Schizophrenie: Erkennen, Verstehen, Behandeln [2., aktualisierte Auflage. 2018] 3406726941, 9783406726941, 9783406726958

Anders als man in vielen Büchern noch heute lesen kann, zerstö-ren schizophrene Erkrankungen den Kern der Persönlichkeit

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Schizophrenie: Erkennen, Verstehen, Behandeln [2., aktualisierte Auflage. 2018]
 3406726941, 9783406726941, 9783406726958

Table of contents :
Impressum
Inhalt
1. Einleitung
2. Was ist Schizophrenie?
2.1 Wie geht man mit einem an Schizophrenie erkrankten um?
2.2 Fallbeispiele
2.3 Diagnose
2.4 Psychotische Syndrome bei anderen Hirnkrankheiten und bei Vergiftungen (sekundäre oder symptomatische Schizophrenien)
2.5 Schizophreniespektrum: Diagnosen in Übergangsbereichen zur Normalität oder zu affektiven Erkrankungen
2.6 Die Entstehung des Krankheitskonstrukts Schizophrenie
3. Die «Behandlung» schizophren Erkrankter in der Vergangenheit
3.1 Sozialdarwinismus, Eugenik und Krankentötung
3.2 Die Psychiatriereform – der historische Schritt in eine menschliche und therapeutische Psychiatrie
4. Der Verlauf der Schizophrenie
4.1 Krankheitsrisiko und Lebensalter
4.2 Der Einfluss des Alters auf Symptomatik, Krankheitsschwere und Krankheitsfolgen
4.3 Vom Krankheitsausbruch bis zur ersten psychotischen Episode
4.4 Der mittel- und der langfristige Krankheitsverlauf
5. Wie häufig ist die Schizophrenie?
5.1 Gegenwärtige erkrankungs- und Krankheitshäufigkeiten
5.2 Hat sich die Erkrankungshäufigkeit an Schizophrenie im Laufe der Zeit verändert?
6. Die Ursachen der Schizophrenie
6.1 Dispositionelle Risikofaktoren
6.2 Auslösefaktoren
6.3 Prognoseindikatoren in Kindheit und Jugend (frühe Krankheitszeichen?)
6.4 Spätere Risikoindikatoren
7. Begleiterkrankungen (Komorbidität)
7.1 Missbrauch und Abhängigkeit von Suchtmitteln
7.2 Körperliche Krankheiten und Untersuchungen
8. Morphologische und funktionelle Veränderungen des Gehirns bei der Schizophrenie und bei einzelnen ihrer Symptome
8.1 Funktionelle Bildgebung am Gehirn schizophren Erkrankter
8.2 Zusammenhänge zwischen psychologischen Symptomen und biologischen Funktionen
9. Schritte zur Früherkennung von Schizophrenie
10. Behandlung der Schizophrenie
10.1 Psychosoziale Behandlung der präpsychotischen Prodromalphase
10.2 Die psychologische Behandlung der Krankheit
10.3 Medikamentöse Behandlung der Schizophrenie
11. Rehabilitation
11.1 Unterstützung, Betreuung und langfristige Rehabilitation
11.2 Chronisch Kranke in der Familie
11.3 Die Organisation von Familienmitgliedern schizophren Erkrankter
11.4 Die Organisation der Psychiatrie-Erfahrenen
12. Führt Schizophrenie zu vermehrten Gesetzesverstößen und Gewalttätigkeit?
12.1 Was soll man tun?
13. Schizophrenie und Kunst
14. Notsituationen bei schizophrenen Erkrankungen
15. Zusammenfassung und Ausblick
Anmerkungen
Danksagung

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Anders als man in vielen Büchern noch heute lesen kann, zerstören schizophrene Erkrankungen den Kern der Persönlichkeit nicht, und sie schreiten auch nicht unaufhaltsam zu einer totalen Demenz fort. Sie weisen jedoch ein hohes Maß an Verschiedenheit und Vielgestaltigkeit auf. Etwa 20% bleiben nach einer einzigen Krankheitsperiode ohne Rückfall und andere Krankheitsfolgen. Mitunter aber kommt es auch zu lebenslangen Verläufen mit ernsten Folgen. Die Inhalte der scheinbar irrealen Erlebniswelt in der Psychose spiegeln Ängste und Verzweiflung, Hoffnungen und Freuden des Kranken wider. Dieses Buch gibt das aktuelle Wissen über die als Schizophrenie be­zei­ chneten Erkrankungen und vermittelt einen Einstieg in das Verstehen krankhaften Erlebens. Es zeigt Wege und Formen der Behandlung, deren Wirksamkeit und Risiken auf und enthält viele Hinweise zur Bewältigung der eigenen Krankheit und zu einem hilfreichen Umgang mit einem erkrankten Angehörigen oder Patienten.

Prof.  Dr.  Dr.  Dr.  h. c.  mult.  Heinz Häfner ist em. Professor für Psychiatrie der Universität Heidelberg und ehem. Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim. Für seine Forschungen wurde er national und international mehrfach ausgezeichnet. Bei C.H.Beck sind von ihm erschienen: Das Rätsel Schizophrenie. Eine Krankheit wird entschlüsselt (4.  Aufl. 2017) sowie Ein König wird beseitigt. Ludwig II. von Bayern (2008).

Heinz Häfner

Schizophrenie Erkennen, Verstehen, Behandeln

Verlag C.H.Beck

Mit 5 Abbildungen und 10 Tabellen Die erste Auflage dieses Buches erschien 2010.

2., aktualisierte Auflage. 2018 © Verlag C.H.Beck oHG, München 2010 Umschlagmotiv: Abstraktes Kunstwerk eines an Schizophrenie Erkrankten, Privatbesitz Uwe Göbel, München Umschlaggestaltung: Uwe Göbel, München ISBN Buch 978 3 406 72694 1 ISBN eBook 978 3 406 72695 8 Die gedruckte Ausgabe dieses Titels erhalten Sie im Buchhandel sowie versandkostenfrei auf unserer Website www.chbeck.de. Dort finden Sie auch unser gesamtes Programm und viele weitere Informationen.

Inhalt

1. Einleitung

7

2. Was ist Schizophrenie?

9

2.1  Wie geht man mit einem an Schizophrenie Erkrankten um? 12 – 2.2  Fallbeispiele 14 – 2.3  Diagnose 20 – 2.4  Psychotische Syndrome bei anderen Hirnkrankheiten und bei Vergiftungen (sekundäre oder symptomatische Schizophrenien) 24 – 2.5  Schizophreniespektrum: Diagnosen in Übergangsbereichen zur Normalität oder zu affektiven Erkrankungen 25 – 2.6  Die Entstehung des Krankheitskonstrukts Schizophrenie 26

3. Die «Behandlung» schizophren Erkrankter in der Vergangenheit

27

3.1  Sozialdarwinismus, Eugenik und Krankentötung 29 – 3.2  Die Psychiatriereform – der historische Schritt in eine menschliche und therapeutische Psychiatrie 30

4. Der Verlauf der Schizophrenie

31

4.1  Krankheitsrisiko und Lebensalter 31 – 4.2  Der Einfluss des Alters auf Symptomatik, Krankheitsschwere und Krankheitsfolgen 32 – 4.3  Vom Krankheitsausbruch bis zur ersten psychotischen Episode 35 – 4.4  Der mittel- und der langfristige Krankheitsverlauf 43

5. Wie häufig ist die Schizophrenie?

46

5.1  Gegenwärtige Erkrankungs- und Krankheitshäufigkeiten 46 – 5.2  Hat sich die Erkrankungshäufigkeit an Schizophrenie im Laufe der Zeit verändert? 51

6. Die Ursachen der Schizophrenie 6.1  Dispositionelle Risikofaktoren 53 – 6.2  Auslösefaktoren 61 – 6.3  Prognoseindikatoren in Kindheit und Jugend (frühe Krankheitszeichen?) 64 – 6.4  Spätere Risiko­indikatoren 65

53

7. Begleiterkrankungen (Komorbidität)

66

7.1  Missbrauch und Abhängigkeit von Suchtmitteln 67 – 7.2  Körperliche Krankheiten und Untersuchungen 67

8. Morphologische und funktionelle Veränderungen des Gehirns bei der Schizophrenie und bei einzelnen ihrer Symptome

68

8.1  Funktionelle Bildgebung am Gehirn schizophren Erkrankter 72 – 8.2  Zusammenhänge zwischen psychologischen Symptomen und biologischen Funktionen 74

9. Schritte zur Früherkennung von Schizophrenie

76

10. Behandlung der Schizophrenie

80

10.1  Psychosoziale Behandlung der präpsychotischen Prodromalphase 80 – 10.2  Die psychologische Behandlung der Krankheit 82 – 10.3  Medikamentöse Behandlung der Schizophrenie 85

11. Rehabilitation

99

11.1  Unterstützung, Betreuung und langfristige Rehabilitation 101 – 11.2  Chronisch Kranke in der Familie 104 – 11.3  Die Organisation von Familienmitgliedern schizophren Erkrankter 105 – 11.4  Die Organisation der Psychiatrie-Erfahrenen 106

12. Führt Schizophrenie zu vermehrten Gesetzesverstößen und Gewalttätigkeit?

107

12.1  Was soll man tun? 111

13. Schizophrenie und Kunst

112

14. Notsituationen bei schizophrenen Erkrankungen

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15. Zusammenfassung und Ausblick

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Anmerkungen Danksagung

1. Einleitung

Erkrankungen an Schizophrenie werden auch heute noch von vielen Betroffenen mit großer Sorge erlebt. Ein Grund dafür sind Vorurteile, die seit langem die Vorstellungen von dieser Krankheit geprägt haben. Wissen und Verständnis gegenüber einem Menschen, den die Krankheit heimgesucht hat, sind aber notwendig. Wenn die äußere und die innere Wahrnehmung anstelle sachgetreuer Abbilder der Wirklichkeit verzerrte Eindrücke und Vorstellungen liefern, so ist dies für den Kranken Grund tiefer Verunsicherung. Er braucht in dieser Situation vertrauenswürdige Wirklichkeitsnähe und den Beistand seiner nächsten Angehörigen und Freunde. Da schizophrene Erkrankungen – das individuelle Lebenszeitrisiko liegt, abhängig von einer engen gegenüber einer weiten Definition der Diagnose, bei 0,6 – 1,6 % – nicht sehr selten sind, müssen wir mit der Möglichkeit rechnen, dass sie auch uns persönlich treffen können. Wir sollten deshalb über ein hinreichendes Maß an Wissen über diese Krankheit verfügen, um vorbereitet zu sein und sinnvoll handeln zu können. Gelegentlich weist ein Kranker nach akutem Ausbruch einer Schizophrenie mangels Krankheitseinsicht Verständnis und Hilfe zurück, obwohl er sie bitter nötig hätte. Gerade dann ist es notwendig zu wissen, was in der Krankheit geschieht und wie man schwierige Situationen bewältigen kann. Anders als man in vielen Büchern noch heute lesen kann, ist davon auszugehen, dass schizophrene Erkrankungen den Kern der Persönlichkeit nicht zerstören. Das war einst zu befürchten, als mehrjährige Anstaltsaufenthalte unter unzumutbaren Bedingungen die Kranken vom sozialen und geistigen Leben ausgeschlossen hatten. In Deutschland gehört diese Praxis glücklicherweise der Vergangenheit an. Schizophrene Krankheitsprozesse schreiten auch nicht unaufhaltsam zu einer totalen Demenz fort



1. Einleitung

wie neurodegenerative Erkrankungen, etwa Demenzen vom Alzheimer-Typ. Sie weisen jedoch ein hohes Maß an Vielgestaltigkeit ihrer mitunter lebenslangen Verläufe auf. Für den Fachmann ist das Wissen um die Dysfunktionen des Gehirns in der Psychose und um die neurochemischen Mechanismen medikamen­ töser Behandlung ebenso notwendig wie das Verständnis für die veränderte Erlebniswelt des Kranken und für die Lebenspro­ bleme, die mit der Krankheit aufgebrochen sind. Die Inhalte der scheinbar irrealen Erlebniswelt in der Psychose spiegeln Ängste und Verzweiflung, Hoffnungen und Freuden des Kranken wider. Manche ungewöhnlichen Symptome der Psychose sind nichts anderes als Gedanken, Phantasien oder Traumbilder, wie wir sie alle kennen, angenehmer oder unangenehmer, grotesker oder harmloser Art, nur dass der Kranke weitgehend die Fähigkeit verloren hat, sie als seine eigenen Schöpfungen wahrzunehmen. Dieses Buch will Ärzten, Psychologen, Schizophreniekranken und ihren Angehörigen ein konzentriertes Wissen und einen Einstieg in das Verstehen der als Schizophrenie bezeichneten Erkrankungen vermitteln. Es will Wege und Formen der Behandlung, deren Wirksamkeit und Risiken aufzeigen und Hinweise zur Bewältigung der eigenen Krankheit oder zu einem hilfreichen Umgang mit einem an Schizophrenie Erkrankten geben. Dieses Büchlein versucht, eine zusammenfassende, praxisund verständnisnahe Darstellung, gegründet auf dem gegenwärtigen Forschungsstand, unter Verzicht auf eine Literaturdokumentation zu geben. Nur einzelne Literaturquellen, die im Text aufgenommene neue Ergebnisse und Einsichten begründen, sind hier oder in den Anmerkungen erwähnt. Wer sich intensiver über den Stand der Schizophrenieforschung orientieren will, der mag zu dem umfangreicheren Buch von H.  Häfner, Das Rätsel Schi­ zo­phrenie. Eine Krankheit wird entschlüsselt, C.H.Beck, München, greifen, das in 4., grundlegend überarbeiteter Auflage 2017 erschien.

2. Was ist Schizophrenie?

Schizophrenie, eine Krankheit, die wir vorerst als Einheit behandeln werden, obwohl man ihr nach neuerem Wissen damit nicht gerecht wird, ist vornehmlich durch das Kernsyndrom «Wahn, Sinnestäuschungen und Denkstörungen» charakterisiert. Sie tritt in Form dieses Kernsyndroms in allen Ländern und Kulturen auf. Nur die kulturbestimmte und persönliche Ausgestaltung der Krankheit ist in stärkerem Maße individuell geprägt. Die Kulturunabhängigkeit des Kernsyndroms und die Tatsache, dass es überall, wo es Menschen gibt, in gleicher Weise auftritt, während es bisher bei keiner Tierart beobachtet wurde, führt zur Annahme, dass wir es mit einem präformierten Reaktionsmuster des menschlichen Gehirns zu tun haben. Das bedeutet nicht, dass der Schizophrenie eine einzige Ursache unterstellt würde. Vielmehr kann das beschriebene Kernsyndrom, das man auch als Psychose bezeichnet, von mehreren Grundkrankheiten angestoßen werden. Die Tatsache, dass das menschliche Gehirn nur über eine relativ kleine Zahl psychopathologischer Reaktionsmuster verfügt, die durch eine weitaus größere Zahl von Ur­sachen in Gestalt verschiedener Funktionsstörungen des Ge­­ hirns hervorgerufen werden, ist früh erkannt worden. Beispiele für andere präformierte Reaktionsmuster sind Depression und Demenz, die als solche auch von mehreren Grundkrankheiten angestoßen oder wie die Depression auch durch psychische Be­­ lastungen in Gang gesetzt werden können. Wahn, Sinnestäuschungen oder Halluzinationen fasst man als «positive» Symptome zusammen. Dieser Begriff resultiert aus der Tatsache, dass sie als psychopathologische Phänomene erfahren werden, die zu den normalen psychischen Abläufen hinzutreten. Unter «negativen» Symptomen werden Minderungen normaler Leistungen verstanden, beispielsweise von Aufmerksamkeit und von emotionaler Intensität des Erlebens in

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2. Was ist Schizophrenie?

Gestalt der «Affektverflachung». Auch die Minderung oder Verlangsamung von Initiative, Spontaneität, Sprache und Bewegung gelten als negative Symptome. Eine erste Gruppe von psychotischen Symptomen sind Sinnestäuschungen. Die häufigste Form schizophrener Sinnestäuschungen ist das Hören menschlicher Stimmen. Seltener sind irreale Wahrnehmungen auf anderen Sinnesgebieten, etwa beim Sehen – wie die Halluzinationen Lauras in unserem zweiten Fallbeispiel (Abschnitt 2.2). Auf dem Höhepunkt der Psychose ist oft das Bewusstsein von Krankheit, die Einsicht in die Irrealität einzelner krankhafter Erlebnisse, nicht mehr vorhanden. Bei den Denkstörungen unterscheidet man zwischen subjektiven Störungsmustern, etwa der unerwarteten kurzfristigen Unterbrechung des Gedankengangs, des Eindrucks, fremde Gedanken denken zu müssen oder eigene Gedanken beeinflusst oder weggenommen zu bekommen, und schließlich der Überzeugung, die eigenen Gedanken könnten die Gedanken anderer bestimmen oder ungeschützt von Fremden mitgelesen oder mitgedacht werden. Unter objektiven Denkstörungen versteht man vor allem einen mehr oder weniger erheblichen Mangel an vernünftigem Zusammenhang, der «determinierenden Tendenz» des Denkens und der grammatikalischen Gestaltung. Diese Denkstörungen werden je nach Ausmaß als Danebenreden, Ideenflucht, Zerfahrenheit oder im Extremfall als «Wortsalat» bezeichnet. Im Erlebnisbereich der beschriebenen Symptomdimensionen kommt es oft zum Herausfallen aus der gemeinsamen Welt von Wahrnehmung, Einsicht und Kommunikation. Das macht die tiefe Verunsicherung verständlich, die schizophren Erkrankende vor allem in der ersten psychotischen Episode erleben. Es macht auch verständlich, weshalb viele Angehörige glauben, jeden Zugang zum Verständnis des Erkrankten verloren zu haben. Doch sind viele Kranke besonders nach langem Bestehen der Symptome gewissermaßen «nebendran» («doppelte Buchführung») noch zu realistischer Kommunikation und rationaler Alltagsbewältigung fähig. Die Schizophrenie verläuft überwiegend in unregelmäßig auftretenden psychotischen Episoden. Glücklicherweise währt eine



2. Was ist Schizophrenie?

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psychotische Episode zumeist nicht lange. Wenn sie frühzeitig und erfolgreich behandelt wird, bleibt sie oft nur einige Tage bis wenige Wochen bestehen. Bei etwa 20 % der Kranken hat es damit sein Bewenden, d.  h., es kommt nach einer psychotischen Episode weder zu Rückfällen noch zu überdauernden Folgen. Die verbleibenden 80 % weisen stark unterschiedliche Verlaufsformen auf. Den meisten psychotischen Episoden folgt jeweils eine Rückkehr zur Symptomfreiheit oder auf ein geringeres Symptomniveau. Nur ein kleiner Anteil schizophrener Erkrankungen zeigt einen meist langsam fortschreitenden Verlauf, der mit einer Abnahme der kognitiven Leistungsfähigkeit und der Verminderung sozialer, mentaler und emotionaler Aktivitäten einhergeht. Er führt auf diese Weise allmählich zu wachsender Vereinsamung und schließlich zum Autonomieverlust mit Unterstützungsbedürftigkeit in mehreren Lebensdomänen. Diese schweren Verläufe der Schizophrenie wurden lange Zeit als charakteristisch für das Leiden angesehen. Ein entscheidender Grund dafür waren die bis um 1970 üblichen jahrelangen Anstaltsaufenthalte mit Entzug der sozialen und geistigen Anregungen. Glücklicherweise weist der Krankheitsverlauf in unseren Tagen nur in einem kleinen Teil der Krankheitsfälle einen derart schweren Verlauf und im Mittel keinen zur Verschlechterung führenden Trend mehr auf (s. Abschnitt 4.4). Wir sind von der traditionellen Darstellung der Schizophrenie und ihrer Kernsymptomatik ausgegangen. Die Forschung der letzten zwei Jahrzehnte hat jedoch erwiesen, dass die häufigste Symptomdimension der Schizophrenie vom Krankheitsausbruch bis in den Langzeitverlauf die Depression ist. Schizophrenie bricht meist mit depressiver Verstimmung, Angst und Unruhe aus, denen eine wachsende Zahl negativer Symptome und funktioneller Beeinträchtigung folgt, bis nach dieser sogenannten präpsychotischen Prodromalphase das erste psychotische Symptom und der Anstieg der psychotischen Episode auftreten. Inzwischen wissen wir auch, dass der erste Kontakt eines an Schizophrenie Erkrankten mit einem Psychiater und damit der Beginn der Behandlung in den meisten Ländern, so auch in

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2. Was ist Schizophrenie?

Deutschland, überwiegend erst mehrere Jahre nach dem Ausbruch der Krankheit erfolgt. Der Grund für dieses Versäumnis ist nachvollziehbar. Die Krankheit wird in erster Linie aufgrund der psychotischen Symptome wahrgenommen und diagnostiziert. Ihre heute übliche Behandlung konzentriert sich auf die Bekämpfung der «lauten» Psychose. Für die Therapie der «leisen» Negativsymptomatik sind aufwendige Verfahren erforderlich, und die «stille» Depression wurde oft übersehen. In rund 75 % der Fälle ist die Psychose nicht das erste, sondern das Endstadium der Prodromalphase. In etwa 70 % aller schizophrenen Ersterkrankungen geht dem ersten psychotischen Symptom eine mehr als einjährige präpsychotische Prodromalphase voraus. Durch einen verspäteten Arztkontakt zu einem Zeitpunkt, zu dem häufig bereits die sozialen Folgen, etwa Studienabbruch oder Arbeitslosigkeit, eingetreten sind, werden Chancen der Behandlung versäumt. 2.1 Wie geht man mit einem an Schizophrenie Erkrankten um?

Die unter der Diagnose Schizophrenie zusammengefassten Krankheiten lassen sich mit biologischen Messwerten noch nicht diagnostizieren. Aus diesem Grund dienen die aus der Selbstbeobachtung der Kranken mitgeteilten Erlebnisse und die vom Untersucher beobachteten Verhaltensänderungen als Grundlage der Diagnose. Eine schizophrene Erkrankung kann auf dieser Basis heute in aller Welt von gut ausgebildeten Psychiatern verlässlich diagnostiziert werden. Bei Forschungsprojekten, die eine exakte Diagnose erfordern, kommen standardisierte Interviewtechniken und neuropsychologische Messverfahren und Tests zur Anwendung. In der Regel ist der Kranke erleichtert, wenn er seine beunruhigenden Erlebnisse einer ihm nahestehenden Person offenbaren kann. Aber nicht jeder Kranke kann sich ohne Scheu mitteilen. Die Voraussetzung, abnorme Erlebnisse, Gedanken und Gefühle mitteilen zu können, ist die Herstellung eines belastba-



2.1 Wie geht man mit einem an Schizophrenie Erkrankten um?

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ren Vertrauensverhältnisses. Das ist bei normalitätsnahen psychischen Störungen, etwa Angst und Depression, einfacher als beim Einstieg in die oft kommunikationsfremde Welt einer Psychose. Ein hinreichendes Maß an spürbarem Wohlwollen und Lebensnähe sowie die schlichte Absicht, dem Kranken die optimale Hilfe zuteilwerden zu lassen, ist eine Grundvoraussetzung auf Seiten des Arztes. Der Versuch, sich dem Kranken dadurch zu nähern, dass man unter Vortäuschung gleicher Meinung seine Wahnideen teilt – ein Verfahren, das einstmals als «direkte» psychoanalytische Behandlung der Schizophrenie empfohlen wurde – , schafft keine tragfähige Beziehung. Man darf sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Kranke trotz ihrer Psychose ein ziemlich gutes Urteilsvermögen darüber behalten, ob ihr Partner aufrichtig und verlässlich ist. Dazu gehört auch, dass dieser Partner schlicht und selbstverständlich für die Realität und ihre unvoreingenommene Bewertung eintritt, selbst wenn sich der Kranke in seinem Wahn davon verabschiedet zu haben scheint. Wesentlich ist dabei, dass er Verständnis für die tiefgreifenden Veränderungen im Innenleben des Kranken entwickelt. Auf dem Höhepunkt der psychotischen Episode sind manche Kranke bei wachem Bewusstsein nicht mehr in der Lage, mit anderen Menschen unvoreingenommen umzugehen. Wenn man intime Gedanken, Gefühle und Handlungen so ungeschützt erlebt, als wüssten andere Menschen davon – und manchmal wird dies gerade dem Gesprächspartner oder dem Untersucher zugetraut – , so ist tiefes Misstrauen die Folge. Nicht selten fühlen sich solche Kranke als Mittelpunkt der Ereignisse und beziehen nahezu alles zumeist in negativer Bewertung auf sich. Solche Erlebnisse und der Verlust der Autonomie und der Intimität der eigenen Gedanken führen mitunter zu eigenartigen, manchmal bizarr wirkenden Veränderungen in Ausdruck, Sprache und Handlungen. Im Umgang mit dem Kranken ist dann oft ein Wechsel von Passivität und Erregung, von Zugänglichkeit und Ablehnung, der als Ambivalenz bezeichnet wird, wahrzunehmen.

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2. Was ist Schizophrenie?

2.2 Fallbeispiele

Um die abstrakten Aussagen über die Krankheit Schizophrenie etwas anschaulicher zu machen, werden wir drei Krankheitsgeschichten darstellen. Sie können die Vielfalt der Krankheitsformen von Schizophrenie nicht annähernd wiedergeben, aber demjenigen das Verständnis erleichtern, der noch keinen Schizophreniekranken kennengelernt hat. Eine paranoid-halluzinatorische Psychose mit langer präpsychotischer Prodromalphase Der 29-jährige, zurückgezogen lebende, zuletzt als wissenschaftliche Hilfskraft in einem Forschungsprojekt zur Astrophysik beschäftigte, gehemmt wirkende junge Mann – wir nennen ihn Sergej – war als Kind eines deutschsprachigen Ingenieurehepaars in Russland aufgewachsen. Studium und Diplomprüfung für Physik hat er mit sehr guten Leistungen absolviert. Seit vier Jahren arbeitet er an einer Dissertation. Erstmals auffällig wurde er drei Jahre vor der akuten Krankheitsphase. Er hatte den Kontakt zu seinen Kollegen vermehrt abgebrochen. Eine Physikdoktorandin im selben Projekt beobachtete, dass er im Institut oft untätig an seinem Arbeitstisch saß und traurig aus dem Fenster schaute. Als er wieder ein paar Tage weggeblieben war, besuchte sie ihn zu Hause. Sie fand ihn angezogen auf dem Bett liegend und sein Zimmer in Unordnung. Auf Vorwürfe wegen seines Nichtstuns reagierte er kaum. Immerhin erschien er danach wieder im Institut. In den darauffolgenden Wochen versuchten einige seiner Kollegen, ihn zur Intensivierung seiner Arbeit zu bewegen. Die Erfolge währten nur kurz. Er wirkte niedergeschlagen. Darauf angesprochen, meinte er, er habe sich ein Dissertations­ thema geben lassen, mit dem er nie fertig werden könne. Tatsächlich hatte er seit mehreren Monaten nichts Wesentliches mehr an seiner Dissertation getan. An gemeinsamen Veranstaltungen des Instituts, etwa an den Abschlussfeiern von Doktoranden, beteiligte er sich nicht. Seine Zurückgezogenheit nahm allmählich besorgniserregende Formen an. Als der Betreuer von Sergejs Dissertation den Rückstand realisierte, nahm er den jungen Physiker in sein Dienstzimmer mit und versuchte,   Namen und für das Verständnis der Krankheit wesentliche Fakten sind verändert, um eine Identifikation der Personen unmöglich zu machen.



