolutistischen Ambitionen von James I. und Charles I. Wesentlich musste es aus dieser Perspektive auch erscheinen, die in der Magna Carta schriftlich fixierten Freiheiten nicht als Rechte zu sehen, die von einem Monarchen gnädig gewährt wurden, sondern vielmehr als die seit unvordenklichen Zeiten tradierten Rechte jedes Engländers, die schon lange vor 1215 bestanden103. 97   Vgl. John Hearsey MacMillan Salmon, The French Religious Wars in English Political Thought (Oxford 1959) 62; ferner Enrico Pattaro, The Law and the Right. A Reappraisal of the Reality that Ought to Be (A Treatise of Legal Philosophy and General Jurisprudence 1, Dordrecht 2005) 46. 98  Vgl. zum Folgenden Coke, Institutes (wie Anm. 53) 1–78; zu Aufbau und Arbeitsweise auch Thompson, Role (wie Anm. 90) 356–359; John Greville Agard Pocock, The Ancient Constitution and the Feudal Law. A Study of English Historical Thought in the Seventeenth Century. A Reissue with a Retrospect (Cambridge et al. 1987, Nachdr. 1990) 45. Zur Bedeutung historischer respektive rechtshistorischer Argumentation im 17. Jahrhundert vgl. auch Kevin Shape, Remapping Early Modern England. The Culture of SeventeenthCentury Politics (Cambridge 2000) bes. 314f. 99  Zum Problem des Verhältnisses der Magna Carta im Speziellen respektive des statute law im Allgemeinen zum English common law vgl. Glenn Burgess, Absolute Monarchy and the Stuart Constitution (New Haven–London 1996) 176f. 100   Boyer, Edward Coke (wie Anm. 95) 152; vgl. auch Hindley, Magna Carta (wie Anm. 6) 283f. (ebd. 284: „creative antiquarian research“); ganz ähnlich die Bewertung durch McKechnie, Magna Carta (wie Anm. 21) 179: „its method is in reality uncritical and unhistorical“. Zu Cokes rechtshistorischer Arbeitsweise siehe auch Conklin, In Defence of Fundamental Rights (wie Anm. 14) 13–27; Pocock, The Ancient Constitution (wie Anm. 98) 38–41. 101  Hierzu Coke, Institutes (wie Anm. 53) 45–56; siehe auch McKechnie, Magna Carta (wie Anm. 21) 178f.; weitere Beispiele bei Thompson, Role (wie Anm. 90) 360–362. 102  Vgl. auch Eike Wolgast, Die Geschichte der Menschen- und Bürgerrechte (Stuttgart 2009) 21f. 103   Vgl. hierzu auch Bill Shuter, The Tradition of Rereading, in: Second Thoughts. A Focus on Rereading, hg. von David Galef (Detroit 1998) 75–112, hier 80; Maurice Percey Ashley, Magna Carta in the Seventeeth Century (Charlottesville 1965) 30f.; Pocock, The Ancient Constitution (wie Anm. 98) 42–46; ähnlich auch das Bestreben bei William Blackstone: besonders aussagekräftig diesbezüglich Blackstone, Commentaries

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Die Bedeutung von Edward Coke für die Entstehung des „Mythos“ der Magna Carta ist gar nicht zu unterschätzen; er entwarf im Wesentlichen die klassisch gewordene und bis in das 19. Jahrhundert unbestritten dominierende Lesart der Magna Carta als herausragender Verbriefung englischer Freiheitsrechte, die im politischen Diskurs immer wieder aktualisiert werden konnte104. Coke bereitete den Boden für enthusiastische Würdigungen der Magna Carta als „the fountaine of all the fundamentall lawes of the realm“, als „the Bible of the English Constitution“, als „sacred Convenant“, als „the edifice of the con­ stitution“ oder als „the Palladium of English liberty”105. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte William McKechnie bei seiner grundlegenden Analyse der Magna Carta dementsprechend mit Blick auf die ständig neue Interpretation der Magna Carta in Anlehnung an die jeweils aktuellen Anforderungen konstatieren: „There is scarcely one great principle of the modern English constitution [...] which has not been read by commentators into Magna Carta“106. Dementsprechend beruft sich die von Edward Coke maßgeblich geprägte, 1628 Charles I. vom Parlament unterbreitete „Petition of Right“ bei der Thematisierung des dem Parlaments zustehenden Besteuerungsrechts und beim Schutz des Individuums vor willkürlicher Verhaftung ausdrücklich auf die Magna Carta107. Der Konnex mit der Magna Carta zeigt sich bereits anhand des Titels eines Gesetzesentwurfs, der schon 1621 im Unterhaus eingebracht worden war: „Bill for the better Securing of the Subjects from wrongful Imprisonment, and Deprivation of Trades and Occupations, contrary to the 39th Chapter of Magna Carta“108. 1679 folgte der Habeas Corpus-Act, der neuerlich die persönliche Freiheit absichern sollte und einen Rechtsschutz bei gesetzwidriger Verhaftung enthielt109; schließlich enthielt auch die Bill of Rights von 1689 neben Gewährleistungen der Rechte des Parlaments gegenüber dem Monarchen eine Verbürgung der persönlichen Freiheit des Individuums. Beide werden heute im Rahmen einer Geschichte der Freiheitsrechte des Individuums gegenüber dem Staat in einem engen Zusammenon the Laws of England 1 (Oxford 151809) 127 (unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Coke) und 133 sowie ebd. 3 (Oxford 151809) 350. 104  Vgl. die prägnante Würdigung in dieser Richtung durch Herbert Butterfield, Magna Carta in the Historiography of the Sixteenth and Seventeenth Centuries (Reading 1969) 13. Er beschreibt die Auslegung der Magna Carta durch Coke als die Konstruktion eines „skyscraper built out of ... anachronisms.“ Ähnlich Shuter, Tradition (wie Anm. 103) 79. 105   Vgl. Anne Pallister, Magna Carta. The Heritage of Liberty (Oxford 1971) 10, 52, 56, 96; Shuter, Tradition (wie Anm. 103) 79; James Clarke Holt, Magna Carta and the Origins of Statute Law, in: ders., Magna Carta and Medieval Government (History series 38, London–Ronceverte 1985) 289–307, hier 289. 106  McKechnie, Magna Carta (wie Anm. 21) 119. 107  Vgl. z. B. William Searle Holdsworth, A History of English Law 9 (London 1926, Nachdr. 1966) 115; Turner, Magna Carta (wie Anm. 11) 158f.; Pocock, The Ancient Constitution (wie Anm. 98) 289f.; Hindley, Magna Carta (wie Anm. 6) 282; zum Zusammenhang mit der Magna Carta ausführlich Thompson, Role (wie Anm. 90) 335–350; Ashley, Magna Carta (wie Anm. 103) 25f.; Shuter, Tradition (wie Anm.103) 80f.; die Petition of Right ist in einer Vielzahl von Drucken leicht greifbar, vgl. nur David Wootton, Divine Right and Democracy: An Anthology of Political Writing in Stuart England (Harmondsworth–New York 1986, Nachdr. Indianapolis 2003) 168–170. 108   Wolgast, Geschichte der Menschen- und Bürgerrechte (wie Anm. 102) 22; Turner, Magna Carta (wie Anm. 11) 152; vgl. auch Hindley, Magna Carta (wie Anm. 6) 280f. 109  Hierzu nunmehr ausführlich mit weiterführenden Literaturangaben Paul D. Halliday, Habeas Corpus: From England to Empire (London 2010) bes. 237–258; ferner Eric M. Freedman, Habeas Corpus. Rethinking the Great Writ of Liberty (New York–London 2003); William F. Duker, A Constitutional History of Habeas Corpus (Westport 1980); zum Zusammenhang mit der Magna Carta kurz Ashley, Magna Carta (wie Anm. 103) 47.



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hang mit der Magna Carta gesehen, indem sie die diesbezüglichen Bestimmungen der Magna Carta näher ausführen110. Eine solche Interpretation und die Herstellung eines derartigen Deutungszusammenhangs sind dabei nicht neu, lobte doch schon William Blackstone 1765 die Habeas-Corpus-Akte als „second magna carta and stable bulwark of our liberties“111. Der Kampf um die parliament’s soverainty war Ende des 17. Jahrhunderts zugunsten des Parlaments entschieden, und dementsprechend änderte sich tendenziell die Stoßrichtung bei der Auslegung der Magna Carta, die namentlich nicht mehr nur als Waffe gegen ein Königtum mit absolutistischen Tendenzen gesehen wurde, sondern ebenso als Schutz des Einzelnen vor dem Zugriff durch das Parlament. Dies zeigen besonders deutlich die zwischen 1765 und 1769 erschienenen „Commentaries on the Laws of England“ von William Blackstone, der im Übrigen ein entschiedener Bewunderer der Arbeiten von Edward Coke war112. Das Common law als Resultat einer jahrhundertelangen Entwicklung betrachtend113, gleichzeitig rechtsvergleichend vorgehend, bemüht er sich um das Extrahieren von rechtlichen Grundprinzipien. Drei Individualrechte gegenüber dem Staat werden dabei in den „Commentaries“ wesentlich in der Magna Carta verankert: Diese Urkunde würde ihr Epitheton ornans „great“ nämlich allein schon deshalb zurecht führen, weil sie schütze „every individual of the nation in the free enjoyment of his life, his personal liberty, and his property, unless declared to be forfeited by the judgement of his peers, or the law of the land“114. Die Magna Carta dient nicht mehr „nur“ der Absicherung der Stellung von Parlament und Einzelnem gegenüber dem König und königlicher Willkür, sondern maßgeblich der Bewahrung individueller Freiräume gegenüber dem Staat. Hier bleibt ein Punkt prekär: Ausgehend von der parliament’s soverainty und dem Recht des Parlaments zur Erlassung jedes inhaltlich beliebig ausgestalteten Gesetzgebungsaktes – wie lassen sich dann die Rechte des Individuums auch gegenüber dem Parlament schützen? Schließlich mochte die Magna Carta ein erhöhtes Ansehen genießen und war schon seit dem 17. Jahrhundert mit einer mythischen Aura umgeben, doch stellte sie kein höherrangiges Recht dar und genoss im Vergleich zu anderem Recht keine erhöhte Bestandsfestigkeit gegenüber Eingriffen durch das Parlament. Diesen Zwiespalt – rechtliche Festschreibung von grundlegenden Prinzipien einerseits, keine erhöhte Bestandfestigkeit gegenüber Eingriffen durch das Parlament mittels einfachen Gesetzesbeschlusses andererseits – vermag auch Blackstone nicht zu lösen, sondern betont nur seine Zuversicht, dass das Parlament nie die in der Magna Carta festgeschriebenen Individualrechte verletzen 110   Vgl. z. B. Turner, Magna Carta (wie Anm. 11) 162f. und 167f.; Hindley, Magna Carta (wie Anm. 6) XXI und 285; Daniel John Meador, Habeas Corpus and Magna Carta. Dualism of Power and Liberty (Charlottesville 1966). 111   Hier zitiert nach Blackstone, Commentaries 1 (wie Anm. 103) 137; ähnlich ebd. 3 (Oxford 151809) 135 („the famous habeas corpus act [ ... ] which is frequently considered as another magna carta of the kingdom“). 112   Vgl. Bernhard H. Siegan, Property Rights. From Magna Carta to the Fourteenth Amendment (New Brunswick 2001) 30. 113   Vgl. auch Michael Zwanzger, „Fraught with the accumulated wisdom of ages“. William Blackstone und die klassische Common Law Theorie, in: Die zeitliche Dimension des Rechts. Historische Rechtsforschung und geschichtliche Rechtswissenschaft, hg. von Louis Pahlow (Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft N. F. 112, Paderborn 2005) 172–197, hier 177f. und 180f.; Daniel J. boorstin, The Mysterious Science of the Law. An Essay on Blackstone’s Commentaries. With a New Foreword (Cambridge/Mass. 1941, Nachdr. Chicago 1996) 34–42. 114   Blackstone, Commentaries 4 (wie Anm. 103, Oxford 151809) 423.

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würde115. Aus der Sicht der Diplomatik erwarb sich Blackstone besondere Verdienste, indem er erstmals eine Edition sowohl der Magna Carta von 1215 als auch der inhaltlich abweichenden Konfirmation durch Heinrich III. von 1225 veranstaltete. Zwar waren die beiden Urkunden schon zuvor bekannt gewesen, und bereits im 17. Jahrhundert hatte John Selden die beiden Versionen miteinander verglichen, doch lieferte erstmals Blackstone eine zuverlässige, anhand der Originale veranstaltete Edition beider Urkunden116. Die Einflüsse der Magna Carta auf die Verfassungsentwicklung der Vereinigten Staaten von Amerika und anderer ehemaliger englischer Kolonien wiederum wurden bereits einleitend thematisiert117. Die bei Blackstone dominierende, maßgeblich von der staatsrechtlichen und historiographischen Tradition des 17. Jahrhunderts geprägte Lesart der Magna Carta als herausragender Meilenstein der englischen Verfassungsentwicklung auf dem Weg zur Durchsetzung individueller Grundrechte spielte auch nach der Etablierung einer professionalisierten Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert noch immer eine bestimmende Rolle und prägte beispielsweise das für Jahrzehnte dominierende Werk zur englischen Verfassungsgeschichte von William Stubbs118. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Stimmen laut, die vor einer anachronistischen Überbewertung der Magna Carta zum Zeitpunkt ihrer Ausfertigung warnten, den seit dem 17. Jahrhundert dominierenden Interpretationsstrang hinterfragten und den „feudalen“, auf Erhalt der Rechte der Barone ausgerichteten Charakter der Magna Carta unterstrichen119. Die Bedeutung der Magna Carta sowohl im politischen und öffentlichen als auch im historiographischen Diskurs blieb von der 1828 einsetzenden und sich bis in die Nachkriegszeit hinziehenden formellen Derogation von Bestimmungen der „Great Charter“ weitgehend unberührt120. Auf die Staatsrechtslehre hatte dieser Prozess freilich Auswirkungen, indem die Magna Carta ihren bis dahin unbestrittenen Charakter als einer der zentralen Bezugspunkte der englischen Verfassungsentwicklung121 sukzessive einbüßte122. In rezenten Darstellungen des englischen Verfassungsrechts wird die Magna Carta nur mehr ephemär erwähnt, teils nur in einem

115  Vgl. auch Blackstone, Commentaries 1 (wie Anm. 103) 89f.; siehe auch (einschließlich der vorausgegangenen Diskussionen über mögliche Grenzen der gesetzgebenden Gewalt des Parlaments) Turner, Magna Carta (wie Anm. 11) 173–178; kurz John H. Baker, An Introduction to English Legal History (London 31990) 242. 116   Vgl. Blackstone, Great Charter (wie Anm. 24). Hierzu auch McKechnie, Magna Carta (wie Anm. 21) 176; Turner, Magna Carta (wie Anm. 11) 173; Ashley, Magna Carta (wie Anm. 103) 5f. 117  Zusammenfassend auch Hindley, Magna Carta (wie Anm. 6) XXf., 287–296. 118  Vgl. nur William Stubbs, The Constitutional History of England in its Origins and Development 2 (London 41929); zur Bedeutung der Arbeit Stubbs’ für die Entwicklung der englischen Geschichtsschreibung im Allgemeinen und der Verfassungsgeschichte im Speziellen siehe Michael Bentley, Modernizing England’s Past: English Historiography in the Age of Modernism 1870–1970 (Cambridge 2006) 23–32. 119  Zusammenfassend Jolliffe, Magna Carta (wie Anm. 52) 101f.; vgl. hierzu Kap. VI. 3. 120  Vgl. Turner, Magna Carta (wie Anm. 11) 188–190. 121   Vgl. beispielhaft nur Francis Stoughton Sullivan, Lectures on the Constitution and Laws of England. With a Commentary on Magna Charta and Illustrations of Many of the English Statutes (London 21776). 122  Vgl. Walter Bagehot, The English Constitution (London 1867) 309; Albert Venn Dicey, Introduction to the Study of the Law of the Constitution (London 61902, Nachdr. 2005) 202f. und 362f.; Emlyn Capel Stewart–George Godfrey Phillips, Constitutional Law. An Outline of the Law and Practice of the Constitution ... (London–New York–Toronto 31947) 4f. („The importance of ... the Magna Carta, 1215, and its numerous confirmations in later years lies not so much in the actual contents ... . It was the first attempt to express in legal terms some of the leading ideas of constitutional government.“).



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historischen Einleitungsteil123. Und dennoch hat die Magna Carta ihre rechtliche Relevanz noch nicht zur Gänze eingebüßt, indem noch immer drei Artikel als in Geltung stehend betrachtet werden124. 2. Die Goldene Bulle Im Vergleich zur heftig umfehdeten Magna Carta nehmen sich die politischen Auseinandersetzungen und der publizistische Streitaustrag über einzelne Rechtsfragen der Goldenen Bulle bescheiden aus; ihr wesentlicher Gehalt und ihre grundlegende Bedeutung waren trotz Differenzen im Einzelnen unstreitig und wurden in den Wahlkapitulationen immer wieder fortgeschrieben. Dies verhinderte nicht, dass einzelne Fragen bei der Auslegung der Goldenen Bulle nicht auch im politischen Diskurs eine erhebliche Rolle spielen konnten und sich in einer entsprechend regen Publizistik niederschlugen. Besonders eindringlich zeigt sich dies anhand der Streitigkeiten nach dem Tod des lutherischen Kurfürsten Ludwig VI. von der Pfalz 1582, als die Frage nach der Person des Vormunds für den Kurprinzen nicht zuletzt für die konfessionelle Zukunft der Kurpfalz maßgeblich erschien. Der Streit entbrannte an der Interpretation des siebten Titels der Goldenen Bulle, wonach die Vormundschaft über einen unmündigen Kurprinzen den nächsten Verwandten zustehe. Die vom verstorbenen Kurfürsten testamentarisch eingesetzten lutherischen Mitvormünder erhoben beim Reichskammergericht Klage gegen den calvinistischen Onkel des Kurprinzen, Johann Casimir, der die mit der Kurwürde verbundenen Rechte wahrnahm, die Regierungsgewalt ausübte, jedoch mit Verweis auf das alte Herkommen der Kurpfalz eine Mitvormundschaft ablehnte125. Die Differenzen schlugen sich auch in juristischen, sehr parteiischen Publikationen nieder126. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatte sich überdies der Streit zwischen der bayerischen und pfälzischen Linie der Wittelsbacher über die Zuordnung der Kurwürde und über ihre Interpretation als ein Personal- oder ein Territorialrecht in der regen Publikation staatsrechtlicher Streitschriften niedergeschlagen127, wobei insbesondere der kurpfälzische Rat Marquard Freher und der Archivar des bayerischen Herzogs Maximilians I., Christoph Gewold, publizistisch die Klingen kreuzten128. Dieser maßgeblich mit staatsrechtlichen Argumenten 123  Für andere Hilaire Barnett, Constitutional and Administrative Law (London 42002) 28: „While of little legal importance today – for much of the original Magna Carta has been repealed – the document has symbolic value as an early assupmtion of the limits of monarchial power and the rights of individuals“; Anthony King, The British Constitution (Oxford 2007) 6; Anthony Wilfred Bradley–Keith D. Ewing, Constitutional and Administrative Law (London 142007) 13; vgl. auch die allgemeinen Betrachtungen von Turner, Magna Carta (wie Anm. 11) 203–205. 124   Vgl. ebd. 190. 125   Vgl. Andrew L. Thomas, A House Divided. Wittelsbach Confessional Court Cultures in the Holy Roman Empire, c. 1550–1650 (Studies in Medieval and Reformation Traditions 150, Leiden–Boston 2010) 39–41; Pauline Puppel, Die Regentin. Vormundschaftliche Herrschaft in Hessen 1500–1700 (Geschichte und Geschlechter 43, Frankfurt a. M. 2004) 99; Volker Press, Calvinismus und Territorialstaat. Regierung und Zentralbehörden der Kurpfalz 1559–1619 (Kieler Historische Studien 7, Stuttgart 1970) 324f. 126   Hinweise bei Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts 1 (wie Anm. 33) 129f. 127   Zum zugrunde liegenden Problem Friedrich Hermann Schubert, Die deutschen Reichstage in der Staatslehre der Frühen Neuzeit (Schriftenreihe der historischen Kommission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften 7, Göttingen 1966) 251; ausführlich Klaus Neumaier, Ius publicum. Studien zur barocken Rechtsgelehrsamkeit an der Universität Ingolstadt (Ludovico Maximilianea. Forschungen 6, Berlin 1974) 161–178. 128   Siehe auch Brigitte Schwan, Das juristische Schaffen Marquard Frehers (1565–1614) (Veröffentli-

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ausgetragene Streit flammte zu Beginn der vierziger Jahre des 17. Jahrhunderts nochmals auf 129. Auch der Mitte des 17. Jahrhunderts erstmals ventilierte und 1656/57 durchgesetzte bayerische Anspruch auf das pfälzische Vikariat wurde von einer staatsrechtlichen Gutachtertätigkeit konzertierend begleitet130. Zu Recht weist freilich Michael Stolleis darauf hin, dass diese ersten Vorarbeiten zu Kommentierungen der Goldenen Bulle letztlich nur „politisierte Gutachten“131 waren, wobei die Autoren schon aufgrund ihrer jeweiligen Ämter als fürstlicher Rat (Freher) respektive als Archivar (Gewold) klar den beiden Streitparteien zuzuordnen waren. Auch die politisch umstrittene Erhöhung der Zahl der Kurfürstenwürden auf acht (1648) und neun (1692) oder die Frage nach der Möglichkeit einer Wahl zum römischdeutschen König vivente imperatore wurde von der Staatsrechtslehre begleitend kommentiert und auf ihre Vereinbarkeit mit dem Textbestand der Goldenen Bulle hinterfragt132. Dasselbe gilt für die 1708 erfolgte „Readmission“ des Königs von Böhmen, der seit 1519 nicht mehr an Reichstagen teilgenommen hatte, wodurch das nunmehr den ersten Rang unter den weltlichen Kurfürsten bekleidende Haus Habsburg einen erheblichen Prestigegewinn verbuchte133. Doch waren bei weitem nicht alle staatsrechtlichen Erläuterungen der Goldenen Bulle von den politischen Auseinandersetzungen ihrer Entstehungszeit geprägt. Zudem lassen sich anhand ausgewählter, prominenter und wirkmächtiger Autoren die methodischen Entwicklungsstränge bei der juristischen Behandlung der Goldenen Bulle nachverfolgen. Während das um 1460 entstandene, aber erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts gedruckte Werk des Peter von Andlau Libellus de caesarea monarchia134 zur Erläuterung der Artikel der Goldenen Bulle nahezu ausschließlich auf die gelehrten Rechte rekurriert135, chung der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Speyer 74, Speyer 1984) 53–59; Benz, Katholische Geschichtsschreibung (wie Anm. 32) 495–497; nur kurz Press, Calvinismus und Territorialstaat (wie Anm. 125) 465. 129  Dieter Albrecht, Maximilian I. von Bayern 1573–1651 (München–Wien 1998) 981; Neumaier, Ius publicum (wie Anm. 127) 174–178. 130  Vgl. Wolfgang Hermkes, Das Reichsvikariat in Deutschland. Reichsvikare nach dem Tod des Kaisers von der Goldenen Bulle bis zum Ende des Reiches (Studien und Quellen zur Geschichte des deutschen Verfassungsrechts, Reihe A 2, Karlsruhe 1968) 6, 12–15, 77–84, 100f.; Neumaier, Ius publicum (wie Anm. 127) 178–180. 131  Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts 1 (wie Anm. 33) 130. 132   Vgl. allgemein Karl Otmar von Aretin, Das Alte Reich 2: Kaisertradition und österreichische Großmachtpolitik (1684–1745) (Stuttgart 1997) 61–64; Kurzfassung bei Brigitte Mazohl, Zeitenwende 1806. Das Heilige Römische Reich und die Geburt des modernen Europa (Wien–Köln–Weimar 2005) 156; Axel Gotthart, Säulen des Reiches. Die Kurfürsten im frühneuzeitlichen Reichsverband 2: Wahlen. Der Kampf um die kurfürstliche „Präeminenz“ (Historische Studien 457/2, Husum 1999) 608–616; Bernd Roeck, Reichssystem und Reichsherkommen. Die Diskussion über die Staatlichkeit des Reiches in der politischen Publizistik des 17. und 18. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz. Abt. Universalgeschichte 112 = Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reichs 4, Stuttgart 1984) 132–137. 133  Zu den im 16. und 17. Jh. in diesem Zusammenhang erörterten Problemlagen vgl. auch Axel Gotthart, Säulen des Reiches. Die Kurfürsten im frühneuzeitlichen Reichsverband 1: Der Kurverein. Kurfürstentage und Reichspolitik (Historische Studien 457/1, Husum 1999) 467–475; zur böhmischen Kur nunmehr Alexander Begert, Böhmen, die böhmische Kur und das Reich vom Hochmittelalter bis zum Ende des alten Reiches.  Studien zur Kurwürde und staatsrechtlichen Stellung Böhmens (Historische Studien 475, Husum 2003). 134  Peter von Andlau, Kaiser und Reich. Libellus de Caesarea Monarchia. Lateinisch-deutsch, ed. Rainer A. Müller (Bibliothek des deutschen Staatsdenkens 8, Frankfurt a. M. u. a. 1998). 135  Ausführlich mit reichhaltigen Literaturhinweisen Buschmann, Rezeption (wie Anm. 45) 1074–1080; ferner Schubert, Reichstage (wie Anm. 127) 120–125.



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zeigte sich bereits in den 1617 erschienenen „Discursus academici ad auream bullam“ 136 eine deutliche Akzentverschiebung. Bei diesen handelt es sich um eine von Dominicus Arumae­us herausgegebene Zusammenstellung von Disputationen unterschiedlicher Autoren, die überwiegend von Schülern von Arumaeus stammen (wobei der konkrete Anteil Arumaeus’ an der inhaltlichen Ausrichtung unklar bleibt). Das römische und kanonische Recht werden im Rahmen der Darstellung, die die Inhalte der einzelnen Kapitel wiedergibt und die sich dabei ergebenden bzw. potenziell ergebenden Rechtsfragen erläutert, zwar nicht ganz ausgeblendet. Einen größeren Raum bekommen jedoch einheimische Rechtsquellen und das sich entwickelnde ius publicum romano-germanicum eingeräumt, indem beispielsweise Reichsabschiede oder Wahlkapitulationen wiedergegeben und zitiert werden, aber auch mittelalterliche Chroniken vereinzelt Berücksichtigung finden137. Diese Schwerpunktverschiebung setzte sich im 18. Jahrhundert nahtlos fort und führte zu einer dezidierten und ausschließlichen Interpretation der Goldene Bulle aus der Reichshistorie. Dies wird besonders in den Werken von Johann Peter von Ludewig „Vollständige Erläuterung der Goldenen Bulle“ (1716/1719) und von Nicolaus Hieronymus Gundling „Erläuterung der Goldenen Bulle“ (1744) ersichtlich138. Dies entspricht ganz der an den Universitäten Jena, Göttingen und Halle entwickelten Strömung einer streng positivrechtlichen und zur Interpretation abundant auf die Reichshistorie als Hilfsdisziplin rekurrierenden Ausprägung des deutschen Reichsstaatsrechts (in Abgrenzung zum naturrechtlich geprägten ius publicum universale)139. Nach Meinung der beiden Autoren müssen die gelehrten Rechte bei der Interpretation der Goldenen Bulle strikt beiseitegelassen werden, da eine solche in adäquater Form nur durch die Berücksichtigung der Reichshistorie und des geschichtlich entstandenen Reichsrechts und Reichsherkommens erreicht werden könne. Man müsse also die Motive des Gesetzgebers 1356 ergründen, Sinn und Zwecke der Bestimmungen zum Zeitpunkt des Entstehens in eine Analyse einbeziehen sowie gleichermaßen den zeitgenössischen Bedeutungsgehalt von Wörtern eruieren. 3. Die österreichischen Freiheitsbriefe Erstmals eine zentrale Rolle im politischen Diskurs spielten die österreichischen Freiheitsbriefe nicht im Verhältnis des Hauses Österreich zum Reich, sondern innerhalb des habsburgischen Herrschaftsbereichs, und zwar in concreto in der Auseinandersetzung Herzog Friedrichs IV. von Österreich mit den führenden Tiroler Adelsgeschlechtern140. 136  Dominicus Arumaeus, Discursus academici ad auream bullam Caroli quarti Romanorum Imperatoris (Jena 1617). 137   Abundant zu den „Discursus“ Buschmann, Rezeption (wie Anm. 45) 1080–1093; zu Arumaeus selbst vgl. nur Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts 1 (wie Anm. 33) 214f.; ders., Arumaeus, in: Juristen. Ein biographisches Lexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert (München 22001) 41f.; Rudolf Hoke, Art. Arumaeus, Dominicus. HRG 1 (22008) 316f. 138   Das Folgende kurz gefasst nach Buschmann, Rezeption (wie Anm. 45) 1093–1113. 139   Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts 1 (wie Anm. 33) 298–317; Rudolf Hoke, Prokaiserliche und antikaiserliche Reichspublizistik, in: Reichsständische Libertät und habsburgisches Kaisertum, hg. von Heinz Duchhardt–Matthias Schnettger (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. Universalgeschichte, Beih. 48, Mainz 1999) 121f. 140  Vgl. hierzu Klaus Brandstätter, Das Privilegium maius und Herzog Friedrich IV., in: Päpste, Privilegien, Provinzen. Beiträge zur Kirchen-, Rechts- und Landesgeschichte. Festschrift für Werner Maleczek zum 65. Geburtstag, hg. von Johannes Giessauf–Rainer Murauer–Martin P. Schennach (MIÖG Ergbd. 55,

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Hierbei ging es im Einzelnen um Fragen des Gerichtsstandes von landsässigen Adeligen im Streit mit dem Herzog, wobei der Adel zwar einen Urteilsspruch seiner pares akzeptieren wollte, aber einer Prozessführung vor einem Gericht aus herzoglichen Räten entschieden widersprach. Genau dies verlangte jedoch Friedrich IV. mit Hinweis auf die österreichischen Freiheitsbriefe. De facto ging es somit um die Frage des räumlichen Geltungsbereichs des Privilegs, ob sich dieser auf das Herzogtum Österreich beschränke oder das gesamte habsburgische Herrschaftsgebiet umfasse. Staatsrechtlich wurde dieser Punkt erst durch Karl V. endgültig geklärt, in dessen Konfirmationsurkunde der Geltungsbereich aller „privilegia austriaca“ ausdrücklich auf sämtliche gegenwärtige und zukünftige habsburgische Besitzungen ausgedehnt wurde141. Für das Verhältnis der österreichischen Länder zum Reich für Jahrhunderte maßgeblich wurden die Freiheitsbriefe erst mit der reichsrechtlichen Anerkennung unter Friedrich III. 1442 bzw. 1453142; ergänzend hierzu wurde anlässlich der Konfirmation durch Karl V. 1530 das Verbot der Bestreitung der Echtheit der österreichischen Freiheitsbriefe vor Gericht erlassen143. Allerdings hieß die grundsätzliche Außerstreitstellung der Geltung nicht, dass die österreichischen Freiheitsbriefe nicht auch später noch einen politischen und rechtlichen Streitgegenstand darstellen konnten. So postulierte das Hochstift Bamberg 1654 auf dem Reichstag, dass seine Kärntner Besitzungen nicht der Landeshoheit der habsburgischen Kärntner Herzöge unterworfen seien, somit im Streitfall in letzter Instanz das Reichskammergericht zuständig sei. Diese Behauptung wurde von habsburgischer Seite mit Hinweis auf die Freiheitsbriefe entschieden und erfolgreich zurückgewiesen144. Herausragende Bedeutung im politischen Diskurs erhielten die Freiheitsbriefe nochmals während des Ersten österreichischen Erbfolgekrieges, um einerseits die weibliche Erbfolge und die Unteilbarkeit der österreichischen Länder rechtlich abzusichern und andererseits die bayerischerseits ventilierten Ansprüche auf die habsburgischen Besitzungen abzuwehren 145. Dabei kam den österreichischen Freiheitsbriefen durch die Verbriefung der Erbfolge der Wien–München 2010) 47–60, hier 52f. und 59; Othmar Hageneder, Politik und Verfahrensgerechtigkeit in der spätmittelalterlichen Herrschaft zu Österreich, in: Geschichte und Recht. Festschrift für Gerald Stourzh zum 70. Geburtstag, hg. von Thomas Angerer–Brigitte Bader-Zaar–Margarete Grandner (Wien–Köln– Weimar 1999) 19–36 (jeweils mit weiteren Literaturhinweisen). 141  Vgl. Christian August Beck, Specimen iuris publici Austriaci ex ipsis legibus actisque publicis eruti ... (Wien 1750) 45f. 142   Vgl. Hödl, Bestätigung (wie Anm. 40); ferner Peter Moraw, Das „Privilegium maius“ und die Reichsverfassung, in: Fälschungen im Mittelalter 3 (wie Anm. 40) 201–224. 143  Vgl. Franz Ferdinand Schrötter, Erste Abhandlung aus dem österreichischen Staatsrechte: Von den Freyheitsbriefen des Durchläuchtigsten Erzhauses von Oesterreich, samt einer Einleitung in die österr. Geschichte und einem Anhange Beylagen (Wien 1762) 218–240; Hödl, Bestätigung (wie Anm. 40) 246. 144   Vgl. hierzu Lhotsky, Privilegium maius (wie Anm. 38) 5f.; dieser Fall wurde auch noch im 18. Jh. von der Staatsrechtslehre kommentiert, vgl. nur Gabriel Schweder, Commentatio juris publici de praeeminentiis, praerogativis, juribus ac privilegiis praecipuis serenissimae domus austriacae (Tübingen 1722) 55; Schrötter, Von den Freyheitsbriefen (wie Anm. 143) 58 Anm. a. 145   Vgl. Brigitte Mazohl–Thomas Wallnig, Kaiser(haus) – Staat – Vaterland? Zur „österreichischen Historiographie“ vor der „Nationalgeschichte“, in: Nationalgeschichte als Artefakt. Zum Paradigma „Nationalstaat“ in den Historiographien Deutschlands, Italiens und Österreichs (Zentraleuropa-Studien 12, Wien 2009) 43–72, hier 54 und 62f.; ebd. auch der Hinweis auf die gedruckte Zusammenstellung: Deduction des droits de la maison electorale de Baviere aux Royaumes de Hongrie et de Bohème, à l’Archiduché d’Autriche, et autres Etats dependans et la Reponse preallable de la Cour de Vienne 1–2 (La Haye 1743), bes. 1 28f. und vor allem 258–268 zum Privilegium (minus); vgl. auch schon zuvor die Deduction concernant les droits de succession et de substitution de la serenissime maison electorale de Baviere aux royaumes de Hongrie et de Boheme, ainsy qu’a l’Archiduché d’Autriche & Autres Etats en dépendants (München 1741) 14–17.



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weiblichen Nachkommen des österreichischen Herzogs im Fall des Fehlens männlicher Deszendenten eine zentrale Rolle zu146. Im Zuge dessen wurde wiederum eine Rechtsfrage aktuell, die bereits im 17. Jahrhundert thematisiert worden war: Erstreckt sich die Gültigkeit des 1156 von Friedrich I. für Heinrich Jasomirgott ausgestellten Diploms nur auf die Babenberger oder auch auf die nachfolgenden Habsburger? Diese Frage war bereits von Samuel Pufendorf aufgeworfen worden, als er in seinem 1667 unter dem Pseudonym Severinus de Monzambano publizierten Werk „De statu imperii Germanici“ auch das Haus Habsburg und dessen Stellung gegenüber dem Reich erwähnt hatte147. Nachdrücklich hebt er dabei die sehr unabhängige Stellung der österreichischen Länder gegenüber dem Reichsverband hervor, die faktisch nur hinsichtlich der ihnen günstigen Aspekte dem Reich zugehörten, nicht jedoch hinsichtlich der Lasten148. Ausführlich geht er dabei auf die österreichischen Freiheitsbriefe ein149, welche die Sonderstellung des Hauses Habsburg gegenüber dem Reich begründen würden, ja die – wären ihrer auch andere Herrscherhäuser teilhaftig – bald zur Auflösung des Reichs führen würden150. Die Pufendorf ’sche Conclusio fällt nicht nur aufgrund der Konsequenzen der Freiheitsbriefe für die Reichseinheit skeptisch aus, sondern überdies aus konkreten juristischen Überlegungen: Mit Hinweis auf die Staatsrechtler Georg Obrecht und Hippolytus a Lapide (d. i. Bogislaw von Chemnitz) wirft er nämlich die Frage auf, ob die Habsburger überhaupt die Begünstigungen des fridericianischen Diploms von 1156 für sich in Anspruch nehmen könnten, das schließlich nur dem Babenberger Heinrich Jasomirgott erteilt worden sei. Tendenziell verneint er sie, indem er die im Privileg festgelegten Rechte als Personal- und nicht als Territorialrechte interpretiert: Sie seien dem Herzogspaar Heinrich und Theodora und deren Nachkommen, nicht dem Lande Österreich verliehen worden. Von dieser Aussage hin zum mehrmals, nicht zuletzt von den Habsburgern fernstehenden Staatsrechtlern ventilierten Vorwurf, die Habsburger hätten sich in ihrer Eigenschaft als Reichsoberhaupt seit Friedrich III. selbst ihre Privilegien erteilt, ist es nur ein kleiner Schritt. Auf diese Vorwürfe reagierte der als Kameralist bekannt gewordene Jurist Philipp Wilhelm von Hörnigk in einer erstmals 1688 publizierten, jedoch noch im 18. Jahrhundert mehrmals neu aufgelegten Schrift151, wobei er sich nicht mit für das Zeitalter des schrift146  Vgl. die wesentliche Rechtsfeststellung auf Grundlage und in Auslegung des Privilegs von 1156, dessen Echtheit nicht erörtert wurde, in der Deduction des droits de la maison electorale de Baviere (wie Anm. 145) 267f.: „Il est donc évidemment décidé, il y a déja près de sept cens ans, tant par l’Empereur, que par tout l’Empire, que ce privilège a été accordé avec toutes les formalités requises à Henri Jasamergott [!] ... & par une suite naturelle, qu’en vertu de ce même Privilége [!] octroyé par un jugement solemnel, & en quelque sorte en compensation de la cession de la Bavière, la succession aux Etats d’Autriche doit revenir à la Fille aînée du dernier Duc, en cas d’extinction des Mâles“. 147   Im Folgenden wird eine von Johann Gottfried Schaunburg veranstaltete Ausgabe verwendet: Samuelis liberi baronis de Pufendorf, antea Severini de Monzambano, de statu Imperii Germanici liber unus (Leipzig 1734), hier 90–112. 148  Vgl. auch die Ausführungen zu Pufendorf bei Lhotsky, Privilegium maius (wie Anm. 38) 6f. 149   Pufendorf, De statu Imperii (wie Anm. 147) 100–107. 150   Ebd. 107. 151   Philipp Wilhelm von Hörnigk, Historische Anzeige von den eigentlichen Ursachen der Privilegierung des Hochlöblichisten Ertz-Hauses Oesterreich (o. O. 1688); im Folgenden verwendet wird die Zweitauf­ lage von 1708 (wie Anm. 57). Zur Behandlung der Freiheitsbriefe und insbesondere des Privilegs von 1156 durch Hörnigk siehe insbesondere schon Lhotsky, Privilegium maius (wie Anm. 38) 7f. und 60; bei der Neuauflage des Hörnigk’schen Hauptwerkes „Österreich über Alles, wann es nur will!“ 1753 wurde die „Historische Anzeige“ im Anhang nochmals publiziert.

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stellerischen Grobianismus typischen heftigen Ausfällen gegen Pufendorf zurückhält152. Dabei würdigt er die Vorgänge des Jahres 1156 nicht nur als Meisterstück geschickter Diplomatie. Darüber hinaus betont er besonders, dass es nicht Herrscher aus dem Haus Habsburg waren, welche die Privilegien verliehen hätten und weist auf die jahrhundertelange Reihe von Konfirmationsurkunden hin153. Dieses Argumentationsschema wird von in habsburgischen Diensten stehenden Juristen des 18. Jahrhunderts regelmäßig wiederholt154. Sichtliche Probleme bereitet Hörnigk hingegen eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Privilegien nur den Babenbergern zukämen oder als Territorialrechte anzusehen seien, in deren Genuss auch die Habsburger kämen. Hier versucht Hörnigk eine pro-habsburgische Interpretation, indem er zwischen den mit dem Lehen verbundenen Rechten und Pflichten einerseits und den am Land haftenden Rechten differenziert, wobei die Privilegierung Friedrichs I. natürlich zu letzteren zu zählen sei155. Dieser Standpunkt wurde ohne nähere juristische Begründung unter jenen Staatsrechtslehrern des 18. Jahrhunderts, die dem Haus Habsburg nahestanden, zur communis opinio156. Diese Sichtweise wies der von Hörnigk attackierte Pufendorf in einem Brief an Christian Thomasius als falsch zurück157. Die Causa der Privilegierung läge in der Rückgabe Bayerns durch Heinrich Jasomirgott, und mit dieser hätten die Habsburger nichts zu tun, zumal sie nicht einmal die Erben der Babenberger seien. Von einer publizistischen Reaktion sah Pufendorf jedoch bewusst ab158. Die Echtheit der Urkunden wird von der Staatsrechtslehre hingegen wenig kommentiert, zumindest soweit sie in einem Naheverhältnis zum Haus Habsburg steht. Bei Christian August von Beck wird dieser Aspekt in seinen 1750 erschienen „Specimina iuris publici Austriaci“ nicht einmal am Rande angesprochen159, ebenso wenig in der streng thematisch nach einzelnen Rechtsmaterien gegliederten Arbeit von Johann Heinrich Feltz von 1721160. Dabei war schon von Petrarca im Auftrag Karls IV., dem Rudolf IV. den in seinem Auftrag angefertigten Urkundenkomplex zur Bestätigung hatte vorlegen lassen, die stümperhafte Fälschung jedenfalls der als Inserte aufscheinenden Begünstigungen Österreichs durch Julius Cäsar und Kaiser Nero als solche enttarnt worden161. Hinsichtlich 152   Vgl. z. B. von Hörnigk, Historische Anzeige (wie Anm. 57) 48 („Hingegen aber eytert seine [Mon­ zambanos] vergalte Dinten all zu häßlich herfür“). 153  Lhotsky, Privilegium maius (wie Anm. 38) 8; vgl. auch Hörnigk, Historische Anzeige (wie Anm. 57) 31, 48 und 52–54. 154   Vgl. nur Anton-Wilhelm Gustermann, Versuch eines vollständigen österreichischen Staatsrechtes (Wien 1793) 125f.; Schrötter, Von den Freyheitsbriefen (wie Anm. 143) 63. 155  Hörnigk, Historische Anzeige (wie Anm. 57) 44. 156  Vgl. nur Schrötter, Von den Freyheitsbriefen (wie Anm. 143) 63. Das Privileg von 1156 habe Friedrich I. Barbarossa nicht nur den Babenbergern zugesprochen, sondern vielmehr „dem österreichischen Lande selbst ertheilet“. Vgl. auch Lhotsky, Privilegium maius (wie Anm. 38) 60. 157  Vgl. zum Folgenden die Edition des Briefes aus dem Jahr 1688 bei Samuel von Pufendorf, Gesammelte Werke 1: Briefwechsel, hg. von Detlef Döring (Berlin 1996) 198f. 158  Allenfalls könne man, so schreibt Pufendorf, generell einmal den Fall näher untersuchen, wenn ein Lehen, dessen früherer Besitzer „aus sonderbaren personal ursachen gewißer privilegia genoßen, ob eben solche privilegia den ienigen folgen müßen, der solches feudum nachgehends bekomt“, auch wenn die ursprünglichen Gründe für die Privilegierung nicht mehr greifen: Pufendorf, Briefwechsel (wie Anm. 157) 199. 159  Vgl. Beck, Specimen iuris publici Austriaci (wie Anm. 141), hier Caput II, 15–53 („De Praerogativis & Privilegiis Domus Austriae“). 160  Johann Heinrich Feltz, De Augustissimae Domus Austriacae iuribus, praerogativis illustrioribus intuitu praesertim nexus cum imperio romano-germanico tractatio academica (Straßburg 1721, Leipzig 21736). 161   Lhotsky, Privilegium maius (wie Anm. 38) 29–31; Eva Schlotheuber, Das Privilegium maius – eine



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dieser Urkunden wird das auch von österreichischen Juristen nicht in Abrede gestellt. So konstatiert Schrötter mit Verweis auf Petrarca unumwunden: „man kann leicht in Durchlesung dieser zwey Urkunden erkennen, daß sie falsch und aus einer weit jüngeren Feder geflossen sind“162. Die Bedeutung dieser Feststellung wird aber durchgehend stark relativiert bzw. bestritten, wobei die zugrunde gelegte Argumentation, soweit ersichtlich, erstmals um 1600 vom kaiserlichen Rat Reichart Strein von Schwarzenau formuliert wurde163: Zwar seien die inserierten Diplome offensichtlich unecht, doch folge hieraus nicht ihre rechtliche Ungültigkeit; schließlich seien sie von Heinrich IV. ausdrücklich bestätigt worden. Diese Deutung wurde in den folgenden beiden Jahrhunderten allenfalls nuanciert. So vertrat Schrötter die Theorie, Cäsar und Nero als heidnische Herrscher hätten einem christlichen Fürsten schließlich überhaupt keine Rechte erteilen können, weshalb sie Heinrich IV. gar nicht bestätigen konnte, „vielmehr vollkommen von neuen ertheilet“ habe164. Eine eigenwillige und vereinzelt gebliebene These ventilierte Friedrich Christian von Stein 1727 in seiner Dissertation: Die Einwände gegen die Urkunden Neros und Cäsars seien deshalb unerheblich, da man in dieser Zeit Urkunden vielleicht noch gar nicht gekannt habe und Österreich damals nur mündlich privilegiert worden sei; die Erinnerung hieran sei erhalten geblieben und später nachträglich durch die Ausfertigung zweier Urkunden legitimiert worden165. Auch die Echtheit des Diploms Heinrichs IV. (in welches die Privilegierungen durch Cäsar und Nero inseriert sind) wird teilweise bereits im 18. Jahrhundert erörtert. Von Stein tut die Einwände gegen das Heinricianum kurzerhand ab166: Das beschädigte, nur noch einen Wachsklumpen bildende Siegel sei rechtlich unerheblich, da mit einem argumentum a maiori ad minus darauf verwiesen wird, dass selbst ein fehlendes Siegel die Rechtskraft eines Privilegs grundsätzlich nicht berühre. Im Übrigen seien alle Überlegungen zur Echtheit des Heinricianum ohnehin überflüssig: Schließlich belege die Rechtspraxis der letztvergangenen Jahrhunderte, dass eine entsprechende Privilegierung in dieser Form stattgefunden haben müsse, da eine solche Praxis sonst gar nicht hätte entstehen können. Maßgeblich für die Diskussion über das Heinricianum wurden schließlich die Ausführungen Schrötters, an die sich Gustermann knapp drei Jahrzehnte später teilweise wörtlich anlehnt167. Schrötter erachtet das Heinricianum als „unstreitig ächt“168 und verweist auf einen persönlich am Original im Haus-, Hof- und Staatsarchiv vorgenommen Augenschein. Die dagegen vorgebrachten Einwände bezeichnet er als „Scheingründe“169, mit denen er sich dennoch auseinandersetzt. Hinsichtlich des Siegels argumentiert er ähnlich wie Stein; inhaltlich dürfe man seiner Einschätzung nach an eine so alte Urkunde keine modernen Maßstäbe anlegen. Dabei zieht er als Beihabsburgische Fälschung im Ringen um Rang und Einfluss, in: Die Geburt Österreichs. 850 Jahre Privilegium minus, hg. von Peter Schmid (Regensburger Kulturleben 4, Regensburg 2007) 43–165, hier 161f.; Baum, Rudolf IV. (wie Anm. 44) 83–85. 162  Schrötter, Von den Freyheitsbriefen (wie Anm. 143) 41. 163  Vgl. zum Folgenden Lhotsky, Privilegium maius (wie Anm. 38) 48–50. 164  Schrötter, Von den Freyheitsbriefen (wie Anm. 143) 46. 165   Praerogativas et praeeminentias augustissimae Domus Austriacae ... sub moderamine domini D. Iacobi Augusti Frankensteinii ... eruditorum benevolo examini sistet et defendet ... Fridericus Christianus Ludovicus a Stein (Leipzig 1727) 19. 166  Ebd. 20f. 167  Schrötter, Von den Freyheitsbriefen (wie Anm. 143) 49–53; Gustermann, Versuch (wie Anm. 154) 116–118. 168  Schrötter, Von den Freyheitsbriefen 49. 169   Ebd. 50.

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spiel den Passus der Urkunde heran, wonach die „in lingua paganorum“ geschriebenen Diplome Cäsars und Neros anlässlich ihrer Inserierung in das Lateinische übertragen worden seien: Schließlich habe man „zugleich zu bedenken, wie viele unrichtige und lächerliche Erzählungen, ja auch ungereimte Gesetze wir annoch von jenen Zeiten haben, in welchen die Wissenschaft der Geschichten, und die Kunst die ächten Urkunden von den unächten zu unterscheiden schier gänzlich verdunkelt war“170. Noch apodiktischer fällt die Erörterung der Echtheit der einhellig als das „wichtigste Privilegium des Erzherzogthums“171 angesehenen Urkunde Friedrichs I. von 1156 durch die österreichische Staatsrechtslehre aus, sofern diese Frage überhaupt angeschnitten wird172. Dieses Diplom sei nach Schrötter zweifellos echt, das (vermeintliche) Original im Archiv leide definitiv „keinen Mangel und Vorwurf“, was ja schon die nachfolgenden Konfirmationen und zuletzt das Vidimus durch den Erzbischof von Mainz aus dem Jahr 1664 belegen würden173. Alle „schwache[n] Einwürfe“ und „Scheingründe“ gegen die Echtheit resultierten aus gelehrtem „Neuerungsgeiste“ oder Neid174. Der Einwand, dass schon 1156 und somit 200 Jahre vor der Goldenen Bulle Kurfürsten genannt werden, wird beispielsweise geschickt damit pariert, dass sich schon in früheren Jahrhunderten ein Gremium von Königswählern herauskristallisiert habe und dieses erst durch Karl IV. fixiert worden sei175. Methodisch legen jene Autoren, die im 18. Jahrhundert die österreichischen Freiheitsbriefe behandeln, eine ähnliche Vorgangsweise wie jene Staatsrechtler an den Tag, die sich in diesem Zeitraum mit der Goldenen Bulle auseinandersetzen176. Auch hier wird somit das Recht aus der Historie erklärt, wobei sich diese Verbindung besonders eindrücklich anhand von Schrötters „Österreichischer Staatsgeschichte“ aus dem Jahr 1771 belegen lässt. Diese behandelt das Mittelalter bis 1156 und schließt mit einer umfassenden Erläuterung des Fridericianum, wobei jede Bestimmung des Privilegs einzeln wiedergegeben und anschließend interpretiert wird177. Bezeichnenderweise widmete Schrötter auch   Ebd. 53.   So Gustermann, Versuch (wie Anm. 154) 118; auf die prominente Stellung des Fridericianums unter den österreichischen leges fundamentales macht auch aufmerksam Joseph Freiherr von Lichtenstern, Staatsverfassung der Oesterreichischen Monarchie im Grundrisse (Wien 1791) 247: „Die Grundgesetze des österr. Staates sind vorzüglich der Fridericianische Freiheitsbrief, einige Bestättigungen desselben, dann Kaiser Rudolph [!] I. Hausordnung, Kaiser Karls V. Verträge und die pragmatische Sankzion Karls VI. Kaiser Friedrich I. hatte Marggrafen Heinrich von Oesterreich den ersten ganz unwiderlegbaren Freiheitsbrief zu Regensburg 1156. ertheilt.“ 172   Besonders prägnant Schrötter, Grundriß (wie Anm. 35) § 4: „Die Einwürfe, welche gegen die Richtigkeit dieser Urkunde in einigen Schriften vorkommen, sind von keiner Erheblichkeit“. 173  Schrötter, Von den Freyheitsbriefen (wie Anm. 143) 55–62. Den Verweis auf das Vidimus von 1664 als definitiven Beweis für die Echtheit der Urkunde führt auch an Gustermann, Versuch (wie Anm. 154) 119: Alles, was jetzt noch von einigen „brandenburgischen Publicisten“ an Zweifeln vorgebracht werde, sei „offenbare Chicane“. 174  Zitate nach Schrötter, Von den Freyheitsbriefen (wie Anm. 143) 57. 175  Vgl. auch schon Lhotsky, Privilegium maius (wie Anm. 38) 60. 176  Benz, Katholische Geschichtsschreibung (wie Anm. 32) 348–352, macht darauf aufmerksam, dass die historisch arbeitende Reichspublizistik vor allem von Protestanten getragen wurde: „Für die katholische Seite war ‚Reichshistorie‘ also tatsächlich eher Kaiser- ... oder Landesgeschichte“ (ebd. 351). Vom Ansatz und der methodischen Herangehensweise her, staatsrechtliche Verhältnisse – hier in concreto das durch die Freiheitsbriefe normierte Verhältnis der österreichischen Länder zum Reich – aus der Geschichte heraus zu erklären und zu interpretieren, zeigt sich jedoch gerade mit Blick auf die Freiheitsbriefe kein Unterschied. 177   Ferdinand von Schrötter, Versuch einer österreichischen Staats-Geschichte von dem Ursprunge ­Oesterreichs bis nach dessen Erhöhung in ein Herzogthum. Samt einer vollständigen Erläuterung des Oesterreichischen Freiyheits-Briefes vom Jahre 1156 (Wien 1771) 297–476. 170 171



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schon den ersten monographischen Band seiner „Abhandlungen aus dem österreichischen Staatsrechte“ prominent den österreichischen Freiheitsbriefen, nachdem sich Beck 1750 noch mit einer kurzen inhaltlichen Darstellung begnügt hatte. Schrötter führt die Urkunden des Fälschungskomplexes systematisch an. Sie werden neben den habsburgischen Hausverträgen, der Sanctio pragmatica und einigen Friedensschlüssen als „leges fundamentales“ und somit als wesentliche Quelle des Territorialstaatsrechts dargestellt178. Im Unterschied zur später entstandenen „Staatsgeschichte“ Schrötters findet sich ihre inhaltliche Erläuterung jedoch erst bei den thematisch einschlägigen Kapiteln. Dabei legt er im Rahmen seiner Interpretation wenig überraschend generell eine dezidiert prohabsburgische Argumentation an den Tag. Besonders gut lässt sich dies bei Schrötter wie bei anderen Autoren bei der Erörterung der Rechtsfrage ausmachen, ob die österreichischen Erzherzöge zur Publikation von Reichsgesetzen respektive zu deren Transformation in Territorialrecht verpflichtet seien179. Reichsrechtlich war dies eindeutig im bejahenden Sinn geregelt, sofern keine Subsidiaritäts- oder Vorbehaltsklauseln angefügt waren. Ganz anders der Tenor bei Schrötter unter Hinweis auf die Norm: „Preterea quidquid dux Austrie in terris suis seu districtibus suis fecerit vel statuerit, hoc imperator neque alia potencia modis seu viis quibuscumque non debet in aliud quoquo modo in posterum commutare“180. Hieraus resultiere nicht nur die unbeschränkte „potestas l­egislatoria“ der Erzherzöge; gleichzeitig sei festgestellt, „daß diesen ihren Satzungen und Landrechten durch die allgemeinen Kaiserlichen und Reichsverordnungen niemals ein Abbruch geschehen könne“181. Von einer Transformationsverpflichtung von Reichsrecht in Landesrecht will er nichts wissen (wobei anzufügen ist, dass die Gesetzgebungspraxis dessen ungeachtet der klaren reichsrechtlichen Lage ohnehin entsprach182). Der Grundtenor bei Feltz ähnelt dem Schrötter’schen: Selbst wenn ein österreichischer Erzherzog dem einem Reichsgesetz zugrunde liegenden Recessus Imperii zugestimmte habe, sei er nicht zur Umsetzung in territoriales Recht verpflichtet, da eine solche Zustimmung stets nur unter dem Vorbehalt der Weitergeltung der eigenen Privilegien geschehe183. 4. Die Joyeuse Entrée Schon die bisher behandelten Exempla belegen, dass die Thematisierung mittelalter­ licher Urkunden im frühneuzeitlichen politischen Diskurs oft mit der Zielsetzung erfolgte, eigene Forderungen oder Handlungsweisen rechtlich zu begründen respektive zu legitimieren. Diese Stoßrichtung, durch den Rekurs auf ein mittelalterliches Diplom dem eigenen Handeln Legitimation zu verschaffen und es rechtlich auf eine sichere Basis zu gründen, lässt sich bei der Thematisierung der brabantischen Joyeuse Entrée von 1356 besonders eindringlich nachvollziehen. Inhaltlich ist die Joyeuse Entrée als ein Freiheitsbrief der Brabanter Stände anzusprechen, der keine besonders herausragenden Auffälligkeiten aufweist: Das Herzogspaar Johanna und Wenzel bestätigte unter anderem sämt  Vgl. Schrötter, Grundriß (wie Anm. 35) § 1.   Franz Ferdinand von Schrötter, Vierte Abhandlung aus dem österreichischen Staatsrechte: Von den vorzüglichen Rechten, welche den Erzherzogen mit und neben der Landeshoheit gebühren (Wien 1765) 92–101. 180  Ebd. 92. 181  So Schrötter, Versuch einer österreichischen Staats-Geschichte (wie Anm. 177) 386. 182  Vgl. Schennach, Gesetz und Herrschaft (wie Anm. 41) 759–761. 183   Vgl. Feltz, De Augustissimae Domus Austriacae iuribus (wie Anm. 160) 40. 178 179

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liche von früheren Fürsten sowohl für das Land insgesamt als auch für einzelne Stände bzw. Korporationen ausgestellten Privilegien, sagte die Besetzung von Posten in der ­Administration ausschließlich mit Landeskindern zu, bestätigte die Unverletzlichkeit der Person und des Eigentums der Untertanen und garantierte gewisse prozessuale Rechte. Ferner dürfe ohne Konsens der Brabanter Stände kein Offensivkrieg geführt werden. Besondere Bedeutung sollte ab dem 16. Jahrhundert jenem Artikel der Joyeuse Entrée zukommen, in dem die Aussteller für den Fall eines Bruchs von in der Urkunde enthaltenen Zusagen durch sie selbst oder ihre Nachfolger die Stände von Brabant von allen Leistungen an den Fürsten sowie von ihrer Gehorsamspflicht entbanden (Artikel 59). Die meisten Bestimmungen lehnen sich an Vorläufer an, die in früheren Freiheitsbriefen enthalten waren und sind in einem gesamteuropäischen Vergleich weder singulär noch auch nur außergewöhnlich184. Was der Joyeuse Entrée Einzigartigkeit verleiht und ihre intensive Berücksichtigung nicht nur in der belgischen Historiographie begünstigte, ist ihre Rezeption in der Frühneuzeit unter teilweise spektakulären Rahmenbedingungen. Ständische „iura et libertates“ dienten in der politischen Kommunikation zwischen Ständen und Fürst üblicherweise der Abwehr fürstlicher Forderungen und Reformpläne, der Hinweis auf sie sollte die Rechts- und Machtpositionen der durch die Privilegien Begünstigten bewahren helfen. Eine derartige, durchaus frequente Instrumentalisierung eines ständischen Freiheitsbriefes stellte jedoch nie die Legitimation fürstlicher Herrschaft als solche in Frage; im Gegenteil, die Konfirmation der „Rechte und Freiheiten“ eines Landes im Rahmen der Erbhuldigung festigte diese Basis und betonte das von wechselseitigen Rechten und Pflichten geprägte Band zwischen Fürst und Ständen. Demgegenüber diente die Joyeuse Entrée sowohl im 16. als auch im 18. Jahrhundert der Rechtfertigung eines bewaffneten Aufstandes gegen den jeweiligen Landesfürsten. Das erste Mal spielte die Joyeuse Entrée während des niederländischen Aufstandes gegen Spanien (1566–1608) eine prominente Rolle185; und auch während der schließlich in der Unabhängigkeitserklärung der österreichischen Niederlande kulminierenden Unruhen in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts wurde die Joyeuse Entrée von den Aufständischen als eine wesentliche Legitimationsbasis angeführt. In beiden Fällen wurde die Urkunde aus dem 14. Jahrhundert für propagandistische Zwecke eingesetzt, indem man einerseits durch eine Untermauerung der eigenen Position möglichst viele Anhänger gewinnen bzw. mobilisieren wollte, andererseits auch in der sich im 16. Jahrhundert entwickelnden medialen europäischen Öffentlichkeit Rückhalt zu finden hoffte. Schon während der Insurrektion der spanischen Niederlande gegen König Philipp II. kam dem Widerstandsartikel der Joyeuse Entrée besondere Bedeutung zu, zumal Philipp II. selbst das Privileg vor seinem Einzug in Brüssel konfirmiert hatte 186. Aus dieser Bestimmung leiteten die aufständischen Provinzen ein Widerstandsrecht ab, das in zahlreichen Flugschriften und Traktaten thematisiert und ausgeführt wurde. Tatsächlich erwähnten bereits die frühesten gegen die spanische Herrschaft gerichteten Schriften die 184   So ausdrücklich Lousse, Joyeuse Entrée (wie Anm. 83) 162, mit Blick auf alle Brabanter Freiheitsbriefe (einschließlich der Vorläufer der Urkunde von 1356): „Les dispositions contenues dans sa charte de joyeuse entrée ... ne sont pas uniques, ni même exceptionelles“. 185  Allgemein zum Folgenden Herman de la Fontaine Verwey, De Blijde Inkomst en de Opstand tegen Filips II. Anciens pays et assemblées d’Etats 19 (1960) 95–120. 186  Pérez Zagorin, Rebels and Rulers 1500–1600. Society, States, and Early Modern Revolution. Agrarian and Urban Rebellions 1 (Cambridge 1982) 152; van Gelderen, Political Thought (wie Anm. 54) 111–114, 131–135.



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Joyeuse Entrée an prominenter Stelle. So wurde schon 1566 ins Treffen geführt, dass die durch Philipp II. erfolgte Einführung der Inquisition in den Niederlanden gegen die ­Joyeuse Entrée verstoße, da diese dem Klerus die Ausübung jeglicher Jurisdiktionsgewalt verbiete187. Ende der sechziger Jahre fokussierte sich die Argumentation immer mehr auf die Widerstandsklausel188. Dabei ist festzuhalten, dass nachweislich viele der Wortführer und Vordenker der Erhebung einen ausgeprägten juristischen Hintergrund hatten189. Es bestand jedoch ein Widerspruch zwischen der Instrumentalisierung der Urkunde zur Aufstandslegitimation und dem Inhalt des Privilegs: Schließlich war für den Fall der Missachtung der darin enthaltenen Artikel nur die zeitweilige Einstellung der Leistungen an den Herrscher und die ebenfalls nur temporäre Verweigerung des Gehorsams vorgesehen. Von einem Recht zu bewaffnetem Widerstand gegen den Fürsten oder gar von einer Absetzungsmöglichkeit ist keine Rede. Diese Problematik wurde durch die Konstruktion der Joyeuse Entrée als eines Vertrags und eine entsprechend ausgreifende Interpretation des Widerstandsartikels umgangen: Wenn die fürstliche Seite die ihr auferlegten Pflichten verletze, würden auch die Pflichten der Stände enden190. In dieser Auslegung verbinden sich positivrechtliche, an den Text der Joyeuse Entrée anknüpfende mit naturrechtlichen Argumentationssträngen, die in den siebziger Jahren unter calvinistischem Einfluss immer mehr in den Vordergrund traten191. Der räumliche Geltungsbereich – die Joyeuse Entrée galt schließlich nicht für Holland und Seeland – wurde unter anderem mit Hinweis auf die Person des Prinzen Wilhelm von Oranien, einen der Exponenten des Aufstandes und zugleich einen der am meisten begüterten Männer in Brabant, ausgedehnt192. In anderen Schriften wurde damit argumentiert, dass Brabant schließlich die „Hauptprovinz“ der Niederlande darstelle, sich die anderen Niederländer aber in nichts von den Brabantern unterschieden und daher auch der in der Joyeuse Entrée fixierten Rechte teilhaftig wären193. Teilweise wurde die (unzutreffende) Meinung ventiliert, dass der Geltungsbereich der Joyeuse Entrée durch das Große Privileg von 1477 auf die gesamten Niederlande ausgedehnt worden sei194. Ungeachtet der Versuche, der niederländischen Insurrektion durch juristische Argumentationen eine Legitimationsbasis zu verschaffen, wird man im 16. Jahrhundert noch 187  Hugues Daussy, L’insertion des vindiciae contra Tyrannos dans le combat politique aux pays-bas, in: Et de sa bouche sortait un glaive. Les monarchomaques au XVIe siècle. Actes de la Journée d’étude tenue à Tours en mai 2003, hg. von Paul Alexis Mellet (Genève 2006) 102–120, hier 103f.; Richard Saage, Herrschaft, Toleranz, Widerstand. Studien zur politischen Theorie der Niederländischen und der Englischen Revolution (Frankfurt a. M. 1981) 29–31; van Gelderen, Political Thought (wie Anm. 54) 110f. 188  Daussy, L’insertion (wie Anm. 187) 104; van Gelderen, Political Thought 118, 121, 138, 147, 162f., 264. 189   Ebd. 273. 190   Catherine Secretan, Les privilèges, berceau de la liberté. La révolte des Pays-Bas. Aux sources de la pensée politique moderne 1566–1619 (Paris 1990) 32; Saage, Herrschaft (wie Anm. 187) 33f. und 37f. 191  Dirk Maczkiewitz, Der niederländische Aufstand gegen Spanien (1568–1608). Eine kommunikationswissenschaftliche Analyse (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 12, Münster 2007) 237–243; van Gelderen, Political Thought (wie Anm. 54) 121. 192  Vgl. auch Horst Lademacher, Phönix aus der Asche? Politik und Kultur der niederländischen Republik im Europa des 17. Jahrhunderts (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 16, Münster u. a. 2007) 148; erwähnt sogar bei Wolfgang Reinhardt, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart (München 32002) 230. 193   Vgl. Maczkiewitz, Der niederländische Aufstand (wie Anm. 191) 234; van Gelderen, Political Thought (wie Anm. 54) 155. 194  Daussy, L’insertion (wie Anm. 187) 115; van Gelderen, Political Thought (wie Anm. 54) 178.

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nicht von einer staatsrechtlichen Behandlung der Joyeuse Entrée im engeren Sinn sprechen können, zumal die Disziplin eines institutionalisierten Jus publicum in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erst in statu nascendi begriffen war. Schließlich dienten die juristischen Beweisführungen unmittelbar der propagandistisch-publizistischen Verwertung in der medialen Auseinandersetzung zwischen den Aufständischen und dem Königreich Spanien. Dies änderte sich in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts angesichts des radikal anti-ständischen, auf Zentralisierung ausgerichteten Kurses Josephs II. in den österreichischen Niederlanden, der auf eine Nivellierung ihrer noch unter Maria Theresia weitgehend respektierten Sonderstellung abzielte195. Bereits der Umstand, dass der Kaiser ungeachtet seines Aufenthalts in den Niederlanden 1781 den Eid auf die tradierte Verfassungsordnung nicht persönlich leistete, sondern dies dem Generalstatthalter übertrug, ließ seine Vorbehalte gegenüber den ständischen „Rechten und Freiheiten“ deutlich werden196. Schon seit dem Einsetzen der Proteste gegen die kirchenpolitischen Maßnahmen des Kaisers 1786 und verstärkt ab seiner 1787 eingeleiteten umfassenden Verwaltungs- und Justizreform stellten die Proteste maßgeblich auf die Joyeuse Entrée ab, die man durch die Vorgehensweise Josephs II. verletzt sah197. Es ist bezeichnend, dass bei dieser Artikulierung von Widerstand gegen die josephinischen Reformen die Brabanter Stände eine führende Rolle einnahmen und die förmliche Aufhebung der Joyeuse Entrée und der Stände durch Joseph II. im Juni 1789 das Fanal zur Insurrektion darstellten198. Diese als „Brabanter Revolution“ bekannte Aufstandsbewegung kulminierte im Januar 1790 in der Unabhängigkeitserklärung der „États Unis belges“199. Exemplarisch für die staatsrechtliche Begründung des Widerstands der Brabanter­ Stände sind die beiden 1787 erschienenen kurzen Denkschriften von Hendrik van der Noot („Mémoire sur les Droits du Peuple Brabançon“200) und von Charles Lambert­ d’Outrepont („Considérations sur la constitution des duchés de Brabant et de 195   Vgl. zum Folgenden allgemein Geert Van den Bossche, Enlightened Innovation and the Ancient Constitution. The Intellectual Justifications of Revolution in Brabant (1787–1790) (Brüssel 2001); Guy van Dievoet, L’Empereur Joseph II et la Joyeuse Entrée de Brabant. Anciens Pays et Assemblées d’Etat 16 (1958) 89–140. 196  Vgl. Johannes Koll, „Die belgische Nation“. Patriotismus und Nationalbewußtsein in den Südlichen Niederlanden im späten 18. Jahrhundert (Niederlande-Studien 33, Münster et al. 2003) 107; Karl Gutkas, Kaiser Joseph II. Eine Biographie (Wien–Darmstadt 1989) 432f. 197   Vgl. nur für andere die gedruckte Beschwerdeschrift Réclamations des trois états du Duché de Brabant sur les atteintes portées à leurs droits et loix constitutionelles au nom de S. M. Joseph II. Troisième partie (o. O. 1787) 233, 239, 245, 249, 252, 258, 261, 296f., 333f., 341–343, 355 und 357. 198  Vgl. Johannes Koll, Habsburgische Niederlande und belgische Nation – konkurrierende Formen von Patriotismus, in: Patriotismus und Nationsbildung am Ende des Heiligen Römischen Reiches, hg. von Otto Dann–Miroslav Hroch–Johannes Koll (Kölner Beiträge zur Nationsforschung 9, Köln 2003) 287–316, hier bes. 288, 300–304; Johannes Koll, „Die belgische Nation“ (wie Anm. 196) 202–216; Gutkas, Kaiser Joseph II. (wie Anm. 196) 439. 199  Ausführliche Literaturhinweise bei Renate Zedinger, Die Verwaltung der Österreichischen Niederlande in Wien (1714–1795). Studien zu den Zentralisierungstendenzen des Wiener Hofes im Staatswerdungsprozeß der Habsburgermonarchie (Wien–Köln–Weimar 2000) 111 Anm. 93; ferner Koll, Habsburgische Niederlande (wie Anm. 198); ders., „Die belgische Nation“ (wie Anm. 196); Johannes Koll, Aufstand und ständische Renaissance. Die Österreichischen Niederlande im Revolutionszeitalter, in: Bündnispartner und Konkurrenten der Landesfürsten? Die Stände in der Habsburgermonarchie, hg. von Gerhard Ammerer et al. (VIÖG 49, Wien–München 2007) 212–230. 200  Hendrik Van der Noot, Mémoire sur les Droits du Peuple Brabançon & et les atteintes y portées au nom de Sa Majesté l’Empereur & Roi ... ([Bruxelles] 1787).



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Limbourg“201), die beide bei der Ständeversammlung verlesen wurden und dort auf positive Resonanz stießen. Wie eine Vielzahl anderer Publikationen und Flugschriften betonte Van der Noot den Vertragscharakter der Joyeuse Entrée, die er durch die Reformen Jo­ sephs II. unzulässigerweise verletzt sah. Diese Handlungsweise des Herrschers stelle einen Anwendungsfall für den von ihm ausdrücklich angeführten Widerstandsartikel der Joyeuse Entrée dar202. Zwar hebt D’Outrepont ebenfalls den Vertragscharakter der Joyeuse Entrée und der ständischen „iura et libertates“ hervor, der in der Privilegienkonfirmation und der Eidesleistung durch den Kaiser (bzw. seinen Bevollmächtigten) seinen sinnfälligen Ausdruck finde203. Im Unterschied zu Van der Noot sieht er jedoch von der (implizit drohenden) Erwähnung des Widerstandsartikels ab. Vielmehr appelliert er an die Herrschertugenden Josephs II., kontrastiert diese mit der Tyrannei Philipps II. und beschwört die Wiederherstellung der bisherigen Verfassungsordnung in Brabant204. Allerdings blieb die Geltendmachung der Joyeuse Entrée im staatsrechtlichen und politischen Diskurs durch die unzufriedenen Brabanter Stände in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts diesmal seitens der Habsburger nicht unbeantwortet. Vielmehr war die habsburgische Seite bestrebt, der brabantischen Argumentation das juristische Fundament zu entziehen: Zu diesem Zweck wurde als Reaktion auf die pro-ständischen Publikationen des Jahres 1787 noch im selben Jahr eine nur als Manuskript überlieferte, rund hundert Jahre früher entstandene juristische Abhandlung des in spanischen Diensten stehenden hochrangigen Juristen Léon Jean de Pape herausgegeben. Dieser hatte um 1680 einen Traktat über die Joyeuse Entrée verfasst, welcher – der Stellung des Verfassers als Staatsrat entsprechend – die Bestimmungen der Urkunde in einem ausgesprochen herrscherfreundlichen und ständekritischen Sinn auslegt205. Im Zuge dessen äußert er sich zunächst zur Entstehung des Diploms sowie der Brabanter Stände, um im Folgenden die bei den Konfirmationen bis 1549 gemachten Zusätze darzulegen. Im Anschluss an diese historischen Ausführungen widmet sich der umfangreichste Teil der Kommentierung der einzelnen Bestimmungen der Urkunde. Dabei wird deren Inhalt wiedergegeben und unter Berücksichtigung der Rechtspraxis eingehend erläutert. Die Kernthese de Papes wird bereits in der Einleitung des (anonymen) Herausgebers umrissen: „La Joyeuse Entrée ne déroge en rien à la Souveraineté du Prince, elle n’oblige en effet qu’à ce que tout bon Prince doit à son peuple“206. Dieser Grundausrichtung des Werkes entsprechend wird der Widerstandsartikel äußerst zurückhaltend kommentiert. Wenngleich er ihn auch nicht direkt als „odieux“ klassifizierte207, wird die Skepsis de Papes mehr als deutlich. Zwar gibt er bei seinen Ausführungen durchaus die unterschiedlichen Meinungen zur Auslegung 201  Charles Lambert D’Outrepont, Considérations sur la constitution des duchés de Brabant et de Limbourg et des pays des Pays-Bas Autrichiens, lues dans l’Assemblée Générale des États de Brabant, le 23 Mai 1787 (o. O. 1787). 202  Koll, „Die belgische Nation“ (wie Anm. 196) 136, 140f., 146f., 152. 203  D’Outrepont, Considérations sur la constitution (wie Anm. 201) 7–9; ebd. 9: „ Ce Contract solennel est valide: il est cimenté par les Loix de Dieu, de la nature & des gens.“ 204   Ebd. bes. 4, 17–22. 205   Léon Jean de Pape, Traité de la Joyeuse Entrée. Traité dans lequel on voit à quoi le Souverain s’oblige par sa Joyeuse Entrée en Brabant, les changemens qui y ont été faits de temps à autre ... (Malines 1787). Zur Entstehung des Werkes und seinem Verfasser ebd. IIIf. 206  Ebd. VII. 207  So jedoch Jan Joszef Rapsaet, Recherches sur l’origine et la nature des inaugurations des princes souverains des XVII provinces des Pays-Bas et Sur l’Origine, la Nature et le Mode d’exécution de la faculté de cesser le service et l’obéissance, reconnue par l’article 59 de La Joyeuse Entrée du Brabant ... (Bruxelles 1814) 75f.

