Präventive Rechtspflichten und -prinzipien des modernen Umweltvölkerrechts: Zum Stand des Umweltvölkerrechts zwischen Umweltnutzung und Umweltschutz [1 ed.] 9783428474103, 9783428074105

135 67 51MB

German Pages 440 Year 1992

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Präventive Rechtspflichten und -prinzipien des modernen Umweltvölkerrechts: Zum Stand des Umweltvölkerrechts zwischen Umweltnutzung und Umweltschutz [1 ed.]
 9783428474103, 9783428074105

Citation preview

Schriften zum Völkerrecht Band 97

Präventive Rechtspflichten und -prinzipien des modernen Umweltvölkerrechts Zum Stand des Umweltvölkerrechts zwischen Umweltnutzung und Umweltschutz

Von

Harald Hohmann

Duncker & Humblot · Berlin

HARALD

H O H M A N N

Präventive Rechtspflichten und -prinzipien des modernen Umweltvölkerrechts

Schriften zum Völkerrecht Band 97

Präventive Rechtspflichten und -prinzipien des modernen Umweltvölkerrechts Zum Stand des Umweltvölkerrechts zwischen Umweltnutzung und Umweltschutz

Von Harald Hohmann

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Hohmann, Harald: Präventive Rechtspflichten und -prinzipien des modernen Umweltvölkerrechts : zum Stand des Umweltvölkerrechts zwischen Umweltnutzung und Umweltschutz / von Harald Hohmann. - Berlin : Duncker und Humblot, 1992 (Schriften zum Völkerrecht ; Bd. 97) Zugl.: Frankfurt (Main), Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-07410-6 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 3-428-07410-6

Zum Gedenken an Günther Hohmann (27.9.1925-27.2.1980)

Vorwort und Danksagung Die Arbeit lag im Wintersemester 1991/92 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main als Dissertation vor. Sie wurde während meiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Frankfurter Universität geschrieben, im Januar 1991 abgeschlossen und im September 1991 noch einmal überarbeitet. Der Stand der Literatur liegt etwa bei Januar 1991, der Stand von Dokumenten/Abkommen wegen der längeren Dauer bis zu ihrer Veröffentlichung - noch etwas früher. Bei der Überarbeitung wurden einige Aktualisierungen vorgenommen (zuletzt im Januar 1992). Dem Verlag Duncker & Humblot gebührt Dank für die Aufnahme der Arbeit in sein Verlagsprogramm und dem Auswärtigen Amt, Bonn, für die großzügige Förderung der Drucklegung. Zunächst sei meinem Doktor-Vater, Prof. Dr. Michael Bothe, herzlich gedankt, der mich zu diesem Thema anregte. Verschiedene Arrangements ermöglichten den Abschluß der Arbeit innerhalb der selbstgesetzten Frist von zwei Jahren. Besonders wichtig hierfür war seine Bereitschaft, mich gut sechs Monate von meiner Tätigkeit am Lehrstuhl zu beurlauben, um in dieser Zeit die Arbeit abschließen zu können. Ihm wie dem Zweitgutachter, Prof. Dr. Eckard Rehbinder, danke ich für Gedankenaustausch und dafür, daß sie mir Dokumente und Prof. Rehbinder insbesondere das damals noch nicht veröffentlichte Gutachten zum Vorsorgeprinzip1 zur Verfügung stellten. Daß diese Arbeit - entgegen meinen Befürchtungen - doch noch in der anvisierten Zeit fertiggeworden ist, ist auch das Verdienst meiner Frau Annette Rieks. Sie hat mir anfangs bei der Literatur-Recherche geholfen und mich sicher durch den Dschungel der Befehle eines Textverarbeitungssystems geführt. Dies hier auszusprechen, ist mir umso wichtiger, als der Abschluß ihrer eigenen Dissertation2 sich dadurch etwas verzögert hat.

* ERehbinder, Das Vorsorgepiinzip im internationalen Vergleich (Umweltrechtliche Studien 12)( Düsseldorf 1991. Im Gegensatz zur veröffentlichten Fassung enthielt die Manuskript-Fassung ein Kapitel zum Umweltvölkerrecht; daher wird in der Arbeit fast immer nur aus dem Manuskript zitiert. 2

ARieks, Strafwunder in frühmittelalterlichen Heiligenviten, theoLDiss. Münster i.E.

8

Vorwort und Danksagung

Denjenigen, die mich mit Anregungen und Gesprächen bei der Arbeit ermutigt haben, danke ich gleichfalls. Es handelt sich vor allem um: Stefan Kadelbach und Peter v. Wilmowsky (beide Frankfurt), Josef Brink (Bonn), Eibe Riedel (Marburg), Christoph Vedder (München), Ingolf Pernice (Brüssel), HansJoachim Schätz (Kiel), Philip Kunig (Berlin) u.a. Für Diskussionen zum Kapitel über die Rechtsverbindlichkeit von Erklärungen danke ich vor allem Alain Pellet (Paris) und Bruno Simma (München) sowie Georg Ress (Saarbrücken), der durch die Vermittlung eines Stipendiums - wofür auch der Thyssen-Stiftung gedankt sei - meine Teilnahme am Kongreß "The Role of Consent and the Development of International Law at the End of the Twentieth Century" in Canberra und am anschließenden 64. ILA-Kongreß in Queensland (August 1990) ermöglichte. Die Ergebnisse beider Konferenzen sind in diese Arbeit eingeflossen. Dank gebührt auch den Mitgliedern des Water Resources Committee der ILA (vor allem Charles Bourne und Albert Utton). Für die Zusendung von Aufsätzen und Dokumenten danke ich den Mitarbeitern des Max Planck-Instituts für Völkerrecht (Heidelberg) und für die Überlassung von ILC-Dokumenten Stephen McCaffrey (Sacramento). Die Diskussionen während der 30. Assistententagung öffentliches Recht (Marburg, April 1990) waren ebenfalls eine Ermutigung. Ich möchte an dieser Stelle nicht versäumen, meinen geschätzten Lehrern zu danken, und zwar besonders den Professoren Albert Bleckmann (Münster/W.), Hans U.Erichsen (Münster/W.), Helmut Schelsky (Münster, gestorben 1984), Werner Pfeifenberger (Münster/Salzburg), Johan Galtung (Genf/Princeton) und Michel Virally (Paris/Genf, gestorben 1988). Wolfgang Graf Vitzthum (Tübingen) förderte als erster mein Interesse am Umweltvölkerrecht. Dank gebührt auch dem Cusanuswerk für die großzügige Förderung meines Studiums. Die Arbeit ist meinem, im Alter von 54 Jahren viel zu früh verstorbenen, Vater Günther Hohmann gewidmet3. Mein Dank gilt ebenso meiner Mutter, Rita Hohmann. Schließlich möchte ich darauf hinweisen, daß sämtliche in dieser Arbeit zitierten Erklärungen und Resolutionen internationaler Organisationen/Gremien und nahezu alle Umweltabkommen in einer gleichzeitig erscheinenden Dokumentation4 veröffentlicht worden sind. Dem Leser, der sich weiter mit diesen Dokumenten beschäftigen will, wird dadurch das mühsame Zusammensuchen, das ich für diese Arbeit unternahm, erspart. Ich hoffe, daß ich mit diesem Buch, das kurz vor dem Umweltgipfel von Rio (ab 5Juni 1992) 3 Seine Dissertation lautete: G Hohmann, Heinrich Koenig: Leben und Werk des Fuldaer Schriftstellers (1790-1869) mit besonderer Berücksichtigung seines historischen Romans "Die Clubisten in Mainz", 42. Veröffentlichung des Fuldaer Geschichtsvereins, Fulda 1965. 4 H Hohmann (Hrsg), Basic Documents of International London/Dordrecht/Boston 1992,2 Bande.

Environmental

Law,

Vorwort und Danksagung

erscheinen soll, zu der Erkenntnis beitragen kann, daß das Umwelt-Gewohnheitsrecht mehr als nur Haftungsregeln kennt Denn seit dem Erscheinen der ersten bekannteren, ebenfalls in diesem Verlag veröffentlichten umweltvölkerrechtlichen Dissertation von 19765 hat sich viel bewegt. Schön wäre auch, wenn sich meine Freude am Umweltvölkerrecht auf den einen oder anderen Leser übertragen würde. Frankfurt am Main, den 1.2.1992

Harald Hohmann

^ EbKlein, Umweltschutz im völkerrechtlichen Nachbairecht (Schriften zum Völkerrecht Band 50), Berlin 1976.

Inhaltsverzeichnis Kapitel

I

Einleitung

19

1.

Präzisienmg der Begriffe Umweltnutzung und Umweltschutz

20

2.

Die Entwicklung des deutschen Umweltrechts: ein Paradigmenwechsel

24

3.

Die Fragestellung der Arbeit: gleicher Paradigmenwechsel im Umweltvölkeirecht? und: Gang der Darstellung

32

Kapitel

II

Der Beitrag internationaler Organisationen und Gremien zur Entwicklung des Uniweltvölkerrechts (außerhalb von Abkommen) 1.

2.

35

Das traditionelle Umweltvölkeirecht (Entwicklungen bis 1972)

35

a) Erste Ansätze durch die Rechtsprechung

35

b) Der Ansatz der ILA (1956-1970)

41

c) Der Ansatz des I D I (1911-1961)

51

d) Der Ansatz des Europarates (bis 1968)

53

e) Zwischenergebnis

55

Entwicklungen zum modernen Umweltvölkerrecht seit der Stockholmer Umweltkonferenz

59

a) Die Stockholmer Umweltkonferenz (1972)

59

b) Erklärungen des UNEP und der UN-Generalversammlung

68

aa) Allgemeines: Arbeitsweise des UNEP.

68

bb) Die "Shared Resources"-Deklaration (1978)

72

cc) Nairobi-Deklaration und Weltchaita für die Natur (1982)

78

dd) Sonstige UNEP-"guidelines" (1980-89)

90

ee) Zwischenergebnis

105

ff)

112

Bedeutung zweier UNEP-Berichte (1987)

c) Der Beitrag der drei "Kodifikationsgremien" (ILC, ILA und I D I ) zum modernen Umweltvölkerrecht

116

aa) Die umweltrechtlichen Resolutionen der ILA seit 1972

117

bb) Die umweltrechtlichen Resolutionen des I D I seit 1972

140

cc) Die umweltrechtlichen Entwürfe der I L C

158

nsverzeichnis

12 dd) Zwischenergebnis

163

d) Der Beitrag dreier europäisch geprägter Regionalorganisationen (ECE, OECD und Europarat) zum modernen Umweltvölkerrecht

165

aa) Die umweltrechtlichen Erklärungen der ECE

166

bb) Die umweltrechtlichen Erklärungen des Europarates (seit 1968)

180

cc) Die umweltrechtlichen Erklärungen der OECD

190

aaa) Erklärungen zum vorsorgenden Umweltrecht und zur UVP

191

bbb) Erklärungen zur grenzüberschreitenden Verschmutzung

198

ccc) Erklärungen zur Ressourcenbewirtschaftung

203

dd) Hinweis auf Parallelen zur EG-Entwicklung

209

ee) Zwischenergebnis

211

e) Hinweis auf aktuelle Erklärungen von Staaten oder Organisationen bezüglich globaler Erwärmung/Ozonschicht 3.

214

Resümee zu Kapitel Π

219

a) Methodische Vorüberlegungen: Die Rechtsverbindlichkeit der oben genannten Erklärungen zum Umweltvölkerrecht

219

b) Zwischenergebnis zu Kapitel Π

239

aa) Charakteristika des traditionellen und des modernen Umweltvölkerrechts (sowie von Umweltnutzung und -schütz)

239

bb) Prinzipien der Vorsorge und Ressourcenschonung

246

cc) Der heutige Stand des Umweltvölkerrechts, analysiert nach Rechtsquellen außerhalb von Abkommen

247

Kapitel

III

Analyse der Abkommen zum Schutz der Umweltmedien 1.

264

Abkommen zum Schutz der Gewässer

264

a) Abkommen zum Meeresumweltschutz

264

aa) Die globalen Meeresumweltabkommen

264

bb) Die regionalen Meeresumweltabkommen

280

cc) Zwischenergebnis

291

b) Beispiele von Abkommen zu intemationationalen Fluß-und Seeregimen aa) Abkommen zu europäischen Fluß-und Seeregimen

294 294

aaa) Das Rhein-Regime

294

bbb) Das Bodensee-Regime

300

bb) Abkommen zu amerikanischen Fluß-und Seeregimen

302

nsverzeichnis

2.

aaa) Das Colorado-Regime

303

bbb) Das Regime der Great Lakes

307

cc) Hinweise auf afrikanische Fluß- und Seeregime

310

dd) Zwischenergebnis

313

Abkommen zum Schutz des Bodens, der Alten und sonstige Naturschutzabkommen...

318

a) Die Nordische Umweltschutz-Konvention

318

b) Globale und regionale Natur-und Artenschutzabkommen

320

aa) Globale Artenschutzabkommen

320

bb) Regionale Natur-und Artenschutzabkommen aaa) Europa

3.

13

330 330

bbb) Afrika

331

ccc) ASEAN

333

ddd) Amazonien und Tropenwald-Abkommen

335

eee) Antarktis

340

c) Abkommen zum Schutz des Bodens (einschließlich Abfall-Regelungen)

342

d) Zwischenergebnis

347

Abkommen zum Schutz von Luft und Atmosphäre

350

a) Die beiden IAEA-Konvention von 1986

350

b) Das Genfer Abkommen über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung

353

c) Abkommen zum Schutz der Ozonschicht und Hinweise zum Schutz vor der globalen Erwärmung

4.

364

d) Zwischenergebnis

375

Resümee zu Kapitel Π Ι (Der heutige Stand des Umweltvölkerrechts)

378

Kapitel

IV

Schlußfoljgeningen 1.

400

Theoretische Ansätze zum Verständnis des Standes des Umweltvölkerrechts

400

a) Relativität bezüglich der Form der Rechtsquelle

400

b) Relativität bezüglich der Zeit

403

c) Relativität bezüglich der Region

405

2.

Die primären Entwicklungstendenzen des Umweltvölkerrechts

405

3.

Zum Vorsorgecharakter des modernen Umweltvölkerrechts

406

Literaturverzeichnis

412

Abkürzungsverzeichnis a.A.

anderer Auffassung

AbfG

Abfallgesetz

ABL

Amtsblatt

AdV

Archiv des Völkerrechts

AFDI

Annuaire Francais de Droit International

AHL

American Journal of International Law

ASEAN

Association of South-East Asian Nations

AiomG

Atomgesetz

BGBL

Bundesgesetzblatt

BGE

Bundesgerichts-Entscheidungen (Schweiz)

BIMSchG

Bundesimmissionsschutzgesetz

BNatSchG

Bundesnaturschutzgesetz

BT-Drs.

Bundestags-Drucksache

BVerfG

Bundesverfassungsgericht (Zusatz E: Entscheidungen)

BWaldG

Bundeswaldgesetz

BYIL

British Yearbook of International Law

ChemG

Chemikaliengesetz

DG V N

Deutsche Gesellschaft für Vereinte Nationen

DGVR

Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht

DVB1.

Deutsches Verwaltungsblatt

ECE

Economic Commission for Europe

EG

Europäische Gemeinschaft

EMEP

European Monitoring and Evaluation Programme

EPIL

Encyclopedia of Pu Wie International Law

EPL

Environmental Policy and Law (Zschr.)

EuGRZ

Europäische Grundrechte-Zeitschrift

EuR

Europarecht (Zschr.)

EurUm

Europäische Umwelt (Zschr.)

evtl.

eventuell

FAO

Food and Agricultural Organization

FCKW

Fluorchlorkohlenwasserstoff

GLWQA

Great Lakes Water Quality Agreement

GYIL

German Yearbook of International Law

h.A.

herrschende Auffassung

HdUR

Handwörterbuch des Umweltrechts

IAEA

International Atomic Energy Agency

IBWC

International Boundary Waters Commission

Abkürzungsverzeichnis ICJ

International Court of Justice

ICLQ

International and Comparative Law Quarterly

IDI

Institut de Droit International

IGH

Internationaler Gerichtshof

IGKB

Internationale Gewässerkommission zum Schutz des Bodensees

UC

International Joint Commission

IKSR

Internationale Kommission zum Schutz des Rheins

ILA

International Law Association

ILC

International Law Commission

ILM

International Legal Materials

IMO

International Maritime Organization

15

Int.

International

IUCN

International Union for the Conservation of Nature and Natural resources

L V.m.

in Verbindung mit

IWC

International Whaling Commission

J.

Journal

JahrB UTR

Jahrbuch fur Umwelt-und Technikrecht

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

Nat.Res J.

Natural Resources Journal

NBA

Niger Basin Authority

ΝΕΡΑ

National Environmental Policy Act

NGO

Non-governmental organizations

NILR

Netherlands International Law Review

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NOx

Stickstoff

NuR

Natur und Recht (Zschr.)

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

OECD

Organization for Economic Co-operation and Development

ÖZöffRV

österreichische Zschr.fur öffentliches Recht und Völkerrecht

PCU

Permanent Court of International Justice

RabelsZ

Rabeis Zschr.für ausländisches und internationales Privatrecht

RdC

Recueil des Cours

RGDIP

Revue General de Droit International Public

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

RIAA

Reports of International Arbitral Awards

SchwJIR

Schweizerisches Jahrbuch für Internationales Recht

SO2

Schwefeldioxid

SRK

Seerechtskonvention

StIGH

Ständiger Internationaler Gerichtshof

HAS

Treaties and other International Acts Series

UBA

Umweltbundesamt

UNEP

United Nations Environment Programme

16

Abkürzungsverzeichnis

UNESCO

United Nations Educational, Social and Cultural Organization

UNTS

United Nations Treaty Series

UPR

Umwelt-und Planungsrecht (Zschr.)

UVP

Umweltverträglichkeitsprüfung

VN

Vereinte Nationen (Zschr.)

VRÜ

Verfassung und Recht in Übersee (Zschr.)

WCED

World Commission on Environment and Development

WHG

Wasserhaushaltsgesetz

WHO

World Health Organization

WMO

World Metereological Organization

WRI

World Resources Institute

Yb.

Yearbook

YBILC

Yearbook of the ILC

ZaöRV

Zschr.für ausländisches öffentliches Recht und Völ-kerrecht

ZfG

Zschr.für Gesetzgebung

ZfRV

Zschr.für Rechtsvergleichung

ZfU

Zschr.für Umweltpolitik & Umweltrecht

ZRP

Zschr.für Rechtspolitik

Zschr.

Zeitschrift

"Die Frage lautet nicht mehr, ob wir uns aus Qualitätsbewußtsein eine mehr oder weniger schöne und saubere Umwelt schaffen oder auch zugunsten anderer Ziele darauf verzichten wollen. Die Umweltfrage ist selbst zur Überiebensfrage der Menschheit geworden. Das grundlegende Ziel ist es, die Schöpfung zu bewahren. Nur wenn wir die Natur um ihrer selbst willen schützen, wird sie uns Menschen erlauben zu leben ... Das Unglück von Tschernobyl hat die Notwendigkeit einer engen internationalen Zusammenarbeit drastisch genug vor Augen geführt... Die Auswirkungen dieses Unglücks auf weite Teile Europas haben auch den letzten Zweifler davon überzeugt, daß Staats-, Bündnis- und Systemgrenzen im Angesicht von Umweltkaustrophen zu völliger Bedeutungslosigkeit herabsinken. Sie bieten nicht den geringsten Schutz. Um so weniger dürfen sie die notwendigen grenzüberschreitenden Maßnahmen verhindern ... Mit der modernen Naturwissenschaft und Technik hat sich das Kräfteverhältnis zwischen Mensch und Natur grundlegend verändert... Jetzt... machte der Mensch diese Möglichkeit , wie es scheint, auf brutale und unverantwortliche Weise wahr ... Die Natur wurde ihm zum frei verfügbaren, auszubeutenden Rohmaterial, so selbstverständlich und infolgedessen so wertlos, daß man sagte, Luft oder auch Wasser hat keinen Preis ... Heute stehen wir an der Schwelle, verstehen zu lernen, daß die Schöpfung unbezahlbar ist Wir müssen lernen, die Natur zu pflegen, wenn wir der Selbstzerstörung entgehen wollen ... Die Erde ist älter als die Menschen. Sie wird die Menschen auch überdauern. Sie wird uns Menschen beherbergen, solange wir unseren angemessenen Teil von ihren Kräften für uns in Anspruch nehmen - nicht mehr. Wir werden die Natur nie beherrschen, vielmehr sind wir ein Teil des lebenserhaltenden Kreislaufs. Wir werden es bleiben, wenn wir ihn nicht zerstören, sondern achten" (Bundespräsident v. Weizsäcker,1986)*.

* Rede vom 7.10.1986, in: Bulletin Nr. 122 / S. 1025 vom 9.10.1986, Zitate auf S. 1026, 1028 undS. 1029. 2 Hohmann

Kapitell

Einleitung Umweltschutz ist eine Frage der Akzeptabilität und des Überlebens unserer Gesellschaftsordnung. Denn akzeptabel kann nur eine Gesellschaftsordnung sein, die allen Bürgern Arbeit gibt, ohne die Umwelt so zu belasten, daß sie für kommende Generationen als Lebensraum zerstört ist1. Es geht daher auch um einen Nachweltschutz2: Ohne eine optimale Ressourcenpflege besteht die Gefahr, daß die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generation erfüllt werden auf Kosten der Möglichkeit künftiger Generationen, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen3. Dem Umweltvölkerrecht darf es daher nicht allein um die maximale ökonomische Aufteilung natürlicher Ressourcen, sondern es muß ihm primär um optimale Ressourcenpflege gehen. Zu berücksichtigen hierbei ist, daß die Geschichte der Menschheit zugleich die Geschichte der Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen durch den Menschen ist4. Zu einem Belastungsproblem wurde dies - abgesehen von Teilbereichen5 - erst jüngst, als es infolge der Industrialisierung zu einer Über-Nutzung 1

Podlech t in: Hohmann, Freiheitssicherung durch Datenschutz, S. 23.

2

Vgl. Hofmann ZRP 1986, S. 87.

3

Vgl. World Commission on Environment and Development , Our Common Future, S. 43, die dies mit dem Stichwort "sustainable development" (deutsch: bestandsfähige Entwicklung) umschreibt Sie verlangt ebenso wie die WCED-Experts Group, Legal Principles, S. 14, Umwelterhaltung und bestandsfahige Entwicklung. 4 5

Rehbinder, RabelsZ 40 (1976), S. 363.

Eine erste Ausnahme betrifft den Kahlschlag von Wäldern, der in Mitteleuropa insbesondere zwischen 1050 und 1300 geschah; hervorgerufen durch ein spektakuläres BevölkerungsWachstum, durch Optimismus und Fortschritts-Denken und den Wunsch, die Natur zu beherrschen und Felder urbar zu machen, kam es zu großflächigen Rodungen und zum Wegbrennen ganzer Wälder (vgl. Bowlus in: Sieferle, Fortschritte der Naturzerstörung, S. 15 ff). Im Jahre 1300 gab es neben chronischem Holzmangel eine Vielzahl anderer, auf diesen Raubbau zurückgehender Krisen (vgl. Bowlus, S. 23 ff), die den Menschen die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen zeigten, was zu einem behutsameren Umgang mit der Natur führte (vgl. Bowlus, S. 28 f). So weist auch Hofmann, JZ 1988, S. 266, darauf hin, daß mit der Waldordnung Nürnbergs aus dem Jahre 1294 die ersten Anfänge einer planmäßigen Forstwirtschaft begannen. Eine zweite Ausnahme betrifft grundsätzlich die großen Städte: So mußte in London wegen des ständigen Ärgers über unerträgliche Gerüche und verunreinigte Luft - hervorgerufen durch das Verbrennen stark verunreinigter Steinkohlen in den Kalkbrennereien, Schmieden, Alaunwerken und Brauereien der Stadt - erstmals im Jahre 1285 ein königlicher Untersuchungsausschuß eingesetzt werden; zu gleichen Belastungen kam es im London des 16. und 17. Jahrhunderts (vgl. Te Brake, in: Sieferle, Fortschritte der Naturzerstönmg, S. 32 ff); zu den etwas saubereren deutschen Städten vgl. Dirime ier, Technikgeschichte 1981, S. 191 ff. Daß es in den Städten des Mittelalters zu Luftverschmutzungen, Lärm und Problemen der Abwasserbeseitigung kam, bestätigen auch E. Schubert

20

I. Einleitung

der natürlichen Ressourcen kam und man dabei feststellte, daß die Natur, ehedem ein scheinbarfreies, fast beliebig aneigenbares Gut, knapp wird6. Dem Umweltrecht geht es folglich um die Regelung der konkurrierenden Interessen an Naturnutzung, die nicht mehr alle im selben Umfang befriedigt werden können.

1. Präzisierung der Begriffe Umweltnutzung und Umweltschutz Wenn konkurrierende Nutzungen der Natur vom Umweltrecht geregelt werden, heißt dies, daß u.a. auch wirtschaftliche Interessen geregelt werden. Es geht jedoch nicht allein um den Schutz wirtschaftlicher Interessen7, weil angesichts der zunehmend knappen Naturressourcen und der Gefahr ihrer völligen Zerstörung die Natur auch "um ihrer selbst willen" erhalten und gepflegt werden muß. Dieser Ansatz beginnt mit der Übernahme des in der Forstwirtschaft seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelten Begriffs der Nachhai ti gke it. Er beinhaltet, daß eine Tätigkeit oder eine Funktion auf Dauer, d.h. generationsübergreifend, gesichert wird8. Das bedeutet, daß erneuerbare natürliche Ressourcen nur in dem Umfang in Anspruch genommen werden dürfen und daher so zu bewirtschaften sind, daß ihre künftige Nutzbarkeit oder zumindest ihre Fähigkeit, Belastungen zu absorbieren und sich wieder zu regenerieren, gewährleistet ist. Bei nicht erneuerbaren natürlichen Ressourcen führt das Prinzip dazu, mit den Ressourcen möglichst sparsam und haushälterisch umzugehen9. Hinzu kommen Erkenntnisse der Ökologie, d.h. der Wissenschaft vom Haushalt der Natur und von den Beziehungen zwischen den verschiedenen Organismen, zwischen Organismen und den auf sie einwirkenden Umweltfaktoren sowie zwischen den verschiedenen Umweltfaktoren 1 Durch die Kenntnis von der Verletzlichkeit und der Interdependenz aller Ökosysteme wurden Strategien der Erhaltung, der umweltverträglichen Naturgestaltung und der sorgfälin: Heimann, Mensch und Umwelt im Mittelalter, S. 257 ff; Bothe ZaöRV 32 (1972), S. 483 f und Winter DVB1. 1988, S. 659. Aber erst die Entwicklung einer mit Dampf und Kohle betriebenen Technik ab dem 19. Jahrhundert und die Industrialisierung schuf Umweltprobleme einer ganz neuen Dimension; vgl. Dingle in: Sieferle, Fortschritte der Naturzerstörung, S. 61 sowie Bothe; Winten Bosselmann KJ 1985, S. 350 und Mieck, Technikgeschichte 1981, S. 239 ff. 6

Vgl. Rehbinder RabelsZ 40 (1976), S. 364 sowie Bothe (Fußn. 5).

7 Dies scheint Pernice , Die Verwaltung 1989, S. 50, zu verkennen, der scheinbar nur die romantische und wirtschaftliche Dimension des Umweltschutzes gelten lassen will ("Allen Anschein nach erhält der Umweltschutz neben der Romantik grüner Wälder, blauer Seen und zwitschernder Vögel zunehmend eine wirtschaftspolitische Dimension"). 8

Vgl. Winkler,

9

So Rehbinder in Salzwedel, Grundzüge UmweltR, S. 89 und Winkler,

1 0

in: Handwörterbuch des Umweltrechts (nachfolgend: HdUR) Bd. Π, Sp. 14.

Vgl. Bick, in: HdUR Band Π, Sp. 90.

Sp. 15.

1. Präzisierung der Begriffe

21

ügen, nachhaltigen Bewirtschaftung gefördert. Der ökologische Ansatz verband sich in neuester Zeit mit der Erkenntnis, daß die Natur auch "um ihrer selbst willen" geschützt werden muß11: Der enge anthropozentrische Ansatz, nach dem die Natur allein für gesundheitliche, ästhetische und wirtschaftliche Belange des Menschen geschützt wird, garantiert noch nicht das Überleben der Ökosysteme, da die Ökosysteme selber nicht Träger von Rechten und Pflichten oder Rechtssubjekte sind12. Dies bedeutet jedoch kein Plädoyer für den ökozentrischen Ansatz, bei dem - wie es insbesondere Stone vorschlug13 - Tiere und Pflanzen selber Träger von Rechten sind. Vielmehr geht es um den "geläuterten" oder "weiteren" anthropozentrischen Ansatz, bei dem der ein Eigenwert zugebilligt und die Natur auch um "ihrer selbst willen" geschützt wird, ohne daß Tiere und Pflanzen selber die Träger eigener Rechte sind14. Ihr Schutz wird vielmehr durch die Menschen als Sachwalter wahrgenommen. Dies steht nicht im Widerspruch zum anthropozentrischen Ansatz: Diese ökologische Anreicherung des Umweltrechts im Sinne des "geläuterten" Ansatzes berücksichtigt, daß der Mensch ressourcenabhängig und in die Ökosysteme eingebunden ist und somit ein ressourcen-ökologischer Umweltschutz auch in seinem Interesse liegt15. Anstelle des Schutzes der Natur um ihrer selbst willen 16 könnte man auch von einem Schutz aufgrund ökologischen Zusammenhangs sprechen: Biotope (z.B. Regenwälder) werden geschützt, um sie und die davon abhängigen Naturressourcen (z.B. Tiere, Pflanzen, Wasser, Luft, Klima) zu erhalten. Demnach lassen sich beim Umweltrecht eine traditionelle (d.h. rein anthropozentrisch und wirtschaftlich geprägte) Sichtweise einer- und eine moderne ökologische Sichtweise andererseits ausmachen17. Nach dem traditionellen Ansatz dient das Umweltrecht folgenden drei Zielen18: 1 1 Vgl. hierzu Hoppe/Beckmann, JuS 1989, S. 428 f und Henneke, AgratR 1986, S. 192; sowie v. Weizsäcker (Fußn. *), S. 1026 ("Nur wenn wir die Natur um ihrer selbst willen schützen, wird sie uns Menschen erlauben zu leben"). 1 2

Vgl. Bosselmann in: KJ 1985, S. 352 ff und 1986, S. 8 ff sowie G. Frank DVB1. 1989, S. 696

ff. 1 3

Vgl. Stone Southern California Law Review 45 (1972), S. 450 ff; deutsch in: ders. Umwelt vor Gericht Die Eigenrechte der Natur, S. 25 ff. 1 4

Vgl. Storm HdUR Π, Sp. 745.

1 5

Vgl. Hoppe/Beckmann, S. 429.

1 6

Dieser Sprachgebrauch könnte auf eine rein umweltethische Argumentation hindeuten; zu den unterschiedlichen Auffassungen der Umweltethik vgl. Summerer in: HdUR Band Π, Sp. 576 ff und G. Frank, S. 697 ff. 1 7 1 8

Vgl. Rehbinder RabelsZ 40 (1976), S. 369.

Rehbinder ebda., S. 369; vgl. auch Storm HdUR Band Π, Sp. 749 f, der von einer existentiellen, einer sozialen und einer ästhetischen Funktion, ergänzt um eine "ökologische Tönung", des Umweltrechts spricht.

22

I. Einleitung

es schützt Leben und Gesundheit der Menschen vor Beeinträchtigungen und vor dem Risiko möglicher Beeinträchtigungen; es will darüber hinausgehend allgemein das menschliche Wohlbefinden gewährleisten (Belästigungsschutz, Erholung, Ästhetik etc);

schließlich schützt es auch wirtschaftliche Interessen (insbesondere Landund Forstwirtschaft, Fischzucht, Energie- und Trinkwassergewinnung) gegen Beeinträchtigungen durch Umweltbelastungen19. Dem modernen ressourcenökonomischen/ökologischen Interessenschutz geht es über die existentiellen, sozial-, ästhetischen und wirtschaftlichen Interessen hinaus um die Gestaltung der Umwelt "um ihrer selbst willen" mit dem Ziel einer nachhaltigen Nutzung und einer optimalen Ressourcenpflege20. Dieser im Interesse des Überlebens- und Nachweltschutzes betriebene Ansatz bedeutet21: vorausschauende Erhaltung und Bewirtschaftung der Ressourcen, Schutz der Biosphäre, der Ökosysteme und der natürlichen Kreisläufe sowie der Tier- und Pflanzenwelt insgesamt. Wenn in dieser Arbeit nach einem Wechsel vom internationalen Umweltnutzungs- zum Umweltschutzrecht gefragt wird, dann ist damit ein Wechsel von einer überwiegend ökonomischen hin zu einer primär ökologischen Sichtweise gemeint ökonomische Sichtweise in diesem Sinne ist die traditionelle betriebswirtschaftliche Perspektive, in der die sozialen Kosten der Umweltverschmutzung nicht mitreflektiert werden22. Ein allein ökonomisches Interesse wäre das Interesse, die natürlichen Ressourcen annähernd zum Nulltarif für Industriezwecke (Produktion, Energie) zu erhalten, um dann die Natur in großem Umfang auf Kosten aller anderen Bedürfnisse ausschließlich hierfür zu nutzen23. In dieser reinen Form ist das ökonomische Interesse wohl kaum artikuliert worden; in der Regel war es gepaart mit dem Interesse, Leben und Gesundheit der Menschen zumindest vor erheblichen Beeinträchtigungen zu schützen (daher die Formulierung "überwiegend ökonomische Sichtweise"). 1 9

Insofern hat Pernice (Fußn. 7), S. 50 f, natürlich recht, wenn er sagt, daß auch die Fremdenverkehrs- und Fischindustrie vom Meeresumweltrecht mitgeschützt ist Aber es ist unzutreffend, die Umweltpolitik als bloßen Teilaspekt der Wirtschaftspolitik aufzufassen. 2 0 Ein solcher ökologischer Ansatz könnte zwar auch aus einer rein wirtschaftlichen Perspektive erfolgen, etwa um möglichst viele Bäume aus dem Wald zu verwerten. Dies wäre dann aber eine Verkürzung des ökologischen Ansatzes auf den forstwirtschaftlichen Begriff der Nachhaltigkeit Oben wurde gezeigt, daß der ökologische Ansatz umfassender ist als das Prinzip der Nachhaltigkeit 2 1 So Rehbinder, RabelsZ 40 (1976), S. 369; vgl. auch das Plädoyer von Bothe, EPL 1987, S. 126, für eine Verankerung der Pflicht zur optimalen Ressourcenpflege im Umweltvölkerrecht 2 2

Vgl. Leipert, Aus Politik & Zeitgeschichte Β 27/88, S. 29, der nachweist, daß einzel- und gesamtwirtschaftliche Rationalität aufgrund der Existenz dieser externen Effekte auseinanderfallen. 2 3 Vgl. Rehbinders (S. 364) und Leiperts (S. 29 f) plakative Kennzeichnung des kurzfristigen ökonomischen Interesses.

1. Präzisierung der Begriffe

23

Von dieser reinen oder überwiegend ökonomischen Perspektive unterscheidet sich das ökologisch geprägte Umweltrecht durch seinen vorbeugenden und ressourcenschonenden Charakter: Denn im langfristigen Interesse soll die Umwelt vorausschauend bewirtschaftet und sollen die natürlichen Ressourcen sparsam gebraucht werden, um eine nachhaltige Nutzung zu gewährleisten. Daß dies heute keine Trennung von Ökonomie einerseits und Ökologie andererseits mehr bedeuten muß24, zeigt sich an der neuerdings betriebenen Ökonomisierung der Ökologie im Sinne einer Umweltökonomie25: Dieser Ansatz wird, da er mit markt-konformen Methoden ein ökologisches Ziel verfolgt, ebenfalls zum ökologischen Ansatz gerechnet. Hinzu kommt, daß durch die Ökologiedebatte zunehmend langfristigere Interessen in der Ökonomie (z.B. wirtschaftliche Nachhaltigkeit) verankert wurden. Dieses Begriffsverständnis wird zugrundegelegt, wenn im folgenden untersucht wird, ob im Umweltvölkerrecht ein Perspektivwechsel von einem überwiegend ökonomischen (im beschriebenen traditionellen Sinne) hin zu einem primär ökologischen Ansatz stattgefunden hat. Bevor das Umweltvölkerrecht analysiert wird, sollen die oben genannten theoretischen Überlegungen anhand der Entwicklung des deutschen Umweltrechts kurz überprüft werden. Dabei wird das deutsche Umweltrecht in der ganzen Arbeit immer nur als Beispiel erwähnt, denn diese Prozesse sind in vielen europäischen Industriestaaten ähnlich der deutschen Entwicklung verlaufen 26. Da es hier jedoch um eine kurze Plausibilitätskontrolle der obigen theoretischen Überlegungen geht, reicht eine Beschränkung auf eine einzige nationale Rechtsordnung aus. Ein längerer rechtsvergleichender Teil würde den im Völkerrecht liegenden Schwerpunkt dieser Arbeit auf Rechtsvergleichung verschieben. 2 4

Allerdings ist die Verfolgung kurzfristiger ökonomischer Interessen (vgl. Rehbinder, S. 364) unvereinbar mit dem ökologischen Ansatz, der auf eine langfristige Perspektive angelegt ist; vgl. auch Leipert, S. 30 ff. 2 5 Vgl. Wicke, Umweltökonomie, ders., Die ökologischen Milliarden und ders., in: HdUR Band Π Sp. 641-646; Rai von Sachverständigen, Umweltgutachten 1987, S. 78-90; sowie Hohmann NuR 1990, S. 57. - Die Diskussionen hierum sind schon älter, vgl. K. W. Kapp, Social Costs of Business Enterprise, 1963 (übersetzt und überarbeitet: Soziale Kosten der Marktwirtschaft, 1988), der als erster auf die sozialen Kosten der Umweltverschmutzung aufmerksam machte; jedoch haben sich diese Ansätze in der volkswirtschaftlichen Diskussion im umfassenden Maße erst heute durchsetzen können. Leipert, S. 35, ist der Auffassung, daß sie sich bis heute noch nicht durchgesetzt haben.

Rehbinder weist in einerrechtsvergleichenden Studie über das Vorsorgeprinzip (Das Vorsorgeprinzip, Ms., S. 12 ff und 286 ff, insbesondere S. 286) auf einige Besonderheiten hin: Unter den sieben untersuchten Ländern liessen sich zwei Gruppen bilden: die USA, die Schweiz, die Niederlande und Schweden als Beispiele für eine weitgehende, aber nicht durchgängige Anerkennung des Vorsorgeprinzips ("Vorsorgestaaten"), Frankreich, Großbritannien und Japan als Beispiele für eine primäre Orientierung an pauschaler Emissionsminderung oder an Qualitätszielen mit nur gewissen Vorsorgeelementen ("Schutzstaaten"). Die Unterschiede seien nur graduell und müßten auch unter dem Gesichtspunkt eines materiell verstandenen Vorsorgebegriffs z.T. stark relativiert werden.

24

I. Eiiüeituiig

2. Die Entwicklung des deutschen Umweltrechts: ein Paradigmenwechsel Storm hat die Entwicklung des Umweltrechts wie folgt beschrieben27: Dem "Teilen und Nehmen der Weide" als Urgesetz dieser Erde habe sich das "Pflegen der Weide" als ein neues terrestrisches Grundgesetz hinzugefügt; der Umweltnahme sei die Umweltpflege gefolgt. In der Literatur hat Winter als einziger den Versuch unternommen, eine Periodisierung der Geschichte des Umweltrechts vorzulegen28. Mit ihm bin ich der Auffassung, daß sich die historische Entwicklung des Umweltrechts grob in drei Hauptphasen einteilen läßt. In der Phase der Kreislaufwirtschaft nutzte der Mensch die Natur, ließ ihr aber - bis auf die oben genannten Teilbereiche29 - stofflich, räumlich und zeitlich die Möglichkeit, sich zu regenerieren; er benutzte nachwachsende Energiequellen (Holz, Wasserkraft und Wind) und produzierte überwiegend organischen Abfall, der auch als Düngemittel verwendet werden konnte. Diese präindustrielle Phase war eine Vor-Phase des Umweltrechts, weil es noch kein spezifisches Umweltrecht gab. Vielmehr sorgten soziale und rechtliche Normen (wie etwa Zunftregeln, Waldordnungen und vereinzelte sanitätspolizeiliche Vorschriften über Abfallbeseitigung oder Brunnenreinhaltung) mittelbar für die Schonung natürlicher Ressourcen30. Mit Beginn der Industrialisierung und der Massenproduktion setzt eine zweite Phase ein, die sich als Verkiinstlichung der Natur oder als Natur-Ausbeutung kennzeichnen läßt Aufgrund einer ökonomischen oder mechanistischen Naturauffassung wird die Natur "verkünstlicht", indem chemische Mittel eingesetzt werden statt der Mittel, die die Natur selbst zur Verfügung stellt, um Schädlinge zu beseitigen oder die Fruchtbarkeit des Bodens zu erhöhen. Die natürlichen Ressourcen werden verschwendet und die Natur wird "objektiviert" (im Sine einer Subjekt-Objekt-Trennung) bzw. zu einem bloßen Wirtschaftsobjekt degradiert, das dem Menschen gegenüber Untertan sein soll31. Die Natur

2 7

Storm in: HdUR Band Π Sp. 743 f. und ders. AgraiR 1974, S. 181 ff.

2 8

Winter DVB1. 1988, S. 659. Vgl. auch die Darstellung der Umweltrechtsgeschichte durch Ebel, in: HdUR Band Π, Sp.773 ff, die aber keine Periodisierung enthält 2 9 3 0

Hinweise in Fußn. 5.

Vgl. Winter, (Fußn. 28); Hofmann JZ 1988, S. 266; Dirlmeier, 191 ff und Ebel % Sp. 778.

Technikgeschichte 1981, S.

3 1 Vgl. Winter, S. 659 f und Hefmann, S. 267 ff (mit umfassenden Nachw.); zur dahinterstehenden Philosophie vgl. Coleman und Glacken t beide in Sieferle, Fortschritte der Naturzerstörung, S. 158 ff und 191 ff.

2. Entwicklung des deutschen Umweltrechts

25

wird mit anderen Worten als riesige "naturgegebene" Deponie für persistente bzw. schwer abbaubare Schadstoffe und als quasi unausschöpflicher Rohstofflieferant betrachtet. Wasser und Luft werden zu "Abwasser" und "Abluft", und es entstehen - nicht zuletzt dank der Verkünstlichung - Abfallprobleme. Entsprechend der Liberalisierung der Ökonomie (im Sinne eines ManchesterLiberalismus) wurde eine rechtliche Infrastruktur zugunsten einer freien wirtschaftlichen Entfaltung geschaffen. Dies dokumentiert sich etwa in den Worten des Industriellen Friedrich Hartkort aus dem Jahre 1825 vom "Triumpfwagen des Geweibefleißes mit rauchenden Kolossen"32 oder in einem amtlichen Bericht des Jahres 1828, nach dem "eine zu große polizeiliche Beschränkung den Gewerbefleiß sehr leicht zu sehr lähmen kann"33. Um dem industriellen Nachholbedarf Preußens gegenüber England abzuhelfen, waren nach einer Regierungsinstruktion von 1808 "Gesetzgebung und Verwaltung nur dazu berufen, alle Hindernisse der möglichst freien Entwicklung der Anlagen, Fähigkeiten und Kräfte der Staatsbürger aus dem Wege zu räumen"34. Es existierten einzelne Ordnungen gewerbepolizeilichen Inhalts im Rahmen der Polizeigesetzgebung, die die Luftverschmutzungen etwas abmilderten; aus dem Wasserrecht sind die Papiermühlenordnungen und aus dem Immissionsrecht die preußische Dampfmaschinen-Gesetzgebung (1831/38) und die preußische Gewerbeordnung von 1845 zu nennen35. Es handelt sich um dem Grundsatz der Gewerbefreiheit untergeordnete polizeirechtliche Regelungen mit punktuellen Verboten oder der Ermächtigung zu einzelnen Kontrollen oder zur Gefahrenabwehr. Die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes vom 21.6.1869 ist ebenfalls eine (gegenüber dem allgemeinen Polizeirecht) spezialgesetzliche Gesamtregelung der Wirtschaft nach dem Grundsatz der Gewerbefreiheit, der Beschränkungen der gewerblichen Tätigkeit nur zuläßt, wenn und soweit die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung es erfordert 36. Die Gewerbefreiheit, die sich gegen den Zunftzwang durchgesetzt hatte, wurde umrahmt von einem Recht der Ressourcenfreisetzung und des freien Bodenverkehrs sowie von einer staatlichen Wirtschaftsförderung 37. Diese Tendenz läßt sich auch Verfassungstexten entnehmen: Insbesondere die Weimarer Reichsverfassung

3 2

Zitiert nach Prümm, UmweltschutzR, S. 19.

3 3

Zitiert nach Feldhaus WiVerw 1986, S. 68.

3 4

Zitiert nach R. Wolf, Der Stand der Technik, S. 42; vgl. auch G. Frank DVB1. 1989, S. 694.

3 5

Vgl. R. Wolf S. 42 ff; G. Frank DVB1. 1989, S. 694; Bayerl, Technikgeschichte 1981, S. 206 ff; Mieck, Technikgeschichte 1981, S. 239 ff; Ebel, Sp 776 ff. Mieck zeigt dabei auf, daß die französische Immissionsgesetzgebung insgesamt etwas umfassender und ökologisch effektiver war als die preußische. 3 6 So Badura in: v.Münch BesVerwR, S. 349; vgl. auch Heigl, BayVBl. 1974, S. 244 ff und Meyer-Abich ZRP 1989, S. 388. 3 7

Vgl. Winter (Fußn. 28), S. 659f.

26

Einleitung

machte die "Ausnutzung des Bodens" zur Pflicht 38. Dies ist die erste Phase des Umweltrechts39, bei der es aber primär um die effiziente Allokation von natürlichen Ressourcen und weniger um den UmweltscAitfz geht. Denn Beweggrund und Zweck der Regelungen zur Gewässernutzung oder zum Abbau von Bodenschätzen etc. sind praktisch allein die Förderung der effektivsten wirtschaftlichen Nutzung40. Allein gesundheitliche Störungen galt es zu vermeiden, wobei dieser Maßstab der breiten Toleranzgrenzen durch eine Rücksichtnahme auf die Industrie weiter relativiert wurde. So setzte die Preußische Technische Anleitung betr. gewerbliche Anlagen von 1875 als Maßstab41: "Es ist zu erwägen, ob jene Nachteile, Gefahren oder Belästigungen dasjenige Maß überschreiten, dessen Duldung sowohl den Nachbarn als dem Publikum im Interesse der für die allgemeine Wohlfahrt unentbehrlichen Industrie angesonnen werden kann."

Auch die Gefahrenabwehr mittels Polizeirecht konnte den Gefahren der Umweltverschmutzung kaum wehren, da sie nur auf äußerste Gefahren beschränkt blieb. Gegen Ende dieser Phase wurden erstmals halbherzige Regelungen der Anlagengenehmigung zur Emissionsbegrenzung festgeschrieben; dies aber geschah allein in der Gewerbeordnung42, was noch einmal zeigt, daß es sich um einen bloßen Nebenaspekt der Gewerbefreiheit handelte. In dieser 3 8 Art 155 Abs. 3 Satz 1 WRV; eine ähnliche Verpflichtung zur "Ausnutzung des Bodens" könnte man möglicherweise dem § 32 der Paulskirchenverfassung entnehmen. Die These von Prümm (Fußn. 32), S. 20, der unter Hinweis auf diese zwei Vorschriften schlußfolgert, die zwei Verfassungen seien in ihrer Grundtendenz eher "industrie- und gewerbegläubig" gewesen, ist nicht ohne weiteres zu belegen. 3 9 Die erste des Umweltrechts deswegen, weil die vorige mangels eines spezifischen Umweltrechts eine Vor-Phase war. 4 0 So wurde die Gewässemutzung aufgrund privatrechtlicher Titel zugunsten der wirtschaftlichsten Nutzung beschränkt, vgl. z.B. A. lieber ding, Wasserrrecht und Wasserpolizei, 1889, S. 21, in dem Bericht über das preußische Gesetz über die Benutzung der Privatflüsse von 1843. "Beweggrund, Rechtfertigung und Zweck des Gesetzes waren, die bisher für den Nationalreichthum ungenutzten Wasserschätze zu heben und zu entfesseln. Zu dem Behufe suchte es die Gewässer vor mißbräuchlicher und unwirtschaftlicher Benutzung zu schützen ..." Im Bergrecht wurde das Vorrecht des Staates auf Ausbeutung der Bodenschätze ("Bergregal") abgeschafft zugunsten der Konzession für investierende Unternehmer, vgl. R. Willeke, in: Westhoff/Schlüther, Die deutsche Berggesetzgebung von den Anfangen bis zur Gegenwart, S. 101 f. Vgl. hierzu Winter (Fußn. 28), S. 660. 4 1 4 2

ZiL nach Kutscheidt N V w Z 1989, S. 195.

Vgl. Breuer in: v. Münch, BesVerwR, S. 662 sowie Feldhaus (Fußn. 33), S. 69 f, letzterer mit einem Überblick über die Regelungen der preuß. GewO vom 17.1.1845, der GewO für den Norddt. Bund von 1869, der ReichsGewO von 1900 und der Novelle vom 22.12.1959. Von 1845 bis 1959 waren nachträgliche Auflagen aus Gründen des Umweltschutzes (im Gegensatz zu Arbeitsschutzanordnungen) kaum möglich (Ausnahmen bei "erheblicher polizeilicher Gefahr", bei Auflagenvorbehalt oder bei "schwerwiegenden Beeinträchtigungen des Gemeinwohls", letzteres erlaubte eine Betriebsschließung gegen Entschädigung). Ab 1959 waren nachträgliche Anordnungen aus polizeilichen Gründen zum Schutz vor Gefahren, Nachteilen und Belästigungen möglich, wenn sie nach dem jeweiligen Stand der Technik erfüllbar und für Anlagen dieser Art vertretbar waren.

2. Entwicklung des deutschen Umweltrechts

27

Phase war das Umweltrecht also primär auf möglichst hohe Ausnutzung und Verteilung der natürlichen Ressourcen angelegt ("Ökonomischer Ansatz"). Die dritte Hauptphase dieser Entwicklung - die zweite Phase des Umweltiechts - besteht genau genommen aus zwei Teil-Phasen43. Die erste Teilphase läßt sich als Übergangsphase bezeichnen; sie beginnt in den 1970iger Jahren mit dem Erlaß von Umwelt-Spezialgesetzen für die Umweltmedien Wasser (Boden) und Luft Dabei beschränkte sich die Gesetzgebung zum Boden allein auf die Regelung der Abfallbeseitigung; die Regelungen zum Wasser waren weitgehend Verschärfungen des bereits 1957 erlassenen Wasserhaushaltsgesetzes (WHG). Vorher hatte die Bundesregierung die Notwendigkeit einer Umweltpolitik im Umweltprogramm von 1971 beschrieben44; danach sind Maßnahmen der Umweltpolitik notwendig, um dem Menschen eine Umwelt zu sichern, wie er sie für seine Gesundheit und für ein menschenwürdiges Dasein braucht, um Boden, Luft und Wasser, Pflanzenwelt und Tierwelt vor nachteiligen Wirkungen menschlicher Eingriffe zu schützen und um Schäden oder Nachteile aus menschlichen Eingriffen zu beseitigen.

In der ersten Teilphase entstanden bedeutsame Regelungen für die einzelnen Umweltmedien. Bald wurde erkannt, daß dieser erste Ansatz zu medial ausgerichtet war und daher zuwenig den ökologischen Gesamtzusammenhang beachtete. Die zweite Teilphase (ab 1986, z.T. schon ab 1980) ist geprägt von einem eher medienübergreifenden Ansatz mit stäikerer Betonung des Vorsorgegrundsatzes45. Diese zweite Teilphase läßt sich etwas plakativ46 als Phase des Öko-Managements bzw. der planvollen Bewirtschaftung/Pflege der Na zeichnen. Kennzeichnend hierfür sind Vermeidungs-, Verringerungs- und Verwertungspflichten, sowie Vorbeugungs-, Bewirtschaftungs- und Planungspflichten. Der Grundsatz der Nachhaltigkeit ist im Naturschutz- und Waldrecht ausdrücklich verankert47. Nach § 1 BWaldG ist der Wald wegen seiner Nutz-, 4 3

Winter unterscheidet diese Teilphasen nicht; Ansätze zu einer solchen Differenzierung finden sich bei Storm in: HdUR Band Π, Sp. 752-755. 4 4

BT-Drs. 6/2710, S. 6.

4 5

Vgl. Storm, Sp. 755 und ders. ZRP 1985, S. 19 ff. Vgl. auch die Leitlinien der Bundesregierung zur Umweltvorsorge durch Vermeidung und stufenweise Verminderung von Schadstoffen, in: Umweltbrief Nr. 33 vom 17.12.1986, hrsg. vom BMU, S. 5. 4 6 Allerdings gehen die Planung und Bewirtschaftung häufig nicht weit genug; vgl. etwa Winter (Fußn. 28), S. 661 ff. 4 7

Vgl. Winkler in: HdUR Band Π, Sp. 15-16.

I. Einleitung

28

Schutz- und Erholungsfunktion zu erhalten, erforderlichenfalls zu mehren und seine ordnungsgemäße Bewirtschaftung nachhaltig zu sichern. Das BNatSchG verlangt die nachhaltige Sicherung der Natur als Lebensgrundlage der Menschen und eine Steuerung des Verbrauchs der sich erneuernden Naturgüter, so daß sie nachhaltig zur Verfügung stehen (§§ 11 und 21 Nr. 3). Pflichten zur ordnungsgemäßen Bewirtschaftung, zum ressourcenökonomischen (sparsamen) Umgang und zur vorbeugenden Reduktion von Belastungen finden sich primär im Naturschutz-, Wasser- und Abfallrecht 48. Nach dem BNatSchG sind die nicht erneuerbaren Naturgüter sparsam zu nutzen und der Boden zu erhalten; unvermeidbare Beeinträchtigungen sind umfassend abzugleichen ( § 2 1 Nr. 3 und Nr. 4, § 8 II). Das WHG verlangt eine schonende Bewirtschaftung der Gewässer entsprechend dem Wohl der Allgemeinheit (§ 1 a I) sowie ein Verhüten nachteiliger Veränderungen seiner Eigenschaften und eine mit Rücksicht auf den Wasserhaushalt gebotene sparsame Verwendung des Wassers (§ 1 a II). Diese Bewirtschaftung der Gewässer bedeutet: fast jeder Zugriff und fast jede Einwirkung auf das Gewässer sind - unabhängig von Eigentumsverhältnissen - verboten, solange keine Erlaubnis oder Bewilligung vorliegt (§§ 2 und 3 WHG); es gibt eine Pflicht zur Reduktion von Schadstofffrachten (§ 7 a WHG) und eine Pflicht zum Unterlassen vermeidbarer bzw. zur Verhütung drohender Beeinträchtigungen (§ 1 a WHG). Das AbfG vom 27.8.1986 ist von einem Abfallbeseitigungs- zu einem Abfallwirtschaftskonzept übergegangen49. Es benennt als Hauptpflicht, Abfälle und Reststoffe primär zu vermeiden oder zu verringern (§ 1 a I AbfG und § 5 I Nr. 3 BIMSchG) und - sekundär - zu verwerten (§ 1 a II AbfG); dabei hat die Abfallverwertung Vorrang vor der Beseitigung (§ 3 Π AbfG). Aus §§ 1 II, 1 a AbfG und aus Landesabfallgesetzen ergibt sich die Notwendigkeit einer Abfallbewirtschaftungsplanung. Vorbeugende Reduktionspflichten ergeben sich auch aus § 5 I Nr. 2 BIMSchG, aus § 7 II Nr. 3 AtomG, aus dem Strahlenschutzvorsorgegesetz und aus § 1 ChemG.

4 8 Vgl. Rehbinder in Simonis, Präventive Umweltpolitik S. 130 f; zur Bewirtschaftungspflicht im Wasserrecht - sie war durch den Naßauskiesungbeschluß des BVerfG (E 58,300, 342 f und 347) notwendig geworden - vgl. Salzwedel in: v. Münch BesVerwR, S. 744 ff. Die hier genannten Pflichten ergeben sich fast nur aus den Gesetzesnovellen von 1986. 4 9

Vgl. Bothe, N V w Z 1987, S. 938; Tettinger GewArch 1988, S.41; v. Lersner in: Ruchay Hrsg, Abfall und Abfallentsorgung, S. 5 und Hösel/v. Lersner, AWG, § 1 Rdnr. 3 (Stand: 1987) und § 1 a Rdnr. 1 ff (1987); zur parallelen Entwicklung in den USA - Übergang zur Verringerungs- und Vermeidungspflicht - vgl. etwa J. D. Underwood, EurUm 3/1983, S. 2. Thomat/Wiibbeking, ZfU 1988, S. 157, zeigen die Notwendigkeit der umfassenden AWallWirtschaftsplanung für die entsorgungspflichtigen Körperschaften auf.

2. Entwicklung des deutschen Umweltrechts

29

Das Prinzip vorrangiger Korrektur von Beeinträchtigungen an der Quelle (Ursprungsprinzip) wird durch Verringerung, Vermeidung, Verwertung und Produktsubstitution/Produktgestaltung sowie Einsatz entsprechender Produktionsverfahren samt entsprechender Technologie realisiert. Die geographische Komponente dieses Prinzips ist vor allem im AbfG (§2 1 und § 13) festgeschrieben worden. Planungspflichten sind primär im WHG normiert worden: Wasserwirtschaftliche Rahmenpläne (§ 36) und Bewirtschaftungspläne (§ 36 b) konkretisieren als Gewässerstandards, was eine "Gefährdung der öffentlichen Wasserversorgung" (im Sinne des § 6) darstellt; Abwasserbeseitigungspläne (§ 18 a) sollen möglichst viele Direkteinleiter an die kommunalen Entwässerungssysteme anschließen. Planungspflichten finden sich weiter im BNatSchG (§ 7), im AbfG (§§ 6 und 7) und im BIMSchG (§§ 44 ff). Das Einführen der Umweltverträglichkeitsprüfung 50 erfordert umfassende Planungen und Bewertungen zur Ermittlung der besten Umweltoption. Materielles Leitbild dieser modernen Umweltpolitik ist das Vorsorge- (oder Präventiv) prinzip 51 geworden. Es zielt darauf ab, durch vorausschauendes Handeln bereits dem Entstehen möglicher Umweltbelastungen vorzubeugen und durch schonenden Umgang mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen die ökologischen Grundlagen langfristig zu sichern52. Nach diesem Grundsatz müssen potentiell gefährliche Emissionen/Verschmutzungen auch dann verhin5 0 UVP-Gesetz vom 12.2.1990, BGBl. I, 205 ; zu Unterschieden gegenüber der EG-Richtlinie vom 27.6.1985 (AB1.L 175/40 vom 5.7.1985) vgl. Winter NuR 1989, S. 197 ff. 5 1 Die beiden Begriffe werden im folgenden synonym verwendet Dabei soll nicht verkannt werden, daß in der deutschen umweltrechtlichen Literatur mit Prävention eher die Gefahrenverhütung gemeint ist, über die die Vorsorge hinausgeht. Aber Rehbinder (Das Vorsorgeprinzip, Buch, S. 249) stellt fest: "Die die deutsche umweltrechtliche - freilich nicht in gleichem Maße: um weltpolitische - Diskussion beherrschende Frage nach der Definition des Vorsorgeprinzips in Abgrenzung zum Schutzprinzip (Gefahrenabwehr) findet keine Parallele in irgendeinem der untersuchten ausländischen Rechte. Im allgemeinen wird eine ausdrückliche Unterscheidung zwischen (vorbeugendem) Gefahrenschutz und Vorsorge überhaupt nicht getroffen... Es liegt nahe, daß der markante Unterschied zwischen den deutschen und ausländischen Rechten nicht in der Sache, d.h. in der Eigenart des Vorsorgeprinzips und der mit dem Vorsorgeanlaß ausgelösten staatlichen Pflichten begründet ist, sondern mit Besonderheiten des deutschen Rechtssystems zusammenhängt." Folglich konnte diese Unterschiedung des deutschen Rechts nicht auf das Umweltvölkerrecht übertragen werden. Ein zweiter Grund, warum hier (und sogar im Titel der Arbeit) immer wieder das Wort "präventiv" anstelle des "vorsorgend" verwendet wird, besteht darin, daß sich im Deutschen das Adjektiv "vorsorgend" nicht durchgesetzt hat Im Englischen müßte das "präventiv" mit "precautionary" (anstatt mit "preventive") übersetzt werden. 5 2 So R. Schmidt/H. Müller, Einf. UmwR, S. 3 in Anlehnung an Rehbinder in: Salzwedel, Grundzüge UmwR, S. 87; vgl. auch Breuer in: v. Münch, BesVerwR, S. 610. Während Rehbinder, S. 89., den Grundsatz nachhaltiger Nutzung als einen zusätzlichen, mit dem Vorsorgeprinzip verwandten Grundsatz ansieht, wird er heute zutreffend von Rehbinder, Das Vorsorgeprinzip, Ms, S. 3 f, als integraler Aspekt des Vorsorgegrundsatzes betrachtet

30

I. Einleitung

dert werden, wenn sie keinen nachweislichen Schaden anrichten53. Die Schonung natürlicher Ressourcen erfordert, daß Vorbeugepflichten nicht nur bei einer konkreten Gefahr, sondern bereits bei einem "BesorgmspotentiaT einsetzen54. Wenn auch die genauen Konturen und Grenzen dieses Prinzips unklar bleiben55, so gehören doch unstreitig folgende Pflichten hierher56:

5 3 Vgl. die grundlegende Entscheidung des BVerwG DVB1 1984, S. 476 (Heidelberger Fernheizwerk) sowie dazu Feldhaus in: Schwind/Steinhilper, Umweltschutz und Umweltkriminalität, S. 75 f und Rengeling in: Recht und Wirtschaft, S. 80 ff. 5 4 Die noch herrschende Lehre (vgl. etwa Ossenbühl N V w Z 1986, 161) sowie anfangs das BVerwG (etwa BVerwGE 69, 37, 42 ff) wollten den Vorsorgeanlaß auf einen "konkreten" (insbes. durch wissenschaftliche Erkenntnisse begründeten) "Gefahrenverdacht" (und die Maßnahmen auf solche, die zu diesem vermuteten Risiko proportional sind,) beschränken, vgl. zu dieser Kontroverse P. Marburger, Ausbau des Individualschutzes, S. 58 f. Mit Breuer (in v. Münch, BesVerwR, S. 668 f) und Rehbinder (Der Vorsorgegrundsatz, Ms, S. 5) bin ich der Auffassung, daß auch im Bereich des sog. "Restrisikos" Vorsorgepflichten gelten; in diese Richtung hat jetzt das BVerwG (E 72, 300, 315) für das Atomrecht tendiert Die Schonung natürlicher Ressourcen läßt sich effektiv nur erreichen, wenn Vorbeugepflichten nicht nur bei konkreter Gefahr, sondern bereits bei "Besorgnispotential" entstehen. 5 5 V. Lersner, HdUR Π Sp. 1087 f, begnügt sich weitgehend mit dem Eingreifen unterhalb der Schwelle des Gefahrenverdachts (begründet mit Freiraumtheorie und Wissensdefizit). Rehbinder, in Simonis, Präventive Umweltpolitik, S. 132 f (sowie in: Das Vorsorgeprinzip, Ms, S. 3 f)* macht mit Recht darauf aufmerksam, daß das Vorsorgeprinzip in einer Skala tendenziell zunehmenden materiellen "Vorsorge-Gehalts" folgendes bedeuten kann: (1) Verhütung unmittelbar bevorstehender Schäden bei fehlender Zurechenbarkeit zu bestimmten Stoffen oder Verursachern (" Auffangtatbestand"); (2) Immissionsminderung zur Freihaltung von ökologischen Ausgleichsräumen/Reserven für künftige Belastungen ("Planungsfunktion"); (3) Reduzierung des Risikos (von Stoffeinträgen oder Unfällen bei gewissen, aber sehr unwahrscheinlichen Schäden); (4) Reduzierung des möglichen Risikos bei bloßem (konkreten) Risikoverdacht (mögliche, aber ungewisse Schäden); (5) Minimierung der Umweltbelastungen auch ohne konkreten Gefahren- oder Risikoverdacht; (6) bestmögliche Umweltoption: neben Emissions-Reduzierung auch Nutzung des besten Mediums für die Umwelt-Inanspruchnahme, sog BPEO - "best practical environment option"-Prinzip; (7) Verschlechterungsverbot; (8) Verbot der Umweltbeeinflussungen (Emissionen/Inverkehrbringen von Stoffen) bei fehlendem Nachweis der Unschädlichkeit; (9) Gebot der Nullemission; hinzu kommen aus dem Bereich der Planung/Nutzung natürlicher Ressourcen: (10) Gebot der Konfliktvermeidung und (11) Gebot nachhaltiger Nutzung. 5 6

Vgl. R. Schmidt/H. Müller, Einf. UmwR, S. 3 f; Hoppe VVDStRL 38 (1980), S. 228 ff; Breuer in: v. Münch, BesVerwR, S. 611 f (er behandelt allerdings das Prinzip der "status quo-Erhaltung", d.h. das Bestandsschutzsprinzip als eigenständiges Prinzip des Umweltrechts). Nach Rehbinder, in: Simonis, Präventive Umweltpolitik, S. 130 ist das Vorsorgeprinzip sowohl ein direkt anwendbaresrechtssatzförmiges Prinzip, das in einer Reihe von Normen verankert ist, als auch ein Leitgedanke allgemeiner Art (Strakturprinzip).

2. Entwicklung des deutschen Umweltrechts

31

Pflichten zur Minimierung denkbarer Schadensursachen durch Beachtung der nach dem Stand der Technik bzw. nach dem Stand von Wissenschaft und Technik möglichen Maßnahmen (§§ 5 I Nr. 2 BIMSchG, 7 a WHG, 7 II Nr. 3 AtomG); dabei reicht die bloße (u.U. entfernte) Möglichkeit eines Schadens-Eintritts (anstelle seines Nachweises) aus, um diese behördlichen Maßnahmen auszulösen; Pflichten zur Vermeidung von Abfall und Schadstofffrachten (§ 1 a I AbfG, § 7 a WHG), die bereits im Produktionsverfahren einsetzen müssen57, sowie Pflichten zur Verwertung von Abfall und Reststoffen (§ 1 a II AbfG, § 51 Nr. 3 BIMSchG); das Verbot, die Qualität des vorhandenen Umweltbestandes zu verschlechtern ("Prinzip der Status quo-Erhaltung"), also: Unterlassen vermeidbarer Beeinträchtigungen und Ausgleichspflicht für unvermeidbare Beeinträchtigungen (§ 8 BNatSchG); ständige und medienübergreifende Mitberücksichtigung der Umweltbelange bei jeder Planungsentscheidung (Notwendigkeit von Raum- und Fachplanungen, insbesondere UVP); die Bewirtschaftung der Natur unter Berücksichtigung des Naturhaushalts, der Schonung der natürlichen Ressourcen und der Nutzungserfordemisse (vgl. § 36 b I WHG; § 1 BWaldG); sparsame Nutzung der natürlichen Ressourcen ( § 2 1 Nr. 3 BNatSchG, § 1 a II WHG) und Unterwerfen der Chemikalien einem Regime möglicher Vermarktungsbeschränkungen (§ 1 ChemG). Dies bedeutet, daß seit 1986 ein Paradigmen-Wechsel im deutschen Umweltrecht eingetreten ist: Aus dem ökonomischen, auf maximale Verteilung gerichteten Ressourcen-Regelungen ist nun ein ökologisches, d.h. ein präventives, auf langfristige, optimale Ressourcen-Pflege gerichtetes Recht geworden: Das \Jnwe\tallokationsrecht wurde zum UmweltrcAuizrecht58. Nicht zuletzt dank der immer intensiveren Planungserfordernisse - insbesondere der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) 59 - und der zunehmenden Verankerung des Vor5 7

Vgl. die zutreffende Auffassung von Salzwedel, in: BT-Anhörung "Schutz der Nordsee", S.

543 f. 5 8 5 9

Winter (Fußn. 28), S. 660.

Siehe Angaben in Fußn. 50; zur Bedeutung der UVP in USA, Kanada, Frankreich, Niederlande, Skandinavien, Schweiz, Japan sowie im EG- und Völkerrecht vgl. BothelGündling, Neuere Tendenzen des UmwR im int. Vergleich, S. 99-195 (mit umf. Nachw.). Zum umweltvölkerrechtlichen Standort der UVP vgl. noch insbesondere Kapitel Π 3 b.

32

I. Einleitung

sorgeprinzips in den Novellen zu den Umweltgesetzen muß man mit Feldhaus sagen: Moderner Umweltschutz ist in zunehmendem Maße "vorausschauende Umweltgestaltung, Umweltplanung und nur noch zu einem geringen Teil Gefahrenabwehr" 60. 3. Die Fragestellung der Arbeit: gleicher Paradigmenwechsel im Umweltvölkerrecht? und: Gang der Darstellung Fraglich ist, ob es auch im Umv/cltvölkerrecht einen gleichen Paradigmenwechsel gibt wie im nationalen deutschen Umweltrecht. Anhaltspunkte für einen solchen Übergang von ökonomischer Verteilung (Allokationsrecht) auf langfristige, ökologische Ressourcen-Pflege (Umweltschutzrecht) bietet der Vergleich der Helsinki-Rules der ILA (1966)61, die auf "equitable share " der Gewässer, d.h. primär auf maximale Verteilung der Ressourcen gerichtet sind, mit einzelnen Bestimmungen der UN-Seerechtsrechtskonvention (1982)62. Dort heißt es u.a.: "All Sûtes have the duty to take, or to cooperate with other States in taking such measures for their respective nationals as may be necessary for the conservation of the living resources of the high seas" (An. 117 SRK). "States have the obligation to protect and preserve the marine environment" (Art 192 SRK) ,r When States have reasonable grounds for believing that planned activities under their jurisdiction or control may cause substantial pollution or harmful changes to the marine environment, they shall , as far as practicable, assess the potential effects of such activities the marine environment and shall communicate reports of the results of such assessments ..." (Art. 206 S R K ) . 6 3

on

Ich möchte mit dieser Arbeit zeigen, daß präventive und ressourcenschonende Handlungspflichten, wie sie mit diesen drei Artikeln der Seerechtskonvention angedeutet werden, im Gewohnheitsrecht und in den Abkommen zum Schutz der Meere, Flüsse und Seen sowie zum Schutz der Luft/Atmosphäre, des Bodens und des sonstigen Naturschutzes enthalten sind. Dargestellt wird damit zugleich, welche Rechtspflichten und -prinzipien das präventive Umweltvölkerrecht charakterisieren und welche davon bereits gegenwärtig im Umweltvölkerrecht etabliert bzw. noch in der Entwicklung begriffen sind. Dabei sollen zugleich die Konzepte der "shared natural resources ", des "common 6 0

Feldhaus (Fußn. 53), S. 73. Nachweise in Kapitel E l b .

6 2 Nachweise in Kapitel Π Ι 1. Bereits 1979 sah Jan Schneider, World Public Order of the Environment, S. 107 ff, einen Trend zu einem internationalen ökologierecht. 6 3

Hervorhebungen von mir hinzugefügt

3. Fragestellung der Albeit

33

heritage of mankind 1 und des "transfrontier environmental management " einzelne Elemente des Umweltmanagements (wie etwa die Umweltverträglichkeitsprüfung) präzisiert und ihre Bedeutung aufgezeigt werden. Diese Prinzipien und Pflichten sollen auch dazu beitragen, die in letzter Zeit häufiger anzutreffenden Rahmenverpflichtungen - etwa in der Wiener Konvention zum Schutz der Ozonschicht oder in der Genfer Konvention über weiträumige grenzüberschreitende Luftverschmutzungen - zu präzisieren. Im Kapitel II werden die Erklärungen von UNO/UNEP, die Resolutionen/ Entwürfe der drei "Kodifikationsgremien" ILA, ILC und I D I 6 4 und die Erklärungen der nach UNEP für Europa wichtigsten "internationalen Umweltorganisationen"65 (der Regionalorganisationen Europarat, Economic Commssion for Europe und OECD) zum Umweltvölkerrecht dargestellt; der Beitrag der EG muß hingegen aus Platzgründen weitgehend ausgespart werden66. Hiermit zu beginnen bietet sich deswegen an, weil viele der Resolutionen dieser Umweltorganisationen/Gremien die Umweltabkommen vorgeprägt haben67. Angesichts des Umstandes, daß Erklärungen/Resolutionen im Umweltvölkerrecht quantitativ eine bedeutendere Rolle als Umweltabkommen spielen68 und alle Fortentwicklungen des Umweltvölkenechts angesichts der höheren Flexibilität von Erklärungen fast allein durch Erklärungen erfolgten, wird ihnen der größte Teil der Arbeit gewidmet Ihr Stellenwert für die Beeinflussung der Regeln des Gewohnheitsrechts und der Abkommen wird aufgezeigt (Kapitel II 3 a). Im Kapitel III folgt eine Analyse der Abkommen zum Schutz aller Umweltmedien 6 4 Zur Arbeit der International Law Association, der International Law Commission und des Institut de Droit International siehe vor allem Kapitel Π 2 c).

Dieser Terminus, der ein Oberbegriff für internationale und regionale Umwelt-Organisationen ist, stammt von M. Kilian, Umweltschutz durch IO, S. 62 ff. Kilian spricht dabei von über 50 internationalen UmWeltorganisationen; vgl. demgegenüber die Aufzählung von Bothe in: HdUR I, Sp. 807-821, der die UNO (samt UNEP und ECE), 9 UN-Sonderorganisationen, 6 allgemeine politische Regionalorganisationen, OECD, RGW, NATO, EG und regionalbezogene Umweltkommissionen aufführt Für die Zwecke der Arbeit reicht es, sich auf die primäre internationale Umweltorganisation (UNO/UNEP) und auf die drei (neben der EG) hauptsächlich mit Fragen des europäischen Umweltrechts befaßten Regionalorganisationen ECE, Europarat und OECD zu konzentrieren. Hinzukommen müssen die drei globalen "Kodifikationsgremien" ILC, ILA und IDI, die zwar nicht - entgegen M. Kilian, S. 130 - als "internationale Um Weltorganisationen" beschrieben werden können , deren Resolutionen/Entwürfe aber das Umweltvölkerrecht maßgeblich beeinflussen. 6 6 Beim EG-Recht handelt es sich darüberhinaus um eine eigenständige Rechtsmaterie, die nicht ohne weiteres als Völkerrecht bezeichnet werden kann.- Es erfolgen immer wieder nur knappe Hinweise auf parallele Entwicklungen im EG-Recht. 6 7 Hinzu kommt, daß Resolutionen häufig umfassender angelegt sind, während die Abkommen häufig auf ein einziges Umweltproblem hin konzipiert sind. 6 8

Vgl. Riedel, Vortrag vom 16.1.1990, i.E.

3 Hohmann

34

I. Einleitung

(Gewässer, Luft/Ozonschicht, Boden und sonstiger Naturschutz) allein im Hinblick auf die Fragestellung, ob das moderne Umweltvölkeirecht präventiv konzipiert ist. Kapitel IV enthält das Resümee über den jetzigen Stand des Umweltvölkerrechts und die Analyse bezüglich seines Vorsorgegehaltes.

Kapüelll

Der Beitrag internationaler Organisationen und Gremien zur Entwicklung des Umweltvölkerrechts (außerhalb von Abkommen) Im Kapitel II geht es um die Entwicklung des Umweltvölkerrechts außerhalb von Abkommen; dabei sind zunächst das traditionelle Umweltvölkerrecht (Kapitel II 1) und anschließend das sich langsam nach der Stockholmer Umweltkonferenz von 1972 entwickelnde moderne Umweltvölkerrecht (Kapitel II 2) darzustellen. 1. Das traditionelle Umweltvölkerrecht (Entwicklungen bis 1972) a) Erste Ansätze durch die Rechtsprechung Die im 19. Jahrhundert übliche Betonung des Prinzips der absoluten territorialen Souveränität1 fand ihren Ausdruck u.a. in der Harmon-Doktrin (1895), die den jeweiligen Staaten die uneingeschränkte Souveränität über die in ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Gewässer ohne Rücksicht auf die Unterliegerstaaten oder sonstige nachbarliche Interessen zubilligte2. Diese nur Oberlieger-Staaten

1 Danach hat jeder Staat grundsätzlich - mit Ausnahme der anerkannten Unterlassungspflichten (vgl. Verdross/ Simma, Univ VöR, § 1025) - das absolute Recht, das eigene Territorium und den darüber befindlichen Luftraum nach freiem Belieben für seine Zwecke zu nutzen, selbst wenn diese Nutzung Umweltschäden jenseits der Staatsgrenzen verursachen sollte, vgl. Wolfrum, DVB1 1984, 494. 2 Vgl. dazu Eberhard Klein, Umweltschutz im völkerrechtlichen Nachbarrecht, S. 98 und S. 161, J. Dräger, Die Wasserentnahme aus internationalen Binnengewässern, S. 49-54, Berber, Die Rechtsquellen des internationalen Wassemutzungsrechts, S. 16 und Randelzhof erISimma Festschr. Berber, S. 396 f. Eb. Klein und J. Dräger zeigen, daß diese praktisch allein von den USA vertretene Doktrin die Verhandlungen zwischen USA und Mexiko von 1906 zur Beilegung des Konflikts über Wassernutzung des Rio Grande dominierte und z.T. auch noch die amerikanischkanadischen Grenzgewässer-Verhandlungen von 1909 bestimmte. Erst im Jahr 1955 findet sich ein sichtbarer Beweis dafür, daß die USA von dieser Doktrin abgerückt sind (vgl. Eb. Klein, S. 98). Z.T. hat die Harmon-Doktrin vorübergehend auch in Indien Anklang gefunden, vgl. Eb. Klein, S. 162 und J. Dräger, S. 78 ff. Siehe dazu auch den Disput zwischen dem Inder S. N. Sikri und dem Pakistaner M. Quadir während der 47. ILA-Konferenz in Dubrovnik, Report of the 47th Conference (1957), S. 216 f und S. 231 f und den Kommentar hierzu von A. Knaulh, ebda., S. 240 f.

Π.1 Traditionelles Völkerrecht

36

begünstigende Doktrin wurde von Unterliegerstaaten nicht akzeptiert3, so daß es sich eher um eine politische als eine rechtliche Doktrin handelt4. Solche Theorien der "absoluten Freiheit der Nutzung internationaler Gewässer" wurden sehr bald abgeändert in eine Theorie der beschränkten territorialen Souveränität. Ursache hierfür war, daß die Unterliegerstaaten sich wehrten gegen Ansätze einer absoluten Souveränität, so daß Kontroversen durch Abkommen einer angemessenen Wassernutzung gelöst wurden5. Vor allem zwei Schiedsgerichts-Entscheidungen aus den Jahren 1941 und 1957 und eine IGH-Entscheidung des Jahres 1949 trugen dazu bei, daß die Theorie der absoluten Souveränität sehr schnell überwunden wurde und heute nicht mehr vertreten wird6. Im Lac Lö/wia-Schiedsspruch (1957) wurde eine Veränderung von Rußteilen innerhalb des eigenen Territoriums dann für unzulässig gehalten, wenn die Interessen anderer Staaten empfindlich beeinträchtigt weiden7. Nach dem Trail-Smelter-Schiedsspruch (1941) hat kein Staat das 3 Auch von den USA, die diese Doktrin in der Position des Obeiiiegerstaates selber entwickelt hatte, wurde sie-als sie Unterliegerstaat war-nicht anerkannt Vgl. hierzu McCaffrey , Second Report, ILC Yearbook 1986 vol Π Part 1, S. 87 ff, paras. 79 ff (paras. 81, 85 und 87) und Bryde Gedächtnisschrift Martens, S. 779; zweifelnd zur Frage der Verbindlichkeit Bourne CanYIL 1965, S. 204; zu letzterem vgl. McCaffrey in seiner Fufin. 113. Nach Lammers, Pollution of International Watercourses, S. 319, hat Indien spätestens 1977 durch das Ganges-Abkommen die Harmon-Doktrin, die es zeitweilig zu unterstützten schien, aufgegeben; ob Indien vorher tatsächlich die Harmon-Doktrin unterstützt hat, ist nicht ganz geklärt, vgl. McCaffrey , para. 89. 4 So ausdrücklich nur Upper in: Gametson/Hayton/Olmstead, International Drainage Basins, S. 22 f; vgl. auch McCaffrey , para. 91. 5 Vgl. McCaffrey , paras. 88 und 92 ff. 6 7

Vgl. Randelzhof eri Simma (Fußn. 2), S. 397.

Urteil des Arbitrai Tribunal in: RIAA ΧΠ, S. 281 ff (engl.) und RGDIP 1958, S. 79-119 (frz.), auszugsweise (engl.) in: UN Report by the Secretary-General, UN-Doc. A/5409 = YBILC 1974 Π Part 2, S. 33 ff, 194-199 und in: AJIL 53 (1959) S. 156-171. Dort heißt es u.a. (AJIL, S. 160 0 : "In effect, ... none of the guaranteed users will be injured in his enjoyment of the waters... It could have been argued that the works would bring about a definitive pollution of the waters of the Cared or that the returned waters would have a chemical composition or a temperature or some other characteristic which could injure Spanish interests. Spain could then have claimed that her rights had been impaired in violation of the Additional Act Neither the dossier nor the debates of this case carry any trace of such an allegation" (Hervorhebungen hinzugefügt). Von daher ist die Annahme gerechtfertigt, daß das Schiedsgericht die Auffassung der spanischen Klageerwiderung unterstützte, in der es hieß (in: Report by the Secretary-General, S. 196): "A State has the right to use unilaterally the part of a river which traverses it to the extent that this use is likely to cause on the territory of another State a limited harm only, a minimal inconvenience which comes within the bounds of those that derive from good neighbourliness" (Hervorhebung hinzugefügt). Neben der Pflicht, durch Verhandlungen einen Ausgleich zu suchen, wird weiter ausgeführt, daß Spanien nur dann einen Schadensersatzanspruch gehabt hätte, wenn das zurückgeleitete Wasser des Grenzflusses Carol von Frankreich "wesentlich" verschmutzt worden wäre oder eine Temperaturänderung erfahren hätte. Zum Urteil vgl. Gervais, AFDI 1960, S. 372, Eb. Klein, (Fußn. 2), S. 179; / . Dräger (Fußn. 2), S. 101 f; Dintelmann Verunreinigung internat. Binnengewässer, S. 61 ff und Berber Rivers in International Law, S. 162-167.

a) Ansätze der Rechtsprechung

37

Recht, sein Territorium in einer solchen Weise zu gebrauchen, die es erlauben würde, durch Immissionen dem Territorium eines anderen Staates oder dem Eigentum seiner Bewohner ernstliche und klar nachweisbare Schäden zuzufügen8. Im Falle einer solchen erheblichen und offensichtlichen Schädigung des Nachbarstaats sei der betroffene Staat zum Schutz und ansonsten zu Schadensersatz verpflichtet. In ähnlicher Weise stützte der IGH im Corfu ChannelUrteil (1949) die Haftung auf den allgemeinen Rechtsgrundsatz, nämlich die Verpflichtung jedes Staates9, "not to allow knowingly its territoiy to be used for acts contrary to the rights of other Sûtes".

Diese Entscheidungen werden heute einhellig als Ausdruck geltenden Völkerrechts anerkannt10. Demnach darf ein Staat nach Völkerrecht nicht dulden, daß sein Gebiet dazu benutzt wird, um von ihm aus völkerrechtswidrige Akte zu begehen oder ernstliche und klar nachweisbare Schäden gegenüber dem Nachbarstaat zu verursachen11. Und kein Staat darf den natürlichen Wasserlauf eines mehrere Staaten durchfließenden Russes in einer Weise verändern, welche die Interessen der Anliegerstaaten empfindlich beeinträchtigen könnte12;

8 Urteil des Trail Smelter Arbitral Tribunal vom 11.3.1941 in: Rüster!SimmaJBock, Band X V , S. 7768 = RIAA m , S. 1905 (1965). Dort heißt es u. a. (S. 7795): "The Tribunal, therefore, finds that the above decisions, taken as a whole, constitute an adequate basis for its conclusions, namely, that under the principles of international law, as well as of the law of the United States, no State has the right to use or permit the use of its territory in such a manner as to cause injury, by fumes in or to the territory of another or in the properties of persons therein, when the case is of serious consequence and the injury is established by clear and convincing evidence "(Hervorhebung hinzugefügt). Zu diesem Urteil vgl. Eb. Klein (Fußn. 2), S. 107 f und 180; Madders EPIL 2 (1981), S. 276 und Rande Izhcfer/Simma (Fußn. 2), S. 404 f. 9 IGH, Corfu Channel Case Merits , Urteil vom 9.4.1949, ICJ Rep. 1949, S. 4 (22). Das Zitat lautet:"The obligations incumbent upon the Albanian authorities consisted in notifying ... the existence of a minefield in Albanian territorial waters and in warning the approaching British warships of the imminent danger to which the minefield exposed them. Such obligations are based ... on certain general and well-recognized principles, namely: elementary considerations of humanity ... and every State's obligation not to allow knowingly its territory to be used for acts contrary to the rights of other States". Vgl. dazu Eb. Klein (Fußn. 2), S. 108-110. 1 0 Vgl. Randelzhofer/Simma (Fußn. 2), S. 405 f; Bothe, ZaöRV 32 (1972), S. 504 in seiner Fußn. 86. Bezüglich des Corfu-Channel-OnàL· drückte der UN-Generalsekretär dies 1949 folgendermaßen aus: "There has been general recognition of the rule that a State must not permit the use of its territory for purposes injurious to the interest of other States in a manner contrary to international law" (Survey of International Law 34, U N DOC. A/CN 4/1 Rev. 1,1949). Diese Stellungnahme bedeutet letztlich eine Reflektion des Prinzips sic utere tuo ut alienum non laedas - "one must so use his own as not to do injury to another", vgl. hierzu den Kommentar zu Art X der Helsinki-Rules, ILA-Report of the 52nd Conference held at Helsinki, 1967, S. 497. 1 1

Vgl. Verdross/Simma

Univ. VöR, § 1025.

1 2

Vgl. Verdross/Simma,

§ 1028.

Π.1 Traditionelles Völkerrecht

38

anders ausgedrückt: ein solches Verhalten muß er verhindern (Verhinderungspflichten). Dieser beschränkten territorialen Souveränität entspricht auch die beschränkte territoriale Integrität: Anstelle eines aus der Souveränität fließenden Rechts, sämtliche Schäden abzuwehren, gibt es nur das Recht, die ernstlichen (und klar nachweisbaren) Schäden vom eigenen Territorium abzuwehren«. Von der Literatur sind diese Urteile mit unterschiedlichen Akzenten gewürdigt worden. Dies betraf etwa die Frage, ob nur bei "ernstlichen" oder bei allen Schäden Verhinderungspflichten (und daraus resultierende Schadensersatzpflichten) entstehen14. Weiterhin gab es Versuche, Rechtsprinzipien aufzuzeigen, die diese Souveränitätsbeschränkungen beinhalten. So hielt Berber in seiner wegweisenden Untersuchung über die "Rechtsquellen des internationales Wassernutzungsrechts" nur folgende Rechtsprinzipien für anwendbar15: den Grundsatz des Rechtsmißbrauchs (i.S. eines Verbots der Schadenszufügung, wenn diese Schadenszufügung das Motiv für die Rechtsausübung ist16), den Grundsatz von Treu und Glauben (er könne aber beim Wassernutzungsrecht kaum weiterhelfen) und den aus dem innerstaatlichen Recht ableitbaren Grundsatz, daß jeder Anlieger in allen Handlungen, die auf die Wassernutzung der anderen Anlieger von Einfluß sein könnten, die Interessen der anderen Anlieger gebührend berücksichtigen muß. Letzterer Grundsatz sei aber ebenso wie der Grundsatz der guten nachbarschaftlichen Beziehungen - so Berber - nicht im Völkerrecht verankert, da die landesrechtlichen Regelungen zu unterschiedlich seien. Dem sind etwa Jürgen Dräger 17 und Eberhard Klein 1* mit überzeu-

1 3

Vgl. Eb. Klein (Fußn. 2), S. 120. Berber (Fußn. 2) macht mit Recht darauf aufmerksam, daß die Prinzipien der absoluten territorialen Souveränität und der absoluten territorialen Integrität "auf eine individualistische, anarchische Auffassung des Völkerrechts gegründet sind, in der ausschließlich die eigenen egoistischen Interessen zur Richtschnur erhoben werden und keine Lösung für die widersprechenden Interessen von oberen und unteren Anliegern angeboten wird." (S. 15.) 1 4 Vgl. dazu die Darsteüung der kontroversen Standpunkte bei Berber (Fußn. 2), S. 19 ff und Eb. Klein (Fußn. 2), S. 112-124. Der herrschenden Ansicht entsprach die Auffassung, daß nur bei ernstlichen Schäden bzw. empfindlichen Beeinträchtigungen Verhinderung s - bzw. Unterlassungspflichten ausgelöst werden, vgl. Eb. Klein, S. 120 f. 1 5

Berber (Fußn. 2), S. 138 ff.

1 6

Gelegentlich wird der Grundsatz auch bezeichnet sic utere tuo iure ut alienum non laedas, vgl. dazu VerdrossI Simma Univ. VöR, §§ 63, 461 und 1029; und M. Wolfrum L'Utilisation, S. 6467. Der Rechtsmißbrauchs-Grundsatz wird aber wegen der Orientierung an der absichtlichen Schadenszufügung keine große Hilfe bei der Lösung grenzüberschreitender Umweltprobleme bieten. 1 7

Dräger (Fußn. 2), S. 108f.

1 8

Eb. Klein (Fußn. 2), insbes. S. 115-117.

a) Ansätze der Rechtsprechung

39

genden Argumenten entgegengetreten19. Heute kann das (auf den Grundsatz "sic utero tuo ut alienum non laedas" zurückgehende) Prinzip der guten Nachbarschaft als allgemein«· Rechtsgrundsatz i.S. des Art. 38 Abs. 1 lit. c IGHStatut angesehen werden20, wobei allerdings sein präziser Inhalt umstritten ist21. Den ausgefeiltesten Versuch sein« Präzisierung hat Eberhard Klein vorgelegt22, wobei er zwischen materiellen und verfahrensrechtlichen Pflichten unterschieden hat Während die oben genannten drei Entscheidungen vor allem die beschränkte territoriale Souveränität und Integrität bestätigten, betonten eine Entscheidung des StIGH aus dem Jahr 1929 und einige Urteile nationaler Gerichte (18781945) zusätzlich stärker die Idee der Gleichheit bzw. Gemeinschaft der Anrainerstaaten23. Im Schiedsspruch des StIGH von 1929 über die Internationale Oder-Kommission heißt es hierzu24: "But when consideration is given to the manner in which States have regarded the concrete situations arising out of the fact that a single waterway traverses or seperates the territory of more than one state it is at once seen that a solution of the problem has been sought not in

1 9 Heute ist das 1955 von Berber (Fußn. 2), S. 158 f vorgebrachte Bedenken, die Übertragung eines den nationalen Rechten gemeinsamen nachbairechtlichen Grundsatzes auf völkerrechtliche Nachbarschaftsverhältnisse sei nicht möglich, weil die im Völkerrecht zur Debatte stehende Souveränität der Staaten eine Eigenschaft des Souveräns sei, die keinen immanenten Beschränkungen unterworfen sei, unhaltbar Einmal sind Staaten Institutionen der Rechtsordnung und ihre Souveränität ist nicht unabhängig vom Recht (so Dräger, Fußn. 2, S. 109). Zum anderen wird hier faktisch auf der Basis der Theorie von der absoluten Souveränität argumentiert und völlig die Reziprozität sowie die aus der gleichen Betroffenheit der Staaten fließende Verflechtung der Staaten zu einer Nutzer- und Schicksalsgemeinschaft verkannt 2 0

Vgl. Eb. Klein (Fußn. 2), S. 117; A. v. d. Heydle, Festschr. Verdross 1960, S. 133; Conse'd fédéral suisse/Guggenheim, consultation du 12 mai 1952, SchwJIR 10 (1953), 193 (200) ("Le principe des rapports de bon voisinage étant une règle positive du droit international général"). Wegen Nachweisen zu Fällen der Staatenpraxis vgl. Brunnée , Diss. Mainz, S. 71 f. 2 1

Vgl. v. d. Heydt e, S. 133 f.

