Der volkswirtschaftliche Sparprozeß [1 ed.] 9783428459605, 9783428059607

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Der volkswirtschaftliche Sparprozeß [1 ed.]
 9783428459605, 9783428059607

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Beihefte zu / Supplements to

Heft 9

Der volkswirtschaftliche Sparprozeß

Herausgegeben und eingeleitet von Werner Ehrlicher und Diethard B. Simmert

Duncker & Humblot · Berlin

Der volkswirtschaftliche Sparprozeß

Beihefte zu K r e d i t u n d K a p i t a l Heft 9

Der volkswirtschaftliche Sparprozeß

Herausgegeben und eingeleitet von Werner Ehrlicher · Diethard B. Simmert

mi///

DUNCKER & HUMBLOT · BERLIN

Redaktion: Beatrix Dillmann, Freiburg i. Br.

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Der volkswirtschaftliche Sparprozess / hrsg. u. eingeleitet von Werner Ehrlicher; Diethard B. Simmert. — Berlin: Duncker u n d Humblot, 1985. (Beihefte zu K r e d i t u n d Kapital; H. 9) I S B N 3-428-05960-3 NE: Ehrlicher, Werner [Hrsg.] ; K r e d i t u n d K a p i t a l / Beihefte

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Ubersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1985 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz und Druck: Zippel-Druck Berlin, Berlin 26 Printed in Germany ISBN 3-428-05960-3

Inhaltsverzeichnis

Werner Ehrlicher, Freiburg i. Br. und Diethard Β. Simmert, Bonn: Einführung

XI

A. Grundsätzliche Aspekte

Erich Streissler und Werner Neudeck, Wien: Bemerkungen zur Geschichte der Spartheorien

3

Gerold Blümle, Freiburg i. Br.: Zum heutigen Stand der Theorie des Sparens Ulrich Schlieper, Mannheim: Kapitalbildung und volkswirtschaftlicher Entwicklungsprozeß

27

53

Norbert Bub, Frankfurt a. M.: Privates Sparen in der Bundesrepublik Deutschland — Ein Rückblick

67

Dieter Brümmerhof^ Essen: Die gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung

89

B. Realkapitalbildung

Otto Vogel, Köln: Das Phänomen „Investitionslücke" — angebotstheoretisch betrachtet

115

Inhaltsverzeichnis

VI

Werner Glastetter, Bielefeld: Ursachen der gegenwärtigen Investitionsschwäche — Die nachfragetheoretische Sicht

129

Heiner Flassbeck, Bonn: Zur Theorie des Kapitalmangels Bernd Rohwer, Freiburg i. Br.: Mangelnde Kapitalbildung als Ursache der Arbeitslosigkeit

159

177

Helmut Wagner, Hamburg: Einfluß der Inflation auf die Realkapitalbildung

201

Wolfgang A. Burda, Düsseldorf: Kapitalbildung und Wohnungsbau

235

C Geldvermögensbildung — Motive und Formen

Ernst-Otto Sandvoss, Frankfurt a, M. Wandlungen in den Anlageformen

253

Dietmar Kath, Duisburg: Gründe und Bedeutung der Fristenverkürzung auf dem Kapitalmarkt

267

Meinhard Miegel, Bonn: Neuere Tèndenzen in der Vermögensverteilung

297

Bernhard Külp, Freiburg i. Br.: Der Einfluß der Vermögensbildung auf die Einkommensverteilung Gustav Raab, Wien: Sparverhalten und Wirtschaftsdenken: Aktuelle pädagogische Aspekte

317

333

Inhaltsverzeichnis

VII

D. Portfolioentscheidungen

Gustav Dieckheuer, Bamberg: Portfolioselektion im finanziellen und nichtfinanziellen Sektor

365

Karl-Heinz Ketterer, Stuttgart und Rainer Vollmer, Karlsruhe: Zusammenhänge zwischen Sachinvestitionen, Finanzanlagen und Geldhaltung

405

Dieter Fricke, Bayreuth: Der Einfluß unerwarteter Einkommensveränderungen auf das Spar- und Anlegerverhalten

419

E. Stellung des Staates im Sparprozeß

Hans-Bodo Leibinger, Freiburg i. Br.: Der Beitrag des Staates zur volkswirtschaftlichen Geld- und Sachvermögensbildung

453

Heinz Kock, Bonn: Staatliche Vermögensbildung im volkswirtschaftlichen Sparprozeß Rolf Peffekoven, Mainz: Öffentliche Investitionen und Kapitalbildung

477

497

Willi Albers, Kiel: Förderung der Vermögensbildung Helmut Geiger, Bonn: Ziele der staatlichen Förderung der Vermögensbildung

513

533

F. Finanzieller Sektor

Henry C. Wallich, Washington D. C.: Eigenkapital und andere Mittel zur Verbesserung der Banksicherheit

549

VIII

Inhaltsverzeichnis

Ludwig Huber, München: Bankenwachstum — Einflüsse des Spar- und Anlegerverhaltens Hans E. Büschgen, Köln: Sparen an den Banken vorbei?

565

583

Malte von Bargen, Düsseldorf: Bedeutung und Funktion der Versicherungswirtschaft im volkswirtschaftlichen Sparprozeß Manfred Hieber, Bonn: Sozialversicherungssystem und volkswirtschaftliche Ersparnis

599

625

G. Internationale Aspekte des Sparprozesses

Dieter Hiss und Wolfgang Schröder, Berlin: Die Bedeutung der ausländischen Finanzmärkte für den nationalen Sparprozeß

647

Wolfgang Gebauer, Florenz: Geldschöpfung am Euro-DM Markt und Geldmengenkontrolle der Bundesbank

669

Rainer Erbe, Hamburg: Internationale Direktinvestitionen und Realkapitalbildung Emil-Maria Ciaassen, Paris: Kapitalverkehrskontrollen und ihre Auswirkungen auf Ersparnisse und Investitionen

693

715

H. Besonderheiten der Geldvermögensbildung in einzelnen Ländern

M. Akbar Akhtar und Edward J. Frydl, New York: Besonderheiten der Geldvermögensbildung in den Vereinigten Staaten von Amerika ;

737

Inhaltsverzeichnis

IX

André Babeau, Paris: Die Besonderheiten der Geldvermögensbildung der privaten Haushalte in Frankreich

755

Franz A. Ettlin und Kurt Schiltknecht, Zürich: Bestimmungsfaktoren des Sparverhaltens und Besonderheiten der Geldvermögensbildung in der Schweiz

769

Helmut Pech, Wien: Besonderheiten der Geldvermögensbildung in Österreich Tsuyoshi Kanegae, Inazawa: Besonderheiten der Geldvermögensbildung in Japan

797

815

I. Zukunftsperspektiven

Detlef Hunsdiek und Ljuba Kokalj, Bonn: Beseitigung des Mangels an Risikokapital Edzard Reuter, Stuttgart: Innovationsfinanzierung

839

869

Walter Seipp, Frankfurt a. M.: Perspektiven der internationalen Finanzmärkte

Verzeichnis der Autoren

891

911

Einführung

Umfang, Arten und Formen der volkswirtschaftlichen Spartätigkeit beeinflussen entscheidend das Wirtschaftswachstum, die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft und die Entstehung neuer Arbeitsplätze. Im Zuge der ökonomischen Entwicklung unterliegt die Struktur des Sparprozesses einzelwirtschaftlich wie auch gesamtwirtschaftlich ständigen Wandlungen. Im letzten Jahrzehnt waren diese — infolge einschneidender Veränderungen in den nationalen und internationalen finanziellen Sektoren — besonders stark. Solche Wandlungen können von Veränderungen der nationalen und internationalen wirtschaftlichen Konstellation, der Verhaltensweisen der Wirtschaftseinheiten oder der institutionellen Bedingungen ausgelöst werden und führen zu neuen theoretischen Erklärungen des Sparprozesses. Umgekehrt haben auch neue Deutungen der Zusammenhänge geld- und finanzpolitische Konzeptionen begründet, die ihrerseits die Realität des Sparprozesses verändert haben. In diesem Sammelband, für den eine große Zahl von Wissenschaftern und Praktikern Beiträge geschrieben hat, wird der volkswirtschaftliche Sparprozeß in seinen vielfältigen Aspekten analysiert. Die theoretische und empirische Vielschichtigkeit der Problematik hat die Konzeption des vorliegenden Beiheftes zu KREDIT UND KAPITAL bestimmt: Nach einem ersten Kapitel, dessen Beiträge sich mit grundsätzlichen Problemen des volkswirtschaftlichen Sparprozesses beschäftigen, folgen drei Kapitel, die sich mit den zentralen mikro- und makrotheoretischen Zusammenhängen des Sparens befassen. In den Beiträgen des fünften Kapitels wird die Rolle des Staates im Sparprozeß analysiert. Daran schließt in drei Kapiteln eine Erörterung der Strukturprobleme des finanziellen Sektors an; es werden zunächst nationale und internationale Aspekte unterschieden und sodann die Besonderheiten in einigen ausgewählten Ländern dargestellt. Den Abschluß des Sammelbandes bildet ein Kapitel mit Beiträgen über Zukunftsperspektiven des volkswirtschaftlichen Sparprozesses. Das erste Kapitel, das sich mit grundsätzlichen Aspekten des volkswirtschaftlichen Sparprozesses beschäftigt, enthält zunächst drei theoretische Beiträge — über die Geschichte der Spartheorie, deren aktuellen Stand sowie

XII

Einführung

über die Zusammenhänge zwischen Kapitalbildung und wirtschaftlicher Entwicklung. Es folgt ein historischer Rückblick auf die Spartätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland und schließlich ein mehr technisch orientierter Beitrag über die gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung. Erich Streissler und Werner Neudeck spannen in ihrem Beitrag „Bemerkungen zur Geschichte der Spartheorie" einen dogmengeschichtlichen Bogen von der merkantilistischen Wirtschaftstheorie über die klassische, neoklassische und keynesianische Spartheorie bis zu den modernen Ansätzen. Sie stellen die dogmengeschichtliche Entwicklung als einen zyklischen Prozeß in dem Sinne dar, daß zurückliegende theoretische Ansätze, die zwischenzeitlich als „widerlegt" angesehen wurden, immer wieder an Aktualität gewinnen. Gerold Blümle fragt in seinem Beitrag „Zum heutigen Stand der Theorie des Sparens4 * nach den gegenwärtig diskutierten Erklärungsansätzen für die Höhe des Sparens der privaten Haushalte. Ausgehend von einem Verständnis des Sparens als Residuum wird auf substitutive und komplementäre Beziehungen des Sparens zu anderen Größen eingegangen. Hieraus kann eine keynesianische Sparfunktion zunehmender durchschnittlicher Sparneigung begründet werden, bei welcher neben Sättigungsgesichtspunkten vor allem die zunehmende Bedeutung von Anspargütern und vermögensorientiertem Selbstzwecksparen bestimmend sind. In mittelfristiger Sicht wird Sparen auf diese Weise schwerer prognostizierbar und eine Beschäftigungspolitik über die private Nachfrage schwieriger. Der Beitrag „Kapitalbildung und volkswirtschaftlicher Entwicklungsprozeß" von Ulrich Schlieper untersucht den Zusammenhang von Wirtschaftswachstum und Sparen. Im Rahmen des neoklassischen Wachstumsmodells setzt optimales Wachstum eine bestimmte Sparrate voraus, die sowohl durch optimierendes Verhalten der Haushalte als auch durch staatliche Eingriffe herbeigeführt werden kann. Dabei untersucht Schlieper insbesondere die Bedeutung der Staatsverschuldung für den Kapitalbildungsprozeß. Abschließend wird auf das Problem der Koordination von Ersparnis und Investition eingegangen. Damit ergibt sich die Möglichkeit eines Keynesschen Szenarios, in dem die Investitionen Wachstum und Beschäftigung bestimmen. Unter der Überschrift „Privates Sparen in der Bundesrepublik Deutschland — ein Rückblick" nimmt Norbert Bub eine detaillierte Analyse des Sparprozesses in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten vor. In den fünfziger und sechziger Jahren war die Spartätigkeit beeindruckend hoch. In den siebziger Jahren und zu Beginn der achtziger Jahre ist sie verschiedenen Belastungen ausgesetzt und schwankt entsprechend. Hinsichtlich der Geldvermögensstruktur stellt der Autor einen Wandel von der Vorliebe für liquide Spar-

Einführung

XIII

formen zu abnehmender Liquiditätsneigung und zunehmender Präferenz für längerfristige Anlageformen fest. Im letzten Abschnitt seines Beitrages geht Bub den Problemen nach, die sich aus dem immer größer gewordenen Anteil des privaten Sparens an der gesamtwirtschaftlichen Ersparnisbildung ergeben. Dieter Brümmerhoff gibt in seinem Beitrag „Die gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung" einen Überblick über die ex-post-Erfassung der volkswirtschaftlichen Kreditbeziehungen als Grundlage für empirische Untersuchungen des Sparprozesses. Anknüpfungspunkte einer solchen Finanzierungsrechnung sind die grundlegenden Zusammenhänge zwischen Einnahmen/Ausgaben und Sparen/Investieren sowie Kreditänderungstransaktionen. Die Kapitel Β bis D enthalten unter den Überschriften „Realkapitalbildung", „Geldvermögensbildung" und „Portfolioentscheidungen" Beiträge zu den wesentlichen mikro- und makrotheoretischen Zusammenhängen des Sparprozesses. In dem Kapitel zur Realkapitalbildung befassen sich zunächst vier Beiträge mit der angebots- und nachfragetheoretischen Sicht der volkswirtschaftlichen Investitionen und ihrer Bedeutung für den Beschäftigungsgrad. Ein weiterer Beitrag fragt nach dem Einfluß der Inflation auf die Realkapitalbildung. Als wichtigstes Spezialproblem wird schließlich der Zusammenhang zwischen Kapitalbildung und Wohnungsbau erörtert. Otto Vogel begründet den sich seit den siebziger Jahren abzeichnenden Kapitalmangel in seinem Beitrag „Das Phänomen ,Investitionslücke' — angebotstheoretisch betrachtet" aus Störungen des marktwirtschaftlichen Prozesses. Diese liegen aus angebotstheoretischer Sicht in einer weiter auseinandergehenden Gewinn-Risiko-Schere, einer damit einhergehenden Schrumpfung der Eigenkapitalquote der Unternehmen, einer zunehmenden Lücke zwischen Sachkapital- und Wertpapierverzinsung und einer zunehmenden Regulierungsdichte. Dagegen sieht Werner Glastetter im Beitrag „Ursachen der gegenwärtigen Investitionsschwäche — die nachfragetheoretische Sicht" die Problematik einer anhaltenden Nachfrageschwäche als ursächlich für mangelnde Kapitalbildung an. Die angebotstheoretische Blockadehypothese sei durch die empirische Entwicklung nicht bestätigt worden. Abgesehen davon, daß die Investitionsschwäche primär bei den öffentlichen Investitionen zu lokalisieren ist, werden „gängige" Blockadevermutungen durch die reale Entwicklung in keiner Weise gedeckt. Wohl aber erkennbar ist die deutliche Abhängigkeit der Investitionsentwicklung von der Kapazitätsauslastung.

XIV

Einführung

Heiner Flassbeck zeigt in seinem Beitrag „Zur Theorie des Kapitalmangels", daß ein Zusammenhang von langfristigem Kapitalmangel und Arbeitslosigkeit nicht im Rahmen einer neoklassischen, sondern nur im Rahmen einer keynesianischen Theorie begründet werden kann. Im Rahmen dieses Ansatzes geht es allerdings nicht mehr um die Erklärung von Trendphänomenen, sondern um die Erklärung von Schocks, die temporär die Anpassungsfähigkeit des Systems überfordern. Solche Erklärungen passen wiederum zu dem empirischen Befund, der nahelegt, daß der Zeitraum der Außerkraftsetzung des Anpassungsmechanismus für die Höhe der entstehenden Unterbeschäftigung von ausschlaggebender Bedeutung ist. Bernd Rohwer vertritt im Beitrag „Mangelnde Kapitalbildung als Ursache der Arbeitslosigkeit" die Ansicht, daß die gegenwärtige Arbeitslosigkeit durchaus in einem Kapitalmangel im Sinne eines Mangels an Arbeitsplätzen begründet sei; von einer technologischen oder substitutionsbedingten — durch hohe Produktivitätszuwächse ausgelösten — Arbeitslosigkeit könne gegenwärtig in der Bundesrepublik allerdings kaum die Rede sein. Inwieweit ursächlicher Realkapitalmangel — im Sinne einer in Relation zum Nachfrage· und Wachstumspotential unzureichenden autonomen Investitionstätigkeit — besteht, sei schwieriger zu beantworten, da die gegenwärtige Investitionsschwäche in gewissem Umfang auch in einer längerfristig verminderten Nachfragedynmaik begründet sei. Die Argumente für einen monetären Kapitalmangel seien nicht überzeugend. Helmut Wagner untersucht in seinem Beitrag den „Einfluß der Inflation auf die Realkapitalbildung". Ausgehend von der neoklassischen Annahme der Inflationsneutralität in bezug auf reale Größen untersucht er, welche der in der neoklassischen allgemeinen Gleichgewichtstheorie nicht berücksichtigten Faktoren den in der Realität zu beobachtenden Einfluß der Inflation erklären können. Wagner arbeitet insbesondere Einflußfaktoren wie Erwartungsunsicherheit sowie Informations- und Marktmachtunterschiede heraus. Der Einfluß der Inflation auf die Realkapitalbildung sei das Ergebnis umfassender Portfolioentscheidungen unter Unsicherheit. Wölfgang Burda behandelt das Thema „Kapitalbildung und Wohnungsbau — unter besonderer Berücksichtigung der Wohnungs- und Vermögenspolitik sowie der Bedeutung der Bausparkassen bei der Finanzierung von privatem Wohnungseigentum". Die angesichts des Kapitalbedarfs anderer Wirtschaftszweige aufgeworfene Frage nach der Förderungswürdigkeit des Wohnungsbaus wird vom Autor hinsichtlich der starken Effekte der Wohnungsbauinvestitionen auf den Arbeitsmarkt und den damit verbundenen Einkommenswirkungen positiv beantwortet. Voraussetzung ist jedoch die situationsgerechte Anwendung der Förderungsinstrumente.

Einführung

Das Kapitel über die Geldvermögensbildung wird durch zwei Beiträge über die Wandlungen der Anlageformen und die Fristenverkürzung auf dem Kapitalmarkt eingeleitet. Es folgen zwei Beiträge über den Zusammenhang zwischen Geldvermögensbildung und Einkommensverteilung, wobei der erste mehr empirisch, der zweite mehr theoretisch orientiert ist. Ein Beitrag über die pädagogischen Möglichkeiten einer Förderung der Geldkapitalbildung schließt dieses Kapitel ab. Ernst Otto Sandvoss leitet die „Wandlungen in den Anlageformen" vornehmlich aus der stärkeren Zinsreagibilität und der hieraus resultierenden Unsicherheit über die Zinsentwicklung ab, die dazu geführt haben, daß die Geldvermögensbildung generell kurzatmiger geworden ist. Wegen der erhöhten Neigung zu spekulativen Engagements seien Innovationen deshalb vornehmlich im Bereich der „spekulativen" Anlageformen zu erwarten. Allerdings gibt es bereits eine Gegenbewegung mit dem Ziel, den Sparer wieder langfristig an sein Sparinstitut zu binden. Die von Sandvoss festgestellte Tendenz zu kurzfristigen Anlageformen wird von Dietmar Kath in seinem Beitrag „Gründe und Bedeutung der Fristenverkürzung auf dem Kapitalmarkt" aufgegriffen. Auch Kath sieht diese Entwicklung als Ergebnis eines rationalen Anpassungsverhaltens von Gläubigern und Schuldnern an gestiegene finanzielle Risiken aufgrund starker Zinsund Geldwertschwankungen in den siebziger Jahren. Als Konsequenz daraus ergibt sich im monetären Bereich eine zunehmende Substitution zwischen festverzinslichen Wertpapieren und anderen Schuld- und Forderungstiteln, im realen Sektor eine erhöhte Unsicherheit in den Finanzierungsbedingungen langfristiger Investitionen. In dem Beitrag von Meinhard Miegel „Neuere Tendenzen in der Vermögensverteilung" wird ein Überblick über die Entwicklung der Höhe und der Verteilung des Vermögens der privaten Haushalte gegeben. Die Geld- und Sachkapitalbildung hat zu einem Nettovermögen von 5,5 Bio. DM einschließlich Versorgungsansprüchen von 8,4 Bio. DM geführt (Ende 1983). Die Vermögensstruktur untersucht der Autor differenziert nach Vermögensschichten, nach soziologischen Gruppen und nach Vermögensarten. Der kräftige Anstieg der absoluten Vermögenswerte war verbunden mit einer gewissen Nivellierung der Vermögensunterschiede. Diese Nivellierungstendenz hielt sich allerdings insgesamt in engen Grenzen und wurde gelegentlich auch von gegenläufigen Entwicklungen aufgehoben. „Der Einfluß der Vermögensbildung auf die Einkommensverteilung" wird von Bernhard Kiilp in Form einer kritischen Auseinandersetzung mit drei Thesen untersucht. Die erste These einer Einkommenserhöhung durch Zins-

XVI

Einführung

einkommen aus Ersparnisbildung gilt nur, wenn das Zinseinkommen quantitativ bedeutend ist und durch den Sparprozeß das Lohneinkommen nicht zurückgeht. Auch hinsichtlich der zweiten von Preiser vertretenen These, wonach Arbeitnehmer mit Sparkapital gegenüber Arbeitgebern eine bessere Verhandlungsposition haben, und der dritten These von Kaldor, wonach erhöhtes Arbeitnehmer-Sparen zu einer Erhöhung der Lohnquote führt, zeigt Külp, daß sich bei Anpassung der zugrunde liegenden Annahmen an die Realität erhebliche Modifizierungen ergeben. Unter einem besonderen Blickwinkel wird die Thematik des Sparens bzw. der Geldvermögensbildung im Beitrag von Gustav Raab „Sparverhalten und Wirtschaftsdenken: Aktuelle pädagogische Aspekte" betrachtet. Der Autor entwickelt ein Konzept für eine moderne Spar- und Wirtschaftserziehung, die dem Bürger sowohl ein bestimmtes Faktenwissen für die Gestaltung seines individuellen Lebensbereiches als auch ein Verständnis für gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge vermittelt. Im Anschluß an diese inhaltlichen Überlegungen werden Verfahren und Instrumente für die Durchführung einer solchen Spar- und Wirtschaftserziehung dargestellt. In den drei Aufsätzen des Kapitels „Portfolioentscheidüngen" werden die Zusammenhänge zwischen Geld- und Realkapitalbildung, die in den vorhergehenden Aufsätzen schon wiederholt angesprochen wurden, aus der Sicht des bestandstheoretischen Ansatzes weiter vertieft. Der Beitrag „Portfolioselektion im finanziellen und nichtfinanziellen Sektor" von Gustav Dieckheuer untersucht Determinanten und Auswirkungen der sektoralen Geldvermögensallokation. Dazu wird zunächst die nach Sektoren und Portfolioanlagen differenzierte Grundstruktur eines Portfoliomodells vorgestellt, dessen Verhaltensparameter, in einem zweiten Schritt empirisch geschätzt werden. Die sich daran anschließende Simulation der Wirkung von Änderungen exogener Modellgrößen und ausgesuchter Verhaltensparameter untermauert eine eingangs der Analyse geäußerte Vermutung: Die sektoralen Portfoliostrukturen sind langfristig relativ stabil, so daß exogene Schocks keine tiefgreifenden Änderungen der Portfoliozusammensetzung bewirken. Gravierende Effekte auf inländische Zinssätze, Wertpapierund Aktienkurse werden gleichfalls nicht beobachtet; einzig für geldpolitische Impulse lassen sich nachhaltige Wirkungen auf das Zins- und Kursniveau nachweisen. Karl-Heinz Ketterer und Rainer Vollmer untersuchen die „Zusammenhänge zwischen Sachinvestitionen, Finanzanlagen und Geldhaltung". Die Autoren gehen der Frage nach, ob eine zu geringe Ersparnis die ausschlaggebende Ursache der Investitionsschwäche in den letzten Jahren gewesen ist. Sie

Einführung

XVII

kommen zu dem Ergebnis, daß mit dem gegebenen privaten Sparvolumen wesentlich höhere Investitionen finanziert werden könnten. Geeignete Therapie der Investitionsschwäche ist also nicht die Anhebung der privaten Ersparnis, sondern die Umstrukturierung von Finanzanlagen zu Sachanlagen. Die eigentliche Ursache des Problems wird in den hohen Realzinsen auf Finanzanlagen gesehen. Die Kapitalmangelthese lehnen Ketterer und Vollmer mit dem Argument ab, es sei genügend Kapital vorhanden, werde aber — aus Sicht der gesamtwirtschaftlichen Erfordernisse — in die falschen Kanäle gelenkt. Dieter Fricke unterscheidet in seinem Beitrag „Der Einfluß unerwarteter Einkommensveränderungen auf das Spar- und Anlegerverhalten" drei Arten von Einkommensveränderungen und untersucht deren Wirkung auf die Sparquote und die Portfoliostruktur. Danach führen Schwankungen des verfügbaren Einkommens und Sonderzahlungen tendenziell zu einer gleichgerichteten Entwicklung der Sparquote, während unerwartete Schwankungen der Realeinkommen bei inflationärer Grundtendenz zu einer gegengerichteten Reaktion der Sparquote führen. Für die Portfoliostruktur konstatiert Fricke nur einen geringen Einfluß von Einkommensveränderungen, da die Anlageentscheidungen aufgrund zunehmenden Vertragssparens mehr von langfristigen Entwicklungen geprägt sind. Insgesamt erweist sich das Anlageverhalten als stärker habitualisiert, als es die Portfoliotheorie zumeist unterstellt. Um die Stellung des Staates im volkswirtschaftlichen Sparprozeß zu kennzeichnen, wird im Kapitel E zwischen einem direkten und einem indirekten Beitrag des Staates zur gesamtwirtschaftlichen Geld- und Sachkapitalbildung unterschieden. Die Entwicklung des direkten Beitrages, also die staatliche Vermögensbildung selbst, wird für die Bundesrepublik in ihren unterschiedlichen Phasen von Hans-Bodo Leibinger nachgezeichnet. Hinsichtlich des indirekten — sich über die Beeinflussung der privaten Vermögensdispositionen vollziehenden — Beitrages des Staates werden sowohl diskretionäre Förderungsmaßnahmen als auch die Einflüsse des globalen Haushaltsgebarens auf die private Geld- und Sachkapitalbildung diskutiert. In seiner Untersuchung über den „Beitrag des Staates zur volkswirtschaftlichen Geld- und Sachvermögensbildung" weist Hans-Bodo Leibinger darauf hin, daß die (direkte) staatliche und die private Vermögensbildung eng miteinander verzahnt und deswegen generelle Aussagen über den Beitrag des Staates zur volkswirtschaftlichen Vermögensbildung nur schwer möglich sind.

XVIII

Einführung

Heinz Kock versucht, die „Staatliche Vermögensbildung im volkswirtschaftlichen Sparprozeß" in der Nachkriegszeit über einen ersten Ansatz einer Vermögensbestandsstatistik nachzuvollziehen und dabei auch die Bedeutung der verschiedenen staatlichen Ebenen herauszuarbeiten. Die Ausführungen Kocks ergeben, daß staatliche Vermögensbilanzen durchaus einen Beitrag zur Verbesserung der Transparenz der Vermögensverhältnisse der volkswirtschaftlichen Sektoren erbringen können. Sie zeigen beispielsweise, daß der staatlichen Verschuldung nach wie vor ein nicht unerhebliches staatliches Vermögen gegenübersteht. In der Betrachtung nach Subperioden wird deutlich, daß in den letzten zehn Jahren ein rascher Vermögensabbau des Staates — insbesondere des Bundes — stattgefunden hat. Den Beitrag des Staates zur volkswirtschaftlichen Kapitalbildung mißt man in der Regel anhand der öffentlichen Investitionen. Im Mittelpunkt des Beitrages von Rolf Peffekoven über „Öffentliche Investitionen und Kapitalbildung" steht der von Bund und Ländern verwendete, relativ weite Investitionsbegriff, der alle Ausgaben erfaßt, die zukunftswirksam sind, und keineswegs — wie immer wieder behauptet — primär auf die Sachkapitalbildung abzielt. Bei dieser Abgrenzung stellt sich allerdings die Frage, warum Zukunftswirkungen nur den öffentlichen Ausgaben, nicht aber den öffentlichen Einnahmen (z.B. Steuererleichterungen) beigemessen werden; außerdem müßte man konsequenterweise den Begriff der privaten Investitionen entsprechend weit fassen. Mit der staatlichen Sparförderung soll heute nicht mehr in erster Linie eine Erhöhung der volkswirtschaftlichen Sparquote, sondern eine breiter gestreute Beteiligung an der Vermögensbildung erreicht werden. Willi Albers weist in seinem Beitrag „Förderung der Vermögensbildung" auf etliche Schwierigkeiten hin, die diesem Ziel entgegenstehen. So müssen die privaten Haushalte zu einem Verhalten gezwungen werden, das ihren Präferenzen über die zeitliche Verwendung des Einkommens widerspricht. Da die Größe, an der die Sparförderung anknüpft — die jährliche Ersparnis — nicht zu ermitteln ist, sind Mißbrauchsmöglichkeiten gegeben und die Mitnahmeeffekte stark ausgeprägt. Deshalb ist nach Auffassung von Albers der Wirkungsgrad vieler Förderungsmaßnahmen so schlecht, daß sie in keinem Verhältnis zu den hohen finanziellen Aufwendungen des Staates stehen. Einen umfassenden Überblick über die sich wandelnden Prioritäten und Ziele der staatlichen Förderung der Vermögensbildung gibt Helmut Geiger in seinem Beitrag „Ziele der staatlichen Förderung der Vermögensbildung — eine kritische Betrachtung". Aus dieser kritischen Bestandsanalyse leitet Geiger Anforderungen an die künftige Ausgestaltung der staatlichen Vermö-

Einführung

XIX

gensbildungspolitik ab. So hat sich die Vermögenspolitik dem Gegensatz zwischen gesellschaftspolitisch erwünschter Streuung des Eigentums an Produktivkapital einerseits und den (davon abweichenden) Interessen der Anleger andererseits zu stellen. Dieser Zielkonflikt läßt sich am ehesten dadurch lösen, daß die verschiedenen Anlageformen differenziert nach dem Prinzip gefördert werden: je höher das Anlagerisiko, desto höher der Fördersatz. Ordnungspolitisch unverzichtbar ist für Geiger darüberhinaus die Wahlfreiheit für den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer. In den Kapiteln F bis H werden Strukturprobleme der nationalen und internationalen monetären Institutionen und Märkte unter den Überschriften „Finanzieller Sektor", „Internationale Aspekte des Sparprozesses" und „Besonderheiten der Geldvermögensbildung in einzelnen Ländern" behandelt. Im Rahmen des Kapitels F werden in drei Aufsätzen Probleme der nationalen Bankwirtschaft — Banksicherheit, Bankenwachstum, Stellung der Banken im Sparprozeß — erörtert. Zwei weitere Aufsätze befassen sich mit der Bedeutung der privaten und der öffentlichen Versicherungswirtschaft für den volkswirtschaftlichen Sparprozeß. Henry C. Wallich untersucht in „Eigenkapital und andere Mittel zur Verbesserung der Banksicherheit" verschiedene Möglichkeiten zur Erhöhung des Einlagenschutzes, vor allem bezogen auf das amerikanische Bankenwesen. Drei Wege zieht er dafür in Betracht, die èr anhand der privaten und sozialen Kosten sowie der daraus folgenden Wirkungen beurteilt. Während eine stärkere Regulierung aufgrund der ordnungspolitisch motivierten Deregulierung der letzten Jahre als Maßnahme nicht in Betracht kommt, liegt der Nachteil bei der Absicherung über Eigenkapital in den (steuerlich begründeten) Ausweichanreizen für die Banken und bezüglich der Einlagenversicherung in der möglichen Zunahme risikoreicherer Geschäfte. Hinsichtlich der amerikanischen Verhältnisse plädiert er für eine Verbesserung des derzeitigen, mehrgleisigen Vorgehens. In seinem Beitrag über das „Bankenwachstum — Einflüsse des Spar- und Anlageverhaltens" weist Ludwig Huber darauf hin, daß das überproportionale, nach Bankengruppen und im Zeitablauf jedoch unterschiedlich hohe Wachstum der Geschäftsvolumina der Kreditinstitute in entscheidendem Maße von der Entwicklung bzw. von der Struktur auf der Refmanzierungsseite abhängig ist. Damit wird die Anpassung an entsprechende Veränderungen im Spar- und Anlageverhalten der Einleger zu einer zentralen geschäftspolitischen Aufgabe der Banken. Kennzeichnend hierfür ist insbesondere die Notwendigkeit, durch eine breite Auffacherung des Anlagespek-

XX

Einführung

trums der gewachsenen Zinselastizität der Sparer sowie dem allgemeinen Übergang vom Liquiditäts- zum Vermögenssparen mit seinen weiterführenden Geldanlageformen Rechnung zu tragen. Auch der Beitrag von Hans E. Büschgen „Sparen an den Banken vorbei?" beschäftigt sich mit Strukturwandlungen in der Geldvermögensbildung und den daraus resultierenden Folgen für die Kreditinstitute. Ausgangspunkt der Überlegungen ist das in jüngerer Zeit zu beobachtende erhebliche Absinken der Geldanlage bei Banken zugunsten anderer Kapitalanlagemöglichkeiten. Der Autor untersucht zunächst die generellen Möglichkeiten eines Sparens außerhalb des Bankensektors. Im Rahmen der Erörterung möglicher Reaktionen der Kreditinstitute geht er sowohl auf bereits getroffene geldpolitische Entscheidungen als auch auf zukünftige notwendige Handlungsalternativen ein. Büschgen kommt zu dem Ergebnis, daß aufgrund der rechtlichen Gegebenheiten und des in der Bundesrepublik vorherrschenden Universalbankensystems neue ausgebaute Wege des Sparens an den Banken vorbei nicht zu gewärtigen sind. Malte von Bargen stellt in seinem Beitrag „Bedeutung und Funktion der VersicherungsWirtschaft im volkswirtschaftlichen Sparprozeß" die Besonderheiten des Versicherungswesens im Rahmen des Sparprozesses heraus. Für Versicherungen ist die Ansammlung und Weiterleitung von Finanzierungsmitteln im Gegensatz zu Kreditinstituten nicht die originäre Aufgabe, sondern stellt einen notwendigen Abschnitt bei der Produktion von Versicherungsschutz dar. Die Bedeutung des Versicherungssparens kommt darin zum Ausdruck, daß ihr Anteil an der Geldvermögensbildung der inländischen nichtfinanziellen Sektoren mehr als 20 v.H. beträgt. Kennzeichnend für das Versicherungssparen ist im Gegensatz zum Bankensparen zum einen dessen außerordentliche Stetigkeit, zum anderen die Langfristigkeit. Den Abschluß dieses Kapitels bildet der Beitrag „Sozialversicherungssystem und volkswirtschaftliche Ersparnis" von Manfred Hieber. Er diskutiert zwei kontroverse Thesen: Zum einen geht vom Rentenversicherungssystem ein „Vermögenseffekt" aus, der auf eine Verminderung der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis hinwirkt, zum anderen gibt dieses System durch einen „Lebensarbeitszeiteffekt" Anreiz zu verstärktem privaten Sparen in der Zeit der Erwerbstätigkeit. Sowohl der „Vermögenseffekt" als auch der „Lebensarbeitszeiteffekt" der Rentenversicherung in der Bundesrepublik bedeuten allokationspolitische Verzerrungen. Hinsichtlich der Wirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Ersparnis allerdings ist damit zu rechnen, daß der „Lebensarbeitszeiteffekt" den „Vermögenseffekt" in der Vergangenheit mindestens teilweise neutralisiert hat.

Einführung

XXI

Angesichts der — vom Volumen und von der Mobilität her — wachsenden Internationalisierung des Kapitals sind die Existenz ausländischer Finanzmärkte, die hieraus resultierenden Konsequenzen für die monetäre Steuerung, die Wirkung internationaler Direktinvestitionen und von Kapitalverkehrskontrollen Stichworte, um die die Analyse des Kapitalbildungsprozesses heutzutage erweitert werden muß. Das Kapitel G erfüllt diese Aufgabe. Das Zusammenspiel zwischen in- und ausländischen Finanzmärkten und dem heimischen Sparprozeß einer Volkswirtschaft analysieren Dieter Hiss und Wolfgang Schröder in ihrem Beitrag „Die Bedeutung der ausländischen Finanzmärkte für den nationalen Sparprozeß" auf zwei Ebenen: Auf der Ebene des einzelnen Entscheidungsträgers (Sparers) und aus gesamtwirtschaftlicher Sicht. Determinanten der Portfolioentscheidungen des einzelnen Anlegers — Ertragserwartungen und Risikoüberlegungen, institutionelle Regelungen der Kapitalanlage, Motive der Steuerumgehung sowie Thuisaktionsund Informationskosten — werden in ihrem Einfluß auf den langfristigen internationalen Kapitalverkehr der Bundesrepublik nachgezeichnet. In gesamtwirtschaftlicher Sicht werden die vielfältigen Interdependenzen berücksichtigt, die zwischen nationaler Ersparnis, Investition und Einkommensentstehung auf der einen Seite und den internationalen Leistungs- und Kapitalströmen auf der anderen Seite bestehen. Im Mittelpunkt des Beitrages „Geldschöpfung am Euro-DM Markt und Geldmengenkontrolle der Bundesbank" von Wolfgang Gebauer steht die Frage, welche Rolle die Geld- und Kreditschöpfung des Euro-DM Marktes bei gegebener Freizügigkeit des Kapitalverkehrs für die monetäre Steuerung in der Bundesrepublik spielt. Als Ergebnis ist festzuhalten, daß angesichts des wirksamen Zinsverbundes zwischen Euro-DM und inländischem Geldmarkt kein prinzipieller Konflikt zwischen dem Geldschöpfungspotential dieses Euromarktes und der geldmengenpolitischen Kontrollaufgabe der Bundesbank besteht, die ja eine wichtige Rahmenbedingung für den Kapitalbildungsprozeß darstellt. Internationale Direktinvestitionen können sowohl im Herkunftsland als auch im Gastland den Kapitalbildungsprozeß ungleich stärker beeinflussen als andere längerfristige internationale Kapitalbewegungen, die lediglich via Kaufkraftübertragung indirekte Wirkungen entfalten. Rainer Erbe sieht in seinem Beitrag „Internationale Direktinvestitionen und Realkapitalbildung" keine Gründe für eine negative Beeinflussung der Ersparnis durch Direktinvestitionen, eher dürften Direktinvestitionen die Ressourcenallokation verbessern sowie die Faktoreinkommen erhöhen und so die Ersparnis tendenziell anheben. Aus dieser Perspektive wirken die internationalen Direktinvesti-

XXII

Einführung

tionen im ungünstigsten Falle neutral, vermutlich aber positiv auf die weltweite Kapitalbildung. Im Vergleich zur umfassenden Literatur über den Protektionismus im Güter- und Dienstleistungsverkehr steht die wissenschaftliche Diskussion über die Beschränkungen des Kapitalverkehrs erst in den Anfängen. Emil Maria Ciaassen analysiert in seinem Beitrag „Kapitalverkehrskontrollen und ihre Auswirkungen auf Ersparnisse und Inflation" Pro und Kontra von Kapitalkontrollen unter zwei Gesichtspunkten: Nach dem Kriterium der optimalen Allokation der Ressourcen sollte die Regierung dann intervenieren, wenn es einen Unterschied zwischen privaten und sozialen Kapitalrenditen gibt. Kapitalverkehrskontrollen können aber auch unter dem Gesichtspunkt der Einkommensverteilung zwischen Ländern gesehen werden. Unter bestimmten Bedingungen kann ein Land sein Einkommen zu Lasten anderer durch Beschränkung seiner Kapitalexporte oder -importe erhöhen. Es besteht Konsens darüber, daß Veränderungen im finanziellen Sektor und in der Zusammensetzung des Geldvermögens erhebliche Konsequenzen für die Gesamtwirtschaft haben können. Sie können Einfluß auf die Investitionstätigkeit und damit auf die Wachstumschancen einer Wirtschaft nehmen. Für die wirtschaftspolitische Analyse einzelner Länder sind deswegen Kenntnisse über die Spezifika der jeweiligen Geldvermögensbildung eigentlich unerläßlich. Die bisher verfügbare Literatur hierüber ist allerdings noch recht bescheiden bzw. nur schwer zugänglich. Deswegen bietet das Kapitel H einen Überblick über die Besonderheiten der Geldvermögensbildung in einigen ausgewählten Ländern. M Akbar Akhtar und Edward J. Frydl untersuchen die „Besonderheiten der Geldvermögensbildung in den Vereinigten Staaten". Seit den sechziger Jahren haben die wachsende Inflation, die gestiegenen Risiken im Bereich der realen Einflußfaktoren, Innovationen und Liberalisierungen die Finanzwelt erheblich verändert. Diese Faktoren haben per Saldo den Erwerb von Sachanlagen — d.h. Häusern und Immobilien — und das Einlagensparen vor allem zu Lasten der Anlage in Aktien begünstigt. Verstärkte Deregulierungen und Zinsliberalisierung im Finanzbereich und die unbefriedigende Entwicklung des Aktienmarktes führten zur Entwicklung einer Reihe von höherverzinslichen Anlageformen, die insbesondere von Finanzinstitutionen angeboten werden, sowie zur Aufrechterhaltung des hohen Anteils der Einlagen am geamten Geldvermögen der Haushalte. „Die Besonderheiten der Geldvermögensbildung der privaten Haushalte in Frankreich", die André Babeau erläutert, zeigen sich bis Ende der siebziger Jahre vor allem darin, daß das Geldvermögen der privaten Haushalte

Einführung

XXIII

schließlich ein Viertel ihres Gesamtvermögens ausmachte. Außerdem war die Liquidität des Geldvermögens der privaten Haushalte in Frankreich höher als in den meisten anderen Industrieländern. Seit 1979 hat die Situation sich aber spürbar verändert: Der Anteil der Haushalte, der Aktien und Wertpapiere besitzt, hat sich rasch vergrößert. Insgesamt erhöhte sich damit auch der Anteil des Geldvermögens am Gesamtvermögen. Die Struktur des Geldvermögens änderte sich dadurch, daß der Anteil der liquiden Kassenbestände zu Lasten der Finanzanlagen, die der Altersvorsorge dienen, deutlich zurückging. Franz Ettlin und Kurt Schiltknecht befassen sich mit den „Bestimmungsfaktoren des Sparverhaltens und Besonderheiten der Geldvermögensbildung in der Schweiz". Aus ihrem Ansatz zur Erklärung der Sparquotenentwicklung leiten sie einen dominierenden Einfluß der langfristigen Wachstumsrate der Bevölkerung und des Einkommens pro Kopf ab. Zwischen dem individuellen Sparen einerseits und dem Unternehmenssparen sowie der Entwicklung der kollektiven Alters- und Hinterlassenenvorsorge andererseits lassen sich Substitutionsbeziehungen feststellen. Das schweizerische Zwei-SäulenSystem der kollektiven Altersvorsorge hat zwar das individuelle Sparen sehr stark vermindert, die volkswirtschaftliche Ersparnis dagegen nur wenig. Ein Teil des Unternehmenssparens, ein großer Teil des individuellen Sparens und der größte Teil des Sozialversicherungssparens werden in erster Linie als Geldvermögen gehalten, mit dem sich der zweite Teil der Ausführungen von Franz Ettlin und Kurt Schiltknecht befaßt. Dabei werden vor allem institutionelle Aspekte in der Schweiz betont sowie Wirkungen von geldpolitischen Maßnahmen, Steuervorschriften und Anlagebestimmungen diskutiert. Helmut Pech arbeitet in seinem Beitrag „Besonderheiten der Geldvermögensbildung in Österreich" zunächst die für Österreich charakteristische Struktur der Geldvermögensbildung heraus. Dabei zeigt sich ein Schwerpunkt bei der Geldkapitalbildung — darunter wird die Geldvermögensbildung bei Kreditinstituten verstanden —, wogegen der Kapitalmarkt im allgemeinen und der Rentenmarkt im besonderen (als Gelenk zwischen direkten finanziellen Beziehungen zwischen Nichtbanken) vergleichsweise schwach ausgeprägt sind. Erst in jüngster Zeit ist eine relativ starke Expansion des Versicherungssparens zu beobachten, und es zeichnen sich Tendenzen in Richtung privater Vorsorgemodelle ab, die gesetzliche Leistungsansprüche ergänzen sollen. Als wichtigste Niveaudeterminante der Geldvermögensbildung sieht Pech die Einkommensentwicklugen an, während die Zinshöhe der verschiedenen Anlagealternativen eher die Struktur der Geldvermögensbildung bestimmt.

XXIV

Einführung

In seinem Beitrag „Besonderheiten der Geldvermögensbildung in Japan" gibt Tsuyoshi Kanegae zunächst einen Überblick über die Finanzinstitute Japans und die verschiedenen Möglichkeiten der Geldvermögensbildung. Analysiert werden nicht nur Umfang und Besonderheiten des privaten Sparens in Japan, sondern insbesondere die Gründe für die im Vergleich zu anderen Industrieländern hohe Sparquote. In seinem Ausblick auf die zukünftige Entwicklung von Sparquote und Geldvermögensstruktur analysiert Kanegae Faktoren, die auf eine zwar langfristig geringe Abnahme der japanischen Sparquote hinweisen; gleichwohl wird sie im internationalen Vergleich ein relativ hohes Niveau halten. Im abschließenden Kapitel I werden Problembereiche angesprochen, die die Zukunftsperspektiven des volkswirtschaftlichen Sparprozesses und damit der wirtschaftlichen Entwicklung generell entscheidend beeinflussen. Es geht dabei um die Diskussion von Vorschlägen für eine Verbesserung der Transformation des Sparkapitals in unternehmerisches Investitionskapital, es werden grundsätzliche Fragen der Innovationsfinanzierung erörtert, und, allein schon wegen der wachsenden Bedeutung für das nationale, das internationale Finanzmarktgeschehen umfassend analysiert. Detlef Hunsdiek und Ljuba Kokalj beschränken sich in ihrem Beitrag „Beseitigung des Mangels an Risikokapital — Vorschläge zur Verbesserung der externen Risikokapitalversorgung" auf die Problematik der externen Risikokapitalbeschaffung. Diskutiert werden Hemmnisse und ihre mögliche Beseitigung auf dem organisierten sowie auf dem freien Risikokapitalmarkt. Neben Maßnahmen zur Effizienzsteigerung der Börse werden insbesondere Reformvorschläge für eine Revitalisierung der Risikofinanzierung über Kapitalbeteiligungsgesellschaften und für eine Etablierung funktionsfähiger Venture Capital-Gesellschaften vorgestellt. Hunsdiek und Kokalj legen dabei Wert auf die Feststellung, daß eine isolierte Betrachtung und Einzelmaßnahmen kaum den gewünschten Erfolg bringen können, wohl aber eine Bündelung und die Beseitigung von Hemmnissen an allen Ansatzstellen — am Aktienmarkt, am Kapitalbeteiligungsmarkt für nicht emissionsfähige Unternehmen und bei den institutionellen und privaten Anbietern von Risikokapital. Edzard Reuter zeigt in seinem Beitrag „Innovationsfinanzierung" auf, daß der Bedarf hiernach in Form von Venture Capital sich aus dem ungewöhnlich hohen Bedarf an Vorleistungen für technologisch fortgeschrittene Güter und Dienstleistungen ergeben hat. Neu ist neben der zunächst längerfristigen Ertragslosigkeit und der beachtlichen Spanne von Gewinnrisiko und -chance auch, daß die Hergabe von Risikokapital mit unternehmerischem know how

Einführung

XXV

kombiniert werden muß, weil eine einzelne Erfinderpersönlichkeit in der Regel nicht mehr die unterschiedlichen technischen und kaufmännischen Kenntnisse und Erfahrungen in sich vereinigen kann. Deshalb liegt es nahe, die erforderlichen Kapitalien in einem Fonds zu sammeln, eine aus Gründen der Risikostreuung diversifizierte Anlagepolitik zu entwickeln und beim Fonds ein spezifisches Gründungsmanagement aufzubauen. In diesem Management sieht Reuter den eigentlichen Engpaß für einen raschen Siegeszug von Venture Capital. Zwar haben, so Walter Seipp in seinem Beitrag „Perspektiven der internationalen Finanzmärkte", bis 1982 — in etwa mit der wachsenden weltwirtschaftlichen Verflechtung — die internationalen Finanzmärkte stark expandiert, doch seit dem Ausbruch der Schuldenkrise 1982 stehen sie nun eher im Zeichen einer Stabilisierung und Umstrukturierung zur notwendigen Anpassung an neue weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen. Dazu gehört die Diversifizierung — in geographischer Hinsicht und in bezug auf die Kontraktwährungen — ebenso wie die Verbreiterung der Angebotspalette durch zahlreiche Innovationen. Das Verschuldungsproblem vieler Entwicklungs- und Schwellenländer belastet immer mehr die internationalen Finanzmärkte. Die Lösung dieses Problems, nämlich die nachhaltige Wiederherstellung der Kreditwürdigkeit für die betreffenden Länder, sieht Walter Seipp im wesentlichen im politischen Bereich angesiedelt: neben materieller Unterstützung bedarf es hierzu der engen Kooperation aller Beteiligten. Die Herausgeber danken den Autoren nicht nur für ihre Mitwirkung an diesem Sammelband, sondern insbesondere auch für die Bereitschaft, die Einschränkungen zu akzeptieren, die aus der Mitarbeit im Rahmen eines vorgegebenen Konzepts resultieren. Besonderer Dank sei dem Verlag Duncker & Humblot, Berlin, für das hohe Engagement gesagt, mit dem er die Entstehung dieses Werkes gefördert hat. Freiburg/Bonn, Ende 1985 Werner Ehrlicher, Freiburg i. Br. Diethard B. Simmert, Bonn

Α. Grundsätzliche Aspekte

Bemerkungen zur Geschichte der Spartheorien Von Erich Streissler und Werner Neudeck, Wien*

I.

Demjenigen, der in der Verfolgung eines ganz bestimmten wissenschaftlichen Paradigmas befangen ist, erscheint nationalökonomische Forschung als ein dauerndes Emporsteigen, Stufe für Stufe, zu immer höheren Sphären der Vollkommenheit. Theoriegeschichte erscheint ihm nutzlos als bloßer Bericht über die gesammelten Irrtümer der Vergangenheit. Kenner der Theoriegeschichte, z.B. Fritz Neumark 1, hingegen wissen, daß die Wissenschaftsgeschichte der Wirtschaftswissenschaften ganz im Gegenteil zyklisch verläuft in Wellenbewegungen sich überlagernder kürzerer und längerer Wogen. Dafür ist gerade die Geschichte der Spartheorien ein faszinierendes Beispiel. Als uns die Nationalökonomie zum ersten Mal in der Geschichte als wohlentwickelte Theorie entgegentritt, im englischen 17. Jahrhundert nämlich im Anschluß an das paradigmatische Werk von Th. Mun 2, verwendet sie bereits ganz selbstverständlich im wesentlichen dieselbe Sparfunktion, wie sie im 20. Jahrhundert mit Fanfarenklang von Keynes eingeführt wurde. Das 17. Jahrhundert verwendet, wie noch zu zeigen sein wird, die einfache lineare Keynessche Sparfunktion so selbstverständlich, daß jemand, der nicht wußte, aus welcher Zeit diese Beiträge stammten, einfach annehmen mußte, es handelte sich um Leute, die die keynesianischen Lehrbücher der fünfziger Jahre gelesen hatten und deren Kenntnis als so selbstverständlich voraussetzten, * Diese Arbeit ist eine nach gemeinschaftlichem Plan verfaßte Arbeit, wobei der erstgenannte Autor primär für die Abschnitte I-IV und VII, der zweitgenannte für Abschnitte V, VI und VIII verantwortlich zeichnet. 1 F. Neumark, Zyklen in der Geschichte ökonomischer Ideen, in: Kyklos, Vol. 28 (1975), S. 257-285. 2 Th. Mun, England's Treasure by Forraign Trade, London 1664 (geschrieben und zirkuliert wohl 1623). Sowohl A. Smith sieht dieses Werk als paradigmatisch an (A. Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, R. S. Campbell und A. S. Skinner , Hrsg., Oxford 1776, IV. i.10 und S. 432, Bemerkungen der Herausgeber zu A. Smith's Lectures on Jurisprudence) wie auch die neueste Forschung, etwa J. O. Appleby , Economic Thought and Ideology in Seventeenth-Century England, Princeton N.J., 1978.

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Erich Streissler und Werner Neudeck

daß sie gar keinen Anlaß mehr sähen, zu zitieren oder ihre diesbezüglichen Ansichten zu begründen. Dies wird an zwei englischen Merkantilisten, Sir Josiah Child und Gregory King, gezeigt werden. Dem 18. Jahrhundert war diese selbstverständliche Hinnahme der „keynesianischen" Sparfunktion des 17. Jahrhunderts bereits nicht mehr so ganz möglich. Denn es tauchte in ihm bereits Hayeks Frage auf: ,,Gibt es einen Widersinn des Sparens?"3, eine Frage, die damals nicht gelöst wurde. Die gesamte wohlentwickelte Spardiskussion wurde von A. Smith's Titanenkraft zum kleineren Teil „gelöst", zum größeren jedoch einfach nur begraben. Nach ihm führt Sparen aufgrund des individuellen Maximierungsstrebens des Sparenden zu Investitionen und verändert nichts als eben diese Kapitalbildung, keine Zinssätze, keine Preise. Wovon andererseits Sparen selbst abhängt, entgleitet gänzlich dem Blickfeld des Ökonomen. Sparen ist in der Klassik schaumgeboren wie Venus Anadyomene und dient nur einem einzigen Zweck. Das 19. Jahrhundert ist somit fast bis zu seinem Ende so gut wie spartheorielos. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts beginnen intensive Auseinandersetzungen mit dem Sparprozeß in seinen Ursachen wie in seinen Folgen, Auseinandersetzungen, die etwa in der Zeit von 1920 bis 1970 ihre Höhepunkte erreichen. Seither ist es in der ökonomischen Literatur diesbezüglich wieder relativ ruhig geworden. Die Geschichte der Spartheorien ist lehrreich für das Verständnis der wirtschaftswissenschaftlichen Theoriegeschichte insgesamt: Wie so oft, sind es auch in ihr keineswegs so sehr die Antworten auf bestimmte Fragen, die sich wandeln. Die Wandlung betrifft vor allem die Fragen, die überhaupt gestellt werden. Fragen entstehen, Fragen vergehen. Da sich also vor allem die als interessant empfundenen Problemstellungen wandeln, läßt sich somit letztlich auch gar kein eindeutiges Kriterium angeben, nach dem wissenschaftlicher ,,Fortschritt'' festgestellt werden könnte.

II.

Die merkantilistische Wirtschaftstheorie war intensiv an Fragen der Veränderungen der Einkommensverteilung interessiert. Es ist ihre immer wieder wiederholte Standardvorstellung, daß zunehmende Exporte und eine dadurch ausgelöste oder davon unabhängige Geldmengensteigerung zu einem Wirtschaftsaufschwung und damit verbunden als Erstwirkung zu einer Umverteilung des Volkseinkommens hin zu den Gewinnempfängern und hin zu 3 F. A. v. Hayek , „Gibt es einen Widersinn des Sparens?", in: Zeitschrift für Nationalökonomie 1, H. 3 (1929).

Bemerkungen zur Geschichte der Spartheorien

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den Bodenrentenempfängern führen. Das ist eine uns durchaus plausibel erscheinende Argumentation, die noch durch die Effekte einer unerwarteten Inflation bei Exportschüben oder Geldmengensteigerungen verstärkt wird: In einer Zeit ohne Gewerkschaften führen solche inflationären Aufschwünge bei latenter Unterbeschäftigung zwar zu einer Beschäftigungserhöhung, aber auch zu einer Reallohnsenkung, da die Nominallöhne traditionell weitgehend festliegen. Eine solche Reallohnsenkung erhöht ebenfalls die Gewinneinkommen. In weiterer Folge der Argumentation wird undiskutiert, aber für das 17. und 18. Jahrhundert empirisch ja auch mehr als evident, angenommen, daß die Gewinneinkommen und die Bodenrenteneinkommen die höheren Einkommen sind. Der exportgetragene oder geldmengeninduzierte Aufschwung führt somit zu einer Konzentration der persönlichen Einkommen. Daraus wird der Schluß gezogen: Umverteilung zu den höheren Einkommen führt zu erhöhtem Sparen und damit zu erhöhter Vermögensbildung. Gerade diese erhöhte Vermögensbildung ist der Grund, warum die Merkantilisten — auch in heutiger Sicht richtig — inflationären Aufschwüngen mehr als kurzfristige Effekte zuschrieben. In voller Deutlichkeit wird dieser Prozeß von Sir Josiah Child dargestellt. Childs Fragestellung ist eine leicht andere als die bei Mun. Er fragt nicht nach den Auswirkungen von Exportsteigerungen und Geldeinstrom, sondern nach denen von Zinssenkungen. Da jedoch nach weitgehend allgemeiner Auffassung der merkantilistischen Literatur ein Ersteffekt einer Geldmengenvermehrung eine Zinssenkung ist, sind Analysen von Zinssenkungen und der durch sie induzierten Wirtschaftsaufschwünge gleich zu lesen wie die, die von den Primärursachen, Exportsteigerungen mit Geldeinstrom und bloßer Geldvermehrung (etwa durch Kreditgeldschöpfung), ausgehen. (Die Zinssenkung als Zwischenglied ist im übrigen ein wesentlicher Grund für die behauptete Steigerung der Nettoeinkommen der meist schwer verschuldeten Grundbesitzer.) Alte ökonomische Literatur zu lesen, ist nicht ohne Gefahren der Überinterpretation: In der rein verbalen Darstellung weiß man oft nicht genau, wann nun wirklich ein Argument gefallen ist. Child ist hier eindeutig: Er führt alle von ihm behaupteten Zinseffekte in einer späten, zusammenfassenden Darstellung in tabellarischer Form an und behauptet sieben Effekte 4: „The Abatement of Interest ... will be a means to improve the Riches of this Kingdom: And I prove it thus:

4 J. Child , A New Discourse of Trade, London 1693, Teil ,,Trade and Interest of Money considered", S. 11 f.

Erich Streissler und Werner Neudeck 1. 3. 4. 5.

6. 7.

Advance the Value of Land in Purchase Improve the Rent of Farms, Encrease the bulk of Foreign Trade, Multiply domestick Artificers, Encline the Nation to Thriftiness, Employ the Poor, * Encrease the Stock of the People,

/

2. Whatever doth

must be a procuring cause of Riches."

Die letztgenannten Effekte belegen die Einkommens- und Verteilungsabhängigkeit der Ersparnisse: Erhöhte Einkommen sowie deren Konzentration (auf Grundbesitzer und Kaufleute) erhöhen die Ersparnisse, und das führt zu zusätzlicher Vermögensbildung (und, bei Child , zur Bevölkerungsvermehrung). Childs Betrachtung zeigt in Punkt 5 noch einen weiteren interessanten Aspekt der wohlausgebildeten, aber immer mehr implizit tradierten merkantilistischen Spartheorie. Selbstverständlich führen nach ihr niedrigere Zinssätze zu erhöhten Ersparnissen. ,,Must not all Persons live lower in Expence, when all Trade will be less gainful to Individuals, though more profitable to the Publick?" 5 Eine mögliche Alternative wird nicht gesehen. Jedem Kenner der Theoriegeschichte ist es klar, daß dies so sein muß. Durch den Einkommenseffekt erhöhen niedrigere Zinssätze die Ersparnisse, nur durch ihren Substitutionseffekt würden sie diese senken. Die Idee preisbedingter Substitution zwischen zwei Gütern (im Falle des Sparens zwischen Gegenwartskonsum und Zukunftskonsum) ist eine verhältnismäßig sehr junge Idee. Sie ist wesentlicher Bestandteil erst der neoklassischen oder marginalistischen Revolution, somit nicht vor dem späten 19. Jahrhundert zu erwarten. Merkantilisten, wie Child, werden daher nur den Einkommenseffekt sehen und gerade aus Zinssenkung Sparerhöhung ableiten. Immer wieder kann man sich angesichts vergangener ökonomischer Literatur fragen, wie vage oder wie klar ihre theoretischen Vorstellungen waren. Lassen sie sich etwa bereits in die präzise Sprache mathematischer Modelle kleiden? Hier können wir Gregory Kings sowohl zu seiner Zeit wie bei englischen Wirtschaftshistorikern des 17. oder 18. Jahrhunderts außerordentlich gut bekannte Schätzung des englischen Volkseinkommens für 1688 heranziehen. Gregory Kings Tabelle ist in den letzten Jahrzehnten immer wieder veröffentlicht worden, und zwar in zahlreichen Lehrbüchern, ja selbst in vielen populär historischen Schriften 6. Sie wird als Volkseinkommensschät5

Child , ibidem, S. 43.

Bemerkungen zur Geschichte der Spartheorien

7

zung lebhaft diskutiert (sie erwies sich natürlich als fehlerbehaftet, insgesamt aber als erstaunlich gut). Sie wird immer wieder als Angabe über die Einkommensverteilung Englands um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert herangezogen. Doch ist sie meines Erachtens noch nie als Sparfunktion kommentiert worden, was sie unter anderem eben auch ist. Aus Kings Tabelle läßt sich unmittelbar eine einfache lineare keynesianische Sparfunktion schätzen; womit es zwar richtig bleibt, daß vor Keynes nicht mittels einer expliziten Konsumfunktion argumentiert wurde, andererseits jedoch die zu dieser komplementäre Sparfunktion sehr wohl bekannt war. Den Merkantilisten war also das sogenannte „psychologische Gesetz" von Keynes durchaus bekannt, ohne daß sie aber zu der Wertung gelangt wären, Sparen wirkte negativ im Wirtschaftskreislauf. Kings Tabelle stellt die durchschnittlichen Einkommen für nicht weniger als 26 verschiedene Berufsstände nach dem Schema etwa von „Bettler, Bauer, Bürger, Edelmann" dar. 21 davon weisen positive Sparleistung, 5 negative auf. Regressiert man nur die Ersparnisse der positiv Sparenden auf die Einkommen (die Funktion für die negativ Sparenden ist kaum verschieden, doch handelt es sich teilweise nicht mehr um Leistungseinkommen im heutigen Sinne, etwa bei Landstreichern), so erhält man als Sparfunktion in Pfund Sterling von 1688 (S: Sparen, Y: Einkommen). (1) S = - 7 . 3 5 + 0.141 Y

R 2 = 0.980

Abb. 1 zeigt diese Funktion, rechts über den ganzen Einkommensbereich, links oben für die zahlreichen sehr niedrigen Typen von Einkommen. Die fast lineare Funktion weist eine leichte Konvexität, zumal bei den niedrigen Einkommen auf. Die Grenzsparneigung nahm also nach Kings Ansicht mit steigendem Einkommen möglicherweise ganz leicht zu. Der Abszissenabschnitt (-7.35 Pfund) der Sparfunktion hat eine interessante Erklärung: Er 6 Ich beziehe mich auf die Darstellung (unter vielen) bei Ph. Deane, The First Industrial Revolution, Cambridge 1965, S. 8 f. Ähnlich Ch. Wilson, England's Apprenticeship 1603-1763, London 1965, S. 239. D. George, England in Transition, Harmondsworth 1955, S. 150 ff.; W. A. Speck, Stability and Strife, England 1714- 1760, London 1977, S. 297 ff.; usw. King's Tabelle hat 10 Spalten: 1. „Number of Families"; 2. „Ranks, Degrees ...", also soziale Stellung; 3. „Heads per Family"; 4. „Number of Persons"; 5. „Yearly Income per Family"; 6. „Total of the Estates or Income"; 7. „Yearly Income per Head"; 8. „Expence per Head"; 9. „Increase per Head" ( = Sparen); 10. „Total Increase per Annum".

Multiplikation von Spalte 9 und Spalte 3 bringt die Ersparnisse pro Familie, die auf das Familieneinkommen in Spalte 5 bezogen werden können. Pro-Kopf-Größen sind hingegen nicht sinnvoll, da King die Dienerschaft zur Familie rechnet, die Anstellung von Dienern nach heutiger Auffassung aber Konsum wäre.

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Erich Streissler und Werner Neudeck

Abbildung 1

Kingsche Sparfunktion. S= -7,35 + 0,141 Y. (S, Sparen, auf der Ordinate, Y, Einkommen, auf der Abszisse). Der Bereich niedriger Einkommen ist im linken oberen Teildiagramm um den Faktor 10 vergrößert (volle Punkte).

entspricht ziemlich genau dem durchschnittlichen von King angenommenen Pro-Kopf-Volkseinkommen (etwa 8 Pfund): Familien mit unterdurchschnittlichem Einkommen sparen demnach also nicht. Nur die etwa 40% wohlhabenderen Familien, die die Bauern und Handwerker, nicht aber die Lohnarbeiter einschließen, sparen. (Die von King dabei angenommene Konzentration der persönlichen Einkommen, gemessen an einer Lorenzkurve, ist im übrigen von modernen vor Steuerabzug kaum verschieden.) Dementsprechend wird die durchschnittliche volkswirtschaftliche Sparquote (netto) nur auf knapp 4% des Volkseinkommens geschätzt. King faßt die Familien schließlich in zwei Gruppen zusammen: diejenigen ,,increasing the Wealth of the Kingdom" und diejenigen „decreasing the Wealth of the Kingdom". Da alle Lohnarbeiter in der zweiten Gruppe aufscheinen, ist diese Einteilung für Autoren, die in den Kategorien der Arbeitswertlehre denken, verwirrend. Als Aussage über die Spar- und Vermögensbildung gesehen, ist sie jedoch ganz natürlich: Positiv Sparende erhöhen das Volksvermögen. Ihre Sparquote beträgt nach King etwa 5,5% des Volkseinkommens. Etwa 1,5% davon gehen freilich — vor allem wohl in Unterstützungen und Sozialbeihilfen — durch den ,,Überkonsum" der ärmeren

Bemerkungen zur Geschichte der Spartheorien

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Schichten verloren, so daß nur 4% des Volkseinkommens netto der Vermögensbildung dienen. (Wie die Abschreibungen verrechnet werden, wird uns nicht gesagt; sie sind wohl „Expence", Konsum im weiteren Sinne.) Nähere Betrachtung von Kings Tabelle zeigt schließlich noch, daß er annimmt, höheres Vermögen reduziere die Sparleistung: Die „temporal Peers" haben zwar nach King genau eine durchschnittliche Sparneigung: Der Hochadel bezog im England seiner Zeit im Schnitt die Hälfte seiner Einkommen nicht aus agrarischem Grundbesitz, sondern in erheblichem Maße aus Ämtern und auch aus ertragreichen Bergwerken und dergleichen. Der niedere und mittlere Adel hingegen hatte vorwiegend agrarisches Renteneinkommen und somit relativ zum Einkommen ein überdurchschnittliches Vermögen. Bei ihm wird daher eine niedrigere Sparneigung angenommen. (Es handelt sich in der großen Graphik der Abbildung um die links vom Einkommenswert von 1000 £ liegenden drei Punkte etwas unterhalb der Sparfunktion.) Umgekehrt wurde für Fernkaufleute, die hohes Einkommen, aber relativ geringes Vermögen besaßen (infolge weit höherer Erträge des kommerziellen gegenüber dem Grundkapital), eine besonders hohe Sparneigung angenommen (der Punkt oberhalb der Sparfunktion bei 400 £ Einkommen). Das Vermögen als zusätzlich zum Einkommen sparbestimmende Größe war also King wohlbekannt. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß Gregory King als ein zentraler merkantilistischer Autor eine höchst bemerkenswerte Einteilung der Wirtschaftsbevölkerung trifft: Ausgerechnet die Sparleistung ist ihm wesentliches Kriterium der Gliederung. Die Bevölkerung setzt sich zusammen aus Sparenden oder Vermögenssammlern einerseits, aus Entsparenden oder Vermögenszehrern andererseits!

III.

An dieser positiven Wertung des Sparens durch das puritanische 17. Jahrhundert konnte Adam Smith unmittelbar ansetzen. Auch ihm ist die Vermögensbildung durch Sparen zentral. Erst bei ihm freilich wird die Idee artikuliert, daß Sparen zu Investitionen führt, Investitionen Sachkapital darstellen und Sachkapitalbildung die zentrale Ursache des Wirtschaftswachstums ist. Ein solcher Kapital- oder Wachstumsbegriff war dem Merkantilismus noch fremd; ist er doch erst A. Smiths zentraler wirtschaftswissenschaftlicher Beitrag. Bei den Merkantilisten handelt es sich bei der Sparbildung wohl nur recht unreflektiert um die Anhäufung nützlicher Güter, vor allem Lager, weswegen ich von „Vermögensbildung" sprach. Sie hat — entgegen

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Smith — zwar sehr wohl und explizit einen Beschäftigungseffekt, nicht aber einen klar gesehenen Wachstumseffekt. „Vermögende" Leute können eben mehr Händen Arbeit geben. Zwischen Smith und den Ökonomen des 17. Jahrhunderts liegt jedoch noch ein wichtiges Intermezzo. Die Frage tritt auf: Ist es nicht eher der Konsum, der Beschäftigung schafft, als das Sparen? Oder, wie man sagte, ist nicht „Luxus" die Quelle des Wohlstandes viel eher als das Sparen? Diese keynesianische Frage wurde im 18. Jahrhundert in aller Deutlichkeit von Mandeville gestellt: „Whilst Luxury Employ'd a Million of the Poor, and odious Pride a million more" 7 . Freilich, so genau, wie bei Keynes , tritt im 18. Jahrhundert im allgemeinen und bei Mandeville im besonderen der Gedanke gar nicht auf, daß Sparen im Kreislauf eine nachfragesenkende Wirkung hat. Zwar sagt Mandeville ausdrücklich „As this prudent Oeconomy, which some People call Saving, is in private Families the most certain Method to encrease an Estate, So some imagine that whether a country be barren or fruitful, the same Method, if generally pursued (which they think practicable) will have the same effect upon a whole Nation" 8 ; und Keynes zitiert ihn lobend dafür 9; während Α. Smith evidentermaßen im Hinblick auf diesen Satz umgekehrt behauptet: „What is prudence in the conduct of every private family can scarce be folly in that of a great Kingdom" 10 . Indessen zeigt nähere Lektüre, daß Mandeville bei seiner Sparverurteilung vor allem andere als die Keynesschen nachfragesenkenden Effekte des Sparens im Auge hatte. Nach ihm senkt Sparen und die aus ihm längerfristig resultierende Vermögensbildung die Anreizwirkung zur Arbeit und wirkt dadurch wohlstandsmindernd. Mandeville begründet seine Sparskepsis mit dem Satz: „When men shew such an extraordinary proclivity to Idleness and Pleasure, what reason have we to think that they would ever work, unless they were oblig'd to it by immediate Necessity?"11 Und Vermögensbildung allein macht ein Land nicht wohlhabend, wie Mandeville in einer die Bedeutung von Institutionen herausstreichenden Argumentation zu seinem Mutterland Holland festhält: „What made that contemptible spot of Ground so considerable among the principal powers of Europe, has been their political 7 B. Mandeville , A Fable of the Bees: or, Private Vices, Publick Benefits, London 1714. Zitiert nach der 3. Aufl., London 1724, S. 10. 8

Mandeville, loc.cit., S. 197 f. J. M. Keynes , The General Theory of Employment, Interest and Money, London 1936, S. 361. 10 A. Smith, loc.cit., S. 457; IV. i.12. 11 Mandeville , loc.cit., S. 211. 9

Bemerkungen zur Geschichte der Spartheorien

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Wisdom in postponing everything to Merchandize and Navigation, the unlimited Liberty of Conscience that is enjoy'd among them, and the unwearied Application with which they have always made use of the most effectual means to encourage and increase Trade in general" 12. Schließlich hat das Loblied auf den Luxus bei zahlreichen Autoren gar nichts mit gesamtwirtschaftlicher Nachfrage zu tun: Es wird die nutzensteigernde Wirkung eher präferierter ausländischer Güter („Luxuskonsum" für Merkantilisten schlechthin) betont, wenn diese bei ausgeglichener Leistungsbilanz gegen weniger geschätzte inländische getauscht werden. Die im 18. Jahrhundert herausgearbeiteten negativen Effekte des Sparens waren somit nicht klar nachfragetheoretischer Art und charakterisieren auch nicht die Mehrheit der Autoren. Der langfristigen Ausrichtung der merkantilistischen Argumentation entsprechend sind sie viel eher angebots- als kreislauftheoretisch. Schließlich ist noch festzuhalten, daß von R. Cantillon im 18. Jahrhundert bereits eine wohlausgebaute Theorie der leihbaren Fonds zur Zinsbestimmung entwickelt wurde. Cantillon widmet dieser Theorie das ganze 10. Kapitel seines zweiten Buches und sagt etwa: ,,Wenn im Gegenteil die Herren im Staate sparsam leben ... (so) vermindern (sie)... die Zahl der Darlehensnehmer und weiters den Zinsfuß" 13 . Nehmen wir an, daß Cantillon ebenso wie Child eine negative Zinsabhängigkeit des Sparens annimmt — er sagt darüber nichts — so hätte er eine negativ geneigte Sparangebotskurve und wohl eine auch negativ geneigte Investitionsnachfragekurve der „Unternehmer". Ein solches Angebots-Nachfrageschema für leihbare Fonds würde nur dann ein stabiles Gleichgewicht aufweisen, wenn Sparen relativ wenig (negativ) zinselastisch reagiert, die Investitionen hingegen stark zinselastisch, was als Annahmekonstellation nicht unplausibel wirkt.

IV.

Adam Smith formte die Spartheorie völlig um und machte sie gleichzeitig völlig uninteressant. Er vernichtete die wohlentwickelte Spartheorie des Merkantilismus so gründlich, daß es nach ihm zum Sparen für Jahrzehnte, ja Jahrhunderte fast nichts mehr zu sagen gab. In Ricardos „Principles" etwa 12

Mandeville, loc.cit., S. 201 f. R. Cantillon, Abhandlung über die Natur des Handels im allgemeinen; nach der französischen Ausgabe von 1755 hrsg. von F. A. v. Hayek (Sammlung Sozialwissenschaftlicher Meister, Bd. 25), Jena 1931, S. 137 f. 13

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finden wir nur ein paar ganz verstreute Nebenbemerkungen zum Sparen. (Auf die „general glut" Kontroverse mit Malthus sei hier nicht eingegangen, denn sie endete ja erst recht mit der Überzeugung, daß Sparen keine andere Wirkungen als Investieren hätte.) Erst 1848 bei John Stuart Mill finden wir an drei Stellen seines prägenden Lehrbuches Ausführungen zum Sparen als etwas immerhin Erwähnenswertem, wenn freilich Nebensächlichem: Diese drei Stellen machen etwa 21/2% des Textes aus14. Noch im ersten Band der Sammlung der englischsprachigen Artikelliteratur durch die International Economic Association, der die Jahre 1886 bis 1924 umfaßt, findet sich nur ein einziger Artikel zu den Sparwirkungen, bereits aus 1920, nur drei Seiten lang und ganz unoriginell 15. Obwohl das Sparen ab dem Ende des 19. Jahrhunderts, wie der nächste Abschnitt zeigen wird, sich wieder einen Platz in den Lehrbüchern eroberte und zu dieser Zeit die Diskussion über den Zusammenhang zwischen Zinssatz und Sparen ansetzt, bleiben die gesamtwirtschaftlichen Sp&rwirkungen bis zum 2. Weltkrieg etwas, das es sich nicht lohnt zu beleuchten. Fast für eineinhalb Jahrhunderte würgte Smiths todbringende Hand die Spardiskussion ab. Etwas kürzer eingeschläfert hatte Adam Smith die unter anderem auf Spareffekten beruhende Theorie der leihbaren Fonds des Zinses. Diese spezielle Angebots-Nachfragetheorie ist, wie überhaupt das AngebotsNachfrage-Zusammenspiel, als allgemeine Idee bei Smith nur aus Nebenbemerkungen erschließbar; kaum umfangreicher behandelt sie Ricardo. Erst J. St. Mill gibt der Angebots-Nachfragetheorie im allgemeinen und der Theorie der leihbaren Fonds im besonderen einen festen Platz in der Darstellung: letzterer ist eines seiner insgesamt 73 Kapitel 16 gewidmet, womit sie Teil dessen wird, was Keynes die „klassische" Doktrin nennt. Was war es nun, das Smith zur Spartheorie beitrug? Einerseits Schloß er nur an die merkantilistische Spartheorie des 17. Jahrhunderts an, indem er betonte, daß Sparen eine soziale Wohltat sei, Überausgabe des Einkommens hingegen sozialschädliche Verschwendung. „ A frugal man ... like the founder of a publick workhouse ... establishes as it were a perpetual fund for the maintenance of an equal number (of productive hands) in all times to come" 17 . Oder, wie A M es noch drastischer sagte, „saving, in short, enriches, and spending impoverishes, the community along with the indivi14 John Stuart Mill , Principles of Political Economy, London 1848, Buch I, Kap. 5, § 4, I, Kap. 11 und Buch III, Kap. 23, § 1 - 3 . 15 Τ. Ν. Carver, ,»Thrift and the Standard of Living", in: Journal of Political Economy 28 (1920), S. 784-86. 16 Mill , loc.cit., Buch III, Kap. 23. 17 Smith, WoN, loc.cit., II iii 19.

Bemerkungen zur Geschichte der Spartheorien

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dual" 1 8 . Während die geschilderte Literatur des 17. Jahrhunderts implizit annahm, daß Sparen auch gesamtwirtschaftlich zur Vermögensbildung beitrage, behauptete Smith nunmehr apodiktisch, daß das Sparen alleinige Ursache der Kapitalbildung sei; und Kapital, dieses erst von ihm entwickelte Konzept, ist ihm der Springquell des Wirtschaftswachstums, dieses erst von ihm formulierten Prozesses: „Capitals are increased by parsimony, and diminished by prodigality and misconduct. Whatever a person saves from his revenue he adds to his capital, and either employs it himself in maintaining an additional number of productive hands, or enables some other person to do so, by lending it to him for an interest, that is, for a share of the profits. As the capital of an individual can be increased only by what he saves from his annual revenue or his annual gains, so the capital of a society, which is the same with that of all the individuals, who compose it, can be increased only in the same manner. Parsimony, and not industry, is the immediate cause of the increase of capital" 19 . Entgegen Mandeville gilt für den gesellschaftlichen Sparprozeß also genau dasselbe wie für den individuellen. Seine Effekte lassen sich aus den individuellen ableiten. Und es ist vor allem der sparsame Umgang mit vorhandenen Mitteln (geradezu die „Knausrigkeit" — Smith wählt den besonders puritanischen Ausdruck „parsimony") und nicht so sehr das Angebot zusätzlicher Produktionsfaktoren („industry"), der Kapitalbildung zeitigt. Sparen und Kapitalbildung sind also nach Smith ganz dasselbe, ebenso wie der Zinssatz nach ihm kaum verschieden vom Kapitalgewinn gesehen werden kann. In Zukunft können wir also, so suggeriert er höchst erfolgreich, jede Sparanalyse vergessen und brauchen uns nur ganz abstrakt mit der Kapitalbildung zu beschäftigen. Um zu zeigen, daß Sparen und Investieren notwendig identisch sind, daß wir uns nie über einen möglichen Unterschied zwischen diesen beiden den Kopf zerbrechen müssen, daß insbesondere die beiden nicht nur langfristigwachstumstheoretisch auf dasselbe hinauslaufen, sondern auch kurzfristigkreislauftheoretisch, fehlte aber noch eines: nämlich der großartige Schlußstein der Argumentation, den Smith mit seinem Prototypus des in Wahrheit von ihm geschaffenen Sayschen Gesetzes einfügte: 18 19

Mill , loc.cit., Buch I, Kap. 5, § 4. Smith, WoN, loc.cit., II iii 14- 16.

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„What is annually saved is as regularly consumed as what is annually spent, and nearly in the same time too; but it is consumed by a different set of people. That portion which a rich man annually ... saves, as for the sake of the profit it is immediately employed as capital, is consumed in the same manner, and nearly in the same time too, but by a different set of people, by labourers, manufacturers, and artificers, who reproduce with a profit the value of their annual consumption" 20 . Des Gewinnes halber erfolgt sofortige Investition der Ersparnis: das ist der Schlüsselgedanke! Alles andere wäre irrationale Verschwendung. Man beachte, daß Smith für den Ausgleich von Sparen und Investieren nicht einmal einen Zinsausgleichsmechanismus bemühen muß; er braucht nur einen positiven Zins. Alles andere als die Ersparnisse voll investierendes Handeln wäre paretoinferiorer Widersinn. Ebenso widersinnig wäre solches Handeln, wie Arbeit unbeschäftigt zu lassen; ja Vollinvestition und Vollbeschäftigung, so erkennt man beim Lesen von Smith, sind dasselbe, sind beste Beschäftigung von Kapital durch die individuellen Wirtschaftssubjekte. Gemessen an dieser monumentalen Argumentation nimmt sich etwa Karl Marx' (uns Heutigen durchaus richtig erscheinende) Kritik, Einnahmen und Ausgaben von Wirtschaftssubjekten müßten nicht übereinstimmen21, nur als kleinliche Mäkelei, ja noch mehr, als gerade gegenüber Marx' sonstiger Betonung der Rationalität widersprüchliche Argumentation aus. Das Saysche Gesetz bleibt bis Keynes unwiderlegbar; es nimmt nur Optimierungsstreben bei NichtSättigung an. Da Sparen und Investieren immer gleich sind, ist auch die vormals bedeutsame Verteilungsabhängigkeit des Sparens irrelevant geworden. Bei Smith ist hier noch ein Rudiment vorhanden: Es spart „a rieh man" — wir fragen uns, ob nur als Beispiel oder wesenhaft? Auf alle Fälle ist die sogenannte „klassische Sparannahme" — gespart wird nur aus Gewinnen, nicht aus Löhnen — bei ihm noch nicht zu sehen. Sie tritt uns erst bei Ricardo entgegen, wenn freilich recht verschwommen. Ricardo behauptet ausdrücklich, die Arbeiter würden im Regelfall nur Subsistenzlöhne erhalten. Dann aber können sie nicht sparen. Er argumentiert weiters im Kapitel „On Profits", daß aus Gewinnen gespart wird. Zu betonen, Ersparnisse könnten auch aus Renteneinkommen fließen, findet er keine Gelegenheit, ohne freilich dies andrerseits je zu leugnen. Die in heutigen Modellen verwendete „klassische Sparannahme" ist also bei den Klassikern bestenfalls implizit; explizit er20

Smith, WoN, loc.cit., II iii 18. K. Marxy Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie, Bd. I, Hamburg 1867, 1890; MEGA 23 Berlin 1969, S. 127 f.; Kap. 3; 2a. 21

Bemerkungen zur Geschichte der Spartheorien

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fahren wir bei Ricardo ganz im Gegenteil nur, daß ,,the accumulation of capital ... must in all cases depend on the productive powers of labour" 22 . Im Gegensatz zu Smith sieht Ricardo somit die Spartätigkeit viel eher bestimmt vom technischen Fortschritt und vom Faktorangebot als von einer individuellen Sparneigung. Mill andrerseits stand hier eher auf Smiths Seite und präsentierte eine ausführliche soziologische Theorie der Sparmotive, die, im Gegensatz zu heutigen Betrachtungen23, annimmt, höhere Sicherheit führe zu höherem Sparen: ,,When engaged in safe occupations, and living in healthy countries, men are much more apt to be frugal than in unhealthy or hazardous occupations, and in climates pernicious to human life" 2 4 . Überleitend zum üblichen neoklassischen Denken nimmt er weiters en passant bereits an — wie schon Ricardo in seiner Korrespondenz mit Malthus 25 — eine gegebene Sparneigungsfunktion sei obendrein noch eine steigende Funktion des Zinssatzes — der Substitutionseffekt beginnt zu erwachen: ,,The progress of accumulation would no doubt be checked, if the returns to capital were to be still lower than at present" 26 .

V. Erst im Zuge der marginalistischen Revolution und der aufkommenden Neoklassik begann man sich wieder intensiver mit den Bestimmungsgründen des Sparens zu beschäftigen und rückte dabei den Zinssatz in den Vordergrund. Überdies kam es zu einer lebhaften Diskussion über Möglichkeiten und Konsequenzen des „erzwungenen Sparens", der wir uns im Abschnitt VI zuwenden werden. Die Abhängigkeit des Sparens vom Zinssatz ist bereits bei A. Marshall völlig klar ausgearbeitet: Sparen ist die preisabhängige Substitution von Gegenwartsgütern durch Zukunftsgüter. Bei einem höheren Zinssatz sind die Zukunftsgüter billiger. Der Substitutionseffekt führt dann zu erhöhtem Sparen (Verzicht auf Gegenwartsgüter), da ,,the higher the rate of interest, the higher his reward for saving" 27 . Marshall übersieht — unter Hinweis auf Child — auch den Einkommenseffekt nicht. Durch den höheren Zinssatz 22

D. Ricardo , The Principles of Political Economy and Taxation, London 1817, Kap. V. Sandmo , The Effect of Uncertainty on Saving Decisions, in: Review of Economic Studies 37 (1970); S. 352-360. 24 Mill , loc.cit., Buch I, Kap. 11, § 2. 25 Siehe R. F. Kahn, The Making of Keynes' General Theory, Cambridge 1984, S. 6. 26 ibidem, § 4. 27 A. Marshall, Principles of Economics, London 1890, 8 t h ed. Reprint 1977, S. 195. 23

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kann der vermehrte Zukunftskonsum auch bei geringerer Ersparnis erreicht werden. Im Sinne der Neoklassik vermutet Marshall allerdings in Summe ein Überwiegen des Substitutionseffektes: ,,A rise in the rate of interest offered for capital, i.e. in the demand price for saving, tends to increase the volume of saving", und zwar ,,in spite of the fact that a few people who have determined to secure an income of a certain fixed amount for themselves or their family will save less with a high rate of interest than with a low rate" 28 . Für die Neoklassik sind Zinssatzveränderungen aber auch der Mechanismus, über den höhere Ersparnisse zu höheren Investitionen führen. Der Zinssatz bringt nach dieser Ansicht das Angebot an Krediten (das sich aus den Ersparnissen der Volkswirtschaft zusammensetzt) und die Nachfrage nach Darlehen für Investitionszwecke zum Ausgleich. Die positive Zinsabhängigkeit der Ersparnisse wurde bereits erwähnt. Die geplanten Investitionen hingegen sind bei niedrigen Zinssätzen höher, da dann auch Projekte mit geringerem ,,Mehrerträgnis" durchgeführt werden können29. Der Gleichgewichtszins ist jener, ,,bei welchem die Nachfrage nach Darlehenskapital und der Vorrat an ersparten Mitteln sich gerade miteinander decken" 30 (Wickseih natürlicher Zins), oder, in Marshalls Worten: „Interest, being the price paid for the use of capital in any market, tends towards an equilibrium level such that the aggregate demand for capital in that market, at that rate of interest, is equal to the aggregate stock forthcoming there at that rate" 31 . Dies ist die rein „reale" Form der loanable-fundsTheorie. Vermehrtes Sparen führt über Zinssenkungen zu zusätzlichen Investitionen. Höhere Ersparnisse sind also nicht höhere Investitionen (wie bei Smith), sondern sie bewirken eine vermehrte Realkapitalbildung über den Mechanismus der relativen Preise. So etwa schreibt Böhm-Bawerk: „Ersparen aber die einzelnen, so zwingt der veränderte Begehr abermals über den Impuls der Preise die Unternehmer zu einer veränderten Disposition über die Produktivkräfte; ... es wird ... das volkswirtschaftliche Kapital zu Gunsten eines erhöhten Gütergenusses der Zukunft vermehrt" 32 . Die — u.a. von Irving Fisher 33 ausgebaute — reale Zinstheorie der Neoklassik wurde 28

A. Marshall, loc.cit., S. 196. Vgl. etwa E. Böhm v. Bawerk, Kapital und Kapitalzins, 2. Abt.: Positive Theorie des Kapitals, Jena 1889, 4. Aufl. 1921, S. 456. 30 K. Wicksell, Vorlesungen über Nationalökonomie, 2. Band, schwedische Erstausgabe 1906; dt. Jena 1922, S. 220. 31 A. Marshall, loc.cit., S. 443. 32 E. Böhm v. Bawerk, loc.cit., S. 150. 33 1. Fisher, The Rate of Interest, New York 1907; neubearbeitet in: I. Fisher, The Theory of Interest, New York 1930. 29

Bemerkungen zur Geschichte der Spartheorien

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bald durch monetäre loanable-funds-Ansätze (Ohlin, Robertson) ergänzt. Einerseits können die ,,leihbaren Fonds" in diesen Modellen nicht nur durch Sparen, sondern auch durch Geldschöpfung entstehen und andererseits dienen sie nicht nur der Investition, sondern auch dem Aufbau von Kassenbeständen. ,,The Rate of Interest is the price that equates the supply of Credit', or saving plus the net increase in the amount of money in a period, to the demand for 'credit', or investment plus net 'hoarding' in the period" 3 5 . Der Zinsmechanismus zum Ausgleich von Sparen und Investieren wird dadurch zwar „monetär verwässert", bleibt aber in seinen Grundzügen erhalten. VI.

Klassik und Neoklassik sahen das Sparen somit als Ursache und Vorbedingung der Kapitalbildung. Die dem Konsum durch Sparen entzogenen Ressourcen werden für produktive Verwendungen frei. Dieser Sparvorgang muß jedoch nicht freiwillig erfolgen. Wenn nämlich eine Geld- und Kreditvermehrung die Kaufkraft von („unproduktiven") Bevölkerungsschichten mit niedriger Sparneigung (z.B. Lohnempfängern) zu solchen mit hoher Sparneigung (z.B. Unternehmer, Bezieher hoher Einkommen, ...) umverteilt, so wird dies ebenfalls zu erhöhtem Sparen und vermehrter Kapitalbildung führen. Da in diesem Fall die Einkommen von Personen mit hoher Konsumneigung weniger steigen als die Preise, werden diese Gruppen gleichsam zu Konsumverzicht „gezwungen" — man spricht von „erzwungenem" oder „Zwangssparen". Wie wir gesehen haben, spielt der genannte Zusammenhang bereits in der Theorie der Merkantilisten eine wichtige Rolle. Auch die Klassiker waren mit der Möglichkeit des „Zwangssparens" wohlvertraut. So spricht Jeremy Bentham von „forced frugality", Malthus betont „the difference which a different distribution of the circulating medium of the country must have on 34 D. H. Robertson , Industrial Fluctuation and the Natural Rate of Interest; in: Economic Journal 44 (1934), S. 650-656. B. Ohlin , Some Notes on the Stockholm Theory of Savings and Investment, in: Economic Journal 47 (1937), S. 53-69 und S. 221-240; Β. Ohlin y D. H. Robertson , Alternative Theories of the Rate of Interest, in: Economic Journal 47 (1937), S. 423-436. 35 A. P. Lerner, Alternative Formulations of the Theory of Interest, in: Economic Journal 48 (1938), S. 211 - 230, hier S. 213. Hierfindet sich auch die — später von der gesamten Lehrbuchliteratur übernommene — graphische Darstellung der loanable-funds-Theorie. Pikanterweise lehnte Lerner gerade diese Graphik ab, da sie ,,contains a good deal of muddle" und „exactly portrays the disturbed state of mind of people who declare that saving can be greater than investment if the difference is hoarded".

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those accumulations which are destined to facilitate future production", und J. St. Mill verwendet den Ausdruck „forced accumulation"36. Die meisten Klassiker betonten allerdings die Gefahren und Ungerechtigkeiten dieser Form des Sparens und hielten sie wohl auch für quantitativ nicht sehr wichtig. Besondere Bedeutung erlangte die Theorie des Zwangssparens in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts. Möglicherweise von Walras beeinflußt, erkannte als erster Wickseil ,,die in der Hand der Kreditanstalten liegende Möglichkeit, durch Unterstützung langsichtiger Unternehmungen die hierfür nötige reale Kapitalbildung vom Publikum gewissermaßen zu erzwingen" 37. Über Wickseil wurde das Zwangssparen zu einem zentralen Thema der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. So sah J. A. Schumpeter 38 im erzwungenen Sparen eine wesentliche Voraussetzung des Wirtschaftswachstums. Bekanntlich erklärt Schumpeter die wirtschaftliche Entwicklung als ein „Durchsetzen neuer Kombinationen" (neue Güter, neue Produktionsmethoden u. Absatzmärkte etc.) durch dynamische Unternehmerpersönlichkeiten. Die Unternehmer müssen die dafür erforderlichen Produktionsmittel jedoch vorerst anderen Verwendungen entziehen und tun dies mit Hilfe von Bankkrediten (also meist mit „ad hoc geschaffenen Kreditzahlungsmitteln"), d.h. über inflationäres Zwangssparen. Freiwillige Ersparnisse könnten für diesen Zweck nach Schumpeter niemals ausreichen. „Durch den Kredit wird den Unternehmern der Zutritt zum volkswirtschaftlichen Güterstrom eröffnet, ehe sie den normalen Anspruch darauf erworben haben" 39 . „Die preissteigernde Wirkung des Bankgeldes löst das Phänomen des ,erzwungenen Sparens' aus. Ohne daß die Leute sparen wollen, werden sie durch die Preissteigerungen dazu gezwungen. Dadurch werden Produktionsmittel freigemacht und die für produktive Zwecke der Volkswirtschaft zur Verfügung stehenden Gütervorräte vermehrt, ihr Fonds unmittelbarer Konsumtion vermindert" 40 . Das inflatio36 J. Bentham , Institute of Political Economy, 1801-04; in: J. Benthams Economic Writings, ed. W. Stark, Vol. III, London 1954, S. 305-380, hier besonders S. 348 f. T. R. Malthus , in: Edinburgh Review, vol. xvii, No 34, Feb. 1811, S. 363 ff.; J. St. Mill , Essays on Some Unsettled Questions of Political Economy, 1844, in: Collected Works, ed. J. M. Robson, Vol. IV, London 1967, S. 307. Der „klassische" dogmengeschichtliche Überblick stammt von F. A. v. Hayek , A Note on the Development of the Doctrine of „Forced-Saving", in: Quarterly Journal of Economics XLVII (1932) S. 123- 133. 37 K. Wicksell , Geldzins und Güterpreise, Jena 1898, S. 102. 38 J. A. Schumpeter , Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Leipzig, 1912, besonders S. 190 ff. 39 J. A. Schumpeter , loc.cit., S. 214. 40 J. A. Schumpeter , Das Sozialprodukt und die Rechenpfennige, in: Archiv f. Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 44 (1917), S. 627-715; hier S. 706.

Bemerkungen zur Geschichte der Spartheorien

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näre Zwangssparen wird damit gleichsam zum Motor der wirtschaftlichen Entwicklung. Auch die „österreichische Konjunkturtheorie ,, (L. v. Mises, F. A. v. Hayek , R. v. Strigi 41) stellte das Zwangssparen in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen, sah darin aber eher die eigentliche Ursache der Wirtschaftskrisen. Einerseits erkannten auch Mises und seine Schüler, daß eine Inflation dauernde Verschiebungen der Einkommens- und Vermögensverteilung hervorrufen würde (etwa zugunsten wohlhabenderer Schichten, Unternehmer etc.) und daß diese Verschiebungen zu erhöhtem (Zwangs-) Sparen und zu vermehrter Kapitalbildung führen könnten42. Hiervon unterscheiden die österreichischen Konjunkturtheoretiker jedoch eine zweite und wichtigere Form des Zwangssparens, das (ganz im Sinne Schumpeters) dadurch entsteht, „daß durch die Gewährung von zusätzlichen Produktivkrediten die Kapitalbildung auf Kosten des Konsums gesteigert wird, ohne daß die einzelnen ihren Konsum einschränkenden Wirtschaftssubjekte dies freiwillig tun" 4 3 . Kurzfristig sind die Wirkungen dieses erzwungenen Sparens nicht von denen freiwilliger Ersparnis zu unterscheiden: Die Produktionsstruktur verschiebt sich in Richtung kapitalintensiverer Produktion. Diese künstlich ermöglichte Kapitalbildung kann jedoch auf Dauer nicht aufrechterhalten werden. Die Kreditexpansion wird nämlich nach einiger Zeit zu einer Erhöhung der Geldeinkommen führen und diese Einkommen werden (da kein freiwilliges Sparen vorliegt) wieder großteils konsumtiv verwendet werden. Viele der mit Hilfe des Zwangssparens begonnenen kapitalintensiven Produktionsverfahren erweisen sich nun als unprofitabel und müssen abgebrochen werden. Der Aufschwung endet in der Krise 44. Die österreichische Konjunkturtheorie macht das erzwungene Sparen somit für Kapitalfehlleitungen und Wirtschaftskrisen verantwortlich. Eine

41 L. v. Mises, Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel, München u. Leipzig 1912, 3. Buch, 5. Kap. §§ 4 u. 5, 2. Aufl. 1924; L. v. Mises, Geldwertstabilisierung und Konjunkturpolitik, Jena 1928; F. Α. ν. Hayek, Geldtheorie und Konjunkturtheorie, Wien-Leipzig 1929; F. A. v. Hayek, Prices and Production, London 1931; R. v. Strigi, Kapital und Produktion, Wien 1934. 42 L. v. Mises, Theorie des Geldes ..., loc.cit. 1924, S. 354 ff., sowie L. v. Mises, Nationalökonomie, Theorie des Handelns und Wirtschaftens, Genf 1940, S. 498 f., S. 522. 43 F. A. v. Hayek , Geldtheorie ..., loc.cit., S. 131. 44 F. A. v. Hayek, Prices and Production, London 1931, 2. Aufl. 1935 mit Appendix: „Capital and Industrial Fluctuations; A Reply to a Criticism"; passim, besonders S. 57 f. sowie im Appendix S. 145 ff.

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vermehrte Kapitalbildung kann hier nur durch freiwilliges Sparen erreicht werden 45. Das Zwangssparen spielte also in der vorkeynesianischen Konjunkturund Wachstumstheorie eine wichtige Rolle. In England wurde es unter anderem von A.C. Pigou 46 und D.H. Robertson 47 — er spricht von ,,automatic stinting ,, und ,,imposed lacking" — untersucht. Oft wird der Begriff des Zwangssparens auch weiter gefaßt: Er umfaßt dann etwa auch eine steuerliche Umverteilung von stärker konsumierenden zu stärker sparenden Bevölkerungskreisen oder die nicht ausgeschütteten Gewinne der Kapitalgesellschaften 48. Keynes 49 konnte dem Konzept des ,,erzwungenen Sparens" in seiner „General Theory" nur mehr wenig abgewinnen, da Zwangssparen im engeren Sinne Vollbeschäftigung voraussetzt: Nur dann nämlich müssen die für zusätzliche Kapitalbildung verwendeten Güter dem Konsum entzogen werden. Nach dem Kriege hat N. Kaldor in seiner Kreislauftheorie der Verteilung die Bedeutung von Sparen und Zwangssparen für die Einkommensverteilung herausgearbeitet 50. Auch er nimmt Vollbeschäftigung und ein gegebenes Gütervolumen, sowie überdies konstante „freiwillige" Sparneigungen an, wobei die Sparneigung aus Gewinnen höher ist als die aus Löhnen. Eine Erhöhung der Investitionsquote durch die Unternehmer führt dann — über Zwangssparen — zu einer Steigerung der Gewinnquote. ,,A rise in investment, and thus in total demand, will raise prices and profit margins, and thus reduce real consumption" 51 . Die wenig sparbereiten Lohnempfänger werden also über Preissteigerungen zum Konsumverzicht gezwungen, ihr Anteil am Volkseinkommen sinkt. Die Lohnempfänger selbst können die Einkommensverteilung nur durch erhöhtes freiwilliges Sparen zu ihren Gun45 Die Österreicher blieben somit in ihrer Beurteilung des Sparens streng „klassisch", obwohl sie das Saysche Gesetz ablehnten und die monetär bedingte ,,relative (!?) Unabhängigkeit der Realkapitalbildung von der Spartätigkeit" CHayek , Geldtheorie loc.cit., S. 51 f.) erkannten. 46

A. C. Pigou , Industrial Fluctuations, London 1927. D. H. Robertson, Banking Policy and the Price Level, London 1926; sowie D. H. Robertson, Saving and Hoarding, in: Economic Journal 43 (1933), S. 399-413. 48 F. Machlupy Forced and Induced Saving: An Exploration into its Synonyms and Homonyms, in: Review of Economic Statistics XXV (1943), S. 26-39, bietet einen guten Überblick. Neuerdings spricht man von Zwangssparen, wenn die Konsumenten am Gütermarkt bei starren Preisen mengenrationiert sind. Vgl. E. Malinvaud, The Theory of Unemployment Reconsidered, Oxford 1977, etwa S. 46 f. 49 J. M. Keynes , loc.cit., S. 79-81. 50 Ν . Kaldor t Alternative Theories of Distribution, in: Review of Economic Studies X X I I I (1955-1956), S. 83-100. 51 Ν . Kaldor , loc.cit., S. 95. 47

Bemerkungen zur Geschichte der Spartheorien

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sten beeinflussen. Das freiwillige Sparen ist hier auch aus verteilungspolitischen Gründen wünschenswert. Während also die Vor- und Nachteile des Zwangssparens umstritten waren, beurteilte die Neoklassik das freiwillige Sparen aus Wachstums-, konjunktur- und verteilungspolitischen Gründen durchwegs positiv.

VII.

Nach Smith wurde die zweite entscheidende Wandlung der Spartheorie von Keynes vorgenommen. Ihre Elemente sind, wie bei Smith, teilweise nicht neu. Aber die Kombination dieser Elemente ist ganz und gar einmalig; ja, man kann sagen, wie die Smithsche Revolution gerade um die neue Spartheorie kreiste, so ebenfalls die Keynessche. Keynes 9 Überlegungen zum Sparen weisen vier verschiedene Gedankenketten auf. Da ist erstens — und gleich am Anfang des Buches, im 2. Kapitel und 3. Kapitel angekündigt — die Widerlegung des Sayschen Gesetzes. Sie erfolgt durch das Spekulationsmotiv, ohne daß dies anscheinend Keynes — oder selbst heute noch seinem Jünger Kahn 52 — ganz klar wird. Gerade wegen dieser Widerlegung muß zweitens dem Zinssatz eine andere Funktion als die des Ausgleiches zwischen Sparen und Investieren zugewiesen werden. Drittens kehrt Keynes die implizite Annahme aller vorangegangenen Autoren um: nicht das Sparen bestimmt die Investitionen, sondern umgekehrt die Investitionen das Sparen. Sparen ist überhaupt nur ein Residuum. Nach dieser Gedankenkette gibt es genau genommen bei Keynes überhaupt keine Spartheorie mehr: Keynes versucht sie somit nach der lebhaften, ihm vorangegangenen Spardiskussion ebenso zu vernichten, wie dies Smith getan hatte! Viertens (und vielleicht widersprüchlich zu These drei) tritt jedoch Sparen im Multiplikatorprozeß als nachfragemindernde Größe auf, was sie durch die Aufgabe des Sayschen Gesetzes sein kann. These 3 tritt uns (nach der bloßen Vorankündigung zum Sayschen Gesetz in Kapitel 2 und einem vorweggenommenen Resümee im Kapitel 3) in der General Theory als erstes entgegen, und zwar im 6. Kapitel. Keynes argumentiert in diesem Kapitel gerade, daß Sparen und Investieren notwendig 52 Siehe R. F. Kahn 1984, loc.cit., S. 3-22. Kahn zitiert S. 3 f. die entsprechenden Passagen bei Smith aber ohne den Schlüsselsatz, Ersparnisse würden ,,for the sake of the profit ... immediately employed as capitar' werden. Bloße Wesensverschiedenheit von Sparen und Investieren und bloße zufällige Abweichungen zwischen diesen Größen ist für die Konjunkturerklärung eben nicht genug. Der Smithsche Ausgleichsmechanismus muß widerlegt werden.

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Erich Streissler und Werner Neudeck

gleich sind, was keinen Jünger Smiths überraschen würde. Unmittelbar nach der nochmaligen Zusammenfassung eines gut klassischen Gedankens platzt — noch völlig unbegründet — einen Satz später freilich die Bombe: ,,Ιη the aggregate the excess of income over consumption, which we call saving, cannot differ from the addition to capital which we call investment ... Saving, in fact, is (??) a mere residual. The decisions to consume and the decisions to invest between them determine incomes. Assuming (!) that the decisions to invest become effective, they must in doing so either curtail consumption (!!) or expand income. Thus the act of investment in itself cannot help causing the residual or margin, which we call saving, to increase by a corresponding amount" 53 . Keynes geht hier evidentermaßen von der Durchsetzbarkeit der Investitionsentscheidungen durch moderne große Industrieunternehmen aus. Sie haben Zugang zu Finanzmärkten und können dadurch ihre Investitionspläne verwirklichen — eine mindestens seit Schumpeter und Wieser gängige These. Sie wird hier auf alle Investitionsentscheidungen verallgemeinert. Als solche ist sie wohl übertrieben. Denn sehr viele Investitionen gerade im Unternehmenssektor werden selbst finanziert; ja, aus steuerlichen Gründen sind anfallende Selbstfinanzierungsfonds oft ursächlich für Investitionsentscheidungen und somit das Sparen (aus Gewinnen) doch wieder teilweise Investitionsursache, nicht umgekehrt. Als nächstes werden wir im 8. und 10. Kapitel mit Keynes ' 4. These konfrontiert, daß Sparen eine nachfrage- und beschäftigungsmindernde Größe sei. Wir erfahren dies freilich mehr implizit über die Darstellung der Konsumfunktion im 8. Kapitel und den Multiplikator im 10. Kapitel. Der staunende Smith-Jünger erfährt bereits im 3. Kapitel, daß Keynes glaubt, in der Konsumfunktion eine Widerlegung des Sayschen Gesetzes gefunden zu haben, was für den Kenner der Smithschen Argumentation zunächst ganz unüberzeugend wirkt. Die Überlegungen zu Konsumfunktion und Multiplikator bei Keynes sind zu bekannt, um hier rekapituliert zu werden. Erwähnt sei nur, daß der Multiplikator bei Keynes nicht, wie in vielen heutigen Lehrbüchern, der Reziprok wert der Sparneigung ist, sondern vielmehr konsequent — Sparen ist ja nur ein Residuum — unter Verwendung lediglich der Konsumneigung abgeleitet wird. Freilich, bei gegebenem Einkommen ist individuell gesehen Sparen eben doch kein Residuum. Eher verwirrend faßt Keynes daher zusammen: ,,The multiplier tells us by how much their employment has to be increased to yield an increase in real income sufficient 53 J. M. Keynes, The General Theory of Employment, Interest and Money (abgekürzt hinfort GT), London 1936, Kap. 6, S. 64.

Bemerkungen zur Geschichte der Spartheorien

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to induce them to do (?) the necessary extra saving, and is a function of their psychological propensities. If saving is the pill and consumption is the jam, the extra jam has to be proportioned to the size of the additional pill" 5 4 . Wenn der Smith- Jünger nach dieser ihn verstörenden Feststellung, daß Sparen nur eine bittere Pille sei, überhaupt noch weiterliest, findet er im 13. Kapitel zuerst Keynes ' 2. These hinausposaunt, bevor für diese noch vollends der Boden bereitet ist: ,,The rate of interest is not the 'price' which brings into equilibrium the demand for resources to invest with the readiness to abstain from present consumption. It is the 'price* which equilibrates the desire to hold wealth in the form of cash with the available quantity of cash" 55 . Der Zinssatz sichert also ein Bestandsgleichgewicht, kein Stromgleichgewicht. Und erst ganz zum Schluß erhält unser Smith-Jünger die 1. These präsentiert, die eigentliche Widerlegung des Sayschen Gesetzes, obendrein ohne eine Betonung, wie wichtig sie ist. Zuerst erfährt er, daß für die Keynessche Betrachtung ,,this necessary condition is the existence of uncertainty as to the future of the rate of interest" 56 . Das ist in der Tat die Voraussetzung für die gesamte Keynessche Analyse: Die Zukunftsmärkte dürfen nicht vollkommen sein, was sie freilich auch in der Wirklichkeit nie sind. Dann aber gilt: ,,there is a risk of a loss being incurred in purchasing a longterm debt and subsequently turning it into cash, as compared with holding cash" 57 . Keynes ist ungeschickt und betont nicht gleich, daß seine Aussage für alle Vermögenswerte gilt (im 17. Kapitel können wir das dann erschliessen). Ohne vollkommene Zukunftsmärkte können wir bei allen Vermögensgütern Wertverluste erleiden, deren Erwartungswert oder Sicherheitsäquivalent über den laufenden Kapitalertrag hinausgeht. Smith hatte in seiner Begründung des Sayschen Gesetzes den Fehler gemacht, implizit ein Strommodell bzw. ein Einperiodenmodell zu postulieren. Dann wäre allein der laufende Ertrag entscheidend. In einem mehrperiodigen Bestandsgleichgewicht mit Unsicherheit über zukünftige Preise wird jedoch sein scheinbar so bestechendes Rationalitätsargument hinfällig. Je reicher eine Wirtschaft, desto wichtiger solche Bestandsgleichgewichte und desto wichtiger Veränderungen auf den Finanzmärkten für Investitionsentscheidungen. Das ist die bleibende Relevanz der Keynesschen Spar analyse.

54 55 56 57

Keynes, Keynes , Keynes, Keynes,

GT, GT, GT, GT,

loc.cit., loc.cit., loc.cit., loc.cit.,

10. 13. 13. 13.

Kap., Kap., Kap., Kap.,

S. S. S. S.

117 f. 167. 168. 169.

24

Erich Streissler und Werner Neudeck VIII.

Nach der heftigen Spardiskussion der Zwischenkriegszeit und den innovativen Anstößen von Keynes ist das Interesse an der Theorie des Sparens in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. In neuerer Zeit ist wieder eine gewisse Rückkehr zu klassischen Sparüberlegungen zu beobachten. So ist für die von R. Solow entwickelte neoklassische Wachstumstheorie58 das Sparen — ganz im Sinne A. Smiths — wieder automatisch gleichbedeutend mit Investieren und Kapitalbildung. Ebenso wurden im Zuge der jüngsten Renaissance der loanable-funds-Theorie (Leijonhufvud, Tsiangf 9 die zinssenkenden und investitionsfördemden Wirkungen des Sparens neu bekräftigt. Die Gültigkeit des „Paradox of Thrift" wurde dabei auch in Unterbeschäftigungssituationen in Zweifel gezogen. Die — auf Ideen Fishers zurückgehende — Lebenszyklustheorie des Sparens60 sieht den Hauptzweck von Sparen und Entsparen in der möglichst gleichmäßigen Verteilung des Konsums auf die Lebenszeit. Auch diese Theorie betont die Bedeutung der Zinssätze für die Sparentscheidung und viele ihrer Vertreter (wie etwa J. Tobin 61 trotz seiner keynesianischen Grundhaltung) gehen von einem direkten Zusammenhang zwischen Sparen und volkswirtschaftlicher Kapitalbildung aus. Schließlich sei auf die in letzter Zeit gerade in den Vereinigten Staaten geführte Diskussion über die Kapitalknappheit hingewiesen: Feldstein und andere betonen dabei insbesondere den negativen Einfluß der Gewinnbesteuerung (zumal in Verbindung mit Inflation) und der Sozialversicherung auf die gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse und sehen darin die Hauptursache einer mangelhaften Kapitalbildung62. Wir sind somit wieder beim eingangs erwähnten zyklischen Verlauf der volkswirtschaftlichen Dogmengeschichte im allgemeinen und der Geschichte 58 R. Solow , A Contribution to the Theory of Economic Growth, in: Quarterly Journal of Economics LXX (1956), S. 65-94. 59 S. C. Tsiang , Keynes's „Finance" Demand for Liquidity, Robertson's Loanable Funds Theory, and Friedman's Monetarism, in: Quarterly Journal of Economics XCIV (1980), S. 467-491; A. Leijonhufvud , The Wicksell Connection: Variations on a Theme, in: idem, Information and Coordination, Oxford 1981. 60 Vgl. den Survey von H. J. Ramser , Lebenszyklustheorie des Sparens. Zum Stand der Theorie; in: Neuere Entwicklungen in der Theorie des Konsumentenverhaltens, ed. G. Bombach et al., (Schriftenreihe des wirtschaftswissenschaftlichen Seminars Ottobeuren, Bd. 7) Tübingen 1978, S. 373-431. 61 J. Tobin , Life Cycle Saving and Balanced Growth, in: Ten Economic Studies in the Tradition of Irving Fisher, New York etc. 1967. 62 Vgl. den kurzen Überblick mit Literaturangaben in G. Ο. Orosel , Capital Formation as a Problem of Economic Theory: Some Aspects, in: Empirica 1982, S. 31-48.

Bemerkungen zur Geschichte der Spartheorien

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der Spartheorien im besonderen angelangt: Theorien vergangener Jahrhunderte, die vor Jahrzehnten als unbrauchbar zurückgewiesen oder ,,widerlegt" wurden, können heute wieder neue Aktualität gewinnen.

Zum heutigen Stand der Theorie des Sparens Von Gerold Blümle, Freiburg

I . Sparbegriff und Theorie des Sparens

Nach der Grobgliederung der Sektoren gemäß der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) kann zwischen der Ersparnis der Unternehmen, des Staates und der privaten Haushalte unterschieden werden. Wenn im folgenden unter der Theorie des Sparens die Erörterung der Bestimmungsgründe des Sparens verstanden werden soll, und damit mittelbare Wechselwirkungen im Gesamtzusammenhang des wirtschaftlichen Geschehens im Hintergrund bleiben, so tritt das Sparverhalten des Sektors private Haushalte in den Blickpunkt der Betrachtung. Der Sektor private Haushalte umschließt zwar nach der angesprochenen Gliederung auch die ,privaten Organisationen ohne Erwerbscharakter', vergleicht man jedoch in der VGR den Eigenverbrauch dieser Organisationen im Aufkommen mit dem privaten Verbrauch insgesamt und nimmt dies als Anhaltspunkt für die Aufteilung der Ersparnis, so erscheint eine Beschränkung auf das Verhalten der privaten Haushalte im engeren, geläufigen Sinne als gerechtfertigt. Bedeutsamer bleiben dagegen die Abgrenzungsprobleme hinsichtlich der Sektoren Unternehmen und Staat. Bezüglich des Sektors Unternehmen ergibt sich insbesondere das Problem der Zuordnung der nichtentnommenen Gewinne von Unternehmen ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Die Deutsche Bundesbank berücksichtigt beispielsweise die nichtentnommenen Gewinne von Unternehmen ohne eigene Rechtspersönlichkeit nicht bei der Ermittlung des verfügbaren Einkommens1. Die Zurechnung unverteilter Gewinne wäre in diesem Falle nämlich von der Wahl der Rechtsform abhängig und diesbezüglich hat sich ja gerade in der Bundesrepublik in jüngster Zeit mit der Zunahme des Anteils dieser Unternehmen eigener Rechtspersönlichkeit eine starke Verschiebung ergeben. Zum anderen wird darauf verwiesen, daß ,,die Entwicklung dieser 1 Vgl. Deutsche Bundesbank: Methodische Erläuterungen zu den Berechnungen über die Vermögensbildung und ihre Finanzierung, in: Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, Jg. 13 (1961), Nr. 12, S. 16 ff.

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spezifischen Sparform der Selbständigen in ganz anderen Bahnen"2 verläuft. Die nichtentnommenen Gewinne insgesamt korrelieren in ihrem Umfang sehr eng mit den Bruttoinvestitionen3, unabhängig von der Festlegung auf eine bestimmte Verursachungsrichtung im gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang scheint es daher im Sinne einer scharfen Trennung zwischen Investitions- und Sparprozeß zumeist erwünscht, die nichtausgeschütteten Gewinne insgesamt von der Ersparnis der Haushalte zu trennen, weil beide Ersparnisarten „unterschiedliche Funktionen"4 erfüllen. Diese Trennung, die im Geiste Keynesianischen Denkens auf die Ausschaltung einer unmittelbaren Beziehung zwischen Investieren und Sparen abzielt, bleibt jedoch insbesondere dann bedenklich, wenn die Entwicklung der Sparquote der Selbständigen betrachtet wird. Die vergleichsweise ausgeprägte Konstanz der Sparquote der Selbständigenhaushalte in der Zeit von 1970-1983 in der Bundesrepublik (im Mittel 24,0 v.H. mit einer durchschnittlichen Abweichung von 0,6 v.H.) läßt sich nämlich dadurch erklären, daß in Zeiten hoher Zinsen auf Geldvermögen und niedriger Renditen für Realvermögen die Haushaltsersparnisse zu Lasten der nichtentnommenen Gewinne zunehmen und vice versa5. Nichtausgeschüttete Gewinne als Realvermögensbildung und Sparen der privaten Haushalte als Geldvermögensbildung stehen somit in einer substitutiven Beziehung, durch die zumindest ein Teil der Zinsempfindlichkeit des Sparens in jüngster Zeit erklärt werden kann. Bezüglich der Abgrenzung zu Aktivitäten des Sektors Staat sind insbesondere die Pflichtversicherungsbeiträge an die gesetzlichen Sozialversicherungsträger zu beachten. Ebenso wie die entsprechenden Ansprüche meist nicht zum Vermögen der Versicherten gerechnet werden, weil sie sich deren freier Disposition entziehen, zählt man die Beiträge nicht zur Ersparnis der privaten Haushalte. Insofern als jedoch auch hier substitutive Beziehungen zwischen einer Größe, die der Ersparnis nicht zugerechnet wird, und dem eigentlichen Sparen der privaten Haushalte bestehen, muß dieser Sachverhalt mittelbaren staatlichen Einflusses beachtet werden. Ganz besonders spielt dies bei internationalen Vergleichen des Sparverhaltens eine Rolle. 2 Euler, M.: Möglichkeiten und Grenzen der Ersparnisbildung privater Haushalte, in: Der langfristige Kredit, Jg. 19 (1968), Heft 21/22, S. 664. 3 Vgl. hierzu die Darstellung der Entwicklung von 1970-1983 in: Gedrückte Realeinkommen dämpfen private Sparneigung; zur Entwicklung der Sparquoten der sozialen Gruppen in der Bundesrepublik; Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung 31/84; vom 2.8.84, S. 389. 4 Deutsche Bundesbank: Methodische Erläuterungen ..., a.a.O., S. 17. 5 Vgl. Gedrückte Realeinkommen dämpfen private Sparneigung; a.a.O., S. 388.

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Von den verschiedenen Definitionen des Sparens6 hat sich die eingebürgert, die im Sparen die als Geldbetrag angebbare Differenz zwischen Einkommen und Konsum einer Periode sieht, die mit der Reinvermögensbildung übereinstimmt. Diese Definition leitet unmittelbar hin zu einem Verständnis des Sparens als Residualgröße und damit bei gegebenem Einkommen zu einer Spartheorie als Residuum der Theorie der Konsumfunktion. Einer Theorie des Sparens als unmittelbarer Verhaltenstheorie liegt die Definition des Sparens als Geldvermögensbildung näher, was wohl auch dem Begriff des Sparens beim keynesianisch nicht ,vorbelasteten' Laien eher entspricht. Sparen in diesem Sinne ergibt sich als Differenz zwischen den Einnahmen und den Ausgaben einer Periode. Der Unterschied zwischen den beiden Definitionen besteht in der Sachvermögensbildung der Haushalte. Da nach den Vereinbarungen der VGR, abgesehen vom privaten Wohnungsbau, keine Sachvermögensbildung bei den privaten Haushalten stattfindet, beschränkt sich folglich der Unterschied dieser beiden Definitionen auf diese Ausgabenart. Ex definitione bleibt der Konsum selbst damit ohne Belang für die Vermögensbildung, obwohl durch ihn mit dem Humankapital und den Beständen an dauerhaften Konsumgütern zwei Vermögenssubstitute gebildet werden. Sollen Sparhypothesen nicht nur als ,,Restgrößen, die sich zwangsläufig aus der Annahme einer bestimmten Konsumfunktion ergeben" 7, betrachtet werden, so muß vor allem auf die Bedeutung des Konsums für die Bildung von Vermögen- bzw. Vermögenssubstituten geachtet werden. Dieser Gesichtspunkt, der mit zunehmender wirtschaftlicher Entwicklung an Bedeutung gewinnt, ist von einer Spartheorie als Konsumtheorie mit anderem Vorzeichen vernachlässigt worden. Die Ausrichtung auf eine kurzfristige Nachfragebetrachtung hat diese Asymmetrie des Verständnisses bewirkt und eine Betrachtung, die Konsumieren und Sparen ,,als zwei Aspekte eines . . . einheitlichen Strebens"8 behandelt, verhindert. I I . Theorie des Sparens als Residuum

Der Betrachtungsweise entspricht die kurzfristige' Konsumfunktion im Sinne einer Ausgabenfunktion für nichtdauerhafte Konsumgüter9. Dies ist 6 Vgl. hierzu Grass, R.-D. und Stiitzel, W.: Volkswirtschaftslehre; Eine Einführung auch für Fachfremde. München 1983, S. 351. 7 Heiduk, G.: Thema aktuell; Kontroverses in der Entwicklung der Sparquote, in: das wirtschaftsstudium, Jg. 5 (1976), Heft 2, S. 87. 8 Winkelmann, K.: Kein Gegensatz, in: Sparkasse, Jg. 97 (1980), Heft 10, S. 318. 9 Vgl. Streißler, E.: Theorien der Konsumfunktion; Ein kritischer Überblick im Lichte der

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die ,Keynessche Konsumfunktion , der ,absoluten Einkommenshypothese', die der Keynesianismus dermaßen in den Mittelpunkt rückte, daß darüber die differenziertere Sicht des Konsumentenverhaltens von Keynes selbst vergessen scheint10. Das entsprechende ,,konsumorientierte Sparen" 11 ist durch eine starke Liquiditätsorientierung gekennzeichnet. Es zielt auf eine Rücklagenbildung für Konsumdispositionen in kurzer Frist ab und ist demzufolge durch eine geringere Risikobereitschaft gekennzeichnet. Dieses Verhalten vermag gut die Situation in der Bundesrepublik in den Jahren 1950- 1959 zu beschreiben12, in denen die durchschnittliche Sparneigung der privaten Haushalte bei einem Mittelwert von 6,3 v.H. allmählich von 3,2 v.H. auf 9,0 v.H. anstieg13. Das Sparen war nicht ertragsorientiert, sondern im wesentlichen als Ansparen zu verstehen14. Dies kam darin zum Ausdruck, daß ein Steigen des Zinses zu einer Abschwächung der Spartätigkeit führte 15 und die Inflationsrate, wenn überhaupt, so einen stimulierenden Einfluß auf den Sparprozeß hatte. Zumindest ergab sich dies bei Maiers Untersuchung für die Haushalte mittleren Einkommens16, bei welchen wohl schon damals das Ansparen eine bedeutsamere Rolle spielte. Es scheint schließlich mit Blick auf die 9Keynessche Konsumfunktion' auch bemerkenswert, daß die Entwicklung der Sparquote von 1950- 1979 in der Bundesrepublik, ,,von wenigen durch Sondereinflüsse geprägten Ausnahmefällen abgesehen"17, den mit zunehmendem Einkommen nach der »absoluten Einkommenshypothese' zunehmenden Trend aufwies. Es läßt sich hier tatsächlich fragen, inwieweit vor dem Hintergrund der Meß- und Erfassungsprobleme die zahlreichen späteren Modifikationen der makroökonomischen Konsumfunktion einen bemerkenswerten Fortschritt darstellen und Streißler zuzustimmen ist: „Ja, die Konsumfunktionen haben jüngsten Rezession; in: Bombach, G. u.a. (Hrsg.) Neuere Entwicklungen in der Theorie des Konsumentenverhaltens, Tübingen 1978, S. 10. 10 Vgl. hierzu ebenda, S. 11 ff. 11 Maier, K.M.: Der Sparprozeß in der Bundesrepublik Deutschland; Eine empirische Analyse des Sparverhaltens der privaten Haushalte seit 1950; Frankfurt-Bern-New York 1983, S. 281. 12 Vgl. ebenda, S. 285. 13 Vgl. ebenda, S. 64. 14 Vgl. Blümle, G.: Zur Theorie des Sparens in einer wachsenden Wirtschaft, in: KREDIT UND KAPITAL, 7. Jg. 1974, Heft 2, S. 192 ff. 15 Vgl. Maier, K.M.: a.a.O., S. 289 sowie Läufer , K.A.: Ökonometrische Analyse von Zinssatz und Geldangebot anhand eines simultanen Gleichungssystems für Deutschland (BRD), in: Läufer, K. u.a.: Ökonometrie des Zinssatzes, Stuttgart 1973, S. 271 ff. speziell S. 333. 16 Vgl. Maier, K.M., a.a.O., S. 289. 17 Ebenda, S. 278.

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sich gut bewährt, auch in der jüngsten Rezession; nein, es gibt nichts Neues an der Front der Konsumfunktion" 18 . Wie verträgt sich nun diese Beurteilung mit der prozyklischen Entwicklung der Sparquote 1975. Streißler verweist diesbezüglich auf drei Meßfehler des statistisch erfaßten Einkommens19. Zum einen führe eine Unterschätzung der stark konjunkturreagiblen Schwarzarbeit, die in überwiegendem Maße für Investitionen der Haushalte eingesetzt wird, zu dieser Fehlschätzung. Zweitens verweist Streißler auf die Möglichkeit einer konjunkturellen Änderung der Steuerhinterziehung und schließlich führt er die im Konjunkturablauf typische Änderung der Einkommensverteilung als mögliche Ursache an. Betrachtet man indessen die Entwicklung der Sparquoten nach sozialen Gruppen 20, so überzeugt das letzte der drei Argumente nicht, denn von den vier Gruppen Selbständigenhaushalte, Arbeitnehmerhaushalte, Arbeitslosenhaushalte und Sonstige Nichterwerbstätigenhaushalte tritt im Zeitraum von 1970 bis 1983 lediglich bei den Arbeitslosenhaushalten die maximale Sparquote nicht im Jahr 1975 auf, und bei den Arbeitslosenhaushalten ist sie lediglich im Jahr 1973 mit 1,2 v.H. höher als 1975 (0,7 v.H.) 2 1 . Neben den beiden ersten Gesichtspunkten, die Streißler anführt, können für die Anomalie des Jahres 1975 noch andere Gründe angeführt werden. Maier 22 verweist unter anderem insbesondere auf den Einfluß einschneidender Maßnahmen der Sparförderung durch die Einführung von Einkommensgrenzen und Begrenzung des Sparvolumens sowie die Senkung der Prämiensätze. Des weiteren ist auf die ,,abrupte und unerwartete Zunahme der Autokäufe im September 1975" 23 zu verweisen und dem damit verbundenen Übergang vom Ansparen zum Entsparen. Dieser Gesichtspunkt verweist auf ein weiteres von Streißler angesprochenes Problem, nämlich die Frage, ,,ob wir den relevanten Konsum in der Volkseinkommensrechnung richtig darstellen" 24 . Auch hier bedingt eine Übervereinfachung, die des Konsumbegriffs auf die ,Marktentnahme zum Verbrauch', eine Schwäche der »absoluten Einkommenshypothese'. Es bleibt nichtsdestotrotz offensichtlich, daß in kurzfristiger Sicht von den der VGR zu entnehmenden Größen der Zusammenhang zwischen Sparen bzw. Konsumieren und dem verfügbaren, 18 19 20 21 22 23 24

Streißler, E.: Theorien der Konsumfunktion, a.a.O., S. 1. Vgl. ebenda, S. 8 f. Vgl.: Gedrückte Realeinkommen dämpfen private Sparneigung, a.a.O., S. 389. Ebenda. Vgl. Maier, K.M., a.a.O., S. 194. Heiduk, G., a.a.O., S. 90. Streißler, E.: Theorien der Konsumfunktion, a.a.O., S. 10.

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persönlichen Einkommen am engsten ist. Dieses Einkommen stellt schließlich nicht eine Determinante des Sparens unter anderen dar, sondern bestimmt ganz maßgeblich die Sparfähigkeit. So hat die Verringerung der realen Prokopfeinkommen um 4 v.H. in der Zeit von 1980-1983 bei den Unselbständigenhaushalten25 andere Einflüsse übertönt und bei Arbeitnehmerhaushalten (von 10,3 v.H. 1980 auf 8,9 v.H. 1983) und Arbeitslosenhaushalten (von -4,5 v.H. 1980 auf -12,3 v.H.) zu einer durchgehenden Verringerung der Sparquote geführt. Insgesamt stieg allerdings die Sparquote noch von 1980 auf 1981, weil der erhebliche, geradezu historische Zinsanstieg durch zusätzliches Sparen und eine Verlagerung von Realinvestitionen in Geldvermögensbildung die Sparquoten der Selbständigenhaushalte (von 22,9 v.H. 1980 auf 24,7 v.H. 1981) und der Sonstigen Nichterwerbstätigenhaushalte, zu denen neben den Rentnern auch die Bezieher von Vermögenseinkommen zählen (von 10,4 v.H. 1980 auf 11,8 v.H. 1981), stark zunehmen ließ 26 . In einer Theorie des Sparens als Residuum wird das Einkommen als exogen angesehen und der Konsum damit zur für das Sparen entscheidenden Größe. Selbst wenn sich der Konsum auf nichtdauerhafte Güter bezieht und das Sparen selbst dem Konsum dient, wird hier eine wichtige Interdependenz vernachlässigt. Vor allem in Entwicklungsländern nämlich stellt auch der Konsum von Nahrungsmitteln in ganz erheblichem Maße eine Investition in Humankapital dar 27 . Der Gesundheitszustand muß in vielen Entwicklungsländern als entscheidender Bestimmungsgrund der Arbeitsfähigkeit und des Einkommens angesehen werden 28. Der Rückgang der Mortalität erhöht über das höhere erwartete Lebenseinkommen (permanente Einkommen) auch die Ersparnisse 29. Diese Beziehung gilt auch ,,für den Subsistenzbereich mit einem hohen Anteil nicht-monetären Einkommens und nicht-monetärer Sparformen" 30. Da in Entwicklungsländern als Arbeitskräfte und zur Alterssicherung offensichtlich bestimmte Kinderzahlen geplant werden 31, ermöglicht eine geringere Säuglings- und Kindersterblich25

Vgl.: Gedrückte Realeinkommen dämpfen private Sparneigung, a.a.O., S. 387. Vgl. ebenda, S. 389. 27 Vgl. Blümle, G.: Die Rolle der Einkommensverteilung in der Entwicklungspolitik, in: Dams, T. und Jojima, K.: Ausgewählte Probleme internationaler Wirtschaftsbeziehungen, Berlin 1980, S. 218 ff. 28 Vgl. Brandt, H.: Work Capacity Restraints in Tropical Agricultural Development, Frankfurt 1980. 29 Vgl. Bhalla , S.S.: The Measurement of Permanent Income and Its Application to Savings Behavior, in: Journal of Political Economy, Vol. 88 (1980), S. 722 ff. 30 Jacob , R.: Gesundheit, Ernährung und generatives Verhalten: Ihre Bedeutung für die ländliche Entwicklung; Dargestellt am Beispiel von Honduras, Freiburg 1985, S. 17 (des Manuskripts). 31 Vgl. ebenda, S. 225. 26

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keit die angestrebte Kinderzahl mit geringerem Aufwand. Auch hier weist der Konsum folglich investiven Charakter auf. Dieser investive Charakter des Konsums dürfte zwar in entwickelten Volkswirtschaften zumindest bei kurzfristiger Betrachtung nicht so bedeutsam sein, er stellt jedoch einen Teil der Humankapitalinvestitionen während der Ausbildungszeit von Haushaltsmitgliedern dar.

I I I . ,Kurzfristige' und ,langfristige' Konsumfunktionen

Wird die makroökonomische Konsumfunktion durch eine lineare Beziehung zwischen verfügbarem Einkommen und Konsum dargestellt, so muß die zentrale Eigenschaft einer mit zunehmendem Einkommen abnehmenden durchschnittlichen Konsumneigung und entsprechend zunehmender durchschnittlichen Sparneigung durch einen positiven Achsenabschnitt gewährleistet werden. Bei Gültigkeit dieses Zusammenhangs müßte bei langfristigem Einkommenswachstum der Konsumanteil zurückgehen und demgemäß von diesem entscheidenden Teil der Nachfrage ein Einfluß ausgehen, der, wenn nicht anderweitig kompensiert, eine Stagnation bedingen würde. Empirische Untersuchungen mittels Querschnittsanalysen und kurzfristigen Zeitreihen bestätigten einen positiven Achsenabschnitt der dann als kurzfristig' bezeichneten Konsumfunktionen 32, während eine Untersuchung von Kuznets, in welcher für den Zeitraum von 1869-1926 mit gleitenden Zehnjahresdurchschnitten gearbeitet wurde, zum Ergebnis einer konstanten durchschnittlichen Konsumneigung kam 33 und demgemäß wird die als langfristig' bezeichnete Konsumfunktion als Ursprungsgerade dargestellt. Die Weiterentwicklung der makroökonomischen Konsumfunktion erfolgte zunächst hauptsächlich in der Absicht, den vermeintlichen Widerspruch zwischen diesen Konsumfunktionstypen aufzulösen 34. Dies geschah einmal durch die Wahl anderer Einkommen als entscheidende Bestimmungsgründe und die Berücksichtigung der Tatsache, daß sich Konsumgewohnheiten längerfristig bilden. Die Einbeziehung letzterer erfolgte zunächst durch die Einführung eines Zeittrends, der entsprechend der nicht weiter erklärten langfristigen 32 Vgl. hierzu: Sell , F.L.: Der Konsumcharakter der Einkommensentstehung; Zur Interdependenz von Konsum- und Multiplikatortheorie, Freiburg 1982. 33 Kuznets, S.: Uses of National Income in Peace and War, New York 1942, S. 30. 34 Vgl. hierzu: Tobin , J.: The Consumption Function, in: Essays in Economics, Vol. 2: Consumption and Econometrics, Amsterdam, New York 1975, S. 63 ff.; sowie Bodkin, R.G.: Keynesian Econometric Concepts. Consumption Functions, Investment Functions and „The" Multiplier, in: Weintraub, S. (Hrsg.): Modern Economic Thought, Philadelphia 1977, S. 73 ff.

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Gewohnheitsbildung die ,kurzfristigen' Konsumfunktionen entlang der langfristigen' verschiebt35. Der zweite Ansatz der Gewohnheitsberücksichtigung, der den Konsum vergangener Perioden als Ausdruck der Gewohnheiten und damit als erklärende Variable einführte, hat zu einem Konsumfunktionstyp geführt, der mit verschiedenen Modifikationen hinsichtlich des Verzögerungsmusters der vergangenen Konsumströme bei Schätzungen bis heute vorherrschend ist. Allerdings kann dieser Funktionstyp nicht nur durch diese, die sogenannte ,Habit Persistence'-Hypothese erklärt werden 36, sondern auch durch die Hypothese des permanenten Einkommens. Eine andere Einbeziehung von Gewohnheitseinflüssen erfolgte mit dem sogenannten Einklink- oder Sperrklinkeneffekt (Ratchet-Effekt), der mit dem Namen Duesenberry verbunden wird 37 , obwohl bereits Cantillon 175538 auf die Asymmetrie des Verhaltens hingewiesen hat, daß nämlich Konsumanpassungen bei einem Rückgang des Standards (Einkommens) träger erfolgen als bei einer langfristigen Zunahme, und damit bei kurzfristigen Abnahmen der Zusammenhang zwischen Konsum und Einkommen ein anderer ist als in der langfristigen Entwicklung bei steigendem Einkommen. Die angesprochenen Erklärungen dienen dazu, den vermeintlichen Widerspruch zwischen »kurzfristiger' und »langfristiger' Konsumfunktion zu erklären, wenn beide aus Zeitreihenuntersuchungen unterschiedlicher Fristigkeit geschätzt werden. Der zweite wohl wesentlichere Beitrag Duesenberrys zur Konsumtheorie ist jedoch in der Hypothese des relativen Einkommens zu sehen. Nach dieser Hypothese ergibt sich zwar in einer Querschnittsbetrachtung für eine Periode ein Zusammenhang zwischen dem Konsum und dem Einkommen einzelner Haushalte, dem eine höhere durchschnittliche Sparneigung bei höheren Einkommen entspricht, der Bestimmungsgrund für die langfristige Konsumentwicklung ist jedoch im sogenannten relativen Einkommen zu sehen, welches die soziale Stellung des betreffenden Haushalts charakterisiert. Haushalte richten langfristig ihre Konsumgewohnheiten an diesem relativen Einkommen aus. Wenn nun alle Einkommen wachsen, ohne daß sich eine Änderung in den relativen Positionen ergibt, so bleibt trotz wachsenden Einkommens eine gleiche durchschnittliche Konsumquote. Diese wird dadurch begründet, daß auch im Konsumverhalten in der langfri35 Vgl. Smithies , Α.: Forecasting Post-war Demand, in: Econometrica, Vol. 13, 1945, S. 1 ff. 36 Brown , T.M.: Habit Persistence and Lags in Consumer Behavior, in: Econometrica, Vol. 20, July 1952, S. 355 ff. 37 Duesenberry , J.S.: Income, Saving and the Theory of Consumer Behavior, Cambridge, Mass. 1949, S. 114. 38 Vgl. hierzu: E. und M. Streißler: Einleitung, in: E. und M. Streißler (Hrsg.): Konsum und Nachfrage, Köln, Berlin 1966, S. 34.

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stigen Entwicklung eine gewisse Schichtung erhalten bleibt. Während die unteren Schichten die Konsummuster der oberen anstreben, bleiben diese bemüht, sich im Standard abzusetzen, wodurch in der langfristigen Entwicklung sich ein gegenseitiges Hochschaukeln ergibt 39 . Von den Hypothesen zur makroökonomischen Konsumfunktion, die die angesprochene Widersprüchlichkeit zu erklären versuchen, ist die Hypothese des permanenten Einkommens von Milton Friedman die bis heute am meisten diskutierte 40. Der permanente Konsum wird danach letztlich als Funktion des Vermögens eines Haushaltes gesehen und das permanente Einkommen, welches den permanenten Konsum unmittelbar bestimmt, ergibt sich aus dem Vermögen eines Haushalts im weitesten Sinne als dessen Verzinsung 41. Der Vermögensbegriff umfaßt demzufolge auch das Humankapital und die Konsumentscheidung eines Haushaltes besteht im wesentlichen in der zeitlichen Aufteilung des möglichen Konsumstroms. Die Wahl zwischen Gegenwarts- und Zukunftskonsum wird entsprechend neoklassischer Theorie durch den Zins gesteuert. Bei einem konstanten Zins stehen, da Friedman homothetische Nutzenfunktionen unterstellt, die Konsumsummen in einem konstanten Verhältnis untereinander, zum Vermögen und damit auch zum permanenten Einkommen. Die direkte Proportionalität zwischen permanentem Konsum und permanentem Einkommen wird demzufolge letztlich durch die Annahme homothetischer Nutzenfunktionen begründet, was letztlich nur aus Plausibilitätsgründen geschieht. Der Proportionalitätsfaktor zwischen permanentem Einkommen und permanentem Konsum wird in Abhängigkeit vom Zins, dem Verhältnis von NichtHumankapital und permanentem Einkommen und einer weiteren Variablen für sonstige Einflüsse 42 gesehen. Friedman teilt nun sowohl den tatsächlichen Konsum als auch das tatsächliche Einkommen in eine permanente und eine transitorische Komponente auf. Während der proportionale Zusammenhang zwischen den permanenten Größen besteht, sollen die transitorischen Komponenten weder untereinander noch mit den permanenten korreliert sein, wobei die transitorischen Komponenten als zufällige und unerwartete verstanden werden können. Diese Annahme, daß überraschende Einkommensänderungen, z.B. ein Lottogewinn ohne Einfluß auf den 39 Vgl. hierzu auch: Merz, J.: Der Einfluß sozioökonomischer Größen auf die individuelle Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, 103. Jg., 1983, Heft 3, S. 246 f. 40 Vgl. z.B. Fisher, D.: Macroeconomic Theory; A Survey, London 1983, S. 48 ff. 41 Vgl. Friedman , M.: A Theory of the Consumption Function, Princeton 1957, S. 10-11. 42 Vgl. Friedman , M.: a.a.O., S. 26.

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Konsum (sowohl den transitorischen als auch den permanenten) sein sollen, hat viel spöttische Kritik ausgelöst43. Die sogenannte »permanente Einkommenshypothese' vermag indessen sowohl den Unterschied aus Querschnittsdaten als auch aus kurzfristigen Zeitreihen gewonnenen Konsumfunktionen zu ,langfristigen' zu erklären. Bei einer Querschnittsbetrachtung werden bei den höheren tatsächlichen Einkommen Haushalte mit positivem transitorischem Einkommen überwiegen, denn diese vom Haushalt als zufällige oder unerwartete Einkommenserhöhungen eingestuften Einnahmen sind Anteil des tatsächlichen, laufenden Einkommens. Umgekehrt werden bei niedrigeren Einkommen die negativen transitorischen Einkommenskomponenten, die vom Haushalt als vorübergehende oder vorläufige Abweichungen des Einkommens nach unten angesehen werden, überwiegen. Das tatsächliche Einkommen stellt demzufolge im Bereich höherer Einkommen eine Überschätzung, im Bereich niedrigerer Einkommen eine Unterschätzung des permanenten Einkommens dar. Wenn nun der permanente, langfristig ausgerichtete Konsum einen konstanten Anteil des permanenten Einkommens ausmacht, so muß sein Anteil am tatsächlichen Einkommen bei höheren Einkommen kleiner, bei niederigeren tatsächlichen Einkommen dagegen größer sein und Umgekehrtes gilt für die Sparquote. Gleiches trifft nun für Einkommensentwicklungen im Zeitablauf zu. Konjunkturelle Schwankungen der Einkommen im Zeitablauf stellen Schwankungen transitorischer Einkommenskomponenten um das permanente, als langfristig vom Haushalt erwartete Einkommen dar. Der permanente Konsum als konstanter Anteil des permanenten Einkommens wird demzufolge bei Einkommensrückgängen, die als vorläufig eingestuft werden, weniger abnehmen und umgekehrt bei unerwarteten Einkommenssteigerungen zurückhaltender zunehmen. Da sowohl das permanente Einkommen als auch der permanente Konsum nicht unmittelbar beobachtbar sind, wurde die Frage, wie diese Größen durch meßbare geschätzt werden können und damit Friedmans Theorie testbar wird, in den Mittelpunkt weiterer Untersuchungen gerückt. Wird das permanente Einkommen als das langfristig erwartete verstanden und die Erwartungsbildung auf die tatsächlichen Einkommen früherer Perioden bezogen, so läßt sich das permanente Einkommen mit einer Art „Gedächtnisfunktion" 44 auf das laufende und die vergangenen tatsächlichen Einkommen zurückführen, wobei entsprechend 43 Vgl. z.B. Houthakker, H.S.: The Permanent Income Hypothesis, in: The American Economic Review, June 1958, Vol. 48, S. 398. 44 Sell, F.L.: a.a.O., S. 100.

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einem Vergessensprozeß weiter zurückliegende Einkommen immer schwächer gewichtet werden. Da jedoch die tatsächlichen Einkommen vergangener Perioden auch den Konsum vergangener Perioden entsprechend der ,HabitPersistence'-Hypothese bestimmen, lassen sich in diesem Falle die beiden Hypothesen nicht unterscheiden. Über das aus ökonometrischen Gründen beste Muster der zeitlichen Verzögerungen (Lagstruktur) gibt es eine Fülle von Literatur 45 . Lüdeke und Mitarbeiter 46 schlagen für die Bundesrepublik eine Konsumfunktion entsprechend der ,Habit-Persistence'-Hypothese mit Poj55onverteilten Lags vor, wobei neben Saisonkomponenten noch ein Durchschnittszins als erklärende Variable auftritt. Ein gut Teil der Weiterentwicklungen der sogenannten Keynesschen Konsumfunktion stellt auf die Bildung von Einkommenserwartungen und Gewohnheiten ab. Wird bedacht, daß Keynes bereits in seiner General Theory schrieb: ,,For a man's habitual Standard of life usually has the first claim on his income, and he is apt to save the difference which discovers itself between his actual income and the expense of his habitual standard; or, if he does adjust his expenditure to changes in his income, he will over short periods do so imperfectly" 47 , so erscheinen die Weiterentwicklungen auch hier vor allem im Hinblick auf die vereinfachten Lehrbuchversionen von Keynes so bemerkenswert. Was sind nun die wesentlichen Neuerungen Friedmans? Im Unterschied von Keynes, der davon ausging, daß ,,unvorhergesehene Vermögensschwankungen starke Ausgabeneffekte haben" 48 , geht Friedman davon aus, daß keine Korrelation zwischen transitorischem Einkommen und tatsächlichem Konsum besteht. Die meisten Untersuchungen kommen jedoch zu dem Ergebnis, daß ,,zumindest auch Teile des transitorischen Einkommens für Konsumzwecke verwendet werden" 49 , ferner ergab sich, daß kleine Zunahmen des transitorischen Einkommens stärker konsumwirksam sind als große 50, daß dieser Einfluß um so geringer ist, je länger der Zeithorizont der betreffenden Haushalte einzuschätzen ist 51 und demzufolge sich Friedmans Hypothese am ehesten für die Selbständigenhaushalte 45

Vgl. z.B. Fisher, D.: a.a.O., S. 66. Vgl. Lüdeke , D. u.a.: Freiburger and Tübinger quarterly econometric model for the Federal Republic of Germany; An overview, in: Economic Modelling, Vol. 1, 1984, S. 139 ff., speziell S. 141 und S. 160 ff. 47 Keynes , J.M.: The General Theory of Employment, Interest and Money, London 1936, S. 97. 48 Streißler , E.: Theorien der Konsumfunktion, a.a.O., S. 7. 49 Staudte , Α.: Die Permanent-Income-Hypothese; eine empirische Untersuchung für die BR Deutschland, Meisenheim am Glan, 1973, S. 40. 50 Vgl. Streißler, E.: Theorien der Konsumfunktion, a.a.O., S. 15. 51 Vgl. Fisher, D.: a.a.O., S. 70-72. 46

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mit stark schwankenden Einkommen bewährt 52. Dies würde sich auch dadurch begründen lassen, daß der Einfluß transitorischer Einkommen darauf beruht, daß der Kapitalmarkt nicht vollkommen ist und Humankapital nicht die gleichen Kreditmöglichkeiten eröffnet als Nichthumankapital53. Diese Unvollkommenheiten des Kapitalmarktes bedingen demnach bei Konsumenten mit hohem Humankapitalanteil eine Verkürzung des Zeithorizontes und verursachen damit den Einfluß transitorischer Einkommenskomponenten, was wiederum fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen den Einfluß auf das Nachfrageverhalten ermöglicht 54, wodurch im Gegensatz zu Friedmans Hypothese staatlicher Einfluß im Sinne Keynesianischer Nachfragesteuerung nicht erfolglos bleiben muß. Die andere zentrale Aussage dieses Ansatzes ist die einer langfristig konstanten durchschnittlichen Konsum- und Sparneigung. Hier wird zunehmend davon ausgegangen, daß die Proportionalitätshypothese nicht zutrifft 55 . Was Querschnittsbetrachtungen angeht, so müßte ja nach Friedmans mikroökonomischer neoklassischer Begründung der Proportionalitätsthese die durchschnittliche Konsumneigung bezogen auf die permanenten Größen unabhängig von den Einkommenshöhen homogener Gruppen sein. Auch diese, für die Nachfragewirksamkeit von Umverteilungsmaßnahmen wichtige Aussage ist verschiedentlich widerlegt worden 56. Obwohl Friedman dem Problem der Unsicherheit durch die Einführung einer ,,reserve of emergencies" als Motiv der Vermögenshaltung Rechnung tragen will 5 7 , ist Monissen zuzustimmen, daß die Herleitung der ,permanenten Einkommenshypothese' unter der Annahme vollständiger Gewißheit hinsichtlich der Einflußgrößen erfolgt 58 . Unsicherheit hinsichtlich Einkommen und Arbeitsplätzen dürfte indessen eine der wesentlichen Bestimmungsgründe eines wie immer definierten permanenten Einkommens und damit des Konsumverhaltens sein. Um solches zu berücksichtigen wurde die Arbeitslosigkeit als Gradmesser 52

Vgl. auch Streißler, E.: Theorien der Konsumfunktion, a.a.O., S. 15. Vgl. Fisher, D.: a.a.O., S. 72. 54 Vgl. ebenda. 55 Vgl. hierzu ebenda; Streißler, E.: Theorien der Konsumfunktion, a.a.O., S. 26. 56 Vgl. hierzu: Mayer , T.: The Permanent Income Theory and Occupational Groups, in: The Review of Economics and Statistics, Vol. 45, 1963, S. 16 ff.; derselbe: The Propensity to Consume Permanent Income, in: The American Economic Review, Vol. 56, Nr. 5, 1966, 2, S. 1158 ff. 53

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Friedman , M.: a.a.O., S. 16. Monissen , H.G.: Konsum und Vermögen, Analyse der Konsum-Vermögen-Relation im makroökonomischen Gesamtzusammenhang, in: Theorie und Politik, Volkswirtschaftliche Untersuchungen aus dem Institut für Industrie- und Gewerbepolitik der Universität Hamburg, Bd. 3, hrsg. von Gérard Gäfgen, Göttingen 1968. S. 167. 58

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solcher Unsicherheit in Konsumfunktionen eingeführt 59. Tatsächlich hat die Krise 1974/75 die Aufmerksamkeit auf das Vorsorge- oder Angstsparen gelenkt60. Während der Bundeswirtschaftsminister in der Bundesrepublik die Verbraucher zu einer Konsumsteigerung aufforderte, betonten im Oktober 1975 circa 36 v.H. der Befragten einer Meinungsumfrage, daß sie in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Krise das Sparen für das Beste hielten61. Daß der Begriff Angstsparen keine Überzeichnung darstellt, wird dadurch bestätigt, daß die durchschnittliche Sparneigung der Arbeitslosenhaushalte von 1974 auf 1975 in der Bundesrepublik von - 1 , 0 v.H. auf +0,7 v.H. stieg und damit in Prozentpunkten die Steigerungen der übrigen drei Haushaltsgruppen deutlich übertraf (Selbständigenhaushalte +0,3; Arbeitnehmerhaushalte + 0,6; sonstige Nichterwerbstätigenhaushalte +0,7 v.H.) 6 2 . Es ist in diesem Zusammenhang interessant, daß Maier 63 feststellte, daß die 50er und die 70er Jahre in der Bundesrepublik übereinstimmend dadurch gekennzeichnet waren, daß bei größeren aktuellen Wachstumsraten die Spartätigkeit eher eingeschränkt wurde und umgekehrt, während für die Gesamtheit der privaten Haushalte bezüglich der Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts der Vorperiode sich ein positiver Zusammenhang mit dem Sparen ergab, was jedoch für die 4-Personen-Arbeitnehmerhaushalte mit mittlerem Einkommen für die erste Nachkriegsdekade nicht galt, bei denen wohl bereits beachtliches Ansparen auf dauerhafte Konsumgüter eine gewisse Sicherheitsreserve aufgebaut hatte. Demnach könnte gefolgert werden, daß in diesen Zeiten, in welchen die Möglichkeit von Arbeitslosigkeit erfahrbar war, nach guten Zeiten und in schlechten Zeiten gespart wurde. Ein Verhalten, welches dem Begriff Vorsorgesparen entspricht. Um jedoch in schlechter Zeit sparen zu können, muß es Sparmöglichkeiten im Sinne einer Reduktion laufender Konsumausgaben geben, und in dieser Hinsicht kommt den dauerhaften Konsumgütern entscheidende Bedeutung zu. Es ist hier hinsichtlich der Hypothese des permanenten Einkommens darauf zu verweisen, daß Friedman lediglich die Nutzung dauerhafter Konsumgüter in seinen Begriff des permanenten Konsums einbezog64. Da nach seiner Auffassung positive transitorische Einkommen gespart werden, die 59

Vgl. Streißler, E.: Theorien der Konsumfunktion, a.a.O., S. 25. Vgl. Socher, K.: Sparen aus wirtschaftstheoretischer und wirtschaftspolitischer Sicht, in: Determinanten des Sparens, österreichisches Forschungsinstitut für Sparkassenwesen; Dr. Stigleitner-Schriftenreihe, Bd. 17, Wien 1977, S. 89. 61 Vgl. Heiduk, G.: a.a.O., S. 90. 62 Gedrückte Realeinkommen dämpfen private Sparneigung, a.a.O., S. 389. 63 Vgl. Maier, K.M.: a.a.O., S. 287. 64 Vgl. Friedman, M.: a.a.O., S. 116. 60

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Anschaffung dauerhafter Konsumgüter jedoch in engem Zusammenhang mit Ansparvorgängen zu sehen ist, müßte demgemäß eine enge Beziehung zwischen transitorischem Einkommen und der Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern bestehen. Untersuchungen zu diesem Zusammenhang kamen allerdings zu widersprüchlichen Ergebnissen65.

IV. Sparen und die Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern

Da die Anschaffung dauerhafter Konsumgüter mit beachtlichen Ausgaben zumeist nicht aus dem laufenden Einkommen bestritten werden kann, ist sie, sei es durch Kreditaufnahme oder durch Abbau von Reinvermögen, immer mit einem Entsparen verbunden. Sparen und Anschaffung dauerhafter Konsumgüter müssen demzufolge bei kurzfristiger Betrachtung für den einzelnen Haushalt negativ korreliert sein. Langfristig jedoch werden sie ihrer gemeinsamen positiven Korrelation zum verfügbaren Einkommen wegen auch wechselseitig positiv korreliert sein. Der Versuch, konjunkturelle Schwankungen der Sparquote als Spiegelbild von Schwankungen der Anschaffung dauerhafter Konsumgüter zu erklären, wird nirgends unternommen. Maier geht in seiner ansonsten sehr sorgfältigen Analyse auf die Rolle der dauerhaften Konsumgüter für das Sparverhalten nirgends ausführlich ein. In den zahlreichen Arbeiten zur »permanenten Einkommenshypothese' werden die dauerhaften Konsumgüter im Hinblick auf positive transitorische Einkommen als ,,shock absorber" 66 aufgefaßt. Sie stellen demgemäß das entscheidende Glied in der Übertragung geldpolitischer Maßnahmen auf die Konsumnachfrage dar 67 , was sich auch für die deutsche Volkswirtschaft bestätigt68. Die Übertragungsmechanismen selbst dürften je nach institutionellen Bedingungen und Finanzierungsgewohnheiten unterschiedlich sein. Während beispielsweise in der Bundesrepublik die Anschaffung dauerhafter Konsumgüter weitgehend über einen An-

65 Vgl. Clausse, G.: Die Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern im Konjunkturverlauf, Göttingen 1979, S. 73 und die dort angegebene Literatur. 66 Thurston , T.B.: The Permanent Income Hypothesis and Monetary Influences on Consumption, in: Journal of Money, Credit and Banking, Vol. 9., 1977, S. 586. 67 Ebenda, S. 595. 68 Vgl. Hansen, G.: Der Einfluß von Zinsen und Preisen auf die Ersparnisse und die Nachfrage nach dauerhaften Gütern in der Bundesrepublik 1961-1981, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, 104. Jg., 1984, Heft 3, S. 246.

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sparprozeß finanziert wird, hat in den USA die Kreditfinanzierung eine entscheidende Bedeutung69. Was den Einfluß der Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern im Konjunkturablauf angeht, so gilt deren destabilisierender Nettoeffekt als unbestritten 70. Demzufolge können in Anbetracht der engen Substitutionsbeziehung zwischen Sparen und Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern auf diese Weise abnehmende Sparneigungen in der Hochkonjunktur erklärt werden. Das entsprechende Ansparverhalten wird auch durch eine negative Zinselastizität und die positiven Preiselastizitäten des Sparens in diesem Zusammenhang bestätigt71. Hinsichtlich der Beziehung zwischen Arbeitslosigkeit und Sparverhalten ist unter den verschiedenen Erklärungsmodellen für die Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern die der Zeitallokationstheorie interessant. Im Konjunkturablauf schwanken nämlich mit den Betriebsarbeitszeiten (Überstunden) und den Lohnsätzen nicht nur die Finanzierungsmöglichkeiten dauerhafter Konsumgüter (positive transitorische Einkommen), sondern auch die relativen Preise von Haushaltsarbeit und Freizeit in einer Weise, die prozyklische Anschaffungen dauerhafter Konsumgüter begünstigt72. Dieses wird auch durch die Untersuchung von Merz über den Einfluß sozioökonomischer Größen bestätigt73. Werden demgemäß Einkommensänderungen in die Betrachtung einbezogen und damit die Strenge der konkurrierenden (substitutiven) Beziehung zwischen Ersparnis und Anschaffung dauerhafter Konsumgüter gelockert, sowie ferner bedacht, daß es bezüglich der Neuerungen bei einzelnen Konsumgütern Anschaffungswellen gibt, so wundert es nicht, ,,daß trotz großer Zins- und Preiseinflüsse auf die Ersparnis die Einkommenselastizität der Ersparnis erheblichen zyklischen Schwankungen unterliegt" 74 , die Elastizität im Schnitt jedoch deutlich über 1 liegt. Finanzielle Aktiva scheinen dementsprechend langfristig den Charakter relativ superiorer Güter zu haben. Demgegenüber ergeben sich für die Gruppen dauerhafter Konsumgüter vergleichsweise stabile Einkommenselastizitäten, ausgenommen die Fahrzeuge, bei welchen sich in deutlich abnehmenden Einkommenselastizitäten über die Jahre 63, 70 und 80 Sättigungstendenzen zeigen, 69 Vgl. Gerhardt, G.: Konsumverhalten und wirtschaftliche Entwicklung, Der Beitrag des Konzepts der Anspruchsniveaus, München 1984, S. 204. 70 Vgl. Clausse, G.: a.a.O., S. 267. 71 Vgl. Hansen, G.: a.a.O., S. 244. 72 Vgl. Clausse, G.: a.a.O., S. 204. 73 Vgl. Merz, J.: a.a.O., S. 246 f. 74 Hansen, G.: a.a.O., S. 246.

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wenngleich die Einkommenselastizitäten noch über 1 bleiben75. Bonus76 verweist jedoch darauf, daß es in diesem Zusammenhang wenig sinnvoll ist, „die" Einkommenselastizität zu ermitteln, da die Werte systematisch mit dem bereits erreichten Bestand in der Weise variieren, daß mit zunehmendem Bestand die Elastizität sinkt. Für die langfristige Entwicklung könnte man demzufolge auf sich abzeichnende Sättigungstendenzen schließen, wobei mit stagnierender Bevölkerung und kaum mehr sinkender durchschnittlicher Haushaltsgröße mit der Zahl der Haushalte auch eine Größe stagniert, die für die Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern entscheidende Bedeutung hat. Ein Teil der beobachtbaren Zunahme der durchschnittlichen Sparneigung läßt sich bei langfristiger Betrachtung auch durch einen Trend zugunsten eines größeren Teils von Ansparkonsumgütern an den Haushaltsausgaben erklären. Wenn nämlich die Anschaffung dieser Güter, zu denen neben den dauerhaften Konsumgütern auch die, vor allem in der Bundesrepublik sehr ins Gewicht fallenden Ferienreisen gehören, ein Ansparen erfordert, dann wird mit deren zunehmender Bedeutung ein zunehmender Bestand an laufenden Ersparnissen erforderlich, deren Aufbau sich zwangsläufig in einem Ansteigen der durchschnittlichen Sparneigung zeigen muß 77 . Der stark positive Einfluß von durchschnittlichen Wachstumsraten des Sozialprodukts auf die durchschnittliche Sparneigung im internationalen Querschnittsvergleich 78 kann solchermaßen wohl zu einem Teil auf das zunehmende Ansparvolumen für diese relativ superioren Güter zurückgeführt werden. Neuerungen bei dauerhaften Konsumgütern ebenso wie Reise- und Erholungsströmungen würden demzufolge kurzfristig das Sparen dämpfen, langfristig dagegen stimulieren. Wird bedacht, daß die fraglichen Nachfragetheorien äußerst komplex sind oder wie z.B. für Ferienreisen noch weitgehend fehlen 79, so leuchtet ein, daß Prognosen für die mittlere Frist äußerst schwierig sind.

75

Ebenda, S. 245 und 248. Bonus, H.: Die Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern, in: Bombach u.a. (Hrsg.): Neuere Entwicklungen in der Theorie des Konsumentenverhaltens, Tübingen 1978, S. 455. 77 Vgl. Blümle, G.: Zur Theorie des Sparens in einer wachsenden Wirtschaft, a.a.O., S. 194 ff. 78 Vgl. Koskela , E. und Viren , M.: A Note on long-term Determinants of the Private Savings Ration, in: Economic Letters 11(1983), S. 107 ff., insbesondere die Tabellen S. 109 und 76

111.

79

Vgl. Clausse , G.: a.a.O., S. 290 f.

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V. Lebenszyklushypothesen

Bei einzelwirtschaftlicher Betrachtung erscheint es naheliegend, daß der Sparprozeß auch eine ausgeprägte biographische Komponente auf weist. So hat Kuznets 80 70 v.H. der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis in den USA auf das Sparen der privaten Haushalte für den Lebensabend zurückgeführt. Bei wachsenden Einkommen und steigendem Lebensstandard werden die Möglichkeiten und Bemühungen der auf den Lebensabend Sparenden zunehmen und die Beträge der entsparenden Pensionäre übertreffen. Im Falle von Bevölkerungswachstum wird dieser Effekt, der eine positive gesamtwirtschaftliche Ersparnis auch dann erklären kann, wenn die Pensionäre ihre gesamte Ersparnis aufzuzehren vermögen, noch dadurch verstärkt, daß die Zahl der jeweils Ansparenden größer als die der Entsparenden ist. Die positive Korrelation zwischen Wachstumsrate und Sparneigung kann demzufolge auch durch solch einen Prozeß erklärt werden. Beim Einfluß des Bevölkerungswachstums auf die Sparquote ist zu beachten, daß eine längere Lebenserwartung mit einem größeren Teil der Inaktiven an der Bevölkerung den Konsum stimuliert, andererseits für die Aktiven einen stärkeren Anreiz zum Ansparen darstellt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Berücksichtigung der Humankapitalbildung als Konsum. Wird dagegen die Humankapitalbildung als Sparen aufgefaßt, so kann durch zunehmende Bildungsinvestitionen eine steigende Sparneigung erkärt werden 81. Da die Lebenszyklushypothesen auch die Frage der intertemporalen Konsumaufteilung eines Haushaltes in den Mittelpunkt stellen, wundern die zahlreichen Hinweise auf ihre Ähnlichkeit mit der Hypothese des permanenten Einkommens nicht. Da beide auch die Betonung der Rolle des Vermögens gemeinsam haben, wird verständlich, daß die Lebenszyklushypothese auch unter dem Oberbegriff »permanente Einkommenshypothese' miteinbezogen wird 82 . Das typische der Lebenszyklushypothesen in ihrer mikroökonomischen Version ist die Berücksichtigung des Alters für die Schilderung des Sparverhaltens. So ist es unmittelbar einleuchtend, daß Selbständige in jungen Jahren beim Aufbau eines Geschäftes hohe Sparneigungen haben und dasselbe für die Zeit kurz vor der »Pensionierung' gilt. Die Nähe zur Hypothese 80 Kuznets , S.: Capital in the American Economy, Its Formations and Financing, Princeton University Press 1961, S. 91 ff. 81 Vgl. Fisher , D.: a.a.O., S. 78. 82 Vgl. Ferher , R.: Consumer Economics, A Survey, in: Journal of Economic Literature, Vol. 11, 1973, S. 1306.