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des Widerstandsartikels wieder208. Allerdings räumt er jenen Ansichten deutlich breiteren Raum ein, die die beiderseitige Verbindlichkeit von Verträgen zwischen Ständen bzw. Untertanen auf der einen Seite und dem Souverän auf der anderen Seite in Abrede stellen und dem Fürsten das Recht auf jederzeitige Revokation ausgestellter Privilegien zusprechen. Tradierte Rechte und Privilegien werden nach de Pape jedenfalls dann undurchführbar, wenn sie dem gemeinen Nutzen – der vom Herrscher definiert wird – widersprächen. Tatsächlich hätten, so de Pape, die Herzöge von Brabant seit 1356 immer wieder Maßnahmen getroffen, die vorderhand mit der Joyeuse Entrée in Widerspruch stünden, doch hätten diese stets auf das Wohl der Bevölkerung abgestellt. Der entsprechende Artikel der Joyeuse Entrée sei daher, so die wenn auch nicht explizit formulierte Stoßrichtung seiner Ausführungen, nicht anwendbar. Seitens der habsburgischen Administration bemühte man sich somit, die Unzulässigkeit jedes (auch rein passiven) Widerstands hervorzustreichen, während die aufstandsaffinen Juristen aus dem Artikel ein aktives Widerstandsrecht herauslesen wollten, das mit Hinweis auf den Vertragscharakter der Joyeuse Entrée begründet wurde. Dieses Argumentationsschema wurde nach Ausrufung der „États Unis belges“ fortgeführt. Man begnügte sich dabei jedoch nicht mit staatsrechtlichen Untersuchungen der Joyeuse Entrée, sondern instrumentalisierte diese überdies unmittelbar für Propagandazwecke. Eine 1791 herausgegebene Flugschriftenreihe mit dem bezeichnenden Titel „La Joyeuse-Entrée mise en pratique ou Mémoires Pour servir à l’Histoire de l’usurpation des Etats Belgiques en 1790“ präsentierte so dem Lesepublikum einen „récit des outrages sans nombre, faits à la nature & à l’humanité, sous le regne [!] du Congrès Belgique“209. Das Streben nach einer Kalmierung der revolutionären Lage und nach einer Wiedergewinnung der österreichischen Niederlande führte nach dem Tod Josephs II. zu einem Kurswechsel: Sein Nachfolger Leopold II. distanzierte sich mit deutlichen Worten von dessen Maßnahmen in den Niederlanden und stellte fest, dass er insbesondere sämtliche Verletzungen der Joyeuse Entrée missbillige210. Er wisse „fort bien, qu’en vertu de la Joyeuse Entrée le souverain des Pays-Bas est déchû de Sa Souveraineté dés [!] qu’il n’observe le contrat solennellement juré à Son avénement [!] au trône.“ Ausdrücklich bot Leopold II. den Ständen der Niederlande die umfassende Konfirmation der Joyeuse Entrée und aller anderen Privilegien an. 5. Der Tiroler Freiheitsbrief von 1342 und das Landlibell von 1511 Selbst eine intensive Instrumentalisierung einer mittelalterlichen Urkunde im politischen Diskurs musste freilich nicht zwangsläufig zu einer entsprechenden staatsrechtlichen Bearbeitung führen, wie das Beispiel des Tiroler Landlibells von 1511 zeigt. Es handelt sich dabei um den Landtagsabschied vom 23. Juni 1511, über den aufgrund des Drängens der Landstände von Maximilian I. eine feierliche Kaiserurkunde ausgefertigt wurde und der im Wesentlichen eine auf dem alten Herkommen beruhende Regelung des so genannten Landesdefensionswesens (der Landesverteidigung mithilfe der Aufgebote der Untertanen) enthielt. Das Landlibell wurde ab der Mitte des 16. Jahrhun  de Pape, Traité de la Joyeuse Entrée (wie Anm. 205) 141–147.   La Joyeuse-Entrée mise en pratique ou Mémoires Pour servir à l’Histoire de l’usurpation des Etats Belgiques en 1790, No 2 (o. O. 1791) 1. 210   Zum Folgenden Zedinger, Verwaltung (wie Anm. 199) 113f. (Zitat 113). 208 209



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derts zunehmend in Abschriften der Tiroler Landesfreiheiten aufgenommen, und häufig wurden seitens der Stände Landesfreiheiten und Landlibell in einem Atemzug genannt, wenngleich die 1646 angestrebte Inserierung des Volltextes der Urkunde nicht gelang; vielmehr wurde dieser Vorstoß landesfürstlicherseits mit dem Hinweis auf den Rechtscharakter des Landlibells als eines bloßen Landtagsabschieds entschieden zurückgewiesen211. Schon drei Jahre zuvor hatte der Kanzler der oberösterreichischen Ländergruppe, Wilhelm Bienner, nachdrücklich auf die inhaltliche Übereinstimmung zwischen dem Landlibell und dem Landtagsabschied des Jahres 1509 hingewiesen und hervorgehoben, dass es sich um einen jederzeit zu modifizierenden Landtagsabschied handle, keineswegs hingegen um einen Vertrag zwischen Landesfürst und Landständen. Nachdrücklich wurde somit der Rechtscharakter als ständische „Freiheit“ in Abrede gestellt. Dessen ungeachtet behielt im 17. Jahrhundert grundsätzlich noch die landständische Interpretation des Landlibells als eines Vertrags die Oberhand. Die „Vertragstheorie“ wurde von den Ständen auch noch im 18. Jahrhundert hochgehalten und sogar ausgeweitet212, wohingegen die landesfürstlichen Behörden den Privilegiencharakter des Landlibells weiterhin nicht vorbehaltlos anerkannten213. In sämtlichen Gutachten und Stellungnahmen, die im Umkreis der Landstände während des 18. Jahrhunderts entstanden, wurde das Landlibell nun dezidiert zu den „Landesfreiheiten“, den „leges fundamentales“ gezählt 214. Der Jurist Andreas Alois von Dipauli sprach beispielsweise in einem Memorial an den Hof vom Landlibell als einem „Vertrag“ und „einer der ersten Grundlagen der tirolischen Landesverfassung“215, der ständische Generalreferat-Substitut Karl von Eiberg zählte es 1801 zu den „Fundamentalgesetzen“216, 1803 wurde von den Ständen auf die „Urverfassung des 1511-jährigen Landlibells“ und auf „diese dem Land so wichtige VertragsUrkunde“ verwiesen217. Dieser Sichtweise schlossen sich erst Ende des 18. Jahrhunderts unter dem Eindruck der Koalitionskriege zur bewussten Kalmierung der angespannten innenpolitischen Situation die Wiener Hofkanzlei und der Hofkriegsrat an218. 211  Vgl. die Hinweise bei Schennach, Landesverteidigung (wie Anm. 81) 148f.; Alfred von Wretschko, Zur Geschichte der Tiroler Landesfreiheiten, in: Festschrift Emil Ottenthal (Schlern-Schriften 9, Innsbruck 1925) 309–334, hier 333–334; Tullius von Sartori-Montecroce, Geschichte des landschaftlichen Steuerwesens in Tirol (Beiträge zur österreichischen Reichs- und Rechtsgeschichte 2, Innsbruck 1902) 226f. Zum Folgenden nunmehr ausführlich Martin P. Schennach, Das Tiroler Landlibell. Zur Geschichte einer Urkunde (Schlern-Schriften 356, Innsbruck 2011) 89–142. 212   Zum Folgenden Schennach, Rezeptionsgeschichte (wie Anm. 88) 582–586. 213   Vgl. von Schlachta, „Verfassung“ des Landes (wie Anm. 89) 140. 214  Vgl. nur Tiroler Landesarchiv, Verhandlungen der Landschaft, Bd. 80, fol. 61r–66v: Im Juni 1611 wurde das Landlibell von der Landschaft als der Stände Freyheit bezeichnet; ferner ebd. Bd. 85, fol. 167r, 1744 Dez. 22; Tiroler Landesarchiv, Pestarchiv II, 540, 1767 Dez. 22, als in einem ständischen Memorial an das Gubernium das Landlibell als der Grund der ganzen Verfassung bezeichnet wurde; ebd. 1790 (ohne nähere Datierung) wies ein ständisches Gutachten über die Landesverteidigung in einem historischen Exkurs darauf hin, dass 1511 mit Kaiser Maximilian an einem und beeden Stiftern Trient und Brixen und den vier Stenden ... das berühmte sogenannte eilfjahrige Landlibell errichtet wurde. Ein weiteres Beispiel liefert von Schlachta, „Verfassung“ des Landes (wie Anm. 89) 136f. 215   Vgl. Helmut Reinalter, Aufklärung, Absolutismus, Reaktion. Die Geschichte Tirols in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts (Wien 1974) 316. 216   Tiroler Landesarchiv, Landschaftliches Archiv, Landesverteidigungs- und Schießstandswesen, Schuber 3, Nr. 85. 217  Tiroler Landesarchiv, Landschaftliches Archiv, Landesverteidigungs- und Schießstandswesen, Schuber 2, Nr. 63, 1803 April 20. 218  Schennach, Revolte in der Region. Zur Tiroler Erhebung von 1809 (Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs 16, Innsbruck 2009) 158f.

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In der politischen Diskussion wurde das Landlibell von den Landständen von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis in das ausgehende 18. Jahrhundert durchgehend immer dann argumentativ ins Treffen geführt, wenn es galt, landesfürstlichen Reformplänen auf dem Gebiet des Landesdefensionswesen und damit einhergehenden erhöhten Anforderungen an die militärischen und finanziellen Ressourcen des Landes entgegenzutreten. Auch hier zeigen sich Entwicklungslinien: Noch in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts konnte das bloße Beharren auf privilegialen Rechtspositionen ausreichen, um Reformvorhaben zu Fall zu bringen. Demgegenüber verschiebt sich unter Maria Theresia und Joseph II. das Argumentationsschema219: Der Hinweis auf das Landlibell rangiert nur mehr unter „ferner liefen“; in den Mittelpunkt rücken demgegenüber in zunehmendem Maße sachliche Gründe, mit denen eine bevorzugte Behandlung Tirols auf militärischem Sektor vor den Wiener Zentralbehörden gerechtfertigt und Nivellierungsbestrebungen abgewendet werden sollten. Diese Argumentationsschemata, mögen sie im Verlauf der Jahrzehnte auch unterschiedlich akzentuiert sein, beschränken sich – im Unterschied zum 17. Jahrhundert – nicht mehr darauf, auf das Landlibell als nicht einseitig durch den Landesfürsten revozierbare Landesfreiheit hinzuweisen, sondern versuchen vor allem durch die pragmatische Darlegung (vermeintlich) objektiver Gründe wie der besonderen geostrategischen Lage eine Sonderstellung Tirols im Rahmen der österreichischen Länder zu rechtfertigen220. Die insgesamt jedoch intensive Thematisierung des Landlibells in der politischen Diskussion, die nicht zuletzt den Rechtscharakter der Urkunde problematisierte, war aber nicht von einer korrelierenden staatsrechtlichen Auseinandersetzung begleitet. Sieht man von einzelnen handschriftlichen Darlegungen aus der Feder landständischer Syndici Ende des 18. Jahrhunderts ab, die den tradierten Privilegienbestand und namentlich das Landlibell als eine der Grundlagen der Landesverfassung behandeln221, gibt es keine einschlägigen staatsrechtlichen Publikationen, die das Landlibell im Speziellen respektive die ständischen Tiroler „iura et libertates“ im Allgemeinen mit dem methodischen Inventarium des Territorialstaatsrechts, mithin mit einem maßgeblich historisierend argumentierenden Interpretationsansatz erhellen. Auch Zusammenstellungen der ständischen Privilegien, wie sie seit dem beginnenden 16. Jahrhundert überliefert sind222, sind, soweit bislang ersichtlich, generell nicht von einem staatsrechtlich-juristischen Kommentar begleitet. Im 18. Jahrhundert sind überdies zwar im Umfeld der Landstände einige handschriftlich überlieferte Landesbeschreibungen entstanden, die bewusst Argumente für eine gewisse Sonderstellung Tirols im Bereich des Rechtswesens, der Militärverfassung und der Wirtschafts- und Zollordnung zusammenstellten. In diesem Kontext wird zwar immer wieder auf die Landesfreiheiten im Allgemeinen und auf das Landlibell im Speziellen hingewie  Ausführlich Schennach, Rezeptionsgeschichte (wie Anm. 88) 581f.   Wenn von schlachta, „Verfassung“ des Landes (wie Anm. 89) 143, konstatiert, es bleibe „festzuhalten, dass die Privilegien zentrales Argument der Stände waren“, so ist dies für das Landlibell mit Blick auf die argumentative Praxis in der politischen Kommunikation mit dem Landesfürsten jedenfalls unzutreffend und wäre auch hinsichtlich der anderen ständischen Rechte und Freiheiten kritisch zu hinterfragen; ähnlich kürzer dies., Das Amt des Landeshauptmanns. Verwaltung und Politik in Tirol im 18. Jahrhundert am Beispiel Paris Dominikus von Wolkenstein-Trostburgs und Paris von Wolkenstein-Rodeneggs, in: Die Wolkensteiner. Facetten des Tiroler Adels in Spätmittelalter und Neuzeit, hg. von Kurt Andermann–Gustav Pfeifer (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 30, Innsbruck 2009) 345–359, hier 353. 221   Vgl. Tiroler Landesarchiv, Landschaftliches Archiv, Landesverteidigungs- und Schießstandswesen, Schuber 3, Nr. 85. 222   Vgl. Schennach, Gesetz und Herrschaft (wie Anm. 41) 639. 219 220



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sen, doch von einer auch nur ansatzweisen juristischen Durchdringung des normativen Gehalts des Landlibells kann keine Rede sein. Das Fehlen staatsrechtlicher Arbeiten fällt umso mehr bei einem Vergleich mit anderen Territorien ins Auge: Die Landesfreiheiten von Österreich unter der Enns haben durch Reichart Strein von Schwarzenau eine wenn auch nicht gedruckte, so doch handschriftlich erhaltene intensive Bearbeitung erfahren223. Wenngleich ein Vergleich mit dem angrenzenden Erzstift Salzburg, wo im 18. Jahrhundert Abhandlungen zum salzburgischen Staatsrecht erschienen224, nur bedingt zulässig ist – schließlich war hier das Bedürfnis nach einer staatsrechtlichen Absicherung der eigenen Reichsunmittelbarkeit angesichts des mächtigen habsburgischen Nachbarn a priori ausgeprägt –, fällt immerhin auf, dass selbst die sich im 18. Jahrhundert herausbildende (gesamt)österreichische Staatsrechtslehre das Landlibell nicht erwähnt225. Dies könnte auch darauf zurückzuführen sein, dass die tendenziell eine Nähe zum Herrscherhaus aufweisenden Verfasser nicht an einer eingehenden Behandlung ständischer Freiheiten interessiert waren. Doch dies stimmt nur sehr eingeschränkt; vielmehr ist das stillschweigende Übergehen des Landlibells auch darauf zurückzuführen, dass es außerhalb der Grafschaft Tirol nur sehr eingeschränkt bekannt war und dementsprechend im staatsrechtlichen Diskurs des 17. und 18. Jahrhunderts kaum eine Rolle spielte. Besonders eindringlich zeigt sich dies anhand des von Johann Christian Lünig herausgegebenen „Teutschen Reichs-Archivs“, dessen siebter Band unter anderem die habsburgischen Erbländer behandelt und für jedes Land die für die innere Verfasstheit maßgeblichen Urkunden auflistet226. Auch für Tirol sind 20 Urkunden erfasst, darunter jedoch nicht jene vom Juni 1511. Eine entsprechende Lücke zeigt sich bei anderen staatsrechtlichen, insbesondere auch die Landstände behandelnden Überblickswerken z. B. aus der Feder Johann Jakob Mosers oder Johann Stephan Pütters227. Allenfalls summarisch werden Tiroler Freiheiten bei manchen Autoren kurz als Beispiele für landständische „iura et libertates“ angeführt228. 223  Arno Strohmeyer, Konfessionskonflikt und Herrschaftsordnung. Widerstandsrecht bei den österreichischen Ständen (1550–1650) (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für Universalgeschichte 201. Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 16, Mainz 2006) 101, 129 und v. a. 313f. (mit ausführlichen Hinweisen auf weiterführende Literatur). 224   Johann Franz Thaddäus kleinmayrn, Unpartheyische Abhandlung von dem Staate des hohen Erzstifts Salzburg und dessen Grundverfassung zur rechtlich- und geschichtmäßigen Prüfung des sogenannten Iuris Regii der Herzoge in Baiern entworfen, im Jahre 1765 (Salzburg 1770); Judas Thaddäus Zauner, Sammlung der wichtigsten die Staatsverfassung des Erzstiftes Salzburg betreffenden Urkunden (Salzburg 1792). 225   Vgl. neben anderen Franz Ferdinand Schrötter, Abhandlungen aus dem österreichischen Staatsrechte 1–5 (Wien 1762–1766); ebenso wenig erfolgte eine Erwähnung in ders., Grundriß (wie Anm. 35); Beck, Specimen (wie Anm. 141), zu Tirol 105f.; Gustermann, Versuch (wie Anm. 154); ferner lichtenstern, Staatsverfassung der österreichischen Monarchie (wie Anm. 171). 226   Johann Christian lünig, Das Teutsche Reichs-Archiv. Von Oesterreich, Steyer, Kärndten, Crain und Tyrol, ingleichen Burgund, Niederland, Schweitz, Meyland, und Elsaß, dann denen Chur-Fürsten und Ständen des H. Römischen Reichs, Wie auch den Geistlichen Chur- und Fürsten insonderheit, und endlich dem Teutschen und Johanniter-Orden (Leipzig 1711). 227   Vgl. z. B. Johann Stephan Pütter, Historisch-politisches Handbuch von den besonderen Teutschen Staaten. 1. Theil: Oesterreich, Bayern und Pfalz (Göttingen 1758); Johann Stephan Pütter, Beyträge zum Teutschen Staats- und Fürsten-Rechte ... 1–2 (Göttingen 1777–1779); Johann Jacob Moser, Von der teutschen Reichs-Stände Landen, deren Landständen, Unterthanen, Landes-Freyheiten, Beschwerden, Schulden und Zusammenkünfften. Nach denen Reichs-Gesetzen und dem Reichsherkommen ... (Frankfurt a. M. 1769). 228   Vgl. den Hinweis bei Heinz Mohnhaupt, Die Mitwirkung der Landstände an der Gesetzgebung. Argumente und Argumentationsweise in der Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts, in: ders., Historische Vergleichung im Bereich von Staat und Recht. Gesammelte Aufsätze (Ius commune. Sonderh. 134, Frankfurt a. M. 2000) 207–220, hier 217.

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Nur in einem Punkt ist dabei eine Einschränkung zu machen, wobei auch hier die Thematisierung durch die Staatsrechtslehre Hand in Hand mit der Problematisierung durch den politischen Diskurs geht: Schließlich entbrannte schon im 17. Jahrhundert eine – nicht zuletzt auf dem Reichstag ausgetragene – Diskussion über die staatsrechtliche Stellung der beiden eng mit der Grafschaft Tirol verbundenen Hochstifte Trient und Brixen229. Diese betonten nachdrücklich ihre Reichsunmittelbarkeit, die von den Habsburgern in Frage gestellt wurde. Schließlich, so lautete die habsburgische Argumentation, hätten sich Trient und Brixen im Landlibell verpflichtet, sich an den militärischen Aufgeboten der Grafschaft Tirol zu beteiligen und wären im Gegenzug ihrer Beiträge zu den Reichsanschlägen enthoben worden, die die Habsburger in ihrer Position als Grafen von Tirol abzuführen hätten. Dies sei ein deutlicher Hinweis auf die freiwillige Unterordnung der Hochstifte unter die Grafschaft, in weiterer Folge sogar auf die Preisgabe der Reichsunmittelbarkeit. Diese Argumentation wurde von Trient und Brixen entschieden in Abrede gestellt. Dieser Streit schlug sich in einschlägigen, klar parteiischen Gutachten nieder und wurde auch von der Reichspublizistik entsprechend thematisiert, wobei in diesem Kontext das Landlibell Bedeutung gewinnt230. Keinerlei Rolle in der politischen Kommunikation findet der Tiroler Freiheitsbrief von 1342, der tatsächlich erst durch die Historiographie „wiederentdeckt“ wurde – während der Zeitspanne vom 16. bis zum 18. Jahrhundert findet man in den zwischen Ständen und Landesfürsten gewechselten Verhandlungsschriften nur extrem selten Zitate aus Bestimmungen dieser Urkunde, die freilich selbst dann nicht als solche ausgewiesen werden231. Ebenso wurde der Schweizer Bundesbrief von 1291 in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Erinnerungskultur vom späteren Bund von 1315 völlig verdrängt und erst 1760 durch Heinrich Glesers Werk „Specimen observationum circa helvetiorum foedera“ wieder ans Licht gebracht.

229  Vgl. hierzu Walter Göbel, Entstehung, Entwicklung und Rechtsstellung geistlicher Territorien im deutsch-italienischen Grenzraum. Dargestellt am Beispiel Trients und Aquileias (Würzburg 1976) 117; Joseph Kögl, La sovranità dei vescovi di Trento e di Bressanone (Trento 1964); Jürgen Bücking, Frühabsolutismus und Kirchenreform in Tirol (1565–1665). Ein Beitrag zum Ringen zwischen „Staat“ und „Kirche“ in der frühen Neuzeit (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 66, Wiesbaden 1972) 155–171; Schennach, Quellen (wie Anm. 42) 69f. 230   Johann Christian Lünig, Des Teutschen Reichs-Archivs Spicilegii Ecclesiastici Anderer Theil, Von Hoch-Stifftern (Leipzig 1720); Anonymus, Kurtze, jedoch begründete und warhaffte Vorstellung der Irrungen und Beschwerden / als antringender Ursachen und Anlaß / Warumben man an seiten des Hochstiffts Brixen den in zweyen nehnern Königlich- und Kayserlichen Wahl-Capitulationen versehenen rechtlichen Außtrag gegen dem hochlöblichen Ertzhauß Oesterreich neben andern hoch- und löblichen Ständen deß Römischen Reichs / bey jetzt bevorstehend- und vorhanden genommener Einrichtung einer beständigen Königlichen Wahl-Capitulation, zu widerholen und derselben per expressum beyzusetzen / erinnern lassen (Brixen 1664) (hierin wird das Landlibell bezeichnenderweise ein „Bunds-Libell“ genannt); Johann Jakob Moser, Von denen Reichs-Ständen (wie Anm. 227) 559f.; Renatus Karl von Senkenberg, Versuch einer Geschichte des Teutschen Reichs im siebenzehenten Jahrhundert 6 (Frankfurt a. M. 1798) 545; Johann Jacob Moser, Von denen Teutschen Reichs-Ständen der Reichs-Ritterschaft, auch denen übrigen unmittelbaren Reichs-Glidern. Nach denen Reichs-Gesezen und dem Reichs-Herkommen ... (Frankfurt a. M. 1767) 559f. 231  Vgl. Schennach, Gesetz und Herrschaft (wie Anm. 41) 365–367.



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VI. Historiographie 1. Allgemeines Mit dem Einsetzen einer professionalisierten Geschichtswissenschaft respektive Rechtsgeschichte im 19. Jahrhundert änderten sich die Zugänge zu mittelalterlichen Urkunden, die mit dem Ende des Alten Reichs – von wichtigen Ausnahmen wie der Magna Carta abgesehen – ihre verfassungsrechtliche Geltung und Aktualität eingebüßt hatten. Im Rahmen der historiographischen Rezeption und geschichtswissenschaftlichen Bearbeitung mittelalterlicher Urkunden können anhand der für den vorliegenden Artikel ausgewählten Exempel zwei Phänomene differenziert werden. In der ersten Gruppe werden Diplome, die während des Alten Reichs noch von herausragender staatsrechtlicher Bedeutung gewesen waren und daher im juristischen wie politischen Diskurs eine wichtige Rolle gespielt hatten, vergleichsweise rasch zu einem ausschließlichen Gegenstand (rechts)historischer Forschung. Dies ist bei den österreichischen Freiheitsbriefen und der Goldenen Bulle zu beobachten. In der zweiten Gruppe hingegen werden mittelalterliche Urkunden noch im 19. Jahrhundert zur Konstruktion bzw. Untermauerung einer spezifischen, mit besonderen Werten emotional aufgeladenen historischen Identität eines Staates, eines Landes oder einer Region instrumentalisiert. In dieser Gruppe gibt es zwei Ausprägungen: Die Geschichtswissenschaft kann nahtlos an Argumentationsschemata des frühneuzeitlichen rechtswissenschaftlichen oder politischen Diskurses anknüpfen oder aber es können Urkunden, die in früheren Jahrhunderten keine signifikante Rolle gespielt hatten oder überhaupt vergessen worden waren, neu entdeckt und interpretiert werden. Ersteres ist so bei der Joyeuse Entrée, dem Landlibell und der Magna Carta zu beobachten, Letzteres beim Schweizer Bundesbrief und beim Tiroler Freiheitsbrief von 1342. Wie lange diese Inanspruchnahme, die auf die Stiftung kollektiver Identitäten ausgerichtet ist, andauert, variiert stark. Der Prozess der Mythendekonstruktion setzt unterschiedlich rasch ein. Er zielt darauf ab, eine Urkunde stärker in ihren Entstehungskontext einzubetten und davon abzusehen, sie mit anachronistischen, im Werte- und Zeithorizont des jeweiligen Forschers zu verortenden Interpretationen zu unterlegen. Bei der Magna Carta fängt dieser Prozess im beginnenden 20. Jahrhundert an und ist vor allem mit dem Namen McKechnie­verbunden. Bei den anderen hier besprochenen Urkunden geschieht dies erst in der Nachkriegszeit, zum Teil sogar erst im beginnenden 21. Jahrhundert. 2. Urkunden als Gegenstand historischer Forschung Wie dargelegt wurde, waren sowohl die österreichischen Freiheitsbriefe als auch die Goldene Bulle ein prominenter Gegenstand staatsrechtlicher Darstellungen und spielten in unterschiedlicher Intensität im politischen Diskurs immer wieder eine Rolle. Beide Beispiele illustrieren, wie zuvor für das Verfassungsgefüge des Reichs grundlegende Urkunden mit dem Wegfall ihrer Geltung binnen kurzem zu einem (weitgehend) emotionsfrei behandelten Gegenstand historischer Forschung werden konnten. Die Goldene Bulle fand Eingang in sämtliche Reichs- und Rechtsgeschichten des 19. Jahrhunderts und schließlich im Werk Karl Zeumers 1908 ihre für Jahrzehnte grundlegende Behandlung232. 232  Vgl. nur für andere Richard Schröder, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (Leipzig 31898) 468–476, 586–589 u. ö.; Zeumer, Die Goldene Bulle (wie Anm. 87).

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Historiographiegeschichtlich besonders aufschlussreich ist der Prozess der wissenschaftlichen Bearbeitung der österreichischen Freiheitsbriefe. Der im Auftrag Rudolfs IV. entstandene Fälschungskomplex bot sich als Untersuchungsfeld par excellence für die sich nunmehr als historische (und nicht mehr rechtswissenschaftliche) Hilfswissenschaft etablierende Diplomatik an, anhand dessen das discrimen veri ac falsi idealtypisch erprobt werden konnte. Jene wissenschaftsgeschichtliche Entwicklung, die – aufbauend auf Hinweisen bei Joseph von Hormayr 1831 und Johann Friedrich Böhmer 1849 – schließlich in der grundlegenden, klar den Charakter als Fälschung belegenden Untersuchung von Wilhelm von Wattenbach 1852 resultierte, hat bereits Alphons Lhotsky eingehend dargestellt233. Tatsächlich ist bemerkenswert, wie rasch auch österreichische Historiker die österreichischen Freiheitsbriefe als Fälschung anzuerkennen bereit waren, deren Echtheit dem Haus Habsburg nahestehende Juristen noch einige Jahrzehnte zuvor mit Verve verteidigt hatten. Schließlich hatte Joseph Chmel selbst 1850 nachdrücklich zu einer eingehenden Untersuchung der Freiheitsbriefe aufgefordert234. Diese recht rasche Akzeptanz der Freiheitsbriefe als Fälschung bedeutete nicht, dass nicht inhaltliche Aspekte des (rekonstruierten) Privilegium minus sehr kontrovers erörtert wurden235. Dabei ging es insbesondere um die Frage, welche Bestimmungen abseits der Erhebung zum Herzogtum 1156 in concreto getroffen worden waren und inwiefern diese als für das 12. Jahrhundert außergewöhnlich anzusehen waren236. Hermann Baltl macht darauf aufmerksam, dass diese wissenschaftlichen Diskussionen und Zwiste – die schließlich in der Gretchenfrage mündeten, ob Österreich im 12. Jahrhundert im Reich eine Sonderstellung zugekommen sei – durch die Positionierung der jeweiligen Forscher zur groß- oder kleindeutschen Lösung mitgeprägt waren: Die Sichtweise Österreichs „nur als ein gewöhnliches Glied des mittelalterlichen Reiches“ schien in der Gegenwart einer kleindeutschen Lösung unter preußischer Führung Vorschub zu leisten237. Gänzlich frei von nationalen Anwandlungen und Instrumentalisierungen blieb die Forschungsgeschichte vor allem des Privilegium minus auch weiterhin nicht. Während die 1893 universitär verankerte österreichische Reichsund Rechtsgeschichte als Geschichte der Staatsbildung und des öffentlichen Rechts der Erhebung zum Herzogtum und der Privilegierung Österreichs wesentliche Bedeutung für das Entstehen eines „Staates Österreich“ zuschrieb238, blieben die Bewertungen der Geschehnisse 1156 seitens der bayerischen Historiographie wehmütig und wurden für Jahrzehnte als Ausdruck einer für Bayern verhängnisvollen Entwicklung gesehen239. We  Lhotsky, Privilegium maius (wie Anm. 38) 62–74.   Chmel, Eine Hypothese (wie Anm. 59). 235  Zum Abriss der Forschungsgeschichte noch immer Lhotsky, Privilegium maius (wie Anm. 38) 76–80. 236   Vgl. u. a. Wilhelm Erben, Das Privilegium Friedrichs I. für das Herzogtum Österreich (Wien 1902); zusammenfassend mit Hinweisen auf die ältere Literatur auch Harold Steinacker, Zum Privileg Friedrichs I. für das Herzogtum Österreich (Privilegium minus), in: MIÖG Ergbd. 11 (Innsbruck 1929) 205–239; ders., Der Streit um das österreichische Privilegium minus und die methodische Lage in der Diplomatik. HZ 150 (1934) 268–289. Zum Gang der Forschung nach Wilhelm Wattenbach auch Appelt, Privilegium minus (wie Anm. 36) 15–18. 237   Hermann Baltl–Gernot Kocher, Österreichische Rechtsgeschichte. Unter Einschluss sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Grundzüge. Von den Anfängen bis zur Gegenwart (Graz 122009) 79f. (Zitat 79); vgl. auch schon in einem ähnlichen Sinn Fichtenau, Von der Mark zum Herzogtum (wie Anm. 37) 4f. 238  Für andere Arnold Luschin von Ebengreuth, Grundriss der österreichischen Rechtsgeschichte (Bamberg 21918) 84–88. 239  Vgl. Alois Schmid, Das Privilegium minus von 1156 in der bayerischen Geschichtsschreibung, in: Die Geburt Österreichs (wie Anm. 161) 211–227. 233 234



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sentliche inhaltliche Aspekte des Privilegium minus können erst seit den Forschungen des 20. Jahrhunderts, namentlich von Heinrich Appelt240, Heinrich Fichtenau241, Erich Zöllner242, Theodor Mayer243 und Konrad Josef Heilig244, als befriedigend gelöst betrachtet werden; einige Spezialfragen rund um die Ereignisse von 1156 wie die umstrittene Identifizierung respektive Interpretation der tres comitatus sind freilich weiterhin offen245. Von einer Instrumentalisierung der Freiheitsbriefe zur Konstruktion einer österreichischen Identität kann man in der Ersten und Zweiten Republik wohl nicht sprechen246. Wenn einer mittelalterlichen Urkunde in der Republik diese Funktion zukam, dann wohl am ehesten der 996 ausgestellten „Ostarrîchi“-Urkunde mit ihrer Erstnennung des (späteren) Landesnamens, die pointiert als „Taufschein Österreichs“ angesprochen wurde. Schon das 950 Jahr-Jubiläum 1946 eignete sich nach den traumatischen Ereignissen der nationalsozialistischen Herrschaft zur Zelebrierung der neu entdeckten österreichischen Identität247, und auch die Publikationswelle und die zahlreichen Aktivitäten zum Millennium 1996 sprechen für eine solche Sichtweise248. 3. Urkunden als Stifter historischer Identitäten Mittelalterliche Urkunden, denen von der Historiographie des 19. und 20. Jahrhunderts die Bedeutung von Meilensteinen bei der Formierung historischer Identitäten zugesprochen wurde, weisen ein verbindendes Element auf: Die geschichtswissenschaftli  Appelt, Privilegium minus (wie Anm. 36).   Fichtenau, Von der Mark zum Herzogtum (wie Anm. 37). 242  Erich Zöllner, Das Privilegium minus und seine Nachfolgebestimmungen in genealogischer Sicht. MIÖG 86 (1978) 1–26. 243  Theodor Mayer, Das österreichische Privilegium minus. MOÖLA 5 (1957) 9–60. 244  Konrad Josef Heilig, Ostrom und das deutsche Reich um die Mitte des 12. Jahrhunderts. Die Erhebung Österreichs zum Herzogtum und das Bündnis zwischen Byzanz und dem Westreich, in: Kaisertum und Herzogsgewalt im Zeitalter Friedrichs I. Studien zur politischen und Verfassungsgeschichte des hohen Mittelalters (Schriften des Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde 9, Leipzig 1944) 1–271. 245  Hierzu v. a. mit Hinweisen auf die ältere Literatur Max Weltin, Die „tres comitatus“ Ottos von Freising und die Grafschaften der Mark Österrreich, in: ders., Das Land und sein Recht. Ausgewählte Beiträge zur Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter (MIÖG Ergbd. 49, Wien–München 2006) 60–81 (erstmals in MIÖG 84 [1976] 31–59). 246   Immerhin führt auch der 2007 erschienene Sammelband zu einem im Jahr zuvor anlässlich des 850-Jahr-Jubiläums des Privilegium minus in Regensburg veranstalteten österreichisch-deutschen Symposium den Obertitel „Die Geburt Österreichs“ (wie Anm. 161) und variiert damit ein schon im Jubiläumsjahr 996– 1996 aufgegriffenes Thema. 247   Vgl. Ernst Brückmüller, Die Entwicklung des Österreichbewußtseins, in: Die Spiegel der Erinnerung: Die Sicht von innen, hg. von Robert Kriechbaumer (Österreichische Nationalgeschichte nach 1945, Bd. 1, Wien–Köln–Weimar 1998) 369–396, hier 376f. (mit weiteren Literaturhinweisen); siehe ferner Walter Pohl, Ostarrîchi revisited. The 1946 anniversary, the millenium, and the medieval roots of Austrian identity. AHY 27 (1996) 21–39. 248   Aus der Vielzahl einschlägiger Veröffentlichungen sei hier nur exemplarisch verwiesen auf die Beiträge im Sammelband: Ostarrîchi – Österreich. 996–1996. Menschen, Mythen, Meilensteine, hg. von Ernst Bruckmüller (Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums N. F. 388, Horn 1996); ferner Josef Riedmann, Der „Taufschein“ Österreichs. Die Ostarrîchi-Urkunde vom 1. November 1996, in: Ostarrîchi – Österreich. 1000 Jahre – 1000 Welten. Innsbrucker Historikergespräche 1996, hg. von Hermann J. W. Kuprian–Brigitte Mazohl-Wallnig (Innsbruck–Wien 1997) 19–38; Stefan Spevak, Das Jubiläum „950 Jahre Österreich“. Eine Aktion zur Stärkung eines österreichischen Staats- und Kulturbewußtseins im Jahr 1946 (VIÖG 37, Wien– München 2003). 240 241

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chen Diskurse kreisen regelmäßig um den Begriff der „Freiheit“, der vor dem Zeit- und Wertehorizont des schreibenden Historikers jeweils mit ganz unterschiedlichen Bedeutungen aufgeladen wird. Es geht nicht ausschließlich, zum Teil nicht einmal primär um das ­adäquate Erfassen der Urkunde in ihrem historischen Kontext; wesentlich sind die Aussage und die Bedeutung für die jeweilige Gegenwart, wobei partiell deutliche Kontinuitäts­linien zu politischen und staatsrechtlichen Diskursen der Frühneuzeit auszumachen sind. Nahezu idealtypisch lässt sich dieser Prozess der Aktualisierung mittelalterlicher Diplome bei der Joyeuse Entrée im 19. Jahrhundert ausmachen. Der Jurist und spätere belgische Justizminister Charles Faider schlug so eine direkte Brücke von den „leges fundamentales“ des Ancien Régime, die als „dignes d’un peuple libre et fort, et, relativement aux temps, [...] admirables“ klassifiziert wurden, zur belgischen Verfassung des Jahres 1830. Letztere diene wie die früheren „Rechte und Freiheiten“ der normativen Festschreibung des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger, beiden sei die Fixierung und Garantie eines Freiheitsraums gemeinsam, in den die Obrigkeit nicht eingreifen dürfe. Auch als Faider konkret auf die Joyeuse Entrée zu sprechen kommt, oszilliert seine Analyse ständig zwischen dem Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts und der Urkunde von 1356, wobei der Beurteilung implizit moderne Maßstäbe zugrunde gelegt werden: „Il ne s’y trouve [dans la Joyeuse Entrée] [...] ni liberté de la presse, ni liberté religieuse, ni liberté d’association: ces grands principes sociaux n’étaient pas nés dans les constitutions. Mais on y remarque de nombreuses libertés individuelles, qui [...] doivent paraître remarquables et fécondes. [...] elle consacre la personnalité nationale et beaucoup de sûretés politiques.“ Fast noch ausgeprägter zeigt sich dies in den rund 20 Jahre später veröffentlichten Arbeiten von Edmond Poullet249, der die einzelnen Bestimmungen der Joyeuse Entrée regelmäßig mit den verfassungsmäßig gewährleisteten Rechten seiner Zeit in Verbindung setzt und damit die Urkunde des 14. Jahrhunderts in eine Traditionslinie einbettet, die schließlich in den Verfassungsstaat des 19. Jahrhunderts mündete. Noch klarer sind die sich von der Frühneuzeit bis in das 19. Jahrhundert erstreckenden Kontinuitätslinien in der Wahrnehmung und Bewertung einer mittelalterlichen Urkunde bei der Magna Carta auszumachen. Ungeachtet der formellen Derogation großer Teile der Magna Carta war ihr Ansehen als Grundpfeiler und fundamentale Verbürgung individueller Freiheitsrechte des Individuums gegenüber dem Staat bis in das 19. Jahrhundert ungebrochen, wobei eine derartige Sichtweise an Traditionsstränge des 17. und 18. Jahrhunderts anknüpfte250. In einem provokanten Aufsatz aus dem Jahr 1905 sprach der im akademischen Milieu als kampfeslustig bekannte Edward Jenks erstmals vom „myth“, der an die Magna Carta geknüpft sei, mit der historischen Wirklichkeit des 13. Jahrhunderts jedoch nichts zu tun habe, sondern erst in späteren Jahrhunderten konstruiert und für die politische Auseinandersetzung instrumentalisiert worden sei251. Radikal machte sich Jenks 249  Vgl. Charles Faider, Études sur les constitutions nationales (Bruxelles 1842) 9 und 96; Edmond Poullet, Mémoire sur l’ancienne constitution brabançonne, in: Mémoires couronnés et mémoires des savants étrangers, publiés par l’Académie royale des sciences, des lettres et des beaux-arts de Belgique 31 (1862/1863) (mit eigener Paginierung) bes. 60, 92, 208, 379 (Zitat ebd. 379: „nous reconnaîtrons bientôt que la JoyeuseEntrée de Brabant consacrait, au fond, à peu près les mêmes droits que notre Constitution belge.“); ebd. 378 jedoch auch vor einer vorschnellen Aktualisierung der Inhalte der Joyeuse Entrée warnende Worte. Dasselbe Werk ist 1863 auch selbständig mit etwas abweichendem Titel erschienen. 250  Vgl. nur die allgemeinen Würdigungen bei Hindley, Magna Carta (wie Anm. 6) 258 und 263f. 251   Vgl. Petrus Benedictus Maria Blaas, Continuity and Anachronism. Parliamentary and Constitutional



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daran, die Magna Carta als Dokument feudaler Reaktion zu entlarven252: „All the beliefs of past generations cannot make a conclusion true, if the evidence does not warrant it“253. Jenks machte darauf aufmerksam, dass die vermeintliche „landmark in constitutional progress“ nicht auf eine kollektive Aktion des englischen Volkes zurückgehe, sondern auf die Barone, die auf die Bewahrung und den Ausbau der eigenen Machtposition abzielten. Die Magna Carta sei daher nicht vorwärts-, sondern rückwärtsgewandt: „It consecrates the past, not the future“254. Zur Entmythologisierung im Sinne einer den Bedeutungsgehalt zum Zeitpunkt der Urkundenausfertigung adäquat erfassenden Darstellung führte schließlich nahezu zeitgleich mit Jenks das grundlegende Werk von William McKechnie. Auch er kam zum Schluss, dass es sich bei der „Great Charter“ um ein „baronial manifesto“255 handle, sie sei „feudal, contractual, and (in parts, at least) reactionary in tone“256. Die Verfasser der Urkunde hätten kaum die überbordenden Lobreden verdient, die ihnen in späteren Jahrhunderten zuteil geworden seien257: Mit verfassungsmäßig gewährleisteten Rechten, als deren Vorläufer die Magna Carta herangezogen werde, hätten die Barone nämlich nichts zu tun gehabt258. Und dennoch distanzierte sich McKechnie deutlich von dem provokanten Tonfall eines Edward Jenks259. In seiner luziden Untersuchung gelingt ihm die Differenzierung dreier unterschiedlicher, voneinander getrennt abzuhandelnder Analyseebenen260: Eine erste Betrachtungsweise habe sich den Entstehungszusammenhängen, der zeitgenössischen Bedeutung und Tragweite der Magna Carta und der in ihr enthaltenen Normen zu widmen261. Ein weiterer Strang der Untersuchung – den McKechnie ganz bewusst nicht erschöpfend behandeln will, sondern nur kurz skizziert – habe sich mit der Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte der „Great Charter“ im Verlauf der folgenden Jahrhunderte zu beschäftigen262. Diese Analyseebene habe sich mit dem Beitrag der Magna Carta für die Fortentwicklung des englischen Rechts und der englischen Verfassung zu befassen und sich der wenn auch vielfach anachronistisch argumentierenden Thematisierung der Magna Carta durch die Rechtswissenschaft anzunehmen, die die jahrhundertealten Bestimmungen der Magna Carta im Licht gewandelter politischer Konstellationen und neuer rechts- und verfassungspolitischer Forderungen immer wieder neu auslegten und somit ständig aktualisierten. In diesen Kontext gehört auch die regelmäßig durch juristische Argumente untermauerte Instrumentalisierung der Magna Carta in Verfassungskonflikten. Aus einer solchen Perspektive komme der Magna Carta tatsächlich eine überragende Relevanz zu: „[...] the Great Charter stands out as a prominent landmark in the sequence of events that have led, in an unbroken chain, to the consolidation of the English nation, and to the establishment of a free and constitutional form of policy [...]“263. Bei einer solchen Development in Whig Historiography and in the Anti-Whig Reaction between 1890 and 1930 (The Hague u. a. 1978) 23; Shuter, Tradition (wie Anm. 103) 78. 252   Edward Jenks, The Myth of Magna Carta. Independent Review 4 (1905) 260–272. 253  Ebd. 261. 254  Ebd. 271. 255  McKechnie, Magna Carta (wie Anm. 21) 119. 256   Ebd. 110. 257   Vgl. auch den Hinweis bei Shuter, Tradition (wie Anm. 103) 78f. 258   McKechnie, Magna Carta 119 und 123. 259  So auch Bentley, Continuity and Anachronism (wie Anm. 118) 100. 260  Zum Folgenden McKechnie, Magna Carta 119–134. 261  Ebd. 119f. 262  Ebd. 120–127. 263   Ebd. 119.

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Betrachtung könne man angesichts der Bindung des Herrschers an urkundlich verbrieftes Recht auch zutreffend sagen, dass die Magna Carta den Beginn einer „rule of law“ markiere264. Schließlich macht McKechnie noch auf einen dritten Aspekt der Wirkungsgeschichte der Magna Carta aufmerksam, den er als „moral or sentimental value“ bezeichnet und der verfassungsrechtlichen und politischen Wirkung gleichberechtig an die Seite stellt. Die Magna Carta wurde seiner Einschätzung nach zu einem „battle cry for future ages, a banner, a rallying point, a stimulus to the imagination“265, die Magna Carta werde betrachtet als „talisman containing some magic spell, capable of averting national calamity“ 266. Allerdings konzediert er, dass diese Ausstrahlung der Magna Carta wissenschaftlich wohl nur schwer greifbar werde und wohl mehr einen Untersuchungsgegenstand der Psychologie als der Geschichtswissenschaft darstelle267. Die Bedeutung der Arbeit McKechnies ist nicht zu unterschätzen: Konsequent postuliert er die Trennung von Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte der Magna Carta, die eine adäquatere (und in den Wertungen deutlich weniger enthusiastische) Beurteilung der „Great Charter“ zum Zeitpunkt ihrer Ausstellung ermöglichte268. Gleichzeitig bereitete er so den Weg für eine Vielzahl anschließender Arbeiten, die sich vornehmlich mit der Wirkungsgeschichte der Magna Carta befassten. Auch die Modernität seiner Ansätze ist erstaunlich: Auf wenigen Seiten umreißt er zukünftige Forschungsfelder, die erst in den letzten Jahrzehnten unter den Schlagworten der „politischen Kommunikation“ und der „Erinnerungskultur“ stärker in den Fokus der Historiographie geraten sind. Die geschichtswissenschaftliche Rezeption des Landlibells wiederum setzte in Tirol mit Albert Jäger 1848 ein und intensivierte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Grundtenor der Historiographie blieb während der folgenden eineinhalb Jahrhunderte grundsätzlich derselbe bzw. weist klare Kontinuitätslinien auf269: Erstens folgte man der ursprünglich landständischen Argumentation und betrachtete das Landlibell als einen Vertrag zwischen Landesfürst und Landständen und als integralen Bestandteil der ständischen Freiheiten; entsprechend häufig scheinen Bezeichnungen wie „Grund-“, „Fundamental-“ oder „Verfassungsgesetz“ zur Charakteristik des Landlibells auf. Zwei  Ebd. 123f.   Ebd. 128. 266   Ebd. 121. 267   Ebd. 128. 268   Vgl. schon kurz darauf mit ausdrücklichem Verweis auf McKechnie Frederic William Maitland, The Constitutional History of England (Cambridge 1908, Nachdr. 1950) 14f.: Die Magna Carta sei „intensely practical; it is no declaration in mere general terms of the rights of Englishmen, still less of the rights of men; it goes through the grievances of the time one by one and promises redress“ (Zitat ebd. 15). Dennoch sieht auch er einen Zusammenhang mit dem Beginn einer „rule of law“ (ebd. 15). 269   Vgl. nur stellvertretend für viele andere Otto Stolz, Wehrverfassung und Schützenwesen in Tirol von den Anfängen bis 1918, hg. von Franz Huter (Innsbruck–Wien–München 1960) 66–68; Franz Huter, 450 Jahre Tiroler Wehrverfassung. Das Landlibell von 1511, ein Wahrzeichen und Mahnmal der Wehrfähigkeit und Wehrfreiheit. Tiroler Heimat 25 (1961) 137–142; Hermann Wopfner, Entstehung und Wesen des tirolischen Volkstums, in: Tirol. Land und Natur, Volk und Geschichte, Geistiges Leben 1 (München 1933) 139–206, hier 156f.; Otto Stolz, Geschichte der Verwaltung Tirols. Teilstück des 2. Bandes der Geschichte des Landes Tirol, hg. von Dietrich Thaler–Fridolin Dörrer (Forschungen zur Rechts- und Kulturgeschichte 13, Innsbruck 1998) 211; Nikolaus Grass, Zur Stellung Tirols in der Rechtsgeschichte, in: Festschrift Hermann Baltl zum 60. Geburtstag dargebracht von Fachkollegen und Freunden, hg. von Kurt Ebert (Forschungen zur Rechtsund Kulturgeschichte 11, Innsbruck 1978) 229–274, hier 240; Franz-Heinz Hye, Die Tiroler Schützen und ihre Geschichte. In Nord und Süd, in Vergangenheit und Gegenwart. In Grundzügen (Innsbruck 2001) 15–19; Köfler, Landtag (wie Anm. 44) 116–145 und 278–280. 264 265



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tens unterstrich man die Singularität des Landlibells, für das es in anderen Territorien keine Entsprechungen gebe. Die Begründungen für diese vermeintliche Einzigartigkeit fielen unterschiedlich aus. So wurde teilweise betont, dass das Landlibell den Spezifika des Landes und der Mentalität seiner Bewohner Rechnung trage, entspreche es doch dem Charakter Tirols als einer „Felsenburg“ und der besonderen „Wehrfähigkeit“ und „Wehrfreiheit“ seiner Bewohner. Der Verweis auf die Singularität des Landlibells machte dieses zu einem Kristallisationspunkt historischer Tiroler Identität, wie bereits die Würdigungen durch Albert Jäger vor Augen führen. Dieser bezeichnete es beispielsweise als „das beste Muster eines Landwehrsystems“ oder als „Quelle unseres [Tiroler] eigenthümlichen anerkannt ehrenwerthen Charakters“270. Im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Entstehung des Landlibells zunehmend im Konnex mit der politischen und rechtlichen Sonderstellung des Tiroler Bauern gesehen und das in ihm enthaltene „demokratische“ und „defensive“ Element hervorgehoben (durch die Beteiligung der Landstände am Zustandekommen einerseits und die Verwendungsbeschränkung des Aufgebotes auf den Verteidigungskrieg andererseits)271. Noch ausgeprägter ist diese anachronistische Interpretation einer mittelalterlichen Urkunde als früher Beleg von Ansätzen einer demokratischen Willensbildung bei der Tiroler Landesfreiheit von 1342, die – fälschlicherweise – als Beweis für die Ausbildung der landschaftlichen Verfassung im 14. Jahrhundert und namentlich für die Beteiligung der bäuerlichen Bevölkerung an der politischen Willensbildung interpretiert wurde. Obwohl diese Urkunde in sämtlichen Sammlungen der Landesfreiheiten bis in das 18. Jahrhundert aufscheint, spielte sie im politischen oder staatsrechtlichen Diskurs der Frühneuzeit keinerlei Rolle. Insofern handelte es sich um eine Wiederentdeckung der Historiographie des 19. Jahrhunderts. War sich die Geschichtswissenschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwar über die Wichtigkeit der (in mehreren Ausfertigungen überlieferten) Urkunde einig272, so setzte die Hochzeit ihrer Instrumentalisierung im Vergleich zum Landlibell rund ein halbes Jahrhundert später nach der Gründung der Republik Österreich ein. In dieser neuen Konstellation wurde der Freiheitsbrief von 1342 rasch zum Beweis einer jahrhundertelangen demokratischen Tiroler Tradition stilisiert. Schon im 14. Jahrhundert habe demnach Tirol „eine der freiesten und volkstümlichsten Verfassungen des damaligen Europas“273 aufgewiesen, seit 1342 sei die Landesgeschichte geprägt 270   Vgl. die ausführlichen bibliographischen Hinweise bei Schennach, Rezeptionsgeschichte (wie Anm. 88) 591f. Etwas zurückhaltender und sämtlicher patriotischer Anklänge entkleidet, jedoch ebenfalls seinen besonderen Charakter hervorhebend, räumte auch die österreichische bzw. deutsche Geschichtswissenschaft dem Landlibell entsprechend Raum ein, vgl. nur für andere Hermann Wiesflecker, Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit 4: Gründung des habsburgischen Weltreiches, Lebensabend und Tod (Wien 1981) 85f.; Jürg Zimmermann, Militärverwaltung und Heeresaufbringung in Österreich bis 1806 (Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1/III, Frankfurt a. M. 1965) 23; Peter Blickle, Landschaften im Alten Reich. Die staatliche Funktion des gemeinen Mannes in Oberdeutschland (München 1973) 233–236. 271   Besonders pointiert ist dies im Begleittext zur Faksimile-Ausgabe des Landlibells im Archiv-Verlag ausgedrückt: „Das Libell ... war bei seinem Entstehen ein epochales Dokument demokratischer Selbstverantwortung, durch Jahrhunderte trotz mancher Aushöhlung bewährt, aber auch in verschiedensten politischen Wetterlagen deklamiert, reklamiert und strapaziert.“ 272   Vgl. nur Albert Jäger, Geschichte der landständischen Verfassung Tirols II/1: Die Genesis der Landstände Tirols von dem Ende des XIII. Jahrhunderts bis zum Tode des Herzogs Friedrich mit der leeren Tasche 1439 (Innsbruck 1882) 81–87, bes. 82; Josef Egger, Geschichte Tirols von den ältesten Zeiten bis in die Neuzeit 1 (Innsbruck 1872) 375f. 273   Stolz, Die alte Tiroler Landesverfassung (wie Anm. 68) 39.

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von einem „langen allmählichen Aufstieg zur politischen Selbstbestimmung eines Volkes, zu volksfreiheitlicher, demokratischer Gestaltung des öffentlichen Lebens“274. Bezeichnenderweise wurde damals für die Urkunde von 1342 das Dictum der „Magna Charta Tirols“ geprägt275, und von hier ausgehend konnte das Schlagwort von Tirol als „ältester Festlanddemokratie Europas“ (nur übertroffen von England mit seiner Magna Carta) seinen Ausgang finden276. In der Nachkriegszeit konnte der Hinweis auf 1342 gleichermaßen als Beleg für den urtümlich-demokratischen Charakter des Landes herangezogen werden277. Auch in der Schweiz entstand maßgeblich im Verlauf des 19. Jahrhunderts in Reaktion auf beschleunigte soziale und gesellschaftliche Wandlungsprozesse einerseits und zur Konstruktion einer gemeinsamen Identität von Angehörigen unterschiedlicher Sprachgruppen andererseits die Meistererzählung des freiheitsliebenden, demokratisch-selbstbestimmten, wehrhaften Schweizer Bauern und Hirtenkriegers278. Dessen Autonomiestreben und Freiheitsliebe konkretisieren sich vor allem in der Abwehr äußerer Bedrohungen, wobei hier dem Kampf gegen die Habsburger besondere Bedeutung zugesprochen wurde279. Dabei wurde dem Bundesbrief von 1291 bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts noch keine überragende Stellung eingeräumt, konstitutiv für das heroische Bild der alten Eidgenossenschaft war zunächst vielmehr das legendäre ewige Bündnis der drei Schweizer Urkantone im Rütlischwur, das der humanistische Gelehrte Ägidius Tschudi im 16. Jahrhundert mit einem genauen Datum – dem 7. November 1307 – versehen hatte280. Demgegenüber war der Bundesbrief von Uri, Schwyz und Unterwalden aus dem Jahr 1291 bis zu seiner Wiederentdeckung und Edition 1760 durch den Basler Juristen Johann Heinrich Gleser vergessen gewesen. Zwar fand er nach 1760 rasch Eingang in die Literatur, doch konkurrierte   Stolz, Die Magna Charta des Landes Tirol (wie Anm. 68) 17.   Vgl. neben dem zuvor angeführten Aufsatz auch Stolz, Die alte Tiroler Landesverfassung (wie Anm. 68) 44; ders., Die älteste Verfassungsurkunde (wie Anm. 68) 102; etwas zurückhaltender, wenngleich auch hier den „einzig dastehenden Charakter“ hervorhebend, ders., Die Landstandschaft der Bauern in Tirol. HVjS 28 (1933) 699–736, hier 725–728 (Zitat 727); vgl. ferner den sehr zurückhaltenden Hinweis bei Josef Riedmann, Karl IV. und die Bemühungen der Luxemburger um Tirol, in: Kaiser Karl IV. 1316–1378. Forschungen über Kaiser und Reich, hg. von Hans Patze (Neustadt a. d. Aisch 1978 = Sonderabdruck aus BlldtLG 114 [1978]) 775–796, hier 790 Anm. 67. 276  Hölzl, Der Freiheitsbrief von 1342 (wie Anm. 69) 34. 277   Vgl. Otto Stolz, Die alte Tiroler Landesfreiheit. Geschichtliches über die Entwicklung einer demokratischen Landesverfassung. Alpenbote 1946, 88–95; vgl. auch den Hinweis bei Hölzl, Freiheitsbrief von 1342 (wie Anm. 69) 29. 278  Vgl. Guy P. Marchal, Die „Alten Eidgenossen“ im Wandel der Zeiten. Das Bild der frühen Eidgenossenschaft im Traditionsbewußtsein und in der Identitätsvorstellung der Schweizer vom 15. bis ins 20. Jahrhundert, in: Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft. Jubiläumsschrift 700 Jahre Eidgenossenschaft 2: Gesellschaft. Alltag. Geschichtsbild, hg. von Hansjakob Achermann–Josef Brülisauer–Peter Hoppe (Olten 1990) 309–403, hier bes. 365–372; ferner Matthias Weishaupt, Bauern, Hirten und „frume edle puren“. Bauern und Bauernstaatsideologie in der spätmittelalterlichen Eidgenossenschaft und der nationalen Geschichtsschreibung der Schweiz (Nationales Forschungsprogramm 21: Kulturelle Vielfalt und nationale Identität, Basel–Frankfurt a. M. 1992) bes. 80–95; Roger Sablonier, Die „Bauernstaat“-Ideologie, in: Neue Studien zum Schweizerischen Nationalbewusstsein. Referate, gehalten am Schweizerischen Historikertag vom 25. Oktober 1991 in Bern (Itinera 13, Basel 1992) 9–22; ders., „Bauern“, „Volk“ und Staatsbildung. Die ideologische Vereinnahmung der mittelalterlichen Bauern in der nationalen Geschichtsschreibung der Schweiz, in: Die Bauern in der Geschichte der Schweiz, hg. von Albert Tanner–Anne-Lise Head-König (Schweizerische Gesellschaft für Wirtschaftsund Sozialgeschichte 10, Zürich 1992) 271–273. 279  Weishaupt, Bauern (wie Anm. 278) 116. 280  Hierzu ausführlich Georg Kreis, Mythos Rütli. Geschichte eines Erinnerungsortes (Zürich 2004). 274 275



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das vermeintliche Gründungsdatum 1307 noch für mehr als ein Jahrhundert mit 1291. Beiden Ausprägungen schweizerischer Geschichtsschreibung war im 19. Jahrhundert freilich gemeinsam, dass sie sowohl von einem konkreten Staatsgründungsakt der Eidgenossenschaft als auch von einer Staatsgründung durch „freie Bauern“ ausgingen, die gegen die Habsburger gerichtet gewesen sei.281 Schon im 19. Jahrhundert ventilierte Ansichten, die nicht von einem Gründungsjahr ausgehen wollten, sondern eine allmähliche Entstehung der Eidgenossenschaft postulierten, blieben weitgehend ungehört282. Dass sich 1891 schließlich das fiktive Gründungsdatum 1291 durchsetzte, war gleichermaßen einem plötzlich eingetretenen Erinnerungsbedürfnis wie der Überlegenheit der urkundlichen Evidenz gegenüber dem legendenhaften Rütlischwur geschuldet283. Die Interpretation des Bundesbriefes als Gründungsdokument der Eidgenossenschaft freier Bauern284 fand dabei zumindest anfänglich auch außerhalb der Schweiz Zustimmung, wofür Harry Bresslau ein prominentes Beispiel darstellt285. Die weit über Historikerkreise hinaus wirkmächtige Kontamination der Ereignisse von 1307 und 1291 entwickelte schließlich der Schweizer Historiker Karl Meyer, der im Bundesbrief das Resultat einer bäuerlichen, auf eidgenössische Selbstbehauptung ausgerichteten antihabsburgischen Aufstandsbewegung sah und der der Urkunde dementsprechend revolutionären Charakter zusprach286. Dieses Interpretament konnte insbesondere während des Zweiten Weltkriegs, vor dem Hintergrund der Einkreisung der Schweiz durch die Achsenmächte und angesichts der Réduitpläne der Schweizer Armee auch als Verpflichtung für die Gegenwart aktualisiert werden. Die Argumentation Meyers blieb jedoch nicht unwidersprochen, wobei die Gegenstimmen teilweise ebenfalls durch die Zeitumstände geprägt waren. Die 281   Vgl. auch Norbert Domeisen, Schweizer Verfassungsgeschichte, Geschichtsphilosophie und Ideologie. Eine Untersuchung über die Auslegung der Verfassungsgeschichte der schweizerischen Eidgenossenschaft vom ausgehenden 15. Jahrhundert bis zum Ende des 18. Jahrhunderts durch die nationale Geschichtsschreibung (Europäische Hochschulschriften III/103, Bern–Frankfurt a. M. 1978) 23f.; Georg Kreis, Der Mythos von 1291. Zur Entstehung der schweizerischen Nationalfeiertags, in: Die Entstehung der Schweiz (wie Anm. 77) 42–102, hier 83; Bernhard Stettler, Ägidius Tschudi. „Vater der Schweizergeschichte“, in: Deutsche Landesgeschichtsschreibung im Zeichen des Humanismus, hg. von Franz Brendle (Contubernium 56, Stuttgart 2001) 123–133, hier 131f.; ders., Tschudis Frage nach Entstehung und Wesen der Eidgenossenschaft. SZG 41 (1991) 320–329, hier 321. 282  Kreis, Entstehung des Schweizerischen Nationalfeiertags (wie Anm. 281) 85f. 283  Hierzu ausführlich ebd. 60–78; Kreis, Mythos von 1291 (wie Anm. 43) 34–58; Kreis, Mythos Rütli (wie Anm. 280) 118–133; von den 1891 erschienen Publikationen siehe nur exemplarisch Wilhelm Oechsli, Die Anfänge der Schweizer Eidgenossenschaft. Zur Säkularfeier des ersten Bundes vom 1. August 1291 (Zürich 1891); Carl Hilty, Die Bundesverfassungen der schweizerischen Eidgenossenschaft. Zur 6. Säkularfeier des ewigen Bundes vom 1. August 1291 geschichtlich dargestellt (Bern 1891). 284  Noch ganz hiervon geprägt auch Otto Hunziker, Der eidgenössische Bundesbrief von 1291 und seine Vorgeschichte. Nach neuen Forschungsergebnissen (Zürich 21934) bes. 17f. und 149 („... daß der Bundesbrief ... eine eigentliche Staatsgründung darstellt“) (Sperrdruck der Vorlage nicht übernommen); etwas zurückhaltender, jedoch in der Grundaussage gleich Andreas Heusler, Schweizerische Verfassungsgeschichte (Basel 1920, Nachdr. Aalen 1968) bes. 73–77 (Zitat ebd. 77, wonach der Bundesbrief „als der Ursprung der schweizerischen Eidgenossenschaft als eines auf sich gestellten Staatswesens gelten“ dürfe). 285   Harry Bresslau, Das älteste Bündnis der Schweizer Urkantone. Jahrbuch für Schweizerische Geschichte 20 (1895) 1–36; hierzu auch Kreis, Mythos von 1291 (wie Anm. 43) 71; Kreis, Entstehung des schweizerischen Nationalfeiertags (wie Anm. 281) 86; ähnlich auch noch Harold Steinacker, Zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft. ZSG 15 (1935) 386–395, hier bes. 389. 286  Vgl. v. a. Karl Meyer, Der älteste Schweizerbund. ZSG 4 (1924) 1–156; ders., Zur Interpretation des Urschweizer Bundesbriefes von 1291. ZSG 10 (1930) 413–478; ders., Die Gründung der Eidgenossenschaft im Lichte der Urkunden und Chroniken (Zürich 31939); ders., Der Ursprung der Eidgenossenschaft. ZSG 21 (1941) 285–652; ders., Vom eidgenössischen Freiheitswillen. Eine Klarstellung. ZSG 23 (1943) 481–578.

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inhaltlich zutreffenden Bemerkungen Theodor Mayers waren so expressis verbis unter „dem Gesichtspunkt einer gesamtdeutschen Geschichtsbetrachtung“287 verfasst und lassen als Folie der wissenschaftlichen Auseinandersetzung in den Jahren 1943/44 den Hintergrund des Zweiten Weltkriegs erkennen.288 Dessen ungeachtet wurde nahezu zeitgleich zu den Publikationen Karl Meyers sukzessive der Bundesbrief von der – vornehmlich außerschweizerischen – Geschichtswissenschaft grundlegend neu beurteilt, wobei Größen wie Theodor Mayer, Ulrich Stutz und Hans Fehr ihre Stimmen erhoben289. Nachdrücklich wurde der Charakter des Bundesbriefes von 1291 als einer für diese Zeit nicht untypischen, aktuellen Erfordernissen angepassten Landfriedensordnung betont: Uri, Schwyz und Unterwalden setzten sich nach dem Tod Rudolfs I. die Bewahrung von Friede und Ordnung zum Ziel. Von einem Staatsgründungsakt könne dementsprechend keine Rede sein. Arthur Gloggel gelang überdies der Nachweis, dass nicht „freie Bauern“ oder die bäuerlichen Talgemeinden 1291 als Akteure in Erscheinung traten und Politik betrieben, sondern vielmehr der lokale Adel federführend auftrat290. In der Schweiz wirkten die Ansichten von Karl Meyer zwar noch einige Zeit nach291. Spätestens mit den Arbeiten von Hans Conrad Peyer hatte sich die Einschätzung des Bundesbriefes von 1291 als einer Landfriedensordnung unter mehreren jedoch verfestigt292; man rückte ab von der Suche nach einem genau zu fixierenden Gründungsdatum der Eidgenossenschaft, und ging von ihrer allmählichen Ausbildung aus, wobei das 15. Jahrhundert als ausschlaggebend angesehen wurde. Spätestens seit dem 700-Jahr-Jubiläum des Bundesbriefs lässt sich schließlich auch in der Schweiz ausmachen, dass die Rezeptionsgeschichte des Bundesbriefs zunehmend einen eigenen Untersuchungsgegenstand darstellt293. Jüngst wurde die Diskussion um den Bundesbrief durch die Thesen von Roger 287   So ausdrücklich Theodor Mayer, Die Entstehung der Eidgenossenschaft und die deutsche Geschichte. DA 6 (1943) 150–187, hier 186; ferner ders., Die Schweizer Eidgenossenschaft und das deutsche Reich im Mittelalter. Ein Epilog. DA 7 (1944) 239–288. 288  Bezeichnend v. a. Mayer, Die Entstehung der Eidgenossenschaft 186, aber auch allgemein Mayers tendenziell positive Sicht der Habsburger als Vertreter einer Reichspolitik, die jener seines Schweizer Kontrahenten diametral entgegensteht. 289   Vgl. ergänzend zu den Arbeiten Mayers u. a. Hans Fehr, Die Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Vortrag, gehalten auf dem internationalen Historiker-Kongreß in Oslo 1928 (Bern 1929); ein unveröffentlichter Vortrag von Ulrich Stutz („Der Ursprung der Schweizerischen Eidgenossenschaft nach Sage und Geschichte“) findet sich abgedruckt in: Schweizer Beiträge zum Gedächtnis von Ulrich Stutz, hg. von Arthur Bauhofer et al. (Rechtshistorische Arbeiten 6, Zürich 1970) 39–54 (kritisch bes. 47, 50, 53); ferner Bruno Meyer, Die ältesten eidgenössischen Bünde. Neue Untersuchungen über die Anfänge der Schweizerischen Eidgenossenschaft (Erlenbach–Zürich 1938). 290  Arthur Gloggel, Die Mitwirkung des Adels bei der Gründung und Festigung der Eidgenossenschaft (Bern 1941). 291   Vgl. nur Fritz Wernli, Die Wahrung des Friedens in den Bundesbriefen der Urkunde und in anderen Bündnissen und Eidgenossenschaften (Zürich 1958) bes. 30–32; ders., Die Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Verfassungsgeschichte und politische Geschichte in Wechselwirkung (Studien zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte 6, Uznach 1972) bes. 161–192 und 295–300 (bezeichnend z. B. das Zitat ebd. 191: „Der Bundesbrief von 1291 ist ein Instrument des Kampfes gegen Habsburg und das Reich ... . Der Bund war nur das Mittel, möglichst weitgehende Autonomie und kommunale Selbstverwaltung innerhalb des römischen Reiches zu erringen.“). 292  Vgl. Hans Conrad Peyer, Verfassungsgeschichte der alten Schweiz (Zürich 1978) bes. 21–26; ders., Die Entstehung der Eidgenossenschaft, in: Handbuch der Schweizer Geschichte 1 (Zürich 1972) 161–238, hier 180–184. 293  Kreis, Mythos von 1291 (wie Anm. 43); Kreis, Entstehung des schweizerischen Nationalfeiertags (wie Anm. 281).



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Sablonier aus einer gänzlich neuen Perspektive belebt, indem die These formuliert wurde, dass die Urkunde erst um 1309 angefertigt und im Zuge dessen rückdatiert wurde294. Von dieser rezenten Entwicklung abgesehen hat sich freilich innerhalb der Geschichtswissenschaft eine communis opinio hinsichtlich Inhalt und Bedeutung des Bundesbriefs durchgesetzt295, die Werner Meyer folgendermaßen resümiert: Der „Bundesbrief von 1291 ist alles andere als die Gründungsurkunde eines Staates. Er hat nicht einmal eine Staatsgründung vorbereitet. Er bedeutete ein auf eine bestimmte Situation bezogenes Zweckbündnis, das Tendenzen zeigte, in Vergessenheit zu geraten, wenn sich seine Bestimmungen nicht mehr als zeitgemäß erweisen sollten“296. Im politisch-öffentlichen Diskurs ist diese wissenschaftliche Erkenntnis jedoch noch nicht wirklich verankert297.

VII. Schluss Ständige Aktualisierung – auf diesen gemeinsamen Nenner kann man den Umgang mit mittelalterlichen Urkunden in der Staatsrechtslehre und in der politischen Kommunikation in der Frühneuzeit bringen. Teilweise gilt dies sogar noch für die Historiographie. Mittelalterliche Diplome werden von Juristen und politischen Akteuren späterer Jahrhunderte für aktuelle Zielsetzungen nutzbar gemacht, sie werden vor dem Hintergrund des Zeit- und Wertehorizonts des jeweiligen Interpreten instrumentalisiert: die Magna Carta beispielsweise in Auseinandersetzung mit dem Königtum bzw. im Eintreten für die Freiheitsrechte des Individuums gegenüber dem Staat, die Joyeuse Entrée zur Rechtfertigung von Aufständen, das Landlibell zur Verhinderung oder Verzögerung von ungeliebten Reformen im Bereich des Landesdefensionswesens. Eine solche Vorgangsweise ist im Allgemeinen anachronistisch; dennoch wird man nicht vorschnell ein bewusstes Ausblenden des Entstehungskontextes der betreffenden Diplome annehmen dürfen, vielmehr war dieser für frühneuzeitliche Betrachter nicht mehr ohne weiteres rekonstruierbar. Historisierende Ansätze sind zwar auszumachen, sie erweisen sich jedoch aus der ex post Perspektive teilweise als auf falschen Prämissen beruhend. Dies gilt beispielsweise für die Interpretation der Magna Carta aus dem englischen Common law, dem von Edward Coke eine jahrhundertelange Geltung schon lange vor 1215 zugeschrieben wurde. Und auch wenn sich das ius publicum des 17. und 18. Jahrhunderts bemühte, zur Auslegung rechtlich relevanter mittelalterlicher Urkunden im Rahmen der Reichshistorie (respektive ihres territorialen Pendants) bewusst auf die geschichtliche Entwicklung zurückzugreifen, war hier das Ergebnis des Interpretationsvorgangs oft durch den Standort und Dienstherrn des betreffenden Juristen determiniert, wie die staatsrechtliche Behandlung der ­österreichischen Freiheitsbriefe im 18. Jahrhundert veranschaulicht.   Sablonier, Gründungszeit ohne Eidgenossen (wie Anm. 77) bes. 170–178.   Vgl. nur die prägnante Zusammenfassung von Pascal Ladner, Urkundenkritische Bemerkungen zum Bundesbrief von 1291, in: Die Entstehung der Schweiz (wie Anm. 77) 103–119, hier 114: „Die Vorstellung vom einzigartigen ‚heroischen‘ und ‚demokratischen‘ Gründungsakt um 1300 ist längst als anachronistische Konstruktion bürgerlich-nationaler Ideologie identifiziert“; ferner Sablonier, Gründungszeit ohne Eidgenossen (wie Anm. 77) 163–167; Stettler, Bundesbriefe (wie Anm. 78) 5. 296  Werner Meyer, 1291. Der ewige Bund. Die Entstehung der Eidgenossenschaft (Berlin 1994) 22; siehe überdies ders., 1291 – die Geschichte. Die Anfänge der Eidgenossenschaft (Zürich 1990). 297  Vgl. Kreis, Entstehung des schweizerischen Nationalfeiertags (wie Anm. 281) 44f.; siehe ferner die Homepage der Rütlikommission http://www.ruetli.ch/de/ [zuletzt besucht am 30. Januar 2011]. 294 295

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Auch die professionelle Geschichtswissenschaft, wie sie sich im 19. Jahrhundert entwickelte, war zunächst nicht davor gefeit, mittelalterliche Urkunden – sei es bewusst oder unbewusst – für die Gegenwart nutzbar zu machen. Die Zielsetzung einer solchen Instrumentalisierung erschließt sich freilich im Allgemeinen nicht so leicht wie bei der frühneuzeitlichen politischen Kommunikation und bei der sie häufig konzertierend begleitenden Staatsrechtslehre. Oft werden mittelalterliche Diplome zur Konstruktion spezifischer historischer Identitäten, zur historisch-kulturellen Integration einer bestimmten Region herangezogen und somit für das „nation-building“ des 19. Jahrhunderts dienstbar gemacht. Dabei kann, wie bei der Joyeuse Entrée oder beim Landlibell, häufig an frühneuzeitliche Argumentationsmuster angeknüpft und diese fortgeführt werden. Fallweise werden aber auch Diplome wie der Tiroler Freiheitsbrief oder der Schweizer Bundesbrief, die für Jahrhunderte keine oder nur eine sehr marginale Rolle gespielt haben, von der Historiographie „wiederentdeckt“ und zu Gründungsdokumenten eines Gemeinwesens stilisiert, in denen spätere „nationale“ Tugenden schon grundgelegt oder zumindest präfiguriert seien. Bemerkenswert oft kreiste dabei die Interpretation mittelalterlicher Urkunden um den Begriff der „Freiheit“, der sich für eine Aufladung mit aktuellen Bezügen besonders anbietet (so beim Landlibell, dem Schweizer Bundesbrief, der Magna Carta oder der Joyeuse Entrée). Die Ausprägung dieses aktualisierten Freiheitsbegriffs konnte dabei variieren: So konnten die (vermeintliche) „Freiheit“ und das Freiheitsstreben eines Kollektivs gegenüber äußeren Bedrohungen hervorgehoben werden, die sich angeblich in einem Diplom niederschlagen sollten, wie sich dies beim Landlibell oder dem Schweizer Bundesbrief beobachten lässt. Ein solcher Freiheitsdiskurs dient dabei primär der Abgrenzung nach außen und der damit einhergehenden Konstruktion einer kollektiven Identität. Ein anderer an mittelalterlichen Urkunden festgemachter Diskurs über Freiheit betont demgegenüber die sich urkundlich niederschlagenden Verbürgungen scheinbar individueller Freiheiten gegenüber der Obrigkeit respektive dem „Staat“. Einem solchen Interpretationsstrang ist die Tendenz immanent, Kontinuitätslinien zu modernen Grund- und Menschenrechten herzustellen oder sogar demokratische Elemente in jahrhundertealten Urkunden verorten zu wollen. Wann eine solche anachronistische historiographische Sicht im Einzelnen endete, entzieht sich einer Generalisierung. Zum Teil setzte der Prozess der Neubewertung eines mittelalterlichen Diploms, der Entstehungszusammenhänge und Bedeutung zum Zeitpunkt der Urkundenausstellung streng von der späteren Rezeption der Urkunde trennte und häufig mit dem Schlagwort der „Entmythologisierung“ einherging, wie bei der ­Magna Carta bereits im beginnenden 20. Jahrhundert ein. In anderen Fällen wie beim Tiroler Landlibell zeichnete sich eine kritischere Sicht erst 100 Jahre später ab. Dies musste allerdings nicht bedeuten, dass die geschichtswissenschaftlichen Erkenntnisse sich auch eins zu eins im öffentlichen und politischen Diskurs niederschlugen – hier konnten und können gegenwartsbezogene Instrumentalisierungen mittelalterlicher Urkunden unbeeindruckt von allen Forschungsergebnissen persistieren.