2 2

Eb. Klein (Fußn. 2), insbes. S. 240-243 und S. 314-317. Allerdings war die Entwicklung zu den Verfahrenspflichten 1975 - dem Stand dieses Buches - möglicherweise bereits weiterentwickelt: eine Pflicht zu Informationen, Konsultationen und Kooperation wurde 1972-74 durch die UNO anerkannt Eine endgültige Anerkennung erfolgte allerdings erst 1982 durch zwei ILA-Resolutionen. Das von Eb. Klein auf S. 314-317 beschriebene Ergebnis zu den Verfahrenspflichten trifft zumindest für heute nicht mehr zu (und war u.U. schon 1975 angreifbar); vgl. dazu unten Kapitel Π 3 b. 2 3 Auch im Lac Lanoux Schiedsspruch (Fußn.7) wurde die Notwendigkeit betont, nicht nur die Fluß-Rechte eines Nachbarstaats zu beachten, sondern: "Account must be taken of all interests, of whatsoever nature, which are liable to be affected by the works undertaken, even if they do not correspond to a right". Daher wurden "good faith"-Veihan(Hungen der Anrainer dann für erforderlich gehalten, wenn die Interessen eines anderen betroffen sein könnten. 2 4 International Commission of the River Oder Case, P.C.I.J. Ser. A No 23 (1929) (Hervorhebungen hinzugefügt).

40

Π.1 Traditionelles Völkerrecht the idea of a right of passage in favour of upstream States, but in that of a community of interest of riparian States. This community of interest in a navigable river becomes the basis of a common legal right, the essential features of which are the perfect equality of all riparian States in the uses of the whole of the course of the river and the exclusion of any preferential privilege of any one riparian State in relation to the others".

In einer Reihe von Wassernutzungskonflikten - zuerst in Kansas v. Colorado (1902/1907) - bestätigte der US-Supreme Court, daß der Streit um die Nutzung von Staatengrenzen durchfließenden Flüssen entschieden werden müsse "upon the basis of equality of rights" 25. Und in New Jersey v. New York (1931) fügte das Gericht hinzu26: "Both States have real and substantial interests in the River and that must be reconciled as best they may be".

Der italienische Kassationsgerichtshof betonte 193827 die Betrachtung der Fluß-Staaten als Teilnehmer einer Art "partnership created by the river" folgerte daraus die internationale Pflicht,

und

"not to impede or destroy, as a result of this regime, the opportunity of the other States to avail themselves of the flow of water for their own national needs".

Auch das schweizerische Bundesgericht stellte 1878 beim Wassernutzungskonflikt Aargau v. Zürich auf die Gleichberechtigung der Kantone ab 28 ; diese verbiete solche Wassernutzungen, "welche den anderen Kantonen die Ausübung der in der Wasserhoheit liegenden Befugnisse verunmöglichen, die Gemeinschaft des Gebrauchs ausschließen und eine Gebietsverietzung enthalten".

2 5 185 U. S. 125 (1902) (on demurrer); 206 U. S. 46 (1907) (merits), Zitat auf S. 100; ziL nach Lipper, in: Garretson/Hayton/Olmstead, International Drainage Basins, S. 32. 2 6 New Jersey v. New York, 283 U. S. 336 (1931), Zitat auf S. 342-343, Mr. Justice Holmes: "Water offers a necessity of life that must be rationed among those who have power over it. New York has the physical power to cut off all the water within its jurisdiction. But clearly the exercise of such a power to the destruction of the interest of lower States could not be tolerated. And on the other hand equally little could New Jersey be permitted to require New York to give up its power altogether in order that the River might come down to it undiminished. Both Sûtes have real and substantial interests in the River that must be reconciled as best they may be"; zit.nach Lipper , S. 32. 2 7 CL of Cassation, Italy, Société Energie Electrique du Littoral Méditerranéen v. Compagnia Imprese Elettriche liguri (1938-40), 9 Arm. Dig. 120, 121. Dort heißt es ^International law recognizes the right on the part of every riparian State to enjoy, as a participant of a kind of partnership created by the river, all the advantages deriving from it for the purpose of securing the welfare and the economic and civil progress of the national"; ziL nach Upper , S. 31. Vgl. zu dieser Entscheidung J. Dräger (Fußn. 2), S. 114; Upper S. 31 und McCaffrey , Second Report (Fußn. 3), para. 167. 2 8 Aargau ν. Zürich, B G E I V (1878), 34, Zitate S. 46-48, vgl. hierzu / . Dräger (Fußn. 2), S. 105 und Upper (Fußn. 25), S. 31.

b) Ansatz der I L A (1956-70)

41

Berechtigt sind nach dies« Entscheidung nur solche Wassernutzungen, die "zu einer rationellen und den Bedürfnissen entsprechenden Nutzbarmachung der öffentlichen Gewässer notwendig sind".

Das deutsche Reichsgericht (S taatsgerichtshof) betonte 1927 in der Donauversickerungs-Entschcidung 29 die Rücksichtnahmepflicht der Staaten aufgrund ihr« Einbindung in die Völkergemeinschaft Hieraus folge die Pflicht, die Interessen der verschiedenen an einem Wasserlauf beteiligten Staaten auf einer gleichberechtigten Basis gegeneinander abzuwägen. Dabei müßte der eigene Nutzen mit dem Schaden des anderen Staates verglichen werden. Im sog. Rao Commission Report, der 1942 zur Schlichtung des Streits zwischen den indischen Provinzen Sind und Punjab veröffentlicht wurde, heißt es in Resümi«ung der US-Rechtsprechung u.a.30: "If there is no ... agreement, the rights of the several Provinces and States must be determined by applying the rule of %equitable apportionment \ each unit getting a fair share of the common river ".

Die dargestellte Rechtsprechung läßt sich wie folgt zusammenfassen: Statt einer absoluten Souveränität, die nur bei einem geographisch isolierten Staat denkbar wäre, gilt die beschränkte territoriale Souveränität und Integrität. Bei der Entscheidung über kollidierende Nutzungswünsche eines mehrere Staaten durchfließenden Gewässers gilt völlige Gleichbehandlung sämtlicher Flußanrainer-Staaten. Nutzungsbeschränkungen erfolgen aufgrund d« Regel des n equitable apportionment der die Nutzung eines größtmöglichen Anteils am gemeinsamen Ruß sicherstellen soll, oder aufgrund der Konstruktion einer Anraincr-Gemeinschaft. Beide Konstruktionen verpflichten zu Rücksichtnahmen und im Falle erheblicher Schäden zu Unterlassung. b) Der Ansatz der International Law Association (ILA) (1956-1970) Nachdem sich diese ersten Rechtsprinzipien durch Gerichtsentscheidungen herausgebildet hatten, haben sich vor allem die beiden Gremien International Law Association (ILA) und Institut de Droit International (IDI) 3 1 darum be-

Entscheidung im Fall Württemberg und Preußen v. Baden (daher wird der Fall auch Württemberg v. Baden bezeichnet), RGZ 116, Anhang 18, Zitate S. 30 f. Vgl. hierzu Berber (Fußn. 2), S. 103 fund S. 126-132, Dräger (Fußn. 2), S. 105 fund Lipper S. 19 und S. 31. 3 0 Report of the Indus (Rao) Commission, 1942, S. 10-11, zitiert nach: Lipper S. 31 f (Hervorhebungen hinzugefügt); vgl. dazu auch Dräger (Fußn. 2), S. 106 f und McCaffrey para. 168. 3 1 Zur Bedeutung dieser "Kodifikationsgremien" und des Begriffs "kodifizieren" siehe unten den Anfang von Kapitel Π 2 c); der Begriff "Kodifikation" wird hier in einem weiten Sinn (wie "restatement") gebraucht

Π.1 Traditionelles Völkerrecht

42

müht, diese Prinzipien weiterzuentwickeln und zusammenfassend in einem Text zu kodifizieren. Seit der 47. Konferenz in Dubrovnik (1956) hat die ILA die Thematik "Uses of the Waters of International Rivers" - später umbenannt in "Water Resources Law" (seit 1968) - auf die Tagesordnung aller ihrer alle zwei Jahre stattfindenden Tagungen gesetzt. Bereits auf der Tagung in Dubrovnik (1956) wurde die Resolution "Principles of Law governing the Uses of the Waters of International Rivers" von der ILA verabschiedet32, in der vorläufige Prinzipien enthalten sind, die später zu den Helsinki-Rules weiterentwickelt werden sollten. Darin wird die Rechtsprechung mit Konkretisierung des Rücksichtnahmegebots wie folgt zusammengefaßt: "ΙΠ.

While each State has sovereign control over the international livers within its own boundaries, the State must exercise this control with due consideration for its effects upon other riparian States 33 .

IV.

A State is responsible, under international law, for public or private acts producing change in the existing régime of a river to the injury of another State, which it could have prevented by reasonable diligence

V.

... the States upon an international river should in reaching agreements ..., weigh the benefit to one State against the injury done to another through a particular use of the water. For this purpose, the following factors, among others should be taken into consideration: a) The right of each to a reasonable use of the water b) The extent of the dependence of each State upon the waters of that river, c) The comparative social and economic gains accruing to each and to the entire river community; d)..."

Die Prinzipien III und IV können als Bestätigung der aus dem common lawBereich stammenden due diligence-Püicht aufgefaßt werden. Diese "Pflicht zur gebührenden Sorgfalt" bedeutet die zur Vermeidung eines Schadensersatzes unumgängliche Notwendigkeit von Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz anderer 3 2

Resolution in: Report of the 47th Conference held at Dubrovnik, 1957, S. 241-243 (Annex I zu: Uses of the Waters of International Rivers). Die Resolution enthält ein "statement of principles as a sound basis upon which to study further the development of rules of international law with respect to international rivers" S. 241. 3 3 Das ILA-Komitee unter Eagleton hatte dagegen in seinem First Report (Report of the 47th Conference, S. 246) als Prinzip Π Ι vorgeschlagen: "In general, the maxim sic utere tuo should be followed by riparian States in all matters concerning the use of the wafers of an international river by one or several of them" (Hervorhebung im Original). Zu dieser Änderung vgl. P. Gieseke in: Report of the 47th Conference, S. 220 (befürwortend).

Ursprünglich wollte das ILA-Komitee Prinzip I V mit den Worten "For future situations , a State is responsible ..." beginnen lassen, vgl. dazu Gieseke S. 220 f. Dies zeigt auch deutlich die noch 1956 bestehende Unsicherheit über die Rechtsentwicklung. Gieseke % S. 219, berichtet über den Kommentar "There is only one rule and that is that there is no rule at all" eines Völkerrechtlers zum Projekt, eine Resolution über Rechtsprinzipien der Wassernutzung zu erstellen.

b) Ansatz der I L A (1956-70)

43

Staaten vor Schäden35, also die Pflicht der Staaten sicherzustellen, daß in ihrem Territorium entstehende Verschmutzungen keine ernsten Umweltschäden in einem anderen Staat bewirken. Prinzip V enthält nach ILA-Auffassung die zutreffende Interpretation der Doktrin "equitable apportionment "36: es geht über das bloße "sic utere tuo" oder die Gleichbehandlung hinaus und erfaßt auch das Abwägen der widerstreitenden Interessen (entsprechend der "Donauversickerungs"-Entscheidung). Mit Prinzip V beginnt auch die Festlegung der ILA auf den balancing of interest-Ansà\z , d.h. auf einen Ansatz, bei dem die Rechte und Pflichten der Staaten nicht präzise vorher bestimmbar sind, sondern immer vom jeweiligen Nutzungs-Verhalten abhängen37. Aus der in Prinzip VI vorgesehenen Konsultationspflicht 38 wurde später eine bloße Empfehlung (Art. XXIX Helsinki-Rules39); dies ist umso erstaunlicher, als ursprünglich sogar die Notwendigkeit der Zustimmung eines potentiell empfindlich betroffenen Staates erwogen worden war 40. Prinzip VIII empfahl schließlich die Zusammenarbeit der Staaten allein zu dem Zweck, um den größtmöglichen Nutzen aus dem Gebrauch des Russes zu ziehen ("maximum use"- Ansatz)41. Bei diesem traditionell-nutzungsbezogenen Ansatz wurde der Schutz des Wassers nicht einmal erwähnt. Diese Rechtsprinzipien wurden durch die New Yorker Resolution (48. ILAKonferenz 1958) um weitere ergänzt; darin heißt es auszugsweise42:

3 5 Vgl. P. Dupuy in: OECD, Legal Aspects of Transfrontier Pollution, S. 369 und ihm folgend J. Brunnée Diss. Mainz, S. 78 f.

Vgl. hierzu den Kommentar des ILA-Komitee im First Report S. 247, zu Prinzip V. Zu den Unterschieden zwischen dem vageren "sie utere tuo" und der Intercssens-Balance siehe Hinweise in Fußn. 33. 3 7

Vgl. insbesondere Handl NaLResJ. 26 (1986), S. 415 ff.

3 8

Prinzip V I lautet: "A State which proposes new works (construction, diversion etc.) or change of previously existing use of water, which might effect utilization of the water by another State, must first consult with the other State. In case agreement is not reached through such consultation, the States concerned should seek the advice of a technical commission; and, if this does not lead to agreement, resort should be had to arbitration ,, (Hervorhebung hinzugefügt). 3 9

Zitiert unten in Fußn. 108 zu diesem Kapitel .

^ First Report S. 247; zu dieser Änderung von "consent" auf "consult" vgl. Gieseke (Fußn. 33) S. 221 (befürwortend). - Der Lac Le/ieux-Schiedsspruch hatte hingegen noch keine solche vorherige Konsultationspflicht aus Gewohnheitsrecht oder allgemeinen Rechtsgrundsätzen ableiten wollen, vgl. AJIL 1959, S. 165. 4 1 Prinzip V m lautet: "So far as possible, riparian States should join with each other to make full utilization of a river both from the viewpoint of the river basin as an integrated whole, and from the viewpoint of the widest variety of uses of the water, so as to assure the greatest benefit to all" (Hervorhebungen hinzugefügt). 4 2

ILA-Report of the 48th Conference held at New York, 1959, S. V m - I X .

44

Π.1 Traditionelles Völkerrecht "1.

A system of rivers and lakes in a drainage basin should be treated as an integrated whole (and not peacemeal)"^3.

"2.

Except as otherwise provided by treaty or other instruments or customs binding upon the parties, each coriparian State is entitled to a reasonable and equitable share in the beneficial uses of the waters of a drainage basin ..."44.

"3.

Co-riparian States are under a duty ro respect the legal rights of each co-riparian State in the drainage basin".

Bereits hier legte sich die ILA auf das "drainage basin (Wassereinzugsgebiet-) Konzept fest Dabei umfaßt das Wassereinzugsgebiet (oder hydrographisches Becken) sowohl oberirdische als auch unterirdische Gewässer, die in einen gemeinsamen Abfluß münden, sowie das dazugehörige Landgebiet45; hierdurch wird ein medienübergreifender Ansatz ermöglicht. Hier beginnt auch die Festlegung auf den equitable use-Ansatz der HelsinkiRules. Die Resolution wurde ergänzt um Empfehlungen zur Zusammenarbeit der Flußanrainer-Staaten46. In Empfehlung 8 wird erstmals das Problem von Verschmutzungen erwähnt, wobei neue Verschmutzungen bevorzugt gegenüber bereits bestehenden behandelt werden: "Co-riparians should take immediate action to prevent further pollution and should study and put into effect all practicable means of reducing to a less harmfull degree present uses which lead to pollution".

Die Hamburger Resolution (49. ILA-Tagung 1960) diente im wesentlichen der Erläuterung eines Konsultationsverfahrens und - bei weiterer Uneinigkeit Kommentar der ILA hierzu: "Until now international law has for the most part been concerned with surface waters although there are some precedents having to do with underground waters. It may be necessary to consider the interdependence of all hydrological and demographic features of a drainage basin" (Report of the 48th Conference, S. IX.). 44 Hervorhebung von mir hinzugefügt. Im Second Report des ILA-Komitees unter A. W. Knauth wurde stattdessen vorgeschlagen (ILA-Report of the 48th Conference, S. 88): 'ΊΠ-1: A riparian State has sovereign right to make the fullest use of the waters in those parts of a river-drainagebasin under its jurisdiction (and control) consistent with the corresponding right of each co-riparian (and of any non-riparian possessing any rights)".- Vgl.auch den Alternativ-Vorschlag ΕΠ-1 von Η . A. Smith ebda., der deutlicher die Grenzen dieses Rechts durch allgemeine Rechtsgrundsätze und Abkommen betont. 4 5

Vgl. hierzu SchiedermairlRest

HdUR Π, Sp. 1125.

4^ Agreed Recommendations, I L A Report of the 48th Conference, S. I X - X (sie entsprechen dem Third Report des Komitees, ILA-Report of the 48th Conference, S. 99-101). Die Empfehlungen betreffen das Unterlassen einseitiger Akte, welche die legalen Rechte der anderen Flußanrainerstaaten beeinträchtigen könnten, die Zusammenarbeit mit UN-Organen beim Austausch von Informationen zu Flußbecken, sowie Untersuchungen des Wassers und Austausch dieser Berichte mit anderen Anrainern und schließlich die Empfehlungen zur Errichtung von Regionalabkommen, damit die Unterschiede beim Bedürfnis nach Wasser und bei seinem Gebrauch gesteuert werden können (Empfehlung 7). - Letztere Empfehlungen wurden später (1978) vom UNEP in der "Shared Resources"-Deklaration aufgegriffen.

b) Ansatz der I L A (1956-70)

45

eines obligatorischen ad Aöc-Komitee- bzw. Schiedsverfahrens 47; dies konkretisiert insbesondere die Dubrovnik-Resolution (Prinzip VI). Hinzu kamen Empfehlungen zur Errichtung von "Verschmutzungskontroll-Kommissionen"48. Auf der Brüsseler Tagung (50. ILA-Tagung 1962) stellte das ILA-Komitee49 vor allem einen Entwurf zu "Pollution of Waters Disputes of a Drainage Basin"50 vor. Die drei Artikel dieses Entwurfs, die unter Konkretisierung der Empfehlung 8 der New York Recommendations eine vage (d.h. mittelbare, unbeabsichtigte und thermische Verschmutzungen ausschließende) Verschmutzungsdefinition sowie eine mit zahlreichen Ausnahmen versehene Bekämpfungspflicht einführen, lauten51: "Art. 1 : t h e term water pollution refers to any artificial and detrimental change in the natural composition, content, or quality of the waters of a drainage basin. Art. 2: (1) Except as may be otherwise provided by convention, agreement or binding custom, a State is under a duty : (a) to prevent any new form of water pollution or any increase in the degree of water pollution in a drainage basin which would cause substantial injury in the territory of another riparian State and (b) to take all reasonable measures to abate existing water pollution in a drainage basin to such an extent that no substantial injury is caused in the territory of another riparian State.

4 7 Hamburg Recommendations on Procedure concerning Non-Navigational Uses, ILA-Report of the 49th Conference held at Hamburg, London 1961, S. 59-61. 4 8

Hamburg Recommendations on Pollution Control, ebda., S. 61.

4 9

1961-1966 unter dem Vorsitz von Olmstead (Knauth starb I960), dabei diente das Buch GarretsorUHaytonlOlmstead, International Drainage Basin, als Vorbereitung der Helsinki-Rules. 5 0 Die drei Entwürfe (die anderen zwei betreffen Verfahrensregeln für die Streitbeilegung bzw. die Schiffahrt) stammen vom Den Haag-Treffen des Komitees, September 1961, in: ILA-Report of the 50th Conference held at Brussels, 1963, S. 426 ff (429 ff, 443 ff und 470 ff). 5 1 ILA Report of the 50th Conference, S. 470 ff (Hervorhebungen hinzugefügt); Art. 2 in der revidierten Fassung vom August 1962, ebda., S. 476. Zum weiteren "Verschmutzungs"-Begriff in den Montreal-Rules (1982) siehe unten Fußn. 10 zu Kapitel Π 2 c . In einer vorigen Fassung (London Draft) war Art. 2 so formuliert worden, daß die Verhinderung neuer Verschmutzungen eine Pflicht C'A State a) must prevent any new form ...") und die Bekämpfung der gegenwärtigen eine Empfehlung Çb) should take allreasonablemeasures to abate existing water pollution ...") darstellte, vgl. hierzu die Kritik der American Branch durch J. Lipper auf der Tokio-Tagung, ILA-Report of the 5Ith Conference, S. 134-136. Der oben im Text zitierte Art. 2 entspricht dem sog. Helsinki-Draft (August 1963); während Art X der Helsinki-Rules (1966) der Fassung des Londoner Drafts entspricht. Die Kontroverse, die durch die Kritik von Lipper (vgl. etwa die Entgegnungen von Scheuner und Berber auf der 51. Konferenz, S. 139 und S. 141 f) ausgelöst wurde, bezog sich auf die Frage, ob es wirtschaftlich vertretbar sei, dem Oberliegerstaat die ganzen Kosten der Rußsanierung (Bekämpfung der gegenwärtigen Verschmutzung) aufzubürden.

Π.1 Traditionelles Völkerrecht

46

(2) The obligation of a State under paragraph 1 applies to water pollution originating either within its territory (whether through its action or otherwise) or outside its territory through its action. Art. 3: In case of a violation of the Rule stated in Article 2 of this chapter, the State responsible for the violation shall be required to abate the pollution , and the injured State shall be entitled to appropriate compensation for any injury caused during the period of the pollution; except that, if the requirement of abatement of the pollution would cause a manifestly unjust result to the responsible State, relief may be limited to appropriate compensation for past and future injury caused by the pollution".

Diese drei Artikel wurden 1966 mit Modifikationen von den Helsinki-Rules (Art. IX-XI) übernommen; abgeschwächt wurde insbesondere die in Art. 3 Satz 2 genannte Ausnahme-Regel52 sowie die Pflicht zur Bekämpfung bestehender Verschmutzungen, die zur Empfehlung herabgestuft wurden. Unter der "Verschmutzung" wollte die ILA-Kommission nur solche Wasser-Veränderungen verstanden wissen, die dazu führen, daß das Wasser für den "nützlichen Gebrauch" unbrauchbar oder weniger brauchbar wird 53. Unter dem "manifestly unjust result " i.S. des Brüsseler Art 3 Satz 2 verstand die ILA-Kommission eine Situation, in der das Verlangen nach Bekämpfung der Verschmutzung einen unverhältnismäßigen Schaden für den Verletzerstaat gegenüber dem Vorteil des geschädigten Staates darstellen würde. Dies wäre zu bejahen, wenn es bei dem Verletzerstaat um die Abwässer seines wichtigsten Wirtschaftszweigs und beim geschädigten Staat dagegen um bloße Erholungsfunktionen gehe54. Dies zeigt bereits die Ausrichtung am ökonomischen Interesse.

5 2 Vgl. Art X I para 2 Helsinki-Rules (Erläuterungen dazu sogleich). Vgl. hierzu auch die kontroverse Diskussion zwischen Berber und R. D. Hayton auf der Tokyoer ILA-Konferenz (Report of the 51st Conference, S. 141 und S. 145). 5 3

Im Kommentar zu Art. 1 (ILA-Report of the 50th Conference, S. 471) heißt es: "Our concern is with changes which are detrimental in that the water is rendered either unusable or less usable for a beneficial use." (Hervorhebungen von mir hinzugefügt) Der Kommentar zu Art. I X HelsinkiRules (ILA-Report of the 52nd Conference, S. 495) ergänzt dies noch um "other changes that are of a deleterious nature". 5 4 Eventuell müßte diese Feststellung noch weiter eingeschränkt werden auf die Situation, daß noch andere Erholungsmöglichkeiten im geschädigten Staat zur Verfügung stehen. Im Kommentar zum Brüsseler A r t 3 (ILA-Report of the 50th Conference, S. 476) werden folgende Beispiele aufgeführt: "1. State A bases ist principal economic activity upon a chemical industry that requires the discharge of wastes into the River Styx that flows into State Β rendering the river unfit for recreational purposes. State Β has a number of fresh water lakes and an ocean beach that are ideal for the recreational needs of its population. State A is not required to abate the pollution." "2. State C utilizes the River Lethe for the discharge of raw sewage. Thereafter.the polluted River Lethe flows into State D, which uses the water of the river as a principal source for domestic consumptive uses. State C is required to abate the pollution".

b) Ansatz der I L A (1956-70)

47

Bei den weiteren Beratungen dieser Artikel auf der 51. (Tokio 1964) und 52. Tagung (Helsinki 1966) wurde erstens die im Brüsseler Art. 3 Satz 2 vorgesehene Ersetzung der Beseitigungspflicht durch ökonomische Kompensation (bei "manifestly unjust result") abgeschwächt in Verhandlungspflichten (Art XI para. 2 Helsinki-Rules)55: Verhandlungen sollen - wenn die Beseitigungspflicht eine "unnötige Härte" darstellen würde56 - sicherstellen, daß beide Staaten wieder nach dem Grundsatz des "equitable utilization" das Wasser nutzen können oder daß ansonsten andere Formen der Abhilfe entstehen57. Zweitens wurde präzisiert, daß der Begriff "water pollution " nur dann gegeben ist, wenn die Verschlechterung des Wassers auf menschliches Verhalten (Tun oder Unterlassen) zurückzuführen ist (Art. IX der Helsinki-Rules). Damit wurden alle Naturereignisse ausgeschieden, während selbst das Badenlassen von Tieren durch Menschen die Veraussetzungen der Definition erfüllen kann58. Und mit Art. X

5 5

A i t X I der Helsinki-Rules lautet: "Art X I : (1) In the case of a violation of the rule stated in para.l (a) of Article X of this chapter, the State responsible shall be required to cease the wrongful conduct and compensate the injured co-basin State for the injury that has been caused to i t (2) In a case falling under the rule stated in para. 1 (b) of Article X , if a State fails to take reasonable measures, it shall be required promptly to enter into negotiations with the injured State with a view towards reaching a settlement equitable under the circumstances." 5 6 Im Kommentar zu Art X I der Helsinki-Rules (ILA-Report of the 52nd Conference, S. 504) heißt es dazu: "Λ general rule of abatement might result in undue hardship . In some cases the detriment to the reponsible State would be out of all proportion to the benefit to be derived by the injured State. (A member of the Comittee suggested that application of the rules of this Article would result in economic discrimination by lower basin States against upper basin States ...). Accordingly, in such cases, the responsible State should, in good faith, take all reasonable measures to eliminate substantial injury in the territory of a co-basin State. Such measures include research and study of relevant technology, utilization of engineering and other techniques for reduction of pollution and financial expenditures as may be necessary. Of course, under certain circumstances, reasonable measures could involve abatement." (Hervorhebungen hinzugefügt)

Als Beispiel wird dann ebda, zur Illustration angeführt: "State A has for many years utilized the waters of an international drainage basin fot the disposal of sewage causing repeated typhoid epidemics in the territory of co-basin State B. As a result of urbanization, the level of the pollution is greatly increased. State A is required to abate the increase and should take reasonable measures to reduce the prior pollution to such an extent that the substantial injury does not result" (Hervorhebungen hinzugefügt). 5 7 So der Kommentar zu Art. X I der Helsinki-Rules (ILA-Report of the 52nd Conference, S. 504 f.). 5 8 Vgl. die beiden Beispiele (einmal ständigen Badenlassen von Rindern im Fluß, zum anderen Verschlechterung der Wasserqualität durch allein auf Untergrund-Sicherungen zurückgehende Mineral-Auswaschungen, die sich im Ruß ablagern) im Kommentar zu Art I X der Helsinki-Rules (ILA-Report of the 52nd Conference, S. 496). Art I X der Helsinki-Rules lautet:"As used in this Chapter, the term "water pollution* refers to any detrimental change resulting from human conduct in the natural composition, content, or quality of the waters of an international drainage basin."

48

Π.1 Traditionelles Völkerrecht

der Helsinki-Rules59 wurde vor allem drittens präzisiert, daß die Pflicht zur Verhinderung des beträchtlichen Schadens ("substantial injury") nur in Zusammenhang mit dem Prinzip des "equitable utilization" zu sehen ist. Das bedeutet: Verschmutzungen sind nur dann ein Übel, wenn sie die gemeinsame Nutzung des Wassers beeinträchtigen; und Maßnahmen zur Bekämpfung der Verschmutzung sind - nach ILA-Ansicht - nicht mehr erforderlich, wenn diese den Verletzerstaat der Möglichkeit des "equitable utilization" berauben würden60. Dieser Ansatz ist in der Literatur als Doppel-Test-Ansatz kritisiert worden61: Während nach "Trail Smelter" ein Staaten-Verhalten bereits dann rechtswidrig ist, wenn es bei der Nutzung geteilter Ressourcen zu einem ernsthaften Schaden führt, ist nach den Helsinki-Rules zusätzlich zum verursachten Schaden noch der Nachweis einer unangemessenen/übermässigen Nutzung erforderlich, um zum Verdikt der Rechtswidrigkeit zu gelangen. Anders ausgedrückt: Es besteht die Gefahr eines doppelten Verschmutzungsrechts: einmal bis an die Grenze der übermäßigen Nutzung und zum zweiten bis an die Grenze des erheblichen Schadens.

5 9

Ait. X der Helsinki-Rules lautet: "(1) Consistent with the principle of equitable utilization of the waters of an international drainage basin, a State (a) must prevent any new form erf water pollution or any increase in the degree of existing water pollution in an international drainage basin which would cause substantial injury in the territory of a co-basin State, and (b) should take all reasonable measures to abate existing water pollution in an international drainage basin to such an extent that no substantial damage is caused in the territory of a co-basin State. (2) The rule stated in para. 1 of this Article applies to water pollution originating: (a) within a territory or the State, or (b) outside the territory of the Stote, if it caused by the State's conduct." 6 0

Im Kommentar zu Art. X der Helsinki-Rules (ILA-Report S. 499), heißt es: "The optimum goal of drainage basin development is to accomodate the multiple and diverse uses of the co-basin States. ... Thus, uses of the waters by a basin State that cause pollution resulting in injury in a cobasin State must be considered from the overall perspective of what constitutes an equitable utilization ... Certainly,a diversion of water that denies a co-basin State an equitable share is in violation of international law. A use that causes pollution to the extent of depriving a co-basin State of an equitable share stands on the same basis. By parallel reasoning, a State that engages in a use or uses causing pollution is not required to take measures with respect to such pollution that would deprive it of equitable utilization " (Hervorhebungen hinzugefügt). Auf der gleichen Linie liegt es, wenn es im Kommentar zu Art. X I der Helsinki-Rules (S. 502) heißt: "Conduct resulting in new pollution or an increase in the level of pollution in violation of the rule stated in para. 1 (a) of Article X of this Chapter requires nothing less than a restoration of the conditions enabling equitable utilization by the States concerned". 6 1 Vgl. insbesondere Handl NatRes.J. 26 (1986), S. 416 ff und ihm folgend Brunnée Diss. Mainz, S. 89; sowie die Kritik von Dickstein Columbia J. TransnaL Law 12 (1973), S. 487 (497), der diesen Ansatz zurecht als veraltet bezeichnet "because it is not in line with a contemporary understanding of the nature and extent of the problem's factual parameters". ΑΛ. dagegen Eb. Klein , S. 232 und S. 208, der für den traditionellen Ansatz plädiert.

b) Ansatz der I L A (1956-70)

49

Die Pflicht zur Verhindemng/Bekämpfung nur eines erheblichen Schadens, also eines Schadens, der die Gebrauchsmöglichkeiten des Wassers beträchtlich beeinträchtigt62, wird festgeschrieben, wobei es sich bezüglich der Verhinderung künftiger Verschmutzungen (bzw. der Vergrößerung der Schäden) um eine Pflicht und bezüglich der Bekämpfung jetziger/bisheriger Verschmutzungen um eine Empfehlung handelt (Art X Helsinki-Rules). Diese drei Artikel zur Wasserverschmutzung wurden 1966 zu einem Abschnitt - nämlich Kapitel 3 - der ILA Helsinki Rules on the Uses of the Waters of International Rivers (künftig: Helsinki Rules) 63. Sie stellen Regeln für die Benutzung des Wassers von internationales "drainage basins" (hydrographische Becken) auf, wodurch wie gezeigt Oberflächen- sowie Grundwasser und das Landgebiet des Wassereinzugsbebiets erfaßt wird (Art. Π). Kapitel 2 (Artikel IV - VIII) der Helsinki-Rules regelt das Kernstück, nämlich das Prinzip des "equitable utilization ". Artikel IV bis VI lauten auszugsweise: "Art. IV: Each basin State is entitled, within its territory, to a reasonable and equitable share in the beneficial uses of the waters of an international drainage basin. Art V: (1) What is a reasonable and equitable share within the meaning of Article I V is to be determined in the light of all the relevant factors in each particular case. (2) Relevant factors which are to be considered include, but are not limited to: (a)-(d)... 6 4 (e) the economic and social needs of each basin State;...

ω.··65 Art VI: A use or category of uses is not entitled to any inherent preference over any other use or category of uses."

Geschützt ist demnach nur der "beneficial use" (nützliche Gebrauch), d.h. der wirtschaftlich oder sozial wertvolle Gebrauch im Unterschied zu einem Gebrauch mit dem alleinigen Zweck, einen anderen Flußanrainer-Staat zu stö-

6 2 Im Kommentar zu Art X der Helsinki-Rules (S. 500) heißt es dazu u.a.: "... Thus, as pollution may bea by product of an otherwise beneficial use of the waters of an international drainage basin, the rule of international law stated in this Article does not prohibit pollution per se ... Generally, an injury is considered % substantial· if it materially interferes with or prevents a reasonable use of the water." 6 3

ILA-Report of the 52nd Conference, Helsinki 14-20 August 1966, London 1967, S. 484-532.

^ (a) bis (d) zählen die Geographie, Hydrologie, das Klima und bisherige Nutzungen des Stromgebiets auf. 6 5

Unter (f) bis (k) werden u.a. aufgeführt: komparative Kosten für alternative Mittel der Bedürfnisbefriedigung, Zugänglichkeit anderer Ressourcen, Verhinderung unnötiger Abfälle beim Wassergebrauch (lit i), Praktikabilität von Kompensationen zur Lösung von Konflikten zwischen Benutzungen etc. 4 Hohmann

50

Π.1 Traditionelles Völkerrecht

ren 66. Damit wird der Grundsatz sie utere tuo und das Prinzip der beschränkten territorialen Souveränität und Integrität noch einmal bestätigt; dabei ist die Perspektive allerdings auf das ökonomische Interesse begrenzt Daher fehlt auch die Einräumung einer Priorität für Trinkwasser und Gewässerreinhaltung im Rahmen der Nutzung. Zur Bestimmung des "equitable usen ist eine umfassende Abwägung aller widerstreitenden Interessen bei der Nutzung erforderlich, wozu Artikel V flexible Richtlinien gibt. Durch das "equitable use"-Prinzip ist der gleichmäßige Zugang aller Rußanrainer geschützt, um den höchstmöglichen Gebrauch des Wassers für alle zu erreichen. Die in Kapitel 3 enthaltenen Verschmutzungs-Regeln sind - wie gezeigt - zu vage ausgefallen. Die Kapitel 4, 5 und 6 der Helsinki-Rules enthalten Regeln zur Schiffahrt, zum Holz-Flößen ("timber floating") und vor allem zur Verhinderung bzw. Lösung von Konflikten durch Schiedsverfahren etc67. Nach der 52. Tagung in Helsinki gründete das ILA-Komitee sechs Arbeitsgruppen, wovon drei sich mehr oder weniger mit bisherigen Themen (Schiffahrt, Grundwasser und "General Uses of Water") und drei weitere sich mit neuen Themen befaßten: eine Arbeitsgruppe zur Verschmutzung der Meeresküsten, eine zweite zur Beziehung zwischen Wasser und anderen natürlichen Ressourcen und eine dritte zum "Management" internationaler Wasser-Ressourcen68. Auf der 53. Konferenz (Buenos Aires 1968) wurden an die HelsinkiRules angelehnte "Draft Rules on Sea Pollution" vorgestellt69 und ein vorläufiges Arbeitsprogramm der Arbeitsgruppen "Management of International Waters" und "Relationship between Water and Natural Resources"70 vorgelegt. Dadurch wurden erstmals Ansätze eines medienübergreifenden Ansatzes und 6 6

Im Kommentar zu Ait. I V der Helsinki-Rules (ILA-Report of the 52nd Conference, S. 487) heißt es: "To be worthy of protection a use must be 'beneficiar, that is to say, it must be economically or socially valuable, as opposed, for example, to a diversion of waters by one State merely for the purpose of harassing another". 6 7 Die Art. X X V I - X X X V n empfehlen hierzu Verhandlungen,"joint agencies", "mediation", "ad hoc conciliation commissions" oder ein "arbitral tribunal" bzw. Entscheidungen durch den IGH. Im Annex der Helsinki-Rules befinden sich "Model Rules for the Constitution of the Conciliation Commission for the Settlement of a Dispute". In Art. X X V wird auf die ILC-"Model Rules on Arbitral Procedure" (1958) hingewiesen. 6 8 Vgl. Progress Report des ILA-Komitees (Vorsitz: Manner) in: ILA-Report of the 53rd Conference held 1968 in Buenos Aires, 1968, S. 522 f. Bei der Arbeitsgruppe "Relation between Water and other Natural Resources" (Berichterstatter: Cano) sollte es um Regeln zum besten Gebrauch der Wasser-Ressourcen gegenüber anderen natürlichen Ressourcen (Land, Atmosphäre, Mineralien, Flora und Fauna, Energie und Erholung) und bei der Arbeitsgruppe "Management of International Water Resources" (Berichterstatten Caponera) um Empfehlungen zur Gründung entsprechender Kommissionen gehen. 6 9 7 0

ILA-Report of the 53rd Conference, S. 519 f.

ILA-Report S. 526 und 528-530; die wichtigsten Ausführungen zur letztgenannten Arbeitsgruppe befinden sich im Working Pater prepared by Cano (ebda., S. 531-538).

c) Ansatz des I D I (1911-61)

51

einer Bewirtschaftung diskutiert Auf der 53. und 54. Konferenz (Buenos Aires 1968, Den Haag 1970) kam es zu keiner Verabschiedung eines der Entwürfe. c) Der Ansatz des IDI (Institut de Droit International) 1911 bis 1961 Die 6. Kommission des IDI diskutierte bereits auf ihrer Madrider Sitzung im April 1911 die Frage "Détermination des règles du droit international en ce qui concerne les cours dveau internationaux, au point de vue de Γ exploitation de leurs forces motrices et de leur exploitation en général" unter dem Berichterstatter von Bar 11. Am 20. April 1911 verabschiedete das IDI nach nur zweitägiger Beratung72 die Resolution "Réglementation internationale de Γ usage des cours d'eau internationaux"73. Darin wird zunächst (im "Exposé des motifs") festgestellt, daß die Anrainer-Staaten eines gemeinsamen Rußlaufs in einer ständigen physischen Abhängigkeit zueinander stehen, wodurch die Idee einer absoluten territorialen Souveränität ausgeschlossen sei. Da es bisher nur internationale Regeln zur Schiffahrt gebe, sollten mit dieser Resolution Regeln zur Nutzung internationaler Gewässer geschaffen werden. Die Regeln unterscheiden dann zwischen Grenzflüssen/Grenz-Seen einerseits und Rüssen, die mehrere Staaten nacheinander durchfließen, andererseits. Für die erstgenannten Gewässer wird die Regel I aufgestellt, daß kein Staat ohne Zustimmung des anderen dort durch seine Bürger oder Firmen Veränderungen vornehmen darf, die für das Ufer des anderen Staates schädlich sind. Außerdem dürfe kein Staat auf seinem Territorium das Wasser in einer Art und Weise ausnutzen bzw. ausnutzen lassen, die einen schweren Schaden für die Ausnutzung durch den anderen Staat darstellen würde. Für die zuletzt genannten Gewässer (Rüsse, die mehrere Staaten nacheinander durchfließen) werden in der Regel II sieben Rechtsprinzipien aufgeführt. Die ersten zwei lauten: "l" Le point où ce cours d%eau traverse les frontières des deux Etats,... ne peut pas être changé par les établissements de Tun des Etats sans Γ assentiment de Γ autre. 2" Toute altération nuisible de Γ eau, tout déversement de matières nuisibles (provenant de fabriques etc.) est interdit" 7^. L. von Bar , Premier Rapport, Annuaire de Γ Institut de Droit International 24 (1911), S. 156167, und Deuxième rapport ebda, S. 168-183. 7 2

Vgl. dazu die Kritik von E. Hartig auf der 47. ILA-Konferenz in Dubrovnik (ILA-Report of the 47th Conference, S. 23): Es handele sich um eine in großer Hast und ohne genügend Vorbereitung abgegebene Erklärung, der ein solides Fundament fehle. 7 3 7

Annuaire de Γ Institut de Droit International 24 (1911), S. 365-367.

4 Prinzip 2* der Regel Π war im Lauf der Verhandlungen des I D I etwas abgeschwächt worden. Im Premier Rapport (Fußn. 71), S. 166, heißt es: "Toute modification de la composition chimique de l'eau, tout déversement de matières salissantes (provenant de fabriques etc.) sont également interdits". Die Formulierung des Deuxième Rapport (Fußn. 71), S. 182 entspricht weitgehend der verabschiedeten Formulierung.

52

Π.1 Traditionelles Völkerrecht

Neben dem Zustimmungserfordernis für eine Flußverlegung und diesem überraschenden - allein durch die Regel "minima non curat praetor" begrenzten - Verbot für jegliches Ablassen schädlicher Stoffe der Industrie bzw. dem Verbot sonstiger schädlicher Wasserveränderungen (absolutes Verschmutzungsverbot)75 enthielten die anderen Prinzipien Einschränkungen der Wasserentnahme (insbesondere für Wasserkraftwerke) und des Wasserstauens76, damit die Gebrauchsmöglichkeit des Flusses für die anderen Anrainerstaaten nicht gefährdet ist Erst 48 Jahre später, nämlich im September 1959, griff die 9. Kommission des IDI auf ihrer Sitzung in Neuchatel die Materie "Utilisation des eaux internationales non maritimes (en dehors de la navigation)" unter ihrem Berichterstatter J. Andrassy wieder auf 77. Auf der Salzburger Sitzung am 11. September 1961 wurde die Resolution "Utilization of Non-Maritime International Waters (except for navigation)" (nachfolgend: Salzburg-Resolution) verabschiedet78. Die Präambel sagt deutlich, daß die "wirtschaftliche Bedeutung des Wassergebrauchs" und der "maximale Gebrauch" ("maximum utilization ") im Vordergrund stehen. In der Resolution wird das Recht jedes Staates garantiert, die Gewässer zu nutzen, die seine Grenzen durchfließen, wobei dieses Recht - neben den Grenzen des internationalen Rechts - am Recht der anderen Staaten, den gleichen Wasserlauf zu nutzen, seine Begrenzung findet (Art 2) 7 9 . Bei Uneinigkeit über dieses Nutzungsrecht muß eine Streitschlichtung auf der Basis der Gleichheit und unter besonderer Berücksichtigung der gegenseitigen Bedürfnisse stattfinden (Art 3). Kein Staat darf Arbeiten oder Nutzungen des Wassers unternehmen, die die Möglichkeit der Nutzung des gleichen Wassers durch andere Staaten schwer beeinträchtigen würden; Ausnahmen gelten nur 7 5 In der Literatur hatte voiher etwa Huber, Zeitschr. für Völkerrecht 1907, S. 160 eine ähnliche Position eingenommen. Ähnliche Positionen nahmen später Fauchille, Guggenheim und Lauterpacht ein; Nachweise bei Salmon , Rapport provisoire, Annuaire de 11DI58 (19791), S. 213. 7 6

Dies wurde mit der Gefahr von Überschwemmungen begründet

7 7

J. Andrassy, Rapport provisoire , Annuaire de F I D I 48 (1959), S. 131-212 mit Annexe I (Exposé préliminaire) ebda., S. 213-269; vgl. dazu die Kritik von Mitgliedern der 9. Kommission ebda., S. 270-318. Rapport définitif von Andrassy, ebda., S. 319-339; Kritik von Mitgliedern der 9. Kommission, ebda., S. 340-358. 7 8 In: Annuaire de FIDI, vol. 49 part Π, Session de Salzbourg 1961, S. 381-384 (angenommen mit 50 Ja-Stimmen und einer Enthaltung). 7 9 Wörtlich lautet Artikel 2: "Every State has the right to utilize waters which traverse or border its territory, subject to the limits imposed by international law and, in particular, those resulting from the provision which foUow. This right is limited by the right of utilization of other Stated interested in the same watercourse or hydrographie basin".

Im Rapport provisoire (Fußn. 77), S. 211 wurde das Recht auf gleiche Teilhabe durch einen Artikel 3 unterstrichen, der nicht in die Resolution aufgenommen wurde: "En vertu de principe de Γ égalité des droits, tous les Etats intéressés ont un droit égal à utiliser les eaux (Tun bassin fluvial en proportion de leurs besoins."

d) Ansatz des Europarates (bis 1968)

53

dann, wenn dem geschädigten Staat die Vorteile, auf die er nach Art. 3 einen Anspruch hat, gewährt werden und ihm angemessener Schadensersatz für jeglichen Verlust oder Schaden gezahlt wird (Art. 4). Wörtlich lautet Artikel 4: "No State can undertake works or utilizations of the waters of a watercourse or hydrographie basin which seriously affect the possibility of utilization of the same waters by other Sûtes except on condition of assuring them the enjoyment of the advantages to which they are entitled under Article 3, as well as adequate compensation for any loss or damage".

Weiterhin verlangt die Resolution, daß solche Arbeiten oder Wasser-Nutzungen nur nach vorheriger Notifikation an die betroffenen Staaten vorgenommen werden dürfen (Art 5) 80 . Im Falle eines Widerspruchs sollten die Staaten in Konsultationen treten, um in angemessener Zeit eine Einigung zu erreichen (Art. 6); während dieser Verhandlungen müssen diese Arbeiten oder Nutzungen unterbleiben (Art. 7). Schließlich wird die Errichtung gemeinsamer Organe für ein hydrographisches Becken empfohlen, damit gemeinsame Pläne für die Nutzung und für die Lösung von Konflikten geschaffen werden.

d) Der Ansatz des Europarates (bis 1968) Den für die damalige Zeit weitreichendsten Ansatz zur Einschränkung von Wasserverschmutzung stellt die vom Europarat im Mai 1968 proklamierte European Water Charter dar 81. In der Präambel wird die Überzeugung ausgedrückt, daß der Fortschritt moderner Zivilisationen in einigen Fällen zu einer wachsenden Verschlechterung "unseres nationalen Erbes", in dem Wasser einen Platz von hervorragender Bedeutung innhabe, führt. In dieser Charta werden 12 Prinzipien niedergelegt; die wichtigsten lauten: "I.

There is no life without water. It is a treasure indispensable to all human activity 8 2 .

Π.

Fresh water resources are not inexhaustible. It is essential to conserve, control, and wherever possible, to increase them 8 3 .

Artikel 5 lautet: "Works or utilizations referred to in the preceding article may not be undertaken except after previous notice to interested States". 8 1 In: Rüster/Simma/Bock, Band X I , S. 5744-5747; sowie in: UN Suppl. Report Legal Problems relating to the Non-Navigational Uses of International Watercourses, UN-Doc. A/CN.4/274 (nachgedruckt in: YBILC vol. Π, Part 2 S. 265 ff, para. 373); vgl. zur Charta Sette-Ccunara , RdC 186 (1984 ΠΙ), S. 149 f. 8 2

Prinzip I beschreibt den Lauf des Wassers und seine Nutzungsmöglichkeiten (u.a. Trinken, Ernährung, Energie, Produktion, Transport, Waschen* Erholen). Vgl. auch Fußn. 90. 8 3 Weiter heißt es in Prinzip Π: "The population explosion and the rapidly expanding needs of modem industry and agriculture are making increasing demands on water resources. It will be impossible to meet these demands and to achieve rising standards of living, unless each one of us regards water as a precious commodity to be preserved and used wisely."

54

Π.1 Traditionelles Völkerrecht ΠΙ.

To pollute water is to harm man and other living creatures which are dependent on water... Surface and underground waters should be preserved from pollution

IV.

The quality of water must be maintained at levels suitable for the use to be made of it and, in particular, must meet appropriate public health standards.

V.

When used water is returned to a common source it must not impair the further uses, both public and private, to which the common source will be put.

VI.

The maintenance of an adequate vegetation cover, preferably forest land, is imperative for the conservation of water resources.

Vn.

Water resources must be assessed85.

Vin.

The wise husbandry of water resources must be planned by the appropriate authorities ... Furthermore, maintenance of quality and quantity calls for development and improvement of utilisation, recycling and purification techniques.

IX.

Conservation of water calls for intensified scientific research, training of specialists and public information services. Means of providing information should be increased and international exchange facilitated.

X.

Water is a common heritage, the value of which must be recognised by all. Everyone has the duty to use water carefully and economically 86 .

XI.

The management of water resources should be based an their natural basins rather than on political boundaries 87 .

ΧΠ.

Water knows no frontiers; as a common resource it demands international co-operation."

Hier wird erstmals ein Bekenntnis zur Wasserqualitätspolitik (vor allem in den Prinzipien IV, V und VIII) abgelegt, verbunden mit der angedeuteten Notwendigkeit, Recycling- und Behandlungstechniken zu fördern (Prinzip VIII). Bewertungs-, Planungs-, Forschungs- und Informationspflichten sowie eine vage Zusammenarbeitspflicht finden sich in den Prinzipien VII, Vili, IX und ΧΠ. Bemerkenswert ist das eindeutige Eintreten für den Nachhaltigkeitsgmndsatz (Prinzipien II und X) und den ökologischen Ansatz, der zugleich die vom Wasser abhängige Flora und Fauna schützt (Prinzipien III und VI), sowie für das medienübergreifende Konzept des "drainage basin" (Prinzip XI). Hervorhebungen hinzugefügt. Weiter heißt es in Prinzip ΠΙ: "Water in nature is a medium containing beneficial organisms which help to keep it clean. If we pollute the water, we risk destroying those organisms ... and perhaps modifying the living medium unfavourably and irrevocably." (ökologischer Ansatz). 8 5 Weiter heißt es in Prinzip VU: "It is essential to know surface and underground water resources, bearing in mind the water cycle, the quality of water and its utilisation. Assessment, in this context, involves the survey, recording and appraisal of water resources." 8 6

Weiter heißt es in Prinzip X: "Each human being is a consumer and user of water and is therefore responsible to other users. To use water thoughtlessly is to misuse our national heritage". 8 7 Prinzip X I verlangt weiterhin die Beachtung der Interdependenzen beim Gebrauch des Wassers: "Within a drainage basin, all uses of surface and underground waters are interdependent and should be managed bearing in mind their interrelationship".

e) Zwischenergebnis

55

Bereits in dem 1965 vorgelegten Bericht zur Verschmutzungskontrolle von Süßwasser88 betonte der Europarat, daß neben den Prinzipien "sic utere tuo", Mißbrauch von Rechten und guter Nachbarschaft auch die Prinzipien der Kohärenz durch das gemeinsame Rußbecken und derfriedlichen Koexistenz zu beachten seien. Wasser müsse deswegen als "res communis" angesehen werden: Nicht jeder könne einfach zu jedem beliebigen Zweck Wasser gebrauchen, weil Wasser nicht unerschöpflich, aber andererseits zum Leben wichtig sei; dies verlange eine Nutzung im Einklang mit den öffentlichen Interessen. Auf der Basis dieses Berichts entstanden die "Guiding Principles applicable to Fresh Water Pollution Control"89, die ihrerseits die Basis für die European Water Charter bildete. Der Zweck der Wasserverschmutzungskontrolle wird in diesen "Guiding Principles" (Präambel Nr. 2) wie folgt beschrieben: "The purpose of water pollution control is to preserve, to the maximum extent possible, the natural qualities of surface and underground waters in order to safeguard public health and to permit their use

e) Zwischenergebnis Das Umweltvölkerrecht entwickelte sich allmählich aufgrund der dargestellten internationalen Rechtsprechung zunächst in der traditionellen Form des Nachbarrechts. Diese Entscheidungen statuierten für Nachbarstaaten Verhinderungspflichten bei ernstlichen Beeinträchtigungen bzw. bei rechtswidrigem Verhalten und Unterlassungspflichten bei empfindlichen Beeinträchtigungen. Verboten sind demnach schädigende Umwelteinwirkungen, die von einigem Gewicht und daher nicht mehr zumutbar sind. In der Literatur ist vor allem von

8 8 Consultative Assembly of the Council of Europe, Report on freshwater pollution control in Europe (Doc. 1965), 1. Oktober 1965, auszugsweise in: UN Suppi. Report (Fußn. 81) S. 340 f, paras. 368-371. 8 9 Recommendation 436 (1965) on Fresh Water Pollution Control in Europe, auszugsweise in: UN Suppl. Report S. 341 ff, para. 372. In der Präambel heißt es u.a.: "a) Control of water pollution forms an integral part of water resource and water utilization policies, c) Water pollution control constitutes a fundamental governmental responsibility and requires systematic international collaboration, c) It also requires the co-operation of the local communities and of all users of water" (Hervorhebungen hinzugefügt).

-

Als typische Beispiele solcher Nutzungen werden dann aufgeführt: die Herstellung von Trinkwasser einer guten Qualität zu günstigen Preisen, die Erhaltung der Fauna und Flora (in- und außerhalb des Wassers), der Einsatz von Wasser für Industriezwecke, Ableitungen und Viehtränken, Erholungszwecke, unter Berücksichtigung von Gesundheits- und Ästhetik-Erfordernissen.

56

Π.1 Traditionelles Völkerrecht

Kir gis 91 versucht worden, aus diesen Urteilen Ansätze für einen Präventivschütz zu entwickeln. Denn die Verpflichtung zum Unterlassen schadenstiftenden Verhaltens bedeutete auch die Notwendigkeit von Untersuchungen über Art und Ausmaß aktueller oder potentieller Schäden. Eine weitere Interpretation dieser Urteile ist nicht möglich92. Neben dem eher nachsorgenden Ansatz kommt hinzu, daß nicht die Umweltmedien, sondern Gesundheit und Sachgüter im Vordergrund stehen; dadurch erfolgt der Umweltschutz nur mittelbar und greift in manchen Fällen (z.B. bei mangelndem Kausalnachweis) gar nicht93. So bleiben insbesondere die Sachverhalte auf Fälle beschränkt, in denen rechtlich geschützte Individual-Interessen betroffen sind - das Gesamtinteresse an einer intakten Umwelt bleibt unberücksichtigt94. Und es geht - unter relativer Betonung des Souveränitätsgedankens - nur um zwei miteinander konkurrierende wirtschaftliche Nutzungen von Nachbarstaaten, angereichert durch den Gedanken der hydrographischen Kohärenz, der zu Rücksichtnahme verpflichtet. Angesichts der völligen Konzentration auf die Regelungen zu konkurrierenden Nutzungen wurde weitgehend das aus der Koexistenz der Staaten und aus dem Solidaritätsgebot ableitbare Gebot zu gemeinsamer Kooperation95, zum gemeinsamen Management gemeinsamer Ressourcen, vernachlässigt. Während das 1911 vom IDI formulierte Verbot jeglicher schädigender Veränderungen des Wassers eine einzigartige Initiative blieb, die zu dieser Zeit nicht als rechtsverbindlich angesehen wurde96, stellten die Helsinki-Rules (1966) der ILA die wichtigste Kodifizierung des traditionellen Umweltvölkerrechts dar, die in völliger Übereinstimmung mit der Rechtsprechung erfolgte und dem Rechtsbewußtsein der damaligen Zeit entsprach. Die in Artikel X der Helsinki-Rules verankerte Aufgabe, jetzige/vorherige Wasserverschmutzungen zu bekämpfen, stand unter einem doppelten Vorbehalt: Sie blieb eine bloße 9 1 Κ ir g is, A H L 1972, S. 292/294. Vgl. auch Kelson Haivard Internat. Law J. 13 (1972), S. 242; Wildhaber SchwJIR 31 (1975), S. 119; Beyerlin Festschr. Doehring, S. 38 und Rauschning, ManilaRepoit I L A 58th Conference 1978, S. 400-402. Nach Brunnée Diss. Mainz S. 77, handelt es sich um eine Anwendung der Prinzipien von guter Nachbarschaft und "Trail Smelter" sowie der Wamund Unterlassenspflicht aus "Corfu Channel". 9 2 Wolfrum DVB1. 1984, S. 495 geht davon aus, daß bei strikter Befolgung dieses traditionellen Ansatzes keinerlei Präventivschutz möglich ist; ebenso Wildhaber S. 118 f; aA. Κ ir gis AJIL 1972, S. 294. 9 3

Vgl. Wolfrum

9 4

So auch Wolfrum

DVB1.1984, S. 495 f. ebda., S. 496.

9 5

Vgl. Schachler, Sharing the World's Resources, S. 37 ff; Riphagen, in: Bothe, Trends in Environmental Policy and Law, S. 343 ff; Scheuner Festschr. Menzel, S. 270 ff; siehe dazu unten Kapitel H 2 b b b ) . 9 6 Vgl. Sette-Camara (Fußn. 81), S. 142, der darauf hinweist, daß allein in der Declaration of Montevideo (1933) der Inter-American Conference ein ähnliches Prinzip formuliert wurde, daß aber ansonsten kein Abkommen ein Verschmutzungs-Verbot kannte.

e) Zwischenergebnis

57

Empfehlung 91 ("should") und beinhaltete - ebenso wie die Pflicht zur Verhinderung neuer Verschmutzungen - die Begrenzung allein auf die schlimmsten Schäden. Eine weitere Relativierung wurde dadurch erreicht, daß - um "unnötige" Härten zu vermeiden98 - A n XI para. 2 Helsinki-Rules eine Befreiung von der Beseitigungspflicht ermöglichte zugunsten von Verhandlungen. Im Zentrum des Interesses stand auch nicht das weitgehende Einschränken von Verschmutzungen99, sondern der Grundsatz "equitable utilization"100, so daß eine generelle Bekämpfungspflicht als unverhältnismäßig erschien101 und die Verschmutzung,die als ein bloßes Nebenprodukt eines ansonsten nützlichen Wassergebrauchs angesehen wurde 102, nicht per se verboten sein sollte103. Rechtswidrig war ein Staatsverhalten erst dann, wenn zum ernsthaften Schaden noch der Nachweis einer unangemessenen/übermäßigen Nutzung hinzukam (Doppel-Test-Ansatz). Dieser traditionelle Ansatz muß als veraltet und nicht mehr den heutigen Bedürfnissen des Umweltschutzes entsprechend bezeichnet werden. Wie weit diese Beurteilung allein nach dem Grundsatz "equitable utilization" ging, zeigt der Umstand, daß allein eine Verschmutzung, die menschliches Leben in anderen Staaten bedrohte, "womöglich" als unvereinbar mit dem Grundsatz "equitable utilization" angesehen werden könnte104. Die Parallelen zur Behandlung der Immissionsregeln im deutschen Recht zu Beginn der Industrialisierung105 drängen sich auf: Auch hier sind die Verschmutzungsregeln ein bloßes Anhängsel einer Nutzungsordnung, was dazu führt, daß die Verschmutzungsregeln nicht nur weitreichende Rücksicht auf die Nutzungsregeln nehmen müssen, sondern diesen völlig untergeordnet sind. Dies geht letztlich so weit, daß von einem Schutz des Wassers kaum noch gesprochen werden kann. Beweggrund und Zweck der Helsinki-Rules sind praktisch allein die Förderung der effektivsten wirtschaftlichen Wassernutzung (überwiegend ökono9 1

Vgl. dazu Sette-Camara S. 154: "unjustified approach".

9 8

Siehe den Kommentar zu Art. X I der Helsinki-Rules; zitiert in Fußn. 56 zu diesem Kapitel . 9 9 Im Kommentar zu Art. X der Helsinki-Rules (ILA Report of the 52nd Conference, S. 499) heißt es: "Any use of water by a basin State ... that denies an equitable sharing of uses by a co-basin State conflicts with the community of interests of all basin States in obtaining maximum benefit from the common resource " (Hervorhebung hinzugefügt). 1 0 0

Kommentar zu Art. X Helsinki-Rules (oben Fußn. 60).

1 0 1

Kommentar zu Art X I (oben Fußn. 56).

1 0 2

Kommentar zu Ait. X Helsinki-Rules (oben Fußn. 62).

1 0 3

Ebda.

1 0 4

Im Kommentar zu Art. X der Helsinki-Rules (ILA Report of the 52nd Conference, S. 501) heißt es: "If the activity or conduct causes pollution that endangers human life in another State, such activity or conduct would probably be deemed inconsistent with the principle of equitable utilization ..." (Hervorhebung hinzugefügt). Vgl. dazu die berechtigte Kritik von K. Jansma, ILA Report S. 467. 1 0 5

Siehe oben Text zu Fußn. 36/37 im Kapitel I .

Π.1 Traditionelles Völkerrecht

58

mischer Ansatz) abgeschwächt durch einige Rücksichtnahmepflichten. Insgesamt ist hier auch eine zu starke Ausrichtung an Industrie-Nutzungen auf Kosten von Erholungfunktionen etc. erfolgt 106. Von der in der Dubrovnik-Resolution (1956) angenommenen Konsultationspflicht vor dem Bau neuer Anlagen oder vor Wasser-Ableitungen107 blieb in (ten Helsinki-Rules eine bloße Empfehlung zur vorherigen Notifikation (und evtl. anschließenden Konsultation) übrig 108. Die Salzburger Resolution (1961) des IDI ging in diesem Punkte weiter, weil sie eine Kooperationsp/ftcAf (einschließlich einer Unterlassungspflicht) vorsah109 und die Nichtbeachtung der Kooperationspflicht mit der Pflicht zur Herausgabe der erlangten Vorteile sanktionierte. Auch die Salzburger Resolution des IDI ist ausdrücklich am "maximum utilization" orientiert 110. Ein vorbeugendes oder ressourcenschonendes Umweltvölkerrecht läßt sich auch von der Salzburger Resolution nicht erwarten, da sie allein auf Nutzungen des Wassers ausgerichtet ist und das Wort "Verschmutzung" nicht einmal erwähnt. Aus diesem Rahmen des traditionellen Umweltvölkerrechts fällt allein die Europäische Wassercharta des Europarates (1968), die erstmals ökologische Gesichtspunkte erwähnt. Neben den traditionellen Beeinträchtigungsverboten (Prinzip V) findet sich dort erstmals der Hinweis, daß die Wasservorräte nicht unerschöpflich sind. Daraus wird die Pflicht zum sparsamen Umgang mit Wasser, zur Bewertung des Wassers, zur Umweltpflege und zur internationalen Kooperation auf dar Basis einer "common resource" gezogen. Bezüglich Verschmutzungen enthält sie allerdings auch nur Empfehlungen (Prinzip III). Ihr Schutzzweck geht weit über industrielle Nutzungen hinaus und erfaßt auch Erholungszwecke und die Erhaltung von Flora und Fauna111. Wenn sie auch angesichts der Orientierung an der Wasserqualitätspolitik noch keine eigentlichen

106 Vgl. Beispielsfälle im Kommentar zum Brüsseler Artikel 3; zitiert in Fußn. 54 zu diesem Kapitel . 1 0 7

Ait. V I der Dubrovnik-Resolution; siehe Fußn. 38 .

1 0 8

Art. X X I X der Helsinki-Rules; in para. 1 wird der Informationsaustausch empfohlen; in para. 2 heißt es: "A State ... should in particular furnish to any other basin State the interestes of which may be substantially affected, notice of any proposed construction or installation which would alter the regime of the basin ..."; para. 3 empfiehlt das Abwarten einer angemessenen Zeit, damit der Empfänger-Staat nach einer Bewertung seine Meinung hierzu äußern kann. 1 0 9

Zu Konsultationen gab es zwar nur eine Empfehlung ("In case objection is made, the States will enter into negotiations with a view to reaching an agreement within a reasonable time", ait. 6 para. 1); aber die sanktionsbewehrte Kooperationspflicht dürfte zur Vermeidung von Schadensersatz Konsultationen unumgänglich machen. 1 1 0 In der Präambel heißt es: "Considering that the maximum utilization resources is a matter of common interest". 1 1 1

of available natural

Siehe Präambel Nr. 2 der "Guiding Principles" (oben Fußn. 90 zu diesem Kapitel).

a) Stockholmer Umweltkonfeienz

59

Vorsorgegrundsätze enthält112, so verankert sie doch den Nachhaltigkeitsgrundsatz und erste Ansätze einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung und eines ressourcenökonomischen Umgangs mit Wasser. 2. Entwicklungen zum modernen Umweltvölkerrecht seit der Stockholmer Umweltkonferenz a) Die Stockholmer Umweltkonferenz (1972) Die Stockholmer Umweltkonferenz (5.-15. Juni 1972)1 bildet den Ausgangspunkt einer neuen Rechtsentwicklung, in deren Zentrum an die Stelle der Konkurrenz um Nutzungen desselben Mediums zunehmend das gemeinsame Management gemeinsamer Ressourcen, d.h. das kooperative Pflegen, Verhindern und Verhüten treten wird2. Hintergründe für dieses Umdenken liegen sicherlich auch darin, daß der Stockholmer Konferenz eine Reihe von internationalen Umweltkatastrophen (eine Quecksilber-Katastrophe in Japan, massive Meeresverschmutzungen durch das Bersten des gestrandeten Öltankers "Torrey Canyon", das Fischsterben in den großen nordamerikanischen Seen etc.) vorausgegangen waren3. Außerdem hatte die schwedische Regierung wissenschaftliche Analysen über den weiträumigen Ferntransport der Luftschadstoffe von Mittel- nach Nordeuropa, über die Verschmutzung der Ostsee und über zunehmende Konzentrationen von Schwermetallen und Pestiziden in Vögeln und Fischen vorgelegt 1972 erschien auch der Bericht des "Club of Rome" über die Grenzen des Wachstums4. Die Stockholmer Deklaration5 enthält laut Präambel "gemeinsame Grundsätze, die die Völker der Welt bei der Erhaltung und Verbesserung der Umwelt des Menschen anspornen und leiten sollen". In den Prinzipien 21 und 22 wird zunächst das traditionelle Gewohnheitsrecht bestätigt; dort heißt es: "Principle 21 : States have ... the sovereign right to exploit their own resources pursuant to their own environmental policies, and the responsibility to ensure that activities within their jurisdiction or control do not cause damage to the environment of other States or of areas beyond the limits of national jurisdiction.

1 1 2

Vgl. Rehbinder, Das Vorsorgeprinzip, Ms., S. 281.

1

Zur Konferenz vgl. Sohn Harvard Int. Law Journal 14 (1973), S. 423 ff; M. Kilian Umweltschutz durch IO, S. 234 ff; Skupnik V N 1972, S. 111 und Menke-Glückerl HdUR Bd. Π, Sp. 397 ff. 2

So W. Lang ZaöRV 46 (1986), S. 263 und 265 f.

3

Vgl. UNEP-Bericht Umwelt-weltweit, S. 4; Eggert V N 1982, S. 114 und Menge-Glückert,

S.

397. 4 5

Meadows/Meadows

et alii, Die Grenzen des Wachstums, 1972.

U N Doc A/Conf. 48/14 vom 3.7.1972, in: RüsterlSimmalBock I, S. 118-120 und in: The Results from Stockholm (dreisprachig), S. 17-22; deutsch in: V N 1972, S. 109-111.

60

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht Principle 22: States shall co-operate to develop further the international law regarding liability and compensation for the victims of pollution and other environmental damage caused by activities within their jurisdiction or control of such States to areas beyond their jurisdiction."

Mit dieser in Prinzip 21 genannten Verantwortlichkeit ist die traditionelle Haftung für erhebliche Schäden gemeint, wie sich aus einer kurz darauf angenommenen UN-Resolution6 ergibt. Ökologische Ansätze werden in der Präambel der Stockholmer Deklaration angedeutet. Dort werden erstmals der Schutz und die Verbesserung der Umwelt als dringende Anliegen und Pflichten der Völker der ganzen Welt bezeichnet (Nr. 2). Bereits diese Formulierung zeigt: Für die Industrieländer, die den Umweltschutz bisher eher als ihre eigene Angelegenheit betrachtet hatten, wurde das Bewußtsein gestärkt, daß globale Kooperationen notwendig sind, und für die Dritte Welt, daß auch sie durch den Umweltschutz gewinnen kann, obwohl sie anfangs den Umweltschutz als eine Behinderung ihrer bevorstehenden industriellen Entwicklung ansah7. Dabei konnte sich die Auffassung der Entwicklungsländer durchsetzen, daß die Umwelt- und Entwicklungspolitik miteinander verknüpft werden müssen, weil in den Entwicklungsländern - so Präambel Nr. 4 - die meisten Umweltprobleme ihre Ursache in der Unterentwicklung haben. In der Präambel befindet sich erstmals das Eingeständnis, daß inzwischen ein historischer Punkt erreicht ist, an dem durch unachtsames oder gleichgültiges Handeln der irdischen Umwelt ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden zugefügt werden kann (Nr. 6).

6 In der UN-Resolution A/Res/2995 ( X X V I I ) vom 19.1.1973 (in: Ehe Basis der UN-Umweltpolitik, S. 13) heißt es: "... emphasizes that in the exploration, exploitation and development of their natural resources, States must not produce significant harmful effects in zones situated outside their national jurisdiction." 7 Vgl. hierzu M. Kilian, S. 234 ff; Leonard/Morell Standford Journal InL Law 17 (1981), S. 281 ff und Anand Indian Journal InL Law 20 (1980), S. 8 ff. Symptomatisch für die Einstellung der meisten Entwicklungsländern in dieser Zeit (1970-72) ist einmal das Zitat des UN-Botschafters von Sri Lanka von 1970 (zit nach Leonard/Morell, S. 282): "Developing Countries have of late been warned of the price that has to be paid in the form of environmental pollution for industrial development All developing countries are aware of the risks, but they would be quite prepared to accept from the developed countries even 100 percent of their gross national pollution if thereby they could diversify their economies through industrialization". Das zweite Zitat stammt von Indira Ghandi aus dem Jahr 1972 (zit nach Leonard Morell ebda.): "How can we speak to those who live in the villages and in the slums about keeping the oceans, the rivers, and the air clean, when their own lives are contaminated? Are not poverty and need the greatest polluters?". Der Einstellungswandel nach 1972 wird deutlich in einem Zitat von Indira Ghandi aus dem Jahr 1980 (zit nach Biswas Colloque La Haye 1984, S. 392): "The interest in conservation is not a sentimental one but rediscovery of the truth well-known to our ancient sages. The Indian tradition teaches us that all forms of life - human, animal and plant - are so closely interlinked that disturbance in one gives rise to imbalance in the others".

a) Stockholmer Umweltkonfeenz

61

Die Deklaration, deren Adressaten teils der Einzelmensch und teils die souveränen Staaten sind, beginnt mit einem menschenrechtlichen Ansatz, der an die Menschenrechtserklärung der amerikanischen Verfassung von 1787 und die Menschenrechtserklärung der französischen Revolution von 1789 anknüpft8. Im Prinzip 1 heißt es: "Man has the fundamental right to freedom, equality and adequate conditions of life, in an environment of a quality that permits a life of dignity and well-being, and he bears a solemn responsibility to protect and improve the environment for present and future generations".

Parallel mit diesem menschenrechtlichen Ansatz erfolgt eine Gleichgewichtung der Ziele des Umweltschutzes und eines Rechts auf Entwicklung. In der Literatur wurde dies z.T. als wenig geeignet angesehen, Grundlagen für künftige Rechtsentwicklungen im Bereich des Umweltvölkerrechts darstellen9. Zutreffender dürfte es sein, in solchen menschenrechtlich formulierten Ansätzen eines "international law of ecodevelopment" 10 einen zumindest politischen Anstoß zur Beschleunigung der Prozesse in Richtung auf eine Realisierung der Forderungen, die das "Recht auf angemessene Umwelt" ausmachen, zu sehen11. Dabei wird man aber vorläufig zu dem Ergebnis kommen müssen, daß ein solches Recht noch keinen verbindlichen Rechtssatz, sondern ein sich in der Entwicklung befindliches Konzept darstellt12. Denn bisher ist nur auf regionaler Ebene - in der African Charter on Human and Peoples' Rights von 1982 das Recht auf angemessene Umweltbedingungen anerkannt worden13. Allerdings gibt es seit 1988 vermehrte Ansätze zur Anerkennung eines Rechts auf angemessene Umwelt; darauf wird später zurückzukommen sein14. Der Umstand, daß die Stockholmer Deklaration (Präambel Nr. 4) sowohl die Industrialisierung als auch die Unterentwicklung als Ursachen der Umweltprobleme bezeichnet, schuf die Voraussetzungen dafür, daß auch die Dritte Welt 8 Vgl. Menke-Glückert, Sp. 399; hier findet sich letztlich eine Entwicklung in Richtung auf ein Menschenrecht der "dritten Generation" (vgl. hierzu Hohmann V N 1982, S. 63; E. Klein in: Starck, Rights, Institutions and Impacts, S. 65; Riedel Theorie des Menschenrechtsstandards, S. 210 ff und 332 ff; und - eher skeptisch - Aiston AJIL 1984, S. 612 ff), nämlich auf ein Redit auf eine Umwelt, in der "ein Leben in Würde und Wohlergehen ermöglicht" wird. Vgl. hierzu / . Brunnée , Diss. Mainz, S. 135 ff (141 ff). 9

So M. Kilian, S. 413 und öfter.

1 0

Vgl. P. R. Muldoon Texas Int Law Journal 22 (1986), S. 8 ff und Egger V N 1982, S. 116.

1 1

So Hohmann V N 1982, S. 63 zum Recht auf Entwicklung: die Tendenz zur Verrechtlichung bewirke zumindest eine verstärkte politische Steuerung; ebenso Muldoon, S. 6 ff zur Verrechtlichung des "law of ecodevelopment". 1 2

Vgl. E. Klein, S. 66; Riedel, S. 235 und Brunnée , S. 145.

1 3

Art 24 dieser Charta (in: I L M 1982, S. 59) lautet: "All peoples shall have the right to a general satisfactory environment favorable to their development" Ahnlich vorher schon Art 16 der Allgemeinen Erklärung der Rechte der Völker vom 4.7.1976 in Algier. 1 4

Siehe dazu unten Kapitel Π 2 e) und Kapitel Π 3 b).

62

Π.2 Modernes Umweltvölkerecht

verstärkt in ein internationales Ökomanagement einbezogen werden konnte. Gleichzeitig wurde erstmalig - wenn auch verhalten - anerkannt, daß die Industriestaaten die Länder der Dritten Welt bei ihrer Entwicklungs- und Umweltpolitik unterstützen sollten (Prinzipien 8-12). Diese wachsende Anerkennung der Verbindung zwischen Umwelt- und Entwicklungspolitik, die auch Eingang in die Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten von 1974 fand 15, erleichtert die erst 1987 weltweit anerkannte Querschnittsfunktion der Umweltpolitik16, bei der verschiedene Politikbereiche so miteinander vernetzt sind, daß die Erfordernisse des Umweltschutzes Bestandteil der anderen Politiken sind. Zugleich wurde durch die zunehmend anerkannte Synthese von Umwelt- und Entwicklungspolitik der Inhalt des Umweltschutz- und Entwicklungsbegriffs ökologisch angereichert. Die kurzfristige Perspektive der bisherigen Entwicklungspolitik wurde verdeutlicht, und es wurde zunehmend eine ökologische Bestandsfähigkeit angestrebt, indem Entwicklungsziele innerhalb der Gegebenheiten der lokalen Ökosysteme und der Naturressourcen der Region formuliert wurden17. Die bisherigen Beschränkung der Umweltpolitik auf Korrekturen industrieller Aktivitäten wurde nun erweitert auf den Schutz aller Naturressourcen, da dies samt dem Herstellen eines ökologischen Gleichgewichts erstmals als unabdingbar zum Überleben einer immer größeren Menschheit (samt ihren Nachkommen) und zu ihrem Wohlergehen bezeichnet wird 18. Dies bedeutet 1 5 Art 30 dieser Charta (A/Res./3281 ( X X I X ) vom 12.12.1974, in: Brownlie, Basic Documents, S. 235, deutsch in V N 1975, S. 117) lautet:

"The protection, preservation and enhancement of the environment for the present and future generations is the responsibility of all States. All States shall endeavour to establish their own environmental and developmental policies in conformity with such responsibility. The environmental policies of all States should enhance and not adversely affect the present and future development potential of developing countries. All States have the responsibility to ensure that activities within their jurisdiction or control do not cause damage to the environment of other States or of areas beyond the limits of national jurisdiction. All States should co-operate in evolving international norms and regulations in the field of the environment". 1 6 Dazu Text unten bei Fußn. 177 zu Kapitel Π 2 b . - Vgl. auch Art. 130 r Abs. 2 Satz 2 EWGV. 1 7 1 8

Vgl. Muidoon, S. 5.

Vgl. Prinzipien 2-4 der Deklaration. Vgl. auch das Zitat von Indira Gandhi von 1980 (oben Fußn. 7) und die Zielsetzung des 6. Fünf-Jahres Plans (1980-85) Indiens (zit. nach Biswas , Colloque La Haye 1984, S. 392): "Bringing about harmony between the short and long term goals of development by promoting the protection and improvement of ecological and environmental assets". Ahnlich heißt es im 5-Jahres-Plan Nepals 1980-85 (zit. nach Biswas ebda.): "Problems like pollution pressure, limited cultivable land, and destruction of natural resources will adversely tell on the whole development process itself." Vgl. auch Kiss A F D I 1982, S. 785 unter Hinweis darauf, daß sowohl der Bodenverlust durch Versteppung als auch der Bodenverlust durch Bebauung/Asphaltierung Probleme des ökologischen Gleichgewichts darstellen, Probleme, die erst durch die Stockholmer Konferenz in das Blickfeld der Umweltpolitik gerieten.

a) Stockholmer Umweltkonfeenz

63

einmal, daß sich auch die Dritte Welt im eigenen Interesse zunehmend für die Erhaltung der Naturressourcen einsetzte19. Es bedeutet zum anderen, daß eine breitere Definition von Entwicklungszielen, eine Neudefinition des wirtschaftlichen Fortschritts (stärker orientiert an Grundbedürfnissen wie Einkommensverteilung, Gesundheitswesen, Ernährung, Unterkünften) und eine ständige Einbeziehung der Umweltpolitik in die Entwicklungsplanung erforderlich wurde20. Im Gegensatz zu den Problemen der Städte konnte 1972 bei den Hauptproblemen des Landes, wie Bodenerosion, mangelhafte Wasserqualität, Mißbrauch von Pestiziden und Abholzen von Wäldern, nur teilweise ein Bewußtseinswandel in der Dritten Wandel herbeigeführt werden21.

Ob sich aus der Synthese von Umwelt- und Entwicklungspolitik in der Ausprägung durch die Stockholmer Deklaration Rechtsprinzipien ableiten lassen, ist später zu klären. Muldoon hat aus der Stockholmer-Deklaration, der Nairobi-Deklaration und der Weltcharta für die Natur drei Pflichten eines "internationalen Ecodevelopment-Rechts" abgeleitet22: die Pflicht, das Um weltmanagement in die Entwicklungspolitik zu integrieren, die Pflicht, die Naturressourcen zu verbessern, und die Pflicht, die Umweltauswirkungen der Entwicklungsprojekte zu bewerten. Ähnlich dem "Recht auf eine angemessene Umwelt" soll es sich um ein in der Entwicklung befindliches Rechtskonzept handeln, das weitgehend der Umsetzung in bindende Regeln bedarf 23 Auf diesen Ansatz wird später zurückzukommen sein24. Die Prinzipien 1 und 2 verdeutlichen, daß dem "Grundrecht auf angemessene Umwelt" die feierliche Pflicht der Staaten entspricht, "die Umwelt für gegenwärtige und künftige Generationen zu schützen und zu verbessern". Damit deuten die Prinzipien 1 und 2 den Perspektivwechsel an, der die Stockholmer Deklaration durchzieht: Der traditionelle Nutzungs-Ansatz wird um den ressourcenbezogenen Ansatz ergänzt, und erstmals wird durch die Einbeziehung

1 9

Vgl. Leonard!Moreil Standford Journal Int. Law 17 (1981), S. 281 ff; Anand Indian Journal Int. Law 20 (1980), S. 5 ff; Barnes Columbia Journal Envir. Law 13 (1988) 2, S. 390; Muldoon, S. 15 ff; Kiss, S. 786 ff. Nach einigen Schätzungen ist die Anzahl spezieller Umweltgesetze von 9 Ländern (1972) auf 106 Länder (1982), die Mehrzahlung von ihnen in der Dritten Welt, angestiegen (Schätzung von Tolba, zit bei Kiss, S. 793); Leonhard! M or ell, S. 283, berichten, daß die Anzahl spezialisierter Umweltbehörden in der Dritten Welt von 11 Ländern (1972) auf 102 Ländern (1980) angestiegen sei. 2 0

Vgl. JoynerIJoyner

2 1

Vgl. LeonardiMorell,

Nat. Resources J. 14 (1974), S. 544 und Muldoon, S. 16. S. 286 f, 306 f und 312.

2 2

Muldoon, S. 29 ff.

2 3

Muldoon, S. 50.

2 4

Siehe vor allem Kapitel Π 3 b.

64

Π.2 Modernes Umweltvölkerecht

auch künftiger Generationen der Nachwelt-Ansatz thematisiert25. Das Ziel des Schutzes einer Natuiressource wird durch den ressourcenbezogenen Ansatz erleichtert, da reine Nutzungs-Regelungen häufig, wie auch das Beispiel der Helsinki-Rules zeigt, dazu tendieren, ökologische Gesichtspunkte weitgehend zu vernachlässigen. Dies ist umso leichter möglich, als der traditionelle Stockholmer Grundsatz 21 angesichts seiner Formulierung als Formelkompromiß zwischen einem prinzipiell absoluten und einem prinzipiell relativierten Souveränitätsverständnis zum Mißbrauch der Naturressourcen einladen könnte26. Der Nachwelt-Ansatz, der zu umfassenden ex-ante-Betrachtungen und Planungen verpflichtet, kann als eine wichtige Umorientierung in Richtung Vorsorgeprinzip verstanden werden27. In der Stockholmer Deklaration sind zahlreiche Prinzipien vom Vorsorgegedanken geprägt; dabei steht der Grundsatz der Nachhaltigkeit und der Umweltplanung im Vordergrund 28. Der Grundsatz der Nachhaltigkeit wird weltweit erstmals in den Prinzipien 2-5 der Deklaration verankert. Nachhaltigkeit im Sinne der Stockholmer Prinzipien 2-5 bedeutet: Die natürlichen Ressourcen (einschließlich repräsentativer Beispiele der natürlichen Ökosysteme) müssen zum Nutzen gegenwärtiger und künftiger Generationen durch sorgfältige Planung und Bewirtschaftung geschützt werden (Nr. 2). Die Fähigkeit der Erde, lebenswichtige erneuerbare Ressourcen zu produzieren, muß erhalten, wiederhergestellt oder verbessert werden (Nr. 3). Schließlich müssen die nicht-erneuerbaren Ressourcen der Erde so verwendet werden, daß die Gefahr ihres künftigen völligen Abbaus abgewendet sowie sichergestellt wird, daß Gewinne aus dieser Verwendung der ganzen Menschheit zugute kommen (Nr. 5). Dem Menschen wird hierzu eine besondere Verantwortung aufgetragen (Nr. 4). Die in Prinzipien 13-17 niedergelegte Umweltplanung verlangt eine rationellere Bewirtschaftung der Naturressourcen und eine integrierte Entwicklungsplanung, die sicherstellen soll, daß die wirtschaftliche Entwicklung mit 2 5

Vgl. Riedel cVortrag vom 16.1.1990> i.E. und Lagoni in: Thieme Hrsg. Umweltschutz im Recht, S. 243; beide bejahen dort verstäikte Kooperations- und Planungspflichten aufgrund der Berücksichtigung der Interessen künftiger Generationen an der Erhaltung der Umwelt Allerdings sieht Lagoni (S. 241 f) nur einen begrenzten Sinn darin, zwischen Nutzung und Schutz eines Umweltgutes zu differenzieren (zumindest dann, wenn dies ein Eintreten für anthropozentrischen Ansatz einer- und ökozentrischen Ansatz andererseits bedeutet), weil auch Nutzungsabkommen zugleich einen Schutz beinhalten könnten. 2 6 Vgl. Dicke in: Haendcke-Hoppe/Merkel, Umweltschutz in beiden Teilen Deutschlands, S. 112 f und Wolfrum in: DG V N zur diskussion gestellt Nr. 28, S. 22. Wenn Dicke, S. 111, vom Prinzipienweg spricht, bedeutet "Prinzipienweg" das gleiche wie der ressourcenbezogene Ansatz, nämlich: "Die Umwelt wird hierbei an sich zum gemeinsam zu schützenden Rechtsgut erklärt". 2 7 Vgl. Riedel und Hofmann TL 1988, S. 278. - Die weitergehende Forderung, das Umweltrecht hin zum Mitwelt-Recht fortzuentwickeln (so etwa G. Frank DVB1. 1989, S. 694 ff) dürfte dagegen überzogen sein; zur Ablehnung des ökozentrischen Ansatzes siehe Text zu Fußn. 13 zu Kapitel I. 2 8

Vgl. Rehbinder, Das Vorsorgeprinzip, Ms., S. 259 f.

a) Stockholmer Umweltkonferenz

65

dem Schutz und der Verbesserung der Umwelt vereinbar ist (Nr. 13). Besonders hervorgehoben wird die städtebauliche Planung (Nr. 15) und die Notwendigkeit, durch Planung die gegebenenfalls widersprüchlichen Erfordernisse von Entwicklung, Umweltschutz und Umweltverbesserung miteinander in Einklang zu bringen (Nr. 14). Diese Planungen sind erforderlich zur Realisierung des Vorsorgeprinzips. Von einer "Planungseuphorie" kann wohl kaum gesprochen werden29, zumal die zusätzlich erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder auch genauere Planungen zur Umweltbewiitschaftung erst in späteren Dokumenten erwähnt werden. Relativ schwach entwickelt ist der Vorsorgegedanke in bezug auf Umweltbelastungen im engeren Sinne. Nach Prinzip 6 muß die Emission oder das Einleiten von giftigen Stoffen in solchen Mengen oder Konzentrationen, daß die Absorptionsfähigkeit der Umwelt überschritten wird, beendet werden. Man wird davon ausgehen könne, daß diese Formulierung nur die Gefahrenabwehr im Sinne der deutschen Terminologie deckt30. Für die Meeresverschmutzung wird der Vorsorgegedanke etwas stärker betont: Die Staaten sollen alle nur möglichen Maßnahmen ergreifen, um die Verschmutzung der Meere durch Stoffe zu verhindern, sofern diese nur geeignet sind, Risiken für die menschliche Gesundheit zu schaffen, die Meeresressourcen und das aquatische Leben zu schädigen oder die Erholungseignung und andere legitime Nutzungen des Meeres zu beeinträchtigen (Prinzip 7). Die Stockholmer Deklaration ruft weiter auf zu Umwelterziehung und -aufklärung und zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, der Forschungskooperation und des Transfers von Umwelttechnologie (Prinzipien 19-20). Besonders wichtig ist der Aufruf zur internationalen Zusammenarbeit "in a cooperative spirit by all countries", wobei die Zusammenarbeit auf multi- oder bilateraler Ebene als erforderlich bezeichnet wird, um Umweltverschmutzungen zu kontrollieren, zu verhindern, zu reduzieren und zu bekämpfen (Prinzip 24). Hierbei sollen internationale Organisationen eine koordinierende, effiziente und dynamische Rolle für den Schutz und die Verbesserung der Umwelt spielen (Prinzip 25). Die letztgenannte Aufgabe hat für die weltweite Umwelt das UNEP übernommen. Der gleichzeitig beschlossene "Aktionsplan für die Umwelt des Menschen"31 geht von der Maßnahmen-Trias "weltweites Umweltbeurteilungsprogramm (Erdwacht)" (d.h. Forschungen, Überwachungen und In-

2 9

So aber Menke-Glückert,

3 0

So Rehbinder, S. 259.

3 1

In: Rüster!SinunalBock (deutsch S. 168-222). 5 Hohmann

in: HdUR Bd. Π Sp. 403.

Band I, S. 121-143, und in: The Results from Stockholm, S. 23-75

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

66

formationsaustausch), "Umwelt-Management-Maßnahmen"32 und unterstützenden Maßnahmen (d.h. Ausbildung, Öffentlichkeitsarbeit etc.) aus. Im Rahmen der "Umwelt-Management-Maßnahmen" werden etwa folgende Empfehlungen genannt: Zusammenarbeit und Hilfen bei der ländlichen Planung sowie bei der Sammlung und Ausweitung von Kenntnissen über Bodenverschlechterung (19 und 20); Programme zur Kontrolle und Wiederverwendung von Abfällen der Landwirtschaft (22); Zusammenarbeit zur Vermittlung neuer Erkenntnisse über die Umweltbedeutung der Wälder und des Forstmanagements (24); Hilfen zum Betreiben von Nationalparks und Zusammenarbeit bei benachbarten Schutzgebieten (34-37) sowie Schutz von Ökosystemen internationaler Bedeutung durch Nationalparks, die durch internationale Abkommen errichtet werden (38); systematische Überprüfung von "Projekten zur Entwicklung von natürlichen Hilfsquellen" mit internationaler Bedeutung (Bewässerungs-, Siedlungs-, Landgewinnungs- und Forstwirtschafts-Projekte) vor ihrer Durchführung sowie Prüfungen der umweltrelevanten Auswirkungen eines alternativen Vorgehens (60-61); Verwendung der am besten geeigneten Mittel zur Verringerung der Freigabe toxischer oder gefährlicher Stoffe, bis nachgewiesen wird, daß deren Freigabe nicht zu unvertretbaren Risiken führt (71); sowie Konsultationen und Kontrollen bezüglich Aktivitäten, die möglicherweise Auswirkungen auf das Klima haben (70). Nur einzelnen der im Rahmen des Aktionsplans verabschiedeten Empfehlungen kommt ein operationeller, d.h. über Maßnahmen der Auswertung und Prüfung, Forschung, Überwachung, des Informationsaustauschs etc. hinausgehender Vorsorgegehalt zu 33 . Die oben aufgeführten Empfehlungen sowie teilweise auch die Empfehlungen 39-45 (Schutz genetischer Ressourcen) und 8694 (Meeresverschmutzung) deuten aber zumindest einen solchen operationellen Vorsorgegehalt bzw. die sich langsam entwickelnden Rechtsinstrumente eines vorbeugenden und ressourcenschonenden Umweltvölkerrechts an. 3 2 Es handelt sich nach dem Aktionsplan (in: The Results from Stockholm, S. 75) um "functions designed to facilitate comprehensive planning that takes into account the side effects erf man's activities and thereby to protect and enhance the human environment for present and future generations". 3 3

So Rehbinder

%

S. 260.

a) Stockholmer Umweltkonferenz

67

Dem Aktionsplan angefügt wurde die Resolution mit der Empfehlung an die UN-Generalversammlung, das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) zu gründen34. Die Stockholmer Konferenz bedeutete den weitreichendsten Ansatz einer Lösung vom traditionellen Umweltvölkerrecht. Die vorausgegangenen, oben genannten Umweltkatastrophen hatten die Unzulänglichkeiten des traditionellen Umweltvölkerrechts aufgezeigt Der Gedanke der Endlichkeit der Ressourcen kam bereits in dem für die Konferenz gewählten Slogan "Only One Earth"35 deutlich zum Ausdruck. Dementsprechend wurden in der Stockholmer Deklaration Verpflichtungen zur nachhaltigen Bewirtschaftung und zur präventiven Planung statuiert und es finden sich Ansätze der vorbeugenden Verhinderung von Verschmutzungen und eines vorbeugenden Managements. Besonders hervorzuheben sind die ersten Ansätze eines "common heritage"-Konzepts (Prinzip 5), einer Umweltverträglichkeitsprüfung (Empfehlungen 60-61), des ressourcenschonenden Managements (Prinzipien 2-5), des SchutzgebieteKonzepts (Empfehlungen 34-37) und der internationalen Zusammenarbeit im Geiste der Kooperation (Prinzip 24). Dies bedeutet einen maßgeblichen Perspektivwechsel von der Konkurrenz von Nutzungen hin zur Kooperation. Mit diesen Pflichten zur nachhaltigen Bewirtschaftung, zur präventiven Planung, zur weltweiten Kooperation, mit den Ansätzen einer vorbeugenden Verhinderung von Verschmutzungen, eines ressourcenschonenden Managements, eines Schutzgebiete-Konzepts u.ä. wurden letztlich - trotz der Vagheit mancher Prinzipien - die "basic rules" des modernen Umweltvölkerrechts angedeutet36. Dabei wird zum ersten Mal das Konzept entwickelt, daß das Umweltvölkerrecht nicht länger ein rein interstaatliches (d.h. zwischen zwei Nachbar-Staaten befindliches) System sondern ein internationales, d.h. mehrere Staaten sowie Individuen und internationale Organisationen umfassendes System darstellt. Die Stockholmer Deklaration bedeutet damit den Beginn der internationalen Umweltpolitik und des modernen Umweltvölkerrechts37. An die Stelle des reinen Nachbarschaftsverhältnisses tritt das moderne Umweltvölkerrecht38. Schließlich erbrachte die Konferenz die allgemeine, von keiner Seite mehr angefochtene Zuständigkeit der UNO für den internationalen Umweltschutz39. 3 4

In: Riister/Simma/Bock

Band I, S.. 144-146, und in: The Results from Stockholm, S. 76-80.