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des permanenten Einkommens wird deutlich, wenn erläutert wird, daß junge Studenten verglichen mit gleichaltrigen Arbeitern im Hinblick auf ihr erwartetes höheres Lebenseinkommen (permanentes Einkommen) höhere Konsumneigungen haben83. Die Lebenszyklustheorie, die ursprünglich in ihrer mikroökonomischen Version entwickelt wurde und mit den Namen von Modigliani und Brumberg verbunden wird 84 , erfuhr zuerst durch Brumberg die Weiterentwicklung zu einer makroökonomischen Version 85. Die Aggregation innerhalb von Altersklassen und über die Altersklassen wird jedoch nur unter ,,recht weitgehenden Mindestvoraussetzungen,,S6 möglich. Der Altersaufbau der Bevölkerung muß gleich bleiben, die Verteilung der Einkommen, der erwarteten Einkommen und des Vermögens auf die verschiedenen Altersgruppen darf sich nicht ändern und auch innerhalb der jeweiligen Altersstufe, die ja laufend von anderen Individuen besetzt wird, dürfen sich die Parameter nicht ändern. Die unabhängigen Variablen in den ersten Ansätzen87 sind das laufende und erwartete Nichtbesitzeinkommen sowie das Nettovermögen am Ende der Vorperiode. Neben dem Problem der Schätzung des erwarteten Einkommens ergibt sich hier ein ähnliches für die Schätzung des Vermögens, welches dauerhafte Konsumgüter einschließen soll. Als Schätzung für die Vermögensänderung schlägt Franz in seiner Untersuchung für die Bundesrepublik88 neben der Differenz von verfügbarem Einkommen und privatem Konsum die Wertänderung des Bestandes an Personenkraftwagen, des Bestandes an Wohnungen und des Kurswerts der Aktien vor. Auch durch die Lebenszyklushypothese kann der Unterschied zwischen ,kurz-' und ,langfristiger' Konsumfunktion erklärt werden 89, die Aufmerksamkeit wendet sich im weiteren jedoch zunehmend der Frage nach den Auswirkungen staatlicher Altersversorgung auf den Sparprozeß zu. Wie auf den ersten Blick einleuchtet, müßten staatliche und private Altersversorgung Substitute sein und zunehmende soziale Sicherung im Alter zu einem Ansteigen des Konsums führen. Dementsprechend kommt Franz auch zum Er83

Vgl. Fisher, D.: a.a.O., S. 77. Modigliani, F. und Brumberg, R.: Utility Analysis and the Consumption Function: An Interpretation of Cross-Section Data, in: Kurihara, K.K. (Hrsg.): Postkeynesian Economics, New York 1954, S. 388. 85 Brumberg , R.: An Approciamtion to the Aggregative Saving Function, in: The Economic Journal, Vol. 66, 1956, S. 66. 86 Sell, F.L.: a.a.O., S. 72. 87 Vgl. Ando , Α. und Modigliani, F.: The ,,Life Cycle'' Hypothesis of Saving: Aggregate Implications and Tests, in: The American Economic Review, Vol. 53, 1963, S. 55. 88 Franz , W.: Die Lebenszyklushypothese der Konsumfunktion: Eine empirische Überprüfung für die Bundesrepublik Deutschland, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 191, 1976, 1/2, S. 97. 89 Vgl. z.B. die Ableitung bei Seil, a.a.O., S. 76 f. 84

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gebnis, daß eine Zunahme der realen Sozialversicherungsleistungen und Pensionen den Konsum erhöht 90 . Die substitutive Beziehung zwischen staatlichen und privaten Beiträgen zur Altersversorgung ist im wesentlichen von deren Verzinsung abhängig. Bei dynamischen Renten kann man die Entwicklung der Arbeitsproduktivität, die dann den langfristigen Bestimmungsgrund der Realeinkommen darstellt, als Verzinsung mit dem Zinssatz privater Anlagemöglichkeiten vergleichen91. Für die Frage, wie Beitragsänderungen der Sozialversicherung auf die gesamtwirtschaftliche Sparquote wirken, ist neben der Differenz der beiden Verzinsungen das staatliche Sparverhalten und die Art der Finanzierung eines Defizits für die zu versorgenden Rentner maßgeblich. Wenn in diesem Modell die Verzinsung privater Alterssicherung geringer ist als die Produktivitätsentwicklung, stimuliert eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge (und damit auch der späteren Ansprüche) die Sparquote, was im Falle einer Finanzierung eines eventuellen Defizits durch Steuern verstärkt wird. Empirische Untersuchungen kommen jedoch zu unterschiedlichen und unterschiedlich gesicherten Ergebnissen92. Für die Bundesrepublik ist der Zusammenhang schwach und eher invers 93, d.h. eine Zunahme der staatlichen Altersversorgung führt zu einer Steigerung des Sparens. Als ein Grund hierfür mag die den Dauereinkommenshypothesen zugrunde liegende Annahme, daß nicht für die Erben gespart wird, und die im Vergleich zu den Erwerbstätigen starke Begünstigung der Inaktiven durch die bruttobezogene Rentenformel in den letzten Jahren und die dadurch gesteigerte Sparfähigkeit sein. Die Annahme, daß nicht für die Erben gespart wird, mag eher für die USA zutreffen, erscheint aber nicht unbedingt auf deutsche Verhältnisse übertragbar. So wird durch eine Studie des IMF der Rückgang der Spar quote in den USA in der Zeit von 1981 bis 1983 von 6,7 v.H. auf 5,0 v.H. dadurch erklärt, daß pensionierte Amerikaner vergleichsweise reich sind und eine überdurchschnittlich hohe Konsumquote haben94. Für die Bundesrepublik indessen unterscheidet sich die Sparquote der Nichterwerbstätigen ohne die

90

Vgl. Franz, W.: a.a.O., S. 103 f. Vgl. hierzu z.B.: Schröder, J.: Social Security and the Macroeconomic Saving-Income Ratio, Weltwirtschaftliches Archiv, Bd. 119, 1983, S. 554. 92 Vgl. den Überblick: Kuné , J.B.: Studies on the Relationship between Social Security and Personal Saving; A Tabular Survey, in: KREDIT UND KAPITAL, 16. Jg. 1983, Heft 3 S. 371. 93 Vgl. ebenda, S. 376 f. 94 51 v.H. aller der Steuerbehörde gemeldeten Zinseinkommen kommen den 11 v.H. über 65jährigen der Bevölkerung zu. Vgl. Pensionierte Amerikaner als Spielverderber? Originelle Erklärung der tiefen Sparquote in den USA, in: Neue Züricher Zeitung, 30.11.1984, S. 14. 91

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Arbeitslosen nur wenig von der der Arbeitnehmerhaushalte 95 und liegt seit 1976 mit einer Ausnahme sogar über der der Arbeitnehmerhaushalte. Eine entscheidende Bedeutung für das Sparen der Rentner dürfte neben dem Vererbungsmotiv jedoch das wohl mit zunehmendem Alter zunehmende Sicherheitsbedürfnis sein. So zeigt Streißler, daß bei unbekanntem Zeitpunkt des Ablebens mit steigendem Alter zunehmend gespart werden muß 96 . Erweiterungen des Standardmodells versuchen hinsichtlich des Einbeziehens von Unsicherheit einen Beitrag zu leisten97, wie jedoch die „permanente Einkommenshypothese" ist auch die Lebenszyklustheorie auf die Möglichkeit langfristig rationalen Planens und einen entsprechend hohen Informationsstand hin angelegt. Anpassungen über kürzere Lebensabschnitte werden jedoch in Wirklichkeit vorherrschen. Die Zunahme der Sparquote nach der Ölkrise und die Rezession dürften 98 ebenso wie Diskussionen um die Sicherheit von Renten stimulierenden Einfluß auf das Sparen in diesem Zusammenhang haben. Werden ,,die späteren Empfänge aus der Sozialversicherung als unsicherer angesehen . . . als spätere Erträge aus privaten Versicherungen und anderen Sparformen" 99, so kann eine Zunahme des Sparens bei einer Steigerung staatlicher Altersversorgung nicht als Widerlegung der Lebenszyklushypothese betrachtet werden. Für eine Minderung des Erklärungswertes der Lebenszyklushypothese und eine verstärkte Ausrichtung des Konsums am laufenden Einkommen, eine Verkürzung des Zeithorizontes also, werden auch Unvollkommenheiten der Märkte verantwortlich gemacht100. Koskela und Viren 101 kommen in einem internationalen Querschnittsvergleich sogar zum Ergebnis, daß der Erklärungswert von ,Sozialversicherungsvariablen' gering, dagegen ein ,degree of development of monetary systems'102 sich als maßgeblicher Bestimmungs95

Vgl.: Gedrückte Realeinkommen dämpfen private Sparneigung, a.a.O., S. 389. Vgl. Streißler , E.: What Kind of Microeconomic Foundations of Macroeconomics are Necessary? in: Harcourt , G.C. (Hrsg.): The Microeconomics Foundations of Macroeconomics, London 1977, S. 129. 96

97 Vgl. Ramser , H.-J.: Lebenszyklustheorie des Sparens: Zum Stand der Theorie, in: Bombach, G. u.a. (Hrsg.): Neuere Entwicklungen in der Theorie des Konsum Verhaltens, Tübingen 1978, S. 394 ff. 98 Vgl. Nerb, G.: Zur Konsumentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Bombach, G. u.a. (Hrsg.): Neuere Entwicklungen in der Theorie des Konsumenten Verhaltens, Tübingen 1978, S. 81. 99 Krelle, W.: Bericht über die Diskussion zum Referat H.-J. Ramser, in Bombach, G. u.a. (Hrsg.): Neuere Entwicklungen in der Theorie des Konsumentenverhaltens, Tübingen 1978, S. 433. 100 101 102

Vgl. Ramser, H.J.: a.a.O., S. 421. Koskela, E. und Viren, M.: a.a.O., S. 107 ff. Ebenda, S. 108.

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grund der durchschnittlichen Sparquote erweist. Auf die lebensaltersspezifische Unvollkommenheit des Kapitalmarktes, speziell die geringen Verschuldungsmöglichkeiten junger Haushalte und die wechselnde Familiengröße werden ,BuckeP in der altersspezifischen Konsumneigung, d.h. hohe Konsumneigungen im mittleren Alter erklärt, die der Lebenszyklustheorie ebenfalls zu widersprechen scheinen103. Neben der Begründung des Zusammenhangs zwischen Wachstumsrate und Sparquote, dem Herausarbeiten der Rolle von staatlicher Sozialversicherung und Unsicherheit, sowie der Bedeutung von Marktunvollkommenheiten für den Sparprozeß betont die Lebenszyklushypothese die Bedeutung des Vermögens. Da Unsicherheit und unvollkommene Kapitalmärkte die Planungszeiträume verkürzen, kommt dem Vermögenseinfluß in Wirklichkeit nicht die Bedeutung zu, die er nach der Hypothese des permanenten Einkommens und der Lebenszyklushypothese haben sollte. Es bleibt aber dennoch die Frage, ob es keinen unmittelbaren Einfluß des Vermögens auf Spar- und Konsumverhalten gibt und welche Rolle ihm im Zusammenhang mit Zins- und Inflations Wirkungen zukommt.

V I . Direkter Vermögenseinfluß und die Wirkung von Zins- und Inflationsänderungen

Die Frage nach dem unmittelbaren Einfluß von Vermögen auf das Sparen ist kontrovers 104. Katona sieht in den Anspruchsniveaus die Ursache für den positiven Zusammenhang zwischen Spar- und Vermögenshöhe105. Direkter Nutzen wird dem Vermögen im Hinblick auf das Sicherheitsmotiv zugeordnet und wenn letzteres ein superiores Gut ist, müßte mit steigenden Einkommen und damit angestrebten überproportionalem Vermögensbestand die Sparquote langfristig zunehmen. Die Frage stellt sich ferner, ob nicht auch die Möglichkeit des Vererbens mit zunehmender Sparfähigkeit der Älteren steigende Bedeutung erfährt, und ob schließlich der Sparprozeß und das Reicherwerden nicht große Bedeutung als Selbstzweck haben 106 . Bei den beiden zuletzt erwähnten Zusammenhängen mag auch die Möglichkeit selbstverstärkender Effekte bestehen, bei welchen der einmal erfahrbar ge103

Vgl. Krelle, a.a.O. Vgl. hierzu: Fisher, D.: a.a.O., S. 79 ff. 105 Vgl. Katona, G.: Psychological Economics, New York 1975, S. 153- 156 und S. 244-251, sowie derselbe: Psychology and Consumer Economics; Journal of Consumer Research, Vol. 1, 1974, S. 1 - 8 . 106 Vgl. Wiswede, G.: Motivation und Verbraucherverhalten, München 1973, S. 40 ff. 104

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wordene Akkumulationserfolg sich selbst vorantreibt. Im Sinne der Motivationstheorie können demgemäß die in Umfragen festgestellten Ergebnisse über das mit steigendem Einkommen zunehmende Vererbungsmotiv 107 auch Rationalisierungen eines geizigen Verhaltens sein. Besondere Bedeutung für das Sparverhalten erhält jedoch liquideres Vermögen als Vehikel von Übertragungen für Zins- und Inflationsänderungen. Begrenzte Liquidität bei unvollkommenen Kreditmärkten verkürzt Planungszeiträume und macht Konsumfunktionen keynesianischer im Sinne zunehmenden Einflusses laufender Einnahmen108. Was die Einflüsse der Inflation auf das Spar- bzw. Konsumverhalten angeht, so kann hier auf die umfassende und kontroverse Literatur zum Realkasseneffekt nicht eingegangen werden, und eine Beschränkung auf neuere empirische Untersuchungen erfolgen. Ungern-Sternberg 109 kommt zu dem Ergebnis, daß im Bestreben, eine bestimmte reale Kasse zu halten, Haushalte auf Inflation mit zunehmendem Sparen reagieren und ein um die inflationsbedingten Einkommensverluste korrigiertes Einkommen demgemäß gute Spar- und Konsumfunktionen liefert. Pesaran und Evans 110 bestätigen diesen Zusammenhang zwar nicht für liquidere Mittel, bekommen dagegen den entsprechenden signifikanten Einfluß bei Verlusten durch Aktionskursänderungen. Es ist unmittelbar einleuchtend, daß Sparguthaben in einer sehr engen Beziehung zur Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern stehen. Inflationsbedingte Realvermögensminderungen drosseln demgemäß die Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern und führen zu steigenden Ersparnissen. In diesem Bereich haben auch Änderungen der relativen Preise ihren stärksten Einfluß auf das Sparverhalten, wie Streißler an einem drastischen Beispiel für die PKW-Nachfrage in Österreich zeigt 111 . Was den Einfluß der Inflationsrate auf den Sparprozeß in der Bundesrepublik nach dem 2. Weltkrieg angeht, so hat sich von einem anfänglich drosselnden Einfluß der Inflation auf das Sparen zunehmend eine Umstellung im Hinblick auf eine Stimulierung durch die Inflation ergeben. Dies kann zum einen durch die zunehmende Bedeutung des Ansparkonsums erklärt werden 112, zum anderen aber auch durch das Bemühen, ein bestimmtes 107 Vgl. Bohn, P.: Konsumenten- und Sparerverhalten; Ihre Bedeutung für Finanz- und Konjunkturpolitik, Stuttgart 1969, S. 95. 108 Vgl. Fisher, D.: a.a.O., S. 85. 109 von Ungern-Sternberg , T.: Inflation and Savings: International Evidence on InflationInduced Income Losses, in: The Economic Journal, Vol. 91, 1981, S. 961 ff. 110 Peasaran , M.H. and Evans, R.A.: Inflation, Capital Gains and U.K. Personal Savings: 1953- 1981, in: The Economic Journal, Vol. 94, 1984, S. 237 ff. 111 Streißler , E.: Theorien der Konsumfunktion, a.a.O., S. 21.

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Realvermögen zu sichern, ohne dabei verstärkt in Sachwerten anzulegen. Die in der Bundesrepublik vor allem in Anbetracht hoher Inflationsraten in den Jahren 1971/72 diskutierte „Flucht in die Sachwerte" als Reaktion auf Preisniveausteigerungen gilt als unbewiesen113, vielmehr ist überwiegend „Sparförderung durch Inflationierung" 114 festzustellen, wobei die Signifikanz unterschiedlich beurteilt wird 1 1 5 . Was nun den Zinseinfluß auf Sparen und Konsumieren betrifft, so besteht über seinen Einfluß an sich Klarheit, lediglich über die Richtung der Wirkung zeichnet sich kein klares Bild ab. Die Entwicklung in der Bundesrepublik kennzeichnet diese Problematik. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg bei Dominanz des Ansparens führten steigende Zinsen zur Einschränkung der Spartätigkeit 116, während sie in den 70er Jahren schichtspezifisch unterschiedlich wirken, bei Rentenund Sozialhilfeempfängern die Ersparnis drosseln, bei Haushaltsgruppen besser Verdienender jedoch mit Verzögerung stimulierend auf das Sparen wirken. Im Falle von Ansparen auf ein bestimmtes Sparziel, sei es ein dauerhaftes Konsumgut oder ein für das Sicherheitsbedürfnis bestimmtes liquides Realvermögen, wird ein zunehmender Realzins das Sparen drosseln. Wird davon ausgegangen, daß die privaten Haushalte Nettogläubiger sind, so erhöhen steigende Zinsen die Einkommen und damit sowohl Konsum als auch Sparen. Im Falle einer Sparfunktion zunehmender durchschnittlicher Sparneigung kann die gesamtwirtschaftliche Sparquote steigen, zumal wenn zu diesem Einkommenseffekt noch der Substitutionseffekt kommt, der bei höherem Zins entsprechend der neoklassischen Theorie Sparen für zukünftigen Konsum attraktiver erscheinen läßt. Wenn Wahlmöglichkeiten zwischen staatlicher und privater Alterssicherung bestehen, werden höhere Zinsen ceteris paribus letztere attraktiver machen und nach üblicher Definition die Sparquote der privaten Haushalte steigern. Diese Wirkung kann auch über eine Umverteilung zustande kommen. Bei Konsumentenkrediten wird eine Zinssteigerung bei Schuldnern das ,verfügbare' Einkommen drosseln, bei Gläubigern dagegen erhöhen. Wird davon ausgegangen, daß erstere eine höhere Konsumneigung aufweisen als letztere, so 112

194 ff.

Vgl. Blümle, G.: Zur Theorie des Sparens in einer wachsenden Wirtschaft, a.a.O., S.

113 Vgl. Kieps, K.: Inflation und Sparen; Eine theoretische, statistisch-empirische und wirtschaftspolitische Untersuchung Berlin 1979, S. 124. 114 Ebenda, S. 92. 115 Ebenda, S. 123-124 Zweifel an der Signifikanz, im Gegensatz dazu: Maier, K.M.: a.a.O., S. 289 f. 116 Vgl. Maier, K.M.: a.a.O., S. 290.

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könnte durch diese Umverteilung ein Ansteigen des Sparens bei steigendem Zins begründet werden. Auf die zinsbedingte Umschichtung zwischen Haushaltsersparnis und umverteilten Gewinnen und ihren Einfluß auf die Sparquote wurde bereits verwiesen. Weshalb Zinswirkungen also ein bestimmtes Vorzeichen haben, läßt sich vielfältig begründen. Lüdeke und andere kommen bei ihren Schätzungen für die Bundesrepublik zu einem konsummindernden und damit ersparnisanregenden Einfluß des Zinses117. In Wirklichkeit dürfte jedoch der Zinseinfluß sich nicht durch einen bestimmten Zins oder einen Durchschnittszins befriedigend ausdrücken lassen. Zinserwartungen und damit auch die Zinsstruktur 118 dürften nicht nur beim Bausparen einen ganz erheblichen Einfluß haben. Insofern als in der Bundesrepublik das Sparen zunehmend ertragsorientiert wurde 119 und „ökonomisch wertvollere" 120 Sparformen bevorzugt werden, erhalten Anlagemöglichkeiten und unterschiedliche Zinsen größere Bedeutung und wird der Zusammenhang zwischen Zins und Sparen zwar tendenziell positiv, aber zunehmend komplexer. So haben sich die Geldvermögen der privaten Haushalte in der Zeit von 1970 bis 1983 fast vervierfacht, die Anlagestruktur hat sich dabei deutlich verändert. Der Anteil der Sparbucheinlagen ist von circa 40 v.H. auf circa 30 v.H. gesunken, der Anteil von Bargeld und Guthaben auf Girokonten von circa 10 v.H. auf circa 7,5 v.H. zurückgegangen, während der Anteil von Sparbriefen und Termineinlagen stark zugenommen hat und ebenso das Wertpapiersparen vor allem in festverzinslichen Papieren 121. Insbesondere spielen aucfa die Unterschiede zwischen Haben- und Sollzinsen eine erhebliche Rolle, was den Wechsel von Konsumentenkrediten zu Ansparen angeht, und bedingen solchermaßen Schwellen, die plötzliches Umschwenken des Sparens in mittelfristiger Sicht bewirken können.

V I I . Langfristige Tendenzen

Während in der Beschäftigungspolitik die Renaissance .Keynes'scher Ideen noch auf sich warten läßt, zeichnet sie sich in der Konsum- und Spartheorie bereits ab 1 2 2 . Zunehmend tritt die Frage der Stagnationsthese wieder in den 117

Lüdeke, D. u.a.: a.a.O., S. 165. Vgl. Evans , M.K.: Macroeconomic Theory, New York 1969, S. 19. 119 Vgl. Maier, K.M.: a.a.O., S. 294. 120 Ebenda, S. 297. 121 Vgl. iwd; Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft, Jg. 10, 31. August 1984, S. 1. 118

122

Vgl. Streißler,

E.: Theorien der Konsumfunktion, a.a.O., S. 2.

Zum heutigen Stand der Theorie des Sparens

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Blickpunkt des Interesses, die Frage ob die kurzfristige' Konsumfunktion nicht auch eine ,langfristige' ist. Der die Stagnationsthese bestätigende Trend der Sparneigung ergibt sich für die Bundesrepublik bis 1975 und mit der entsprechenden Verzögerung in der Literatur 123 . Für die Zeit von 1975 bis 1983 zeigt sich dagegen ein deutlicher Trend abnehmender durchschnittlicher Sparneigung, der verschiedentlich auch schon früher prognostiziert wurde 124 . Unabhängig davon bleibt jedoch zu fragen, ob es nicht andere Gründe für eine Bestätigung der Stagnationsthese gibt. In zahlreichen Untersuchungen wird zunehmendes Sicherheitsbedürfnis festgestellt, in Umfragen werden Sättigungserscheinungen bestätigt und hinsichtlich der Wertvorstellungen kommt es zu einer stärkeren Betonung immaterieller Werte. Insbesondere zeichnet sich ein Strukturwandel zu Güterp ab, denen ein gewisser Geltungsnutzen zukommt 125 . Die Frage bleibt jedoch, ob dies zwangsläufig Folgen für die Sparquote hat. Der langfristige Trend im privaten Verbrauch der Bundesrepublik weist auf zunehmende Bedeutung von Ansparkonsumgütern hin 1 2 6 , und damit wird mit wachsenden Einkommen mit der Nachfrage nach diesen Gütern auch die Sparquote steigen. Im Bereich von Sicherheit, Gesundheit und Bildung sind hohe Einkommenselastizitäten festzustellen 127, wobei die entsprechende Nachfrage in der Bundesrepublik oft staatlich befriedigt wird. Es stellt sich diesbezüglich die Frage, ob eine Privatisierung in diesen Bereichen nicht verbilligend, nachfrage- und beschäftigungsstimulierend sein könnte. Die hohe Einkommenselastizität der Freizeitgüter und der Freizeit wird die Nachfrage nach zeitsparenden Gütern und Diensten erhöhen und zu einem ,güterintensiveren' Konsum führen 128 . Die schichtspezifische Ausstattung mit dauerhaften Konsumgütern führt Schmidt zum Schluß, ,,daß das Problem einer drohenden Bedarfssättigung vielleicht einmal" das Problem ,,des Jahres 2076 sein kann, aber nicht dasjenige des Jahres 1976" 129 . Die zunehmende Bedeutung der Ansparkonsumgüter und des Ertragsmotivs beim Sparen dürfte jedoch zwei Folgen für die künftige Entwicklung haben. Zum einen 123 Vgl. Nerb, G.: Zur Konsumentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Bombach, G. u.a. (Hrsg.): Neuere Entwicklungen in der Theorie des Konsumenten Verhaltens, Tübingen 1978, S. 81. 124 Vgl. Maier, K.M.: a.a.O., S. 350 f. 125 Schmidt, K.D.: Sättigungserscheinungen beim privaten Verbrauch?, in: Weltwirtschaft im Übergang, Kieler Diskussionsbeiträge 45, 1976, S. 16. 126 Nerb, G.: a.a.O., S. 44. 127 Vgl. ebenda, S. 53-54. 128 Vgl. Seifert , Α.: The Time-Saving Multiplier, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 132, 1976, S. 87. 129 Schmidt, K.D.: a.a.O., S. 17.

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Gerold Blümle

würden sich die Sparneigungen sozioökonomischer Gruppen, von den Arbeitslosen abgesehen, einander annähern. Die Bedeutung der Einkommensverteilung für die Sparquote 130, die zwar unmittelbar einleuchtet, in den wenigen vorliegenden Untersuchungen jedoch umstritten bleibt 131 , dürfte damit zurückgehen. Zum anderen bleibt unabhängig von der Gültigkeit der Stagnationsthese zu beachten, daß mit zunehmender Bedeutung des frei verfügbaren (diskretionären) Einkommens, welches in der Bundesrepublik bereits ein Drittel des gesamten Nettoeinkommens der Durchschnittshaushalte ausmacht132, das Nachfrageverhalten schlechter prognostizierbar und Beschäftigungspolitik entsprechend Keynesiamschcn Vorstellungen schwieriger wird 1 3 3 . Trotz aller Bemühungen und Erfolge der Theorie der Konsumfunktion scheinen die aus ihr herleitbaren Folgerungen bezüglich der Sparquote und ihrer Bestimmungsgründe nicht auszureichen, um einer Verstärkung mittelfristiger Ablaufpolitik im Falle ihrer wirtschaftspolitischen Wiederentdeckung zum Erfolg zu verhelfen.

130 Vgl. hierzu: Skott , P.: On the 'Kaldorian ' Saving Function, in: Kyklos, Vol. 34, 1981, Fask. 4., S. 563 ff. 131 132 133

Vgl. Fisher , D.: a.a.O., S. 52. Vgl. Nerb , G.: a.a.O., S. 73. Vgl. auch Schmidt , K.D.: a.a.O., S. 20.

Kapitalbildung und volkswirtschaftlicher Entwicklungsprozeß Von Ulrich Schlieper, Mannheim

I.

Die Kapitalbildung spielt im Prozeß der wirtschaftlichen Entwicklung eine wichtige Rolle, denn die Bildung von Sach- und Humankapital ist eine notwendige Bedingung für wirtschaftliches Wachstum. Mit dieser Aussage sind wirtschaftliches Wachstum und wirtschaftliche Entwicklung als synonyme Ausdrücke benutzt worden. Damit soll nicht gesagt sein, daß es nicht wirtschaftliche „Entwicklung" auch ohne wirtschaftliches Wachstum (im Sinne der nachhaltigen Zunahme des Sozialproduktes bzw. des Pro-Kopf-Einkommens) geben kann. Es ist hier jedoch nicht der Ort, im einzelnen auf die möglichen Unterschiede beider Begriffe einzugehen. Im Rahmen dieser Abhandlung wird wirtschaftliche Entwicklung als wirtschaftliches Wachstum und damit als Wachstum der Realeinkommen angesehen. Die neoklassische Wachstumstheorie hat im Rahmen makroökonomisch orientierter Modelle sehr viel dazu beigetragen, die Beiträge von Humankapital, Sachkapital und technischem Fortschritt in theoretischer Hinsicht zu klären und die Grundlage für eine ganze Reihe von empirischen Untersuchungen gelegt. Die wirtschaftspolitische Anwendung — insbesondere beim Problem der Entwicklungshilfe — verzeichnet dagegen wenig Erfolge. Die Erfahrungen mit der Kapitalhilfe und mit Investitionsprogrammen für Entwicklungsländer zeigen, daß Kapitalbildung allenfalls eine notwendige, aber noch lange keine hinreichende Bedingung für nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum ist. Die Nachkriegserfahrungen in Entwicklungsländern bestätigen die Vermutung, daß makroökonomische Wachstumsmodelle nicht die mikroökonomischen und institutionellen Bedingungen behandeln (können), die ebenfalls für anhaltendes wirtschaftliches Wachstum notwendig sind. Obgleich die makroökonomische Betrachtung hier im Mittelpunkt stehen wird, soll auf einige Aspekte der mikroökonomischen und institutionellen Bedingungen kurz eingegangen werden.

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Ulrich Schlieper

Die neoklassische Theorie — und insbesondere die neoklassische Wachstumstheorie — geht von einem gegebenen institutionellen Rahmen und damit von einem gegebenen System der Anreize und Sanktionen aus. Die ökonomische und politische Organisationsstruktur gehört zum Datenkranz und ist außerdem so gestaltet, daß die Koordination dezentralisierter Wirtschaftspläne zufriedenstellend gelöst wird. In der längerfristigen historischen Perspektive haben aber gerade Änderungen dieser Organisationsstruktur eine bedeutende Rolle gespielt, und die Frage einer wachstumsfördernden wirtschaftlichen Organisationsform ist für die Lösung des Entwicklungsproblems der Länder der Dritten Welt von großer Bedeutung. Folgt man der Argumentation von North (1977, 1981), dann ist das Instrument der Theorie der Eigentumsrechte und d,er Transaktionskosten geeignet, um den Zusammenhang von Änderungen der Organisationsstruktur, der Kapitalbildung und der wirtschaftlichen Entwicklung zu untersuchen. Bereits der Übergang zu einer Agrarwirtschaft setzte die Entstehung eines neuen Systems von Eigentumsrechten an Pflanzen, Tieren und Boden voraus; der Schutz dieser Rechte gegenüber Gruppenfremden erforderte größere Verteidigungsanstrengungen, Bewässerungssysteme verlangten eine recht komplexe Form der sozialen Organisation, und schließlich bedeutet die mit dem Ackerbau verbundene Zunahme der Arbeitsteilung ein differenzierteres System der Koordination und der Güterverteilung. Die Mindestgröße der politisch-ökonomischen Einheiten für effizientes Wirtschaften nahm zu, die Organisationsstruktur entwickelte sich in Richtung auf den Staat. Ein System von Eigentumsrechten kann sich nicht entwickeln, wenn Kosten der Durchsetzung dieser Rechte (also allgemein die Transaktionskosten) zu hoch sind. Kapitalbildung wird nur dann vorgenommen, wenn die Erträge aus dieser Kapitalbildung (Ernteerträge, Gewinne usw.) auch denen zufließen, die für die Kapitalbildung gesorgt haben. Wenn jeder sich die Erträge beliebig aneignen kann, dann lohnt Kapitalbildung nicht und sie unterbleibt. Außerdem ist jeder Akt der Kapitalbildung eine intertemporale Entscheidung und setzt ein gewisses Vertrauen in den Fortbestand der Eigentumsrechte und ihrer Durchsetzungsmöglichkeiten voraus. Die Bedeutung von Eigentumsrechten dürfte aber nicht nur in der historischen Betrachtung liegen. Die Kontroverse zwischen angebots- und nachfrageorientierter Wirtschaftspolitik kann auch unter dem Blickwinkel der Struktur der Eigentumsrechte und der Transaktionskosten gesehen werden. Maßnahmen der Deregulierung von Märkten, der Protektion heimischer Produzenten gegenüber Importeuren, der Subventionierung nicht wettbewerbsfähiger Industrien, der Förderung bestimmter Formen der Ersparnis-

Kapitalbildung und volkswirtschaftlicher Entwicklungsprozeß

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bildung, Konjunkturprogramme für die Bauwirtschaft usw. sind letztlich alles Eingriffe, die auch die Struktur der Eigentumsrechte und der Transaktionskosten ändern und es erleichtern oder erschweren, dem Verursacher sozialer Erträge zu erlauben, sich diese auch anzueignen. Wirtschaftspolitische Maßnahmen sind häufig auch Eingriffe in die Struktur der Eigentumsrechte und verändern auf längere Sicht unter Umständen die mit der Durchsetzung von Eigentumsrechten verbundenen Transaktionskosten. Die Struktur der Eigentumsrechte ihrerseits aber beeinflußt die Entscheidungen über Arbeitsangebot, Ersparnis, Investition und Innovationsanstrengungen und damit den Prozeß der Kapitalbildung und der wirtschaftlichen Entwicklung. Nach diesen Vorbemerkungen über die institutionellen Hintergründe werden nun die makroökonomischen Konsequenzen der Kapitalbildung im Wachstumsprozeß aufgezeigt.

II.

Der wesentliche Beitrag der Wachstumstheorie — insbesondere der neoklassischen Variante dieser Theorie — besteht in der Untersuchung des Beitrags der Spartätigkeit zum Wachstumsprozeß. Die Koordination der Sparund Investitionsentscheidungen ist annahmegemäß perfekt: der Teil des Produktionspotentials, der nicht für den Verbrauch genutzt wird, dient der Produktion von Investitionsgütern und erhöht den produktiven Kapitalstock. Die Spartätigkeit determiniert somit die Kapitalakkumulation und ist eine wesentliche Determinante des Wachstumsprozesses. Das langfristige Gleichgewicht (,,steady state") in diesen Modellen ist bestimmt durch die Wachstumsrate der exogen gegebenen Produktionsfaktoren (in der Regel die Bevölkerung), die Art des (in der Regel ebenfalls als exogen angenommenen) technischen Fortschritts und des Sparverhaltens. Ein optimales Wachstumsgleichgewicht im Sinne der Maximierung des ProKopf-Konsums erfordert, daß die Sparrate gleich der Produktionselastizität des Kapitalstocks ist. Im Fall einer Cobb-Douglas-Produktionsfunktion ist das eine Konstante, bei anderen Produktionsfunktionen hängt die optimale Sparrate auch von anderen Parametern ab, beispielsweise der Bevölkerungswachstumsrate. Das Sparverhalten hat aber keinen Einfluß auf die Höhe der gleichgewichtigen Wachstumsrate, da diese durch die Wachstumsraten der exogenen Größen (Bevölkerung, technischer Fortschritt usw.) bestimmt ist. Ein einfaches Wachstumsmodell mag dazu dienen, die angesprochenen Zusammenhänge zu illustrieren. Bezeichnet Y das Nettosozialprodukt, Κ den Kapitalstock, Ν das als reallohnunabhängig angenommene Arbeitsan-

Ulrich Schlieper

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gebot, S die Ersparnis und I die Nettoinvestition, dann wird die zeitliche Entwicklung der Größen wie folgt beschrieben: (1)

Y = ΚαΝ* "

(2)

S = sY;

(3)

Κ = sY

(4)

Ν = N0ent

;

0 < α < 1 0 < s < 1

und für die Wachstumsraten (mit A bezeichnet) gilt

Dabei ist (5)

α

Ϋ = αΚ +

(1-*)η

(6) i - . Q Das Wachstumsgleichgewicht („steady state") ist erreicht, wenn Y = £ = n, also Υ= η Κ

s

Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt im „steady state"

£ - · = ( ϊΓ· während der Pro-Kopf-Verbrauch die Größe c* = y* (1 - s )

annimmt und sein Maximum bei s = a erreicht. Verschiedentlich ist der Einfluß der Einkommensverteilung auf die gesamtwirtschaftliche Sparrate untersucht worden. Von Pasinetti (1962) stammt das bemerkenswerte Resultat, daß die Kapitalintensität (und damit durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen, Zinssatz und Reallohn) nur von der Sparrate der Kapitaleinkommensbezieher (der „Kapitalisten") abhängt, nicht aber von der Sparrate der Arbeitnehmerhaushalte. Samuelson und Modigliani (1966) haben gezeigt, daß Pasinettis Resultat ein Spezialfall ist. Allgemein gilt, daß die Sparrate der Arbeitnehmerhaushalte alleinentscheidend für den Gleichgewichts-Wachstumspfad wird, wenn sie eine bestimmte Grenze überschreitet. Das Ergebnis läßt sich aus obigem Modell herleiten, wenn s w die Sparrate der Arbeitnehmerhaushalte und Sk diejenige der „Kapitalisten" bezeichnet. Aus (3) wird dann (Grenzproduktivitätsentlohnung der Arbeit unterstellt): Κ = s k r K k + Sw [ ( I - α ) Y + r K w ] .

Wird unterstellt, daß der Zins gleich der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals ist (also r = α γ ) und Kk + K w = Κ berücksichtigt, dann ist

Kapitalbildung und volkswirtschaftlicher Entwicklungsprozeß

(7) Κ = sk

57

K k + s« [(1 -oc) Y + α γ Κ«,].

Offensichtlich wächst der Kapitalstock der ,,Kapitalisten" mit der Rate ftk = Sk α

γ.

Im langfristigen Gleichgewicht muß K k = η gelten, also ist (*)* = ^ u n d

(8)

y

.

=

(ψ)

^

Setzt man auch £ = η und Kk/K = z, dann folgt mit Hilfe von (7) für den Anteil der Kapitalisten am gesamten Kapitalstock: (>) z* =

ig^J

Man sieht, daß ζ* ^ 0 erfordert, daß aSk ^Sw. Andernfalls sinkt der Anteil der ,,Kapitalisten'4 am Kapitalstock auf nahezu Null. Vermöge (7) und R = η ist das Gleichgewichtseinkommen bei s w g aSk: Οι

(10) y* =

1 = 5

Auf den ersten Blick ist das Ergebnis überraschend, da die Zunahme der Sparrate einer Gruppe von Haushalten bei Konstanz der Sparrate der anderen nichts an der Rate der Kapitalakkumulation im Wachstumsgleichgewicht ändert. Bei genauerem Hinsehen bemerkt man freilich, daß die Erhöhung der Sparrate der Arbeitnehmerhaushalte auf Dauer ihren Anteil am gesamten Vermögen erhöht und dadurch wieder die gesamtwirtschaftliche Sparrate reduziert (solange sga >s w ). Bei s w è sga schließlich verändert sich die Vermögensverteilung mit der Zeit so, daß der Anteil der Arbeitnehmerhaushalte am Gesamtvermögen gegen den Wert eins strebt. Es dürfte interessant sein, im Rahmen dieser Analyse die Wirkung von Umverteilungsmaßnahmen auf die Kapitalbildung und die Einkommensentwicklung zu untersuchen. Es sei unterstellt, daß die Einkommen der „Kapitalisten" mit dem Steuersatz θ belastet werden und den Arbeitnehmern ein Transfereinkommen in Höhe des Steueraufkommens zufließt. Aus der Gleichung (7) wird nun (11) Κ = sk (1 -θ)

K k + Sw [(1 - α ) Υ +

K w + θα | K k ] .

Für das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen ergibt sich: (12a) y· =

^

; wenn ask (1-Θ) > Sw

58 (12b) y* =

Ulrich Schlieper ; wenn s w gilt, hat eine Umverteilung im geschilderten Sinne einen kontraktiven oder gar keinen Effekt für das gleichgewichtige ProKopf-Einkommen. Können wenigstens die Arbeitnehmer von der Umverteilung profitieren? Im Falle (12b) können sie das offensichtlich nicht, da hier der Anteil der „Kapitalisteneinkommen" gegen Null strebt. Liegt (12a) vor, dann ist das Pro-Kopf-Einkommen der Arbeitnehmer (13) y* w = y* (1-αζ(1-Θ)) und dafür kann gezeigt werden, daß δγ\/δθ < 0 ist, eine Einkommensumverteilung von „Kapitalisten" zu Arbeitern das Pro-Kopf-Einkommen der Arbeiter langfristig sinken läßt. Kurzfristig hätte eine Umverteilungsmaßnahme selbstverständlich die Wirkung, daß die Einkommen der Begünstigten steigen. Die langfristigen Wirkungen treten ein, wenn sich die Kapitalakkumulation an die geänderte Ersparnis angepaßt hat.

III.

Die Sparrate kann durch finanzpolitische Maßnahmen über Steuern und Ausgaben des Staates sowie über direkte Fördermaßnahmen beeinflußt werden. Im Rahmen von Wachstumsmodellen läßt sich die Auswirkung von Änderungen der Steuer- und Ausgabensätze diskutieren, wobei die behandelte neoklassische Variante die einfachste Version ist. Die Konsequenzen sind offenkundig: eine Erhöhung der Steuerquote läßt ceteris paribus die gesamtwirtschaftliche Sparquote zunehmen und führt zu höherem Einkommen, während eine Erhöhung der staatlichen (konsumtiven) Ausgabequote die Ersparnis senkt und das langfristige Gleichgewichtseinkommen negativ beeinflußt. Zieht man Wachstumsmodelle heran, deren mikroökonomische Basis weiter ausgearbeitet ist, dann sind die Konsequenzen zwar prinzipiell nicht anders, aber es kann die Frage eines optimalen Wachstums anspruchsvoller diskutiert werden (Arrow und Kurz (1970), Sinn (1985)). Die Sparentscheidungen der privaten Haushalte basieren auf einem intertemporalen Entscheidungskalkül, Spar- und Investitionsentscheidungen werden perfekt über Kreditmärkte koordiniert, und solange die Zeitpräferenzrate der Haushalte über den Zinsmechanismus der Grenzleistungsfähigkeit der Investi-

Kapitalbildung und volkswirtschaftlicher Entwicklungsprozeß

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tionen angeglichen wird (und natürlich alle übrigen Optimalitätsbedingungen erfüllt sind), kann man von effizienten Wachstumspfaden (im Sinne der Pareto- Optimalität) sprechen. Bezüglich der Begründung staatlicher Interventionen gibt es einen wichtigen Unterschied zu der Art der oben behandelten Wachstumsmodelle: in den Modellen à la Solow (1956) ist die Sparrate der Haushalte exogen gegeben, und sie kann daher nur zufällig mit irgendeinem Optimalitätskriterium vereinbar sein. Die Herstellung der Optimalität verlangt staatliche Eingriffe. Basieren die Sparentschlüsse der Haushalte jedoch auf einem intertemporalen Optimierungskalkül, erfüllt ein resultierendes Marktgleichgewicht (bei Abwesenheit externer Effekte usw.) die Bedingungen der Pareto-Optimalität. Insofern haben Modelle der ersteren Art eine eingebaute Tendenz zu staatlichen Interventionen, während Modelle der zweiten Art die Neutralität des Steuersystems verlangen (Sinn (1985), Kap. II und X). Der Einfluß der öffentlichen Schuld und des Systems der Sozialversicherung auf das Sparverhalten ist bislang umstritten. An dieser Stelle können lediglich die wichtigsten Positionen aufgezeigt werden. Zunächst zur öffentlichen Schuld. Auf der einen Seite kann man sagen, daß in Höhe der öffentlichen Verschuldung Wertpapiere des Staates vom privaten Sektor erworben und damit Vermögen gebildet wird. Das Vermögen ist damit höher als der volkswirtschaftliche Kapitalstock, und die Ersparnis fällt geringer aus. Anders gewendet: mit den Zinszahlungen auf die staatlichen Schuldtitel nimmt das verfügbare Einkommen zu, der Konsum steigt und die gesamtwirtschaftliche Ersparnis sinkt. Kreditfinanzierung des öffentlichen Haushalts vermindert die Kapitalbildung. Dieses Argument — soweit es die theoretische Analyse betrifft — wurde bereits von Ricardo widerlegt. In Höhe der künftigen Zinszahlungen und Tilgungen muß der Staat in der Zukunft entsprechende Steuern erheben. Wenn man diese künftigen Steuerzahlungen zum entsprechenden Zinssatz abdiskontiert, sind sie genausoviel wert wie die heutige Schuld. Rationales Verhalten und entsprechende Informationen bei allen Privaten vorausgesetzt, wird der private Sektor durch die Staatsschuld nicht reicher. Bei voller Antizipation der künftigen Steuern hat die Staatsschuld keinen Einfluß auf die Sparentscheidungen — ob der Staat seine Ausgaben mit Steuern oder durch Verschuldung finanziert, ist für die intertemporale Allokation unerheblich. Die Neutralität der Staatsschuld entspricht den Hypothesen der „Neuen klassischen MakroÖkonomik", die unter anderem besagen, daß der Staatsanteil durch die Größe seiner Ausgaben für Güter und Dienste bestimmt wird, unabhängig davon, wie diese Ausgaben finanziert werden (vgl. z.B.

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Ulrich Schlieper

Tobin und Buiter (1980), S. 40). Formal ist diese Neutralität von Barro (1974) in einem Modell mit überlappenden Generationen gezeigt worden, wobei das Vererbungsmotiv eine wichtige Rolle spielt. Kann damit gesagt werden, es sei gleichgültig, wie hoch sich der Staat bei seinen Bürgern verschuldet? Nicht unbedingt. Ricardo hat zwar das theoretische Argument für die Neutralität der Staatsschuld geliefert, gleichzeitig hat er aber auch vehement die praktische Relevanz und empirische Gültigkeit des theoretischen Arguments bestritten. Ricardo gibt dafür zwei Gründe an, die miteinander zusammenhängen. Der eine Grund liegt in dem, was mit ,,Staatsschuldillusion4 4 bezeichnet wird und nichts anderes besagt, als daß die Bürger die künftigen Steuern zu niedrig einschätzen und sich reicher fühlen, wenn die Regierung heute keine Steuern erhebt, sondern Schuldscheine verkauft. Zum zweiten sah Ricardo die Möglichkeit der Steuerpflichtigen, den künftig zu erwartenden Steuern auszuweichen — im Extremfall durch Auswanderung. Damit gewinnt das Argument eine neue Dimension. Wird die Möglichkeit der Steuervermeidung mit in Betracht gezogen, dann ist es durchaus rational, die künftigen Steuern nicht in voller Höhe in die Entscheidungen mit einzubeziehen. Die Folgen können allerdings gravierender sein: die Schuldenfinanzierung vermindert nicht nur die heutige Ersparnisbildung, in Erwartung der künftig höheren Steuerlast werden Anlageformen der Ersparnisse und möglicherweise Beschäftigungsverhältnisse so gewählt, daß der künftige Zugriff des Fiskus erschwert ist. Diese Gefahren (verringerte Ersparnis und Versuche der Steuervermeidung) waren es, die Ricardo von/einer Kreditfinanzierung der Staatsausgaben abraten ließ (Ricardo (1971), S. 148). Die Hypothese der Neutralität der Staatsschuld kann aber auch theoretisch in Zweifel gezogen werden. Die Begründungen durch Ricardo und der formale Ansatz bei Barro gehen davon aus, daß der Staat in Höhe der künftigen Zinszahlungen und der notwendig werdenden Tilgungen auf jeden Fall zusätzliche Steuern erhebt. Man kann fragen, ob das unbedingt notwendig ist, oder ob das Defizit nicht fortlaufend durch immer neue Kredite finanziert werden kann. Es leuchtet ein, daß ein solches Vorhaben in einer stationären Wirtschaft zum Scheitern verurteilt ist. Die Schuld würde ständig wachsen, während die Einkommen konstant bleiben, und man kann ausrechnen, wann die Zinszahlungen auf die Staatsschuld das Sozialprodukt übersteigen. Dauernde Defizitfinanzierung ist also allenfalls in einer wachsenden Wirtschaft möglich. Es läßt sich in der Tat zeigen, daß in einem gewissen Bereich dauernde Defizitfinanzierung durch Kreditaufnahme möglich ist, ohne daß das System instabil wird (,Schlieper (1984), Carlberg (1983)).

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In diesen Modellen sehen die Haushalte durchaus die Staatsanleihen als zusätzliches Vermögen an und erhöhen ihren Konsum entsprechend. Ein permanentes Defizit, das ständig durch weitere Kreditaufnahme finanziert wird, wirft für die Ricardianische Äquivalenzthese ein Problem auf: In diesem Modell ist der Staat nicht gezwungen, in der Zukunft höhere Steuern zu erheben (der Steuersatz bleibt annahmegemäß konstant), und höhere Steuern brauchen deshalb nicht von den Haushalten antizipiert zu werden. Sie tun das auch nicht, und die Wirtschaft bleibt auf einem Gleichgewichtspfad. Würden in diesem Fall die Haushalte höhere Steuern in der Zukunft erwarten und deshalb heute mehr sparen, dann wäre ein anderes Wachstumsgleichgewicht denkbar, bei dem aber die Haushalte in ihren Erwartungen höherer Steuersätze ständig enttäuscht werden. Insofern kann ein solcher Zustand kein Erwartungsgleichgewicht sein. Man kann dieses Puzzlespiel mit Erwartungen und langfristigem Gleichgewicht weiter komplizieren. Offensichtlich hängt ja die Notwendigkeit für den Staat, künftig höhere Steuern zu verlangen, davon ab, ob ein stabiler „steady state" erreicht wird. Die Stabilitätseigenschaften wiederum werden durch die Erwartungen über künftige Steuern beeinflußt. Es lassen sich zwei Arten von Gleichgewichtswachstumspfaden denken — einmal bei Erwartung entsprechender Steuerzuschläge und deren tatsächlicher Erhebung und einmal bei Erwartung unveränderter Steuersätze und dem Eintreten dieses Ereignisses. In einer wachsenden Wirtschaft verliert die These Ricardos auch in theoretischer Hinsicht an Eindeutigkeit. Die Frage der Neutralität der Staatsschuld ist nicht nur von theoretischem Interesse, sondern auch von praktischer Bedeutung. Auf der einen Seite ist zu fragen, ob es so etwas wie eine „Normalverschuldungsquote" gibt, wie sie der Sachverständigenrat konzipiert hat. Dann ist es aber auch wichtig zu wissen, wie eine solche Normalverschuldung auf die intertemporale Allokation und damit auf die Kapitalbildung wirkt. Auf der anderen Seite muß gefragt werden, wie der Ausgang dieser Debatte die Möglichkeiten der Verschuldung im Zuge einer Stabilisierungspolitik erweitert oder einschränkt. Die praktische Bedeutung dieses Problems wirft die Frage nach empirischer Überprüfung und ihren Resultaten auf. Zur Frage der Neutralität der Staatsschuld liegen einige Untersuchungen vor, die das Problem allerdings eher indirekt analysieren und testen. Die Ergebnisse sind außerdem nicht einheitlich (für eine vergleichende Würdigung dieser Ergebnisse siehe Tobin und Buiter (1980), S. 46 ff.). Die angestellte theoretische Betrachtung machte außerdem deutlich, daß die Antwort auf die Frage nach der Neutralität der Staatsschuld von den Erwartungen der

62

Ulrich Schlieper

Haushalte bezüglich der künftigen Steuerpolitik (oder Sanierungspolitik) der Regierung abhängt. Keine der bekannten empirischen Untersuchungen geht jedoch direkt auf die Frage der Erwartungen ein. Da diese Erwartungen ihrerseits aber wiederum von der Einschätzung der finanzpolitischen Konzeption der Regierung (und auch künftiger Regierungen) abhängt, wird man auch von empirischen Untersuchungen keine „endgültige" Antwort auf die Frage nach der Neutralität der Staatsschuld erhalten. Direkter ist empirisch der Einfluß eines Rentenversicherungssystems auf die Sparentscheidungen und die Kapitalbildung untersucht worden. Theoretisch liegen die Dinge ähnlich wie bei der Staatsschuld. Eine Rentenversicherung, die nach dem Kapitaldeckungsverfahren arbeitet, bedeutet einen entsprechenden Anteil am gesamtwirtschaftlichen Kapitalstock und eine Bindung der Renten an die Erträge aus diesen Anteilen, während die laufenden Beiträge zur Erhaltung (und gegebenenfalls zur Erhöhung) des Versicherungsvermögens benutzt werden. Sofern ein Zwang zum Abschluß einer solchen Versicherung besteht, wird dieser keinen oder einen positiven Einfluß auf die Ersparnis und damit die Kapitalbildung haben. Ein Rentenversicherungssystem nach dem Umlageverfahren kommt ohne ein entsprechendes Vermögen aus; die künftig zu zahlenden Renten werden aus den künftig zu erhebenden Beiträgen bestritten. Wenn nun künftige Rentenzahlungen und künftige Beitragszahlungen in gleicher Weise abdiskontiert in die heutigen Entscheidungen der Haushalte eingehen, dann hat das Umlageverfahren keine negativen Auswirkungen auf die Kapitalbildung. Wenn dagegen die versprochenen künftigen Rentenzahlungen als Vermögen angesehen werden und die künftigen Beitragszahlungen nicht als entsprechende Verpflichtungen, dann ergibt sich ein negativer Effekt für die Ersparnisbildung. Für die USA gibt es eine Reihe von empirischen Untersuchungen (FeIdstein (1974, 1976), Feldstein und Pellechio (1977), Munell (1974), Barro (1978), Darby (1977), Gultekin und Logue (1980), die alle bis auf Barro zu dem Ergebnis kommen, daß das System der Rentenversicherung die private Sparneigung reduziert. Für die BRD kommt eine Untersuchung von Ρ faff, Hurler und Dennerlein (1980) zu dem Resultat, daß das Rentenversicherungssystem der Bundesrepublik nicht zu einer Reduktion der persönlichen Ersparnis geführt hat. Angesichts der demographischen Entwicklung in der Bundesrepublik muß man sich allerdings fragen, zu welchen Reaktionen die (fast mit Sicherheit) zu erwartenden Steigerungen der Beitragszahlungen führen werden. Im Vergleich zum Problem der Staatsverschuldung gibt es bei einkommensabhän-

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63

gigen Rentenversprechen eine zusätzliche Erschwernis: Die Last einer zu hohen Staatsschuld wird bei wirtschaftlichem Wachstum leichter, die Renten- und damit die Beitragslast dagegen nimmt auch mit höherem Wachstum zu.

IV.

Bisher wurde unterstellt, daß Gleichgewicht auf allen Märkten herrscht. Unter dieser Annahme kann der Kapitalbildungsprozeß von der Sparentscheidung her gesehen und analysiert werden. Die Angleichung des geplanten Spar- an das geplante Investitionsvolumen vollzieht sich über Kreditmärkte und den Zinsmechanismus. Bekanntlich bestritt Keynes vehement die Relevanz eines derartigen Anpassungsprozesses mindestens für die kurze Frist. Keynes behauptete einen anderen Mechanismus der Angleichung von Sparen und Investieren: Eine Zunahme der geplanten Ersparnis führt nicht in erster Linie über sinkende Zinssätze zu einer Erhöhung der Investitionen, sondern wegen der gesunkenen Konsumnachfrage zu einem Rückgang von Produktion und Einkommen. Das Einkommen und die Ersparnis nehmen ab bis wieder S = I gilt, allerdings bei niedrigerem Einkommen. Nicht die Spar-, sondern die Investitionsentscheidung ist relevant für den Prozeß der Kapitalbildung. Die längerfristige Variante dieser Theorie geht häufig von (vgl. z.B. Harrod (1963)) limitationalen Produktionsfunktionen aus, was bei Annahme einer gegebenen Sparquote zwangsläufig die Existenz eines langfristigen Gleichgewichts verhindert (ausführlich ist dieses Problem bei Vogt (1964) behandelt). Das Keynessche Problem kann aber auch anders modelliert werden (vgl. z.B. Burmeister und Dobell (1970), S. 39 ff. und 163 ff.). Aus dem einfachen Wachstumsmodell ergibt sich ein Gleichgewichtszins von r* = an/s. Sollte aus Gründen, die mit den Geld- und Kreditmärkten und PortfolioEntscheidungen zu tun haben, der Zins auf einem Niveau über r* verharren, dann kann ein ,,steady state" (mit Vollbeschäftigung) nicht erreicht werden — das System verharrt bei geringerer Kapitalbildung in einem Zustand der Unterbeschäftigung. In einer derartigen Ökonomie wird die Kapitalbildung durch die realen Investitionen bestimmt, während die Ersparnisse über die Veränderung des Einkommens angepaßt werden. Was sind die Gründe für die mangelhafte Koordination von Spar- und Investitionsentscheidungen? Der Sparer will Kaufkraft in die Zukunft transferieren, während die Investition im Hinblick auf künftige Produktionspläne erfolgt. Ohne Terminmärkte können aber die künftigen Konsumwünsche

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nicht auf die künftigen Produktionspläne abgestimmt werden. Die Kreditmärkte koordinieren bestenfalls das Volumen von Ersparnis und Investition; es fehlt aber die Abstimmung bezüglich der zu produzierenden Mengen und der zu erzielenden Preise für die Güter im einzelnen. Sparentscheidungen bleiben unspezifizierte künftige Konsumwünsche, während Investitionen die künftigen Produktionspläne wenigstens zum Teil festlegen. Dieses Koordinationsproblem läßt sich nicht durch zentralisierte Investitionslenkung lösen, da die notwendigen Informationen nicht verfügbar sind. Das Problem kann lediglich einer Lösung näher gebracht werden — durch mehr Transparenz und Vorhersagbarkeit der staatlichen Politik und in einer Verbesserung der Organisation der Märkte bezüglich der Informationsverarbeitung und der Allokation von Risiken. Letztlich gehört dazu auch ein verläßlicher rechtlicher Rahmen, und damit taucht die eingangs erwähnte Bedeutung der Eigentumsrechte für die Kapitalbildung wieder auf.,,... the creation of a state is an essential prerequisite for economic growth. Without it, anarchy prevails. When growth has occurred, it has reflected the creation of a more efficient system of property rights by the state. But, the historical past equally bears witness to the innumerable occasions when the state has failed to create property rights that would provide incentives for productive activity." (North (1977), S. 171.). Die entscheidende Aufgabe ist damit der Ordnungspolitik zugewiesen.

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Kapitalbildung und volkswirtschaftlicher Entwicklungsprozeß

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Privates Sparen in der Bundesrepublik Deutschland Ein Rückblick

Von Norbert Bub, Frankfurt/Main

I.

Die Spartätigkeit der privaten Haushalte1 in der Bundesrepublik Deutschland war in den dreieinhalb Jahrzehnten seit der Währungsreform von 1948 beeindruckend hoch. Auch international rangiert die Bundesrepublik hinsichtlich der privaten Spartätigkeit mit an der Spitze. Am Jahresende 1983 verfügten die privaten Haushalte allein über Geldvermögen in Höhe von 1 800 Mrd. DM, was annähernd dem Zweifachen des in diesem Jahr erzielten verfügbaren Einkommens entspricht. Faßbarer wird diese gesamtwirtschaftliche Größe, wenn man sie auf die Zahl der privaten Haushalte in der Bundesrepublik bezieht: danach verfügte 1983 ein Haushalt durchschnittlich über ein Geld vermögen von rund 71 000 DM. Die Höhe der bislang angesammelten Geldvermögen ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil die privaten Geldanlagen seinerzeit durch den Schnitt der Währungsreform fast völlig vernichtet worden waren. 1950 betrugen die privaten Geldvermögensbestände nur 24 Mrd. DM oder etwa ein Drittel der damaligen Nettoeinkommen (Tabelle 1). Der dynamische Sparprozeß in der Bundesrepublik vollzog sich in der hier betrachteten Zeitspanne auf der Grundlage fast ständig steigender Einkommen. Gleichzeitig nahm — jedenfalls in den ersten beiden Jahrzehnten — die Sparneigung kräftig zu, d.h., ein immer größerer Teil der Einkommen wurde nicht für den Konsum, sondern für die Ersparnisbildung verwendet. 1983 war die Sparquote der privaten Haushalte mit l l V i v.H. fast dreimal so hoch wie 1950, als sie nur 4 Vi v.H. betragen hatte. Starke Impulse erhielt die private Spartätigkeit von staatlicher Seite durch die Maßnahmen zur Förderung der Vermögensbildung. Als Stütze von zunehmender Bedeutung er1

Hier, wie im folgenden, werden im Rahmen des Sektors „private Haushalte" auch die Organisationen ohne Erwerbszweck erfaßt.

68

Norbert Bub

Tabelle 1 Einkommen und Ersparnis der privaten Haushalte* Verfügbares Einkommen

Laufende Ersparnis

Mrd DM

i n % des verfügbaren Einkommens (Sparquote)

Bestände an Geldvermögen 1)

Mrd DM

Einkommen aus Geldvermögen 2)

i n % des verfügbaren Einkommens Mrd DM

i n % des verfügbaren Einkommens

Zeit

Mrd DM

1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959

66 76 87 96 103 115 126 141 153 163

3 3 6 7 9 9 9 13 14 16

4,4 4,1 6,7 7,8 8,3 7,6 6,7 8,9 9,3 9,6

24 29 35 44 55 64 72 85 99 115

36,9 38,0 40,6 46,0 53,0 55,8 57,3 60,0 64,8 70,7

0 0 1 1 1 1 2 2 3 3

0,5 0,6 0,7 0,9 1,1 1,3 1,5 1,6 1,7 1,9

1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969

189 209 226 243 265 296 314 320 346 384

17 21 21 26 31 38 39 38 46 53

9,2 9,9 • 9,5 10,7 11,8 12,9 12,3 11,8 13,1 13,8

139 159 181 205 235 272 307 341 383 435

73,3 76,1 79,8 84,5 88,7 91,9 97,9 106,5 110,6 113,3

4 5 6 6 7 9 11 12 13 15

2,3 2,4 2,5 2,7 2,7 3,0 3,5 3,8 3,9 4,0

1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979

432 478 534 581 633 699 741 785 836 905

63 69 81 85 99 113 107 104 111 126

14,7 14,4 15,3 14,7 15,7 16,2 14,5 13,2 13,3 13,9

494 561 643 722 809 914 1.017 1.118 1.225 1.346

114,2 117,4 120,4 124,3 127,8 130,9 137,2 142,5 146,5 148,8

20 23 26 33 40 40 42 44 45 53

4,7 4,8 4,8 5,7 6,3 5,8 5,7 5,6 5,3 5,8

1980 1981 1982 1983

972 1.032 1.058 1.083

138 153 148 136

14,2 14,8 14,0 12,5

1.465 1.594 1.721 1.835

150,8 154,4 162,6 169,4

68 81 90 85

7,0 7,9 8,5 7,8

* ) Einschl. p r i v a t e r Organisationen ohne Erwerbszweck. - 1) Jahresendstände.2) Erträge aus Geldanlagen bei Banken, Bausparkassen und Versicherungen sowie i n Wertpapieren; einschl. Dividenden aus dem Aktienbesitz. - Quelle: Gesamtw i r t s c h a f t l i c h e Finanzierungsrechnung und Sonderrechnungen der Deutschen Bundesbank; Angaben f ü r 1950 bis 1959 ohne Saarland und ohne B e r l i n (West).

Privates Sparen in der Bundesrepublik Deutschland

69

wiesen sich im Laufe der Jahre auch die mit den Beständen an Geldvermögen ständig wachsenden Kapitalerträge. Aus dieser Quelle bezogen die privaten Haushalte 1983 ein Einkommen von 85 Mrd. DM (Tabelle 1). Unter Einschluß der Vergünstigungen aus der staatlichen Sparförderung (Prämien, Sparzulagen und steuerliche Erleichterungen 2) ergibt sich für dieses Jahr sogar ein Betrag von fast 100 Mrd. DM oder knapp einem Zehntel des verfügbaren Einkommens, der, wie nachweisbar, zu einem relativ großen Teil wieder den Ersparnissen zugeflossen ist. Welche Entwicklung im einzelnen hinter diesen globalen Daten steht, soll im folgenden anhand der Ergebnisse der gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsrechnung der Deutschen Bundesbank aufgezeigt werden. Diese seit Mitte der fünfziger Jahre regelmäßig veröffentlichten Berechnungen3 geben für die Bundesrepublik einen umfassenden Überblick über die Vermögensbildung und ihre Finanzierung nach Sektoren. Im Falle der Vermögensrechnung der „privaten Haushalte" ist die Publikation allerdings in erster Linie auf die Darstellung der laufenden Ersparnis und der daraus gespeisten Geldanlagen abgestellt. Der Erwerb von Wohneigentum (Sachvermögensbildung) und die damit zusammenhängende Fremdfinanzierung wird mangels ausreichender Statistiken nicht bei den „privaten Haushalten", sondern im Sektor „Wohnungswirtschaft" nachgewiesen. Die zur Finanzierung des Wohnungsbaus verwendeten Eigenmittel werden nach dem Bundesbank-Schema dementsprechend von den „privaten Haushalten" zur „Wohnungswirtschaft" übertragen. In der Anlage (S. 88) wird im Rahmen einer groben Schätzung der Versuch gemacht, die von der Bundesbank veröffentlichten Angaben für die „privaten Haushalte" um deren Wohnungsbauinvestitionen und ihre Finanzierung zu ergänzen, damit ein Gesamteindruck der Geld- und Sachvermögensbildung der „privaten Haushalte" gewonnen wird. Dabei zeigt sich, daß durch solche methodischen Umgruppierungen Höhe und Entwicklung der privaten Ersparnis nicht wesentlich tangiert werden. Gegenstand der folgenden Untersuchung ist eine längerfristige Analyse des Sparprozesses in der Bundesrepublik. Hierfür bietet sich eine Unterteilung in drei Zeitabschnitte an. Der erste umfaßt die fünfziger Jahre. Sie waren geprägt von ersten Schritten zur Neubildung von Geldvermögen, das durch die schleichende Inflation im Zweiten Weltkrieg weitgehend entwertet 2

ohne Vergünstigungen nach § 7 b EStG. Monatsberichte der Deutschen Bundesbank (zuletzt: Mai 1984) sowie Sonderdruck der Deutschen Bundesbank Nr. 4 „Zahlenübersichten und methodische Erläuterungen zur gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsrechnung der Deutschen Bundesbank 1960 bis 1982" (4. Auflage, Juli 1983). 3

70

Norbert Bub

worden war und mit dem Währungsschnitt von 1948 zusammengestrichen wurde. Die Wiederbelebung der Spartätigkeit vollzog sich in diesen Jahren bei noch verhältnismäßig niedrigen Einkommen und hohem Konsumbedarf. In den sechziger Jahren, dem zweiten Zeitabschnitt, nahm das private Sparen einen außerordentlich starken Aufschwung. Grundlage hierfür war in erster Linie der stetig steigende Wohlstand der Bevölkerung. Aber auch die intensivierten Bemühungen des Staates zur Förderung der Vermögensbildung breiter Schichten trugen wesentlich zu dieser Entwicklung bei. Im dritten Zeitabschnitt, der den Zeitraum nach 1970 umfaßt, sahen sich die privaten Sparer bei ihrer Geldanlage mit zeitweise deutlich verstärkten Inflationstendenzen konfrontiert. Das allmählich nachlassende Wirtschaftswachstum bremste die Zunahme der privaten Realeinkommen zusätzlich. Die Sparneigung der privaten Haushalte ist in diesem Zeitabschnitt — von kurzfristigen Schwankungen abgesehen — nicht weiter gestiegen, sondern sogar leicht gesunken. Das Streben nach hoher Rentabilität der Sparanlagen trat gleichzeitig in den Vordergrund.

Π . 1950 bis 1959: Neubildung privater Geldvermögen

Mit der Währungsreform kehrte bei der Bevölkerung der Bundesrepublik nach den Jahren schleichender Inflation und Zwangswirtschaft das Vertrauen in das Geld als Wertmaßstab und Wertaufbewahrungsmittel überraschend schnell zurück. Geld war wieder ein knappes Gut. Das niedrige Einkommensniveau und die Notwendigkeit, zunächst den dringendsten Bedarf an lebenswichtigen Gütern zu decken, hielten jedoch die Sparfähigkeit der Bevölkerung in den frühen fünfziger Jahren noch in sehr engen Grenzen. Mit steigenden Einkommen nahm dann auch der Spielraum für die Ersparnisbildung zu. Die private Sparneigung wurde in dieser Periode dadurch gefördert, daß die Verbraucherpreise im ganzen gesehen nur wenig stiegen (von 1950 bis 1959 im Jahresdurchschnitt um 1 v.H.), die reale Kaufkraft des Einkommens also im wesentlichen erhalten blieb. Gleichzeitig flössen den privaten Haushalten wachsende Beträge an „staatlichen Vermögensübertragungen4 4 zu. Sie stammten zum Teil aus dem Lastenausgleichsfonds, zum Teil aber auch aus Maßnahmen, die speziell auf eine Wiederbelebung der privaten Vermögensbildung zielten. Ende der fünfziger Jahre sparten die privaten Haushalte bereits annähernd 10 v.H. ihres Nettoeinkommens; ihre Sparquote war damit etwa doppelt so hoch wie 1950 (Tabelle 1). Bei ihren Geldanlagen bevorzugten die privaten Sparer in diesem Jahrzehnt eher die relativ liquiden Sparformen; dazu werden hier außer den Bar-

Privates Sparen in der Bundesrepublik Deutschland

71

geldbeständen vor allem die Sichteinlagen und die Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist gerechnet (Tabelle 2). Noch Ende der fünfziger Jahre bestand das inzwischen wieder angesammelte Geldvermögen zu 42 v.H. aus solchen relativ liquiden Forderungen. Zum Teil mögen hier die Erfahrungen von zwei großen Inflationen nachgewirkt haben. Vielen Sparern ging es damals aber wohl primär darum, eine liquide Rücklage für Notfälle zu bilden. Auch dürften die Mittel für die Erstausstattung der Haushalte mit Gebrauchsgütern häufig in diesen Formen angespart worden sein. Im Laufe der fünfziger Jahre haben aber auch weiter in die Zukunft reichende Sparziele wieder an Bedeutung gewonnen. Länger befristete Bankguthaben machten am Ende dieses Jahrzehnts bereits 13 v.H. aller privaten Geldvermögen aus, verglichen mit einem Anteil von nur 6 v.H. im Jahr 1950 (Tabelle 3). Unter den längerfristigen Geldanlagen der privaten Haushalte hatte von Anfang an das Sparen bei Lebensversicherungen und Pensionskassen das relativ größte Gewicht, zumal für das Vorsorgesparen schon in den fünfziger Jahren Anreize im Einkommensteuergesetz verankert waren. Am Ende dieses Jahrzehnts entfielen immerhin 16 v.H. aller Geldanlagen auf diese Sparform. Nimmt man noch die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung — die allerdings kein disponibles Geldvermögen darstellen — hinzu, so ergibt sich sogar ein Anteil von rund 26 v.H. (Tabelle 3). Die eigenverantwortliche oder zumindest ergänzende Altersvorsorge, der wohl der größte Teil dieser Ersparnisse diente, wurde schon immer staatlich recht großzügig gefördert. Daß in der Bundesrepublik für die Altersvorsorge nicht, wie in anderen Industriestaaten, noch wesentlich mehr gespart wurde, liegt in erster Linie an dem hohen Maße an Alterssicherung, das durch die gesetzliche Rentenversicherung garantiert wird. In diesem Zusammenhang brachte die große Rentenreform von 1957 durch die Einführung der dynamischen Rente für die Sozialversicherten eine wesentliche Verbesserung. Einen starken Aufschwung verzeichnete in der Zeit von 1950 bis 1959 das Sparen, das letztlich auf einen Erwerb von Wohneigentum ausgerichtet war. Angesichts der extremen Wohnungsnot in den ersten Nachkriegsjahren stand in diesem Jahrzehnt bei der Bevölkerung der Wunsch, ein Eigenheim zu erwerben, weit oben auf der Liste der Sparmotive. Sparbemühungen in dieser Richtung wurden überdies von Anfang an durch staatliche Vergünstigungen massiv unterstützt; sie förderten in erster Linie die Eigenfinanzierung der Bauinvestitionen nicht zuletzt unter Einschaltung der Bausparkassen. Das Wohnungsbauprämiengesetz von 1952 bedeutete dabei eine we-

Norbert Bub

72

Tabelle 2a Geldvermögensbildung privater Haushalte* Längerfristige Anlagen

Zeit

Geldanlagen insgesamt

Kurzfristige Anlagen 1) insgesamt

bei Banken 2)

bei Bausparkassen

bei Versicherungen 3)

in Wertpapieren 4)

1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959

3 3 6 8 10 9 8 12 14 16

1 2 3 4 5 4 3 5 6 7

2 2 3 4 5 5 6 7 8 9

0 0 1 1 2 1 1 2 2 2

0 0 0 0 1 1 1 1 1 1

1 1 2 2 2 2 3 3 3 4

1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969

18 20 22 24 30 36 35 34 42 51

9 10 8 10 11 15 12 12, 15 15

8 11 13 15 18 21 23 22 27 36

1 1 3 4 5 5 8 8 12 13

2 2 2 2 2 3 4 3 3 4

4 5 5 5 6 7 8 8 8 9

2 3 3 3 6 5 3 3 5 9

1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979

59 67 80 78 84 104 102 99 104 118

16 24 26 21 33 30 28 41 38 31

43 43 54 57 50 74 74 58 66 87

14 16 21 18 14 34 23 13 18 18

5 5 7 9 6 7 7 6 7 8

11 14 16 18 21 22 25 25 30 34

12 9 10 12 9 10 19 12 11 27

1980 1981 1982 1983

120 129 126 114

37 26 48 30

83 103 78 84

14 11 15 13

6 6 5 5

39 40 41 45

24 46 18 21

-

0 0 0 . 1 0 1 1 1 2 2

* ) Einschl. privater Organisationen ohne Erwerbszweck. 1) Bargeld, Sichteinlagen, kurzfristige Termingelder, Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist sowie Bundesbankschätze bzw. Finanzierungsschätze des Bundes. 2) Ohne Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist. - 3) Einschl. Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung. - 4) Festverzinsliche Wertpapiere und Aktien. Abweichungen i n den Sannen durch Runden der Zahlen. - Quelle: Gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung der Deutschen Bundesbank; Angaben für 1950 bis 1959 ohne Saarland und ohne Berlin (West).

73

Privates Sparen in der Bundesrepublik Deutschland

Tabelle 2b: Struktur der Geldvermögensbildung privater Haushalte: Anteile in vH Längerfristige Anlagen Kurzfristige Anlagen 1) insgesamt

bei Bausparkassen

bei Versicherungen 3)

in Wertpapieren 4)

Zeit

Geldanlagen insgesamt

1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959

100 100 100 100 100 100 100 100 100 100

44,5 47,6 53,1 46,7 46,6 44,4 33,4 39,7 44,8 43,9

55,5 52,4 46,9 53,3 53,4 55,6 66,6 60,3 55,2 56,1

12,3 10,4 13,7 15,6 18,2 14,3 15,5 18,9 15,7 13,1

9,3 4,8 4,2 5,8 7,5 8,6 9,6 8,2 8,1 8,8

37,7 41,0 27,1 23,8 23,1 25,8 33,1 26,0 20,0 23,2

1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969

100 100 100 100 100 100 100 100 100 100

52,0 46,7 38,2 40,1 38,0 41,5 34,4 34,2 35,4 29,3

48,0 53,3 61,8 59,9 62,0 58,5 65,6 65,8 64,6 70,7

5,1 3,6 12,8 16,3 16,3 14,1 22,4 24,3 27,5 26,5

10,3 9,3 8,1 8,4 7,4 9,5 13,0 8,1 6,0 7,7

21,8 23,9 25,4 21,7 18,9 19,5 22,6 22,5 19,7 17,5

10,3 16,0 15,0 13,0 19,0 15,0 7,3 10,3 11,1 18,7

1970 1971 1972 1973 1974 1S(75 1976 1977 1978 1979

100 100 100 100 100 100 100 100 100 100

27,7 35,8 32,1 27,0 · 39,9 29,3 27,8 41,7 36,7 26,5

72,3 64,2 67,9 73,0 60,1 70,7 72,2 58,3 63,3 73,5

24,1 23,2 26,4 23,4 17,0 33,0 22,6 13,6 17,3 15,6

9,2 8,0 8,6 11,0 6,7 6,6 6,4 6,5 6,9 6,5

19,2 20,1 20,0 22,9 25,0 21,0 24,5 25,7 28,3 28,4

19,6 12,8 12,6 15,5 11,1 9,9 18,6 12,4 10,6 22,7

1980 1981 1982 1983 .

100 100 100 100

30,7 20,4 37,7 26,5

69,3 79,6 62,3 73,5

11,8 8,2 12,1 11,4

5,2 4,4 3,8 4,2

32,0 31,1 32,2 39,3

20,1 35,8 14,1 18,5

bei Banken 2)

.

-

4,6 4,9 1,2 7,9 4,2 6,4 7,8 6,7 11,0 10,4

*) Einschl. privater Organisationen ohne Erwerbszweck. 1) Bargeld, Sichteinlagen, kurzfristige Termingelder, Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist sowie Bundesbankschätze bzw. Finanzierungsschätze des Bundes. 2) Ohne Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist. - 3) Einschl. Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung. - 4) Festverzinsliche Wertpapiere und Aktien. Abweichungen in den Summen durch Runden der Zahlen. - Quelle: Gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung der Deutschen Bundesbank ; Angaben für 1950 bis 1959 ohne Saarland und ohne Berlin (West).

74

Norbert Bub

Tabelle 3a Geldvermögen privater Haushalte* Bestände am Jahresende in Mrd. DM Längerfristige Anlagen

Zeit

Geldanlagen insgesamt

Kurzfristige Anlagen 1) insgesamt

bei Bariken 2)

bei Bausparkassen

bei Versicherungen 3)

in Wertpapieren 4)

1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959

24 29 35 44 55 64 72 85 99 115

10 12 15 19 24 28 31 35 42 49

14 17 20 25 31 36 42 49 57 67

1 2 3 4 6 7 8 11 13 15

1 1 1 1 2 3 4 5 6 7

6 8 10 13 15 18 20 24 27 30

6 6 6 7 8 8 9 10 11 13

1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969

139 159 181 205 235 272 307 341 383 435

60 70 78 88 99 114 126 137 152 167

79 90 103 118 136 158 181 204 231 267

18 19 21 25 30 35 43 51 63 77

9 11 13 15 17 20 25 28 30 34

35 40 46 51 57 64 72 80 88 97

15 19 22 25 30 36 39 43 47 58

1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979

494 561 643 722 809 914 1.017 1.118 1.225 1.346

184 208 233 254 288 318 346 387 426 457

310 354 409 468 521 596 670 731 800 889

91 106 127 145 160 194 217 231 249 267

40 45 52 61 66 73 80 86 94 101

109 122 139 156 178 200 225 251 282 316

69 78 89 102 115 126 146 160 172 201

1980 1981 1982 1983

1.465 1.594 1.721 1.835

494 520 568 598

971 1.073 1.153 1.236

282 292 307 320

108 113 118 123

354 398 441 486

224 266 283 303

*) Einschl. privater Organisationen ohne Erwerbszweck..1) Bargeld, Sichteinlagen, kurzfristige Termingelder, Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist sowie Bundesbankschätze bzw. Finanzierungsschätze des Bundes. 2) Ohne Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist. - 3) Einschl. Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung. - 4) Festverzinsliche Wertpapiere und Aktien. Abweichungen in den Summen durch Runden der Zahlen. - Quelle: Gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung der Deutschen Bundesbank ; Angaben für 1950 bis 1959 ohne Saarland und ohne Berlin (West).

75

Privates Sparen in der Bundesrepublik Deutschland

Tabelle 3b Struktur des Geldvermögens privater Haushalte* Anteile in vH längerfristige Anlagen Kurzfristige Anlagen 1) insgesamt

bei Bausparkassen

bei Versicherungen 3)

in Wertpapieren 4)

Zeit

Geldanlagen insgesamt

1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959

100 100 100 100 100 100 100 100 100 100

43,2 41,7 43,3 43,3 43,5 43,5 42,3 41,8 42,1 42,2

56,8 58,3 56,7 56,7 56,5 56,5 57,7 58,2 57,9 57,8

5,9 6,1 7,4 8,8 10,4 10,9 11,5 12,5 12,9 12,9

2,1 2,3 2,6 3*2 3,9 4,6 5,2 5,6 5,9 6,3

24,1 29,3 29,2 28,2 27,7 27,6 28,2 28,0 26,9 26,4

1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969

100 100 100 100 100 100 100 100 100 100

43,3 43,7 43,1 42,7 42,1 . 41,9 41,0 40,3 39,8 38,5

56,7 56,3 56,9 57,3 57,9 58,1 59,0 59,7 60,2 61,5

12,9 11,7 11,8 12,4 12,9 13,0 14,0 15,0 16,5 17,6

6,6 7,0 7,1 7,2 7,3 7,5 8,1 8,1 7,9 7,9

25,6 25,4 25,4 25,1 24,4 23,7 23,5 23,4 23,0 22,4

1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979

100 100 100 100 100 100 100 100 100 100

37,2 37,0 36,3 35,2 35,6 34,8 34,1 34,6 34,7 34,0

62,8 63,0 63,7 64,8 64,4 65,2 65,9 65,4 65,3 66,0

18,4 18,9 19,8 20,2 19,8 21,2 21,4 20,6 20,3 19,9

8,0 8,0 8,1 8,4 8,2 8,0 7,9 7,7 7,6 7,5

22,0 21,8 21,6 21,7 22,0 21,8 22,1 22,5 23,0 23,4

14,0 13,9 13,8 14,2 14,2 13,8 14,3 14,3 14,1 15,0

1980 1981 1982 1983

100 100 100 100

33,7 32,7 33,0 32,6

66,3 67,3 67,0 67,4

19,2 18,3 17,9 17,5

7,4 7,1 6,9 6,7

24,2 25,0 25,6 26,5

15,3 16,7 16,4 16,5

bei Banken 2)

23,8 19,7 16,7 15,8 13,8 12,7 12,2 11,5 11,6 11,6 .

11,1 11,7 12,0 12,1 12,8 13,3 12,8 12,7 12,4 13,3

* ) Einschl. privater Organisationen ohne Erwerbszweck. 1) Bargeld, Sichteinlagen, kurzfristige Termingelder, Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist sowie Bundesbankschätze bzw. Finanzierungsschätze des Bundes. 2) Ohne Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist. - 3) Einschl. Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung. - 4) Festverzinsliche Wertpapiere und Aktien. Abweichungen i n den Summen durch Runden der Zahlen. - Quelle: Gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung der Deutschen Bundesbank ; Angaben für 1950 bis 1959 ohne Saarland und ohne Berlin (West). >

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Norbert Bub

sentliche Ergänzung der vorher bereits bestehenden steuerlichen Vergünstigungen. Das Gewicht des wohnungsbauorientierten Sparens während der fünfziger Jahre läßt sich einmal aus dem starken Wachstum der Guthaben bei den Bausparkassen ersehen. Der Wohnungsbaufinanzierung dienten aber auch die bei den Bausparkassen zunächst angesparten und bei Zuteilung des Bausparvertrags ausgezahlten Eigenmittel sowie die Tilgungen von Bauspardarlehen. Faßt man die genannten drei Positionen zusammen, so wurden gegen Ende d.er fünfziger Jahre allein über diese Kanäle 22 v.H. der angelegten Mittel von den privaten Haushalten für die Eigenfinanzierung von Wohnbauten eingesetzt. Wie stark damals private Haushalte am Erwerb von Wohneigentum interessiert waren, ist auch daran zu erkennen, daß sie während der fünfziger Jahre netto 55 Mrd. DM im Wohnungsbau investiert haben, was etwa zwei Dritteln ihrer gleichzeitigen Geldvermögensbildung entsprach. In den letzten Jahren bewegte sich der entsprechende Anteilssatz nur wenig über 40 v.H. An den Wertpapiermärkten der Bundesrepublik gingen dagegen die privaten Spargelder in den fünfziger Jahren weitgehend vorbei. Nur etwa 13 v.H. der emittierten Wertpapiere sind von privaten Anlegern übernommen worden. Festverzinsliche Wertpapiere wurden schon deshalb als wenig attraktiv angesehen, weil die längere Zeit künstlich niedrig gehaltenen Kapitalzinsen angesichts der damals üblichen sehr langen Laufzeiten keine angemessene Risikoabdeckung boten. Außerdem mag eine Rolle gespielt haben, daß gerade die traditionellen Wertpapiersparer durch die Währungsreform erhebliche Vermögensverluste erlitten hatten und sich deshalb gegenüber dieser Anlageform zunächst sehr reserviert verhielten. Auch die damalige Stückelung der Neuemissionen war im Hinblick auf die immer noch recht geringe Sparfähigkeit nicht gerade anlegerfreundlich. Der Aktienerwerb durch private Haushalte war während dieses Zeitabschnitts völlig unbedeutend. Erst gegen Ende der fünfziger Jahre kam etwas mehr Interesse auf, als die ersten „Volksaktien" (Preussag) am Markt erschienen. Wegen der noch recht niedrigen Bestände an Geldvermögen und des relativ hohen Anteils an liquiden, d.h. unverzinslichen oder niedrig verzinslichen Forderungen, erbrachten die Ersparnisse der privaten Haushalte in den fünfziger Jahren nur geringe Einkommen. Gegen Ende des Jahrzehnts machten die Gesamteinkünfte aus Geldvermögen4 erst rund 3 Mrd. DM oder 2 v.H. des verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte aus. Die Durchschnittsrendite der verzinslichen Geldanlagen betrug in dieser Zeit 4 Zinsen aus Geldanlagen bei Kreditinstituten, bei Bausparkassen und in Wertpapieren; Erträge aus dem Versicherungssparen; Dividenden aus dem Aktienbesitz.

77

Privates Sparen in der Bundesrepublik Deutschland

Tabelle 4 Einkommen der privaten Haushalte* aus Geldvermögen und staatlicher Sparförderung

Einkommen aus Geldvermögen 1)

Vergünstigungen durch staatliche Sparförderung 2)

i n % des verzinslichen Geldvermögens

Mrd DM

i n % des verfügbaren Einkommens

Nacnr.ι Anstieg der Verbraucher preise 3) in % gegen Vorjahr

Zeit

Mrd DM

i n % des verfügbaren Einkommens

1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959

0 0 1 1 1 1 2 2 3 3

0,5 0,6 0,7 0,9 1,1 1,3 1,5 1,6 1,7 1,9

2,6 2,9 3,0 3,1 3,3 3,3 3,6 3,9 3,7 3,4

0 0 0 0 1 1 1 1 1 2

0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,8 0,8 0,9 0,9 1,0

1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969

4 5 6 6 7 9 11 12 13 15

2,3 2,4 2,5 2,7 2,7 3,0 3,5 3,8 3,9 4,0

3,8 3,8 4,0 4,0 3,9 4,2 4,5 4,5 4,3 4,3

2 2 2 2 2 3 3 4 4 5

0,9 0,8 0,8 0,8 0,9 1,0 1,1 1,2 1,3 1,3

1,5 2,3 2,9 3,0 2,3 3,2 3,5 1,6 1,6 1,9

1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979

20 23 26 33 40 40 42 44 45 53

4,7 4,8 4,8 5,7 6,3 5,8 5,7 5,6 5,3 5,8

5,1 5,1 5,0 5,8 6,2 5,6 5,2 4,9 4,5 4,9

6 8 9 9 10 12 12 13 12 11

1,4 1,7 1,7 1,6 1,6 1,7 1,6 1,7 1,4 1,2

3,6 5,1 5,6 6,9 6,9 5,9 4,4 3,6 2,7 4,2

1980 1981 1982 1983

68 81 90 85

7,0 7,9 8,6 7,9

5,8 6,4 6,5 5,7

11 10 11 10

1,1 1,0 1,0 0,9

5,4 6,3 5,3 3,3

-

6,2 7,7 2,1 1,9 0,2 1,7 2,6 2,0 2,2 0,9

* ) Einschl. privater Organisationen ohne Erwerbszweck. 1) Erträge aus Geldanlagen bei Banken, Bausparkassen und Versicherungen sowie i n Wertpapieren; einschl. Dividenden aus dem Aktienbesitz. - 2) Im wesentlichen Spar- und Wohnungsbauprämien, Arbeitnehmersparzulage sowie steuerliche Begünstigungen von Beiträgen an Bausparkassen und Lebensversicherungen, jedoch ohne die im Einkommensteuergesetz für den privaten Wohnungsbau vorgesehenen Steuererleichterungen, insbesondere jene nach § 7b EStG. 3) Gemessen am Preisindex für die Lebenshaltung a l l e r privaten Haushalte bzw. des Vier-Personen-Arbeitnehmer-Haushalt s mit mittlerem Einkommen. Quelle: Berechnungen der Deutschen Bundesbank sowie Subventionsberichte der Bundesregierung; Angaben für 1950 bis 1959 ohne Saarland und ohne Berlin (West).

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Norbert Bub

etwa 3 Vi V.H., war also noch ausgesprochen niedrig; im Kalkül der Sparer dürften damals jedoch auch schon die Vergünstigungen durch die staatliche Sparförderung, die immerhin etwa 2 Mrd. DM ausmachten, eine erhebliche Rolle gespielt haben (Tabelle 4).

I I I . 1960 bis 1969: Verstärkte Spartätigkeit breiter Bevölkerungsschichten

Während der sechziger Jahre nahm das private Sparen in der Bundesrepublik einen weiteren Aufschwung. Die Sparbereitschaft wurde durch das ständig wachsende Einkommen und den zunehmenden Wohlstand breiter Bevölkerungsschichten nachhaltig gefördert. Selbst Haushalte mit relativ niedrigen Einkommen bekamen nun Spielraum für die Bildung von Ersparnissen. In den Jahren 1960 bis 1969 stiegen die Nettoeinkommen aller privaten Haushalte pro Jahr mit einer Rate von 8 Vi v.H. Nach Abzug der weiterhin relativ mäßigen Preissteigerungen verblieb noch ein realer Einkommenszuwachs von 6 v.H. Von diesen Einkommen wurde — von vorübergehenden Schwankungen abgesehen — ein immer größerer Teil gespart. Ende des Jahrzehnts betrug die Sparquote fast 14 v.H. und war somit AVi Prozentpunkte höher als 1960 (Tabelle 1). Infolge der lebhaften Spartätigkeit nahmen während der sechziger Jahre auch die Gesamtbestände an Geldvermögen absolut und in Relation zum verfügbaren Einkommen beträchtlich zu. Mit 435 Mrd. DM besaßen die privaten Haushalte 1969 fast viermal so viel Geldvermögen wie zehn Jahre zuvor. Der Gesamtbestand war damit zugleich höher als das verfügbare Jahreseinkommen. Die Struktur der Ersparnisbildung hat sich in diesem Zeitabschnitt insofern wesentlich verändert, als die Liquiditätsneigung allmählich nachließ und das längerfristige Sparen eine wachsende Bedeutung erlangte5. Maßgeblich für dieses Sparverhalten dürften einmal die geänderten Verbrauchsgewohnheiten gewesen sein, denn nach der Deckung des Grundbedarfs bildeten nun die Ausstattung der Wohnung, der Kauf eines Kraftfahrzeugs und die Urlaubsreise neue Schwerpunkte innerhalb der Verbraucherbudgets. Die dafür notwendigen größeren Ausgaben zwangen die Haushalte zu einem längeren Ansparen, sofern sie sich nicht stärker verschulden wollten. Die Kreditfinanzierung von Konsumausgaben hat jedoch in der Bundesrepublik nie eine so große Rolle gespielt wie in anderen Industriestaaten. Verstärkte Spar5 Ende 1969 wurden allerdings immer noch 39 v.H, der Geldanlagen in relativ liquider Form gehalten.

Privates Sparen in der Bundesrepublik Deutschland

79

anstrengungen über einen längeren Zeitraum hindurch waren zum anderen für viele private Haushalte schon wegen der hohen Investitionen im Wohnungsbau nicht zu umgehen. Die Nettoaufwendungen für den Erwerb von Wohneigentum entsprachen auch in den sechziger Jahren schätzungsweise etwa zwei Dritteln der GeldVermögensbildung. Für Entwicklung und Struktur der privaten Ersparnis war in den Jahren 1960 bis 1969 nicht zuletzt von erheblichem Einfluß, daß der Staat die Förderung der privaten Vermögensbildung systematisch ausbaute, wobei verteilungspolitische Zielsetzungen an Bedeutung gewannen. Während — wie bereits erwähnt — in den fünfziger Jahren noch die Förderung des privaten Wohnungsbaus eine gewisse Vorrangstellung gehabt hatte, erhielt nun die Bildung von längerfristigen Geldanlagen aus Ersparnissen bei den Vergünstigungen etwa den gleichen Rang. Zudem wurde die Sparförderung verstärkt von Steuererleichterungen auf Prämien umgestellt6, wodurch auch solche Sparer in den vollen Genuß der staatlichen Vergünstigungen kommen konnten, die keine oder nur wenig Steuer zahlten. Eine breitere Streuung der Ersparnisbildung war auch das Anliegen der beiden ,,Gesetze zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer ,,?. Durch diese Regelungen sollte vor allem jenen Schichten die allmähliche Ansammlung von Geldvermögen erleichtert werden, deren Sparfähigkeit damals noch recht gering war. Es wird immer umstritten bleiben, in welchem Maße der Einsatz beträchtlicher staatlicher Mittel zur Sparförderung im Endeffekt tatsächlich zu einem zusätzlichen Sparen geführt hat. Manches spricht jedoch dafür, daß zumindest während der sechziger Jahre, als die Sparförderung stark ausgebaut wurde und neue Bevölkerungsschichten für das Sparen gewonnen werden konnten, hiervon kräftige positive Impulse auf die private Spartätigkeit ausgingen. Jedenfalls war der Verfügungsspielraum der Haushalte, die sich vertraglich zur längerfristigen Kapitalansammlung verpflichtet hatten, während der Festlegungsfrist erheblich eingeschränkt. Ein anderer Nebeneffekt des verstärkten langfristigen Sparens dürfte gewesen sein, daß die Haushalte nach Ablauf der Sparverträge über größere Geldmittel verfügten, die sie für Investitions- oder auch Verbrauchsausgaben einsetzen konnten, ohne sich dabei zusätzlich verschulden zu müssen. Vermutlich hängt es hiermit auch zusammen, daß sich die Konsumverschuldung der Haushalte in der Vergangenheit immer in relativ engen Grenzen hielt. 6

Spar-Prämiengesetz vom 5. Mai 1959. Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer vom 12. Juli 1961; Zweites Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer vom 1. Juli 1965. 7

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Norbert Bub

Einen besonders kräftigen Zuwachs verzeichnete in den sechziger Jahren das längerfristige Kontensparen bei Kreditinstituten. Sein Anteil an den gesamten Geldanlagen der privaten Haushalte stieg von 13 v.H. im Jahre 1960 auf 18 v.H. im Jahre 1969 (Tabelle 3). Die wachsende Beliebtheit des Prämiensparens spielte dabei eine wichtige Rolle. Auch das Wertpapiersparen fand in diesen Jahren immer mehr Anhänger, obwohl den Anlegern Enttäuschungen durch stärkere Kurseinbrüche nicht erspart blieben. Von den in den sechziger Jahren abgesetzten Rentenwerten und Aktien erwarben die privaten Haushalte 27 v.H., doppelt so viel wie im vorangegangenen Jahrzehnt. Ende 1969 war ein Viertel aller im Inland umlaufenden Wertpapiere im Besitz von privaten Haushalten. Der Erwerb von Wertpapieren wurde in dieser Periode sicher dadurch begünstigt, daß die Haushalte inzwischen über einen Grundstock an Ersparnissen verfügten und so erstmals in stärkerem Maße Mittel für Geldanlagen bereitstellen konnten, die eine höhere Rendite versprachen, zugleich aber mit Kursrisiken behaftet waren. Spezielle Anreize für das Aktiensparen vermittelten zwei weitere größere Teilprivatisierungen (Volkswagenwerk AG 1961, Veba AG 1965). Dabei wurden Aktien im Emissionswert von über 2 Mrd. DM zu besonders günstigen Konditionen bei 4 Millionen Ersterwerbern untergebracht. Wegen verschlechterter Ertragsaussichten und dementsprechend sinkender Aktienkurse wurden diese Aktien jedoch im Laufe der Zeit von den ursprünglichen Erwerbern zu einem Teil wieder abgestoßen. Ende der sechziger Jahre befand sich jedenfalls nur noch knapp die Hälfte der ,,Volksaktien" in der Hand von Ersterwerbern. Wegen des unverändert starken Interesses an Wohneigentum spielte das Bausparen in den sechziger Jahren weiterhin eine bedeutende Rolle. Im Rahmen von Bausparverträgen wurde immerhin ein Viertel aller bei den privaten Haushalten verfügbaren Anlagemittel der Eigenfinanzierung von Wohnbauten zugeführt. Unter den längerfristig gebundenen Ersparnissen behielt das Vorsorgesparen eine Spitzenstellung, wenn es auch im Verlauf des Jahrzehnts etwas an Boden verlor. Während Ende 1960 noch 26 v.H. aller privaten Geldvermögen als Anlage bei Lebensversicherungen und Pensionskassen gehalten wurden, sowie aus Ansprüchen an betrieblichen Pensionsfonds bestanden, waren es 1969 noch 22 v.H. (Tabelle 3). Infolge des raschen Wachstums der Geldvermögen flössen den privaten Haushalten hieraus auch immer mehr Einkommen zu. 1969 waren es bereits 15 Mrd. DM oder 4 v.H. des verfügbaren Einkommens, ein Anteil, der doppelt so hoch war wie zehn Jahre früher. Bezogen auf das verzinslich ange-

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legte Geldvermögen errechnet sich hieraus eine Durchschnittsrendite von rund 41/2 v.H. (brutto); die Realverzinsung war mit 2Vi v.H. ebenso hoch wie zu Beginn des Jahrzehnts. Es darf aber nicht unberücksichtigt bleiben, daß den privaten Haushalten für ihre Sparleistung auch wachsende Mittel aus der staatlichen Sparförderung zuflössen. Sie betrugen 1969 — faßt man die Steuervergünstigungen und die Prämienzahlungen zusammen — rund 5 Mrd. DM, was etwa einem Drittel der erzielten Einkommen aus Geldvermögen entsprach.

IV. 1970 bis 1983: Geändertes Sparerverhalten durch Inflation und Wachstumsflaute

In der Entwicklung des privaten Sparens vollzogen sich in den Jahren nach 1970 einige bemerkenswerte Veränderungen. Sie müssen in erster Linie im Zusammenhang mit Vorgängen gesehen werden, die den Wirtschaftsablauf in der Bundesrepublik in dieser Zeit stark belasteten. Hierzu zählen einmal das relativ hohe Maß an Geldentwertung und zum anderen eine hartnäckige Wachstumsschwäche, die die Beschäftigung beträchtlich sinken ließ. Schon zu Beginn der siebziger Jahre nahm der Preisauftrieb in der Bundesrepublik infolge konjunktureller Überhitzung, aber auch als Ergebnis gravierender Verteilungskämpfe inflatorische Züge an. Zu den hausgemachten Ursachen kamen später die importierten Kostenschübe durch die beiden Ölkrisen, die den Preisauftrieb noch verstärkten. In den Jahren 1970 bis 1983 stiegen die Verbraucherpreise durchschnittlich um 5 v.H. pro Jahr, demnach etwa doppelt so stark wie in den sechziger Jahren. Schon wenige Jahre nach der drastischen Verschlechterung des Preisklimas verloren die Wachstumskräfte ihre Dynamik. Mehrmals kam es auch zu ausgeprägten Produktionsrückgängen. Von diesem Einbruch hat sich die Wirtschaft der Bundesrepublik bis heute noch nicht völlig erholt. Zumindest wurde das gesamtwirtschaftliche Produktionspotential nach der Rezession von 1975 in keinem Jahr mehr voll ausgelastet. Die grundlegend geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gingen auch an den privaten Haushalten nicht spurlos vorbei. Das verfügbare Einkommen wurde zwar im Zuge der Inflation nominal erheblich aufgebläht; die reale Kaufkraft der privaten Haushalte nahm jedoch tendenziell immer weniger zu und ging in den frühen 80er Jahren sogar deutlich zurück. Anders als in den ersten beiden Jahrzehnten nach der Währungsreform verlor der private Sparprozeß seine gradlinige Tendenz. Er vollzog sich vielmehr nun unter erheblichen Schwankungen, wobei sich Zeitabschnitte einer kräf-

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tigen Expansion der privaten Ersparnisbildung mit Perioden absoluter Rückgänge ablösten. Über den gesamten Zeitraum betrachtet stieg die Ersparnis nicht mehr stärker als das verfügbare Einkommen der Haushalte; die Sparquote lag in den Jahren 1980 bis 1983 mit rund 14 v.H. sogar etwas niedriger als in den Jahren 1970 bis 1973 — eine bemerkenswerte Tendenzwende, wenn man bedenkt, daß die Quote zuvor von 1950 bis 1970 fast permanent gestiegen war. Die Sparbereitschaft schwächte sich während des genannten Zeitabschnitts tendenziell ab, obwohl die privaten Haushalte aus ihren Geldvermögen bei stark wachsenden Beständen und steigenden Zinsen ständig höhere Einkommen bezogen. 1983 flössen den Haushalten aus dieser Quelle 85 Mrd. DM zu, was einem Anteil von 8 v.H. am gesamten verfügbaren Einkommen entspricht. Erfahrungsgemäß wird ein Teil dieser Kapitalerträge nicht für Konsumzwecke verwendet, sondern kommt mehr oder weniger automatisch wieder der Geldvermögensbildung zugute. Dies gilt zum Beispiel für die Zinsen auf Prämienspar- und Bausparkonten sowie für die sogenannten Gewinnausschüttungen bei Lebensversicherungsverträgen. Auch die Zinsen von Sparguthaben mit vereinbarten Kündigungsfristen bleiben offenbar großenteils auf den Konten stehen. Allein die Kapitalerträge aus diesen Sparformen machten 1983 zusammen 30 v.H. der Geldvermögensbildung aus, verglichen mit 17 v.H. im Jahre 1970. Wenn die Sparneigung dennoch eher rückläufig war, so hatte dies mehrere Gründe, die sich freilich in ihrer Bedeutung nicht genau gewichten lassen. Zunächst ist offenkundig, daß die Erträge der Ersparnisse während des hier betrachteten Zeitraums durch die relativ hohe Inflation in ihrer realen Kaufkraft ausgehöhlt wurden. Zwar erhöhten sich mit steigender Inflationsrate in der Regel auch die Zinsen; so ging die Durchschnittsrendite des verzinslich angelegten Geldvermögens in einigen Jahren nominal über 6 v.H. hinaus, wobei Umschichtungen zu höher verzinslichen Sparformen der Gesamtrendite zugute kamen. Häufig hielt jedoch die Aufbesserung der Rendite mit dem Preisauftrieb nicht Schritt; die Realverzinsung der privaten Geldanlagen fiel daher von 1970 bis 1983 im Durchschnitt deutlich geringer aus als in den sechziger Jahren. In vier der letzten vierzehn Jahre war sie sogar negativ; es kam somit zu Substanzverlusten am Sparkapital. Die private Ersparnisbildung erhielt zwar durch die Sparförderungspolitik weiterhin eine wesentliche Stütze. In der ersten Hälfte der siebziger Jahre nahmen die staatlichen Vergünstigungen dem absoluten Betrage nach sogar nochmals kräftig zu. Danach sah sich jedoch der Staat unter dem Druck seiner leeren Kassen und wegen der offensichtlich nachlassenden positiven Wirkungen auf den Sparprozeß veranlaßt, die Sparförderung schrittweise einzuschränken. 1975 wurden beispielsweise bei der Gewährung von Spar-

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und Bausparprämien Einkommensgrenzen eingeführt und die Prämiensätze gesenkt; 1981 strich man die Sparprämien bei Neuverträgen völlig und kürzte die Wohnungsbauprämien. Unter dem Einfluß dieser Einschränkungen begann der absolute Betrag der staatlichen Sparförderungsmittel alsbald zu sinken. In Relation zu dem weiter steigenden verfügbaren Einkommen und der Ersparnisbildung haben sie inzwischen erheblich an Gewicht verloren. Nachhaltige Einflüsse auf das private Sparen gingen seit 1970 von der wechselnden Intensität des Eigenheimbaus aus. Zu Beginn der siebziger Jahre stiegen die Wohnungsbauinvestitionen zunächst — nicht zuletzt wohl auch wegen der im Baubereich besonders kräftigen Preiserhöhungen — nochmals sprunghaft an. Dies zwang die Bauherren zu verstärkten Sparanstrengungen, um bei der Schuldaufnahme ausreichend Eigenmittel nachweisen zu können. Gegen Mitte der siebziger Jahre erreichten jedoch die Kosten einer Wohnungseinheit offenbar ein Niveau (der Bauaufwand pro Wohnung war 1975 um 70 v.H. höher als 1969), das für viele Interessenten nicht mehr so leicht zu finanzieren war, zumal sich zu diesem Zeitpunkt die Einkommensperspektiven bereits wesentlich verschlechtert hatten. Dies löste den ersten großen Rückschlag im Eigenheimbau aus. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre erholte er sich zwar noch einmal kräftig; der Anteil der Nettoinvestitionen erreichte jedoch — gemessen am verfügbaren Einkommen oder an der gleichzeitigen Geldvermögensbildung — bei weitem nicht mehr das Niveau der frühen siebziger Jahre. Die Sparbudgets wurden hierdurch spürbar entlastet. Das Niveau der Haushaltsersparnis scheint in den letzten Jahren auch zunehmend von dem Rhythmus frei werdender prämien- und zulagenbegünstigter Sparguthaben tangiert worden zu sein. Spitzenwerte wurden hier in den Jahren 1977 und 1983 erreicht, als allein bei den Banken rund 25 Mrd. DM bzw. 22 Mrd. DM angesammelter Spargelder für die Haushalte frei verfügbar und offenbar zu einem erheblichen Teil für Konsumausgaben verwendet wurden. Es ist sicher kein Zufall, daß diese Jahre zugleich Tiefpunkte in der Entwicklung der Sparquote markieren. In der Struktur der privaten Geldvermögen haben sich in den Jahren 1970 bis 1983 die Gewichte tendenziell weiter von den kurzfristigen zu den längerfristigen Anlageformen hin verschoben. Gegen Ende des Zeitabschnitts waren rund zwei Drittel aller Geldvermögen längerfristig angelegt. Die zunehmende Dotierung der verschiedenen längerfristigen Sparformen spiegelt wohl zugleich das Bestreben der privaten Haushalte wider, der inflationsbedingten Verschlechterung der Realverzinsung durch Übergang zu höherver-

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zinslichen Anlagen zu begegnen. Hierauf deutet vor allem das starke Vordringen des Wertpapiersparens hin. Von 1970 bis 1983 wurde fast ein Drittel des Gesamtabsatzes an Rentenwerten und Aktien bei den privaten Haushalten untergebracht, was gegenüber den sechziger Jahren eine kräftige Steigerung bedeutete. Im letzten Jahr des Zeitabschnitts hielten die privaten Sparer rund 30 v.H. des Gesamtbetrags der in der Bundesrepublik umlaufenden Wertpapiere. Das Vorsorgesparen nahm während der genannten Jahre weiter eine eindeutige Spitzenstellung innerhalb der Struktur der längerfristigen Geldvermögen ein. Von den gesamten Geldanlagen läßt sich 1983 etwa gut ein Viertel diesem Motiv zuordnen. Insbesondere das Sparen bei Lebensversicherungen gewann beträchtlich an Boden, wobei mitgewirkt haben mag, daß hier die staatliche Sparförderung — im Gegensatz zu anderen Sparformen — praktisch nicht eingeschränkt worden ist. Nach der gesetzlichen Neuregelung der betrieblichen Altersversorgung von 1974 erhielten auch die Pensionsansprüche an Unternehmen einen zusätzlichen Auftrieb. Nach den verfügbaren Angaben ist davon auszugehen, daß gegenwärtig reichlich die Hälfte aller Arbeitnehmer in der privaten Wirtschaft laufend Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung erhält 8. Bis etwa gegen Mitte der siebziger Jahre konnten auch die Kreditinstitute einen wachsenden Anteil der privaten Ersparnisse in Form längerfristiger Geldanlagen an sich ziehen. Mit der allmählichen Einschränkung der staatlichen Sparförderungsmaßnahmen, die sich hier besonders auswirkte, und durch das Freiwerden großer Blöcke an zuvor langfristig gebundenen Sparguthaben hat das Langfristsparen bei den Kreditinstituten in jüngster Zeit jedoch deutlich an Boden verloren. Die Rolle des Bausparens innerhalb der privaten Geldvermögensbildung spiegelte in den Jahren 1970 bis 1983 den Trend der Wohnungsbauinvestitionen wider. Dementsprechend nahm das Bausparen in den Zeiten des Wohnungsbaubooms von Anfang der siebziger Jahre anteilmäßig kräftig zu, begann jedoch danach zu sinken. Sein Anteil am gesamten Geldvermögen ist inzwischen auf ein Niveau zurückgegangen, das zuletzt zu Beginn der sechziger Jahre zu verzeichnen war.

8 Vgl.: Betriebliche Altersversorgung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, 36. Jg., Nr. 8, August 1984, S. 30 ff.

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V. Die Ersparnis der privaten Haushalte im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Sparvorgänge

Die Bedeutung der privaten Ersparnis für die gesamtwirtschaftliche Kapitalbildung hat über den ganzen Zeitraum von dreieinhalb Jahrzehnten stark zugenommen. Hatten die privaten Sparer in den fünfziger Jahren im Durchschnitt nur etwa 30 v.H. der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis aufgebracht (Tabelle 5), so stammte in den Jahren 1980 bis 1983 praktisch das gesamte Sparaufkommen der inländischen Sektoren aus privaten Ersparnissen (wobei allerdings diejenigen Beträge eingerechnet sind, die die öffentliche Hand unter anderem in Form von Prämien und Sparzulagen sowie von Entschädigungsleistungen im Rahmen des Lastenausgleichs und der Wiedergutmachung zur privaten Vermögensbildung beigesteuert hat). Umgekehrt ist der Anteil der Unternehmen am gesamtwirtschaftlichen Sparaufkommen in der gleichen Zeit von 38 v.H. auf 4 v.H. zurückgegangen. Die öffentlichen Haushalte, die im Durchschnitt der Jahre 1950 bis 1959 fast ein Drittel zur gesamtwirtschaftlichen Ersparnis beigetragen hatten, fielen in den Jahren 1980/83 als Anbieter von Sparmitteln sogar völlig aus; sie mußten vielmehr zur Deckung ihrer laufenden Ausgaben und der schon erwähnten „Vermögensübertragungen" an andere Sektoren teilweise auf die von diesen Sektoren erwirtschafteten Ersparnisse zurückgreifen. (Soweit die privaten Sparer von „Vermögensübertragungen" seitens der öffentlichen Haushalte profitierten, sind, gesamtwirtschaftlich gesehen, lediglich Ersparnisse zwischen öffentlichen und privaten Haushalten umverteilt worden. Das statistische Bild über die Ausweitung der privaten Spartätigkeit im Rahmen der gesamten Sparvorgänge überzeichnet insoweit etwas die tatsächliche Entwicklung.) Die langfristige Tendenz zur Konzentration der gesamtwirtschaftlichen Ersparnisbildung bei den privaten Haushalten ist unübersehbar. Sie ist aber keineswegs nur positiv zu werten, sondern reflektiert nicht zuletzt die in langfristiger Betrachtung stark gesunkene Ertragskraft und Sparfähigkeit der Unternehmen sowie das Abgleiten der öffentlichen Haushalte in außerordentlich hohe Defizite. Die überragende Bedeutung des privaten Sparens spiegelt demnach zwei gravierende Fehlentwicklungen wider, die maßgeblich zu der seit langem zu beklagenden Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft beigetragen haben. Die tieferen Ursachen liegen zum Teil in vergangenen Fehlsteuerungen im Prozeß der Einkommensverteilung. Die hieraus unter anderem resultierende jahrelange Ertragsschwäche im Unternehmensbereich hatte zur Folge, daß in den Unternehmen zu wenig selbsterwirtschaftete Erträge für die Eigenfinanzierung von Investitionen verblieben; sie

Norbert Bub

86

Tabelle 5 Ersparnis der privaten Haushalte* als Komponente der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis Gesamtwirtschaftliche Ersparnis ^ - Jahresdurchschnittswerte davon Private ρχ Haushalte ;

Z e i t

Mrd DM

Mrd DM

Anteil in %

Unternehmen

Öffentliche Haushalte

2)

Mrd DM

Anteil in %

Mrd DM

Anteil in %

1950 bis 1959

31

9

30

12

38

10

32

1960 bis 1969

77

35

46

24

31

18

23

1970 bis 1979

132

101

77

18

13

13

10

1980 bis 1983

141

148

105

5

4

-

12

-

9

* ) Einschl. privater Organisationen ohne Erwerbszweck— 1) Einschließlich Vermbgensübertragungen. - 2) Der Einsatz von Eigenmitteln der privaten Haushalte für den Erwerb von Wohnungseigentun wird hier a l s Bestandteil der Ersparnis der privaten Haushalte erfaßt. Q j e l l e : Gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung der Deutschen Bundesbank; Angaben f ü r 1950 bis 1959 ohne Saarland und ohne Berlin (West).

machte es darüber hinaus für private Sparer unter Rentabilitäts- und Risikoaspekten zunehmend uninteressant, der Wirtschaft Ersparnisse in Form von Risikokapital zur Verfügung zu stellen. Mit dem konjunkturellen Aufschwung, der Anfang 1983 einsetzte, sind allerdings einige neue Entwicklungen in Gang gekommen. So konnte inzwischen durch die Konsolidierungspolitik der öffentlichen Hand das Ausmaß der Absorption der privaten Ersparnisse zur Finanzierung staatlicher konsumtiver Ausgaben wesentlich zurückgeführt werden, und es besteht die

Privates Sparen in der Bundesrepublik Deutschland

87

Aussicht, daß der Staat — wird diese Politik konsequent fortgesetzt — in absehbarer Zeit wieder einen positiven Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Ersparnisbildung leisten wird. Auch die Ertragsverhältnisse in der Wirtschaft sind auf dem Weg der Besserung. Damit steigt die Chance, daß neben den privaten Sparern auch die übrigen inländischen Sektoren wieder als Anbieter von Finanzierungsmitteln auftreten. Eine derartige Tendenz zur Normalisierung der Ersparnisstruktur wäre vor allem zur Verstetigung des gesamtwirtschaftlichen Wachstums sehr wünschenswert. Das heißt freilich nicht, daß deshalb die privaten Haushalte weniger sparen sollten als bisher. Vielmehr gilt es, das Interesse an einer relativ hohen Ersparnisbildung zu erhalten, nicht zuletzt durch die Sicherung einer ausreichenden Realverzinsung der Geldanlagen. Überdies sind Bedingungen zu schaffen, die es den privaten Sparern attraktiver erscheinen lassen, Ersparnisse den Unternehmen in Form von Risikokapital zur Verfügung zu stellen. Neue Akzente in dieser Richtung hat die Bundesregierung kürzlich mit dem Vierten Vermögensbildungsgesetz vom 1. Januar 1984 gesetzt, das den privaten Sparern, soweit sie gewisse Einkommensgrenzen nicht überschreiten, einen zusätzlichen Anreiz für Engagements in Risikokapital bietet. Solche Initiativen würden vermutlich aber nicht weit tragen, wenn sich an die Unternehmen gegebenes Risikokapital nicht attraktiv verzinst, wenn — mit anderen Worten — die Unternehmen nicht genügend Ertrags- und Eigenfinanzierungskraft entwickeln, um verstärkt am gesamtwirtschaftlichen Sparprozeß teilnehmen zu können. Die Erfahrungen der siebziger Jahre haben gezeigt, daß eine hohe private Ersparnisbildung allein noch keine ausreichende Basis für eine gesunde Wirtschaftsentwicklung bietet.

Norbert Bub

88

Anhang: Vermögensbildung der privaten Haushalte* und ihre Finanzierung (JD 1970 bis 1979)

Finanzierungsrechnung der Deutschen Bundesbank

P o s i t i o n

Schätzung unter Einbeziehung des Wohnungserwerbs p r i v a ter Haushalte und s e i n e r Finanzierung

Vermögensbildung Sachvermögensbildung

(brutto)



62

Wohnbauten



54

Wohngrundstücke



7

Ü b e r t r a g u n g e n an d i e Wohnungswirtschaft 1)

20

.

Geldvermögensbildung

90

90

insgesamt

110

151

Finanzierungsmittel

99

116

Ersparnis'

96

96

Vermögensbildung Finanzierung Eigene Lfd.

( d e s g l . i n % des V e r f ü g b a r e n Einkommens) Abschreibungen Wohnbauten

(14,5)

(14,5)

auf 17

Empfangene V e r m ö g e n s übertragungen 2)

4

4

10

35

Wohnungsbaukredi t e



25

Konsumkredite

10

10

110

151

K r e d i taufnähme

Finanzierung

insgesamt

• ) E i n s c h l . p r i v a t e r O r g a n i s a t i o n e n ohne E r w e r b s z w e c k . 1) Auszahlungen von Bausparguthaben nach V e r t r a g s z u t e i l u n g und T i l g u n g e n v o n B a u s p a r d a r l e h e n , d i e gemäß d e r M e t h o d e d e r V o l k s w i r t s c h a f t l i c h e n Gesamtrechnungen d e r z e i t a l s "Vermögensü b e r t r a g u n g an d i e Wohnungswirtschaft" gebucht werden. 2 ) H a u p t s ä c h l i c h Wohnungsbau- und S p a r p r ä m i e n , A r b e i t n e h m e r s p a r z u l a g e und H a u p t e n t s c h ä d i g u n g a u s dem L a s t e n a u s g l e i c h ; n a c h Abzug g e l e i s t e t e r V e r m ö g e n s ü b e r t r a g u n g e n , s o w e i t d i e s e n i c h t a l s Übertragungen an d i e Wohnungswirtschaft v e r b u c h t wurden. D i f f e r e n z e n i n den Summen d u r c h Runden d e r Z a h l e n .

Die gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung Von Dieter Brümmerhoff, Essen

I.

Die gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung ist eine empirische Darstellung der Kreditänderungsvorgänge der Sektoren einer Volkswirtschaft in einem abgelaufenen Zeitraum. Sie gibt mit der Beschreibung finanzieller Transaktionen und der Finanzierungsstruktur eine Ergänzung zu den Daten des volkswirtschaftlichen Einkommenskreislaufs. Im volkswirtschaftlichen Einkommenskreislauf werden Leistungstransaktionen dargestellt. Leistungstransaktionen führen zu Einnahmen und Ausgaben, wodurch die Höhe des Nettogeidvermögens ( = Forderungen — Verbindlichkeiten) 1 verändert wird. Leistungstransaktionen finden ihren Niederschlag in den Produktions-, Einkommens- und Vermögensveränderungskonten (Konten 1 bis 6) im Kontensystem der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) des Statistischen Bundesamtes. Der Satz, daß Einnahmen und Ausgaben stets mit Veränderungen der Forderungen und Verbindlichkeiten verbunden sind, läßt sich nicht umkehren, d.h. Veränderungen der finanziellen Aktiva und der finanziellen Passiva sind ohne Beziehung zu Einnahmen und Ausgaben möglich. Solche Transaktionen, die die Struktur bei gleichbleibender Höhe des Nettogeidvermögens verändern, werden als Finanztransaktionen bezeichnet (Duwendag u.a., 1977, S. 36). Bereits dieser Umstand macht deutlich, daß die Finanzierungssalden nicht ein bloßer finanzieller Niederschlag der Einnahmen-/Ausgabenrechnung sind. Sie ermöglichen die realen Transaktionen, die zu Einnahmen und Ausgaben führen, und sind (auch) das Ergebnis spezieller Anlage- und Kreditvergabeentscheidungen . Stellt man die gesamten Einnahmen (E) und die Ausgaben (A) eines Sektors gegenüber, ergibt sich gewöhnlich ein Finanzierungssaldo — bei E > A 1 Nettogeidvermögen ( = Nettoposition) wird im Anschluß an die Terminologie der Bundesbank hier als Differenz von Forderungen und Verbindlichkeiten verstanden, Geldvermögen ( = Forderungen) als die Summe der finanziellen Aktiva. Der Begriff ,, Geld vermögen*4 wird auch im Sinne von Nettogeldvermögen verwendet.

90

Dieter Brümmerhoff

ein Einnahmenüberschuß ( = Ausgabendefizit); bei E < A ein AusgabenUber schuß ( = Einnahmendefizit). Dem Finanzierungsüberschuß (Einnahmenüberschuß) einzelner Sektoren muß ein Finanzierungsdefizit anderer Sektoren entsprechen, Ausgabenüberschüsse müssen also durch Nettogeldvermögensbildung anderer Sektoren „finanziert 44 werden. Abb. 1 verdeutlicht diesen Zusammenhang. Die Finanzierung der Defizitsektoren kann direkt bei den Überschußsektoren (Strom 1) z.B. durch Ausgabe von Aktien und Obligationen zur Beschaffung von Eigen- und Fremdkapital erfolgen. Bei der indirekten Finanzierung (Strom 2) gleichen Kreditinstitute und Geldvermittler die Finanzierungssalden der Überschuß- und Defiziteinheiten aus. Die Überschußsituation ist typisch für die privaten Haushalte, die Defizite für Unternehmen und (seit Beginn der 70er Jahre) für den Staat. Abbildung 1

1

Der Finanzierungssaldo ( = Nettogeldvermögensbildung) stellt die Verbindung zwischen der Darstellung der Veränderung der Forderungen und der Verbindlichkeiten in der Finanzierungsrechnung und den in der VGR nachgewiesenen Einnahmen/Ausgaben dar, wobei die Einnahmen-/Ausgabenüberschüsse der einzelnen Sektoren in den sektoralen Vermögensveränderungskonten ihren Niederschlag finden. Folgende Identitäten bestehen: Einnahmen — Ausgaben = Sparen ( + Saldo der Vermögensübertragungen) — (Netto-)Investitionen = Finanzierungssaldo = Veränderung der Forderungen — Veränderung der Verbindlichkeiten. Diese Identitäten gelten für jeden Sektor. Sie zeigen die verschiedenen Wege zur Berechnung der Nettogeldvermögensbildung. Hier knüpft die von der Deutschen Bundesbank erstellte Finanzierungsrechnung an.

II.

Für die Abgrenzung der einzelnen Sektoren ist der Finanzierungsaspekt entscheidend. Im Hinblick darauf müssen die Wirtschaftssubjekte eines Sektors möglichst gleichartig und die Unterschiede im Verhalten der Sek-

Die gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung

91

toren möglichst groß sein. Es ist aber auch eine Abstimmung mit der VGR des Statistischen Bundesamtes erforderlich, um beide Rechnungssysteme leicht verbinden zu können und so die Aufstellung eines integrierten güterund finanzwirtschaftlichen Systems zu ermöglichen. In der gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsrechnung gelten grundsätzlich die gleichen Regeln für die Abgrenzung wie in der VGR. Gegenstand der Darstellung sind die finanziellen Beziehungen aller Wirtschaftseinheiten mit ständigem Sitz im Bundesgebiet. Die inländischen Wirtschaftseinheiten werden nach der Art ihres wirtschaftlichen und finanziellen Verhaltens zusammengefaßt. ,,Die Kriterien hierfür sind teils institutioneller, teils funktionaler Art. So werden z.B. Kreditinstitute sowie überwiegend auch Versicherungsunternehmen und öffentliche Haushalte jeweils als Institutionen — nach Maßgabe ihrer Hauptfunktionen — den entsprechenden Sektoren zugerechnet. Private Haushalte und Unternehmen sind wegen der ,Zwitterstellung 4 von Selbständigen und privaten Bauherren (als »Produzenten4 und »Investoren4 einerseits bzw. als »Konsumenten4 andererseits) zwar überwiegend institutionell, zum Teil aber auch funktional abgegrenzt. Der statistische Sektorenschnitt geht in diesen Fällen quer durch die betreffenden Wirtschaftseinheiten. Die Wohnungswirtschaft wiederum ist ein rein funktional abgegrenzter Sektor 442 . Aus der speziellen Aufgabe der Finanzierungsrechnung, die (Veränderung der) Kreditbeziehungen aufzuzeigen, ergeben sich aber verschiedene Abweichungen zur VGR. So werden Banken, Bausparkassen und Versicherungen in einer gesonderten Gruppe ,,Finanzielle Sektoren44 zusammengefaßt. In der VGR gelten sie als Untersektoren des Hauptsektors „Unternehmen44. Zu den inländischen nichtfinanziellen Sektoren rechnen die privaten Haushalte (einschließlich private Organisationen ohne Erwerbscharakter), nichtfinanzielle Unternehmen und öffentliche Haushalte. In die nichtfinanziellen Unternehmen sind Selbständige und Personengesellschaften eingeschlossen, soweit ihre Transaktionen die Produktions- und Investitionssphäre betreffen. Als Grund für ihre Zusammenfassung mit den Kapitalgesellschaften in den (nichtfinanziellen) Unternehmen wird genannt, daß Angaben über die Forderungen und Verpflichtungen der nichtfinanziellen Unternehmen nicht aus deren Bilanzunterlagen, sondern im wesentlichen aus Statistiken der finanziellen Institutionen abgeleitet werden. ,,Ιη diesen Statistiken wird aber in der Regel nicht danach unterschieden, ob die im Unternehmens2 Anführungszeichen ohne Quellenhinweise bedeuten im folgenden stets Zitate aus Deutsche Bundesbank (1983).

92

Dieter Brümmerhoff

sektor gegenzubuchenden Forderungen und Verpflichtungen Kapitalgesellschaften oder anderen Unternehmen zuzurechnen sind." Ferner „sprechen auch analytische Gründe für dieses Vorgehen. Es ermöglicht, die den gesamten Unternehmensbereich betreffenden Finanzierungsvorgänge in einem Konto nachzuweisen, was gerade für die Bundesrepublik wichtig ist, weil hier die nicht als Kapitalgesellschaft geführten Unternehmen einen vergleichsweise großen Ausschnitt des Unternehmenssektors bilden". Im nichtfinanziellen Unternehmenssektor wird die Wohnungswirtschaft gesondert nachgewiesen. Sie stellte bzw. stellt ein bevorzugtes Feld staatlicher Förderungsmaßnahmen dar, und ein großer Teil der gesamten Investitionen fällt auf die WohnungsWirtschaft. „Außerdem ist die Wohnungswirtschaft ein durch ganz spezielle Finanzierungsstrukturen gekennzeichneter Teil des Unternehmenssektors, dessen isolierte Darstellung die Möglichkeit der Analyse von Finanzierungsvorgängen bei den übrigen Unternehmen wesentlich verbessert". Die Wohnungswirtschaft „umfaßt alle finanziellen Dispositionen, die sowohl neuerstellte Objekte als auch den Altbestand an Wohnungen betreffen. Hauptbeteiligte an diesen Transaktionen sind vor allem die gewerblichen und gemeinnützigen Wohnungsunternehmen, die Versicherungsunternehmen sowie öffentliche und private Haushalte. Bei letzteren wird unterstellt, daß sie als »Unternehmer4 Wohnungen 'für den Markt 4 produzieren und — bei Eigenheimen oder Eigentumswohnungen — gleichzeitig als Verbraucher ,Wohnungsnutzung4 nachfragen. Die funktionale Abgrenzung der Wohnungs Wirtschaft ergab sich zwangsläufig daraus, daß sich die Finanzierungsvorgänge in diesem Bereich zwar im ganzen relativ zuverlässig statistisch erfassen lassen, daß aber deren Aufgliederung nach den jeweiligen Bauherrn gegenwärtig noch am Mangel an Informationen scheitert 44. Die öffentlichen Haushalte sind wie in der VGR abgegrenzt. Ein gesonderter Nachweis der finanziellen Transaktionen der Gebietskörperschaften und der Sozialversicherungen in je einem Untersektor erfolgt, weil es sich hier um Einheiten mit völlig unterschiedlichem Aufgabenkreis und Finanzierungsverhalten handelt. Das Ausland als weiterer nichtfinanzieller Sektor schließt wie in der VGR die DDR ein. Die Banken als Teil des finanziellen Sektors sind durch die Hauptfunktion „Finanzieren, d.h. Ansammeln, Umwandeln und Verteilen finanzieller Mittel 44 gekennzeichnet. Banken führen überwiegend Finanztransaktionen und nur in geringem Ausmaß Leistungstransaktionen aus. Der

Die gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung

93

Sektor enthält die Untersektoren Deutsche Bundesbank und Kreditinstitute. Als Kreditinstitute gelten alle Unternehmen, die Bankgeschäfte nach den Begriffsbestimmungen § 1 Abs. 1 KWG betreiben. Dazu rechnen u.a. Kreditbanken, Girozentralen, Sparkassen, Genossenschaftliche Zentralbanken, Kreditgenossenschaften, Realkreditinstitute, Teilzahlungskreditinstitute, Kreditinstitute mit Sonderaufgaben sowie die Postscheck- und Postsparkassenämter. „Wertpapiersammelbanken, Kapitalanlagegesellschaften und Kreditgarantiegemeinschaften, die methodisch gesehen ebenfalls zu den Kreditinstituten gehören, sind dagegen mangels entsprechender statistischer Informationen nicht mit einbezogen' Bausparkassen nehmen insofern eine Sonderstellung ein, ,,als sie auf eine ganz bestimmte Finanzierungsaufgabe festgelegt sind, nämlich die Ansammlung von Eigenmitteln und die Gewährung nachstelliger Hypothekarkredite für den Wohnungsbau im Rahmen des sog. Bausparerkollektivs". Zu den Versicherungen werden auch die berufsständischen Versorgungswerke der Selbständigen gerechnet. Rechtlich unselbständige Pensionseinrichtungen werden jeweils den Institutionen zugerechnet, von denen sie getragen werden.

III.

Tab. 1 zeigt den Aufbau der Finanzierungsrechnung für das Jahr 1983. Die von der Deutschen Bundesbank unter dem Titel „Die Vermögensbildung und ihre Finanzierung" erstellte Tabelle knüpft an die o.g. Identitäten an. Sie setzt im Teil A an der in den Vermögensveränderungskonten der VGR nachgewiesenen Vermögensbildung und Ersparnis (einschl. Saldo der Vermögensübertragungen) an. Faßt man die Finanzierungssalden aller inländischen Sektoren zusammen, so erhält man die Veränderung der Nettoauslandsforderungen. Diese entspricht zusammen mit der Sachvermögensbildung statistisch der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis. Die in der Finanzierungsrechnung „erfaßten finanziellen Transaktionen lassen erkennen, über welche Kanäle der Geldvermögensbildung die einzelnen Sektoren Finanzierungsmittel bereitgestellt und auf welchen Wegen sie sich solche Mittel kreditweise beschafft haben ... Die Kreditströme werden für die meisten Positionen als Veränderungen von Bestandsgrößen ermittelt, d.h. als ,Nettoströme 4, bei denen Kreditauszahlungen und -rückzahlungen, soweit sie innerhalb der gleichen Periode stattgefunden haben,

94

Dieter Brümmerhoff

Tabelle 1 Die Vermögensbildung und ihre Finanzierung im Jahre 1983 P)

Mrd DM Sektor

Position

^



Unternehmen

Öffentliche Haushalte

Private Haushalte

Insgesamt

ohne Wohnungswirtschaft

1

2

(2 a)

Wohnungs· Wirtschaft

Insgesamt

Gebietskörperschaften 1)

Sozialversicherungen 2)

(2 b)

3

(3 a)

(3 b)

A. Vermegensblldung und Ersparnis 1. Vermögensblldung 1. Bruttoinvestitionen 2. Abschreibungen 3. Nettoinvestitionen (Sachvermögensblldung) (1 ·/. 2) II. Ersparnis und Vermögensübertragungen 1. Ersparnis 2. Empfangene Vermögensübertragungen 3. Geleistete VermdgensQbertragungen III. FlnanzlerungsüberschuB bzw. -deflzlt (—) ( I I - / . I . 3 )

_ —

310,91 195,34

— 102,61 136,01 5.71 — 39,11

205,13 148,77

105,78 46,57

115,57

56,36

59,21

37,77 — 19,61

34,43 16,51

3,34 — 36,12

22,88 4,96

39.46 —

a) 6,55 a) — 32,22

6,63 — 30.86



0,06 1,50



0,11



1.42 0,87 2,89 0,60 — — — 0,23 —



62,34 4.96



43,78 11,34

42,50 10,97

1.28 0,37

32.44

31,53

0,91

— 12,33 13,34

— 13,13 11,10

0,80 2,24

102,61

— 77,81

— 21,94

— 55,87

— 44,77

— 44.66

44,79 9,39 4.89 30,51 4,78 36,23 — 1,37 17,63 3,67

20,22 11,74 8,09 0,39 0,08 3,08 0,34 13,08 4,51

17,82 9,34 8,09 0,39 0,08 3,08 0,34 13,08 4.51

2,40 2,40 — — — — — — —

9,66 2,68 6,16 0,82 0,13 0,09 0,03 0,30 0,73

11,08 1.61 9,05 0,23 — 0,13 0,09 — 0,03 — 0,07 0,73



— — — — — 16,04 0,65 15,39

— — — — — —

— —

— —

— — — 2,70 0.11 2,59

— — — 1.35 1.24 2,59

B. Flnenzlerungerechnung 1. Geldvermögensbildung 1. Geldanlage bei Banken a) Bargeld und Sichteinlagen 9) b) T e r m i n g e l d e r · ) c) Spareinlagen 2. Geldanlage bei Bausparkassen 3. Geldanlage bei Versicherungen 4) 4. Erwerb von Geldmarktpapieren 3. Erwerb festverzinsl. Wertpapiere β. Erwerb von Aktien 7. Auslandsposition der Deutschen Bundesbank β. Kurzfristige Bankkredite 9. Längerfristige Bankkredite 10. Darlehen der Bausparkassen 11. Darlehen der Versicherungen 4) 12. Sonstige Forderungen a) an inländische Sektoren 7) b) an das Ausland darunter Handelskredite 13. Innersektorale Forderungen Summe

— — — — —

Summe

16,04 0,65 15,39

— —

8,30 — a)

57,34

_ _ _

_ _ _ 2,80 8,20 1,14 0,19 0,19

102,61

a) -

Quelle:

6,30 0,26

— —

a)

— -



2,40

a)

12,72

13.01

_ _ _ _ _

_ _ _ _ _

0,08

12,79 79,88 7.04 12,12 16,90

9,28 37,52 0,87 5,52 17,08

3,51 42,36 6,17 6,61 — 0,19

8,12 8.77

8,31 8.77

2,03

2,03 —

135,15

76,62

56.27

— 21,94

— 55.87

77,81

-

54,68

0,50 0,06 5,78

1 Einschl. Laatenausgleichsfonds und ERP-Sondervermögen. - 2 Einschl. Zusatzversorgungsanstalten öffentlicher Stellen. - 1 Elnachl. DDR. 4 Einschl. Pensionskassen. - S Einschl. eines Teilbetragea der achweben· den Verrechnungen zwischen Kreditinstituten und nichtflnanziellen Sekto-

— —

_ _

0,50 0,08 5,88

— 12,33

III. NettoverAnderungen der Forderungen bzw. Verpflichtungen (I ·/. II)

_

9,21 9.21 —

114,94

II. Kreditaufnahme und Aktienemission 1. Geldanlage bei Banken a) Bargeld und Sichteinlagen 9) b) T e r m i n g e l d e r · ) c) Spareinlagen 2. Geldanlage bei Bausparkassen 3. Geldanlage bei Versicherungen 4) 4. Absatz von Geldmarktpapieren 5. Absatz festverzinsl. Wertpapiere β. Emission von Aktien 7. Auslandsposition der Deutschen Bundesbank 8. Kurzfristige Bankkredite 9. Längerfristige Bankkredite 10. Darlehen der Bausparkassen 11. Darlehen der Veraicherungen 4) 12. Sonstige Verpflichtungen a) gegenüber inländischen Sektoren 7) b) gegenüber dem Ausland darunter Handelekredite 13. Innersektorale Verpflichtungen

_

— —







-

_ _ _ _ _

1.35 1.35 —

_ _ _ _ _ _

— 0,23 —

0,08

_ _ _ _ _ _ _ _



0,45 11,27 — 0.03 3,34 11,02



0,50 11,27 — 0,03 3,34 11,02

0,04 0,00

0,46 10,56

0,46 10,56



0,23



57,49

57,67

0.05

— 44,77

— 44,66

— 0,11

0.26 ·)

— — — — —



_

_



1,45 33,79



0,19



1.45 33,79

_

_ _ _

ran. - · Einschl. Spartori·»·, Inhaberaparschuldverechrelhungen und d u r d i laufender Gelder aowle einschl. Beteiligungen Affanti Idtar Haushalte an öffentllch-rechtlltfien Kredltlnatltuten. - 7 Elnachl. der A n e p r M i e privater

Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, M a i 1984, S. 48/49.

Die gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung

Ini. nlchtflnanzlelle Sektoren Insgesamt (Sp. 1 bis 3) 4

Banken

Ausland 9)

Nichtfinanzielle Sektoren Insgesamt (Sp. 4 + 5)

5

6

95

Sektor

Insgesamt

Deutsche Bundesbank

KreditInstitute

Bausparkassen

7

(7 a)

(7 b)

8

Versicherungen 4)

Finanzielle Sektoren Insgesamt (Sp. 7 b i s 9 )

Sektoren Insgesamt (Sp. 6 +10)

9

10

11

/

/

/

Position

A 354,69 206,68



354.09 206,68

-

5,85 2,38

0.17 0.12

2,37 0,92

8,39 3,40

383.08 210.07

148,01

3,49

0,05

1.45

5.00

153,01

128.05 129,74

— 9,34 — 11,80

118,71 117,94

27,51 27,86

1.17 1.17

5,62 6,04

34.30 35,07

153,01 153,01

74,60 — 78.29



2.65 0.19

-

77,25 78,48

_

_

_

_

77,25 — 77,25

— 19,97



9.34

— 29,31

148,01



0,35



24,02

23,83



1.12

0,42



0,77

4.17

29,31

1 2 3 II 1 2 3 III

Β

I 74,68 23,81 19,14 31,72 4.73 39,40 — 1,07 30,42 8,90

_

— — —



— — — — 27,95 9.97 17,98

3.43 2.45 6,48 0,58 0,77 0,09 0,97 9,74 2,59

71,24 26,26 12,69 32,30 3,96 39,49 — 0,10 40,16 11,49

2,12 — — — —



19,34 19,34 -

_

8,30

2,12 — — — — 47,29 29.31 17,98





26,39

211,40

_

— — — — — — 0,95 33,85 5,88

_

15,14 99,35 7,01 16,60 28,11

— — — — —

0,35 5,74 7.95 b) — -

5.38 7,31 16,77 — 0.44 0,06 17,98

8.77 19,34

17,96 -

_

2,03 — 204,97 — 19.97





a)



5.38 7.83 118.11 8.57 18.68 48.09 28,75 19,34



2,03 — 240,71

9,34

— 29,31

_

10.18

_ _ _

0,04 —

0,82 35,38 1,99

_

8.14 118,43 — —

_ _ _ -

-

-

44.95

_

_

75,58 17,80 25,88 32,30 — — 0,40 51,78 0.47

_

0,84 0,34 —

_

0.02

-

0,81

-

_

0.81

_

-

-

_ _ -

a b

212,75

424,18

84,21 26,25 25,66 32,30 4,01 39,49 2,04 51,8? 1.41

84,21 26,25 25,88 32,30 4.01 39,49 1.45 91,41 15,22

2 3 4 5 8

7,48 8,83 116,43 6.83 18.68 47,29

7 8 9 10 11 12

13

II

0.77

0,16 0,02 0.00 — 0,39

2,12 1.00 0,32 0,08 0.02 1.20

0,39

1.20

-

-





1 a b e

a b

27.98 19,34

0.47

_

10.18

_

_

_ —

2.08 —

8.84

139.24

5,45

40,78

183,45

424,18

24,02

0.19

23.83

1.12

4,17

29.31



7 8 9 10 11 12

7,48 8,83 116,43 6,83 18,88 47,29 29,31 17,98

_



2 3 4 5 8

8,30 —

_



a b c



— 39,49

_ _ _



137,23

Haushalte gegenüber betrieblichen Pensionsfonds. - · Bei der Summen· blldung wurden die innersektoralen Ströme nicht mltaddlert. - b AbzOglieh dee Qegenpoetene aus der Höherbewertung dee In den EuropAlechen

_

-

5,38 8,83 118,43 6,83 16,68 —

— —

_

— — 0,06

1,55 51,28 3,73 —

1

84,21 26,25 25,68 32,30 4.01 39,49 1.45 91,41 15,22

12,96 0,01 12,97 — 0,04 —



— — — 4,01 — — 0,06 0,18

2,12 — — — —



— — — 16,68 — —

_

8,65 8,65 — — — — 1.64 —

-

_

— — 8,63 — — —

_

84,21 26,25 25,68 32,30 — — 2,04 51,76 0.47 —

_

13.75 0.19 13,95 — — — — 12,77 1,74



183,07

2,12 — — 0,06 — 0,81



6,58

8.83

-

-

0,79 0,19 0,98 — — — — 0,72 0,00

0.47

181,24

0.81

a)

5,36 0,89 — — — — —

-

— — — — — — 0.60 39.59 13,81

35,73

b) —

_

·)

_



5.36 8.83 118,43 — — — —

— — — — — 0,93 2,39

-

8,30

— 185,01

_

— — — — 0,04 — 1.55 37,76 1.99

-

Fond« für wAhrungepolltlache Zusammenarbeit vorläufig Qoldee. - ρ Vorläufige Ergebnleee. Differenzen In den Summen durch Runden der Zahlen.

13

III eingebrechten

96

Dieter Brümmerhoff

gegeneinander aufgerechnet sind. Bestandsveränderungen, die nicht auf Transaktionen beruhen, sondern z.B. auf Bewertungsänderungen, Zuweisungen von Forderungen (bzw. Verpflichtungen) durch Gesetz und ähnliches zurückgehen, werden in der gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsrechnung soweit wie möglich ausgeschaltet". Die in der Finanzierungsrechnung berücksichtigten Transaktionen werden aufgrund ihres Anschlusses an die Einkommensrechnung der VGR weitgehend zu Transaktionswerten (zum großen Teil Marktwerte) bewertet. Die Erfassung der gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsvorgänge auf Nettobasis hat den Nachteil, daß über die Entstehung der Salden nichts ausgesagt wird. Es läßt sich ,,nicht ermitteln, inwieweit mit den Nettoveränderungen der Einzelpositionen Bestandsumschichtungen innerhalb des Geld Vermögens, die lediglich auf Umdispositionen beruhen ohne den Finanzierungssaldo zu berühren und eventuell nur die Aktiva- und Passivastruktur der Geldvermögensrechnung verändern, vermischt sind. Um einige Beispiele zu nennen: die Käufe und Verkäufe von Wertpapieren, Zahlungsmittelumschichtungen durch Tilgungszahlungen, die eine Verminderung der Verbindlichkeiten der Schuldnersektoren und der Forderungen der Gläubigersektoren bedeuten, entziehen sich einer Beobachtung durch die Nettorechnung. Sie können nur durch Erfassung der Bruttobewegungen sichtbar gemacht werden" (Kaiser, 1972, S. 41/42). Über Bruttoveränderungen sind aber keine Angaben verfügbar. Insbesondere der fehlende Nachweis der monetären Bestandsumschichtungen durch Tilgungszahlungen ist problematisch. Sie führen zu Zahlungsmittelveränderungen bei den Gläubigersektoren, die von diesen wieder zu neuen Krediten an andere oder denselben Sektor (Neuverschuldung) weiter ver wendet werden. Wenn sie an den Bankensektor geleistet werden, bedeuten sie eine Geldmengen Verringerung, die den Kreditschöpfungsspielraum der Banken wieder erweitert (ebenda, S. 42). Die Nichterfassung der Wertzuwächse durch Wertsteigerungen am ruhenden oder innerhalb desselben Sektors transferierten Vermögensobjekten führt dazu, daß die in der Finanzierungsrechnung nachgewiesenen Stromgrößen von den sich aus der Bestandsrechnung ergebenden Veränderungen abweichen. Die Finanzbeziehungen innerhalb eines Sektors werden in der Regel konsolidiert. ,,Eine Ausnahme hiervon bilden lediglich die in Wertpapieren verbrieften Forderungen und Verpflichtungen sowie die Aktien, die auch insoweit gezeigt werden, als sie bei Einheiten des gleichen Sektors gegenzubuchen sind".

Die gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung

97

Die Bruttoinvestitionen und die Abschreibungen entsprechen den in der VGR gebräuchlichen Abgrenzungen bzw. werden von dort übernommen. Die Bauinvestitionen der öffentlichen Haushalte werden nach Maßgabe der Bauproduktion und nicht aufgrund der Kassenströme verbucht. Die im Untersektor Wohnungswirtschaft nachgewiesenen Investitionen betreffen Aufwendungen für Wohngebäude, d.h. für Bauten, die überwiegend Wohnzwecken dienen. ,,Die Investitionen in der Wohnungs Wirtschaft enthalten — mangels ausreichender statistischer Unterlagen — nicht die Aufwendungen für den Erwerb von Grundstücken. Käufe von Altbauten stellen lediglich einen Besitzwechsel dar und berühren deshalb die Sachvermögensblldung der Wohnungswirtschaft nicht". Die Ersparnis schließt die laufende Rechnung der Sektoren ab. Sie entspricht grundsätzlich dem nicht konsumtiv verwendeten Teil des verfügbaren Einkommens und vermittelt gleichzeitig nach Berücksichtigung der Vermögensübertragungen eine Vorstellung über die Vermögensbildung der Sektoren. Für die privaten Haushalte ,,wird die Ersparnis aus der Geld Vermögensbildung abzüglich Kreditaufnahmen für Konsumzwecke zuzüglich des Saldos der Vermögensübertragungen ermittelt. Sie schließt die Zunahme der Ansprüche von Arbeitnehmern im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung" (im Gegensatz zur VGR, wo sie als Vermögensübertragungen an private Haushalte verbucht werden) mit ein. ,,Außer Ansatz bleibt bei der Ermittlung der privaten Ersparnis — mangels ausreichender Informationen hierüber — der Erwerb von GmbH- und Genossenschaftsanteilen durch private Anleger. Aus dem gleichen Grund müssen auch die für Wohnungsbauzwecke von privaten Haushalten bereitgestellten Eigenmittel unberücksichtigt bleiben, soweit diese nicht über Bausparkassen geleitet werden". Die Ersparnis der öffentlichen Haushalte ergibt sich als Saldo der Einnahmen und Ausgaben in laufender Rechnung. Die Ersparnis des Sektors Ausland wird aus der Gegenüberstellung der Einfuhr ( = Einnahmen des Auslands) und der Ausfuhr ( = Ausgaben des Auslands) von Waren und Dienstleistungen unter Berücksichtigung des Saldos der Erwerbs- und Vermögenseinkünfte zwischen In- und Ausland sowie sonstiger Übertragungsvorgänge berechnet. Die Ersparnis der nichtfinanziellen Unternehmen (d.h. die nichtentnommenen Gewinne) wird ebenfalls aus den Einkommensströmen der VGR ermittelt. Hierbei lassen sich an einigen Punkten — mangels ausreichender statistischer Informationen — Restrechnungen nicht vermeiden. „Diese

98

Dieter Brümmerhoff

mit einer gewissen Unsicherheitsmarke behaftete Position schließt auch die nichtentnommenen Gewinne der Einzelunternehmen und Personengesellschaften ein". Zu beachten ist, daß diese Gewinne in der VGR nicht in die Ersparnis der Unternehmen eingehen, sondern als ausgeschüttet gelten und als von den privaten Haushalten geleistete Vermögensübertragungen an die Unternehmen zurückfließen. Die Ersparnis der Wohnungswirtschaft wird als Differenz zwischen den Neubauaufwendungen und den Nettokreditaufnahmen (unter Berücksichtigung von Abschreibungen und empfangenen Vermögensübertragungen) abgeleitet. Als Vermögensübertragungen gelten in der VGR sehr verschiedenartige Ströme, die ,,sich nur schwer auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen. In erster Linie sind hier alle Geldleistungen ohne spezielle Gegenleistung anzuführen, die zumindest für eine der beteiligten Wirtschaftseinheiten eine unmittelbare Vermögenszunahme bzw. -abnahme darstellen". Hierzu rechnen unter anderem Investitionszuschüsse öffentlicher Haushalte an die Landwirtschaft, den Bergbau, die Schiffahrt, die Bundesbahn und andere öffentliche Erwerbsbetriebe, Entschädigungen des Staates für größere Schäden, Leistungen staatlicher Stellen zur Förderung der Vermögensbildung und Erbschaftsteuerzahlungen. Vermögensübertragungen weist auch die Wohnungswirtschaft auf. ,,Da die Wohnungsbauinvestitionen geschlossen im Unternehmenssektor verbucht werden, müssen auch die für Wohnungsbauzwecke eingesetzten Eigenmittel, soweit sie sich statistisch erfassen lassen, im Unternehmenssektor erscheinen. Das wird durch die Buchung einer Vermögensübertragung von den betreffenden Sektoren (private und öffentliche Haushalte, Versicherungen) an die Wohnungswirtschaft erreicht. Im Falle der privaten Haushalte werden als »Eigenmittel für den Wohnungsbau4 die Auszahlungen der bei Bausparkassen angesparten und vertragsmäßig ausgezahlten Guthaben sowie die Tilgungen von Bauspardarlehen gewertet". Der Umfang der Ersparnis hängt von der Abgrenzung der laufenden gegenüber den vermögenswirksamen Einnahmen/Ausgaben ab. Diese Abgrenzung ist in vielen Fällen umstritten (Brümmerhoff, 1982, 9. Kap.): so z.B. zwischen Staats verbrauch und Investitionen des Staates oder zwischen Vermögens- und laufenden Übertragungen. Je nach Verbuchungsweise werden die Investitionen der Sektoren und ihre Finanzierung durch Ersparnis/Vermögensübertragungen verschieden ausfallen, ohne daß allerdings, wie Abb. 2 zeigt, die Finanzierungssalden der Sektoren hiervon berührt werden. Es gilt immer E - A = (1-3) + (2-4), d.h. die Summe der

Die gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung

99

Teilsalden ist unabhängig von der Aufspaltung der Einnahmen und Ausgaben. Abbildung 2 laufend

l a u f e n d

(1)

(3) E i n n a h - Ausgaben men

flrärmögensI w i r k s a m

Vermögens—

Saldo

w i r k s a m

(2)

(5)

Auch die verschieden möglichen Verbuchungen der einbehaltenen Gewinne der Personengesellschaften als Ersparnis der Unternehmen (Finanzierungsrechnung) oder Einkommen der privaten Haushalte und Vermögensübertragungen an Unternehmen (VGR) berühren nicht den Finanzierungssaldo. Entsprechendes gilt für Ansprüche der Arbeitnehmer im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung, die von der Bundesbank als Teil der Ersparnis, vom Statistischen Bundesamt als Vermögensübertragungen an private Haushalte dargestellt werden, also nicht als Teil der laufenden Ersparnis aus verfügbarem Einkommen der Haushalte.

IV.

Zu den Forderungen und Verpflichtungen ( = Verbindlichkeiten) rechnen außer Gläubiger-Schuldnerverhältnissen ,,auch Finanzbeziehungen in Form von Aktien und sonstigen Beteiligungen, ferner Ansprüche gegen Versicherungen sowie die als Forderung an das Ausland ausgewiesenen Bestände an finanziellem Gold". Für die Klassifizierung der finanziellen Aktiva und Passiva liegt der Finanzierungsrechnung kein einheitliches Anordnungskriterium zugrunde. Es wird vielmehr nach den beteiligten Marktparteien, der Liquidität oder der Laufzeit finanzieller Aktiva und Passiva (kurz-, langfristig) sowie dem Charakter der Forderungen und Verbindlichkeiten (z.B. verbriefte oder nichtverbriefte Titel) gefragt. Dies zeigt Abb. 3. Im wesentlichen ist von Bedeutung, ob die Positionen aus der Sicht der nichtfinanziellen Sektoren ,,eine Forderung oder eine Verpflichtung dar-

100

Dieter Brümmerhoff

stellen (bzw. im Falle der Aktien eigentumsrechtliche Beziehungen zwischen den Wirtschaftseinheiten zum Gegenstand haben)". Für die „Gliederung nach der Fristigkeit ist die ursprünglich vereinbarte Laufzeit oder Kündigungsfrist maßgebend. Täglich fällige oder mit Laufzeiten bis zu einem Jahr kontrahierte Forderungen bzw. Verpflichtungen gelten in der Regel als kurzfristig, solche mit längeren vereinbarten Laufzeiten dagegen als längerfristig". Abbildung 3 Gliederung der Forderungen und Verpflichtungen In der gesamtwirtschaftlichen Flnanzierungs- und Geldvermögensrechnung Art der Forderungen oder VerpflichtungenForderungen und Aktienbesitz nichtfinanzieiier Sektoren Geldanlage bei Banken Bargeld und Sichteinlagen Termingelder Spareinlagen Auslandsposition der Deutschen Bundesbank Geldanlage bei Bausparkassen Geldanlage bei Versicherungen Geldanlage in Geldmarktpapieren festverzinslichen Wertpapieren Aktien Sonstige Forderungen an inländische Sektoren an das Ausland Innersektorale Forderungen

an Banken

an Bausparkassen an Versicherungen Fungible Forderungen gegenüber finanziellen und nichtfinanziellen Sektoren sowie Aktienbesitz Kreditbeziehungen zwischen nichtfinanziellen Sektoren Kreditbeziehungen zwischen Untersektoren des gleichen Hauptsektors Verpflichtungen Sektoren

Verpflichtungen aus Geldmarktpapieren festverzinslichen Wertpapieren Aktienumlauf Auslandsposition der Deutschen Bundesbank Kurzfristige Bankkredite Längerfristige Bankkredite Darlehen der Bausparkassen Darlehen der Versicherungen Sonstige Verpflichtungen gegenüber inländischen Sektoren gegenüber dem Ausland Innersektorale Verpflichtungen

an finanzielle Sektoren

und Aktienumlauf nichtfinanzieller

verbriefte Verpflichtungen gegenüber finanziellen und nichtfinanziellen Sektoren sowie Anteilsrechte

gegenüber Banken gegenüber Bausparkassen gegenüber Versicherungen

gegenüber finanziellen Sektoren

Kreditbeziehungen zwischen nichtfinanziellen Sektoren Kreditbeziehungen zwischen Untersektoren des gleichen Hauptsektors

Quelle: Deutsche Bundesbank, 1983, S. 11.

Die gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung

101

Zu den Forderungen rechnen zunächst Bargeld und Sichteinlagen. Bargeld ist der Umlauf an inländischen Noten und Münzen außerhalb des Bankensystems. Über die Aufteilung des Bargeldumlaufs auf verschiedene Sektoren gibt es keine statistischen Informationen; sie wird geschätzt. Als Sichteinlagen werden Einlagen von Nichtbanken bei inländischen Kreditinstituten mit einer Laufzeit bis zu einem Monat ausgewiesen. Termingelder stellen alle befristeten Forderungen von Nichtbanken an inländische Kreditinstitute mit vereinbarter Laufzeit oder Kündigungsfrist von 1 Monat oder mehr dar. Dazu zählen Geldanlagen in Sparbriefen, Namens- und Inhabersparschuldverschreibungen, Forderungen aus Durchleitkrediten sowie Beteiligungen an inländischen Nichtaktienbanken. Spareinlagen sind Forderungen von Kunden an Banken, die eine Urkunde, insbesondere ein Sparbuch, anfertigen. Spareinlagen können mit gesetzlicher Kündigungsfrist (3 Monate) oder längerer Frist gekündigt werden; sie schließen auch Einlagen auf Prämiensparkonten ein. Als Geldanlagen bei Bausparkassen werden im wesentlichen die Ansparguthaben der Bausparer sowie alle sonstigen von Nichtbanken an Bausparkassen gegebenen Gelder angesehen. Geldanlagen bei Versicherungen sind alle den Versicherungsnehmern zurechenbaren Passiva der Versicherungsunternehmen. Die Positionen Sonstige Forderungen und Sonstige Verpflichtungen umfassen im wesentlichen Direktkreditbeziehungen zwischen den nichtfinanziellen Sektoren. Hierzu rechnen die „Ansprüche von Arbeitnehmern aus Pensionszusagen der Unternehmen im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung sowie Darlehensforderungen öffentlicher Haushalte gegen Unternehmen aus den verschiedenen staatlichen Wirtschaftsförderungsprogrammen". Die Finanzbeziehungen innerhalb eines Sektors bleiben grundsätzlich außer Betracht („Konsolidierung") — es sei denn, es handelt sich wie bei den Innersektoralen Forderungen und Verpflichtungen um Kredite zwischen Untersektoren des gleichen Hauptsektors. Dazu gehören vornehmlich die Beziehungen zwischen Kreditinstituten und der Deutschen Bundesbank. Eine Sonderstellung nehmen die in fungiblen Titeln verbrieften Gläubiger-Schuldnerbeziehungen und BeteiligungsVerhältnisse ein. Sie beruhen auf dem Erwerb bzw. der Emission von Geldmarktpapieren, festverzinslichen Wertpapieren und Aktien. Im Gegensatz zu allen übrigen Beziehungen wird hier ,,nicht konsolidiert, d.h. Forderungen und Verpflichtungen sowie Eigentumsrechte dieser Art werden in voller Höhe ohne

102

Dieter Brümmerhoff

Rücksicht darauf ausgewiesen, ob sie sich gegen Einheiten des gleichen oder eines anderen Sektors richten". Diese Darstellung hat ausschließlich statistische Gründe. Ob Wertpapiere zu den finanziellen Aktiva z.B. des Unternehmenssektors rechnen, hängt davon ab, ob die Emittenten dieser Wertpapiere zu den Unternehmen gehören oder nicht. Diese Informationen liegen aber nicht vor. Geldmarktpapiere sind hauptsächlich Schatzwechsel und unverzinsliche Schatzanweisungen in- und ausländischer Stellen. Inländische Emittenten solcher Titel sind der Bund, die Länder, die Bundesbahn und die Bundespost. Die Bewertung der Geldmarkttitel erfolgt zum tatsächlichen Ausgabepreis zuzüglich des Emissionsdisagios. Festverzinsliche Wertpapiere sind Bankschuldverschreibungen, öffentliche Anleihen und Industrieobligationen in- und ausländischer Emittenten, soweit sie auf den Inhaber lauten, und zwar ohne Rücksicht auf die Laufzeit der Währungsbasis. Auch Bundesschatzbriefe werden hier erfaßt. Die Bewertung wird (netto, d.h. nach Abzug der Tilgungen und unter Berücksichtigung der Veränderungen in den Eigenbeständen der Emittenten) zu Emissionskursen vorgenommen. Auch Ansprüche mit Beteiligungscharakter werden in der Finanzierungsrechnung nachgewiesen. Die bisher hier allein nachgewiesenen Aktien in- und ausländischer Emittenten werden aber nur insoweit erfaßt, als sie gegen Bareinzahlung oder im Wege des Umtausche von Wandelschuldverschreibungen erworben werden. Der Besitz an Investmentzertifikaten wird als indirektes Engagement der Erwerber an den Wertpapiermärkten angesehen, ist also in den ausgewiesenen Zahlen über die Bestände an Rentenwerten und Aktien enthalten. Die Bildung eines eigenen finanziellen Sektors ,,Investmentfonds 44 war bisher nicht möglich. Die Auslandsposition der Deutschen Bundesbank umfaßt auf der Aktivseite die jederzeit verfügbaren Bestände an Währungsreserven (darunter Gold, Devisen und Sorten, Reserveposition im IWF) und die übrigen Kredite und Forderungen der Bank an das Ausland (einschl. der in Wertpapieren verbrieften Forderungen der Bundesbank an die Weltbank). Auf der Seite der Verpflichtungen werden unter dieser Position in erster Linie Einlagen ausländischer Zentralbanken und der Gegenposten zu den zugeteilten Sonderziehungsrechten verbucht. Die Verpflichtungen der nichtfinanziellen Sektoren aus kurzfristigen Bankkrediten gegenüber inländischen Kreditinstituten betreffen alle Kredite und Darlehen mit vereinbarter Laufzeit bis zu einem Jahr. Als längerfristige Bankkredite gelten Kredite und Darlehen mit vereinbarter Laufzeit von mehr als einem Jahr.

Die gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung

103

Die Darlehen der Bausparkassen umfassen in erster Linie die den Bausparern gewährten Zuteilungsdarlehen, daneben aber auch Kredite zur Vor- und Zwischenfinanzierung und sonstige Kredite. Darlehen von Versicherungen enthalten Hypotheken und Schuldscheindarlehen, Policendarlehen, Ausgleichsforderungen, Prämienforderungen, geleistete Anzahlungen für Bau- oder Grundstücke sowie Beteiligungen der Versicherungsunternehmen und Pensionskassen (ohne Aktien).

V.

Die bisherigen Ausführungen zeigten (wie auch der Aufbau von Tab. 1), daß die Finanzierungsrechnung Informationen liefert über 1. die Vermögensbildung, die Ersparnis (einschl. Vermögensübertragungen) und die daraus resultierenden Finanzierungssalden — hier knüpft sie an die VGR an, 2. die Geld Vermögensbildung der Sektoren, 3. die Kreditaufnahme (einschl. Aktienemission). Diese drei Aspekte sollen für die nichtfinanziellen Sektoren behandelt werden. Die folgenden sechs Positionen eines erweiterten Vermögensveränderungskontos haben für die einzelnen Sektoren eine unterschiedliche BedeuVermögensveränderungskonto b

Bruttoinvestitionen ( I )

Abschreibungen (D) empfangene . / . geleistete Vermögensübertragungen (AV)

Veränderungen der Forderungen (AF)

Ersparnis (S) Veränderungen der Verbindlichkeiten (ΔΚ)

tung, so daß die mit der Anwendung der Finanzierungsrechnung auftretenden Fragestellungen variieren. So liegt der Hauptteil der SachVermögensbildung ( = Nettoinvestitionen, I n ) bei den Unternehmen (vgl. Tab. 2). Iu 3 schwankte im Zeitraum 1974- 1983 zwischen 54,1 v.H. und 89,9 v.H. 3 Der Suffix beschreibt den Sektor U = Unternehmen, St = Staat, H = Private Haushalte, A = Ausland.

104

Dieter Brümmerhoff

der gesamtwirtschaftlichen Vermögensbildung ( = I n + Veränderung der Nettoforderungen gegenüber der übrigen Welt). Auch innerhalb des Unternehmenssektors erfolgten große Verschiebungen: Zwischen 13 v.H. und 47,5 v.H. der gesamtwirtschaftlichen Vermögensbildung entfielen auf die Unternehmen ohne WohnungsWirtschaft; die Sachvermögensbildung der öffentlichen Haushalte (weitgehend identisch mit der der Gebietskörperschaften) betrug zwischen 20 v.H. und 35,8 v.H. Der Nettoforderungszuwachs 4 gegenüber dem Ausland wird in Tab. 1 als Ersparnis (aus der Sicht) des Auslands bezeichnet. Er war nur 1979- 1981 negativ. In diesen Jahren hat also das Ausland zur Sachvermögensbildung in der Bundesrepublik beigetragen. Mit der Vermögensbildung gingen kurzfristig stärkere Umschichtungen der Ersparnis (einschließlich Vermögensübertragungen) einher. So lagen (Su + AVu) / (S + ΔV) zwischen 21,7 v.H. und 44,4 v.H., (S H + AV H ) / (S + ÄV) zwischen 57,8 v.H. und 99,7 v.H. und (SSt + AV S t) / (S + AV) zwischen -24,7 v.H. und 16 v.H. Die Ersparnis der öffentlichen Haushalte war in diesem Zeitraum meist negativ, sie haben daher rechnerisch private Ersparnisse zur Finanzierung ihrer konsumtiven Ausgaben beansprucht. Diese Interpretation ist allerdings für den Staat nicht zweckmäßig, weil die Abgrenzung zwischen Staatsverbrauch/Investitionen umstritten ist (Brümmerhoff, 1982, 9. Kap.). Wesentlicher ist die Beanspruchung der positiven Finanzierungssalden anderer Sektoren durch regelmäßige Finanzierungsdefizite der öffentlichen Haushalte. Bedeutsam ist eine Gegenüberstellung der Mittelverwendung und des Mittelaufkommens der Unternehmen. Als Mittelverwendung der Unternehmen versteht die Deutsche Bundesbank Iu + AFu, wobei sie AFu als Geldvermögensbildung bezeichnet. Das Mittelaufkommen wird als Su + Du + Δ'Vu + ΔΚυ definiert. Zur Finanzierung von I b + AFu kann auf Eigenfinanzierungsmittel (Du + AVu + Su) und auf Fremdfinanzierungsmittel (ΔΚυ) zurückgegriffen werden. Die Bundesbank berechnet eine Eigenfinanzierungsquote (Du + Δ Vu + Su)/Iu. Wie Tab. 3 zeigt, schwankte die Quote für die Unternehmen (einschl. Wohnungs Wirtschaft) seitM974 zwischen 64,4 v.H. und 81,5 v.H. und lag im Durchschnitt bei 74,7 v.H. Die Unternehmen waren also im Durchschnitt zu rund einem Viertel auf die Kreditfinanzierung der Investitionen angewiesen. Die Quoten weisen keinen ausgeprägt aufwärts oder abwärts gerichteten Trend auf. 4

Er stimmt mit dem Leistungsbilanzsaldo der Zahlungsbilanz überein.

Die gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung

105

Tabelle 2: Gesamtwirtschaftliche Vermögensbildung und Ersparnis 1974

1975

11976

11977

11978

11979

J1980

11981

11982

11983

Mrd DM

Position 1. I X i M t w 1 r t s e t a f 1 1 . V · natf«ansb 11 dun« 1

Sechvermögenabildung a)

1)

Unternehmen ee)

Unternehmen (ohne W o h n u n g e w i r t s c h a f t ) sb) Wohnung»*1rt»chtft sc) F i n a n z i e l l e I n s t i t u t i o n e n

b) Ö f f e n t l i c h e ba) bb) 2

Nettoforderungszuwachs über der übrigen Welt

Vi»rmögensblldung II

Hsushslte

Gebietskörperschaften Sozialversicherungen gegen-

insgesamt

O e s s m w l r t s c h a f t l Iche E r s p s m l s 1

Private

2

Unternehmen s)

Unternehmen (ohne W o h n u n g s w l r t s c h s f t ) b ) Wohnungswlrtschsft c) Finanzielle Institutionen

s) b)

Haushslte

Gebietskörperschaften Sozialversicherungen

Ersparnis

86,97

114,26

1 1 9 , 46

131,89

175, 10

183,56

151,20

135. 43

153,01

7 6 . 34

52,32

81,00

8 6 , 46

95,70

133, 77

137,19

109,18

9 8 . 88

120,57

29,61 43,07 3,66

12,56 36,07 3,69

37,10 40,31 3,59

3 9 . 98 4 3 , 30 3 , 18

46,45 46,74 2,51

76, 82 5 4 , 77 2 , 19

72,13 61,93 3,13

46,73 59,05 3,41

1 0 . 17 5 4 , 65 4 , 06

56,36 59,21 5,00

3 4 , 91

34,65

33,26

33, 00

36,19

4 1 , 33

46,37

42,02

3 6 , 55

32,44

34, 32 0 , 59

34,07 0,58

32,76 0,50

3 2 , 49 0 , 51

35,71 0,48

40,84 0,49

45,88 0,49

41,14 0,88

35,59 0,96

31,53 0,91

2 6 , 22

9,73

8,40

7, 90

16,90

- 1 3 , 51

-30,89

-17,22

6 , 76

9,34

137, 47

96,70

122,66

1 2 7 , 36

148,79

1 6 1 , 59

152,67

133,98

142, 19

162,35

8 3 , 24

96,38

87,15

8 3 , 41

86,04

9 7 , 73

107,91

121,87

117, 42

102,61

3 2 , 29

24,23

40,94

4 0 , 20

58,99

6 0 , 31

45,02

29.09

4 2 , 85

72,07

3 , 42 17, 46 41

1,36 13,19 9,68

17,11 13,69 10,14

19, 05 9 , 68 11. 47

43,26 1,72 14,01

4 4 , 30 - 1 , 72 17, 73

20,13 3,85 21,04

-0,12 5,25 23,96

5 , 59 11, 92 2 5 , 34

34,43 3,34 34,30

2 1 , 94

-23,91

-5,43

3 . 75

3,76

3 , 55

-0,26

-16,98

- 1 8 , 08

-12,33

17, 18 4 , 76

-21,51 -2,40

-6,64 1.21

6.97 -3,22

5,51 -1,75

3, 32 0 , 23

-3,57 3,31

-23,46 6,48

-25,86 7,78

-13,13 0,80

137, 47

96,70

122,66

1 2 7 , 36

148,79

161, 59

152,67

133,98

142, 19

162,35

94,2

2)

Haushslte

3., Ö f f e n t l i c h e

I I I , 25

Insgesamt

Ante M

in

t

1. Oasim t v 1 r t sehe f t 1.Vemögensb11 dung 1., Sechvermögensbildung a)

1)

Unternehmen aa) sb) sc)

Unternehmen (ohne W o h n u n g s w l r t s c h s f t ) Wohnungswlrtschsft Finanzielle Institutionen

b) O f f e n t l i e h e be) bb)

Heushalte

Gebietskörperschef ten Sozle(Versicherungen

2. . N e t t o f o r d e r u n g s z u w a c h s über d e r ü b r i g e n W e l t Viι rmögensblldung

gegen-

insgesamt

I I . , β · ιl a a t t w l r t s c h s f t 1 I c h e

Eraparnls

60 . 9

89,9

93,2

93,8

88,6

108l , U

120,2

112,9

95 , 2

55 . 5

54,1

66,0

67 , 9

64,3

82!,8

89,9

81,5

69 , 5

74,3

21 , 5 31 , 3 2 ,7

13,0 37,3 3,8

30,2 32,9 2,9

31.4 34,0 2.5

31,2 31,4 1,7

47,5 33,9 1.4

47,2 40,6 2,1

34,9 44,1 2,5

28 , 3 38 , 4 2 ,9

34,7 36,5 3,1

25 , 4

35,8

27,1

25 , 9

24,3

25,6

30,4

31,4

25 , 7

20,0

25,0 0,4

35,2 0,6

26,7 0,4

25.5 0.4

24,0 0,3

25,3 0,3

30,1 0,3

30,7 0,7

25 , 0 0 ,7

19,4 0,6

19 , 1

10,1

6,8

6 ,2

11,4

-8,4

-20,2

-12,9

4 ,8

5,8

100

100

100

100

100

100

100

100

100

100

2)

t.