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Jedem, der sich mit mittelalterlichen Urkunden beschäftigt, begegnen auch ihre Darstellungen auf Bildern der Zeit. Als eigenständiges Thema ist das Phänomen jedoch kaum erforscht, geschweige denn monographisch behandelt. Dies liegt zum einen an der Überlieferung selbst. Präsentiert sich doch keine räumlich oder zeitlich eingrenzbare Gattung, sondern eine in ihrer Gesamtheit kaum zu überblickende Reihe von Einzelfällen. Wer mag sich da schon auf einen Überblick oder gar zu definitorischen Aussagen hinreißen lassen, wenn jederzeit ein bisher unbekanntes Beispiel auftauchen und das Gesagte über den Haufen werfen kann. Dieses Wagnis einzugehen, gehört jedoch bekanntlich zum Wesen des Historikers. Er kann gar nicht anders, als Fragen an die Überlieferung im Wissen um ihre Vorläufigkeit zu stellen. Die Art und Weise, in der er fragt, und das Erkenntnisinteresse, das ihn dabei leitet, sind zeitgeschichtlich bedingt. Und dies ist ein weiterer Grund für die Unerforschtheit des Themas. Zeigen sich an ihm doch besonders deutlich die Folgen der Spezialisierung in den verschiedenen historischen Disziplinen. Man stelle sich beispielsweise einmal die Reaktionen eines Diplomatikers und einer Kunsthistorikerin vor, die, aus der Oberkirche des Benediktinerklosters von Sacro Speco in Subiaco kommend, die Treppe in die Unterkirche hinabsteigen und dabei zu ihrer Rechten die Malerei an der Nordwand bemerken1 (Abb. 1–2). Mit einer aus langjähriger Editionstätigkeit erwachsenen Routine wird der Diplomatiker sofort in der Inschrift den Text einer Urkunde Papst Innocenz’ III. erkennen. Die ihm eigene Frage nach der Authentizität des Stückes betrifft freilich nur den Textinhalt. Eschatokoll, graphische Beglaubigungsmittel, die Unterschriften der Kardinäle und das Siegel fehlen2. Aus der kurialen Urkundenschrift ist eine Majuskel geworden und, damit nicht genug, sind die Zeilen im Wechsel schwarz und rot geschrieben. Doch eine Textvariante ist schließlich besser als nichts. Der Diplomatiker zieht also sein Reiseexemplar des Registers Innocenz’ III. aus der Tasche, wählt den Textband des fünften Pontifikatsjahres und stößt zunächst auf die zum 30. August 1202 ausgestellte Urkunde, mit der der Papst dem Priorat des Sacro Speco als Zeichen seiner Verehrung für den heiligen Benedikt bis auf weiteres eine jähr-

1  Das Folgende zu Subiaco nach Uwe Israel, Der Papst und die Urkunde an der Wand. Innozenz III. (1198–1216) in Subiaco. QFIAB 84 (2004) 69–102. 2  Peter Rück, Beiträge zur diplomatischen Semiotik, in: Graphische Symbole in mittelalterlichen Urkunden. Beiträge zur diplomatischen Semiotik, hg. von dems. (Historische Hilfwissenschaften 3, Sigmaringen 1996) 13–47, hier 17f., sieht eine Erklärung dafür in dem den Zeitgenossen bewussten Wechsel von der „duktalen“ in die „skulptale“ Schrift, der mit dem Medienwechsel vom Pergament zum Wandbild einherging.

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liche Rente von sechs Pfund schenkte3. Das sagt auch die Inschrift aus, deren wesentlich längerer Wortlaut dann jedoch von der auf eine Supplik hin erfolgten Umwandlung in eine Ewigrente berichtet. Da die Datumszeile fehlt, blättert der Diplomatiker weiter und wird schließlich gleich zu Beginn des sechsten Pontifikatsjahres fündig. Es ist der Text der Bestätigungsurkunde vom 24. Februar 1203, der in Subiaco an die Wand gemalt worden ist4. Dank des beigegebenen Faksimiles (Abb. 3) kann unser Diplomatiker sogar beide Texte vergleichen, da besagtes Privileg die Einträge des liber sextus im Register Innocenz’ III. eröffnet. Bekannt ist die Darstellung des Papstes in der I-Initiale, dem der Kardinal Johannes von St. Paul, ein Benediktiner, über die Schulter schaut und zu dessen Füßen zwei Bittende in den Text weisen5. Handelt es sich bei ihnen, wie der Kommentar nahelegt, um für Subiaco impetrierende Prokuratoren, so haben wir hier ein weiteres Stück aus dem monumentalisiert verbildlichten kommunikativen Kontext der Privilegierung vor uns. Die Kunsthistorikerin in der Unterkirche wird mit einem Blick sehen, dass es sich eigentlich um zwei Bilder handelt. Die Urkunde an der Wand gehört einem älteren Bild an, das, erkennbar an den durch die erneute Verputzung entstandenen Löchern, a fresco übermalt worden ist. Da der heraldisch links stehende Papst durch seinen viereckigen Nimbus als Lebender wiedergegeben ist, dürfte es zwischen 1203 und 1216 entstanden sein. Mit der Rechten hält der Papst die Urkunde, während er mit der Linken auf die Zeile weist, in der die Erweiterung der Stiftung auf ewig steht. Auf der gegenüberliegenden vornehmeren Seite nimmt der kreisrund nimbierte heilige Benedikt die Urkunde mit der Linken entgegen, während er die Rechte zum Segen erhebt. Der Mönchsvater thront nicht nur auf seinem Klosterberg im Bild, sondern auch neben dem Zugang des Kirchenraums zur Grotte, dem Sacro Speco. Ihm zu Füßen liegt der dem Mutterkloster von Santa Scolastica vorstehende Abt Romanus (1193–1216), im Bedeutungsmaßstab kleiner dargestellt. Er wendet sich mit einem Sprech- oder Orantengestus der Rechten dem Patron von Orden und Kloster zu, während er mit der Linken die Urkunde an der Stelle greift, an der sich die Bestätigungsbegründung an die Sanctio der Vorurkunde anschließt. Ein Durchbruch in die Oberkirche, der den rechten Rand des Freskos beschnitt, war der Anlass zu seiner teilweisen Übermalung. In der Komposition des jüngeren Bildes rückt nun der Papst in den Mittelpunkt. Gleichsam monumental tritt er hinter die Urkunde und kann sie allein mit der angewinkelten Linken halten, während er mit der Rechten auf den nun kleineren Heiligen weist. Seine Präsenz ersetzt gleichsam die fehlenden Beglaubigungszeichen der Urkunde. In einer anderen Ecke des Raumes liest die Kunsthistorikerin: Magister Conxolus pinxit hoc opus. Sie weiß, dass dieser Meister Consolus im dritten Viertel des 13. Jahrhunderts die Unterkirche mit einem Freskenprogramm ausgemalt hat und dass er und seine Werkstatt im Rom der Päpste tätig waren6. Giorgio Vasaris berühmtem Verdikt über die mittel3  Die Register Innocenz’ III., 5. Bd.: 5. Pontifikatsjahr, 1202/1203. Texte, ed. Othmar Hageneder et al. (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturinstitut in Rom II/1/5, Wien 1993) 152f. Nr. 77 (78). 4  Die Register Innocenz’ III., 6. Bd.: 6. Pontifikatsjahr, 1203/1204. Texte und Indices, ed. Othmar Hageneder et al. (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturinstitut in Rom II/1/6, Wien 1995) 3f. Nr. 1. 5   Ebd. XII mit Abb. I, mit Bezug auf ASV, Reg. Vat. 5, fol. 72r; Agostino Paravicini Bagliani, Le Chiavi e la Tiara. Immagini e simboli del papato medievale (La corte dei papi 3, Roma 1998) Abb. 25. 6  Stefan Schmitt, Die bildlichen Darstellungen Papst Innozenz’ III., in: Papst Innozenz III. Weichenstel-



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alterliche Kunst, demzufolge es Mitte des 13. Jahrhunderts in Italien weder Kunstwerke noch Künstler gab, die diesen Namen verdienten, kann unsere Kunsthistorikerin verständlicherweise nicht mehr zustimmen7. Doch ist auch sie eine Erbin Vasaris, da für sie der Malstil, die Farbigkeit und das Programm der Fresken auf die bahnbrechende Kunst Giottos hinweisen8. Folglich ordnet sie ihren Arbeitsgegenstand in eine Entwicklungsgeschichte ein und vergleicht das mittelalterliche Bild beispielsweise mit dem des Amsterdamer Stadtsekretärs Jacob de Vogelaer aus dem Jahre 16559 (Abb. 4). Hier halten die beiden Protagonisten ebenfalls ein besiegeltes Schreiben und präsentieren sich in einer auf das Mittelalter zurückgehenden Darstellungskonvention. Fünf Urkunden mit Hängesiegeln sind zu sehen, die entfaltete ist in Intitulatio und Siegel als Urkunde der Staaten von Holland zu erkennen. Sie verweisen auf das Amt des im Repräsentationsbild Dargestellten. Kunsthistorisch interessant sind jedoch nicht die ansonsten stummen Urkunden des Bildes, sondern die über den Malstil, der Pergament auf Samt einfängt, angestrebte Natur- und Portraitähnlichkeit, hinter der sich Symbolik versteckt. Das gilt auch für ein in mehreren Exemplaren existierendes Bild des Malers Marinus van Reymerswaele aus dem Jahre 154510 (Abb. 5). Seine flämische Manier ist so detailgetreu, dass man die Urkunde in den Händen des Juristen als Urteil des Grand Conseil von Mecheln identifizieren kann. Doch das so naturgetreu Dargestellte ist keine Photographie, sondern eine Karikatur. Die Prozesse vor diesem Gericht dauerten Jahrzehnte. Auch in diesem Fall wandert gerade Geld für eine Gegenklage über den Tisch. Blickt man dem Notar in der Bildmitte über die Schulter, so kann man lesen, dass er gerade eine neue Seite mit den Worten Ende omme int cort … begonnen hat. Es wird länger dauern. Doch zurück ins hochmittelalterliche Subiaco. Wenn es gestattet ist, in der szenischen Vorstellung der verschiedenen Interessen, Kategorien und Sichtweisen der Disziplinen noch einen Schritt weiter zu gehen, so könnte man sich vorstellen, dass zu unseren beiden Protagonisten nun auch noch eine Reisegruppe hinzutritt, unter anderen bestehend aus Wolfgang Müller, Arnold Angenendt, Walter Pohl, Markus Späth, Heinrich Meyer zu Ermgassen, Agostino Paravicini Bagliani, Christel Meier, Horst Wenzel, Eckart Conrad Lutz, Hans Belting, Michael Clanchy, Uwe Israel und Hagen Keller. Müller wird auf die zahlreichen anderen Beispiele für Urkundeninschriften seit den Tagen Gregors des Großen verweisen, die, wie in Speyer oder Messina, auch in Kombination mit Darstellungen des Ausstellers begegnen11. Angenendt wird die in der Urkunde geäußerte Bitte des Papstes um die Fürbitte des Heiligen in den Kontext des liturgischen Funktionsraums, in dem ler der Geschichte Europas. Interdisziplinäre Ringvorlesung an der Universität Passau, 5. 11. 1997–26. 5. 1998, hg. von Thomas Frenz (Stuttgart 2000) 21–50, 27–30. 7   Vgl. Giorgio Vasari, Leben der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Baumeister von Cimabue bis zum Jahre 1567, übers. von Ludwig Schorn–Ernst Förster, 1–6 (Stuttgart–Tübingen 1832–1849, Nachdr. hg. von Julian Kliemann, Worms 1983) 1 47f. 8  Vgl. Hans Belting, Das Bild als Text. Wandmalerei und Literatur im Zeitalter Dantes, in: Malerei und Stadtkultur in der Dantezeit. Die Argumentation der Bilder, hg. von dems.–Dieter Blume (München 1989) 23–64, hier 23f. 9  Wim Blockmans, Geschichte der Macht in Europa. Völker, Staaten, Märkte (Frankfurt am Main–New York 1998) 148. 10  Alain Wijffels, The Lawyer’s Office, 1545, in: Frieden durch Recht. Das Reichskammergericht von 1495 bis 1806 [Katalog], hg. von Ingrid Scheurmann (Mainz 1994) 406f. Kat.-Nr. 295 (Abb. S. 272), 407– 409 Kat.-Nr. 296–305. 11  Wolfgang Müller, Urkundeninschriften des deutschen Mittelalters (Münchener Historische Studien. Abt. Geschichtl. Hilfswissenschaften 13, Kallmünz 1975).

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sie dargestellt ist, setzen, insbesondere aber an ihre Übergabe in der Nähe des Altars und damit im Kontext des Offertoriums erinnern12. Pohl und Späth machen auf die reiche Erinnerungskultur der mittelitalienischen Abteien aufmerksam, die sich auch andernorts in vergleichbaren Bildern, etwa in der monumentalen Darstellung von Besitzständen, niederschlug13. Meyer zu Ermgassen wird ihnen auch mit Blick auf den nordalpinen Raum beipflichten14. Paravicini Bagliani nimmt dagegen die Perspektive des Papsttums ein, für dessen Aufstieg die gesteigerte Präsenz des Pontifex und die Herrschaftlichkeit seines Ornates sprechen15. Als Fürsprecher einer Öffnung der Literaturwissenschaft für Fragen des Text-Bild-Verhältnisses und der Intermedialität der paroles de murs werden Meier, Wenzel und Lutz mit Belting ins Gespräch kommen, für dessen Herausarbeitung der Narrativität in der Malerei vor dem Zeitalter der Kunst das Urkundenbild ein Paradebeispiel abgibt16. Michael Clanchy sieht es wiederum vor dem Hintergrund des im hochmittelalterlichen Wandel Fahrt aufnehmenden Verschriftlichungsprozesses17. Die Rolle des Cicerone in der fiktiven Szene kommt Uwe Israel zu. Hat er doch eine umfassende Studie zu unserem Beispiel veröffentlicht, welche die genannten Dimensionen des Wandbildes auslotet und vor allem eine Deutung seines historischen Entstehungszusammenhangs findet18. Die Bestätigungsbulle gab der Conti-Papst dem Priorat demnach im direkten Anschluss an eine in Subiaco verbrachte Sommerfrische, während der er die Abtei von Santa Scolastica 12   Arnold Angenendt, Cartam offerre super altare. Zur Liturgisierung von Rechtsvorgängen. FMSt 36 (2002) 133–158; ders., Das Offertorium. In liturgischer Praxis und symbolischer Kommunikation, in: Zeichen – Rituale – Werte. Internationales Kolloquium des Sonderforschungsbereichs 496 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, hg. von Gerd Althoff–Christiane Witthöft (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496, Bd. 3, Münster 2004) 71–150. Siehe auch Hartmut Beyer, Urkundenübergabe am Altar. Zur liturgischen Dimension des Beurkundungsaktes bei Schenkungen der Ottonen und Salier an Kirchen. FMSt 38 (2004) 323–346. 13   Walter Pohl, Werkstätte der Erinnerung. Montecassino und die Gestaltung der langobardischen Vergangenheit (MIÖG Ergbd. 39, Wien–München 2001); Markus Späth, Verflechtung von Erinnerung. Bildproduktion und Geschichtsschreibung im Kloster San Clemente a Casauria während des 12. Jahrhunderts (Orbis Mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 8, Berlin 2007). 14  Heinrich Meyer zu Ermgassen, Der Buchschmuck des Codex Eberhardi (Der Codex Eberhardi des Klosters Fulda 4. Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 58, Marburg 2009). 15  Agostino Paravicini Bagliani, Der Leib des Papstes. Eine Theologie der Hinfälligkeit (München 1997); ders., Chiavi (wie Anm. 5); ders., I luoghi del potere dei papi (secoli XI–XIII) in: Arti e storia nel Medioevo  1: Tempi, Spazi, Istituzioni, hg. von Enrico Castelnuovo–Giuseppe Sergi (Torino 2002–2004) 435–472; ders., Il potere del Papa. Corporeità, autorappresentazione, simboli (Millennio medievale 78. Strumenti e studi N. S. 21, Firenze 2009); siehe auch Schmitt, Darstellungen (wie Anm. 5). 16  Christel Meier, Konkretisierung und Symbolisierung des Textes im Bild. Eine Skizze. Zugleich ein Versuch über das textus-Konzept von Raimundus Lullus, in: „Textus“ im Mittelalter. Komponenten und Situationen des Wortgebrauchs im schriftsemantischen Feld, hg. von Ludolf Kuchenbuch–Uta Kleine (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 216, Göttingen 2006) 337–397; Horst Wenzel, Hören und Sehen, Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter (München 1995). Eckart Conrad Lutz ist im Zusammenhang dieses Beitrags vor allem als Leiter des Projektes „Literatur und Wandmalerei. Erscheinungsformen höfischer Kultur und ihre Träger im Mittelalter“ angesprochen, dessen Erträge unter anderem festgehalten sind in: Literatur und Wandmalerei 1: Erscheinungsformen höfischer Kultur und ihre Träger im Mittelalter. Freiburger Colloquium 1998, hg. von Eckart Conrad Lutz–Johanna Thali–René Wetzel (Tübingen 2002); Literatur und Wandmalerei 2: Konventionalität und Konversation. Burgdorfer Colloquium 2001, hg. von Eckart Conrad Lutz–Johanna Thali–René Wetzel (Tübingen 2005); Paroles de murs. Peinture murale, Littérature et Histoire au Moyen Âge. Sprechende Wänder. Wandmalerei, Literatur und Geschichte im Mittelalter, hg. von Eckart Conrad Lutz–Dominique Rigaux–Stefan Matter (Les Cahiers du CRHIPA 10, Grenoble 2007); Belting, Bild (wie Anm. 8). 17   Michael T. Clanchy, From Memory to Written Record. England 1066–1307 (Oxford ²1993). 18  Israel, Papst (wie Anm. 1).



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visitierte. Die Schenkungen, die er dabei der jungen, auf Regelobservanz ausgerichteten Asketengemeinschaft an Benedikts Heiliger Höhle machte, sollten die Reform ganz Subiacos stützen. Zugleich bereitete sie die im weiteren Verlauf des 13. Jahrhunderts endgültig durchgesetzte Unterstellung der reichen Gemeinschaft unter die Aufsicht der Kurie vor. Das Wandbild kann in diesem Kontext als Manifest der innerklösterlichen Reformpartei um Abt Romanus gedeutet werden. Die verschiedenen Blickwinkel der Bildbetrachter gehen ineinander über. Und so liegt der Umstand, dass Hagen Keller hier als letzter zu Wort kommt, nicht in einer Systematik, sondern in der Überleitung zu dem von ihm geleiteten Forschungsprojekt begründet, aus dem heraus diese Überlegungen erwachsen sind19. Die Frage, die es bewegte, war die alte historisch-philologische Frage nach dem „Sitz im Leben“ mittelalterlicher Schriftlichkeit20. Es ging um die Bedeutung performativ eingesetzter Schriftdenkmäler in der öffentlichen Kommunikation herrschaftlich und genossenschaftlich organisierter Gemeinschaften. Dabei interessierten insbesondere die Wechselwirkungen zwischen den Text- und Bildbotschaften dieser Medien und ihren jeweiligen Handlungskontexten. Im Beispiel aus Subiaco wären dies also die in der Originalurkunde genannten Beziehungen zwischen den Autoritäten, die nun auch, mittels der Urkunde kommunizierend, an der Wand eines Sakralraumes abgebildet wurden, um eine intendierte Betrachtergruppe zu erreichen. Die wenige Jahrzehnte später neu konzipierte Bildumgebung der Urkunden­ inschrift ist in dieser Sicht ein Indiz für die hohe Relevanz, die sie für die im Wandel befindlichen Selbstdarstellungen von Klostergemeinschaft und Papsttum besaß. Solche Überlieferungsbündel – zu dem von Subiaco gehören neben dem wiederaufgefundenen Original, den Folgeurkunden, dem Registereintrag und dem Bild noch der Bericht eines Kurialen über den Papstaufenthalt sowie der des Chronicon Sublacense21 – erwiesen sich verständlicherweise für die Fragestellung des Projektes als besonders ergiebig. Des Weiteren interessierten auch andere Formen von Schriftlichkeit im Bild sowie die Überführung von Urkunden in andere Trägermedien wie Stein und Metall22. Diente dieser Wechsel 19   Das Teilprojekt „Urkunde und Buch in der symbolischen Kommunikation mittelalterlicher Rechtsgemeinschaften und Herrschaftsverbände“ war von 2000 bis 2008 im Rahmen des Münster’schen Sonderforschungsbereichs  496 tätig. Vgl. mit Hinweisen auf weitere Veröffentlichungen Christoph Dartmann, „Urkunde und Buch in der symbolischen Kommunikation mittelalterlicher Rechtsgemeinschaften und Herrschaftsverbände“. Münsteraner Sonderforschungsbereich 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution“, Teilprojekt A1. Projektleitung: Prof. Dr. Hagen Keller. Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland. Berichtsjahr 2004 (2005) 41–51; Hagen Keller, Die Herrscherurkunden: Botschaften des Privilegierungsaktes – Botschaften des Privilegientextes, in: Comunicare e significare nell’alto medioevo. 15–20  aprile 2004 (Settimane di studio del Centro italiano di studi sull’alto medioevo 52, Spoleto 2005) 231–283; ders., Hulderweis durch Privilegien: symbolische Kommunikation innerhalb und jenseits des Textes. FMSt 38 (2004) 309–321, erweitert ders., The Privilege in the Public Interaction of the Exercise of Power: Forms of Symbolic Communication Beyond the Text, in: Medieval Legal Process: Physical, Spoken and Written Performance in the Middle Ages, hg. von Marco Mostert–Paul Barnwell (Utrecht Studies in Medieval Literacy 22, Turnhout 2011) 75–108; Zwischen Pragmatik und Performanz. Dimensionen mittelalterlicher Schriftkultur, hg. von Christoph Dartmann–Thomas Scharff–Christoph Friedrich Weber (Utrecht Studies in Medieval Literacy 18, Turnhout 2011). 20   Christoph Friedrich Weber, Schriftstücke in der symbolischen Kommunikation zwischen Bischof Johann von Venningen (1458–1478) und der Stadt Basel. FMSt 37 (2003) 355–383, bes. 357f. 21  Vgl. Israel, Papst (wie Anm. 1) 70f. 22  Wilhelm Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter (Leipzig ³1896) 44–47; Müller, Urkundeninschriften (wie Anm. 11); Robert Favreau, Épigraphie médiévale (L’atelier du médiéviste 5, Turnhout 1997) 32 und 40f.; Israel, Papst (wie Anm. 1) 82–85.

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doch meist dazu, die Botschaft der Urkunde auf Dauer an öffentlichen Handlungsorten präsent zu halten. Liegt in diesem Beitrag der Fokus auf der Darstellung der Urkunde im Bild, so ist dieser weitere Kontext der Darstellung von Schriftlichkeit im Mittelalter, der eine umfassende Darstellung verdiente, doch stets mitzudenken. Seinen Abschluss fand das Münster’sche Projekt in der Mitwirkung an der Magdeburger Ausstellung „Spektakel der Macht“ von 200823. Die Diskussion um die Auswahl und Präsentation der Exponate führte dabei eindrücklich eine Problematik vor Augen, die auch den Gegenstand dieses Beitrags bestimmt: die Statik der Bildquellen, die, gewollt oder nicht, nur bestimmte Sinnzusammenhänge einfangen und deren Gebrauch und Rezeption in den sich wandelnden Kommunikationsgemeinschaften zur Gänze sowieso unerfahrbar ist. Angesichts dieser Problematik im Besonderen sowie der vielfältigen Interessen in der Reisegruppe der historischen Disziplinen im Allgemeinen werde ich versuchen, das Phänomen im Folgenden in mehreren Schritten anzugehen. Fasse ich mein Thema als Frage auf, so geht es mir grundsätzlich um den Quellenwert der bildlich dargestellten Urkunden. Des Weiteren stellt sich die Frage nach historischen Prozessen, die sich im diachronen Vergleich der Beispiele ausmachen lassen. Reflektieren die Bilder die Entwicklungsgeschichte der Urkundenform und des Urkundengebrauchs? Lässt sich eine bestimmte Gattung von Bildern als Hauptüberlieferungsträger ausmachen? Und haben die Formund Darstellungskonventionen mittelalterliche Umdeutungen und Verfremdungen provoziert? Auf die Frage nach Bildquellen als Überlieferungsträger ansonsten verlorener Urkunden fand Ludwig Bethmann eine Antwort, als er auf seiner Archivreise für die MGH im erzbischöflichen Palast zu Spoleto ein an die Wand gemaltes Diplom Heinrichs II. von 1017 für die Wissenschaft entdeckte. Der nur bildlich überlieferte, fragmentarische Text hat unter Nummer 361 Aufnahme in die Edition der Urkunden des Liudolfingers gefunden24. Eine Überlieferungslage, wie wir sie uns nach den Maßstäben des 19. Jahrhunderts wünschen würden, finden wir oberhalb der 1891 im neugotischen Stil erbauten Freitreppe des Lübecker Rathauses25 (Abb. 6). Die dortigen Fresken führte 1892 der Berliner Historienmaler Max Friedrich Koch aus, der sich dafür unter anderem mit seinem seit dem Vorjahr in Berlin gezeigten Panorama „Einfahrt Kaiser Wilhelms II. in den Bosporus“ empfohlen hatte. Zu sehen ist auf dem zentralen Wandbild Heinrich der Löwe, der den Eid des ersten Lübecker Stadtvogtes Reinhold entgegennimmt und ihm sein Privileg für die wiederaufgebaute Stadt reicht, sowie, aus der Sicht des die Treppe Heraufsteigenden rechts davon, der Empfang des von Kaiser Rotbart der Stadt gegebenen Freiheitsprivilegs, das bekanntlich omnia iura, que primus loci fundator Heinricus quondam dux 23   Spektakel der Macht. Rituale im alten Europa 800–1800. Katalog [zur Kooperationsausstellung des Sonderforschungsbereiches 496 der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und des Kulturhistorischen Museums Magdeburg, 21. September 2008–4. Januar 2009 im Kulturhistorischen Museum Magdeburg], hg. von Barbara Stollberg-Rilinger et al. (Darmstadt 2008). 24   MGH DD. H.II., ed. Harry Bresslau et al. (Hannover 1900–1903) 361 (Magdeburg 1017 Februar 20). 25  Gert-Dieter Ulferts, Zwischen Alpen und Ostsee: Szenen aus dem Leben Heinrichs des Löwen in der Malerei des 19. Jahrhunderts. Ein Überblick, in: Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125–1235. Katalog der Ausstellung Braunschweig 1995, Bd. 3: Abteilung Nachleben, hg. von Jochen Luckhardt–Franz Niehoff–Gerd Biegel (München 1995) 58–73, Abb. 50–52; Art. Max Friedrich Koch, in: Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler des XX. Jahrhunderts 3, hg. von Hans Vollmer (Leipzig 1956) 75; Michael Brix, Nürnberg und Lübeck im 19. Jahrhundert. Denkmalpflege, Stadtbildpflege, Stadtumbau (Studien zur Kunst des 19. Jahrhunderts 44, München 1981) 238f.



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Saxonie eis concessit et privilegio suo firmavit, bestätigte26. Ein Vergleich dieses Bildes, auf dem ein schriftkundiger Kleriker den staunenden Laien die Urkunde erklärt, mit dem auf den 19. September 1188 datierten Original zeigt, dass Koch sich um eine nahezu photographisch genaue Wiedergabe des Schriftstücks bemüht hat (Abb. 7). Eine im Detail überprüfbare Urkunde mitsamt Vorurkunde und performativem Kontext, das übertrifft ja noch das mittelalterliche Beispiel aus Subiaco! Doch schlägt man die Urkundenbücher auf, so stößt man schnell darauf, dass hier gar nichts stimmt. Zwar sind Privilegierungen Lübecks durch den Welfen in den 1160er und durch den Staufer in den 1180er Jahren bezeugt, doch was genau sie beinhalteten, bleibt im Dunkeln27. Und der in der Hansestadt so lange gehütete Freibrief Barbarossas ist, das hat Hermann Bloch wenige Jahre nach Fertigstellung des Wandbildes nachgewiesen, eine Fälschung28. Dieses „Machwerk“ – so Heinrich Appelt im Kommentar zu Nummer 981 in den Diplomata Friedrichs I. – interpoliert eine echte Urkunde des Staufers. Es wurde angefertigt, um 1226 seinem Enkel zur Bestätigung vorgelegt zu werden29. Die, sieht man vom Aufrollen des Diploms einmal ab, exakte Wiedergabe der Kaiserurkunde auf dem Wandbild von 1892 im Lübecker Rathaus war dagegen historistischen Ansprüchen und vor allem der im Folgejahr begangenen 750-Jahrfeier Lübecks verpflichtet. So veröffentlichte der gerade erst zum Staatsarchivar seiner Heimatstadt berufene Waitz-Schüler Paul Hasse im Jubiläumsjahr eine kommentierte Ausgabe des „Freibriefes“ mit einem Faksimile, die „das älteste und ehrwürdigste Denkmal der vaterstädtischen Geschichte in getreuer Abbildung bekannt“ machen wollte und seinen Mitbürgern wohl auch den Vergleich mit ihrer Darstellung am Treppenaufgang zum Bürgerschaftssaal ermöglichte30. Hasse wies darin auch auf die noch andauernde rechtliche Relevanz der Kaiserurkunde hin, die gerade erst in einer Erkenntnis des Reichsgerichts vom 21. Juni 1890 den Ausschlag zugunsten Lübecks in einem Rechtsstreit mit den mecklenburgischen Großherzogtümern über die Hoheitsrechte über die Trave gegeben hatte31. Vor dieser Entscheidung hatte der Vierte Civilsenat des obersten Gerichtshofes im Deutschen Reich über den ihm vorgelegten ersten Band des „Urkundenbuchs der Stadt Lübeck“ und Giesebrechts „Geschichte der deutschen Kaiserzeit“ gesessen, sich die Zeugenaussage des Arnold von Lübeck von den von beiden Parteien als Gutachter engagierten Rechtshistorikern erläutern lassen sowie schließlich eine beglaubigte Kopie der Urkunde Friedrich Barbarossas zu den Akten genommen, denn „über die Auslegung dieser Urkunde streiten die Parteien in erster Reihe“32. Da die Freie und Hansestadt mit Hilfe des Barbarossaprivilegs auf diesem Wege ihre Hoheitsrechte behauptet hatte und es zugleich im kollektiven Geschichtsbild   MGH DD. F.I, ed. Heinrich Appelt et al. (Hannover 1990) 981 (Leisnig 1188 September 19), hier 265.   MGH DD. HdL, ed. Karl Jordan (Leipzig 1941) 62. Zum Kontext siehe Joachim Ehlers, Heinrich der Löwe. Eine Biographie (München 2008) 154–157; Knut Görich, Friedrich Barbarossa. Eine Biographie (München 2011) 480. 28  Hermann Bloch, Der Freibrief Friedrichs I. für Lübeck und der Ursprung der Ratsverfassung in Deutschland. Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 16 (1914) 1–43. 29   MGH DF. I. 981 Vorbemerkung. 30   Kaiser Friedrich I. Freibrief für Lübeck vom 19. September 1188. Zum Andenken an das 750-jährige Bestehen der Stadt eingeleitet und hg. von Paul Hasse (Lübeck 1893) 3, mit einer vorsichtigen Diskussion des problematischen Stückes. 31  Ebd. 5. 32  Lübecks Hoheitsrecht über die Trave, die Pötnitzer Wyk und den Dassower See. Erkenntnis des Reichsgerichts vom 21. Juni 1890. Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 6 (1892) 243– 326, mit dem Zitat 247. 26 27

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der Lübecker als ältestes erhaltenes urkundliches Zeugnis für die im aktuellen Jubiläum begangene Stadtgründungszeit und die städtischen Freiheiten stand, ist es erklärlich, dass das Privileg im Jahre 1892 zum Gegenstand des neuen Historienbilderzyklus am Rathaus wurde. Diese Herrlichkeit war jedoch nur von kurzer Dauer. In einer Wiederaufnahme des Streites in den 1920er Jahren vor dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich wies das Gericht die inzwischen von Diplomatik und Geschichtswissenschaft in Frage gestellte Kaiserurkunde als direktes Beweismittel im hergebrachten Sinne ab33. Da es in seiner Festlegung des Grenzverlaufs an der Travemündung aber auch die mit der Zweckmäßigkeit zu vereinbarende Tradition berücksichtigte, wird man als Beispiel für die Wirkmächtigkeit mittelalterlicher Privilegien darauf hinweisen können, dass ein verfälschtes Privileg Friedrich Barbarossas mittelbar Einfluss auf den späteren Verlauf des nördlichsten Teils der innerdeutschen Grenze hatte. In unseren Erwartungen an die möglichst genaue Wiedergabe mittelalterlicher Urkunden von diesem neuzeitlichen Beispiel beunruhigt, blicken wir wieder auf die spätmittelalterlich-frühneuzeitliche Überlieferung und sehen, dass es einem Großteil der Illustratoren anscheinend nicht darauf ankam, Inhalte sowie Schrift- und Siegelbilder wiederzugeben. Stattdessen finden sich Leere, Zickzack- oder Wellenlinien, Striche oder Punkte34. Dass auch diese mitunter etwas bedeuten, zeigt das Beispiel des 793 in St. Gallen entstandenen Wandalgarius-Codex. Die zehn Schleifen auf der Tafel in der Linken des Gesetzgebers sind als Hinweis auf die Zehn Gebote gedeutet worden35. Im Unterschied zu solch einer bewusst symbolischen Reduzierung bietet die Darstellung der Kanzleitätigkeit um 1500 im Lehenbuch des Eichstätter Fürstbischofs Gabriel von Eyb auf den ersten Blick die detailreiche Momentaufnahme einer Urkundenausstellung36 (Abb. 8). Gestützt wird dieser Eindruck durch den Realismus, mit dem die Stube im Alten Hof zu Eichstätt, die verschiedenen Schreibutensilien und Dokumente auf dem 33  Urteil des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich zu Leipzig in dem Rechtsstreite Lübecks mit Mecklenburg über die Hoheits- und Fischereirechte in der Lübecker Bucht. Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 25 (1929) 155–198, der von den Juristen sogenannte Lübecker-Bucht-Fall. 34  Vgl. beispielsweise Norbert H. Ott, Rechtspraxis und Heilsgeschichte. Zur Überlieferung, Ikonographie und Gebrauchssituation des deutschen „Belial“ (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters  80, München–Zürich 1983) 220 Abb.  III; Blockmans, Geschichte (wie Anm.  9) 255; Sabina Wagner, Eidesleistung vor dem Richter, in: Gutenberg, aventur und kunst. Vom Geheimunternehmen zur ersten Medienrevolution. Katalog zur Ausstellung der Stadt Mainz anlässlich des 600. Geburtstages von ­Johannes Gutenberg, 14.  April–3.  Oktober 2000 (Mainz 2000) 341 Nr.  GM  141; Kurt Flasch, Der Buchdruck als geschichtliche Schwelle. Kontinuität und Innovation. Dargestellt anhand der Frühdrucke von Stadtbibliothek und Gutenberg-Museum Mainz, in: ebd. 440–459 Abb. 4a. 35  St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 731, pag. 234 (http://www.e-codices.unifr.ch/de/csg/0731/234/ small [letzter Zugriff Juli 2013]). Vgl. Reinhold Kaiser, Vom Früh- zum Hochmittelalter, in: Geschichte des Kantons Zürich 1: Frühzeit bis Spätmittelalter, hg. von Niklaus Flüeler–Marianne Flüeler-Grauwiler (Zürich 1995) 130–171, hier 142. Ebenfalls abgebildet in Johannes Laudage–Lars Hageneier–Yvonne Leiverkus, Die Zeit der Karolinger (Darmstadt 2006) 148. 36  Staatliche Archive Bayerns: Staatsarchiv Nürnberg, Hochstift Eichstätt, Lehenbücher Nr. 8. Abgebildet in: Die Fürstenkanzlei des Mittelalters. Anfänge weltlicher und geistlicher Zentralverwaltung in Bayern. Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs anläßlich des VI. Internationalen Kongresses für Diplomatik, München, 25. Oktober–18. Dezember 1983, hg. von Joachim Wild et al. (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 16, München 1983) 156 Nr. 184 und Farbtafel nach S. 19; Daniel Burger, Der Lehnshof des Eichstätter Bischofs, in: Burg und Herrschaft. Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums Berlin. 25. Juni bis 24. Oktober 2010. Katalog, hg. von Rainer Atzbach–Sven Lüken–Hans Ottomeyer (Dresden 2010) 94f. Kat.-Nr. 5.1; vgl. Karl-Heinz Spiess–Thomas Willich, Das Lehnswesen in Deutschland im hohen und späten Mittelalter (Stuttgart 22009) 26 Abb. 2.



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großen Tisch sowie vor allem die individuellen Physiognomien der an der Ausstellung Beteiligten, die sich auch durch ihre ebenfalls ins Bild gestellten redenden Wappen identifizieren lassen, wiedergegeben sind. Neben dem Fürstbischof sitzt Dr. Kilian Münch. Beide diktieren offenbar mit Hilfe von Dokumenten dem Kanzler Wilbolt Fischl einen Lehnsbrief. Zur Linken des Kanzlers, seinem bischöflichen Herrn schräg gegenüber, sitzt der Hofmeister Hieronymus von Rosenberg. Das Schreiben mit Federkiel und Tinte, der Schatten der Schreiberhand auf dem Blatt, ja sogar das gesprochene Wort des Diktats und die Konzentration des Schreibenden sind ersichtlich. Im Einklang mit diesem Bemühen um Detailtreue präsentiert der Miniator unterschiedlich besiegelte Dokumente und ihr jeweiliges Schriftbild. Doch auch wenn sich im Bild verschiedene Urkundentypen voneinander unterscheiden lassen, so besteht ihr Schriftbild aus geschnörkelten Linien, die dem Betrachter die Anmutung eines zeitgenössischen Urkundentextes geben. Im Unterschied zum historistischen Maler des Barbarossaprivilegs interessierte den Maler des Eichstätter Lehenbuches demnach nicht die getreue Wiedergabe einer Urkunde, sondern das komplexe Geschehen ihrer Entstehung. Er zeigt, in welchem hierarchisch strukturierten Verhältnis die an der Ausstellung Beteiligten zueinander standen sowie die Bedeutung, die der Ausstellungsort als Herrschaftsort mitsamt den Standeskleidern, Gesten und Zeichen der Versammelten besaß. Die Abbildung von Vertretern verschiedener Stände, die durch einen im Bedeutungsmaßstab verkleinerten Lehnsboten vorgeführt werden, lässt schließlich ersichtlich werden, dass hier nicht eine scheinbar objektive Wirklichkeit historischen Geschehens, sondern eine idealtypische, durch den Maler verdichtete Szene zu sehen ist. Dieses Darstellungsziel, das sich bei vielen der im Folgenden vorzustellenden Beispiele erkennen lässt, ist meiner Ansicht nach charakteristisch für den Quellenwert mittelalterlicher Abbildungen von Urkunden. Der Beschreibstoff und seine Faltung scheinen auch nicht immer genau zu interessieren. Häufig ist eine Rotulusform wiedergegeben, die an Schrift- und Spruchbänder erinnert und wie diese das Wechselspiel von Mündlichkeit, Geste und Schriftlichkeit aufruft37. Eine im Detail getreue Wiedergabe der Urkunden einschließlich lesbarer Teile des Urkundentextes, seiner Paraphrase oder graphischer Symbole ist demnach eher die Ausnahme. In diesem Zusammenhang hat Christel Meier unter anderem am Beispiel des Kopialbuches des Augustiner-Chorherrenstifts St. Florian darauf hingewiesen, dass ins Bild gesetzte Urkunden oft nur ein „Textimitat“ enthalten, da es mehr auf die Wiedergabe ihrer Gebrauchssituation ankam, oder „Textreduktionen“ bieten, die als pars pro toto für den Urkundentext stehen oder auf den bildlichen Kontext, etwa auf eine rechtserhebliche Passage oder den Rang des dargestellten Ausstellers, verweisen38. Diese Textbilder waren ebenso ein Mittel der mittelalterlichen Illustratoren, um den an der jeweiligen Stelle zu 37  Vgl. Clanchy, Memory (wie Anm.  17) 384f. T.  XX,; Susanne Wittekind, Vom Schriftband zum Spruchband. Zum Funktionswandel von Spruchbändern in Illustrationen biblischer Stoffe. FMSt 30 (1996) 343–367; Meier, Konkretisierung (wie Anm. 16); Späth, Verflechtung (wie Anm. 13) 113–135; Meyer zu Ermgassen, Buchschmuck (wie Anm. 14) 67f., 87f., 142f.; Christoph Friedrich Weber, Ces grands privilèges: The Symbolic Use of Written Documents in the Foundation and Institutionalization Processes of Medieval Universities. History of Universities 19/1 (2004) 12–62, hier 27f., mit dem Beispiel der Eingangsminiatur aus den Bologneser Costituzioni del Collegio dei dottori, giudici e avvocati (Bologna, Archivio di Stato, Codici miniati, 40, fol. 2r) vom Ende des 15. Jhs., in der eine zeittypische Papsturkunde und eine in Rollenform gebrachte Herrscherurkunde nebeneinander gestellt sind. 38   Meier, Konkretisierung (wie Anm. 16) 352f.

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zeigenden Bedeutungszusammenhang hervorzuheben, wie die oftmals unverhältnismäßig vergrößerte Darstellung der Urkunde oder ihres Siegels gemäß der Bedeutungsperspektive. Die auf den Illustrationen der im Konstanzer Rosgartenmuseum verwahrten Handschrift von Ulrich Richentals Konzilschronik zu sehenden Lehnsurkunden können weitere Beispiele für solche Textimitate bzw. -reduktionen bieten39. Der Sitz im Leben dieser Lehnsurkunden war ihre Verlesung im Kontext von Belehnungen oder Standeserhebungen, die König Sigmund am Rande des Konzils an Reichsfürsten vornahm. So ist auf fol. 47v die am 5. Mai 1415 im Refektorium des Konstanzer Franziskanerklosters erfolgte Belehnung des Herzogs von Mailand durch einen Stellvertreter dargestellt40 (Abb. 9). Die Zeichnung illustriert den Lehnsakt in mehreren Schritten, dessen Beschreibung im umseitigen Chroniktext mit dem Satz schließt: Und wurden ouch darumb an stet brief gemacht und versigelt 41. Dies ist nun zeitgleich zur wechselseitigen Leistung des Lehnseides im Bild dargestellt. Ein kahlköpfiger Schreiber mit einer Nietbrille auf der Nase verliest eine mit drei erkennbaren, roten Wachssiegeln besiegelte Urkunde, deren Text nur durch die erwähnten Zickzacklinien angedeutet ist. In zwei Bildregistern auf fol. 77r sind die durch Sigmund in Konstanz vorgenommene Belehnung des Mainzer Erzbischofs Johann II. am 23. März 1417 und die Erhebung des Grafen Adolf von Kleve zum Herzog am 28. April zusammengestellt (Abb. 10–11). In beiden Fällen wird die Verlesung einer Lehnsurkunde mit mehreren Rundsiegeln mit ins Bild gesetzt. Bei der Belehnung des Mainzers nimmt sie ein Geistlicher aus dessen Gefolge vor, bei der des Klevers ein Laie, der, hinter der Brüstung des Podests stehend, anscheinend zum königlichen Gefolge gehört. Der Illustrator hat, um Erzählrealismus bemüht, den Urkundentext aus Sicht des Verlesers und deshalb für den Bildbetrachter auf dem Kopf stehend dargestellt42. Er ging aber nicht so weit, den angebrachten Urkundentext, der auch nicht in die Chronik aufgenommen wurde, anzudeuten, sondern fügte lediglich Formeln ein, die wie die flüchtig gezeichneten Siegel den genauer Hinsehenden das Gezeichnete als Urkunde erkennen lassen. Nach Otto Feger steht in der Mainzer Urkunde: Wir Eberhart von gottes gnaid herr zu Kerli (?) und zu Tierol und war uns ze wiss, und in der Klever Urkunde: Durchlichtiger fürst und aller gnadigster kaiser, wir tun zu wissen43. Wie im jüngeren Bild aus dem Eichstätter Lehenbuch ging es hier nicht um die Identifizierbarkeit einer bestimmten Urkunde, sondern um die Überlieferung des idealisiert dargestellten kommunikativen Kontextes der Dokumente. Hinzu kommt, dass identi39  Zur Chronik und ihrer Überlieferung siehe jetzt Ulrich Richental, Chronik des Konstanzer Konzils, 1414–1418, ed. Thomas Martin Buck (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen 41, Ostfildern 2010). 40  Faksimile der um 1465 entstandenen Kopie im Konstanzer Rosgartenmuseum, Hs. 1: Ulrich Richental, Das Konzil zu Konstanz MCDXIV–MCDXVIII, Bd. 1: Faksimile, Bd. 2: Kommentar und Text, ed. Otto Feger (Starnberg–Konstanz 1964). Vgl. zum Folgenden Karl-Heinz Spiess, Kommunikationsformen im Hochadel und am Königshof im Spätmittelalter, in: Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter, hg. von Gerd Althoff (VuF 51, Stuttgart 2001) 261–290, bes. 277–284. 41  Text der Konstanzer Handschrift, ed. Otto Feger, in: Ulrich Richental, Konzil (wie Anm. 40) 2 149– 278, hier 197 Nr. 135, fol. 47v; vgl. Ulrich Richental, Chronik, ed. Buck (wie Anm. 39) 55. 42   Der Begriff des „Erzählrealismus“ nach Hans Belting, Die Oberkirche von San Francesco in Assisi. Ihre Dekoration als Aufgabe und die Genese einer neuen Wandmalerei (Berlin 1977) 81; vgl. ders., Bild (wie Anm. 8). 43  Text der Konstanzer Handschrift, ed. Feger (wie Anm. 41) 224f. Nr. 225, fol. 77r, mit der Bemerkung: „Der Text der Urkunde, soweit er gelesen werden kann, ist allerdings völlig sinnlos … . Es soll offensichtlich nur der Eindruck einer irgendwie beschriebenen Urkunde gegeben werden“. Vgl. Ulrich Richental, Chronik, ed. Buck (wie Anm. 39) 91.



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fizierbare Stücke, die der Kontrolle einer bestimmten Gemeinschaft unterlagen oder in ihrem Auftrag veröffentlicht wurden, oft aus zeitlichem Abstand heraus dargestellt wurden. Sie haben die Funktion von Rechts- und Geschichtsdenkmälern. So wurde etwa das 1442 für den Lüneburger Rat geschriebene und durch den gelehrten Ratsherrn Brand von Tzerstede glossierte Prachtexemplar des Sachsenspiegels durch den Hamburger Maler Hans Bornemann mit ganzseitigen Miniaturen geschmückt44 (Abb. 12). Zu diesen zählt auch der Gründungsakt des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg. Auf seinem Mainzer Hoftag im August 1235 belehnte Kaiser Friedrich II. Otto das Kind mit dem neuen Herzogtum und gab ihm die im Bild auch als solche dargestellte Goldbulle45. Der Miniator zieht dies mit der Bestätigung des Lüneburger Stadtrechts durch Herzog Otto im Jahre 1247 zusammen, die der Welfe in Urkundenform an den Rat weiterreicht. Die Darstellungsabsicht ist offensichtlich, die Basistexte des in Lüneburg geltenden Rechtes – Sachsenspiegel, Kaiser- und Herzogsprivileg – in einem Bild zusammen darzustellen. Diese Ordnung der Schriftdenkmäler korrespondiert wiederum mit der dargestellten heraldischen Ordnung, der Wappenreihe des Rates, den Wappen des Reichs und der Staufer, des welfischen Herzogtums sowie der Stadt. Eine Möglichkeit des Vergleichs von Bild und Urkunde bietet die zu Beginn des 16. Jahrhunderts entstandene Bilderchronik des Luzerners Diebold Schilling. Sie bildet den am 1. Mai 1351 geschlossenen ewigen Bund Zürichs mit den vier Waldstätten Uri, Schwyz, Unterwalden und Luzern als Verlesung und Beschwörung des Bundesbriefes ab46 (Abb. 13). Die öffentliche Verlesung der Urkunde durch einen Schreiber und ihre Beschwörung durch die in den jeweiligen Wappenfarben gekleideten Repräsentanten der Orte – ein in seiner Bedeutung für die Konstituierung der Alten Eidgenossenschaft kaum zu überschätzendes, in festen Zyklen erneuertes Ritual 47 – begegnet erstmals als Passus im Zürcher Bundesbrief. Hält man nun die 1891 im Nidwaldner Archiv wiederaufgefundene Ausfertigung des Zürcherbundes von 1351 neben das Bild, so fallen sofort Un44  Lüneburg, Ratsbücherei, Ms. Jurid. 1, fol. 5v; Hartmut Boockmann, Die Stadt im späten Mittelalter (München ³1994) 153 Nr. 236; Kerstin Seidel, Vorzeigen und nachschlagen. Zur Medialität und Materialität mittelalterlicher Rechtsbücher. FMSt 42 (2008) 306–328, bes. 325f.; Elisabeth Gruber et al., Einleitung, in: Mittler zwischen Herrschaft und Gemeinde. Die Rolle von Führungsgruppen in der mittelalterlichen Urbanisierung Zentraleuropas, hg. von ders. et al. (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 56, Innsbruck 2013) 9–18 (Text von Sven Rabeler). 45   J. F. Böhmer, Regesta Imperii V. Die Regesten des Kaiserreichs unter Philipp, Otto IV, Friedrich II, Heinrich  (VII), Conrad  IV, Heinrich Raspe, Wilhelm und Richard 1198–1272, Bd.  1, ed. Julius Ficker (Innsbruck 1881) Nr. 2104 (auch in: Regesta Imperii Online, URL: http://www.regesta-imperii.de/id/123508-00_1_0_5_1_1_3029_2104 [zuletzt abgerufen am 27. 7. 2013]). Vgl. Bernd Schneidmüller, Die neue Heimat der Welfen. Von der kaiserlichen Landschaft zum Herzogtum Braunschweig (1125–1252), in: Die Braunschweigische Landesgeschichte. Jahrtausendrückblick einer Region, hg. von Horst-Rüdiger Jarck–Gerhard Schildt (Braunschweig 2000) 177–230; Jürgen Dendorfer, Was war das Lehnswesen? Zur politischen Bedeutung der Lehnsbindung im Hochmittelalter, in: Denkweisen und Lebenswelten des Mittelalters, hg. von Eva Schlotheuber–Maximilian Schuh (Münchener Universitätsschriften. Münchner Kontaktstudium Geschichte 7, München 2004) 43–64, hier 51. 46   Carl Pfaff, Die Welt der Schweizer Bilderchroniken (Schwyz 1991) 92f.; Christian Sieber, Die Reichsstadt Zürich zwischen der Herrschaft Österreich und der werdenden Eidgenossenschaft, in: Geschichte des Kantons Zürich 1 (wie Anm. 35) 471–498, hier 476 und 492. Zu Quelle und Kontext siehe Jeannette Rauschert, Herrschaft und Schrift. Strategien der Inszenierung und Funktionalisierung von Texten in Luzern und Bern am Ende des Mittelalters (Scrinium Friburgense 19, Berlin–New York 2006). 47   Vgl. Christoph Friedrich Weber, Vom Herrschaftsverband zum Traditionsverband? Schriftdenkmäler in öffentlichen Begegnungen von bischöflichem Stadtherrn und Rat im spätmittelalterlichen Basel. FMSt 38 (2004) 449–491, hier 479–481.

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terschiede auf (Abb. 14). Schilling hat nur vier statt der fünf Siegel wiedergegeben und die Anbringung der Siegelschnüre entspricht nicht jener der Urkunde. Hat der Kanzlist, der es eigentlich besser wissen sollte, also geschlampt oder das Urkundenbild dem gewandelten Format seiner Zeit angepasst? Für die Siegelzahl, die ich mir nicht erklären kann, will ich Ersteres nicht ausschließen. Die geänderten Siegelschnüre haben jedoch einen anderen Grund, der dank des Überlieferungszufalls aus Nidwalden erkennbar wird. Mit dem Ausgang des Alten Zürichkrieges waren die der Herrschaft Österreich in den alten Bünden eingeräumten Vorbehalte nach Ansicht der Eidgenossen nicht mehr haltbar. Also fertigte man 1454 die Urkunden des Zürcherbundes komplett neu aus und verpflichtete die Bündnispartner, die alten Exemplare zu vernichten (Abb. 15). Wenn Diebold Schilling die Neuausfertigung von 1454 in seiner Darstellung des Bundes von 1351 abbildete, so lag dies daran, dass er nur die jüngere Urkunde kannte. Zu meinem zweiten Punkt, der Einordnung der Urkundenbilder in den historischen Prozess der Verschriftlichung im Abendland, kann ich keine Überraschung, sondern eine Bestätigung des bekannten Forschungsstandes liefern48. Vor der Wende des Hochmittel­ alters finden wir neben den erwähnten Urkundeninschriften in Stein und Metall vor allem Schreiber- und Dedikationsbilder. So etwa auf der bekannten Seite aus der Modeneser Handschrift des Liber legum des Lupus von Ferrières. Ende des 10. Jahrhunderts entstanden, kopiert sie mit der Darstellung eines Schreibers vor den karolingischen Gesetzgebern eine über ein Jahrhundert ältere Vorlage, die ihrerseits im Typus auf spätantike Vorbilder zurückreicht49. Auch der um 1100 angefertigte Deckel des Liber aureus von Prüm steht in der Tradition älterer Bildkonventionen und zeigt deshalb in den Händen der karolingischen Wohltäter des Reichsklosters keine zeitgenössischen Urkunden, sondern halb entfaltete Rollen50. Die Anlage des Codex und die Bildfunktion seines Einbandes weisen aber auch in die Zukunft. Entscheidend war wohl die durch Beischrift ermöglichte Identifizierung der königlichen Stifter, denen so wiederum ihre im Inneren des Chartulars abgeschriebenen Privilegien zugewiesen werden können, für die die leeren Rollen summarisch stehen. Und so holt das Bild auf dem Einband die im Urkundenbuch erfassten schriftlichen Bestimmungen in eine idealtypische, sich auf das liturgische Offertorium beziehende Huldigungsszene der Stifter vor Christus hinein. Im Fortschreiten des Verschriftlichungsprozesses werden nun die Urkunden als erkennbare Objekte sowie die Elemente aus den Handlungskontexten von Ausfertigung, Präsentation oder Verlesung in den bildlichen Darstellungen immer präsenter und unterscheidbarer. In einer Handschrift der frühen Salierzeit aus dem Regensburger Niedermünster wird die traditio legis, in diesem Fall die der Benediktsregel, als Übergabe eines Buches dargestellt51. Das Beispiel ließe sich problemlos vermehren. Der gegen Ende der 48   Vgl. Clanchy, Memory (wie Anm. 17); Hagen Keller, Vom „heiligen Buch“ zur „Buchführung“. Lebensfunktionen der Schrift im Mittelalter. FMSt 26 (1992) 1–31; ders., Hulderweis (wie Anm. 19). 49  Katharina Bierbrauer, Lupus von Ferrières, Liber legum, in: 799 – Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn. Katalog der Ausstellung Paderborn 1999, Bd. 1, hg. von Christoph Stiegemann–Matthias Wemhoff (Mainz 1999) 54–56 Kat.-Nr. II.13, mit Bezug auf die Handschrift Modena, Biblioteca Capitolare, Ord. I. 2, fol. 154v. 50   Michael Peter, Einband des Liber aureus von Prüm, in: Canossa  1077  – Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik 2: Katalog, hg. von Christoph Stiegemann–Matthias Wemhoff (München 2006) 373–375 Kat.-Nr.  472, mit Bezug auf die Handschrift Trier, Stadtbibliothek, Cod. 1709. 51  Regensburger Buchmalerei. Von frühkarolingischer Zeit bis zum Ausgang des Mittelalters. Katalog zur Ausstellung der Bayerischen Staatsbibliothek München und der Museen der Stadt Regensburg in Regensburg,



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1430er Jahre tätige Meister des Albrechtsaltars für das Wiener Karmeliterkloster stellt dagegen die gleiche Szene als Übergabe der Regel in Form einer Papsturkunde dar52. Die angesprochene Präsenz scheint zum einen darauf zurückzuführen sein, dass, wie im Prümer Liber aureus, die aus dem Urkundentext nicht unmittelbar hervorgehenden, gleichwohl für ihn relevanten Kontextbedeutungen der medial gebrauchten Urkunde den Betrachtern ergänzend im Bild vermittelt werden sollen. Dabei ging es den Darstellern, wie gesagt, nicht um eine photographisch-„authentische“ Wiedergabe, sondern um idealtypische Bilder. Und damit ist auch die zeitliche Dimension des Gegenwärtighaltens und Aktualisierens von Privilegierungen angesprochen. Zum anderen stehen die Zeichen und Gesten in und um die Urkunde in einem Zusammenhang mit den sich im Verschriftlichungsprozess zu Institutionen ausformenden Ordnungen. Dazu zählen Papst und Kaiser, die, umgeben von ihren Notaren und iurisperiti, in einer Bologneser Dekretalenhandschrift des Trecento dargestellt werden, oder die Gerichte König Heinrichs VI. von England53. Mit den Herrschenden geraten auch die Dokumentationsspezialisten als Akteure aufs Bild. Ein niederländischer Kupferstich des 16. Jahrhunderts zeigt im Theater des Schreckens der Justitia am rechten Bildrand vor einer Rathausarchitektur einen Strafprozess mit Urkundenprüfung. An der Schreibstube darüber wird jemand vorstellig und präsentiert eine Urkunde54. Die Relevanz des performativen Kontextes der Urkunde und ihre Rolle als Agent der Institutionalisierung machen sie schließlich für Darstellungen attraktiv, in denen sie als Formel für Verfremdungen dient. Mit dieser Entwicklung ist auch die Leitgattung der Urkunden auf Bildquellen des späteren Mittelalters benannt: die handlungsleitende und identitätsstiftende Gruppe der Chartulare, Matrikeln, Register und Bilderchroniken. Ein frühes Beispiel ist die 1059/60 erfolgte Wiederherstellung und Privilegierung des Pariser Kanonikerstiftes Saint-Martindes-Champs durch Heinrich I. von Frankreich. Etwa ein Jahrzehnt später entstand das Urkundenbuch des Klosters, dem ein Bericht in Versform mit Illustrationen vorange16. Mai–9. August 1987, hg. von Florentine Mütherich–Karl Dachs (Bayerische Staatsbibliothek, Ausstellungskataloge 39, München 1987) 35f. Kat.-Nr. 21 mit Taf. 17. 52   Der Albrechtsaltar und sein Meister, hg. von Floridus Röhrig (Wien 1981) 90f. mit Taf. 28; Schätze burgundischer Hofkunst in Wien, hg. von Sabine Haag–Franz Kirchweger–Katja Schmitz-von Ledebur (Wien 2009) 141 Abb. 13. 53   Zu dieser und ähnlichen Handschriften aus der in der Mitte des 14.  Jhs. blühenden Bologneser Buchmalerschule siehe Gaudenz Freuler, „Künder der wunderbaren Dinge“. Frühe italienische Malerei aus Sammlungen in der Schweiz und in Liechtenstein. Ausstellungskatalog (Lugano–Castagnola–Einsiedeln 1991) 136–139 Kat.-Nr. 48, mit Bezug auf die oben genannte Miniatur in der Handschrift Genf, Bibliothèque Publique Universitaire, Ms. Lat. 60, fol. 2; Belting, Bild (wie Anm. 8) 46; ebenfalls bei Blockmans, Geschichte (wie Anm. 9) 121 (Vatikanische Handschrift) und 207 (Genfer Handschrift). Vgl. allgemein die Bildbeispiele bei Friedrich Ebel–Andreas Fijal–Gernot Kocher, Römisches Rechtsleben im Mittelalter. Miniaturen aus den Handschriften des Corpus iuris civilis (Heidelberg 1988). Zu der Londoner Bilderhandschrift siehe Blockmans, Geschichte (wie Anm. 9) 65 (mit Abbildung des Court of Chancery); John H. Baker, Der Court of King’s Bench, um 1460, in: Frieden durch Recht (wie Anm. 10) 390 Kat.-Nr. 261 (Abb. S. 268), mit Bezug auf die Handschrift London, Inner Temple Library, Ms. Add. 188. Es handelt sich um vier Blätter einer um 1460 entstandenen Rechtshandschrift, die in ganzseitigen Miniaturen die in Westminster tagenden Gerichte darstellen: Court of Chancery, Court of King’s Bench, Court of Common Pleas, Court of Exchequer. Alle Abbildungen dokumentieren einen vielfältigen Schriftgebrauch während der Gerichtssitzungen. Darüber hinaus zeigt das Bild des Court of Chancery einen der beiden vorsitzenden Richter bei der Prüfung einer entfalteten Urkunde, an der ein Rundsiegel aus rotem Wachs an einem Pergamentstreifen hängt. 54  Ingrid Scheurmann, „Iustitia in toto virtutum maxima mundo“, in: Frieden durch Recht (wie Anm. 10) 88 und 91 Kat.-Nr. 35.

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stellt ist55. In der unteren Bildleiste naht sich der Konvent unter Führung des Abtes dem auf einem Faltstuhl sitzenden König. Rex pius Henricus, Martini dulcis amicus, preist ihn der erste Vers des Berichtes. Vor dem Kapetinger kniet der Pariser Bischof Imbertus von Vergy, der als Vermittler und Intervenient fungiert hatte. Heinrich hält ein beschriftetes, mit seinem Namen beginnendes und mit Libertas Aecclesiae Sancti Martini endendes Pergament, das seine Stiftungsurkunde bezeichnet. Soeben hat er mit der Linken ein Kreuz als Beglaubigungszeichen darauf gesetzt. In der Originalurkunde führt Heinrichs Kreuz eine Reihe von 32 weiteren Beglaubigungszeichen an. Im Bild reicht er sein Privileg dem Kanzler, der es wiederum an die Kanoniker weiterreichen wird. Auch der im 7. Jahrhundert wirkende heilige Amandus wird in einer Prachthandschrift aus der von ihm gegründeten Abtei Elnone (Saint-Amand) aus der Mitte des 12. Jahrhunderts bei der Beglaubigung seines Testaments gezeigt (Abb. 16). Er hat soeben mit der Feder in der Rechten sein Kreuz unter die Schlussformel seines Testamentes gesetzt, die in der Miniatur mit roter Tinte geschrieben ist: Ego Amandus peccator hanc epistolam a me factam consensi et subscripsi. Nun unterzeichnet auch der ebenfalls mit Schreibfeder und mit einem Federmesser bewaffnete Priester Baudemundus, dem Amandus diktiert hat: Ego Baudemundus subscripsi. Die B-Initiale des Namens ist mit goldener, der Rest der Unterschrift mit schwarzer Tinte geschrieben. Wie in der jüngeren Urkundeninschrift aus Subiaco erfüllt die Mehrfarbigkeit der Schrift auch hier eine dekorative Funktion. Darüber hinaus nutzte sie der Illustrator, der sogenannte „Maître du Testament“, um die beiden Beglaubigungsformeln voneinander zu unterscheiden. Der Betrachter der ganzseitigen Miniatur kann diese Formeln in der vorangestellten Petitio sev conivratio sancti Amandi de corpore svo, dem sogenannten Testament des Heiligen, wiederfinden. In der Karolingerzeit in Elnone entstanden, verteidigte sie die Echtheit der dortigen, damals umstrittenen Grablege des Amandus mit ihm zugeschriebenen urkundlichen Beglaubigungsmitteln56. Im Umgang mit dieser Traditionsvorgabe in der Handschrift des 12. Jahrhunderts wird zudem der sich im Hochmittelalter vollziehende Wandel im Gebrauch beglaubigender Handzeichen auf Urkunden ersichtlich57. Während dies für den Illustrator des Chartulars aus Saint-Martin-des-Champs und erst recht für den karolingerzeitlichen Verfasser des Testaments des heiligen Amandus eine gebräuchliche Beglaubigungsform darstellte, waren in der Urkundenlandschaft Flanderns im 12. Jahrhundert, in der das altehrwürdige Scriptorium von Elnone in neuer Blüte stand, inzwischen andere Formate bestimmend und graphische Symbole nahezu unüblich geworden. Daher konnte der „Maître du Testament“ mit einer gewissen Freiheit die ihm durch den älteren Text vorgegebene Beglaubigungsszene farb- und effektvoll ins Bild setzen.

55  Christoph Friedrich Weber–Christoph Dartmann, Rituale und Schriftlichkeit, in: Spektakel der Macht (wie Anm. 23) 50–55 Abb. 27, mit Bezug auf die Handschrift London, British Library, Ms. Add. 11662. 56  Valenciennes, Bibliothèque Municipale, MS  501, fol.  54r–56r (Testament) und fol.  58v (Miniatur). Die Handschrift ist digitalisiert einsehbar unter: http://bibebook.valenciennes.fr/MS0501/index.htm. Vgl. Olivier Guyotjeannin–Jacques Pycke–Benoît-Michel Tock, Diplomatique médiévale (L’atelier du médiéviste 2, Turnhout 1993 [32006]) 5; Charles Reginald Dodwell, Pictorial Arts of the West 800–1200 (Yale University Press Pelican history of art, New Haven–London 1993) 205f. Abb. 197; Georges Declercq, Art. Saint-Amand. LMA 7 (1995) 1131; sowie zum sogenannten Testament des Amandus: Walter Mohr, Studien zur Klosterreform des Grafen Arnulf I. von Flandern. Tradition und Wirklichkeit in der Geschichte der Amandus-Klöster (Mediaevalia Lovaniensia Series I: Studia 22, Leuven 1992) bes. 33–36. 57   Vgl. Rück, Beiträge (wie Anm. 2) 24–29 und 42.



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Eine ähnliche Kombination von Gründungsbericht in Versform, Abschrift und InsBild-Setzen der Urkunde wie in den bedeutenden Benediktinerabteien Saint-Martindes-Champs und Saint-Amand bietet auch die mehrere Jahrhunderte jüngere Rektoratsmatrikel der Universität Basel. Die Eröffnung der Hohen Schule am Ambrosiustag des Jahres 1460 im Basler Münster ist als Übergabe der päpstlichen Stiftungsbulle durch den Ortsbischof und künftigen Rektor an den Bürgermeister dargestellt. Wie im Chartular oder in der Lüneburger Sachsenspiegelglosse wird der für eine Gemeinschaft konstitutive Gründungs- oder Stiftungsakt im Bild nicht nur präsentgehalten, sondern auch mit der entsprechenden Urkunde verknüpft58. Im Unterschied zu Bildern ähnlicher Funktion in anderen Handschriften liegt jedoch eine sozusagen natur- und maßstabsgetreue Darstellung des zusammengefalteten Schriftstücks vor. Das 1212 Urkunden umfassende Chartular, das der Trierer Erzbischof Balduin von Luxemburg in den 1340er Jahren für sich und seine Amtsnachfolger anlegen und ausschmücken ließ, ist systematisch geordnet59. Die Abteilung der Privilegien, welche die Trierer Kirche von Kaisern und Königen erhalten hat, eröffnet auf Blatt 135 eine Urkunde Karls des Einfältigen für Erzbischof Radbod vom 13. August 91360 (Abb. 17). Ihre prachtvoll ausgeschmückte Rahmung erklärt sich nicht nur aus dieser Spitzenposition, sondern auch aus ihrer Bedeutung. Sicherte der König doch mit ihr der Trierer Kirche das Recht der freien Bischofswahl zu, wie die rubrizierte Überschrift der Zierseite und der ebenfalls aus dem 14. Jahrhundert stammende, gleichlautende Vermerk auf dem Rücken des Originals zusammenfassen: Karolus rex precipit quod in posterum clerus et populus Treverensis eligant episcopum Treverensem61. Schreiber und Miniator haben den dem Original entnommenen Text in eine elegante Buchschrift überführt. Die genaue Nachzeichnung von Monogramm und Rekognitionszeichen bezeugt die Kenntnis des Originals, auf dessen Nachbildung in der I-Initiale der Invocatio es jedoch nicht ankam62. Hier ist im Stil der Zeit die Übergabe einer Urkunde mit einem übergroß dargestellten Hängesiegel zu sehen, das der Empfänger untergreift. Eine zum gleichen Bildtypus gehörende Szene bietet die Zeichnung, die dem Registrum honoris de Richmond vorangestellt ist63 (Abb. 18). Sie zeigt Wilhelm den Eroberer, 58  Weber, Schriftstücke (wie Anm. 20) mit Bezug auf die Handschrift Basel, Öffentliche Bibliothek der Universität Basel, AN IV 3, fol. 2v; ders., Ces grands privilèges (wie Anm. 37); ders., Herrschaftsverband (wie Anm.  47) 464–467 und 488; ders., Schilderung und Beglaubigung der Gründungszeremonie, in: Schatzkammern der Universität Basel. Die Anfänge einer 550-jährigen Geschichte. Katalog zur Ausstellung, hg. von Martin Wallraff–Sara Stöcklin-Kaldewey (Basel 2010) 20f. Kat.-Nr. 1.3. 59  Johannes Mötsch, Die Balduineen. Aufbau, Entstehung und Inhalt der Urkundensammlung des Erzbischofs Balduin von Trier (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 33, Koblenz 1980). 60   Wolfgang Schmid, Darstellungen Erzbischof Balduins in der Trierer Buchmalerei, in: Der Weg zur Kaiserkrone. Der Romzug Heinrichs VII. in der Darstellung Erzbischof Balduins von Trier, hg. von Michel Margue–Michel Pauly–Wolfgang Schmid (Publications du Centre Luxembourgeois de Documentation et d’Études Médiévales 24, Trier 2009) 155–160, hier 157–159 Abb. 4–5, mit Bezug auf die Handschrift Koblenz, Landeshauptarchiv, I C I, Blatt 135. 61   Das erhaltene Original befindet sich im Landeshauptarchiv Koblenz, 1 A Urkunde 10. Vgl. Mötsch, Balduineen (wie Anm. 59) 93. 62  Bereits der Fuldaer Mönch Eberhard fand um die Mitte des 12. Jhs. für sein Chartular eine ähnliche Bildlösung; Meyer zu Ermgassen, Buchschmuck (wie Anm. 14) 69f., 88f., 95–100. 63  London, British Library, Cotton MS Faustina B VII, fol. 72–136, hier fol. 72v. Als Frontispiz vorangestellt unter anderem der veralteten Edition: Registrum honoris de Richmond, ed. Roger Gale (London 1722), sowie Early Yorkshire Charters 4: The Honour of Richmond 1, ed. William Farrer–Charles Travis

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der seinen vor ihm knienden Getreuen, den bretonischen Grafensohn Alan Rufus, mit dem großen Besitzkomplex im Nordwesten Yorkshires belehnt, der dann als Honour of Richmond eine eigenständige Feudalherrschaft im Besitz der Herzöge der Bretagne darstellte. Als sich jedoch nach dem Bretonischen Erbfolgekrieg der endgültige Übergang der Herrschaft Richmond an das Haus Lancaster abzeichnete, wurde im frühen 15. Jahrhundert das Registrum angelegt, um eine Bestandsaufnahme der Besitz- und Lehnsverhältnisse vorzunehmen und Anschluss an die Begründung der Herrschaft im 11. Jahrhundert zu finden64. Wie in anderen Lehenbüchern und Chartularen geht ihm eine Miniatur voraus, die, wie in diesem Fall, einen historischen Begründungsakt oder den ebenfalls rechtserheblichen Kontext des schriftlich Erfassten ins Bild setzt. Gezeigt wird hier die Begründung des Honour of Richmond durch Wilhelm den Eroberer mit Mitteln symbolischer Kommunikation, die vor allem dem Lehnswesen des späteren Mittelalters zuzuordnen sind. Der König sitzt in seiner Rüstung, angetan mit einem Waffenrock mit dem englischen Wappen, mit seiner Krone auf dem Haupt und dem Schwert in der Rechten auf einem sockelartigen Thron. Vor ihm kniet Alan der Rote, der ebenfalls einen Kronreif trägt und in seiner Rechten eine Bannerlanze hält, deren Banner wie sein Rock das Wappen der Earls of Richmond aus dem Hause Dreux zeigt. Hinter dem thronenden König ist eine Gruppe von Geharnischten zu sehen, deren grobe Wiedergabe in Kontrast zu den fein gezeichneten Gesichtern der beiden Hauptakteure steht und die Roger Gale aufgrund ihrer Wappen als Repräsentanten anglonormannischer Familien identifiziert hat, die in verwandtschaftlichen oder Lehnsbeziehungen zu den Herren von Richmond standen65. Im Mittelpunkt des Bildes steht jedoch die Urkunde, an der an einer grünen Siegelschnur ein großes Rundsiegel aus grünem Wachs hängt. Sie scheint, wenn der Vergleich gestattet ist, wie ein Luftballon zu schweben, sodass der König sie mit dem Griff seiner Linken in die Enden der Siegelschnur hält, während Alan Rufus, ähnlich wie der Trierer Erzbischof in unserem vorangegangenen Beispiel, die Urkunde entgegennimmt, indem er unter das Siegel fasst. Der mit einer rubrizierten E-Initiale beginnende Urkundentext lautet: Ego Willelmus cognomine Bastardus Rex Anglie do et concedo tibi Nepoti meo Alano Britannie comiti et heredibus tuis imperpetuum omnes villas et terras que nuper fuerunt Comitis Edwyni in Eboracshira cum feodis Militum et ecclesiis et aliis libertatibus et consuetudinibus ita libere et honorifice sicut idem Edwinus ea tenuit. Datum in obsidione coram Civitate Eboraci 66. Die Authentizität dieser nur bildlich überlieferten Schenkungsurkunde ist von der Forschung aus offensichtlichen Gründen bezweifelt worden. Zwar finden sich einzelne Wendungen ihres Formulars auch in anderen Urkunden, wie der ersten bekannten „char-

Clay (The Yorkshire Archæological Society Record Series. Extra Series 1, [Wakefield] 1935; Nachdr.: Cambridge ­Library Collection, Cambridge 2013), auch abgebildet in R. Allen Brown, Die Normannen (München 1991) 103. 64  Vgl. Paul Jeulin, Un grand „Honneur“ anglais. Aperçus sur le „comté“ de Richmond en Angleterre, possession des Ducs de Bretagne (1069/71–1398). Annales de Bretagne 42 (1935) 265–302; Bärbel Brodt, Art. Richmond. LMA 7 (1995) 832f.; Melanie Devine, The Lordship of Richmond in the Later Middle Ages, in: Liberties and Identities in the Medieval British Isles, hg. von Michael Prestwich (Regions and Regionalism in History 10, Woodbridge 2008) 98–110. 65  Registrum honoris de Richmond, ed. Gale (wie Anm. 63) 225, erkannte die Wappen der de Forz (de Fortibus) als Earls of Albemarle, Warenne, de Lacy, Newburgh/Beaumont als Earls of Warwick und de Aske. 66  London, British Library, Cotton MS Faustina B VII, fol. 72v; Regesta regum Anglo-Normannorum 1066–1154, Bd. 1: Regesta Willelmi Conquestoris et Willelmi Rufi 1066–1100, ed. Henry William Carless Davis–Robert Jowitt Whitwell (Oxford 1913) 8 Nr. 27*; Early Yorkshire Charters 4 (wie Anm. 63) 94f.