3 5

Vgl. Egger V N 1982, S. 114 und den UNEP-Bericht Umwelt-weltweit, S. 1; letzterer unter Hinweis darauf, daß der Slogan auf das Buch "Only One Earth" von Ward/Dubos (1972) zurückgeht 3 6

So L. Sohn Harvard Int Law Journal 14 (1973), S. 513.

3 7

Dies meint Egger V N 1982, S. 113, wenn er sagt: "In umweltbewußten Kreisen beginnt die Zeitrechnung im Jahr 1972, dem Jahr der Stockholmer Umweltkonferenz". 3 8

Vgl. auch Dicke (Fußn. 26), S. 113.

3 9

Vgl. M. Kilian Umweltschutz durch IO, S. 253.

68

Π.2 Modernes Umweltvölkerecht

b) Erklärungen des United Nations Environment Programme (UNEP) und der UN-Generalversammlung aa) Allgemeines: Arbeitswelse des UNEP

Das UNEP wurde am 15.12.1972 förmlich durch Resolution 2997 (XXVII) der UN-Generalversammlung1 gegründet und nahm im Frühjahr 1973 seine Arbeit auf. UNEP ist die erste weltweit tätige und für alle Umweltfragen zuständige UN-Umweltorganisation; es ist keine neue UN-Sonderorganisation, sondern eine per Resolution geschaffene besondere Einrichtung des ECOSOC, die der UN-Generalversammlung berichtspflichtig ist2. Angesichts der mehr als dürftigen Personalausstattung3 kann UNEP kaum operative Aufgaben übernehmen. Es hat primär eine koordinierende und katalytische Rolle4 in dem Sinne, daß es internationale Organisationen (inner- und außerhalb des UNRahmens) bzw. Regierungen und "non-governmental organizations" (NGO's) bei Umweltaktivitäten unterstützt oder diese durch Gelder aus dem Umweltfonds fördert 5. Auch durch Tagungen, Umweltdaten, Expertenberichte, "guidelines" etc. werden Umweltabkommen und daraus resultierende UmweltKooperationen der betroffenen Staaten angeregt oder beschleunigt.

Durch das UNEP-Umweltrechtsprogramm von Montevideo von 19826 be zeichnete der UNEP-Verwaltungsrat folgende zwölf Bereiche, für die vor-

1

In: Die Basis der UN-Umweltpolitik, S. 17-23 (deutsch S. 106-114).

2

Vgl. M. Kilian, Umweltschutz durch IO, S. 254 und 257.

3

Zum 31.12.1988 verfügte das UNEP-Sekretariat (einschließlich Umweltfonds) über 197 besetzte Etatstellen für "professional service"- und weitere 337 für "general service"-Posten. Die Anzahl der bewilligten Stellen liegt um 29 % (professional service) bzw. 13 % (general service) höher, aus Sparzwang kam es zu Vakanzen; Angaben nach: UNEP Annual Report of the Executive Director 1988 (UNEP / GC. 15/4), Nairobi 1989, S. 92-102. 4 Vgl. UNEP Annual Report 1988, S. 7; dort heißt es weiten "UNEP is perhaps best portrayed as the world's environmental 'ginger group'. It pushes, pulls, persuades and prods the U N system, Governments, scientists, business and the media into environmental action". Vgl. hierzu auch M. Kilian, , S. 256 ff. 5 Zur Zusammenarbeit mit UN-Organen, Nicht-UN-Organen (u.a. OECD, EG, Europarat, Helsinki-Kommission, Nordischer Rat, OAS, OAU, ASEAN etc) und NGO's (u.a. IUCN, W W F , IPU etc) - das UNEP Environment Liaison Centre in Nairobi koordiniert die Umweltarbeit von über 6000 NGO's - vgl. UNEP Annual Report of the Executive Director 1987 (UNEP/GC.15/3), Nairobi 1988, S. 8 ff und UNEP Annual Report 1988, S. 7 ff, sowie M. Kilian, S. 277 f. 6 Es wurde erarbeitet auf dem Ad-hoc-Treffen höherrangiger Regierungsexperten des Umweltrechts in Montevideo (28.10.-6.11.1981) und verabschiedet vom UNEP-Verwaltungsrat durch Beschluß 10/21 am 31.5.1982; Beschlüsse, Empfehlungen und Programm des Ad-hoc-Treffens in: EPL 8 (1982), S. 31 -35. Zum Umweltprogramm vgl. Storm ZfU 1982, S. 267 ff und ders. in: HdUR Bd. Π Sp. 710 ff.

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

69

dringlich globale, regionale und/oder nationale Maßnahmen ergriffen werden sollen: die Meeresverschmutzung vom Lande aus, der Schutz der stratosphärischen Ozonschicht, die Beförderung, Behandlung und Beseitigung giftiger und gefährlicher Abfälle, die internationale Zusammenarbeit bei Umweltnotfällen, das Küstenzonenmanagement, der Bodenschutz, die grenzüberschreitende Luftverschmutzung, der internationaler Handel mit möglicherweise gefährlichen Chemikalien, der Schutz von Rüssen und anderen Binnengewässern vor Verschmutzung, rechtliche und verwaltungsmäßige Mittel zur Verhütung und zur Wiedergutmachung von Umweltschäden, die Umweltverträglichkeitsprüfung und die allgemeine Entwicklung des Umweltrechts. Damit wurden erstmals weltweit Prioritäten in der rechtlichen Behandlung von Umweltproblemen gesetzt - wobei die ersten drei Bereiche als besonders dringlich bezeichnet wurden - und Empfehlungen für deren rechtliche Lösung auf globaler, regionaler und nationaler Ebene ausgesprochen; zugleich wurde das Umweltrecht weltweit als besonderes Rechtsgebiet anerkannt7. Die Implementierung dieses Programms geschieht - ebenso wie die gesamte UNEP-Arbeit - auf drei Ebenen: durch den Entwurf bzw. die Förderung/Durchführung von internationalen Abkommen8, durch die Ausarbeitung

7 8

Storm ZfU 1982, S. 278.

Zu den Abkommen, für die UNEP verantwortlich zeichnet, gehören primär die Abkommen des Regionalmeeresprogramms, die Wiener Konvention zum Schutz der Ozonschicht, die Basier Konvention zur Kontrolle des grenzüberschreitenden Transports gefahrlicher Abfalle, das Washingtoner Aitenschutzabkommen (CITES) und das Bonner Übereinkommen zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tieraiten.

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

70

von internationalen Umweltschutzrichtlinien ("guidelines") und durch die Hilfe für nationale Umweltgesetzgebung und -Verwaltung9. Zum letztgenannten gehören einmal rechtsvergleichende Gesetzgebungs-Berichte, die in Zusammenarbeit mit Organisationen wie etwa ECA, FAO, WHO, IUCN z.B. zur Vorbereitung des Regionalmeeresprogramms erstellt werden, und zum anderen drei Informationsdienste zum Datenaustausch: GEMS, das globale Umweltüberwachungssystem, das weltweit sämtliche Umweltveränderungen kontinuierlich aufnimmt und verbreitet, Infoterra, das Informationssystem, mit dem UNEP versucht, die in allen Ländern gespeicherten Daten für internationale, nationale und nicht-staatliche Einrichtungen verfügbar zu machen, und das internationale Register von potentiell giftigen Chemikalien (IRPTC), das regelmäßig Analysen giftiger chemischer Substanzen weitergibt10. Die in Zusammenarbeit mit den internationalen Satellitenorganisationen (Intelsat und Inmarsat) und der WMO durchgeführte globale, computer- und satellitengestützte Umweltüberwachung erstreckt sich u.a. auf Tropenwälder, Klimasysteme, Stadtluft- und Wasserqualität, auf grenzüberschreitende Luftverschmutzungen und Ozeane; Umweltbeurteilungen sind darüberhinaus auch zu Ozonschicht und Klimaerwärmung möglich11. Diese Überwachungssysteme zeigen den Regierungen die Notwendigkeit von Maßnahmen des Umweltmanagements auf und erlauben eine Durchführung und Kontrolle internationaler Umweltabkommen. Für die Entwicklung des internationalen Umweltrechts sind die von UNEP erarbeiteten internationalen Umweltschutzrichtlinien ("guidelines") von nicht zu unterschätzender Bedeutung12. Zwar sind die "guidelines" als solche keine formelle Rechtsquelle, aber als "soft law" oder genauer: als "materielle Rechts quelle"13 sind sie zumindest - und hierüber besteht kein Streit - geeignet, die

9 Vgl. Sand in: CoUoque La Haye 1984, S. 52, sowie ders. NuR 1985, S. 170 und ders. in: HdUR Bd. Π , Sp. 710 ff. 1 0 Vgl. Sand, in: Coüoque 1984, S. 61 f, ders. NuR 1985, S. 172 f; sowie Dicke V N 1985, S. 59 f. 1 1 1 2

Vgl. UNEP Annual Report 1988, S. 20-39.

Gleiches gilt für die Resolutionen von ILA/IDI und den Eiklärungen der in dieser Albeit aufgeführten Umweltorganisationen. Eine der wesentlichen Schlußfolgerungen des Ad-hoc-Treffens höherrangiger Regierungsexperten des Umweltrechts in Montevideo (Fußn. 6) besteht darin, daß vor allem "guidelines", "principles" und "standards" geschaffen werden sollten, die zu einem späteren Zeitpunkt in eine Konvention übergehen könnten. Ein solcher Ansatz wird in der Literatur zuweilen als "common law approach " (im Gegensatz zur Weiterbildung des Rechts durch Kodifikation skonferenzen) bezeichnet; vgl. F. Roessler GYIL 21 (1978), S. 33 ff und Seidl-Hohenveldern RdC 1979 Π, S. 192. Auf diese Methoden wird noch zurückzukommen sein. 1 3 So richtig Verdross/Simma Univ. VöR § 636; W. Lang AVR 22 (1984), S. 284 und S. SOSSOS; Riedel cVortrag vom 16.1.1990> i.E. (er spricht dabei von "zebra codes", d.h. einer Mischung

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

71

Auseinandersetzungen über Regeln des Umweltvölkerrechts zu kanalisieren und zu prägen, denn sie stellen autoritative Stellungnahmen und "Rohmaterial" für Abkommen dar und können staatliches Verhalten genauso steuern wie die formellen Völkerrechtsquellen14. Darüberhinaus haben sie - wie später zu zeigen sein wird 15 - initiierende, bestätigende oder etablierende Funktionen für im Entstehen begriffene oder bereits bestehende gewohnheitsrechtliche Regeln. Die wichtigen UNEP-"guidelines" betreffen: -

"Shared natural resources" (1978), Wetterbeeinflußung (1980), Tiefseebergbau und "Offshore-Drilling" (insbesondere Erdölbohrungen vor der Küste) (1982), Meeresverschmutzung durch Von-Land-Einleitungen (1985), umweltgerechtes Management gefährlicher Abfälle (1987), Austausch von Informationen beim internationalen Chemikalien-Handel (1989) und die Prinzipien der Umweltverträglichkeitsprüfung (1987).

von Verbindlichem und Unverbindlichen); ebenso (zum Wirtschaftsrecht) Seidl-Hohenveldern % S. 173 ff und (allgemein) Virally, in: Annuaire de 1TDI 60 (1983 I), S. 191 ff; sehr zurückhaltend demgegenüber Bothe, NethYIL 11 (1980), S. 65 ff und ders. Festschr. Schlochauer, S. 769: es handele sich um bloße soziale Noimen nichtrechtlicher Art, die je nach dem politischen Kontext gewisse Verhaltenserwartungen schaffen. Bothe (insbes. NethYIL 1980, S. 67 f und S. 94 f) scheint zu sehr auf die subjektive Auffassung der Parteien (also darauf, ob sie nur eine politische, oder auch eine rechtliche Verbindlichkeit eingehen wollen) abstellen zu wollen, wobei er die Möglichkeit, eine solche Verpflichtung könnte auch objektiv kraft "bona fides" entstehen, relativ skeptisch beurteilt, weil es eine Umgehung des Parteiwillens darstelle. Aber auch bei der "zwielichtigen Existenz" von "nicht-bindenden Abkommen" {Schachter AJIL 1977, S. 296) bzw. bei Resolutionen/guidelines kann der Vertrauensschutz (unabhängig vom Parteiwillen) zur Pflicht zu einem bestimmten Verhalten oder Unterlassen führen und kann die Akzeptanz eines Staates zu bestimmten Prinzipien ein Beweis dafür sein, daß für diesen Staat eine entsprechende Regel des Gewohnheitsrechts gilt (vgl. I G H Urteil Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Rep.1986, S. 14, auf S. 97 f, para. 189); dadurch käme es dann auch zu (rechtsverbindlichen) Präjudizwirkungen; vgl statt vieler: Schachten Virally; R. Falk AJIL 1966, S. 782; Verdross ZaöRV 26 (1966), S. 690 und Frowein ZaöRV 36 (1976), S. 147 ff. Siehe hierzu Kapitel Π 3 a). 1 4 Vgl. Verdross/Simma Univ. VöR § 656 und Schreuer G Y I L 20 (1977), S. 104 f. Verdross ISimma ebda, machen darauf aufmerksam, daß die Annäherung an formelle Rechtsquellen so weit gehen kann, daß selbst die Schöpfer solcher Normen die Grenzen zur eigentlichen Rechtshindung nicht mehr klar zu ziehen vermögen. 1 5

Siehe unten Kapitel Π 3 a).

72

2 Modernes Umweltvölkerrecht

bb) Die "Shared Resources"-Deklaration (1978)

Einen der weitreichendsten Ansätze für ein Ökologisches Umweltvölkerrecht stellen die Dr φ Principles of Conduct in the Field of the Environment for Guidance of States in the Conservation and Harmonious Utilization of Na Resources Shared by two or more States 16 dar. Diese 1978 nur vom UNEPVerwaltungsrat, aber nicht von der UN-Generalversammlung angenommene Deklaration ist eine wichtige Formulierung von sich entwickelnden Prinzipien des Umweltvölkerrechts17. Sie nimmt Elemente eines primär in Argentinien entwickelten Ansatzes auf 18 und entwickelt vor allem die in der Stockholmer Deklaration enthaltene Kooperationspflicht weiter. Ihre ökologische Zielrichtung zeigt sich daran, daß zum ersten Mal ein ausdrücklicher ScÄMfcauftrag mit dem Ziel der Erhaltung und harmonischen Nutzung der gemeinsamen Naturressource statuiert wird. Dies bedeutet einen Auftrag dahingehend, daß jede Naturnutzung mit dem ökologischen Erfordernis der Erhaltung der Naturressourcen kompatibel sein muß. Es lassen sich - neben der Bestätigung des Stockholmer Prinzips 21 - zwei Hauptpflichten aus dieser Deklaration ableiten: Es wird umfassend die Notwendigkeit der Kooperation der Staaten - möglichst durch den Abschluß bi- oder multilateraler Abkommen - betont, um Regelungen für die Erhaltung und harmonische Nutzung der gemeinsamen Naturressource zu treffen und um schädliche Umwelteffekte aus dieser Nutzung zu kontrollieren, zu verhindern, zu re^ Governing Council Approval of the Report (angenommen: 19.5.1978) sowie Report und Draft Principles (Nairobi, 7.2.1978, UNEP/IG.12/2) in: I L M 17 (1978), S. 1091-1099 (Report: S. 1094, Draft: S. 1097); durch UN-Resolution 34/186 vom 18.12.1979 (UN-GA Report of the 34th Session, S. 128), wurden die Staaten aufgerufen, diese Prinzipien als Richtlinien und Empfehlungen in der Formulierung von bi- und multilateralen Abkommen zu benutzen, dabei wurde ausdrücklich offengelassen, ob diese Regeln als solche im internationalen Recht bereits als verbindlich angesehen werden könnten. - Vgl. den Kommentar zu den Draft Principles von Adede, Albany Law Review 43 (1979), S. 488 ff. Diese Prinzipien waren 1976-78 erarbeitet worden aufgrund der Res. 3129 ( X X V I E ) der UN-GV vom 13.12.1973 ("Co'opcration in the Field of the Environment Concerning Natural Resources Shared by two or more States"). - Zur Rechtsverbindlichkeit der Prinzipien vgl. die kontroversen Ansichten der Expertengruppe, wiedergegeben in Nr. 15 des Report der Expertengruppe, in: I L M 17 (1978), S. 1096. 1 7 Vgl. Kiss in: Macdonald/Johnston, Structure and Process of Int. Law, S. 1082, unter Hinweis darauf, daß Elemente dieses Konzepts in Umweltabkommen verankert sind; dies wird später zu überprüfen sein. Die gewohnheitsrechtliche Bedeutung dieser Deklaration (trotz der fehlenden Bestätigung durch die UN-GV) rührt von der umfassenden Bestätigung ihrer Prinzipien durch UNEPund OECD-Erklärungen und durch mehrere Abkommen. Siehe dazu unten Kapitel Π 3 a. 1 8 Vgl. Β arber is, Losrecursos naturales compartidos entre estados y el Derecho Intemacional, Madrid 1979 und L. del Castillo de Labor de, Anuario Argentino de Derecho Intemacional 2 (1984) N. 86, S. 193-225; Kiss, S. 1080 und Cano in: Academie Colloque 1984, S. 408 f. Von diesen Autoren wird das Konzept heute als ein lateinamerikanisches bezeichnet; anfangs war es aber wohl mehr oder weniger ein argentinisches Kampfkonzept gegenüber Brasilien.

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

73

duzieren oder zu eliminieren (Prinzip 1 und 2). Es wird zweitens in Prinzip 3 Abs. 3 die deutlichste ökologische Schutzpflicht statuiert; dort heißt es19: "... it is necessary for each State to avoid to the maximum extent possible and to reduce to the minimum extent possible the adverse environmental effects beyond its jurisdiction of the utilization of a shared natural resource so as to protect the environment , in particular when such utilization might: (a) cause damage to the environment which could have repercussions on the utilization of the resource by another sharing State; (b) threaten the conservation of a shared renewable resource ; (c) endanger the health of the population of another State.

Diese Formulierung ("which might threaten the conservation of a shared renewable resource") erwähnt - wenn auch eher implizit - weltweit zum ersten Mal 2 0 die Erschöpflichkeit bzw. Verletzbarkeit gemeinsamer Natur-Ressourcen und verknüpft dies mit dem ökologischen Schutzauftrag, für den Erhalt der Natur-Ressourcen einzutreten und bestimmte schädliche Nutzungen zu unterlassen. Diese Schutzpflicht geht über die Nachhaltigkeit hinaus und verlangt vorbeugende 21 Schadensverhütung nicht nur wegen der existentiellen und wirtschaftlichen Interessen, sondern vor allem auch wegen des Erhalts des ökologischen Gleichgewichts (moderner ressourcen-ökonomischer Ansatz). Die Deklaration enthält weiterhin fünf Konkretisierungen zu diesen drei Hauptpflichten22: Die Staaten sollen erstens Umweltbewertungen durchführen, bevor sie bei einer gemeinsamen Naturressource mit Aktivitäten beginnen, welche die Umwelt angrenzender Staaten oder die gemeinsame Naturressource erheblich schädigen könnte (Prinzip 4). Zweitens sollen sie umfassende Informationen und regelmäßige Konsultationen zu Umweltaspekten durchführen (Prinzip 5) und insbesondere vorbeugend detaillierte Pläne von Vorhaben vorlegen, deren Realisierung die Erhaltung oder den Gebrauch der Ressource verändern und möglicherweise die Umwelt im Territorium eines anderen Staates erheblich beeinträchtigen könnte (Prinzip 6 Abs. 1 lit. a). Diese Notifikationspflicht wird weiter dahin konkretisiert, daß Konsultationen und weitere Planungsunterlagen vom betroffenen Anrainer verlangt werden können (Prinzip 6 Abs. 1 lit b und c) und daß diese Notifikationen und Konsultationen auf der Basis von "Treu und Glauben" und guter Nachbarschaft durchzuführen sind

Unterstreichungen hinzugefügt. 2

® Allein auf regionaler Ebene war dies vorher schon in der European Water Charter (1968) des Europarates geschehen. 2 1

Vgl. den Wortlaut: "when such utilization might threaten ..." (Hervorhebung hinzugefügt).

2 2

Vgl. Kiss, S. 1081 f, der vier Konkretisierungen dieser drei Hauptpflichten aufführt.

74

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

(Prinzip 7), woraus sich wohl eine Pflicht ableiten läßt, während der Dauer der Konsultationen nicht mit den Arbeiten zu beginnen23. Drittens sollen die Staaten sich bemühen, durch bi- oder multilaterale Abkommen gemeinsame Kommissionen zwecks Konsultationen über Umweltprobleme bei Erhaltung und Nutzung der gemeinsamen Naturressource zu schaffen (Prinzip 2). Dies wird dahin konkretisiert, daß einmal gemeinsame wissenschaftliche Studien und Be wertungen mit dem Ziel gemeinsamer Daten für das Umweltmanagement durchgeführt werden sollen (Prinzip 8), und zum anderen, daß ein effektives Notfallregime (Notfallpläne, zwingende Warnpflicht und gegenseitige Hilfestellung zur Bekämpfung und Vorbeugung) errichtet werden soll (Prinzip 9). Die Staaten sollen - viertens - ständig bei der Frage nach der Zulässigkeit ihrer eigenen Nutzungs- und Umweltaktivitäten die schädlichen Umweltauswirkungen, die aus dem Gebrauch der gemeinsamen Naturressource entstehen könnten, berücksichtigen, und zwar "without discrimination as to whether the effects would occur within their jurisdiction or outside it" (Prinzip 13) (Diskriminierungsverbot). Fünftens sollen die Staaten sich bemühen, den Personen in anderen Staaten, die durch Umweltschäden aufgrund des Gebrauchs der gemeinsamen Naturressource beträchtlich geschädigt sind oder geschädigt werden könnten, den gleichen Zugang zu Verwaltung und Gerichten nebst gleicher Behandlung und gleichen Rechtsmitteln zu gewähren (Prinzip 14). Eindeutige Pflichten enthalten nur die Prinzipien 3 Abs. 1 und 12 Abs. 1 (beide Bestätigungen vom Stockholmer Prinzip 21) sowie Prinzip 9 Abs. 1 (Warnpflichten bei Notfällen). Die übrigen Bestimmungen sind vager formuliert, wie es generell bei "guidelines" üblich ist; insofern ist es hier schwerer zu sagen, ob es sich um Pflichten oder Empfehlungen handeln soll24. Weiterhin fehlt eine Definition des Begriffs "shared national resources"25; nur einem Bericht des UNEP-Governing Council läßt sich entnehmen, welche Naturressourcen damit gemeint sind26. Sicher ist, daß es um gemeinsame Naturressourcen

2 3 Vgl. Riphagen in Bothe, Trends in Environmental Policy and Law, S. 351. Der Art. 7 der Salzburger IDI-Resolution (1966) wird damit bestätigt, wobei aber die Shared-Resources-Deklaration hinter der Salzburger Resolution zurückbleibt; die Salzburg-Resolution enthielt nämlich ein explizites Bau- und Nutzungsverbot während der Verhandlungen. 2 4

Vgl. dazu Kapitel Π 3 a.

2 5

Vgl. dazu den Définitionsversuch in Nr. 16 des Report of the Intergovernmental Working Group of Experts, in: I L M 17 (1978), S. 1097: "In drafting the principles, the Group had in mind the question of the definition of shared natural resources. Certain proposals were made. One of them, authored by several experts, read as follows: The term 'shared natural resource' means an element of the natural environment used by man which constitutes a biogeophysical unity and is located in the territory of two or more States'". 2 6

Co-operation in the Field of the Environment concerning Natural Resources shared by two or

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

75

einer begrenzten Anzahl von Staaten27 (wie etwa einem internationalen Ruß, einem internationalen See, einem Regionalmeer o.ä.), nicht jedoch um globale Naturressourcen, geht Schließlich mußten die von Experten aus 30 Staaten aus allen Erdteilen erarbeiteten Prinzipien als "kleinster gemeinsamer Nenner" hinter vergleichbaren Texten regionaler Organisationen wie der OECD zurückbleiben28, zumal sie zu einem Zeitpunkt erarbeitet waren, als viele Staaten den kritischen Zustand der Umwelt eher unterschätzten. Dennoch stellt die "shared resources"-Deklaration einen wichtigen Meilenstein in der Entwicklung des ökologischen Umweltvölkerrechts dar: Betont wird nicht mehr so sehr die Souveränität der beteiligten Staaten, sondern vielmehr die Gemeinsamkeit der natürlichen Ressourcen. Das bedeutet: Den Ausgangspunkt bildet die gemeinsame Umwelt, nicht der einzelne souveräne Staat, woraus zwingend folgt, daß auch die Erhaltung und Nutzung nur gemeinsam erfolgen können29. So erlaubt das "shared resource"-Konzept idealerweise das gemeinsame Management einer Naturressource durch eine unabhängige internationale Organisation30, da es eine Verpflichtung zur Internationalisierung enthält31. Insgesamt wird das moderne Umweltmanagement durch das "shared resource"-Konzept erheblich vereinfacht, weil es beim Gebrauch der gemeinsamen Naturressource zu Solidarität verpflichtet und zum ersten Mal das Ziel der Erhaltung der Naturressourcen festschreibt. Dadurch enthält es zugleich

more Stales, Report of the Executive Director to the Governing Council, 2.5.1975, in: EPL 1 (1975) S. 104 ff, para. 86: "While no satisfactory generic term could be found to describe such natural resources, it can safely be assumed that the following are among the most obvious examples: a) An international water system, including both surface and ground waters; b) An air-shed or air mass above the territories of a limited number of States; c) Enclosed or semi-enclosed seas and adjacent coastal waters; d) Migratory species which move between the waters or territories of several States; e) A special ecosystem spanning the frontiers between two or more States, such as a series of mountains, forests or areas of special conservation nature. The above list is not exhaustive; other examples could be added." 2 7

Vgl. Report of the Executiv-Director (Fußn. 26), para. 86, und Kiss, S. 1080.

2 8

Vgl. T. Bunge in: HdUR Bd. I, Sp. 657. Zu den entsprechenden OECD-Erklärangen siehe unten Kapitel Π 2 d) cc). 2 9 Vgl. Riphagen in: Bothe, Trends, S. 344, und ihm folgend T. Bunge, Sp. 658. Riphagen spricht anstelle einer Intemationalität von einer "intemalisation duty", was offenbar die ökologische Schutzpflicht i.S.d. Diskriminierungsverbots meint 3 0 3 1

Vgl. Riphagen, S. 350.

Handl, Revue beige de droit international 14 (1978/79), S. 64, fuhrt die Intemationalisierang auf das "equitable use"-Prinzip im Lichte der "shared resources"-Prinzipien zurück; tatsächlich enthält das Helsinki-"equitable use"-Prinzip (allein) kaum eine Pflicht zur Internationalisierung der Naturressourcen im Gegensatz zum "shared resources"-Prinzip.

76

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

eine Konkretisierung von Art 3 der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten32, indem es die Pflichten zu vorherigen Notifikationen/Konsultationen sowie zu Informationen und generell zur Kooperation präzisiert Die von dieser Charta anvisierte "optimale Ressourcen-Nutzung" dürfte dem entsprechen, was die "Shared Resources"-Deklaration mit "Erhaltung und harmonischer Nutzung" der Naturressourcen umschreibt. Das "shared resource"-Konzept enthält nicht zwangsläufig weitergehende Pflichten der Staaten zum Umweltschutz, weil auch - wie gezeigt - die ex-post-Betrachtung des Trail Smelter- Ansatzes zu Verhinderungspflichten führt 33. Dennoch fördert das "shared resources"-Konzept die Entwicklung des Umweltrechts in die Richtung verstärkter Kooperations-, Informations- und Prüfungspflichten (einschließlich der Umweltverträglichkeitsprüfung) 34 und damit eines vorbeugenden und ressourcenschonenden Umweltvölkerrechts. Der bereits bei der Stockholmer Deklaration analysierte Befund eines Wechsels von der Konkurrenz um Nutzungen hin zum gemeinsamen Umweltmanagement und vom rein nachbarschaftlichen hin zum internationalen Umweltvölkerrecht gilt in besonderem Maße für das "shared resources"-Konzept. Denn letztlich hebt es - wie vor allem das Diskriminierungsverbot zeigt - zugunsten des ökologischen Gleichgewichts der Natur die Souveränitätsfesseln,die dem traditionellen Umweltvölkerrecht zugrundeliegen, auf zugunsten der Pflicht, die Umwelt- und Nutzungs-Interessen der Anrainerstaaten genauso zu berücksichtigen wie die eigenen Interessen35 und läßt damit zunehmend das traditionelle Souveränitätsverständnis erodie-

3 2 Art. 3 der Charter of Economic Rights and Duties of States, Res. 3281 ( X X I X ) vom 12.12.1974 (in: Brownlie, Basic Documents, S. 235) lautet: "In the exploitation ci natural resources shared by two or more countries, each State must co-operate on the basis of a system of information and prior consultations in order to achieve optimum use of such resources without causing damage to the legitimate interest of others". Vorher war die Pflicht zu regelmäßigen Informationen und vorherigen Notifikationen/Konsultationen als notwendige Konsequenz aus dem Stockholmer Prinzip 21 durch die UNResolution 2995 ( X X V I I ) vom 15.12.1972 (in: Rüster/Simma I, S. 149 f) und vor allem durch die UN-Resolution 3129 ( X X V I E ) vom 13.12.1973 (in: Rüster/Simma X V m , S. 9062) anerkannt worden. Vgl. hierzu Parian Boston Univ. Int Law Journal 6 (1988) 2, S. 43 ff. 3 3

Vgl. Riphagen, S. 345 ff.

3 4

Vgl. Bunge, Sp.658; als einziges pragmatisches Problem bleibt die Realisierung in der Praxis, hervorgerufen durch fehlende Definition des Begriffs "shared resource" und durch die Realität der Teilung der Welt in Territorien souveräner Staaten (vgl. Riphagen, S. 345), was aber die Vorteile des theoretischen Konzepts nicht beseitigt. 3 5 Vgl. insbesondere den Wortlaut von Prinzip 13: "It is necessary for Sûtes, when considering under their domestic environmental policy, the permissibility of domestic activities, to take into account the potential adverse environmental effects arising out of the utilization of shared natural resources, without discrimination as to whether the effects would occur within their jurisdiction outside it" (Hervorhebungen hinzugefugt).

or

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

77

ren 36. Das hier niedergelegte Konzept, nach dem die Anrainerstaaten eine gemeinsame und langfristige Verantwortung für die Erhaltung der gemeinsamen Naturressource haben, ermöglicht die intensivste internationale Kooperation zwischen betroffenen Staaten (insbesondere die institutionalisierte Kooperation) einschließlich der Festlegung spezifischer Regelungen für die Nutzung der Ressource (z.B. Emissions- oder Qualitätsstandards sowie Fangqoten)37. Die zunehmende Verrechtlichung der Verpflichtungen zu Information, Konsultation, Schadensvorbeugung, Umweltverträglichkeitsprüfungen etc., die hier erstmalig angedeutet wird, bedeutet eine Entwicklung zum vorbeugenden Umweltvölkerrecht. Ob das "common heritage of mankind"-Prinzip, das erstmals 1968 in einer UN-Resolution verankert wurde38, ähnliche Vorteile bietet, wird unten im Zusammenhang mit den Abkommen zum Meeresumweltschutz (Seerechtskonvention) und mit den Erklärungen zum Weltklima zu prüfen sein. Mit der "Shared Resources"-Deklaration und der Weltcharta beginnt eine Entwicklung, in der Luft und Wasser erstmals zum unmittelbaren Schutzgegenstand des Umweltrechts erhoben werden39; durch diese mediale Umweltschutzkonzeption wird der ressourcenbezogene Ansatz verstärkt. Im Vordergrund des traditionellen Umweltvölkerrechts stand der Schutz von Gesundheit, Sachgütern und Nutzungsinteressen anstelle des Schutzes der Umweltmedien40. Dieser nur mittelbare Umweltschutz greift in mehrfacher Hinsicht zu kurz: Bei großräumigen Luftverschmutzungen oder bei weiträumigen Verschmutzungen größerer Gewässer läßt sich kaum ein Kausalnachweis führen; 3 6 Vgl. Wildhaber in: Macdonald/Johnston, The Structure and Process of Int. Law, S. 443 f, der von der Relativierung des Souveränitätsverständnisses spricht. 3 7

Vgl.Kiss.S. 1080-1082.

3 8

UN-Res. 2749 ( X X V ) vom 17.12.1970, Declaration of Principles Governing the Sea-Bed and the Ocean Floor, and the Subsoil thereof beyond the Limits of National Jurisdiction. Hier wäre zumindest geklärt, welche Bereiche betroffen sind (Weltraum, Tiefseeboden und dessen Untergrund und evtl. Antarktis); zur Einschätzung des Konzeptes vgl. unten Kapitel Π 2 e und Π Ι 1. 3 9

Ebenso Dicke in: Haendcke/Hoppe, Umweltschutz in beiden Teilen Deutschlands, S. 119 f und Wolfrum DVB1. 1984, 496 und 498. Die gelegentlich zu hörende Auffassung, beim Wasser habe es bereits eine solche mediale Konzeption gegeben, dürfte nur bedingt nachzuweisen sein; allein regional (vor allem in Europa und Nordamerika) hat es nur vereinzelt ab den 1960iger Jahren erste Abkommen gegeben, die auch als wasserschützend bezeichnet werden könnten (ebenso die Europäische Wassercharta); Abkommen mit dem Hauptzweck des Schutzes des Mediums Wassers wurden erst nach 1972/78 geschlossen. Neu ist die mediale Konzeption auf jeden Fall für die Luft (und den Boden). Aber auch beim Wasser, bei dem es bereits solche vorsichtigen Ansätze gab, wurde zunehmend ein Perspektiv-Wechsel erreicht: Die mediale Konzeption erlaubte ab 1972/78 den Übergang vom mittelbaren und reaktiven hin zum unmittelbaren, präventiven Schutz der Umwelt Allerdings entwickelte sich der notwendige medien-übergreifende Ansatz (ökologische Gesamtbetrachtung) erst später, ab etwa 1982/87. 4 0

Vgl. hierzu Wolfrum

DVB1.1984, S. 495 f sowie Brunnée , Diss. Mainz, S. 165 ff.

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

78

durch die Beschränkung auf Fälle, in denen rechtlich geschützte Individualinteressen betroffen sind,bleibt das Gemeinschaftsinteresse an einer intakten Umwelt - z.B. im Fall der globalen Klimaerwärmung oder in anderen Fällen, bei denen sich keine konkreten bzw. keine individuell einem Staat zurechenbaren Schäden nachweisen lassen - unberücksichtigt Hinzu kommt, daß dieser traditionelle Ansatz keinerlei planerischen Elemente enthält und auch - wie gezeigt - nur begrenzt einen Präventiv-Schutz der Umwelt ermöglicht. Die moderne mediale Umweltschutzkonzeption zeichnet sich hingegen dadurch aus, daß sie den Übergang von einem eher reaktiven zu einem präventiven Schutz der Umwelt ermöglicht41. cc) Nairobi-Deklaration und Weltcharta für die Natur (1982) Die Notwendigkeit, durch Ressourcenbewirtschaftung und einen integrativen Ansatz der Umwelt- und Entwicklungspolitik eine bestandsfähige Entwicklung zu sichern, wurde zu Beginn der 1980iger Jahre in mehreren UN-Dokumenten aufgegriffen. Beispielhaft sei auf die 1980 von der UN-Generalversammlung angenommenen "International Development Strategy for the Third UN Development Decade"42 hingewiesen, welche vor allem die Notwendigkeit betont: "to ensure an economic development process which is environmentally sustainable over the long run and which protects the ecological balance".

Präzisierungen der im "Shared Resources"-Prinzip 3 Abs. 3 enthaltenen ökologischen Schutzpflicht und der Ressourcenbewirtschaftung finden sich vor allem in der von UNEP in Zusammenarbeit mit WWF und IUCN erarbeiteten World Conservation Strategy von 198043 (WCS), nach der eine bestandsfähig Entwicklung ("sustainable development") nur erreicht werden kann durch Erhalten der wesentlichen ökologischen Prozesse und der "life-support"-Systeme, durch Schutz der genetischen Vielfalt 4 1

Vgl. Wolfrum

4 2

U N Res. A/Res./35/36, in: I L M 20 (1980), S. 480, Zitate in Nr. 41 (S. 489) und in Nr. 32 (S.

ebda, und Dicke, S. 120.

487). Weiter heißt es dort: "In a growing world economy ... the rational development, management and utilization of natural resources should be encouraged in order... to prevent early exhaustion of finite resources and overburdening of renewable resources ... Determined efforts must be made to prevent deforestation, erosion, soil degradation and desertification. International co-operation in environmental protection should be increased". 4 3 World Conservation Strategy 1980 (ohne genaues Datum) in: Rüster! SimmaiBock Band Χ Χ Ι Π , S. 420. Vgl. hierzu auch die Resolution der I U C N vom 22.10.1981, in: EPL 8 (1982), S. 35.

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

79

und durch Sicherstellung eines nachhaltigen Gebrauchs ("sustainable utilization") von Arten und Ökosystemen. Viele Industrie- und Entwicklungsländer sowie internationale Entwicklungsinstitute haben die WCS weithin unterstützt; mehrere Länder erarbeiteten auf der Basis der WCS nationale "conservation"-Strategien44. Eine Aktualisierung und Ergänzung der WCS-Prinzipien erfolgte 198645. Diese Dokumente konkretisieren erstmals die nachhaltige Bewirtschaftung und die Pflicht, das Umweltmanagement in die Entwicklungspolitik zu integrieren. In der Nairobi-Deklaration vom 18. Mai 198246 hat der UNEP-Verwaltungsrat die Stockholmer Prinzipien bekräftigt (Ziffern 1 und 10) und als weithin akzeptierte Vorsorgekonzepte (unter Ziffer 3) die Notwendigkeit des Umweltmanagements, der Bewertung47 und eines integrativen Politikansatzes, der die Interdependenzen zwischen Umwelt, Entwicklung, Bevölkerung und Ressourcen beachtet,bezeichnet Auch hier wird die umweltverträgliche und bestandsfähige Entwicklung als Maxime anerkannt48. Die Vernetzung von Umwelt- und Entwicklungspolitik wird somit nocheinmal betont49 und gleichzeitig wird in zwei Vorsorgekonzepte, Umweltmanagement und Bewertung, eingeführt. Zur Präzisierung der umweltfreundlichen Bewirtschaftung wird die Rolle technischer Innovationen für Ressourcensubstitution, -Wiederverwendung und erhaltung sowie einer rationellen Energieplanung und der Entwicklung neuer/erneuerbarer Energiequellen betont (Ziff. ). Dadurch wird erstmals das Ursprungsprinzip (Bekämpfung der Verschmutzungen an der Quelle) und der integrative Ansatz von Umwelt- und Energiepolitik angedeutet. Die Notwendigkeit von Konsultationen, verstärkter wissenschaftlicher Kooperationen und des grenzüberschreitenden Umweltmanagements wird weiter hervorgehoben 4 4 Vgl. Muldoon, Texas Int. Law Journal 22 (1986) 1, S. 22, unter Hinweis auf U N Doc. UNEP/CIDIE/84.10 final, 1984 (UNEP 5th Session of the Committee of International Development Institutions on the Environment, Summary Record), S. 10.

Conference on Conservation and Development, Implementing the World Conservation Strategy: Conference Recommendations (Ottawa 1986), in: EPL 16 (1986), S. 134. ^ Nairobi Declaration, 18 May 1982, Anlage Π zum Bericht des Verwaltungsrats (Spezialtagung 10.-18.Mai 1982) in: U N Doc. A/37/25 (Beilage Nr. 25 zur 37. Tagung), S. 69; sowie in: EPL 9 (1982), S.45f. 4 7

Ob damit die Umweltverträglichkeitsprüfung gemeint ist, ist unklar.

4 8

"A comprehensive and regionally integrated approach that emphasizes the interrelationship can lead to environmentally sound and sustainable socio-economic development" (Ziffer 3). 4 9 Vgl. auch Ziffer 4 der Nairobi-Deklaration: "Threats to the environment are aggravated by poverty as well as by wasteful consumption patterns: both can lead people to overexploit their environment". Ob man aber - wie es weiter in Ziffer 4 heißt - die Neue Weltwirtschaftsordnung als eine der Hauptinstrumente für die globalen Bemühungen, die Umweltverschlechterung zu verhindern, bezeichnen kann, erscheint fraglich, da die N W W O zu sehr die nationale Souveränität betont Dadurch wird ein "shared resource"-Konzept oder ein Umweltmanagement der "global commons" erschwert

80

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

(Ziff. 6). Von größter Bedeutung ist Ziffer 9, in der erstmalig explizit das Vorsorgeprinzip (in allgemeiner Form) - wenngleich ohne Abgrenzung zum Schutzprinzip50 - anerkannt wird. Dort heißt es: "Prevention of damage to the environment is preferable to the burdensome and expensive repair of damage already done. Preventive action should include proper planning of all activities that have an impact on the environment".

Präzisierungen zu neuen und inzwischen konsensfähigen Vorsorgekonzeptionen enthält die ebenfalls am 18.5.1982 verabschiedete Resolution "The Environment in 1982- Retrospect and Prospect" 51 unter Punkt II. Genannt werden u.a. folgende neue Konzeptionen: eine vernünftige Ressourcen-Nutzung kombiniert mit wohldurchdachten "conservation"-Strategien als Voraussetzung eines langfristigen Wachstums (lit. b); Erforschen von alternativen Formen des Konsumverhaltens, der Technologien und der Raumplanungs-Strategien (lit c); gebührende Berücksichtigung der Wechselbeziehungen zwischen den lebenswichtigen Elementen und Prozessen in den Entwicklungspläner lit.

d);

flexible Planung der Umweltentwicklung und des Umweltmanagements und ständige Überwachungen zwecks frühzeitiger Erkennung von unerwarteten Veränderungen (lit. e); Berücksichtigung "äußerster Grenzen" der Stabilität ökologischer Systeme bei Entwicklungsplänen (lit 0 und Verhütung der Gefahren durch Vermarktung/Export toxischer Substanzen undrisikobehafteter Stoffe (lit. g). Die mediale Umweltschutzkonzeption und der langfristige, auf bestandsfähige Entwicklung zielende Ansatz wird hierdurch deutlicher. UNEP selber zieht daraus (unter Punkt IV) als Zielsetzungen für den Zeitraum 1982-92 den Schluß, daß es bei der Überwachung und Bewertung von Umweltproblemen mit weltweiter Bedeutung eine stimulierende, koordinierende und katalytische Wirkung ausüben und eine internationale Zusammenarbeit zur Lösung dieser Probleme einleiten und koordinieren will, geeignete Politiken und Programme eines rationellen Ressourcen- und Umweltmanagements (als integrale Bestandteile der sozio-ökonomischen Entwicklung) fördern, koordinieren und implementieren will, 5 0 5 1

Vgl. auch Rehbinder, Das Vorsorgeprinzip, Ms., S. 260.

Resolution I der UNEP-Spezialtagung, Anlage I zu U N Doc. A/37/25, S. 39-58 (sowie in: EPL9 (1982), S. 46-50).

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

81

und daß es Aktivitäten im Bereich der Information, der Erziehung, der Ausbildung und der Schaffung nationaler Institutionen (insbesondere für Entwicklungsländer) ebenso wie die Weiterentwicklung des Umweltrechts und die Entwicklung von "guidelines" und Methoden des Umweltmanagements fördern, koordinieren und leiten will. Die Nairobi-Deklaration, die zusammen mit der zuletzt genannten Resolution eine Einheit bildet (weil letztere dazu dient, erstere zu konkretisieren), postuliert damit erstmalig - wenn auch noch etwas vage - eine vorbeugende Planung unter Berücksichtigung des ökologischen Gleichgewichts. Gleichzeitig findet sich dort die vorsichtige Anerkennung einiger anderer vorbeugender Konzepte (Bewertungen, ständige Kontrollen) und damit der Ansätze eines Umweltmanagements. Die am 28.10.1982 von der UN-Generalversammlung als Resolution verabschiedete Weltcharta für die Natur 52, die auf Initiativen von 34 Entwicklungsländern zurückgeht53 und mit nur einer Gegenstimme (USA) und 18 Enthaltungen (lateinamerikanische Staaten) angenommen wurde54, ist zunächst ein Verhaltenskodex55 zur Behandlung der Natur und der Naturressourcen auf Weltebene. Über diesen Charakter eines politisch-moralisch verpflichtenden "code of conduct" hinaus präzisiert oder etabliert dieses Dokument zahlreiche 5 2

Res. 37/7 vom 28.10.1982, in: Burhenne/Irwin ua. The World Charter for Nature, S. 9-13, sowie in: I L M 22 (1983), S. 455 und in: Ecology Law Quarterly 12 (1985), S. 992-996; deutsch in: V N 1983, S. 29-31. 5 3 Auf Initiative von 34 afrikanischen Staaten, zu denen später noch Belgien und Jugoslawien hinzukamen, war sie von der I U C N entworfen und von einer UNEP-Expertengnippe unter Berücksichtigung von Staaten -Kommentaren überarbeitet worden. Ob tatsächlich die Afrikaner und insbesondere Zaire eine initiierende Rolle hatten, wird teilweise bestritten mit der (unbewiesenen) Behauptung, man habe Mobutu das Dokument zur "Aufpolierung" seines internationalen Ansehens überlassen. Zur Entstehungsgeschichte vgl. Burhenne/Irwin in: dies, u.a., The World Charter for Nature, S. 14-16; Wood jr. Ecology Law Qu. 12 (1985), S. 978 f und ausführlich Skupnik V N 1983, S. 12-15 (mit Erklärungen zur führenden Rolle Zaires auf S. 12: Hilfestellungen bei der Verwaltung seiner 7 Nationalparks und Verbesserung des internationalen Ansehens der Regierung Mobutu). 5 4 Anzahl der Ja-Stimmen: 111. Vgl. Voting Roster for Resolution 37/7, Appendix 2 zu: Burhenne/Irwin u.a., The World Charter for Nature, S. 95 f. Die Gegenstimme und die Stimmenthaltungen mahnen etwas zur Zurückhaltung bei bestätigender/etablierenden Funktion für das Gewohnheitsrecht Zur Bedeutung des Stimmverhaltens bei Resolutionen allgemein und insbesondere zur Fragwürdigkeit der Nein-Stimme der USA bzw. zur Irrtümlichkeit einiger Enthaltungen bei der Weltcharta siehe unten Kapitel Π 3 a). 5 5 So ausdrücklich die Position von Zaire während der UN-Debatte im Oktober 1980 (in Burhenne/Irwin,S. 17 "It is a code of conduct within the framework of which all the activities of mankind should take place") und im Oktober 1981 (in Burhenne/Irwin, S. 28), die offensichtlich auch von anderen Staaten geteilt wurde, vgl. etwa Frankreichs Kommentar zum Entwurf der Charta (in Burhenne/Irwin, S. 23: it can only "amount to a code of conduct for managing nature"), weswegen Frankreich auch vorschlug, das Wort "standards" durch "guidelines" oder "guiding principles" zu ersetzen. Vgl. auch die Hinweise von Wood jr. S. 982-984 auf den Appelcharakter, wobei AppeUe an das "menschliche Verhalten" - anstelle von Aufrufen an Staaten - nicht erzwingbar sind.

6 Hohmann

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

82

gewohnheitsrechtliche Pflichten und reflektiert somit teilweise geltendes Recht56; hinzu kommt, daß mehrere Länder der Dritten Welt ihre Gesetzgebung ausdrücklich auf die Prinzipien der Weltcharta stützten57, was ebenfalls auf die völkerrechtliche Bedeutung der Weltcharta zurückwirkt58. Die Weltcharta für die Natur ist das wohl wichtigste UN-Dokument, in dem das Vorsorgeprinzip als zentrales Prinzip der Umweltpolitik Anerkennung gefunden hat59. In der Präambel und den Prinzipien 1-5 werden erstmals der Respekt vor der Natur mit ihren grundlegenden Prozessen und die Erhaltung des genetischen Erbes der Erde mit den hierfür erforderlichen Lebensräumen als grundlegende Prinzipien einer vorsorgenden ökologischen Umweltpolitik anerkannt. Dabei wird der Mensch erstmals als Teil der Natur und als abhängig vom ununterbrochenen Funktionieren der natürlichen Systeme bezeichnet; zugleich wird ausgedrückt, daß jede Lebensform unabhängig von ihrem Wert für den Menschen Anspruch auf Achtung hat (Präambel). Dies bedeutet weltweit zum ersten Mal das Anerkenntnis, daß die Natur auch um ihrer selbst willen geschützt werden muß im Sinne des geläuterten anthropozentrischen Ansatzesfi 0. Diese Formulierungen bedeuten hingegen nicht - wie z.T. fälschlich angenommen wird 61 - ein Hinwenden zu einem ökozentrischen Mitwelt-Ansatz, der einen Menschen zu einem "Vertrag mit der Natur" verpflichtet. Bestätigt wird hingegen die Verpflichtung der Staaten, die genetische Vielfalt zu schützen und zu erhalten und einen bestandsfähigen Gebrauch ("sustainable utilization") von Arten und Ökosystemen sicherzustellen, wie es bereits 1980 in der "World Conservation Strategy" niedergelegt war. Bemerkenswert ist das Eintreten für die Nachhaltigkeit mit den daraus folgenden Pflichten zur Wahrung des ökologischen Gleichgewichts, zur Erhaltung der Qualität der Natur und 5 6 Vgl. Kommentar des International Concil of Environmental Law, in: Burhenne/Irwin u.a., The World Charter for Nature, S. 128. Sämtliche Pflichten der Weltcharta werden durch spätere UN-Resolutionen, UNEP-guidelines und andere Dokumente bestätigt; erst daraus ergibt sich ihre Bedeutung für das Entstehen gewohnheitsrechtlicher Prinzipien; siehe dazu Kapitel Π 3 a. 5 7

Dies gilt etwa für Pakistan und Mali (vgl. Wood jr. % S. 990) und einige andere Länder der Dritten Welt; siehe auch Hinweise in Fußn. 19 in Kapitel Π 2 a . Auch der Wortlaut von Art. 225 der Brasilianischen Verfassung vom 5.10.1988 (in: Paid Hrsg., Die Brasilianische Verfassung von 1986, S. 186 f) ist weitgehend der Formulierung der Weltcharta entlehnt, obwohl Brasilien ursprünglich Bedenken gegen einige Prinzipien der Weltcharta geäußert hatte. Von daher ist es unzutreffend, wenn Skupnik V N 1983, S. 16, andeutet, es könne sich um eine "Ermahnung ohne Adressaten" handeln. 5 8

Vgl. Kunig Festschr. Doehring, S. 550.

5 9

Ebenso Rehbinder, Das Vorsorgeprinzip, Ms., S. 261.

6 0

Vgl. Text zu Fußn. 14 bei Kapitel I .

6 1 Vgl. Dicke V N 1985, S. 62, der dies unterstellt. Daß bei den Debatten um die Weltcharta z.T. von einem "Vertrag zwischen Mensch und Natur" gesprochen wurde (vgl. Skupnik V N 1983, S. 14), bedeutet nicht zwangsläufig, daß diese Philosophie im Text festgeschrieben ist Der Weltcharta läßt sich vielmehr nur der geläuterte anthropozentrische Ansatz entnehmen.

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

83

zum sparsamen Umgang mit den natürlichen Ressourcen62; ergänzend kommt hinzu das Eintreten für das Schutzgebiete-Konzept (Prinzip 3). Besonders hervorzuheben ist das Bekenntnis zur Ressourcenschonung, denn als Mindeststandard für den Schutz des genetischen Erbes wird das ,fsustainable yield 1 (wörtlich: "at least sufficient for their survival")63 (Prinzip 2) und als grundsätzlicher Standard die optimale Dauerproduktivität ("optimum sustainable productivity")64 (Prinzip 4), also die optimale Ressourcenpflege verlangt. Präambel und die ersten fünf Prinzipien bestätigen damit nachdrücklichst die mediale Umweltschutzkonzeption mit umfassendster Ressourcen-Schonung. Auch das Gebot der ökologischen Gesamtbetrachtung dürfte in diesen Bestimmungen bereits enthalten sein. Die Prinzipien 7-9 befassen sich erstmals mit der Planung unter Vorsorgegesichtspunkten: Demnach muß die Erhaltung der Natur ein integraler Aspekt der Planung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung samt der späteren Ausführung dieser Planung sein; verlangt werden deshalb eine langfristigen Wirtschafts-, Bevölkerungs-, Siedlungs- und Bodennutzungsplanung65. Die Prinzipien 10 und 11 präzisieren und betonen nachdrücklich den Nachhaltigkeitsgrundsatz (einschließlich eines Verschwendungsverbots). Prinzip hierzu ein abgestuftes System für die einzelnen Naturressourcen ein: Für lebende Ressourcen (Tiere) und Böden66 gilt die Verpflichtung zum "status quo"-Erhalt und das Verbot der Nutzung über die Regenerationsfähigkeit (den " sustainable yield 1) hinaus; für Ressourcen wie Wasser, die bei ihrer Nutzung nicht verbraucht werden, samt ihrer Derivative gilt die Pflicht zur Wiederverwendung bzw. Aufbereitung (Recycling); für nicht-erneuerbare Ressourcen, die 6 2 Vgl. Kommentar des Internat. Wortlaut der Präambel:

Concil of Environmental

Law, S. 136-139. Vgl. bereits den

"Man can alter nature and exhaust natural resources by his actions or its consequences and, therefore, must fully recognize the urgency of maintaining the stability and quality of nature and of conserving natural resources". 6 3 Das Prinzip "sustainable yield" stammt aus der Convention on Fishing and Conservation of the Living Resources of the High Seas vom 29.4.1958 (Art. 2); ähnlich auch Art. 61 der Seerechtskonvention. 6 4 Prinzip 4 lautet: "Ecosystems and organisms, as well as the land, marine and atmospheric resources that are utilized by man, shall be managed to achieve and maintain optimum sustainable productivity , but not in such a way as to endanger the integrity of those other ecosystems or species with which they coexist" (Hervorhebung hinzugefügt). Letztere Formulierung bedeutet eine Pflicht zur Berücksichtigung des ökologischen Zusammenhangs (Verbot der isolierten Bewirtschaftung/Optimierung). 6 5

Bei der langfristigen Wirtschafts- und Siedlungsplanung müssen die Tragfähigkeit der natürlichen Systeme für die menschliche Bevölkerung und ihre Siedlungen berücksichtigt werden; bei der Bodennutzungsplanung müssen räumliche Beschränkungen, biologische Produktivität/Vielfalt und die natürliche Schönheit der Gebiete berücksichtigt werden. 6 6 Für Böden bedeutet dies den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit und Verhinderung der Ersosion und anderer Formen der Bodenverschlechterung.

84

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

bei ihrer Nutzung verbraucht werden, samt ihrer Derivative gilt die Pflicht zur maßvollen und sparsamen Verwendung. Neben diesen in Prinzip 10 enthaltenen Leitlinien zum Verschwendungsverbot (Status-quo-Erhalt und "sustainable yield" bzw. Vermeidung, sparsamer Gebrach, Wiedergebrauch, Aufbereitung) ist auch noch der höhere Standard des Prinzip 4 (Management mit optimaler Ressourcenpflege) zu beachten67. Gleichzeitig wird durch Prinzip 10 in Verbindung mit Prinzip 4 klargestellt, daß die Nutzung der Ressourcen (etwa der Bodenschätze68) nicht das ökologische Gleichgewicht stören darf. Prinzip 10 der Weltcharta ist damit die umfassendste Bestätigung und Präzisierung des in den Stockholm-Prinzipien 2-5 angedeuteten Verschwendungsverbots. Die Prinzipien 11-12 betreffen die Verschmutzungskontrolle vor allem bei industriellen, land- und forstwirtschaftlichen Aktivitäten. In den Prinzipien 11 und 12 wird der Vorsorgeaspekt durch Bezugnahme auf die besten verfügbaren Technologien ("best available technologies ") zur Einschränkung schädlicher Wirkungen auf ein Mindestmaß ausgesprochen. Diese Bezugnahme auf die besten verfügbaren Technologien war von verschiedenen Entwicklungsländern69 kritisiert worden, weil es nach der modernsten Technologie der Industrieländer klang, obwohl nur die geeignetsten Technologien (einschließlich der lokalen Technologien) gemeint waren. Es geht folglich nicht um den Stand der Technik im Sinne der deutschen Terminologie, sondern es sind sowohl die Schutzbedürftigkeit des Umweltgutes als auch die sozio-ökonomischen und finanziellen Bedingungen zu berücksichtigen70. Das in Prinzip I I a ) enthaltene Verbot von Aktivitäten, die der Natur einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen könnten, entspricht nationalen Regelungen71. Für Aktivitäten, die sich auf die Natur auswirken können, wird eine nach dem vermutlichen Gefährdungspotential gestufte Untersuchung oder Umweltbewertung vorgeschrieben. Das Vorsorgekonzept wird in bisher nachdrücklichster Weise dadurch ausgedrückt, daß

6 7

Vgl. Kommentar des Internat. Council of Environmental Law, S. 156. Zum Einbezug der Derivative vgl. dens. ebda., S. 158. 6 8 Nach dem Kommentar des Internat. Council of Envir. Law, S. 156, sind hier ausnahmsweise die "minerals and fossil fuels", die sonst nicht zu den Naturressourcen gerechnet werden, miterfaßt 6 9 Vgl. die Standpunkte von Brasilien (für die Amazonas-Staaten) und Indien, wiedergegeben bei Burhenne/Irwin, S. 67 und bei Wood jr. Ecology Law Qu. 12 (1985), S. 986, sowie die Replik von Zaire, ebda.: it referred "to the most appropriate - not the most sophisticated - technologies that can minimize risks to or adverse effects on nature. Certain local technologies may even tum out to be ... more appropriate". Zum Einbezug auch traditioneller Techniken vgl. die World Conservation Strategy, chapter 14 para. 11. 7 0 Vgl. Internat. Council of Envir. Law , S. 160, zur Diskussion um Technologiestandards siehe unten Kapitel Π 2 b dd) und Π 2 d aa). 7 1 Etwa dem deutschen § 8 Π Ι BNatSchG; es fehlt aber eine ausdrückliche Bestimmung einer Ausgleichspflicht, wie sie verschiedene nationale Bestimmungen (etwa § 8 Π BNatSchG) vorsehen.

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

85

bei vermutlich hochgradiger Gefährdung der Natur 72 die Aktivität zunächst erschöpfend untersucht und ihre Ungefährlichkeit nachgewiesen werden muß73, bzw. daß bei nicht ausreichender Kenntnis der möglichen schädigenden Folgen diese Aktivität unterbleiben muß (Prinzip 11 b). Prinzip 11 c) 7 4 enthält erstmals ausdrücklich eine Bestimmung über die Erforderlichkeit von Bewertungen und Umweltverträglichkeitsstudien, die nach einer Umweltverträglichkeitsprüfung klingen75. Allerdings wird nicht ausführlich geregelt, welche Prozedur hiermit gemeint ist und ob es tatsächlich um eine UVP geht. Die Amazonas-Staaten etwa opponierten gegen diese Regelung, weil diese nicht zwischen den Umweltproblemen der Industrie- und der Entwicklungsländer unterscheide; eine US-amerikanische UVP könne aber von ihnen bereits aus Kostengründen nicht verlangt werden76. Von daher muß Prinzip 11c) einschränkend dahin ausgelegt werden, daß Umweltbewertungen irgendeiner Art rechtzeitig zu Beginn der Planung eines Entwicklungsprojektes oder einer sonstigen umweltgefährdenden Aktivität durchgefühlt werden müssen, und zwar so rechtzeitig, daß noch im Planungsprozeß Entscheidungen mit möglicherweise schädlichen Umweltwirkungen beeinflußt werden können77. Dadurch sollen schädliche Folgen auf ein Mindestmaß reduziert werden. Durch Prinzip 11 d) werden weltweit erstmals - was 1972 noch nicht gelungen war 78 - auch der Land-, Forst- und Weidewirtschaft sowie dem Fischfang ökologische Nutzungs-Grenzen au

7 2 Wörtlich lautet Prinzip 11 b): "Activities which are likely to pose a significant risk to nature shall be preceded by an exhaustive examination; their proponents shall demonstrate that expected benefits outweigh potential damage to nature, and where potential adverse effects are not fully understood, the activities shall not proceed". 7 3

An die Stelle des Ungefahrlichkeits-Nachweises kann der Beweis treten, daß die zu erwartenden Vorteile mögliche Schäden für die Natur überwiegen. 7 4

Prinzip 11c) lautet: "Activities which may disturb nature shall be preceded by an assessment of their consequences, and environmental impact studies of development projects shall be conducted sufficiently in advance, and if they are to be undertaken, such activities shall be planned and carried out so as to minimise potential adverse effects" (Hervorhebungen hinzugefügt). 7 5 Dem Kommentar des Internat. Council of Environmental Law, S. 164, läßt sich entnehmen, daß mit dieser Bewertung nicht zwangsläufig die UVP gemeint ist Bei der "Shared Resources"Deklaration (Prinzip 4 und 8) dürften mit den Umweltbewertungen nur Analysen über den Zustand der Umwelt gemeint sind; erst ab den Offshore-Guidelines von 1982 finden sich Anhaltspunkte für eine UVP, siehe dazu unten Kapitel Π 2 b dd). 7 6 Vgl. die SteUungnahme Brasiliens (für die Amazonasstaaten), Argentiniens und Indiens, wiedergegeben in: Burhenne/Irwin, S. 67 und bei Wood, S. 985, sowie die Replik von Zaire, ebda.: it "simply says that when development projects are undertaken, they should be conducted in a planned fashion, so as to minimize any possible adverse effects". 7 7 7 8

Vgl. Wood, S. 985, sowie Internat. Council ofEnvir.

Law , S. 164.

Die Entwicklungsländer hatten sich 1972 gesträubt, die Hauptprobleme des Landes (Bodenerosion, mangelhafte Wasserqualität, Mißbrauch von Pestiziden, Abholzen von Wäldern) zu regeln; vgl. Leonhard!Morell Stanford Journal of Int Law 17 (1981), S. 286 f und 306 f.

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

86

dadurch werden Praktiken wie Monokulturen, Überweidung, Zerstörung von Vegetation, destruktive Fisch-Methoden und der exzessive Einsatz von Düngeund Schädlingsbekämpfungsmitteta ausgeschlossen79. Diese Praktiken bzw. ihre Nebenfolgen sind folglich zu vermeiden80. Besonders wichtig für die Verschmutzungskontrolle sind auch die Prinzipien l i e ) und 12. Durch Prinzip 11 e) wird erstmals weltweit eine Sanierungspflicht statuiert Prinzip 12 verbietet erstmals das unkontrollierte Einleiten von Schadstoffen in natürliche Systeme An die Stelle der primär zu prüfenden Vermeidung tritt die Pflicht zur Behandlung der Schadstoffe am Ort ihrer Verursachung unter Einsatz der besten anwendbaren Methoden; hinzu kommen besondere Vorsichtsmaßnahmen beim Umgang mit toxischen oder radioaktiven Abfällen. Dies verpflichtet nicht nur zu einem angemessenen Abfall- und Gewässermanagement, sondern auch zur Abfallvermeidung auf das technisch-wirtschafdiche Minimum (bis hin zu Auswirkungen auf die Produktion)81. Von den folgenden Durchführungs-Bestimmungen ist besonders Prinzip 19 hervorzuheben, welches eine ständige Überwachung der Ökosysteme verlangt, damit jede Verschlechterung oder Bedrohung frühzeitig erkannt und ein rechtzeitiges Eingreifen sichergestellt werden kann. Hier erfolgt erstmals eine weltweite Anerkennung der Notwendigkeit des Umwelt-Monitorings als Voraussetzung eines effektiven Umweltmanagements. Prinzip 21 faßt die gewohnheitsrechtlich anerkannten Pflichten (Informationsaustausch, Konsultationen, Stockholmer Prinzip 21) zusammen und verdeutlicht, daß die (im SharedResources-Prinzip 3 Abs. 3 genannte) ökologische Schutzpflicht auch für die jenseits der nationalen Jurisdiktion liegenden Gebiete (hohes Meer, Luftraum über dem hohen Meer, die exklusive Wirtschaftszone, Weltall, Himmelskörper und Antarktis)82 gilt, was bereits im Stockholmer Prinzip 21 angeklungen war. Weiterhin wird zur Festlegung von Produkt-, Qualitäts- oder Emissionsstandards aufgerufen 83. Internationale Organisationen, Unternehmen und Individuen sollen weitgehend in diese Pflichten einbezogen werden. Schließlich wird in der Weltcharta noch die Notwendigkeit erwähnt, Strategien zur Erhaltung der Natur zum Bestandteil jeder Planung zu machen, Forschungen zu vertiefen

7 9 Vgl. Internat. Council of Envir. Law, S. 164; dies folgt aus dem Gebot, diese Praktiken "den natürlichen Merkmalen und Beschränkungen des jeweiligen Gebietes anzupassen". 8 0 Rehbinder, Das Vorsorgeprinzip, Ms., S. 263, interpretiert dieses Prinzip so, daß auch die Schädlingsbekämpfung kontrolliert werden kann und daß bei der Schädlingsbekämpfung schädliche Nebenwirkungen zu vermeiden sind. 8 1

Vgl. Internat.Council

8 2

Vgl. Internat. Council ofEnv. Law, S. 184.

8 3

Vgl. die Interpretation des Prinzips 21b) durch den Internat. Council ofEnv. Law, S. 182.

ofEnv Law, S. 166.

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

87

und möglichst einen Technologietransfer zu fördern 84 sowie Individuen möglichst am Entscheidungsprozeß samt Überprüfungsmöglichkeiten zu beteiligen (Prinzipien 16,18 und 23). Die Weltcharta kann als die Magna Charta85 der ökologischen Umweltpolitik angesehen werden. Sie ist weltweit das erste Dokument, das umfassend das Vorsorgeprinzip verankert, indem es die Nachhaltigkeit, das Verschwendungsverbot und die Planungspflicht präzisiert, das Umweltmanagement auf die optimale Ressourcenpflege (optimale Dauerproduktivität) und mindestens auf die Regenerationsfähigkeit festlegt und der Land- und Forstwirtschaft sowie dem Fischfang ökologische Grenzen für ihre Praktiken zieht. Erstmals werden frühzeitige Untersuchungen, Umweltverträglichkeitsstudien, laufende Überwachungen und Sanierungen verpflichtend und das Verbot der unkontrollierten Einbringung von Schadstoffen festgelegt, was zu einem angemessenen Abfallund Gewässermanagement und zur Abfallvermeidung verpflichtet Die umfassende Verschmutzungskontrolle, die im Falle des Verstoßes zu Nutzungsverboten führt, die ökologische Schutzpflicht und der hohe Standard für die Ressourcenbewirtschaftung verlangen zwingend ein langfristiges, mit den anderen Anrainer-Staaten abgestimmtes Umweltmanagement Frühzeitige Untersuchungen, Bewertungen/Umweltverträglichkeitsstudien und integrative Planungen, laufende Überwachungen (Monitoring), das Aufstellen von Emissions-, Qualitäts- oder Produktnormen, regelmäßiger Informationsaustausch und frühzeitige Konsultationen, sie alle tragen zur Notwendigkeit von ex-ante-Betrachtungen und letztlich zu einem vorbeugenden und ressourcenschonenden Umweltvölkerrecht bei. Es handelt sich um die überzeugendste Bestätigung der medialen Umweltschutzkonzeption, die zu einer planerischen Bewirtschaftung der Natur verpflichtet Die Weltcharta trug und trägt einmal zur Bewußtseinsbildung primär der Länder der Dritten Welt bei 86 , die ihre Umweltpolitik und - wie gezeigt - auch ihre Gesetzgebung auf die Prinzipien der Weltcharta stützten. Zugleich ist sie ein Meilenstein in der Entwicklung des Umweltvölkerrechts, da sie die in der Stockholmer Deklaration niedergelegten Pflichten präzisiert und weiterentwickelt Dadurch enthält sie alle "basic rules" des modernen Umweltvölkerrechts. Beobachten läßt sich eine konsequente Weiterentwicklung der Stock8 4 Gegen die Formulierung, die Verbreitung dieser Kenntnisse solle "unbehindert durch irgendwelche Beschränkungen" erfolgen, gab es einen Protest Brasiliens (namens der Amazonas-Staate), vgl. Wood, S. 984 in seiner Fußn. 68. 8 5 Sie ähnelt damit der Allgemeinen Menschenrechtserklärung, die ebenfalls eine Magna Charta des Menschenrechts-Schutzes ist; die Allgemeine Menschenrechtserklärung war auch als Modell für die Weltcharta genommen worden, vgl. Bur henne/ Irwin, S. 14 und Wood, S. 983. 8 6 Vgl. Angaben in Fußn. 19 zu Kap. II.2a ; sowie Wood, S. 990 und Muldoon Texas InL Law J. 22 (1986), S. 22 f.

88

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

holmer Prinzipien durch MShared-Resources"-Deklaration, Nairobi-Deklaration, Resolution "The Environment in 1982" und insbesondere durch die Weltcharta, was einen begründeten - wenn auch später anhand der Abkommen zu verifizierenden - Indikator dafür abgibt, daß es sich hier um Rechtspflichten, d.h. um die Dokumentation der opinio iuris, handelt. Diese in der Stockholmer Deklaration nur angedeuteten Verpflichtungen lassen sich etwa folgendermaßen resümieren: Staaten müssen dafür sorgen, daß durch unter ihre Jurisdiktion oder Aufsicht fallende Aktivitäten den in anderen Staaten oder jenseits der Grenzen nationaler Jurisdiktion befindlichen natürlichen Systemen kein Schaden zugefügt wird 87. Dies bedeutet über das Verbot der Schadenszufügung hinaus eine Pflicht zum Schutz und Erhalt der Natur in diesen Gebieten. Das Berücksichtigen schädlicher Umweltauswirkungen vor Beginn von Aktivitäten darf nicht danach unterscheiden, ob die Wirkungen inner- oder außerhalb der eigenen Jurisdiktion eintreten88. Staaten haben die Pflicht, für eine ökologisch verträgliche Entwicklungspolitik zu sorgen und das Umweltmanagement in die Entwicklungs- und Wirtschaftsplanung samt der Realisierung dieser Planung zu integrieren89; zusätzlich gibt es vage Appelle für einen begrenzten Technologietransfer 90. Die Staaten sind zur Erhaltung der Natur (zumindest im Sinne einer nachhaltigen Bewirtschaftung) verpflichtet, wobei seit 1982 auch die typischen Landprobleme (Bodenerosion, Wälder, Pestizide) einbezogen sind91. Eine Konkretisierung dieser Pflicht geschieht erstmals durch die Weltcharta; danach umfaßt sie: Erhalt des genetischen Erbes und Ressourcenmanagement zwischen "sustainable yield" und optimaler Dauerproduktivität, Schutzgebiete, Verschwendungsverbot (also sparsamer Umgang, status-

8 7

Stockholmer Prinzip 21 und Weltcharta-Prinzip 21 d).

8 8

ökologische Schutzpflicht: Shared Resources-Prinzip 3 Abs. 3 und Weltchaita-Prinzip 21 e); Diskriminierungsverbot: Shared Resources-Prinzip 13. 8 9 Stockholmer Prinzipien 8-12 und 14; Art 30 der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten (Fußn. 15 zu Kapitel Π 2 a ); Development Strategy for the 3rd Development Decade; Ziff. 3, 4 und 8 der Nairobi-Deklaration (hier auch Einbezug der Bevölkerungsund Energiepolitik); Punkt Π l i t d und Π lit. f der Res. "The Environment in 1982 ..."; sowie Prinzipien 7-9 der Weltchaita (hier auch Einbezug der Siedlungspolitik). 9 0 9 1

Vgl. Stockholmer Prinzip 12 und Prinzip 18 der Weltchaita.

Vgl. Stockholmer Prinzipien 2-5; Shared-Resources Deklaration (Prinzip 3 Abs. 3); WCS; Ziff. 3 und 8 der Nairobi-Deklaration; sowie Prinzipien 1-5 und 10-11 der Weltchaita.

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

89

quo-Erhaltung, sowie Vermeidung und Wiederverwertung) und Verbot von Aktivitäten mit nicht wiedergutzumachenden Umweltschäden92. Die Staaten sind zur Beachtung des Vorsorgeprinzips verpflichtet, wobei es sich um eine Pflicht zur Reduzierung des Risikos bei konkretem Gefahren· oder Risiko-Verdacht handeln dürfte 93. Es gibt ein zunehmendes Anerkenntnis vorbeugender Umweltkonzepte, wozu auf jeden Fall Informationspflichten, Konsultationen, Kooperationen, Umweltmonitoring sowie Umweltbewertungen und Planungen gehören; dabei werden die Anforderungen an Umweltbewertungen und Planungen immer umfassender94. Ob die Staaten darüberhinaus zum Unterlassen unkontrollierter Einleitungen, zum Sanieren, zur Ressourcen-Wiederverwendung bzw. zu einer rationellen Energieplanung oder zur Entwicklung neuer und erneuerbarer Energien verpflichtet sind, ist fraglich, da solche Pflichten praktisch allein in der Weltcharta bzw. der Nairobi-Deklaration enthalten sind95; Gleiches gilt auch für die Einbeziehung der Öffentlichkeit in die Planung sowie den Zugang betroffener Bürger aus Nachbarstaaten zu Rechtsmitteln96. Diese Entwicklung tendiert in Richtung zu einem ressourcenschonenden und vorbeugenden Umweltvölkerrecht. Die oben aufgezeigten zunehmenden Konkretisierungen von Rechtspflichten erlauben auch eine Neu-Interpretation des im Stockholmer Prinzip 21 enthaltenen Formelkompromisses97 zwischen Nutzung und Schutz: Das scheinbar unbegrenzte souveräne Recht der Staaten zur Ausbeutung der eigenen Naturressourcen ist seit 1982 eingeschränkt durch die o.g. Schutzpflichten, eine Rechtsentwicklung, die 1966 oder 1972 noch nicht ohne weiteres hätte konstatiert werden können. 9 2 Hierzu werden auch Monokulturen, Vegetations-Zerstörung, Überweidung/Überfischung, exzessiver Einsatz von Dünger/ Pestiziden gerechnet 9 3 Vgl. Ziff. 9 der Nairobi-Deklaration (Beschreibung in allgemeiner Form) mit Konkretisienmgs-Ansätzen in Res. "The Environment in 1982" unter Π; sowie Prinzipien 11-12 der Weltcharta (Bezugnahme auf Risikoverdacht und auf geeignetste Technologien). 9 4 Vgl. Stockholmer Prinzipien 13-16, Stockholmer Empfehlungen 60-61; Prinzipien 4-9 der Shared Resources -Deklaration; Prinzipien 3 und 6 der Nairobi-Deklaration; Res. "The Environment in 1982" unter Π lit e und Π lit f; sowie Prinzipien 7-9,11 c), 20 und 21 der Weltcharta. Es handelt sich um eine Bewegung von der einfachen Umweltplanung hin zu integrierten Wirtschafts-, Siedlungs-, Bodennutzungs- und Umweltplanungen, und von einer nicht konkretisierten Bewertung hin zur Umweltverträglichkeitsprüfung. - Zwingend ist die Informationspflicht bei Umwelt-Notfällen (Prinzip 9 der Shared-Resources-Deklaration). 9 5

Vgl. Prinzipien 11 d und 12 der Weltcharta und Prinzip 8 der Nairobi-Deklaration.

9 6

Vgl. Prinzipin 16 und 23 der Weltchaita; vgl. auch Prinzip 14 der Shared Resources-Deklara-

tion. 9 7

Vgl. Fußn. 26 zu Kapitel Π 2 a) .

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

90

dd) Sonstige UNEP-"guidelines" (1980-89)

In den übrigen UNEP-"guidelines" werden neben Informations-, Notifikations- und Kooperationspflichten vor allem die Verschmutzungskontrolle, Planungen, Genehmigungsvorbehalte und andere vorbeugende Umweltkonzepte wie die Umweltverträglichkeitsprüfung näher beleuchtet und präzisiert.

In den mit Beschluß des UNEP-Verwaltungsrates vom 29. April 1980 angenommenen Provisions for Co-operation between States in Weather Modific tion 98 (künftig: Weather Modification-Guidelines) wird von Staaten eine Bewertung der Umweltkonsequenzen99 von geplanten Aktivitäten der Wetterbeeinflussung, die sich auf Gebiete außerhalb ihrer Jurisdiktion auswirken könnten, verlangt und zur Übermittlung dieser Ergebnisse an alle betroffenen Staaten aufgerufen (Prinzip 1 lit. e). Rechtzeitig vor Planung bzw. Beginn solcher Aktivitäten soll der Staat mit betroffenen Staaten in Konsultationen treten, sei es mit Hilfe der WMO oder ohne sie.

Den weitesten Schritt in Richtung auf eine der UVP-Richtlinie der EG entsprechende Umweltverträglichkeitsprüfung gehen die Conclusions of the Study of Legal Aspects concerning the Environment related to Offshore Minin Drilling within the Limits of National Jurisdction (künftig: Offshore-Guidelines), die am 31. Mai 1982 vom UNEP-Verwaltungsrat angenommen wurden 100 . Sie unterwerfen die Hauptetappen des Meeres- (Tiefsee-) -bergbaus und des "Offshore Drilling" (Erdölbohrungen vor der Küste mitsamt dem Aufstellen oder Verändern der "installations"101) einem Genehmigungs-Erfordernis (Prinzip 6 Abs. 1). Erklärtes Ziel dieser Guidelines ist es, präventive Maßnahmen gegen Verschmutzungen oder andere schädliche Umweltauswirkungen 9 8

UNEP WG. 26/8 (1979), in: UNEP Environmental Law Guidelines and Principles Nr. 3, angenommen durch Decision 8/7/A des UNEP-Verwaltungsrates vom 29.4.1980. 9 9 Randelzkofer/Harndt, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der UVP, S. 72, meinen, es handele sich um eine Umweltverträglichkeitsprüfung, ohne daß jedoch diesbezüglich qualitative Anforderungen gestellt würden. 1 0 0

W G .54/4 (1981) Annex 1 und GC 9/5/Add. 5 Annex Ι Π (1981), in: UNEP Environmental Law Guidelines and Principles Nr. 4, angenommen vom UNEP-Verwaltungsrat durch Decision 10/14/VI vom 31.5.1982. Die UN-Generalversammlung empfahl den Regierungen, diese Schlußfdgerungen bei der Formulierung nationaler Gesetze oder in Verhandlung über internationale Abkommen zu berücksichtigen; GA-Res. 37/217 vom 20.12.1982, para. 6 lit. b), in: UN-Doc. A/37/51, S. 145 f. 1 0 1 "installations" sind jedes Offshore-Bauwerk oder jede Offshore-Hilfskonstruktion, befestigt oder unbeweglich, die gebraucht werden zum Erforschen, Abbauen, Lagern oder Transportieren von Kohlenwasserstoffen (öl) oder anderen Mineralien vom Meeresboden oder seinem Untergrund, mit Ausnahmen von Schiffen (Prinzip 6 Abs. 1 Satz 2). Das Wort "Unternehmungen" ("operations") meint demnach jedes innerhalb der Grenzen der nationalen Jurisdiktion betriebene Erforschen und Abbauen (samt den dazugehörigen Aktivitäten) von Kohlenwasserstoffen oder anderen Mineralien vom Meeresboden oder seinem Untergrund (Prinzip 1 Satz 1).

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

91

durch diese Aktivitäten zu schaffen oder zumindest solche Umweltauswirkungen zu begrenzen und soweit wie möglich zu reduzieren (Prinzip 1). Für eine solche Genehmigung soll der Bewerber neben technischem Wissen, Fähigkeit und wirtschaftlicher Kapazität eine Zuverlässigkeit nachweisen in dem Sinne, daß er die nötigen Sicherheits- und gegebenfalls Notfallmaßnahmen ergreift; die Genehmigung soll verweigert werden, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, daß beträchtliche Umweltschäden drohen, die auch durch Auflagen nicht vermieden werden können (Prinzip 6 Abs. 1 und Abs. 3). Weiterhin soll der Unternehmer durch die Genehmigung verpflichtet werden, Maßnahmen zu ergreifen um sicherzustellen, daß bei diesen Aktivitäten Vergossenes (Ölteppiche), durch Lecks in Leitungen Durchgesickertes oder Abfälle nicht die allgemeine Gesundheit, Fauna, Flora und die Küstenregion bedrohen; weiterhin soll er verpflichtet werden, einen adäquaten Notfallplan zu besitzen, die Umwelt - allerdings nur "soweit angemessen" - zu sanieren und nach Beendigung der Aktivitäten die "installations" - soweit dies technisch-wirtschaftlich gerechtfertigt ist zu beseitigen (Prinzip 7). Vor allem soll dieser Genehmigung, sofern es zu erheblichen Umweltschäden kommen könnte, eine Bewertung der möglichen Umweltauswirkungen dieser geplanten Aktivitäten vorangehen (Prinzip 6 Abs. 2). Hier muß man von einer Umweltverträglichkeitsprüfung sprechen, denn erstmals werden in diesen Guidelines umfassende Anforderungen an dieses "environmental assessment" gestellt102. Es soll nach Prinzip 8 u.a. folgende Elemente enthalten: Beschreibung der geographischen Fläche, in der die Aktivität stattfinden soll, und ihres ursprünglichen ökologischen Zustandes; Beschreibung der "installations" und der Inhalte, Ziele und des Umfangs der vorgesehenen Maßnahmen samt der hierfür benutzten Methoden; eine Beschreibung der vorhersehbaren direkten und indirekten lang- und kurzfristigen Wirkungen dieser Aktivitäten auf die Umwelt, einschließlich Fauna, Flora und ökologischer Balance; eine Darlegung der vorgesehenen Maßnahmen, um die Risiken eines Umweltschadens auf ein Minimum zu reduzieren, sowie möglicher Alternativen zu diesen Maßnahmen; eine Auflistung der Maßnahmen, die während und nach Beendigung der vorgesehenen Aktivitäten zum Schutz der Umwelt ergriffen werden sollen; eine kurze Zusammenfassung dieser Bewertung, die auch von einem Laien leicht verstanden werden kann. Die Genehmigungsbehörde darf zusätzliche Informationen vom Bewerber verlangen und dieses "environmental assessment" bzw. seine kurze Zusammenfassung betroffenen Personen zugänglich machen, die hierzu Anmerkungen machen können, auf die der Bewerber erwidern darf (Prinzipien 9-10).

1 0 2 Nach Randelzhof er! Hörndl, S. 73, handelt es sich bei diesen Guidelines um "das bis dahin Weitestgehendste zur Umweltverträglichkeitsprüfung".

92

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

Die Guidelines verlangen weiterhin ein geeignetes Umweltüberwachungssystem (Prinzipien 11-15): Der Unternehmer soll die Wirkungen seiner Aktivitäten auf die Umwelt messen und hierüber ständig an die zuständige Behörde berichten; die Behörde kann die "installations" regelmäßig überwachen und notfalls die Auflagen der Genehmigung erzwingen; Staaten sollen Register und Berichte über solche Genehmigungen aufbewahren und erforderlichenfalls anderen Staaten oder zuständigen internationalen Organisationen zur Verfügung stellen; Staaten sollen Überwachungsbehörden mit erforderlichen Instrumenten und trainiertem Personal für die Überwachung und Auswertung der Meßergebnisse einrichten und durch bi- oder multilaterale Abkommen für eine regionale Koordination dieser Überwachung sorgen. Schließlich verlangen die Guidelines eine Berücksichtigung der grenzüberschreitenden Umweltauswirkungen (Prinzipien 16-19); hierzu wird unter Rückgriff auf das Stockholmer Prinzip 21 die Schutzpflicht für Gebiete jenseits der nationalen Jurisdiktion präzisiert (Prinzip 16) 103 . Prinzip 17 ergänzt dies dahin, daß ein Staat, sobald er Anhaltspunkte dafür hat, daß Offshore-Akti vi täten erhebliche schädliche Auswirkungen auf die Umwelt anderer Staaten oder auf Gebiete jenseits der Grenzen der nationalen Jurisdiktion haben könnten, den betroffenen Staaten und den zuständigen internationalen Organisationen rechtzeitig Informationen einschließlich aller relevanten Daten zukommen lassen soll, welche diese erforderlichenfalls befähigen würde, geeignete Maßnahmen zu ergreifen; dies dürfte im Lichte des Prinzips 1 lit. e) der Weather Modification-Guidelines bedeuten, daß auch das Übermitteln von Bewertungen (bzw. seiner Ergebnisse) geschuldet wird. Prinzip 18 ergänzt diese Übermittlungsum eine Konsultationspflicht mit dem Ziel, erhebliche Umweltschäden außerhalb der Jurisdiktion des genehmigenden Staates verhindern, bekämpfen und reduzieren zu können. Prinzip 19 Abs. 1 wiederholt den Wortlaut von Shared Resources-Prinzip 13 unter leichter Verschärfung und Präzisierung104. Hier1 0 3 Prinzip 16 Abs.2 der Offshore-Guidelines lautet: "Accordingly, States within whose jurisdiction operations are carried out should take measures to avoid to the maximum extent possible and reduce to the minimum level possible pollution and other adverse effects on the environment beyond the limits of their jurisdiction". Dies ist eine Präzisierung von Prinzip 21 e) der Weltcharta für die Natur, in der es heißt: "States and ... shall: e) Safeguard and conserve nature in areas beyond national jurisdiction". Der Wortlaut von Shared Resources-Prinzip 3 Abs. 3 (zitiert oben im Text zu Fußn. 19 bei Kapitel Π 2 b ) stimmt weitgehend mit dem Wortlaut von Offshore-Prinzip 16 Abs. 2 überein. 1 0 4 Prinzip 19 Abs. 1 der Offshore-Guidelines lautet: "A State within whose jurisdictions operations are being considered or carried out should take into account any adverse environmental effects without discrimination as to whether such effects are likely to occur within the limits of its jurisdiction or beyond such limits; inter alia, such non-discrimination should be observed in national preventive laws and regulations" (Hervorhebungen hinzugefügt). Der Zusatz "inter alia ..." bedeutet eine Präzisierung, die vorbeugende Formulierung ("are likely to occur") eine geringe Verschärfung des Shared Resources-Prinzip 13 ("to take into account the potential adverse effects arising out of the utilization of shared natural resources, without discrimination as to whether the effects would occur within their jurisdiction or outside it") (Hervorhebung hinzugefügt).

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

93

durch verdichten sich die Anhaltspunkte dafür, daß es eine Pflicht der Staaten gibt, bei Projektplanungen die potentiellen Umweltschäden im eigenen Territorium sowie die grenzüberschreitenden Umweltschäden im gleichen Maße zu berücksichtigen; eine geringere Berücksichtigung der grenzüberschreitenden Belange erscheint demnach als eine willkürliche Diskriminierung (Diskriminierungsverbot). Von hier führt der nächste Schritt zum Einräumen gleicher Rechtsschutzmöglichkeiten für potentiell betroffene Ausländer wie für Inländer; ein Schritt, der von Prinzip 19 Abs. 2 der Offshore-Guidelines unter fast wörtlicher Wiederholung des Shared Resources-Prinzips 14 nachvollzogen wird, wobei die Formulierung allerdings "softer" als beim Diskriminierungsverbot ist 105 . Die Offshore-Guidelines, die im übrigen noch Regelungen zu SicherheitsMaßnahmen, Notfall-Plänen und Schadensersatz-Fragen enthalten, können über den engen Bereich des Ölbohrens und des Meeresbergbaus hinaus Aufschluß über Rechtspflichten geben, da sie bisher nur angedeutete Prinzipien präzisieren. Dies gilt einmal für die Anforderungen an die Umweltbewertung (UVP), die Umweltüberwachung (Genemigungsvorbehalt, Meß-, Berichts- und Überwachungspflichten) und zum anderen für die Schutzpflicht zugunsten grenzüberschreitender Belange, welche den Inhalt des Diskriminierungsverbots annimmt und künftig auch zu einer Gleichbehandlung der Bewohner im potentiell betroffenen Staat führen kann.

Weitere Präzisierungen der ökologischen (nationalen und grenzüberschreitenden) Schutzpflicht, der Umweltüberwachung und vorbeugender Konzepte finden sich in den Montreal Guidelines for the Protection of the Marine E vironment against Pollution from Land-Based Sources (künftig: Montrea Guidelines), die vom UNEP-Verwaltungsrat am 24. Mai 1985 angenommen wurden106. Gegenüber dem Stockholmer Prinzip 21 wird hier im Prinzip 2 erstmals die P/Zi'cAigebundenheit des Staaten-Rechtes auf Abbau der Naturressourcen ausdrücklich klargestellt. Prinzip 2 formuliert als Basisverpflichtung:

10 3 Genau wie in Shared Resource-Prinzip 14 ist die Formulierung schwächer gegenüber dem Diskrimierungsverbot: "States should endeavour während es sonst in den Offshore-Guidelines immer zumindest heißt "States should". Das zeigt, daß es sich hier noch nicht um eine Pflicht, sondern nur um einen Appell handeln kann; vgl. dazu Kapitel Π 3 a. Der Wortlaut von WeltchartaPrinzip 23 ist zu allgemein, so daß offen ist, ob er auf eine Gleichbehandlungs-Pflicht oder eine Bemühensklausel schließen läßt 1 0 6 UNEP GC.13/9/Add. 3, Annex, in: UNEP Environmental Law Guidelines and Principles Nr. 7, angenommen vom UNEP-Verwaltungsrat durch Decision 13/18/Π vom 24.5.1985, der empfahl, diese Guidelines bei der Erarbeitung bilateraler oder regionaler Abkommen zu berücksichtigen.

94

Π.2 Modernes Umweltvölkerecht "States have the obligation to protect and preserve the marine environment In exercising their sovereign right to exploit their naturalresources, all States have the duty to prevent, reduce and control pollution of the marine environment."

Während im Stockholmer Prinzip 21 Nutzung und Schutz fast unversöhnlich gegenüberstanden107, wird hier durch die Darstellung der Pflichtbezogenheit des Nutzungsrechts der scheinbar unversöhnliche Konflikt aufgelöst Erstmals wird erkennbar, daß eine Nutzung nur unter der Voraussetzung eines langfristigen Umweltmanagements möglich ist. Dadurch wird die seit dem Shared Resources-Prinzip 3 Abs. 3 immer wieder genannte ökologische Schutzverpflichtung stärker verdeutlicht. Die grenzüberschreitende Komponente dieser Pflicht wird durch die Prinzipien 3 und 6 hervorgehoben. Danach haben Staaten die Pflicht sicherzustellen, daß Einleitungen von den Von-Land-Quellen (also durch Direkteinleitungen, Flüsse, Luft) innerhalb ihres Territoriums keine Verschmutzung der Meeresumwelt in anderen Staaten oder in Gebieten jenseits der nationalen Jurisdiktion verursachen (Prinzip 3). Prinzip 6 ergänzt dies um das Verbot der Belastungsverschiebung, d.h. die Pflicht, bei solchen Maßnahmen keine Verschmutzung von einem zum anderen Gebiet (bzw. von einem zu einem anderen Verschmutzungstyp) zu übertragen. Die Gleichbehandlung wird hier zu einem auf Gegenseitigkeit beruhenden gleichen Zugang zu Verwaltungen/Gerichten ausgestaltet, wobei es sich angesichts der verbindlicheren Formulierung erstmals um eine Pflicht und nicht mehr um einen Appell handelt (Prinzip 16 lit. c) 1 0 8 . Prinzip 9 greift wieder 109 den Appell zur Förderung eines Forschungs- und Technologietransfers zu den Entwicklungsländern auf, damit diese in die Lage versetzt werden, die Verschmutzungen durch ihre Von-LandEinleitungen zu verhindern, zu reduzieren und zu kontrollieren. Prinzipien 5 und 19 betonen die Notwendigkeit regionaler Zusammenarbeit zur Erarbeitung gemeinsamer Standards (unter Berücksichtigung lokaler und wirtschaftlicher Gegebenheiten) und die Notwendigkeit gemeinsamer institutioneller Strukturen für eine solche regionale Zusammenarbeit.

1 0 7

Vgl. Nachweise in Fußn. 26 zu Kapitel Π 2 a) .

1 0 8

Erstmals in den Montreal-Guidelines (Prinzip 16 liL c) und später im Cairo-Piinzip 18 (also seit 1985/87) wird die Einräumung dieses Rechts als eine Pflicht behandelt; dies legt der Wechsel der Wortwahl nahe: anstelle des bisherigen "States should endeavour ..." heißt es im Montrealer Prinzip 16 l i t c: "Each State should , on a reciprocal basis, grant equal access ..." bzw. im CairoPrinzip 18: "In the circumstances described in guideline 16, the authorizing State should accord to the public authorities and nationals of the State concerned the same rights of participation in the administrative and judicial proceedings related to the granting of authorizations ..." (Hervorhebungen hinzugefügt). Cairo-Prinzip 18 verzichtet dabei auf das Gegenseitigkeits-Erfordernis. 109 Ygi bereits Stockholmer Prinzip 12 und Weltcharta-Prinzip 18.