2.2 Fallbeispiele

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die Gründe zu erfahren. Außer Selbstanklagen, dass er zu wenig gearbeitet habe und deshalb von seinen Kollegen verachtet und von den Frauen abgelehnt werde, war nichts in Erfahrung zu bringen. Der Professor bat einen Assistenten, Sergej besonders zu betreuen. Aber die Dinge entwickelten sich nicht zum Positiven. Sergej fehlte mehrfach: Er war morgens im Bett liegen geblieben. Als sich sein Zustand weiter verschlimmerte, wurde Sergej nahegelegt, einen Psychiater aufzusuchen. Das aber tat er nicht. Zunehmend hatte Sergej die Überzeugung entwickelt, er werde vom deutschen Geheimdienst überwacht. An vielen Stellen glaubte er, Agenten zu sehen, die ihn verfolgten und häufig fotografierten. Er erklärte sich dies aus der Überzeugung, er habe am Institut unerlaubte Beobachtungen mit fremden Messwerten gemacht. Genaueres war nicht in Erfahrung zu bringen. Nachdem er mehrere Wochen nicht mehr erschienen war, besuchte ihn sein Doktorvater zu Hause. Er fand ihn vor seinem PC und einem Stoß physikalischer Publikationen sitzend. Ein teilweise verzehrtes Frühstück stand daneben. Auf Fragen nach seiner Arbeit antwortete er, sein Gesprächspartner wisse sowieso über ihn Bescheid. Aufmunternde Worte blieben wirkungslos. So entschied sich der Professor, die Eltern des Kranken anzurufen und sie zu bitten, sich ihres Sohnes anzunehmen. Die Eltern zogen einen Arzt hinzu. Außer Anzeichen von Abmagerung fand dieser körperlich nichts Krankhaftes. Er hielt Sergej jedoch für psychisch krank und empfahl, ihn in ein psychiatrisches Krankenhaus zu bringen. Dazu wiederum war Sergej nicht bereit. Die Eltern nahmen ihn mit nach Hause. So schleppte sich die Sache bei wachsender Beunruhigung der Eltern einige Monate hin. Die Ärzte der psychiatrischen Klinik hatten versichert, man könne ihn nur mit seinem Einverständnis oder mit einer gerichtlichen Einweisung aufnehmen. Schließlich baten die Eltern jene Kollegin Sergejs, die sich schon einmal um ihn gekümmert hatte, sie bei seiner Verbringung ins Krankenhaus zu unterstützen. Es gelang ihr, Sergej zu einer freiwilligen Aufnahme zu überreden. Das war etwa drei Jahre nach den ersten Anzeichen von Depression, sinkender Leistungsfähigkeit und wachsender Zurückgezogenheit. Der aufnehmende Psychiater erfuhr, dass Sergej schon längere Zeit überzeugt war, seine Kollegen und sein Doktorvater könnten seine Gedanken lesen. Er glaubte sich durch den Geheimdienst nicht nur beobachtet, sondern auch in seinem Denken und Handeln gelenkt wie eine Marionette. Er hörte laufend Stimmen, die über ihn urteilten und auch untereinander stritten. Er hörte heftige Vorwürfe wegen Selbstbefriedi-

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2. Was ist Schizophrenie?

gung. Er meinte, er habe dadurch sexuelle Kraft verloren und werde deshalb keiner Frau mehr gerecht werden können. Seine Dissertation und seine berufliche Zukunft als Physiker sah er als gescheitert an. Die klinische Behandlung, in die Sergej einwilligte, wurde mit Antipsychotika der zweiten Generation (s. Abschnitt 10.3), kognitivem Training und rehabilitativer Aktivierung seiner sozialen Kompetenz geführt. Nach sechs Wochen klinischer Behandlung war die Psychose mit Ausnahme weniger negativer Symptome (Initiativearmut und Verlangsamung) abgeklungen. Die Behandlung wurde ambulant durch Arbeitstraining, durch eine antipsychotische Erhaltungsmedikation und begleitende Psychotherapie fortgesetzt. Sergej kehrte ein Vierteljahr nach Klinikaufenthalt an seine Heimatuniversität zurück. Es gelang ihm, in weiteren zwei Jahren unter Fortführung der Behandlung seine Dissertation abzuschließen und erfolgreich zu promovieren.

Dieses Beispiel zeigt eine lange, nach Schwere und Anzahl der Symptome langsam ansteigende Prodromalphase, die ohne akuten Ausbruch in die erste psychotische Episode überging. Die Prodromalphase begann, was häufig ist, mit Niedergeschlagenheit, Initiativeverlust und Leistungsabfall, denen sich langsam ein paranoider Wahn und später eine charakteristische Vielfalt psychotischer Symptome hinzugesellten.

Akuter Krankheitsbeginn Das zweite Fallbeispiel schildert eine akut einsetzende und eher dramatisch verlaufende Psychose. Die 28-jährige Laura, eine unverheiratete und kinderlose Rechtsanwalts­ gehilfin von fröhlichem Temperament, hatte mehrere Liebschaften ohne bleibende Bindung hinter sich. Während eines Sommerurlaubs auf einer Baleareninsel erschien sie ihrer Freundin nach einer durchfeierten Nacht eigenartig verändert. Sie tanzte nackt im gemeinsamen Schlafzimmer, sang ein Kauderwelsch von Schlagertexten, schrie plötzlich laut um Hilfe, um sich gleich danach aufs Bett zu werfen und lauthals zu weinen. Die Freundin umarmte sie und versuchte zu trösten. Sie vermutete übermäßigen Alkoholgenuss als Ursache. Tatsächlich beruhigte sich Laura und fiel in tiefen Schlaf. Am nächsten Tag schrie sie bei einer kleinen Wanderung, als sie eine Eidechse gesehen hatte, laut um Hilfe. Die pani­



2.2 Fallbeispiele

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schen Schreie dauerten mehrere Minuten. Im nachfolgenden Erschöpfungszustand sagte sie den mitwandernden Freunden, von der Eidechse sei plötzlich blendend helles Licht ausgegangen und der Schwanz des Reptils sei dick angeschwollen. Die Freundin versuchte vergeblich, ihr den «Unsinn» auszureden. Der Rest des Urlaubs und die Rückreise verliefen komplikationslos. Am ersten Arbeitstag teilte sie ihrem Chef beunruhigt mit, ein Klient der Kanzlei habe sie mit Augen angeblickt, aus denen sie entnehmen konnte, er werde sie entführen und missbrauchen. Der Anwalt erklärte ihr, dass alles nur Einbildung sei. Wenig später warf sie in ihrem Büro Gegenstände gegen ein Wandbild, das zwei Männer in einer Phantasielandschaft zeigte. Von ihrer Kollegin und ihrem Chef festgehalten, stieß sie heftig weinend hervor, der eine der beiden sei der Klient, der sie missbrauchen wolle und aus dem Bild in den Raum heraustreten würde. Während sie sich langsam etwas beruhigte, rief der Anwalt die Polizei und bat, weil «Gefahr im Verzug» sei, seine Mitarbeiterin in die nahe gelegene psychiatrische Klinik zu verbringen. Die Funkstreife fand Laura verstört, aber ruhig in einem Lehnstuhl sitzend. Sie starrte verwundert auf die Polizisten. Als diese erfahren hatten, dass Laura nur ein Bild beschädigt, keinen Menschen gefährdet hatte und gesprächsbereit war, erklärten sie, aus rechtlichen Gründen nicht einschreiten zu können. Sie versuchten, Laura zu überreden, freiwillig in die Klinik mitzukommen. Nach ein paar Minuten erhob sich Laura wortlos und ging mit den Polizisten zum Streifenwagen. Als einer der Beamten versuchte, sie auf den Rücksitz zu komplimentieren, versteifte sich Laura und schrie laut: «Nein, Nein, Nein!» Nachdem der Polizist kurz versucht hatte, sie auf den Sitz zu drängen, begann sie, mit beiden Fäusten auf das Dach des Wagens zu trommeln. Jetzt waren die Polizisten der Überzeugung, dass Gefahr im Verzug sei, drückten sie sanft auf den Rücksitz und brachten sie in die Klinik. Dort gelang es der aufnehmenden Ärztin, in einem längeren Gespräch das Vertrauen der Patientin zu gewinnen. Sie erfuhr, dass sich Laura nicht nur von dem besagten Klienten bedroht fühlte, sondern an vielen Menschen häufig Zeichen wahrzunehmen glaubte, die auf ein Wissen um ihre geplante Entführung hindeuteten. Sie hörte boshaftes Gelächter fremder Stimmen, von denen sie Worte wahrzunehmen glaubte: «Sie gibt schon noch nach, die verdammte Hure.» Sie glaubte, nicht mehr normal denken zu können, weil sich fremde Gedanken in ihr Gehirn schieben würden, und zwar meist mit drohendem oder anklagendem Inhalt. In diesem Stimmengewirr glaubte sie aber auch die Stimme der Mutter Gottes zu hören, die ihr zurief: «Komm zu mir, ich rette dich!»

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2. Was ist Schizophrenie?

Laura war in der Klinik sehr unruhig. In den ersten Nächten schrie sie mehrmals laut aus panischer Angst. Nach kaum zwei Wochen Therapie waren jedoch die Symptome weitgehend verschwunden. Drei Wochen nach ihrer Aufnahme konnte Laura in gutem Zustand, wenn auch noch innerlich verunsichert und ängstlich, entlassen werden.

An diesem Beispiel wird nicht nur der unerwartete Einbruch einer mit Halluzinationen, Wahn, panischer Angst und einigen mani­ schen Symptomen einhergehenden schizoaffektiven Psychose, son­ dern auch die Reaktion der Umwelt darauf deutlich. Es wird erkennbar, wie sehr bedrohliche Wahnerlebnisse zur Mobilisierung extremer Gefühle und zur elementaren Verunsicherung menschlicher Beziehungen führen können, aber auch wie rasch diese hochakute Psychose erfolgreich behandelt werden konnte. Deutlich werden auch die rechtlichen Probleme, die sich bei einer dringend notwendigen Krankenhausaufnahme stellen, wenn Krank­heitseinsicht und Einwilligung fehlen. Die Polizei darf nur in die Freiheitsrechte eines psychisch kranken Menschen eingreifen, wenn ein Richter eine Einweisung ins Krankenhaus verfügt oder ein dazu ermächtigter Betreuer diese veranlasst hat oder wenn wegen Selbst- oder Fremdgefährdung Gefahr im Verzug ist. Traumatisch ausgelöste paranoide Schizophrenie im Alter Der 72 Jahre alte kaufmännische Angestellte Jakob F. lebt seit mehreren Jahrzehnten in einem großen Mehrfamilienhaus am Rande einer Großstadt. Seine Frau verstarb vor sechs Jahren an einem Unterleibstumor. Jakob F. hatte sie lange aufopfernd gepflegt, aber in dieser Zeit an sozialen Kontakten eingebüßt. Nach dem Tod der Frau litt er stark unter seiner Einsamkeit. Es fiel ihm, nicht zuletzt wegen einer lange hingezogenen depressiven Verstimmung, schwer, neue Kontakte zu knüpfen. Ein Einbruch in die Nachbarwohnung, bei der sein Nachbar von den beiden Einbrechern bewusstlos geschlagen und gefesselt worden war, hatte bei Jakob F. tiefe Verunsicherung ausgelöst. Er wagte sich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr aus dem Haus. Nachdem er erfahren hatte, dass die Einbrecher Rumänen waren, glaubte er zunehmend, sie gehörten einem Mafiaring an, der sich durch Gewalttaten an alten Leuten bereichern wolle. Telefonanrufe von ihm nicht bekannten Anrufern legte er als Test aus, ob er zu Hause sei, bzw.



2.2 Fallbeispiele

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als Ankündigung, dass «auch er bald dran sei». Im Laufe der Zeit verschlimmerten sich seine Bedrohungsängste. Auf der Straße sah er häufiger junge Männer mit braun gebrannter Haut, auch ältere mit Bart, die er für Rumänen und Mafiamitglieder hielt. Er fühlte sich von ihnen ständig beobachtet und glaubte schließlich, dass er nicht mehr unbeobachtet aus dem Haus gehen könne. Als er im Supermarkt mit einem 50-Euro-Schein eine Kleinigkeit bezahlte und die Kassiererin scherzhaft sagte, er sei ein reicher Mann, war ihm klar, dass dies eine Ankündigung des drohenden Überfalls der Mafia sei. In einer Fernsehsendung erlebte er Bemerkungen über eine fehlende Aufnahmebereitschaft für Immigranten als drohende Botschaft, die an ihn persönlich gerichtet war. Schließlich wurde auch sein Zuhause, das er anfangs als Fluchtburg erfahren hatte, ein Ort der Bedrohung. Er hörte nachts angstvoll die Wohnungsklingel, konnte im Türspion aber niemanden erkennen. Er hörte Stimmen: «Dich bringen wir auch noch um», und zuweilen auch das schmerzvolle Weinen seiner verstorbenen Frau. Stimmen, die sich über ihn wie Staatsanwalt und Verteidiger unterhielten, beunruhig­ ten ihn besonders wegen der schweren Vorwürfe, die der Staatsanwalt gegen ihn erhob, und der Äußerung des Verteidigers, man müsse solche Verbrechen hart bestrafen. Die Halluzinationen nahmen ebenso wie seine depressive Verstimmung weiter zu. Er entwickelte Schlafund Appetitstörungen und fühlte sich ständig bedroht, so dass er schließlich die Polizei mit der Klage anrief, er benötige Hilfe, weil er ermordet werden solle. Die Funkstreife empfahl ihm, einen Arzt zu konsultieren. Er ließ sich von der Polizei zu einem niedergelassenen Nervenarzt bringen, der ihm nahebrachte, sich in die psychiatrische Abteilung des städtischen Krankenhauses aufnehmen zu lassen, zumal er dort vor seinen Verfolgern sicher sein könne. Er akzeptierte den ärztlichen Rat. Die Therapie gestaltete sich nicht einfach, denn paranoide Psychosen im hohen Lebensalter sprechen auf antipsychotisch wirksame Psychopharmaka häufig nicht an. Die Ängste besserten sich unter einer vorübergehenden Medikation mit angstlösenden Benzodiazepinpräparaten. Die Behandlung mit Psychopharmaka konnte den paranoiden Wahn lange Zeit nicht bessern. Deshalb wurde die Psychotherapie auf die Reintegration des Patienten in ein tragendes Netz sozialer Beziehungen fokussiert. Außerdem gelang es, ihm den Zugang zu einer handwerklichen Tätigkeit zu vermitteln, die ihm ein Gefühl eigener Produktivität und eine Stärkung seines Selbstbewusstseins vermittelte.

20

2. Was ist Schizophrenie?

Dieser Fall ist charakteristisch für schizophrene Erkrankungen des höheren und hohen Lebensalters. Sie sind überwiegend durch paranoiden, d.  h. Verfolgungs- oder Bedrohungswahn charakterisiert, der oftmals auch zu einem Wahnsystem aus­ gebaut wird. Dabei bleibt die Persönlichkeit meistens frei von schweren Störungen der Ich-Funktionen und des Denkens (s. Abschnitt 2.1). Wenn sie nicht von schwerer Angst oder Depression begleitet sind, bleiben diese «rationalen» Psychosen oft lange Zeit unbemerkt, weil viele Kranke ihr alltägliches Leben einigermaßen ungehindert weiterführen können. 2.3 Diagnose

Die Schizophrenie und das ihr zugehörige Kernsyndrom Psychose sind, wie schon kurz erwähnt, durch keinen körperlichen Befund und durch keinen biologischen Test zu diagnostizieren, obwohl häufig kleinere morphologische Veränderungen und neurobiologische Dysfunktionen des Gehirns mit dieser Krankheit assoziiert sind. Die Kriterien, die den Diagnosen aus dem «Schizophreniespektrum» – der «weiten» Diagnosedefinition – zugrunde liegen, sind deshalb auf der Erlebnis- und Verhaltensebene formuliert. Diagnosen schizophrener Erkrankungen nach dem internationalen Klassifikationssystem ICD-101 Um die übliche diagnostische Klassifikation schizophrener Krankheiten zu vermitteln, geben wir die von der Weltgesundheitsorganisation festgelegten Kriterien der Diagnose Schizophrenie wieder. Sie erfordern nach ICD-10: F20 mindestens ein eindeutiges Symptom (zwei oder mehr, wenn weniger eindeutig) der nachfolgend aufgeführten Gruppen 1 – 4 oder mindestens zwei Symptome der Gruppen 5 – 8 (Tab.  1). Diese Symptome müssen mindestens einen Monat vorhanden gewesen sein. Bei ausgeprägt depressiven oder manischen Symptomen, eindeu­­ tigen Gehirnerkrankungen, während einer Intoxikation (Ver­gif­ tung) oder des Entzugs von Drogen soll keine Schizophrenie



2.3 Diagnose

21

diagnostiziert werden. Die totale Ausschließung schizophrener Erkrankungen mit depressiven und manischen Symptomen aus der Diagnose Schizophrenie kann als überholt betrachtet werden. Tabelle 1:  Symptome, die in die diagnostischen Kriterien für Schizophrenie (ICD-10: F20) eingehen2 1.

Gedankenlautwerden, -eingebung, -entzug, -ausbreitung

2.

Kontrollwahn, Beeinflussungswahn, Gefühl des Gemachten bezüglich Körperbewegungen, Gedanken, Tätigkeiten oder Empfindungen, Wahnwahrnehmungen

3.

Kommentierende oder dialogische Stimmen, die über den Patienten und sein Verhalten sprechen, oder andere Stimmen, die aus einem Körperteil kommen

4.

Anhaltender, kulturell unangemessener Wahn und völlig unrealistischer Wahn wie der, eine religiöse oder politische Persönlichkeit zu sein, übermenschliche Kräfte und Möglichkeiten zu besitzen, z.  B. das Wetter kontrollieren zu können oder in Kontakt mit Außerirdischen zu stehen

5.

Anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität, begleitet entweder von flüchtigen oder undeutlich ausgebildeten Wahngedanken, ohne deutliche affektive Beteiligung oder begleitet von anhaltenden überwertigen Ideen oder täglich für Wochen oder Monate auftretend

6.

Gedankenabreißen oder Einschiebungen in den Gedankenfluss, was zu Zerfahrenheit, Danebenreden oder Neologismen führt

7.

Katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotypien oder wechselnde Biegsamkeit (Flexibilitas cerea), Negativismus, Mutismus und Stupor

8.

«Negative» Symptome wie auffällige Apathie, Sprachverarmung, verflachte oder inadäquate Affekte (dies hat zumeist sozialen Rückzug und ein Nachlassen der sozialen Leistungsfähigkeit zur Folge. Es muss sicher­ gestellt sein, dass diese Symptome nicht durch eine Depression oder eine neuroleptische Medikation verursacht werden)

Diese Definitionskriterien der Diagnose Schizophrenie sind das Ergebnis internationaler Konsensfindung. Um die Zusammenfassung der Symptome in den Leitsyndromen von Schizophrenie zu vermitteln, sind sie in Tabelle 2 ge­­ sondert dargestellt.

22

2. Was ist Schizophrenie?

Tabelle 2:  Leitsyndrome von Schizophrenie (die Symptome ersten Ranges, die nach K.  Schneider (1950) allein die Diagnose einer Schizophrenie tragen können, sind grau unterlegt) 1. Affektive Symptome

Depression und Manie Angst

2. Negative Symptome

Verminderung von Gefühlsintensität und Initiative Verarmung an sozialen Beziehungen Verlangsamung oder Verarmung von Denken und Sprache

3. Positive Symptome

Halluzinationen aller Sinnesgebiete, vornehmlich jedoch akustische Symptom Kommentierende Stimmen, Stimmen in Redeersten Ranges und Gegenrede Wahn (vorwiegend paranoid: Beziehung, Verfolgung, Bedrohung) Symptom Beeinflussungswahn, Erlebnis des Gemachten ersten Ranges (s. Ich-Störung)

4. Kognitive Störungen

Verminderung der Aufmerksamkeit Konzentrationsstörungen Beeinträchtigung des Arbeitsgedächtnisses und anderer exekutiver Funktionen

5. Subjektive Denkstörungen

Gedankenabreißen Symptom Gedankenentzug ersten Ranges Symptom Gedankeneingebung ersten Ranges Gedankenausbreitung Symptom ersten Ranges Gedankenlautwerden Symptom ersten Ranges

6. Objektive Denkstörungen

Beeinträchtigung des vernünftigen Zusammenhangs in Denken und Sprache Danebenreden, Ideenflucht Zerfahrenheit

7. Ich-Störungen

Desorganisation des Denkens, Erlebens und Verhaltens Symptom Entmachtung des Ich-Bewusstseins ersten Ranges (Erlebnis des «Gemachten», der Steuerung des Denkens und Erlebens von außen etc.) – Überschneidungen mit positiven Symptomen und Denkstörungen

8. Katatone Symptome

Bewegungsarmut (Stupor), Sprachlosigkeit (Mutismus), flexible oder starre Muskelspannung, motorische Erregung etc.



2.3 Diagnose

23

Kategoriale und dimensionale Diagnosen Ein grundsätzliches Problem der kategorialen, sich gegenseitig ausschließenden Definitionen von Krankheiten ist, dass wesentliche Merkmale, auf die sie gründen, in der Natur nicht disjunktiv, sondern dimensional und kontinuierlich verteilt sind. Das gilt einmal für die Entwicklung der Schizophrenie bis zum Höhepunkt der Psychose. Die Schizophrenie beginnt überwiegend aus psychischer Gesundheit (oder Norm) heraus mit einer Prodromalphase, die an Zahl und Schwere der Symptome zunimmt, bis die Krankheit voll zum Ausbruch gekommen ist. Fließende Übergänge finden sich auch zwischen einigen psychi­ schen Krankheiten, insbesondere entgegen der vom jungen Emil Kraepelin eingeführten Dichotomie zwischen schizophre­nen und affektiven Erkrankungen. Wichtigstes Trennungskriterium Kraepelins war der – so damals angenommene – ungünstige, zu Defekt und Demenz führende Verlauf der schizophrenen und der günstige Verlauf der affektiven Störungen. Epidemiologische Bevölkerungsstudien haben belegt, dass die affektiven und die schizophrenen Symptomdimensionen ohne erkennbaren Einschnitt ineinander übergehen. Ein ähnliches Ausmaß an kognitiver und sozialer Behinderung tritt auch nach längeren Verläufen schwerer depressiver Erkrankungen und der Schizophrenien ein. Krankheitssyndrome, -verläufe und -folgen lassen sich also nicht disjunktiv voneinander unterscheiden. Dazu kommt, dass, von der Krankheitsentwicklung abgesehen, auch die Leitsyndrome beider Krankheiten in der Bevölkerung kontinuierlich verteilt sind. All diese Beobachtungen lassen die kategoriale Konstruktion der diagnostischen Einheit Schizophrenie als verbesserungsbedürftig erscheinen. Im Rahmen der begonnenen Revision der ICD-10 wird deshalb die Einführung dimensionaler diagnostischer Kriterien überlegt. Das würde bedeuten, dass im Einzelfall jeweils Anteil und Schwere der Symptomatik oder der funktionellen Beeinträchtigung auf jeder der relevanten Dimensionen erfasst und einer daran ausgerichteten Diagnose mit zugrunde gelegt werden müssten. Für die medikamentöse Behandlung, die

24

2. Was ist Schizophrenie?

nicht auf die Schizophrenie, sondern vorwiegend auf einzelne ihrer Syndromdimensionen wirkt, bestünden bei gezielter Anwendung wahrscheinlich bessere Erfolgschancen. 2.4 Psychotische Syndrome bei anderen Hirnkrankheiten und bei Vergiftungen (sekundäre oder symptomatische Schizophrenien)

Ein psychotisches Syndrom oder auch die voll ausgebildete Symptomatik einer Schizophrenie, einschließlich der negativen Symptome, können auch bei mehreren mit Hirnfunktionsstörungen einhergehenden Grundkrankheiten auftreten, beispielsweise bei den seltenen reinen Erbkrankheiten des Zentralnervensystems, etwa bei Chorea Huntington oder Morbus Wilson. Hirnerkrankungen, die mit psychotischen Syndromen einhergehen können, sind auch Epilepsien, bestimmte Hirntumore und Gefäßerkrankungen, demyelisierende Erkrankungen wie die Multiple Sklerose und Frühstadien degenerativer Erkrankungen, etwa die frontotemporale Hirnatrophie und der Morbus Alzheimer. Auch bei systemischen Leiden, etwa beim Lupus erythematodes, oder bei Infektionen, die das Zentralnervensystem mit betreffen, z.  B.  Aids (HIV), Borreliose (Lyme-Krankheit), BornaVirus-Infektionen und bei anderen Virusenzephalitiden, kann es zu psychotischen Episoden teilweise von längerer Dauer kommen. Die Therapie besteht dann, soweit möglich, in der Behandlung der Grundkrankheit. Das gilt auch für ein bevorzugt im Alter auftretendes Leiden, die Parkinson’sche Erkrankung. Doch hier sind nicht nur die degenerativen Hirnveränderungen Anlass des erhöhten Psychoserisikos. Auch die Behandlung mit L-Dopa, einer Vorstufe des Neurotransmitters Dopamin – Dopaminmangel an bestimmten Stellen des Gehirns ist der Kern des Parkinson’schen Krankheitsgeschehens – , führt zur Auslösung psychotischer Symptome. Das gebietet eine sorgfältige Dosierung dieses Mittels. Eine Sonderrolle als Ursache schizophrenieähnlicher Psychosen nehmen psychoaktive Substanzen ein. Die derzeit – wenn



2.5 Schizophreniespektrum

25

auch mit extremen Unterschieden – häufigsten psychotomimetisch wirksamen Substanzen sind Cannabis, Metamphetamin, LSD, Kokain, Atropin, Bipyridin, Amantadin, Phencyclin, Alko­ hol, Disulfiram und Phenelon; die Mehrzahl davon ist als Suchtmittel in Gebrauch. Die maximale Häufigkeit weist gegenwärtig der Cannabisgebrauch auf. Die Droge Cannabis kann sowohl eine kurzfristige schizophrenieähnliche Psychose hervorrufen, die nach dem Ausscheiden des Gifts aus dem Organismus wieder abklingt, als auch den Anstoß zu einer autonom weiterverlaufenden Schizophrenie geben. Das spezifische Risiko und die kurz- und langfristigen Folgen werden in Abschnitt 6.2 dargestellt. Die Diagnose einer Schizophrenie auf der Grundlage des psychopathologischen Befundes liefert also noch keine hinreichende Abklärung der zugrunde liegenden Krankheit. Deshalb muss immer, vor allem wenn Verdachtsmomente bestehen, ein andersartiges Grundleiden durch geeignete diagnostische Maßnahmen festgestellt oder ausgeschlossen werden.3 2.5 Schizophreniespektrum: Diagnosen in Übergangsbereichen zur Normalität oder zu affektiven Erkrankungen

Um der kontinuierlichen Verteilung der wichtigsten Syndrome von Schizophrenie auf der Ebene kategorialen Diagnostizierens gerecht zu werden, sind in den internationalen Klassifika­ tionssystemen Zwischendiagnosen zwischen Schizophrenie und affektiven Psychosen und im Übergang zwischen Psychose und Normalität eingeführt worden (s. Kursivdruck in Tab.  3). Sie erlauben eine allerdings unbefriedigende kategoriale Gliederung der Übergangsbereiche.