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ter of creation“ aus dem Jahre 1140, doch sind die anderen Merkmale anachronistisch67. Nannte sich der Eroberer in seinen Urkunden doch rex Anglorum, während sich das hier gebrauchte rex Anglie endgültig erst unter Johann Ohneland durchsetzte68. Auch nahm erst seit dieser Zeit die Verwendung von grünem Siegelwachs in der englischen Königskanzlei in bestimmendem Ausmaß zu, während Wilhelms Wachssiegel von brauner Farbe waren69. Diese und andere Unstimmigkeiten der, so H. W. C. Davis, „pseudo-charter“ erklären sich aus der genannten Entstehungssituation des Registrum. Die fehlende Gründungsurkunde des Honour wurde im frühen 15. Jahrhundert mit dem, was man über Wilhelm, Alan und den Earl of Mercia Edwin wusste, in den Formen und gemäß der Interessen der eigenen Zeit verfasst und mitsamt ihrer Privilegierungssituation ins Bild gesetzt. Kaum anders verfuhr man zur selben Zeit in York mit der Darstellung Wilhelms des Eroberers und seiner Nachfolger in der Königsreihe am Lettner des Münsters. Aus dieser Abfassung der Urkunde mittels historischer Informationen, welche die Auftraggeber des Registers und seine intendierten Betrachter an den entsprechenden Stellen erwarteten, erklärt sich wohl die durch den historischen Urkundenaussteller nie gebrauchte Selbstbezeichnung, oder, um es mit C. T. Clay zu sagen: „The king’s use of his own notorious soubriquet in a charter is to say the least unusual“70. Auch die Verwandtschaft des ersten Herrn von Richmond mit dem König und seine Beteiligung an einer Belagerung Yorks gehören zum überlieferten Ungefähren, das an dieser Stelle nach den Interessen der eigenen Gegenwart gestaltet wurde. Letzteres, auf das die Datumszeile Bezug nimmt, erklärt den geharnischten Aufzug der Akteure und ihres Umstandes in der Zeichnung. Ich komme zu meinem letzten Punkt, dem Gebrauch von Urkundenform und Beurkundungskontext zur Darstellung übertragener Bedeutung in Bereichen des mittelalterlichen Imaginariums, der Religiosität oder der religiös und rechtlich motivierten Polemik. Besonders eindrücklich ist dies im Falle der allegorisch-erbaulichen Texte, die sich des Urkunden- oder Briefformates bedienen, wie etwa die Himmelsbriefe, und die deshalb auch vielfach bildlich in Urkundenform dargestellt wurden71. So kam in England im Verlauf des 14. Jahrhunderts die Gattung der Charters of Christ auf, deren Varianten meist in der Volkssprache mit Anklängen an die lateinische Urkundensprache und in Versform geschrieben sind72. Sie deuten die Passion Christi als Erlösungsvertrag zwischen dem Heiland und den Gläubigen und setzen dazu in einer wohl auf paulinische Vorbilder zurückzuführenden Körpermetaphorik die Materialität und Bildlichkeit der Vertragsurkunde mit dem gemarterten Körper Jesu gleich: Das beschriebene Pergament sei seine Haut, die Schreibfedern die Marterwerkzeuge, die Worte seine Wunden sowie Tinte und Siegelwachs sein Blut73. Das hier gezeigte Beispiel (Abb. 19) findet sich 67   Vgl. Facsimiles of Royal and other Charters in the British Museum 1: William I–Richard I, ed. George F. Warner–Henry J. Ellis (London–Oxford 1903) Plate XIV, Nr. 21. 68  Ebd. II und Plate I, Nr. 1. 69  Vgl. Walter de Gray Birch, Catalogue of Seals in the Department of Manuscripts in the British Museum 1 (London 1887) 3–39. 70   Early Yorkshire Charters 4 (wie Anm. 63) 94. 71   Vgl. Bernhard Schnell, Art. Himmelsbrief. VL2 4 (1983) 28–33, und 11 (2004) 675; Sabine Schmolinsky, Art. Himmelsbrief. LMA 5 (1991) 26–27. 72  Mary Caroline Spalding, The Middle English Charters of Christ. A Dissertation (Bryn Mawr/Pennsylvania 1914). 73  Ebd. XLII–XLV; Miri Rubin, Corpus Christi. The Eucharist in Late Medieval Culture (Cambridge 1991, Nachdr. 2002) bes. 306–308; dies., Blut: Opfer und Erlösung in der christlichen Ikonographie, in: Blut.

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in einer Sammelhandschrift, die im 15. Jahrhundert in einer Kartause in Yorkshire oder Lincolnshire entstand74. Die ganzseitige Zeichnung zeigt Christus als Schmerzensmann mit den Marterwerkzeugen beziehungsweise Arma Christi. Mit ausgebreiteten Händen präsentiert er seine überdimensioniert dargestellte Urkunde, an der an einem durchgezogenen Pergamentstreifen ein spitzovales, rotes Wachssiegel hängt75. Das Siegelbild zeigt das durchbohrte, blutende Herz Jesu, bekrönt von seinem Namensmonogramm IHS76. Der aus Reimpaarversen gebildete mittelenglische Urkundentext wird durch lateinische Formeln gegliedert, die in diesem literarischen Werk eine ähnliche Gliederungsfunktion wie Rubra oder Zwischentitel haben77. So beginnt die Urkunde mit der für englische Urkunden gebräuchlichen Veröffentlichungsformel Sciant presentes & futuri. Ihr Charakter als öffentliche Urkunde wird durch ihre Präsentation in der bildlichen Darstellung betont. Nach dieser Formel gibt Christus seinen Tod am Kreuz aus Liebe zu den Menschen bekannt, um dann, angekündigt mit Dedi & concessi, als König allen Gläubigen die Erlösung zu schenken und als Zins dafür Nächstenliebe und Barmherzigkeit festzusetzen: Ƿis is Þe rent Þou sal gyf me / As to Þe chefe lord of Þe fe. Zeugen des Rechtsaktes – Hijs testibus – seien die Zeichen beim Tode Jesu sowie: Witnes my moder & sayn Ion / And oÞer Þat wer Þer many one. Mit In cuius rei testimonium folgt die Besiegelungsankündigung durch das eigene Siegel Jesu und, zur größeren Sicherheit, durch seine Seitenwunde: In witnes of whilk Þinge / My awne seal Þerto I hynge / And for Þe more sikirnes / Ƿe wounde in my syde Þe seal it is / With perchyng sore of my hert / With a spere Þat was scharpe. Eine Datumszeile beschließt den allegorischen Urkundentext: Ƿis was gyfen at Caluery / Ƿe fyrst day of Þe gret mercy &c. Etwa gleich alt wie die Charter of Christ ist der kleine, wohl für Privatandachten hergestellte Altar von Burg Eltz mit der Darstellung des Jüngsten Gerichts 78. Den Liber vitae der Apokalypse hat der mittelrheinische Künstler in Form von Beweisurkunden und Urkundenbüchern dargestellt, die Engel und Teufel herbeischleppen. Darüber, wie diese Urkunden zustande kommen, hat sich Jakob von Vitry in seinen Sermones vulgares Gedanken gemacht. In einem seiner Exempla erzählt er von einem Priester, der während der Messe einen Teufel sieht, der ein von ihm eng beschriebenes Pergament mit Zähnen und Klauen zu weiten versucht. Gefragt, was er da tue, antwortete dieser, dass er das unaufmerksame Gerede in der Kirche aufschreibe und einfach nicht genug Beschreibstoff habe. Kunst, Macht, Politik, Pathologie. Katalog zur Ausstellung in Frankfurt am Main, 11. 11. 2001–27. 1. 2002, hg. von James M. Bradburne–Annette Weber (München–London–New York 2001) 88–99, hier 98 Abb. 12. 74  London, British Library, Add MS 37049, fol. 23r; vgl. Spalding, Charters (wie Anm. 72) XXIIIf. 75  Norbert H. Ott, Ikonographische Signale der Schriftlichkeit. Zu den Illustrationen des Urkundenbeweises in den „Belial“-Handschriften, in: Festschrift Walter Haug und Burghart Wachinger 2, hg. von Johannes Janota et al. (Tübingen 1992) 995–1010, verweist auf ähnlich überdimensioniert dargestellte Urkunden, die im Bild vorgezeigt werden, in Eberhard Windecks Siegmundbuch aus der Werkstatt Diebold Laubers (Wien, ÖNB, Cod. 13975). 76  Vgl. neben den genannten Arbeiten von Miri Rubin allgemein Wenzel, Hören (wie Anm. 16); Christian Kiening, Zwischen Körper und Schrift. Texte vor dem Zeitalter der Literatur (Frankfurt am Main 2003) bes. 226–243. 77  Ediert bei Spalding, Charters (wie Anm. 72) 8; vgl. zur Begrifflichkeit Ott, Rechtspraxis (wie Anm. 34) 37–40. 78  René Perret–Bernd Konrad, Engel und Teufel präsentieren die Bücher des Lebens, nach denen die Auferstehenden gerichtet werden, in: Himmel – Hölle – Fegefeuer. Das Jenseits im Mittelalter. Eine Ausstellung des Schweizerischen Landesmuseums in Zusammenarbeit mit dem Schnütgen-Museum und der Mittelalterabteilung des Wallraf-Richartz-Museums der Stadt Köln. Katalog, hg. von Peter Jezler (Zürich–München ²1994) 342f. Kat.-Nr. 132.



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Ein Basler Druck von 1493 brachte diese Urkunde unter dem Episodentitel wie der tufel hynder der meß die klapperig etlicher frowen vff schreib vnd jm das berment zu kürtz wart vnnd ers mit den zenen vß eynander zoch ins Bild79. Ein Einblattdruck von 1490 mit der Beischrift Niemand kann vol sagen noch schreiben / das schwatzen der bosen weiben. / Noch vil grosser schann / wann es tund die mann zeigt Schwätzer, Gecken und Schlafende in der Kirche. Rechts ist eine ganze Kuhhaut aufgespannt, auf der ein Teufel das lautmalerische Blip bla, klif klaf u[nd ?] mer aufschreibt. Darunter sitzen zwei Schreiberteufelchen, von denen einer eine Brille trägt, und führen ein Register80. Das Exemplum, auf das diese und weitere Darstellungen zurückgehen, steht am Anfang des sprichwörtlich gewordenen Motivs vom Sündenregister auf der Kuhhaut. Seine Entstehung und seine Beliebtheit bezeugen ihrerseits die sich zuvor vollzogene Etablierung der Praxis urkundlicher Dokumentation beziehungsweise der Registrierung in vielen Lebensbereichen. In diesen Kontext gehört auch die in illustrierten Handschriften und Frühdrucken verbreitete Litigatio Christi cum Belial sive Consolatio peccatorum des Jacobus de Theramo, der in seinem 1382 abgeschlossenen Werk Himmel und Hölle als Beklagte und Kläger im schriftgestützten Verfahren des römisch-kanonischen Zivilprozesses auftreten lässt81. Norbert H. Ott hat darauf hingewiesen, dass die Bilderhandschriften des Belial aus dem 15. Jahrhundert dem Bedeutungszuwachs der gelehrten Dokumentationsspezialisten und ihrer Schriftstücke als „ein wesentliches Identifikationsmoment“ des Verschriftlichungsprozesses in ihrer Zeit Rechnung trugen, indem sie diese prominent ins Bild setzten82. So zeigt etwa eine ganzseitige Miniatur in einer deutschen Handschrift von 1461 den am linken Bildrand stehenden rechtskundigen Teufel Belial, der als klageführender Prokurator der Höllengemeinde vor dem göttlichen Gericht dieser die Urkunde mit dessen abschlägigem Urteil überbringt83 (Abb. 20). Die sententia definitiva ist als Siegelurkunde mit angedeutetem Urkundentext und angehängtem Rundsiegel dargestellt. Die empörten Höllenwesen drängen sich mit expressiven Gesten um das Dokument, betrachten, lesen und berühren es. Ein Teufel unterfasst das Siegel in ähnlicher Weise, wie dies auch in anderen Situationen der Urkundenübergabe in mittelalterlichen Handschriften dargestellt ist, und weist auf die Urkunde. Ein anderer, der wie der Notar König Sigmunds in der Konstanzer Konzilschronik kahlköpfig ist und eine Nietbrille trägt, liest die Urkunde offenbar gerade laut vor. Wie sein jüngeres Pendant auf dem Einblattdruck und der wohl ebenfalls mit karikierenden Zügen dargestellte Notar in Richentals Chronik verweisen sie trotz ihrer Überzeichnung auf ein Detail aus der Wirklichkeit des Umgangs mit Urkunden, nämlich auf die Tatsache, dass so viele Dokumentationsspezialisten des Spätmittelalters auf die 79   Sabine Griese, Vervielfältigung und Verfestigung. Einblatt-Druckgraphik des 15. und frühen 16. Jahrhunderts, in: Literatur und Wandmalerei 2 (wie Anm. 16) 335–359, hier 349–352 mit Abb. 53. 80   Ebd. mit Abb. 52. 81  Ott, Rechtspraxis (wie Anm. 34); ders., Art. Jacobus de Theramo. VL2 4 (1983) 441–447, und 11 (2004) 755; ders., Signale (wie Anm. 75); Wenzel, Hören (wie Anm. 16) 361–365; Jeannette Rüdisühli– Ueli Suter, Handschriften und Inkunabeln erzählen die Geschichte von Belial in vielen Bildern, in: Himmel – Hölle – Fegefeuer (wie Anm. 78) 365–367 Kat.-Nr. 151. 82   Ott, Signale (wie Anm. 75) 997; siehe auch die anderen angegebenen Titel des Verfassers. 83   München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm  48, fol.  132v. Abgebildet in: Ott, Rechtspraxis (wie Anm.  34) Abb.  7; Himmel  – Hölle  – Fegefeuer (wie Anm.  78) 364 Abb.  132. Diese repräsentative Handschrift mit einer deutschen Übersetzung des Belial schrieb Nicolaus Rohrbach, Burgkaplan auf dem Trifels, im Jahre 1461 für Herzog Ludwig I. den Schwarzen von Pfalz-Zweibrücken; vgl. Erich Petzet, Die deutschen Pergament-Handschriften Nr. 1–200 der Staatsbibliothek in München (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis 5/1, München 1920) 78–80; Ott, Rechtspraxis 313, 442–450.

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Lesehilfe angewiesen waren, dass sie im Spätmittelalter schon Teil ihres Habitus geworden war und deshalb in Darstellungen von Urkundenprüfungen und -verlesungen begegnet84. Ebenfalls des Urkundenbeweises vor Gericht bedient sich eine Erweiterung der Fridolin-Legende aus dem 13. Jahrhundert, in der Urso, ein Wohltäter des Heiligen, von seinem Bruder umgebracht wird, um dessen Stiftung an das Kloster Säckingen zu verhindern. Von Fridolin jedoch aus dem Grabe geholt, erscheint er gerade noch rechtzeitig mit seiner gültigen Siegelurkunde vor Gericht. Neben einer 1503 in Bern entstandenen Altartafel zeigt auch eine Standesscheibe des eidgenössischen Ortes Glarus Fridolin und Urso85. Von der rechtserheblichen Urkunde als Medium der moralischen Didaxe gehe ich weiter zur Darstellung von Urkunden in öffentlichen Anschlägen, die selbst in die Grauzone des Urkundenwesens gehören und die Matthias Lentz als Gattung erschlossen hat: die mit Schandbildern gezierten Schmähbriefe. Ein frühes Beispiel stellt der Schmähbrief des Grafen Johann von Nassau gegen den abgebildeten Herzog Johann von Bayern und Holland aus dem Jahre 1420 dar86 (Abb. 21). Die selbsterklärende Inschrift lautet: [Ik] stavor dem hinder dieser su / en druck alda myn sigel an / want ik et late to pande stan / von Nassouwe Johann dem jongen greven. Die dargestellte „Petschierung“ einer Sau mit dem Wappensiegel ist ein festes Motiv der Ehrenschelte und findet sich auch im Anschlag des Hans von Stockhausen aus dem Jahr 1543 gegen fünf Bürgen des Herzogs von Braunschweig, deren Pfandbriefe an einer aufs Rad geflochtenen Sau angebracht werden. Der Schmähbrief eines Magdeburger Adligen gegen den Rat der Stadt Eisleben aus dem Jahre 1567 bringt gar die säumigen Bürgen mitsamt ihren Urkunden an den Galgen87. Schließen möchte ich mit einem Ausblick auf das Aufgreifen der kurialen Urkunde, insbesondere der Ablassurkunde, durch die Bildpropaganda der Reformationszeit. Die in Auseinandersetzung mit dem Urkundenwesen der römischen Kurie erwachsene Kritik bezeugt zugleich deren Effizienz. Den hohen Wiedererkennungswert des Urkundentyps zeigt beispielsweise die Szene einer Urkundenverlesung durch Guillaume Caoursin vor dem Großmeister der Johanniter auf Rhodos88. Im Totentanz des Hans Holbein ist sie zum Attribut des Kardinals schlechthin geworden89. Eine ebenfalls mehrfach besiegelte Bannbulle begegnet dagegen als Abzeichen des Papstes im Libellus de obitu Julii Pontificis Maximi, der 1513 unmittelbar nach dem Tode Julius II. erschien. In dieser satirischen Flugschrift marschiert der streitbare Della Rovere in voller Rüstung an der Spitze seiner Schweizer Söldner vor das Himmelstor (Abb. 22). Da Petrus ihm nicht aufsperrt, argumentiert er zunächst mit dem Urkundenbeweis durch von ihm selbst ausgestellte Bullen und droht ihm schließlich, wie auf der ganzseitigen Illustration zu sehen, mit der Exkom84  Vgl. Chiara Frugoni, Das Mittelalter auf der Nase. Brillen, Bücher, Bankgeschäfte und andere Erfindungen des Mittelalters (München 2003) 9–41. 85   Markus Brühlmeier, Urso und Fridolin: Die Geschichte eines besonderen Wiedergängers, in: Himmel – Hölle – Fegefeuer (wie Anm. 78) 248; ders.–Bernd Konrad, Urso als Totengerippe im Zeugenstand, in: ebd. 249f. Kat.-Nr. 63; ders., Das Gespenst an der Hand des Glarner Landespatrons, in: ebd. 251 Kat.-Nr. 65. 86  Matthias Lentz, Konflikt, Ehre, Ordnung. Untersuchungen zu den Schmähbriefen und Schandbildern des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (ca. 1350 bis 1600). Mit einem illustrierten Katalog der Überlieferung (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 217, Hannover 2004) 177f. Nr. 23. 87  Ebd. 267f. Nr. 129 und 332f. Nr. 189. 88  Jonathan Riley-Smith, Hospitallers. The History of the Order of St John (London 1999) 68, mit Bezug auf die Handschrift Paris, BN de France, ms. lat. 6067, fol. 83v. 89  Jochen Hesse, Der Tod macht alle gleich, in: Himmel – Hölle – Fegefeuer (wie Anm. 78) 252–255 Kat.-Nr. 66–70, hier 254 Kat.-Nr. 66.



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munikation. Eine entsprechende Urkunde – die hier sicherlich auch zu den Insignien des Papsttums zu zählen ist – hält Julius bereits wie eine Waffe in der geharnischten Linken90. In der schon bald darauf entstandenen deutschen Übersetzung des Traktats donnert Julius in dieser Szene: Der worten (sag ich) ist ietzund genug. Du hast mich itzt genug gespeyet vnd vmb getriben, vnd darumb es sy dan das du nur bald gehorsan seyest, vnd vff schleissest, so würd ich dich mit dem donderschlack des banns schlagen, do mit ich dan etwan auch die großmechtigisten künig vnd keyßer vnd derglychen auch großmechtige künigrych erschreckt habe. Siechstu die bull da schon dar zu bereyt – worauf Petrus mit der Frage antwortet, was denn diese Bullen seien: Ey was boeßen donderschlacks, was donders, was bullen, was ampullen ja hochmütiger stoltzer wortt erzelstu mir da vor, lieber myn gesel, der dingen haben wir nye keins von Cristo gehoert 91. Waren Ablassurkunden ohnehin großformatig und mit Illustrationen geschmückt, so kam im Falle der kollektiven Ablassbriefe noch eine Vielzahl von Siegeln der ausstellenden Prälaten hinzu. Dies erklärt sich daraus, dass der Volksglaube die Wirkung entgegen kirchlicher Lehre kumulativ einschätzte92. In den Bildern der Zeit wird die Siegelmenge dann zum karikaturesken Wiedererkennungsmerkmal. Die Illustrierung der großformatigen Urkunden, die auch erst am Empfängerort nach dem Willen des Empfängers erfolgen konnte, verweist darauf, dass ihre Präsentation vor Ort ein Medienereignis war93. Frühe lutherische Flugschriften gegen den Ablass zeigen, dass sie öffentlich in den Kirchen angeschlagen und ausgehängt sowie von den Kanzeln herab erklärt wurden94. Weitaus grobianischer werden die Bilder dann nach dem Bruch mit Rom. Aus den Ablasskreuzen werden in der Papstsatire nun Angeln95. Die übertriebene Siegelzahl weisen auch zwei andere Flugschriften auf. Sie imaginieren eine feuersprühende Bannbulle, gegen die sich der gemeine Mann mit Fürzen wehrt, oder einen kleinen Papst mit Bulle, den ein furzgetriebener Teufel ins Maul des Höllenwesens steuert, das auf einer römischen Urkunde hockt (Abb. 23). In einer Rückkehr zum einfachen, großformatigen Siegel werden schließlich das Bild Christi und die Schlüssel des Papsttums gegenübergestellt96. 90   Thomas Wagner, Publius Faustus Andrelini, Libellus de obitu Julii Pontificis Maximi 1513, in: Hochrenaissance im Vatikan. Kunst und Kultur im Rom der Päpste I. 1503–1534 [Katalog zur Ausstellung vom 11. Dezember 1998–11. April 1999 in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn] (Bonn–Città del Vaticano 1999) 89 und 440 Kat.-Nr. 17. Zugeschrieben unter anderem Erasmus von Rotterdam, Dialogvs, Ivlivs exclvsvs e coelis = Julius vor der verschlossenen Himmelstür, ein Dialog. Institutio principis Christiani = Die Erziehung des christlichen Fürsten. Querela pacis = Die Klage des Friedens. Übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Gertraud Christian (Ausgewählte Schriften 5, Darmstadt 1968) 6–109. 91  [Ulrich von Hutten,] Von den Gewalt und Haupt der Kirchen ein Gesprech zwischen dem heyligen S.  Peter und dem allerheyligisten Bapst Julio, des Names dem andern und seyns Genii, das ist seines Engels, kurtzweylig zu lesen [Speyer: Johann Eckhart, ca. 1521] (München, Bayerische Staatsbibliothek, Res/4 J.can.p. 1002,3 bzw. Res/4 H.ref. 510 d#Beibd.2) fol. 5r. 92  Simone Rova–Wilibald Flury, In einer prunkvollen Urkunde gewähren 28 Bischöfe in Avignon 1120 Tage Ablaß für die Förderung der Dorfkirche von Baar, in: Himmel – Hölle – Fegefeuer (wie Anm. 78) 238–240 Kat.-Nr. 54; Magdalen Bless-Grabher, Veränderungen im kirchlichen Bereich 1350–1520, in: Geschichte des Kantons Zürich 1 (wie Anm. 35) 438–470, 449. 93   Uwe Gast, Ablassurkunde der Mainzer Sebastiansbruderschaft, Rom, 25. September 1484, Mainz, um 1484/85, in: Gutenberg, aventur und kunst (wie Anm. 34) LM 39, 582. 94  Simone Rova, Ablaß, in: Himmel – Hölle – Fegefeuer (wie Anm. 78) 234f.; Klaus Ganzer, Jörg Breu (1510–1547), Ein Frag an eynen Müntzer … um 1530, in: Hochrenaissance im Vatikan (wie Anm. 90) 121 und 464 Nr. 103. 95  Blockmans, Geschichte (wie Anm. 9) 238. 96   Robert W. Scribner, For the Sake of Simple Folk. Popular Propaganda for the German Reformation

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Mit diesen Beispielen in der Reformationszeit angekommen, möchte ich rückblickend einige der gemachten Beobachtungen zusammenfassen. Für die klassischen Diplomatiker des langen 19. Jahrhunderts waren die hochmittelalterlichen Schreiber und Maler von Urkundenabschriften und -bildern oftmals „wunderliche Heilige“97. Kamen diese doch in vielem den auf das Original ausgerichteten Idealen der neuzeitlichen Urkundenkritik nahe, wenn sie die Texte alter Urkunden korrekt entzifferten, getreulich und gewissenhaft abschrieben und, wie im Fall des Kemptener Chartulars, „auch einzelne äussere Merkmale der Originale in einer den Facsimiles nahe kommenden Weise nachzubilden versuchten“98. Doch blieb es eben nicht dabei. Denn die meisten mittelalterlichen Kopisten änderten, verbesserten, ergänzten oder fälschten ihr Material in einer Art und Weise, die ihnen einen Generalverdacht der Diplomatik eintrug99. Ähnliches lässt sich von bildlichen Darstellungen des Urkundengebrauchs sagen, die keine photographisch getreuen Wiedergaben der Wirklichkeit sind und auch nicht sein wollten. Die Abbildung einer Kaiserurkunde im Bild, wie sie 1892/93 in Lübeck als Wandbild und Faksimile erfolgte, kann den Unterschied zu den Abbildungen des Mittelalters deutlich vor Augen führen. Doch erscheint es in diesem Fall geradezu als ironisch, dass es sich bei dem so getreulich abgebildeten Original um eine mittelalterliche Fälschung unter Benutzung einer verlorenen Vorlage handelt, die nicht um der kritischen Wissenschaft willen, sondern in Anknüpfung an vormoderne Traditionen als Freibrief der Obrigkeit gezeigt wurde. Der Quellenwert von Urkunden auf Bildquellen des Mittelalters liegt auf einer anderen Ebene. Die bildlichen Darstellungen spiegeln den Verlauf des europäischen Verschriftlichungsprozesses wider. Neue Urkundenformate, wie die omnipräsente Papsturkunde, und die zunehmende Präsenz der Schrift und der für sie zuständigen Experten mitsamt ihres Habitus geraten dabei in den Blick. Dieser Prozess wirkte sich auch auf den Umgang des Mittelalters mit Geschichte in Überlieferung und Vorstellung aus100: Urkundenformate und der Gebrauch von Urkunden wurden zu Trägern literarischer Formen, beispielsweise der hier betrachteten religiösen Erbauungsliteratur und von Satire und Polemik. Die mittelalterliche Überlieferung bewahrte und aktualisierte die rechtserhebliche und symbolische Bedeutung älterer Urkunden, indem ihr Text und ihre graphischen Symbole kopiert und abgezeichnet wurden und ihre Privilegierungssituation in einem dazugesetzten Bild nach den Vorstellungen der Gegenwart gezeigt wurde. Der Blick der mittelalterlichen Illustratoren und Adressaten ist dabei zugleich fokussiert und zusammenführend. Er will die Urkunden im Gesamtbild erkennbar machen, indem er etwa anhängende Siegel vergrößert, und er betont das für ihn Wichtige im Maßstab der Bedeutungsperspektive. Oftmals verdichten die Bilder in Chartularen, Matrikeln und verwandtem Überlieferungsschriftgut, das sich für dieses Thema als besonders ergiebige Quellengattung erwiesen hat, das komplexe und mehrschrittige Geschehen um die Privilegierung zu einer prägnanten Szene. Den Bildern kann man die Wahrnehmung von Diktat, Niederschrift (Oxford u. a. ²1994, Nachdr. 2004) 84 Abb. 61, 90 Abb. 67 und 116 Abb. 88; Ingrid Scheurmann, Spottbild auf die katholische Geistlichkeit, vor 1536, in: Frieden durch Recht (wie Anm. 10) 297 Kat.-Nr. 202. 97   Michael Tangl, Forschungen zu Karolinger Diplomen. AUF 2 (1909) 167–326, hier 173. 98   Theodor Sickel, Acta regum et imperatorum Karolinorum digesta et enarrata 2: Regesten der Urkunden der ersten Karolinger (751–840) (Wien 1867) 307. 99  Vgl. Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien  1 (Leipzig 21912 [Nachdr. Berlin 41969]) 94–99. 100  Vgl. Hochmittelalterliches Geschichtsbewußtsein im Spiegel nichthistoriographischer Quellen, hg. von Hans-Werner Goetz (Berlin 1998).



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und Beglaubigung der Dokumente entnehmen, ihre Verlesung und insbesondere auch das Er- und Begreifen der Urkunde und ihres Siegels. Dieser Quellenwert von Urkunden auf Bildquellen des Mittelalters betrifft eine Diplomatik, welche die Urkundenkritik um die Erforschung des Erscheinungsbildes der Schriftstücke, ihrer Intermedialität und ihres Sitzes im Leben erweitert und sich deshalb auch den Wahrnehmungen, Bedeutungszuschreibungen und Gebrauchsformen zuwendet, die sich mit ihnen verbanden101. Die an dieser Stelle vorgestellten Beispiele und Überlegungen haben angesichts der Weite des Themas nur den Stellenwert von Skizzen und Vorüberlegungen. Eine Darstellung des Phänomens in transdisziplinärer Perspektive auf der Grundlage einer systematischen Auswertung der Überlieferung ist noch zu ­schreiben102.

  Vgl. neben den oben genannten Beiträgen der imaginierten Reisegruppe Rück, Beiträge (wie Anm. 2).   Von Carol Symes (University of Illinois) ist eine Monographie zu „Public Acts: Performance, Popular Literacies, and the Documentary Revolution of Medieval Europe“ zu erwarten. Nach Fertigstellung des Manuskripts wurde mir bekannt: Martin Roland–Andreas Zajic, Illuminierte Urkunden des Mittelalters in Mitteleuropa. AfD 59 (2013) 241–432; dies., Les chartes médiévales dans les pays d’Europe centrale. BEC 169 (2013) 151–253. 101 102

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Abb. 1: Fresko in der Unterkirche des Sacro Speco von Subiaco mit Abbildung der Urkunde Innocenz’ III. vom 24. Februar 1203, gehalten durch den Papst und den hl. Benedikt, dem der Abt Romanus zu Füßen liegt. Das Fresko ist nach der Beurkundung im letzten Lebensjahrzehnt von Papst und Abt entstanden. – Abbildung: John C. Moore, Pope Innocent III (1160/61–1216). To Root Up and to Plant (The Medieval Mediterranean 47, Leiden–Boston 2003) nach 88.



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Abb. 2: Ansicht desselben Freskos nach der im 3. Viertel des 13. Jahrhunderts erfolgten Übermalung durch den römischen Maler Consolus, der Innocenz III. nun monumental über seiner Urkunde darstellte, die der hl. Benedikt entgegennimmt. – Abbildung: Gerhart B. Ladner, Die Papstbildnisse des Altertums und des Mittelalters 2: Von Innozenz II. zu Benedikt XI. (Monumenti di antichità cristiana, pubblicati dal Pontificio Istituto di Archeologia Cristiana II/4, Città del Vaticano 1970) 68–72 Nr. 3, Fig. 27.

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Abb. 3: Eingangsseite des Registers des sechsten Pontifikatsjahres Papst Innocenz’ III. mit Abschrift der Urkunde für Subiaco vom 24. Februar 1203 und der Darstellung des Papstes in der Initiale (Città del Vaticano, ASV, Reg. Vat. 5, fol. 72r). – Abbildung: Heinrich Denifle, Specimina palaeographica Regestorum Romanorum pontificum ab Innocentio III ad Urbanum V (Roma 1888) Taf. 4.



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Abb. 4: Unbekannter Maler, Jacob de Vogelaer, Stadtsekretär von Amsterdam, 1655 (Amsterdam, Amsterdam Museum, Inv.-Nr. SA 7266). – Abbildung: Blockmans, Geschichte (wie Anm. 9) 148.

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Abb. 5: Marinus van Reymerswaele, Beim Notar (The Lawyer’s Office), 1545 (New Orleans, New Orleans Museum of Art, Inv.-Nr. 70.7). – Abbildung: Frieden durch Recht (wie Anm. 10) 272 Nr. 295.



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Abb. 6: Max Friedrich Koch, Ein schriftkundiger Mönch erläutert das Privileg Friedrichs I. Barbarossa für Lübeck. Wandbild im Treppenhaus des Lübecker Rathauses, 1892. – Abbildung: Heinrich der Löwe und seine Zeit 3 (wie Anm. 25) 68 Nr. 51.

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Abb. 7: Urkunde Kaiser Friedrichs I. für Lübeck vom 19. September 1188 (Lübeck, Archiv der Hansestadt ­Lübeck, Caesarea 002). – Abbildung: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Barbarossaprivileg.jpg.



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Abb. 8: Dem Augsburger Maler Ulrich Taler zugeschriebene Miniatur mit Darstellung des Eichstätter Lehenhofes, entstanden zwischen 1498 und 1503. Die Miniatur, die die Ausfertigung eines Lehnsbriefes zeigt, ist dem Lehenbuch des Eichstätter Fürstbischofs Gabriel von Eyb vorangestellt (Nürnberg, Staatliche Archive Bayerns: Staatsarchiv Nürnberg, Hochstift Eichstätt, Lehenbücher Nr. 8). – Abbildung: Die Fürstenkanzlei des Mittel­ alters (wie Anm. 36) Nr. 184.

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Abb. 9: Darstellung der Belehnung des Herzogs von Mailand durch König Sigmund in Konstanz am 5. Mai 1415 im Konstanzer Exemplar der Konzilschronik des Ulrich Richental, um 1465 (Konstanz, Rosgartenmuseum, Hs. 1, fol. 47v). – Abbildung: Richental, Konzil 1: Faksimile, ed. Feger (wie Anm. 40).



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Abb. 10: Darstellung der Belehnung des Erzbischofs Johann II. von Mainz durch König Sigmund in Konstanz am 23. März 1417 im Konstanzer Exemplar der Konzilschronik des Ulrich Richental, um 1465 (Konstanz, Rosgartenmuseum, Hs. 1, fol. 77r). – Abbildung: Richental, Konzil 1: Faksimile, ed. Feger (wie Anm. 40).

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Abb. 11: Darstellung der Erhebung Graf Adolfs von Kleve zum Herzog in Konstanz am 28. April 1417 im Konstanzer Exemplar der Konzilschronik des Ulrich Richental, um 1465 (Konstanz, Rosgartenmuseum, Hs. 1, fol. 77r). – Abbildung: Richental, Konzil 1: Faksimile, ed. Feger (wie Anm. 40)



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Abb. 12: Hans Bornemann zugeschriebene Miniatur aus der Handschrift der Sachsenspiegelglosse des Brand von Tzerstede von 1442 (Lüneburg, Ratsbücherei, Ms. Jurid. 1, fol. 5v). – Abbildung: Gruber et al., Einleitung (wie Anm. 44) 10 Abb. 1.

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Abb. 13: Die Zürcher beschwören den Bund mit den Waldstätten am 1. Mai 1351. Miniatur in der Luzerner Chronik des Diebold Schilling von 1513 (Luzern, Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern, Hs. S 23, fol. 8r). – Abbildung: Pfaff, Welt (wie Anm. 46) 92.



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Abb. 14: Urkunde des Zürcherbundes vom 1. Mai 1351 (Stans, Staatsarchiv des Kantons Nidwalden). – Abbildung: Pfaff, Welt (wie Anm. 46) 93.

Abb. 15: Zürcher Exemplar der Neuausfertigung des Zürcherbundes von 1454 (Zürich, Staatsarchiv des Kantons Zürich, C I 370). – Abbildung: Sieber, Reichsstadt (wie Anm. 46) 492.

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Abb. 16: Der heilige Bischof Amandus diktiert dem Priester Baudemundus sein Testament, Miniatur des „Maître du Testament“ in der Handschrift mit der zweiten Vita des Heiligen aus Saint-Amand, 1150er Jahre (Valenciennes, Bibliothèque Municipale, MS 501, fol. 58v). – Abbildung: Guyotjeannin–Pycke–Tock, Diplomatique (wie Anm. 56) 5.



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Abb. 17: Abschrift der Urkunde Karls des Einfältigen für Erzbischof Radbod von Trier vom 13. August 913 im Balduineum (Koblenz, Landeshauptarchiv, I C I, Blatt 135). – Abbildung: Schmid, Darstellungen (wie Anm. 60) 157–159 Abb. 4–5.

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Abb. 18: Wilhelm der Eroberer belehnt Alan den Roten mit dem neugeschaffenen Honour of Richmond. Dem Registrum honoris de Richmond vorangestellte Miniatur, Yorkshire, 1.  Hälfte des 15.  Jahrhunderts (London, British Library, Cotton MS Faustina B VII, fol. 72–136, fol. 72v).



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Abb. 19: Charter of Christ in einer Sammelhandschrift aus einer nordenglischen Kartause, 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts (London, British Library, Add MS 37049, fol. 23r).

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Abb. 20: Belial, der Prokurator der Höllengemeinde, überbringt dieser die Urkunde mit dem abschlägigen Urteil des Gerichts. Ganzseitige Miniatur aus der 1461 durch Nicolaus Rohrbach für Herzog Ludwig den Schwarzen von Pfalz-Zweibrücken geschriebenen Handschrift mit der deutschen Übersetzung des Belial (München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 48, fol. 132v). – Abbildung: Ott, Rechtspraxis (wie Anm. 34) Abb. 7.



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Abb. 21: Schmähbrief des Grafen Johann III. von Nassau-Dillenburg gegen Herzog Johann von Bayern, Graf zu Holland, 1419–1421. Im Schandbild des Briefes ist der bayerische Herzog vor einem das Bild erklärenden Spruchband im Begriff dargestellt, die Petschaft seines Wappensiegels einer Sau auf den After zu drücken (Wiesbaden, Hessisches Hauptstaatsarchiv, Abt. 170, Nr. 1026). – Abbildung: Lentz, Konflikt (wie Anm. 86) Nr. 23.

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Abb. 22: Papst Julius II., der im Harnisch, mit einer Urkunde in der Hand und an der Spitze seiner Söldner vor der Himmelstür erscheint, wird von Petrus der Einlass verwehrt. Illustration zu: [Ulrich von Hutten], Von den Gewalt und Haupt der Kirchen ein Gesprech zwischen dem heyligen S. Peter und dem allerheyligisten Bapst Julio, des Names dem andern und seyns Genii, das ist seines Engels, kurtzweylig zu lesen [Speyer: Johann Eckhart, ca. 1521], der deutschen Übertragung des F.A.F. Poete Regij libellus. de obitu Julij Pontificis Maximi. Anno domini. M.D.XIII. (München, Bayerische Staatsbibliothek, Res/4 J.can.p. 1002,3 bzw. Res/4 H.ref. 510 d#Beibd.2). – Abbildung: Hochrenaissance im Vatikan (wie Anm. 90) 89 Nr. 17.



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Abb. 23: Spottbild auf die katholische Geistlichkeit. Holzschnitt, Matthias Gerung zugeschrieben, vor 1536 (Coburg, Kunstsammlungen der Veste Coburg, Graphische Sammlung, Inv. Nr. 1,349,11). – Abbildung: Frieden durch Recht (wie Anm. 10) 297 Nr. 202.



Die Herrscherurkunden in den böhmischen Ländern in der Zeit der přemyslidischen Fürsten (bis zum Ende des 12. Jahrhunderts): Formular – Stilistik – Funktion Marie Bláhová

Die Anfänge der Urkunde in den böhmischen Ländern fallen in die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts1, in die Regierungszeit des Fürsten und künftigen ersten böhmischen Königs Vratislav II. (1061–1092, König 1085/1086). Das Aufkommen der Urkunde gerade in dieser Zeit wird gewöhnlich mit den Ambitionen Vratislavs erläutert, der in engen Beziehungen zum römisch-deutschen Königs- bzw. Kaiserhof stand, politische Beziehungen auch zur päpstlichen Kurie sowie zu den Prälaten im römisch-deutschen Reich pflegte und sich wohl in der Urkundenausstellung dem römisch-deutschen König nähern wollte2. Mit dem Namen Vratislavs II. sind vier Schriftstücke verbunden, die alle in seiner „fürstlichen“ Zeit, also noch vor seiner Königskrönung, ausgestellt wurden. Keine dieser Urkunden ist im Original erhalten. Nur eine jedoch, die Gründungsbestätigung des Benediktinerklosters Hradisko (bei Olmütz) und die Erweiterung seiner Schenkungen vom 1   Alle Urkunden wurden ediert in: CDB 1. Zu den Anfängen der böhmischen Urkunden vgl. vornehmlich Václav Hrubý, Tři studie k české diplomatice [Drei Studien zur böhmischen Diplomatik], hg. von Jindřich Šebánek (Brno 1936); Zdeněk Fiala, K počátkům listin v Čechách [Zu den Anfängen der Urkunden in Böhmen]. Sborník historický 1 (1953) 27–45; ders., K  otázce funkce našich listin do konce 12. století [Zur Frage der Funktion unserer Urkunde bis zum Ende des 12. Jahrhunderts]. Sborník prací filozofické fakulty brněnské univerzity IX, C (Řada historická) 7 (1960) 5–34; Jindřich Šebánek–Sáša Dušková, Česká listina v době přemyslovské (Nástin vývoje) [Böhmische Urkunde des Přemyslidenzeitalters. Abriss ihrer Entwicklung]. Sborník prací filozofické fakulty brněnské univerzity XIII, C (Řada historická) 11 (1964) 51–72; derselbe Text wurde in: Československá diplomatika 1, hg. von Jindřich Šebánek–Alexander Húščava–Zdeněk Fiala (Praha 1965) 86–96, und Česká diplomatika do roku 1848, hg. von Jindřich Šebánek–Zdeněk Fiala–Zdeňka Hledíková (Praha 1971) 83–104, abgedruckt; Jiří Pražák, Rozšíření aktů v přemyslovských Čechách. K počátkům české listiny [Die Verbreitung der Aktenaufzeichnungen im Böhmen der Přemyslidenzeit. Zu den Anfängen der böhmischen Urkunde], in: Collectanea opusculorum ad iuris historiam spectantium Venceslao Vaněček septuagenario ab amicis discipulisque oblata – Pocta akademiku Václavu Vaněčkovi k 70. narozeninám, hg. von Karel Malý (Praha 1975) 29–40; Rostislav Nový, Diplomatické poznámky k donačním listinám českých klášterů a kapitul do konce 12. století [Diplomatische Bemerkungen zu den Schenkungsurkunden der böhmischen Klöster und Kapitel bis zum Ende des 12. Jahrhunderts]. Studia mediaevalia Pragensia 2 (1991) 125–146; Jan Bistřický, Über Falsifikate böhmischer Gründungsurkunden bis zum Ende des 12. Jahrhunderts. Archivmitteilungen 4/1991, 186–189. – Diese Studie entstand an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag im Rahmen des Forschungsvorhabens MSM 0021620827 „Die Böhmischen Länder inmitten Europas in der Vergangenheit und heute“. – Abkürzung: CDB = Codex diplomaticus et epistolaris regni Bohemiae, ed. Gustav Friedrich, 1 (Pragae 1904–1907); 2 (Pragae 1912); 3 (Pragae 1942). 2   Vgl. Šebánek–Dušková, Česká listina (wie Anm. 1) 55.

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5. Februar 10783, scheint trotz ihrer späten Überlieferung (im Transsumpt des Olmützer Domkapitels vom 27. November 1527 und als Insert in der Bestätigung Ferdinands III. vom 15. Dezember 1645) eine echte Urkunde Vratislavs II. zu sein. Somit gilt sie als die älteste Herrscherurkunde in den böhmischen Ländern im wahrsten Sinne des Wortes, während die wohl älteste bekannte in den böhmischen Ländern ausgestellte Urkunde eben das Stiftungsprivileg für dasselbe Kloster des Olmützer Teilfürsten Otto, des Bruders Vratislavs, vom 3. Februar 1078 war4. Die weiteren unter dem Namen Vratislavs II. verfassten Schriftstücke, die angebliche Gründungsurkunde des Klosters Opatovice, datiert auf das Jahr 1073, und die – undatierte – „Urkunde“ für das Vyšehrader Kollegiatkapitel, sind als Urkundenfälschungen des 12. Jahrhunderts überliefert, bei denen jedenfalls einige Forscher eine echte Vorlage vermuten5. Diese beiden Schriftstücke wurden sichtbar aufgrund der älteren Traditionsnotizen als Urkunden kompiliert und in die Form der „Urkundenfälschung“ gebracht6. Für die vierte „Urkunde“ Vratislavs halten einige Forscher die unter dem Namen Břetislavs I. bearbeiteten Traditionsnotizen über die Stiftung des Kollegiatkapitels in Stará Boleslav7. Die Urkundenausstellung Vratislavs II. fand jedoch keine unmittelbare Fortsetzung. Im böhmischen Milieu war sie ganz offensichtlich nur eine vorzeitige und vorübergehende Erscheinung. Das rechtliche und ökonomisch-gesellschaftliche Klima war noch nicht entwickelt genug und die Emanzipation der Kirche noch nicht so weit fortgeschritten, dass die kirchlichen Institutionen, die als Erste in Mitteleuropa Urkunden beanspruchten, diese auch in Böhmen erforderten8. Angesichts der Tatsache, dass die Glaubwürdigkeit der nächsten bekannten Herrscherurkunde, des einzigen von Soběslav I. (1125–1140) ausgestellten Schriftstücks, mit der drei Kanonikate im Vyšehrader Kollegiatkapitel errichtet und reiche Donationen erteilt wurden (in das Jahr 1130 datiert und in einer Kopie wohl aus der Mitte des 12. Jahrhunderts überliefert), ziemlich fraglich ist9, begannen sich Herrscherurkunden in den 3  CDB 1 85–87 Nr. 80. Dazu vornehmlich Jan Bistřický, Zakládací listiny kláštera Hradiska u Olomouce a počátky české panovnické listiny [Die Gründungsurkunden des Klosters Hradisch bei Olmütz und die Anfänge der böhmischen Herrscherurkunde]. Vlastivědný věstník moravský 45 (1993) 131–136, hier 135. Vgl. auch Hrubý, Tři studie (wie Anm. 1) 81–86; Šebánek–Dušková, Česká listina (wie Anm. 1) 54f.; Fiala, K počátkům listin (wie Anm. 1) 38f.; ders., K otázce funkce (wie Anm. 1) 77f. 4  CDB 1 82–83 Nr. 79. Zu diesen Urkunden vgl. vornehmlich Fiala, K počátkům listin (wie Anm. 1) 38–40. Bistřický, Zakládací listiny (wie Anm. 3) passim, konstatierte den engen Zusammenhang zwischen der Urkunde Ottos und der Gründungsurkunde des Klosters Szad in Ungarn. 5  CDB 1 368–371 Nr. 386; 371–391 Nr. 387. Friedrich, CDB 1 (wie Anm. 1) 372, erwog dies als mögliche Hypothese. Hrubý, Tři studie (wie Anm. 1) 138–144, 151–165; Šebánek–Dušková, Česká listina (wie Anm. 1) 54, sowie Bistřický, Über Falsifikate (wie Anm. 1) 187, plädierten für diese Hypothese, wohingegen Fiala, K počátkům listin (wie Anm. 1) 37f., dies bezweifelte. 6   Vgl. vornehmlich Pražák, Rozšíření aktů (wie Anm. 1) 34, 36. 7  Vgl. Hrubý, Tři studie (wie Anm. 1) 73–75; Bistřický, Zakládací listiny (wie Anm. 3) 131; ders., Über Falsifikate (wie Anm. 1) 187. Dagegen stimmt Fiala, K otázce funkce (wie Anm. 1) 14 und 24, Anm. 117, nicht zu. 8   Vgl. Šebánek–Dušková, Česká listina (wie Anm. 1) 54f. 9   CDB 1 111–115 Nr. 111. In der Edition ist diese Urkunde als echt angeführt (vgl. CDB 1 112). Fiala, K otázce funkce (wie Anm. 1) 15, bezweifelt ihre Echtheit. Šebánek–Dušková, Česká listina (wie Anm. 1), erwähnen sie in der Entwicklung der Herrscherurkunde nicht. Nový, Diplomatické poznámky (wie Anm.1) 133, äußert sich zur Frage ihrer Echtheit nicht. Jiřina Psíková, Příspěvky k diplomatice vyšehradských listin 12. století [Beiträge zur Diplomatik Vyšehrader Urkunden des 12. Jahrhunderts]. Archivum Trebonense 2 (1973) 1–43, hier 2f., und Denko Čumlivski, Archiv vyšehradské kapituly [Das Archiv des Kapitels von Vyšehrad], in: Královský Vyšehrad. Sborník příspěvků k 900. výročí úmrtí prvního českého krále Vratislava II. (1061–1092),



Die Herrscherurkunden in den böhmischen Ländern in der Zeit der přemyslidischen Fürsten

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böhmischen Ländern kontinuierlich erst in der zweiten Hälfte der vierziger Jahren des 12. Jahrhunderts zu entwickeln. Den Anlass dazu hat der Olmützer Bischof Heinrich Zdík, der selbst die Urkunden ausstellte, gegeben10. Aus der Regierungszeit des Fürsten, später Königs, Vladislav II. (1140–1172; † 1174, als König Vladislav I. 1158) stammen die zuverlässigen Belege der Herrscherurkunden in Böhmen einschließlich der im Original überlieferten Dokumente11. Seit dieser Zeit sind die Urkunden in den böhmischen Ländern durchlaufend belegt. Die Beurkundungstätigkeit nimmt wesentlich unter den přemyslidischen Königen des 13. Jahrhunderts zu, als sich die Urkunde in breiteren Kreisen der böhmischen Gesellschaft durchsetzte12. Während der gesamten Zeit der přemyslidischen Urkunde wurde ausschließlich ­Latein als Urkundensprache benutzt, nur die Personen- und Ortsnamen und einige spezifische Termini wurden in der tschechischen („slawischen“) Sprache notiert. Gleichzeitig entwickelten und verwandelten sich das Formular sowie die Stilistik der Urkunden13. Jedoch begannen sie erst seit den sechziger Jahren des 13. Jahrhunderts eine relativ stabile Form anzunehmen14. Bis zum Ende des 12. Jahrhunderts sind fast drei Dutzend echter Urkunden der böhmischen Herrscher überliefert. Neben ihnen sind in verschiedener Form auch die Traditionsnotizen über die Fundationen und Schenkungen der böhmischen Herrscher an die kirchlichen Institutionen erhalten15, die jedoch von den gegründeten und beschenkten Institutionen geschrieben wurden und nicht zu den diplomatischen Produkten der Herrscher gehören. Das einzige in der Urkundenform verfasste Schriftstück Vratislavs II., die schon erwähnte Bestätigung der Gründung des Klosters Hradisko, die erfolgten Schenkungen und hg. von J. Huber–Bořivoj Nechvátal (Praha 1992) 148–168, hier 153, halten diese Urkunde für „sehr problematisch“. 10  Vgl. Fiala, K počátkům listin (wie Anm. 1) 40–43; Šebánek–Dušková, Česká listina (wie Anm. 1) 55–57. Zur diplomatischen Tätigkeit Heinrich Zdíks vgl. Jan Bistřický, Studien zum Urkunden-, Brief- und Handschriftenwesen des Bischofs Heinrich Zdík von Olmütz. AfD 26 (1980) 135–182. 11  Die erste zuverlässige Urkunde eines böhmischen Herrschers ist die undatierte Urkunde Vladislavs II. für das Olmützer Bistum über das castrum Podivin und das Münz- und Immunitätsrecht, CDB 1 161–163 Nr. 157. Vgl. Fiala, K počátkům listin (wie Anm. 1) 42. 12   Vgl. vornehmlich Josef Emler, Die Kanzlei der böhmischen Könige Přemysl Ottokars II. und Wenzels II. (Prag 1878) passim; Šebánek–Dušková, Česká listina (wie Anm. 1) 61–63; dies., Česká listina doby přemyslovské [Böhmische Urkunde des Přemyslidenzeitalters]. Sborník archivních prací 6 (1956) 136–211; dies., Panovnická a biskupská listina v českém státě doby Václava I. [Herrscher- und Bischofsurkunde in Böhmen unter Wenzel I.] (Rozpravy ČSAV 1961, sešit 4, ročník 71, Praha 1961); dies., Das Urkundenwesen König Ottokars II. von Böhmen. AfD 14 (1968) 251–427; Miloslav Pojsl–Ivan Řeholka–Ludmila Sulitková, Panovnická kancelář posledních Přemyslovců Václava II. a Václava III. [Kanzlei der letzten Přemysliden Wenzels II. und Wenzels III.]. Sborník archivních prací 24 (1974) 261–364. 13   Angesichts der spezifischen Form einzelner Urkunden werden im Folgenden die Urkunden einzeln behandelt. 14  Vgl. vornehmlich Zdeněk Fiala, Panovnické listiny, kancelář a zemský soud za Přemysla II. (1247– 1253–1278) [Herrscherurkunden, Kanzlei und Landesgericht unter Přemysl II. (1247–1254–1278)]. Sborník archivních prací 1 (1951) 165–294, hier 240; Jindřich Šebánek, Notář Otakarus 5 a nejstarší listiny oslavanské a velehradské [Der Notar Otakarus 5 und die ältesten Oslawaner und Welehrader Urkunden]. Časopis Matice moravské 67 (1947) 222–290; Jindřich Šebánek–Sáša Dušková, Das Urkundenwesen König Ottokars II. von Böhmen. AfD 14 (1968) 302–422; 15 (1969) 250–427; Jana Nechutová, Die lateinische Literatur des Mittelalters in Böhmen. Aus dem Tschechischen übersetzt von Hildegard Boková–Václav Bok (Bausteine zur slavischen Philologie und Kulturgeschichte N. F. A 59, Köln–Weimar–Wien 2007) 123–128. 15  Von den zahlreichen Arbeiten zur Problematik der böhmischen Traditionsnotizen (Aktenaufzeichnungen) vgl. vornehmlich Fiala, K otázce funkce (wie Anm. 1); Pražák, Rozšíření aktů (wie Anm. 1). Die zahlreichen zu dieser Zeit hergestellten Fälschungen warten noch auf eine eingehende Bearbeitung.

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Erweiterung seiner Güter16, hat alle üblichen Protokollformeln. Es beginnt mit der verbalen Invocatio In nomine sancte et individue trinitatis, patris, filii et spiritus sancti. Die darauffolgende Intitulatio ohne das Personalpronomen wird durch die Devotionsformel eingeleitet (gratia Dei dux Boemorum Wratislaus) und mit der allgemeinen Adresse omnibus in Christo fidelibus tam presentibus quam futuris verbunden. Die danach folgende Salutatio stellt einen selbständigen Satz dar und hat eine relativ breite Form: Pax, charitas et salus a Deo patre omnipotente et domino Jesu Christo filio eius et spiritu sancto in perpetuum multiplicetur. Der Kontext dieser Urkunde ist im Unterschied zu den indifferent formulierten Anfangsformeln in der subjektiven Form im Pluralis maiestatis verfasst. Er beginnt mit der Promulgatio Promulgandum totius christiane religionis etati in commune omnium notitie tradimus ... Unmittelbar darauf knüpft in demselben Satz eine kurze Arenga an, nach der die schriftliche Fixierung gegen das Vergessen schützen soll17: ... et ut quod nostris sit actum temporibus non lateat, literis memorie commendamus. Dann kommt eine relativ breite Narratio mit Petitio, die die konkreten Umstände der Klostergründung und Fürbitten der Klosterstifter, des Olmützer Fürsten und Vratislavs Bruders Otto und seiner Gemahlin Euphemia, angeben. Der mit quapropter eingeleitete erste Teil der Dispositio enthält die Bestätigung der Klostergründung mit dem Hinweis auf das Zeugnis Gottes, der Zeugen und des Olmützer Bischofs. Die anknüpfende mit Si quis autem beginnende und als Bedingungssatz formulierte Pönformel droht dem Frevler mit ewiger Verderbnis und höllischem Feuer an der Seite Judas’ des Verräters: ... eternis condemnationibus subiaceat innodatus et sanctos Dei ... sibi in presenti et in futura vita sciat contrarios et in inferno inferiori concremandus suam cum Juda proditore portionem defleat perpetuo. – Eine ähnliche Form bekam übrigens die Pönformel der Urkunden des lateinischen Kulturkreises seit dem 8. Jahrhundert18. – Anstatt der Corroboratio kommt dann die Bemerkung, dass die Urkunde auf den Altar gelegt wurde, wobei die angeführte Verfügung von einem Schwur begleitet wurde. Dann setzt die Dispositio mit den eigenen Schenkungen Vratislavs fort (Nos autem ... addimus ...). Die im Schlussprotokoll angeführte, mit den Worten Rei autem obfirmande gratia testes adnotavimus beginnende Zeugenreihe enthält acht konkrete Namen mit dem Zusatz et alii, commemorare nomina quorum longum est. Die Datierung der Urkundenausfertigung (Hec charta scripta est) führt das Inkarnationsjahr und das Tagesdatum mit der römischen Datierung an. Ganz unterschiedlich sieht die – nicht ganz zuverlässige – im Namen Soběslavs I. verfasste und mit dem Jahr 1130 datierte Urkunde für das Vyšehrader Kollegiatkapitel aus19.   CDB 1 86f. Nr. 80.   Zu diesem Typ der Arenga vgl. Heinrich Fichtenau, Arenga. Spätantike und Mittelalter im Spiegel von Urkundenformeln (MIÖG Ergbd. 18, Graz–Köln 1957) 131f.; Agnes Kurcz, Arenga und Narratio ungarischer Urkunden des 13. Jahrhunderts. MIÖG 70 (1962) 323–354, hier 326–329; Anna Adamska, Arengi v dokumentach Władysława Łokietka. Formy i funkcje [Arengen in Władysław Łokieteks Urkunden. Formen und Funktionen] (Kraków 1999) 42–77; Tomasz Nowakowski, Idee areng dokumentów książat polskich do połowy XIII wieku [Die Ideen der Arengen der Urkunden polnischer Fürsten bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts] (Bydgoszcz 1999) 32–41. 18   Vgl. Wilhelm Erben, Die Kaiser- und Königsurkunden des Mittelalters in Deutschland, Frankreich und Italien (München–Berlin 1907, Nachdr. München 1967) 361. 19   CDB 1 112–115 Nr. 111. Dazu vgl. Hrubý, Tři studie (wie Anm. 1) 160–163; Fiala, K otázce funkce (wie Anm. 1) 15; Psíková, Příspěvky (wie Anm. 9) 2f., 29f.; Zdenka Hledíková, Ke kulturním poměrům vyšehradské kapituly počátkem 13. století [Zu den kulturellen Verhältnissen des Vyšehrader Kapitels zu Beginn des 13. Jahrhunderts]. Folia Historica Bohemica 2 (1980) 129–173; dies., Kulturní prostředí vyšehradské kapituly na počátku 13. století [Das kulturelle Milieu des Vyšehrader Stiftskapitels Anfang des 13. Jahrhunderts], in: Královský Vyšehrad (wie Anm. 9) 93–103, hier 94, 101 (Anm. 11); Čumlivski, Archiv (wie Anm. 9) 153, 16 17



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Das kopial überlieferte Schriftstück – nach Gustav Friedrich ist es Apographum autographi instar manu saeculi XII exaratum – beginnt mit beiden Formen der Invocatio, mit einem Kreuz am Anfang und mit dem darauffolgenden In nomine sanctę et individuę trinitatis. Dann folgt mit den Worten Notum sit cunctis quam modernis tam posteris in unitate fidei congregatis et congregandis die objektiv formulierte Promulgatio, dann die mit dem Personalpronomen ego eingeleitete, ganz ungewöhnliche Intitulatio Boemorum monarcha, die jedoch wohl die momentane Stellung Soběslavs als Alleinherrschers in den böhmischen Ländern spiegeln könnte20. Es folgt die übliche Devotionsformel Dei gratia. Die Urkunde setzt in der subjektiven Fassung und Singularform fort. An die kurze Arenga, die den Gedanken der Vorbildlichkeit der Vorgänger und das Wohl der kirchlichen Institutionen aufgreift, knüpft eine ausführliche, fast chronikalische Narratio an, die wahrscheinlich nach der Ersten Fortsetzung der Chronik der Böhmen des Cosmas von Prag über die Gründung der Vyšehrader Kirche verfasst wurde21. Zum Unterschied zum objektiven Erzählen der Chronik wird hier eine subjektive Form im Singular benutzt. Daran knüpft die Dispositio an, die die Stiftung von weiteren Kanonikaten in der Vyšehrader Kirche und neue Schenkungen bekannt macht. Die Schenkung sollte sowohl durch die Hinterlegung der Urkunde auf dem Altar als auch durch die Besiegelung (sigilli mei impressione) gewährleistet werden. Im Unterschied zu den Urkunden Vratislavs II., der zwar wohl sein eigenes Siegel hatte22, in seinen eigenen Urkunden jedoch auf die Erwähnung der Besiegelung verzichtete, hat also diese Urkunde auch eine Corroboratio. – Das angehängte Siegel gehörte jedoch nicht Soběslav I., sondern Soběslav II. – Die Pönformel enthält wieder die Androhung ewiger Verderbnis und des Brennens im ewigen Feuer, in diesem Fall zusammen mit dem Teufel (... sciat se ab omnipotente Deo in perpetuum condempnatum et cum cętibus sanctorum nil commune habiturum, sed cum diabolo suo deceptore inextinguibilis gehennę incendio ęternaliter concremandum). Das Schlussprotokoll schließt mit der narrativ formulierten Datierung. Es enthält das Inkarnationsjahr und den Namen des damaligen „deutschen“ Königs und des böhmischen Herrschers mit weiteren spezifischen Angaben: Anno ab incarnacione domini millesimo CXXX sunt hęc acta sub Lothario rege Teutonicorum eiusdem nominis tercio, sub christianissimo duce Sobezlao, filio regis Wratizlai, nonodecimo monarcha Boemorum, ex quo christianitas in Boemia exordium sumpsit ...23. Als Fortsetzung desselben Satzes sind auch die Zeugen angekündigt: ... his testibus presentibus ... . 166 (Anm. 18); Marie Bláhová, Založení vyšehradské kapituly ve středověké historiografii [Gründung des Vyšehrader Domkapitels in der mittelalterlichen Historiographie], in: Královský Vyšehrad II. Sborník příspěvků ke křesťanskému miléniu a k posvěcení nových zvonů na kapitulním chrámu sv. Petra a Pavla, hg. von Bořivoj Nechvátal (Kostelní Vydří 2001) 13–31, hier 18 und 28 (Anm. 40). 20   Diese Stellung bekleidete Soběslav kurze Zeit im Jahr 1130 nach dem Tode des Olmützer Teilfürsten Václav und vor der Rückkehr des Brünner Teilfürsten Vratislav. Vgl. Marie Bláhová, Historická chronologie (Praha 2001) 636. Zum angeführten Titel dies., Založení (wie Anm. 19) 18. 21  Vgl. Kosmowa Letopisu českého pokračowatelé II. Kanowník wyšehradský (Canonici Wissegradensis continuatio Cosmae), ed. Josef Emler, in: Fontes rerum Bohemicarum 2 (Praha 1874) 199–237, hier 206f. Dazu Bláhová, Založení (wie Anm. 19) 18f. und 28 (Anm. 38). 22   Zur Frage der Existenz des Siegels Wratislavs vgl. Fiala, K počátkům listin (wie Anm. 1) 38f. 23   Hier ist auf die richtige Nummerierung Soběslavs in der Reihenfolge der böhmischen Herrscher aufmerksam zu machen, die in den historiographischen Quellen nicht respektiert wurde. Vgl. Barbara Krzemieńska, Moravští Přemyslovci ve znojemské rotundě [Mährische Přemysliden in der Znaimer Rotunde] (Ostrava 1975) 6; Marie Bláhová, Středověké katalogy českých knížat a králů a jejich pramenná hodnota [Mittelalterliche Kataloge böhmischer Fürsten und Könige und ihr Quellenwert]. Średniowiecze polskie i powszechne 1 (Katowice 1999) 33–63, hier 48.

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Wie schon festgestellt wurde, sind seit Vladislav II. schon mehrere – und mehr zuverlässige – Urkunden von jedem Herrscher überliefert. Vladislav II. ist im Codex diplomaticus et epistolaris regni Bohemiae mit sieben echten Urkunden vertreten, wovon die meisten schon im Original überliefert sind24. Die erste, zwischen den Jahren 1146 und 1148 ausgestellte, Urkunde wurde auf Betreiben des Olmützer Bischofs Heinrich Zdík ausgestellt. Mit dieser Urkunde restituierte Fürst Vladislav II. das Besitztum der Olmützer Kirche zur Burg Podivín sowie das Münzprägungsrecht ebenda und befreite ihre Leute von Steuern und Belastungen25. Der Bischof kontrasignierte auch das auf der Urkunde aufgedrückte Siegel Vladislavs. Im Jahre 1158 schenkte König Vladislav einen Wald und einen Hof an das Zisterzienserkloster Waldsassen26. Weitere Schenkungen zugunsten dieses Klosters tätigte er im Jahre 116527. Die am 16. Jänner 1160 ausgestellte Urkunde Vladislavs bestätigt den Besitz von Hradisko, das zum Prämonstratenserkloster geworden war28. Im Jahre 1160 übergab der König der Kirche von Meißen ein Gut als Wiedergutmachung erlittener Schäden 29. Irgendwann zwischen den Jahren 1158 und 1169 schenkte Vladislav den Johannitern ein Grundstück für den Bau von Kirche und Spital in Prag und einige Besitztümer in Böhmen und Mähren und bestätigte ihnen die Donationen anderer Stifter30. Mit einer letzten Urkunde übertrug der König demselben Orden weitere Besitzungen31. Von den Urkunden Vladislavs sind sechs subjektiv formuliert, drei davon – die Urkunde für Kloster Hradisko und die beiden für die Prager Johanniter – in der Singularform32, zwei – die Urkunde für die Olmützer Kirche und jene für die Kirche von Meißen – im Pluralis maiestatis33. Die Urkunde für Waldsassen aus dem Jahre 1167 wurde objektiv verfasst34. In der älteren Urkunde für Waldsassen (1159) geht die Singularform in den Pluralis maiestatis über35. Vier von diesen Urkunden, jene für die Kirchen von Olmütz und Meißen und die beiden Urkunden für Waldsassen, beginnen mit der Invocatio36, wobei die Urkunde für die Olmützer und die für die Meißener Kirche von den beiden Invocationsformen, dem Chrismon und der verbalen Invocatio, eingeleitet sind37. Die Urkunde für Hradisko beginnt mit der Datierung38, die erste Urkunde für die Johanniter mit der Promulgatio39, die andere

24  Die achte, in CDB 1 163–165 Nr. 158 edierte Urkunde erwies sich später als Falsum des 13. Jhs. Vgl. Šebánek–Dušková, Česká listina (wie Anm. 1) 56. Der in der Urkunde Přemysl Ottokars I. vom 17. Januar 1205 inserierte Text, CDB 1 176 Nr. 179, war wohl nur eine Traditionsnotiz. 25   CDB 1 161–163 Nr. 157. Vgl. Šebánek–Dušková, Česká listina (wie Anm. 1) 56. 26  CDB 1 192f. Nr. 204. Vgl. Šebánek–Dušková, Česká listina (wie Anm. 1) 192f. Nr. 204. 27  CDB 1 204f. Nr. 227. 28  CDB 1 194–196 Nr. 208. Vgl. Šebánek–Dušková, Česká listina (wie Anm. 1) 57. Zur Ankunft der Prämonstratenser in Hradisko vgl. Václav Novotný, České dějiny I, 3 (Praha 1928) 94 f. 29   CDB 1 197–199 Nr. 210. Vgl. Šebánek–Dušková, Česká listina (wie Anm. 1) 57. 30  CDB 1 214–216 Nr. 245. 31  CDB 1 216–218 Nr. 246. 32  CDB 1 Nr. 208, 245, 246. 33   CDB 1 Nr. 157, 204, 210. 34   CDB 1 204–206 Nr. 227. 35   CDB 1 192 Nr. 204, Zl. 25–29: ... pro amore Christi et salutem anime tam mee quam predecessorum meorum ... donavimus ... quatinus et illorum inopia ex nostra habundancia suppleatur ... etc. 36  CDB 1 161–163 Nr. 157; 192f. Nr. 204; 197–199 Nr. 210; 204–206 Nr. 227. 37  CDB 1 161–163 Nr. 157. 38  CDB 1 194–197 Nr. 208. 39   CDB 1 214–216 Nr. 245.



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Urkunde für die Johanniter mit der Intitulatio40. Für die Invocatio wurde regelmäßig die Wendung In nomine sancte et individue trinitatis benutzt. Die Intitulatio – ohne Pronomen41 oder mit Ego eingeleitet42 – wird fast regelmäßig durch die Devotionsformel Dei gratia ergänzt, nur die Urkunde für die Meißener Kirche hat die Devotionsformel in der Form divina favente clementia43. Eine Adresse kommt nur in der Urkunde für die Olmützer Kirche vor und ist allgemein ausgedrückt (omnibus christicolis tam moderni quam futuri temporis)44. In anderen Urkunden ist sie durch die Promulgatio ersetzt, die in der Form Notum sit omnibus Christi fidelibus, eventuell tam futuris quam presentibus45, oder notum facio cunctis fidelibus presentibus et futuris formuliert wurde46. In der Urkunde für Waldsassen aus dem Jahre 1159 fehlt jedoch sowohl Adresse als auch Promulgatio. Die Arenga ist in den Urkunden Vladislavs relativ üblich47. In einigen Urkunden ist sie jedoch durch eine ausführliche Narratio beziehungsweise einen ausführlichen ­Motivenbericht ersetzt, der die allgemeine sowie konkrete Begründung der beurkundeten Vorgänge präsentiert, also eine Kombination von Arenga und Narratio darstellt48. Die Arengen erinnern an die Pflicht des Herrschers, die Rechte der Kirchen zu schützen49, sie preisen den Ruhm der Vorfahren und mahnen das Seelenheil ein50, weisen auf die Frömmigkeit und die Sündenvergebung hin51. Die Mehrheit der Urkunden Vladislavs hat eine Corroboratio. Nur der Urkunde für die Johanniter aus dem Jahre 1169 fehlt diese Formel, wenn auch die Urkunde besiegelt wurde und das Siegel bis heute erhalten ist52. Die Sanctio kommt auch fast regelmäßig vor, entweder als Anathem53, Drohung mit der Exkommunikation54 oder mit der ewigen Verdammung und dem höllischen Feuer an der Seite Judas’ des Verräters55, beziehungsweise der Strafe gemeinsam mit Dathan und Abiron und Judas dem Verräter56. Nur in zwei Urkunden, konkret in jener für die Meißener Kirche und in jener für die Johanniter 1169, fehlt diese Formel57. Der Urkunde für die Olmützer Kirche fügten auch die Bischöfe von Prag und Olmütz ihren Bann hinzu58. Außer in der ersten Urkunde für die Johanniter wird in allen anderen auch die Zeugenreihe angeführt59.   CDB 1 216–218 Nr. 246.   CDB 1 Nr. 157, 204, 210, 227. 42   CDB 1 Nr. 208, 245, 246. 43   CDB 1 197 Nr. 210. 44  CDB 1 162 Nr. 157. 45  CDB 1 198 Nr. 210; 215 Nr. 245. 46  CDB 1 216 Nr. 246. 47   CDB 1 Nr. 157 (Olmützer Kirche), 207, 227 (Kloster Waldsassen), 208 (Kloster Hradisko), 210 (Meißener Kirche). 48  CDB 1 Nr. 208 (Kloster Hradisko), 245, 246 (Prager Johanniter). 49   CDB 1 Nr. 157. 50  CDB 1 Nr. 204, 227. 51   CDB 1 Nr. 210. 52  CDB 1 216–218 Nr. 246. 53  CDB 1 163 Nr. 157: perpetui anathematis obtentu; CDB 1 206 Nr. 227: anathematis gladio, nisi resipiscat, se percussam in die iudicii sine fine sentiat. Zur Acht in den Urkunden vgl. Erben, Kaiser- und Königsurkunden (wie Anm. 18) 361; Fiala, K počátkům listin (wie Anm. 1) 40 Anm. 61. 54  CDB 1 192 Nr. 204: omnes quicumque hoc factum violare ... presumpserint, regie maiestatis et tocius terre reos ac perpetua damnacioni et excommunicacioni subditos ... significamus. 55   CDB 1 196f. Nr. 208. 56  CDB 1 215 Nr. 245. 57  CDB 1 Nr. 210 und 246. 58  CDB 1 196 Nr. 208. 59   CDB 1 Nr. 245. 40 41

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In der Datierung hatten sich offensichtlich noch keine festen Gewohnheiten durchgesetzt. Vor allem das Tagesdatum war noch nicht üblich. Zwei im Original überlieferte Urkunden, jene für die Olmützer Kirche und die erste Urkunde für die Johanniter, haben keine Datierung60, andere tragen lediglich die Jahresangabe, nur zweimal kommt auch das Tagesdatum vor: Die Urkunde für das Kloster Waldsassen von 1159 ist mit Indiktion und Regierungsjahr datiert61. In der Urkunde für das Kloster Hradisko sind Inkarnationsjahr, Epakten, Konkurrenten und Indiktion, in der Formel Datum per manus auch das Tagesdatum angeführt62. In der Meißener Urkunde findet man: Datierung, Indiktion, das Regierungsjahr Vladislavs und das Amtsjahr des Meißener Bischofs, wieder in der Formel Datum per manus63. In der Urkunde für die Johanniter von 1169 sind das Inkarnationsjahr und das Regierungsjahr Vladislavs als Fürst und als König sowie das Amtsjahr des Prager Bischofs angegeben64. In der Urkunde für Waldsassen von 1165 ist sowohl das Datum der Rechtshandlung (Inkarnationsjahr ohne andere Jahresangaben und Tagesdatum) als auch das Tagesdatum der Beurkundung (in der Formel datum per manus) angegeben65. In einigen Urkunden, in jenen für Hradisko, die Meißener Kirche und in der ersten­ Urkunde für die Johanniter (1158–1169), steht die Apprecatio in Form des Amen66. Wie schon erwähnt wurde, weisen einige Urkunden Vladislavs auch die Formel datum­ per manus auf 67, die zusammen mit dem Namen des Kanzlers (Gervasius, prepositus Wisegradensis)68, eventuell auch des Vizekanzlers (Martinus subcancellarius)69, in einigen Urkunden die Existenz der wohl noch sehr einfachen Kanzlei andeutet70. Von den hier erwähnten Urkunden Vladislavs II. sind einige besonders auffällig und interessant. Die erste unter ihnen, die zwischen den Jahren 1146 und 1148 ausgestellte Urkunde für die Olmützer Bischofskirche, zugleich die älteste im Original überlieferte Urkunde eines böhmischen Herrschers, zeigt stilistische Ähnlichkeit mit den Urkunden des Olmützer Bischofs Heinrich Zdík und wurde wohl von diesem selbst diktiert71. Ähnlich wie die Urkunden Heinrich Zdíks72 hat auch diese Urkunde viel mehr eine narrative als eine urkundliche Form. Es fehlt die Datierung und ihre Verfügung wurde durch das Anathem geschützt73. Im Unterschied zu den Urkunden des Olmützer Bischofs ist je  CDB 1 161–163 Nr. 157; 216–218 Nr. 245.   CDB 1 193 Nr. 204. 62   CDB 194, 197 Nr. 208. 63   CDB 1 198 Nr. 210. 64   CDB 1 218 Nr. 246. 65   CDB 1 205f. Nr. 227: Hec autem rata facta sunt ... anno dominicę incarnacionis MCLXV, IIII kalendas iulii in ecclesia sanctę Marię Waltsahs ... Data per manum Geruasii cancellarii et prepositi Wisigradensis ęcclesię et regis cancellarii, IIII kalendas octobris. 66   CDB 1 Nr. 208, 210, 245. 67   CDB 1 Nr. 208, 210, 227. 68  CDB 1 193 Nr. 204; 206 Nr. 227; 215 Nr. 245; 218 Nr. 246. Zum Vyšehrader Propst und Kanzler Gervasius vgl. Emler, Kanzlei (wie Anm. 12) 4. 69   CDB 1 215 Nr. 245. Vgl. dazu Emler, Kanzlei 4f. 70   Vgl. Šebánek–Dušková, Česká listina (wie Anm. 1) 57. 71  CDB 1 161–163 Nr. 157. Vgl. dazu Šebánek–Dušková, Česká listina (wie Anm. 1) 56; Bistřický, Studien (wie Anm. 10) 172f. und 183. 72   Zu den Urkunden Heinrich Zdíks vgl. Šebánek–Dušková, Česká listina 53f.; Bistřický, Studien 140–182. 73   Die Poenformel lautet: perpetui anathematis obtentu ab utroque episcopo firmari rogavimus (CDB 1 163 Nr. 157); vgl. dazu CDB 1 160 Nr. 156 (Heinrich Zdík): obtentu sempiterni anathematis roborari pecii et impetravi. 60 61



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doch die Androhung des Anathems mit der Corroboratio und mit der Ankündigung der Zeugenreihe verbunden74. Die subjektiv im Pluralis maiestatis formulierte Urkunde hat noch nicht alle üblichen Formeln einer mittelalterlichen Urkunde. Einige Formeln, wie beispielsweise Invocatio und Intitulatio mit Devotionsformel, erhielten jedoch schon die später regelmäßig benutzte Form. Weniger gewöhnlich ist die breite Arenga, die an die Pflichten des Herrschers gegenüber der Kirche erinnert, die breite chronikalisch formulierte Narratio und auch die narrativ verfasste Dispositio. Einen völlig unterschiedlichen Charakter hat die Urkunde für das hier schon erwähnte Kloster Hradisko75. Am Anfang dieser Urkunde steht eine umfangreiche Datierung mit dem Inkarnationsjahr, Epakten-, Konkurrenten- und Indiktionenangabe, jedoch ohne Tagesdatum (es ist in der Data per manum-Formel angeführt). Dann kommt die mit dem Pronomen Ego angeführte Intitulatio mit der Devotionsformel Wladislaus Dei gratia secundus rex Boemorum. Der Satz setzt mit der Arenga fort, die in eine auffällig erzählende Narratio übergeht. Darauf folgt die mit der Corroboratio verbundene Dispositio, dann die Liste des bestätigten Besitzes und die Zeugenreihe. In der Sanctio wurde die Verfügung der Strafgewalt der päpstlichen Autorität unterstellt76 und mit einem subjektiv formulierten ausführlichen Bann des Prager Bischofs Daniel I. und des Olmützer Bischofs Johann IV. unterstützt. Die bischöfliche Sanctio enthält eine Benedictio, die sowohl mit der Cominatio als auch mit der Apprecatio verbunden ist. Die Urkunde endet mit der Formel Data per manum, der das Tagesdatum nach dem römischen Kalender folgt, und zwar mit den Kalenden und dem Monatsnamen im Genitiv: ... eiusdem anni XVI kalendarum iulii. Die ungewöhnliche Form dieses wieder viel mehr narrativ als urkundlich formulierten Schriftstücks, vor allem jedoch die umfangreiche Datierungsformel am Anfang der Urkunde, die auffallend an die Altarauthentiken des Prager Bischofs Daniel I. erinnert, führten zur Hypothese, dass diese Urkunde von Vincentius, dem Notar des Prager Bischofs Daniel I. und später des böhmischen Königs Vladislav I., stilisiert wurde 77, der auch als Verfasser der Geschichte der Regierungszeit Vladislavs bekannt ist78. Vincentius hat auch einige Urkunden Bischof Daniels geschrieben79. In der Formulierung der wohl von Vin74   CDB 1 163 Nr. 157: … scriptique presentis tenore et sigilli nostri impressione simul etiam nobilium nos­ trorum cęterorumque testium annotatione roborari fecimus. 75  CDB 1 194–197 Nr. 208. Šebánek–Dušková, Česká listina (wie Anm. 1) 57, zählen zu den von Vincentius stilisierten Urkunden auch jene für Waldsassen, CDB 1 204–206 Nr. 227 (teilweise auch 386). Die Urkunde für Waldsassen hängt jedoch stilistisch eng mit der älteren Urkunde desselben Klosters zusammen (CDB 1 192f. Nr. 204), die als Empfängerausfertigung zu betrachten ist. Vgl. Friedrich, CDB 1 204. 76  CDB 1 196 Nr. 208: Ad hęc quoque ut hęc mea predicta confirmatio rata et fixa in perpetuum permaneat, ex canonica et apostolica auctoritate maledictionem in huius decreti mei prevaricatores subscribi volui. 77   Vgl. Hrubý, Tři studie (wie Anm. 1) 40–43. Die Datierungsformel am Anfang der Urkunde erläuterte Hrubý mit dem Einfluss der Urkunden der italienischen öffentlichen Notare, was jedoch nicht allgemein akzeptiert wurde. Vgl. Josef Nuhlíček, Veřejní notáři v českých městech, zvláště v městech pražských [Öffentliche Notare in böhmischen Städten, insbesondere in den Prager Städten] (Praha 1940) 14. Am 1. September 1158 schrieb Vincentius im Auftrag des Kaisers Friedrich I. und des Königs von Böhmen Vladislav die kaiserliche Urkunde, in der die Bedingungen der Kapitulation Mailands festgelegt wurden. In dieser Urkunde kommt die Datierung (Inkarnationsjahr, Tagesdatum und Indiktion, mit der Angabe „unter der Regierung Kaiser Friedrichs“) am Anfang der Urkunde, gleich nach der Invocatio. Vgl. MGH D. F.I., ed. Heinrich Appelt–Rainer Maria Herkenrath–Walter Koch (Hannover 1979) 224; zum Verfasser der Urkunde ebd. S. 223f. 78  Letopis Vincencia, kanovníka kostela pražského [Die Jahrbücher des Domherrn Vinzenz von Prag], ed. Josef Emler, in: Fontes rerum Bohemicarum 2 (Praha 1875) 407–460. 79  Vgl. Marie Pavlíková, O oltářních autentikách biskupa Daniela I. [Über die Altarauthentiken Bischof Daniels I.] (Věstník královské české společnosti Nauk 1951/2, Praha 1952) 12–14.