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

95

Während die Montreal-Guidelines zur Umweltbewertung (Prinzip 12 i.V.m. Annex I ) 1 1 0 nichts wesentlich Anderes als die Offshore-Guidelines aussagen, enthalten sie umfassendere Anforderungen an die Umweltüberwachung. Prinzip 10 ruft - "soweit praktikabel" - zur Entwicklung eines umfassenden Umweltmanagement-Ansatzes zur Verhinderung, Reduktion und Kontrolle der MeeresVerschmutzung durch Von-Land-Quellen auf, der u.a. die Identifikation von erwünschten Wassernutzungs-Zielen für die spezifische Meeresumwelt einschließen sollte. Hierzu werden folgende Ansatzpunkte als erforderlich bezeichnet: ein gemeinsames Überwachungs- und Daten-Management auf der Basis kompatibler Prozeduren und Methoden111 (Prinzip 11); Strategien zur Verhinderung, Reduktion und Kontrolle der Verschmutzung durch Von-Land-Quellen, einmal durch Qualitäts- oder Emissions-Standards und zum anderen durch Aufstellen von Schwarzen oder Grauen Listen (also Listen von Stoffen, die wegen ihrer Beständigkeit, Giftigkeit, Gefährlichkeit oder wegen ihrer Tendenz zur Bioakkumulation nicht mehr oder nur noch streng begrenzt eingeleitet werden dürfen)(Prinzip 13 i.V.m. Prinzip 4); Entwicklung von gemeinsamen Notfallplänen (Prinzip 14); Berichtspflichten über Maßnahmen, Ergebnisse und Schwierigkeiten (Prinzip 18); Einrichten von besonders geschützten Gebieten112 (Prinzip 7); sowie wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit und rechtzeitige Notifikation und Konsultation samt Informationsaustausch (Prinzipien 8 und 15). 1 1 0 Nach Prinzip 12 sollen die Staaten die möglichen nationalen und grenzüberschreitenden Wirkungen von größeren Projekten unter ihrer Jurisdiktion oder Kontrolle - insbesondere in Küstengebieten -, die Verschmutzungen durch Von-Land-Quellen verursachen können, bewerten, so daß geeignete Maßnahmen ergriffen werden können, um diese Verschmutzung zu verhindern oder abzuschwächen. Nach Nr. 1.3.1.2 des Annex I erfordert dies eine umfassende Analyse und Bewertung von: ökologischen Charakteristika der aufnehmenden Umwelt; den direkten und indirekten möglichen Wirkungen dieser Aktivität auf die Umwelt; und - wenn möglich - den direkten und indirekten möglichen Umweltwirkungen einer Alternative zu dieser Aktivität 1 1 1 Gemeint sind damit Qaut Prinzip 11): Sammlungen von Daten zu den physikalisch-biologischen Charakteristika der Region bzw. zu den Einträgen von Substanzen oder Energie, die möglicherweise zu einer Verschmutzung beitragen, systematische Bewertungen des Niveaus der Verschmutzung durch Von-Land-Quellen entlang der Küsten sowie Evaluierung der Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen. Allerdings ist Prinzip 11 "softer" formuliert ("States should endeavour"), so daß noch Unsicherheiten bestehen, inwieweit es bereits eine Pflicht darstellt 1 1 2 Für sie sollen (in Übereinstimmung mit den angestrebten Nutzungen) Umweltsqualitätsziele entwickelt und ein integriertes Umweltmanagement angestrebt werden (Prinzip 7 b).

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

96

Von höchster Wichtigkeit ist schließlich die Betonung institutioneller Strukturen für ein gemeinsames regionales Ümweltmanagement aller Anrainer-Staaten; Prinzip 19 führt die möglichen Funktionen eines solchen regionalen Gremiums auf 113 . Während die Anlagen II und III Konkretisierungen zum Überwachungsund Datenmanagement bzw. zu den Klassifizierungen von Substanzen enthalten, konkretisiert Anlage I das in den Prinzipien 10 und 13 genannte Umweltmanagement (d.h. die Verhinderungs- und Kontrollstrategien). Als Kontrollstrategien werden dort Qualitätsstandards, Emissionsstandards und Umweltplanungen (UVP 1 1 4 und Regionalplanung) genannt Besonders hervorzuheben ist diese erstmalige Skizzierung eines umfassenden Umweltmanagements. Dabei werden Qualitäts- und Emissionsstandards scheinbar als gleichberechtigt angesehen (Alternativkonzept). Da sich Belastbarkeits- (Qualtitäts-) Standards in der Regel nicht eindeutig ermitteln lassen, muß durch Festlegung einheitlicher Emissionsnormen alles technisch Machbare getan werden, um Schadstoffe zurückzuhalten; erst dieser Ansatz entspricht dem Vorsorgeprinzip 115. Zugleich wird allerdings in der Einleitung zur Anlage I mitgeteilt,daß praktische Zwänge die ausschließliche Anwendung der Strategie der Qualitätsziele ausschlössen und daher häufig eine Kombination beider Strategien erforderlich sei. Hervorzuheben ist weiterhin der erstmalige Hinweis auf die Notwendigkeit des Technologie-Einsatzes, wobei zwischen "best practicable technology" und dem höheren Standard "best available technology" (Anlage I Nr. 1.2.1) 116 unterschieden wird. Allerdings wird nicht spezifiziert, in welchen Fällen welcher dieser beiden Standards erforderlich ist, abgesehen von dem vagen Hinweis, daß generell der höhere Technologie-Standard für die Emissionen der schädlichsten Substanzen als erforderlich angesehen wird. Der 1 1 3 Periodische Bewertungen des Zustandes der Meeresumwelt, Verabschiedung und Anwendung eines umfassenden Umweltmanagement-Ansatzes, Verabschiedung und Überprüfung von Schwarzen und Grauen Listen sowie von Emissions- und Qualitätsstandards, Beratung zu Informationen und von Implementations-Berichten, Abgabe von Empfehlungen etc. 1 1 4

Die Konkretisierung der Elemente der UVP bleibt allerdings hier etwas vage.

1 1 5

Vgl. Rehbinder, Das Vorsorgeprinzip Ms., S. 4; Winter NuR 1988, S. 266; sowie unten Text zu Fußn. 34 und 78 bei Kapiteln Π 2 d) . Bei Qualitätszielen geht es i.d.R. nur um Gefahrenabwehr. 1 "Best practicable technology" bedeutet demnach: "application of demonstrable and sound treatment technology or a spectrum of technologies which is affordable by the sector concerned" (auf Deutsch etwa: Anwendung von erprobter umweltgerechter Technologie, die von einem Wirtschaftszweig geliefert wird).

Der höhere Standard "best available technology" bedeutet: "state-of-the-art technology in use in contaminant control. In general, the standards set would reflect a more stringent level of control as compared to best practicable technology. Application is generality for the control of emissions of the most noxious substances or to protect a sensitive environmental use". Es handelt sich um die Anwendung der in Gebrauch befindlichen möglichst fortschrittlichen Technologie .

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

97

Technologie-Standard wird einschränkend - wie alle anderen Kontrollstrategien - als von der wirtschaftlichen Tragbarkeit für die Staaten abhängig bezeichnet (Prinzip 5 a); andererseits wird durch periodische Überprüfung der eingesetzten Technologien (Anlage I Nr. 1.2.1) die Auflage, inzwischen neu-entwickelte Technologien einzusetzen, offensichtlich nicht ausgeschlossen (Berücksichtigungsfähigkeit auch der erst künftig entwickelten Technologie). Hervorzuheben ist schließlich auch der der umfassende Hinweis auf die Erforderlichkeit einer Regionalplanung (vor allem integrative Küstenmanagement-, "drainage basin11- und Schutzgebiete-Planung, Anlage I Nr. 1.3.2). Hinzu kommen Hinweise auf die Möglichkeit des Einsatzes von mit Auflagen versehenen Genehmigungen, von Zertifikaten, Produktkontrollen und ökonomischen Maßnahmen.

Weitere Präzisierungen zu erforderlichen Kontrollstrategien enthalten die Cairo Guidelines and Principles for the Environmentally Sound Manag of Hazardous Wastes (künftig: Cairo-Guidelines), die vom UNEP-Verwaltungsrat am 17.6.1987 angenommen wurden117. Als zentrale Verpflichtung formuliert Prinzip 2 die Pflicht der Staaten, dafür zu sorgen, daß die Gesundheit und die Umwelt vor Schäden geschützt werden, die aus der Produktion und dem "Management" (d.h. dem Sammeln, Transportieren, Lagern, Behandeln und Ablagern) gefährlicher Abfälle entstehen; unter anderem sollen die Staaten sicherstellen, daß der grenzüberschreitende Transport von Abfällen auf ein mit der umweltgerechten Abfallbehandlung zu vereinbarendes - Minimum begrenzt wird. Die grenzüberschreitende Komponente dieser Schutzpflicht enthalten die Prinzipien 3 und 6. Ebenso wie das Montreal-Prinzip 6 enthält das Cairo-Prinzip 6 das Verbot der Belastungsverschiebung (Verbot der Übertragung der Verschmutzung von einem zum anderen Gebiet bzw. von einem zum anderen Verschmutzungstyp); stattdessen muß eine Behandlung zur Minimierung der Umweltrisiken erfolgen. Und ähnlich dem London-Prinzip 2 d verlangt das Cairo-Prinzip 3 eine nicht-diskriminierende Kontrolle des gefährlichen Abfalls; das bedeutet, daß die zu exportierenden gefährlichen Abfälle genauso streng kontrolliert werden müssen wie die im Lande verbleibenden Abfälle. Prinzip 18 ergänzt dieses Diskriminierungsverbot um die Pflicht zur Einräumung gleichen Zugangs zu Verwaltungen/Gerichten für Behörden oder In dividuen eines möglicherweise von der Genehmigung einer Abfallbehandlungs-Stätte betroffenen Staates wie für die Behörden oder Individuen des genehmigenden Staates. Im Gegensatz zum Montreal-Prinzip 16 c wird hierfür auf das Gegenseitigkeitsprinzip verzichtet. Prinzip 5 greift wieder den Appell bzw. die Pflicht zur Förderung des Technologietransfers bezüglich eines umweltverträglichen Abfallmanagements auf; im Unterschied zum Montrealer 1 1 7 UNEP GC. 14/17, Annex Π, in: UNEP Environmental Law Guidelines and Principles Nr. 8, sowie in: EPL 16 (1986), S. 31, vom UNEP-Verwaltungsrat angenommen durch Decision 14/30 vom 17. Juni 1987.

7 Hohmann

98

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

Prinzip 9 soll dies jedoch nur unter verschiedenen Einschränkungen erfolgen: nur entsprechend den Notwendigkeiten, Fähigkeiten und legitimen Interessen der Staaten und nur zu fairen und vernünftigen Bedingungen; dabei ist ein solcher Transfer nicht nur zugunsten der Entwicklungsländer vorgesehen118. Angesichts der genannten Einschränkungen und der verbindlicheren Formulierung scheint es sich hier erstmals um eine Pflicht (und nicht nur um einen Appell) zur Förderung des Technologietransfers zu handeln. Das Ursprungsprinzip wird neben der Pflicht, den Export auf ein Minimum zu begrenzen, vor allem durch Prinzip 7 bestätigt' Hiernach soll die Produktion gefährlicher Abfälle auf ein Minimum reduziert werden; weiterhin soll die Entwicklung und Anwendung von Niedrig-Abfall-Technologie sowie das Recycling und der Wiedergebrauch von Abfällen gefördert werden. Dies bedeutet weltweit zum ersten Mal die explizite Anerkennung der Pflicht zur Abfallvermeidung und -Verringerung und implizit das Anerkenntnis der Notwendigkeit der Verwertung von Abfällen 119 . Prinzip 4 betont die Notwendigkeit der internationalen Kooperation für die umweltgerechte Entsorgung der Abfälle, das Monitoring und die Entwicklung und Anwendung der genannten Technologien. Die Prinzipien 9-20 präzisieren die erforderlichen Kontrollstrategien: Die Staaten sollen für diese gefährlichen Abfälle Entsorgungspläne aufstellen120; sie sollen diese gefährlichen Abfälle erforderlichenfalls getrennt halten von anderen Abfällen; sie sollen ein geeignetes Sammlungssystem und eine sichere Ablagerung für die gefährlichen Abfälle organisieren121; sie sollen - laut Prinzip 13 - die besten praktikablen Mittel für das Abfallmanagement einsetzen122; 1 1 8 Cairo-Prinzip 5 lautet: "States should, in a manner appropriate to their needs and capabilities ... promote actively and in accordance with their legitimate interests the transfer on fair and reasonable conditions of technology related to the environmentally sound management of hazardous wastes. They should also promote the technical capacity of States, especially of developing States, which may need and request technical assistance in this field". 1 1 9 Im deutschen Umweltrecht sind diese Prinzipien umfassend erst ein Jahr früher, nämlich im AbfG vom 27.8.1986, verankert worden; siehe oben unter Kapitel I Abschnitt 2. 1 2 0 Vermutlich handelt es sich um Abfallentsorgungspläne entsprechend § 6 AbfG; dies ist aber nicht ganz sicher, da die im Cairo-Prinzip 9 genannte Planungspflicht nicht näher präzisiert wird. 1 2 1 Cairo-Prinzip 12 verlangt zusätzlich von den Staaten, daß sie bei Unternehmen, bei denen gefahrliche Abfälle anfallen können, geeignete Vorkehrungen für die umweltgerechte Ablagerung treffen; sie sollten sich insbesondere von der Fähigkeit und Vertrauenswürdigkeit der betroffenen Personen und Anlagen überzeugen. 1 2 2 Mit den "best practicable means" dürfte die "best practicable technology" gemeint sein; zur Bedeutung dieses Standards siehe Fußn. 116 .

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

99

die Lagerung, Behandlung und Ablagerung soll nur an hierfür zugelassenen Orten stattfinden (Prinzip 14 lit. a); der Zulassung ("operation permit" oder Genehmigung) soll eine Umweltbewertung (offensichtlich eine UVP) 123 der geplanten Anlage und eine Zuverlässigkeitsprüfung des Unternehmers vorangehen (Prinzip 14 lit. b); vor der Genehmigung einer Abfallbehandlungs-Stätte soll der genehmigende Staat rechtzeitig einen möglicherweise betroffenen Staat informieren, damit dieser die möglichen Umweltauswirkungen auf sein Gebiet genau evaluieren kann (Prinzip 16); solche grenzüberschreitenden Auswirkungen lösen auch die Konsultationspflicht und die bereits genannte Pflicht zur Einräumung gleichen Zugangs zu Verwaltungen/Gerichten aus (Prinzipien 17-18). Die Prinzipien 19-20 ergänzen dies um folgende MonitoringDokumentations-Pflichten:

und

Die Staaten sollen die Abfallbehandlungs-Stätten (einschließlich der inzwischen stillgelegten Anlagen) bezüglich ihrer Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt überprüfen und nötigenfalls ihre Veränderung oder Beendigung samt erforderlichen Abhilfemaßnahmen anordnen; die Staaten sollen für eine Dokumentation der genehmigten Anlagen und ihrer Betreiber sorgen und der Öffentlichkeit Zugang zu Informationen über Genehmigungen und ihre Bedingungen geben. Die Anwendung dieser Prinzipien zusammen mit der Pflicht zur Verringerung und Vermeidung sowie der - allerdings nur implizit anerkannten - Pflicht zur Abfallverwertung bedeutet eine weitgehende Annäherung an ausgereifte nationale Konzepte der Abfallbewirtschaftung. Weiterhin enthalten die Cairo-Guidelines neben Anforderungen an die Sicherheit124 und an die Notfallplanung (Risikostudien und grenzüberschreitende

1 2 3 Cairo-Prinzip 14 l i t b lautet: "An authorization or operating permit for approved sites or facilities should be granted only if: (i) An assessment undertaken by or at the request of the competent authority has established that no significant adverse effect on health or the environment are to be expected as a result of such storage, treatment or disposal; (ii) ...". RandelzhoferiHarndt , Grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der UVP, S. 75, sehen es als selbstverständlich an, daß es sich hier um eine UVP handelt und heben hervor, daß hier erstmals eine unmittelbare Verknüpfung zwischen UVP und zwischenstaatlicher Kooperation (Prinzip 14 l i t b in Verbindung mit Prinzipien 16-18) stattfindet In der Tat dürfte der obige Wortlaut eine UVP etwa im Sinne der Offshore-Guidelines nahelegen. 1 2 4 Prinzipien 21-23: Verlangt werden u.a. ständige Instruktionen der betroffenen Arbeiter über umweltgerechte Entsorgung.

100

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

Notfallpläne) in den Prinzipien 24-28 Anforderungen an den Transport gefährlicher Abfälle: Hiernach gelten - mangels bi- oder multilateralen Abkommen für jeden grenzüberschreitenden Airfalltransport folgende Regeln: Die ausdrückliche Zustimmung des Import- und Transitstaates ist «forderlich (Prinzip 26 lit. c); zur Erleichterung dieses Austausche an Zustimmungen und Informationen sollte jeder Staat eine Behörde einrichten; vorher ist eine rechtzeitige und umfassende Unterrichtung der betroffenen Staaten über den geplanten Abfalltransport verpflichtend, so daß die Import- und Transitstaaten den vorgesehenen Transport zutreffend bewerten können; der Exportstaat darf den Abfalltransport nur erlauben, wenn er von der Möglichkeit einer umweltgerechten Entsorgung in einer zugelassenen Entsorgungsanlage des Importstaates überzeugt ist, zu der der Importstaat zugestimmt hat (Prinzip 26 0; während des gesamten Transportvorgangs sollen Transport-Dokumente über den Abfall mitgeführt werden, in welche die zuständigen Behörden Einblick nehmen können (Prinzip 25); im Fall der Verweigerung einer Import- oder Transitgenehmigung ist der Exportstaat zum Re-Import verpflichtet (Prinzip 27). Besonders hervorzuheben ist das Prinzip der vorherigen informierten Zustimmung und die dabei zugrundegelegte gemeinsame Verantwortlichkeit von Import- und Exportstaat für die umweltgerechte Entsorgung; selbst wenn der Exportstaat sich einer Möglichkeit der umweltgerechten Entsorgung im Importstaat versichert hat und sich dann aber rechtliche Hindernisse für den Export ergeben, verliert er seine Verantwortung nicht, wie aus der auflebbaren Pflicht zum Re-Import ersichtlich wird. Der umfassende Genehmigungs-Vorbehalt bestärkt die geographische Komponente des Ursprungsprinzips.

Die am 26. Mai 1989 vom UNEP-Verwaltungsrat verabschiedeten London Guidelines for the Exchange of Information on Chemicals in Internatio Trade (künftig: London-Guidelines)125 setzen voraus, daß Staaten besonders gefährliche Chemikalien (inklusive Pestizide) aus Gesundheits- oder Umwelt-

1 2 5

Amended 1989, Appendix in: UNEP/PIC.WG.2/4, S. 9 ff; vom UNEP-Verwaltungsrat am 26.5.1989 angenommen (Beschluß in: EPL 19 (1989), S. 125). Zur Fassung von 1987 vgl. Rehbinder JahrB UTR 1988, S. 341. Die London-Guidelines ersetzen die Guidelines "Provisional Notification Scheme for Banned and Severiy Restricted Chemicals" (in: UNEP Environmental Law Guidelines and Principles Nr. 6, vom UNEP-Verwaltungsrat durch Entscheidung 12/14 vom 28.5.1984 angenommen).

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

101

schutzgründen bannen (d.h. für alle Nutzformen verbieten) oder ihre zulässigen Nutzformen streng begrenzen (Prinzipien 1 b und 1 c). Die London-Guidelines, die ein Informationsregime für den Im- und Export dieso1 gefährlichen Chemikalien errichten wollen, gehen vom "prior informed consent" (im folgenden: PIC), d.h. von dem Prinzip aus, daß der internationale Versand einer verbotenen oder streng zu begrenzenden Chemikalie nicht durchgeführt werden darf ohne die Zustimmung oder - sofern eine entsprechende Zustimmung besteht im Widerspruch zur Entscheidung des Importstaates (Prinzip 1 lit g). Damit wird der Ansatz der Cairo-Guidelines für den grenzüberschreitenden Abfalltransport unterstrichen. "PlC-procedure" bedeutet demnach ein Verfahren des förmlichen Erhaltens und Verteilens der Informationen über entsprechende Entscheidungen von Importstaaten (Prinzip 1 h). Die Staaten sollen dem von UNEP eingerichteten International Register of Potentially Toxic Chemicals (IRPTQ die jeweils zuständigen nationalen Behörden, alle Maßnahmen eines Verbots oder strengen Begrenzens von Chemikalien und alle sonstigen Kontrollmaßnahmen notifizieren, damit das IRPTC diese Informationen im allgemeinen Informationsaustausch oder im spezielleren PIC-Verfahren an betroffene Staaten weiterleiten kann (Prinzipien 5-12). Als allgemeine Pflichten werden durch Prinzip 2 genannt: Export- und Importstaaten sollen die menschliche Gesundheit und die Umwelt gegen mögliche Gefahren durch den Austausch von Informationen über Chemikalien im internationalen Handel schützen; solche Maßnahmen zur Regulierung des Chemikalien-Handels, die die menschliche, tierische oder pflanzliche Gesundheit oder die Umwelt schützen, sollen kein unnötiges Hindernis für den internationalen Handel darstellen (Prinzip 2 lit. c); die Staaten sollen sicherstellen, daß ihre Kontrollmaßnahmen gegenüber den zum Import anstehenden Chemikalien, über die sie Informationen erlangt haben, nicht restriktiver sind als gegenüber denselben Chemikalien, die aus einheimischer Produktion (oder aus dem Import eines nicht an dieses Informations-System angeschlossenen Staates) stammen (Prinzip 2 lit d) 1 2 6 ; Export- und Importstaaten sollten - soweit angemessen - Mechanismen für eine verbesserte Kontrolle und ein verbessertes Management sowie nationale Register toxischer Chemikalien einrichten.

Es handelt sich wieder um eine Anwendung des Diskriminierungsverbots, allerdings mit der Besonderheit, daß die Diskriminierung nicht nur zwischen einheimischen und ausländischen Produkten, sondern auch zwischen Produkten von Staaten, die an das Informationssystem angeschlossen sind, und Produkten von Staaten, die hieran nicht angeschlossen sind, unterbleiben soll.

102

Π.2 Modernes Umweltvölkerecht

Staaten mit fortgeschritteneren Systemen127 des sicheren Managements128 von Chemikalien sollen ihre Erfahrungen mit anderen Staaten, die verbesserte Systeme brauchen, teilen, wobei die technische Hilfe neben dem Training und der Infrastruktur u.a. auch den Austausch von Informationen über neue Produkte und Alternativen erfassen sollte (Prinzipien 2 lit. e und 15). Damit werden die ökologische Schutzpflicht und die daraus abgeleiteten Pflichten zu Notifikationen und zum Informationsaustausch sowie das Diskriminierungsverbot und die grundsätzliche, wenn auch etwas vage bleibende Pflicht zur technischen Hilfe bestätigt. Erforderlich ist demnach ein Chemikalien-Management, das eine gewisse Annäherung an ausgereifte nationale Chemikalien-Regime bedeutet. Die London-Guidelines enthalten keine unmittelbaren Vermarktungsbeschränkungen sondern nur ein Informationsregime, auf dessen Grundlage faktisch ein Importverbot entstehen kann zur präventiven Abwehr von Gefahren für Gesundheit und Umwelt. Hintergrund der LondonGuidelines ist die ausdrücklich geäußerte Auffassung einer gemeinsamen Verantwortung der Export- und Importstaaten für den weltweiten Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt 129 (Präambel Nr. 2). Diese unterstreicht die Notwendigkeit der Staaten-Kooperation und zugleich die Erforderlichkeit der Hilfestellung an die Entwicklungsländer, ernsthafte und teure Gesundheits- und Umweltprobleme aufgrund der Unkenntnis über die Risiken beim Umgang mit gefährlichen Chemikalien bzw. aufgrund der fehlenden technischen Sachkunde zu vermeiden130. Die Umweltverträglichkeitsprüfung umfassend zum Gegenstand haben die von einer Arbeitsgruppe von Umweltrechts-Experten entwickelten und am 17. Juni 1987 vom UNEP-Verwaltungsrat angenommenen Goals and Principles of 1 2 7 Dies gilt einmal für Schwellenländer gegenüber Entwicklungsländern sowie zum anderen für Industriestaaten gegenüber Entwicklungsländern. 1 2 8 Das Chemikalien-Management erfaßt jegliche Formen des Gebrauchs der Chemikalie im Anschluß an ihre Produktion, also das Behandeln, Verkaufen, Bearbeiten, Transportieren, Lagern, Anwenden etc (Prinzip 1 liL f). 1 2 9 In Nr. 2 der Introduction to the Guidelines heißt es: "Special provisions have been included regarding the exchange of information on banned or severely restricted chemicals in international trade, which call for co-operation between exporting and importing countries in the light of their joint responsibility for the protection of human health and the environment at the global level" (Hervorhebung hinzugefügt). - Zur Notwendigkeit des Prinzips der gemeinsamen Verantwortung beider Länder vgl. auch Rehbinder JahrB UTR 1988, S. 338. 1 3 0

In Nr. 8 der Introduction heißt es: "Although the Guidelines have not been prepared specifically to address the situation of developing countries, they nevertheless provide a framework for the establishment of procedures for the effective use of information on chemicals in these countries. Implementation of the Guidelines should thus help them to avoid serious and costly health and environmental problems due to ignorance about the risks associated with the use of chemicals, particularly those that have been banned or severely restricted in other States."

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

103

Environmental Impact Assessment (künftig: EI Α-Principles)131. Während die Offshore-Guidelines eine weitgehende Annäherung an die der UVP-Richtlinie der EG entsprechende Umweltverträglichkeitsprüfung (künftig: UVP) bedeuten, entsprechen die EIA-Principles dem UVP-Verständnis dieser Richtlinie132; die EIA-Principles stellen somit umfassendere Anforderungen an die UVP als die Offshore-Guidelines. Nach Ziel 1 der EIA-Principles soll erreicht werden, daß die Umweltauswirkungen von Aktivitäten, die möglicherweise erheblich die Umwelt betreffen könnten, vollständig in Betracht gezogen werden, bevor Entscheidungen getroffen werden, solche Aktivitäten zu unternehmen oder zu genehmigen133. Diese vorbeugende Formulierung bedeutet, daß bereits bei bloßem Risiko-Verdacht die Pflicht zur UVP ausgelöst wird. Die beiden weiteren Ziele ermutigen die Staaten, gegenseitige Verfahren zu entwickeln für Notifikationen, Informationsaustausch und Konsultationen über bedeutende grenzüberschreitende Umweltauswirkungen. Nach Prinzip 1 sollen die Staaten keine Aktivitäten unternehmen oder genehmigen, ohne zuvor in einem frühen Stadium die Umweltauswirkungen zu bedenken; wenn beträchtliche Auswirkungen auf die Umwelt möglicherweise zu befürchten sind, soll eine umfassende UVP durchgeführt werden. Die Kriterien und Verfahren, nach denen über die Notwendigkeit einer UVP zu entscheiden ist, sollen klar in Gesetzen, Verordnungen oder sonstigen Instrumenten niedergelegt sein (Prinzip 2). Die UVP soll sich nach Prinzip 4 mindestens erstrecken auf: (a) eine Beschreibung des Vorhabens; (b) eine Beschreibung der möglicherweise betroffenen Umwelt; (c) eine Beschreibung praktikabler Alternativen;

1 3 1

UNEP/GC. 14/17, Annex ΙΠ, auszugsweise (Prinzipien, ohne Ziele) in: EPL 17 (1987) 1, S. 36 f, vom UNEP-Verwaltungsrat durch Beschluß 14/25 vom 17.6.1987 (in: EPL 1987, S. 155 f) angenommen; zu den EIA-Principles vgl. Bonine EPL 17 (1987) 1, S. 5 ff und Bothe/Gündling Neuere Tendenzen des UmwR im int. Vergi., S. 176 f. Vorher hatte sich UNEP bzgl. der Frage der Industrieansiedlung mit UVP-Fragen befaßt, vgl. die UNEP-"Guidelines for Assessing Industrial Environmental Impact and Environmental Criteria for the Siting of Industry" (1980), in: UNEP Industry & Environmental Gudielines Series, vol. 1. 1 3 2 So RandelzhoferlHarndt 7, 8 und 9.

, (Fußn. 99), S. 77, unter Hinweis auf Prinzip 4 i.V.m. Prinzipien 3,

1 3 3 Das Ziel 1 lautet: ' T o estaWish that before decisions are taken ... to undertake or to authorize activities that are likely to significantly affect the environment, the environmental effects of those activities should be taken fully into account" (Hervorhebung hinzugefugt). Der vorsorgende Charakter wird durch die Formulierung "that are likely to ..." deutlich (vgl. hierzu den Bericht von Bonine, S. 5); bei bloßem Risiko-Verdacht wird demnach die Pflicht zur UVP ausgelöst. Auch die Experten verstanden diesen Wortlaut dahingehend "to include those effects which had a small potential for occuring but would have large environmental effects" (zit nach Bonine t S. 5).

104

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

(d) eine Bewertung der wahrscheinlichen oder möglichen Umweltauswirkungen des Vorhabens und der Alternativen (einschließlich der direkten, indirketen, kumulativen, kurz- und langfristigen Wirkungen); (e) eine Identifizierung, Beschreibung und Bewertung der verfügbaren Schutzmaßnahmen; (f) eine Darstellung der Kenntnislücken und Unsicherheiten; (g) eine Darstellung der möglichen grenzüberschreitenden Wirkungen und (h) eine kurze, nicht-technische Zusammenfassung aller Informationen. Damit bestätigen die EIA-Principles sämtliche UVP-Elemente der OffshoreGuidelines und präzisieren diese oder ergänzen sie geringfügig 134. Eine Entscheidung über das Vorhaben darf erst in einem angemessenen Zeitraum getroffen werden, nachdem Behörden, die Öffentlichkeit, Experten in relevanten Disziplinen und interessierte Gruppen Stellung nehmen konnten (Prinzipien 7 und 8). Die UVP-Entscheidung soll schriftlich erfolgen, mit Gründen versehen sein, Auflagen zur Verhinderung von Umweltschäden enthalten und interessierten Personen und Gruppen zugänglich gemacht werden; in der Folgezeit kann - "soweit dies gerechtferigt ist" - das Vorhaben und die Einhaltung der Auflagen überwacht werden (Prinzipien 9 und 10). Die Bestimmungen zur Kooperation sind beschränkt auf Fälle, in denen erhebliche grenzüberschreitende Umweltauswirkungen135 möglicherweise auftreten können: Hier soll der Ursprungsstaat dem möglicherweise betroffenen Staat136 die geplante Aktivität mitteilen, die relevanten Informationen aus der UVP zur Verfügung stellen137 und - soweit vereinbart - in rechtzeitige Konsultationen eintreten, wobei die

1 3 4 Die Punkte (a), (b), (d), (e) und (h) entsprechen weitgehend den Anforderungen des Offshore-Prinzips 8, wobei aber bereits EIA-Prinzip 4 (d) erheblich umfassender ist als das OffshorePrinzip 8 (e); neu sind die Punkte (c), (f) und (g) des EIA-Prinzips 4, wobei der Punkt (c) bereits im Annex I der Montreal-Guidelines angedeutet wurde. 1 3 5 Bei Aktivitäten mit grenzüberschreitenden Umweltauswirkungen, die nicht diesen Schwellenwert erreichen, sollen die Staaten sich bemühen, bi- oder multilaterale Abkommen über Informationen und Konsultationen zu schließen (Prinzip 11). Wie unten etwa anhand der ILA-Rules von 1982 oder anhand der Kairo-Resolution des I D I von 1987 zu zeigen sein wird, war ein solcher Schwellenwert für das Auslösen der Informations- und Konsultationspflichten nicht erforderlich; denn spätestens seit 1982/87 war gewohnheitsrechtlich die Pflicht zu Informationen und Konsultationen auch unterhalb der Schwelle des erheblichen Schadens anerkannt; nur für Notifikationen wird ein solcher Schwellenwert verlangt, vgl. auch unten Fußn. 159 . 1 3 6 Es geht hier (und generell im modernen Umweltvölkerrecht) nicht mehr allein um NachbarStaaten: Da aufgrund enormer Ferntransporte nicht allein Staaten mit gemeinsamer Grenze betroffen sind, wurde der ursprünglich vorgesehene Begriff "neighbouring State" durch "State" ersetzt; vgl. hierzu Bonine, S. 5.

137 vgl. hierzu bereits Weather Modification-Prinzip 1 lit. e.

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

105

Entscheidung über das Vorhaben erst in angemessener Frist danach erfolgen soll (Prinzipien 11 und 12 i.V.m. Prinzip 7). EIA-Prinzip 2 eröffnet jedem Staat die Möglichkeit selber zu entscheiden, welchen Ansatz er wählen will, um über die Notwendigkeit einer UVP zu entscheiden; hierfür bieten sich mindestens zwei Ansätze an, einmal der ListenAnsatz und zum anderen der "case-by-casew- (also der individuelle) Ansatz138. Im Unterschied zur UVP-Richtlinie der EG, die eine Liste der zu bewertenden Projekte enthält, verzichten die EIA-Principles auf eine solche Liste. ee) Zwischenergebnis

Diese Guidelines haben durch ständige Verdichtungen der Anforderungen an Elemente einer ökologischen Schutzpflicht den Formelkompromiß des Stockholmer Prinzips 21 zu einer Pflichtbezogenheit der Nutzung im Sinne der Basisverpflichtung der Montreal-Rules (Montreal-Prinzip 2 ) 1 3 9 aufgelöst. Das präventiv angelegte, langfristige Umweltmanagement wird zur "conditio sine qua non" der Umweltnutzung. Folgende Pflichten können aufgrund der Guidelines als anerkannte Pflichten 1*® gelten: 1. Es gilt eine Pflicht zum Unterlassen unkontrollierter Ableitungen und zur Verhinderung/Bekämpfung erheblicher Schäden. Potentiell besonders gefährliche Aktivitäten sind nicht mehr ohne weiteres, sondern nur nach vorheriger Genehmigung zulässig. Ausdrücklich geregelt ist diese Genehmigungspflicht für die Hauptetappen des Meeresbergbaus und des Offshore-Drilling, für das Einleiten gefährlicher Stoffe ins Meer durch VonLand-Quellen, für den Ort der Behandlung, Lagerung und Ablagerung gefährlicher Abfälle, für jeden grenzüberschreitenden Import oder Transit gefährlicher Abfälle und für den Im- oder Export einer verbotenen bzw. streng zu begrenzenden Chemikalie141. Der Genehmigungs-Vorbehalt kann als ein präventives Instrument zur Gefahren-Vorbeugung angesehen werden, denn hierfür ist regelmäßig zu prüfen: Verneinung eines beträchtlichen Schadens, Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der Umwelt, Umweltverträglichkeit der Anlage und ökologische Zuverlässigkeit des Be1 3 8 In einer Fußnote zu Prinzip 2 werden fünf Ansätze (drei listen- und zwei individuelle Ansätze) genannt; vgl. hierzu auch Bonine, S. 6. 1 3 9

Zitiert oben im Text vor Fußn. 107 .

14

^ Wenn hier und im folgenden von "anerkannten Pflichten" gesprochen wird, sind damit gewohnheitsrechtlich anerkannte Pflichten gemeint; da die methodische Begründung hierzu erst im Kapitel Π 3 a) geleistet wird, wird vorläufig erst nur von "anerkannten Pflichten" gesprochen. 141 vgl. Offshore-Prinzip 6 Abs. 1, Montreal-Prinzip 13, Cairo-Prinzip 14 l i t a, Cairo-Prinzip 26 l i t c und London-Prinzip 1 lit g.

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

106

werbers 142. Für den grenzüberschreitenden Transport gilt das Modell des "prior informed consent"143, d.h. der Zustimmung auf der Basis einer rechtzeitigen und umfassenden Unterrichtung des betroffenen Staates144, als Ausdruck einer gemeinsamen Verantwortung der Import- und ExportStaaten für den weltweiten Schutz von Gesundheit und Umwelt. 2.

Vor der Entscheidung über Aktivitäten, die möglicherweise erheblich die Umwelt beeinträchtigen können, müssen Planungen, Bewertungen und in zunehmendem Maße auch Umweltverträglichkeitsprüfungen durchgeführt werden. Ausdrücklich geregelt ist das Erfordernis umfassender Umweltbewertungen - bzw. seit 1982/1987 der UVP 1 4 5 - für grenzüberschreitende Auswirkungen bei Aktivitäten der Wetterbeeinflussung, bei Meeresbergbau oder Meeresbohren, bei größeren Projekten im Küstenbereich, die Meeresverschmutzungen durch Von-Land-Quellen verursachen können, und bei der Errichtung von Abfallbehandlungs-Stätten146. Hinzu kommt die Pflicht zu Regional- und Fachplanungen (wie etwa Küsten-, Siedlungsund Entsorgungsplanung), einer allgemeinen Umweltplanung und einer speziellen Schutzgebiete-Planung147. Die Anforderungen an die Elemente der UVP sind im Laufe der Zeit immer umfassender geworden; auf jeden Fall muß sie den Anforderungen des Offshore-Prinzip 8 entsprechen, während das EIA-Prinzip 4 höhere Anforderungen an die UVP enthält148. Nach den EIA-Principles begründet der bloße Risiko-Verdacht die Pflicht zur UVP, während vorher eher eine konkrete Gefahr vorausgesetzt wurde 149. Die UVP kann als eine besonders geeignete Präventiv-Maß-

142 vgl. insbesondere Offshorc-Prinzipien 6 und 7 sowie Cairo-Prinzip 14 l i t b. 143 vgl. insbesondere Cairo-Prinzip 26 und London-Prinzip 1 lit. g (und öfter). 1 4 4 Die Unterrichtung muß so umfassend sein, daß der Importstaat die schädlichen Umweltauswirkungen umfassend evaluieren kann. 14 ^ Bei den Maßnahmen der Wetterbeeinflussung handelt es sich noch nicht um eine UVP; in den übrigen Fällen (seit den Offshore-Guidelines) ist von einer UVP auszugehen.

146 Vgl. Weather-Modification-Prinzip 1 l i t e, Offshorc-Prinzipien 8 und 6 Abs. 2, MontrealPrinzip 12, Cairo-Prinzip 14 lit b. 147 Vgl. Montreal-Prinzip 12 i.V.m. Anlage I , Cairo-Prinzip 9 sowie Offshore-Prinzip 5 und Montreal-Prinzip 7 . Zur Planung vgl. schon Stockholm-Prinzipien 13-17 und Weltcharta-Prinzipien 79; zu Schutzgebieten Stockholm-Prinzip 2 und Weltcharta-Prinzip 3. 1 4 8

Vgl. oben Fußn. 134 und Text zu Fußn. 102 .

149 Vgl. den oben in Fußn. 133 wiedergegebenen Text von Ziel 1 der EIA-Principles und demgegenüber den Wortlaut des Offshore-Prinzips 6 Abs. 2: "The granting of an authorization should be preceded by an assessment..., unless the competent authority is satisfied that in the light of ... significant adverse effects on the environment cannot be expected."

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

107

nähme gegen Umweltverschmutzungen angesehen werden, denn sie beugt durch gestalterisches Handeln bereits dem Entstehen möglicher Umweltbelastungen vor und kann die bestmögliche Umweltoption erzielen. 3.

Die Pflicht zum Verbot unkontrollierter Einleitungen und zur Verhinderung/Bekämpfung erheblicher Schäden bedeutet über die Genehmigungsund Planungspflichten hinaus die Notwendigkeit, über gemeinsame Schwarzen und Grauen Listen zu konsultieren und/oder gemeinsame Qualitäts- bzw. Emissions-Standards zu setzen und gefährliche Stoffe vor der Ableitung in Gewässer vorzubehandeln. Für diese Verschmutzungskontrolle muß auch die - etwas vage bleibende - "best practicable technology" eingesetzt werden, wobei für besonders gefährliche Stoffe vermutlich ein höherer Technologiestandard gilt Soweit allerdings Qualitätsstandards als Alternativen zum Genehmigungsvorbehält oder zu Emissionsstandards angesehen werden150, würde es sich weniger um das Vorsorge- als um das Schutzprinzip (Gefahrenabwehr) handeln. Zu dieser Verschmutzungskontrolle werden zunehmend andere Elemente eines Umweltmanagements als verpflichtend angesehen. Vor allem das umfassende, regional koordinierte Umweltmonitoring ist hierfür unverzichtbar, um ein rechtzeitiges Eingreifen zu ermöglichen151. Hierzu gehören u.a. Meß-, Berichts·, Dokumentations-, Register- und Überwachungspflichten, die Einrichtung von Überwachungsbehörden mit trainiertem Personal und erforderlichem Gerät, die Überprüfung potentiell gefährlicher Anlagen sowie ein gemeinsames Überwachungs- und Datenmanagement auf der Basis kompatibler Prozeduren und Methoden. Hinzu treten das spezielle Notfallregime (vor allem das Entwickeln gemeinsamer Notfallpläne sämtlicher Anrainer-Staaten), die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit und die Sanierungspflicht 152. Seit den Montreal-Rules (1985) wird besonders deutlich auf die Notwendigkeit einer Institution für die Durchführung eines gemeinsamen regionalen Umweltmanagements aller Anrainer-Staaten hingewiesen. Vor allem durch diesen umfassenden Umweltmanagement-An-

1 5 0

So Montreal-Prinzip 13.

1 5 1

Vgl. hierzu bereits Weltcharta-Prinzip 19 sowie Offshore-Prinzipien 11-15, Montreal-Prinzip 11 und Cairo-Prinzipien 19-20. 1 5 2

Zum Notfallregime vgl. Shared-Resources Prinzip 9, Offshore-Prinzipien 7 b und 21, Montreal-Prinzip 14 und Cairo-Prinzipien 22 und 23. Zur wissenschaftlichen Zusammenarbeit vgl. Stockholm-Prinzipien 20 und 24, Offshore-Prinzip 3 b, Montreal-Prinzip 8 sowie Cairo-Prinzipien 4 a und 4 b. Zur Samerungpflicht vgl. Weltcharta-Prinzip l i e , Offshore-Prinzip 7 d und CairoPrinzip 19 b; wenn in den übrigen Guidelines von Pflichten zur Verhinderung, Reduktion und Kontrolle von Verschmutzungen die Rede ist, dürfte damit die Sanierungspflicht miterfaßt sein.

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

108

satz tritt beim Abbau der Ressourcen zunehmend stärker die Pflicht zur Umv/ellerhaltung in den Vordergrund als das Recht zum Abbau der Ressourcen. 4.

Immer stärker ausgeprägt hat sich auch die Schutzpflicht zugunsten grenzüberschreitender Belange. Sie bedeutet nicht nur über das Verbot der Schadenszufügung hinaus die allgemeine Pflicht zum Schutz und Erhalt der Natur in fremdem Territorium und in Gebieten jenseits nationaler Jurisdiktion153, sondern sie ist als ein Diskriminierungsverbot ausgestaltet, bei dem eine Nichtbeachtung dieser Schutzpflicht als willkürliche Diskriminierung fremder Staaten erscheint154. In einer zweiten Ausprägung bedeutet die grenzüberschreitende Schutzpflicht das Einräumen gleicher Rechtsschutzmöglichkeiten für die Bewohner betroffener Staaten155. Ursprünglich als bloßer Appell formuliert 156, wird es seit 1985/87 (seit den Montreal-Guidelines) erstmals als Recht behandelt, wobei es einschränkend zunächst nur bei gegenseitiger Verpflichtung und später nur für den Betroffenenkreis (der Genehmigung einer Abfallbehandlungs-Stätte) gelten soll 157 . In einer dritten Ausprägung bedeutet die grenzüberschreitende Schutzpflicht das Verbot der Belastungsverschiebung, also das Verbot der Übertragung der Verschmutzung von einem Gebiet in ein anderes (bzw. von einem Typ auf einen anderen)158.

5.

Bei allen grenzüberschreitenden Belangen bestehen umfassende (regelmäßige) Informations - und Konsultationspflichten; Notifikationspflichten mit anschließender Pflicht zu Konsultationen bestehen unstreitig nur dann, wenn die Gefahr erheblicher Verschmutzungen be-

153 vgl. bereits Shared Resources-Prinzip 3 Abs. 3 und deutlicher Weltcharta-Prinzip 21 lit. e. 154 Vgl. Shared Resources-Prinzip 13, Offshore-Prinzip 19 Abs. 1 (geringfügige Präzisiemng und Verschärfung des Shared Resources-Prinzip 13) (vgl. oben Fußn. 104, ), sowie CairoPrinzip 3; das London-Prinzip 2 l i t d wird man letztlich auch als einen Anwendungfall dieses Diskriminienmgsverbots ansehen müssen. Das Diskriminierungsverbot wird man frühestens seit 1982 (seit den Offshore-Guidelines) als anerkannt bezeichnen können. 155 Vgl. hierzu bereits Shared Resources-Prinzip 14 und Weltcharta-Prinzip 23, wobei die Shared-Resources Deklaration die appellhafte Formulierung "States should endeavour..." verwendet 156 Vgl. den Wortlaut von Shared Resources-Prinzip 14 und Offshore-Prinzip 19 Abs. 2 (hierzu oben Fußn. 105 ). 1 5 7 1 5 8

Vgl. Montreal-Prinzip 16 lit c und Cairo-Prinzip 18; vgl. dazu oben Fußn. 108 .

Ausdrücklich geregelt von Montreal-Prinzip 6 und Cairo-Prinzip 6 (letzteres mit dem zusätzlichen Hinweis, daß stattdessen eine Behandlung zur Minimierung der Umweltrisiken erfolgen müsse). Ein erster Ansatz dazu findet sich bereits im Weltcharta-Prinzip 13. Das Verbot der Belastungsverschiebung ist demnach erst seit 1985/87 anerkannt

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

109

steht159. Dabei erfaßt die Pflicht zur Informationsübermittlung an einen möglicherweise betroffenen Staat auch das Zurverfügung-Stellen der relevanten Informationen aus der UVP 1 6 0 . 6.

In der Reichweite und in der genauen Bestimmung seines Inhalts weiterhin vage bleibt hingegen der zunehmend etwas präzisierte Appell zu einem Technologie-Transfer, der seit 1987 (seit den Cairo-Guidelines) zu einer vagen Pflicht erstarkt sein dürfte. Es handelt sich um eine Pflicht zur Förderung des Forschungs- und Technologietransfers zu den Entwicklungsländern zur Ermöglichung eines speziellen Umweltmanagements161 oder um die grundsätzliche, aber nicht näher substantiierte Pflicht zur technischen Hilfe durch Staaten mit fortgeschritteneren Umweltmanagement-Systemen an Staaten, die solche Systeme aus ökologischen Gründen benötigen162. Einschränkungen eines solchen Technologie-Transfers enthält allein Cairo-Prinzip 5, wonach die legitimen Interessen und faire und vernünftige Bedingungen für den Transfer zu berücksichtigen sind. Allein unter solchen Einschränkungen kann diese Pflicht bestehen163.

7.

Keine größere Präzisierung erfuhr die sonstige Pflicht zur Vermeidung von Belastungen 164. Allein die Pflicht zur Vermeidung und Verringerung (sowie Verwertung) von Abfall wird durch Cairo-Prinzip 7 angedeutet Dies bedeutet eine Bestärkung des Ursprungsprinzips, nach dem Umweltbeeinträchtigungen an der Quelle bekämpft werden müssen. Hinzu kommt

159 vgl. Shared-Resources Prinzipien 5 (regelmäßige Informationen und Konsultationen) und 6 (Notifikationen nur bei Gefahr erheblicher Verschmutzungen); Weather-Modification Prinzipien 1 b und 1 d (Notifikationen, Informationen und Konsultationen bei allen potentiellen Umweltauswirkungen für andere Staaten); Weltcharta-Prinzip 21 a (regelmäßiger Austausch von Informationen und Konsultationen zur Umwelterhaltung); Offshore-Prinzipien 17 und 18 (Notifikationen, Informationen und Konsultationen nur, wenn Gefahr erheblicher Verschmutzungen für andere Staaten oder für staatsfreie Räume besteht); Montreal-Prinzip 15 (Notifikationen, Informationen und Konsultationen bei allen Umweltgefahren für andere Staaten oder für staatsfreie Räume); Cairo-Prinzipien 4 d und 26 a (Informationsaustausch zur umweltgerechten Abfallentsorgung bzw. vor jedem Abfall export) sowie Cairo-Prinzip 17 (Konsultation nur, wenn die Errichtung einer Abfallentsorgungsstätte eine erhebliche Umweltgefahr für andere Staaten bedeuten kann). EIA-Prinzipien 11 und 12 stellen demgegenüber einen Rückschritt dar, weil auch die Informations- und Konsultationspflichten nur für erhebliche Umweltauswirkungen gelten; vgl.dazu Fußn. 135 . 160 vgl. EIA-Principles 11 und 12 i.V.m. Prinzip 7 sowie Weather Modification-Prinzip 1 l i t e. 1 6 1

Vgl. Montreal-Prinzip 9 und Cairo-Prinzip 5.

1 6 2

Vgl. London-Prinzip 2 l i t e i.V.m. Prinzip 15.

1 6 3 Ähnlich lauten auch die Einschränkungen für einen Technologie-Transfer in Artikel 13 Abs. 2 der Charter of Economic Rights and Duties of States: "with proper regard for all legitimate interests including, inter alia, the rights and duties of holders, suppliers and recipients of technology ... and in accordance with procedures which are suited to their economies and their needs." 1 6 4

Vgl. bereits Weltcharta-Prinzipien 10 und 12.

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

die Begrenzung des grenzüberschreitenden Abfalltransportes auf ein Minimum165. Generell wird jedoch eine Minimierungspflicht angedeutet, die bedeutet, daß neue oder zusätzliche Umweltbelastungen, selbst wenn sie bestimmte Gefährdungswerte nicht erreichen, auf den geringstmöglichen Stand zu begrenzen sind166. Diese Minimierungspflicht wird später u.a. durch die Arbeiten der ILA und des IDI präzisiert und hat - unter fast wörtlicher Übernahme des Shared Resources-Prinzips 3 - Eingang in mehrere Umweltabkommen gefunden 167. Dieser Stand an Rechtspflichten tendiert durch seine umfassenden Schutzpflichten in die Richtung zu einem relativ vorbeugenden und ressourcenschonenden Umweltvölkerrecht. Dennoch lassen sich gegenüber ausgereiften nationalen Regelungen, etwa gegenüber dem deutschen Umweltrecht168, einige Schwachstellen aufzeigen: Pflichten zur Minimierung denkbarer Schadensursachen durch Beachtung der nach dem Stand der Technik (oder gar nach dem Stand von Wissenschaft und Technik) möglichen Maßnahmen sind in diesen Guidelines nicht niedergelegt; der in der Weltcharta genannte Technologiestandard ist der der (nicht näher definierten) "geeignetsten" Technologien, und der in den Montreal- und Cairo-Guidelines angesprochene Standard der "best practicable technology" dürfte noch unter dem deutschen Standard der "allgemein anerkannten Regeln der Technik" liegen169; allein der für besonders schädliche Verschmutzungsstoffe geltende Standard der "best 1 6 5

Vgl. Cairo-Prinzip 2.

166 vgl. Randelzhofer/Harndt

Grenzüberschr. Zusammenarbeit bei der UVP S. 128.

1 6 7

Vgl. Randelzhofer/Harndt

1 6 8

Siehe oben unter Kapitel I Teil 2) .

1 6 9

ebda.

Siehe oben Fußn. 69 und Fußn. 116 ; angesichts der technologischen Rückständigkeit der meisten Länder der Dritten Welt reichen auch traditionellste Techniken. Der Standard "best practicable technology (Fußn. 116 zu diesem Kapitel ) läßt sich am besten so übersetzen: Anwendung von erprobter umweltgerechter Technologie, die von einem Wirtschaftszweig geliefert wird. Der Standard "best available technology " (Fußn. 116) bezeichnet die in Gebrauch befindliche möglichst fortschrittliche Technologie und könnte damit dem deutschen Standard "allgemein anerkannte Regeln der Technik" entsprechen, während die "best practicable technology" unter diesem deutschen Standard liegt Zu den Definitionen der drei deutschen Standards "allgemein anerkannte Regeln der Technik" (das, was allgemein üblich, also erprobt und bewährt ist), "Stand der Technik" (das, was an fortschrittlichen Verfahren schon erprobt, aber noch nicht allgemein eingeführt ist, vgl. § 3 V I BIMSchG) und "Stand von Wissenschaft und Technik" (auch die wissenschaftlich für erforderlich gehaltenen, aber noch nicht entwickelten Verfahren sind zu berücksichtigen) vgl. Β VerfGE 49, 89, 135 f; Winter DVB1. 1988, S. 661 und Breuer HdUR Π, Sp 385 ff sowie Kloepfer UmwR § 2 Rdnr. 46.

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

111

available technology" könnte den "allgemein anerkannten Regeln der Technik" entsprechen170. Es fehlt ein eindeutiges Bekenntnis zu einheitlichen Emissionsstandards; stattdessen dominiert das Alternativkonzept, bei dem Qualitätsstandards als gleichberechtigte Alternativen zu Emissionsstandards angesehen werden 171 . Sämtliche Kontrollstrategien (einschließlich des Technik-Einsatzes) sind von der wirtschaftlichen Kapazität der Staaten abhängig172; dadurch kann selbst der relativ niedrige Technologiestandard noch umgangen werden; andererseits wird dadurch auch die Notwendigkeit des Technologietransfers verdeutlicht Die Konzepte zur Realisierung des Ursprungsprinzips müßten präzisiert werden: Pflichten zur Vermeidung von Abfall und Schadstofffrachten, sowie Pflichten zur Verwertung von Abfall und Reststoffen sind nur gering ausgeprägt; insbesondere fehlen Produktionsbeschränkungen, Produktnormen und ökonomische Anreize; auch Regeln zum verständigen und sparsamen Umgang mit den Ressourcen fehlen weitgehend. Die Planungseifordernisse sind ebenfalls als weiter entwicklungsbedürftig zu bezeichnen, denn nur für wenige Bereiche sind Fach- oder Regionalplanungen vorgesehen. An die Stelle eines Regime möglicher Vermarktungsbeschränkungen für Chemikalien tritt ein Informationsregime, das aber nationale Vermarktungsregime zur Folge haben kann. Abgesehen von diesen Schwachstellen entsprechen die gezeigten Rechtspflichten weitgehend dem Vorsorgeprinzip, wie es in ausgereiften nationalen Regelungen, etwa im deutschen Umweltrecht, niedergelegt ist 173 .

1 7 0

Hierfür wird aber im deutschen Umweltrecht der strengere Maßstab des "Standes der Technik" (bzw. ausnahmsweise der "Stand von Wissenschaft und Technik") verlangt; vgl. oben Kapitel I 2. 1 7 1 Siehe insbesondere Montreal-Prinzip 13 i.V.m. Anlage I. - Zur Kritik am Alternativ-Konzept (ein vorsorgender Ansatz ist nur durch einheitliche Emissionsnormen oder durch eine Kumulation von Emissions- und Qualitätsnormen möglich) vgl. unten Fußn. 33/34 zu Kapitel Π 2 d) .

172 Ygi Montreal-Prinzip 5 Ut. a. 173 Vgl d i e obige Darstellung (Kapitel I Teil 2) des Vorsorgeprinzips im deutschen Umweltrecht. - In der grundlegenden rechtsvergleichenden Untersuchung zum Vorsorgeprinzip von Rehbinder % Das Vorsorgeprinzip, Ms., wurde auf die nach Verkündung der Weltcharta beschlossenen UNEP-Guidelines nicht eingegangen.

112

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

ff) Bedeutung zweier UNEP-Berkhte ( H Our common Future", "Environmental Perspective" 1987)

In den beiden am 11.12.1987 von der UN-Generalversammlung angenommenen Berichten "Our Common Future " und "Environmental Perspective to the Year 2000 and Beyond "174 wird die mögliche Weiterentwicklung des Umweltvölkerrechts und der Umweltpolitik aufgezeigt Dabei werden auch die o.g. Schwachpunkte weitgehend aufgegriffen. Der von einer Expertengruppe im Auftrag der UNO erarbeitete BrundtlandReport "Our Common Future " verlangt unter weitgehender Anlehnung an den in der Entwicklungsforschung erarbeiteten basic needs-approach (Grundbedürfnis-Ansatz) 175 die weitestgehende Verknüpfung der Ziele von Umwelt- und Entwicklungspolitik und des dazugehörigen Rechts. Das von ihm geforderte Ziel "sustainable development ", d.h. eine Entwicklung, die die Grundbedürfnisse der gegenwärtigen Generation erfüllt, ohne die Fähigkeit künftiger Generationen zu zerstören, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen 176, hat seither maßgeblich die umweltrechtliche Arbeit von UNO/UNEP, anderen Umweltorganisationen und Gremien geprägt177. Dieses Ziel bedeutet eine ökologische Einbindung der gesamten Wirtschafts- und Entwicklungspolitik,bei der letztlich der Umweltschutz weltweit erstmals als Querschnittsaufgabe zumindest der Wirtschafts- und Entwicklungsplanung anerkannt wird. Von dieser Querschnittsfunktion des Umweltschutzes ist auch die Bevölkerungs-, Landwirtschafts-, Forst-, Energie-, Industrie- und Siedlungspolitik be-

1 7 4 World Commission on Environment and Development (WCED), Our Common Future; UNEP, Environmental Perspective to the Year 2000 and Beyond, in: EPL 17 (1987) 3/4, S. 162173, deutsch in: Umweltperspektive der Vereinten Nationen bis zum Jahre 2000 und danach (Beiträge A 108); beide Berichte wurden von der UN-Generalversammlung am 11.12.1987 durch die Resolutionen 42/186 und 42/187 angenommen, vgl. EPL 18 (1988) 1/2, S. 36 f. Beide Berichte gehen auf die Resolution 38/161 der UN-Generalversammlung vom 19.12.1983 zurück, in der die Schaffung einer Sonderkommission (WCED) zur Anfertigung des Berichts "Our Common Future" und die Beauftragung eines vom UNEP eingesetzten zwischenstaatlichen intersessionellen Vorbereitungsausschußes mit der "Environmental Perspective..." beschlossen wurde. 17

^ Zu den Gnindbedürfnissen werden insbesondere gerechnet: Nahrung, Gesundheit, Unterkunft, Erziehung sowie ein Mindestmaß an Sicherheit, Freiheit, Selbständigkeit, menschlicher Würde und kultureller Identität; vgl. dazu Galtung Annales d'études internationales 1978, S. 127 und Hohmann V N 1982, S. 61. 1 7 6

World Commission on Environment and Development, Our Common Future, S. 43.

177 vgl. Bulajic, Report of the Committee on Legal Aspects of a NIEO for the 64th ILA-Conference held 1990 in Queensland, para. 10 und 11. Danach wird das Prinzip des "sustainable development" zu einem der Hauptanliegen der Arbeit dieses ILA-Komitees, das zu den aus dem Recht auf Entwicklung resultierenden rechtlichen Pflichten weiterarbeiten will.

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

113

troffen, die dementsprechend ökologisch auszurichten sind178. Weiterhin verlangt der Bericht neben einem weitgehenden Technologie-Transfer im Bereich der Umwelttechnologie179 und einer gemeinsamen Bewirtschaftung der "global commons" (hohe See, Weltraum, Antarktis sowie Atmosphäre und Klima) im globalen Interesse ein umfassendes Umwelt-Management und eine langfristige, am Nachwelt-Ansatz ausgerichtete Naturbewirtschaftung, die im Interesse auch künftiger Generationen am Prinzip der optimalen Ressourcenpflege auszurichten ist. Die drei wichtigsten hierzu vorgeschlagenen Rechtsregeln lauten in ihrer verkürzten Fassung180: Article 2 "States shall conserve and use the environment and natural resources for the benefit of present and future generations." Article 3 "States shall maintain ecosystems and ecological processes essential for the functioning of the biosphere, shall preserve biological diversity, and shall observe the principle of optimum sustainable yield in the use of living natural resources and ecosystems." Article 7 "States shall ensure that conservation is treated as an integral part of the planning and implementation of development activities and provide assistance to other States, especially to developing countries, in support of environmental protection and sustainable development"

Für ein Aufzeigen der künftigen Weiterentwicklung des Umweltvölkerrechts dürfte die "Environmental Perspective", die die Schlußfolgerungen des Berichtes "Our Common Future" aufgreift, noch wichtiger sein, weil sie nicht nur von einem Expertengremium, sondern von einem vom UNEP eingesetzten zwischenstaatlichen Ausschuß stammt. Sie gibt ausdrücklich den Konsens wieder, der sich auf zwischenstaatlicher Ebene in bezug auf die wachsenden Herausforderungen durch Umweltprobleme bis zum Jahr 2000 und danach auf sechs Hauptsektoren (Bevölkerung, Ernährung und Landwirtschaft, Energie, Indu1 7 8

In der UN-Res. 42/187 (Fußn. 174, deutsch in: Umweltperspektive der Vereinten Nationen, Fußn. 174, Anlage B), Ziffer 5, teilt die UN-Generalversammlung die Auffassung der WCED, daß zu den wesentlichen Zielsetzungen der Umwelt- und Entwicklungspolitiken, um das Ziel der bestandsfähigen Entwicklung erreichen zu können, gehören müssen: die Erhaltung des Friedens, die Wiederankurbelung des Wachstums und dessen qualitative Veränderung, die Behebung der ProWerne der Armut und der menschlichen Bedürfnisdeckung, Ansätze zur Lösung der Probleme des Bevölkerungswachstums und der Erhaltung und Verbesserung der Ressourcenbasis, die Neuausrichtung der Technologie, das Risikomanagement und die gleichzeitige Einbeziehung von Umweltund Wirtschaftsbelangen in die Entscheidungsfindung. 1 7 9 Ehe UN-Res. 42/187 hebt unter Ziff. 14 und 15 die Notwendigkeit hervor, daß Geberländer und -Organisationen zusätzliche finanzielle Mittel aufbringen und die technische Zusammenarbeit verstärken müssen, um den Entwicklungsländern dabei zu helfen, Umweltprobleme entsprechend ihren nationalen Entwicklungsplänen, -prioritäten und -zielen zu analysieren, zu überwachen, zu verhindern und zu bekämpfen. 1 8 0 Aus Platzgründen wird hier die Zusammenfassung der vorgeschlagenen Rechtsprinzipien zitiert, abgedruckt als Annexe 1 zu: World Commission on Environment and Development , Our Common Future, S. 348-351. Auf die ausführlichere, endgültige Formulierung - sie enthält gegenüber der Zusammenfassung nichts Neues, sondern nur Präzisierungen - der vorgeschlagenen Rechtsprinzipien (abgedruckt in: WCED-Expert Group/Munro/Lammers, Environmental Protection and Sustainable Development, S. 25-33) wird bei Kapiteln Π 3 b und Π Ι 4 einzugehen sein.

8 Hohmann

114

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

strie, Gesundheit/Siedlungswesen, internationale Wirtschaftsbeziehungen), bei vier globalen Problemen (Meere, Weltraum, biologische Vielfalt und Sicherheit/Umwelt) und beim Instrumentarium umweltpolitischer Maßnahmen herausgebildet hat 181 . Als Gesamtziel wird - in Übereinstimmung mit dem Brundtland-Report - angestrebt, eine bestandsfähige Entwicklung auf der Grundlage der umsichtigen Bewirtschaftung der verfügbaren Ressourcen und des Umweltpotentials der Erde sowie die Wiederherstellung der zuvor geschädigten und überlasteten Umwelt herbeizuführen (Ziffer 2). Als besonders elementar für eine erfolgreiche Umweltpolitik werden dort (in Ziffer 3) bezeichnet182: ein kriegsfreier Zustand ohne hohe Rüstungsausgaben183, bessere weltwirtschaftliche Bedingungen für Entwicklungsländer und Beseitigung der Massenarmut, gerechter Zugang der Menschen zu den Umweltressourcen, Integration der Umwelt- in die Entwicklungspolitik, Verstärkung der Vorsorge, Herstellung der Querschnittsfunktion des Umweltschutzes, Mitwirkung der betroffenen Bevölkerung, schonende Nutzung der Naturressourcen unter Beachtung der miteinander vernetzten Ökosysteme, eine flexible, d.h. der Weiterentwicklung der Technik entsprechende Naturbewirtschaftung und ein Forum für die Möglichkeit derfriedlichen Beilegung von UmweltStreitigkeiten. Als anzustrebende Maßnahmen werden in der "Environmental Perspective" u.a. genannt184:

1 8 1

Vgl. Ziffer 4 der Environmental Policy.

1 8 2

Die UN-Generalversammlung hat in Ziffer 3 ihrer Res. 42/186 (Fußn. 174, deutsch in: Umweltperspektive der Vereinten Nationen Fußn. 174, Anlage A) diese Passage wortgleich als ihre Feststellung übernommen. 183 vgl. bereits Prinzip 20 der Weltchaita. Für die meisten Ostblock-Staaten ist das Prinzip der ökologischen Sicherheit besonders wichtig; vgl. hierzu Hugler!Müller in: Neue Justiz 1988, S. 393 ff und das Kommuniqué der Tagung des Politischen Beratenden Ausschusses der Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes vom 15./16.7.1988 in: Europa-Archiv 1988 Dok. D 420. 1 8 4

Vgl. insbesondere Ziff. 9,25,35,47,68, 89,92 und 97 der "Environmental Perspective".

b) Erklärungen des UNEP und der UNO

115

eine Koordinierung der Entwicklungs-, Umwelt- und Bevölkerungsplanung mit einer Planung der Boden-, Wasser- und Raumnutzung (Raumplanung); Verhinderung und Bekämpfung der Schädigung von Böden und Wäldern, der Dürre und Wüstenbildung, der Verschlechterung von Gewässern, der Entwaldung, Überweidung und Überbeanspruchung durch Sanierungen, durch Boden-, Forst- und Wasserwirtschaftspolitiken, durch Erhaltungsmaßnahmen (z.B. Aufforstungsprogramme), durch Förderung der Verwendung angepaßter Technologien und wiederverwendbarer organischer Stoffe in der Landwirtschaft, durch Agrarreformen (anstelle von Überschußproduktionen), durch Schutzgebiete, durch verbesserte Überwachungen und rechtzeitige Umweltbewertungen; Energiepläne, eine umweltgerechte Energieproduktion und eine Förderung der neuen, sauberen Energien; die Einführung abfallarmer und sauberer Industrietechnologien, die Rückgewinnung und Wiederverwertung knapper Rohstoffe; Programme zur Überwachung der Industrieemissionen, die Festlegungung und Durchsetzung von Umweltnormen einschließlich Nachrüstungs- und Berichtspflichten sowie parallelen ökonomischen Anreizen, die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsbewertung vor der Standortwahl eines Industrieunternehmens, umfassendere Planungen sowie der verstärkte Einbezug der Bevölkerung in diese Planung; verstärkte Anstrengungen zur Sammlung und Analyse von Umweltdaten und Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Schaffung wirksamer nationaler Überwachungs-, Informations- und Bewertungssysteme. Durch eine umfassende Planung sollen insgesamt Umweltverträglichkeitsstudien und sektorale Entscheidungen gefördert werden, die umweltschonende Technologien/Standorte, das Recycling, die umweltgerechte Entsorgung von Abfällen und die Erhaltung der natürlichen Ressourcen begünstigen, so daß letztlich ökologische und ökonomische Zielsetzungen einander ergänzen. Diese Ansätze würden die Pflichten zur Minimierung von Schadensursachen, zur Vermeidung bzw. Verwertung von Abfall und zur Verstärkung des Planungserfordernisses beitragen. Sie sind geprägt von einem medienübergreifenden und vorbeugenden Ansatz, bei dem die Umweltpolitik erstmals zur Querschnittsaufgabe wird. Sie sind orientiert an der Sanierung, Erhaltung und Verbesserung der Umwelt. Es handelt sich somit um eine Verbesserung des vorbeugenden und ressourcenschonenden Ansatzes. Die Querschnittsfunktion und das am Nachweltansatz orientierte langfristige Umweltmanagement wird u.a. auch daran deutlich, daß die bestandsfähige und umweltverträgliche Ent-

116

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

wicklung das zentrale Prinzip für die Vierte UN-Entwicklungsdekade werden soll 185 . Auch die für Juni 1992 geplante Earth Charter dürfte sich dieses Punktes annehmen. c) Der Beitrag der drei "Kodifikationsgremien" (ILC, ILA und IDI) zum modernen Umweltvölkerrecht Wenn hier etwas schlagwortartig die drei Gremien ILC, ILA und IDI unter dem Stichwort "recording bodies"1 bzw. "Kodifikationsgremien" zusammengefaßt werden, soll dies nicht verkennen, daß es der ILC und auch den beiden anderen Gremien neben der Kodifikation um die Weiterentwicklung des internationalen Rechts geht2. Bei engem Verständnis des Begriffs "Kodifikation" könnte möglicherweise nur von Kodifikations-Vorschlägen bzw. "Restatements gesprochen werden, da ungewiß ist, inwieweit diese Erklärungen unmittelbare rechtliche Geltung erlangen werden. Im folgenden soll das Wort "kodifizieren" in einem weiten Sinne gebraucht werden3, nämlich als Zusammenführen von Regeln, die nach Auffassung der zuständigen Gremien den Stand des völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts wiedergeben, wobei noch unklar bleibt, inwieweit sie später zu Abkommen werden. Dabei muß sicherlich ein Unterschied zwischen der Bedeutung der Entwürfe der ILC und der der Resolutionen der beiden anderen Gremien gemacht werden, weil die ILC den offiziellen UNAuftrag hat, diese Aufgaben wahrzunehmen und Abkommen vorzubereiten, während die Tätigkeit der beiden anderen Gremien auf privater Initiative beruht. Andererseits besteht heute wegen der abnehmenden Bedeutung der ILC kaum noch ein solcher Unterschied zwischen der Bedeutung der Arbeiten der

1 8 5 Vgl. Decision des UNEP-Governing Council während der 15. Sitzung am 26. Mai 1989, in: EPL 19 (1989) 3/4, S. 128. 1

Friedmann The Changing Structure of International Law, S. 123.

2

Vgl. Art. 1 Abs. 1 des "Statute of the International Law Commission" (in der Fassung vom 18.11.1981, in: UN-Doc. A/CN.4 /4/ Rev. 2, deutsch in: Schweitzer/Rudolf Friedensvölker, S. 820 ff): "The International Law Commission shall have for its object the promotion of the progressive development of international law and its codification ". 3

Ebenso wohl auch die Definition im Statute of the ILC t dessen Art. 15 Satz 2 die "Kodifikation" definiert als "the more precise formulation and systematization of rules of international law in fields where there already has been extensive state practice, precedent and doctrine." Zum Kodifikationsbegriff vgl. auch Schachter in: Macdonald/Johnston, Structure and Process of Int. Law, S. 773 f. Einen etwas engeren Kodifikations-Begriff verwendet Brownlie % Principles of Public Int Law, S. 30, weil für ihn noch die Bestätigung durch eine "law-determing agency" hinzukommen muß. Ob diese Auffassung tatsächlich enger als meine ist, hängt davon ab, welche Kriterien Brownlie an die "Bestätigung" stellt.

c) Kodifikationsgremien (seit 1972)

117

drei Gremien4, was sich auch daran zeigt, daß die drei Gremien sich ständig untereinander beeinflussen und zitieren. In der Praxis nicht nur der ILC hat sich herausgestellt, daß es kaum möglich ist, bei den Arbeitsvorhaben eine Trennlinie zwischen Fortentwicklung des Rechts und seiner Kodifikation zu ziehen5. Von daher erscheint es möglich, die drei Gremien unter diesem Stichwort zusammenzufassen, was allerdings nicht der Notwendigkeit enthebt, später zu überprüfen, ob es eher um eine Kodifikation oder eine Fortentwicklung des Umweltvölkerrechts geht.

aa) Die umweltrechtlkhen Resolutionen der International Law Association (ILA) seit 1972

Die aufgezeigte, im Rahmen von UNO/UNEP entstandene Rechtsentwicklung und die dadurch angestoßene nationale Umweltgesetzgebung sowie die zeitlich z.T. vorher entstandene Umweltgesetzgebung einiger weniger Länder wie etwa der USA6, die ihrerseits die Rechtsentwicklung in UNO/UNEP gefördert hat, hatten weitreichende Auswirkungen auf die Arbeit der mit Umweltfragen beschäftigten internationalen Organisationen sowie auf die Resolutionen der "recording bodies". So beschloß die ILA auf der im August 1972 - d.h. zwei Monate nach der Stockholmer Umweltkonferenz - stattfindenden New Yorker Tagung die Einsetzung eines "Committee on the Legal Aspects of the Conservation of the Environment ", um entsprechend dem Stockholmer Auftrag an "non-governmental organizations" die Ziele der Stockholmer Deklaration zu unterstützen7. Der Auftrag eines solchen Komitees sollte darin bestehen, die rechtlichen und institutionellen Aspekte der weltweiten Umwelt-Erhaltung darzulegen. Dadurch wurden der Schutz und die Erhaltung der Umweltmedien (anstelle ihrer Nutzung) zum zentralen Regelungsgegenstand der künftigen ILA-Texte. Die Stockholmer Prinzipien und andere UN-Prinzipien wurden von den Teilnehmern der ILA-Kongresse entweder nur als moralisch-verpflichtend 4 Vgl. dazu Schachter, S. 781; mehr dazu unten im Kapitel Π 3 a. Ob Brownlie mit seinem evtl. engeren Kodifikationsbegriff (siehe vorige Fußn.) ILA und I D I zu den "Kodifikation s" -Gremien rechnen kann, bleibt unklar, dies ist bedauerlich, weil er gerade ihren Resolutionen (ebda., S. 25) einen besonders autoritativen Status einräumen will. Möglicherweise will er den beiden letztgenannten Gremien nur einen autoritativen Status innerhalb der Lehrmeinungen einräumen. 5 Vgl. Tomuschat V N 1988,180. 6 Die USA erließ bereits im Januar 1970 den National Environmnetal Policy Act, ΝΕΡΑ (42 U.S.C. Sec. 4331 et seq), dessen sect. 102 (2)(E) zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und dessen sect 102 (2)(C) zur nationalen UVP verpflichtet; vgl. hierzu T. Atkeson, in: I L A Report of the 55th Conference, S. 471 f und Bothe/Gündling % Neuere Tendenzen des UmweltR im int Vergleich, S. 101 ff. - Neben der UVP stammt auch der Ansatz der "best available technology" aus dem US-RechL 7

Resolution "Legal Aspects of the Conservation of the Environment", in: ILA Report of the 55th Conference held at New York 1972, London 1974, S. xli - xlii.

118

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

oder bereits als rechtlich-verpflichtend angesehen8. Das 1974 eingerichtete Komitee wies sehr bald darauf hin, daß die ILA-Helsinki-Rules erweitert werden müßten auf die mittlerweile drängendere Notwendigkeit der Erhaltung der Wasser-Umwelt9. Das "Conservation"-Komitee beschränkte sich zunächst auf verschiedene Aspekte des Schutzes und der Erhaltung der Medien Luft und Boden, während Schutz und Erhalt des Wassers primär zum Regelungs-Gegenstand des Wasser-Komitees wurde. Seit 1978 konzentrierte sich das "Conservation"-Komitee auf die Regelung der "transfrontier pollution". Unter "pollution " wurde in Übereinstimmung mit einer OECD-Empfehlung des Jahres 197410 verstanden das "unmittelbare oder mittelbare Zuführen von Stoffen oder Energie durch den Menschen in die Umwelt, aus der sich abträgliche Wir-

8 Vgl. folgende Kommentare auf der New Yoiker Tagung 1972 (alle in: I L A Repoit of the 55th Conference): Nach W. Bassow (ebda., S. 469) bedeutet das Stockholmer Prinzip 21 : ein Staat, der die Umwelt eines anderen Staates schädigt, "is morally obligated to cease such activities or change them so they will not degrade the environment of another country or of areas beyond the limits of national jurisdiction ,,. Nach J. Y. M or in (ebda., S. 476) ist hingegen das Stockholmer Prinzip 21 bereits eine verbindliche Regel des Völkerrechts, soweit es um den Schutz der Umwelt anderer Staaten gehe (neu sei nur die Erstreckung auf Gebiete außerhalb der nationalen Souveränität). Noch weiter geht B. F. Brown (ebda, S. 479): "These 26 Principles are binding not merely because they are presented as the common conviction of 114 countries, but because they have spelled out what the reasonable man under the circumstances would think and do". Auf der Madrider Konferenz 1976 (alle in: ILA Report of the 57th Conference) äußerte G. Fitzgerald (ebda., S. 573): "Principles 21 and 22 of the Stockholm Declaration are not law and are merely hortatory in nature". - Hingegen heißt es bei D. Caponera (ebda., S. 569): "The general principles of law may be found in the Stockholm and similar U N and other declarations." V. Vukasovic (ebda., S. 571) betont die rechtliche Bedeutung von "guidelines and principles of the international legal regulation of environmental practices"; gleichzeitig macht er auf das Entstehen neuer Rechtsquellen des Umweltvölkerrechts aufmerksam. 9 Vgl. Annex C (Memorandum of H. R. Külz) zum Bericht des Komitees "Legal Aspects of the Conservation of the Environment", in: ILA Report of the 57th Conference held at Madrid 1976, London 1978, S. 592.

OECD-Recommendation "Principles concerning Transfrontier Pollution", C (74) 224, Annex A, sowie OECD-Recommendation "Implementation of a Regime of Equal Right of Access ...", C (77) 28, Annex lit. a und c, beide in: OECD , OECD and the Environment, S. 142 (144) und 150 (151). Dort heißt es: "Pollution means any introduction by man, directly or indirectly, of substance or energy into the environment resulting in deleterious effects of such a nature as to endanger human health, harm livingresources and eco-systems, impair amenities or interfere with other legitimate uses of the environment". "Transfrontier pollution means any intentional or unintentional pollution whose physical origin is subject to and situated wholly or in part within the area under the national jurisdiction of one Country and which has effects in the area under the national jurisdiction of another Country". Art 2 Abs. 1 der ILA-Montreal Rules ist wortgleich, ergänzt um die Formulierung " and material property ..."; in seinem Abs. 2 heißt es etwas kürzer: "Transfrontier Pollution means pollution of which the physical origin is wholly or in part situated within the territory of one State and which has deleterious effects in the territory of another State". Zur Bedeutung des Begriffs vgl. OppermannJKilian, HdUR Bd. I, Sp. 683 und Rauschning t Festschr. Schlochauer, S. 559, an die sich auch die obige deutsche Übersetzung anlehnt.

c) Kodifikationsgremien (seit 1972)

119

kungen, wie eine Gefährdung der menschlichen Gesundheit, eine Schädigung lebender Ressourcen, der Öko-Systeme und von Sachwerten, eine Beeinträchtigung der Annehmlichkeiten oder sonstiger rechtmäßiger Nutzungen der Umwelt ergeben"11. Grenzüberschreitend ist sie, "wenn ihr physischer Ursprung sich ganz oder teilweise im Hoheitsbereich eines Staates befindet und die schädlichen Auswirkungen im Hoheitsbereich eines anderen Staates hat"12. Bereits die weite Definition des Begriffs "pollution", die erstmals nicht nur die unbeabsichtigte, die nur mittelbare sowie die thermische Verschmutzung13 sondern auch den Schutz lebender Ressourcen und Ökosysteme erfaßt, zeigt, daß es nicht nur um einen traditionellen Ansatz des Umweltschutzes (Schutz existentieller, sozialer, ästhetischer und wirtschaftlicher Interessen), sondern auch um den modernen ressourcenökonomisch/ökologischen Umweltschutz geht14. Wenngleich es dem ILA-Komitee primär darum gegangen war, Regeln für grenzüberschreitende Luftverunreinigungen aufzustellen, muß davon ausgegangen werden, daß keine Regelungen getrennt nach den Medien Luft und Wasser aufgestellt werden sollten15. Es handelt sich vielmehr erstmals um einen medienübergreifenden Ansatz, der sowohl grenzüberschreitende Belastungen der Luft als auch des Wassers und des Bodens erfassen kann und soll16. Der Verabschiedung der ILA-Montreal Rules of International Law Applicable to Transfrontier Pollution (künftig: ILA-Montreal Rules)17 waren drei Berichte des Rapporteurs Rauschning vorausgegangen, in denen die gegenwärtigen Rechtspflichten bezüglich der grenzüberschreitenden Verschmutzung 1 1

Diese ILA-Formulierung (vgl. Hinweise in voriger Fußn.) wurde auch von der Genfer Konvention über weiträumige grenzüberschreitende Luftverschmutzungen in ihrem Art. 1 l i t a als Definition für "Luftverunreinigung" übernommen. Die vom I D I in der Athener Resolution von 1979 verwendete Definition (Art. 1) ist einerseits etwas einschränkender, erfordert aber andererseits zusätzlich das Entstehen eines Schadens. 1 2

So Art 2 Abs. 2 der ILA-Montreal Rules. Vgl. auch Art 1 l i t b der Genfer Konvention (Definition der grenzüberschreitenden Luftverunreinigung). 1 3 Vgl. demgegenüber die enge Definition des Art I X der Helsinki-Rules, zitiert oben in Fußn. 58 zu Kapitel Π 1 . 1 4 Wegen der Formulierung "harm living resources, ecosystems"; wegen der Abgrenzung traditioneller ./. modemer ressourcenökonomischer Umweltschutz vgl. oben Kapitel I, Text bei dortiger Fußn. 22 . 1 5 Vgl. dazu Rauschning, Festschr. Schlochauer, S. 557 f, der aufzeigt, daß ein einheitlicher Ansatz für beide Medien sinnvoller erscheint; der verschiedene Ansatzpunkt der beiden ILA-Komitees habe seinen Ursprung allein im unterschiedlichen Auftrag für den jeweiligen Ausschuß. Auch die Begrenzung des I D I auf Flüsse und Seen liege an der Begrenzung des Auftrags. 1 6 1 7

Vgl. Oppermann/Kilian,

HdUR Bd. I, Sp. 684.

In: ILA Report of the 60th Conference held at Montreal 1982, London 1983, S. 1-3. - Brunnée Diss. Mainz, S. 88 ff, zitiert fälschlich ständig aus dem Draft, wenn sie eigentlich aus den MontrealRules zitieren möchte.

120

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

resümiert wurden18. Unter Rückgriff auf die Praxis von (primär europäischen) Staaten, auf einzelne Umweltabkommen, OECD-Erklärungen, vier UNTexte19, die Salzburger Resolution des IDI, Europarats-Resolutionen - wobei diese Dokumente (mit Ausnahme der Abkommen) nur bis zum Jahr 1978 erfaßt wurden - kam der Berichterstatter zu folgendem Ergebnis bezüglich der Rechtspflichten20: Es gibt eine gewohnheitsrechtlich anerkannte Pflicht, existente grenzüberschreitende Verschmutzungen soweit zu bekämpfen, daß keine erheblichen Verschmutzungen in einem anderen Staat entstehen. Die Staaten sind weiter verpflichtet, neue (oder vergrößerte) Emissionen, die einen Schaden von gewissem Gewicht beim Nachbarstaat anrichten können, zu verhindern. Es lasse sich aber keine Regel nachweisen, nach der unabhängig von einem Schadenseintritt eine Pflicht besteht, jede Verschmutzung zu bekämpfen, damit sie so gering wie möglich sei21. Schließlich sei die Regel des "equitable share" gewohnheitsrechtlich anerkannt und lasse sich auch auf die Luft übertragen. Eine Pflicht zur Information über bevorstehende (oder größere) Verschmutzungen läßt sich nachweisen. Hingegen sei der Nachweis einer Pflicht zu Konsultationen/Verhandlungen bezüglich Luftverschmutzungen (anders als bei Wasserverschmutzungen) - eine Unterscheidung die die ILA nicht akzeptierte - gegenwärtig nicht sicher22; und wenn sie existiere, räume sie kein Veto-Recht, sondern nur die Pflicht zu Verhandlungen nach "Treu und Glauben" ein. Möglicherweise existiere ein Prinzip der Nicht-Diskriminierung; hingegen erfordere das Gewohnheitsrecht gegenwärtig noch nicht den Zugang der betroffenen Bevölkerung zu Verwaltung/Gerichten. 1 8 Rauschning , Preliminary Report, in: ILA-Report of the 58th Conference held at Manila 1978, London 1980, S. 383-411 (künftig: Manila-Report ); ders., Second Report of the Committee, including Draft Rules, in: ILA-Report of the 59th Conference held at Belgrade 1980, London 1982, S. 531-550 (künftig: Belgrad-Report); ders., lìiird Report of the Committee, including Rules, in: ILAReport of the 60th Conference held at Montreal 1982, London 1983, S. 157-177 (künftig: MontrealReport). 1 9 Stockholmer Deklaration, UN-Resolution 3129 ( X X V I I I ) (vgl. Fußn. 16 zu Kapitel Π 2 b ), Charter of Economic Rights and Duties of States (vgl. Fußn. 15 zu Kapitel Π 2 a, ) und die "Shared Resources"-Deklaration. 2 0 Vgl. insbesondere den Manila-Report, S. 396 ff und die Zusammenfassung ebda., S. 410 f. Ehe Resultate dieses Berichtes werden auch im Belgrad- und Montreal-Report wiederholt (aUerdings ohne Aktualisierungen, außer bei den Abkommen). Diese zeitliche Begrenzung (d.h. die Wiedergabe des Rechtsstandes von 1978181) ist zu berücksichtigen. 2 1

Diese Feststellung wird allerdings später durch Rauschning im Belgrad-Bericht (1980) dadurch abgemildert, daß er eine Regel zum Verbot des Einleitens besonders gefahrlicher Substanzen (schwarze Listen) aufsteUt (Draft Artikel 5). 2 2 In Art. 6 der Montreal Rules wurden diese Bedenken des Berichterstatters nicht übernommen; vielmehr wurde die Konsultation nicht als Empfehlung, sondern als uneingeschränkte Pflicht formuliert

c) Kodifikationsgremien (seit 1972)

121

Aufgrund dieser zeitlichen Relativität des Berichts steht er nicht im Widerspruch zu den oben von mir aus den UNEP-guidelines deduzierten weiteren Staatenpflichten23. Die Kenntnis dieses Vorverständnisses des Rapporteurs über den Umfang der rechtlichen Pflichten ist insofern wichtig, als erst daraus ersichtlich wird, warum einige der Draft-Rules als bloße Empfehlungen formuliert worden sind: Genau dort, wo die Existenz einer Rechtspflicht sich nicht nachweisen ließ, wurden Empfehlungen formuliert 24. Die 1982 vom Rapporteur vorgeschlagenen Draft-Rules, die nicht oder völlig verändert von der ILA übernommen wurden, lauten25: Alt. 3 Abs. 1: "Notwithstanding the rale of Article 5 concerning competing uses of shared natural resources States are in their legitimate activities under an obligation to prevent, abate and control transfrontier pollution to such an extent that no substantial injury is caused in the territoy of another State". Ait. 5: "If the utilization of a shared natural resource in the territory of a State causes transfrontier pollution and conflicts with the competing utilization of this resource in the territory of another State, each State sharing the natural resource is entitled within its territory to a reasonable and equitable share of the utilization. Art 6:"(1) What is a reasonable and equitable share within the meaning of Article 5 is to be determined in the light of all the relevant factors in each particular case. (2) Relevant factors which are to be considered include, but are not limited to: a) bis 1) . . . 2 6

2 3

Die scheinbaren Widersprüche zu den von mir oben aus den UNEP-guidelines deduzierten Rechtspflichten lassen sich allein aus der zeitlichen Relativität des Berichtes (vgl. Hinweis in Fußn. 20 zu diesem Kapitel) erklären: Die Pflicht zum Einräumen gleicher Rechtsschutzmöglichkeiten auf Gegenseitigkeit ist frühestens seit 1985 anerkannt (seit den Montreal-Guidelines, vorher war es ein bloßer Appell); das Diskriminieningsveibot wird man als anerkannt erst ab 1982 (ab den OffshoreGuidelines) ansehen können; umfassende Notifikationen/Konsultationen i.S. eines "prior informed consent" sind wohl erst ab 1987 (Cairo-Guidelines) anerkannt. Die Pflichten zu umfassenden Planungen und Umweltbewertungen bzw. zur UVP beginnen frühestens 1982/1987; die Pflicht zu umfassenden Genehmigungen beginnt frühestens 1982/1985. 2 4 Es war von mehreren Teilnehmern des 58. ILA-Kongresses in Manila kritisiert worden, daß die Formulierung eines "non liquet" wenig befriedigend sei; es müßte notfalls die Formulierung einer Regelung "de lege ferenda" (also die Weiterentwicklung) gewählt werden; vgl. insbes. die Stellungnahmen von Bothe und M. K. Nawaz, beide in: ILA-Report of the 58th Conference, London 1980, S. 418 bzw. 420. 2 5 Vgl. Rauschning, Montreal-Report, in: ILA-Report of the 60th Conference, S. 158 ff. Bemerkenswerte Unterschiede gegenüber den Draft-Rules im Belgrad-Report (1980) bestehen darin, daß aus den in Art 3 Abs. 2 und 3 ursprünglich genannten "by the application of the most advanced technology in so far as it is economically acceptable" die schwächere Formulierung "by measures practicable and reasonable under the circumstances" wurde; bzgl. neuer Verschmutzungen wurde aus dem ursprünglichen "States are under an obligation" die etwas schwächere Formulierung "Sûtes shaU" (Art 3 Abs. 2).

122

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht (3) The weight to he given to each factor is to be determined by its importance in comparison with that of other relevant factors. In determining what is a reasonable and equitable share, all relevant factors are to be considered together and a conclusion reached on the basis of the whole."

Diese Draft-Rules statuieren gegenüber den Helsinki-Rules umfassendere Bekämpfungs- und Verhinderungspflichten. Bezüglich gegenwärtiger Verschmutzungen bezieht sich die Pflicht nur darauf, erhebliche Schäden ("substantial injury") zu bekämpfen, während bezüglich neuer/größerer Schäden auf diese Schwelle der "substantial injury" - wegen der Kenntnis des Risikos erheblicher Gefährdungen (saurer Regen) und der Entwicklung neuer Verhütungstechnologien - verzichtet wird 27. Jedoch blieb dieser Entwurf zu sehr dem alten "equitable use"-Prinzip der Helsinki-Rules mit der Gefahr des "Doppel-TestM-Ansatzes28 verhaftet. Nicht zuletzt deshalb war der vorgeschlagene Artikel 6, der zumindest zu Mißverständnissen bezüglich einer unbegrenzten Nutzungsmöglichkeit einlud, z.T. heftig umstritten29. Insbesondere legt der vorgeschlagene Art 6 Abs. 2 lit i 3 0 die Vermutung nahe, daß bei der

2 6 Es folgt eine Aufzählung von Faktoren, die fast wörtlich der Aufzählung von Art. V der Helsinki-Rules entspricht; zusätzlich werden hier folgende neue Faktoren genannt: "h) the positive effects that the activity may have on another natural resource or on another part of the environment than the one on which it is causing transfrontier pollution; i) the availability of technical means to reduce the burden to the environment caused by the utilization of the shared resource and the relevant costs; k) the efforts of the particular sharing States to limit transfrontier pollution conflicting with the competing utilization and the different relevant emission standards applied within the sharing States; 1) the practicability of compensation to one or more of the sharing States as a mean of adjusting conflicts among utilzations." 2 7

So heißt es bei Rauschning im Manila-Report (S.402): "In view of the enormous technical development and the increased danger to the environment it is no longer tenable to limit the principle of territorial integrity by requiring the potential victim State to prove that the expected damage will be of 'serious* magnitude in the sense of the Trail Smelter decision". 2 8

Vgl. dazu oben Text bei Fußn. 61 zu Kapitel Π 1 .