26

2. Was ist Schizophrenie?

Tabelle 3:  ICD-10: F20 – 29: schizophrene, schizotype und wahnhafte Störungen sowie F31.2 und F31.5: bipolare affektive Störungen4 ICD -10Diagnosenummer

Diagnose

Erklärung

F20

Schizophrenie

Vollständig ausgebildete Form

F21

Schizotype Störung

Schwächere oder unvollständige Form

F22

Anhaltende wahnhafte Störungen

Begrenzt auf Wahn­dimension

F23

Vorübergehende akute psychotische Störungen

Kurzfristige, meist folgenlose Form

F24

Induzierte wahnhafte Störung

Teilhabe an der Psychose eines Partners

F25

Schizoaffektive Störungen

Zwischenform schizophren /  affektiv

F28

Andere nichtorganische psychotische Störungen

Restkategorie

F29

Nicht näher bezeichnete nicht­ organische Psychose

Restkategorie

F31.2

Manie mit psychotischen Symptomen

F31.5

Schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen

Ein gutes Beispiel für Zwischenlösungen zwischen zwei Krankheitskategorien sind die schizoaffektiven Störungen (ICD-10: F25) (s. Tab.  3). Sie markieren das Zwischenfeld der Syndrome, die sich nicht ohne Zwang in die Kategorien Depression oder Manie mit psychotischen Symptomen oder Schizophrenie einordnen lassen (s. unser Fallbeispiel Laura in Abschnitt 2.2). 2.6 Die Entstehung des Krankheitskonstrukts Schizophrenie

Eine Krankheit, die sich nicht auf eine feststellbare Ursache zurückführen lässt, muss auf der Grundlage ihrer Symptome und ihres Verlaufs diagnostiziert werden. Das hat Kraepelin von Thomas Sydenham, einem der großen Ärzte und Medizintheo-



3. Die «Behandlung» in der Vergangenheit

27

retiker des 17.  Jahrhunderts, übernommen. Emil Kraepelin5 hat auf der Grundlage von Veröffentlichungen und eigenen Beobachtungen die Dementia praecox beschrieben. Diese Diagnose umfasste jene Psychosen, die zu Defekt und Demenz führten. Der Züricher Psychiater Eugen Bleuler (1911) ersetzte sie durch die verlaufsneutrale Diagnose Schizophrenie, weil er auch günstige Ausgänge der Krankheit beobachtet hatte.6 Dem stellte Kraepelin die affektiven Erkrankungen Melancholie (unipolare Depression) und manisch-depressives Irresein (bipolare Erkrankungen) mit der Annahme einer günstigen Prognose gegenüber. Dies war der Beginn einer Tradition, die mit Teilrevisionen bis heute in den internationalen psychiatrischen Klassifikationssystemen weiterlebt. Ordnet man nur die schwersten Krankheitsverläufe der – «engen» – Diagnose Schizophrenie zu und schließt alle günstigeren Verläufe aus, dann hat man eine Geisteskrankheit vor Augen, die, wie Kraepelin fand, zu einer Art von Demenz führt. Berücksichtigt man das gesamte Spektrum der Krankheitsverläufe in einer «weiten» Diagnose Schizophrenie (s. Abschnitt 2.3 und 5.1), dann ist, wie eingangs angesprochen, mit etwa 20 % «Heilungen» nach einer ersten schizophrenen Psychose und mit einem Spektrum vielfältiger Verlaufsformen bis zur Entwicklung ernsthafter Behinderungen zu rechnen.

3. Die «Behandlung» schizophren Erkrankter in der Vergangenheit Vor der Entdeckung antipsychotisch wirksamer Psychopharmaka und der Einführung ökonomischer, bei Schizophrenie wirksamer Psychotherapieverfahren nach der Mitte des 20.  Jahrhunderts gab es keinerlei aussichtsreiche Behandlung für schizophren Erkrankte. Da den Kranken teils aus karitativen Gründen, teils zur Entlastung der Familien, teils zum Schutz der öffentlichen Ordnung in christlichen Staaten Unterkunft und

28

3. Die «Behandlung» in der Vergangenheit

Verpflegung gewährt werden musste, entstanden vom 15.  Jahrhundert an meist bei Klöstern und in reichen Städten einige Irrenhäuser in Europa.7 Mit dem Wegsperrsystem, das im 18. und 19.  Jahrhundert das Sozialwesen bestimmte, kam es zur Errichtung zahlreicher geschlossener Arbeits- und Zuchthäuser. Dort wurden Geisteskranke zusammen mit einer Vielzahl anderer fürsorgebedürftiger Personen, etwa körperlich Kranken, Gebrechlichen und Krüppeln, Waisenkindern, gealterten Prostituierten und Kleinkriminellen, in der Regel unvorstellbar dürftig untergebracht. Am Unterbringungskomfort änderte sich selbst dann nicht viel, als es zur Entflechtung der Arbeits- und Zuchthäuser in Gestalt von Waisenhäusern, Gefängnissen, Krankenhäusern und Irrenanstalten kam. Der durch die Industrialisierung verursachte soziale Wandel von der bäuerlichen Großfamilie zur städtischen Arbeiterfamilie ließ den Unterbringungsbedarf für pflegebedürftige Kranke noch einmal enorm ansteigen. Die Anzahl der psychiatrischen Heil- und Pflegeanstalten, wie sie später hießen, stieg in einer Periode von etwas über 30 Jahren zwischen 1877 bzw. 1880 und 1913 um das 2,5-Fache, die Anzahl belegter psychiatrischer Anstaltsbetten um das Fünffache an. Die Mehrheit der in diesen Anstalten für viele Jahre geschlossen untergebrachten Kranken litt an Schizophrenie. Die Krankenhausstatistik Württembergs wies 1930 für Kranke, die erstmals wegen Schizophrenie in eine der dortigen psychiatrischen Anstalten aufgenommen worden waren, einen durchschnittlichen Aufenthalt von achteinhalb Jahren auf. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer schizophren Erkrankter in den deutschen psychiatrischen Krankenhäusern, einschließlich der einer langfristigen Unterbringung bedürftigen Fälle, betrug laut Statistischem Bundesamt 2016 33,5 Tage. Die Heil- und Pflegeanstalten waren wie ihre Vorgänger, die Arbeits- und Zuchthäuser, durchweg geschlossen, die Gebäude meistens von hohen Mauern umgeben. Ein Grund dafür war die damals von vielen Psychiatern geteilte Vorstellung, die schizophren Erkrankten stellten eine Gefahr für die Bevölkerung dar, weil sie ohne erkennbare Vorzeichen Gewalttaten bege-



3.1 Sozialdarwinismus, Eugenik und Krankentötung

29

hen würden. Erst 1973 wurde diese weitverbreitete Befürchtung, die der Abschaffung des Gefängnischarakters psy­chia­ trischer Krankenhäuser im Weg war, durch eine über zehn Jahre durchgeführte deutschlandweite epidemiologische Studie widerlegt.8 Die Beschäftigung der Kranken beschränkte sich auf organisierte Arbeitstherapie, Gebet und Freizeitgestaltung in den aktiveren Anstalten. Die Versuche einer individuellen Behandlung der Schizophrenie umfassten ein Repertoire von Verfahren und Apparaten, die Medizinhistoriker zu Recht als Folterwerkzeuge bezeichnet haben. 3.1 Sozialdarwinismus, Eugenik und Krankentötung

Der Biologismus als Gesellschaftstheorie des ausgehenden 19.  Jahrhunderts, der das Weltbild des gebildeten Bürgertums prägte, war durch Herbert Spencers (1820 – 1903) und Ernst Haeckels (1834 – 1919) Transformation der Evolutionstheorie zum Sozialdarwinismus (1868) angestoßen worden. Der sozialdarwinistische Zeitgeist, der von einer Zunahme der Geisteskranken durch das Überleben der Kranken und Schwachen dank Fürsorge und Medizin überzeugt war, förderte die eugenische Bewegung. Endlose Anstaltsunterbringung ohne wirksame Behandlung und die Hoffnungen, die in die Verhinderung von Krankheiten durch «vorbeugende» Maßnahmen einer «negativen Eugenik» gesetzt wurden, machten erstaunlich viele Psychiater anfällig für die Idee der Bekämpfung der Krankheiten durch die Ausschaltung von Überträgern belasteten Erbguts. Hitler hat, darauf aufbauend, unter radikalem Bruch der Menschenrechte das schwerste Verbrechen, das jemals gegenüber kranken Menschen begangen wurde, in Gang gesetzt. Ab 1934 wurden nach dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses insgesamt etwa 360  000 Kranke und Angehörige einer als minderwertig bezeichneten Rasse, vorwiegend Zigeuner, zwangssterilisiert.9 1939 hat Hitler die Tötung angeblich unheilbar Kranker angeordnet, der etwa 260  000 Menschen zum Opfer fielen.10

30

3. Die «Behandlung» in der Vergangenheit

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bestand die Vernachlässigung der psychisch Kranken hinter hohen Mauern und vergitterten Fenstern, in großen Sälen auf geschlossenen Stationen weiter: 1972, nicht fern von der Gegenwart, war noch etwa ein Drittel der Patienten psychiatrischer Krankenhäuser in Deutschland dort über zehn Jahre, ein weiteres Drittel zwischen zwei und zehn Jahren und nur das letzte Drittel unter zwei Jahren untergebracht. Etwa 60 % der Kranken lebten in Räumen mit mehr als fünf und etwa 40 % in Räumen mit mehr als zehn Betten. Auf eine / n Sozialarbeiter / in kamen 750, auf eine / n Beschäftigungstherapeuten / in 740 Kranke und auf eine / n Krankengymnasten / in 1030 Kranke. 3.2 Die Psychiatriereform – der historische Schritt in eine menschliche und therapeutische Psychiatrie

Nach dem Kriege kam es zuerst in den angloamerikanischen Ländern zur Wahrnehmung der menschenunwürdigen Unterbringungsbedingungen psychisch Kranker in den großen psychiatrischen Anstalten; beträchtlichen Anteil daran hatte die Berichterstattung durch die Medien. 1945 wurde zuerst in Großbritannien und etwa ein Jahrzehnt später auch in den USA ein nationales Programm des Aufbaus einer neuen, offenen psychiatrischen Krankenversorgung in Angriff genommen. In Deutschland begann die Reform der psychiatrischen Versorgung mit fast zwei Jahrzehnten Verspätung. Der Grund dafür wird in der Vermeidung einer offenen Auseinandersetzung mit dem während des Nationalsozialismus geschehenen Unrecht gesehen. Am 1.  August 1971 nahm die sogenannte EnqueteKommission Psychiatrie beim Bundesministerium für Gesundheit ihre Tätigkeit auf und präsentierte 1975 einen umfangreichen Band mit Analysen und Empfehlungen.11 Er hatte eine enorme Verbesserung der Unterbringung der Kranken und die Öffnung der Krankenhäuser gegenüber der Bevölkerung zur Folge. An Allgemeinkrankenhäusern entstanden psychiatrische Abteilungen. Der größte Teil der Menschen, die wegen einer



31

4.1 Krankheitsrisiko und Lebensalter

akuten psychotischen Episode der stationären Behandlung bedurften, wurde nun in einer psychiatrischen Abteilung desselben Krankenhauses behandelt, das auch die körperlich Kranken versorgte. Gemeindepsychiatrische Versorgungsnetze stellten den behinderten Kranken ein Netz von Hilfen zur Verfügung. Jahrelange Unterbringungen in psychiatrischen Krankenhäusern gehören seither der Vergangenheit an. Dieser revolutionäre Wandel hat sich auch auf die Behandlungsmöglichkeiten ausgedehnt.

4. Der Verlauf der Schizophrenie 4.1 Krankheitsrisiko und Lebensalter

Eine Schizophrenie kann in allen Altersstufen ausbrechen. Wie Abbildung 1 zeigt, besteht ein systematischer Unterschied der Altersverteilung zwischen den Geschlechtern.

Ersterkrankungsrate (%) von Schizophrenie je Altersgruppe 30

Männer n = 117 Frauen n = 131

20

*

10

0

Fiktiver Trend der Ersterkrankungsraten in hohem Lebensalter

12-14

15-19

20-24

25-29

30-34

35-39

40-44

45-49

50-54

55-59

60-64

65-69

70-74

75>

Altersgruppe

*p rechts Zusammenhang mit Neuroleptika-Einnahme?

Insel****

Verminderung, aber noch ungesichert

Mit den damaligen Methoden präzise Abgrenzung kaum möglich



= überholte Werte, * = mehr als 50 Studien; ** = 10 – 50 Studien; *** = weniger als 10 Studien; **** = 2 Studien

auf die verfügbaren, aus der Fußnote zu Tabelle 6 erschließbaren Zahl der Studien stützt, macht den Versuch, die Mittelwerte des Ausmaßes festgestellter Veränderungen zu schätzen. Zu bedenken ist dabei, dass in vielen Studien über alle Krankheitsstadien hinweg analysiert wurde und deshalb etwaige Veränderungen im Verlauf der Krankheit nicht zur Darstellung kamen. Auf besonders unsichere Beurteilungsfelder haben wir hingewiesen.44 Das Ergebnis zeigt die leichte Verminderung des gesamten Hirnvolumens. Die Rindenareale des Schläfenlappens und des Stirnlappens, deutlicher die Hippokampus-Amygdala-Region sind betont.45 Letzteres ist fast ein Regelbefund bei Schizophrenie, aber auch bei anderen psychischen Krankheiten.

70

8. Morphologische und funktionelle Veränderungen des Gehirns

Rezente Verbesserungen von Technologie und statistischer Auswertungsverfahren, etwa die quantitative Volumetrie, lieferten mit verbesserter Auflösung genauere Befunde. So fand sich in der ersten schizophrenen Episode – zu Beginn der Krankheit – nur noch eine mittlere volumetrische Differenz des gesamten Hirngewebes gegenüber sorgfältig vergleichbar gemachten Kontrollen von 1,3 %. Der maximale Unterschied war mit 4 % im Thalamus und wiederum in der Hippokampus-AmygdalaRegion zu finden. Auch wenn die Ergebnisse rezenter Studien noch leicht variieren, liegen sie, was die Volumenmessung angeht, durchwegs unter den in Tabelle 6 angegebenen Werten. Eine funktionelle Analyse auf der Grundlage der Stoffwechsel­ aktivität erlaubt die Positronenemissionstomographie (PET) mit radioaktiv aufgeladenen Molekülen, etwa Glukose. Sie lässt Un­­ terschiede der Stoffwechselaktivität direkt und zeitnah erfassen. Die Diffusionstensor-Magnetresonanztomographie (DT-MRT) bildet die Wassermoleküle und ihre Bewegungen im Gehirn, auch dreidimensional, ab. Sie erlaubt die Darstellung von Leitungsbahnen und ihren Anschlussfasern. Damit ist es möglich geworden, komplexe Muster der Aktivierung und Deaktivierung im Gehirn und ihrer Korrelate in Gestalt von Symptomen, Syndromen oder Funktionskomplexen, etwa verbale Halluzinationen, Gedächtnisstörungen oder emotionale Veränderungen, zu erfassen. Damit wurde der Übergang von der Punktlokalisation psychischer Phänomene zu funktionellen Netzwerken im Gehirn, die unserer heutigen Vorstellung des Hirn-Psyche-Zu­­ sammenhangs zugrunde liegen, möglich. Die neuropathologischen Untersuchungen an Gehirnen Verstorbener, die eine weitaus längere Geschichte aufweisen, haben vergleichbare strukturelle Befunde zutage gefördert. Mittels morphologischer und mikrostruktureller Messungen, Färbemethoden, Markierung von Leitungsbahnen und Zellzählungen konnten zytoarchitektonische Veränderungen in der temporalen und präfrontalen Rinde im limbischen System – auch hier fokussiert auf den Hippokampus – bei einem großen Teil der Fälle registriert werden. Sie gingen auf leichte Entwicklungsstörungen



8. Morphologische und funktionelle Veränderungen des Gehirns

71

bei der Platzierung der einwandernden Nervenzellen in die funktionell führenden Schichten der Hirnrinde zurück (Migrationsstörung). Doch war der letztgenannte Befund nur in einem begrenzten Anteil der Gehirne schizophren Erkrankter nachweisbar. Einen bedeutsamen Erkenntnisgewinn eröffneten die biochemisch autoradiographischen Analysen des präparierten Gehirns. Durch die Bindung radioaktiver Liganden an bestimmte Rezeptoren wurde die Abbildung der Verteilung der Rezeptoren im Gehirn möglich. Damit konnten Wirkprinzipien und Nebenwirkungsrisiken von Medikamenten gewonnen werden. In den meisten Verlaufsstudien ist im Mittel keine Zunahme der Volumenminderung des gesamten Gehirns oder einiger seiner Teile im Vergleich mit Kontrollen festgestellt worden. In einer kleineren Zahl von Fällen, die schon zu Beginn der Krankheit erhebliche kognitive Beeinträchtigung zeigten, kommt es im längeren Verlauf zu einer langsamen, relativ geringen, aber mit den neurodegenerativen Hirnatrophien etwa bei der Alzheimer’schen Erkrankung nicht vergleichbaren leichten Zunahme der Hirnvolumenminderung. Raschere und deutlichere Veränderungen der gleichen Art förderten Untersuchungen an Personen mit aktuell stark er­­­­höh­tem Schizophrenierisiko – größtenteils Prodromalstadien der Krankheit 46, 47 – zutage. Hier wurde beim Übergang in eine Psychose parallel zu einer Verschlechterung des Ar­­beits­ gedächtnis­ses und einer Depression eine deutliche Zunahme der Volumenminderung im Bereich des Hippokampus und der limbi­schen Hirnregion mit unterschiedlicher Seitenbetonung ge­­ funden. In schwereren Fällen von Schizophrenie mit Beginn im Kindes- und Jugendalter und hoher genetischer Belastung kommt es ebenfalls zu einer Zunahme der Volumenminderung, teilweise etwas über 1 – 3 % hinaus, die zumeist, aber nicht immer, von einer Zunahme der Krankheitserscheinungen begleitet ist. In mehreren Vergleichsstudien fanden sich gleichartige morphologische, im Ausmaß etwas geringere hirnstrukturelle Veränderungen auch bei Angehörigen schizophren Erkrankter. Sie sind bei maximaler Nähe der Verwandtschaft – eineiige Zwil-

72

8. Morphologische und funktionelle Veränderungen des Gehirns

linge – am stärksten ausgeprägt. Auch bei milderen Erkrankungen des Schizophreniespektrums, bei schizophrenieformen Psychosen und schizotypen Persönlichkeiten, wurden Veränderungen derselben Art, im Mittel von geringerer Häufigkeit und geringerem Ausmaß, gefunden. Diese Veränderungen können nicht Folge langfristiger Medikamenteneinnahme sein, weil die meisten der jüngeren Befunde entweder bei unbehandelten Personen oder in der ersten Episode von Schizophrenie und damit noch vor oder kurz nach Beginn einer Pharmakotherapie erhoben wurden. Vergleiche von hirnmorphologischen Veränderungen schizophren Erkrankter mit entsprechenden Befunden von Kranken, die an schweren Depressionen oder bipolaren affektiven Psychosen leiden, ergaben gleichartige Volumenminderungen, vor allem der grauen Substanz. Sie lassen sich, was ihre Lokalisation betrifft, nicht eindeutig von jener bei schizophren Erkrankten unterscheiden, selbst was die für rasche Erinnerung, emotionale Wertigkeit und affektive Steuerung bedeutsame Hippokampus-AmygdalaRegion angeht. Diese gleichartigen Hirnbefunde erinnern an die gleichartige Symptomatik, mit der schwere Depressionen und schizophrene Psychosen in der Prodromalphase beginnen, und an die Tatsache, dass Depressivität im Gesamtverlauf der Schizophrenie im Mittel das häufigste Symptom bleibt. Es ist zu vermuten, dass viele der beschriebenen morphologischen Veränderungen Zeichen einer Störbarkeit von Hirnfunktionen sind, die, vielleicht genetisch verursacht und / oder durch Umweltfaktoren ausgelöst, das Auftreten präformierter psychopathologi­scher Reaktionsmuster begünstigen. 8.1 Funktionelle Bildgebung am Gehirn schizophren Erkrankter

Mittels der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) kann der lokale Sauerstoffverbrauch in verschiedenen Hirn­ arealen indirekt gemessen werden. Durch Sauerstoffabgabe an Hirnzellen ändert das eisenhaltige Hämoglobin seine magnetischen Eigenschaften und bewirkt damit eine Veränderung des



8.1 Funktionelle Bildgebung

73

Grauwerts in diesem Areal. So entsteht mit geringer Verzögerung ein durch die Hirngefäße regional und zeitlich differenziertes Bild der Stoffwechselaktivität des Gehirns. Bei funktioneller Analyse (fMRT) war beispielsweise im Gedächtnistest (Merken und Wiedergeben) bei Kranken in Prodromalphasen im Vergleich zu gesunden Kontrollen eine geringere Aktivierung der präfrontalen Rinde und der linken parahippokampalen Region festzustellen. Eine verminderte Aktivierung der präfrontalen Region bei Stimulation unter geeigneten Testverfahren (länger währendes Reden, Wortwahl etc.) ließ sich auch in späteren Verlaufsphasen von Schizophrenie nachweisen. Sie ist als Hypofrontalität bezeichnet worden. Ein anderer mehrfach bestätigter funktioneller Befund zeigt an schizophren Erkrankten bei der Ausführung anstrengender Testaufgaben die zusätzliche Aktivierung kontralateraler Rinden­ felder, während die gesunden Kontrollen nur das entsprechende Zentrum der dominanten Hemisphäre aktivieren. Dieser Befund wird als Kompensationsversuch einer krankheitshalber beeinträchtigten Funktion interpretiert.48 Mittels der topographischen Registrierung der über dem Kopf abgreifbaren Hirnströme wird eine regionale Darstellung der aktuellen Hirnaktivität und eventueller Störungsherde ermöglicht. Auf diesen Wegen lassen sich Hinweise auf die lokalen Aktivitäten von Neuronenverbänden gewinnen. Einer der früh registrierten Befunde war eine leicht geringere Aktivität der linken Frontalregion beim Sprechen oder bei aktivierenden Test­ aufgaben, die bei analogen fMRT-Befunden als Hypofrontalität Erwähnung fand. Sie diente der Erklärung kognitiver Defizite, negativer Syndrome und mentaler Desorganisation durch ge­­ störte Vernetzung mit der Temporalregion. Hypofrontalität bei Aktivierung wurde jedoch auch bei anderen psychischen Störungen, etwa bei schweren Depressionen, gefunden. Mit experimentellen elektrophysiologischen Methoden – etwa der akustisch evozierten Potenziale – konnten zeitlich messbar Aufmerksamkeitsstörungen bei schizophren Erkrankten und eine Beeinträchtigung der selektiven Aufmerksamkeit (Konzentration) erfasst werden. Auch hier wurden gleichar-

74

8. Morphologische und funktionelle Veränderungen des Gehirns

tige elektrophysiologische Veränderungen bei schweren Depressionen gefunden, so dass es sich wohl um nicht schizophreniespezifische Aufmerksamkeitsdefizite handelt. 8.2 Zusammenhänge zwischen psychologischen Symptomen und biologischen Funktionen

Der Gewinn der in großem Umfang auch an gesunden Personen durchgeführten Studien liegt im wachsenden Wissen über die zentrale Repräsentanz wesentlicher mentaler Funktionen und damit in der Entschlüsselung der Lokalisation und Funktion von Hirnarealen im Kontext von Krankheitsphänomenen. Beim Vergleich schizophren Erkrankter mit gesunden Kontrollen konnte so ein beachtliches Wissen über Funktionsdefizite und die begleitenden Unterschiede in der Aktivierung bestimmter Hirnareale gewonnen werden. Eine differenzierte Form von Analysen stützt sich auf die direkte Erfassung des funktionellen Zusammenhangs zwischen manifesten Symptomen und Hirnfunktion. Ein Beispiel dafür ist das Studium verbaler Halluzinationen, die als «wahrgenommene Sprache ohne äußere Sprachquelle» gesehen werden. Während die Kranken angaben, laute Stimmen zu hören, fand sich im PET (Positionenemissionstomogramm) und später im fMRT die Aktivierung eines Netzes kortikaler und subkortikaler Hirnareale, die normalerweise mit der Produktion des Sprachinhalts assoziiert sind. Bei der Vorstellung einer fremden Stimme aktivierten nichthalluzinierende Kranke den Gyrus temporalis medius links, eine sensorische Sprachregion, die für das Sprachverständnis bedeutsam ist. Die halluzinierenden Kranken aktivierten dagegen das sensorische Hörzentrum nicht oder nur gering. Die Autoren schlossen daraus, dass mit dem Ausmaß der Aktivierung des linken Gyrus temporalis medius normalerweise signalisiert wird, ob die als gehört vorgestellte innere Sprache – das Stimmenhören – selbst hervorgebracht wurde oder tatsächlich als gehörte Sprache einer anderen Person wahrzunehmen war. Daraus entwickelten sie die Theorie, dass ein «inneres Monitoring»,



8.2 Psychologische Symptome und biologische Funktionen

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dem die Realitätskontrolle der Sprache obliegt, bei verbal Halluzinierenden versagt, wodurch die Pseudowahrnehmung der selbst produzierten inneren Sprache als gehörte Stimmen zu­­ stande kommt. Den Sitz dieser Monitoring-Funktion vermuteten sie im Gyrus hippocampalis und im Gyrus cinguli, zwei dem limbischen System zugehörigen Hirnarealen, die mit dem Hörzentrum im Gyrus temporalis superior dicht vernetzt sind. Mit dem Verlust dieser Funktion sollen Kranke mehr oder weniger unfähig werden, selbst generierte Aktivitäten als eigene Aktio­ nen zu erkennen. Nach dieser Theorie entstehen die verbalen Halluzinationen als eigene Gedanken in präfrontalen Assoziationsfeldern des motorischen Sprachzentrums. Sie werden dann dem inneren Monitoring zugeleitet. Werden sie dort nicht als eigene erkannt, kommt es zur Attribution an eine äußere Quelle, zur Vorstellung des Gedachten als Gehörtem. Wurden während des verbalen Halluzinierens dem Kranken Geräusche oder laute Sprache zu Gehör gebracht, kam es bei ihm, selbst wenn der Inhalt des Gesprochenen dem Inhalt der Stimmen gleich war, nicht zur Aktivierung des Hörzentrums. Dies bedeutet, dass Halluzinationen eine so starke Aufmerksamkeitszuwendung erfahren, dass zur gleichen Zeit akustische Reize von außen unterdrückt werden. Diese Feststellung wird in der Verhaltenstherapie von Halluzinationen mittels des schrittweisen Entzugs der Aufmerksamkeit genutzt. Im üblichen Denken unserer Tage werden von vielen biologischen Forschern, aber auch von Laien biologische Prozesse den psychologischen Vorgängen zeitlich und kausal vorgeordnet. Die Ursache, so meint man, muss stets auf der biologischen Ebene gesucht und deshalb auch dort die Hervorbringung der Symptome erwartet werden. Der einseitige Primat von Hirnfunktion gegenüber menschlichem Erleben, Verhalten und Entscheiden ist eine Simplifizierung. Ihr unterliegt leider eine große Zahl biomedizinischer Forscher. Wolf Singer ging so weit, selbst das freie Handeln aus Hirnprozessen herzuleiten. In jüngster Zeit wurden in zunehmendem Maße kognitive Interpretationen der Entstehung psychotischer Symptome vertre-

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9. Schritte zur Früherkennung von Schizophrenie

ten. Als kognitive Grundlage wahnhafter Überzeugungen wird etwa das rasche, unreflektierte Springen zu fertigen Urteilen gesehen. Es schließt die Wahrnehmung abweichender Sachverhalte, alternativer Sichtweisen und die Korrektur falscher Überzeugungen aus. Diese Erklärungsmuster liefern Ansätze für gezielte psychotherapeutische Interventionen.