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centius verfassten Urkunden wurde unter anderem westeuropäischer Kanzleieinfluss konstatiert80. Auch die ungewöhnliche Form der Urkunde für Hradisko mit der Datierung am Anfang wurde mit dem Aufenthalt des Vincentius in Italien verbunden, wo er die ebenfalls mit der Datierung beginnenden Notariatsinstrumente kennenlernen und diese Urkundenform nach Böhmen übertragen konnte81. Eine narrative Form mit persönlicher Aussage und autobiographischen Informationen hat auch die umfassende Narratio der zweiten Urkunde für das Spital der Johanniter (1169). König Vladislav erwähnt dort seine Teilnahme am zweiten Kreuzzug und bekennt seine alte und vergebliche Sehnsucht, Jerusalem zu besuchen und das Grab Christi und alia loca sancta zu sehen, was ihm – nescio quo Dei iudicio – nicht vergönnt war82. Trotz der relativ hohen literarischen Qualität einiger Urkunden König Vladislavs, die jedoch vielmehr gegen das Vorhandensein einer etablierten diplomatischen Tätigkeit am böhmischen Königshof spricht, lassen sie noch gewisse Verlegenheiten und die Instabilität des Urkundenformulars erkennen, die die Entstehung und Durchsetzung einer „wahren“ Urkunde in Böhmen begleiteten. Unter den – fünf – Urkunden von Vladislavs Nachfolger Soběslav II. (1173–1180), die alle subjektiv im Singular verfasst wurden, lassen sich zwei Haupttypen unterscheiden. Zwei Urkunden, die Schenkung für das Kloster Plasy und die Bestätigung der älteren Schenkungen für die Vyšehrader Kirche83, beginnen mit der Promulgatio. In der ersten Urkunde hat die Promulgatio eine einfache Form Notum sit tam futuris quam presentibus, während die Promulgatio in der Vyšehrader Urkunde breiter formuliert ist: Notum sit omnibus, qui decorem domus Dei et locum habitationis glorię eius diligunt ... . Dann folgt in beiden Urkunden die Intitulatio mit dem Pronomen Ego und von der Devotionsformel (gratia Dei oder divina favore) begleitet, danach kommen Arenga, Narratio, Dispositio und Zeugenreihe, die in der Urkunde für Plasy mit der Corroboratio verbunden ist. Dieselbe Urkunde trägt noch die Datierung mit dem Inkarnationsjahr und der Indiktion. Den zweiten Typ der Urkunden Soběslavs stellen die Schenkung für Kloster Kladruby und die Schenkung und Rückgabe der Güter und Einkünfte für die Vyšehrader Kirche dar84. Sie wurden in der traditionellen Urkundenform verfasst, die mit Invocatio und Intitulatio mit der Devotionsformel anfängt. Dann erst folgen Promulgatio, Arenga und Narratio und nach der Dispositio die Corroboratio, die Zeugenreihe und die Datierung. Die Datierung ist auf die Jahresangabe beschränkt, die mit Inkarnationsjahr, Indiktion, eventuell auch Epakten und Konkurrenten angegeben wird85. Nur in der Urkunde für das Kloster Kladruby aus dem Jahre 1177 ist auch der Monat, jedoch ohne Tag, angeführt86. Die Kurzarenga der Urkunde für Plasy erwähnt salus anime 87. Ungewöhnlich ist die Arenga der Urkunde für Kloster Kladruby, die zuerst die Gebete der Mönche und den ewigen Lohn, dann jedoch die persönlichen Motive des aus dem Gefängnis befreiten   Ebd. 12.   Vgl. Šebánek–Dušková, Česká listina (wie Anm. 1) 57f. Zur italienischen Notariatsurkunde vgl. Oswald Redlich, Die Privaturkunden des Mittelalters (München–Berlin 1911) 209–233. 82   CDB 1 216 Nr. 246. 83   CDB 1 243f. Nr. 278; 253f. Nr. 288. Zu diesen Urkunden vgl. Psíková, Příspěvky (wie Anm. 9) 3f.; Čumlivski, Archiv (wie Anm. 9) 153. 84  CDB 1 244–246 Nr. 279; 251–253 Nr. 287; 253f. Nr. 288. 85  CDB 1 Nr. 279, 287. 86  CDB 1 Nr. 279. 87   CDB 1 Nr. 278. 80 81



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Herrschers erwähnt88. In der ersten Urkunde für die Vyšehrader Kirche (1178) ist die Arenga, die den Respekt gegenüber dieser Kirche und die Vorbildlichkeit der Vorgänger anführt, mit der Narratio verbunden89. Die Arenga der zweiten Vyšehrader Urkunde (undatiert) betont die Sorge um die Rechte und Güter der Kirchen90. Die einzige bekannte Urkunde Soběslavs II., die für weltliche Empfänger ausgestellt wurde, das Privileg für die Prager Deutschen91, ist leider nicht in ihrer ursprünglichen Form überliefert, sondern nur als Insert in den späteren Bestätigungen und Abschriften. Im Insert sind nur Intitulatio, Promulgatio und Dispositio überliefert. Andere Formeln – Invocatio, Devotionsformel, Arenga, Narratio und Schlussformeln – fehlen vollständig. Die in diesem Fall besonders interessanten Informationen, wie die allgemeine Begründung und die Erzählung des Sachverhalts, sind verloren. Aus der Regierungszeit des Fürsten Friedrich (1182–1189) ist ein Dutzend von echten Urkunden überliefert. Die Empfänger sind mit einer einzigen Ausnahme wieder die Kircheninstitutionen bzw. -repräsentanten. Alle Urkunden beziehen sich auf Besitzangelegenheiten: Dem Olmützer Bischof Johann IV. bestätigte Friedrich die älteren Schenkungen und legalisierte den Austausch von Gütern92. Mit seinen beiden Urkunden für das Kloster Waldsassen tätigte Friedrich Schenkungen und bestätigte die Donationen seines Vorgängers93. Drei Urkunden für das Kloster Plasy betreffen Schenkungen94, die vierte bestätigt einen Gütertausch95. Dem Kloster Zwettl erteilte Friedrich einige Donationen und bestätigte die Freiheiten96. Am 2. Mai 1187 bestätigte Friedrich dem Vyšehrader Propst und dem Kollegiatkapitel die Privilegien97. Auch das Johanniter-Spital bekam einige Schenkungen und die Bestätigung von früheren98. Nur eine Urkunde wurde für einen Laien ausgestellt. Mit dieser Urkunde übergab Friedrich im Jahre 1185 Weitra mit dem Wald zwischen den Flüssen Lainsitz und Strob­ nitz dem Hadmar von Kuenring als Lehen99. In den Urkunden Friedrichs sind ähnliche Formen wie in den älteren Urkunden zu konstatieren. Es kommen Promulgatio100, Invocatio101 und einmal die Intitulatio am An  CDB 1 Nr. 279.   CDB 1 Nr. 287. 90   CDB 1 Nr. 288. 91  CDB 1 255–257 Nr. 290. Zur Überlieferung vgl. Friedrich, ebd. 256. Zu diesem Privileg vgl. vornehmlich Zdeněk Kristen, Privilegium Němců pražských [Das Privileg für die Prager Deutschen]. Český časopis historický 28 (1922) 157–165; Václav Vojtíšek, O privilegiu knížete Soběslava pro pražské Němce a jeho konfirmacích [Über das Privileg Fürst Soběslavs für die Prager Deutschen und seine Bestätigungen], in: Výbor rozprav a studií Václava Vojtíška (Praha 1953) 311–322; Miloš Rejnuš, K interpolaci o rychtáři v Soběslavově privilegiu pro pražské Němce [Über die den Richter betreffende Interpolation in Soběslavs Privilegium für die Prager Deutschen]. Sborník prací filozofické fakulty brněnské univerzity IX, C (Řada historická) 7 (1960) 49–58. 92   CDB 1 260f. Nr. 292. Das nächste Schriftstück, das die Schenkungen zugunsten der Olmützer Kirche anzeigt, CDB 1 262f. Nr. 294, ist die Traditionsnotiz. 93  CDB 1 263–265 Nr. 295; 275f. Nr. 305. 94  CDB 1 269f. Nr. 300; 270f. Nr. 301; 277 Nr. 307. 95  CDB 1 273f. Nr. 304. 96   CDB 1 283f. Nr. 311. Dieses Privileg wurde in der Form eines Chirographs ausgestellt. 97   CDB 1 288–290 Nr. 317. 98   CDB 1 290f. Nr. 318; 292f. Nr. 320. Die Urkunde CDB 1 280–283 Nr. 310 ist nicht zuverlässig. Vgl. Friedrich, CDB 1 280f. Hrubý, Tři studie (wie Anm. 1) 52 und 121, hielt jedoch die angeführten Gründe nicht für relevant. 99  CDB 1 279f. Nr. 309. 100  CDB 1 270 Nr. 300; 271 Nr. 301; 274 Nr. 304; 290 Nr. 318. 101   CDB 1 260 Nr. 292; 263 Nr. 295; 275 Nr. 305; 277 Nr. 307; 280 Nr. 309; 283 Nr. 311; 293 Nr. 320. 88 89

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fang vor102. Drei der vier Urkunden, die mit einer Promulgatio anfangen, wurden für das Kloster Plasy ausgestellt, die vierte für die Prager Johanniter. Die Urkunden mit Invocatio am Beginn wurden an verschiedene Empfänger adressiert. Die Intitulatio wird fast regelmäßig von der Devotionsformel begleitet, nur in zwei Fällen, in der Urkunde für das Vyšehrader Kapitel und in der zweiten Urkunde für die Johanniter, fehlt diese Formel103. Die Urkunden Friedrichs sind insgesamt subjektiv formuliert, aber wie in einigen der älteren Urkunden schwankt die Intitulatio zwischen Singular und Plural. Von zwölf Urkunden haben zehn die Intitulatio mit dem Personalpronomen Ego, eventuell auch mit den Verben im Singular in den Anfangsformeln der Urkunde. Dann jedoch geht die Formulierung zum Pluralis maiestatis über104, möglicherweise schwankt sie zwischen dem Plural und Singular, wobei Friedrich die Verfügung auch im Namen einer anderen Person trifft105. Zwei Urkunden sind dann ganz im Singular verfasst106, zwei andere im Pluralis maiestatis107. Beide im Pluralis maiestatis formulierten Urkunden lassen das Pronomen in der Intitulatio vermissen, in den im Singular verfassten Urkunden ist dem Namen des Fürsten wieder das Pronomen Ego vorangestellt. Die Arenga ist nicht ganz üblich, sie fehlt in drei Urkunden108. Sie hatte auch noch nicht ihren festen Platz in der Urkunde. In der Urkunde für Plasy 1183 kommt sie erst nach der Dispositio109. Die Themen der Arengen in den Urkunden für die kirchlichen Empfänger sind die Sündenvergebung110, der Gegensatz des Irdischen und des Himmlischen111, die Freigebigkeit gegenüber den Untertanen im Tausch gegen ihre Gebete112, die Notwendigkeit, den Bedürftigen milde Gaben zu reichen113, die Minderung der Sündenlast durch Almosen114, die Memoria und die Verbesserung des Kirchenzustands115 sowie die Herrscherpflicht der Freigiebigkeit116. Die Urkunde für Hadmar von Kuenring enthält dagegen die Herrschaftsarenga, in der die Fürstenwürde, Frieden, Treue und Recht betont werden117. Die Narratio kommt noch seltener vor, dreimal in den Urkunden mit Arenga118, zweimal ohne diese Formel119. Da sich die Urkunden Friedrichs auf Vermögenssachen beziehen, ist ihre Dispositio manchmal auch mit einer Pertinenzformel ausgestattet120.   CDB 1 288 Nr. 317.   CDB 1 288 Nr. 317 (Ego Fridericus, Boemorum dux); 293 Nr. 320 (Ego Fridericus, dux Boemorum). 104  CDB 1 260 Nr. 292; 263 Nr. 295; 270 Nr. 300; 274 Nr. 304; 283 Nr. 311; 288 Nr. 317; 290 Nr. 318. 105   CDB 1 274 Nr. 304: ego Fridericus ... et patruus meus Wencezlaus ... Placuit quoque nobis pro roborando pacto, ut duobus sigillis, meo scilicet a patrui mei W., privilegium firmaretur. 106  CDB 1 271 Nr. 301; 277 Nr. 307. 107  CDB 1 275 Nr. 305; 280 Nr.309. 108  CDB 1 Nr. 304, 307, 318. 109   CDB 1 270 Nr. 300. 110   CDB 1 Nr. 292. 111  CDB 1 Nr. 295. 112  CDB 1 Nr. 300. 113  CDB 1 Nr. 301. 114   CDB 1 Nr. 305, 311. 115   CDB 1 Nr. 317. 116   CDB 1 Nr. 320. 117  CDB 1 Nr. 309. Zu den Herrschaftsarengen vgl. Fichtenau, Arenga (wie Anm. 17) 175; Adamska, Arengi (wie Anm. 17) 79–105. 118  CDB 1 Nr. 301, 305, 317. 119  CDB 1 Nr. 307, 318. 120   CDB 1 261 Nr. 292; 264 Nr. 295; 272 Nr. 300; 275f. Nr. 305; 290 Nr. 318. 102 103



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Wenn die Corroboratio vorkommt, beginnt sie üblicherweise mit Worten Ut autem121, in einem Fall Et ut istum122. In der Urkunde für das Vyšehrader Kollegiatkapitel ist sie jedoch breiter formuliert: Hec statuta presentibus et futuris nota esse cupientes, in foro ... publico preconio proclamari iussimus, coram primatibus vero nostris scripto ac sigillo nostro confirmavimus ...123. Die Sanctio ist allgemein als Drohung formuliert, oft enthält sie eine Drohung mit dem Anathem bzw. dem vinculum anathematis124. Die Verfügung der Urkunde für den Olmützer Bischof aus dem Jahre 1180 wurde der bischöflichen Strafgewalt unterstellt125. In der Urkunde für das Kloster Waldsassen aus dem Jahre 1181 droht der Aussteller mit einer Anklage vor der göttlichen Majestät und mit dem Verlust des Friedens und der Gnade von der Seite des Fürsten und der Böhmen126. In der Urkunde für die Johanniter aus dem Jahre 1188 droht der Herrscher mit der indignatio omnipotentis127. In der Urkunde für das Vyšehrader Kollegiatkapitel vom 2. Mai 1187 wird auf eine Paraphrase der alten Pönformel von den ewigen Flammen und Verderbnis mit Judas und Teufel in eternum et ultra zurückgegriffen128. In der Schenkung für das Olmützer Domkapitel droht dem Verletzer der Urkundenverfügung wieder das Feuer cum Dathan et Abiron129. Die Datierung ist überwiegend nur auf die Jahresangabe beschränkt, wobei regelmäßig das Inkarnationsjahr verwendet wird, selten auch das Regierungsjahr des böhmischen Fürsten130, vereinzelt mit dem Amtsjahr des Prager Bischofs Heinrich verbunden131. Nur selten kommen auch andere Angaben wie Epakten und Indiktion132, eventuell Konkurrenten133, zum Einsatz. In der Urkunde für das Kloster Zwettl ist neben den Inkarnationsjahren und der Indiktion die Regierung des römisch-deutschen Königs Friedrich erwähnt. In derselben Urkunde werden auch Acta mit dem Jahr, und Data mit dem Ausstellungsort und dem Tagesdatum in der römischen Form unterschieden134. Das Tagesdatum kommt nur in einer Urkunde vor, und zwar in der großen Datierung der Privilegienbestätigung für das Vyšehrader Kollegiatkapitel, wo der Tag fortlaufend gezählt wird135. Die Schenkung für Kloster Plasy „datierte“ Friedrich ganz ungewöhnlich: Acta sunt hęc in consecratione basilicę, quam ob memoriam victorię meę socia thori mei Elisabhet construxit 136. Ein Ausstellungsort begegnet noch in den Urkunden für das Kloster Plasy 1183, 1184 (in Zbecsene, in Becsene/Zbečno)137 und 1185 Juni 17 (in communi colloquio Bohemorum   CDB 1 271 Nr. 301; 276 Nr. 305; 277 Nr. 307; 280 Nr. 309.   CDB 1 290 Nr. 318. 123   CDB 1 289 Nr. 317. 124  CDB 1 270 Nr. 300; 271 Nr. 301; 274 Nr. 304; 277 Nr. 307. 125   CDB 1 201 Nr. 292. 126   CDB 1 204 Nr. 295. 127   CDB 1 294 Nr. 320. 128   CDB 1 289 Nr. 317. 129  CDB 1 263 Nr. 294. 130   CDB 1 265 Nr. 295. 131   CDB 1 294 Nr. 320. 132   CDB 1 292 Nr. 292. 133   CDB 1 289 Nr. 317. 134  CDB 1 284 Nr. 311: Acta vero sunt hęc anno ab incarnatione dominica MC°LXXX°VI°, indictione IIII, regnante Friderico, Romanorum imperatore augusto. Data per Florianum cancellarium in loco, qui vocatur Nacamic XVI kalendas iulii. 135  CDB 1 289 Nr. 317: secundo die mensis mai. 136  CDB 1 271 Nr. 301. Es handelt sich um die St. Johanns-Kirche bei Prag. Vgl. Václav Novotný, České dějiny I, 2 (Praha 1913) 1051f. 137  CDB 1 270 Nr. 300; 274, Nr. 304. 121 122

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Pragae habito)138, für Hadmar von Kuenring 1185 (in Bozdiz/Bezděz)139, für das Kloster Zwettl 1186 Juni 16 (Nacamic/Kamýk)140, also in der Hälfte der Urkunden Friedrichs. Die Datierung ist überwiegend mit dem Wort Acta, eventuell Facta eingeleitet, das Datum kommt nur in der Data per manum-Formel vor141 (oder nur Data per)142, in der auch der Kanzler genannt wird. Einmal ist die Formel Factum est per manum angeführt, in der jedoch der Repräsentant des Empfängers genannt ist143. Die Apprecatio erscheint ein einziges Mal, und zwar in der schon erwähnten Urkunde für Zwettl, wo sie Amen lautet144. Beide im Original überlieferten Urkunden des Fürsten Konrad II. Otto (1182; 1189–1191) sind subjektiv im Singular formuliert. Die eine bestätigt im Jahr 1189 die Schenkungen des Hroznata Crispus und seine Schenkungen für die Johanniter und reserviert ihm ein lebenslängliches Nutzungsrecht an einigen der geschenkten Güter. Die andere ist jene, mit welcher der Fürst und seine Mutter Marie am 25. Oktober 1190 das Prämonstratenserkloster Louka gründeten und beschenkten145. Sie beginnen mit verbaler Invocatio, deren Wortlaut jedoch in beiden Urkunden unterschiedlich ist. In der Urkunde für Hroznata Crispus lautet sie: In nomine patris et filii et spiritus sancti amen, in der Urkunde für Kloster Louka hingegen In nomine sancte et individue trinitatis. In der älteren Urkunde folgt dann die Intitulatio, die mit dem Pronomen Ego eingeleitet wird, in der zweiten Urkunde hat die Intitulatio kein Pronomen. Die Devotionsformel Dei gratia ist in beiden Urkunden identisch. Das Privileg für Hroznata Crispus setzt dann mit einer kurzen Arenga fort, die nur Frömmigkeit und Barmherzigkeit thematisiert146, dann kommen Promulgatio, Narratio, Dispositio und Corroboratio, die die einzelnen an der Handlung beteiligten Personen als eigene Äußerung in der ersten Person Singular bestätigen. Danach folgt die Datierung mit dem Inkarnations- und Regierungsjahr, jedoch ohne Tagesangabe, und – schließlich – die Zeugenreihe. In der Urkunde für Louka folgt nach der Intitulatio die Arenga mit dem Thema „Schriftlichkeit im Dienste der Memoria“147, dann kommen Promulgatio, Narratio, Dispositio, Zeugenreihe und große Datierung. Die Formulierung des Inkarnationsjahres unterscheidet sich von jenen der älteren přemyslidischen Urkunden und begnügt sich bei der Jahresangabe mit anno verbi incarnati. Außerdem sind Indiktion, Konkurrente und Epakte erwähnt. Der Tag wird mit der römischen Datierung (octavo kalendas novembris) angegeben. In beiden Urkunden ist auch Pönformel angeführt. In der Urkunde für Hroznata Crispus als Anathem, in der Urkunde für Louka droht der Fürst mit perpetua maledictio sowie mit dem Strafgeld von dreißig Pfund Gold. Ganz andere Adressaten hatten die leider nur in späteren Bestätigungen überlieferten Urkunden, die so genannten Statuten Konrad Ottos148, die die rechtliche Regelung   CDB 1 277 Nr. 307.   CDB 1 280 Nr. 309. 140  CDB 1 284 Nr. 311. 141  CDB 1 289 Nr. 317. 142   CDB 1 284 Nr. 311. 143  CDB 1 290 Nr. 318 (Factum est hoc per manum fratris Bernardi magistri eiusdem hospitalis in Boemia). 144  CDB 1 284 Nr. 311. 145  CDB 1 296f. Nr. 323, 299–301 Nr. 326. 146  CDB 1 296 Nr. 323 (intuitu pietatis et misericordie). 147   Vgl. Fichtenau, Arenga (wie Anm. 17) 131f. 148  Přemysl Ottokar I. bestätigte Statuten für die mährischen Teilfürstentümer Znojmo (Znaim) und Brünn, der Teilfürst in Břeclav (Lundenburg) Ulrich von Kärnten die für Břeclav. Vgl. CDB 2 222–225 Nr. 138 139



Die Herrscherurkunden in den böhmischen Ländern in der Zeit der přemyslidischen Fürsten

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der Stellung der böhmischen bzw. mährischen Magnaten, vor allem ihr Erbschaftsrecht an den verwalteten Gütern, bestätigen. Ihre Überlieferung erklärt, warum der Text nur zum Teil erhalten ist. Es fehlt der erste Teil der Urkunde. Er wurde durch Eingangsprotokoll, Arenga und Narratio der späteren Bestätigungen ersetzt. Der überlieferte Teil der ursprünglichen Urkunde beginnt mit der Promulgatio, dann folgt die Dispositio. Die darauffolgende Corroboratio, Zeugenreihe und Datierung beziehen sich nur auf die Bestätigung. Das Formular und der Stil der Urkunde sind nicht mehr rekonstruierbar. Von den Urkunden, die der Prager Bischof und Fürst von Böhmen Heinrich (Břetislav)149 in seinen beiden Funktionen ausstellte (1193–1197), sind fünf Stück überliefert. Vier von ihnen beziehen sich auf Vermögensangelegenheiten böhmischer Klöster. In der ersten Urkunde entschied der dux Bohemorum et Pragensis episcopus am 30. September 1194 einen Streit um Güter zwischen dem Prager Domkapitel und dem Kloster Plasy150. Die zweite, wieder aus dem Jahr 1194, betrifft die Güter der Johanniter151. In der dritten Urkunde garantiert der episcopus et dux totius Boemie dem Kloster Waldsassen freien Zugang zu seinen in Böhmen liegenden Gütern152. Dem Kloster Teplá bestätigt der dux et episcopus Boemorum seine von seinem Gründer geschenkten Güter und überträgt ihm weitere Besitztümer153. Nur eine dieser Urkunden ist an einen Laien adressiert: Am 20. Juni 1195 stellte der dux et episcopus Boemorum dem Grafen Milhost eine Erlaubnis aus, Mönche aus Waldsassen nach Böhmen zu bringen und ein Kloster auf dem Gut Mašťov zu gründen154. Was das Formular und die sprachliche Form dieser Urkunden betrifft, ist eine Urkunde im Pluralis maiestatis formuliert155, zwei im Singular156. In zwei anderen schwankt die wieder subjektive Formulierung zwischen Singular und Pluralis maiestatis 157. Die Invocatio lautet regelmäßig In nomine sancte et individue trinitatis158, zweimal wurde jedoch auch eine monogrammatische Invocatio in der Form „C“159 bzw. der des Kreuzes160 ausgeführt. Nur einer Urkunde fehlt diese Formel161. In der Intitulatio führte der Fürst-Bischof seine beiden Würden in wechselnder Folge, er bevorzugte also keine von ihnen in seinen Urkunden. Die Devotionsformel hat immer die Form Dei gratia. Eine Arenga folgt ent-

231; 329–332 Nr. 325; CDB 3 202–205 Nr. 164. Es ist nicht festzustellen, ob die Statuten nur für Mähren oder für das ganze Land erlassen wurden. Vgl. Josef Žemlička, Čechy v době knížecí [Böhmen im Zeitalter der Fürstenherrschaft] (Praha 1997) 324. 149  Zu den zwei Namen des Fürst-Bischofs vgl. Marie Bláhová, Břetislav, též Jindřich, Přemyslovec, in: Biografický slovník českých zemí 8 (Praha 2007) 250–252 (mit weiterer Literatur). 150  CDB 1 312f. Nr. 348. 151   CDB 1 314–316 Nr. 349. 152   CDB 1 321–323 Nr. 356. 153  CDB 1 325–327 Nr. 358. Vgl. Květoslava Haubertová, O nejstarších tepelských listinách [Über die ältesten Urkunden von Teplá] (Plzeň 1981) 8. Zur Klostergründung Novotný, České dějiny I, 3 (wie Anm. 28) 105–110. 154   CDB 1 319f. Nr. 355. 155   CDB 1 Nr. 348. 156   CDB 1 Nr. 349 und 355. 157  CDB 1 Nr. 356, 358. 158  CDB 1 Nr. 348, 355, 356, 358. 159  CDB 1 Nr. 348. 160  CDB 1 Nr. 358. 161   CDB 1 Nr. 349.

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weder nach der Intitulatio162 oder nach der Promulgatio163 bzw. Adresse164. In zwei älteren Urkunden (1194) beginnt die Promulgatio mit den Worten omnibus oder universis Christi fidelibus, und erst nach dieser „Adresse“ kommt die Promulgationswendung notum esse volumus oder notum facere dignum duxi165. In der Urkunde für Milhost kommt nach der Intitulatio eine allgemeine Adresse vor, dann die Arenga und die Promulgatio, die Quapropter notum esse volumus eingeleitet wird166. In der Urkunde für Kloster Teplá folgt die Promulgatio in der Form Propterea notum sit nach der Arenga167. Die Urkunde für Kloster Waldsassen hat weder Adresse noch Promulgatio168. Die Arengen betonen die Herrschertugenden und -pflichten wie Frieden, Sicherheit und Eintracht sowie die Förderung der kirchlichen Institutionen und geistlichen Personen169, Gerechtigkeit, Ehre und die Sorge für die Untertanen170, Fürstenwürde, Freigebigkeit, Wohltat und Gerechtigkeit171, den Nutzen der Diener Gottes und den Schutz der kirchlichen Güter172, aber auch Vorbildlichkeit der Vorgänger und Frömmigkeit173. Alle Urkunden Heinrich Břetislavs haben eine Corroboratio sowie die Pönformel. Die letzte droht fast regelmäßig mit dem Anathem in der Formulierung anathema sit174, eventuell mit anathematis vinculo175. Nur in der Urkunde für das Kloster Waldsassen soll der Verletzer der Dispositio summo iudici Deo respondere176. Ganz anders sieht die einzige aus der kurzen Regierungszeit des letzten pře­mys­ lidischen Fürsten Vladislav Heinrichs (1197) überlieferte Urkunde aus, die Bestätigung der Schenkung an das Kloster Waldsassen177. An ihrem Anfang steht die Promulgatio in der Form Notum sit tam presentibus, quam futuris Christi fidelibus, unmittelbar darauf knüpft mit quia der Hinweis auf die Schenkung an. Danach folgen die Zeugen, zuerst Mönche aus dem Kloster, dann die Adeligen. Erst am Ende der Urkunde steht die eigentliche Dispositio, also die Bestätigung der Schenkung, mit der mit dem Pronomen ego eingeleiteten Intitulatio (einschließlich der Devotionsformel Dei gratia) und der Cor­ roboratio, alles in einem einzigen Satz. Die im Original überlieferte Urkunde hat keine Datierung und keine anderen Formeln. Die ganze Formulierung der Urkunde deutet an, dass es sich hier nicht um eine eigentliche Urkunde, sondern um die Bestätigung einer Memorialnotiz handelt. Der Überblick über die erhaltenen zuverlässigen Urkunden aus der Zeit der přemys­ lidischen Fürsten zeigt zunächst die allmähliche Zunahme der Herrscherurkunden in Böhmen. Während aus den 31 Jahren der Regierung Vratislavs II., des ersten Herrschers,   CDB 1 Nr. 348, 356.   CDB 1 Nr. 349. 164  CDB 1 Nr. 355, 358. 165  CDB 1 Nr. 348, 349. Zu diesem Typ der Promulgatio vgl. Olivier Guyotjeannin–Jacques Pycke– Benoît-Michel Tock, Diplomatique médiévale (L’atelier du médiéviste 2, Turnhout 1993 [32006]) 79. 166   CDB 1 Nr. 355. 167  CDB 1 Nr. 358. 168  CDB 1 Nr. 356. 169  CDB 1 Nr. 348. 170   CDB 1 Nr. 355. 171  CDB 1 Nr. 356. 172  CDB 1 Nr. 358. 173  CDB 1 Nr. 349. 174  CDB 1 Nr. 349, 355. 175   CDB 1 Nr. 348, 358. 176  CDB 1 Nr. 356. 177  CDB 1 330f. Nr. 363. 162 163



Die Herrscherurkunden in den böhmischen Ländern in der Zeit der přemyslidischen Fürsten

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der Urkunden ausstellte, nur eine unverdächtige Urkunde überliefert ist, und dann mehr als dreißig Jahre lang keine Urkunde vorkommt, ist aus der fünfzehnjährigen Regierung Soběslavs I. wieder nur eine, überdies nicht ganz zuverlässige, Urkunde erhalten. Unter Vladislav II. nahm die Zahl auf sieben während der fast 33 Jahre zu, was theoeretisch etwa 0,2 Urkunden pro Jahr ergibt. Unter seinem Nachfolger Soběslav II. fällt auf ein Jahr schon ungefähr eine Urkunde, aus der Regierungszeit Friedrichs sind ungefähr 1,2 Urkunden pro Jahr überliefert. Für die kurze Regierungszeit Konrad Ottos sind durchschnittlich zwei Urkunden pro Jahr bekannt, tatsächlich wurden jedoch drei von fünf überlieferten Urkunden an demselben Tag und in derselben Sache ausgestellt. Unter Heinrich Břetislav ist der jährliche Schnitt 1,4 Urkunden pro Jahr, aus der halbjährigen Regierung Vladislav Heinrichs ist eine Urkunde überliefert. Das Urkundenformular ist nicht ganz ausgeprägt, die Stellung der einzelnen Formeln sowie der Stil der Urkunden schwanken die ganze Zeit über. Bemerkenswert sind die Unterschiede in der Stellung (und Anwendung) der Promulgatio. Fast die Hälfte der Urkunden (16 von 35) hat die Promulgatio entweder ganz am Anfang oder gleich nach der Invocatio, eventuell nach der Intitulatio, wenn die Invocatio fehlt178. Das Schwanken in Formeln und Stil könnte auf die Empfängerausfertigung der meisten Urkunden zurückzuführen sein, zum Teil wurde es jedoch dadurch verursacht, dass das Urkundenformular und der Urkundenstil noch nicht entfaltet und stabilisiert waren. Der Einfluss der Empfängerausfertigung von Urkunden kann vor allem bei den Schriftstücken, die mit der Promulgatio beginnen, demonstriert werden. Von acht dieser Urkunden wurden vier für das Kloster Plasy bestimmt, zwei für die Prager Johanniter (insgesamt sind sechs Urkunden für Plasy und fünf Urkunden für die Johanniter überliefert). Eine gewisse Entwicklung ist im Stil der Urkunden zu beobachten, der allmählich von der narrativen, stärker historiographischen Art zur amtlichen Urkundensprache übergeht. Das sprachliche Niveau der Urkunden ist jedoch vor allem von den einzelnen Schreibern abhängig. Die überlieferten Herrscherurkunden wurden nur für einen beschränkten Empfängerkreis ausgestellt. Bis auf seltene Ausnahmen sind es Urkunden für kirchliche Institutionen, eventuell für ihre Repräsentanten179. Die größte Zahl der Herrscherurkunden ist für das Zisterzienserkloster Plasy (6) überliefert, dann für die Prager Johanniter und für das Zisterzienserkloster Waldsassen (5). Dann kommen das Kollegiatkapitel Vyšehrad (4), die Olmützer Kirche und deren Bischof (3), das Benediktiner-, später Prämonstratenserkloster Hradisko und das Benediktinerkloster Kladruby (je 2). Für die Prämonstratenserklöster Teplá und Louka sowie das Zisterzienserkloster Zwettl, ebenso für die Kirche in Meißen, ist je eine Urkunde vorhanden. Die meisten überlieferten Urkunden betreffen die Klöster der Reformorden und die Johanniter. Deren Gründungen in den böhmischen Ländern gingen auf Regionen zurück, in denen das Urkundenwesen schon weiter entwickelt war. Man kann mit guten Gründen annehmen, dass die Urkundenausstellung auf Initiative der jeweiligen Klöster erfolgte, die die Herrscher zu schriftlichen Fixierungen bewogen haben. Unter den böhmischen bzw. mährischen Klöstern wurden die landesherrlichen Institutionen eindeutig bevorzugt. Eine einzige Ausnahme bildet die 178  Die Urkunden mit der Promulgatio am Anfang sind im 12. Jh. auch in Westeuropa bezeugt. Vgl. Erben, Kaiser- und Königsurkunden (wie Anm. 18) 303. 179  Den Überblick der kirchlichen Institutionen, für die die Urkunden ausgestellt wurden, bringt Fiala, K otázce funkce (wie Anm. 1) passim. Die Urkunden für Laien zog er jedoch nicht in Betracht.

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Urkunde für das Kloster Teplá. Gerade in der Herrscherstiftung in Verbindung mit den Rechtsgewohnheiten des Zisterzienserordens ist der Grund für die ungewöhnlich hohe Zahl der (nicht nur) Herrscherurkunden für das Kloster Plasy zu suchen, die Staunen der Historiker hervorruft180. Noch deutlicher ist das Streben nach Urkunden bei den Johannitern. Die Urkunde war ihrer Überzeugung entsprechend die einzige Garantie für ihren Grundbesitz181. Für die ältesten Benediktinerklöster in den böhmischen Ländern ist mit der Ausnahme der Klöster Hradisko und Kladruby bis zum Ende des 12. Jahrhunderts keine unverdächtige Urkunde überliefert. Die Gründung und Ausstattung dieser Klöster wurde nur in den Memorialnotizen und späteren Fälschungen registriert182. In beiden Ausnahmefällen wirkte wohl der ausländische Einfluss, der maßgeblich für die Ausstellung einer Urkunde wurde. Im Fall des Klosters Hradisko war es wahrscheinlich der Einfluss ­Ungarns, woher die Mitgründerin des Klosters, Fürstin Euphemia, Gattin des Teilfürsten Otto, nach Mähren kam183. Die Urkunden für Kladruby wurden vielleicht von den aus Zwiefalten in Schwaben kommenden Mönchen, die den Wert der Urkunde in ihrer ­Heimat kennengelernt hatten, erwirkt184. Alle überlieferten Urkunden für die kirchlichen Institutionen betreffen Vermögenssachen, konkret Schenkungen, Schenkungsbestätigungen und Gütertausch. Nur vereinzelt tauchen auch die Urkunden für Laien auf. Zu diesen Ausnahmen gehört das Privileg Soběslavs II. für die Prager Deutschen, denen der Herrscher seinen Schutz gewährt, sich an eigenes Recht zu halten erlaubt, die Berechtigung, eigene Richter zu haben, sowie andere Rechte erteilte. Dieser Urkunde nach sollen die Prager Deutschen diese Rechte schon unter Vratislav II. gehabt haben185. Die nächste einem Laien erteilte Urkunde ist die Lehensverleihung durch den Fürsten Friedrich zugunsten des Hadmar von Kuenring. Diese Urkunde bezieht sich jedoch nicht auf einen böhmischen Empfänger und wurde wohl von den mehr fortgeschrittenen österreichischen Verhältnissen beeinflusst186. Schließlich gehören zu dieser Urkundengruppe die Statuten Konrad Ottos, die erste schriftlich kodifizierte „Gesetzessammlung“. Diese Urkunde wurde in mindestens drei Exemplaren ausgestellt187. Die für die heimischen Laien ausgestellten Urkunden sind zwar selten, jedoch außerordentlich wichtig, da es sich in beiden Fällen um rechtsbildende Urkunden handelt. 180   Insgesamt sind zwölf Urkunden für Plasy überliefert, was die Zahl aller Urkunden für die damaligen Zisterzienser- und Prämonstratenserklöster übersteigt. Vgl. Fiala, K otázce funkce (wie Anm. 1) 10 und 18. 181  Vgl. ebd. 18. CDB 1 449 weist insgesamt 16 Urkunden für die Prager Johanniter aus. 182  Auf diese Tatsache hat auch Fiala, K otázce funkce 6–8, aufmerksam gemacht. Nur das älteste Männerkloster, Břevnov, hatte eine päpstliche Gründungsurkunde. Vgl. Josef Žemlička, K hodnověrnosti listiny Jana XV. pro klášter v Břevnově (31. V. 993) [Zur Glaubwürdigkeit des Privilegs Johanns XV. für das Kloster Břevnov], in: Milénium břevnovského kláštera (993–1093). Sborník statí o jeho významu a postavení v českých dějinách, hg. von Ivan Hlaváček–Marie Bláhová (Praha 1993) 25–39 (mit älterer Literatur). Zu den Memorialnotizen vgl. Pražák, Rozšíření aktů (wie Anm. 1) passim. 183   Auf den Einfluss der Gründungsurkunde des ungarischen Klosters Szad wurde schon aufmerksam gemacht. Vgl. hier oben Anm. 4. 184  Zur ältesten Geschichte des Klosters Kladruby vgl. Novotný, České dějiny I, 2 (wie Anm. 137) 510–512. 185  Vgl. CDB 1 256 Nr. 290 Z. 18. 186   Der Unterschied zwischen den österreichischen und böhmischen Verwaltungsverhältnissen war noch in der Zeit Přemysl Ottokars II. bemerkbar. Vgl. Fiala, Panovnické listiny (wie Anm. 1) 239f. 187  Vgl. hier oben Anm. 148.



Die Herrscherurkunden in den böhmischen Ländern in der Zeit der přemyslidischen Fürsten

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Die geringe Zahl der für die Laien ausgestellten Urkunden, von denen keine im Original erhalten ist, zeigt einerseits mangelndes Interesse der Laien an der Urkunde, andererseits erkennt man, dass die Laienarchive eine erheblich geringere Überlieferungschance als die kirchlichen Archive hatten. Die Urkunde Konrad Ottos für Hroznata Crispus ist zwar an einen Laien adressiert, begünstigt jedoch eine kirchliche Institution. An der Scheide zwischen dem Interesse des Laien und der Kirche steht die Urkunde Heinrich Břetislavs, die dem Grafen Milhost erlaubt, das Kloster Mašťov zu gründen. Beide Urkunden wurden auch in den kirchlichen Archiven überliefert. Wenn auch die Urkunden in den böhmischen Ländern bis zum Ende des 12. Jahrhunderts relativ selten benutzt wurden, setzten sie sich immer mehr als Mittel der Regierung und Verwaltung durch. Als wichtig erwiesen sie sich nicht nur in der Verwaltung der kirchlichen Institutionen, die eine wichtige Einnahmequelle für den Herrscher und intellektuelle Zentren bildeten und der Staatsverwaltung und Politik geschulte Fachkräfte bieten konnten, sondern auch in der Gesetzgebung gegenüber den Laien, egal ob es sich um die Kaufleute oder Magnaten handelte. Einige Urkunden erlauben auch verfahrenstechnische Einblicke zu ihrer Entstehung. Die langen Zeugenreihen oder gar die Handlung in communi colloquio Bohemorum, coram primatibus oder in consecratione basilicę belegen die öffentliche Handlung vor den versammelten Magnaten und Klerikern. Der Aussteller konnte auch mit ihrer öffentlichen Verkündigung ihre Bedeutung unterstreichen. Die Herrscherurkunden der frühen Přemyslidenzeit hatten nicht nur eine rechtliche oder verwaltungstechnische Funktion. Sie wirkten zugleich als Mittel der Herrscherpropaganda. Ihre Arengen mahnen nicht nur daran, die Wohltat des Ausstellers gegen das Vergessen zu schützen, ein Motiv, das während des gesamten beobachteten Zeitraumes vorkommt. Sie machten auf die Tugenden des Herrschers aufmerksam, vor allem auf seine Freigebigkeit, Frömmigkeit, sein Bemühen, die Rechte und Güter der Klöster zu schützen. Vor allem die Arengen in Urkunden des Fürsten Friedrich bringen eine breite Skala von religiösen Themen. Zu den Hauptpflichten des Herrschers gehörte jedoch die Bemühung um die Erhaltung des Friedens und der Gerechtigkeit, was vor allem in den Urkunden Heinrich Břetislavs am Ende der behandelten Zeit zum Ausdruck kommt.



Actes confirmatifs et vidimus dans le Nord de la France jusqu’à la fin du XIIIe siècle Benoît-Michel Tock

On pourrait, en un sens, définir la diplomatique comme l’art de la répétition. Dès le début du Moyen Âge en effet, certains actes reprennent en grande partie des textes antérieurs. On en prendra un exemple, choisi parmi des milliers d’autres parce qu’il est précoce: un diplôme du roi Chilpéric II pour l’abbaye de Saint-Bertin, donné entre le 5 septembre 717 et le 26 septembre 718, reprend de très larges passages du diplôme donné à la même abbaye en mai 692 par le roi Clovis III, qu’il confirme d’ailleurs1. Cette répétition repose en bonne partie sur l’utilisation de formulaires, ou plus largement sur la reprise de formules2 dans des actes antérieurs. Mais la répétition ne concerne pas que le texte: les actions juridiques elles aussi sont, parfois, répétées pour être confirmées. Si les textes des diplômes de Clovis III et de Chilpéric II cités ci-dessus sont si proches, c’est parce que l’abbaye de Saint-Bertin a eu besoin, en 717/718, d’une confirmation de l’immunité que lui avaient déjà accordée ou confirmée plusieurs souverains, dont Clovis III. Certains formulaires francs d’ailleurs reprennent des formules de confirmation. Marculf, par exemple, donne une formule de confirmatio de emunitatem, mais aussi une confirmatio regis ad sancto loco, une confirmatio ad saecularibus viris, une confirmatio regis de omni corpore facultatis et une confirmatio de omni corpore facultatis monasterii qui toutes renvoient à des actes royaux antérieurs3. Le but de cette étude est de retracer l’histoire de la confirmation des actes antérieurs, jusqu’au développement des vidimus. Le sujet a déjà été abordé, mais jamais de manière systématique4. Il doit donc être clair dès le départ que cette étude ne portera pas sur la confirmation des actions juridiques: ne seront pris en compte que les cas où un acte confirme explicitement un autre acte. Sont donc exclus les actes dans lesquels un acte antérieur est simplement mentionné, sans être explicitement confirmé5. Le cadre retenu   MGH DD. Mer. 1, ed. Theo Kölzer (Hannover 2001) 134, 178.   Sur les formulaires du Haut Moyen Âge, voir Alice Rio, Legal Practice and the Written Word in the Early Middle Ages. Frankish Formulae, c. 500–1000 (Cambridge 2009). 3  Alf Uddholm, Formulae Marculfi. Études sur le style et la langue (Uppsala 1953): Formules I 4, 16, 17, 31, 35. Sur Marculf voir désormais Rio, Legal Practice (cit. n. 2) 81–101. 4   Voir les quelques lignes d’Arthur Giry, Manuel de Diplomatique (Paris 1894) 16s. 5  Par exemple, dans un acte non daté qu’il donna entre 1118 et 1119 en faveur de la collégiale Saint-Pierrede-Lille, le comte de Flandre Baudouin VII reconnaissait avoir péché et mal agi (me peccasse et multum male egisse per Dei gratiam recognosco) en soustrayant au chapitre un alleu que son prédécesseur le comte Baudouin V lui avait donné (allodium … quod … contulit et privilegio suo firmavit). L’objet de la charte de Baudouin VII n’est cependant pas de confirmer la charte de son prédécesseur, mais de reconnaître sa faute. Actes des comtes 1 2

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sera celui du Nord de la France jusqu’au XIIIe siècle. La démarche heuristique suivie a cependant été très empirique. Il n’existe en effet pas, pour cette région, de répertoire, et moins encore d’édition, systématique des actes conservés6. On a donc mené des dépouillements forcément non systématiques, parmi un ensemble de recueils d’actes édités, ainsi que dans les quelques bases de données déjà existantes. Dès lors, tous les actes n’ont pas été vus; en sens inverse, au hasard des dépouillements, des actes de régions voisines ont parfois été pris en compte aussi.

1. La confirmation des actes antérieurs Durant le Haut Moyen Âge la reprise d’actes antérieurs ne concerne que les actes royaux. Le deuxième livre de Marculf, qui porte sur les actes privés, ne reprend d’ailleurs aucune confirmation. C’est assez normal, puisque la confirmation d’actes antérieurs suppose une certaine autorité, celle qui permet, précisément, de confirmer quelque chose; cette autorité, au Haut Moyen Âge, ne peut être que l’autorité royale ou pontificale. C’est à partir du XIe siècle que la position des évêques, puis des princes territoriaux, comme autorité „d’auteurs“ d’actes apparaît de manière de plus en plus claire. Cette distinction entre actes royaux et autres actes, c’est-à-dire la confirmation explicite des actes royaux et pas des autres actes, se trouve encore plus tard. En 1120 encore une charte du comte de Flandre Charles le Bon, confirmant les biens et possessions de l’abbaye Saint-Pierre de Gand, plaçait le comte dans la continuité de ses prédécesseurs, qui avaient offert des biens au monastère, et des rois de France, qui par des diplômes avaient confirmé les dons comtaux: ad imitationem predecessorum meorum qui predicte ecclesie de proprietate sui juris plurima contulerunt, ad imitationem quoque regum Francorum qui a predecessoribus meis ecclesie collata anulo sui palacii ad confirmamentum insigniri fecerunt …7. Ce sont donc bien les donations comtales et les actes royaux qui sont confirmés. Mais cet acte de 1120 est une exception. Depuis longtemps déjà, des autorités non royales confirmaient les actes de leurs prédécesseurs, et cela bien entendu en imitation de diplômes royaux. Retrouver de tels actes n’est pas facile, dans la mesure où les formules de confirmation sont parfois très discrètes8. Sous réserve de nouvelles découvertes, les plus anciens actes qui confirment des actes de prédécesseurs sont les suivants. de Flandre 1071–1128, ed. Fernand Vercauteren (Recueil des actes des princes belges [2], Bruxelles 1938) 208s. no. 92. 6   Benoît-Michel Tock, L’édition des chartes et des cartulaires dans le Nord de la France. Tabularia Études 9 (2009) 61–70 (http://www.unicaen.fr/mrsh/craham/revue/tabularia/dossier9/textes/03tock.pdf ); idem, Die Edition von Urkunden und Chartularen im Norden Frankreichs, in: Regionale Urkundenbücher. Die Vorträge der 12. Tagung der Commission Internationale de Diplomatique, ed. Theo Kölzer–Willibald Rosner–Roman Zehetmayer (NÖLA 14, Sankt Pölten 2010) 195–204. 7   Actes des comtes de Flandre (cit. n. 5) 217–223 no. 97. 8   Un exemple: en 1142 l’évêque de Münster Werner notifiait à l’abbaye Saint-Nicaise de Reims une donation effectuée par un de ses prêtres. Cette donation fit l’objet dix ans plus tard d’une confirmation donnée par le successeur de Werner, Frédéric. La charte de Frédéric répète celle de Werner, indiquant que la donation avait été faite temporibus nostri predecessoris nostri Wernheri felicis memorie. Ce n’est que dans l’annonce du sceau qu’une mention est faite de la charte de Wernher: sigilli nostri impressione hanc nostram cartulam sicut et predecessor noster super eadem re conscriptam … . Ces deux chartes sont éditées dans: Cartulaire de Saint-Nicaise de Reims (XIIIe siècle), ed. Jeannine Cossé-Durlin (Documents, Études et Répertoires de l’Institut de Recherche sur l’Histoire des Textes, Paris 1991) 229–232 no. 54 et 55.



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Dès 1031 l’évêque de Cambrai Gérard Ier confirmait à l’abbaye Saint-Vaast d’Arras l’immunité que lui avait concédée son lointain prédécesseur Vindicien (667/675– 683/718). Le texte de la charte de Gérard reprend très largement celui de la charte de Vindicien9. Le fait que l’acte de Vindicien soit un faux, peut-être des alentours de l’an mil, n’entre pas en ligne de compte ici puisque Gérard l’ignorait10. Quelques années plus tôt déjà, en 1022, un peu plus à l’est, l’évêque de Liège Durand confirmait (scriptura praesentis chartulae renovavimus) la charte par laquelle son prédécesseur Notger avait en 1002 notifié que l’abbaye de Saint-Riquier avait mis en gage auprès de l’église de Liège des biens situés dans ce dernier diocèse: en l’occurrence, la charte de Notger comme celle de Durand sont conservées dans la chronique d’Hariulphe de Saint-Riquier11. On peut citer un autre exemple à Cambrai: une charte par laquelle l’évêque Gérard II (1076–1092), peut-être vers 1080, confirmait une autre charte par laquelle son prédécesseur l’évêque Rothard (975–995) fixait les obligations des serfs de l’église cathédrale en matière de chevage, de formariage et de mainmorte. La charte de Rothard est perdue, mais celle de Gérard mentionne explicitement une loi écrite (legem scriptam) que l’évêque fait renouveler (feci renovare)12. À Arras (mais il est vrai que le diocèse ne gagna, ou ne reconquit, son indépendance qu’en 1092/1094), la plus ancienne mention explicite d’une charte donnée par un prédécesseur ne date que de 114613. À Thérouanne une charte donnée en 1102 par l’évêque Jean de Warneton à la prévôté de Voormezele mentionne de manière implicite la charte donnée en 1069 par son prédécesseur Drogon: l’évêque Jean confirme la liberté tant des religieux que de leurs biens, qui sont protégés par l’autorité de son prédécesseur Drogon et par une bulle du pape Pascal II14. Une charte non datée 9  Le texte de Gérard est, avec un dense commentaire, édité dans: Les Chartes de Gérard Ier, Liébert et Gérard II, évêques de Cambrai et d’Arras, comtes du Cambrésis (1012–1092/93). Introduction, édition, annotation, ed. Erik Van Mingroot (Mediaevalia Lovaniensia I/35, Louvain 2005) 51–58 no. 1.01. 10   Un autre point cependant doit être soulevé. La charte de Gérard explique que fut présenté à l’évêque un libellum quod a beato Vindiciano, ejusdem sedis episcopo, de emunitione ipsius loci erat compositum. Ce libellum est-il la charte elle-même, ou un texte narratif? Il s’agit sans doute bien de la charte: d’autres textes utilisent le mot libellus au sens de charte (cf. Novum glossarium mediae latinitatis ab anno DCCC usque ad annum MCC, vol. 1 [Hafniae 1957] 115), et de toute façon la charte de Gérard reprend à la charte attribuée à Vindicien des formules de l’eschatolocole, ce qui montre que c’est bien un texte diplomatique, et non un texte narratif, que le rédacteur avait sous les yeux. 11  Édition de ces actes: Hariulphe, Chronique de l’abbaye de Saint Riquier, ed. Ferdinand Lot (Collection de textes pour servir à l’étude et à l’enseignement de l’histoire, Paris 1894) 170s. (lib. III, c. 30) et 184 (lib. IV, c. 3). Sur la charte de Notger, voir Jean-Louis Kupper, Liège et l’Église impériale, XIe–XIIe siècles (Bibliothèque de la Faculté de Philosophie et Lettres de l’Université de Liège 228, Paris 1981) 103 n. 152. Sur la conservation des archives de Saint-Riquier, voir Laurent Morelle, The Metamorphosis of Three Monastic Charter Collections in the Eleventh Century (Saint-Amand, Saint-Riquier, Montier-en-Der), in: Charters and the Use of the Written Word in medieval Society, ed. Karl Heidecker (Utrecht Studies in Medieval Literacy 5, Turnhout 2000) 171–204. 12   Chartes de Gérard Ier, Liébert (cit. n. 9) 179–184 no. 3.06. 13  Les chartes des évêques d’Arras (1093–1203), ed. Benoît-Michel Tock (Collection de documents in­ édits sur l’histoire de France, section d’histoire médiévale et de philologie, série in-8° 20, Paris 1991) 102s. no. 88: l’évêque Alvise confirme la donation de deux autels faite à l’abbaye de Marchiennes par son prédécesseur l’évêque Robert (en 1122: cf. ibid. 48s. no. 33). Alvise rappelle d’abord qu’il était à l’époque abbé d’Anchin, et que c’est lui qui avait obtenu cette donation de la part de l’évêque. 14   … tam eos quam sua omnia prędecessoris nostri Drogonis auctoritate munita, quę etiam domnus papa Paschalis sui privilegii tuicione corroborat meę consequenter auctoritatis assensu eadem libertate perpetuo vigere concedo: Chronicon Vormeselense, ed. Ferdinand Van de Putte–Charles Louis Carton (Bruges 1847) 31s. no. 9. La charte de Drogon est éditée dans: Diplomata belgica ante annum millesimum centesimum scripta 1, ed. Maurits Gysseling–Anton Carl F. Koch (Bruxelles 1950) 282 no. 164. Pascal II a donné deux bulles à la prévôté de Voormezele, le 19 novembre 1100 et le 8 avril 1105; elles sont éditées dans: Chronicon Vormeselense 26 no. 2 et 25 no. 1 (JL 5848 et 6022).

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donnée par l’évêque Didier (1169–1191) à propos d’un litige entre l’abbaye d’Andres à un seigneur laïc signale que lors du procès on recourut aussi bien à des témoins vivants qu’à une charte de son prédécesseur l’évêque Milon, mais cette charte cependant ne semble pas avoir joué un grand rôle dans la décision finale15. C’est seulement en 1200 qu’une charte de l’évêque Lambert confirme explicitement une autre charte, celle qu’avait donnée l’évêque Didier à l’abbaye d’Andres: Notum facimus tam presentibus quam futuris quod decimam totam de Landertun quam Ingelrannus quondam miles de Fielnes ecclesie Andernensi in elemosinam contulit et concessit et quam predecessor noster dominus Desiderius quondam Morinensis episcopus scripto suo auctentico confirmavit16. À Tournai on peut citer la charte de 1101 par laquelle l’évêque Baudry confirmait celle de son prédécesseur Radbod pour le chapitre Notre-Dame de Bruges 17, et celle de 1125 par laquelle l’évêque Simon confirmait à l’abbaye de Saint-Bertin la possession de quelques églises qui lui avaient été données par son prédécesseur l’évêque Lambert: Quam­obrem, ecclesias illas, Lissuege, Snelgerkerke, Bovenkerke, Emingehem, quas bone memorie predecessor noster Lambertus episcopus ecclesie Beati Bertini in perpetua libertate possidendas contradidit, viso ipsius privilegio … roboramus18. Chez les princes séculiers, la pratique est plus tardive. En Flandre, le plus ancien exemple se situe en 1119, quand le comte Baudouin VII confirma explicitement la charte de son prédécesseur Baudouin V, datée de 1043, destinée à l’abbaye de Saint-Bertin: omnibus notum esse cupimus me ad petitionem Lamberti, abbatis aecclesie Sancti Bertini, concessisse ut cartam quam proavus meus Balduinus Insulanus de immunitate ville Arkas et decimatione Brodburgensis castellarie eidem loco firmaverat, ego quoque his temporibus renovarem. Cujus postulationi clementer annuentes, omnia que in eadem carta continentur nos modis omnibus renovando confirmamus. Encore faut-il ajouter que cette confirmation ne constitue que la première partie de la charte de Baudouin VII, puisque le comte y ajoutait la donation, nouvelle, de plusieurs droits19. Trois ans plus tard, le comte Charles le Bon, pour trancher un conflit entre l’abbaye Saint-Bavon de Gand et son avoué, s’appuyait, à la demande d’ailleurs de l’abbé, sur un acte de son prédécesseur le comte Robert le Frison: praedictus abbas privilegium ab avo meo Rotberto pie memorie viro confirmatum et sigillatum demonstraverit et me ejusdem privilegii contrascriptum habere innotuerit et juxta tenorem utriusque privilegii libertatem ecclesie contra praedictum advocatum … me defensare … . Une deuxième fois, l’abbé demande au comte de secundum praedictum avi mei privilegium libertatem ecclesie defensare et conservare. L’acte cite ensuite explicitement la charte de Robert: Predicti igitur privilegii tenor talis est … . La citation de la charte de Robert est suivie par une formule de confirmation: Hanc igitur ecclesie libertatem ab avo meo Rotberto sicut hic recitatum est confirmatam, ego quoque Karolus comes Flandrie confirmavi 20. 15   Luc d’Achery, Veterum aliquot scriptorum spicilegium 2 (Paris ²1723) 816. Il s’agit sans doute de la charte donnée en 1132 par l’évêque Milon Ier (ed. ibid. 804). 16  Ibid. 829. La charte, non datée, de l’évêque Didier est éditée ibid. 820. 17  Aubertus Miraeus–Joannes Franciscus Foppens, Opera diplomatica 1–4 (Bruxelles 1723–1748) 2 955–957. 18   Recueil des chartes du prieuré de Saint-Bertin à Poperinghe et de ses dépendances à Bas-Warneton et à Couckelaere déposées aux archives de l’État à Gand, ed. Felix-Henry d’Hoop (Recueil des chroniques, chartes et autres documents concernant l’histoire et les antiquités de la Flandre-Occidentale 36, Bruges 1870) 12s. no. 10 et 10s. no. 8. 19  Actes des comtes de Flandre (cit. n. 5) 195–197 no. 87. 20  Ibid. 243–247 no. 107. Pour d’autres exemples ultérieurs parmi les chartes des comtes de Flandre, voir p. ex. De oorkonden der graven van Vlaanderen (Juli 1128–September 1191) II: Uitgave 1–3, ed. Thérèse de



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On notera cependant qu’en ce début de XIIe siècle, bien des mentions d’actes des prédécesseurs sont encore implicites ou à peine explicites, comme quand le comte Charles le Bon confirme en 1121 les biens de la prévôté de Bergues donnés par son prédécesseur Baudouin V (illam libertatem quam Balduinus comes quondam eidem ecclesie donavit). En réalité, l’acte de Charles reprend fréquemment des passages entiers de celui de Baudouin, mais il n’y a pas d’autre indication en ce sens que, de manière assez vague, secundum tenorem donationis prefati Balduini comitis ou quod vero memoratus comes Balduinus instituit, scilicet …, ego quoque iterato confirmo21. À partir de là la pratique se répétera fréquemment, comme en 1125 pour l’abbaye de Marchiennes22. Chez les comtes de Ponthieu le plus ancien exemple connu se trouve dans un acte donné en 1195 par le comte Guillaume avec le comte de Boulogne Renaud. Cet acte est en fait un procès-verbal d’ouverture de la châsse contenant les reliques de saint Josse, et atteste qu’un authentique de reliques scellée par l’évêque d’Amiens Gui et par les comtes Gui de Pontieu et Étienne de Boulogne y avait été trouvée: feretrum quod reliquias continebat aperuisset, invenimus in uno involucro caput cum ossibus et alio ejus pulverem clausum, necnon et litteras Garini, quondam Ambianensis episcopi, et predecessorum nostrorum Guidonis, Pontivi, et Stephani, Bolonie comitum, et Roberti, eorum tempore abbatis hujus cenobii, sigillis firmatas deprehendimus, contestantes quod anno ab incarnatione Domini Mº Cº XXXIIIIº simili modo fuerant revelata eadem caput et ossa, ut pulvis qui inventus fuerat in pariete hujus ecclesie in eodem vase cum ossibus locaretur23. Pour les comtes de Vermandois ou ceux de Boulogne, il n’existe pas de recueil systématique des actes qu’ils ont pu donner. On se bornera ici à signaler un acte donné en 1145 par le comte de Boulogne Étienne (également comte de Mortain et roi d’Angleterre), confirmant les biens de l’abbaye de Samer ad exemplar excellentissimorum predecessorum nostrorum, Eustacii junioris, Eustacii senioris, Ernulfi, comitum Bolonie, quorum scripta autentiqua vidimus et approbavimus24, et un autre daté de 1165, par lequel le comte de Vermandois Philippe (également comte de Flandre) confirmait au prieuré de Crépy-enValois la donation d’un tonlieu que lui avait faite le comte de Vermandois Raoul (quemadmodum bone memorie Radulfus comes eidem ecclesie post obitum suum concessit scriptoque suo firmavit habendum, favente etiam domino Ludewico Francorum rege)25. Chez les comtes de Saint-Pol il faut, semble-t-il, attendre février 1207 pour que le comte Gaucher de Châtillon confirme explicitement la charte donnée en 1196 par son prédécesseur Hugues IV à l’abbaye de Saint-Bertin26. Un autre type de confirmation se produit lorsqu’un auteur confirme un acte donné, non par un de ses prédécesseurs, mais par un autre auteur. Parmi les actes des comtes de Flandre le plus ancien exemple se situe entre 1119 et 1127 (peut-être en 1120?), dans un Hemptinne–Adriaan Verhulst (Recueil des actes des princes belges / Verzameling van de acten der belgische vorsten 6/II/1–3, Bruxelles/Brussel 1988–2009) 1 101s. no. 59 (pour l’abbaye de Saint-Bertin, datable de 1128/1142). 21  Actes des comtes de Flandre (cit. n. 5) 236–240 no. 105. 22   Ibid. 269–271 no. 118. 23  Recueil des actes des comtes de Pontieu, ed. Clovis Brunel (Paris 1930) 210s. no. 140. 24  Daniel Haigneré, Quelques chartes de l’abbaye de Samer. Mémoires de la société académique de l’arrondissement de Boulogne-sur-Mer 12 (1880) 89–252, cit. 120–123 no. 5. 25  De oorkonden der graven van Vlaanderen (Juli 1128–September 1191) (cit. n. 20) 1 388s. no. 244. La charte donnée, apparemment après sa mort (?), par le comte Raoul semble perdue. 26  Les chartes des comtes de Saint-Pol (XIe–XIIIe siècles), ed. Jean-François Nieus (ARTEM 11, Turnhout 2008) 231 no. 153 et 175s. no. 92.

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acte par lequel le comte Charles le Bon confirmait à l’abbaye d’Auchy les biens que lui avait cédés Enguerran d’Hesdin. Le comte ne mentionne pas explicitement, au début de sa charte, l’acte d’Enguerran (libertates et cetera dona que … Ingelrannus Hisdinensis contulit), même si l’indication d’une lecture (placuit recitari) le sous-entend. C’est surtout à la fin de l’acte qu’on trouve une mention explicite (Hec omnia, ut prediximus, in hac karta assignata videntur). Encore cette mention n’est-elle alors pas explicitement liée à la confirmation comtale, mais à celle (apparemment purement orale) faite par le comte d’Hesdin à la mort d’Enguerran27. Chez les comtes de Saint-Pol le cas le plus ancien date de 1187: le comte Hugues IV confirme à l’abbaye de Saint-André-au-Bois la possession de tous les biens qu’elle a acquis de Guillaume, châtelain de Saint-Omer, dans le fief de Beaurain 28. La pratique est plus ancienne chez les évêques de Thérouanne, mais elle va à rebours de la manière habituelle puisque l’évêque Gérard, dans la charte qu’il donne en 1097 à l’abbaye de Saint-Bertin, renvoie à une bulle pontificale, c’est-à-dire à un document issu d’une autorité supérieure. Toute la charte en fait est construite autour de cette bulle: le préambule parle de l’importance de l’écrit; l’exposé mentionne l’obtention d’une bulle par l’abbé de Saint-Bertin lors du concile de Clermont en 109529; le dispositif confirme les dispositions contenues dans cette bulle30. Il s’agit là cependant d’une mention exceptionnelle: en dehors de ce cas, il faut attendre 1142 pour que l’évêque Milon Ier confirme à l’abbaye d’Arrouaise la possession de la dîme de Marck qui lui avait été donnée par Mathilde, reine d’Angleterre et comtesse de Boulogne, et mentionne explicitement la charte que celle-ci avant donnée à ce sujet31. Dans le courant du XIIe siècle le principe de la confirmation des actes donnés par d’autres auteurs se généralise. Quelques exemples le montreront. En 1182 Pierre de Picquigny faisait une donation à l’abbaye d’Anchin et émettait une charte à ce sujet. L’évêque d’Amiens Thibaud, confirmant cette donation, mentionnait explicitement la charte de Pierre: … isdem fratribus perpetuo habendam in elemosinam concesserit et scripto suo confirmaverit et a nobis confirmari postulavit, videlicet duas terre carrucatas quas, sicut in scripto ipsius autentico continebatur … . Hec igitur ad petitionem jam dicti Petri, sicut in scripto ipsius contineri vidimus, fratribus et monasterio Aquicinct[ensi] confirmamus32.   Actes des comtes de Flandre (cit. n. 5) 286–290 no. 124.   Les chartes des comtes de Saint-Pol (cit. n. 26) 154 no. 69: et sicut in cyrographo super predictis possessionibus ab eodem composito et ejusdem Willelmi sigillo confirmato continetur. 29  La bulle d’Urbain II, donnée en réalité à Sauxillanges le 3 décembre 1095, est éditée dans: Papsturkunden in Frankreich 3: Artois, ed. Johannes Ramackers (Abhandlungen der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, phil.-hist. Kl. III/23, Göttingen 1940) 36–38 no. 4 (JL 5600a). 30   Et quoniam constat hoc presens seculum in suis partibus esse caducum et labile, dignum duxi, non solum testibus, verum etiam scripto, ut ratum maneat, confirmare. Eo igitur tempore quo domnus apostolicus Urbanus apud urbem Avernie concilium celebravit, domnus Lambertus, tunc monasterii Beati Bertini abbas, apud ipsius misericordiam impetravit, ut de ecclesie, cui preerat, possessionibus, ei privilegium fecisset, et factum auctoritatis sue signo confirmasset … . Quam postulationem, quia satis erat idonea et honestati obnoxia, coram sancta synodo, impresso nostre auctoritatis sigillo, benigne confirmamus, ita videlicet, sicut in privilegio apostolico supramemorato continetur. Cartulaire de l’abbaye de Saint-Bertin, ed. Benjamin Guérard (Paris 1841) 242–244, avec les compléments de: Les chartes de Saint-Bertin, ed. Daniel Haigneré (Saint-Omer 1886) 1 39 no. 98. 31   Monumenta Arroasiensia, ed. Benoît-Michel Tock–Ludo Milis (CCCM 175, Turnhout 2000) 91– 93 no. 34: scriptoque firmavit et sicut in ipsius munimento continetur, hoc ipsum vobis auctoritate ecclesiastica confirmari devote petiit. La charte de Mathilde, datée du 23 juin de la même année 1142, est éditée ibid. 90s. no. 33. 32   Les chartes de l’abbaye d’Anchin (1079–1201), ed. Jean-Pierre Gerzaguet (ARTEM 6, Turnhout 2005) 312 no. 223. 27 28



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En 1198 Guillaume, archevêque de Reims, confirmait l’acte par lequel Jean, seigneur d’Oisy et de Montmirail, avait concédé, la même année, un bois à l’abbaye de Vaucelles: Noverit universitas vestra quod vidimus et audivimus litteras sigillis Johannis de Oisiaco et de Montemirabili et uxoris sue Heylvidis sigillatas, in quibus continebatur quod … . Concessit etiam eisdem fratribus alia quedam que in litteris continentur … . Nos igitur, elemosinam a predictis Johanne et Helvide uxore ejus memorate ecclesie de Vaccellis factam sicut in eorum scripto autentico vidimus plenius contineri, ratam habemus et approbamus33. De la même manière, Étienne, évêque de Noyon, confirmant en 1199 une donation faite par le chapitre Saint-Fursy de Péronne au chapitre cathédral d’Arras, mentionnait en fait la confirmation de la charte, et pas seulement celle de l’action juridique: Nos igitur conventionem illam, sicut in Peronensis ecclesie autentico scripto vidimus contineri, laudantes et approbantes34. En général, la mention explicite d’une autre charte est liée à la confirmation de celleci, ou du moins des dispositions qui y sont contenues. Cependant, le développement de l’usage de l’écrit en matière judiciaire dans le courant du XIIe siècle permit de multiplier les citations d’actes. Le pape par exemple pouvait renvoyer à un autre acte pour indiquer quelle était la source de son intervention. C’est ce qu’on voit dans une bulle d’Alexandre III pour le Val-Saint-Pierre: Vidimus scriptum autenticum bone memorie Henrici quondam Remensis archiepiscopi, ex cujus nobis tenore innotuit, quod … . Nos itaque paci vestre paterna volentes sollicitudine providere eandem possessionem, sicut per sententiam vestre cesserunt ecclesie et in autentico scripto, quod super hoc factum est, continetur, vobis et eidem ecclesie auctoritate apostolica confirmamus35. Parfois cependant on voit moins clairement la nécessité de ce renvoi. Un cas un peu curieux est celui de la charte d’exemption de péage concédée en janvier 1199 par le comte de Flandre Baudouin IX à l’abbaye de Signy36. Car cette charte flamande fait référence à une charte de même contenu concédée par le comte de Namur Henri en 118237: ego libertatem et immunitatem quam dicti fratres habent ab illustri viro bonae memoriae Henrico quondam comite Namurcensi eundi et redeundi libere … sicut in litteris ipsius Henrici plenius continetur, ipsis fratribus in perpetuum confirmavi. Pourquoi mentionner l’acte d’Henri de Namur? L’acte de Baudouin de Flandre est très clair et explicite, et n’avait en rien besoin de celui d’Henri de Namur. On peut supposer que la charte d’Henri de Namur a servi de base à la rédaction, peut-être par les moines de Signy, de celle de Baudouin38. 33   Les chartes de l’abbaye cistercienne de Vaucelles au XIIe siècle, ed. Benoît-Michel Tock (ARTEM 12, Turnhout 2010) 230s. no. 162. La charte de Jean d’Oisy se trouve ibid. 229 no. 160. 34  Le cartulaire du chapitre d’Arras, ed. Auguste de Loisne (Paris 1896) 64 no. 92. Pour la charte du chapitre de Péronne, voir ibid. 64 no. 91 et Charters of St-Fursy of Péronne, ed. William M. Newman (The Mediaeval Academy of America Publication 85, Cambridge [Mass.] 1977) 74 no. 68. 35   Papsturkunden in Frankreich 4: Picardie, ed. Johannes Ramackers (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, phil.-hist. Kl. III/27, Göttingen 1942) 399 no. 246 (JL 14.341). 36  De oorkonden der graven van Vlaanderen (1191–aanvang 1206) II: Uitgave, ed. Walter Prevenier (Recueil des actes des princes belges / Verzameling van de acten der belgische vorsten 5/II, Bruxelles/Brussel 1964) 214s. no. 98. 37   Pour la charte d’Henri, comte de Namur, de 1182: Actes des comtes de Namur de la première race (946–1196), ed. Félix Rousseau (Recueil des actes des princes belges [1], Bruxelles 1936) 54s. no. 24. 38  Cependant on notera que pour son éditeur, la charte de Baudouin a été produite par la chancellerie comtale flamande (Walter Prevenier, De oorkonden der graven van Vlaanderen [1191–aanvang 1206] I: Diplomatische inleiding [Recueil des actes des princes belges / Verzameling van de acten der belgische vorsten 5/I, Bruxelles/Brussel 1966] 124). Peut-être faudrait-il reprendre la question en prenant en compte de possibles réseaux cisterciens.