60,6

99,7

71,1

65 , 5

57,8

60,5

70,7

91.0

82 , 6

63,2

2 . , Unternehmen

23 , 5

25,1

33,4

31 , 6

39,6

37 . 3

29,5

21,7

30 , 1

44,4

2 ,5 12 , 7 6 ,3

1,4 13,6 10,0

14,0 11.2 8.3

15,0 7,6 9,0

29,1 1,2 9,4

27 , 4 ,1 11 . 0

13,2 2.5 13,8

-0,1 3,9 17,9

3,9 8 ,4 17 , 8

21,2 2,1 21,1

e)

Unternehmen (ohne W o h n u n g e w i r t s c h a f t ) b) Wohnunaswlrtschsft c) Finanzielle Institutionen 3. Ö f f e n t l i c h e e) b)

Hsushslte

Gebletskörperschsften Sozialversicherungen

Ersparnis

Insgesamt

1 ) Ne t t o I n v e s t 1 1 1 ο η · η .

- 2) Einschl.

16 , 0

-24,7

2,9

2,5

2,2

-0.2

-12,7

-12 ,7

-7,6

12 , 5 3,5

-22,2 -2,5

-5.4 1.0

5,5 -2,5

3,7 -1,2

2,1 0 ,1

-2.3 2,2

-17,5 2

3,>5

1969

1 3 7 , >33

m , >12

4 4 , >70

1 5 ,, 1

1 2 , >2

4 ,, 9

. 1970

1 4 3 , >04

1 2 3 , >95

5 6 , >10

1 4 , ,9

1 2 , >9

5,, 9

1971

1 3 4 , >99

1 2 9 , >36

5 7 , >71

1 3 , ,7

1 3 , >1

5, » 8

1972

1 3 2 , >15

1 2 6 , >38

5 0 , >99

1 2 , ,8

1 2 , >3

5, ,0

1973

1 3 8 , >18

1 2 3 , , 86

4 4 , >74

12, 8

1 1 , ,5

4 , ,2

1974

1 1 4 , , 88

1 0 9 , >54

2 6 , >92

10, 6

1 0 ,, 1

2 , ,5

1975

1 0 1 ,, 2 3

1 0 7 ,, 9 4

1 9 , • 67

9, 5

1 0 ,, 1

1 , ,8

1976

1 2 8 , » 38

1 1 6 ,,18

2 4 , » 90

11. 4

1 0 , ,3

2 , ,2

1

25

1977

1 3 2 ,,17

1 2 3 ,,57

3 0 ,, 0 3

11, 5

1 0 , ,7

2 , ,6

1978

1 3 8 ,,42

1 3 1 ,,13

3 5 ,, 5 6

11, 6

1 1 , ,0

3 , ,0

1979

1 6 3 ,,94

1 4 0 ,, 9 1

4 3 ,,82

13, 2

1 1 , ,3

3 , ,5

1980

1 5 6 ,,19

1 4 0 ,,96

4 1 ,,76

12, 3

1 1 ,, 1

3 , ,3

1981

1 3 4 ,,10

1 3 8 ,,04

3 5 , ,13

10, 6

1 0 , ,9

2 , ,8

1982

1 2 9 ,,43

1 3 3 ,,43

2 6 , ,25

io, 4

1 0 , ,7

2 ,, 1

1983

1 4 2 , ,78

1 3 9 , ,15

2 8 , ,68

11, 3

11»,0

2, 3

Die Brutto-Anlage-Investitionen ( = Bruttoinvestitionen minus Vorräte) wurden mit dem Preisindex der Bruttoanlageinvestitionen nach der VGR deflationist. 2 Für die Ermittlung der Netto-Anlage-Investitionen wurden Abschreibungen auf Wiederbeschaffungswerte lt. VGR angesetzt. Quelle: Deutsche Bundesbank, IW-Berechnungen.

Das Phänomen „Investitionslücke

— angebotstheoretisch betrachtet

117

tionen des gewerblichen Unternehmensbereiches (ohne Banken und Versicherungen) hat den Vorzug, den wesentlichen Kern der marktgesteuerten Investitionsprozesse zu erfassen. Die Anlage-Investitionen des öffentlichen Sektors und der Wohnungswirtschaft, die weniger Wachstums- und beschäftigungsrelevant sind und die sich nicht ausschließlich an marktwirtschaftlichen Kriterien orientieren, deren Entwicklung sich daher auch nicht in gleichem Maße angebotstheoretisch erklären läßt wie diejenige des gewerblichen Sektors, bleiben außen vor. Der Nachteil des Ausschlusses des Banken- und Versicherungssektors, der sich aus der Bezugnahme auf die Bundesbankstatistik ergibt, wird durch den Vorteil der höheren Aktualität des Datenmaterials ausgeglichen. Die „Investitionslücke" kommt deutlich in dem schon als dramatisch zu bezeichnenden Verfall der realen Nettoanlageinvestitionen zum Ausdruck. Ihr letzter historischer Höhepunkt, der mit einem realen Wert von rund 58 Milliarden DM im Jahr 1971 erzielt wurde, konnte in der Folgezeit auch nicht annähernd mehr erreicht werden. Selbst im Jahr 1979, als nach einem Tiefpunkt bei ca. 20 Milliarden DM die Nettoinvestitionen kurzfristig wieder auf rund 44 Milliarden DM anstiegen, blieb das Niveau der Nettoanlageinvestitionen um über 20 Prozent unter dem Stand des Jahres 1971. Seitdem bröckelten sie wieder ab. Selbst im Aufschwungsjahr 1983 waren sie immer noch um fast 30 Milliarden DM und damit um fast die Hälfte niedriger als 1971. Noch deutlicher zeigt der Rückgang der Netto-Anlageinvestitionsquote, wie es um die Investitionstätigkeit bestellt ist. Sie fiel von 5,8 Prozent (1971) auf unter 3 Prozent des realen Bruttosozialprodukts in den frühen 80er Jahren und damit um mehr als die Hälfte. Die Netto-Investitionen haben damit immer weniger mit dem wachsenden Sozialprodukt Schritt halten können. Der relativ weniger starke Rückgang der Brutto-Anlageinvestitionen von 13,1 Prozent (1971) über 10,3 Prozent (1976) auf zuletzt 11,0 Prozent (1983), was einem Rückgang um über 10 Prozent entspricht, erklärt sich mit der bekannten höheren Resistenz der Ersatz- und Rationalisierungsinvestitionen, durch die zwar die reale Kapitalausstattung je Beschäftigten laufend erhöht, gleichzeitig aber auch das Wachstumstempo des Produktionspotentials wesentlich gedrosselt wurde. Dieses Faktum des durch Schwächung der realen Netto-Anlageinvestitionen eingetretenen Rückgangs im Wachstum des Produktionspotentials, wie es aus Tabelle 2 hervorgeht, macht aus der rein quantitativen zusätzlich eine qualitative „Investitionslücke" im finalen Sinne, nämlich im Hinblick auf die Realisierungschancen zentraler wirtschaftpolitischer Zielvorstellungen. Die drastische Verringerung des jährlichen Zuwachses an Produktionspotential von fast 5 Prozent noch Anfang der siebziger Jahre auf nur

Otto Vogel

118

Tabelle 2 Entwicklung des Produktionspotentials Jahre

1960

i n Preisen von 1976

Veränderung zum V o r j a h r i n Prozent

615,4

' 1961

650,1

+

5,6

1962

685,8

1963

719,7

+ +

5,5 4,9

1964

755,1

+

4,9

1965

792,9

+

5,0

1966

828,4

+

4,5

1967

856,3

+

3,4

1968

883,0

+

3,1

1969

913,7.

+

3,5 4,7 4,9

1970

956,5

1971

1.003,3

+ +

1972

1.049,9

+

4,6

1973

1.091,9

+

4,0

1974

1.124,2

+

3,0

1975

1.152,6

+

2,5

1976

1.176,4

+

2,1

1977

1.200,8

2,1 2,0 2,1

1978

1.224,8

+ +

1979

1.250,3

+

1980

1.278,6

+

2,3

1981

1.305,9

+

2,1

1982

1.324,4

+

1,4

1983

1.344,4

+

1,5

Quelle: Sachverständigenrat.

Das Phänomen „Investitionslücke

— angebotstheoretisch betrachtet

119

noch 2 Prozent und darunter in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre sowie in den frühen achtziger Jahren stellt eine markante Bedrohung unserer gesamten wirtschaftlichen Fortschrittsmöglichkeiten dar. Die Entwicklung des Wachstumspotentials reicht nicht aus, um ein überwiegend für notwendig erachtetes inflationsfreies Wachstum von ca. 3 Prozent zu erreichen. Sie ist auch zu schwach, um im notwendigen Ausmaß neue Arbeitsplätze zu schaffen, das Beschäftigungsniveau fühlbar zu erhöhen und die Arbeitslosigkeit abzubauen. Sie reicht wahrscheinlich auch nicht aus, um den bestehenden strukturellen Anpassungsstau in der wünschenswerten Zeitdimension zu bewältigen und um die internationale Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu sichern. Die notwendige Umstrukturierung nur über Reinvestitionsprozesse dauert jedenfalls länger als wenn sie unter dem Rückenwind eines kräftigeren Zuwachses von zusätzlichem Produktionspotential erfolgen könnte.

I I . Ursachen der „Investitionslücke" aus angebotstheoretischer Sicht

Die anhaltende Investitionsschwäche läßt sich am einfachsten und zugleich auch am plausibelsten aus tiefgreifenden Funktionsstörungen des marktwirtschaftlichen Prozesses erklären. Sie haben sich im Verlauf der siebziger Jahre immer stärker herausgebildet und sind bis heute noch nicht völlig überwunden. Diese zentralen marktwirtschaftlichen Funktionsstörungen, aus denen die Investitionsschwäche erwachsen ist, sind: — die erhöhte Gewinn-Risiko-Schere beim Einsatz von Sachkapital im Unter nehmensbereich, wie immer man sie auch definiert und quantifiziert; — die zunehmende Lücke zwischen Sachkapital- und Wertpapierverzinsung, oder, in alter kapitaltheoretischer Definition: zwischen originärem und derivativem Zins; — die zunehmende Regulierungsdichte, durch die die Unternehmensflexibilität immer stärker eingeschnürt wird. /. Die Gewinn-Risiko-Schere Die Gewinn-Risiko-Schere für Unternehmensinvestitionen hat sich von beiden Seiten her immer stärker geöffnet. Selbst wenn sich die ökonomische Risiko-Schwelle nicht erhöht hätte, würde schon die immer ungünstigere Gewinnsituation ausreichen, um die Schwäche der Investitionsaktivitäten der Unternehmen hinreichend zu erklären. Welche makro- oder mikroökonomi-

2

6

2,6

1.4

I»*

2 , 5

2 , 3

2,1

3,0

> 3

19705

-

hl I '

-

JL·7 I-

3,7

_ T

0,3

10,6

8 , 6 240,0

7,6

8,0

8,2

7,0

6,8

~

2

_242,0

225,7

20,9

UntCTnehmCn

7

>9

Bruttoeinkommen der Produktionsunt ernehmen 6) "" Γ in Prozent des Volkseinkommens

Otto Vogel

1981 5)

19

19795

9

9,3

Netto-RealRisikoRendite festrendite prämie verzinslicher Wertpapiere in Milliarden DM

9,6

Netto-Eigenkapi^lrendite

»°

Ί 977 ^ 5 , 5

197

1975

I 97 «

1973

197

1971



19

3

3

1969

Netto-ÜmSätzendite

1965

Jahr

Tabelle 3 Mikro- und makroökonomische Indikatoren der Renditenentwicklung

120

Das Phänomen „Investitionslücke

— angebotstheoretisch betrachtet

121

sehen Kennziffern man auch zugrundelegt (vgl. Tabelle 3), bei allen ergibt sich, daß die Sachkapital- bzw. Unternehmensgewinne und -renditen relativ immer stärker zurückgegangen sind. Der Anteil der Brutto-Einkommen der Unternehmen am Volkseinkommen ist Anfang der achtziger Jahre unter die 20 Prozent-Quote gefallen und hat im Jahr 1983 erst wieder rund 22 Prozent erreicht. Auch der Anteil der Gewinne im engeren Sinne, d.h. bereinigt um den kalkulatorischen Unternehmerlohn, am Volkseinkommen liegt fühlbar unter dem Stand von Ende der sechziger Jahre bzw. Anfang der achtziger Jahre. Nach Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft bedeutet dies, bezogen auf das Nettosachvermögen, auch eine fühlbare Reduzierung der Sachkapitalrendite1. Die mikroökonomischen Daten belegen Gewinnschwäche und Renditenverfall im Unternehmensbereich noch schlagender. Die Netto-Umsatzrendite beträgt heute nur noch ein Drittel, die NettoEigenkapitalrendite machte trotz rückläufiger Eigenkapitalbasis nur noch etwa die Hälfte gegenüber dem Anfang der siebziger Jahre erreichten Niveau aus. Die Gewinn- und Renditeschwäche beeinträchtigte Investitonsfähigkeit und Investitionsbereitschaft auf zwei Wegen. Zunächst dadurch, daß sie die Finanzierungsmöglichkeiten für Investitionen einschränkte. Dabei beeinträchtigte die Reduzierung der Eigenmittelbasis sowohl die Eigenfinanzierungs- als auch die Fremdfinanzierungsmöglichkeiten. Mit der Gewinnund Renditeschwäche mußte sich zudem zwangsläufig das Investitionskalkül ändern. Die verminderten Gewinne führten auch zu sinkenden Gewinnerwartungen und beeinträchtigten nachhaltig die für die Zukunft erwartete Gewinn-Risiko-Konstellation. Dies führte zur Erhöhung der Investitionsschwelle mit dem Ergebnis, daß sich die Menge der rentablen Investitionen verminderte. Sicherlich handelte es sich bei dem trendmäßigen Verfall der Renditen und der Investitionsaktivität nicht um einen kontinuierlich verlaufenden Abwärtsprozeß. Der Abwärtstrend der Unternehmenseinkommen wurde vielmehr immer wieder — zyklisch bedingt — unterbrochen, was sich dann auch in einer Wiederbelebung der Investitionstätigkeit der Unternehmen ausdrückte. Wie Tabelle 4 eindeutig zeigt, hatten konjunkturelle Phasen mit steigender Lohnquotentendenz fallende Investitionsverläufe zur Folge, während Phasen mit absinkender Lohnquote — mit kurzem time-lag — eine Erhöhung der Unternehmensinvestitionen nachfolgte. Dieser enge Zusammenhang zwischen Lohnquotenabsenkung und Investitionszunahme ist klar signifikant für die Jahre 1967/68, 1975/76, 1978/79 und 1981/83. Offensichtlich zieht also eine Verbesserung bzw. Verschlechterung der 1 Klaus-Dieter Schmidt et al., Im Anpassungsprozeß zurückgeworfen, Kieler Studien, Bd. 185, Tübingen 1984, S. 33/34.

122

Otto Vogel

Tabelle 4 Zyklische Zusammenhänge zwischen Lohnquote, Investitionen, Wachstum und Beschäftigung Zyklenverläufe Jahre

Lohnquote

1

real

ir

BSP

V.

Preisen

1962 8, 5 - o, 8 1963 9,,2 , - o, 5 + 18,,7 1964 - 1, 4 1965 2,,5 + 1, 2 1966 3 ^ - 14,,2 1967 23, 1 - 1, 4 + 33, 2 1968 - 1, 1 + 50, 9 1969 + 2, 4 1970 - J- Jj 3 _ - 25, 9 1971 22, 6 - 0, 7 1972 4 14, 5 - 1, 1973 0, 7 + 0, 8 1974 27, 5 + 1, 1 + 12, 9 1975 - 1, 9 + 53,,5 1976 - 1, 5 1977 7 ~6,,0 1978 " - V , 2 ~ - 2,,2 + .1979 + 0, 9 4,,8 1980 7 _ _ 27, 9 1981 11, 2 - 0, 8 1982 9 9, 4 - 1, + 34, 6 1983 - 0, 9

1

Zyklenüurch-

^

Netto-AnlageInvesti tionen

Im Unternehmen beschäftigte Arbeitnehmer

schnitt Lohnquote -

absolut

der -

1976

o.ì 4 1,, 3 + 3,j 5 1.,2 2,»8 2,» 7 + 6> Î 2 + 1,»4 2»ι 5 1,,8 + 0,,9 + L5- . - ~4, Τ " 1> + 7, 2*i,8 "" + o,, 7 + 0,» 5 _ 2 ,1 ι 2,1 j oi» 9 + 2 •i 4 -

-



1,,0 0,,6 + 0,,2 + 0,,3 0,,9 4, 2 + 3, 8 + 2, 3 0, 8 1,,0 1, 9 + 1,6 -

1, 8 3, 2 + 0,,4 + o, 5 + o,,7 _ o, 2 2, 5 1, 6 + o,,2

65,0

66,1

70,8

-

+

72,4 72,0 73,1

Bestimmt aus der Differenz der Veränderungsraten; - = Abschwung; + = Aufschwung. der Produktionsunternehmen (ohne: Wohnungsbau, finanziellen Sektor, Staat) Quellen: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Deutsche Bundesbank, IW-Berechnungen. 2

Das Phänomen „Investitionslücke

— angebotstheoretisch betrachtet

Schaubild 1

Eigenkapitalanteil an der Bilanzsumme in großen OECD-Ländern (in %)

USA

&Loßb*itanniin

1fò/T^Ls

40

JftLjL·!

J4 l

BundtMcpubiik

VeutòdUand

Fiankitich

Japan t

*

1970 1^71 1972 !

Schaubild 2

ANTEIL OER BRUTT0ANLA6EINUESTIONEN ΑΠ BRUTTOSOZIALPRODUKT(BSP) IN S - - ANTEIL OER BRUTT0AUSRUESTUN6SINUESTITI0N DER UNTERNEHHEN ΑΠ BS? IN S ( I N FREISEN UON 1976)

161

162

Heiner Flassbeck

Betrachtet man aber die Investitionsquoten etwas genauer, ist der Befund weniger eindeutig (Schaubild 2). Während die Quote der Bruttoanlageinvestitionen (Ausrüstungen, Bauten, staatliche Investitionen) einen über viele Jahre durchgängigen Rückgang aufweist, sind die eigentlichen Unternehmensinvestitionen (Ausrüstungsinvestitionen) keineswegs trendmäßig gefallen, sondern bieten lediglich ein Abbild der zyklischen Bewegung2. Daß sich dagegen die Bauinvestitionen nach einer Aufholphase wie in den 50er und 60er Jahren allmählich einem niedrigeren Niveau zubewegen, bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung. Auch der internationale Vergleich der Quote aus Ausrüstungsinvestitionen und BSP zeigt, daß — trotz der auch weltweit hohen Arbeitslosigkeit — kein Trend zum Rückgang dieser Quote existiert (Tabelle)*. USA

Japan

EG

D

F

I

9,1 9,2

9,0

9,3

9,8

8,4

9,2

10,1

8,9

8,5 8,8

GB

1960

6,5

60-67

6,8



68

7,4



8,8

8,1

10,3

7,3

69

7,5



9,1

9,0

10,8

7,2

8,7

70

7,3

15,4

9,3

9,8

9,6

8,2

9,0

71

7,0

14,4

9,3

9,7

10,0

8,4

8,8

72

13,5

8,9

8,8

9,9

8,2

8,4

73

7,1 7,7

13,7

8,9

8,2

10,0

9,3

8,9

74

7,8

12,7

8,8

7,3

9,9

10,2

8,9

75

7,4

11,0

8,3

7,6

9,2

8,6

8,3

76

7,4

10,4

8,4

7,7

9,6

8,8

8,4

77

8,1

10,2

8,5

8,0

9,4

8,5

8,8

78

8,7

10,3

8,6

8,3

9,3

7,9

9,2

79

8,8

10,8

8,7

8,6

9,3

8,0

9,3

80

8,3

10,5

8,7

8,6

9,7

8,6

8,6

81

8,2

10,5

8,3

8,3

9,3

8,6

7,7

Quelle: OECD. * Ausrüstungsinvestitionen (machinery and equipment) in v.H. des BIP. 2 Gelegentlich (vgl. H. Willgerodt/P. Pütz: Mehr Beteiligungskapital, Schriftenreihe des Frankfurter Instituts für wirtschaftspolitische Forschung e.V., Bd. 3, 1983) werden, um den Befund der langfristigen Investitionsschwäche zu belegen, Nettoinvestitionen im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt ausgewiesen. Damit soll wohl suggeriert werden, daß zu wenig „neue" Arbeitsplätze geschaffen werden. Niemand hat sich aber bisher der Mühe unterzogen nachzuweisen, welchen Unterschied es sowohl für die Art wie die Zahl der Arbeitsplätze macht, wenn sie aus Abschreibungen anstatt aus „neuen" Mitteln finanziert worden sind. Hohe Nettoinvestitionen heute können z.B. ein Zeichen sein für schwache Investitionstätigkeit gestern und vice versa.

Zur Theorie des Kapitalmangels

163

Demzufolge gibt es zwei zueinander passende empirische Befunde, aber keine befriedigende Theorie. Eine Theorie des Kapitalmangels, ob in der Ausprägung mangelnder Spartätigkeit der Haushalte oder mangelnder Eigenkapitalausstattung der Unternehmen, die zur Erklärung von Investitionseinbruch und Arbeitslosigkeit beitragen kann, ist nicht mehr ohne weiteres zu erkennen. Was nützt es, das ,,Ausmelken der Unternehmen'' zu beklagen oder von einem „langfristigen Auszehrungsprozeß" 3 zu sprechen, wenn es keinen langfristig eingetretenen Befund gibt? Haltbare Erklärungen sind mit diesen Theorien ebensowenig zu erhalten wie mit jenen „Theorien", die das statistisch zu beobachtende Auseinanderlaufen von Arbeitsproduktivität und Wachstum des Sozialprodukts (seit Beginn der 60er Jahre) als Erklärung für das dauerhafte Entstehen von Arbeitslosigkeit in Marktsystemen anbieten (sogenannte Scherentheorie)4.

I I . Die Zusammenhänge

Wie aber kommt es zu den kurzfristigen, für die Arbeitslosigkeit gleichwohl entscheidenden Investitionseinbrüchen, die sich dann, wenn sie eingetreten sind, tatsächlich als Kapitalmangel darstellen? Offenbar müssen für kurze Zeit solche Anpassungsmechanismen des Marktsystems ausgeschaltet oder gestört sein, die die Investitionsschwäche hätten verhindern können5. Beginnen wir mit der Untersuchung dieser Zusammenhänge dort, wo einst Keynes seinen Erklärungsversuch begonnen hat. Im einfachsten Fall einer geschlossenen Volkswirtschaft besteht das Volkseinkommen (Y) aus Konsum (C) und Investition (I). Damit ist das nichtkonsumierte Einkommen, das Sparen (S), definitionsgemäß gleich der Investition: 3 Vgl. beispielsweise: H. Albach: Die Bedeutung mittelständischer Unternehmen in der Marktwirtschaft, Vortrag anläßlich des ISWA-Seminars am 6.6.1983 in Berlin (ifmMaterialien Nr. 4); oder W. Gruhler: Verhängnisvolle Folgen der jahrelangen Auszehrung der Unternehmens-Renditen, in: Handelsblatt vom 3.10.1983. 4 Letztere ,,Theorie'* kann in dieser Arbeit nicht angemessen behandelt werden. Ich empfehle dem Leser gleichwohl, sich die Behauptungen dieser statistischen Extrapolation (nur das ist die Scherentheorie) einmal anhand des Schaubildes 1 konsequent vor Augen zu führen. Mehr als die Behauptung, es werde in Zukunft Arbeitslosigkeit entstehen, weil in der Vergangenheit Arbeitslosigkeit entstanden ist, ist als „Erklärung" nicht zu gewinnen. 5 Vertreter der These vom langfristigen Kapitalmangel machen sich zu wenig klar, welch unerhörte Vorstellung es für einen marktwirtschaftlich argumentierenden Theoretiker ist, wenn unterstellt wird, das marktwirtschaftliche System sei unfähig, sich selbst über Jahrzehnte an bestimmte Umstände anpassen zu können. Erstaunlich ist daher, daß gerade Vertreter der Kapitalmangelthese vorgeben, im übrigen marktwirtschaftliche Positionen zu vertreten.

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Y = C+ I S = Y-C S = I Aus dieser simplen Identität lassen sich ohne weiteres kaum bedeutende Folgerungen ziehen. Sobald wir jedoch die Größen nicht mehr als ex post, sondern als ex ante (geplante) Werte verstehen, ist der Zusammenhang mit Leben zu füllen. Nehmen wir an, die Haushalte (der Welt) planten in einer Periode t + 1 plötzlich, weniger zu konsumieren, während die Unternehmen die gleichen Investitionspläne wie in der Periode t haben. Dann gilt ex ante: S?+i >I*+i Wenn es nun dem Anpassungsprozeß des Marktes, der das Signal des vermehrten Sparens an den Investor überträgt, gelingt, so viel mehr Investitionen zu induzieren, daß It+i = S*+i dann bleibt das Einkommen gerade konstant: Yt+1 = Yt Bezeichnen wir diesen Anpassungsmechanismus als Transformationsprozeß, dann nennen wir den Transformationsprozeß optimal, wenn: St + n =

It + n

und

Yt + n = Y|

Für den Fall, daß der Transformationsprozeß nicht optimal abläuft, gilt: 1. ST+I > I?+1 2. S* +1 < I * + 1

Y

t+i < Yt Y t + 1 > Yt

Dieser Zusammenhang impliziert, daß für den Fall, daß Konstanz des Einkommens in der Zeit angenommen wird, mit angenommen werden muß, daß immer S = I und somit der Transformationsprozeß optimal funktioniert 6. Selbstverständlich sagen solche Annahmen nichts über den Ablauf des Prozesses in der Wirklichkeit aus. Immerhin bieten aber diese einfachen Überlegungen Angriffspunkte für Theorien, die dem empirischen Befund adäquate Aussagen erlauben. Sollte es tatsächlich zu einem solchen Auseinanderlaufen von Spar- und Investitionsplänen kommen, würden Indizien für eine nicht optimale Funktionsweise des Transformationsprozesses ausreichen, Erklärungsversuchen mit 6 Vgl. zu einem logischen Lapsus dazu: Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1981/82, Ziff. 406; wer annimmt, daß es an „Wachstumsdynamik nicht fehlt", muß selbstverständlich nicht mehr über den Transformationsprozeß oder „Nachfragerisiken" nachdenken.

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diesen Indizen Berechtigung zu verleihen. Stärker wäre diese Berechtigung noch, wenn es Anhaltspunkte dafür gäbe, daß der Transformationsprozeß von außen (exogen) bedeutenden Störungen ausgesetzt ist. Bevor dies aber näher untersucht wird, ist ein naheliegendes und oft zu entdeckendes Mißverständnis auszuräumen. Häufig wird um der Einfachheit oder Verständlichkeit willen Sparen und Investieren bestimmten Sektoren (private Haushalte, Unternehmen) zugerechnet. Das hat schon wenig Berechtigung, wenn man an bestimmte historische Phasen denkt7. Es wird aber zum Irrtum, wenn damit gesagt oder zumindest suggeriert wird, das freiwillige Sparen der privaten Haushalte sei — neben seiner unbestreitbaren individuellen Nützlichkeit — ein unmittelbar vorhandener volkswirtschaftlicher Wert an sich8, weil es die alleinige Quelle und Voraussetzung für Kapitalbildung darstelle. Im Gegenteil. Je weiter die die Spar- Und Investitionsentscheidung treffenden Sektoren voneinander entfernt sind, um so schwieriger lösbar ist das Transformationsproblem und umso größer ist die Beanspruchung des Transformationsprozesses.

I I I . Der Transformationsprozeß

Das Problem des Verständnisses der Beziehung zwischen Sparen und Investieren löst sich nicht durch die Beantwortung der Frage nach der — wie auch immer festgelegten — „Richtigkeit" der klassischen oder der keynesianischen Theorie. Der Großteil der Mißverständnisse bezüglich der Bedeutung von Sparen und Investieren hat hier seinen Ursprung. Je nach Einordnung in die klassische und keynesianische Schule neigt man der weitestge7 So betrugen zwischen 1950 und 1959 die Netto-Investitionen des Unternehmenssektors 237 Mrd. DM, während die privaten Haushalte in der gleichen Zeit Netto-Geldvermögen in Höhe von nur 84 Mrd. DM bildeten. Die Sparquote der privaten Haushalte stieg von 3,2 v.H. im Jahre 1950 über 6,4 v.H. (1955) auf 8,9 v.H. im Jahre 1960 an. Quelle des realen Sparens (der Investition) waren hier hohe Erträge des Investierens selbst, die durch reichliches Geld und niedrige Zinsen ermöglicht wurden. Die Geldmenge Ml stieg zwischen 1951 und 1962 bei geringen Schwankungen in einzelnen Jahren im Durchschnitt um deutlich über 10 v.H. bei einer Preissteigerung von rund VA v.H. 8 Vgl. z.B. die Aussage von H. Giersch: „Sicherheit für die Zukunft ist in der offenen Gesellschaft knapp und teuer. Da muß schon jeder einzelne für sich selber sorgen, zum Beispiel durch Sparen. Das fördert die Kapitalbildung und hilft damit all denen, die auf guten Arbeitsplätzen für gute Arbeit gutes Geld verdienen wollen". H. Giersch: Wie es zu schaffen ist: Agenda für die deutsche Wirtschaftspolitik, Stuttgart 1983, S..11. Vgl. dagegen Keynes ' Klarstellung: „This is the vital difference between the theory of the economic behaviour of the aggregate and the theory of the individual unit in which we assume that changes in the individual's own demand do not affect his income". J.M. Keynes : The General Theory of Employment, Interest and Money, Cambridge 1973, S. 85.

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henden Anwendung der einen und der weitestgehenden Ablehnung der anderen Theorie zu. Doch gerade das führt am Problem vorbei. Die klassische Theorie ist weder falsch noch in irgendeinem Sinne widersprüchlich. In Frage zu stellen ist nur der ihr von der Logik des Aussagesystems her zustehende Anwendungsbereich. Der Nachweis der Existenz einer Gleichgewichtslösung für Angebot und Nachfrage auf genau definierten Märkten ist von allergrößter Wichtigkeit für das Verständnis der Zusammenhänge auf und zwischen diesen Märkten; dieser Nachweis beinhaltet aber zunächst nicht mehr als die Lösung eines abstrakten gedanklichen Problems innerhalb genau und eng definierter Grenzen. Er mag implizieren, selbst das ist jedoch nicht in jedem Falle zwingend, daß die Kräfte, die das Gleichgewicht ermöglichen, auch unter ansonsten konstanten (stationären) Bedingungen für eine Tendenz zur Herstellung des Gleichgewichtes sorgen. Keinesfalls sagt der Nachweis über die Existenz des (stationären) Gleichgewichts unmittelbar etwas über die Kräfte, die in der Wirklichkeit dafür sorgen, daß Stationarität niemals zu beobachten ist. So ist die in klassischen Aussagesystemen implizierte Nicht-Existenz des Unternehmensgewinns keineswegs abwegig, obwohl sie schlichter täglicher Erfahrung fundamental widerspricht 9. Sie zeigt uns gerade die entscheidende Voraussetzung für vollkommenes Gleichgewicht bei vollkommener Konkurrenz und damit — im Umkehrschluß — eines der Charakteristika von Ungleichgewichten, von dynamischer Entwicklung oder Evolution. Gewinn und Entwicklung gehört folglich ebenso zusammen wie Gleichgewicht und Gewinnlosigkeit. Das eine ist undenkbar ohne das andere10 und ersteres wird erst verständlich aus letzterem. Die Gewinnlosigkeit des klassischen Systems impliziert weiterhin, daß die Preise für unterschiedliche Kapitalanlagen — unter Berücksichtigung des spezifischen Risikos der Anlage (also ausgedrückt in Erwartungswerten) — völlig gleich sind. Das ergibt sich unmittelbar aus der Tatsache, daß Substi9

Es ist frappierend, daß — mehr als 70 Jahre nach dem Erscheinen von Schumpeters Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung — manche Autoren noch immer nicht verstanden haben, was unter Gewinn und damit Gewinnlosigkeit zu verstehen ist und glauben, beides sei in irgendeiner Weise tatsächlich beobachtbar. Selbstverständlich erhält der Unternehmer (richtiger, der Kapitalanbieter) auch im Gleichgewicht oder in den realen Situationen, die — wie Schumpeter meinte — dem Gleichgewicht am nächsten kommen, den Stockungsphasen, noch Entgelte für Risikoübernahme und Kapitalhergabe. Das aber hat mit dem eigentlichen Unternehmergewinn nichts zu tun. Hier mit,,Fakten" argumentieren zu müssen, beweist nur grundlegende logische Mängel. Vgl. H.P. Spahn: Marx-Schumpeter-Keynes: Drei Fragmente über Geld, Zins und Profit, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 199,3 (1984), S. 248. 10 Vgl. dazu auch: J.A. Schumpeter : History of Economic Analysis, Oxford 1954, S. 1048 ff.

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tutionsbeziehungen zwischen unterschiedlichen Kapitalanlagen bestehen und Gewinnlosigkeit natürlich auch die Nicht-Existenz von Arbitragegewinnen voraussetzt. Das bedeutet wiederum, daß auch die Preise für ,,Sparen" und „Investieren", oder — ausgedrückt in der Terminologie der Portfoliotheorie — die Preise für „financial assets" und für „capital assets" gleich sind 11 . Das angenommene Gleichgewicht (ex ante Gleichheit) von Sparen und Investieren findet hierin seinen Ausdruck. Da diese Preise aber im klassischen System gleich sind, ist es durchaus konsequent, wenn klassisch argumentierende Autoren von einem einheitlichen Zinssatz (Realzins) ausgehen, der Angebot und Nachfrage von Kapitalgütern jederzeit zum Ausgleich bringt 12 . Nur, wer eine solche Betrachtungsweise wählt, muß sich über die logischen Auswirkungen dieser Methode auf andere Aussagen im klaren sein. Das Problem „Kapitalmangel", in den vergangenen Jahren beliebteste Erklärung scheinbar neoklassisch argumentierender Autoren 13 für die existierende Arbeitslosigkeit, gibt es in einem konsistenten klassischen oder neoklassischen Aussagensystem nicht. Da das Angebot an Kapital (Sparen) und die Nachfrage danach (Investieren) permanent durch den Realzins ausgeglichen werden, kann ein derartiges Phänomen — wie es auch immer konkret definiert sein mag — nicht existieren. Ebensowenig machen Aussagen Sinn, in denen ein hoher Realzins gefordert wird, um das Sparen und die Investitionen anzuregen und damit genügend Arbeitsplätze bereitzustellen14. In einem interdependenten System von Angebot und Nachfrage kann man nicht hohe Preise fordern, um mehr Angebot und mehr Nachfrage gleichzeitig zu haben. Dabei muß offenbar unterstellt werden, der Transformationsprozeß sei unabhängig vom Preismechanismus und das Einkommen sei exogen. Das ist in keiner Weise zu rechtfertigen. Diese simplen Beispiele zeigen, daß es gerade die innere Konsistenz ist, die das klassische System auszeichnet und die nicht einfach durch ad-hocArgumente durchbrochen werden kann. Sparen und Investieren machen da keine Ausnahme. Weniger Sparen (und Investieren) bedeutet in diesem 11 Wir begnügen uns durchgehend mit zwei Anlageformen. Ob man, wie in der Portfoliotheorie üblich, dazwischen eine Reihe weiterer Anlageformen (,,intermediaries ,,) annimmt, ändert an der Logik der Ableitung und den Folgerungen nichts. Der Erkenntnisfortschritt, den die Portfoliotheorie gebracht hat, war — nach Wickseil — meines Erachtens äußerst bescheiden. 12 Vgl. etwa: H. Giersch/F. Wolter: Towards an Explanation of the Productivity Slowdown, in: Economic Journal (92) März 1983, S. 52; oder F. Wolter: Kapitalmangel und Unterbeschäftigung in der Weltwirtschaft, in: Kapital und Wachstum in den achtziger Jahren a.a.O. 13 Ebenfalls hierzu: H. Giersch: Arbeit, Lohn und Produktivität, Weltwirtschaftliches Archiv (119), 1983, S. 11. 14 Wiederum in diesem Sinne: H. Giersch: Zins, Zeit und Zeitgeist, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24.3.1984.

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Denkgebäude lediglich — wie die klassische Wachstumstheorie gezeigt hat — eine geringere langfristige Wachstumsrate, keinesfalls aber Ungleichgewichte und Unterbeschäftigung von Kapital und Arbeit. In der klassischen Theorie sind der einheitliche Realzins, die Gewinnlosigkeit, das Gleichgewicht von Sparen und Investieren und die Konstanz (Exogenität) des Einkommens untrennbare Bestandteile eines konsistenten Ansatzes. Letztlich sind diese Bestandteile Ausdruck des zentralen klassischen Erkenntniszieles, nämlich, ein stationäres („langfristiges") System darzustellen. Dieses System ist aber keinesfalls langfristig in einem zeitlichen Sinne, sondern es ist absolut zeitlos 15. Gerade die Beseitigung der Zeit durch den Ausschluß von Unsicherheit über die Zukunft war es, die die Konstruktion eines derart geschlossenen Systems erlaubte. Das heißt, wiederum im Umkehrschluß, daß nur der Einbau der Zeit durch die explizite Annahme von Unsicherheit die Analyse von evolutionären Prozessen erlaubt. Dies erkannt zu haben, ist das Verdienst von Wicksell, Schumpeter und Keynes. Somit muß man sich mit deren Analysen auseinandersetzen. Der einfache Rückgriff auf die Klassik führt nicht weiter 16. Er führt nur dazu, die klassische Theorie, die von unschätzbarem Wert für das Gesamtsystem der Ökonomie ist, für Zwecke zu mißbrauchen, für die sie in keiner Weise geeignet ist. Das gilt insbesondere für Probleme desjenigen Marktes, der zur Überwindung der Unsicherheit über die Zukunft beitragen soll, nämlich des Kapitalmarktes. Wir müssen also für die weiteren Überlegungen davon ausgehen, daß die Transformation von Sparen in Investieren in einem Zeit beanspruchenden Prozeß abläuft, dessen Ergebnisse nicht ohne weiteres den Werten einer Gleichgewichtslösung entsprechen. Es ist offensichtlich möglich, daß die Veränderung des Einkommens selbst die erwarteten Werte des Preises für „financial assets" (Geldzins) und „capital assets" (natürlicher Zins, Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals) so ändert, daß ein Prozeß entsteht, bei dem über einen längeren Zeitraum die geplante Ersparnis die geplanten Investitionen übersteigt (unterschreitet). Wohlgemerkt: Ungleichgewicht kann sowohl Aufschwung (der Schumpetersche Prozeß) wie Abschwung (der Keynes-Fall) bedeuten. Die Prozesse im einzelnen müssen hier nicht wiederholt werden 17, entscheidend ist lediglich, daß durch einen der Unsicherheit unterliegenden Transformationsprozeß sich wirtschaftliche Entwicklung 15 Die Märkte sind, wie Schumpeter es genannt hat ,,... nothing but highly abstract creations of the observer's mind". Vgl. J. Schumpeter : History, S. 1008. 16 Vgl. insbesondere Keynes ' Kapitel 14 in der „General Theory", dem meines Erachtens Klassiker bislang nichts entgegenzusetzen haben. 17 Vgl. zu einem umfassenden Überblick über diese Zusammenhänge: H. Flassbeck: Was ist Angebotspolitik? in: Konjunkturpolitik 2/3, 1982.

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vollzieht, was sowohl Einkommenssteigerung und Abbau von Arbeitslosigkeit, wie Einkommensverlust und Entstehen von Arbeitslosigkeit bedeuten kann. Wenn aber der Transformationsprozeß über Anpassung der Preise nicht optimal, d.h., nicht zeitlos abläuft, kommt es zu konjunkturellen Erscheinungen, und es ist dann immer ein „Mangel an Kapital" (nämlich S kleiner I), der den Aufschwung über steigende Geldzinsen prinzipiell stoppt und ein Zuviel an Kapital (nämlich S größer I), das den Abschwung über fallende Geldzinsen beendet. Nur wenn auch dieser Prozeß nicht zur Korrektur des Ungleichgewichtes führt, ist die Wirtschaftspolitik gefordert, dem (potentiell) kumulativen Prozeß entgegenzutreten. Rezession bedeutet immer Kapitalangebotsüberschuß: zu wenig des geplanten (angebotenen) Sparkapitals wird in Investitionen transformiert, als daß das Einkommen konstant bleiben könnte. Aufschwung bedeutet dagegen Kapitalnachfrageüberschuß: mehr als das geplante (angebotene) Sparkapital wird in Investitionen umgesetzt, so daß das Einkommen steigt. Der klassische Fall, bei dem genau das geplante Sparkapital in Investitionen transformiert wird, ist ein Sonderfall. Dann gibt es freilich weder Arbeitslosigkeit noch außergewöhnliche Einkommenssteigerungen. Ob es dann überhaupt zu Einkommenssteigerungen kommen kann, ist eine nicht letztlich geklärte Frage. Zwar ist — wie die neoklassische Wachstumstheorie gezeigt hat — ein völlig stetiger, gleichgewichtiger Zuwachs aller Einkommensbestandteile denkbar, doch ob als Voraussetzung dazu in Wirklichkeit ausreichend ist, daß der Sparkapitalbestand mit der gleichen Rate ansteigt, ist mehr als zweifelhaft, denn sobald man eine Robinson Crusoe-Wirtschaft verläßt, in der Sparer gleich Investor ist, ist Unsicherheit über die Marktchancen der für die Zukunft zu produzierenden Güter kaum auszuschließen. Das aber macht das System wieder offen für Ungleichgewichte in jeder Richtung.

IV. Potentielle Störungen des Transformationsprozesses

Der entscheidende Punkt unserer bisherigen Überlegungen ist, daß der Transformationsprozeß im Heynes-Modell mit Unsicherheit verbunden ist, während er im klassisch-neoklassischen Modell gleichsam automatisch abläuft. Gemeinsam ist beiden Modellen allerdings die Einsicht, daß es sich bei der Umsetzung von Sparen in Investieren um ein essentiell gesamtwirtschaftliches Phänomen handelt. Das heißt nicht, daß die dahinter stehenden Vorgänge nicht in Einzelerscheinungen disaggregierbar wären. Das heißt aber, daß das Phänomen als solches, ganz gleich, ob keynesianisch oder klassisch,

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nur in gesamtwirtschaftlichen Dimensionen vorstellbar ist. Gerade für den klassischen Automatismus ist es völlig unerheblich, ob und wie jede einzelne Sparentscheidung begründet ist und ob unmittelbar eine Investitionsentscheidung korrespondiert. Die Unmittelbarkeit der Umsetzung bedeutet vielmehr, daß der Preismechanismus so wirken muß, daß an anderer Stelle ein Signal für zusätzliche Investitionen gegeben wird. Folglich kann der Gesamtprozeß nur gesamtwirtschaftlich verstanden werden. Das gilt auch für die Keynes-Schumpeter-Theorie. Nur weil sich Einzelentscheidungen durch die unzureichende Anpassung der Preise (Zinsen) zu „nicht-optimalen" gesamtwirtschaftlichen Effekten kumulieren, entstehen Aufschwung- oder Abschwungprozesse18. Dagegen werden häufig Erklärungen für Investitionsschwäche und Arbeitslosigkeit angeboten, die auf mikroökonomische oder sektorale Phänomene abstellen. So wird geklagt, daß: — ein zu großer Teil des entstehenden Sparkapitals nicht in private Hände gelangt, sondern vom Staat durch hohe Haushaltsdefizite absorbiert wird (Art der Verwendung von S); — ein zu geringer Teil des Sparkapitals langfristig und ein zu großer Teil kurzfristig angeboten wird (Art des Aufkommens von S); — ein zu geringer Teil des Sparkapitals in den Unternehmen als Eigenkapital, ein zu großer demzufolge als Fremdkapital eingesetzt wird (Art des Einsatzes von S). Diese Erklärungen sind jedoch auf der Basis der dargestellten theoretischen Zusammenhänge nicht haltbar. Im Einzelnen: — Wenn der Staat (freiwillig oder — in der Rezession — unfreiwillig) einen größeren Teil des entstehenden und am Kapitalmarkt angebotenen Sparkapitals absorbiert, dann übernimmt er automatisch auch einen größeren Teil der Investitionstätigkeit, denn würde er das Geld nicht unmittelbar wieder ausgeben, stünde es dem Kapitalmarkt ja wieder zur Verfügung. Durch diesen Vorgang wird der gesamtwirtschaftliche Prozeß der Umwandlung von Sparen in Investieren keineswegs gestört. Lediglich die vorhandenen Ressourcen werden anders verteilt, wenn der Staat das aufgenommene Kapital für öffentliche Zwecke einsetzt. Man mag zwar eine solche Umverteilung der Ressourcen mit guten Gründen beklagen und eine geringere Produktivität der öffentlichen Investitionen vermuten. Das 18 Insbesondere Schumpeter hat großen Wert auf die Erklärung eines gesamtwirtschaftlichen Effektes durch seinen (individuellen) Unternehmer gelegt. Vgl. J.A. Schumpeter : Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 4. Aufl. 1934, S. 355 ff.

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würde zu einem geringeren Einkommens- und Produktivitätsanstieg als sonst führen, mit Rezession, d.h. gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichten und dem Entstehen oder der Behinderung des Abbaus von Arbeitslosigkeit (dem Auseinanderlaufen von Einkommens- und Produktivitätsentwicklung) hat das nichts zu tun 19 . Der Transformationsprozeß wird sogar erleichtert, wenn der Staat seine Investitionsentscheidung weniger als es die Privaten getan hätten am aktuellen Zinsniveau orientiert. Unhaltbar aber ist wiederum die Behauptung, der Staat halte das Zinsniveau hoch, so daß gesamtwirtschaftlich eine schlechtere wirtschaftliche Entwicklung eintrete als es sonst der Fall wäre. Das Zinsniveau ist Ergebnis des gesamtwirtschaftlichen Kapitalangebots und der gesamtwirtschaftlichen Kapitalnachfrage. Soweit der Staat diese verändert, verändert er auch das Aktivitätsniveau (die Konjunktursituation) der Volkswirtschaft. Das höhere Zinsniveau paßt folglich in jedem Zeitpunkt zu der besseren konjunkturellen Entwicklung. Ob es um die Allokation der Güter oder des Kapitals geht, es ist keine Frage, daß zusätzliche staatliche Aktivität immer zu einem „crowding out" privater Aktivität führt 20 . Das aber ist nur eine Frage der Allokation und/oder zusätzlicher Beanspruchung der Ressourcen, niemals eine Frage zu geringer Ausnutzung der Ressourcen. Es gibt sicher sehr viele Argumente gegen hohe staatliche Defizite, ein „überhöhtes" Zinsniveau, Investitionsschwäche und Arbeitslosigkeit gehören nicht dazu. — Ähnliches gilt für das Argument, Sparkapital würde nicht in der richtigen Fristigkeit angeboten, um für ausreichend viele (langfristige) Investitionen zur Verfügung zu stehen21. Während vermehrte staatliche Nachfrage nach Kapital zu einer Änderung des relativen Preises von staatlichen und privaten assets führen mag, verändert das vermehrte Angebot 19

Auch der Einwand, die staatlichen Ausgaben seien überwiegend Konsumausgaben oder ,,konsumptive Investitionen", ändert an diesen Zusammenhängen nichts. In der Rezession vermindert der Staat durch Konsum unmittelbar das Sparen (den Kapitalangebotsüberschuß). Langfristig senkt der Staat durch mehr Konsum die Investitionsquote. Beides mag wiederum den Einkommenszuwachs vermindern gegenüber dem, was sonst möglich gewesen wäre. Ungleichgewichte werden auch dadurch nicht verursacht. 20 Die häufig anzutreffende Aussage, die „tatsächliche" Existenz oder das Ausmaß des „crowding out" sei abhängig von der Auslastung der Ressourcen einer Volkswirtschaft, beruht auf unzulässigen Vereinfachungen. In welchem Ausmaß Preise stärker steigen (Vollauslastung) oder weniger fallen (Unterauslastung) ohne die staatliche Nachfrage entzieht sich ebenso der Messung wie die darauffolgende Reaktion der privaten Nachfrage. In jedem Fall gehört zu der Preis- eine Mengenänderung bei allen Nachfragern und Anbietern. Selbst eine völlig unelastische (nominale) Nachfrage eines Marktteilnehmers verhindert nicht, daß durch den Marktprozeß eine neue Aufteilung des gesamten Nach fr age wertes auf Mengen und Preise vorgenommen wird. 21

Vgl. z.B. Sachverständigenrat, JG 81/82, Ziff. 404.

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kurzfristigen Kapitals den relativen Preis zwischen lang- und kurzfristigen Anlagen. Der Zins für kurzfristige Anlagen sinkt stärker, der für langfristige sinkt solange weniger stark, bis Substitutionsprozesse in umgekehrter Richtung in Gang kommen. Das mag Investoren veranlassen, ihre Investitionen mit mehr kurzfristigem Kapital zu finanzieren als vordem. An der durchschnittlichen Zinsbelastung wie an der Investitionsfähigkeit und -bereitschaft ändert sich dadurch nichts22. Der Unsicherheit bezüglich einer früher notwendigen Anschlußfinanzierung steht die größere Zinsdifferenz zwischen niedrigen kurzfristigen und höheren langfristigen Zinsen als Ausgleich gegenüber. — Gelegentlich wird in der Bundesrepublik — trotz weltweiter Investitionsschwäche und weltweiter Arbeitslosigkeit — argumentiert, zu der schwierigen wirtschaftlichen Situation hätte auch beigetragen, daß die seit vielen Jahren bestehende Ertragsschwäche der Unternehmen dazu geführt habe, daß weniger Eigenkapital und mehr Fremdkapital eingesetzt wird. Dies wiederum habe die Anfälligkeit der Unternehmen erhöht und die Rezession vertieft. Eine solche Erklärung beinhaltet zwei verschiedene Argumente. Zunächst wird behauptet, die geringere Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals (der geringere natürliche Zins) habe weniger Investitionsprojekte rentabel gemacht. Das unterstellt offensichtlich, daß sich der Geldzins diesem trendmäßig niedrigeren natürlichen Zins nicht angepaßt hat. Dies ist freilich eine Vorstellung, die in diametralem Gegensatz zur klassischen Theorie steht, denn die Einheitlichkeit des Realzinses ist es doch, die die Funktionsfähigkeit des Systems erhält. Wo schon eine ganz kurzfristige Abweichung des (deflationierten) Geldzinses als Ertrag für die Hingabe von Kapital vom Realzins (Grenzleistungsfähigkeit) als Ertrag aus der Verwendung eben dieses Kapitals nicht möglich ist, ist eine langfristige Abweichung nicht vorstellbar. Aber auch Keynes ' Analyse bietet für einen solchen Befund keine Anhaltspunkte. Warum sollte es also möglich sein, daß trotz „permanentem" (langfristigem) Kapitalangebotsüberschuß („Sparen größer Investieren") der Geldzins nicht ausreichend sinkt? Was da postuliert wird, ist viel mehr als eine Keynessche Liquiditätsfalle je erklären könnte, denn dort geht es nur darum, daß der Zins 22

Dieser Fall ist deutlich zu unterscheiden von der Wirkung einer größeren Liquiditätspräferenz. Während sich hier die Aufteilung eines gegebenen Angebots an Kapital auf lang- und kurzfristige Anlagen ändert, ist es dort die Zunahme der gesamten Nachfrage nach Geld, die der Zunahme des gesamten Geldangebots ihre Wirkung auf den Zins nimmt. Wie eng in der Realität der Zusammenhang zwischen kurz- und langfristigen Zinsen ist, zeigt auch ein Blick in die einschlägigen Statistiken.

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in kurzer Zeit nicht ausreichend tief sinkt, während es hier um ein langfristiges Hochhalten des Zinses geht 23 . Daß für ein Marktsystem die langfristige Anpassung des Geldzinses an die Realkapitalrendite absolut zwingend ist, kann man sich leicht für den Fall eines rein marktbedingten (trendmäßigen) Sinkens dieser Rendite vor Augen führen. So führt z.B. eine trendmäßig zunehmende Kapitalintensivierung, wie sie für fast alle Volkswirtschaften zu beobachten ist, bei Substitutionselastizitäten von Arbeit und Kapital nahe eins zu einem (der mengenmäßigen Zunahme entsprechenden) trendmäßigen Sinken des Preises für Kapital, ohne daß sich die Verteilungsrelationen zwischen Arbeit und Kapital ändern. Diesem keinesfalls pathologischen Effekt muß sich der Geldzins anpassen, da dieser letztlich nur aus der real erwirtschafteten Rendite bezahlt werden kann. Die Trennung von Mengen und Preisen, die mit dem Argument „langfristige Ertragsschwäche" notwendigerweise verbunden ist, ist nicht nur ohne theoretische Basis, sondern bedeutet zudem eine Außerkraftsetzung marktwirtschaftlicher Vorstellungen. Die zweite Argumentation bezieht sich auf den unabweisbaren Befund einer in der Bundesrepublik gesunkenen Eigenkapitalquote, wenn diese Quote in Prozent der Bilanzsumme einer großen Anzahl von Unternehmen gemessen wird. Richtig ist zweifellos, daß ein Rückgang des Anteils des Eigenkapitals an den risikobehafteten Teilen der Aktivseite größere Schwankungen der Investitonstätigkeit erklären kann, da bei gegebenem Geldzins und gegebener Gesamtkapitalrendite die Eigenkapitalrendite stärker schwankt (leverage-Effekt). Das gilt folglich symmetrisch für Aufschwung wie für Abschwung. Ob dies eine Erklärung für einen (welchen?) Befund bietet, sei dahingestellt24. Entscheidend ist, daß die Erklärung vollständig daran hängt, daß der Anteil des Eigenkapitals an dem risikotragenden Teil der Aktiva bzw. richtiger, am Gesamtrisiko aller Aktiva abgenommen hat. Für dieses Verhältnis kann es offensichtlich keinerlei empirischen Beleg geben. Anhaltspunkte ließen sieht unter recht extremen Annahmen (gleiches Risiko der Aktiva über nahezu 20 Jahre) dann aus dem Verhältnis Eigenkapital zu Bilanzsumme ziehen, wenn sich die Struktur der Bilanzsumme im Zeitablauf nicht geändert 23 Dafür werden teilweise erstaunliche ad-hoc-Erklärungen geboten. So spricht der Sachverständigenrat von „hohen Renditeansprüchen" und einem „hohen Kapitalbedarf in der Welt". (Sondergutachten 81/82, Ziff. 32) Niemand aber kann in einem Marktsystem schlicht irgendwelche Ansprüche durchsetzen; immer sind es Angebot und Nachfrage, die den Preis bestimmen. „Hoher Kapitalbedarf" ist ein normativer Begriff, der in einer wissenschaftlichen Erklärung völlig fehl am Platze ist. 24 Vgl. dazu auch: H. Flassbeck/W. Koll: Kapital und Rendite, in: Wirtschaftswoche vom 20. Mai 1983.

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hätte. Da dies für den empirischen Befund in der Bundesrepublik in keiner Weise gilt (die Zunahme der kurzfristigen Forderungen und Verbindlichkeiten an der Bilanzsumme erklärt quantitativ vollständig die Abnahme des Eigenkapitals an der Bilanzsumme, d.h., der Anteil des Eigenkapitals an den Sachanlagen ist nahezu konstant), ist die statistisch zu beobachtende Abnahme dieser Quote nicht interpretierbar und dementsprechend auch ohne empirischen und theoretischen Zusammenhang zu den tatsächlichen Problembefunden bei Investitionen und Arbeitslosigkeit. Insgesamt gesehen bieten alle diese Hypothesen keine befriedigenden Ansatzpunkte für wirklich tiefgehende und konsistente Erklärungen und damit auch nicht für eine erfolgversprechende Therapie. Nur auf der Basis gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge ist dies zu erwarten. Nur partiell wirksame Faktoren ebenso wie lange bestehende institutionelle Gegebenheiten (z.B. ein lange bestehendes Steuersystem) können nicht die in recht kurzen Zeiträumen eingetretene intertemporale Veränderung der gesamtwirtschaftlichen Angebots- und Nachfragewerte am Kapitalmarkt erklären, die die Werte des Geldzinses und der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals ihrerseits determiniert.

V. Schlußbetrachtung

Der kurze empirische Abriß zu Beginn dieses Aufsatzes hat gezeigt, daß die entscheidenden statistisch beobachtbaren Größen nicht Trends, sondern kürzerfristige schockartige Veränderungen aufweisen. Daß die große Mehrheit aller Beobachter gleichwohl als pathologische Befunde fast nur Trendphänomene, also langfristig entstandene und allmählich wirksame Veränderungen identifiziert, ist kein Zufall. Die klassische Wirtschaftstheorie hat seit dem Beginn ihrer Existenz gelehrt und vorgeführt, daß Erkenntnisziel der Ökonomie die ,,lange Frist , \ das Gleichgewicht ist. Kurzfristige Abweichungen seien nur Friktion, vorübergehende Störungen, die zu eliminieren seien, wenn man zum Kern, zum Wesen des Wirtschaftssystems vordringen wolle. So richtig diese Auffassung in vieler Hinsicht ist, so fatal ist sie in anderer. Die klassische Theorie hat nämlich nicht gelehrt, daß gerade die Analyse der „langen Frist", richtiger: von Gleichgewichtszuständen einen Zugang zu pathologischen Befunden schafft 25. Nur die unkritische Übernahme 25 Vgl. zu einer unübertrefflich kurzen und klaren Darstellung des Kerns der klassischen Makroökonomie: J.S. Mill : Principles of Political Economy (1848), London 1909, Kap. XIV (,,Of Excess of supply").

Zur Theorie des Kapitalmangels

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der klassischen Betrachtungsweise für Zwecke, für die sie nicht geeignet ist, konnte dazu führen, daß jede Abweichung vom Gleichgewicht als Versagen des Marktsystems in der einen oder anderen Richtung gedeutet wird. Je nach ideologischem Standpunkt müssen es entweder dem System immanente Faktoren sein, die eine andauernde Verschlechterung erzwingen, oder das System muß von außen dauernd so geschwächt worden sein, daß es nicht die ihm eigentlich immanente Tendenz zum Gleichgewicht ausspielen kann. So wird ein müßiger Streit um ideologische Positionen und scheinbar zwingende empirische Evidenz geführt, ohne daß man sich Problemlösungen nähert. Jenseits des Greifbaren ist für solche scheinbar unmittelbar plausiblen Vorstellungen, daß es Denkfehler sein könnten, die tatsächlich für die Fehlentwicklungen verantwortlich sind, für die das System oder die Politik so leichthin verantwortlich gemacht werden. Noch immer ist es die konsequente Trennung von Geld- und Werttheorie oder einer „monetären' ' und einer „realen" Seite der Wirtschaft, die für die Mehrzahl der Beobachter den Zugang zu einem anderen Verständnis der Zusammenhänge verbaut. Nur Reflexion über die wirkliche Aussagekraft der „highly abstract creations of the observer's mind" kann hier weiterhelfen. Das gilt in besonderem Maße für empirische Untersuchungen. Jede ernsthafte empirische Untersuchung, die auf einseitig theoretisch vorgeprägte Durchschnittsbildung vieler Jahre oder ebensolche Zeitpunktvergleiche verzichtet, wird zu dem Ergebnis kommen müssen, daß der zu erklärende pathologische Befund nicht ein Trendphänomen darstellt, sondern daß die Arbeitslosigkeit der westlichen Industrieländer in kurzen Zeiträumen entstanden und durch asymmetrische Konjunkturentwicklung (kurze Aufschwünge, lange Abschwünge) aufkumuliert worden ist 26 . Diesem Problembefund müssen die Theorien und die Therapien entsprechen. Die Wissenschaft hat bislang dazu wenig beigetragen. Auch diejenigen Theoretiker und Politiker, die jede nur „konjunkturelle" Lösung der Probleme weit von sich weisen und auf langfristige Lösungen hoffen, können die absolut zwingende Einsicht nicht beiseite schieben, daß man das statistische Konstrukt Trend nicht unmittelbar verändern kann. Jede langfristige Verbesserung der Wirtschaftsentwicklung kann nur über die Umkehrung der Verhältnisse der Vergangenheit gelingen, nämlich über lange Aufschwünge und kurze Ab26 So dauerte der Abschwung Mitte der 60er Jahre — gemessen an der Abweichung der Industrieproduktion vom Trend — fast Wi Jahre, der von Mitte der siebziger Jahre über 2 Jahre, der von Ende der siebziger Jahre schon fast drei Jahre. Für die Länge der Aufschwünge gilt das Umgekehrte: fast 6 Jahre von Mitte 1967 bis Anfang 1973, 41/2 Jahre von Mitte 1975 bis Anfang 1980, jeweils unterbrochen von einer geringfügigen Abschwächung in den Jahren 70/71 und 77/78. Vgl. Deutsche Bundesbank: Saisonbereinigte Wirtschaftszahlen, Tab. 41.

176

Heiner Flassbeck

schwünge. Dazu sind auch die umgekehrten Voraussetzungen, insbesondere die monetären, zu schaffen. Wirtschaftliche Gegenwart und Zukunft kennen keinen Trend. Der wird erst sichtbar, wenn die Ergebnisse der Anwendung unserer Theorien schon Wirklichkeit und Vergangenheit geworden sind. Soll in den nächsten Jahren eine befriedigende Wirtschaftsentwicklung erreicht und damit eine Perspektive zum Abbau der Arbeitslosigkeit aufgezeigt werden, wird kein Weg an der Erkenntnis vorbeigehen, daß der für viele so offensichtliche Sieg der klassischen Theorie in Form von Angebotspolitik und Monetarismus nur eine Episode war. Das heißt keineswegs, Rückkehr zum Trivialkeynesianismus der 50er und 60er Jahre. Den überwunden zu haben, ist ein Verdienst des Monetarismus. Doch es hilft noch nicht viel weiter, Theorien zu überwinden, die ohnehin keine theoretische Berechtigung hatten. Man wird wieder lernen müssen, daß es — der monetaristischen Fabelwelt zum Trotz 27 — nicht möglich ist, dauerhaft Inflation mit der Geldpolitik zu bekämpfen, ohne tief und dauerhaft in den Prozeß der Transformation von Sparen in Investieren und damit in die Beschäftigungsentwicklung einzugreifen. Eine solche Aussage hat freilich weder etwas mit Inflationismus noch mit Schuldzuweisung an bestimmte Politikbereiche zu tun. Es gibt in einem (weltweiten) marktwirtschaftlichen System nur zwei wirklich exogene Größen. Die erste ist der Nominallohn. Dieser ist (,,als Reallohn") endogenisierbar, wenn es keinen Inflationsconstraint gibt. Die zweite ist das Geldangebot, das einen Inflationsconstraint schaffen kann. Kommt es zum Konflikt dieser beiden Größen, weil die Wirtschaftspolitik unkoordiniert ist oder sich Nebenzielen widmet, wird der Geldzins und damit unweigerlich der Ablauf des Transformationsprozesses unkontrollierbar. Gerade klassisch oder neoklassisch denkende Ökonomen, die auf die Effizienz dieses Prozesses setzen, was meines Erachtens in der Regel keine schlechte Wette ist, müssen bei der Rollenverteilung der Wirtschaftspolitik der Marktwirtschaft eine Chance geben.

27 Vgl. zu einer Analyse der Problemstruktur des Monetarismus: H. Flassbeck : Was ist Angebotspolitik? a.a.O., Abschnitt IV.

Mangelnde Kapitalbildung als Ursache der Arbeitslosigkeit Von Bernd Rohwer, Freiburg/Br. I. Einführung

Die seit 1974 in der Bundesrepublik mehr oder weniger kontinuierlich angestiegene Arbeitslosigkeit ist — darüber dürfte kaum Dissens bestehen — sicherlich nicht monokausal zu erklären. Konjunkturell unterausgelastete Produktionskapazitäten haben ebenso ihren Teil zu den Beschäftigungsproblemen beigetragen wie die seit 1973 anhaltende Wachstums- und Investitionsschwäche und die seit 1978 zu beobachtende, vor allem demographisch bedingte Zunahme des Arbeitskräfteangebots. Auch dürfte mittlerweile ein relativ breiter Konsens darüber bestehen, daß sowohl die Abschwächung des Wachstumstrends als auch die verstärkte konjunkturelle Labilität Folge eines Zusammenspiels zahlreicher verschiedener — und zwar angebots- wie nachfrageseitiger — Störeinflüsse sind. In der konkreten Diagnose einzelner Störungsursachen sowie in der Gewichtung der Einzelfaktoren und Ursachenkomplexe gehen die Meinungen allerdings nach wie vor recht weit auseinander. Eine der in diesem Zusammenhang besonders kontrovers beurteilten Fragen soll im vorliegenden Beitrag näher aufgegriffen werden: Inwieweit ist die gegenwärtige Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Folge eines Kapitalmangels, also einer unzureichenden Bildung von Real-(und möglicherweise auch Geld-) Kapital? Nun läßt sich diese Frage freilich — je nachdem, ob auf die Real- oder Geldkapitalbildung Bezug genommen und wie weit in der Ursachenkette zurückgegangen wird — schon in sehr unterschiedlicher Weise abgrenzen. Drei Interpretationen spielen in der aktuellen Diskussion eine besondere Rolle: (1) Kapitalmangel kann — ohne daß bereits eine spezifischere Ursachenanalyse zugrunde gelegt wird — schlicht einem Mangel an Arbeitsplätzen gleichgesetzt werden: Die Realkapitalbildung der letzten Jahre wäre demnach nicht ausreichend, um allen Erwerbsfähigen und -willigen einen Arbeitsplatz zu bieten1. 1 In diesem Sinne z.B. der Sachverständigenrat (1981), Tz. 141 ff. und das Ifo-Institut (vgl. IFO-Schnelldienst 1-2/1984, S. 10).

178

Bernd Rohwer

(2) Kapitalmangel könnte aber auch im Sinne einer kausalen Erklärung als eine wesentliche Ursache — und weniger als Folge — der Wachstumsabschwächung und der dadurch ausgelösten (noch genauer abzugrenzenden) wachstumsdefizitären Arbeitslosigkeit postuliert werden. Hierbei kann wiederum unterschieden werden in: a) einen breiteren Begriff von Realkapitalmangel im Sinne eines ganz generell durch gestörte Angebotsbedingungen bewirkten Mangels an autonomen Investitionen2; dabei wird unterstellt, daß die autonomen (nicht von der laufenden Nachfrage determinierten) Investitionen — über durch sie induzierte Kosten- und Preissenkungen oder Produktverbesserungen ùnd -neuerungen — ein latent vorhandenes Nachfragereservoir erschließen könnten. Ein länger anhaltender Nachfragemangel wäre dieser Auffassung zufolge weder gegenwärtig beobachtbar noch für die nähere Zukunft zu befürchten; b) einen engeren Begriff von Kapitalmangel im Sinne einer durch ein unzureichendes oder fehlgesteuertes Angebot an Finanzierungsmitteln bedingten Investitionsschwäche (monetärer Kapitalmangel); dabei könnten die Störungen bei der Versorgung der Unternehmen mit Eigen- oder Fremdkapital ihre Ursachen insbesondere in einer zu geringen volkswirtschaftlichen Ersparnis 3, in einer übermäßig eingeschränkten Geldschöpfung, einer unzulänglichen Fristentransformation oder einem ungenügenden Angebot an Risikokapital haben. Als Indiz für einen solchen primär monetären Kapitalmangel wird häufig auf die seit Ende der 60er Jahre deutlich rückläufige Eigenkapitalausstattung der Unternehmen verwiesen. Natürlich schließen diese Interpretationen einander keinesfalls aus. Vielmehr handelt es sich um drei Abgrenzungen mit jeweils unterschiedlichem Spezifizierungsgrad: Die unter (2b) angesprochenen Störungen der Kreditversorgung zählen zu den zahlreichen denkbaren angebotsseitigen Investitionshemmnissen (im Sinne von (2a)), während letztere wiederum eine von mehreren möglichen Ursachen eines Arbeitsplatzmangels im Sinne von (1) darstellen. Trotz dieser Überschneidungen erscheint es zweckmäßig, die genannten Interpretationen voneinander getrennt zu erörtern, weil auf diese Weise die unterschiedlichen Argumentationsebenen deutlicher hervortreten und die Problemstellung zugleich systematischer — von der allgemeineren zur ursachenspezifischeren Analyse — behandelt werden kann. 2 3

In diese Richtung geht die Argumentation von Wolter (1984). Für die USA z.B. postuliert von Feldstein (1982), S. 56 f.

Mangelnde Kapitalbildung als Ursache der Arbeitslosigkeit

179

Dementsprechend soll im folgenden — anknüpfend an eine Systematik der möglichen Ursachen von Arbeitslosigkeit (Abschnitt II) — zunächst der Frage nachgegangen werden, inwieweit gegenwärtig in der Bundesrepublik von einem Kapitalmangel im Sinne eines für Vollbeschäftigung unzureichenden Arbeitsplatzvolumens auszugehen ist (Abschnitt III); anhand einer relativ einfachen Komponentenzerlegung sollen hier bereits einige erste Hypothesen zu den globalen Ursachen des Arbeitsplatzmangels vorgetragen werden. Sodann (in Abschnitt IV) wollen wir einige speziellere Erklärungsansätze für die abgeschwächte Realkapitalbildung aufgreifen; diese Überlegungen zielen auf die oben unter (2) aufgeworfene Frage, inwieweit die Investitionsschwäche tatsächlich Ausdruck eines Kapitalmangels im bereits erläuterten Sinne eines Mangels an autonomen Investitionen und/oder speziell an Geld- und Risikokapital ist oder ob ihre Ursachen nicht eher in längerfristigen nachfrageseitigen Restriktionen — und das hieße einer Anpassung der Kapitalbildung an geringere trendmäßige Zuwächse der Endnachfrage — zu suchen sind.

II. Zur Abgrenzung unterschiedlicher Arten von Arbeitslosigkeit

Arbeitslosigkeit kann, ganz generell betrachtet, die Folge von Abweichungen im Umfang von Arbeitskräfteangebot und -nachfrage (globale Arbeitslosigkeit), von Abweichungen in deren Struktur (strukturelle Arbeitslosigkeit) und von zeitlichen Verzögerungen beim Arbeitsplatzwechsel (friktionelle Arbeitslosigkeit) sein. Bereits auf dieser Ebene ist eine eindeutige theoretische und mehr noch empirische Abgrenzung allerdings schwierig, insbesondere weil alle drei Erscheinungsformen der Arbeitslosigkeit in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen. So gilt als unbestritten, daß bei hoher globaler Arbeitslosigkeit auch die strukturellen und friktioneilen Arbeitsmarktprobleme zunehmen, während umgekehrt eine hohe strukturelle Arbeitslosigkeit Wachstum und Arbeitsplatzangebot vermindern und damit die globale Arbeitslosigkeit erhöhen kann. Wirft insofern schon die Abgrenzung zwischen der globalen und der strukturell-friktionellen Arbeitslosigkeit Probleme auf, so ergeben sich bei der detaillierteren Ursachenanalyse der globalen Arbeitslosigkeit noch wesentlich größere Schwierigkeiten. Hierbei erscheint es zunächst hilfreich, Arbeitskräfteangebot und -nachfrage in ihre definitorischen Teilkomponenten aufzuspalten. Hinsichtlich des Angebots an Arbeitskräften — das sich nach dem Umfang des Erwerbspersonenpotentials und der je Erwerbstätigen angebotenen Arbeitszeit bestimmt — könnte dann bei gegebener Ar-

180

Bernd Rohwer

beitskräftenachfrage gegebenenfalls (wenn das Erwerbspersonenpotential wächst) von einer demographisch bedingten bzw. (wenn die durchschnittliche Arbeitszeit steigt oder eventuell auch schon, wenn das Tempo der Arbeitszeitverkürzung nachläßt) von einer arbeitszeitpolitisch bedingten Arbeitslosigkeit gesprochen werden. Bezüglich der Nachfrage nach Arbeitskräften sind deren definitorischen Bestimmungsgrößen — Produktionsniveau und Arbeitsproduktivität — etwas genauer zu spezifizieren. Beschäftigungswirksame Schwankungen der Produktionstätigkeit können auf saisonalen Einflüssen, auf konjunkturellen Ausschlägen oder auf Wachstumsstörungen beruhen. Dementsprechend bietet sich die Unterscheidung in eine saisonale, eine konjunkturelle (oder vereinfachend: auslastungsbedingte4) und eine wachstumsdefizitäre Arbeitslosigkeit an. Die Arbeitsproduktivität wird — bei aller Vielfalt der Einflußgrößen — in entscheidendem Umfang durch das Tempo des technischen Fortschritts und (zum Teil damit zusammenhängend) der Kapitalintensivierung determiniert. Die bei einer Zunahme dieses Tempos rein rechnerisch — d.h. bei Vernachlässigung gleichzeitig zu erwartender beschäftigungssichernder oder -steigernder Wachstumseffekte — resultierende Arbeitslosigkeit kann dementsprechend als technologische bzw. substitutionsbedingte Arbeitslosigkeit bezeichnet werden. Abb. 1 gibt noch einmal einen Überblick über die hier unterschiedenen Arten der Arbeitslosigkeit.

I I I . Arbeitslosigkeit infolge eines Mangels an Arbeitsplätzen

Um das Ausmaß der Kapitalmangel- (oder Arbeitsplatzmangel-) Arbeitslosigkeit — im Sinne eines im Vergleich zum Arbeitskräfteangebot generell unzureichenden Arbeitsplatzvolumens — abzuschätzen, wäre es unserer soeben vorgenommenen Abgrenzung entsprechend notwendig, die friktionelle, strukturelle, auslastungsbedingte und (hier vernachlässigbare) saisonale Komponente aus dem jeweiligen Gesamtbestand an Arbeitslosen herauszurechnen. In einem weitergehenden, bereits etwas ursachenspezifischeren Analyseschritt könnte dann versucht werden, die auf diese Weise geschätzte Arbeitsplatzmangel-Arbeitslosigkeit in ihre oben definierten fünf Teilformen — die wachstumsdefizitäre, technologische, substitutionsbedingte, demographische und arbeitszeitpolitisch bedingte Arbeitslosigkeit — aufzuspalten. 4 Strenggenommen können neben konjunkturellen Schwankungen auch Wachstumsstörungen zu Abweichungen des Auslastungsgrads vom Normalwert führen.

Mangelnde Kapitalbildung als Ursache der Arbeitslosigkeit

181

Abbildung 1: Arten der Arbeitslosigkeit Arbeitslosigkeit

Abweichungen im Uinfang von A r b e i t s k r & f t e n a c h f r a g e und - a n g e b o t

(AL)

Abweichungen i n der S t r u k t u r von A r b e i t s k r ä f t e a n g e b o t und - n a c h f r a g e (nach Q u a l i f i k a t i o n , A l t e r usw.)

Zeitbedarf fOr A r b e i t s platzwechsel

Angebot an A r b e i t s kräften

saisonale Einflüsse Ι 1 saisonale AL

k o h j u n k - Wachsturelle tumsStörungen s t ö r u n gen 1 auslastungsbedingte AL

technischer Fortschritt

Erwerbspersonenpotential

Arbeitszeit je ErwerbstAtigen λ

demographische AL

arbeitszeitpolitisch b e d i n g t e AL

Kapitalintensivierung

J

substitutechnowachstumsde- l o g i s c h e t i o n e bedingte AL fizitAre AL AL

strukturelle AL

friktionelle AL

g l o b a l e AL ArbeiCplatzmangel-AL

Hinsichtlich des ersten Schritts — der Schätzung der ArbeitsplatzmangelArbeitslosigkeit — ergibt sich zunächst das schon angedeutete Problem der Abgrenzung des friktionellen und strukturellen Arbeitslosensockels, welcher selbst bei Voll- oder gar Überbeschäftigung bestehen bleiben würde. Wir wollen auf die hierbei entstehenden Schwierigkeiten und die verschiedenen vorgeschlagenen Quantifizierungsversuche hier nicht näher eingehen, zumal wirklich überzeugende Schätzverfahren bislang nicht vorliegen5. Ein relativ einfaches Verfahren wäre, als unvermeidbare Sockelarbeitslosigkeit jene Zahl von Beschäftigungslosen anzusetzen, die innerhalb der zuletzt beobachtbaren annähernden Vollbeschäftigungsphase im Jahr mit dem niedrigsten Arbeitslosenstand zu verzeichnen war. Für die Bundesrepublik bietet sich hier das Jahr 1970 an, so daß man auf einen Sockel von rd. 150.000 Arbeitslosen käme. Zu bedenken ist allerdings, daß sich diese Sockelarbeitslosigkeit im Laufe der letzten Jahre erhöht haben könnte. Hierfür sprechen — neben der zeitweise überproportionalen Zunahme der Zahl besonders schwer vermittelbarer Arbeitsloser und den selbst in Jahren hoher Unterbeschäftigung noch zahlreichen Klagen der Unternehmen über Produktionsbehinderungen in5

Vgl. dazu im einzelnen Eckey/Schaefer

(1978) und Cramer (1979), S. 130 ff.

182

Bernd Rohwer

folge fehlender Arbeitskräfte — vor allem die Dauer der Beschäftigungsprobleme und die daraus resultierende Verfestigung von Qualifikationsnachteilen sowie die zunehmende Segmentierung der Arbeitsmärkte 6. Andererseits ist auf die im historischen Vergleich recht niedrige Zahl der offenen Stellen und die zeitweise deutlich verbesserten Wiedereingliederungschancen strukturell benachteiligter Erwerbsloser während der vorübergehenden globalen Arbeitsmarktentspannung 1979/80 hinzuweisen. Gleichwohl wird man wohl, diese Befunde zusammengenommen, davon ausgehen müssen, daß die Sockelarbeitslosigkeit heute etwas über der Restarbeitslosigkeit des Vollbeschäftigungsjahres 1970 (150.000) liegt. Für die folgenden Modellrechnungen unterstellen wir einen Sockel von 300.000 Personen. Ein nicht minder schwieriges Problem bei der Schätzung der Arbeitsplatzmangel-Arbeitslosigkeit stellt die Quantifizierung der auslastungsbedingten Arbeitslosigkeit (oder der auslastungsbedingt unbesetzten Arbeitsplätze) dar. Soweit solche freien Arbeitsplätze vorhanden sind und — eine wichtige zusätzliche Bedingung — im Zuge des Nachfrage- und Auslastungsrückgangs nicht ihre Konkurrenzfähigkeit eingebüßt haben, wird die entsprechende Arbeitslosigkeit mit der Wiederannäherung an die Voll- oder Normalauslastung abgebaut; von einem Kapitalmangel im Sinne fehlender Arbeitsplätze kann also erst nach Abzug dieser Auslastungskomponente gesprochen werden. Da für den gesamtwirtschaftlichen Bestand an konkurrenzfähigen Arbeitsplätzen keine Primärdaten vorliegen, ist man auf Schätzungen angewiesen. Als mögliche Verfahren zur Quantifizierung des vorhandenen Arbeitsplatzvolumens bieten sich dabei insbesondere Schätzungen auf der Basis von Daten für den Kapitalstock und eines geschätzten Trends für die Kapitalintensität, auf der Basis des (ebenfalls geschätzten) Produktionspotentials und eines geschätzten Trends für die Arbeitsproduktivität, auf der Basis eines als konstant angenommenen Zusammenhangs zwischen Beschäftigung und Auslastungsgrad oder mittels Hochrechnung von Unternehmensbefragungen an. All diese Schätzverfahren sind mit spezifischen Problemen verbunden, auf die hier jedoch nicht näher eingegangen werden kann. Ganz generell stehen derartige Quantifizierungsversuche vor der Schwierigkeit, daß eine Unterauslastung der Produktionskapazitäten gegenläufige und damit insgesamt unsichere Auswirkungen auf den Umfang konkurrenzfähiger, bei zunehmender Produktionsbelebung wieder rentabel nutzbarer Arbeitsplätze haben kann. Zu einem beschleunigten Ausscheiden von Arbeitsplätzen könnte es 6

Vgl. Lutz (1980), S. 37 ff., insbes. S. 40 f.

Mangelnde Kapitalbildung als Ursache der Arbeitslosigkeit

183

in Rezessionen kommen, wenn sich die Angebots- und Nachfragebedingungen unmittelbar vor oder während solcher Unterauslastungsphasen rascher als in früheren Normal- oder Vollbeschäftigungsphasen verändern, wenn die Kosten der Arbeitsplatzerhaltung bei längerer Produktionsschwäche über die der Arbeitsplatzstillegung hinauswachsen oder wenn die Unternehmen mit zunehmender Dauer der Rezession das Vertrauen in eine erneute Produktionsbelebung und eine entsprechende Anlagennutzung verlieren 7. Für alle drei Zusammenhänge liegen eindeutige empirische Befunde zwar nicht vor, doch ist zumindest hinsichtlich des erstgenannten Falls zu vermuten, daß die seit Mitte der 70er Jahre zum Teil abrupt veränderten, zum Teil verstärkten Schwankungen unterliegenden Rahmendaten wie Energiepreise, Wechselkurse, Zinssätze und Handelsbeschränkungen zu einem erhöhten Anpassungsbedarf in den Unternehmen und damit auch zu einer vermehrten Aussonderung von Arbeitsplätzen geführt haben. Andererseits deuten Unternehmensbefragungen allerdings darauf hin, daß sich die Nutzungsdauer vorhandener Anlagen zumindest in früheren Rezessionsphasen sogar erhöht, der Abgang von Arbeitsplätzen von hierher also verlangsamt habe; auch seien Unternehmen nach deren eigenen Aussagen häufig in der Lage, in Zeiten einer wieder höheren Anlagenauslastung unerwartete Kapazitäts- und damit auch Arbeitsplatzreserven zu erschließen8. Muß schon angesichts dieser generellen Überlegungen jede Schätzung der vorhandenen Arbeitsplatzreserven als recht unsicher betrachtet werden, so erscheint ein Quantifizierungsversuch zum gegenwärtigen Zeitpunkt sicherlich sogar besonders risikobehaftet. Greift man — in Anbetracht fehlender aktueller Daten aus Unternehmensbefragungen — auf die genannten Trendschätzungsverfahren zurück, so steht man nämlich vor dem Problem, daß ein einigermaßen eindeutiger Trend der wirtschaftlichen Entwicklung, insbesondere der Potential-, Produktivitäts- und Kapitalintensitätszuwächse, momentan kaum erkennbar ist. Extrapolationen bisheriger Trends wären also gerade gegenwärtig ebenso willkürlich wie der Versuch, mögliche Trendbrüche schon jetzt, also bei erst beginnender Normalisierung der konjunkturellen Lage, zu identifizieren und spezifizieren. Insofern überrascht es nicht, daß die Ergebnisse unserer anhand verschiedener Verfahren und unter alternativen Annahmen durchgeführten Modellrechnungen (vgl. die Tabelle) gegen Ende dieses Zeitraums (ab 1978) zunehmend divergieren. Deuten die Schätzungen für die Jahre 1972-77 noch in 7 Vgl. dazu Wolter (1984) und Krupp/Edler S. 61 ff. 8 Vgl. ebenda, S. 64 und 65.

(1984) sowie die dort geführte Diskussion,

184

Bernd Rohwer

Modellrechnungen zur Abschätzung der globalen Ursachen der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik 1972 - 83 (Zahlen gerundet, in Mill.) 1972

1975

1980

1983

0,3

1,5

1,5

3,4

(1) Schätzung auf Basis der Kapitalintensität b )

0,2

1,3

0,7

1,9

(2) Schätzung auf Basis der Arbeitsproduktivität Variante A c ) Variante B d )

0,5 0,5

1,3 1,3

-0,3 0,0

0,2 1,2

(3) Schätzung auf Basis eines als konstant angenommenen Zusammenhangs zwischen Beschäftigung und Auslastungsgrad 6)

0,3

tatsächliche Arbeitslosigkeit (AL) insgesamt3) auslastungsbedingte A L :

(4) Schätzung anderer Autoren Arbeitsplatzmangel-AL 1 )



1,2 1,1-2,00 2,2«)

0,5

1,7

0,7«) 0,0h)

0,80 1,0k)

0,0

0,0

1,2

1,9

— demographische A L )

0,3

0,5

1,1

1,9

— arbeitszeitpolitisch bedingte ALn)

0,2

-0,9

-0,5

-0,2

m

— wachstumdefizitäre A L (in Klammern: einschl. tatsächlicher auslastungsbedingter AL°) — technologische ALP) — substitutionsbedingte AL Einschließlich Stille Reserve (nach Schätzungen des I A B , Nürnberg).

b

> Lineare Trendschätzung für die Kapitalintensität 1960-82 (r 2 = 0,995); Basis für die Berechnung der einzelnen Trend werte 1970 ( = annähernde Vollauslastung). c

> Bei Zugrundelegung und Fortschreibung einer linearen Trendschätzung für die Arbeitsproduktivität 1960-79 (r 2 = 0,996); Basis für die Berechnung der einzelnen Trendwerte: 1970. d

) Wie c), aber ab 1980 Fortschreibung des trendmäßigen Arbeitsproduktivitätswachstums mit verlangsamter Rate (1,6 v.H. jährlich).

e

> Verzögerte Regressionsschätzung mit der Beschäftigtenzahl (nur abhängig Beschäftigte ohne Staat) als Funktion des durchschnittlichen Auslastungsgrads des Produktionspotentials im laufenden und in den zwei vorangehenden Jahren (Schätzzeitraum 1970-83, r 2 = 0,804).

Mangelnde Kapitalbildung als Ursache der Arbeitslosigkeit

185

ο Schätzung von Rall/Wied-Nebbeling (1978). s) Schätzung des D I W (1984). h

> Schätzung von Fels/Weiss (1978).

') Schätzung des Instituts für Weltwirtschaft; vgl. Schmidt u.a. (1984). k

> Schätzung des Sachverständigenrats (1983).

Nach der Schätzvariante 2 Β für die auslastungsbedingte Arbeitslosigkeit und nach Abzug einer Sockelarbeitslosigkeit von 300.000. m

> Durch den Anstieg des Erwerbspersonenpotentials seit 1970 ceteris paribus bewirkte A L . n

> Durch die gegenüber dem Trend 1960-70 im Durchschnitt beschleunigten Arbeitszeitverkürzungen ceteris paribus bewirkte Entlastung des Arbeitsmarktes. Durch die Abschwächung des Produktions- und Arbeitsproduktivitätswachstums gegenüber dem Trend 1960-70 ceteris paribus bewirkte A L . P> Durch die Verlangsamung der Zuwachsraten der Arbeitsproduktivität (je Std.) gegenüber dem Trend 1960-70 ceteris paribus bewirkte Arbeitsmarktentlastung. Durch die Verlangsamung der Kapitalintensivierung gegenüber dem Trend 1960-70 ceteris paribus bewirkte Arbeitsmarktentlastung (Zugrundelegung der tatsächlichen Kapitalstock-Entwicklung); in Klammern wie zuvor, jedoch bei Annahme eines durchschnittlichen Wachstums des Kapitalstocks seit 1970 um 0 5 v.H. (statt 3,9 v.H. wie tatsächlich und 5,8 v.H. wie 1960-70).

Quelle:

Eigene Berechnungen (soweit nicht anders angegeben).

weitgehender Übereinstimmung auf eine überwiegend auslastungsbedingte Arbeitslosigkeit hin, so daß ein Kapitalmangel im Sinne einer Arbeitsplatzlücke hier noch nicht erkennbar ist, so zeichnen die Schätzresultate für den Zeitrauni*1978 - 8 3 ein weit diffuseres Bild: Zwar stimmen die Schätzungen, was den zeitlichen Verlauf der auslastungsbedingten Arbeitslosigkeit angeht, nahezu überein: Dem Rückgang dieser Komponente bis 1980 folgt eine erneute Zunahme bis 1983. Im Niveau dieser auslastungsbedingten Unterbeschäftigung zeigen sich jedoch Schwankungsbreiten von -0,3 bis + 0,7 Mill. (1980) oder gar 0,2 bis 1,9 Mill. (1983). Wenngleich eine einigermaßen zuverlässige Quantifizierung der Arbeitsplatzreserven von hierher also nicht möglich ist, sprechen doch immerhin Plausibilitätsüberlegungen — insbesondere der weitgehende Abbau der auslastungsbedingten Arbeitslosigkeit in den durch annähernde Vollauslastung gekennzeichneten Jahren 1979/80 und die (zumindest bis 1981) recht gute Übereinstimmung mit den vorliegenden Partialschätzungen anderer Autoren (vgl. die Tabelle) — für unsere mittlere Variante als brauchbarer Annäherungslösung. Bei dieser Variante wurde ab 1980 eine im Vergleich zum vorherigen Trend verlangsamte Zunahme der auslastungsbereinigten Arbeits-

186

Bernd Rohwer

Produktivität unterstellt; diese — von den bis 1984 vorliegenden Daten gestützte — Annahme ließe sich vor allem durch die zweite Ölpreissteigerung, den infolge der abgeschwächten Investitionstätigkeit seit Mitte der 70er Jahre zunehmend verminderten Modernitätsgrad des Kapitalstocks, den erhöhten Anteil von Umweltschutzinvestitionen an der gesamten Kapitalbildung sowie den aus verschiedenen Gründen seit der 2. Hälfte der 70er Jahre verlangsamten Anstieg der Kapitalintensität erklären. Abbildung 2 Auslastungs- und arbeitsplatzmangelbedingte Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik 1972-1985

Quelle:

Eigene

Schätzung

(vgl.

die

Tabelle

oben)

Legt man diese Schätzvariante zugrunde und berücksichtigt man ferner entsprechend unseren obigen Überlegungen eine dauerhafte Sockelarbeitslosigkeit von 300.000, so ergibt sich für die auslastungs- und arbeitsplatzmangelbedingte Arbeitslosigkeit der in Abb. 2 dargestellte Verlauf. Danach hat sich seit 1976 eine wachsende Arbeitsplatzlücke geöffnet, die sich 1984 auf immerhin fast 2,1 Mill, belief und damit für rund 60 v.H. der gesamten Arbeitslosigkeit dieses Jahres verantwortlich zeichnete. Ebenfalls beträchtlich war dieser Schätzung zufolge allerdings die Zahl der auslastungsbedingt Nichtbeschäftigten (rund 1,2 Mill. bzw. gut 40 v.H. der insgesamt Arbeitslosen). Versucht man, das zur Schaffung dieser 1,2 Mill. Arbeitsplätze erforderliche Investitionsvolumen — also den aus beschäftigungspolitischer Sicht bestehenden Realkapitalmangel — etwas genauer zu bestimmen, so steht man

Mangelnde Kapitalbildung als Ursache der Arbeitslosigkeit

187

wiederum vor einem Schätzproblem, nämlich dem der Quantifizierung der Kosten eines zusätzlichen Arbeitsplatzes (oder der marginalen Kapitalintensität). Die vorliegenden Schätzungen gehen auch hier recht weit auseinander: Während etwa das DIW diese Kosten unter Verwendung einer CES-Produktionsfunktion für den Unternehmenssektor (ohne Wohnungswirtschaft) 1982 auf durchschnittlich rund 142.000 DM (für das verarbeitende Gewerbe: rund 115.000 DM) schätzt9, beziffern die Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes selbst nach Befragungen des Ifo-Instituts diese Kosten auf 170.000 bis 240.000 D M 1 0 (alle Angaben umgerechnet in Preise von 1983). Nimmt man einmal vereinfachend an, daß die tatsächlichen Kosten etwa in der Mitte zwischen beiden Schätzungen liegen, und legt man bei Hochrechnung der Ifo-Ergebnisse auf den gesamten Unternehmenssektor den oberen Wert der dort genannten Schätzmarge zugrunde, so würde sich ein Investitionsbedarf in der Größenordnung von 350-450 Mrd. DM (in Preisen von 1983) errechnen. Wenn man diesen Betrag wiederum dem geschätzten Umfang der Erweiterungsinvestitionen des Unternehmenssektors (ohne Wohnungswirtschaft) im Jahre 1983 (gut 50 Mrd. DM) 1 1 gegenüberstellt, so wird deutlich, daß die gegenwärtige Arbeitsplatzlücke nur durch eine beträchtliche Ausweitung der Investitionstätigkeit und selbst dann wohl erst innerhalb eines längeren Zeitraums abgebaut werden kann. Bevor noch etwas näher auf mögliche Ursachen dieser für Vollbeschäftigung unzureichenden Realkapitalbildung seit Mitte der 70er Jahre eingegangen wird, könnte man sich freilich fragen, inwieweit die Wachstums- und Investitionsschwäche überhaupt für den Arbeitsplatzmangel ,,verantwortlich'' ist. Diese Frage zu stellen heißt nicht, die beschäftigungspolitische Notwendigkeit arbeitsplatzschaffender Investitionen generell zu bestreiten. Doch erscheint eine — hier nur in recht grober Form mögliche — Zerlegung der Arbeitsplatz- und Beschäftigungsentwicklung in Einzelkomponenten für die Diskussion unterschiedlicher beschäftigungspolitischer Strategien — Wachstums- und Investitionsförderung, Begrenzung des Rationalisierungstempos, Verkürzung der Jahres- oder der Lebensarbeitszeit — insofern nützlich, als auf diese Weise vorschnelle monokausale Diagnosen und Politikempfehlungen eher zu vermeiden sind. Dabei ist allerdings zu betonen, daß es sich hier um einfache Modellrechnungen handelt, die lediglich die rechnerischen, d.h. ceteris paribus ausgelög

Vgl. DIW (1984), S. 150 ff. Vgl. Gerstenberger (1984), S. 132 ff. 11 Hochgerechnet aus den Ergebnissen von Unternehmensbefragungen des Ifo-Instituts im verarbeitenden Gewerbe (Frühjahr 1983); vgl. IFO-Schnelldienst 19-20/1983, S. 6. 10

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sten Wirkungen von trendmäßigen Veränderungen der globalen Beschäftigungsdeterminanten gegenüber dem Vergleichszeitraum 1960-70 wiedergeben. Die vielfältigen — unsere Ergebnisse sicherlich modifizierenden — Interdependenzen zwischen diesen Beschäftigungsfaktoren und die daraus resultierenden Anpassungsprozesse bleiben hier also unberücksichtigt. Die entsprechenden Berechnungen (vgl. dazu auch die Tabelle, S. 184) zeigen, daß — die oben geschätzte, sich seit 1977 zunehmend öffnende Arbeitsplatzlücke im Umfang etwa der im Vergleich zum Jahre 1970 zu verzeichnenden Zunahme des Erwerbspersonenpotentials entspricht; ohne diese vor allem demographisch bedingte Ausweitung des Arbeitskräfteangebots könnte heute von einem Arbeitsplatzmangel nicht oder zumindest nur in wesentlich abgeschwächter Form die Rede sein; — von der Arbeitszeitpolitik seit Anfang der 70er Jahre angesichts gegenüber früheren Jahren etwas beschleunigter Arbeitszeitverkürzungen rein rechnerisch eher arbeitsmarktentlastende Wirkungen ausgingen; — sich die Zahl der Arbeitslosen selbst bei gegenüber den 60er Jahren unveränderter trendmäßiger Produktions- und Produktivitätsentwicklung und annähernd vollausgelastetem Produktionspotential gegenwärtig noch auf rund 1,5 Mill, beliefe; — bei im Vergleich zu den 60er Jahren unveränderten Steigerungsraten der Arbeitsproduktivität oder auch der Kapitalintensität gegenwärtig rein rechnerisch ein beträchtlich — um rund 5 bzw. knapp 2 Mill. — gerin-< geres Arbeitsplatzvolumen verfügbar wäre. Von einer technologischen, substitutionsbedingten oder auch arbeitszeitpolitisch bedingten Arbeitslosigkeit kann diesen einfachen Modellrechnungen zufolge also gegenwärtig wohl kaum die Rede sein. Die oben geschätzte Arbeitsplatzmangel-Arbeitslosigkeit läßt sich vielmehr in dieser globalen Betrachtung — zumindest rein rechnerisch und im Vergleich zum Trend der Jahre 1960-70 — einerseits auf die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, andererseits auf die demographisch bedingte Zunahme des Arbeitskräfteangebots zurückführen. Im ersteren Fall könnte man dementsprechend von einer mangelnden Realkapitalbildung als Ursache oder Folge der Wachstumsschwäche, im letzteren Fall von einer im Vergleich zum Arbeitskräftepotential unzureichenden Ausweitung der Kapitalbildung sprechen. Man sollte sich allerdings hüten, aus dieser globalen Komponentenzerlegung vorschnelle beschäftigungspolitische Folgerungen zu ziehen. Fraglich

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erscheint insbesondere, ob von einem Arbeitsplatzmangel im soeben erläuterten Sinne überhaupt zwingend auf eine zu geringe Kapitalbildung geschlossen werden kann. So ließe sich unter wohlfahrtstheoretischem Aspekt sicherlich mit einer gewissen Berechtigung argumentieren, daß eine höhere Investitionstätigkeit aus vielerlei Gründen — etwa aus umweit- oder ressourcenbezogener Sicht oder auch mit Blick auf die unsicheren zukünftigen Auslastungsperspektiven zusätzlicher Investitionen — wenig erwünscht sei; statt eines Kapitalmangels würde dann also eher ein Mangel an arbeitsumverteilenden (die Arbeitszeit oder die Erwerbspersonenzahl reduzierenden) Maßnahmen bestehen12. Relativieren sollte man diese These einer unzureichenden Kapitalbildung als Hauptursache der Beschäftigungsprobleme aber auch mit Blick auf die Erfahrungen anderer Länder — insbesondere der USA. Die Zahl der Beschäftigten erhöhte sich dort während der Jahre 1973-83 trotz ebenfalls mäßiger Wachstumsraten, kaum veränderter Arbeitszeiten und — für unsere Frage besonders bedeutsam — vergleichsweise gedämpfter Investitionstätigkeit um rund 16 Mill.; in der Bundesrepublik ging in diesem Zeitraum — bei gegenüber den USA nur unwesentlich geringeren Wachstumsraten und sogar höherer Investitionsquote — die Beschäftigung demgegenüber um rund 1,7 Mill, zurück 13 . Rein rechnerisch, im Sinne unserer obigen globalen Komponentenanalyse, läßt sich diese günstige Beschäftigungsentwicklung in den USA auf — verglichen mit den gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten — ausgesprochen geringe Zuwächse der Arbeitsproduktivität zurückführen. Hinsichtlich der Ursachen dieser Produktivitätsschwäche liegt mittlerweile eine Vielzahl zum Teil divergierender Erklärungsansätze vor, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann 14 . Als relativ gesichert kann jedoch gelten, daß für die geringeren Produktivitätszuwächse — neben vielen anderen Faktoren wie z.B. einer Abschwächung des technischen Fortschritts und der Kapitalproduktivität — zu einem guten Teil die verminderte Realkapitalbildung und, damit zusammenhängend, eine deutlich verlangsamte Kapitalintensivierung sowie sektorale Produktions- und Beschäftigungsumschichtungen zugunsten des produktivitätsschwächeren Tertiärsektors verantwortlich waren 15. 12 Hierbei wäre allerdings zu bedenken, daß auch Arbeitszeitverkürzungen in der Regel zusätzliche Kapitalaufwendungen erfordern, eventuelle Hemmnisse bei der Kapitalbildung also auch die Anpassung der Unternehmen an solche arbeitszeitpolitischen Maßnahmen erschweren können. 13 Einen ersten Überblick vermitteln z.B. Baily (1981) und Lindbeck (1983). 14 Vgl. dazu z.B. Baily (1982) und Lindbeck (1983). 15 Vgl. Winkler-Büttner (1984), S. 342.

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Dieser noch relativ allgemeine Befund wirft natürlich die Frage auf, welche Rahmenbedingungen erfüllt sein müssen, damit es bei vergleichsweise schwacher Investitionsdynamik anstatt zu Arbeitsplatzverlusten, wie zunächst eher zu vermuten wäre, zu einer sogar sehr ausgeprägten Beschäftigungssteigerung kommt. Die für die USA vorliegenden Daten sprechen dafür, daß es hierzu eines Zusammentreffens verschiedener Faktoren bedarf: einer hohen Arbeitskräftemobilität und der jeweiligen Marktsituation entsprechenden sektoralen Lohnsatzdifferenzierung ebenso wie — zumindest unter den gegenwärtig auch für die USA geltenden Bedingungen nachlassender technischer Fortschrittsraten und kräftiger Reallohnzuwächse — einer partiellen Abschirmung gegenüber dem internationalen Wettbewerb und möglicherweise auch besonders ausgeprägter ,,Unternehmereigenschaften" (wie Risikobereitschaft, Streben nach Selbständigkeit, rasches Erkennen und Ausnutzen auch kurzfristiger Marktchancen usw.). Daß eine derartige Konstellation auch in der durch gänzlich andere binnen- und außenwirtschaftliche Rahmendaten gekennzeichneten Bundesrepublik Realisierungs- und Erfolgschancen hätte, erscheint allerdings eher zweifelhaft.

IV. Zu den Ursachen der verminderten Realkapitalbildung

Wir wollen uns abschließend mit einigen Anmerkungen der Frage zuwenden, worin die entscheidenden Gründe der seit 1973/74 verminderten Realkapitalbildung zu suchen sind. Dabei kann es hier nicht um eine umfassende Ursachenanalyse gehen, zumal andere Beiträge dieses Bandes ausführlicher auf diesen Problemkreis eingehen. Vielmehr wollen wir uns darauf beschränken, die folgenden sieben besonders häufig genannten und — mit jeweils unterschiedlicher Akzentuierung — vielfach als ausschlaggebend angesehenen Bestimmungsgründe der anhaltenden Investitionsschwäche etwas näher auf ihre Bedeutung hin zu untersuchen: (1) die Verlangsamung des technischen Fortschritts; (2) die ausgeprägte Steigerung des Ölpreises; (3) den Anstieg der Lohnkosten; (4) vermehrte außenwirtschaftliche Hemmnisse wie Wechselkursschwankungen, Protektionismus und die wachsende Konkurrenz aus den sogenannten Schwellenländern; (5) die aus verschiedenen Gründen gestiegenen und verstärkt schwankenden Zinssätze;

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(6) den Mangel an Risikokapital und (7) eine strukturell angelegte Abschwächung der Endnachfrage. Während die ersten sechs Faktoren der oben genannten These vom Realkapitalmangel im Sinne eines durch gestörte Angebotsbedingungen ausgelösten Mangels an autonomen Investitionen und speziell die Faktoren (5) und (6) der These eines monetären Kapitalmangels zuzuordnen sind, liegen die Faktoren (7) und in gewissem Maße auch (4) jenen primär nachfrageseitigen Erklärungsansätzen zugrunde, welche die verminderte Realkapitalbildung als Folge, nicht jedoch als Ursache der allgemeinen Wachstumsschwäche ansehen. Versucht man zunächst, den Tatbestand der verminderten Sachkapitalbildung etwas genauer zu fassen, so ist festzustellen, daß der Anteil der für Wachstum und Beschäftigung wohl besonders bedeutsamen Nettoinvestitionen im Unternehmenssektor (ohne Wohnungswirtschaft) am Volkseinkommen von rund 10 v.H. (1960 - 69) auf 4,4 v.H. (1975 - 82) abgenommen hat. Unternehmensbefragungen des Ifo-Instituts lassen darauf schließen, daß dieser ausgeprägte Rückgang im wesentlichen das Ergebnis verminderter Erweiterungsinvestitionen im Rahmen der bekannten Produktpalette war, während der Anteil der Investitionen zur Einführung neuer Produktionsund Verfahrenstechniken erheblich gestiegen und der Anteil der Erweiterungsinvestitionen zum Zwecke der Einführung neuer Produkte immerhin annähernd gleichgeblieben ist 16 . Dies spricht zwar zunächst eher für eine Schwäche der induzierten als der autonomen Investitionstätigkeit; dennoch könnte von einem Mangel an autonomen Investitionen natürlich dann gesprochen werden, wenn man, wie eingangs erläutert, eine Ausweitung dieser Investitionen als Voraussetzung und erfolgversprechendes Mittel einer Wachstums- und Beschäftigungssteigerung ansieht. Schon der soeben angeführte Befund einer eher gestiegenen innovationsbezogenen Investitionstätigkeit weist darauf hin, daß von einer generellen Innovationsschwäche in der Bundesrepublik gegenwärtig — von speziellen Technologiebereichen einmal abgesehen — kaum die Rede sein kann. In diese Richtung deuten auch die im internationalen Vergleich hohen Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen, die relativ hohe Zahl der deutschen Patentanmeldungen und nicht zuletzt die im Vergleich zu den meisten Industrieländern in den letzten Jahren noch ausgebaute Wettbewerbsposition auf den Weltmärkten. Daß die ausgeprägten Ölpreissteigerungen der 70er Jahre über erhöhte Inflationsraten, verminderte Realeinkommen, zusätzliche Kostenimpulse und 16

Vgl. IFO-Schnelldienst 19-20/1983, S. 1.

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induzierte Verschiebungen der Nachfragestruktur Wachstum und Investitionen beeinträchtigt haben, erscheint insbesondere nach den Ergebnissen der jüngsten Strukturberichte 17 unstrittig. Die Tatsache, daß sich die internationale Konkurrenzfähigkeit der Bundesrepublik bei energieintensiven Gütern trotz der Ölverteuerung sogar überwiegend verbesserte 18, spricht allerdings für eine vergleichsweise hohe Anpassungsfähigkeit der deutschen Unternehmen an die veränderte Energiesituation. Hinsichtlich der Lohnkosten ist zwischen der Lohnkostenbelastung insgesamt und dem Verhältnis von Lohn- und Kapitalkosten — also der Faktorpreisrelation — zu differenzieren. Die durchschnittliche Lohnkostenbelastung, gemessen an der Relation zwischen Reallohn- und Produktivitätssteigerungen, hat sich in den Jahren 1970-74 deutlich erhöht, seitdem im Trend allerdings wieder leicht zurückgebildet. Die dadurch mitbedingte Einengung der Gewinnmargen, die das verarbeitende Gewerbe besonders stark traf, hat sicherlich die Investitionsneigung in gewissem Maße gedämpft. Gleichwohl spricht die trotz der nun schon seit längerem recht zurückhaltenden und stetigen Lohnpolitik anhaltende Investitionsschwäche dafür, daß die Lohnkostenbelastung heute kein wirklich entscheidendes Investitionshemmnis darstellt. Auch erscheint das Argument, niedrigere Lohnstückkosten würden der deutschen Wirtschaft im Ausland einen Wettbewerbsvorteil schaffen, angesichts der für diesen Fall zu erwartenden Wechselkursanpassungen und Handelsbeschränkungen eher zweifelhaft. Mit Blick auf die im längerfristigen Trend recht stabile sektorale LohnProduktivitätsstruktur erscheint es auch eher unwahrscheinlich, daß von der Entwicklung der Lohnstruktur wesentliche zusätzliche Wachstums- und investitionshemmende Effekte ausgegangen sind 19 . Im übrigen besteht zwischen der Lohnstruktur und der Allokationseffizienz keineswegs ein so eindeutig positiver Zusammenhang, wie gelegentlich behauptet wird 20 . Daß der Anstieg der Lohnkosten über eine Erhöhung der Lohn-ZinsRelation die Substitution von Arbeit durch Kapital und damit den Abbau der Beschäftigung wesentlich forciert habe, muß schon in Anbetracht der seit Mitte der 70er Jahre deutlich rückläufigen Lohn-Kapitalkosten-Relation 21 verneint werden. Im übrigen deuten ökonometrische Schätzungen ebenso wie Unternehmensbefragungen darauf hin, daß der im Zeitablauf re17 18 19 20 21

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

insbesondere RWI (1984), Bd. 2, S. 69 ff. ebenda, S. 139. Vogler-Ludwig (1983), S. 88. ebenda, S. 89 f. RWI (1984), S. 9 f.

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lativ stetige Rationalisierungs- und Faktorsubstitutionsprozeß primär das Ergebnis eines ebenfalls recht stetigen, insgesamt arbeitssparenden technischen Fortschritts ist, der Entwicklung der Lohn-Zins-Relation hingegen hierbei geringere Bedeutung zukommt 22 . Auch die Hinweise auf die Wachstums- und investitionshemmenden Wirkungen außenwirtschaftlicher Störungen wie verstärkter Wechselkursschwankungen, wachsender protektionistischer Bestrebungen und zunehmender Konkurrenz aus den Schwellenländern erscheinen angesichts der insgesamt relativ stabilen Welthandels- und Überschußposition der Bundesrepublik teilweise überzogen. Allerdings haben die genannten Störungen sicherlich wesentlich zur nachlassenden Expansion des Welthandels insgesamt seit 1974 und auf diese Weise auch zur Verminderung der deutschen Exportmöglichkeiten beigetragen. Ferner dürften gewisse ungünstige Wirkungen auf das Investitionsklima von diesen Entwicklungen insofern ausgegangen sein, als sie die Unsicherheiten über die zukünftigen Exportchancen verstärkt und damit die allgemeine Investitionsbereitschaft vermindert haben. Was die unter (5) und (6) angesprochene Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen angeht, so werden die gestiegenen Kapitalmarktzinsen und die stark rückläufige Eigenkapitalquote im Unternehmenssektor häufig als Indiz eines die Investitionstätigkeit hemmenden monetären Kapitalmangels angesehen. Geht man davon aus, daß für die Investitionsplanung angesichts der Unsicherheit über das zukünftige Inflationstempo die Höhe des jeweiligen Nominalzinses wichtiger als die des Realzinses ist, so wird man den beiden „Hochzinsbuckeln" der Jahre 1973/75 und 1980/82 und den seit Anfang der 70er Jahre ausgeprägteren Zinsschwankungen sicherlich gewisse investitionshemmende Wirkungen zusprechen müssen. Allerdings ist die Stärke des Zinseinflusses auf die Investitionstätigkeit — selbst in Bereichen mit langfristiger Kapitalbindung23 — nach den vorliegenden Untersuchungen keineswegs gesichert. In einer Unternehmensbefragung vom Frühjahr 1983 stellten die (noch vergleichsweise hohen) Zinssätze in Relation zu anderen Faktoren ein deutlich nachrangiges Investitionshindernis dar 24 . Auch die Investitionsstruktur in der Bundesrepublik läßt auf einen monetären Kapitalmangel nicht schließen: Die Investitionen in den als besonders kreditabhängig geltenden Bereichen Energie- und Wasserversorgung, Ver22

Vgl. hierzu z.B. DIW (1984), S. 150 ff. und Gerstenberger (1984), S. 122 f. Zumindest läßt sich für den Wohnungsbau in den letzten Jahren ein gegenüber anderen Faktoren (Einkommen, Bau-, Bauland- und Immobilienpreise, Mieten) eher geringer Einfluß der Zinshöhe nachweisen (vgl. RWI (1984), Bd. 2, S. 60 ff.). 24 Vgl. IFO-Schnelldienst 22/1983, S 22. 23

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kehr und Nachrichtenwesen (ohne den wesentlich durch Sonderentwicklungen geprägten Wohnungsbau25), haben ihren Anteil an den Anlageinvestitionen insgesamt von 1970 bis 1981 sogar um 1,5 Prozentpunkte erhöht. Die Frage nach den Ursachen der hohen und stark schwankenden Nominalzinssätze seit Anfang der 70er Jahre kann hier nicht weiter verfolgt werden. Fraglich erscheint jedenfalls die These, in der Bundesrepublik bestehe ein die Zinsen erhöhender Kapitalmangel im Sinne einer unzureichenden (freiwilligen) Ersparnis. Zwar ist das gesamtwirtschaftliche Sparvolumen, bezogen auf das Volkseinkommen, tatsächlich deutlich (von durchschnittlich 19,4 v.H. 1960 - 69 auf rund 10,5 v.H. 1981 - 83) gesunken, doch resultierte dieser Rückgang ausschließlich aus der rückläufigen, in besonders starkem Maße kreislaufmechanisch — durch die Höhe der Gesamt- und speziell Investitionsnachfrage — determinierten Sparquote von Unternehmen und öffentlichen Haushalten. Die zumindest im Trend wesentlich ,,autonomere" Sparquote der privaten Haushalte liegt hingegen seit Ende der 60er Jahre um rund 1,5 Prozentpunkte über dem zuvor üblichen — und mit hohem Wachstum und rascher Kapitalbildung damals offensichtlich gut verträglichen — Niveau. Gegen einen generellen Mangel an investierbaren Mitteln — sei er nun durch ein unzureichendes Sparvolumen oder auch durch geldpolitische Restriktionen oder Probleme der Fristentransformation bedingt — spricht im übrigen, daß alle Branchen im Durchschnitt der 70er Jahre über ausreichende Innenfinanzierungsmittel für ihre Investitionen verfügten, da der Cash flow durchweg über dem jeweiligen Bruttoinvestitionsvolumen lag 26 . Nicht selten wird ein monetärer Kapitalmangel auch im spezielleren Sinne eines Mangels an Eigen- oder Risikokapital behauptet. Der Hinweis auf den statistisch ausgewiesenen deutlichen Rückgang der Eigenkapitalquote ist allerdings zu relativieren, da die Ausweitung der betrieblichen Geldvermögensbestände gegenüber dem Sachvermögen die Bilanzstrukturen in den letzten Jahren zunehmend verzerrt hat 27 . Verschiedenen Untersuchungen zufolge stehen zwar kleinere und neugegründete Betriebe häufiger vor Finanzierungsproblemen 28. Ganz abgesehen davon, daß gerade für diese Zielgruppe bereits zahlreiche staatliche Hilfsprogramme angeboten werden, lassen die Äußerungen von Bankpraktikern jedoch den Schluß zu, daß für wirklich chancenreiche Innovationsvorhaben genügend Kreditgeber zur Verfügung stehen. 25 26 27 28

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

oben, Fußnote 23. RWI (1984), Bd. 2, S. 57. RWI (1984), Bd. 2, S. 47 ff. z.B. IFO-Schnelldienst 34/1982, S. 16.

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Daß die langjährige Investitionsschwäche auch Ergebnis einer verminderten gesamtwirtschaftlichen Nachfragedynamik ist, dürfte angesichts der oben aufgezeigten konjunkturellen Auslastungsstörungen und der hierdurch sowie die anhaltenden Wachstums- und Beschäftigungsprobleme ausgelösten kumulativen Nachfrageeinbußen kaum zweifelhaft sein. Strittig ist hingegen, inwieweit eine autonome — also nicht durch den Wachstums- und Beschäftigungsrückgang oder die Rezession induzierte — Abschwächung der Endnachfrage zur Abflachung des Investitionstrends beigetragen hat. Die (auf das verfügbare Einkommen bezogene) Sparquote der privaten Haushalte, ein Grobindikator der privaten Konsumbereitschaft, ist zwar bis Mitte der 70er Jahre auch im Trend gestiegen, weist seitdem aber wieder eine rückäufige Tendenz auf. Dieser Trendbruch, der sich bereits vor den Realeinkommenseinbußen 1981-83 durchsetzte, spricht eher gegen die These globaler Sättigungserscheinungen. Auch läßt sich ein die Konsumquote mindernder Effekt der Bevölkerungsentwicklung, wie er angesichts rückläufiger Bevölkerungszahlen und sich verschiebender Altersstrukturen gelegentlich prognostiziert wurde, statistisch bislang nicht nachweisen29. Der Strukturwandel hat sich beim privaten Verbrauch insgesamt sogar verlangsamt30, sodaß von hierher keine verstärkten Anpassungsprobleme auf Seiten der Produzenten ausgelöst wurden. Gleichwohl hat die Skepsis der Unternehmen hinsichtlich der zukünftigen Nachfrage- und insbesondere auch Konsumentwicklung in den letzten Jahren laufend zugenommen31. Es ist zu vermuten, daß hierbei — neben den schon genannten Faktoren — wohl auch die seit einigen Jahren zu beobachtende Verschiebung der Verbraucherpräferenzen in Richtung nicht-marktlicher Konsumbereiche, der wachsende Sättigungsgrad auf traditionellen Märkten, die gestiegene Konjunkturreagibilität des privaten Verbrauchs, aber sicherlich auch die enger begrenzten Expansionsspielräume bei den übrigen Komponenten der volkswirtschaftlichen Endnachfrage, also den staatlichen Realausgaben und der Ausfuhr, eine Rolle gespielt haben. Die Bedeutung derartiger — zum Teil sicherlich ,,autonomer", also nicht angebotsseitig oder konjunkturell induzierter — Veränderungen der Nachfragedynamik insbesondere für die Ausformung der mittel- und längerfristigen Absatzerwartungen in den Unternehmen ist zwar empirisch schwer erfaßbar; daß sie in gewissem Maße ebenfalls zur Wachstums- und Investitionsschwäche beigetragen haben, erscheint jedoch recht wahrscheinlich. 29

Vgl. HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung (1984), S. 110 f. Vgl. RWI (1984), Bd. 1, S. 44. 31 Vgl. die Ergebnisse entsprechender Unternehmensbefragungen des Ifo-Instituts, in: IFOSchnelldienst 10/1984, S. 23 ff. 30

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Faßt man diese Überlegungen zusammen, so muß man wohl zu dem Schluß kommen, daß die verminderte Realkapitalbildung der letzten Jahre das Ergebnis höchst vielfältiger — und hier nicht einmal annähernd vollständig erwähnter — Datenänderungen war, deren hemmende Wirkungen für sich genommen zwar meist eher gering blieben, die in ihrer Gesamtheit jedoch zu einer erheblichen Dämpfung der Investitionsneigung (weniger der Investitionsmöglichkeiten) geführt haben. Auch drängt sich die Folgerung auf, daß die Investitionsschwäche neben den tatsächlich beobachteten Veränderungen der Angebots- und Nachfragebedingungen — die sich vielfach, und teilweise schon vor einiger Zeit, wieder günstiger gestaltet haben — zunehmend das Resultat einer sich gewissermaßen verselbständigenden allgemeinen Verunsicherung der Unternehmer und Kapitalgeber hinsichtlich der wirtschaftlichen und politischen Zukunftsperspektiven ist. Ein solcher Schluß läge, sofern er zumindest in der Tendenz zuträfe, natürlich Konsequenzen für die weitere Forschung ebenso wie für die politische Praxis nahe: In der Wirtschaftswissenschaft wäre den Determinanten der Bildung bzw. Veränderung von Erwartungen und insbesondere den psychologischen Wirkungen bestimmter wirtschaftspolitischer Strategien und Einzelmaßnahmen verstärkt auch empirisch nachzugehen. In der Wirtschaftspolitik hätte man vermehrt darüber nachzudenken, wie die Wachstums- und Konjunkturpolitik noch besser derart zusammengeführt werden könnten, daß — unter Betonung der Verläßlichkeit des mittel- und längerfristigen Kurses — längerfristig angelegte Angebotsanreize mit kurzfristigen (an klare Befristungskriterien gebundene) Anstoßprogramme kombiniert werden.

V. Resümee

Was folgt nun aus den hier vorgetragenen Überlegungen für die eingangs gestellte Frage, inwieweit die gegenwärtige Arbeitslosigkeit Ergebnis eines realen und eventuell auch monetären Kapitalmangels ist? Die wichtigsten Resultate lassen sich in vier Punkten zusammenfassen: — Für etwa 60 v.H. der gegenwärtig Arbeitslosen in der Bundesrepublik stehen momentan keine Arbeitsplätze zur Verfügung; insoweit könnte von einem Kapitalmangel im Sinne eines Arbeitsplatzmangels also durchaus gesprochen werden. Die wirtschaftspolitische Konsequenz, für entsprechende zusätzliche arbeitsplatzschaffende Investitionen Sorge zu tragen, liegt zwar nahe, ist aber nicht völlig zwingend. Es lassen sich — und zwar nicht nur aus beschäftigungspolitischer Sicht — sehr wohl

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Gründe dafür vorbringen, zumindest ergänzend zu dieser Strategie der Investitionsförderung arbeitsumverteilende Maßnahmen (also die verschiedensten Formen der Wochen-, Jahres- und Lebensarbeitszeitverkürzung) in Erwägung zu ziehen. Auch zeigt das Beispiel der USA, daß unter bestimmten Rahmenbedingungen auch von einer Verlangsamung des Arbeitsproduktivitätswachstums — etwa als Resultat einer verlangsamten Kapitalintensivierung oder einer Produktions- und Beschäftigungsverlagerung hin zum tertiären Sektor — positive Beschäftigungswirkungen ausgehen können. Von einer technologischen oder substitutionsbedingten — durch hohe Produktivitätszuwächse ausgelösten — Arbeitslosigkeit kann in der Bundesrepublik gegenwärtig allerdings wohl kaum die Rede sein. Darauf deutet nicht nur der intertemporale Vergleich, nämlich ein im Trend abgeschwächtes Arbeitsproduktivitätswachstum in der Bundesrepublik, hin. Vielmehr wäre wohl auch davon auszugehen, daß jene spezifischen Rahmendaten, die in den USA extrem niedrige Produktivitätsraten bei dennoch vergleichsweise wenig beeinträchtigter Wachstumsdynamik ermöglicht haben, bei uns kaum Realisierungs- und Erfolgschancen hätten. — Die seit 1973/74 im Trend wesentlich abgeschwächte Realkapitalbildung hat vielerlei Ursachen; monokausale oder zu sehr einem bestimmten angebots- oder nachfrageorientierten Stabilisierungskonzept verpflichtete Erklärungen erweisen sich daher als unzulänglich. Das aufgezeigte Nebeneinander von angebots- und nachfrageseitigen Störungen läßt die Folgerung zu, daß wir gegenwärtig sowohl von einem wirklich ursächlichen Kapitalmangel — im Sinne einer in Relation zum Nachfrage- und Wachstumspoientia/ unzureichenden autonomen Investitionstätigkeit — als auch von einer lediglich mittelbaren, durch eine längerfristig verminderte Nachfragedynamik bewirkten Investitionsschwäche ausgehen müssen. Auch wenn im letzteren Falle von einem Kapitalmangey zunächst nicht gesprochen werden kann, gilt es freilich zu beachten, daß die Intensität der strukturellen Nachfragedynamik von der Attraktivität des Güterangebots und damit auch von Umfang und Richtung der autonomen produktbezogenen Investitionen mitbestimmt wird. In diesem Zusammenhang liegt letztlich ja die Schwierigkeit begründet, überhaupt eine einigermaßen konsistente Abgrenzung zwischen Angebots- und Nachfragestörungen und damit zwischen einem wirklichen Kapitalmangel und einer dem Wachstumstrend nur angepaßten Kapitalbildung vorzunehmen. Man könnte aus diesen Überlegungen vielleicht folgern, daß heute — angesichts verstärkter nachfrageseitiger Störungen und der angedeuteten Verschlechterung der längerfristigen Absatz- und Gewinnerwartungen —

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im Vergleich etwa zu den 60er Jahren sogar erhöhte Anforderungen an die Qualität der Angebotsbedingungen zu stellen sind: Die Verbesserung der Angebotsseite müßte also gewissermaßen die strukturelle Verschlechterung der Nachfragebedingungen kompensieren. Ganz abgesehen von den nur schwer abschätzbaren Erfolgschancen einer angebotsorientierten Wachstumspolitik ist hierbei allerdings zu bedenken, daß eine konsequente und umfassende Angebotsstrategie vermutlich auf recht massive gesellschaftspolitische Widerstände stoßen würde. — Die für einen monetären Kapitalmangel vorgebrachten Argumente können, soweit sie hier Berücksichtigung finden konnten, kaum überzeugen. Abgesehen von gelegentlichen Finanzierungsproblemen in kleineren und neugegründeten Unternehmen — denen im Falle von Existenzgründungen in gewissem Maße aber sicherlich allokationspolitische Kontrollfunktion zukommt — handelt es sich bei der bis heute anhaltenden Investitionsschwäche um eine Schwäche der Investitionsne/gung, nicht der Investitionsmöglichkeiten.

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Einfluß der Inflation auf die Realkapitalbildung Von Helmut Wagner, Hamburg

Der Beitrag behandelt im ersten Teil kurz die Inflationsneutralitätsthese der neoklassischen allgemeinen Gleichgewichtstheorie vom Walras-ArrowDebreu-Typ, ihre Widerspiegelung in der traditionellen neoklassischen Wachstumstheorie sowie die Abweichung in den neoklassischen monetären Wachstumsmodellen. Im zweiten Teil werden dann die zentralen Entstehungsgrundlagen für die in der Realität beobachtbare Nichtneutralität von Inflation herausgearbeitet und die entsprechenden (partiellen) Inflationseinflüsse auf die Realkapitalbildung analysiert. Im dritten Teil wird der insbesondere wirtschaftspolitisch entscheidenden Frage ,,Hat Inflation eher positive oder negative Einflüsse auf die Realkapitalbildung?" nachgegangen. Dabei wird aus einer Systematisierung von Teileffekten heraus der Versuch einer differenzierenden Gesamtbeurteilung unternommen. Im abschließenden vierten Teil werden dann noch kurz einige methodische Aspekte angesprochen. Unter Inflation wird im folgenden ein stetiger Preisniveauanstieg verstanden, unter Realkapitalbildung die Akkumulation (der Zuwachs) von nichtmenschlichen Produktionsmitteln. Der zur Verfügung stehende knappe Raum ermöglicht oft nur eine thesenhafte Behandlung von Einzelaspekten oder -einflüssen. Auch kann selbstverständlicherweise kein Anspruch auf Vollständigkeit der angeführten Einflüsse von Inflation erhoben werden1.

I. Die Inflationsneutralitätsthese der neoklassischen Gleichgewichtstheorie

Inflation wird nur dann einen Einfluß auf den realen Wirtschaftsprozeß haben, wenn Geld eine aktive Rolle im ökonomischen Handlungssystem 1 Einen ersten kurzen Überblick zu der hier behandelten Thematik siehe in Wagner (1981a), eine umfangreiche Analyse in Wagner (1983a).

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spielt. Das Preisniveau ist ja als der durchschnittliche, in Geld ausgedrückte, Wert der Güter zu fassen. Insofern bedeutet Inflation auch stetige Geldwertsenkung. Nun spielt bekanntlich Geld in der allgemeinen neoklassischen Gleichgewichtstheorie, d.h. in einer Arrow-Debreu-W élt perfekt funktionierender Walrasianischer Märkte, die stets geräumt werden, keine (aktive) Rolle. Geld ist dort nur ein ,,Schleier 4 Es wird allein in seiner Funktion als Rechenmittel betrachtet (numéraire) 2. Der Wirtschaftsprozeß wird gelenkt von den realen Faktoren. Insofern spricht man auch von der (neo)klassischen Dichotomie von Geld und Real Wirtschaft. Geldpolitik ist dementsprechend ,,neutral" in dem Sinne, daß Änderungen der Geldmenge die realen Variablen (die Gleichgewichtslösungen) nicht berühren 3. Umgekehrt wird daraus in der angewandten neoklassischen Theorie (Monetarismus) abgeleitet, daß Inflation nur die Folge zu hoher Geldmengenproduktion sein kann4. Dadurch wird verständlich, daß Geld und damit auch Inflation im traditionellen neoklassischen Paradigma keinen Einfluß auf die Realkapitalbildung hat. Dies zeigt sich auch in der traditionellen neoklassischen Wachstumstheorie5, in der Geld gar nicht vorkommt: Im Produktionsprozeß wird durch den Einsatz von Arbeit und Realkapital ein bestimmtes Gütervolumen erstellt, dessen Wert gleichzeitig dem Einkommen der Wirtschaftssubjekte entspricht. Während ein Teil des Einkommens für Konsumzwecke ausgegeben wird, wird der Rest gespart, und zwar in Form von Realkapitalbildung. Die gleichgewichtige Wachstumsrate der Produktion als auch der Realkapitalbildung ist in diesem Modell exogen bestimmt durch die Wachstumsraten der Arbeitsbevölkerung sowie des technischen Fortschritts. Gegenüber diesem traditionellen, realwirtschaftlichen Ansatz wurde seit Mitte der 1960er Jahre versucht, Geld in einem weiteren Sinne als dem eines 2 Welches Gut jeweils als numéraire-Gut, d.h. als „Geld", ausgewählt wird, ist in einer funktionierenden Arrow-Debreu-Welt gleichgültig. Allgemein jedoch, bei Betrachtungen auch von Ungleichgewichten, ist der Preisanpassungsmechanismus nicht unabhängig von der Wahl des numéraire-Gutes. 3 Zur näheren Erläuterung dazu siehe z.B. Arrow (1981); zum Ansatz der neoklassischen allgemeinen Gleichgewichtstheorie siehe Debreu (1959) oder Hildenbrand und Kirman (1976), dort insbesondere Ch. 6. 4 Auch die Theorie der natürlichen Arbeitslosenrate (Friedman, Phelps) und die wirtschaftspolitischen Schlußfolgerungen der ,,Neuen Klassischen Makroökonomie" lassen sich auf diesen paradigmatischen Ansatz der neoklassischen allgemeinen Gleichgewichtstheorie zurückführen. Vgl. dazu z.B. Tobin (1980). Die Inflationsentstehung selbst kann jedoch nicht endogen im Rahmen eines neoklassischen allgemeinen Gleichgewichtsmodells abgeleitet werden, da sich ja alle Märkte stets im Gleichgewicht befinden, Inflation selbst aber ein typisches Ungleichgewichtsphänomen ist. 5 Vgl. Solow (1956) und Swan (1956).

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numéraire-Gutes in die neoklassische Wachstumstheorie einzubauen6. Geld wird in diesen neoklassischen monetären Wachstumsmodellen auch in seiner Rolle als Tauschmittel und Wertaufbewahrungsmittel gefaßt. In diesen Modellen wird davon ausgegangen, daß (a) die Rate der Realkapitalbildung den geplanten Ersparnissen identisch gleich ist und (b) die Märkte immer im Gleichgewicht sind, wie hoch auch immer die Inflationsrate ist. (Die Inflationsrate wird dabei sozusagen von außen — exogen — vorgegeben.) Geld wird als Aktivum, als ein Vermögensobjekt eingeführt, dessen Haltung im Sparprozeß als Alternative zur Haltung von Realkapital angesehen wird. Vermögen setzt sich aus Realkapitalbestand und Realkassenbestand zusammen. Solange dem Geld nicht spezieller Nutzen (als Konsumgut oder Produktionsgut) zugesprochen wird, kann man daraus in diesem Modell einen positiven Einfluß von Inflation — und zwar von erwarteter Inflation — auf die Realkapitalbildung ableiten. Die Begründung lautet vereinfacht wie folgt 7: Bei einer steigenden erwarteten Inflationsrate steigt auch der Nominalzins. Ein steigender Nominalzins führt jedoch zu einem Rückgang der realen Geldnachfrage, da die Opportunitätskosten der Geldhaltung pro Geldeinheit gestiegen sind. Das Sparen in Form der Realkasse sinkt und es bleibt ein größerer Teil des verfügbaren Einkommens für das Sparen in Form von Realkapital übrig. Also regt eine steigende erwartete Inflationsrate die Realkapitalbildung an. Es handelt sich dabei jedoch nur um einen Niveaueffekt. Die Wachstumsrate bleibt unverändert. Gesteht man jedoch Geld einen besonderen Nutzen zu (als Konsumgut oder Produktionsgut) — und nur so ist Geldhaltung ökonomisch begründbar —, so ist der Einfluß von Inflation auf die Realkapitalbildung nicht mehr eindeutig bestimmbar. Dem obigen positiven Wachstumsteileffekt stehen dann die negativen (Wohlfahrts-) Effekte einer geringeren Realkassenhaltung gegenüber, die sich in der Verringerung der Ersparnis von realen Ressourcen bei der Abwicklung von Tauschvorgängen (Geld als Produktionsgut) bzw. in der Verringerung des Schutzes vor Illiquidität oder anderer immaterieller Nutzen des Geldbesitzes (Geld als Konsumgut) ausdrücken. Diese Effekte sind in der Literatur unter dem Namen ,,Wohlfahrtskosten der Inflation" bekannt. Darauf wird im nächsten Abschnitt (Il.l.a) nochmals zurückgekommen8. 6 Als die grundlegenden Arbeiten kann man die von Tobin (1965), Sidrauski (1967), Levhari und Patinkin (1968) und Foley und Sidrauski (1969) betrachten. 7 Zu einer übersichtlichen Darstellung der Ergebnisse der monetären Wachstumsmodelle siehe z.B. Stein (1979) und Pohl (1981, 165-198). 8 Es sei hier der Vollständigkeit halber erwähnt, daß neben den neoklassischen monetären Wachstumsmodellen auch sogenannte Keynes-Wicksell-Wachstumsmodelle Ende der 60er

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Nun ist jedoch zu sehen, daß das Ergebnis des einfachen neoklassischen monetären Wachstumsmodells von der Inflationsneutralitätsthese der neoklassischen allgemeinen Gleichgewichtstheorie nur deshalb abweicht, weil eine „theoriefremde", empirisch-historische Annahme eingeführt worden ist. Und zwar wird Geld in dem neoklassischen monetären Wachstumsmodell in der Form von Außengeld (outside-money) eingeführt, das kostenlos produzierbar ist und nicht verzinst wird. Die NichtVerzinsung dieses Außengeldes, das ja eine reale Staatsverschuldung darstellt, ist nun letztlich Grundlage für den Rückgang der erwarteten Ertragsrate der Realkassenhaltung bei erwarteter Inflationszunahme, der dann zu einer Vermögensumschichtung mit der Folge realer Inflationseffekte führt 9 . Es ließe sich aber demgegenüber sehr wohl eine Verzinsung der Geldhaltung vorstellen, wenn man die Möglichkeit in Betracht zieht, daß die Geldschaffung der durch freie Konkurrenz geregelten privaten Tätigkeit überlassen wird, was in den letzten Jahren verschiedentlich gefordert worden ist (vgl. insbesondere Hayek 1976, 1978)10. Eine andere Möglichkeit wäre die freiwillige Zahlung einer marktentsprechenden Verzinsung der (Außen-)Geldhaltung durch den Staat. Durch eine Marktverzinsung von Innengeld wie auch von Außengeld würde der Opportunitätskostenanstieg der Realkassenhaltung bei einer Inflationszunahme absorbiert und die Inflationsneutralität — im neoklassischen Modell — wiederhergestellt. Was damit ausgesagt werden soll, ist nur beispielhaft, daß erst durch die Einführung empirisch-historischer Tatbestände in die traditionelle neoklassische Gleichgewichtsmodellanalyse deren Inflationsneutralitätsthese widerlegt und die einzelnen Entstehungsgrundlagen für reale Effekte von Inflation herausgearbeitet werden können. Dies soll im nächsten Teil im Mittelpunkt stehen.

Jahre entwickelt wurden. Sie unterscheiden sich von den neoklassischen Ansätzen im wesentlichen dadurch, daß Ungleichgewichte am Gütermarkt und am Geldmarkt möglich sind, die Inflationsrate aus einem Gütermarktungleichgewicht heraus erklärt wird und die Realkapitalakkumulation in der Regel als gewichteter Durchschnitt der Investitionen und Ersparnisse dargestellt wird, welche unabhängig voneinander geplant werden. Vertreter sind u.a. Stein, Rose, Nagatani und Tsiang. (Vgl. z.B. Stein 1970). 9 Entscheidend für die Existenz dieser Effekte sind die Zinsabhängigkeit der realen Geldnachfrage und die Reaktion des Nominalzinses auf die erwartete Inflation. 10 Die Gegenargumente, die insbesondere auf die Gefahr einer dann galoppierenden Inflation hinweisen, sind bekannt und haben eine lange Tradition. (Siehe Vaubel 1984, 27 f.) Vgl. dagegen jedoch Ciaassen (1980, 267 f. und 275 ff.) und Vaubel (1984).

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I I . Die Grundlagen der Nichtneutralität von Inflation (der Einflüsse von Inflation auf die Realkapitalbildung)

Die Behauptung hier ist, daß notwendige Bedingungen für Inflationsneutralität (abgeleitet von der paradigmatischen Struktur der neoklassischen allgemeinen Gleichgewichtstheorie) folgende vier sind: keine Regulierungen, keine Transaktionskosten, vollkommene Information und Strukturhomogenität. Daraus lassen sich umgekehrt die Grundlagen für die Nichtneutralität von Inflation und damit auch speziell für den Einfluß von Inflation auf die Realkapitalbildung entwickeln. Die Grundlagen sind 11 : 1. 2. 3. 4.

Regulierungen (institutionelle Starrheiten) Transaktionskosten Unvollkommene Information Strukturheterogenitäten. 1. Regulierungen

Unter Regulierungen werden hier administrative Verordnungen, Gesetze und gewisse formale längerfristig geltende Kontrakte und Vereinbarungen verstanden. Im Prinzip sind solche Regulierungen jederzeit abschaffbar. Gesellschaftlich erfüllen sie jedoch eine wichtige, manchmal bestandsnotwendige Funktion. So haben Regulierungen zum einen die Funktion, Transaktionskosten zu verringern. Zum anderen sind Regulierungen manchmal auch das einzige Mittel, um bei gegebener Umwelt-Komplexität, was Erwartungsunsicherheit vor allem ausdrückt, handlungsfähig zu bleiben. Dies gilt für Gesellschaften genauso wie für Einzelpersonen12. Inflationskosten, die wegen solcher Regulierungen entstehen, kann man im weitesten Sinne als Kosten der Regulierungen auffassen. a) Staatliche Monopolisierung der Geldausgabe Wie im vorhergehenden Teil schon angedeutet, sind die in den neoklassischen monetären Wachstumsmodellen abgeleiteten positiven Akkumulationseffekte von (erwarteter) Inflation auf das staatliche Monopol der Geld11 Die Herausarbeitung dieser Grundlagen bzw. ihrer Bedeutung für Inflationseffekte ist im folgenden sehr kurz gehalten. Nur Punkt 3) ist angesichts seiner Komplexität wie auch seiner besonderen Bedeutung etwas ausführlicher dargestellt. 12 In der soziologischen Theorie sind diese Zusammenhänge ja allgemeiner entwickelt worden. Vgl. z.B. in den Schriften Niklas Luhmanns.

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ausgabe (Außengeld, Geldbasis) zurückzuführen. Genauso sind dann die in der Literatur wohl meistgenannten Inflationskosten, nämlich die (oben definierten) sogenannten „ Wohlfahrtskosten der Inflation" 13 in gewissem Sinne eigentlich gar keine auf die Inflation selbst ursächlich zurückführbare Kosten. Dies heißt, daß diese Kosten durch eine Deregulierung von gesetzlichinstitutionellen Grundlagen (Reprivatisierung der Geldausgabe14, Verzinsung der Geldhaltung) weitgehend vermieden werden könnten15. Die Opportunitätskosten der Geldhaltung (die Differenz zwischen dem Nominalzins am Wertpapiermarkt und dem auf Geld gezahlten Zins) — denen die Liquiditätsdienste des Geldbesitzes gegenüberstehen — würden in diesem Fall bei Inflation nicht (wesentlich) steigen, die reale Geldnachfrage damit auch gar nicht (spürbar) zurückgehen. Insofern wird auch in der neueren Diskussion der Inflationskosten die Frage gestellt, ob man diese Kosten nicht eher als „Kosten der Regulierung" (Brunner und Meitzer 1981, 2) betrachten sollte. (Siehe dazu z.B. Fischer 1981 a, 24) 16 . Nun betrifft dies nicht nur die „Wohlfahrtskosten der Inflation" im engeren Sinne, die zum ersten Mal von Bailey (1956) näher analysiert wurden (dort noch bezogen rein auf Hyperinflationsfälle), sondern auch weitere durch institutionelle Starrheiten (Regulierungen) begründete inflationsbedingte Kosten. Als solche institutionelle Starrheiten werden im folgenden angeführt: die Fiskalstruktur und das Währungssystem. b) Fiskalstruktur Neben den „Wohlfahrtskosten der Inflation" werden insbesondere die Inflationseffekte aufgrund einer nicht-inflationsangepaßten Fiskalstruktur, sprich einer nominalwertorientierten Steuer- und Abschreibungsgesetz17 gebungr , von vielen Experten als bedeutsam angesehen, bedeutsam auch 13 Gemessen werden diese Wohlfahrtskosten üblicherweise durch die Fläche unter der Nachfragekurve nach Realkasse, die durch die vor und nach dem erwarteten Inflationsschub nachgefragten Realkassen abgesteckt ist. Vgl. zu einer näheren Analyse dieser Kosten z.B. Mundeü (1965), Marty (1967), Tower (1971), Frenke/ (1976). 14 Eine private Geldausgabe soll hier nur als eine theoretische Möglichkeit, die als Annahme auch dem paradigmatischen Ansatz der neoklassischen Gleichgewichtstheorie angemessener wäre, herausgestellt werden. Vgl. aber auch King (1983). 15 Vgl. Fußnote 10. Es ist dabei jedoch zu berücksichtigen, daß solche Deregulierungen selbst zum Teil mit hohen (Wohlfahrts-)Kosten behaftet sind. 16 Der Stellenwert dieser „Wohlfahrtskosten" ist im übrigen sehr umstritten. Sie werden von vielen als marginal eingeschätzt, zumindest solange die Inflation richtig antizipiert wird. Vgl. z.B. Barro und Fischer (1976, 146): ,,It is hard to take a strong view on why permanent 10 percent inflation is bad on this basis." 17 Eine solche Fiskalstruktur ist in vielen Ländern institutionalisiert, so auch in der Bundesrepublik und in den USA.

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für die Realkapitalbildung (vgl. z.B. Feldstein 1983). Die beiden Hauptargumente in diesem Zusammenhang lauten: (1) Die in vielen Ländern gegebene Steuerprogression führt dazu, daß mit der Inflation die Steuerbelastung steigt, was entweder die Konsumnachfrage oder die Spartätigkeit der privaten Haushalte oder beides reduziert. (2) Die verbreitete Besteuerung von „Scheingewinnen" führt zu Substanzverlusten bei den Unternehmen und folglich, zumindest längerfristig, zu einer Einschränkung bei der Realkapitalbildung. (Verbrauchte Güter werden nach der Steuer rechtlichen Gewinnermittlung nur in der Höhe ihrer Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu Aufwand, auch wenn die Wiederbeschaffungspreise dieser Güter gestiegen sind. Die Differenz zwischen Wiederbeschaffungs- und Anschaffungspreis wird üblicherweise als ,,Scheingewinn44 bezeichnet.) Nun ist die obige Argumentation, insofern sie auf eine Beeinträchtigung der Realkapitalbildung hinausläuft, gesamtwirtschaftlich überhaupt nicht zwingend. Es dreht sich ja bei den genannten Effekten um reine Umverteilungen von Einkommen zugunsten des Staates. Ob diese Umverteilung gesamtwirtschaftlich zu ,,Kosten44 oder ,,Erträgen 44 führt, hängt von der Verwendung dieser Inflationsgewinne durch den Staat ab 18 . A priori läßt sich darüber gar nichts aussagen19. Und auch die ganzen Berechnungen von entsprechenden ,,Inflationskosten 4420 sind nur bei Akzeptanz vieler Modellannahmen aussagekräftig. c) Feste Wechselkurse Bedeutsamer sind eine dritte Form von Inflationskosten, die dann auftreten, wenn durch formale Kontrakte oder Vereinbarungen zwischen verschiedenen Staaten feste Tauschverhältnisse der Währungen festgelegt werden. In diesem Fall vermindern sich die Exportchancen und damit die Realkapitalbildung der Länder, deren Inflationsrate höher ist als die Inflationsrate anderer Länder, sofern nicht eine totale Arbeitsteilung zwischen diesen Ländern gegeben ist 21 .

18 Im einfachsten Fall könnte der Staat die Inflationsgewinne ja per Subventionen und Transferzahlungen den „Geschädigten" wieder zurückerstatten. Eine andere Möglichkeit wäre, daß der Staat mit Hilfe der Inflationsgewinne selbsttätig Realkapitalbildung betreibt. 19 Die problematische Annahme in der traditionellen Wohlfahrtskostenliteratur ist, daß der Staat allgemein als,,Konkurrent'' der Privaten angesehen wird, dem es vor allem darum geht, sein („individuelles") Steuereinkommen zu maximieren und zu „konsumieren" (unproduktiv zu verwenden). Siehe z.B. Friedman (1953); vgl. aber auch Barro und Gordon (1983). 20 Vgl. z.B. Boskin (1978). 21 Zur internationalen Dimension von Inflation siehe z.B. Bronfenbrenner (1979).

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Unter „Transaktionskosten" werden hier die Aufwendungen verstanden, die in der Vorbereitung, in der Durchführung und als Folgewirkung von ökonomischen Tauschhandlungen anfallen 22. Als wichtige Arten von Transaktionskosten kann man (1) die Kosten im Zusammenhang mit der Geldhaltung, (2) die Absatzkosten und (3) die Kosten der Lohnverhandlungen hervorheben. Geldhaltung wird teilweise selbst erst durch die Eigenschaft der Verringerung von Transaktionskosten begründet. (Vgl. z.B. Brunner und Meitzer 1971) [Für die neoklassische allgemeine Gleichgewichtstheorie zeigt sich die Bedeutung der Einführung von Transaktionskosten darin, daß es dann zur Einstellung von kontingenten Märkten für Zukunftsgüter kommt. Vgl. Foley (1970), Hahn (1971), Niehans (1971). Die Marktstruktur wird damit unvollständig23]. Die Behauptung hier ist nun die, daß mit zunehmender Inflation auch die Transaktionskosten in einer Wirtschaft steigen. Selbst unter der weltfremden Annahme, daß vollkommene Information, Strukturhomogenität und keine Regulierungen herrschen, kann man sich unter Umständen als Folge von Inflation eine Zunahme von Transaktionskosten vorstellen, nämlich durch das häufigere Ändern von Preislisten, Lohnlisten etc. 24 . Solche „Kosten der Preisänderungen" führen dann andererseits zu weniger häufigen Preisreaktionen auf Angebots-Nachfrageverschiebungen als bei Abwesenheit von Transaktionskosten geschehen würden. Dies wiederum wirkt sich tendenziell in Fehlallokationen von Ressourcen aus (vgl. näher unten)25. Mit der Aufhebung der genannten weltfremden Annahmen gewinnen die inflationsbedingten Transaktionskosten jedoch erst bedeutsame quantitative und qualitative Dimensionen (vgl. zur Bedeutung auch Hicks 1970, 19). Insbesondere fallen dann Kosten der Ökonomisierung der Geldhaltung26, der Optimie22

Vgl. zum Transaktionskostenbegriff Wagner 1983a, 61-66. Man ist dann gezwungen, zur Analyse von ,,Sequenzökonomien" überzugehen. Vgl. dazu auch im nächsten Abschnitt 3. 24 Man kann nun natürlich mit gewisser Berechtigung behaupten, bei vollkommener Information im stringenten Sinn würden sich auch Preislisten usw. erübrigen. Nur erübrigt sich in diesem Fall dann auch Geldhaltung. Dies deutet schon darauf hin, daß für eine Analyse der Geldhaltung und der Inflation die Aufhebung der Annahme vollkommener Information eigentlich unerläßlich ist. Geld und Inflation existieren streng genommen nur, weil die Marktinformationen unvollkommen sind. Siehe dazu den nächsten Abschnitt 3. 23

25 Diese „Kosten der Preisänderungen" sind in der Literatur auch unter den Begriffen ,,menue costs" oder ,,lump-sum-costs of changing prices" bekannt. Zur Fehlallokationsthese siehe z.B. Sheshinski und Weiss (1977) und Mussa (1977). 26 Unter Ökonomisierung der Geldhaltung bezeichnet man den Prozeß, den wir oben schon

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rung des Absatzes und der Lohnfindung an. Inflation ändert ja die Ausgangsdaten des Optimierungsprozesses 27, so daß Anpassungsprozesse und dadurch Suchkosten auftreten. Sobald diese Transaktionskosten ein gewisses kritisches Niveau überschreiten, wird, wie die Geschichte der Inflationen zeigt, versucht, mit Hilfe von (neuen) Regulierungen wie Indexierungen, neuen Zahlungsmitteln und ähnlichem den Transaktionskostenumfang zu beschränken28. Solche Regulierungen sind jedoch selbst mit anderen sozialen Kosten behaftet 29. Es handelt sich dann also zum Teil nur um eine Umschichtung oder Verlagerung von sozialen Kosten, die durch Inflation ausgelöst worden sind. Insgesamt werden so mehr Ressourcen für die Tauschhandlungen absorbiert, die im Produktionsprozeß und insbesondere zur Realkapitalbildung nicht zur Verfügung stehen. 3. Unvollkommene Information Die bedeutendste Entstehungsgrundlage von Inflationseinflüssen auf die Realkapitalbildung ist zweifellos die in einem Marktsystem herrschende unvollkommene Information. Diese Unvollkommenheit der Marktinformationen begründet letztlich erst die Existenz von Geldhaltung und damit von Inflation. (Auch die volkswirtschaftliche Relevanz von Transaktionskosten kann eigentlich, wie oben schon angedeutet, nur sinnvoll bei Vorliegen von unvollkommener Information abgeleitet werden.) Dementsprechend kann auch erst die Aufhebung der theoretischen Annahme vollkommener Information die eigentlichen und unaufhebbaren Einflüsse (im Gegensatz zu den unter 1. behandelten inflationsbedingten Kosten der Regulierungen) von Inflation auf die Realkapitalbildung offenbaren. Hierbei ist jedoch genau zu differenzieren. „Unvollkommene Information" bedeutet hier mehr als die selbstverständliche Ungewißheit über das Eintreten von bestimmten zukünftigen ,,Umweltzuständen" (wie z.B. Ernteerträge beeinflussende Wetterbedingungen in der Zukunft). Würde man dies schon und allein unter unvollkommener Information fassen, so wäre die obige These, daß die Unvollim Zusammenhang mit den neoklassischen monetären Wachstumsmodellen beschrieben haben: Die Wirtschaftssubjekte gehen bei Inflationszunahme zu einer geringeren Realkassenhaltung über und schichten ihr Vermögen (Portefeuille) um. Diese Umschichtung selbst erfordert knappe Ressourcen (Informations- und Transformationskosten). 27 Insbesondere ändern sich die realen Renditen der Anlagemöglichkeiten von Ersparnissen inflationsbedingt. Vgl. dazu Wagner (1982). 28 Vgl. zu diesem Aspekt z.B. Bailey (1956). 29 Zu einer Analyse der Indexierungskosten siehe Niehans (1978, 131-139) und Pichler, Verhoning und Hentschel (1979). Siehe auch Fischer (1983).

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kommenheit von Information die Existenz von Geldhaltung und damit auch von Inflation begründet, nicht zwingend. Denn wie die neoklassische allgemeine Gleichgewichtstheorie gezeigt hat (vgl. z.B. Debreu 1959, Kap. 7) existiert dann zumindest für eine Modellwirtschaft mit vollständiger Marktstruktur, d.h. mit Gegenwartsmärkten für sämtliche Güter, gegenwärtige und zukünftige, ein allgemeines und paretoeffizientes Gleichgewicht, wobei Geld in einer solchen Modell Wirtschaft keine Rolle spielt30. Die angesprochene „natürliche" oder „exogene" Ungewißheit über zukünftige Umweltzustände würde dann durch Abschlüsse von bedingten Kontrakten in Abhängigkeit vom jeweiligen Umweltzustand „handhabbar" gemacht. Informationsunvollkommenheit muß also weiter gefaßt werden, um Nichtneutralität von Inflation hinreichend begründen zu können. Zumindest zwei Erweiterungen sind denkbar und werden zur Erklärung von realen Effekten von Inflation auch herangezogen. (1) Die erste Erweiterung gründet auf der zusätzlichen Annahme von unvollständigen Informationen zwischen Märkten. (Dies ist gleichzeitig eine der im nächsten Abschnitt angesprochenen „Strukturheterogenitäten".) (2) Die zweite Erweiterung fußt auf der Annahme „echter" Erwartungsunsicherheit über zukünftige mögliche Umweltzustände31 und/oder über die Koordinationsleistung des Marktes oder Marktmechanismus. Zu (1): Beispiele der ersten Erweiterung finden sich in der monetaristischen Erklärung der kurzfristigen Phillipskurve (Friedman 1968) und in der Konjunkturerklärung der „Neuen Klassischen Makroökonomie" (Lucas 1975). Grundlage dieser Erklärungen ist die Annahme einer falschen Wahrnehmung von Preisniveauänderungen, die auf einer Informationsverzögerung auf „anderen" Märkten beruht. „Echte" Erwartungsunsicherheit (siehe unten) wird dagegen nicht unterstellt. Bei Friedman (1968) liegt die Ursache für den (vorübergehend positiven) Einfluß von Inflation auf die Beschäftigung, den Output und die Realkapitalbildung in der Geldillusion der Arbeitnehmer, sprich in der verspäteten Erkenntnis (Informationsdefizit) der Arbeitnehmer über die Allgemeinheit der Preissteigerungen. Während die Unternehmer Preisniveausteigerungen richtig wahrnehmen, werden sie 30 Vgl. erläuternd dazu z.B. Radner (1968). Dies gilt jedoch so allgemein nur bei Abwesenheit von Transaktionskosten. 31 Man kann sich hier die Unmöglichkeit vorstellen, die in fernerer Zukunft liegenden Produktionstechnologien von zukünftigen Gütern wie auch diese zukünftigen Güter selbst heute schon zu antizipieren.

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von den Arbeitnehmern falsch interpretiert als Anstieg der Reallöhne32. Ähnliche Mißinterpretationen könnte man auch den Sparern unterstellen, die Nominalzinserhöhungen irrtümlicherweise als Realzinserhöhungen fassen und deshalb mehr sparen, während die Schuldner (Unternehmer) die Preisiiiveauerhöhungen richtig interpretieren als Realzinssenkung und deshalb mehr investieren. (Grundlage wäre hier ein zunächst ungenügender oder zu spät erfolgender Inflationsausgleich im Nominalzins. Beide Prozesse bewirken ein höheres Angebot an Arbeit und an Geldkapital und gleichzeitig eine höhere zu erwartende Rendite von Investitionen. Die Realkapitalbildung wird also steigen. Die gleichgewichtsökonomische Konjunkturerklärung der ,,Neuen Klassischen Makroökonomie" ist als eine theoretisch stringente Weiterentwicklung von Friedman's Argumentation zu verstehen. Die Märkte werden als ständig geräumt betrachtet. Es wird rationale Erwartungsbildung unterstellt. Es werden aber Strukturheterogenitäten angenommen in der Form, daß die Informationen über Preisentwicklungen zwischen Anbietern und Nachfragern differiere. Die Argumentation verläuft wie folgt: Jedes Wirtschaftssubjekt ist Anbieter auf (zumindest) einem Markt und gleichzeitig Nachfrager auf (zumindest) einem anderen Markt. Nun wird angenommen, daß die Anbieter jeweils die Preisentwicklung (den markträumenden Preis) auf dem Markt, auf dem sie anbieten, richtig erkennen, während die Nachfrager jeweils die Preisentwicklung auf dem Markt, auf dem sie nachfragen, zunächst nicht oder falsch (genau gesagt: zu spät) wahrnehmen. Dementsprechend werden die Wirtschaftssubjekte als Anbieter auf eine durch einen Nachfrage,,schock 44 ausgelöste allgemeine und gleichmäßige, d.h. strukturneutrale Preisniveausteigerung mit einer Ausweitung ihres Angebots reagieren und aufgrund der dadurch gestiegenen realen Einkommenserwartung als Nachfrager mit einer Ausdehnung ihrer Nachfragemenge. Die Gleichgewichtsmengen von Output, Kapital und Arbeit werden aufgrund dieser Informationsbeschränkung („falsche Wahrnehmung44; vgl. Lucas 1975, Lucas und Sargent 1979, 304 ff.) steigen.

32 Friedman muß auch noch ungleichmäßige Preissteigerungen unterstellen: „Da die Verkaufspreise der Güter typischerweise auf eine unerwartete Erhöhung der Nominalnachfrage schneller reagieren als die Preise der Produktionsfaktoren, sind die bereits ausgezahlten Reallöhne gesunken, obgleich die von den Arbeitnehmern erwarteten Reallöhne gestiegen sind, da die Arbeitnehmer das Lohnangebot automatisch mit dem früheren Preisniveau bewerteten. Tatsächlich sind es das gleichzeitige ex po5f-Absinken der Reallöhne aus der Sicht der Arbeitgeber und der ex ante-Anstieg der Reallöhne aus der Sicht der Arbeitnehmer, die einen Beschäftigungszuwachs ermöglichten." (Friedman 1968, 10; hier in der deutschen Übersetzung aus „Die optimale Geldmenge und andere Essays", Frankfurt 1976, 147).

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Diese unvollkommene Information über andere Märkte begründet somit die Möglichkeit von Konjunkturbewegungen — selbst dann, wenn jeder Markt die Standardanforderungen kontinuierlicher Markträumung, vollständigen Wettbewerbs und kostenloser Transaktionen erfüllt 33 . Unter der Annahme gewisser Irreversibilitäten der Kapitalakkumulation kann daraus dann auch ein längerfristiger Einfluß von Inflation auf die Realkapitalbildung abgeleitet werden. Zu (2): Die zweite Erweiterung und Fassung des Begriffs unvollkommene Information betont den Aspekt der „echten" Erwartungsunsicherheit im Sinne von Knight , den auch Keynes in das Zentrum seiner damaligen ökonomischen Analyse gestellt hatte. Unsicherheit bezeichnet nach Knight (1921, 233) — im Gegensatz zu „Risiko" — eine unmeßbare und von subjektiven Wahrscheinlichkeiten begleitete Ungewißheit bezüglich des Eintretens von Zukunftsereignissen. Die einzelnen Entscheidungssubjekte ziehen in Situationen von Unsicherheit nach Knight auch aus einem vollständigen Informationsstock bezüglich der Gegenwart und der möglichen Zukunftsereignisse in der Regel verschiedene Schlußfolgerungen hinsichtlich der Zukunftsentwicklung (d.h. hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts bestimmter Zukunftsereignisse). Dies wiederum betrifft vor allem die Erwartungen über Nachfrage- und Angebotsentwicklungen und zukünftige markträumende Preise auf einzelnen Märkten. Denn die jeweiligen von den anderen Tauschpartnern zugrunde gelegten subjektiven Wahrscheinlichkeiten sind den Wirtschaftssubjekten gegenseitig nicht bekannt. Dementsprechend werden sie auch die Möglichkeit von „false trading" (Tausch und Produktion zu Ungleichgewichtspreisen) berücksichtigen müssen34. Diese Unsicherheit der Entscheidungssubjekte bezüglich der markträumenden Preise und die damit verbundene „Angst" vor Fehlinvestitionen sind um so größer, je unvollkommener nun die Informationen sind, die der Markt, sprich: der Preismechanismus, liefert. Das eigentliche Konzept des Marktes und die eigentlichen Argumente zugunsten einer Marktwirtschaft beruhen ja auf der Vorstellung, daß die Wirtschaftssubjekte begrenzte (unvollkommene) Informationen und Informationsmöglichkeiten besitzen und ein Marktsystem diese Informationsprobleme der Wirtschaftssubjekte wesentlich vereinfachen kann dadurch, daß Marktpreise oder genauer gesagt Preis Verhältnisse (die soge33 Es gibt wohl überzeugende Gründe, warum rationale Agenten unvollkommene Informationen haben mögen über Entwicklungen auf Märkten, auf denen sie nicht oder nicht als Anbieter operieren. So übersteigen z.B. die Kosten für einige Informationen den erwarteten Nutzen für den Benutzer. Damit ist jedoch noch nicht der Gleichgewichtsansatz der obigen Konjunkturerklärung begründet. Vgl. zu einer Kritik Okun (1980). 34 Diese Unsicherheit ist auch nicht über ein Risikoprämiensystem versicherbar, da eben die „objektiven" Wahrscheinlichkeiten nicht bekannt sind.

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nannten relativen Preise) Informationen über Angebots-Nachfrageverhältnisse und damit über Tauschmöglichkeiten liefern, die sonst nicht oder nur zu einem wesentlich höheren Preis erhaltbar wären 35. Dafür ist jedoch erforderlich, daß Marktpreis(verhältniss)e eindeutig als Knappheitssignale interpretierbar sind. Bei Inflation ist dies aber nicht mehr ohne weiteres der Fall. „Reale" (nachfragebedingte) Preissignale überlagern sich dann nämlich mit rein inflationsbedingten (kostenbedingten) Preisänderungen, die — verstärkt durch Verzögerungen in den Preisanpassungen — für die Wirtschaftssubjekte nicht mehr unterscheidbar sind von den ersteren 36. Die Wirtschaftssubjekte können sich nicht mehr in ihren Planungen auf die Informationsfunktion der Markt-Preisrelationen verlassen. Fehlinterpretationen und darauffolgend Fehlinvestitionen treten nun (häufiger) auf. Dies zwingt die Wirtschaftssubjekte, (mehr) knappe Ressourcen (Arbeitszeit und Kapital) aufzuwenden, um die Informationen zu erlangen, die die Marktpreise nicht mehr oder nicht mehr zuverlässig genug liefern. Falls auch dadurch die entstandene Informationslücke bezüglich der Signalfunktion der Preisänderungen nicht füllbar ist, was zumindest bei höherer Inflation anzunehmen 35 Wie auch Arrow (1978,160) kritisch betont hat, läuft die rationale Erwartungshypothese der ,,Neuen Klassischen Makroökonomie" dieser an Hayek angelehnten Vorstellung von der Funktionsweise einer Marktwirtschaft dadurch entgegen, daß sie postuliert, daß die Wirtschaftssubjekte die Ergebnisse der Zukunftsmärkte (die Gleichgewichtslösungen) berechnen könnten. Die Wirtschaftssubjekte sind also demnach, vom Ergebnis her interpretiert, selbst lauter „superior statisticians". Sie errechnen genau diejenigen Preisverhältnisse (zumindest im Mittel), die im walrasianischen Modell der Auktionator durch Tâtonnement ermittelt hätte. Hayek schrieb hierzu (1945, 530): ,,Το assume all the knowledge to be given to a single mind in the same manner in which we assume it to be given to us as the explaining economists is to assume the problem away and to disregard everything that is important and significant in the real world." Man könnte allerdings das Postulat der „Neuen Klassischen Makroökonomie" behelfsweise auch anders interpretieren. Angenommen wird dort dann (1) vollkommene Flexibilität der Preise, was die (behauptete) stetige Markträumung bei den jeweiligen Erwartungen impliziert, (2) vollkommene Informationsfunktion der Preise: Die über die Preise vermittelten Informationen reichen aus dafür, daß die Wirtschaftssubjekte „rationale" Erwartungen bilden können. Das heißt aber, die Preise müssen auch das „wahre" Modell (die „wahre" Struktur) der Wirtschaft enthüllen. Die Annahme (2) enthält ebenfalls das Postulat vollkommener Information, jetzt nur konzentriert auf das Preissystem. Dies scheint auf den ersten Blick der Hayek 1 sehen Vorstellung eher angemessen. Doch geht auch diese Annahme meiner Meinung nach viel zu weit, beruht doch die „wahre Struktur" letztlich auf den Anfangsausstattungen, Nutzenfunktionen, Wissensständen und Risikoeinschätzungen aller Haushalte und den Produktionstechnologien, sonstigen Wissensständen und Risikoeinschätzungen aller Unternehmen. (Es kann deshalb auch keine konstante „wahre Struktur" geben, sondern diese ändert sich mehr oder weniger laufend.) Die Preise dagegen sind nur Aggregate und liefern nur Informationen über Ergebnisse von realisierten oder geplanten Tauschhandlungen, deren einzelne (mikroökonomische) Grundlagen im Dunkeln bleiben. Vgl. dazu auch die Fußnote 56 unten! 36 Vgl. auch Leijonhufvud (1977, 289) und früher Hayek (1945). Man kann dieses Differenzierungsproblem auch umschreiben mit der Unmöglichkeit für den einzelnen wie auch überhaupt, zwischen Nachfrageinflation und Kosteninflation eindeutig zu unterscheiden.