2 9

Vgl. insbesondere den Diskussionsbeitrag von Lammers (ILA-Report of the 59th Conference, Belgrad 1980, S. 571), der folgende Neuformulierung für Art 6 Abs. 1 vorschlug: "Where two or more States share a common medium, as for example an international water basin or the air shed of a valley, each State is entitled within its territory to a reasonable and equitable share in the use of this common medium for the discharge of substances or energy in so far as this use by the States concerned is possible without giving rise to substantial injury in the territory of one or more of the States concerned." Es ist nicht ausgeschlossen, daß Rauschning selber dem "Doppel-Test"-Ansatz anhing; zumindest könnte man seine Formulierung im Montreal-Report (S. 169) so verstehen: "...any use of the waters of an international basin by a basin State that causes pollution to the extent of depriving a cobasin State of an equitable share of the use of the same waters must be considered as being in conflict with the principle of equitable utilization". 3

® Zitiert oben in Fußn. 26 zu diesem Kapitel.

c) Kodifikationsgremien (seit 1972)

123

grenzüberschreitenden Luftverunreinigung eine Abwägung der Kosten der Verschmutzungsbeseitigung mit denen der entstehenden Schäden für die Beurteilung des "reasonable and equitable share" erforderlich sei. Dagegen ist in der Literatur mit Recht vorgebracht worden, daß die Anwendung der Regel den Schwierigkeiten der Kostenfeststellung sowie der mangelnden Berücksichtigung ökonomisch nicht meßbarer Schäden zum Opfer zu fallen drohe31. Dagegen sei - und dem ist zuzustimmen - der sog. "basic entitlement" -Ansatz vorzugswürdig, nach der die Nutzung einer geteilten Ressource automatisch dann als übermäßig und damit völkerrechtswidrig angesehen wird, wenn ein ernsthafter grenzüberschreitender Schaden verursacht wird 32. Weiterhin konnte der Eindruck entstehen, daß durch das Zahlen von Kompensationen auch ein stark verschmutzender Gebrauch "reasonable and equitable" sei33, was eine unbedingte Bekämpfungs- und Verhütungspflicht bei ernsthaften Schäden relativiert hätte. Ein solcher Ansatz wäre ordnungspolitisch (wegen der Bevorzugung reicherer Nationen) und ökologisch (wegen der Gefährdung des Vorsorgegrundsatzes) fragwürdig gewesen. Da die vorgeschlagenen Art. 5 und 6 nicht von den Montreal-Rules übernommen wurden, ist unklar, inwieweit diese Kritikpunkte auch auf die Montreal-Rules zutreffen. Der verabschiedete zentrale Artikel 3 der Montreal-Rules lautet nämlich wie folgt 34: "(1)

Without prejudice to the operation of the rules relating to the reasonable and equitable utilisation of shared natural resources States are in their legitimate activities under an obligation to prevent, abate and control transfrontier pollution to such an extent that no substantial injury is caused in the territory of another State.

(2)

Furthermore States shall limit new and increased transfrontier pollution to the lowest level that may be reached by measures practicable and reasonable under the circumstances.

(3)

Sûtes should endeavour to reduce existing transfrontier pollution, below the requirements of para. 1 of this Article, to the lowest level that may be reached by measures practicable and reasonable under the circumstances."

Genauso wie bei den Draft-Rules besteht bei existenten grenzüberschreitenden Verschmutzungen die Verhinderungs-, Bekämpfungs- und KontioUpflicht erst bei erheblichen Schäden; bezüglich unter dieser Erheblichkeits-Schwelle liegender existenter Verschmutzungen wird den Staaten empfohlen, diese auf

3 1 So insbesondere Handl, N a t Res. J. 26 (1986), S. 417 und ihm folgend J. Brunnée, Diss. Mainz, S. 90 f. 3 2

So dieselben ebda.

3 3

Vgl. insbesondere den vorgeschlagenen Art. 6 Abs. 2 lit 1, zit oben in Fußn. 26; vgl. hierzu auch die Kritik von Handl, S. 432 f. 3 4

Nachweis in Fußn. 17; Hervorhebungen hinzugefügt

124

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

einen Stand so niedrig wie möglich zu reduzieren35. Bei neuen oder vergrößerten grenzüberschreitenden Verschmutzungen besteht eine Pflicht der Staaten, diese soweit wie möglich (d.h. auf einen Stand so niedrig wie möglich) zu reduzieren. Gegenüber Art. X der Helsinki-Rules wird die Bekämpfung existenter Verschmutzungen von der bloßen Empfehlung zur uneingeschränkten Pflicht der Staaten; und zusätzlich zur Bekämpfung tritt auch noch die Verhinderungs- und Kontrollpflicht hinzu. Letzteres verdeutlicht den in den Vordergrund gerückten präventiven Ansatz des Umweltrechts: Verhinderungs- und Kontrollpflicht sind nur dann reell zu erfüllen, wenn ein ausgereiftes Umweltmanagement besteht, das geprägt ist vom ständigen Umwelt-Monitoring, von der Pflicht zur Kooperation, zur rechtzeitigen gemeinsamen Planung und Umweltverträglichkeitsprüfung, zu frühzeitigen Konsultationen und Informationen der Anrainer-Staaten, um das gemeinsame Ökosystem gemeinsam zu pflegen und zu erhalten36. Die Montreal-Rules gehen weitgehend in genau diese Richtung, indem sie folgendes verlangen: 1. Aus der Pflicht zur Bekämpfung, Kontrolle und Verhinderung erheblicher Verschmutzungen (Art 3 Abs. 1) und der Pflicht zur Reduktion jeglicher neuer Verschmutzungen (Art 3 Abs. 2) im grenzüberschreitenden Kontext dürfte zumindest die Pflicht zum ständigen Umwelt-Monitoring, zum Aufstellen und Überwachen von Emissions- oder Qualitätsnormen und zu einigen Planungen sowie eine begrenzte Sanierungspflicht folgen; weiterhin dürfte daraus auch - nicht zuletzt wegen des Anlehnens an das "shared resources"-Prinzip - eine Pflicht zur regionalen Zusammenarbeit zum Schutz und Erhalt des gemeinsamen Ökosystems ableitbar sein. 2.

Die Staaten sind nach Art. 4 verpflichtet, das Einleiten von Substanzen, die allgemein als besonders gefährlich für die menschliche Gesundheit betrachtet werden, in die Umwelt zu verbieten37. Wenn solche Substanzen allerdings schon abgeleitet worden sind, müssen Staaten diese umweltver3 5

Auch hier besteht nur ein scheinbarer Widerspruch zu der oben von mir aus den UNEPguidelines deduzierten Sanienmgspflicht; denn eine Pflicht zu Sanieningen wird man frühestens ab 1985 (seit den Montreal-Guidelines) als anerkannt ansehen können; vgl. hierzu Hinweise in Fußn. 151 zu Kapitel Π 2 b . Nach den Montreal-Rules besteht eine Sanierungspflicht erst bei Überschreiten der Schwelle des "erheblichen" Schadens; unterhalb dieser Schwelle handelt es sich um eine Sanierungs-Empfehlung. 3 6 3 7

Vgl. Bothe, in: Bothe (Hrsg.) Trends in Environmental Policy and Law, S. 391 ff.

Wörtlich lautet ArL 4: "Notwithstanding the provisions in Article 3 States shall refrain from causing transfrontier pollution by discharging into the environment substances generally considered as being highly dangerous to human health. If such substances are already being discharged. States shall eliminate the polluting discharge within a reasonable time." Diese Bestimmung wurde durch verschiedene neue Umwelt-Abkommen mit "schwarzen Listen" angeregt, aus denen Rauschning auf eine entsprechende Rechtsüberzeugung schloß; vgl. dazu ders. Montreal Report (ILA-Report of the 60th Conference, Montreal 1982, S. 1 67 f).

c) Kodifikationsgremien (seit 1972)

125

schmutzende Ableitung innerhalb einer angemessenen Zeit beseitigen. Hierdurch wird aus Gründen der Billigkeit und der wirtschaftlichen Fähigkeit eine Übergangsregelung geschaffen 38, durch welche die Staaten die Möglichkeit haben, entsprechende Gesetze zu erlassen und Verhütungsund Überwachungstechnologien zu erwerben bzw. zu installieren. Diese Übergangsregelung (Art. 4 Satz 2) wird jedoch durch Art. 3 Abs. 1 verdrängt, sobald die Gefahr besteht, daß es zu erheblichen Schäden kommen kann. 3.

Staaten, die Aktivitäten planen, welche möglicherweise das beträchtliche Risiko einer grenzüberschreitenden Verschmutzung in sich bergen, müssen rechtzeitig den potentiell betroffenen Staaten solche Pläne notifizieren; dabei müssen die übermittelten Informationen so detailliert sein, daß der Empfängerstaat die möglichen Umweltprobleme bewerten kann (Art. 5 Abs. 1). Und nach ArL 5 Abs. 2 sollten 39 die Staaten, damit sie selber einschätzen können, ob eine geplante Aktivität ein solches beträchtliches Risiko in sich birgt, eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchführen 40, bevor sie solche Aktivitäten ausführen.

4.

Auf die Bitte eines möglicherweise betroffenen Staates muß der Staat, der diese Aktivitäten plant und notifiziert, mit ersterem über Probleme grenzüberschreitender Verschmutzungen, die bei der geplanten Aktivität auftreten können, in Konsultationen treten und diese nach Treu und Glauben über eine vernünftige Zeit hinweg führen (Art. 6).

5. Wenn Aktivitäten, die im Territorium eines Staates durchgeführt wurden, sei es in Zusammenhang mit Notsituationen o.ä. - grenzüberschreitend eine plötzliche Erhöhung des Niveaus bestehender Verschmutzungen verursachen oder möglicherweise verursachen, ist der Ursprungsstaat verpflich-

3 8 Vgl. hierzu Rauschning im Montreal Report ebda, unter Hinweis auf ähnliche Bestimmungen in Art. 6 der Genfer Konvention und Art 5 Abs. 2 der Draft European Convention for the Protection of International Watercourses against Pollution des Europarats (März 1974). 3 9

Die Formulierung "sollten" wurde gewählt, um zu verdeutlichen, daß es sich um eine in der Entwicklung befindliche Rechtspflicht ("a rule of international law in the stage of development") handelt, vgl. Rauschning im Montreal-Report, S. 174. Hier besteht wegen der zeitlichen Relativität des Manila-Reports nur ein scheinbarer Widerspruch zur oben deduzierten UVP-Pflicht; vgl. Hinweise oben in Fußn. 23. 4 0 Daß mit "environmental assessment" die UVP gemeint ist, ergibt sich aus dem Montreal-Report; dort folgert Rauschning ebda., S. 174, diese Pflicht als Korrelat aus den umfassenden anderen substantiven sowie prozeduralen Pflichten (ebenso Handl t Proceedings of the ASIL 1980, S. 226); dabei konnte er auf verschiedene Meeresumweltabkommen sowie auf OECD-, EG- und UNEPErklärungen verweisen.

126

Π.2 Modernes Umweltvölkerecht

re/ 41 , unverzüglich die betroffenen oder möglicherweise betroffenen Staaten zu warnen, sie zweitens mit solchen detaillierten Informationen zu versorgen, daß sie den Schaden minimieren können und sie drittens über die eigenen Schritte zu informieren, die zur Bekämpfung der Ursache der Erhöhung des Verschmutzungsniveaus ergriffen werden (Art. 7). Damit werden die wichtigsten Pflichten des modernen Umweltmanagements (umfassende Bekämpfungs-, Überwachungs-, Verhinderungs- und Genehmigungspflichten, umfassende Notifizierungs- und Konsultationspflichten, spezielles Notfall-Regime) eindrucksvoll bestätigt; die Umweltverträglichkeitsprüfiing ist noch eine in der Entwicklung befindliche Rechtspflicht; nur die Pflichten zu umfassender Kooperation und zur rechtzeitigen gemeinsamen Planung sind erst in Ansätzen erkennbar. Die Kooperationspflicht wird dafür in den unten genannten "Rules on Water Pollution" weiterentwickelt. Gleichzeitig bestätigen die Montreal-Rules sämtliche der oben aus der "Shared Resources"Deklaration deduzierten Pflichten (mit Ausnahme der in den dortigen Prinzipien 13 und 14 enthaltenen Nichtdiskriminierung bzw. des gleichen Zugangs zu Gerichten/Verwaltung42, die dafür aber als Empfehlung von den "Rules on Water Pollution" aufgeführt werden). Fast alle der in der "Shared Resources"Deklaration enthaltenen "Sollens"-Pflichten (d.h. Pflichten, bei denen es heißt "States should ') werden dabei zu unbedingten Staatenpflichten (d.h. Pflichten, bei denen es heißt "States are under an obligation/duty" oder "States shall")43. Wenn man weiter berücksichtigt, daß sie den Rechtsstand von 1982 widergeben, stehen sie nicht im Gegensatz zu den weitergehenden, oben von mir aus den UNEP-guidelines deduzierten Staatenverpflichtungen. Eindrucksvoll bestätigt werden vielmehr folgende der o.g. Pflichten: Potentiell besonders gefährliche Aktivitäten (wie das Ablassen besonders gefährlicher Stoffe in die Umwelt) bedürfen einer Genehmigung oder sind verboten (schwarze Listen). Vor der Entscheidung über Aktivitäten, die möglicherweise erheblich die Umwelt beeinträchtigt, sollte eine UVP durchgeführt werden. Es gibt eine nicht näher spezifizierte Pflicht zum Umweltmanagement, zu der zumindest eine Pflicht zum Umweltmonitoring, zu Emissions- oder Qualitätsnormen (also zum Unterlassen unkontrollierter Ableitungen), zu

4 1 Diese StaaXenverpflichlung leitete Rauschning im Manila-Report, S. 176 f, nicht nur aus verschiedenen Umweltabkommen, sondern auch aus dem zwingenden Wortlaut des Art 9 der "Shared Respurces"-Deklaration ("States have a duty urgently to inform ...") her. 4 2 4 3

Vgl. Hinweise in Fußn. 23 zu diesem Kapitel.

Einzige Ausnahme bleibt die UVP, bei der es nach wie vor heißt "States should make environmental assessments ..."; vgl. Hinweise oben in Fußn. 39 zu diesem Kapitel.

c) Kodifikationsgremien (seit 1972)

127

einigen Planungen und zur begrenzten Sanierung gerechnet werden dürften. Es besteht eine Pflicht zum Schutz fremden Territoriums vor (spürbaren) Umweltbeeinträchtigungen, die sich vor allem in einem umfassenden Notfall-Regime ausdrücken. Und die Staaten sollten - nach den "Rules on Water Pollution" - den betroffenen Personen anderer Staaten auf nicht-diskriminierender Basis Zugang zu Verwaltung/Gerichten des Verschmutzerstaates einräumen. Bei allen grenzüberschreitenden Belangen bestehen umfassende Informations· und Konsultationspflichten, die sich auch auf das Zur-Verfügungstellen von Plänen beziehen können. Die Pflicht zur Vermeidung/Reduzierung neuer Schäden ist umfassender als die Pflicht zur Bekämpfung existenter Schäden. Demnach ist der ökologisch fragwürdige Ansatz der Helsinki-Rules durch die Montreal-Rules vollständig überwunden. Allerdings bleibt ein gewisses Fragezeichen insofern, als der Wortlaut des Artikel 3 Abs. 1 ("without prejudice to the operation of the rules relating to the reasonable and equitable utilisation of shared natural resources ...") für verschiedene Interpretationen offen ist. So ist in der Literatur geltend gemacht worden, darin liege nach wie vor eine gewisse Unterwerfung unter den "Doppel-Tesf-Ansatz 44. Demnach wäre es denkbar, daß der bloße Nutzungs-Ansatz der Helsinki-Rules immer noch die unbedingten Pflichten der Montreal-Rules verdrängt Diese Gefahr hätte nicht bestanden, wenn der vom Rapporteur vorgeschlagene (und oben zitierte) Art 3 Abs. 1 übernommen worden wäre, weil dort die "substantial injury" als einziges Kriterium für die Verhinderungs-, Bekämpfungs- und Kontrollpflicht genannt war und/oder die von Lammers vorgeschlagene Neufassung des EntwurfArtikels 6 4 5 verabschiedet worden wäre.

Weitgehend Gleiches gilt für die vom Komitee "International Water Resources Law" erarbeiteten und ebenfalls auf der Montrealer Sitzung 1982 verabschiedeten Rules on Water Pollution in an International Drainage Basing si ergänzen einige der Pflichten der Montreal-Rules und stellen gemeinsam mit ihnen die wichtigsten Regeln des modernen Umweltmanagements auf. Unterschiede gegenüber den Montreal-Rules bestehen erstens insofern, als hier ausdrücklich eine umfassende, aus der Interdependenz der Staaten, die sich die 4 4 So insbesondere Handl Nat. Res. J. 26 (1986), S. 424, der in der verabschiedeten Formulierung (anders als in der Entwurf-Formulierung "Notwithstanding ...") die Implikation der Unterwerfung unter das "equitable use"-Prinzip sieht, aber zugleich darauf hinweist, daß diese Umformulierung ein 'last minute change upon a motion from the Conference floor" (ebda, in seiner Fußn. 112) war, die möglicherweise sonst nicht allgemein akzeptiert worden wäre.

Zitiert oben in Fußn. 29 zu diesem Kapitel. 4 6

In: ILA-Report of the 60th Conference held at Montreal 1982, S. 535-548.

128

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

Gewässer eines Wassereinzugsgebiets teilen und daher ein Gemeinschaftsinteresse haben47, abgeleitete Pflicht zur Kooperation statuiert wird 48. Es handelt sich insoweit um die eindrücklichste Bestätigung der Pflichten aus der "Shared Resources"-Deklaration mit der nachdrücklichen Empfehlung zur Schaffung gemeinsamer Gewässerkommissionen mit umfassenden Befugnissen (gemeinsame Forschungs- und Überwachungsprogramme, gemeinsame Qualitätsnormen). Vor diesem Hintergrund ist ein zweiter Unterschied zu den Montreal-Rules nicht verwunderlich, nämlich der einer umfassenderen und regelmäßigen Pflicht zur Information und Konsultation49. Damit dürfte die bloße Empfehlung des Art. XXIX der Helsinki-Rules, andere Staaten bezüglich der Nutzung zu informieren oder ihnen den Bau entsprechender Anlagen zu notifizieren50, endgültig zu einer Pflicht erstarkt sein51. Ein dritter Unterschied besteht darin, daß eine Empfehlung ausgesprochen wird, den betroffenen oder möglicherweise betroffenen Personen anderer Staaten auf einer nicht-diskrimi4 7 Vgl. Bourne , Report of the Committee, in: ILA-Repoit of the 60th Conference, S. 531 ff (540): "The duty to co-operate with other co-basin States is a fundamental principle that is now generally accepted. It reflects the interdependence of those who share the waters of a drainage basin; it recognizes the existence of a community interest in these waters that transcends national interests. It is this duty which provides the basis for the procedural rules set forth in these articles below." 4 8 Art. 4: "In order to give effect to the provisions of these Articles, Sûtes shall cooperate with the other States concerned." Art. 7: "In order to ensure an effective system of prevention and abatement of water pollution of an international drainage basin, basin States should set up appropriate international administrative machinery for the entire basin. In any event, they should : a) coordinate or pool their scientific and technical research programmes to combat water pollution; b) establish harmonized, coordinated, or unified networks for permanent observation and pollution control; and c) establish jointly water quality objectives and standards for the whole part of the basin." 4 9

Art. 5: "Basin States shall : a) inform the other States concerned regularly of all relevant and reasonably available data, both qualitative and quantitative, on the pollution of waters of the basin, its causes, its nature, the damage resulting from it, and the preventive procedures"; b) und c) Art. 6: "Basin States shall consult one another on actual or potential problems of water pollution in the drainage basin so as to reach, by methods of their own choice, a solution consistent with their rights and duties under international law. This consultation, however, shall not unreasonably delay the implementation of plans that are subject of the consultation. 5 0 5 1

Auszugsweise zitiert in Fußn. 108 zu Kapitel Π 1 .

Hintergrund hierfür sind Entwicklungen seit der Stockholmer Umweltkonferenz: So wurde die Pflicht zur Information und vorheriger Konsultation zunächst in der UN-Resolution 2995 (XXVII) vom 15.12.1972 angedeutet und dann insbesondere in der UN-Resolution 3129 (XXVIE) vom 13.12.1973 und in Art. 3 der Charter of Economic Rights and Duties of States betont: 'In the exploitation of natural resources shared by two or more countries, each State must co-operate on the basis of a system of information and prior consultations in order to achieve optimum use of such resources without causing damage to the legitimate interest of others".

c) Kodifikationsgremien (seit 1972)

129

nierenden Basis Zugang zu Verwaltung und Gerichten des Verschmutzer-Staates zu gewähren52. Ein vierter Unterschied besteht darin, daß keinerlei Empfehlung bezüglich einer Umweltverträglichkeitsprüfung ausgesprochen wird. Gleichermaßen problematisch wie bei den Montreal-Rules ist die Formulierung der Verhinderungs- und Bekämpfungspflicht 53; denn diese Regel gilt nur "consistent with the Helsinki Rules on the equitable utilization of the waters of an international drainage basin"54. Gegen diese Verknüpfung der Verschmutzungsregeln mit dem "equitable use"-Prinzip sind dann auch Bedenken geäußert worden55. Und in der Literatur wurden wieder zu Recht Bedenken gegen diese mögliche Unterwerfung unter den Doppel-Test-Ansatz vorgebracht56. Dennoch ist hervorzuheben, daß der traditionelle Helsinki-Ansatz weitgehend durch einen modernen, am "shared-resources" Prinzip orientierten Umweltmanagement-Ansatz ersetzt wurde.

Erst 1986 wurde diese Relativierung der Verhinderungs- und Bekämpfungspflicht durch das "equitable use"-Prinzip weitgehend aufgehoben. Denn in den "Complementary Rules Applicable to International Water Resources" 57 die uneingeschränkte Pflicht der Bassin-Staaten ausgesprochen, Handlungen oder Unterlassungen in ihrem Territorium zu unterbinden oder zu verhindern, 5 2 A l t 8: "States should provide remedies for persons who are or may be adversity affected by water pollution in an international drainage basin. In particular, States should , on a non-discriminatory basis, grant these persons access to the judicial and administrative agencies of the State in whose territory the pollution originates ...". 5 3 Nach Art. 1 müssen die Staaten insbesondere a) jede neue oder vergrößerte Wasserverschmutzung verhindern, die erhebliche Schäden im Territorium eines anderen Staates verursachen würde; sie müssen b) alle nur möglichen Maßnahmen ergreifen, um existente Wasserverschmutzungen so weit zu bekämpfen, daß kein erheblicher Schaden im Territorium eines anderen Staates verursacht wird und sie müssen c) versuchen, diese Verschmutzungen weiter auf das geringstmögliche Niveau zu reduzieren, das unter den Umständen praktikabel und vernünftig ist 5 4 Art 1 : "Consistent with the Helsinki-Rules on the equitable utilization of the waters erf an international drainage basin, States shall ensure that activities conducted within their territory or under their control conform with the principles set forth in these Articles concerning water pollution in an international drainage basin." Weiter heißt es dort, daß die Staaten insbesondere folgende Pflichten einhalten müssen: . 5 5

So heißt es im Montreal-Bericht von Bourne (in: ILA-Report of the 60th Conference, S. 536 f.): "In the discussion of the Committee, some reservation was expressed about the adoption of the principle of equitable utilization as the basis of these rules on pollution. A view was expressed that an activity that resulted in 'pollution was illegal and must be stopped even though the cessation of this activity would deprive the State concerned of itsreasonable and equitable share of the benefits of the utilization of the waters. Pollution, then, would beregarded solely from the aspect of tortious activity and not from that erf sharing the benefits of utilization of waters in a reasonable and equitable manner. This approach was rejected by the Committee." 5 6

So insbesondere Handl N a t Res. J. 26 (1986), S. 424.

5 7

In Report of E. J. Manner / V. M. Metsälampi, in: ILA-Report of the 62nd Conference held at Seoul 1986, London 1987, S. 275-294. 9 Hohmann

130

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

die einen erheblichen Schaden in einem anderen Bassin-Staat verursachen würden; nur unter außergewöhnlichen Umständen könne das Prinzip "equitable utilization" eine Ausnahme hiervon zulassen58. Bei der Bestimmung des "reasonable and equitable share" seien nicht nur die Vorteile der Nutzung zu berücksichtigen, sondern ebenso müßten ihre schädlichen Konsequenzen bedacht werden59. Damit wird 1986 zum ersten Mal eine beinahe absolute Bekämpfungs- und Verhinderungspflicht von der ILA statuiert. Oder anders formuliert: Die Nutzung der Gewässer wird hier (fast) eindeutig dem Schutz der Gewässer untergeordnet. Und Art. III dieser Regeln statuiert erstmals eine allgemeine, also nicht auf spezielle Situationen bezogene Notifikationsp/Z/cAf, wenn ein geplantes Projekt die Interessen eines Bassin-Staates erheblich berühren kann60. Dabei muß die Notifikation derart spezifizierte Informationen und Daten enthalten, daß der möglicherweise betroffene Bassin-Staat die Auswirkungen dieses Projekts bewerten kann. Letztlich wird hier das Durchführen einer UVP und das Zurverfügung-Stellen der UVP-Daten an den betroffenen Staat erforderlich sein. Die von Art. III dieser Regeln normierte NotifikationsProzedur entspricht im übrigen weitgehend dem Verfahren der UNEP-EIAPrinciples. Auch hier muß dem betroffenen Staat eine angemessene, mindestens sechsmonatige Frist zum Evaluieren des Projekts und dem Prüfen möglicher Einwendungen eingeräumt werden. Und in Konkretisierung des Prinzips 7 der "Shared Resources"-Deklaration wird ausdrücklich klargestellt, daß der planende Staat diesen Disput lösen muß und während dieser Zeit nicht mit dem Projekt beginnen darf. Dies stellt eine Fortentwicklung gegenüber den ILAHelsinki-Rules dar und bestätigt die Verpflichtung nach Art. 7 der Salzburger IDI-Resolution. Bereits 1980 hatte die ILA "Rules on Regulation of the Flow of Water of International Watercourses " verabschiedet, die zu umfassender Kooperation vor

5 8 Art I : "A basin State shall refrain from and prevent acts or omissions within its territory that will cause substantial injury to any co-basin State, provided that the application of the principle erf equitable utilization as set forth in Article I V of the Helsinki Rules does not justify an exception in a particular case." Diese Formulierung geht zurück auf den vorgeschlagenen Art. 8 im 198liger Bericht von Schwebet für die ILC, Non-Navigational Uses of International Watercourses, in: ILCYearbook 1982 Π Part 1: "The right of a system State to use the water resources of an international watercourse system is limited to the duty not to cause appreciable harm to the interests of another system State, except as may be allowable under a determination for equitable participation for the international watercourse system involved." 5 9 6 0

Report of E. J. Manner / V. M. Metsälampi , S. 283.

Art ΠΙ: "(1) When a basin State proposes to undertake, or to permit the undertaking of, a project that may substantially affect the interests of any co-basin State, it shall give such State or States notice erf the project. The project shall include information, data and specifications adequate for assessment of the effects of the project"

c) Kodifikationsgremien (seit 1972)

131

jeglicher Flußregulierung verpflichteten 61. Von früheren Arbeiten sind noch die 1972 verabschiedeten "Articles on Manne Pollution of Continental Origin" 62 erwähnenswert, in denen neben einer Verhinderungs- und Bekämpfungspflicht empfohlen wird, internationale Standards für die Kontrolle der Meerwasser-Verschmutzung zu schaffen. Die 1976 verabschiedeten "Articles on International Water Resources Administration" 63 empfehlen den Staaten d "drainage basin", institutionelle Arrangements zu schaffen zum Zwecke der Erhaltung, Entwicklung und Nutzung der Gewässer des internationalen Wassereinzugsgebiets. Von Bedeutung ist noch der Entwurf der nichtverabschiedeten "Draft Principles of Protection and Preservation of the Atmosphere"64, der eine sehr weitgehende Zusammenarbeitspflicht der Staaten zur Bewirtschaftung der als "res omnium communes" verstandenen Atmosphäre verpflichtet 65 und bereits einige der Rechtsprinzipien der aktuellen Erklärungen zur globalen Erwärmung66 enthält. 6 1 In: ILA-Repoit of the 59th Conference held in Belgrade 1980, S. 362-373. Gleichzeitig verabschiedet wurden die "Articles on the Relationship between Water, other Natural Resources and the Environment ", ebda., S. 374-393. Doit heißt es: "Consistent with Article I V of the Helsinki Rules, States shall ensure that: a) the development and use of water resources within their jurisdiction do not cause substantial injury to the environment of other States or of areas beyond the limits of national jurisdiction; and b) the management of their naturalresources (other than water) and other environmental elements located within their own boundaries does not cause substantial injury to the waterresources of other States". 6 2 In: ILA-Report of the 55th Conference held at New York 1972, London 1974, S. xvii-xviii; Art. Ι Π dieser Rules führte unter den schützenswerten Faktoren u.a. "the conservation of the marine environment (flora and fauna), the recreational facilities of the coastal area" auf; dies bedeutet ein Annähern an den modernenressourcenökonomischen Ansatz. Vgl. auch die "Articles on Flood ControT\ ebda., S.xvi-xvii, in denen ebenfalls eine Zusammenarbeits/^7ic/i/ (aber nur NotifikationsEmpfehlungen) bezüglich der Überschwemmungskontrolle geregelt wird. 6 3 In: ILA-Report of the 57th Conference held at Madrid 1976, London 1978, S. xxxvii-xli (einschließlich "Guidelines for the Establishment of an International Water Resources Administration"). In der gleichzeitig verabschiedeten "Articles on the Protection of Water Resources and Water Installations in Times of Armed Conflict " (ebda., S. xxv-xxxvi) wurde Wasser u.a. als "indispensable for the health and survival of the civilian population" bezeichnet. 6 4

In: ILA-Report of the 59th Conference held at Belgrade 1980, London 1982, S. 550-563.

6 5

Art. I: "The Atmosphere is a shared naturalresource and in its natural state is not capable of being the subject erf" ownership by anyone, State or individual." Art. ΙΠ: "States and their peoples have, in accordance with these principles, the right to enjoy an atmospheric environment of a quality that permits a life of dignity and well-being for present and future generations ". Art. VI: "States shall co-operate on a global basis, and as appropriate on a regional basis, directly or through appropriate organizations in preserving and protecting the Atmosphere ... For this purpose, States shall co-operate in formulating and elaborating international rules, standards and recommended practices and procedures for the protection and preservation of the Atmosphere." 6 6

Siehe dazu Kapitel Π 2 e.

132

Π.2 Modernes Umweltvölkerecht

In den 1986 von der ILA verabschiedeten "Rules on International Groundwaters" 61 wird ein umfassender Schutz des Grundwassers verlangt. Sieben Jahre vorher hatte die EG eine Richtlinie zum besonderen Schutz des Grundwassers erlassen68. Grund für das Herausbilden eines eigenständigen internationalen Grundwasserrechts ist einmal das mangelnde Selbstreinigungsvermögen und die daraus resultierende höhere Schutzbedürftigkeit des Grundwassers gegenüber dem Oberflächenwasser und zum anderen die damit zusammenhängende Notwendigkeit, die Bewirtschaftung des Grundwassers nicht allein dem Grundeigentümer zu überlassen; diesen Schritt zur "Vergemeinschaftung" des Grundwassers - d.h. die öffentlich-rechtliche Bewirtschaftung auch des Grundwassers - hatten viele Staaten kurz zuvor beschritten69. Die "aquifer", d.h. die wasseltragenden geologischen Formationen (insbesondere Grundwasser-Sammelbecken), die von Grenzen durchschnitten werden oder die Oberflächenwasser einem internationalen Bassin geben bzw. von dort empfangen, stellen nach diesen Regeln einen Teil des internationalen Bassins dar. Die Bassin-Staaten müssen bei ihren Aktivitäten in Rechnung stellen jede Interdependenz des Grundwassers mit anderen Gewässern (einschließlich der Interdependenzen zwischen den "aquifers") und jedes Hineinsickernlassen von Substanzen, welches hervorgerufen wird durch Aktivitäten in Gebieten unter ihrer Jurisdiktion (Artikel 2 Abs. 3). Aufgrund der Berücksichtigung der Interdependenzen zwischen Organismen und Umweltmedien handelt es sich um einen umfassenden ökologischen Ansatz. Die ökologische Schutzverpflichtung zugunsten der Erhaltung möglichst reinen Grundwassers geht relativ weit: Wenn Art. 3 Abs. 1 die Staaten verpflichtet, jegliche Verschmutzung internationaler Grundwasser zu verhindern und zu bekämpfen unter besonderer Berücksichtigung der Langzeitwirkungen der Grundwasser-Verschmutzungen, so kann dies im Zusammenhang mit Art 2 Abs. 3 (Berücksichtigungspflicht) nur heißen, daß sie das Hineinsickem gefährlicher Substanzen unbedingt verbieten müssen, wenn die Gefahr einer (toxischen) Verschmutzung mit Langzeit-Wirkung besteht -1986 wurde die Arbeit des Komitees "International Water Resources Law" vorläufig eingestellt.

6 7

In: R. D. Haytons Bericht in: ILA-Report of the 62nd Conference held at Seoul 1986, London 1987, S. 251-274. 6 8 EG-Grundwasserschutz-Richtlinie 80/68/EWG vom 17.12.1979, AB1.L 20/43. Zum Grandwasserschutz vgl. Salzwedel in: HdUR I, Sp. 715 ff und Schiedermair/Rest in: HdUR Π, Sp. 1126. 6 9 Vgl. Bericht von Hayton , S. 242 f. In der Bundesrepublik Deutschland hat das BVeifG am 15.7.1981 (BVerfGE 58, 321) die Regelung der Vierten Novelle zum Wasseihaushaltsgesetz, nach der das Grundeigentum nicht zu einer Gewässerbenutzung berechtige, welche einer Erlaubnis oder Bewilligung bedarf, für verfassungsgemäß erklärt. Diese Entscheidung entspricht auch dem "emerging law" des Völkerrechts, wie Hayton aufzeigt

c) Kodifikationsgremien (seit 1972)

133

Da die Montreal-Rules nicht die Fälle einer Verschmutzung erfassen, bei denen die Distanz zwischen dem Ursprungs-Staat der Verschmutzung und dem betroffenen Staat derart hoch ist, daß eine Zuordnung zu einem einzelnen Verschmutzerstaat nicht mehr möglich ist 70 , sollen von der ILA spezifische Regelungen zur weiträumigen grenzüberschreitenden Luftverschmutzung geschaffen werden. Daher wurde nach der Montreal-Konferenz von 1982 das "Committee on Legal Aspects of the Conservation of the Environment" umbenannt in Committee on Legal Aspects of Long-Distance Air Pollution . In seinem erst Bericht für die 1984 in Paris stattfindende Konferenz 71 vertrat Berichterstatter Lammers die Auffassung, daß für die seltenen Fälle, in denen eine Zurechnung eines einzelnen Staates leicht möglich sei, Art. 3 der Montreal Rules72 anwendbar sei. Ansonsten müßten die noch zu schaffenden Regeln für weiträumige grenzüberschreitende Luftverschmutzungen Anwendung finden. Unter Rückgriff auf verschiedene Abkommen, UN-Resolutionen, OECD-Empfehlungen, EG-Richtlinien und die UNEP-Weather Modification-Guideline kam der Berichterstatter zu dem Ergebnis, daß eine opinio juris generalis und eine entsprechende, langsam beginnende Staatenpraxis nachzuweisen sei, nach der Staaten grundsätzlich verpflichtet sind, die grenzüberschreitende Luftver7 0

Vgl. den Kommentar von Rauschning zu den Montreal Rules im Montreal -Report (Report of the 60th Conference 1982) S. 159, para. 4: "Cases where the distance between the State of origin of a pollution and an affected State is of such an extent that it is not generally possible to distinguish the contribution from the particular originating State are not intended to be covered by para. 2 of the definition. For these cases of long-range or global transfrontier pollution the restated rules of international law set out in the following articles might not be strictly applicable; there are no settled cases in this field reported as State practice, and the Geneva Convention ... might indicate the need for the development of adequate rules in this field. The Committee will deal with this subject in another report." In dem von Lammers (Nachweis in der nächsten Fußn., S. 383, para. 23) vorgeschlagenen Draft Art 2 wird "long-distance air pollution*" wie folgt definiert: "air pollution of which the physical origin or wholly or in part is situated within the of another State at such a distance that it is not generally possible to distinguish the contribution of one or more particular State(s) of origin". (Die Definition des Wortes "air pollution" stimmt mit der des Wortes "pollution" bei den Montreal-Rules überein). Der Wortlaut der Definition in der Genfer ECE-Konvention von 1979 ist geringfügig anders, weil hier darauf abgestellt wird, ob es möglich ist, den Beitrag "individueller Emissionsquellen oder Gruppen von Quellen" zuzuordnen. Diese Konvention erfaßt durch die Formulierung "area under the national jurisdiction of a State" nicht nur das staatliche Territorium, sondern auch Wirtschaftszone und Festlandsockel; letzteres ist noch ungeklärt für die neuen ILA-Rules. 7 1 7 2

Lammers, Paris Report, in: ILA-Repoit of the 61st Conference 1984, London 1985, S. 377 ff.

Zitiert oben im Text zu Fußn. 34 zu diesem Kapitel ; also: bei gegenwärtigen grenzüberschreitenden Verschmutzungen eine Verhinderungs-, Bekämpfungs- und Kontrollpflicht bzgL erheblicher Schäden (bei darunterliegendem Ausmaß bloße Empfehlung zur Reduktion) und bei neuen/vergrößerten grenzüberschreitenden Verschmutzungen Reduktionspflicht. Als ungeklärt benannte Lammers, para. 98, die Frage, inwieweit dann der Verschmutzerstaat gegenüber dem Opferstaat nur für seinen Anteil an der Verschmutzung oder für die gesamte Verschmutzung (mit Rückgriff auf andere Verschmutzer) haftet

134

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

schmutzung zu verhindern oder zu bekämpfen73. Dabei müßten gegenwärtige Verschmutzungen nicht sofort, sondern nur graduell und nur so weit wie möglich (unter Berücksichtigung der speziellen Umstände des Falls) reduziert werden. Weiterhin müßten potentielle oder aktuelle Verschmutzerstaaten legislative, administrative und andere Politiken und Maßnahmen entwickeln und implementieren, um die grenzüberschreitenden Luftverschmutzung zu verhindern und zu bekämpfen, wobei sie grundsätzlich die beste verfügbare Technologie einsetzen müßten. Zur Frage der besten verfügbaren Technologien seien aber zu berücksichtigen: die Frage der betriebswirtschaftlichen Tragbarkeit für eine durchschnittliche Fabrik dieses Industriesektors, die Frage der volkswirtschaftlichen Tragbarkeit für diesen Staat (insbesondere, wenn es sich um Entwicklungsländer handelt), die Fragen der Kosten-Nutzen-Relationen, wobei auch immaterielle Interessen berücksichtigt werden müßten; bei neuen Aktivitäten kann dieser Technologiestandard ökonomisch leichter als bei bereits vorhandenen verlangt werden; der Faktor der technologischen und sozio-ökonomischen Geeignetheit von Präventiv- und Gegenmaßnahmen muß abgewogen werden mit der Natur und dem Ausmaß der schädlichen Wirkungen, zu dem ein Staat beizuträgt oder beitragen dürfte. Allein der letzte Punkt (Anpassen an das Ausmaß des potentiellen Schadens) führt zu einem höheren Technologiestandard, während die anderen Punkte zu Umgehungsmöglichkeiten einladen. Der Berichterstatter schlug daraufhin folgenden Art. 3 vor 74: "1.

States shall take all appropriate measures to prevent and, as far as possible, gradually abate long-distance transfrontier air pollution originating in Verschmutzungen in den Gewässern von internationalen Rüssen/Seen jenseits ihrer Grenzen verursachen (An II). Im einzelnen enthält die Athen-Resolution folgende Verpflichtungen: 1. Die Staaten müssen alle Maßnahmen ergreifen und anwenden, die erforderlich sind, um sowohl jede neue Form der Verschmutzung bzw. ihre Vergrößerung zu verhindern als auch gegenwärtige Verschmutzungen innerhalb der kürzestmöglichen Zeit zu bekämpfen. Solche Maßnahmen müssen besonders strikt sein bei "ultra-hazardous activities"114 oder bei Aktivitäten, die eine Gefahr für besonders bedrohte Gebiete der Umwelt darstellen (Art. III). 2.

Um diese Verpflichtungen nach Art II und III zu erfüllen, müssen die Staaten vor allem folgende Mittel ergreifen: a) auf nationalem Niveau Erlaß aller notwendiger Gesetze und Regelungen und Anwendung von effizienten und adäquaten Verwaltungsmaßnahmen und Gerichtsprozeduren für die Durchsetzung solcher Gesetze und Regelungen 1 1 1

Vgl. Salmon , Rapport provisoire, S. 254-261.

1 1 2

Resolution in: Annuaire de 1TDI 58 (1979 Π), S. 196-203.

1 1 3

Erwägung 3 der Präambel lautet: "Considering that pollution spread by rivers and lakes to the territories of more than one State is assuming increasingly alarming and diversified proportions whilst protection and improvement of the environment are duties incumbent upon States " (Hervorhebungen hinzugefügt). Zu Erwägung 2 der Präambel siehe oben Fußn. 102 zu diesem Kapitel . 1 1 4 Als Beispiele hierfür wurden im Rapport provisoire von Salmon , S. 216, genannt: Betrieb von Atomkraftwerken unmittelbar in der Nähe von Flüssen/Seen, Lagerung von ABC-Waffen unter gleichen Umständen, Transport von radioaktiven Abfällen und anderen gefahrlichen Substanzen auf dem Wasser.

144

Π.2 Modenes Umweltvölkerrecht

b) und auf internationalem Niveau Zusammenarbeit nach Treu und Glaube mit anderen betroffenen Staaten (Art. IV). 3.

Die Staaten unterliegen der völkerrechtlichen Haftung für jeden Bruch ihrer internationalen Verpflichtungen bezüglich der Verschmutzung von Rüssen und Seen (Art. V)·

4.

Zur Erreichung eines effektiven Systems der Verhinderung und der Entschädigung der Opfer einer grenzüberschreitenden Verschmutzung sollten die Staaten internationale Abkommen abschliessen, vor allem einmal bezüglich der Gerichtszuständigkeit, dem anwendbaren Recht und der Durchsetzung von Urteilen und zum anderen bezüglich der Prozedur für spezielle Regime einer Gefährdungshaftung und von Entschädigungsfonds bei Verschmutzungen durch "ultra-hazardous activities" (Art. VI).

5.

In Ausführung ihrer Pflicht zur Zusammenarbeit müssen Anrainer-Staaten des gleichen hydrographischen Beckens "so weit wie möglich" folgende Maßnahmen der Zusammenarbeit - vor allem durch Abkommen - ergreifen (Art. VII): a) die anderen Anrainer-Staaten regelmäßig über alle geeigneten Daten der Verschmutzung des Bassins, seiner Ursachen, seiner Natur und der Verhütungsmaßnahmen zu informieren, b) betroffenen Staaten rechtzeitig jede Aktivität in ihrem Territorium zu notifizieren, welche ein erhebliches Risiko einer grenzüberschreitenden Verschmutzung für das Bassin darstellen kann, c) sofort Staaten zu warnen, die von einem plötzlichen Anstieg im Niveau der grenzüberschreitenden Verschmutzung betroffen sind, und Schritte zur Minderung dieser Verschmutzung zu ergreifen, d) miteinander über aktuelle oder potentielle Probleme der grenzüberschreitenden Verschmutzung des Bassins zu konsultieren, um Lösungen entsprechend ihren Interessen und dem Schutz der Umwelt zu erreichen, e) ihre wissenschaftlichen und technischen Forschungsprogramme zu koordinieren oder zusammenzulegen zur Bekämpfung der Verschmutzung des Bassins, f) durch Vereinbarung gemeinsame Umweltnormen festzulegen, vor allem Qualitätsnormen für das ganze oder ein Teil des Bassins, g) internationale Kommissionen zu errichten mit den weitestmöglichen Kompetenzen für das ganze Bassin, wobei lokale Autoritäten - sofern dies sinnvoll ist - einbezogen werden sollten, oder - anstelle der Er-

c) Kodifikationsgremien (seit 1972)

145

richtung neuer Kommissionen - die Möglichkeiten der Zusammenarbeit bestehender Institutionen zu stärken, h) harmonisierte, koordinierte oder vereinheitlichte Netzwerke für die ständige Beobachtung und Verschmutzungskontrolle zu errichten, i) Garantien für von Verschmutzungen möglicherweise betroffenen Bürgern bezüglich der Verhinderung und Kompensation zu entwickeln, indem auf nicht-diskriminierende Weise der größtmögliche Zugang zu Justiz- und Verwaltungs-Prozeduren in Verursacherstaaten gewährt wird und indem Kompensations-Fonds für ökologische Schäden, die von außergewöhnlicher Höhe sind oder deren Ursache nicht eindeutig geklärt werden kann, errichtet werden. 6.

Um den Entwicklungsstaaten bei der Erfüllung dieser Pflichten und Empfehlungen zu helfen, "ist es wünschenswert" 115, daß Industriestaaten und kompetente internationale Organisationen solche Staaten mit technischer oder anderer geeigneter Hilfe unterstützen (Art. VIII).

Gegenüber der Salzburg-Resolution wird unmißverständlich klargestellt, daß die Staaten verpflichtet sind, neue Formen der Verschmutzung zu verhüten und gegenwärtige zu bekämpfen, und daß hierfür auf nationalem Niveau alle notwendigen Gesetze und Verwaltungsmaßnahmen zu erlassen sind und auf internationalem Niveau eine Zusammenarbeit mit anderen betroffenen Staaten erforderlich ist Bezüglich der internationalen Zusammenarbeit wird dann auch im Art VII ein sehr präziser und weitreichender Katalog von Maßnahmen der Zusammenarbeit vorgelegt. Allerdings muß dem Wortlaut der Formulierung des Art. VII "In carrying out their duty to co-operate, States bordering the same hydrographie basin shall, as far as practicable, especially through agreements,resort to the following ways of co-operation

entnommen werden, daß es sich eher um eine Empfehlung als um ein "restatement" des Gewohnheitsrechtes handelt Offenkundig bestanden hier Unsicherheiten, inwieweit die im Art VII aufgeführten Maßnahmen bereits Bestandteil des Gewohnheitsrechts sind. Dennoch ist diese Aufzählung des Art VE ein wichtiger Fortschritt gegenüber der Salzburg-Resolution. Es handelt sich zumindest um in der Entstehung begriffene Rechtspflichten. Allerdings

1 ^ Im "Projet de résolution" (im Rapport provisoire von Salmon, S. 264 ff) hatte es noch unter Art. 6 para. 2 geheißen: "Die Industrieländer sollten den Entwicklungsländern eine technische und finanzielle Hilfe leisten, um ihnen die Verhinderung und Bekämpfung der Verschmutzung zu erleichtem" (eigene Übersetzung).

10 Hohmann

146

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

waren einige dieser Kooperationspflichten (z.B. regelmäßige Informationen, Konsultationen, spezielles Notfallregime) - wie etwa der Vergleich mit den Montreal Rules und vor allem den ILA-"Rules on Water Pollution" (1982) zeigt - bereits gewohnheitsrechtlich anerkannt, weswegen kein Grund bestanden hätte, sie als bloße Empfehlungen zu formulieren. Wie gleich zu zeigen sein wird, wird dies durch die Kairo-Resolution von 1987 korrigiert. Früher als bei der ILA hat das IDI zu konkretisieren versucht, wie diese Zusammenarbeit auszusehen hat; die bei der ILA 1982 zum ersten Male diskutierten Qualitätsnormen werden in der Athen-Resolution von 1979 bereits aufgegriffen 116, wenn auch in Form einer Empfehlung. Eindrucksvoll bestätigt werden auch die vier Empfehlungen der ILA-"Rules on Water Pollution" (Art 7) sowie der Paris Draft-Artikel (Art. 9) zur Verhütung und Kontrolle, nämlich das ständige Monitoring, die gemeinsame Forschung, das "standard setting" und die institutionelle Zusammenarbeit; Art VII lit. e bis lit. h ist hier fast wortgleich mit diesen Empfehlungen, was eine begründete Vermutung bedeutet, daß es sich um in der Entstehung befindliche Rechtsregeln handelt Besonders bemerkenswert ist, daß im Art VII lit. g (insoweit in Abweichung von der ILA-Formulierung) zugleich konkrete Empfehlungen für die Arbeit von internationalen Kommissionen gegeben werden; auf diesen Punkt ist unten im Zusammenhang mit den durch Abkommen errichteten Gewässer-Kommissionen zurückzukommen. Angesichts der Meinungsverschiedenheiten in der IDI-Kommission hierzu ist es nicht verwunderlich, daß die Nicht-Diskriminierung und das Einräumen gleicher Rechtsschutzmöglichkeiten als bloße Empfehlung formuliert sind; aufgrund der zeitlichen Relativität besteht hier nur ein scheinbarer Widerspruch zu der oben von mir aus den UNEP-guidelines deduzierten Pflicht 117. Daß ein Technologie-Transfer zu den Entwicklungsländern als bloße Empfehlung formuliert ist, entspricht auch dem damaligen Stand der UNEP-guidelines, in denen der Technolgietransfer nur eine noch in der Entwicklung befindliche Rechtspflicht war, die erst 1987 zu einer Pflicht zur Förderung des Forschungsund Technologietransfers erstarkt ist Einen relativen Rückschritt bezüglich der Anerkennung eines Rechts auf angemessene Umwelt stellt die Athener Resolution gegenüber dem Resolutions-

1 1 6

In Ail. I para. 2 wird zusätzlich gesagt, daß in speziellen Fällen die Existenz einer Verschmutzung und ihre Charakteristika möglichst durch den Bezug auf Umweltnormen, die durch Abkommen oder durch Beschlüsse kompetenter Kommissionen/Organisationen festgelegt werden, bestimmt werden sollen. 1 1 7 Wie in Fußn. 23 zu diesem Kapitel gezeigt, ist eine Pflicht zum Einräumen gleicher Rechtsschutzmöglichkeiten auf Gegenseitigkeit in den UNEP-guidelines frühestens seit 1985 anerkannt und das Diskriminienmgsverbot frühestens seit 1982. Durch die Kairo-Resolution (1987) werden diese Prinzipien zu Rechtspflichten.

c) Kodifikationsgremien (seit 1972)

147

entwurf dar. Während in der Präambel des Resolutionsentwurfes in bewußter Anlehnung an Art 1 der Stockholmer Deklaration formuliert worden war 118 : "Considérant que la protection et l'amélioration de l'environnement sont des revendications fondamentales des hommes et des peuples ainsi que des devoirs qui s'imposent aux gouvernements".

lautet Art IX der Athen-Resolution einschränkender: "This Resolution is without prejudice to the obligations which fundamental human rights impose upon States with regard to pollution occuring in their own territories".

Hintergrund dieser einschränkenden Formulierung waren zahlreiche Bedenken der Mitglieder der IDI-Kommission, nach denen das Wort "fundamentale Ansprüche" ("revendications fondamentales") durch "Grundbedürfnisse" ersetzt werden müsse119 oder nach denen die Ableitung eines solchen Rechtes genauer begründet werden müsse; andere Bedenken bezogen sich darauf, daß eine solche Formulierung ein Fremdkörper bleibe, wenn nicht genügend Folgerungen daraus gezogen würden120. Schließlich sollte auch noch verdeutlicht werden, daß ein Staat unabhängig von Schäden anderer Staaten kein Recht habe, sein eigenes Land erheblich zu verschmutzen121; dieser Anspruch der Bevölkerung gegen die eigene Regierung konnte nach Auffassung des Berichterstatters allein durch einen menschenrechtlichen Ansatz begründet werden. So entstand die Formulierung des Art. IX der Athen-Resolution. Dieser Hintergrund der Umformulierung zeigt auch, daß keine grundsätzlichen Bedenken gegen das Herauskristallisieren eines Rechts auf angemessene Umwelt bestan1 1 8 Erwägung 1 der Präambel im ersten Resolutionsentwurf (im Rapport définitif von Salmon , S. 264); im zweiten Resolutionsentwurf (im Rapport provisoire, S. 358) hatte es geringfügig anders geheißen: "Considérant que la protection et l'amélioration de l'environnement sont des devoirs qui s'imposent aux Etats en vue de satisfaire les besoins et revendications fondamentaux des hommes et des peuples". -Prinzip 1 der Stockholm-Deklaration ist zitiert oben im Text zu Fußn. 8 im Kapitel Π 2 a < S . 61 >. 1 1 9 So der Vorschlag von Colliard (widergegeben im Rapport définitif von Salmon , S. 331), der die Formulierung des ersten Resolutions-Entwurfes (zitiert in der vorigen Fußn.) durch folgende ersetzen wollte:"Considérant que la protection et l'amélioration de l'environnement sont des devoirs qui s'imposent aux gouvenements en vue de satisfaire aux besoins fondamentaux des hommes et des peuples", um nicht zu der schwierigen Frage der Menschenrechte und der Rechte der Völker Stellung nehmen zu müssen. 1 2 0

Vgl. die Bedenken von Verzijl und Zourek (Salmon ebda., S. 331-333), während Sette-Camara und Ziccardi den Vorschlag des Berichterstatters unterstützten. 1 2 1 So der Vorschlag von Jennings , zit. bei Salmon , S. 333. Der Berichterstatter selber ging von der Herauskristallisierung eines solchen Menschenrechts aus; hierfür stützte er sich auf das Stockholmer Prinzip 1, Art. 30 der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten (zit. in Fußn. 15 zu Kapitel Π 2 a, ), auf Art 12 Abs. 1 der Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und auf Art. 16 der allgemeinen Erklärung der Rechte der Völker vom 4.7.1976 in Algier ("Tout peuple a droit à la conservation, à la protection et à l'amélioration de son environnement"); vgl. Salmon Rapport provisoire, S. 210-212, und Rapport définitif, S. 333.

148

Π.2 Modernes Umweltvölkerrecht

den, sondern daß im wesentlichen die mangelnde umfassendere Herleitung sowie die daraus folgenden Konsequenzen gerügt worden waren. Nur 7-8 Jahre später, 1984 bis 1987, arbeitete die neugeschaffene 20. Kommission des IDI (ihre Besetzung entsprach weitgehend der für die Athener Resolution zuständigen 15. Kommission) am Projekt der Resolution "Air Pollution across national frontiers" unter dem Berichterstatter do Nascimento e Silva 122. Die Nuklear-Katastrophe von Tschernobyl, der Unfall von Bhopal und die Entwicklung der Abkommen zum sauren Regen bzw. zur Ozonschicht, die fast alle zwischen der Abfassung des Preliminary Exposé (1984) und des Provisional Report (1986) lagen, haben die Arbeit des Berichterstatters nachhaltig beeinflußt und führten insbesondere dazu, daß auch die nukleare Verschmutzung und die Zerstörung der Ozonschicht (trotz anfänglicher Bedenken einiger Kommissions-Mitglieder) in das Projekt einbezogen wurden 123. Die Athen-Resolution diente bei der Arbeit an dieser Resolution von vorneherein als Modell; der Berichterstatter hatte nur vier ganz neue Artikel (betreffend "ultra-hazardous activities", Notfallregime, Schutz der Ozonschicht und radioaktive Verschmutzung) aufgenommen. Unterschiede zur Athen-Resolution ergeben sich einmal aus den Anpassungen an den unterschiedliche Verschmutzungstyp und durch das Berücksichtigen aktueller Trends in der Entwicklung des Gewohnheitsrechts124. Aus dem Anpassen an den unterschiedlichen Verschmutzungstyp ergab sich eine geringfügig andere Definition der "Verschmutzung"125: Während bei der Athen-Resolution das Beeinträchtigen der rechtmäßigen Nut-

1 2 2 Do Nascimento e Silva , Annuaire de FIDI 62 (1987 I), S. 159-192 (Provisional Report) , S. 193-235 (Preliminary Exposé) und S. 249-269 (Final Report, 1986). 1 2 3

Do Nascimento e Silva Provisional Report, S. 160 f.

1 2 4

So auch der einstimmige Beschluß der 20. Kommission des I D I über die Vorgehens weise, wiedergegeben bei do Nascimento e Silva Provisional Report, S. 161 ("... agreed that the 1979 Resolution ... should serve as a model, subject to the necessary adaptions resulting from differences between the two types of pollution and also from certain doctrinal trends observed during these last few years"). Völlig rätselhaft ist hingegen die anschließende Passage auf S. 162. Für das Zögern, Artikel ganz neu zu formulieren, sind sicherlich der begrenzte Zeitrahmen, die Gefahr einander widersprechender Formulierungen als auch der Widerstand einiger Mitglieder zu nennen, frühere Streitpunkte neu auszutragen (vgl. Stellungnahmen von Henkin, Seidl-Hohenveldern und Sette -Camara, Annex I V to the Provisional Report, Annuaire de 1TDI62 (19871), S. 236 ff). Dennoch kann dies nicht dazu führen, daß identische (im Unterschied zu ähnlichen) Formulierungen unterschiedliche Bedeutungen haben. 1 2 5 Nach Art. 1 para. 1 der Kairo-Resolution ist "transboundary air pollution": "any physical, chemical or biological alteration in the composition or quality of the atmosphere which results directly or indirectly from human acts or omissions , and produces injurious or deleterious effects in the environment of other States or of areas beyond the limits erf national jurisdiction". Neu gegenüber der Athen-Resolution ist die Aufnahme von Unterlassungen.

c) Kodifikationsgremien (seit 1972)

149

zungen des Wassers zum Maßstab genommen wurde, wird hier unmittelbar auf die schädlichen Wirkungen in der Umwelt anderer Staaten oder der Gebiete jenseits der Grenzen nationaler Jurisdiktion abgestellt Mit den schädlichen Umweltwirkungen sind - wie sich der Präambel der Kairo-Resolution entnehmen läßt - "Schäden der menschlichen Gesundheit, des Bodens, der Landwirtschaft und ihrer Produktion, der Wälder, des Lebens in Seen, Rüssen und Meer und der Ozonschicht sowie irreparable Schäden an Gebäuden, Denkmälern und Sehenswürdigkeiten" gemeint126. Zum Teil läßt sich dieser etwas unterschiedliche Ansatz damit eiklären, daß bei einigen Mitgliedern der Kommission ein gewisses Unbehagen gegenüber einer Famulierung "Gebrauch der Luft" (und insbesondere gegen die Übernahme der Athen-Formulierung "common interest in a rational and equitable utilization") bestand, weil ein solcher "Gebrauch" der Luft nach ihrer Auffassung nicht ganz dem industriellen Gebrauch von Rüssen (z.B. zum "dumping") durch einen Staat entspreche127. Zum anderen und das erscheint wahrscheinlicher - kann darin auch ein Hinwenden zu einem ökologischen Begriffsverständis gesehen werden, weil die Schäden bei den anderen Umweltmedien zum zentralen Maßstab werden. Zur Diskussion um die Anpassung an das unterschiedliche Umweltmedium gehört auch die Frage, ob die Zusammenarbeit statt aus der Solidargemeinschaft des "hydrographischen Beckens" nun aus der Gemeinschaft der Anrainer des "airshed" ("Luftdach") bzw. des "airbasin" abgeleitet werden könnte, wie es der Berichterstatter in seinem Resolutionsentwurf vorgeschlagen hatte128. Einige Mitglieder hielten diesen Begriff für schwer verständlich, weswegen er später in der Resolution nicht

1 2 6 Erwägung 3 und 4 der Präambel der Kairo-Resolution lauten: "Deeply concerned by the effects of transboundary air pollution on the environment and on human health, on soil, agriculture and production, forests, life in lakes, rivers and the sea, and the ozone layer, Equally concerned by irreparable damage to buildings, monuments and sites, many of which are part of the cultural and natural heritage of mankind". 1 2 7 1 2 8

So vor allem Henkin , Annex I V to the Provisional Report, S. 236.

Art. 8 para. 1 des ersten Resolutions-Entwurfes lautete (Nascimento e Silva , Provisional Report, S. 188 ff): "In carrying out their duty to co-operate, States bordering the same airshed shall, as far as practicable, especially through agreements, resort to the following ways of co-operation ..." .

a) Rechtsverbindlichkeit der Erklärung

229

wollen, bei der die "soft law"-Dokumente Rechtsnormen zweiter Ordnung darstellen40. Die Frage ist nur, ob letztere Auffassung überzeugend ist bzw. ob es notwendig ist, zwischen Rechtsnormen erster und zweiter Ordnung zu unterscheiden. Auf der 11. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht hat Golsong folgende Auffassung vertreten41: Die Stimmabgabe innerhalb eines Organs einer internationalen Organisation könne - da viel von besonderen Stimmungslagen innerhalb der UNO abhänge - nur als ein Indiz für die grundsätzliche Haltung der Staaten (aber nicht als eine Staatenpraxis) angesehen werden. Hingegen könne eine Resolution der Generalversammlung in Form einer Art "Restatement" ein allgemein anerkanntes Rechtsprinzip bestätigen und somit eine wertvolle Stütze zur Konsolidierung der bezogenen Regel leisten. Anders als gewohnheitsrechtliche Regeln könnten allgemeine Rechtsprinzipien sich rasch herauskristallisieren und unmittelbar durch die allgemeine Anerkennung der Staatengemeinschaft gelegentlich der Abstimmung in der Generalversammlung oder auch außerhalb entstehen. Ob die in ihr enthaltenen Grundsätze Gewohnheitsrecht werden, könne nur unter Berücksichtigung der nachfolgenden Staatenpraxis festgestellt werden;ständige Wiederholungen derselben Grundsätze könnten den Prozeß der Gewohnheitsrechtsbildung beschleunigen. Die Entschließungen könnten nicht nur Anstoß zur Herauskristallisierung einer neuen gewohnheitsrechtlichen Regel geben, sie könnten umgekehrt auch bestehendes Gewohnheitsrecht in Erinnerung rufen. Nur ausnahmsweise seien sie aber geeignet, einen schlüssigen Beweis für das Vorliegen einer Staatenpraxis und damit für die Existenz der gewohnheitsrechtlichen Regel zu geben. Hingegen könne eine Erklärung der Generalversammlung den entscheidenden Beweis dafür abgeben, daß ein bis dahin nicht bewiesener Rechtsgrundsatz von den Staaten geschaffen wurde, "vorausgesetzt, die Umstände vor, während und nach der Abstimmung weisen darauf hin, daß eine bezeichnende Mehrheit der Staaten die Erklärung als Reflektierung eines solchen neuen Rechtsgrundsatzes aufgefaßt wissen will" (S. 39). (Letzteres stimmt weitgehend mit den von mir oben genannten Voraussetzungen überein). Der Mitbericht-Erstatter Ermacora machte darauf aufmerksam 42, daß in der Literatur vor allem die Funktionäre der Vereinten Nationen oder anderer Staatengemeinschaften und jüngere Theoretiker bereit gewesen seien, der Arbeit internationaler Organisationen bei der Weiterbildung völkerrechtlicher Sätze 4 0 Vgl. hierzu Weil AJIL 1983, S. 413 ff. Bleckmann Die Funktionen der Lehre im Völkerrecht, S. 331, will mindestens fünf "Schwellen" im Völkerrecht unterscheiden: "soft law-Resolutionen" der UNO, "nicht-justiziables Recht", "im lockeren Verfahren" durchgesetztes Recht, "Vollvölkerrecht" und ius cogens. 4 1

Golsong, in: Berichte der DGVR Heft 10, S. 1 (22 ff).

4 2

Ermacora, in: Berichte der DGVR Heft 10, S. 51 (63 ff).

230

Π.3 Resümee zu Kapitel Π

eine fortschrittlichere Beurteilung zuteil werden zu lassen, während andere dem Souveränitätsanspruch der Staaten mehr Gewicht einräumen wollten. Die in Resolutionen angedeuteten Prinzipien des Weltraumrechts hätten "irgendwie einen normativen Charakter erlangt" (S. 71); da der anschließende Weltraumvertrag nicht erschöpfend alle Probleme behandelt habe, lasse er dem "Resolutionsrecht" weiterhin Raum (S. 72). Die Entstehung des "Staatengemeinschafts-Gewohnheitsrechts" - einer neuen Art des Gewohnheitsrechts - lasse sich nur vor dem Hintergrund der implied-power-theory erklären: Die UNO müsse bei den Aufgaben, die die Existenz des Menschengeschlechts selbst berührten und die deshalb nur von der Weltgemeinschaft gelöst werden könnten, als mit den hierzu erforderlichen Befugnissen einschließlich der Fähigkeit der Herausbildung entsprechender Regeln angesehen werden. "Diese so begründeten Maßnahmen würden, wenn sie sich in der Zeit bewährten, d.h. also durch eine lang andauernde Übung der internationalen Organisation immer wieder beschlossen und vollzogen werden, zum 'Staatengemeinschafts-Gewohnheitsrecht'" (S. 91). Nach Golsong wäre eine Rechtsverbindlichkeit der oben genannten Erklärungen zum Umweltvölkerrecht nur durch die Herauskristallisierung neuer allgemeiner Rechtsgrundsätze, nach Ermacora allein durch die Schaffung eines neuen "Staatengemeinschafts-Gewohnheitsrechts" möglich. Für das Umweltvölkerrecht scheint es mir bei Verdichtung der Indikatoren für eine Dokumentation der opinio iuris zutreffender zu sein, mit Virally entweder eine deklaratorische oder eine konstitutive Annahme als Gewohnheitsrecht durch diese nichttraditionellen Rechtsquellen anzunehmen43. Demnach haben in dieser Ver4 3 Virally Annuaire de 1TDI 60 (1983 I), S. 251-253. Nach Virally können auch politische Texte wie die KSZE-Schlußakte die Bestätigungs-, Konsolidierungs- und Präzisierungsfunktion erfüllen.Im Ergebnis etwa ähnlich (allerdings ohne jede theoretische oder sonstige Begründung) jetzt auch BothelGündling Neuere Tendenzen des UmwR im int Vergi., S. 182, die in den Resolutionen/Erklärungen "Bausteine" sehen, "aus denen im Laufe der Zeit eine Regel des allgemeinen Völkerrechts geformt wird"; sie führen dies allerdings u.a. auf die politische Bedeutung der Erklärungen zurück. Auch der IGH scheint im Urteil Military and paramilitary activities in and against Nicaragua (ICJ Rep. 1986, S. 99, para. 188) von einer deklaratorischen Funktion der Manifestation von Rechtspflichten (Bestätigungs- und Konsolidierungsfunktion) der Resolutionen ausgegangen zu sein, wenn er sagt: "This opinio iuris may, though with all due caution, be deduced from, inter alia , the attitude of the Parties and the attitude erf States towards certain General Assembly resolutions ... The effect of consent to the text of such resolutions cannot be understood as merely that of a 'reiteration or eludi cation' of the treaty commitment undertaken in the Charter. On the contrary, it may be understood as an acceptance of the validity of the rule or set of rules declared by the resolution by themselves". Vgl. hierzu Frowein ZaöRV 1989, S. 788 und Hohmann!de Waart N I LR 1987, S. 182 f. Bei anderer Auffassung von der Entstehung des Gewohnheitsrechts bleibt nichts anderes übrig, als allein die Entwicklung allgemeiner Rechtsprinzipien (anstelle des Gewohnheitsrechts) anzunehmen; in diesem Sinne Golsong und Simma! Alston Australian Yb Int Law 12 (1991) i.E. Bei dieser Alternative würde sich im Zweifel nicht viel am Ergebnis der Arbeit ändern.

a) Rechtsverbindlichkeit der Erklärung

231

dichtungssituation die oben genannten Erklärungen eine Bestätigungs- und Konsolidierungsfunktion, falls es sich um eine Regel handelt, die bereits seit längerer Zeit in das Gewohnheitsrecht eingedrungen ist; hinzu kommt, daß die Erklärung in diesem Fall auch den Inhalt der bereits bestehenden Regel präzisieren kann. Stattdessen können die Erklärungen auch eine (Kristallisierungsoder) Etablierungsfunktion in dem Sinne haben, daß sie den entscheidenden Schub für eine bisher noch im Entstehen begriffene gewohnheitsrechtliche Regel darstellen, die durch diese Anerkennung endgültig in das positive Recht eindringt. In diesen Fällen handelt es sich um rechtlich bindende Regeln, wobei Kriterium für die Frage der rechtlichen Bindung nicht die Erzwingbarkeit oder das Geltendmachen von Schadensersatzansprüchen, sondern allein die Frage ist, ob ein internationales Gericht seine Entscheidungsgründe auf diese Erklärung stützen könnte44. Davon zu unterscheiden ist die "pré-droit"-Funktion, die dann vorliegt, wenn die Regel oder das Prinzip allein eine Etappe darstellt bei der Formierung einer künftigen opinio iuris generalis. Allerdings ist es relativ schwer, eine klare Trennlinie zwischen rechtlich verbindlichen und noch unverbindlichen Texten zu ziehen; z.T. wird in der Literatur die These aufgestellt, daß eine solche Schwelle nicht bestehe45. Der Kritik von Pellet an der hier vertretenen Position eines möglichen Schwellenwertes46 gebe ich insofern recht, als der verwendete Begriff "pré-droit" dahin mißverstanden werden kann, daß diese Texte keinerlei rechtliche Bedeutung hätten. Richtiger dürfte es sein, diesen Erklärungen eine initiierende Funktion 47 zuzusprechen in dem Sinne, daß sie eine Rechtsbehauptung darstellen, die zu ihrer Veibindlichkeit erst kon4 4 Vir ally, S. 245 f, macht mit Recht darauf aufmerksam, daß die Möglichkeit, einen anderen Staat zur Einhaltung seiner internationalen Verpflichtungen zu zwingen, von außerrechtlichen Faktoren (wie Kräfte-Verhältnis u.ä.) abhängig ist, so daß die Erzwingbarkeit kein verläßliches Unterscheidungskriterium darstellen könne. Entscheidend kommt es deswegen darauf an, ob eine solche Erklärung vor einem internationalen Gericht geltend gemacht werden kann oder ob das internationale Gericht diese Erklärung beachten bzw. seine Entscheidungsgründe hierauf stützen kann (vgl. Virally ebda.); noch weitgehender Pellet in: Australian Yb Int Law 12 (1991): entscheidend sei allein, ob Staaten sich in ihrem Verhalten von dieser Regel lenken lassen. Die Frage einer möglichen Schadensersatzpflichtung ist ebenfalls kein erhebliches Unterscheidungskriterium, solange sicher ist, daß die Erklärung den Konsens der beteiligten Staaten ausdrückt, daß sie Vertrauen auslöst und daß die Staaten sich davon lenken lassen wollen; vgl. dazu Schachter, AJIL 1977, S. 300304, und Pellet, wobei Schachter aber anstelle von "nonbinding agreements" von rechtlich verbindlichen Erklärungen bzw. von politischen Erklärungen mit einer juristischen Bedeutung sprechen müßte (so zutreffend Virally, S. 252 f). 4 5

So insbesondere Pellet. Ahnlich Schachter Sharing the World's Resources, S. 4.

4 6

Pellet warf sowohl der Auffassung von Virally als auch der hier von mir vertretenen (und auf der Tagung angedeuteten) Auffassung "juristischen Konservatismus" vor, weil durch Begriffe wie "pré-droit" jegtiche juristische Bedeutung geleugnet würde. 4 7 Diesen Begriff verdanke ich Kamen Sachariew (Brief vom 27.7.1990). Auch Baxter ICLQ 29 (1980), S. 559 und 565, scheint von einer solchen Funktion auszugehen, wenn er sagt: "the generality of these provisions ... create something less than strict legal obligations but are not lacking in legal influence or impact" (S. 559), was er auf S. 565 präzisiert.

232

Π.3 Resümee zu Kapitel Π

solidiert werden muß48. Mit Schachter kann man dabei davon ausgehen49, daß die Rechtserzeugung in einem "three-level-house" stattfindet, dessen Erdgeschoß in der "busy world of active collaboration" besteht, deren Regeln manchmal zum Mittel- oder Obergeschoß (allgemeine Rechtsgrundsätze sowie Gewohnheits- und Vertragsrecht) emporsteigen. Demnach bedarf ein neues gewohnheitsrechtliches Prinzip (oder ein neuer allgemeiner Rechtsgrundsatz) eines längeren Prozesses der Konsolidierung, der zunächst mit einer Initiierung beginnt und mit der Etablierung endet Je drängender die Regel ist, desto schneller kann dieser Rechtserzeugungsprozeß geschehen;während es bei der Allgemeinen Menschenrechtserklärung weit über ein Jahrzehnt dauerte, bis eine solche Entwicklung konstatiert wurde50, scheint dies bei der überlebenswichtigen Frage der Regelung des Weltklimas innerhalb kürzester Zeit möglich zu sein51. Das Entstehen der Rechtsregel geschieht demnach in einem mehr oder weniger langen Prozeß. Der Zeitfaktor (anders ausgedrückt: die zeitliche Relativität) ist demnach immer sehr entscheidend: Wenn ein Abkommen - wie etwa die Genfer Konvention über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung - zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Rechtsregel noch am Anfang ihrer Entstehung befindet, abgeschlossen wird, muß es "softere" Formulierungen enthalten, während spätere Erklärungen weit darüber hinausgehen können und müssen, wenn sich die Regel inzwischen etabliert hat. Dabei wird hier davon ausgegangen, daß bei Verwendung einer Formulierung wie "States should endeavour" es allein um einen moralischen Appell bzw. um die initiierende Funktion der Erklärung gehen kann, während nur verpflichtende Formulierungen wie "States shall" etc. die Annahme einer deklaratorischen oder konstitutiven Bedeutung erlauben können52. Demnach ist es nicht zwingend erforderlich, zwischen Rechtsnormen erster und zweiter Ordnung zu unterscheiden, da es entweder um eine deklaratorische Bestätigung, Konsolidierung und Präzisierung oder um eine konstitutive Etablierung geht Die bloße initiierende Funktion führt hingegen noch nicht zu einer juristischen Verbindlichkeit Genausogut wäre es möglich, von Rechtsnormen erster und zweiter Ordnung zu sprechen, nämlich einmal von bereits veibindlichen Normen (Normen erster Ordnung) und zum anderen von Rechtsbehauptungen, die erst noch dabei sind, 4 8

Vgl. D. Greig in: Australian Yb IntLaw 12 (1991).

4 9

Schachter in: Australian Yb InL Law 12 (1991).

5 0

Vgl. dazu SimmcüAlston in: Australian Yb InL Law 12 (1991), die aber selber davon ausgehen, daß es sich nur um allgemeine Rechtsprinzipien und nicht um Gewohnheitsrecht handele; zur Kritik vgl. die Kommentare von Lillich und Schachter ebda. 5 1 Nach Brownlie, Principles, S. 5, und Partan Boston Univ. InL LJ. 6 (1988) 2, S. 43 in der dortigen Fußn. 1, ist keine bestimmte Zeitdauer erforderlich; auch durch eine sehr kurze Praxis könne Gewohnheitsrecht entstehen. 5 2

Allein bei den UNEP- oder OECD-guidelines wird man sich mit einer etwas vageren Formulierung begnügen müssen (ebenso P. M. Dupuy in: Academie, Colloque 1984, S. 34); hier reicht auch schon das "States should" für die mögliche Annahme einer verpflichtenden Festlegung.

a) Rechts verbindlichkeit der Erklärung

233

zum Mittel- und Obergeschoß der verbindlichen Normen via Konsolidierung aufzusteigen (Normen zweiter Ordnung). Dagegen spricht allerdings, daß z.T. behauptet worden ist, Normen zweiter Ordnung würden kein Recht darstellen oder seien sogar Gegner des internationalen Rechts53; von daher erscheint es unverfänglicher, anstatt von Normen erster und zweiter Ordnung von bereits verbindlichen und noch in der Entwicklung zur Verbindlichkeit begriffenen Normen zu sprechen. Konsequent ist es dann auch, den Begriff "soft law" materiell auszulegen und damit allein die Initiativ-Funktion zu kennzeichnen, wobei dann zwangsläufig auch die "States should endeavour"-Appelle der Umweltabkommen - wie etwa Art 2 der Genfer ECE-Konvention - mitzuerfassen sind54. Bisher wird der Begriff "soft law" meist nur in einem formellen Sinne verwendet, nämlich dazu, sämtliche nichtformellen Völkerrechts-Quellen zu erfassen, wodurch die Abgrenzung zwischen Bestätigungs-, Präzisierungs- und Etablierungsfunktion einer- und bloßer Initiativfunktion andererseits verwischt wird. Für LW-Resolutionen55 und t/MEP-guidelines, die ihrerseits von der UNO durch Resolutionen verabschiedet werden, güt demnach folgendes: Sie können im Falle der Verdichtung der Indikatoren für eine Dokumentation der opinio iuris generalis bereits bestehende gewohnheitsrechtliche Pflichten des Umweltvölkerrechts bestätigen, konsolidieren und präzisieren. Soweit es sich um eine an Einstimmigkeit grenzende Mehrheit handelt, können diese Resolutionen auch neue Regeln kristallieien/etablieren56. Dabei müssen aber besondere politische Situationen (wegen der Gefahr des "Überfahrenwerdens") und insbesondere "Vorbehaltserklärungen" der Staaten für die Auslegung berücksichtigt werden. Diese erforderliche Mehrheit lag etwa bei der Weltcharta für die Natur angesichts der nur einen Gegenstimme vor; die eine Gegenstimme der USA war eher zufälliger Natur und für keinen Staat erklärbar, da die USA bisher 5 3 So Weil AJIL 1983, S. 415 ff, und Sir R. Jennings , zit nach Schachler RdC 178 (1982 V), S. 9 (110); zur Kritik vgl. Pellet in: Australian Yb Int. L 12 (1991) : "... there is absolutely no reason why soft instruments would be excluded from the world of legal sources. A source is any legal process creating general norms intending to govern international relations. This definition fits resolutions or gentlemen's agreements as well as treaties or customs. Resolutions, for example, are made by institutions, through a legal - even a legalistic - process, and they are intended to influence State's conduct They are, therefore, sources of law." 5 4

Vgl. auch Pellet ebda, und Baxter ICLQ 29 (1980), S. 549.

5 5

Es geht hier nicht um interne, sondern allein um operative UN-Resolutionen. Man könnte diese UN-Resolutionen in drei Kategorien einteilen: die erste hat einen rein programmatischen Charakter, die zweite einen rein interpretierenden (oder Ergänzungs-) Charakter und erst die dritte ist normativer Art und hat zum Ziel, einen normativen Rahmen zu zeichnen (so Eisenmann, Journal de Droit International 1979, S. 326 ff, für "gentlemen agreements"). Die oben genannten Resolutionen zum Umweltvölkerrecht rechne ich allein der dritten Kategorie zu; es geht demnach hier allein um Resolutionen der dritten Kategorie. 5 6 Nur der "persistent objector" wird nicht durch solche neuen Prinzipien gebunden; vgl. u.a. Frowein, S. 789.

234

Π.3 Resümee zu Kapitel Π

immer für die Weltcharta gestimmt hatte57. Die 18 Enthaltungen (wobei einmal zu berücksichtigen ist, daß später mindestens zwei Staaten erklärten, sie hätten eigentlich für die Resolution stimmen wollen, und zum anderen, daß die ablehnenden Staaten die Verpflichtungen der Weltcharta nur wenig später anerkannten, indem sie sie in ihre Rechtsordnung aufnahmen58) betrafen primär Einzelfragen wie die der geeigneten Technologien und die UVP; diese "Vorbehalts-Erklärungen" wurden bereits bei der Auslegung der Pflichten nach der Weltcharta berücksichtigt und führten zu entsprechenden Einschränkungen des Inhalts dieser Pflicht für alle Staaten59. Gerade die Weltcharta zeigt sehr anschaulich, wie groß die Parallelen zum völkerrechtlichen Abkommen sind; hier ist - wie bei einem Abkommen - die Entstehungsgeschichte einschließlich der "Vorbehaltserklärungen" dokumentiert worden. Daß die Weltcharta ursprünglich nur als Verhaltenskodex (und damit eher als ein lediglich politisch verbindliches Dokument) konzipiert war, kann nichts daran ändern, daß sie gleichwohl rechtliche Verpflichtungen enthält; dies folgt bereits daraus, daß alle Verpflichtungen in späteren Abkommen und rechtlich relevanten UN-Dokumenten wiederholt (und präzisiert) werden60. Ähnliches gilt auch für die "Shared Resources"-Deklaration, die nur einen Entwurf darstellt und nicht von der UN-Generalversammlung angenommen wurde; juristische Wirkungen entfaltet sie nur deswegen, weil alle ihre Verpflichtungen in späteren UNEPguidelines und sonstigen rechtlich relevanten UN-Dokumenten wiederholt und "verdichtet" werden und weil zusätzlich alle ihre Verpflichtungen in Abkommen bestätigt werden. Sofern UN-Resolutionen mit neuen Rechtsbehauptungen nicht die an Einstimmigkeit grenzende Mehrheit, sondern nur eine Mehrheit von 2/3 bis 3/4 der Staaten erreichen, geht es im Zweifel allein um die initiierende Funktion, also um die Herausbildung einer künftigen gewohnheitsrechtlichen Regel. Keine der hier untersuchten Resolutionen hat jedoch nur eine so knappe Mehrheit erhalten. Es ist schwierig, die "decisions" und "recommendations" der ECE rechtlich einzuordnen. Es handelt sich um eine vom Wirtschafts- und Sozialrat geschaffene Wirtschaftskommission (Art. 68 UN-Charta), so daß ihre Gründung - anders als bei OECD und Europarat - nicht auf einem Abkommen, sondern auf 5 7 Vgl. hierzu Burhenne/ïrwin SkupnikV Ν 1983, S. 15.

in: Burhenne u.a., The World Charter for Nature, S. 16 und

5 8 Vgl. die Nachweise für Brasilien bei Machado, in: Bothe (Hrsg.) Amazonia and Siberia, Legal Aspects of the Preservation of the Environment, i.E. (und in weiteren Beiträgen dieses Bandes). 5 9 6 0

Vgl. im Kapitel Π 2 b Text zu Fußn. 69 und zu Fußn. 76 .

Vgl. hierzu IGH Urteil Military and paramilitary activities in and against Nicaragua ICJ Rep. 1986, S. 97, para. 203: Demnach war die Eiklärung der USA, daß sie eine bestimmte Resolution nur als ein politisches und somit rechtlich unverbindliches Dokument betrachten, unbeachtlich, weil sie bei einer späteren Resolution, die Rechtsprinzipien ausdrückte, keinen vergleichbaren Vorbehalt gemacht hat

a) Rechtsverbindlichkeit der Erklärung

235

abgeleiteten Recht beruht61. Da sie keine Rechtssetzungsbefugnis gegenüber den Mitgliedsstaaten hat, ist man versucht, ihren "decisions" und "recommendations" allenfalls eine initiierende Funktion zuzubilligen62. Angesichts der Verdichtung der Indikatoren eines regionalen Gewohnheitsrechts durch ihre Erklärungen zum Wasserrecht (in den anderen Bereichen liegen eher punktuelle Erklärungen vor), können diese "decisions" und "declarations" (letztere sind ein Sonderfall der "decisions") eine Bestätigungs- und Konsolidierungsfunktion ausüben. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sie darüberhinaus auch eine Etablierungsfunktion besitzen. Dogmatisches Fundament hierfür ist die kraft "Verdichtung" (im folgenden bedeutet "Verdichtung": Verdichtung der Indikatoren für eine Dokumentation der opinio iuris) mögliche Funktion der deklaratorischen (oder konstitutiven) Annahme als Recht (bzw. der Schaffung regionalen "Staatengemeinschafts-Gewohnheitsrechts") durch Konsens. Die "recommendations" haben untergeordnete Funktionen als bloße Orientierungshilfe (Empfehlungen pragmatischer Ansätze); sie können aber der Präzisierung der Rechtspflichten in den "decisions" dienen. Die "decisions" (deutsch: Beschlüsse) der OECD sind hingegen für alle Mitgliedstaaten bindend (Art. 5 lit. a der OECD Konvention)63. Daß diese "decisions" eine ähnliche Bedeutung wie völkerrechtliche Abkommen haben, wird auch daran deutlich, daß für sie eine Umsetzungspflicht besteht; der OECD-Beschluß ist gemäß Art. 6 Abs. 3 der OECD-Konvention für ein Mitgliedstaat erst dann bindend, wenn dieser seine verfassungsrechtlichen Erfordernisse (d.h. insbesondere die u.U. erforderliche Beteiligung des Parlaments) erfüllt und die Umsetzung vorgenommen hat. Resolutionen der OECD haben dieselbe rechtliche Wirkungen wie "decisions", betreffen jedoch nur die internen Aspekte der Arbeit der OECD 64 . Wie die OECD-Beschlüsse erfordern auch die OECD-Empfehlungen Einstimmigkeit (Art 6 Abs. 1 OECD-Konvention). Beide rechtlichen Instrumente beziehen ihre rechtlichen Wirkungen nur auf diejenigen Mitgliedstaaten, die sich an ihrer Verabschiedung durch Zustimmung beteiligen, nicht jedoch auf diejenigen Staaten, die sich der Stimme enthalten (An. 6 Abs. 2 OECD-Konvention). Die OECD-Empfehlungen haben gegenüber den OECD-Beschlüssen eine geringere juristische Bedeutung, da sie den Mitgliedstaaten "zur Beachtung vorgelegt werden", damit diese die 6 1

Vgl. Verdross/Simma, HdUR Band I, Sp. 370 ff.

Univ.VöR, § 172; Szaz/Willisch,

EPIL 6 (1983), S. 296 ff und Purcell

6 2 In gleiche Richtung wohl auch Rauschning, Manila-Report ILA 58th Conference 1978, S. 391: "some indication of developing principles on transfrontier pollution may be noted." M. Kilian, Umweltschutz durch IO, S. 212, spricht dagegen falschlich von "unverbindlichen Empfehlungen". 6 3

Übereinkommen über die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 14.12.1960, BGBl. 1961 Π, S. 1151 und in: Sartorius Π Nr. 70; vgl. hierzu auch Hahn in: EPIL 5 (1983), S. 220 f und Smets HdUR Band Π , Sp. 138 f. 6 4

Vgl. Rule 19 (aXiii) der OECD Rules of Procedure, zit. bei Hahn, S. 220.

236

Π.3 Resümee zu Kapitel Π

Empfehlungen umsetzen, "falls sie es für opportun halten"65. Dennoch hat dieser Unterschied zwischen den OECD-Mitgliedstaaten nur eine sehr begrenzte Bedeutung, da jeder von ihnen gegenüber dem abweichenden Mitglied auf diese Empfehlung, die nach langen Verhandlungen von allen Mitgliedern unterstützt worden war, hinweisen und auf einem entsprechenden Verhalten insistieren kann66. Dies läßt sich nicht allein mit einem hohen "politischen Gewicht" der OECD-Empfehlungen erklären 67, sondern mit Rechtswirkungen aufgrund Konsenses in einer "Verdichtungs"-Situation: Es handelt sich wieder um die deklaratorische oder konstitutive Annahme als regionales Gewohnheitsrecht durch Konsens in einer Situation der Verdichtung der Indikatoren für eine Dokumentation der opinio iuris regionales. Die OECD-Empfehlungen, die häufig an die Stelle der "decisions" treten, scheinbar allein um den Mitgliedsstaaten ein obligatorisches und langwieriges Umsetzungs-Verfahren zu ersparen, haben damit eine Bestätigungs-, Konsolidierungs- und Etablierungsfunktion. Gleiches dürfte auch für Entscheidungen des Rates sowie für die von den Umweltministern im Rahmen des Umweltausschusses abgegebenen Deklarationen gelten. Die Resolutionen des Europarates - es sind an die Staaten gerichtete Empfehlungen - müssen einstimmig vom Ministerkomitee verabschiedet werden68. Bezüglich seiner Resolutionen zum Luft-, Wasser- und Naturschutzrecht kann wieder eine Verdichtung der Indikatoren für eine Dokumentation der regionalen opinio iuris angenommen werden. Viele der Prinzipien wurden später von OECD-Empfehlungen übernommen69. Ähnlich den ECE-"decisions" können die Europarats-Resolutionen durch den zugrundeliegenden Konsens eine Bestätigungs-, Konsolidierungs- und Etablierungsfunktion haben. Auch die bei solchen Resolutionen regelmäßig institutionalisierte "selektive Berichts6 5 Rule 19 (b) der OECD Rules of Procedure (zit. bei Hahn) lautet: "Recommendations shall be submitted to the Members for consideration, in order that they may, if they consider it opportune, provide for their implementation". 6 6 Vgl. Rauschning , Manila-Report ILA 58th Conference 1978, S. 393 sowie Nachweise in Fußn. 98 zu Kapitel Π 2 d . Rauschning fahrt dann fort, die durch die OECD-Empfehlungen geschaffenen Erwartungen könnten nicht vor internationalen Gerichten erzwungen werden und die Verletzung einer OECD-Empfehlung sei kein "international wrongful act", für den Schadensersatz geleistet werden müsse.- Oben wurde bereits darauf hingewiesen, daß es für die Frage der rechtlichen Verbindlichkeit nicht auf Fragen der Erzwingbarkeit oder des Schadensersatzes ankommt 6 7 So aber Hahn % S. 221. Richtig ist hingegen seine Bemerkung, daß die häufig in den Empfehlungen enthaltene Berichtspflicht ein Indikator für eine entsprechende Verhaltens-Verpflichtung der Staaten sein kann. Genaugenommen handelt es sich um einen zusätzlichen Indikator für die Rechtsverbindlichkeit der Eiklärung. 6 8 Art 20 (a) (i) der Salzung des Europarates vom 5.5.1949, BGBl. 1950 Π, S. 263, zuletzt geändert am 27.5.1987 (BGBl. Π, S. 366); nachgedruckt in: Sartorius Π Nr. 110. 6 9

Vgl. Rauschning Manila-Report, S. 394 f.

a) Rechtsveindlichkeit der Erklärung

237

pflicht" 70 kann als ein zusätzlicher Indikator für die rechtliche Bedeutung dieser an die Staaten gerichteten Empfehlungen angesehen werden. Denn die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, innerhalb einer bestimmten Frist zu berichten, welche Erfüllungsmaßnahmen sie in bezug auf eine bestimmte Empfehlung der Resolution ergriffen haben, bedeutet nicht nur ein relativ gutes Durchsetzungsbzw. Erfüllungsverfahren sondern auch, daß ein Konsens über die rechtliche Relevanz der Resolutionen via Gewohnheitsrecht besteht71. Die Mitgliedstaaten des Europarats haben sich eine "Quasi-Vorbehaltsmöglichkeit" für die Europarats-Resolutionen geschaffen, denn sie können sich unter Berufung auf die Verfahrensordnung das Recht vorbehalten, sich an einzelne Bestimmungen einer Resolution zu halten oder nicht72. Auch diese auffallende Parallele zur Behandlung von Abkommen unterstreicht die Rechtsverbindlichkeit der Resolutionen des Europarates in dem Sinne, daß sie gewohnheitsrechtliche Prinzipien oder Pflichten beinhalten. Auf die Empfehlungen der Beratenden Versammlung des Europarates, die mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet werden und praktisch nur Empfehlungen an das Ministerkomitee oder an Komitees/Ausschüsse enthalten73, dürften diese Grundsätze zur Behandlung der Resolutionen nur eingeschränkt übertragbar sein. Relativ schwierig ist es, die juristische Bedeutung der Resolutionen/Entwürfe der "recording bodies" (also: ILC, ILA und IDI) zu beschreiben. Sicher ist, daß ihre Resolutionen/Entwürfe den wichtigsten Platz unter den "Lehrmeinungen der fähigsten Völkerrechtler" (subsidiäre Rechtsquelle iSd Art. 38 I lit d IGH-Statut) einnehmen74. Doch damit wird ihre rechtliche Wirkung nur teilweise wiedergegeben, weil die Kodifikationen weiterreichende rechtliche Implikationen haben: Fest steht, daß die Idee der Entwicklung von Gewohnheitsrecht durch das "Restatement" existierender Regelungen und die Formulierung neuer Regelungen auf dem Gedanken beruht, daß das geschriebene Völkerrecht die Unsicherheiten über den Inhalt von Regeln des Gewohnheitsrechts beseitigen und die z.T. unklare Anwendung abstrakter Prinzipien präzisieren kann75. Durch diese nach langer Arbeit durch Experten aus verschiedenen Rechtskreisen geschaffene schriftliche Fixierung gewohnheitsVgl. Art 15 (b) der Satzung des Europarates; dort heißt es: "Das Komitee kann die Regierungen auffordern, ihm über die auf Grund der Empfehlungen getroffenen Maßnahmen zu berichten". 7 1 Vgl. hierzu Jabloner/Okresek ÖZöffRVR 34 (1983), S. 224 f, die solche "soft-procedures" als einen Indikator für die Rechtsverbindlichkeit von Erklärungen ansehen. 7 2 Vgl. Jabloner/Okresek, S. 225; dieses Recht folgt aus Art 10 (2) c der Verfahrensordnung der Ministerstellvertreter, vgl. dies, ebda., S. 234. 7 3

Vgl. Art. 29 (i) und (ii) der Satzung des Europarates.

7 4

Vgl. Brownlie, Principles, S. 25.

7 5

Vgl. Report of the ILA-Working Group (prepared by O'Connell ) for the 58th ILA Conference held at Manila 1978, S. 195.