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La confirmation peut résulter d’une circonstance curieuse. Vers 1136/1138, l’archevêque de Reims Renaud II réussit à apaiser une querelle entre l’abbaye Saint-Thierry de Reims et Gérard de Roucy, et il promulgua une charte à ce sujet39. Mais Gérard relevait du diocèse de Laon, et c’est l’évêque de Laon, Barthélemy, qui l’avait excommunié. Ce pourquoi il y eut aussi une charte donnée par l’évêque Barthélemy. Ce dernier, relatant l’affaire, insistait sur le fait que sa source était la charte archiépiscopale: … sicut presens archiepiscopi docet ac testatur relatio. … Ipse nobis archiepiscopus mittere curavit que, sicut sua corroborata vidimus auctoritate, sic et nostra premuniri rogavit. Quod certe ita factum est, ut absque omni mutatione quicquid in ejus cartula de pacis tenore scriptum repperimus, hic quoque scriptum possit inveniri … . On est donc bien ici dans le cas d’une confirmation d’une charte contemporaine, mais donnée par une autorité supérieure à celle du confirmant. Le rédacteur de la charte était d’ailleurs conscient que cela pouvait poser problème, puisqu’il indique que l’évêque confirme l’accord quoniam ille [sc. Gerardus] parrochianus noster est, in his que de ipso ad nos pertinere videntur collaudamus et confirmamus … et cherche à désamorcer les critiques: Si quis vero hujus assensus nostri privilegium, eo quod compositioni presentes non fuimus, minus firmum ac minus sufficienter appellare presumpserit, patienter audiat que secuntur, ubi qua usi ratione, qua sufulti simus auctoritate, liquido poterit advertere40.

2. Les vidimus et autres actes insérés La confirmation change d’échelle lorsque l’acte confirmé n’est pas simplement mentionné, mais est intégralement retranscrit. Il s’agit alors de ce qu’on appelle le vidimus, „acte par lequel une autorité atteste sous son sceau avoir vu un acte antérieur ayant tous les caractères de l’authenticité, en décrit éventuellement les caractères externes (et notamment le sceau et ses attaches) et en reproduit intégralement le texte sans en rien modifier afin de donner authenticité au document ainsi transcrit“41. Il s’agit d’actes composés de deux formules comme Guido, comes Sancti Pauli, universis presentes litteras inspecturis, salutem in Domino. Noveritis nos litteras Balduini, domini de Rollaincourt, militis, hominis nostri, vidisse in hec verba et Et nos predictus comes Sancti Pauli, propter Deum et ratione divini cultus augmentandi, omnia suprascripta tanquam dominus superior laudamus et approbamus, et dictum terragium ad opus capituli, ecclesie et capellanie predictorum extra feodum et dominium nostrum ponimus, et ea ab omni iurisdictione, servitio, onere et redebentia eximimus et totaliter amortimus sub testimonio presentium litterarum. Datum anno Domini M° CC° LXX° VIII°, mense martio, séparées par le texte de l’acte vidimé42. C’est une invention relativement tardive de la diplomatique, puisque les plus anciens exemples remontent au début du XIIe siècle43. C’est aussi un genre d’acte qui a connu un grand 39  Archives administratives de la ville de Reims. Collection de pièces inédites pouvant servir à l’histoire des institutions dans l’intérieur de la cité, ed. Pierre Varin (Collection de documents inédits sur l’histoire de France, première série: histoire politique, Paris 1839) 1 293–295 no. 64. 40  Actes des évêques de Laon des origines à 1151, ed. Annie Dufour-Malbezin (Documents, études et répertoires publiés par l’Institut de Recherche et d’Histoire des Textes 65, Paris 2001) 279s. no. 180. 41  Vocabulaire international de la Diplomatique, ed. Maria Milagros Cárcel Ortí (Col·lecció oberta 28, València 1997) 34 § 67. 42  Les chartes des comtes de Saint-Pol (cit. n. 26) 423–426 no. 344. 43  Giry, Manuel de Diplomatique (cit. n. 4) 18s.



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succès, mais qui a jusqu’à présent suscité peu d’études. Les grands manuels lui consacrent quelques passages44, mais il n’existe que quelques rares études spécifiques45. Les vidimus de ce genre ont cependant été précédés par d’autres tentatives. On peut en effet considérer que certaines pancartes de confirmation, parce qu’il s’agit d’actes dans lesquels sont recopiés et confirmés des actes antérieurs, constituent une première forme de vidimus. Il s’agit en particulier de chartes normandes du XIe siècle, du genre appelé par Michel Parisse „charte récapitulative“46 et par David Bates „charte de confirmation“47. On retrouvera le même principe dans les pancartes cisterciennes, notamment bourguignonnes, du XIIe siècle, qui reproduisent, sous une confirmation généralement épiscopale, le texte d’actes plus ou moins informels mais qui sont parfois de vraies notices48. Dans le Nord de la France actuelle, la plus ancienne confirmation d’acte inséré que j’aie pu trouver porte sur un acte que nous avons déjà rencontré: la charte par laquelle l’évêque de Cambrai Gérard II confirmait la „loi“ de son prédécesseur l’évêque Rothard en matière de redevances serviles. Car si Gérard évoquait, mais sans la reproduire, la lex scripta de Rothard, en 1119 l’évêque Burchard confirmait l’ensemble. Sa charte commençait par une reproduction intégrale du texte de la charte de Gérard, qu’il confirmait ensuite (hanc eandem constitutionem confirmo)49. L’invention du vidimus s’est faite, de toute façon, de manière très progressive, comme le montre le cas des actes des comtes de Flandre. Tous les actes de ces princes pour la période allant de 1071 à 1206 ayant été édités, il est possible d’analyser de manière exhaustive leur pratique du vidimus. Elle est rare: on ne connaît que trois cas au total, pour un ensemble de 1267 actes; encore s’agit-il, pour les plus anciens, d’actes qui évoluent vers le vidimus plus que de vidimus déjà constitués. Le plus ancien date de 1140. C’est une charte par laquelle le comte de Flandre Thierry d’Alsace confirmait les donations faites à l’abbaye d’Eename par ses prédécesseurs les comtes Baudouin [VII] et Charles et ajoutait sa propre donation. L’acte commence par une reproduction d’un texte qui se présente comme une charte du comte Baudouin (In nomine sancte et individue Trinitatis. Balduinus, Dei gratia Flandrie comes, omnibus tam ecclesiasticis quam secularibus …). Après le dispositif de cette charte, le scribe est passé sans transition ni avertissement à la charte du comte Thierry (Hanc liberam habitationem monachorum atque cohabitatorum suorum a duobus comitibus predecessoribus meis, Balduino atque Karolo, Eihamensis ecclesie monachis esse concessam ego Theodericus comes, considerans atque collaudans …). On notera qu’il n’y a pas d’indication explicite de l’existence d’une charte du comte Baudouin (et moins encore du comte Charles). Il y a donc ici insertion d’une charte, mais certainement pas de vidi  Ibid. 19–26.   Nicholas Vincent, The Charters of King Henry II: the Introduction of the royal Inspeximus revisited, in: Dating Undated Medieval Charters, ed. Michael Gervers (Woodbridge 2000) 97–120; Jacobus Leonardus van der Gouw, Le vidimus aux Pays-Bas septentrionaux, in: Varia Codicologica. Essays presented to G. I. Lieftinck (Amsterdam 1972) 1 99–109. 46  Michel Parisse, Les pancartes. Étude d’un type d’acte diplomatique, in: Pancartes monastiques des XIe et XIIe siècles. Table ronde organisée par l’ARTEM, 6–7 juillet 1994, Nancy, ed. Michel Parisse–Pierre Pegeot–Benoît-Michel Tock (ARTEM 3, Turnhout 1998) 11–62. 47   David Bates, Les chartes de confirmation et les pancartes normandes du règne de Guillaume le Conquérant, in: ibid. 95–109. 48  Voir notamment Hubert Flammarion, Remarques sur quelques pancartes épiscopales du diocèse de Langres au XIIe siècle, in: ibid. 111–130. 49   Chartes de coutume en Picardie, XIe–XIIIe siècle, ed. Robert Fossier (Collection de documents inédits sur l’histoire de France. Section de philologie et d’histoire jusqu’à 1610, série in-8° 10, Paris 1974) 133s. no. 4. 44 45

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mus en tant que tel. La confirmation que donne le comte Thierry porte d’ailleurs plus sur la donation de ses prédécesseurs que sur leur charte50. En 1176 le comte de Flandre Philippe confirmait les biens et la liberté de l’abbaye de Ninove tout en confirmant qu’il en était l’avoué; il intervenait aussi pour confirmer une charte par laquelle Gérard de Grimbergen et son épouse Mathilde avaient eux-mêmes confirmé à l’abbaye les biens que celle-ci avait reçus de leur part. La charte comtale commence, après le protocole et un préambule, par un dispositif dans lequel le comte explique que Gérard et Mathilde ont confirmé les biens monastiques et lui ont demandé de le faire aussi, ce qu’il fait (recognosco, do et confirmo). C’est ensuite seulement qu’il annonce l’existence d’une charte de Gérard, et qu’il cite explicitement le dispositif de cette charte: Ut autem immobiliter pactum ipsum in perpetuum perseveret, placuit tenorem ejusdem pacti et privilegium prefati domini Gerardi suis verbis, suis continentiis et testimoniis ea auctoritate, meo obligare privilegio. Est autem hujuscemodi: Gerardus de Grinbergis et uxor ejus Magtildis et filii eorum Gerardus et Arnulfus, tam futuris quam presentibus in perpetuum … . S. Walteri de Impes. Hactenus dominus Gerardus. Suivent ensuite une dernière formule de confirmation, une clause comminatoire, l’annonce du sceau et des témoins, la liste de ceux-ci et la date. On a donc ici une charte insérée à l’intérieur d’une autre et clairement annoncée comme telle51. La copie cependant n’est pas parfaite: l’invocation et la date (1167) ont été omises (mais le préambule et la liste des témoins ont bien été repris intégralement), quelques mots été changés (quia/quoniam, usque ad/usque quo). En 1187 le comte de Flandre Philippe donnait aux lépreux d’Ypres une charte qui commençait par une copie de la charte qu’il leur avait donnée en 1176, y compris l’invocation et la datation, et se poursuivait par le récit d’une donation supplémentaire, une nouvelle date (1187) et une nouvelle liste des témoins, sans confirmation ni même mention explicite qu’il s’agissait bien d’un acte antérieur52. Le 22 juillet 1201 enfin, on dispose d’un vidimus entièrement constitué. Le comte Baudouin IX confirmait un accord intervenu entre le chapitre cathédral de Tournai et les paroissiens de Knesselare. La charte comtale commence par une approbation de l’accord selon les termes de la charte donnée à ce sujet par Guillaume de Zomergem, dont le texte suit: Ego Balduinus … conventiones … ratas et firmas habeo sicut continentur in scripto nobilis viri Willelmi de Zomerghem exinde confecto quod diligenter fecit michi explanari, cujus tenor his est: Novercari solent rerum … . L’acte se termine par la promesse du comte d’être garant de l’accord, l’annonce du sceau et de la liste des témoins, cette liste elle-même, la date et une souscription de chancellerie53. C’est en effet surtout dans les dernières décennies du XIIe  siècle, et surtout au XIIIe siècle que l’usage du vidimus se répand54. Dans le Nord de la France, un cas parti  De oorkonden der graven van Vlaanderen (Juli 1128–September 1191) (cit. n. 20) 1 94s. no. 54.   Ibid. 435–438 no. 276. La charte de Gérard est dans: Miraeus–Foppens, Opera diplomatica (cit. n. 17) 1 541s., et dans le Thesaurus Diplomaticus 1.0 (CDRom, Bruxelles 1997) no. 5473. 52  De oorkonden der graven van Vlaanderen (Juli 1128–September 1191) (cit. n. 20) 3 285s. no. 723, et, pour l’acte antérieur, 3 12 no. 398bis. 53   De oorkonden der graven van Vlaanderen (1191–aanvang 1206) (cit. n. 36) 350–352 no. 161. Cependant, il faut noter que cet acte n’est connu que par une copie, qui abrège la copie de l’acte de Guillaume de Zomergem en n’en reproduisant que les deux premiers mots suivis de etc. Walter Prevenier suppose, sans doute à juste titre, que l’acte original de Baudouin contenait l’ensemble de l’acte de Guillaume. 54  À la chancellerie royale française il faut attendre les dernières années du règne de Philippe Auguste (1180–1223) pour trouver des vidimus: Michel Nortier, Les actes faussement attribués à la chancellerie de Philippe Auguste. Académie des Inscriptions et Belles Lettres. Comptes rendus des séances 125/4 (1981) 657–683, 50 51



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culièrement précoce semble être celui de l’évêque d’Arras Pierre Ier (1184–1203): sur les 121 chartes données par cet évêque, 16 sont des vidimus. On peut relever: une sentence rendue par l’évêque Pierre, le doyen du chapitre cathédral Jean et le chanoine d’Arras Pierre de Corbie, juges délégués par le pape, au sujet d’un conflit entre les abbayes de Berteaucourt et de Fly, dans laquelle sont reproduits les actes par lesquels chacune des deux abbayes nommait son procureur auprès des juges (17 août 1186)55; deux confirmations en avril 1188 de deux chartes de donation du comte de Hainaut Baudouin V pour l’abbaye de Cysoing, dont l’une du moins est datée elle aussi d’avril 118856; confirmation d’une charte de son prédécesseur André entre 1163 et 1171 pour l’abbaye du Mont-Saint-Éloi57; notification en avril 1194, par l’évêque Pierre et l’archidiacre Raoul, juges délégués par le pape, d’un accord intervenu entre les abbayes Saint-Martin de Laon et Saint-Prix de Saint-Quentin, avec insertion d’un acte de l’abbé de Laon et d’un autre acte de l’abbé de Saint-Quentin, chacun notifiant l’accord passé avec l’autre partie58; notification le 30 juillet 1194 d’une donation faite par Robert de Hinges aux lépreux de Béthune, avec insertion d’une lettre envoyée à l’évêque par l’abbé de Warneton pour attester de cette donation59; notification en juillet 1194 et insertion d’une charte par laquelle Guillaume, seigneur de Béthune, concédait durant la même année à l’abbaye de Braine un cens annuel60; confirmation en janvier 1195 d’une donation faite par Jean de Hamelaincourt à l’abbaye d’Eaucourt61; confirmation en juin 1195 par l’évêque Pierre et l’archidiacre Raoul d’une charte de donation de Guillaume, comte de Ponthieu, pour les hospitaliers de Fieffes datée de 119562; confirmation le 21 août 1196 de la charte donnée la veille par Hugues, prévôt du chapitre Saint-Pierre de Douai, affectant les revenus d’une prébende à l’entretien d’un prêtre paroissial63; confirmation le 11 mars 1197 (n. st.) de la charte non datée (mais donnée en même temps ou très peu de temps auparavant) par laquelle l’abbé d’Arrouaise notifiait avoir vendu une terre à l’abbaye de Cantimpré64; jugement rendu le 25 juin 1197 par l’évêque Pierre, l’abbé de Saint-Vaast d’Arras Henri et l’abbé d’Hénin-Liétard Baudouin, juges délégués par le pape, dans une querelle entre l’abbaye cit. 670. 55   Les chartes des évêques d’Arras (cit. n. 9) 224–225 no. 199. 56  Ibid. 232–233 no. 209 et 233–234 no. 210. Une des deux chartes de Baudouin est éditée dans: Cartulaire de l’abbaye de Cysoing et de ses dépendances, ed. Ignace de Coussemaker (Lille 1886) 64 no. 48. L’autre charte n’est pas conservée ailleurs que dans le vidimus de l’évêque Pierre (où elle n’est pas datée). 57   Les chartes des évêques d’Arras (cit. n. 9) 263 no. 239. La charte d’André est éditée ibid. 185s. no. 165. 58   Ibid. 266s. no. 241. 59  Ibid. 269s. no. 244. 60  Ibid. 270s. no. 245. La charte de Pierre est aussi éditée dans: Le chartrier de l’abbaye prémontrée de Saint-Yved-de-Braine, ed. Olivier Guyotjeannin (Mémoires et documents de l’École des chartes 49, Paris 2000) 223s. no. 79. La charte de Guillaume se trouve ibid. 219s. no. 75. Il s’agit du seul vidimus du fonds de Saint-Yved, si on excepte un vidimus de 1379 d’une bulle d’Innocent II (298s. no. A2). 61  Les chartes des évêques d’Arras (cit. n. 9) 272s. no. 247. 62  Ibid. 275s. no. 249. La charte de Pierre et Raoul est aussi éditée dans: Papsturkunden in Frankreich, Neue Folge 7: Nördliche Ile-de-France und Vermandois, ed. Dietrich Lohrmann (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, phil.-hist. Kl. III/95, Göttingen 1976) 310–312 no. 103. La charte de Guillaume est aussi dans: Recueil des actes des comtes de Pontieu (cit. n. 23) 208s. no. 138. 63  Les chartes des évêques d’Arras (cit. n. 9) 284 no. 259. 64  Ibid. 286s. no. 262. La charte de Robert est aussi éditée dans: Benoît-Michel Tock, Les difficultés financières de l’abbaye d’Arrouaise à la fin du XIIe siècle. Sacris Erudiri. Jaarboek voor Godsdienstwetenschappen 33 (1992–1993) 307–342, cit. 338s. no. 16; la charte de Pierre est indiquée ibid. 338 no. 15. Il y a cependant ici un problème de date dans la mesure où l’acte vidimé porte la date du 15 mars 1197 (n. st.), l’acte vidimant celle du 11 mars de la même année!

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Saint-Vincent et le chapitre Saint-Frambaud de Senlis, avec insertion d’une lettre non datée par laquelle maître Guillaume, chantre du chapitre cathédral Notre-Dame de Senlis et trésorier de Saint-Frambaud, reconnaissait le bon droit de l’abbaye Saint-Vincent65; confirmation en juillet 1198 de la fondation de l’abbaye de La Brayelle d’Annay, avec insertion de la charte par laquelle Hugues, abbé de Saint-Pierre de Gand, qui détenait différents droits sur ce lieu, avait dès 1196 autorisé cette fondation66; notification en août 1198 d’un accord passé entre Helvin de Sailly et le chapitre cathédral d’Amiens, avec insertion d’une lettre non datée adressée à l’évêque Pierre par Richard, doyen du chapitre cathédral d’Amiens, pour l’informer de cet accord67; notification en février 1201 (n. st.) de la donation faite en faveur du chapitre cathédral d’Arras par Eubert de Carency, avec insertion de la charte donnée en décembre 1200 par Eubert68; notification en février 1201 (n. st.) des donations faites en faveur de l’abbaye Saint-Aubert de Cambrai par Jean de Wancourt, avec insertion de la charte donnée en 1197 par Jean69; notification en 1200 des donations faites en faveur de l’abbaye de Vicoigne par Adam de Mastaing avec insertion de la charte donnée à ce sujet la même année par Baudouin VI, comte de Hainaut (et également comte de Flandre)70. Mais si l’évêque d’Arras Pierre (et pas ses prédécesseurs) donne de nombreux vidimus à partir de la fin du XIIe siècle, il n’en va pas de même dans le diocèse voisin de Thérouanne, où jusqu’en 1207 on ne connaît qu’un vidimus. Encore est-il donné non par l’évêque seul, mais par Guillaume, archevêque de Reims, Lambert, évêque de Thérouanne, Thibaud, évêque d’Amiens et Pierre, évêque d’Arras, qui y notifient avoir été présents à Hesdin quand le roi Philippe y fit exhiber la charte d’hommage à lui rendu par Renaud, comte de Boulogne, dont ils reproduisent le texte71. À la même époque à Reims, pour autant qu’on puisse en juger en l’absence d’édition critique de ses actes, l’archevêque Guillaume aux Blanches-Mains (1175–1202) ne semble pas avoir été très partisan des vidimus. Pourtant, il lui arrive souvent de confirmer un autre acte, mais en ce cas il le fait en analysant l’acte, pas en le recopiant. On peut citer comme exemple la charte qu’il a donnée en 1193 à l’abbaye du Mont-Saint-Martin: Willelmus … Noverint igitur tam futuri quam presentes quod nos, inspecto tenore litterarum sigillo tam dilectorum filiorum nostrorum abbatis et capituli de Monte Sancti Martini quam sigillo canonicorum Sancti Quintini signatarum … nichilominus attendentes alias conventiones in eisdem notatas litteris … omnes illas conventiones ... approbantes et ratas habentes et firmas, omnia sicut in scripto continentur autentico presentis scripti pagina communimus et sigilli nostri karactere confirmamus …72. Au XIIIe siècle l’usage du vidimus se répand de manière très large. C’est ce que montrent, entre autres, les actes des comtes de Ponthieu, édités jusqu’à l’année 1279. Le   Les chartes des évêques d’Arras (cit. n. 9) 289 no. 266.   Ibid. 301s. no. 280. La charte de l’abbé Hugues est éditée dans: Cartulaire et abbesses de La Brayelle d’Annai de 1196 à 1504, ed. Albert Demarquette (Lille 1885) 257s. no. 1. 67  Les chartes des évêques d’Arras (cit. n. 9) 302s. no. 281. 68  Ibid. 309s. no. 291. 69   Ibid. 311s. no. 292. 70  Ibid. 316–318 no. 298. Dans le vidimus la charte comtale n’est pas datée, mais elle date elle aussi de 1200: Actes et documents anciens concernant la Belgique. Nouvelle série, ed. Charles Duvivier (Bruxelles 1903) 279–281 no. 146. 71  Henri Malo, Un grand feudataire. Renaud de Dammartin et la coalition de Bouvines. Contribution à l’étude du règne de Philippe Auguste (Paris 1898) 256s. Je prépare l’édition des chartes des évêques de Thérouanne jusqu’en 1207. 72  Acte inédit; copie au cartulaire de l’abbaye du Mont-Saint-Martin, Paris, BN, lat. 5478, fol. 60v. 65 66



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plus ancien de leurs vidimus date de 1203: donné par l’abbé de Saint-Josse-sur-Mer Florent et par le comte Guillaume, il vidimait un acte attribué au comte Gui Ier (1053–1100) et confirmait ensuite diverses libertés de l’abbaye73; en 1208 le même comte Guillaume vidimait un acte donné en 1177 par son prédécesseur le comte Jean en faveur de l’abbaye de Saint-Riquier, et remettait à cette abbaye un droit d’avouerie74; en 1210 le comte Guillaume vidimait une charte donnée en 1100 par le comte Gui Ier à l’abbaye SaintSauve de Montreuil75; le cas suivant est assez particulier puisqu’il s’agit d’une charte du comte Guillaume pour l’abbaye de Willencourt composée de deux parties, la première (datée de 1216) étant une confirmation comtale de diverses donations faites par des tiers, la seconde (datée de 1218) étant un vidimus d’une charte donation promulguée en 1217 par Robert Fretel 76; en 1231 (n. st.) le comte Simon confirmait l’accord intervenu en 1225 entre son épouse la comtesse Marie et le roi Louis VIII et commençait sa charte par un vidimus de la charte donnée à cette occasion par la comtesse77; en 1235 le comte Simon et la comtesse Marie vidimaient la charte de commune concédée en 1199 par le comte Guillaume aux bourgeois d’Abbeville78; en septembre 1242 le comte Mathieu et la comtesse Marie vidimaient une charte donnée le même mois par Jean Rabot et par laquelle celui-ci vendait à un bourgeois du Crotoy un revenu qu’il tenait d’eux79; en 1247 le comte Mathieu vidimait un acte donné par son épouse la comtesse Marie et confirmait une donation faite par son père le comte Guillaume au chapitre Saint-Vulfran d’Abbeville80; le 27 janvier 1258 (n. st.) la comtesse Jeanne vidimait la charte donnée la veille par Guillaume Tirel en reconnaissance de dette envers Mathieu de Trie81; toujours en janvier 1258, la même comtesse vidimait un acte donné en faveur de l’église de Forest-Montiers par son prédécesseur le comte Guillaume en 121082; en février 1263 (n. st.) le comte Jean et la comtesse Jeanne vidimaient une charte donnée en décembre 1262 par Henri d’Airaines et consignant une vente à l’abbaye de Selincourt, et une charte de confirmation donnée en décembre aussi par Philippa, comtesse de Gueldre83; les mêmes vidimaient en juillet 1268 une charte de vente donnée en janvier de la même année par Jourdain de Beaunay à l’abbaye de Selincourt84; en janvier 1270 les mêmes vidimaient une charte de vente donnée au cours du même mois à l’abbaye d’Epagne par Jean, seigneur de Mautort85; en janvier 1272 (n. st.) la comtesse Marie vidimait une charte donnée en mai 1239 à l’abbaye de Riéval par ses parents, le comte Simon et la comtesse Marie86; le 17 juin 1272 le comte Jean et la comtesse Marie vidimaient une charte de donation du chevalier

73  no. 1). 74   75   76  77  78  79   80  81  82  83  84   85  86 

Recueil des actes des comtes de Pontieu (cit. n. 23) 249–253 no. 163 (l’acte de Gui Ier est ibid. 651s. Ibid. 284–287 no. 186. Ibid. 316s. no. 207. Ibid. 379–383 no. 260. Ibid. 419–421 no. 287. Ibid. 433–435 no. 298. Ibid. 486s. no. 347. Ibid. 511s. no. 364. Ibid. 558s. no. 406. Ibid. 559–562 no. 407. Ibid. 580–584 no. 423. Ibid. 596–598 no. 435. Ibid. 600s. no. 439. Ibid. 613 no. 448; la charte de Simon et Marie se trouve ibid. 458 no. 315.

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Gérard d’Abbeville à l’abbaye Saint-Acheul d’Amiens datée de juin 123987. On peut y ajouter un cas un peu curieux, qui malheureusement n’est connu que par une copie dans un cartulaire, donc sans garantie absolue de fidélité à l’original. En 1219 le comte Guillaume confirmait un acte de son prédécesseur Jean. Le vocabulaire utilisé laisse penser qu’il s’agit d’un vidimus: Ego approbo et proprio sigillo confirmo ea que inveni scripta et sigillata sigillo patris mei Johannis in hec verba. Suit une phrase qui ne peut être qu’un préambule de la charte de Jean: Quoniam multa prius cognita, tempore labente, oblivioni traduntur, ut posteris innotescat, scripto commendavimus … . Mais ensuite on a un texte à la troisième personne, qui est plutôt une analyse détaillée de la charte de Jean, comme le montre la dernière phrase: Et eandem conventionem data fide comes et frater suus promiserunt firmiter tenere et ubique guarandire. Si on comprend bien, il s’agit donc ici, sous l’apparence d’un vidimus, d’une simple analyse88. Un autre cas similaire se trouve en 1234 (n. st.) dans une charte du comte Simon et de la comtesse Marie analysant une charte de commune délivrée aux bourgeois d’Airaines par Henri d’Airaines et Aleaume de Fontaine, malgré une formulation secundum tenorem et formam cartule quam ipsi habent de domino H. de Arenis et de domino Alermo de Fontanis, que talis est …89. En ce qui concerne les comtes de Saint-Pol, on dispose d’une édition récente et exhaustive des actes donnés jusqu’à la fin du XIIIe siècle. Le plus ancien vidimus date de septembre 1226: la comtesse Élisabeth vidimait un acte de donation donné en 1184 par son père le comte Hugues IV à l’abbaye de Berteaucourt90; en mars 1242 (ou 1243, n. st.) le comte Hugues V vidimait un acte de Jean, abbé de Cercamp, non daté mais forcément récent puisque Jean n’était abbé que depuis 124091; en février 1254 (n. st.), deux actes donnés par le comte de Saint-Pol et le seigneur d’Aubigny vidimaient deux actes du même mois par lequel Mahaut, comtesse de Boulogne et également paire du comté d’Artois, donnait le comté de Boulogne, sous réserve d’usufruit, à sa cousine Mahaut, comtesse d’Artois92; en juin 1263 le comte Guy III vidimait un acte donné le même mois par Henri Rabos notifiant une vente au chapitre cathédral d’Amiens93; en novembre 1268 le même comte vidimait un acte donné le même mois par Drogon, seigneur de Bucquoy, consignant une vente faite à un chapelain94; en septembre 1269 le même comte vidimait un acte donné le même mois par Florent Havet, seigneur de Forceville, et son épouse Éléonore, consignant la fondation d’une chapellenie95; en janvier 1273 (n. st.) le même comte vidimait un acte donné le même mois et consignant une vente faite par son vassal Jean de Bailleulmont au chapitre cathédral d’Arras96; en mars 1278 (ou 1279, n. st.) le même comte vidimait un acte donné le même mois par Baudouin, seigneur de Rollancourt, lui-même vidimant un acte donné le même mois par Jean Pessars et consignant une vente   Ibid. 614s. no. 450.   Ibid. 395s. no. 269. 89  Ibid. 425–427 no. 292. 90  Les chartes des comtes de Saint-Pol (cit. n. 26) 287s. no. 221; la charte d’Hugues se trouve ibid. 147s. no. 60. 91   Ibid. 326s. no. 269. Sur Jean voir Adolphe de Cardevacque, Histoire de l’abbaye de Cercamp, ordre de Cîteaux, au diocèse d’Amiens (Arras 1876) 99–101. 92  Les chartes des comtes de Saint-Pol (cit. n. 26) 344–346 no. 289 et 346s. no. 290. 93  Ibid. 359s. no. 304. 94  Ibid. 377s. no. 314. 95  Ibid. 382–385 no. 319. 96   Ibid. 394–397 no. 328. 87 88



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faite au chapitre cathédral d’Arras97; en février 1284 (n. st.) le même comte vidimait un acte donné le même mois par Pierre Groignars consignant une vente faite en faveur d’un chapelain du chapitre cathédral d’Arras98; en février 1291 (n. st.) le comte Hugues VI vidimait un acte donné le même mois par Robert de Bailleul vidimant un acte donné le même mois par Gilles de Berlette et consignant une vente au chapitre cathédral d’Arras99; en février 1293 (n. st.) le successeur de Guy III, le comte Hugues VI, vidimait un autre acte donné le même mois par Robert de Bailleul et vidimant un acte donné le même mois par Gilles de Berlette, toujours à propos d’une vente au chapitre cathédral d’Arras100; en décembre 1299 le comte Guy IV vidimait un acte donné en août 1298 par Jean l’Oiseau de Frévent, consignant une vente à l’abbaye de Cercamp101. À cette belle série on peut ajouter un cas beaucoup plus particulier. Car en mars 1251 (ou 1252, n. st.), en un acte dont l’original est perdu mais dont il reste une copie que l’on peut considérer comme fiable, le comte Guy III confirmait un ensemble de douze actes reçus par l’abbaye de Saint-Bertin, depuis un acte donné le 25 mars 1209 (n. st.) par Baudouin, doyen du chapitre cathédral de Thérouanne, jusqu’à un acte donné en février 1249 (n. st.) par Baudouin, seigneur de Heuchin102. La particularité ici est que les actes confirmés ne sont pas reproduits intégralement, mais résumés, avec copie de l’incipit et de la date: Ego Guido de Castellione, comes Sancti Pauli, notum facio omnibus tam presentibus quam futuris quod ego omnia et singula que secuntur ecclesie Sancti Bertini quantum in me est et tanquam dominus concedo, rata habeo et confirmo, videlicet cartam quam habet ipsa ecclesia a domino Balduino de Anving et Iohanne, filio eius, qui testantur per eandem cartam venditionem medietatis terragii totius parochie de Eskieres eidem ecclesie a Balduino de Briast esse legitime factam; que carta sic incipit: „Universis presens scriptum inspecturis, Balduinus de Anving et Iohannes, filius ejus primogenitus et heres, milites, in Domino salutem“ et cetera, et „data fuit anno Domini M° CC° XXX V°, mense julio“. Item confirmo et ratam habeo cartam Guidonis de Castellione … . Rares sont les seigneurs pour lesquels existe une édition systématique. Les seigneurs de Nesle constituent une heureuse exception. C’est le 7 avril 1231 (n. st.) que le seigneur Jean II vidimait un acte donné en mars 1231 par Jean de Béthencourt à la Franche-Abbaye près de Beaulieu103; en mai 1238 le même seigneur vidimait un acte de vente donné à l’abbaye de Fervaques par Rainier du Verguier en janvier 1238 (n. st.)104; en août 1259 Simon de Clermont, seigneur de Nesle, vidimait un acte donné en juillet de la même année par Gautier de Roye à la Franche-Abbaye105; en juillet 1267 le même seigneur vidimait un acte donné en avril 1266 (ou 1267, n. st.) à la Franche-Abbaye106; le 18 juillet   Ibid. 423–426 no. 344.   Ibid. 434–437 no. 353. 99   Ibid. 452–454 no. 366. 100  Ibid. 464–466 no. 373. 101  Ibid. 480–483 no. 383. 102   Ibid. 338–340 no. 283. 103   William M. Newman, Les seigneurs de Nesle en Picardie (XIIe–XIIIe siècles). Leurs chartes et leur histoire (Bibliothèque de la société d’histoire du droit des pays flamands, picards et wallons 27, Paris 1971) 2 257–259 no. 158; Le chartrier de l’Abbaye-aux-Bois (1202–1341). Étude et édition, ed. Brigitte Pipon (Mémoires et documents de l’École des chartes 46, Paris 1996) 171s. no. 100 et 170s. no. 99. 104   Newman, Les seigneurs de Nesle en Picardie (cit. n. 103) 281–283 no. 178. 105   Ibid. 314s. no. 203; Le chartrier de l’Abbaye-aux-Bois (cit. n. 103) 269s. no. 219 et 268s. no. 218. 106   Newman, Les seigneurs de Nesle en Picardie (cit. n. 103) 319–321 no. 207; Le chartrier de l’Abbayeaux-Bois (cit. n. 103) 284 no. 237 et 283s. no. 236. 97 98

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1270 le même vidimait un acte donné au mois de mai par Gerard de Béthencourt, coûtre du chapitre de Péronne, à la Franche-Abbaye107; en mai 1273 le même vidimait un acte non daté de Jean d’Allaines vidimant un acte du 27 mars 1272 (n. st.) de Simon de Bailleul pour la Franche-Abbaye108. Beaucoup d’actes, on le voit, pour la Franche-Abbaye, également appelée l’Abbaye-aux-Bois. Il est vrai que les seigneurs de Nesle étaient les fondateurs de cette abbaye, à laquelle ils accordaient donc un soin particulier. Mais dans le fonds d’archives de l’abbaye on trouve d’autres vidimus que ceux donnés par les seigneurs de Nesle109. Au total, on compte 17 vidimus sur 489 actes donnés par les comtes de Ponthieu, 12 sur 383 chez les comtes de Saint-Pol, six sur 219 chez les seigneurs de Nesle. Il existe quelques vidimus dans la première moitié du XIIIe siècle, mais la plupart datent de la seconde moitié de ce siècle. Les vidimus sont un peu plus précoces chez les comtes de Ponthieu, ce qui permet, chez ceux-ci, de distinguer assez nettement une première phase, de vidimation d’actes donnés par des prédécesseurs, et une seconde phase, de vidimation d’actes donnés par des vassaux. Si on regarde les choses du point de vue des bénéficiaires, on trouve le même développement lent au XIIe, rapide au XIIIe siècle. Prenons par exemple les actes de l’abbaye d’Arrouaise, dans le diocèse d’Arras110, dont les archives nous sont conservées de manière sans doute à peu près exhaustive jusqu’en 1182, voire 1190; de manière plus partielle ensuite111. Le plus ancien vidimus de ce fonds date du 15 mars 1159 (n. st.). C’est une bulle du pape Adrien IV, confirmant et vidimant la sentence rendue entre 1145 et 1149 par les évêques de Beauvais et d’Amiens, juges délégués par son prédécesseur Eugène III, dans une querelle opposant l’abbaye d’Arrouaise à celle Cercamp112; le vidimus suivant date de 1202: l’abbé d’Arrouaise Robert et le couvent du monastère, notifiant un accord intervenu entre l’abbé Gautier et Alard de Brouchy et reconnu par une charte datée de 1182, rappellent cette charte avant de mentionner d’autres accords intervenus plus récemment113; en 1215 Odon IV, seigneur de Ham, vidimait un acte de son père Odon III à la fin d’un acte par lequel il procédait à un échange avec l’abbaye114; en février 1232 (n. st.) l’évêque de Cambrai Godefroid vidimait une charte de donation émise le 7 décembre précédent par Baudouin d’Aubencheul, et ajoutait qu’il avait vérifié que l’épouse de celui-ci avait bien marqué son accord à la donation115; en décembre 1255 le roi Louis IX vidimait une charte de vente issue en avril 1239 (ou 1240, n. st.) par Pierre Gosse de Bapaume116; 107  Newman, Les seigneurs de Nesle en Picardie 322s. no. 209; Le chartrier de l’Abbaye-aux-Bois 298 no. 255 et 297s. no. 254. 108  Newman, Les seigneurs de Nesle en Picardie 324–326 no. 211; Le chartrier de l’Abbaye-aux-Bois 305s. no. 264 et 302s. no. 260. 109   Ibid. 215s. no. 152, 216 no. 153, 216 no. 154, 256 no. 203 … . 110  Sur l’abbaye d’Arrouaise voir Ludo Milis, L’ordre des chanoines réguliers d’Arrouaise. Son histoire et son organisation, de la fondation de l’abbaye-mère (vers 1090) à la fin des chapitres réguliers (1471) 1–2 (Rijksuniversiteit te Gent. Werken uitgegeven door de faculteit van de letteren en wijsbegeerte 147–148, Bruges 1969). 111   Monumenta Arroasiensia (cit. n. 31) XXXVII–XXXIX pour la réalisation du cartulaire A en 1181/1182 et sa continuation jusque vers 1190. 112  Ibid. 184s. no. 84 (JL –); la charte des évêques de Beauvais et Amiens se trouve ibid. 119–121 no. 51. 113  Ibid. 298–300 no. 167 et 416s. no. 249. 114  Ibid. 309s. no. 174 et 442s. no. 271. 115  Ibid. 466–469 no. 293 et 294. 116   Ibid. 475s. no. 299 et 514 no. 232.



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le 27 juin 1257 le pape Alexandre IV approuvait et vidimait le règlement par lequel Eudes, évêque de Tusculum, et les cardinaux Jean et Hugues avaient imposé à l’ordre d’Arrouaise la consommation de viande trois fois par semaine117; le même pape Alexandre IV ayant cassé le 26 juillet 1257 la décision prise par l’archevêque de Reims et ses suffragants d’imposer à l’ordre d’Arrouaise le remplacement des religieuses défuntes par des chanoines réguliers, la bulle en question fut vidimée le 31 juillet par le cardinal Hugues, tandis que le 4 novembre, dans une bulle adressée à l’évêque de Paris, le pape lui-même vidimait l’acte du cardinal Hugues, et que le 5 novembre 1258 l’évêque de Paris, tranchant définitivement en faveur de l’ordre d’Arrouaise, vidimait d’abord la bulle du 4 novembre 1257, ensuite celle du 26 juillet118; le 7 décembre 1270 l’official d’Arras vidimait les actes donnés en 1141 par la reine d’Angleterre et comtesse de Boulogne Mathilde, le comte de Flandre Thierry, l’évêque de Thérouanne Milon119; le 19 septembre 1273 l’official de Cambrai vidimait une charte donnée en mars 1218 (n. st.) par l’évêque de Cambrai120; en juillet 1276 le commandeur du Temple dans le Laonnois vidimait un acte donné le même mois par Pierre de Manancourt121, tandis qu’en juin 1279 l’évêque de Noyon vidimait successivement l’acte de Pierre, puis celui du commandeur; enfin le 4 novembre 1284 l’abbé d’Arrouaise et treize autres abbés de l’ordre arrivaient à un accord sur la visite des abbayes, y compris sur la visite de l’abbaye-mère d’Arrouaise, et dans la charte qu’ils donnaient à cette occasion ils vidimaient une bulle donnée par le pape Clément IV le 2 décembre 1266 (mais c’est pour contredire cette bulle, dont il est bien précisé qu’elle est mise en sommeil jusqu’à ce que le chapitre général la réveille ou la révoque), et une charte donnée le 1er juin 1252 par le cardinal-légat Hugues122. Mis à part quelques très rares cas isolés, le vidimus se développe donc surtout, dans le Nord de la France, à partir du dernier quart du XIIe siècle. Ce développement est progressif, jusqu’au milieu du XIIIe siècle: à ce moment le vidimus occupe une place relativement importante dans la production diplomatique. Comme souvent, ce sont d’abord les évêques et les princes (et les rois) qui ont eu recours à cette idée nouvelle. Un élément n’a guère été évoqué ici jusqu’à présent: le rôle des officiaux, pourtant très important123. On 117   Ibid. 517–519 no. 335 et 519–521 no. 336. On notera que le même pape a donné le 1er août 1257 une autre bulle sur le même sujet, mais cette fois sans vidimus de l’acte de l’évêque et des cardinaux (524–526 no. 339). 118   Ibid. 521–523 no. 337, 523s. no. 338, 526–528 no. 340, 532–535 no. 343. Le cardinal Hugues, après avoir vidimé la bulle du 26 juillet, donnait trois mois à l’archevêque de Reims pour prouver que l’ordre d’Arrouaise avait approuvé le remplacement des religieuses par des chanoines, et c’est cette disposition qu’Alexandre IV confirmait en novembre en demandant à l’évêque de Paris de vérifier ce qu’il en était. 119  Ibid. 83–88 no. 28–30 et 566s. no. 370. Nous avions déjà rencontré le vidimus donné en novembre 1268 par le comte de Saint-Pol d’un acte de Drogon de Bucquoy (ibid. 562 no. 367). 120   Ibid. 447s. no. 275 et 567 no. 371. 121  Ibid. 577–579 no. 379, 580s. no. 381, 581s. no. 383. 122  Ibid. 499s. no. 316, 556–558 no. 363, 594–596 no. 393. Le texte de 1284 dit bien: Insuper, littera domini Clementis pape predicta dormiat quousque per generale capitulum fuerit suscitata seu etiam revocata. 123   Pour Tournai voir Monique Vleeschouwers-Van Melkebeek, De officialiteit van Doornik. Oor­ sprong en vroege ontwikkeling (1192–1300) (Verhandelingen van de Koninklijke Academie voor Wetenschappen, Letteren en Schone Kunsten van België, Klasse der Letteren, Jaargang 47, 117, Bruxelles 1985), qui cite des exemples à partir de 1219, mais ne développe pas cet aspect de l’activité des officiaux. L’ouvrage classique sur les officialités, celui de Paul Fournier, Les officialités au Moyen Âge. Étude sur l’organisation, la compétence et la procédure des tribunaux ecclésiastiques ordinaires en France de 1180 à 1328 (Paris 1880), ne porte, comme son titre l’indique, que sur la compétence judiciaire de l’officialité et ne mentionne que très rapidement et incomplètement la question du vidimus, ibid. 196. La belle étude d’Olivier Guyotjeannin, Juridiction gracieuse

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citera à titre d’exemple le vidimus donné le 18 février 1261 (n. st.) par maître Pierre de Saint-Martin, official de Soissons, d’un acte donné en janvier 1240 (n. st.) par les exécuteurs testamentaires du seigneur Jean de Nesle124. Reste la question de la raison d’être du vidimus. Pourquoi celui-ci a-t-il été inventé et s’est-il développé? Une première raison est liée à la conservation des actes: le vidimus peut être dû à une volonté de préserver un acte fragile. Quand le comte de Flandre Baudouin IX confirme en 1201 à l’abbaye de Corbie un don fait par son lointain prédécesseur le comte Robert II en 1096, sa charte reproduit l’ensemble de l’acte donné en 1096 par l’abbé de Corbie Nicolas (Est autem hec forma et continentia scripti illius), et précise ensuite que le sceau (comtal) de l’acte de 1096 est en mauvais état: Verum, quia illud sigillum comitis Roberti, quod appendebat scripto illi, pre nimia vetustate, sicut propriis oculis vidi et notavi, fere confractum fuit, ne in posterum predicta ecclesia possessionum suarum aliquod dampnum posset incurrere, eidem ecclesie omnia jura sua, sicut in scripto illo continetur, plenarie recognovi125. Cependant, de telles indications sont rares et ce n’est certainement pas là qu’il faut chercher la principale raison d’être des vidimus. Il ne faut jamais oublier, en ce qui concerne la diplomatique médiévale, la pratique de l’élaboration des actes par les destinataires. En ce qui nous concerne, cela signifie que c’est aussi ce dernier qui, en rédigeant la charte ou tout au moins la petitio qui allait être prise pour modèle, pouvait souhaiter mentionner ou inclure un acte antérieur, à la fois pour valider celui-ci et justifier l’acte demandé. On en prendra pour exemple une bulle du pape Lucius III, datée de 1183, pour l’abbaye de Saint-Trond. Le pape confirme à l’abbaye son locus et l’église d’Oudenburg, telle que l’avait donnée par une charte l’évêque d’Utrecht Baudouin, dont il reproduit ensuite la charte: ecclesiam de Alburg quam vestro monasterio venerabilis frater noster Balduwinus Trajectensis episcopus pia vobisque largitione concessit sicut in ipsius scripto autentico continetur et vos eam canonice possidetis, cujus rescriptum de verbo ad verbum duximus annotandum: In nomine sancte et individue …126. La rareté même de ce cas suggère clairement que l’acte de Baudouin était inséré dans la petitio que l’abbaye avait soumise à la chancellerie pontificale. Une autre raison, beaucoup plus importante, est liée au développement de la place de l’écrit dans la procédure ecclésiastique aux XIIe–XIIIe siècles. Cela se produit fréquemment dans le cas de la justice déléguée127. Il arrive que des juges délégués par le pape, non contents de signaler qu’ils interviennent dans un procès en vertu de la délégation apostolique, tiennent à reproduire la lettre pontificale leur confiant la mission en question. C’est ce que font l’archidiacre de Reims Philippe et les chanoines Foulques et Gui, chargés de trancher entre Saint-Nicaise de Reims et Saint-Vincent de Laon, instrumentant en ecclésiastique et naissance de l’officialité à Beauvais (1175–1220), in: À propos des actes d’évêques. Hommage à Lucie Fossier, ed. Michel Parisse (Nancy 1991) 295–310, n’aborde pas non plus la question des vidimus. 124  Newman, Les seigneurs de Nesle en Picardie (cit. n. 103) 285s. no. 181. 125  De oorkonden der graven van Vlaanderen (1191–aanvang 1206) (cit. n. 36) 357–361 no. 165. 126   JL 14932; Oorkondenboek van het Sticht Utrecht tot 1301, vol. 1: 695–1197, ed. Samuel Muller– Arie Cornelis Bouman (Utrecht–La Haye 1920) 456 no. 513 (JL 14.893). L’acte de Baudouin est ed. ibid. 451 no. 505 et Cartulaire de l’abbaye de Saint-Trond, ed. Charles Piot (Bruxelles 1870) 142s. no. 104. 127  Sur l’impact de la justice déléguée par le pape sur le droit du XIIe siècle voir Charles Duggan, Papal Judges Delegate and the Making of the „New Law“ in the Twelfth Century, in: Cultures of Power. Lordship, Status and Process in Twelfth Century Europe, ed. Thomas N. Bisson (Philadelphia 1995) 172–199. Pour le Nord de la France: Wacław Uruszczak, Les juges délégués du pape et la procédure romano-canonique à Reims dans la seconde moitié du XIIe siècle. Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 53 (1985) 27–41, en particulier 35.



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1196 (c’est-à-dire au plus tard le 24 mars 1197 n. st.) suite à une lettre à eux adressée par Célestin III le 8 juin 1196 (mandatum domini pape recepimus in hunc modum)128. Il arrive aussi que le pape confirme la sentence rendue par ses juges délégués. On peut renvoyer à la confirmation, déjà citée, par le pape Adrien IV d’une sentence de ses juges délégués, les évêques Eudes de Beauvais et Thierry d’Amiens129. Mais d’une manière générale, on l’a déjà mentionné, le développement de l’utilisation de l’écrit à la fin du XIIe siècle amena une multiplication du nombre des actes relatifs à une seule et même affaire. Il devenait alors tentant de reprendre textuellement, dans un acte, le texte d’un autre acte. C’est par exemple ce qui se produit quand le pape Célestin III confia à Maurice, évêque de Paris, à l’abbé de Saint-Victor et au chancelier de Paris, le soin de trancher un conflit entre le chapitre cathédral de Troyes et l’abbaye de Montiéramey. Les deux parties aboutirent à un accord, que le doyen et le chapitre cathédral de Troyes notifièrent par une charte. Les juges délégués à leur tour donnèrent une charte, dans laquelle ils reprenaient le texte de la charte troyenne130. C’est dans une perspective semblable que Baudouin d’Aubigny, renonçant en 1193 à la querelle qu’il avait élevée contre l’abbaye du Mont-Saint-Éloi à propos du prieuré d’Aubigny, introduisait dans sa charte un vidimus de la charte donnée entre 1163 et 1171 par l’évêque d’Arras André et confirmant le rattachement du prieuré à l’abbaye131. C’est toujours dans le même contexte de recours à l’écrit que des pièces de procédure sont parfois insérées dans des chartes. Le 30 mars 1234 (n. st.), maître Hugues, chanoine et official de Noyon, tranchant une querelle entre la Franche-Abbaye et Henri, curé de Catigny, insère dans sa charte le libelle introduit par ce dernier: cum Henricus … abbatissam et conventum … auctoritate ordinaria traheret in causam coram nobis, talem libellum edidit contra eos: Dicit Henricus, presbiter de Cateni …132. On trouve un autre exemple dans le fonds de l’abbaye d’Arrouaise: l’official de Noyon, dans un acte donné en février 1253 (n. st.), notifiait que deux frères, Jean et Raoul, avaient renoncé à une querelle qu’ils élevaient contre l’abbaye d’Arrouaise; dans sa sentence, l’official reproduisait la requête de l’abbé: peticionem suam Philippus procurator ipsorum abbatis et conventus contra ipsos fratres edidit in hunc modum: Proponit in jure coram vobis, domine officialis, Philippus procurator …133. Au fur et à mesure qu’on avance dans le XIIIe siècle les actes se complexifient sans cesse. On peut citer une série de trois actes donnés en janvier 1273 (n. st.) par les chevaliers Étienne du Péage et Jean de Fricourt, qui avaient été chargés d’arbitrer entre le comte 128  La sentence des juges délégués, y compris la lettre de Célestin III (JL –) est éditée dans Cartulaire de Saint-Nicaise (cit. n. 8) 342 no. 198. Pour la date de la sentence, corriger la datation donnée par l’éditrice en tenant compte de l’usage du style de l’Annonciation à Reims à la fin du XIIe siècle, Olivier Guyotjeannin– Benoît-Michel Tock, „Mos presentis patrie“. Les styles de changement du millésime dans les actes français (XIe–XVIe siècle). BEC 157 (1999) 41–109, cit. 79. 129  Voir n. 112. 130  Cartulaire de l’abbaye de Montiéramey, ed. abbé Lalore–L. Pigeotte (Collection des principaux cartulaires du diocèse de Troyes 7, Troyes 1890) 137s. no. 108. 131   La charte de Baudouin est inédite; une copie de celle-ci se trouve dans le cartulaire du prieuré d’Aubigny (Arras, Archives départementales du Pas-de-Calais, série H, cartul. d’Aubigny, fol. 20v–21r). Pour la charte de l’évêque André: Les chartes des évêques d’Arras (cit. n. 9) 185s. no. 165. 132  Le chartrier de l’Abbaye-aux-Bois (cit. n. 103) 195s. no. 130. Un cas semblable se trouve dans une sentence rendue en juillet 1255 par Richard de Fournival, chancelier d’Amiens, en faveur de la même FrancheAbbaye contre un certain Pierre de Magny. Cependant c’est ici le libelle de l’abbaye qui est reproduit: ibid. 249s. no. 195. 133  Monumenta Arroasiensia (cit. n. 31) 502–504 no. 318.

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d’Artois et le comte de Saint-Pol. La querelle étant complexe, il faut trois actes à ces deux seigneurs pour en décider tous les aspects; chacun de ces trois actes commence par le vidimus de l’acte par lequel le comte d’Artois Robert II leur avait confié cette tâche134. Apparaissent aussi progressivement les vidimus de vidimus. Dans les archives de la Franche-Abbaye se trouve la bulle donnée le 18 décembre 1224 par le pape Honorius III à l’ordre cistercien; mais cette bulle se trouve dans un vidimus donné en janvier 1232 par les évêques de Senlis et de Meaux et les abbés de Saint-Faron et de Notre-Dame de Meaux; ce vidimus est lui-même conservé dans un vidimus donné en 1238 par l’évêque de Noyon135. De tels vidimus ne sont évidemment pas dus au hasard. En l’occurrence la bulle pontificale protégeait les monastères cisterciens contre les abus que pourraient commettre les évêques à leurs dépens: le vidimus de l’évêque de Noyon, qui était l’ordinaire de la Franche-Abbaye, était de la part de l’évêque une manière de reconnaître et d’accepter la bulle. En revanche, cela montre que la Franche-Abbaye n’avait pas eu accès à une expédition originale de la bulle du 18 décembre 1224, mais seulement au vidimus de 1232. Cet exemple permet d’ailleurs de rappeler que les privilèges généraux des ordres religieux comme celui de Cîteaux, parce que chaque abbaye n’en possédait pas une expédition originale, ont souvent fait l’objet de vidimus. Concluons. On passe donc de la confirmation des actes royaux à la confirmation d’actes antérieurs (vers 1100), puis (le premier exemple recensé en 1119, mais le système ne se généralise que vers 1220–1230136), au système du vidimus. Si des raisons pratiques (le remplacement d’actes détériorés) peuvent être invoquées, c’est surtout le développement de la procédure romano-canonique qui, en imposant un recours croissant au document écrit, a ouvert la voie à la diffusion du vidimus. Et plus largement le développement d’une mentalité écrite, où la forme et le texte exact des actes prennent de plus en plus d’importance. On notera aussi que quand le vidimus confirme un acte récent, c’est généralement soit dans le cadre d’une procédure judiciaire, soit pour revêtir l’acte vidimé d’une autorité supérieure en l’intégrant dans un acte donné par une autorité supérieure (évêque, seigneur féodal …).

  Les chartes des comtes de Saint-Pol (cit. n. 26) 397–411 no. 329–331.   Le chartrier de l’Abbaye-aux-Bois (cit. n. 103) 401–403 no. 148. 136  Y compris dans les chancelleries royales française et anglaise: Nortier, Les actes faussement attribués (cit. n. 54), et Vincent, The charters of King Henry II (cit. n. 45). 134 135



Deutschsprachige Beurkundung im Donaugebiet des mittelalterlichen Königreichs Ungarn Juraj Šedivý

Auf dem Gebiet des mittelalterlichen Königreichs Ungarn wurden im 11. Jahrhundert unter einer Krone kulturell heterogene historische Gebiete vereinigt. Der Nordwesten des Landes im Waagtal hatte intensivere Kontakte zu Mähren und Schlesien, der Nordosten und Osten mit der Zips und Transilvanien tendierte zu Kleinpolen bzw. zum Balkan, der kroatische und slawonische Teil des Landes war von der mediterranen Kultur geprägt. Im Mittelpunkt unserer Untersuchung wird das vierte Gebiet mit Transdanubien und der heutigen Südwestslowakei stehen. Transdanubien bildete den eigentlichen Kern des Königreichs, wo sich politische und kirchliche Zentren wie Ofen (ung. Buda), Stuhlweißenburg (ung. Székesfehérvár) und Gran (ung. Esztergom) befanden. Den westlichen Teil dieser historischen Region bildete ein schmaler Grenzstreifen mit Pressburg (slow. Bratislava) und Ödenburg (ung. Sopron), zwei größeren Zentren, die von der Grenzlage bzw. auch vom Donauhandel profitieren konnten.

Schriftkultur und Urkundenausstellung in der Region Die Schriftkultur der Region des Donautieflandes, das sich großteils mit dem ehemaligen römischen Oberpannonien deckt, war durch die im Frühmittelalter heikle Lage zwischen dem fränkischen (später römisch-deutschen) Reich und Byzanz beeinflusst. Nach dem Zerfall des Awarenreiches (von ca. 567 bis 791/811) entstanden im Karpatenbecken erste karolingisch-slawische Fürstentümer (das mährische westlich der Kleinen Karpaten, das Neutraer östlich von ihnen und das pannonische um den Plattensee [ung. Balaton])1. Erst aus dieser Zeit ist die erste frühmittelalterliche Beurkundung in der Region belegt. Zu den ersten Urkunden zählt die Schenkung des pannonischen Fürsten Chozil an die Kirche von Regensburg, die vor 858 erfolgte2. Die wenigen belegten Aktivitäten im Be1  Zur Geschichte des Gebiets siehe z. B.: A Concise History of Slovakia, hg. von Elena Mannová (Bratislava 2000), oder Gyula Kristó, Die Arpadendynastie. Die Geschichte Ungarns von 895 bis 1301 (Budapest 1993). – Abkürzungen: AMB = Archiv der Stadt Pressburg; CDHEC = Codex diplomaticus Hungariae ecclesiasticus ac civilis, ed. Georgius Fejér (Buda 1829–1844); CDSl = Codex diplomaticus Slovaciae 1, ed. Richard Marsina (Bratislava 1971); 2, ed. ders. (Bratislava 1987); MOL DL = Budapest, Ungarisches Zentralarchiv, Urkundensammlung; SNA = Bratislava, Slovenský národný archív; Sopron Oklevéltár = Sopron szabad király város története. Oklevéltár [Geschichte der freien königlichen Stadt Ödenburg. Urkundenbuch] I/1-7, II/1-6, ed. Jenő Házi (Sopron 1921–1943). 2   CDSl 1 8 Nr. 9.

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reich der Urkundenausstellung wurden im 10. Jahrhundert – nach dem Einfall der Magyaren – unterbrochen3. Erst mit der Gründung des ungarischen Königreichs um das Jahr 1000 ist ein neuer Anfang der Beurkundung verbunden. Trotz des vielversprechenden Anfangs unter Stephan I. (997/1000–1038) blieb jedoch die Verschriftlichung der Rechtsakte bis zum letzten Drittel des 12. Jahrhunderts nur eine Randerscheinung im Rechtsleben des Landes, was einer auf Oralität beruhenden illitterati-Kultur entspricht. Die Edition der ältesten Urkunden aus dem ganzen Land zählt bis zum Anfang der 1130er Jahre nur 157 diplomatische Texte (darunter auch Fälschungen und verfälschte Urkunden)4. Auch im slowakischen Diplomatar, das sich nur auf das Gebiet der heutigen Slowakei bezieht, gibt es vom 9. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts nur 79 Urkundentexte (die ge- und verfälschten Urkunden mitgerechnet)5. Bis 1210 verdoppelte sich die Zahl, und allein innerhalb der nächsten 25 Jahre wuchs sie wieder auf das Doppelte an. Innerhalb des nächsten Vierteljahrhunderts wurden wahrscheinlich um 50 % mehr Urkunden ausgestellt als vom 9. Jahrhundert bis 1235 zusammen6. Während man die Anfänge einer regelrechten Tätigkeit der königlichen Kanzlei in den 1190er Jahren sucht, kam es zur Entfaltung der Kanzleien in kirchlichen Institutionen ungefähr eine Generation später. Erst ab dem ersten Viertel des 13. Jahrhunderts kann man auf dem untersuchten Territorium die Umbruchsperiode in der Schriftlichkeit, die sich südlich und westlich der Alpen bereits im 12. Jahrhundert voll entfaltet hatte (neue Orden und Klöster, Kathedralschulen, Universitäten und Aufkommen der Intellektuellen, Städtegründungen und Buchführung, Verbreitung des kanonischen Rechts, welches das schriftliche Zeugnis dem mündlichen bevorzugt, usw.), in bescheidenerem Ausmaß beobachten. Der einheimische Bedarf an urkundlichen Rechtszeugnissen konnte jedoch durch weltliche Notare nicht gedeckt werden, da es fast keine weltlichen litterati in Ungarn gegeben hat. Deshalb entstand in dieser Zeit die Institution der so genannten glaubwürdigen Orte. Die Kanzleien der vornehmsten Klöster und Kapitel des Landes erfüllten die Funktionen der im Westen und v. a. im Süden üblichen Notare und spielten auch eine Rolle in der Administration und Verwaltung des Landes (Vorladung vor Gericht, Untersuchung von Streitsachen, Begehung der Gütergrenzen, Berichte an den Königshof, usw.)7. Die Urkunden des 13. Jahrhunderts waren ihrem Inhalt nach meistens Privilegien. Ihre Empfänger jedoch, obwohl sie sich der Wichtigkeit der geschriebenen Zeugnisse sicher bewusst waren, konnten sie wahrscheinlich noch kaum lesen (semilitterati-Kultur). Deswegen wurde auch die große Mehrheit der später typischen epigraphischen Schriftträger (Grabsteine, Fresken, Glocken) im 13. Jahrhundert noch ohne Inschriften realisiert. Den teilweise „magischen“ Charakter des Geschriebenen unterstützte (und rechtfertigte) die damals übliche lateinische Sprache der Schriftstücke. Der Übergang zu einer litteratiKultur ist erst nach Synodalbeschlüssen der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, welche 3  Die aus Abschriften, Registern usw. erhaltenen Texte bzw. die als Deperdita in narrativen Quellen belegten Urkunden bietet das CDSl 1 7–37. 4   Diplomata Hungariae antiquissima 1, ed. Georgius Györffy et alii (Budapest1992). 5  CDSl 1 1–77 Nr. 1–79. 6  Siehe CDSl 2. László Solymosi, Die Entwicklung der Schriftlichkeit im Königreich Ungarn vom 11. bis zum 13. Jahrhundert, in: Schriftkultur zwischen Donau und Adria bis zum 13. Jahrhundert. Akten der Akademie Friesach „Stadt und Kultur im Mittelalter“. Friesach (Kärnten), 11.–15. September 2002, hg. von Reinhard Härtel et al. (Schriftenreihe der Akademie Friesach 8, Klagenfurt 2008) 483–526. 7  Die bisher unübertroffene Studie zu glaubwürdigen Orten ist Franz Eckhart, Die glaubwürdigen Orte Ungarns im Mittelalter, in: MIÖG Ergbd. 9 (Innsbruck 1915) 395–558.



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Kenntnisse von Latein beim höheren Klerus voraussetzten und ein höheres Studium förderten, und mit der Verfestigung des städtischen Netzes im Lande während des letzten Drittels des 13. und des ersten Drittels des 14. Jahrhunderts (Pfarrschulen, Anfänge von städtischer und bürgerlicher Beurkundung) verbunden. Erst in diese dritte Phase in der Entwicklung der Schriftkultur im Königreich Ungarn kann man auch die deutschsprachige Beurkundung in dem uns interessierenden Raum datieren.

Ergebnisse bisheriger Forschungen Die Suche nach den Ursprüngen der geschriebenen Volkssprachen, nach ihrer Entwicklung und territorialen Ausbreitung, wird mit der national geprägten Forschung des 19. und des 20. Jahrhunderts konnotiert. Patriotismus und Nationalismus haben in vielen älteren Arbeiten tatsächlich kleineren oder größeren Einfluss ausgeübt8. Im Falle der wissenschaftlichen Untersuchung der deutschsprachigen Texte war die Situation noch komplizierter: Während die Forschung bis 1945 von der Politik unterstützt worden ist, war sie nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen kein aktuelles Thema mehr und im Osten wurde sie fast zum Tabu. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs änderte sich im ehemaligen Osten die Situation, aber nur teilweise zum Guten. Den Anfängen und der Ausbreitung der deutschsprachigen Schriftkultur widme(te)n sich nämlich fast ausschließlich nur Germanisten in Einleitungen ihrer sprachgeschichtlichen Werke oder Editionen. Am Beispiel der Slowakei kann anschaulich illustriert werden, dass wir den Germanisten zwar für zahlreiche Editionen von spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen deutschen Texten zu danken haben9, zugleich kann man sie aber auch für die Ausbreitung von Verallgemeinerungen oder sogar von ganz falschen Modellen über die mittelalterliche Schriftkultur dieser Region verantwortlich machen10. Nicht ganz glücklich ist auch ihre – zwar aus der heutigen Sicht politisch korrekte, aber geschichtlich verzerrende – Darstellung der Ent8   Die Behauptung kann man jedoch nicht verallgemeinern. Zum Beispiel ist die wichtigste ältere Arbeit von Herbert Weinelt, Die mittelalterliche deutsche Kanzleisprache in der Slowakei (Arbeiten zur sprachlichen Volksforschung in den Sudetenländern 4, Brünn–Leipzig 1938), auch heute noch als eine relativ objektive wissenschaftliche Arbeit anzusehen (abgesehen von einigen zeitgenössischen Ausdrucken wie „fremdvölkisch“ u. a.). Er widmete sich vor allem den sprachlichen Untersuchungen, besonders anhand der Stadtbücher. Siehe auch seine Edition: ders., Das Stadtbuch von Zipser Neudorf und seine Sprache. Forschungen zum Volkstum einer ostdeutschen Volksinselstadt (Veröffentlichungen des Südostinstituts 20, München 1940). 9  Als führende Personen in Editionsprojekten können Ilpo Tapani Piirainen und seine Schüler Jörg Meier und Arne Ziegler genannt werden. Seine umfangreiche Bibliographie siehe z. B. in: Ilpo Tapani Piirainen–Mária Papsonová, Das Recht der Spiš/Zips. Texte und Untersuchungen zum Frühneuhochdeutschen in der Slowakei, 1–2 (Universität Oulu. Veröffentlichungen des Germanistischen Instituts 8, Oulu 1992), oder Ilpo Tapani Piirainen, Nachträge zum Zipser Recht. Die Handschrift 14 und 15 der Zipser Willkür (Levoča 2001) bes. 146–152. 10  Z. B. dass zu den ältesten Stadtbüchern „Chroniken, die zu Dokumentationszwecken angelegt“ worden wären, gehören – siehe Einleitung in: Actionale Protocollum. Das älteste Stadtbuch von Bratislava/Preßburg aus den Jahren 1402–1506, ed. Arne Ziegler (Acta Carpatho-Germanica 4, Bratislava 1999). Siehe dort auch die falsche Behauptung, dass die Mehrheit der Stadtschreiber zugleich Stadtkämmerer gewesen wären oder dass Pressburg die Grundfreiheiten von König Andreas II. von Ungarn bekommen hätte bzw. dass die Stadt erst unter Sigismund von Luxemburg unter die freien königlichen Städte erhoben worden wäre – in Wirklichkeit ist für beides Andreas III. verantwortlich. Die Idee, dass es in der mittelalterlichen Stadt ein jüdisches Tanzhaus gegeben habe (S. 10), passt zwar gut in die idealisierte Vorstellung des Autors über ein „multi-kultiNebeineinander“ („Wirtschaftszentrum, in dem die slowakische, die ungarische, die jüdische und die deutsche Bevölkerung in einem friedlichen Nebeneinander lebt“, S. 11), hat aber mit der Realität im mittelalterlichen Pressburg nur wenig zu tun.

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wicklung gemäß heutigen Staaten. Jörg Meier und Arne Ziegler behaupten zum Beispiel, dass die deutschsprachigen Urkunden in der Slowakei mit „der“ Pressburger Urkunde von 1346 beginnen, im heutigen Ungarn aber würden sie mit jenen aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts aus Ödenburg (ung. Sopron) und Güns (ung. Kőszeg) anfangen11. Ein Historiker der Schriftkultur muss aber Pressburg und Ödenburg als Teile einer historischen Region ansehen – sie waren doch Nachbarstädte in demselben Königreich. Trotz dieser kleinen Vorbehalte machten sich die Germanisten auch um das Wiederbeleben des Interesses an deutschsprachigen Kanzleien in Ostmitteleuropa verdient. Ihre Forschung verfolgte vor allem zwei Fragen: 1) Wann tauchen die ersten (erhaltenen) deutschen Urkunden in dem gewählten Raum auf? und 2) ab wann überwiegen sie in der jeweiligen Kanzlei? Die Prozesse des Eindringens der Volkssprachen in einzelne Kanzleien waren aber komplizierter, als ihre Skizze es darstellt. Die Produktion und Rezeption einer Kanzlei konnte zweisprachig sein. In nicht wenigen Fällen, wie im Fall von Pressburg, war sie sogar dreisprachig. Meistens hat der Notar die Sprache einfach nach dem Empfänger gewählt. Deshalb kann man die Darstellung der mitteleuropäischen Kanzleien, die im 15. Jahrhundert das Lateinische aufgeben und als deutschsprachige Kanzleien zu bezeichnen wären, auf keine der im Königreich Ungarn existierenden Kanzleien anwenden12. Das fehlende Gespür für Details und Sonderentwicklung kann man aber den Autoren nicht übel nehmen, weil es eigentlich keine tiefer gehenden diplomatischen Untersuchungen zu diesem Thema gibt. Die Erforschung des deutschen Urkundenwesens in der untersuchten Region wurde durch das Fehlen kritischer, spezialisierter Urkundeneditionen erschwert. Als einzige Ausnahme kann das in der Zwischenkriegszeit publizierte Urkundenbuch der Stadt Ödenburg (Sopron) gelten13. Dank eines gemeinsamen Projekts der deutschen Germanisten und der slowakischen Archivare entstand auch ein – wenn auch nicht komplettes und fehlerfreies – beschreibendes Verzeichnis der deutschsprachigen diplomatischen Quellen des Mittelalters und der frühen Neuzeit aus ausgewählten Archiven der Slowakei14. Das Fehlen der Editionen, die eine zusammenfassende Betrachtung der Entwicklung ermöglichen würden, hat dazu geführt, dass die uns interessierende Frage der deutschsprachigen Beurkundung von wenigen Autoren (Diplomatikern, Germanisten) nur mit Verweisen auf die ältesten Belege der deutschen Urkunden und der allgemeinen Behauptung beantwortet wird, dass in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts Deutsch langsam in städtischen Kanzleien Ungarns an Stärke gewann und vom 15. Jahrhundert an das Lateinische überholte15. 11  Jörg Meier–Arne Ziegler, Die Anfänge deutschsprachiger Kanzleien in Europa, in: Die Anfänge deutschsprachiger Kanzleien in Europa, hg. von dens. (Beiträge zur Kanzleisprachenforschung 4, Wien 2008) 9–32, hier 21f. 12  Als ein allgemeines Entwicklungsmodell behaupten es Meier–Ziegler, ebd. 23. 13  Sopron Oklevéltár. 14  Obwohl nur diplomatischen Quellen gewidmet, hat das imposante Werk einen die Kodikologie evozierenden Titel: Deutschsprachige Handschriften in slowakischen Archiven. Vom Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit 1–3, hg. von Jörg Meier–Ilpo Tapani Piirainen–Klaus-Peter Wegera unter Mitarbeit von Simone Schultz-Baluff–Fabian Barteld–Vera Strobel–Rebecca Wache–Orsolya Valkovics–Melanie Wirtz (Berlin–New York 2009), Bd. 1: Westslowakei, hg. von Juraj Spiritza; Bd. 2: Mittelslowakei, hg. von Mikuláš Čelko, Bd. 3: Ostslowakei, hg. von Jozef Petrovič–František Žifčák. Siehe die Rezension des Werkes von Juraj Šedivý in Slovenská archivistika 45/1 (2010) 87–91. 15  Überraschenderweise widmete auch die Grande Dame der slowakischen Diplomatik Darina Lehotská in ihrer groß angelegten Studie über die Pressburger Diplomatik der Sprache der Urkunden nur einen einzigen



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Für die älteste deutschsprachige Urkunde aus der untersuchten Region – und dem Königreich selbst – hat man lange eine Urkunde aus dem Jahre 1346 gehalten 16. Vereinzelt kann man sogar noch lesen, dass die deutschen Texte aus Pressburg erst aus den 1360er Jahren stammen würden17. Dem Hinweis auf eine noch ältere deutsche Urkunde, welche die Germanistin Mária Papsonová in einer regionalen Veröffentlichung publiziert hat, wurde leider keine Aufmerksamkeit geschenkt18. Das behandelte Thema – obwohl es heute vielleicht nicht besonders spannend erscheint – sollte von slowakischen und ungarischen Mediävisten noch näher analysiert werden, und im Zuge einer systematischen Untersuchung der Archivquellen kann man noch einige überraschende Ergebnisse erwarten. Methodisch wäre zuerst ein Verzeichnis der ältesten deutschen Urkunden (bzw. der deutschen diplomatischen Texte überhaupt) in der uns interessierenden Region erforderlich. Danach würde man besser als heute auf die Frage antworten können, wann das Deutsche in ungarländischen Urkunden auftritt und mit welchen Schreibzentren (Kanzleien) der Prozess verbunden ist. Handelte es sich um das Ergebnis eines allmählichen quantitativen und qualitativen Wachstums der (deutschsprachigen) Schriftkultur oder gab es in der Entwicklung wichtige Impulse und Brüche? Ist die Idee, eine Volkssprache in dem vorher „magischen Monopolraum“ der lateinischen Sprache anzuwenden, einheimisch („Parallelentwicklung“) oder wurde sie einfach vom Westen importiert?