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ist, wird diese in der Investitionsrechnung durch einen bestimmten subjektiven ,,Unsicherheitsabschlag"37 berücksichtigt werden müssen. Beides wird jedoch die erwartete unsicherheitsbereinigte Rendite einer Investition (siehe dazu im III. Teil) verringern und damit tendenziell zu einer Einschränkung der Realkapitalbildung führen. 4. Strukturheterogenitäten Selbst wenn es keine Regulierungen, keine Transaktionskosten und keine „endogene" (echte) Unsicherheit geben würde, könnten reale Effekte von Inflation allein aufgrund von „Strukturheterogenitäten" auftreten. Unter Strukturheterogenitäten werden hier insbesondere verstanden (1) Informationsunterschiede und (2) Marktstrukturunterschiede 38. Zu (1): Informationsunterschiede implizieren erstens falsche Erwartungen zumindest bei einem Teil der Wirtschaftssubjekte und zumindest vorübergehend39 und führen zweitens zu unterschiedlichen Reaktionen auf (erwartete) Inflation 40 . (Wenn keine Transaktionskosten existieren, müssen solche — systematischen — Informationsunterschiede „natürlichen" Ursprungs sein, d.h. auf heterogenen angeborenen „Intelligenz"niveaus oder Lernkapazitäten beruhen. [Abweichen vom Konzept identischer Wirtschaftseinheiten] 37 Ein Unsicherheitsabschlag ist auch schon bei Preisstabilität zu berücksichtigen, da die Erwartungsunsicherheit bezüglich der zukünftigen markträumenden Preise nicht durch ein Risikoprämiensystem oder sonstwie ausräumbar ist. Die Behauptung hier ist jedoch, daß die Unsicherheit und mit ihr der (berücksichtigte) Unsicherheitsabschlag mit der Inflationsrate zunehmen. Vgl. auch Fußnote 56. Vgl. zum Konzept eines Unsicherheitsabschlâgs bei Inflation näher in Wagner (1983a, 5. Kapitel). 38 Marktstrukturunterschiede sind hier a priori, sozusagen als ein empirisches Element, eingeführt. Es ist ja sehr fraglich, ob Marktstrukturunterschiede in einer Modellwelt ohne Regulierungen, Transaktionskosten und „endogener" Unsicherheit existieren könnten. 39 Durch Lernprozesse können sich solche Erwartungsunterschiede unter Umständen längerfristig reduzieren oder gar aufheben. Man kann in der Regel davon ausgehen, daß die notwendigen Informationen nach einer gewissen Zeit Allgemeingut werden (durch Medien, Statistiken). Voraussetzung ist allerdings, daß sich während dieser Lernprozesse keine bedeutenden Strukturänderungen ereignen. 40 Informationsunterschiede setzen immer unvollkommene Information zumindest bei einem Handlungsagenten (Tauschpartner) voraus. Für die neoklassische allgemeine Gleichgewichtstheorie bedeuten Informationsunterschiede, daß nicht alle der für ihre herkömmlichen Schlußfolgerungen notwendigen intertemporalen und kontingenten Arrow-Debreu-Märkte existieren. (Vgl. z.B. Radner 1968). Insofern mutet die Annahme einer kompletten Anzahl von Zukunftsmärkten in Grossman's Modellanalyse einer Wirtschaft mit asymmetrischen Informationen und rationaler Erwartungsbildung (Grossman 1981) etwas seltsam an.

Einfluß der Inflation auf die Realkapitalbildung

215

Unterstellt man hingegen Transaktionskosten, so können die Informationsunterschiede auch in unterschiedlichen Informationssammlungskosten, unterschiedlichen Anfangsvermögen, Nutzenabwägungen oder in ungleicher exogener Informationsstreuung gründen; bzw. sie können auf unterschiedliche frühere Bildungsinvestitionen [unterschiedliche Zeitpräferenzen] zurückgeführt werden 41.) Entweder es liegen unterschiedliche Informationen über das Ausmaß oder über die Struktur von Preisniveausteigerungen vor. Dies ist der Fall, den wir oben (in II.3) bei der Darstellung der Erklärungen von Friedman und Lucas beschrieben haben. Oder die Wirtschaftssubjekte haben unterschiedliche Informationen über die „ökonomische Struktur", so daß selbst bei gleichen Inflationserwartungen unterschiedliche Erwartungen über die Auswirkungen der Preissteigerungen auf die reale Renditenstruktur von Anlagen bestehen, was zu unterschiedlichen Mengeneffekten führt. Zu (2): Marktstrukturunterschiede wirken sich dagegen in zeitlichen und intensitätsmäßigen Unterschieden von Einzelpreisanpassungen an erwartete und laufende Inflationsraten aus42. Marktstrukturunterschiede bilden somit auch eine Grundlage für die zunehmende Streuung von relativen Preisen in Inflationen 43.

I I I . Gesamtwirkung der Inflation auf die Realkapitalbildung

Im vorhergehenden zweiten Teil wurden die einzelnen Entstehungsgrundlagen und die daraus folgenden Möglichkeiten des Einflusses von Inflation auf die Realkapitalbildung abgeleitet. Die Betrachtungsweise war dabei bewußt partikulär-partiell gehalten. Dieser dritte Teil dagegen beinhaltet 41 Daneben könnte man auch spezifische soziale (sozialisationsspezifische) Faktoren anführen. 42 Auf eine genauere Begründung wird hier aus Platzmangel verzichtet. Vgl. näher dazu z.B. Okun (1981). 43 Daß die Streuung der relativen Preise mit der Inflationsrate zunimmt, ist Tenor vieler aktueller theoretischer und empirischer Arbeiten zu Inflationskosten. Eine Übersicht über neuere Ansätze, die Inflation und relative Preisvariabilität verknüpfen, siehe in Fischer (1981b, 393-9). Daneben siehe auch Hayek (1975), Friedman (1977) und Leijonhufvud (1981). Vgl. auch Cukierman (1983). Auch die empirische Literatur zum Zusammenhang von Inflation und der Streuung relativer Preise ist in den letzten Jahren stark angewachsen. Vgl. z.B. Vining und Elwertowski (1976), Jaffee und Kleiman (1977), Parks (1978), Bleijer und Leiderman (1980), Fischer (1981b, 1982). In der älteren Inflationsliteratur wurde dieser Zusammenhang ebenfalls schon ausgiebig am Beispiel der frühen Hyperinflationen untersucht. Vgl. vor allem Mills (1927), Graham (1930), Laursen und Pedersen (1964).

Helmut Wagner

216

1. eine Systematisierung und Zusammenführung der Teileffekte von Inflation, 2. eine theoretische Einordnung von in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur vorfindbaren gegensätzlichen Aussagen über eine positive oder eine negative Auswirkung von Inflation auf die Realkapitalakkumulation und 3. den Versuch einer nach Inflationshöhe, Marktstruktur, Erwartungsbildung und ökonomischem „Modell 44 differenzierenden Betrachtung. In Abschnitt 4. wird der bis dahin gewählte Ansatz erweitert durch den Einbezug der Betrachtung von Alternativanlagen. 1. Eine Systematisierung

von Teileffekten

Der Gesamteinfluß von Inflation auf die Realkapitalakkumulation kann nur offenbar gemacht werden, wenn auf die allgemeinen Akkumulationsgrundlagen rekurriert wird. Die Realkapitalakkumulation, Δ Κ, wird im folgenden vorerst als nur abhängig betrachtet von der erwarteten unsicherheitsbereinigten (realen) Rendite einer Investition in nichtmenschliche Produktionsmittel (Sachanlagen), r. In Unterabschnitt 4. wird der Ansatz noch erweitert, r stellt die mit dem Neukapitaleinsatz gewichtete Differenz zwischen dem erwarteten (realen) Erlös, E, und der Summe aus erwarteten (realen) Kosten, C, und einem Unsicherheitsabschlag bezüglich der unsicheren Preis- und Mengenerwartungen, U, dar. Ε , C , U bezeichnen die jeweiligen mit dem Neukapitaleinsatz gewichteten Größen. (1) Δ Κ = f (r), Γ > 0 (2)

r = h ( E , C , U ) , hg>0, hc » » I 1/1984

1 1

A/w/V

Legende: —: Laufzeit 7 bis unter 10 Jahre? —: Laufzeit 10 bis unter 15 Jahre. 1) Anteile des Bruttoabsatzes neu emittierter festverzinslicher Wertpapiere inländischer Emittenten (gesamtfällige Schuldverschreibungen) in den einzelnen Laufzeitklassen am gesamten Bruttoabsatz? Quartalswerte( Beginn: IV/1970) · Quelle: Statistische Beihefte zu den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank, Reihe 2, Wertpapierstatistik, Tabelle 2f, Frankfurt 1969ff; eigene Berechnungen.

1/1971 1/72

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Dietmar Kath

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20

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v.H.

50

für die Bundesrepublik Deutschland seit 19701)

Laufzeitstruktur neu emittierter Wertpapiere in ausgewählten Laufzeitklassen

Schaubild 4:

294

Fristenverkürzung auf dem Kapitalmarkt

295

296

Dietmar Kath

Literatur Deutsche Bundesbank (1970 ff.): Statistische Beihefte zu den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank, Reihe 2, Wertpapierstatistik. —Ehrlicher, W. (1981), Hg.: Geldpolitik, Zins und Staats Verschuldung, Schriften des Vereins für Socialpolitik, N.F. 111, Berlin 1981. —Ehrlicher, W.; Simmert, D.B. (1982), Hg.: Geld- und Währungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Beihefte zu Kredit und Kapital, Heft 7, Berlin 1982. — Fisher , I. (1930): The Theory of Interest, New York 1930. — Friedman, B. (1979): Optimal Expectation and the Extreme Information Assumptions of 'Rational Expectations' Macromodels, in: Journal of Monetary Economics, 5, S. 23-42. — Fuhrmann, W. (1982): Keynesianismus und Neue Klassische MakroÖkonomik, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, S. 269-293. — Häuser, K. (1982): Die Geldmarktabhängigkeit des deutschen Kapitalmarktes, in: W. Ehrlicher, D.B. Simmert, Hg. (1982), S. 309-318. — Hicks y J.R. (1974): The Crisis in Keynesian Economics, New York 1974. — Kath, D. (1972): Die verschiedenen Ansätze der Zinsstrukturtheorie, in: Kredit und Kapital, 5, S. 28-71. — Kath, D. (1981): Der Einfluß von Geldwertänderungen auf die Zins- und Laufzeitstruktur festverzinslicher Wertpapiere, in: W. Ehrlicher, Hg. (1981), S. 103-129. — Kath, D. (1982): Die Zins- und Laufzeitstruktur der finanziellen Märkte in der Bundesrepublik Deutschland, in: W. Ehrlicher, D.B. Simmert, Hg., (1982), S. 319-336. — Leijonhufvud, A. (1983): Inflation and Economic Performance, Kieler Vorträge N.F. 101, Tübingen 1983.

Neuere Tendenzen in der Vermögensverteilung Von Meinhard Miegel, Bonn

I . Methodische und terminologische Vorbemerkungen

Um Veränderungen der Vermögensverteilung und deren Tendenzen sichtbar werden zu lassen, bedarf es einiger Fixpunkte. Nur sie erlauben Aussagen über allgemeine Trends der Vermögensverteilung sowie den Aufoder Abstieg bestimmter Schichten und Gruppen. Offensichtliche Fixpunkte sind die unterschiedlichen Haushaltsgrößen. Weniger offensichtlich und in gewisser Weise sogar künstlich ist hingegen die Einteilung der Bevölkerung in verschiedene Vermögensebenen. Hier ist allenfalls noch die Unterscheidung zwischen einer wohlhabenderen und einer weniger wohlhabenden Hälfte unmittelbar einsichtig. Denn sie folgt gewissermaßen geometrischen Regeln. Alle weiteren Differenzierungen sind willkürlich. Dennoch sind auch sie erforderlich, wenn Aussagen über Tendenzen der Vermögensverteilung nicht allzu grobschlächtig ausfallen sollen. Den folgenden Aussagen liegt das Raster zugrunde, das das IWG bei seinen umfangreichen Untersuchungen über die Entwicklung und Verteilung der Einkommen und Vermögen der privaten Haushalte in der Bundesrepublik im Jahre 1983 verwendet hat. In diesem Raster wird zwischen 25 verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterschieden. Sie entstehen durch die Bildung von fünf Vermögensebenen, innerhalb derer die Haushaltsgrößen vom Einpersonenhaushalt bis zum Haushalt mit fünf und mehr Personen berücksichtigt werden. Auf diese Weise wird eine von der Haushaltsgröße abhängige, recht differenzierte Vermögensverteilung sichtbar. In der wohlhabenderen Hälfte unterscheidet das IWG zwischen Haushalten mit sehr großen, großen und mittleren Vermögen, in der weniger wohlhabenden Hälfte zwischen Haushalten mit unterdurchschnittlichen und geringen Vermögen. In der obersten Ebene befinden sich etwa 2 v.H. der Haushalte. Ihre gesonderte Behandlung erwies sich als zweckdienlich, da ihre Vermögenslage deutlich von der Vermögenslage anderer Haushalte abweicht. In der zweiten Ebene befinden sich knapp 20 v.H., in der dritten

298

Meinhard Miegel

Ebene rund 30 v.H, in der vierten Ebene ebenfalls rund 30 v.H. und in der untersten Ebene wiederum etwa 20 v.H. der privaten Haushalte. Allerdings sind über die Vermögenslage der letztgenannten nur sehr globale Aussagen möglich. Der Grund hierfür ist die höchst lückenhafte Erfassung der Vermögen ausländischer Haushalte in der Bundesrepublik. Detailliertere Untersuchungen liegen jedoch über die Haushalte mit deutschem Haushaltsvorstand vor. Hierbei zeigt sich ein erstes Charakteristikum der Vermögensverteilung in der Bundesrepublik: Das Vermögen, soweit es erfaßt ist, befindet sich vorzugsweise in den Händen von Deutschen. Die weit über 4 Millionen Ausländer, die 1983 in der Bundesrepublik lebten, gehörten damals ganz überwiegend zur ärmeren Bevölkerungsschicht. Hieran dürfte sich bis heute nur wenig geändert haben. Diese Vermögensungleichverteilung zwischen Deutschen und Ausländern, die auf historische und arbeitsmarktpolitische, aber auch auf Gründe der statistischen Erfaßbarkeit des im Ausland befindlichen Vermögens zurückzuführen ist, bewirkt einen überproportionalen Anteil von Deutschen an der wohlhabenderen und einen entsprechend unterproportionalen Anteil an der weniger wohlhabenden Bevölkerungshälfte. Da im folgenden aus Gründen der Begrenztheit des Datenmaterials nur auf neuere Tendenzen in der Vermögensverteilung deutscher Haushalte eingegangen wird, ist diese Ungleichverteilung von Deutschen und Ausländern auf die verschiedenen Vermögensebenen in jedem Fall zu beachten. Wenn im folgenden von Vermögen die Rede ist, so handelt es sich hierbei ausschließlich um Nettovermögen, also um Vermögen nach Abzug aller Schulden und sonstigen Lasten. Mangels ausreichender Daten unberücksichtigt bleiben die Vermögen deutscher Haushalte im Ausland sowie schwer bezifferbare Vermögensbestandteile wie Reitpferde, Segelboote und dergleichen. Aus methodischen Gründen unberücksichtigt bleiben ferner die Vermögenswerten Ansprüche deütscher Haushalte gegen die Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Tendenziell ist mithin die Vermögenslage der privaten Haushalte besser als hier dargestellt. Bei der Definition der verschiedenen Vermögensarten soll hier, wiederum in Anlehnung an die IWG-Untersuchung, zwischen Haus- und Grund-, Sach-, Betriebs- und Geldvermögen unterschieden werden. Erwähnt werden sollen schließlich auch die Versorgungsansprüche der privaten Haushalte, die, obgleich sie ein Vermögen sui generis darstellen, für die Lebensführung und Vermögenslage der Haushalte von außerordentlicher Bedeutung sind. Unter Haus- und Grundvermögen werden im folgenden lastenfreie bebaute und nicht bebaute Grundstücke sowie land- und forstwirtschaftlich ge-

Neuere Tendenzen in der Vermögensverteilung

299

nutzte Flächen verstanden. Der Wert des gesamten Haus- und Grundvermögens in privater Hand dürfte 1983 einen Nettowert von mindestens DM 2,7 Billionen gehabt haben. Als Sachvermögen gelten langlebige Gebrauchsgüter einschließlich Automobilen zu Marktpreisen. In begrenztem Umfang wurden Kunst- und Wertgegenstände berücksichtigt. Der Nettowert dieses Sachvermögens lag 1983 bei mindestens DM 0,6 Billionen. Das Betriebsvermögen umfaßt den Verkehrswert des Produktiwermögens ohne Wertpapiere und ohne landwirtschaftlich genutztes Haus- und Grundvermögen. Nicht erfaßt sind immaterielle Werte wie goodwill usw. Das so definierte Betriebsvermögen dürfte 1983 einen Wert von reichlich DM 0,5 Billionen gehabt haben. Unter Geldvermögen wird Nettogeidvermögen verstanden. Es besteht aus Bargeld, Sichteinlagen, Termingeldern, Spareinlagen, Sparbriefen, Inhaberschuldverschreibungen, Guthaben bei Bausparkassen und Lebensversicherungen sowie Wertpapieren, namentlich Aktien. Der Wert dieses Geldvermögens lag 1983 bei weit über DM 1,5 Billionen. Versorgungsansprüche werden hier als kapitalisierte Ansprüche an die gesetzlichen Rentenversicherungen, die Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes, die Altershilfe für Landwirte, die Beamtenversorgung, die berufsständische Altersversorgung und die gesetzliche Unfallversicherung definiert. Sie bestehen aus Versorgungsanwartschaften und Versorgungsleistungen, die 1983 einen Wert von DM 3,0 Billionen gehabt haben dürften.

I I . Die gegenwärtige Vermögensverteilung nach Haushaltsgröße

Das Nettovermögen der deutschen Haushalte hat heute einen Wert von schätzungsweise DM 5,5 Billionen. Im statistischen Durchschnitt verfügt damit jeder deutsche Haushalt über ein Vermögen von reichlich DM 230.000 ohne und DM 360.000 mit Versorgungsansprüchen. Die statistischen Mittelwerte liegen pro Kopf bei knapp DM 100.000 bzw. DM 150.000. Mit diesen Vermögen gehören heute die deutschen Haushalte zu den wohlhabendsten Haushalten der Welt. Wie sich diese Vermögen zur Zeit über die verschiedenen Haushalte verteilen, verdeutlicht Tabelle 1. Sie zeigt, daß Ein- und Zweipersonenhaushalte überproportional, Dreipersonenhaushalte proportional und größere Haushalte unterproportional am Gesamtvermögen beteiligt sind. Die mit deutli-

Mio.

In v.H.

in Mio. v.H.

inv.H.

VA*

VA

in ΊΌΜ

VA

VA

VA

VA

PrivathausBevölker. Anteil am Ge- Vermögen pro Vermögen pro halte mit in deutschen samtvermögen Haushalt Kopf deutschem PrivathausHaushaltshalten vorstand ohne mit ohne mit ohne mit

23,5

1,2

56,2

56,9 100,0

0,7

100,0

98,8

Quellen: Statistisches Bundesamt, IWG

* VA = Versorgungsanspruch

Sunme

Deutsche Bevölkerung in Anstalten

Sunme

100,0

100,0

229

'358

95

149

1 7,3 31,2 7,3 12,8 14,5 17,0 106 196 106 196 2 6,9 29,4 13,8 24,3 31,4 30,3 244 369 122 184 3 4,1 17,4 12,2 21,4 21,2 20,7 279 425 93 142 4 3,3 14,1 13,3 23,4 20,3 19,9 378 502 82 126 5 u.mehr ' 1,9 7,9 9,6 16,9 12,6 12,1 366 551 71 106

Privathaushalte mit .·. Person(en)

Vermögen der verschiedenen Haushaltstypen 1983

Tabelle 1

300 Meinhard Miegel

Neuere Tendenzen in der Vermögensverteilung

301

chem Abstand relativ wohlhabendsten Haushalte sind die Zweipersonenhaushalte. Abgesehen von der Gruppe alleinerziehender Eltern, die oft zu den wirtschaftlich schwächeren Haushalten zählen, sind Zweipersonenhaushalte verhältnismäßig oft sogenannte Doppelverdienerhaushalte oder Haushalte, die die Kindererziehung abgeschlossen haben und auf dem Höhepunkt ihrer Vermögensbildung stehen. Umgekehrt sind größere Haushalte in aller Regel kindererziehende Haushalte, die sich nur in beschränktem Umfang der Vermögensbildung widmen können. Tabelle 2 Vermögensstruktur der verschiedenen Haushaltstypen 1983 Vermögensart ln v.H.

Haus- u. Grundvermögen Sachvermögen Betriebsvermögen Geldvermögen Sunne Versorgungsanspruch In v.H. des sonstigen Vermögens Quelle:

Deutsche Privathaushalte mit . . . Person(en)

Im Darchschnitt a l l e r Haushalte

1

2

3

4

5 u.méhr

40,8 14,1 11,3 33,8

48,8 10,1 10,7 30,4

51,9 11,1 9,4 27,6

53,3 11,1 8,3 27,3

57,5 11,0 7,1 24,4

50,3 11,2 9,6 28,9

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

84,5

51,1

52,2

53,2

50,7

56,5

IWG

Aber nicht nur das Ausmaß, sondern auch die Art der Vermögensbildung steht in eindeutigem Zusammenhang mit der Haushaltsgröße. Wie aus Tabelle 2 hervorgeht, bilden Ein- und Zweipersonenhaushalte mit etwa einem Drittel ihres Gesamtvermögens überproportional Geldvermögen. Diese Haushalte sind damit die liquidesten oder anders gewendet: Sie benötigen einen vergleichsweise kleinen Teil ihres Vermögens zur unmittelbaren Befriedigung ihrer Bedürfnisse. Beachtlich ist auch das Betriebsvermögen, das in kleineren Haushalten akkumuliert worden ist. Anders ist die Situation in größeren Haushalten. Aus einsichtigen Gründen besteht bei ihnen eine ausgeprägte Neigung, Haus- und Grundeigentum zu bilden. Die Bildung von Geld- und Betriebsvermögen spielt bei diesen Haushalten hingegen nur eine

302

Meinhard Miegel

untergeordnete Rolle. Dies ist umso bemerkenswerter, als unter den größeren Haushalten verhältnismäßig viele Haushalte von Selbständigen und Landwirten anzutreffen sind.

I I I . Die gegenwärtige Vermögensverteilung nach Vermögensschichten

Die gegenwärtige Vermögensverteilung nach Vermögensschichten zeigt Tabelle 3. Danach verfügt die wohlhabendere Bevölkerungshälfte (53,7 v.H. der Deutschen) über mehr als vier Fünftel des Gesamtvermögens. Die weniger wohlhabende Hälfte (46,3 v.H. der Deutschen) verfügt hingegen nur über knapp 18 v.H. des Vermögens. Besonders ungleich verteilt sind das Betriebs- und Geldvermögen. Das Betriebsvermögen befindet sich mit 97,5 v.H. fast vollständig im Besitz der wohlhabenderen Bevölkerungshälfte. Aber selbst innerhalb dieser Hälfte ist das Gefälle noch erheblich. Denn fast die Hälfte des Betriebsvermögens gehört 2,2 v.H. der deutschen Bevölkerung. Weitere 40 v.H. konzentrieren sich im nachfolgenden Bevölkerungsfünftel. Etwa ein Viertel der Bevölkerung ist damit im großen und ganzen Eigentümer des Betriebsvermögens in der Bundesrepublik. Etwas geringer ist die Konzentration des Geldvermögens. Zwar befindet sich auch hier über 95 v.H. in den Händen der wohlhabenderen Bevölkerungshälfte. Aber innerhalb dieser Hälfte ist das Gefälle sehr viel flacher als beim Betriebsvermögen. Etwas vergröbernd kann gesagt werden, daß die wohlhabendste Gruppe über ein Viertel, die zweite Gruppe über knapp die Hälfte und die dritte Gruppe wiederum über ein Viertel des Geldvermögens verfügt. Weit weniger ausgeprägt sind die Verteilungsunterschiede zwischen der wohlhabenderen und der weniger wohlhabenden Bevölkerungshälfte in den Bereichen Haus- und Grundeigentum sowie Sachvermögen. Hier liegt das Verhältnis bei etwa 3 zu 1, wobei die Verteilung — abgesehen von der oberen und unteren Randgruppe — vergleichsweise proportional ist. Mit einem Verhältnis von 3 zu 1 entspricht die Verteilung des Haus- und Grundeigentums sowie des Sachvermögens recht genau der Verteilung des Gesamtvermögens, wenn die Versorgungsansprüche in die Betrachtung einbezogen werden. Da die wohlhabendere Bevölkerungshälfte nur einen Anteil von reichlich 60 v.H. an den Versorgungsansprüchen hat, und dieser Anteil bei Berücksichtigung der Ungleichverteilung der deutschen Bevölkerung über die wohlhabendere und weniger wohlhabende Hälfte sogar auf reich-

34,8 1 1 , 5 5,6

33,6 13,6

Quelle: I W G

HuGV = Haus- und Grundvermögen SV = Sachverraögen BV = Betriebsvermögen GV = Geldvermögen VA = Versorgungsanspruch

4&,3

11,7 33,9 30,7

53,7

47,2

2 , 6 2,3 20,7 28,9

-sehr großen -großen 2 1 , 3 -mittleren

weniger wohlhabende Hälfte -unterdurchschnittlichen -geringen

52,8

Haushalte Bevölkedeutsche 'kerung deutsche

wohlhabendere Hälfte

Gruppe mit ... Vermögen """ 76,4

SV

21,2 5,1 0

26,8

2,5

4,6

38,2

18,5 2,5 4,3 3 1 , 9 0,4 6,4 3,5

23,6

14,2 4,5

17,7

13,4 34,0 24,7

82,3

Vermögen mit VA

61,8

GV VA ohne VA

—— . 97,5 95,4

BV

14,1 48,8 24,5 3,0 19,2 36,7 38,9 46,7 26,1 38,4 27,6 25,6 9,8 2 4 , 1 32,6

73,2

HuGV

Vermögensverteilung 1983

Täbelle 3

20,6

25,1

27,5

74,9

Neuere Tendenzen in der Vermögensverteilung

303

304

Meinhard Miegel

lieh 57 v.H. sinkt, vermindern die Versorgungsansprüche das bestehende Vermögensgefälle erheblich. Diese Feststellung ist bedeutsam, weil gerade wirtschaftlich schwächere Bevölkerungsschichten alternativ zu den klassischen Formen der Vermögensbildung zwangsweise in Form von Rentenanwartschaften ein Vermögen eigener Art aufbauen. Diese quasi-Vermögensbildung darf bei einer zutreffenden Darstellung der Vermögensverteilung nicht unberücksichtigt bleiben. IV. Die Entwicklung des Vermögens der privaten Haushalte

Die Akkumulation eines Netto Vermögens von DM 5,5 Billionen ohne und DM 8,4 Billionen mit Versorgungsansprüchen ist das Ergebnis eines historisch bislang einmaligen Vermögensbildungsprozesses, der auch im internationalen Vergleich keine Parallele hat. Noch 1950 war das Gesamtvermögen der privaten Haushalte im Geldwert von 1984 nur etwa halb so groß wie ihr heutiges Geldvermögen. Doch innerhalb einer Generation von den frühen fünfziger bis zu den frühen achtziger Jahren trat eine reale Versiebenfachung des privaten Gesamtvermögens ein. Bei Einbeziehung der Versorgungsansprüche verzehnfachte es sich sogar. Da zugleich die Bevölkerung zahlenmäßig wuchs, bedeutete diese Entwicklung eine reichliche Vervierfachung des individuellen Haushaltsvermögens und eine Verfünffachung des realen Pro-Kopf-Vermögens ohne Versorgungsansprüche und eine Versieben- bzw. Verachtfachung mit Versorgungsansprüchen. Die Gründe für diese Vermögensentwicklung waren ein außergewöhnliches Wirtschaftswachstum bis Anfang der achtziger Jahre, eine gezielte staatliche Vermögensbildungspolitik, eine die Mehrheit der privaten Haushalte begünstigende Lohn- und Einkommenspolitik, vor allem in den sechziger und siebziger Jahren und nicht zuletzt eine Sozialpolitik, die selbst Rentnern und Versorgungsempfängern die Möglichkeit bot, beachtliche Vermögen zu bilden. Auch wenn sich in den zurückliegenden zehn Jahren die Wirksamkeit dieser Faktoren unterschiedlich entwickelt hat, war auch in dieser Periode die Vermögensbildung außerordentlich positiv. Insgesamt wuchs das Vermögen der privaten Haushalte um real 3 v.H. jährlich. Das entsprach einem Anstieg von 3,4 v.H. pro Kopf und von 2,3 v.H. pro Haushalt. In absoluten Zahlen vergrößerte sich das private Vermögen in diesen zehn Jahren um rund 1,4 Billionen, also um mehr als ein Drittel. Aufgrund dieser Vermögensentwicklung leben heute etwa 60 v.H. der deutschen Wohnbevölkerung in Haushalten mit einem Nettovermögen von

Neuere Tendenzen in der Vermögensverteilung

305

mindestens DM 100.000, fast ein Zehntel lebt in Haushalten mit einem Nettovermögen von mindestens DM 500.000 und jeder 38. Bürger lebt in einem sogenannten Millionärshaushalt. Werden die Versorgungsansprüche als Vermögenswerte in die Berechnung einbezogen, liegen die Zahlen sogar noch wesentlich höher. Dann lebt beispielsweise bereits jeder 25. Bürger in einem Millionärshaushalt und mehr als zwei Drittel der deutschen Wohnbevölkerung leben in Haushalten mit einem Nettovermögen von mindestens DM 100.000. Vor zehn Jahren waren alle diese Werte noch deutlich ungünstiger. Eine der Folgen dieses Vermögensanstiegs war die kräftige Zunahme der Vermögenseinkommen der privaten Haushalte. Vor zehn Jahren war erst 13,5 v.H. der verfügbaren Haushaltseinkommen Einkommen aus Vermögen. Heute ist es bereits fast ein Fünftel. Seit 1970 hat sich der Anteil der Vermögenseinkommen an den Gesamteinkommen der privaten Haushalte annähernd verdoppelt. Seitdem steigt der Anteil des Vermögenseinkommens am Gesamteinkommen weiter.

V. Veränderungen der Vermögensverteilung

Am Zuwachs der Vermögen der privaten Haushalte waren alle Bevölkerungsschichten beteiligt. Selbst die wirtschaftlich schwächsten Haushalte verfügen heute über Vermögenswerte, die im historischen Vergleich beachtlich sind. So liegt das Vermögen eines Haushaltes der Kategorie ,,Haushalte mit geringen Vermögen" beispielsweise beim Dreipersonenhaushalt gegenwärtig bei durchschnittlich DM 75.000 (ohne Versorgungsansprüche) und bei annähernd DM 150.000 beim Haushalt mit fünf und mehr Personen. Der kräftige Anstieg der absoluten Vermögenswerte war verbunden mit einer gewissen Nivellierung der Vermögensunterschiede. Zugleich ist allerdings auch festzustellen, daß sich diese Nivellierungstendenz insgesamt in engen Grenzen hielt und gelegentlich auch von gegenläufigen Entwicklungen aufgehoben wurde. Dies gilt insbesondere für die Entwicklung der Vermögensverteilung während der zurückliegenden zehn Jahre. In diesem Zeitraum veränderte sich die Verteilung des Vermögens in der Gesamtbevölkerung nur wenig. Soweit Veränderungen auftraten, beschränkten sie sich auf eine geringfügige Verlangsamung der Vermögenszunahme in den Schichten mit sehr großen und großen Vermögen und einer deutlicheren Verlangsamung in der Gruppe mit geringen Vermögen. Vergleichsweise stattliche Zuwächse erzielten hingegen die Haushalte in der Nähe der Mittellinie, vor allem jene, die knapp ober-

306

Meinhard Miegel

halb der Mittellinie angesiedelt sind. Ihr Vermögen stieg mit knapp 50 v.H. seit der ersten Hälfte der siebziger Jahre relativ am stärksten. In gewisser Weise entwickelte sich das Vermögen der mittleren Vermögensschichten in der jüngeren Vergangenheit auf Kosten der Haushalte mit großen und kleinen Vermögen. Dabei waren diejenigen mit kleinen Vermögen besonders betroffen. Hier kam es in einzelnen Bereichen nicht nur zu einem Stillstand in der Vermögensentwicklung, sondern stellenweise sogar zu einem Vermögensverzehr. Bildlich gesprochen entwickelte sich in der Bundesrepublik im zurückliegenden Jahrzehnt ein Trend, der — stellt man sich die Vermögensschichtung in Form eines Wohlstandsbaumes vor — zur Ausdünnung der Wipfel und Bodenregionen führte. Auch wenn dieser Trend keineswegs überbetont und insbesondere nicht unbesehen in die Zukunft fortgeschrieben werden darf, ist er doch für die zurückliegenden zehn Jahre recht kennzeichnend. Vom Trend her gesehen — nicht unter dem Blickwinkel der absoluten Vermögensvermehrung! — waren die gehobenen Mittelschichten die Gewinner der Vermögensentwicklung seit der ersten Hälfte der siebziger Jahre. Die wesentlichen Gründe hierfür dürften in zwei Bereichen zu suchen sein: der Entwicklung der Arbeitseinkommen und der Entwicklung der Beschäftigungslage. Vor allem in den siebziger Jahren entwickelten sich die Arbeitseinkommen phasenweise besser als die Vermögenseinkommen. Namentlich das Geldund Betriebsvermögen warf in jenen Jahren zeitweise — wenn überhaupt — nur sehr bescheidene Renditen ab. Die Arbeitseinkommen stiegen hingegen bis Anfang der achtziger Jahre vergleichsweise kräftig an. Parallel hierzu stieg allerdings auch die Zahl der Arbeitslosen, deren Vermögensbildung beeinträchtigt wurde oder auch ganz zum Erliegen kam. Da die Einkommens- und Vermögensschichten um die Mittellinie und oberhalb der Mittellinie bis heute nur recht selten von Arbeitslosigkeit betroffen sind, zogen sie aus dem realen Anstieg der Arbeitseinkommen bis Anfang der achtziger Jahre den größten Nutzen. Umgekehrt gerieten durch die veränderte wirtschaftliche Lage seit Anfang der siebziger Jahre relativ viele Selbständigenhaushalte in Schwierigkeiten, die sie ohne soziale Sicherung bewältigen mußten. Dies führte zu einer gewissen Verlangsamung der Vermögensbildung in den höheren Einkommens- und Vermögensschichten oder genauer: Während eine Mehrheit in den höheren Einkommens- und Vermögensschichten eine recht positive Einkommensentwicklung verzeichnen konnte, verlief die Vermögensentwicklung bei einer Minderheit weit unterdurchschnittlich.

Neuere Tendenzen in der Vermögensverteilung

307

Seit Beginn der achtziger Jahre hat sich die Lage etwas verändert. Während sich die Beschäftigungssituation weiter verschlechterte und vor allem die Langzeitarbeitslosigkeit ständig zunahm, verbesserten sich die Renditen aus Geld- und Betriebsvermögen. Bei einer Fortsetzung dieses Trends ist absehbar, daß die Flügel in der Vermögensschichtung, das heißt die besonders wohlhabenden und die besonders armen Gruppen, die in der Vergangenheit zahlenmäßig ausgedünnt wurden, wieder an Stärke gewinnen werden. Oder konkret: Die Vermögensunterschiede, die bei einer globalen Betrachtung der zurückliegenden zehn Jahre etwas eingeebnet erscheinen, dürften aufgrund der Entwicklung in den letzten Jahren wieder größer werden.

V I . Vermögensverteilung und soziologische Gruppen

Selbständige, Beamte, Landwirte und Angestellte gehören seit Jahrzehnten der wohlhabenderen Bevölkerungshälfte an. Arbeiter und Rentner bilden hingegen mehrheitlich die weniger wohlhabende Bevölkerungshälfte. Dieses Bild erfährt allerdings eine gewisse Modifizierung, wenn ausländische Haushalte, die zumeist Arbeiterhaushalte sind, nicht in die Betrachtung einbezogen werden. Dann verteilen sich die verbleibenden deutschen Arbeiterhaushalte recht genau hälftig auf die wohlhabendere und weniger wohlhabende Bevölkerungshälfte. Von den Rentnern befinden sich zur Zeit von fünf Haushalten drei in der weniger wohlhabenden Hälfte. An dieser soziologischen Verteilung hat sich in den zurückliegenden zehn Jahren im Grundsatz nichts geändert. Dennoch gibt es einige markante Wanderungsbewegungen. So stiegen Beamte, Angestellte, Rentner und Versorgungsempfänger seit Beginn der siebziger Jahre tendenziell auf, während Landwirte, Selbständige und Arbeiter tendenziell abstiegen. Der Grund für diese Wanderungsbewegungen ist wiederum vor allem die veränderte Beschäftigungslage. Da Beamte, Rentner und Versorgungsempfänger überhaupt nicht und Angestellte nur unterdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit berührt werden, stiegen sie im Vermögensgefüge auf. Umgekehrt wurden Arbeiterhaushalte zusätzlich zu realen Einkommensverlusten in jüngster Zeit, aber auch die Haushalte von Landwirten und Selbständigen, von der allgemeinen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage unmittelbar betroffen. Aufgrund dieser Entwicklung hat bei den Arbeitslosen inzwischen ein massiver Vermögensverzehr eingesetzt. Ihre Sparquote lag 1983 bei -12,3 v.H. Gleichzeitig lag die Sparquote von Rentnern und Versorgungs-

Meinhard Miegel

308

empfängern mit 9,2 v.H. noch über der Sparquote von Arbeitnehmerhaushalten, die 1983 nur einen Wert von 8,9 v.H. erreichte. Eine sehr viel höhere Sparquote hatten mit 23,4 v.H. lediglich die Selbständigenhaushalte, bei denen allerdings zu berücksichtigen ist, daß sie häufig keine Versorgungsansprüche haben. Unter Einbeziehung dieser Ansprüche vermindert sich der Abstand zwischen Selbständigen- und Arbeitnehmerhaushalten deutlich.

V I I . Veränderungen der Vermögensstruktur

Trotz der beschäftigungsbedingten Störungen der Vermögensbildung privater Haushalte ist die Wohlstandsmehrung bei der großen Mehrheit der Bevölkerung ungebrochen. Dabei haben viele Haushalte — wie Schaubild 1 verdeutlicht — die Phase der Bildung unmittelbar nutzbaren Vermögens bereits verlassen. Der Anteil des unmittelbar nicht nutzbaren Geldvermögens nimmt rasch zu, während insbesondere der Anteil des Haus- und Grundvermögens entsprechend abnimmt. Schaubild 1: Entwicklung der Vermögensstruktur 1800 bis 2000

Quelle: IWG 34/83. Bezogen auf alle Haushalte lag der Anteil des Geldvermögens am Gesamtvermögen 1950 bei nur etwa 7 v.H. Heute liegt der Anteil des Geldvermögens bei knapp 30 v.H. Damit nähert sich der Anteil des Geldvermögens an

Neuere Tendenzen in der Vermögensverteilung

309

den Vermögen der privaten Haushalte dem Anteil des Haus- und Grundvermögens. In den fünfziger Jahre lag dessen Anteil noch bei etwa drei Vierteln. Inzwischen sind es nur noch rund 50 v.H. mit weiter fallender Tendenz (vgl. Schaubild 1). Besonders ausgeprägt ist dieser Trend bei der wohlhabenderen Bevölkerungshälfte. Wie Tabelle 4 zeigt, sank allein von 1973 bis 1983 der Anteil des Haus- und Grundvermögens an den Vermögen dieser Bevölkerungshälfte von 47,3 v.H. auf 44,8 v.H. Zugleich erhöhte sich der Anteil des Geldvermögens von 29,6 v.H. auf 33,5 v.H. Ein Drittel des Vermögens der privaten Haushalte der wohlhabenderen Bevölkerungshälfte besteht also gegenwärtig bereits aus Geld. Im Trend ähnlich ist die Entwicklung der Vermögensstruktur der weniger wohlhabenden Haushalte. Zwar besteht bei diesen Haushalten, wie aus Tabelle 5 hervorgeht, das Vermögen auch heute noch zu rund drei Vierteln aus Haus- und Grundeigentum, aber die Bedeutung dieser Eigentumsform nimmt auch bei diesen Haushalten relativ ab. Anders als bei den wohlhabenderen Haushalten verläuft diese Verschiebung der Vermögensstruktur bei den weniger wohlhabenden Haushalten allerdings nicht nur zugunsten der Geldvermögensbildung, sondern auch zugunsten einer, wenn auch vorerst bescheidenen Vermehrung von Sach- und Betriebsvermögen. Wie rasch die Veränderung der Vermögensstrukturen voranschreitet, zeigen die sehr unterschiedlichen Zuwachsraten der verschiedenen Vermögensarten. Bei einem durchschnittlichen Wachstum des Bruttosozialproduktes von jährlich real knapp 2 v.H. im Zeitraum der zurückliegenden zehn Jahre und einem realen Zuwachs der verfügbaren Einkommen von real 1,5 v.H. jährlich wuchsen Betriebs-, Haus- und Grund- sowie Sachvermögen um durchschnittlich 2,5 v.H. im Jahr. Das Geldvermögen nahm hingegen um durchschnittlich 4 v.H. real zu. Damit vermehrte sich das Geldvermögen in zehn Jahren um rund 60 v.H., d.h. weitaus stärker als alle anderen Vermögensarten, einschließlich des quasi-Vermögens der Versorgungsansprüche (vgl. Tabellen 4 und 5). Die Gründe für diese hohe und vorerst offenbar noch zunehmende Attraktivität des Geldvermögens sind vielfältig. Zwei sind jedoch besonders bedeutsam: Zum einen ist die beachtliche absolute aber auch relative Zunahme des Geldvermögens unter den gegebenen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen ein recht verläßliches Anzeichen für die Befriedigung einer wachsenden Zahl materieller Bedürfnisse. Immer mehr Haushalte sind in der Lage, ihren Bestand an liquiden Mitteln nicht nur unangetastet zu lassen,

1973

1

1983

1973

2 1983

3

Deutsche Privathaushalte mit ... Person(en)

1973

1983

4 1973

1983

5 und mehr 1973

1983

Im Durchschnitt aller Haushalte

1973 1983 Meinhard Miegel

100

Quelle: IWO

Vermögens

76,9

Versorgungsanspruch in v.H. des sonstigen

Sunne

67,6

100

44,2

100

42,1

100

40,4

100

40,1

100

35,8

100

33,2

100

35,9

100

31,9

100

100

44,1 42,4

100

Haus- u. Grundvermögen 36,5 34,9 49,4 43,9 49,8 47,1 48,1 47,3 46,5 50,8 47,3 44,8 Sachvermögen 14, \ 12,6 9,6 9,4 10,9 10,5 11,3 10,4 12,0 10,3 11,1 10,4 Betriebsvermögen 14,1 13,5 12,1 12,3 11,6 10,9 11,4 10,1 11,5 8,8 12,0 11,3 Geldvermögen 35,3 39,0 28,9 34,4 27,7 31,5 29,2 32,2 30,0 30,1 29,6 33,5

Vermögensart 111 ν Η · ·

Vermögensstruktur der wohlhabenderen Bevölkerungshälfte 1973 und 1983

Täbelle 4

310

1973

1

1983

2 1973 1983

3

Deutsche Privathaushalte mit ... Person(en)

1973

4 1983

5 und mehr 1973 1983

1973

1983

Im Durchschnitt ; aller Haushalte

1973 1983

100

Quelle: IWG

Vermögens

175,2

100

100

127,7 121,8

100

106,5

100

127,4

100

132,4

100

121,3

100

114,0

100

133,2

100

107,4

100

109,7

100

l60,2

Versorgungsanspruch in v.H. des sonstigen

Summe

Haus- u. Grundvermögen 69,3 67,3 82,4 79,9 77,2 76,1 79,2 76,7 79,0 77,6 78,6 76,2 Sachvermögen 20,3 20,7 13,1 14,3 15,0 14,3 14,0 13,9 14,1 13,2 14,6 15,0 Betriebsvermögen 1,7 1,7 0,6 0,7 1,4 1,4 1,1 1,4 1,2 1,9 1,1 1,3 Geldvermögen 8,7 10,3 3,9 . 5,1 6,4 8,2 5,7 8,0 5,7 7,3 5,7 7,5

Vermögensart Ια v.H

Vermögensstruktur der weniger wohlhabenderen Bevölkerungshälfte 1973 und 1983

Tabelle 5

Neuere Tendenzen in der Vermögensverteilung

311

312

Meinhard Miegel

sondern sogar fortwährend aufzustocken. Dies trifft offensichtlich für die Haushalte der wohlhabenderen Bevölkerungshälfte uneingeschränkt zu, aber es gilt zunehmend auch für die Haushalte mit unterdurchschnittlichen Vermögen. Ein zweiter Gesichtspunkt ist die gegenüber anderen Anlageformen gewachsene Rentabilität von Geldvermögen. Namentlich im Vergleich zu Haus- und Grundeigentum, der bislang wichtigsten Vermögensform der privaten Haushalte, haben sich die Renditen aus Geldvermögen sehr positiv entwickelt. Ausschlaggebend hierfür war der auf Marktsättigung zurückzuführende Renditeverfall von Immobilien bei gleichzeitig anziehenden Realzinsen auf dem Kapitalmarkt. Auf diese Veränderungen haben die privaten Haushalte in wirtschaftlich einsichtiger Weise reagiert. Zu den Folgen der starken Geldvermögensvermehrung während der zurückliegenden Jahre gehört die wachsende Fähigkeit der privaten Haushalte, Einkommensausfälle mit eigenen liquiden Mitteln zu überbrücken. In der Vergangenheit waren hierzu nur Haushalte mit sehr großen Vermögen in der Lage. Inzwischen haben auch die Haushalte mit großen Vermögen, also rund ein Fünftel aller Haushalte, liquide Mittel in der Größenordnung von 26 Monatseinkommen. Haushalte mit mittleren Vermögen können heute, dank ihres Geldvermögens, 16 Monate lang Einkommensausfälle kompensieren, und selbst Haushalte mit unterdurchschnittlichem Vermögen sind hierzu noch knapp vier Monate lang in der Lage. Lediglich bei den Haushalten mit geringen Vermögen ist die individuelle Geldvermögensbildung auf reichlich ein Monatseinkommen beschränkt, was allerdings heißt, daß auch diese Haushalte vom Tagelöhnerstatus weit entfernt sind.

V m . Künftige Tendenzen der Vermögensbildung und -Verteilung

Aufgrund der langfristig gefestigten Tendenzen der Vermögensbildung und -Verteilung kann davon ausgegangen werden, daß die Vermögen der privaten Haushalte im Vergleich zur voraussichtlichen Entwicklung des Bruttosozialprodukts und der realen Arbeitseinkommen weiter überproportional zunehmen werden. Allerdings wird sich das Tempo der Vermögensmehrung zumindest relativ verlangsamen. Die hohen Zuwachsraten der fünfziger und sechziger Jahre werden auch bei der privaten Vermögensbildung in absehbarer Zeit nicht wieder erreicht werden. Doch selbst bei verhältnismäßig bescheidenen Wachstumsannahmen dürfte die absolute Vermögenszunahme künftig beachtlich sein. So dürfte

Neuere Tendenzen in der Vermögensverteilung

313

bei einem realen Wirtschaftswachstum von reichlich 1 v.H. bis Anfang der neunziger Jahre und knapp 1 v.H. bis Ende der neunziger Jahre das private Vermögen innerhalb der nächsten zehn Jahre von derzeit DM 5,5 Billionen auf DM 6,6 Billionen und bis Ende der neunziger Jahre weiter auf DM 7,5 Billionen (jeweils im Geldwert von heute) ansteigen. Dies entspräche einem realen Vermögenszuwachs von über 25 v.H. in nur 16 Jahren. Unter Berücksichtigung der Versorgungsansprüche stiege das Gesamtvermögen der privaten Haushalte bis 1994 sogar auf rund DM 10 Billionen und bis zum Jahre 2000 sogar auf DM 11 Billionen. Sehr wahrscheinlich ist mit dieser Vermögensentwicklung eine weitere Veränderung der Vermögensstrukturen verbunden. Das Geldvermögen dürfte auch künftig am kräftigsten expandieren. Hier erscheinen unter den genannten Rahmenbedingungen Zuwachsraten von 3,5 v.H. bis 1994 und 3 v.H. bis zum Jahre 2000 realistisch. Mit etwa 1 v.H. dürften die Versorgungsansprüche aufgrund von demographischen und politischen Einflüssen am langsamsten zunehmen. Nicht viel höher dürften die Zuwachsraten beim Haus- und Grundeigentum sein. Bedingt durch diese unterschiedlichen Zuwachsraten dürfte der Anteil des Geldvermögens bis Anfang der neunziger Jahre von derzeit knapp 30 v.H. auf etwa ein Drittel ansteigen und zugleich der Anteil des Haus- und Grundvermögens von etwa 50 v.H. auf knapp 47 v.H. zurückgehen. Bis Ende der neunziger Jahre dürfte dann der Anteil des Geldvermögens auf mindestens 36 v.H. angewachsen sein und sich der Anteil des Haus- und Grundvermögens auf 44 v.H. vermindert haben (vgl. Schaubild 1). Spätestens in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre dürfte aufgrund dieser Entwicklung Geldvermögen für die wohlhabendere Bevölkerungshälfte bedeutsamer sein als Immobilien, was wiederum nicht ohne erhebliche Rückwirkungen für den Kapitalmarkt bleiben wird. Diese Tendenzen lassen ein erneutes Auseinanderdriften der Vermögensverteilung wahrscheinlich erscheinen. Denn abgesehen von der Beschäftigungsproblematik, auf die bereits in Ziffer V. hingewiesen wurde, wird künftig das vorhandene und weiter akkumulierte Vermögen noch stärker als bisher seine eigene Dynamik entfalten. Dabei werden die Trends dieser Dynamik deutlich von den traditionellen Trends abweichen. Die größten Unterschiede sind in den Bereichen Immobilien- und Geldvermögen zu erwarten. Bis in die siebziger Jahre brachte Immobilieneigentum nicht zuletzt in Form sogenannter Wertsteigerungen hohe Renditen. Dies wiederum begünstigte die Vermögensbildung gerade auch wirtschaftlich schwächerer Haushalte, die — wie Tabelle 5 verdeutlicht — ihr Vermögen in erster Linie als

314

Meinhard Miegel

Immobilienvermögen bildeten. Durch die hohe Rentabilität dieser Vermögensart wurde die weitere Vermögensbildung dieser Haushalte nachhaltig erleichtert. Wer frühzeitig den Einstieg in Immobilienvermögen fand, konnte bis in die siebziger Jahre ohne weitere Sparleistungen eine erhebliche Vermögenszunahme verzeichnen. In Zukunft wird dieser Trend genau umgekehrt verlaufen. Die Eigentümer von Immobilien werden mit hoher Wahrscheinlichkeit empfindliche Vermögensverluste hinnehmen müssen, die, wenn sie nicht durch verstärkte Sparleistungen oder Erträge aus anderen Vermögensarten ausgeglichen werden können, zu einem allgemeinen Vermögensverzehr führen können. Besonders exponiert sind auch hier wieder die wirtschaftlich etwas weniger leistungsfähigen Haushalte. Für sie verwandeln sich die Vorteile der Vergangenheit jetzt in Nachteile. In Zukunft dürfte die Formel gelten: Je höher der Anteil des Immobilieneigentums am Gesamtvermögen, desto schwieriger ist die weitere Vermehrung des Vermögens. Das genaue Gegenteil gilt für Haushalte mit einem hohen Geldvermögensanteil. Sie werden sehr wahrscheinlich die Gewinner der künftigen Vermögensdynamik sein. Da es sich bei diesen Haushalten jedoch vorzugsweise um Haushalte der wohlhabenderen Bevölkerungshälfte handelt, ist eine erneute Polarisierung der Vermögensbildung programmiert. Dies gilt umso mehr, als der Staat aufgrund der allgemeinen Haushaltslage auf absehbare Zeit nur in geringem Umfang in den Vermögensbildungsprozeß wird eingreifen können und möglicherweise auch wollen. Eine mögliche Verschärfung könnte dieser Polarisierungstrend durch die weitere Abnahme der relativen Bedeutung der Versorgungsansprüche erfahren. Da im Vergleich zum privaten Vermögen ihr Gewicht voraussichtlich geringer werden wird, muß auch ihre vermögensnivellierende Wirkung schwächer werden. In 10 bis 15 Jahren dürfte deshalb — immer vorbehaltlich zur Zeit noch unbekannter politischer Eingriffe — die wohlhabendere Bevölkerungshälfte gegenüber der weniger wohlhabenden Bevölkerungshälfte relativ vermögender sein als heute.

I X . Politische Folgen der neueren Tendenzen der Vermögensbildung und -Verteilung

Aufgrund der Vermögensbildung während der zurückliegenden 35 Jahre und der voraussichtlichen Vermögensbildung in den kommenden 10 bis 15 Jahren ist davon auszugehen, daß in absehbarer Zeit etwa ein Drittel der

Neuere Tendenzen in der Vermögensverteilung

315

deutschen Wohnbevölkerung sowohl im historischen als auch im internationalen Vergleich als ausgesprochen wohlhabend anzusehen sein wird. Zugleich werden bei einer Fortdauer der neueren Verteilungstrends die wirtschaftlich schwächsten Bevölkerungsschichten relativ absinken. Zwar werden jene 10 v.H. bis 15 v.H. der Bevölkerung einen wiederum im historischen und internationalen Vergleich noch immer beachtlichen Lebensstandard genießen. Aber die Unterschiede zwischen der großen Gruppe von sehr wohlhabenden und der verhältnismäßig kleinen Gruppe wirtschaftlich Schwacher dürften zunehmen. Die verbleibende Hälfte der Bevölkerung dürfte ihr Vermögen wie bisher in mehr oder minder großen Schritten vermehren, wobei bei einer Fortdauer der bisherigen politischen Trends der Vermögensbildungsprozeß der wohlhabenderen Schichten rascher voranschreiten wird als die Vermögensbildung der weniger wohlhabenden. Dies ist unter anderem eine langfristige Folge der staatlichen Schuldenpolitik in den siebziger Jahren. Da die Vermögensbildung der Zukunft noch stärker als bisher zu einem erheblichen Teil als Geldvermögensbildung erfolgen dürfte, wird der hohe und weiter wachsende Bedarf des Kapitalmarktes im großen und ganzen befriedigt werden können. Gleichzeitig dürfte allerdings auch die Inflationsempfindlichkeit der Mehrheit der Bevölkerung erheblich zunehmen. Während historische Geldentwertungen faktisch nur eine kleine Minderheit berührten, würde eine Geldentwertung heute ganz unmittelbar politische Mehrheiten berühren. Dies ist ein wichtiges politisches Datum. Eine besondere politische Herausforderung ist die Aktivierung der breiten, wohlhabend gewordenen Bevölkerungsschichten, unternehmerisch zu handeln, das heißt unter anderem, wirtschaftliche Risiken zu akzeptieren. Wenn heute bei vielen sehr wohlhabenden Haushalten eine ausgeprägte Sparbuchmentalität zu beobachten ist, die jede Form unternehmerischen Handelns anderen und möglichst dem Staat überläßt, so ist dies eine ernste Bedrohung der weiteren Wohlstands- und Vermögensentwicklung. Das Übermaß an Sicherheit, das heute verbreitet gesucht wird, könnte sich rasch als kontraproduktiv erweisen. Auf dem Arbeitsmarkt gibt es hier bereits aufschlußreiche Entwicklungen. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist es ein Gebot rationaler Politik, die wohlhabend gewordenen Schichten der Bevölkerung aus dem sozialen Sicherungssystem zu entlassen. Dies braucht nicht zu einer Verminderung gesellschaftlicher Solidarität zu führen. Solidarität kann und muß vielmehr aufgrund der neueren Tendenzen der Vermögensbildung und -Verteilung grundlegend anders organisiert werden, als sie in den Armutsgesellschaften der

316

Meinhard Miegel

Vergangenheit organisiert worden ist. Auf diese Weise ließe sich auch ein übermäßiges Auseinanderdriften im Vermögensstatus der verschiedenen Einkommens- und Vermögensschichten in Grenzen halten. Schließlich stellt sich für die Politik die Aufgabe, in einer wohlhabend gewordenen Gesellschaft die nötige wirtschaftliche Dynamik zu erhalten, die die Voraussetzung fortdauernder Wohlhabenheit ist. Immer mehr Anzeichen sprechen für die Annahme, daß der Massenwohlstand der Gegenwart zu einer Abnahme, wenn nicht sogar zu einem Verlust dieser Dynamik geführt hat. Entwicklungen dieser Art sind in einer schrumpfenden und physisch älter werdenden Gesellschaft wie der Gesellschaft der Bundesrepublik besonders naheliegend. So ist es sehr wohl möglich, daß die neueren Tendenzen der Vermögensbildung und -Verteilung, die insgesamt zu einer ganz außerordentlichen Wohlstandsmehrung aller Schichten geführt haben, zugleich auch gegenläufige Tendenzen auslösten, die die weitere Wohlstandsmehrung gefährden.

Der Einfluß der Vermögensbildung auf die Einkommensverteilung Von Bernhard Külp, Freiburg/Br.

I. Einführung

Die Forderung, auch die Arbeiter an der Vermögensbildung verstärkt zu beteiligen, wurde unter anderem damit begründet, daß das Gesamteinkommen der Arbeiter auf diese Weise erhöht werden könnte und daß deshalb die Einkommensverteilung zugunsten der Arbeiter verändert werde. Hierbei wurde vor allem an folgende drei Zusammenhänge gedacht: Vor allem von denjenigen, die diese These in der politischen Diskussion vertreten, wurde in erster Linie davon ausgegangen, daß der einzelne Arbeiter, sofern er spart, neben seinem Lohneinkommen nun auch ein Zinseinkommen erwirbt und auf diese Weise sein Gesamteinkommen erhöht. Wir wollen hierbei von der Common Sense-These sprechen, da sie der allgemeinen öffentlichen Meinung entspricht. Im Rahmen der Wirtschaftswissenschaft standen zwei weitere Zusammenhänge im Vordergrund. So hatte Ende der vierziger Jahre E. Preiser die These vertreten, daß ein Arbeiter, der einen Teil seines Einkommens spart und damit Vermögen bildet, gegenüber dem Arbeitgeber eine bessere Marktposition erreicht und auf diese Weise sein Nominallohneinkommen steigern kann. Bei Gültigkeit dieser These erhöht sich das Einkommen nicht nur deshalb, weil zum Lohn eine weitere Einkommensquelle: das Zinseinkommen tritt, sondern auch deshalb, weil das Lohneinkommen selbst nominell ansteigt. Im Zusammenhang mit der von Kaldor entwickelten keynesianischen Verteilungstheorie wurde drittens darauf hingewiesen, daß eine Zunahme der Ersparnis der Arbeiter die Möglichkeiten der Unternehmer beschränken würde, durch Selbstfinanzierung über den Preis einen Teil der Investitionen zu finanzieren, daß deshalb die Preissteigerungen insgesamt zurückgingen und somit auch die Kaufkraft der Lohneinkommen, also die Reallohneinkommen anstiegen.

318

Bernhard Kiilp I I . Die Common Sense-These

Befassen wir uns zunächst mit der Common Sense-These. Zwei Fragen sind hierbei zu unterscheiden: Auf der einen Seite gilt es zu überprüfen, ob das Zinseinkommen, das ein Arbeitnehmer bei Vermögensbildung erwerben kann, quantitativ so stark ins Gewicht fällt, daß man ernsthaft von einer spürbaren Zunahme des Gesamteinkommens der Arbeiter sprechen kann, und zwar dadurch, daß zum Lohneinkommen nun auch ein Zinseinkommen tritt. Auf der anderen Seite muß kritisch untersucht werden, ob das Lohneinkommen hierbei unberührt bleibt und nicht etwa zurückgeht, so daß im Endergebnis das Gesamteinkommen der Arbeiter nicht am Zinsertrag allein gemessen werden kann. Fragen wir uns in einem ersten Schritt nach den quantitativen Beziehungen zwischen dem Zinseinkommen und dem Gesamteinkommen der Arbeiter. Es gilt folgende logische Beziehung: Das Zinseinkommen (Z) errechnet sich aus dem Zinssatz (i) multipliziert mit dem Vermögen (V): Ζ = i * V. Die Höhe des Vermögens eines Arbeiterhaushaltes hängt hierbei einmal davon ab, welche Geldsumme der einzelne Haushalt pro Periode (z.B. Jahr) anspart (S) und wieviel Perioden (n) bereits solche Beträge gespart wurden. Es gilt also der Zusammenhang: V = S * n. Schließlich kann man die Sparsumme (S) pro Periode in Abhängigkeit des Gesamteinkommens der Arbeiter (YA) sehen: Die Sparsumme ist gleich der Sparquote (s) multipliziert mit der Höhe des Gesamteinkommens des Arbeiters: S = s * YA. Fassen wir diese logischen Beziehungen zusammen, so gilt: Z = i * V = i * S * n = i * s * n * YA, bzw. wenn wir das Zinseinkommen auf das Gesamteinkommen des Arbeiters beziehen: Z/YA = i * s # η * YA/YA = i * s * η. Diese Formel gestattet uns, auf einfache Weise auszurechnen, welchen Anteil das Zinseinkommen am Gesamteinkommen eines Arbeiterhaushaltes erreichen kann. Da wir nicht von der Annahme ausgehen können, daß der

Einfluß der Vermögensbildung auf die Einkommensverteilung

319

durchschnittliche Arbeitnehmer seine Ersparnisse besonders risikenreich anlegen wird, dürfte kaum damit gerechnet werden können, daß der Zinssatz wesentlich mehr als 5 v.H. im Durchschnitt betragen wird. Man wird auch im günstigsten Fall kaum davon ausgehen können, daß ein Arbeiterhaushalt wesentlich mehr als 10 v.H. seines Gesamteinkommens sparen wird. Diese Annahmen implizieren, daß zehn Jahre nach Einführung einer Vermögensbeteiligung der Anteil des Zinseinkommens am Gesamteinkommen eines Arbeiters nicht mehr als: Z / A = i * s * η = 0.05 * 0.1 * 10 = 5 v.H.

betragen wird. Geht man davon aus, daß über Tarifverhandlungen im Durchschnitt eine jährliche nominelle Steigerung von 3 - 8 v.H. realisiert werden kann, so dürfte das Gesamteinkommen eines Arbeiterhaushaltes — wenn nur der hier behandelte Zusammenhang zur Diskussion steht — nicht wesentlich über den Betrag hinausgehen, den die Arbeiter Jahr für Jahr in den Tarifverhandlungen als Einkommenszuwachs erreichen. Vor allem wenn man berücksichtigt, daß ein Teil dieses nominellen Einkommens-Zuwachses durch Preissteigerungen und durch Einkommenssteuern wiederum aufgebraucht wird, ist der absolute reale Netto-Einkommensgewinn sicherlich nicht besonders groß. Die Beurteilung ändert sich natürlich dann, wenn man eine sehr lange Periode berücksichtigt, da mit jedem Jahr der Zinsanteil am Gesamteinkommen eines Arbeitnehmerhaushaltes bei diesen Annahmen immerhin um Vi Prozent ( i * s = 0.05 * 0.1 ) ansteigt. Nach 50 Jahren beträgt der Zinsanteil am Gesamteinkommen eines Arbeitnehmers unter diesen Annahmen 25 v.H. Der Wirtschaftswissenschaftler wird die Common Sense-These auch noch aus einem weiteren Grund kritisch beurteilen müssen. Erklärtes Ziel der Vermögenspolitik ist es, die Masse der Arbeitnehmer und nicht nur einzelne zum Sparen zu bewegen. Dies bedeutet jedoch, daß gesamtwirtschaftliche Kreislaufwirkungen zu berücksichtigen sind. Man kann nicht erwarten, daß ein nennenswerter Zuwachs in der Arbeitnehmerersparnis keinerlei Auswirkungen auf die Höhe dès Lohneinkommens haben wird. Der erwünschte Effekt einer Steigerung des Gesamteinkommens der Arbeitnehmer tritt jedoch nur in dem Maße ein, in dem das Lohneinkommen aufgrund der Arbeitnehmerersparnis nicht zurückgeht. Kann mit einer solchen Konstanz des Lohneinkommens in jedem Falle gerechnet werden? Sofern die zusätzlichen Ersparnisse nicht investiv angelegt werden, besteht die Gefahr, daß die Beschäftigung wegen zunehmender Ab-

320

Bernhard K l p

satzschwierigkeiten und damit auch das Lohneinkommen — selbst bei konstant bleibenden Lohnsätzen — zurückgeht. Auch dann, wenn man diese Befürchtungen der Keynesianer nicht teilt, ist es keinesfalls selbstverständlich, daß die Lohnsumme von einem Zuwachs in der Ersparnis unberührt bleibt. Ein einfaches Gedankenmodell soll diese Zusammenhänge verdeutlichen: Unterstellt sei, daß die Höhe des gesamten realen Sozialproduktes von diesen Sparprozessen unberührt bleibe; weiterhin sei angenommen, daß die Höhe der realen Investition und des realen Unternehmerkonsums konstant bleibe. Von einer wirtschaftlichen Tätigkeit des Staates und von außenwirtschaftlichen Beziehungen sei der Einfachheit halber abgesehen. Die Arbeitnehmer erhielten nun — z.B. aufgrund eines Gesetzes — zu ihrem bisherigen Lohneinkommen eine Gewinnbeteiligung. Da das gesamte Sozialprodukt unverändert geblieben ist und da die Sozialproduktteile, die nicht für den Konsum zur Verfügung stehen, ebenfalls unverändert blieben, ist natürlich auch die reale für die Arbeitnehmer zur Verfügung stehende Konsumgütermenge nicht angestiegen. Realiter kann somit das Konsumeinkommen der Arbeitnehmer in diesem vereinfachten Modell gar nicht angestiegen sein. Natürlich kann man gegen dieses vereinfachte Modell einwenden, daß das Realeinkommen der Arbeitnehmer gerade dadurch ansteigt, daß die Arbeitnehmer sparen und daß man mit der Annahme, das reale Sozialprodukt und die Einkommensverwendung bleibe unberührt, das Ergebnis vorwegnehme. Aber gerade diese Einwände zeigen zweierlei: Erstens ist es die Ersparnis der Arbeitnehmer und nicht primär der Zinsertrag, der das Realeinkommen der Arbeitnehmer verändert; auch dann, wenn die Arbeitnehmer nur Lohneinkommen erhielten, würde sich eine zunehmende Ersparnis der Arbeitnehmer in Einkommenssteigerungen niederschlagen können. Zweitens sind es gerade die gesamtwirtschaftlichen Kreislaufwirkungen, also die Wirkungen auf das Sozialprodukt und auf die Investition, die letztendlich bestimmen, welcher Anteil des Sozialproduktes den Arbeitnehmerhaushalten zufließt. Gerade diese Kritik macht deutlich, daß die oben aufgemachte Rechnung, nach der sich der Einkommenszuwachs der Arbeitnehmer allein aus dem Zinsertrag ergibt, zu Trugschlüssen führen muß. I I I . Die These von E. Preiser

Wenden wir uns nun der These von E. Preiser zu. Hier wird davon ausgegangen, daß ein Arbeitnehmer, der nur über die Arbeitskraft als einzige Einkommensquelle verfügt, in starkem Maße vom Arbeitgeber abhängt und

Einfluß der Vermögensbildung auf die Einkommensverteilung

321

selbst bei ungünstigen Lohnabschlüssen nicht die Möglichkeit hat, zu kündigen und einen neuen Arbeitsplatz zu suchen, da er über keine Mittel verfügt, um die Zeit der Arbeitslosigkeit zu überbrücken. Besitzt jedoch der Arbeitnehmer Vermögen und damit eine weitere Einkommensquelle, so ist er nicht auf das Lohnangebot seines Arbeitgebers angewiesen, er kann notfalls einen anderen Arbeitsplatz suchen, da er in der Zeit der Arbeitsplatzsuche zumindest Erträge aus seinem Vermögen erhält und gegebenenfalls auch sein Vermögen liquidieren kann. Gerade aus dieser Möglichkeit erwächst eine bessere Verhandlungsposition gegenüber dem Arbeitgeber, die sich in höheren Lohnabschlüssen niederschlägt. Der Einfluß eines Vermögensbesitzes auf die nominale Lohnhöhe läßt sich anhand eines einfachen Angebots-Nachfrageschemas aufzeigen. Besitzt ein Arbeitnehmer Vermögen, schlägt sich dies in der Elastizität der Arbeitsangebotskurve nieder. Wie gesehen verfügt der Arbeitnehmer mit Vermögen über mehr Alternativen zu seinem bisherigen Arbeitsplatz; der Elastizitätsbegriff bringt jedoch zum Ausdruck, über wieviel Alternativen der einzelne zu seinem Angebot (oder zu seiner Nachfrage) verfügt. Gehen wir nun von einem fiktiven Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt aus und unterstellen, daß z.B. aus konjunkturellen Gründen die Nachfrage nach Arbeitskräften zurückgehe. In diesem Falle wird es — wenn die Marktgesetze wirksam sind — stets zu Lohnsenkungen (bzw. zu Verminderungen in den Lohnsteigerungen) kommen. Wie stark diese Lohnsenkungen jedoch sind, hängt entscheidend von der Steigung der Arbeitsangebotskurve und damit von der Elastizität des Arbeitsangebotes ab. Je elastischer das Arbeitsangebot auf Lohnsenkungen reagiert, um so geringer ist der Lohnabschlag, der ein neues Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt ermöglicht (siehe Diagramm 1). Diagramm 1 1

Arbeitsangebot ohne Vermögen Arbeitsangebot mit Vermögen

lo

M li

Arbei tsnachfrage

A

322

Bernhard K l p

Es ist fraglich, inwieweit diese Thesen zutreffen. Löhne werden fast in allen hochentwickelten Industriestaaten in Tarifverhandlungen vereinbart, die Lohnhöhe hängt unter anderem von der Stärke der Gewerkschaften ab. Es kann jedoch kaum unterstellt werden, daß die Gewerkschaften eine um so größere Verhandlungsmacht erlangen, je mehr ihre Mitglieder über Vermögen verfügen. Ganz im Gegenteil muß vermutet werden, daß Arbeitnehmer, die Vermögen besitzen, in geringerem Maße bereit sind, sich in Gewerkschaften zusammenzuschließen, so daß Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand unter Umständen sogar die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften schwächt. Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, daß ein arbeitsloser Arbeitnehmer im allgemeinen einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat und deshalb bereits über zusätzliche Einkunftsquellen verfügt. Zwar bringt das Arbeitslosengeld gegenüber dem bisherigen Verdienst einen beachtlichen Abstrich (das Arbeitslosengeld beträgt circa 60-70 v.H. des bisherigen Verdienstes); trotzdem ist das Arbeitslosengeld in der Regel wesentlich höher als die möglichen Zinserträge aus eigenem Vermögen. Weiterhin hängt die Elastizität des Arbeitsangebotes in erster Linie vom Ausmaß des Wettbewerbes der Unternehmungen nach Arbeitskräften ab. Der Wettbewerb der Unternehmungen ist jedoch gegenüber den Anfängen der Industrialisierung aus verschiedenen Gründen gestiegen: Sowohl die Mobilität der Unternehmungen als auch die der Arbeitnehmer ist gestiegen, das ausgebaute Verkehrsnetz erlaubt den Arbeitskräften in viel stärkerem Maße als früher eine regionale Wanderung; auf der anderen Seite sind die Produktionsstätten in geringerem Maße als früher standortabhängig. Schließlich gilt es auch zu berücksichtigen, daß die Kündigungsschutzgesetzgebung den Arbeitnehmern die Möglichkeit einräumt, bereits zu einer Zeit nach einem neuen Arbeitsplatz zu suchen, in der der bisherige Arbeitsplatz noch nicht aufgegeben wurde. Auch dieser Umstand erhöht die Elastizität des Arbeitsangebotes. Insgesamt hängt somit die Elastizität des Arbeitsangebotes von einer Vielzahl von Faktoren ab, der Vermögensbesitz des einzelnen Arbeitnehmers ist nur ein Faktor — wenn überhaupt — neben anderen. Trotzdem interessiert die Frage, wie stark das Gewicht dieser einzelnen Faktoren ist. Wir wollen diese Frage zunächst durch einen quantitativen Vergleich zwischen dem Einfluß des Vermögens und dem der Arbeitslosenversicherung zu klären versuchen. Hierzu sei unterstellt, daß ein Arbeitnehmer über soviel Vermögen verfüge, daß er bei Arbeitslosigkeit genausoviel Zinserträge erhalte wie er Arbeitslosengeld erhalten könnte. Überprüft werden soll, ob der Arbeitnehmer

Einfluß der Vermögensbildung auf die Einkommensverteilung

323

aufgrund des Vermögensertrages elastischer reagiert als aufgrund eines gleichhohen Arbeitslosengeldes und ob deshalb die Verhandlungsmacht des Arbeitnehmers bei Vermögensbildung höher ist als bei Existenz einer Arbeitslosenversicherung. Diese Frage soll anhand des Modells der Wahlhandlungstheorie untersucht werden. Auf der Abszissenachse werde vom Ursprung ausgehend die Nachfrage nach Freizeit, auf der Ordinatenachse die Nachfrage nach Einkommen (Konsumgütern) abgetragen. Die Neigung der Bilanzgeraden wird hierbei von der Höhe des Reallohnes bestimmt, wobei der Schnittpunkt mit der Abszissenachse die maximale Freizeit (also z.B. 24 Stunden pro Tag) angibt. Der Tangentialpunkt der Bilanzgeraden mit einer Indifferenzkurve unterrichtet darüber, bei welcher Aufteilung der Zeit in Freizeit und Erwerbszeit der betreffende Haushalt sein Gleichgewicht (sein Optimum) findet. Untersuchen wir zunächst, welchen Einfluß die Existenz einer Arbeitslosenversicherung auf die Bilanzgerade und damit letztlich auf das Arbeitsangebot erlangt. Hierbei sei der Einfachheit halber unterstellt, daß der Arbeitnehmer nicht nur vor der Option stehe, entweder ganzzeitig beschäftigt oder insgesamt arbeitslos zu sein, sondern die Möglichkeit habe, auch einen Teil seiner Zeit arbeitslos zu sein und während dieser Zeit Arbeitslosengeld zu erhalten. Natürlich widerspricht diese Annahme zunächst der Realität, da Anspruch auf Arbeitslosengeld nur dann besteht, wenn der einzelne überhaupt keiner Beschäftigung mehr nachgeht. Diese Annahme ist jedoch durchaus realistisch, wenn wir einen längeren Zeitraum als den Tag oder den Monat als Zeiteinheit wählen. Wird als Zeiteinheit z.B. das Jahr genommen, so ist es durchaus möglich, daß ein Arbeitnehmer während eines Teiles des Jahres arbeitslos ist und während dieser Zeit Arbeitslosengeld erhält, während er in der restlichen Zeit des Jahres einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Auch die Einrichtung des Kurzarbeitergeldes entspricht durchaus den Annahmen dieses Modells. Achten wir in einem ersten Schritt allein auf die Tatsache, daß ein Arbeitnehmer während der Zeit seiner Arbeitslosigkeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat und vernachlässigen wir zunächst die Frage der Finanzierung dieses Arbeitslosengeldes, so bewirkt die Einführung der Arbeitslosenversicherung eine Drehung der Bilanzgerade um den konstant bleibenden Schnittpunkt mit der Ordinatenachse, wobei die Bilanzgerade im Punkt der maximalen Freizeit (52 Wochen pro Jahr) senkrecht abfällt (siehe Diagramm 2). Der Abstand (Ab) zur Bilanzgerade entspricht dann der Höhe des Arbeitslosengeldes, das der Arbeitnehmer erhalten würde, wäre er das gesamte Jahr arbeitslos.

324

Bernhard K l p

Diagramm

Berücksichtigen wir darüber hinaus, daß das Arbeitslosengeld über Beiträge finanziert wird und daß diese Beiträge eine Reduzierung des Nettoeinkommens bewirken, so tritt eine zweite Verschiebung der Bilanzgerade ein, wobei die Bilanzgerade nun um den Punkt Β nach unten gedreht wird, so daß der Schnittpunkt der Bilanzgeraden mit der Ordinatenachse zum Ursprung hin verschoben wird (siehe Diagramm 3). Diese Verschiebung bringt zum Ausdruck, daß ein Arbeitnehmer, der einer Beschäftigung nachgeht, bei gleichbleibendem Bruttolohn nun über eine geringere Nettokaufsumme für Konsumgüter verfügt.

Wie hat sich nun die Einführung der Arbeitslosenversicherung in unserem Modell auf das Arbeitsangebot und auf die Wohlfahrt des einzelnen Haushaltes ausgewirkt? Auf der einen Seite liegt der neue Gleichgewichtspunkt unter Umständen (je nach Beitragshöhe) auf einer Indifferenzkurve mit höherem Index, so daß also möglicherweise die Wohlfahrt des Haushaltes angestiegen ist. Auf der anderen Seite haben sowohl Arbeitslosengeld als auch Beitragsfinanzierung zu einer Abflachung der Bilanzgerade geführt, die sich

Einfluß der Vermögensbildung auf die Einkommensverteilung

325

in einer Mehrnachfrage nach Freizeit, also einer Arbeitszeitverknappung äußert. Im weiteren soll nun untersucht werden, wie sich demgegenüber eine Vermögensbildung auf die Wohlfahrt und auf das Arbeitsangebot auswirkt, wobei unterstellt wird, daß der Vermögensertrag gerade der Höhe des Arbeitslosengeldes bei vollständiger Arbeitslosigkeit entspräche. Wie leicht einzusehen ist, verschiebt sich in diesem Falle die Bilanzgerade um den jährlichen Vermögensertrag parallel nach oben, wobei sie die durch eine Arbeitslosenversicherung modifizierte Bilanzgerade im Punkt Β schneidet (siehe Diagramm 4). Diagramm 4

Dies bedeutet, daß der neue Tangentialpunkt gegenüber dem Fall der Arbeitslosenversicherung auf einer Indifferenzkurve mit einer höheren Wohlfahrt liegt und daß aufgrund der höheren Steigung der Bilanzgerade insgesamt weniger Freizeit als im Vergleich zur Arbeitslosenversicherungslösung nachgefragt wird. Die Arbeitsverknappung ist somit im Falle der Vermögensbildung geringer. Bei der Beurteilung des höheren Wohlfahrtseffektes im Falle der Vermögensbildung gilt es allerdings folgendes zu berücksichtigen: Hinsichtlich der Finanzierung des Arbeitslosengeldes wurde unterstellt, daß sie letztlich über Beiträge erfolgt, die per saldo das Nettoeinkommen der Arbeitnehmer reduzieren; im Falle der Vermögensbildung wurde außer acht gelassen, daß aufgrund der Vermögensbildung unter Umständen der Reallohn ebenfalls im Zusammenhang mit Kreislaufwirkungen zurückgehen kann. Wie unser Diagramm zeigt, liegt jedoch der Gleichgewichtspunkt auch bei Außerachtlassung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung im Falle der Vermögensbildung immer noch eindeutig bei einer höheren Wohlfahrt als im Falle der

Bernhard K l p

326 Diagramm

c

Bilanzgerade bei Vermögensbildung Bilanzgerade bei Arbeitslosenversicherung ohne Beitragswirkung ursprüngliche Bilanzgerade

F

Arbeitslosenversicherung (siehe Diagramm 5). Diese Überlegungen gelten ganz davon abgesehen, daß Vermögensbildung ja auch zu einer Erhöhung (und nicht unbedingt zu einer Verminderung) des Reallohnes aufgrund der Kreislaufwirkungen führen kann. Der Umstand, daß bei der Vermögensbildung der Grad der Arbeitsverknappung geringer ist als bei der Arbeitslosenversicherung, kann nun als Indiz dafür angesehen werden, daß die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer im Falle der Vermögensbildung in geringerem Maße steigt als im Falle der Arbeitslosenversicherung. Die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer hängt nämlich mit der Frage zusammen, inwieweit sich die Arbeitnehmer in der Lage sehen, ihre Arbeitskraft zu verknappen. Insofern wäre somit das Instrument der Vermögensbildung selbst unter der irrealen Annahme, daß auf diesem Wege mit dem Arbeitslosengeld vergleichbare Vermögenserträge erzielt werden könnten, im Hinblick auf mögliche Nominallohnsteigerungen das weniger geeignete Instrument. Größere Schwierigkeiten ergeben sich bei dem Versuch, die Bedeutung der Vermögensbildung für mögliche Lohnsteigerungen mit der Bedeutung der Gewerkschaften für die Lohnhöhe zu vergleichen. Sofern die Arbeitnehmer durch Bildung von Gewerkschaften Verhandlungsmacht gegenüber den Arbeitgebern erlangen, schlägt sich dieser Machtgewinn vorwiegend darin nieder, daß gegenüber einem Konkurrenzmarkt der Bruttolohn ansteigt. In unserem Modell äußert sich deshalb Gewerkschaftsmacht dadurch, daß die Bilanzgerade im Schnittpunkt mit der Abszissenachse nach oben gedreht wird, wiederum mit der Folge, daß insgesamt eine höhere Wohlfahrt erzielt wird (siehe Diagramm 6).

Einfluß der Vermögensbildung auf die Einkommensverteilung

327

Diagramm 6 c Bilanzgerade bei Gewerkschafts macht

ursprüngliche Bilanzgerade

F

Scheinbar liegt nun allerdings der neue Gleichgewichtspunkt bei einem geringeren Arbeitsverknappungsgrad als bei den bisher behandelten Fällen, was darauf hinzudeuten scheint, daß die Vermögensbildung und Arbeitslosenversicherung ein besseres Mittel zur Erzielung höherer Löhne darstellt als die Gewerkschaftsbildung. Dieser Schluß ist jedoch nicht eindeutig, da annahmegemäß eine Lohnsteigerung auch bei Gewerkschaftsbildung nur dann eintritt, wenn die Arbeitnehmer bereit sind, ihre Arbeitskraft zu verknappen (siehe Diagramm 7). Die Frage, auf welchem Wege durch Gewerkschaftsmacht die Arbeitskraft verknappt wird, wird jedoch nach wie vor kontrovers diskutiert. Diagramm 7 c

Bilanzgerade bei Gewerkschaftsmacht Bilanzgerade bei Vermögensbildung Bilanzgerade bei Arbeitslosenversicherung ursprüngliche Bilanzgerade

F

Solange die Frage nicht geklärt ist, auf welchem Wege es den Gewerkschaften gelingt, die Arbeitskraft zu verknappen, ist ein Vergleich zu an-

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Bernhard K l p

deren Instrumenten der Lohnerhöhung nicht möglich. Die Schwierigkeit wird noch dadurch vergrößert, daß wir es in der Wirklichkeit auf dem Arbeitsmarkt nicht mit einem Angebotsmonopol, sondern mit einem bilateralen Monopol zu tun haben, wobei es von den Marktbedingungen her gesehen unbestimmt bleibt, ob der ausgehandelte Lohn über oder auch unter einem Lohn liegt, der bei allgemeiner Konkurrenz erreicht worden wäre.

I V . Die keynesianische These

Befassen wir uns schließlich mit der aus der Verteilungstheorie von Kaldor entwickelten These, daß eine Zunahme in der Sparquote der Arbeitnehmer auch zu einer Zunahme der Lohnquote und damit des Reallohnes führen wird. Die Verteilungstheorie von N. Kaldor beruht bekanntlich auf der Annahme, daß die Produktionskapazitäten voll ausgelastet und die Arbeitskräfte vollbeschäftigt sind, so daß sich eine Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage immer nur in Preissteigerungen und nicht in Steigerungen des realen Sozialproduktes auswirken kann. In einer solchen Situation kann über eine bloße Steigerung des Nominallohnsatzes die Einkommensverteilung nicht zugunsten der Arbeitnehmer verbessert werden; eine Zunahme des Nominallohnes führt nämlich unter der Annahme, daß die Arbeitnehmer nicht sparen, zu einer gleichgroßen Zunahme der Konsumnachfrage, ohne daß das reale Konsumgüterangebot ausgeweitet werden kann. Die Unternehmer erhalten somit die Möglichkeit, die Lohnsteigerungen voll auf den Güterpreis abzuwälzen: Die Nominallohnsteigerungen haben zu keiner Zunahme im Reallohn geführt. Da Nominallohnsteigerungen im allgemeinen in Kollektiwerhandlungen beschlossen werden, erleiden die Unternehmer, die diese Kostensteigerungen auf den Güterpreis abzuwälzen versuchen, auch keine Wettbewerbsnachteile, da alle Unternehmungen der Branche vor der gleichen Situation stehen. In Branchen, die in starkem Wettbewerb zu ausländischen Unternehmungen liegen, gilt diese These allerdings nur eingeschränkt. Erhöht sich nun die Ersparnis der Arbeitnehmer, wird in gleichem Maße der Nachfrageüberhang und damit auch die Möglichkeit, Lohnsteigerungen auf den Güterpreis abzuwälzen, reduziert; dies kommt jedoch einer Erhöhung der Reallöhne gleich, wobei diese Erhöhung unabhängig davon eintritt, ob die Nominallöhne ansteigen oder nicht. Die Verbesserung der Einkommensverteilung erfolgt hier über verminderte Güterpreissteigerungen.

Einfluß der Vermögensbildung auf die Einkommensverteilung

329

Nun hat vor allem L. Pasinetti auf eine Inkonsequenz der Verteilungstheorie von Kaldor hingewiesen: daß die Einkommensverteilung zwar von der Sparquote der Arbeitnehmer in Abhängigkeit gesehen wird, daß aber trotzdem die den Arbeitnehmern aus ihrem Vermögen zufließenden Zinseinkommen in der Verteilungsanalyse vernachlässigt werden. Nun läßt sich allerdings zeigen, daß eine Berücksichtigung von Zinseinkommen nur zu einer geringfügigen Modifizierung der ursprünglichen Verteilungstheorie von Kaldor führt, sofern man die Schlußfolgerungen dieser Theorie nicht mehr auf die Lohnquote, sondern auf die Quote des gesamten Arbeitnehmereinkommens am Sozialprodukt bezieht. In diesem Falle gilt nach wie vor, daß die Arbeitnehmereinkommensquote allein bestimmt wird vom Verlauf der partiellen Sparquoten sowie der Investitionsquote. In den fünfziger Jahren, in denen Kaldor diese Theorie entwickelt hatte, entsprachen diese Annahmen auch weitgehend der Realität. Seit Mitte der siebziger Jahre ist die Weltwirtschaft wiederum durch Konjunkturrückgänge geprägt, so daß Nachfrageänderungen sich nicht mehr nur in Preis-, sondern auch in Mengenänderungen niederschlagen können. Berücksichtigt man jedoch im Rahmen der von Kaldor entwickelten Theorie die Möglichkeit von Änderungen im realen Sozialprodukt, so erhält diese Theorie einen Freiheitsgrad; die von Kaldor unterstellten Hypothesen determinieren die Einkommensverteilung nicht mehr. Dies ist gleichbedeutend mit der Aussage, daß unter allgemeinen Bedingungen nicht nur Nachfrage-, sondern auch Angebotsfaktoren die Einkommensverteilung bestimmen. Tragen wir in einem Diagramm auf der Ordinatenachse die realisierte Gewinnquote, auf der Abszissenachse das reale Sozialprodukt ab, so lassen sich die von Kaldor aufgezeigten Zusammenhänge zwischen Gewinnquote und Veränderung in der Einkommensverwendung anhand einer negativ geneigten Nachfragekurve darstellen (siehe Diagramm 8). Die im Rahmen der Produktionstheorie dargestellten Zusammenhänge zwischen Durchschnittskostenhöhe und realem Sozialprodukt lassen sich hingegen in einer positiv geneigten Angebotskurve zusammenfassen. Der Schnittpunkt beider Verteilungskurven unterrichtet dann über die gleichgewichtige Einkommensverteilung. Hierbei dürfte es realistisch sein, zu unterstellen, daß bei sehr geringem Sozialprodukt und damit geringer Kapazitätsauslastung (also in der Rezessionsphase) die Durchschnittskosten (und mit ihnen die Gewinnquote) bei wachsendem realem Sozialprodukt zunächst konstant bleiben, daß dann von einer bestimmten Nachfragesteigerung ab die Ertragsgesetze wirksam werden und eine Sozialproduktsteigerung nur noch mit einer Zunahme in der Gewinnquote realisiert werden kann (Auf-

Bernhard Kiilp

330 Diagramm 8 y

Nachfrageverteilungskurve Angebotsverteilungskurve

Yr

schwungphase) und daß schließlich bei Vollauslastung der Kapazitäten weitere Nachfragesteigerungen nur noch in Preissteigerungen verpuffen und das reale Sozialprodukt somit unverändert lassen (Überbeschäftigungsphase). Die Angebotskurve verläuft in dieser Phase parallel zur Ordinatenachse; in dieser Phase sind übrigens die Annahmen von Kaldor voll verwirklicht (siehe Diagramm 8). Dieses Modell zeigt, daß die aus der Theorie von Kaldor abgeleiteten Schlußfolgerungen nicht mehr allgemein, sondern nur noch in der Überbeschäftigungsphase der Konjunktur (Vollauslastung der Kapazitäten) zutreffen. Befinden wir uns hingegen in der Aufschwungphase, in der die Ertragsgesetze zum Zuge kommen, führt eine Vermögensbildung der Arbeitnehmer zwar immer noch zu einem Rückgang in der Gewinnquote, also bei konstanter Produktivität zu einem Anstieg der Reallöhne, dieser Verteilungsgewinn wird jedoch mit einem Rückgang im Sozialprodukt und damit auch im Beschäftigungsgrad erkauft. Befinden wir uns hingegen in der Rezessionsphase der nicht ausgenutzten Kapazitäten, wird eine Zunahme der Ersparnis der Arbeitnehmer zu keiner Gewinnquotenminderung und damit auch nicht zu einem Anstieg in den Reallöhnen führen, trotzdem wird das reale Sozialprodukt und der Beschäftigungsgrad aufgrund des Nachfragerückganges reduziert werden (siehe Diagramm 8). Je nach der Art der Vermögensbildung kann jedoch eine Zunahme der Ersparnis der Arbeitnehmer unter Umständen auch den Verlauf der Angebotskurve der Verteilung verändern. Wenn z. B. die Vermögensbildung der Arbeitnehmer auf dem Wege eines Investivlohnes vereinbart wird, so trägt der Unternehmer das volle Risiko: die vereinbarten Investivlohnzuschläge

Einfluß der Vermögensbildung auf die Einkommensverteilung

331

müssen unabhängig davon gewährt werden, ob die erwartete Umsatzsteigerung eingetreten ist oder nicht. Wird hingegen eine Gewinnbeteiligung vereinbart, so trägt auch der Arbeitnehmer einen Teil des Risikos, da die Gewinnbeteiligungssumme in dem Maße geringer ausfällt, als auch die Gewinne niedriger als erwartet sind. Die Höhe des jeweils von den Unternehmungen eingegangenen Risikos bestimmt jedoch den Verlauf der Verteilungsangebotskurve. Die Mindestrendite, die von den Unternehmungen nämlich erwartet wird, um zu einer Produktion bereit zu sein, wird wesentlich von der Höhe des erwarteten, mit der Produktion verbundenen Risikos bestimmt. Da das allgemeine unternehmerische Risiko bei einer investiven Gewinnbeteiligung geringer ausfällt als dann, wenn die Arbeitnehmereinkommenszuwächse in Form von Investiv- oder auch Barlöhnen ausgezahlt werden, wird in diesem Falle auch die Angebotskurve der Verteilung niedriger (näher an der Abszissenachse) verlaufen (siehe Diagramm 9). Diagramm 9 Y Verschiebung der Angebotskurve aufgrund einer Gewinnbeteiligung

Yr

Diese Verschiebung in der Angebotsverteilungskurve hat zur Folge, daß die gleichgewichtige Gewinnquote niedriger, der Reallohn jedoch höher ausfällt (siehe Diagramm 9). Entscheidend ist, daß in diesem Falle die Rückgänge im wirtschaftlichen Wachstum sowie im Beschäftigungsgrad nicht oder allenfalls vermindert auftreten (siehe Diagramm 9).

V. Schlußbemerkung

Wir kommen somit zu dem Ergebnis, daß die Zusammenhänge zwischen Vermögensbildung und Einkommensverteilung sehr viel komplizierter sind,

332

Bernhard K l p

als es die in der Öffentlichkeit und in der Literatur behaupteten Thesen nahelegen. Der Einkommensgewinn aus einer Vermögensbildung läßt sich nicht einfach am zusätzlichen Zinsertrag ablesen. Entscheidend ist auch nicht nur die Frage, wie sich aufgrund der zusätzlichen Ersparnis die gesamtwirtschaftliche Nachfrage verändert. Es kommt auch auf die Frage an, inwieweit sich die Angebotsbedingungen hierdurch verändern; dies wiederum hängt jedoch entscheidend von der Art der Vermögensbildung ab. Literatur Blümle, G.: Theorie der Einkommensverteilung, Berlin u.a. 1975. — Bombach,

G., Frey, B. S., Gahlen, B. (Hrsg.): Neue Aspekte der Verteilungstheorie, Tübingen 1974. — Kaldor, Ν.: Alternative Theories of Distribution, in: The Review o f Economic Studies, Vol. 23 (1955/56), S. 8 3 - 1 0 0 : deutsche Übersetzung in Schlicht, Er. a.a.O. — K ü l p , B.\ Verteilungstheorie, 2. A u f l . Stuttgart u. a. 1981. — Pasinetti, L.: Rate o f Profit and Income Distribution in Relation to the Rate of Economic Growth, in: The Review of Economic Studies, Vol. 29, (1961/62), S. 267 - 279. — Preiser , E. : Besitz und Macht in der Distributionstheorie, in: Salin, E. (Hrsg.), Synopsis, Festgabe für Weber, Α., o.J., S. 3 3 1 - 3 5 8 . — Scheele, E.: Theorie der Einkommensverteilung, in: Ehrlicher, W. u.a., (Hrsg.), Kompendium der Volkswirtschaftslehre, Bd. I , Göttingen 1972, S. 288 - 338. — Schlicht, E. : Einführung in die Verteilungstheorie. M i t Beiträgen von Polanyi, Κ . u.a., Reinbek bei Hamburg 1976.

Sparverhalten und Wirtschaftsdenken: Aktuelle pädagogische Aspekte Von Gustav Raab, Wien

I. Analyse der Spar- und Konsumeinstellungen

Eine Analyse des Spar- und Konsumverhaltens muß eingebettet sein in eine Analyse der subjektiven Einschätzung der zukünftigen ökonomischen Entwicklung und in eine Analyse des Stellenplatzes, den materielle und immaterielle Bedürfnisse in der Werteordnung der Menschen besitzen. Da sich die diesbezüglichen pädagogischen Aspekte insbesondere auf die Gruppe der Jugendlichen beziehen, werde ich im folgenden zunächst den jugendrelevanten Einstellungen und Verhaltensweisen Raum widmen. 1. Der Stellenwert

des Materiellen

bei Jugendlichen

Die mir zugänglichen Angaben zur Einstellung der österreichischen Jugend können von mir nicht eindeutig konkludiert werden. Klar ist aber meines Erachtens, daß die Jugendlichen den ökonomischen, materiellen Anliegen, was diese selbst und auch ihre Wertung in der gesellschaftlichen Entwicklung anlangt, weniger Bedeutung einräumen als Erwachsene. Eine saubere und gesunde Umwelt wird beispielsweise von 67 v.H. der Jugendlichen (laut einer repräsentativen Umfrage der Dr. Fessel + GfK Gesellschaft für Konsum-, Markt- und Absatzforschung bei den 16- bis 24jährigen aus dem Jahre 1984, siehe die PRESSE vom 8. August 1984) am häufigsten als Ziel genannt. Die Entwicklung zu einer freundlicheren, weniger unpersönlichen Gesellschaft, in der Ideen wichtiger sind als Geld, liegt mit 32 v.H. noch klar vor der Steigerung des Lebensstandards (16 v.H.), aber auch vor dem Wunsch nach mehr Mitsprache am Arbeitsplatz, in der Gemeinde und überhaupt in der Öffentlichkeit. Verglichen mit ähnlichen früheren Erhebungen1 1 Schon ca. 10 Jahre zurück liegen Angaben über die Hoffnungen und Sehnsüchte der Jungen: mehr Gefühle, mehr Ehrlichkeit, mehr Spontaneität, unmittelbarer und einfacher zu leben. Siehe Brunmayr-Schön: Die Probleme der Jugend in unserer Gesellschaft, in: 75 Jahre Zentralsparkasse und Kommerzialbank, Wien, Geschäftsbericht 1981, S. 43 ff.

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Gustav Raab

ist das Gewicht der ,,Grün-Argumente' 4 noch gestiegen, materielle Ziele und die Bereitschaft zum „politischen" Engagement dagegen gefallen. Silvio Lehmann spricht in diesem Zusammenhang vom Sozialtyp der resignativen Anpassung. Erwin Ringel verweist mit Recht darauf, daß sich die Jugend mit den derzeitigen gesellschaftlichen Gegebenheiten nicht abfinden solle, sie müsse die Fehler der Gesellschaft schonungslos aufzeigen. Die Antwort auf die Unzulänglichkeiten der Gesellschaft liege aber nicht im Aussteigertum, vielmehr müßten die Jugendlichen gerade deswegen das Gespräch mit den Erwachsenen suchen. In Wirklichkeit ziehen sich jedoch die Jugendlichen aus den politischen Makrostrukturen zurück, sagen sich von den politischen Parteien ab, weil diese ihre Ideale ,,zu Tode" getrampelt hätten2. Das besonders schlechte Image der Politiker bei der Jugend als machtgeil, bestechlich, nur auf den eigenen Vorteil aus, führte zu einer Stagnation der politischen Nachwuchsorganisationen und machte die Feuerwehren auf dem flachen Land zur größten Jugendorganisation. Obige Aussagen zum Ökonomisch-Materiellen dürfen jedoch nicht so verstanden werden, daß die Berufswahl und die damit erforderliche Schulausbildung nicht auch in den Augen des Jugendlichen wichtig wäre. Jedenfalls wird die Vorstellung von „Arbeit als Zwang" von den meisten Jugendlichen abgelehnt. ,,Der Beruf soll sinnvolle Aufgaben und Erfüllung garantieren, ohne gleichzeitig als drückende Last empfunden zu werden" (Dr. Fessel + GfK: Jugendreport 1982, Psychologische Grundlagenuntersuchung, Seite 61). Möglichst hohe materielle Entlohnung, gute Aufstiegchancen, Karriere und Formalstatus sind für den Jugendlichen von geringerer Bedeutung, dagegen werden zwischenmenschlichen Beziehungen, der Anerkennung in der Gruppe, der Übereinstimmung der Berufserfordernisse mit den eigenen Neigungen, der Vermeidung von Monotonie, der Möglichkeit zur Übernahme von Eigenverantwortung und der Chance auf Selbstverwirklichung große Bedeutung beigemessen. Freilich sind solche Umfrageergebnisse immer von einer möglichen Idealisierung gebiased: Die Hintanstellung des materiellen Verdienstes soll zum Teil den eigenen Idealismus verdeutlichen, andererseits erwartet man in den meisten Fällen ohnedies ein adäquates Einkommen. Auch das Problem einer möglichen Arbeitslosigkeit wird bei Interviews von Jugendlichen oft verdrängt. Die diesbezüglichen quantitativen Marktforschungszahlen dürften die wahre Relevanz unterschätzen.

2 Hubertus Czernin: S. 14 ff.

Die Moralisten, in: WOCHENPRESSE vom 21. August 1984,

Sparverhalten und Wirtschaftsdenken

335

2. Der einzelne als Glied der Gemeinschaft Ein häufig auch bei Erwachsenen auftretender Polarismus scheint mir im Hinblick auf wirtschafts- und sozialkundliche Erziehungsziele besonders relevant: Man stuft die von der Gesellschaft bereitgestellten ,,public utilities'konkret die Energieversorgung, die Rechtssicherheit und ähnliches, als etwas Selbstverständliches ein, als eine dem „Konsumenten" womöglich ohne direkte Gegenleistung zur Verfügung zu stellende Dienstleistung, betrachtet jedoch andererseits jede eigene Steuer- und Abgabenleistung als einem „weggenommen", als eine „Enteignung". Dieses gestörte Verhältnis des einzelnen zur Gemeinschaft ist bei denjenigen besonders entwickelt, die aus weltanschaulichen Gründen gegenüber (Zwangs-)Kollektiven besonders mißtrauisch eingestellt sind. Mit wachsender Steuer- und Abgabenquote am Bruttoinlandsprodukt und damit abnehmender Quote der individuell frei verfügbaren Einkommensteile wird dieses Mißgefühl jedenfalls wachsen. Es scheint bei Erwachsenen stärker und früher ausgebreitet zu sein als bei Jugendlichen (nicht zuletzt, weil diese mangels hohen Einkommens kein „Steuerleid" fühlen bzw. erleben). Ansonsten bin ich allerdings davon überzeugt, daß die Jugendlichen viel rascher als die ältere Generation in ihrem Denkmuster auf Wandlungen in Wirtschaft und Gesellschaft reagieren und reagiert haben. Die Anzahl der ,,Aussteiger" unter den Jugendlichen wird zwar von den Älteren oft überschätzt, die Verhaltensweisen und die Wertvorstellungen zwischen Jungen und Alten gehen jedenfalls weiter auseinander. In Paranthese möchte ich vermuten, daß die, insbesondere bei den 10- bis 18jährigen, nur (erst) ansatzweise auf Partner- oder Gruppenarbeit, sondern auf das Individuelle ausgerichtete Schulerziehung in Mitteleuropa mit ein Grund für das häufige Mißverständnis von Gemeinschaftsverantwortungen ist. 3. Postmaterieller

Wertewandel

In verschiedenen Ländern registrierte man seit den siebziger Jahren einen Wertewandel, der oft mit dem Begriff Postmaterialismus umschrieben wird 3 . Dieser Postmaterialismus wird von vielen „Anhängern" freilich unter der selbstverständlichen Voraussetzung eines ausreichenden materiellen 3 Emst Gehmacher. Angst um die Jugend — Angst vor der Zukunft, in: 75 Jahre Z, Geschäftsbericht 1981 der Zentralsparkasse und Kommerzialbank, Wien, a.a.O., S. 53 ff. Vgl. grundlegend: R. Ingelhart: The Silent Revolution, Changing Values and Political Styles among Western Publics, Princeton 1977.

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Gustav Raab

Wohlstandes und von politischer Sicherheit vertreten 4 und in zunehmenden Bedürfnissen nach Selbstverwirklichung, wie in diversen „grünen 4 4 und Friedens-Bewegungen, aber auch in Zielen wie kultureller Selbstbetätigung und partizipatorischer Demokratie artikuliert bzw. gesucht. Eine „Aussteiger 4'-Variante ist die Betätigung in der Schattenwirtschaft (underground economy). Gerade diese Reaktion auf eine subjektiv zu hoch empfundene Besteuerung der offiziellen Einkommen findet man vor allem bei immer mehr Erwachsenen, welche einerseits öffentliche Leistungen, wie Recht auf (Gratis-)Bildung, staatliche „Garantie" eines Arbeitsplatzes, Sozialleistungen etc. als Selbstverständlichkeit konsumieren, sich jedoch ihren nach dem Prinzip der Leistungsfähigkeit zu berechnenden Steuerbeitrag „ersparen" wollen. Die Nachfrage nach Leistungen der Schattenwirtschaft wird zum Teil vom Mißtrauen der Bedarfsträger gegenüber großen, anonymen Unternehmungen getragen, wohingegen der dem einzelnen bekannte oder empfohlene „Pfuscher" Vertrauen, Menschlichkeit und Leistungsbereitschaft ausstrahlt. Diese postmaterialistische Wertordnung stößt meines Erachtens spätestens dann an ihre Grenzen, wenn Leistungsverweigerung und prinzipielle Ablehnung aller herrschenden gesellschaftlichen Tendenzen zum Motto werden. Ernst zu nehmen ist andererseits die Gefahr, daß durch eine Überforderung der „collective actions " (und der dafür notwendigen Erhebung von Abgaben und Steuern) der Leistungswille und der Freiheitsspielraum des einzelnen zu sehr eingeschränkt werden. Alternative Formen, wie freiwillige Kooperationsringe, stehen als begrenzt realisierbare Alternativen mehr zur Diskussion als zur Verwirklichung. Gerade im Wirtschafts- und Sozialkundeunterricht bzw. in der diesbezüglichen Erziehung durch Eltern, im Unternehmen oder in anderen Stätten des Lernens und des Gedankenaustausches muß daher a) Verständnis gesucht werden für die Erfordernisse der Gemeinschaftsanliegen, b) unter Wahrung eines möglichst großen Freiheitsspielraumes des einzelnen. Die freiwillige Ersparnistätigkeit der privaten Haushalte (siehe b)) als Finanzierungsvoraussetzung von privaten und öffentlichen Investitionen (siehe 4

Auf diesen Widerspruch haben z.B. H. Kienzl (Zweifel an der Notwendigkeit, ja der Möglichkeit weiteren Wirtschaftswachstums in einer „romantischen" Weltanschauung) u. H. Seidel (Wachstums- und Technikverdrossenheit in einem ,,Biedermeier*^-Modell) in einer Tagung der Oesterreichischen Nationalbank hingewiesen: Die neue Romantik, Analyse einer Zeitströmung, Wien 1979, S. 8 u. 92 f.

Sparverhalten und Wirtschaftsdenken

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a)) kann ein gutes Anschauungsbeispiel eines so verstandenen wirtschaftsund sozialkundlichen Informations- und Erziehungsvorganges sein. Eine weitere allgemeine Entwicklung, die nicht unwesentliche Auswirkungen auf das Spar- und Konsumentenverhalten hat, oder zumindest haben dürfte, sind die gegenwärtigen technischen Umwälzungen, insbesondere durch die Mikroelektronik. Die Wirkung dieser neuen Technologie auf die produzierende und auf die Dienstleistungs-Wirtschaft wird bisweilen als Ausdruck eines Kondratieff-Zyklus beschrieben. Nach dieser Theorie würden wir uns am Ende der achtziger Jahre am Höhepunkt oder bereits knapp nach der Ausbreitung dieser neuen Technologie befinden. Im Regelfall treten am Ende des Kondratieff-Zyklus dann Wirtschaftskrisen und politische Wirren auf. Die auch aus anderen Gründen in vielen Ländern seit Ende der siebziger Jahre herrschende „strukturelle" Arbeitslosigkeit wird durch die Elektronik wahrscheinlich prolongiert werden. Die Spannungen, national wie international, zwischen den ,,haves", die Arbeit und Wohlstand haben, und den ,,have-nots" werden daher noch zunehmen, wobei die Gefahr von Gewalt-Ausgleichen bzw. -Umschichtungen nicht von der Hand zu weisen ist. Die Vorstellungen einer möglichst „gerechten" Arbeits- und Vermögensverteilung werden daher nicht nur von Sozialromantikern (und Jugendlichen) zu äußern sein, sondern müssen fester Bestandteil der Wirtschafts- und Sozialerziehung sein bzw. werden. Auch für dieses Gebiet bietet die Idee der privaten Ersparnisbildung und die damit mögliche breitere („gerechtere") Geldvermögensbildung einen guten aktuellen Einstieg für Schule und Politik.

4. Sparen als Phänomen zwischen Egoismus und Gemeinschaftsverantwortung An dieser Stelle möchte ich daher eine erste Konklusion im Hinblick auf die Spar- und Wirtschaftserziehung (im Elternhaus, in der Schule, mit Unterstützung der Sparkassen und anderer Institutionen) ziehen: Die Sparerziehung kann und soll zwei pädagogische Hauptziele abdecken, nämlich erstens den individuellen Freiheitsspielraum des mündigen Sparers/ Konsumenten durch Information, durch Hinleitung zu planvoller Einkommensverwendung, durch Aufbau eigener finanzieller Reserven vergrößern und zweitens die gesellschaftliche Sinnhaftigkeit (mit Ausnahme gewisser nachfragekonjunktureller Sondersituationen) der individuellen Ersparnistätigkeit erkennen, also das freiwillige private Sparen als Finanzierungspotential für volkswirtschaftliche Investitionen begreifen (in seiner Vorteil-

338

Gustav Raab

haftigkeit gegenüber anderen Finanzierungsalternativen, wie „Zwangssparen" über Abgaben, durch Inflation, durch forcierte Selbstfinanzierung der Unternehmungen „über dem Preis", durch Kapitalimporte mit späterem Ressourcenentzug für Zinsen und Tilgungszahlungen). Das Phänomen Sparen hat jedoch nicht nur eine finanzielle Seite. Schon rein sprachlich schließt Sparen die Begriffe Haushalten, sinnvolles Einteilen, Gegenwartsverzieht zugunsten Zukunftsnutzen und ähnliches ein. Diese Komponenten sind gerade in Zeiten, wo die „Grenzen des Wachstums" der gesellschaftlichen Ressourcen zu zentralen Diskussions- und Entscheidungsfeldern geworden sind, wo die Umweltbelastung durch Produktionsanlagen, die manchmal nicht unwesentlich von modischen Konsumwellen ausgelöst werden, besonders wichtig. Diese Einbindung des Freiheitsspielraumes in gesellschaftlich nützliches Wirtschaftsverhalten, einschließlich der Bewußtmachung der Voraussetzung eines Grundangebotes gesellschaftlicher Infrastruktur für eine „glückhafte" individuelle Bedürfnisbefriedigung, ist ein zeitloser Orientierungsmaßstab der Spar- und Wirtschaftserziehung. Sparen und Konsumieren sollen kein Gegensatzpaar sein. Auch die staatliche Konsumentenschutzpolitik, etwa durch Vorschriften über die Preisauszeichnung, die Produktehaftpflicht, gegen unlautere Werbung und irreführende Verkaufspraktiken, wie überhaupt die Erziehung zum informierten, kritischen Bürger ( auch im Hinblick auf die Angebote der Kreditinstitute, wie ich später beispielhaft zeigen werde) kann nur dann echte Erfolge erzielen, wenn eine entsprechende Sparund Wirtschaftserziehung vorangegangen ist. 5. Gruppenspezifische

Differenzierung

Für unternehmerische Marketingstrategien ist die Kenntnis des (homogenen) Verhaltensstils und der Bedürfnismuster von Marktsegmenten wichtig, um auf solche Verbrauchergruppen zugeschnittene Angebote machen zu können5. In gewisser Analogie dazu müssen auch Pädagogen ihre Kenntnisse über die Verhaltens-, Denk- und Erwartungsmuster der Auszubildenden nach Gruppen differenzieren, um ihre erzieherischen Ziele alters und schichtenspezifisch verwirklichen zu können. Auf den kleinen Ausschnitt der Spar- und Wirtschaftserziehung bezogen, bedeutet dies den Wunsch nach Untersuchungsergebnissen über die Einstel5 Vgl. z.B. ESOMAR (European Society for Opinion and Marketing Research): Marketing to Children and Young Consumers; Tactics for Today and Strategies for Tomorrow, Amsterdam 1984.

Sparverhalten und Wirtschaftsdenken

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lung der nach verschiedenen Kriterien strukturierten jugendlichen Gruppen hinsichtlich deren Gegenwarts- und Zukunftsvorstellungen in bezug auf gewisse Konsumwünsche, ihre Einstellung zu Einkommen, zur Arbeitswelt, ihre „attitudes" gegenüber Kreditinstituten und ähnlichem. Generalisierende Aussagen sind freilich nicht nur bei den Erwachsenen der verschiedenen Soziostrukturen kaum möglich, bei den Jugendlichen sind die Umfrageergebnisse und subjektiven Erkenntnisse oft noch ambivalenter. Beispielsweise hat eine repräsentative Befragung bei 1.000 österreichischen Jugendlichen von 14 bis 22 Jahren im Jahre 1983 ergeben (Dr. Fessel -I- GfK Repräsentativbefragung Jugendliche — Geldinstitute, Typologie, Frühjahr 1983; interne Unterlage 83/60 056), daß 21 v.H. der Jugendlichen hinsichtlich ihrer Wünsche und Ängste sich einem Typus zuordnen lassen, der mit „Wunsch nach konventioneller Anpassung" kurzcharakterisiert wird. Für diese Jugendlichen war wichtig: sicherer/guter Arbeitsplatz; Freunde; eigene Wohnung. unwichtig: Karriere. Ängste: Umweltzerstörung, Atomkraftunfälle, Arbeitsplatzverlust. Besonders ausgeprägt war dieser Typ bei der Sozialstruktur: weiblich, 18bis 19jährige, Schüler, Angestellte. Die zweithäufigste Gruppe (19 v.H. Anteil) wurde vom betreffenden Marktforschungsinstitut kurz umschrieben mit „Angst vor Mißerfolg". Ihre diesbezügliche Kurzcharakteristik : wichtig: alternative Ziele, sozialkaritative Ziele. Ängste: generelle Unsicherheit, Versagensangst. Sozialstruktur: 14- 15jährige, Haupt- und Berufsschüler, Lehrlinge, Berufsmilieu Gewerbe, Landwirtschaft. Die Typen „alternative Ziele" und „Ichbezogenheit" rangieren mit 14 v.H. bzw. 12 v.H. am Ende der Skala. Die geringe Streuung der aufgezählten Typen zeigt, daß voreilige, verallgemeinernde Urteile, etwa über die „Grünorientierung" der Jugend, selbst wenn man bloß diese eine Untersuchung heranzieht, nur sehr bedingt möglich sind. Die Spar- und Wirtschaftserziehung kann daher nicht mit gleichen

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Fallbeispielen für alle soziostrukturellen Bereiche, nicht mit gleichrangigen Sterotypen und nicht mit einer altersundifferenzierten Didaktik die angestrebten Ziele im Hinblick auf Information und Haltungseinstellung erreichen. 6. Lebensstile im Lebenszyklus Die Beschäftigung mit Werteprioritäten und Konsummustern der Jugendlichen ist aber nicht nur für Schlüsse wichtig, welche die Jugendlichen betreffen, sondern auch deswegen, weil das, was bei Jugendlichen „ i n " ist, auch auf die Erwachsenen von heute und morgen ausstrahlt. Bei einem Längsschnitt verschiedener Altersgruppen, differenziert nach verschiedenen Rollensukzessionen im Lebenslauf, kann man Konsumschwerpunkte nach dem Vorbild der „Jugendlichkeit" auch in anderen Altersschichten feststellen. Inglehart (a.a.O.) postuliert, daß Eindrücke, Haltungen und damit auch Wertstrukturen umso prägender sind, je früher sie im Leben erfahren wurden. Die primäre Sozialisation der Nachkriegsgeneration war durch materielle Prosperität und Frieden als Selbstverständlichkeit geprägt und hat postmaterialistische Wertstrukturen entstehen lassen. Immer mehr junge Menschen bleiben diesen Werten auch im Alter verbunden, sodaß die gesamte Gesellschaft eine „stille Revolution" erlebt 6. Eine weitere „Nivellierung" der Lebensstile tritt dadurch ein — oft mit verschiedenen subjektiven Wertungen (Gefahr oder Demokratisierungschance) versehen —, daß die jeweilige Oberschicht als Konsumvorbild der Unterschicht dient. Freilich liegen in der differenzierten Nutzung der verschiedenen Konsumgegenstände — insbesondere was die Freizeitindustrie betrifft — noch immer große Lebensstilunterschiede, man denke etwa an die nach Status, Einkommen, Alter, Berufsgruppenzugehörigkeit unterschiedliche Nutzung des TV- oder Radio-Angebotes. Gerade den dauerhaften Konsumgütern wurden in früheren Untersuchungen hohe Statuswerte zugemessen. Heute7 werden verschiedene Krite6

Zur Theorie und Realität der ,,stillen Revolution" sieh e Franz Lehner, in: H. Klages und P. Kmieciak (Hrsg.): Wertwandel und gesellschaftlicher Wandel, Frankfurt/New York 1981, S. 317 ff. Vgl. Gaudardt, Greve , Gladstone : Einstellungswandel zur Arbeit in Industrieländern. Folgerungen für und Auswirkungen auf die Arbeitsbeziehungen. Schriftenreihe über Arbeit und Arbeitsbeziehungen (Hrsg.: Bundesministerium für soziale Verwaltung, Wien), H. 4/1983, S. 7 ff. 7 Siehe Günther Wieswede: Konsumstil und Wertwandel, veröffentlicht von Dr. Fessel + GfK-Institut, Wien o.J., S. 21.

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rien für den Sozialstatus genannt: die Art von Leuten, mit denen man verkehrt; die Art, die Wohnung einzurichten; die Art der Kleidung; die Art der Bücher, die man hat; das Wohnviertel, in dem man wohnt. Das Auto ist weit abgerutscht in dieser Skala. Immer deutlicher kommt heraus, daß weniger der Besitz eines Gegenstandes den Sozialrang repräsentiert, als vielmehr die Art der Verwendungsaktivität. 7. Einstellung der Jugendlichen zu Geld und Sparen Die eben beschriebenen Tendenzen müssen offensichtlich auch bei den Jugendlichen Platz gegriffen haben. Wie sonst könnte man sich das Nebeneinander der hohen Bewertung immaterieller Werte neben der hohen Akzeptanz der Rolle des Geldes in unserem Gesellschaftssystem erklären. Geld wird von den Jugendlichen als grundlegender Faktor für die Existenzsicherung und als selbstverständlicher Faktor für die Realisierung der eigenen Wünsche akzeptiert. Entscheidend für die Jugendlichen ist jedoch — zumindest in der Artikulation bei Meinungsbefragungen — die Rolle des Geldes für die Erfüllung eines gehobenen Lebensstandards. ,,Der Konflikt zwischen materieller und ideeller Einstellung wird insofern gelöst, als negative Konsequenzen von Geldbesitz und übersteigertem Streben nach Geld auf eine aus Persönlichkeitsschwäche resultierende Überbewertung des Geldes zurückgeführt werden, von der sich der Jugendliche allerdings deutlich distanziert." (Jugendreport 1982, a.a.O., Seite 80). Subgruppen spezifizieren Einstellungsunterschiede, z.B. stärkeres Realitätsbewußtsein für Wert und Funktion des Geldes mit zunehmendem Alter; stärkere Praxisorientierung an konkreten materiellen Wunschbildern bei der weiblichen Jugend. Dies ändert jedoch nichts an der Grundaussage, daß für Jugendliche Geld Mittel zum Zweck sein soll, jedoch ,,das Leben über seine Verhältnisse" und die verantwortungslose Überbewertung (von Korruption bis privater Verschuldung) abgelehnt wird. Obige Einstellung zu einer verantwortungsbewußten Geldgebarung findet seine sachlogische Fortsetzung in einer auch bei Jugendlichen (schon) gegebenen positiven Einstellung zum Sparen. Diese für viele Erwachsene überraschenden Ergebnisse diverser Marktforschungen sind sicherlich — zumindest in Österreich — nicht zuletzt auch mit dem Lernprozeß verknüpft, welcher ein traditionell gut gebautes Schulsparsystem und eine bei vielen Eltern zur Selbstverständlichkeit gewordene Übung eines regelmäßigen Taschengeldbezuges 8 hervorgebracht oder zumindest unterstützt haben. 8 Laut einer Repräsentativerhebung des Instituts für Soziologie der Grund- und Integrativwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien (Jugend heute: Geld und Konsum; Wien

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Die Lernziele: 1. mit dem einem zur Verfügung stehenden Geld sein Auskommen finden; 2. (daher) Anerkennung des Sparens als positiver Wert, sind bei vielen Jugendlichen offensichtlich zufriedenstellend erreicht. Daher ein Zwischenergebnis meiner Überlegungen: Festhalten an der Zielorientierung des gegenwärtigen österreichischen Systems des Schulsparens, zumindest in den Alterskategorien der bis 10jährigen; vielleicht Wandel in der Technik des Schulsparens und Ausbau gewisser Lernziele im Bereiche einzelner Sparformen und der Konsumentenerziehung. Vergleicht man die Einstellung Jugendlicher mit der von Erwachsenen zum generellen Spargedanken, so fällt — unabhängig von der Art der preferierten Kreditunternehmung — die gleichartige positive Grundeinstellung auf. Sparen hat den Charakter einer normativen Forderung. Zwei Komponenten erklären diese Einstellung: Einerseits verbindet Sparen den Sicherheitsgedanken: Die verschiedensten Eventualitäten von Geldbedürfnissen, wie Krankheit, Alter, Notsituationen, können durch Sparen abgedeckt werden. Sparen erfüllt den auch bei Jugendlichen bereits stark vorhandenen Wunsch nach Sicherheit. Freilich ist bei Jugendlichen die Realisierung bestimmter Wünsche das primäre Sparmotiv, bei Erwachsenen oft die erstgenannte Vorsorgekomponente. Unter Vorsorge versteht der Jugendliche weniger die ferne Zukunft, als das Gegengewicht zur Angst, durch unüberlegte Handlungen, insbesondere auch durch Schuldenmachen, in eine finanzielle Engpaßsituation, oder anders ausgedrückt, in eine Abhängigkeit von den Geldgebern, zu geraten (siehe Jugendreport 1982, a.a.O., Seite 81). Ähnlich wie Erwachsene geben auch Jugendliche in Interviews zu erkennen, daß die Vorfreude und das Erfolgserlebnis bei Realisierung eines bestimmten (Anspar-)Zweckes zur persönlichen Wertschätzung des Sparens führt. Diese Wertung der Jugendlichen paßt als Sonderfall in das Erwachsenen-Bild vom Sparen: „Sparen ist ein psychischer Sicherheitsfaktor, durch den die Instabilität der Lebenssituationen kompensiert werden kann und soll." (Dr. Fessel + GfK: — im Auftrag des Sparkassenverbandes — Motivations- und Imagestudie 1975, Seite 5). Eine ge1982) bei Wiener Schulen im Jahre 1981 erhalten 73 v.H. der Kinder und Jugendlichen regelmäßig, 16 v.H. unregelmäßig Taschengeld. Beer fordert diesbezüglich, daß jeder Jugendliche Taschengeld regelmäßig und pünktlich, zur individuellen, freien Verfügbarkeit erhalten sollte, kein strafweiser Entzug, aber auch kein „Nachschießen'4 bei zu raschem Verbrauch des Taschengeldes erfolgen sollte; nur so könne man das Geldausgeben lernen. Franz Beer: Geld in jungen Händen. Hrsg.: Zentralsparkasse und Kommerzialbank, Wien 1983, S. 40 ff. Bezüglich französischer Untersuchungen siehe Le Bigot-Macaux y Institut de l'Enfant, in: ESOMAR; a.a.O., S. 111 ff.

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wisse Differenzierung nach Lebensalter bzw. nach Einkommens-/Bedürfnisniveau im Sinne eines life cycle zeigt, daß die Wertschätzung des Sparens mit zunehmendem Alter größer wird. Bei den Jüngsten fehlt zum echten Sparverhalten auch oft noch das Einkommen. Mittlere Alterskategorien bevorzugen Ansparen zur Konsumvermögensbildung. Bei älteren Personen dominiert der Sicherheitsgedanke. II. Ziele der Spar- und Wirtschaftserziehung 1. Differenzierung

nach Sparmotiven

Was folgt für die Sparerziehung als wichtigem Teil der Wirtschaftserziehung aus obigem Muster an Sparmotiven? Neben der Vermittlung von Einsichten in die volkwirtschaftlichen Zusammenhänge zwischen Sparen und Investieren muß das Sparen in seiner Konkretisierung nach Sparmotiven differenziert werden, das heißt stärker nach der Merkmalsadäquatheit verschiedener Sparformen für verschiedene Sparmotive: kurz- oder langfristige Anlagemotive, Sparformen, die eher für risk averter und für Personen mit Liquiditätsvorliebe geeignet sind, und solche für risk lover und denen die liquidity preference wenig gilt. Der Nutzen des Sparens kann erst dann voll erreicht werden, wenn die verschiedenen Geldanlage- und Sachanlageformen für die Abdeckung der individuellen Spar- und Anlagewünsche gebündelt werden. Das Auffinden-Lernen von Informationen über die genannten Spar- und Anlageformen und die Erziehung zur (vergleichenden) Abschätzung von Vor- und Nachteilen der Angebote verschiedener Kreditinstitute, Versicherungsunternehmungen und Anlageberater sind logische Folgerungen für die Spar- und Wirtschaftserziehung. Das einmal gewonnene Wissen ist angesichts der raschen Veränderungen der Sparmotive, der Sparmöglichkeiten zufolge Einkommensschwankungen, aber auch angesichts der raschen Veränderungen der Angebote des Geldund Kapitalmarktes nicht so sehr als statisches Faktenwissen zu betrachten, sondern als Ausgangspunkt und Voraussetzung der aktuellen, kritischen Informationsbeschaffung durch einen mündigen „Käufer" von Sparangeboten. Wer einmal sein Bedarfsmuster kennt und die Eigenschaften der Anlageformen zu vergleichen verstanden hat, wird sich der jeweiligen aktuellen Angebote9 unter Berücksichtigung seiner individuellen Sparmotive besser 9 Das vom Verbraucher bei Kaufentscheidungen manchmal erlebte Überangebot an Produktinformationen ist im Monetärbereich zufolge der Gleichartigkeit der Produkte nicht so spürbar, jedoch werden Konditionen-Übersichten von Neutralen (Zeitschriften, Verbraucherorganisationen) zunehmend geschätzt. Zum „information overload" im Sinne von Jacoby, Raffee et al. siehe Hartmann, Köppler (Hrsg.): Fortschritte der Marktpsychologie, Band 2, Frankfurt/Main 1980, S. 237: "... gezeigt, daß dem Individuum hinsichtlich der kognitiven Informationsverarbeitungskapazität Grenzen gesetzt sind. Sobald diese Grenzen überschritten sind, wird das Verhalten konfus und dysfunktional."

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bedienen können. Besser heißt in diesem Zusammenhang nicht nur zinsengünstiger, sondern vor allem bedarfsgerechter. Die Grundsätze der Lebensnähe und der Handlungsbezogenheit des Unterrichts sind in dem (kleinen) Bereich der Sparerziehung in ihrer Alltagsrealisierung insofern nur als bedingt lösbar zu sehen, weil gerade beim Sparund Kreditangebot auch Erwachsene immer —, aufbauend auf ein Vertrauensverhältnis zu einem bestimmten Kreditinstitut oder einem bestimmten Angestellten eines Kreditinstitutes —, der sachkundigen Beratung durch Experten bedürfen und diese Beratungs- und Informationsquellen in der Praxis suchen (sollten). Grundkenntnisse über die Fundamentaleigenschaften und den Basisnutzen der verschiedenen Spar- und Anlageformen sind meines Erachtens mindestens auf das gleiche Niveau zu stellen, wie das an sich unbestritten nützliche Basiswissen, beispielsweise über die Kühleigenschaften und den Energieverbrauch eines Eisschrankes, das man durch Studium diverser Prospekte bei der Kaufentscheidung verwerten kann. 2. (Bei Jugendlichen:) Kreditberatung

statt Kreditverkauf

Ein besonders „sensibler" Bereich der Spar- und Wirtschaftserziehung ist der (Privat-)Kredit. So wie rein gefühlsorientierte Aussagen über die Grenzen der Staatsverschuldung bei vielen Menschen der Regelfall sind und sich damit Nutzen oder Gefahr der öffentlichen Kreditaufnahme für unfachmännische, politische Agitation besonders eignen, so sind beim Privatkredit zunächst auch psychologische Vorfragen zu stellen. Keine großen altersspezifischen Unterschiede — jedoch korreliert die Höhe des Bildungs- und Sozialniveaus positiv mit der Akzeptanz der Kreditaufnahme — gibt es in der österreichischen (und wahrscheinlich zumindest auch mitteleuropäischen) Meinung, daß „Schuldenmachen" eine Konsequenz eigenen Fehlverhaltens wäre. Kredit aufnehmen widerspräche demnach dieser sozialen Norm; norminadäquates Verhalten erzeugt Schuldgefühle und schlechtes Gewissen. Die vorübergehende Überziehung eines Girokontos ist für viele der erste Einstieg in ein wirtschaftliches Kreditverhältnis, vom Kontoinhaber jedoch oft nicht als solches erlebt. Es ist daher nicht verwunderlich, daß am ehesten dieser Kontoüberziehung als „Kreditvorstufe" eine gewisse positive Wertung zuteil wird. Auch die Jugendlichen schätzen bereits die convenienceVorteile des bargeldlosen Zahlens, den durch die Scheckkarte gestifteten Nutzen, äußern jedoch aufgrund erster eigener Erfahrungen (Berufstätige und Studenten) Kritik an der mangelnden Übersicht des Kontoauszuges, an

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der Ungerechtfertigkeit und der Höhe der Spesen, an einem zu kleinen Überziehungsrahmen und anderem; bei Privatkonten erlebt man im übrigen oft das Phänomen der kognitiven Dissonanz10. Die vorwiegend rational begründete positive Einstellung zum Konto und seiner (möglichen!) Überziehung beruht also auf der Flexibilität für unvorhergesehene Ausgaben und der damit verbundenen Erhöhung des Freiheitsspielraumes. Auf der anderen Seite steht das vorwiegend emotional begründete Hindernis einer Kontoüberziehung als „ständig über seine eigenen Verhältnisse-Leben" entgegen. Selbst bei der Kontoüberziehung wird also aus ethisch-erzieherischen Gründen die wiederholte Überziehung abgelehnt: Man verliert den Überblick, man gibt sein Geld leichtfertig aus, man wird „schief angesehen". Trotz obiger emotionaler Störelemente wird der Kredit, insbesondere bei Erwachsenen, als grundsätzlich positive Einrichtung zur Kapitalbeschaffung für die persönliche Zukunft, insbesondere was die Hausstandsgründung und die berufliche Etablierung anlangt, verstanden. Die Konsumvorverlegung auch bei nicht lebensnotwendigen, das allgemeine Lebensgefühl erhöhenden Anschaffungen oder Ausgaben war in Zeiten hoher Inflationsraten nicht unwesentlich. Andererseits war in diesen Hochinflationsperioden die Höhe der zu zahlenden Zinsen objektiv und laut Aussage vieler Interviewten ein rationales Gegengewicht. Folgende drei Hauptkriterien wurden in der zitierten Motivations- und Imagestudie des Sparkassenverbandes aus dem Jahr 1975 als Hauptrechtfertigung genannt: 1. Langfristige Nutzbarkeit des Kreditzieles 2. Wertbeständigkeit des Kreditzieles 3. Leistung des Kreditzieles für Existenzsicherung bzw. -förderung. Die von vielen Kreditwerbern gewünschte diskrete, vertrauliche und unbürokratische Abwicklung eines Kreditvorganges richtet sich an die Adresse der Kreditgeber, die von den Kreditwerbern gewünschte fachliche Beratung richtet sich sowohl an die Kreditgeber wie auch an die Spar- und Wirtschaftserzieher. In Paranthese sei darauf hingewiesen, daß der Begriff Kreditwerber noch ein typischer bankhoheitlicher Begriff ist. Sein Pendant ist Kredit „gewährung" durch die Bank. Manche Kreditinstitute verwenden im übrigen bereits in ihren Kreditformularen kundenfreundlichere und auf die tatsächlichen Kreditabsatzbemühungen abgestellte Begriffe. 10 Bezüglich Theorie und Forschungsergebnisse zur Dissonanztheorie siehe Günter Silberer: Dissonanz bei Konsumenten, in: Carl Graf Hoyos u.a. (Hrsg.): Grundbegriffe der Wirtschaftspsychologie, München 19&0, S. 344 ff.

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Damit nun der potentielle Kreditnehmer dem Beratungsgespräch des Kreditfachmannes in den Hauptinhalten besser folgen kann, sind gewisse Mindestkenntnisse erforderlich, von der ethisch-moralischen Komponente zunächst abgesehen, sein zukünftiges (unsicheres) Einkommen nicht allzusehr durch den Schuldendienst zu belasten. Das Kreditinstitut bzw. der Wirtschaftserzieher wird zwar immer die autonome Entscheidung des einzelnen zu respektieren haben, doch wird die Meßzahl laufende feste Zahlungsverpflichtungen (so heute schon für die Zukunft absehbar, das heißt womöglich mit einem Sicherheitszuschlag) für Wohnungs- und Ernährungskosten, Kosten der Kinderausbildung u.ä. im Verhältnis zu dem geschätzten Nettoeinkommen (und einer realistischen, nicht auf Wunschvorstellungen basierenden Steigerungsrate in der Zukunft; gerade in diesem Punkt haben sich in Hochinflations- und Überbeschäftigungsjähren viele Kreditnehmer überschätzt) ein für beide Seiten des Kreditverhältnisses sinnvoller Indikator für die Schuldenbelastbarkeit sein. Die Kreditberatung muß insbesondere auch die Höhe und die Berechnungsart der Zinsen umfassen: Umrechnung von antizipativem auf dekursiven Zinsfuß; Umrechnung auf einen kontokorrentmäßigen Jahreszinsfuß unter Anrechnung sämtlicher Einmal- und laufender Spesen (diese Umrechnung ist insbesondere bei Zinsenangaben vom festen, ursprünglichen Kapitalbetrag wichtig); die Möglichkeit einer Zinsfußänderung (z.B. einseitige Willenserklärung des Kreditgebers nach Vorliegen gewisser objektiver Kriterien, wie allgemeines Steigen des Kapitalmarktzinsniveaus); die Wirkung frühzeitiger Kredittilgungen (wann Gutschrift, Anrechnung auf Folgeraten oder Verkürzung der Restlaufzeit); die Folgen des oder das Recht zum vorübergehenden Aussetzen von Einzelraten; die Möglichkeit der Kreditlaufzeitverlängerung anstelle der Pauschalratenerhöhung im Falle von Zinssatzsteigerungen; die Rechtsnatur von üblichen Sicherheiten, wie Wechselverpflichtung, Gehaltszession oder -abtretung, Eigentums vorbehält, Verpfändung von Bankguthaben oder Wertpapieren; Vergleich mit den Konditionen eines Kreditkaufs mit Ratenvereinbarung beim Händler. Da Privatkredite eine Massenerscheinung geworden sind, muß die Schule rechtliche und mathematische Grundkenntnisse oder zumindest das Grundverständnis dafür vermitteln: Nur wenn man gewisse rechtliche Fakten kennt, oder wenn man weiß, wo man Auskunft darüber erhält (im KWG, im Ratengesetz, die im Konsumentenschutzgesetz zum Schutz des Privatkreditnehmers getroffenen Informations- und Offenlegungspflichten des Kreditgebers, das Verbot von einseitig den Kreditnehmer als wirtschaftlich Schwächeren treffenden Vertragsbestimmungen, die Einschränkung einseitiger Vertragsänderungsmöglichkeiten über die Hauptinhalte des Vertrages,

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insbesondere Zinssatzveränderungen und anderes), kann der Kreditnehmer ein Angebot verstehen, gegebenenfalls reklamieren und eine Änderung verlangen. Konsumentenschutzorganisationen können durch periodische Veröffentlichung der jeweils aktuellen Privatkreditkonditionen verschiedener Kreditinstitute eine gewisse Vergleichbarkeit herstellen. Die Verwertung im Einzelfall hat jedoch insofern Grenzen, als viele Kreditinstitutskunden den Privatkredit aus Treue jedenfalls bei ihrer Hausbank in Anspruch nehmen, oder einen derartig exakten Konditionenvergleich nicht anstellen können oder wollen, weil die einzelnen Vertragsbestandteile in ihrer mathematischen und rechtlichen Gesamtauswirkung auf Kosten/Nutzen einzelner Kreditangebote tatsächlich nicht sehr leicht nachzuvollziehen sind. Dazu kommt, daß in Zeiten überreichlicher Liquidität beim Kreditapparat einzelne Kreditinstitute in ihrem Bestreben, ihre liquiden Mittel in Krediten zu veranlagen, gerade beim Privatkredit in der Werbung möglicherweise die Grenzen des in der öffentlichen Meinung als unaufdringlich Geltenden und/oder des moralisch/ethisch Gerechtfertigten überschreiten 11. Hier sind marktschreierische Zinssätze (Lockangebote), z.B. ohne Angabe von Zusatzkosten, wie Bereitstellungsgebühren oder laufende als Kreditprovision getarnte Zuschläge zum kontokorrentmäßigen Zinsfuß, oder die bereits zitierte zuschlagsmäßige Berechnung der Zinsen vom ursprünglichen Kapital, nicht unüblich. Selbst der von der österreichischen Sparkassenorganisation geprägte Ausdruck ,,Leicht-Kredit ( i (für einen Kredit mit steigender Annuität, ,,weil man in den späteren Jahren zufolge des höheren Einkommens leichter den Kredit tilgen kann als in den Anfangs-/Jugendjahren") muß sorgfältig erklärt und soll nicht in jedem Fall dem Kunden „verkauft" werden. Besondere Rücksichtnahme auf die öffentliche Meinung, aber vor allem auf die Interessen gerade der jugendlichen Kreditnehmer ist hier angebracht. Ein Nein zu einem Jugendlichen-Kreditwunsch kann für ihn später wichtiger sein als seine (angebliche) Verärgerung über das Kreditinstitut. Selbst die Ausgabe einer Scheckkarte (und die dadurch „begünstigte" Kontoüberziehung) kann im Einzel(Ausnahme-)fall die wirtschaftliche Einsicht des einzelnen Jugendlichen überfordern. Im Regelfall muß jedoch der Jugendliche von Schule und Elternhaus bereits eine solche Immunität aufweisen, daß ihm seine Kenntnisse über wirt11 Der Leitartikler Sebastian Leitner etwa (Der erste Schritt ins Gefängnis, in: Kurier, vom 24. Juli 1984, S. 14) formuliert ein „Nachschmeißen" von Krediten an Lehrlinge, Maturanten und Studenten, ein suchtartiges weiteres Schuldenmachen und erwähnt — mit Zitat auf den Innenminister — die Überschuldung als Bankraubmotiv.

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schaftliche Belastbarkeit den Umgang mit Geld und Vermögen sinnvoll einteilen lassen. Gerade der Umgang mit Geld, auch in kleinen Beträgen, ist jedoch Hauptanliegen des Schulsparens. Vereinzelt wird in Österreich von den Sparkassen in Zusammenarbeit mit den Pädagogen und Erziehungsbeauftragten sogar ein Kindergartensparen organisiert, wo schon der Vorschulaltrige gewisse Mengenvorstellungen über sein Taschengeld und die Möglichkeiten und Notwendigkeiten „lernt", sich dieses Geld für die TaschengeldZahlungsperiode einzuteilen und auf größere, spätere Ausgaben anzusparen. Die Regelmäßigkeit der Entleerung von kindlich-attraktiven Sparbüchsen, kleine Anerkennungsgeschenke zum Spartag und die Symbolfigur „Sparefroh" erleichtern die altersadäquate, lustbetonte Erziehung zur Beherrschung der „Routine des Alltags" im Vorschulalter. Ich halte den Schulspargedanken gerade im Hinblick auf den auch für Jugendliche erleicherten Zugang zu Privatkrediten für aktueller denn je. Durch eine „über"-kreative Umsetzung der Kreditwerbung, insbesondere durch die dem Schulsparen verpflichteten Sparkassen darf allerdings nicht durch eine Überbetonung der Vorteile des Vorziehens einer Konsumwunscherfüllung das in der Vergangenheit beim umworbenen Jugendlichen aufgebaute Verständnis für das Planen und den Konsumverzicht verloren gehen. 3. Geldwertverschlechterung: Nicht nur volkswirtschaftliche, sondern auch privathaushaltliche Folgen Ein besonderes Teilfeld wirtschaftspädagogischer Relevanz ist das Phänomen der Geldwertveränderungen. Hier sind weniger Währungsauf- oder -abwertungen, noch weniger die Deflation, für den Wirtschaftsalltag des Durchschnittsbürgers wichtig, sondern Preissteigerungen, wie sie in Verbraucherpreisindices gewichtet werden, oder bei bestimmten individuell sensibilisierten Waren(-gruppen) auftreten. Gerade die Sparerziehung kann das Faktum der Inflation nicht totschweigen, will sie glaubwürdig bleiben. In der Lebensrealität tritt oft eine Erlebnisdissonanz auf, weil andauernd (höhere) Inflationsraten und vor allem die Erwartung weiterer zukünftiger Inflationsraten dem freiwilligen Sparen abträglich sind bzw. sein müßten. Diese Konfliktsituation wird insofern konkretisiert, als durch Sparen auf gegenwärtigen Konsum verzichtet wird, eine mögliche Kreditaufnahme sogar den Erwerb gewisser Güter zu heutigen (niedrigeren) Preisen ermöglicht. Andererseits bleibt die subjektive Wertigkeit des Sparens als vorsorgendes, planendes und verantwortungsbewußtes Handeln bestehen. Das führt dazu, daß selbst in Zeiten längerer negativer Realzinsen (also wenn die Inflations-

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rate höher liegt als die Sparzinsen) keine (wesentliche) Abnahme der individuellen Sparleistungen erfolgt. Zum Teil kann man dies mit der (in früheren Konjunkturzyklen) üblicherweise mit der Inflation parallel auftretenden nominellen Einkommenssteigerung erklären. Eine solche Einkommensentwicklung „verschiebt die Reizschwelle eines inflationistischen Prozesses, bei deren Erreichen es zu defensiven Reaktionen der Sparer kommt, permanent; die subjektiven Inflationskosten liegen vielfach unter der Schwelle der Fühlbarkeit" 12 . Neuere Untersuchungen lassen überhaupt den Schluß zu, daß die Einkommens- und Inflationserwartungen (und damit die für sicher oder unsicher eingestufte Zukunft) eine viel größere Rolle als die gegenwärtige aktuelle Einkommens- und Inflationssituation spielen als bisher angenommen. So steigen bei manchen Haushalten bei Unterbeschäftigung oder Teilverlust eines Nebenerwerbes (z.B. wenn bisher zwei Vollarbeitskräfte im Haushalt verdient haben) die relative Sparneigung und die absoluten Sparsummen noch an, weil für die unsichere Zukunft besonders vorgesorgt wird. Gerade solche Zukunftsvorstellungen werden aber mit subjektiven Einschätzungen und weniger vom objektiven Wissen getragen13, sind daher auch durch die öffentliche Meinung, durch Kommentare von Meinungsbildnern, durch das Beispiel von Vorbildern besonders steuerbar und damit auch manipulierbar im negativen Sinn. Durch ständiges Miesmachen der augenblicklichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Situation, durch ständige negative Prognosen, durch Übertreibungen von Wirtschafts- oder Umweltproblemen kann ebenso Schaden für ein sinnvolles individuelles Wirtschaftsverhalten hervorgebracht werden wie durch Euphorie und „Unter den TeppichKehren" von Problemen. Ein informierter Bürger, der Einsicht in die Wirkungszusammenhänge des komplexen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens besitzt, ist besser zu einem verantwortungsbewußten Eigenverhalten befähigt, und zwar verantwortungsbewußt sich selbst und seiner Familie gegenüber wie auch gegenüber Mitwelt, Umwelt und Nachwelt. Gerade dieses Bildungsziel kann nur durch verantwortungsbewußte Informationsangebote von Politik, Wirtschaft und Schule erreicht werden. 12

Anton Burckhardt : Soziologie des Geldes und der Inflation, Graz 1977, S. 86. Selbst die in der jüngsten Vergangenheit erzielten Reallohnsteigerungen werden bei einem entsprechenden Konsumklima unrichtig erlebt. Beispielsweise gaben im Februar/März 1984 2/3 der Österreicher an, im Vorjahr höhere Preissteigerungen als Lohnerhöhungen erlitten zu haben. Laut VGR wuchsen die Nettomasseneinkommen jedoch um 4,9 v.H. gegenüber einer 3,3prozentigen Steigerung des Verbraücherpreisindices, der private Konsum insgesamt expandierte um 5 v.H. gegenüber dem Vorjahr. Siehe die — ähnlich wie in vielen EGLändern — durchgeführten Repräsentativbefragungen über wirtschaftliches Klima des Dr. Fessel + GfK-Institutes, Textkommentar April 1984, S. 6 ff. 13

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4. Bildungsökonomie durchleuchtet

Unterrichtsertrag

Im folgenden soll die Redewendung „Non scholae sed vitae discimus." in Hinblick auf die Bildungsökonomie und in Hinblick auf die konkrete Ausformung der Spar- und Wirtschaftserziehung zitiert werden. Die seit etwa drei Jahrzehnten besonders entwickelte Bildungsökonomie untersucht bekanntlich die Beziehungen zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Bildungsaufwand sowie die Probleme der wirtschaftlich günstigsten Verwendung aller für Bildungszwecke verfügbaren Mittel. Bildungsökonomie ist demnach ein wichtiges Teilfeld der Bildungspolitik und der Wirtschaftspolitik. Ausgangspunkt dieser Überlegungen stellt die Tatsache dar, daß die Ausgliederung des „Systematischen Lernens" aus seinem sozialen Zusammenhang zu einer Verselbständigung des Bildungswesens geführt hat (Edding), und vielfach eine zunehmende Diskrepanz zwischen dem im Bildungswesen (gemeint ist insbesondere die Schulbildung) erworbenen Qualifikationen und den im Beschäftigungssystem nachgefragten Erfordernissen festgestellt wird 14 . Eignungstests bei Berufseintritt, stärkere arbeitsplatzbezogene An- und Weiterbildungsanstrengungen der Unternehmungen waren und sind eine Antwort auf diese Problematik. Die funktionelle Interdependenz des Bildungs- und Beschäftigungssystems soll dabei jedoch nicht als Begründung für eine Unterordnung der Bildungspolitik allein unter die Ziele des (materiellen!) Wirtschaftswachstums führen. Jedoch zeigt die geschichtliche Entwicklung, daß das Bildungssystem auf größere gesellschaftliche, kulturelle oder auch wirtschaftliche Veränderungen nur zögernd reagiert, was bei größeren Phasenverschiebungen (cultural lags) zu Bildungskrisen führen kann. Wie immer auch der Bildungsaufwand in einer Volkswirtschaft definiert wird, internationale Experten sind sich jedenfalls darüber einig, daß in heutigen Volkswirtschaften absolut und relativ (etwa in bezug zum Bruttoinlandsprodukt) wesentlich mehr für Bildungseinrichtungen und die Ausbildung ausgegeben wird — um nicht im Sinne von „Bildungskapital" investiert zu sagen — als in früheren Epochen. Bildungsökonomen (z.B. Bodenhöf er 15 oder Denison 16) haben errechnet, daß das Wachstum der ame14

Siehe Friedrich Edding: Zum Verhältnis von Bildungs- und Beschäftigungssystem, in: Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft (Hrsg): Wirtschaftspolitische Blätter Nr. 2/1977, S. 13 ff. 15 HJ. Bodenhöfer/C.C. Weizsäcker: Bildungsinvestitionen, Pfullingen 1967, S. 43, zitiert nach Elmar Altvater: Qualifikation der Arbeitskraft und Kompliziertheit der Arbeit — Bemerkungen zum Reduktionsprogramm, in: A. Hegelheimer (Hrsg.): Texte zur Bildungsökonomie, Frankfurt-Berlin-Wien 1974, S. 86 f.

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rikanischen Wirtschaft seit 1890 zumindest zu einem Viertel unmittelbar durch Bildungsaufwendungen verursacht worden ist, oder daß 42 v.H. der Einkommensunterschiede der amerikanischen Bevölkerung auf Schulbildung oder Weiterbildung der Arbeitnehmer zurückzuführen sind 17 . Die Umsetzung einer noch stärker auf die Wirtschaftsrealität, auf die Arbeitsmarktbedürfnisse bezogenen Bildung stößt jedoch auf einige Grenzen, sieht man vom weltanschaulichen Einwand des Widerspruches zu freiheitlichen Grundwerten einmal ab. Insbesondere sind die fehlenden Prognosemöglichkeiten des Qualifikationsbedarfes der Wirtschaft (Clement) 18 Ursache für die Transferproblematik Schule und Wirtschaft. Trotz der großen aktuellen quantitativen Probleme der Jugendarbeitslosigkeit sollen jedoch die qualitativen Anforderungsprofile des Beschäftigungssystems nicht vernachlässigt werden, obwohl sicherlich der Aussage im Prinzip zuzustimmen ist, „präzise Voraussagen der zukünftigen Entwicklung des Beschäftigungssystems sind in der Tat nicht möglich.... Ebenso wenig könnten der technologische Wandel und die damit zusammenhängenden Änderungen der Arbeitsmarktstruktur zuverlässig vorausgesagt werden" 19 . 5. Berufsqualifikationen

als Ziele pädagogischen Handelns

Welche berufsadäquaten Bildungsziele sollen nun nach Schultyp und Altersstufe differenziert vom Bildungssystem angeboten werden? Bevor auf diese im einzelnen kaum beantwortbare Frage Teilantworten skizziert werden, will ich auf die generelle Problematik verweisen, daß die Schule 16 E.F. Denison: The Sources of Economic Growth in the United States and the Alternatives Before Us, Committee for Economic Development, Supplementary Paper No. 13, New York 1962, S. 67 ff. Zitiert nach: F. Huisken: Kritik bürgerlicher Theorie der Makro-Planung des Bildungswesens; in: A. Hegelheimer (Hrsg.): a.a.O., S. 383. 17 Vgl. W. Clement: Einkommensverteilung und Qualifikation: Empirische Ergebnisse aus dem österreichischen Mikrozensus 1981, Institut für angewandte Sozial- und Wirtschaftsforschung (Hrsg.), Wien 1984, S. 32. Aufgrund des Mikrozensus Juni 1983 streute das Medianeinkommen zwischen 7.430 S netto p.m. bei Arbeitnehmern, deren höchste abgeschlossene Schulbildung die Pflichtschule war, über 9.050 S (Berufsbildende mittlere Schule), 10.590 S (Allgemeinbildende höhere Schule) bis 16.060 S (Hochschule/Universität). Siehe Bericht über die soziale Lage 1983 (Hrsg. Bundesministerium für soziale Verwaltung), Wien 1984, S. 137. 18 Ein diesbezüglicher Versuch siehe Clement, Ahammer, Kaluza: Bildungsexpansion und Arbeitsmarkt. Befunde zur Entwicklung in Österreich bis 1990, Wien 1980, S. 237 ff. 19 Herbert Busch: Zukunftsmusik, in: Deutsche Sparkassenzeitung, 17. August 1984, S. 1; weniger pessimistisch ist Erich Witzmann: Reif — wofür, in: Die PRESSE, 6. August 1984, S. 1. Im Hochschulbericht 1984 (Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, Wien 1984, S. 162) wird für den Bereich der Hochschulabsolventen festgestellt, daß man unter anderem wegen der Wirkungsdauer von administrativen Maßnahmen nicht (mehr) davon ausgehen könne, daß sich das Angebot an Humankapital sich selbst die erforderliche Nachfrage schaffen würde.

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(etwa bei Rousseau) den Jugendlichen zu Menschen ausbilden solle und nicht nur für eine bestimmte gesellschaftliche (Arbeits-) Funktion. Dieses allgemeinere pädagogische Anliegen findet man richtigerweise auch heute in vielen Lehrplänen, wo neben der Vermittlung der einfachen Kulturtechniken, wie Lesen, Schreiben, Rechnen, darauf verwiesen wird, den Menschen zu Haltungen auszuprägen, zum Verantwortungsbewußtsein gegen sich und die Gesellschaft, auch im Hinblick auf seine Aufgabe, die tradierten Werte der Kultur zu bewahren, aber gleichzeitig auch für Neues offen und tolerant zu sein. Stärkeres und frühzeitigeres Eingehen des Bildungssystems auf bestimmte konkrete Lebenssituationen, auf bestimmte Berufsqualifikationen wird von manchen Pädagogen und Philosophen daher aus weltanschaulichen Gründen abgelehnt, oft mit dem Schlagwort Fremdbestimmung abgetan20. Gerade curriculare Verfahren begegnen oft dieser Kritik. Ein gesunder Mittelweg zwischen den beiden Extremmeinungen scheint mir am zukunftsträchtigsten. Einerseits klagen Unternehmungen21 über fehlende Grundkenntnisse der Schulabgänger in Elementargegenständen, andererseits klagen Jugendliche22 darüber, daß die Schule zu wenig auf den Beruf hinführe und zu wenig Lebensrealität habe. Zu bedenken ist, daß in der Arbeitswelt auf immer mehr hierarchischen Ebenen und in immer mehr Berufen als Qualifikation nicht nur spezifische Kenntnisse und Handfertigkeiten erforderlich sind, nicht so sehr das Unterordnen in der Hierarchie, das Befolgen von vorgegebenen Unternehmensplänen, die ausdauernde, gewissenhafte Erfüllung konkreter Aufträge des jeweiligen Vorgesetzten, sondern daß eine generelle Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und -bereitschaft wichtige Voraussetzungen für erfolgreiche (weil zufriedene) Mitarbeiter in Unternehmungen sind. Beispielsweise hat eine jüngste Analyse bei amerikanischen Großunternehmen zu beweisen versucht, daß exzellente Unternehmungen durch die Produktivität der in ihnen arbeitenden Menschen erfolgreich sind, daß motivierte Mitarbeiter gewisse Freiräume benötigen, daher eine zu sehr bürokratisierte, auf strenge Hierarchien aufbauende Organisation — zum Teil geför20 Siehe Marian Heitger: Beiträge zu einer Pädagogik des Dialogs, Wien 1983, S. 128: „Der Mensch wird zu einem zweckverwalteten Individuum mit normierter Leistungserfüllung." Vgl. hierzu seine Ausführungen über die Bindung jeder Erziehung an Werte bzw. Wertungen, in: Philosophische Aspekte im Unterricht der AHS, Werttheorie und Erziehung, Wien 1984, S. 20 f. 21 Z.B. die von Karl Kehrer seitens der Bundeswirtschaftskammer artikulierten „15 Forderungen der Wirtschaft — Wettbewerb auch in Schule wichtig", in: Die PRESSE vom 21. September 1984, S. 4. 22 Z.B. in einer Studie des Zentrums für Bildungsforschung und Innovation (CERI). Zitiert in E. Kutschera: Zusammenhänge zwischen Bildungs wesen und Arbeits weit, in: österreichische Sparkassenzeitung, Nr. 17/1983, S. 305.

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dert durch eine diesbezüglich ausgerichtete betriebswirtschaftliche Ausbildung — wachstumshemmend, weil innovationsfeindlich und einer flexiblen Kundenorientierung nicht gerade fördernd ist 23 . Am Beispiel der langsamen Reaktion vieler europäischer Unternehmungen auf die amerikanische und japanische Herausforderung der high technology wird ersichtlich, wie wichtig eine auf neue Erfordernisse eingehende Einstellung der gesellschaftlichen Kräfte ist. „Nur im Wandel liegt Stabilität" soll bedeuten, daß das menschliche Bedürfnis nach Geborgenheit und sicheren langfristigen Rahmenbedingungen letztlich auch nur erreicht werden kann, wenn man in kurzfristiger Flexibilität auf wandelnde wirtschaftliche, technische und gesellschaftliche Bedürfnisse eingeht und dabei gleichzeitig auch einen individuellen Freiheitsspielraum verwirklichen kann. Gerade dieser Freiheitsspielraum, wie er durch Selbstverwirklichung auch im Arbeitsprozeß erlebt werden kann, ist ein Anliegen der modernen Unternehmensführung. Auf die österreichische klein- und mittelbetriebliche Unternehmensstruktur angewandt, liegen gerade bei Unternehmungen solcher Betriebsgrößen viele Möglichkeiten der dezentralen Entscheidungsfindung, der Leistungsmotivation in einer kleineren Gruppe, Chancen einer Sortimentspolitik der Marktnischen, weil eine kleinere Gruppe in der Regel beweglicher ist, leichter führbar ist, sich zum Teil selbst motiviert. Gerade durch den Wegfall der Routinearbeiten (in der Industrie und zunehmend auch in Verwaltung und Dienstleistungsunternehmungen) durch die moderne Technologie24 werden von der Wirtschaft die Anforderungen an die Schulbildung und -Weiterbildung, was die Persönlichkeitsmerkmale anlangt, verstärkt darauf gerichtet, daß Mitarbeiter (und insbesondere Vertreter des Mittelmanagements) die Bereitschaft und Fähigkeit besitzen müssen, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen, daher bereit sein müssen, lebenslang zu lernen 25, bereit und fähig sein müssen, sich in Teams unterschiedlicher Fachrichtung kreativ zu betätigen und einzuordnen, Verständnis besitzen müssen für die Zusammenhänge zwi23

S. 37.

Peters/Watermann:

Auf der Suche nach Spitzenleistungen, Landsberg am Lech 1984,

24 Für eine Auswahl der zahlreichen im Rahmen der ILO (Social and Labour Bulletin) publizierten Fachartikel siehe: New Technologies: Their Impact on Employment and the Working Environment. Library of Development Studies, Dublin 1984. 25 Nebengedanke: Will man beim Schüler eine Verhaltensweise des „ewigen Lernens44 erreichen, muß man selbst dazu (und nicht nur auf völlig freiwilliger Basis und nicht ohne direkten Einfluß auf Arbeitsplatz und Entlohnung) bereit sein. Ein Teil des „ewigen Lernens44 eines Wirtschafts- und Sozialkunde-Pädagogen sollte sich dabei im Gedankenaustausch mit (im) Unternehmen abspielen. Vermittelnde Institutionen, etwa die „Volkswirtschaftliche Gesellschaft44 oder das Berufsförderungsinstitut in Österreich erfüllen diesbezügliche Funktionen.

354

Gustav Raab

sehen Technik, Kultur und Lebensstandard und schließlich Fähigkeiten entwickeln müssen, zwecks Vermeidung einer einseitigen PersönlichkeitsOrientierung auch als homo ludens zu leben. In fachlicher Hinsicht wird das Bildungssystem immer überzeugender mit der Zielforderung konfrontiert, daß die Menschen systematisch in Algorithmen denken, Abläufe strukturieren und analysieren und die technologischen Entwicklungen zumindest begreifen können müssen, „begreifen" im Sinne des Abbaus der Schwellenangst im handling etwa eines personal computers, der digitalen Elektronik überhaupt.

III. Zur praktischen Umsetzung der Spar- und Wirtschaftserziehung Î. Der Fachbezug im Lehrplan Welche pädagogischen Aspekte ergeben sich aus dem eben Beschriebenen? Vorausgeschickt sei, daß in modernen Lehrplänen, etwa in dem für Unterstufen der AHS und der neuen Hauptschule in Österreich, was die Unterrichtsprinzipien Wirtschaftserziehung und politische Bildung anlangt, und was die allgemeinen Bildungsziele anlangt, etwa die Heranführung der Schüler auf die Befähigung, Sachverhalte in ihrer Vielschichtigkeit, ihren Ursachen und Folgen zu erkennen, durchaus diesen modernen Gesichtspunkten der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung Rechnung getragen wird. Auch wird die Forderung aufgestellt, noch mehr als bisher den fächerübergreifenden, projektbezogenen Unterricht zu forcieren. Gerade bei Wirtschaftsproblemen, etwa Betriebsansiedlung ja oder nein, Kostenbelastung eines Unternehmens durch umweltentlastende Investitionen, Verkehrserschließungen in Fremdenverkehrsregionen, um nur einige Beispiele zu zitieren, ist die Zuordnung zu einem einzelnen Gegenstand, etwa Geographie (und Wirtschaftskunde), Geschichte (und Sozialkunde), Mathematik oder Deutsch, nur bedingt zielführend. Die Diskussion über die Gesamtproblematik erfordert die Verankerung der Wirtschaftserziehung als Unterrichtsprinzip und damit eine fächerübergreifende Darstellung. In der Realität des auf spezielle Gegenstände zugeschnittenen Stundenplanes, mit den lehrplanmäßigen Stoffaufteilungen in den einzelnen Gegenständen, in der Prüf- und Testierfähigkeit konkreten Faktenwissens, in der Kontrolle und Bewertung der pädagogischen Erfolge der Lehrer einzelner Fachgegenstände durch ihre Vorgesetzten und wegen anderer Gründe gibt es jedoch vielfach Realisierungsprobleme, so daß sich z.B. zum Prinzip der Berufs-

Sparverhalten und Wirtschaftsdenken

355

und Arbeitsweltorientierung wohl jeder Pädagoge bekennt, die Durchführung aber erst ansatzweise gelingt26. Auch sind Bemühungen zu unterstützen, im Lehrplan mehr Freiraum zu schaffen, den Lehrer also weniger konkret „zu gängeln". Denn erst dann wird er mehr Möglichkeiten besitzen, in Problemfeldern zu unterrichten, zum Denken in Strukturen und Zusammenhängen anzuleiten. Freilich bedarf eine derartige Wissens- und Haltungsvermittlung nicht nur einer genauen Abstimmung der Lehrpläne und Stundenpläne in den einzelnen Schulstufen und Unterrichtsgegenständen. Zweckentsprechende (individuelle) Lösungen werden nur durch Abstimmung mit den bei dem Stoffgebiet ebenfalls angesprochenen Lehrerkollegen möglich sein, wenn nicht überhaupt eine lehrerkollegiale Darbietung eines wirtschafts- und sozialkundlichen Problemfeldes erst wirklich echten erzieherischen Erfolg (aber für die Schulerhalter auch die Kosten der mehrfachen Lehrerentlohnung) bringen kann. Ein ganz offener Lehrplan bietet im extremen sicherlich auch die Gefahr, daß einzelne „über- individuelle" Lehrpersonen sich zusehr von der Vermittlung abrufbaren Wissens entfernen, nur den „Überbau" diskutieren wollen, ohne die doch vorher notwendigen Basisfaktenkenntnisse ausreichend vermittelt zu haben27. In vielen Ländern wurde die klassische Länderkunde in Richtung Sozialund Wirtschaftsgeographie ergänzt bzw. schwerpunktmäßig verrückt. Die Inhalte des Geographieunterrichtes werden sehr unterschiedlich selektiert: „Teils im naturgeographischen Bereich, wie in den meisten sozialistischen Ländern, teils im sozial- und wirtschaftsgeographischen Bereich, wie in vielen westlichen Ländern 28 ." Die gegenseitige Verzahnung von Raum und Wirtschaft hat es nahegelegt, diese beiden Handlungsfelder der Menschen zu einem Fach „Geographie und Wirtschaftskunde" zu verschmelzen, wie beispielsweise die österreichischen Schulgesetze von 196229. Gleichzeitig wurde der Geschichtsunterricht 26 Vgl. R. Neunteufel: Arbeit und Beruf in den Lehrplänen und Schulbüchern, in: Arbeit und Wirtschaft (Hrsg.: österreichischer Arbeiterkammertag), 38. Jg., H. 3/1984, S. 44 f. 27 Vgl. allgemein über den Transfer des Schulwissens in die (Wirtschafts-)Realität: W. Schneider: Transferförderung im betriebswirtschaftlichen Unterricht, in: Wirtschaftspädagogik in Österreich. Festschrift für H. Krasensky zum 80. Geburtstag, Wien 1983, S. 27 ff. 28 Hartwig Haubrich (Hrsg.): Geographische Erziehung im internationalen Blickfeld, Braunschweig 1982, S. 11. Derselbe: ,,Eine moderne fachdidaktische Gesamtdarstellung des Unterrichtsfaches Geographie und Wirtschaftskunde existiert bis jetzt in Österreich nicht." Wolfgang Sitte: Das Schulfach Geographie und Wirtschaftskunde in Österreich, in: Haubrich a.a.O., S. 190. 29 Eine verabsolutierte Schulgeographie mit Konzentrierung auf das Zeichnen des Bildes der Erdoberfläche wird jedoch nicht zielführend sein, weil Raumfaktoren, präziser, also die von der Natur vorgegebenen Geofaktoren, nur einige Aktivitäten der Menschen erklären.

356

Gustav Raab

um den Bereich Sozialkunde erweitert 30. Diese pragmatische Vorgehensweise ersparte die Schaffung eines neuen Faches (auf Kosten anderer!). Die Zuordnung gewisser wirtschaftskundlicher Inhalte zu einzelnen geographischen Inhalten bzw. Länderkunden mußte dabei in einer altersadäquaten Darstellungsform und vor allem mit altersadäquater Motivation erfolgen. Komplexe Wirtschaftsprobleme begegnen jedoch gerade in unteren Schulstufen nicht leicht einer Interessenbereitschaft der Jugendlichen. Auch lassen sich viele wirtschaftskundliche Inhalte nur schwer auf die verschiedenen Schulstufen aufteilen, wenngleich auch im Sinne curricularer Pädagogik eine von Schulstufe zu Schulstufe erweiterte Darstellung die Einsichten beim Schüler kontinuierlich ausweiten läßt. Wo bei der Länderkunde beispielsweise die Probleme der individuellen Geldvermögensbildung, der volkswirtschaftlichen Investitionsfinanzierung, um nur zwei Bereiche zu nennen, am besten angesiedelt werden, ist vielfach Geschmacksache, daher wird die Diskussion darüber kaum enden, ob nicht ein eigener Gegenstand (Sozial- und) Wirtschaftskunde ein zielführenderer Ansatz wäre als die Verknüpfung von Geographie und Wirtschaftskunde. Der Lehrplanentwurf für die 5. - 8 . Schulstufe und der Schulversuchslehrplan der AHS-Oberstufe in Österreich strebt jedenfalls einen thematisch-orientierten Geographie- und Wirtschaftskunde-Unterricht nach der Leitidee der in den zwei Prozeßfeldern Raum und Wirtschaft agierenden Menschen an und löst sich damit immer mehr vom klassischen Paradigma der Schulgeographie, der Länderkunde 31. 2. Der Standort der Verbrauchererziehung Die österreichischen Erfahrungen mit der Kombination Geographie und Wirtschaftskunde liefern jedenfalls für weite Bereiche des volkswirtschaftlichen Gedankengebäudes durchaus zufriedenstellende Ergebnisse. Weniger zufriedenstellend sind zwei wirtschaftskundliche Aspekte, nämlich die VerW. Sitte: Überlegungen zur bevorstehenden Lehrplanreform, in: GW Unterricht, Verleger: Zentralsparkasse und Kommerzialbank, Wien, Nr. 19/1984, S. 3. 30 Das in Österreich meistverwendete Lehrbuch erschien seit 1970 in 3. Auflage: Leitner, Tomandl, Welan: Der Mensch in Gesellschaft und Staat. Lehrbuch der Sozialkunde, Wien 1970-1984. 31 Siehe Lehrplanentwurf für Geographie und Wirtschaftskunde, in: GW Unterricht, Nr. 18/1984. Diese Ziele werden in jüngsten Lehrbüchern schrittweise ausgebaut, siehe z.B. Seger-Sitte: Raum — Gesellschaft — Wirtschaft, 3. Teil, Lehr- und Arbeitsbuch für die 7. Klasse an AHS, Wien 1984, oder Gerhard Atschko u.a.: Der Mensch in Raum und Wirtschaft 1, Geographie und Wirtschaftskunde für die 5. Schulstufe, Wien 1984.