238

Π.3 Resümee zu Kapitel Π

rechtlicher Regeln sind Unsicherheiten geklärt worden, so daß sich die weitere rechtliche Entwicklung innerhalb der Bahnen dieser Kodifikation bewegen wird 76. Tatsächlich sind zahlreiche Resolutionen/guidelines etc. internationaler Organisationen erst auf der Basis dieser Arbeiten der "recording bodies" möglich, weil diese Arbeiten häufig als Beleg für die Existenz von gewohnheitsrechtlichen Regeln genommen und sie z.T. wörtlich in den Resolutionen/guidelines übernommen werden. Angesichts der Verdichtung der Indikatoren eines universellen Gewohnheitsrechts durch ihre Erklärungen zum Wasserrecht und zu den grenzüberschreitenden Verschmutzungen können diese Resolutionen/Entwürfe, die bei allen drei Gremien inhaltlich weitgehend übereinstimmen, (neben der Initiativfunktion) eine Bestätigungs-, Präzisierungs- und Etablierungsfunktion ausüben. Dogmatisches Fundament hierfür ist die kraft Verdichtung mögliche Funktion der deklaratorischen oder konstitutiven Schaffung universellen "Staatengemeinschafts-Gewohnheitsrechts" durch Konsens77. Die ursprünglich bestehenden Unterschiede zwischen der Bedeutung der Entwürfe der ILC einer- und der der Resolutionen der ILA und des IDI andererseits, die daher herrührten, daß die ILC einen offiziellen UN-Auftrag zur Kodifikation besitzt, während die Tätigkeit der beiden anderen Gremien auf privater Initiative beruht, scheinen inzwischen weitgehend nivelliert zu sein: Bedingt durch eine wachsende Politisierung der Arbeiten der ILC hat die Qualität ihrer Arbeit zunehmend gelitten und in gleichem Maße ist die Bedeutung der Arbeiten von ILA/IDI für die Kodifizierung und Weiterentwicklung des (Umwelt-) Völkerrechts gestiegen78. Hinzu kommt der Umstand, daß die ILC sich in einem solchen Ausmaße auf Arbeiten der ILA und des IDI stützt, sie als Grundlage ihrer Entwürfe und als Beweis für Regeln des Gewohnheitsrechts ansieht und sie häufig wörtlich übernimmt, daß es mehr als formell erscheint, hier einen großen Unterschied zwischen ILC einer- und ILA/IDI andererseits machen zu wollen79.

7 6 So Baxter ICLQ 29 (1980), S. 565, zumindest für den Fall, daß zu solchen Regeln von den betroffenen Staaten ein Konsens geäußert wurde. Ein Konsens kann von den Staaten gegenüber den ILC-Entwürfen geäußert werden. Bei den privaten Gremien ILA und I D I ist allenfalls eine mittelbare Konsens-Äußerung der Staaten möglich; der Umstand, daß auch hier die Experten aus allen relevanten Rechtskreisen stammen, dürfte letztlich dazu führen, daß die Resolutionen für alle Staaten konsensfahig sind, falls sie dazu gefragt würden. 7 7 Der Konsens wird bei den privaten Gremien ILA und I D I etwas abstrakter; vgl. Hinweise in der vorigen Fußnote. - Angesichts der hohen Reputation der beiden Gremien reicht es letztendlich, wenn sie darlegen, daß es sich um eine bereits etablierte Rechtsregel handelt und dies von einigen Staaten bzw. internationalen Organisationen/Gremien mit Zustimmung aufgegriffen und von anderen mit "acquiescence" quittiert wird; vgl. Akehurst B Y I L X V I H (1974-75), S. 37 und Parian Boston Univ. Int. Law J. 6 (1988) 2, S. 70. 7 8 Vgl. Schachter in: Macdonald/Johnston, S. 780 f. und Report of the ILA-Working Group, prepared by O'Connell, S. 195. 7 9

Ebenso Parian, S.70.

b) Zwischenergebnis zu Kapitel Π

239

Demnach kann und muß vom weiten Begriff des Umweltvölkerrechts ausgegangen werden, weil die oben genannten Erklärungen, guidelines etc. gewohnheitsrechtliche Pflichten initiieren, bestätigen, präzisieren oder etablieren und damit die in den Umweltabkommen enthaltenen Pflichten präzisieren oder auch darüberhinausgehende Pflichten enthalten können. b) Zwischenergebnis zu Kapitel I I Das Resümee zu Kapitel II soll in drei Schritten erfolgen: Zuerst ist aufzuzeigen, was die Charakteristika des traditionellen und des modernen Umweltvölkerrechts (sowie der Umweltnutzung und des Umweltschutzes) sind und wie diese Entwicklung verlaufen ist, danach ist auf der Basis dieser Charakteristika zu folgern, welche Prinzipien zur Vorbeugung und Ressourcenschonung erforderlich wären und schließlich, welches - bezogen auf diese Prinzipien - der heutige Stand des modernen Umweltvölkerrechts ist. aa) Charakteristika des traditionellen und des modernen Umweltvölkerrechts (sowie von Ilmweltnutzung und Umweltschutz)

Für das traditionelle Umweltvölkerrecht waren drei Elemente charakteristisch: Das Umweltvölkerrecht blieb auf das reine Nachbarschaftsverhältnis beschränkt; der Grundsatz der guten Nachbarschaft wurde durch Rechtsgrundsätze wie "sic utere tuo" und andere im Sinne des Stockholmer Prinzips 21 (Verbot der Schadenszufügung für die Umwelt in fremden Territorium und in staatsfreien Räumen) ergänzt, deren Anwendungsbereich durch Beweis- und Schwellen-Erfordernisse eingeschränkt war1; als drittes Element kam der "equitable use"-Ansatz hinzu. Dies bedeutete folgendes: Das Umweltvölkerrecht war von der Mediatisierung des Umweltschutzes über Individualinteressen abhängig. Denn im Vordergrund des traditionellen Umweltvölkerrechts stand der Schutz von Gesundheit, Sachgütern und wirtschaftlichen Interessen. Aufgrund dieser Orientierung am traditionellen anthropozentrischen Ansatz ging es praktisch allein um das überwiegend ökonomische Interesse, d.h. primär um das Interesse an der effizienten Allokation der natürlichen Ressourcen ("maximum itfe"-Ansatz)2 und kaum um das Interesse am UmweltscAw/z. Für einen effektiven Umweltschutz

* Das Verbot des Stockholmer Prinzips 21 galt im traditionellen Umweltvölkerrecht nur dann, wenn es sich um klar nachweisbare Schäden und um emstliche oder erhebliche Schäden handelt 2 Zum "maximum use"-Ansatz vgl. vor allem die Helsinki-Rules der ILA und die Salzburg-Resolution des IDI.

240

Π.3 Resümee zu Kapitel Π

war daher eine Änderung der Perspektive in Richtung zum modernen ressourcenökonomischen/ökologischen Ansatz3 und damit zugleich auch zu einer Revision des reinen anthropozentrischen Ansatzes erforderlich, was allerdings erst in der Phase des modernen Umweltvölkeirechts gelang. Angesichts einer fehlenden medialen Umweltschutzkonzeption waren die Möglichkeiten einer planenden Bewirtschaftung oder sonstiger präventiver Ansätze sehr begrenzt, wenn nicht sogar unmöglich. Durch die Fixierung auf das reine Nachbarschaftsverhältnis blieben regionale oder gar globale Umweltprobleme oder insgesamt das Gesamtinteresse an einer intakten Umwelt außerhalb der Betrachtung. Das Stockholmer Prinzip 21 war die Basisverpflichtung; angesichts des Pochens auf Kausalitätsbeweise bzw. des Beweises, daß der Schwellenwert der "Erheblichkeit" des Schadens erreicht ist, und insgesamt des Pochens auf traditionelle Souveränitätsvorstellungen war es weitgehend unmöglich, das Stockholmer Prinzip 21 weiterzuentwickeln zu einer ökologischen Schutzpflicht oder gar zu einem umfassenden Umweltmanagement Bereits die Frage, ob nicht zwingende Folge des Stockholmer Prinzips 21 die umfassende Informationspflicht ist, wurde von den Theoretikern des traditionellen Umweltvölkerrechts verneint4, während das moderne Umweltvölkerrecht es heute als zwingend voraussetzt, daß das Stockholmer Prinzip 21 nur durch regelmäßige Informationen und durch rechtzeitige Notifikationen und Konsultationen (im notwendigen Mindest-Umfang) realisiert werden kann5; erst recht wurde von den Theoretikern des traditionellen Umweltvölkerrechts jegliche Kooperationspflicht durch Betonung des starken Spannungsverhältnisses mit der staatlichen Souveränität abgelehnt6. Letztlich half auch der "equitable use"-Ansatz nicht weiter, weil er ein völlig begrenztes "equity"-Verständnis aufwies und keine Priorität für Trinkwassergewinnung oder Gewässer-Reinhaltung einräumte. Der "equitable use"-Ansatz hätte einen modernen ökologischen Ansatz erlauben

3

Zu diesem Begriff und den folgenden Begriffen siehe oben Kapitel I.

4

So insbesondere Eb. Klein, Umweltschutz im völkerrechtlichen Nachbarrecht, S. 314-317, bei dem übrigens die Verteidigung des traditionellen Umweltvölkeirechts bereits im Titel (durch die Bezugnahme auf "Nachbarrecht") ersichtlich ist; vgl. dazu Hinweise in Fußn. 22 zu Kapitel Π 1 . 5 Vgl. Parian Boston Univ. Int. Law J.6 (1988) 2, S. 72; Schachter Sharing the World's Resources, S. 69; McCaffrey Third Report YBILC 1987 Π Part One, S. 23; Handl Revue belge de droit int. 14 (1978/79), S. 40 (60); Brunnée ZaöRV 1989, 806 sowie do Nascimento e Silva, Henkin, Seidl-Hohenveldern und Sette-Camara, alle in: Annuaire de 1TDI62 (19871), S. 178 f, 238, 245 bzw. S. 247. ΑΛ. (aber wenig nachvollziehbar) anscheined nur noch RandelzhoferlHarndt Grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der UVP, S. I l l f und Heintschel v. Heinegg Assistententagung 1990, S. 124, letzterer kommt aufgrund fragwürdiger Methodik (vgl. Fußn. 131 zu Kapitel Π 2 c ) zu dem Ergebnis: "Im Gewohnheitsrecht lassen sich derartige Informationspflichten angesichts des Festhaltens der Staaten am Souveränitätsprinzip und der damit verbunden Abhängigkeit vom Erheblichkeitsgrad des zu erwartenden ... Schadens nur beschränkt nachweisen". 6

Siehe etwa Eb. Klein, S. 315.

b) Zwischenergebnis zu Kapitel Π

241

können, wenn erkannt worden wäre, daß "equity" nicht nur auf die Erfüllung aktueller, sondern auch künftiger Grundbedürfnisse (im Sinne einer "intergenerational equity") gerichtet ist7; ein solcher am Nachweltansatz orientierter "equity"- oder "equitable use"-Ansatz hätte zu vorsorgendem Handeln und zuweilen zu Nutzungsbegrenzungen führen müssen, um auch künftigen Generationen den "equitable use" dieser Ressourcen zu ermöglichen8. Eine solche generationsübergreifende Perspektive oder gar das Berücksichtigen globaler Notwendigkeiten (wie die Besorgnis über Ressourcen-Vernichtung und das Erkennen globaler Interdependenzen)9 suchte man in diesem "equity"-Konzept vergebens. Stattdessen ging es allein um die Erfüllung nationaler Bedürfnisse; und ob der "equitable use"-Ansatz der Helsinki-Rules tatsächlich in der Lage war, die Grundbedürfnisse 10 der Bewohner eines Landes zu befriedigen, läßt sich angesichts der fehlenden Priorität für Trinkwassergewinnung und Gewässer-Reinhaltung bezweifeln 11, weil wegen fehlender ökologischer Prioritäten auch der verschmutzende Gebrauch als "beneficial use" angesehen werden konnte12 und weil es außerdem eher um die Befriedigung ökonomischer Bedürfnisse der Industrie ging. Der "equitable use"-Ansatz bedeutete demnach weitgehend, den nicht-diskriminierenden Zugang der Anrainer-Staaten zu erlauben, um den höchstmöglichen Nutzen aus den Gewässern zu ziehen. Das in Art. IV der Helsinki-Rules eingeräumte Recht der Anrainer-Staaten zu einem "reasonable and equitable share" bedeutete demnach das Recht auf gleichmäßigen Zugang und in diesem Rahmen auf höchstmögliche Nutzung (ohne Benennung einer ökologischen Grenze dieser Nutzung), wobei über dieses Diskriminierungsverbot hinaus weder die "equity" noch der Zusatz "reasonable " eine eigenständige Bedeutung (etwa im Sinne einer ökologischen Nutzungs-Grenze) entfalten konnten. Für das moderne Umweltvölkerrecht, das mehr oder weniger mit der Stockholmer Deklaration beginnt, waren demnach mindestens drei Relativierungen unverzichtbar: einmal bezüglich der Souverä-

7 Vgl. Schachter, Sharing öfter.

S. 12 und Brown Weiss In Fairness to Future Generations, S. 2 und

8

Vgl. Brown Weiss ebda., S. 55.

9

Vgl. Schachter, S. 13.

1 0

Mit diesen Grundbedürfnissen sind gemeint: Nahrung, Gesundheit, Unterkunft, Erziehung sowie ein Mindestmaß an Sicheiheit, Freiheit, Selbständigkeit, menschlicher Würde und kultureller Identität; vgl. Schachter, S. 10, Galtung Annales d'etudes internationales 1978, S. 127 ff und Hohmann V N 1982, S. 61. 1 1 Diese Prioritäten-Setzung hätte den Grundbedürfnissen Nahrung und Gesundheit creines Wasser> gedient. Jegliche Prioritätensetzung war jedoch durch Art. V I der HelsinkiRules ausdrücklich ausgeschlossen worden. 1 2 Vgl. Handl (Fußn. 5), S. 52 und den Kommentar zu Art X der Helsinki-Rules, zitiert in Fußn. 62 zu Kapitel Π 1 .

16 Hohmann

242

Π.3 Resümee zu Kapitel Π

nität, zum zweiten bezüglich des rein anthropozentrischen Ansatzes und zum dritten bezüglich der Zeitpeispektive. Für das moderne Umweltvölkerrecht, das sich vor dem Hintergrund des Übergangs des Völkerrechts vom klassischen Koexistenz- zum Kooperationsrecht entwickelt hat 13 , sind primär drei Elemente charakteristisch: Einmal werden die Umweltmedien zum unmittelbaren Schutzgegenstand des Umweltvölkerrechts14; zweitens ist aus dem traditionellen Verhältnis zwischen individuellen Emittenten- und individuellem Opferstaat das moderne Verhältnis einer Vielzahl von Emittentenstaaten, deren weiträumige Emissionen aus weitverstreuten Quellen gemeinsam zu erheblichen Schäden mit bisher nicht gekannten Ausmaßen führen, zu einer gleich hohen Anzahl von Opfer-Staaten entstanden15 (für andere Umweltverschmutzungen gilt ebenfalls, daß die Folgen der Verschmutzungen auch fernab von Ursprungsort auftreten können); und drittens tritt an die Stelle des Denkens in Souveränitäts- und Nachbarschafts-Kategorien das souveränitätsübergreifende Denken in gemeinsamen Verantwortungen, regionalen Kooperationen oder in globalen" common concern"-Kriterien 16. Diese drei Haupt-Elemente der Entwicklung beinhalten zahlreiche Einzel-Charakteristika: Die Pflicht zum ressourcenbezogenen Management für Schutz und Erhalt der Umweltmedien, zur Umweltplanung und ähnlichen präventiven Ansätzen sowie zur darauf gerichteten umfassenden Kooperation mit anderen AnrainerStaaten konnte erst entstehen, nachdem das erste Haupt-Element (Übergang zur medialen Konzeption) realisiert war. Die Ablösung des individuellen Täter-Op-

1 3

Siehe Nachweise in Fußn. 24 zu Kapitel Π 3 a .

1 4

Vgl. den Übergang zum ressourcenbezogenen Ansatz und zur medialen Schutzkonzeption seit der Stockholm- und "Shared Resources"-Deklaration sowie der Weltchaita, siehe oben Text zu Fußn. 26 zu Kapitel Π 2 a und zu Fußn. 40 zu Kapitel Π 2 b . 1 5 Vgl. hierzu die Diskussionen des ILA-"Committee on Legal Aspects of Long-Distance Air Pollution" seit dem Paris-Repoit (samt Draft Rules) von Lammers, in: ILA-Report of the 61st Conference 1984, S. 377 ff (oben im Text bei Fußn. 71 ff zu Kapitel Π 2 c, ) sowie die Diskussionen des I D I zur Kairo-Resolution aufgrund der Berichte durch do Nascimento e Silva Annuaire de 1TDI62 (19871), S. 159 ff (oben im Text bei Fußn. 122 ff zu Kapitel Π 2 c ). Im Falle des Abfall- oder Chemikalien-Exports tritt an die Stelle einer Vielzahl von Beziehungen die gemeinsame Verantwortung von Export- und Importstaat; vgl.die London- und Cairo-Guidelines des UNEP und die OECD-Erklärungen zum Abfallexport. 1 6 Zu den regionalen Kooperationen vgl. die Erklärungen seit der "Shared Resources"-Deklaration sowie die Kooperationspflichten der Anrainer eines "drainage basin" (in den "ILA Rules on Water Pollution in an International Drainage Basin") bzw. eines internationalen Flußlaufs (im ILCEntwurf zu Flußläufen); zu den "erga omnes "-Pflichten vgl. die Erklärungen zum Schutz vor Klimaänderungen und vor Zerstörung der Ozonschicht (Kapitel Π 2 e) sowie bereits die Kairo-Resolution (Fußn. 152 zu Kapitel Π 2 c ).- Zu den gemeinsamen Verantwortungen siehe vorige Fußn.

b) Zwischenergebnis zu Kapitel Π

243

fer-Verhältnisses durch die Erkenntnis, daß alle - auch femliegende - Staaten zugleich Täter und Opfer aggregierter Verschmutzungen sein können (zweites Haupt-Element), eröffnete (gemeinsam mit der Entwicklung neuer Verhütungstechnologien) den Weg dafür, daß zunehmend auf den Kausalitätsnachweis in zwei Richtungen verzichtet wurde, einmal bezüglich des Beweises der naturwissenschaftlichen Kausalität und zum anderen bezüglich des unmittelbaren Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs, und daß wohl auch auf den Schwellenwert der Erheblichkeit verzichtet wurde, so daß die Ursächlichkeit und die Erheblichkeit letztlich vermutet werden. Diese Regel gilt insbesondere für gefährliche Umweltverschmutzungen, deren Folgen fernab vom Ursprungsort auftreten. Gerade weiträumige Verschmutzungen zeigten besonders deutlich die Notwendigkeit von Emissions- oder Qualitätsstandards. Solche quellenoder stoffbezogenen Festlegungen fallen für die weiträumigen grenzüberschreitenden Luftverschmutzungen global aus, so daß bei der notwendigen nationalen Umsetzung Probleme der Belastungsverschiebung entstehen können17. Der Einsatz von Computer- und Satellitentechnologie zur Überprüfung der Standards wurde zunehmend als unumgänglich angesehen. Gerade aus der Einsicht in die Notwendigkeit dieser teuren Technologie resultierten Ansätze zu technologischen undfinanziellen Transferleistungen an Entwicklungsländer, damit diese dieses Management realisieren können. Das dritte Haupt-Element (Denken in gemeinsamen Verantwortungen) bedeutet eine schleichende Erosion des traditionellen Souveränitätsverständnisses18 und spiegelbildlich das Entstehen eines Kooperations-Schubs. Drei Entwicklungen sind hieraus entstanden: Regionale oder globale Kommissionen zum gemeinsamen Umweltmanagement wurden erforderlich, die zumindest bei "gemeinsamen Angelegenheiten der Menschheit" mit Mehrheit (statt mit Einstimmigkeit) entscheiden können. Bei den "gemeinsamen Angelegenheiten der Menschheit" und den Bereichen der regionalen Kooperation scheidet zunehmend die Berufung auf das Reziprozitäts-Argument zur Begründung eines ökologischen Untätigbleibens aus, da es rein nationalstaatlich geprägt ist und durch die regionale oder globale "Vergemeinschaftung" verdrängt wird. Das Solidaritätsprinzip, das Ausdruck der regionalen oder globalen Interdependenzen und der Erkenntnis ist, daß Umweltzerstörungen in einem Land das regionale oder globale ökologische 1 7 Vgl. Bothe, Bergen-Ms., S. 5-7 (mit Ausführungen zur Gerechtigkeit von Quoten) und vor allem Lammers, Warschau Report, ILA Report of the 63rd Conference 1988, S. 270, zitiert oben im Text zu Fußn. 89 zu Kapitel Π 2 c .- Die notwendige medienübergreifende Gesamtbetrachtung ist allerdings noch gering ausgeprägt. 1 8

Dies wurde oben vor allem anhand der Konzepte "shared resources", "common heritage/concern", "ordre public" und "jus cogens" aufgezeigt Letztlich kann der einzelne Staat nicht mehr tun und lassen, was er will, sondern er muß mögliche Umwelt-Schäden in fremden oder hoheitsfreien Gebieten genauso berücksichtigen, als ob sie auf eigenem Gelnet auftreten; er ist daher zu umfassender präventiver Kooperation mit anderen Staaten und möglicherweise auch zum Verzicht der Nutzung einer Ressource im eigenen Gebiet verpflichtet

244

Π.3 Resümee zu Kapitel Π

Gleichgewicht stören können19, hat die Tendenzen zur gemeinsamen Prävention und Sanierung, zum regelmäßigen Informationsaustausch, zu Konsultationen, zur grenzüberschreitenden UVP und Verfahrensbeteiligung gefördert Weitere Konsequenzen der regionalen Solidarität und vor allem des "common concern of mankind" dürften künftig Hilfen an die wirtschaftlich und technologisch schwächeren Staaten sein. Dies müßte, da nicht nur das Monitoring sondern auch das effektive Umweltmanagement von Überprüfungs- und Verhütungstechnologien abhängig ist, entweder den Technologietransfer zu angemessenen Bedingungen oder das "funding", d.h. die Errichtung von Fonds durch Industrieländer zur Finanzierung der Umwelttechnologie in Entwicklungsländern, umfassen, wobei das "funding" auch aus der "equity" bzw. der Ergänzung des Verursacherprinzips durch das Gemeinlast- und Nutznießerprinzip hergeleitet werden kann20: Die Hauptverschmutzer- (oder Hauptverbrauchs-) Staaten zahlen an die Geringverschmutzer-Staaten, die das Geld für den Erwerb der Verhütungstechnologie benötigen; dieser Vorgang liegt im gemeinsamen Interesse und bedeutet einen ökologischen Nutzen auch für die Industrieländer. Während der rein anthropozentrische Ansatz aufgrund seiner Orientierung an der Umweltnutzung kaum zum Umweltschutz beitrug, führte der "weitere anthropozentrische Ansatz", bei dem die Umwelt aus ökologischen Gründen auch "um ihrer selbst willen" geschützt wird, gemeinsam mit der medialen Konzeption zur Notwendigkeit, die Umwelt aktiv zu erhalten und zu schützen; dies wurde dadurch realisiert, daß auf Gefahren für "die Umwelt" oder auf den Schutz von Ökosystemen abgestellt wird und dieser Schutz durch die Menschen als Sachwalter wahrgenommen wird. Der geläuterte anthropozentrische Ansatz erlaubt und fördert langfristig-präventive und medienübergreifende Konzepte (wie medienübergreifende Planungen und die UVP). Diefrüher vertretene Auffassung, ein präventiver Umweltschutz lasse sich allein dann erreichen, wenn entsprechend dem ökozentrischen Ansatz der Natur w/imittelbare (Klage-) Rechte zugesprochen werden, läßt sich heute kaum mehr vertreten: Auch der Hauptverfechter dieser Auffassung, Christopher Stone , hat dreizehn Jahre nach seinem bahnbrechenden Aufsatz "Should Trees have Standing"21 eingeräumt, daß andere Konzepte einen gleichen Schutz für die Umwelt erreichen können, wozu er etwa die Ausweitung der Klagebefugnis, die verstärkte 1 9 Vgl. die Definition des Prinzips der Solidarität in der Seoul-Deklaration der ILA zur Neuen Weltwirtschaftsordnung (in: ILA-Report of the 62nd Conference 1986, S. 2 ff, Prinzip 3.2); vgl. auch Scheuner Festschr. Menzel 1975, S. 251 ff. 2 0

Vgl. Bothe, S. 8 und Brown Weiss, S. 83; sowie den Londoner Beschluß der Vertrags-Staaten des Montreal-Protokols vom 29.6.1990, den Multilateral Fond einzurichten, dec.n/8, in: UNEP/OzL.Pro.2/3, S. 12 (Report of the Second Meeting of the Parties to the Montreal Protocol on Substances that Deplete the Ozon Layer) sowie in: EPL 20 (1990) 4-5, S. 166. Das "funding" ist bisher nur im Abkommensrecht, aber kaum in den untersuchten Eiklärungen anzutreffen. 2 1

Stone Southern California Law Review 45 (1972), S. 450 ff.

b) Zwischenergebnis zu Kapitel Π

245

Anwendung der UVP, Umwelt-Verbandsklagen, Klagen von Umwelt-Beauftragten sowie die Weiterentwicklung des Haftungsrechts hin zur Anerkennung/Berechnung des ökologischen Schadens rechnet22. Wichtig dürfte auf jeden Fall der stäikere Einbezug der betroffenen Öffentlichkeit samt der Einräumung von Klagerechten für den Erhalt von Ökosystemen sein. Sofern dies realisiert ist, ist nicht ersichtlich, inwieweit ein ökozentrischer Ansatz cunmittelbare Klage-Rechte der Natur> einen effektiveren Präventiv-Schutz für die Umwelt leisten könnte als der weitere anthropozentrische Ansatz cmittelbarer Schutz der Umwelt durch den Menschen>. Die präventiven und ressourcenschonenden Elemente dieses Ansatzes werden erheblich verstärkt, wenn durch den "sustainable use"-Ansatz das Denken in mehreren Generationen (im Sinne der "intergenerational equity ") verbindlich wird. Denn dieser Ansatz zwingt zu den umfassendsten ex-ante-Betrachtungen und damit zu sehr langfristigen Planungen, er zwingt zum Erhalt der Diversität und Qualität der Ressourcen und damit zu einem sehr ressourcenschonenden Umgang und einem planvollen Management, das zumindest von den Weltcharta-Prinzipien 2, 10 und 11 (Sicherung des "sustainable yield" mit Verschwendungsverbot und Überwachungspflicht) geleitet sein und eher am Weltcharta-Prinzip 4 (Sicherung der optimalen Dauerproduktivität) orientiert sein muß; er zwingt weiterhin zum Erhalt des Zugangs künftiger Generationen zu diesen Ressourcen und damit zu Nutzungsbeschränkungen zugunsten künftiger Generationen sowie zum nachhaltigen, an optimaler Dauerproduktivität ausgerichteten Management und gegebenfalls zur Mehrung dieser Ressourcen; er zwingt schließlich zur Vermeidung von Umweltkatastrophen, zur Verminderung von Schäden, zur Leistung von Notfallhilfe und zur Schadensersatz-Pflicht für den ökologischen Schaden23. Der "common concern of mankind"-Ansatz ist auf jeden Fall generationsübergreifend konzipiert24, während dies beim Ansatz des "common heritage" unsicher ist25. Eine menschenrechtliche Absicherung bedeutet über die Appellfunktion und damit die erleichterte politische Steuerung hinaus noch einmal eine Pflichtverstärkung bezüglich des Schutzes und Erhalts der Umwelt26, auch bezüglich der zeitlichen Dimension, weil Menschenrechte generationsübergreifend 27 und damit auch am Nachwelt-Ansatz ausgerichtet sind. 2 2

Stone Southern California Law Review 59 (1985), S. 1 (5-7).

2 3

Vgl. die Aufzählungen der "duties of use" bei Brown Weiss, S. 49-86.

2 4

Dies ergibt sich bereits aus der Überschrift dieser Resolution "Protection of global climate for present and fidare generations of mankind' (Hervorhebungen hinzugefügt). 2 5 Bei Brown Weiss, S. 49, heißt es dann auch etwas vorsichtig: "The doctrine of the common heritage of mankind could be viewed as encompassing the concerns for future generations ..." (Hervorhebung hinzugefügt). 2 6 Stone (Fußn. 22), S. 65, schlägt deswegen vor, besser von einer stärkeren Pflichtenbindung als von der Zuerkennung eines Menschenrechts zu sprechen. 2 7

Vgl. Brown Weiss, S. 25.

246

Π.3 Resümee zu Kapitel Π

bb) Prinzipien der Vorsorge und Ressourcen-Schonung

Auf der Basis dieser Haupt-Charakteristika des traditionellen und modernen Umweltvölkerrechts lassen sich folgende Prinzipien bzw. Forderungen als elementar für den vorbeugenden und ressourcenschonenden Umweltschutz benennen28: 1. Umweltschutz darf nicht allein zum Schutz von Gesundheit, Sachgütern und wirtschaftlichen Interessen betrieben werden, weil er sonst zu bloßer Umweltnutzung degenerieren kann. Unverzichtbar ist der weitere anthropozentrische und damit auch der moderne ressourcenökonomische Ansatz. 2.

Vorsorgepflichten dürfen nicht nur bei Gefahrenverdacht sondern möglichst bereits bei (begründetem) Besorgnispotential entstehen, weil einige überlebenswichtige Fragen wie Klima- und Ozonschutz möglicherweise allein dem Besorgnispotential zuzordnen sind.

3.

Verhütungs- und Bekämpfungspflichten müssen unbedingt sein, d.h. sie müssen auf den Nachweis naturwissenschaftlicher Kausalität und des Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs sowie des Erreichens von schadensbezogenen Schwellenwerten (insbesondere den der "Erheblichkeit") verzichten.

4.

Ein medienbezogener Ansatz im Sinne der planvollen Ressourcenbewirtschaftung/des Umweltmanagements ist unverzichtbar. Ein Genehmigungsvorbehalt zur Verhütung gefährlicher Umweltauswirkungen, ein Umweltmonitoring, eine Verschmutzungskontrolle und eine Planung sind hierfür "conditio sine qua non".

5.

Der Ansatz muß medien- und generationsübergreifend sein. Der medienübergreifende Ansatz verhindert die mediale oder lokale Belastungsverschiebung; der generationsübergreifende Ansatz sichert die Nachhaltigkeit durch den Zwang zu sehr langfristigen Planungen. Der Umweltschutz sollte eine menschenrechtsgleiche Absicherung erfahren.

6.

An die Stelle des rein nationalen Managements muß die regional-solidarische Kooperation oder zuweilen das gemeinsame globale Umweltmanagement treten. Regelmäßige Informationen, frühzeitige Notifikationen und Konsultationen sind hierfür "conditio sine qua non"; auch das gemeinsame Monitoring, das gemeinsame Notfallregime und die wissenschaftliche Kooperation sind hierfür nicht wegzudenken.

7. Zwischen Umwelt-Schäden innerhalb und außerhalb des eigenen Herrschaftsbereichs darf nicht differenziert werden. Der grenzüberschreitende Betroffenenkreis muß bei der Planung beteiligt werden, um rechtzeitig 2 ® Die Frage der Realisierung dieser Prinzipien/Forderungen im geltenden Umweltvölkerrecht wird erst im nachfolgenden Kapitel Π 3 b cc) untersucht

b) Zwischenergebnis zu Kapitel Π

247

Korrekturen gegen problematische Umweltoptionen anbringen zu können, und er muß hinterher ein gleiches Klagerecht besitzen wie die einheimischen Betroffenen. Aus der regionalen oder globalen Solidarität muß auch der Technologietransfer an Entwicklungsländer zur Ermöglichung deren Umweltmanagements folgen. 8. Unverzichtbar für das präventive Umweltmanagement sind zusätzlich zu den bisher genannten Elementen: umfassende Fach- und Regionalplanungen, die UVP sowie die Begrenzung von Einleitungen durch Emissionsnormen und den Einsatz der besten verfügbaren Technologie. Der Technologie-Einsatz darf nicht von wirtschaftlichen Kriterien abhängig sein, um die Gefahr der Umgehung strenger Standards auszuschließen; Qualitätsnormen, die eher dem Schutz- als dem Vorsorgeprinzip verhaftet sind, können nicht an die Stelle von Emissionsnormen treten. Es muß sich bei der UVP nicht um irgendeine Umweltbewertung handeln, sondern es müßte eine UVP sein, die diesen Namen verdient, also etwa eine UVP im Sinne des ECE-Rahmenabkommens oder der EIA-Principles. 9.

Für den präventiven Ansatz unverzichtbar sind Maßnahmen, die bereits im Produküonsprozeß ansetzen (Produktsubstitutionen), um Verschmutzungen von vorneherein zu verhindern, sowie die Vermeidung, Verringerung und Verwertung von Schadstoffen. Hinzukommen müßten finanzielle Anreize, Abgaben sowie Versicherungs- und Fonds-Lösungen, die diese Minimierungs-Maßnahmen im Produküonsprozeß unterstützen, da ordnungsrechtliche Instrumente nicht alleine ausreichen werden. Durch die Abkehr vom reinen Verursacher- zum Gemeinlast- und Nutznießerprinzip müßte auch das "funding" an Entwicklungsländer (insbesondere zur dortigen Ermöglichung von Produktsubstitutionen) ermöglicht werden. cc) Der heutige Stand des Umweltvölkerrechts, analysiert nach Rechtsquellen außerhalb von Abkommen

Wenn nunmehr der Stand des Umweltvölkerrechts mitsamt seiner Entwicklung aufgezeigt wird, so handelt es sich nur um ein vorläufiges Resümee, weil aufgrund der Umweltabkommen einzelne Pflichten weiterentwickelt sein könnten. Entsprechend den oben genannten Prinzipien (bzw. Forderungen) für ein vorsorgendes und ressourcenschonendes Umweltvölkerrecht sieht das vorläufige Resümee folgendermaßen aus: 1. Eindeutig fällt die Antwort auf das oben genannte Prinzip 1 aus: Seit die Stockholmer Deklaration zum Schutz der natürlichen Ressourcen durch sorgfältige Planung und Bewirtschaftung verpflichtete und dem Menschen hierzu und zur klugen Verwaltung des Erbes an freilebender Tier- und Pflanzenwelt samt deren Lebensräumen ein besonderes Wächteramt anvertraute (Stockholmer Prinzip 4), ist der rein anthropozentrische Ansatz

248

Π.3 Resümee zu Kapitel Π

schrittweise aufgegeben worden. Spätetestens nachdem die Weltcharta noch einmal betont hatte, daß der Mensch nur ein Teil der Natur ist, daß jede Lebensform einzigartig ist und daß die Natur nicht mißachtet werden darf, wurden die traditionellen rein anthropozentrischen Formulierungen in Erklärungen von internationalen Organisationen und Gremien29 nicht mehr aufgegriffen. In den modernen Erklärungen dieser Organisationen und Gremien geht es um den modernen ressourcenökonomischen Ansatz30, wird auf Gefahren für "die Umwelt" oder auf den Schutz von Ökosystemen abgestellt31, wobei der Mensch letztlich zum Sachwalter oder Wächter für die Interessen von Ökosystemen, Pflanzen und Tieren wird. Damit legt das moderne Umweltvölkerrecht den weiteren oder "geläuterten" anthropozentrischen sowie den modernen ressourcenökonomischen/ökologischen Ansatz zugrunde. Auch die inzwischen fast einhellig anerkannte Notwendigkeit, für die Trinkwassergewinnung und Gewässerreinhaltung eine Priorität vor allen anderen Nutzungen einzuräumen32, unterstreicht dieses Ergebnis. 2.

Die Frage, ob im modernen Umweltvölkerrecht Vorsorgepflichten bei Gefahrenverdacht und schon bei Besorgnispotential eingreifen, ist desw gen schwer zu beantworten, weil es weltweit nur zwei zentrale Erklärungen zum sauren Regen und zur Ozonschichtzerstörung gibt Die Pflicht der Staaten nach Art 12 der Kairo-Resolution, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um in ihren Gebieten die Emissionen von Rauchen/Dämpfen zu verhindern, welche zur Bildung des sauren Regens beitragen könnten,

2 9 Vgl. vor allem die Präambel der Salzburg-Resolution des IDI: "Considering the economic importance of the use of waters ... Considering that the maximum utilization of available natural resources is a matter of common interest" (Hervorhebungen hinzugefügt). 3 0 Vgl. etwa die Erwägungen 3 und 4 der Präambel der Kairo-Resolution des I D I (1987): "Deeply concerned by the effects of transboundary air pollution on the environment and on human health, on soil, agriculture and production, forests, life in lakes, rivers and the sea, and the ozone layer. Equally concerned by irreparable damage to buildings, monuments and sites ..." (Hervorhebungen hinzugefügt). Vgl. auch die Verschmutzungs-Definition in Art. 2 para. 1 der Montreal-Rules: "... as to endanger human health, harm living resources, ecosystems and material property and impair amenities or interfere with other legitimate uses of the environment" (Hervorhebung hinzugefügt). 3 1 Vgl. etwa die OECD-Empfehlung zur Information der Öffentlichkeit über gefahrliche Unfälle (zitiert oben im Text zu Fußn. 143 zu Kapitel Π 2 d ), die bei "Umweit"-Gefahren potentiell betroffenen Menschen ein Informationsrecht einräumt; vgl. etwa auch den 1991 verabschiedeten Art 20 des ILC-Entwurfs zu Flußläufen, der den Staaten die Pflicht auferlegt, "to protect and preserve the ecosystems of international watercourses" (Hervorhebung hinzugefügt). 3 2

Dies gilt ausdrücklich für das europäische Gewohnheitsrecht aufgrund der Erklärungen der ECE und der OECD . Der gleiche Trend ist neuerdings auch global zu verzeichnen: Die ILA-"Groundwater Rules" (1986) verlangen den besonderen Schutz des Grundwassers (wegen des Trinkwassers!) und die ILA-"Complimentary Rules ..." (1986) verlangen Priorität des Schutzes vor der Nutzung; ebenso die aktuelle, wenn auch nicht ganz eindeutige ILC-Diskussion, vgl. Hinweise im Text zu Fußn. 160 zu Kapitel Π 2 c .

b) Zwischenergebnis zu Kapitel Π

249

ist angesichts der vorhandenen Kenntnisse über Ursachen und Auswirkungen des sauren Regens als eine Handlungspflicht aufgrund konkreten Gefahrenverdachts anzusehen. Gleiches gilt grosso modo auch für die Verhütungspflicht des Art. 3 para. 1 der Montreal-Rules (und noch besser des Art. 3 para. 1 der ILA-Paris Draft Rules) sowie auch für die regionalen Erklärungen des Europarates zur Luftverschmutzungskontrolle. Anders dürfte es sich mit der aus Art. 11 der Kairo-Resolution folgenden Pflicht der Staaten verhalten, alle notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht zu ergreifen gegen schädliche Wirkungen, die "wenn auch nur vermutlich" aus menschlichen Aktivitäten resultieren. Es handelt sich bei der Bekämpfung der Gefahren für die Zerstörung der Ozonschicht mehr oder weniger um solche Schadensmöglichkeiten, die nach jetzigem Erkenntnisstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder eindeutig bejahen noch verneinen sondern nur als möglich bis wahrscheinlich erscheinen lassen; es handelt sich demnach um eine Handlungspflicht aufgrund (begründeten) Besorgnispotentials33. Die oben genannten aktuellen Erklärungen bezüglich globaler Erwärmung und Ozonschicht dürften letztlich auch eher Handlungspflichten bereits aus dem Besorgnispotential ableiten. Das moderne Umweltvölkerrecht anerkennt Vorsorgepflichten bei Gefahrenverdacht; erst in jüngster Zeit tendiert es zu Verhütungspflichten bei Besorgnispotential.

3. Nur wenig umfassender als zur vorigen Frage sind bisher auch noch die Erklärungen zur Frage der Unbedingtheit der Verhütungs- und Bekämpfungspflicht. Eindeutig ist, daß die Pflichten aufgrund der Art. 11 und 12 der Kairo-Resolution unabhängig vom Nachweis der Wirkungen der NO x -, S0 2 - oder C0 2 - bzw. FCKW-Emissionen gelten sollen. Dies legt der insofern eindeutige Wortlaut nahe, weil die Verhütungs- und Bekämpfungspflicht bereits an die bloße Möglichkeit eines Schadenseintritts anknüpft Hinzu kommt der ergänzende Hinweis aus den Materialien, daß vor allem die Umgehungsmöglichkeit unter Hinweis auf den noch fehlenden letzten wissenschaftlichen Nachweis ausgeschlossen werden sollte34. Nichts anderes dürfte letztlich für die anderen genannten Verhütungspflichten in Art. 3 para. 1 Montreal-Rules, Art 3 para. 1 Paris Draft-Rules und die Erklärungen des Europarates handeln. Auch der Umstand, daß für das Ein3 3

In der Wyhl-Entscheidung des BVerwG vom 19.12.1985 (E 72, 300, 315) hat das Gericht für das Atomrecht anerkannt, daß "auch solche Schadensmöglichkeiten in Betracht gezogen werden müssen, die sich nur deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können und daher insoweit noch keine Gefahr, sondern nur ein Gefahrenverdacht oder ein 'Besorgnispotential' besteht". Vgl. dazu Murswiek. Die staatliche Verantwortung für Risiken der Technik, S. 378 ff; Rehbinder, Das Vorsorgeprinzip, Ms. S.5 f und Kloepfer UmwR § 8 Rdnr. 32. 3 4 Vgl. Nascimento e Silva, Provisional Resport, Annuaire de 1TDI 62 (1987 I), S. 170, zitiert oben im Text nach Fußn. 132 zu Kapitel Π 2 c .

250

Π.3 Resümee zu Kapitel Π

leitungsverbot besonders gefährlicher Substanzen die "generelle Gefährlichkeit" ausreicht35 oder daß die Weltcharta für Aktivitäten, die vermutlich mit einer hochgradigen Gefährdung der Natur verbunden sind, erschöpfende Untersuchungs- und Verhütungspflichten vorsieht (Prinzip 11 b), dürften in diese Richtung deuten. Demnach ist relativ gesichert, daß im modernen Umweltvölkerrecht die Verhütungs- und Bekämpfungspflichten unabhängig vom Nachweis letzter naturwissenschaftlicher Kausalität (d.h. unabhängig vom Nachweis darüber, ob aufgrund eines bestimmten Verhaltens ein Schaden zu erwarten ist) gilt. Die Pflicht gilt unbedingt, ohne daß eine Berufung auf die Regel "innocent until proven guilty" möglich ist 36 . Für das regionale Gewohnheitsrecht wird dies explizit vor allem durch Deklarationen des Europarates erklärt 37. Angesichts der Weiträumigkeit der Folgen von NO x - und S0 2 - bzw. C0 2 - und FCKW-Emissionen scheint inzwischen auch stillschweigend der Beweis der Kausalität des Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs sowie der Erheblichkeit des Schadens (aufgrund der Erkenntnis der generellen Gefährlichkeit dieser Emissionen) aufgegeben worden zu sein zugunsten einer Wahrscheinlichkeits-Regel38 (und unter Berücksichtigung der römisch-rechtlichen Regel "de minimis non curat praetor"). Dafür spricht, daß sich die ILA auch für die Frage der Schadensersatz-Verpflichtung voraussichtlich mit einer Wahrscheinlichkeits-Regel begnügen wird 39. 4.

Das Bekenntnis zur medialen Umweltschutzkonzeption, durch die Wasser, Luft und Boden zum unmittelbaren Schutzgut wurden, läßt sich im modernen Umweltvölkerrecht leicht nachweisen: Seit der Stockholmer Deklaration, in der erstmals der ressourcenbezogene Ansatz thematisiert wurde, der "Shared Resources"-Deklaration und vor allem der Weltcharta, in der die mediale Umweltschutzkonzeption im Zentrum der Erklärungen stehen, weisen letztlich alle Erklärungen diesen Ansatz aus. Ob darüberhinaus das Ökomanagement als selbstverständliche Pflicht vorausgesetzt wird oder nur eine im Entstehen begriffene Rechtspflicht unmittelbar vor der Etablie-

3 5 Vgl. etwa Art 4 Montreal Rules und Art. 2 der "ILA Rules on Water Pollution in an International Drainage Basin". 3 6

Vgl. Nascimento e Silva, S. 170 f und Brunnie ZaöRV 1989, S. 805.

3 7

Vgl. bereits die "Declaration of Principles on Air Pollution Control", Prinzip 1 (zitiert im Text von Kapitel Π 2 d nach Fußn. 57 ). 3 8 Vgl. Handl NatResJ. 26 (1986), S. 440. Ähnlich wohl auch der Ansatz des I D I in der Athenund Kairo-Resolution, in denen ausdrücklich auf das Merkmal der Erheblichkeit verzichtet wird (siehe oben im Text zu Fußn. 101 zu Kapitel Π 2 c ). 3 9 Vgl. Lammers Queensland-Report, in: ILA Report of the 64th Conference 1990 i.E., para. 32: Plädoyer für die "causa proxima"-Regel, nach der der Schaden die "normale" Folge des unrechtmäßigen Verhaltens sein muß. In diesem Bericht auch Ansätze zur Berechnung des ökologischen Schadens.

b) Zwischenergebnis zu Kapitel Π

251

rung ist, ist nicht ganz sicher: die immer wieder genannte gemeinsame wissenschaftliche Zusammenarbeit zur Verschmutzungskontrolle, die Errichtung regionaler Kommissionen für das Management, die Einrichtung eines gemeinsamen Netzwerkes für das Monitoring und die Festlegung gemeinsamer Umweltnormen scheinen derzeit eher als Empfehlungen denn als Pflichten gehandelt zu werden40. Aber auch diese Elemente des Umweltmanagements dürften kurz vor der Etablierung stehen, weil die Pflicht zur Verhinderung, Bekämpfung und Kontrolle erheblicher bzw. schädigender grenzüberschreitender Verschmutzungen41 ebenso anerkannt ist wie die Pflicht, besonders gefährliche Aktivitäten nur nach vorheriger nationaler Genehmigung (und einigen Planungen) zuzulassen, Ableitungen vorher zu behandeln und wenigstens eine minimale Verschmutzungskontrolle durchzuführen, wozu auf jedem Fall das Anstreben von schwarzen und grauen Listen sowie von Emissions- und Qualitätsstandards gehört42. Auch über eine Umweltplanung scheint Konsens zu bestehen, während die Einzelheiten, welche Planungen im einzelnen erforderlich sind, umstritten sind. Gleiches dürfte auch für das Umweltmanagement gelten. Der Genehmigungsvorbehalt zur Verhütung gefährlicher Umweltauswirkungen, das Umweltmonitoring, Verschmutzungskontrollen und minimale Planungen können als verpflichtend angesehen werden. Wissenschaftliche Kooperationen, Errichtung regionaler Kommissionen, koordinierte Netzwerke für das Monitoring und das Standardsetting sind zur Zeit noch Empfehlungen, die weltweit unmittelbar vor der Etablierung stehen. Für den "europäischen" Rechtsraum (primär West-Europa und USA/Kanada) läßt sich den Erklärungen von ECE und OECD (sowie Europarat) entnehmen, 4 0 Vgl. die einschränkende Formulierung in A i t 8 para. 2 der Kairo-Resolution: "States shall, where appropriate, conclude agreements in order to: coordinate ...", während es in Art. 8 para. 1 heißt: "In carrying out their duty to co-operate, States shall : regularly inform ..., notify ... and consult". Die Formulierung in Art V I I der Athen-Resolution ist möglicherweise noch etwas "softer": "States shall, as far as practicable , especially through agreements, resort to the following ways of co-operation ..." (Hervorhebungen hinzugefugt). Vgl. auch die "should"-Formulierung in Art 7 der "ILA Rules on Water Pollution in an International Drainage Basin"; zitiert oben in Fußn. 48 zu Kapitel Π 2 c . 4 1 Vgl. die Weltcharta-Prinzipien 11, 19 und 12 (Kontrollen, Monitoring, keine unkontrollierten Ableitungen); Art 3 der Montreal-Rules, Art 7 der "ILA Rules ..."(1982), Art Π Ι der Athen-Resolution und Art 3 para. 1 der Kairo-Resolution, sowie insbesondere Prinzip 2 ("Basisverpflichtung") der UNEP-Montreal-Guidelines, zitiert oben im Text zu Kapitel Π 2 b nach Fußn. 106 . Vgl.auch die 1990 verabschiedeten Art 20 und 21 para. 2 des ILC-Entwurfs zu internationalen Flußläufen (Pflicht zum Schutz und Erhalt der Ökosysteme des Rußlaufs und zur Verhinderung, Reduktion und Kontrolle bei drohenden erheblichen Schäden). 4 2 Vgl. die Nachweise oben zu den aus den UNEP-guidelines deduzierten gewohnheitsrechtlichen Pflichten 1 bis 3 ; zur Notwendigkeit schwarzer Listen oder zumindest der Pflicht zur Konsultation über solche Listen vgl. auch Art 4 Montreal-Rules, Art 2 der "ILA Rules ..." (1982), A r t 3 para. 2a der Kairo-Resolution und den 1991 verabschiedeten Art. 21 para. 3 des ILC-Entwurfs zu Flußläufen (nur Pflicht zu Konsultation über solche Listen).

252

Π.3 Resümee zu Kapitel Π

daß hier diese Bestandteile des Umweltmanagements bereits als Pflicht angesehen werden. Weltweit werden immer wieder auch folgende zusätzlichen Elemente des Umweltmanagements genannt: Meß-, Berichts-, Dokumentations-, Register- und Überwachungspflichten, die Einrichtung von Überwachungsbehörden mit trainiertem Personal und erforderlichem Gerät, die Überprüfung potentiell gefährlicher Anlagen sowie ein gemeinsames Überwachungs- und Datenmanagement (auf der Basis kompatibler Prozeduren und Methoden). 5.

Die Frage, inwieweit das moderne Umweltvölkerrecht medien- und generationsübergreifend konzipiert ist, läßt sich wieder schwerer berantworten. Relativ früh finden sich Anhaltspunkte für medienübergreifende Ansätze, vor allem in dem von der ILA entwickelten "drainage basin"-Konzept, das eine medienübergreifende Bewirtschaftung des gesamten Wassereinzugsgebiets erlaubt, dem sich das IDI, aber möglicherweise nicht die ILC angeschlossen hat Während sich im europäischen Rechtsraum schon sehr früh eine eindeutige Anerkennung medienübergreifender Konzepte findet 43, geschah dies weltweit erst relativ spät (etwa ab 1985/87) zugleich mit der Anerkennung des Verbots der medialen und lokalen Belastungsverschiebung44. Die Anerkennung der Querschnittsfunktion erfolgte ebenfalls erst 198745, wozu die vorher entwickelten Ansätze des "ecodevelopment" wichtige Hilfe geleistet hatten. Erste Anhaltspunkte eines generationsübergreifenden bzw. eines Nachwelt-Ansatzes finden sich bereits in den Prinzipien 1 und 2 der Stockholmer Deklaration. In zwei weiteren UN-Resolutionen der Jahre 1974 und 198146 werden diese Formulierungen wiederholt Die Weltcharta selber benutzt eine solche Formulierung nur in ihrer Präambel, wenngleich das Abstellen auf optimale Dau^rproduktivität und andere langfristige Perspektiven diesen Nachwelt-Ansatz zu implizieren scheinen. Hohe Bedeutung enthält weltweit der Nachwelt-Ansatz dann wieder seit den Berichten "Our Common Future" und "Environmental Perspective", weil seither

4 3 Zu nennen sind etwa die Europäische Wassercharta (1968) und weitere Europarats-Erklärungen sowie fast sämtliche Erklärungen der ECE. Allein bei der EG dürfte die Anerkennung dieses Grundsatzes erst 1987 erfolgt sein. 4 4 Vgl. Prinzip 6 der Montreal-Guidelines und Prinzip 6 der Cairo-Guidelines. Für das europäische Gewohnheitsrecht ist vor allem auf die OECD-Deklaration der Umweltminister über UmweltRessourcen für die Zukunft (1985) zu verweisen.

Durch den Bericht "Our Common Future" und "Environmental Perspective"; siehe Text nach Fußn. 177 zu Kapitel Π 2 b . ^ In Art 30 der Charter of Economic Rights and Duties of States und in der Resolution No. 36/7 vom 27.10.1981 "Historie Responsibilty of States for the Preservation of Nature for Present and Future Generations". Zur historischen Entwicklung vgl. Experts Group/Munro/Lammers Environmental Protection and Sustainable Development, S. 42-45.

b) Zwischenergebnis zu Kapitel Π

253

sämtliche UN-Erklärungen die Umweltpolitik auf das "sustainable use"Prinzip verpflichten, was jüngst in den ausdrücklich am Nachweltschutz orientierten Klima-Erklärungen besonders deutlich wurde. Es dürfte daher zumindest seit 1987 dem geltenden Recht entsprechen, wenn es in Artikel 2 des Entwurfs der WŒD-Expertengruppe heißt47: "States shall ensure that the environment and natural resources are conserved and used for the benefit of present and future generations". Der Nachwelt-Ansatz ist regional in den Erklärungen der ECE und des Europarates schon sehr viel früher anerkannt worden. Allerdings hat der Nachweltansatz, der an und für sich zur Festlegung auf das Prinzip der optimalen Dauerproduktivität verpflichtet, bisher weltweit noch nicht zur zwingenden Fesüegung auf dieses Prinzip verpflichten können, weil bisher das Weltcharta-Prinzip 4 als einziges zur "optimum sustainable productivity" verpflichtet und ansonsten eher das "maximum sustainable yield" verlangt wird. Demnach gibt es zwar eine Pflicht zum Erhalt der maximalen biologischen Vielfalt durch Sicherung des Überlebens und Erhalts aller Spezies der Fauna und Flora in ihren Lebensgebieten; aber es gibt noch keine weltweite Festlegung auf das Prinzip der optimalen Dauerproduktivität beim Nutzen natürlicher Ressourcen und Ökosysteme48, wenngleich dieses durch die Anerkennung des Nachwelt-Ansatzes unmittelbar vor der Etablierung stehen dürfte. Allein im europäischen Gewohnheitsrecht könnte seit der OECD-Erklärung von 1985 "Umweltressourcen für die Zukunft" dieses Prinzip schon verankert sein. Sehr dürftig sind die Erklärungen zur menschenrechtsgleichen Absicherung eines Rechts auf angemessene Umweltbedingungen. Auch hier beginnt die Entwicklung mit dem Prinzip 1 der Stockholmer Deklaration. Eine gewisse Aufnahme dieses Prinzipsfindet sich allenfalls noch in den Art. 11 und 12 des Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Recht auf angemessenen Lebensstandard und der ständigen Verbesserung der Lebensbedingungen), der aber allein für die Vertragsstaaten gilt. Regional wird das Recht auf angemessene Umweltbedingungen in der 4 7 Experts Group/Munro/Lammers, S. 42. Daß diese Feststellung nicht ganz unumstritten sein dürfte, zeigt sich an der Kontroverse zwischen d'Amato AJIL 1990, S. 190 ff einerseits, der davon ausgeht, daß es sich eher um ein moralisches Postulat oder allenfals um ein sich noch entwickelndes Recht handelt, und Brown Weiss sowie Gündling AJIL 1990, S. 198 ff bzw. S. 207 ff andererseits (bereits verankertes Recht). 4 8 Vgl. den vorgeschlagenen Art. 3 von Experts Group/ Munro/Lammers, S. 45: "States shall: (b) maintain maximum biological diversity by ensuring the survival and promoting the conservation in their natural habitat of all species of fauna and flora, in particular those which are rare, endemic or endangered; (c) observe, in the exploitation of living natural resources and ecosystems, the principle of optimum sustainable yield ' cHervorhebung hinzugefügte Auch die Experts Group , S. 53, ging offensichtlich davon aus, daß die Festlegung auf das "optimum sustainable yield" erst in der Entwicklung begriffen ist.

254

Π.3 Resümee zu Kapitel Π

African Charter on Human and Peoples's Rights und national in mehreren Verfassungen 49 verbürgt. Schließlich findet sich in der Erklärung von Den Haag (1989) eine Aneikennung dieses Rechts, wobei allerdings der rechtliche Stellenwert dieser Eiklärung schwer zu erfassen ist. Das IDI schien ebenfalls von einem solchen Recht auszugehen, hat aber in der Athen-Resolution nur ein Recht des Indiviuums gegen seinen eigenen Staat auf Beseitigung erheblicher Verschmutzungen als Recht formuliert Demnach dürfte allein das Recht auf Beseitigung erheblicher Verschmutzungen anerkannt sein, während sich das "Recht auf angemessene Umweltbedingungen" noch in der Entwicklung befindet, aber angesichts der jüngsten Erklärungen sowie der Aufnahmen in Verfassungen, sofern sich dieser Trend fortsetzt, möglicherweise kurz vor der Etablierung steht50. Der von der WCED-Arbeitsgruppe vorgeschlagene Art. 1 "All human beings have the fundamental right to an environment adequate for their health and well-being" wird ausdrücklich noch nicht als geltendes Recht bezeichnet51. 6.

Eindeutig fällt die Antwort darauf aus, ob die regional-solidarische Kooperation oder zuweilen das globale Umweltmanagement an die Ste des rein nationalen Managements getreten ist. Der Anfang dieser Internationalisierungs-Pflicht läßt sich mit den Stockholmer Prinzipien 24 (internationale Zusammenarbeit im Geiste der Kooperation) und 25 (koordinierende Rolle internationaler Organisationen) und mit der "Shared

4 9 Zuletzt etwa in der Brasilianischen Verfassung vom 5.10.1988 (zitiert nach: Paul Brasilianische Verfassung, S. 186), deren A i t 225 lautet: "Jeder hat das Recht auf eine ökologisch intakte Umwelt, Gemeingut des Volkes und wesentlich für die gesunde Lebensqualität Sie für die gegenwärtigen und künftigen Generationen zu schützen und zu «halten, ist Verpflichtung der öffentlichen Gewalt und der Gemeinschaft". Hinweise auf andere Verfassungen mit einer solchen menschenrechtlichen Absicherang bei Experts Group!MunrolLammers, S. 42. Dort wird auch darauf hingewiesen, daß die Versuche des Europarates in den 1970iger Jahren, dieses Recht in ein Zusatzprotokoll zur EMRK oder zur Europäischen Sozialcharta aufzunehmen, scheiterten. 5 0 Allerdings dürften nach wie vor Schwierigkeiten bei der präzisen Bestimmung seines Inhalts bestehen; vgl. die Diskussion des I D I zum verabschiedeten Art I X der Athen-Resolution und die hierzu vorgelegten weitergehenden Entwürfe ("fundamentale Ansprüche der Menschen" bzw. "Grundbedürfhisse der Menschen"), zitiert oben im Text zu Fußn. 118 zu Kapitel Π 2 c . 5 1

Experts Group!MunrolLammers, S. 42 (Wortlaut des Art. 1 auf S. 38) sprechen dabei fälschlich davon, daß es sich bei diesem "fundamental human right" um ein "Ideal" handele, das noch realisiert werden müsse . Die Formulierung "Ideal" gibt zu der Mißdeutung Ani aß, daß es sich möglicherweise nur um eine moralische Bezugsgröße, einen moralischen Imperativ handelt (vgl. Partsch V N 1989, 187 zur deutschen Übersetzung der Allgemeinen Menschenrechtserklärung), während es sich tatsächlich um ein in der Entwicklung befindliches Rechtskonzept handelt (Partsch schlägt hierfür die Verwendung des Begriffs "Standard" vor).

b) Zwischenergebnis zu Kapitel Π

255

Resources"-Deklaration, die diesen Auftrag bestätigte52 und umfassend präzisierte, kennzeichnen. Es begann damit, daß aus dem Stockholmer Prinzip 21 die zwingende Pflicht zu regelmäßigen Informationen und vorherigen Notifikationen und Konsultationen (zumindest im notwendigen Umfang) gefolgert wurde53. Diese Pflicht ist unverzichtbar zur Realisierung des Verbots der Schadenszufügung für die Umwelt in anderen Staaten und in staatsfreien Räumen und der entsprechenden ökologischen Schutzpflicht; man könnte auch sagen, daß es sich um einen Fall "juristischer Unausweichlichkeit" in dem Sinne handelt, daß sie von diesen Pflichten und von den Notwendigkeiten des internationalen Systems diktiert wird 54. Diese prozedurale Kooperationspflicht ist inzwischen so sehr abgesichert55 und so unverzichtbar für das moderne Umweltvölkerrecht, daß sie gemeinsam mit der Basisverpflichtung des Stockholmer Prinzips 21 möglicherweise als zum jus cogens gehörig gerechnet werden muß56. Die früher übliche Betonung, daß diese

5 2 Eine weitere Bestätigung findet sich in Prinzip 21 der Weltchaita sowie in den UNEP-guidelines, den ILA-, IDI- und ELC-Texten sowie den regionalen Texten von Europarat, OECD und ECE. 5 3 Vgl. die Nachweise in Fußn. 5 zu diesem Kapitel. Z.T. wird allerdings angenommen, daß Notifikations- und Konsultationspflichten allein im Rahmen der regionalen Kooperation der AnrainerStaaten eines gemeinsamen Natuiressource (einer "shared resource") im Zusammenhang mit der fairen Nutzungsaufteilung nachzuweisen sind; vgl. Bourne CanYTL 1972, S. 218 ff und ihm folgend Rauschning Festschr. Schlochauer 1981, S. 574. 5 4 Vgl. Parian Boston Univ. Int. Law J.6 (1988) 2, S. 73 f. Der Ausdnick "juristic inevitability" wurde von Dänemark und den Niederlanden als Argument im North Sea Continental Shelf Cases ICJ Rep. 1969, S. 4, para. 37, vorgebracht (und nur im konkreten Fall vom Gericht abgelehnt, para. 47). 5 5 Zusätzlich zu den Erklärungen (das I D I bereits seit der Salzburg-Resolution, die ILA möglicherweise erst seit 1982, die U N O dagegen wohl schon seit Resolutionen der Jahre 1973-74 ) wird die Pflicht in zahlreichen Abkommen verankert; vgl. die Nachweise bei Partan. 5 6

So Brunnée ZaöRV 1989, 806 und dies. Diss. Mainz, S. 132, die das Verbot ernsthafter Verschmutzungen zum jus cogens rechnet und auch die Pflicht zu Informationen (fälschlicherweise unter AusWendung der Pflicht zu Notifikationen und Konsultationen) wegen ihrer indirekten Verknüpfung zum Auftreten emsthafter Verschmutzungen und wegen der Unverzichtbarkeit für das Zusammenleben der Staatengemeinschaft hierzu rechnet Nach Art. 53 Satz 2 der Wiener Vertragskonvention muß es sich um eine Norm handeln, "die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann". Die aufgezeigte "juristische Unausweichlichkeit" (dies gilt auch für frühzeitige Notifikationen und Konsultationen, ohne die die Realisierung des Verbots erheblicher Umweltschädigungen illusorisch bliebe) und die inzwischen erreichte hohe Absicherung dieser Pflicht sprechen dafür, daß nunmehr die Voraussetzungen des Art. 53 Satz 2 dieser Pflicht erfüllt sind; kritisch hierzu: Kadelbach Zwingende Normen des Völkerrechts, Diss. Frankfurt i.E.

256

Π.3 Resümee zu Kapitel Π

Zusammenarbeit allein für die regionale Kooperation der Anrainer eines hydrographischen Beckens gelte57, können spätenstens seit der Kairo-Resolution des IDI nicht mehr aufrechterhalten werden, weil dort ausdrücklich bestätigt wird, daß die Zusammenarbeit nicht allein auf Nachbarschaft oder auf regionale Nähe begrenzt ist: an die Stelle der regionalen Nähe tritt die weiträumige Betroffenheit 58. Auch die WCEDExpertengruppe formulierte ihre Zusammenarbeitspflicht unabhängig von regionaler Nähe (oder der Anrainerschaft eines hydrographischen Beckens)59. Über den genauen Inhalt der Zusammenarbeitspflicht und über seine Elemente gibt es zwar keine völlige Einigkeit aber einen weitgehenden Konsens. Angesichts der Weiterentwicklung des Verbots der Schadenszufügung zur Pflicht zum Schutz und Erhalt der Natur in anderen Staaten und in staatsfreien Räumen60 bezieht sich die Zusammenarbeitspflicht primär auf die Verhütung, Bekämpfung und Kontrolle von Umweltschäden sowie auf den optimalen Gebrauch der Ressource61. Immer wieder werden als verpflichtende Elemente des Umweltmanagements genannt: wissenschaftliche Kooperationen, Errichtung regionaler Kommissionen, Standard-setting (Etablierung von Qualitäts- und/oder Emissionsstandards) sowie koordinierte Netzwerke für Daten-Austausch und Umweltmonitoring62, die aber - wie gezeigt aufgrund der untersuchten Erklärungen derzeit weltweit (im Gegensatz

5 7

Vgl. die Nachweise in Fußn. 53 zu diesem Kapitel.

5 8

Gleiches läßt sich bereits den Montreal Rules und den Paris Draft-Rules (1984) der ILA entnehmen. 5 9 Vgl. Experts Group/Munro/Lammers, S. 90 f, die für die Zusammenaibeitspflicht auch auf zahlreiche Umweltabkommen zuriickgriff. Der vorgeschlagene Ait. 14 lautet: "1. States shall co-operate in good faith with the other States concerned in maintaining or attaining for each of them a reasonable and equitable use of a transboundary environmental interference or significant risk thereof. 2. The co-operation shall, as much as possible, be aimed at arriving at an optimal use of the transboundary natural resource or at maximizing the effectiveness of measures to prevent or abate a transboundary intereference." 6 0 Seit Shared Resources-Prinzip 3 Abs. 3 und Weltchaita-Prinzip 21 e; vgl. dazu auch Β. Smith , State Responibility and the Marine Environment, S. 72 ff. 6 1 Vgl. Art 14 para. 2 des Entwurfs der WCED-Expertengnippe, zitiert in Fußn. 57 zu diesem Kapitel.- Regional für Europa gelten folgende Ziele des Gewässermanagements: Schutz der Wasserressourcen gegen Verschmutzung und exzessiven Gebrauch, Erhalt der Wasserumwelt und ihrer Ökosysteme, Schutz und Verbesserung des Wasserkreislaufs und Sicherstellung einer quantitativ und qualitativ ausreichenden Wasserversorgung einschließlich langfristiger Bedürfnisse; vgl. OECD-Ree. C (78) 4. 6 2 So auch Art. 18 des Entwurfs der WCED-Expertengruppe (zitiert bei Experts Group/Munro/Lammers, S. 108), der diese Pflicht aus Abkommen ableitet, während die Expertengruppe aus den Erklärungen nur Empfehlungen abzuleiten scheint.

b) Zwischenergebnis zu Kapitel Π

257

zum westeuropäisch/nordamerikanischen Raum) als noch nicht etablierte Rechtspflichten gelten können, wobei die Etablierung in naher Zukunft bevorstehen dürfte. Ob es bei diesem Zwischenergebnis bleibt, ist nach der Analyse der Umweltabkommen zu überprüfen. Hingegen ist das gemeinsame Notfall-Regime (prompte Warn-, Informations- und Kooperationspflichten zur Verhütung/Bekämpfung sowie die Pflicht zu Notfallplänen) 63 umfassend anerkannt64. Als Modelle gelten für die bilaterale Ebene die gemeinsame Verantwortung von Import- und Exportstaat, für die regionale Ebene die gemeinsame regionale Verantwortung für die "shared resource" und für die globale Ebene die gemeinsame globale Verantwortung für das "common concern of mankind". Das "common concern of mankind"-Konzept wird auf Dauer den Übergang von Einstimmigkeits- zu Mehrheitsentscheidungen erfordern, wie es bereits in der Erklärung von Den Haag angedeutet ist; auch dies bestätigt den weitreichenden Abbau der traditionellen Souveränität 7.

Die Fragen zu Diskriminierungsverbot, Einbezug der Bevölkerung in P nungen und Klagerechte sind relativ leicht zu beantworten. Eindeutig fällt die Antwort für den "europäischen Rechtsraum" (primär West-Europa und USA/Kanada) aus: Den Erklärungen von OECD und Europarat läßt sich entnehmen, daß das Diskriminierungsverbot, das gleiche Recht auf Planungsbeteiligung und auf rechtliches Gehör und die Pflicht zur Zusammenarbeit in Grenzregionen (einschließlich der frühzeitigen grenzüberschreitenden Beteiligung der betroffenen Bevölkerung an der Planung) zu den wesentlichen Prinzipien des regionalen Gewohnheitsrechts gehören. Neuerdings scheint sich im europäischen Gewohnheitsrecht ein Recht der betroffenen Bevölkerung auf Einbezug in Notfallplanungen bei gefährlichen Anlagen zu etablieren65. Auf weltweitem Niveau sind inzwischen (seit etwa 1987) das Diskriminierungsverbot sowie die Pflicht zur Einräumung des weitestmöglichen Zugangs des grenzüberschreitenden Betroffe-

6 3

Vgl. dazu auch Art. 19 des Entwurfs der WŒD-Arbeitsgruppe, zitiert bei Experts Group/Munro/Lammers, S.l 16. 6 4 Vgl. Shared Resources-Prinzip 9 , Offshore-Prinzipien 7 b und 21, Montreal-Prinzip 14 und Cairo-Prinzipien 22 und 23; Art. 7 der ILA-Montreal Rules, Art. 5 c der I L A Rules on Water Pollution in an International Drainage Basin", Art 9 der Kairo-Resolution und den 1990 verabschiedeten Art 27 des ILC-Entwurfs. 6 5 Vgl. die oben im Text zu Fußn. 144 im Kapitel Π 2 d zitierte OECD-Empfehlung von 1988.

17 Hohmann

258

Π.3 Resümee zu Kapitel Π

nenkreises zu Gerichts- und Verwaltungsprozeduren des Verursacherstaates ebenfalls anerkannt66. Leichte Unsicherheiten gibt es bei der Frage, inwieweit eine Pflicht zum Technologietransfer besteht. Während oben den UNEP-guidelines seit 1987 eine vage Pflicht zur Förderung des Forschungs- und Technologietransfers zu den Entwicklungsländern entnommen wurde, behandelt Art 13 der Kairo-Resolution den Forschungs- und Technologietransfer zu Entwicklungsländern noch als ein in der Entwicklung befindliches Konzept67. Es handelt sich demnach entweder um ein unmittelbar vor der Etablierung stehendes Konzept oder schon um eine bereits etablierte Rechtspflicht, die vermutlich den Inhalt des An. 7 para. 2 des Entwurfs der WCED-Expertengruppe68 annehmen wird. Nicht nur die aktuelle ILADiskussion über die volkswirtschaftliche Tragbarkeit der Verhütungstechnologie69 und die daraus resultierende technologische Vorzugsbehandlung

6 6 Zu den UNEP-Nachweisen siehe oben Kapitel Π 2 b ee) , Deduktion 5 aus den UNEP-guidelines. Daß es 1982 noch um in der Entwicklung befindliche Prinzipien ging, läßt sich Ait. 8 der "ILA Rules on Water Pollution in an International Drainage Basin" entnehmen ("Sûtes should provide remedies ... In particular, States should , on a non-discriminatory basis, grant these persons access to the judicial and administrative agencies ..."), während Art 8 para. 3 der Kairo-Resolution 1987 von einer Pflicht zur Entwicklung solcher Verwaltungs- und Rechtsschutzmöglichkeiten auf nicht-diskriminierender Basis spricht Vgl. zum Diskriminierung s verbot auch den Ait. 13 des Entwurfs der WCED-Expertengruppe (in: Experts Group/Munro/Lammers, S. 88 f), die dabei falschlich davon ausgeht, daß es sich noch um ein "emerging principle of international law" handele und zum gleichen Recht auf Verwaltungs- und Rechts-Gehör den A i t 6 und A i t 20 des Entwurfs (ebda., S. 63 und S. 119 f), bei dem die WCED-Aibeitsgrappe von einer bereits etablierten Pflicht auszugehen scheint, wobei sie von einem "faiily novel principle" spricht 6 7

A i t 13 der Kairo-Resolution lautet: "Developed States and competent international organizations should provide developing States with appropriate technical or other assistance, in order to assist them in fulfilling the obligations and in implementing the recommendations referred to in this Resolution." Vgl. dazu auch Art 13 para. 2 der Charter of Economic Rights and Duties of States: "All States should promote international scientific and technological co-operation and the transfer of technology, with proper regard..." (vgl. Fußn. 163 zu Kapitel Π 2 b, ). Die WCED-Expertengruppe scheint hingegen eher von einer Pflicht auszugehen, die sie scheinbar allein aus A i t 202 der UN-Seerechtskonvention abzuleitet, wenn sie im Ait. 7 para. 2 ihres Entwurfes (zit bei Experts Group/Munro/Lammers , S. 65) formuliert: "States shall make available to other States, and especially to developing countries, upon their request and under agreed terms scientific and technical information and expertise, results of research programmes, training opportunities and specialized equipment and facilities which are needed by such other States to promote rational use of natural resources and the environment or to prevent or abate interference with natural resources or the environment, in particular in cases of environmental emergencies". 6 8 6 9

Zitiert in der vorigen Fußn.

Vgl. Lammers, Warschau Report, in: Report of the 63rd Conference 1988, S. 258 ff. paras. 104 ff (zitiert im Text nach Fußn. 73 zu Kapitel Π 2 c ).

b) Zwischenergebnis zu Kapitel Π

259

der Entwicklungsländer sondern vor allem auch die Erklärung des Weltklimas zum "common concern of mankind" müssen angesichts der daraus resultierenden Pflicht zum global-solidarischen Vorgehen der Weltgemeinschaft zwangsläufig eine Pflicht zum entsprechenden Technologietransfer anerkennen. Die Erklärung von Den Haag, die "Ottawa Agreed Principles" und die Bergen-Erklärung gehen übereinstimmend genau in diese Richtung und scheinen bereits eine Pflicht zum Technologietransfer anzueikennen. Die Pflicht, generell die Erhaltung natürlicher Ressourcen und der Umwelt als integralen Aspekt der Planung und Implementation von EntwicklungsAktivitäten zu behandeln, und insbesondere ökologische Überlegungen in allen Entwicklungshilfe-Programmen zu integrieren, ist auf jeden Fall anerkannt70; die OECD-Empfehlungen zur UVP von Entwicklungshilfeprojekten bestätigen dies nachdrücklich. 8.

Relativ schwierig zu beantworten ist die Frage der Verbindlichkeit von umfassenden Fach- und Regionalplanungen, der t/VT, von Emissionsno men und der besten verfügbaren Technologie. Weltweit ist die Verbindlichkeit hierzu - aufgrund der untersuchten Erklärungen - relativ vage: Zu den Emissionsnormen werden Qualitätsnormen als gleichberechtigte Alternativen genannt71. Der Technologiestandard ist - angesichts der regionalen Relativität des Technologiestandards - relativ niedrig und liegt selbst beim UNEP-Standard "best available technology" eher unter (bzw. an) der Grenze des deutschen Standards "allgemein anerkannte Regeln der Technik", weil selbst traditionellste Techniken den Standard "best available technology" erfüllen könnten72. Sofern man zusätzlich die Paris Draft-Rules (1984) der ILA berücksichtigt, wäre einer-

7 0 Vgl. insbesondere Stockholm-Prinzipien 11, 13 und 14; Art 30 der Charter of Economic Rights and Duties of States; die International Development Strategy for the Third U N Development Decade, die Nairobi-Deklaration und Weltcharta-Prinzipien 7 und 8. Vgl. auch Art 7 para. 1 des Entwurfs der WCED-Expertengnippe (zitiert bei Experts Group/ Munr ο/ Lammers, S. 65): "States shall ensure that the conservation of natural resources and the environment is treated as an integral part of the planning and implementation of development activities. Particular attention shall be paid to environmental problems arising in developing countries and to the need to incorporate environmental considerations in all development assistance programmes". 7 1 Auch im Art 4 (a) des Entwurfs der WCED-Expertengnippe (vgl. Experts Group, S. 54) werden Qualitäts- und Emissions-Standards gleichberechtigt bezeichnet, zusammen mit Technologie- und Produktions-Standards. 7 2 Denn wegen der regionalen Relativität des Technologie-Standards (siehe oben Text zu Fußn. 16 zu Kapitel Π 2 d, ) kann von Entwicklungsländern kein Nachfragen auf dem Weltmarkt oder auf dem regionalen Markt verlangt werden; demnach könnten sogar Industriestaaten gegenüber dem UNEP-Standard (im Gegensatz zum gleichlautenden ECE- oder OECD-Standard) "best available technology" geltend machen, daß sie aus Gründen der Gleichbehandlung ebenfalls nicht auf dem Welt- oder Regionalmarkt die fortschrittlichste Technologie einkaufen müssen. Je stärker sich eine Pflicht zur technologischen Vorzugsbehandlung der Entwicklungsländer ausprägt, umso eher ist den Industriestaaten ein Berufen auf diese Gleichbehandlung im Rahmen des UNEP-Standards verwehrt; für den gleichlautenden regionalen Standard scheidet diese Argumentation von vorneherein aus.

260

Π.3 Resümee zu Kapitel Π

seits der Technologie-Standard höher, weil er u.a. dem potentiellen Ausmaß des Schadens entsprechen soll, aber andererseits ist er von der betriebs- und volkswirtschaftlichen Tragbarkeit abhängig, was zu Umgehungsmöglichkeiten einlädt Die Planungspflichten bleiben weltweit nach wie vor vage; auf jeden Fall ist eine allgemeine Umweltplanung, eine Regional·, Siedlungs-, Entsorgungs- und Schutzgebietsplanung erforderlich; auch die Notwendigkeit einer spezifischen Küsten- (und Wassereinzugsgebiet-) planung wird man annehmen müssen73. Es fehlen jedoch weitere Vorgaben, so daß eine irgendwie geartete Planung ausreicht Für die UVP, die in den UNEP-guidelines seit 1982/87 zur Pflicht geworden ist und die ansonsten scheinbar immer wieder konkludent vorausgesetzt wird 74 , sind die Anforderungen an die Elemente der UVP im Laufe der Zeit immer umfassender geworden. Während unklar gewesen wäre, welche Prozeduren mit der im Weltcharta-Prinzip 11c genannten Umweltbewertung gemeint sind und ob diese Umweltbewertung demnach überhaupt zu einer eventuell erforderlichen ökologischen Korrektur eines Projektes beiträgt, bestehen diese Bedenken seit dem Verdichten der formellen UVP-Anforderungen 1985/87 kaum noch. Auf jeden Fall wird die UVP den Anforderungen des Offshore-Prinzips 8, wenn nicht sogar den höheren Anforderungen des EIA-Prinzips 4 entsprechen müssen75. Angesichts der etwas dürftigen Basis wird man zu der Schlußfolgerung kommen müssen, daß die UVP, die von herausragender Bedeutung für die Verhinderung erheblicher Umweltschäden ist, entweder eine noch nicht etablierte, aber unmittelbar vor der Etablierung stehende Rechtspflicht ist 76 oder daß sie bereits eine etablierte 7 3 Vgl. die Nachweise zur Deduktion 2 aus den UNEP-guidelines, ; zu Küstenplanungen bzw. zum Küstenzonenmanagement sowie zum "drainage basin planning" vgl. die Montreal-guidelines Annex I Nr. 1.3.2.1 und 1.3.2.2 und den 1991 verabschiedeten A i t 23 des ILC-Entwuifs: "Watercourse States shall, individually or jointly, take all measures with respect to an international watercourse that are necessary to protect and preserve the marine environment, including estuaries, taking into account genereally accepted international rules and standards". 7 4 Am deutlichsten durch umfassende Notifikations-Erfordernisse (entsprechend dem Verfahren der EIA-Principles), die dem potentiell betroffenen Staat eine umfassende Bewertung des Projektes erlauben (und damit auch für den planenden Staat eine UVP vorauszusetzen scheinen), vgl. etwa die "ILA Complimentary Rules Applicable to International Water Resources" (1986) sowie die verabschiedeten Artikel des ILC-Entwurfs zu Flußläufen; zu den UNEP-Nachweisen siehe oben Deduktion 2 auf S. 104 f. Vgl. auch Art 5 des Entwurfs der WCED-Expertengruppe (Experts Group , S. 58): "States planning to carry out or permit activities which may significantly affect a natural resource or the environment shall make or rquire an assessment of their effects before carrying out or permitting the planned activities". 7 5

Vgl. im Kapitel Π 2 b Fußn. 134 und den Text zu Fußn. 102 .

Nach Experts Group/ M unr ο/ Lammers, S. 62, handelt es sich um ein "emerging principle of international law"; vgl. auch Bothe/Gündling Neuere Tendenzen des UmwR im int Vergleich, S.

182.

b) Zwischenergebnis zu Kapitel Π

261

gewohnheitsrechtliche Verpflichtung ist Für letzteres Ergebnis spricht auch, daß sie nach heutiger Auffassung ein fast unverzichtbares Mittel zur Realisierung des Stockholmer Prinzips 21 ist 77 und daher voraussichtlich eine ähnliche juristische "Karriere" wie die Informations- und Notifikationspflicht durchlaufen wird. Für den "europäischen" Rechtsraum ergibt sich ein insgesamt etwas höherer Standard: So gehen ECE, OECD und EG inzwischen von der Verpflichtung zur UVP aus, wobei für die inhaltliche Vorgaben entweder auf das EG-Verfahren oder auf das höhere Niveau des ECE-Verfahrens abzustellen ist. Höher als auf Weltebene ist hier der Technologie-Standard: Der ECE- oder OECD-Standard "best available technology" verlangt den Einkauf der möglichst fortschrittlichen Technologie auf dem Welt- oder Regionalmarkt; er ist damit höher als der gleichlautende UNEP-Standard. Allerdings bejahen Europarat und OECD inzwischen die Abhängigkeit des Technologie-Standards von der wirtschaftlichen Tragfähigkeit, was zu Umgehungen dieses Standards einlädt. Der Technologie-Standard der ECE scheint von der wirtschaftlichen Abhängigkeit frei zu sein; auf jeden Fall werden hier modernste Satelliten- und Computertechnologie als verpflichtend für die Verhütungstechnologie bezeichnet. Zumindest zwei der vier Regionalorganisationen (OECD und ECE) - sowie z.T. auch der Europarat - gehen von der Notwendigkeit aus, allein Emissionsnormen zu etablieren; allein die EG geht noch vom Alternativkonzept (Gleichwertigkeit von Emissions- und Qualitätsnormen) aus. Für die Planungen ist das regionale Niveau ebenfalls höher: Erforderlich sind eine sehr langfristige, d.h. auf mindestens 10-15 Jahre angelegte, und medienübergreifende Planung, zu der auf jeden Fall die Raumplanung, die Planung der Landnutzung und Wasserbewirtschaftung, die Stadt-, Landschafts-, Verkehrs- und Entsorgungsplanung, eine spezifische Grenzregionen-Planung und zahlreiche Querschnittsplanungen gehören. 9.

Bezüglich den im Produktionsprozeß einsetzenden Minimierungspflichte (Vermeidungen, Verwertungen und Produktsubstitutionen, sowie die hierzu eingesetzten finanziellen Anreize, Abgaben oder das "funding") ist das globale Umweltvölkerrecht erst am Anfang einer solchen Entwicklung. So gibt es eine allgemeine Minimierungspflicht, die bedeutet, daß neue oder zusätzliche Umweltbelastungen, selbst wenn sie bestimmte Gefährdungswerte nicht erreichen, auf den geringstmöglichen Stand zu begrenzen sind78. Auch die Verpflichtung des IDI zu einem "rational use" bzw. der 7 7 7 8

Vgl. Bothe/Gündling

ebda.

Vgl. Ait. 3 para. 2 der Montreal-Rules, Ait. 1 l i t c der "ILA Rules on Water Pollution in an International Drainage Basin", A i t 3 para. 1 der Paris Draft-Rules der I L A sowie A i t Π Ι para. 1 der Athen-Resolution und Ait. 3 para. 1 der Kairo-Resolution.

262

Π.3 Resümee zu Kapitel Π

ILC zu einem "optimum use" der Gewässer spricht für eine solche Minimierungspflicht und damit für eine Ressourcenschonung. Hinzu kommt das Bekenntnis zum Ursprungsprinzip, nach dem der Abfall verringert oder verwertet werden und der grenzüberschreitende Abfalltransport auf ein Minimum begrenzt werden soll79, sowie das generelle Bekenntnis zum Verschwendungsverbot80. Das "common concern of mankind"-Konzept wird in der nächsten Zukunft die Abkehr vom reinen Verursacher- zum Gemeinlast- und Nutznießerprinzip und damit auch das funding" zugunsten der Entwicklungsländer erlauben. Durch die Errichtung des Multilateralen Fonds der Vertragsparteien des Montreal-Protokolls zugunsten der Entwicklungsländer81 ist ein erster Schritt in diese Richtung getan worden. Für das europäische Gewohnheitsrecht ist hier der Standard höher. So werden etwa durch den "rational use"-Ansatz der ECE Vermeidungs-, Verringerungs- und Verwertungspflichten statuiert und gegenüber den UNEP-guidelines erheblich präzisiert82. Weitgehend Gleiches gilt für den OECD-Ansatz nach 1980/8483. Zu den Konsequenzen dieses Ansatzes gehört einmal das Festlegen auf Produktsubstitutionen und das Energiesparen und zum anderen die entsprechende Steuerung über finanzielle Anreize. Produktsubstitutionen bzw. Produktregelungen werden von OECD und ECE (sowie teilweise auch vom Europarat) verlangt, u.a. wird der Einsatz sauberer Brennstoffe bzw. neuer Verbrennungstechnologien, von Niedrigabfall- und Entschwefelungs-Techniken und von Produktgestaltungen verlangt, die den Anfall von Abfällen, Schadstoffen und Emissionen beträchtlich reduzieren; die verbleibenden Reststoffe sollen als sekundäre Rohstoffe in anderen Produktionsprozessen eingesetzt werden. Finanzielle Anreize, die in den Erklärungen von ECE und OECD verlangt werden, sollen zur Entwicklung von Niedrigabfall-Technologien und zur Wiederverwertung ermutigen. Erst 1989 hat die OECD endgültig das Verursacherprinzip dahingehend modifiziert, daß auch Abgaben, Gebühren oder Steuern sowie Versicherungs- oder Fonds-Lösungen (bzw. andere moderne Haftungskonzeptionen) möglich sind und verpflichtend werden können. Der gleiche Ansatz 7 9

Vgl. Prinzipien 2 und 7 der Cairo-Guidelines.

8 0

Vgl. Weltcharta-Prinzip 10 mit den Folgen: Wiederverwertung, sparsamer Gebrauch, Erhalt des "status quo" und Verpflichtung auf den "sustainable use". 8 1

Vgl. Nachweis in Fußn. 20 zu diesem Kapitel .

8 2

Eine weitere Konsequenz des "rational use"-Ansatzes, der inzwischen vom Wasser auf alle Umweltmedien übertragen wurde, ist, daß alle Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzungen sowie alle anderen Schäden an Flora, Fauna und ihren Wohngebieten zu vermeiden und zu verringern sind, selbst wenn sie nur indirekt von Menschen verursacht worden sind; vgl. Prinzip 3 der "Declaration on Conservation of Bora, Fauna and their Habitats". 8 3 Nach den Berichten "Environment Policies for the 1980s" (1980) und "Environment and Economics" (1984).

b) Zwischenergebnis zu Kapitel Π

263

findet sich in einer Europarats-Empfehlung von 198484. Die ökonomische Rechtfertigung des Umweltschutzes durch die OECD wird in der nächsten Zukunft auch eine Ökonomisierung der Ökologie im Sinne eines modernen Haftungsrechts (einschließlich der Anerkennung des ökologischen Schadens) erlauben. Damit ist das moderne Umweltvölkerrecht - aufgrund der bisher allein untersuchten Erklärungen - weitgehend präventiv und relativ ressourcenschonend. Einerseits kennt es sehr weitgehende Handlungspflichten zur Prävention von Schäden, die inzwischen bereits beim Besorgnispotential ansetzen und auch nicht mehr vom letzten wissenschaftlichen oder sonstigen Kausalnachweis abhängig sind. Aber dennoch führt das fehlende Bekenntnis zu Emissionsnormen zu Zweifeln, ob nicht das Schutzprinzip dominiert Auch die vagen Planungsund Vermeidungspflichten und der niedrige Technologie-Standard sowie das weitgehende Fehlen von finanziellen Anreizen führen zu Abstrichen beim präventiven Charakter. Allein das moderne europäische Umwelt-Gewohnheitsrecht kann uneingeschränkt als präventiv angesehen werden, weil es fast alle diese Mängel (abgesehen von der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Technologie) vermeidet Die Ressourcenschonung ist weltweit nur relativ, weil aus dem inzwischen anerkannten Nachwelt-Ansatz derzeit noch nicht die Verpflichtung auf die optimale Dauerproduktivität geschlußfolgert worden ist; anderes gilt hier scheinbar für das europäische Gewohnheitsrecht Im folgenden Kapitel ΠΙ werden die Umweltabkommen allein im Hinblick auf die oben genannten Prinzipien/Pflichten analysiert, um aufzuzeigen, inwieweit die gewohnheitsrechtlichen Pflichten bestätigt, präzisiert oder etabliert werden. Die Etablierung einer gewohnheitsrechtlichen Regel durch eine Abkommens-Regel wird dann angenommen, wenn Indizien für die Formierung einer opinio iuris sprechen, wenn ein Abkommen diese Regel aufgreift, wenn die Abkommens-Regel generalisierbar ist und wenn sie entweder in einem globalen Abkommen oder in mindestens zwei Regionalabkommen zweier verschiedener Regionen enthalten ist85.

Vgl. die Ree. 977 (1984) der Beratenden Versammlung des Europarates zum sauren Regen (zitiert oben im Text zu Fußn. 71 im Kapitel Π 2 d ). 8 5 Vgl. Fußn. 3 zu Kapitel Π 3 a . Auch das "Restatement (Third) of the Foreign Relations of the US" Part V I (1987), scheint von einer ähnlichen Konzeption auszugehen, denn in seinem § 102 (3) heißt es: "Customary norms are created by international agreements when such agreements are intended for adherence by states generally and are in fact widely accepted".

KapUellII

Analyse der Abkommen zum Schutz der Umweltmedien 1. Abkommen zum Schutz der Gewässer Die Gewässerschutz-Abkommen werden unterteilt in Abkommen zum Schutz der Meeresumwelt (Unterkapitel a) und in Abkommen zum Schutz von internationalen Rüssen/Seen (Unterkapitel b). a) Abkommen zum Meeresumweltschutz

Die Abkommen zum Meeresumweltschutz1 lassen sich in zwei Kategorien einteilen: globale Abkommen und regionale Abkommen. aa) Die globalen Meeresumweltabkommen

Während das OILPOL-Abkommen von 1954 2 allein die Ölverschmutzung erfaßte und das Genfer Übereinkommen von 1958 über die Hohe See3 die Freihe der Nutzungen des hohen Meeres nur durch zwei Artikel zu zwei spezifischen Verschmutzungsquellen (öleinleitungen und das Einbringen von radioaktiven Abfällen) zu beschränken versuchte, widmet die UN-Seerechtskonvention von 1982 4 (im folgenden SRK) zahlreiche Artikel der Verschmutzung der Meeresumwelt und anerkennt damit erstmals in einem Abkommen die allgemeine Pflicht, durch Einsatz aller "best practicable means" und möglichst auch durch Harmonisierung staatlicher Umweltpolitiken Meeresverschmutzungen aus allen * Wegen vollständiger Bezeichnung der Namen der Abkommen (hier werden nur die Kurzbezeichnungen verwendet) sowie der Anzahl von Ratifikationen, der Daten und zusätzlicher Fundorte vgl. die Übersicht von Hohmann V N 1989, 58 f. 2

International Convention for the Prevention of Pollution of the Sea by Oil, UNTS vol. 327, S. 3 / BGBl. 1956 Π S. 379, mit späteren Änderungen (BGBl. 1979 Π S. 62); vgl. hierzu und zu anderen Ôlkonventionen Bothe EPIL 11 (1989), 245 und Steiger/Demel DVB1. 1979, 205 (212 ff). Durch Inkrafttreten des MARPOL-Abkommens wurde das OILPOL gegenüber den MARPOL-Vertragspartnern aufgehoben. 3

BGBl. 1972 Π S. 1089 (und in: Platzöder/Vitzthum Art 24 und 25.

Seerecht, S. 27 ff). Umweltschutzregeln in

4 U N PubLE 83.V.5 sowie in Platzöder/Vitzthum, S. 69 ff, Umweltschutzbestimmungen insbesondere in Teil Χ Π (Art. 192-237). Die SRK ist z.Z. noch nicht inkraftgetreten.

a) Abkommen zum Meeresumweltschutz

265

Quellen zu verhindern, zu reduzieren und zu kontrollieren (Art 194 para .1 SRK). Entsprechend diesem umfassenden Auftrag zum Schutz der Meeresumwelt wird folglich als Basisverpflichtung formuliert: "States have the obligation to protect and preserve the marine environment" ( A i t 192 SRK).

Und der anschließende Art 193 SRK betont zwar noch das souveräne Recht der Staaten auf Abbau der Naturressourcen, welches aber sofort als pflichtenbezogen gekennzeichnet wird, indem es expressis verbis mit der Schutzpflicht verknüpft wird: "States have the sovereign light to exploit their natural resources pursuant to their environmental policies and in accordance with their duty to protect and preserve the marine environment."