9. Schritte zur Früherkennung von Schizophrenie Wir haben über das Vorkommen von Symptomen des Krankheitskonstrukts Schizophrenie in der «gesunden» Bevölkerung berichtet. Wir haben gezeigt, dass solche Symptome mit einem erhöhten Risiko des Übergangs in eine voll entwickelte Psychose belastet sind. Das Auftreten von depressiven Symptomen und Angst zusammen mit einzelnen psychotischen Symptomen verweist als Ausdruck einer im Gang befindlichen Prodromalphase auf eine drohende Psychose. Die Mehrzahl dieser Risikopersonen kehrt jedoch zur Symptomfreiheit oder zum unveränderten Weiterbestehen der Symptome zurück. Da die Krankheit so früh wie möglich behandelt werden soll, muss die Therapie der nicht zur Psychose führenden Prodromalstadien – sogenannte falsch positive Fälle – in Kauf genommen werden. Da aber auch eine ausgeprägte Prodromalsymptomatik der Therapie bedarf, ist ihre Behandlung nötig und gerechtfertigt. Ziel der Frühbehandlung ist es, den Krankheitsverlauf abzumildern, aufzuschieben oder sogar zum Abbruch zu bringen. Dazu sollte möglichst vielen Personen mit drohendem Psychoserisiko rechtzeitig ein Behandlungsangebot gemacht werden. Aus praktischen Gründen stehen am Anfang dieser Bemühungen Information und Aufklärung der Risikopersonen selbst, ihrer Angehörigen und derjenigen Personen, die dem Erkrankten gegebenenfalls nach Ausbruch einer Psychose beistehen werden. Zur Erreichung dieses Ziels muss den Risikopersonen



9. Schritte zur Früherkennung von Schizophrenie

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und ihren Angehörigen hinreichendes Wissen über die Erkrankung, über Symptome und Risikozeichen einer künftigen Psychose sowie über die Möglichkeiten erfolgreicher Behandlung vermittelt werden. Ziel ist eine vorurteilsfreie Sicht des Krankheitsrisikos. Der erste Schritt zur Risikoerkennung ist die Selbstwahrnehmung. Werden verdächtige Symptome und eine damit verbundene Verschlechterung des allgemeinen Befindens realisiert, empfiehlt sich das Aufsuchen eines niedergelassenen Arztes oder einer zur diagnostischen Abklärung geeigneten Einrichtung. Dort soll dann zur weiteren Anreicherung der Risikoerkennung ein «Screeningverfahren» mit großer Reichweite zur Anwendung kommen. Dazu dient das nachstehend abgebildete Früherkennungsinventar ERIraos,49 das im deutschen Kompetenznetz für Schizophrenieforschung am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim entwickelt worden ist. Es besteht aus zwei Teilen, einer Checkliste, dem Screeningverfahren, und einer umfangreicheren, aber mit der Checkliste kompatiblen Symptomliste zur Feststellung der drohenden Psychose. Die Checkliste enthält 15 Symptome in drei Gruppen mit unterschiedlichen Risikoschwellen (Abb.  4) und drei Symbole zur Erfassung eines zur Besserung oder zur Verschlimmerung führenden Verlaufs im abgelaufenen Jahr. Die Symptome der ersten Gruppe sind verhältnismäßig un­­ spezifisch. Die zweite Gruppe ist charakteristisch, aber noch nicht spezifisch für Schizophrenie. Beide Ebenen zusammen umfassen Merkmale der präpsychotischen Prodromalphase. In der dritten Gruppe sind eindeutige psychotische Symptome enthalten, um Personen nicht zu verfehlen, die bereits eine Krankheitsepisode entwickelt, sich aber noch nicht in ärztliche Behandlung begeben haben. Die Auswertung der Checkliste erfolgt in einfachen Schritten. Keine Symptome in allen drei Gruppen erlaubt den Verzicht auf weitere Diagnostik. Symptome in Gruppe 1, aber keine in den Gruppen 2 und 3 bedeutet, kein erkennbares Risiko einer Psychose; die weitere Diagnostik muss andere psychische Störungen in Betracht ziehen. Bei positiven Antworten in Gruppe 2 und 3

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9. Schritte zur Früherkennung von Schizophrenie

I.

01  Sozialer Rückzug 02  Depressive Stimmung 03  Reduktion der Körperfunktionen 04  Verlangsamung der Bewegungen; Reduktion von Energie und Affekt 05  Abnahme von Motivation und Leistung

II.

06  Grübeln 07  Störung der Kontaktfähigkeit 08  Absonderliches Verhalten 09  Misstrauen 10  Manische und dysphorische Stimmung

III.

11  Depersonalisation und Derealisation 12  Beschäftigung mit geheimnisvollen Dingen 13  Präpsychotische und psychotische Denkstörungen 14  Wahrnehmungsstörungen und Halluzinationen 15  Beziehungsideen und paranoide Symptome Hat sich die Symptomatik in den letzten zwölf Monaten insgesamt eher

… verschlimmert?

… nicht verändert?

… verbessert?

Abbildung 4:  ERI raos-Checkliste (Screening auf Psychoserisiko)

ist ein Risiko anzunehmen, das bei Symptomen der Risikogruppe 3 maximale Werte erreicht. In beiden Fällen ist die Überweisung zur weiteren Diagnostik und Risikoschätzung in ein Früherkennungszentrum oder an eine andere kompetente Stelle nötig. Eine bessere Trennung hoher und niedriger Übergangswahrscheinlichkeit als mit den drei Symptomgruppen erreicht man durch den Gesamtscore: Bei einer Gesamtzahl bis zehn Symptomen lag das Risiko bei 12 %, ab elf Symptomen bei 36 %. Bei erhöhtem Risikostatus, der mit der Checkliste erfasst wird, muss eine Behandlung der vorhandenen Symptome, etwa in Gestalt einer psychosozialen Intervention, eingeleitet werden, aber noch keine antipsychotisch pharmakologische Therapie. Eine Pharmakotherapie mit Neuroleptika erfordert das Vorhandensein einer eindeutig psychotischen Symptomatik. Zur Feststellung eines erhöhten Risikostatus oder einer bereits ausgebrochenen Psychose soll die ERIraos-Symptomliste



9. Schritte zur Früherkennung von Schizophrenie

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Anwendung finden. Sie ist für die Erfassung krankheitsnaher Verlaufsstadien konstruiert und kann bei entsprechenden Werten auch diagnostische Hinweise liefern. Diese Symptomliste sollte von fachkompetenten Untersuchern angewandt werden. Mit der Feststellung einer deutlichen psychotischen Symptomatik oder einer voll entwickelten Psychose muss der verantwortliche Psychiater eine psychopharmakologische Therapie unverzüglich in Erwägung ziehen. Das Weiterbestehen erheblicher nichtpsychotischer Symptome der Prodromalphase erfordert die Fortsetzung der psychosozialen Therapie. Die Mitteilung eines drohenden Schizophrenierisikos stellt für die Betroffenen eine erhebliche Belastung dar. Sie muss deshalb in ein persönliches Gespräch eingebunden werden. Da die Diagnose Schizophrenie für viele Personen noch mit einem sozialen Stigma belastet ist, ist damit zu rechnen, dass die Etikettierung des Risikos mit «Schizophrenie» tiefe Beunruhigung bzw. heftige Ablehnung hervorruft. Die japanische Gesellschaft für Psychiatrie hat deshalb die Diagnose Schizophrenie durch «Integrationsstörung» ersetzt. Dies aber ist wahrscheinlich nicht der Weisheit letzter Schluss, denn ein fortbestehendes Bedürfnis zur Stigmatisierung wird sich auch an den neuen Namen heften. Ein offener Umgang mit Art und Ausmaß der Krankheit ist jedenfalls eine Voraussetzung ihrer Bewältigung. Mit guter Begründung lässt sich nicht von Schizophrenie, sondern von Psychoserisiko sprechen; denn der traditionelle Begriff der Schizophrenie wird zunehmend als heterogenes Krankheitskonstrukt gesehen, in dem die deutlich homogenere psychotische Symptomatik eine zentrale Rolle spielt.

10. Behandlung der Schizophrenie

10.1 Psychosoziale Behandlung der präpsychotischen Prodromalphase

Wenn es gelungen ist, die Risikoperson und ihre nächsten Angehörigen von der Zweckmäßigkeit einer Behandlung zu überzeugen, dann besteht der erste Schritt in einer gründlichen Information über das Risiko der drohenden Krankheit – Psychose oder affektive Störung – , ihre möglichen und vermeidbaren Folgen und über das vorgeschlagene therapeutische Vorgehen. Die Wahl des Therapieverfahrens hängt von der vorherrschenden Symptomatik und den persönlichen Umständen des Kranken ab. Um darüber Klarheit zu gewinnen, ist eine mit der Risikoperson gemeinsam unternommene Analyse der bestehenden Lebensprobleme erforderlich. Für verschiedene Symptommuster und Problemfelder, die sich in der Prodromalphase, aber auch in der voll entwickelten Krankheit häufig zeigen, stehen unterschiedlich fokussierte und verschieden breit angelegte Therapieverfahren zur Verfügung. Spezifische Präventionsmaßnahmen sind bei risikoassoziierten Problemen in Jugend und Adoleszenz angezeigt. Bei kognitiven Defiziten mit Beeinträchtigung der selektiven Aufmerksamkeit, des Arbeitsgedächtnisses und des Durchhaltevermögens – oftmals eine Quelle von Lernschwierigkeiten – sind längerfristige kognitive Trainingsmaßnahmen mit Übergang zur Selbstanwendung sinnvoll. Kommt es zu Leistungseinbrüchen in Schule, Studium oder Beruf, dann ist eine intensivere, mit zwei bis drei Sitzungen pro Woche durchgeführte kognitive Verhaltenstherapie oder ein kognitives Training erforderlich, das von sozialen Maßnahmen begleitet wird. Eine ausführliche Darstellung aller empfehlenswerten Verfahren ist an dieser Stelle nicht möglich. Wir werden nur die wichtigsten jeweils mit einigen Hinweisen charakterisieren.



10.1 Psychosoziale Behandlung der Prodromalphase

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Für die Behandlung beeinträchtigter kommunikativer, sozialer und lebenspraktischer Fertigkeiten stehen vor allem die Verfahren des sozialen Trainings zur Verfügung. Der Auswahl klar definierter Verhaltensprobleme schließen sich Trainingsmaßnahmen an, etwa Umgang mit Vorgesetzten und Kollegen, Konversation und kommunikative Fertigkeiten, Selbstversorgung, Haushaltsführung, Einkaufen und Freizeitaktivitäten. Die Veränderung des Verhaltens soll nicht nur in der therapeutischen Modellsituation praktiziert, sondern auch in realen Umweltsituationen (Expositionsphase) geübt werden. Soziale Ängste, die häufig durch Vermeidungsverhalten zur Behinderung kommunikativer und sozialer Kontakte führen, lassen sich durch Verhaltenstherapie erfolgreich angehen. Auch hier kann mit langsam ansteigender hierarchischer Desensitisierung an Angstauslösern, erst gedanklich, dann in Modellsitua­ tionen und danach durch Exposition gegenüber realen Angstobjekten oder -situationen, vorgegangen werden. Ein anderes Störungsfeld, das sowohl in der Prodromalphase als auch in der Krankheit selbst anzutreffen ist, besteht in Selbst­ unsicherheit, in der Neigung zu Selbstentwertung und zu Ohnmachtserlebnissen, die sich oft an Niederlagen knüpfen. Für die therapeutische Fokussierung auf dieses Problemfeld stehen Verfahren des Selbstsicherheitstrainings und entsprechende Module von Verhaltenstherapie zur Verfügung. Die angesprochenen Verfahren können sowohl im Einzel- als auch, entsprechend modifiziert, in Gruppentherapie Anwendung finden. Während die Einzelbehandlung ein intensives und zu­­ gleich schonendes Vorgehen erlaubt – was bei wenig belast­baren Kranken hilfreich ist – , findet die Gruppentherapie in einer sozia­ len Situation statt und bringt Kommunikations- und Beziehungsmuster als kontrollierte Möglichkeiten sozialen Lernens ein. Das Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungsmodell hat die Entwicklung von Coping-Skills-(Bewältigungsstil-)Trainingsverfahren angestoßen. Ihr Ziel sind vornehmlich geringere Verletzbarkeit und verbesserte Bewältigungsstrategien gegenüber belastenden Lebenssituationen. Die Bewältigungsfähigkeit soll nicht nur gegenüber belastenden oder symptomauslösenden Ereignissen,

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10. Behandlung der Schizophrenie

sondern in der aufbrechenden Krankheit auch gegenüber der psychotischen Symptomatik selbst verbessert werden, was für die Lebensqualität des Kranken und für eine Minderung der Krankheitsfolgen von Nutzen ist. Neben der psychologischen und sozialen Therapie ist nicht selten schon in der Prodromalphase der Versuch einer Minderung objektiver sozialer Folgen nötig, beispielsweise wenn Arbeitsplatzverlust, der Abbruch eines zukunftsweisenden Projekts, etwa einer Doktorarbeit (s. Fallbeispiel 1 in Abschnitt 2.2), oder die Wiederholung einer Schulklasse drohen. Weil in solchen Fällen eine mitunter schwer behebbare Verschlechterung der persönlichen und beruflichen Chancen droht, soll der Versuch unternommen werden, die sozialen Einbußen abzuwenden. Für diese Maßnahmen empfiehlt sich die Unterstützung durch einen Sozialarbeiter oder durch eine andere geeignete Person. Bei den meisten der erwähnten Verfahren ist zu prüfen, was dem Betroffenen als sinnvolle, praktisch anwendbare Hausaufgabe mitgegeben werden kann. Bei einer Reihe sozialer und kognitiver Trainingsmaßnahmen gibt es dafür geeignete Manuale und teilweise auch Computerprogramme. 10.2 Die psychologische Behandlung der Krankheit

Eine breit angelegte, auf Prodromalsymptomatik oder die voll entwickelte Krankheit zielende und als wirksam erwiesene Methode ist die kognitive Verhaltenstherapie. Sie besteht aus mehreren Elementen, die teilweise in den oben dargestellten Ansätzen enthalten sind. Verhaltenstherapie zielt auf die Modifikation des aktuellen Verhaltens und nicht, wie die Psychoanalyse, auf Triebreifungsphasen, Kindheitstraumata und unbewusste Prozesse. Die Erweiterung der Verhaltenstherapie durch kognitive Elemente kommt jedoch dem tiefenpsychologischen Ansatz insoweit näher, als sie auch die im Zusammenhang mit traumatischen Erfahrungen entwickelten emotionalen Reaktionen und falschen Überzeugungen einbeziehen und entsprechend modifizieren will. Die in mehreren Praxisleitlinien («Guidelines») verfügbare



10.2 Die psychologische Behandlung der Krankheit

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kognitive Verhaltenstherapie zielt auf die Minderung von Leiden oder Belastung einerseits und auf die Verbesserung von Lebenszufriedenheit andererseits. Die Abschwächung oder Beseitigung störender Symptome und die Verbesserung des Funktionsniveaus ist ein zusätzliches Ziel der Intervention. Im Brennpunkt des Anwendungsspektrums bei Schizophrenie stand in den letzten beiden Jahrzehnten die Therapie chronischer psychotischer Symptome. Inzwischen ist das Verfahren auf mehrere Problemfelder, etwa die Negativsymptomatik,50 ausgeweitet worden. In der Behandlung von Depression wird die kognitive Verhaltenstherapie seit langem erfolgreich angewandt. Auch die kognitive Verhaltenstherapie verlangt vor dem Einstieg ein Mindestmaß an Vertrauen und Sympathie zwischen Patient und Therapeut – meist Empathie genannt. Der gemeinsamen Identifikation von Problembereichen folgt, wie in sozialen Trainingsverfahren üblich, die Formulierung von Behandlungszielen. Bei schizophren Erkrankten und bei Risikopersonen finden sich häufig mehrere Lebensprobleme gleichzeitig; ihre Anzahl übertrifft in der Regel die einfacherer Störungsmuster, etwa Phobien. Aus praktischen Gründen kann es nötig sein, die Behandlungsziele auf diejenigen Problembereiche einzuschränken, unter denen der Kranke am meisten leidet bzw. durch die er am stärksten behindert ist, etwa irreale Überzeugungen oder Beziehungsmuster (Schlüsselkognitionen). Auch depressive Verstimmung, Angst und Ohnmachtsgefühle müssen als Therapieziele bedacht werden. Das Therapiekonzept von Klingberg und Kollegen mit Verfahrensplan, Definition und Auswahl von Problembereichen und Therapieschritten gibt einen guten Überblick (Abb.  5). Die Therapie setzt direkt an destruktiven Überzeugungen an, mit dem Ziel einer kognitiven Änderung. Sie benutzt die Methode sokratischen Fragens, um dem Kranken Einsichten und alternative Erklärungen zu eröffnen und daraus neue Lösungen zu entwickeln. In diesem Zusammenhang sollen auch belastende oder verstörende Ereignisse und Situationen der Vergangenheit erkundet werden, aus denen, wie erwähnt, falsche Überzeugungen, dysfunktionale Emotionen, Affekte und schließlich auch Wahnideen und andere psychotische Symptome erwachsen sind. Allwissende Omnipotenz

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10. Behandlung der Schizophrenie

Einführung und Motivation Sitzungen 1–6

Erarbeitung eines gemeinsamen Krankheitsmodells (von Symptomen, Verlauf, subjektive Erklärungen und biologische Faktoren) Erarbeitung eines gemeinsamen Theoriemodells (Fokus der Intervention, Bedeutung der Pharmakotherapie, frühe Zeichen von Rückfällen) Diskussion der Lebensziele und der Therapieziele

Erarbeitung eines Behandlungsplans

Auswahl von zwei Zielbereichen der Therapie (Symptome)

Sitzungen 7–8 Individuelle Behandlung Sitzungen 9–18 Behandlungsabschluss Sitzungen 19–20

Initiative und Planen

Soziale Aktivitäten

Emotionale Teilnahme

Emotionales Ausdrucks­ verhalten

Sprachliche Aktivität

Vorbereitung des Therapieabschlusses Nachprüfung der Rückfallprävention Beurteilung der erreichten Therapieziele

Abbildung 5:  Behandlungsplan: kognitive Verhaltenstherapie zur Verminderung negativer Symptome bei Schizophrenie51

oder Ohnmachtsgedanken, die sich ebenfalls in wahnhaften Überzeugungen oder Halluzinationen niedergeschlagen haben, sollen aufgedeckt und realistisch und rational abwägend diskutiert werden. Der unreflektierte Sprung zu meist irrealen Schlussfolgerun­ gen, auf den wir im Zusammenhang mit der kognitiven Generierung von wahnhaften Überzeugungen bereits hingewiesen ha­ben, muss thematisiert und für alternative Erklärungen geöffnet werden. Auch die Therapiesettings weisen Schwerpunkte therapeutischer Wirksamkeit auf. Individuelle Therapie ist bei der Behandlung von erheblicher Selbstunsicherheit, positiven Symptomen, negativen Symptomen und bei erheblicher Depression empfehlenswert. Die Gruppentherapie hat ihr optimales Wirkspektrum bei Beeinträchtigung sozialer und kommunikativer Fähigkeiten. Familientherapie mit und ohne den Kranken ist mit den meisten besprochenen Verfahren – eine entsprechende Modifikation vorausgesetzt – möglich; ihre Chance besteht vor allem in einer Verbesserung der familiären Kommunikation und dem Abbau von Vorurteilen und Enttäuschungen.