Sparverhalten und Wirtschaftsdenken

357

mittlung von Wissen und Haltung aus der Sicht des privaten Haushaltes und aus der Sicht eines Unternehmens (Betriebes). Auch in der Bundesrepublik Deutschland beklagt man die Vernachlässigung des privaten Haushaltes in der Wirtschafts- und Arbeitslehre, insbesondere an allgemein bildenden Schulen. „Zweifellos geht die zu beobachtende Unsicherheit in der Auswahl der Lerngegenstände im Bereich des privaten Haushaltes zum Teil auch darauf zurück, daß die gegenwärtige Haushaltstheorie ihre Untersuchungsobjekte zu eng auf das rein Ökonomische eingrenzt (unter Vernachlässigung soziologischer, psychologischer und physiologischer Tatbestände) und deshalb zu fragmentarisch entsteht" 32 . In jeder Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung braucht der Verbraucher gewisse Orientierungsmaßstäbe, um nicht nur auf dem Papier seine Konsumenten·,,Souveränität" zu besitzen, sondern sie auf den Verbrauchermärkten auch tatsächlich ausüben zu können33. Ich verweise auf das bereits früher über rationales Konsumwahlverhalten, Bedürfnisskalierung, Einteilen und Planen im allgemeinen und im besonderen Werbung 34, Information, Marktübersicht, Produktgestaltung einschließlich Verpackung Gesagte. Ein gewisses juristisches Basiswissen, wie Rechte und Pflichten der Vertragspartner beim Kaufvertrag, oder beim Arbeitsvertrag, sind für den Alltag nicht unwesentlich. Die Anreicherung des Geschichtsunterrichtes mit der Vermittlung von Rechtsgrundsätzen hat sich freilich nur zögernd realisiert. Auch im Lehrplanentwurf der „neuen Hauptschule" und der Unterstufe der AHS finden sich nur bescheidene diesbezügliche Hinweise, insbesondere unter den in Längsschnittform zu berücksichtigenden, epocheübergreifenden Themen. Solange die Lehrerausbildung zu stark fächerbezogen ist, wird der Lehrer aber später aus — oft unbegründeter — Furcht 32 Gerhard Kolb: Kompendium Didaktik Arbeit — Wirtschaft — Technik, München 1983, S. 146. 33 Vgl. Karl Kollmann: Mosaiksteine zum Verbraucherverhalten. Ein Resümee der Studie „Konsumenten '82", in: Journal für Sozialforschung, Hrsg.: Sozialwissenschaftliche Studiengesellschaft, Wien, 24. Jg. (1984), Heft 4, S. 495: „Überspitzt ist es heute in allen Staaten mit einem entwickelten Konsumentenschutz so, daß die Konsumentenschutzmaßnahmen in erster Linie für jene Bevölkerungsgruppen gemacht zu sein scheinen, die ihrer am wenigsten bedürften, nämlich für die bildungsmäßig und vom Einkommen her gehobenen sozialen Schichten, während man die ärmeren Bevölkerungsgruppen vergleichsweise nur wenig oder überhaupt nicht erreicht. 34 In einer — nicht zuletzt Lehrern zugedachten — Schrift der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien (Einführung in die Verführung, Wien 1983) wird z.B. resümiert: „All das bedeutet, daß Kinder und junge Menschen praktisch wehrlos den manipulativen Einflüssen der Werbung und der Medien ausgesetzt sind." Ausgewogener dagegen die Formulierung in der „Konsumentenfibel" des BM für Familie, Jugend und Konsumentenschutz, Wien 1984, S. 10: „Wenn Werbung informativ ist, nützt sie dem Konsumenten. Aber sie wird zur Gefahr, wenn sie lediglich Wünsche suggeriert."

358

Gustav Raab

vor Inkompetenz die nicht typisch fachbezogenen Lerninhalte, wie Rechtsbegriffe beim Historiker, immer nur sehr kursorisch vermitteln. Gerade in der Massenwohlstandsgesellschaft kann sich daher ohne entsprechende Aus- und Fortbildung folgendes Zitat Egners verwirklichen: „Das ist das Bild eines Menschen, der innerlich entleert ist und im Materialismus versinkt 35 ." Letztes Ziel der Verbrauchererziehung ist daher der mündige Verbraucher, ob Konsument, oder Sparer, oder auch Privatkonteninhaber. 3. Bildungsobjekt:

die Unternehmung

Der zweite, meines Erachtens vernachlässigte Wirtschaftsrealitätsraum betrifft die Unternehmungen, ihre Aufgaben, nicht so sehr ihre produktionstechnischen Abläufe als ihre Marketing- und Führungsinstrumente. Obwohl gerade Lehrpersonen im Regelfall eine klare eigene Weltanschauung besitzen, muß am Beispiel eines Unternehmens sehr wohl in möglichst objektiver Art für den Zögling bzw. Auszubildenden klar werden, daß es zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer teils gleich gerichtete, teils entgegengesetzte Interessen gibt (Beispiel: Löhne als Unternehmenskosten und als Kaufkraft). Besonders muß auf die vielen Bedingungen für die Konkurrenzfähigkeit eines Unternehmens und auf die diesbezügliche Bedeutung der individuellen Leistungsbereitschaft eingegangen werden. Eine häufige Wissenslücke sind die Grundregeln der Rechnungslegung eines Unternehmens und die Prinzipien der Kalkulation und Preispolitik. Wie soll ein mündiger Bürger zumindest die beiden Seiten einer Unternehmensbilanz unterscheiden können und wissen, auf welcher Seite des GuV-Kontos er einen Verlust suchen muß? Kennt man die produkt- und absatzpolitischen Möglichkeiten und Risiken der Unternehmungen, also der Warenanbieter und damit auch der Arbeitsplatzanbieter, so wird man Standpunkte der „Konsumentenschützer" nicht mehr einseitig sehen können. Kennt man die rechtlichen, finanziellen und gesundheitlichen Chancen und Gefahren eines Arbeitsplatzes aus der Sicht eines Unselbständigen, so wird man Standpunkte der Unternehmerverbände nicht mehr einseitig (und monokausal) sehen können. Betriebsbesichtigungen 36 mit anschließender Diskussion mit Unternehmensverantwortlichen und Betriebsräten, und zwar weniger über technische 35

Zitiert nach Gerhard Kolb, a.a.O., S. 149. Über die Lernziele des Hinführens auf die moderne Arbeitswelt siehe G. Kolb (a.a.O, S. 114 ff.) und Ferdinand Prillinger: Betriebsbesichtigungen; Mitteilungen des Pädagogischen Institutes Salzburg, Nr. 92, vom 1. Juni 1965. 36

Sparverhalten und Wirtschaftsdenken

359

Fragen, sondern konkret über Kosten/Erlöse, Investitionsrisiken, Marktforschung und Absatzwege, die „Sozialbilanz" des Unternehmens, über ergonomische Fragen, die Zusammenhänge zwischen Produktivitätssteigerung und Arbeitsplatzverlusten (insbesondere bei weniger Ausgebildeten), sind eine bewährte Ergänzung des diesbezüglichen Unterrichtes in der Schulstube. Für Lehrer an berufsbildenden aber auch an allgemeinbildenden Schulen hat kürzlich die Bundeswirtschaftskammer Betriebspraktika vorgeschlagen, „um dem Lehrer den Zugang zu neuer Technologie, neuen Methoden der Betriebsführung und ähnlichem zu ermöglichen 37". Für einen Erfolg solcher Praktika müßten dabei die Unternehmungen ihre Informationsbereitschaft steigern, die Lehrpersonen Standesbewußtsein und dienstrechtliche Vorbedingungen hintanstellen. Einen Modellversuch ist dieser Gedanke jedenfalls wert.

IV. Zusammenfassung Eine moderne Spar- und Wirtschaftserziehung bedeutet: i. Inhaltlich a) Ein Bürger der Massenwohlstandsgesellschaft braucht zur tatsächlichen echten Ausnützung seiner Konsumentensouveränität und der vielfältigen Konsumentenschutzbestimmungen ein Basiswissen, um gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge seiner Rolle als Konsument, Sparer und Arbeitskraft zu erkennen, muß Planungstechniken für die individuelle Einkommensverwendung beherrschen sowie über technische, rechtliche und wirtschaftliche Grundkenntnisse für die für den privaten Haushalt üblichen Lebensbereiche, wie Geldvermögensbildung, Wohnungserwerb und -Instandhaltung, Kaufverträge, Arbeitsvertrag, verfügen. b) Ein mündiger Bürger braucht ein gewisses Faktenwissen (siehe a)), jedoch noch wichtiger ist das Verstehen(-lernen) von Zusammenhängen der gesellschaftlichen Auswirkungen gewisser technischer und wirtschaftlicher Entwicklungen. Derartiges Wissen, aufbauend auf einer Werteordnung, ist Voraussetzung für eine erfolgreiche betriebliche und überbetriebliche Mitbestimmung und Mitverantwortung, Voraussetzung für die individuelle Leistungsbereitschaft und die soziale Verantwortung des Bürgers. Wirtschafts- und Sozialkunde in den Schulen ist damit kein Nebenfach, 37 Sonderbeilage zum Fachzeitschriftendienst PBK der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, Folge 38/1984.

360

Gustav Raab

sondern ein im weitesten Sinne Hauptfach zur Bewährung in Demokratie und Wohlstandsmehrung. c) Ein wichtiges Teilfeld der Wirtschaftserziehung ist — zufolge des gestiegenen Einkommensniveaus, der breiten Geldvermögensbildung, der Einschaltung praktisch aller privaten Haushalte in Bankdienstleistungen (vom Konto bis zum Kredit) — die Beschäftigung mit Geld, Zahlen, Vorsorgen. Die Sparerziehung hat daher weiterhin hohe Nutzenpriorität für den Zögling, Auszubildenden, Erwachsenen. d) Trotz des Vordringens postmaterieller Werte bleibt Sparen ein prominentes Anschauungsfeld für sinnvolles Planen. Das private Sparen ist darüber hinaus ausgezeichnet geeignet, den Brückenschlag zwischen individuellem Vorteil bzw. individueller Bedürfnisbefriedigung (Ansparen, Vorsorgen etc.) mit kollektiver Nutzenstiftung (durch die Finanzierungstransformation der angesparten Gelder). Sparen besitzt daher auch in einer geänderten Werteordnung Sinnhaftigkeit gegenüber Strömungen resignativer Aussteiger. Wenngleich Zeitgeistströmungen dem rein materiellen Ansammeln von Geldersparnissen, der Erzielung möglichst hoher Zinsen, der Akkumulierung eines Geldkapitals des Kapitals willen manchmal zuwiderlaufen, sollten sich die Sparkassen weiterhin dem freiwilligen Sparen als sinnvolle individuelle Haltung und als praktische Realisierung des Wirtschaftsverhaltens verbunden fühlen und hier keine Konzessionen an ,,Die neue Romantik" machen. 2. Verfahren

und Instrumente

a) Die Spar- und Wirtschaftserziehung soll nicht (alleine) „Groschensparen" sein, sondern soll Verständnis wecken für Einteilen und Planen. Die Spargeräte sind also Hilfsmittel und nicht Selbstzweck. b) Eltern, Lehrer und Schülergemeinschaften sollten trotz gewisser Schwierigkeiten des in der Gemeinschaft zu organisierenden Sparens das Schulsparen pflegen. Formen der Ansammlung von Ersparnissen auf einem individuellen Sparbuch eines Schülers sind im Hinblick auf die individuelle Nutzenstiftung sinnvoll; es darf jedoch kein Wettbewerb der Sparsummen in der Weise eintreten, daß Kinder aus ärmeren Häusern ihre Eltern unter „Sparzugzwang" setzen. Andererseits sind Formen der kollektiven Nutzung der Erträgnisse von Sparvorgängen einer Gruppenbildung fördernd, beispielsweise die Verwendung der Zinsen eines Klassensparbuches (oder unüblicher: eines Teiles der Zinsen von Individualsparbüchern) für die Finanzierung von Schulausflügen, Besuch von

Sparverhalten und Wirtschaftsdenken

361

Veranstaltungen und anderem. Diese Dotierung eines Klassensparbuches durch die einzelnen Schüler ist ein organisatorisches Hilfsmittel zur Erreichung solcher erzieherischer Ziele. c) Eine moderne Spar- und Wirtschaftserziehung muß von Eltern, Schule, Unternehmungen und Interessenvertretungen getragen werden. Die Verbindung des Schulwissens mit der Wirtschaftsrealität ist besonders wichtig. Diesbezüglich sind Betriebsbesichtigungen, die Diskussion mit Betriebsverantwortlichen (Managern und Betriebsräten), die Einladung von Gastreferenten aus der Wirtschaft in die Schule, die Teilnahme an öffentlichen Wettbewerben oder eigenen Schulwettbewerben, die Vermittlung des Wissens in Fallstudien, in Rollenspielen, in Planspielen, zur Einübung problemlösenden Verhaltens wegen des Fehlens des Ernstcharakters der schulischen Spar- und Wirtschaftserziehung sinnhaft. d) Der Kreditapparat, insbesondere die dem Schulsparen verpflichteten Sparkassen, soll in den Schulen weiterhin Unterrichtsbehelfe bereitstellen, z.B. AV-Hilfsmittel, Foliotheken, Skriptenbanken, ComputerSoftware und ähnliches, um in Zusammenarbeit mit der Schulverwaltung die Lernziele effektiver erreichen zu können. Auf dem Bereich der Erwachseneninformation können die Sparkassen in ihrer eigenen Kommunikationspolitik dem Prinzip der Offenheit, Ehrlichkeit und Klarheit in der Aussage entsprechen.

D. Portfolioentscheidungen

Portfolioselektion im finanziellen und nichtfinanziellen Sektor Von Gustav Dieckheuer, Bamberg

I. Einführung Im Rahmen theoretischer und empirischer Untersuchungen werden in diesem Beitrag sowohl die Determinanten als auch die Wirkungen der auf die Allokation von Geldvermögen gerichteten sektoralen Portfolioselektion analysiert. Der empirische Teil bezieht sich ausschließlich auf die Bundesrepublik Deutschland, und vor dem Hintergrund der hier verfügbaren Daten erfolgt eine Differenzierung zwischen den nichtfinanziellen Sektoren „Private Haushalte,,> „Private Produktionsunternehmungen", „Öffentliche Haushalte" und „Ausland" sowie den finanziellen Sektoren „Kreditinstitute", „Bausparkassen und Versicherungen bzw. paramonetäre Finanzinstitute" und „Zentralbank". Um einen Einblick in die Datenbasis zu geben, sei zunächst die in der Bundesrepublik zum Ende des Jahres 1983 zu beobachtende sektorale Portfolioselektion sowie die Entwicklung der sektoralen Portfoliostrukturen zwischen Ende 1974 und Ende 1983 skizziert. Nach dieser Ex-post-Betrachtung wird unter Verwendung von Elementen der herkömmlichen Theorie der Portfolioselektion ein sektorales Portfoliomodell entwickelt, das als Grundlage empirischer Untersuchungen sowie für Simulationen zur sektoralen Portfolioselektion und deren Wirkungen auf wichtige Größen der volkswirtschaftlichen Geld-, Kredit- und Kapitalmärkte dient. Π. Sektorale Portfolioselektion in der Bundesrepublik Deutschland 1974 bis 1983 Die Tabelle 1 zeigt Höhe und Struktur der Geldvermögenspositionen bzw. der Geld- und Kreditforderungen sowie der Geld- und Kreditverbindlichkeiten der in diesem Beitrag differenzierten sieben Sektoren zum Jahresende 1983. Die Entwicklung der strukturellen Gestaltung der sektoralen Porte-

366

Gustav Dieckheuer

feuilles zwischen Ende 1974 und Ende 1983 läßt sich den Schaubildern 1 bis 6 entnehmen1. Im oberen Teil der Schaubilder wurde jeweils der Anteil der Aktiva (ohne die sonstigen Forderungen) am gesamten Aktivaportefeuille, im unteren Teil jeweils der Anteil der Passiva (ohne die sonstigen Verbindlichkeiten) am Passivaportefeuille dargestellt. Im großen und ganzen sind die Strukturen der Aktiva und Passiva über einen Zeitraum von fast zehn Jahren recht stabil geblieben, obwohl auf den Geld- und Kreditmärkten ein ausgeprägter Zinszyklus ablief, der Ende 1974 mit einem sehr hohen Zinsniveau begann, eine erhebliche Verringerung des Zinsniveaus bis Ende 1978 aufwies, dann wieder bis Ende 1981 von einem starken Anstieg des Zinsniveaus geprägt war und anschließend erneut eine —• 1984/85 noch anhaltende — Zinsabschwächung mit sich brachte. Allerdings ließen sich auch einige bemerkenswerte Veränderungen und Entwicklungen der sektoralen Portfoliostrukturen beobachten: 1. Die privaten Haushalte sind offenbar zinsbewußter geworden. Zum einen haben sie den Anteil ihrer Spareinlagen an den gesamten Forderungen (ohne sonstige, nicht genauer spezifizierbare Forderungen) von 41,7 v.H. im Jahr 1974 auf 32,8 v.H. im Jahr 1983 verringert und statt dessen den Anteil ihrer Termineinlagen bei inländischen Kreditinstituten sowie den Anteil ihrer Wertpapierforderungen entsprechend erhöht. Zum anderen ist von ihnen der Anteil der kurzfristigen Kreditverbindlichkeiten zugunsten mittel- und langfristiger Bankkredite reduziert worden. 2. Die Verbindlichkeitenstruktur des Sektors der privaten Unternehmungen weist eine Entwicklung in Richtung auf mehr mittel- und langfristige Bankkredite auf, wogegen der Anteil der Finanzierung aus Wertpapierund Aktienemissionen merklich gesunken ist. 3. Für die öffentlichen Haushalte einschließlich Sozialversicherungen sind drei Phänomene hervorzuheben: Erstens ist der Anteil der Verbindlichkeiten an den gesamten Verbindlichkeiten der Volkswirtschaft infolge der hohen Neuverschuldung zwischen 1974 und 1983 drastisch gestiegen, zweitens ist die Gläubigerposition gegenüber dem Ausland in eine beachtliche Schuld1 Die Daten wurden größtenteils unmittelbar den angegebenen statistischen Quellen entnommen, teilweise jedoch durch Umrechnungen aus dem verfügbaren Datenmaterial gewonnen. Quellen: Deutsche Bundesbank, Monatsberichte, Jahrgänge ab 1974, Frankfurt am Main; Deutsche Bundesbank, Statistische Beihefte zu den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank, Reihe 1: Bankenstatistik nach Bankengruppen; Reihe 2: Wertpapierstatistik; Reihe 3: Zahlungsbilanzstatistik. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Vermögenseinkommen der privaten Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland 1970 bis 1983, in: Wochenbericht des DIW, Nr. 31/1984, S. 375 bis 383.

Portofolioselektion im finanziellen und nichtfinanziellen Sektor

367

Tabelle 1: Sektorale Portfolioselektion in der Bundesrepublik Deutschland zum 31. Dezember 1983 Haushalte Einlagen bei Bundesbank

Unterneh mungen

Staat

Ausland

2,2

142,2

216,7

14,7

32,2

Termineinlagen

215,2

134,4

174,5

124,4

Spareinlagen

557,3

6,0

5,3

6,4

Einlagen bei Bausp. u. Vers.

474,2

33,7

1,8

2,0

4,0

1,0

242,5

46,8

19,9

47,4

Inland.festverzins«Wertpapiere Inländische Aktien

8,3

• 108,0

756,5 575,0 513,9 30,6

4,8

16,5

20,2

36,1

7,9

66,6

106,8

526,9

9,2

41,3

16,9

8,4

143,1 91,3

91,3

M i t t e l - und langfr.Bankkredite

440,3

440,3

1561,0

1561,0

Kredite der Bauep. u. Vers. 41,7

Handelskredite (netto)

9,0

40,3.

9,3

310,4

310,4

16,7

117,0 50,5

50,5

Sonstige Auslandskredite

131,0

131,0

Nettoauslands ford .d.Bundesbank

FORDERUNGEN

420,7

2,2

Kurzfristige Bankkredite

Sonatige. Forderungen

6,6

4,3

Kredite der Bundesbank

Ausländische Wertpapiere

66,6

66,6

580,0

244,3

20,7

91,0

132,6 1829,6

Summe 58,1

52,7

3,2

Bargeld und Sichteinlagen

Inland. Geldmarktpapiere

Bundes- Kreditin- Bauspark, bank s t i t u t e u. Vers.

377,7

327,9

Einlagen bei Bundesbank

191,3

2173,8

556,9

58,1

58,1

Bargeld und Sichteinlagen

6037,2

316,0

420,7

Termineinlagen

756,5

756,5

Spareinlagen

575,0

104,7

Einlagen bei Bausp. u. Vers. Inländ. Geldmarktpapiere Inländ.festverzins.Wertpapiere Inländische Aktien

4,8

17,6

32,3

159,4

M i t t e l - und langfr.Bankkredite Kredite der Bausp. u. Vers.

7,2

122,0

Kredite der Bundesbank Kurzfristige Bankkredite

.

334,7

0,5

526,9

15,2

5,9

143,1 91,3

20,6

72,3

6,2

440,3

106,7

952,8

362,3

130,8

8,4

1561,0

9,3

257,3

39,9

2,8

310,4

1,1

117,0

117,0

50,5

50,5

Sonstige Auslandskredite

69,7

131,0

61,3

Nettoauslandsford.d·Bundesbank

66,6

66,6

Sonstige Verbindlichkeiten

GELDVERMÜGEN

30,6

81,7

9,6

513,9

292,5

(netto)

VERBINDLICHKEITEN

1,0

47,7

Ausländische Wertpapiere Handelskredite

575,0 513,9

26,8

6,6

444,9

170,0

2108,0

541,5

6037,2*

67,2

21,3

65,8

15,4

0

3,9

207,0 163,7

1938,3

670,7

1665,9

-1358,4

- 342,8

-

244,3

368

Gustav Dieckheuer Schaubild 1: Portfoliostruktur der privaten Haushalte

Portofolioselektion im finanziellen und nichtfinanziellen Sektor

369

Schaubild 2: Portfoliostruktur der Unternehmungen Handelskredite Ausi. Wertpapiere — Ini.Aktien ^

Ini.festverz. Wertpapiere Einl.bei Bausp.u.Vers·

Termin- u. Spareinlagen

Bargeld u. Sichteinlagen

Festverz. Wertpapiere Aktien Kurzfrist. Bankkredite

M i t t e l - u. •langfrist. Bankkredite

Kredite von Bausp.u.V/ers. Auslandskredite

1975

76

77

78

79

80

81

82

83

370

Gustav Dieckheuer Schaubild 3: Portfoliostruktur der öffentlichen Haushalte

Portofolioselektion im finanziellen und nichtfinanziellen Sektor Schaubild 4: Portfoliostruktur des Auslands

1975

76

77

78

79

80

81

82

83

371

Gustav Dieckheuer

372

Schâubild 5: Portfoliostruktur der Kreditinstitute bAusi.

l.o

Wertpapiere

0,9

ο,β 0,7 M i t t e l - u. -langfrist. Kredite

0,6 0,5

0,4 0,3

0,2

Kurzfrist. Kredite

0,1

• Wertpapiere

0

ZB-Geld

0,1

Sichteinlagen

0,2 0,3-

b Termin-

einlagen 0,4. 0,5

0,6 -

β Spar-

einlagen

0,7

0,8 · — Wertpapiere 0,9 —

1,0 1975

76

77

78

79

80

81

82

83

ZB-Kredite

P o r t o f o l i o s e l e k t i o n i m f i n a n z i e l l e n u n d n i c h t f i n a n z i e l l e n Sektor Schaubild

373

6: Portfoliostruktur der Bausparkassen und Versicherungen Ausi. Wertpapiere

1,0 0,9

0,8 0,7

Kredite

0,6 0,5 0,4 Wertpapiere 0,3

0,2 Bargeld, Sicht- u. Termineinlagen

0,1 0

0,1 0,2 0,3 0,4

Einlagen

0,5

0,6 0,7

0,8 0,9

1,0

Bankkredite 1975

76

77

78

79

80

81

82

83

374

Gustav Dieckheuer

nerposition umgeschlagen, und drittens hat sich der Anteil der Wertpapierverbindlichkeiten zu Lasten des Anteils der Kredite inländischer finanzieller Sektoren merklich erhöht. 4. Die Forderungsstruktur des Auslands entwickelte sich in zwei Positionen mit einem ausgeprägten zyklischen Verlauf. Zum einen nahm der Anteil der ausländischen Termineinlagen bei inländischen Kreditinstituten zwischen 1974 und 1979 stark zu, ging aber anschließend wieder fast auf das Ausgangsniveau zurück. Zum anderen kam es zwischen 1976 und 1979 zu einer Verringerung, 1980 und 1981 dagegen zu einer erheblichen Zunahme der Forderungen aus Direktkrediten. Die zuerst genannte Entwicklung ist zweifellos zunächst auf die Stärke der D-Mark zwischen 1976 und 1979 und danach auf den Abwertungsdruck der D-Mark im Vergleich zum US-Dollar zurückzuführen. Für die zweite Entwicklung dürfte vor allem der schon genannte Zinszyklus in der Bundesrepublik verantwortlich sein; im Zinstal 1978/79 boten nämlich die inländischen Kreditmärkte ausreichend zinsgünstige Finanzierungsmöglichkeiten, so daß hier der Anteil der im Ausland aufgenommenen Direktkredite stark zurückging. 5. Der Anteil der Nettoauslandsforderungen im Portefeuille der Deutschen Bundesbank ist in erheblichem Umfang, nämlich von 75,5 v.H. Ende 1974 auf 39,1 v.H. Ende 1983 gesunken. Das ist zum einen auf die zeitweise sehr starke Abnahme der Nettogläubigerposition der Bundesrepublik gegenüber dem Ausland in den Jahren 1979 bis 1981 und zum anderen auf die Zunahme des Anteils der Wertpapier- und Kreditforderungen inländischer privater Sektoren gegenüber dem Ausland zurückzuführen. Dies kommt im Schaubild 4, das die Portfoliostruktur des Auslands zeigt, unmittelbar zum Ausdruck. III. Ein Modell der sektoralen Portfolioselektion 1. Vom normativen zum positiven Ansatz der Portfolioselektion Zur Erklärung der Portfolioselektion, der Interdependenzen der sektoralen Portfoliostrukturentscheidungen sowie der Wirkungen solcher Entscheidungen auf volkswirtschaftlich wichtige Größen ist eine positiv orientierte theoretische Analyse erforderlich. Die Portfoliotheorie, deren Entwicklung vor allem mit dem Namen Markowitz verbunden ist, war zunächst allerdings mit einer ausschließlich normativen Zielrichtung konzipiert worden 2. Dieser normative Ansatz hat aber wesentlich dazu beigetragen, die 2 H.M. Markowitz, Portfolio Selection. Efficient Diversification of Investments. New Haven-London, 1959 (2. Auflage 1970). W.F. Sharpe , Portfolio Theory and Capital Markets,

Portofolioselektion im finanziellen und nichtfinanziellen Sektor

375

für die faktische Portfolioselektion relevanten Einflußgrößen aufzuzeigen und das Verständnis für die Portfolioentscheidungen auf den Geld-, Kreditund Kapitalmärkten einer Volkswirtschaft zu verbessern. Und er bildete insbesondere die konstruktive Basis für die positive Theorie der Portfolioselektion, die nicht zuletzt aufgrund der bedeutenden Arbeiten von Tobin zu einem festen Bestandteil der modernen Geld-, Kredit- und Kapitaltheorie geworden ist 3 . Die normative Portfoliotheorie zeigt auf, wie ein Wirtschaftssubjekt ein vorgegebenes Geldvermögen auf die zur Wahl stehenden ertragbringenden und zugleich risikobehafteten Aktiva aufzuteilen hat und welche zwar risikolosen, aber kostenverursachenden Kreditverbindlichkeiten er einzugehen hat, wenn er aus dem Gesamtportefeuille einen möglichst großen Nutzen ziehen will. Entscheidungsgrößen für die optimale Portfolioselektion sind die erwarteten Ertragsraten bzw. die erwarteten Zinssätze sowie die erwarteten Anlagerisiken der Forderungspositionen und Verbindlichkeiten sowie rein subjektive Bewertungskriterien von Ertrag und Risiko der gesamten Vermögensanlage4. In einem positiven Portfoliomodell, das — wie in diesem Beitrag — zugleich Grundlage empirischer Untersuchungen sein soll, müssen die subjektiven Ertrags- und Risikogrößen durch adäquate, objektiv faßbare Größen ersetzt werden. Man ist gezwungen, statt auf Erwartungswerte von Ertragsraten auf die an den Geld-, Kredit- und Kapitalmärkten tatsächlich beobachtbaren Ertragsraten bzw. Zinssätze zurückzugreifen und anstelle der subjektiven Risikogrößen berechenbare Risikoindikatoren zu setzen. Häufig geht man in Portfoliomodellen jedoch davon aus, daß sich die relativen Ertrags- und Anlagerisiken im Analysezeitraum nicht ändern, und entsprechend bleiben die Risikogrößen dann völlig unberücksichtigt5. In diesem Beitrag soll allerdings auch geprüft werden, inwieweit Änderungen der relaNew York 1970. E.J. Elton und M.J. Gruber, Modern Portfolio Theory and Investment Analysis, New York 1981 (2. Auflage 1984). 3 J. Tobin t The Equilibrium Approach to Monetary Theory, in: Journal of Money, Credit, and Banking, Vol. 1, 1969, S. 15-29. Derselbe, The Theory of Portfolio Selection, in: F.H. Hahn und F.P.F. Brechling (Ed.), The Theory of Interest Rates, New York 1966, S. 3 - 51. Derselbe, An Essay on the Principles of Debt Management, in: Fiscal and Debt Management Policies, Englewood Cliffs, N.J. 1963, S. 143 - 218. Derselbe, Liquidity Preference as Behavior Towards Risk, in: Review of Economic Studies, Vol. 25, 1958, S. 65-86. Derselbe, Commercial Banks as Creators of Money, in: W.L. Smith und R.L. Teigen (Ed.), National Income, and Stabilization Policy, Homewood 111., 1970, S. 224-231. 4 Vgl. hierzu: W.F. Sharpe t a.a.O., S. 45 ff.;E.J. Elton und M.J. Gruber , a.a.O. Chapter 3 und 4; G. Dieckheuer , Wirkung und Wirkungsprozeß der Geldpolitik. Eine mikro- und makroökonomische Analyse. Berlin 1975, S. 74 ff. 5

Siehe auch: J. Tobin , The Equilibrium Approach to Monetary Theory, a.a.O.

376

Gustav Dieckheuer

tiven Risiken von Aktiva oder Passiva die sektorale Portfolioselektion beeinflussen und darüber Zinseffekte hervorrufen. Demgemäß kann in dem hier zu konstruierenden Modell auf die Erfassung von Risikogrößen nicht verzichtet werden. Was die subjektiven Ertrags-Risiko-Bewertungen betrifft, so muß angenommen werden, daß sich diese ausreichend in den empirisch faßbaren Marktergebnissen widerspiegeln und somit in den darauf bezogenen Verhaltensgleichungen des Modells implizit enthalten sind. Die empirische Analyse sowie die Simulationen erfolgen weiter unten auf der Basis eines sektoralen Portfoliomodells für die Bundesrepublik Deutschland, in dem die Portfolioselektion von vier volkswirtschaftlichen Sektoren — der nichtfinanziellen Sektoren „Private Haushalte" und „Produktionsunternehmungen" sowie der finanziellen Sektoren „Kreditinstitute" und „Bausparkassen und Versicherungen" — endogen erklärt wird und zugleich die in der Tabelle 1 wiedergegebene strukturelle Differenzierung der sektoralen Portefeuilles enthalten ist 6 . Um den Einblick in dieses recht komplexe Modell zu erleichtern, soll jedoch zunächst dessen Grundstruktur mit Hilfe eines vereinfachten Modellansatzes erläutert werden. Die Vereinfachung ergibt sich zum einen aus einer Zusammenfassung der beiden endogenen nichtfînanziellen bzw. der beiden endogenen finanziellen Sektoren jeweils zu einem einheitlichen nichtfinan6

Im Modell wird nur die sektorale Portfolioselektion in Hinsicht auf das Geldvermögen bzw. in Hinsicht auf Forderungen und Verbindlichkeiten, die nicht unmittelbar Sachvermögen darstellen, erklärt. Demgegenüber finden sich in der Literatur viele theoretische Untersuchungen, in denen sich die Portfolioentscheidungen gleichzeitig auf das Geldvermögen und das Sachvermögen erstrecken, in denen folglich neben den Märkten für Geldvermögensanlagen noch ein Markt für vorhandenes Sachkapital erfaßt ist und in denen demgemäß neben den Zinssätzen für die Geldvermögensanlagen noch ein Preis für das vorhandene Sachkapital endogen bestimmt wird. Vgl. hierzu: J. Tobin , The Equilibrium Approach to Monetary Theory, a.a.O. Diesem Vorgehen wird hier aus mehreren Gründen nicht gefolgt: — Sachkapital ist aufgrund seiner langen zeitlichen Bindung, seiner Immobilität und seiner erheblichen Unteilbarkeit innerhalb kurzer und mittlerer Zeiträume, wie sie den Analysen in diesem Beitrag zugrunde liegen, nur sehr begrenzt gegen Geldvermögensanlagen substituierbar; — die Bestandsbewertung sowie die sektorale Zurechnung von Sachkapital erweisen sich als äußerst problematisch, und in dieser Hinsicht sind die vorhandenen Daten unzulänglich und in ihrer Güte keineswegs mit den entsprechenden Daten für die Geldvermögensbestände vergleichbar; — weiterhin fehlen Daten über den Preis bzw. über die Preise des vorhandenen Sachkapitals, wodurch sich für die empirische Analyse ein kaum zu bewältigendes Hindernis ergibt. Im Modell werden allerdings die Aktienbestände sowie die Bestände an anderen von privaten Unternehmungen emittierten Wertpapieren (insbesondere Industrieobligationen) endogen erklärt. Solche Portfoliopositionen drücken aber wenigstens zum Teil Anteile am volkswirtschaftlichen Sachkapital aus.

Portofolioselektion im finanziellen und nicht finanziellen Sektor

377

ziellen bzw. finanziellen Sektor und zum anderen aus einer Aggregation jeweils ähnlicher Portfoliopositionen. Auf eine endogene Erklärung der strukturellen Gestaltung der Portefeuilles der drei Sektoren „Öffentliche Haushalte", „Zentralbank" und „Ausland" soll im vereinfachten Modellansatz wie auch im komplexen Modell aus mehreren Gründen verzichtet werden: erstens ist die sowohl auf Aktiva als auch auf Passiva bezogene Portfolioselektion der beiden staatlichen Sektoren zu einem erheblichen Teil Ausdruck autonomer wirtschaftspolitischer Entscheidungen, die sich nicht oder nicht vorwiegend an Ertrags-Risikorelationen orientieren; zweitens hängt gerade die Portfolioselektion des Auslands von vielen weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Einflüssen ab, die einer quantitativen Erfassung nicht oder nur sehr schwer zugänglich sind, so z.B. vom Grad der Liberalisierung der internationalen Kapitalmärkte, von spekulativ oder politisch determinierten Wechselkursentwicklungen, von internationalen Schuldenkrisen; drittens ist die Struktur der Verbindlichkeiten der zuletzt genannten drei Sektoren weitgehend das Spiegelbild der endogen erklärten Portfolioselektion der anderen vier Sektoren.

2. Die Grundstruktur

des Portfoliomodells

Das sektorale Portfoliomodell enthält zwei Konstruktionsmerkmale, wie sie auch in den modernen Fassungen der normativ ausgerichteten Portfoliotheorie häufig zu finden sind7. — Hinsichtlich der sektoralen Portfoliostrukturen wird zwischen zwei Arten von Aktiva und Passiva unterschieden: eine Kategorie enthält nur solche Aktiva, die im Zuge der sektoralen Entscheidungen über eine optimale Portfoliostruktur zumindest längerfristig gegeneinander vollständig substituierbar sind und deren Anteile im Portefeuille dementsprechend primär aufgrund von Ertrags- und Risikoerwägungen bestimmt werden; in die zweite Kategorie sind die Aktiva einzuordnen, die zum einen nicht mit einem Risiko verbunden sind und die zum anderen wegen einer spezifischen nicht primär zinseinkommensorientierten Zweckbestimmung eine Substituierbarkeit gegen die Aktiva der ersten Kategorie nicht oder nur zu einem kleinen Teil zulassen. Zu dieser zweiten Kategorie zählen im Modell die vor allem zu Transaktionszwecken gehaltenen „Kassenbestände", die gesetzlich vorgeschriebenen Bestände an Mindestreserven 7 Vgl. hierzu: W.F. Chapter 3 und 4.

Sharpe, a.a.O., S. 45 ff.; E.J. Elton und M.J. Gruber, a.a.O.,

378

Gustav Dieckheuer

der Kreditinstitute sowie die aus Beitragszahlungen resultierenden sektoralen Forderungen gegen Bausparkassen und Versicherungen bzw. gegen die paramonetären Finanzinstitute. Zur zweiten Kategorie gehören auch die Verbindlichkeiten eines jeden Sektors, die bei den nichtfinanziellen Sektoren überwiegend aus risikolosen Krediten und bei den finanziellen Sektoren aus Einlagen und Krediten resultieren. — Der gesamte Prozeß der Entscheidungen über die Portfolioselektion wird in zwei Schritte zerlegt, in eine Entscheidung über die Struktur der Aktiva, die der ersten Kategorie angehören, sowie in eine Entscheidung über die Aktiva und Passiva der zweiten Kategorie, durch die dann zugleich das Niveau des Aktivaportefeuilles der ersten Kategorie bestimmt wird. Die hier skizzierten Konstruktionsmerkmale kommen in der Übersicht 1, in der der einfache Modellansatz der sektoralen Portfolioselektion zusammenfassend dargestellt worden ist, unmittelbar zum Ausdruck. F n bzw. F f bezeichnet den Wert der Aktiva des nichtfinanziellen Sektors (Index n) bzw. des finanziellen Sektors (Index f), die der ersten Kategorie angehören. Gemäß der Budgetgleichung (1) ergibt sich die Größe F — jeweils für einen bestimmten Sektor — aus dem gesamten sektoralen Geldvermögen G sowie der Differenz zwischen dem Wert der sektoralen Passiva und Aktiva, die der zweiten Kategorie zuzuordnen sind. Die Entscheidungen über die Struktur der Aktiva der ersten Kategorie (Gleichungen (2.1) bis (2.11) in der Übersicht 1) hängen in Analogie zur normativen Portfoliotheorie von den realen Ertrags- bzw. Zinssätzen sowie den Risikoindikatoren der zur Wahl stehenden Aktivapositionen ab 8 . Dabei wurde allerdings davon ausgegangen, daß die Anlage in Termin- und Spareinlagen sowie in Geldmarktpapieren weitgehend risikolos ist und sich deshalb für diese Positionen eine Berücksichtigung von Risikoindikatoren erübrigt. Tatsächlich dürfte das Risiko solcher Anlagen äußerst gering sein; ein Risiko mag aber dadurch entstehen, daß bei diesen Anlagen zeitliche Bindungen eingegangen werden und so ein Einstieg in den in- und/oder ausländischen Kredit- oder Kapitalmarkt zum optimalen Zinssatz, Börsenkurs oder Wechselkurs verpaßt wird und damit Erträge verlorengehen. Die Funktionen (3.1) und (3.2) sowie (4.1) bis (4.3) in der Übersicht 1 beziehen sich auf die Aktiva und Passiva der zweiten Kategorie. Anders als bei den Aktiva der ersten Kategorie, sind hier unmittelbar die absoluten 8 Im Ansatz lehnt sich dieser Teil des Modells an das von Tobin konstruierte und als richtungweisend anerkannte Portfoliomodell aus dem Jahr 1969 an. Siehe hierzu: J. Tobin The Equilibrium Approach to Monetary Theory, a.a.O. Wie zuvor erwähnt, fehlt es bei Tobin jedoch an einer expliziten Berücksichtigung der Anlagerisiken.

Portofolioselektion im finanziellen und nichtfinanziellen Sektor

379

Übersicht 1: Grundstruktur des sektoralen Portfoliomodells Nichtfinanzielle Sektoren (1)

M **l· m

n

Budgetgleichung

B

n

n

n

F » G *P -B *K -L -Q

(2.1)

Termin- und Spareinlagen

(2.2)

Geldmarktpapiere

(2.3)

Inländische Wertpapiere

E « e «F

P ß .ß n - b^F 0

(2.4)

Kreditangebot Auslandsanlagen

wA n » a n -F"

(2.6)

Sonstige Forderungen

F". ( i - t n - b n - « n ) . F n

(2.7)

Anteil der Termin- und Spareinlagen

en- en(qE.qB,q\r B.r A)

(2.8)

Anteil der Geldmarkt· paplere

(2.9)

Anteil der Ini. Wertpapiere

(2.10)

Anteil der Kredite

(2.11)

Anteil der Auslandsanlagen

(3.1)

Zentralbankgeld und Sichteinlagen

(3.2)

Einlagen bei Bausparkassen und Versicherungen

Q - Q (Y)

(4.1)

Wertpaplerangebot

p M " . S n (Y,q B ,q K )

(4.2)

Kreditnachfrage

K n - K n (Y.q B .q K )

(4.3)

Nachfrage nach ZentralBankkrediten

(6)

Einlagen bei Bauspark, und Vers.

Marktgle1chgewlcht Erläuterung:

+

b". b n ( q E , q B . q \ r B . r A )

an- an(qE,qB.q\rB.rA) n

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k V . q W A r V ) af(q M,qB.q*.q\rB,rK.rA)

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Gel dvemOgensKnderung

Wertpapierkurs

mf- m f < q M , q B , q K . q \ r B , r K , r A )

E- E n +E $ +E a +(1-1)(L n +L s +L a )

Bankeinlagen

Zinssätze und

Finanzielle Sektoren

n

(2.S)

(5)

(7 )

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(8a) Realer Elnlagenzlnssatz

q E - 1Ε-π

(8b) Realer Zinssatz der Geldmarktpapiere

q". 1Μ-π

(8c) Realer Wertpapierzinssatz

qB·

(8d) Realer Kreditzinssatz

q K . 1 K -*

(8e) Realer Zinssatz der Auslandsanlagen

qA» 1A-ir+w

(8f) Realer Zinssatz der Zentralbankkredite

q R . 1 R -n

(8g) Nomineller Elnlagenzlnssatz

1 E - 1 E•( 1 R•, 1 K )

(8h) Wertpaplerkurs

P B - P B (1 B )

(9a) Wertpapiermarkt

Bn+Bf+B a+Bz· Bn+Bf+B s

(9b) Kreditmarkt

Kn+Ks» K f

n: Nlchtfinanzielle endogene Sektoren; f: Finanzielle endogene Sektoren; s: Öffentliche Haushalte; Z: Zentralbank; a: Ausland; d: Differenzopera tor Veränderung*rate; ' : Angebotsgrtifie

380

Gustav Dieckheuer

Nachfrage- bzw. Angebotsgrößen und nicht die Anteile am Portefeuille erklärt worden. Determinanten sind neben realen Ertrags- bzw. Zinssätzen das Sozialprodukt Y in den Funktionen für die nichtfinanziellen Sektoren, die Einlagen E bzw. Q in den Funktionen für die finanziellen Sektoren sowie die (erwartete) Inflationsrate π bei der Nachfrage der nichtfinanziellen Sektoren nach Zentralbankgeld und Sichteinlagen. Mit der Erfassung der realen Ertragsrate q E der zinsbringenden Bankeinlagen sowie der Inflationsrate τ wird der Bedeutung der Opportunitätskosten der Kassenhaltung Rechnung getragen. Der Kassenhaltungskoeffizient c der finanziellen Sektoren resultiert insbesondere aus der von der Zentralbank festgesetzten Mindestreservequote. Für die Berücksichtigung mehrerer realer Zinssätze in den Funktionen der Passiva sind folgende Überlegungen maßgebend: — Wertpapierangebot und Kreditnachfrage stellen alternative Finanzierungsformen dar, so daß zwischen ihnen eine gewisse Substitutionsbeziehung zu erwarten ist; entsprechend fließt in die einzelnen Funktionen auch der reale Zinssatz der jeweils alternativen Finanzierungsform ein. — Die den finanziellen Sektoren aus Zentralbankkrediten und Wertpapieremissionen zufließenden Mittel dienen weitgehend zur Ausdehnung des Kreditgeschäftes; folglich ist in den entsprechenden Funktionen auch der reale Kreditzinssatz zu erfassen. Die Änderung der sektoralen Geldvermögen gemäß Gleichung (7) ergibt sich zum einen aus der Differenz zwischen den sektoralen Ersparnissen S und den sektoralen Investitionen I und zum anderen aus den Wertänderungen der inländischen Wertpapiere sowie der Nettoauslandsforderungen, die sich bereits im Aktivaportefeuille der Sektoren befinden. Solche Wertänderungen treten ein, wenn es zu einer Veränderung der Wertpapierkurse P B und/oder des Wechselkurses w kommt. Die realen Zinssätze sind jeweils mit q, die nominellen Zinssätze jeweils mit i bezeichnet worden. Der nominelle Einlagenzinssatz wird mit Hilfe der Zinsfunktion (8g) erklärt. Der Wertpapierzinssatz und der Kreditzinssatz resultieren dagegen in dem hier diskutierten Modell aus den Marktgleichgewichten (9a) und (9b). Eine endogene Erklärung erfährt auch der Wertpapierkurs P B und darüber ebenfalls die erwartete Veränderungsrate des Wertpapierkurses P B . Der Zinssatz der Geldmarktpapiere i M sowie der Zinssatz der Zentralbankkredite (der Diskontsatz) i R sind autonome geldpolitische Instrumentvariablen. Exogen sind darüber hinaus der nominelle Zinssatz der Auslandsanlagen i A , der Wechselkurs w und dessen Veränderungsrate w sowie die (erwartete) Inflationsrate π.

Portofolioselektion im finanziellen und nichtfinanziellen Sektor

381

Das Modell ist jetzt noch zu vervollständigen durch die Budgetgleichungen der exogenen Sektoren „Öffentliche Haushalte" (Index s), ,,Ausland" (Index a) und „Zentralbank" (Index z) sowie durch eine Gleichgewichtsbedingung für den Gütermarkt. Die Budgetgleichungen lauten: (10a) dVs + dLs + dEs + dQs = p B -dß s + dKs (10b) H + P B -dB a + dL a + dEa + dQa = w-(dAn + dA f + dAz) (10c) w d A z + P B -dB z + dRf = dL f + l-(dL n + dLs + dLa) + dMf Eine Finanzierung des öffentlichen Budgetdefizits dVs sowie eine Mittelbeschaffung für eine Aufstockung der Bestände an Bargeld und Sichteinlagen (dLs) sowie an sonstigen Einlagen bei Kreditinstituten (dEs) und paramonetären Finanzinstituten (dQs) erfolgt durch Wertpapieremissionen (dBs) und Kreditaufnahme bei Kreditinstituten und paramonetären Finanzinstituten (dKs). Analog dazu wird ein Leistungsbilanzdefizit des Auslands H sowie eine von Ausländern vorgenommene Erhöhung der Bestände an inländischen Wertpapieren (dBa), an Bargeld und Sichteinlagen (dL a ) sowie an weiteren Einlagen bei den inländischen finanziellen Sektoren (dEa + dQa) durch eine entsprechende Zunahme der Nettoauslandsforderungen der beiden endogenen inländischen Sektoren (dA n + dA f ) sowie der Zentralbank (dA z ) finanziert. Die Budgetgleichung der Zentralbank enthält auf der linken Seite die Veränderung der Auslandsposition (dA z ), die Veränderung der Wertpapierbestände (dBz) sowie die Veränderung der an die finanziellen Sektoren vergebenen Zentralbankkredite (dRf) und auf der rechten Seite einerseits die Veränderung des Umlaufs an Zentralbankgeld und andererseits die Veränderung des Bestandes an Geldmarktpapieren in Händen der finanziellen Sektoren. Für das güterwirtschaftliche Gleichgewicht gilt schließlich: (11)

Sn + Sf - I n - I f = dVs + H

3. Exogene Impulse, sektorale Portfolioselektion

und Zinseffekte

Auf eine ausführliche Darstellung der Lösung des Modells muß hier aus Platzgründen verzichtet werden. Mit Rückgriff auf die an anderer Stelle vorgenommenen und dargestellten Berechnungen9 sollen hier lediglich die wich-

Gustav Dieckheuer

382

tigsten der im Modell bestehenden Zusammenhänge zwischen den beiden endogen erklärten Realzinssätzen einerseits und bestimmten exogenen Modellgrößen andererseits verbal skizziert werden. Die entsprechenden, auf Veränderungsgrößen bezogenen Reaktionsrichtungen der realen Zinssätze sind in der Übersicht 2 wiedergegeben worden:

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Mit der Zunahme des Bruttosozialprodukts steigt auch die sektorale Nachfrage nach Krediten der inländischen Kreditinstitute sowie der paramonetären Finanzinstitute. Hieraus resultiert eine Erhöhung der Kreditzinssätze, auf die die Kreditinstitute gleichzeitig mit einer Anhebung der Zinssätze für Termin- und Spareinlagen reagieren. Aufgrund der so bewirkten Änderung der Zinsstruktur nimmt die Nachfrage aller Sektoren nach inländischen festverzinslichen Wertpapieren sowie nach Aktien ab. Folglich kommt es auf dem Wertpapiermarkt zu einem Zinsanstieg und zugleich zu

Portofolioselektion im finanziellen und nichtfinanziellen Sektor

399

einer Kurssenkung; und auf dem Aktienmarkt sinkt das Kursniveau ebenfalls. Die allgemeine Zinserhöhung sowie die allgemeine Kurssenkung erreichen allerdings nach einer gewissen Zeit ein Maximum bzw. ein Minimum. Daran schließt sich im Zuge der Anpassungen in den sektoralen Portefeuilles wieder eine leichte Abschwächung sowie eine Kursverbesserung an. Längerfristig bleibt allerdings eine geringe Erhöhung des allgemeinen Zinsniveaus erhalten. Bei den Kursen ist die längerfristige Entwicklung dagegen uneinheitlich: Das Kursniveau der festverzinslichen Wertpapiere sinkt auf Dauer, wogegen der Aktienkurs wieder das Ausgangsniveau erreicht und dieses letztlich sogar geringfügig überschreitet. Zum Ende der Simulationsperioden nähern sich die Portfoliostrukturen bei allen Sektoren auch hier wieder weitgehend den Ausgangsstrukturen an. Simulation 4: Präferenzänderung der privaten Haushalte Z I N S S A E T Z E (SIM. ί»)

P.F.STRUKTUR

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P.F.STRUKTUR

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16

Gustav Dieckheuer

400

Infolge der Substitution von festverzinslichen Wertpapieren durch Spareinlagen bei den Kreditinstituten, die die privaten Haushalte in ihrem Aktivaportefeuille vornehmen, steigen alle Zinssätze. Allerdings vollzieht sich die Zinsänderung hier mit einem ausgeprägten Zyklus, bei dem die zunächst eintretende allgemeine Zinserhöhung im Laufe der Simulationsperioden wieder abgeschwächt wird. Bei den Kursen ergibt sich eine unterschiedliche Entwicklung: der Abschwächung des Kurses der festverzinslichen Wertpapiere steht auf längere Sicht eine Zunahme des Aktienkurses gegenüber. Zyklische Entwicklungen zeigen sich auch in den Portfoliostrukturen der Sektoren außer den privaten Haushalten. Sie sind vor allem darauf zurückzuführen, daß zwar der Nominalzinssatz der festverzinslichen Wertpapiere infolge der untersuchten Substitution zunimmt, aber der Realzinssatz wegen der gleichzeitig zu beobachtenden negativen Veränderungsrate des Wertpapierkurses im Vergleich zu den übrigen Realzinssätzen relativ stark sinkt. Auch bei den anderen Sektoren induziert das eine Substitution zu Lasten der festverzinslichen Wertpapiere, und hierdurch wird der Zinsanstieg bei den anderen Anlageformen gebremst und gleichzeitig ein Anstieg des Aktienkurses bewirkt. Im Zuge dieser Zins- und Kursentwicklung stabilisiert sich auch die Nachfrage nach festverzinslichen Wertpapieren wieder, und hieraus resultiert eine Erholung des Wertpapierkurses sowie der realen Wertpapierrendite. Außer bei den privaten Haushalten nähern sich die sektoralen Portfoliostrukturen schließlich wieder an diejenigen der Ausgangssituation an. Bemerkenswert ist, daß sich die Anteile im Aktivaportefeuille der privaten Haushalte letztlich um weit mehr als 3 Prozentpunkte zugunsten der Spareinlagen und zu Lasten der festverzinslichen Wertpapiere verschoben haben. Diese über den autonomen Impuls hinausgehende Strukturverschiebung ist auf eine Verbesserung der realen Rendite der Spareinlagen relativ zur realen Rendite festverzinslicher Wertpapiere zurückzuführen. Simulation 5: Zunahme des Risikos von Auslandsanlagen ZINSSAETZE (SIN. 5)

KURSE (SIM. 5)

Portofolioselektion im finanziellen und nichtfinanziellen Sektor P.F.STRUKTUR PRIV.

HH. (SIM, 5)

10

P.F.STRUKTUR

P.F.STRUKTUR UNTERNEHMEN antizipierte Inflationsrate) müßte die Sparquote infolge der kurzfristigen Starrheit der Konsumpläne sinken („habit-persistence" und „ratcheteffect"). Für den oben geschilderten Fall des nicht antizipierten Steigens der Inflationsrate widerspricht Deaton 32 jedoch dieser Hypothese. Der Verbraucher habe keine Übersicht über die Anzahl von Einzelpreisen, aus denen sich der Preisindex für die Lebenshaltung zusammensetzt. Vielmehr könne er nur die Preise der Güter seines laufenden Bedarfs beobachten. Einen nicht antizipierten Preisanstieg dort interpretiere er in der Regel als singulären Fall für das jeweilige Gut, als eine Veränderung der relativen Preise. Er schränke folglich seinen realen Konsum ein, wodurch sich die Sparquote erhöhe (wenn das Einkommen entsprechend der tatsächlichen Inflationsrate anwächst). Zwar werde er wahrscheinlich nach einer gewissen Zeit seine Verwechselung zwischen dem tatsächlichen Anstieg des absoluten Preisniveaus und der von ihm vermuteten Veränderung der relativen Preise entdecken und sein 32 Deaton, Α.: Involuntary Saving through Unanticipated Inflation, in: The American Economic Review, Vol. 47, 1977, S. 899-910.

432

Dieter Fricke

Konsumverhalten entsprechend korrigieren, wodurch die Sparquote wieder sinke. Bei akzelerierenden Inflationen könne jedoch auch längerfristig ein Anpassungs-lag bestehen, was eine überdurchschnittliche Sparquote zur Folge habe. Bei unerwartet sinkenden Inflationsraten erhöhe sich analog der reale Konsum, und die Sparquote gehe zurück. Empirische Tests anhand von Zeitreihen über die Entwicklung der Einkommen, des Sparens und der Inflationsraten in den USA und in Großbritannien stützen Deatons Hypothese33, ebenso eine empirische Untersuchung auf gleicher theoretischer Grundlage anhand finnischer Daten 34 . Einen anderen — aber mit den Ergebnissen von Deaton nicht unvereinbaren — Ansatz wählen Juster und Wachtel 35, um das Ansteigen der Sparquote bei steigender Inflationsrate zu erklären: Hohe Inflationsraten seien, wie die historischen Befunde zeigten, gleichzeitig stark schwankende Inflationsraten. In einer solchen Situation sei in der Regel auch die Anpassung des Realeinkommens an die Inflation unsicherer als bei stabilen Inflationsraten. Auf solche Unsicherheiten bezüglich ihres Einkommens würden die Wirtschaftssubjekte typischerweise mit einem erhöhten Sparen reagieren, um den gestiegenen Risiken gerecht zu werden. Untersuchungen anhand deutscher und österreichischer Daten — mit allerdings nicht genau der gleichen Zielrichtung — ergaben hier jedoch keine eindeutigen Ergebnisse36.

3. Sparen und Konsum bei Sonderzahlungen Für unerwartete Einkommensveränderungen im Konjunkturverlauf oder durch Abweichungen der realisierten von der antizipierten Inflationsrate sind zwei Dinge charakteristisch: (1) Sie betreffen die Mehrzahl der Wirtschaftssubjekte, tendenziell in der gleichen Richtung; (2) sie spielen sich auf dem Felde der „normalen" Einkommenserzielung ab. Demgegenüber gibt es eine Reihe von unerwarteten Einkommensveränderungen, die als typische ,,windfall-gains" oft nur einzelne Personen oder Gruppen betreffen, wie 33 Deaton , Α.: a.a.O., S. 903 ff.; Towend, J. C.: The Personal Saving Ratio, in: Bank of England, Quarterly Bulletin, March 1976, S. 53-73. 34 Koskela , E. und Viren , M.: Inflation, Tight Money and Household Saving Behavior: Finnish Evidence, in: The Scandinavian Journal of Economics, Vol. 84, 1982, S. 483-492. 35 Juster , Γ. und Wachtel , P.: Inflation and the Consumer, Brooking Papers, Washington 19721, S. 71-114; dieselben: A Note on Inflation and the Saving Rate, Brooking Papers, Washington 1972 III, S. 765-778. 36 Vgl. Kieps , Κ.: Inflation und Sparen, Berlin 1979, S. 92 ff.

Der Einfluß unerwarteter Einkommenseränderungen

433

etwa Erbschaften, Lottogewinne, Entschädigungen etc., d.h. sie ändern die relative wirtschaftliche Situation eines Individuums nicht nur gegenüber der Vergangenheit, sondern auch gegenüber der sozialen Bezugsgruppe (umgekehrt bei unerwarteten singulären Verschlechterungen). Sie tangieren auch in geringerem Maße die normale Berufstätigkeit, sind meist auch weniger das unmittelbare Ergebnis eigener Anstrengungen. Bei solchen Zufallsgewinnen wird vielfach vermutet, daß sie nicht mit der gleichen strengen Rechenhaftigkeit Verwendung finden, wie mit großer Arbeitsmühe erzielte Einkommen, daß hier ein ,,wie gewonnen, so zerronnen" gelte. So nehmen beispielsweise Houthakker 37 und Lydall 38 im Gegensatz zu Friedman eine vorwiegend konsumtive Verwendung transitorischer Einkommen an. Eine Untersuchung von Bodkin 39 über die Zahlungen eines „soldier-bonus" an die Weltkrieg II-Veteranen im Jahre 1950 schien diese Vermutung zu bestätigen. Er stellte bei diesen unerwarteten Sonderzahlungen eine marginale Ausgabenneigung von 0,97 fest, gegenüber 0,75 bei dem sonstigen frei verfügbaren Einkommen. Demgegenüber registrierte aber Kreinin 40 bei der Verwendung der Wiedergutmachungszahlungen 1957/58 an israelische Staatsbürger eine nur sehr geringe marginale Ausgabenneigung von nur 0,17; ,,windfall-gains 44 wurden überwiegend gespart. Auch Watts registriert für vorübergehende Einkommenszuwächse nur eine halb so hohe marginale Konsumneigung wie für dauerhafte 41. Aus diesen widersprüchlichen Befunden entspann sich unter Beteiligung von Landsberger 42 und Reid 43 eine Kontroverse 44, in der eine Reihe von Einflußfaktoren herausgestellt wurden, die Einfluß auf die Sparoder Konsumentscheidung hätten. Positiv auf das Sparen unerwarteter Einkommenszuflüsse würden sich ein höheres Lebensalter des Empfängers 37 Houthakker, H.S.: The Permanent Income Hypothesis, in: American Economic Review, Vol. 48 (1958), S. 398. 38 Lydall, H.F. : A Theory of the Consumption Function, in: Kyklos, Vol. 1 (1958), S. 564. 39 Bodkin, R.: Windfall Income and Consumption, in: American Economic Review, Vol. 49 (1959), S. 613 f. 40 Kreinin, M.: Windfall Income and Consumption-Additional Evidence, in: American Economic Review, Vol. 51 (1961), S. 389. 41 Watts, H. W.: Long-run Income Expectations and Consumer Savings, in: Dernburg, T.F. et al., Studies in Household Economic Behavior, Yale Studies in Economics, Vol. 9, New Haven 1958, S. 101 ff. 42 Landsberger, M.: Windfall Income and Consumption: Comment, in: American Economic Review, Vol. 56 (1966), S. 534 f. 43 Reid, M.: Consumption, Savings and Windfall Gains, in: American Economic Review, Vol. 52 (1962), S. 728 f. 44 Vgl. Communications, in: American Economic Review, Vol. 53 (1963), S. 443-448.

434

Dieter Fricke

sowie eine betragsmäßig größere Summe45 der Zahlung auswirken 46. Negativ beeinflußt würde das Sparen hingegen von einer hohen Ausgabenneigung für „durables", die insbesondere bei Hauseigentümern anzutreffen sei, verstärkt bei einem unmittelbar vorangegangenen Hauskauf oder -bau. Für die Bundesrepublik werden insbesondere drei umfangreiche Sonderzahlungen angeführt, die zu einem auch gesamtwirtschaftlich beachtlichen Anstieg der Sparquote geführt hatten: Die Rentennachzahlungen 1957 (rund 1,6 Mrd. DM Nachzahlungen)47; Rückerstattung von Rentner-Krankenkassenbeiträgen (1,3 Mrd. DM), Vorziehen der Rentenerhöhung (2,1 Mrd. DM) und Rückzahlung des Konjunkturzuschlags 1972 (6 Mrd. DM) 4 8 ; Auszahlung von Kindergeld und Einkommenssteuersenkungen 1975 (zusammen 15 Mrd. DM) 4 9 . In der Tat scheinen die marginalen Sparquoten bei den gesamten Sonderzahlungen außerordentlich hoch zu sein, wie die nachfolgenden Schätzungen zeigen (Tabelle 1): Tabelle 1

Marginale Sparquoten von Sonderzahlungen

(1)

Verfügbares Einkommen (Mrd. DM)

(2)

Sonderzahlungen (Mrd. DM)

(3)

"Normal einkommen" (Mrd. DM) (1) - (2) = (3)

(4)

"Normalsparquote" (durchschnittl. Sparquote aus Vorjahr und Folgejähr)

(5)

"Normalersparnis" (Mrd. DM) (3) χ (4) = (5)

(6)

Tatsächliche Ersparnis (Mrd. DM)

(7)

Ersparnis aus Sonderzahlungen (Mrd. DM) (6) - (5) = (7)

(8)

Marginale Sparquote aus Sonderzahlungen (7) χ 100 : (2) = (8)

1957

1972

133,0

529,7

688,0

1,6

9,4

15,0

131,4

520,3

673,0

5,8 + 8,8 2 = 7,3 %

14,4 + 14,9 2 = 14,7 %

1975

16,1 + 14,6 è = 15,4 %

9,6

76,2

103,3

11,0

81,9

113,5

1,4

5,7

10,2

88,1 %

60,6 %

68,0 %

Geringfügige Abweichungen durch Rundungen. Quelle: Eigene Berechnungen auf der Grundlage von Angaben der Deutschen Bundesbank (Geschäftsberichte 1957, 1958; Sonderdruck Nr. 4, Zahlenübersichten und methodische Erläuterungen zur gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsrechnung der Deutschen Bundesbank 1960 bis 1977, Frankfurt 1978).

Der Einfluß unerwarteter Einkommenseränderungen

435

Die Vorgehensweise bei diesen Schätzungen war wie folgt: Das Verfügbare Einkommen des jeweiligen Jahres wurde um die transitorischen Sonderzahlungen bereinigt. Aus dem sich so ergebenden „Normaleinkommen" und einer fiktiven „Normalsparquote" (Durchschnitt der Sparquote des Vorjahres und des Folgejahres) wurde eine „Normalersparnis" für das jeweilige Jahr ermittelt. Als Differenz zwischen der tatsächlichen Ersparnis und der „Normalersparnis" der privaten Haushalte ergab sich die transitorische Ersparnis aus den Sonderzahlungen. Die auf dieser Grundlage ermittelten marginalen Sparquoten für die Sonderzahlungen sind außerordentlich hoch und liegen weit über den marginalen Sparquoten des Vor- und des Folgejahres:

Marginale Sparquote — des Vorjahres — der Sonderzahlungen — des Folgejahres

Sonderzahlungsjahr 1957

1972

1975

1,8 v.H. 88,1 v.H. 15,8 v.H.

12,4 v.H. 60,6 v.H. 8,2 v.H.

29,8 v.H. 68,0 v.H. -17,3 v.H.

Selbst wenn man die Schätzung der „Normalsparquote" statt am Durchschnitt von Vor- und Folgejahr an der jeweils höheren Sparquote ausrichtet, so übertreffen die marginalen Sparquoten der Sonderzahlungen immer noch die der Vergleichsjahre (Untergrenze der marginalen Sparquote bei Sonderzahlungen: 1957 = 35 v.H., 1972 = 46,8 v.H., 1975 = 34,0 v.H.). Man kann also annehmen, daß etwa Vz bis 2Δ der Sonderzahlungen gespart wurde, tendenziell eher eine Bestätigung der Annahmen von Keynes/Duesenberry /Friedman/MBA, nicht aber der von Houthakker/Lydall/Bodkin.

45 Anderer Ansicht Bodkin , R.: Windfall Income and Consumption: Reply, in: American Economic Review, Vol. 56 (1966), S. 543. 46 Bodkin fügt noch das Element "tragischer Lebenserfahrungen" speziell für die betroffenen Israelis hinzu. Bodkin , R.: Windfall Income and Consumption: Comment, in: American Economic Review, Vol. 53 (1963), S. 447. 47 Deutsche Bundesbank, Geschäftsbericht für das Jahr 1957, Frankfurt 1958, S. 21; Maier, A l : Der Sparprozeß in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt u. a. 1983, S. 69, S. 114. 48 Deutsche Bundesbank, Monatsberichte, 25. Jg., Nr. 5 (Mai 1972), S. 19 ff.; Kurz, R. und Rail, L.: a.a.O., S. 97, S. 159; Maier, K.M.: a.a.O., S. 262. 49 Deutsche Bundesbank, Monatsberichte, 28. Jg., Nr. 5 (Mai 1976), S. 30 ff.; KurzR. und Rail L.: a.a.O., S. 97.

436

Dieter Fricke

Während die bisher behandelten Sonderzahlungen unregelmäßig und eher zufällig eintraten, handelt es sich beim 13. Monatsgehalt, der Jahresabschlußprämie, dem „Weihnachtsgeld" oder unter welchem Namen diese Sonderzahlung in den Monaten November/Dezember auch immer auftritt, um einen regelmäßig im Jahresrhythmus erfolgenden Einkommenszufluß. Und ganz sicher kommt er nicht unerwartet auf den Einkommensempfänger zu. Dennoch finden sich in der hohen marginalen Sparquote auch bei den Sonderzahlungen zum Jahresende prägnante Parallelen zu den teils unerwarteten, eher zufälligen Sonderzahlungen vom Typus Entschädigungen, Nachzahlungen, Rückerstattungen etc. Tabelle 2

Geldvermögensbildung in v.H. der ausgabefähigen Einkommen und Einnahmen im Jahresverlauf — Durchschnitt der Jahre 1977 bis 1983 Durchschnittliche Ansparquote 1977 - 1983 Jahresdurchschnitt

der Monate Januar November Oktober Dezember

Marginale Sparquote der Sondereinkünfte Nov./Dez.

Durchschnittseinkommen der Monate Nov./Dez in % der Durchschnittseinkommen Januar - Oktober

(= 100 %)

8,3

9,4

3,7

- 64,8

108,2

Haushaltstyp I I (mittleres Einkommen)

7,1

4,0

17,9

65,1

132,3

Haushaitstyp I I I (gehobenes Einkommen)

6,1

3,7

15,5

59,4

129,9

Haushaltstyp I (Rentner ect.)

Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Fachserie 15, Wirtschaftsrechnungen, Reihe 1, Einnahmen und Ausgaben ausgewählter privater Haushalte).

Vergleicht man anhand der vom Statistischen Bundesamt laufend erhobenen Wirtschaftsrechnungen der Jahre 1977 bis 1983 den Einkommenszufluß und die Spartätigkeit der unterschiedlichen Haushaltstypen im Jahres-

Der Einfluß unerwarteter Einkommenseränderungen

437

verlauf, so wird dies deutlich (Tabelle 2). Beim Haushaltstyp II, 4-PersonenArbeitnehmerhaushalt mit mittlerem Einkommen, liegen die ausgabefähigen Einkommen und Einnahmen der Monate November und Dezember (den Auszahlungsmonaten der 13. Monatsvergütung) 32,3 v.H. über dem Durchschnitt der ersten zehn Monate des Jahres. Die durchschnittliche Anspare quote hinsichtlich der Bildung von Geldvermögen (ohne Berücksichtigung von Kreditaufnahmen und -tilgungen) beträgt in den Monaten November/Dezember mit 17,9 v.H. mehr als das Vierfache der Sparquote in den ersten 10 Monaten des Jahres (4,0 v.H.). Die marginale Sparquote der Zusatzzahlungen50 liegt mit 65,1 v.H. in der Größenordnung, wie sie sich für die einmaligen großen Sonderzahlungen in den Jahren 1957, 1972 und 1975 errechnet. Ähnliche Werte ergeben sich für den Haushaltstyp III, 4-Personenhaushalte von Beamten und Angestellten mit höherem Einkommen. Durch die Sondereinnahmen im November/Dezember ist das Einkommen dieser Monate im Durchschnitt 29,9 v.H. höher als das der vorangegangenen 10 Monate. Die Ansparquote (Bildung von Geldvermögen) beträgt mit 15,5 v.H. in den Monaten November/Dezember ebenfalls rund das Vierfache der durchschnittlichen Ansparquote in den übrigen Monaten des Jahres (3,7 v.H.). Die marginale Sparquote der Sonderzahlungen ist mit durchschnittlich 59,4 v.H. wiederum sehr hoch. Das Kontrastprogramm hierzu bildet der Haushaltstyp 1,2-Personenhaushalte von Renten- und Sozialhilfeempfängern. Diese Personengruppen erhalten in der Regel kein 13. Monatseinkommen, so daß die ausgabefähigen Einkommen und Einnahmen der Monate November/Dezember im längerfristigen Durchschnitt nur um 8,2 v.H. über denen der Monate Januar bis Oktober liegen, teilweise als Folge der normalen jährlichen Einkommenserhöhungen. Andererseits stimmen die Rentnerhaushalte mit den übrigen Haushaltstypen hinsichtlich der Konsumnormen insofern überein, als auch hier in den Monaten November/Dezember im Hinblick auf das Weihnachtsfest stark erhöhte Ausgaben für Anschaffungen, Geschenke sowie Nahrungs- und Genußmittel getätigt werden. Während aber bei den Haushaltstypen I I und I I I diese Zusatzausgaben durch noch höhere Zusatzeinkommen sogar überkompensiert werden, geht die Finanzierung der zusätzlichen Konsumausgaben bei den Rentnern und Sozialhilfeempfängern auch zu Lasten der Sparquote. Die Ansparquote bezüglich der Geldvermögensbildung geht von 9,4 v.H. im Durchschnitt der ersten 10 Monate auf durchschnittlich 3,7 v.H. in den Monaten November/Dezember zurück. Daraus 50

Berechnungen analog Tabelle 1.

Dieter Fricke

438

ergibt sich für die vergleichsweise bescheidenen Einkommenszuwächse in den beiden letzten Monaten des Jahres (+8,2 v.H. im Vergleich zu den vorangegangenen 10 Monaten, gegenüber + 32,3 v.H. beim Haushaltstyp I I und +31,0 v.H. beim Haushaltstyp III) eine negative marginale Sparquote von -64,8 v.H. 5 1 . Erwartete Sonderzahlungen (wie das Weihnachtsgeld) und eher unerwartete Sonderzahlungen (wie die Rentennachzahlungen etc.) unterscheiden sich also nicht hinsichtlich ihrer marginalen Sparquote von etwa 60 v.H. Augenscheinlich schlägt unabhängig vom Grad der Antizipation der Charakter als zusätzliche Einnahmen durch. Der Konsumstandard wird am „Normaleinkommen" ausgerichtet, vielleicht sogar bewußt, um bei den Sonderzahlungen die Chance einer „leichten" Vermögensbildung ohne große willensmäßige Anstrengungen zu nutzen. Die Frage, wie die durchschnittliche jährliche Sparquote aussähe, wenn es keine Sonderzahlungen am Jahresende gäbe, bleibt allerdings offen. Denkbar wäre, daß die jährliche Sparleistung der Haushaltstypen I I und III, analog bei der Mehrzahl der Arbeitnehmer, um immerhin rund 40 v.H. geringer wäre. Andererseits wäre es auch möglich, daß das Sparen aus den Sonderzahlungen bereits fest geplant ist und nur aus diesem Grunde im Verlaufe des Jahres weniger gespart wird; bei einem Fortfall der Sonderzahlungen würde sich die durchschnittliche Sparquote in den übrigen Monaten entsprechend erhöhen.

ΠΙ. Auswirkungen von erwarteten und unerwarteten Einkommensveränderungen auf die Struktur der Geldanlagen 1. Entwicklungstendenzen

in der Struktur

der Geldvermögensanlagen

Die konkrete Entscheidung über die Anlageform bei Einkommensveränderungen ist vor dem Hintergrund von langfristigen Veränderungen in den Anlegerpräferenzen zu sehen. Zunächst einmal sind die Geldvermögensbestände der privaten Haushalte seit 1950 ständig angestiegen, und zwar nicht nur absolut, sondern auch in Relation zum Verfügbaren Einkommen. So machten die Nettoforderungen der privaten Haushalte 1950 weniger als ein Drittel des Verfügbaren Ein51

Dies bedeutet aber nichts anderes, als daß die marginale Sparquote der Sonderzahlungen bei den Haushaltstypen II und I I I eigentlich noch höher sein müßte als oben errechnet. Denn ohne die Sonderzahlungen — ein weihnachtsorientiertes Konsumverhalten analog zu den Rentnern unterstellt — wäre es zu einer Senkung der Sparquote während der Monate November/Dezember gekommen.

Der Einfluß unerwarteter Einkommenseränderungen

439

Übersicht 2 Geldanlagen der privaten Haushalte in vH des verfügbaren Einkommens

Quelle:

Eigene Berechnungen nach Angaben der Deutschen Bundesbank.

kommens aus, 1983 war es hingegen fast das l,6fache. Zum einen scheint die erwünschte Höhe des Portefeuilles zu Beginn der Betrachtungsperiode (nach der Währungsreform) noch nicht erreicht gewesen zu sein. Zum anderen handelt es sich wohl nicht allein um einen Anpassungsprozeß, sondern mit dem Anstieg des Verfügbaren Einkommens hat gleichzeitig der Wunsch nach finanziellen Reserven zugenommen; das dahinterstehende Bedürfnis nach Sicherheit besitzt wie ein Luxusgut eine Einkommenselastizität >1.

440

Dieter Fricke

Dabei haben sich die einzelnen Anlageformen in ihrer relativen Bedeutung sehr unterschiedlich entwickelt. Bargeld und Sichteinlagen für den Transaktionsbedarf machen seit 1950 nahezu konstant gut 10 v.H. des Verfügbaren Einkommens aus. Der Anteil der Aktien am Portefeuille hat sich in Relation zum Verfügbaren Einkommen kontinuierlich verringert, von 8,4 v.H. 1950 auf 3,2 v.H. 1983, während sich die Bausparbeträge genau umgekehrt entwickelt haben (von 0,8 v.H. auf 11,5 v.H.). Augenscheinlich hatten die Umstellungsmodalitäten der Währungsreform den Aktien eine nicht den Anlegerpräferenzen entsprechende Größenordnung zugewiesen, die dann im Zeitablauf über die Neubildung von Geldvermögen zugunsten anderer Anlagearten korrigiert wurde. Beim Sachvermögen war dies der Wohnungsbau, auch über die Vorstufe des Bausparens. Alles überragt allerdings die Aufstockung des Geldvermögens. Hier waren es vor allem zunächst die Spareinlagen, die bis Ende der 60er Jahre besonders kräftig anwuchsen, sich danach auf einem Niveau von rund 50 v.H. des Verfügbaren Einkommens einpendelten. Seit diesem Zeitpunkt wanderten die Geldvermögenszuwächse insbesondere in die tendenziell weniger liquiden, aber höher rentierlichen Anlageformen der festverzinslichen Wertpapiere und der Termingelder (einschließlich der besonders expansiven Sparbriefanlagen), die 1983 zusammen 45 v.H. des Geldvermögens ausmachten, gegenüber nur 1,1 v.H. 1950. Die Geldanlage bei Versicherungen verzeichnet ebenfalls einen stärkeren Anstieg als das Verfügbare Einkommen, besonders steil in den letzten Jahren (von 5,8 v.H. des Verfügbaren Einkommens im Jahre 1950 auf 32,7 v.H. im Jahre 1983). Klammert man die auf speziellen Motiven beruhenden Geldanlagen im Wohnungswesen und bei den Versicherungen einmal aus, so läßt sich die Entwicklung wie folgt pointieren (Tabelle 3): Die sicheren, liquiden und eher niedrig verzinslichen Anlageformen (Sichtund Spareinlagen) sind in ihrem Anteil an der Bruttogeldvermögensbildung von rund 66 v.H. in den 50er Jahren auf rund 21 v.H. in den 80er Jahren herabgesunken. Demgegenüber haben die weniger liquiden, dafür höher rentierlichen — kaum risikoreicheren — Anlagen (Termineinlagen und festverzinsliche Wertpapiere) ihren Anteil von 7 v.H. auf fast 47 v.H. ausgedehnt. Die Gründe dafür dürften kaum in geänderten Risikopräferenzen liegen, sondern eher in den folgenden Umständen: (1) Die seit Ende der 60er Jahre erreichte Liquidität in Relation zum Einkommen wird allgemein als ausreichend angesehen.

Der Einfluß unerwarteter Einkommenseränderungen

441

Tabelle 3: Die Struktur der Bruttogeldvermögensbildung der privaten Haushalte, 1950-1983 Durchschnittlicher Anteil an der Bruttogeldvermögensbildung in % Anlageform

1950-1959

1960-1969

1970-1979

1980-1983

Sichteinlagen

19,3

10,6

8,6

Spareinlagen

46,6

47,0

36,7

16,5

Termineinlagen

3,3

1,7

12,7

22,6

Festverzinsliche Wertpapiere Aktien

3,7

10,1 4,3

24,2 0,3

Bausparen Versicherungssparen

9,3

14,8 1,0 8,3

17,1

17,1

18,0

4,9 27,3

100 %

100 %

100 %

100 %

1.4 8,7

Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben der Deutschen Bundesbank.

(2) Die zunehmende Inflation erzwang zum Zwecke der realen Vermögenserhaltung eine Umschichtung zugunsten besser verzinslicher Sparformen. (3) Die Informiertheit über das anfänglich vielfach als zu kompliziert empfundene Wertpapiersparen nahm zu, u.a. auch weil der Sparbrief hier eine Marktlücke Schloß.

2. Einkommensveränderungen

und Portfoliostruktur

Unerwartete Einkommensveränderungen haben in diesen trendmäßigen Veränderungen nur wenig sichtbare Spuren in den aggregierten Vermögensgrößen hinterlassen. Dabei zeichnet sich auch hier ein gewisser langfristiger Wandel ab. Während in den 50er und 60er Jahren konjunkturelle Schwankungen im Verfügbaren Einkommen wichtigste Determinante nicht nur der Sparquote, sondern auch der Sparform waren, wurde dies in den 70er und 80er Jahren durch den Faktor ,,Zins44 im Rahmen einer zunehmenden Ökonomisierung

442

Dieter Fricke

des Sparprozesses abgelöst52. Dabei nahm die Flexibilität im Anlegerverhalten zu. In den 50er Jahren führten jeweils wachsende Zuwachsraten beim Einkommen zunächst zu einer Zunahme der liquiden Vermögensbestandteile (Sichteinlagen, Spareinlagen), während die Einzahlungen auf Bausparverträge zunächst zurückgingen. Mit einer zeitlichen Verzögerung von einem Jahr erhöhten sich dann die Spareinlagen, die Anschaffung von festverzinslichen Wertpapieren und die Anlage von Mitteln im Wohnungsbau. Lediglich die Anlage in Aktien zeigte eher antizyklische Züge 53 . In den 60er Jahren kommt es zu starken Sondereinflüssen infolge verschiedener vermögenspolitischer Maßnahmen. Zwar gilt nach wie vor, daß verstärkte bzw. abgeschwächte Wachstumsraten des Verfügbaren Einkommens mit einem Anstieg bzw. Rückgang der Kassenhaltung einhergehen (mit einem entgegengesetzten Verhalten in der Folgeperiode); aber allmählich deutet sich bereits ein negativer Einfluß der Inflationsrate der Vorperiode auf die Kassenhaltung an, eine Tendenz, die in den 70er Jahren zunehmen wird. Bei den übrigen Anlageformen sind die Einflüsse von Einkommensveränderungen nur gering. Negativ auf Einkommensveränderungen reagiert naturgemäß das betragsmäßig fixierte Versicherungssparen. In den 70er Jahren trat unter den Bestimmungsgründen der Sparform der Einfluß von Einkommensveränderungen vollends hinter den des Zinses zurück, nicht zuletzt unter dem Einfluß steigender Inflationsraten. Der Prozeß der Bevorzugung höher verzinslicher Anlageformen zu Lasten der Kassenhaltung und der Spareinlagen setzte sich auch in den Jahren rückläufiger Vermögensbildung fort, wo es dann zu einer verstärkten Umschichtung der Bestände kam. In den 80er Jahren macht sich daneben ein weiterer Trend bemerkbar, der einen zunehmenden Teil des Sparens von Veränderungen des Einkommens abkoppelt: die zunehmende Bevorzugung des vertraglich festgelegten Sparens, nicht zuletzt unter dem Einfluß staatlicher Förderungsmaßnahmen bei der Vermögensbildung54. Rechnet man das Sparen bei Versicherungen und Bausparkassen sowie die Ansprüche gegen betriebliche Pensionsfonds zusammen, so entwickelte sich dieses Vertragssparen von 32,7 v.H. der Sparsumme Anfang der 60er Jahre nach einem Absinken auf 27,8 v.H. im 52

Vgl. Maier, K.M.: a.a.O., S. 359 ff. Ebenda, S. 117 ff. 54 Döhrn, R.: Sparerverhalten und Konsumentwicklung, in: Mitteilungen des RheinischWestfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Jg. 35 (1984), S. 39. 53

Der Einfluß unerwarteter Einkommenseränderungen

443

Durchschnitt der Jahre 1967-1970 auf ein Niveau von 38,2 v.H. im Durchschnitt der Jahre 1980-198355. Für unerwartete Einkommensveränderungen heißt das aber nichts anderes, als daß sich jede Erhöhung der Sparquote als Folge unerwartet gestiegener Einkünfte (oder aus anderen Gründen) zwangsläufig kurzfristig überproportional im Wachstum der übrigen Sparformen niederschlagen muß, umgekehrt auch jeder Rückgang. Der private Haushalt hat sich für die verringerte finanzielle Dispositionsfreiheit infolge der stärkeren vertraglichen Fixierung des Sparens in einer anderen Richtung Kompensationsmöglichkeiten geschaffen. Die Nettoverschuldungsquote für Konsumkredite wurde von 0,7 v.H. des Verfügbaren Einkommens auf 2,0 v.H. zu Beginn der 70er Jahre gesteigert. In den Rezessionsjahren verringerte sich die Verschuldungsquote wieder auf das Ausgangsniveau, teilweise sogar darunter 56. Das Zwecksparen für die Anschaffung von ,,durables" ist damit teilweise durch die Schuldaufnahme ersetzt worden. Auch in dieser Hinsicht wird die Palette der Anlageformen im Portefeuille der privaten Haushalte nun umfassender genutzt. Die Verschuldungsbereitschaft erweist sich dabei in hohem Maße als konjunktur- und zinsreagibel.

3. Der Einfluß der Vermögenseinkommen

auf die Portfoliostruktur

Noch ein weiterer Faktor ist zu beachten, der sowohl zu einer Stabilisierung des Sparvolumens, weitgehend unabhängig von Veränderungen des Einkommens, führt als auch die Sparform wenigstens kurzfristig bestimmt. Es handelt sich um die Vermögenseinkommen der privaten Haushalte, die in ihrer Bedeutung erheblich zugenommen haben. Machten die Vermögenseinkommen 1970 mit rund 23 Mrd. DM erst knapp 40 v.H. der Geldvermögensbildung der privaten Haushalte aus (59 Mrd. DM), so waren es 1983 mit über 88 Mrd. DM schon über 77 v.H. der Geldvermögensbildung von rund 115 Mrd. D M 5 7 . Vermögenserträge werden aber in hohem Maße automatisch (Spar- und Versicherungskonten) oder habitualisiert (Obligationszinsen und Dividenden) erneut als Vermögen angelegt58. Damit aber wird die Geld55

Ebenda. Ebenda, S. 37, 42, ferner: Pohl, R.: Private Haushalte tragen zur Stabilisierung des Kapitalmarktes bei, in: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Wochenbericht 22/83, 50. Jg. (1983), S. 282. 57 Bedau, K.-D.: Vermögenseinkommen der privaten Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland 1970 bis 1983, in: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Wochenbericht 31/84, 51 Jg. (1984), S. 377 ff. 58 Ebenda, S. 382. 56

444

Dieter Fricke

Vermögensbildung in beträchtlichem Umfang zu einem Selbstläufer. Die Sparquote wird in nicht unerheblichem Maße von den Vermögenseinkommen bestimmt. Veränderungen der Einkünfte aus diesen Quellen (durch Zins- und Dividendenänderungen), seien sie nun erwartet oder — zumeist wohl — unerwartet, dürften infolge der hohen marginalen Sparquote in diesem Bereich stärker auf die Spartätigkeit durchschlagen (auch durch ihre Eigenschaft als ,,Sonderzahlungen") als etwa laufende Erwerbseinkünfte. Außerdem wird durch die Einkommensquelle die Anlageform — zumindest vorläufig —- bestimmt. Gutschriften bei Versicherungen, Pensionsfonds und Bausparverträgen verbleiben bei dieser Anlageform und sind nicht disponibel. Sparzinsen werden automatisch den Sparguthaben zugeschrieben, ebenso bei vielen Sparbriefen. Lediglich festverzinsliche Wertpapiere und Aktien ergänzen sich nicht selbsttätig, sondern bedürfen gezielter Anlageentscheidungen. Längerfristig wachsen bei einer institutionalisierten oder habitualisierten Inflexibilität in der Anlageentscheidung damit die höher verzinslichen Anlageformen automatisch schneller als die niedriger verzinslichen, was das relative Gewicht der höher verzinslichen, besonders aber der vertraglich fixierten Anlagen im Portefeuille selbsttätig vergrößert.

4. Sonderzahlungen und Anlageverhalten Unerwartete größere Sonderzahlungen beeinflussen die Struktur der Geldvermögensbildung (auf der Grundlage von Jahreswerten) nur geringfügig (Tabelle 4). Lediglich das vertraglich fixierte Versicherungssparen ging in den untersuchten drei „Sonder-Zahlungsjahren" 1957, 1972 und 1975 naturgemäß bei der Geldvermögensbildung anteilmäßig gegenüber dem Vorjahr zurück. Alle anderen Veränderungen lagen im Trend oder differierten in den einzelnen Jahren. Ein klareres Bild ergibt sich bei den Sonderzahlungen an Arbeitnehmer zum Jahresende. Sie führen im Haupt-Zahlungsmonat November zunächst zu einem starken Anstieg der Sichteinlagen, im nächsten Monat zu einer ebenso starken Verminderung, die einerseits durch den erhöhten weihnachtlichen Konsumbedarf bedingt sein dürfte, die andererseits aber aus umfangreichen Umbuchungen aus Spar- und Terminkonten resultieren dürften (Übersicht 3). Die Anpassung an die gewünschte Portfoliostruktur erfolgt also sehr rasch mit einem nur einmonatigen time-lag. Das erklärt unter anderem auch, daß sich Sonderzahlungen kaum in Jahreswerten niederschlagen.

Quelle:

%

16,7

100

5,1 100 100

5,3 6,9

0,3 1,5

6,4

100

8,8 6,2

0,0

18,6

16,7 16,6

6,7 6,6

13,6 10,9 8,3

14,9

11,0

1973

9,4

6,0

8,5

14,7

20,2 38,1

10,2

6,9 9,4

39,6

27,0 11,7

9,7 2,7

41,7

0,5 2,0

100 100

12,3 7,1

1,4

13,1

3,3 2,9

3,4 8,2 11,4

100 100 100

1,6

8,6

13,4 15,2

46,2

9,2

14,3

8,0

5,9

13,4 11,4

Eigene Berechnungen nach Angaben der Deutschen Bundesbank.

Sa

sonst. Forderungen

Erwerb von Aktien

41,2

9,7 8,2 8,0

33,8

Geldanlage bei Versicherungen 16,9 Erwerb festverzinslicher Wertpapiere 6,7

Bausparkassen

Geldanlage bei

Spareinlagen

15,4

Anteil an der Geldvermögensbildung in v. H. 1957 1958 1971 1972

2,0 2,0 0,8

13,0

Sichteinlagen

Termingelder

1956

Anlageform

16,7

63,4

1974

1972, 1975) im Vergleich zum jeweiligen Vorjahr und Folgejahr

1975

34,4

Die Struktur der Geldvermögensbildung in den Jahren der Sonderzahlungen (1957,

Tabelle 4

1976

Der Einfluß unerwarteter Einkommenseränderungen 445

446

Dieter Fricke

Der Einfluß unerwarteter Einkommenseränderungen

447

IV. Schlußbemerkungen Die bisherigen Überlegungen konzentrierten sich auf das Geldvermögen, das jedoch nur einen Teil des Gesamtvermögens bildet. Geht man — wie etwa Friedman oder Modigliani/Brumberg/Ando — von einem umfassenden Vermögensbegriff aus, der auch die abdiskontierten Einkünfte aus zukünftiger Erwerbstätigkeit umfaßt, so macht in den USA das materielle Vermögen (,,ηοη human wealth") nach den Schätzungen von Jorgensen und Pachon weniger als 4 v.H. des gesamten Lebenszeit-Vermögens der Privaten aus, eine im Zeitablauf relativ konstante Größe 59. Aber selbst bei Veränderungen im Umfang des materiellen Vermögens im engeren Sinne spielt das Sparen beileibe nicht die allein entscheidende Rolle. Nach den Schätzungen von Goldsmith liegt der Anteil des Sparens am Wachstum des Vermögens bei den meisten von ihm untersuchten Nationen im Zeitraum von etwa Mitte der 50er Jahre bis Mitte der 70er Jahre bei ungefähr nur einem Drittel oder weniger 60. Das gilt in ganz besonderem Maße für die Bezieher höherer Einkommen mit einem größeren Vermögen 61. Viel wichtiger für die Größe und Zusammensetzung des Portefeuilles sind Wertveränderungen infolge von Änderungen der absoluten und relativen Preise. Da das Individuum seine Portfolioentscheidungen nicht auf der Grundlage der tatsächlichen, sondern nur der von ihm wahrgenommenen Realität trifft 6 2 , stellt sich hier die Frage, ob in der Mehrzahl überhaupt bewußte Anpassungen an Veränderungen der Portfoliostruktur bei (oft unbekannten) Wertveränderungen vor allem von Grundstücken und Beteiligungen (teilweise auch bei Aktien) stattfinden können. Insofern bildet das Geldvermögen nur einen kleinen Ausschnitt des Gesamtvermögens, das sich für den einzelnen Vermögensbesitzer als vergleichsweise übersichtlich und flexibel darstellt. Für diesen Teilbereich des Vermögens und der Vermögensbildung ergeben sich die folgenden Schlußfolgerungen:

59 Jorgensen, D.W. und Pachon, Α.: The Accumulation of Human and Nonhuman Capital, in: Modigliani, F. und Hemming , R. (Hrsg.), The Determinants of National Saving and Wealth, New York 1983, S. 339 ff. 60 Goldsmith , R.W.: Saving and Changes in National and Sectoral Balance Sheets, in: Modigliani, F. und Hemming, R., a.a.O., S. 291. 61 Barlow, R., Brazer, Η.E. und Morgan, J.N. : Economic Behavior of the Affluent, Westport/Conn. 1978, S. 88. 62 Fricke, D.: Das Sparverhalten der privaten Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1972, S. 132 ff.

448

Dieter Fricke

— Unerwartete Einkommensveränderungen führen im allgemeinen zu einer Veränderung der Sparquote in der gleichen Richtung; das gilt für den Konjunkturverlauf und für Sonderzahlungen. Von den Sonderzahlungen scheint aber unabhängig davon, ob sie erwartet oder unerwartet eintreffen, ein Anteil von rund 60 v.H. gespart zu werden. Sonderzahlungen bestimmen bei Arbeitnehmern rund 40 v.H. der Sparquote. Ein entgegengesetztes Reaktionsmuster ist bei Minderungen des Realeinkommens durch die Inflation gegeben, wenn die tatsächliche Inflationsrate über der in der Einkommenssteigerungsrate antizipierten Inflationsrate liegt. Hier kommt es zu einem verstärkten Sparen, als Reaktion auf eine objektiv weniger sicher gewordene Situation (Juster und Wachtel) oder infolge subjektiver Wahrnehmungsverzerrungen (Deaton). Ein immer größerer Teil der Ersparnisse speist sich quasi automatisch aus den Vermögenserträgen. Das Sparen wird damit weitgehend zum Selbstläufer. Veränderungen bei den Vermögenseinkünften, die zu einem großen Teil eher unerwartet sein dürften, bestimmen daher in steigendem Maße die Sparquote. — Auf die Portfoliostruktur haben unerwartete oder größere Einkommensveränderungen einen nur sehr begrenzten Einfluß. Einmal sind es gewisse technische Verzögerungen, die etwa bei Sonderzahlungen zunächst die Sichteinlagen anschwellen lassen; aber schon im Folgemonat fließen diese Beträge in andere, dauerhaftere Anlageformen weiter. Im übrigen folgt die Wahl der Anlageform in starkem Maße einem langfristigen Veränderungstrend, weg von den liquiden, niedrig verzinslichen Sparformen, hin zu den höher verzinslichen Sparformen und den Sparformen mit vertragsmäßigen Bindungen. In dem enger gewordenen Bereich nicht vertraglich fixierter Anlageformen muß jede Veränderung der Sparquote infolge unerwarteter Einkommensveränderungen konsequenterweise zu stärker werdenden Ausschlägen bei den liquiden Sparformen führen. Verstärkte Flexibilität zeigen die privaten Haushalte in ihrem Portefeuille hinsichtlich der tendenziell höheren Kreditaufnahme, die stark zyklischen Mustern folgt. Insgesamt prägen mehrere, teils gegenläufige Tendenzen das Bild des Spar- und Anlegerverhaltens: — Eine stärkere vertragliche Fixierung des Sparens, was die Ersparnis stabiler macht, auf die Sparquote aber in Richtung antizyklischer Schwankungen einwirkt. — Das wachsende Gewicht von Vermögenseinkünften beim Sparen koppelt das Sparen teilweise von der übrigen Einkommensentwicklung ab; diese

Der Einfluß unerwarteter Einkommenseränderungen

449

Sparquote aus Vermögenseinkünften ist ihrerseits eng an die Entwicklung dieser Einkunftsart gebunden, verläuft also tendenziell prozyklisch. — Durch die Bedeutungszunahme der Sparformen mit vertraglicher Fixierung (Versicherungssparen, Pensionsfonds, Bausparen), ebenso durch das habitualisierte Wiederanlegen von Vermögenserträgen ist ein größerer Teil des Portefeuilles inflexibler geworden. — Im verbleibenden Teil des Portefeuilles zeigt sich eine höhere, von Renditeüberlegungen geprägte Flexibilität in der Anlageform, ergänzt durch die verstärkte Nutzung der Kreditmöglichkeiten. — Sonderzahlungen — erwartete und unerwartete — außerhalb des normalen Einkommensrhythmus tragen in hohem Maße zum Sparaufkommen bei.

E. Stellung des Staates im Sparprozeß

Der Beitrag des Staates zur volkswirtschaftlichen Geld- und Sachvermögensbildung Von Hans-Bodo Leibinger, Freiburg

I. Einführung und Problemstellung Das gesamtwirtschaftliche Vermögen oder Volksvermögen setzt sich aus der Summe der (privaten und öffentlichen) Sachvermögen und den Nettoforderungen gegenüber dem Ausland zusammen. Unter Sachvermögen werden die insgesamt in Sachanlagen investierten finanziellen Mittel, vermindert um den Werteverschleiß (also das Nettoanlagevermögen), zusätzlich der in den Lagerbeständen investierten Mittel verstanden. Das Nettogeidvermögen ist die Differenz aus Forderungen (Geldvermögen) und Verbindlichkeiten. Da sich in der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung die Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen Inländern gegenseitig aufheben, geht in das Volksvermögen nur der Geldvermögenssaldo gegenüber dem Ausland ein. Aufgrund der über viele Jahre anhaltenden Leistungsbilanzüberschüsse war das Nettogeldvermögen der Bundesrepublik stets positiv1; der Anteil am gesamten Vermögen ist jedoch selten über 3 v.H. gestiegen2, so daß die Vermögenssituation der Bundesrepublik im groben durch den Umfang des Sachvermögens gekennzeichnet werden kann. Für genauere Informationen über die Verteilung des Volksvermögens gliedert man die Gesamtwirtschaft in die Sektoren private Haushalte, Unternehmen und öffentliche Haushalte auf; in dieser Betrachtung erscheinen dann auch positive und negative Geldvermögen einzelner Sektoren. Da der Geldvermögensbildung in der Volkswirtschaft eine wichtige Steuerungsfunktion zukommt, soll im folgenden zwischen einem realen und einem — in ge1 Mit den Leistungsbilanzdefiziten der Jahre 1979 bis 1981 und der in dieser Zeit gleichzeitig käftig gestiegenen Auslandsverschuldung des Staates ist zwar ein gewisser Geld-Vermögensverzehr eingetreten, doch betrug das Netto-Auslandsvermögen der Bundesrepublik auch Ende 1981 noch gut 59 Mrd. DM. Vgl. Deutsche Bundesbank, Monatsberichte 10/1984, S. 35 und 37. 2 Vgl. B. Görzig: Finanzierung der Vermögensrechnung, in: Beihefte der Konjunkturpolitik, Heft 30, Kapital und Wachstum in den achtziger Jahren, Berlin 1983, S. 182.

454

Hans-Bodo Leibinger

wissen Sinne eigenständigen — monetären Aspekt der Kapitalbildung unterschieden werden3. Der Beitrag des Sektors Staat zur volkswirtschaftlichen Vermögensbildung besteht zunächst in der Sach- und Geldvermögensbildung, wie sie in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ausgewiesen werden4; insoweit besteht kein Unterschied zur Vermögensbildung der anderen Sektoren. Daneben gehen von vielen finanzwirtschaftlichen Entscheidungen Wirkungen auf die private Vermögensbildung aus, die in Hinblick auf die gesamtwirtschaftliche Vermögensbildung — auch wenn sie sich nicht exakt quantifizieren lassen — oft noch wichtiger sind als die direkte staatliche Vermögensbildung. Wir werden im ersten Hauptteil kurz die Entwicklung der direkten staatlichen Geld- und Realkapitalbildung in den letzten fünfundreißig Jahren darstellen. Im zweiten Hauptteil werden wir ausführlicher die Wirkungen der staatlichen Finanzgebarung — insbesondere der wachsenden Staatsverschuldung — auf die private Vermögensbildung erörtern.

II. Staatliche Real- und Geldkapitalbildung Bis Mitte der 70er Jahre hatten die öffentlichen Haushalte (einschließlich Sozialversicherung) in der Bundesrepublik Deutschland ihr Gesamtvermögen kontinuierlich erhöht. Seit 1975 kehrte sich diese Entwicklung um, und der Staat baute — mit Ausnahme der Jahre 1977 bis 1979, in denen noch eine geringfügige Ersparnisbildung zu verzeichnen war — sein Gesamtvermögen sukzessive ab (vgl. Tàb. 1). In den globalen Zahlen zur gesamten Nettokapitalbildung spiegelt sich jedoch eine recht unterschiedliche Entwicklung der staatlichen Realvermögensbildung einerseits und der Geldvermögensbildung andererseits wider. Wie Tabelle 1 verdeutlicht, folgte die nominelle Sachvermögensbildung des Staates in den ersten drei Jahrzehnten einem deutlich aufwärts gerichteten Trend, wobei allerdings seit Mitte der 60er Jahre spürbare konjunkturelle — zumeist prozyklische — Schwankungen zu erkennen sind. Im Jahre 1980 war das Volumen der öffentlichen Nettoinvestitionen mehr als fünfmal so hoch 3 Vgl. hierzu auch W. Ehrlicher. Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit, in: Kapitalmarkt und Arbeitsmarkt. Wechselwirkungen und Abhängigkeiten, Beiträge von W. Ehrlicher u.a., Frankfurt/M. 1975, S. 7 ff. 4 Zur Quantifizierung der staatlichen Geld- und Sachkapitalbildung in den unterschiedlichen Abgrenzungen der amtlichen Statistiken vgl. insbesondere den Beitrag von H. Kock in diesem Band.

Der Beitrag des Staates zur Geld- und Sachvermögensbildung

455

Tabelle 1

Vermögensbildung des Staates*) in den Jahren 1950 -1984 (in Mrd. DM) Forderungen und Verbindlichkeiten

Jahr*» 1950 1955 1950-59 insgesamt 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1. Hj. 1984

Geldvermögensbildung

Kreditaufnahme

Netto-Vermögensbildung

Netto-Geld- Sachvermögensvermögens- bildung (Nettobildung0) investitionen)

insgesamt

3,65 10,15

1,10 1,27

2,55 8,88

1,56 4,12

4,11 13,00

78,89 12,17 14,29 8,74 9,89 9,96 6,91 7,92 9,13 7,80 7,75 10,33 14,38 12,48 30,87 12,42 13,49 3,01 5,71 10,38 4,06 8,09 18,02 12,98 11,25 - 2,55

16,23 3,04 5,07 3,53 6,44 6,91 9,66 8,76 16,10 12,00 1,24 8,98 15,55 16,85 19,85 25,38 72,05 41,70 34,97 42,81 41,85 54,72 77,41 68,01 56,94 18,57

62,66 9,13 9,22 5,21 3,45 3,05 - 2,75 - 0,84 - 6,97 - 4,20 6,51 1,35 - 1,17 - 4,37 11,02 -12,97 -58,56 -38,69 -29,25 -32,43 -37,78 -46,63 -59,39 -55,03 -45,69 -21,12

36,86 8,60 10,20 12,88 15,54 19,14 18,92 19,05 16,60 18,20 20,99 28,02 30,12 29,68 30,48 34,91 34,65 33,26 33,00 36,19 41,33 46,37 42,22 36,55 32,50 12,46

99,52 17,73 19,42 18,09 18,99 22,19 16,17 18,21 9,63 14,00 27,50 29,37 28,95 25,31 41,50 21,94 -23,91 - 5,43 3,75 3,76 3,55 - 0,26 -17,17 -18,48 -13,19 - 8,66

a) Gebietskörperschaften (einschließlich LAF und ERP-Sondervermögen) und Sozialversicherung. b > Bundesgebiet bis 1959 ohne, ab 1960 einschl. Berlin (West) und Saarland. c) Geldvermögensbildung ./. Kreditaufnahme = Finanzierungsüberschuß bzw. Finanzierungsdefizit ( - ) . Quellen: Deutsche Bundesbank und eigene Berechnungen.

456

Hans-Bodo Leibinger

wie noch zwanzig Jahre zuvor. Seit 1981 sind die staatlichen Investitionen allerdings in besonders starkem Maße den Anstrengungen zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte zum Opfer gefallen und befinden sich gegenwärtig wieder auf dem Niveau der frühen 70er Jahre. Was die Verteilung des gesamtwirtschaftlichen Sachkapitals betrifft, so hat der Staat gegenwärtig einen Anteil von etwa 17 v.H. (vgl. Abbildung 1). An der Verteilung des Realvermögens unter den volkswirtschaftlichen Sektoren5 hat sich damit in den letzten zehn Jahren relativ wenig geändert. In den Jahren davor steigerte allerdings vor allem der Staat seinen Anteil zulasten der Produktionsunternehmen, deren Anteil von 53 v.H. im Jahre 1960 auf weniger als 49 v.H. im Jahre 1970 zurückging6. Abbildung 1: Verteilung des Sachvermögens 1982

Produktionsuntfernehmen 4 8

X

Quelle: DIW-Vermögensrechnungen.

Während — wie ausgeführt — die staatliche Realkapitalbildung seit Bestehen der Bundesrepublik im Trend gestiegen ist, stellte sich bei der Geldvermögensbildung des Staates ein radikaler struktureller Wandel ein. Der Fiskus entwickelte sich vom Gläubiger zum Schuldner (vgl. Tab. 1 und Abb. 2). 5 Sachvermögen wird vornehmlich von den Unternehmen und dem Staat gebildet. Der Kauf von langlebigen Gütern seitens der privaten Haushalte wird demgegenüber nach internationaler Konvention entweder dem Konsum (z.B. Kauf von Kraftfahrzeugen) oder aber — wie beispielsweise die Erstellung privater Wohnbauten — der Sachvermögensbildung des Unternehmenssektors zugerechnet. 6 Vgl. B. Görzig: Finanzierung der Vermögensbildung, a.a.O., S. 163.

Der Beitrag des Staates zur Geld- und Sachvermögensbildung457

Nach Häuser 7 vollzog sich dieser Prozeß jedoch nicht kontinuierlich. Es lassen sich vielmehr zwei Strukturbrüche nachweisen, die es erlauben, den gesamten Beobachtungszeitraum in drei unterschiedlich lange Phasen einzuteilen. In der ersten Phase, die sich von 1950 bis 1964 erstreckte, präsentierte sich der Staat nicht nur als Investor, sondern in erheblichem Umfang auch als Nettoanbieter von Geldkapital. Den Grund dafür, daß der Fiskus trotz des damals noch relativ niedrigen Lebensstandards hohe Finanzierungsüberschüsse bilden konnte, sieht Häuser insbesondere darin, „daß die hohen Wachstumsraten bei einem insgesamt progressiven Steuersystem zu überproportional steigenden Steuereinnahmen führten" und zudem „die Ansprüche an den Staat, trotz der z.T. beträchtlichen Kriegs- und Nachkriegslasten, im Vergleich zu heute noch bescheiden gewesen sind" 8 . Die zweite Phase, die von 1965 bis 1974 dauerte, nennt Häuser die Periode der Ambivalenz. Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß der Staat in diesem Zeitraum sowohl als Nettoanbieter sowie auch als Nettonachfrager auf dem Kapitalmarkt in Erscheinung trat 9. Der sogenannte Ölpreisschock sowie der tiefe konjunkturelle Einbruch der Jahre 1974/75 leiteten die dritte Phase ein, in der sich die öffentlichen Haushalte nunmehr endgültig als Schuldner präsentierten 10. Wie ausgeprägt dieser Umschwung war, geht aus der Tabelle 1 hervor. Konnte der Staat noch im Jahre 1973 seine Investitionen aus eigenen Mitteln finanzieren und darüber hinaus dem Kapitalmarkt noch einen Finanzierungsüberschuß von rund 11 Mrd. DM zur Verfügung stellen, so benötigte er schon im darauffolgenden Jahr knapp 13 Mrd. DM zur Finanzierung seiner Defizite. Im absoluten Tiefpunkt der Rezession, im Jahre 1975, stieg das Defizit im öffentlichen Haushalt auf 58,6 Mrd. DM an. Zur Deckung dieser Finanzierungslücke beanspruchte der Staat rund zwei Drittel der Jahresersparnisse der gesamten Volkswirtschaft 11. Während der ersten Konsolidierungsphase der Jahre 1976/77 waren dann die öffentlichen Finanzierungsdefizite stark rückläufig; mit dem Umschalten der Finanzpolitik auf einen erneuten Expansionskurs im Jahre 1978 stiegen sie jedoch schon bald wieder kräftig an und erreichten 1981 mit gut 59 Mrd. DM ihren bisherigen Höhepunkt. Gleichwohl standen die öffentlichen Haus7

Vgl. K. Häuser: Die Rolle des Staates auf dem Kapitalmarkt, in: G. Bruns, K. Häuser

(Hrsg.): 30 Jahre Kapitalmarkt in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 1981, S. 95 ff. 8

Vgl. ebenda, S. 98.

9

Vgl. ebenda, S. 99.

10

Vgl. K. Häuser: Die Rolle des Staates ..., a.a.O., S. 101 ff.

n

Vgl. ebenda, S. 102.

Hans-Bodo Leibinger

458

Abbildung 2 Geldvermögensbildung der volkswirtschaftlichen Sektoren 1950-1983

Quelle der Ursprungsdaten:

Deutsche Bundesbank.

Der Beitrag des Staates zur Geld- und Sachvermögensbildung459

halte bereits seit 1981 im Zeichen einer aktiven Konsolidierungspolitik. Sie fand allerdings in der Entwicklung der Finanzierungsdefizite zunächst noch keinen Niederschlag, da es aufgrund des erneut sehr tiefen konjunkturellen Einbruchs der Jahre 1981/82 zu erheblichen auslastungsbedingten Steuermindereinnahmen und Mehrausgaben kam. Erst mit der wirtschaftlichen Wiederbelebung des Jahres 1983 schlugen sich die — inzwischen noch weiter verstärkten — Konsolidierungsmaßnahmen auch in deutlich geringeren Haushaltsfehlbeträgen nieder.

III. Der Einfluß des Staates auf die private Vermögensbildung 1. Beeinflussung der privaten Sachkapitalbildung Was nun die Anregung der privaten Investitionstätigkeit durch den Staat betrifft, so wollen wir im folgenden zwischen einer unmittelbaren und einer mittelbaren Einflußnahme unterscheiden. Zu den unmittelbaren Förderungsmaßnahmen sollen dabei alle Instrumente gezählt werden, die direkt an die Vornahme von privaten Sachinvestitionen gekoppelt sind. Mittelbare Investitionsförderungsmaßnahmen sind demgegenüber all jene, die erst über andere wirtschaftliche Größen — etwa die Veränderung der Nettogewinne oder der verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte — auf die reale Investitionstätigkeit einwirken. Dabei kann zwischen diskretionären Maßnahmen einerseits und den globalen Effekten der gesamten Haushaltsgebarung andererseits unterschieden werden. Der Tabelle 2 ist diese Einteilung zugrunde gelegt; sie gibt zugleich einen Überblick über die vermutlich wichtigsten diskretionären Maßnahmen, auf die nun kurz etwas näher eingegangen werden soll.

a) Diskretionäre Maßnahmen Wie in Tabelle 2 dargestellt, bedeutet die Vornahme von öffentlichen Netto-Anlageinvestitionen nicht nur eine direkte Erhöhung des volkswirtschaftlichen Realkapitals; zumindest für jene staatlichen Sachinvestitionen, die als unabdingbare Voraussetzung für die Aufnahme privater Produktion anzusehen sind (z.B. Erschließung von Industriegebieten), gilt, daß sie unmittelbar auf eine Anhebung des Niveaus der privaten Nettoanlageinvestitionen hinwirken. Daneben kann auch jenen öffentlichen Sachinvestitionen ein mittelbar investitionsfördernder Effekt für die Privatwirtschaft zugeschrieben werden, die über ihren Vorleistungscharakter die Rentabilität der privaten In-

460

Hans-Bodo Leibinger

vestitionen erhöhen, auch wenn sie für deren Vornahme keine unabdingbare Voraussetzung darstellen. Täbelle 2 Der Beitrag des Staates zur volkswirtschaftlichen Sachvermögensbildung Eine grobe Systematisierung direkter Beitrag:

öffentliche Netto-Anlageinvestitionen

indirekter Beitrag: staatlich bewirkte Erhöhung der privaten NettoAnlageinvestitionen — unmittelbare (gezielte) Einflußnahme: diskretionäre Maßnahmen, die an die tatsächliche Vornahme von privaten Sachinvestitionen gekoppelt sind: — öffentliche Sachinvestitionen, soweit sie unabdingbare Vorleistungen für private Sachinvestitionen darstellen — zweckgebundene Investitionshilfen (Investitionszulage, Darlehen etc.) an private Unternehmen (einschließlich Wohnungsbau) — gezielte steuerliche Förderung von Unternehmensinvestitionen (Abschreibungsvergünstigungen, „unechte" Investitionsprämie etc.) — mittelbare Einflußnahme: Maßnahmen, die nicht an die tatsächliche Vornahme von privaten Sachinvestitionen gekoppelt sind: 1) wichtige diskretionäre Maßnahmen, denen allgemein ein recht enger Bezug zu den privaten Investitionen zuerkannt wird — öffentliche charakter

Sachinvestitionen mit nicht unabdingbarem Vorleistungs-

— Investitionshilfen an private Unternehmen, die nicht zweckgebunden sind — Gewinnsteuersenkungen und sonstige allgemeine steuerliche Entlastungen für Unternehmen — Förderung der Geldvermögensbildung der privaten Haushalte 2) globale Effekte der gesamten Haushaltsgebarung (auch alle zuvor genannten diskretionären Maßnahmen sowie sämtliche Entzugseffekte im privaten Bereich über Steuern, Abgaben und Kreditgewährung an den Staat sind mit einbezogen) Natürlich können öffentliche Sachinvestitionen auch in einem Substitutionsverhältnis zu privaten Investitionsvorhaben stehen. In diesem Falle würde dem direkten Beitrag des Staates zur volkswirtschaftlichen Realvermögensbildung ein entsprechend geringerer Beitrag der Privaten gegenüberstehen. Da jedoch der Anteil der Infrastrukturinvestitionen an den gesamten öffentlichen Sachinvestitionen sehr hoch ist, bleibt zu vermuten, daß die Förderungseffekte bezüglich der privaten Investitionstätigkeit eindeutig überwiegen.

Der Beitrag des Staates zur Geld- und Sachvermögensbildung461

Was die staatlichen Investitionshilfen für private Unternehmen, also Investitionszulagen, (zinsverbilligte) Darlehen etc., angeht, so muß als unsicher gelten, ob diese tatsächlich zu einer Erhöhung der privaten Realkapitalbildung beitragen. Werden etwa Unterstützungszahlungen lediglich zur Finanzierung ohnehin geplanter Investitionen in Anspruch genommen (reine „Mitnahmeeffekte") so kann in diesen Maßnahmen kein unmittelbarer Beitrag des Staates zur privaten Sachvermögensbildung gesehen werden. Allerdings ist denkbar, daß die mit solchen Förderungsmitteln bewirkte Liquiditätsoder Gewinnverbesserung in den Unternehmen über kurz oder lang doch zu einer gewissen Ausdehnung der realen Investitionstätigkeit führt. Man hätte es dann mit einem mittelbaren Beitrag des Staates zu tun. Andererseits muß aber auch gesehen werden, daß bestimmte Arten von Subventionen ein privates Investitionsvolumen induzieren können, das ein Vielfaches der staatlichen Fördersumme ausmacht. Dies könnte etwa bei der Gewährung einer Investitionsprämie in Form einer prozentualen Zulage zu den Aufwendungen für die jeweils zusätzlich getätigten Investitionen — wie 1982 praktiziert — der Fall sein. Der Beitrag des Staates zur Aufstockung des privaten Kapitalstocks wäre dann mit einem entsprechend höheren als dem tatsächlich aufgewendeten Förderungsbetrag anzusetzen. In dem Umfang, wie Mitnahmeeffekte trotz effizienter Ausgestaltung12 der staatlichen Zuschüsse nicht zu vermeiden sind, können noch immer die dann vergleichsweise erhöhten Gewinne der Unternehmen stimulierend auf die künftige Investitionstätigkeit wirken. Die Gefahr, daß der stets erforderliche Strukturwandel innerhalb einer Volkswirtschaft verzögert und damit das Wachstum des privaten Kapitalstocks mittel- bis längerfristig eher gebremst wird, ist bei einer solchen staatlichen Investitionszulage — im Gegensatz zu allgemeinen Subventionszahlungen an „notleidende" Branchen — wohl sehr gering einzuschätzen. Es kann vielmehr vermutet werden, daß die zeitweise Verbilligung von (risikoreichen) Investitionsobjekten den Unternehmen Anreize für eine schnellere Anpassung ihrer Produktionsstrukturen bietet. Als steuerliche Investitionsförderungsinstrumente, die direkt an die tatsächliche Vornahme von Sachinvestitionen geknüpft sind, wären vor allem (dauerhafte oder befristete) Abschreibungsvergünstigungen sowie die zeitweise Gewährung eines anteiligen Abzugs des Investitionsaufwandes für neu beschaffte Investitionsgüter von der Steuerschuld („unechte" Investitionsprämie) zu nennen. 12 Vgl. A. Oberhäuser. Möglichkeiten einer effizienteren Gestaltung staatlicher Investitionszuschüsse in der Rezession, in: P. Bohley, G. Tolkemitt (Hrsg.): Wirtschaftswissenschaft als Grundlage staatlichen Handelns, Tübingen 1979, S. 85 ff.

462

Hans-Bodo Leibinger

Der Vorteil der unechten Investitionsprämie gegenüber den Sonderabschreibungen in Form beschleunigter Absetzungsmöglichkeiten liegt für die Unternehmen zweifellos darin, daß hier endgültige Steuerersparnisse eintreten, während die Abschreibungsvergünstigungen (bezogen auf einzelne Investitionsobjekte) lediglich zu einer — vom Grenzsteuersatz abhängigen — vorübergehenden Liquiditätsverbesserung und einem zinslosen Steuerkredit führen. Beide Instrumente setzen allerdings voraus, daß während der Förderungsdauer ein steuerpflichtiger Gewinn vorliegt. In Phasen schlechter Ertragslage wirken diese Maßnahmen somit nur sehr begrenzt. Wenn auch Abschreibungsvergünstigungen als konjunkturpolitisches Instrument zur Stimulierung der privaten Investitionstätigkeit wenig erfolgversprechend erscheinen13, so wird ihnen doch unter dem längerfristigen Aspekt der privaten Realkapitalakkumulation im allgemeinen ein hoher Stellenwert beigemessen. Diese Einschätzung wurzelt nicht zuletzt darin, daß beschleunigte Absetzungsmöglichkeiten in den ersten Jahren insbesondere bei hohen und progressiv gestaffelten Steuersätzen das Investitionsrisiko erheblich mindern und zudem durch laufende Neuinvestitionen (und damit immer wieder neu geschaffenen Abschreibungsmöglichkeiten) langfristig eine echte Steuerersparnis erreicht werden kann. Als wichtige mittelbare, im Sinne von nicht an die tatsächliche Vornahme von Investitionen geknüpfte staatliche Investitionsförderungsinstrumente kommen neben den oben bereits diskutierten Maßnahmen vor allem noch allgemeine Gewinn- und Kostensteuersenkungen in Betracht. Zur Anregung der privaten Sachkapitalbildung in rezessiven Phasen dürfte der (zeitlich befristete) Einsatz dieser steuerlichen Maßnahmen in der Regel nur wenig geeignet sein, da bei ohnehin gedrückten Bruttogewinnen (bzw. gar Verlusten) und weit verbreiteten pessimistischen Erwartungen der Unternehmen bezüglich ihrer weiteren Absatz- und Ertragsentwicklung die Steuererleichterungen überwiegend zum (relativen) Abbau von Verbindlichkeiten oder zur Erhöhung der Finanzinvestitionen genutzt werden dürften. Größere Bedeutung könnte aber auch diesen Instrumenten wiederum im Hinblick auf die längerfristige Realkapitalakkumulation im privaten Sektor zukommen. Die Wirkungen der Kostensteuern auf die private Investitionsneigung hängt wesentlich davon ab, wie die Unternehmen die Überwälzungschancen beurteilen. Diese können generell als recht günstig gelten, weil die einzelnen Unternehmen von solchen Steuern relativ gleichmäßig getroffen werden. Da 13 Vgl. auch H. E. Büschgen: Anlageinvestitionen im Konjunkturverlauf — Zum Investitionsverhalten deutscher Unternehmen, in: Die konjunkturpolitischen Lehren des letzten Jahrzehnts, Berlin 1977, S. 70.

Der Beitrag des Staates zur Geld- und Sachvermögensbildung463

aber diese Steuern auch fällig werden, wenn kein Gewinn oder gar ein Verlust entsteht, tragen sie zu einer Erhöhung des Investitionsrisikos bei. Eine Senkung der Kostensteuern könnte von daher möglicherweise doch geeignet sein, die trendmäßige Ausweitung des privaten Kapitalstocks zu beschleunigen. Die Bedeutung der Gewinnsteuern für die private Investitionstätigkeit ist nicht so eindeutig auszumachen. Hohe Gewinnsteuersätze beschneiden nämlich nicht nur die Nettoertragsrate von Investitionen relativ stark, sie führen auch dazu, daß sich der Staat bei verlustreichen Investitionsobjekten — sofern die Unternehmen noch in der Gewinnzone bleiben — in Höhe des Grenzsteuersatzes auch an diesen Verlusten beteiligt. Das Investitionsrisiko wird damit herabgesetzt. Dieser Effekt wird noch verstärkt, wenn — wie in der Bundesrepublik der Fall — die Möglichkeit eines intertemporalen Verlustausgleichs besteht und großzügige Abschreibungsmöglichkeiten gewährt werden14. Wenig strittig dürfte allerdings sein, daß geringe Gewinnsteuersätze bezüglich der Investitionsneigung günstiger zu beurteilen sind als hohe. Solange aber eine kritische Schwelle („überzogene" Progression), ab der die Investitionstätigkeit mit einiger Sicherheit nachhaltig beeinträchtigt wird, noch nicht überschritten ist, wird man wohl davon ausgehen können, daß Gewinnsteuersenkungen schon erheblich sein müßten, um die Investitionstätigkeit nennenswert anzuregen, zumal eine zumindest partielle Überwälzung der Gewinnsteuern ohnehin nicht ganz unwahrscheinlich ist 15 . Der damit verbundene Steuerausfall für den Fiskus würde dann allerdings Anpassungen auf der Ausgabenseite des öffentlichen Budgets erzwingen, die wiederum hemmend auf die private Investitionsneigung zurückwirken könnten. Ein weiteres mittelbares Instrument zur Stimulierung der privaten Realvermögensbildung könnte auch in der Förderung des Sparens der privaten Haushalte gesehen werden. Sofern solche Förderungsmaßnahmen tatsächlich zu einem erhöhten Geldkapitalangebot führen, könnte es über die damit verbundenen Zinssenkungstendenzen zu einer Anregung der privaten Investitionstätigkeit kommen. Man könnte dann hier vom Wachstumsaspekt der Sparförderung sprechen und diesen dem Verteilungsaspekt gegenüberstellen, auf den eine solche Politik wohl in erster Linie gerichtet ist. Auf die Steuerungsfunktion der Geldkapitalbildung für die Sachkapitalbildung soll später noch etwas näher eingegangen werden. 14 Vgl. hierzu auch W. Ehrlicher. Art. „Finanzwissenschaft", in: Kompendium der Volkswirtschaftslehre, Bd. 2, hrsg. von W. Ehrlicher u.a., 4. Aufl., Göttingen 1975, S. 359 f. 13 Vgl. hierzu die im „Finanzarchiv" geführte Diskussion zur Überwälzbarkeit von Gewinnsteuern im Anschluß an den Artikel von C. Föhl: Kritik der progressiven Einkommensbesteuerung, Finanzarchiv, Bd. 14 (1953/54), S. 88 ff.

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b) Globale Effekte der gesamten Haushaltsgebarung Im vorangegangenen Abschnitt wurden nur solche Einzelmaßnahmen angesprochen, bei denen ein recht enger Bezug zur volkswirtschaftlichen Realkapitalbildung allgemein anerkannt wird. Daneben ließen sich noch eine ganze Reihe weiterer „vermögenswirksamer" Maßnahmen nennen, wobei je nach Gewichtung der sicherlich zahlreichen Determinanten der privaten Investitionstätigkeit die staatliche Einflußnahme als mehr oder weniger ausgeprägt einzuschätzen wäre. Mißt man etwa — und empirische Untersuchungen geben dazu Anlaß 16 — der aktuellen Nachfrageentwicklung eine zentrale Rolle für die Investitionsentscheidungen bei, so käme nahezu allen Haushaltsposten eine nicht unerhebliche Bedeutung für die private Sachkapitalbildung zu. Den jeweiligen nachfragewirksamen Aktivitäten des Staates sind freilich stets die Entzugseffekte der Finanzierung des Staatshaushaltes gegenüberzustellen. Durch die Erhebung von Steuern, Beiträgen und Gebühren werden ja den privaten Wirtschaftssubjekten finanzielle Mittel entzogen, die für Investitionen — wie natürlich auch für Geldersparnisse — nicht mehr zur Verfügung stehen. Auch über eine Kreditfinanzierung der öffentlichen Ausgaben ist unter bestimmten Bedingungen, auf die wir gleich näher eingehen wollen, eine Verdrängung privater Investitionsnachfrage möglich. Um die Wirkungen der Staatstätigkeit auf die gesamtwirtschaftliche Aktivität im allgemeinen sowie den volkswirtschaftlichen Sparprozeß im besonderen zu beurteilen, ist es also erforderlich, den gesamten Staatshaushalt einer Analyse zu unterziehen, d. h. die globalen Effekt der Staatstätigkeit auf den Wirtschaftsablauf abzuschätzen. Zu diesem Zwecke wurden in den vergangenen 20 Jahren eine Vielzahl von Budgetkonzeptionen entwickelt, die allerdings alle auf Nachfrageimpulse bzw. -effekte abstellen. Um auch den heute oftmals als bedeutsamer angesehenen „Angebotseffekten" der gesamten öffentlichen Haushaltsgebarung Rechnung zu tragen, erscheint es allerdings unerläßlich, die in solchen Konzepten errechneten Budgetimpulse (-effekte) noch außerhalb der jeweiligen Konzepte zu interpretieren und zu modifizieren. Die Schlüsselrolle einer solchen globalen Betrachtung — und zwar sowohl unter dem nachfrage- wie auch dem angebotseitigen Aspekt — spielt dabei die öffentliche Verschuldungspolitik. Ihr dürfte schon aufgrund des quantitativen Ausmaßes der jährlichen Defizitän16 Vgl. z.B. L. Uhlmann: Konsum- und Investitionsverhalten in der Bundesrepublik Deutschland seit den fünfziger Jahren, Bd. II, Das Investitionsverhalten der Industrie im Spiegel von Investorenbefragungen, Berlin 1981.

Der Beitrag des Staates zur Geld- und Sachvermögensbildung465

derungen im Vergleich zu allen anderen staatlichen Maßnahmen vermutlich die größte Bedeutung für die private Vermögensbildung zukommen. Ob durch die öffentliche Verschuldungspolitik private Sachinvestitionen sowohl kurzfristig als auch — damit zum Teil verbunden — im längerfristigen Trend eher gestützt oder aber verdrängt werden, hängt zweifellos von einer Vielzahl von Faktoren ab. Während ein empirischer Nachweis von Verdrängungseffekten stets mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, sind in der theoretischen Diskussion inzwischen die wesentlichen Bedingungen aufgezeigt worden, unter denen es zu einem Crowding-out privater durch öffentlicher Nachfrage kommen kann 17 . Ob und in welchem Umfang zins- und preisbedingte Crowding-out-Effekte zu erwarten sind, hängt in erster Linie von der jeweiligen Auslastung der bestehenden Produktionskapazitäten, der Beschäftigungslage sowie der Geldversorgung in der Volkswirtschaft ab. Verfolgt die Zentralbank keinen restriktiven geldpolitischen Kurs, so wäre in Zeiten schwacher Konjunktur eine zeitlich begrenzte Erhöhung der öffentlichen Nettoneuverschuldung zur (partiellen) Kompensation von Nachfrageausfällen im privaten Bereich ohne (nennenswerten) Zinssteigerungen möglich. Da dieser Nachfrageausfall in aller Regel mit einem Anstieg der Ersparnisse bei gleichzeitigem Rückgang der Kreditnachfrage durch den privaten Sektor einhergeht, übernimmt hier der Staat nicht nur „eine Lückenbüßerfunktion für die private Nachfrage, sondern auch für die private Verschuldungsbereitschaft" 18. Daß eine sich im Rahmen des Konzepts der antizyklischen Fiskalpolitik bewegende Verschuldungspolitik ohne oder ohne wesentliche Zinssteigerungen unter „normalen" konjunkturellen Bedingungen möglich ist, ist im Kern auch wenig umstritten. Man mag darüber diskutieren, ob nicht ein Verzicht auf antizyklische oder gar schon stabilisierende Budgetpolitik über die dann wohl sinkenden Zinssätze nicht möglicherweise auch relativ schnell private Investitionen anregen würde (Crowding-in), doch muß dieser Effekt in Phasen allgemeiner Absatzschwäche als äußerst ungewiß gelten. Man wird daher schon mit einiger Sicherheit davon ausgehen können, daß eine nachfragestützende Finanz- und Geldpolitik die private Investitionstätigkeit insgesamt eher belebt, zumindest aber einem weiteren konjunkturellen Investitionsrückgang entgegenwirkt. Der Anstieg der öffentlichen Neuverschuldung hätte damit also einen positiven indirekten Einfluß auf die volkswirtschaft17 Vgl. u.a. G. Dieckheuer: Der Crowding-out-Effekt. Zum gegenwärtigen Stand von Theorie und Empirie, in: DIW, Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung, 1980, S. 126 ff. 18 H. J. Krupp: Staatsverschuldung — Mittel oder Hemmschuh der zukünftigen Wachstumsund Beschäftigungspolitik?, in: D. B. Simmert, K-D. Wagner (Hrsg.): Staatsverschuldung kontrovers, Köln 1981, S. 73.

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liehe Vermögensbildung. Sofern — was zu vermuten ist 1 9 — eine positive Korrelation zwischen Konjunktur vers tetigung und Wachstumsdynamik besteht, würde damit auch die volkswirtschaftliche Realkapitalbildung in ihrer trendmäßigen Entwicklung angehoben. Der Beitrag des Staates zur volkswirtschaftlichen Sachkapitalbildung stellt sich natürlich noch günstiger dar, wenn der antizyklische Teil der erhöhten Verschuldung vorrangig für eine Ausdehnung des öffentlichen Kapitalstockes, d. h. für zusätzliche staatliche Sachinvestitionen genutzt wird. Freilich ist es nicht so sehr dieser direkte reale Vermögenseffekt, der den Einsatz der öffentlichen Sachinvestitionen aus konjunkturpolitischer Sicht so attraktiv macht, sondern vor allem die unmittelbare Nachfragewirksamkeit dieser Ausgabenkategorie. Wäre die erhöhte Staatsverschuldung Reflex von allgemeinen Steuererleichterungen für Unternehmen oder von erhöhten Subventionen, die nicht an die Vornahme von zusätzlichen Investitionen gekoppelt sind, so bestünde ja — wie ausgeführt — die Gefahr, daß die Unternehmen die damit bewirkten erhöhten Nettogewinne angesichts weiterhin anhaltender Nachfrageschwäche überwiegend für die Tilgung von Krediten oder die Aufstockung ihrer Finanzaktiva verwenden. Damit käme es zwar zu einer Entlastung auf dem Kapitalmarkt, die kontraktive konjunkturelle Eigendynamik könnte sich jedoch fortsetzen und weitere Einschränkungen der privaten Sachinvestitionen nach sich ziehen. Nun muß freilich eingeräumt werden, das dieses positiv gezeichnete Bild einer antizyklischen Fiskalpolitik über öffentliche Sachinvestitionen natürlich dann Risse bekommt, wenn die Zentralbank — etwa aus außenwirtschaftlichen Gründen — den monetären Mantel auch in Rezessionsphasen sehr eng hält. Zwar kommen eine ganze Reihe von ökonometrischen Untersuchungen für die Bundesrepublik zu dem Ergebnis, daß der Zinseffekt zusätzlicher staatlicher Kreditaufnahme selbst bei einer engen Geldpolitik relativ klein ist 20 , die zinsbedingten Crowding-out-Effekte mithin häufig überschätzt werden, doch müssen — wie bereits erwähnt — empirische Crowdingout-Studien stets mit einiger Vorsicht genossen werden. Bedenkt man, daß während der Konjunktureinbrüche, wie sie seit 1975 in der Bundesrepublik zu beobachten sind, allein die auslastungsbedingten 19 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1967, Bundestagsdrucksache V/2310, Bonn 1967, Tz. 237 ff. sowie V. Zarnowitz, Business Cycles and Growth. Some Reflections and Measures, in: Wirtschaftspolitik. Gedenkschrift für Erich Preiser, hrsg. von W. J. Mückl, A. E. Ott, Passau, 1981. 20 Vgl. dazu D. Vesper und R. Zwiener: Konjunkturelle Effekte der Finanzpolitik 1974 bis 1981, in: Wochenbericht des DIW; Nr. 19/82, sowie T. Tewes: Kreditfinanzierte Staatsausgaben und private wirtschaftliche Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Analyse mit Hilfe des ökonometrischen Modells des IfW, in: Die Weltwirtschaft, 1982, Heft 1, S. 38 ff.

Der Beitrag des Staates zur Geld- und Sachvermögensbildung467

Steuermindereinnahmen und Mehrausgaben (konjunkturelles Defizit i.e.S.) in vorsichtigen Schätzungen21 schon eine Größenordnung von über 20 Mrd. DM einnehmen, so wird man den Spielraum für eine expansive Verschuldungspolitik unter der Bedingung einer restriktiven Geldpolitik sicherlich als begrenzt ansehen müssen. Nach wie vor gilt allerdings auch hier, daß zumindest derjenige Verschuldungsanstieg, der sich bei einer stabilisierenden Budgetpolitik einstellt, die private Investitionstätigkeit und damit die volkswirtschaftliche Realkapitalbildung fördert und nicht behindert. Nun wurden bislang allerdings nur mögliche zinsbedingte Crowding-outEffekte angesprochen. In jüngerer Zeit rückt angesichts des im vergangenen Jahrzehnts rasch gestiegenen Schuldenstandes in Verbindung mit fortbestehenden dauerhaft angelegten (strukturellen) Defiziten zunehmend der Aspekt des erwartungsbedingten Crowding-outs in den Vordergrund. Bei diesen, die subjektiven Faktoren betonenden Crowding-out-Hypothesen wird davon ausgegangen, daß bei ohnehin schon hohen Belastungen der öffentlichen Haushalte mit Zinszahlungen eine sich fortsetzende Staatsverschuldung bei den privaten Wirtschaftssubjekten immer stärker die Erwartung hervorruft, der Staat müsse zur Rückgewinnung bzw. Erhaltung seines politischen Handlungsspielraums schon bald Ausgabenkürzungen und/oder Steuererhöhungen vornehmen, wodurch sich die künftigen Einkommen und Erträge nachhaltig verschlechterten. Aufgrund solcher Erwartungen würden die Privaten, vor allem die Investoren, bei einer erhöhten öffentlichen Kreditaufnahme ihre Ausgaben bereits antizipatorisch einschränken und damit die expansive Finanzpolitik zunehmend um ihre beschäftigungs- und wachstumsfördernden Wirkungen bringen. Mag ein solches Erwartungsmuster bei anhaltend raschem Anstieg der Staatsverschuldung, starkem Mißtrauen gegenüber der Wirksamkeit staatlicher Expansionspolitik sowie einem ausgeprägten Wachstumspessimismus seitens der privaten Wirtschaftssubjekte durchaus seine „Berechtigung" haben22, so können es auch rein psychologische, mit der Staats Verschuldung in keinem objektiven Zusammenhang mehr stehenden Faktoren (irrationale Ängste) sein, die dazu führen, daß es bereits infolge einer konjunkturpolitisch gebotenen Nettokreditaufnahme des Staates in einer spürbaren Beein21 Vgl. W. Leibfritz: Wie hoch ist das strukturelle Staatsdefizit?, in: Ifo-Schnelldienst, 37. Jg. (1984), H. 1/2, S. 20 (Schätzungen des Ifo-Instituts und des Sachverständigenrats). Das D I W schätzt dieses konjunkturelle Defizit i.e.S. allein für das Jahr 1981, in dem der Tiefpunkt der Rezession bei weitem noch nicht erreicht war, auf rund 30 Mrd. D M . Vgl. M. Teschner und D. Vesper: Budgetpolitik Österreichs im internationalen Vergleich, DIW, Beiträge zur Strukturforschung, Heft 75/1983, Berlin 1983, S. 30. 22 Ausführlich hierzu H.-B. Leibinger: Fiskalpolitik unter veränderten Rahmenbedingungen. Eine Analyse am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1985, insb. S. 108 ff.

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trächtigung des Investitionsklimas, des Vertrauens in die Stabilität der wirtschaftlichen Entwicklung und der Ertragsaussichten kommt. Zweifellos können solche Erwartungen — seien sie begründet oder nicht — die stützenden Wirkungen der antizyklischen staatlichen Verschuldungspolitik auf die private Sachvermögensbildung (weitgehend) aufheben oder gar in ihr Gegenteil verkehren. Soweit überwiegend psychologische Faktoren durchschlagen, können solche Hemmnisse wohl nur durch eine sachliche Aufklärung gemindert werden. Sofern man sich davon wenig Erfolg verspricht, könnte die sofortige Einleitung der Haushaltskonsolidierung insbesondere über (relative) Ausgabenkürzungen, die geeignete Strategie sein, um das Vertrauen der Privaten und damit auch die private (Investirions-) Nachfrage zu stabilisieren. Zu bedenken gilt es freilich, daß eine solche Konsolidierung über die damit verbundenen tatsächlichen einkommens- und nachfragebeschneidenden Wirkungen schnell zu einer Enttäuschung der anfänglich in diese Strategie gesetzten positiven Erwartungen führen kann. Nur wenn die entschlossene Inangriffnahme der Haushaltskonsolidierung das Investitionsklima erheblich verbessert und darüber die autonomen — nicht nachfrageabhängigen — Investitionen schnell und in einem die kontraktiven staatlichen Nachfrageeffekte überkompensierenden Umfang ausgedehnt werden, kann einer solchen Strategie ceteris paribus Erfolg beschert werden. Bleiben diese Effekte aus — etwa weil sich die Investoren zunächst noch einige Zeit abwartend verhalten — so können die kontraktiven Kreislaufeffekte der Staatstätigkeit durchschlagen und die konjunkturelle Lage weiter verschärfen 23. Im Endeffekt könnte damit die Staatsverschuldung aufgrund auslastungsbedingter Steuermindereinnahmen und Mehrausgaben bei geringerer volkswirtschaftlicher Sachvermögensbildung sogar noch höher sein als sie ohne aktive Konsolidierungsstrategie gewesen wäre („Verschuldungsparadoxon"). Eine solche kritische Beleuchtung der Konsolidierungspolitik besagt natürlich nicht, daß ein hoher Verschuldungszuwachs, wie wir ihn in den vergangenen 10 Jahren zu verzeichnen hatten, unproblematisch für die wirtschaftliche Entwicklung wäre. Sie besagt lediglich, daß die mittelfristig zwingend erforderliche Konsolidierung der öffentlichen Haushalte nicht unabhängig von der jeweiligen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung erfolgen darf. Betrachtet man unter diesem Aspekt die oben aufgezeigte Entwicklung der öffentlichen Finanzierungsdefizite, so wird man wohl — und darüber besteht 23 Vgl. hierzu auch Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Gutachten zu den Problemen einer Verringerung der öffentlichen Netto-Neuverschuldung, Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, Heft 34, Bonn 1984, insb. S. 30.

Der Beitrag des Staates zur Geld- und Sachvermögensbildung469

weitgehend Einigkeit — zumindest bezogen auf die tiefe Rezession der Jahre 1974/75 sagen können, daß die staatliche Verschuldung die private Realkapitalbildung eindeutig gefördert hat. Ebenso besteht ein breiter Konsens darüber, daß es über den erneut kräftigen Anstieg der öffentlichen Finanzierungsdefizite im „Boomjahr" 1979 zu einem (gewissen) Crowding-out privater Investitionsnachfrage gekommen ist. Für die Jahre danach wird man hinsichtlich der Wirkungen der staatlichen Verschuldungspolitik sicherlich geteilter Meinung sein können. Grundsätzlich waren angesichts des erneut überaus starken konjunkturellen Einbruchs der Jahre 1981/82 kräftige expansive Nachfrageimpulse angezeigt. Der im September 1981 eingeleitete harte Konsolidierungskurs — der allerdings durch die tiefe Rezession der Jahre 1981/82 überdeckt wurde — war von daher sicherlich verfehlt und hat den kumulativen Schrumpfungsprozeß möglicherweise sogar selbst verschärft 24. Daß es dennoch schon Anfang 1983 wieder zu einer konjunkturellen Belebung kam, mag demgegenüber als Indiz dafür gesehen werden, daß der inzwischen noch weiter forcierte Konsolidierungskurs zu einer Verbesserung der Erwartungen seitens der Privaten geführt und damit ein Crowding-in bewirkt hat. Bedenkt man jedoch, daß der seit 1983 anhaltende Aufschwung in der Bundesrepublik nicht von einer Belebung der privaten Sachinvestitionen getragen wird, sondern sich fast ausschließlich als Resultat eines durch die Entwicklung des Dollar-Kurses bedingten Exportbooms darstellt, so erscheint auch die These vertretbar, daß die Fortsetzung der expansiven Finanz- (und Geld-) Politik in den frühen 80er Jahren die Investitions-Konjunktur stärker angeregt und schon bald auch eine beschleunigte Konsolidierung der öffentlichen Haushalte bei insgesamt höherer Sachkapitalbildung ermöglicht hätte. 2. Beeinflussung der privaten Geldkapitalbildung Um die Stellung des Staates im Prozeß der volkswirtschaftlichen Geldvermögensbildung zu beschreiben, kann die eben vorgenommene Systematisierung analog übernommen werden. Auch hier läßt sich bei der indirekten staatlichen Einflußnahme zwischen unmittelbar an den Geldersparnissen ansetzenden und mittelbar wirksamen diskretionären Maßnahmen einerseits sowie den globalen Effekten der Haushaltsgebarung andererseits unterscheiden. Die in Tabelle 3 ausgewiesenen Förderungsmaßnahmen sollen im folgenden etwas näher erläutert werden. 24

Vgl. M. Teschner und D. Vesper: Budgetpolitik Österreichs..., a.a.O., S. 30.

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a) Diskretionäre Maßnahmen Da eine gezielte staatliche Sparförderung in erster Linie auf das Verteilungs- bzw. Wohlfahrtsziel gerichtet ist, stehen im Vordergrund einer solchen Politik stets Maßnahmen, die einer breiten Bevölkerungsschicht, vorzugsweise aber Empfängern relativ geringer Einkünfte zugute kommen. Denn allein die Einkommensabhängigkeit der individuellen Sparkapazität fördert schon eine gewisse Kanalisierung des Geldkapitalzuwachses in wenige Hände. Diese Konzentrationstendenz wird noch verschärft, wenn sich die öffentliche Sparförderung steuerlicher Instrumente (Steuerabzugsverfahren) bedient, durch die bei progressivem Steuersystem die sparfähigeren Einkommensschichten erheblich stärker begünstigt werden als Empfänger geringerer Einkünfte. Das Gewicht der Sparförderung wäre von daher eindeutig auf ein Prämien- oder Bonussystem zu legen, wobei noch nach Einkommensklassen und Familienstand gestaffelt werden könnte25. Tabelle 3

Der Beitrag des Staates zur volkswirtschaftlichen Geldvermögensbildung Eine grobe Systematisierung direkter Beitrag:

öffentliche Finanzierungsüberschüsse

indirekter Beitrag: staatlich bewirkte Erhöhung der privaten Geldersparnisse — unmittelbare (gezielte) Einflußnahme: diskretionäre Maßnahmen, die an die tatsächliche Vornahme von Geldersparnissen gekoppelt sind: — „klassische" Formen der Sparförderung zugunsten breiter Bevölkerungsschichten (Sparprämien etc.) — Unterbringung von (zinsgünstigen) Staatspapieren bei den privaten Haushalten — mittelbare Einflußnahme: Maßnahmen, die nicht an die Vornahme privater Geldersparnisse gekoppelt sind: 1) wichtige diskretionäre Maßnahmen, denen allgemein ein recht enger Bezug zur privaten Sparfähigkeit und -neigung zuerkannt wird. — Erhöhung der Sozialtransfers — Einstellung von Arbeitslosen im öffentlichen Dienst und/oder Erhöhung der Löhne und Gehälter der öffentlich Bediensteten — Senkung der Einkommensteuer, insbesondere für Bezieher höherer Einkünfte — Gewinnsteuersenkungen 2) globale Effekte der gesamten Haushaltsgebarung (bezieht sämtliche Ausgaben sowie die Entzugseffekte über Steuern und Abgaben mit ein)

Der Beitrag des Staates zur Geld- und Sachvermögensbildung

Das zentrale Problem einer solchen staatlichen Sparförderung besteht sicherlich darin, daß es keineswegs gesichert ist, daß die jeweiligen Maßnahmen auch tatsächlich zu einem Anstieg des Sparvolumens führen; zu befürchten ist stets, daß es lediglich zu Mitnahmeeffekten bzw. einer bloßen Umschichtung von nichtgeförderten zu geförderten Sparformen kommt. Da auf die Effizienz der verschiedenen „klassischen" Formen der direkten staatlichen Sparförderung in anderen Beiträgen26 ausführlich eingegangen wird, wollen wir es hier bei diesen knappen Anmerkungen belassen. Eine etwas anders geartete, ebenfalls unmittelbar an die Vornahme von Geldkapitalbildung gekoppelte Form der staatlichen Sparförderung könnte in der (verstärkten) Unterbringung von öffentlichen Schuldtiteln bei den privaten Haushalten gesehen werden27. Da Staatsschuldtitel aufgrund der hohen Bonität des Staates nicht nur sicher und — im Vergleich zu Sparbucheinlagen — trotzdem hoch verzinslich sind, sondern den Anlegern zudem auch einen — im Vergleich zu (risikoreicheren) privaten Schuldtiteln — stärker nach Fristenpräferenzen differenzierte Anlagemöglichkeit eröffnen, erweisen sie sich als äußerst attraktive Sparform. Es wäre von daher zu erwarten, daß zunehmend auch Sparer aus den unteren und mittleren Einkommenskreisen zumindest eine Umschichtung ihrer Guthaben vom Sparbuch hin zu den wesentlich rentableren Staatspapieren vornehmen28. Damit bliebe zwar per Saldo die gesamte Geldvermögensbildung der privaten Haushalte unverändert, doch ergäbe sich ein positiver Verteilungseffekt. Führt die besondere Attraktivität staatlicher Schuldtitel nicht nur zu einem zinsbewußteren, sondern darüber hinaus auch zu einem zusätzlichen Sparen der privaten Haushalte, so würde sogar ein direkter (Geld-) Vermögensbildungseffekt erzielt. Was die mittelbare staatliche Einflußnahme auf die private Geldkapitalbildung betrifft, so wären hier zahlreiche diskretionäre Maßnahmen denkbar, bei denen allerdings weniger das Motiv der Sparförderung als vielmehr andere gesellschafts- und wirtschaftspolitische Zielsetzungen im Vordergrund 25 Vgl. hierzu auch Österreichisches Forschungsinstitut für Sparkassenwesen, Sparen und Investieren, Wien 1968, S. 131 ff. 26 Vgl. hierzu insbesondere die Beiträge von B. Geiger und W. Albers in diesem Band. 27 Vgl. hierzu Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Gutachten zur Schuldenstrukturpolitik des Staates. Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, Heft 27, Bonn 1979, insb. S. 63 f, 70 und 77 ff. 28 Empirische Untersuchungen für die Bundesrepublik deuten darauf hin, daß sich eine solche Umschichtung in der zweiten Häfte der 70er Jahre bereits vollzogen hat. Vgl. H.-H. Francke und D. Friedrich: Wirkungen der Staatsverschuldung auf die Beziehungen zwischen Nichtbanken und Finanzierungsinstituten, in: Schriften des Vereins für Socialpolitik, N. F. Bd. 134, Berlin 1983, insbes. S. 387.

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stehen. Zu nennen wäre etwa die Erhöhung von Sozialtransfers, um die Sparfähigkeit der unteren Einkommensschichten zu verbessern. Da aber die Transferempfänger in aller Regel eine sehr hohe marginale Konsumquote haben (müssen), kann eine größere zusätzliche Ersparnisbildung infolge dieser Maßnahmen kaum erwartet werden. Soll hingegen die staatliche Sparförderung zu einer möglichst hohen Geldkapitalbildung im privaten Sektor beitragen, so versprechen Maßnahmen zur Milderung der Steuerprogression, insbesondere im oberen Bereich, größere Erfolge, da hiervon diejenige Sparerkategorie profitiert, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die größte marginale Sparquote aufweist. Eine derartige „Sparförderung" läßt sich freilich sozial- und verteilungspolitisch nicht rechtfertigen. Allenfalls könnte sie — allerdings nicht in jeder Konjunkturphase — wachstumspolitisch begründet werden. Ein weiteres mittelbares staatliches Förderungsinstrument, das in erster Linie die Sparfähigkeit der Begünstigten tangiert, könnte in der Einstellung von Arbeitslosen im öffentlichen Dienst oder auch in der Erhöhung der Bezüge der öffentlichen Bediensteten gesehen werden. Solche Maßnahmen — und das gilt bei entsprechender Dosierung natürlich auch für alle anderen Instrumente der Sparförderung — wären allerdings mit einem hohen fiskalischen Aufwand verbunden, so daß zu prüfen wäre, inwieweit es nicht über die Entzugseffekte ihrer Finanzierung zu negativen Rückwirkungen auf die Entwicklung des Volkseinkommens und damit letztlich auch auf die Spartätigkeit kommen könnte. Denn ohne Zweifel stellt die Höhe des Volkseinkommens eine ganz zentrale Determinante der privaten wie auch gesamtwirtschaftlichen Geldkapitalbildung dar. Da jedoch nicht nur von den Instrumenten der Sparförderung, sondern von nahezu allen staatlichen Aktivitäten Wirkungen auf das Volkseinkommen ausgehen, stehen wir erneut vor der Frage nach den globalen Effekten der gesamten Haushaltsgebarung auf Konjunktur und Wirtschaftswachstum. b) Globale Effekte der gesamten Haushaltsgebarung Unter welchen Bedingungen der Staat über seine Budgetgestaltung stimulierend auf die Entwicklung des realen Sozialprodukts — und damit eben auch auf die Höhe und Struktur der gesamtwirtschaftlichen Geldkapitalbildung — einwirken kann, wurde oben bereits diskutiert. Wir können uns deshalb auf einige speziell mit der Geldkapitalbildung in Zusammenhang stehende Anmerkungen beschränken.

Der Beitrag des Staates zur Geld- und Sachvermögensbildung

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Stellt man wiederum die öffentliche Verschuldungspolitik in den Vordergrund der Überlegungen, so wäre zu prüfen, mit welchen Portfolioentscheidungen seitens der privaten Haushalte und Unternehmen auf Veränderungen in Höhe und Struktur der staatlichen Finanzierungsdefizite zu rechnen wäre. Unterstellt man, daß es infolge einer erhöhten öffentlichen Neuverschuldung zu einem gewissen Anstieg des Zinsniveaus kommt, so wäre denkbar, daß die privaten Haushalte darauf mit einer zusätzlichen Aufstockung ihrer Geldersparnisse reagieren. Empirische Untersuchungen messen allerdings dem Zins — als Ertragskomponente — nur eine geringe Bedeutung für die Höhe der Netto-Geldvermögensbildung der privaten Haushalte bei 29 . Eher schon wäre zu vermuten, daß die Unternehmen bei Zinssatzsteigerungen ihren Bestand an Finanzaktiva zu Lasten der Realkapitalbildung aufstocken (zinsbedingtes Crowding-out privater Investitionen). Solche Reaktionen sind sogar dann nicht unwahrscheinlich, wenn Zinssteigerungen infolge zunehmender Staatsverschuldung ausbleiben, da vor allem in wirtschaftlich unsicheren Zeiten relativ hochverzinsliche und risikoarme Staatsschuldtitel für die Unternehmen eine reizvolle Alternative zu den in ihrer Rendite besonders unsicheren Sachinvestitionen darstellen. Dies gilt umso mehr, wenn die öffentlichen Haushalte — wie seit der 2. Hälfte der 70er Jahre in der Bundesrepublik der Fall — die Laufzeit ihrer Schuldtitel erheblich verkürzen und damit den Unternehmen auch noch eine relativ liquide Anlagemöglichkeit bieten. Ob es aber tatsächlich über den Kreditkostenmechanismus oder auch über die Veränderung der Struktur des Anlageverhaltens der Unternehmen insgesamt zu einem Crowding-out privater Investitionen kommt, kann nicht unabhängig von der Verwendung der (zusätzlich) aufgenommenen öffentlichen Kredite entschieden werden. Denn die (erwartete) Rendite von Investitionen und damit auch die Investitionsneigung der Unternehmen hängt eben nicht nur von den (Zins-)Kosten, sondern ganz wesentlich auch von der tatsächlichen Nachfrageentwicklung ab. Gelingt es daher den öffentlichen Instanzen, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage von der Ausgabenseite des Budgets her zu stimulieren und damit auch die weiteren Absatzerwartungen zu verbessern, so werden die steigenden unverteilten Gewinne, also die Geldersparnisse der Unternehmen, auch mit großer Wahrscheinlichkeit in Sachinvestitionen umgesetzt. 29 vgl. hierzu R. Ferber. Consumer Economics. A Survey, in: Journal of Economic Literature, Vol. XI (1973), S. 1314; Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung, Analyse der strukturellen Entwicklung der deutschen Wirtschaft, RWI Strukturberichterstattung 1983, Bd. 2, Essen 1983, S. 32.

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Auch die privaten Haushalte werden — wie die Erfahrungen zeigen — bei sich wieder verringernden Beschäftigungsrisiken ihr „Vorsorgesparen" zunehmend aufgeben, so daß eine expansive Finanzpolitik, sofern sie tatsächlich zur Überwindung rezessiver Phasen beiträgt, letztlich zu einer Verringerung der privaten Netto-Geldersparnisquote führt. Eine solche Reduzierung der Sparquote der Privaten wäre freilich erwünscht, da sie lediglich Ausdruck einer sich „normalisierenden" Konsum- und Investitionsnachfrage ist. Zu einem Anstieg der Sparquote kommt es hingegen, wenn die privaten Investoren und Konsumenten durch die Erhöhung der öffentlichen Neuverschuldung in starkem Maße psychologisch verunsichert werden und daher ihre Ausgaben einschränken (psychologisch bzw. erwartungsbedingtes Crowding-out). Im Extremfall könnte dieser (unerwünschte) Anstieg der Geldkapitalbildung allerdings nur vorübergehend sein: Werden nämlich durch den Ausgabenattentismus der Privaten die staatlichen Nachfrageeffekte überkompensiert, so könnte es über eine Schrumpfung des realen Sozialprodukts zu einem Rückgang der (Kreislauf-)Gewinne und der verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte kommen, so daß die Sparfähigkeit der Privaten abnimmt und es per saldo trotz erhöhter Sparneigung zu einer Reduzierung der Geldvermögensbildung im privaten Sektor kommen kann („Sparparadoxon"). Ob solche ex-ante Crowding-out-Effekte die expansiven Nachfragewirkungen der staatlichen Verschuldungspolitik gegenwärtig tatsächlich (schon) neutralisieren oder gar überkompensieren würden, muß — wie oben ausgeführt — sicherlich als fraglich gelten. Angesichts der nicht zuletzt durch die öffentlichen Instanzen selbst geschürten irrationalen Ängste vor einem Anstieg der öffentlichen Neuverschuldung muß freilich mit dem Instrument des deficit spendings gegenwärtig sicherlich äußerst behutsam umgegangen werden. Eine in konjunkturell schwachen Zeiten eingeleitete Konsolidierungspolitik bringt jedoch — wenn nicht gerade günstige Sondereinflüsse von der Auslandsnachfrage her wirksam werden — ebenfalls erhebliche Risiken für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und den Ausbau des volkswirtschaftlichen Geld- und Sachvermögens mit sich.

IV. Schlußbemerkungen

Die vorangegangenen Ausführungen haben verdeutlicht, daß die staatliche und private Sach- und Geldkapitalbildung eng miteinander verzahnt sind und generelle Aussagen über den Beitrag des Staates zur volkswirtschaftlichen Vermögensbildung nicht möglich sind. Eine Analyse kann daher nur si-

Der Beitrag des Staates zur Geld- und Sachvermögensbildung

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tuationsbezogen erfolgen. Dementsprechend hat sich auch die Beurteilung der staatlichen Aktivitäten im Zeitablauf radikal geändert. So wurde etwa der rapide Anstieg der Geldsparquote der privaten Haushalte sowie auch die hohe Geldkapitalbildung des Staates bis Mitte der 60er Jahre uneingeschränkt begrüßt, da hierin nicht nur Wohlfahrtsgewinne für die Privaten gesehen wurden, sondern eine hohe Geldsparquote in Zeiten starken Wirtschaftswachstums und guter Absatz- und Gewinnerwartungen zur inflationsfreien Investitionsfinanzierung sogar erforderlich war. Als jedoch die Wachstumskräfte und die Gewinnerwartungen spürbar nachließen, änderte sich diese Beurteilung zunehmend, denn die hohe Geldkapitalbildung der privaten Haushalte und des Staates hat auch ihre „Kehrseite": Wenn die privaten und öffentlichen Haushalte Finanzierungsüberschüsse erzielen, müssen die übrigen Bereiche der Volkswirtschaft (Unternehmen, übrige Welt) per Saldo Finanzierungsdefizite hinnehmen und sich verschulden. Aus diesen Kreislaufüberlegungen heraus forderte auch der Sachverständigenrat30 bereits in einem seiner ersten Gutachten (1967) eine höhere Staatsverschuldung, um die Eigenkapitalbildung der privaten Unternehmen zu stärken. Denn „Eigenkapital der Unternehmen entsteht allein dadurch, daß die Sachvermögensbildung der Unternehmen nicht fremdfinanziert wird" 31 . Seit Mitte der 70er Jahre hat die Verschuldung des Staates rasch zugenommen und es steht außer Zweifel, daß diese Entwicklung auf die Dauer nicht ohne Probleme für die wirtschaftliche Dynamik und damit auch für die private Realkapitalbildung durchzuhalten ist. Stets stellt sich hier aber die Frage, ob sich der Staat verschuldet, um die nach wie vor hohen Geldersparnisse aufzunehmen, die von den Unternehmen nicht mehr absorbiert, d.h. nicht in Realkapitalbildung umgesetzt wurden oder ob die Verschuldung des Staates den Unternehmen das benötigte Kapital entzieht. Die Rolle des Staates im volkswirtschaftlichen Sparprozeß wird mit Sicherheit auch in Zukunft noch kontrovers diskutiert werden.

30 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1967, Tz. 321. 31 B. Görzig: Finanzierung der Vermögensbildung, a.a.O., S. 168.

Staatliche Vermögensbildung im volkswirtschaftlichen Sparprozeß Von Heinz Kock, Bonn I. Einleitung und Problemstellung

Der Staat hat in der Nachkriegszeit wie die anderen volkswirtschaftlichen Sektoren in erheblichem Maße Realkapital und Geldvermögen gebildet. Diese Tatsache ist aber zumindest seit Mitte der 70er Jahre aus der öffentlichen Diskussion verdrängt. Es dominiert verständlicherweise die Diskussion um die öffentliche Kreditaufnahme, die mit ihren Folgekosten zu einer weitgehenden Inflexibilität der öffentlichen Haushalte geführt hat. In den 50er und 60er Jahren, als der Staat neben seiner Sachvermögensbildung auch noch eine positive Nettogeldvermögensbildung hatte, gab es eine ordnungspolitische Debatte mit dem Ziel, den Staat dazu zu veranlassen, einen größeren Teil seiner Vermögensbildung über Kreditaufnahme und nicht aus Steuermitteln zu finanzieren. Der staatlichen Sachvermögensbildung müsse eine entsprechende Geldvermögensbildung bei den privaten Haushalten gegenüberstehen, das staatliche Sachvermögen müsse seinen Bürgern ,,gehören". In den 70er Jahren ging die Diskussion anfangs um die Frage einer volkswirtschaftlich begründeten vermehrten staatlichen Sachvermögensbildung. Galbraith's These von der öffentlichen Armut besagte, daß der Staat in der Nachkriegszeit in der Erfüllung seiner Aufgaben nicht Schritt gehalten hatte mit den so stürmisch gewachsenen privaten Aktivitäten. Die ,,Politik der inneren Reformen" führte dazu, daß bis zum Einbruch der weltwirtschaftlichen Entwicklung 1974/75 große Anstrengungen unternommen wurden, bestehende Infrastrukturdefizite zu verkleinern. Mit dem wirtschaftlichen Einbruch 1974/75 hat sich die Situation der öffentlichen Haushalte drastisch verschlechtert. Der Konsolidierungsbedarf der öffentlichen Haushalte führte in den folgenden Jahren zu einer Einschränkung der öffentlichen Investitionen. Die staatliche Sachvermögensbildung ging zurück, Geldvermögensbildung fand praktisch nicht mehr statt.

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Heinz Kock

Unsere Aufgabe soll es sein, den Prozeß der staatlichen Vermögensbildung in der Nachkriegszeit statistisch nachzuvollziehen und dabei auch die Bedeutung der verschiedenen staatlichen Ebenen herauszuarbeiten. Da eine umfassende Vermögensbestandsstatistik für den öffentlichen Bereich nicht existiert — den Aufbau einer solchen Statistik haben die Länder anfangs der 60er Jahre vereitelt — kann dieser Beitrag nur auf die Ergebnisse der Finanzstatistik, der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen und der Finanzierungsrechnung zurückgreifen.

I I . Öffentliche Vermögensbildung in finanzstatistischer Darstellung

1. Methodische Vorbemerkungen Eine einfache Akkumulation öffentlicher Einnahme- und Ausgabearten, die für die Sachvermögens- bzw. Geldvermögensbildung relevant sind, vergleicht Dinge, die angesichts größerer Preisbewegungen über längere Zeiträume nicht ohne weiteres vergleichbar sind. Das gilt allerdings für beide Seiten einer Vermögensbildungsbilanz. Wenn nach diesem Verfahren auch kein Vermögensbestandskonto aufgestellt werden kann, so kann man doch einen ersten Eindruck von der Vermögensakkumulation und ihrer Finanzierung bekommen. Die in der Finanzstatistik nachgewiesene Sachvermögensbildung ist eine nominale Bruttogröße (Abschreibungen kennt die Finanzstatistik nicht), die zu Anschaffungskosten bewertet ist. Zu den vermögenswirksamen Ausgaben zählen nicht die Anschaffungen und Neubauten im Verteidigungsbereich, die Sozialversicherung ist nicht erfaßt. Nachgewiesen werden demnach Vermögensbildung und Verschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden, wobei lediglich die für die reine Haushaltsfinanzierung benötigten Kredite erfaßt werden, während die Schuldenstandsstatistik auch andere Kreditaufnahmen und Schuldenanerkenntnisse (z.B. Altschulden; Deckung des Aufwertungsverlustes 1961; Zuteilung von Schuldbuchforderungen an die Sozialversicherung) ausweist. Ein Vermögensakkumulationskonto, wie es für die drei Ebenen des öffentlichen Gesamthaushalts im folgenden aufgestellt werden soll, ordnet nicht bestimmte Deckungsmittel bestimmten Ausgaben zu. Wohl aber läßt sich zeigen, wie die einzelnen Ebenen in bestimmten Zeitabschnitten ihre

Staatliche Vermögensbildung im Sparprozeß

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Bruttovermögensbildung aus Kreditaufnahme und allgemeinen Deckungsmitteln (Steuern; Zuweisungen) finanziert haben. 2. Vermögensbildungskonten

nach Ebenen

Die grundgesetzlich fixierte staatliche Aufgabenverteilung und die daran orientierte Ausgabenstruktur haben zur Folge, daß Art und Ausmaß vermögensrelevanter Ausgaben und Einnahmen nach Ebenen stark differieren. Wir stellen bei der empirischen Darstellung auf das sogenannte Erfüllungsprinzip ab, weisen die Sachvermögensbildung also dort nach, wo sie stattfindet. Für den Bund hat das zur Folge, daß er aufgrund erheblicher Investitionszuschüsse an Länder, Gemeinden und Private nur wenig eigenes Vermögen bildet. a) Vermögensbildung des Bundes In Tab. 1 sind die Nettovermögensbildung des Bundes und ihre Finanzierung dargestellt. Im Gesamtzeitraum 1950-83 hat der Bund 185,7 Mrd. DM Vermögen gebildet. Davon waren 110,9 Mrd. DM (60 v.H.) Sachvermögens- und 74,8 Mrd. DM (40 v.H.) Finanzvermögensbildung. Zur Finanzierung wurden Tab.: 1

Vermögensbildungskonto des Bundes (nach F i n a n z s t a t i s t i k )

Mrd DMI

*1)

Mrd DM

$1)

Nettosachvermögensbildung

Vermögensarten 1950-83 1950-59 1960-74 1975-83

110,9 7,9 37,3 65,7

59.7 42,5 49.8 71,3

Nettokreditaufnahme

1950-83 1950-59 1960-74 1975-83

298,6 ' 0,7 35,4 262,5

160,8 3,8 47,3 184,7

Nettofinanzinvestitionen2)

1950-83 1950-59 1960-74 1975-83

74,8 10,7 37,6 26,5

40,3 57,5 50,2 28,7

Nettovermögensbildung3)

1950-83 1950-59 1960-74 1975-83

-112,9 17,9 39,5 -170,3

Gesamte Vermögensbildung

1950-83 1950-59 1960-74 1975-83

185,7 18,6 74,9 92,2

Gesamtes Mittelaufkommen

1950-83 1950-59 1960-74 1975-83

185,7 18,6 74,9 92,2

100 100 100 100

Finanzierung

-

60,8 96,2 52,7 - 84,7

100 100 100 100

1) i n vH des gesamten Mittelaufkommens bzw. der gesamten Vermögensbildung 2) Darlehen; B e t e i l i g u n g e n , Rücklagen 3) f i n a n z i e r t . aus allgemeinen Deckungsmitteln

480

Heinz Kock

Nettokreditaufnahmen von 298,6 Mrd. DM (160,8 v.H. des gesamten Mittelaufkommens) getätigt. Die Netto Vermögensbildung war demnach mit -113 Mrd. DM negativ. Ein Blick in die Subperioden zeigt, daß dieses Ergebnis Resultat der Finanzpolitik seit 1975 ist. Die positive Netto Vermögensbildung der 50er und 60er Jahre wurde wieder aufgezehrt und stark ins Negative verkehrt: Konnte der Bund in den 50er Jahren noch fast seine gesamte Nettovermögensbildung aus allgemeinen Deckungsmitteln finanzieren, so ging dieser Anteil im Zeitraum 1960-1974 auf rund 53 v.H. zurück. Nach 1975 stand der gesamten Vermögensbildung eine um 185 v.H. höhere Nettokreditaufnahme gegenüber. Das Nettovermögen sank um 170 Mrd. DM. b) Vermögensbildung der Länder Für die Länder stellt sich die Situation erheblich günstiger dar. Ihre Vermögensbildung ist insgesamt höher, die Finanzierungsstruktur besser. Die gesamte Vermögensbildung 1950-83 in Höhe von 249 Mrd. DM (davon 65,5 v.H. Sachvermögens- und 34,5 v.H. Finanzvermögensbildung) konnte immerhin zu 21,7 v.H. aus allgemeinen Deckungsmitteln finanziert werden. Dem entsprach eine Netto Vermögensbildung von 54 Mrd. DM.