In völliger Übereinstimmung mit der im Prinzip 2 der Montreal-Guidelines genannten Basisverpflichtung5 wird der im Stockholmer Prinzip 21 enthaltene Formelkompromiß zugunsten der eindeutigen P/ftcAibezogenheit des Nutzungsrechts aufgelöst, und damit wird durch die Art 192-194 SRK die gewohnheitsrechtlich anerkannte ökologische Schutzpflicht bestätigt. Spätestens seit dem Sinken des öltankers "Torrey Canyon" vor der Südwestküste von England (März 1967) drangen die Probleme der Meeresverschmutzung ins allgemeine Bewußtsein und wurde der Ansatz der Genfer Hohe See-Konvention (insbesondere der traditionelle Ansatz der ausschließlichen Verantwortlichkeit des Flaggenstaates außerhalb des Küstenmeeres) als ungenügend empfunden6. Unmittelbare Folge dieser ölkatastrophe war der Abschluß von Abkommen zur Bekämpfung allein der Ölgefahren, nämlich die Brüsseler Interventions- und die Ölhaftungskonvention (1969)7. Die Brüsseler Interventions-Konvention erlaubt ein Eingreifen der betroffenen Küstenstaaten gegen einen auf hoher See gestrandeten oder kollidierten Tanker unter fremder Flagge, um drohende "schwerwiegende schädliche Auswirkungen" für ihre eigenen Küsten abwehren zu können8. Erfreulicherweise ist damit geklärt, daß was bei der "Torrey Canyon" umstritten war - die Mitgliedstaaten den Tanker etwa bombardieren können, um das austretende Öl sofort zu verbrennen; bei Verstoß gegen Verhältnismäßigkeit und Konsultationspflichten wird eine 5

Zitiert oben im Text nach Fußn. 106 zu Kapitel Π 2 b .

6

Vgl. Boyte AJIL 1985,348.

7

Interventions-Konvention BGBl. 1975 Π, 139 (und EdomJRapschJVeh Reinhaltung des Meeres, S. 241); durch das Londoner Protokoll von 1973 (BGBl. 1985 Π, 593; Edom u.a, S. 253) wurde der Anwendungsbereich auch auf andere gefährliche Stoffe ausgedehnt; inkraftgetreten 1975/83. ölhaftungskonvention BGBl. 1975 Π, 301 (und Schweitzer/Rudolf Friedensvölkerrecht, S. 440) i.d.F. des ProtokoUs vom 19.11.1976 (BGBl. 1980 Π, 724 und Schweitzer/Rudolf, S. 451); inkraftgetreten 1975/81. - Zu anderen ölkonventionen vgl. Bothe (Fußn. 2) und Steiger/Demel (Fußn. 2). 8 Nach Art 221 SRK ist ein Eingreifen betroffener Staaten nicht nur bei "schwerwiegenden schädlichen Auswirkungen", sondern bei jedem tatsächlichen oder drohenden Schaden für ihre Küsten aufgrund eines Schiffsunfalls möglich.

266

. Abkommen zum Schutz der Gewässer

Schadensersatz-Pflicht ausgelöst. Von einem präventiven Ansatz kann aber kaum gesprochen werden; es handelt sich vielmehr um einen reaktiven Ansatz, der erst nach erfolgter ölkatastrophe einsetzt und dann - ohne langwierige Verhandlungen mit dem Flaggenstaat - ein schnelles Eingreifen zur Vermeidung allein der "schwerwiegenden schädlichen Auswirkungen" für die Küstenstaaten sichern soll. Die Brüsseler Ölhaftungskonvention sieht für solche Unglücksfälle mit Öltankern eine Gefährdungshaftung des Schiffseigners, der hierfür eine Versicherung nachweisen muß, vor, eine Haftung, die in bestimmten Fällen ausgeschlossen oder der Höhe nach begrenzt ist Für solche Fälle der Haftungsbegrenzung oder des Haftungsausschlusses sowie der Zahlungsunfähigkeit des Haftenden sieht die FUND-Konvention von 19719, durch die der Internationale Fonds zur Entschädigung von Ölverschmutzungsschäden gegründet wurde, einen Ausgleich des Fonds vor. Der Fonds, der eine Versammlung, ein Sekretariat und ein Exekutiv-Komitee hat, soll auch seine Hilfe zur Beseitigung von Ölverschmutzungsschäden anbieten. Die Mittel des Fonds werden aufgebracht durch Jahresbeiträge, die der Ölhandel für den Erwerb einer bestimmten Menge des auf dem Seeweg transportierten Öls zahlen muß. Es handelt sich um eine moderne Haftungskonzeption, bei der über die Jahresbeiträge der Ölhändler letztlich die Gesamtheit der Ölhändler an die Stelle der Haftung eines einzelnen Schiffseigners tritt Die FUND-Konvention ist bisher das einzige Beispiel eines modernen Haftungs-Fonds im Umweltvölkerrecht geblieben10; es unterstreicht aber die obige Feststellung primär der OECD, daß die moderne Fonds-Lösung keinen Widerspruch zum abgeschwächten Verursacherprinzip darstellt und aus ökologischen Praktikabilitätsgründen zwingend erforderlich ist11. Der Fonds, der in der Vergangenheit häufig auch primär eingetreten ist, um hinterher bei den Schiffseignern Rückgriff zu nehmen12, beseitigt die zahlreichen rechtlichen Zweifelsfragen einer Haftung und bietet dadurch ein effektives HaftungsInstrument. Solange ein solches Haftungsmodell allein für das Verunglücken von Öltankern - aber nicht für Unfälle von Chemikalientankern oder für Unglücke bei der Erdölförderung 13 - gilt, ist allenfalls ein begrenzter präventiver Beitrag dieser Abkommen erwarten. 9 BGBl. 1975 Π, 320 (Burhenne 971:94) idF des Protokolls vom 19.11.1976, BGBl. 1980 Π , 721 (Burhenne 976:87); inkraftgetreten 1978. 1 0

Ein weiterer Fonds ist jetzt für das Montreal-Protokoll errichtet worden; es handelt sich aber um einen 'Technologiefonds", d.h. um einen Fonds, der den Entwicklungsstaaten den Kauf von modemer Verhütungstechnologie erlauben soll. 1 1

Vgl. Bothe/Giindling

Neuere Tendenzen des UmwR im int Vergleich, S. 273 f.

1 2

Vgl. Bothe/Gündling

ebda.

1 3

Vgl. das regionale (für den Nordostatlantik) Offshore-Haftungs-Abkommen vom 1.5.1977, I L M 16 (1977), 1450, das noch nicht inkraftgetreten ist. Vgl. auch den Entwurf einer globalen "Convention on Liability and Compensation in Connexion with the Carriage of Noxious and Hazardous Substances by Sea" von 1984, I L M 23 (1984), 150.

267

a) Abkommen zum Meeresumweltschutz

Zusätzlich zu diesen drei auf das Verunglücken von Öltankern begrenzten Abkommen traten 1972 die Empfehlungen der Stockholmer Umweltkonferenz und geringfügig später die Abkommen zu zwei weiteren begrenzten Verschmutzungsquellen (Einbringen von Abfällen und Einleitungen von Schiffen) hinzu. In Konkretisierung zum Stockholmer Prinzip 7 1 4riefen die Stockholmer Empfehlungen 86-94 die Staaten auf, die Effektivität von Kontrollen bezüglich der schiffahrtsbedingten Einleitungen und des Einbringens von Abfällen sicherzustellen und neue Anstrengungen zu unternehmen, um alle Verschmutzungsquellen, insbesondere die Von-Land-Einleitungen, kontrollieren zu können; hierzu sollte vor allem die Forschung und Überwachung durch nationale Behörden in Kooperation mit internationalen Organisationen gefördert werden. Das Stockholmer Prinzip 7 und die Empfehlungen 86-94 bildeten den maßgeblichen Anstoß für das "Regional Seas Programme" des UNEP, durch das bis heute für acht Regionalmeere Abkommen geschlossen wurden. Durch die International Maritime Organisation (IMO) waren zunächst nur Abkommen zur Schiffs-Sicherheit initiiert worden, die als Sekundär-Effekt immer stärker die Abwehr von unfallbedingten Umweltgefahren anvisierten15, die jedoch kaum als Umweltabkommen bezeichnet werden können. Nach dem Unfall der "Torrey Canyon" gründete die IMO einen Ausschuß für den Schutz der Meeresumwelt und initiierte nach den beiden Brüsseler Konventionen sowie der FUND-Konvention 1972/73 das Londoner Dumping-Abkommen und das MARPOL-Abkommen. Das Londoner Dumping-Abkommen 16 verpflichtet die Vertragsparteien, alle geeigneten Maßnahmen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen zu treffen, aber nur soweit, als diese "die menschliche Gesundheit gefährden, die lebenden Schätze sowie die Tier- und Pflanzenwelt des Meeres schädigen könnten" (Art. I). Es unterscheidet deswegen für das Einbringen ("Verklappen") von Abfällen zwischen Schwarzen und Grauen Listen (also zwischen Einbringungsverboten oder Sondergenehmigungen); alle übrigen Stoffe bedürfen einer vorherigen allgemeinen Erlaubnis (Genehmigungsvorbehalt) (Art. IV). Nur bei den genehmigungfähigen Stoffen ist die Einschränkung des Art. I zu beachten: sofern die dort genannten Gefährdungen nicht vorliegen, kann genehmigt werden. Vor einer Erlaubniserteilung müssen insbesondere Lage und Tiefe des Einbringungsortes, "States shall take all possible steps to prevent pollution of the seas by substances that are liable to create hazards to human health, to harm living resources and marine life, to damage amenities or to interfere with other legitimate uses of the sea". 1 5 Das wichtigste ist das Internationale Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (Londoner SOLAS-Abkommen) von 1974/78, BGBl. 1979 Π, 141 und 1980 Π, 525; inkraftgetreten: 1980/81. Vgl. hierzu Lampe V N 1982, 86 und M. Kilian Umweltschutz durch IO, S. 156 ff. 1 6 BGBl. 1977 Π , 180, idF der Resolutionen von (EdomJRapschJVeh, S. 283 ff); inkraftgetreten 1975/80.

1978/80,

BGBl.

1983 Π,

142

268

Abkommen zum Schutz der Gewässer

Umweltauswirkungen und die Möglichkeit anderweitiger Beseitigung geprüft werden; an allgemeinen Erwägungen werden ökologische und ökonomische Belange, nämlich mögliche Auswirkungen auf die Annehmlichkeiten der Meeresumwelt, auf die Tier- und Pflanzenwelt sowie die Fischerei und auf wirtschaftliche Nutzungen des Meeres aufgeführt (Anlage III). Jedes Verbrennen von Abfällen auf See bedarf nach dem Londoner Abkommen ebenfalls einer vorherigen Sondererlaubnis bzw. allgemeinen Erlaubnis, wobei alternative Entsorgungsformen, Ort und Verbrennungssystem zu prüfen sind (Zusatz zu Anlage I). Das Abkommen verpflichtet weiterhin zu ständigen Überwachungen des Meeres, zu Meldungen über Verstösse, zur Verhütung und Bestrafung von Verstößen, zum Austausch von Informationen und zur Berichterstattung an die IMO, die Sekretariatsfunktionen übernommen hat, über Erlaubnisse etc. (Art. VI-VII). Die Kontrolle der schiffahrtsbedingten Einleitungen17 von öl, Ölrückständen, schädlichen flüssigen Stoffen und Schiffsmüll - und demnächst auch von Schiffsabwässern und verpackten Schadstoffen - hat das MARPOL-Abkommen 18 zum Gegenstand, das streng danach unterscheidet, ob ein sog. Sondergebiet vorliegt oder nicht. Anerkannte Sondergebiete für alle Schadstoffe sind Ostsee und Schwarzes Meer, sowie bezüglich einiger Stoffe Mittelmeer, Rotes Meer und das Gebiet der Golfe 19; eine Erklärung der Nordsee zum Sondergebiet konnte dagegen noch nicht erreicht werden. In diesen Sondergebieten ist (außer in Notfällen) die Beseitigung sämtlichen Schiffsmülls (außer Lebensmittelabfällen), jedes Einleiten von Ölen und ölhaltigen Gemischen sowie jedes Einleiten der besonders schädlichen flüssigen Stoffe der in der Anlage II definierten Gruppen A und Β oder ihrer Reinigungsrückstände verboten; stattdessen müssen diese

1 7

Während der Begriff Einbringen (englisch: dumping) das vorsätzliche Absetzen von Stoffen im Meer zum alleinigen Zweck ihrer Beseitigung beschreibt - ein vom Land auf das Meer übertragenes Problem der Abfallentsorgung -, bezeichnet das Einleiten (englisch: discharge) jedes von einem Schiff aus erfolgende Freisetzen von Schadstoffen unabhängig von seiner Ursache, also jedes Auslaufen, Lecken, Entleeren oder Übeibordwerfen von ö l , Schadstoffen, Müll und Abwässern (mit Ausnahme des "Einbringens": d.h. solange diese nicht zum bloßen Zweck ihrer Beseitigung auf dem Schiff transportiert und ins Meer eingebracht werden); vgl. ArL Π Ι para. 1 des Londoner Abkommens und Art. 2 Nr. 3 MARPOL-Abkommen. Das Freisetzen von Schadstoffen bei der Erforschung/Ausbeutung/Verarbeitung mineralischer Meeresbodenschätze ist somit weder Einbringen noch Einleiten und wird daher weder im M ARPOL- noch im Londoner Dumping-Abkommen geregelt. 1 8 BGBl. 1984 Π , 231 und BT-Drs. 9/805 (= Anlagen I-V), sowie in: EdonURapschlVeh Reinhaltung des Meeres, S. 67-230; obwohl es von 1973/78 stammt, ist es mit der Anlage I erst 1983 inkraftgetreten, Anlage Π erst 1987 und Anlage V erst 1989; die Anlagen Π Ι «cverpackte Schadstoffe> und I V sind z.Z. noch nicht inkraftgetreten. 1 9 Vgl. Regel 10 para. 1 der Anlage I (alle fünf Meere), Regel 1 para. 7 der Anlage Π (nur Ostsee und Schwarzes Meer) und Regel 5 para. 1 der Anlage V (alle fünf Meere). - Die Anlagen Π Ι und I V kennen keine Sonderbehandlung für Sondergebiete.

a) Abkommen zum Meeresumweltschutz

269

Stoffe in die Auffanganlagen in den Häfen eingeleitet werden. Außerhalb dieser Sondergebiete - etwa in der Nordsee - können Schiffsmüll (mit Ausnahme aller Kunststoffgegenstände), öl, ölgemische und schädliche flüssige Stoffe (außer denen der Gruppe A) unter Einhaltung einer Vielzahl von Voraussetzungen20 eingeleitet werden. Hinzu kommen Vorschriften über das Ausstellen von Zeugnissen über die Verhütung von Verschmutzungen (nach Überprüfung einer Vielzahl von Regeln zur Geeignetheit von Öl- und Chemikalientransport sowie zu Bau und Ausrüstung der Schiffe) sowie Regeln über das Beisichführen von öl- und Ladungstagebüchern, in die alle wesentlichen Ladungsvorgänge eingetragen werden müssen und die dadurch Überprüfungen erleichtern. Andere Vertragsstaaten können diese Unterlagen überprüfen und bei Verdacht eines Verstoßes Untersuchungen anstellen. Schließlich verpflichtet das Abkommen zur umfassenden Zusammenarbeit bei der Aufdeckung von Verstößen, zur Bestrafung von Verstößen, zu Meldungen (an die Küstenstaaten und die IMO) über beobachtete Einleitungen, zum Untersuchen von Schiffsunfällen und zum Informationsaustausch (Art. 4-12 des Abkommens). Bemerkenswert ist die vereinfachte Möglichkeit einer Änderung des Abkommens21, wodurch es jederzeit an neue Erfordernisse angepaßt werden kann; dies führt zusammen mit der Detailliertheit des Abkommens dazu, daß es zu den schiffahrtsbedingten Einleitungen kein präziseres Regionalabkommen gibt. Neben der Verpflichtung zum Erlaß entsprechender internationaler, regionaler oder nationaler Regeln enthält die Seerechtskonvention kaum materielles Umweltrecht, so daß sie eher eine Kompetenzverteilung zum Erlaß von materiellem Umweltrecht darstellt: Es wird geregelt, wer entsprechende Normen erlassen und wer sie durchsetzen muß22. Die Diskussionen während der III. Seerechtskonferenz 1974 in Caracas darüber, welcher Staat welche Regeln durchsetzen soll, fühlten nur zu Auseinandersetzungen bezüglich der DurchsetzungsKompetenz zu schiffahrtsbedingten Einleitungen, während im übrigen Konsens

2 0 U.a. sind Mindestentfemungen zum Land, Umfangs- und Konzentrationsgrenzen, Anforderungen an Überwachungsanlagen etc. zu beachten; vgl. Regel 9 para. 1 der Anlage I, Regel 5 der Anlage Π und Regeln 3 und 4 der Anlage V. 2 1 Es reicht die Zweidrittelmehrheit der anwesenden und abstimmenden Vertragsparteien; hinzukommen muß entweder das Fehlen eines Einspruchs oder der Umstand, daß die Handelsflotte der annehmenden Zweidrittelmehrheit mindestens 50 % des Bnittoraumgehalts der Welthandelsflotte ausmacht; vgl. Art 16 des MARPOL-Abkommens. - Beim Londoner Dumping-Abkommen (Art X V ) sind die Änderungen ähnlich leicht; hier können die opponierenden Staaten durch Hinterlegung einer Erklärung die Wiikung der Änderung für sie ausschließen. - Bei den anderen Meeresumwelt-Abkommen ist Einstimmigkeit für die Revision erforderlich; 2/3-Mehrheit reicht nur für die Einberufung der Revisions-Konferenz (vgl. etwa Art 25 des Oslo-Dumping-Abkommens). 2 2

Vgl. Wolfrum

Die Intemationalisiening staatsfreier Räume, S. 632 ff.

270

. Abkommen zum Schutz der Gewässer

herrschte23. Es kann insofern nicht verwundern, daß die SRK-Kompetenzregeln zum Verklappen von Abfällen und zu den Von-Land-Einleitungen dem Regime des Londoner Dumping-Abkommens und dem der Regionalabkommen weitgehend entsprechen, während die SRK-Regeln zu den schiffahrtsbedingten Einleitungen, die immer heftig umstritten waren, etwas anders als das MARPOL-Regime ausgefallen sind24. Denn bei den schiffahrtsbedingten Einleitungen wird durch die SRK eine Dreiteilung der Verantwortungsbereiche zwischen Raggen-, Küsten- und Hafenstaat eingeführt: Zusätzlich zu der stets bestehenden Verantwortung des Flaggenstaates dafür, daß Fahrzeuge unter eigener Flagge immer die entsprechenden Vorschriften befolgen, soll der Hafenstaat primär gegen Verstöße auf der hohen See sowie gegen Schiffe, die nicht mehr seetauglich sind, und der Küstenstaat - im eigenen nationalen Interesseprimär gegen Verstöße im Küstenmeer und in der Wirtschaftszone vorgehen dürfen (Art. 218-220 SRK). Bereits die Kontrollpflichten des Flaggenstaaten werden verstärkt: sie müssen geeignete Maßnahmen treffen, um das Auslaufen der Schiffe zu verhindern, die nicht den anwendbaren Vorschriften entsprechen, und sie müssen sicherstellen, daß die vorgeschriebenen Bescheinigungen an Bord mitgeführt werden (Art. 217 SRK). Küsten- und Hafenstaat25 können neben Untersuchungen und Kontrollen das Schiff an der Weiterfahrt hindern; der Küstenstaat26 kann zusätzlich wegen Verstößen im Küstengewässer (und eingeschränkt in der Wirtschaftszone) 27 Beschlagnahmen und Strafverfahren gegen die Schiffsmannschaft durchführen ("universal port state enforcement jurisdiction")28; Beschränkungen dieser Befugnis ergeben sich aus dem Diskriminierungs- und Verzögerungsverbot sowie aus Notifikations- und möglichen

2 3

Vgl. Kehden V N 1974,139 (142).

2 4

Vgl. Hohmann V N 1989, 57 und Jan Schneider Columbia Journal of Transnat. Law 20 (1981), 254 f. 2 5 Für den Hafenstaat geht es (neben dem Verhindern des Auslaufens seeuntauglicher Schiffe, Ait. 219) um Verstöße in der hohen See (Art 218 SRK), während der Küstenstaat als "Wächter" des Küstenmeeres und eingeschränkt auch der Wirtschaftszone (Art 220) fungiert; vgl. dazu Fußn. 27. 2 6

Die Auffassung von Kehden in: Vitzthum, Die Plünderung der Meere , S. 261, auch dem Hafenstaat stünde das Recht zu Ermittlungen und Strafverfahren zu, ist nur eingeschränkt richtig: allenfalls ein Gerichtsverfahren (aber keine Beschlagnahme) ist unter den Voraussetzungen des Art 218 SRK möglich. Die weitergehende Regelung des Art 220 SRK gilt allein für die Küstenstaaten. 2 7 Diese weitgehenden Befugnisse des Küstenstaates stehen ihm uneingeschränkt nur im Küstengewässer zu, während in der Wirtschaftszone eher eine Arbeitsteilung zwischen Küsten- und Flaggenstaat sowie auf deren Ersuchen dem Hafenstaat stattfindet (vgl. Kehden, S. 262); nur in den Ausnahmefallen des A r t 220 V I SRK erhält der Küstenstaat diese umfassenden Befugnisse auch bezüglich seiner Wirtschaftszone. 2 8 Vgl. Jan Schneider ebda.; sowie Yturriaga Annuaire de l'AAA 54-56 (1984-86), S. 28, der diese "quasi-universal jurisdiction" der Hafenstaaten für etwas exzessiv hält.

a) Abkommen zum Meeresumweltschutz

271

Schadenersatzpflichten (Art. 222-233 SRK). Im Gegensatz dazu ist beim MARPOL-Regime die Rolle des Küstenstaates beschränkt: er kann zwar Untersuchungen über Verstöße durchführen, muß aber entsprechende Beweise dem Flaggenstaat vorlegen, damit dieser ein Strafverfahren durchführen kann29. Bezüglich der Rechtssetzungsbefugnis hat die SRK praktisch den Ansatz des zonal approach 30 übernommen, d.h. den Ansatz, nach dem innerhalb des Küstenmeeres und der Wirtschaftszone die Küstenstaaten das Umweltrecht setzen, welches zumindest bezüglich der Wirtschaftszone internationalen Regeln und Standards angepaßt sein muß (Art. 211 SRK). Allerdings dürfen sie keine Vorschriften zu "Bauart, Konstruktion, Bemannung und Ausrüstung" fremder Schiffe erlassen (Art 21 Π SRK) 31 , und sie dürfen innerhalb des Küstenmeeres erst dann ein Schiff an der Weiterfahrt - wegen "unfriedlicher Durchfahrt" - hindern, wenn eine "vorsätzliche und ernsthafte" Verschmutzung vorliegt (Art. 19 II lit. h SRK). Die Übernahme des zonal approach in der SRK für Verklappungen, Von-Land-Einleitungen und Meeresbodenausbeutung (Art. 207-210, 213-216 SRK) war unproblematisch32, weil hierüber immer Konsens bestanden hatte. Die Kompetenz zur Rechtssetzung liegt praktisch allein bei den Küstenstaaten; es bestehen aber auch Zusammenarbeitspflichten der Staaten zu drei Verschmutzungsquellen bzw. nur entsprechende Bemühensklauseln zu zwei weiteren Quellen33. Die Durchsetzung der nationalen und internatio-

2 9 Ait. 6 und 7 des MARPOL-Abkommens; die SRK kennt allerdings auch eine eingeschränkte Priorität flaggenstaatlicher Jurisdiktion (Ait. 228 SRK). 3

® Vgl. dazu Kehden V N 1976, 41 ff, der ursprünglich Kritik übte an dieser "sachwidrigen Aufteilung", weil hierdurch die freie Schiffahrt behindert würde; ders. in: Vitzthum, Die Plünderung der Meere 1981, S. 259 ff (265), begrüßt nunmehr diese Regelungen der SRK, weil durch nachträglich eingefügte SRK-Artikel die Gefahr ungerechtfertigter Behinderungen der Schiffahrt in tragbaren Grenzen gehalten und die Rahmenbedingungen für den Meeresumweltschutz in der Schiffahrt nachhaltig verbessert wurden. 3 1 Sofern es sich nicht um eine bloße Umsetzung internationaler Regeln und Standards handelt (Art. 21 Π und Art. 211 V I liL c SRK). 3 2 Für die Verhinderung der Verschmutzungen durch Von-Land-Einleitungen (einschließlich über die Atmosphäre) sowie der Verschmutzungen durch wirtschaftliche Aktivitäten unter nationaler Jurisdiktion sind demnach die Küstenstaaten zuständig. Maßnahmen zur Verhütung der Verschmutzung der See durch den Tiefseebergbau erfolgen im wesentlichen durch die Meeresbodenbehörde. 3 3 Nach Art. 208 V SRK besteht eine Pflicht der Staaten, solche regionalen oder globalen Regeln/Standards bzgl. Offshore -Aktivitäten und nach Art. 209 I bzgl. Aktivitäten in der "area" sowie nach Art. 2111 SRK bezüglich der schiffahrtsbedingten Einleitungen zu erlassen. Nach Art. 2 1 0 I V und 207 I V SRK besteht nur eine Bemühenspflicht, solche regionalen oder globalen Regeln bzgl. des Verklappens von Abfällen und bzgl. der Von-Land-Einleitungen zu erlassen; bei den VonLand-Einleitungen (Art 207 I V ) erfolgt eine weitere Abschwächung dadurch, daß auf die "wirtschaftliche Kapazität der Entwicklungsstaaten und ihre Notwendigkeit zur wirtschaftlichen Entwicklung" Rücksicht genommen werden soll.

272

ΠΙ. 1 Abkommen zum Schutz der Gewässer

nalen Regeln zum Verklappen erfolgt nach Art. 216 SRK durch den Küstenstaat bezüglich potentieller Verstöße in Küstenmeer, Wirtschaftszone und Festlandsockel; durch den Flaggenstaat bezüglich aller Verstöße der Fahrzeuge unter seiner Flagge; und durch den Hafenstaat bezüglich der Schiffe, die bei ihm Abfälle aufladen. Von der gleichen Kompetenzaufteilung gehen auch das Londoner Abkommen und die regionalen Dumping-Abkommen aus; allerdings fehlen bei ihnen fast immer ausdrückliche Regeln für Wirtschaftszone und Festlandsockel34. Das Verklappen von Abfällen im Bereich der Küstengewässer, der Wirtschaftszone und des Festlandsockels darf nur nach vorheriger ausdrücklicher Genehmigung des Küstenstaates erfolgen (Art. 210 V SRK); der Küstenstaat muß nur dann Rücksprache mit Nachbarstaaten nehmen, wenn diese hierdurch betroffen werden könnten. Während im traditionellen Völkerrecht der Meeresumweltschutz innerhalb des drei Meilen breiten Küstenmeeres im wesentlichen Aufgabe des Küstenstaates und außerhalb des Küstenmeeres ausschließlich Sache des Raggenstaates war, ist im modernen Umweltvölkerrecht zumindest eine Verdopplung der Verantwortungssphären (gemeinsame Verantwortung von Flaggen- und Küstenstaat), begleitet von einer zusätzlichen Verantwortung des Hafenstaates, eingetreten. Die Küstenstaaten sind damit zusätzlich zu den Raggenstaaten zum "Hüter" der Meeresumwelt in Küstengewässern und 200-Meilen-Wirtschaftszone (Art. 57 SRK) geworden. Damit unterfallen 35 % der Oberfläche der Ozeane der nationalen Kontrolle der Küstenstaaten, was das Selbstinteresse der Küstenstaaten zum Umweltmanagement stärkt35. Dieses "Wächter"-Amt der Küstenstaaten wurde mit der ausdrücklichen Pflicht zum ressourcenschonenden Management für ihren Verantwortungsbereich (die EEZ 36 ) verknüpft Hierbei sowie bei der Festlegung der zulässigen Fangmengen in der EEZ, für die die Küstenstaaten allein (bzw. bezüglich einiger Arten nur in Kooperation

3 4

Vgl. World Commission on Environment and Development (WCED) Our Common Future, S. 272: 'The Commission encourages the London Dumping Convention to reaffirm the rights and responsibilities of States to control and regulate dumping within the 200-mile EEZ. It is urgend that they do so, as oceans and food chains respect no boundaries". Von den drei Regionalabkommen, die nach Verabschiedung der SRK entworfen und verabschiedet wurden, enthalten das Cartagena- und Nairobi-Abkommen nur allgemeine Dumping-Regeln, die noch nicht näher konkretisiert wurden; allein das Noumea-Abkommen enthält ein spezifisches Protokoll zum Dumping ( I L M 26 , S. 59 und in Sand, Marine Env. Law in UNEP, S. 209), dessen Art. 3 para. 2 lautet: "Dumping within the territorial sea and the EEZ or onto the continental shelf of a Party ... shall not be carried out without the express prior approval of that Party, which has the right to permit, regulate and control such dumping ..." Dadurch wird die Regel des A r t 210 V SRK eindeutig bestätigt 3 5

Vgl. WCED Our Common Future, S. 265 und S. 273.

3 6

Die Abkürzung EEZ bedeutet: Exclusive Economic Zone.

a) Abkommen zum Meeresumweltschutz

273

mit anderen Staaten) zuständig sind37, muß in völliger Übereinstimmung mit den Weltcharta-Prinzipien 2 und 10a die Regenerationsfähigkeit beachtet werden, um die Überfischung zu vermeiden und den Bestand der lebenden Ressourcen zu erhalten (Art. 61 II SRK). Solche Maßnahmen sollen darauf gerichtet sein, Populationen von fangbaren Arten derart beizubehalten oder wiederherzustellen, daß das maximum sustainable yield gewahrt ist (Art. 61 III SRK); das gleiche Konzept gilt für die hohe See (Art 119 I a SRK). Das bedeutet letztendlich das Recht zum Fang bis zur absoluten Obergrenze der Quote der Regenerationsfähigkeit; dies hat zur Konsequenz, daß das Risiko der Ausrottung der "stocks" besteht, weil für Irrtümer oder inadäquate Berechnungen keine Marge mehr bleibt38. Ähnlich dem "maximum use"-Ansatz bedeutet das "maximum sustainable yield"-Konzept eine relative Bevorzugung der wirtschaftlichen Nutzung vor dem ökologischen Interesse am Erhalt des Fisch-Bestandes. Allerdings gibt es zwei Einschränkungen, die wieder stärker ökologisch orientiert sein könnten: Es gilt das Ziel der "optimalen Nutzung" der lebenden Ressourcen (An. 62 I SRK); zweitens müssen bei der Festlegung von Fangquoten die Auswirkungen auf davon abhängige Arten beachtet werden (Art. 61 IV SRK; gleiches gilt für die hohe See gemäß An. 119 I b SRK). Im Gegensatz zum "optimum use"-Ansatz der ILC bedeutet die "optimale Nutzung" des An. 621, die in der SRK nicht näher konkretisien wird, keinen ökologischen Ansatz, weil es - wie sich den Materialien entnehmen läßt 39 - eher um die optimale wirtschaftliche Ausnutzung zum Zwecke einer Sicherung von Lebensmittelvorräten geht; aus diesem Konzept folgt etwa die Pflicht zum Einräumen von Fangrechten bzgl. des durch den Küstenstaat nicht fangbaren Anteils der Fangquote an bedürftige Staaten (vgl. Art. 62 II SRK). Etwas anderes gilt allein für das "optimum utilization"-Konzept des An. 64 I SRK, das allein für die im Annex I aufgeführten "highly migratory species" (Thunfische, Marline, Haie, Delphine) gilt, weil es ein Schutzregime bedeutet. Der Ansatz des Art. 61 IV SRK bedeutet hingegen etwa eine Beschränkung des exzessiven Fangs des Krills in der Antarktis, um die davon abhängigen Seehunde, Pingu3 7 Nach Ait. 56 I SRK hat in der EEZ der Kästenstaat das souveräne Recht zur Nutzung, Bewirtschaftung und zum Eihalt der natürlichen Ressourcen, wobei er auf Rechte und Pflichten dritter Staaten Rücksicht nehmen soll. Er soll nach Art 62 Π SRK seine Fangquote festlegen; bezüglich des von ihm nicht fangbaren Teils der Fangquote soll er anderen Staaten, insbesondere den in A i t 69 und 70 genannten Binnen- oder den geographisch benachteiligten Staaten (vor allem wenn sie Entwicklungsstaaten sind) durch Abkommen o.ä. das Fangen erlauben. - Für einige Fischarten (z.B. Lachse) liegt die Verwaltung in den Händen der Ursprungsstaaten dieser "stocks" (Art 66 und 67). Für andere Alten gibt es Zusammenarbeitspflichten, insbesondere für die "highly migratory species" der Anlage I (Art 64) und die Meeres-Säugetiere (Art 65 SRK); vgl. hierzu de Klemm in: Johnston, The Environmental Law of the Sea, S. 126 f. - Nach Angaben von Wolfrum V N 1983,70, gilt dieses Fischfang-Regime allein nicht für Thunfische und Wale. 3 8 Vgl. Experts Group/Munro/Lammers, Environmental Protection and Sustainable Development, S. 47; vgl. auch die Kritik an Art 61 Π Ι SRK durch Bothe EPL 17 (1987) 3/4, S. 126. 3 9

Vgl .de Klemm, S. 130 f.

18 Hohmann

Ι . 1 Abkommen zum Schutz der Gewässer

274

ine und bestimmte Fischarten zu retten. Es ist das erste Mal, daß in einem Fischerei-Abkommen Staaten verpflichtet werden, Arten nicht wegen ihres unmittelbaren wirtschaftlichen Werts sondern allein wegen ihrer Rolle im Ökosystem zu erhalten 40. Dieses bedeutet ein Anerkenntnis der ökologischen Schutzpflicht und bestätigt die in Weltcharta-Prinzip 10 i.V.m. Prinzip 4 enthaltene Pflicht, bei der Nutzung der Ressourcen nicht das ökologische Gleichgewicht zu stören41. Hierdurch wird das ökologische Interesse gegenüber dem ökonomischem Nutzungsinteresse etwas höher bewertet. Die Einräumung dieses umfassenden "Wächter-Amtes der Küstenstaaten für ihre Wirtschaftszonen bedeutet sicherlich einen der weitreichendsten Ansätze für ein integriertes Managementregime der Ozeane42. Bezüglich des Fischerei-Regimes, durch das vermutlich mehr als neun Zehntel der gesamten Fischvorkommen vom Küstenstaat-Regime erfaßt worden sind43, bleiben allerdings Fragezeichen, weü trotz des Anerkenntnis der ökolgischen Schutzpflicht der Ansatz angesichts der dominierenden Orientierung am "maximum sustainable yield"-Konzept nur eine relative Ressourcenschonung gewährleisten kann44. Hingegen muß bezüglich des Umweltschutz-Regimes von einem sehr wirkungsvollen präventiven Ansatz gesprochen werden, weil die doppelten Kontrollen des Haggen- und Küstenstaats sowie zusätzlich des Hafenstaates, der im Interesse der Staatengemeinschaft tätig wird 45, ein effektives Ökomanagement erlauben. Bezüglich der hohen See wird das umweltrechtliche "Wächter"-Amt des Flaggenstaates durch das Hafenstaatkonzept ergänzt. Bezüglich des Fischerei-Regimes der hohen See gibt es praktisch kein solches "Wächter"-Amt, weil hier das Recht zum freien Fischen gilt (Art 116 SRK). Allerdings dürfen "anadromous stocks" (vor allem Lachse und Störe) und "catadromous stocks" (vor allem Aale) nicht auf der hohen See gefangen werden46. Alle Staaten müssen für ihre Staatsangehörigen Maßnahmen zum Erhalt der lebenden Ressourcen der hohen See erlassen (Art. 117 SRK). Insbesondere müssen die Staaten zum Management und Erhalt der Fische der hohen See zusammenarbeiten; dies gilt insbesondere, wenn ihre Staatsangehörigen im gleichen Bereich oder identische Fische fangen (Art. 118 SRK). Eine solche Zusammenarbeitspflicht zum Erhalt lebender Ressource Vgl. de Klemm, S. 133. Der traditionelle wirtschaftsbezogene Schutz-Ansatz wird am besten verdeutlicht durch das "Übereinkommen zum Schutz der für die Landwirtschaft nützlichen Vöger vom 19.3.1902 (Burhenne 902:22). 4 1

Siehe oben Text zu Fußn. 68 zu Kapitel Π 2 b .

4 2

Vgl. WCED Our Common Future, S. 272 f. Die W C E D nennt die Seerechtskonvention den "most ambitious attempt ever to provide an internationally agreed regime for the management of the oceans". 4 3

Vgl. Wolfrum

4 4

Vgl. die etwas härtere Kritik von Wolfrum

4 5

Vgl. Wolfrum

4 6

Ait. 66 Π und Ait. 67 Π SRK, die z.T. Ausnahmen vorsehen; vgl. dazu de Klemm, S. 124 f.

V N 1983,70. ebda.

ebda., S. 72.

a) Abkommen zum Meeresumweltschutz

275

die im übrigen auch für "stocks" in zwei überschneidenden EEZs und für die besonders geschützten Meerestierarten gilt 47 , ist vorher durch das Stockholmer Prinzip 24, das Shared Resources-Prinzip 1 und das Weltcharta-Prinzip 10 a angedeutet worden; es handelt sich somit um eine Präzisierung dieser gewohnheitsrechtlichen Pflicht Im Gegensatz zum Fischfang wird der Tiefseebergbau nicht Einzelstaaten, sondern der internationalen Staatengemeinschaft zur gesamten Hand überantwortet48. Denn das Meeresbett, der Meeresboden und der Meeresuntergrund jenseits der Grenzen nationaler Jurisdiktion mitsamt seinen Ressourcen (das "Gebiet")49, welches 45 % der Oberfläche des Planeten Erde ausmachen soll50, ist zum common heritage of mankind erklärt worden (Art. 136 SRK) 51 . Diese Vergemeinschaftung des "Gebiets" bestätigt und präzisiert das Stockholmer Prinzip 5 (Schutz und Nutzen der nicht-erneuerungsfähigen Ressourcen für die ganze Menschheit) und beinhaltet die fünf bereits genannten52 Rechtsprinzipien des "common heritage": fehlende Aneignungsmöglichkeit (Art. 137 I SRK), gemeinsames Management durch die Meeresbodenbehörde "Authority" (Art. 137 II und 156 SRK), Nutzen aller Staaten, vor allem der Entwicklungsländer (Art 140, 144, 148 und 161 SRK), Nutzen nur für friedliche Zwecke (Art. 141 und 143 SRK) und Erhaltung für die Menschheit (Art. 145 SRK). Die Meeresbodenbehörde erhält für die wirtschaftliche Nutzung die ausschließliche Regelungskompetenz und nach Ablauf der Übergangszeit auch die alleinige Handlungskompetenz für den Meeresbergbau. Insofern findet die Vergemeinschaftung der Tiefseeboden-Nutzung ihre institutionelle Realisierung in der Meeresbodenbehörde, deren Organe mit Mehrheit entscheiden können53; es handelt sich um ein Modell, das auch auf das Weltklima übertragbar wäre. Diese Vergemeinschaftung bedeutet eine Zurückdrängung derjenigen Staaten, 4 7 Für die "highly migratory species", die Meeres-Säugetiere, die "anadromus species" und die "catadromus species" gilt die Zusammenarbeitspflicht (Art. 63 I , Π, 64, 66 ΙΠ, 67 ΙΠ, 118, 120 SRK); vgl. de Klemm, S. 126 f. 4 8

Wolfrum,

S.70.

4 9

Genauer: die "area"; dieser Begriff bedeutet: "the sea-bed and ocean floor and subsoil thereof, beyond the limits of national jurisdiction" , Art. 1 I Nr. 1 SRK. Im folgenden wird der Begriff "Gebiet" gebraucht; der von Wolfrum, S. 70 gebrauchte Begriff "Tiefseeboden" ist nur teilidentisch mit der "area". 5 0

Vgl. WCED Our Common Future, S. 273.

5 1

Vgl. bereits die Meeresboden-Deklaration U N Res. 2749 ( X X V ) vom 17.12.1970, in: Platzöder/Vitzthum, Seerecht, S. 365; vgl. dazu auch Verdross/Simma Univ. VöR §§1138 ff. 5 2 5 3

Siehe Text zu Fußn. 5 zu Kapitel Π 2 e .

Vgl. die abgestuften Mehrheits-Bestimmungen in Art. 159 VII-X (Versammlung) und Art. 161 V m (Rat); wichtig ist hierfür, daß bei der Versammlung jeder Mitgliedstaat (Art. 159 I)und beim Rat die wichtigsten Staatengruppen (Art. 1611: Hauptinvestoren, Entwicklungsländer etc.) repräsentiert sind; vgl. Wolfrum, S. 70 f.

276

Abkommen zum Schutz der Gewässer

die bisher technisch und finanziell allein in der Lage sind, Tiefseebergbau zu betreiben54. Die Zuerkennung des "common heritage"-Status, welche zwingend die gemeinsame Erhaltung und Nutzung verlangt, erlaubt das umfassende Ökomanagement des "Gebiets" im Interesse der Weltgemeinschaft, bei dem Souveränitätsgrenzen keinerlei Rolle mehr spielen55; die eingeschränkte Rolle nationaler Souveränität zeigt sich auch daran, daß an die Stelle der Einstimmigkeit Mehrheitsentscheidungen der Organe der "Authority" getreten sind. Internationale Regelungen zum Umweltschutz werden, wenn der Tiefseebergbau einmal begonnen hat, angesichts der nur rudimentären SRK-Bestimmungen unvermeidlich; diese Regelungen werden dann "erga omnes"-Pflichten darstellen, weil es um den Schutz des "gemeinsamen Menschheitserbes" geht56. Art. 145 SRK verpflichtet die "Authority" zum Erlaß entsprechender Regeln und Maßnahmen, die u.a. zur Herstellung des ökologischen Gleichgewichts und zur Verhütung von Schäden für Flora und Fauna beitragen müssen. Auch die Flaggenstaaten, die im "Gebiet" Bergbau betreiben wollen, müssen internationalen Regeln entsprechende Gesetze zur Verhinderung der Meeresverschmutzung erlassen (Art. 209 II SRK) 57 . Vor dem Beginn des Tiefseebergbaus ist eine UVP verpflichtend, die nicht vom jeweiligen Staat sondern durch die Legal and Technical Commission (eine Kommission des Rates der "Authority") im Auftrag der Weltgemeinschaft durchgeführt würde (Art 165 II lit. d SRK) 58 . Während für die schiffahrtsbedingten Einleitungen und das Verklappen von Abfällen durch MARPOL- und Londoner Dumping-Abkommen, zu denen die SRK vor allem die Durchführungsbestimmungen beisteuert, und wohl auch noch für den Tiefseebergbau (aber nur, weil derzeit noch kein Tiefseebergbau stattfindet) befriedigende Regelungen vorliegen, fehlen sie weitgehend für die Von-Land-Einleitungen und für die Offshore-Aktivitäten (wirtschaftlichen Aktivitäten im Meeresbett innerhalb nationaler Jurisdiktion einschließlich Festlandsockel). Für beide Bereiche fehlen globale Abkommen; allein für die Eintragungen durch die Luft gilt die unten zu behandelnde regionale Genfer ECEKonvention. Nur für die Von-Land-Einleitungen gibt es vier regionale Abkommen; für die Offshore-Aktivitäten existieren nur ein regionales Haftungsabkommen, das seit 1977 noch nicht inkraftgetreten ist, und die Entwürfe 5 4

Vgl. Wolfrum,

5 5

Siehe oben Text zu Fußn. 5 zu Kapitel Π 2 e .

5 6

Siehe oben Text zu Fußn. 7 zu Kapitel Π 2 e .

s. 70.

5 7

Allerdings fehlt trotz Ait. 215 ein Hinweis, wer diese Regeln durchsetzen soll; vgl. Yturriaga (Fußn. 28), S. 30 f. Offensichtlich soll es sich um eine Zusammenaibeit zwischen "Authority" und Flaggenstaaten handeln. 5 8 Vgl. hierzu und zu weiteren umweltrechtlichen Regeln zum Tiefseebergbau Barnes in: Johnston, The Environmental Law of the Sea, S. 263.

a) Abkommen zum Meeresumweltschutz

277

zweier Protokolle zu Offshore-Aktivitäten für zwei UNEP-Regionalabkommen59. Wie marginal die Verschmutzungen durch Offshore-Aktivitäten (Ölförderung) geregelt sind, wird bereits daran deutlich, daß das Freisetzen von ölen oder Schadstoffen bei der Erforschung, Ausbeutung oder Verarbeitung mineralischer Meeresbodenschätze nicht als "Einbringen" oder "Einleiten" von Schadstoffen gilt und damit von Londoner Dumping- und MARPOL-Abkommen nicht erfaßt wird 60. Hinzu kommt das Fehlen von Haftungsregelungen, obwohl es seit 1969 immer wieder zu größeren Meeresverschmutzungen durch Unfälle bei Ölbohrungen kam61. Art. 208 SRK verpflichtet die Staaten, gemeinsam mit internationalen Organisationen zu den Offshore-Aktivitäten globale und regionale Regeln und Standards zu entwerfen, und die Küstenstaaten, zur Verhütung und Kontrolle der Meeresverschmutzung Gesetze zu erlassen, die dem Minimum-Standard internationaler Regeln entsprechen müssen62. Art. 207 ist hingegen "softer" formuliert, weil er den Staaten nur empfiehlt, globale und regionale Regeln zu den Von-Land-Einleitungen zu erarbeiten, wobei diese Empfehlung mit zahlreichen Einschränkungen versehen ist63; die Küstenstaaten müssen aber Gesetze zur Verhütung und Kontrolle erlassen. In den Art. 192-206 bestätigt und präzisiert die SRK vor allem folgende gewohnheitsrechtlichen Pflichten 64: Die ökologische Schutzpflicht (in der Ausformulierung des Shared-Resources-Prinzip 3 ΙΠ und des Weltcharta-Prinzips 21 lit. e), d.h. die Pflicht zum Schutz und Erhalt der Natur in fremden Territorium und in Gebieten jen5 9 Zum Offshore-Haftungsabkommen vgl. Fußn. 13; zum im Dezember 1988 verabschiedeten Entwurf des Offshore-Protokolls für das Barcelona-Abkommen vgl. Hinweise im UNEP Annual Report 1987, S. 60 und zum Protokoll-Entwurf für das Kuwait-Abkommen siehe den Text in: EPL 19 (1989) 1, S. 32-35; die vier regionalen Regelungen zu den Von-Land-Einleitungen sind im Paris, Helsinki- , Barcelona- und Lima- Abkommen enthalten; dazu unten bei den Regionalabkommen. 6 0

Vgl. Hinweise in Fußn. 17 zu diesem Kapitel.

6 1

Vgl. Rémond-Gouilloud in: Johnston, The Environmental Law of the Sea, S. 246 ff.

6 2

Eine gleiche Zusammenaibeitspflicht gilt für den Tiefseebergbau (Art 2091 SRK) und für die schiff ah rtsbedingten Einleitungen (Ait. 211 I SRK). Bei der letztgenannten Verschmutzungsquelle müssen die nationalen Gesetze "mindestens die gleiche Wirkung wie international anerkannte Regeln und Standards" (Art. 211 Π), während es sonst heißt, daß sie nicht weniger effektiv sein dürften. 6 3 Vgl. Hinweise in Fußn. 33 zu diesem Kapitel. Eine Bemühensklausel (aber ohne diese Einschränkungen) enthält auch A n 2 1 0 I V für das Verklappem von Abfallen, wobei aber in Art 210 V I ausdrücklich gesagt wird, daß nationale Gesetze nicht weniger effektiv als die internationalen/regionalen Regeln sein dürften, während Art 207 I nur festlegt, daß die nationalen Gesetze die zu den Von-Land-Einleitungen vorhandenen internationalen Regeln/Standards "berücksichtigen sollen". 6 4 Insofern ist die Behauptung von Wolfrum in: D G V N zur diskussion Nr. 28, S. 32, die SRK enthalte kein materielles Umweltrecht, unzutreffend.

278

Ι . 1 Abkommen zum Schutz der Gewässer

seits nationaler Jurisdiktion, wodurch auch ein Schutz der "Commons" (hier der hohen See) möglich ist 65 , wird durch Art. 192 i.V.m. Art. 194 II SRK bestätigt66. Diese Pflicht wird auch durch die UNEP-Regionalabkommen (z.B. Art. 4 VI des Noumea-Abkommens) bestätigt. Die ökologische Schutzpflicht wird ergänzt durch den Artenschutzauftrag, d.h. den Auftrag zum Schutz und Erhalt seltener oder bedrohter Ökosysteme sowie des Wohnraums von bedrohten Arten (Art. 194 V SRK). Das Verbot der lokalen oder medialen Belastungsverschiebung wird durch Art. 195 SRK bestätigt. Die regionale oder globale Kooperationspflicht der Staaten unter Einschluß internationaler Organisationen67 wird deutlich hervorgehoben; sie erstreckt sich auf die Erarbeitung internationaler Regeln und Standards (Art. 197), wobei wie gezeigt Unsicherheiten bei der Kooperationspflicht bezüglich der Von-Land-Einleitungen und der Verklappung von Abfällen bestehen68; sie erstreckt sich weiter auf das Notfallregime (Warnpflichten, Pflicht zur gemeinsamen Bekämpfung durch betroffene Staaten und zur gemeinsamen Entwicklung von Notfallplänen, Art. 198 und 199 SRK); und sie erstreckt sich schließlich auf gemeinsame Studien, wissenschaftliche Forschungen, den Informationsaustausch und das standard-setting sowie wenn möglich auch auf das Monitoring (Art. 200 und 201) 69 . Offensichtlich wird den Staaten auch die gemeinsame Forschung, das gemeinsame "standard setting" und die institutionelle Kooperation zur Pflicht gemacht; insofern handelt es sich um eine Weiterentwicklung des Gewohnheitsrechts, das hier noch nicht von einer Etablierung der Pflicht ausgeht70. Daß das ge-

6 5 Zu den "commons" werden zumindest die hohe See, der Weltraum, die Antaiktis, Ozon und Klima gerechnet, vgl. Schröder JahrB UTR 1987, S. 273 (279) und die umfassendere Aufzählung bei Kiss RdC 175 (1982 Π), S. 135 ff; zur Verantwortlichkeit für die "Commons" vgl. B. Smith State Responsibility and the Marine Environment, S. 86 ff. 6 6 Nach Wolfrum (Fußn. 64), S. 31, müßte insofern eine Einschränkung gelten, weil die in Art. 194 I enthaltene Formulierung "in accordance with their capabilities" bedeuten sedi, daß sämtliche Verhütung s- und Kontrollmaßnahmen durch wirtschaftliche Gesichtspunkte deutlich relativiert werden. Dies dürfte allerdings eine Überinterpretation sein, weil die Pflicht zum Erlaß nationaler Gesetze und zu ihrer Durchsetzung strikt formuliert sind; "softeie" Formulierungen finden sich nur z.T. bei der Zusammenarbeit für internationale Regelungen (z.B. Art. 207 I V ) , so daß sich die Einschränkung, die nicht zwangsläufig ökonomisch geprägt ist, allenfalls darauf beschränken kann. 6 7

Vgl. bereits Stockholm-Prinzipien 24 und 25.

6 8

Vgl. Hinweise in Fußn. 63.

Zu Notfallregime, wissenschaftlicher Kooperation und Informationspflichten in den UNEPguidelines siehe oben Fußn. 152 und 159 zu Kapitel Π 2 b . 7 0 Nach Art. 8 para. 2 der Kairo-Resolution handelt es sich noch um eine Empfehlung, die allerdings unmittelbar vor der Etablierung zu stehen scheint.

a) Abkommen zum Meeresumweltschutz

279

meinsame Notfallregime eine Pflicht und das gemeinsame Monitoring noch eine Empfehlung ist, entspricht auch dem Gewohnheitsrecht71. Die Überwachungs- und Berichtspflicht wird in einer dem WeltchartaPrinzip 19 und den UNEP-guidelines72 entsprechenden Weise durch Art. 204 II und Art 205 SRK bestätigt. Allein bezüglich der Frage, ob dies durch regelmäßige Messungen, Bewertungen und Risiko-Analysen geschehen muß, gibt es noch Unsicherheiten, weswegen Art. 204 I SRK nur eine entsprechende Empfehlung abgibt. -

Durch Art. 206 SRK wird die Pflicht zur UVP für die Fälle erheblicher Verschmutzungen oder Veränderungen der Meeresumwelt bestätigt. Diese UVP soll allerdings nur "as far as practicable" durchgeführt werden - was eine gewisse Umgehungsmöglichkeit eröffnet - und die Ergebnisse sollen internationalen Organisationen zugänglich gemacht werden. Damit wird die Pflicht zur UVP bereits 1982 in einem Abkommen anerkannt, während sie in den UNEP-guidelines ab etwa 1982-87 anerkannt und in anderen Erklärungen allenfalls angedeutet ist Insofern ist Art. 206 SRK eine Präzisierung des Gewohnheitsrechts; für die Art und Weise der Durchführung der UVP muß hingegen auf die Präzisierungen durch die Offshore- und EIAPrinciples zurückgegriffen werden73.

Die Pflicht zur Förderung des Transfers von Umwelttechnologie w durch Art. 202 SRK bestätigt. Es handelt sich um eine erhebliche Präzisierung des Gewohnheitsrechts, weil nicht nur S Jahre früher als im Gewohnheitsrecht74 eine solche Pflicht etabliert wird, sondern weil vor allem auch im einzelnen aufgeführt wird, was u.a. zu diesen Transfer-Leistungen dazugehören soll (Training von Personal, Ermöglichung der Teilnahme in internationalen Programmen, Ausstattung mit Ausrüstungen, Assistenz bei Umwelttechnologie, Hilfen bei Forschungs- und Überwachungsprogrammen sowie bei der Vorbereitung von Umweltbewertungen/UVP etc). Art. 203 SRK garantiert den Entwicklungsländern eine Vorzugsbehandlung internationalen Organisationen bei Fonds, technischer Assistenz und speziellen Diensten bezüglich der Verhinderung und Kontrolle der Meeresumweltverschmutzung.

7 1

Vgl. Art. 9 und Ait. 8 para. 2 lit. c der Kairo-Resolution.

7 2

Vgl. Offshoie-Piinzipien 11-15, Montreal-Prinzip 11 und Cairo-Prinzipien 19-20.

7 3

Vgl. Experts GroupIMunrolLammers, Environmental Protection and Sustainable Development, S. 60. 7 4 Vgl. Montreal-Guidelines (Prinzip 9) und Cairo-Prinzip 5 (zitiert in Fußn. 118 zu Kapitel Π 2 b ) sowie Art 13 der Kairo-Resolution (Empfehlung, die kurz vor der Etablierung zu stehen scheint).

. Abkommen zum Schutz der Gewässer

280

Bestätigt wird auch die Genehmigungspflicht für das Verklappen von Abfällen (Art. 210 V SRK) und für den Tiefseebergbau (Art. 153 SRK); für andere Verschmutzungsquellen wird auf internationale/nationale Regelungen verwiesen. In mehreren Artikeln wird die Notwendigkeit einer Verschmutzungskontrolle sowie eines vagen Umweltmanagements angedeutet Planungspflichten sind für den Tiefseebergbau vorgesehen (Art. 153 SRK). bb) Die regionalen Meeresumweltabkommen

Die regionalen Meeresumweltabkommen lassen sich in drei Gruppen unterteilen: Die im Rahmen des UNEP-Regionalmeeresprogramms erarbeiteten UNEP-Regionalabkommen sind Rahmenabkommen, bei denen alle Details späteren Protokollen überlassen bleiben (framework approach ); bei der Ostsee handelt es sich dagegen um einen umfassenden Ansatz (comprehensive approach ), bei dem alle Verschmutzungsquellen von vorneherein so detailliert wie möglich geregelt werden; und beim Nordostatlantik muß von einer gradualistischen Herangehensweise (piecemeal-approach) gesprochen werden, bei der eine Einzelmaterie nach der anderen in zeitlichen Abständen geregelt wird 75. Da die UNEP-Abkommen die höchste Homogenität untereinander besitzen, soll die Analyse eher in zwei Gruppen erfolgen, einmal die UNEP- und dann die übrigen Regionalabkommen. Die UNEP-Regionalabkommen betreffen das Mittelmeer (Barcelona-Abkommen von 1976 mit vier Protokollen 1976-82), den persisch-arabischen Golf (Kuwait-Abkommen von 1978 mit einem Protokoll gleichen Datums), den Golf von Guinea (Abidjan-Abkommen von 1981 mit einem Protokoll gleichen Datums), den Südostpazifik (Lima-Abkommen mitsamt Vereinbarung von 1981 und mit zwei Protokollen von 1983), das Rote Meer (Jeddah-Abkommen vom Februar 1982 mit einem Protokoll gleichen Datums), den Golf von Mexiko sowie die Karibik (Cartagena-Abkommen von 1983 mit einem Protokoll gleichen Datums), den Indischen Ozean (Nairobi-Abkommen von 1985 mit zwei Protokollen gleichen Datums) und den Süd (west)-pazifik (Noumea-Abkommen von 1987 mit zwei Protokollen gleichen Datums)76. Zu beachten ist, daß nur die drei zuletztgenannten Regionalabkommen zeitlich nach der Weltcharta und nach der SRK verabschiedet wurden; hingegen liegen fast alle UNEP-Regionalabkommen zeitlich nach der Verabschie-

7 5 7 6

Vgl. Yturriaga

RdC 162 (19791), S. 336.

Vgl. Nachweise bei Hohmann V N 1989, 59; alle UNEP-Regionalabkommen auch in: Sand Marine Environment Law in the UNEP, S. 1-226. Nur Nairobi- und Noumea-Abkommen mitsamt ihren Protokollen sind derzeit noch nicht in Kraft getreten.

a) Abkommen zum Meeresumweltschutz

281

dung der "Shared Resources"-Deklaration. Die außerhalb des UNEP-Rahmens entworfenen Regionalabkommen sind für die Ostsee das Helsinki-Abkommen von 1974 und für Nordostatlantik/Nordsee das Bonner Abkommen (1969/83), das Oslo«" Dumping-Abkommen (1972 mit einem Protokoll von 1983) und das Paris-Abkommen (1974 mit einem noch nicht inkraftgetretenen Protokoll von 1986)77. Diese Regionalabkommen wurden zwei bis sieben Jahre vor dem ersten UNEP-Regionalabkommen (dem Barcelona-Abkommen) verabschiedet; es handelt sich bei der Epoche 1969-74 um das Frühstadium des modernen europäischen Umwelt-Gewohnheitsrechts. Die regionalen Zusammenarbeitspflichten gehen über die Möglichkeiten der Brüsseler Interventions-Konvention hinaus, die wie gezeigt erst nach erfolgter Strandung/Kollision eingreift. Die Regionalabkommen enthalten vielmehr teilweise Kooperationspflichten im Vorfeld von Gefahren. Die wesentlichen Kooperationspflichten sämtlicher Regionalabkommen - wobei Bonner und Helsinki-Abkommen gegenüber den UNEP-Regionalabkommen Besonderheiten aufweisen - lauten: Bei drohenden oder eingetretenen Meeresverschmutzungen müssen die Vertragsparteien, die entsprechend ihre Kapitäne, Piloten und Seeplattform-Verantwortlichen anweisen, die notwendigen Feststellungen treffen, alle Maßnahmen zur Reduzierung der Verschmutzung ergreifen und sofort alle anderen Vertragsparteien über die Feststellungen und Maßnahmen informieren. Damit wird das "Shared Resources"-Prinzip 9 umfassend bestätigt und dahingehend präzisiert, daß zur sofortigen Information auch Bewertungs- und erste Sanierungsmaßnahmen gehören78. Weiterhin gibt es bei solchen Notfällen die Pflicht zu gegenseitiger Hilfe der Vertrags-Staaten - hierzu trifft allein das Bonner Abkommen von 1983 Kostenregelungen -, die Pflicht sicherzustellen, daß Berichte ihrer Kapitäne, Piloten und Seeplattform-Verantwortlichen über solche Unfälle sofort anderen betroffenen Vertragsparteien weitergeleitet werden und die Empfehlung, Notfallpläne zu entwickeln und zur Bekämpfung solcher Unfälle ein Regionalzentrum zu errichten, das durch die Entwicklung gemeinsamer Notfallpläne, ein Informationsnetzwerk und durch das Training von Spezialisten etc. sofort assistieren oder bei Bedarf allein schützend eingreifen

7 7

Vgl. Nachweise bei Hohmann V N 1989,58 f; aüe Regionalabkommen (außeihalb des UNEP) auch in: EdomJRapschJVeh Reinhaltung des Meeres, S. 231 ff. Zu den regionalen Abkommen fur den Nordostatlantik gehört auch noch das Offshore-Haftungsabkommen. 7 8 Vgl. den "soften" Wortlaut von "Shared Resources"-Prinzip 9 para. 3: "States concerned should co-operate, in particular by means of agreed contingency plans, when appropriate , and mutual assistance, in order to avert grave situations, and to eliminate, reduce or correct, as far as possible , the effects of such situations or events" (Hervorhebungen hinzugefugt); hingegen heißt es im Prinzip 9 para. 1 kategorisch: "States have a duty urgently to inform other Sûtes ..." (Hervorhebung hinzugefügt).

282

. Abkommen zum Schutz der Gewässer

kann79. Soweit kein Regionalzentrum gegründet wird, wird die Regionalorganisation bzw. UNEP mit der Wahrnehmung solcher Aufgaben betraut; z.T. werden Regelungen zum "dispute-settlement" getroffen, wird der Informationsaustausch auf andere Umstände (z.B. Behörden-Zuständigkeiten) ausgeweitet und die Kooperationspflicht auch auf das Bergen von Tanks mit gefährlichen Flüssigkeiten erstreckt. Durch diese Pflichten werden die "Shared Resources"Prinzipien 10,11 und 9 para. 3 bestätigt und präzisiert80. Als weitere Kooperationspflichten werden genannt: die Pflicht, gemeinsam mit kompetenten globalen, regionalen oder sub-regionalen Organisationen gemeinsame Maßnahmen und Prozeduren zur Verhütung, Reduktion und Kontrolle der Meeresverschmutzung aus allen Quellen zu entwickeln und diese Verschmutzungen zu bekämpfen, bei der wissenschaftlichen Meeiesumwelt-Forschung, dem Umweltmonitoring und dem Austausch der Monitoring-Daten zusammenzuarbeiten, sich gegenseitig beim Ökomanagement zu unterstützen, regelmäßig Informationen auszutauschen und eine Regionalorganisation zu gründen, um sich in deren Rahmen regelmäßig zu treffen, zu konsultieren, Berichte zu erstatten und auszuwerten, die Umweltzustandsberichte regelmäßig auszuweiten, nötige Entscheidungen oder Abkommens-Ergänzungen vorzunehmen und das Ökomanagement zu koordinieren81. Dadurch werden umfassend die "Shared Resources"-Prinzipien 1 und 2 (regional gemeinsames Ökomanagement durch gemeinsame Institutionen), S (regelmäßige Informationen und Konsultationen) 7 9 Vgl. hierzu insbesondere die Zusammenarbeitsprotokolle des Noumea-Abkommens (Sand, S. 220 ff), des Nairobi-Abkommens (Sand, S. 184 ff), des Cartagena-Abkommens (ebda., S. 150 ff) und des Jeddah -Abkommen s (ebda., S. 128 ff), die Lima-Vereinbarung mitsamt Zusatzprotokoll (ebda., S. 93-102), sowie die Zusammenarbeitsprotokolle des Abidjan-Abkommens (ebda., S. 78 ff), des Kuwait-Abkommens (ebda., S. 58 ff) und des Barcelona-Abkommens (ebda., S. 22 ff). Vgl. auch das Bonner Abkommen (EdomIRapschlVeh, S. 231 ff und Anlage V I des Helsinki-Abkommens (Edom u.a., S. 367 ff). Allein auf Öl-Unfälle beschränkt ist das Bonn-Abkommen von 1969; das Bonner Abkommen von 1983, das dies auf andere Stoffe ausdehnt, ist z.Z. noch nicht inkraftgetreten. 8 0

Zu Shared Resources-Prinzip 9 para. 3 siehe Fußn. 78 zu diesem Kapitel; Prinzip 11 betrifft das Dispute-settlement; die in Shared Resources-Prinzip 10 empfohlene kompetente internationale Organisation ist entweder die Regionalorganisation (bzw. für die Bekämpfung von Unfällen das dieser Organisation unterstehende Regionalzentrum) oder UNEP, das bis zur Gründung einer Regionalorganisation an derer Stelle tritt. 8 1 Vgl. etwa Art 5 para. 4 und Art. 17-22 des Noumea-Abkommens (Sand, S. 191 ff); Art. 4 para. 4, Arn. 14, 16 und 17 des Nairobi-Abkommens (ebda., S. 156 ff) ; Art 4 para. 5, Am. 13, 15 und 16 des Cartagena-Abkommens (ebda., S. 135 ff) ; Art Π Ι para. 4, Am. Χ , ΧΠ, XVI-XVm des Jeddah-Abkommens (ebda., S. 114 ff); Art 3 para. 4, Artt 7, 9 , 1 0 , 12-14 des Lima-Abkommens (ebda., S. 84 ff); Art. 4 para. 4, Artt 14, 16 und 17 des Abidjan-Abkommens (ebda., S. 67 ff) ; Art Π Ι l i t d, Am. Χ , ΧΠ, XVI-XVm des Kuwait-Abkommens (ebda., S. 45 ff); Art 4 para. 2, Artt 10, 11, 13 und 14 des Barcelona-Abkommens (ebda., S. 1 ff) .

a) Abkommen zum Meeresumweltschutz

283

und 8 (gemeinsame wissenschaftliche Studien und Bewertungen zur Erleichterung des gemeinsamen Ökomanagements) sowie die Stockholm-Prinzipien 24 und 25 (solidarische Zusammenarbeit unter Einschluß internationaler Organisationen) und etwa die Weltcharta-Prinzipien 19 und 21 a (Pflichten zur Überwachung, zu Konsultationen und zum Informationsaustausch) umfassend bestätigt und präzisiert. Durch das Helsinki-Abkommen, das Oslo-Dumping-Abkommen und das Paris-Abkommen werden zwei regionale Kommissionen für den Nordostatlantik und eine für die Ostsee, durch das Kuwait-Abkommen und das Jeddah-Abkommen werden je eine Regionalorganisation für den persischarabischen Golf und das Rote Meer gegründet; das Lima-Abkommen überträgt die Sekretariats-Aufgaben der Ständigen Kommission für den Südpazifik, während das Noumea-Abkommen die Südpazifik-Kommission damit betraut hat. Bei den übrigen vier UNEP-Regionalabkommen wurden die Aufgaben von Regionalorganisation und Sekretariat dem UNEP übertragen, wobei das UNEP gemeinsam mit der IMO Regionalzentren gründen soll. Im Rahmen des Barcelona· Abkommen wurden bereits mehrere Regionalzentren gegründet82. Diese Regionalzentren sind für die Errichtung von Forschungs-, Unterrichtungs- und Ausbildungsprogrammen samt dem Aufbau gemeinschaftlicher Informationssysteme zuständig. Besonderheiten beim Bonner Abkommen bestehen insofern, als hier die Nordsee in Schutzzonen aufgeteilt ist, wodurch die Verantwortlichkeiten für Kontrollen, Analysen und Meldungen von vorneherein festgelegt sind (Art. 6), während diese beim Helsinki-Abkommen erst ausgehandelt werden müssen (Regel 7 der Anlage VI). Dem Bonner Abkommen fehlt allerdings jede Form einer Institutionalisierung; inzwischen hat aber die EG-Kommission weitgehend die Aufgaben eines Sekretariats und Regionalzentrums übernommen83. Von allen Regionalabkommen wird die Pflicht bestätigt, die schiffahrtsbezogenen Einleitungen zu verhüten und zu kontrollieren. Dabei hat das HelsinkiAbkommen diesbezüglich das strengste Regime, weil es in seiner Anlage IV die MARPOL-Regeln in der Sondergebiets-Variante (einschließlich der im übrigen noch nicht inkraftgetretenen MARPOL-Anlagen III und IV) für die Ostsee übernommen hat Sämtliche Regionalabkommen erkennen zwar allgemein die Pflicht an, die Verschmutzung der Meeresumwelt durch das Verklappen von Abfällen und durch die Von-Land-Einleitungen (durch Flüsse, direkte Einleitungen und über die Luft) zu verhüten, zu bekämpfen und zu kontrollieren, aber nur vier der insgesamt 10 Regionalabkommen haben hierzu präzise Regelungen erlassen und dadurch die Regel des Art 210 SRK (ausdrückliche vorherige Genehmigung) präzisiert: Zum Verklappen von Abfällen finden sich die schärfsten 8 2 8 3

Vgl. J. Simons ZfU 1986.391.

Hierzu gehören u.a. die Einrichtungen gemeinschaftsweiter Informationssysteme, z.B. EG· AB1.L 77/33 vom 22.3.1986.

284

. Abkommen zum Schutz der Gewässer

Bestimmungen im Helsinki-Abkommen (Anlage V), welches das Verklappen aller Stoffe in der Ostsee verbietet; allein Baggergut darf unter bestimmten, engen Voraussetzungen mit einer vorherigen Sondererlaubnis eingebracht werden. Die Regeln im Barcelona- und Noumea-Abkommen (jeweils Protokoll I) entsprechen weitgehend - allerdings ohne Regelung der Verbrennung von Abfällen - dem Londoner Dumping-Abkommen, wobei allein das Noumea-Abkommen diesbezüglich seinen Anwendungsbereich auf die 200-Meilen-Wirtschaftszone sowie den Festlandsockel ausdehnt und hier vor allem das Verklappen sämtlichen radioaktiven Abfalls verbietet. Das Osloer Dumping-Abkommen 84 wird erst dann umfassendere Verpflichtungen als das globale Londoner Abkommen aufweisen, wenn das Osloer Protokoll von 1983 (nur hier wird die Verbrennung geregelt) mitsamt den auf der 2. Internationalen Nordseeschutzkonferenz 1987 eingegangenen Verpflichtungen 85 inkraftträte: Die Verklappung muß - mit Ausnahme bestimmter natürlicher Stoffe - bis zum 31.12.1989 eingestellt86 und die See-Verbrennung bis zum 1.1.1991 um mindestens 65 % reduziert und bis zum 31.12.1994 eingestellt werden. Bezüglich der allgemeinen Erwägungen, die laut Anlage ΙΠ bei Genehmigungen (bis zur Einstellung aller Verklappungen) anzustellen sind, unterscheidet sich das Oslovom London-Abkommen dadurch, daß ausschließlich ökonomische Belange aufgeführt sind. Ein weiterer wichtiger Unterschied besteht darin, daß die Vertragsparteien, die sich vor Erlaubniserteilung über die Zusammensetzung der Abfälle zu vergewissern haben, der hierfür eingerichteten Oslo-Kommission Unterlagen über die erteilten Erlaubnisse übermitteln müssen (,Meldepflicht, Art. 11), die von dieser Kommission überprüft werden. Statt einer solchen Meldepflicht sieht das Londoner Abkommen nur Konsultationen der Vertragsparteien zur laufenden Überprüfung der Durchführung des Abkommens vor. Zu den Von-Land-Einleitungen sind die Regeln des Helsinki-Abkommens (Anlagen II und ΙΠ) mehr als vage ausgefallen, weil eine Schwarze Liste ganz 8 4 Für die Bundesrepublik wurden durch das Hohe-See-Einbringungs-Gesetz vom 11.2.1977, BGBl. Π, 165, zuletzt geändert am 28.4.1980, BGBl. Π, 606 (in: EdomJRapschJVeh, Reinhaltung des Meeres, S. 261-266) die Voraussetzungen der Erlaubnis-Erteilung durch Art 2 Π einerseits erschwert: Eine Erlaubnis-Erteilung ist demnach nur dann möglich, wenn keine Beseitigungsmöglichkeit an Land besteht (Primat der Landbeseitigung) und wenn keine Besorgnis einer nachteiligen Veränderung der Beschaffenheit des Meerwassers besteht; andererseits werden die Voraussetzungen erheblich erleichtert, als Art 2 I V des Gesetzes bei "zwingenden öffentlichen Interessen" eine großzügige Ausnahmeklausel vorsieht; vgl. dazu Gündling NuR 1982, 48 ff sowie die gleiche Kritik von Winter NuR 1988, 268, die Art 2 I V des Einbringungsgesetzes als einen Verstoß gegen das Osloer Dumping-Abkommen ansehen. 8 5 8 6

Vgl. Ehlers NuR 1988,126; Minister-Erklärung: EA 1988, D 527 ff.

Nach einem EG-Ministerrats-Beschluß von 1988 sollen von den EG-Ländern allein Spanien, Großbritannien und Frankreich im Falle "wirtschaftlicher Zwänge" Übergangszeiten bis Ende 1992/Mitte 1993 zugebilligt bekommen; vgl. Jenisch Außenpolitik 1989, 85.

a) Abkommen zum Meeresumweltschutz

285

fehlt und die Kriterien für eine Erlaubnis der Stoffe der Grauen Liste allenfalls halbherzig sind87. Aufgrund des kürzlichen Beschlusses der Umweltminister der Helsinki-Kommission88, die Ableitungen von Schwermetallen, Organhalogenverbindungen und Nährstoffen in die Ostsee bis 1995 um 50 % zu reduzieren, könnte sich dieses negative Urteil über diese Regeln des Helsinki-Abkommens in der Zukunft ändern. Das Paris-Abkommen (Art. 4 I) verpflichtet die 12 Nordostatlantik-Staaten sowie die EG, die vorsätzlichen Ableitungen über Flüsse (von Basislinie bis Süßwassergrenze) und über direkte Einleitungen der in der Schwarzen Liste aufgeführten Stoffe "notfalls stufenweise zu beseitigen" und der in der Grauen Liste aufgeführten Stoffe streng zu begrenzen, vorausgesetzt daß "dadurch die menschliche Gesundheit gefährdet, die lebenden Schätze und das Ökosystem des Meeres geschädigt ... werden" (Art. 1). Es dürfte sich demnach nicht um ein absolutes, sondern nur um ein relatives Einbringungsverbot, also ein Verbot handeln, das nur gilt, wenn die Voraussetzungen des Art 1 vorliegen89. Zu diesem Zweck sind Programme und Maßnahmen durchzuführen, die gegebenenfalls Qualitäts- oder Emissionsstandards (Alternativkonzept1 sowie Abschlußtermine enthalten90. Nach Inkrafttreten des Pariser Protokolls würden auch Einträge über die Luft erfaßt; entsprechend den Beschlüssen der 2. Internationalen Nordseeschutzkonferenz sollen die Einleitungen von (z.Z. nicht erfaßten) anorganischen Nährstoffen wie Phosphor und Stickstoff bis 1995 gegenüber 1985 um 50 % verringert werden (durch Verbesserung der Kläranlagen, durch Phosphat-Regelungen gegenüber Landwirtschaft und Industrie etc.). Beim Athener Protokoll des Barcelona-Abkommens 91 sind die Ableitungen über Flüsse (von Basislinie bis Süßwassergrenze), direkte Einleitungen und die Luft der Stoffe der Schwarzen Liste zu beseitigen und hierzu die notwendigen Maßnahmen und Programme zu erarbeiten, die insbesondere gemeinsame Emissionsstandards und Abschlußtermine enthalten müssen (Art. 5). Die Ableitung der Stoffe der Grauen Liste ist streng zu begrenzen (Art. 6); dabei ist einmal der Umfang der Stoffe der beiden Listen sehr viel um-

8 7

Vgl. auch Jasudowicz Polish Yb InL Law 11 (1981-82), 168.

8 8

Deklaration vom 15.2.1988, in: Europa-Archiv 1988, D 538.

8 9 So EdomJRapschJVeh, S. 51, die dies aus der ParaUele zur EG-Gewässer-Mutterrichtlinie 76/464 vom 4.5.1976, AB1.L 129/23 herleiten. - Für die Dumping-Abkommen, die einen gleichen Artikel 1 enthalten, kann diese Formulierung aber nicht das absolute Einbringungsverbot für die Stoffe der Schwarzen Liste relativieren; eine Relativierung ist nur bei den genehmigungsfähigen Stoffen der Grauen Liste oder der übrigen Stoffe möglich. 9 0 Die Formulierung des Art. 4 Π Ι ist nicht ganz eindeutig, weil sie sowohl Elemete von Qualtitäts- als auch Emissionsstandards zu enthalten scheint, vgl. dazu Winter NuR 1988,266; zumindest in der Praxis wird das Altemativkonzept verfolgt, vgl. Winter ebda.

In: Sand, S. 27 ff. Das vorher genannte Pariser Abkommen ist abgedruckt bei: Edom uxi. t S. 306 ff.

. Abkommen zum Schutz der Gewässer

286

fassender als bei der Pariser Liste ausgefallen, zum zweiten fehlt auch eine Relativierung der Einleitungsverbote durch Rekurs auf "Gefährdung der menschlichen Gesundheit/Schädigung des Ökosystems" wie bei Art 1 des Pariser Abkommens; es ist daher nicht verwunderlich, wenn die Anforderungen an Genehmigungen strenger ausgefallen sind. Und in Präzisierung zur SRK werden Pflichten zur gemeinsamen Erarbeitung regionaler Richtlinien/Standards92, zum gemeinsamen Monitoring (einschließlich systematischer Bewertungen an der Küste)93, zum Austausch von Forschungsprogrammen, zur technischen Assistenz an die Entwicklungsländer (unter den Vertragsparteien) und zum regelmäßigen Informationsaustausch sowie die Empfehlung zur Zusammenarbeit mit betroffenen Nicht-Vertragsparteien94 genannt. Das LimaAbkommen (Quito-Protokoll)95 entspricht zwar weitgehend dem Modell des Barcelona-Abkommens, ist jedoch "softer" formuliert, da es sich um bloße Bemühensklauseln ("shall endeavour") handelt

Das vorgesehene Offshore-Protokoll zum Kuwait-Abkommen 96 bestätigt und präzisiert sämtliche Pflichten der Offshore-guidelines bezüglich LizenzSystem / UVP, Umweltmonitoring, Sicherheitsmaßnahmen und Notfallplanungen sowie der Informations- und Konsultations-Regelungen bei grenzüberschreitenden Umweltauswirkungen (Art. 4 Abs. 1 c). Bezüglich einiger präventiver Sicherheitsvorkehrungen ist das Protokoll präziser; zur Frage, welche Beschreibungen zur UVP gehören, sind hingegen die präziseren guidelines anzuwenden. Besonders hervorzuheben sind die Ansätze für planerische Elemente in den UNEP-Regionalabkommen. In den vor der Weltcharta verabschiedeten Nordund Ostsee-Abkommen fehlen sie vollends. Seitdem im Art. 11 des KuwaitAbkommens (1978) erstmals die Bemühens-Klausel zur Durchführung einer UVP, die vor Planungen von Aktivitäten im Küstenbereich mit erheblichen Risiken einer Meeresumweltverschmutzung durchgeführt werden sollte, in einem UNEP-Regionalabkommen erscheint, greifen alle nachfolgenden UNEP-Regionalabkommen diese Klausel auf. Erstmals ab dem Jeddah-Abkommen (1982) erstarkt diese Empfehlung zur Pflicht und wird in den folgenden UNEP-

9 2 Nach A i t 207 I V SRK handelt es sich um eine bloße Empfehlung mit zahlreichen Einschränkungen. 9 3

Systematische Bewertungen werden von Art. 2041 SRK auch als Empfehlung behandelt

9 4

Art. 11 Π des Athen-Protokolls lautet: H A Party shall not be responsible for any pollution originating on the territory of a non-contracting State. However, the said Party shall endeavour to cooperate with the said State so as to make possible full application of the Protocol." 9 5

In: Sand, S.103.

9 6

Entwurf vom Dezember 1988, in: EPL 19 (1989) 1, S. 32-35.

a) Abkommen zum Meeresumweltschutz

287

Regionalabkommen nur noch als Pflicht behandelt97. Damit wird exakt in dem gleichen Zeitpunkt, in dem auch das Gewohnheitsrecht die UVP als Pflicht anerkennt98, diese Pflicht auch in Abkommen anerkannt; auch die "shall endeavour"-Formulierungen in den Quellen zum Gewohnheitsrecht sind weitgehend identisch und zeitgleich mit den "shall endeavour"-Formulierungen in Abkommen, so daß Regelungen des Gewohnheitsrechts und des Abkommensrechts hier austauschbar erscheinen. Durch das Anerkenntis der Pflicht zur UVP werden "Shared Resources"-Prinzip 4, Weltcharta-Prinzip 11c, Offshore-Prinzipien 6 und 8, Cairo-Prinzip 14 b und die EIA-Principles bestätigt und präzisiert, wobei für die Frage der Art und Weise der UVP auf die Präzision durch Offshore-Guidelines und EIA-Principles zurückgegriffen werden kann und muß. Gleichzeitig mit der UVP-Pflicht wird in den gleichen Artikeln der UNEP-Regionalabkommen die Pflicht anerkannt, gemeinsam Richtlinien für Hilfen bei der Planung der Entwicklungsprojekte zu entwerfen, durch die ih schädlichen Wirkungen auf die Meeresumwelt minimiert werden. In etwa gleichzeitig wurde auch die Pflicht anerkannt, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Meeresverschmutzung durch Landgewinnung und durch wirtschaftliche Aktivitäten an der Küste, die mit der Gefahr von Küstenerosionen verbunden sind, zu verhindern, zu reduzieren und zu kontrollieren99. Zunehmend wird in den UNEP-Regionalabkommen auch der in Art 194 V SRK angesprochene Artenschutzauftrag präzisiert. Erstmals im Art 11 des Abidjan-Abkommen (1981) wurde die Pflicht zum Schutz und Erhalt seltener oder bedrohter Ökosysteme sowie des Lebensraums gefährdeter Arten genannt sowie die Empfehlung zur Errichtung besonders geschützter Gebiete, in denen alle für die Ökosysteme und Arten schädlichen Aktivitäten verboten oder kontrolliert werden. Die nachfolgenden UNEP-Regionalabkommen greifen dies auf, und erstmals ab Art. 10 des Nairobi-Abkommens (1985) ist die Empfehlung zur Errichtung besonders geschützter Gebiete zur Pflicht erstarkt Allein zwei Regionalabkommen, nämlich das 1986 inkraftgetretene Genfer Protokoll des Barcelona-Abkommens (1982) und das derzeit noch nicht inkraftgetretene

9 7 Vgl. Ait. 11 des Jeddah-Abkommens (Sand S. 120), Ait. 12 des Caitagena-Abkommens (ebda., S. 139), A i t 13 des Nairobi-Abkommens (ebda., S. 161) und Art 16 des Noumea-Abkommens (ebda., S. 198). Hingegen verwendeten die Art. 11 des Kuwait-Abkommens (ebda., S. 49), Art 13 des Abidjan-Abkommens (ebda., S. 71) und Art 8 des Lima-Abkommens (ebda., S. 88) die "shall endeavour"-Formulierung. Die drei letztgenannten Abkommen enthalten deshalb noch keine UVP-Verpflichtung (so aber Bothe/Gündling Neuere Tendenzen des UmwR im int Vgl., S. 172), sondern nur eine noch nicht etablierte Pflicht Eine Pflicht liegt daher erst ab 1982 (ab dem Jeddah Abkommen) vor. 9 8 9 9

Ab den Offshore-Guidelines (1982).

Erstmals in Art. 8 des Kuwait-Abkommens und dann fortlaufend in den späteren UNEP-Regionalabkommen (bis auf das Cartagena-Abkommen), zuletzt in Ait. 13 des Noumea-Abkommens.

288

. Abkommen zum Schutz der Gewässer

Protokoll I (1985) des Nairobi-Abkommens 100, enthalten präzise Regelungen zu geschützten Gebieten. Der Entwurf eines Protokolls zum Cartagena-Abkommen vom Juni 1989 101 , das 1990 verabschiedet wurde, enthält weitgehend gleiche Regeln, weist aber noch einmal eigens auf die Pflicht zur UVP hin (Art. 13). Beide Protokolle verpflichten die Vertragsparteien, so umfassend wie möglich Schutzgebiete zu errichten, um insbesondere bei biologisch-ökologisch wertvollen Plätzen die genetische Vielfalt, ein ausreichendes PopulationsNiveau der Arten mitsamt ihren Brut- und Wohnplätzen und repräsentative Typen von Ökosystemen und bei kulturell besonders wertvollen Plätzen diese zu schützen und zu erhalten102. Nach dem Nairobi-Protokoll (Art 8 III) sollen hierfür u.a. die natürlichen Wohngebiete bedrohter Arten von Flora und Fauna, die Wander-Routen, Nähr- oder Überwinterungsplätze von wandernden Arten, die seltenen/bedrohten Ökosysteme, aber auch die Gebiete berücksichtigt werden, die für die wissenschaftliche Forschung und für die Erhaltung der Bestände von wirtschaftlich bedeutenden Meeresarten notwendig sind. Angesichts der hohen Priorität für den Schutz der Ökosysteme und der eher nachgeordneten Priorität für wirtschaftliche Nutzung handelt es sich um den modernen ökologischen Ansatz1®' Die Parteien sollen entsprechend den Charakteristika des geschützten Gebietes die zum Schutz erforderlichen Maßnahmen ergreifen, die u.a. folgendes einschließen können104: ein Planungs- und Management-System, Verbot des Verklappens oder Ablagerns von Abfällen, Verbot der Zerstörung von Pflanzen und der Tötung von Tieren, Einschränkungen für das Einführen ausländischer Tiere und Pflanzen 105, sowie einschränkende Regelungen für das Vergnügungsgewerbe, die Schiffahrt, die Jagd, den Fischfang, den Handel mit den dort unter Schutz gestellten Pflanzen und Tieren, die archäologische Tätigkeiten, die Offshore-Aktivitäten und andere Aktivitäten, die zu ei-

1 0 0

In: Sand, S. 37 ff und S. 171 ff.

1 0 1

In: EPL 19 (1989) 6, S. 224-228. Nach Fertigstellung der Albeit wurde die endgültige Fassung am 18.1.1990 in Kingston verabschiedet (in: TractatenWad 16 , Nr. 115, S. 1 und in: Burhenne 990:85). Nach Fertigstellung der Albeit wurde auch das Paipa-Protokoll zum Lima-Abkommen vom 21.9.1989 (in Burhenne 989:71) verabschiedet. 1 0 2 Ait. 3 des Genfer Protokolls (in: Sand, S. 37 ff) und Art. 8 Π des Nairobi-Protokolls (ebda., S. 171 ff). Beim Nairobi-Protokoll wird der Schutz der Ökosysteme stäiker in den Mittelpunkt gerückt: Erhalt der ökologischen und biologischen Prozesse, die für das Funktionieren der Region wesentlich sind; Erhalt repräsentativer Beispiele aller Typen von Ökosystemen der Region; Erhalt der Populationen der größtmöglichen Anzahl von Arten der Flora und Fauna, die von diesen Ökosystemen abhängig sind; sowie Erhalt der Gebiete mit besonderer Bedeutung aus wissenschaftlichen, ästhetischen, kulturellen oder pädagogischen Gründen. 1 0 3

Siehe Begriffsklärungen oben im Text zu Fußn. 21 zu Kapitel I .

1 0 4

Art. 7 des Genfer Protokolls und Art. 10 des Nairobi-Protokolls.

1 0 5

Ebenso Art 1961 SRK. In Art. 7 des Nairobi-Protokolls ist es bereits als Verbot formuliert.

a) Abkommen zum Meeresumweltschutz

289

ner Veränderung des Profils von Boden, Küste oder Meeresbett führen 106. Bei den Schutzmaßnahmen sollen die traditionellen (wirtschaftlichen) Aktivitäten der lokalen Bevölkerung berücksichtigt werden; keinerlei Ausnahmen sind jedoch für solche Aktivitäten möglich, die die Erhaltung der geschützten Ökosysteme bedrohen oder zu einer substantiellen Verminderung der Anzahl der geschützten Arten führen 107. Dies bedeutet, daß der ökologische Ansatz im Zweifel höher bewertet wird als die Bedeutung traditioneller ökonomischer Aktivitäten. Innerhalb dieser Schutzgebiete sind Pufferzonen mit einem geringeren Schutz möglich108. Im übrigen werden die Parteien durch diese beiden Protokolle zur Erarbeitung gemeinsamer Richtlinien und Standards, zur Förderung der Forschung über ihre Schutzgebiete, zum regelmässigen Informationsaustausch über die Erfahrungen und Probleme mit den Schutzgebieten und über ihre Forschungen (sowie möglichst zur Koordination ihrer Forschung), zu Hilfestellungen an die Entwicklungsländer zur Einrichtungen von Schutzgebieten, zu Berichten an die Regionalorganisation über das Monitoring und die ergriffenen Schutzmaßnahmen und insbesondere zur Errichtung eines Zusammenarbeitsprogramms verpflichtet, um die Gründung und Bewirtschaftung von Schutzgebieten zu koordinieren mit dem Ziel, ein Netzwerk von Schutzgebieten in der Region zu errichten 109. Wie ernst gerade die letztgenannte Pflicht genommen wird, zeigt sich daran, daß bereits ein Jahr nach Inkrafttreten des Genfer Protokolls 44 Schutzgebiete an den Küsten des Mittelmeeres bestan-

1 0 6 Diese Ermächtigung ist umfassender als das deutsche Naturschutzrecht: In den §§ 13 Π und 14 Π BNatSchG werden nur die minimalen Rahmenbedingungen für Nationalparks und Naturschutzgebiete genannt (Verbot der Veränderung oder nachhaltigen Störung der Naturschutzgebiete), im übrigen handelt es sich um Landesrecht. So sieht etwa das schleswig-holsteinische Naturschutzrecht keinerlei Beschränkungen für Jagd, Fischfang oder Landgewinnung in seinem Wattenmeer-Nationalpark vor; vgl. § 2 Π und ΠΙ Nationalparkgesetz Schi.-Holstein vom 22.7.1985 (GVOB1. S. 202) und § 6 ΠΙ und I V dieses Gesetzes . 1 0 7 Art. 9 des Genfer Protokolls und Art 12 des Nairobi-Protokolls; bei allen Ausnahmen sind außerdem die Regionalorganisationen zu benachrichtigen; dies dürfte ein umfassendes Fisch- und Jagdverbot bedeuten; vgl. demgegenüber das weniger strenge Naturschutzrecht Schleswig-Holsteins (Hinweise in der vorigen Fußn.) und wohl auch anderer Bundesländer. 1 0 8 Art 5 des Genfer Protokolls und Art. 11 des Nairobi-Protokolls. Dies entspricht auch dem deutschen Naturschutzrecht, das eine Einteüung in verschiedene (meist drei) Schutzzonen kennt, wobei aber gem. § 141 Nr. 2 BNatSchG im überwiegenden Teil des Gebietes die Voraussetzungen eines Naturschutzgebietes (also der strengen Schutzzonen 1 und 2) erfüllen müssen. 1 0 9 Zu letzterem vgl. Art 12 des Genfer und Art 16 des Nairobi-Protokolls. Weiterhin wird noch die Pflicht zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit genannt, falls das Schutzgebiet an der Grenze zu einem anderen Staat liegt. Außerdem kommen noch Pflichten zu Treffen im Rahmen der Regionalorganisation hinzu, bei denen die Implementierung und mögliche Ergänzung des Protokolls diskutiert werden soll.