10.3 Medikamentöse Behandlung der Schizophrenie

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Da das Risiko sozialer Folgen vorwiegend an die kognitive Beeinträchtigung und an die negativen Symptome gebunden ist, sollte die psychologische Behandlung und ggf. auch die soziale Unterstützung der Kranken bei Restsymptomen solcher Art nach dem Ende der ersten akuten Krankheitsepisode weitergeführt werden. 10.3 Medikamentöse Behandlung der Schizophrenie

Die Verordnung antipsychotisch wirkender Psychopharmaka vor Auftreten einer Psychose stößt mangels hinreichender Wirksamkeit auf nichtpsychotische Symptome bei gegebenem Nebenwirkungsrisiko auf ernste Bedenken. Deshalb kann die psychosoziale Frühintervention erst dann durch eine antipsychotische Pharmakotherapie ergänzt werden, wenn psychotische Symptome in einem Ausmaß aufgetreten sind, das eine hinreichende Wirksamkeit der Medikamente erwarten lässt. Während die psychologische Behandlung meist auf Symptome, Beeinträchtigungen und Verhalten fokussiert ist, wird die medikamentöse Therapie mit Antipsychotika häufig als Behandlung der «ganzen» Krankheit Schizophrenie verstanden. Tatsächlich wirken diese Substanzen vorwiegend auf Unruhe, Erregung, psychotische und manische Symptome innerhalb und außerhalb einer Schizophrenie, nicht aber, oder nur wenig, auf die restliche Schizophreniesymptomatik.52 Vor Beginn jeder Behandlung ist, wie schon gesagt, die Aufklärung des Kranken über seine Krankheit und über Chancen und Risiken der vorgeschlagenen Therapie, ggf. auch über alternative Behandlungsmöglichkeiten, erforderlich. Die nächsten Angehörigen sollten frühzeitig einbezogen werden. Mit der Aufnahme von Biographie, Lebenssituation und Symptomatik ist auch eine eventuelle Suizidgefährdung zu eruieren. Bei ernster Selbstgefährdung sind schützende Maßnahmen erforderlich, bei hohem Risiko die Unterbringung in einer geschlossenen Station. Muss dies zum Schutz des Kranken ohne sein informiertes Einverständnis erfolgen, ist die fristgerechte Zustimmung des zuständigen

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10. Behandlung der Schizophrenie

Vormundschaftsrichters notwendig. Sie wird, wenn eine Notaufnahme erfolgen musste, unverzüglich vom behandelnden Krankenhausarzt eingeholt. Bei krankheitsbedingt fehlender Einsicht empfiehlt sich auch die Bestellung eines Betreuers nach dem Betreuungsgesetz. Die Auswahl des Betreuers sollte nach Möglichkeit mit Zustimmung des Kranken folgen. Wir werden eine Übersicht über einige wichtige der derzeit benutzten Psychopharmaka, ihre Wirkung und unerwünschten Nebenwirkungen geben. Eine erschöpfende Darstellung von Wirkprofilen und Risiken aller einschlägigen Medikamente ist hier nicht möglich. Die Kurzdarstellung kann keinesfalls die ärztliche Beratung und Verordnung ersetzen. Auch die fortlaufende Einnahme antipsychotisch wirksamer Medikamente darf der ärztlichen Beratung und Kontrolle nicht entzogen werden. Eine kausale Therapie der Schizophrenie steht, wie erwähnt, noch nicht zur Verfügung. Die meisten der gebräuchlichen Antipsychotika bessern die psychotische Symptomatik, können aber Depression, negative Symptome und kognitive Beeinträchtigung nur begrenzt beeinflussen. Eine ernstere depressive Symptomatik bedarf eigener Behandlung. Bei leichter oder mittelschwerer Depression kann eine kognitive Verhaltenstherapie, bei schwerer Depression eine zusätzliche antidepressive Pharmakotherapie helfen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass einige Antidepressiva, vor allem trizyklische Antidepressiva und Venlafaxin, das Auftreten oder die Zunahme psychotischer Symptome fördern. Sollten solche Antidepressiva in Ausnahmefällen zum Einsatz kommen, muss sorgfältig auf Anzeichen unerwünschter Nebenwirkungen – etwa Stimmungsänderungen zum HypomanischManischen oder Erregbarkeitssteigerung – geachtet werden. Behandlungsunterschiede im Krankheitsverlauf Die medikamentöse Therapie der Schizophrenie hat zwei bevorzugte Ziele, zum einen die akute Psychose in möglichst kurzer Zeit zum Abklingen zu bringen, zum anderen psychotische Rückfälle zu verhindern. Die erste Behandlung mit Antipsychotika zu Beginn der Krankheit verlangt im Regelfall niedrige



10.3 Medikamentöse Behandlung der Schizophrenie

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Dosen, weil das nicht vorbehandelte Gehirn noch relativ sensibel reagiert. Die Behandlung späterer und schwerer Erkrankungsformen erfordert eine höhere tägliche Medikamentendosis. Bezogen auf den Krankheitsverlauf, sind gewisse Unterschiede des therapeutischen Vorgehens zu bedenken. Die akute psychotische Episode zwingt in der Regel zum Einsatz antipsychotisch wirksamer Medikamente und in der Mehrzahl der Fälle auch zu einer stationären Behandlung. In wenigen Fällen ist auch heute noch eine mehrmonatige Krankenhausbehandlung nicht zu umgehen. In der Regel kommt es jedoch mit einer antipsychotischen Pharmakotherapie, begleitet von psychosozialen Interventionen, maximal nach drei Wochen zur Besserung oder zum völligen Abklingen der akuten Psychose. Dann schließt sich eine meist ambulant zu führende postakute Stabilisierungsphase an, deren Dauer im Mittel drei Monate, manchmal auch deutlich weniger beträgt. Diese Behandlungsphase wird an Bedeutung gewinnen (und zugleich wird das damit verbundene Risiko steigen), wenn im Zuge vermehrter Sparmaßnahmen oder wegen Ärztemangels die Krankenhausaufenthalte weiter verkürzt und die Kranken mit erheblichen Restsymptomen entlassen werden. Nach Entlassung soll die Pharmakotherapie in hinreichender Dosierung und unter sorgfältiger Kontrolle fortgesetzt werden. Dies sollte möglichst durch dieselben Ärzte und Betreuungspersonen geschehen, die den Kranken in seiner akuten Phase versorgt oder schon vor der Krankenhausaufnahme behandelt haben. Eine Übergangslösung für jene Kranken, die weiter einer relativ intensiven Behandlung bedürfen, ist eine Tagesklinik. Sie bietet im Optimalfall alle einschlägigen therapeutischen Leistungen eines Krankenhauses, beschränkt auf fünf Wochentage ohne nächtliche Aufsicht. Die Kranken müssen über kurze Anfahrtswege und ein geordnetes «Zuhause» verfügen – am besten mit hilfsbereiten Angehörigen. Sie müssen in der Lage sein, die Anund Abfahrtswege selbstständig zurückzulegen und das Wochenende ohne fachliche Aufsicht zu verbringen. Für die Überweisung zur Weiterbehandlung ist eine sorgfältige Vermittlung aller Informationen über Krankheit, Therapie

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10. Behandlung der Schizophrenie

und über die persönliche Situation des Kranken erforderlich. Dazu bedarf es in der Regel nicht nur des «Arztbriefes», sondern auch einer mündlichen Übermittlung, bei der weitergehende Fragen geklärt werden können. Während der Stabilisierungsphase sollte dem Kranken im Rahmen psychoedukativer Maßnahmen außer der Empfehlung zur Weiterbehandlung ein Verständnis für Rückfallrisiken, mögliche Auslöser und vorbeugendes Handeln nahegebracht werden. Bei Kranken, die bereits einige Rückfallepisoden hinter sich haben, sollte der Versuch unternommen werden, die individuellen Prodromalzeichen von Rückfällen zu erkennen. In den Gesprächen bei oder nach der Entlassung aus stationärer Behandlung werden zuweilen kritische Lebenssituationen oder langfristige Lebensprobleme deutlich, deren Bearbeitung aufgenommen werden sollte. Wo es notwendig ist, muss für die Wiedereingliederung in die Familie und das persönliche Beziehungsnetz, in Arbeit und Beruf Hilfestellung gegeben werden. Dazu sollte dem behandelnden Arzt ein sozialpsychiatrischer Dienst mit erfahrenen Sozialarbeitern zur Seite stehen. Die persönliche Kontinuität von Soziotherapie ist auch im Übergang von der Akutbehandlung zur postakuten Stabilisierungsphase wichtig. Der Stabilisierungsphase folgt die medikamentöse Rückfallprävention, mitunter ergänzt durch die Fortführung notwendiger psychotherapeutischer und / oder sozialer Maßnahmen. Für die Verhütung von psychotischen Rückfällen ist eine dauerhafte, optimal wirksame, gut verträgliche Dosierung erforderlich, solange ein Rückfallrisiko droht. Die Entscheidung, wann eine solche Erhaltungstherapie abgesetzt werden kann, ist nicht einfach zu treffen. In der Regel lässt sich bei einer einzigen Krankheitsperiode nach einem Jahr Rückfallfreiheit, bei zwei Episoden nach fünf Jahren eine Reduzierung der Medikamentendosis bis zum Ausstieg unter sorgfältiger Beobachtung vertreten. Eines der größten Hindernisse der erfolgreichen Therapie und Rückfallprävention schizophren Erkrankter ist der vorzeitige Abbruch der Medikamenteneinnahme, als Verlust von «Compliance» oder von «Adherence» bezeichnet. Eine größere Zahl von Studien hat belegt, dass bereits im ersten Behand-



10.3 Medikamentöse Behandlung der Schizophrenie

89

lungsjahr etwa die Hälfte aller Kranken die verordnete Therapie abbricht. Abhängig von der Verträglichkeit des Medikaments, von einer verlässlichen Kommunikation mit dem behandelnden Arzt und von der Motivation des Kranken selbst ist dieser Anteil jedoch unterschiedlich hoch. Es ist verständlich, dass Kranke, die unangenehme Nebenwirkungen, etwa in Form eines Parkinsonoids, erleiden, die Medikamenteneinnahme nicht fortsetzen wollen. Der Abbruch der Medikation ist jedoch in den ersten Jahren nach Krankheitsausbruch mit dem Risiko psychotischer Rückfälle, in einigen Fällen auch mit einer zunehmenden Verschlimmerung des Leidens be­­ lastet. Da beides ungünstige persönliche und soziale Folgen haben kann, ist die Einnahme eines gut verträglichen Medikaments ohne wesentliche Nebenwirkungen in der Regel vorzuziehen. Besteht die Krankheit bereits seit mehreren Jahren, scheint der Verzicht auf medikamentöse Behandlung keine Nachteile mehr einzubringen. Liegen eine hohe genetische Belastung, eine lang hingezogene Prodromalphase, erhebliche Verhaltensstörungen und kurze Intervalle zwischen häufigen Rückfallepisoden vor, empfiehlt sich dagegen die zunächst unbefristete Fortsetzung einer präventiven Pharmakotherapie. Zur Motivation des Kranken, die ärztlichen Verordnungen nicht zu boykottieren, ist ein verlässliches Vertrauensverhältnis zwischen dem Kranken und seinem Arzt vonnöten. Das aber setzt voraus, dass der Kranke seinen Arzt auch regelmäßig aufsucht und dass sein Arzt ihm nicht nur ein Rezept in die Hand gibt, sondern genügend Zeit für ein Gespräch erübrigt. Vorzeitige Behandlungsabbrüche sind abhängig vom Auftreten unerwünschter Nebenwirkungen. Psychopharmaka der «ersten Generation», die mit einem hohen Risiko solcher Neben­ wirkungen belastet sind, weisen hohe Abbruchraten auf. Sie werden deshalb seltener verordnet. Ein häufig verordnetes Medikament der «zweiten Generation», Olanzapin mit dem Handelsnahmen Zyprexa®, das zwar mit dem Risiko der Gewichtszunahme, aber kaum mit extrapyramidalen Nebenwirkungen, etwa einem Parkinsonoid, belastet ist, hat in der Mehrzahl der einschlägigen Studien geringere Therapieabbruchraten.

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10. Behandlung der Schizophrenie

Die antipsychotischen Medikamente der ersten Generation weisen unterschiedliche Wirkungsstärken – meist als neuroleptische Potenz bezeichnet – und verschiedene Formen und Stärken unerwünschter Nebenwirkungen bei vergleichbar wirksamer Dosierung auf. Je nach antipsychotischer Wirkungsstärke werden hochpotente, mittelpotente und niedrigpotente Anti­psycho­tika unterschieden. Die hochpotenten Medikamente sollen bei normaler Dosierung möglichst keine sedierende (= beruhigende) und keine bewusstseinseinschränkende Wirkung aufweisen. Mittel- und niedrigpotente Antipsychotika, die zur Psychosebehandlung eine höhere Dosis als die hochpotenten erfordern, wirken in der Regel auch sedierend. Ein wichtiger Grund für Wirkung und Nebenwirkungsrisiken liegt in den mehr oder weniger selektiven Affinitäten der Substanzen für verschiedene zentrale Neurotransmitterrezeptoren. Alle antipsychotisch wirksamen Substanzen blockieren oder regulieren die Aktivität vor allem des D2-Rezeptors (Dopamin) herunter. Daraus und aus der Tatsache, dass dopaminerg wirkende Substanzen – etwa Cannabis – eine Psychose hervorrufen können, hatte sich die Theorie entwickelt, die Psychose sei eine Folge der Überfunktion der dopaminergen Neurotransmission. Eine fortgeschrittenere Version nimmt eine Dysregulation zwischen dopaminerger Aktivität in den Synapsen des Schläfen- und des oberen Stirnlappens, bei reduzierter Aktivität der ausgleichenden oder inaktivierenden serotonergen und / oder GABAergen Neuronen an. Eine partielle Ausnahme von der neurochemischen Wirksamkeitsregel durch Blockade der D2-Rezeptoren ist Clozapin. Es geht nur eine schwache Bindung an den D2-Rezeptor ein, bindet aber an mehrere andere Rezeptoren (s. S. 97  f). In jüngster Zeit hat man ein komplexeres Bild der Rezeptorverteilung und -funktion im Gehirn gewonnen. So weisen einzelne Nervenzellen Rezeptoren für mehrere aktivierende und hemmende Transmitter auf, und ihre Verteilung über Hirnareale zeigt starke Überlappungen. So ist mehr mit Netzen unterschiedlicher Rezeptordichte und Neurotransmitteraktivitäten als mit jeweils streng umgrenzt lokalisierten, funktionell homogenen Arealen zu rechnen. Wegen ihrer spannungs- und aggressivitätsreduzierenden Wir-



10.3 Medikamentöse Behandlung der Schizophrenie

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kung werden die Antipsychotika, vornehmlich die hochpotenten D2-Blocker, nicht nur bei Schizophrenie, sondern auch in der Behandlung von Impulskontrollstörungen, ernster Gewaltbereitschaft und bei der manischen Erregung eingesetzt. Mit ernsten Risiken behaftet ist die Anwendung von sedierenden Anti­ psychotika zur Verminderung von Unruhe in Altersheimen. Bei den antipsychotischen Medikamenten wird, wie bereits erwähnt, zwischen solchen der ersten Generation, auch konventionelle Antipsychotika genannt, und jenen der zweiten Generation, auch atypische Antipsychotika genannt, unterschieden. Die Unterschiede der antipsychotischen Wirksamkeit sind bei optimaler Dosierung gering, die Unterschiede der unerwünschten Nebenwirkungen jedoch groß. Bei den Medikamenten der zweiten Generation wird teilweise eine Erweiterung der therapeutischen Wirkung über die Positivsymptomatik hinaus auf negative und depressive Symptome angenommen. Diese Charakterisierung des Wirkspektrums ist, wie schon angesprochen, mit Zurückhaltung aufzunehmen. Derzeit ist die Behandlung einer Psychose mit Antipsychotika der zweiten Generation in erster Linie wegen des geringeren Risikos extrapyramidaler Nebenwirkungen vorzuziehen. Therapeutische Wirkung und unerwünschte Nebenwirkungen Dopaminerge Neurotransmission findet nicht nur im Gehirn, sondern im gesamten Nervensystem und damit in vielen Organen des Körpers mit der Folge unerwünschter Nebenwirkungen statt (s. Tab.  8). Die Blockade der dopaminergen Neurotransmission – durch Neuroleptika der ersten Generation, etwa Haloperidol – verursacht in erster Linie extrapyramidale Nebenwirkungen, etwa Parkinsonoid, starre Mimik, Rigidität, erhöhte Muskelspannung und Muskeldystonien, Akathisie (Bewegungsunruhe) und gelegentlich grobschlägigen Tremor. Haloperidol reduziert aber nicht nur Spannung und Impulsivität und mildert oder beseitigt die positiven Symptome der Schizophrenie, sondern erschwert, abhängig von der Dosierung, durch anticholi-

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10. Behandlung der Schizophrenie

nerge Effekte auch einige physiologische Funktionen, etwa Speichelsekretion (Mundtrockenheit), Hemmung der Blasenentleerung, der Linsen­kon­­traktion (Nahanpassung beim Sehen) und der Darmtätigkeit. Bei länger währender Verstopfung kann es, wenn auch sehr selten, zu einem Ileus (Stillstand der Darmpassage) kommen. Darüber hinaus bewirkt die Blockierung des D2Rezeptors eine vermehrte Bildung von Prolaktin mit der Folge sexueller Funktionsstörungen und unerwünschter Absonderung von geringen Milchmengen aus der weiblichen Brust. Die antipsychotisch wirksamen Medikamente der zweiten Generation haben weniger starke, durch Dopaminmangel verursachte Nebenwirkungen. Dennoch sind fast alle Neuroleptika der zweiten Generation auch mehr oder weniger starke D2-Antagonisten, und ohne Ausnahme weisen sie Affinitäten zu anderen Neurotransmitterrezeptoren auf, wie in Tabelle 7 an ausgewählten Beispielen häufig gebrauchter Medikamente zu sehen ist. Tabelle 7:  Rezeptorwirkungsprofile ausgewählter Antipsychotika (AP)53 Anti­ psychotikum Amisulprid Aripi­ prazolab Clozapinb Haloperidolb Olanzapinb Quetiapin Risperidonb Sertindol Ziprasidonb

Chemische Tri- zyk­ Klasse lisch Benzamid – Phenylpi– perazinylchinolin Dibenzo­ + diazepin Butyro­ – phenon Thienoben- + zazepin Dibenzo+ thiazepin Benziso­ – xazol Indol – Benziso– thiazin

Klini­sche D1 Einteilung

D2

D3

5-HT2

M1

α1

H1

AAP

0 0

+++ +++

+++ +++

0 ++

0 0

0 +

0 +

AAP

++

+

++

+++

+++

+

+++

KAP, HP

++

+++

++

+

0

++

0

AAP

++

+++

++

+++

++

++

+++

AAP

+

+

+

+

0

+

++

AAP

++

+++

++

+++

0

+++

+

AAP

++ +

+++ ++

+ ++

+++ +++

0 0

++ +

0 ++

AAP

AAP

Die Daten sind aus In-vitro-Rezeptoraffinitäten der Antipsychotika zusammengestellt und spiegeln daher nicht direkt die klinischen Wirkungen (in vivo) wider. AP wirken primär als Antagonisten, d.  h. blockierend an Neurotransmitterrezeptoren. Daneben werden durch höhere Konzentrationen Enzyme und Ionenkanäle gehemmt. a = Partieller D2 / D3-Agonist und 5-HT1A-Agonist; b = D4-Antagonist; KAP = konventionelle Anti­ psychotika; AAP = atypische Antipsychotika; HP = hochpotent



10.3 Medikamentöse Behandlung der Schizophrenie

93

Die funktionelle Bedeutung der Blockierung von Neurotransmitterrezeptoren durch die üblichen Antipsychotika ist in Ta­­belle 8 als kurzer Überblick dargestellt. Bei der funk­tionell wichtigsten, der D2-Rezeptorblockade, ist auch das jeweilige Hirn­areal angegeben, das für be­­stimm­­te Wirkungen und Nebenwirkungen bevorzugt verantwortlich ist. Die bei vergleichbarer Wirksamkeit sehr unterschiedliche Dosierung der Medikamente war Anlass, Äquivalenzdosen zu schätzen. Damit ist die Dosis gemeint, die beim jeweiligen MediTabelle 8:  Klinische Konsequenzen der Rezeptorblockade durch Antipsychotika – ohne Angaben über die Häufigkeit des Auftretens (Grad des Risikos)54 Beeinflusster Rezeptortyp

Induzierte erwünschte oder unerwünschte Wirkung

H1-Rezeptorblockade

Sedierung, Schläfrigkeit, Potenzierung zentral dämpfender Wirkung, Gewichtszunahme

m

ACh-Rezeptorblockade (M1 – M5)

Abschwächung von EPS, Akkommoda­ tionsstörungen, Erhöhung des Augen­ innendrucks, Mundtrockenheit, Sinus­ tachykardie, Obstipation, Harnverhalt, Merkfähigkeitsstörungen, Delir

a1-Rezeptorblockade

Orthostatische Hypotension, Benommenheit, Schwindel, Reflextachykardie, Ejakulationsstörungen, verstopfte Nase

D2-Rezeptorblockade – mesolimbisch-mesokortikal – nigrostriatal – tuberoinfundibulär – hypothalamisch – Area postrema

Antipsychotischer Effekt, Libidostörungen, Anhedonie (?), EPS, Prolaktinanstieg, Zyklus- und sexuelle Funktionsstörungen, Störungen der Thermoregulation (in der Regel Hypothermie), antiemetische Wirkung

5-HT2A-Rezeptorblockade

Leichte Sedierung, Zunahme der Tiefschlafphasen, Verbesserung von Negativsymptomatik (?), Hemmung der Throm­ bozytenaggregation(?)

5-HT2C-Rezeptorblockade

Appetit- und Gewichtszunahme, Abnahme des durch D2-Blockade verur­ sachten Prolaktinanstiegs

Partieller Agonismus an 5-HT1A-Rezeptoren

Anxiolyse, auch Kopfschmerzen, Übelkeit, Verstärkung der antipsychotischen Wirkung (?)

Die mit Fragezeichen verbundenen Aussagen sind als wahrscheinlich, aber noch nicht als zweifelsfrei gesichert zu verstehen.

94

10. Behandlung der Schizophrenie

Tabelle 9:  Dosisabhängige antipsychotische Wirksamkeit und EPS-Risiko55 Konventionelle Antipsychotika (Handelsname)

Antipsychotische EPS- Atypische Äquivalenzdosis Risiko Anti­psychotika (mg)a (Handelsname)

Antipsychotische EPS- Äquivalenzdosis Risiko (mg)a

Benperidol (Glianimon®)

1

+++

Risperidon (Risperdal®)

1–2 (2)d

+

Haloperidol (Generikum u. Haldol®)

2 (4)d

+++

Asenapin (Sycrest®)

1–2,5 (3)d

+

Fluphenazin (Lyogen®)

2

+++

Paliperidon (Invega®)

2–5 (7,5)d

+

Flupentixol (Fluanxol®)

2

++

Sertindol (Serdolect®)

3–5c (10)d

(+)

Perphenazin (Decentan®)

5–10

++

Olanzapin (Zyprexa®)

3–8 (10)d

(+)

Chlorpromazin (CPZ)b (Largactil®)

100

+

Aripiprazol (Abilify®)

4–6 (12)d

0/(+)

Perazin (Taxilan®)

100

+

Lurasidon (Latuda®)

10–20c (40)d

+

Chlorprothixen (Tuxal®)

150–300

(+)

Ziprasidon (Zeldox®)

10–60 (40)d

(+)

Levomepromazin (Neurocil®)

150–300

(+)

Amisulprid (Solian®)

5–100

+

Quetiapin (Seroquel®)

50–200 (150)d

0/(+)

Clozapin (Leponex®)

100–150 (300?)d

0

EPS = extrapyramidalmotorische Störungen a = CPZ = 100; b = Vergleichssubstanz (zur Schizophrenietherapie heute entbehrlich); c = noch fehlende Äquivalenzstudien, berechnet aus empfohlener Dosierung; d = in Klammern minimale effektive Dosis (nach Leucht et al. 2014). 0 = Placeboniveau; (+), +, ++, +++ = Grad des EPS-Risikos (dosisabhängig); Akathisien können unter allen Antipsychotika auftreten. Die Empfehlungen für die Dosierung in der Akuttherapie schizophrener Psychosen mit 300–1000 CPZ-Einheiten und für die Erhaltungstherapie mit 300–600 CPZ-Einheiten differieren zwischen verschiedenen Autoren z.  T. erheblich und sind lediglich Orientierungshilfen.

kament erforderlich ist, um den gleichen Effekt zu erzielen. Diese Äquivalenzdosen bilden die Unterschiede von hochpotenten, mittel- oder schwachpotenten Antipsychotika ab (Tab.  9). Das Medikament der ersten Stunde, Chlorpromazin (Megafen® etc.), ist nur noch als Referenzsubstanz notiert. Es wird noch zur



10.3 Medikamentöse Behandlung der Schizophrenie

95

Sedierung und zur Unterkühlung in der Anästhesie angewandt, zur Behandlung von Schizophrenie aber kaum noch verwandt. Gegen die durch Dopaminmangel verursachten Nebenwir­ kun­gen werden häufig Anticholinergika als Antidot verordnet, etwa Biperiden (Akineton®). Gegenüber einer Therapie mit zwei teilweise gegensätzlich wirkenden Substanzen ist jedoch der Wechsel zu einem Antipsychotikum der zweiten Generation vor­ zuziehen. Bei einem kleineren Teil der mit konventionellen Antipsychotika behandelten Kranken treten extrapyramidale Nebenwirkungen auch mehrere Jahre nach einer meist hochdosierten und längere Zeit durchgeführten neuroleptischen Behandlung auf. Diese sogenannten Spätdyskinesien bestehen in unwillkürlich auftretenden – oft anfallsähnlichen – Bewegungsabläufen im Mund-Schlund-Bereich (z.  B. Zungen- oder Schluckkrämpfe), Verzerrungen in Gesicht und Hals und gelegentlich auch im Schultergürtel. Seit dem Übergang auf die Antipsychotika der zweiten Generation sind Spätdyskinesien sehr selten geworden. Bei der Behandlung mit Clozapin scheinen keine Spätdyskinesien aufzutreten. Die Sedierungseffekte mittelpotenter und schwachpotenter Antipsychotika sind bei akuter psychotischer Erregung hilfreich, zumal sie bei angemessener Dosierung nicht wie Schlafund Beruhigungsmittel zur Trübung des Bewusstseins führen. Meist werden jedoch für diese Indikation die zugleich angstlösenden Benzodiazepinpräparate vorgezogen. Einige antipsychotisch wirksame Medikamente sind auch in Depotform, meist in wöchentlicher bis maximal dreimonatiger Injektion, verfügbar (Tab.  10). Das Motiv für diese Form ärztlich kontrollierter Rückfallprävention kann der Wunsch des Kranken sein, von der täglichen Medikamenteneinnahme entlastet zu werden; häufiger geht es jedoch um die kontinuierliche Abdeckung des Rückfallrisikos bei vergesslichen oder unzuverlässigen Kranken. Typische unerwünschte Nebenwirkungen bei den Antipsychotika der zweiten Generation sind vor allem eine Gewichtszunahme und die Verlängerung der Überleitungszeit im Herzen.

96

10. Behandlung der Schizophrenie Tabelle 10:  Übersicht über Depotpräparate56

Depotpräparat

Wirkungsdauer (Dosierung)

Tmaxa

t ½b

Flupentixoldecanoat

2–4 Wochen (10-100 mg)

5–7 Tage

14–20 Tage

Fluphenazindecanoat

2–4 Wochen (12,5–100 mg)

1–3 Tage

7–14 Tage

Fluspirilen

1 Woche (2–10 mg)

ca. 2 Tage

ca. 7 Tage

Haloperidoldecanoat

2–4 Wochen (20–450 mg)

3–9 Tage

14–28 Tage

Perphenazinenanthat

2 Wochen (25–300 mg)

1–7 Tage

7–14 Tage

Zuclopenthixolacetat

2–3 Tage (50–150 mg)

1–2 Tage

1–2 Tage

Zuclopenthixoldecanoat

2–4 Wochen (50–400 mg)

4–7 Tage

7–21 Tage

Aripiprazol (Abilify Maintena®)

4 Wochen (160–400 mg)

5–7 Tage

30–47 Tage (dosisabhängig)

Olanzapinpamoat (Zypadhera®)

2 Wochen (150–210 mg) 4 Wochen (300–405 mg)

2–4 Tage

ca. 30 Tage

Risperidon (Risperdal-Consta®)

2 Wochen (12,5–50 mg)

4–5 Wochen

ca. 26 Tagec

Paliperidonpalmitat (Xeplion®) (Trevicta®)

4 Wochen (25–150 mg) 3 Monate (175–525 mg)

13–17 Tage 23–34 Tage

25–49 Tage 2–4 Monate

Konventionelle Antipsychotika

Atypische Antipsychotika

a = Tmax = Zeit von der Applikation bis zur maximalen Konzentration im Organismus b = t1/2 = Halbwertszeit (Zeitspanne, in der die Konzentration im Organismus auf ihren halben Wert absinkt) c = Die für Risperidon angegebene t1/2 ist eine apparente t1/2, die durch die Freisetzung des Wirkstoffs aus dem Depot bestimmt wird.