Vermögensbildungskönto der Länder

Tab.: 2

(nach F i n a n z s t a t i s t i k ) Vermögensarten

Mrd DM

$1)

Finanzierung

Mrd DM

$1)

Nettosachvermögensbildung

1950-83 1950-59 1960-74 1975-83

163,1 11,7 71,3 80,1

65,,5 31,»5 65,,7 77,,7

Nettokreditaufnehme

1950-83 1950-59 1960-74 1975-83

194,9 4,3 32,1 158,5

78,3 11,6 30,0 153,7

Nettofinanzinvestitionen2)

1950-83 1950-59 1960-74 1975-83

85,8 25,5 37,3 23,0

34,,5 68, 34,>3 22,>3

Nettovermögensbildung3)

1950-83 1950-59 1960-74 1974-83

54,0 32,9 76,5 - 55,4

21,7 88,4 70,0 53,7

Gesamte Vermögensbildung

1950-83 1950-59 1960-74 1975-83

248,9 37,2 108,6 103,1

Gesamtes Mittelaufkommen

1950-83 1950-59 1960-74 1974-83

248,9 37,2 108,6 103,1

,5

100 100 100 100

-

100 100 100 100

1) i n vH des gesamten Mittelaufkommens bzw. der gesamten Vermögensbildung 2) Darlehen; B e t e i l i g u n g e n , Rücklagen 3) f i n a n z i e r t aus allgemeinen Deckungsmitteln

Staatliche Vermögensbildung im Sparprozeß

481

Aber auch auf Länderebene verschlechterte sich das Bild im Zeitablauf: Konnten in den 50er Jahren 88 v.H. der gesamten Vermögensbildung aus allgemeinen Deckungsmitteln finanziert werden, so waren es 1960-74 noch 70 v.H. Von 1975-83 hatten auch die Länder einen Nettovermögensrückgang in Höhe von 55 Mrd. DM zu verzeichnen; die Kreditaufnahme betrug 154 v.H. der Vermögensbildung. c) Vermögensbildung der Gemeinden Die Gemeinden sind aufgrund ihrer spezifischen Aufgabenttruktur die staatliche Ebene mit der höchsten Sachvermögensbildung und nicht zuletzt aufgrund der Zuweisungen der anderen Ebenen auch die Ebene mit der günstigsten Finanzierungsstruktur ihrer Vermögensbildung. Sie bildeten von 1950-83 582 Mrd. DM Vermögen, wovon 540,7 Mrd. DM oder 93 v.H. Sachvermögen war. Über 81 v.H. dieser Vermögensbildung konnte aus allgemeinen Deckungsmitteln, nur 18,7 v.H. mußten aus Nettokreditaufnahme finanziert werden. Ein Blick auf die Subperioden zeigt, daß die Vermögensbildung kontinuierlich ansteigt. Gleiches gilt bemerkenswerterweise auch für die Netto Vermögensbildung. Vermögensbildungskonto der Gemeinden

Tab.: 3

(nach F i n a n z s t a t i s t i k ) Vermögensarten

Mrd DM

*1)

Finanzierung

Mrd DM

*1)

Nettosachvermögensbildung

1950-83 1950-59 1960-74 1975-83

540,7 34,5 237,9 268,3

92,9 80,8 90,9 96,6

Nettokreditaufnahme

1950-83 1950-59 1960-74 1975-83

108,7 9,3 58,2 41,2

18.7 21.8 22,2 14,8

Nettofinanzinvestitionen2)

1950-83 19SÔ-S9 1960-74 1975-83

41,3 8,2 23,7 9,4

7,1 19,2 9,1 3,4

Nettovermögensbildung3)

1950-83 1950-59 1960-74 1974-83

473.3 33,4 203.4 236.5

81,3 78,2 77,8 85,2

Gesamte V e r mögensbildung

1950-83 1950-59 1960-74 1975-83

582,0 42,7 261,6 277,7

Gesamtes Mittelaufkommen

1950-83 1950-59 1960-74 1974-83

582,0 42,7 261,6 277,7

100 100 100 100

100 100 100 100

1) i n vH des gesamten Mittelaufkommens bzw. der gesamten Vermögensbildung 2) Darlehen; B e t e i l i g u n g e n , Rücklagen 3) f i n a n z i e r t . aus allgemeinen Deckungsmitteln

Von 1975-83 konnten 85 v.H. der Vermögensbildung aus allgemeinen Deckungsmitteln finanziert werden, mehr als in den Jahren 1960-1974.

482

Heinz Kock

Im Tempo der Nettovermögensbildung ist allerdings in der Betrachtung nach Einzeljahren seit 1981 eine deutliche Verlangsamung zu konstatieren. Zum Bund stellen die Gemeinden einen absoluten Kontrapunkt dar. Ihre hohe Sachvermögensbildung ist im wesentlichen ohne Kredite finanziert. Der Bund hat ein vergleichsweise schlechter strukturiertes Vermögen (höheres Finanzvermögen, über dessen Wert — z.B. Entwicklungshilfekredite — man streiten kann) zu 160 v.H. mit Krediten finanziert. d)^ Vermögensbildung des öffentlichen Gesamthaushalts Zum öffentlichen Gesamthaushalt in finanzstatistischer Abgrenzung zählen neben Bund, Ländern und Gemeinden die Sondervermögen ERP, LAF sowie EG-Transaktionen. In Tab. 4 ist diese Abgrenzung gewählt, ohne daß auf die Vermögensbildung der Sondervermögen getrennt eingegangen wird. Die Vermögensbildung der zusammengefaßten öffentlichen Haushalte belief sich von 1950-83 auf 1.055 Mrd. DM. Davon waren 80 v.H. Sachvermögens- und 20 v.H. Geldvermögensbildung.

Tab.: 4

VermÖKensbildungskonto des ö f f e n t l i c h e n Gesamthaushalts (nach F i n a n z s t a t i s t i k )

Vermögensarten

I

Mrd DM

Finanzierung

Mrd DM

*1)

Nettosachvermögensbildung

1950-83 1950-59 1960-74 1975-83

842.3 54,1 374.4 413,8

79,9 52,1 79,0 66,8

Nettokreditaufnahme

1950-83 1950-59 1960-74 1975-83

603,9 15,3 124,4 464,2

57,3 14,7 26,2 97,3

Nettofinanzinvestitionen2)

1950-83 1950-59 1960-74 1975-83

212,5 49,7 99,6 63,2

20,1 47,9 21,0 13,2

Néttovermögensbildung3)

1950-83 1950-59 1960-74 1974-83

450,9 88,5 349,6 12,8

42.7 85,3 73.8 2,7

Gesamte V e r mögensbildung

1950-83 1 . 0 5 4 , 8 103,8 1950-59 474,0 1960-74 477,0 1975-83

100 100 100 100

(Gesamtes [Mittell a u f kommen

1950-83 1 . 0 5 4 , 8 103,8 1950-59 474,0 1960-74 477,0 1974-83

100 100 100 100

1) i n vH des gesamten Mittelaufkommens bzw. der gesamten Vermögensbildung 2) Darlehen; B e t e i l i g u n g e n , Rücklagen 3) f i n a n z i e r t ; aus allgemeinen Deckungsmitteln

Die Vermögensbildung verteilte sich nach Ebenen wie folgt:

Staatliche Vermögensbildung im Sparprozeß Vermögen insgesamt

Ebene

%

Mrd DM

darunter: Sachvermögen

483

I Finanzvermögen

%

Mrd DM

(13,2)

74,8

Mrd DM

%

Bund

185,7

(17,6)

Länder

248,9

(23,6)

163,1

(19,4)

85,8

(40,4)

Gemeinden

582,0

(55,2)

540,7

(64,2)

41,3

(19,4)

10,7

(

Sondervermögen

38,2

Gesamthaushalt

1.054,8

(

3,6)

(100)

110,9

27.6 842.3

(

3.3)

(100)

(35,2)

5.0)

(100)

212.5

Die Nettovermögensbildung des öffentlichen Gesamthaushalts betrug von 1950-83 451 Mrd. DM. Allein die Nettovermögensbildung der Gemeinden lag höher.

Mittelaufkommen

Ebene

darunter: Nettokredite INettovermögensbildung Mrd DM Mrd DM % %

Mrd DM

%

Bund

185,7

(17,6)

298,6

(49,4)

Länder

248,9 582,0

(23,6)

194,9

(55,2)

108,7

(32,3) (18,0)

473,3

( 3.6) (100)

603.9

( 0.3) (100)

450.9

Gemeinden Sondervermögen Gesamthaushalt

38,2 1.054,8

1.7

-

112,9 54,0 36,5

(-25,0) (

12,0)

(105,0) (

8.1)

(100)

Der Bund hatte bei einem Anteil von 17,6 v.H. an der Vermögensbildung einen Anteil der Nettokreditaufnahme von 49,4 v.H. mit der Folge, daß seine Nettovermögensbildung negativ war in Höhe von 25 v.H. der Nettovermögensbildung des öffentlichen Gesamthaushalts. Insgesamt konnten die öffentlichen Haushalte 42,7 v.H. ihrer Vermögensbildung aus allgemeinen Deckungsmitteln finanzieren, 57,3 v.H. wurden aus Nettokreditaufnahme bestritten. Ein Blick auf die Subperioden zeigt nochmals die rapide Verschlechterung der Finanzierungsstruktur im Zeitablauf. Eine Betrachtung nach Einzeljahren würde zeigen, daß ab 1981 die Nettovermögensbildung des öffentlichen Gesamthaushalts negativ ist. 3. Sach- und Finanzvermögensbildung nach Aufgabenbereichen

der Ebenen

Nach ihrer grundgesetzlichen Aufgabenverteilung ergeben sich sehr unterschiedliche Schwerpunkte bzw. Aufgabenfelder der Sach- bzw. Finanzvermögensbildung der staatlichen Ebenen, die auch unmittelbare Rückwir-

484

Heinz Kock

kungen auf die Validität und ökonomische Wertigkeit der geschaffenen Vermögenswerte haben. Die Sachvermögensbildung findet schwergewichtig statt in den Bereichen:

Gesamthaushalt Bund Länder Gemeinden — in v.H. der Gesamtausgaben für Sachinvestitionen der jeweiligen Ebene (1982) — — Verkehrs- und Nachrichtenwesen — Bildung und Wissenschaft — Kommunale Gemeinschaftsdienste — Gesundheit, Sport und Erholung

30,8 17,7 13,0 9,6

77,2 2,5 —

0,0

23,0 34,5 3,2 4,0

23,6 16,3 12,9 13,0

Diese Aufgabenbereiche bzw. die dort erbrachten Leistungen haben die typischen Eigenschaften öffentlicher Güter und könnten daher nicht bzw. nur unter Inkaufnahme großer sozialer Ungerechtigkeiten auf Märkten gehandelt werden. Die Finanzvermögensbildung der öffentlichen Haushalte konzentriert sich auf folgende Aufgabenbereiche:

Gesamthaushalt Bund Länder Gemeinden — in v.H. der Gesamtausgaben für Darlehen und Beteiligungen der jeweiligen Ebene 1982 — — Wohnungswesen und Raumordnung — Energie und Wasserwirtschaft — Auswärtige Angelegenheiten — Wirtschaftsunternehmen

21,8 24,9 22,7 19,2

0,3 26,6 60,9 10,6

47,2 5,6 0,0 27,3

33,0 1,2 0,0 45,9

Während der Bund Entwicklungskredite gibt, fördern die Länder und Gemeinden Wohnungsbau und Wirtschaftsunternehmen. Die Finanzvermögensbildung des Bundes ist mit hohen „Abschreibungsrisiken" verbunden wie die Schuldennachlässe an Entwicklungsländer gezeigt haben. Hier zeigt sich allerdings auch, wie wenig privatwirtschaftliche Kriterien geeignet sind, Darlehnsgewährungen dieser Art zu beurteilen. Nichtsdestoweniger steht der staatlichen Verschuldung hier kein auch nur halbwegs äquivalentes Vermögen gegenüber. Eine haushaltsmäßige Sicht der Verschuldung ist in solchen Fällen wohl die allein richtige.

Staatliche Vermögensbildung im Sparprozeß

485

Π Ι . Vermögensbildung des Staates nach volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen

1. Methodische Vorbemerkungen Zum Sektor Staat gehören die Gebietskörperschaften sowie die Sozialversicherung. Unternehmen, die sich im Eigentum des Staates befinden, werden dagegen unabhängig von ihrer Rechtsform dem Unternehmenssektor zugerechnet. Dies gilt insbesondere für Bahn und Post. Der gesamte Wohnungsbau ist als funktionaler Bereich ebenfalls im Unternehmenssektor nachgewiesen. Aufgrund dieser Sektorenabgrenzung haben private Haushalte in den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen keinerlei Sachvermögensbildung. Im Gegensatz zur Finanzstatistik stellen die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen nicht auf Kassenvorgänge, sondern auf den Zeitpunkt der Entstehung von Forderungen und Verbindlichkeiten ab. Reine Finanzvorgänge, wie die Darlehensgewährung oder der Erwerb von Beteiligungen, die zwar die Vermögensstruktur, nicht aber den Nettovermögensstatus verändern, sind in den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen keine Ausgaben. Der Finanzierungssaldo eines Sektors als Summe aus Ersparnis (Überschuß der laufenden Einnahmen über die laufenden Ausgaben), Saldo der Vermögensübertragungen und Bruttoinvestitionen stellt unmittelbar die Nettogeldvermögensbildung bzw. Nettoverschuldung eines Sektors dar. Auf öffentliche Gebäude und bewegliches Sachvermögen werden in den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen auch beim Staat Abschreibungen gebucht. Tiefbauinvestitionen werden dagegen nicht abgeschrieben, ein gewisses Abschreibungsäquivalent ist allerdings in der Nichtaktivierung werterhaltender Reparaturen zu sehen. Das Anlagevermögen wird in den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen nach drei Preiskonzepten nachgewiesen: — Für produktionstheoretische Fragestellungen ist das Anlagevermögen in konstanten Preisen von Interesse. — Wiederbeschaffungspreise werden angesetzt, wenn der gegenwärtige Wert des Anlagevermögens in einem aktuellen Vermögensbestandskonto dargestellt werden soll. — Anschaffungspreise dienen der Darstellung des Anschaffungsaufwandes in jeweiligen Preisen.

486

Heinz Kock

Unter Bewertungsaspekten ist das Anschaffungspreiskonzept noch am ehesten mit der Finanzstatistik vergleichbar. Realistischer und für eine Vermögensbestandsstatistik brauchbar ist dagegen nur das Konzept der Wiederbeschaffungspreise. Die Vermögensbestandsstatistik des Statistischen Bundesamtes weist nur das reproduzierbare Anlagevermögen nach. Nicht erfaßt sind demnach Grund und Boden sowie immaterielle Anlagewerte.

2. Vermögensakkumulationskonto

der volkswirtschaftlichen

Sektoren

Bevor jedoch ein echtes Vermögensbestandskonto aufgestellt werden soll, wollen wir zunächst analog zur finanzstatistischen Darstellung die Vermögensakkumulation von 1950- 1983 anhand der jährlichen Daten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen rekonstruieren. Die Anlageinvestitionen sind dabei zu Anschaffungspreisen bewertet, Abschreibungen sind im zuvor erläuterten Umfang berücksichtigt. Im Gegensatz zur Finanzstatistik können die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen ein Bild der Vermögensbildung aller volkswirtschaftlichen Sektoren und damit auch eine Vorstellung von der relativen Bedeutung der staatlichen Vermögensbildung vermitteln. Tabelle 5 gibt einen Überblick über die Nettovermögensbildung in der Bundesrepublik nach volkswirtschaftlichen Sektoren für die Jahre 1950- 1983. Wie die Tabelle zeigt, lag das Schwergewicht der Vermögensbildung in den 50er Jahren bei den Unternehmen. Die privaten Haushalte waren infolge geringer Sparquoten nur mit einem Anteil von 22Vi v.H. an der volkswirtschaftlichen Vermögensbildung beteiligt. Der Staat konnte sowohl Geldvermögen als auch Sachvermögen akkumulieren und trug ιΛ zur gesamten Vermögensbildung bei. In den Jahren 1960 bis 1974 konnten die privaten Haushalte mit einem Anteil an der gesamten Vermögensbildung von 44 v.H. die Unternehmen überrunden. Die öffentlichen Haushalte hatten noch einen Anteil von 23 v.H., wobei anzumerken ist, daß die Nettogeldvermögensbildung der Gebietskörperschaften bereits negativ war. Die Sozialversicherung konnte allerdings weiter Geldvermögen akkumulieren. In den Jahren nach 1975 konnten nur noch die privaten Haushalte (sieht man einmal von einem geringen Betrag der Sozialversicherung ab) Geldvermögen bilden.

487

Staatliche Vermögensbildung im Sparprozeß

Tab.: 5

Nettovermögensbildung i n der Bundesrepublik nach v o l k s w i r t s c h a f t l i c h e n Sektoren Nettovermögensbildung insgesamt

Sektor

Anteil i n vH

Mrd DM Unternehmen

davon: SachverGeldvermögensmögensbildungD bildung2) Mrd DM 2.173,2 241,3 1.046,0 885,9

1950-83 1950-59 1960-74 1975-83

1.002, 6 140, 1 474, 5 388, 0

33 j»7 44,»1 33,,1 31,8

Private Haushalte

1950-83 1950-59 1960-74 1975-83

1.602, 5 71, 9 630, 1 900, 5

53,»9 22,»6 44,,0 73,»7

Staat

1950-83 1950-59 1960-74 1975-83

367,6 105, 8 329, 0 - 67,2

12,>4 33 j,3 22,,9 - 5,>5

686,3 36,9 313,3 336,1

1950-83 1950-59 1960-74 1975-83

(264, 6) ( 81, 8) ( 2 6 2 , 9) ( - 8 0 , 1)

( 8,»9) (25,»7) (18,»3) ( - 6 , ,6)

(675,9) ( 35,9) (309,8) (330,2)

1950-83

(102, 9) ( 24,,0) ( 66,,0) ( 12, 9)

( ( ( (

3i>5) 7,(6) 4,, 6 ) 1,,1)

(10,3). ( 0,9) ( 3,5) ( 5,9)

davon: Gebietskörperschaften Sozialversicherung

Gesamte Volkswirtschaft

1950-59

1960-74 1975-83

1950-83 1950-59 1960-74 1975-83

2.972, 7 317, 8 1.433, ,6 1.221, 3

1) Kumulierte N e t t o i n v e s t i t i o n e n bau; L a g e r i n v e s t i t i o n e n ) .

100 100 100 100

-

1,. 1 7 0 , 6 101,2 571,5 497,9 -

_ -

_ _ -

,

1,. 6 0 2 , 5 71,9 630,1 900,5

-

-

318,7 68,9 15,7 403,3

411,3) 45,9) 46,9) (( - 410,3) (-

(

(92,5) (23,0) (62,5) ( 7,0) 113,23) 39,6 - 74,3 0,7

2.859,5 278,2 1.359,3 1.222,0

(Ausrüstungen; Bauten e i n s c h l . Wohnungs-

2) Geldvermögensbildung a b z ü g l i c h Verschuldung. 3) Die Geldvermögensbildung der gesamten V o l k s w i r t s c h a f t dem kumulierten Außenhandelsüberschuß.

ist

gleich

Bei der gesamten Nettovermögensbildung aller Sektoren stieg ihr Anteil auf fast 74 v.H. Der Anteil des Unternehmenssektors lag bei rund 32 v.H., bei den öffentlichen Haushalten fand dagegen eine Nettovermögensvernichtung statt. Im gesamten Zeitraum von 1950-1983 bildete die gesamte Volkswirtschaft Nettovermögen in Höhe von 3 Billionen Mark. Der Anteil der öffentlichen Haushalte lag dabei mit UVz v.H. relativ gering, wobei aber zu berücksichtigen ist, daß im letzten Jahrzehnt eine Nettovermögensvernichtung stattfand.

488

Heinz Kock

Die Unternehmen hatten an der Nettovermögensbildung einen Anteil von einem Drittel, die privaten Haushalte trugen zu etwa 54 v.H. und damit schwergewichtig zur Nettovermögensbildung der Volkswirtschaft bei. Wenn man davon ausgeht, daß die mittlerweile erreichte hohe Sparquote der privaten Haushalte Ausdruck eines gewandelten Verhaltens der privaten Haushalte ist und der Unternehmenssektor — speziell auch der Wohnungsbau — relativ weniger Mittel in Anspruch nehmen wird als in den 50er und noch 60er Jahren, so wird es auch in Zukunft bei der negativen Geldvermögensbildung der Gebietskörperschaften bleiben müssen. In welchem Ausmaße sich diese negative Geldvermögensbildung fortsetzen wird, hängt neben der Geldvermögensbildung der privaten Haushalte, für die in v.H. des Bruttosozialprodukts gemessen eine relative Stabilität unterstellt werden kann, und der Inanspruchnahme durch den Unternehmenssektor auch von der weiteren Entwicklung des Außenhandelssaldos ab. Das sektorale Bild der Vermögensakkumulation wird aber aller Wahrscheinlichkeit nach auch in Zukunft von einer negativen Geldvermögensbildung (Verschuldung) des Staates gekennzeichnet sein. Dies ist per se nicht negativ zu bewerten. Auf zweierlei ist aber zu achten: Einmal darf das Gewicht der öffentlichen Verschuldung unter dem Aspekt des Schuldendienstes nicht relativ (in v.H. des Bruttosozialprodukts) weiter ansteigen, zum anderen müssen die Anstrengungen zur Umstrukturierung der öffentlichen Haushalte in Richtung auf mehr Investitionen intensiviert werden.

3. Vermögensbestandskonten des Staates zu Anschaffungs- und Wiederbeschaffungspreisen Um ein Vermögensbestandskonto zu Anschaffungspreisen aufstellen zu können, wird für die Sachvermögensbestände auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes, für die Geldvermögens- und Verpflichtungsbestände auf die Finanzierungsrechnung der Deutschen Bundesbank zurückgegriffen. Allen Bedenken hinsichtlich der Vergleichbarkeit von Vermögensgegenständen bei sich relativ schnell ändernden Preisen zum Trotz wird streng vom Prinzip Mark = Mark ausgegangen, das allerdings auch auf der Passivseite der Bilanz eingehalten wird. Unter diesen Umständen ist eine Verknüpfung der Sachvermögensbestände zu Anschaffungspreisen mit den Geldvermögensund Verpflichtungsbeständen vergleichsweise einfach möglich. Tabelle 6 zeigt ein solches Vermögensbestandskonto des Staates zu Anschaffungspreisen für Anfang 1984.

489

Staatliche Vermögensbildung im Sparprozeß Tab.: 6

Vermöftensbestandskonto des S t a a t e s zu Anschaffungspreisen - Anfang 1984 Mrd DM

1.

Bruttoanlagevermögen zu Anschaffungspreisen ( - ohne T i e f b a u ) ( - Tiefbau)

2. Geldvermögenl) - Geldanlage bei Banken - f e s t v e r z i n s l . Wertpapiere - Aktien - Sonstige Forderungen an i n l ä n d i s c h e Sektoren - Sonstige Forderungen an das Ausland - Geldanlage b e i BauSparkassen - Geldanlage bei V e r Sicherungen

814,7 (307,1) (507,6) 344,0 (196,8) ( 22,4) ( 16,0) ( 91,9) (

15,2)

(

0,9)

(

0,9)

Mrd DM 1. Abschreibungen 2. Verpflichtungenl) - Geldmarktpapiere - festverzinsl. Wertpapiere - kurzfristige Bankkredite - längerfristige Bankkredite - Darlehen der Bausparkassen - Darlehen der V e r Sicherungen - Sonstige V e r pflichtungen

3.

Saldo: Nettovermögen davon: N e t t o g e l d vermögen Nettosachvermögen

Gesamter Vermögensbestand

1.158,7

Gesamtes M i t t e l a u f kommen

1) A k t i e n und f e s t v e r z i n s l i c h e Wertpapiere zum Nominalwert

68,4 686,9 ( 17,6) (159,4) ( 20,6) (371,9) (

1,6)

(

38,3)

( 77,6)

403,5' (-342,8) ( 746,3) 1.158,7

berechnet.

Quellen: S t a t i s t i s c h e s Bundesamt; Deutsche Bundesbank.

Danach hatte der Staat Anfang 1984 einen Sachvermögensbestand von netto 746 Mrd. DM, sein Nettoverpflichtungsbestand belief sich auf 343 Mrd. DM. In der Betrachtung nach Subperioden zeigt sich allerdings analog zu den Akkumulationskonten in finanzstatistischer Darstellung, daß sich die Relation von Forderungs- und Verpflichtungsbestand besonders ab Mitte der 70er Jahre rapide verschlechtert hat (Tabelle 7). Bis 1974 hatte der Staat eine positive Nettogeldvermögensposition. Ab 1975 übertrafen die Schulden das Geldvermögen, die Sachvermögensbildung mußte daher zum Teil aus dem Abbau des Nettogeidvermögens finanziert werden. 1979 betrug der Forderungsbestand nur noch 66 v.H. des Verpflichtungsbestandes und bis 1983 ging diese Relation auf 50 v.H. zurück. Ein Blick auf die Struktur der Forderungen und Verbindlichkeiten (Tabelle 6)

490

Heinz Kock

Tab.: 1

Forderungs- und Verpflichtungsbestand des S t a a t e s 1960

1965

1970

1975

1979

1983

253,9

283,7 428,1

686,9

- Mrd DM (1)

Forderungsbestand

(2)

Verpflichtungsbestand (1)

: (2)

99,3 53,6 1,85

144,9 79,4 1,82

184,8 124,3 1,49

257,5 0,99

0,66

344,0

0,50

Q u e l l e : Deutsche Bundesbank

zeigt, daß das Geldvermögen Anfang 1984 zu rund 57 v.H. aus Geldanlagen bei Banken besteht. 26,7 v.H. sind sogenannte „sonstige Forderungen an inländische Sektoren". Dahinter verbergen sich im wesentlichen Kredite zur Wohnungsbauförderung und Wirtschaftsförderung. Auslandsforderungen (z.B. aus Entwicklungskrediten) sowie Aktienbesitz machen jeweils weitere 4Vi v.H., festverzinsliche Wertpapiere 6 Vi v.H. des Geldvermögens aus. Der Verpflichtungsbestand des Staates setzte sich Anfang 1984 zu 54 v.H. aus längerfristigen Bankkrediten, zu 23,2 v.H. aus der Ausgabe von festverzinslichen Wertpapieren und zu 5 Vi v.H. aus kurzfristigen Bankkrediten und Geldmarktpapieren sowie zu weiteren 5 Vi v.H. aus Darlehen von Versicherungen zusammen. Insgesamt hatte der Staat Anfang 1984 einen Nettovermögensbestand zu Anschaffungspreisen von 4031/2 Mrd. DM, das waren knapp 35 v.H. seines gesamten Vermögensbestandes. Soll der gegenwärtige Wert des staatlichen Vermögens nachgewiesen werden, ist seine Bewertung mit derzeit geltenden Preisen, d.h. mit Wiederbeschaffungspreisen, erforderlich. Nur diese geben ein aktuelles Bild des Vermögensstatus. In der Vermögensbilanz eines privaten Unternehmens sind sie der adäquate Maßstab für die Beurteilung der Kreditwürdigkeit. Auch wenn das staatliche Vermögen im allgemeinen nicht der Einnahmeerzielung dient und auch nicht veräußert wird bzw. zu großen Teilen nicht veräußerbar ist, so vermag eine solche Vermögensbilanz zu Wiederbeschaffungspreisen nichtsdestoweniger ein realistischeres Bild der Vermögenssituation als eine Bilanz zu Anschaffungspreisen zu geben. In der Bilanz zu Wiederbeschaffungspreisen werden die Aktien und festverzinslichen Wertpapiere zu Tageskursen bewertet (Tabelle 8). «

Tabelle 8 zeigt erwartungsgemäß ein günstigeres Bild der staatlichen Vermögenssituation als bei einer Bewertung zu Anschaffungspreisen. Das Nettosachvermögen beträgt Anfang 1984 ca. 1.296 Mrd. DM gegenüber

491

Staatliche Vermögensbildung im Sparprozeß Tab.: 8

VermöRensbestandskonto des S t a a t e s zu Wiederbeschaffungspreisen - Anfang 1984 Mrd DM

1. Bruttoanlagevermögen zu Wiederbeschaffungspreisen ( - ohne T i e f b a u ) ( - Tiefbau) 2 . Geldvermögen1) - Geldanlage bei Banken - f e s t v e r z i n s l . Wertpapiere - Aktien - Sonstige Forderungen an i n l ä n d i s c h e Sektoren - Sonstige Forderungen an das Ausland - Geldanlage bei BauSparkassen - Geldanlage bei V e r Sicherungen

1.476,1 (598,7) (877,4) 371,8 (196,8) ( 21,4) ( 44,7) ( 91,9) (

15,2)

(

0,9)

(

0,9)

Mrd DM

1. Abschreibungen 2. Verpflichtungenl) - Geldmarktpapiere - festverzinsl. Wertpapiere - kurzfristige Bankkredite - längerfristige Bankkredite - Darlehen der Bausparkassen - Darlehen der V e r Sicherungen - Sonstige V e r pflichtungen

3.

Saldo: Nettovermögen davon: N e t t o g e l d vermögen Nettosachvermögen

Gesamter Vermögensbestand

1.847,9

Gesamtes M i t t e l a u f kommen

180,3 720,8 ( 17,6) (193,2) ( 20,6) (371,9) (

1,6)

(

38,3)

( 77,6)

946,8 (-349,0) (1.295,8)

1.847,9

1) A k t i e n und f e s t v e r z i n s l i c h e Wertpapiere zu Tageskursen b e w e r t e t . Quellen: S t a t i s t i s c h e s Bundesamt; Deutsche Bundesbank.

746 Mrd. DM bei seiner Bewertung zu Anschaffungspreisen. Vom gesamten Vermögensbestand (1.848 Mrd. DM) konnten 9,8 v.H. aus Abschreibungen und 51,2 v.H. aus allgemeinen Deckungsmitteln finanziert werden. Nur 19 v.H. stammen aus Kreditaufnahmen. 4. Relative Bedeutung des staatlichen Vermögens im Vergleich zu den anderen volkswirtschaftlichen Sektoren Anfang 1984 hatte der Staat am gesamten reproduzierbaren Nettovermögen der volkswirtschaftlichen Sektoren zu Wiederbeschaffungspreisen einen Anteil von 16,7 v.H. (Tabelle 9), sein Anteil am Nettosachvermögen betrug 29 v.H. Das Vermögensakkumulationskonto (Tabelle 5) hatte einen Anteil des Staates von 12,4 v.H. ausgewiesen. Der Staat gewinnt also relativ

Heinz Kock

492

durch die aktuelle Bewertung. Die Unternehmen haben Anfang 1984 einen Anteil von 53,3 v.H. am gesamten Nettovermögen der Volkswirtschaft, das Akkumulationskonto hatte einen Anteil von nur 33,7 v.H. ausgewiesen. Damit gewinnen die Unternehmen relativ am stärksten durch die Bewertung zu Wiederbeschaffungspreisen. Verlierer sind — zumindest statistisch — die privaten Haushalte, die definitionsgemäß kein Sachvermögen bilden und damit auch keine Bewertungsgewinne erzielen können. Ihr Anteil am Nettovermögensbestand betrug Anfang 1984 30 v.H., das Akkumulationskonto mit seiner Bewertung zu Anschaffungspreisen hatte ihnen einen Anteil von 53,9 v.H. zugerechnet.

Tab.: 9

Vermögensbestände nach volksiw i r t s c h a f t l i c h e n - Anfang 1 384 -

Sektor

Nettovermögensbestand insgesamt Anteil Mrd DM i n vH

Unternehmen

3.024,8

53,3

P r i v a t e Haushalte

1.702,5

30,0

946,8

16,7

Staat (einschl. Tiefbau) Gesamte V o l k s -

5.674,1

100

Sektoren

davon: Sachvermögens- Geldvermögensbestand 1 ) bestand2) Mrd DM 4.450,1

-

1.425,3 1.702,5

1.295,8

-

349,0

5.745,9

-

71,8

Wirtschaft 1) Netto zu Wiederbeschaffungspreisen 2) Geldvermögensbildung a b z ü g l . Verschuldung ( F e s t v e r z i n s l i c h e papiere und A k t i e n zu Tageskursen)

Wert-

Q u e l l e n : S t a t i s t i s c h e s Bundesamt: Deutsche Bundesbank

Vergleicht man die Bestandskonten Anfang 1984 und Anfang 1970 (Tabelle 10), so zeigt sich auch hier die starke Veränderung im Nettogeldvermögensbestand des Staates: Es trat eine Verschlechterung in diesen 14 Jahren von 429 Mrd. DM ein. Der Sachvermögensbestand des Staates konnte sich während dieser Zeit dagegen mehr als versechsfachen. Der Anteil des Staates am gesamten Sachvermögensbestand der Volkswirtschaft stieg von 13^2 v.H. auf 22^2 v.H. Dagegen ging infolge der rasch zunehmenden Verschuldung sein Anteil am gesamten Nettovermögensbestand von 18,7 v.H. auf 16,7 v.H. zurück.

Staatliche Vermögensbildung im Sparprozeß Tab.:

10

Vermögensbestände nach v o l k s w i r t s c h a f t l i c h e n

493 Sektoren

- Anfang 1970 -

Sektor

Nettovermögensbestand insgesamt Anteil Mrd DM i n vH

Unternehmen

809,4

52,7

P r i v a t e Haushalte

439,6

28,6

Staat (einschl. Tiefbau)

287,8

18,7

Gesamte V o l k s -

1.536,8

davon: SachvermögensGeldvermögensbestand 1) bestand2) Mrd DM

100

1.329,3-

-

519,9 439,6

207,6^ 1.536,9

80,2 -

0,1

Wirtschaft 1) Netto zu Wiederbeschaffungspreisen 2) Geldvermögensbildung abztlgl. Verschuldung ( F e s t v e r z i n s l i c h e papiere und A k t i e n zu Tageskursen b e w e r t e t )

Wert-

I V . Schlußbemerkungen

Bei allen grundsätzlichen Vorbehalten gegen die Aufstellung staatlicher Vermögensbilanzen und trotz aller statistischen und methodischen Schwierigkeiten können solche Bilanzen doch einen Beitrag zur Verbesserung der Transparenz der Vermögensverhältnisse der volkswirtschaftlichen Sektoren erbringen. Die staatlichen Vermögensbilanzen zeigen — egal nach welchem methodischen Konzept aufgestellt —, daß der staatlichen Verschuldung nach wie vor ein nicht unerhebliches staatliches Vermögen gegenübersteht. Sie zeigen allerdings in der Betrachtung nach Subperioden auch, daß in den letzten 10 Jahren ein rascher Vermögensabbau des Staates stattgefunden hat. Die staatliche Sachvermögensbildung, die im wesentlichen Infrastrukturinvestitionen umfaßt, ist im gesamtwirtschaftlichen Sinne produktiv. Sie dient zwar nicht direkt der Erzielung staatlicher Einnahmen — das widerspräche dem Charakter öffentlicher Investitionen — wohl aber ist sie Voraussetzung und Vorbedingung privater Investitionen, hoher Produktivität der Volkswirtschaft und damit indirekt natürlich auch Einnahmequelle für die staatlichen Haushalte. Über das Ausmaß einer „Selbstfinanzierung" staatlicher Investitionen lassen sich aber keine fundierten allgemeinen Aussagen treffen.

494

Heinz Kock

Die aktuelle Diskussion über die Staatsverschuldung sollte aber den fiskalischen Aspekt der Folgekosten (Zinsen und Tilgungen) auch nicht verabsolutieren. Dieser Aspekt läßt sich nicht wegdiskutieren und sei die staatliche Vermögensbildung auch noch zu hoch. Angesichts der erreichten Höhe der Staats Verschuldung ist es auch verständlich, daß die haushaltspolitischen Probleme in den Vordergrund gestellt werden. Ganz sollte man allerdings den größeren gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang nicht aus den Augen verlieren. Anderenfalls könnte sich auf längere Sicht ein erneuter Engpaß vor allem bei der sogenannten produktionsbezogenen Infrastruktur, d.h. bei solchen öffentlichen Infrastrukturinvestitionen, die in einem unmittelbaren Komplementaritätsverhältnis zu privaten Investitionen stehen, ergeben. Ein dauerhaftes Wachstum und ein höherer Beschäftigungsstand wären dann nicht wieder zu erreichen.

Literatur Adelberger, O.L.: Vermögensrechnung in den USA. Ein wissenschaftlicher Bericht. „Konjunkturpolitik", Heft 4, 1970, S. 189 ff. — Bundesministerium der Finanzen: Die Vermögensbildung der öffentlichen Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland i n den Jahren 1948 bis 1960. Finanzbericht 1962, S. 83 ff. — Bundesministerium der Finanzen: Die Vermögensbildung der öffentlichen Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1948 bis 1965. Finanzbericht 1967, S. 182 ff. — Brümmerhoff, D.: Gesamtwirtschaftliches Rechnungswesen, 2. Aufl., Köln 1982. — Deutsche Bundesbank: Zahlenübersichten und methodische Erläuterungen zur gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsrechnung der Deutschen Bundesbank 1960- 1982. Sonderdrucke der Deutschen Bundesbank Nr. 4, 4. Auflage, Juli 1982. — Deutsche Bundesbank: Ergebnisse der Finanzierungs- und Geldvermögensrechnung — Jahre 1974- 1983. (Ergänzungslieferung zu 5). Frankfurt am Main, Oktober 1984. —Engelmann, M. und Mohr, D.: Anlageinvestitionen nach Wirtschaftsbereichen. Wirtschaft und Statistik, 12/78, S. 775 ff. — Görzig, B. und Kirner, W.: Anlageinvestitionen und Anlagevermögen in den Wirtschaftsbereichen der Bundesrepublik Deutschland. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung. Beiträge zur Strukturforschung, Heft 41. Berlin 1976. — Kock, Heinz: Vermögen und Schulden des Staates. In: Staatsverschuldung kontrovers. Hrsg. von D.B. Simmert und K.D. Wagner, Köln 1981. — Leibfritz, W.: Der Staat als Investor. Ein Überblick über die öffentliche Investitionstätigkeit und die Entwicklung des Infrastrukturbestandes in der Bundesrepublik. Ifo-Studien, 26. Jg. (1960), Nr. 1 - 2 . Berlin und München 1980, S. 123 ff. — Lützel, H.: Das reproduzierbare Sachvermögen zu Anschaffungs- und zu Wiederbeschaffungspreisen. Wirtschaft und Statistik, 11/72, S. 611 ff. —• Lützel y H.: Das reproduzierbare Anlagevermögen in Preisen von 1962.

Staatliche Vermögensbildung im Sparprozeß

495

Wirtschaft und Statistik, 10/71, S. 593 ff. — Lützel, H.: Altersaufbau des Anlagevermögens. Wirtschaft und Statistik, 4/76, S. 217 ff. — Neuthinger, E.: Bestimmungsgründe und gesamtwirtschaftliche Auswirkungen der staatlichen Kreditfinanzierung in der Bundesrepublik Deutschland 1974/1975. Ifo-Studien 26. Jg. (1980), Nr. 3 - 4 . — Schäfer, D. und Schmidt, L.: Abschreibungen nach verschiedenen Bewertungs- und Berechnungsmethoden. Wirtschaft und Statistik, 12/83, S. 919 ff. — Stahmer, G.: Reproduzierbares Anlagevermögen nach Wirtschaftsbereichen. Wirtschaft und Statistik, 6/79, S. 411 ff. — Statistisches Bundesamt: Fachserie 18, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Reihe 1; Konten und Standardtabellen 1983. Stuttgart und Mainz 1984.

Öffentliche Investitionen und Kapitalbildung Von Rolf Peffekoven, Mainz

I. Zum Problem

Bei der zunehmend kritischen Beurteilung staatlicher Aktivitäten und der daraus resultierenden Staatsausgaben fällt die durchweg positive Wertung öffentlicher Investitionen auf. Kein Finanzminister in Bund und Ländern unterläßt es, in seiner Budgetrede eine Erhöhung des Anteils der investiven Ausgaben zu Lasten der Konsumausgaben zu verlangen. So sollen die investiven Ausgaben des Bundes 1984 um 4,8 v.H. gegenüber 1983 steigen, während für den Gesamthaushalt in diesem Zeitraum nur ein Wachstum von 1,8 v.H. geplant ist. Auch für 1985 sieht die mittelfristige Finanzplanung des Bundes Steigerungsraten für die investiven Ausgaben vor, die erheblich über denen des gesamten Haushalts liegen werden1. Die Summe der Investitionsausgaben und ihr Anteil an den gesamten Staatsausgaben bleibt für die Bundesregierung ,,ein wichtiges Kriterium für die volkswirtschaftliche Gesamtbeurteilung des Bundeshaushalts"2. Eine solch uneingeschränkt positive Beurteilung der öffentlichen Investitionen setzt freilich voraus, daß — die Abgrenzung dieser Ausgabenart gegenüber anderen eindeutig ist, mit anderen Worten eine allgemein akzeptierte Definition des Begriffs vorliegt; — die Wirkungen öffentlicher Investitionen hinreichend bekannt sind und diese im Hinblick auf bestimmte Ziele als positiv angesehen werden. Beide Bedingungen sind allerdings keineswegs erfüllt. Der Bund verwendet (wie übrigens auch die Länder 3) einen Investitionsbegriff, der die Sachinvestitionen und Finanzierungshilfen (Darlehen, Zu1

Vgl. Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.): Finanzbericht 1985, Bonn 1984, S. 30 (im folgenden: „Finanzbericht" unter Hinzufügen der Jahreszahl). 2 Finanzbericht 1985,' S. 30. 3 Auf Besonderheiten, die für die Gemeinden gelten, wird im folgenden nicht eingegangen. Vgl. dazu G. Schwarting: Kommunale Investitionen, Frankfurt 1979.

498

Rolf Peffekoven

schüsse und Beteiligungen)4 umfaßt und hinsichtlich der Wirkungen „überwiegend auf die Ausstattung unserer Wirtschaft mit Sachkapital"5 ausgerichtet sein soll. Zwingend ist eine solche Abgrenzung jedoch nicht. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen6 hat in einem Gutachten im einzelnen dargelegt, daß der Begriff der öffentlichen Investitionen ganz unterschiedlich gefaßt werden kann und daß deshalb der Begriff „durch große Unklarheiten gekennzeichnet (ist), so daß sich Unsicherheiten und Mißverständnisse bei seiner Anwendung ergeben" 7. Allerdings ist auch umstritten, ob eine allgemeingültige Definition überhaupt anzustreben ist, weil sie wohl inhaltsleer sein müßte8; denn da mit den öffentlichen Investitionen ganz verschiedene Ziele und damit auch Wirkungen angestrebt werden, liegt es nahe, den Begriff zielbezogen zu definieren 9, je nachdem, ob man z.B. in den öffentlichen Investitionen ein Instrument zur Kapitalbildung (Output-Effekt) sieht oder ob man damit konjunkturpolitische Zielsetzungen (Input-Effekt) verfolgt 10.

I I . Öffentliche Investitionen und Vermögensbildung

Dem Thema des vorliegenden Sammelbandes entsprechend soll im folgenden die Rolle der öffentlichen Investitionen im Prozeß der volkswirtschaftlichen Vermögens- bzw. Kapitalbildung betrachtet werden. Hierbei soll geprüft werden, wie der in der Finanzstatistik verwendete Begriff zù beurteilen ist, ob er tatsächlich auf die Ausstattung der Wirtschaft mit Sachkapital abstellt. 4 Zur Definition vgl. Bericht des Bund/Länder-Arbeitsausschusses ,,Haushaltsrecht und Haushaltssystematik" zur Abgrenzung des Begriffs der öffentlichen Investitionen im gemeinsamen Gruppierungsplan vom 15.6.1982, in: Finanzbericht 1983, S. 130 ff. 5 Finanzbericht 1985, S. 30. 6 Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen: Gutachten zum Begriff der öffentlichen Investitionen, in: Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, Heft 29, Bonn 1980. 7 Ebenda, S. 49. 8 Vgl. z.B. K. Littmann: öffentliche Investitionen, in: Handwörterbuch der Wirtschafts-· Wissenschaft, Bd. 9, Stuttgart u.a.O. 1982, S. 813. 9 Zu einer solchen funktionalen Begriffsfassung vgl. G. Hedtkamp: Bestimmungsgründe für Umfang und Struktur der öffentlichen Ausgaben, in: H. Timm/H. Haller (Hrsg.): Beiträge zur Theorie der öffentlichen Ausgaben, Schriften des Vereins für Socialpolitik, NyF., Bd. 47, Berlin 1967, S. 85. 10 Zu den unterschiedlichen Wirkungen der Investitionen vgl. J. Kromphardt: Investitionen I: volkswirtschaftliche, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, Bd. Stuttgart u.a.O. 1978, S. 246 ff.

Öffentliche Investitionen und Kapitalbildung

499

Ein Merkmal privater wie öffentlicher Investitionen ist darin zu sehen, daß sie einen Zugang an (Sach-)Vermögen darstellen. Bei den öffentlichen Investitionen taucht jedoch sogleich die Frage auf, ob dabei — der Zugang zum Volksvermögen, — der Zugang zum öffentlichen Vermögen oder — der öffentlich finanzierte Zugang zum privaten Vermögen in den Mittelpunkt der Untersuchung zu stellen ist. Je nachdem, welchem Ansatz man folgt, empfehlen sich unterschiedliche Abgrenzungen des Investitionsbegriffs 11. Dabei entsteht allerdings eine neue Schwierigkeit insoweit, als Abgrenzungsprobleme beim Investitionsbegriff zum Teil auf solche beim Vermögensbegriff verlagert werden. In der ökonomischen Theorie wie auch der Praxis der Vermögensrechnung in der Bundesrepublik Deutschland gilt für jeden Sektor der Volkswirtschaft (private Haushalte, Unternehmen, Staat) folgender Zusammenhang: Bruttovermögen

Geldvermögen Nettovermögen (Reinvermögen)

Das Nettovermögen ist also die Summe aus Sachvermögen und Geldvermögen 12. 1. öffentliche

Investitionen

und Volksvermögen

Bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtung heben sich die Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen inländischen Wirtschaftssubjekten gegeneinander auf. Demnach gilt: Volksvermögen = Summe der Sachvermögen + Nettoforderungen gegenüber dem Ausland 11

Vgl. B. Toillié : öffentliche Investitionen, Berlin 1980, S. 72 ff. Die Definition des Geldvermögens ist nicht einheitlich. In der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ist das Geldvermögen die Differenz zwischen Forderungen und Verbindlichkeiten. Die Deutsche Bundesbank definiert die Summe der Forderungen eines Wirtschaftssubjektes als (Brutto-)Geldvermögen; zieht man davon die Verbindlichkeiten ab, so ergibt sich der Finanzierungssaldo oder das Nettogeidvermögen. Wir folgen hier und im folgenden der Definition der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Vgl. dazu auch A. Stobbe: Volkswirtschaftslehre I, 6. Aufl., Berlin u.a.O. 1984, S. 372; Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, 36. Jahrg., Nr. 10 (1984), S. 19 ff. 12

500

Rolf Peffekoven

Mit den öffentlichen Investitionen — soweit der Begriff sich auf Sachinvestitionen13 bezieht — werden das Sachvermögen und damit das Volksvermögen vergrößert. Dieser Sachverhalt läßt sich auch an der aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung üblichen Kontendarstellung veranschaulichen:14 Vermögensänderungskonto Bundesrepublik Deutschland für das Jahr 1982 (in Mrd. DM)

Abschreibungen Bruttoinvestitionen 200

336

Zunahme der (Netto-) Forderungen gegenüber dem Ausland 9

Ersparnis

145

Sieht man von Veränderungen der Nettoforderungen gegenüber dem Ausland zunächst ab, so ergibt sich, daß der Einfluß der öffentlichen Investitionen auf das Volksvermögen hinreichend erfaßt ist, wenn der Investitionsbegriff ausschließlich auf die Sachinvestitionen beschränkt wird, also mit einem sehr engen Begriff gearbeitet wird. Daß möglicherweise der Staat über andere Ausgaben (z.B. Darlehen, Zuschüsse) auch private Investitionen finanziert, spielt bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtung keine Rolle. In einer geschlossenen Volkswirtschaft ist auch die Finanzierung der öffentlichen Investitionen in diesem Fall nicht weiter zu berücksichtigen, da 13 Sachinvestitionen im Sinne der Finanzstatistik entsprechen in etwa den staatlichen Bruttoinvestitionen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Zu den sachlichen und sektorailen Abweichungen vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen: Gutachten zum Begriff der öffentlichen Investitionen, a.a.O., S. 5 ff. 14 Vgl. A. Stobbe: Volkswirtschaftslehre I, a.a.O., S. 121.

501

Öffentliche Investitionen und Kapitalbildung

sich Forderungen und Verbindlichkeiten inländischer Wirtschaftssubjekte in der konsolidierten Vermögensrechnung stets gegeneinander aufheben und insoweit die Höhe des Volksvermögens durch die inländischen Kreditverflechtungen nicht tangiert wird. Eine Ausnahme stellt in einer offenen Volkswirtschaft lediglich die Auslandsverschuldung dar. Sofern den öffentlichen Investitionen Kreditaufnahmen im Ausland gegenüberstehen, wird tendenziell eine Schuldnerposition gegenüber dem Ausland aufgebaut, was die Höhe des Volksvermögens verringert. Der Einfluß der öffentlichen Sachinvestitionen auf das Volksvermögen wird insoweit also auch durch die Finanzierung der Investitionen bestimmt. Bei Auslandsverschuldung bildet der Staat Sachvermögen, reduziert aber gleichzeitig das Geldvermögen. Gerade in den Jahren 1980 bis 1983 haben die Auslandsverpflichtungen der öffentlichen Hand stark zugenommen, da — wie Tab. 1 zeigt — der Staat (und dabei insbesondere der Bund) seine Kredite zu einem erheblichen Teil im Ausland aufgenommen hat 15 . Tabelle 1

Anteil der Auslandsverschuldung an der Nettokreditaufnahme der Gebietskörperschaften*

Jahr

Nettokreditaufnahme in Mio. DM

1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983

7 896 14 509 14 695 14 795 23 940 63 531 40 248 31 834 42 328 43 124 54 677 77 005 69 204 56 888

davon Auslandskredite absolut in Mio. DM in v.H. -71 327 688 577 798 2 865 6 403 493 1 019 2 400 22 000 25 200 12 500 15 300

_ 2,3 4,7 3,9 3,3 4,5 15,9 1,5 2,4 5,6 40,2 32,7 18,1 26,9

* teilweise geschätzt. Quelle: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank. Eigene Berechnung. 15

Vgl. Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, 36. Jahrg., Nr. 10 (1984), S. 33.

502

Rolf Peffekoven

Da die Kreditaufnahme des Staates im Ausland in jüngster Zeit weitgehend zum Stillstand gekommen ist, soll darauf im folgenden nicht weiter eingegangen werden. Stellt man auf die Wirkungen auf das Volksvermögen ab, dann können öffentliche Investitionen mit öffentlichen Sachinvestitionen gleichgesetzt werden. Dabei müßten zu den Sachinvestitionen die von anderen Sektoren bezogenen Investitionsgüter und die selbsterstellten Anlagen gezählt werden. Auch Vorratsinvestitionen wären zu berücksichtigen, wie dies in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung mit den Änderungen der Reserven an Rohstoffen und Kernbrennstäben auch geschieht. Transaktionen des Staates, die gesamtwirtschaftlich gesehen lediglich einen Aktivtausch darstellen (z.B. Grundstückserwerb), wären nicht zu den Investitionen zu zählen16. Soll die Veränderung des Kapitalstocks ermittelt werden, dürften nur die Neiioinvestitionen berücksichtigt werden. Dies setzt voraus, daß die Abschreibungen als Äquivalent der Ersatzinvestitionen berechnet werden, was gerade im staatlichen Sektor erhebliche Schwierigkeiten (Bewertungsprobleme) hervorruft 17. Ein Problem stellt außerdem die Zuordnung der Ausgaben für die Beschaffung von Anlagen und langlebigen Wirtschaftsgütern im Verteidigungssektor dar. Sie werden — einer internationalen Konvention folgend — nicht zu den öffentlichen Investitionen gezählt, obwohl ökonomisch durchaus Argumente für ein anderes Vorgehen gefunden werden können18. Quantitativ ist diese Einschränkung nicht unbedeutend: Im Haushaltsplan des Bundes sind 1984 rund 21 Mrd. DM für militärische Beschaffungen, Materialerhaltung, Wehrforschung und -entwicklung sowie militärische Anlagen angesetzt, während die Sachinvestitionen 7,8 Mrd. DM betragen. Von der Behandlung der Ausgaben im Verteidigungssektor abgesehen, bereitet der aus dem Vermögensbegriff hergeleitete Investitionsbegriff keine Abgrenzungsschwierigkeiten. Dies wird allerdings durch einen nicht unumstrittenen Vermögensbegriff erkauft, der eben nur Sachvermögen und die Netto-Auslandsposition, nicht dagegen immaterielles Vermögen (z.B. Patente, Lizenzen, technisches Wissen) oder gar das Arbeitsvermögen umfaßt 19 . Solche Vermögensbestände werden in der Volkswirtschaftlichen 16 Die von anderen Sektoren bezogenen Investitionsgüter dürften deshalb nur dann zu den öffentlichen Investitionen zählen, wenn sie aus der laufenden Produktion (und nicht aus Lagerbeständen) stammen. 17 Vgl. Finanzbericht 1983, S. 131 f. 18 Vgl. dazu die ausführliche Diskussion in: Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen: Gutachten zum Begriff der öffentlichen Investitionen, a.a.O., S, 40 f. 19 Vgl. dazu A. Stobbe: Volkswirtschaftslehre I, a.a.O., S. 75 ff.

Öffentliche Investitionen und Kapitalbildung

503

Gesamtrechnung — vor allem aus Praktikabilitätsgründen (z.B. Bewertung) — nicht erfaßt. Daraus folgt, daß Ausgaben für das Humankapital (z.B. Gesundheits-, Bildungsausgaben), die einen erheblichen Teil der öffentlichen Ausgaben ausmachen, nicht den öffentlichen Investitionen zugezählt werden dürfen. Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ist eine ex post-Rechnung; die dabei gewonnenen Identitätsgleichungen lassen keine Kausalzusammenhänge erkennen. Denkbar ist jedoch, daß die öffentlichen Sachinvestitionen nicht nur direkt das Volksvermögen erhöhen, sondern darüber hinaus auch die Höhe der privaten Investitionen beeinflussen und damit eine indirekte Wirkung auf das Volksvermögen haben. Dabei sind gegenläufige Effekte möglich: — Soweit die staatlichen Sachinvestitionen die Infrastruktur verbessern, mögen sie zusätzliche Investitionen im privaten Sektor und damit auch indirekt die Vergrößerung der Kapitalausstattung der Volkswirtschaft bewirken. Zwischen öffentlichen und privaten Investitionen bestehen Kornplementaritätsbeziehungen. — Denkbar ist allerdings auch, daß die Ausweitung der öffentlichen Investitionen die privaten Investitionen zurückdrängt. In diesem Fall wäre von Substitutionsbeziehungen zu sprechen, die durch recht unterschiedliche Zusammenhänge erklärt werden können. In den letzten Jahren wird insbesondere auf die crowding out-Effekte kreditfinanzierter öffentlicher Investitionen hingewiesen. Kreditaufnahme des Staates führt zu Zinssteigerungen, die die privaten Investitionen behindern. Welcher der beiden Effekte sich durchsetzt, ist nicht eindeutig zu entscheiden und empirisch bisher nicht überzeugend nachgewiesen worden. Der relativ hohe Anteil der Infrastrukturausgaben bei den öffentlichen Sachinvestitionen spricht eher für die Komplementaritätsbeziehung — die zunehmende Kreditfinanzierung für die Substitutionsbeziehung20. 2. Öffentliche

Investitionen

und Staatsvermögen

Die Konsolidierung der einzelwirtschaftlichen Vermögensrechnungen zu einer gesamtwirtschaftlichen ist mit Informationsverlusten verbunden — sie läßt vor allem die Kreditbeziehungen zwischen den Sektoren der Volkswirt20 Berücksichtigt man diese indirekten Wirkungen der öffentlichen Sachinvestitionen, dann müßte ebenso bedacht werden, daß auch andere Posten des Haushaltes einen Einfluß auf private Investitionsentscheidungen haben können. Darauf wird im folgenden unter II., 3. noch einzugehen sein.

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Rolf Peffekoven

schaft unberücksichtigt. Selbst in einer geschlossenen Wirtschaft weicht die Verteilung der Netto- oder Reinvermögen von der der Sachvermögen ab, da für die einzelnen Sektoren (Haushalte, Unternehmen, Staat) üblicherweise die Geldvermögen nicht Null sind. Auch für den Sektor Staat gilt, daß sein Nettovermögen gleich ist der Summe aus Sachvermögen und Geldvermögen, öffentliche Investitionen — definiert als (Netto-) Sachinvestitionen — erhöhen zwar das Sachvermögen, was aber keineswegs identisch mit einer Zunahme des Nettovermögens ist. Entscheidend wird nunmehr die Frage der Finanzierung. Sofern der Staat die öffentlichen Sachinvestitionen mit Kredit finanziert, steht dem gestiegenen Sachvermögen ein entsprechender Rückgang des Geldvermögens gegenüber. Anders ausgedrückt: Der Sachvermögensbildung im öffentlichen Sektor entspricht die Geldvermögensbildung im privaten Sektor 21. Im Jahr 1983 haben die Gebietskörperschaften z.B. 31,6 Mrd. DM Sachvermögen gebildet, dem ein Abbau des Geldvermögens von 45,7 Mrd. DM gegenübersteht. Der Staat hat also — wie schon in den Vorjahren — sein Nettovermögen reduziert. Tabelle 2

Sach- und Geldvermögensbildung der öffentlichen Gebietskörperschaften (in Mrd. DM) Jahr

Sachvermögensbildung

Geldvermögensbildung

Nettovermögensbildung

1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983

27,76 29,84 29,34 29,86 34,32 34,07 32,76 32,49 35,71 41,03 45,92 42,33 36,01 31,60

- 4,88 - 8,33 -12,84 - 2,15 -17,14 -55,58 -39,40 -25,52 -30,21 -37,80 -50,01 -68,65 -62,13 -45,70

22,88 21,51 16,50 27,71 17,18 -21,51 - 6,64 6,97 5,50 3,23 - 4,09 -26,32 -26,12 -14,10

Quelle: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 1983/84, Bundestagsdrucksache 10/669, 24.11.83, S. 326 f. Eigene Berechnung. 21

Einschließlich Ausland. Vgl. oben II., 1.

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Öffentliche Investitionen und Kapitalbildung

Stellt man auf die Vermögensbildung im staatlichen Sektor ab, dann muß der oben verwendete Investitionsbegriff erweitert werden: Zu den öffentlichen Sachinvestitionen müssen nunmehr auch diejenigen Posten gezählt werden, die bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtung lediglich einen Aktivtausch bewirken, z.B. Grundstückstransaktionen zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor. Bei einzelwirtschaftlicher Betrachtung müssen Grundstückskäufe der öffentlichen Hand den öffentlichen Sachinvestitionen zugezählt, die Grundstücksverkäufe dagegen abgezogen werden. Im übrigen ergeben sich hinsichtlich der Begriffsdefinition ,,öffentliche Investitionen = öffentliche Sachinvestitionen" keine neuen Probleme. Dies ändert sich, sobald man den Sektor Staat disaggregiert und — für die Verhältnisse in der Bundesrepublik — die Vermögensbildung von Bund, Ländern und Gemeinden getrennt betrachtet. Wie Tab. 3 zeigt, sind die drei Ebenen an den Sachinvestitionen des öffentlichen Gesamthaushalts und damit an der öffentlichen Sachvermögensbildung in unterschiedlichem Ausmaß beteiligt. Tabelle 3

Sachinvestitionen und investive Nettoausgaben der öffentlichen Haushalte (in Mrd. DM) 1980

1981

1982

1983

1984b>

Sachinvestitionen davon: Bund Länder Gemeinden

60,0 8,2 10,6 41,2

57,0 7,3 10,0 39,7

51,4 7,0 10,0 34,5

48,2 7,1 9,7 31,4

49,0 7,5 .10,0 31,5

investive Nettoausgabena) davon: Bund Länder Gemeinden

98,3 31,5 31,9 31,6

95,7 30,5 29,8 31,8

92,0 32,0 29,6 27,3

87,5 31,3 28,1 24,3

91,5 35,0 29,0 24,0

a > investive Nettoausgaben = Sachinvestitionen und Finanzierungshilfen an Verwaltungen und andere Bereiche abzüglich Finanzierungshilfen von Verwaltungen. b > geschätzt. Quelle: Haushaltspläne. Angaben des Bundesministeriums der Finanzen. Eigene Berechnung.

Der Bund bildet aufgrund der innerstaatlichen Aufgabenverteilung nur in geringem Maße eigenes Sachvermögen (Sachinvestitionen), trägt aber über sogenannte Finanzierungshilfen (Darlehen, Zuschüsse) in erheblichem Umfang zur Sachvermögensbildung bei Ländern und Gemeinden bei. Im Haushaltsentwurf des Bundes für 1984 stehen Sachinvestitionen von 7,5 Mrd. DM Finanzierungshilfen an den übrigen öffentlichen Bereich in Höhe von

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10,5 Mrd. DM gegenüber22. Um ein realistisches Bild vom Beitrag des Staates zur Vermögensbildung zeichnen zu können, geht man — so z.B. die Finanzstatistik23 — nicht nach dem Erfüllungsprinzip (Wer tätigt eine Sachinvestition?), sondern nach dem Belastungsprinzip (Wer finanziert letzten Endes eine Sachinvestition?) vor. Dies führt aber zu einem weiter gefaßten Investitionsbegriff: An andere öffentliche Haushalte gezahlte Finanzierungshilfen sind den eigenen Investitionsausgaben hinzuzuzählen, von anderen öffentlichen Haushalten erhaltene Finanzierungshilfen abzuziehen. Die Abgrenzung der öffentlichen Investitionen folgt diesem Prinzip. Anders wäre auch nicht zu erklären, warum die Gemeinden Sachinvestitionen tätigen, die höher liegen als ihre investiven Nettoausgaben. Bezieht man die öffentlichen Finanzierungshilfen in den Investitionsbegriff ein, so wird dabei nur auf die Primärströme abgestellt, während die Mittelverwendung beim Empfänger grundsätzlich außer Betracht bleibt. Demnach wird unterstellt, daß Finanzierungshilfen beim Empfänger zu zusätzlichen Sachinvestitionen in gleicher Höhe führen. Damit ist jedoch keineswegs zu rechnen. Wie in der Theorie der Finanzzuweisungen im einzelnen dargestellt wird 24 , kann das nicht einmal durch eine Zweckbindung der Finanzierungshilfen garantiert werden. So mag eine Gemeinde beim Erhalt von Zuweisungen die eigenen (bisherigen) Ausgaben für den geförderten Zweck einschränken (Substitutionseffekt); denkbar ist aber auch, daß sie ihre eigenen Mittel im gleichen Umfang wie bisher oder gar in verstärktem Ausmaß einsetzt (Anreizeffekt). Welche dieser beiden Wirkungen eintritt, hängt vor allem von der Einkommens- und der Preiselastizität der Nachfrage nach öffentlichen Gütern ab. Empirische Untersuchungen kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen25. Um bei der Gewährung von Finanzierungshilfen die Erhöhung der Sachinvestitionen zu sichern, wird oft eine Eigenbeteiligung des Empfängers postuliert. Aber auch das ist keine Garantie für zusätzliche Investitionen. Die Verwendung der Finanzierungshilfen durch den Empfänger bleibt in den öffentlichen Haushalten bei der Abgrenzung der Investitionen außer Be22 Vgl. Finanzbericht 1985, S. 44. — Die Abweichung gegenüber Tab. 3 ergibt sich daraus, daß in den investiven Nettoausgaben auch die Finanzierungshilfen an andere Bereiche (private Haushalte, Unternehmen) erfaßt sind. 23 Vgl. Finanzbericht 1985, S. 30. 24 Vgl. dazu grundlegend: A.D. Scott: The Evaluation of Federal Grants, in: Economica, Vol. 19, 1952, S. 377 ff.; J.A. Wilde: The Expenditure Effects of Grants-in-Aid Programs, in: National Tax Journal, Vol. 21, 1968, S. 340 ff. 25 Vgl. E.M. Grämlich: Intergovernmental Grants: A Review of the Empirical Literature, in: W.E. Oates (Ed.): The Political Economy of Fiscal Federalism, Lexington (Mass.), Toronto 1977, S. 219 ff.

Öffentliche Investitionen und Kapitalbildung

507

tracht, ,,weil ihre Berücksichtigung mit unlösbaren Zuordnungsproblemen behaftet ist" 2 6 . Damit wird allerdings auch fraglich, ob der heute verwendete Investitionsbegriff wirklich — wie immer behauptet — ,,überwiegend auf die Ausstattung unserer Wirtschaft mit Sachkapital"27 ausgerichtet ist. Bei den Finanzinvestitionen (Darlehen) wird immerhin noch diskutiert, ob die Zuordnung nicht auch auf den Darlehenszweck — nämlich die Verwendung im investiven oder nichtinvestiven Bereich — abstellen müsse. Allerdings dürfte ein solches — zweifellos geeignetes — Abgrenzungskriterium dann nicht auf die Darlehen beschränkt bleiben, sondern müßte letzten Endes für alle Ausgabenansätze des Haushaltes herangezogen werden. Man sieht aus all dem, daß mit der Erweiterung des Investitionsbegriffes um die Finanzierungshilfen die Gleichsetzung von öffentlicher Investition und (Sach-)Kapitalbildung problematisch wird.

3. Öffentlich

finanzierte

private Investitionen

Zählt man die an die Gebietskörperschaften gezahlten Finanzierungshilfen zu den öffentlichen Investitionen, dann müßte das auch für die durch öffentliche Zuweisungen finanzierten Sachinvestitionen der öffentlichen Unternehmen, die die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung zum privaten Unternehmenssektor rechnet, gelten. ,,Denn die mit Finanzhilfen finanzierten Sachinvestitionen der öffentlichen Unternehmen sollten ... nicht anders behandelt werden als die unmittelbar im öffentlichen Bereich vorgenommenen Sachinvestitionen."28 Folgt man diesem Vorschlag, dann müßten darüber hinaus auch die Finanzierungshilfen an private Unternehmen, die der Investitionsförderung dienen, zu den öffentlichen Investitionen gezählt werden. Die damit erreichte und heute auch verwendete Definition entspricht der Systematik des Gruppierungsplanes 29 in den Gruppen 7 und 8: 7 Baumaßnahmen 8 Sonstige Ausgaben für Investitionen und Investitionsförderungsmaßnahmen 81 Erwerb von beweglichen Sachen 26

Finanzbericht 1983, S. 131. Finanzbericht 1985, S. 30. 28 Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen: Gutachten zum Begriff der öffentlichen Investitionen, a.a.O., S, 37. 29 Gemäß § 10 Abs. 2 Haushaltsgrundsätzegesetz handelt es sich beim Gruppierungsplan um Verwaltungsvorschriften über die Gruppierung der Einnahmen und Ausgaben des Haushaltsplans. 27

508

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82 Erwerb von unbeweglichen Sachen 83 Erwerb von Beteiligungen und dgl. 85 Darlehen an den öffentlichen Bereich 86 Darlehen an sonstige Bereiche 87 Inanspruchnahme aus Gewährleistungen 88 Zuweisungen für Investitionen an den öffentlichen Bereich 89 Zuschüsse für Investitionen an sonstige Bereiche. Auch bei den Finanzierungshilfen an den privaten Sektor wird wiederum nur auf die Primärströme ohne Berücksichtigung der Mittelverwendung abgestellt. Alles, was oben über die Substitutions- und Anreizeffekte gesagt wurde, gilt hier also entsprechend. Bei einigen der Finanzierungshilfen ist allerdings nicht unmittelbar einsichtig, warum durch sie im privaten Bereich Sachinvestitionen zustande kommen sollten: — Hat der Bund z.B. einem privaten Unternehmen, das in Konkurs geht, zuvor eine Bürgschaft gewährt, so würde bei Inanspruchnahme der Bürgschaft entsprechend der verwendeten Definition eine Investitionsausgabe entstehen. Die oft mit einem Konkurs verbundene Vernichtung von Sachkapital würde wohl eher mit einer Desinvestition im privaten Bereich gleichzusetzen sein. — Die im Rahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit an Entwicklungsländer geleisteten Finanzierungshilfen schaffen im Inland kein Sachkapital, sondern höchstens in den betreffenden Empfangsländern. Wenn immer wieder — als Beleg für den investiven Charakter dieser Ausgaben — darauf hingewiesen wird, daß ,,aus den Entwicklungsländern ein erhebliches Auftragsvolumen für die deutsche Wirtschaft zu erwarten ist" 3 0 , so wird dabei auf eine Erhöhung der Exporte und der Produktion angespielt, die höchstens indirekt — bei ausgelasteten Produktionskapazitäten — auch zu privaten Investitionen und damit zur Kapitalbildung im Inland beitragen mag. — Auch den Wohnungsbauprämien ist nicht generell investiver Charakter beizumessen. Nach Ablauf der Bindungsfristen kann der Bausparer über die Ersparnisse (einschließlich der Prämien) auch konsumtiv verfügen, so daß es nicht zu Investitionen im Wohnungsbau kommen muß. — Problematisch ist schließlich, daß auch Darlehen an private Haushalte ohne Rücksicht auf die Verwendung den Investitionsausgaben zugezählt

Öffentliche Investitionen und Kapitalbildung

509

werden. Dies gilt insbesondere für die Darlehen im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes. Da der Vermögensbegriff das Humankapital nicht umfaßt, dürfen diese Darlehen gar nicht zu den öffentlichen Investitionsausgaben gezählt werden. Noch ein weiteres Problem tut sich auf: Die Einbeziehung der Finanzierungshilfen in die öffentlichen Investitionen müßte — schon um Doppelzählungen zu vermeiden — auch eine Uminterpretation des Begriffes „private Investitionen" nach sich ziehen, die nunmehr in Analogie als „investive Nettoausgaben des privaten Sektors" die Differenz zwischen den privaten Sachinvestitionen und den erhaltenen Finanzierungshilfen sein müßten. Außerdem wäre zu prüfen, ob nicht auch Finanzierungshilfen des privaten Sektors an den Staat gegengerechnet werden müßten. Zwar zahlen private Wirtschaftseinheiten keine Zuschüsse zur Finanzierung staatlicher Investitionen, auch sind Bürgschaften und Gewährleistungen und daraus resultierende Inanspruchnahmen nicht üblich; da aber zu den staatlichen Finanzierungshilfen sämtliche Darlehen (Aktivkredite) gehören, wäre zumindest zu diskutieren, ob nicht auch die vom Staat in Anspruch genommenen Darlehen (Passivkredite) von seinen Investitionsausgaben abgezogen werden müßten. Man sieht erneut, daß der von Bund und Ländern verwendete Investitionsbegriff keine verläßlichen Aussagen über die Sachkapitalbildung in den einzelnen Sektoren der Wirtschaft zuläßt und mithin auch nicht — wie immer wieder behauptet wird — „überwiegend auf die Ausstattung ... mit Sachkapital31" ausgerichtet ist. Die Vermögensänderungsrechnungen arbeiten nach dem Erfüllungsprinzip, die Finanzstatistik verwendet statt dessen das Belastungsprinzip. Damit wird in die übliche Vermögensrechnung ein sachfremdes Element gebracht; außerdem muß mit empirisch nicht gesicherten Annahmen über die Wirkungen von Finanzierungshilfen gearbeitet werden. Aber selbst wenn man sich diesem Vorgehen anschließt, ist wohl zu verlangen, daß es wenigstens konsequent durchgehalten wird. Zählt man nämlich die öffentlichen Finanzierungshilfen zu den Investitionsausgaben, dann liegt es nahe, auch die Steuervergünstigungen, die für private Investitionen gewährt werden, entsprechend zu behandeln. Die damit verbundenen Einnahmeausfälle müßten den Investitionen zugerechnet werden. Es ist nämlich nicht einzusehen, warum z.B. eine Investitionsprämie anders behandelt werden soll als ein Abzug eines bestimmten Prozentsatzes der Investitionen von der Steuerschuld, der — wie im Falle des § 26 Nr. 3 Stabilitäts- und 30 31

Finanzbericht 1985, S. 70. Finanzbericht 1985, S. 30.

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Wachstumsgesetz — zurecht als ,,unechter*4 Investitionsbonus bezeichnet wird 32 . Auch die Bundesregierung spricht bei der im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative 33 gewährten steuerlichen Entlastung der Investitionen von einer InvestitionsZulage und weist darauf hin, daß dadurch für die Jahre 1983 bis 1985 bei einer Haushaltsbelastung von ca. 4 Mrd. DM im privaten Sektor ein Investitionsvolumen von etwa 40 Mrd. DM gefördert wird 34 . Die Begründungen, die für den Ausschluß der Steuervergünstigungen aus dem Investitionsbegriff vorgetragen werden, können durchweg nicht überzeugen35. Einmal wird auf den formalen Unterschied zwischen Ausgaben und Einnahmeausfällen hingewiesen, wobei eine exakte Abschätzung der Höhe der Steuermindereinnahmen als schwierig gilt 36 . Zum anderen sind die Wirkungen von Steuervergünstigungen auf die Investitionen weitgehend unbekannt. Allerdings gilt dies auch für die Finanzierungshilfen. Ein durchschlagendes Argument liegt wohl im folgenden: Die Erweiterung des Investitionsbegriffs würde im Grunde keine Grenze mehr finden. Zählt man die Steuervergünstigungen zu den Investitionen, dann müssen investitionshemmende Wirkungen der Besteuerung gegengerechnet werden. Im nächsten Schritt ist zu prüfen, ob nicht auch steuerliche Vergünstigungen für die Ersparnis zu den Investitionen gezählt werden müssen. Sodann kann diskutiert werden, ob nicht sogar die durch Gebote und Verbote im privaten Sektor hervorgerufene Förderung der Investitionen (z.B. beim Umweltschutz) oder deren Behinderung (z.B. im Energiesektor) den öffentlichen Investitionen zuzurechnen ist. Das Ergebnis müßte ein völlig inhaltsleerer Begriff sein, da praktisch jede öffentliche Aktivität auch für die Kapitalbildung im privaten Sektor von Bedeutung sein kann. Einen so weiten Investitionsbegriff wird man schon aus Praktikabilitätsgründen nicht fordern können. Auf der anderen Seite ist nicht einzusehen, warum die Grenze gerade so gezogen wird, daß die öffentlichen Finanzierungshilfen noch dazu gehören, die Steuervergünstigungen dagegen nicht mehr. Dies ist um so unerklärlicher, als alle Argumente, die gegen die Einbe32 Vgl. K. Mackscheidt / J. Steinhausen: Finanzpolitik I, Grundfragen fiskalpolitischer Lenkung, 3. Aufl., Tübingen 1978, S. 158. 33

„Gemeinschaftsinitiative für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität" von der Bundesregierung beschlossen am 3.2.1982. Zu den einzelnen Maßnahmen vgl. Finanzbericht 1983, S. 258. 34

Vgl. Finanznachrichten, Nr. 4/82 vom 5.2.1982, S. 1. Dies gilt jedenfalls so lange, als man die öffentlichen Investitionen als ein Instrument der (Sach-)Kapitalbildung betrachtet. 36 Die Einnahmeausfälle infolge von Steuervergünstigungen werden regelmäßig in den Subventionsberichten der Bundesregierung abgeschätzt. 35

Öffentliche Investitionen und Kapitalbildung

511

ziehung der Steuervergünstigungen vorgetragen werden, im Grunde auch gegen die der Finanzierungshilfen sprechen. Die abweichende Beurteilung der Finanzierungshilfen wird nur dann plausibel, wenn man lediglich auf die Primärströme zwischen öffentlichem und privatem Sektor abstellt und Wirkungen der Mittelverwendung außer acht läßt.

Ι Π . Fazit

Der heute von Bund und Ländern verwendete Investitionsbegriff zielt gar nicht auf die Sachkapitalbildung im öffentlichen Bereich oder in der Gesamtwirtschaft ab, sondern will offenbar alle Ausgaben erfassen, die zukunftswirksam sind oder zumindest sein könnten. Es sollen also alle Ausgaben berücksichtigt werden, die ,,die ökonomischen und gesellschaftlichen Startchancen des einzelnen und/oder die Entwicklungsbedingungen der Gesamtwirtschaft auf längere Sicht verbessern" 37 können oder ,,die der Sicherung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung über zukunftsorientierte Förderung von Produktion und Beschäftigung ...dienen" 38 . Dazu gehören nicht nur die Sachinvestitionen, sondern auch die laufenden Ausgaben z.B. im Gesundheits-, Erziehungs- und Ausbildungswesen, im Bereich der Wissenschaft, des Verkehrswesens und des Umweltschutzes. Daneben ist zu berücksichtigen, daß eine öffentliche Sachinvestition oft erst in Verbindung mit öffentlichen Konsumausgaben zu einer zukunftswirksamen Ausgabe wird: Nur der mit Lehrpersonal (Konsumausgabe) ausgestattete Hochschulbau (Investition) kann künftigen Nutzen stiften. Es ist deshalb sicher auch vertretbar, nicht auf die Sachkapitalbildung der öffentlichen Hand, sondern auf die zukünftigen Nutzen öffentlicher Aktivitäten abzustellen und demzufolge nicht mit einem engen, sondern einem sehr weiten Investitionsbegriff zu arbeiten. Ein solches Vorgehen ist in der Literatur sogar immer wieder gefordert worden: Denn es ist natürlich ein Irrtum, nur dem Sachkapital eine zukünftige Produktivität beizumessen, also quasi eine „Backstein- und MörtelThese" 39 zu vertreten. Aber eine solche Erweiterung des Investitions- (und damit des Kapital-)begriffs führt zu einem doppelten Dilemma: Erstens ist 37 Finanzwissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen: Gutachten zur Finanzierung eines höheren Staatsanteils am Sozialprodukt, in: Schriftenreihe des Bundesministeriums für Wirtschaft und Finanzen, Heft 20, Bonn 1972, S. 7. 38 Finanzbericht 1985, S. 30. 39 H.C. Recktenwald: Das Kapitalbudget in finanz- und volkswirtschaftlicher Sicht, Tübingen 1962, S. 19.

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nicht einzusehen, warum Zukunftswirkungen allein den öffentlichen Ausgaben, nicht aber auch den öffentlichen Einnahmen beigemessen werden sollten. „Da nahezu jede öffentliche Aktivität... für die ökonomische Entwicklung künftiger Perioden von Bedeutung ist" 4 0 , würde man zu einem praktisch inhaltsleeren Investitionsbegriff kommen. Zweitens müßte konsequenterweise der Investitionsbegriff im privaten Sektor dann entsprechend weit definiert werden: Nicht nur durch Maschinen und Bauten können die einzelwirtschaftlichen Startchancen und die gesamtwirtschaftlichen Entwicklungsbedingungen verbessert werden, sondern auch — und vielleicht im Einzelfall sogar noch mehr — durch die privaten Ausgaben für Ausbildung, Gesundheitsvorsorge, Forschung und Entwicklung. Oft bestehen auch im privaten Bereich Komplementaritätsbeziehungen: Eine neu errichtete Fabrik kann erst dann Zukunftsnutzen stiften, wenn eine bestimmte Qualifikation der Beschäftigten gegeben ist. So sinnvoll der weitgefaßte Investitionsbegriff zunächst auch erscheinen mag, er hat dennoch zwei Mängel: Er paßt nicht zu dem in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verwendeten Vermögens- und dem daraus hergeleiteten Investitionsbegriff und ist damit wenig praktikabel. Dies ist zweifellos ein formales Argument; materiell gewichtiger ist ein zweites: Die zukünftigen Wirkungen der öffentlichen wie auch der privaten Ausgaben sind nur schwer prognostizierbar. Die Abgrenzung des Investitionsbegriffs bleibt insoweit willkürlich.

40

Bericht des Bund/Länder-Arbeitsausschusses, a.a.O., S. 130.

Förderung der Vermögensbildung Von Willi Albers, Kiel

I. Begründungen für eine Sparförderung

1. Veränderung

der Einkommensverwendung

im Interesse der Individuen

Eine Förderung der Vermögensbildung stellt darauf ab, daß man es für wünschenswert hält, die sich aus den Präferenzen der Bürger ergebenden Verhaltensweisen zu verändern. Solche Eingriffe findet man zwar in verschiedenen Bereichen, so z.B. wenn der Staat die Preise für bestimmte Güter (Alkohol, Tabak) durch Steuern erhöht oder ihren Genuß verbietet (Drogen), damit die negativen Wirkungen eines zu hohen Verbrauchs abgeschwächt werden oder er die Preise durch Subventionen — im Grenzfall bis auf Null (Bildung) — verbilligt, um die Nachfrage anzuregen. Da eine freiheitliche Gesellschaft auf dem Grundsatz der Konsumentensouveränität beruht, können solche Eingriffe nur ausnahmsweise gerechtfertigt werden, wenn man davon ausgehen kann, daß ein Fehlverhalten der Bürger vorliegt. Sparen bedeutet, gegenwärtigen Konsum auf die Zukunft zu verschieben oder, falls man das mit den Ersparnissen gebildete Vermögen an die nächste Generation vererbt, für den Sparer einen endgültigen Konsumverzicht. Diese zeitliche Verteilung der Einkommensverwendung und die damit verbundene Allokation der Ressourcen über die Zeit muß also als unbefriedigend angesehen werden, wenn der Staat interveniert. In der Tat hat die behauptete „Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse" zu der kollektiven Alterssicherung geführt, weil man befürchtete, daß ohne Zwangssparen nicht genug für das Alter vorgesorgt würde. Wenn der Staat für diesen Bereich die schärfste Form des Eingriffs: „hoheitliche Gebote" anwendet, ist für Maßnahmen, die das Sparen für diesen Zweck auf freiwilliger Basis fördern sollen, kein Raum mehr. Ergänzende Sparanreize für die Alterssicherung wären nur dann erforderlich, wenn die Zwangseingriffe nur eine Grundsicherung garantieren würden, die durch freiwillige zusätzliche Ersparnisse aufgestockt werden sollte. Eine solche Situation ist für die Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland jedoch nicht gegeben. Sie ist als Vollsicherung kon-

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Willi Albers

zipiert. Es wäre zwar zu prüfen, ob man der freiwilligen Vorsorge nicht einen größeren Raum gewähren sollte; denn mit steigendem Wohlstand sind die Sparfähigkeit und auch die Sparneigung, wie die durchschnittliche Sparquote der Bezieher der Masseneinkommen von etwa 14 v.H. zeigt, gewachsen, wobei die Zwangsabgaben zur Sozialversicherung nicht als Ersparnis gerechnet werden. Aber für das gegenwärtige System der Alterssicherung sind zusätzliche Sparanreize für das Alter nicht notwendig. Nur für die Bezieher von Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze, die bei dem doppelten durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelt liegt, besteht keine Vollsicherung. Aber ihre Sparfähigkeit ist so groß, daß Anreize für eine zusätzliche Ersparnis nicht notwendig sind. Anreize für eine freiwillige Alterssicherung kämen also nur für den nicht von der kollektiven Sicherung erfaßten Personenkreis infrage. Das sind zur Zeit aber nur etwa 10 v.H. der westdeutschen Bevölkerung. Eine auf sie beschränkte Begünstigung würde jedoch gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Angesichts der umfassenden kollektiven Alterssicherung lassen sich Anreize für eine freiwillige Altersvorsorge nur bedingt rechtfertigen. Aber neben der Alterssicherung gibt es natürlich auch noch andere Sparmotive. Unter ihnen stehen die Risikovorsorge für nicht vorhersehbare Notlagen oder Belastungen und das Zwecksparen für einmalige größere Anschaffungen an erster Stelle. Dabei muß geprüft werden, ob die oben zur Rechtfertigung der Förderung einer freiwilligen Vorsorge für das Alter erwähnte Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse auch bei diesen Einkommensverwendungen besteht. Das gut ausgebaute soziale Sicherungssystem deckt auch außerhalb des Tatbestands Alter die meisten sozialen Risiken in ausreichendem Maße ab. Allerdings kann kein kollektives Sicherungssystem so umfassend sein, daß alle aus den komplexen Lebensbedingungen resultierenden Risiken entsprechend den unterschiedlichen Präferenzen der betreffenden Bürger befriedigend abgedeckt sind. Dabei spielen nicht zuletzt im familiären Bereich liegende Zusatzbelastungen durch Ausbildung und Heirat eine Rolle, für die eine Sicherung im öffentlichen Bereich nicht oder nur teilweise als notwendig angesehen wurde. Ein gutes Beispiel für eine zusätzliche private Risikovorsorge ist die Tatsache, daß bei einer Verschlechterung der Wirtschaftslage, wenn die Arbeitsplätze nicht mehr als sicher anzusehen sind, die Sparquote der privaten Haushalte steigt, was gesamtwirtschaftlich zur Folge hat, daß der wirtschaftliche Abschwung sich verstärkt 1. 1 Die CDU hat umgekehrt davon profitiert, daß positive Erwartungen auf wirtschaftlichem Gebiet gegenüber ihrer Regierung bestanden. Die Bürger haben darauf mit einer verringerten Risikovorsorge reagiert, so daß 1983 die Sparquote abnahm. Hierauf ist zurückzuführen, daß

Förderung der Vermögensbildung

515

Es ist also davon auszugehen, daß die Risikovorsorge nach wie vor ein wichtiges — wahrscheinlich sogar das wichtigste — Sparmotiv für die Masse der Arbeitnehmer ist, auch wenn sie nicht mehr so dringlich wie vor dem Ausbau des sozialen Sicherungssystems ist. Es fällt allerdings erheblich schwerer, als bei der Altersvorsorge, eine Förderung der diesem Ziel dienenden Ersparnisse aus einer Unterschätzung ihrer Wichtigkeit bei der Masse der Bürger abzuleiten. Wenn der durchschnittliche Arbeiterhaushalt allein schon Spareinlagen in Höhe von etwa 10.000 DM besitzt — ohne Berücksichtigung anderer Sparformen — kann nicht von einer unzureichenden Vorsorge für die normal zu erwartenden Risiken gesprochen werden, zumal auch von Arbeitnehmern ohne dingliche Sicherungen Kredite kurzfristig zusätzlich aufgenommen werden können. Sollten sich im Einzelfall Härten aus unvorhergesehenen hohen Ausgaben ergeben, können diese besser im Einkommensteuerrecht durch Steuervergünstigungen für außergewöhnliche Belastungen ausgeglichen werden. Beim Zwecksparen für den Kauf teurer langlebiger Konsumgüter dürfte sich eine Förderung in der Regel ebenfalls nicht empfehlen. Die Ausstattung mit Personenwagen, Fernsehgeräten, Waschmaschinen und Küchengeräten ist so gut, daß von einem Nachholbedarf oder von einer Unterversorgung nicht gesprochen werden kann. Außerdem birgt die Förderung eines Zwecksparens immer die Gefahr in sich, daß die eigene Sparleistung um den staatlichen Zuschuß eingeschränkt wird, so daß gar nicht mehr gespart wird. Schließlich würde eine Förderung des Zwecksparens nur den Konsum, aber nicht eine dauerhafte Vermögensanlage fördern, was — wie noch zu zeigen sein wird — kaum den Zielen der Sparförderung entsprechen würde. Eine Ausnahme bildet das Ansparen zum Erwerb von Wohnungseigentum. Einmal wird damit dauerhaftes Vermögen gebildet, das auch von nachfolgenden Generationen noch genutzt werden kann, zum anderen kann durch die Förderungsmaßnahmen des Staates für einen Teil der „Häuslebauer" überhaupt erst die Verwirklichung ihres Bau- oder Kaufvorhabens ermöglicht werden, weil sie sonst finanziell überfordert wären. Schließlich werden die Vorteile eines Wohnens im eigenen Haus durch den dadurch gewonnenen Freiheitsraum für eine gesunde Entwicklung von Kindern aber auch für sinnvolle Freizeittätigkeiten (Hobbies) der Eltern vielfach unterschätzt, weil diese Vorteile erst langfristig erkennbar werden bzw. sich die Nachteile beengter Wohnverhältnisse erst auf längere Sicht auswirken. trotz der restriktiv wirkenden Konsolidierungspolitik der öffentlichen Haushalte die wirtschaftliche Entwicklung günstiger als erwartet verlief. Allerdings verändern sich die Sparquoten durch solche Einflüsse nur vorübergehend und nach Befriedigung des Nachholbedarfs (zurückgestellte Käufe) hat die 1984 wieder gestiegene Sparquote nicht mehr stabilisierend (expansiv) gewirkt.

516

Willi Albers

Solche Langzeitwirkungen unterliegen in einem gewissen Maße der im Zusammenhang mit der Altersvorsorge erwähnten „Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse". Die zuletzt genannten Vorteile machen deutlich, daß Eigentumswohnungen nicht die gleichen Vorteile wie Ein- und Zweifamilienhäuser besitzen und deshalb auch nicht die gleiche Förderung verdienen. Auf die Vorteile der Bildung von Wohnungseigentum wird später bei einem Vergleich mit der Beteiligung am Produktiv vermögen noch zurückgekommen. Zusammenfassend ist festzustellen, daß — von der Förderung von Wohnungseigentum abgesehen — wenig Anlaß besteht, im Interesse der einzelnen Bürger das Sparen zu fördern, damit sich ihre Bedürfnisbefriedigungsmöglichkeiten durch eine geänderte zeitliche Allokation von Ressourcen verbessern. Der Hauptgrund, weshalb Bedenken gegen eine Korrektur der Einkommensverwendung durch den Staat bestehen, liegt darin, daß der Staat nicht in der Lage ist, besser als der einzelne zu beurteilen, was für ihn von Vorteil ist. Zwar ist der Staat berechtigt, Sanktionen zu verhängen, wenn der einzelne bei der Durchsetzung seiner individuellen Interessen gegen das Gemeinwohl verstößt — hier sind Gebote, Verbote und Strafen gerechtfertigt —. Aber solche Probleme stellen sich bei der Bildung von mehr oder weniger Ersparnissen nicht. Auch der in manchen älteren Lehrbüchern enthaltene Hinweis für die Berechtigung von Staatseingriffen: das Handeln des einzelnen sei auf eine zu kurze Zeitspanne längstens bis zu seinem erwarteten Tode fixiert, während der Staat den Bestand des Gemeinwesens auf Dauer im Auge habe, ist angesichts des kurzen Zeithorizonts der Politiker gegenstandslos geworden. Nach dem Kriege konnte man noch davon sprechen, daß das Handeln der Politiker auf die vierjährige Wahlperiode abgestellt war — das Verhalten war auf ihre Wiederwahl ausgerichtet (Wahlgeschenke), was nicht gerade auf das Gemeinwohl ausgerichtete Entscheidungen bedeutete —, heute hat sich der Zeithorizont noch weiter auf ein Haushaltsjahr verkürzt. Man ist froh, wenn man finanziell ein Jahr über die Runden kommt. Man wird davon ausgehen können, daß die privaten Haushalte vielfach verantwortungsbewußter als die Politiker im Hinblick auf die Zukunft handeln, so daß den Politikern eine Legitimation fehlt, ein „Fehlverhalten" der privaten Haushalte zu korrigieren.

2. Gesamtwirtschaftliche

Zusammenhänge

Da die Ersparnis aber nicht nur für den Wohlstand des einzelnen Bürgers, sondern auch für die Gesellschaft wichtig ist, kann aus den bisherigen, nur auf einen Teilbereich bezogenen Argumenten noch nicht geschlossen

Förderung der Vermögensbildung

517

werden, daß eine Förderung der Sparkapitalbildung generell überflüssig ist. Eine Veränderung der freiwilligen Ersparnis der privaten Haushalte beeinflußt die Wachstumsmöglichkeiten des Sozialprodukts und die Verteilung der Einkommen. Wachstum ist auf Investitionen angewiesen, weil diese das Produktionspotential einer Volkswirtschaft erhöhen. Investitionen erfordern einen Konsumverzicht in der Gegenwart, der sich in der volkswirtschaftlichen Ersparnis niederschlägt. Da die Entscheidungen, zu sparen oder zu investieren, von verschiedenen Personen getroffen werden (außer bei Selbstfinanzierung von Investitionen), ist nicht ohne weiteres gewährleistet, daß sie übereinstimmen. Zwar kann die Investition den zu ihrer Durchführung notwendigen Konsumverzicht auch über Preissteigerungen erreichen, wenn die freiwillige Ersparnis nicht hoch genug ist. Da damit aber gegen ein anderes wirtschaftliches Ziel: die Geldwertstabilität verstoßen wird, ist ein auf diese Weise erreichtes Wachstum unerwünscht, d.h. in einer solchen Situation kann gesamtwirtschaftlich eine Sparförderung sinnvoll sein, weil sie ein inflationsfreies Wachstum ermöglicht. Es gibt jedoch auch Situationen, in denen die freiwillige Ersparnis größer als die Investitionen ist. Daraus resultiert eine unzureichende Auslastung des Produktionspotentials, die entweder durch eine Erhöhung der Investitionen oder durch eine Verringerung der Ersparnis beseitigt werden kann. Wenn es auch vorzuziehen ist, die privaten Investitionen zu erhöhen, weil das zu einer höheren Wachtumsrate führt, so ist der Erfolg einer solchen investitionsanreizenden Politik mit vielen Risiken verbunden. Auch wenn Neuinvestitionen begünstigt werden, bleiben die Absatzerwartungen der Unternehmer ein wichtiger Bestimmungsgrund für Erweiterungsinvestitionen — bei Rationalisierungsinvestitionen steht dagegen die Rentabilität im Vordergrund — und wenn aufgrund des hohen Wöhlstandsniveaus und einer stagnierenden oder rückläufigen Bevölkerung weitgehend eine Marktsättigung besteht, werden die Unternehmer kaum bereit sein, ihre Produktionskapazität zu vergrößern. In einer solchen Situation kann es vorteilhaft sein, die gesamtwirtschaftliche Sparquote zu verringern, um eine bessere Auslastung des Produktionspotentials zu erreichen, auch wenn dadurch die zukünftige Wachstumsrate des Sozialprodukts verkleinert wird. Es ist also keineswegs so, daß gesamtwirtschaftlich eine Sparförderung in jeder Situation zu empfehlen ist. Bevor ich auf die Frage eingehe, wie die Situation in der Bundesrepublik Deutschland heute in dieser Hinsicht zu beurteilen ist, soll ein kurzer Rückblick auf die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgen, da die be-

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stehenden Regelungen zur Sparförderung ohne die historische Entwicklung nur teilweise zu verstehen sind. Ausgangspunkt war das gestörte Gleichgewicht zwischen den Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit. Kapital war durch Kriegszerstörungen und Demontagen stark verringert worden, während die Zahl der Arbeitskräfte trotz hoher Kriegsverluste an Menschen durch den Zustrom von Vertriebenen und Flüchtlingen zugenommen hatte. Es bestand also eine bis zur Währungsreform von 1948 allerdings verdeckte hohe strukturelle Arbeitslosigkeit, weil nicht genügend Arbeitsplätze vorhanden waren. Gleichzeitig war die Sparquote niedrig, weil als Folge der schlechten Versorgung mit Konsumgütern während des Krieges und in den Jahren vor der Währungsreform ein großer Nachholbedarf bestand, so daß die zur Beseitigung des Arbeitsplatzdefizits und der Produktionsengpässe benötigten Investitionen nur teilweise finanziert werden konnten. Dabei ist die damals extrem hohe Steuerbelastung zu berücksichtigen, die von den Siegermächten eingeführt war (Kontrollratsgesetze). Da die Vorschläge der Bundesregierung den Tarif der Einkommensteuer zu senken, an dem Veto der Besatzungsmächte scheiterten, die es nicht glaubten, zulassen zu können, daß das besiegte Deutschland niedrigere Steuersätze als die Siegermächte besaß — was wenig über die effektive Belastung aussagte — und sie für die von Westdeutschland zu zahlenden Besatzungskosten bei einer Steuersenkung fürchteten 2, nahm die Bundesregierung Zuflucht zu gezielten Steuervergünstigungen für die Finanzierung von Investitionen. Sie förderte einerseits die Selbstfinanzierung der Unternehmen durch eine Begünstigung nicht entnommener Gewinne und durch Sonderabschreibungen, andererseits gab sie auch durch Steuervergünstigungen (Kauf von Wertpapieren) im Rahmen der Sonderausgaben und durch eine ermäßigte Besteuerung bestimmter Zinsen Anreize für eine verstärkte private Ersparnis. Von diesen Vergünstigungen profitierten in erster Linie die Bezieher höherer Einkommen. Da damals die Masseneinkommen noch niedrig waren, war die Sparfähigkeit der unteren und mittleren Einkommen gering. Zudem erhöhten sich die Steuervorteile zusätzlich bei einem gleich hohen Sparbetrag, weil die gesparten bzw. begünstigten (Sonderabschreibungen) Einkommensteile von der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer abgesetzt werden konnten, so daß die Höhe der Steuerermäßigung eine Funktion des progressiven Tarifs der Einkommensteuer war. Die dadurch bedingte ungleichmäßige Verteilung der Begünstigung gesparter Einkommensteile wurde damals hingenommen. Im Nachhinein hat sich die Priorität des Wachstums 2 Es bestand eine gewisse Parallele zu der Zeit nach dem 1. Weltkrieg als Steuern ebenfalls nur mit Zustimmung des Reparationsagenten gesenkt werden konnten.

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gegenüber dem Verteilungsziel als gerechtfertigt herausgestellt; denn von der späteren starken Wohlstandssteigerung (Wirtschaftswunder) haben alle Bevölkerungsschichten profitiert, so daß sich die Bezieher niedriger Einkommen dadurch heute besser stehen, als wenn man in der Wiederaufbauphase die Leistungsanreize und die Kräfte des Marktes durch mehr Verteilungsgerechtigkeit gehemmt hätte. Das damals im Vordergrund stehende Ziel einer Erhöhung der Sparquote hat heute nur noch eine geringe Bedeutung. Als Folge der mit dem gestiegenen Wohlstand vergrößerten Sparfähigkeit hat sich die gesamtwirtschaftliche Sparquote erhöht. Der Nachholbedarf an Investitionen ist gedeckt. Die Nachfrage der privaten Haushalte ist in vielen Bereichen an ihre Sättigungsgrenze gestoßen, und von der Bevölkerungsentwicklung her ist keine Zunahme der Nachfrage nach Konsumgütern zu erwarten. Die Bundesrepublik Deutschland ist zu einer „reifen" Volkswirtschaft mit hoher Sparquote aber verringerter Investitionsneigung geworden, was bedeutet, daß sich Tendenzen zu einer „säkularen Stagnation" zeigen. In einer solchen Lage würden Sparförderungsmaßnahmen, die auf eine Erhöhung des Niveaus der Sparquote abstellen, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten noch erhöhen. An Bedeutung hat dagegen das Verteilungsziel bei der Sparförderung gewonnen, das politisch als „Förderung einer breitgestreuten Vermögensbildung" bezeichnet wird. Die Sparquote nimmt mit wachsendem Einkommen zu. Da die über die Jahre aufaddierten Ersparnisse den Vermögensbestand ergeben, folgt hieraus, daß die Verteilung der Vermögen ungleichmäßiger als die Verteilung der Einkommen sein muß. Dazu trägt auch bei, daß Bezieher niedriger Einkommen überwiegend geldwertabhängiges, die Bezieher höherer Einkommen dagegen überwiegend geldwertunabhängiges Vermögen besitzen. Da Preissteigerungen in der Nachkriegszeit den Geldwert stark vermindert haben —, die Mark ist 1983 gegenüber 1968 gemessen am Lebenshaltungskostenindex nur noch die Hälfte wert —, haben die Vermögensanlagen der Bezieher niedriger Einkommen — insbesondere der Unselbständigen — entsprechend an Wert verloren, während das überwiegend von den Beziehern höherer Einkommen gehaltene Realkapital nicht nur seinen Wert erhalten, sondern vielfach noch an Wert gewonnen hat. Die daraus sich ergebende ungleichmäßige Verteilung der Vermögen birgt die Gefahr sozialer Spannungen in sich und verleitet auch, da die Vermögenskonzentration beim Produktivkapital am stärksten ist, zu einem Mißbrauch wirtschaftlicher und politischer Macht. Dagegen mag eingewendet werden, daß Armut im Sinne einer Gefährdung des Existenzminimums dank des gestiegenen Wohlstands seltener und insofern der Hand-

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lungsbedarf für eine Umverteilung kleiner geworden ist. Dem steht jedoch entgegen, daß die absoluten Unterschiede im Wohlstandsniveau zugenommen haben, und das Existenzminimum nicht mehr als physisches, sondern als sozial-kulturelles verstanden wird, das mit steigendem Wohlstand auch steigt. Vor allem aber hat die verbesserte Bildung der Bevölkerung die Ungleichheiten bewußter gemacht, die soweit sie nicht durch Leistung bedingt sind, nicht mehr als gottgewollt hingenommen werden. Für die Besitzenden und die Regierenden ist es jedenfalls schwieriger geworden, eine auf ungleichen Startchancen basierende Politik aufrechtzuerhalten. Daraus ergab sich eine Verschiebung des Ziels der Sparförderung. Sie sollte die am Volksvermögen unterrepräsentierten Schichten stärker an der Vermögensbildung beteiligen. Diese Zielsetzung hat ihren Niederschlag in den geänderten Rechtsgrundlagen der Sparförderung gefunden. So wurden die im Rahmen der Sonderausgaben gewährten Vergünstigungen durch Prämien ersetzt, die unabhängig von der Höhe des Einkommens gleich hoch waren und später noch durch Einkommensgrenzen ergänzt wurden. 1952 wurde das Wohnungsbauprämiengesetz und 1959 das Sparprämiengesetz eingeführt. Zusätzlich wurden für Arbeitnehmer vier Vermögensbildungsgesetze beschlossen. Das dritte dieser Gesetze führte 1970 die oben erwähnte Einkommensgrenze ein, die 1975 auf das Spar- und Wohnungsbauprämiengesetz übertragen wurde. Allerdings war der Gesetzgeber nicht konsequent bei der Anpassung der Förderungsmaßnahmen an das in den Mittelpunkt getretene Verteilungsziel. Beim Bausparen blieb ein Wahlrecht zwischen Prämien und Steuervergünstigungen bestehen; die Beiträge an Lebensversicherungen blieben ebenfalls steuerbegünstigt. So ergibt sich die paradoxe Situation, daß einerseits Bezieher höherer Einkommen von der Sparförderung ausgeschlossen sind, daß sie andererseits aber für die Sparformen, für die Steuervergünstigungen bestehen geblieben sind, stärker begünstigt sind. Das gilt nicht nur, weil die marginalen Steuersätze der Besserverdienenden höher als die Prämiensätze liegen, sondern auch weil die begünstigten Beträge größer sind. 1981 wurden dann das Sparprämiengesetz für Neuverträge völlig aufgehoben und die Prämiensätze für die bestehen gebliebenen anderen Förderungsmaßnahmen gesenkt. Zwar ist, wie die Einschränkung der Förderungsmaßnahmen zeigt, die Haushaltsmisere ein wichtiger Beweggrund für die Entscheidungen gewesen, aber sie wären sicher nicht gefällt worden, wenn nicht auch die Dringlichkeit einer Sparförderung in den Augen der Politiker kleiner geworden wäre. Das Ergebnis sind in sich widerspruchsvolle Maßnahmen, die insgesamt eine abnehmende Dringlichkeit für die Sparförderung erkennen lassen. Aus-

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genommen von Kürzungen war — wenn man von der Differenzierung der Arbeitnehmersparzulage absieht — die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand. Im Gegenteil wurden durch das vierte Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer die begünstigten Aufwendungen von 624 DM auf 936 DM erhöht und der Kreis der begünstigten Sparformen insbesondere um Anlagen im Produktivkapital vergrößert. Das bestätigt einerseits die Priorität einer verteilungspolitischen Zielsetzung, zeigt andererseits aber auch, daß gesellschaftspolitische Ziele, die in der Hinführung der Arbeitnehmer zum Produktivkapital ihren Ausdruck finden, eine Rolle spielen. 3. Gesellschaftspolitische

Ziele

Zwischen verteilungs- und gesellschaftspolitischen Zielen bestehen enge Zusammenhänge. Gesellschaftspolitisch wird eine breitgestreute Beteiligung am Volksvermögen als erwünscht angesehen, weil Vermögen Abhängigkeiten abbaut und zu einem selbstverantwortlichen Handeln erzieht. Da eine solche breitgestreute Vermögensbildung, wenn man von grundgesetzlich nicht zulässigen Enteignungen absieht, sich nur über das Gewinnen neuer Schichten als Sparer erreichen läßt, impliziert das gesellschaftspolitische Ziel eine andere Verteilung der Ersparnisse. Zu den bisher angeführten wirtschafts- und sozialpolitischen Gründen für eine Umverteilung der Vermögen tritt also eine gesellschaftspolitische Begründung hinzu. Für die Struktur der Gesellschaft bedeutet dies, daß die Trennung in Kapitalisten und Habenichtse aufgelockert wird. Das lange Zögern der meisten Gewerkschaften, von den tarifvertraglichen Möglichkeiten des Vermögensbildungsgesetzes Gebrauch zu machen, ging nicht zuletzt darauf zurück, daß sie befürchteten, die Klassengegensätze würden abgebaut und die gewerkschaftliche Kampffront gegen die Unternehmer als Vertreter der Kapitalisten würde geschwächt. Der Sinneswandel wurde weniger durch die Erwartung herbeigeführt, es könnten größere Lohnerhöhungen durchgesetzt werden, wenn ein Teil dieser Beträge vermögenswirksam festgelegt würden, als vielmehr durch die Hoffnung bewirkt, der Einfluß der Arbeitnehmer könnte verstärkt werden, wenn sie nunmehr auch als Anteilseigner in den Hauptversammlungen und vor allem in den Aufsichtsräten aufträten. Wie die allerdings erfolglose Klage der Arbeitgeber vor dem Bundesverfassungsgericht — formal allerdings gegen das Mitbestimmungsgesetz — gegen die behauptete „Überparität" der Arbeitnehmerseite zeigt, bestanden auch auf Seiten der Arbeitgeber derartige Erwartungen. Angesichts der geringen Beträge, um die es sich hierbei handelt, könnte eine solche Veränderung allerdings erst nach Generationen eintreten. Die Gewerkschaften haben inzwischen das Illusori-

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sehe einer solchen Strategie erkannt, und, da sich gleichzeitig ihre Erwartungen nicht erfüllt haben, die Anteile der Arbeitnehmer könnten überbetrieblichen Fonds zugeführt werden, die unter ihrer Kontrolle stehen würden, haben sie das Interesse an einer Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital weitgehend verloren. Sie nehmen die Vorteile der staatlichen Prämien (Arbeitnehmersparzulage) zwar mit und inzwischen erhalten etwa 95 v.H. der zum Bezug berechtigten Arbeitnehmer die Leistungen des Vermögensbildungsgesetzes — aber weitergehende politische Ziele verfolgen sie damit nicht mehr. Diese wenigen Hinweise mögen genügen, um die brisante gesellschaftspolitische Komponente der Vermögenspolitik zu zeigen.

II. Technische Voraussetzungen für eine erfolgreiche Sparförderung 1. Die Ermittlung

der Ersparnis der privaten Haushalte in einer Periode

Die Ersparnis eines privaten Haushaltes in einer Periode ist gleich der Veränderung des Vermögens in dieser Periode. Dem entspricht es, daß in der Einkommensteuer in Anlehnung an das Handelsrecht bei buchführenden Steuerpflichtigen der Gewinn durch einen Vergleich des Vermögens am Schluß des Wirtschaftsjahres mit dem Vermögen am Schluß des vergangenen Wirtschaftsjahres ermittelt wird, wobei diese Größe um Entnahmen und Einlagen zu korrigieren ist. Für die nicht buchführenden Steuerpflichtigen — und das ist die große Mehrzahl — steht diese Größe für die Ermittlung der Ersparnis nicht zur Verfügung. Zwar sind im Zusammenhang mit der Einführung einer Ausgabensteuer, deren Bemessungsgrundlage wegen der Unmöglichkeit einer direkten Erfassung der Konsumausgaben der Haushalte an Hand der Differenz zwischen Einkommen und Ersparnis ermittelt werden soll, Vorschläge für die Aufstellung von Vermögenskatastern für alle Haushalte gemacht worden, aber man hat dieser Frage bei der Einführung der Sparförderung wohl keine so große Bedeutung beigemessen, daß man den großen mit der Aufstellung von Vermögenskatastern verbundenen Aufwand auf sich genommen hätte. Die Folge davon ist, daß die Größe, an die die Sparförderung eigentlich anknüpfen müßte, nicht zur Verfügung steht. Es genügt für die Förderung, wenn nachgewiesen wird, daß Ersparnisse in einer in die Förderung einbezogenen Form neu begründet wurden. Woher die Mittel für die Neubegründung einer solchen Sparanlage kommen, wird nicht geprüft. Es können also auch Umbuchungen von früheren nicht begünstigten Ersparnissen sein. Einen Mißbrauch hat der Gesetzgeber nur insoweit zu verhindern versucht, als er eine Finanzierung der begünstigten Er-

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sparnisse (Lebensversicherungen, Bausparkassen) mit Hilfe von aufgenommenen Krediten ausgeschlossen und eine Auflösung und Wiederanlage der begünstigten Ersparnisse für eine nochmalige Förderung innerhalb einer bestimmten Sperrfrist nicht zugelassen hat. Das schließt jedoch nicht aus und war für Spareinlagen bei Banken gängige Praxis, daß nach Ablauf der Festlegungsfrist der schon einmal begünstigte Sparbetrag erneut begünstigt wird. In solchen Fällen ist also nicht eine Neubildung von Ersparnissen notwendig, sondern wird schon das Durchhalten einer alten Ersparnis gefördert. Auf der anderen Seite führt das Festlegungsgebot zu Härten, wenn sich die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse nach Vertragsabschluß grundsätzlich geändert haben. So sah sich der Gesetzgeber gezwungen, die vorzeitige Auflösung von Ersparnissen in Härtefällen (je nach Sparform: Tod, Heirat, Arbeitslosigkeit, Abtretung) für die Förderung als unschädlich anzusehen, ohne daß allerdings durch diese Form der Aufzählung im Gegensatz zu dem allgemeineren Begriff der außergewöhnlichen Belastung im Einkommensteuerrecht alle Härtefälle erfaßt werden konnten. Auf der anderen Seite erfordert die bei einer vertragswidrigen Verwendung der Ersparnisse notwendige Rückzahlung von Prämien oder durchzuführenden Nachversteuerung einen hohen Verwaltungsaufwand. Die Kontrolle der zur Mißbrauchsverhütung erlassenen Bestimmungen ist darüber hinaus nur bedingt durchzuführen — man denke dabei nur an das Kreditaufnahmeverbot —. Die Kreditfinanzierung begünstigter Ersparnisse ist allerdings nach Verlängerung der Festlegungsfristen und der Vergrößerung der Spanne zwischen Soll- und Habenzinsen, die die Banken als Sicherheit für drohende Ausfälle bei von ihnen mit zu hohen Risiken gewährten Krediten benötigen, uninteressant geworden. Diese Mißbrauchsmöglichkeiten und die zu ihrer Bekämpfung in Kauf genommenen Komplizierungen sind eine Folge davon, daß die Größe, an die die Sparförderung eigentlich anknüpfen müßte, nämlich die jährliche Ersparnis, nicht zur Verfügung steht. Bei einem Vermögensvergleich wird eine Förderung von nur durch Umbuchungen im Vermögensbestand ausgewiesenen neuen Ersparnissen ausgeschlossen und eine Kontrolle über das Durchhalten begünstigter Ersparnisse erübrigt sich; es kommt nur auf den positiven Saldo des Vermögensvergleichs zwischen dem laufenden und dem Vorjahr an. Allerdings wären damit auch noch nicht alle Schwierigkeiten beseitigt, die sich einer exakten Erfassung der Ersparnis einer Periode entgegenstellen. Die Schwierigkeiten einer gleichmäßigen, zeitnahen Bewertung aller Vermögensteile würde zu weiteren mit dem Ziel der Sparförderung nicht zu vereinbarenden Verzerrungen führen. Der Wert des Vermögens ändert sich im Zeit-

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ablauf, ohne daß dies durch Sparen oder Entsparen verursacht sein muß. Bei einem Vermögens vergleich herkömmlicher Art würde dies jedoch automatisch unterstellt. Würden die Bewertungsgrundsätze des Einkommensteuerrechts der Ermittlung des Vermögens zugrundegelegt, würden bei einer Veräußerung aufgelöste stille Reserven, die darauf beruhen, daß die Bewertung zu Anschaffungspreisen hinter den Zeitwerten zurückbleibt und daß überhöhte Wertminderungen (Abschreibungen) zwischenzeitlich geltend gemacht wurden, als Ersparnis ausgewiesen. Ähnlich würde es bei der Bewertung nach den Grundsätzen der Vermögensbesteuerung sein, bei der zwar grundsätzlich nicht realisierte Wertsteigerungen laufend zu berücksichtigen wären, weil die Bewertung zu Zeitwerten erfolgen soll, diese aber wegen der Unzulänglichkeiten der Einheitsbewertung mit Ausnahme von Geldvermögen weit hinter den Zeitwerten zurückbleiben. Bei Veräußerungen werden dann ebenfalls die Wertsteigerungen offengelegt und als Ersparnisse interpretiert. Bei einem Vermögensvergleich kann im Zeitablauf auch dadurch ein erhöhtes Vermögen ausgewiesen werden, daß niedriger bewertetes Vermögen in höher bewertetes Vermögen umgewandelt wird 3 . Die Einheitsbewertung verwendet für die Wertermittlung der einzelnen Vermögensarten unterschiedliche Bewertungsverfahren, die im Verhältnis zum Zeitwert zu Unterschieden von über 100 v.H. führen können. Auch diese nur auf Mängel der Bewertung zurückgehenden Veränderungen des Vermögens werden dann als für die Ermittlung der Ersparnis relevante Größen angesehen. Solche Probleme ergeben sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht, weil nur der Nachweis erbracht werden muß, daß ein bestimmter Betrag in einer begünstigten Sparform neu angelegt wurde. Dieses Verfahren gestattet es auch, die Förderung nach Sparformen zu differenzieren. Das gilt sowohl für die Höhe der begünstigten Ersparnisse als auch für die Höhe der Prämien bzw. Steuervergünstigungen. So waren die begünstigten Aufwendungen im Rahmen des Bausparens immer höher als für allgemeine Sparverträge oder für die Förderung der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, weil das Erreichen des Sparziels: der Erwerb von Wohnungseigentum höhere Ersparnisse erforderte. Auch innerhalb der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand wurde die Arbeitnehmersparzulage zwischen einer Beteiligung am Produktivvermögen und Mitteln für den Wohnungsbau einerseits (Zulage 23 3 Während es für die Vermögensbesteuerung vorteilhaft ist, möglichst viel niedrig bewertetes Vermögen zu besitzen und es sich bei größeren Vermögen vor dem Tode sogar lohnt, den Vermögensbestand umzuschichten, damit eine hohe Erbschaftsteuer vermieden wird — man kauft niedrig bewertetes Grund- oder landwirtschaftliches Vermögen und veräußert Wertpapiere — ist es für die Sparförderung vorteilhaft, auf höher bewertetes Vermögen umzusteigen, weil man dadurch auch ohne eigene Ersparnis in den Genuß der Sparförderung kommen kann.

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v.H.) sowie Lebensversicherungen und anderen Anlagen des Geldvermögens andererseits (Zulage 16 v.H.) differenziert. Die höhere Priorität für eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen kommt auch darin zum Ausdruck, daß die im 4. Vermögensbildungsgesetz vorgenommene Aufstockung der begünstigten Aufwendungen von 624,— DM auf 936,— DM jährlich diesen Sparformen vorbehalten ist.

2. Die Differenzierung

der Förderung nach Sparformen

Diesen mit dem enumerativen Prinzip verbundenen Vorteilen einer gezielten Förderung bestimmter Sparformen steht der Nachteil schlecht aufeinander abgestimmter Maßnahmen gegenüber. Ein Teil der Differenzierung ergibt sich einfach daraus, daß man nur solche Sparformen in die Förderung einbezogen hat, bei denen die Höhe des gesparten Betrags und sein Durchhalten während der Festlegungsfrist leicht zu kontrollieren war. Der aus dem rückläufigen Eigenkapital von Unternehmungen abzulesende Mangel an Risikokapital ist zwar sicher nicht in erster Linie auf die längere Zeit bestehende Vernachlässigung bei der Sparförderung zurückzuführen, aber sie ist ein Zeichen für die Schwächen des enumerativen Prinzips. Die mit diesem Prinzip verbundene Aufteilung der Förderung auf verschiedene Gesetze (Sparprämiengesetz, Wohnungsbauprämiengesetz, Vermögensbildungsgesetze und steuerliche Regelungen) hat außerdem zu einer Rechtszersplitterung geführt, die sich in Kumulationen bei der Förderung (gewollte und ungewollte) sowie von Höchstbeträgen der insgesamt begünstigten Aufwendungen äußerten, die sich aus der Aufaddition der Obergrenzen in den einzelnen Gesetzen ergaben, die mit der beabsichtigten Beschränkung der Förderung vielfach nicht im Einklang gestanden haben dürften. Nach Einführung von Einkommensgrenzen zeigte sich zusätzlich der Mangel, daß diese nicht aufeinander abgestimmt waren, so daß sich für Sparer, deren Einkommen im Bereich des Auflaufens der Förderung lagen, unverhältnismäßig große Nachteile ergaben. Von der Sparförderung profitieren wie von allen Subventionen, nicht nur die Anbieter (Sparer), sondern auch die Nachfrager (Banken). Das hat zur Folge, daß sie (Banken, Bausparkassen, Lebensversicherungen) untereinander um die begünstigten Spareinlagen konkurrieren, und daß sie ihre Lobby einsetzen, damit die für sie wichtigste Sparform am stärksten gefördert und damit in den Augen der Sparer möglichst attraktiv wird. Die Differenzierung der Begünstigungen führt demnach auch zu Umschichtungen zwischen den verschiedenen Sparformen, die keineswegs immer den gesamt-

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wirtschaftlichen Interessen entsprechen müssen. Ja, solche Umschichtungen spielen wahrscheinlich eine größere Rolle als die angestrebte stärkere Vermögensbildung bei den Beziehern niedriger Einkommen.

3. Die Förderung einer zusätzlichen Ersparnis und die Bildung von auf Dauer geplanten Vermögen Damit ist eine der wichtigsten Schwachstellen der gesamten Sparförderung angesprochen. Auch wenn mit der Sparförderung keine höhere gesamtwirtschaftliche Sparquote mehr angestrebt wird, so wird doch bei den Beziehern kleinerer Einkommen eine verstärkte Ersparnis unterstellt, wenn die angestrebte breitgestreute Vermögensbildung erreicht werden soll. Dieses Ziel würde voraussetzen, daß nur eine zusätzliche Ersparnis, die über die vor der Förderung bestehende hinausgeht, gefördert wird. Der Gesetzgeber hat vor der Schwierigkeit, eine als normal anzusehende Sparquote4 zu bestimmen und in der Praxis auch zu ermitteln, schlechtweg kapituliert. Das heißt aber, daß jede Ersparnis — einschließlich der nur auf Umbuchungen beruhenden unechten — gefördert wird. Ja, es ist nicht einmal gewährleistet, daß die vom Staat gewährten Förderungsbeträge zusätzlich gespart werden. Werden Steuervergünstigungen gewährt, steht es den Steuerzahlern frei, wofür sie das ihnen zusätzlich verbliebene Einkommen verwenden. Das trifft auch für die Arbeitnehmersparzulage zu, da sie mit der Lohnsteuer der Sparer verrechnet wird. Aber auch wenn die gezahlten Prämien mit den begünstigten Sparbeträgen zusammen festgelegt werden, ist damit noch nicht gewährleistet, daß dadurch die Ersparnis erhöht wird. Andere Ersparnisse, die angesichts der niedrig festgesetzten Obergrenzen für die begünstigten Beträge in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle gebildet werden, können ge4 Es würde nicht genügen, für alle Staatsbürger eine gleiche Quote festzusetzen, weil der Anteil der Ersparnis am Einkommen mit der Einkommenshöhe, dem Alter und der Familiengröße schwankt. Die Quote müßte nach der Sparfähigkeit differenziert werden. Aber nach welchen Kriterien sollte diese festgelegt werden? Sollte vorhandenes z.B. durch eine Erbschaft erworbenes Vermögen, das mit dem Einkommen nicht korreliert zu sein braucht, auch berücksichtigt werden, weil dann die Situation, die man durch die Sparförderung erreichen will, schon vorher besteht? Dann würde aber von zwei Beziehern gleich hoher Einkommen auch derjenige benachteiligt, der als fleißiger Sparer das Sparziel — ein dem Einkommen entsprechendes Vermögen — früher erreicht. Die von den Ökonomen weitgehend vernachlässigte positive Korrelation zwischen Alter und Sparquote wirft ebenfalls Probleme bei der Festsetzung der als normal anzusehenden Sparquote auf. Die Wichtigkeit einer ausreichenden Risikovorsorge wird in jungen Jahren eher unterschätzt. Soll diese Tatsache dadurch berücksichtigt werden, daß die Höhe der Förderung nach dem Alter differenziert wird? Die Unsicherheit des Gesetzgebers, der die mit zunehmender Familiengröße abnehmende Sparfähigkeit teilweise durch eine verstärkte Förderung der gleichen Ersparnis, teilweise durch eine Erhöhung der begünstigten Aufwendungen berücksichtigt hat, zeigt wie kontrovers die Berücksichtigung von Sparfähigkeit und Sparneigung bei der Ausgestaltung der Sparförderung ist.

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kürzt werden, sofern das Sparziel mit der begünstigten Sparform auch erreicht werden kann. Anders sind nur die Fälle zu beurteilen, in denen aufgrund einer tarifvertraglichen Regelung, die allgemeinverbindlich ist, Arbeitnehmer, die sonst nicht oder weniger als den festgelegten Betrag sparen würden, zu einer Ersparnis gezwungen werden. Gegen ein solches Zwangssparen sind allerdings grundsätzliche ordnungspolitische Bedenken vorzubringen. Im übrigen ist zweifelhaft, ob damit auf längere Sicht das Ziel einer verstärkten Vermögensbildung erreicht werden kann. Denn nach Ablauf der Festlegungsfrist der begünstigten Sparbeträge ist die Versuchung für den zu seinem Glück „gezwungenen" Sparer groß, die Ersparnisse für den Kauf von ihm wichtiger erscheinenden Konsumgütern wieder aufzulösen. Man hat ermittelt, daß die Wahrscheinlichkeit für die Auflösung um so kleiner ist, je größer der angesammelte Vermögensbetrag ist. Insbesondere käme es darauf an, daß er den für ein langlebiges Konsumgut aufzuwendenden Betrag übersteigt. Aber angesichts der niedrigen Obergrenzen erreicht der nach Ablauf der Festlegungsfristen angesammelte Betrag z.B. bei weitem nicht den Preis eines Neuwagens, und auch der Kauf eines Gebrauchtwagens wird vielfach noch einen höheren Betrag erfordern. Natürlich ist bei einem Teil der Zwangssparer mit einem Gewöhnungseffekt zu rechnen, der auf eine Aufrechterhaltung der gebildeten Vermögen hinwirkt. Zuverlässige Angaben über die tatsächlichen Verhaltensweisen der Sparer fehlen jedoch. Das ist angesichts der Wichtigkeit dieser Frage für den Erfolg der Sparförderung und der hohen Aufwendungen der öffentlichen Hand für diesen Zweck — von 1970 bis 1982 wurden für die Sparförderung einschließlich von Steuermindereinnahmen fast 100 Mrd. DM aufgewendet — wenig befriedigend. So bleiben nur Plausibilitätsüberlegungen übrig. Ich möchte dabei von den Überlegungen im 1. Abschnitt ausgehen. Es wird von einem „Fehlverhalten" (gestörten Präferenzen) der Einkommensbezieher ausgegangen. Sie unterschätzen die Wichtigkeit einer Zukunftsvorsorge durch eine Vermögensbildung. Wenn die Sparförderung nicht mit einer Aufklärungsaktion verbunden ist, die die Bürger zu der Überzeugung führt, daß ihr bisheriges Verhalten gegen ihre eigenen Interessen verstoßen hat (zu geringe Risikovorsorge) — dann aber braucht man materielle Anreize für eine Verhaltensänderung nicht — werden sie versuchen, zwar die Vorteile der staatlichen Sparförderung mitzunehmen, aber ihr Verhalten nicht zu ändern. Das führt dann zu einer mißbräuchlichen bzw. den Zielen nicht entsprechenden Inanspruchnahme der vom Staat gewährten Förderung, indem nicht zusätzlich gespart wird oder überhaupt nur durch Umbuchungen innerhalb des vorhandenen Vermögens die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Vergünsti-

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gungen geschaffen werden. Für diejenigen, die gegen ihre Präferenzen zum Sparen gezwungen wurden, ist daraus zu folgern, daß die Wahrscheinlichkeit groß ist, daß sie, wenn sie frei über die Ersparnis verfügen können, die Relation Konsum - Ersparnis - Vermögen wieder an ihre Präferenzen anpassen werden. Alle Indizien deuten darauf hin, daß die Wirksamkeit der Sparförderung schlecht ist. Es dürfte wenig Beispiele für staatliche Förderungsmaßnahmen geben, bei denen die Mitnehmereffekte so groß sind. Das ist angesichts der erwähnten hohen Kosten der Sparförderung ein kaum hinzunehmendes Ergebnis.

III. Die Förderung spezieller Vermögensanlagen Die sehr skeptische allgemeine Beurteilung der Sparförderung schließt nicht aus, daß es möglich ist, bestimmte Sparformen, die speziellen Zielen dienen, mit Erfolg zu fördern. Dieser Frage soll in diesem Schlußabschnitt für die Beteiligung von Arbeitnehmern am Produktivvermögen und der Bildung von Wohnungseigentum nachgegangen werden. Politisch ist die starke Konzentration des Produktivkapitals ein Ärgernis. Die von Krelle und Siebke veröffentlichten Zahlen, nach denen 1,7 v.H. der Bevölkerung mehr als 70 v.H. des Produktivkapitals besitzen, haben in den 70er Jahren die an sich schon alte Diskussion um eine Beteiligung der Arbeiter (Arbeitnehmer) am Kapital der Unternehmungen erneut belebt. Vorher hatte man schon bei der Privatisierung von Bundesunternehmen durch die Beschränkung der Bezugsberechtigung der Aktien auf Bezieher mittlerer und niedriger Einkommen eine breite Streuung des Kapitals zu erreichen versucht. Daneben haben eine Reihe von Großunternehmen Belegschaftsaktien ausgegeben. Schließlich war es auch durch Beteiligung an Investmentfonds möglich, sich am Produktivkapital zu beteiligen, wobei gleichzeitig das durch Beteiligung an einer Unternehmung hohe Verlustrisiko abgebaut wurde. Durch das 4. Vermögensbildungsgesetz wurde schließlich die Förderung von Kapitalbeteiligungen der Arbeitnehmer verbessert. An den Umgang mit Wertpapieren hat sich darüber hinaus ein größerer Teil der Bevölkerung durch den Erwerb von Bundesschatzbriefen gewöhnt. Wenn trotzdem die Beteiligung am Produktivkapital insgesamt bei Arbeitnehmern so gering geblieben ist, muß dies auf andere Ursachen zurückzuführen sein. Dabei ist die Tatsache, daß diese Sparform den Sparzielen der breiten Masse der Arbeitnehmer nicht entspricht, an erster Stelle zu nennen. Als

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wichtigstes Sparmotiv für Arbeitnehmer wurde eingangs — vom Zwecksparen abgesehen — die Vorsorge vor unerwarteten Risiken genannt. Wenn Ersparnisse diese Aufgabe erfüllen sollen, müssen sie sicher und jederzeit verfügbar sein. Die jederzeitige Verfügbarkeit über einen Verkauf an der Börse ist zwar nur wenig schlechter als bei Spareinlagen, es hapert aber bei der Sicherheit. Man muß mit starken Verlusten rechnen, wenn man auf den Verkauf zu einem bestimmten Zeitpunkt angewiesen ist, und selbst ein Totalverlust ist nicht ausgeschlossen, auch wenn es sich um große und bekannte Unternehmen handelt, wie z.B. die Krisen von AEG und früher BMW zeigen. Neckermann konnte nur durch das Engagement von Karstadt gerettet werden, das sich dadurch hohe Verluste eingehandelt hat. Die für mehrere Jahre ausgefallenen Dividenden auch bei den als gut ausgewählten Volksaktienbetrieben wie VW und Preussag machen die größere Unsicherheit ebenfalls deutlich, wenn auch der Einnahmeausfall selbst für die kleinen Aktionäre für ihr Verhalten keine größere Bedeutung besitzt, weil ihr Vermögen viel zu klein ist, als daß seine Erträge das Einkommen spürbarer verbessern könnten. Das wird auch dadurch bestätigt, daß die wichtigste Sparform der Arbeiter mit großem Abstand die Spareinlage mit gesetzlicher Kündigung ist, deren Verzinsung mit am unteren Ende der möglichen Erträge von Sparanlagen steht. Das Festhalten an ertraglosen Grundstücken weist in die gleiche Richtung, wobei keineswegs immer erwartet wird, daß der Zinsausfall durch höhere Grundstückspreise bei einer Veräußerung ausgeglichen wird. Die mit der Beteiligung am Produktiwermögen durch die Arbeitnehmer angestrebten Ziele mögen noch so erstrebenswert sein, wenn sie nicht den Präferenzen der Einkommensbezieher entsprechen, sind die Aussichten, sie zu verwirklichen, schlecht. Die Versuche, über Investivlöhne oder Gewinnbeteiligungen die Arbeitnehmer stärker am Produktiwermögen zu beteiligen, haben — so positiv sie sich im Einzelfall ausgewirkt haben mögen — zu keiner ins Gewicht fallenden Veränderung der Verteilung des vorhandenen Produktivkapitals geführt. Daneben kann mit dieser Form der Vermögensbildung ein wichtiges mit dem Erwerb von Eigentum verbundenes Ziel nicht erreicht werden: den in der industriellen Arbeitswelt verloren gegangenen Freiheitsspielraum, wenn auch in anderer Form, wiederzugewinnen. Abgesehen davon, daß die mit Vermögen gewonnene Sicherheit auch eine größere Unabhängigkeit bedeutet, ist eine Beteiligung an einer Publikumsaktiengesellschaft, die erst bei der vierten Stelle hinter dem Komma beginnt, mit keinem Einfluß auf die Unternehmenspolitik verbunden. Auch die Möglichkeit, den Banken für ihr Depotstimmrecht, das ja auch nicht in jeder Hinsicht ideal ist, Weisungen zu erteilen, ändert hieran nichts. Denn

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was wird auf den Hauptversammlungen schon entschieden, was für den kleinen Anteilseigner interessant ist? Und selbst wenn dies anders wäre, würde der Arbeitnehmer nicht beurteilen können, welche vom Verwaltungsvorschlag abweichende Weisungen er erteilen soll. Das ist bei der zweiten zu diskutierenden Vermögensanlage im Wohnungseigentum anders. In einer kinderfeindlichen Gesellschaft bietet ein Einfamilienhaus den für eine gesunde Entwicklung der Kinder erwünschten Freiraum. Den Eltern bietet es vielerlei Möglichkeiten, sich schöpferisch zu betätigen, was bei einer unselbständigen Beschäftigung im Erwerbsleben weitgehend verloren gegangen ist. Wenn die verlängerte Freizeit sinnvoll genutzt werden soll, wird dieser Möglichkeit in Zukunft noch eine größere Bedeutung zukommen. Das Streben nach Wohnungseigentum ist stark ausgeprägt. Sonst wäre der hohe Anteil der Arbeiterhaushalte mit Wohnungseigentum von 35 v.H. (1978), der nur wenig kleiner als der Anteil für den Durchschnitt der Bevölkerung liegt, nicht zu erklären; denn der Erwerb von Wohnungseigentum erfordert im Verhältnis zum Einkommen für den Arbeiter außerordentlich hohe Anstrengungen. Ohne erhebliche Eigenleistungen, die sein Persönlichkeitsgefühl positiv beeinflussen, weil sie eine Bestätigung für seine Fähigkeiten und sein Können sind, wäre dieser hohe Anteil nicht zu erreichen gewesen. Eine Förderung dieser Sparform trifft also offenbar auf die weitgehende Bereitschaft, um des Erwerbs von Wohnungseigentum willen, einen Konsumverzicht auf sich zu nehmen. Wenn die Förderung erfolgreich sein soll, muß sie allerdings so hoch sein, und sich auch auf die Tilgungsphase der Finanzierungsmittel erstrecken — denn Schulden tilgen heißt auch Vermögen bilden —, daß das Sparziel trotz der hohen Aufwendungen erreichbar erscheint. Mißbrauchsmöglichkeiten sind relativ gering, weil die gesparten Beträge an Bauvorhaben gebunden sind. Und wer nach Ablauf der Festlegungsfrist den geplanten Kauf oder Bau nicht verwirklicht, weil seine persönlichen Verhältnisse sich geändert haben (Scheidung, Einkommensausfall), hat zwischenzeitlich seine angesparten Beträge den anderen Bausparern zu günstigen Bedingungen zur Verfügung gestellt, da die Auszahlung der Bauspardarlehen sich nach den eingegangenen Einzahlungen richtet. Wenn auch Mitnahmeeffekte nicht auszuschließen sind, so werden sie doch im Verhältnis zu anderen Sparformen geringer sein und könnten noch weiter eingeschränkt werden, wenn die die Bezieher höherer Einkommen stärker begünstigenden Steuervergünstigungen abgeschafft würden und zu einem reinen Prämiensystem übergegangen würde. Auch der teilweise vorgebrachte Einwand, angesichts des Bevölkerungsrückgangs brauchten wir nicht mehr Wohnungseigentum, zieht nicht. Bei

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Einfamilienhäusern besteht die Gefahr, daß sie aufgrund des erforderlichen Eigenkapitals erst so spät erworben werden können, daß sie in der für die Kinder wichtigsten Entwicklungsphase noch nicht verfügbar sind. Würde die Zahl der Einfamilienhäuser so groß, daß die Eigentümer z.B. die Erben, denen ein zweites Haus zufällt, nicht alle Häuser selbst nutzen können, so könnten diese Einfamilienhäuser vermietet werden, so daß die Vorteile dieser Wohnform für Familien mit Kindern früher genutzt werden könnten. Eine entsprechende Förderung des Mietkaufs könnte dann den späteren Eigentumsübergang gewährleisten. Während insgesamt mit der Förderung einer breitgestreuten Vermögensbildung viele Illusionen verbunden sind, könnten mit einer verstärkten Förderung des Erwerbs von Wohnungseigentum wichtige vermögenspolitische Ziele erreicht werden.

Ziele der staatlichen Förderung der Vermögensbildung Eine kritische Betrachtung Von Helmut Geiger, Bonn

L Vorbemerkung Zum 1. Januar 1984 ist das Vermögensbeteiligungsgesetz in Kraft getreten. Die ausführliche Berichterstattung über das Gesetz und die damit verbundenen Änderungen der staatlichen Sparförderungs- und Vermögensbildungspolitik verdeutlichen das Interesse von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft an der Vermögensbildung. Arbeitnehmer und Unternehmer, Gewerkschaften und Kreditwirtschaft werden von den gesetzgeberischen Maßnahmen tangiert. Dabei reicht die Diskussion über die staatliche Förderung der Vermögensbildung bis in den Anfang der 50er Jahre zurück. Sie wurde mit unterschiedlicher Intensität geführt. Pragmatische Vorschläge und Theoriediskussionen lösten einander ab. Motive und Akzente der Vermögensbildungspolitik haben sich in diesem Zeitraum mehrfach gewandelt. Das Ergebnis ist die Aneinanderreihung unterschiedlicher Gesetze und Gesetzesvorhaben, die eine Gesamtkonzeption kaum erkennen lassen. Die verschiedenen Stationen erlauben aber einen Überblick über die sich wandelnden Prioritäten und Ziele der staatlichen Förderung der Vermögensbildung. Π. Entwicklung der allgemeinen Sparförderung 1. Die Sparförderungsgesetze Die vermögenspolitische Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland war zunächst davon geprägt, daß die meisten privaten Haushalte nach der Währungsreform über keine Vermögensbestände verfügten, und daß der Zuwachs an Produktiv- und Geldkapital weitgehend den Unternehmen selbst zugute kam. Die Vermögens- und Kapitalbildung konzentrierte sich vor allem bei den Unternehmen, weil die privaten Haushalte einen erhebli-

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chen Nachholbedarf an Konsumgütern hatten, ihre Bereitschaft zum Sparen und zur Kapitalbildung also zwangsläufig — bei relativ geringen Masseneinkommen — gering war. Außerdem gaben für die staatliche Förderung der Vermögensbildung in Form des steuerbegünstigten Sparens nicht in erster Linie Gerechtigkeitsvorstellungen den Ausschlag. Diese Förderung hatte vor allem das Ziel, möglichst schnell möglichst viel Kapital für den Wiederaufbau zu mobilisieren — unabhängig davon, wer dieses Kapital aufbringt. Damit ging die staatliche Förderung auch zunächst an den meisten Haushalten vorbei. Diese Entwicklung führte in den 50er Jahren zu einer recht einseitigen Ansammlung von Geld- und Produktiwermögen. Infolgedessen zielten die vermögenspolitischen Initiativen in der zweiten Hälfte der 50er Jahre darauf ab, breite Schichten der Bevölkerung an die regelmäßige Kapitalbildung heranzuführen. Gesetzestechnisch wurden diese Initiativen mit unterschiedlichen Detailzielen realisiert: mit der Sparförderung im engeren Sinne — dem SparPrämiengesetz und dem Wohnungsbau-Prämiengesetz — und ab 1961 mit der speziellen Förderung der Vermögensbildung von Arbeitnehmern — dem 1. Vermögensbildungsgesetz. Die Förderung des steuerbegünstigten Sparens wurde dagegen wieder aufgegeben. Dieses Paket der staatlichen Förderung der Vermögensbildung hatte bis Ende der 70er Jahre Bestand, auch wenn die Gesetze häufig geändert wurden. Mit dem Subventionsabbaugesetz 1980 wurde das SparPrämiengesetz für neue Sparverträge jedoch abgeschafft, das gegliederte Sparförderungssystem also aufgegeben.

2. Ziel der Sparförderungsgesetze Das Hauptziel des gegliederten Sparförderungssystems lag in der Förderung des regelmäßigen und langfristigen Sparens und in der Förderung der Bildung von Wohneigentum. Über eine breitere Eigentumsstreuung am Produktiwermögen der Wirtschaft wurde damals aber nicht nur in der Theorie diskutiert: Das Wertpapiersparen, die Aktie und die Ergebnisbeteiligung am Unternehmen war in den Anlagekatalogen des Spar-Prämiengesetzes und des Vermögensbildungsgesetzes bereits enthalten. Allgemein standen allerdings arbeitnehmerbezogene Ziele in der Vermögenspolitik im Vordergrund. Wirtschaftspolitische Überlegungen spielten eher sekundär eine Rolle, vor allem im Zusammenhang mit dem Abschluß

Ziele der staatlichen Förderung der Vermögensbildung

535

von Tarifverträgen über vermögenswirksame Leistungen nach den Vermögensbildungsgesetzen. Aber auch gesellschaftspolitische Ziele beeinflußten die Gesetzgebung. So wurden anstelle von Steuerbefreiungen Prämien und Zulagensysteme eingeführt, außerdem Einkommensgrenzen und Zusatzprämien für Bezieher besonders niedriger Einkommen. 3. Erfolgsanalyse

der Sparförderungsgesetze

Das gegliederte Sparförderungssystem aus Spar-Prämiengesetz, Wohnungsbauprämiengesetz und Vermögensbildungsgesetz war erfolgreich. Für die Bildung von Wohneigentum ist die Förderung des Bausparens unverzichtbar und weithin auch unbestritten. Die Förderung der Geld Vermögensbildung war dagegen immer wieder Gegenstand kritischer Analysen. Positive Wirkungen lassen sich jedoch auch bei der staatlichen Förderung der Geldvermögensbildung nachweisen. Aus der Sparerstrukturuntersuchung des Deutschen Sparkassen- und Giro Verbandes von 1979 ergibt sich, daß das Spar-Prämiengesetz einen ausgleichenden und regelmäßigen Sparprozeß der Arbeitnehmer fördert 1. So haben vor allem jüngere Sparer und Haushalte mit niedrigen Einkommen — zu einem nicht unerheblichen Teil ausschließlich — nach dem Spar-Prämiengesetz und Vermögensbildungsgesetz gespart. Hierauf weisen auch Mierheim/Wicke in ihrer Untersuchung über die personelle Vermögensverteilung hin 2 . Ein Indiz für die positive Wirkung der allgemeinen Sparförderung ist auch darin zu sehen, daß sich die Sparquote der Arbeitnehmerhaushalte mit mittlerem Einkommen — also der Haushaltsgruppe, die typischerweise vom Spar-Prämiengesetz und Vermögensbildungsgesetz angesprochen wird —, seit Ende der 60er Jahre mehr als verdoppelt hat (s. Tabelle, S. 536). Die Sparquote der Arbeitnehmerhaushalte mit mittlerem Einkommen hat sich auch im Vergleich zur Sparquote der Haushalte mit höherem Einkommen merklich erhöht. Diese Ergebnisse entsprechen den Erfahrungen der Sparkassen, daß der Aufbau eines Vermögens sich organisch vollziehen muß. So steht beim Arbeitnehmer zunächst das disponible Geldvermögen im Vordergrund, danach die eigene Wohnung bzw. das Eigenheim. 1 Vgl. Das Spar-Prämiengesetz — Ziele und Wirkungen — Eine Bestandsaufnahme von Hans-Ε. Giese in SPARKASSE 11/1980, S. 367 f. 2 Mierheim/Wicke: Die personelle Vermögensverteilung in der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 1978, Seite 273.

Helmut Geiger

536

Spalte 1

Spalte 2

5,9 4,7 5,4 7,7 9,5 11,6 11,5 12,0 13,2 11,4 9,8 12,9 11,9 13,0 13,3 10,9

14,7 11,9 12,1 13,1 15,6 15,5 16,8 16,0 17,8 14,6 13,5 14,7 14,1 16,0 16,3 15,6

1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982

Spalte 1: 4-Personen-Arbeitnehmer-Haushalte mit mittlerem Einkommen. Spalte 2: 4-Personen-Haushalte von Beamten und Angestellten mit höherem Einkommen. Quelle: Statistisches Bundesamt.

Erst dann ist er bereit, bei seiner Vermögensbildung weiter zu diversifizieren. Infolgedessen steht bei den Sparern, die erst an den Sparprozeß herangeführt werden müssen, das Sparguthaben im Vordergrund. Festverzinsliche Wertpapiere, Investmentanteile und Beteiligungswerte gewinnen erst bei wachsendem Vermögen an Bedeutung. Aus diesem organischen, den unterschiedlichen Lebensphasen angepaßten Vermögensaufbau läßt sich ableiten, daß die Geldvermögensbildung keine Vermögensbildung zweiter Wahl ist. Sie ist vielmehr für viele Sparer der notwendige Einstieg. Hieraus resultiert auch eine vergleichsweise gute Verteilung des Geldvermögens, wie auch Mierheim/Wicke betonen, wenn sie darauf hinweisen, ,,daß das Sparvermögen gemessen an den anderen Vermögensarten äußerst gering konzentriert ist" 3 . Daß der pragmatische Ansatz dieser Vermögensbildungspolitik, mit unterschiedlichen gesetzlichen Maßnahmen unterschiedliche Ziele zu verfolgen, richtig war, zeigt die breite Akzeptanz durch die angesprochene Bevölkerungsgruppe: Ende der 70er Jahre bestanden 12 Mill. Sparverträge allein bei den Sparkassen, davon fast 9 Mill, mit vermögenswirksamen Leistungen 3

Mierheim/Wicke:

a.a.O., Seite 80.

Ziele der staatlichen Förderung der Vermögensbildung

537

nach dem Vermögensbildungsgesetz. Tarifverträge über vermögenswirksame Leistungen für rund 15 Mill. Arbeitnehmer mit einem jährlichen Kapitalaufkommen von fast 10 Mrd. DM unterstreichen die Bedeutung dieser Vermögensbildungspolitik für die Kapitalbildung, vor allem für die Arbeitnehmerhaushalte.

III. Breitere Streuung des Eigentums am Produktiwermögen 1. Die Verteilungssituation Während sich die Verteilung des Geldvermögens insgesamt günstig darstellt und auch die staatliche Förderung in diesem Bereich insgesamt als erfolgreich bezeichnet werden kann, ist die Verteilung des Produktiwermögens nicht ausgeglichener geworden. Die in der Vergangenheit vorgelegten quantitativen Analysen von Krelle, Siebke, Engels, Mierheim/Wicke anderen stimmen jedenfalls in dieser Grundaussage überein4.

und

Zwar ist eine kritische Einstellung zu Zahlen und Daten, die sich auf die quantitative Verteilung des Vermögens bezieht, angebracht, weil die verfügbaren Statistiken einen erheblichen Spielraum für Annahmen lassen, wie aus der kürzlich vorgelegten Untersuchung des Ifo-Institus zur Vermögensverteilung hervorgeht 5. Die Schätzungen sind jedoch im Trend so eindeutig, daß sich eine Auseinandersetzung über einzelne quantitative Aussagen erübrigt. 2. Vermögensbildungspläne Die im Bereich des Produktiwermögens festzustellende ungleiche Verteilung hat bereits früh eine Diskussion über die Möglichkeiten einer breiteren Streuung, ausgelöst. So haben Anfang der 70er Jahre politische Parteien Vorschläge für entsprechende vermögenspolitische Maßnahmen vorgelegt. Politisch strittig war vor allem der Weg, wie sich eine gleichmäßigere Vertei4 Vgl. z.B. W. Krelle, J. Schuncke und J. Siebke: Überbetriebliche Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer, Tübingen 1968. J. Siebke: Die Vermögensbildung der privaten Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1971. W. Engels, H. Sablotny und D. Zickler: Das Volksvermögen Seine verteilungs- und wohlstandspolitische Bedeutung, Frankfurt/Main 1974. Mierheim/Wicke: Die personelle Vermögensverteilung in der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 1978. 5 Roberts/Stipelmann : Überprüfung der verschiedenen Schätzungen der Vermögensverteilung in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin/München, Duncker & Humblot 1983, Schriftenreihe des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung Nr. 112.

538

Helmut Geiger

lung des Produktiwermögens erreichen läßt: ob durch betriebliche oder überbetriebliche Maßnahmen, durch individuelle oder kollektive Vermögensbildung. Besonders ausführlich wurde über die Grundlinien eines Vermögensbeteiligungsgesetzes diskutiert, das die damalige Bundesregierung vorgelegt hatte6. Diese Grundlinien setzten am Gewinn, nicht am Lohn an. Sie schlossen auch Arbeitnehmer aus wirtschaftlichen Bereichen ein, in denen eine Beteiligung am Produktiwermögen nicht möglich war. Die Grundlinien waren also ein Lösungsversuch auf überbetrieblicher Basis. Ihre Realisierung scheiterte zum einen an der Bewertung von Unternehmen, die nicht über börsennotierte Aktien verfügen, zum anderen daran, daß die ökonomischen Voraussetzungen für eine umfassende vermögenspolitische Lösung in und nach der Rezession Mitte der 70er Jahre nicht mehr gegeben waren. Ergebnis war eine Verlagerung der vermögenspolitischen Diskussion auf betriebliche Lösungsmodelle mit freiwilligen Vereinbarungen auf der Basis tariflicher Übereinkünfte 7. Die Gewerkschaften hielten jedoch die überbetrieblichen Komponenten für unverzichtbar, so daß sie sich an diesen Lösungsansätzen kaum beteiligten. 3. Neue Zielsetzungen Die vermögenspolitische Diskussion war bis dahin weitgehend arbeitnehmerbezogen ausgerichtet und gesellschaftspolitisch motiviert. Mitte der 70er Jahre wurden jedoch neue Ziele anvisiert. Wirtschafts- und einkommenspolitische Aspekte erhielten Vorrang. So sollte die Vermögenspolitik in den Dienst stabilitäts- und wachstumskonformer Tarifverträge gestellt werden, also mittelbar zur Entschärfung des Verteilungskampfes beitragen. Andererseits wurde in vermögenswirksamen Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen ein Instrument gesehen, um die Eigenkapitalbasis und damit die Finanzierungsmöglichkeiten der Unternehmen zu verbessern — ein Aspekt, der auch bei der Verabschiedung des Vermögensbeteiligungsgesetzes eine herausragende Rolle gespielt hat. Schließlich wurde die vermögenspolitische Diskussion in den letzten Jahren zunehmend dadurch bestimmt, daß der Gesetzgeber aufgrund der Haushaltssituation gezwungen war, seine finan6 Vgl. hierzu Barbara Toiìlié : Dezentrale Vermögensbildungsfonds, Duncker & Humblodt, Berlin 1977. 7 Vgl. dazu Guski/Schneider: Betriebliche Vermögensbeteiligung in der BRD — eine Bestandsaufnahme. Deutscher Institutsverlag Köln 1977. Schneider (Hrsg.): Handbuch der MitarbeiterKapitalbeteiligung, Hanstein-Verlag Köln, 1977.

Ziele der staatlichen Förderung der Vermögensbildung

539

ziellen Aktivitäten im Rahmen der Vermögensbildung allgemein einzuschränken. Deshalb wurde vor allem die Förderung der Geldvermögensbildung zur Disposition gestellt.

IV. Das Vermögensbeteiligungsgesetz

1. Ziele und Maßnahmen des Gesetzes Das Vermögensbeteiligungsgesetz vom 22. Dezember 1983s soll sowohl der Förderung der Vermögensbildung aller Arbeitnehmer als auch der speziellen Förderung der betrieblichen Vermögensbildung neue Impulse verleihen. Wirtschaftspolitische und vermögenspolitische Zielvorstellungen stehen also nebeneinander. Die aus konjunktur- und strukturpolitischen Gründen erwünschte Verbesserung der Rahmenbedingungen der Unternehmen, die durch steuerliche Entlastungen und die Förderung der Investitionstätigkeit erreicht wird, soll durch vermögenspolitische Maßnahmen gesellschaftspolitisch abgesichert werden. In dieselbe Richtung zielt die Absicht, die Wachstums- und beschäftigungsorientierte Lohnpolitik der Tarifparteien durch ein vermögenspolitisches Angebot zu unterstützen. Vermögenspolitisch soll also die individuelle Vermögensbildung der Arbeitnehmer gefördert werden, wobei sie — stärker als in der Vergangenheit — auf das Produktivkapital gelenkt werden soll. Diese Ziele sollen instrumentell durch zwei Maßnahmenbündel erreicht werden: — Das 3. Vermögensbildungsgesetz wurde durch das 4. VermBG abgelöst. Dabei wurden weitere Beteiligungswerte, beispielsweise der Genußschein und die stille Beteiligung, als rechtsformunabhängige Beteiligung sowie Genossenschaftsanteile und Arbeitnehmerdarlehen in den Anlagekatalog des 4. VermBG übernommen. Der Begünstigungsrahmen wurde von 624 DM auf 936 DM aufgestockt, allerdings nur für den Fall, daß der über 624 DM hinausgehende Betrag in Beteiligungswerten angelegt wird. — Die steuerliche Förderung der betrieblichen Vermögensbildung, die bisher auf die Ausgabe von Belegschaftsaktien beschränkt war, wurde auf alle Beteiligungsformen ausgedehnt, die nach dem 4. VermBG begünstigt sind.

BGBl I S. 1592 ff.

540

Helmut Geiger

2. Kritische Anmerkungen Mit dieser Neuregelung werden in der Vermögensbildungspolitik Vorstellungen verfolgt, die Kritik auslösen. Diese Kritik konzentriert sich auf drei Schwerpunkte: — die stärkere Förderung der Streuung des Eigentums am Produktivkapital durch Einschränkung der Wahlfreiheit, — die Förderung der Eigenkapitalausstattung der Unternehmen durch vermögenspolitische Maßnahmen und — die weitere Diskriminierung der Geldvermögensbildung. a) Wahlfreiheit Nach dem 4. Vermögensbildungsgesetz wird eine Förderung der zusätzlichen 312 DM durch Arbeitnehmersparzulage nur bei einer Anlage in Beteiligungswerten gewährt. Dies bedeutet, daß wesentliche Bereiche der Geldund Kapitalbildung insoweit aus der Vermögensbildungspolitik ausgeklammert werden, nämlich alle Formen der Geldvermögensbildung, das Bausparen und das Versicherungssparen. Für sie bleibt die Förderung auf 624 DM beschränkt. Damit werden die Arbeitnehmer — unabhängig von Alter, Einkommen und Vermögensverhältnissen — bei der Nutzung staatlicher Förderungsmaßnahmen auf Produktivkapital verwiesen. Wer sich bei seiner Vermögensbildung bisher auf die Bildung von Wohneigentum konzentriert hatte, muß einen Teil seiner Ersparnisse auf Produktivkapital umlenken, wenn er staatliche Förderungsmaßnahmen voll nutzen will. Auch junge Sparer und solche mit niedrigen Einkommen, die in der Regel über keine sonstigen Vermögenswerte verfügen, können das 4. VermBG nur voll in Anspruch nehmen, wenn sie ihre Ersparnisse für risikobehaftete und zum Teil nur wenig fungible Anlagen verwenden. Diese Festlegung der Arbeitnehmer auf Produktivkapital erscheint besonders bedenklich, wenn der Höchstbetrag von 936 DM durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung ausgeschöpft und damit auch die Verwendung der vermögenswirksamen Leistungen präjudiziell wird. b) Eigenkapitalausstattung für Unternehmen durch Vermögenspolitik Ein erklärtes Ziel des Vermögensbeteiligungsgesetzes ist es auch, die Eigenkapitalausstattung der Wirtschaft zu verbessern. Zwar sind die deutschen Unternehmen insgesamt unterkapitalisiert. Ein Grund ist die ungünstige

Ziele der staatlichen Förderung der Vermögensbildung

541

Ausgangslage am Ende des Zweiten Weltkrieges, ein anderer das stürmische Wachstum der Bilanzsummen, mit dem das Wachstum der Eigenmittel trotz guter Gewinnlage nicht Schritt halten konnte. Daß dieser Entwicklung durch vermögenspolitische Maßnahmen begegnet werden kann, muß jedoch aus folgenden Gründen bezweifelt werden: — Vorrangig wird sich die Bildung von Eigenkapital in den Unternehmen nur fördern lassen, wenn die Rahmenbedingungen entsprechend verbessert werden, z.B. durch die Beseitigung steuerlicher Hemmnisse und durch die Stärkung der Ertragsmöglichkeiten. — Die Überlassung von Eigenkapital muß für den Anleger attraktiv sein. In der Vergangenheit war offenbar der Rentabilitätsanreiz für das breite Anlegerpublikum nicht ausreichend, um sich in komplizierten und risikobehafteten Anlageformen zu engagieren. Diese Einstellung gilt übrigens nicht nur für Anleger unterhalb der Einkommensgrenze des Vermögensbildungsgesetzes. — Die Anforderungen des 4. VermBG — Befristung der Anlageform, Notwendigkeit der Absicherung und sonstige komplizierte Rechtsgestaltung — sind für die Unternehmen im allgemeinen zu hoch, um sich auf diesem Wege Eigenkapital zu beschaffen oder die Fremdfinanzierung durch Kreditinstitute abzulösen. Die Fremdfinanzierung der Unternehmen durch ihre Arbeitnehmer ist aber kein ausreichendes Motiv für vermögenspolitische Maßnahmen. — Erschwerend kommt hinzu, daß sich einerseits für die Arbeitnehmer durch das Zusammentreffen von Arbeitsplatz- und Vermögensrisiko Vorbehalte ergeben. Andererseits bestehen auch für die Unternehmen Risiken, wenn die Arbeitnehmer nach Ablauf der Sperrfristen über ihre „Beteiligungsguthaben" verfügen wollen. Eine breitere Streuung des Eigentums am Produktivkapital wird sich auf Dauer ohnehin nur erreichen lassen, wenn die Unternehmen wieder über ausreichende Erträge verfügen können. Unzureichende Unternehmenserträge sind in zweifacher Hinsicht schädlich. Sie beeinträchtigen nicht nur die Eigenkapitalbildung aus eigener Kraft, sondern erschweren auch die Zuführung von Eigenkapital von außen. Finanziert sich aber ein Unternehmen weitgehend über Fremdkapital, so ist ein erheblicher Teil seiner Erträge — durch die Verzinsung dieses Kapitals — bereits gebunden. Die Rendite des Eigenkapitals verringert sich also automatisch. Generell bietet deshalb die Vermögensbildungspolitik nur einen begrenzten Ansatz, die Eigenkapitalprobleme der Wirtschaft zu lösen. Die

542

Helmut Geiger

Aufgabe staatlicher Vermögensbildungspolitik im Rahmen eines Maßnahmenbündels zur Verbesserung der Eigenkapitalausstattung der Unternehmen kann deshalb nur darin liegen, die generelle Bereitschaft zu erhöhen, sich in Risikokapital zu engagieren. c) Diskriminierung der Geldvermögensbildung Die vermögenspolitische Diskussion der letzten Jahre lief immer mehr darauf hinaus, aus der Sparförderung die Geldvermögensbildung auszuklammern. Ergebnis war die Aufhebung des Spar-Prämiengesetzes für neue Sparverträge im Jahre 1980 sowie die Festsetzung unterschiedlich hoher Förderungssätze im Vermögensbildungsgesetz, wobei für die Geldvermögensbildung der niedrigste Fördersatz gilt. Auch im 4. VermBG hat sich die Diskriminierung der Geldvermögensbildung fortgesetzt: Der Aufstockungsbetrag von 312 DM bleibt ausschließlich Beteiligungswerten vorbehalten. Diese Entscheidung ist jedoch aus folgenden Gründen bedenklich: — Zunächst erscheint es wenig sinnvoll, unter Verteilungsgesichtspunkten die Erfolge der Vergangenheit im Bereich der Geldvermögensbildung — annähernd gleichmäßige Verteilung — wieder zu gefährden. — Die Finanzierungsrechnungen der Deutschen Bundesbank zeigen, daß die in der Vermögenspolitik kritisierte Spareinlage ohnehin einen ständig rückläufigen Anteil aufweist (vgl. Tabelle). Eine weitere Analyse läßt erkennen, daß fast 40 Prozent der Geldvermögensbildung auf Versicherungen und Ansprüche gegen betriebliche Pensionsfonds entfällt. Grundlage sind also langfristige Vereinbarungen, keine neuen eigenen Entscheidungen des Sparers. Der Anteil dieser beiden Anlageformen ist seit Anfang der 70er Jahre kontinuierlich gestiegen. Hinzu kommt die wachsende Bedeutung der Zinsgutschriften. Insgesamt hat die „freie" Geldvermögensbildung abgenommen. Es besteht also kein Anlaß, die Geldvermögensbildung im Rahmen der staatlichen Förderung der Vermögensbildung zu vernachlässigen. — Im übrigen ist ein hohes ungebundenes Sparaufkommen für die deutsche Volkswirtschaft notwendig, um Investitionen in ausreichendem Umfang und inflationsfrei finanzieren zu können. — Den auch unter wirtschafts-, gesellschafts- und arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten feststellbaren Nutzen individueller Geldvermögensbildung unterstreicht ein Blick auf die aktuelle Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland: Wenn die Realeinkommen nicht mehr steigen, hohe Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit die Situation am Arbeitsmarkt be-

1970

1971

1972

1973

1974

1975

1976

1977

1978

1979

1980

1981

1982 1983

Quelle: Deutsche Bundesbank.

12,8

14,0

2,7

C) Zusammen

5,9

6,9

B) Termingelder

86,0

A) Bargeld und Sichteinlagen

Kurzfristig

87,2

5,1

G) Zusammen

F) Ansprüche gegen betriebliche Pensionsfonds 6,3

14,5

4,7

11,4

85,5

6,3

1,9

13,6

16,7

11,0

23,7

20,9

9,7

76,3

5,3

-0,5

13,1

1,4

2,4

E) Erwerb von Aktien

14,9

8,6

15,2

8,0

D) Erwerb von festverzinslichen Wertpapieren 17,2 11,4

C) Geldanlagen bei Versicherungen 13,1

B) Geldanlagen bei Bausparkassen 9,2

13,3

6,4

2,7

86,7

8,6

0,3

10,9

16,6

6,7

-9,0

-18,4

6,9

109,0

6,5

1,5

8,3

14,7

6,6

5,9

-0,1

2,8

6,0

85,5

6,7

1,2

11,2

19,1

6,5

14,5

9,4

94,1

7,9

0,0

18,6

16,7

6,4

15,5

3,8

11,7

84,5

8,3

1,8

8,8

20,1

6,9

18,6

14,5

11,7

81,4

9,3

-0,7

23,4

19,3

6,5

11,0

21,6

18,4

4,1

78,4

4,4

21,6

23,1

6,5

- 1,5

87,3

7,6

13,6

12,7

3,1

78,4

3,8 25,1

0,4 9,8

37,3

21,4

-0,7 - 1,5

20,9

21,1

5,2

8,0

-0,6

-8,8

6,2

100,6

3,2

15,3

31,5

4,2

A) Geldanlage bei Banken 38,9 44,9 44,1 26,8 43,7 71,3 44,5 40,8 38,5 23,5 20,9 7,0 36,8 AA) Termingelder 0,6 0,3 0,2 0,3 0,3 0,1 0,9 1,0 1,0 1,3 1,3 0,9 0,3 1,3 AB) Sparbriefe 2,4 2,9 4,2 6,3 5,3 7,7 9,3 11,9 9,0 10,6 12,3 8,1 7,9 10,5 AC) Spareinlagen 35,9 41,7 39,6 20,2 38,1 63,4 34,4 27,9 28,5 11,6 7,4 -2,0 28,6 26,6

Längerfristig

Anteile verschiedener Anlageformen

an der Geldvermögensbildung der privaten Haushalte in v.H.

8,2

38,4

Ziele der staatlichen Förderung der Vermögensbildung

543

544

Helmut Geiger

stimmen, sind private Geldreserven unverzichtbar. Den meisten Sparern ist der Vorteil solcher Geldreserven geläufig. Wenn man weiter bedenkt, welche Bevölkerungsgruppen in erster Linie von der Arbeitslosigkeit und der Kurzarbeit betroffen sind, werden die positiven Wirkungen der staatlichen Förderung der Geldvermögensbildung in der Vergangenheit deutlich: Sie hat allen Arbeitnehmern erlaubt, in Zeiten guter wirtschaftlicher Entwicklung einen Geldvermögensstock zu bilden, den sie jetzt — bei Bedarf — zur Überbrückung einer schwierigen Situation nutzen können. Unter diesem Aspekt ist die Diskriminierung der Geldvermögensbildung nicht verständlich. Dies gilt um so mehr, als die staatliche Förderung — wegen der Einkommensgrenze — nur Sparern mit geringem Einkommen zugute kommt. Gerade ihnen sollte ein Engagement in risikobehafteten Anlagen nicht zugemutet werden. V. Aufgaben staatlicher Vermögensbildungspolitik Staatliche Vermögensbildungspolitik ist Strukturpolitik zugunsten der Arbeitnehmer. Im Vordergrund muß deshalb das Interesse der Arbeitnehmer unter Berücksichtigung verteilungspolitischer und sozialpolitischer Gesichtspunkte stehen. Andere Aspekte, etwa wirtschaftpolitische Überlegungen, können in die Vermögensbildungspolitik einbezogen werden, dürfen jedoch an der Zielrichtung nichts ändern. Daraus ergeben sich folgende Anforderungen an die künftige Ausgestaltung der staatlichen Vermögensbildungspolitik: — Die Vermögensbildungspolitik hat sich dem Gegensatz zwischen gesellschaftspolitisch erwünschter Streuung des Eigentums am Produktivkapital einerseits und den (davon abweichenden) Interessen der Anleger andererseits zu stellen. Vermögenspolitisch läßt sich dieser Zielkonflikt am ehesten dadurch lösen, daß die verschiedenen Anlageformen differenziert nach dem Prinzip gefördert werden, je höher das Anlagerisiko, desto höher der Fördersatz. — Voraussetzung für eine auch ordnungspolitisch unbedenkliche staatliche Vermögensbildungspolitik ist die Wahlfreiheit für den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer. Nur sie erlaubt die Bildung eines möglichst breit strukturierten, individuell verfügbaren Vermögens mit dem Ziel, die wirtschaftliche Unabhängigkeit und soziale Sicherheit der Arbeitnehmer zu erhöhen. Deshalb ist ein vielfältiges Angebot, das die Anlageentscheidung des einzelnen Arbeitnehmers nicht präjudiziert, sachgerecht. Unter diesem Aspekt sind Geldvermögen und Produktivkapital gleichwertig.