19 Hohmann

290

Ι . 1 Abkommen zum Schutz der Gewässer

den 110 . Zusätzlich zum Schutzgebiete-Konzept enthält das Nairobi-Protokoll Artenschutzpflichten, um die genetische Vielfalt und den "sustainable use" von Jagdtieren unter ihrer Jurisdiktion sicherzustellen: Die in Anlage I aufgeführte wilde Flora steht unter dem Schutz, und die in Anlage II genannten Arten wilder Fauna unter dem besonderen Schutz der Parteien; bezüglich der letztgenannten gilt das Verbot, diese Tiere zu fangen, zu töten, ihre Lebensräume zu beschädigen, sie während der Brut-, Brunft- und Winterzeit zu stören, ihre Eier wegzunehmen, sie zu besitzen und mit ihnen Handel zu treiben. Für die in Anlage III aufgeführten Jagdtiere (u.a. den Elefanten) muß ein optimales Niveau der Populationen sichergestellt werden, indem für sie ein spezifisches Nutzungs-Management zur Erhaltung dieser Arten aufgestellt und umgesetzt wird, das vor allem für die Jagd und den Handel zahlreiche Beschränkungen111 auferlegt (Art. 5). Der hierbei zum Vorschein kommende hohe Schutzgehalt legt die Schlußfolgerung nahe, daß dies erstmals eine Verpflichtung auf den Ansatz der optimalen Ressourcenpflege (im Sinne des Weltcharta-Prinzips 4) ist Insgesamt werden die Weltcharta-Prinzipien 1-4 und das Stockholmer Prinzip 2 (Schutz des genetischen Erbes und repräsentativer Beispiele von Ökosystemen) durch diese beiden Protokolle bestätigt und präzisiert in einer Art und Weise, daß die in Art 3 des Entwurfs der WCED-Expertengruppe112 genannten Pflichten, Ökosysteme und damit verbundene ökologische Prozesse sowie die umfassende biologische Vielfalt durch Schutz vor allem der bedrohten Fauna und Flora in ihren natürlichen Wohngebieten zu erhalten, bestätigt werden; das ebenfalls dort genannte Prinzip des "optimum sustainable yield" ist allerdings bisher allein für die in Anlage III des Nairobi-Protokolls genannten Jagdtiere bestätigt worden. Der in den beiden Protokollen vertretene Nachhaltigkeits-Ansatz entspricht weitgehend dem ECE-Ansatz, wie er etwa in der naturschutzrechtlichen Erklärung von 1988 113 vertreten wurde, wobei allerdings finanzielle Anreize, eine ökologisch geprägte Wirtschaftspolitik und eine ausgefeilte Raumplanung fehlen. Daß auch die anderen UNEP-Regionalabkommen an nachhaltiger Ressourcenpflege ausgerichtet sind, ergibt sich daraus, daß sieben der bisher verabschiedeten acht Regionalabkommen in ihrer Präambel aus1 1 0 Vgl. UNEP, Annual Report 1987 of the Executive Director, Nairobi 1988, S. 62, Figure 8. Für die Verpflichtungen zur Errichtung von Schutzgebieten und für die Jagdverbote der Protokolle ist zu beachten, daß auch weite Küstenregionen von den Protokollen erfaßt werden. 1 1 1 Genannt werden insbesondere: Verbot aller wahllosen Fang- und Tötungsmittel und aller Mittel, die ein lokales Verschwinden oder eine erhebliche Störung der Populationen dieser Spezies hervorrufen können; Schonzeiten; temporäre oder lokale Fang- oder Jagdverbote; Beschränkungen des Verkaufs von lebenden und toten Wildtieren; Erhalt von Zuchttieren und ihrer Wohngebiete in den Schutzgebieten. 1 1 2

In: Experts Group/Munro/Lammers

Environmental Protection and Sustainable Development,

S. 45. 1 1 3 "Declaration on Conservation of Flora, Fauna and their Habitats", zitiert in Fußn. 43 zu Kapitel Π 2 d .

a) Abkommen zum Meeresumweltschutz

291

drücklich die "Verantwortung zum Schutz des natürlichen Erbes für gegenwärtige und künftige Generationen" betonen. Seit dem Nairobi-Abkommen enthalten die Regionalabkommen in der Präambel auch das Bekenntnis zum "sustained resource management"114. Seit dem Noumea-Abkommen wird der Schutz der Naturressourcen explizit im Titel des Abkommens aufgeführt 115, was den nachhaltigen ressourcenschützenden Ansatz unterstreicht. cc) Zwischenergebnis

Die Regionalabkommen entsprechen dem "shared resources"-Konzept und gewährleisten damit ein gemeinsames Ökomanagement der Anrainer der jeweiligen Meeresumwelt-Region. Damit wird der Meeresumweltschutz zum gemeinsamen "regional concern" sämtlicher Anrainer-Staaten. Der Schutz der Meeresumwelt beim Tiefseebergbau, bei dem gewaltige ökologische Probleme entstehen werden 116, ist zum "common concern of mankind" erklärt worden, wodurch die diesbezüglichen Regeln "erga omnes"-Pflichten begründen. Durch die Seerechtskonvention wurde der Küstenstaat zum primären Wächter der Wirtschaftszone neben dem Flaggenstaat, ergänzt durch zusätzliche Kompetenzen des Hafenstaates; für die hohe See haben Flaggen- und Hafenstaat ein begrenztes Wächteramt. Im Meeresumweltschutz ist somit an die Stelle des rein nationalen Managements die regional-solidarische Kooperation getreten. Außerhalb der Regionalabkommen handelt es sich jedoch beim Schutz der Wirtschaftszone um eine primäre Angelegenheit des Küstenstaates, der nur zuweilen mit anderen Küstenstaaten oder mit dem jeweiligen Flaggenstaat kooperieren muß. Durch die Verdopplung der Verantwortungssphären (Flaggen- und Küstenstaat), begleitet von Kompetenzen des Hafenstaates, dürfte jedoch ein effektiveres Umweltmanagement möglich sein als zur Zeit des klassischen Umweltvölkerrechts. 1 1 4 In der Präambel des Noumea-Abkommens heißt es: "Seeking to ensure that resource development shall be in harmony with the maintenance of the unique environmental quality of the region and the evolving principles of sustained resource management"; in der Präambel des NairobiAbkommens heißt es am Schluß "... the evolving principles of rational environmental management". 1 1 5 "Convention for the protection of the natural resources and environment of the South Pacific region", während es ursprünglich nur hieß "Kuwait regional convention for co-operation on the protection of the marine environment form pollution" und seit dem Nairobi-Abkommen "Convention for the protection, management and development of the marine and coastal environment of the Eastern African region". Art 14 des Noumea-Abkommens verpflichtet die Parteien auch zum Artenschutz und zu Schutzgebieten; das diese Pflicht präzisierenede Protokoll fehlt noch. Zum Noumea-Abkommen vgl. auch Schröder JahrB UTR 1987, S. 281 ff.

116 vgl. Jürgen Schneider in: Vitzthum Hrsg., Die Plünderung der Meere, S. 172 ff: unkontrollierbare Schäden, Zerstörung ganzer Nahrungsketten der Tiefsee etc.

292

. Abkommen zum Schutz der Gewässer

Etwa die Hälfte der Meeresumweltabkommen tendiert eher zu einem reaktiven Ansatz, zu Hilfen bzw. zum Schadensersatz nach erfolgter Kollision oder Strandung. Dennoch gibt es auch in diesem Bereich zunehmend präventive Ansätze, etwa indem die Nordsee durch das Bonner Abkommen in Verantwortungssphären aufgeteilt wird und damit unabhängig von Unfällen klargestellt ist, welche der Vertragsparteien in welcher Region Umweltmonitoring betreiben und über gefährliche Entwicklungen berichten muß. Auch die Versicherungspflicht der Brüsseler Ölhaftungskonvention und vor allem die moderne Fonds-Lösung der FUND-Konvention kann als ein vorsorgender Haftungs-Ansatz bezeichnet werden, der möglicherweise auch durch die hohen Versicherungs- und Fonds-Gebühren zu einem Präventivschutz der Umwelt beiträgt. Allerdings fehlen Haftungsabkommen für Chemikalientanker und für Unfälle bei den Offshore-Aktivitäten. Eher präventiv sind die Regelungen zu den schiffahrtsbedingten Einleitungen und zum Verklappen von Abfällen. Da nicht geklärt ist, in welchem Umfang die jeweils erfaßten Meere belastbar sind, kann man in den Schwarzen und Grauen Listen und sonstigen Genehmigungspflichten nicht lediglich Maßnahmen der Gefahrenabwehr, sondern bereits der Risikominderung sehen117; Gleiches gilt für die Verbote und Begrenzungen der schiffahrtsbedingten Einleitungen. Allerdings sind die Kriterien nicht immer präventiv genug formuliert Dies hängt primär damit zusammen, daß den Dumping-Abkommen sowie dem Paris-Abkommen ein Verschmutzungs-Begriff zugrundegelegt ist, der allein von der "Gefährdung menschlicher Gesundheit" und der "Schädigung des Ökosystems" ausgeht118, so daß allein der sofortige Tod von Fischen (und nicht schon die Gefahr ihrer Erkrankung) zur Versagung der Verklappungs-Genehmigung führt 119 und auch das Einleitungsverbot des Pariser Abkommens relativiert wird. Ein Präventiv-Schutz wäre nur zu erreichen, wenn auf Beeinträchtigungen des Wohlbefindens bei Organismen bzw. auf eine Störung des ökologischen Gleichgewichts oder darauf abgestellt würde, ob "nachteilige Veränderungen der Beschaffenheit des Meerwassers zu besorgen sind"120. Weiterhin sind die zu prüfenden allgemeinen Belange für die Verklappungsgenehmigungen beim Osloer Dumping-Abkommen rein ökonomisch ausgefallen; ein präventiver Schutz der Ökosysteme läßt sich davon nicht erwarten. Die Verpflichtung zu Meldungen über Verklappungsgenehmigungen könnte präventiv wirken, indem sie von der zu leichtfertigen Genehmigungserteilung abhält. Insgesamt fehlt die Pflicht der vorrangigen Landentsorgung und dominieren zu sehr Rücksichtnahmen auf ökonomische Interessen, 1 1 7

So auch Rehbinder, Vorsorgeprinzip, Ms. S. 266.

1 1 8

So die jeweiligen Ait. 1 des Londoner- und Osloer Dumping Abkommes und des Paris-Abkommens. Vgl. auch die ähnliche Begriffsbestimmung in Art. 2 lit. a des Barcelona-Abkommens. 1 1 9 Vgl. Dethlefsen in: BT-Anhörang Schutz der Nordsee, S. 138 (156); dies geschah beim Verklappen von Abfällen der Aluminiumindustrie.

120 vgl. Art. 2 Π des deutschen Hohe-See-Einbringungsgesetzes und Winter NuR 1988,268.

a) Abkommen zum Meeresumweltschutz

293

sonst wären die zahlreichen wirtschaftlichen Ausnahmeklauseln schwer erklärlich. Für die Von-Land-Einleitungen, die den größten Anteil der Verschmutzungen der Meeresumwelt ausmachen, halten allein das Paris-Abkommen für die Nordsee und das Athener Protokoll des Barcelona-Abkommen für das Mittelmeer effektive Regelungen bereit; zwei weitere Regionen kennen halbherzige Regelungen, während bei den sechs übrigen Regionen sämtliche präzisen Regelungen fehlen. Allein das Athener Protokoll ist präventiv formuliert, weil es Emissionsstandards verlangt, während sich das Paris-Abkommen mit dem Alternativkonzept begnügt. Regelungen zu Offshore-Aktivitäten sind erst für zwei UNEP-Regionalmeeieabkommen in Vorbereitung. Diese zwei Entwürfe bestätigen die Offshore-guidelines vollständig. Die Ressourcenschonung der Seerechtskonvention ist nur relativ, weil sie am "maximum sustainable yield" orientiert ist. Die Regionalabkommen entwickeln den Artenschutzauftrag der Seerechtskonvention weiter und erkennen spätestens 198S die Pflicht zur Errichtung von Schutzgebieten an. Erst zwei nach der Weltcharta verabschiedete Protokolle/Abkommen, das Genfer Protokoll des Barcelona-Abkommens und das Protokoll I des Nairobi-Abkommens (sowie demnächst je ein Protokoll zum Kuwait- und Lima-Abkommen), präzisieren diese Pflicht, wobei sie Regelungen enthalten, die über die NaturschutzAnforderungen einiger Industriestaaten (wie Deutschland) hinausgehen, und sie - zumindest bezüglich des Schutzes von Jagdtieren - erstmals auf die optimale Ressourcenpflege abstellen. Auch die übrigen UNEP-Regionalabkommen enthalten Ansätze zum nachhaltigen Ressourcenschutz, etwa indem sie in ihrer Präambel auch auf den Schutz künftiger Generationen verpflichten; hier fehlen aber noch Protokolle zur Präzisierung, wie dieser Nachweltschutz beschaffen sein soll. Bei den Regionalabkommen der Nord- und Ostsee, die unmittelbar vor oder nach der Stockholmer Deklaration verabschiedet wurden, fehlen jegliche Regelungen zum Artenschutz oder zu Schutzgebieten oder sonstige Ansätze zur nachhaltigen Ressourcenpflege. Hier fehlen auch sämtliche planerische Ansätze, die hingegen bei den UNEP-Regionalabkommen zunehmend verankert werden. So wird dort seit 1982 die Pflicht zur UVP (zeitgleich mit der Entstehung der Pflicht im Gewohnheitsrecht und in der Seerechtskonvention) anerkannt. Gleichzeitig werden die Pflichten anerkannt, Maßnahmen gegen Landgewinnung und Küstenerosion zu ergreifen und gemeinsam Richtlinien für die Hilfen bei der Planung von Projekten zu entwickeln. Zahlreiche Elemente eines Umweltmanagements und insbesondere die institutionalisierte Kooperation des regionalen Ökomanagements mit Hilfe von Regionalorganisationen und diesen unterstellten Regionalzentren wird anerkannt. Die NordseeAbkommen bleiben hier hinter den UNEP-Regionalabkommen zurück, weil sie nur partielle Kommissionen für einzelne Sachbereiche, aber keine Regionalorganisation kennen.

294

Ι . 1 Abkommen zum Schutz der Gewässer

Insgesamt fehlen Regelungen, die unmittelbar bei Produktions- und Konsumstrukturen ansetzen (Ursprungsprinzip). Es fehlen weiterhin ökonomische Anreize, wie etwa Subventionierungen, Lenkungsabgaben, Steuererleichterungen etc. So wäre etwa eine Subventionierung der MARPOL-Kosten für Auffanganlagen und Entsorgung vordringlich, weil die hohen Bau- und Entsorgungskosten die Erfolge des MARPOL-Abkommens vereiteln können121. Allein die Palette der ordnungsrechtlichen Instrumente wurde durch die Meeresumweltabkommen ausgeschöpft: Verbote und Genehmigungsvorbehalte, die nach Maßgabe internationaler Standards auszuüben sind, Befähigungsnachweise und Überwachungsaufgaben; hinzu kommt die Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung von Unbedenklichkeitszeugnissen und zur Bestrafung von Konventionsverstößen 1 2 2 . b) Beispiele von Abkommen zu internationalen Fluß- und See-Regimen aa) Abkommen zu europäischen Fluß- und Seeregimen

Als Beispiele für Abkommen zu europäischen Ruß- und Seeregimen sollen der Rhein und der Bodensee angefühlt werden. aaa) Das Rhein-Regime Der Rhein ist mit 1320 km Länge einer der bedeutendsten Flüsse Europas. Er entspringt in der Schweiz (Alpenrhein), fließt durch den Bodensee, bildet bis Basel die Grenze der Schweiz zu Deutschland (Hochrhein) und dann die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich (Oberrhein), fließt weiter durch Deutschland (Mittel- und Niederrhein) und später durch die Niederlande123. Zum hydrographischen Becken ("drainage basin") des Rheins gehören Gebiete der fünf Staaten Schweiz, Frankreich, Deutschland, Luxemburg124 und Niederlande, nämlich das Gebiet, das von den Wasserläufen Rhein, Bodensee, Mosel, Saar, Maas, Neckar, Main, Lahn, Ruhr, Lippe, Waal, Lek und IJssel geprägt wird. Diese fünf genannten Staaten schlossen sich, nachdem in den vierziger Jahren wegen der zunehmenden Rhein-Verschmutzung Bedenken geäußert wurden, ob der Rhein noch die Trinkwasserversorgung sicherstellen kann, 1950 zur 1 2 1

Vgl. Kunig NuR 1986,286.

1 2 2

Vgl. Schröder JahrB UTR 1987, S. 292 f; die Pflicht zur gegenseitigen Aneikennung von Zeugnissen ergibt sich aus Ait. 5 des MARPOL-Abkommens. 1 2 3

Vgl. Beyerlin HdUR Π Sp. 272.

1 2 4

Luxemburg nur wegen der Mosel, die zum hydrographischen Becken des Rheins gehört

b) Abkommen zu Fluß- und Seeregimen

295

Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR) zusammen125. Nach der IKSR-Vereinbarung von 1963 126 soll jedoch - weitgehend anders als im Chemie-Abkommen - nicht das ganze hydrographische Becken, sondern allein der Ruß Rhein erfaßt sein, und das auch nur ab dem Hochrhein, d.h. ab dem Austritt aus dem Bodensee (Art 1). Um diese Unvollständigkeit abzugleichen, verpflichtet Art. 10 der Vereinbarung die ISKR zur Zusammenarbeit mit den anderen internationalen Kommissionen für die Rhein-Zuflüsse (Bodensee-, Mosel- und Saar-Kommissionen). Die Kompetenzen der ISKR beschränken sich darauf, Untersuchungen zu Ausmaß und Ursprung der Verschmutzungen durchzuführen, den Regierungen der Vertragsparteien geeignete Maßnahmen vorzuschlagen und künftige Gewässerschutzabkommen vorzubereiten (Art. 2). Alle Beschlüsse verlangen Einstimmigkeit127 (Art 6), während bei den Beschlüssen der Regionalorganisationen der UNEP-Regionalabkommen Mehrheits-Entscheidungen ausreichen128. Im Gegensatz zu den Regionalabkommen zum Meeresumweltschutz fehlen Bestimmungen zu Informations-, Notifikations- und Konsultationspflichten oder zu einem Notfall-Regime. Dieser nur scheinbare Widerspruch zum Gewohnheitsrecht läßt sich wieder mit der zeitlichen Relativität des Abkommens erklären: Das Abkommen wurde 13 Jahre vor der "Shared Resources"-Deklaration verabschiedet; auch die ersten Dokumente des europäischen Gewohnheitsrechts zum Gewässerschutz (die ECE-Erklärung von 1966 und die Europäische Wassercharta von 1968) wurden erst drei bzw. fünf Jahre später verabschiedet. Aufgrund der fehlenden materiellrechtlichen Pflichten der IKSR-Vereinbarung und der begrenzten Kompetenzen der ISKR war diese bis 1972 darauf beschränkt, technische Informatio1 2 5 1 2 6

Vgl. Lammers Pollution of International Rivers, S. 167 f.

BGBl. 1965 Π, 1433 (und in: Schweitzer/Rudolf treten 1965.

Friedensvölkerrecht, S. 361 ff); inkraftge-

1 2 7 Ait. 6 Π; außerdem ist Anwesenheit aller Delegationen Voraussetzung. Die Stimmenthaltung von nicht mehr als einer Delegation steht der Einstimmigkeit nicht entgegen. An. 6 Ι Π . 1 2 8

Für Ergänzung der Abkommen, Protokolle oder Anlagen wird immer eine Drei-ViertelMehrheit der auf der Konferenz anwesenden Delegationen der Vertragsparteien vorausgesetzt (vgl. etwa Art. 16 Π Ι des Barcelona-Abkommens; Artt 24 V und 25 Π l i t c des Noumea-Abkommens) und allein für Finanz-, Budget- und Verfahrensregeln ist "Konsens" (also Einstimmigkeit oder zumindest keine Gegenstimme) erforderlich (vgl. etwa Art 2 2 1 l i t h und Art 2 2 I V des NoumeaAbkommens). Für alle anderen Beschlüsse reicht demnach einfache Mehrheit der anwesenden Delegationen. Bei den Meeresumwelt-Regionalabkommen für Nord- und Ostsee ist das Bild nicht ganz einheitlich: Für die wichtigsten Beschlüsse der Paris-Kommission (Annahme von Programmen und Maßnahmen) wird Einstimmigkeit und ersatzweise Dreiviertelmehrheit verlangt (Art. 18 Π Ι Paris-Abkommen); für alle anderen Fragen (außer Geschäfts- und Finanzfragen sowie Änderungen des Abkommens oder der Anlagen: Einstimmigkeit bzw. 3/4-Mehrheit) reicht einfache Mehrheit; für die Helsinki-Kommission ist bis auf wenige Ausnahmen Einstimmigkeit erforderlich (Art. 12 V Helsinki-Abkommen); bei der Oslo-Kommission ist die Einstimmigkeit nur für Änderungen der Anlagen und für die Geschäftsordnung erforderlich (Art 18 des Helsinki-Abkommens), während im übrigen offensichtlich Mehrheitsentscheidungen ausreichen.

296

. Abkommen zum Schutz der Gewässer

nen über die Zunahme der Rhein-Verschmutzung zu liefern 129. Durch eine Ministerkonferenz von 1972 wurde die IKSR damit beauftragt, Konventionen zum Schutz gegen die drei Hauptverschmutzungsquellen, nämlich gegen die chemische und thermische sowie die Salz-Verschmutzung, zu erarbeiten. Bis heute ist es nicht gelungen, ein Abkommen zur thermischen Verschmutzung zu verabschieden130, während die beiden anderen Abkommen 1976 verabschiedet werden konnten. Durch die IKSR-Zusatzvereinbarung (1976) 131 wurde die EG Vertragspartei der IKSR-Vereinbarung. Hintergrund hierfür ist, daß durch die seit 1975 verabschiedeten EG-Richtlinien zum Gewässerschutz, die Verschmutzungen durch Chemikalien aber nicht durch Chloride betrafen, die EG die ausschließliche Kompetenz für den Schutz der Gewässer gegen Chemikalien auch im Außenverhältnis erwarb, so daß die EG-Kommission insoweit für die vier EG-Staaten (Vertragsparteien der IKSR-Vereinbarung außer Schweiz) handeln muß 132 . In den Fällen der ausschließlichen EG-Kompetenz nimmt der Vertreter der EG-Kommission diese vier Stimmen (anstelle der vier Mitgliedstaaten) wahr (Art. 2 c). Letztlich bedeutet die Mitgliedschaft der EG in der IKSR und im Chemikalien-Abkommen, daß erst in Brüssel vorläufige Beschlüsse und anschließend in der IKSR endgültige Beschlüsse ausgehandelt werden müssen, wodurch es zu zahlreichen Verzögerungen und Kompromissen kommt, was das Ökomanagement durch die IKSR erschwert hat 133 . Das Abkommen zum Schutz des Rheins gegen chemische Verunreinigungen (nachfolgend: Chemie-Abkommen) von 1976 134 hat angesichts des Umstandes, daß 20 % aller Chemiefabriken der westlichen Welt im hydrographischen Becken des Rhein liegen135, hohe Bedeutung. Durch das Abkommen werden die Vertragsparteien verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um die Verunreinigung sämtlicher oberirdischer Gewässer des gesamten Rhein-Einzugsgebietes durch die in der Schwarzen Liste (Anhang I) aufgeführten besonders gefährlichen Stoffe schrittweise zu beseitigen und der in der Grauen Liste (Anhang II) aufgeführten gefährlichen Stoffe allein im Rheinwasser zu verringern (Art. 11). Bei diesen Maßnahmen muß - in völliger Übereinstimmung mit der "Draft Eu129 Vgl. Kamminga in: Zacklin/Caflisch, The Legal Regime of International Rivers and Lakes, S. 373; er weist auch auf die beschränkten Möglichkeiten des Sekretariat der IKSR in Koblenz hin: ein Sachberarbeiter und drei Verwaltung s -Mitarbeiter, das Jahresbudget lag 1979 bei 352.000 D M . 130 Vgl. Lammers in: Verwey, Nature Management and Sustainable Development, S. 447. 1 3 1

BGBl. 1979 Π, 87 (und in: Schweitzer/Rudolf

Friedensvölkerrecht, S. 366 ff); inkraftgetreten

1979. 132 Vgl. hierzu Kamminga, S. 375-379; es handelt sich um eine Konsequenz der AETRRechtsprechung des EuGH. 1 3 3

Vgl. Kamminga, S. 380.

1 3 4

BGBl. 1978 Π, 1054 (und Schweitzer/Rudolf,

1 3 5

Vgl. Kamminga, S. 371.

S. 369 ff); 1979 inkraftgetreten.

b) Abkommen zu

uß- und Seeregimen

297

ropean Convention for the Protection of International Watercourses" (Art. 17) des Europarates, der das Chemie-Abkommen nachgebildet zu sein scheint136 berücksichtigt werden, daß das Rheinwasser u.a. für Trinkwassergewinnung, für Tiere und Pflanzen, für Fischerei, landwirtschaftliche und industrielle Zwecke, zur Erholung und zur Erhaltung der Selbstreinigungskraft der Gewässer und einer akzeptablen Meerwasserqualität genutzt wird (Art 1 II); es handelt sich um den modernen ressourcenökonomischen Ansatz, bei dem allerdings die Einräumung einer Priorität für die Trinkwassergewinnung und den Erhalt der Selbstreinigungskraft fehlt, so daß letztere durch ökonomische Aktivitäten relativiert werden könnten. Man könnte insoweit von einem relativen ressourcenökonomischen Ansatz sprechen. Außerdem muß wohl für die Stoffe der schwarzen Liste in Übereinstimmung mit dem deutschen Recht der Stand der Technik verlangt werden 137. Für die Stoffe der Schwarzen Liste, die nur nach vorheriger Genehmigung der nationalen Gewässerbehörde in die oberirdischen Gewässer des Rheineinzugsgebietes eingeleitet werden dürfen (Art. 3 I), werden nationale Emissionsnormen festgesetzt, durch die maximale Konzentration und Höchstmenge eines Stoffes innerhalb eines bestimmten Zeitraumes festgelegt werden (Artt 3 II und 4) 1 3 8 ; dabei dürfen diese Emissionsnormen die internationalen Grenzwerte nicht überschreiten. Diese internationalen Grenzwerte müssen von der IKSR vorgeschlagen und von den Regierungen der Vertragsparteien einstimmig verabschiedet werden (Artt. 5 I, 14 III); sie müssen Toxität, Langlebigkeit und Bioakkumulation berücksichtigen und die zulässige maximale Konzentration eines Stoffes festlegen. Das Festlegen dieser internationalen Grenzwerte ist jedoch sehr enttäuschend verlaufen, weil zehn Jahre nach Inkrafttreten des Chemie-Abkommens erst ein einziger internationaler Grenzwert für einen Stoff der Schwarzen Liste wirksam geworden ist 139 . Schuld hieran ist einmal, daß trotz des an sich bestehenden Konsenses in der IKSR erst die Entscheidung des EG-Ministerrates abgewartet werden muß und daß selbst bei einem einstimmigen Beschluß in der IKSR die Vertragsparteien das letzte Wort haben, weil auch im Chemie-Abkommen die IKSR auf das Vorschlagsrecht beschränkt bleibt. Diese Schwierigkeiten bei der Implementierung des Chemie-Abkommens haben zu dem neuen, unten zu nennenden Ansatz des Rhein-Aktionsprogramms geführt, der ohne solche individuellen Grenzwerte auskommt. Für die Ableitungen der Stoffe der Grauen Liste in das Rheinwasser sind ebenfalls Genehmigungen erforderlich; für diese müssen die 1 3 6 Vgl. Kiss NatResJ. 25 (1985), 625; das Europarats-Abkommen ist zitiert oben im Text zu Fußn. 79 zu Kapitel Π 2 d .

137 w i e Fußn. 142 zu diesem Kapitel. Insoweit entspricht Ait. 11 l i t a des Chemie-Abkommens dem deutschen Recht (§ 7 a 13 Hs. 2 WHG). 1 3 8 Wenn der Abieiter die vorgeschriebenen Emissionsnormen nicht einhalten kann, muß die Genehmigung verweigert bzw. die Ableitung verboten werden (Art. 4 Π und ΙΠ). 1 3 9

V g l Lammers (Fußn. 130), S. 446.

. Abkommen zum Schutz der Gewässer

298

nationalen Wasserbehörden Emissionsnormen festlegen, die nach Qualitätszielen ausgerichtet werden müssen (Art. 6 IV); letztlich handelt es sich daher um Qualitätsnormen. Diese Qualitätsstandards werden allein national bestimmt; allerdings werden die hierzu erforderlichen nationalen Programme (etwa Bewirtschaftungspläme i.S.d. § 36 b WHG 1 4 0 ) durch die IKSR aufeinander abgestimmt (Art 6 II). Das Chemie-Abkommen, das die Kontrolle der Rheinverschmutzung weitgehend auf die Anliegerstaaten überträgt, greift damit in zwei verschiedenen Hinsichten in das nationale Umweltrecht der fünf Vertragsparteien ein: Es verpflichtet zu Maßnahmen zur Verringerung der Stoffe der Grauen Liste (also etwa zu Bewirtschaftungsplänen), die international koordiniert werden, und bezüglich der Emissionsnormen für die Stoffe der Schwarzen Liste hält es internationale Obergrenzen bereit 141. Im übrigen bestätigt und präzisiert das Chemie-Abkommen folgende gewohnheitsrechtlichen Pflichten: Pflichten zum Monitoring (Artt. 81 und 10), zum Notfallregime (Ait. 11), zu regelmäßigen Unterrichtungen (Artt. 8 II und 12), zu Schiedsverfahren (Art. 15) und wohl auch zu einigen wissenschaftlichen Kooperationen (vgl. Artt. 1 I lit. a 1 4 2 , 13 und 14). Dadurch werden die "Shared Resources"-Prinzipien 1-2 (institutionelle Kooperation), 5 (regelmäßige Informationen und Konsultationen), 8 (gemeinsame Studien und Bewertungen), 9 (Notfallregime) und 11 (Dispute-Settlement) bestätigt und präzisiert. Weitgehend entsprechen sowohl das Chemie-Abkommen als auch das Paris-Abkommen dem Modellabkommen des Europarates von 1974 143 , dem sie weitgehend nachgebildet zu sein scheinen; allerdings werden die Mindest-Qualitätsstandards des Modellabkommens durch eine Kombination von Emissions- mit Grenzwerten für Stoffe der Schwarzen Liste (Chemie-Abkommen) oder durch das Alternativkonzept (Paris-Abkommen) ersetzt Diese Abkommen entsprechen auch den "ILA-Rules of Water Pollution in an International Drainage Basin" (1982), wobei sämtliche Bestimmungen dieser ILA-Rules bestätigt und präzisiert werden; allein die Empfehlung des Art. 8 dieser Rules, auf nicht-diskriminierender Basis Zugang zu Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen zu schaffen, wird nicht aufgegriffen.

1 4 0

Vgl. Botschen in: Recht der Wasserwirtschaft 22 (1979), S. 11.

1 4 1

Vgl. Wolfrum

in: DG V N zur diskussion gestellt Nr. 28, S. 29.

1 4 2

Das Berücksichtigen der "besten verfügbaren technischen Mittel" soll dem "Stand der Technik" entsprechen; vgl. Winter NuR 1988,267 in seiner Fußn. 32. 1 4 3 "Draft European Convention for the Protection of International Watercourses against Pollution", zitiert in Fußn. 79 zu Kapitel Π 2 d . Auch die EG-Gewässerrichtlinie 76/464/EWG ("Gewässer-Mutterrichtlinie") entspricht dem gleichen Modell, wobei allerdings die Emissionsnormen - auch bei den Stoffen der Schwarzen Liste - durch Qualitätsstandards ersetzt werden können; vgl. hierzu die Kritik von Winter NuR 1988,267.

b) Abkommen zu

uß- und Seeregimen

299

Das 198S inkraftgetretene Abkommen zum Schutz des Rheins gegen Chloride von 1976 (nachfolgend Chlorid-Abkommen) 144 verpflichtet vor allem Frankreich zur Reduktion der Einleitung salzhaltiger Abfälle bzw. Abwässer aus den elsässischen Kaligruben in den Rhein, die den Fluß jährlich mit ca. 7 Millionen t Salz (35-40 % der Gesamtversalzung) belasten und zu Klagen niederländischer Gemüsegärtnereien gegen die elsässischen Kaliminen geführt haben 145 . Die Vertragsparteien werden durch das Chlorid-Abkommen verpflichtet, die Ableitungen dieser Kali-Salze in den Rhein um mindestens 60 kg/s im Jahresdurchschnitt zu verringern (Art 2 I). Für die französische Vertragspartei soll dies stufenweise geschehen, indem zunächst eine erste Menge von 20 kg/s verringert wird, die dafür in einer speziellen Anlage im Boden abgelagert wird (Art. 2 II). Ein Beitrag von 70 % dieser Lagerkosten muß von den drei Vertragsparteien Deutschland, Niederlande und Schweiz erbracht werden (Art. 7 Π); es handelt sich insoweit um eine Anwendung des Gemeinlastprinzips, während allein die restlichen 30 % dem Verursacherprinzip entsprechen. Wegen anhaltender Proteste der elsässischen Bevölkerung und später wegen Uneinigkeit über die Finanzierung der hohen Lagerkosten konnte das weitere Ziel einer zusätzlichen Reduktion um weitere 40 kg/s nicht erreicht werden 146. An materiellen Pflichten enthält das Chlorid-Abkommen: Verhinderung einer Steigerung bisher abgeleiteter Mengen (Stillhalteklausel, d.h. "Einfrieren" der jetzigen Mengen, Art. 3 I), Überwachung aller Einleitungen von mehr als 1 kg/s (Art. 3 IV), Berichtspflichten an die IKSR, Notfallregime (Art. 11), Monitoring durch regelmäßige Messungen und regelmäßige Unterrichtungen der IKSR über die Meßergebnisse (Art. 12) sowie Pflicht zum Schiedsverfahren und zur Zusammenarbeit in verschiedenen Fragen. Nicht zuletzt wegen der zeitraubenden Prozeduren für das Verabschieden von internationalen Grenzwerten für das Chemie-Abkommen wurde am 1. Oktober 1987 das Aktionsprogramm Rhein 147 verabschiedet, welches von der IKSR in Zusammenarbeit mit den Vertragsparteien des Chemie-Abkommens bis zum Jahr 2000 durchgeführt werden soll. Die drei Ziele des Programms bestehen darin, das Ökosystem des Rußes so zu verbessern, daß höhere Arten (Lachs, Otter) wieder heimisch werden können, die Nutzung des Rheinwassers für Trinkwasser auch in Zukunft zu garantieren und die Belastung des Rheins durch Schadstoffe weiterhin zu verringern, so daß auch die Flußsedimente wieder auf dem Lande verwendet werden können. Dieses soll geschehen durch 1 4 4

BGBl. 1978 Π, 1065 (und in: Schweitzer/Rudolf,

1 4 5

Vgl. Beyerlin HdUR Π, Sp. 275.

1 4 6

Vgl. Lammers (Fußn. 130), S. 445.

1 4 7

S. 380).

Aktionsprogramm Rhein, ausgearbeitet von der IKSR, Straßburg 30.9.1987 (in Hohmann Basic Documents of Int Env. Law, doc. 54d). Vgl. dazu auch Goppel in: Verwey, Nature Management and Sustainable Development, S. 407 f.

300

. Abkommen zum Schutz der Gewässer

eine Festlegung der Liste der prioritären Stoffe, durch eine Anwendung des "Standes der Technik" für industrielle Abwässer mit prioritären Stoffen, durch eine Verringerung der Gesamtmengen der Einleitungen prioritärer Stoffe um SO % im Zeitraum von 1985 bis 1995 und eine Verbesserung der Überwachungen und der Verhinderung störfallbedingter Einleitungen. Der wesentlich andere Ansatz gegenüber dem Chemie-Abkommen besteht darin, daß an die Stelle des langwierigen Aushandelns spezifischer Grenzwerte für individuelle Schadstoffe nunmehr nur erforderlich ist, die Prioritäts-Substanzen generell um 50 % zu reduzieren {generelle Reduktionspflicht) 148. Damit wurde im gleichen Jahr, in dem die an der Querschnittsfunktion orientierten modernen UNEP- und EG-Konzepte entstanden, erstmals ein medienübergreifendes Rhein-Management verpflichtend: Denn die Perspektive, bis zum Jahr 2000 wieder höhere Arten heimisch werden zu lassen und das Rheinwasser stärker für die Trinkwassergewinnung zu nutzen, verlangt einen umfassenden medienübergreifenden Ansatz: Hierzu gehören ein Landmanagement (ökologische Landwirtschaft, Forstbewirtschaftung, Maßnahmen gegen Bodenerosion), umfassende Vorbehandlungen von Abwässern, Rückgängigmachen von Rußbettregulierungen/Dämmen, Unfallvorsorgen etc. Inzwischen wurde nicht nur ein internationaler Warndienst für die stromabwärts gelegenen Behörden eingerichtet, sondern es wurden auch Anforderungen an die städtischen Kläranlagen verabschiedet. Allerdings handelt es sich bei diesem Aktionsprogramm im Gegensatz zum Chemie-Abkommen um keine formelle Rechtsquelle; dies scheint aber keinen Unterschied zu bedeuten. bbb) Das Bodensee-Regime Der Bodensee liegt im Dreiländereck zwischen Schweiz, Österreich und Deutschland (Baden-Württemberg und Bayern). Die Staatsgrenzen wurden für weite Teile des Bodensees nie festgelegt; vertreten werden die Realteilungsund die Kondominiumtheorie149. Um vor allem die seit Mitte der 50iger Jahren einsetzende rasche Eutrophierung koordiniert bekämpfen zu können, schlossen Österreich, die Schweiz, Baden-Württemberg und Bayern 1960 das Übereinkommen über den Schutz des Bodensees gegen Verunreinigung (nachfolgend: Steckborner Abkommen) 150. Das Abkommen bestimmt einmal Zusammensetzung, Kompetenzen und Verfahren der schon ein Jahr zuvor zusammengetretenen Internationalen Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB) und enthält zugleich - insoweit abweichend zur IKSR-Vereinbarung - materielle 148 Vgl. hierzu Lammers, in: Verwey»Nature Management, S. 450 f. 1 4 9 1 5 0

Vgl. Süß HdUR I, Sp. 276 f.

GVB1. Bad.-Wüittemberg 1962,1 (und in: Burhenne 960:80 sowie in: Schweitzer/Rudolf, 389 ff); 1961 inkraftgetreten.

S.

b) Abkommen zu

uß- und Seeregimen

301

Regelungen. Die Vertragsparteien sind zur Zusammenarbeit im Gewässerschutz und zu Notifikationen und Konsultationen vor geplanten Wassernutzungen, welche die Interessen eines anderen Anliegerstaates an der Reinhaltung des Bodensees beeinträchtigen können, verpflichtet (Art. 1). Während im Berner-Bodensee-Abkommen z.T. das hydrographische Einzugsgebiet des Bodensees zugrundegelegt wird, gilt das Steckborner Abkommen allein für den Oberund Untersee. Die Kompetenzen der Bodensee-Kommission (Art. 4) sind geringfügig umfassender als die der IKSR: Zusätzlich zu Untersuchungen über Ausmaß und Ursachen der Verschmutzung und zu Vorschlägen an die Vertragsparteien über die Beseitigung von Mißständen kommt die Pflicht zum laufenden Umweltmonitoring, zur Erörterung der zu notifizierenden Planungen und vor allem das Recht, Reinhalteordnungen für den Bodensee zu erlassen (Art. 4 lit e). Wie bei der IKSR ergehen die Beschlüsse der Bodensee-Kommission (außer zu Verfahrensfragen) einstimmig (Art 5). Die Vertragsparteien haben sich gem Art. 6 verpflichtet, die von der Kommission empfohlenen Maßnahmen sorgfältig zu erwägen und sie möglichst national durchzusetzen. Das Übereinkommen über die Regelung von Wasserentnahmen aus dem Bodensee (Berner-Bodensee-Abkommen) von 1966 151 sieht Verfahrensregeln und eine Instanz (den Konsultationsausschuß) vor, die bei quantitativen Zugriffen (über 501/s), die zu Interessenskollisionen zwischen Entwicklungs- und Erhaltungsinteressen führen, einen Interessenausgleich herbeiführen soll. Hierzu sind Notifikations-, Konsultations-, Ersatz- sowie Ausgleichspflichten und das Recht zu Einwänden vorgesehen; bei mangelnder Einigung muß der Disput im Konsultationsausschuß und anschließend vor der Schiedskommission ausgetragen werden. Bei der erforderlichen Interessenabwägung sind allerdings fast ausschließlich ökonomische Interessen zu berücksichtigen (Art. 3 I). Angesichts des frühen Zeitpunktes - das Abkommen wurde zeitgleich zu den Helsinki-Rules und sechs Jahre vor der Stockholm-Deklaration geschlossen - ist die Orientierung am anthropozentrischen Ansatz nicht verwunderlich. Die wesentlichen materiellen Pflichten des Steckborner Abkommens ergeben sich aus den auf Art. 4 lit. e des Abkommens gestützten ReinhaltungsRichtlinien, deren Umsetzung den Mitgliedsländern durch entsprechenden Gebrauch des nationalen Wasserrechts obliegt und die zu einer weitgehenden Eliminierung der Phosphorfrachten beigetragen haben152. Diese mehrfach geänderten Richtlinien wurden im Mai 1987 in einer vollständig überarbeiteten

1 5 1 BGBl. 1967 Π, 2313 und in: Burhenne 966:32; 1967 inkraftgetreten. Nachteilige Wirkungen durch Wasserentnahmen könnten für die Trinkwasserversorgung z.B. verursacht weiden, wenn durch eine Femwasserversorgung zuviel Wasser aus dem Bodensee in andere Niederschlagsgebiete übergeleitet werden würde; vgl. Süß HdUR I Sp. 278 f. 1 5 2

Vgl. Süß ebda., Sp. 278.

302

Π.1 Abkommen zum Schutz der Gewässer

Neufassung vorgestellt; die Richtlinien 79S7 153 enthalten - ähnlich dem Aktionsprogramm Rhein - die Pflichten für ein umfassendes und medienübergreifendes Ökomanagement, das wiederum in einer nicht-formellen Rechtsquelle154 niedergelegt ist, die aber - ebenso wie beim Aktionsprogramm - wie eine formelle behandelt wird. Angestrebt wird nach diesen Richtlinien ein ökologisch stabiler Gütezustand, durch den Trinkwassergewinnung, Fischerei und Freizeitaktivitäten langfristig gesichert werden ("sustainable use"). Als Grundsätze werden ein ganzheitlicher Gewässerschutz (d.h. medienübergreifender und präventiver Ansatz), Verminderung der Dünge- und Schadstofffrachten bereits an der Quelle (: "Being aware of the great importance of the Amazonian ecosystems from the point of view of their biodiversity, their endemism, and their fragility and since they are one of the most important natural patrimonies of our countries: convinced of the need, to conserve and develop maintenance for the ecosystems and their ecological processes". 22 Hohmann

338

ΠΙ.2 Abkommen zum Schuz des Bodens, der Aten, der Natur

Durch eine gleichzeitig verabschiedete Resolution80 wird der Aufgabenkreis der Amazonischen Umweltkommission entsprechend ausgeweitet und erfaßt nun über den üblichen Aufgabenkreis hinaus u.a. Vorschläge zu gemeinsamen Maßnahmen der Vertragsparteien für das Umweltmanagement, das Vereinheitlichen der UVP-Methoden und das Anstreben einer gemeinsamen Umweltgesetzgebung für Amazonien. Die Amazon Declaration der Brasilia-Vertragsparteien vom Mai 198981 ist eine weitere ökologische Ergänzung des BrasiliaVertrages. Nochmals wird dort die Notwendigkeit betont, das kulturelle, ökonomische und ökologische Erbe der Amazonas-Region durch den rationalen Gebrauch der Ressourcen für gegenwärtige und künftige Generationen zu bewahren (Nr. 2). Damit wird der Nachweltgrundsatz anerkannt Die besondere Unterstützung der Vertragsparteien für die Arbeit der Umweltkommission wird ebenso betont wie die Bereitschaft, mit anderen Ländern und internationalen Organisationen zusammenzuarbeiten82 (Nr. 4). Die Notwendigkeit, Maßnahmen zur Verhütung von Kontaminationen zu entwickeln, wird anerkannt (Nr. 5). Schließlich wird hervorgehoben, daß Schutz und Erhalt der Umwelt nur erreicht werden können durch primär internationale Verbesserungen der sozioökonomischen Bedingungen, welche die Bevölkerung der Amazonien-Bevölkerung bedrängen (Nr. 6). Die Industriestaaten werden daher zu einem teilweisen Schulden-Erlaß und zu Finanz- und Technologietransfers zum Schutz der Umwelt aufgerufen, wobei die Amazonas-Staaten das Recht zur Kontrolle der Nutzung ihrer Ressourcen behalten müssen (Nrn. 7-8). Durch die Amazon Declaration wird folglich der langfristige Nachhaltigkeits-Grundsatz und die Notwendigkeit des internationalen funding besonders hervorgehoben. Solche finanziellen Kompensationen der Industriestaaten für die hohen Investitionen bzw. Nutzungsverzichte der Regenwaldländer werden in der Tat unverzichtbar sein, weil die betroffenen Staaten mit dem im universellen Interesse liegendem Schutz dieser Ökosysteme völlig überforden sind. Daß es um eine Angelegenheit von universellem Interesse geht, ergibt sich u.a. daraus, daß etwa 50 % aller Tier- und Pflanzen-Arten der Welt auf die Regenwälder verteilt sind, die nur ca. 2-7 % der Erdoberfläche bedecken83. Wenn 8 0

Resolution, abgedruckt bei: Mendez, S. 57-60.

8 1

In: I L M 28 (1989), S. 1303-1305. Während die Quito-Erklärang von den Außenministem abgegeben wurde, handelten hier die Präsidenten. 8 2 Dabei wird allerdings wieder betont, daß die Vertragsparteien es aufgrund ihrer Souveränität selber in der Hand haben müßten, die besten Wege des Gebrauchs und Erhalts dieses Reichtums zu definieren. 8 3 Zu diesen und den folgenden Angaben vgl. Oberndörfer Schutz der tropischen Regenwälder, S. 3 ff; Giaimo Environmental Law 18 (1988) 3, S. 539; Fremuth Gew. Monatshefte 1988,755 ff; Oldeman in: Verwey (ed.) Nature Management and Sustainable Development, S. 81 ff und ausführlich: BT-Enquete-Kommission Schutz der tropischen Wälder, S. 142 ff. Speziell zur Frage, ob die Rodung des Waldes Auswirkungen auf das Weltklima hat, vgl. BT-Enquete-Kommission, S. 431 ff, bejahend, wobei aber die Datenbasis unzureichend sei, sowie Vieira (Fußn. 76) verneinend.

b) Natur- und Artenschutzabkommen

339

jedoch die Vernichtung der Tropenwälder in dieser Geschwindigkeit fortschreitet, werden sie innerhalb von SO Jahren ganz vernichtet sein. Angesichts der nährstoffarmen Böden würde eine gleichartige Aufforstung in Brasilien 300-1000 Jahre brauchen. Ein ähnlicher Raubbau fand in Mitteleuropa zwischen 1050 und 1300 statt, der ebenfalls zahlreiche Krisen verursachte. Die jetzigen Krisen wären jedoch sehr viel dramatischer, weil es sich um die wichtigsten Waldvorräte (und die "Lungen") der Welt handelt: Die Altenvielfalt würde vernichtet; es käme zu Bodenerosionen und Dürreperioden abwechselnd mit Überschwemmungen; und es gäbe darüberhinaus - was allerdings umstritten ist - fatale Auswirkungen auf das Weltklima, da der tropische Regenwald Milliarden Tonnen Kohlenstoff bindet, der bei der Rodung durch Verbrennung oder Verrottung zu C 0 2 oxidiert und damit den globalen Treibhaus-Effekt verstärkt. Die Ursachen der Waldvernichtung liegen u.a. in: Brandrodungen für Besiedlung/Wanderfeldbau, kommerziellem Holzeinschlag, Bau von Großstaudämmen, Aufbau von Monokulturen und großen Rinderfarmen. Keine große Rolle für den Schutz des Tropenwaldes spielt das International Tropical Timber Agreement von 198384, durch welches 22 Verbraucher- und 18 Produzentenländer, die 90 % des Tropenholz-Welthandels repräsentieren, die Internationale Tropenholzorganisation ITTO gegründet haben. Es handelt sich um ein im Rahmen der UNCTAD ausgehandeltes Rohstoffabkommen, das von vorneherein primär ökonomische Ziele verfolgen sollte. Die Hauptaufgabe der ITTO (vgl. Art 1) besteht in einer Verbesserung der Erlöse für die Produzenten; daneben soll sie zur "Erarbeitung nationaler Politiken ermutigen, die zum Ziel haben, die Nutzung und Erhaltung der Tropenwälder und ihrer genetischen Bestände nachhaltig sicherzustellen und das ökologische Gleichgewicht in den betroffenen Regionen zu wahren" (Art. 1 lit. h). Die bei der ΓΓΤΟ mitarbeitenden Naturschutzorganisationen heben hervor, daß die bisherige Praxis der ΓΓΤΟ (entsprechend ihrer Bestimmung) nicht in erster Linie auf die Erhaltung der tropischen Wälder sondern vorwiegend auf agrar- und forstwirtschaftliche Nutzung ausgerichtet sei85. Allein die ressourcenschonende "nachhaltige Bewirtschaftung" - sie wird vor allem durch Entnahme nur der wertvollsten Bäume praktiziert - kann noch keinen globalen Tropenwald-Schutz erreichen; ein solcher ist von der ITTO aufgrund ihres Identifikation als Rohstofforganisation gar nicht intendiert. Eine bessere Alternative wäre ein internationales Abkommen zur Beschränkung des Handels mit tropischen Edelhölzern (vergleichbar dem CITES-Abkommen) oder eine internationale Konvention zum Schutz der tropischen Wälder, durch den die Nicht-Tropenwald-Staaten ihre Mitverantwortung für den Erhalt der Wälder durch Bereitstellung pro8 4 BGBl. 1986 Π, 172 und in: Burhenne 983:85; 1985 in Kraft getreten. Vgl. hierzu BT-Enquete-Kommission, S. 606 ff. 8 5

Vgl. BT-Enquete-Kommission,

S. 614 mit Nachw.

340

.2 Abkommen zum Schuz des Bodens, der Alten, der Natur

grammgebundener finanzieller Mittel, technologischer Hilfen und Fachwissens die Tropenwald-Länder unterstützen, die sich dazu verpflichten, umfangreiche Schutzgebiete einzurichten, Aufforstungs- und Regenerationsmaßnahmen durchzuführen und ihre Wälder sehr langfristig (und damit nachhaltig) zu bewirtschaften 86. eee) Antarktis

Das markanteste Beispiel eines Abkommens aus jüngerer Zeit, das einen Schutz der Umwelt "an sich" anstrebt, d.h. ohne daß dieser Schutz durch die wirtschafüichen Nutzungsinteressen anderer Staaten ausgelöst wird 87, ist die Wellingtoner Convention on the Regulation of Antarctic Mineral Resource A tivities (nachfolgend: Wellingtoner CRAMRA-Abkommen)von 198888, welche den Antarktis-Vertrag von 195989 ergänzt Das Wellingtoner Abkommen hebt den einmaligen ökologischen Wert der Antarktis und ihre Bedeutung für die globale Umwelt sowie die daraus abgeleitete Schutzpflicht der Antarktis-Vertragsparteien hervor . Das Abkommen bezeichnet es ausdrücklich nur als unsichere Möglichkeit, daß abbaubare mineralische Bodenschätze (fossile Brennstoffe, metallische und nicht-metallische Mineralien) in der Antarktis90 existieren und daß es zu entsprechenden Abbau-Aktivitäten kommt ; sofern aber solche Tätigkeiten stattfinden sollten, könnten sie - so die Präambel des Abkommens - die antarktische Umwelt oder abhängige/vernetzte Ökosysteme erheblich schädigen. Angesichts der jetzigen Unsicherheit, ob es zu solchen Aktivitäten kommt, dürfte es sich um eine Regelung aufgrund bloßen Besorgnispotentials handeln91. Aus diesem Besorgnispotential wird die ökologische Verpflichtung abgeleitet, jede Abbau-Tätigkeit erst dann zuzulassen, wenn eine UVP ergeben hat, daß keine erheblichen Wirkungen auf Luft- und Wasserqualtität, auf die atmosphärische, terrestrische oder marine Umwelt, auf die Bora und Fauna oder auf das regionale bzw. globale Klima/Wetter auftreten werden (Art 4). Während bei der CCAMLR-Kon8 6 8 7

Letzteres stellt den Haupt-Vorschlag der BT-Enquete-Kommission,

Vgl. Wolfrum sten Zeit ansieht

S. 29 f., dar.

in: DG V N zur Diskussion Nr. 28, S. 23, der dies als eine Entwicklung der jüng-

8 8 In: Bur henne 988:42; derzeit noch nicht in Kraft getreten; zu diesem und anderen AntarktisAbkommen vgl. Kimball Southern Exposure, W R I Nov. 1990. Speziell zur Haftung vgl. Burmester Virginia J. Int. Law 29 (1989) 3,621 ff. 8 9 BGBl. 1978 Π, 1517; und in: Burhenne 959:91; 1961 in Kraft getreten. Zum Umweltregime der Antarktis vgl. auch Lagoni HdUR I , Sp. 103 ff. 9 0 Hierzu gehören die Antarktis, die antarktischen Inseln mit allen Eisbänken, südlich von 60P südlicher Breite, sowie das Meeresbett und der Untergrund angrenzender Offshore-Gebiete (einschließlich des Festlandsockels) bis zum Tiefsee-Bett (Art 5).- Für möglich gehalten wird, daß in der Antarktis große ölfelder sowie Gold-, Platin- und Diamant-Felder vorhanden sind. 9 1

Vgl. oben Text zu Fußn. 33 zu Kapitel Π 3 b .

b) Natur- und Artenschutzabkommen

341

vention92 die Vermutung gilt, daß Ressourcen-Aktivitäten stattfinden können, sofern kein Konsens-Beschluß der CCAMLR-Kommission diese Tätigkeiten beschränkt, ist es beim Wellingtoner Abkommen umgekehrt: Das Erkunden nach und Fördern von Mineralien ist solange veiboten, bis der Konsens-Beschluß (Art 41 II) der Kommission vorliegt, daß durch das Projekt alle Umweltstandards eingehalten werden93. Durch die "Antarctic Mineral Resources"Kommission arbeiten die Vertragsparteien zusammen, um die Durchführung der obligatorischen UVP sicherzustellen und sonstige Umweltschutz-Maßnahmen durchzusetzen (Art 21). Diese Maßnahmen entsprechen den in den Offshore-Guidelines vorgesehenen ökologischen Präventivmaßnahmen: Mindestens neun Monate vor den ersten Mineralien-Suche ("prospecting") muß der "Sponsor-Staat"94 der Kommission genau die umfassenden Angaben machen, die auch das Offshore-Prinzip 8 für die UVP verlangt95; hinzu kommt die Überprüfung derfinanziellen und technischen Unbedenklichkeit des Bewerbers und seiner Zuverlässigkeit bezüglich Überwachungs- und Notfallmaßnahmen ähnlich den Offshore-Guidelines (Art. 37). Auch für anschließende Erforschungs-Bohrungen ("exploration") und für den späteren Abbau werden weiterhin so umfassende Informationen (wie etwa eine detaillierte UVP) verlangt (Artt 39 und 53), daß der "sufficiency of information"-Test (Art. 54 II) eine schwierige Hürde ist und bei stringenter Handhabung einen effektiven Präventivschutz für die Umwelt bedeutet96. Bevor Aktivitäten genehmigt werden, muß nachgewiesen werden, daß Technologien und Prozeduren bestehen, die den Umweltstandards entsprechen (Art. 4 IV). Das dürfte dafür sprechen, daß ein höherer Standard als der gegenwärtige "best available technology"Standard erforderlich wäre97: Hier dürfte ein Technologie-Standard erforderlich sein, der zwischen den deutschen Standards "Stand der Technik" und "Stand von Wissenschaft und Technik"98 liegt. Umfassende Anforderungen an die Bergbau-Tätigkeiten (wie Zuweisung der Gebiete, Dauer der Tätigkeit, Umwelt-Auflagen, Versicherungspflichten etc.) sind durch das "management scheme" (Art. 47) bzw. die Genehmigung möglich. Wie bei den Offshore-

9 2 Siehe oben Text zu Fußn. 30 zu diesem Kapitel. Ansonsten entscheidet die Kommission mit 2/3-Mehrheit. 9 3

Vgl. Art. 4 Π und Kimball, S. 16.

9 4

Dies ist der Staat, zu dem der abbauende Unternehmer eine feste Beziehung hat (Art 1 ΧΠ).

9 5

Siehe oben Text zu Fußn. 102 zu Kapitel Π 2 b .

9 6

Vgl. Kimball , S. 16: "If stringently applied, it makes CRAMRA more restrictive than the 'precautionary' principle endorsed by environmentalists, which calls for a 'go-slow' approach until scientific evidence demonstrates that no environmental harm will occur..." 9 7

So au A Kimball, S. 16.

9 8

Vgl. Fußn. 169 zu Kapitel Π 2 b .

342

.2 Abkommen zum Schuz des Bodens, der Alten, der Natur

Guidelines wird die Notwendigkeit von Inspektionen betont (Artt 11-12). Die Kommission hat auch das Recht, Schutzgebiete zu errichten, in denen alle Bergbau-Aktivitäten verboten sind (Art 13). Erwähnenswert sind auch die Bestimmungen zum "Dispute Settlement" (Artt. 55 ff und Anlage I). Noch weiter geht das Madrider Protokoll zum Antarktis-Vertrag", durch das ein mindestens 55 Jahre lang bestehendes Moratorium für Bergbau-Aktivitäten, eine Beschränkung der Lagerung von Abfällen, ein sehr umfassendes UVP-Verfahren und ein umfassender Schutz für die antarktische Fauna und Flora beschlossen wurden. c) Abkommen zum Schutz des Bodens (einschließlich Abfall-Regelungen) Zu den drängenden Problemen des internationalen Bodenschutzes gehören die Wüstenausbreitung, die Versalzung, die Erosion und mittelbar auch die Waldvernichtung. Zum Schutz des Bodens gibt es - abgesehen von dem unten zu behandelnden Abkommen zum grenzüberschreitenden Abfalltransport - derzeit noch kein umfassendes Abkommen. Die oben zitierten Algiers- und ASEAN-Abkommen widmen nur einen Artikel 100 dem Schutz des Bodens und das ebenfalls oben erwähnte Abkommen von Ouagadougou betrifft die kooperative Dürrekontrolle für die Sahel-Zone. Von einem umfassenden Schutz des Mediums Bodens ist das Umweltvölkeirecht noch entfernt; allein für den europäischen Rechtsraum ist eine Konvention des Europarates geplant Im äußerverträglichen Bereich gibt es aber auch jetzt schon Ansätze des Umweltvölkerrechts.

An "universellen Handlungsanleitungen"101 (bzw. an teilweise gewohnheitsrechtlichen Bestimmungen?) sind neben Prinzip lld der Weltchaita vor allem die "World Soil Charter" der FAO und die "World Soils Policy " des UNEP beide von 1982, zu nennen102. Beide dürften die Pflichten eines künftigen in9 9

Protokoll vom 4.10.1991, I L M 30 (1919) S. 1455 mit vier Anlagen; auf dem Madrider Treffen (17.-22. Juni 1991) wegen des vorläufigen Widerstandes der USA noch nicht unterzeichnet, wurde die Unterzeichnung beim Madrider Treffen im Oktober 1991 nachgeholt; zu den vorausgegangenen Moratoriums-Vorschlägen Frankreichs und Australiens auf der Sitzung der AntarktisVertragsparteien in Santiago de Chile (Dez. 1990) vgl. Kimball, S. 17. 1 0 0 Art. I V des Algiers- und Art. 7 des ASEAN-Abkommens. Die Pflichten bzw. Empfehlungen hierzu heißen: Erhaltung, Verbesserung und Sanierung der Böden; Bekämpfung der Erosion und des Bodenmißbrauchs, Landnutzungspläne, Erosions-Kontrollen und verbesserte LandwirtschaftsMethoden. 1 0 1 1 0 2

So Leidig Bodenschutz im Rechtssystem, S. 76 und ders. NuR 1988,380.

World Soils Policy in: UNEP/GC.10/5/Add.4 (29.4.1982); World Soil Charten FAO Res. 8/81, in: Report of the Conference of FAO, 21 st Session, Rome 7-25 November 1981, Doc. C 81/REP. Beide Dokumente auch abgedruckt bei: Leidig Bodenschutz im Rechtssystem, Anhang Β (World Soils Charter), S. 157-162, und Anhang C (World Soils Policy), S. 163-166. Die "World Soils Charter" ist eine FAO-Resdution, die "World Soils Policy" ein Beschluß des UNEP-Verwaltungsrats.

c) Abkommen zum Schutz des Bodens

343

ternationalen Bodenabkommens enthalten, weswegen ihre Hauptprinzipien hier kurz analysiert werden sollen. Beide konkretisieren geringfügig das Weltcharta-Prinzip 11 d, nach dem Land-, Forst-, Fisch- und Weidewirtschaft ökologische Grenzen beachten müssen. Die FAO-Resolution leitet aus der Ernährungs-Funktion des Bodens die Verantwortung von Regierungen und internationalen Organisationen ab, für einen langfristigen und "weisen" Landgebrauch zu sorgen. Empfohlen werden hierzu einmal Landnutzungsplanung und Bewertung der Land-Ressourcen, zum zweiten Boden-Management und besseren Umgang mit Düngemitteln und zum dritten Erhaltung sowie Rückgewinnung von Land-Ressourcen103. Die "World Soils Policy" des UNEP ruft auf zur Verbesserung der Bodenproduktivität, zur Verhinderung der Erosion und Verschlechterung des Bodens sowie des Verlustes an gutem Ackerboden und zur Überwachung der Veränderungen des Bodens. Den Staaten wird empfohlen, nationale Bodenschutz-Gesetze zu erlassen, Böden zu bewerten, zu klassifizieren und zu überwachen, den bestandsfähigen Gebrauch des Bodens etwa durch den "weisen" Einsatz von Düngemitteln sicherzustellen, den rationalsten Gebrauch des Landes durchfinanzielle Anreize an Nutzer zu erreichen und Wiederaufforstungen, Bewässerungen sowie Rückgewinnungen von salzhaltigem, überfluteten oder sonstwie unproduktivem Landfinanziell zu fördern; internationale und non-governementale Organisationen sollen diese Ansätze der Regierungen unterstützen und koordinieren. Es dürfte sich primär um eine Orientierungshilfe für die Ausgestaltung des nationalen Bodenrechts der Entwicklungsländer104 nebst einem entsprechenden Auftrag an UNEP und sekundär um die behutsame Initiierung erster Prinzipien eines künftigen internationalen Bodenabkommens handeln.

Präziser ausgestaltet ist das außervertragliche europäische Bodenrecht aufgrund der oben erwähnten European Soil Charter (1972) 105 und der ebenfalls genannten Europarais-Recommendation on Rational Use of Land von 1989 1 Diese beiden Europarats-Dokumente, die die Grundlage der für 1992 geplanten Europarats-Konvention darstellen, unterscheiden sich von den den beiden oben genannten "internationalen Handlungsanleitungen" dadurch, daß die ökologi-

1 0 3 In den "Possibilities for follow-up" werden u.a. folgende Maßnahmen genannt: Boden-Erhebung und Land-Bewertung (bezüglich unterschiedlicher Nutzungsformen), Bewertungen der Bodenverschlechterung, Planung des optimalen Landgebrauchs, Erhaltung und Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit, Förderung des effizienten Einsatzes von Düngemitteln und des Gebrauchs von organischem Dünger, Bodenerhaltungs-Politiken und Bewirtschaftung des Wasserbetts. 1 0 4

Ebenso Leidig NuR 1988,380.

1 0 5

Siehe oben Text zu Fußn. 81 zu Kapitel Π 2 d .

1 0 6

Siehe oben Text zu Fußn. 84 zu Kapitel Π 2 d .

344

.2 Abkommen zum Schuz des Bodens, der Aten, der Natur

sehe Funktion des Bodens107 deutlicher im Mittelpunkt steht und die Erhaltungsmaßnahmen langfristiger, weil am Nackweltansatz ausgerichtet108, konzipiert sind. Unter Rückgriff auf diese beiden Europarats-Dokumente dürften primär folgende anerkannte Verpflichtungen in der anstehenden EuroparatsKonvention präzsiert werden: Sorgfältiges Boden-Management, bodenverträgliche Landwirtschaft 109, Erosions-Schutz, verständiger und kontrollierter Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln, Vorbehandlung toxischer industrieller Abwässer, Stadtplanung mit möglichst geringem Landverbrauch, Bewertung potentieller Bodenverschlechterungen vor dem Bau größerer Projekte, Erstellung eines Katasters über Bodenqualitäten und von Karten der Bodennutzung, Bodenforschungen, Öffentlichkeitsarbeit, eine Boden-Gesetzgebung und Errichtung einer Verwaltung, die für die langfristige Erhaltung der Böden zuständig ist (Pflichten nach der Europäischen Bodencharta). Hierzu enthält die Empfehlung von 1989 folgende Präzisierungen: Begrenzung der Stadtausbreitung und der Industrieanlagen (durch entsprechende Stadt- und Raumplanung sowie bessere Ausnutzung von Flächen/Gebäuden), Begrenzung des Bodenverbrauchs für Infrastrukturund Tourismus-Anlagen (durch entsprechende Planungen und Förderungen des öffentlichen Nahverkehrs), ökologische Umorientierung der Landwirtschaft und Erhalt/Herstellung eines Netzwerkes von Biotopen (vor allem in Städten), sparsamer Bodenverbrauch, langfristiges und medienübergreifendes BodenManagement zur Sicherung der Multifunktionalität und ständiges Monitoring des Land-Gebrauchs bezüglich der bebauten Flächen, der Bevölkerungstrends, der Landwirtschafts- und der Schutzgebiets-Zonen sowie der Biotope.

1 0 7 Während es bei dem FAO- bzw.UNEP-Dokument fast nur um die Produktionsfunktion für die Ernährung geht, erfüllt der Boden in den Europarats-Dokumenten sechs Funktionen: 1) Teil des natürlichen Kreislaufs, als Filter, als Puffer und als Umwandler gefahrlicher Substanzen; 2) genetisches Reservoir von Organismen; 3) eine Quelle von Rohmaterialien und von Wasser, 4) Produktion von Biomasse und Nahrungsmitteln; 5) die Raumgrundlage, auf welcher sozio-ökonomische Strukturen ruhen und 6) Träger unseres historischen und kulturellen Erbes. 1 0 8 Prinzip 4 der "Recommendation on Rational Use of Land" lautet: "Such a land-management apprach, based on long-view rather than short-term speculation, should leave future generations some 'room for manoeuvre'" cHervorhebung hinzugefügte Bereits in der Europäischen Bodencharta heißt es: "Destruction of soil, in particular for purely economic reasons based on considerations erf short-term yield, must be avoided" (Prinzip 3) und: "the competent planning authorities must not only consider immediate needs but also ensure longterm conservation of the soil while increasing or at least maintaining its productive capacity" (Prinzip 12) ) § 55 Rdnr. 25 ff, S. 858 sowie Kloepfer Umweltrecht, S. 316-320; ähnlich wohl auch Lagoni in: Thieme, Umweltschutz im Recht, S. 245 f.

2. Primäre Entwicklungstendenzen

405

Staaten keine erheblichen Schäden zugefügt werden. Diese Auffassung ist deswegen angreifbar, weil sie auf dem statischen Verständnis der Rechtserzeugung und auf der Annahme beruht, daß die im Wasserrecht entwickelten Grundsätze nicht auf die anderen Umweltmedien übertragbar seien; auch letzterer Punkt konnte widerlegt werden. Im Gegensatz zum traditionellen ist das moderne Umweltvölkerrecht - wie gezeigt - nicht nur ein besonderer Fall der Staatenhaftung sondern ein Rechtsgebiet, das von der planvollen Ressourcenbewirtschaftung und zahlreichen Präventivpflichten gekennzeichnet ist c) Relativität bezüglich der Region In der Arbeit konnte weiterhin gezeigt werden, daß bezüglich des Technologiestandards die Region eine wichtige Rolle spielt. Der Technologiestandard "best available technology" bedeutet - trotz des stets gleichen Wortlauts - etwas anderes, je nachdem, ob er im weltweiten UNEP- oder im regionalen ECE-/ OECD-Kontext gebraucht wird (regionale Relatvitität des Technologie-Standards). Dies hängt damit zusammen, daß von einem Entwicklungsland (und vorläufig auch von einem osteuropäischen Staat wie etwa Polen19) nicht verlangt werden kann, daß es sich die beste verfügbare Technologie auf dem Weltmarkt besorgt; daraus resultieren die oben genannten20 regionalen Relativierungen des Technologiestandards. Sobald allerdings das gleiche Abkommen die Pflicht zum Technologietransfer und/oder zum "funding" verankert, ist mit der Formulierung "best available technology" die fortgeschrittene Technologie des Weltmarktes gemeint, weü "funding" / Technologietransfer die Ungleichheit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern kompensieren und daher die regionale Relativität überflüssig machen. 2. Die primären Entwicklungstendenzen des Umweltvölkerrechts Das traditionelle Umweltvölkerrecht blieb weitgehend auf Fragen des "maximum use" und auf einen utilitaristischen Ansatz fixiert, so daß Vögel etwa nur dann geschützt werden sollten, wenn sie für die Landwirtschaft nützlich waren21. Es ging damit eher um die effiziente Allokation von Ressourcen und weniger um den Umweltschutz. Gleichzeitig blieb die Perspektive zu sehr auf das Nachbarschafts-Verhältnis zweier Staaten beschränkt. Eine präventive

1 9 Oben wurde etwa darauf hingewiesen, daß Polen bereit wäre, dem "30 %-Club" beizutreten, sich aber nicht in der Lage sieht, die Gelder für die teure Veihütungstechnologie aufzubringen. 2 0 2 1

Vgl. Text zu Fußn. 17 zu Kapitel Π 2 d .

Vgl. die Konvention zum Schutz der für die Landwirtschaft nützlichen Vögel von 1902 (in: Burhenne 902:22); vgl. dazu auch Kiss.

406

I V . Schlußfolgerungen

Bewirtschaftung der Umweltmedien ließ sich hier kaum erwarten, weil der Ansatz eher reaktiv war und sich vor allem auf von Kausalnachweisen abhängigen Haftungsfragen konzentrierte. Da der Schutz von Gesundheit, Sachgütern und wirtschaftlichen Interessen (anthropozentrischer Ansatz) im Vordergrund stand, blieb der Umweltschutz von der Mediatisierung durch Individualinteressen abhängig22. Mit der Arbeit konnte gezeigt werden, daß in den Jahren 1972-82 der rein anthropozentrische Ansatz zugunsten des modernen ökologischen Ansatzes und der medialen Umweltschutzkonzeption ersetzt wurde. Luft, Wasser, (Boden) und bedrohte Arten wurden damit zum unmittelbaren Schutzgegenstand des internationalen Umweltrechts. Das moderne Umweltvölkerrecht ist somit nicht mehr von der Mediatisierung des Umweltschutzes über Individualinteressen abhängig. Der moderne mediale Umweltschutz, der dem modernen Umweltvölkerrecht zugrundeliegt, ist inzwischen auch am Nachweltschutz ausgerichtet; hingegen konnte sich der Mitwelt-Ansatz, nach dem Tiere oder Pflanzen eine unmittelbare Rechtssubjektivität haben, nicht durchsetzen. Stattdessen wurden die Menschen und die betroffenen Staaten als Wächter der bedrohten Natur angesehen. Gleichzeitig wurde die Fixierung auf das Nachbarschaftsverhältnis, durch die das Lösen regionaler oder globaler Probleme unmöglich gemacht wurde, ersetzt durch das Verhältnis mehrerer Emittentenbzw. mit Schutzpflichten versehenen Staaten gegenüber der Region/Weltgemeinschaft bzw. gegenüber einer Vielzahl von weiträumig entfernt wohnenden Opferstaaten. Das Denken in regionalen und globalen Verantwortungen/Kooperationen führte zu einem zunehmenden Abbau des traditionellen Souveränitätsverständnisses. In der Arbeit konnte gezeigt werden, welchen Beitrag hierzu die "Shared Resources"-Deklaration (1978) und das kurz darauf entwickelte Konzept "common heritage/concern of mankind" geleistet haben. Die Verankerung des medialen Ansatzes und des Nachweltschutzes in den Erklärungen von UNO, UNEP, ECE, OECD und anderen internationalen Organisationen/Gremien und die anschließende Aufnahme dieser Konzepte in Umweltabkommen haben dazu geführt, daß das moderne Umweltvölkerrecht einen Präventiv-Charakter annehmen konnte. 3. Zum Vorsorge-Charakter des modernen Umweltvölkerrechts Die im Resümee zum Kapitel II entwickelten Kriterien müssen darüber Aufschluß geben, ob das moderne Umweltvölkerrecht von präventiven Rechtspflichten und -prinzipien gekennzeichnet ist Zur Grundvoraussetzung für die präventive Bewirtschaftung (Übergang vom anthropozentrischen zum moder2 2

Vgl. oben die Analyse in Kapitel Π 3 b aa) .

3. Vorsorgecharakter des Umweltvölkerrechts

407

nen ökologischen und medienbezogenen Ansatz) wurden bereits Ausführungen gemacht. Das moderne Umweltvölkerrecht anerkennt nicht nur Verhütungspflichten bei Gefahrenverdacht, sondern seit kurzem (seit 1987) auch bei Besorgnispotential. Diese Handlungspflichten sind neuerdings auch unbedingt, indem sie unabhängig von Kausalnachweisen, vom Abwarten auf Forschungsergebnisse, von wirtschaftlichen Kriterien oder vom Erreichen irgendwelcher Schwellenwerte eingreifen 23. Etwa seit 1985/87 ist der medienübergreifende Ansatz und damit auch die Querschnittsfunktion des Umweltvölkerrechts genügend abgesichert; spätestens seit 1987 wurde auch der generationsübergreifende Ansatz verpflichtend. Das rein nationale Umweltmanagement ist für alle Umweltmedien durch die regional-solidarische Kooperation nach dem "shared resources"Prinzip abgelöst worden; das gemeinsame Umweltmanagement ist in den meisten Fällen institutionalisiert und somit auf spezielle Kommissionen übertragen worden. Die Abkehr vom bloßen Koexistenz-Umweltrecht und die Hinwendung zu einem auf Solidarität, aktiver Mitwirkung und Gestaltung beruhenden kooperativen Umweltrecht sind unverkennbar24. Die Erosion des traditionellen Souveränitäts-Verständnisses unter gleichzeitiger Betonung des Kooperationsprinzips (mitsamt der Tendenz, zunehmend Mehrheits-Entscheidungen zu akzeptieren und den Grundsatz der Reziprozität zu relativieren,) ist eines der herausragenden präventiven Rechtsprinzipien des modernen Umweltvölkerrechts. Vor allem bezüglich des Tiefseebergbaus, der Antarktis, der schiffahrtsbedingten Meeresverschmutzung, des Welt-Kultur- und Natur-Erbes, der Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung, einiger bedrohter Tierarten, der Bekämpfung der Ozonschichtzerstörung, des Klimaschutzes sowie für den grenzüberschreitenden Abfallexport gilt die globale Umwelt-Kooperation. Gleichzeitig mit dem Anerkenntnis der Pflicht, grenzüberschreitende Umweltschäden zu vermeiden und hierzu zusammenzuarbeiten, wurden regelmäßiger Informationsaustausch, frühzeitige Notifikationen und anschließende Konsultationen bei allen Umweltmedien zu zwingenden Rechtspflichten. Diese Pflichten sind unverzichtbar zur Realisierung des zwingenden Verbots der Schadenszufügung für die Umwelt in anderen Staaten und in staatsfreien Räumen und der entsprechenden ökologischen Schutzpflicht; erst durch vorherige Notifikationen und Konsultationen kann das internationale Interesse an einer umweltverträglichen Durchführung des Projektes sichergestellt werden25. Erst relativ spät sind - als 2 3 Dies konnte 1979 (und z.T. auch noch 1985) noch nicht konstatiert werden. Vgl. hierzu Text zu Fußn. 13 zu Kapitel Π Ι 4. 2 4 Ebenso Schröder JahrB UTR 1987, S. 279. Gelegentliche RückfäUe ins Souveränitäts-Denken (wie etwa beim Brasilia-Vertrag) können diesen Trend nicht aufhalten; vgl. Bothe in: Bothe, Amazonia and Siberia, Ms. S. 20 f und Bryde Gedächtnis-Schrift Martens, S. 779 f. 2 5 Vgl. Kirgis Prior Consultation in InL Law, S. 3 ff; vgl. auch oben Text zu Fußn. 53-54 zu Kapitel Π 3 b .

I V . Schlußfolgerungen

408

Folge von Umweltkatastrophen wie Tschernobyl - Pflichten zum präventiven Krisenmanagement primär im Gewohnheitsrecht entstanden: Mit der Planung des Baus einer potentiell gefährlichen Anlage entstehen für den Anlagestaat allgemeine Informationspflichten (über Projektierung, Bau, Betrieb, Entsorgung) sowie möglicherweise Pflichten zur gemeinsamen Notfallplanung und für den potentiell gefährdeten Staat der Anspruch auf Konsultationen und gewisse Vorsorgemaßnahmen (wie Bau eines grenzüberschreitenden Warnsystems); hingegen ist der gleiche Zugang zum Genehmigungsverfahren und zur gerichdichen Überprüfung derzeit allein im OECD-Rechtsraum nachzuweisen, und das Recht zur Inspektion dieser Anlage wird gegenwärtig noch als bloße Empfehlung angesehen26. Die abgesicherte Pflicht, grenzüberschreitende Emissionen den gleichen Standards wie die allein national wiikenden Emissionen zu unterwerfen (Diskriminierungsverbot), führt nur dann zu einem effektiven Schutz, wenn das Schutzniveau des Anlagestaates entsprechend hoch ist27. Der Trend zum planvollen Umweltmanagement ist im Umweltvölkerrecht unverkennbar. Bereits etabliert ist (seit etwa 1985) die Pflicht zum gemeinsamen Monitoring, zu gemeinsamer Forschung und zum gemeinsamen "standard setting". Die zunehmende Bedeutung der gemeinsamen Forschung liegt darin begründet, daß immer häufiger angesichts wissenschaftlicher Unsicherheiten Rahmenabkommen geschlossen werden, deren Verpflichtungen bei fortschreitender wissenschaftlicher Kenntnis durch Zusatzprotokolle und/oder Erklärungen umfassender werden; das gemeinsame Setzen von Standards dient in der Regel der Verhütung von Gefahren und das gemeinsame Monitoring gibt Auskunft einmal über die Umweltqualität des Mediums und zum anderen über die Einhaltung der gesetzten Standards. Umfassend abgesichert sind auch die Genehmigungsvorbehalte für fast alle potentiell gefährlichen Tätigkeiten; die meisten Gewässerabkommen kennen den Genehmigungsvorbehalt in Form von schwarzen und grauen Listen. Ein solcher Genehmigungsvorbehalt bietet ähnlich wie ein (Emissions-) Standard - die Chance, Bedrohungen des Umweltmediums bereits im Vorfeld von Gefahren abzuwehren. Der Umfang der Planungspflichten ist bei den einzelnen Umweltmedien unterschiedlich ausgeprägt Während die Meeresabkommen seit 1982/85 nur Küsten- und begrenzte 2 6 Vgl. hierzu Handl/Simma ÖZöffRV 39 (1988), S. 6 f und Handl in: Handl/Lutz, Transferring Hazardous Technologies and Substances, S. 111 ff, wobei diese darauf hinweisen, daß die Informa tionspflicht bei Planung der Anlage Gokale und internationale "Risiko-Kommunikation") sich eindeutig allein im OECD-Rechtsraum nachweisen läßt; vgl. dazu oben die beiden OECD-Empfehlungen, Text zu Fußn. 143/144 zu Kapitel Π 2 d . Handl, S. 118 scheint dabei davon auszugehen, daß die Pflicht zur gemeinsamen Notfallplanung bereits etabliert ist (etwas vorsichtiger Handl/Simma, S. 6); sie scheint im Gewässerrecht etabliert zu sein (vgl. die Nachweise bei Bruha ZaöRV 1984, S. 21 ff und bei Handl, S. 118 in der dortigen Fußn. 78), während sie bei den übrigen Medien erst kurz vor der Etablierung stehen dürfte. Handl, S. 121-124 macht zusätzlich auf einen Anspruch auf Zugang zu internationalen "hazard data banks" aufmerksam. 2 7

Vgl. Handl!Simma, S. 6.

3. Vorsorgecharakter des Umweltvölkerrechts

409

Landschaftsplanungen (zumindest bezüglich Naturschutzgebieten) verlangen, verpflichten die regionalen Naturschutzabkommen und die meisten europäischen und amerikanischen Abkommen zu Binnengewässern etwa seit 1978/8528 zu einer Landschafts-, (Bau- und) Raumordnungs-, Bodennutzungs-, Schutzgebiete-, Jagd-, Forst- und Wasserbewirtschaftungs-Planung; die afrikanischen Flußabkommen sind früheren Datums und enthalten alleine eine Bewirtschaftungsplanung zur Vermeidung der Austrocknung des Gewässers. Die UVP, die von herausragender Bedeutung für die Verhinderung erheblicher Umweltschäden ist, ist weltweit seit 1982 anerkannt. Ihre inhaltliche Ausgestaltung ergibt sich aus dem Gewohnheitsrecht; dafür ist mindestens auf den Standard der Offshore-/EIA-guideline oder aber des ECE-Rahmenabkommens, welches der weitgehendsten nationalen UVP-Ausgestaltung nachgebildet worden ist, zurückzugreifen. Als Standards werden sowohl Emissions- als auch Qualitätsstandards genannt, so daß es diesbezüglich eher um Prävention bzw. nur um Gefahrenabwehr geht. Etwa seit 1985/87 geht der Trend dahin, den Abkommen anstelle der internationalen Emissionswerte generelle Reduktionspflichten in Form von "flat rates", "regional approaches" oder "critical loads" zugrundezulegen, durch die die quellenbezogenen Maßnahmen national erfolgen. Wenngleich die Gefahr einer medialen Belastungsverschiebung bestehen mag, sind diese generellen Reduktionspflichten Präventiv-Instrumente, weil unabhängig von der konkreten Gefährlichkeit der betroffenen Stoffe (also bereits bei konkretem Gefahrenverdacht) die prozentuale Reduktion eingehalten werden muß29. Als effektiv hat sich die "flat rate", die nur eine Einigung auf dem kleinsten gemeinsamen Nennen zuläßt, nur dann erwiesen, wenn sie von den Vertragsparteien als Mindestquote angesehen wurde, wie dies etwa beim Helsinki-Protokoll geschehen ist Der weltweite Technologiestandard war bisher relativ niedrig, und selbst der höhere europäische Standard war bisher von der "wirtschaftlichen Tragbarkeit" abhängig. Nachdem seit 1988/90 die Pflicht zum Technologietransfer und zum "funding" anerkannt wird, ist erstmals mit der "best available technology" die fortgeschrittene Technologie des Weltmarktes gemeint, die nicht mehr von der "wirtschaftlichen Tragbarkeit" abhängt. Wie vor allem bei den Regeln zur Verhütung der Ozonschichtzerstörung (und voraussichtlich demnächst beim Schutz von Klima und Tropenwäldern) gezeigt werden kann, ist das Nutznießerprinzip, welches das Verursacherprin2 8 Allein das Algier-Abkommen ist früheren Datums (1968); es wurde aber überwiegend erst zwischen 1972 und 1983 ratifiziert. In diesem Abkommen wird allein die Landschaftsplanung explizit genannt; die übrige Planung wird nur angedeutet Vgl. demgegenüber die umfassende Nennung von Planungspflichten im ASEAN-Abkommen. Auch das GLWQA 1978 nennt wegen des frühen Zeitpunktes explizit nicht so viele Planungspflichten wie die 9 Jahre später verabschiedeten Programme für Rhein und Bodensee. 2 9 Gleiches kann für schwarze Listen gelten, sofern die Listen nicht allein für die Stoffe aufgestellt werden, bei denen es nur noch allein um die Gefahrenabwehr angesichts eines übermaßig belasteten Gewässers geht

410

I V . Schlußfolgerungen

zip ergänzt, ein wichtiges präventives Rechtsprinzip30. Die Industriestaaten als die Hauptverschmutzer müssen demnach im globalen Interesse am Umweltschutz (und somit auch in ihrem eigenen Interesse) an die derzeit noch gering verschmutzenden Entwicklungsländer das Geld zahlen, das letztere zur Produktion von Ersatzstoffen, zur Umstellung des Produktionsverfahrens und zur Anschaffung einer effektiven Verhütungstechnologie (bzw. im Fall der Regenwälder: zum effektiven Schutz der Wälder) benötigen, damit sie nicht zu künftigen Großverschmutzern werden oder nicht die Natur ausrauben. Erst dann ist ein weltweiter präventiver Umweltschutz möglich und finanzierbar. Explizite Aussagen zum Ursprungsprinzip und zu finanziellen Anreizen sind in den Umweltabkommen noch unterrepräsentiert; es scheint sich um einen Ansatz zu handeln, der zumindest im OECD-Rechtsraum entweder kurz vor der Etablierung steht oder bereits etabliert ist 31 . Diese Analyse berechtigt dazu, von einem Paradigmenwechsel im Umweltvölkerrecht zu sprechen. Aus dem auf effiziente Allokation von Ressourcen fixierten traditionellen Umweltvölkerrecht hat sich etwa seit 1982/87 das moderne Umweltvölkerrecht entwickelt, dem es primär um den Umweltschutz geht Ist demnach das moderne Umweltvölkerrecht von vorsorgenden Rechtspflichten und -prinzipien gekennzeichnet? Die Antwort ist ein bedingtes Ja. Es gibt gegenwärtig noch einige bedenkliche Lücken im modernen Umweltvölkerrecht. Hierzu sind insbesondere folgende Punkte zu nennen:Bisher konnten Fortschritte des Umweltvölkerrechts fast nur als Reaktion auf Umweltkatastrophen erreicht werden; ein hoher Anteü der Abkommen war bisher eher reaktiv angelegt und wies ökologisch bedenkliche Rücksichtnahmen auf WirtschaftsInteressen auf. Diese Tendenz scheint sich allerdings in den letzten ca. fünf Jahren gelegt zu haben. Häufig sind die Standards und die Genehmigungsvorbehalte noch nicht vorsorgend genug formuliert. Wenn eine Verklappungsgenehmigung erst dann zu versagen ist, wenn der sofortige Tod von Fischen eintritt (und nicht bereits dann, wenn die Gefahr ihrer Erkrankung besteht), kann nicht mehr von der Präventivwirkung des Genehmigungsvorbehalts gesprochen werden. Statt von einer "Gefährdung menschlicher Gesundheit" und "Schädigung des Ökosystems" auszugehen, müßten sich Standards und Genehmigungsvorbehalte an der Beeinträchtigung des Wohlbefindens bzw. einer Störung des Gleichgewichts orientieren. Die Planungs- und die am Ursprungsprinzip orientierten Vermeidungs-und Produkt-Substitutionspflichten sind noch zu gering ausgeprägt. So kann bisher 3 0 Es konnte auch gezeigt werden, daß die Kombination aus Gemeinlastprinzip mit offenen (also später zu konkretisierenden) Kostenbestimmungen wenig effektiv sein dürfte; siehe das ChloridAbkommen zum Rhein. 3 1 Dies ergibt sich aus den ECE- und OECD-Erklärungen und aus der Tatsache, daß die explizite Nennung der beiden Prinzipien in Umweltabkommen fast nur OECD-Staaten betreffen.

3. Vorsorgecharakter des Umweltvölkerrechts

411

im Umweltvölkerrecht etwa noch nicht von einer Abfallbewirtschaftungsplanung gesprochen werden. Die Baseler Konvention und das OAU-Abkommen enthalten zwar erste Ansätze einer Entsorgungsplanung und das OAU-Abkommen Ansätze einer Abfallvermeidung; aber ansonsten sind die Aussagen in den Umweltabkommen hierzu eher dürftig. Allein dem europäischen Gewohnheitsrecht (OECD-ECE-Rechtsraum) sind mit der Festlegung auf den "rational use" und den daraus folgenden Planungs-, Einsparungs- und Vermeidungspflichten ermutigende gewohnheitsrechtliche Ansätze zu entnehmen; Gleiches gilt auch für die Steuerung überfinanzielle Anreize. Gegenwärtig ist vor allem noch die Ressourcenschonung zu gering ausgeprägt: Die grundsätzliche Anerkennung des Nachweltansatzes müßte aber in der nächsten Zeit dazu führen, daß langfristigere Planungen und die umfassende Anerkennung des Prinzips der optimalen Dauerproduktivität erfolgen. Erst wenn diese genannten Voraussetzungen vorliegen, kann von einem effektiven VorsorgeAnsatz gesprochen werden. Die umfassende Anerkennung der UVP und des "sustainable use"Prinzips lassen hoffen, daß dieses Ziel sehr bald erreicht wird. Erst dann ist gewährleistet, daß auch unsere Kinder eine Chance auf Überleben und die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse haben.

Literaturverzeichnis Adede, A.O., The IAEA Notification and Assistance Conventions in Case of a Nuclear Accident Landmarks in the History of the Multilateral Treaty-Making Process, Boston/Dordrecht/ Lancaster 1987. U N Efforts towards the Development of an Environmental Code of Conduct for States concerning Harmonious Utilization of Shared National Resources, in: Albany Law Review 43 (1979), S. 488-512. Ago, Roberto, Science juridique et droit international, RdC 90 (1956 Π), S. 851-958. Akehwrst , Michael, Custom as a Source of International Law, B Y I L 17 (1974-75), S. 1-53. Alston , Philip, Conjuring up New Human Rights: A Proposal for Quality Control, in: AJIL 78 (1984), S. 607-621. d'Amato , Anthony, The Concept of Custom in International Law, Ithaka/London 1971. Do We Owe a Duty to Future Generations to Preserve the Global Environment?, AJIL 84 (1990), S. 190-198. Anand , R. P., Development and Environment The Case of the Developing Countries, in: Indian Journal of International Law 20 (1980), S. 1-19. Ando, Nisuke, lite Law of Pollution Prevention in International Rivers and Lakes , in: Ralph Zacklin/Lucius Caflisch (eds.) The Legal Regime of International Rivers and Lakes, The Hague/Boston/Lancaster 1981, S. 331-370. Andrassy , Juraj, Utilisation des eaux internationales non maritimes (en dehors de la navigation), in: Annuaire de l'Institut de Droit International 48 (19591), S. 131-209 (Rapport provisoire) und S. 319-339 (Rapport définitif). Badura , Peter, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: L v. Münch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 8. Auflage, Berlin/New York 1988, S. 283-364 . von Bar t L., L'exploitation industrielle des cours d'eau internationaux au point de vue du droit international, in: Annuaire de l'Institut de Droit International 24 (1911), S. 156-167 (Premier Rapport) und S. 168-181 (Deuxième Rapport). Barber is, Julio, Los recursos naturales compartidos entre estados y el Derecho Intemacional, Madrid 1979.

Literaturverzeichnis

413

Barboza , Julio, International liability for Injourious Consequences Arising out of Acts Not Prohibited by International Law: - Fifth Report, UN-Doc. A/CN.4/423 (25 April 1989) - Sixth Report, UN-Doc. A/CN.4/428 (15 March 1990). Barnes , A. James, The Growing International Dimension to Environmental Issues, in: Columbia Journal of Environmental Law 13 (1988) 2, S. 389-396. Barnes , James N., Pollution from Deep Ocean Mining , in: Douglas MJohnston (Hrsg.) The Environmental Law of the Sea (Beiträge zur Umweltgestaltung A 79), Berlin 1981, S. 259-284. Bartram, BeûtJEngel, Bruno, Ende des 'Giftmüllkolonialsimus7 Zur Basler Konvention und ihrem Hintergrund, Vereinte Nationen, 37. Jg., 1989, S. 115-121. Die Basis der UN-Umweltpolitik. Die Resolutionen der Generalversammlung (Beiträge zur Umweltgestaltung A 16), Berlin 1973. Baxter, R. R., International Law in "Her Infinite Variety", ICLQ 29 (1980), S. 549-566. Multilateral Treaties as Evidence of Customary International Law, B Y I L 12 (1965-66), S. 275300. Bayerl , Günter, Vorindustrielle Gewerbe und Umweltbelastung, das Beispiel der Handpapiermacherei, in: Technikgeschichte Bd. 48 (1981), S. 206-238. Benkert, Wolfgang, Wie sinnvoll sind haushaltswirtschaftliche Sonderregelungen für die umweltbezogene Finanzwiitschaft?, ZfU 1988, S. 101-117. Berber, Friedrich J., Die Rechtsquellen des internationalen Wassemutzungsrechts, München 1955. Rivers in International Law, London/New York 1959 1967.

Literaturverzeichnis

422

Hafner, Gerhard, Das Übereinkommen über Hilfeleistung bei nuklearen Unfällen oder strahlungsbedingten Notfallen, österrreichische Zeitschrift für öffentliches Recht und Völkerrecht 39 (1988), S. 19-39. Hahn, Hugo J., Organization for Economic Co-operation and Development, in: Encyclopedia of Public International Law, Instalment 5 (1983), S. 214-222. Hahn, Robert W . / Richards, Kenneth R., The Internationalization of Environmental Regulation, in: Harvard International Law Journal 30 (1989) 2, S. 421-446. Handl, Günther, National Uses of Transboundary Air Resources: The International Entitlement Issue Reconsidered, Natural Resources Journal 26 (1986), S. 405-467. The Environment: International Rights and Responsibilities, ASIL Proceedings of the 74th Annual Meeting 1980, S. 223-234. Internationalization of Hazard Management in Recipient Countries. Accident Preparedness and Response, in: G. Handl / R. E. Lutz (eds.) Transferring Hazardous Technologies and Substances (International Environmental Law and Policy Series), London/Dordrecht/Boston 1989, S. 106-128. The Principle of "Equitable Use" as Applied to Internationally Shared Natural Resources: Its Role in Resolving Potential International Disputes over Transfrontier Pollution, Revue belge de droit international 14 (1978/79), S. 40-64. Handl, Günther / Simma, Bruno, Grenzüberschreitende Auswirkungen von Kernkraftanlagen und Völkerrecht, österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht und Völkerrecht 39 (1988), S. 1-8. Handwörterbuch des Umweltrechts, hrsg. von Otto Kimminich / Heinrich von Lersner / Peter C. Storni, Band I (Berlin 1986) und Band Π (Berlin 1988) . Hannikainen, Lauri, Peremptory Norms (Jus Cogens) in International Law. Historical Development, Criteria, Present Status, Helsinki