Deutschsprachige Siedler in der Region Nachdem die intensiveren Beziehungen der slawisch-karolingischen Fürstentümer mit dem ostfränkischen Reich durch den Einfall der Magyaren unterbrochen worden waren, Satz und behauptet, dass seit den 1340er Jahren Deutsch in die Kanzlei eindringt: Darina Lehotská, Vývoj bratislavskej mestskej kancelárie do roku 1526 [Entwicklung der Pressburger Stadtkanzlei bis 1526]. Historické štúdie 4 (1958) 222–274, hier 270. Auch in ihrem Handbuch der Diplomatik begnügte sie sich nur mit der Feststellung, dass die deutschsprachigen Urkunden im Königreich Ungarn in Städten vor der Mitte des 14. Jhs. beginnen, siehe dies., Príručka diplomatiky [Handbuch der Diplomatik] (Bratislava 1972) 127. 16   Z. B. Meier–Ziegler, Anfänge (wie Anm. 11) 22, oder Katalin Szende, Integration through Language: The Multilingual Character of Late Medieval Hungarian Towns, in: Segregation – Integration – Assimilation. Religious and Ethnic Groups in the Medieval Towns of Central and Eastern Europe, hg. von Derek Keene–Balázs Nagy–Katalin Szende (Farnham 2009) 205–233, hier 210. Zur Urkunde siehe das Inventar des Stadtarchivs: Darina Lehotská–Darina Handzová–Vladimír Horváth–Zdenko Hrabuššay–Nesti Merglová, Inventár stredovekých listín, listov und iných príbuzných písomností [Inventar der mittelalterlichen Urkunden, Briefe und anderer naheliegender Schriftstücke] (Praha 1956) 21. 17  Ľudmila Kretterová, Das älteste Stadtbuch von Bratislava/Preßburg aus den Jahren 1402–1506. Eine syntaktische Analyse, in: Anfänge deutschsprachiger Kanzleien (wie Anm. 11) 59–67. In ihrer Überblicksstudie gibt es jedoch mehrere aus der Sicht eines Historikers inkorrekte Aussagen. Unter anderem ist das Stadtbuch, das sie beschreibt, erst das zweitälteste. Das tatsächlich älteste ist um fast 40 Jahre älter, vgl. z. B. Juraj Šedivý, Die Anfänge der Beurkundung im mittelalterlichen Pressburg (Bratislava), in: Wege zur Urkunde – Wege der Urkunde – Wege der Forschung, hg. von Karel Hruza–Paul Herold (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 24, Wien–Köln–Weimar 2005) 81–115, hier 101f. Die falsche Beurteilung des ältesten Pressburger Magisterratsprotokolls (geführt seit 1402) als das älteste Stadtbuch von Pressburg – das ist in Wirklichkeit ein anderes gemischtes Amtsbuch, das seit 1364 geführt wurde – ist bereits älteren Datums und ist ein „Verdienst“ der Germanisten – vgl. unter anderem: Actionale Protocollum, ed. Ziegler (wie Anm. 10). 18  Mária Papsonová, Stredoveké nemecky písané pamiatky na Slovensku. Súčasný stav a perspektívne úlohy ich výskumu [Mittelalterliche deutschsprachige Denkmäler in der Slowakei. Jetziger Zustand und künftige Aufgaben zu ihrer Erforschung]. Historica Carpatica 17 (1986) 177–190, hier 178.

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bedienten sich an der mittleren Donau (östlich der Leitha) im 10. Jahrhundert wahrscheinlich nur Kriegsgefangene und erste Missionare der deutschen Sprache. Erst zu Ende des Jahrhunderts entstand das ungarische Königreich und passte sich den westlichen sozialen und kulturellen Mustern an. Sein erster Herrscher Stephan I. (1000–1038) bekam als Symbol seiner für den Westen akzeptablen Politik Gisela, die Tochter des damaligen Bayernherzogs, zur Gemahlin. Mit ihr traten neben die in Stephans Gebiet tätigen Missionare vorwiegend bayerische Ritter, Kleriker und spezialisierte Siedler. Sie ließen sich im Zentrum des Königreichs und im Südwesten der heutigen Slowakei nieder19. Das langsame Vordringen des deutschsprachigen Siedlungselements nach Osten illustrieren nicht nur Berichte aus narrativen Quellen. Mit gewisser Vorsicht können auch Funde der so genannten Graphittonkeramik und der österreichischen Münzen des 11. und vor allem 12. Jahrhunderts die Verbreitung der materiellen Kultur von Bayern über das mittlere Donaugebiet Österreichs und Südmährens bis in die Südwestslowakei und nach Transdanubien belegen20. Mit der Keramik kamen sicher nicht nur ihre Verkäufer, sondern auch erste Siedler. Sicher nicht zufällig trägt einer der ersten bekannten Ortsnamen aus dem Pressburger Raum (aus dem Jahre 1189) den deutschen Namen Vierfeld (Vorfeld?)21. Zum wahren „Boom“ der Besiedlung der westlichen Teile des Königreichs durch deutschsprachige Siedler kam es besonders nach 1242. Das Land brauchte nach der kurzfristigen, aber umso intensiveren Okkupation durch die Mongolen (1241–1242) dringend ausländische Investitionen in Form von Kapital und Siedlungspotential, aber auch in Form von innovativem Know-how (neue Wirtschaftsmethoden, Rechts- und v. a. Siedlungsformen, die den Stadtwerdungsprozess im Lande beschleunigten). Als Folge der „Nachbesiedlung“ der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, die im 14. Jahrhundert etwas nachließ, wurde die Mehrheit der Städte im ganzen Königreich Ungarn – nicht nur im Donaugebiet – deutschsprachig22. Erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts sind im Norden der heutigen Slowakei, im 15. Jahrhundert auch in zentralen Teilen des Königreichs, Spannungen zwischen den deutsch- und slowakisch- bzw. ungarischsprachigen Stadtbewohnern

19  Zur mittelalterlichen Geschichte des Königreichs Ungarn siehe z.  B. Kristó, Arpadendynastie (wie Anm. 1). Zum Einfluss der Deutschen zu Beginn des ungarischen Königreichs siehe z. B. György Györffy, König Stephan der Heilige (Budapest 1988). 20   Jozef Hoššo, Príspevok k  poznaniu kontaktov a  obchodných ciest na príklade nálezov stredovekej keramiky z územia Slovenska [Beitrag zur Erkenntnis der Kontakte und Handelswege auf Grund der Funde mittelalterlicher Keramik aus dem Territorium der Slowakei], in: Slovensko a európsky juhovýchod, hg. von Alexander Avenarius–Zuzana Ševčíková (Studia archaeologica et mediaevalia 5, Bratislava 1999) 152–157, besonders 154. 21   CDSl 1 94 Nr. 100 ediert eine Urkunde mit beschädigten Teilen: Datum apud Brezburc in cam[po Firfelt] in introitu Vngarie. Der Editor führt auch einen Auszug aus der Historia de expeditione Friderici imperatoris, in: Quellen zur Geschichte des Kreuzzuges Kaiser Friedrichs I., ed. Anton Chroust (MGH SS rer. Germ. N. S. 5, Berlin 1928) 1–115, hier 17, an, wo eine planitia camporum qui vulgo Vieruelde dicuntur erwähnt wird. Auch der lateinische Name für Pressburg/Bratislava „Posonium“ könnte vom ersten comes der Burg mit deutschem Namen Boso herkommen, siehe Dejiny Bratislavy 1. Brezalauspurc. Na križovatke kultúr [Geschichte Pressburgs 1. Brezalauspurc. An der Kreuzung der Kulturen], hg. von Juraj Šedivý–Tatiana Štefanovičová (Bratislava 2012) 448f. 22  Zu mittelalterlichen Städten in der Slowakei siehe Lexikón stredovekých miest na Slovensku, hg. von Ján Lukačka–Martin Štefánik (Bratislava 2010). Zu den Städten im Königreich Ungarn allgemein siehe z. B. András Kubínyi, König und Volk im spätmittelalterlichen Ungarn. Städteentwicklung, Alltagsleben und Regierung im mittelalterlichen Königreich Ungarn (Studien zur Geschichte Ungarns 1, Herne 1998).



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zu beobachten23. Die Deutschsprachigkeit der Bevölkerung der Städte – vor allem ihrer Eliten – äußerte sich aber am Anfang kaum in der Schriftkultur.

Die ersten deutschen Urkunden in Ungarn Laut der klassischen und vor 50 Jahren nachgedruckten Arbeit von Max Vancsa über die Anfänge der deutschsprachigen Beurkundung handelte es sich um einen mehrstufigen Prozess24. Zuerst kann man ihn längs des Rheins und im süddeutschen Raum beobachten (erstes Vorkommen vor ca. 1250, massiver ca. ab den 1270er Jahren). In Mittel- und Norddeutschland verzögerte sich der Vorgang um ca. zwei bis drei Jahrzehnte. Ungefähr nach weiteren zwei bis drei Jahrzehnten begann man in sprachlich gemischten Gebieten wie Böhmen, Mähren, Pommern, Preußen oder Livland auf Deutsch zu urkunden. In seiner breit angelegten Skizze fanden die deutschsprachigen Urkunden aus dem Königreich Ungarn noch keine Beachtung, was mit dem Stand der damaligen Quellenerschließung zusammenhing. Die Heuristik der deutschsprachigen Urkunden ist heutzutage durch elektronische Recherche in online-Datenbanken viel effizienter geworden. Dank der gemeinsamen Datenbank des Ungarischen Zentralarchivs (MOL) und der Privatfirma Arcanum und dank der ursprünglich in Niederösterreich gestarteten, heute bereits den Großteil des mitteleuropäischen Raumes erfassenden Datenbank „Monasterium“ war es möglich, einige bisher der Forschung nicht bekannte bzw. in den Zusammenhang mit der Verbreitung der Volkssprachen bisher nicht analysierte Urkunden zu identifizieren25. Außer „der“ deutschen Urkunde aus dem Jahre 1346 (und der fast unbemerkten von 1319) konnten noch weitere fünf aus der Zeit vor 1350 ausgestellte deutsche Urkunden gefunden werden. Es ist wohl kein Zufall, dass sie alle von Pressburgern ausgestellt wurden. Die Zahl der Urkunden ist relativ klein, sodass endgültige Schlüsse nicht gezogen werden können. Aber es scheint das an der Donau und an der Grenze zu Österreich liegende Pressburg die Einfallspforte für das Eindringen der deutschsprachigen Texte – wenigstens in die westliche Hälfte des Königreichs – gewesen zu sein. Eine weitere interessante Feststellung ist, dass bei den Anfängen der deutschsprachigen Beurkundung in Pressburg niederösterreichische Klöster – vor allem das Zisterzienserstift Heiligenkreuz – eine wichtige Rolle gespielt ­haben. Da Pressburg direkt an der Grenze lag, waren die Kontakte der Pressburger und Österreicher selbstverständlich. Der Großteil der „Developer“ der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts kam die Donau hinunter nach Pressburg: Zum Beispiel wird in einem Vertrag zwischen den Pressburgern und einem adeligen Geschlecht aus der nahen Umgebung der Stadt erwähnt, dass die Bewohner der Stadt tam ciues Posonienses quam hospites de Austria et Vngaria bilden26. Umgekehrt zogen auch Pressburger die Donau hinauf: In zwei kurz 23   Zur Mehrsprachigkeit und zu den „ethnischen“ Spannungen in ungarländischen Städten siehe z.  B. Szende, Integration (wie Anm. 16). 24   Max Vancsa, Das erste Auftreten der deutschen Sprache in den Urkunden (Leipzig 1895, Nachdr. 1963). 25  Die erste Datenbank siehe unter: http://mol.arcanum.hu/dldf/opt/a091002.htm?v=pdf&a=start, die zweite unter http://www.monasterium.net. 26  SNA, Archivfonds Glaubwürdiger Ort beim Pressburger Kollegiatkapitel 14-17-7 (1296 IV 16), und AMB, Urkunde Nr. 16 (1296 IV 16).

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nacheinander in Wien ausgestellten und in Deutsch verfassten Urkunden ist als Käufer ein gewisser Heinrich von Pressburg genannt27. Als am 22. Dezember 1318 in Klosterneuburg eine deutschsprachige Urkunde Hermanns von Ebenthal, Burggrafen von Znaim, ausgestellt wurde, wirkte dort ein Pressburger Bürger als Mitsiegler. Der Aussteller gab dem Stift in Klosterneuburg einen Revers über ein Lehen, das er auf Lebenszeit vom Stift bekommen hatte. In der Korroborations-Formel steht, dass der Burggraf nicht nur sein eigenes Siegel angehängt hat, sondern auch einen Pressburger namens Dietrich den Hutstock um Mitbesiegelung gebeten hat (Auch han ich gebeten den erberigen man Dietreichen den Htstoch von Prespurch, daz er sein insigel hat gelegte zu meinem an disen prief ) 28. Derselbe Pressburger stellte wenig später (am 25. Juli 1319) in Wien eine Schenkungsurkunde für den Heiligenkreuzer Zisterzienserkonvent aus, dem er mit seiner Frau Gertrude zwei Weinberge in der Nähe Pressburgs für ihr Seelenheil schenkte (ego Ditricus dictus Huetstoch et ego Gertrudis uxor eiusdem). Das Schriftstück ist, obwohl in Wien ausgestellt, in Latein verfasst. Lediglich der Ortsname der Gegend, wo die Weinberge liegen, hat eine deutsche Form (in monte, qui Weinarn wlgari nomine nuncupatur)29. Eine weitere – nur um wenige Monate jüngere – Schenkung eines Weingartens (vom 14. September 1319) an dieselben Empfänger ist bereits in Deutsch geschrieben30. Als Ausstellerin ist eine Witwe aus Pressburg namens Kunigunde Körpnerin (Chunigunt die Chrpnerin) genannt. Der Ausstellungsort wird diesmal nicht genannt. Die beiden letztgenannten Urkunden wurden kaum zwei Monate nacheinander ausgestellt und doch unterscheiden sie sich durch die Sprache. Weshalb wurde die Urkunde nicht – wie damals im Königreich Ungarn üblich gewesen ist – auf Lateinisch, sondern auf Deutsch (wie in Österreich üblich) – geschrieben? Die Antwort ergibt sich logisch aus den nächsten deutschen Urkunden, die Pressburg betreffen. Die Empfänger von allen sind nämlich die Heiligenkreuzer Zisterzienser: Am 4. Juli 1320 bestätigte der bereits zweimal genannte Dietrich der Hutstock, Burggraf von Pressburg, der Abtei von Heiligenkreuz die ihm geleistete Zahlung von 192 Pfund Pfennigen. In der Datums-Formel ist als Ausstellungsort bereits Pressburg erwähnt (Der prief ist gebn ze Prespurch). Am 23. März 1326 beurkundete Walchun, Bürger von Pressburg, dass sein Oheim Fr. Konrad von Heiligenkreuz ihm seine Ansprüche auf einen Hof zu Traiskirchen mit zehn Pfund Pfennigen abgelöst habe. Der Ausstellungsort des Schriftstücks ist zwar nicht genannt, aber da als Siegler der Richter von Traiskirchen erwähnt wurde, ist es wahrscheinlich, dass die Urkunde aus Österreich stammt31. Einen weiteren Weingarten in den Nähe von Pressburg (ligent bei Presburch an der Hochnei) schenkte den Zisterziensern Dietrich von Pillichsdorf, Marschall in Österreich, 27   Urkunde von 1318 XII 13: Anton Viktor Felgel, Regesten aus dem k. und k. Haus-, Hof- und Staatsarchive in Wien, in: Quellen zur Geschichte der Stadt Wien I/3 (Wien 1897) 126–311, hier 160 Nr. 2945; Urkunde von 1324 I 6: ebd. 163 Nr. 2959. 28  Klosterneuburg, Stiftsarchiv, Urk. von 1318 XII 22. In digitaler Kopie zugänglich durch http://www. monasterium.net (auch weitere zitierte Quellen aus österreichischen Archiven wurden in dieser Datenbank eingesehen). Druck: Urkundenbuch des Stiftes Klosterneuburg bis zum Ende des vierzehnten Jahrhunderts 1, ed. Hartmann Zeibig (FRA II/10, Wien 1857) 164 Nr. 176. Die Hutstock waren eine außer in Pressburg auch in Klosterneuburg etablierte Familie, vgl. ebd. 2 (FRA II/28, Wien 1868) 354 (Register). 29  Heiligenkreuz, Stiftsarchiv, Urk. von 1319 VII 25. Druck: Urkunden des Cistercienser-Stiftes Heiligenkreuz im Wiener Walde, ed. Johann Nepomuk Weis (FRA II/16, Wien 1859) 60f. Nr. 66. 30  Heiligenkreuz, Stiftsarchiv, Urk. von 1319 IX 14. Druck: ebd. 61f. Nr. 67. 31  Heiligenkreuz, Stiftsarchiv, Urk. von 1320 VII 4 und 1326 III 23. Druck: ebd. 64f. Nr. 71, 109f. Nr. 107.



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für sein Seelenheil und das seines Herrn Rudolf III., Königs von Böhmen, am 21. Dezember 132632. Dieselbe Urkunde ließen sich die Heiligenkreuzer Zisterzienser wenige Monate später (am 2. April 1327) bereits in der landesüblichen diplomatischen Sprache vom Pressburger Kollegiatkapitel vidimieren. Das Kapitel schrieb, dass es beauftragt wurde, die Urkunde Dietrichs von Pillichsdorf aus dem Deutschen ins Lateinische zu übersetzen (Religiosi viri ... exhibuerunt nobis litteras priuilegiales magnifici viri Ditrici quondam marschalci de Austria scriptas ydiomate teutonicali, petentes cum instantia, quod nos tenorem et seriem earumdem in latinum commutando nostris litteris transscribi faceremur). An anderer Stelle bezeichnet der Notar des Kollegiatkapitels die ältere Urkunde als littere teutonicales. Interessanterweise ließen sich die Zisterzienser diese Urkunde (zusammen mit der von Dietrich Hutstock von 1319) gleich am nächsten Tag auch vom damals in Pressburg weilenden König vidimieren33. Wie aus dem Angeführten zu sehen ist, waren die ersten deutschsprachigen Urkunden der Pressburger mit dem niederösterreichischen Zisterzienserkonvent in Heiligenkreuz verknüpft. Die Zisterzienser kauften ihre ersten Weinberge in der für den Weinanbau besonders geeigneten Pressburger Gegend bereits vor der Mitte des 13. Jahrhunderts, und seit 1311 besaßen sie auch einen Wirtschaftshof mit einer Kapelle in einer der wichtigsten Straßen Pressburgs (heute Michaelergasse)34. Gemeinsame wirtschaftliche und soziale Beziehungen der Bürger und des Konvents wurden verschriftet – jedoch nicht auf Lateinisch, wie es damals in Königreich Ungarn üblich gewesen ist, sondern wie es bereits zu der Zeit in Österreich überwiegend gebräuchlich war. Für die Beurkundung in Pressburg und in der weiteren Umgebung sorgte bis ungefähr in die 1270er Jahre vor allem der dortige Burggespan (comes comitatus Posoniensis). Erst ab dem letzten Drittel des 13. Jahrhunderts setzte sich als Beurkundungsinstanz in der Stadt die Kanzlei des dortigen Kollegiatkapitels als glaubwürdiger Ort für Pressburg und seine weitere Umgebung durch. Der Stadtrat und die Bürger Pressburgs begannen mit ihren ersten Experimenten auf dem Feld der Diplomatik erst im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts (erste städtische Urkunde von 1302), doch bis in die 1340er Jahre waren „ihre“ Urkunden von Notaren des Kollegiatkapitels geschrieben und vom Stadtrat bzw. der Bürgerschaft nur formal ausgestellt35. Die Schrift der ersten auf lateinisch verfassten Urkunden der Pressburger ist mit den Schreiberhänden der Notare des Kollegiatkapitels identisch, weshalb sie als Empfängerausfertigungen gelten können36. Erst während der 1340er Jahre, als es zu einem Konflikt zwischen den Bürgern und dem Kapitel kam, er32  Heiligenkreuz, Stiftsarchiv, Urk. von 1326 XII 21. Druck: ebd. 112f. Nr. 110. Zum Hofmarschall Dietrich von Pillichsdorf vgl. Urkunde und Geschichte. Niederösterreichs Landesgeschichte im Spiegel der Urkunden seines Landesarchivs, ed. Maximilian Weltin–Dagmar Weltin–Günter Marian–Christina MochtyWeltin (Niederösterreichisches Urkundenbuch [Vorausband]. Die Urkunden des Niederösterreichischen Landesarchivs 1109–1314, St. Pölten 2004) 357. 33  Heiligenkreuz, Stiftsarchiv, Urk. von 1327 IV 21. Druck: Urkunde und Geschichte 113f. Nr. 111, 115f. Nr. 112. 34   Zu den Zisterziensern in Pressburg siehe z.  B. Theodor Ortvay, Geschichte der Stadt Pressburg  1 (Pressburg 1892). Neuere Erkenntnisse bringt Juraj Šedivý, Cirkev v stredovekej Bratislave. Staré odpovede a nové otázky [Die Kirche im mittelalterlichen Pressburg. Alte Antworten und neue Fragen], in: Kapitoly z dejín Bratislavy, hg. von Gábor Czoch et al. (Bratislava 2006) 93–126 (der Sammelband erschien 2005 auch auf Ungarisch unter Titel: Fejezetek Pozsony történetéből magyar és szlovák szemmel). 35   Juraj Šedivý, Mittelalterliche Schriftkultur im Pressburger Kollegiatkapitel (Bratislava 2007) 119. 36   Zum Verhältnis der Stadtkanzlei und der Kanzlei des glaubwürdigen Ortes beim Pressburger Kollegiatkapitel siehe Šedivý, Anfänge (wie Anm. 17).

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schien die Hand des ersten Stadtnotars in den kommunalen Schriftstücken 37. Und gerade in die Periode der ersten bürgerlichen diplomatischen Experimente fallen auch die ersten deutschsprachigen Urkunden. Können wir deshalb auch die für Heiligenkreuz bestimmten Urkunden für Empfängerausfertigungen halten? Der Verdacht verdichtet sich zur Überzeugung, wenn wir uns die zeitgenössischen Urkunden im Archiv des Zisterzienserklosters ansehen. Zum Beispiel ist beim Vergleich der deutschen Urkunde der Pressburgerin Kunigunde (1319 IX 14) mit der folgenden Urkunde im Heiligenkreuzer Archiv (1319 IX 17)38, die formal von Ausstellern im heutigen Niederösterreich stammt, nicht nur die formale Übereinstimmung beider Schriftstücke (ähnliche Schrift und Verzierung), sondern auch die teilweise identische Stilisierung des Textes evident39. Eine ähnliche Schrift kann man auch bei der nächsten „Pressburger“ Urkunde (1320 VII 4) und einer aus dem Stiftsarchiv stammenden Urkunde, die formal vom Wiener Bürger Haug von Ingolstadt und seiner Frau Kunigunde ausgestellt wurde, konstatieren40. Es scheint, dass der Löwenanteil an der Verbreitung der deutschen Urkunden in Pressburg den Heiligenkreuzer Zisterziensern gehört. Das Stift Heiligenkreuz war aber vielleicht nicht die einzige kirchliche Institution aus Österreich, die den Pressburgern den Weg zu deutschsprachigen Texten eröffnete. Am 27. Jänner 1332 stellte nämlich Margret, Witwe eines reichen Pressburger Patriziers Hambatho, in Wien, wo sie lebte, eine Verkaufsurkunde an ihren Bruder, einen Chorherren von St. Pölten, aus41. Sie verkaufte ihm ihren Weingarten in Grinzing. Da sie kein eigenes Typar besaß, bezeugte das Geschäft ein weiterer Pressburger als einer der drei Siegler (gib ich ... disen prief ... ze ainem offen urchunde ... versigilten mit Hainrichs insigel des vorgenanten meines sunes auf der Seul und mit hern Jacobs insigel meines aidemes von Prespurch und mit hern Herborts insigel auf der Seul). Schrieb die deutsche Urkunde auch in diesem Fall der Empfänger aus dem Chorherrenstift in St. Pölten? Die zu wenigen im Stiftsarchiv erhaltenen Originale lassen leider die Frage unbeantwortet. Eine andere kirchliche Institution stellte kurz vor der Mitte des 14. Jahrhunderts eine weitere deutsche Urkunde in Pressburg aus, nämlich der Verweser des Pressburger Kollegiatkapitels Peter Custer zusammen mit dem Kollegiatkapitel42. Dieses Schriftstück vom 3. August 1348 ist unter den ungefähr 5000 Urkunden dieses Kapitels aus der Zeit zwischen den 1220er Jahren und 1526 wahrscheinlich die einzige in Deutsch geschriebene Urkunde. Der Grund, warum die Kanoniker Deutsch als für sie zwar wahrscheinlich   Zur Entwicklung der (lateinischsprachigen) Beurkundung in Pressburg siehe ebd.   Heiligenkreuz, Stiftsarchiv, Urk. von 1319 IX 17, Druck: Urkunden Heiligenkreuz (wie Anm. 29) 61f. Nr. 67, 62f. Nr. 68 und oben Anm. 30. Ein gewisser Cyrvas von Merswang stiftete mit der Urkunde für sich und seine Nachkommen einen Jahrtag und das Begräbnis in der Abtei. 39  Beide siehe unter www.monasterium.net, Stiftsarchiv Heiligenkreuz, sub dato. 40  Beide in Heiligenkreuz, Stiftsarchiv, Urk. von 1320 VII 4 und von 1322 VII 13, Druck: Urkunden Heiligenkreuz 64f. Nr. 71, 83–85 Nr. 81. 41   St. Pölten, ehem. Augustiner Chorherrenstift, Urk. von 1332 I  27 (in www.monasterium.net unter Sammlungen, Original im HHStA); Druck: Urkundenbuch des aufgehobenen Chorherrnstiftes Sanct Pölten, I. Teil: 976–1367, ed. Josef Lampel (Niederösterreichisches Urkundenbuch 1, Wien 1891) 301–303 Nr. 256; Richard Perger, Beziehungen zwischen Preßburger und Wiener Bürgerfamilien im Mittelalter, in: Städte im Donauraum. Sammelband der Beiträge aus dem Symposion in Smolenice 30. 9.–3. 10. 1991. Bratislava-Preßburg 1291–1991, hg. von Richard Marsina (Bratislava 1993) 149–158, hier 151. 42  MOL DL Nr. 7544 (1348 VIII 03). Mehr dazu: Šedivý, Mittelalterliche Schriftkultur (wie Anm. 35) 132f. 37 38



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alltägliche Umgangssprache, jedenfalls aber dem Usus eines glaubwürdigen Ortes nicht gemäße Sprache gewählt haben, ist vielleicht wieder mit dem Empfänger zu erklären. Die Kanoniker haben nämlich mit der Urkunde die Zahlung eines Burgrechts durch den Grafen Konrad von Schaunberg (Chunraten von Schowenberch) als Nutznießer bisher umstrittener Güter südwestlich von Pressburg vereinbart. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts sind bei den deutschen Urkunden der Pressburger immer noch österreichische Beziehungen zu spüren. Die Urkunde vom 1. Mai 1346 ist scheinbar schon Verschriftlichung „in eigener Sache“: ���������������������������� Jakob Hambatho und seine Gemahlin verpfänden die Hälfte ihres Hauses an Nikolaus, Sohn des alten Richters Jakob, und seine Gemahlin Elisabeth43. Ganz ohne österreichische Verbindungen ist jedoch auch diese Urkunde nicht: Die Hambathos waren eine Familie, die ihren Wohnsitz sowohl in Pressburg als auch in Wien hatte. In der weiteren deutschen Urkunde vom 5. Mai 1348 stellte ein Pressburger Peter, Jakobs Sohn, einen Schuldbrief für seinen Sohn Lorenz aus; Gegenstand der Verpfändung war ein Dienst, den der genannte Peter mit seinem Bruder in Hütteldorf (ze Heetndorf  ) teilte44. Auch noch die Bestätigung des Pressburger Stadtrats vom 2. Mai 1359 über die Schenkung der Frau Geisel an die Abtei Heiligenkreuz (Häuser und Weingärten in und bei Pressburg) weist österreichische (und vor allem Heiligenkreuzer!) Beziehungen auf 45. Außer der Ausstellung von Urkunden (ob der älteren Empfängerausfertigungen oder der eigenen in der jüngeren Zeit) trug zu der Verbreitung der deutschen Sprache in der einheimischen Diplomatik auch der Erhalt von deutschsprachigen Urkunden und Briefen bei. Wieder muss man an erster Stelle die Zisterzienser von Heiligenkreuz nennen: Im Jahre 1348 bestätigten sie für den Sohn des Pressburger Richters den Verkauf eines Weinbergs von Peter aus Pracha, um 1360 schrieben sie an den Stadtrat von Pressburg wegen der Steuerfreiheit ihres Wirtschaftshofs in Pressburg, im Jahre 1364 stellten sie eine Quittung für den Pressburger Richter aus und 1368 stellten sie wieder auf Deutsch eine Quittung für 40 Pfund Pfennig zu Gunsten des Pressburger Richters Jakob aus46. Deutsche Schriftstücke wurden auch vom Wiener Stadtrat an Pressburg gerichtet. So zum Beispiel bezeugte im Jahre 1351 der dortige Stadtrat, dass Katharina Poll ihrem Gemahl Johannes eine Vollmacht gegeben hat47. Aus späterer Zeit – von der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert – stammt auch eine relativ reiche deutschsprachige Korrespondenz mit den Grafen von St. Georgen und Pösing48. Die deutschen Schriftstücke des Pressburger Stadtrats und der Pressburger Bürger nach der Mitte des 14. Jahrhunderts können bereits als Beurkundungen in eigener (Österreich nicht betreffender) Sache gelten. Zu den ältesten Schriftstücken dieser Ausprägung gehört das Zeugnis des Stadtrats über ein Testament des Pressburger Bürgers Jans Poll vom 26. Oktober 136049. In der späteren Zeit (ungefähr seit den 1360er Jahren) kann   AMB, Urkunde Nr. 93 (1346 V 1).   AMB, Urkunde Nr. 101 (1348 V 5). 45  Heiligenkreuz, Stiftsarchiv, Urk. von 1359 V 2. Druck: Urkunden Heiligenkreuz (wie Anm. 29) 247f. Nr. 232. 46   AMB, Urkunde Nr. 98 (1348 II 1), 176 (ca. 1360), 218 (1364 IV 24), 255 (1368 V 3). 47   AMB, Urkunde Nr. 114 (1351 VI 28). 48  Z. B. AMB, Urkunde Nr. 177 (ca. 1361), 204–209 (zu 1363–1369 datiert, aber wahrscheinlich jünger). Zur Analyse der deutschsprachigen Beurkundung der Grafen siehe weiter unten. 49  AMB, Urkunde Nr.  175 (1360  X  26). Obwohl man wieder einwenden kann, dass die Familie Poll (ähnlich wie die Hambathos) eine Wiener-Pressburgerische Familie gewesen ist, vgl. Perger, Beziehungen (wie Anm. 41) 151. 43 44

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man eine sprachlich geteilte Produktion der Pressburger Stadtkanzlei bzw. der Bürger beobachten. Weiterhin auf Lateinisch geschrieben wurden die Schriftstücke, die an den König oder die Amtsträger des Hofes gerichtet waren. Auch der Schriftverkehr mit inländischen kirchlichen Institutionen und dem (niedrigeren) Landadel bzw. mit den adeligen Gespanschaften (universitas nobilium comitatus NN.) verlief auf Lateinisch. An der anderen Seite waren die an österreichische Empfänger, an andere ungarländische Städte und Bürger, an größere adelige Familien aus dem Westen des Landes (wie die Grafen von St. Georgen und Pösing) gerichteten Schriftstücke, aber auch eigene Stadtbücher, ganz überwiegend deutschsprachig. Die Teilung kann man bereits an den aus dem Jahre 1364 stammenden Urkunden im Stadtarchiv illustrieren: Auf Lateinisch wurden die Schriftstücke des Königshofs geschrieben (4 Stück), ebenfalls die Beurkundungen des Pressburger Kollegiatkapitels, die dieses für die Pressburger als glaubwürdiger Ort ausstellte (7 Stück). Der Schriftverkehr mit Städten und Bürgern (3 Stück) erfolgte nur auf Deutsch50. Die sprachlich gemischte und sich an den Empfängern orientierende Produktion von administrativen Schriftstücken war für die Pressburger dann bis in die frühe Neuzeit charakteristisch. Die zweitwichtigste Stadt im westlichen Transdanubien war Ödenburg. Die frühmittelalterlichen Bewohner haben ähnlich wie in Wien oder Regensburg die Bausubstanz des römischen Lagers Scarbantia sekundär genutzt, um im Schutz der Komitatsburg (unter Führung eines Gespans, comes comitatus) eine geschützte Siedlung zu gründen. Die Transformation der Vorburg in eine gotische Stadt ist in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts zu datieren (Stadtprivilegien aus dem Jahre 1277). Der Aufschwung der Stadt im 14. und 15. Jahrhundert ist dem einheimischen Weinanbau und Handel wie auch der günstigen Lage in der Nähe von Wiener Neustadt und Wien zu verdanken51. Die Schriftkultur der Stadt kann man in dieselben Perioden wie jene von Pressburg unterteilen: Am Anfang waren die Bewohner auf die Beurkundung des Gespans und des Raaber Domkapitels angewiesen, ungefähr eine Generation vor und nach 1300 urkundete für sie der in der Stadt gelegene Johanniterkonvent in Funktion eines glaubwürdigen Ortes. Mit eigener Beurkundung begannen die Stadt und ihre Bürger unter dem Einfluss des Johanniterkonvents wahrscheinlich erst im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts, um dann ungefähr nach 1350 zu einer professionellen Kanzlei überzugehen (eigener Notar seit 1354 belegt, wachsende Zahl von Urkunden und vor allem Etablierung der strukturierten Einträge in eigenen Stadtbüchern)52. Ähnlich wie in Pressburg bildeten wenigstens 50  Die lateinischen Urkunden: AMB, Urkunden Nr. 211–215, 219–225. Die deutschen Schriftstücke: AMB, Urkunde Nr. 213 (1364 III 11): Heinrich Ruster verpflichtet sich, dem Pressburger Richter seine Geldschuld zu bezahlen; Nr. 216 (1364 IV 11): in Hainburg ausgestellte Verkaufsurkunde des Pressburgers Johannes Ammelreich für einen anderen Pressburger Jans Poll; Nr. 217 (1364 IV 12): die Stadt verkauft Jans Pogner ein Haus im Vorort der Stadt. Im selben Jahr beginnt auch das älteste Stadtbuch. 51  Zur Geschichte der Stadt siehe z. B.: Katalin Szende, Sopron (Ödenburg): a West-Hungarian Merchant Town on the Crossroad between East and West? Scripta Mercaturae 31 (1997) 29–49, oder Ferenc Jankó–József Kücsán–Katalin Szende, Sopron (Hungarian Atlas of Historic Towns 1, Sopron 2010). Ein Urkundenbuch zur Geschichte der Stadt bietet Sopron Oklevéltár. 52   Zur Entwicklung der Ödenburger Kanzlei siehe Jenő Házi, A városi kancellária kialakulása Sopronban [Entwicklung der Stadtkanzlei von Ödenburg]. Soproni Szemle 10 (1956) 202–215. Kurzer Überblick auf Deutsch: Gedenkbuch. Feljegyzési könyv 1492–1543, ed. Károly Mollay–Károly Goda (Quellen zur Geschichte der Stadt Ödenburg, Reihe A Band 3 / Sopron város történeti forrásai, A sorozat 3. kötet, Sopron 2006) 11–21. Zu Ödenburg und Pressburg: Judit Majorossy–Károly Goda, Städtische Selbstverwaltung und Schriftproduktion im spätmittelalterlichen Königreich Ungarn: Eine Quellenkunde für Ödenburg



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seit dem 13. Jahrhundert auch in Ödenburg deutschsprachige Bewohner, viele von ihnen aus dem nahen Österreich, die Mehrheit der Bevölkerung. Trotzdem begann der passive und aktive Kontakt der Ödenburger mit deutschen Urkunden wahrscheinlich erst zwei bis drei Jahrzehnte nach Pressburg. Vielleicht ist es kein Zufall, dass die Zisterzienser von Heiligenkreuz in und um Ödenburg – wie in und um Pressburg – ihre Besitzungen und Einkommen hatten ... Zuerst wurde die Stadt mit deutschsprachigen Urkunden in der Rolle des Empfängers bekannt. Die erste im Stadtarchiv erhaltene deutsche Urkunde wurde im Kloster Marienberg (ung. Borsmonostor) im Jahr 1355 ausgestellt53. Der Abt billigte mit ihr die Übertragung von allem, was ein gewisser Lukas von der Abtei erhalten hatte, an dessen Tochter und ihren Gemahl. Interessanterweise war das Kloster eine Filiale der Zisterzienser von Heiligenkreuz ... Eine weitere erhaltene deutsche Urkunde wurde dem Stadtrat von Rudolf, Herzog von Österreich, im Jahre 1365 aus Wien geschickt54: Er erließ den Ödenburger Bürgern alle ihre Schulden, die sie bei den aus Ungarn vertriebenen und in Österreich angesiedelten Juden hatten. Die 1350er Jahre scheinen noch die Zeit der lateinischsprachigen Beurkundung des Stadtrats gewesen zu sein55. Die erste erhaltene deutschsprachige Urkunde der Stadt ist gleich in eigener Sache ausgestellt56. Am 21. Januar 1361 beurkundete der Stadtrat sampt der gmain in Odenburch, dass die Besitzungen ihres Mitbürgers Peter von Ödenburg unbelastet von allen Schulden und Hypotheken seien. Die jüngeren deutschen Urkunden der Stadt sind oft vom Bürgermeister an erster Stelle ausgestellt – wie zum Beispiel der Schuldbrief des Stadtrats zu Gunsten des Juden Trostlein über 40 Pfund Pfennige57, der Beschluss in Sachen eines Familienstreites des Ödenburgers Pertram und seiner Frau Elisabeth58 oder das Zeugnis der Stadt über die Stiftung eines Jahrtages durch eine Ödenburger Familie59. Die zeitgenössischen Urkunden, in denen der Stadtrichter in der Intitulatio an erster Stelle steht, sind in lateinischer Sprache verfasst, die niedrige Zahl der Urkunden lässt aber keine definitiven Rückschlüsse über eine eventuelle Teilung der Kanzlei in eine lateinische und eine deutsche Sektion zu60. Das auf Deutsch verfasste Verzeichnis der Steuer, die die Bürger an die Stadt im Jahre 1379 zahlen mussten, beweist, dass die Kanzlei seit den 1360er Jahren in innerstädtischen Schriftstücken die Volkssprache bevorzugte. Dasselbe Szenario wie in Pressburg und Ödenburg kann man wohl auch für Güns (ung. Kőszeg) annehmen61. und Preßburg. Pro Civitate Austriae. Informationen zur Stadtgeschichtsforschung in Österreich N. F. 13 (2008) 62–100. 53  Regest der Urkunde in Sopron Oklevéltár I 106 Nr. 171 (1355 VII 13). 54  Sopron Oklevéltár I 132 Nr. 199 (1365 I 31). 55   Siehe z. B. die Urkunden von 1351 VIII 12, 1353 IX 27, 1354 XI 26. Nach der Datenbank MOL und Arcanum (wie Anm. 25). 56   Meier–Ziegler, Anfänge (wie Anm.  11), erwähnen, ohne es näher zu spezifizieren, dass seit 1352 deutsche Urkunden aus Sopron in Kőszeg bekannt sind. 57  Sopron Oklevéltár I 171–172 Nr. 242 (1376 IX 11). 58   Sopron Oklevéltár I 180–181 Nr. 255 (1379 IV 17). 59   Sopron Oklevéltár I 225–227 Nr. 297 (1389 III 15). Der Bürgermeister steht an erster Stelle in der Intitulatio auch in: Sopron Oklevéltár I 230–231 Nr. 301 (1390 I 29). Auch in einer deutschen Quittung aus 1393 ist der Bürgermeister vor dem Stadtrichter angeführt: Sopron Oklevéltár I 243–244 Nr. 315 (1393 VI 26). 60  Lateinische Urkunden der Stadt (mit dem Richter an erster Stelle ) z. B.: Sopron Oklevéltár I 168–169 Nr. 238 (1375 I 5). 61  Von den Burggrafen von Güns ausgestellte Urkunden siehe z. B.: Sopron vármegye története. Oklevéltár [Geschichte der Gespanschaft von Ödenburg. Urkundenbuch] 1 (1156–1411), ed. Imre Nagy (Sopron

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Bereits beim Durchmustern der Bestände des Pressburger Stadtarchivs war eine relativ alte, auf Deutsch geführte alltägliche Korrespondenz der Herren (Grafen) von St. Georgen und Pösing mit Pressburg auffallend. Das Datum ist in den Briefen nicht explizit angegeben; bei der Inventarisierung im Stadtarchiv wurden sie in die 1360er Jahre (zwischen 1363 und 1369) datiert62. Als Hauptagierende kommen der näher nicht spezifizierte Peter von St. Georgen und Pösing und sein Vetter Thomas vor. Die Kursive der Briefe ist aber zu modern, um wirklich aus den 1360er Jahren zu sein, und nach nur oberflächlichem Studium der Genealogie der Familie kommen nur Peter III. (1404–1422) und Thomas V. (1363–1405) in Frage63. Deshalb muss man die Entstehung der Korrespondenz in die Jahre 1404–1405 verschieben. Die Briefe bezeugen, dass in der Kanzlei zu dieser Zeit eine kontinuierliche Korrespondenz in deutscher Sprache geführt wurde: Graf Peter informierte den Stadtrat von Pressburg, dass seine Dienstleute nichts gestohlen hätten, in einem weiteren Brief distanzierte er sich von seinem Vetter, der den Pressburgern ihre schiffung genommen hatte, weiters bot er seine Dienste als Vermittler mit dem Vetter Thomas an, in einem anderen Brief bat er um Unterstützung für seinen Diener aus Leopoldsdorf 64. Auch wenn die Korrespondenz wahrscheinlich später entstand, als bisher angenommen wurde, ist die frühe Deutschsprachigkeit dieser Magnatenfamilie damit doch belegt. Ihre erste deutschsprachige Verschriftlichung belegt nämlich eine Urkunde aus dem Jahre 1318, mit der sich zwei Brüder ihr Familiengut teilten65. Die Urkunde wurde zwar in Wien ausgestellt, aber als eine Familienangelegenheit wurde sie sicher von beiden Brüdern sprachlich verstanden. Der Ausstellungsort ist sonderbar – meistens gingen die Grafen zum Pressburger Kollegiatkapitel, um dort ein (lateinisches) Zeugnis ihrer Geschäfte zu bekommen. Mit dieser deutschen Urkunde stellten sich die Herren von St. Georgen und Pösing in eine Reihe mit den Pressburgern und gehören somit zu den ersten in deutscher Sprache urkundenden ungarländischen Ausstellern. Zu den frühen Beispielen einer Urkunde eines ungarländischen Ausstellers in deutscher Sprache gehört auch eine Quittung von Thomas von St. Georgen für die habsburgischen Herzöge Albrecht und Leopold von Österreich aus dem Jahre 1366, mit der er bezeugt, dass er von den Brüdern 1000 Gulden für den König von Ungarn übernommen hat66. Das Schriftstück wurde jedoch in Wien ausgestellt und auch die Umstände – Thomas verspricht, dass er die Quittung des Königs erst bringen wird – deuten darauf hin, dass es sich um eine Empfängerausfertigung aus der Kanzlei der Herzöge handeln könnte. Auch die nächste bekannte Urkunde des Grafen aus dem Jahre 1371 ist aber in deutscher Sprache und beurkundet einen Frieden zwischen dem Familienoberhaupt Thomas und Nicolaus von Martinsdorf 67. 1889) 332–333 Nr. 229 (1360 XI 1) oder 485 Nr. 337 (1387 VII 22). Weitere Aussteller von Güns in: Sopron Oklevéltár I 195–196 Nr. 264 (1382 I 24); II 214–215 Nr. 283 (1386 XII 17). 62  Lehotská et al., Inventár (wie Anm. 16) 36–37. 63  Zur Genealogie siehe: Daniel Gahér, Svätý Jur a svätojurskí a pezinskí grófi v 15. a  začiatkom 16.  storočia [Markt St. Georgen und die Herren von St.  Georgen und Pösing im 15. und am Anfang des 16. Jhs.], in: Zo starších dejín Svätého Jura, hg. von Zuzana Štefániková (Svätý Jur 2010) 43–57. 64   AMB, Urkunden Nr. 204–209 (1363–1369 datiert, aber wahrscheinlich erst 1404–1405); auch die deutsche AMB, Urkunde Nr. 177 (undatiert, von den Bearbeitern um 1361 angesetzt, ist sicher um eine Generation jünger). 65  MOL DL 1923 (1318 VII 4). Ediert in Regesta diplomatica nec non epistolaria Slovaciae 2, ed. Vincent Sedlák (Bratislava 1987) 175–176 Nr. 358. 66  Für den Hinweis auf diese Urkunde danke ich meinem Kollegen Daniel Gahér. 67   HHStA AUR 1371  X  7. Regest veröffentlicht in: Marie Opočenská, Slovenika uherských listin



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Eine relativ frühe Ausstellung von Schriftstücken in deutscher Sprache kann man auch bei einer anderen wichtigen Magnatenfamilie an der westlichen Grenze des Königreichs Ungarn belegen. Die Herren (Grafen) von Martinsdorf-Forchtenstein (ung. Frak­nói) hatten ihren Sitz noch näher an der österreichischen Grenze als die Grafen von St. Georgen. Eine ihrer ältesten deutschen Urkunden wurde in eigener Sache auf Forchtenstein ausgestellt: Am 16. Juni 1356 ließ Nikolaus einen Schuldbrief zu Gunsten seiner eigenen Ehefrau in deutscher Sprache ausstellen68. Das nächste deutsche Schriftstück ist mit Österreich verbunden: Graf Nicolaus genannt Teutsch erklärte mit einer Urkunde, die im Jahre 1374 in Forchtenstein ausgestellt wurde, dass er Albrecht, dem Herzog von Österreich, seine Dienste versprochen habe69. Nicolaus, Sohn des Grafen Teutsch, stellte im selben Jahr einen Schuldbrief zu Gunsten von zwei Juden aus Ödenburg aus70. Mehrere deutsche Urkunden wurden auf Anordnung des Grafen Paul von Forchtenstein in den 1380er Jahren ausgestellt71. Leider haben wir von ihnen zu wenige Urkunden, um sagen zu können, ob die Deutschsprachigkeit in ihren Schriftstücken so bald wie bei ihren Standesgenossen und Schwägern von St. Georgen und Pösing begann. Im 15. Jahrhundert urkundeten sie jedenfalls überwiegend in deutscher Sprache72. Da zur Entwicklung des Donaugebiets im Königreich Ungarn auch politische und kirchliche Zentren gehören, kann man die königliche Kanzlei nicht umgehen. Sie widerstand dem Eindringen der Volkssprachen ziemlich lange. In einem auf Deutsch verfassten Vertrag mit den Herzögen von Österreich kommt Karl Robert von Anjou als die zweite Partei bereits im Jahre 1323 vor. Aber es handelt sich formal um eine Urkunde, die wahrscheinlich in der Kanzlei des Johann von Luxemburg als König von Böhmen geschrieben wurde, ohne dass die Kanzlei Karl Roberts an der Beurkundung beteiligt war73. Ungarländische königliche Notare haben wahrscheinlich erst in den letzten Regierungsjahren seines Sohnes Ludwig an der Ausstellung von ersten deutschen Schriftstücken in der königlichen Kanzlei mitgewirkt. Zu den ältesten Stücken könnte der Pakt zwischen Ludwig und den Herzögen von Österreich aus dem Jahre 1371 gehören, der in einer von Ludwig ausgestellten Urkunde festgehalten ist. Jedoch auch in diesem Fall kann es sich um eine Empfängerausstellung handeln74. Die deutsche Sprache – wenn auch am Anfang noch selten – kommt seit den ersten Regierungsjahren Sigismunds von Luxemburg vor. Noch vor seiner Krönung zum König von Ungarn (im Jahre 1385) machte er mit einer deutschsprachigen Urkunde den Grafen Paul von Forchtenstein zu seinem Familiaren75. Während sich das Deutsche in städtischen Kanzleien und bei Magnaten aus Westungarn v  Domácím, dvorním a  státním archivu ve Vídni v  období let 1243–1490 [Die Schriftstücke slowakischer Provenienz unter ungarländischen Urkunden des HHStA] (Praha 1927) 28f. 68   MOL DL 4619 (1356 VI 16). Edition in: Sopron vármegye története (wie Anm. 61) 263–264 Nr. 195. 69   CDHEC IX/4 650–651 Nr. 372. Die CDHEC erschien 1829–1844, aber der Verfasser dieser Studie hat die on-line zugänglichen Form unter: http://www.arcanum.hu/mol/lpext.dll/?f=templates&fn=main-h. htm&2.0 benutzt (die Redaktion der digitalisierten Version übernahm Miklós Sölch und die Datenbank wurde 2004 publiziert). 70   CDHEC IX/4 652 Nr. 373. 71   CDHEC X/1 396–398 Nr. 227 (1387); CDHEC X/3 91–93 Nr. 87 (1388); CDHEC X/8 274–276 (1388). 72  Siehe z. B.: MOL DL 89254 (Abschrift der deutschen Urkunden von Graf Wilhelm von 1426 VIII 26, 1428 XI 13, 1430 XII 6, 1434 08 29). 73  CDHEC VIII/7 149–150 Nr. 122. 74  CDHEC IX/7 309–312 Nr. 202. 75   CDHEC X/1 227 Nr. 117.

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relativ früh einbürgerte, finden sich in der königlichen Kanzlei bis zur Zeit Sigismunds von Luxemburg nur Einzelbelege. Die Kanzleien der einheimischen kirchlichen Institutionen blieben durch die Verbreitung der Volkssprachen in der Urkundenausstellung fast unberührt. Ob in eigener Sache oder in Funktion eines glaubwürdigen Ortes stellten die Kapitel in Pressburg, Raab, Stuhlweißenburg oder im kirchlichen Zentrum des Landes in Gran, wie auch in Klöstern wie Pannonhalma, bis zum Ende des Mittelalters nur lateinische Urkunden aus. Bevor man die hier geäußerten Gedanken zusammenfasst, sollte auch an eine noch ältere Form von Deutschsprachigkeit im Urkundenbereich hingewiesen werden. Bereits vor dem Erscheinen der vollständigen volkssprachlichen Schriftstücke im Königreich Ungarn kamen nämlich nichtlateinische Fachausdrücke in einheimischen Urkunden vor. Zum Beispiel in einer Verkaufsurkunde, ausgestellt vom Stuhlweißenburger Kapitel, wird bei der Grenzbeschreibung des verkauften Gutes ein mons, qui wlgariter Berch nuncupatur, genannt76. Mehrere Ausdrücke findet man in einem Zeugnis des Pressburger Kapitels über die Verpfändung bestimmter Besitzungen eines Adeligen an seinen Verwandten, einen Bürger von Ödenburg. Dabei wurden deutsche Wörter benutzt (fundos seu curias wlgariter lehen dictas ac quatuor vineas cum tributo montis earundem, quod peregh dicitur)77. Derselbe Adelige übertrug in einer anderen Urkunde, die das Pressburger Kapitel vidimierte, seiner Tochter eine Ausstattung, die er mit dem Begriff „Morgengabe“ bezeichnete (dotalicium in teuptunico morgengob vocato)78. Neben Fachausdrücken kommen deutsche Wörter auch als Ortsbezeichnungen vor. Das Raaber Kapitel bezeugte zum Beispiel, dass Nicolaus de Medyes einen Teil seiner Besitzungen, unter anderem auch Einkünfte aus Weinbergen, verkaufte (ius montanum vinearum in montibus teutunicali vocabulo auf der Hayd, an dem Oltenperch, auf der Laymgrub, am Goltperch und in der Wissen vocatis)79. Wie schon oben erwähnt wurde, gehört der in einer lateinischen Urkunde vorkommende deutsche Ortsname Vierfeld zu den ältesten Ortsnamen im Pressburger Raum überhaupt80. Abschließend kann man bemerken, dass die seit dem zweiten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts in Deutsch geschriebenen Texte der Pressburger die ältesten „volkssprachlichen“ diplomatischen Texte (Urkunden, Briefe, Amtsbücher) der Bewohner des Königreichs Ungarn sind. Dank der Pressburger kann man die Anfänge der geschriebenen deutschen Texte im Land bereits in das zweite Dezennium des 14. Jahrhunderts datieren. Erst nach der Mitte des 15. Jahrhunderts kam es in Folge der Hussiten- und „Bratrici/Brüder“Kämpfe wie auch anderer gesellschaftlichen Veränderungen zum Erstarken der politischen Stimme der slowakischen Bewohner in den Städten der heutigen Nordslowakei. Nach ersten Beurkundungen in tschechischer Sprache (seit den 1430er Jahren) wurden auch Einträge in Stadtbüchern in Tschechisch vorgenommen (in der Stadt Sillein/Žilina seit 1451), und vereinzelt (wie in Sillein zu 1473) kam es sogar zur Übersetzung des dortigen Stadtrechts ins slowakisierte Tschechisch81. Im 16. Jahrhundert erscheinen auch erste Einträge in Stadtbüchern und älteste Urkunden in ungarischer Sprache82.   Pannonhalma, Archiv der Benediktinerabtei, Urk. von 1250 IV 26.   Sopron Oklevéltár I 193 Nr. 261 (1380 II 29). Die Belege sind relativ spät, aber sicher würde man auch Belege für frühere Zeit finden. 78   Sopron Oklevéltár I 196 Nr. 265 (1382 VI 16). 79  Sopron Oklevéltár I 200–201 Nr. 269 (1383 XII 2). 80  S. oben Anm. 21. 81  Edition siehe z. B.: Rudolf Kuchar, Žilinská právna kniha. Magdeburské právo [Das Rechtsbuch von Sillein. Das Magdeburger Stadtrecht] (Bratislava 1993). 82   Szende, Integration (wie Anm. 16) 211. 76 77



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Aus dem oben Angeführten geht auch hervor, dass die Benützung der ältesten Volkssprache nicht als Folge der einheimischen diplomatischen Entwicklung zu verstehen ist. Nicht das Vorkommen von deutschen Fachausdrücken und Toponymen in älteren lateinischen Urkunden der ungarländischen Kanzleien, sondern die intensiven – auch kulturellen – Beziehungen der Bewohner der ungarländischen Grenzstädte mit ihren „Sprachkollegen“ im habsburgischen Österreich waren bei der Verbreitung der Idee der volkssprachlichen Urkunden entscheidend. Die deutschen Urkunden des Königreichs Ungarn können daher als „Kulturimporte“ gelten. Bei den ältesten von ihnen handelte es sich oft um Empfängerausfertigungen, wobei die niederösterreichischen kirchlichen Institutionen (vor allem das Zisterzienserkloster Heiligenkreuz) eine wichtige Rolle spielten. Zu Beginn der deutschsprachigen Beurkundung im Königreich Ungarn waren vor allem die Kanzleien der ungarländischen Grenzstädte Pressburg und Ödenburg bzw. die der Magnatenfamilien mit Besitzungen an der ungarisch-österreichischen Grenze entscheidend. Der Prozess ist in Details nur am Beispiel der Pressburger Beurkundung zu verfolgen: Die deutschen Fachausdrücke (vor allem juristische) und Ortsnamen kamen in lateinischen Urkunden der Region bereits seit dem 12. Jahrhundert vor. Man kann dies aber nicht als Vorstufe der deutschsprachigen Beurkundung ansehen. In einer ersten Etappe (erstes Viertel des 14. Jahrhunderts?) beteiligten sich die Pressburger an der deutschsprachigen Beurkundung in Österreich, später (1320er bis 1340er Jahre?) stellten sie formal deutschsprachige Urkunden aus. Es handelte sich jedoch um Empfängerausfertigungen der österreichischen kirchlichen Institutionen. Letztendlich kamen sie auch zum Ausstellen von eigenen Urkunden – wenn auch unter den ersten Empfängern immer noch in Österreich tätige Bürger gewesen sind (1340er und 1350er Jahre). Erst nach der Mitte des 14. Jahrhunderts wurden Urkunden und Einträge in das älteste Amtsbuch auch in eigener Sache auf Deutsch geführt. Wegen der geringen Zahl der erhaltenen Urkunden ist es schwer zu sagen, ob Pressburg wirklich die Einfallspforte für das Eindringen der deutschsprachigen Texte ins Königreich Ungarn war. Die Lage der Stadt an der Donau, direkt an der Grenze zu Österreich, nur 25 Kilometer von Hainburg und 70 Kilometer von Wien entfernt, würde aber die Behauptung, die die wenigen erhaltenen Quellen evozieren, unterstützen. Sicher haben die Pressburger zur Verbreitung der deutschsprachigen Texte beigetragen: Wie sie selbst die vernakulare Beurkundung von ihren österreichischen Nachbarn kennengelernt und übernommen haben, haben sie dann weiter im Königreich Ungarn als „Kulturträger“ gewirkt. Zum Beispiel hat mit einer der ältesten deutschen Urkunden Oberungarns in der Stadt Sillein (slow. Žilina) ein Pressburger Heinrich der Vogel im Jahre 1367 einen Jahrtag gestiftet83. Jedenfalls kann man auch in diesem Beispiel die österreichischen Bezüge nicht verschweigen – einer der Mitbesiegler war der Wiener Bürger Paul Holczhäufel (Holzkeufel). Der heutigen Lage der Quellen nach scheint es, dass die übrigen Städte mit deutschsprachiger Majorität erst einige Jahrzehnte später als Pressburg mit dem Ausstellen der deutschen Urkunden beginnen. Jedenfalls legte man im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts in allen wichtigeren Städten des Königreichs Ungarn Stadtbücher an, deren Einträge in Mehrheit auf Deutsch geschrieben wurden. Die Durchsetzung der deutschen Sprache 83  Die Urkunde liegt im HHStA AUR 1367 II 6. Das Regest veröffentlichte Opočenská, Slovenika (wie Anm. 67) 28.

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im städtischen Kulturraum hängt wahrscheinlich mit der Entstehung der professionellen städtischen Kanzleien zusammen. Das Deutsche wurde für längere Zeit zu einer „innerstädtischen Kommunikationssprache“, bis es in Gebieten des Landes, wo die deutschsprachige Bevölkerung einen nicht so hohen Prozentsatz bildete, sein Monopol verlor. In Städten des slowakischen Waagtals und in der Gespanschaft Šariš verlor die deutsche Sprache seit den �������������������������������������������������������������������� 1430er Jahren zu Gunsten des Tschechischen, slowakisierten Tschechischen und Slowakischen. Vielleicht schon seit dem Ende des 15. Jahrhunderts, sicher seit dem 16. Jahrhundert, wurde in vielen Städten des heutigen Ungarn das Deutsche durch die ungarische Sprache ersetzt84. Die Anführungszeichen bei der Bezeichnung „innerstädtische Kommunikationssprache“ sind jedenfalls passend. Fast zu derselben Zeit wie Pressburg beginnen nämlich mit der deutschsprachigen Beurkundung auch Notare der Magnatenfamilien im westlichen Grenzland (besonders die Herren von St. Georgen und Pösing). Die Sprache der kirchlichen Institution (und relativ lange auch des königlichen Hofes) bleibt immer noch Lateinisch. Dem passten sich auch die „deutschsprachigen Kanzleien“ an. Die Städte untereinander, mit ihren Bürgern oder mit den Magnatenfamilien, kommunizierten zwar auf Deutsch, aber mit dem Königshof, mit kirchlichen Institutionen und mit dem niederen Adel bzw. den adeligen Gespanschaften kommunizierte man auch weiterhin auf Lateinisch. Für das Königreich Ungarn gilt das Modell der Verbreitung der deutschen Sprache in deutschen und österreichischen Gebieten nicht (zuerst beim niederen Adel, später bei Städten, Klöstern und Bistümern, zuletzt in Kanzleien der Könige und des hohen Adels). Vielmehr scheint es, dass der niedere Adel ungarisch- bzw. tschechisch- oder slowakischsprachig war und fast bis zum Ende des Mittelalters das Lateinische in seinen Schrift­ stücken beibehielt. Der einheimische Klerus – obwohl zum großen Teil deutsch-, ab Ende des 14. Jahrhunderts teilweise auch tschechischsprachig – blieb fast ausschließlich bei der lateinischen Schriftsprache (lingua / scriptura litteratoria). Auch der Charakter der ersten diplomatischen Texte in Deutsch unterschied sich. Während die Germanisten zum Beispiel im niederdeutschen Raum zuerst die Übersetzungen der Stadtrechte ins Deutsche (13. Jahrhundert) und erst später Beurkundungen in deutscher Sprache (im 14. Jahrhundert) annehmen85, kann man im mittleren Donaugebiet des Königreichs Ungarn einen umgekehrten Prozess beobachten: Zuerst wurden nur Einzelstücke (Urkunden) ausgestellt, später schritt man zur regelmäßigen Kanzleiverschriftung (Amtsbücher) und zuletzt verschriftete man in der Volkssprache auch die Stadtrechte. Interessant ist der Vergleich zwischen deutschsprachigen kodikologischen, diplomatischen und epigraphischen Texten, die in bzw. für das Königreich Ungarn geschrieben wurden: Am wichtigsten war die deutsche Sprache im diplomatischen Bereich, als Kanzleisprache der Städte und einiger Magnatenfamilien, als Sprache der wirtschaftlichen Beziehungen zu den österreichischen Nachbarn. Deutsche Texte in Handschriften 84   Die Edition der ältesten tschechischen und slowakischen Urkunden siehe in: Jiráskovo bratrstvo v dokumentech. Středověké listy ze Slovenska [Die Bruderschaft von Jirásek in Dokumenten. Mittelalterliche Briefe aus der Slowakei], ed. Václav Chaloupecký (Slovenský archiv 1, Bratislava–Praha 1937). Siehe auch Dejiny slovenského jazyka 3. Texty [Geschichte der slowakischen Sprache 3. Texte], ed. Jan Stanislav (Bratislava 1967), und vor allem Slovenské listy a listiny z XV. a XVI. storočia [Slowakische Urkunden und Briefe aus dem 15. und 16. Jh.], ed. Branislav Varsik (Odkazy našej minulosti 3, Bratislava 1956), mit sehr guter Einführung. 85   Meier–Ziegler, Anfänge (wie Anm. 11) 29.



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spielten dagegen nur eine geringe Rolle in den ungarländischen Bibliotheken. Größere Handschriftensammlungen im Königreich waren nämlich mit den dortigen kirchlichen Institutionen verbunden. Erst im 15. Jahrhundert sind eine oder mehrere Handschriften auch im Besitz von einheimischen Laien belegt (von Königen und Magnaten abgesehen). Da aber der Klerus bis zum Ende des Mittelalters auf der lateinischen lingua litteratoria beharrte, kamen die deutschsprachigen Handschriften in ungarländischen Bibliotheken relativ spät und in sehr niedriger Zahl vor86. Zum Beispiel ist im Handschriftenverzeichnis des Pressburger Kollegiatkapitels vom Ende der 1420er Jahre nur eine einzige deutschsprachige Handschrift am Schluss der Liste erwähnt. Bis zum Ausgang des Mittelalters wurde die Bibliothek vielleicht noch um weitere zwei Glossare bereichert. Im bürgerlichen Bereich kann man mehrere Handschriften erwarten, aber belegt sind sie nur indirekt – z. B. testierte der Pressburger Stadtschreiber Liebhard Egkenfelder unter anderem zehn deutsche und eine lateinisch-deutsche Handschrift87. Im weltlichen Bereich gelesen wurde vielleicht auch die mit zahlreichen Federzeichnungen geschmückte deutsche Handschrift der Weltchronik von Johannes de Utino88. Epigraphische Texte in deutscher Sprache kommen gegenüber den lateinischen nur ausnahmsweise vor (was auch für die tschechischen gilt). Die wenigen deutschen Inschriften stammen meistens erst aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts, zu den ältesten gehören wahrscheinlich die didaktischen Texte aus der Pfarrkiche in Leutschau (slow. Levoča in der Ostslowakei), die um 1410 entstanden sind89. Die Verbreitung von geschriebenen deutschen und überhaupt von volkssprachlichen Texten im Königreich Ungarn kann man teilweise als Ergebnis von und teilweise als Ursache der Verbreitung der litterati in der damaligen Gesellschaft ansehen90.

86   Zur Verbreitung der deutschsprachigen Handschriften auf dem Gebiet der Slowakei siehe: Juraj Šedivý, Deutsche Handschriften in der Slowakischen Republik – historische und kodikologische Aspekte, in: Manuscripta Germanica. Deutschsprachige Handschriften des Mittelalters in Bibliotheken und Archiven Osteuropas, hg. von Astrid Breith et al. (Stuttgart 2012) 167–181. 87   AMB, Stadtbücher: Protocollum testamentorum Sign. 4 n. 1 (1410–1529). Neuerdings auch in der edierten Form zugänglich: Das Pressburger Protocollum Testamentorum. Teil 1: 1410–1487, ed. Judit Majorossy–Katalin Szende (FRA III/21, Wien–Köln–Weimar 2010). 88   Facsimile-Edition in: Memoria Slovaciae. Medii Aevi Manuscripta: Johannes de Utino, Weltchronik, ed. Dušan Buran–Ľubomír Jankovič–Juraj Šedivý (CD-ROM, Martin 2009). 89  Vgl. Juraj Šedivý, Stredoveká písomná kultúra na Spiši [Mittelalterliche Schriftkultur in der Zipser Region], in: Historia Scepusii 1, hg. von Martin Homza–Stanisław A. Sroka (Bratislava–Kraków) 483–520, zu den deutschen Inschriften 512f. 90   Die Forschungen, aufgrund derer dieser Text entstand, wurden durch die slowakische Agentur für Forschung und Entwicklung im Rahmen des Projekts APVV-0237-11 unterstützt. Während der Drucklegung erschienen: László Solymosi, Muttersprache und rechtliche Schriftlichkeit im mittelalterlichen Königreich Ungarn. Archiv für Diplomatik 59 (2013) 133–163; János Németh, Deutsche Kanzleisprachen in Ungarn im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Ebd. 209–240.



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Beiträgerinnen und Beiträger Prof.PhDr. Marie Bláhová, DrSc. Katedra pomocných věd historických historických a archivního studia (Department of Auxiliary Historical Sciences and Archive Studies) Univerzita Karlovà Praha Nam. Jana Palacha 2 116 38 Praha 1 e-mail: [email protected]  Prof. Dr. Irmgard Fees Ludwig Maximilians Universität München Historisches Seminar, Historische Grundwissenschaften und Historische Medienkunde Geschwister-Scholl-Platz 1 80539 München e-mail: [email protected] Prof. em. Dr. Walter Koch Luisenstr. 41 80333 München (Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München, Geschwister-SchollPlatz 1, 80539 München) (keine e-mail) Prof. Dr. Theo Kölzer Institut für Geschichtswissenschaft, Abt. für Historische Hilfswissenschaften und Archiv­ kunde Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Konviktstraße 11 53113 Bonn e-mail: [email protected] Univ.Prof. Dr. Christian Lackner Institut für Österreichische Geschichtsforschung / Institut für Geschichte Universität Wien Universitätsring 1 1010 Wien e-mail: [email protected]

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Beiträgerinnen und Beiträger

Prof. Dr. Andreas Meyer Fachbereich 06 Philipps-Universität Marburg Wilhelm-Röpke-Str. 6 C 35032 Marburg e-mail: [email protected] Univ.Prof. DDr. Martin Schennach Institut für Römisches Recht und Rechtsgeschichte Universität Innsbruck Innrain 52 6020 Innsbruck e-mail: [email protected] Doc. PhDr. Juraj Šedivý, MAS, PhD. Filosofická Fakulta, Katedra archívnictva a pomocných vied historických Univerzita Komenského v Bratislave Gondova 2, P.O.BOX 32 SK 814 99 Bratislava e-mail: [email protected] Prof. Dr. Benoît-Michel Tock Institut d’histoire du Moyen Age Université de Strasbourg Palais universitaire 9 place de l’Université 67084 Strasbourg Cedex e-mail: [email protected] Dr. Christoph Friedrich Weber Historisches Seminar Technische Universität Braunschweig Schleinitzstr. 13 38106 Braunschweig e-mail: [email protected]



Register Die Einreihung der Personen erfolgt unter ihrem (Vor-)Namen, sofern keine eindeutigen Familiennamen gegeben sind. Bei gleichen (Vor-)Namens werden Personen nach dem bestimmenden Orts- oder Landesnamen gereiht, ungeachtet ihrer (auch genannten) Beinamen. Namen der Inhaber eines Amtes stehen in Klammer, wenn sie im Text nur unter ihrer Funktion genannt werden, z. B. zum Jahr 1415 Herzog v. Mailand = Filippo Maria Visconti. Für Belege aus dem Beitrag von Benoît-Michel Tock (S. 227–246) wurden zugunsten der Einheitlichkeit, und wo möglich, die deutschen Namen anstelle der französischen zur Einordnung verwendet. Wenn Erstere leicht verständlich sind, wurde auf die Nennung der französischen Form verzichtet (z. B. Flandre/Flandern), sonst wird diese jeweils angeführt und mit einem Verweis versehen (z. B. Clovis s. Chlodwig). Ein A. hinter der Seitenzahl bedeutet, dass das Lemma auf der angezeigten Seite in einer Anmerkung aufscheint. Verwendete Abkürzungen, außer jenen, die allgemein üblich und verständlich sind: bayer. = bayerisch (-e, -es) bez. = bezeugt Bf. = Bischof Bst. = Bistum Dép. = Département dt. = deutsch (-e, -er, -es) Ebf. = Erzbischof erw. = erwähnt Fam. = Familie fränk. = fränkisch (-e, -er, -es) Fs. = Fürst gen. = genannt Ges. = Gesandter Geschl. = Geschlecht

Gf. = Graf Gfin. = Gräfin Hl. = Heilige(r) Hzg. = Herzog Hzgt. = Herzogtum Kfst. = Kurfürst, Kurfürstentum Kg. = König Kgr. = Königreich Kl. = Kloster Ks. = Kaiser Mgf. = Markgraf nordfranzös. = nordfranzösische(r) NÖ = Niederösterreich zw. = zwischen

A Abbaye-aux-Bois s. Franche Abbaye Abbeville (Dép. Somme) 239 – St-Vulfran, Kollegiatkapitel 239 Acht, Peter, Historiker (1911–2010) 17 Adalbert, Gf. v. Anhalt († 1076/83) 68 A. (Adam v. Chambly), Bf. v. Senlis (Dép. Oise, 1227/28–1258) 246 Adam v. Mastaing, nordfranzös. Adeliger (1200/01) 238 Adolf, Gf. (Hzg.) v. Kleve (1394 bzw. 1417–1448) 170, 194 Adolf v. Nassau, dt. Kg. (1291–1298) 95 Adolf v. Nassau, Ebf. v. Mainz (1461–1475) 102 Afghanistan 107 Agapit II., Papst (946–955) 54 A. Airaines (Dép. Somme) 240., s. Heinrich

Al Quaida, Terrororganisation 107 Alanus Rufus, breton. Adeliger, Earl v. Richmond († 1089) 176f., 200 Alard v. Brouchy (Dép. Somme, 1182) 242 Albrecht I., dt. Kg. (1298–1308) 95 Albrecht II., dt. Kg. (1438–1439) 100 Albrecht III., Hzg. v. Österreich (1365–1395) 260f. Albrecht III., „der Beherzte“, Hzg. v. Sachsen (1464– 1500) 101 Alexander II., Papst (1061–1073) 64 A., 66f., 67 A. Alexander III., Papst (1159–1181) 57, 233 Alexander IV., Papst (1254–1261) 243 Alexander V., (Gegen-)Papst (1409–1410) 79 Alexander VI. s. Borgia Alexander Numai, Bf. v. Forlì (1470–1483), päpstl. Protonotar 81 A.