Ziele der staatlichen Förderung der Vermögensbildung

545

— Vermögenspolitik setzt Vermögensbildung der Unternehmen voraus. Es muß investiert werden, um Realkapital zu bilden. Chancen und Gewinnerwartungen, darüber hinaus angemessene wirtschaftliche und steuerliche Rahmenbedingungen, sind für die Attraktivität der Eigenkapitalbildung der Unternehmen vorrangig. Staatliche Vermögensbildungspolitik kann nur die Bereitschaft der Arbeitnehmer erhöhen, sich in Risikokapital zu engagieren.

F. Finanzieller Sektor

Eigenkapital und andere Mittel zur Verbesserung der Banksicherheit* Von Henry C. Wallich, Washington D.C.

In den Vereinigten Staaten wie auch in anderen Ländern haben sich die Risiken im Bankgeschäft erhöht. Jüngste Vorkommnisse, die sowohl große als auch kleinere Banken betroffen haben, verdeutlichen dies. Aber man ginge am Kern des Problems vorbei, wenn man die Zusammenbrüche und Beinahe-Zusammenbrüche einfach als Folge der jüngsten schweren Rezession oder anderer spezifischer Ereignisse ansehen würde. Der enorme Anstieg des Risikos ist damit allein nicht zu erklären. Er ist systemimmanent und geht aus Veränderungen hervor, die inzwischen im Bankgeschäft eingetreten sind. Nach einem kurzen Überblick über die jüngsten Entwicklungen sollen in diesem Aufsatz die Probleme der Regulierung, des Eigenkapitals der Banken und der Einlagenversicherung in ihrer Bedeutung für die Verbesserung der Banksicherheit untersucht werden. Die Schlußfolgerung wird sein, daß eine Erhöhung des Eigenkapitals der Banken sehr wünschenswert ist, unabhängig davon, welche Maßnahmen sich in den Bereichen Regulierung und Versicherung empfehlen. Abschnitt I gibt einen Überblick über die jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiet der Regulierung und betont, daß die Deregulierung im Vordergrund steht. Abschnitt I I untersucht die Rolle des Eigenkapitals der Banken als Garantie für deren Sicherheit. Abschnitt I I I behandelt die Möglichkeiten einer wirksameren Einlagenversicherung. Der letzte Abschnitt berichtet über Probleme der Eigenkapitalausstattung im internationalen Rahmen. Vor Jahren hatten die Vereinigten Staaten ein sehr sicheres Bankensystem, aber der Einleger erhielt wenig oder keine Verzinsung. Heute erwartet fast jeder Einleger, daß er einen Zins erhält, der erheblich über dem Niveau liegen soll, das vor Jahren von den Banken als Kreditzins gefordert wurde. Vollkommene Sicherheit und hoher Ertrag für die Einleger lassen sich nicht * Übersetzt aus dem Englischen von S. Neumann.

550

Henry C. Wallich

gut miteinander vereinbaren. Heutzutage haben wir ein Bankensystem, das sich viel mehr auf die Bedürfnisse der Bankkunden einstellt, als es früher üblich war. Aber die Bankkunden müssen sich auch der Risiken bewußt werden und auf hinreichenden Schutz bedacht sein. Deregulierung, besonders bei Zinssätzen, ist eine Hauptursache für das gestiegene Risiko im Bankgeschäft. Heute müssen die Banken um die Einlagen der Sparer konkurrieren. Sparer müssen nicht mehr Kreditnehmer subventionieren. Die Allokation der Finanzierungsmittel hat sich erheblich verbessert. Auch die Inflation hat zum erhöhten Risiko im Bankgeschäft beigetragen. Da sie nur schwer zu prognostizieren ist, hat sie die Unsicherheit vergrößert. Sie hat auch die Zinssätze und zugleich deren Variabilität erhöht. Bei hohen und sich ständig ändernden Zinssätzen sind die Banken verstärkt dem Risiko einer unzureichenden Laufzeitenkongruenz zinsreagibler Aktiva und Passiva ausgesetzt. Neue, raffinierte Verfahren wie z.B. die sogenannten ,,interestrate futures" stehen zur Verfügung, um sich gegen diese Risiken zu sichern. Aber solche Sicherungsgeschäfte können leicht in Spekulation übergehen, wenn der Bankier nicht vorsichtig ist. In vielerlei Hinsicht ist daher heute das Zinsrisiko zu einem Problem für die Banken geworden. Es gibt noch viele andere Zinsinnovationen, die das Bankrisiko beeinflussen, und neue mögen hinzukommen. Wenn sie geschickt zur Risikostreuung genutzt werden, können sie das Gesamtrisiko verringern. Andererseits kann die Aufnahme neuer Arten von Finanzgeschäften auch das Risiko erhöhen. Darüber hinaus ist zu bedenken, daß diese neuen Möglichkeiten auch anderen Finanzierungsinstituten offenstehen und daher den Wettbewerb zwischen Banken und diesen Instituten verschärfen. Nicht nur in funktioneller sondern auch in geographischer Hinsicht expandieren die Finanzmärkte, und dies mag sich noch verstärken. Wenn aus den jüngsten Vorlagen Gesetz wird, so werden die Banken in Bereiche vorstoßen können, die ihnen bisher verschlossen waren, wie bestimmte Wertpapiergeschäfte, Immobilien- und vielleicht auch Versicherungsgeschäfte. Andererseits werden Unternehmen jener Branchen zunehmend versuchen, Bankgeschäfte an sich zu ziehen und damit den Wettbewerb verschärfen. Viele dieser Entwicklungen vollziehen sich gänzlich unabhängig von den spektakulären Ereignissen, die in den letzten Jahren die Schwierigkeiten der Banken auslösten, wie etwa die Schwankungen der Ölpreise, die Rezession und die Probleme der Entwicklungsländer. Es war zu erwarten, daß der hochregulierte Banksektor eines Tages gelockert würde, Deregulierung und damit ein Wandel der alten, vertrauten Strukturen einsetzen würde. Die

Mittel zur Verbesserung der Banksicherheit

551

wichtige Rolle der Inflation auf diesem Gebiet wurde schon erwähnt. Sie war eine Haupttriebkraft der Deregulierung. Ohne Inflation hätte die Deregulierung der Zinssätze erheblich länger auf sich warten lassen. Die Inflation machte es möglich, die verschiedenen Begrenzungen der Zinssätze aufrechtzuerhalten. Nachdem die Inflation begonnen hatte, die Marktzinssätze in die Höhe zu treiben, hätten die Banken aus ihrem eigentlichen Geschäft in andere Finanzierungsgeschäfte überwechseln müssen, wenn keine Deregulierung stattgefunden hätte. In diesem Zusammenhang ist es interessant, festzustellen, daß in Deutschland, Japan und der Schweiz, die eine wesentlich geringere Inflation als die Vereinigten Staaten erlebt haben, die Banken in den letzten Jahren keinem vergleichbaren Innovationsdruck ausgesetzt waren. Zwar wurden in den sechziger Jahren in Deutschland die Beschränkungen der Zinssätze aufgehoben, aber im übrigen haben in den genannten Ländern auf dem Banksektor weit weniger Veränderungen stattgefunden als in den Vereinigten Staaten. Das Risiko im Bankgeschäft unterscheidet sich von dem der meisten Branchen; gerät nämlich eine einzelne Bank in Schwierigkeiten, so wirkt sich dies weit über ihren eigenen Geschäftsbereich aus. Die sozialen Kosten eines Bankzusammenbruchs sind höher als die privaten Kosten, also im wesentlichen die Verluste der Aktionäre und des Managements. Der Mißerfolg einer Bank kann leicht andere Banken in Schwierigkeiten bringen; das Versagen einer Bankengruppe kann die gesamte Wirtschaft in den Strudel ziehen. Wenn ein Lebensmittelhändler oder ein Automobilhändler bankrott geht, können die Kunden ihre Geschäfte mit den im Markt verbliebenen Konkurrenzfirmen fortführen. Wenn eine Bank in Zahlungsschwierigkeiten gerät, können ihre Kreditnehmer nicht ohne weiteres darauf vertrauen, daß ihnen eine andere Bank die gleichen Konditionen einräumt, während nicht versicherte Einlagen sogar bis zur Liquidation eingefroren sind, sofern überhaupt etwas von ihnen übrig bleibt. Von einem Bankier kann erwartet werden, daß er mit der gebotenen Vorsicht handelt, um sein Kapital und seine Existenz zu schützen. Allerdings kann nicht von ihm erwartet werden, daß er außerdem die sehr viel höheren sozialen Kosten einer eventuellen Zahlungseinstellung einkalkuliert, wenn er sein Geschäftsrisiko gegen den Gewinn abwägt. Da der einzelne Bankier nicht mit dem Trade-off zwischen sozialem Risiko und sozialem Ertrag konfrontiert ist, sind vom Standpunkt der Gesellschaft als Ganzes betrachtet die Entscheidungen einer Bank verbunden mit der Übernahme eines zu hohen Risikos. Allgemein gesprochen ist dies die Ursache, weshalb der Banksektor weltweit stärker reguliert ist als beispielsweise die Lebensmittel- oder die Automobilbranche.

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Henry C. Wallich I. Banksicherheit durch Regulierung

Da die Zunahme des Bankrisikos in erheblichem Maße auf Deregulierung beruht, ist es wenig sinnvoll, zusätzliche Verordnungen als Ausweg zu empfehlen, es sei denn, man würde sich zu einer grundlegenden Umkehr entschließen und die Leitidee wieder ändern. Dafür treten einige nachdenkliche Beobachter ein. Es gibt auch Vorschläge, neue Vorschriften einzuführen, anstatt alte wieder aufleben zu lassen. Solche Forderungen — wie auch die, den fortgesetzten Prozeß der Deregulierung zu stoppen — werden immer dann erhoben, wenn es zu dem Spektakel einer tatsächlichen oder auch nur drohenden Zahlungseinstellung einer Bank kommt. Es lassen sich sinnvollerweise verschiedene Formen der Deregulierung unterscheiden. Als man die Fluggesellschaften entregulierte, ließ man den Bereich der Inspektion und der technischen Instandsetzung unangetastet. Auf dem Banksektor war es dringend erforderlich, die Obergrenzen für Zinssätze zu beseitigen, weil sie infolge der Inflation zu Verzerrungen der Kreditströme führten. Ganz anders ist eine Deregulierung der traditionellen Märkte der Banken zu beurteilen. Da aber die Dynamik des Wettbewerbs von außen in den Banksektor hineingetragen wird, ist nicht viel für die Banksicherheit zu gewinnen, wenn der Umfang der Bankgeschäfte weiterhin in engen Grenzen gehalten wird. Vielmehr könnten die Banken dadurch künftig erheblich an Bedeutung verlieren. In bezug auf die Risikostreuung und die Liquiditätsvorsorge gibt es andere Bestimmungen, die durchaus zweckmäßig sind. Nachdem man sich allerdings einmal generell für die Deregulierung entschieden hat, ist es schwierig, in einzelnen Bereichen die Vorschriften zu verschärfen. Es ist klar, daß jede Regulierung von Risikostreuung und Liquiditätsvorsorge, die eine Bank veranlaßt, etwas zu tun, was sie freiwillig nicht tun würde, sie weniger rentabel und damit weniger wettbewerbsfähig werden läßt. Das führt uns zu einem der ursprünglichen Vorwürfe gegen die Regulierung zurück, nämlich, daß sie wettbewerbsfeindlich sei. Marktdisziplin ist als Alternative zur Regulierung vorgeschlagen worden. Obwohl viel dafür spricht, ist es eine offene Frage, ob diese Marktdisziplin das Bankensystem sicherer machen würde. Sie würde die Banken im Durchschnitt dazu zwingen, einen sichereren Kurs einzuschlagen. Aber Disziplin bleibt wahrscheinlich ein Abstraktum, wenn es nicht gelegentlich Beispiele dafür gibt, welche Folgen eine Mißachtung der Disziplin hat. Eine Möglichkeit, Disziplin zu induzieren, besteht darin, den Rahmen der Betroffenen zu erweitern, die durch eine Zahlungseinstellung geschädigt

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würden und die andererseits in der Lage wären, das Versagen einer Bank zu verhindern. Nach dem Management und den Direktoren sind es mit abnehmendem Einfluß die Aktionäre, unversicherte Einleger, andere Gläubiger und schließlich die versicherten Einleger. Dies führt uns zu dem Thema der Versicherung, denn die Versicherung von Einlagen, wie sie bisher praktiziert worden ist, hat die Marktdisziplin tendenziell verringert. Bevor wir uns aber diesem Thema zuwenden, muß noch einiges über das Eigenkapital der Banken gesagt werden. Denn eine Aufstockung des Eigenkapitals bildet die erste Verteidigungslinie, die von den Regulatoren gegen ein steigendes Bankrisiko gezogen wurde. II. Eigenkapital als Sicherheitsfaktor Im Gegensatz zu den meisten kommerziellen Unternehmen hat für eine Bank das Eigenkapital nicht primär die Funktion, den Geschäftsbetrieb zu finanzieren, sondern es hat die Aufgabe, die Gläubiger der Bank zu schützen. Bei vielen kommerziellen Unternehmen wird ein großer Teil der Aktiva durch Eigenkapital finanziert, also durch Anteilseigentum. Bei den Banken dagegen beträgt das Eigenkapital nicht mehr als 10 v.H. der Aktiva, manchmal sogar weniger als 5 v.H. Der Rest wird mit Verbindlichkeiten gegenüber Einlegern oder anderen Kreditoren finanziert. Anders gesagt, Banken haben ein hohes Leverage. Ihre Aktiva müssen sehr sicher sein, um zu vermeiden, daß die dünne Eigenkapitaldecke ein übermäßiges Risiko trägt. Eine Bank braucht mit ihren Aktiva nur einen geringen Ertrag zu erzielen, um das Eigenkapital angemessen zu verzinsen. Dies ist eine einfache ökonomische Lehre der Kapitalstruktur bei Banken. Aktienausgabe ist eine teure Finanzierungsform, weil Dividenden nicht steuerabzugsfähig sind. Gegenwärtig ist sie noch teurer, weil Bankaktien niedrige Preis/Gewinn-Verhältnisse aufweisen, oft sogar erheblich unter Buchwert. Eine Bank, deren Aktien bei einem Preis/Gewinn-Verhältnis von 6 liegen, hat eine Rendite von 17 v.H. nach Steuern und damit ebenso hohe Finanzierungskosten bei Aktienausgabe, während die Finanzierung eines Certificate of Deposit (CD) gegenwärtig etwa 12 v.H. kostet beziehungsweise etwas mehr als 6 v.H. nach Steuern. Um ebenso niedrige Finanzierungskosten bei Aktienausgabe zu haben, müßte das Preis/Gewinn-Verhältnis der Bank etwa 17 betragen, d.h. ihre Rendite müßte bei 6 v.H. liegen. Wen schützt nun das Eigenkapital einer Bank? Es schützt den kleinen Einleger, der in den Vereinigten Staaten außerdem durch die Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) bis zu einer Höhe von 100.000 Dollar zusätz-

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lieh geschützt ist. Ferner schützt das Eigenkapital einer Bank die Einleger in bezug auf die 100.000 Dollar übersteigenden Depositen, die ja nicht versichert sind, weiter die Kreditoren sowie die Benutzer der übrigen Bankleistungen. Sie alle wären geschädigt, wenn die Bank geschlossen würde. De facto aber werden sie alle praktisch dadurch geschützt, daß die FDIC in diesen Fällen für Fusionen sorgt. Durch ihre Subventionierung solcher Fusionen hat die FDIC häufig, wenn auch nicht immer, die Fortführung der Geschäfte von in Schwierigkeiten geratenen Banken ermöglicht. Also schützt das Eigenkapital einer Bank im Prinzip die FDIC gegen Verluste, die sie erleiden würde, wenn die Bank gerettet werden müßte. Noch grundsätzlicher gesehen, schützt das Eigenkapital der Bank das „System" und weist in diesem Sinne erhebliche soziale Erträge auf, die die privaten übertreffen. Eigenkapital ist aber kein Allheilmittel. Es ist durchaus möglich, eine mit Eigenkapital gut ausgestattete Bank zugrundezurichten. Ebenso könnte man im Prinzip eine Bank auch ohne Eigenkapital tadellos und erfolgreich führen. Wenn eine Bank gute und dauerhafte Einnahmen erzielt, kann sie damit die meisten Verluste decken. Eigenkapital wäre dazu nicht unbedingt erforderlich. Wenn sie andererseits nur Verluste erwirtschaftet, wird die Bank schließlich erleben, daß Einlagen abgezogen werden, was sie auch bei guter Eigenkapitalausstattung zahlungsunfähig machen könnte. Eigenkapital sichert nicht Liquidität. Wenn eine Bank durch Liquiditätsschwierigkeiten gezwungen wird, Aktiva mit Verlust zu veräußern, wird ihr Kapital schrumpfen, und sie muß möglicherweise ihre Geschäftstätigkeit einstellen. Aber alle diese Hypothesen beziehen sich nur auf Ausnahmefälle. Im Regelfall schafft Eigenkapital Vertrauen und bildet bei Verlusten ein Sicherheitspolster für die Gläubiger. Im Verlauf der Zeit ist in den Vereinigten Staaten das Eigenkapital im Banksektor im Verhältnis zu den Aktiva erheblich zurückgegangen. Vor dem Zweiten Weltkrieg war ein Eigenkapitalanteil von 10 v.H. oder mehr üblich; vgl. Tabelle 1. Durch die Kriegsfinanzierung verringerte sich dieser Koeffizient auf fast 6 v.H. Aber man sah dies nicht als eine Gefahr an, weil die zusätzlichen Aktiva Staatsschuldverschreibungen waren. In den darauffolgenden Jahren ersetzten die Banken in ihren Portfolios die Staatspapiere durch Kredite, während sie ihre Eigenkapitalanteile nur unwesentlich erhöhten. Selbstverständlich nahm damit ihr Risiko dramatisch zu, aber das rief keine Regulierung auf den Plan. Mitte der sechziger Jahre verbesserte sich vorübergehend das Eigenkapital Verhältnis. Doch indem die Inflation die Bankbilanzen aufblähte, machte sie diese Verbesserungen zum Teil wieder rückgängig und führte bei den großen Banken sogar zu einem weiteren Sinken des Eigenkapitalanteils.

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Tabelle 1

Verhältnis von Eigenkapital zu gesamten Aktiva Sämtliche Geschäftsbanken - Ausgewählte Jahre der Periode 1920-1983 Jahr

Verhältnis (in Prozent)

1920 1930 1940 1945 1950 1960 1970 1975 1980 1983

11,3 14,0 10,4 6,2 7,6 8,4 7,9 7,2 7,6 7,4

Anmerkung: Von 1930 an sind auch Vorzugsaktien und Schuldverschreibungen als Teil des Eigenkapitals berücksichtigt. Alle Angaben beziehen sich jeweils auf den 30. Juni eines Jahres. Quellen: Historical Statistics of the United States (1920-1965). — FDIC Annual Report (1970-1980). — FDIC Statistics on Banking (1983).

Die Eigenkapitalausstattung von ländlichen Banken entwickelte sich mit 8 v.H. und mehr ganz anders als die von großen Banken (money center banks). Deren Eigenkapitalanteil fiel unter 5 v.H., in einigen Fällen unter 3 v.H. Offenbar war der Wettbewerb so stark, daß die Ertragsrate auf Aktiva bis auf 0,5 v.H. nach Steuern gedrückt wurde, und daher ein angemessener Ertrag auf das Eigenkapital nur bei sehr dünner Eigenkapitaldecke noch zu erzielen war. Angesichts steigenden Risikobewußtseins haben die Banken neuerdings erhebliche Anstrengungen unternommen, um ihre Eigenkapitalausstattung zu verbessern. Die Regulatoren haben zunehmend darauf bestanden. Ende 1981 setzten sie offiziell Mindestanforderungen an die Ausstattung mit primärem Eigenkapital (hauptsächlich Aktien, aber auch Rücklagen und Rückstellungen) fest, und zwar 5 v.H. für regionale Banken und 6 v.H. für lokale Banken. Für das gesamte Kapital, das nachrangige Schuldtitel (subordinated debt) enthält, wurden etwas höhere Mindestanforderungen gestellt. Mitte 1983 wurden multinationale Banken den gleichen Kapitalanforderungen unterworfen wie die regionalen Banken. Noch im selben Jahr erhielten die Regulatoren erstmals besondere Befugnisse, um Mindeststandards für die Ka-

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pitalausstattung festzusetzen. Inzwischen wird erwogen, diese zu verschärfen, so daß mit allgemeinverbindlichen Mindestanforderungen an die Kapitalausstattung von 5,5 v.H. für das Grundkapital und 6 v.H. für das gesamte Kapital zu rechnen ist. Heutzutage würden die meisten großen Banken mit geringer Eigenkapitalbasis wahrscheinlich ohnehin ihr Eigenkapital erhöhen und damit in die gleiche Richtung gehen, wie die Vorschriften es verlangen. Ob all diese Banken ihr Eigenkapital freiwillig bis zu dem vorgeschriebenen Niveau aufstocken würden, ist allerdings fraglich. Wenn Banken Gewinnmaximierer sind, werden sie versuchen, ihr Eigenkapital auf dem Niveau zu halten, das erforderlich ist, um sich am Markt durch Depositen und in anderer Form zu finanzieren. Bei schlechter Eigenkapitalausstattung würden die steigenden Kosten und die Unsicherheit der Finanzierung den Gewinn verringern, bei einer höheren Eigenkapitalausstattung andererseits wäre die Rendite geringer/Wenn Banken dagegen ungewöhnlich risikoscheu sind, werden sie über das bei Gewinnmaximierung für erforderlich gehaltene Niveau hinaus noch Eigenkapital halten wollen. In beiden Fällen könnte der Eigenkapitalanteil, den die Banken freiwillig halten würden, niedriger sein als das von den Regulatoren geforderte Niveau. Daher stellt sich die Frage: können die Regulatoren überhaupt eine höhere Eigenkapitalausstattung erzwingen als von den Banken, also den privaten Marktteilnehmern, gewünscht wird? Rein rechtlich gesehen können sie es zweifellos. Entsprechende Vorschriften können erlassen, Banken können geprüft und die Bestimmungen können durchgesetzt werden. Ob dies ökonomisch sinnvoll ist, dürfte aber fraglich sein. Denn das Eigenkapital stellt nur eine Dimension des Risikos dar. Wenn Banken in bezug auf diese Dimension zu — wie sie es sehen — Übervorsicht gezwungen würden, so könnten sie in anderer Hinsicht weniger vorsichtig werden, etwa bezüglich der Qualität ihrer Kredite, der Risikostreuung oder der Liquidität. Die Auflage eines höheren Eigenkapitalanteils für große Banken (money center banks) hat, wie man hört, unter anderem schon zu einem geringeren Wachstum der Bankbilanzen geführt. In einigen Fällen scheint dies dadurch erreicht worden zu sein, daß niedrigverzinste Interbankforderungen, die die Bilanzen aufblähen, abgebaut wurden. Dies, für sich genommen, reduzierte die Liquidität, was immer einzelne Banken sonst unternommen haben mögen, um diese Wirkung auszugleichen. In anderen Fällen dürfte das verminderte Wachstum dadurch erreicht worden sein, daß einige Risiken als Eventualverbindlichkeiten unter den Strich verlagert wurden. Wenn Banken nicht die Risiken eingehen dürfen, für die sie sich entscheiden, kann sie das veranlassen, Risiken zu übernehmen, die sie normalerweise meiden würden. Auf diese

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Weise würde zwar bei den Banken das Gesamtrisiko auf dem gewünschten Niveau gehalten, aber in suboptimaler Form. In der Diskussion über die angemessene Eigenkapitalhöhe müssen die sozialen Kosten bedacht werden. Eigenkapital hat soziale ebenso wie private Kosten, wenn es die Verwendung realer Ressourcen impliziert. Aber reale Ressourcen werden bei einer Erhöhung des Eigenkapitals nicht zugeführt, wenn nichts weiter geschieht, als eine Änderung der Kapitalisierung einer Unternehmung mit gegebenen Aktiva und Ertragsverläufen. Es handelt sich dann lediglich darum, daß vorhandene Schuldtitel durch neue Aktien ersetzt werden. Für die einzelne Bank aber sind die Kosten des Eigenkapitals gleich dem Ertrag, den sie darauf erwirtschaften muß. Die Finanztheorie lehrt uns, daß sich der Wert eines Unternehmens nicht ändern sollte, wenn Schuldtitel durch Aktien ersetzt werden, von Steuern abgesehen. Während sich der Gewinn pro Aktie verringert je mehr Aktien ausgegeben werden, setzt die aus einer niedrigeren Verschuldung resultierende Abnahme des Leverage das Risiko für das Eigenkapital herab, so daß der aggregierte Marktwert von Verschuldung und Aktienkapital unverändert bleibt. Im geltenden Steuersystem allerdings würde eine Bank den Kapitalisierungswert nach Steuern faktisch verringern, wenn sie Schuldtitel durch Aktien ersetzt. Bei geringerem Leverage sinken die steuerabzugsfähigen Zinskosten, und der Marktwert der Bank fällt, weil diese Steuervergünstigungen verlorengehen. Es entstehen private Kosten, die sich beim Staat als ein Gewinn an Steuereinnahmen niederschlagen. Dabei ist mit einer Reihe von Nebeneffekten zu rechnen. Wenn viele Unternehmen so handeln würden, stiegen die Kosten des Eigenkapitals, während die Zinssätze sinken würden. Es gibt noch weitere Effekte aufgrund der Umstrukturierung der Bankbilanzen. Ganz allgemein kann man sagen, daß die Kosten von Eigenkapital (wenn keine Nutzung realer Ressourcen damit verbunden ist) für die Gesellschaft als Ganzes etwa Null sind, während für private Unternehmen die Kosten positiv sind, wenn die Eigenkapitalausstattung höher ist, als der Markt verlangt. Man kann das als ein Argument zugunsten eines gesellschaftlich vorgeschriebenen hohen Eigenkapitalanteils verstehen. Ebensogut kann man es aber auch als Einwand gegen die Art des Steuersystems auffassen, das für eine Kluft zwischen sozialen und privaten Kosten sorgt. Die amerikanische Praxis der Bankenregulierung hat versucht, diesem Dilemma durch die Erfindung von nachrangiger Verschuldung zu begegnen. Sie stellt einen Teilersatz für Eigenkapital dar und erweitert damit das Bankkapital. Jene Regulierung, die schon das Konzept von sogenannten Nichtbanken, die eigentlich Banken sind und von sogenannten Nicht-Zweigstel-

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len, die eigentlich Zweigstellen sind, aufgebracht hat, erfand auch eine Form von Bankkapital, das eigentlich kein Bankkapital ist. Indem es ermöglicht wird, nachrangige Verschuldung als Bankkapital zu behandeln, kann der Nachteil der Nichtabzugsfähigkeit von Dividenden ausgeglichen werden. Damit werden Einleger und Gläubiger geschützt, weil diese Verschuldung ihren Forderungen nachgeordnet wird, wenn eine Bank in Zahlungsschwierigkeiten gerät. Aber anders als Eigenkapital dient sie nicht zur Deckung von Verlusten, denn sie bildet einen wenn auch nachgeordneten Anspruch auf die Aktiva der Bank. Ein Verlust, der die Beteiligungskomponente des gesamten Kapitals vernichtet, macht die Bank zahlungsunfähig. Die nachrangige Verschuldung verringert das Risiko eines Zusammenbruchs und schützt damit die FDIC und das „System" sofern sie die Wahrscheinlichkeit vermindert, daß im Verlustfalle ein Run der Einleger auf die Bank einsetzt. Natürlich muß die nachrangige Verschuldung eine angemessene Fristenstruktur aufweisen, denn bei Fälligkeit muß sie zurückgezahlt werden und bietet daher keinen Schutz mehr.

I I I . Versicherung als Sicherheitsfaktor

Das Eigenkapital stellt eine Art von Selbst Versicherung dar. Einlagenversicherung ist eine gemeinschaftliche oder kollektive Versicherung. In den meisten denkbaren Fällen ist sie wirtschaftlicher, weil sie eine bessere Risikostreuung zuläßt. Man erkennt dies daran, daß das gesamte Kapital der amerikanischen Banken etwa 170 Milliarden Dollar beträgt, während sich der Fonds der FDIC auf wenig mehr als 17 Milliarden Dollar beläuft. Trotzdem glaubt man, daß das gesamte Kapital des Bankensystems erhöht werden müßte. Andererseits könnte der FDIC-Fonds das Restrisiko für 44 v.H. der gesamten Bankeinlagen abdecken und de facto sogar mehr, weil etwa 10 v.H. durch den Schutz des Bankkapitals (Eigenkapital und nachrangige Verschuldung) gedeckt sind. Diese Überlegungen führen zu dem Schluß, daß die Sicherheit des Bankensystems am kostengünstigsten durch eine vollständige Versicherung zu erreichen ist, die, von der nachrangigen Verschuldung abgesehen, alle Einlagen und anderen Verbindlichkeiten abdeckt. In diesem Falle würde der zusätzlich zu versichernde Betrag nur bei etwa 330 Milliarden Dollar liegen. Das ist die Differenz zwischen versicherten Einlagen auf der einen Seite und den gesamten übrigen Einlagen und Verbindlichkeiten mit Ausnahme der nachrangigen Verschuldung. Der Gedanke ist keineswegs neu. Mit der öffentlichen Diskussion über die neueren Probleme der Banken hat er wieder

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mehr Beachtung erlangt. Nach vorherrschender Auffassung jedoch würde eine vollständige Versicherung moralisches Risiko begünstigen und wäre deshalb in einer einfachen Konstruktion nicht ratsam. Moralisches Risiko bedeutet, daß die Versicherten bei vollständiger Versicherung wahrscheinlich größere Risiken in Kauf nehmen. Eine vollständige Versicherung würde die Marktdisziplin unterminieren. Banken könnten sehr riskante Geschäfte durchführen, ohne einen Run der Einleger befürchten zu müssen. Der Druck der Aktionäre auf das Management würde zwar bestehen bleiben, aber auch ihre Risikotoleranz dürfte steigen, wenn bei nur mäßiger Zunahme des Risikos höhere Erträge winken. Man könnte umgekehrt behaupten, daß der Versicherungsschutz schon zu weit fortgeschritten ist und die Marktdisziplin verringert hat. Nach dieser Auffassung wären weniger durch die FDIC finanzierte Fusionen zu befürworten, durch die in Zahlungsschwierigkeiten geratene Banken gerettet werden. Stattdessen sollten häufiger die versicherten Einleger einfach ausgezahlt werden, während die nicht versicherten Einleger auf das Ergebnis der Liquidation der Bank angewiesen wären. Oder man könnte, wie es die FDIC vorgeschlagen hat, unversicherten Gläubigern im Rahmen der Fusion einen nur partiellen Schadenersatz anbieten, der dem Wert ihrer Forderungen im Liquidationsfalle entspricht. Die Reaktion des Marktes auf solche Änderungen des gegenwärtigen Verfahrens der Einlagenversicherung würde bewirken, daß sehr risikofreudige Banken Refinanzierungsschwierigkeiten erleben, weil Großeinleger sie gründlicher beobachten würden. Allerdings würde das nur in den wenigen Fällen funktionieren, bei denen rechtzeitig gründliche Information erhältlich ist, die es den Einlegern ermöglicht, Risiko und Ertrag gut einzuschätzen. In vielen Fällen wäre eine solche Einschätzung sogar für einen erfahrenen Bankprüfer sehr schwierig. Man kann sich denken, daß Einleger beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten ihre Gelder abziehen, anstatt zu untersuchen, ob ein höheres Risiko durch eine höhere Verzinsung aufgewogen wird. Wenn sich die Marktdisziplin nicht allmählich, sondern abrupt entwickelt, könnte eine Stärkung der Disziplin das Risiko im System eher erhöhen als verringern. Ein weiterer formaler Ansatz könnte darin bestehen, eine vollständige Versicherung bereitzustellen, aber zu Kosten, die das Risiko voll abdecken. Dies würde gestaffelte Versicherungsprämien erforderlich machen, wie sie Autofahrern und Eigentümern von potentiell stark gefährdeten Sachgütern bekannt sind. Wie wäre aber das Risiko zu veranschlagen? Wenn man davon ausgehen kann, daß Einleger fähig sind, solche Bewertungen vorzunehmen, dann sollte ein Versicherungsfachmann erst recht dazu in der Lage sein. Trotzdem hat man zu bedenken gegeben, daß die Erhebung realistisch ge-

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staffelter Prämien eine viel strengere Bankenaufsicht erforderlich machte, als sie heute gegeben ist. Innerhalb eines Jahres, das ist der übliche Turnus von Banküberprüfungen, kann sich die Lage einer Bank wesentlich verändert haben. Wenn sich geringfügige Risikoänderungen in der Versicherungsprämie niederschlagen sollen, nehmen die Schwierigkeiten zu. Es wurde darauf hingewiesen, daß dies letzten Endes auf einen Grad der Banküberwachung hinauslaufen könnte, der von Verstaatlichung nicht weit entfernt wäre. Andererseits bieten gestaffelte Versicherungsprämien einen Vorteil, der vorgeschriebenen Eigenkapitalanteilen fehlt. Wird eine Bank zu einer Aufstockung des Kapitals verpflichtet, so wird sie versuchen, ihr Risiko auf anderem Gebiet zu erhöhen. Sieht sich die Bank andererseits einer Staffel steigender Versicherungsprämien gegenüber, dann sollte sie keinen Anlaß haben, ihr Risiko zu erhöhen. Eine Einschränkung der Liquidität oder eine Verlagerung des Risikos unter den Strich würde nichts helfen, wenn der Versicherer sämtliche Risiken richtig einschätzt. Gestaffelte Prämien kommen einer Besteuerung hoher Risikoübernahme gleich, was — anders als eine vorgeschriebene Eigenkapitalausstattung — in der Tat die Risikopräferenz einer Bank ändert. Wenn man die relativen Vor- und Nachteile von Selbstversicherung durch höheres Eigenkapital im Vergleich zu einer umfassenderen gemeinschaftlichen Versicherung gegeneinander abwägt, ist zu beachten, daß die geringeren Kosten einer Versicherung von außen nicht unbedingt ausschlaggebend sein müssen. Wie oben bereits erläutert, sind die sozialen Kosten des Eigenkapitals einer Bank im Gegensatz zu seinen privaten Kosten gering oder Null. Es wäre daher gesellschaftlich nicht ineffizient, wenn die Banken mehr auf eine Erhöhung des Eigenkapitalanteils setzen würden. In den Vereinigten Staaten ist man auf zweierlei Weise gegen das zunehmende Risiko im Banksektor vorgegangen; beide Ansätze ergänzen sich. Es wurden Maßnahmen ergriffen, um die Eigenkapitalausstattung der Banken zu erhöhen. Gleichzeitig haben wir erlebt, wie im Rahmen des begrenzten Versicherungsschutzes unseres Systems die Regulierungspolitik versucht, das Bankensystem zu schützen, aber zuläßt, daß einzelne Banken geschlossen werden, wenn dies keine systembedrohenden Folgen hat. Darüber hinaus hat man dafür gesorgt, daß die Rettung einer für das „System" wichtigen Bank nicht auch deren Management und Aktionäre schützt. Dieser zweigleisige Ansatz scheint insgesamt recht ausgewogen, wenn auch verbesserungsfähig.

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IV. Internationale Aspekte

Den Bedarf nach mehr Eigenkapital gibt es nicht nur bei amerikanischen Banken, sondern auch bei Banken in anderen Teilen der Welt. Die Zentralbankgouverneure von elf Industrienationen (Zehnergruppe und Schweiz) haben im September 1982 in Basel in einer Erklärung ihre Sorge über die Eigenkapitalausstattung der Banken in diesen Ländern zum Ausdruck gebracht. Sie empfahlen dringend, daß der Rückgang der Eigenkapitalanteile gestoppt und in sein Gegenteil verkehrt werden sollte. Es wurden keine Zielmarken festgesetzt, und es wurde auch nichts darüber ausgesagt, wie man die Eigenkapitalausstattung von Banken zwischen Ländern vergleichen kann. Banken verschiedener Länder konkurrieren zunehmend miteinander, und zwar nicht nur in den internationalen, sondern auch in den heimischen Kreditmärkten. Ende 1983 entfielen beispielsweise 16 v.H. aller von den Banken in den Vereinigten Staaten angebotenen Kredite auf ausländische Banken, und im Staat New York waren es sogar 42 v.H. Da die Eigenkapitalkosten einer Bank sehr hoch liegen, sind sie ein wichtiger Faktor im Wettbewerb. Es gibt unter Banken die Vorstellung, daß unterschiedliche Eigenkapitalanteile auch unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit implizieren. Sicherlich beeinflussen neben dem Eigenkapital einer Bank viele andere Faktoren ihre Wettbewerbsfähigkeit. Um nur ein Beispiel zu nennen, unterliegen amerikanische und deutsche Banken zusätzlich zu der üblichen Körperschaftsteuer der Verpflichtung, unverzinste Mindestreserven zu unterhalten, die wie eine Sondersteuer auf das Bankgeschäft wirken. Amerikanische Banken haben, im Gegensatz zu Banken einiger anderer Länder, den Vorteil, einen Teil ihrer Einlagen in steuerfreien Wertpapieren anlegen zu können. In manchen Ländern müssen Banken spezielle LiquiditätsVerpflichtungen erfüllen, was Kosten verursachen kann. Bei der Vergabe internationaler Dollarkredite könnten amerikanische Banken hin und wieder einen Vorteil durch niedrigere Refinanzierungskosten gehabt haben. In einigen Ländern sind die Banken staatlich und genießen daher eine besondere Sicherheit, während in anderen Ländern die Regierungen seit langem die Zahlungsfähigkeit ihrer Banken stillschweigend oder auch ausdrücklich garantieren. Diese Faktoren beeinflussen gemeinsam mit anderen die Wettbewerbsfähigkeit der Banken verschiedener Nationalität. Viele Faktoren sind nicht quantifizierbar. Im Hinblick auf das Eigenkapital einer Bank sollte man denken, daß die Quantifizierung einfach ist. Bei näherer Durchsicht der

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Bankgesetze, der Regulierungspraktiken und der Buchhaltungsvorschriften wird man eines Besseren belehrt. Die nationalen Bankensysteme unterscheiden sich nicht nur in der Höhe des von ihnen aus Risikogründen zu haltenden Eigenkapitalanteils, sondern vor allem in den Bilanzpositionen, die zum Eigenkapital gerechnet werden, in den Bewertungsvorschriften, die diese Positionen festlegen, und in der Bestimmung des Risikostatus. Um mit dem Letzteren zu beginnen, halten wir zunächst fest, daß das Eigenkapital in den Vereinigten Staaten (ebenso wie in Kanada, Japan und Luxemburg) zu der Summe der Aktiva in bezug gesetzt wird. In den meisten anderen Ländern wird es auf die risikobehafteten Aktiva bezogen, wobei die einzelnen Arten unterschiedlich gewichtet werden. Dieser Ansatz erlaubt eine angemessene Unterscheidung zwischen Forderungen an den Staat, gegenüber anderen Banken und den übrigen Aktiva. Das amerikanische Bankensystem vernachlässigt diese Unterschiede und bewertet Forderungen an das U.S.-Schatzamt genauso wie risikobehaftete Handelskredite. Der Ansatz der Gewichtung risikobehafteter Aktiva ist einleuchtend; vorausgesetzt, die Gewichte sind angemessen gewählt. Allerdings hat man Anlaß zu vermuten, daß die institutionellen Kategorien nicht immer die besten Gewichte bilden. So sind beispielsweise Staatsschuldverschreibungen in heimischer Währung ganz anders zu bewerten als gleiche Forderungen in ausländischer Währung. Interbankforderungen dürften sehr sicher sein — wenn sie gut gewählt sind. Befristete Forderungen gegenüber ausländischen Banken müßten ziemlich anders beurteilt werden. Wenn man jedoch solche Feinheiten berücksichtigt, kann die Vergleichbarkeit leiden, und das System könnte nicht mehr zu handhaben sein. Die nationalen Bankensysteme unterscheiden sich vielleicht weniger in ihren Gesetzen und Regulierungen als vielmehr in den Praktiken, die zur Vorkehrung gegen mögliche Verluste ergriffen werden. Amerikanische Banken halten eine allgemeine Reserve gegen Kreditverluste, die aus dem laufenden Ertrag gespeist wird. Sie tendieren dazu, diese Reserve zu verändern, je nachdem wie Vorstand und Aufsichtsrat die Entwicklung der Risikolage einschätzen. Spezifische Rückstellungen für notleidende Kredite werden nur dann aus der Reserve für Kreditverluste entnommen, wenn das Ausmaß des Risikos sehr groß geworden ist. Eine Ursache liegt darin, daß Banken, außer für einen normalerweise geringen Teil ihrer Kreditverlustreserve, keine Steuergutschrift erhalten, solange sie nicht einen Teil- oder Gesamtverlust von Krediten nachweisen können. Die Kreditverlustreserve wird dem Eigenkapital zugerechnet. Wird sie erhöht, so stärkt das also die gesamte Eigenkapitalposition der Bank.

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Darüber hinaus ergänzen Banken ihr Eigenkapital selbstverständlich durch nicht ausgeschüttete Gewinne und von Zeit zu Zeit durch Ausgabe von Aktien. Im Ergebnis führen diese Maßnahmen zu einem relativ hohen Verhältnis des Eigenkapitals zu den gesamten Aktiva, aber zu relativ geringen Rückstellungen für bestimmte Kredite. Außerhalb der Vereinigten Staaten verfahren viele Banken ganz anders. Aus dem Ertrag abgezweigte Rückstellungen werden typischerweise im Hinblick auf bestimmte Kredite vorgenommen. Das ist häufig mit einer Steuervergünstigung verbunden. Die Eigenkapitalausstattung dieser Banken mag niedriger erscheinen, aber ihre Risikovorsorge gegen spezifische Kredite ist besser. Eine große Anzahl von Bilanzpositionen, die als Eigenkapital angesehen werden könnten, werden international jedoch unterschiedlich behandelt. In den Vereinigten Staaten können die Banken keine Stillen Reserven halten. In manchen Ländern können die Banken Reserven haben, die den Aktionären nicht mitgeteilt werden und die nicht zu dem der Bankenaufsicht gegenüber auszuweisenden Eigenkapital rechnen. In anderen Ländern wiederum werden Stille Reserven der Bankenaufsicht mitgeteilt und von ihr als Eigenkapital gewertet. In den Vereinigten Staaten kann der Buchwert von Aktiva nicht auf ihren Marktwert heraufgesetzt werden. In anderen Ländern ist das möglich, wobei es Unterschiede gibt. Sie beziehen sich darauf, ob in einer besonderen Position die durch die Höherbewertung entstandene Reserve ausgewiesen werden muß oder ob diese dem Eigenkapital zugerechnet wird. Fungible Aktiva, die unter ihren Erwerbspreis gesunken sind, müssen in den Vereinigten Staaten nicht in jedem Falle zum Marktwert angesetzt werden. In einigen anderen Ländern wird dies verlangt. In den Vereinigten Staaten dürfen Zinsrückstände, die bestimmte Grenzwerte überschreiten, weder zum Ertrag gerechnet werden, noch können sie kapitalisiert werden, es sei denn, ihr Einzug ist hinreichend gesichert. In einigen Ländern ist man darin großzügiger. Angesichts dieser Unterschiede ist es offenbar nicht einfach, einen gemeinsamen internationalen Maßstab der Eigenkapitalausstattung zu finden. Um eine international vergleichbare Abgrenzung für das Eigenkapital zu erhalten, müßten Korrekturen eingeführt werden, die die Unterschiede in der Praxis der Bewertung, Bilanzierung und Bankenaufsicht berücksichtigen. In den Vereinigten Staaten ist der Markt bis zu einem gewissen Grade in der Lage, diese komplexen Beziehungen zu erkennen. Eine weitgehende Offenlegung der Eigenkapitalposition wie auch des Risikostatus ist für Banken vorgeschrieben, deren Aktien öffentlich gehandelt werden. Durch die Be-

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wertung dieser Aktien kann der Markt seine Einschätzung der Eigenkapitalstärke einer Bank zum Ausdruck bringen. Wenn die Aktien einer Bank unter ihrem Buchwert gehandelt werden, heißt dies, daß nach Einschätzung des Marktes der Wert der Aktiva der Bank und somit der des Eigenkapitals unter dem Buchwert liegt. In den meisten anderen Ländern ist dieser Rückschluß nicht ohne weiteres möglich, weil der Markt nicht über die insgesamt notwendige Information verfügt. Zwar lassen sich Marktwert und publizierter Buchwert vergleichen, aber angesichts Stiller Reserven und ähnlicher Faktoren ist der Unterschied zwischen Buch- und Marktwert wahrscheinlich größer als in den Vereinigten Staaten. Daher ist in jenen Ländern ein solcher Vergleich weniger aussagefähig. Es besteht wenig Aussicht, daß in näherer Zukunft ein Verfahren für eine international vergleichbare Bewertung des Eigenkapitals der Banken erreicht wird. Gesetze, überlieferte Bilanzierungsregeln und Bankpraktiken sind zu eingefahren. In der Europäischen Gemeinschaft bemüht man sich ernsthaft darum, zu einer Koordinierung der Gesetze und der Vorschriften für die nationalen Bankensysteme zu kommen, da dies langfristig eine wichtige Voraussetzung für die Integration darstellt. In den Vereinigten Staaten hätte ein Vergleichsmaßstab den Vorteil, daß die Federal Reserve bei Anträgen ausländischer Banken, eine amerikanische Bank zu erwerben, feststellen könnte, ob das Eigenkapital der ausländischen Bank die zukünftige Tochter stärken würde. Dies ist immer eine wichtige Voraussetzung für die Genehmigung solcher Anträge gewesen. Auch wenn man von diesem spezifischen Anwendungsbereich absieht, würden einheitliche Vergleichsstandards für die Entwicklung des internationalen Bankensystems sehr nützlich sein.

Bankenwachstum — Einflüsse des Spar- und Anlageverhaltens Von Ludwig Huber, München

Der Sparer ist zwar kein ,,unbekanntes Wesen", gleichwohl aber immer wieder für Überraschungen gut. Und so oft man auch versucht, dem Verhalten des Sparers (oder gar der Sparer) auf die Spur zu kommen — meist bleibt ein unaufgeklärter Rest. Für die Betroffenen, für die Kreditinstitute, allemal Grund genug, sich mit „dem" Sparer und erst recht mit seinen oft verblüffenden Reaktionen zu befassen und sie — so gut es eben geht — zu ergründen. Denn eines ist unbestritten: Wandlungen im Spar- und Anlageverhalten sind stets eine Herausforderung, der in der Angebotspalette Rechnung zu tragen ist. Das wiederum läßt den Schluß zu, daß ein Wandel im Sparverhalten seine Parallele im Angebot der Kreditinstitute finden muß. Und da alle Gruppen des Kreditgewerbes mehr denn je bemüht sind, am wachsenden Sparaufkommen teilzuhaben, besteht geradezu ein Zwang, das Angebotsrepertoire den Veränderungen im Sparverhalten anzupassen. Schon das sorgt auf den Passivseiten der Bankbilanzen für Bewegung; das setzt — wenn man so will — die Akzente des Wachstums. Drei Schwerpunkte Betrachtet man vor diesem Hintergrund das Bankensystem in der Bundesrepublik Deutschland, dann kann es kaum verwundern, daß sich in den letzten Jahrzehnten ein nachhaltiger Wandel abzeichnete. Dabei kristallisieren sich drei Schwerpunkte heraus: 1. Eine ausgeprägte Wachstumsphase, die Anfang der 60er Jahre begann und bis Mitte der 70er Jahre dauerte. Die Bilanzsummen der Banken und Sparkassen expandierten in dieser Zeitspanne (mit einer Ausnahme) jährlich mit zweistelligen Zuwachsraten. 2. Eine Konsolidierungsphase mit verringerten Zuwachsraten und veränderten Bilanzrelationen.

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3. Die Phase, die man als ,,new banking" apostrophieren könnte und mit dem Stichwort „Automatisierung" verbunden ist. Intensivierung der Serviceleistungen in der Kundenbetreuung, beispielhaft dafür die Anlageberatung. In allen Phasen standen die Kreditinstitute unter dem Zwang einer ständigen Leistungssteigerung. Ein neues Orientierungsdatum setzte 1967 die Freigabe der Haben-Zinsen. Eine Maßnahme, die den Wettbewerb der Banken und Sparkassen um die Anlagemittel der Sparer intensivierte und den Auf- und Ausbau einer attraktiven Angebotspalette heutigen Zuschnitts beschleunigte. Als Mitte der 70er Jahre den Kreditinstituten im Zuge einer forcierten öffentlichen Verschuldung ein zinsrobuster Mitbewerber um die Anlagemilliarden erwuchs, mußte das Kreditgewerbe „mithalten". Erhöhte Flexibilität erfordern schließlich auch die neuen Techniken, die das Bankgeschäft der 80er und 90er Jahre revolutionieren. Das sind Vorgänge, die allenthalben die Geschäftspolitik prägen. Sie bestimmen zudem den Erfolg eines Kreditinstituts, sie beeinflussen die Marge und sie fixieren letztlich auch das Wachstum. I. Wachstum des Bankgeschäfts im volkswirtschaftlichen Umfeld

Von 1961 bis 1978 expandierte das Geschäftsvolumen der Banken und Sparkassen mit zwei Ausnahmen (1966 und 1976) durchweg zweistellig; 1961 und 1968 übertrafen die Steigerungsraten sogar die 15-Prozent-Marke. Das durchschnittliche Wachstum des Geschäftsvolumens stellte sich von 1961 bis 1969 auf 12,6 Prozent, von 1970 bis 1978 auf 11,8 Prozent. Seit 1979 ging es auffällig langsamer voran: Im Durchschnitt der vergangenen 5 Jahre nahm das Geschäftsvolumen lediglich um 7,7 Prozent zu: 1982 und 1983 nur um 6,7 bzw. 6,3 Prozent (vgl. Tabelle 1). Vergleicht man das Wachstum der Geschäftsvolumina der Kreditinstitute mit dem nominalen Wachstum des Bruttosozialprodukts, so fällt auf, daß mit Ausnahme der Jahre 1970 und 1973 die Banken das (nominale) Wirtschaftswachstum deutlich hinter sich ließen. Insgesamt übertraf die Expansionsrate der Geschäftsvolumina der Banken und Sparkassen von 1961 -1983 das Wachstum des Bruttosozialprodukts um 85 Prozent. Auch bei Ausschaltung des 67er- (Ausnahme-) Wertes — damals wurde das Wachstum des Bruttosozialprodukts um fast das Zehnfache übertroffen — ergibt sich immer noch ein Faktor von 1,48. Das heißt: Seit Anfang der 60er Jahre wuchsen die Kreditinstitute um die Hälfte schneller als das Bruttosozialprodukt.

Bankenwachstum — Einflüsse des Spar- und Anlageverhaltens

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Tabelle 1 Wirtschafts- und Bankenwachstum seit 1961 1961 Nominales Wachstum des BSP (in v.H.) I

1962

1963

1964

1965

1966

1967

1968

+ 9,4 + 8,8 + 6,0 + 9,8 + 9,2 + 6,4 + 1,3 + 8,1

Geschäftsvolumen deutscher Kreditinstitute (Zuwachs in v.H.) II + 15,9 + 11,4 + 12,4 + 11,3 + 12,0 + 9,1 + 12,9 + 15,2 III = II : I

Nominales Wachstum des BSP (in v.H.) I

1,69

1,30

2,07

1,15

1,30

1,42

9,92

1,88

1969

1970

1971

1972

1973

1974

1975

1976

+ 12,0 + 13,0 + 11,3 + 9,7 + 11,4 + 7,3 + 4,4 + 9,1

Geschäftsvolumen deutscher Kreditinstitute (Zuwachs in v.H.) II + 13,1 + 11,6 + 13,0 + 14,7 + 11,2 + 10,1 + 12,1 + 9,8 III = II : I

Nominales Wachstum des BSP (in v.H.) I

1,09

0,89

1,15

1,52

0,98

1,38

2,75

1977

1978

1979

1980

1981

1982

1983

+ 6,5 + 7,8 + 8,2 + 6,4 + 3,9a + 3,6a + 4,5a

Geschäftsvolumen deutscher Kreditinstitute (Zuwachs in v.H.) II + 11,3 + 12,0 + 9,4 + 9,1 + 8,0 + 6,7 + 6,3 III = II : I a

1,74

1,54

1,15

1,27

vorläufig.

Quelle: Statistisches Bundesamt; Deutsche Bundesbank.

2,05

1,86

1,40

1,08

568

Ludwig Huber I I . Expansion der Geschäftsvolumina nach Bankengruppen

Von 1961 bis 1983 erhöhte sich das Geschäftsvolumen aller Kreditinstitute um annähernd 2,6 Billionen DM oder gut das 9,8-fache: Aus 293 Milliarden DM wurden 2,88 Billionen DM. Den größten Sprung nach vorn machten die Kreditgenossenschaften, deren Geschäftsvolumen sich verzwanzigfachte. Auf Rang zwei und drei folgen im (prozentualen) Wachstum der Bilanzen die Landesbanken und Sparkassen, die um gut 1050 bzw. knapp 900 Prozent zulegten. Das Wachstum der Kreditbanken und Realkreditinstitute lag mit 787 bzw. 711 Prozent unter dem Durchschnitt, das sich für alle Institutsgruppen für die Zeitspanne von 1961 bis 1983 mit 884 Prozent errechnet (vgl. Tabelle 2). Tabelle 2

Wachstum der Geschäftsvolumina einzelner Bankengruppen (Mrd. DM bzw. Zunahme in v.H.) Zuwachs Zuwachs Stand 1961 1968/61 1975/68 1983/75 Stand 1983 1983/61 1983/61 Mrd. DM in Prozent Mrd. DM Mrd. DM in v.H. Kreditbanken

71,0

+ 110

+ 140

+ 76

629,8

+ 558,8 + 787

Girozentralen

40,8

+ 148

+ 142

+ 92

470,9

+ 430,1 + 1.054

Sparkassen

63,5

+ 134

+ 117

+ 97

633,1

+ 569,6 + 897

Kreditgenossenschaften

16,3

+ 174

+ 204

+ 144

332,7

+ 316,4 + 1.904

Realkreditinstitute

49,1

+ 107

+ 78

+ 120

398,2

+ 349,1 + 711

292,7

+ 121

+ 125

+ 98

2.881,3

+ 2.588,6 + 884

insgesamt

Quelle: Deutsche Bundesbank.

Ein differenzierteres Bild bietet eine Unterteilung in drei Perioden. Abgesehen davon, daß die Kreditgenossenschaften in allen drei Phasen in Front lagen, wechselte das Expansionstempo der Institutsgruppen beträchtlich. Die Landesbanken, deren Geschäftsvolumina sich im Zeitraum 1961/1968 und 1968/1975 noch überdurchschnittlich — nämlich um +148 bzw. 142 Prozent — zugenommen hatten, blieben in den letzten fünf Jahren mit einem Plus von 92 Prozent leicht unter dem Durchschnitt ( + 98 Prozent)

Bankenwachstum — Einflüsse des Spar- und Anlageverhaltens

569

aller Institute. Die Sparkassen lagen in der Periode 1961/1968 über und in den nachfolgenden zwei Perioden knapp unter dem Durchschnitt. Anders die Realkreditinstitute. Sie wuchsen bis Mitte der 70er Jahre unter-, in den vergangenen fünf Jahren dagegen überdurchschnittlich. Die Kreditbanken konnten ihre Positionen nur von Ende der 60er bis Mitte der 70er Jahre ausbauen.

III. Wachstum der Einlagen Für eine Universalbank „bildet die Annahme von Einlagen die wichtigste Form der Zentralbankgeldbeschaffung und damit die Grundlage des Aktivgeschäfts, wobei wiederum die verschiedenen Einlagenalten für die einzelnen Institute von unterschiedlichem Gewicht sind" 1 . Spezialinstitute — so beispielsweise Hypothekenbanken bzw. öffentlich-rechtliche Grundkreditanstalten und Kreditinstitute mit Sonderaufgaben — refinanzieren sich dagegen primär am Kapitalmarkt, sei es per Daueremissionen (Hypothekenbanken) oder Einmalemissionen (Kreditinstitute mit Sonderaufgaben). Diese unterschiedlichen Schwerpunkte in der Mittelbeschaffung haben historische Gründe. Sie haben „sich bereits in der Gründungszeit der verschiedenen Kreditinstitute herausgebildet" 2 . Die „klassischen" Refinanzierungsreservate sind inzwischen allerdings aufgebrochen. Der Wettbewerb um den Anleger hat heute eine totale Dimension. Mit der Konsequenz beispielsweise, daß Institute, deren Schwerpunkt der Geldbeschaffung traditionell auf Einlagen ausgerichtet ist — wie bei den Sparkassen und Kreditbanken —, heute auch den Kapitalmarkt direkt oder über kapitalmarktähnliche Papiere beanspruchen. Den Anfang machte 1964 der Volksbank-Sparbrief. Der „Durchbruch" dieser Sparbuch-Alternative gelang indessen erst Anfang der 70er Jahre, nachdem 1967 auch die Sparkassen damit begonnen hatten, Sparkassenbriefe anzubieten3. Der Umlauf an Sparbriefen, der 1970 gerade 5,0 Milliarden DM erreicht hatte (vgl. Tabelle 3), ist in den 70er Jahren sprunghaft gestiegen. Einer reichlichen Verzehnfachung des Umlaufs von 1970 bis 1977 folgte in den letzten sechs Jahren bis Ende 1983 ein weiterer Anstieg um gut 150 Prozent. Der Bestand an Spareinlagen verzehnfachte sich von 1961 bis Ende 1983 auf 555 1

L. Mülhaupt, Strukturwandlungen im westdeutschen Bankwesen, Wiesbaden 1971, S. 37. Ebenda. 3 Vgl. dazu B. Gentschy Sparbriefe, Sparobligationen, Wachstumssparen: neuere Anlageformen im Privatkundengeschäft der Universalbanken, Berlin 1979, S. 13 ff. 2

Ludwig Huber

570

Milliarden DM. Termingelder (Ende 1983: 321 Milliarden DM) verzwanzigfachten sich sogar. Der Umlauf von Inhaberschuldverschreibungen stieg seit 1961 um das Sechzehnfache. Die Kreditinstitute hatten sich 1961 erst mit 35,6, 1975 bereits mit 240,8 und Ende 1983 mit nicht weniger als 584,7 Milliarden DM am Rentenmarkt refinanziert. Tabelle 3 Kredite an und Einlagen von inländischen Nichtbanken davon: Kredite an inländ. Einlagen und Spareinlagen Termingelder Nichtbankena aufgenommene Sparbriefe Mrd. DM Kredite von inländ. Mrd. DM (Anteile in v.H.) Unternehmen und Privatpersonen Mrd. DM

nachrichtlich: Inhaberschuldverschreibungen Mrd. DM

1961

174,5

102,0

55,4 (54,3)

15,4 (15,1)

35,6

1965

284,2

168,2

102,3 (60,8)

22,8 (13,6)

69,6

1968

371,5

253,8

154,1 (60,7)

1,8 ( 0,7)

43,6 (17,2)

98,0

1970

481,8

331,4

196,0 (59,1)

5,0 ( 1,5)

64,8 (19,6)

118,7

1972

642,0

446,8

254,3 (56,9)

10,5 ( 2,4)

95,5 (21,4)

161,1

1975

841,8

634,3

378,2 (59,6)

30,2 ( 4,8)

122,3 (19,3)

240,8

1976

933,7

696,2

413,4 (59,4)

40,6 ( 5,8)

137,2 (19,7)

272,5

1977

1.017,8

773,1

440,9 (57,0)

54,2 ( 7,0)

160,4 (20,7)

303,5

64,6 ( 7,5) 79,6 ( 8,6)

188,6 (21,9)

344,6

226,2 (24,3)

372,5

1978

1.137,4

860,5

470,7 (54,7)

1979

1.282,5

929,9

482,9 (51,9)

1980

1.409,0

991,4

490,5 (49,5)

97,6 ( 9,8)

254,5 (25,7)

413,6

1981

1.539,0

1.044,2

488,1 (46,7)

111,8 (10,7)

297,3 (18,5)

484,4

1982

1.628,2

1.114,5

523,9 (47,0)

123,9 (11,1)

308,1 (27,6)

530,8

1983

1.729,0

1.182,6

554,7 (46,9)

137,3 (11,6)

320,7 (27,1)

584,7

a

ohne Schatzwechselkredite, Wertpapierbestände, Ausgleichs- und Deckungsforderungen.

Quelle: Deutsche Bundesbank.

1. Spareinlagen am geringsten gewachsen Ein Vergleich der Wachstumsraten — infolge des späten Starts der Sparbriefe wurde 1970 als Basisjahr gewählt — macht deutlich, daß unter den wichtigsten Anlageformen die Spareinlagen am geringsten gewachsen sind (Tabelle 4). Empfindliche Spuren haben insbesondere die inverse Zinsstruktur und das Rekordzinsniveau der Jahre 1979 bis 1981 hinterlassen.

Bankenwachstum — Einflüsse des Spar- und Anlageverhaltens

571

Tàbelle 4

Wachstumsraten einzelner Sparformen (in v.H.) 1975/70

1977/75

1979/77

1981/79

1983/81

Spareinlagen

+ 93,0

+ 16,7

Sparbriefe Termingelder

+504,0

+ 79,5

+ 9,5 + 46,7

+ 1,1 + 40,5

+ 22,8

+ 88,7

+ 31,2

+ 41,0

+ 31,4

+ 7,9

Festverzinsliche Wertpapiere

+ 102,9

+ 26,0

+ 22,7

+ 30,0

+ 20,7

+ 13,6

Quelle: Deutsche Bundesbank.

Bei den Sparbriefen ist die Entwicklung mit dem Blick auf das niedrige Ausgangsniveau, dem Verkaufsbeginn im Jahre 1967, zu sehen. Bei Termingeldern und festverzinslichen Wertpapieren ist seit Anfang der 70er Jahre eine auffällige Kontinuität zu beobachten, wenn auch mit der Normalisierung der Zinsstruktur die Termingelder wieder an Attraktion verloren. 2. Der Sparbrief leistete „Schrittmacherdienste" Diese Bewegungen gehen zum einen auf das Konto wiederholter „Zinseruptionen", die das Zinsbewußtsein der Anleger schärften und zudem kurzoder zumindest kürzerfristige Anlagen favorisierten. Zum anderen sind die veränderten Zuwachsraten der einzelnen Sparformen wohl auch ein Reflex dessen, daß im Aktivgeschäft der Banken der Festzinskredit mehr Bedeutung erlangte. Anders gesagt: Die veränderte Refinanzierungsstruktur findet auch auf der Aktivseite der Bankbilanzen ihre Entsprechung. Maßgebliche „Schrittmacherdienste" leistete dabei insbesondere der Sparbrief. Der Zwang zur Beschaffung längerfristiger Finanzierungsmittel steht auch im Zusammenhang damit, daß die Spareinlagen bei Banken und Sparkassen trotz des steigenden und in der Regel konstanten Bestandes — woraus sich (theoretisch) eine ständige „Verfügbarkeit" ableiten ließe — „formal keinesfalls als langfristig anzusehen"4 sind. Daher die naheliegende Folgerung für die Geschäftspolitik der Banken und Sparkassen, „daß es zur langfristigen Bestandssicherung erforderlich wurde, die Verfügungsmöglichkeiten zu beschränken und/oder zusätzliche Anreize zur Geldanlage zu schaffen" 5. Und das aktivierte die Phantasie. 4

Ebenda, S. 19.

5

Ebenda, S. 20.

572

Ludwig Huber

Betrachtet man den Einfluß des veränderten Spar- und Anlegerverhaltens auf das Wachstum der Bilanzen, dann gab es seit Mitte der 60er Jahre drei richtungsweisende Anstöße: a) Zur Refinanzierung des im Vergleich zum Bruttosozialprodukt überproportional gestiegenen Aktivgeschäfts mußten die Banken und Sparkassen auf den Passivseiten entsprechende Anreize schaffen. b) Mit Aufhebung der Habenzinsverordnung (am 1.4.1967) gewann der lange Zeit durch die Zinsfestsetzung eingeschränkte Wettbewerb um die Einlagen stärkere Bedeutung* Nicht zufällig fällt in diese Phase der Start des Sparbriefes. c) Mit der zunehmenden Geldvermögensbildung der privaten Haushalte — Resultat einer relativ konstanten Sparleistung und wachsender Einkommen — veränderten sich die Sparziele. Das Sicherheitssparen („Rücklage für den Notfall") verlor an Bedeutung, die Vermögensbildung rückte in den Vordergrund. Über den Zusammenhang von Einkommen (bzw. Vermögen) und Sparen gibt es zahlreiche Hypothesen. So geht John Maynard Keynes davon aus, daß bei steigendem Einkommen zwar der Konsum wächst, aber nicht so stark, wie die Einkommen.,,Diese Gründe werden in der Regel dazu führen, daß bei zunehmenden Realeinkommen ein größerer Teil des Einkommens gespart wird 6 ." Die relative Einkommenshypothese des amerikanischen Nationalökonomen Duesenberry besagt dagegen, daß sich das Konsumniveau immer am höchsten vormals erreichten Niveau ausrichtet, „welches die Menschen bestrebt sind, auch bei Einkommensrückgängen zu halten" 7 . Das heißt: Die Sparquote bleibt bei steigendem Einkommen konstant und nimmt bei sinkendem Einkommen ab. Milton Friedmans Hypothese vom „permanent income" wiederum unterstellt, „daß die Menschen recht gute Vorstellungen von ihren zukünftigen Einkommenschancen haben, seien es Einkommen aus Arbeit, seien es Einkommen aus Kapitalanlagen. Der Konsum und das Sparen hängen nicht nur vom erwarteten Einkommen der Planungsperiode ab, sondern zusätzlich vom Gegenwartswert aller zukünftigen Einkommen8.'' 6 John Maynard Keynes , Allgemeine Theorie der Beschäftigung des Zinses und des Geldes, 5. Auflage, Berlin 1974, S. 84. 7 R.-D. Grass/W. Stützel, Volkswirtschaftslehre, München 1983, S. 288. 8 Ebenda.

Bankenwachstum — Einflüsse des Spar- und Anlageverhaltens

573

Friedmans Überlegungen decken sich weitgehend mit Beobachtungen in den zurückliegenden Konjunkturzyklen. So stieg beispielsweise 1975 die Sparquote in der Bundesrepublik auf ein Rekordniveau von 16,2 Prozent, als am Konjunkturhorizont große Schatten aufzogen. Man sprach damals von einer Welle des ,,Angstsparens", vom Vorsorgesparen aus Angst vor Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit und den damit verbundenen Einkommenseinbußen. Den gegenteiligen Schluß läßt der auffallige Rückgang der Sparquote im Jahre 1983 auf 12,7 Prozent — das war das niedrigste Niveau seit 1967, als die Sparquote bei 11,8 Prozent gelegen hatte — zu. Die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte waren 1983 nur um 2,5 Prozent, die Ausgaben für den privaten Verbrauch mit 4 Prozent dagegen deutlich stärker Tabelle 5 Verfügbare Einkommen, privater Verbrauch und Ersparnis der privaten Haushalte (in Mrd. DM) Jahr

Verfügbares Einkommen

Privater Verbrauch

Private Ersparnis

Sparquote in v.H.

nachrichtlich BSPWachstum

Nettogeidvermögen

1961

209,0

188,3

20,7

9,9

+4,8

148,8

1965

295,7

257,6

38,1

12,9

+ 5,4

254,5

1970

432,3

368,9

63,4

14,7

+ 5,0

461,5

1972

533,5

452,1

81,4

15,3

+ 4,1

592,6

1973

580,8

495,4

85,4

14,7

+ 4,6

666,9

1974

632,8

533,7

99,1

15,7

+ 0,5

753,1

698,6

585,5

113,0

16,2

851,1

1976

740,8

633,5

107,3

14,5

-1,6 + 5,6

939,1

1977

784,7

680,9

103,7

13,2

+ 2,8

1.027,2

1978

836,4

725,3

111,0

13,3

+ 3,5

1.117,1

1979

904,9

779,3

125,7

13,9

+ 4,0

1.217,4

1975

1980

971,9

834,0

137,9

14,2

+ 1,8

1.324,0

1981

1.026,3

873,2

153,1

14,9

-0,9

1.445,2

1982

1.048,4

899,4

148,9

14,2

1983

1.071,1

935,1

136,0

12,7

-1,1 + 1,3

1.665,9

1.564,0

Quellen: Deutsche Bundesbank, Ergebnisse der Finanzierungs- und Geldvermögensrechnung; Statistisches Bundesamt.

574

Ludwig Huber

gestiegen9. Das heißt: Die positiven konjunkturellen Erwartungen stimulieren die Konsumbereitschaft. Im Falle des Jahres 1983 ist allerdings noch etwas anderes zu berücksichtigen: Die Diskrepanz zwischen der Zunahme der verfügbaren Einkommen und des privaten Verbrauchs ist auch im Zusammenhang mit den stark gewachsenen Geldvermögen der privaten Haushalte zu sehen. Mit gut 1,8 Billionen DM — das Nettogeidvermögen, d.h. abzüglich der aufgenommenen Bankkredite und sonstiger Verpflichtungen, beläuft sich auf 1,67 Billionen DM — verfügen die privaten Haushalte heute über eine ansehnliche Zinsquelle. So beliefen sich allein die Zinsgutschriften auf Spareinlagen 1983 auf 21,2 Milliarden DM; im Jahre 1981, als der Spareinlagenbestand um gut 60 Milliarden DM niedriger lag, die Zinsen aber höher waren, brachten die Sparguthaben sogar 26 ιΛ Milliarden DM. Die Zinseinnahmen aus festverzinslichen Wertpapieren erreichten 1983 ebenfalls gut 20 Milliarden DM. Insgesamt dürften die Zinseinnahmen der privaten Haushalte aus Spareinlagen, Termingeldern und festverzinsliche Wertpapiere 1983 rund 70 Milliarden DM ausgemacht haben. Da rund drei Fünftel des Geldvermögens der privaten Haushalte bei Banken und Sparkassen — einschließlich der Bausparkassen erhöht sich der Anteil sogar auf gut zwei Drittel — direkt über Konten bzw. „indirekt" durch Bankschuldverschreibungen angelegt sind, schlagen die Anlageentscheidungen der Sparer unmittelbar auf die Bilanzen der Kreditinstitute durch. Bei Mülhaupt heißt es dazu: „Die privaten Haushalte sind für die Mittelbeschaffung der Kreditinstitute aufgrund ihrer relativ stetigen und zunehmenden Spartätigkeit und ihrer unverändert starken Präferenz für das Kontensparen immer wichtiger geworden" 10, wobei der Autor diesen für die Geschäftspolitik der Banken und Sparkassen vorteilhaften Tatbestand insofern mit dem Hinweis relativiert, daß die Kreditinstitute „zur Sicherung langfristiger Firianzierungsquellen verstärkt die Interessen der privaten Sparer beachten"11 müssen. Das aber heißt nichts anderes, als dem erhöhten Zinsbewußtsein angemessenen Tribut zu zollen. Das wichtigste Instrument der Kreditinstitute, auf Umfang und Struktur der Refinanzierung Einfluß zu nehmen, ist denn auch der Zins. „Für den Einsatz dieses Aktionsparameters ist es daher wichtig, die Determinanten der Zinselastizität des Angebots und der Nachfrage zu kennen. Die Bestim9

Vgl. Wirtschaft und Statistik, März 1984, S. 223 ff. Mülhaupt, a.a.O., S. 46. 11 Ebenda, S. 47. 10

Bankenwachstum — Einflüsse des Spar- und Anlageverhaltens

575

mungsfaktoren der Zinselastizität sind einmal die Markttransparenz und die Möglichkeit, die Einlagearten zu substituieren. Außerdem kann der Bankkunde anstelle von Einlagen eine andere Form der Geldanlage wählen, während die Kreditinstitute die Möglichkeit haben, Einlagen durch andere Finanzierungsmittel zu substituieren. Für die Zinselastizität der Geldgeber und der Bank ist schließlich auch die Höhe des Zinsertrages und des Zinsaufwandes entscheidend, die diese im Budget des Haushalts bzw. in der Erfolgsrechnung des Kreditinstitutes ausmachen12." Da eine Substitution — und zwar in erster Linie der Ersparnisse der privaten Haushalte — durch eine Mittelbeschaffung bei anderen Kreditinstituten bzw. durch die Zentralbankgeldschöpfung (längerfristig) nicht möglich sein dürfte, ist die Korrelation Bankenwachstum/Anlageverhalten für den Fall, daß es sich bei den Anlagemöglichkeiten um gleiche „Produkte" handelt, relativ eindeutig. Geht man davon aus, daß die um die Anlagemittel der Sparer konkurrierenden Kreditinstitute unter gleichen Voraussetzungen operieren — bei gleichen Anlageformen bestehen in aller Regel keine Zinsunterschiede — (re)finanziert sich ein verstärktes Wachstum der Banken generell aus einer erhöhten Geldkapitalbildung. Und das war denn auch in den letzten Jahrzehnten der Fall. 3. Zinselastizität

bestimmt „Absatzpolitik"

Da jedoch die Zinselastizität der Sparer in bestimmten Bereichen — so beispielsweise beim Kontosparen — relativ gering anzusetzen ist, kommt ,,anderen absatzpolitischen Instrumenten eine größere Bedeutung zu als der Preispolitik" 13 selbst. Das relativ zinsunelastische Sparbuch-Sparen ist ein Beweis dafür. Änderungen des sogenannten Spareckzinses, also des Zinssatzes für praktisch jederzeit verfügbare Sparguthaben, haben in der Regel keinen allzu großen Einfluß auf das Sparverhalten. Diese Hypothese, die durch die Tabelle 6 indirekt bestätigt wird, hat aufgrund der Bedeutung der Spareinlagen in der Geldvermögensbildung weitreichende Konsequenz: So ist eine Wachstumsphase im Kreditgeschäft — dies gilt insbesondere für Institute, die sich in der Refinanzierung primär auf Kundeneinlagen, also Spar-, Sicht- und Termingelder, stützen — offensichtlich nur dann zu betriebswirtschaftlich akzeptablen (Refinanzierungs-) Kosten zu bewerkstelligen, wenn die neuen Produkte ankommen. Sei es, daß 12 13

Ebenda, S. 51 f. Ebenda.

Ludwig Huber

576

Tabelle 6

Spareinlagen von Privatpersonen je Kopf der Bevölkerung und je Sparkassenbuch 1970-1983 Spareinlagen in DM je Sparkassenbuch Einwohner 1970

1 830

2 176

1971

2 029

2 332

1972

2 255

2 535

1973

2 362

2 606

1974

2 631

2 830

1975

3 127

3 249

1976

3 400

3 380

1977

3 603

3 553

1978

3 822

3 712

1979

3 935

3 750

1980

3 993

3 762

1981

4 012

3 731

1982

4 351

1983 p

3 914 p

4 594

4 103

vorläufiges Ergebnis.

Quelle: DSGV-Jahresbericht 1983.

die Sparneigung der eigenen Kunden steigt und/oder Kunden von anderen Instituten bzw. Institutsgruppen gewonnen werden. So kann das Kontensparen beispielsweise durch Anlageberatung und Übernahme der Vermögensverwaltung „stärker in den Zusammenhang mit anderen Sparformen gestellt (werden), indem die Banken Spar- und Vermögensbildungspläne entwickeln, die von einem bestimmten Sparguthaben an den Übergang auf andere Sparformen, wie z.B. das Wertpapier- oder Investmentsparen vorsehen" 14. In den späten 60er und frühen 70er Jahren kam den Kreditinstituten bei ihrem Bestreben, zur Refinanzierung des wachsenden Kreditgeschäfts neue Anlageformen zu kreieren, der Umstand zugute, daß nicht allein die „reichen" Haushalte „laufend ihre Sparquote erhöhten ... und immer mehr ihr Vermögen aufstockten, sondern daß immer mehr Haushalte mit dem allge14

Ebenda, S. 81.

Bankenwachstum — Einflüsse des Spar- und Anlageverhaltens

577

mein steigenden Lebensstandard sparfähig wurden, und daß sich dieser wachsenden Sparfähigkeit ebenso eine zunehmende Sparwilligkeit hinzugesellte" 15 (vgl. Tabelle 7). Tabelle 7

Spareckzins und Wachstum der Spareinlagen (Stand jeweils Jahresende; in Mrd. DM bzw. Prozent) 1967

1968

1969

1970

1971

1972

1973

1974

1975

3,5

3,5

4,0

5,0

4,5

4,0

5,5

5,5

4,0

Spareinlagen 144,7

166,1

186,0 205,4 232,5

264,0

282,7

312,8

378,2

1976

1977

1978

1981

1982

1983

Spareckzins

1979

1980

3,5

3,0

2,5

4,0

4,5

5,0

4,0

3,0

Spareinlagen 413,4

440,9

470,7

482,9

490,5

488,1

523,9

554,7

Spareckzins

Quelle: Deutsche Bundesbank.

Das zunehmende Aktivgeschäft — und die damit verbundenen Refinanzierungszwänge — werteten den Sparer auf. Parallel dazu gewannen Erkenntnisse über die Faktoren, die das Sparverhalten und den Sparprozeß bestimmen, an Bedeutung. Das Steuern der Passivseite wurde zu einer vordringlichen geschäftspolitischen Aufgabe. 4. Vom „Liquiditätszum Vermögenssparer So ergaben Untersuchungen, daß bei einem großen Teil der Kunden „relativ festgefügte Vorstellungen in bezug auf die Reihenfolge der Nutzung von Geldanlageformen bestehen, die im wesentlichen mit den tatsächlichen Dispositionen übereinstimmen. Dabei wurde ein deutlicher Unterschied zwischen Grundanlageformen (z.B. normales Kontensparen, Prämien- bzw. Bonussparen, Bausparen, Lebensversicherung) und weiterführenden Formen (Sparkassenbriefe, festverzinsliche Wertpapiere, Aktien, Invest15 Helmut Schlesinger, Vermögensbildung und Vermögens Verteilung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Vermögensbildung, Vermögensverteilung und Kapitalmarkt, Schriftenreihe des Instituts für Kapitalmarktforschung, Frankfurt, 1974, S. 25.

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Ludwig Huber

mentfonds-Anteile) gemacht. Die Kunden sind in aller Regel erst dann bereit, in jeweils weiterführenden Geldanlageformen überzuwechseln, wenn sie meinen, in den Grundformen ausreichend gespart zu haben 16 ." Man könnte es auch so sagen: Mit zunehmenden Vermögen wird aus dem ,,Liquiditätssparer" ein ,,Vermögenssparer" 17. Eine Feststellung, die sich mit der Beobachtung deckt, daß sich mit wachsendem Geldvermögen die Sparziele ändern. Dem ,,Sinneswandel" des Sparers wird allerdings durch die Verzinsung nachgeholfen. So liegt die Verzinsung von Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist — das sind derzeit immerhin gut 350 Milliarden DM — in aller Regel deutlich unter den Zinssätzen anderer Sparformen. Die Kreditinstitute — allen voran die Sparkassen — haben jedoch in den letzten Jahren in verstärktem Maße Sondersparformen kreiert, um den Interessen zinsbewußter Sparer zu entsprechen. Der große Zuspruch, den diese Sondersparformen mit den unterschiedlichsten Etiketten finden, läßt erwarten, daß die auf diese Weise hereingenommenen Mittel in den nächsten Jahren überproportional an Gewicht gewinnen. Die Spareinlage mit gesetzlicher Kündigungsfrist wird damit zwangsläufig auch vom Zins her immer mehr in die Rolle eines privaten Dispositionskontos gedrängt. Ein interessanter Prozeß, der Aufmerksamkeit verdient 18. So verwundert es nicht, daß der Anteil der Spareinlagen an der gesamten Fremdfinanzierung — so eine Untersuchung19 über den Strukturwandel auf der Passivseite der Kreditinstitute (Vergleichszahlen 1980/70) — bei allen Institutsgruppen rückläufig ist. Hohe Zuwachsraten weisen dagegen Sparbriefe und Inhaberschuldverschreibungen auf. Auch das ist eine Folge des erhöhten Zinsbewußtseins. Fazit der Untersuchung: ,,Der Strukturwandel im Passivgeschäft bewirkte ... eine Verlagerung auf teurere Fremdfinanzierungsarten. Der ... Rentabilitätsdruck auf die Kreditinstitute ist hauptsächlich auf diese Veränderung in der Mittelbeschaffung zurückzuführen ... Vor allem der Rückgang der Spargelder, als billigstes Fremdfinanzierungsmittel, zugunsten von Sparbriefen und Schuldverschreibungen dürfte in den nächsten Jahren noch zu erheblichen Problemen führen" 20 . 16

H. Frick, Verändertes Anlageverhalten als Herausforderung, BZ v. 11.7.81. Vgl. A. Weber, Das langfristige Kreditgeschäft und seine Refinanzierung aus der Sicht einer Sparkasse, in: ,,Der langfristige Kredit", Heft 5/1983, S. 140. 18 Vgl. Ebenda. 19 Vgl. O. Dierolf, Strukturwandel des Passivgeschäfts belastet Rentabilität, in ,,Der langfristige Kredit", Heft 12/1981, S. 379 ff. 20 Ebenda, S. 381. 17

Bankenwachstum — Einflüsse des Spar- und Anlageverhaltens

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Soweit diese Studie der Langzeitveränderungen in der Passivstruktur, deren Aussagen im Kern noch heute gültig sind. Sie haben ebenso wenig an Aktualität verloren wie die Vorschläge des Autors zur Optimierung des Fremdfinanzierungsbedarfs. So wurde unter anderem vorgeschlagen, zur Erhaltung des Spareinlagenbestandes die Konditionen verstärkt zu differenzieren, beispielsweise ,,indem eine individuelle Verzinsung besonders zinsempfindlicher Spareinlagen (z.B. von 10.000 DM aufwärts) erfolgt, um zu große Zinsdifferenzen und damit Abflüsse auf Termingeldkonten zu verhindern" 21 . Die ,,Masse" der Spareinlagen bliebe davon unberührt (vgl. Tabelle 8). Bei den Sondersparformen sind der Phantasie des Anbieters kaum Grenzen gesetzt — wenn man einmal von den Rentabilitätszwängen absieht. Tabelle 8 Größenklassengliederung der Sparkassenbücher und Spareinlagen 1983 Sparkassenbücher 1000 Stück v.H.

DM bis unter

300

26 504,2

38,3

Spareinlagen® Mio. DM v.H. 1 861,2

0,6 2,1 7,6

300 bis unter

1 000

10 012,3

14,5

6 050,2

1 000 bis unter

3 000

12 256,8

17,7

22 129,4

3 000 bis unter

5 000

6 431,6

9,3

25 021,1

8,6

5 000 bis unter 10 000

6 220,6

9,0

42 456,4

14,6

10 000 bis unter 30 000

6 067,6

8,8

97 950,2

33,6

30 000 bis unter 50 000

1 008,4

37 831,8

13,0

50 000 bis unter 100 000

492,5

1,5 0,7

32 306,4

124,0

0,2

25 999,8

11,1 8,9

69 118,1

100,0

291 606,5

100,0

100 000 und mehr insgesamt

a einschließlich eines nicht ausgegliederten Teils der Spar-Prämiengutschriften, ohne nicht fällige Bonusverbindlichkeiten. Quelle: DSGV-Jahresbericht 1983.

5. Auffächerung

des Angebots

Die Kreation neuer Sparformen, insbesondere aber der große Verkaufserfolg mit Sparbriefen, gab jedenfalls dem Wachstum der Bankbilanzen maßgebliche Impulse. Der Trend zur höher rentierlichen Anlage trug zudem entscheidend zur Popularisierung des festverzinslichen Wertpapiers bei, wenn 21

Ebenda.

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Ludwig Huber

auch während der inversen Zinsphase nicht die längerfristigen Papiere sondern eindeutig die Kurzläufer das Rennen machten und damit bis dahin gewohnte Laufzeitvorstellungen gleichsam auf den Kopf gestellt wurden. Eine Entwicklung, deren „Folgeschäden" lange nachwirkten. Ungeachtet dessen bleibt jedoch festzuhalten, daß die Auffächerung des Angebots an Sparformen auch durch die bereits erwähnte Bevorzugung von Festdarlehen im Kreditgeschäft begünstigt wurde. Ohne diese feste Refinanzierungsgrundlage wäre vom Volumen her — Ende 1983 hatten Banken und Sparkassen 1,38 Billionen DM an Unternehmen und Privatpersonen ausgeliehen, davon nicht weniger als zwei Drittel langfristig — zumindest der große Block der langfristigen Ausleihungen wohl kaum darstellbar. Das Verhältnis Anleger — Kreditinstitute auf die Formel zu reduzieren: ,,Die Vorteile für das Portemonnaie der Sparer schlagen sich nachteilig in der Gewinn- und Verlustrechnung von Banken und Sparkassen nieder" 22 , wie dies in einem Wirtschaftsmagazin zu lesen war, ist jedenfalls eine Vereinfachung, die der Realität nicht voll gerecht wird. Bewertet man die Struktur der Passivseiten nach Extremwerten bei den Renditen — beispielsweise auf der einen Seite niedrigverzinsliche Spareinlagen, auf der anderen Seite höher rentierende festverzinsliche Wertpapiere —, dann führt das zwangsläufig zu Mißverständnissen. Das nicht zuletzt auch deshalb, weil eine exakte Kosten-/Erlösrechnung der Dienstleistungsgeschäfte sowie der Aktiv- und Passivgeschäfte nicht möglich ist. Zahlreiche Bankdienstleistungen sind nicht kostendeckend, da sich ,,der Wettbewerb zwischen den Bankengruppen vor allem im Angebot von Dienstleistungen"23 auswirkt, der Vorsprung im Dienstleistungsangebot aufgrund der Konkurrenzlage meist nur von kurzer Dauer ist und von daher die Kostenbelastung durch den Zwang wächst, neue Dienstleistungen anzubieten, um Marktanteile zu gewinnen, bzw. bei den Dienstleistungen nachzuziehen, um am Markt zu bleiben. Für den Anleger ist dies allemal eine ideale Konstellation. Denn ihm bietet sich nicht nur die Vielfalt eines leistungsfähigen Kreditgewerbes. Was das Angebot an Spar- und Anlageformen betrifft, hat er die Qual der Wahl. Das wiederum ist für jedes Kreditinstitut, zuweilen auch ein Balanceakt zwischen den Erfordernissen auf der Passivseite und den Möglichkeiten auf der Aktivseite. Wenn auch der. Markt — wie es scheint — weitgehend verteilt ist, so wächst doch das Marktpotential. Denn bei der privaten Ersparnis ist die weitere Steigerung gleichsam vorprogrammiert. Und das nicht zuletzt schon des22 23

Vgl. Wirtschaftswoche Nr. 43/1982, S. 36. Mülhaupt , a.a.O., S. 347.

Bankenwachstum — Einflüsse des Spar- und Anlageverhaltens

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halb, weil die Ersparnis — als Restgröße aus persönlichem Einkommen und privatem Verbrauch — immer mehr auch aus dem Geldvermögen alimentiert wird. Die Kreditinstitute müssen daher dem Anlageverhalten der Sparer stets auf der Spur bleiben, wenn sie selbst ihren Kurs halten wollen. Das erfordert in Zukunft möglicherweise noch mehr Phantasie als bisher. Denn Tempo und Marschrichtung des Wachstums der Kreditinstitute werden nun einmal von den Passivseiten der Bilanzen bestimmt.

Sparen an den Banken vorbei? Von Hans E. Büschgen, Köln

I. Grundlagen der Problematik

Die für die nachfolgend zu erörternde Fragestellung gewählte Formulierung Jäßt bereits darauf schließen, daß es sich bei ihr nicht um eine bestätigte These, sondern wohl eher um eine bisher als unsicher einzustufende Vermutung handelt. Zu ihrer näheren Analyse wird es im folgenden zunächst darum gehen, welche Möglichkeiten des ,,Sparens an den Banken vorbei" im allgemeinen überhaupt denkbar sind und in welchen speziellen Teilbereichen dieses zu untersuchende Phänomen am deutlichsten virulent wird. Die sich daran anschließende Betrachtung möglicher Reaktionen der Banken schließt neben einer Reihe bereits getroffener geschäftspolitischer Entscheidungen auch eine Analyse zukünftig als möglich erachteter Handlungsalternativen unter Zugrundelegung einer prognostizierten Entwicklung der Geldvermögensanlage bei Banken ein. Dem Terminus „Banken" oder „Kreditinstitute" wird in den folgenden Darstellungen die Definition des Kreditwesengesetzes (KWG) zugrunde gelegt und die Analyse dementsprechend schwerpunktmäßig auf die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland abgestellt. Die naturgemäß unterschiedliche Ausprägung von Tatbeständen, die die hier zu erörternde Thematik betreffen, in Ländern mit anders gefaßter Definition des Bankbegriffes soll nur an wenigen Stellen exemplarisch aufgezeigt werden. Bedeutend erscheint hierbei jedoch die jeweils gewählte Abgrenzung der Unternehmen, die der Gesetzgeber als „Banken" qualifiziert, da die Wahrscheinlichkeit des „an den Banken vorbei" tendenziell um so größer ist, je enger der Bankbegriff definiert wird. Betrachtet man z.B. die enge Fassung des Begriffs „Bank" in den USA, so wird eine Reihe von Sachverhalten als „an den Banken vorbei" eingeordnet werden müssen, die bei der weiten Fassung des Terminus „Kreditinstitut" in § 1 KWG als für die Bankwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland branchenintern aufzufassen sind.

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Hans E. Büschgen

Der Katalog der in § 1 KWG aufgeführten Bankgeschäfte, deren Betreiben eine Geschäftsbetriebserlaubnis erfordert, gilt somit bereits als derart weit gefaßt, daß der Sachverhalt des ,,an den Banken vorbei", insbesondere, wenn er sich wie in diesem Zusammenhang weitgehend auf das Anbieten von Geld- und Kapitalanlagefazilitäten beschränkt, nur in Teilbereichen auftritt. Außerdem eröffnet der Gesetzgeber den relevanten aufsichtsführenden Institutionen die Möglichkeit, weitere Geschäfte als Bankgeschäfte im Sinne des Kreditwesengesetzes mit den daraus folgenden Implikationen zu qualifizieren, unter anderem, wenn dies unter dem mit dem Gesetz verfolgten Aufsichtszweck gerechtfertigt erscheint, so daß auch neueren Entwicklungen entsprechend flexibel Rechnung getragen werden kann.

I I . Aktuelle Entwicklungen und Relevanz

Die Aktualität der hier behandelten Problemstellung basiert vornehmlich auf der Tatsache, daß sich in der Struktur der Geldvermögensbildung der privaten Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland offensichtlich ein tendenzieller Wandel vollzogen hat. Ohne an dieser Stelle bereits Zahlen nennen zu wollen, ergibt sich gegenüber den sechziger und siebziger Jahren ein erhebliches Absinken der Geldanlage bei Banken, ein hoher Anteil der Geldanlage in festverzinslichen Wertpapieren sowie eine deutliche Zunahme des Anteils der Sparte Versicherungssparen. Dies hat neben der Einführung neuer Kapitalanlagefazilitäten von Banken — exemplarisch sei hier auf die Emission von Sparbriefen verwiesen — zu einer Modifizierung traditioneller Sparformen, die konditionenmäßig der Zinsentwicklung am Kapitalmarkt angepaßt wurden, geführt. In jüngster Zeit ist durch den von der Deutschen Bank AG initiierten und angebotenen Sparplan mit Versicherungsschutz —• den andere Banken inzwischen ebenfalls offerieren — bis hin zur Gründung eines Versicherungsunternehmens als Tochtergesellschaft einer deutschen Teilzahlungsbank eine Aufweichung vormals als „klassisch" anzusehender Abgrenzungen der Leistungssprogramme von Versicherungsunternehmen und Banken zu konstatieren. Eine derartige Entwicklung muß als direkte Reaktion der Banken gewertet werden — und wird von ihnen selbst auch dementsprechend begründet —, daß Bankkunden ihre Ersparnisse in zunehmendem Maße in alternative Anlageformen leiten, die in direktem Wettbewerb mit den von Kreditinstituten offerierten Fazilitäten stehen.

Sparen an den Banken vorbei?

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Betrachtet man allgemein die möglichen Finanzierungsquellen der Vermögensbildung, so muß neben der Geldaufnahme an den Finanzierungsmittelmärkten für die hier zu behandelnde Thematik insbesondere die Ersparnis berücksichtigt werden. Unter gesamtwirtschaftlichen Aspekten werden als Ersparnis der einzelnen Wirtschaftssektoren bei Unternehmen im wesentlichen die thesaurierten Gewinne, beim Staat der Überschuß der Etateinnahmen über die laufenden Budgetausgaben und bei den privaten Haushalten der Teil des verfügbaren Einkommens, der nicht konsumiert wird, bezeichnet. Eine weitere themenspezifische Abgrenzung soll derart erfolgen, daß sich die weiteren Ausführungen lediglich auf die Ersparnisse der privaten Haushalte beziehen. Dies scheint insofern gerechtfertigt, als dieser Gruppe im Rahmen der verschiedenen Klassen von Sparsubjekten bereits jetzt eine dominierende Bedeutung zukommt, die sich zudem noch tendenziell steigern dürfte. Mit ca. 85 v.H. erbringt diese Gruppe gegenwärtig den ganz überwiegenden Teil der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis. Charakteristisch für das Bankensystem der Bundesrepublik Deutschland ist die Existenz dominierender Universalbanken, die ihre Leistungen zusammen mit einer Vielfalt spezialisierter Banken sowie sogenannten banknahen Institutionen des finanziellen Sektors der Volkswirtschaft erbringen. Die Leistungsprogrammpolitik der Universalbanken sowie ihre Verflechtung und Kooperation mit den spezialisierten Instituten bietet demnach nicht nur die Möglichkeit, Leistungs,,bündel" verschiedener kombinierter Leistungsarten anzubieten, sondern auch die Chance, bei einer Änderung wesentlicher Umweltbedingungen diesen durch geschäftspolitisches, insbesondere marktpolitisches Handeln zu begegnen. Dies zeigt sich, wie bereits skizziert, durch die Leistungsartenvariation, -modifikation oder -innovation, die im Bereich der Geld- und Kapitalanlagefazilitäten von Banken in jüngster Zeit zu beobachten sind. Insofern erscheinen aufgrund der bisher nachgewiesenen Leistungsfähigkeit und Flexibilität des deutschen Universalbankensystems nennenswerte Entwicklungen im finanziellen Bereich ,,an den Banken vorbei" auf den ersten Blick eigentlich als wenig vorstellbar. I I I . Tatsächliche Möglichkeiten und Beurteilung des „Sparens an den Banken vorbei"

,,Αη den Banken vorbei" kann generell nur so verstanden werden, daß entweder sogenannte Nichtbanken traditionelle Marktleistungen der Banken

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Hans E. Büschgen

in kommerzieller Weise erbringen oder daß Geld- und Kapitalströme an den Bankbilanzen vorbei unmittelbar z.B. vom Sparer zum Investor fließen. Bezogen auf die hier zu erörternde Fragestellung muß demnach untersucht werden, ob neben den Banken andere Unternehmen als Anbieter von Geldund Kapitalanlagefazilitäten auftreten und inwiefern sowie letztlich in welchem Ausmaß zur Geldanlage bei Banken in Betracht kommende Ersparnisse privater Haushalte direkt zu den Nachfragern von Finanzmitteln ohne Tangierung der Bankbilanzen gelangen. Betrachtet man die Gruppe von Unternehmen, die neben den Banken als Anbieter von Anlagefazilitäten am Markt auftritt, so könnte dies zunächst die Versicherungswirtschaft sein. Bei den als „klassischen" Finanzintermediären neben den Kreditinstituten fungierenden Versicherungsunternehmen sind zunächst die Sparanteile bei Lebens- und Rentenversicherungen als Substitute von Bankeinlagen zu interpretieren. Zudem ist letztlich die Zahlung der Versicherungsprämie als Ersatz einer alternativ zur Risikovorsorge zu bildenden individuellen Rücklage zu qualifizieren. Mithin stehen die Passiva der Versicherungsunternehmen partiell in Konkurrenz zu denen der Banken. Obwohl die Entwicklung der Geldvermögensanlage privater Haushalte im Rahmen der verschiedenen Anlagemöglichkeiten bei Versicherungen erheblich zugenommen hat, ergibt sich eine gewisse Abschwächung der daraus resultierenden bankgeschäftlichen Implikationen aufgrund der Tatsache, daß die Versicherungsunternehmen ihrerseits einen Großteil der Anlagen bei Banken unterhalten. Allerdings resultiert aus der Durchleitung dieser Gelder durch die Versicherungen, daß diese Anlagen professionell gemanagt und' durch spezielle Anlagevorschriften sowie besondere Anlagepräferenzen der Versicherungen geprägt werden. Das Beispiel der mit Banken konkurrierenden Anbieter von Anlagefazilitäten bedarf ferner einer weiteren Relativierung, da sich die hier vorzunehmende Analyse primär auf jüngere Entwicklungen des „Sparens an den Banken vorbei" bezieht und die Versicherungsunternehmen schon traditionell neben den Banken in diesem Teilbereich tätig werden. Außerdem sind Versicherungen ohnehin nach dem Verständnis des Kreditwesengesetzes als Kreditinstitute zu qualifizieren. Legt man nämlich die Begriffsdefinition in § 1 KWG zugrunde, so betreiben Versicherungen eine Reihe der dort enumerierten Bankgeschäfte. Sie werden lediglich in § 2 des Gesetzes — historisch begründet mit Rücksicht auf eine spezielle Versicherungsaufsicht — vom Kreis der dem KWG unterliegenden Institute ausgenommen, von einigen auch für sie geltenden Regelungen abgesehen.

Sparen an den Banken vorbei?

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Infolgedessen bedarf die Klassifizierung ,,an den Banken vorbei", bezogen auf rechtliche Tatbestände sowie ökonomische Sachverhalte und deren Entwicklungslinien, zumindest einer nuancierten Betrachtung, die im weiteren Verlauf dieser Analyse noch aufgegriffen werden soll. Als zweite Gruppe von Unternehmen, die traditionelle Bankleistungen in kommerzieller Weise erbringen, bedürfen auch die Postsparkassen einer kurzen Erwähnung. Ohne auf exakte Größenordnungen der Geldanlage von privaten Haushalten bei diesen Instituten im einzelnen eingehen zu wollen, bleibt zu konstatieren, daß diese nach dem Verständnis des Kreditwesengesetzes Bankgeschäfte betreiben und somit als Kreditinstitute zu qualifizieren sind. Aber auch hier gilt — und zeigt sich in gewissem Sinne eine Parallele zu den Versicherungsunternehmen —, daß die Postsparkassen nicht als Kreditinstitute im Sinne des Kreditwesengesetzes gelten. Eine Ausnahme bilden hier lediglich die auch für die Postsparkassen geltenden Vorschriften über den Sparverkehr, die Zins- und Provisionsgestaltung und bestimmte allgemeine Regelungen, die den Bank- und Börsenverkehr betreffen. Relativierend muß ferner berücksichtigt werden, daß der Wettbewerb auf dem Bankensektor bezüglich der Postbankdienste aber auch dadurch charakterisiert ist, daß diese die Universalbanken zum Teil im kostenintensiven Mengengeschäft entlasten und insofern auch eine gewisse Art von „Zubringerfunktion" leisten, als sie ihre Einlagen den Universalbanken zumindest teilweise zur Verfügung stellen. Einen weiteren Problembereich kann in diesem Zusammenhang — und hier sei auf die Entwicklung in den USA verwiesen — das aggressive Eindringen branchenfremder Unternehmen — z.B. von großen Warenhäusern — in den Bankenmarkt bilden. Der Warenhauskonzern Sears, der inzwischen zum größten Anbieter von Konsumentenkrediten in den USA anvanciert ist, setzt zur Refinanzierung seiner Aktivitäten in großem Umfang „commercial papers" selbständig bei institutionellen Anlegern des Nichtbankenbereichs ab und konkurriert insbesondere auch durch selbstaufgelegte Geldmarktfonds mit der Bankwirtschaft um das Anlagepotential der privaten Sparer. Sollten diese und andere Finanzleistungsarten bei vielen Unternehmen ursprünglich nur als Absatzinstrument für das eigentliche „Nichtbank-Sortiment" dienen, haben sie sich tatsächlich schnell zu einer eigenständigen, rentabilitätsmäßig positiven Geschäftssparte entwickelt. Die Aktivitäten der US-amerikanischen Nichtbanken in traditionellen Geschäftsbereichen der Banken liegen aber letztlich darin begründet, daß — anders als in der Bundesrepublik Deutschland — den amerikanischen Banken nur das Einlagengeschäft als bankinstitutsbegründende Tätigkeit gesetzlich vorbehalten ist. Letztendlich erfanden Nichtbankunternehmen aber auch in

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Hans E. Büschgen

dieser Sparte Instrumente, die sie zur Offerierung des Einlagengeschäftes befähigten. Im Rahmen der ,,deregulation' '-Debatte in den USA wird aber offensichtlich darüber nachgedacht, inwiefern ein zu massives Eindringen von Nichtbankunternehmen in traditionelle Bankmarktleistungsbereiche auch unter Aufsichtsgesichtspunkten verhindert werden kann. Da in der Bundesrepublik Deutschland Handelsunternehmen keine Bankgeschäfte betreiben dürfen — das Offerieren von Finanzierungsfazilitäten wird entweder durch bestimmte Abteilungen oder rechtlich selbständige Tochtergesellschaften betrieben —, ist somit eine den USA vergleichbare Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland kaum nachzuvollziehen. Als Zwischenfazit läßt sich an dieser Stelle also bereits festhalten, daß diejenigen Unternehmen, die traditionelle Marktleistungen der Banken in kommerzieller Weise erbringen, ohnehin schon seit langem als „klassische" Finanzintermediäre neben den „echten" Banken fungieren. Als zweiter potentieller Weg „an den Banken vorbei" war anfangs die Möglichkeit unmittelbarer Geld- und Kapitalflüsse von den Anlegern zu den Nachfragern von Finanzmitteln genannt worden. Als „klassisches" Beispiel hierbei — insbesondere in bezug auf die Thematik des „Sparens an den Banken vorbei" — kann die Effektenfinanzierung der Unternehmen angesehen werden. Hierbei erfolgt der Kapitaltransfer — unter technischer Einschaltung von Banken — direkt von den Sparern zu den Investoren. Geht man bei diesen Vorgängen davon aus, daß die Wertpapierkäufe der privaten Haushalte zu Lasten von Einlagenkonten bei Banken vorgenommen werden und die den Unternehmen bereitgestellten Finanzmittel zur Ablösung von Bankkrediten dienen, so bewirken derartige Transaktionen ceteris paribus eine Schrumpfung der Bankbilanzen. Wenngleich somit bei diesen Kapitaltransfers die Finanzintermediärfunktion der Banken entfällt, so sind diese bedingt durch das in der Bundesrepublik Deutschland vorherrschende Universalbankensystem, doch durch die verschiedenen Leistungsarten des Effektengeschäfts an derartigen Finanzierungsprozessen in allen Phasen beteiligt: für den eigentlichen Finanzierungsvorgang durch das Emissionsgeschäft und damit verknüpft als Folgeleistung für die Kapitalanleger durch das Effektenkommissions- und das Depotgeschäft. Läßt man das Eigengeschäft und die vorübergehende Finanzierungsfunktion zwischen Übernahme und Plazierung der Effekten im Rahmen des Emissionsgeschäftes außer Betracht, so erbringen die Banken jedoch lediglich Informations- und technische Abwicklungsleistungen. Ausgehend von der Betrachtung des Kapitalflusses kann dieser Weg des Finanzmittelflusses also durchaus als ein Weg „an den Banken vorbei" eingeordnet werden.

Sparen an den Banken vorbei?

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Aber auch dieser Tatbestand läßt sich nicht auf jüngere Entwicklungen zurückführen, sondern stellt im Grunde genommen eine seit langem bewährte und von den Banken praktizierte Kombination aus Einlagen-, Kreditund Wertpapiergeschäft dar. Anzumerken bleibt ferner, daß dieser Weg des ,,Sparens an den Banken vorbei" in der Regel zu gering genutzt wird, wie die relativ niedrigen — trotz einer Reihe in der jüngsten Zeit erfolgter Börseneinführungen — Emissionsvolumina bei Aktien und Industrieobligationen ersichtlich machen. Selbst neue Finanzierungsmodalitäten exemplarisch soll hier die Kapitalzuführung durch „venture capital" erwähnt werden — erfolgen zum Teil unter Einschaltung von Banken; zum Teil legen Banken sogar eigene „venture capital"- Fonds auf. Die sich daran anschließende geplante Börseneinführung erfolgt —• wie dies bereits auch ohne diese besondere Spielart der „venture capital"-Finanzierung üblich ist — in der Regel unter Einschaltung zumindest einer Bank, oft eines Bankenkonsortiums, das auch die spätere Plazierung der Anteile übernimmt. Demgegenüber tritt die öffentliche Hand zunehmend selbst als Emittent am Wertpapiermarkt auf. Im Rahmen des Tenderverfahrens hat sie zudem ein Instrument geschaffen, um Leistungen des Emissionsgeschäftes in eigener Regie durchführen zu können. Ein derartiges Verfahren ist demnach durchaus geeignet, Bankleistungen auch im Emissions- und Depotgeschäft zu substituieren und führt letztlich dazu, daß Ersparnisse privater Haushalte sowohl an den Bankbilanzen vorbei fließen als auch übliche Bankdienstleistungsgeschäfte, wie sie bei der Emission von Aktien und Industrieobligationen regelmäßig anfallen und dementsprechend durchgeführt werden, überflüssig werden. Relevanter für die hier zu untersuchende Fragestellung erscheinen ex definitione die sogenannten nicht organisierten Kapitalmärkte. An diesen — auch als „graue" Kapitalmärkte bezeichneten — Finanzmärkten findet im langfristigen Bereich die Bereitstellung von Finanzierungsfazilitäten unter Nichtbanken ohne Zwischenschaltung eines Intermediäre statt. Die Suche nach Fremdkapital per Annonce in der überregionalen Presse dürfte in der Regel durch einen bei Banken nicht vorhandenen oder bereits ausgeschöpften Kreditspielraum motiviert sein. Eine andere Erklärung kommt hierfür kaum in Frage, denn ansonsten würde schwerlich die Notwendigkeit bestehen, Akquisitionskosten zu tragen und Zinsen zu bieten, die meist erheblich über dem banküblichen Satz liegen. Liegt die mangelhafte Kreditwürdigkeit in der allgemeinen Bonität des Kapitalsuchenden begründet, so dürfte für die Banken mit Blick auf das eigene Geschäft weniger der Ausfall potentiellen Aktivgeschäftes zu bedauern sein als vielmehr der

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eventuelle Abzug von Einlagen durch diejenigen, die bereit sind, ihr Kapital zur Verfügung zu stellen. Ein anderer Problemkreis, der in diesem Zusammenhang virulent wird und in jüngerer Zeit zunehmend Anlaß zu kontroversen Diskussionen gegeben hat, resultiert aus den Risiken eines neu zu finanzierenden Projektes, die oft ursächlich für die mangelhafte Einstufung der Bonität des Kreditsuchenden sind. Die Projektprüfung als eine Komponente der Kreditwürdigkeitsprüfung scheint in diesen Fällen zum Teil etwas zu risikoavers gehandhabt zu werden. Obwohl in jüngster Zeit verschiedenartige Bemühungen erkennbar werden, auch für naturgemäß überdurchschnittlich risikobehaftete Innovationsversuche Kapital zur Verfügung zu stellen, muß die Entwicklung geeigneter Verfahren bzw. der Ausbau bisheriger Strategien weiterhin als vordringliche Aufgabe der Bankwirtschaft angesehen werden. Bedeutender als der nicht organisierte Markt für Fremdkapital ist allerdings der Markt für Beteiligungswerte einzustufen. Hierbei sollen im folgenden jedoch nicht die Fälle behandelt werden, in denen mittelständische Unternehmen versuchen, auf dem Weg über die Zeitungsanzeige neue Gesellschafter zu finden, sondern insbesondere auf das Geschäft sogenannter Abschreibungs- oder Verlustzuweisungsgesellschaften und verwandter Unternehmensformen eingegangen werden. Teilweise vorhandene, oftmals aber auch nur vorgetäuschte oder zumindest nur einseitig hervorgehobene steuerliche Vorteile haben in den letzten Jahren ein erhebliches Anlagepotential zumeist vermögender Privatpersonen ,,an den Banken vorbei" solchen Unternehmen zufließen lassen. Kapitalanlagen in Anteilen derartig konstruierter Gebilde stellen trotz eines sukzessiven Abbaus von Steuerersparnisbzw. Steuerverschiebungsvorteilen offensichtlich auch derzeit noch eine gewisse Konkurrenz zur Kapitalanlage bei Banken oder in Wertpapieren dar. Obwohl einige gesamtwirtschaftlich als wünschenswert einzustufende Projekte durch derartige Finanzierungsmodalitäten erst ermöglicht wurden, muß andererseits festgestellt werden, daß ein weitaus größerer Teil verfügbarer Sparvolumina unter Allokationsaspekten in als gesamtwirtschaftlich ineffizient zu qualifizierende Kanäle geflossen ist. Obwohl die Tätigkeit der Abschreibungsgesellschaften, Bauherrenmodelle und dergleichen auch einen meist erheblichen Fremdfinanzierungsbedarf impliziert, der oft durch Einschaltung von Kreditinstituten gedeckt wird, also nicht gänzlich ,,an den Banken vorbei" läuft, muß aber für den Teilbereich „Sparen an den Banken vorbei" eine eindeutige Bejahung der Fragestellung getroffen werden, selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, daß einige Banken auch bei der Plazierung der Eigenkapitalanteile mitwirken.

Sparen an den Banken vorbei?

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Zieht man an dieser Stelle eine erste Zwischenbilanz, so wird evident, daß im Bereich der Nichtbankunternehmen, die traditionelle Bankmarktleistungen in kommerzieller Weise erbringen, im wesentlichen nur die Versicherungswirtschaft in Betracht kommt, die zudem als „klassischer" Finanzintermediär neben den Banken fungiert. Dennoch sollen im weiteren Verlauf dieser Darstellung Überlegungen angestellt werden, wie sich die Kapitalanlagen privater Haushalte bei diesen Institutsgruppen entwickelt haben und welche Implikationen sich insbesondere aus Bankensicht für dieses mitunter partielle Konkurrenzverhältnis ergeben. In gleicher Weise bedarf es im folgenden einer genaueren Untersuchung der Beweggründe und Entwicklungslinien von Geldanlagen privater Haushalte an organisierten und nicht organisierten Kapitalmärkten, die Überlegungen möglich erscheinen lassen, inwieweit Banken in diesen Bereichen eventuell verlorenes Terrain zurückgewinnen können. Im Rahmen der Untersuchung von Kapitalanlagen privater Haushalte in verschiedenen Anlagealternativen ist bereits erwähnt worden, daß der Anteil der Bankeinlagen an der gesamten Geldvermögensbildung starken Schwankungen unterliegt und im Zeitablauf eine abnehmende Tendenz aufweist, insbesondere zugunsten der Anlagen bei Versicherungsunternehmen und in festverzinslichen Wertpapieren. Die Statistik der Geldvermögensbildung privater Haushalte weist für 1983 sogar einen fast gleich hohen Anteil der Geldanlage bei Banken und der Versicherungswirtschaft sowie im Rahmen des Postens Wertpapiererwerb eine starke Dominanz festverzinslicher Papiere aus. Wichtig erscheinen aus Bankensicht aber auch strukturelle Auffälligkeiten der Geldvermögensbildung, die sich insbesondere in Hochzinsphasen — beispielhaft kann hier das Jahr 1981 erwähnt werden — durch erhebliche Abschmelzungsprozesse bei den Spar- und Sichteinlagen zugunsten einer Umschichtung auf Termingeldkonten manifestieren. Offensichtlich ist insbesondere anhand der Bildung von Spareinlagen im Vergleich zur Entwicklung der Geldvermögensbildung der privaten Haushalte insgesamt eine deutliche Verhaltensänderung derart zu konstatieren, daß die ehemals hohe positive Korrelation zwischen Geldvermögensbildung und Entwicklung der Spareinlagen mittlerweile kaum noch nachzuvollziehen ist; vielmehr scheint sich die Spareinlagenbildung gegenüber der Entwicklung der Geldvermögensbildung emanzipiert zu haben. Der für die Refinanzierung von Banken wichtige Bestandteil der Spareinlagen zeigt nämlich eine zugunsten des Erwerbs von Sparbriefen und Termingeldeinlagen auffällig abnehmende Tendenz.

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Bei der Analyse struktureller Veränderungen der Geldanlage bei Banken muß jedoch berücksichtigt werden, daß gerade in ausgesprochenen Hochzinsphasen der Rückgang der Spareinlagen nicht nur auf eine strukturelle Modifizierung des Anlageverhaltens privater Haushalte zurückgeführt werden kann, sondern auch eine nicht unerhebliche situative Komponente beinhaltet. Denn insbesondere in Hochzinsphasen, in denen sich die Sparzinsen nur zögernd dem Marktzins anpassen, erlaubt eine inverse Zinsstruktur die Anlage in kurzlaufenden Titeln zu hohen Zinssätzen. Die Reaktionen des mittlerweile zinsbewußter agierenden Anlegerpublikums führten dazu, daß innerhalb der Bankeinlagen erhebliche Umschichtungen von Spar- zu Termineinlagen und außerdem eine verstärkte Geldanlage vornehmlich in festverzinslichen Wertpapieren zulasten der Geldanlage bei Banken erfolgten. Aus dieser Entwicklung wurde deutlich, daß private Haushalte sowohl bei der Geldvermögensbildung als auch durch Umschichtung in den Geldvermögensbeständen auf die im Zinsanstieg sich herausbildenden Zinsdisparitäten zwischen den für sie in Frage kommenden Anlagealternativen reagieren. Diese grundsätzliche Änderung des Anlageverhaltens privater Haushalte muß zwar für Hochzinsphasen als charakteristisch gewertet werden; dennoch lassen die bisherigen Entwicklungstendenzen darauf schließen, daß die letzte Hochzinsphase von 1981 den generell schon eingetretenen Wandel nur besonders deutlich hat hervortreten lassen. Darauf aufbauend stellt sich die Frage, welche Gründe für eine derartige Entwicklung maßgeblich waren bzw. in Zukunft eventuell noch stärker dafür verantwortlich gemacht werden müssen, daß ein stetig wachsender Teil der privaten Geldvermögensbildung an den Bankbilanzen vorbei entweder zu Versicherungsunternehmen oder direkt von den Sparern zu den Investoren fließt. Nachhaltige Wirkungen auf die generelle Struktur der Geldvermögensbildung und speziell auf die hier insbesondere zu betrachtende Geldanlage bei Banken resultieren aus bereits erwähnten Wandlungen im Geldanlageverhalten privater Haushalte. Als Ursache hierfür gelten zunächst Änderungen des Gewichts einzelner Komponenten des Zielsystems privater Geldanleger, die abhängig vom Bestandswachstum des Geldvermögens sind. Während bei geringeren Geldvermögensbeständen nahezu ausschließlich Sicherheits- und Liquiditätsziele eine dominierende Rolle spielen, gewinnen bei wachsenden Volumina Ertragsziele an Bedeutung. Analog dessen wird in Zukunft ein ständig wachsender Teil der Geldvermögensbildung in höher verzinsliche Anlagen fließen, teils unter Verzicht auf hohe Liquidisierbarkeit, teils unter Ausnut-

Sparen an den Banken vorbei?

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zung der vom Markt unter dem Druck des Wettbewerbs konzipierten hochverzinslichen, aber dennoch relativ leicht monetisierbaren Anlagevarianten. Für die Einschätzung des zukünftigen Anlageverhaltens der Haushalte muß außerdem berücksichtigt werden, daß der Anteil des Vermögenseinkommens am gesamten verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte mit dem Anwachsen des Geldvermögensbestandes ständig gestiegen ist, so daß das Zinseinkommen als Einkommensquelle in Relation zu den anderen Einkunftsarten erheblich an Bedeutung zugenommen hat. Außerdem lassen die in absoluten Zahlen ausgedrückten Zinserträge es zunehmend lohnender erscheinen, genügend Zeit und Spürsinn in die Identifizierung möglichst gewinnträchtiger Geldanlagen zu investieren, was zudem durch entsprechende Anreize in Presse und Finanzwerbung verstärkt wird. Hinzu kommt, daß die generell zunehmende „Bankerfahrung" breiter Bevölkerungsschichten sowie ein wachsendes Vertrautsein mit sämtlichen Anlagealternativen der verfügbaren Geldanlageformen speziell den Informationsgrad und vor allem die Markttransparenz der privaten Haushalte erhöhen. Verstärkt werden dürfte diese Entwicklung zudem noch durch den ständigen Fortschritt der Informationstechnologie im Finanzbereich, die Umfang und Schnelligkeit der Kommunikation zwischen privatem Anleger und den relevanten Finanzinstituten noch erheblich erhöhen werden. Exemplarisch kann hierfür die Entwicklung des Bildschirmtextsystems angeführt werden, das nach entsprechender Einführungs- und Erprobungsphase bundesweit dem Anleger ermöglichen soll, die unterschiedlichsten Anlageformen verschiedener Anbieter von Kapitalanlagefazilitäten sowie insbesondere die jeweilige Konditionengestaltung zu vergleichen, um die entsprechend den eigenen Anlagepräferenzen und Möglichkeiten günstigste Alternative auszuwählen. Die aufgezeigten Entwicklungslinien haben in Verbindung mit einer Liberalisierung der Finanzmärkte, die insbesondere in den USA und England in jüngster Zeit unter dem Schlagwort „deregulation" Anlaß kontroverser Diskussionen bildet, zu einer drastischen Verschärfung des Konditionenwettbewerbs der Finanzinstitute auch im Mengengeschäft geführt sowie zum erfolgreichen Eindringen von Nichtbankunternehmen in den Markt und zu einer Fülle von Innovationen sowohl bei den Instrumenten als auch den Handelstechniken an den Finanzmärkten. Exemplarisch seien hier genannt Geldmarktfonds, hochverzinsliche Zahlungsverkehrskonten, „financial futures-"Märkte, die Bindung von Einlagenzinssätzen an den Kapitalmarktsatz, „zerobonds" und andere Konstruktionen mehr.

594

Hans E. Büschgen

Aufgrund der seit 1967 weitgehend liberalisierten Finanzmärkte in der Bundesrepublik Deutschland sowie der bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen, die das Eindringen von Nichtbankunternehmen in traditionelle Bankleistungsmärkte erschweren, vollzieht sich diese Entwicklung in Deutschland jedoch weit weniger drastisch. Dennoch muß damit gerechnet werden, daß sich der Wettbewerb um das Geldvermögen der privaten Haushalte auch an den deutschen Finanzmärkten erheblich verschärfen und in Zukunft vornehmlich auf der Passivseite der Bilanzen der Finanzinstitute stattfinden wird. Infolgedessen werden sich die Zinsen langfristig auf einem relativ hohen Niveau ansiedeln, da der Zins auch im Mengengeschäft ein wichtigerer marktpolitischer Handlungsparameter sein wird als in früheren Jahren. Als weitere Folge eines derart prognostizierten Anlegerverhaltens werden eine stärkere Fluktuation der Zinsen und raschere Änderungen in der Konditionengestaltung insbesondere bezüglich Laufzeit und Zinsbindung zu beobachten sein, so daß die Anforderungen an das marktpolitische Refinanzierungsmanagement der Finanzinstitute erheblich zunehmen. Entsprechend den bisher beobachteten Entwicklungslinien der Geldvermögensbildung privater Haushalte wird die Abnahme der relativen Stellung der Bankeinlagen im Geldvermögensportefeuille eine analoge Ausweitung bei alternativen Anlageformen induzieren. Hierbei muß in Zukunft damit gerechnet werden, daß die Banken mit ihrem Passivgeschäft nur mit einem degressiven Anteil an der im ganzen weiterhin stetig zunehmenden Geldvermögensbildung partizipieren. Insbesondere muß erwartet werden, daß der Block relativ niedrig verzinslicher Spareinlagen nur noch unterproportional wachsen und in Perioden steigender Zinsen ständig dem Risiko der Umschichtung in alternative Anlageformen ausgesetzt sein wird. Klammert man bei den nachfolgenden Überlegungen entsprechende Anlagen am nicht organisierten Kapitalmarkt wegen ihrer unsicheren Zukunft insbesondere im Bereich steuerbegünstigter Kapitalanlagen sowie ihrer mangelnden statistischen Erfassung aus, so muß aus Bankensicht vornehmlich dem zunehmenden Einfluß der Versicherungswirtschaft bei der Anlage privaten Geldvermögens sowie der Entwicklung des Erwerbs festverzinslicher Wertpapiere besondere Beachtung geschenkt werden.

Sparen an den Banken vorbei?

595

I V . Geschäftspolitische Konsequenzen aus Bankensicht

Insgesamt muß betont werden, daß die Banken derartigen Entwicklungen nicht hilflos ausgeliefert sind, sondern Kenntnis und geschäftspolitische Aufarbeitung bereits erkannter Tendenzen ermöglichen — trotz Prognosen inhärenten Unsicherheitsmomenten — eine adäquat ausgerichtete marktpolitische Strategie, die sich zum einen im Rahmen der Leistungsprogrammpolitik, zum anderen im Bereich der Konditionengestaltung vollziehen kann. Für die Bankwirtschaft insgesamt besteht über eine Anpassungsstrategie hinaus die Möglichkeit, durch weitere marktpolitische Defensivstrategien Ausmaß und Richtung der Wandlungen in der Geldvermögensbildung der privaten Haushalte mit zu prägen. Im Rahmen der längerfristig ausgerichteten Leistungsprogrammpolitik wird dabei gefordert, neue Geschäftsfeldstrategien zu konzipieren. Bisher ergriffene Maßnahmen wie Bonifizierung, Festzinssatz, im Zeitablauf steigender Zinssatz sowie insbesondere die Bindung des Zinssatzes an den Kapitalmarktzins müssen als Versuche im Rahmen von Defensivstrategien gewertet werden, um die generelle Marktstellung des Kontensparens wenn nicht auszubauen, so doch wenigstens zu festigen. Als mit der Konditionenpolitik verfolgte Ziele sind zum einen die Sicherung des Refinanzierungsvolumens, zum anderen aber auch die Herbeiführung einer solchen Fristenstruktur für Laufzeiten und Zinsbindungen, die ein wettbewerbsfähiges Aktivgeschäft bei tragbaren Zinsänderungsrisiken gewährleisten kann, zu qualifizieren. Insgesamt geht es dabei vornehmlich um eine Verstetigung der Entwicklung des Passivgeschäftes sowie darum, dem Anstieg der Geldbeschaffungskosten insgesamt entgegen zu wirken. Ziel derartiger Maßnahmen kann aber nicht eine Erhaltung bisher favorisierter Sparformen sein, sondern die Partizipation an sämtlichen Formen des Sparprozesses bei Erhaltung und Ausbau des eigenen Passivgeschäftes. Gerade im Hinblick auf das sich zuspitzende Konkurrenzverhältnis zwischen Banken und Versicherungen in bezug auf die Geldanlage privater Haushalte ist die zuerst von der Deutschen Bank ergriffene, die Leistungsprogrammgestaltung betreffende Gegenstrategie zu sehen, der sogenannte Sparplan mit Versicherungsschutz, der inzwischen auch im Bereich der Sparkassenorganisation und des Genossenschaftssektors aufgegriffen worden ist. Eine wie vorstehend vorgenommene Einordnung dieses Instruments scheint insofern gerechtfertigt, da die Deutsche Bank als erster „Innovator" diese Maßnahme selbst als bloße Reaktion auf die Anstrengungen von Nichtbankunternehmen respektive Versicherungsgesellschaften wertet, mit Hilfe neuer

596

Hans E. Büschgen

Technologien in traditionelle Kundenkreise der Banken einzudringen. Die neue Dienstleistungsofferte muß insbesondere deshalb als Gegenstrategie gewertet werden, da das Konglomerat von Risikolebensversicherung und Sparvorgang dem Prinzip der „klassischen" Kapitallebensversicherung entspricht. Ohne im folgenden auf exakte Rentabilitätsvergleichsrechnungen zwischen dem Angebot der Deutschen Bank und den traditionellen Marktleistungen der Versicherungswirtschaft einzugehen, bei denen insbesondere die Steuervorteile der Lebensversicherer einbezogen werden miißten, muß dieses bankgeschäftliche Dienstleistungsangebot als eindeutige Abwehrstrategie gegenüber der bisher skizzierten Entwicklung der Geldvermögensbildung privater Haushalte angesehen werden. Insofern können die geschäftspolitischen Reaktionen der Bankwirtschaft auch als Indiz dafür betrachtet werden, daß die nur mit degressivem Anteil prognostizierte Partizipation der Banken an der stetig zunehmenden Geldvermögensbildung privater Haushalte erkannt und entsprechende Konzeptionen zur Auswahl geeigneter konkurrenzfähiger Instrumente bereits getroffen werden. Dennoch bleibt aus der bisher zu beobachtenden und entsprechend prognostizierten Entwicklung die weitere geschäftspolitische Forderung zu ziehen, daß die Banken in Zukunft verstärkt Ertragspotentiale im nicht bilanzwirksamen Geschäft erschließen müssen. Dies bedeutet für die Fälle, in denen Banken nicht oder nicht die gesamte Finanzierung eines bestimmten Projekts durchführen, daß sie im Rahmen des „financial engineering" zumindest bei der finanziellen Planung, der Auswahl der relevanten Finanzierungsinstrumente und der Abwicklung ihr finanzpolitisches und finanzierungstechnisches „know-how" verkaufen. Andererseits müssen die Banken in den Fällen, in denen die Geldanlage aufgrund bestimmter Anlegerpräferenzen an ihnen vorbei erfolgt, versuchen, im Rahmen von Informations-, Problemlösungs- und Abwicklungsleistungen kompensatorische Ertragsquellen zu erschließen. Ein derartiges Bemühen dient letztlich der Kompensation von Einbußen im bilanzwirksamen Geschäft durch entsprechende Entgelte für Beratungs- und Betreuungsleistungen.

V. Zusammenfassung

Im Vergleich mit in anderen Ländern konzipierten Finanzsystemen ist es in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund rechtlicher Rahmenbedingungen kaum möglich, daß Nichtbankunternehmen im Bereich des Anbietens von Kapitalanlagefazilitäten als nennenswerte Konkurrenten der Bankwirtschaft auftreten. In Frage kommen hierbei im wesentlichen nur Versi-

Sparen an den Banken vorbei?

597

cherungsuntemehmen, die zum einen seit langem als traditionelle Finanzintermediäre neben den Banken fungieren, zum anderen nach dem Verständnis des Kreditwesengesetzes Bankgeschäfte betreiben und somit eigentlich bereits als Kreditinstitute im Sinne des Gesetzes zu qualifizieren wären. Im Rahmen dieser rein rechtlichen Differenzierung muß jedoch bedacht werden, daß Banken und Versicherungen zunehmend als rivalisierende Institutsgruppen in bezug auf die Geldvermögensbildung privater Haushalte mit jeweils konkurrenzorientierten Dienstleistungsofferten eingestuft werden müssen. Für den Bereich organisierter Kapitalmärkte gilt, daß diese grundsätzlich in der Lage sind, als Intermediäre zu fungieren, dies allerdings in der Regel unter Partizipation der Bankwirtschaft im Rahmen ihres Effektengeschäftes. Der nicht organisierte Kapitalmarkt stellt aus Sicht der Banken nur eine unwesentliche Konkurrenz dar; zudem impliziert dieser Markt zur Aufrechterhaltung verschiedener Kapitalanlagefazilitäten einen erheblichen Bedarf an anderen Bankleistungen, vornehmlich im Finanzierungsbereich. Aufgrund der besonderen rechtlichen Gegebenheiten und des in der Bundesrepublik Deutschland vorherrschenden Universalbankensystems sind demnach neue, ausgebaute Wege des „Sparens an den Banken vorbei" nicht zu gewärtigen. Dennoch werden sich die deutschen Banken in Zukunft verstärkt mit der Fragestellung auseinandersetzen müssen, inwieweit sie zu beobachtenden Wandlungen im Kapitalanlageverhalten privater Haushalte durch neu zu konzipierende Geschäftsfeldstrategien begegnen können.

Bedeutung und Funktion der Versicherungswirtschaft im volkswirtschaftlichen Sparprozeß Von Malte von Bargen, Düsseldorf

I. Der versicherungswirtschaftliche Produktionsprozeß: Risikoabdeckung und Kapitalansammlung

Die Versicherungs Wirtschaft sichert Lebens- und Unternehmenspläne ab. Gegen Zahlung einer festen Prämie leistet sie Risikovorsorge durch Befreiung von Sorge vor den finanziellen Folgen des Versicherungsfalles und durch Übernahme der finanziellen Lasten bei Eintritt des Schadenfalles 1. Bei der Gewährung von Versicherungsschutz als eigentlicher Produktionsleistung der Versicherungswirtschaft kommt der Bildung von Kapital eine zentrale Bedeutung zu 2 . Theoretisch könnte die Individualversicherung zwar wie die Sozialversicherung im Umlageverfahren ohne nennenswerte Kapitalbildung betrieben werden. Eventuell notwendige Nachschüsse müßten dann von den Mitgliedern der Versichertengemeinschaft getragen werden und dürften deren Leistungsfähigkeit und Leistungswilligkeit nicht überfordern. Diese Voraussetzungen sind aber nur für ganz begrenzte Risiken und in persönlich überschaubaren Gemeinschaften gegeben. Heute decken daher auch die Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit ebenso wie die Versicherungsaktiengesellschaften und die öffentlich-rechtlichen Versicherungsunternehmen die von ihnen gezeichneten Risiken durchweg ohne Nachschußpflicht über zuvor erhobene Beiträge, ein besonderes Garantiekapital und versicherungstechnische Rückstellungen ab3 . Als Garantiekapital kommt in der Versicherungswirtschaft nur das Eigenkapital in Betracht. Es dient hier nicht als Haftungsgrundlage für aufgenommene Kredite, sondern neben vorsichtiger Prämienkalkulation und Rückver1 H. Lampert, Versicherungswirtschaft und volkswirtschaftlicher Kreislauf, VersWiss 1982, S. 207 ff. 2 Zum versicherungswirtschaftlichen Produktionsprozeß vgl. D. Farny, Produktions- und Kostentheorie der Versicherung, Karlsruhe 1965. 3 G. Müller, Funktion und Bedeutung des Vermögens der Privatversicherung, VersWiss 1967, 119 ff.

600

Malte von Bargen

Sicherung als zusätzlicher Puffer zum Ausgleich von Risikoschwankungen und Katastrophenschäden. Bei Gründung und Aufnahme des Geschäftsbetriebs ist ein Mindestkapital bereitzustellen. In der Folgezeit muß das Eigenkapital der Entwicklung des Geschäftsvolumens angepaßt werden. Zur Deckung der mit der Übernahme der Sicherungsfunktion verbundenen Verpflichtungen aus dem Versicherungsgeschäft dient das aus Fremdkapital gebildete Vermögen. Es resultiert im wesentlichen aus der zeitlichen Differenz zwischen den Beitragszahlungen der Versicherungsnehmer einerseits und den Aufwendungen für Leistungsfälle und für den Versicherungsbetrieb andererseits. Da Beiträge nicht im nachhinein erhoben werden können, Versicherungsleistungen und Kosten aber während der gesamten Dauer der Versicherungsverträge zu erbringen sind, müssen ständig Rückstellungen, insbesondere für bereits vereinnahmte, aber noch nicht verdiente Beiträge (Beitragsüberträge), für bereits eingetretene, aber noch nicht abgewickelte Schäden (Schadenrückstellungen), für Schwankungen des Schadenverlaufs (Schwankungsrückstellungen), in der Krankenversicherung für das mit dem Alter zunehmende Krankheitsrisiko (Altersrückstellungen) und in der Lebensversicherung für das im Versicherungsfall fällige Kapital (Deckungsrückstellungen), gebildet und aufgelöst werden. Die mit der Bildung von Rückstellungen verbundene Kapitalansammlung und Vermögensanlage ist daher nicht Selbstzweck, sondern ein notwendiger Abschnitt im Produktionsprozeß zur Herstellung von Versicherungsschutz4 . Sie überbrückt die Zeitspanne zwischen Beitragseingang und Leistungsfall, die sich insbesondere in der Lebens- und Krankenversicherung über viele Jahre erstrecken kann. Über Kapitalbildung und Vermögensanlage ist die Produktion von Versicherungsschutz eng verbunden mit dem volkswirtschaftlichen Sparprozeß. Schnittstelle des volkswirtschaftlichen Sparprozesses und der Versicherungsproduktion ist neben der mit steigendem Geschäftsvolumen notwendigen Anpassung des Eigenkapitals vor allem die Zunahme der versicherungstechnischen Rückstellungen. Alle den Versicherten zurechenbaren Passiva stellen sich, gesamtwirtschaftlich betrachtet, als Geldanlage bei Versicherungen dar. In der kapitalbildenden Lebensversicherung ist sie mit einem bewußten Vorsorgesparen des Versicherungsnehmers verbunden.

4 R. Schwebler, Kapitalanlage und Anlagevorschriften der Versicherungsunternehmen, in: ders. (Hrsg.), Vermögensanlagen in der Versicherungswirtschaft, Karlsruhe 1977, S. 4.

Bedeutung und Funktion der Versicherungswirtschaft

601

I I . Die Versicherungswirtschaft als Kapitalsammelstelle

Die Bedeutung der Versicherungswirtschaft als Kapitalsammelstelle kann nur in engem Zusammenhang mit dem Versicherungsgeschäft gesehen werden. Im Unterschied zur Kreditwirtschaft nehmen Versicherungsunternehmen keine Einlagen im banktechnischen Sinne an. Sie vermitteln nicht den Zahlungsverkehr und schaffen kein Buchgeld, sondern sind Institutionen der Risikovorsorge. Neu entstehende Risiken, die mit der wachsenden Arbeitsteilung und dem ökonomischen, sozialen und technischen Fortschritt verbunden sind, konnten und können nur bei einem ausgewogenen Verhältnis von Risikobereitschaft und Risikovorsorge bewältigt werden. Mit der Zunahme des Risikotransfers auf Versicherungen ist eine deutliche Zunahme des haftenden Eigenkapitals, der versicherungstechnischen Rückstellungen und der Vermögensanlagen verbunden. Mit steigender Risikotragung nimmt daher auch die Bedeutung der Versicherungswirtschaft als Kapitalsammelstelle zu. Während sich das Bruttosozialprodukt als Summe der in einer Periode erstellten Güter und Dienstleistungen von 1960 bis 1983 um das Viereinhalbfache erhöhte, stieg das Prämienaufkommen der Assekuranz im gleichen Zeitraum um das Neuneinhalbfache. Der Anstieg des Eigenkapitals, der versicherungstechnischen Rückstellungen und der Kapitalanlagen ging dabei noch über die Zunahme der Prämieneinnahmen hinaus (vgl. Tabelle 1). Welches Gewicht der Versicherungswirtschaft bei der Transformation privater Ersparnisse in Sachvermögen zukommt, belegen die Zahlen der Finanzierungsrechnung der Deutschen Bundesbank. Danach ist der Anteil aller den Versicherten Zurechenbaren Passiva an der Geldvermögensbildung der inländischen nichtfinanziellen Sektoren von 10 v.H. (1960) auf knapp 15 v.H. Anfang der 80er Jahre gestiegen. Auf den Kapitalmarkt, als Markt für längerfristige Anlagen bezogen, stieg der Anteil der Versicherungswirtschaft an der längerfristigen Geldvermögensbildung von 14 v.H. (1960) auf gut 20 v.H. (1980/81) (vgl. Tabelle 2). Der weitere kräftige Anstieg des Anteils in 1982/83 dürfte die nachhaltigen Verschiebungen zwischen den Anlagearten indessen überzeichnen5. Die wachsende Bedeutung der Versicherungswirtschaft für den Kapitalmarkt darf nicht überraschen. Bei einigermaßen stabilen ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen muß in einer reifen hochentwickelten Volks5 Th. Brinkmann, W. Buttenböck, Geldvermögensbildung und Lebensversicherung, in: Versicherungswirtschaft, 16/1984, S. 1030.

1 ,38 2o,61

17-90

15,63

1.622 1-791

196o = loo 1.133

1.297

98,7

13,18 369.13

334,33

261,61

88,11

1.362 1.5o4

25,79

Kapitalanlagen

388

351,24

278,75

Versicherungstechnische Rückstellungen

Quelle: Statistisches Bundesamt, Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen.

1983/ 552 I960

985

1.671,2

1.053

92,33

1.598,9

1982

1983

1982/ I960 528

78,93

1.485,7

1980

9,37

27,7o 4 , 2 9 69,41

3o3,o

675,7

197o

in Mrd. DM

Versicherungswirtschaft Brutto-Beiträge Eigenkapital

I960

Bruttosozialprodukt

Jahr

Tabelle 1: Gesamtwirtschaftliche und versicherungswirtschaftliche Entwicklung

602 Malte von Bargen

Deutsche Bundesbank, Finanzierungsrechnung.

* der inländischen nichtfinanziellen Sektoren.

Quelle:

9,6 14,6 18,6 20,2

14,ο 15,0 21 ,3 24,6 2Μ

Geldvermögensbildung Geldanlage bei Anteil der Geldanlage bei Versicherungen(in vH) insgesamt Versicherungen ^ Ί . . . . . .· J * Geldvermögensbildung längerfristige Mrd. DM Mrd. DM insgesamt Geldvermögensbildung

I960 35,96 3,61 Ιο,ο 197ο 91 ,74 8,8ο 198ο 167,03 24,43 1982 190,87 35,45 1983 192,88 38,98

Jahr

Tabelle 2: Versicherungswirtschaft und Geldvermögensbildung*

Bedeutung und Funktion der Versicherungswirtschaft

Malte von Bargen

604

Wirtschaft das langfristige Vorsorgesparen stärker zunehmen als das mehr kurzfristig orientierte Sparen „für alle Fälle". Entsprechend der Struktur des Versicherungsgeschäfts speisen sich die Geldanlagen bei Versicherungen ganz überwiegend aus der Ersparnisbildung der privaten Haushalte (Tabelle 3). Rund drei Viertel der Beitragseinnahmen werden im Privatkundengeschäft, nur ein Viertel im gewerblichen Geschäft erzielt. Hinzu kommt, daß in der Lebens- und Krankenversicherung mit ihren vergleichsweise hohen Rückstellungen das Privatkundengeschäft noch stärker dominiert. Tabelle 3: Geldanlage bei Versicherungen nach Sektoren — in Mrd. DM — Jahr

Private Haushalte

Unternehmen

öffentliche Haushalte

I960

2,94

0,68

o,o7

197o

7,75

ο,ΐο

198o

25,45

Ml -o,93

-o,16

1983

36,23

2,7^

0,02

Quelle:

Deutsche Bundesbank, Finanzierungsrechnung.

So kommt es, daß rund 70 v.H. der Geldanlagen bei Versicherungen auf das Lebensversicherungssparen und weitere 13 v.H. auf die nach Art der Lebensversicherung betriebenen Pensionskassen entfallen. Berücksichtigt man ferner, daß über die Hälfte der versicherungstechnischen Rückstellungen der Krankenversicherungen als Alterungsrückstellungen verbucht werden, so weisen rund 85 v.H. der „Geldanlage bei Versicherungen" einen ausgesprochen langfristigen Charakter auf. Die restlichen 15 v.H. der Rückstellungen, z.B. für entstandene, aber noch nicht abgewickelte Versicherungsfälle in der Schaden- und Unfallversicherung und der Krankenversicherung, schlagen sich rascher um, sind aber in ihrem Gesamtbestand stabil, so daß auch über diese Mittel langfristig disponiert werden kann*(vgl. Tabelle 4). Unter den institutionellen Anlegern oder Kapitalsammelstellen außerhalb des Bankensektors, die in Anlehnung an den angelsächsischen Sprachgebrauch solche Kapitalmarktteilnehmer umfassen, bei denen die Anlage und die Verwaltung des Vermögens nicht privaten Bedürfnissen und individuellen Dispositionen überlassen ist, sondern bestimmten allgemeinen Regeln und gesetzlichen Auflagen folgen, hat die Versicherungswirtschaft nach dem Anlagevolumen das weitaus größte Gewicht. Nach einer Schätzung für 1982 dürfte sich das in der Bundesrepublik von inländischen Institutionen,

Quelle:

Deutsche Bundesbank, Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen.

Den Versicherungsnehmern zurechenbare Passiva insgesamt

Verbindlichkeiten aus dem selbstabgeschlossenen Versicherungsgeschäft

Veränderung der versicherungstechnischen Rückstellungen

loo

ο,5

lo,5

7

Krankenversicherung Veränderung der versicherungstechnischen Rückstellungen davon ca. 55 Prozent Alterungsrückstellungen

Schaden- und Unfallversicherung

13

3

66

Anteil an der Geldanlage bei Versicherungen - in vH -

Veränderung der versicherungstechnischen Rückstellungen

Pensionskassen

Verbindlichkeiten aus dem selbst abgeschlossenen Versicherungsgeschäft

Veränderung der versicherungstechnischen Rückstellungen

Lebensvers i cherung

Art der Rückstellung

Tabelle 4: Geldanlage bei Versicherungen nach Quellen 1982 Bedeutung und Funktion der Versicherungswirtschaft 605

606

Malte von Bargen

also vor allem von Kirchen, Stiftungen und anderen gemeinnützigen Organisationen, den verschiedenen Einrichtungen der kollektiven und privaten Vorsorge sowie von Kapitalanlagegesellschaften angelegte und verwaltete Vermögen auf rund 500 Mrd. DM belaufen haben, wovon rund zwei Drittel auf Versicherungsunternehmen und die in der Art von Versicherungsunternehmen betriebenen Pensionskassen entfielen 6.

ΙΠ. Unterschiedliche Bedeutung der Versicherungszweige als Kapitalanleger

Das Bild der deutschen Versicherungswirtschaft ist durch eine Vielzahl von Unternehmen, unterschiedliche Strukturen und einen verhältnismäßig geringen Grad der Konzentration geprägt. Die Zahl der Unternehmen, die überregional tätig sind und daher der Bundesaufsicht unterliegen, belief sich Ende 1982 auf 764. Berücksichtigt man auch die zahlreichen, teilweise sehr kleinen Gesellschaften, die nur in einem räumlich begrenzten Gebiet Versicherungsschutz anbieten, so erhöht sich die Zahl der Versicherungsunternehmen auf rund 3000. Für das tatsächliche Marktgeschehen sind vor allem rund 125 „Versicherungsgruppen" bestimmend. Sie bestehen aus Unternehmen verschiedener Versicherungszweige, die aufsichtsrechtlich nicht innerhalb desselben Unternehmens betrieben werden dürfen, arbeiten aber über eine gemeinsame Außendienstorganisation zusammen und sind häufig auch durch Personalunion in den Vorständen miteinander verbunden. Mit Ausnahme einer einzigen liegen die Marktanteile der Gruppen deutlich unter 10 v.H. Charakteristisch für die Branche ist eine recht große Zahl von Entscheidungsträgern, die miteinander im Wettbewerb um die Versicherungskunden und um möglichst gute Vermögensanlagen stehen. In der Schaden- und Unfallversicherung dienen die Beiträge einer Versicherungsperiode grundsätzlich zur Deckung der in dieser Periode anfallenden Kosten und Schäden, enthalten also keinen Sparanteil. Sparvorgänge können sich allerdings bei der Schadenentwicklung ergeben, z.B. wenn ein Kapital bereitgestellt werden muß, aus dem eine Rente zu erbringen ist. Von den Vermögensanlagen entfallen etwa 20 v.H. auf das Sicherheitskapital (Grundkapital und Rücklagen), etwa 75 v.H. auf versicherungstechnische Passiva und die verbleibenden 5 v.H. auf sonstige Passiva, z.B. Pensionsrückstellungen. 6 Μ v. Bargen, Institutionelle Anleger am deutschen Kapitalmarkt, in: Jahresbericht 1982 der Frankfurter Wertpapierbörse, S. 40 f.

Bedeutung und Funktion der Versicherungswirtschaft

607

In der Krankenversicherung ist der Bedarf an Sicherheitskapital weniger stark ausgeprägt als in der Schaden- und Unfallversicherung. Aber die Versicherungsbeiträge enthalten ein Sparelement zur Deckung des mit zunehmendem Alter steigenden Krankheitsrisikos, das in die Deckungsrückstellung eingestellt wird. Rund 70 v.H. der Kapitalanlagen entfallen auf diese Deckungsrückstellungen und die Rückstellung für Beitragsrückerstattung, rund 8 v.H. auf das Sicherheitskapital und die restlichen 22 v.H. auf überwiegend versicherungstechnische Rückstellungen und Verbindlichkeiten. In der in Deutschland üblichen Kapitallebensversicherung ist die Risikoabdeckung mit einem verzinslichen Sparprozeß und einer Beteiligung an den vom Unternehmen erwirtschafteten Überschüssen verbunden. Auf die besonders sparintensive Versicherung auf den Todes- und Erlebensfall, zu der auch die vermögensbildende Lebensversicherung zu rechnen ist, entfallen etwa 80 v.H. der Lebensversicherungsverträge und annähernd 90 v.H. der Prämieneinnahmen. Entsprechend der hohen Sparintensität macht der Anteil der Deckungsrückstellungen (Sparkapital) sowie der Rückstellungen für Beitragsrückerstattung (den Versicherten zugewiesene, aber noch nicht verteilte Überschüsse) rund 90 v.H. der Kapitalanlagen aus, der der anderen Rückstellungen 8 v.H. und der des Eigenkapitals nur 1 v.H. Die vergleichsweise geringe Eigenkapitalausstattung erklärt sich aus der aufsichtsbehördlich überwachten, vorsichtigen Kalkulation und dem Stabilitätspotential der Rückstellung für Beitragsrückerstattung. Die Kapitalanlagen der Rückversicherer entsprechen der Struktur des in Rückversicherung übernommenen Geschäfts, das in der Regel aus einer Vielzahl von Versicherungszweigen stammt und im Unterschied zum weitgehend nationalen Charakter des Versicherungsgeschäfts der Erstversicherer internationalen Charakter hat. Die Rückversicherer unterhalten dementsprechend Vermögensanlagen in unterschiedlichen Währungen und Depots. Als Versicherer der Versicherer haben sie vor allem Schwankungen des Schadenverlaufs aufzufangen, so daß ihre Anlagen in noch wesentlich höheren Maßen als die des Schadenversicherers auf Erhaltung der Liquidität und Flexibilität ausgerichtet sein müssen. Hauptanleger sind die Lebensversicherer, bei denen durch die Gewinnbeteiligung der Wettbewerb um die Anlage und um den Kunden unmittelbar miteinander verbunden sind7. Auf sie entfallen gut drei Fünftel, auf die Al7 M u Bargen, Institutionelle Grundlagen der Vermögensanlage in der Versicherungswirtschaft, in: Institutionen des deutschen Kapitalmarktes, Schriftenreihe des Instituts für Kapitalmarktforschung an der J.W. Goethe-Universität, Frankfurt a.M., Kolloquien-Beiträge 24, hrsg. v. G. Bruns und K. Häuser, Frankfurt 1982, S. 151.

608

Malte von Bargen

Bedeutung und Funktion der Versicherungswirtschaft

609

tersvorsorge insgesamt knapp vier Fünftel der Vermögensanlagen von rund 388 Mrd. DM (Stand Ende 1983). Das übrige Fünftel sind Vermögensanlagen der Schaden- und Unfall- sowie der Rückversicherer (vgl. Tabelle 5). IV. Struktur der Kapitalanlagen

1. Anlagegrundsätze Die Vermögensanlagen dienen nahezu vollständig zur Deckung der auf Geld lautenden Ansprüche aus Versicherungsverträgen, verfolgen also das Ziel, zu gegebener Zeit das investierte Kapital wieder in Geld zu überführen. Sie unterliegen gesetzlichen und aufsichtsbehördlichen Anlageregeln, die zur Wahrung der Belange der Versicherten den Vertrauensschutzgedanken konkretisieren. Gemäß § 54 Abs. 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) ,,ist das Vermögen einer Versicherungsunternehmung unter Berücksichtigung der Art der betriebenen Versicherungsgeschäfte sowie der Unternehmensstruktur so anzulegen, daß möglichst große Sicherheit und Rentabilität bei jederzeitiger Liquidität der Versicherungsunternehmung unter Wahrung angemessener Mischung und Streuung erreicht wird". Das sogenannte gebundene Vermögen, welches den versicherungstechnischen Passiva entspricht, darf nur in Werten angelegt werden, die dem gesetzlichen Katalog in § 54a Abs. 2 VAG entsprechen. Bei der Anlage in Aktien und Aktienfonds sowie in Grundbesitz sind besondere Anlagegrenzen einzuhalten8. 2. Strukturelle

Erfordernisse

In der Lebensversicherung sind Einzahlungen und Auszahlungen durch langfristige Verträge festgelegt und folgen statistischen Gesetzen, sind also gut im voraus zu schätzen. Solange der Sparprozeß in Gang bleibt, erübrigt 8 Die Anlagen in Aktien, einschließlich der Anteile an Wertpapier-Sondervermögen dürfen 20 v.H. des Deckungsstocks und 25 v.H. des übrigen gebundenen Vermögens nicht übersteigen (§54a Abs. 4 VAG); dabei bleiben Anteile an reinen Rentenfonds außer Betracht. Aktien derselben Gesellschaft dürfen nur bis zu 5 v.H. des Grundkapitals erworben werden (§54a Abs. 2 Nr. 5 VAG). Aktien ausländischer Gesellschaften und Anteile an Wertpapier-Sondervermögen, die überwiegend Aktien ausländischer Gesellschaften enthalten, dürfen zusammen nicht mehr als 4 v.H. des Deckungsstocks und 5 v.H. des übrigen gebundenen Vermögens erreichen (§54a Abs. 2 Nr. 5 und 6 VAG). Die Anlage in Grundstücken darf nach §54a Abs. 4 Satz 3 VAG jeweils 25 v.H. des Deckungsstocks und des übrigen gebundenen Vermögens nicht übersteigen. Anteile an Grundstück-Sondervermögen sind hierauf anzurechnen. Der Anteil von in Bebauung befindlichen oder zur alsbaldigen Bebauung bestimmten Grundstücken darf 5 v.H. des gebundenen Vermögens, der Anteil überwiegend gewerblich genutzter Grundstücke 10 v.H. des gebundenen Vermögens nicht übersteigen.

59.94ο 15,4 loo loo

154.5o9 39,6 loo loo

-

1.82o loo 52,1

5.695 8.7o3 1,5 2,2 loo

o,9 loo

3.493 1,4

71 531 9,3 0,3 2,5 lo,l 5,4

1.953 2,0

118.225 3o,3 loo loo

9.338 44,3 22,4

0,1

55 3.9o7

21.084

389 1.743 6,7 o,7 3,0 21,4 1,0 4 4 , 9 11,1 33,1 5. Rückversicherungsunternehmen

25.282

58.736 loo 15,1

5.266 loo

loo

8.111 277 243 281 21.094 1,3 1 ,2 1 ,3 loo 3,2 7,0 5,3 5,4 4. Schaden- und Unfall Versicherungsunternehmen

43,0

38,1 48.853 loo 12,5

2.oo4

389.959

24o.l92 61,6

Schuldbuch- Festgelder, Bestand forderungen Termingelder, insgesamt Spareinlagen

19.238 21 97o 7o7 39,4 o,o4 2,0 1,4 ο,2 27,8 13,4 3. Krankenversicherungsunternehmen

Quelle: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank.

34.128 8,8 loo

7,9

34,0

12,5

19.375

38,5 6,9

33,0

7.124

4,6

2.199 3,7 3,7

1.900 117 9,o 0,6 5.6 o,2

5.786 9.9 17,0

1.637 834 9.711 7,8 4,0 46,0 4.8 1 ,4 6,3

18.o47 36,9 16,3 -

56.256 5.64o 2.545 2,3 1,1 o,8 0,8 47,6 99,ο 29,2 2. Pensions- und Sterbekassen

1. Lebensversicherungsunternehmen

Wertpapiere Darlehen auf Beteiligungen und Anteile Versicherungsscheine

23,4 64,9

loo.2o2

Schuldscheinforderungen und Darlehen

50.576 21 ,1 41,7 84,4

Hypothekenforderungen

3.656 6.214 7.5 12,7 lo,7 lo,4 11,7

62,0

8,8

21.149

Grundstücke

Tabelle 6: Struktur der Kapitalanlagen Ende 1983 Anlagearten in Millionen DM — Anlageanteile in v.H. der Gesamtanlage — Anlageanteile in v.H. der Gesamtanlageart

610 Malte von Bargen

Bedeutung und Funktion der Versicherungswirtschaft

611

sich eine besondere Liquiditätsvorsorge. Es kommt im Gegenteil darauf an, immer wieder von neuem entstehende Liquiditätsüberschüsse so zu disponieren, daß sich nicht durch Ansammlung niedrig verzinslicher Guthaben in nicht benötigter Höhe Rentabilitätseinbußen ergeben. Auch die finanziellen Abläufe der Krankenversicherung sind, vor allem infolge des Gewichts der Alterungsrückstellung, durch ein hohes Maß an Vorhersehbarkeit und Stabilität gekennzeichnet. Spezieller Liquiditätsvorsorge bedarf die jährliche Überschußausschüttung an Versicherte, die keine Leistungen in Anspruch genommen haben (Beitragsrückgewähr). Ganz anders stellen sich die Verhältnisse in der Schadenversicherung dar, die insbesondere in den Sach- und Haftpflichtversicherungszweigen mit starken Schwankungen des Schadenanfalls rechnen muß9. So kommt es, daß in der Lebens- und Krankenversicherung die langfristig orientierte Anlage dominiert, während die Schadenversicherung Wert auf einen hohen Anteil fungibler Anlagen legt und kaum im Realkredit tätig ist. Besonders auf eine hohe Liquiditätsrate des Vermögens angewiesen sind die Rückversicherer, die als Versicherer der Versicherer vor allem den außerordentlichen Schadenbedarf mit seinen zum Teil extremen Schwankungen aufzufangen haben. So erklären sich die deutlichen Unterschiede in der Anlagestruktur der verschiedenen Versicherungszweige, wie sie aus Tabelle 6 zu ersehen sind. 3. Markteinflüsse Anlagevorschriften und Erfordernisse des Versicherungsgeschäfts geben der Kapitalanlage einen Rahmen vor, lassen den Dispositionen der Unternehmen aber ausreichenden Spielraum. So ergeben sich auch innerhalb des gleichen Versicherungszweiges beträchtliche Unterschiede in der Zusammensetzung der Anlagen. Manche Unternehmen, insbesondere außerhalb der Lebensversicherung, betreiben kein Realkreditgeschäft. Andere halten Grundbesitz nur, soweit sie ihn zur Unterbringung eigener Betriebsstätten benötigen. Wieder andere haben zwar Grundbesitz zu Anlagezwecken erworben, aber keine Aktien. Auf der anderen Seite stehen Unternehmen, die in einer der genannten Anlagearten doppelt so stark, wie der Branchendurchschnitt vermuten läßt, engagiert sind. Solche Akzente sind, da mit Personalentscheidungen verbunden, kurzfristig gar nicht und mittel- und langfristig nur mit erheblichem Aufwand neu zu setzen. 9 Μ v. Bargen, Institutionelle Grundlagen der Vermögensanlage in der Versicherungswirtschaft, in: Insitutionen des deutschen Kapitalmarktes, Schriftenreihe des Instituts für Kapitalmarktforschung an der J.W. Goethe-Universität, Frankfurt a.M., Kolloquien-Beiträge 24, hrsg. v. G. Bruns und K. Häuser, Frankfurt 1982, S. 151.

612

Malte von Bargen

Trotzdem läßt sich, wenn man die Bilanzen im Zeitverlauf verfolgt, die Wirksamkeit von Markteinflüssen eindeutig feststellen. Der oben zitierte § 54 VAG verpflichtet zu einer langfristigen Optimierung der Vermögensanlage (s. Seite 609). Die Unternehmen dürfen Grundtendenzen der Wirtschaftsentwicklung nicht außer acht lassen und haben dies bisher auch nicht getan. So stellten die Versicherungsunternehmen entsprechend der Kapitalnachfrage nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges in den 50er Jahren etwa die Hälfte ihrer Anlagemittel für die Finanzierung des Wohnungsbaus zur Verfügung durch Gewährung von Hypotheken- und Schuldscheindarlehen an öffentliche und private Investoren, später auch durch den Erwerb von Pfandbriefen und nicht zuletzt durch die Errichtung beachtlicher Mietwohnungsbestände. Ein weiteres Drittel diente der Unternehmensfinanzierung, insbesondere dem Wiederaufbau der zerstörten industriellen Kapazitäten. Mit den verbleibenden Mitteln wurden öffentliche Infrastrukturmaßnahmen finanziert. Später, bis Anfang der 70er Jahre, flössen zwischen 40 und 50 v.H. der Neuanlagen in die Wohnungsbaufinanzierung, zwischen 25 und 30 v.H. in die Finanzierung gewerblicher und etwa 20 bis 25 v.H. in die Finanzierung öffentlicher Investitionen. In den 70er Jahren entwickelten sich Wohnungsbau und gewerbliche Investitionen stark rückläufig, während die öffentlichen Hände den größten Teil der Finanzierungsmittel an sich zogen, leider nicht nur für Investitionen, sondern auch für öffentlichen Konsum. In den Jahren 1980 und 1981, auf dem Höhepunkt dieser negativen Entwicklung, war der Anteil der öffentlichen Hände an den Neuanlagen der Versicherungsunternehmen auf über 50 v.H. angestiegen, der Anteil der Wohnungsfinanzierung auf etwa ein Drittel und der Anteil der Unternehmensfinanzierung unter 20 v.H. abgesunken. An die Stelle der unmittelbaren Kreditgewährung an Investoren trat mehr und mehr die Ausleihung an Kreditinstitute. Dagegen ist der Anteil der Eigentums- oder Realwerte, Aktien, Grundbesitz und Beteiligungen nur leicht von 20,7 (Ende 1970) auf 18,1 v.H. (Ende 1982) der Bestände zurückgegangen. Dies hängt vor allem mit dem Grundstücksanteil zusammen. Mietengesetzgebung, Marktsättigung und Preisberuhigung auf dem Immobilienmarkt bewirkten, daß die Möglichkeiten für Investitionen, die den Qualitätsanforderungen von Daueranlegern gerecht werden, seltener wurden. Umgekehrt haben die Versicherungsunternehmen ihre Bestände in Aktien und Investmentzertifikaten seit Abschaffung der ertragsteuerlichen Doppelbelastung durch das Körperschaftssteuergesetz von 1976 deutlich, wenn auch nicht spektakulär, aufgestockt.

Bedeutung und Funktion der Versicherungswirtschaft

4. Gesamtwirtschaftliche

613

Bedeutung

Einen gewissen Anhaltspunkt für die Bedeutung der Versicherungswirtschaft als Kapitalanleger bietet der Anteil ihrer Forderungen und Verpflichtungen an sämtlichen Forderungen und Verpflichtungen aller Sektoren der Volkswirtschaft nach Maßgabe der von der Deutschen Bundesbank aufgemachten Finanzierungsrechnung. Allerdings ergeben so ermittelte Relationszahlen keine tatsächlichen Marktanteile, da intrasektorale Kreditbeziehungen nicht ausgewiesen werden, der Grad der Aggregation unterschiedlich ist. Unterstellt man jedoch, daß der Anteil der nicht ausgewiesenen intrasektoralen Kreditbeziehungen an den von der Finanzierungsrechnung erfaßten Transaktionen im Zeitverlauf relativ konstant bleibt, kann aus Änderungen der Relationszahlen auf entsprechende Gewichtsverschiebungen im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsströme geschlossen werden 10. In der Abgrenzung der Finanzierungsrechnung der Deutschen Bundesbank ist der Anteil der Versicherungswirtschaft an den finanziellen Transaktionen aller Sektoren von 5 v.H. (1970) auf 6,2 v.H. (1983) gestiegen (vgl. Tabelle 7). Dabei betrugen 1983 die direkten Ausleihungen an die Wohnungswirtschaft 7,5 v.H., an die Unternehmen 4,5 v.H., an die Banken 6,1 v.H., und an die öffentlichen Haushalte 5,4 v.H. der gesamten Zahlungsverpflichtungen dieser Sektoren. Von größtem Interesse sind Relationszahlen, wie man sie für einzelne Teilmärkte ermitteln kann. So wurde festgestellt, daß Versicherungsunternehmen nach dem Zweiten Weltkrieg jede vierte Wohnung gebaut oder fi-. nanziert haben11. Relativ leicht festzustellen ist der Marktanteil der Versicherer beim Realkredit. Hypothekendarlehen der Versicherungsunternehmen machten Ende 1982 etwa 10 v.H. der institutionell vergebenen Realkredite aus 12 . Gemessen am Umlauf inländischer festverzinslicher Wertpapiere betragen die Bestände der Versicherungswirtschaft etwa 14 v.H. 13 . Gemessen am Bruttoabsatz lag der Anteil der Assekuranz in den letzten Jahren bei etwa einem Fünftel. Schwierig festzustellen ist der Marktanteil bei den Aktien. In der Statistik des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen sind die Bestände von 10 M Overhaus, Die Entwicklung des Kapitalmarktes in der Bundesrepublik Deutschland seit 1958, Kieler Studien, Forschungsberichte des Instituts für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, hrsg. v. H. Giersch, 103, Tübingen 1969, S. 15. 11 GDV-Jahrbuch 1982, 1983. 12 Deutsche Bundesbank, Monatsberichte. 13 Geschäftsbericht des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen und BundesbankMonatsberichte.

Quelle:

Deutsche Bundesbank, Finanzierungsrechnung.

5,ο

Geldvermögen und Verpflichtungen insgesamt

5,6

4,ο 5,5

4,ο

- Aktien

- festverzinslichen Wertpapieren

11,4

4,3

- Unternehmen

Geldanlage in

7,5 5,5

- öffentliche Haushalte

5,6

2,ο

- Banken

7,ο

7,5

- Wohnungswirtschaft

Direkte Darlehen an die

197o

12,7

6,2

6,6

4,5

5,4

6,1

7,6

13,8

198o

1983

Anteil der Versicherungswirtschaft an Geldvermögen und Verpflichtungen aller Sektoren(in vH)

Tabelle 7: Bedeutung der Versicherungswirtschaft im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsströme

614 Malte von Bargen

Bedeutung und Funktion der Versicherungswirtschaft

615

Aktien und Investmentzertifikaten mit Buchwerten vermerkt. Die Deutsche Bundesbank veröffentlicht eine Statistik des Aktienumlaufs zu Nominalwerten und zu Kurswerten 14. Die Buchwerte der Assekuranz dürften deutlich über den Nominalwerten, aber erheblich unter den Kurswerten liegen. Hieraus läßt sich ein Marktanteil der Assekuranz von etwa 14 v.H. (Ende 1982) ableiten15. Dabei ist zu bedenken, daß nur der kleinere Teil des umlaufenden Aktienkapitals tatsächlich handelbar ist. Wichtig erscheint, daß sich seit 1976 ein deutlich steigender Marktanteil der Versicherungswirtschaft ergibt. Der Anteil der Versicherungswirtschaft an der gesamten Außenfinanzierung der Unternehmen schwankte in den vergangenen 30 Jahren um 10 v.H. 16 . V. Funktionen der Versicherungswirtschaft im Sparprozeß

Wie andere Kapitalsammeistellen empfängt die Assekuranz Teile des von den privaten Haushalten und Unternehmen gebildeten Geldvermögens und leitet es als Finanzierungsmittel weiter. Neben dieser Transferfunktion wird auch die Transformationsfunktion erfüllt, nämlich die Umwandlung von Geld in Kapital 17 . Finanzierungsquelle der Versicherungsunternehmen sind, wie bereits ausführlich dargestellt, die Beitragseinnahmen. Die Transferfunktion ist, anders als bei den Kreditinstituten, nicht originärer Zweck von Versicherungsunternehmen; sie stellt aber einen notwendigen Abschnitt bei der Produktion von Versicherungsschutz dar. Die versicherungswirtschaftliche Kapitalansammlung setzt eine spezifische Organisationsleistung voraus. Dazu zählt vor allem die Bildung ausreichend großer Risikokollektive als Voraussetzung für die Risikobewältigung nach versicherungsmathematischen Grundsätzen. Nicht zuletzt wegen des abstrakten Charakters des Schutzversprechens, der Assoziation mit als unangenehm empfundenen Ereignissen, wie dem Schadenfall, der relativ hohen Erklärungsbedürftigkeit des Produktes und der erforderlichen Evaluation des individuellen Sicherheitsbedarfes kommt dem Außendienst der Versicherer 14 Statistik des Bundesaufsichtamtes für das Versicherungswesen und Wertpapierstatistik der Deutschen Bundesbank. 15 50 Prozent der Buchbestände ergeben 14,9 Prozent der Nominalwerte, 150 Prozent der Buchbestände ergeben 13,3 Prozent der Kurswerte der börsennotierten Aktien. Die Börsennotierung ist Voraussetzung für das Halten von Aktien im gebundenen Vermögen (§54a Abs. 2 Nr. 5 VAG). 16 Assekuranz als Kapitalgeber der Wirtschaft, in GDV-Jahrbuch 1984. 17 Vgl. E Dürr und R Tuchtfeld, Kapitalsammelstellen, in HdWW, hrsg. von W. Albers, K.E. Born u.a., Bd. 4, Stuttgart 1978, S. 439 ff.