Olanzapin (Zyprexa® oder Generikum) ist derzeit eines der beliebtesten Antipsychotika, weil das extrapyramidale Nebenwirkungsrisiko sehr gering ist. In bescheidenem Umfang soll Zyprexa® auch antidepressiv wirken. Sicher wirkt es antimanisch, d.  h., es reduziert eine leichte manische Erregung. Die deutliche



10.3 Medikamentöse Behandlung der Schizophrenie

97

Gewichtszunahme tritt in der Regel bereits in den ersten Wochen nach Behandlungsbeginn auf. Auch das Risiko der Entwicklung eines Diabetes ist bei mehreren Antipsychotika vor allem der zweiten Generation und bei Clozapin erhöht. Auch ein krank­ heits­bedingter Bewegungsmangel, der ebenfalls von Medikamenten mit sedierender Komponente gefördert wird, kann zu Ge­­ wichtszunahme führen. Die Gewichtszunahme ist häufig mit einer ausgeprägten Dysfunktion des Kohlehydrat- und Fettstoffwechsels verbunden, zusammen mit Herz-Kreislauf-Fehlsteuerung, was als metabolisches Syndrom bezeichnet wird. Dieses Krankheitsgeschehen erfordert ein rasches Absetzen des verantwortlichen Medikaments und eine internistische Intervention. Gewichtszunahme und viszerale Fettanlagerung haben ästhetische Konsequenzen und mehrere Krankheitsrisiken zur Folge. Ihre Vermeidung ist dringend. Wege dazu sind ein Wechsel des risikobelasteten Medikaments, eine kalorienarme Diät und die nachdrückliche Förderung von Bewegungstraining der Kranken. Bei Antipsychotika, die auf histaminerge und α1-adrenerge Rezeptoren wirken (s. Tab.  8), werden gelegentlich auch Mundtrockenheit, Urinverhaltung, Verstopfung, Hypotonie und Schwindel beobachtet. Aripiprazol, Abilify®, wurde mit der Behauptung eingeführt, dass es durch eine Reduzierung der Überfunktion und eine kompensatorisch steigernde Wirkung bei Unterfunktion der dopaminergen Neurotransmission die Balance der Rezeptoraktivitäten wiederherstelle. Dieser Optimismus hat sich nicht eindeutig bestätigen lassen. Aripiprazol hat geringe, bei niedriger Dosierung zumeist keine extrapyramidalen Nebenwirkungen mit Ausnahme einer Akathisie. Da die Substanz eine leicht stimulierende Wirkung hat, kann es in der Anfangsphase zu Schlaf­ störungen und zu Unruhe kommen. Sofern ein Wechsel des Medikaments unerwünscht ist, muss mit milden Beruhigungsmitteln der Benzodiazepinreihe (Diazepam etc.) gegengesteuert werden. Eine Substanz, die zwischen beiden Klassen der Neuroleptika steht, ist Risperidon (Handelsname Risperdal®) (s. Tab.  7). Es kann auch als Depotpräparat injiziert werden. Risperidon hat in

98

10. Behandlung der Schizophrenie

vergleichbarer Dosis geringere extrapyramidale Effekte als die hochpotententen Neuroleptika der ersten Generation. Zu erwähnen ist schließlich noch das Antipsychotikum Clozapin (Handelsname Leponex®), das sich im Hinblick auf seine chemische Konstitution und seine Neurotransmitteraffinitäten von allen anderen antipsychotisch wirksamen Substanzen unterscheidet. Es ist chemisch mit den angstlösend und beruhigend wirkenden Benzodiazepinverbindungen verwandt, aber von andersartiger Wirkung. In der Regel wird es nach Aus­ bleiben der Reaktion auf Antipsychotika der ersten Wahl als «Reservemedikament» verordnet. Clozapin hat nur eine schwache Affinität zu D2-Rezeptoren und bindet in erster Linie an D1- , D4- und 5-HT2A-(Serotonin-) Rezeptortypen. Das führt dazu, dass Clozapin keine Nebenwirkungen des extrapyramidalen Systems und keine durch Prolaktin verursachte Milchsekretion zur Folge hat. Auf der anderen Seite führt das irreguläre Profil der Rezeptorbindungen zu mehr oder weniger ausgeprägten anticholinergen und antihistaminergen Effekten, die mit Mundtrockenheit, Übelkeit und Erbrechen, Sehstörungen, Urinentleerungsstörungen und Verstopfung einhergehen können. Die antiadrenergen Effekte schlagen sich in erniedrigtem Blutdruck und sexueller Dysfunktion nieder. Ähnlich wie Olanzapin ist Clozapin mit dem Risiko von Gewichtszunahme, Diabetes und Lipidämie (Blutfetterhöhung) belastet, was laufende Kontrolle erfordert. Dazu kommen noch einige seltene Nebenwirkungen, etwa eine erhöhte Krampfbereitschaft sowie selten eine Beeinträchtigung der Blutbildung. Regelmäßige Blutbildkontrollen bei Clozapintherapie werden jedenfalls empfohlen. Auch die übrigen Risikoparameter für Nebenwirkungen müssen während einer Clozapinbehandlung ausreichend häufig kontrolliert werden. Eine gefährliche Agranulazytose ist sehr selten. Geschätzt wird ein Fall auf etwa 4000 bis 5000 Kranke in Clozapinbehandlung. Clozapin ist ein außerordentlich wirksames, bei niedriger Do­­ sierung nebenwirkungsarmes Antipsychotikum, das in Fällen, in denen keine andere antipsychotische Substanz zum Erfolg führt, oft noch eine Besserung der Positivsymptomatik ermög­licht.



11. Rehabilitation

99

Das «Deutsche Ärzteblatt» hat kürzlich auf «unerwartete Nebenwirkungen» hingewiesen. So können etwa Karies, Gin­ givitis, Parodontitis, Stomatitis und vergleichbare zahnmedi­ zinische Nebenwirkungen sowohl Folge psychopharmakabedingter Mundtrockenheit als auch krankheitsbedingter Ver­­ nachlässigung der Zahnreinigung sein. Nachdem die Arzneimittelforschung in der Schizophreniebehandlung seit etwa zwei Jahrzehnten im Wesentlichen die bekannten Verbindungen variiert, werden neuerdings Psychopharmaka angeboten, die sowohl schizophrene als auch bipolare Symptomatik günstig beeinflussen sollen (z.  B. Asenapin). Man wird die Ergebnisse und Erfahrungen abwarten müssen, die mit diesen Medikamenten gemacht werden.

11. Rehabilitation Ziel der Rehabilitation ist die Erhaltung der Fähigkeiten zur Bewältigung des Alltags, der sozialen und beruflichen Aufgaben, zur Freizeitgestaltung und zur Lebensqualität. In der akuten Psychose sind in der Regel alle genannten Domänen der Lebensbewältigung eingeschränkt. Um eine verstärkte Beeinträchtigung dieser Fähigkeiten durch Untätigkeit zu vermeiden und frühzeitig mit ihrer Wiederherstellung zu beginnen, müssen schon während der stationären Behandlung Maßnahmen der klinischen Rehabilitation eingesetzt werden. Dazu dienen sportliche Gymnastik, klinische Ergotherapie und Kunsttherapie (s. Kapitel 13), aber auch eine nach den gegebenen Möglichkeiten realisierte Arbeitsvorbereitung. Wenn es gelungen ist, den Kranken wieder auf den Stand vor Krankheitsausbruch zu bringen, kann die Vorbereitung von Entlassung und Nachsorge eingeleitet werden. Kranke, die in ihre familiäre, soziale und berufliche Umwelt komplikationslos zurückkehren, benötigen keine Rehabilitationsmaßnahmen. Wenn der Kranke aus eigener Kraft die Rückkehr in zentrale

100

11. Rehabilitation

Bereiche seines gewohnten Lebens nicht vollziehen kann, muss ein Plan der notwendigen Rehabilitationsmaßnahmen erarbeitet werden. Auch die Dauer der zu gewährenden Hilfen richtet sich nach Bedarf und Erfolg. Wenn mit Unterstützung der Wiedereinstieg in den vorher ausgeübten Beruf gelungen ist – die optimale Form beruflicher Rehabilitation – , dann kann die weitere Betreuung, soweit noch erforderlich, einem Integrationsfachdienst57 überantwortet werden. Bei ausgeprägter sozialer Behinderung und kognitiver Beeinträchtigung ist meist mit einem längerfristigen Rehabilitationsbedarf zu rechnen. Die Methoden, die hier zur Anwendung kommen, sind: 1.  Die Verbesserung der Selbstsicherheit und der sozialen Kompetenz 2. Die Behebung oder Verminderung kognitiver Defizite 3. Die Vermittlung verbesserter Bewältigungsstrategien sowohl gegenüber belastenden Lebensereignissen und Situationen als auch gegenüber der Krankheit und ihren Folgen. Dem Training kognitiver und sozialer Fertigkeiten dienen beispielsweise das «Social-Skills»-Training. Es wurde in den USA entwickelt58 und ist seit langem auch in Deutschland etabliert. Es gründet auf einem systematischen Aufbau der Alltagsbewältigung, aber auch von Freizeitgestaltung und Lebensgenuss. Die rehabilitative Komponente wird durch konkrete Trainingsschritte in der alltäglichen Realität vollzogen, wobei Lernprozesse zur Verbesserung der sozialen Kompetenz umgesetzt werden. Ein vergleichbares Programm ist das sozial-emotionale Training. Mit dem Einschluss des Trainings von sozialer Wahrnehmung, von sozialem Problemlöseverhalten, von Wahrnehmung von Gefühlen und des Trainings von kommunikativen Beziehungen vermittelt es eine weite Verhaltensperspektive. Dieses Programm wird ähnlich wie das «Social-Skills»-Training in der Regel als Gruppenbehandlung von sechs bis zehn Kranken unter Anleitung von zwei Therapeuten durchgeführt. Die einzelnen Schritte sind in Aufgabenblättern erläutert. Die durchgeführten Übungen werden durch Hausaufgaben ergänzt, um die



11.1 Unterstützung, Betreuung und langfristige Rehabilitation 101

erworbenen Fähigkeiten im täglichen Leben zu verankern und zu verstärken. 4. Eine Alternative ambulanter rehabilitativer Bemühungen besteht in der Gewährung von Integrationshilfen und berufsbezogenem Training vor Rückkehr in Ausbildung und Beruf und in der betrieblichen Betreuung bei verminderter beruflicher Belastbarkeit bzw. Lernschwierigkeiten und in der Vermittlung von langfristigen Unterstützungsmaßnahmen in ge­­ eigneten rehabilitativen Einrichtungen. 11.1 Unterstützung, Betreuung und langfristige Rehabilitation

Die Maßnahmen, die hier zur Sprache kommen, sind für jene kleine Zahl von Kranken vorgesehen, die mit dauerhaften erheblichen Behinderungen, meist auf mehreren Lebensdomänen, langfristig nicht mehr in der Lage sind, ihr Leben autonom, d.  h. alleine und aus eigener Kraft, zu meistern. Solche unterstützenden Hilfen sollen dem Kranken erlauben, sein Leben unter Nutzung der ihm verbliebenen Möglichkeiten in seiner Umwelt so frei und so selbstständig wie möglich zu führen. Eine langfristige Krankenhausunterbringung mit schwerwiegenden Folgen, wie sie früher üblich war, soll, wo immer möglich, vermieden werden. Derzeit benötigen etwa 10 % der an chronischer Schizophrenie leidenden Männer und nur wenige schizophren erkrankte Frauen langfristige Hilfen beim Wohnen. Das hat damit zu tun, dass Frauen unabhängig von ihrer Krankheit aus ihrer Geschlechtsrolle heraus bessere Chancen und Fähigkeiten für soziale Bindungen haben. Im langfristigen Verlauf der Krankheit ist aus diesem Grund die Rate Verheirateter und Wiederverheirateter bei weiblichen wesentlich höher als bei männlichen Kranken, allerdings auch die Rate der häufig krankheitsbedingten Scheidungen. Für geringfügig behinderte, meist männliche Kranke, die als Alleinlebende in ihrer Wohnsituation von sozialem Rückzug, von Vereinsamung und Verwahrlosung bedroht sind, ist die ein-

102

11. Rehabilitation

fachste Form helfender Assistenz das sogenannte supervidierte Apartment. Diese Wohnsituation wird dem Kranken in der Regel von karitativen Organisationen gegen eine angemessene Miete befristet zur Verfügung gestellt. Ein sozialer Dienst leistet mit regelmäßigen Besuchen Beratung und Unterstützung, meist durch einen Sozialarbeiter. Fernziel dieser Form der Unter­ stützung ist es, den psychisch Behinderten durch geeignete Trainingsmaßnahmen, Aktivierung und Förderung seiner Eigeninitiative in die Lage zu versetzen, seine Bedürfnisse wieder unabhängig und aus eigener Kraft zu bewältigen. Intensivere Hilfen in den Lebensdomänen Wohnen und Alltagsbewältigung bietet die supervidierte Wohngemeinschaft. Diese Form gemeinschaftlichen Haushaltens eignet sich in besonderem Maße für sozial behinderte Kranke, die mit dem Alleinwohnen trotz Supervision nur schlecht oder nicht zurande kommen. Eine krankenhausferne Wohnform mit hoher Betreuungsintensität ist das supervidierte Heim. Es verfügt über eigenes Personal, das die Aufgaben sozialer Beratung und Betreuung, die Anregungen zur Freizeitgestaltung und therapeutische Hilfen zu einem gelingenden Zusammenleben vermittelt. Die Heime, die von verschiedenen Trägern betrieben werden, unterscheiden sich durch die Intensität ihres Versorgungsangebots. Jene Heime, die über eine 24-stündige Personalbesetzung verfügen, können auch kränkere Behinderte, beispielsweise solche mit erheblichen Verhaltensstörungen und therapieresistenter Psychose, versorgen. Sie bieten diesen schwer belasteten Kranken die Möglichkeit, in ihrer Heimatgemeinde ein relativ freies Leben zu führen. Glücklicherweise verfügen inzwischen nahezu alle Großstädte, größeren kreisfreien Gemeinden und Landkreise in Deutschland über Einrichtungen für chronisch psychisch Kranke und Behinderte. Eine weitere Lebensdomäne, in der bei chronisch schizophren Erkrankten und Behinderten häufig Unterstützungsbedürfnisse auftreten, sind Arbeit und Beschäftigung. Rehabilitative Maßnahmen mit dem Ziel einer Wiedereingliederung in den Beruf haben wir dargestellt. Derzeit sind etwa 70 %59 der schizophren



11.1 Unterstützung, Betreuung und langfristige Rehabilitation 103

Erkrankten nicht mehr in einer versicherungspflichtigen Vollbeschäftigung tätig (bei der gleichaltrigen Bevölkerung sind es lediglich 30 %). Dieser Anteil ist schon zum Zeitpunkt der Erstaufnahme anzutreffen und ändert sich nach langem Krankheitsverlauf nur noch geringfügig. Auf die ungünstigen Folgen hoher Arbeitslosigkeit für psychisch Behinderte haben wir bereits hingewiesen. Das ist finanziell für viele Kranke ein echtes Unglück. Darüber hinaus sind Erwerbsarbeit und ein eigener Verdienst auch für Selbstbewusstsein und Lebenszufriedenheit der Kranken von erheblichem Wert. Gelingt die Vermittlung in eine versicherungspflichtige Vollbeschäftigung bei weiterbestehender Behandlungsbedürftigkeit nicht mehr, bietet sich die Möglichkeit einer längerfristigen, in der Regel zweijährigen Kur in einer Rehabilitationseinrichtung für psychisch Kranke und Behinderte an. Diese ärztlich geleiteten Einrichtungen bieten die Möglichkeit der Fortsetzung einer medikamentösen und psychologischen Behandlung, welche durch intensive Rehabilitationsprogramme ergänzt wird. Sind alle berufsbezogenen Rehabilitationsprogramme gescheitert, was bei einer kleinen Zahl deutlich behinderter, chronisch schizophren Erkrankter der Fall ist, stehen einige wenige Behindertenwerkstätten für psychisch Kranke zur Verfügung, die eine geeignete Beschäftigung mit bescheidenen Verdienstmöglichkeiten bieten. Eine ähnliche, berufsnähere Aufgabe haben einige Zuverdienstfirmen übernommen, die behinderten Menschen solche Beschäftigungsmöglichkeiten anbieten, die von ihnen auch geleistet werden können. Sie erhalten dafür eine bescheidene Entlohnung.60 Zusätzlich zu den geschilderten sozialen Unterstützungs- und Betreuungsmaßnahmen ist in der Regel auch die Fortführung der Rückfallprävention erforderlich. Mit Ausnahme der RPKs (Rehabilitationseinrichtungen für psychisch Kranke und Behinderte), die unter ärztlicher Leitung stehen, verfügen die aufgeführten Einrichtungen nicht selbst über ärztliche Kompetenz. Aus diesem Grunde ist eine enge Zusammenarbeit mit niedergelassenen Psychiatern oder Institutsambulanzen psychiatrischer Krankenhäuser erforderlich, um die notwendigen Behandlungs-

104

11. Rehabilitation

maßnahmen während der Rehabilitations- und Betreuungsprogramme sicherzustellen. 11.2 Chronisch Kranke in der Familie

Bei schweren chronischen Krankheitsverläufen und Behinderungen, vor allem bei erheblicher Beeinträchtigung von sozialer und kommunikativer Kompetenz, beim Verlust von Initiative und Bereitschaft zur Körperpflege und zur Selbstversorgung wird die Frage, wie man mit dem Kranken umgehen soll, zum Problem. Vor allem Energielosigkeit und Passivität, die zum Versagen in Schule und Beruf und zum Rückzug aus dem Familienleben führen und oft lange Bettruhe mit unerschöpflicher Gleichgültigkeit zur Folge haben, lösen tiefe Sorge bei den Angehörigen aus. Angesichts der tragischen Folgen des gestörten Verhaltens drohen Verantwortung und Zuneigung in heftige Vorwürfe umzuschlagen. Der Kranke hört dann beispielsweise – manchmal mit gröberen Worten – , dass er untätig herumlungere, undankbar und faul sei. Da schizophren Erkrankte eine erhöhte Empfindsamkeit für entwertende Kritik haben, kommt es zu aggressiven Auseinandersetzungen oder zu selbstaggressiven Reaktionen, etwa Selbstanklagen, Schuldgefühlen, oder zum Rückzug in vermehrte Passivität. Aus dieser Interaktion entsteht ein mitunter sehr spannungsreiches Familienklima, das auf alle Beteiligten bedrückend wirkt, für den Kranken aber mit dem Risiko der Auslösung eines Rückfalls belastet ist. Psychoedukative Familientherapie In solchen Situationen sollte der Familie therapeutische Hilfe angeboten werden, die auch die negativen Folgen für den Kranken mindert. Die einfachste und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit überprüfte Form ist die psychoedukative Familientherapie (vgl. Abschnitt 10.2). Sie bringt die Familie in gemeinsamen Sitzungen zusammen. Zur Wahrnehmung der interaktiven, spannungsgeladenen Kommunikationsformen eignen sich auch Videodemonstrationen, die allen Beteiligten eine kritische Beob-



11.3 Die Organisation von Familienmitgliedern

105

achtung des eigenen Verhaltens erlauben. Haben die Angehö­ rigen realisiert, dass der Kranke neben seiner krankhaften irrealen Erlebniswelt noch weithin logisch denken kann, und beginnen sie, auf seine Mitteilungen verständnisbereit zu rea­ gieren und ihn ernst zu nehmen, ist auch dem Kranken ein Verständnis für die besorgten, mitunter auch erregten und unfreundlichen Reaktionen seiner Angehörigen zu vermitteln. In weiteren Therapieschritten wird versucht, mit dem Kranken in ruhigen und einfachen Sätzen über krankhafte Vorstellungen zu sprechen, ohne sich vom Wahn oder von anderen irrealen Ideen beunruhigen zu lassen. Parallel zur Familientherapie sollte das Ziel verfolgt werden, die natürlichen Fähigkeiten des Kranken zu aktivieren. Das beginnt bei Maßnahmen der Körperpflege und Selbstversorgung, geht über zu Leistungen der Alltagsbewältigung und schließt auch die Vorbereitung für ein Arbeitsleben, für die aktive Gestaltung von Freizeit und Anlässen der Lebensfreude mit ein. In der Endphase der Therapie sollten der Kranke und die Angehörigen zusammen in der Lage sein, die wichtigsten ihrer Probleme einzusehen und gemeinsamen Lösungen zuzuführen. In der Regel ist eine sechsmonatige Behandlung die Mindestvoraussetzung einer positiven Verhaltensänderung. Die Dauer von zwei Jahren sollte nur ausnahmsweise überschritten werden. 11.3 Die Organisation von Familienmitgliedern schizophren Erkrankter

Die Mitglieder der Organisation von Angehörigen schizophren Erkrankter verfolgen die Absicht, die Interessen der Angehörigen und die Anliegen der Erkrankten selbst gegenüber Ärzten, Krankenhäusern, Öffentlichkeit und Politik wahrzunehmen. Ein entscheidender Grund für solche Initiativen ist in der Diskriminierung psychisch Kranker in rechtlicher und praktischer Hinsicht zu sehen. Ursache der Diskriminierung ist im Wesentlichen das soziale Stigma, das immer noch, wenn auch in wesentlich geringerem Maße als vor der Psychiatriereform, auf den psy-

106

11. Rehabilitation

chisch Kranken, ihren Angehörigen und auf den Einrichtungen lastet, die psychisch Kranke versorgen. Im Kampf gegen diese Diskriminierung vermitteln die politisch schlagkräftigen Verbände der Angehörigen ihren Mitgliedern Wissen und Selbstbewusstsein gegenüber dem Unverständnis einer ablehnenden Umwelt. Inzwischen ist die Stimme der Angehörigen psychisch Kranker aus den politischen und fachlichen Beratungen von Gesetzesinitiativen und aus der Planung und Finanzierung von Versorgungseinrichtungen und -systemen nicht mehr wegzudenken. 11.4 Die Organisation der Psychiatrie-Erfahrenen

In gleicher Weise wie die Angehörigen haben sich auch psychisch Kranke, vorwiegend jene, die in psychiatrischer Krankenhausbehandlung standen, zu Interessenverbänden zusammengeschlossen. Ihre Ziele sind radikaler. Sie kämpfen für bessere Lebensbedingungen, die Rechte psychisch Kranker und für eine von Stigmatisierung freie Akzeptanz in der Gesellschaft. In den ersten Jahren ihrer Tätigkeit hatten sie eine deutlich psychiatriekritische Position eingenommen. Im Laufe der zunehmenden Öffnung, Modernisierung und Verbesserung psychiatrischer Einrichtungen und der wachsenden Wahrnehmung der Stimmen Psychiatrie-Erfahrener in psychiatrischen Fachverbänden bei Einrichtungsträgern und in der Gesundheitspolitik ist ihre Stimme moderater und wirkkräftiger geworden. Hinsichtlich der Vorhaltung einer ausreichenden Zahl psychiatrischer Behandlungseinrichtungen vertreten die Verbände der Angehörigen und die Organisation der Psychiatrie-Erfahrenen seit langem unterschiedliche Ansichten. Von den Angehörigen wird eine hinreichende Kapazität von Krankenhausbetten, in erster Linie für akut schizophren Erkrankte, gefordert, weil die Versorgung im akuten Stadium der Krankheit zu schweren Überforderungen innerhalb der Familie führen kann. Ein Teil der Psychiatrie-Erfahrenen hält dagegen, dass allein liebevolle Zuwendung und alltägliche Unterstützung schizophren Erkrankte wieder auf den Pfad des normalen Lebens zurückbringen könne. Lei-



12. Führt Schizophrenie zu Gesetzesverstößen und Gewalttätigkeit?107

der trifft diese Zuversicht nur auf eine kleine Zahl von Kranken zu, die nicht mit schweren Störungen belastet sind. Es handelt sich wahrscheinlich um sogenannte Spontanremissionen, die vermutlich auch ohne medizinische Hilfe wieder aus der Krankheitsepisode herausgeführt hätten. Aber soll man dies abwarten und das Risiko von Leid und Krankheitsfolgen eingehen? Ein gemeinsames Ziel der Verbände von Angehörigen und Psychiatrie-Erfahrenen ist «Empowerment». Auf der individuellen Ebene meint Empowerment die Überwindung von Ohnmacht durch Wiederherstellung von Selbstbewusstsein und Eigenmacht, mit dem Ziel, das Leben wieder aus eigener Kraft bewältigen zu können. Auf der politischen Ebene wird mit Empowerment die Macht zur Durchsetzung der von den Verbänden vertretenen Interessen verstanden. Tatsächlich haben heute die Interessenverbände ehemals Erkrankter auf internationaler Ebene erheblichen politischen Einfluss gewonnen. Beispiele dafür sind der 1946 als karitative Organisation gegründete angloamerikanische Verband «MIND» oder die 1986 in Großbritannien gegründete Organisation «SANE», deren Mitglieder sowohl Angehörige wie auch Kranke und darüber hinaus fördernde Mitglieder aus dem öffentlichen Leben sind.