270 Register Allaines (Dép. Somme) s. Johann Alpen 87 Altbunzlau s. Stará Boleslav Althoff, Gerd, Historiker (* 1943) 29 Alvisius, Bf. v. Arras (1131–1148) 229 A. Amandus, Hl. 174, 198 Amerika, Vereinigte Staaten v. 109–111, 130 Amiens (Dép. Somme) – Bf. s. Dietrich, Garinus, Guido (v. Ponthieu), Theobald (v. Heilly) – Kathedralkapitel 238, 240 Dekan s. Richard (v. Gerberoy) – St-Acheul, Augustinerchorherrenabtei 240 Ammelreich, Johannes, Bürger v. Pressburg (1364) 258 A. Amsterdam 163, 187 – Stadtsekretär s. De Vogelaer Anchin (Dép. Nord), Benediktinerabtei 229 A., 232 Andlau s. Peter v. Andlau Andreas, Bf. v. Arras (1161–1173) 237, 245 Andreas II., Kg. v. Ungarn (1205–1235) 118, 122, 249 A. Andreas III., Kg. v. Ungarn (1290–1301) 249 A. Andres (Dép. Pas-de-Calais), Benediktinerabtei 230 Angenendt, Arnold, Kirchenhistoriker (* 1934) 162f. Angermeier, Heinz, Historiker (1924–2007) 106 Anhalt, Gf., s. Adalbert Annay (Dép. Pas-de-Calais), Zisterzienserabtei NotreDame-de-la-Brayelle 238 Anvin (Dép. Pas-de-Calais) s. Balduin Appelt, Heinrich, Historiker (1910–1998) 15–31, 38, 46f., 93, 107, 116, 151, 167 Aragón, Kg., s. Peter Arnold v. Lübeck, Chronist (ca. 1150–1211/14) 167 Arnulf, Gf. v. Boulogne (10. Jh.) 231 Arnulf v. Grimbergen, brabant. Adeliger (2. Hälfte 12. Jh.) 236 Arras (Dép. Pas-de-Calais) 229, 233, 242 – Bf. s. Alvisius, Andreas, Peter, Robert – Kathedralkapitel 238, 240f., s. Johann, Peter v. Corbie, Radulf (v. Neuville) – Offizial 243 – St-Vaast, Benediktinerabtei 229 Abt s. Heinrich Arrouaise (Dép. Pas-de-Calais), Regularkanoniker­ abtei 232, 237, 242f., 245 – Abt s. (Balduin v. Flamicourt), Robert, Walter – Prokurator s. Philipp Artois, Gft. im Norden Frankreichs 240 – Gf. s. Robert Arumaeus, Dominicus, Jurist u. Publizist (1579– 1637) 133 Assmann, Aleida, Kulturanthropologin (* 1947) 126 Aubencheul (Dép. Nord) s. Balduin Aubigny (Dép. Pas-de-Calais), Priorat 245 – Herr v. s. Balduin, (Dreu d’Amiens) Aubin, Hermann, Historiker (1885–1969) 17

Auchy (Pas-de-Calais), Benediktinerabtei 232 Auf der Säul, Heinrich, Bürger von Wien 256 Auf der Säul, Herbort, Bürger von Wien 256 Augsburg 102f. – Bf. s. Johann Australien 112 Awaren 247 B Babenberger, österr. Mgfen.- bzw. Hzgsgeschl. 135f. Baethgen, Friedrich, Historiker (1890–1972) 21f., 22 A., 23, 23 A. Bailleul (Dép. Pas-de-Calais) s. Robert, Simon Bailleulmont (Dép. Pas-de-Calais) s. Johann Balaton/Plattensee 247 Balderich, Bf. v. Tournai (1098–1113) 230 Balduin v. Anvin (Dép. Pas-de-Calais), nordfranzös. Adeliger (1235) 241 (Balduin v. Flamicourt), Abt d. Regularkanonikerabtei Arrouaise (Dép. Pas-de-Calais, 1262–1286) 243 Balduin, Herr v. Aubencheul (Dép. Nord, 1225– 1238) 242 Balduin, Herr v. Aubigny (Dép. Pas-de-Calais, 1193) 245 Balduin v. Bryas (Dép. Pas-de-Calais, 1235) 241 Balduin V., Gf. v. Flandern (1035–1067) 227 A., 230f., 237 Balduin VII., Gf. v. Flandern (1111–1119) 227 A., 230, 235 Balduin IX., Gf. v. Flandern (1194–1205) 233, 236, 244 Balduin, Abt d. Regularkanonikerabtei Hénin-Liétard (Dép. Pas-de-Calais, bez. zw. 1197 u. 1205) 237 Balduin V., Gf. v. Hennegau (1171–1195) = Balduin VIII., Gf. v. Flandern (1191–1194) 237 Balduin VI., Gf. v. Hennegau (1194–1205) = Balduin IX., Gf. v. Flandern 238 Balduin, Herr v. Heuchin (Dép. Pas-de-Calais, 1249) 241 Balduin v. Rollancourt (Dép. Pas-de-Calais) 234, 240 Balduin, Dekan d. Kathedralkapitels v. Thérouanne (1209) 241 Balduin v. Luxemburg, Ebf. v. Trier (1307–1354) 175 Balduin (v. Holland), Bf. v. Utrecht (1178–1196) 244 Balhorn s. Rotherius Balkan 247 Baltl, Hermann, Rechtshistoriker (1918–2004) 150 Baudouin s. Balduin Baudry s. Balderich Bamberg 107 – Hochstift 134 – Staatsarchiv 106 Bapaume (Dép. Pas-de-Calais) s. Petrus Gosse Barcelona 28 Bartholomäus, Bf. v. Laon (Dép. Aisne, 1114–1150) 234

Register 271 Basel 90 – Bistum 17 – Universität 175 Bates, David (* 1945), Historiker 235 Battenberg, Friedrich, Historiker (* 1946) 105 Bautier, Robert-Henri, Historiker (1922–2010) 84, 93, 104 Bayern, Hzgt. 83 A., 87 A., 89 A., 136, 252 – Hzge. s. Heinrich v. Luxemburg, Heinrich XVI., Heinrich der Löwe (Hzg. von Sachsen), Johann III., Maximilian I., s. auch Wittelsbacher Beaulieu-les-Fontaines (Dép. Oise) 241 Beaunay (Dép. Marne) 239 Beaurain (Pas-de-Calais) 232 Beauvais (Dép. Oise), Bf., s. Odo Beck, Christian August v., Jurist u. Publizist (1720– 1784) 136, 139 Belial, Teufel 179, 200 Belting, Hans, Kunsthistoriker (* 1935) 163f. Benedikt III., Papst (855–858) 54 A. Benedikt X., Papst (1058–1060) 67 A. Benedikt XII., Papst (1334–1342) 81 A. Benedikt XIII., (Gegen-)Papst (1394–1423) 80 Benedikt v. Nursia, Gründer d. Benediktinerordens (480–547) 162, 165, 184f. Bergen, Norwegen 73 Bergues (Dép. Nord), Propstei 231 Berlette (Dép. Pas-de-Calais) s. Gilles de Berlette Berlin 17, 19, 22 Bern 180 (Bernhard), Abt d. Regularkanonikerabtei St-Victor in Paris (1196–1197) 245 Berteaucourt (Dép. Somme), Benediktinerinnenabtei 237, 240 Béthencourt-sur-Somme (Dép. Somme) s. Johann, Simon Bethmann, Ludwig, Historiker (1812–1867) 166 Béthune (Dép. Pas-de-Calais) s. Wilhelm Bezdež/Schloßbösig, Nordböhmen 220 Bibra s. Wilhelm Bienner, Wilhelm, Tiroler Kanzler (1590–1651) 145 Biondo, Flavio, Humanist, päpstl. Sekretär (1432– 1463) 82 Blackstone, William, Jurist u. Parlamentsabgeordneter (1723–1780) 113, 129f. Blitterswijk s. Ruprecht Bloch, Hermann, Historiker (1867–1929) 167 Bodin, Jean, Staatstheoretiker u. Publizist (1529– 1596) 127 Böhmen 15, 211f., 219, 253 – Fs. (Hzg., Kg.) s. Břetislav, Friedrich, Heinrich (Břetislav), Johann v. Luxemburg, Konrad II. Otto, Ottokar I. Přemysl, Ottokar II. Přemysl, Rudolf III., Soběslav I., Soběslav II., Vladislav II., Vladislav Heinrich, Vratislav II., s. auch Elisabeth

Böhmer, Johann Friedrich, Historiker (1795–1863) 33, 36, 150 Bologna 173 Bonifaz VIII., Papst (1294–1303) 75 A., 76, 78 Bonifaz IX., Papst (1389–1404) 98 A. Borgia, Rodrigo, Kardinal (seit 1456), päpstl. Vizekanzler (1457–1492), Papst Alexander VI. 81 Bornemann, Hans, Maler (bez. 1448–1469) 171, 195 Borsmonostor s. Marienberg Bosnien-Herzegowina 107 Bosporus 166 Boulogne (Dép. Pas-de-Calais), Gfen., s. Arnulf, Eustachius II., Eustachius III., Renaud de Dammartin, Stephan (v. Blois) – Gfin. s. Mathilde, Mathilde (v. Dammartin) Boumediene, Lakhdar, Bürger aus Bosnien-Herzegowina 109 Bourges, Bf., s. Sulpicius Brabant, Hzgt. 119, 124, 141, 143f. – Hzg. s. Philipp II. v. Spanien, Wenzel – Hzgin. s. Johanna – Joyeuse Entrée v. Brabant (v. 1356) 116f., 120, 139–144, 152, 159f. – Stände 139f., 142 Braine (Dép. Aisne), Prämonstratenserabtei St-Yved 237 Brand v. Tzerstede, Rat v. Lüneburg 171, 195 Brandis, Matthäus, Drucker in Lübeck († nach 1512) 103 Bratislava s. Pressburg Braunschweig-Lüneburg, Hzgt. 33, 171 – Hzg. s. Otto d. Kind Braunschweig-Wolfenbüttel, Hzg., s. (Heinrich) Břeclav/Lundenburg, Mähren 220 A., Herr, s. Ulrich, Hzg. v. Kärnten Bréquigny, Louis-Georges, Historiker (1714–1795) 33, 35 Breslau 17–20 Bresslau, Harry, Historiker (1848–1926) 42f., 94, 157 Bretagne, Hzgt. 89 A., 176 Břetislav I., Hzg. v. Böhmen (1035–1055) 208 Břevnov/Breunau, Benediktinerabtei in Prag 224 A. Brixen 17, 148 Brno s. Brünn Brogny s. Jean Brouchy (Dép. Somme) s. Alard Brügge (Belgien) – Kapitel Notre-Dame 230 Brünn/Brno 220 A. Brüssel 140 Brunner, Otto, Historiker (1898–1982) 17 Bryas (Dép. Pas-de-Calais) s. Balduin Bucquoy (Dép. Pas-de-Calais) s. Drogo Buda/Ofen, Ungarn 247 Burchard, Bf. v. Cambrai (1114/16–1130) 235

272 Register Burgund, Hzgt. 90 A., Hzgin., s. Maria, s. auch Rudolfinger Byzanz 247 C Caesar s. Julius Caesar Calixt III., Papst (1455–1458) 80 A., 81 A. Cambrai (Dép. Nord) 229 – Bf. s. Burchard, Gerhard I., Gerhard II., Gottfried, (Johann v. Béthune), Rothard, Vindicianus – Offizial d. Bfs. 243 – St-Aubert, Benediktinerabtei in Cambrai 238 Cantimpré (Dép. Nord), Regularkanonikerabtei 237 Caoursin, Guillaume, Historiograph, Vizekanzler d. Johanniterordens († 1501) 180 Carency (Dép. Pas-de-Calais) s. Eubert Catigny (Dép. Oise), Kleriker, s. Hugo Cercamp (Dép. Pas-de-Calais), Zisterzienserabtei 240–242 Charles s. Karl Chemnitz, Bogislaw Philipp v., Jurist u. Publizist (1605–1678), unter dem Pseudonym Hippolitus a Lapide 135 Childerich II., fränk. Kg., Merowinger (662–675) 42 A. Chilperich II., fränk. Kg., Merowinger (716–721) 227 Chlodwig III., fränk. Kg., Merowinger (691–694) 227 Chmel, Joseph, Historiker (1798–1858) 150 Chozil, pannon. Fs. (860–875) 247 Ciabattus, Notar in Lucca 72 Cividale del Friuli 81 A. Clanchy, Michael, Historiker (* 1936) 163f. Classen, Peter, Historiker (1924–1980) 56–58, 69 Clemens (III.), (Gegen-)Papst (1080–1084) 66 A., 67 A. Clemens IV., Papst (1265–1268) 73, 243 Clemens VI., Papst (1342–1352) 78, 80 A. Clemens VII., (Gegen-)Papst (1378–1394) 79 A., 80 A., 81 A. Clermont, Frankreich, Konzil (1095) 232 Clovis s. Chlodwig Coelestin III., Papst (1191–1198) 245 Coke, Edward, Jurist u. Parlamentsabgeordneter (1552–1634) 111, 119, 126–129, 159 Conring, Hermann, Rechtshistoriker u. Publizist (1606–1681) 114 Consolus, röm. Maler (13. Jh.) 162, 185 Corbie (Dép. Somme), Benediktinerabtei 244 – Abt s. Nikolaus Cosmas v. Prag, böhm. Chronist († 1125) 211 Crépy-en-Valois (Dép. Oise), Priorat 231 Csendes, Peter, Historiker (* 1944) 21 Cysoing (Dép. Nord), Regularkanonikerabtei 237 Custer s. Peter Custer

D Dagobert I., fränk. Kg., Merowinger (629–639) 42 A. Dahlhaus, Joachim, Historiker (* 1942) 63 Daniel, Bf. v. Prag (1148–1167) 213–215 Davis, Henry W. C., Historiker (1874–1928) 177 Deusdedit, Papst (615–618) 65 A. Deutschland s. Römisch-deutsches Reich – Ks. s. Wilhelm II. De Vogelaer, Jacob, Stadtsekretär v. Amsterdam (1625–1697) 163, 187 Didier, Bf. v. Thérouanne (1169–1191) 230 Dido, Bf. v. Poitiers (629–669) 42 A. Diebold Lauber s. Lauber Diebold Schilling s. Schilling Diether von Isenburg, Ebf. v. Mainz (1459–1482) 102 (Dietleb), Bf. v. Olmütz (1174–1180) 219 Dietrich, Bf. v. Amiens (1144–1164) 242, 245 Dietrich v. Elsaß, Gf. v. Flandern (1128–1168) 235f., 243 Dietrich der Hutstock s. Hutstock Dietrich v. Pillichsdorf, Marschall in Österreich (1306–1326) 254f. Dijon (Dép. Côte d’Or) 17 – Saint-Bénigne, Benediktinerabtei 17 Dipauli, Andreas Alois v., Jurist u. Tiroler Beamter (1761–1839) 145 Donau 247, 252f., 263 Dopsch, Alfons, Historiker (1868–1953) 17 Douai (Dép. Nord), Kollegiatkapitel St-Pierre 237 – Propst s. Hugo d’Outrepont, Charles Lambert, brabant. Politiker (1746–1809) 142f. Dresden 107 – Staatsarchiv 106 (Dreu d’Amiens), Herr v. Aubigny (Dép. Pas-deCalais) 240 Dreux (Dép. Eure-et-Loir) 176 Drogo, Herr v. Bucquoy (Dép. Pas-de-Calais, 1268) 240 Drogo, Bf. v. Thérouanne (Dép. Pas-de-Calais, 1030–1078) 229 Durand, Bf. v. Lüttich (1021–1025) 229 E Eaucourt (Dép. Pas-de-Calais), Regularkanonikerabtei 237 Ebenthal s. Hermann Eberhard, Mönch in Fulda (vor 1135–nach 1165/68) 41, 175 A. Eberhard Windeck s. Windeck Eduard I., Kg. v. England (1272–1307) 86 A., 114 Edwin, Earl v. Mercia (1062–1071) 177 Eename (Ostflandern, Belgien), Benediktinerabtei 235 Egbert, Abt v. Fulda (1048–1058) 68 A. Egger, Rainer, Historiker (1935–2009) 23 Egkenfelder, Liebhard, Stadtschreiber v. Pressburg (1442–1455) 265

Register 273 Eiberg, Karl v., Tiroler Beamter 145 Eichstätt 168–170, 191 – Bf. s. Gabriel v. Eyb Eisleben 180 Elisabeth, Ehefrau d. Fs. Friedrich v. Böhmen 219 Elisabeth, Ehefrau des Pertram, Bürgers von Ödenburg (1379) 259 Elisabeth, Gfin. v. St-Pol (1219–1223, 1226–1228, † 1240/47) 240 Elnone, Abtei St-Amand (Dép. Nord) 174f., 198 Eltz, Burg (Eifel) 178 Engel, Wilhelm, Historiker (1905–1964) 22 A. England 37, 83, 83 A., 88, 89 A., 156 – Kg. s. Eduard I., Heinrich II., Heinrich III., Heinrich IV., Heinrich V., Heinrich VI., James I., Johann I., Karl I., Stephan (v. Blois), Wilhelm d. Eroberer, s. auch Mathilde Enguerrand, Gf. v. Hesdin (Pas-de-Calais, 1071– 1099) 232 Epagne (Dép. Somme), Zisterzienserinnenabtei 239 Equirre (Dép. Pas-de-Calais) 241 Erben, Wilhelm, Historiker (1864–1933) 97 Ernulf s. Arnulf Esztergom/Gran, Ungarn 247, 262 Étienne s. Stephan Eubert de Carency, nordfranzös. Adeliger (Ende 12. Jh.) 238 Eufemia, Ehefrau d. Olmützer Teilfst. Otto 210, 224 Eugen IV., Papst (1431–1447) 79 A., 80 A., 81 Eustachius II., Gf. v. Boulogne (1049–1088) 231 Eustachius III., Gf. v. Boulogne (1088–1125) 231 Eyb s. Gabriel v. Eyb F Faider, Charles, Jurist u. Politiker (1811–1893) 152 Feger, Otto, Historiker (1905–1968) 170 Fehr, Hans, Rechtshistoriker (1874–1961) 158 Feltz, Johann Heinrich, Jurist u. Publizist (1665– 1737) 136, 139 Ferdinand I., Erzhzg. v. Österreich (seit 1521), dt. Kg. (seit 1531), Ks. (1556–1564) 118 Ferdinand III., Ks. (1637–1657) 208 Ferrières, Benediktinerabtei (Dép. Loiret), s. Lupus Fervaques (Dép. Aisne), Zisterzienserinnenabtei 241 Fichtenau, Heinrich, Historiker (1912–2000) 24, 116, 151 Fieffes (Dép. Somme), Johanniterkommende 237 (Filippo Maria Visconti), Hzg. v. Mailand 170, 192 Fischl, Wibolt, Kanzler d. Bf. v. Eichstätt 169 Flandern 174, 230f., 235 – Gf. s. Balduin V., Balduin VII., Balduin IX., Dietrich v. Elsaß, Karl d. Gute, Philipp v. Vermandois, Robert der Friese, Robert II., s. auch Hennegau – Gfin. s. Margarethe Flavio s. Biondo

Florent, Abt d. Benedkitinerabtei St-Josse-sur-Mer (1203) 239 Florent Havet, Herr v. Forceville (Dép. Somme) 240 Fly (Dép. Oise), Benediktinerabtei St-Germer 237 Forceville (Dép. Somme), Herr v., s. Florent Havet Forchtenstein, Burgenland 261 Forest-Montiers (Dép. Somme) 239 Forlì, Bf., s. Alexander Numai Foulques s. Fulko Fraknói s. Martinsdorf-Forchtenstein Franche-Abbaye, bei Beaulieu-les-Fontaines (Dép. Oise), Zisterzienserinnenabtei, auch Abbaye-auxBois gen. 241f., 245f. Frankenreich (Ost-, West-), Kg., s. Karl d. Große, Karl III., Karl III. d. Einfältige, Ludwig d. Fromme, Konrad I. Frankreich 89 A., 100, 104, 227f., 235 – Kg. s. Heinrich I., Karl V., Ludwig VI., Ludwig VIII., Ludwig IX., Ludwig XI., Philipp II. Augustus, Philipp VI. Freher, Marquard, Jurist, Historiker (1565–1614) 131f. Freiberg s. Ludwig Frenz, Thomas, Historiker (* 1947) 82 Frévent (Dép. Pas-de-Calais) s. Jean l’Oiseau Fricourt (Dép. Somme) s. Johann Fridolin, Hl. († 538) 180 Friedrich I. Barbarossa, Ks. (1152–1190) 15, 17, 19f., 22, 24–30, 41, 46f., 107, 120, 135f., 138, 166–169, 189f., 215 A., 219 Friedrich II., Ks. (1212–1250) 27f., 29 A., 89, 89 A., 171 Friedrich III., Ks. (1440–1493) 84 A., 85, 89 A., 93f., 98–104, 117, 134f. Friedrich, Fs. in Böhmen (1182–1189) 217f., 220, 223–225 Friedrich zur Huben, Ges. Kg. Ruprechts 98 Friedrich, Bf. v. Münster (1152–1168) 228 A. Friedrich IV., Hzg. v. Österreich (1415–1439) 100, 133f. Friedrich, Gustav, Historiker (1871–1943) 211 Fuhrmann, Horst, Historiker (1926–2011) 19, 22, 26, 42 Fulda, Benediktinerabtei, s. Eberhard, Egbert, Richard Fulko, Kanoniker v. Reims (1196) 244 Fust, Johann, Drucker in Mainz († 1466) 102 G Gabriel v. Eyb, Bf. v. Eichstätt (1496–1535) 168, 191 Gaeta 81 A. Gale, Roger, Historiker u. Antiquar (1672–1744) 176 Gand s. Gent Garinus, Bf. v. Amiens (1127–1144) 231 Gaucher, Gautier s. Walter Geisel, Witwe in Pressburg (1359) 257

274 Register Geisenheim s. Konrad Gent (Belgien) – St-Bavon, Benediktinerabtei 230 – St-Pierre, Benediktinerabtei 228 Abt s. Hugo Georgenberg (bei Enns, Oberösterreich), Handfeste 121 Gerhard v. Abbeville (Dép. Somme), nordfranzös. Adeliger (1239) 240 Gerhard I., Bf. v. Cambrai (1012–1051) 229 Gerhard II., Bf. v. Cambrai (1076–1092) 229, 235 Gerhard (II.) v. Grimbergen, brabant. Adeliger (bez. seit 1130, † vor 1167) 236 Gerhard (III.) v. Grimbergen, brabant. Adeliger, Sohn des vorigen 236 Gerhard, Gf. v. Roucy (Dép. Aisne) (1130–1160) 234 Gerhard, Bf. v. Thérouanne (1084–1099) 232 (Gerung), Bf. v. Meißen (1152–1170) 214 Gervasius, Propst v. Vyšehrad, Kanzler d. Kgs. (1158–1178) 214 Gewold, Christoph, Jurist, bayer. Rat (1560/65– 1621) 131f. Giesebrecht, Wilhelm, Historiker (1814–1889) 167 Gilles de Berlette (Dép. Pas-de-Calais), nordfranzös. Adeliger (1291) 241 Giotto di Bondone, Maler (1266–1337) 163 Gisela, bayer. Prinzessin, Ehefrau Stephans I. v. Ungarn († 1060) 252 Glarus (Schweizer Kanton) 180 Gleser, Johann Heinrich, Jurist u. Publizist (1734– 1773) 121, 148, 156 Godefroi s. Gottfried Göppingen (Baden-Württemberg) 21 Görich, Knut, Historiker (* 1959) 29 Goetting, Hans, Historiker (1911–1994) 17 Göttingen 17, 115, 133 Goldene Bulle (v. 1356) 116–118, 123, 125, 131– 133, 138, 149 Gottfried, Bf. v. Cambrai (1219–1237) 242 Gran s. Esztergom Grauert, Hermann, Historiker (1850–1924) 95 Graz 18–20, 22f., 46 Gregor I. d. Große, Papst (594–604) 59, 163 Gregor VII., Papst (1073–1085) 64 A., 67 Gregor IX., Papst (1227–1241) 71f., 75, 77 Grimbergen (Flämisch-Brabant, Belgien) s. Arnulf, Gerhard (II.), Gerhard (III.) Grinzing, Wien 256 Großbritannien 112 Grundmann, Herbert, Historiker (1902–1970) 22f., 23 A., 24 A., 25, 25 A. Guantanamo, U.S.-Lager auf Kuba 109f. Güns s. Kőszeg Guérin s. Garinus Guido (v. Ponthieu), Bf. v. Amiens (1058–1074) 231 (Guido des Prés), Bf. v. Noyon (Dép. Oise, 1272– 1297) 243

Guido I., Gf. v. Ponthieu (1060–1110/01) 231, 239 Guido II., Gf. v. Ponthieu (1129–1147) 231 Guido, Kanoniker v. Reims (1196) 244 Guido (III. v. Châtillon), Gf. v. St-Pol (1248–1289) 234, 240f., 246 Guillaume s. Wilhelm Guillaume Caoursin s. Caoursin Gundling, Nicolaus Hieronymus, Jurist u. Publizist (1671–1729) 133 Gustermann, Anton Wilhelm, Jurist (1750–1823) 137 Guy s. Guido Győr/Raab, Ungarn, Domkapitel 258, 262 H Habsburger, österr. Herrschergeschlecht 135f., 143, 148, 150, 156f. Hadmar v. Kuenring († 1217) 217f., 220, 224 Hadrian I., Papst (772–795) 58, 61, 61 A. Hadrian IV., Papst (1154–1159) 242, 245 Hägermann, Dieter, Historiker (1939–2006) 96 Hagemann, Wolfgang, Historiker (1911–1978) 23 Hageneder, Othmar, Historiker (* 1927) 20, 90 Hainaut s. Hennegau Hainburg, NÖ 258 A., 263 Halle a. d. Saale 115, 133 Ham (Dép. Somme), Hft., s. Odo (III.), Odo (IV.) Hambatho, Fam. der Hambathonen, Bürger v. Pressburg 256f. – Jakob Hambatho, Bürger v. Pressburg (1332, 1346) 256f. – Margret, Witwe Hambathos (1332) 256 Hamelaincourt (Dép. Pas-de-Calais) s. Johann Hannover 33 Hans Bornemann s. Bornemann Hariulph v. St-Riquier, Chronist († ca. 1143) 229 Hasse, Paul, Historiker (1847–1907) 167 Haug v. Ingolstadt, Bürger v. Wien (1320) 256 Hausmann, Friedrich, Historiker (1917–2009) 19, 22 Haverkamp, Alfred, Historiker (* 1937) 28 Heilig, Konrad Josef, Historiker (1907–1945) 151 Heiligenkreuz, Zisterzienserabtei, NÖ 253–257, 259, 263 – Frater Konrad (1326) 254 Heinrich II., Ks. (1002–1024) 166 Heinrich III., Ks. (1039–1056) 66 Heinrich IV., Ks. (1056–1106) 42, 67, 137 Heinrich V., Ks. (1106–1125) 36 A., 45 A. Heinrich VI., Ks. (1190–1197) 19, 21f., 27, 36 A., 45 A. Heinrich VII., Ks. (1308–1313) 45 A., 95 Heinrich (VII.), dt. Kg. (1220–1235, † 1242) 36 A. Heinrich v. Airaines, nordfranzös. Adeliger (1234, 1262) 239f. Heinrich v. Luxemburg, Hzg. v. Bayern (1042–1047) 68 A.

Register 275 Heinrich XVI., „der Reiche“, Hzg. v. Bayern-Landshut (1393–1450) 101 (Heinrich II.), Hzg. v. Braunschweig-Wolfenbüttel (1514–1568) 180 Heinrich II. Plantagenet, Kg. v. England (1154– 1189) 86 A. Heinrich III., Kg. v. England (1216–1272) 89 A., 113, 119, 130 Heinrich IV., Kg. v. England (1399–1413) 98 Heinrich V., Kg. v. England (1413–1422) 100 Heinrich VI., Kg. v. England (1422–1461, 1470/71) 173 Heinrich I., Kg. v. Frankreich 1031–1060) 173f. Heinrich d. Blinde, Gf. v. Namur (1139–1196) 233 Heinrich II. Jasomirgott, Hzg. v. Österreich 30, 135f. Heinrich, Bürger v. Pressburg (1318) 254 Heinrich, Ebf. v. Reims (1162–1175) 233 Heinrich d. Löwe, Hzg. v. Sachsen u. Bayern (1142 bzw. 1156–1180) 166 Heinrich, Abt d. Benediktinerabtei St-Vaast in Arras (Dép. Pas-de-Calais, 1195–1200) 237 Heinrich Zdík, Bf. v. Olmütz (1126–1150) 209, 212–214 Heinrich (Břetislav), Bf. v. Prag, Fs. v. Böhmen (1182–1197) 219, 221–223, 225 Heinrich Ruster, Bürger v. Pressburg (1364) 258 A Heinrich der Vogel, Bürger v. Pressburg (1367) 263 Heinrich s. Auf der Säul Helvin de Sailly, nordfranzös. Adeliger (zu 1170) 238 Hendrik van der Noot, brabant. Politiker (1750– 1827) 142 Hénin-Liétard (Dép. Pas-de-Calais), Regularkanonikerabtei, Abt, s. Balduin Hennegau, Gf., s. Balduin V., Balduin VI. Henri s. Heinrich Herbort s. Auf der Säul Hergenröther, Josef, Kirchenhistoriker, Kardinal (1824–1890) 71 Herkenrath, Rainer Maria, Historiker (* 1924) 23–26, 41 Hermann v. Ebenthal, Burggf. v. Znaim (1318) 254 Herzberg-Fränkel, Sigmund, Historiker (1857–1913) 95 Hesdin, Gft. (Pas-de-Calais), s. Enguerrand Heuchin (Dép. Pas-de-Calais) s. Balduin Hieronymus v. Rosenberg, Hofmeister d. Bfs. v. Eichstätt 169 Hilger, Wolfgang, Historiker (* 1944) 26 Hinges (Dép. Pas-de-Calais) s. Robert Hippolitus a Lapide (Pseudonym) s. Chemnitz Hirsch, Hans, Historiker (1878–1940) 16f., 19, 22, 22 A. Hlaváček, Ivan, Historiker (* 1931) 96, 106 Hörnigk, Philipp Wilhelm v., Jurist u. Publizist (1640–1714) 135f. Holbein, Hans, Maler (ca. 1465–ca.1524) 180 Holland 141

Holzkeufel, Paul, Bürger v. Wien (1367) 263 Honorius III., Papst (1216–1227) 71, 77 A., 246 Hormayr, Joseph v., Politiker u. Historiker (1782– 1848) 150 Hradisko/Hradisch, Benediktinerabtei bei Olmütz 207, 209, 212, 215f., 223f. Hroznata Crispus, böhm. Adeliger 220, 225 Huben s. Friedrich Hütteldorf, Wien 257 Hugo, Pfarrer v. Catigny (Dép. Oise) (1234) 245 Hugo, Propst d. Kollegiatkapitels St-Pierre in Douai (Dép. Nord, 1196) 237 Hugo, Abt d. Benediktinerabtei St-Pierre in Gent (1190–1201) 238 Hugo, Offizial d. Bfs. v. Noyon (1234, 1253) 245 Hugo (IV., de Campdavaine), Gf. v. St-Pol (1174– 1205) 231f., 240 Hugo (V.), Gf. v. St-Pol (1228–1248) 240 Hugo (VI.), Gf. v. St-Pol (1289–1307) 241 Hugo (v. St-Cher, Kardinalpriester v. S. Sabina, 1244–1263) 243 Huillard-Bréholles, Jean-Louis-Alphonse, Historiker (1817–1871) 39 Hussiten 262 Hutstock, Fam. in Klosterneuburg 254 A. Hutstock, Dietrich, Burggraf v. Pressburg (1318) 254f. I Imbertus v. Vergy, Bf. v. Paris (1030–1060) 174 Ingolstadt s. Haug, Kunigunde Innocenz III., Papst (1198–1216) 71f., 74 A., 161f., 184–186 Innocenz IV., Papst (1243–1254) 71f., 77 Innocenz VI., Papst (1352–1362) 80 A. Innocenz VIII., Papst (1484–1492) 81 A. Innsbruck 25, 105 A. – Universität 21 Irgang, Winfried, Historiker (* 1942) 19 Isenburg s. Diether Israel, Uwe, Historiker (* 1963) 163f. Italien 23, 76, 88, 163, 216 J Jäger, Albert, Historiker (1801–1891) 154f. Jakob, Bürger v. Pressburg (1332, 1346) 256f. Jakob, Richter v. Pressburg (1368) 257 Jakob Hambatho s. Hambatho Jakob v. Vitry, Chronist, Bf. v. Akkon (1213–1230), (Kardinal-)Bf. v. Tusculum († 1240) 178 James I., Kg. v. England (1603–1625) 126f. Jans Pogner, Bürger v. Pressburg (1364) 258 A. Jans Poll s. Poll Jean s. auch Johann(es) Jean de Brogny, Kardinal (ab 1385), päpstl. Vizekanzler (1391–1426) 81 Jean de Pape, Léon, Jurist u. Publizist (1610–1680) 143f.

276 Register Jean l’Oiseau de Frévent (Dép. Pas-de-Calais, 1298) 241 Jeanne s. Johanna Jena 115, 133 Jenks, Edward, Rechtshistoriker (1861–1939) 152f. Jerusalem 216 Jodok/Josse, Hl. 231 Johann(es) s. auch Jean, John Johann v. Allaines (Dép.), nordfranzös. Adeliger (1273) 242 Johann, Dekan d. Kathedralkapitels v. Arras (1197– 1213) 237 Johann v. Werdenberg, Bf. v. Augsburg (1469–1486) 103 Johann v. Bailleulmont (Dép. Pas-de-Calais) (1273) 240 Johann III. v. Bayern u. Holland (1418–1425) 180, 203 Johann v. Béthencourt-sur-Somme (Dép. Somme), nordfranzös. Adeliger († nach 1248) 241 Johann v. Luxemburg, Kg. v. Böhmen (1310–1346) 261 (Johann v. Béthune), Bf. v. Cambrai (1200–1219) 243 Johann, Abt d. Zisterzienserabtei Cercamp (Dép. Pasde-Calais, 1240–1261) 240 Johann I. Ohneland, Kg. v. England (1199–1216) 113, 177 Johann v. Fricourt, nordfranzös. Adeliger (1273) 245 Johann v. Hamelaincourt, nordfranzös. Adeliger (1195) 237 Johann v. Nassau, Ebf. v. Mainz (1397–1419) 170, 193 Johann, Herr v. Mautort (Dép. Somme) (1270) 239 Johann III. v. Nassau-Dillenburg († 1429/33) 180, 203 Johann (II.), Herr v. Nesle (bez. zw. 1200 u. 1239/40) 241, 244 Johann, Herr v. Oisy u. Montmirail (1165–1217) 233 Johann, Bf. v. Olmütz (1157–1172) 215, 217 Johann v. Breunau, Bf. v. Olmütz (1063–1085) 210, 213, 215 Johann, Gf. v. Ponthieu (1147–1191) 239f. Johann v. Warmenton, Bf. v. Thérouanne (Pas-deCalais, 1099–1130) 229 Johann v. Wancourt, nordfranzös. Adeliger (1170) 238 Johann s. Fust Johann Casimir, Pfalzgf. (1583–1592) 131 Johanna, Hzgin. v. Brabant (1322–1406) 120, 139 Johanna (v. Dammartin), Gfin. v. Ponthieu (1250– 1279) 239 Johannes VIII., Papst (872–882) 59 A. Johannes XIX., Papst (1024–1032) 65 A. Johannes XXII., Papst (1316–1334) 71, 77 A., 78f., 79 A., 81 A.

Johannes XXIII., (Gegen-)Papst (1410–1415) 80 A. Johannes (v. Toledo, Kardinalpriester v. S. Lorenzo in Lucina, 1244–1261) 243 Johannes v. St. Paul, Kardinal (1193–1214) 162 Johannes de Utino, Theologe, Chronist († nach 1363) 265 Johannes s. Ammelreich, Poll Johanniter s. Caoursin, (Pierre d’Aubusson) John s. Johannes John s. Tiptoft Joseph II., Ks. (1780–1790) 142–144, 146 Josse s. Jodok Jourdain de Beaunay (1268) 239 Joyeuse Entrée s. Brabant Judas, Verräter Jesu 210, 213 Julius II., Papst (1503–1513) 180f., 204 Julius Cäsar, röm. Staatsmann (100 v. Chr.–44 v. Chr.) 136–138 K Kärnten 134 – Hzg. s. Ulrich Kalifornien 111 Kaminsky, Hans Heinrich, Historiker (* 1938) 39 A. Kanada 111f. Karl d. Große, fränk. Kg., Ks. (768–814) 63 Karl III., Kg. d. Ostfrankenreiches (876–887), Ks. (881–888) 42 Karl III. d. Einfältige, Kg. d. Westfrankenreiches (893/98–923) 175, 199 Karl IV., Ks. (1346–1378) 84 A., 93, 93 A., 100, 119, 136, 138 Karl V., Ks. (1519–1556) 134 Karl I., Kg. v. England (1625–1649) 126–128 Karl d. Gute, Gf. v. Flandern (1119–1127) 228, 230–232, 235 Karl V., Kg. v. Frankreich (1364–1380) 99f. Karl Robert v. Anjou, Kg. v. Ungarn (1308–1342) 261 Karolinger 57, 61 Karpaten 247 Katharina s. Poll Kehr, Paul Fridolin, Historiker (1860–1944) 17, 36 A., 40–42 Keller, Hagen, Historiker (* 1937) 163, 165 Kempten 182 Kilian Münch s. Münch Kladruby/Kladrau, Benediktinerabtei, westl. Böhmen 216, 223f. Kleinpolen 247 Kleve 83 A., 170 – Gf. s. Adolf Klosterbruck s. Louka Klosterneuburg, NÖ, Fam. s. Hutstock Klosterneuburg, Regularkanoniker-Stift 81 A., 254 Knesselare (Ost-Flandern, Belgien) 236 Koblenz 175 A.

Register 277 Koch, Gottfried, Historiker (1932–1968) 28 Koch, Max Friedrich, Maler (1859–1930) 166f., 189 Köln, Ebf., s. Rainald v. Dassel Köln, Kfst. 84 A., 85 A., 89 A. Kölzer, Theo, Historiker (* 1949) 29 Körpnerin s. Kunigunde Kőszeg/Güns 250, 259 Koller, Heinrich, Historiker (1924–2013) 22, 96, 99 Konrad I., Kg. d. Ostfrankenreichs (909–918) 33, 36 Konrad II., Ks. (1024–1038) 18, 22, 66 Konrad, Frater s. Heiligenkreuz Konrad v. Geisenheim, Bf. v. Lübeck (1379–1386) 107 Konrad v. Schaunberg, Gf. († 1353) 257 Konrad II. Otto, Hzg. v. Böhmen, Mgf. v. Mähren (1157–1191) 220, 223, 225 Konradin, dt. Kg. (1254–1268) 36 A. Konstanz 90, 103, 170, 192–194 – Bf. s. Otto v. Sonnenberg Krause, Hermann, Historiker (1902–1991) 22, 25 A. Krieg, Heinz, Historiker (* 1966) 29 Kuenring, österr. Ministerialengeschl., s. Hadmar Kunigunde, Ehefrau d. Haug v. Ingolstadt, Bürgers v. Wien (1320) 256 Kunigunde Körpnerin, Bürgerin v. Pressburg (1319) 254, 256 L Lachmann, Karl, Germanist (1793–1851) 37f., 41 Lainsitz, Nebenfluß d. Moldau in NÖ u. Böhmen 217 Lambert, Abt d. Benediktinerabtei St-Bertin (1095– 1124) 230, 232 A. Lambert (von Brügge), Bf. v. Thérouanne (1191– 1207) 230, 238 Lancaster, engl. Kgsgeschl. 176 Laon (Dép. Aisne), Bf., s. Bartholomäus – St-Martin, Prämonstratenserabtei 237 – St-Vincent, Benediktinerabtei 244 Lauber, Diebold, Schreiber u. Handschriftenhändler († nach 1471) 178 A. Laudage, Johannes, Historiker (1959–2008) 29 Le Crotoy (Dép. Somme) 239 Le Goff, Jacques, Historiker (* 1924) 46 Lehotská, Darina, Historikerin (1922–1990) 250 A. Leitha, Fluß 252 Leo IV., Papst (847–855) 53 A. Leo IX., Papst (1049–1054) 53 A., 54 A., 57, 59, 61–63, 63 A., 64–66, 66 A. Leo X., Papst (1513–1521) 72 Leopold II., Ks. (1790–1792) 144 Leopold III., Hzg. v. Österreich (1365–1386) 107, 260 Leopoldsdorf, NÖ 260 Leutschau s. Levoča Le Verguier (Dép. Aisne) s. Rainer Levoča/Leutschau, Ostslowakei 265

Lhotsky, Alphons, Historiker (1903–1968) 116, 125, 150 Liberec s. Reichenberg Liebhard Egkenfelder s. Egkenfelder Liège s. Lüttich Lille (Dép. Nord) – Kollegiatkirche St-Pierre 227 A. Limassol, Zypern 73 Lincolnshire 178 Lissabon 73 Liudolfinger, sächs. Hzgsgeschlecht 166 Livland 253 Lombardei 23 London 113 Lorenz, Sohn d. Peter, Bürger v. Pressburg (1348) 257 Lothar III., Ks. (1125–1137) 19, 34, 211 Louis s. Ludwig Louka/Klosterbruck, Prämonstratenserkloster b. Znaim, Mähren 220, 223 Lucca 72, s. auch Ciabattus Lucius III., Papst (1181–1185) 244 Ludewig, Johann Peter v., Jurist u. Historiker (1668– 1743) 133 Ludwig d. Fromme, Ks. (814–840) 36 A., 39, 41–43, 44 A., 45, 47 A. Ludwig d. Bayer, dt. Kg., Ks. (1314–1347) 90 A., 94, 96 Ludwig v. Brandenburg, Gf. v. Tirol (1342–1361) 121 Ludwig VI., Kg. v. Frankreich (1108–1137) 231 Ludwig VIII., Kg. v. Frankreich (1223–1226) 239 Ludwig IX., Kg. v. Frankreich (1226–1270) 242 Ludwig XI., Kg. v. Frankreich (1461–1484) 93, 103 Ludwig v. Freiberg, Bf. v. Konstanz (1474–1481) 103 Ludwig I., der Schwarze, Hzg. v. Pfalz-Zweibrücken (1453–1489) 179 A., 200 Ludwig VI., Pfalzgf. (1576–1583) 131 Ludwig v. Anjou, „der Große“, Kg. v. Ungarn (1342–1382) 261 Lübeck 103, 166–168, 182, 189f. – Bf. s. Konrad v. Geisenheim – Stadtvogt s. Reinhold Lüneburg 171, 175 – Ratsherr s. Brand v. Tzerstede Lünig, Johann Christian, Jurist u. Publizist (1662– 1740) 147 Lüttich/Liège 229 – Bf. s. Durand, Notger Lundenburg s. Břeclav Lupus v. Ferrières, Theologe u. Autor (ca. 805–nach 861) 172 Luschin von Ebengreuth, Arnold v., Historiker (1841–1932) 121 Lutz, Eckhard Conrad, Germanist (* 1951) 163f. Luxemburger, dt. Kgsdynastie 96 Luzern 171

278 Register M Mabillon, Jean, Diplomatiker (1632–1707) 33, 35f. Mähren 212, 221 A., 247, 252f. Magdeburg 166, 180 Magna Charta (1215) 109–114, 116f., 119, 121– 131, 149, 152–154, 159f. Magyaren 248, 251 Mahaut s. Mathilde Mailand 170, 192, 215 A. – Hzg. s. (Filippo Maria Visconti) Mainz 19, 102–104 – Ebf. s. Adolf v. Nassau, Diether von Isenburg, Johann v. Nassau – Hoftag (1235) 171 – Kfst. 84 A., 89 A. Malta 27 Manfred, Kg. v. Sizilien (1250–1266) 36 A. Marburg 23 Marchiennes (Dép. Nord), Benediktinerabtei 229 A., 231 Marck (Pas-de-Calais) 232 Marculf, Autor der Formelsammlung 227f. Margarethe, Gfin. v. Flandern (1361–1405) 99 Margret s. Hambatho Maria, Hzgin. v. Burgund (1477–1482) 119 Maria, Tochter d. Gfen. Wilhelm (II. Talvas) v. Ponthieu, Ehefrau d. Simon de Dammartin († 1250/51) 239 Maria, Mutter d. Hzgs. Konrad II. Otto v. Böhmen 220 Maria, Ehefrau d. Gfen. Matthias (v. Montmorency), Gf. v. Ponthieu († 1250/51) 239f. Maria Theresia, österr. Herrscherin (1740–1780) 142, 146 Marienberg/Borsmonostor, Burgenland, Zisterzienserabtei 259 Martin V., Papst (1417–1431) 79 A., 80f., 81 A. Martin, Vizekanzler d. Kgs. v. Böhmen 214 Martinsdorf s. Nikolaus Martinsdorf-Forchtenstein/Fraknói, Gfen. 261, s. auch Nikolaus, Paul Maschau s. Mašťov Mastaing (Dép. Nord) s. Adam Mašťov/Maschau, Zisterzienserabtei im nordwestl. Böhmen 221, 225 Mathieu s. Matthias Mathilde (v. Dammartin), Gfin. v. Boulogne (1227– 1258) 240 Mathilde, Ehefrau Kg. Stephans v. England (1153– 1154), Gfin. v. Boulogne (1125–1151) 232, 243 Mathilde, Ehefrau d. Gerhard v. Grimbergen (1137– 1175) 236 Matthias (v. Montmorency), Gf. v. Ponthieu (1242– 1250) 239 Matthias de Trie 239 Mauritius (v. Sully), Bf. v. Paris (1160–1196) 245 Mautort (Dép. Somme), Herr, s. Johann

Mayer, Theodor, Historiker (1883–1972) 19, 151, 158 Maximilian I., Ks. (1493–1519) 95, 98, 99 A., 101, 103–106, 119, 144 Maximilian I., Hzg. v. Bayern (1597–1651) 131 McKechnie, William, Historiker (1863–1930) 128, 149, 153f. Meaux (Dép. Seine-et-Marne), Bf., s. (Petrus v. Cuisy) – St-Faron, Benediktinerabtei 246 Mecheln 163 Mecklenburg 167 Medyes s. Nikolaus Meier, Christel, Historikerin (* 1942) 163f., 169 Meier, Jörg, Germanist († 1961) 250 Meißen, Sachsen 212–214, 223 – Bf. s. (Gerung) Meister, Richard, Klass. Philologe, Pädagoge (1881– 1964) 24 Mercia s. Edwin Merowinger 39, 43, 45, 61, s. Childerich II., Chilperich II., Chlodwig III., Dagobert I. Messina 163 Meyer, Karl, Historiker (1885–1950) 157f. Meyer, Werner, Historiker (* 1937) 159 Meyer zu Ermgassen, Heinrich, Historiker163f. Mézières s. Philippe Milhost, böhm. Graf 221f., 225 Milo I., Bf. v. Thérouanne (1130–1158/59) 230, 232, 243 Modena 172 Mongolen 252 Montiéramey (Dép. Aube), Benediktinerabtei 245 Montmirail (Dép. Marne), Herr, s. Johann Mont-St-Éloi (Dép. Pas-de-Calais), Regularkanonikerabtei 237, 245 Mont-St-Martin (Dép. Aisne) Prämonstratenserabtei 238 Mortain (Dép. Manche), Gf., s. Stephan Montreuil (Dép. Aisne), Zisterzienserinnenabtei St-Sauve (v. Blois) 239 Moser, Johann Jakob, Jurist u. Publizist (1710–1785) 147 Mühlbacher, Engelbert, Historiker (1843–1903) 41–43 Müller, Wolfgang, Historiker (* 1940) 163 Münch, Kilian, Rat d. Bfs. v. Eichstätt 169 München 17, 27 – Bayerisches Hauptstaatsarchiv 23, 106 Münster, Bf. s. Friedrich, Werner N Namur (Belgien), Gf., s. Heinrich d. Blinde Nassau s. Adolf, Johann Nassau-Dillenburg s. Johann Neapel 41

Register 279 Nero, röm. Ks. (37–68) 136–138 Nesle, Seigneurie in der Picardie 242 – Herren v. s. Johann (II.), Simon v. Clermont Neuseeland 111f., 114 Nidwalden 171f. Niederlande 104, 141f., 144 Niederösterreich 147, 253, 256 Nikolaus II., Papst (1058–1061) 66 Nikolaus V., Papst (1447–1455) 80 A., 81 A. Nikolaus, Abt d. Benediktinerabtei Corbie (Dép. Somme) (1097–1123) 244 Nikolaus, Gf. v. Martinsdorf-Forchtenstein, auch genannt Teutsch (1356, 1371, 1374) 260f. Nikolaus de Medyes (1383) 262 (Nikolaus v. Roye), Bf. v. Noyon (Dép. Oise, 1228– 1240) 246 Nikolaus, Sohn Jakobs, Bürger v. Pressburg (1346) 257 Ninove (Ost-Flandern, Belgien), Prämonstratenserabtei 236 Notger, Bf. v. Lüttich (972–1008) 229 Notre-Dame s. Brügge Notre-Dame-de-la-Brayelle s. Annay Noyon (Dép. Oise), Bf., s. (Guido des Prés), (Nikolaus v. Roye), Stephan v. Nemours – Offizial s. Hugo Nürnberg 106 Numai s. Alexander Numai O Obrecht, Georg, Jurist u. Publizist (1547–1612) 135 Odo, Bf. v. Beauvais (Dép. Oise, 1144–1149) 242, 245 Odo (III.). Herr v. Ham (Dép. Somme, bez. zw. 1174 u. 1210) 242 Odo (IV.), Herr v. Ham (Dép. Somme, † 1234) 242 Odo (v. Châteauroux, Kardinal-)Bf. v. Tusculum (1244–1273) 243 Ödenburg/Sopron, Ungarn 247, 250, 258f., 261– 263, s. auch Scarbantia – Bürger und Bewohner s. Elisabeth, Pertram, Tröstlein Ölhafen, Rüdiger, österr. Kanzleinotar 107 Österreich 15f., 18, 84 A., 85 A., 100, 133f., 136f., 150f., 172, 252–257, 259–261, 263 – (Erz)Hzg. s. Albrecht III., Ferdinand I., Friedrich IV., Leopold III., Sigismund „der Münzreiche“ – Mkgf. s. Heinrich II. Jasomirgott – Landmarschall s. Dietrich v. Pillichsdorf Österreich unter der Enns s. Niederösterreich Ofen s. Buda Oisy (Dép. Pas-de-Calais) s. Johann Olmütz/Olomouc, Bist. 84 A., 208, 213f., 219, 223 – Bf. s. (Dietleb), Heinrich Zdík, Johann, Johann v. Breunau – Fs. s. Otto, s. auch Eufemia

Opatovice/Opatowitz, Benediktinerabtei in Ostböhmen 208 Opll, Ferdinand, Historiker (* 1950) 26, 29 Ottenthal, Emil von, Historiker (1855–1931) 78 Otto IV., Ks. (1198–1218) 19, 22, 36 A. Otto das Kind, Hzg. v. Braunschweig-Lüneburg (1235–1252) 171 Otto v. Sonnenberg, Bf. v. Konstanz (1474/81–1491) 103 Otto, Olmützer Teilfürst (1054–1087) 208f., 224 Ottokar I. Přemysl, Hzg., dann Kg. v. Böhmen (1198–1230) 212 A., 220 A. Ottokar II. Přemysl, Kg. v. Böhmen (1253–1278) 84 A., 224 A. Oudenburg (Westflandern, Belgien) 244 P Päpste s. Agapit II., Alexander II., Alexander III., Alexander IV., Alexander V., Benedikt III., Benedikt X., Benedikt XII., Benedikt XIII., Bonifaz VIII., Bonifaz IX., Calixt III., Clemens (III.), Clemens IV., Clemens VI., Clemens VII., Coelestin III., Deusdedit, Eugen IV., Gregor I., Gregor VII., Gregor IX., Hadrian I., Hadrian IV., Honorius III., Innocenz III., Innocenz IV., Innocenz VIII., Johannes VIII., Johannes XIX., Johannes XXII., Johannes XXIII., Julius II., Leo IV., Leo IX., Leo X., Lucius III., Martin V., Nikolaus II., Nikolaus V., Paschalis II., Paul II., Pius II., Silvester II., Sixtus IV., Stephan IX., Urban II., Urban IV., Urban V., Viktor II. Papsonová, Mária, Germanistin (* 1946) 251 Paravicini Bagliani, Agostino, Historiker (* 1943) 163f. Pardessus, Jean Marie, Rechtshistoriker (1772–1853) 33 Paris 41, 77 A., 84 – Bf. s. Imbertus, Mauritius (v. Sully), (Renaud Mignon v. Corbeil) – Kanzler d. Kathedralkapitels 245 – St-Martin-des-Champs, Benediktinerpriorat 173–175 – St-Victor, Abt, s. (Bernhard) Parisse, Michel (* 1936), Historiker 235 Paschalis II., Papst (1099–1118) 65, 67f., 229 Passau 83 A. Paul II., Papst (1464–1471) 79 A., 81 A. Paul v. Martinsdorf-Forchtenstein (ca. 1380) 261 Paul s. Holzkeufel Paulus, Apostel 67f. Perger, Bernhard, Ges. Ks. Friedrichs III. 98 Péronne (Dép. Somme), Kapitel v. St-Fursy 233 – coutre s. Simon v. Béthencourt Pertram, Bürger von Ödenburg (1379) 259 Pertz, Georg Heinrich, Historiker (1795–1876) 35f. Pertz, Karl, Historiker (1828–1881) 35f. Peter v. Andlau, Jurist (1420–1480) 132

280 Register Peter III., Kg. v. Aragón (1276–1285) 119 Peter IV. el Ceremonioso, Kg. v. Aragón (1336–1387) 99f. Peter, Bf. v. Arras (1184–1203) 237f. Peter v. Corbie, Kanoniker v. Arras, auch Trouvère (1188–1195) 237 Peter v. Manancourt (Dép. Somme) (1276) 243 Peter, Sohn Jakobs, Bürger v. Pressburg (1348) 257 Peter III., Gf. v. St. Georgen u. Pösing (1404–1422) 260 (Peter v. Normandie), Kommandeur der Templer im Laonnais (1276) 243 Peter s. Schöffer Peter Custer, Verweser d. Pressburger Kollegiatkapitels 256 Petersohn, Jürgen, Historiker (* 1935) 28 Petrarca, Francesco, Dichter u. Geschichtsschreiber (1304–1374) 136f. Petrus s. auch Peter, Pierre Petrus, Apostel 67f., 180f., 204 Petrus Gosse aus Bapaume (Dép. Pas-de-Calais) 242 (Petrus v. Cuisy), Bf. v. Meaux (Dép. Seine-et-Marne) (1223–1255) Petrus v. Picquigny (1182) 232 Petrus v. St-Martin, Offizial d. Diöz. Soissons (Dép. Aisne) (1261) 244 Peyer, Hans Conrad, Historiker (1922–1994) 22, 158 Pfalz, Kurfst. 131, s. auch Johann Casimir, Ludwig VI. Pfalz-Zweibrücken, Hzg. s. Ludwig I. Pferschy, Gerhard, Archivar u. Historiker (* 1930) 19 Pferschy-Maleczek, Historikerin (* 1959) 21, 26 Philipp v. Schwaben, dt. Kg. (1198–1208) 22, 27 Philipp, Prokurator d. Abtei Arrouaise (1253) 245 Philipp II. Augustus, Kg. v. Frankreich (1180–1223) 238 Philipp VI., Kg. v. Frankreich 1328–1350) 93 Philipp, Archidakon v. Reims (1196) 244 Philipp II., Kg. v. Spanien (1556–1598), auch Hzg. v. Brabant (1549) 124, 140–142 Philipp, Gf. v. Vermandois (1167–1191), Gf. v. Flandern (1168–1191) 231, 236 Philippa, Ehefrau Ottos II., Gf. v. Geldern, († 1277/81) 239 Philippe de Mézières, Diplomat u. Autor († 1405) 100 Picquigny (Dép. Somme) s. Petrus Pierre s. auch Peter, Petrus Pierre s. Scatisse (Pierre d’Aubusson), Kardinal, Großmeister d. Johanniterordens († 1503) 180 Pillichsdorf s. Dietrich Pisa, Konzil 79 Pius II., Papst (1458–1464) 80 A., 81, 81 A. Plassmann, Alheydis, Historikerin (* 1969) 29 Plasy, Zisterzienserabtei b. Pilsen 216–219, 221, 223f.

Plattensee s. Balaton Podivín, Burg, Südmähren 212 Pogner s. Jans Pogner Pohl, Walter, Historiker (* 1953) 163f. Poitiers, Bf., s. Dido Poll, Jans, Bürger v. Pressburg (1360) 257 Poll, Johannes, Bürger v. Wien (1351) 257 Poll, Katharina, Ehefrau d. Johannes 257 Pommern 253 Ponthieu (Dép. Somme) 238, 242 – Gfen. s. Guido I., Guido II., Johann, Matthias, Simon (v. Dammartin), Wilhelm (II. Talvas), s. auch Johanna, Maria Poullet, Edmond, Rechtshistoriker (1839–1882) 152 Prade, Heinrich, Reichsratsabgeordneter (1853– 1927) 15 Prag 15, 84 A., 212, 217f., 220f., 223f. – Bf. s. Daniel, Heinrich (Břetislav) s. auch Břevnov, Vyšehrad Přemysl s. Ottokar Pressburg/Bratislava 247, 249 A., 250–254, 257– 260, 263 – Bürger und Bewohner s. Ammelreich, Geisel, Hambatho, Heinrich, Heinrich Ruster, Heinrich der Vogel, Hutstock, Jakob, Jakob Hambatho, Jans Pogner, Kunigunde Körpnerin, Lorenz, Margret, Nikolaus, Peter, Poll, Walchun – Kollegiatkapitel 255f., 258, 260, 262, 265 Verweser s. Peter Custer – Michaelergasse 255 – Richter s. Jakob – Stadtarchiv 260 – Stadtschreiber s. Egkenfelder Preußen 253 Privilegium maius (v. 1358/59) 116f., 120 Privilegium minus (v. 1156) 116f., 120, 150 Prüm (Eifel-Ardennen), Benediktinerabtei 172f. Pütter, Johann Stephan, Jurist u. Publizist (1725– 1807) 147 Pufendorf, Samuel, Jurist u. Publizist (1632–1694) 135f. Pynson, Richard, Buchdrucker (1448–1529) 126 R Raab s. Győr Rabikauskas, Paulius, Historiker (1920–1998) 60 Radbod, Bf. v. Tournai (1068–1098) 230 Radbod, Ebf. v. Trier (883–915) 175f., 199 Radulf (v. Neuville), Archidiakon v. Arras (1187– 1203), später Bf. v. Arras (–1221) 237 Radulf, Gf. v. Vermandois (1102–1152) 231 Rainald v. Dassel, Ebf. v. Köln (1159–1167) 23 Rainer, Herr v. Le Verguier (Dép. Aisne) (1238) 241 Raoul s. Radulf Redlich, Oswald, Historiker (1858–1944) 17 Regensburg 17, 102, 172, 247, 258

Register 281 Reichenau, Bodensee 28 Reichenberg/Liberec (Tschechien) 15 Reims 238 – Archidiakon s. Philipp – Ebf. s. Heinrich, Renaud, (Thomas v. Beaume), Wilhelm „aux blanches mains“ – Kanoniker s. Fulko, Guido – St-Nicaise, Benediktinerabtei 228 A., 244 – St-Thierry, Benediktinerabtei 234 Reiner(-Mégier), Elisabeth, Historikerin (* 1932) 23 Reinhold, Stadtvogt v. Lübeck (gen. 1161) 166 Renaud de Dammartin, Gf. v. Boulogne (1190– 1216) 231, 238 (Renaud Mignon v. Corbeil), Bf. v. Paris (1250– 1268) 243 Renaud, Ebf. v. Reims (1125–1138) 234 Renier s. Rainer Reymerswaele, Marinus van, Maler (ca. 1490– ca.1546) 163, 188 Rhein 253 Rhodos 180 Richard (v. Gerberoy), Dekan d. Kathedralkapitels v. Amiens (bez. ab 1191, Bf. v. Amiens 1204–1210) 238 Richard, Abt v. Fulda (1018–1039) 68 A. Richental, Ulrich, Chronist 170, 179, 192–194 Richmond, Yorkshire 175–177, 200 – Gf. s. Alanus Riedmann, Josef, Historiker (* 1940) 24f. Rieval (Dép. Meuse), Prämonstratenserabtei 239 Riga 73, 103 Robert, Bf. v. Arras (1115–1131) 229 A. Robert, Abt d. Regularkanonikerabtei Arrouaise (Dép. Pas-de-Calais) (1196–1202) 237, 242 Robert, Gf. v. Artois (1250–1302) 246 Robert v. Bailleul (Dép. Pas-de-Calais), nordfranzös. Adeliger (1291) 241 Robert (I.) der Friese/le Frison, Gf. v. Flandern (1071–1093) 230 Robert (II.), Gf. v. Flandern (1093–1111) 244 Robert Fretel, nordfranzös. Adeliger (1217) 239 Robert de Hinges (Dép. Pas-de-Calais), nordfranzös. Adeliger (1194) 237 Rodrigo s. Borgia Römisch(-deutsch)es Reich, Kg./Ks. s. Adolf v. Nassau, Albrecht I., Albrecht II., Ferdinand I., Ferdinand III., Friedrich I., Friedrich II., Friedrich III., Heinrich II., Heinrich III., Heinrich IV., Heinrich V., Heinrich VI., Heinrich VII., Heinrich (VII.), Joseph II., Karl d. Große, Karl IV., Karl V., Konrad II., Konradin, Leopold II., Lothar III., Ludwig d. Bayer, Ludwig d. Fromme, Maximilian I., Otto IV., Philipp v. Schwaben, Rudolf I., Ruprecht, Sigismund v. Luxemburg, Wenzel, Wilhelm v. Holland Rollancourt, Rollaincourt (Dép. Pas-de-Calais) s. Balduin Rom 22f., 53, 57, 66f., 75, 181

Romanus, Abt v. S. Scolastica, Subiaco (1193–1216) 162, 184 Rosenberg s. Hieronymus Roth, Franz Otto, Historiker (1929–2005) 23 Rothard, Bf. v. Cambrai (975–995) 229, 235 Rotherius de Balhorn, päpstl. Protonotar 81 A. Roucy (Dép. Aisne), Gf., s. Gerhard Roye (Dép. Somme) s. Walter Rudolf I., dt. Kg. (1273–1291) 95, 158 Rudolf III., Hzg. v. Österreich (1298–1306), Kg. v. Böhmen (1306–1307) 255 Rudolf IV. „der Stifter“, Hzg. v. Österreich (1358– 1364) 120, 136, 150, 259 Rudolfinger, burgundisches Kgsgeschl. 42 Rück, Peter, Historiker (1934–2004) 44, 57, 64, 69 Rüdiger s. Ölhafen Ruprecht, dt. Kg. (1400–1410) 84 A., 98, 98 A., 100 Ruprecht v. Blitterswijk, Ges. Ks. Friedrichs 98 Ruster s. Heinrich Ruster Rzihacek, Andrea, Historikerin (* 1963) 27 S Sankt, San, Saint, Santo werden nicht unterschieden, alle Lemmata stehen zu Beginn des Buchstabens S St-Acheul s. Amiens St-Amand s. Elnone St-André-au-Bois (Pas-de-Calais), Prämonstratenser­ abtei 232 St-Aubert s. Cambrai St-Bavon s. Gent St-Bénigne s. Dijon St-Bertin (Dép. Pas-de-Calais), Benediktinerabtei 227, 230–232, 241 – Abt s. Lambert St-Faron s. Meaux St. Florian, Chorherrenstift 169 St-Frambaud s. Senlis St-Fursy s. Péronne St. Gallen 168 St. Georgen u. Pösing, Gfen. 257f., 260f., 264, s. auch Peter III., Thomas V. St-Josse-sur-Mer (Dép. Pas-de-Calais), Benediktinerabtei, Abt, s. Florent St-Martin s. Laon St-Martin, Tours 43 St-Martin-des-Champs s. Paris St. Maximin, Trier 43 St-Nicaise s. Reims St-Omer (Dép. Pas-de-Calais), Kastellan, s. Wilhelm (de Beaurains) St-Pierre s. Douai, Gent, Lille St. Pölten, NÖ 256 St-Pol, Gft. im Norden Frankreichs, hte. Dép. Pas-de-Calais 242 – Gf./Gfin. s. Elisabeth, Guido (III. v. Châtillon), Hugo IV. (de Campdavaine), Hugo V., Hugo VI., Walter v. Châtillon

282 Register St-Prix s. St-Quentin St-Quentin (Dép. Aisne) – St-Prix, Benediktinerabtei 237 St-Riquier (Dép. Somme), Benediktinerabtei 229, 239, s. Hariulph St-Sauve s. Montreuil S. Scolastica s. Subiaco St-Thierry s. Reims St-Trond (Limburg, Belgien), Benediktinerabtei 244 St-Vaast s. Arras St-Victor in Paris, Abt, s. (Bernhard) St-Vincent s. Laon St-Vincent s. Senlis St-Vulfran s. Abbeville St-Yved s. Braine Sablonier, Roger, Historiker (1941–2010) 159 Sachsen, Kursachsen 89 A., 107 – Hzg. s. Albrecht, Heinrich der Löwe, s. auch Wettiner Säckingen (bei Waldshut, Baden-Württemberg) 180 Sacro Speco s. Subiaco Sahle, Patrick, Historiker (* 1968) 44 Sailly (Dép. Somme) 238 Salzburg, Erzstift 147 Samer (Dép. Pas-de-Calais), Benediktinerabtei 231 Santifaller, Leo, Historiker (1890–1974) 16 A., 17–19, 22, 22 A., 23f., 24 A. Šariš, Gespanschaft in d. Nordostslowakei 264 Sauxillanges (Dép. Puy-de-Dôme) 232 A. Savoyen 85 A. Scarbantia, röm. Lager b. Ödenburg/Sopron 258 Scatisse, Pierre, Thesaurar Kg. Karls V. v. Frankreich 99 Schaunberg, Gf., s. Konrad Schiaparelli, Luigi, Historiker (1871–1934) 36 A. Schieffer, Rudolf, Historiker (* 1947) 16 A., 22, 29, 60 Schieffer, Theodor, Historiker (1910–1992) 38f., 41f. Schilling, Diebold, Chronist (ca. 1460–1515) 171f., 196 Schlesien 17, 19, 247 Schloßbösig s. Bezdež Schlosser, Julius von, Kunsthistoriker (1866–1938) 17 Schober, Johann, österr. Bundeskanzler (1874–1932) 16 Schöffer, Peter, Drucker in Mainz († 1503) 102–104 Schrötter, Franz Ferdinand v., Rechtshistoriker u. Publizist (1736–1780) 115, 137–139 Schwaben 224 Schweiz 156–158 – Bundesbrief (v. 1291) 116–118, 121–124, 148, 156–160 Schwyz (Schweizer Kanton) 156, 158, 171 Seeland 141 Selden, John, Jurist, Universalgelehrter (1584–1654) 130

Selincourt (Dép. Somme), Prämonstratenserabtei 239 Semmler, Josef, Historiker (1928–2011) 41 Senlis (Dép. Oise) – Bf. s. (Adam v. Chambly) – Kathedralkapitel, Kantor, s. Wilhelm – St-Frambaud, Kollegiatkapitel 238 – St-Vincent, Regularkanonikerabtei 238 Severinus de Monzambano, Pseudonym f. Samuel Pufendorf 135 Sickel, Theodor von, Historiker (1828–1908) 17, 27, 35–42, 44, 46 Sigismund (Sigmund) v. Luxemburg, dt. Kg., Ks. (1410–1437), Kg. v. Ungarn (1385–1437) 94, 100, 170, 179, 192f., 249 A., 261f. Sigismund „der Münzreiche“, Hzg. v. ÖsterreichTirol (1439–1486) 101 Signy (Dép. Ardennes), Zisterzienserabtei 233 Sillein/Žilina, Slowakei 262f. Silvester II., Papst (999–1003) 59 A. Simon v. Bailleul, nordfranzös. Adeliger (1272) 242 Simon v. Béthencourt, coutre d. Kapitels v. St-Fursy in Péronne (1270, 1272) 242 Simon v. Clermont, Herr v. Nesle (1241–1286) 241, 242 Simon (v. Dammartin), Gf. v. Ponthieu (1225–1239) 239, 240 Simon, Bf. v. Tournai (1123–1146) 230 Sixtus IV., Papst (1471–1484) 79 Sizilien, Kgr. 88 – Kg. s. Manfred Slowakei 248–250, 252 Soběslav I., Hzg. v. Böhmen (1125–1140) 208, 210f., 222 Soběslav II., Hzg. v. Böhmen (1173–1180) 211, 216f., 223f. Soissons (Dép. Aisne), Offizial, s. Petrus v. St-Martin Sopron s. Ödenburg Späth, Markus, Kunsthistoriker (* 1968) 162f. Spanien 27, 140 Speyer 163 Spiš s. Zips Spoleto 166 Spreitzer, Renate, Historikerin (* 1964) 27 Srbik, Heinrich Ritter von, Historiker (1878–1951) 16 Stará Boleslav/Altbunzlau (nordöstl. Prag), Kollegiatkapitel 208 Steiermark 18 Stein, Friedrich Christian v., Diplomat († 1739) 137 Steinherz, Samuel, Historiker (1857–1942) 95 Stelzer, Winfried, Historiker (* 1942) 25, 75 Stengel, Edmund E., Historiker (1879–1968) 42 Stephan IX., Papst (1057–1058) 66 Stephan (v. Blois), Gf. v. Boulogne (1049–1088) 231 Stephan (v. Blois), Gf. v. Boulogne (1125–1154), auch Gf. v. Mortain u. Kg. v. England 231 Stephan v. Nemours, Bf. v. Noyon (1188–1221) 233

Register 283 Stephan du Péage, nordfranzös. Adeliger (1273) 245 Stephan I., Kg. v. Ungarn (1000–1038) 248, 252 Stockhausen, Hans v., hessischer Adeliger 180 Stockholm 27 Stolz, Otto, Historiker (1881–1957) 121 Strein v. Schwarzenau, Reichart, ksl. Rat, Historiker (1538–1600) 137, 147 Strobnitz, Fluß in NÖ u. Böhmen 217 Stubbs, William, Historiker, Bf. v. Oxford (1825– 1901) 130 Stuhlweißenburg s. Székesfehérvár Stutz, Ulrich, Rechtshistoriker (1868–1938) 158 Subiaco 162–166, 174, 184, 186 – Sacro Speco, Benediktinerkloster 161f., 184 – S. Scolastica, Benediktinerkloster 162, 164 Abt s. Romanus Sulpicius, Bf. v. Bourges (624–647) 42 A. Swoboda, Karl Maria, Kunsthistoriker (1889–1977) 17 Székesfehérvár/Stuhlweißenburg, Ungarn 247, 262 T Taler, Ulrich, Buchmaler (bez. zw. 1496 u. 1514) 191 Tangl, Michael, Historiker (1861–1921) 41 Teplá/Tepl, Prämonstratenserkloster in Westböhmen 221–224 Teufel s. Belial Theobald (v. Heilly), Bf. v. Amiens (1169–1204) 232, 238 Theodora, Gemahlin d. Heinrich II. Jasomirgott († 1184) 135 Thérouanne (Pas-de-Calais) 232, 238 – Bf. s. Didier, Drogo, Gerhard, Johann v. Warmenton, Lambert (von Brügge), Milo I. – Kathedralkapitel s. Balduin Thibaud s. Theobald Thierry d’Alsace s. Dietrich v. Elsaß Thomas V., Gf. v. St. Georgen u. Pösing (1363–1405) 260 (Thomas v. Beaume), Ebf. v. Reims (1249–1262) 243 Thomasius, Christian, Jurist u. Publizist (1655–1728) 136 Thorau, Peter, Historiker (* 1944) 45 A. Tiptoft, John, Ges. Kg. Heinrichs V. v. England 100 Tirol 146–148, 155 – Gfen. s. Ludwig v. Brandenburg, Sigismund „der Münzreiche“ Tiroler Freiheitsbrief (v. 1342) 116–118, 121f., 124, 144, 148f., 155f., 160 Tiroler Landlibell (v. 1511) 116–119, 124f., 144– 148, 154f., 159f. Tournai (Hennegau, Belgien) – Bf. s. Balderich, Radbod, Simon – Kathedralkapitel 236 Tours s. Saint-Martin Transdanubien, Gebiete westl. u. südl. d. Donau in Ungarn 247, 252 Transilvanien 247

Trave, Fluß bei Lübeck 167f. Trebnitz/Trzebnica, Zisterzienserinnenkl., Niederschlesien 17 Trient, Hochstift 148 Trier – Ebf. s. Balduin v. Luxemburg, Radbod – Kurfürstentum 83 A., 85 A., 89 A. Trier s. St. Maximin Trifels, Burg, bei Landau, Pfalz 179 A. Tröstlein, Jude aus Ödenburg (1376) 259 Troyes (Dép. Aube), Kathedralkapitel 245 Trzebnica s. Trebnitz Tschechien 15 Tschudi, Ägidius, Historiker (1505–1572) 156 Tübingen, Vertrag (v. 1514) 123 Tzerstede, Brand v., Ratsherr v. Lüneburg 171, 195 U Ughelli, Ferdinando, Historiker (1595–1670) 33, 35 Uiblein, Paul, Historiker (1926–2003) 23 Ulm 103 Ulrich, Hzg. v. Kärnten (1256–1269), Herr v. Lundenburg/Břeclav (1237–1247) 220 A. Ulrich, Hzg. v. Württemberg (1498–1519, 1534– 1550) 123 Ulrich s. Richental Ungarn 104f., 224, 247, 249f., 252f., 255, 259–265 – Goldene Bulle (v. 1222) 118, 122 – Kg. s. Andreas II., Andreas III., Karl Robert v. Anjou, Ludwig v. Anjou, Sigismund v. Luxemburg, Stephan I., s. auch Gisela Unterwalden (Schweizer Kanton) 156, 158, 171 Urban II., Papst (1088–1099) 63, 65, 67, 232 A. Urban IV., Papst (1261–1264) 72 A. Urban V., Papst (1362–1370) 79 A., 80 A. Uri (Schweizer Kanton) 156, 158, 171 Urso, Gefährte d. Hl. Fridolin 180 Utino s. Johannes Utrecht, Bf., s. Balduin V Váh/Waag, Fluß in der Slowakei 247 Val-Saint-Pierre (Dép. Aisne), Kartäuserkloster 233 van der Noot, Hendrik, brabant. Politiker (1750– 1827) 142f. Vasari, Giorgio, Maler u. Schriftsteller (1511–1574) 162f. Vaucelles (Dép. Nord), Zisterzienserabtei 233 Vergy s. Imbertus Vermandois, Gft. (heute in den Dép. Aisne u. Somme), Gf., s. Philipp, Radulf Verona 24 Vicoigne (Dép. Nord), Prämonstratenserabtei 238 Vierfeld (Vorfeld ?), Ort b. Pressburg/Bratislava 252, 262 Vinzenz, Notar d. Bf. Daniel v. Prag u. d. Kgs. Vladislav I., Fortsetzer d. Chronik d. Cosmas 215f.

284 Register (Visconti, Filippo Maria), Hzg. v. Mailand 170 Viktor II., Papst (1055–1057) 53 A., 65f. Vindicianus, Bf. v. Cambrai (669–712) 229 Vitry s. Jakob v. Vitry Vladislav II., Hzg., Kg. v. Böhmen (1140, Kg. 1158– 1172) 209, 212–216, 223f. Vladislav Heinrich, Hzg. v. Böhmen, Mgf. v. Mähren (1197–1222) 222f. Vogel s. Heinrich der Vogel Vogelaer s. De Vogelaer Vogeler, Georg, Historiker (* 1969) 44 Voormezele (West-Flandern, Belgien), Propstei 229 Vratislav II., Kg. v. Böhmen (1061–1092, Kg. 1085/86) 207f., 211, 222 Vyel, Michel (1479) 103 Vyšehrad (Prag), Kollegiatkapitel 208, 210f., 216– 219, 223 W Waag s. Váh Waitz, Georg, Historiker (1813–1886) 33–36, 38, 41, 167 Walchun, Bürger v. Pressburg (1326) 254 Waldsassen, Zisterzienserabtei, Oberpfalz 212, 214, 215 A., 217, 219, 221–223 Walter, Abt d. Regularkanonikerabtei Arrouaise (Dép. Pas-de-Calais, 1193–1194) 242 Walter v. Roye, Thesaurar v. Notre-Dame de Nesle (1259) 241 Walter v. Châtillon, Gf. v. St-Pol (1205–1219) 231 Walter, Anton Julius, Historiker (1906–1985) 22 Wancourt (Dép. Pas-de-Calais) s. Johann Warneton (Hennegau, Belgien), Regularkanonikerabtei 237 Wattenbach, Wilhelm, Historiker (1819–1897) 117, 120, 150 Weigl, Herwig, Historiker (* 1956) 20 Weitra, NÖ 217 Wettiner, sächs. Hzgsgeschl. 83 A. Wenzel, dt. Kg. (1378–1400) 94, 96, 100, 106f., 118 A. Wenzel, Hzg. v. Brabant (1356–1383) 120, 139 Wenzel, Horst, Germanist (* 1941) 163f. Werner, Bf. v. Münster (1132–1151) 228 A. Wibolt s. Fischl Wien 15, 17f., 20f., 23, 27, 105, 107, 254, 256–260, 263 – Akademie der Wissenschaften 21, 24 – Bürger und Bewohner s. Auf der Säul, Haug, Holzkeufel, Kunigunde, Poll – Haus-, Hof- und Staatsarchiv 99, 106f. – Institut für Österreichische Geschichtsforschung 18–20, 23f., 27 – Karmeliterkloster 173 – Konkordat (1448) 86 A. – Nationalbibliothek 19, 23 – Ortsteile s. Grinzing, Hütteldorf

– Universität 18, 20 Wiener Neustadt, NÖ 258 Wilhelm II., dt. Ks. (1888–1918) 166 Wilhelm v. Holland, dt. Kg. (1248/54–1256) 89 A., 96 A. Wilhelm (II.), Herr v. Béthune (1191–1214) 237 Wilhelm v. Bibra, Ges. Ks. Friedrichs III. 98 Wilhelm d. Eroberer, Kg. v. England (1066–1087) 175–177, 200 Wilhelm v. Oranien, Führer im niederländ. Unabhängigkeitskrieg († 1584) 141 Wilhelm (II. Talvas), Gf. v. Ponthieu (1179–1221) 231, 237, 239f. Wilhelm „aux blanches mains“, Ebf. v. Reims (1175– 1204) 233, 238 Wilhelm, Kantor d. Kathedralkapitels v. Senlis (Dép. Oise, zu 1197) 238 Wilhelm (de Beaurains), Kastellan v. St-Omer (Pasde-Calais) (1126–1143) 232 Wilhelm Tirel 239 Wilhelm v. Zomergem, nordfranzös. Adeliger († vor 1203) 236 Willencourt (Dép. Somme), Zisterzienserinnenabtei 239 Windeck, Eberhard, Chronist († 1440/41) 178 A. Wittelsbacher, bayer. Hzgsgeschl. 131 Württemberg, Hzg. s. Ulrich Würzburg, Hochstift 84 A., 85 A., 89 A. Y York 177 Yorkshire 176, 178 Ypern (Belgien) 236 Z Zainer, Günter, Drucker in Augsburg († 1478) 102 Zainer, Johann, Drucker in Ulm († um 1523) 103 Zatschek, Heinz, Historiker (1901–1965) 19 Zbečno, bei Rakovník/Rakonitz, Böhmen 219 Zdík s. Heinrich Zeillinger, Kurt, Historiker (1940–2011) 24f. Zeumer, Karl, Rechtshistoriker (1849–1914) 149 Ziegler, Arne, Germanist (* 1963) 250 Žilina s. Sillein Zips/Spiš, Landschaft in der nordöstl. Slowakei 247 Znojmo/Znaim 220 A. – Burggf. s. Hermann v. Ebenthal Zöllner, Erich, Historiker (1916–1996) 151 Zomergem (Ost-Flandern, Belgien) s. Wilhelm Zürich 171, 196 Zwettl, Zisterzienserabtei, NÖ 217, 219f., 223 Zwiefalten, Benediktinerabtei b. Reutlingen, BadenWürttemberg 224