12. Führt Schizophrenie zu vermehrten Gesetzesverstößen und Gewalttätigkeit? Die Meinung, schizophren Erkrankte seien unberechenbar, würden zur Gewalttätigkeit neigen und häufig gegen Gesetz und Ordnung verstoßen, ist weit verbreitet. Ein Teil der Medien trägt zu dieser Auffassung durch die leichtfertige Zuschreibung von Geisteskrankheit an Täter besonders verwerflicher und dem Alltagsverständnis schwer zugänglicher Gewalttaten bei. Der undifferenzierte Hinweis, ein abgeurteilter oder wegen fehlender Schuldfähigkeit nicht verurteilter Sexual- oder Gewalttäter sei «in die Psychiatrie» gekommen, verstärkt naturgemäß die Vorstel-

108 12. Führt Schizophrenie zu Gesetzesverstößen und Gewalttätigkeit?

lung, dass Gewalttätigkeit ein typisches Verhalten psychisch Kranker sei. Den harmlosen Kranken, die im psychiatrischen Krankenhaus behandelt werden, wird auf solche Weise die Vorstellung zugemutet, sie seien dort mit Gewalttätern untergebracht, was nicht weit von der Vorstellung entfernt ist, sie gehörten zu derselben Kategorie gefährlicher Menschen. Tatsächlich werden gerichtlich zugewiesene Straftäter, vor allem Gewalttäter, in der Regel in forensischen Abteilungen untergebracht, über die jedes Bundesland verfügt. Dort stehen alle erforderlichen und geeigneten Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Sie werden nach erfolgreicher Therapie durch Resozialisierungsprogramme ergänzt. Für schuldfähige Rückfalltäter gibt es sozialtherapeutische Anstalten. Sie haben die Aufgabe, mit rückfälligen Straftätern, die nicht an Psychosen, aber häufig an schweren Persön­ lichkeitsstörungen leiden, den Versuch einer Behandlung in der Hoffnung zu unternehmen, das Risiko der Fortsetzung einer kriminellen Karriere abzuwenden. Die Verwischung der Grenzen zwischen abnormem, gesetzwidrigem Handeln, in erster Linie sexuelle Vergehen und Ge­­walt­tätigkeit, und seelischer Abnormität im Sinne psychi­scher Krankheit trägt wesentlich zur ­Stigmatisierung psychisch Kranker und psychiatrischer Krankenhäuser bei. Aus diesem Grund ist eine eindeutige Unterscheidung zwischen einer vom Gericht angeordneten Unterbringung in Einrichtungen für kriminelle psychisch Kranke und für «normale» psychisch Kranke in psychiatrischen Krankenhäusern zur Bekämpfung des sozialen Stigmas notwendig. Mit der beschriebenen Neuorganisation der psychiatrischen Versorgung in Deutschland ist die langfristige Unterbringung der Kranken in geschlossenen Krankenhäusern durch die überwiegend offene Behandlung der Kranken auf nahezu allen Versorgungsebenen ersetzt worden. Da dieser Prozess der Umorientierung auf erhebliche Bedenken seitens einiger Politiker, Ministerialbeamter und eines großen Teils der Anstaltpsychiater stieß, ist zwischen 1955 und 1964 ein großes, auf über zehn Jahre angelegtes Forschungsprojekt durchgeführt worden, das alle Gewalttaten Geisteskranker oder Geistesschwacher in der



12. Führt Schizophrenie zu Gesetzesverstößen und Gewalttätigkeit?109

Bundesrepublik erfasste und die gewonnenen Risikoraten mit jenen der «gesunden» Bevölkerung verglich.61 Das Ergebnis wies ein weitgehend identisches Risiko der Begehung von Gewalttaten bei Gesunden und bei Geisteskranken auf, so dass die Bedenken, mit der offenen Behandlung des größten Teils psychisch Kranker sei die Bevölkerung vermehrt Gewaltgefährdungen ausgesetzt, widerlegt werden konnten. Für die Verwirklichung der Reform des psychiatrischen Versorgungssystems in Deutschland war dies ein hilfreiches Ergebnis. Allerdings war das Gewalttäterrisiko schizophren Erkrankter etwas erhöht, während an affektiven Psychosen Leidende ein entsprechend niedrigeres Risiko aufwiesen. In dieser bisher größten Studie zum Thema wurde auch ermittelt, ob bestimmte Syndrome der Schizophrenie zu einem erhöhten Risiko beitragen. Tatsächlich war Gewalttätigkeit am häufigsten bei chronisch paranoidem Wahn. Der größte Teil dieser Täter handelte aus der wahnhaften Überzeugung, selbst an Leib und Leben bedroht zu sein. Dies war beispielsweise das Motiv der schizophrenen Täterin, die 1990 dem damaligen Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine mit einem Messer eine tiefe Wunde am Hals beibrachte. Opfer von Gewalttaten schizophren Erkrankter werden am häufigsten Mitglieder der eigenen Familie und Partner enger Beziehungen und in zweiter Linie Personen mit Macht und Ansehen – Politiker, Richter, Ärzte. Im Falle der an Lafontaine verübten Tat hat die als Betreuerin bestellte Schwester der Kranken dieses Gewaltrisiko seit mehreren Monaten vorhergesehen und vom zuständigen Vormundschaftsrichter die gerichtliche Unterbringung zur Behandlung verlangt. Die Abwägung zwischen dem krankheitsbedingten Gewalttatenrisiko und dem Grundrecht des Kranken auf Freiheit ist schwierig. Im Hinblick auf die Geschichte der deutschen Psychiatrie üben die meisten Gerichte besondere Zurückhaltung in der Zwangsunterbringung behandlungsbedürftiger uneinsichtiger Kranker. Dennoch ist bei ernsthafter Gefährlichkeit eines uneinsichtigen Kranken eine befristete Einweisung wider Willen zur geschlossenen Krankenhausbehandlung nicht zu vermeiden. Schließlich eröffnet sie

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auch dem Kranken die Chance, mit der abnehmenden Krankheitssymptomatik auch die Motive seiner gefährlichen Pläne abzubauen. In den letzten zwei Jahrzehnten sind in mehreren Ländern Europas, den USA und Australien große epidemiologische Stu­ dien veröffentlicht worden, die eine Neubewertung des Ge­fähr­ dungsrisikos psychisch Kranker und seiner Ursachen erforderlich machen. Übereinstimmendes, wenn auch in der Größenordnung leicht variierendes Ergebnis ist, dass schizophren Erkrankte, vor allem Frauen, im Vergleich zur gleichaltrigen Bevölkerung deutlich erhöhte Raten von Gewaltkriminalität aufweisen. Um die Ergebnisse in einen Vergleichszusammenhang zu stellen: Das Gewalttatenrisiko bei Alkoholabhängigkeit – ohne Schizophrenie – ist um 10 – 30 % höher als jenes der an Schizophrenie Erkrankten; bei chronischem Cannabismissbrauch erhöht es sich bis um das Dreifache. Die höheren Gewalttäterraten dieser drei Krankheitsformen lassen vermuten, dass einer der Faktoren eine krankheitsbedingt verminderte Impulskontrolle in allen drei Grup­pen dem Risiko der Umsetzung destruktiver Impulse in gewalttätiges Handeln zugrunde liegt. Die höheren Risikoraten aus jüngerer Zeit im Vergleich mit jenen der Periode 1955 – 1964 werden häufig damit erklärt, dass sich damals noch ein deutlich größerer Teil der an chronischen schizophrenen Erkrankungen leidenden Personen in geschlossener stationärer Unterbringung befand. Inzwischen werden Personen, die an dieser Krankheit leiden, meistens nur noch in akuten Stadien für wenige Wochen stationär und ansonsten offen behandelt. Gegenüber dieser plausiblen Erklärung darf aber auch nicht übersehen werden, dass sich die Lebensbedingungen der Kranken zusammen mit jenen der gesamten Bevölkerung verändert haben. In den Jahrzehnten, die zwischen den Studienergebnissen liegen, haben in den untersuchten Ländern der Missbrauch von Drogen und die Anzahl der chronischen Missbrauchsfälle erheblich und besonders stark bei schizophren Erkrankten zugenommen. Außerdem ist Gewalttätigkeit allgemein – nicht die Zahl der Tötungsdelikte – im Verhalten Jugendlicher und junger



12.1 Was soll man tun?

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Erwachsener – der Altersgruppe mit erhöhtem Schizophrenierisiko – deutlich angestiegen. Dieser kulturelle Hintergrund erhöhter Gewaltbereitschaft und verminderter Selbstkontrolle durch Suchtmittelmissbrauch ist auf das Risiko der Gewalttätigkeit schizophren Erkrankter wahrscheinlich nicht ohne Einfluss. Die wichtigsten Risikofaktoren für Gewalttätigkeit schizophren Erkrankter – 1.) Alkohol- und Substanzmissbrauch; 2.) aggressives Verhalten bereits vor Ausbruch der Erkrankung; 3.) schwere chronische Verläufe der Krankheit überwiegend mit paranoider Wahnsymptomatik; 4.) keine Therapie der Erkrankung oder Therapieabbruch – spiegeln die Bedeutung risikoerhöhender Kontextfaktoren wider. Demgegenüber zeigt eine in jüngster Zeit veröffentlichte neue große Studie aus England wiederum die gleichen Risikofaktoren, aber ein nur geringfügig erhöhtes Gewalttatenrisiko schizophren Erkrankter.62 Die soziale Herkunft und soziale Lebenslage der Täter entsprechen der Verteilung der Gewalttäter in der Gesamtbevölkerung. Die erhöhte Kriminalität auf anderen Feldern ist großenteils durch Delikte bedingt, die im Rahmen einer Substanzabhängigkeit begangen werden, beispielsweise Rezeptfälschungen, Apothekeneinbrüche, Drogenhandel usw.63 Chronisch schizophren Erkrankte sind in hohem Maße selbst als Opfer kriminellen Handelns gefährdet, besonders wenn sie deutliche Zeichen kognitiver und sozialer Behinderung aufweisen. Die Rate von Verbrechensopfern unter diesen Kranken ist deutlich erhöht. Im langfristigen Verlauf von Schizophrenie ist das Selbstmordrisiko meist stärker erhöht als das Gewalttatenrisiko. 12.1 Was soll man tun?

Drei der wichtigsten Risikofaktoren von Gewalttätigkeit bei chronisch verlaufender Schizophrenie lassen sich mit einiger Wahrscheinlichkeit verringern: 1.) der Mangel an Therapie durch die konsequente Durchführung einer antipsychotischen Behandlung des Kranken; 2.) die paranoide Wahnsymptomatik durch Behandlung ihrer emotionalen, zur Handlung drän-

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13. Schizophrenie und Kunst

genden Dynamik; sowie 3.) der Drogenmissbrauch, der, wie dargetan, zur erheblichen Minderung von Impulskontrolle bei einem bereits durch die psychische Krankheit in seiner Selbstbeherrschung beeinträchtigten Kranken führen kann. Auf die Möglichkeit einer Parallelbehandlung beider Krankheiten, der sogenannten Doppeldiagnose, haben wir bereits hingewiesen (vgl. Abschnitt 7.1). Sie ist bei Kranken mit Kriminalitätsrisiko besonders dringend. Das Kriminalitätsrisiko schizophren Erkrankter ist generell durch eine intensive psychologische und soziale Betreuung des Kranken anzugehen. Diese Intervention soll einer sozialen Verwahrlosung entgegenwirken und Lebensbewältigung, soziale Anpassung, Selbstbewusstsein und Impulskontrolle nachhaltig stärken. Ein spezifisches Behandlungsprogramm für psychisch Kranke, vor allem schizophrene Gewalttäter, wird in einer wachsenden Zahl forensisch-psychiatrischer Einrichtungen durchgeführt.64

13. Schizophrenie und Kunst Seit dem Aufbruch zu modernen, dem Naturalismus und Realismus entfremdeten Kunstformen gibt es auch die Debatte um das Thema «Kunst und Schizophrenie», häufig verbunden mit dem Vorwurf einer «schizophrenen Entartung» von Kunst. Allerdings hat sich die Abqualifizierung moderner Stilformen gegenstandsloser Kunst als abnorm oder gar geistig krank längst als naive, um nicht zu sagen, vorurteilsbelastete Bewertung er­­ wiesen. Die häufig gestellte Frage, ob sich krankheitsbedingtes, abnormes Erleben auch in künstlerischen Werken niederschlagen kann, ist selbstverständlich mit Ja zu beantworten, aber dies muss nicht so sein. Viele großartige Werke moderner Künstler, auch solcher, die an einer Schizophrenie litten, lassen nicht die geringste Spur eines krankhaften Inhalts erkennen. Im Gegen-



13. Schizophrenie und Kunst

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teil: So haben etwa die Spätwerke van Goghs mit seiner Krankheit sogar an expressivem Ausdruck und Originalität gewonnen. Wahrscheinlich hat die Intensität seines Erlebens in einem als epochal zu bezeichnenden expressionistischen Malstil Ausdruck gefunden. Wir müssen beim Thema Schizophrenie und Kunst drei Fragestellungen auseinanderhalten. Die erste haben wir bereits angeschnitten. Die Genialität großer Künstler hat unter der Psychose meistens nicht gelitten, in Einzelfällen sogar, wie bei van Gogh, von der krankhaft erhöhten Sensitivität und der verstärkten Intensität des Erlebens profitiert. Aus dieser Überzeugung heraus wurde bereits von dem Psychiater und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn die Ansicht vertreten, die schöpferische Kraft geisteskranker Künstler speise sich, frei von gesellschaftlichem Zwang, aus den archaischen Quellen des Unterbewussten. Diese Auffassung hat eine ganze Generation von Künstlern der Moderne befruchtet. Prinzhorns Buch «Bildnerei der Geisteskranken» (1922)65 wurde beispielsweise von Max Ernst und Jean Dubuffet enthusiastisch aufgenommen. Andere Künstler, beispielsweise die Expressionisten Ernst Nolde und Ernst Heckel, studierten unter der gleichen Annahme die Kunstwerke «primitiver» Völker: als Schöpfungen aus dem unverfälschten Urgrund des Menschseins. Prinzhorn hat mehr als 5000 Kunstobjekte aus zahlreichen psychiatrischen Anstalten zusammengetragen. Seine Sammlung ist heute der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg als Museum angegliedert. Dubuffet hat 1959 versucht, diese Sammlung als eine großartige Quelle für sein eigenes künstlerisches Schaffen zu erwerben. Die enorme Vielfalt der Werke in Prinzhorns Sammlung demonstriert zweifelsfrei, dass sich viele schizophren Erkrankte in ihrer künstlerischen Tätigkeit, selbst wenn sie krankhaftes Erleben darzustellen versuchen, ziemlich normal verhalten. Ab­­ hängig von ihren mehr oder weniger ausgebildeten Fähigkeiten, greifen ihre Werke die Stilrichtungen ihrer Zeit auf. Einige große Künstler, die an einer schizophrenen Psychose litten, etwa der erwähnte Maler Vincent van Gogh, der Dichter

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13. Schizophrenie und Kunst

Hölderlin, der Komponist Robert Schumann und der Ballettmeister Vaslav Nijinsky haben Werke geschaffen, die an expressiver Kreativität und Schönheit kaum zu übertreffen sind. Man kann bei einigen dieser Werke durchaus von einem revolutionären Stil sprechen. Dies nährt die Vermutung, erst die gewaltige Dynamik der Krankheit habe einzelnen schizophrenen Künstlern über die Schwellen der Konventionalität hinaus neue Dimensionen kreativen Gestaltens eröffnet. Dieser Zusammenhang hat einige Psychiater des vergangenen Jahrhunderts, Wilhelm Lange-Eichbaum, Ernst Kretschmer, Walter Theodor Winkler und Karl Jaspers, bewogen, Beziehungen zwischen Genie und Irrsinn, zwischen großen künstlerischen oder geistigen Leistungen und der Psychose ihrer Schöpfer anzunehmen. Unabhängig von den unterschiedlichen, teilweise stark psychiatrisch verbogenen Deutungsmustern ist an der Tatsache kaum zu zweifeln, dass eine herausragende künstlerische Befähigung durch die Erfahrung einer schizophrenen Psychose in besonderer Weise befruchtet werden kann. Eine zweite Fragestellung betrifft den Versuch der Darstellung sprachlich schwer vermittelbarer Erlebnisse der Krankheit, etwa die bildliche Umsetzung gehörter Stimmen, den Ausdruck extremer Triebwünsche oder die Visualisierung optischer Halluzinationen. Neben mitunter kreativen Versuchen, das krankhafte Erleben dem Verständnis anderer näherzubringen, stehen hier die schlichten Bemühungen Kranker, die jahrelange inhaltslose Zeit des Anstaltslebens mit Tätigkeit zu füllen. Die damals entstandenen Werke erstrecken sich von der Nachahmung gerade herrschender Kunststile bis zu sinnlos wirkenden endlosen Dekorationen oder Kritzeleien auf den leeren Rändern von Tageszeitungen. Gerade die letztgenannten Arbeiten sind ein deprimierender Ausdruck der Notlage jener Kranken, die nicht einmal Papier und Werkzeug für eine sinnvolle Beschäftigung während jahrelanger Krankenhausaufenthalte erhalten hatten. Die dritte Fragestellung handelt von der Bedeutung der Kunsttherapie als Instrument der Rehabilitation. Viele psychiatrische Krankenhäuser verfügen heute über eine Arbeitsgruppe



14. Notsituationen bei schizophrenen Erkrankungen

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oder ein Atelier für Kunsttherapie. Dabei handelt es sich kei­ neswegs um Spielerei. Das Ziel von Kunsttherapie ist die Förderung kreativer Ideen und gestaltender Fähigkeiten. Soweit sie nicht bereits darüber verfügen, werden den Kranken sowohl Darstellungstechniken als auch die Hinwendung auf die eigene schöpferische Phantasie, auf den persönlichen Ausdruck im Ge­stalten vermittelt. Ein solches kunsttherapeutisches Programm führt erstaunlich häufig zur Entwicklung künstlerischer Kreativität und zur Entdeckung von Begabungen, die dem Kran­­ken selbst wie auch seiner Umwelt bislang unbekannt ­waren. Die auf diesem Weg entstehenden Werke vermitteln dem Kranken ein echtes Werterleben und oft auch die Anerkennung seiner Umwelt. Sie bilden einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung von Persönlichkeit und Selbstbewusstsein im Laufe des Rehabilitationsprozesses. Vor allem für jene Kranken, die wegen des Verlustes von Beruf und Arbeit einen erheblichen Mangel an Betätigungs- und Befriedigungsmöglichkeiten erleiden, ist die Entwicklung einer solchen Gestaltungsfähigkeit von hohem Wert.

14. Notsituationen bei schizophrenen Erkrankungen Um Kranken und Angehörigen Hinweise für das Handeln in Notsituationen zu geben, führen wir einige Problembereiche, die teilweise in anderem Zusammenhang schon besprochen wurden, hier noch einmal kurz an: 1.) Ernste medizinische Komplikationen bei versäumter und bei intensiver Therapie:  Eine seltene, aber ernst zu nehmende Komplikation bei Überdosierung oder sehr raschem Dosisanstieg konventioneller Antipsychotika, selten auch anderer Psychopharmaka, ist das maligne neuroleptische Syndrom. Es geht auf die Blockade der D2-Rezeptoren zurück und zeichnet sich durch

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14. Notsituationen bei schizophrenen Erkrankungen

fluktuierende Bewusstseinsstörung, Anstieg der Körpertemperatur, erhöhten Muskeltonus (Rigor, starre Mimik), Speichelfluss, Salbengesicht und Dysregulation des Herz-Kreislauf-Systems (Tachykardie, Blutdruckschwankungen etc.) aus. Es erfordert sofortige Notfalltherapie auf einer psychiatrischen Intensivstation. Wahrscheinlich wegen der verbesserten Kenntnisse akuter Psychosen und der raschen Einweisung in kompetente Behandlungseinrichtungen ist das maligne neuroleptische Syndrom in Deutschland in den letzten zwei Jahrzehnten kaum noch beobachtet worden. Das Gleiche gilt für ein anderes lebensgefährliches Syndrom: die akute lebensbedrohliche Katatonie. Sie geht nicht auf Übertherapie, sondern auf Untertherapie – das Versäumnis notwendiger Behandlung bei schweren, meist katatonen Psychosen – zurück. Sie zeigt motorische Erregung, öfter aber Stupor, Muskelstarre und Salbengesicht, oft Speichelfluss und Mutismus, Fieber und Herzrhythmusstörungen. Die für die Behandlung ausschlaggebende Unterscheidung gegenüber dem malignen neuroleptischen Syndrom ist nicht immer einfach. Auch dieses Krankheitsbild bedarf sofortiger Notfallversorgung auf einer psychiatrisch geleiteten oder beratenen Intensivstation. Wegen der bei deutschen Ärzten weitverbreiteten Kenntnis der Krankheit und ihrer Behandlung ist die febrile Katatonie hierzulande nahezu ausgestorben. In den Entwicklungsländern wird sie mangels psychiatrischer Dienste immer noch häufig beobachtet. 2.) Unterbringung und Behandlung bei fehlender Krankheitsein­ sicht:  Wenn ein akut psychotisch Erkrankter wegen tiefgreifender Verstörung, sprachlicher und gedanklicher Verwirrung und bizarren oder gefährlichen Verhaltens dringend einer kompetenten Behandlung bedarf, soll zunächst der Hausarzt gebeten werden, ihn zu untersuchen. Ist der Hausarzt nicht rasch genug verfügbar, sollte der Notarzt gerufen werden. Nur wenn der Krankheitszustand bereits ein bedrohliches Ausmaß erreicht hat, sollten der Arzt und die Angehörigen versuchen, den Kranken zu einer Krankenhausaufnahme mit sofortiger Behandlung



14. Notsituationen bei schizophrenen Erkrankungen

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zu motivieren. Ist er dazu bereit und ein Transport mit Krankenwagen möglich, sollte die Notaufnahme des nächsten psychiatrischen Krankenhauses angefahren werden. Weigert sich der Kranke und ist Gefahr im Verzug, so muss auch die Polizei verständigt werden, um die Notfallaufnahme zu realisieren. Letzteres bleibt in der Regel dem Notarzt überlassen. Auf keinen Fall sollten Proteste des Kranken gegen das fürsorgliche Handeln der Angehörigen durch Medikamente bekämpft werden, die hinter seinem Rücken in Kaffee oder Suppe gegeben werden. Ein solches Verfahren würde Vertrauen zerstören bei einem Menschen, der bereits durch seine Krankheit großen Schwierigkeiten ausgesetzt ist, Vertrauen zu finden und zu bewahren. Große Probleme können dadurch entstehen, dass ein Kranker, der weder sich noch andere ernstlich bedroht, dringend der Behandlung bedarf, aber krankheitsbedingt über keine Einsicht verfügt. In diesem Fall fehlt nach gegenwärtiger Gesetzeslage die rechtliche Voraussetzung von Unterbringung und Behandlung wider Willen. Pauschale Lösungen für dieses ungelöste Rechtsproblem haben wir nicht. Die Folgen sind nicht selten jahrelange Aufenthalte schwer gestörter schizophren Erkrankter in der Familiengemeinschaft. Dadurch sind Angehörige oft extrem belastet, was meist der Mutter eines / r Erkrankten die Berufsausübung, die Aufrechterhaltung von sozialen Kontakten und den Lebensgenuss ziemlich erschwert. Die Unmöglichkeit, den schizophren Erkrankten der notwendigen Behandlung zuführen zu können, und die Ohnmacht der dadurch geschaffenen Belastungssituation sind menschlich kaum zumutbar. Man kann nur empfehlen, Rat und Hilfe beim Hausarzt, bei einem sozialpsychiatrischen Dienst oder beim Psychiater am Gesundheitsamt zu erbitten. Vielleicht ergibt sich ein unkonventioneller Lösungsweg. Ein anderes Problem betrifft die rechtlich abgesicherte Unterstützung und Hilfe für Kranke bei lebenswichtigen Handlungen und Entscheidungen, die krankheitshalber nicht mehr selbst wahrgenommen werden können. Hier erfolgte früher die gerichtliche Bestellung eines Vormunds, die den Kranken die

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14. Notsituationen bei schizophrenen Erkrankungen

selbstständige Wahrnehmung ihrer Angelegenheiten aus den Händen nahm. Eine alternative Lösung war die Bestellung eines Pflegers (§  1910 BGB), die das Instrument der Vormundschaft auf begrenzte Bereiche der eigenen Angelegenheiten beschränkte. Erst das Betreuungsgesetz von 1992 (§  1906 BGB) regelt die gerichtliche Bestellung eines Betreuers, dessen Verantwortung auf genau umschriebene Gebiete begrenzt werden muss, etwa die Vermögensverwaltung oder die Sicherstellung ärztlicher Behandlung. Die Rechte des Kranken sind insoweit gewahrt, als die Betreuung nur mit seiner Zustimmung eingerichtet und auf seinen Antrag auch wieder aufgehoben werden kann. Nur im Falle fehlender Verständigungsmöglichkeit, etwa weil der Kranke bewusstlos ist oder an einer extrem schweren Psychose leidet, kann auch ohne seine Zustimmung so verfahren werden. Die Voraussetzungen dazu müssen überzeugend durch ein fachärztliches Gutachten belegt werden, das der richterlichen Entscheidung über Unterbringung und Behandlung zugrunde gelegt wird. Im Falle der Bestellung eines Betreuers ist dafür Sorge zu tragen, dass eine Vertrauensperson des Kranken, möglichst ein nahestehender, verlässlicher Angehöriger oder Freund, diese Verantwortung auf sich nimmt. Auf der persönlichen Ebene ist zu bedenken, dass eigene Entscheidungsgewalt und selbständiges Handeln tief verankerte menschliche Anliegen sind. Bei misstrauischen Kranken ist dieses Bedürfnis nach Unabhängigkeit besonders groß. Die Wahrnehmung eigener Angelegenheiten durch gerichtlich ermächtigte Vertrauenspersonen stellt ebenso wie die wider Willen, auf Initiative eines Angehörigen erfolgte Verbringung ins Krankenhaus für den Kranken häufig ein verarbeitungsbedürftiges Trauma dar. Mangel an Dankbarkeit und die strikte Ablehnung von fürsorglichem Handeln durch den Kranken sind normale Reaktionen und müssen leider oft lange hingenommen werden. Das Verständnis dafür, dass die vorübergehende Überlassung von Lebensbereichen aus der eigenen Verfügungsgewalt an einen anderen eine tiefgehende Belastung des oft aus Krankheitsgründen besonders verletzbaren Autonomieanspruchs mit sich bringt, lässt die erfahrene Enttäuschung besser ertragen.



15. Zusammenfassung und Ausblick

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Nicht ganz selten bringen Alter und Reife eine Wende der Sichtweise des Kranken, der sich dann mit Dankbarkeit an die erfahrene Fürsorge erinnert und die Kränkung, die er dem sorgenden Betreuer zugemutet hat, auch bedauert. Diese späte Einsicht ist dem späten Verständnis heftig abgelehnter elterlicher Erziehung, die oft erst mit der eigenen Elternschaft einsetzt, nicht ganz unähnlich.

15. Zusammenfassung und Ausblick Die Schizophrenie ist ein Krankheitskonstrukt, dessen Kernsyndrom – Halluzinationen, Wahn und Denkstörungen – überall, wo es bisher untersucht wurde, in gleicher Weise vorkommt. Wahrscheinlich liegt ihm ein präformiertes Reaktionsmuster des menschlichen Gehirns zugrunde. Die Ursachen – tiefer liegende Entgleisungen neurobiologischer Prozesse im Gehirn – sind jedoch heterogen. Der Vielfalt der Ursachen entspricht auch eine Vielfalt der Krankheitsverläufe. Rund ein Fünftel der schizophrenen Erkrankungen besteht nur aus einer einzigen psychotischen Episode und heilt dann ohne Folgen aus. Ein kleiner Teil verläuft ungünstig mit Entwicklung von Behinderungen auf mehreren Lebensdomänen. Bei Krankheitsausbruch weisen die meisten schizophren Erkrankten eine geringgradige Minderung des Hirnvolumens auf. Diese Veränderungen sind im Bereich des Hippokampus, der temporalen und der präfrontalen Hirnrindenregionen akzentuiert. Ein kleiner Teil von Erkrankungsfällen, die meistens schon vor der ersten psychotischen Episode deutliche bis erhebliche Defizite kognitiver Fähigkeiten aufwiesen, erfährt im Verlauf eine langsam fortschreitende, gering­ gradige Abnahme des Gehirnvolumens, zunehmende kognitive Defizite, aber keine dem Morbus Alzheimer vergleichbare De­­ menz. Die häufigsten ursächlichen Risikofaktoren für Schizophrenie sind genetischer Natur. Schizophrenie wird aber nicht durch

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15. Zusammenfassung und Ausblick

ein Hauptgen vererbt. Zahlreiche Risikogene leisten je­­weils sehr viel kleinere Beiträge zum Lebenszeitrisiko, an einer Schizophrenie zu erkranken. Mehrere Risikogene für Schizophrenie sind auch mit dem Risiko affektiver Erkrankungen verbunden. Die Umweltfaktoren, die zur Erhöhung des Schizophrenierisikos beitragen, scheinen ebenfalls vielfältig zu sein. Dazu zählen leichte Beeinträchtigungen der Gehirnentwicklung vor, während und nach der Geburt und eine größere Zahl von Erkrankungen in der Kindheit, die das Gehirn in Mitleidenschaft ziehen. In der Kindheit treten auch erste geringfügige Zeichen von Entwicklungsverzögerungen auf, die sich später durch leichte kognitive Defizite, geringfügige feinmotorische Unsicherheit und affektive Instabilität äußern. Sie sind wahrscheinlich frühe Äußerungen derselben neurophysiologischen Prozesse, die auch für die spätere Entwicklung der Psychose verantwortlich sind. Von der späteren Kindheit bis ins Erwachsenenalter werden bei einem Teil der Bevölkerung einzelne Symptome – ohne krank zu sein – aus den vier wichtigsten Symptomdimensionen – positive, negative, affektive Symptomatik und kognitive Beeinträchtigung – des Krankheitskonstrukts Schizophrenie angetroffen. Einzelne Halluzinationen im Alter von 11 Jahren erhöhen das relative Erkrankungsrisiko bis zum Erwachsenenalter auf 25 %. 75 % dieser früh halluzinierenden Kinder erkranken dagegen nicht. Je mehr solche Symptome vorhanden sind und je länger sie bestehen, desto größer ist das Risiko des Übergangs in eine voll entwickelte Krankheit. Das zusätzliche Auftreten affektiver Symptome, vor allem Depression und Angst, weist auf einen bevorstehenden Ausbruch einer schizophrenen Psychose hin. Ihr Rückgang lässt das Krankheitsrisiko absinken. Dem Höhepunkt der ersten psychotischen Episode geht ein überwiegend mehrjähriges präpsychotisches Prodromalstadium voraus. Ihm folgt ein psychotisches Vorstadium von durchschnittlich einem Jahr bis zur ersten Behandlung. Da die meisten negativen Folgen der Krankheit in diesem Frühstadium eintreten und der späte Behandlungsbeginn einen ungünstigen weiteren Verlauf erwarten lässt, sind Früherkennung und Frühbehandlung der zur Psychose führenden Verläufe von ausschlag-



15. Zusammenfassung und Ausblick

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gebender Bedeutung. Die Instrumente für Früherkennung sind seit einigen Jahren in Anwendung. Der Symptomverlauf vor Ausbruch der Krankheit, der bei Zunahme der Störungen bis zur Psychose, bei ihrer Abnahme aber auch zum Verschwinden der Symptome und zur Wiederherstellung der seelischen Gesundheit führen kann, bleibt ein grundlegendes Verlaufsmerkmal der Schizophrenie. Selbst noch nach dem Ausbruch der Krankheit kann es, wenn auch nur noch bei 20 %, zu einem Ende ohne Folgen kommen. Die häufig wiederkehrenden oder längerfristig bestehenden Syndrome sind mit dem als Chronifizierung bezeichneten Risiko der Persistenz verbunden. Eine Krankheitsepisode kann durch verschiedene Substanzen – etwa Cannabis – und Situationen – etwa hohe familiäre Spannungen – ausgelöst werden. Die Fortsetzung des Missbrauchs von Cannabis hat für die Symptomatik, die kognitive Leistungsfähigkeit und für das soziale Schicksal der Kranken negative Folgen. Auch wenn noch keine kausale Therapie zur Verfügung steht, ist eine gut abgestimmte Behandlung großenteils erfolgreich. Die gegenwärtig verfügbare medikamentöse Behandlung hat das Maximum ihrer Wirksamkeit in der Reduzierung psychotischer Symptome und der Minderung psychotischer Rückfälle. Zur Behandlung der übrigen Symptomfelder sind psychologische und soziale Therapie- und Trainingsmethoden erforderlich. Ein besonderes Problem ist die depressive Symptomatik, die häufigste Symptomatik im Gesamtverlauf der Krankheit. Sie bedarf einer gezielten Therapie, um Suizidrisiko und Wohlbefinden der Kranken zu bessern. Für häufig wiederkehrende oder chronische Verläufe stehen rehabilitative Programme und Einrichtungen zur Verfügung. Eine längerfristige oder gar mehrjährige Unterbringung in gemeindefernen psychiatrischen Anstalten kann heute in nahezu allen Fällen vermieden werden.

Anmerkungen

  1 Die grundlegende 11.  Revision der Klassifikation der Krankheiten (ICD11) ist in Arbeit und soll 2018 von der WHO verabschiedet werden. Die Einführung in Deutschland ist wenige Jahre später zu erwarten.   2 Aus: Dilling H, Mombour W, Schmidt MH (Hrsg.) (1991). Internationale Klassifikation psychischer Störungen: ICD-10 Kapitel V (F) Klinisch-diagnostische Leitlinien. Huber: Bern / Göttingen / Toronto, S.  96  f.   3 Das Wort Schizophrenie wird in vielen Zusammenhängen missbraucht. In den Medien wird es häufig benutzt, um Widersprüchlichkeit, zumeist im politischen Kontext, zu charakterisieren. Eine Quelle dieses Missverständnisses ist die allzu wörtliche Übersetzung des griechischen Lehnworts Schizophrenie als «Spaltungsirresein». Aber Schizophrenie ist keine Seelenspaltung. Das Phänomen Persönlichkeitsspaltung, auch als «multiple personality» bekannt, charakterisiert einen Menschen, der mehrere Scheinidentitäten, oft jeweils mit konstruierter Biographie, den Rollen eines Schauspielers entsprechend, nebeneinander zu spielen vermag.   4 Aus: Dilling et al. (1991) (s. Anmerkung 2), S.  93  f. und 118  f.   5 Kraepelin E (1896). Psychiatrie, 5.  Aufl. Barth: Leipzig. Emil Kraepelin war von 1886 bis 1891 Professor der Psychiatrie in Dorpat, von 1891 bis 1903 Professor der Psychiatrie und Direktor der Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg und von 1903 bis 1922 an der Universität München.   6 Bleuler E (1908). Die Prognose der Dementia praecox (Schizophreniegruppe). Allg Z Psychiat Psychisch-Gerichtl Med 65, 436 – 464; Bleuler E (1911). Dementia praecox oder Gruppe der Schizophrenien. In: Aschaffenburg G (Hrsg.). Handbuch der Psychiatrie. Deuticke: Leipzig, 1 – 420.   7 In Großbritannien entstanden zahlreiche «mad houses», die von privaten Eignern zur Profiterzielung betrieben wurden. Das Leben und der Missbrauch geschlossener Unterbringung unerwünschter Personen waren dort ein eher großes Problem, gegen das schon der Autor des Robinson Crusoe, Daniel Defoe (1660 – 1731), als Journalist zu Felde zog.   8 Böker W, Häfner H (1973). Gewalttaten Geistesgestörter. Eine psychiatrisch-epidemiologische Untersuchung in der Bundesrepublik Deutschland. Springer: Berlin / Heidelberg / New York.   9 Roelcke V (2002). Zeitgeist und Erbgesundheitsgesetzgebung in Europa der 1930 er Jahre. Nervenarzt 73, 1019 – 1030. 10 Hitlers politische Ziele beschränkten sich nicht auf die geographische Expansion Deutschlands. Er wollte, was ehedem der Schöpfung oder



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der natürlichen Evolution zugeschrieben worden war, selbst übernehmen und einen neuen Menschen schaffen: «Die größte Revolution hat aber Deutschland erlebt durch die in diesem Lande zum ersten Male planmäßig in Angriff genommene Volks- und Rassenhygiene. Denn sie schaffen einen neuen Menschen» (Adolf Hitler, Reichsparteitagsrede 1938 in Nürnberg). 11 Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland – Zur psychiatrischen und psychotherapeutisch / psychosomatischen Versorgung der Bevölkerung. Deutscher Bundestag. DRS.  7/4201, Bonn, 1975. 12 Aus: Häfner H, Riecher-Rössler A, an der Heiden W, Maurer K, Fätkenheuer B, Löffler W (1993). Generating and testing a causal explanation of the gender difference in age at first onset of schizophrenia. Psychol Med 23, 925 – 940, modifiziert durch den Autor. 13 Aufnahmestellen für den Neurotransmitter Dopamin an Gehirnzellen, deren unverminderte oder gesteigerte Funktion eine Voraussetzung für das Auftreten positiver Symptome ist. 14 Aus: Maurer K, Trendler G, Schmidt M, an der Heiden W, Könnecke R, Häfner H (2006). Schizophrenie und Depression. Nervenarzt 77, 809 – 822, modifiziert durch den Autor. 15 Da «Nervosität, Unruhe» und «Kommunikation / sozialer Rückzug» mit jeweils 4,6 % bei den Kontrollpersonen die gleiche Häufigkeit aufwei­­ sen, mussten beide als Rang 10,5 in die Tabelle aufgenommen werden. 16 Aus: Maurer et al. (2006) (s. Anmerkung 14), modifiziert durch den Autor. 17 Poulton R, Caspi A, Moffitt TE, Cannon M, Murray R, Harrington H (2000). Children’s self-reported psychotic symptoms and adult schizophreniform disorder: A 15-year longitudinal study. Arch Gen Psychiatry 57, 1053 – 1058. 18 Van Os J, Hanssen M, Bijl RV, Ravelli A (2000). Strauss (1969) revi­ sited: a psychosis continuum in the general population? Schizophr Res 45, 11 – 20; van Os J, Hanssen M, Bijl RV, Vollebergh W (2001). Pre­ valence of psychotic disorder and community level of psychotic symptoms: an urban-rural comparison. Arch Gen Psychiatry 58, 663 – 668. 19 Spauwen J, Krabbendam L, Lieb R, Wittchen H-U, van Os J (2003). Sex differences in psychosis: normal or pathological? Schizophr Res 62, 45 – 49. 20 Hanssen M, Bak M, Bijl R, Vollebergh W, van Os J (2004). Outcome of self-reported psychotic experiences in the general population: a prospective study. In: Hanssen M (Dissertation). A continuous psychosis phenotype: from description to prediction. Wetenschapskring: Zuid-Limburg, pp.  95 – 107. 21 Krabbendam L, Myin-Germeys I, Hanssen M, de Graaf R, Vollebergh W, Bak M, van Os J (2005). Development of depressed mood predicts onset of psychotic disorder in individuals who report hallucinatory experiences. Br J Clin Psychol 44, 113 – 125.

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Anmerkungen

22 Wittchen H-U, Höfler M, Lieb R, Spauwen J, van Os J (2004). Depressive und psychotische Symptome in der Bevölkerung – Eine prospektivlongitudinale Studie (EDSP) an 2500 Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Vortrag auf dem DGPPN-Kongress, Berlin, Nov.  24. – 27. 2004 (Abstract veröffentlicht in Nervenarzt 75: Suppl. 2, 87). 23 Van Rossum I, Dominguez MD, Lieb R, Wittchen HU, van Os J (2011). Affective dysregulation and reality distortion: A 10-year prospective study of their association and clinical relevance. Schizophr Bull 37, 561–571. 24 Hanssen MSS, Bak M, Bijl R, Vollebergh W, van OS J (2002). Is prediction of psychosis in the general population feasible? (Abstract) European Psychiatry 17 (Suppl. 1), 74; Hanssen et al. (2004) (s. Anmerkung 20). 25 Hanssen M, Bak M, Bijl R, Vollebergh W, van Os J (2005). The incidence and outcome of subclinical psychotic experiences in the general population. Br J Clin Psychol 44, 181 – 191. 26 Denn die diagnostischen Kriterien für Schizophrenie schließen leichte und «subklinische» Formen der Krankheit aus. 27 Häfner H, Maurer K, Trendler G, an der Heiden W, Schmidt M, Könnecke R (2005). Schizophrenia and depression: challenging the paradigm of two separate diseases – a controlled study of schizophrenia, depression and healthy controls. Schizophr Res 77, 11 – 24. 28 Häfner H (2017). Das Rätsel Schizophrenie. Eine Krankheit wird entschlüsselt, 4., völlig neu bearbeitete Aufl. C.H.Beck: München. 29 Leeson VC, Sharma P, Harrison M, Ron MA, Barnes TRF, Joyce EM (2011). IQ trajectory, cognitive reserve, and clinical outcome following a first episode of psychosis: a 3-year longitudinal study. Schizophr Bull 37, 768–777. 30 Bachmann S, Bottmer C, Jacob S, Kronmuller KT, Backenstrass M, Mundt C, Renneberg B, Fiedler P, Schroder J (2002). Expressed emotion in relatives of first-episode and chronic patients with schizophrenia and major depressive disorder – a comparison. Psychiatry Res 112, 239 –  250. 31 Jablensky A (2003). The epidemiological horizon. In: Hirsch SR, Weinberger D (eds.). Schizophrenia, 2nd edn. Blackwell: Oxford, pp.  203 – 231. 32 Häfner H, Maurer K, Löffler W, Riecher-Rössler A (1991). Schizophrenie und Lebensalter. Nervenarzt 62, 536 – 548. 33 Jablensky (2003) (s. Anmerkung 31). 34 Hopper K, Wanderling J (2000). Revisiting the developed versus develop­ ing country distinction in course and outcome in schizophrenia: results from ISoS, the WHO collaborative follow-up project. International Study of Schizophrenia. Schizophr Bull 26, 835 – 846. 35 Auf der Grundlage von Daten aus: McGue M, Gottesman II (1991). The genetic epidemiology of schizophrenia and the design of linkage studies. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 240, 174 – 181.



Anmerkungen

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36 Van Snellenberg JX, de Candia T (2009). Meta-analytic evidence for familial coaggregation of schizophrenia and bipolar disorder. Arch Gen Psychiatry 66, 748 – 755. 37 Beispielsweise 1q21 – q22; 1q32.2 – q41;6p24 – p22; 13q32 – q34; 1q42; 5q21 – q33; 6q21 – q25; 8p21 – p22; 10p15 – p11; 22q11 – q12. 38 Ein Sonderfall ist die relativ seltene balanzierte Translokation eines kleinen Chromosomenabschnitts (1q32,2 – q41 und q42, q21) mit den Genen DISC1 und DISC2. Das Gen DISC1 ist diagnoseübergreifend mit dem Risiko für Schizophrenie, schizoaffektive Psychosen, bipolare Störungen und unipolare Depression assoziiert. Innerhalb der Po­­pu­ lation schizophren Erkrankter variiert der individuelle genetische Anteil am Krankheitsrisiko von sehr niedrigen bis zu hohen Werten. 39 Vor einigen Jahren wurde ein weiteres mit Schizophrenie und mit ei­­ nigen Formen von Hirnentwicklungsstörungen assoziiertes Gen, «trans­ cription factor 4» (TCF4), in einer genomweiten Studie gefunden. Der Versuch, das deklarative Gedächtnis, das in der Schizophrenie häufig beeinträchtigt ist, als «Endophänotyp» zur Entdeckung des für das Krankheitsrisiko relevanten Allels zu nutzen, war erfolgreich. Das «pathogene» Allel ist mit Gedächtnismängeln bei schizophren Erkrankten, aber auch bei gesunden Kontrollen assoziiert. 40 Im britischen «National Survey of Health and Development» wurden beispielsweise 5362 Kinder von insgesamt 13  687 Geburten vom 3. – 9.  3.  1946 über mehr als 50 Jahre in wiederholten Wellen untersucht. Bis zum Alter von 44 Jahren waren 0,53 % an Schizophrenie erkrankt [Jones P, Done DJ (1997). From birth to onset: a developmental perspective of schizophrenia in two national birth cohorts. In: Keshavan MS, Murray RM (eds.). Neurodevelopmental models of psychopathology. Cambridge University Press: Cambridge, pp.  119 –136]. 41 Callaghan RC, Boire MD, Lazo RG, McKenzie K, Cohn T (2009). Schizophrenia and the incidence of cardiovascular morbidity: A population-based longitudinal study in Ontario, Canada. Schizophr Res 115, 325–332; Hewer W (2010). Anhaltend hohe Sterblichkeit. Dtsch Ärztebl 107, A190 – 191. 42 Mittlerweile ist in den USA ein Verfahren entdeckt worden, das mit niedrigen Magnetfeldstärken von 1  μT bis 100  mT auskommt und dennoch sehr gute Bilder der Hirnmorphologie in Realzeit liefert. Es wird in etlichen Jahren den Bau billigerer und transportabler Geräte ermöglichen und die Entfernung von ferromagnetisch induzierbaren Metallen bei der Untersuchung überflüssig machen. 43 Aus: McIntosh  A, Whalley  H, Job D, Johnstone  E, Lawrie  S (2004). Genetic liability, brain structure and symptoms of schizophrenia. In: Gattaz WF, Häfner  H (eds). Search for the causes of schizophrenia, vol.  V. Steinkopff: Darmstadt, p.  163, modifiziert durch den Autor. 44 Diese Metaanalyse enthält eine große Zahl älterer Studien, die sich noch nicht der quantitativen Volumetrie (Errechnung des Rauminhalts) bedie-

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Anmerkungen

nen konnten und deshalb mit bloßem Auge beurteilen mussten. Die Exaktheit der mitgeteilten Maße, die teilweise überhöhte Volumendifferenzwerte geben, ist verbesserungsfähig. Der Vorteil dieses auf breiter Grundlage erarbeiteten Überblicks ist jedoch, dass er Volumenänderungen in unterschiedlichen Hirnregionen widerspiegelt. 45 Die präfrontale Rinde ist für kognitive Funktionen, insbesondere für exekutive Leistungen – Arbeitsgedächtnis (oder Kurzzeitgedächtnis), Initiative, Planvermögen und Daueraufmerksamkeit – von Bedeutung, die temporale Rinde für Vorstellungsvermögen, Phantasie und Sprache. Der Hippokampus ist für das episodische oder biographische Gedächtnis – und zwar für Einprägung und Abruf von Inhalten – unerlässlich und der benachbarte Mandelkern (Amygdala) für die emotionale Färbung des Denkens und Erlebens. In diesen Hirnregionen spielt sich ein Teil der Symptomatik der Krankheit Schizophrenie in Gestalt von Überund Unterfunktionen ab. 46 Pantelis  C, Velakoulis  D, McGorry  PD, Wood  SJ, Suckling  J, Phillips  LJ, Yung  AR, Bullmore  ET, Brewer  W, Soulsby  B, Desmond  P, McGuire  PK (2003). Neuroanatomical abnormalities before and after onset of psychosis: a cross-sectional and longitudinal MRI comparison. Lancet 361, 281 – 288. 47 Lawrie  SM, Whalley  HC, Abukmeil  SS, Kestelman  JN, Miller  P, Best  JJ, Owens  DG, Johnstone  EC (2002).Temporal lobe volume changes in people at high risk of schizophrenia with psychotic symptoms. Br J Psychiatry 181, 138 – 143. 48 Kim MA, Tura E, Potkin SG, Fallon JH, Manoach DS, Calhoun VD, Turner JA (2010). Working memory circuitry in schizophrenia shows widespread cortical inefficiency and compensation. Schizophr Res 117, 42–51. 49 Maurer K, Hörrmann F, Trendler G, Schmidt M, Häfner H (2006). Früherkennung des Psychoserisikos mit dem Early Recognition Inventory (ERIraos). Beschreibung des Verfahrens und erste Ergebnisse zur Reliabilität und Validität der Checkliste. Nervenheilkunde 25, 11 – 16; Häfner H, Maurer H (2012). Früherkennung von Psychosen. In: Häfner H, Bechdolf A, Klosterkötter J, Maurer K (Hrsg.). Psychosen – Früherkennung und Frühintervention. Der Praxisleitfaden. Schattauer Verlag, S.  5–35. 50 Klingberg S, Wittorf A, Herrlich J, Wiedemann G, Meisner C, Buchkremer G, Frommann N, Wölwer W (2009). Cognitive behavioural treatment of negative symptoms in schizophrenia patients: study design of the TONES study, feasibility and safety of treatment. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 259 (Suppl 2), 149 – 154. 51 Aus: Klingberg et al. (2009) (s. Anmerkung 50), 151; übersetzt vom Autor. 52 Mehrere nationale und internationale Fachgesellschaften haben Leitlinien für eine optimale Behandlung der Schizophrenie herausgegeben.



Anmerkungen

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Die für den Gebrauch in Deutschland geeignete Behandlungslinie Schizophrenie aus den «S3 Praxisleitlinien in Psychiatrie und Psychotherapie» der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (Hrsg.) (Steinkopff: Darmstadt, 2006) ist abgelaufen. Die Fertigstellung einer neuen Version erfolgt voraussichtlich 2018. 53 Aus: Benkert O, Hippius H (Hrsg.) (2017). Kompendium der psychiatrischen Pharmakotherapie, 11.  Aufl. Springer, Heidelberg, S.  271  f.; modifiziert durch den Autor. 54 Aus: Benkert O, Hippius H (Hrsg.) (2013). Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie, 9.  Aufl. Springer, Heidelberg, S.  199; modifiziert durch den Autor. 55 Aus: Benkert & Hippius (2017) (s. Anmerkung 53), S. 273. Leucht S, Samara M, Heres S et al. (2014). Dose equivalents for second-generation antipsychotics: the minimum effective dose method. Schizophr Bull 40, 314–326. 56 Benkert & Hippius (2017) (s. Anmerkung 53), S.  353; modifiziert durch den Autor. 57 Integrationsfachdienste werden im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit, der Integrationsämter oder der Rehabilitationsträger tätig. 58 Liberman RP, Massel HK, Mosk MD, Wong SE (1985). Social skills training for chronic mental patients. Hosp Community Psychiatry 36, 396 – 403; Liberman RP (2008). Recovery from disability: Manual of psychiatric rehabilitation. American Psychiatric Publishing: Washington, D.  C. 59 an der Heiden W, Könnecke R, Maurer K, Ropeter D, Häfner H (2005). Depression in the long-term course of schizophrenia. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 255, 174 – 184; Möller H-J, Bottlender R, Gross A, Hoff P, Wittmann J, Wegner U (2002). The Kraepelinian dichotomy: preliminary results of a 15-year follow-up study on functional psychoses: focus on negative symptoms. Schizophr Res 56, 87 – 89. 60 Soziale Beratung und Betreuung und, soweit erforderlich, auch soziale Trainingsmaßnahmen werden in Deutschland zu einem wesentlichen Teil von sozialpsychiatrischen Diensten geleistet, die häufig auch die Aufgabe der Koordination gemeindepsychiatrischer Unterstützungsund Betreuungseinrichtungen übertragen bekamen. Ihr Aufgabenspektrum ist von Land zu Land unterschiedlich, wobei auch die Kapazität, die sie für sozial behinderte, an Schizophrenie erkrankte Personen einsetzen können, variiert. 61 Böker W, Häfner H (1973). Gewalttaten Geistesgestörter. Eine psychiatrisch-epidemiologische Untersuchung in der Bundesrepublik Deutschland. Springer: Berlin/Heidelberg/New York. 62 Fazel S, Långström N, Hjern A, Grann M, Lichtenstein P (2009). Schizophrenia, substance abuse and violent crime. JAMA 301, 2016 –  2023. 63 Hodgins S (2004). Criminal and antisocial behaviours and schizophre-

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Danksagung

nia: a neglected topic. In: Gattaz WF, Häfner H (eds.). Search for the causes of schizophrenia, vol.  V. Steinkopff: Darmstadt, pp.  315 – 341. 64 Hodgins S, Müller-Isberner R (eds) (2000). Violence, crime and mentally disordered offenders: concepts and methods for effective treatment and prevention. John Wiley & Sons: Chichester, UK. 65 Prinzhorn H (1922). Bildnerei der Geisteskranken. Springer: Berlin /  Heidelberg (5.  Aufl. 2001, Springer: Wien).

Danksagung Dank gebührt meinen Kollegen aus dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Prof.  Marcella Rietschel, Leiterin der Abteilung für Genetische Epidemiologie, Prof.  Michael Deuschle, Oberarzt der Psychiatrischen Klinik, Prof.  Gabriele Ende, (komm.) Leiterin der Abteilung Neuroimaging, und Prof.  Harald Dressing, Leiter der Abteilung Forensische Psychiatrie, für Durchsicht und Anregungen der einschlägigen Textpassagen. Ich danke meiner Forschungssekretärin, Frau Auli Komulainen-Tremmel, für die sorgfältige Bearbeitung des Manuskripts, für die Unterstützung bei der Erstellung der Literaturhinweise und bei der Korrekturlese. Ich danke Frau Angelika von der Lahr für das überaus sorgfältige und Herrn Dr.  Stefan Bollmann für das ebenso anregende wie kritische Lektorat. Ich danke dem Verlag C.H.Beck für die Anregung, meiner bisher in vier Auflagen erschienenen Darstellung der Forschungsergebnisse über Schizophrenie die zweite Auflage meines aktuellen, praxisnahen Taschenbuchs in der Reihe C.H.Beck Wissen folgen zu lassen.