37,3 12,7 43,6

Quelle: Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen, Berlin.

97,6

Versicherungswirtschaft insgesamt

darunter: Lebensversicherung Krankenversicherung Schaden- und Unfallversicherung

6,4 ο,6 1,ο 22,8 2,2 3,2

Krankenversicherung Schaden- und Unfallversicherung

18,9 1,6 3 , 0 4,8 5,0

30,8

7,3 lo,5

12,3

17,9

49,1

22,5 20,9 58,3

40,4

1 9 8 3

7,2 27,6

97,ο

17,9

238,9

388,1

161,6

Nettozugang Kapitalzu Kapitalanlagen anlagen insgesamt

1 9 7 5

lfd. Erträge aus Kapitalanlagen

Versicherungswirtschaft insgesamt darunter: Lebensversicherung

Beitragseinnahmen

7libelle 8: Beitragseinnahmen und Kapitalbildung — in Mrd. DM —

616 Malte von Bargen

Bedeutung und Funktion der Versicherungswirtschaft

617

eine große Bedeutung zu. Ohne aktive Außendienstorganisation wäre der hohe Versorgungsgrad privater Haushalte und Unternehmen mit Versicherungsschutz nicht möglich. Die akquisitorische Leistung des Versicherungsaußendienstes ist die Grundlage der Kapitalsammlung bei den Versicherungsunternehmen. Das Ausmaß der Kapitalansammlung ist, wie bereits dargelegt (s. Seite 606 ff.), stark von der Art des Versicherungsgeschäfts abhängig. Der Beitrag zur volkswirtschaftlichen Kapitalbildung kann am Netto-Neuzugang an Kapitalanlagen gemessen werden. Der Netto-Neuzugang stellt die Differenz zwischen den laufenden Einnahmen (Beitragseinnahmen und Kapitalerträge) und laufenden Ausgaben (Versicherungsleistungen und Betriebskosten) dar. In der Lebensversicherung werden rund 45 v.H., in der Krankenversicherung rund 15 v.H. und in der Schaden- und Unfallversicherung etwa 10 v.H. der laufenden Einnahmen zur Kapitalansammlung verwendet. Insgesamt kann die Versicherungswirtschaft rund 30 v.H. ihrer laufenden Einnahmen für die volkswirtschaftliche Kapitalbildung zur Verfügung stellen (vgl. libelle

8). Nicht minder wichtig als Quantitäten ist für den Kapitalmarkt und die Volkswirtschaft 18 ein qualitativer Aspekt. In der Versicherungswirtschaft vollzieht sich die Kapitalbildung mit außerordentlicher Stetigkeit. Während andere Geldanlagen der privaten Haushalte von Jahr zu Jahr erheblich schwanken, wächst die Geldanlage bei Versicherungen kontinuierlich und gleichmäßig (vgl. Abbildung 1). Natürlich unterliegen auch die Einnahmen und Ausgaben der Versicherungen zyklischen und zufallsbedingten Schwankungen. Insbesondere sind konjunkturelle Einflüsse auf die Beitragseinnahmen und den Schadenverlauf nachgewiesen19. Aber die beobachteten Schwankungen kumulieren nicht, sondern gleichen sich hinsichtlich ihrer Einflüsse auf die Kapitalanlage weitgehend wechselseitig aus. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß die Vertragsverhältnisse zwischen Versicherern und ihren Kunden in der Regel über sehr lange Zeiträume stabil bleiben. Stabile Versicherungskontrakte ermöglichen auch eine stetige Kapitalbildung. Diese Stetigkeit der Kapitalbildung leistet ihrerseits einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Kapitalmärkte und entlastet damit zugleich die Geldpolitik. Die Mittel der Versicherungswirtschaft stehen aufgrund der Spezifika des Versicherungsgeschäfts durchweg langfristig zur Verfügung. Die Liquiditätshaltung ist gering und konnte in den letzten Jahren noch weiter reduziert 18

Vgl. Μ. v. Bargen, Institutionen des deutschen Kapitalmarktes a.a.O., S. 159 ff. Vgl. Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, Lebensversicherung und Konjunktur, Schriftenreihe des Ausschusses Volkswirtschaft des GDV. 19

618

M a l t e v o n Bargen

Abbildung 1 Geldvermögensbildung der privaten Haushalte nach Sektoren in M r d .

DM

Mrd DM 60 bei/in Banken davon S p a r e i n l a g e n Bausparkassen · · · · · Versicherungen — — « Aktien -X-X—X Festverzinsliche — _ r Wertpapiere

A f\ /

I

\ λ l'

1

I

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I

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V

ν— ^

-L ι 1950

ι '

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I I I JL I 196ο

I « ·| « I « I

-L

197o

Quelle: M o n a t s b e r i c h t e der Deutschen Bundesbank.

I 1

j

V-x-f L I I l98o

I

1971

λ

1972

1

Λ

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1973

1

y

1974

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I

1 1975

J

1 1976

I

κι

1977

I

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I

Y7

s

1978

I

/X.

1

I

\

1979

ν,

1980

I

Geldmittel (incl. Termingelder) aller Versicherungsunternehmen in % der gesamten Vermögensanlagen Durchschnitt der letzten 4 Quartale

Abbildung 2: Liquiditätshaltung der Versicherungsunternehmen

Quelle: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank / Eigene Berechnungen.

1,0 1

1.5.

2.0 .

4,0 r

%

I 1981

-

I 1982

ν

1983

x

v^S

1984

Bedeutung und Funktion der Versicherungswirtschaft 619

620

Malte von Bargen

werden (vgl. Abbildung 2). Es erfolgt eine nahezu vollständige Transformation von Geld in Kapital. Dies erscheint vor allem vor dem Hintergrund der Instabilität des Kapitalmarktes, die sich in unzureichender langfristiger Kapitalbildung und erheblichen Zinsschwankungen ausdrückt, von Bedeutung. So ist die durchschnittliche Laufzeit festverzinslicher Wertpapiere, die Ende der 60er Jahre noch bei 12 Jahren lag, bis Mitte 1984 auf weniger als 4 Jahre gefallen 20. Dementsprechend haben sich auch die Fristen für längerfristige Festzinskredite, die eine wichtige Voraussetzung für eine fristenkongruente Finanzierung langlebiger Anlageinvestitionen und der Immobilienfinanzierung und damit auch für Wachstum und Beschäftigung sind, deutlich verkürzt 2 1 . Neben der Instabilität des Kapitalmarktes trägt die unveränderte Beibehaltung des § 247 BGB zusätzlich zur Fristenverkürzung im Bereich des langfristigen Kredits 22 bei. Nach einer bereits in der letzten Legislaturperiode erwogenen und nun hoffentlich bald vollzogenen Reform der durch die wirtschaftliche Entwicklung überholten Vorschrift könnte auch die Versicherungswirtschaft ihre Mittel, dem langfristigen Charakter der Kapitalanlagen entsprechend, wieder in wesentlich stärkerem Maße langfristig und zu festen Konditionen zur Verfügung stellen. Für die Kapitalbildung durch Versicherungen ist weiterhin kennzeichnend, daß sie nach dem Grundsatz der kongruenten Deckung ungeschmälert den inländischen Anlagemärkten zugutekommt. Verpflichtungen in deutscher Währung werden ausschließlich durch inlandsbezogene Vermögensanlagen, die zahlenmäßig wenig ins Gewicht fallenden Verpflichtungen in ausländischer Währung, die vor allem in der Rückversicherung eine Rolle spielen, durch entsprechende ausländische Vermögensanlagen gedeckt. Kapitalexport von einem Währungsgebiet in ein anderes findet nicht statt. Für die inländische Kapitalversorgung von Bedeutung ist schließlich, daß die Vermögensanlage der Versicherungsunternehmen weder auf bestimmte Anlageformen, noch auf einzelne volkswirtschaftliche Sektoren festgelegt ist. Auf diese Weise kann sie flexibel den Veränderungen der Nachfrage angepaßt werden und den gesamtwirtschaftlich höchsten Nutzen stiften. Dabei spielt 20 Berechnungen der Deutschen Girozentrale-Deutsche Kommunalbank (DGZ), Frankfurt, in: Handelsblatt, 17./18. August 1984, S. 2. 21 M.v. Bargen, Kapitalmarktprobleme als Investitionshemmnis, Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialpolitik des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Nr. 87, Köln 1980, S. 74/75. 22 Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, Bedeutung und zukünftige Entwicklung des langfristigen Kredits unter Berücksichtigung des §247 BGB, Gutachten im Auftrag des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft und des Verbandes der LebensversicherungsUnternehmen, bearbeitet von H.C. Sherman, München 1983, S. 138.

Bedeutung und Funktion der Versicherungswirtschaft

621

eine besondere Rolle, daß die Zusammensetzung der Anlagebestände nicht, wie sonst häufig, steuerlich, sondern durch das Ziel der langfristigen Vermögenserhaltung motiviert ist (vgl. den oben Seite 609 zitierten § 54 VAG). Hierdurch werden Kapitalfehlleitungen, wie sie in den letzten Jahren auf den sogenannten grauen Kapitalmärkten zu beobachten waren, vermieden.

V I . Perspektiven der versicherungswirtschaftlichen Kapitalbildung

Für private Haushalte und Unternehmen hat die Risikovorsorge durch Versicherung einen hohen Stellenwert. Demoskopische Untersuchungen haben dies vielfach bestätigt. Mit steigenden Einkommen und zunehmender gesamtwirtschaftlicher Produktionsleistung nimmt erfahrungsgemäß der Vorsorgebedarf überproportional zu. Spielraum und Bedeutung der eigenverantwortlichen Vorsorge haben sich angesichts der veränderten wirtschafts- und sozialpolitischen Rahmendaten vergrößert. Mittel- und längerfristig sind die Perspektiven für die Geschäftsentwicklung der Assekuranz unverändert positiv zu beurteilen. Dies wird auch in den Kapitalanlagen seinen Niederschlag finden. Vorsorgeformen, die Sparprozeß und Versicherungsprozeß voneinaner trennen, wie sie neuerdings wieder propagiert werden, haben nach aller historischen Erfahrung bei Stabilität der Preise und der Kapitalmärkte nur einen begrenzten Markt. Die Bedeutung der versicherungswirtschaftlichen Kapitalbildung für den volkswirtschaftlichen Sparprozeß wird daher kaum ernstlich zurückgehen. Angesichts der Sättigungserscheinungen am Wohnungsmarkt und der begrüßenswerten Eindämmung der öffentlichen Neuverschuldung wird die Versicherungswirtschaft künftig einen größeren Teil ihrer Neuanlagen für die Unternehmensfinanzierung einsetzen können. Die bestehenden Anlagevorschriften bieten hierfür grundsätzlich ausreichenden Spielraum. Allerdings stehen nicht überall mehr personelle Kapazitäten im früheren Umfang zur Verfügung, so daß neue Akzente sich nur allmählich durchsetzen werden. Besondere Aufmerksamkeit findet gegenwärtig die mangelhafte Eigenkapitalausstattung der deutschen Wirtschaft im historischen, aber auch im internationalen Vergleich. Sie hängt nicht zuletzt mit der Vernachlässigung des Instruments der Aktienfinanzierung und der Verkümmerung des deutschen Aktienmarktes zusammen. Hier hat ein Umdenken eingesetzt. Nachdem bereits die Körperschaftssteuerreform von 1976 zu verstärktem Engagement der Versicherungswirtschaft in Aktien geführt hat, ist anzunehmen, daß der

622

Malte von Bargen

weitere Abbau noch bestehender Benachteiligungen der Aktiengesellschaft gegenüber anderen Unternehmensformen auch der Aktienanlage der Versicherungsunternehmen weitere Impulse geben wird. Beteiligungen, die nicht fungibel sind und ständiger unternehmerischer Betreuung bedürfen, sind für die Anlage von gebundenem Vermögen, also von Fremdmitteln, nicht geeignet. Dagegen kann die Organisation von Unternehmen in der Form der Aktiengesellschaft mit beständigem Interesse der Versicherungswirtschaft rechnen. Um auch den Bedürfnissen der Unternehmen Rechnung zu tragen, für welche die Rechtsform der Aktiengesellschaft nicht oder noch nicht in Betracht kommt, hat die Versicherungswirtschaft die „Risikokapital-Beteiligungsgesellschaft der Deutschen Versicherungswirtschaft A G " (KDV) gegründet. Die beteiligten Versicherungsunternehmen haben sich verpflichtet, aus ihrem freien Vermögen DM 100 Mill, zur Verfügung zu stellen, die als echtes Eigenkapital vor allem solchen Unternehmen zugutekommen sollen, die nicht unmittelbar an den Kapitalmarkt herantreten können. Ins Auge gefaßt wurde dabei der gesamte Bereich der vorwiegend als Familienunternehmen organisierten mittelständischen Wirtschaft, in der es die Eigenkapitalbasis für innovative Investitionen zu verbreitern gilt, also nicht nur der publizistisch häufig behandelte, aber verhältnismäßig schmale Bereich der spitzentechnologischen Neugründungen (Venture Capital). Der Gesellschaft wird neben ihren Eigenmitteln, die für Beteiligungen jeder Rechtsform geeignet sind, auch die Fachkunde zur Verfügung stehen, die erforderlich ist, um die eingegangenen Beteiligungen in angemessener Weise zu begleiten. Es sollen vor allem Innovationen und neue Produktionsverfahen in Gang gesetzt werden, die zwar technisch beherrscht aber wegen fehlenden Eigenkapitals nicht realisiert werden können. Die Bedienung des Kapitals wird den Erfordernissen der Beteiligungsunternehmen angepaßt. Die Gesellschaft wird mit allen Institutionen zusammenarbeiten, die auf diesem Gebiet ausgewiesen sind. Noch weitergehende Impulse für die Verbesserung der Eigenkapitalbasis und für den volkswirtschaftlichen Sparprozeß würden sich durch eine Einbeziehung der Lebensversicherer in die auf Beteiligungsanlagen ausgerichtete Vermögenspolitik ergeben. Die Lebensversicherungswirtschaft hat hierfür das Konzept einer Vermögensbeteiligungspolice entwickelt. Die hier aufkommenden Ersparnisse würden in einem besonderen Deckungsstock angelegt, der vorrangig auf die Unternehmensfinanzierung, insbesondere auch auf die Ausstattung kleiner und mittlerer Unternehmen mit Risikokapital ausgerichtet wäre. Einen abweichenden Ansatz enthält ein Gesetzesentwurf des Bundesrates vom 5.7.1985 (Drucksache 229/85), demzufolge die Bei-

Bedeutung und Funktion der Versicherungswirtschaft

623

träge zu Lebensversicherungsverträgen mit der halben ArbeitnehmerSparzulage von 15 v.H. gefördert werden sollen, wenn die Gewinnanteile zum Erwerb von Beteiligungstiteln verwendet werden. Die über eine Vermögensbeteiligungspolice hereinkommenden Mittel könnten je nach Ausgestaltung weit über die erwähnten DM 100 Mill, hinaus Ersparnisse der privaten Haushalte für eine Verbesserung der Eigenkapitalausstattung der Unternehmen mobilisieren.

Sozialversicherungssystem und volkswirtschaftliche Ersparnis Von Manfred Hieber, Bonn I. Einleitung

In seinem 1974 in JPE erschienenen Beitrag mit dem Titel ,,Social security, induced retirement, and aggregate capital accumulation" untersuchte Martin Feldstein die Auswirkungen des amerikanischen Sozialversicherungssystems auf die volkswirtschaftliche Ersparnis und die Realkapitalbildung in den Vereinigten Staaten. Er gelangte dabei zu dem aufsehenerregenden Ergebnis, in den USA habe das Sozialversicherungssystem die persönlichen Ersparnisse näherungsweise halbiert und die gesamte private Ersparnis um 38 v.H. reduziert. Diese Verminderung der gesamten privaten Ersparnis bedeute auf Dauer eine entsprechende Senkung des privaten Kapitalstocks und eine substantielle Verminderung des Bruttosozialprodukts im Vergleich zu dem sonst möglichen1. Der Beitrag Feldsteins hat eine große Zahl theoretischer und empirischer Untersuchungen angeregt, die je nach theoretischem Modell und daraus abgeleitetem empirischen Ansatz recht unterschiedliche Ergebnisse zutage förderten 2. In manchen Arbeiten, insbesondere solchen, die sich auf die Lebenszyklushypothese Modiglianis stützten3, wurden die Feststellungen Feld1 Vgl. dazu den genannten Beitrag von Martin Feldstein, S. 922. Feldstein hatte allerdings Anlaß, seine Ergebnisse zu korrigieren, nachdem ihm Leimer und Lesnoy einen Fehler bei der Ermittlung der „social security wealth "-Variablen nachgewiesen hatten. Nach erneuter Schätzung auf der Grundlage revidierter Zeitreihen für das Sozialversicherungsvermögen der Mitglieder des Rentenversicherungssystems ergab sich eine Verminderung der persönlichen Ersparnisse um 44 v.H. und des privaten Sparens um 34 v.H. Vgl. hierzu Martin Feldstein, Social Security and Private Saving: Reply; in: JPE, Bd. 90 (1982), S. 632 ff.; Die Kritik von Leimer und Lesnoy findet sich in dem Beitrag Dean R. Leimer und Selig D. Lesnoy, Social Security and Private Saving: New Time-Series Evidence, in: JPE Bd. 90 (1982), S. 606-629. 2 Eine Übersicht über die Diskussion gibt der Beitrag von Henry J. Aaron , Economic Effects of Social Security, Studies in Government Finance, Brookings Institution, Washington 1982; vgl. auch Lawrence H. Thompson, The Social Security Reform Debate, in: JEL, Bd. 21 (1983), S. 1425-1467. 3 Die Lebenszyklushypothese wurde mit dem Ziel, bestimmte Unvereinbarkeiten der einfachen keynesianischen Konsumtheorie mit der Empirie zu bereinigen, von Modigliani, Brumberg und Ando entwickelt. Vgl. hierzu Richard Brumberg und Franco Modigliani, Utility Analysis and the Consumption Function, in: Post-Keynesian Economics, Κ. Kurihara (Hg.) 1954 und Albert Ando und Franco Modigliani, The „Life Cycle" Hypothesis of Saving: Aggregate Implications and Tests, in: AER, Bd. 53 (1963), S. 55-84.

626

Manfred Hieber

steins, wenngleich auch nicht unbedingt hinsichtlich der numerischen Werte, bestätigt. In anderen Beiträgen hingegen, die das Multigenerationenmodell Barros 4 als theoretische Vorlage verwandten oder den ,,short horizon approach" zur Grundlage machten5, wurde ein Einfluß des Sozialversicherungssystems auf die volkswirtschaftliche Ersparnis geleugnet, konnte in empirischen Untersuchungen ein signifikanter Einfluß des Sozialversicherungssystems auf die volkswirtschaftliche Ersparnis nicht festgestellt werden6. Die Diskussion ist in den Vereinigten Staaten noch nicht zu einem abschließenden Ergebnis gelangt. Nach Lage der Dinge kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, daß von der Existenz des Sozialversicherungssystems in den USA angesichts der Größenordnungen, mit denen man es in bezug auf Beitragsleistungen und Rentenzahlungen zu tun hat, substantielle Auswirkungen auf die volkswirtschaftliche Ersparnis und die Realkapitalbildung ausgehen7. Das Sozialversicherungssystem in der Bundesrepublik8 zeigt bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem System in den Vereinigten Staaten und zwar insbesondere in bezug auf jene Regelungen und Besonderheiten, denen in der Diskussion um Einflüsse des Sozialversicherungssystems auf das Sparen besondere Bedeutung zugesprochen wird. Es handelt sich dabei einmal um die Tatsache, daß es sich beim amerikanischen wie beim bundesrepublikanischen Rentenversicherungssystem im Kern um ein „pay-as-you-go-system" handelt, um ein System, das nach dem Umlageverfahren arbeitet9. Zum anderen sind es Regelungen administrativer Art, aufgrund derer Einflüsse auf 4 Robert J. Barro , Are Government Bonds Net Wealth?, in: JPE, Bd. 82 (1974), S. 1095-1118. 5 Vgl. hierzu Henry J. Aaron , Economic Effects of Social Security, a.a.O., S. 23 ff., sowie Walter Dolde und James Tobin , Mandatory Retirement Saving and Capital Formation, in: The Determinants of National Saving and Wealth, Franco Modigliani und Richard Hemming (Hg.), London 1983, S. 56-88. 6 Vgl. hierzu u.a. Robert J. Barro , The Impact of Social Security on Private Saving: Evidence from US Time-Series, American Enterprise Institute Studies, 1978. 7 Vgl. hierzu Martin Feldstein , The Social Security Fund and National Capital Accumulation, in: Funding Pensions: Issues and Implications for Financial Markets, Federal Reserve Bank of Boston, Conference Series No. 16, 1976, S. 32 ff. 8 Das Sozialversicherungssystem der Bundesrepublik umfaßt die gesetzliche Rentenversicherung, die Kranken- und Unfallversicherung sowie die Arbeitslosenversicherung. Relevanz für die gesamtwirtschaftliche Ersparnis besitzt vor allem das Rentensystem. 9 Das Sozialversicherungssystem in der Bundesrepublik ist kein reines „pay-as-you-gosystem", insofern ein maßgeblicher, gesetzlich geregelter Beitrag in Form von Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt das Beitragsaufkommen ergänzt. Zu den Systemen, die in unterschiedlichen Ländern praktiziert werden, vgl. Roland Vaubel, Reforming Social Security for Old Age, in: Reassessing the Role of Government in the Mixed Economy, Herbert Giersch (Hg.), Tübingen 1983, S. 173-190.

Sozialversicherungssystem und volkswirtschaftliche Ersparnis

627

die Länge der Lebensarbeitszeit und davon abgeleitet auf die Ersparnisse zu erwarten sind. Es besteht deshalb Grund zu der Annahme, daß sich, sofern für die USA vorhanden, auch Auswirkungen der Existenz des Sozialversicherungssystems auf Ersparnis und Realkapitalbildung in der Bundesrepublik ergeben haben und eventuell weiterhin ergeben, die angesichts der Größenordnungen mit denen wir es bezüglich der Beitragsleistungen und Rentenzahlungen auch in der Bundesrepublik zu tun haben, von erheblicher volkswirtschaftlicher Bedeutung sein können10. Der folgende Beitrag versucht, mit einer Darstellung der theoretischen Argumente, die im Zusammenhang mit möglichen Auswirkungen des Sozialversicherungssystems auf die volkswirtschaftliche Ersparnisbildung vorgebracht werden, in die Diskussion einzuführen und zugleich Voraussetzungen für die Durchführung empirischer Untersuchungen zu schaffen, die den institutionellen Verhältnissen des Rentenversicherungssystems in der Bundesrepublik Rechnung tragen. Zwei mögliche Effekte des gesetzlichen Rentenversicherungssystems, die für die volkswirtschaftliche Ersparnisbildung von Bedeutung sein können, stehen im Vordergrund der Diskussion. Es handelt sich um Vermögenseffekte auf der einen Seite und Lebensarbeitszeiteffekte auf der anderen Seite11.

I I . Vermögenseffekte des Rentenversicherungssystems und ihre möglichen Auswirkungen auf die volkswirtschaftliche Ersparnis

Ein unter Umständen bedeutsamer Einfluß des Rentenversicherungssystems auf die volkswirtschaftliche Ersparnis vollzieht sich über Vermögenseffekte, die dieses System hervorbringen kann und, so die begründete Vermutung, im Regelfall hervorbringt. Diese Vermögenseffekte lassen sich auf den Umstand zurückführen, daß das in den USA und in der Bundesrepublik bestehende Sozialversicherungssystem nicht wie private Pensionsfonds z.B. 10 Eine Vorstellung von den Größenordnungen liefern die folgenden Angaben: Die Summe der Sozialversicherungsbeiträge belief sich im Jahre 1981 auf rund 123 Mrd. DM, die Summe der Rentenzahlungen auf 125 Mrd. DM und die Summe aller Leistungen der Rentenversicherungsträger, also einschließlich der Leistungen im Zusammenhang mit Gesundheitsmaßnahmen und der Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner 146 Mrd. DM. Die private Ersparnis in der Bundesrepublik betrug im Vergleich dazu im gleichen Jahr 153 Mrd. DM, die volkswirtschaftliche Ersparnis rund 133 Mrd. DM. 11 Vgl. hierzu Martin Feldstein , Social Security, Induced Retirement, and Aggregate Capital Accumulation, in: JPE, Bd. 82 (1974), S. 906 ff.; ders., Social Security and Saving: The Extended Life Cycle Theory, in: AER, Bd. 66 (1976), Papers and Proceedings, S. 77-86.

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nach dem Kapitaldeckungsverfahren operieren, sondern als,,pay-as-you-gosystem'' organisiert sind, nach dem sogenannten Umlageverfahren arbeiten. Das Umlageverfahren ist dadurch gekennzeichnet, daß die in einer Periode von den abgabepflichtigen Mitgliedern des Systems aufgebrachten Beiträge, eventuell wie in der Bundesrepublik durch gesetzlich geregelte Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt, die vom Beitragsaufkommen abhängig sind, ergänzt, in etwa der Summe aller Rentenzahlungen als Altersruhegeld, Renten wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit sowie als Hinterbliebenenversorgungsleistungen gleich sind. Der markanteste Ausdruck des Unterschieds zwischen Umlageverfahren und Kapitaldeckungsverfahren ist, daß beim Kapitaldeckungsverfahren der Kapitalwert der bestehenden Ansprüche an den Versicherungsträger etwa gleich ist dem Vermögensbestand dieses Versicherungsträgers, während die Versicherer im Sozialversicherungssystem, die Rentenversicherungsträger, über Vermögensbestände, abgesehen von der sogenannten Schwankungsreserve, die nur wenige Monatsrentenzahlungen ausmacht, nicht verfügen, der Kapitalwert der Rentenansprüche so gesehen also keine Kapitaldeckung aufweist 12. Vermögenseffekte gehen vom gesetzlichen Rentenversicherungssystem aufgrund des praktizierten Umlageverfahrens in der Regel deshalb aus, weil dieses System kein faires System in dem Sinne ist, daß der Kapitalwert der Beitragsleistungen (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile) dem Kapitalwert der Rentenansprüche gleich ist, wie dies grundsätzlich bei der Altersversorgung auf dem Wege über das Kapitaldeckungsverfahren anzunehmen ist. Der implizite Ertragssatz auf die Beitragsleistungen weicht mehr oder weniger stark von dem Zinssatz für langfristige, „risikolose" Geldvermögensanlagen ab. Dies hat allokationspolitische Folgen. Eine mögliche Folge ist dann gegeben, wenn die Existenz des Sozialversicherungssystems einen Rückgang der gesamten privaten Ersparnis und damit einen auf Dauer geringeren privaten Realkapitalbestand bewirkt, wie dies von Martin Feldstein behauptet wird. Wir wollen in einem ersten Schritt zeigen, daß das gesetzliche Rentenversicherungssystem, wie es in der Bundesrepublik und in den Vereinigten Staaten existiert, in der Regel im obigen Sinne unfair ist und wovon der Mangel an Fairneß abhängt, um dann die daraus abzuleitenden Auswirkungen auf die private Ersparnis zu diskutieren.

12 Im angelsächsischen Schrifttum bezeichnet man deshalb das gesetzliche Rentenversicherungssystem als ein ,,unfunded system".

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1. Der Mangel an Fairneß des Rentenversicherungssystems als Strukturmerkmal dieses Systems Zur Begründung der Behauptung eines Mangels an Fairneß des Rentenversicherungssystems ist es erforderlich, die Kapitalwerte der Beitragsleistungen und der Rentenbezüge abzuleiten und zu vergleichen. Wir stellen dabei auf das „durchschnittliche" Mitglied ab, auf jenes Mitglied, das durchschnittliche Werte in bezug auf Erwerbseinkommen, Länge des Erwerbs- und des Rentenlebens sowie Ansprüche an das Rentenversicherungssystem aus Gründen der Hinterbliebenenversorgung aufzuweisen hat. Der Gegenwartswert der Beiträge des einzelnen Mitglieds ergibt sich wie folgt: Der Beitrag eines durchschnittlichen Mitglieds in der Periode t B t hängt ab von der Höhe des Beitragssatzes in t b t (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil) und vom durchschnittlichen Einkommen in der Periode t E t in der Form: (1)

Bt = bt Et

Das Mitglied trete in der Periode 0 in das Erwerbsleben ein und beziehe das durchschnittliche Einkommen Eq. Das Durchschnittseinkommen wachse in der Zeit mit der konstanten Rate w. Damit steigt auch der Beitrag des Mitglieds. Es gilt: B t = b t E 0 (1 + w) 1

(2)

Dieser Beitrag ist, wenn der Gegenwartswert der Beitragsleistungen für das Ende der Periode bestimmt wird, in der das Erwerbsleben des Mitglieds endet, zu verzinsen. Als Zinsfaktor findet der langfristige Marktzinssatz für „risikolose" Anlagen r Anwendung. Ist Τ die letzte Periode im Erwerbsleben des Mitglieds, so ergibt sich als Komponente des Gegenwartswerts der Beiträge aus Beitragsleistungen in t für Τ der Kapitalbetrag: (3)

K j = b t E 0 (1 + w ) 1 (1 + r ) T _ t

Dies gilt nun für alle t, t = 0 ... T. Der Gegenwartswert K j ist dann gleich der Summe: (4)

KT = Σ

o

K | = E0

(l+T) Ti =bt(\^-f

Bei Fairneß des Rentenversicherungssystems müßte dieser Betrag Κχ dem Gegenwartswert der Rentenbezüge des durchschnittlichen Mitglieds gleich sein. Das Mitglied geht am Ende der Periode Τ in Rente. Ist Ν die durch-

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schnittliche Zahl der Perioden über das Erwerbs- und Rentenleben, dann ist N-T die Zahl der Perioden, in denen im Durchschnitt Rente bezogen wird. Als Folge des Umlageverfahrens ist das Beitragsaufkommen einer Periode (zuzüglich der in der Bundesrepublik gesetzlich geregelten und vom Beitragsaufkommen abhängigen Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt) näherungsweise gleich dem gesamten Rentenzahlungsvolumen der betreffenden Periode. Das gesamte Beitragsaufkommen einer Periode ergibt sich wie folgt: Ist in Periode T + t die Zahl der Beitragszahler zj +t, die bei Beitragssatz bx+ t und durchschnittlichem Einkommen in T + t Eq (1 + w ) T + t Beiträge erbringen, dann ist der Gesamtbetrag der aufkommenden Beträge in Τ +1

BT+ t

(5)

=

zT+t b

T + t

E 0 (1 + w ) T + t

und ist q der Prozentsatz, mit dem das Mitgliedsbeitragsaufkommen zu multiplizieren ist, so daß sich der Zuschuß aus dem Bundeshaushalt zur Ergänzung der Beitragsleistungen ergibt 13 , dann folgt das Gesamtaufkommen an Mitteln der Rentenversicherungsträger in T + t aus:

AT+t

(6)

= z T + t b r + t E 0 (1 + w ) T + t ( 1 + q )

Diesem Betrag ist die Summe der Rentenzahlungen in Periode T + t gleich. Die Summe der Rentenzahlungen ist gleich dem Produkt der Rente des durchschnittlichen Mitglieds und der Zahl der Rentenbezieher in dieser Periode (7)

-Rex+t = rex+t ReT+t

wobei -Rex+t der Gesamtbetrag der in T + t gezahlten Renten ist, rex+ t bezeichnet die Zahl der Rentner und Rex+ t ist der Rentenbetrag des durchschnittlichen Rentners in der betreffenden Periode. Setzt man nun J ? e j + t und T + t gleich, wie es das Umlageverfahren fordert, so ergibt sich als Rentenbetrag für das durchschnittliche Mitglied in Τ +1

A

(8)

Rex+t = ^ (t= 1...N-T)

b T + t

T + t

E 0 (1 + w ) T + t ( l + q )

Diskontiert man die Rentenbeträge auf den Zeitpunkt am Ende der Periode Τ ab, dann erhält man als Komponente des Gegenwartswerts der Rente aus Periode T + t: (9)

KT + t

=

il±L ^

rex+t

^

( 1 + w )

T

+

t ( 1 + q

y J ^

(l+r)

13 Dieser Zuschuß macht im Jahr 1981 mit rund 28,5 Mrd. DM etwa 23 v.H. der Beitragseinnahmen aller gesetzlichen Rentenversicherungsträger in der Bundesrepublik aus.

Sozialversicherungssystem und volkswirtschaftliche Ersparnis

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für alle t aus t = l...(N-T). Für den Gegenwartswert folgt dann: (10)

_

N-T

T+t

Κ τ = t=ς ι K j

T

= E 0 ( l + W) (1+q)

Fairneß des Systems ist dann gegeben, wenn Κχ = Κχ bzw. Χ = Κχ / Κχ= 1. Bildet man X, so folgt:

OD

X= (^)T(l+q;

Eine Betrachtung dieser Formel zeigt unmittelbar, daß X nicht, wie dies bei systemimmanenter Fairneß der Fall wäre, sondern nur unter ganz bestimmten Bedingungen den Wert 1 annimmt. Wie sich zeigt, hängt X von der Wachstumsrate des Einkommens des durchschnittlichen Arbeitnehmers und Mitglieds des Rentenversicherungssystems, von dem Zinssatz für langfristige „risikolose" Geldvermögenstitel, den Beitragssätzen und last but not least von der Bevölkerungsstruktur ab. Der Faktor z T + t / r e T + t wird wiederum bestimmt durch institutionelle Regelungen des Rentenversicherungssystems, die die Länge des Erwerbslebens beeinflussen sowie durch demographische Faktoren, die den Altersaufbau der Gesellschaft und dessen Veränderungen bestimmen14. Die Existenz all dieser Faktoren bedeutet, daß X in einem unter Umständen breiten Intervall beliebige Werte, den Wert 1 eingeschlossen, annehmen kann, daß dieses System also nur im Ausnahmefall fair ist. Der implizite Ertragssatz auf die Beitragsleistungen der Mitglieder des Systems ist nur zufällig dem Zinssatz für langfristige, „risikolose" Geldvermögensanlagen gleich. 2. Die Konsequenzen eines Mangels an Fairneß für die gesamte private Ersparnis aus der Sicht des Lebenszyklusmodells Die Tatsache, daß bei dem auf dem Umlageverfahren basierenden Rentenversicherungssystem regelmäßig der implizite Ertragssatz auf Beitragsleistungen vom langfristigen, „risikolosen" Zinssatz auf Geldvermögensan14 Fairneß als möglicher Fall wäre z.B. dann gegeben, wenn die Wachstumsrate des Prokopfeinkommens dem Zinssatz für risikolose Geldvermögensanlagen gleich wäre, ein Beitrag aus Haushaltsmitteln zur Ergänzung des Beitragsaufkommens nicht geleistet würde, die Beitragssätze über die Zeit konstant und die Bevölkerung, nach vollständiger Anpassung an diesen Zustand stationär wäre. Ein Mangel an Fairneß zugunsten der Rentner hingegen läge vor, wenn ceteris paribus die Bevölkerung aufgrund einer entsprechenden Wachstumsrate der Geburtenzahlen anstiege bzw. wenn (im relevanten Bereich) die Wachstumsrate des Prokopfeinkommens den langfristigen Marktzinssatz überstiege.

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lagen abweicht, begründet, weshalb vom Sozialversicherungssystem allokationspolitische Effekte ausgehen. Ein solcher möglicher Effekt, als „Vermögenseffekt" bezeichnet, wird von Feldstein in einer Verminderung der gesamten privaten Ersparnis und der privaten Realkapitalbildung gesehen. Feldstein u.a. leiten diesen Effekt unter Verwendung des Lebenszyklusmodells ab 15 . Bei diesem Modell geht man davon aus, die Wirtschaftseinheiten planten ihr Konsum- und Sparverhalten auf der Grundlage eines Zeithorizonts, der die gesamte Lebenszeit der Wirtschaftseinheiten umfaßt. Das Konsum- und Sparverhalten wird als Ergebnis eines expliziten oder impliziten Kalküls gesehen, bei dem der Lebenskonsumnutzen über den Planungshorizont unter Berücksichtigung der Lebensbudgetrestriktion maximiert wird. Eine wichtige Implikation des Modells ist, daß die Wirtschaftseinheiten in der Zeit ihres Erwerbslebens Ersparnisse bilden, um diese dann einschließlich der Zinserträge zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts nach Beendigung ihres Erwerbslebens zu verwenden. Vermächtnisse an die Nachkommen sind in diesem Modell entweder ungeplant und dann Folge des Umstandes, daß der Einzelne hinsichtlich seines Lebensendes unsicher ist 16 . Oder die Vermächtnisse sind geplant und dienen dann z.B. dem Zweck, dem Mitglied der älteren Generation die Aufmerksamkeit und Bereitschaft zur Hilfe und Versorgung bei Krankheit oder Pflegebedürftigkeit der Nachkommen zu sichern 17. Andere Gründe für Hinterlassenschaften geplanter Art sind ebenfalls mit dem Lebenszyklusmodell vereinbar, wenn man davon ausgehen kann, daß diese in erster Linie dem unmittelbaren Wohl des Erblassers dienen. Liefert das Lebenszyklusmodell ein einigermaßen zutreffendes Bild des Konsum- und Sparverhaltens der einzelnen Wirtschaftseinheiten über die Zeit, dann ist im Falle der Einführung des Sozialversicherungssystems in der Regel mit Auswirkungen auf das einzelwirtschaftliche Konsum- und Vermögensbildungsverhalten und auf die gesamte private Ersparnis zu rechnen. Nehmen wir an, das Sozialversicherungssystem werde als faires System eingeführt, der Kapitalwert der Rentenbezüge entspreche für jedes Mitglied dem Kapitalwert seiner Beiträge, dann liegt der Ausnahmefall vor, bei dem ein Einfluß auf die private Ersparnis nicht verzeichnet wird, sofern jedenfalls die Tatsache, daß dieses System sich hoheitlichen Zwangs bedient, 15 Vgl. hierzu z.B. auch Franco Modigliani und Arlie Sterling , Determinants of Private Saving with Special Reference to the Role of Social Security — Cross-Country Test, in: The Determinants of National Saving and Wealth, S. 24-55. 16 Vgl. hierzu Henry J. Aaron , Economic Effects of Social Security, a.a.O., S. 21. 17 Vgl. Henry J. Aaron , Economic Effects of Social Security, a.a.O., S. 21.

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keine Konsequenzen für das wirtschaftliche Verhalten der Menschen hat. Dies gilt allerdings nur dann, wenn die Leistungen des Rentenversicherungssystems als vollkommene Substitute zu jenen Leistungen anzusehen sind, die bei freigestalteter Alters- und Hinterbliebenenversorgung aus privatem, fungiblem Vermögen gezogen werden können18. Man kann für diesen Fall davon ausgehen, daß die sonst freiwillig erbrachten Sparleistungen um den Betrag der zwangsweise erhobenen Beiträge (einschließlich der Arbeitgeberanteile) reduziert werden 19. Da mit den Beitragsleistungen der Mitglieder Rentenansprüche aufgebaut werden, deren Kapitalwert dem Kapitalwert der sonst erbrachten freiwilligen Ersparnisse gleich ist, gibt es keinen Anlaß für das Mitglied, seinen (optimalen) Konsumpfad über die Zeit zu ändern. Die private Sparquote, die die freiwilligen Ersparnisse und die als Beitragsleistungen abgeführten Beträge zum Einkommen in Beziehung setzt, erfährt in diesem Falle keine Änderung. Die Lebensbudgetrestriktion der Einzelnen wird durch die Einführung des Sozialversicherungssystems nicht tangiert 20. Die Verhältnisse verändern sich jedoch, wenn das System durch einen Mangel an Fairneß gekennzeichnet ist. Gerade bei der Einführung und dem Aufbau eines Rentenversicherungssystems ist davon auszugehen, daß die Praxis des Umlageverfahrens eine mehr oder weniger deutliche Abweichung des Kapital werts der Renten vom Kapital wert der Beiträge bewirkt. Eine re18 Diese Bedingung ist offensichtlich aus folgenden Gründen nicht unbedingt erfüllt: (1) Die Sozialversicherungsrenten sind im Unterschied zu anderen Renten geldwertgesichert, weshalb risikoaverse Wirtschaftseinheiten eine Geldeinheit „social security wealth" als Substitut für mehr als eine Geldeinheit privaten Vermögens ansehen mögen. (2) Ansprüche an das Sozialversicherungssystem sind illiquide, können nicht vererbt, auf andere übertragen oder beliehen werden, weshalb eine Geldeinheit „social security wealth "aus diesem Grunde und aus der Sicht der Wirtschaftseinheiten kaum eine gleiche Geldeinheit privaten Vermögens ersetzen kann. (3) Sozialversicherungsansprüche stützen sich nicht auf Kontrakte, sondern auf Gesetze und können deshalb durch Gesetz verändert werden. Vgl. hierzu Martin Feldstein, The Effect of Social Security on Saving, The Geneva Papers on Risk and Insurance, Genf 1980; ders. Social Security Benefits and the Accumulation of Pre-Retirement Wealth in the Determinants of National Saving and Wealth, Franco Modigliani und Richard Hemming (Hg.), London 1983, S. 3-23. 19 Dies impliziert natürlich insofern einen bedeutsamen allokationspolitischen Effekt, als dem Finanzierungssystem sonst erbrachte freiwillige Sparleistungen unmittelbar entzogen werden, ein Sachverhalt, der für die Effizienz des Finanzierungssystems der Wirtschaft angesichts der Größenordnungen von erheblicher Bedeutung sein kann. 20 Streng genommen impliziert dies, daß die Beitragsleistungen jeweils größer oder gleich den sonst freiwillig erbrachten Sparleistungen sind respektive daß die Wirtschaftseinheiten in der Lage sind, sofern die Beitragsleistungen die zu bestimmten Zeiten sonst erbrachten freiwilligen Sparleistungen übersteigen, durch Kreditaufnahme zum herrschenden langfristigen Zinssatz den optimalen Konsumpfad zu verwirklichen. Angesichts der Unvollkommenheiten der Kapitalmärkte und des besonderen Charakters des „social security wealth" wird diese letztgenannte Annahme häufig verletzt sein. Vgl. hierzu und zu den Konsequenzen daraus James Tobin in einem Kommentar zu dem Beitrag von Benjamin M. Friedman, Public Pension Funding and U.S. Capital Formation: A Medium-Run View, in: Funding Pensions: Issues and Implications for Financial Markets, Federal Reserve Bank of Boston, Conference Series No. 16, insbes. S. 212.

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lativ geringe Zahl anspruchsberechtigter Mitglieder gelangt in den Genuß relativ hoher Rentenzahlungen aufgrund eines verhältnismäßig großen Beitragsaufkommens infolge einer großen Zahl abgabepflichtiger Mitglieder in diesem Stadium des Aufbaus des Rentenversicherungssystems21. Formal drückt sich dieser Zustand, der sich über einen Generationenzeitraum erstrecken kann, durch einen hohen Wert des Quotienten zj+t/reT+t der Formel (11) aus. Der höhere Kapitalwert der Renten bedeutet, daß die Lebensbudgetrestriktion der betreffenden Wirtschaftseinheiten gegenüber dem Fall bei Fairneß des Systems eine Lockerung in dem Sinne erfährt, daß sich diese Wirtschaftseinheiten über die Zeit des Erwerbs- und Rentenlebens ,,mehr leisten können". Das Optimierungskalkül liefert unter diesen Bedingungen einen Konsumpfad, der in jeder Periode des Erwerbs- und Rentenlebens durch ein höheres Niveau gekennzeichnet ist. Dies bedeutet, daß die Ersparnisse (freiwillige Ersparnisse und Beiträge an das Rentenversicherungssystem) in der Zeit des Erwerbslebens bezogen auf das Einkommen geringer sind. Eine niedrigere Sparquote aller Wirtschaftseinheiten, deren impliziter Ertragssatz auf Beitragsleistungen über dem Marktzinssatz für langfristige Geldvermögensanlagen liegt, hat dann zwangsläufig und unmittelbar eine geringere gesamte private Ersparnis zur Folge22. Diese Verminderung der privaten Ersparnisse vollzieht sich über eine relative Senkung der freiwillig erbrachten Sparleistungen respektive drückt sich gegebenenfalls in einer Zunahme der freiwilligen Verschuldung für die Zwecke der Konsumfinanzierung über die Zeit des Erwerbslebens aus. Die Verhältnisse kehren sich um, wenn ein Mangel an Fairneß dergestalt vorliegt, daß der Kapitalwert der Renten unter dem Gegenwartswert der Beitragsleistungen liegt, wie dies im Falle des Schrumpfens der Bevölkerungszahlen durch einen Rückgang der Geburtenrate möglich erscheint. Sofern das System unter diesen Bedingungen Bestand hat, der ,,Generationenvertrag" eine Aufkündigung nicht erfährt, verzeichnen die Mitglieder der Generation, die im Erwerbsleben steht, eine Verschärfung ihrer Lebensbudgetrestriktion, was sie veranlassen muß, ihre Sparleistungen bezogen auf das Ein21 Nach Moffitt ist z.B. das amerikanische Renten Versicherungssystem, bei dem Rentenzahlungen zum ersten Mal im Jahre 1940 erfolgten, über die ganze Zeit seines Bestehens aus dem genannten Grunde durch einen Mangel an Fairneß zugunsten der Rentner gekennzeichnet gewesen. Vgl. Robert Moffitt, Trends in Social Security Wealth by Cohort, Paper presented at the „Conference on Research in Income and Wealth", Madison/Wisconsin 1982. 22 Als mittelbare Folge einer Verminderung der gesamten privaten Ersparnis kann sich, sofern staatliches Sparen einen Ausgleich nicht schafft, eine Reduktion der volkswirtschaftlichen Ersparnis aufgrund eines, wegen niedrigerem Realkapitalstock geringeren Realeinkommens ergeben.

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kommen über die Zeit des Erwerbslebens zu erhöhen. Die gesamte private Ersparnis würde unter diesen Verhältnissen und unter sonst gleichen Bedingungen ebenfalls steigen. Es ist eindeutig, daß das Sozialversicherungssystem sowohl der Vereinigten Staaten als auch der Bundesrepublik in den vergangenen Jahrzehnten durch einen Mangel an Fairneß in Form höherer Kapitalwerte der Rentenbezüge im Vergleich zu den Kapitalwerten der Beitragsleistungen gekennzeichnet war und vermutlich für die Bundesrepublik schon aufgrund des beachtlichen Zuschusses zu Lasten der öffentlichen Haushalte auf längere Zeit in der Zukunft bleiben wird 23 . Wenn das Lebenszyklusmodell eine einigermaßen zutreffende Beschreibung der Wirklichkeit liefert, dann muß davon ausgegangen werden, daß als Folge der Existenz des Rentenversicherungssystems die gesamte private Ersparnis und damit auch der Bestand an Realkapital unter dem Niveau lag, das sich ohne dieses System ergeben hätte, die Behauptung Feldsteins somit theoretisch gut begründet ist 24 .

3. Die Implikationen eines Mangels an Fairneß im Multigenerationenmodell für die volkswirtschaftliche Ersparnis Die auf der Grundlage des Lebenszyklusmodells abgeleiteten Folgen für die gesamte private Ersparnis hängen entscheidend von der Annahme eines Planungshorizontes ab, der mit dem Lebensende der planenden Wirtschaftseinheit endet. Dies wird deutlich, wenn man sich mit den Auswirkungen der gesetzlichen Sozialversicherung auf die private Ersparnis für den Fall befaßt, daß den Wirtschaftseinheiten nicht nur — wie beim Lebenszyklusmodell unterstellt — an ihrem eigenen Wohlergehen, sondern auch am Wohlergehen ihrer unmittelbaren Nachkommen gelegen ist. In diesem Falle erfährt der Planungshorizont eine Erweiterung, in dem die Lebensbedingungen der nächsten Generation in die Planungen und Dispositionen einbezogen werden. 23 Hinsichtlich der gegenwärtig in der Bundesrepublik vorliegenden Verhältnisse vgl. Manfred Hieber, Ist das Rentenversicherungssystem in der Bundesrepublik ein faires System?, Mitteilungen aus dem Institut für das Spar-, Giro- und Kreditwesen an der Universität Bonn, Nr. 15, August 1984. 24 Die Auswirkungen, die die Einführung des Sozialversicherungssystems auf das Sparen hat, sind nicht die einzigen allokationspolitisch relevanten Konsequenzen, sofern die Lebenszyklushypothese Anwendung findet. Vielmehr ist davon auszugehen, daß eine Lockerung der Lebensbudgetrestriktion nicht nur die Konsum- und Spardispositionen der Wirtschaftseinheiten beeinflußt, sondern auch das Arbeitsangebot eine Veränderung erfährt. Das optimale Arbeitsangebot wird bei einem Mangel an Fairneß zugunsten der Rentner geringer ausfallen als beim Fehlen eines Renten Versicherungssystems.

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Barro hat die Annahme, die Mitglieder der älteren Generation seien am Wohlergehen der jüngeren interessiert, zur Grundlage seines „Multigenerationenmodells" gemacht, indem er den Argumenten der Nutzenfunktion, wie sie im Lebenszyklusmodell Verwendung findet, mit dem maximalen Nutzen der unmittelbar nachfolgenden Generation, bezogen auf die dieser Generation zur Verfügung stehenden Ressourcen, ein weiteres Argument hinzufügte und damit das Interesse der Alten am Wohlergehen der unmittelbaren Nachkommen berücksichtigte 25, 2 6 . Die jeweils ältere Generation hat die Möglichkeit, durch die Gestaltung ihrer Konsum- und Vermögensdispositionen auf dem Wege über Vermächtnisse z.B. zugunsten der Jüngeren auf den Lebensstandard und damit auf das Nutzenniveau, das die jüngere Generation realisieren kann, Einfluß zu nehmen. Unterstellt man, das Multigenerationenmodell sei eine einigermaßen zutreffende Kennzeichnung der Wirklichkeit, dann führt die Einführung eines Sozialversicherungssystems nur dann zu gleichen Ergebnissen wie das Lebenszyklusmodell, wenn dieses Sozialversicherungssystem fair ist. Ein abweichendes Ergebnis hingegen stellt sich ein, wenn das Sozialversicherungssystem z.B. unfair ist in dem Sinne, daß der Gegenwartsweit der Renten den Kapitalwert der Beiträge übersteigt. Die Lebensbudgetrestriktion der jeweils begünstigten Generation erfährt zwar auch in diesem Falle eine Lockerung und eröffnet den Mitgliedern dieser Generation die Möglichkeit, ihr Konsumniveau anzuheben — wovon sie unter den Bedingungen des Lebenszyklusmodells auch Gebrauch machen. Die Anhebung des Konsumniveaus bedeutet aber einen Nettotransfer von Ressourcen zu Lasten der folgenden Generation und damit unmittelbar eine Verminderung der Konsummöglichkeiten und des maximal erreichbaren Nutzenniveaus dieser folgenden Generation. Geht man davon aus, die Mitglieder der älteren Generation hätten vor Einführung des Sozialversicherungssystems positive Vermächtnisse geplant, sich also dafür entschieden gehabt, auf eine Inanspruchnahme von Ressourcen der folgenden Generation in gewissem Umfange zu verzichten, weil ihnen die Inanspruchnahme aufgrund ihrer Nutzenüberlegungen an der Grenze inoptimal erschienen wäre, dann kann sie die Einführung eines unfairen Systems im obigen Sinne nicht dazu veranlassen, ihre Konsumdispositionen zu ändern. Sie werden vielmehr, da ihnen am Wohlergehen der nächsten Generation gelegen ist, dem mit der Einführung des Sozialversiche25 Mit der generellen Berücksichtigung des Wohlergehens der unmittelbaren Nachkommen wird der Nutzen der jeweiligen Generation indirekt abhängig vom Nutzen aller folgenden Generationen. Deshalb trägt das Barro'sehe Modell seinen Namen als Multigenerationenmodell zu Recht. 26 Vgl. Robert J. Barro , Are Government Bonds Net Wealth?, in: JPE, Bd. 82 (1974), S. 1095-1117.

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rungssystems verbundenen Nettotransfer zu ihren Gunsten dadurch begegnen, daß sie z.B. durch Anpassung ihrer Vermächtnisse zugunsten der folgenden Generation diesen Nettotransfer neutralisieren 27. Da die Einführung des Sozialversicherungssystems die Budgetrestriktion über alle Generationen hinweg nicht ändert, gibt es auch keinen Anlaß anzunehmen, daß sich die Planungsgrundlagen für die Bestimmung der optimalen Konsum- und Vermögensdispositionen unter diesen Bedingungen geändert hätten. Neutralisierung bedeutet deshalb, daß im Optimum der Gegenwartswert der Nettotransfers aufgrund des Sozialversicherungssystems dem Kapitalwert der höheren Vermächtnisse entspricht. Ein damit unverändertes Konsumniveau der älteren Generation bedeutet aber, daß die privaten Ersparnisse der einzelnen Wirtschaftseinheiten und damit die gesamte private Ersparnis unter dem Eindruck eines unfairen Sozialversicherungssystems eine Änderung nicht erfahren. Auf der Grundlage des Multigenerationenmodells gelangt man also zu dem Ergebnis, daß die von den Verfechtern des Lebenszyklusmodells behauptete Verminderung der privaten Ersparnis nicht eintreten wird 28 . Diese Folgerungen gelten nicht nur für den Fall eines Mangels an Fairneß im oben gekennzeichneten Sinne, sondern auch dann, wenn der Gegenwartswert der Renten unter dem der Beiträge liegt. Der dann implizierte Nettotransfer zu Lasten der älteren Generation wird unter den Bedingungen des Multigenerationenmodells z.B. neutralisiert durch eine Verminderung der 27 Es ist einsichtig, daß dieses Ergebnis nicht davon abhängt, welches Gewicht die ältere Generation dem Wohlergehen der folgenden Generationen im Vergleich zu ihrem eigenen Wohlergehen zuspricht — die Höhe der Vermächtnisse, nicht jedoch die Größe der erforderlichen Neutralisierungsoperationen wird dadurch beeinflußt — und ob sich das Interesse der Älteren tatsächlich auf die unmittelbar folgende Generation beschränkt. Vgl. hierzu Robert J. Barro , Are Government Bonds Net Wealth?, in: JPE, Bd. 82 (1974), S. 1106. 28

Martin Feldstein hat in diesem Zusammenhang eingewandt, mit der Anpassung der Vermächtnisse oder mit anderen neutralisierenden Maßnahmen der älteren Generation sei, auch dann, wenn man die Hypothese akzeptiere, den Alten sei am Wohlergehen der Jüngeren gelegen, nicht zu rechnen, wenn die Wirtschaft — aufgrund eines Wachstums der Bevölkerung und aufgrund technischer Fortschritte — wachse und der implizite Ertragssatz auf Beiträge nicht unter dem Zinssatz für langfristige risikolose Geldanlagen liege (wie dies bei Fairneß oder im Falle von Unfaimeß zugunsten der Alten der Fall ist). Denn „although the heirs of the first generation are compelled to pay taxes to support the first generation members in their old age, these taxes do not represent a net loss to the second generation since they will lead to subsequent benefits with the present value that is at least as great. There is no need, therefore, for the first generation to increase previously planned bequests. Indeed if subsequent generations are all better off the first generation can reduce its planned bequests" (S. 333). Er muß jedoch einräumen, daß die Antizipation der von ihm behaupteten Auswirkungen eines unfairen Sozialversicherungssystems auf die volkswirtschaftliche Ersparnis und damit auf das Realeinkommen der künftigen Generationen durch die erste Generation bei Zugrundelegung der Nutzenfunktion des Multigenerationenmodells zu einer Erhöhung der Vermächtnisse führen müsse ,,to compensate for the future fall in earned income" (S. 335). Vgl. Martin Feldstein, Perceived Wealth in Bonds and Social Security: A Comment, in: JPE, Bd. 84 (1976), S. 331-336.

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Vermächtnisse der Alten zugunsten der Jungen29. Es zeigt sich also, daß die Existenz eines gesetzlichen Rentenversicherungssystems unter den Bedingungen des Multigenerationenmodells unabhängig von einem möglichen Mangel an Fairneß ohne allokationspolitische Folgen ist 30 . Man hat gegen das Multigenerationenmodell eingewandt, da der weitaus größere Teil der jeweils Älteren keine nennenswerten Vermächtnisse mache, sei dieses Modell offensichtlich keine brauchbare Kennzeichnung der Wirklichkeit und die daraus abgeleiteten Folgerungen in bezug auf die Wirkungen des Sozialversicherungssystems auf die privaten Ersparnisse demzufolge irrelevant. Diesem Einwand können die Verfechter dieses Modells mit dem Hinweis begegnen, die Neutralisierung der durch das Sozialversicherungssystem bei Unfairneß induzierten Nettotransfers könne sehr wohl durch eine Veränderung der Schenkungen zugunsten der Jungen zu Lebzeiten oder durch verstärkte oder verminderte Leistungen im Zusammenhang mit der Ausbildung der Jungen vollzogen werden. Auch sei es möglich, daß die Neutralisierung durch eine Verminderung respektive Verstärkung sonst erbrachter Leistungen der Jungen zugunsten der Alten erreicht werde. Barro selbst bringt die vielfach beobachtete Reduktion der Unterstützung und Versorgung von Eltern durch die Kinder in den letzten Jahrzehnten in Zusammenhang mit der Existenz eines Sozialversicherungssystems in den Vereinigten Staaten, das zugunsten der Alten unfair ist 31 .

III. Lebensarbeitszeiteffekte der Rentenversicherung und ihre möglichen Auswirkungen auf die volkswirtschaftliche Ersparnis In der in diesem Beitrag mehrfach zitierten Untersuchung Martin Feldsteins aus dem Jahre 1974 wird auf einen zweiten, möglicherweise bedeutsamen Effekt des amerikanischen Sozialversicherungssystems hingewiesen, der dem von Feldstein behaupteten „Vermögenseffekt" auf die private Ersparnis entgegengerichtet ist. Dieser Effekt — als „induced retirementeffect" bezeichnet — basiert auf bestimmten institutionellen Regelungen des 29 Eine Implikation dieses Modells ist, daß bei Unfairneß in dem Sinne, daß das Sozialversicherungssystem Nettotransfers der Alten zugunsten der Jungen beinhaltet, nicht damit gerechnet werden muß, daß der „Generationenvertrag" politisch gefährdet ist. Die Relevanz des Multigenerationenmodells ist u.a. danach zu beurteilen, ob diese Annahme gerechtfertigt ist. 30 Dies bedeutet zugleich, daß bei Geltung des Multigenerationenmodells im Falle eines Mangels an Fairneß des Sozialversicherungssystems nicht mit Auswirkungen auf das (optimale) Arbeitsangebot gerechnet werden muß. 31 Vgl. hierzu Robert J. Barro , Are Government Bonds Net Wealth?, a.a.O., S. 1106 f.; Henry J. Aaron , Economic Effects of Social Security, a.a.O., S. 22 f.

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amerikanischen Systems, die Bedingungen in bezug auf die Rentenhöhe in Abhängigkeit vom Lebensalter, in dem Verrentung erfolgt, betreffend. Feldstein geht davon aus, das amerikanische Sozialversicherungssystem wirke in Richtung auf eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit (unabhängig davon, ob das Sozialversicherungssystem im obigen Sinne als fair anzusehen ist oder nicht) und veranlasse diejenigen, die ihre Erwerbstätigkeit zu einem früheren Zeitpunkt beenden als dies bei Nicht-Existenz des Sozialversicherungssystems der Fall wäre, aufgrund einer positiven Differenz zwischen Nettoarbeitseinkommen bei Verrentung und Rente während ihres Erwerbslebens und aus laufendem Erwerbseinkommen mehr zu sparen. Dieses veränderte Sparverhalten bedeutet zugleich eine Erhöhung der gesamten privaten Ersparnis, die geeignet sei, die Auswirkungen des Vermögenseffekts auf die gesamte private Ersparnis mindestens teilweise zu neutralisieren 32. Die Argumentation basiert auf folgenden Erwägungen. Unterstellt werde eine Wirtschaftseinheit, die im Optimum bei Fehlen eines Sozialversicherungssystems z.B. bis zum 68. Lebensjahr gearbeitet, Erwerbseinkommen bezogen und aus diesem Einkommen konsumiert respektive für die Zwecke der Finanzierung des Lebensunterhalts im Alter gespart hätte. Dann erfolge die Einführung eines Sozialversicherungssystems, von dem der Einfachheit halber angenommen sei, es sei im obigen Sinne als faires System anzusehen. Die Regelungen dieses Systems in bezug auf die Verrentungsbedingungen sehen folgendes vor: Für denjenigen, der auf die Beantragung von Rente nach Vollendung seines 65. Lebensjahres verzichtet und seine Erwerbstätigkeit fortsetzt, vermindert sich der Kapitalwert seiner Rentenansprüche infolge des Umstandes, daß die jährlichen Rentenbezüge pro Jahr, für das der Rentenberechtigte auf die Beantragung verzichtet, um einen Prozentsatz steigen, der deutlich geringer als der versicherungsmathematisch faire Satz ist 33 . Beantragt der Rentenberechtigte hingegen nach Vollendung des 65. Lebensjahres Rente und setzt er seine Erwerbstätigkeit teilweise oder in vollem Umfange fort, so wird er einem ,,Verdiensttest"unterworfen, aufgrund dessen er sich bei Überschreitung eines bestimmten Mindesterwerbsein32 Vgl. hierzu Martin Feldstein , Social Security, Induced Retirement, and Aggregate Capital Accumulation, a.a.O., S. 907 f., ders., Social Security and Private Savings: International Evidence in an Extended Life Cycle Model, in: The Economics of Public Services, M. Feldstein und R. Inman (Hg.), London 1977. Vgl. ferner an zugleich empirischen Untersuchungen Anthony J. Pellechio , Social Security Financing and Retirement Behaviour, in: AER, Papers and Proceedings, Bd. 69 (1979), S. 284-287 sowie Franco Modigliani und Arlie Sterling , Determinants of Private Saving with Special Reference to the Role of Social Security — Cross-Country Test, in: The Determinants of National Saving and Wealth, Franco Modigliani and Richard Hemming (Hg.), London 1983, S. 24-55. 33 Vgl. hierzu Henry J. Aaron , Economic Effects of Social Security, a.a.O., S. 18; ferner Lawrence H. Thompson , The Social Security Reform Debate, in: JEL, Bd. 21 (1983), S. 1425 f.

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kommens, das rentenunschädlich ist, Kürzungen seiner Rentenbezüge gefallen lassen muß. Diese Kürzungen können so weit gehen, daß der Rentenbetrag auf Null absinkt34. Diese das amerikanische Sozialversicherungssystem kennzeichnenden Regelungen bedeuten eine Zunahme der marginalen Belastung des Erwerbseinkommens, die die Wirtschaftseinheiten bei rationalem Verhalten veranlassen muß, ihre Lebensarbeitszeit zu reduzieren. Da durch eine solche Reduktion bei positiver Differenz zwischen Nettoarbeitseinkommen bei Verrentung und Rente die Zeit, in der der laufende Lebensunterhalt aus höherem Erwerbseinkommen bestritten werden kann, sinkt, wird es im Optimum für den einzelnen erforderlich, in der Zeit des verkürzten Erwerbslebens durch verstärktes Sparen seine Altersversorgung und die Versorgung der Hinterbliebenen zu sichern. Als Folge dieses „induced retirement-effects ,, des amerikanischen Sozialversicherungssystems nimmt damit auch die gesamte private Ersparnis zu 35 . Die Frage ist, ob sich im Sozialversicherungssystem der Bundesrepublik Regelungen ähnlicher Art finden, aufgrund derer vergleichbare Erwägungen in bezug auf die Auswirkungen des Rentenversicherungssystems auf Lebensarbeitszeit und private Ersparnis abgeleitet werden können. Zunächst ist festzustellen, daß institutionelle Regelungen, die Zeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres betreffend, wie wir sie in den Vereinigten Staaten vorfinden, in der Bundesrepublik nicht existieren. Der Rentenberechtigte, der das 65. Lebensjahr vollendet hat und Rente beansprucht, ist einem Verdiensttest nicht unterworfen, kann also in beliebigem Umfange rentenunschädlich Erwerbseinkommen beziehen. Außerdem führt die Fortsetzung seiner Arbeitstätigkeit über das vollendete 65. Lebensjahr hinaus nicht zu einer Verminderung des Kapitalwerts seiner Rente. Dies ist Folge des Sachverhalts, daß für jeden zusätzlichen Monat, in dem der über 65jährige tätig bleibt, sein Rentenanspruch um 0,6 v.H. zunimmt. Dies bedeutet in etwa eine versicherungsmathematisch faire Anpassung. Es gibt also keinen Grund anzunehmen, daß für denjenigen, der sein 65. Lebensjahr vollendet hat und der weiterzuarbeiten gewillt ist, die institutionellen Regelungen des Sozialversicherungssystems in der Bundesrepublik seine diesbezügliche Entscheidung beeinflussen würden. Damit ist insoweit nicht mit einem Einfluß des Sozialversicherungssystems in der Bundesrepublik auf die 34

Vgl. hierzu Henry J. Aaron , Economic Effects of Social Security, a.a.O., S. 18 f. Einen Überblick über die bis zum Jahr 1981 vorgelegten Untersuchungen über den Einfluß des Sozialversicherungssystems auf Arbeitsangebot und Ersparnis geben Sheldon DanngeiRobert Haveman und Robert Plotnick, How Income Transfers affect Work, Savings and the Income Distribution, in: JEL, Bd. 19 (1981), S. 975-1028. 35

Sozialversicherungssystem und volkswirtschaftliche Ersparnis

641

private Ersparnis, der mit dem Einfluß des Systems in den Vereinigten Staaten vergleichbar wäre, zu rechnen. Damit ist aber eine vollständige Antwort in bezug auf die Frage nach eventuellen Lebensarbeitszeiteffekten des Sozialversicherungssystems in der Bundesrepublik noch nicht gegeben. Dies wird deutlich, wenn man sich mit den Regelungen des deutschen Rentenversicherungssystems befaßt, die sich auf jene Mitglieder beziehen, die seit Einführung der flexiblen Altersgrenze im Jahr 1972 unter ganz bestimmten Bedingungen schon nach Vollendung des 63. Lebensjahres Altersruhegeld beziehen können. Diesen Regelungen zufolge muß sich derjenige, der nach Vollendung des 63. Lebensjahres Rente beansprucht, aber seine Erwerbstätigkeit fortsetzt, einem Verdiensttest unterwerfen. Überschreitet sein Erwerbseinkommen einen bestimmten maximal zulässigen Betrag, so führt dies zu Kürzungen seiner Rentenbezüge vergleichbar den Kürzungen im amerikanischen Rentenversicherungssystem. Anders als im amerikanischen Rentenversicherungssystem gelangt dieser Verdiensttest allerdings nur für die Erwerbstätigkeit zwischen dem 63. und 65. Lebensjahr zur Anwendung. Verzichtet der Rentenberechtigte nach Vollendung des 63. Lebensjahres auf die Beantragung und Beanspruchung von Rente und setzt seine Erwerbstätigkeit fort, dann nimmt zwar der Rentenanspruch von Jahr zu Jahr zu. Die Zunahme bleibt jedoch weit hinter dem versicherungsmathematisch fairen Zuwachs zurück, so daß der Kapitalwert der Rentenzahlungen nach Vollendung des 63. Lebensjahres bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres im Falle des Verzichts auf Rente abnimmt 36 . Diese Sachverhalte legen den Schluß nahe, daß mit einer Verkürzung der Lebensarbeitszeit als Folge institutioneller Regelungen des Rentensystems in der Bundesrepublik, die Zeit zwischen dem 63. und 65. Lebensjahr betreffend, auch in der Bundesrepublik gerechnet werden muß, die unter Umständen eher noch deutlicher ausfällt als in den Vereinigten Staaten, weil die allokationspolitisch relevante Entscheidung in bezug auf die Lebensarbeitszeit in der Bundesrepublik eben auf das vollendete 63., in den Vereinigten Staaten auf das vollendete 65. Lebensjahr gerichtet ist. Damit ist auch für die Bundesrepublik mit höheren Sparleistungen der Wirtschaftseinheiten in der Zeit, in der Erwerbseinkommen bezogen wird, zu rechnen und eine hö36 Auch im Sozialversicherungssystem der Vereinigten Staaten existiert ein „Verdiensttest" für jene, die nach Vollendung des 62. Lebensjahrs in Rente gehen, weiterhin in gewissem Umfange jedoch Erwerbseinkommen beziehen. Die Anpassung der Rentenansprüche bei Verzicht auf die Inanspruchnahme von Rente jedoch ist in dem Zeitabschnitt vom 62. bis zum 65. Lebensjahr versicherungsmathematisch fair. Außerdem gibt es für den einzelnen die Möglichkeit, durch eine Korrektur seiner „earning history", für den Fall, daß er sich dadurch verbessert, bei Fortsetzung seiner Erwerbstätigkeit über das 62. Lebensjahr hinaus eine Steigerung der Rentenzahlungen zu erreichen.

642

Manfred Hieber

here gesamte private Ersparnis infolge des „induced retirement-effects" der gesetzlichen Rentenversicherung in der Bundesrepublik zu erwarten.

I V . Zusammenfassung

Das gesetzliche Rentenversicherungssystem hat in der Bundesrepublik wie auch in anderen Ländern für die Alters- und Hinterbliebenenversorgung, zwei sehr wichtigen Sparmotiven, eine solche Bedeutung für die überwiegende Zahl der Menschen erlangt und belastet die im Erwerbsleben stehenden Mitglieder des Systems in einem derartigen Umfange, daß mit maßgeblichen Auswirkungen dieses Systems auf das persönliche Sparen und die gesamte private Ersparnis gerechnet werden muß. Zwei mögliche Auswirkungen stehen im Vordergrund der wissenschaftlichen Diskussion. Eine erste mögliche Auswirkung ist Konsequenz eines ,Vermögenseffektes ' des Rentenversicherungssystems, der seinerseits Folge des praktizierten Umlageverfahrens ist und seinen Ausdruck in einem Mangel an Fairneß des Systems findet. Von Unfairneß ist dann die Rede, wenn der implizite Ertragssatz auf die Beitragsleistungen der Mitglieder vom Zinssatz für langfristige ,risikolose' Geldvermögensanlagen abweicht oder, wie man diesen Sachverhalt auch kennzeichnen kann, wenn sich der Kapitalwert der Renten der Mitglieder, berechnet unter Verwendung des langfristigen Marktzinssatzes, mehr oder weniger stark vom Kapitalwert der Beiträge unterscheidet. Solche Abweichungen sind systemimmanente Charakteristika des Rentenversicherungssystems und hängen von demographischen Faktoren, institutionellen Regelungen, insbesondere das Verrentungsalter betreffend, von Höhe und Entwicklung der Beitragssätze und der eventuellen Zuschüsse öffentlicher Haushaltsmittel zum Beitragsaufkommen sowie von der Höhe des Prokopfeinkommenswachstums ab. Die Erfahrung zeigt, daß die Sozialversicherungssysteme in der Vergangenheit im allgemeinen durch einen Mangel an Fairneß in dem Sinne gekennzeichnet waren, daß der Kapitalwert der Renten über dem der Beiträge lag. Unter solchen Verhältnissen bewirkt die Existenz des Rentenversicherungssystems eine Veränderung der Lebensbudgetrestriktion der Mitglieder des Systems, die diese, sofern der Zeithorizont der Planung durch die Lebenszeit der Mitglieder bestimmt wird, wie dies die Lebenszyklushypothese unterstellt, dazu veranlaßt, ihre Konsum- und Vermögensdispositionen zu ändern. Ist der Kapitalwert der Renten höher als der der Beiträge, dann er-

Sozialversicherungssystem und volkswirtschaftliche Ersparnis

643

höhen die Mitglieder über das Erwerbs- und Rentenleben hinweg ihr Konsumniveau. Dadurch erfährt die gesamte private Ersparnis, die Beitragsleistungen und freiwillige Ersparnisse einschließt, eine Verminderung. Dieser Effekt tritt dann nicht ein, wenn der Planungshorizont die Lebenszeit der Mitglieder übersteigt, weil, wie dies beim Multigenerationenmodell angenommen wird, diesen am Wohlergehen ihrer unmittelbaren Nachkommen und damit implizit aller folgenden Generationen gelegen ist. Ein Mangel an Fairneß des Systems, der in dem gekennzeichneten Falle mit einem Nettotransfer zugunsten der älteren Generation verbunden ist, veranlaßt diese zu neutralisierenden Vermögensdispositionen. Sie erhöhen unter Aufrechterhaltung ihres Konsumniveaus ihre Vermächtnisse, verstärken die Schenkungen zu Lebzeiten und reduzieren die Leistungen, die sie von ihren Nachkommen in Anspruch nehmen. Unter diesen Bedingungen findet also eine Veränderung der gesamten privaten Ersparnis trotz eines Mangels an Fairneß des Rentenversicherungssystems nicht statt. Welches der beiden Modelle, das Lebenszyklusmodell oder das Multigenerationenmodell, die zutreffendere Beschreibung der Wirklichkeit liefert und mit welchen Auswirkungen des ,Vermögenseffekts' auf das gesamte private Sparen deshalb zu rechnen ist, ist eine empirische Frage. Eine zweite mögliche Auswirkung des Rentenversicherungssystems ist in einer Verkürzung der Lebensarbeitszeit der Mitglieder aufgrund bestimmter institutioneller Regelungen des Systems zu sehen, die die marginale Belastung des Erwerbseinkommens mit Abgaben ab einem bestimmten Lebensalter drastisch verstärken. Die Folge dieses ,Lebensarbeitszeiteffekts', ist, daß die private Ersparnis in der Zeit des verkürzten Erwerbslebens bei positiver Differenz zwischen Nettoerwerbseinkommen und Rente zunimmt. Dieser ,induced-retirement-effect > von Regelungen des Rentenversicherungssystems, wie sie sich sowohl im System der Bundesrepublik als auch in dem der USA finden, auf die gesamte private Ersparnis ist dem möglichen ,Vermögenseffekt' dann entgegengesetzt, wenn das Sozialversicherungssystem zugunsten der Rentner unfair ist. Bei doppelter allokationspolitischer Verzerrung, die durch das Rentenversicherungssystem bedingt ist, heben sich also die Wirkungen des Systems auf die gesamte private Ersparnis in diesem Falle mindestens teilweise auf. Eine große Zahl empirischer Untersuchungen, die vor allen Dingen in bezug auf das Rentenversicherungssystem der Vereinigten Staaten durchgeführt worden sind, haben je nach Art und Abgrenzung der in den Untersuchungen verwendeten erklärenden Variablen und der Zeitperioden, die bei Zeitreihenanalysen zur Verwendung gelangten, recht unterschiedliche Ergeb-

644

Manfred Hieber

nisse gebracht. Ein einigermaßen gesichertes Urteil über Art und Höhe des Einflusses des Sozialversicherungssystems auf die gesamte private Ersparnis ist damit nur in bestimmten Grenzen möglich. Dies ist deutlich aus der zusammenfassenden Feststellung einer sehr umfangreichen Analyse vorliegender empirischer Untersuchungen von Danziger, Haveman und Plotnick zu erkennen: "Given the wide variation in the estimates of savings impacts, we venture the tentative conclusion that income transfer programs have depressed annual private savings by 0 - 2 0 v.H. relative to their value without these programs, with the most likely estimate lying near the lower end of this range." 17 . Angesichts der Größenordnungen, mit denen wir es in bezug auf wichtige Variable des Renten Versicherungssystems zu tun haben, erscheint dieses zusammenfassende Ergebnis als Herausforderung, weitere theoretische und insbesondere empirische Untersuchungen, insbesondere unter Nutzung auch der Erfahrungen in der Bundesrepublik, durchzuführen.

37 Vgl. hierzu Sheldon Danziger, Robert Haveman und Robert Plotnick, Transfers affect Work, Savings and the Income Distribution, a.a.O., S. 1006.

How Income

G. Internationale Aspekte des Sparprozesses

Die Bedeutung der ausländischen Finanzmärkte für den nationalen Sparprozeß* Von Dieter Hiss und Wolfgang Schröder, Berlin

I. Einleitung

Die globale Vermögensverteilung steuert Mitte der achtziger Jahre auf eine erneute1 Umwälzung zu: Die USA sind im Begriff, sich von einer Gläubigernation mit umfangreichem Nettoauslandsvermögen zu einer Schuldnernation zu entwickeln. Im Zusammenhang mit den Rekorddefiziten der Handels- und der Leistungsbilanz sowie des Bundeshaushalts der USA ist der internationale Einfluß auf die Bildung und Verwendung der nationalen Ersparnis in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Dabei steht die Frage im Vordergrund, ob der von den USA ausgehende Sog auf die Finanzmärkte anderer Volkswirtschaften die Bildung von Sachkapital in anderen Teilen der Welt negativ beeinflußt; ob also die Defizite der USA auf Kosten der Investitions- und Wachstumschancen anderer Länder finanziert werden. Das Zusammenspiel zwischen in- und ausländischen Finanzmärkten und dem heimischen Sparprozeß einer Volkswirtschaft wird im folgenden auf zwei Ebenen analysiert. Im ersten Abschnitt wird der Einfluß heimischer und ausländischer Determinanten auf die Entscheidungen der Akteure über Höhe und Verwendung der Ersparnis partialanalytisch untersucht. Exemplarisch wird anhand der internationalen Kapitaltransaktionen der Bundesrepublik gezeigt, in welchem quantitativen Verhältnis die heimische Ersparnisbildung zur Nettokapitalanlage im Ausland steht und wie hoch die internationale Mobilität des Kapitals einzuschätzen ist. Je höher nämlich die Mobilität anzusetzen ist, desto wichtiger werden die Vorgänge auf den ausländischen Finanzmärkten für den nationalen Sparprozeß. Die zweite Ebene der Analyse muß die partialanalytischen Beschränkungen aufheben und in einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung die vielfältigen Verknüpfungen berücksichtigen, die zwischen nationaler Ersparnis, * Der Aufsatz wurde im Juni 1984 abgeschlossen. 1 In den siebziger Jahren sorgten die ölpreisschübe für eine Umverteilung des Einkommens und des Vermögens im Weltmaßstab.

648

Dieter Hiss und Wolfgang Schröder

Investition und Einkommensentstehung auf der einen Seite und den internationalen Leistungs- und Kapitalströmen auf der anderen Seite bestehen. Diese Zusammenhänge werden anhand der großen internationalen Kapitalströme der letzten 10 Jahre dargestellt: dem Petrodollarrecycling nach den beiden Ölpreiskrisen der siebziger Jahre und dem gegenwärtigen Kapitalsog der USA. Daraus lassen sich die Bedingungen ableiten, unter denen sogar die Kapitalexporte eines Landes die heimische Realkapitalbildung stimulieren und damit über eine Steigerung des Einkommens zu höherer Ersparnis führen. Zunächst wird die Frage gestellt, auf welche institutionellen Hemmnisse der internationale Kapitalverkehr trifft und wie diese Verstöße gegen die liberale Forderung nach Freizügigkeit des Kapitals über Staatsgrenzen hinweg zu werten sind. I I . Institutionelle Regelungen des internationalen Kapitalverkehrs

Nicht zuletzt aus Sorge um die Kapitalausstattung ihrer eigenen Volkswirtschaft beschränken die meisten Regierungen den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr. In der Bundesrepublik und in den USA ist er jedoch seit langem weitgehend frei von administrativen Beschränkungen; dies gilt allemal für die letzten 10 Jahre. Auf Seiten der Bundesrepublik war bis 1981 lediglich die Veräußerung von inländischen D-Mark-Geldmarktpapieren, die innerhalb von vier Jahren fällig werden, an Gebietsfremde genehmigungspflichtig. Damit sollte der Zustrom von ausländischem Kapital in die D-Mark abgewehrt werden. Dem selben Zweck diente die noch in Kraft befindliche Kouponsteuer auf die Erträge festverzinslicher Wertpapiere deutscher Schuldner in ausländischem Eigentum. Auch die Schweizerische Notenbank hat in den siebziger Jahren mit Hilfe administrativer Maßnahmen die Flucht in den Franken gebremst. 1980 hob die Schweiz dann allerdings eine Reihe von Kapitalverkehrsbeschränkungen auf. In den USA wird gegenwärtig der Wegfall der Kouponsteuer für Ausländer betrieben. Wenn auch der Kapitalverkehr zwischen den genannten Ländern weitgehend den Marktkräften überlassen bleibt, so bewirken doch im Inland eine Reihe von Vorschriften, z.B. für Versicherungen, Banken und Sparkassen, daß die heimische Anlage von Kapital bevorzugt wird. Auch Japan hat sich im Rahmen kürzlich abgeschlossener Verhandlungen mit den USA dazu verpflichtet, seine Kapitalmärkte stärker dem Ausland zu öffnen. Dies zielt darauf ab, die Unterbewertung des Yen und damit das Ungleichgewicht im japanischen Außenhandel zu überwinden.

Ausländische Finanzmärkte und nationaler Sparprozeß

649

Allen Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs steht die Aussage der Wirtschaftstheorie entgegen, daß nur die uneingeschränkte weltweite Freizügigkeit des Kapitalverkehrs für eine weltweit optimale Allokation des Kapitals sorgen würde. Gemäß dieser Norm wird das leicht bewegliche, mit verschwindend geringen Kosten an jeden Ort der Erde transferierbare Geldkapital dort angelegt, wo es die höchste Rendite verspricht. Davon profitieren Kapitalgeber- wie -nehmerländer: die einen durch Kapitaleinkommen, die anderen durch eine bessere Ausstattung mit Produktivkapital und den zugehörigen Arbeitsplätzen. Eine kritische Prüfung zeigt, daß die Freiheit des Kapitalverkehrs nicht unbedingt die Maxime wohlverstandenen wirtschaftspolitischen Handelns sein muß: Die Anlageentscheidung der Privaten wird von der Rendite nach Steuern geleitet. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht kommt es dagegen auf die Rendite vor Steuern an, weil der Volkswirtschaft das gesamte dem Kapital zugerechnete Einkommen zufließt; entweder in Form privater Einkünfte oder in Form von Steuern. Wenn also zwei Länder für Investitionen gleichen Risikos vor Steuern die gleiche marginale Rendite erwarten lassen, wird das private Kapital durch die Steuergesetze gelenkt. Es fließt in das Land, das die günstigeren Steuervorschriften bietet. Entsprechende steuerliche Unterschiede vorausgesetzt, kann das Kapital — vom privatwirtschaftlichen Kalkül gesteuert — sogar in die gesamtwirtschaftlich unproduktivere Verwendung gelangen2. Schon wenn man allein berücksichtigt, daß die Länder unterschiedliche Steuersysteme haben, wird die wirtschaftspolitische Angemessenheit der internationalen Freizügigkeit des Kapitals in Frage gestellt. Entsprechendes gilt, wenn externe Effekte in die Betrachtung einbezogen werden. Die internationale Freizügigkeit des Kapitals führt also bestenfalls dann zur angestrebten Öptimalität, wenn zwischen den Ländern keine institutionellen Unterschiede bestehen und wenn externe Effekte keine Rolle spielen. Im konkreten Wirtschaftssystem sind all diese Momente jedoch sehr bedeutsam und müssen deshalb in der folgenden Analyse beachtet werden. I I I . Bestimmungsgründe grenzüberschreitender Kapitalbewegungen

Der Umfang, in dem eine Volkswirtschaft Sparkapital aus dem Ausland an sich zieht oder an das Ausland weitergibt, hängt ebenso von den Anlagewie von den Verschuldungsentscheidungen ab. — Da diese Entscheidungen 2 In der Regionalpolitik macht man sich diese allokationsbeeinflussende Eigenschaft der Steuern zunutze, um Produktionsfaktoren in wirtschaftlich schwache Gebiete zu lenken.

650

Dieter Hiss und Wolfgang Schröder

weitgehend symmetrisch aufgebaut sind, wird im folgenden auf die Perspektive des Kreditnehmers zumeist verzichtet und die des Anlegers in den Vordergrund gestellt. — Über die Kapitalbewegungen wird im privaten wie im öffentlichen Sektor einer Volkswirtschaft entschieden. Im privaten Sektor entscheiden die Kreditinstitute, die anderen Unternehmen und die privaten Haushalte über Vermögensanlagen bzw. Kreditaufnahmen; im öffentlichen Sektor der Bundesrepublik Deutschland sind vor allem die Bundesregierung und die Bundesbank international aktiv. Die Anlageentscheidungen zumindest des privaten Sektors werden von Rendite- und Risikoerwägungen beherrscht. Bei der Ermittlung der Rendite spielt der reale Zins eine zentrale Rolle. Er hat jedoch den Nachteil, empirisch nicht exakt erfaßt werden zu können, weil neben dem — meßbaren —Nominalzins auch die Zins- und Wechselkurserwartungen berücksichtigt werden müssen. Diese Erwartungsgrößen sind letztlich dem subjektiven Urteil überlassen. Als erste Annäherungen an den Realzins, den die Anleger und Kreditnehmer in ihre Überlegungen einbeziehen, möge die Differenz aus Nominalzins und laufender Preissteigerungsrate im jeweiligen Land dienen (Tabelle 1). Kosten und Erträge von Krediten bzw. Finanzanlagen sind damit aber nur dann hinreichend international vergleichbar, wenn die Wechselkurse sich den Kaufkraftparitäten gemäß entwickeln. Dies war jedoch bekanntlich nicht der Fall. Berücksichtigt man ex post die Auf- und Abwertungen der einzelnen Währungen im Verhältnis zur D-Mark, dann ergibt sich eine breite internationale Streuung der langfristigen nominalen Renditen (Tabelle 2). Die Abwertung der eigenen Währung impliziert zusätzliche Erträge in heimischer Währung für den Besitz von Fremdwährungsforderungen und zusätzliche Kosten bei Fremdwährungskrediten. Die Summe aus jeweiligen Nominalzinsen und Wechselkursänderungen erlaubt es, ex post zu berechnen, welche Währung die attraktivsten Konditionen geboten hat. Unabhängig von den Preissteigerungsraten in den einzelnen Ländern signalisieren die wechselkursbereinigten Renditen, in welcher Währung der höchste Ertrag auf langfristige Anleihen zu erzielen war. Ein Investor wird diese Renditen mit einem einheitlichen, nämlich dem für ihn relevanten Preisindex deflationieren, wenn er sich eine Vergleichsmöglichkeit zwischen realen Renditen in unterschiedlichen Anlagewährungen verschaffen will. Damit sind freilich künftige Ertragschancen nicht bestimmt, weil die Zukunft des Wechselkurses nicht determiniert ist, die für den relativen „Erfolg" einer Anlage entscheidend ist. Eine Abwertung kann ebenso gut in weitere Abwertungen münden wie in eine Aufwertung. Für weitere Abwertungen könnte etwa eine anhaltend relativ hohe Inflationsrate verbunden mit permissiver Geldpolitik und ex-

Ausländische Finanzmärkte und nationaler Sparprozeß

651

Tabelle 1

Langfristige Zinssatze, Verbraucherpreise und Realzinsen ausgewählter Lander

1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 l a n g f r i s t i g e Ζ i η s s a ιt e; 1) 0 USA Jap Γ GB CH D USA Jap Γ GB CH D USA Jap F GB CH

8,3 6,9 7,2 8,1 9,2 5,8

8,0 6,1 7,3 7,7 8,9 5,3

7,9 9,3 10,4 8,5 7,8 6,2 5,8 7,4 8,5 10,4 9,0 7,9 6,0 7,1 8,1 8,2 7,9 7,7 8,5 9,3 11,4 13,7 12,9 11,3 6,7 7,3 9,3 9,2 8,7 7,3 6,1 7,7 9,2 8,7 8,1 7,7 7,4 8,3 10,5 9,5 9,2 9,6 9,0 9,5 13,0 15,7 15,6 14,3 8,9 10,7 14,8 14,4 14,4 12,7 12,5 13,0 13,8 14,7 12,9 10,4 5,0 5,6 7,2 6,4 5,0 4,1 3,3 3,5 4,8 5,6 4,8 4,5 V e r b r ua c h er p r e i s e 2) 3,4 5,9 7,6 5,9 6,4 3,6

5,2 4,3 6,1 5,5 9,4 6,6

5,5 7,0 7,0 5,9 4,3 3,7 3,3 6,2 11,0 9,1 5,8 6,5 4,5 11,7 24,4 11,8 9,3 8,0 6,2 7,3 13,7 11,8 9,6 9,4 7,1 9,1 16,0 24,2 16,5 15,8 6,7 8,7 9,8 6,7 1,7 1,3 Rea 1 ζ i η s

2,7 4,1 5,4 6,3 5,3 7,6 11,3 13,5 10,4 6,2 3,8 3,6 8,0 4,9 2,6 9,1 10,7 13,8 13,4 11,8 8,3 13,4 18,0 11,9 8,6 1,1 3,6 4,0 6,5 5,7

3,3 3,2 1,8 9,6 4,6 3,0

5,0 2,8 2,3 2,3 3,4 2,5 3,5 2,5 3,1 3,3 3,0 4,5 3,7 1,0 1,8 2,7 0,9 -2,9 -0,9 2,1 1,2 0,9 -2,0 -2,1 3,3 6,7 -0,5 1,1 2,2 -4,4 -15,1 -2,6 -0,6 -0,7 2,3 4,1 1,2 3,8 5,5 2,2 2,2 1,2 1,0 -3,2 -2,3 -0,4 0,2 -0,1 -1,3 -0,3 2,4 3,5 2,8 -0,5 1,8 1,6 -1,2 -9,8 -2,1 -3,2 4,2 -0,4 -4,2 2,8 4,3 2,2 -1,2 -1,7 -3,2 -2,5 -0,3 3,3 2,5 2,5 -0,1 0,8 -0,9 -0,9

5,1 8,2 5,8 4,7 5,8 1,5

1) Rendite der Schuldverschreibungen des Öffentlichen Sektors. 2) Veränderungen gegenüber de« Vorjahr in %, Jahresdurchschnitt Quellen: International Financial Statistics — Yearbook 1984: Morgan Guaranty Trust Company.

652

Dieter Hiss und Wolfgang Schröder

7Melle 2 Devisenkurse und wechselkursbereinigte noainale Renditen ausgewählter Under

1970

1971

1972

D e ν senkurse

1973

197*

1976

1975

d e r Wahrungen

in

1978

1977

1979

1980

1981

1982

1983

2,5552

D H 1)

USA

3,6*63

3,*795

3,1889

2,6590

2,5897

2,*631 2,5173

2,3217

2,008*

1,8330

1,8158

2,2610

2,*287

Jap

1,0183

0,9996

1,053*

0,9795

0,8888

0,8301 0,8500

0,8671 0,9626

0,8*2*

0,806*

1,0255

0,9766

r

65,966

63,163

63,238

59,736

53,886

57,*11 52,768

1,076*

*7,256

**,582

*3,079

*3,013

*1,6*0

36,995

33,559

*,051

3,853

3,888

*,227

*,556

*,2*2

3,871

GB

8,736

8,505

7,97V

6,51*

6,055

CH

8*,601

8*,578

83,537

8V,005

87,010

USA

- 7,1

- ,9

• 1,6

• 21,3

• 17,2

Ver3I n d e r ungen

5,**9

*,553

95,252 100,7*7

gegenober

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• 9,5

96,8*3 112,92* 110,229 108,*78 115,252 119,721 121,61*

Voir j a h r i n %

W e cι h s e 1 k u r sι rb e« i n i g t e η o • 1 n a 1 R e endite

• .10,2

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D

• 8,3

• 8,0

• 7,9

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• 7,8

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• 7,*

• 8,5

• 10,*

USA

- 0,7

• 1,3

- 2,8

- 10,7

• 5,2

• 2,9

• 10,2

- 0,7

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• *1,6

Jap F

• 12,V

- 0,3

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• 2,0

•11,3

• 9,5

• 17,8

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• *,6

•38,2

• 2,9

• 18,7

• 7,5

• 2,3

- 0,3

• 16,7

• 0,3

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• 12,0

• 2,7

• 3,7

GB

• 5,9, • 5,3 - 6,0 • 3,2 • 1,7 • 6,0

• 2,1

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-

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• 0,3

• 7,0

• 1*,0

•23,7

• 23,7

• 5,1

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CH

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• 3,7

• 6,2

• 11,0

• 16,5

• 11,0

• 0,0

•20,5

• 1,0

• 3,1

• 12,2

• 8,9

• 6,2

• 5,2

• 8,1

1) Jahresdurchschnitt. - 2) Errechnet aus noainalen Zinssätzen und Wechselkursverlnderungen gegenüber der DM.

Quellen: Statistische Beihefte zu den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank, Reihe 5 „ D i e Währungen der Welt". International Financial Statistics — Yearbook. Morgan Guaranty Tïust Company.

Ausländische Finanzmärkte und nationaler Sparprozeß

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pansiver Fiskalpolitik sprechen. Der Teufelskreis des J-Kurveneffekts könnte einer Abwertungsspirale zusätzlichen Schwung geben. Zum anderen kann eine Abwertung auch Aufwertungserwartungen auslösen; z.B. wenn nach der Abwertung ein glaubwürdiger Kurswechsel zu stabilitätskonformer Geld- und Fiskalpolitik erfolgt, die Wettbewerbsfähigkeit abwertungsbedingt steigt und die Leistungsbilanz sich aktiviert. Die wechselkursbereinigten Renditen der Tabelle 2 zeigen, daß die Anlage in langfristigen Anleihen der öffentlichen Hand der Bundesrepublik gegenüber der Anlage in entsprechenden Dollar-Wertpapieren von 1970 bis 1979 — mit Ausnahme des Jahres 1976 — eine weitaus höhere Rendite erbracht hat. Erst im Zuge der nachhaltigen Aufwertungstendenz des Dollar seit 1980 hat die Rendite für Dollarpapiere die für D-Mark-Papiere überflügelt. Der Yen bot bereits von 1976 bis 1978 und dann auch 1981 sowie 1983 eine höhere wechselkursbereinigte Rendite als D-Mark-Anleihen. Die wechselkursbereinigten Zinsdifferenzen zwischen langfristigen D-Mark- und Dollar-Anleihen variieren seit 1979 zwischen + 7,6 und - 31,2 Prozentpunkten. Die Differenz zwischen den Realzinsen bewegte sich gleichzeitig im Intervall von 5,3 und - 3,1 Prozentpunkten. D.h., die inländischen Realzinsen variierten erheblich, aber sie wiesen bei weitem nicht die starken Schwankungen und großen Unterschiede auf, die bei den wechselkursbereinigten Renditen auftraten. Die langen Wellen realer Auf- und Abwertungen haben sich in entsprechende Wellen von ex post ermittelten Renditen niedergeschlagen. Die großen internationalen Renditedifferenzen für langfristiges Kapital müssen mit den besonderen Kosten und den erhöhten, aber aus der Sicht mancher Länder auch geringeren Risiken im Zusammenhang gesehen werden, die mit langfristigen Engagements im Ausland verbunden sein können. Zunächst setzt die Auslandsanlage bestimmte Kenntnisse voraus. Selbst Anlagen in festverzinslichen Wertpapieren des Auslands erfordern einen gewissen Aufwand, um Informationen zu gewinnen: etwa über die Bonität des Schuldners, über zu beachtende Vorschriften beim grenzüberschreitenden Kapitalverkehr, über die Geschäftspraktiken der ausländischen Wertpapierbörsen, über mögliche Absicherungen von Risiken, über Kosten der Absicherung und ähnliches. Während bei fungiblen Wertpapieren weltbekannter Kreditnehmer die Kosten noch relativ niedrig einzuschätzen sind, steigen die Informationskosten rasch an, wenn es um den Erwerb von Aktien, von Beteiligungen oder Immobilien geht. Internationale Renditedifferenzen lassen sich durch solche Kosten zum Teil erklären. Die rasche Entwicklung der Kommunikationstechnik und die weltweiten Aktivitäten von

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Dieter Hiss und Wolfgang Schröder

Banken und Brokern dürften die Informationskosten in den letzten Jahren gesenkt und den allgemeinen Informationsstand erhöht haben. Damit sollten von dieser Seite her die Hindernisse für die internationale Mobilität des Finanzkapitals niedriger geworden sein. Auch wenn die Transaktionskosten sich im Zuge des technischen Fortschritts ermäßigt und die Abwicklungen sich beschleunigt haben, sind Auslandsengagements noch immer mit deutlich höheren Kosten belastet als heimische Transaktionen, zumal bei Auslandstransaktionen in der Regel auch Devisen getauscht werden müssen. Allerdings sinken die Transaktionskosten dann auf das Niveau heimischer Transaktionen, wenn ausländische Wertpapiere an den inländischen Börsen eingeführt und gehandelt werden. Die Anlage kleinerer Beträge an ausländischen Börsen wird durch hohe Mindestspesen unrentabel; der Kreis potentieller Anleger wird eingeschränkt, und damit wird auch die Bedeutung ausländischer Finanzmärkte für den nationalen Sparprozeß begrenzt, wenn es auch für die Interaktion zwischen heimischen und ausländischen Renditen und damit für die Zuweisung des Sparkapitals auf die einzelnen Volkswirtschaften auf die „Grenzanleger" ankommt, d.h. auf diejenigen, die die Möglichkeit haben, ihre Mittel mit geringem Aufwand international zu verlagern. Die Risiken, die speziell bei einer Anlage im Ausland auftreten, z.B. Transferrisiken und politische Risiken, haben auf die Anlageentscheidung eine ambivalente Wirkung: einerseits können sie eine besondere Zurückhaltung begründen, andererseits bieten sie die Möglichkeit, das Portfolio zu diversifizieren und so das Gesamtrisiko des Portfolios zu verringern. Das Beispiel der „Kapitalflucht" zeigt, daß die politisch-wirtschaftlichen Risiken im Heimatland des Investors nicht immer geringer eingeschätzt werden als im Ausland. Eines der gewichtigsten Risiken bei Anlagen im Ausland dürfte in der Wechselkursentwicklung liegen. Frei floatende Wechselkurse lassen sich nicht systematisch prognostizieren. Das ist zum Teil logisch notwendig, zum Teil aber auch ein Mangel der Wirtschaftstheorie. Aus den von ihr herausgearbeiteten „fundamentalen Determinanten" der Wechselkurse konnte der Trend der Wechselkurse bisher nicht abgeleitet werden: Das „Gravitationszentrum" der Wechselkurse sollte der Theorie gemäß die Kaufkraftparität bilden, weil der internationale Handel dafür sorgen würde, daß sich für die einzelnen gehandelten Güter nur jeweils ein einheitlicher Preis am Weltmarkt herausbilden würde. Mit dieser Theorie sind die lang anhaltenden Perioden realer Auf- und Abwertungen nicht vereinbar, wie sie seit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems auch zwischen den Währungen der Industrieländer beobachtet wurden. Daraus folgt auch, daß selbst die Richtung einer künftigen Wechselkursänderung bisweilen höchst ungewiß

Ausländische Finanzmärkte und nationaler Sparprozeß

655

ist, vor allem zwischen den Währungen von Industrieländern mit mittel- und längerfristig sehr ähnlicher wirtschaftspolitischer Erfolgsbilanz, wie etwa zwischen Dollar, D-Mark, Yen und Schweizer Franken. Dennoch kann das Wechselkursrisiko in einem Portfolio auch systematisch eingegrenzt werden: Dann nämlich, wenn die Wechselkurse der Währungen im Portfolio negativ miteinander korreliert sind. Hierin liegt ein entscheidender Anreiz für den Aufbau international di verifizierter Vermögensbestände. Einen entsprechenden Anreiz bildet die Streuung des Zinsrisikos. Die Zinsen entwickeln sich international in der Regel nicht im Gleichschritt. Selbst zwischen dem deutschen Kapitalmarkt und dem der USA schwanken die Zinsdifferenzen, obwohl Dollar und D-Mark in einer engen Substitutionsbeziehung stehen. Renditedifferenzen implizieren eine unterschiedliche Kursentwicklung für festverzinsliche Wertpapiere. Der Wert eines Portfolios wird voraussichtlich dann geringeren Veränderungen unterliegen, wenn es Anlagen mit voneinander unabhängigen Kursverläufen enthält, also z.B. heimische Wertpapiere und Wertpapiere aus verschiedenen anderen Ländern umfaßt. Das gilt auch für die Streuung des Inflationsrisikos. Für jedermann unübersehbar sind gewisse Länderrisiken, wie Transferund Solvenzrisiken, in den letzten Jahren dramatisch angestiegen. Zahlungsschwierigkeiten vor allem der hochverschuldeten lateinamerikanischen Schwellenländer haben den Kurswert ihrer Anleihen stark vermindert. Die Kurse spiegeln das Risiko wider, daß sich ein Land — zumindest vorübergehend — außerstande sehen kann, den vereinbarten Kapitaldienst zu leisten, weil es an Devisen fehlt. Der Ausfall kann ebenso den privaten Anleger treffen wie die Großbanken, wenn auch die Wertpapieranleihen bisher bevorzugt bedient wurden. Die Kreditgeber haben auf den Anstieg dieser Risiken mit einer deutlichen Drosselung ihrer Kreditgewährung reagiert. Insgesamt dürften dennoch die internationalen Finanzmärkte die Ersparnisbildung für die einzelnen Anleger attraktiver gestalten: Das Spektrum der Anlagealternativen wird breiter; Renditen, Risiken verschiedenster Art, Schuldner und Laufzeiten können weiter gestreut werden. Der Vergleich mit dem Reiz der Menu-Auswahl in einem Restaurant mit vielfältigem Speiseangebot gegenüber einem mit kleiner Speisekarte mag diesen Unterschied veranschaulichen. Darüber hinaus werden sich viele private Anleger dem Gedanken nicht verschließen können, daß ihr Geld im Ausland vor dem Zugriff der heimischen Steuerbehörden sicherer ist als im Inland. Gäbe es diese Anlagemöglichkeiten im Ausland nicht, so muß man vermuten, würde mancher mehr konsumieren oder weniger Erwerbsfleiß an den Tag legen. Unter diesem Gesichtspunkt wirkt eine Liberalisierung des internationalen Kapitalverkehrs anregend auf die wirtschaftliche Aktivität im Inland.

Dieter Hiss und Wolfgang Schröder

656

IV. Zur Entwicklung des Auslandsvermögens der Bundesrepublik

Die internationalen Allokationsentscheidungen der Privaten und der öffentlichen Sektoren haben zu einem regen Strom von Kapital in beiden Richtungen über die Grenzen der Bundesrepublik geführt (s. Tabelle 3). In den Täbelle 3 Langfristiger Kapitalverkehr ait de· Ausland von Unternehmen und Privatpersonen und Öffentlichen Stellen Mio DM Deutsche Hettokapitalanlagen i · Ausland 1)· darunter: Direktinsgesamt investitionen

Privatpersonen Ausllndische Nettok«italanlagen i · In! and 2) darunter: Direktinvestitionen S a l d o insgesamt

Öffentliche Ste 1 1 e η Deutsche Ausllndische Nettokapital- Nettokapitalanlagen anlagen i i Ausland ia Inland insgesamt 1) iasgeeaat 2) Saldo

1970

- 86*8

- 319*

• 10 102

• 2 176

• 1*5*

- 2 283

^

105

- 2 388

1971

- * 027

- 3 656

• 12 *85

• 3 905

• 8*58

- 2 109

-

57

- 2 166

1972



315

- * 988

• 16 71*

• 6157

• 17 029

- 127*

-

20*

- 1 *78

1973

-

710

- **17

• 15 863

• 5 32*

• 15 153

- 2 192

11

197*

- 9*8*

- * 959

• V 078

• 5*95

- 5*05

- 2 080

• 1203

-

1975

-21 875

- * 9*0

• 2 *82

• 1 690

- 19 393

- 2 2*1

• 3*0*

• 1 162

1976

- 17 556

- 6179

• 13 660

• 2 682

- 3 896

- 2 360

• *780

• 2*20

1977

- 20 9*6

- 5122

• 9 953

• 2 2*9

- 10 993

- 2 1*6



527

- 1 618

- 3 281

10

- 3 292

892

*87

- 2 203 877

1978

- 20 859

- 7 2*2

• 213*6

• 3 270



1979

- 18 533

- 8 235

• 32 235

• 319*

• 13 702

- 2 395



1980

- 26 5*2

- 7*17

• 11 *12



771

- 15 129

- 2 303

• 23 103

• 20 800

770

• 18 030

- 1502

1981

- 22 6*3

- 8 776

• 12 950



- 9 693

- * 9*7

• 22 977

1982

- 25 673

- 8017

• * 990

• 2 599

- 20 683

- **31

• 9 206

• * 775

1983

- 29 015

- 7*26

• 15 126

• 2 885

- 13 889

- 5 566

• 12 081

• 6 515

1) Zunähe·/Kapitalausfuhr:

Quelle:

2) Zunahee/Kapitaleinfuhr: •

Statistische Beihefte zu den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank, Reihe 3 „Zahlungsbilanzstatistik".

frühen siebziger Jahren stand die D-Mark während der Endphase des Bretton-Woods-Systems unter beständigem Aufwertungsdruck. Gleichzeitig waren die Zinsen — nominal und real — in der Bundesrepublik relativ hoch (vgl. Tabelle 1). Dies führte zu Nettoimporten von langfristigem Kapital in die Bundesrepublik. Anschließend überwogen die Exporte langfristigen Kapitals; bis auf 1978/79, als die erneute Inflationsbeschleunigung in den USA und anderen wichtigen Anlageländern verstärkt langfristiges ausländisches Kapital in die Bundesrepublik3 strömen ließ. Bei einem kaum veränderten Strom deutscher langfristiger Nettokapitalanlagen ins Ausland wurde 1979 per Saldo langfristiges Kapital in die Bundesrepublik importiert. 3 Die Preissteigerungen beschleunigten sich zwar auch in der Bundesrepublik, blieben hier aber weit unter denen der USA, Großbritanniens und Frankreichs.

Ausländische Finanzmärkte und nationaler Sparprozeß

657

Das inzwischen erreichte Ausmaß realer D-Mark-Aufwertungen begann 1979 für jedermann sichtbar die preisliche Wettbewerbsfähigkeit deutscher Anbieter zu schwächen. Die Leistungsbilanz, die bisher fortlaufend Überschüsse aufgewiesen hatte, schlug in ein Defizit von 11 Mrd. DM um. Die Zusammensetzung des internationalen Kapitalverkehrs der Bundesrepublik änderte sich daraufhin erheblich. Als die Bundesrepublik 1980 das auf 28,6 Mrd. DM angeschwollene Leistungsbilanzdefizit zu finanzieren hatte, sanken die Währungsreserven der Deutschen Bundesbank durch Devisenmarktinterventionen um 28,8 Mrd. DM. Von 1970 bis 1978 hatte die Bundesbank dagegen ihre Nettowährungsreserven von rund 50 Mrd. DM auf rund 100 Mrd. DM aufstocken können. Ein Teil dieses Auslandsvermögens wurde 1979/80 zur Finanzierung des Leistungsbilanzdefizits eingesetzt. Die Privaten setzten ihren langfristigen Kapitalexport in erhöhtem Umfang fort und erwarben 1980 netto langfristige Auslandsaktiva im Wert von 15,1 Mrd. DM. Die öffentliche Hand nahm dagegen per Saldo im Ausland langfristige Kredite in Höhe von 20,8 Mrd. DM auf 4 . Dem Kapitalimport der öffentlichen Hand standen 1980 also langfristige private Kapitalexporte gegenüber; die einzelnen Sektoren haben entgegengesetzte Anlageentscheidungen getroffen. Drei Beweggründe standen bei der Entscheidung der öffentlichen Hand im Vordergrund: Erstens leistete der öffentliche Kapitalimport einen entscheidenden Beitrag zur langfristigen Finanzierung des Leistungsbilanzdefizits; zweitens wurde der heimische Kapitalmarkt entlastet und drittens wurden den ,,low-absorbers'' unter den OPEC-Staaten Anlagemöglichkeiten geboten. Zu Anfang der achtziger Jahre begann sich das internationale Anlageklima zu verändern. Die USA und Großbritannien setzten auf eine rigorose Antiinflationspolitik, die sie vor allem mit Hilfe restriktiver Geldmengensteuerung realisieren wollten und dann auch durchsetzten. Die USA ergänzten die geldpolitische Stärkung des Dollar 1979/80 durch großzügige Devisenmarktinterventionen. Das englische Pfund und die englische Leistungsbilanz profitierten vom erneuten Emporschießen der Ölpreise. Im Wettbewerb der Währungen um den internationalen Anleger schwächte sich die Position der D-Mark relativ zu den anderen Währungen ab. Zwar verfolgte auch die Deutsche Bundesbank bis Ende 1981 eine restriktive Geldpolitik; der Restriktionsgrad war aber im Vergleich zu dem der anderen Anlageländer geringer, weil auch das Inflationsproblem der Bundesrepublik kleiner war. Neben relativen Änderungen der geldpolitischen Impulse wirkten fiskalpolitische Änderungen auf die internationalen Kapitalströme. 4

Dieser Saldo hatte sich bisher in viel engeren Grenzen bewegt (vgl. Tabelle 3).

658

Dieter Hiss und Wolfgang Schröder

Bereits 1979 verfolgte die neugewählte konservative Regierung Thatcher in Großbritannien das Ziel, die höheren Einkommen steuerlich zu entlasten durch eine Senkung der direkten Einkommens- und Körperschaftsteuern und eine Anhebung der indirekten Steuern. Ein ähnliches fiskalpolitisches Programm legte Ronald Reagan für die USA vor, der Ende 1980 zum Präsidenten gewählt wurde. Damit schwenkte der US-Dollar endgültig in einen Aufwertungspfad ein. Diese Entwicklungen haben den langfristigen Nettokapitalexport der Bundesrepublik in den achtziger Jahren begünstigt. Ausländer haben 1980 privat für 15,6 Mrd. DM deutsche Wertpapiere erworben; im gleichen Zeitraum haben sie aber auch für 14,0 Mrd. DM inländische Wertpapiere verkauft, so daß sie per Saldo nur 1,6 Mrd. DM in deutschen Wertpapieren angelegt haben. Bis 1983 haben sich ihre Käufe verdreifacht: 1983 kauften Ausländer für 46,7 Mrd. DM Wertpapiere in der Bundesrepublik, für 33,7 Mrd. DM tätigten sie Verkäufe und legten damit per Saldo 13 Mrd. DM in deutschen Wertpapieren an. Private deutsche Anlagen in ausländischen Wertpapieren erreichten noch höhere Werte: 1980, im Jahr des höchsten Leistungsbilanzdefizits der Bundesrepublik, kauften die Deutschen für 49,2 Mrd. DM Wertpapiere im Ausland, verkauften für 38.3 Mrd. DM und exportierten so 10,9 Mrd. DM an Kapital. Auch diese Transaktionen stiegen steil an: 1983 haben die Deutschen für 103,1 Mrd. DM ausländische Wertpapiere gekauft, für 89,3 Mrd. DM verkauft und damit auf diesem Wege 13,8 Mrd. DM Kapital exportiert. Die privaten Wertpapiertransaktionen von In- und Ausländern hielten sich 1983 fast die Waage: Der Kapitalexport lag lediglich um 0,7 Mrd. DM über den Kapitalimporten. Trotz der beachtlichen Umsätze in Wertpapieren über die deutschen Grenzen hinweg war der Saldo der gesamten Wertpapiertransaktionen — auf den es für die Versorgung mit Finanzierungsmitteln ankommt — nur sehr bescheiden. Bei einem gesamten Wertpapierbruttovermögen von rund 1.200 Mrd. DM besaßen die Deutschen Ende 1983 für 116 Mrd. DM ausländische Wertpapiere und Ausländer deutsche Wertpapiere im Wert von 74 Mrd. DM. Der Anteil ausländischer Wertpapiere am Wertpapierportfolio der Deutschen beträgt rund 10 v.H. Im gesamten langfristigen privaten Kapitalverkehr haben die Bundesdeutschen 1980 für 26,5 Mrd. DM Kapital exportiert und die Ausländer privat 11.4 Mrd. DM in der Bundesrepublik angelegt. Der langfristige Nettokapitalexport der Privaten sank 1981 auf 9,7 Mrd. DM, stieg dann 1982 wieder auf 20,7 Mrd. DM und erreichte 1983 13,9 Mrd. DM. Im Durchschnitt der letzten vier Jahre hat der private Sektor per Saldo langfristiges Kapital für 14,8 Mrd. DM pro Jahr exportiert. Diesem langfri-

Ausländische Finanzmärkte und nationaler Sparprozeß

659

stigen Kapitalexport steht eine langfristige Geldvermögensbildung der privaten Haushalte und der Unternehmen in der Bundesrepublik von durchschnittlich 125 Mrd. DM pro Jahr gegenüber. Die Nettoanlage im Ausland belief sich auf knapp 12 v.H. der gesamten langfristigen Anlagen. Zu den langfristigen Anlagen im Ausland zählen auch die Direktinvestitionen. Die deutschen Direktinvestitionen gehören zu den ausgeprägt stetigen Größen im internationalen Kapitalverkehr der Bundesrepublik. Sie sind in den siebziger Jahren unter geringen Schwankungen von rund 3 Mrd. DM auf rund 8 Mrd. DM angestiegen. Im Laufe der letzten vier Jahre wurden von Deutschen durchschnittlich 8 Mrd. DM pro Jahr im Ausland investiert. Ausländer nahmen im gleichen Zeitraum für durchschnittlich 1,8 Mrd. DM pro Jahr Direktinvestitionen in der Bundesrepublik vor, so daß netto 6,2 Mrd. DM pro Jahr im Ausland direkt investiert wurden 5. Während der gleichen Zeit — die allerdings von der Rezession geprägt war — betrugen die gesamtwirtschaftlichen Nettoinvestitionen der Unternehmen in der Bundesrepublik rund 115 Mrd. DM pro Jahr; die Auslandsinvestitionen machten 5,4 v.H. dieser Summe aus. Diese Größenverhältnisse umreißen eher eine relativ geringe quantitative Bedeutung von Anlagen im Ausland für den Spar- und Kapitalbildungsprozeß in der Bundesrepublik. Diese Einschätzung wird durch eine Betrachtung der Vermögensbestände gestützt. Tabelle 4 gibt die Geldvermögensverflechtung zwischen der Bundesrepublik und dem Ausland wieder. Der obere Teil der Tabelle listet das ausländische Geldvermögen in der Bundesrepublik auf, dem Verbindlichkeiten der inländischen Sektoren entsprechen; im unteren Teil sind die Verpflichtungen des Auslandes, d.h. die Auslandsaktiva der Bundesrepublik zusammengestellt. Die Differenz in der letzten Zeile der Tabelle ist gleich dem Nettogeidvermögen des Auslands. Das negative Vorzeichen gibt an, daß die Bundesrepublik fortlaufend eine Nettogläubigerposition innehatte, die sich seit ihrem Höchststand 1978 mit 97,6 Mrd. DM — bedingt durch die Leistungsbilanzdefizite der Jahre 1979 bis 1981 — fast halbiert hat. Aus der Tabelle läßt sich auch ablesen, daß das Nettoauslandsvermögen fast ausschließlich in den Währungsreserven der Deutschen Bundesbank konzentriert ist. Der Aufbau eines profitablen Auslandsvermögens ist unmittelbar mit dem Rückfluß von Kapitalerträgen gekoppelt. Der Belastung der Zahlungsbilanz durch Nettokapitalexporte steht die Entlastung durch die Kapitalerträge gegenüber. In den letzten fünf Jahren haben sich die Einnahmen der Bundesre5 Die Bundesrepublik wird damit zwar dem Anspruch gerecht, als hochentwickeltes Industrieland Kapital exportieren zu sollen, jedoch fließt der weitaus größte Teil der Mittel in die industrialisierten westlichen Länder und nicht in kapitalarme Entwicklungsländer.

660

Dieter Hiss und Wolfgang Schröder Tabelle 4

Geldveraögensbilanz der Bundesrepublik Deutschland n i t de· Ausland Stand aa Jahresende Mrd DM

A US L Α Ν D 1970 1971 1972 1975 197*1 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 I GeldveraOgensaktiva des Auslandes

35.7 9.7 24.1

Geldanlage bei B a n k e n

Bargeld u n d Sichteinlagen Termingelder Spareinlagen

1.9

Geldanlage bei B a u s p a r k a s s e n Geldanlage bei V e r s i c h e r u n g e n Geldanlage in Geldmarktpapieren festverzinslichen W e r t p a p i e r e n Aktien A u s l a n d s p o s i t i o n der Deutschen Bundesbank

41.4 13.4

39.3 .11.9 25,3

25.7

44.8 13,5 29.1

15.0 31,3

2.3

2.2

2.1

0.1 0.4

0.1 0.5

0.1 0.6

1.0 21.8

0.9

19.4

19.9 20.5

2.9

3.1

0.0 0.3

2.2 0.0 0.3

2.5

1.9

5.6 12.5

7.1 14.7

2.1 14.8 18,5

1.4

2.5

3.0

48.4

62,5 15.9 44.1

76.1 19.2 53.7

2.5 0.2

3.2

64.5 3.8

0.2 0.7

0.3 0.8

4.3 0.5 0.8

1.6

1.5

2.3

22.6

19.5 24.8

20.2 27.4

20.3 30.9

2.7

2.6

2.1

6.5

0.6 1.0 16.4

86.4 18.1

112.1 21.5 86,3

161,7

140.1 24.6

149,8 28.6

158,6 26,3

111.1 4.5

116,5 4.7

127.2 5.1

29,3 126,6 5.7

1.0 1.0

1.4 1.1

1.5 1.2

1.3

1.4

1.7 24.4

2.5

2.5

4.3

24.6 34.4

23.1

33.1

38.0

3.4 25.3 39.8

5,7

14.8

12.7

15.6

Kurzfristige B a n k k r e d i t e Längerfristige B a n k k r e d i t e

1.4

-

Darlehen der B a u s p a r k a s s e n Darlehen der V e r s i c h e r u n g e n 78.1 78.1

Sonstige F o r d e r u n g e n an inlandische S e k t o r e n an das A u s l a n d

96.4 96.4

92,2 92.2

106.9 106,9

118.5 118.5

133,5 133.5

154.6 154,6

143,4 143.4

156.4 156,4

161.5 161,5

205,1 205.1

265.0 265.0

289.6 289,6 -

162.9 32.2 124.4 6.3 0.6

36.1 41.3 a) 13.3 — — — — J01.9 V1.it —

darunter. Handelskredite

-

Insgesamt Nachrichtlich: Festverzinsliche Wertpapiere zu Tageskursen Aktien zu Tageskursen

136,1

158.2

176,5

197,4

212.0

239,6

269.0

293.3

329,8

368.5

433.6

502,7

538,0

562,0

5.0 15.0

6,5 16.1

13.1 20,9

18.7 23.0

17,1 22.9

14.9

19,3 26,4

21.3 28.6

20.4 32,3

22.9 3ί>,υ

22.4

24.5

21.1 36.3

25.8 36,4

35.6 3C.9

35.0

II GeldveraOgenspassiva des Auslandes Geldanlage bei B a n k e n

— -

Bargeld u n d Sichteinlagen Termingelder Spareinlagen Geldanlage bei B a u s p a r k a s s e n Geldanlage bei V e r s i c h e r u n g e n Verpflichtungen aus Geldmarktpapieren

— — —

. festverzinslichen W e r t p a p i e r e n Umlauf v o n A k t i e n A u s l a n d s p o s i t i o n der Deutschen Bundesbank • Kurzfristige Bankkredite l ä n g e r f r i s t i g e Bankkredite Darlehen der Bausparkassen Darlehen der V e r s i c h e r u n g e n Sonstige Verpflichtungen gegenüber iniindischen Sektoren g e g e n ü b e r d e m Ausland darunter:

0.0

0.0

0.0

0.0

0.1

8.3 26.3

9.7 31,0

11.1 31.4

15.6 33,7

92.5 27.7

83.4

86.4

38.8

28.6 0.1

32.9 0.2

52.2 49.6

88,5 54.0 61,3 0.4

90.2 51.0 72.5 0.4

63.9

66.8

89.4

95.3

110.2

59.1

63.9

66.8

89.4 II

95,3

187,3

202.9

223,3

247.0

279.3

13.8 17.4

12.4

7.9

7.7

19.4

22.6

23.6

8.3 26.3

49.6

- 67,3 -

0.1 13.8 17.4

— 12.4 19.4

7.9 22.6

51.8 17.9

62,2

77.4

31.3 0.0

17.5 32,3 0.0

20.1 31,2 0.1

54.9

59.1

54.9

0.0 7.7 23,6

0.3 19.2 37.2 107.2

0.3

0.3

0.4

22.9 40.3

30.2 46.1

36.4-

0.4 47.4

1.1 S3, ι 62,8

51.8

55.1

98,0 52.9

81.9 63.4 101,2

86,9 75.8 117.3

b) 64.0

90.6 0.9 0.7

80,3 77.2 109.9 1.2 1.6 186.8

1.4 1.7 201.4

1.0 . 1.8 221,3

73.3

0.5 118.7

51.0 83.6 0.6 0.6 127.7

142.7

Ϊ.1 1.3 162,5

U0.2

118.7

127.7

142.7

162.5

186.8

201,4

324.9

357,2

382,8

427.4

449.4

488. r

545.6

587,5

629,2

9.7

11.1 31.4

15.6 33.7

19.2 37.2

22.9

30.2

36.4

47.4

31.0

40.3

46.1

$1.8

55.1

53.1 62.8

85.2

88.3

89.6

- 97,6

42,9 -

49.5

— 67,2

0.4 0.3

0.4·

130.8

221.3

Handelskredite Insgesamt Nachrichtlich: Festverzinsliche Wertpapiere zu Tageskursen A k t i e n z u Tageskursen III. N e t t o g e l d v e r m ö g e n b z w . -Verp f l i c h t u n g e n ( - ) (1 ·/. II)

-

51.2

-

44.7

-

46.7

-

-

-

80.9

-

54.4

-

a) einschlleBlich des Gegenpostens zu den zugeteilten Sonderziehungsrechten b) abzüglich des Gegenpostens aus der HOherbewertung des in den [uropaischen Fonds für wahrungspolitische Zusammenarbeit vor laufig eingebrachten Goldes Quelle:

Monatsberichte der Deutschen Bundesbank.

Ausländische Finanzmärkte und nationaler Sparprozeß

661

publik aus Kapitalerträgen fast verdoppelt. Gleichzeitig sind aber auch die von der Bundesrepublik gezahlten Kapitalerträge um mehr als das Doppelte angestiegen. Der Saldo wies recht große Veränderungen auf. 1982 ergab sich sogar ein Defizit von 2,1 Mrd. DM, weil in diesem Jahr die Zinsüberweisungen öffentlicher Kreditnehmer an das Ausland stark gewachsen sind und auch die ausländischen Direktinvestitionen mit hohen Erträgen bedient wurden. V. Große internationale Kapitalbewegungen der letzten zehn Jahre und ihre Rückwirkungen auf den Sparprozeß Die Sorge über den Abfluß von Finanzkapital in das Ausland entsteht vor allem aus einer statischen Sicht der weltwirtschaftlichen Beziehungen. Kapital, das z.B. in die USA fließt, scheint in dieser Sicht für die Geberländer zunächst verloren. Eine genauere Analyse wird jedoch zeigen, daß es auf die jeweiligen Bedingungen ankommt, ob Kapitalexporte die wirtschaftliche Aktivität im Inland dämpfen oder nicht sogar anregen. Exemplarisch werden dazu die Wirkungen der Kapitalströme nach den Ölpreisschüben und der gegenwärtige Kapitalimport der USA analysiert. Jeder Kapitalexport ist für das Geberland mit Änderungen wichtiger anderer Größen verbunden: Aus dem Bilanzzusammenhang mit den sonstigen außenwirtschaftlichen Transaktionen folgt, daß ein Nettokapitalexport einen kompensierenden Saldo in den anderen Teilbilanzen bedingt, z.B. einen Überschuß in der Leistungsbilanz oder ein Defizit der Devisenbilanz. Bei flexiblen Wechselkursen kann die Zentralbank die Devisenbilanz steuern. Interveniert sie nicht am Devisenmarkt, dann bleibt der Saldo der Devisenbilanz Null. Unter dieser Voraussetzung ist ein Nettokapitalexport nur möglich, wenn die Leistungsbilanz einen gleich hohen Überschuß aufweist. Genau das können wir gegenwärtig im Fall der USA beobachten: Die USA haben 1983 für 60,6 Mrd. Dollar mehr Güter importiert als exportiert. Durch einen Überschuß in der Dienstleistungsbilanz, der vor allem aus Nettokapitalerträgen resultiert (23,6 Mrd. Dollar), ist ein Teil des Handelsbilanzdefizits kompensiert worden, so daß die Leistungsbilanz 1983 mit einem Defizit von 40,8 Mrd. Dollar abgeschlossen hat. Gleichzeitig haben die Privaten per Saldo 33,7 Mrd. Dollar in den USA angelegt. Der Kapitalsog geht also mit einem Güterimportsog einher, wobei die Güterimporte der USA gleichsam durch Kredite des Auslands finanziert werden. Forderungen gegen die USA werden bereitwillig erworben, weil die Zinsen auf Dollaranlagen relativ hoch sind — auch unter Berücksichtigung der Preissteigerungsraten in den USA im Vergleich zu den Ländern, die Anlagealternativen bieten. Kri-

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Dieter Hiss und Wolfgang Schröder

tiker — auch aus USA selbst, wie Professor Feldstein, der ehemalige Wirtschaftsberater Präsident Reagans und Paul Volcker, der Vorsitzende des Federal Reserve Systems der USA — werfen der Regierung vor, durch unangemessen hohe Defizite des US-Bundeshaushalts für hohe Zinsen die Verantwortung zu tragen. Die hohen Zinsen wiederum ziehen ausländisches Kapital ins Land mit der Folge einer stetigen Dollaraufwertung. Diese verringert fortlaufend die Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Anbieter im In- und Ausland, so daß das Defizit der Leistungsbilanz über den Zinsanstieg und die Kapitalimporte mit dem Budgetdefizit verknüpft ist. Von dieser Entwicklung in den USA geht eine Reihe von Wirkungen auf den Rest der Welt aus. Stellen wir uns zunächst die Frage, welche Zinswirkungen wir außerhalb der USA beobachten körinen. Die internationale Kreditnachfrage der USA zieht die Zinsen auch in den anderen Ländern tendenziell nach oben. Dem steht nicht entgegen, daß vielen Ländern eine weitgehende „Abkoppelung" vom US-Zinsniveau gelungen ist. Zu diesen zählen unter anderem Japan, die Schweiz und die Bundesrepublik (siehe Tabelle 1). Der große Zinsabstand zu den USA wird in diesen Ländern offenbar durch mobilitätshemmende Faktoren, z.B. durch das Risiko einer möglichen zukünftigen Dollarabwertung aufgewogen. Der Zinsauftrieb teilt sich wenigstens über zwei Kanäle dem Rest der Welt mit. Anlagen in Dollar stehen in Konkurrenz ztf Anlagen in anderen Währungen. Ein Ansteigen der Dollarzinsen induziert — unter sonst gleichen Bedingungen — Portfolioumschichtungen: heimische Vermögensanlagen werden abgestoßen, der Erlös in Dollar umgetauscht und in US-Finanzaktiva angelegt. Die Anpassung an höhere Dollarzinsen erfolgt also zum einen durch eine Dollaraufwertung, d.h. durch die Abwertung konkurrierender Währungen und/oder durch eine Renditeerhöhung der heimischen Finanzaktiva. Wenn jedoch der Zinsanstieg in den USA durch neue Informationen veranlaßt ist — etwa durch die Nachricht eines ungebremsten Anstiegs der amerikanischen Budgetdefizite, dann werden Zinsreaktionen in den anderen Ländern ausbleiben; lediglich die Zinsdifferenz wird sich vergrößern. Die internationale Verschuldungskrise hat eine zusätzliche Bresche geschlagen, durch die sich ein Anstieg der Dollarzinsen auf andere Länder überträgt: Mit den Dollarzinsen steigen die Zinsforderungen gegenüber den ausländischen Dollarschuldnern. Und zwar nicht nur für die kurzfristige internationale Verschuldung, sondern auch für langfristige Kredite, sofern sie mit Zinsgleitklauseln versehen sind. Dies trifft für einen großen Teil der Kredite an die gefährdeten Schwellenländer zu. Wenn die Dollarzinsen steigen,

Ausländische Finanzmärkte und nationaler Sparprozeß

663

nehmen ihre Zahlungsschwierigkeiten zu. Die dort engagierten Geschäftsbanken müssen ihre Forderungen an diese Länder wertberichtigen. Um die Länderrisiken abzudecken, benötigen die Banken besonders hohe Erträge, die sie im wesentlichen aus ihrer Zinsmarge verdienen. Sie sind also bestrebt, ihre Zinsmarge vor allem auch im Inlandsgeschäft zu vergrößern. Der Wettbewerb unter den Banken verhindert diese Entwicklung nicht, weil die zinsführenden Banken allesamt mehr Wertberichtigungen zur Abdeckung der zunehmenden Risiken bilden müssen. Die von den internationalen Märkten kommenden Zinsanreize dürften — isoliert betrachtet — die nationale Sparneigung angeregt haben. Der Dollarkursanstieg wirkt sich nachteilig auf das Preisklima in den übrigen Volkswirtschaften aus. Preissteigerungsimpulse gehen sowohl von der Nachfrage- als auch von der Angebotsseite aus: Erstens erlaubt dort die aufgrund der realen Aufwertung des Dollar verstärkte Exportnachfrage und geschwächte Importkonkurrenz Preisanhebungen im Sektor international handelbarer Güter; zweitens verteuern sich in heimischer Währung die in Dollar fakturierten Importe. Ob diese preissteigernden Impulse sich durchsetzen und tatsächlich zu allgemeinen Preissteigerungen in den kapital- und güterexportierenden Ländern führen, hängt entscheidend von den dort herrschenden Bedingungen ab: Nämlich, ob die monetären Voraussetzungen für Preiserhöhungen gegeben sind und die Befriedigung der zusätzlichen Güternachfrage auf Kapazitätsgrenzen stößt oder nicht. Wenn — wie gegenwärtig in der Bundesrepublik — die monetäre Expansion knapp bemessen und die Kapazitäten auch bei den in Frage kommenden Gütern eher unterausgelastet sind, werden die importierten Inflationsimpulse keine allgemeine Preissteigerung auslösen. Die Preiserhöhungsspielräume werden auch eingeengt, wenn die Zinsen durch den internationalen Zinszusammenhang hoch bleiben und dadurch die Gesamtnachfrage eher dämpfen. Sobald Preissteigerungsimpulse zu befürchten sind, werden die Währungsbehörden ihnen entgegenwirken. Auf welche Art und Weise die Geldpolitik reagiert, hängt von ihrem strategischen Konzept ab. Die wichtigsten Zentralbanken der Welt haben sich einer Geldmengensteuerung verschrieben. Sie wollen die monetären Aggregate so steuern, daß reales Wachstum ohne Inflationsgefahren finanziert werden kann. Internationale Entwicklungen spielen im theoretischen Konzept keine Rolle für das zu realisierende Geldmengen Wachstum. Die Ableitung des Geldmengenziels der Deutschen Bundesbank stützt sich z.B. auf das Wachstum des Produktionspotentials und den unvermeidlichen Preisanstieg. Außenwirtschaftliche Nebenbedingungen werden nicht explizit in die Ableitung des Geldmengenziels aufgenommen. Theoretisch konsistent würde die außenwirtschaftliche Absi-

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Dieter Hiss und Wolfgang Schröder

cherung allein dem Wechselkurs überlassen, dessen Floaten Ungleichgewichte gar nicht erst entstehen lassen sollte. Die seit dem Übergang zum generellen Floaten zu beobachtenden internationalen Ungleichgewichte der Handels- und Leistungsbilanzen und die langen Perioden realer Auf- bzw. Abwertungen der Währungen begründen aber berechtigte Zweifel daran, ob das theoretische Konzept die wesentlichen Vorgänge der internationalen Austauschprozesse korrekt widerspiegelt. Die Schweizerische Notenbank und die Deutsche Bundesbank sahen sich häufig veranlaßt, von der ,,reinen Lehre" der Geldmengensteuerung abzuweichen und außenwirtschaftliche Einflüsse geldpolitisch abzuwehren. 1977/78 hat die Bundesbank mit einem über das Geldmengenziel hinausgehenden monetären Wachstum der realen Aufwertung der D-Mark entgegengewirkt. Zuweilen suspendierte auch die Schweizer Nationalbank ihr Geldmengenziel und verkündete, eine weitere Auf- oder Abwertung des Schweizer Franken — vor allem gegenüber der D-Mark — nicht mehr hinnehmen zu wollen. Den Leistungsbilanzeinbruch der Jahre 1979 bis 1981 nahm die Deutsche Bundesbank zum Anlaß, die heimische Absorption durch eine restriktive Geldpolitik zurückzudrängen, um so den Import von Preissteigerungsimpulsen zu bremsen und den Ausgleich der Leistungsbilanz zu fördern. Dabei wurde die Umkehr der Leistungsbilanz bei geldpolitisch gebremster Abwertung der D-Mark (hohe Zinsen) herbeigeführt. Wenn zunehmende Kapitalexporte von den Währungsbehörden eines Landes als Ausdruck schwindenden Vertrauens in die eigene Währung angesehen werden, wie es etwa im Februar 1981 in der Bundesrepublik der Fall war, dann werden restriktive geldpolitische Maßnahmen ergriffen, die sich erheblich auf den Spar- und Kapitalbildungsprozeß im Lande auswirken. Die heimischen Zinsen steigen, die monetären Aggregate wachsen verzögert und die Gesamtnachfrage wird gedämpft. Wenn die sich auf den internationalen Finanzmärkten widerspiegelnden Ereignisse derartige geldpolitische Reaktionen hervorrufen, dann wird die Bildung von Geld- und Produktivkapital im Inland beeinträchtigt. Der gegenwärtige Kapitalsog in die USA hat außerhalb der USA sehr wahrscheinlich andernfalls mögliche monetäre Lockerungen unterbunden. Die Fiskalpolitik der USA hat nicht nur durch das Budgetdefizit Außenwirkungen, sondern auch unmittelbar durch die vorausgegangenen Änderungen der Steuergesetze. Steueränderungen in den USA haben dort die Kapitalrendite nach Steuern erheblich erhöht. US-Bürger und unter bestimmten Bedingungen auch Ausländer werden dazu angeregt, Kapital in den USA anzulegen. Auch vor Steuern hat sich die Kapitalrendite durch das massive

Ausländische Finanzmärkte und nationaler Sparprozeß

665

deficit-spending und den Konjunkturaufschwung stark erhöht. Dennoch sind die statistisch ausgewiesenen Direktinvestitionen von Ausländern in den USA in diesen Jahren zurückgegangen. Dies wird vor allem eine Folge der hohen Bewertung des Dollar und der attraktiven Zinsen für Finanzanlagen sein, zum Teil aber auch statistischer Reflex der Steueränderungen, die unter anderem eine wesentlich verkürzte Abschreibungsdauer für das Anlagevermögen umfassen und damit ceteris paribus die ausgewiesenen Gewinne vermindern, die als Reinvestitionen in die Statistik der Direktinvestitionen eingehen. Festzuhalten bleibt, daß die USA als Anlageland für Kapital attraktiver geworden sind. Ein wichtiger Bereich bleibt freilich von dieser Attraktivitätssteigerung ausgenommen: Der Sektor international handelbarer Güter. Die Passivierung der US-Leistungsbilanz ist nur zum Teil auf den konjunkturellen Vorlauf der USA zurückzuführen. Eine weitaus größere Rolle spielt — trotz des Krisenprotektionismus zum Schutz bestimmter Sektoren — die Minderung der Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Anbieter aufgrund der lang anhaltenden realen Aufwertung des Dollar. Sie haben Absatz- und Produktionseinbußen erlitten, so daß die Kapitalrendite in diesem Sektor zurückgegangen ist. Die entgegengesetzten, anregenden Impulse erfahren die Hersteller international handelbarer Güter und Dienste im Ausland. Ihre Produktion und die Rendite nehmen zu. Ihre Investitionstätigkeit wird angeregt. Sekundär wird dort die Produktion auch der binnenorientierten Wirtschaftsbereiche allmählich stimuliert. Versucht man in der gegenwärtigen Lage den Saldo aus den gegenläufigen Einflüssen zu ziehen, die von den internationalen Güter- und Kapitalmärkten auf die nationale Ersparnis- und Kapitalbildung ausgehen, dann scheinen die anregenden Impulse eindeutig zu dominieren: Ausgehend von der in der Rezession herrschenden Unterbeschäftigung von Arbeit und Produktionskapazitäten konnten zusätzlich Güter exportiert werden, ohne die heimische Absorption zu begrenzen. Das heißt, auch ein höheres Investitionsvolumen im Inland konnte gleichzeitig mit höheren Kapital- und Güterexporten in die USA realisiert werden. Zum entgegengesetzten Ergebnis kommt die Untersuchung der umfangreichen Petrodollarströme als Folge der Ölpreisschocks 1973/74 und 1979/80. Die Kapitalimporte der ölimportierenden Industrieländer resultierten aus dem Emporschnellen der Handelsbilanzüberschüsse der OPEC-Staaten: Die Ölpreiserhöhungen ließen den Wert der Ölimporte anschwellen, sorgten für höhere Inflationsraten, höhere Verbrauchsausgaben und für real gedrückte Investitionen in den meisten Ländern, die netto Öl importierten. Simultan erhöhten sich die gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse der ölexportierenden

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Dieter Hiss und Wolfgang Schröder

Länder. Sie wurden den Ölimporteuren zur Finanzierung der ölbedingten Handelsbilanzdefizite zur Verfügung gestellt. Die erste Ölkrise führte in eine Weltrezession mit gedämpfter Investitionstätigkeit, Unterbeschäftigung und gleichzeitiger Inflation. Die beschleunigte Geldkapitalbildung in einem Teil der Welt — den Ölexportländern — führte nicht zu einer beschleunigten Realkapitalbildung in den Schuldnerländern, sondern diente weitgehend zur Finanzierung des auch real zunächst enorm verteuerten Ölverbrauchs. Kredite für den Konsum — für das pure Inganghalten der Volkswirtschaften — traten in Konkurrenz zur investiven Verwendung der Kredite. Ein Ansteigen der Kapitalimporte bedeutet also nicht notwendig auch ein Ansteigen der Investitionen im Inland. Die abrupte Erhöhung der Ölpreise bedeutete eine dramatische Verschlechterung der terms of trade der Industrieländer. Die Renditeerwartungen der Unternehmen in den ölimportierenden Ländern wurden stark gedrückt, während die Kosten langfristiger Finanzierung durch das Anlageverhalten der OPEC-Staaten — die kürzerfristige, liquide Anlagen bevorzugten — ceteris paribus angehoben wurden. Ganz entscheidend für die Kapitalbildung in den ölimportierenden Industrieländern war der Druck auf die Unternehmensgewinne, der die Investitionen zurückfallen ließ. Das reale Wachstum der Industrieländer fiel von 6 v.H. auf 0 v.H. 1974 und - 2 v.H. 1975. Gleichzeitig schlug ihr Leistungsbilanzsaldo um: von +2 Mrd. Dollar 1973 auf - 2 4 Mrd. Dollar 1974, während sich die Überschüsse der OPECStaaten von 3,5 Mrd. Dollar 1973 auf 67 Mrd. Dollar 1974 erhöhten. Der Zustrom von Finanzkapital aus dem Ausland geht also nicht notwendig mit erhöhter Kapitalbildung und gesteigertem Wachstum im Inland einher. Generell wird in Industrieländern befürchtet, daß mit dem Kapital auch Arbeitsplätze exportiert werden, der Kapitalexport also die heimische Beschäftigung bzw. die Beschäftigungszunahme verringert. Die Richtigkeit dieser Aussage setzt ein Vorherrschen von Konkurrenzbeziehungen zwischen Produktionsstandorten im In- und Ausland voraus. Ob dies so ist, läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Vielfach werden ausländische Unternehmensteile auch als komplementär zur heimischen Produktion anzusehen sein. Sie dienen dann etwa der Erschließung und Betreuung des Auslandsmarktes. Die in jüngerer Zeit besonders virulenten protektionistischen Bestrebungen stärken diese Rolle der Auslandsniederlassungen, da sie dem protektionistischen Druck zumeist nicht ausgesetzt sind. So gesehen helfen Auslandstöchter den Absatz im Ausland und damit auch die Beschäftigung inländischer Exportindustrien sichern. Auch bei der echten Verlagerung von nicht mehr konkurrenzfähiger Inlandsproduktion in ausländische Produk-

Ausländische Finanzmärkte und nationaler Sparprozeß

667

tionsstandorte zur Versorgung des Inlandsmarktes verursacht nicht diese Verlagerung den inländischen Beschäftigungsrückgang. Ein besonderes Licht auf die Rolle internationaler Finanzmärkte für die nationalen Spar- und Kapitalbildungsprozesse wirft eine empirische Untersuchung von Feldstein und Horioka 6. Sie prüfen den Zusammenhang zwischen heimischer Ersparnis und heimischer Investition. Ihr Querschnittsvergleich der Investitions- und Sparquoten der OECD-Länder zeigt, daß beide Quoten recht breit gestreut sind, daß dabei aber die heimischen Sparquoten der einzelnen Länder sehr dicht bei den heimischen Investitionsquoten liegen. — Die beiden Quoten unterscheiden sich durch die internationalen Kapitalbewegungen voneinander. Feldstein/Horioka schließen aus dem engen ökonometrischen Zusammenhang von heimischer Ersparnis und heimischer Investition, daß die internationale Mobilität des Kapitals nicht sehr groß ist, die heimische Ersparnis also zum weitaus größten Teil der heimischen Investition zugute kommt. Dieser Zusammenhang ist von großer Wirtschaft spolitischer Bedeutung: Wäre nämlich die nationale Ersparnis als sehr mobil anzusehen, dann würde z.B. die Förderung der Ersparnis im eigenen Land die Finanzierungsbedingungen für die heimische Investition kaum verändern, weil zusätzliche Ersparnisse womöglich lediglich dem Ausland zugute kämen und Finanzierungsengpässe für rentable Investitionen im Inland ohnehin durch zufließendes Auslandskapital geschlossen würden. Die heimische Investition und die heimische Ersparnis könnten sich bei perfekter internationaler Mobilität des Kapitals völlig unabhängig voneinander entwickeln, weil günstige Investitionsbedingungen im Inland sofort auch ausländisches Kapital anlocken würden und umgekehrt inländische Ersparnisse ins Ausland strömten, sobald die für das Ausland erwartete Rendite die des Inlands übersteigen würde. Die Analyse der internationalen Kapitalströme in der letzten Dekade zeigt vor allem, daß die Wirkungen der internationalen Finanzierungsprozesse auf die nationale Einkommens- und Ersparnisbildung von den jeweiligen Umständen abhängen, die zu den Kapitalströmen geführt haben. Kapitalimporte signalisieren lediglich, daß das Inland in größerem Umfang die Ressourcen des Auslandes in Anspruch nimmt als umgekehrt das Ausland auf inländische Ressourcen zurückgreift. Ob diese zusätzlichen Ressourcen der heimischen Kapitalbildung zugeführt werden, hängt von einer Reihe anderer Bedingungen ab. Eine generelle Aussage über den Einfluß der internationalen Finanzmärkte auf den nationalen Sparprozeß wäre der Sachlage folglich nicht angemessen. 6 M. Feldstein, Ch. Horioka y Domestic Saving and International Capital Flows, The Economic Journal 90, June 1980, 314 — 329.

Geldschöpfung am Euro-DM Markt und Geldmengenkontrolle der Bundesbank* Von Wolfgang Gebauer, Florenz Die Expansion der Euromärkte im vergangenen Vierteljahrhundert hat das Geld- und Kreditschöpfungspotential dieser Märkte zunehmend in den Vordergrund des Interesses gerückt. Die mögliche Einführung administrativer Kontrollen und ihre eventuelle praktische Durchsetzung wurde in der Literatur und zwischen den betroffenen Währungsbehörden intensiv diskutiert 1. Mittlerweile zeichnen sich einige Resultate dieser Diskussion ab — so z.B. die Einsicht, daß weitreichende Pläne einer internationalen monetären Euromarktkontrolle praktisch-politisch nicht durchsetzbar sind2. Es gibt lediglich im Bereich der Bankenaufsicht eine wirksame internationale Absprache, das sogenannte Basler Konkordat 3. In wissenschaftlichen Erörterungen deutet sich, endlich, eine Abkehr von einigen konventionellen Denkschemata an. Insbesondere die Multiplikatoranalyse wird — zu Recht — in Frage gestellt, doch gibt es auch hier noch beträchtliche Meinungsunterschiede4. In der folgenden Untersuchung beschäftige ich mich mit der Frage, welche Rolle das Geld- und Kreditschöpfungspotential eines ganz bestimmten Euromarkts, nämlich des Euro-DM Marktes, für die Geldmengenpolitik der Deutschen Bundesbank spielt, und welcher Analyserahmen zur Untersu* Für Hinweise und Kommentare danke ich meinen Seminar-Teilnehmern am Europäischen Hochschulinstitut, den Teilnehmern einer Vortragsveranstaltung an der Universität Karlsruhe sowie den Herren M. Ledig (Frankfurt) und R. Serge (Berlin). Der Deutschen Bundesbank bin ich für die großzügige Überlassung von Datenmaterial zu Dank verpflichtet. 1 Vgl. z.B. Wallich (1979), BIZ (1980), Tobin (1980), Usher (1980), Wijnholds (1980), Mayer (1981), Cooke (1981), Frydl (1982), Akhtar (1983). 2 Die 'Kontrolldebatte' wird in jüngerer Zeit zunehmend erweitert um Aspekte der internationalen Schuldenkrise, die unter anderem von Kontroll-Auflagen kreditgebender Behörden (IMF conditionally) gekennzeichnet sind. Vgl. z.B. die Analysen von Williamson (1983), Katseli (1983) und Duwendag (1985). 3 Neufassung vom Mai 1983. Die nationalen Währungsbehörden bekräftigen darin unter anderem den Grundsatz, die Kreditinstitute auf der Basis konsolidierter Bankbilanzen zu beaufsichtigen, und regeln die Zuständigkeitsfrage. 4

Vgl. z.B. Folkerts-Landau

(1982) und im Gegensatz dazu de Cecco (1982).

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Wolfgang Gebauer

chung dieser Frage geeignet erscheint5. Zunächst werden einige für das Thema relevante Charakteristika des Euro-DM Marktes kurz beschrieben, gefolgt von einem Überblick über die wesentlichen Merkmale der nationalen Geldmengensteuerung in der Bundesrepublik (Kapitel I und II). Nach dieser notwendigen institutionellen Grundlegung folgt eine Diskussion des Informationsgehalts der traditionellen Geld- und Kreditaggregate, die 'Eurogeld' und 'Eurokredit' bisher nicht einschließen und deswegen in ihrer Indikatorfunktion zunehmend fragwürdig erscheinen (Kapitel III). Diese Überlegungen führen zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Multiplikatorkonzept (Kapitel IV), die wiederum eine praxisorientierte, auf Zinszusammenhängen basierende Analyse nahelegt (Kapitel V). Die wichtigsten Ergebnisse und ihre geldpolitischen Implikationen werden im letzten, VI. Kapitel zusammengefaßt.

I. Charakteristika des Euro-DM Marktes 6

Der Euro-DM Markt ist der Markt für DM-Bankaktiva und DM-Bankpassiva gegenüber Gebietsfremden außerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Die beiden wichtigsten Marktzentren sind Luxemburg und London, auf die rund Vi des Marktvolumens entfallen. Standortvorteile sind die geographische Nähe zur Bundesrepublik Deutschland, keine Mindestreservevorschriften und ein völlig freier Kapitalverkehr. Der Euro-DM Markt expandierte im vergangenen Jahrzehnt wesentlich schneller als die vergleichbaren einheimischen Finanzmärkte; das Wachstum fluktuierte allerdings deutlich im Zeitablauf. Die Euro-DM Einlagen sind, wie bei allen Eurowährungsmärkten, überwiegend kurzfristiger Natur; es dominieren Fristigkeiten bis zu drei Monaten. Das DM-Kreditgeschäft ist in seiner Konditionengestaltung auf den großen Block der kurzfristigen DMEinlagen zugeschnitten. Die Eurobanken leisten eine wirkungsvolle Fristentransformation, indem sie die hereingenommenen kurzfristigen Einlagen auf eigenes Risiko langfristig ausleihen (,,roll-over 4'-Kredite; das Zinsrisiko trägt der Kreditnehmer). Marktteilnehmer sind hauptsächlich die Eurobanken selbst; hinzu kommen 5 Eine erste Stellungnahme hat die Bundesbank selbst im Rahmen einer Analyse des EuroDM Marktes vorgelegt und in jüngster Zeit aktualisiert; vgl. Deutsche Bundesbank (Januar 1983) und (Mai 1985). 6 Ich stütze mich im folgenden auf die schon genannte Analyse der Deutschen Bundesbank (Januar 1983) sowie auf die Untersuchungen von Storck (1983), Steffens (1983) und Huber (1982). Für eine präzise Beschreibung des internationalen Interbankmarktes insgesamt vgl. BIZ (1983).

Geldschöpfung am Euro-DM Markt und Geldmengenkontrolle

671

ausländische Währungsbehörden sowie deutsche und ausländische ,,Nichtbanken" (nichtfinanzielle Unternehmen sowie private und öffentliche Haushalte). Die deutschen Nichtbanken hatten sich Ende März 1984 mit 78 Mrd. DM am Euro-DM Markt verschuldet — ein Höchststand, der die Aussagekraft der konventionellen Kreditstatistiken zunehmend in Frage stellt (s.u. Kapitel III). Schon angesichts eines völlig liberalisierten Kapitalverkehrs zwischen der Bundesrepublik und den Euro-DM Marktzentren drängt es sich auf, den Euro-DM Markt als Erweiterung des einheimischen Geldmarktes zu betrachten7, und nicht als ein in sich abgeschlossenes, getrennt von seiner heimatlichen Währungsbasis zu analysierendes Marktphänomen. Die statistisch belegten, engen Beziehungen zwischen deutschen Banken und dem Euro-DM Markt unterstreichen diese Interpretation 8. Im einzelnen kann die Verflechtung des Euro-DM Marktes mit dem deutschen Interbanken-Geldmarkt wie folgt charakterisiert werden: a) Die Interbankverflechtung zwischen dem inländischen und dem Euro-DM Geldmarkt ist gekennzeichnet durch eine stark variierende Nettoschuldnerposition der inländischen Kreditinstitute. b) Eine Erklärung für diese Variabilität liegt in der Ausgleichsfunktion des deutschen Interbanken-Geldmarktes für den Euro-DM Markt. Im Falle kurzfristiger Mittelzuflüsse in den Euro-DM Markt kommt es dort zunächst zu einem Überschuß an liquiden Mitteln, da den gestiegenen Einlagen nicht so rasch eine entsprechende zusätzliche Kreditexpansion folgen kann (das Einlagenvolumen ist flexibler als das Kreditvolumen). Die Eurobanken reagieren typischerweise mit einem Abbau ihrer kurzfristigen Verbindlichkeiten bei deutschen Kreditinstituten: Die Netto-Gläubigerposition der Eurobanken wächst. Erfolgt umgekehrt ein Mittelabzug am Euro-DM Markt, so wird dort das Depositen Wachstum sinken. Dann sehen sich die Eurobanken gezwungen, angesichts ihres vollen Risikos der Fristentransformation im Kreditgeschäft (s.o.) zusätzliche liquide Mittel sicherzustellen, die sie sich normalerweise am deutschen Geldmarkt beschaffen. Sie erhöhen also wieder die vorher abgebauten Verbindlichkeiten gegenüber inländischen Kreditinstituten und reduzieren so ihre (aktive) Nettoposition. c) Eine Erklärung für die Netto-Gläubigerposition der Eurobanken selbst muß von der Nachfrage des Auslands nach deutscher Währung ausgehen. Dieses Interesse hat dazu geführt, daß die D-Mark mittlerweile zur zweitwichtigsten Anlage- und Reservewährung avancierte. In der Praxis hat die dahinterstehende Portfolioselektion Ge7 Dies ist auch die Einschätzung der Bundesbank; vgl. Deutsche Bundesbank (Januar 1983), S. 31. 8 Es liegt nahe, die institutionelle Betrachtungsweise auf alle anderen Euro-Währungsmärkte auszudehnen; dann wäre, bei völliger Kapitalmobilität, jeder Euromarkt als Erweiterung der zugehörigen nationalen Finanzmärkte aufzufassen.

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Wolfgang Gebauer

bietsfremder den Euro-DM Markt gegenüber den deutschen Finanzmärkten bevorzugt. d) Die Verflechtung deutscher Kreditinstitute mit dem Euro-DM Markt wird auch von (deutschen) Mindestreservevorschriften berührt: im Prinzip unterliegt die kurzfristige Kreditaufnahme deutscher Banken am Euro-DM Markt der Mindestreservepflicht. Tatsächlich werden aber, nach einer Schätzung der Bundesbank, kaum mehr als !/4 der Auslandsverbindlichkeiten inländischer Kreditinstitute mindestreservepflichtig, da es zahlreiche Umgehungsmöglichkeiten gibt 9 .

II. Institutionelle Charakteristika der deutschen Geldmengenkontrolle 1. Geldmarkt und Geldmengenziel

10

Der deutsche Geldmarkt ist, in enger Abgrenzung, Interbankenmarkt für Zentralbankguthaben. Er ist, so gesehen, analog zum Tederai Funds Market' in den USA definiert. Als Marktteilnehmer treten nur inländische Kreditinstitute auf. Diese Banken halten unverzinsliche Zentralbankguthaben auf Girokonten im Bundesbanksystem. Transaktionen in Zentralbankguthaben zwischen inländischen Kreditinstituten sind generell kurzfristiger Natur; die Fristigkeiten ausgeliehener oder angelegter Geldmarktmittel bewegen sich zwischen einem Tag (Geld über Nacht) und einem Jahr. In Übereinstimmung mit den Verhältnissen am Euro-DM Markt dominieren Fristen bis zu 3 Monaten. Die Geldmengenzielgröße der Bundesbank ist die (inländische) Zentralbankmenge (MZ). Dieses monetäre Aggregat setzt sich zusammen aus dem Bargeldumlauf (C) in den Händen der (in- und ausländischen) Nichtbanken und dem Mindestreservesoll auf Inlandsverbindlichkeiten zu den konstanten Reservesätzen vom Januar 1974 (Reservekomponente R; für definitorische Details und Größenordnungen vgl. Schema.) 2. Geldmengensteuerung

11

Die Steuerung der inländischen Geldmenge durch die Bundesbank erfolgt auf dem inländischen Geldmarkt. Kontrollinstrument ist der Geldmarktzins, 9

Deutsche Bundesbank (Januar 1983), S. 34. Für eine detaillierte Beschreibung und Analyse vgl. Gebauer (1981) und die dort angegebene Literatur, oder auch Deutsche Bundesbank (Juli 1983). Zu den theoretischen Grundlagen der deutschen Geldpolitik siehe Dudler (1984). 11 Für einen neueren Überblick vgl. Dudler (1983), Deutsche Bundesbank (Juli 1983), Kapitel 4 und Schlesinger (1985). 10

Geldschöpfung am Euro-DM Markt und Geldmengenkontrolle

673

Definitionsschema zur Geldmarkt- und Geldmengensteuerung der Bundesbank A. Die Begriffe

Zentralbankgeld,

Zentralbankgeldmenge,

Zentralbankguthaben

Bargeldumlauf C plus Mindestreserve-Soll a) zu jeweiligen Reservesätzen R

Mindestreserve-Soll a) zu _ konstanten Reservesätzen R

plus Überschußreserven R Ü ergibt

ergibt

Zentralbankgeld

Z,

Zentralbankgeldmenge

Ζ = C + R + RÜ.

MZ,

M Z = C + R.

Außerdem ergibt Zentralbankgeld Ζ minus Bargeldumlauf C plus MindestreserveSoll auf Auslandsverbindlichkeiten RF die Zentralbankguthaben ZG, also Z G = Ζ - C + RF bzw. Z G = R + R Ü + RF. B. Zusammenhänge mit Geldmengenkomponenten

b)

Geldmengenkomponenten sind, außer dem Bargeldumlauf C, die folgenden Verbindlichkeiten inländischer Nichtbanken: Sichteinlagen D Termingelder c) Τ Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist S1 Spareinlagen mit vereinbarter Kündigungsfrist 0 S2. Es gilt nun für Zentralbankgeld (Z = C + R + RÜ): Z = C + 0,091 D +0,064 T + 0,044 (S1+S2) + R Ü (Gewichte: laufende Reservesätze; Stand August 1984). Zentralbankgeldmenge ( M Z = C + R): Z = C + 0,17 D + 0,12 Τ + 0,08 (S1 + S2) (Gewichte: konstante Reservesätze vom Januar 1974).

Ursprungswerte

Größenordnungen (August 1984) in Mrd. D M Saisonbereinigt

C = 99 R = 42; RF = 3; R Ü = 0,2 Z G = 45; Z = 144

C = 97 R = 96 MZ=193

Geldmenge M3 (C + D + T + Sl) = 866 a)

Reserve-Soll auf Inlandsverbindlichkeiten nach Absetzung der anrechenbaren Kassenbestände. b) Zugrundegelegt wird die weite, inländische Geldmengendefinition M3. c) Mit Befristung bis unter 4 Jahren.

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der wiederum durch eine geeignete Kombination des zins- und liquiditätspolitischen Instrumentariums der Bundesbank wirksam beeinflußt wird. Mit diesem Instrumentarium kontrolliert die Bundesbank die Konditionen, d.h. im wesentlichen die Zinskosten, zu denen ein inländisches Kreditinstitut Zentralbankguthaben von einer anderen inländischen Bank ausleihen kann. Das einheimische Bankensystem benötigt zusätzliche Giroguthaben bei der Bundesbank (also zusätzliche Zentralbankguthaben) als Resultat einer vorhergegangenen monetären Expansion: Mit der Ausweitung des Geschäftsvolumens der Banken steigen in aller Regel auch deren mindestreservepflichtige Verbindlichkeiten, so daß das Mindestreserve-Soll der Kreditinstitute (d.h. der auf Bundesbank-Girokonto zu unterhaltende Betrag an Zentralbankguthaben) zunimmt. Außerdem wächst, im Zusammenhang mit zusätzlichen Krediten und Einlagen im inländischen Bankensystem, normalerweise auch der Bedarf an Bargeld. Beide Faktoren (höherer Bargeldbedarf und gestiegene Mindestreserven) zwingen die inländischen Kreditinstitute, zusätzliches Zentralbankgeld (Zentralbankguthaben und Bargeld) nachzufragen, um so ihre stattgefundene Geschäftsausweitung zu refinanzieren. Dieser Zwang liefert der Bundesbank den Ansatzpunkt ihrer Geldmengensteuerung: sie diktiert — bei gegebenen Zinssatzdifferenzen zum Ausland — die Bedingungen, zu denen sich die inländischen Banken bei ihr zusätzlich Zentralbankguthaben beschaffen können. Sie übt einen restriktiven Einfluß auf die monetäre Expansion des inländischen Bankensystems aus, wenn sie die Refinanzierungskosten verteuert, also die Geldmarktzinssätze für Zentralbankguthaben steigen läßt, und vice versa. Beispielsweise erhöht eine — durch den Einsatz des zins- und liquiditätspolitischen Instrumentariums herbeigeführte — nachhaltige Senkung der nominalen Geldmarktzinssätze tendenziell das Geldmengenwachstum. Der zugrundeliegende Prozeß (der oft irreführenderweise als 4Geldangebotsprozeß' bezeichnet wird) läuft ab über eine Reihe von Zinssatz- und Zinsstruktur-Zusammenhängen zwischen verschiedenen inländischen Finanzmärkten. Bei gegebener Zinsreagibilität der beiden quantitativ wichtigsten Bilanzgegenposten der Geldmenge, nämlich des inländischen Kreditvolumens und der inländischen Geldkapitalbildung 12 , schlägt sich dieser Prozeß schließlich in Geldmengeneffekten nieder. Aus dem bisher Gesagten geht bereits hervor, daß die monetaristische Vorstellung einer direkten, quantitativen Geldmengenkontrolle via multiplikativer, notenbankgesteuerter Veränderungen des Zentralbankgeldes (der 'monetären Basis') nicht zutreffen kann — jedenfalls nicht für die Verhält12 Vgl. die laufende Berichterstattung und Statistik in den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank im Rahmen ihrer monetären Analyse.

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nisse in der Bundesrepublik Deutschland. Das wird ganz deutlich, wenn man sich die folgenden drei institutionellen Details der inländischen Mindestreservepflicht bzw. des inländischen Refinanzierungsgeschehens vor Augen führt: a) Die tatsächliche Höhe der Mindestreservepflicht (das 'Reserve-Soll') der inländischen Banken wird für einen Kalendermonat bestimmt anhand der mindestreservepflichtigen Verbindlichkeiten an vier Bankwochenstichtagen: 23. und Ultimo des Vormonats sowie 7. und 15. des laufenden Monats. Folglich kennen die inländischen Banken ihre — aus vergangener monetärer Expansion resultierende — monatliche Mindestreservepflicht etwa zur jeweiligen Monatsmitte. Und folglich gibt es für die Kreditinstitute dann keinerlei Möglichkeiten mehr, die Höhe dieser Reservepflicht und ihren damit zusammenhängenden Refinanzierungsbedarf an Zentralbankgeld noch nachträglich zu ändern. b) Die Bundesbank kann kein Interesse daran haben, inländische Kreditinstitute in die 'Untererfüllung' der Mindestreservepflicht zu zwingen — denn dann würde sie das geldpolitische Instrument der Mindestreserve selbst in Frage stellen. Folglich muß die Bundesbank, für den jeweiligen laufenden Monat, jenen (zusätzlichen) Betrag an Zentralbankguthaben bereitstellen (anbieten), den die inländischen Kreditinstitute benötigen, um ihre (zusätzliche) Mindestreservepflicht auch tatsächlich zu erfüllen. Und folglich, wiederum, benötigt das inländische Bankensystem zunächst eben keine bereits vorhandenen 'Überschußreserven' an Zentralbankgeld oder sonstige freie Liquiditätsreserven oder irgendeine andere aktuelle oder potentielle 'monetäre Basis' für die laufende Expansion ihrer Geschäftstätigkeit — d.h. für eine Expansion der Bank-Kredite und -Einlagen Monat für Monat. c) Aus den beiden genannten 'institutionellen Details' folgt schließlich, daß das monetaristische Geldbasiskonzept ebenso wie die konventionelle Multiplikatoranalyse der Kredit- und Geldschöpfung bereits vom Ansatz her verfehlt sind — gleich, in welcher spezifischen Form sie als Analyserahmen verwendet werden. Die inländischen Banken sind, wie gesagt, ganz einfach in der Lage, Kredite und Einlagen Monat für Monat auch dann zu schöpfen, wenn sie über keine freie oder potentielle monetäre Basis verfügen; also muß ein Ansatz, der auf die mögliche multiplikative Wirkung einer solchen Geldbasisgröße abstellt, aus praxisorientierter Sicht notwendigerweise ins Leere gehen.

III. Eurogeld und Eurokredit 1. Geldvolumen Der überwiegende Teil der Euro-DM Einlagen besteht aus Interbankdepositen der Eurobanken selbst, anderer Kreditinstitute sowie einiger nationaler Notenbanken. Interbankdepositen sind nicht als 'Geld' im konventionellen

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Sinne aufzufassen; nur die Einlagen von Nichtbanken (Unternehmen, Privatpersonen, öffentliche Haushalte) können (analog den nationalen Geldabgrenzungen) als Geld bezeichnet werden. Demzufolge belief sich das EuroDM Geldvolumen Ende März 1984 auf insgesamt 35 Mrd. DM, wobei der größere Teil (22 Mrd. DM) auf Euro-DM Einlagen ausländischer Nichtbanken entfiel. Die restlichen 13 Mrd. DM entstammten Euro-DM Einlagen von deutschen Nichtbanken. Dieser letztgenannte Betrag ist somit direkt vergleichbar mit den entsprechenden Geldmengenkomponenten in heimischer (deutscher) Abgrenzung; er wird im folgenden mit 'Eurogeld' bezeichnet. Wegen der erwähnten Fristigkeit der Euro-DM Einlagen kommt ein Vergleich mit den nationalen Sichteinlagen (Fristigkeit bis zu 30 Tagen) und/oder mit den nationalen Termineinlagen (Fristigkeit 1 Monat bis unter 4 Jahren) in Betracht. Folglich ist Eurogeld zumindest so sehr 'Geld' wie die einheimischen Termineinlagen; das ist jedenfalls die — sehr vorsichtige — Auffassung der Bundesbank13. Man kann wohl ohne weiteres noch einen Schritt weitergehen und das Eurogeld angesichts seines kurzfristigen Charakters den inländischen Sichteinlagen zuordnen. Vergleicht man die genannten 13 Mrd. DM Eurogeld mit den inländischen Sichteinlagen in Höhe von 178 Mrd. DM (jeweils Ende März 1984, Ursprungswerte), so erscheint der entsprechende Anteil von 7,3 v.H. durchaus bemerkenswert, zumals er gut fünf Jahre vorher (Dezember 1978) noch kaum 2 v.H. betragen hatte. Selbst wenn man das Eurogeld den einheimischen Termineinlagen zuordnet, ergibt sich im wesentlichen das gleiche Bild einer — zumindest zahlenmäßig — erheblich ansteigenden Bedeutung des Eurogeldes von 2,3 v.H. der inländischen Termingeldkomponente Ende 1978 auf 6,1 v.H. im März 1984. Die Konsequenz einer zunehmenden Aushöhlung der Aussagekraft der rein national abgegrenzten Geldmengenkomponenten liegt auf der Hand; eine Neuabgrenzung einschließlich Eurogeld könnte durchaus ins Auge gefaßt werden. Die Bundesbank sieht selbst die Gefahr, daß z.B. Transfers zwischen inländischen und Euro-DM Einlagen mit Geldcharakter den Informationswert der konventionellen, nationalen Geldaggregate „zeitweise bereits beeinträchtigen: So ist z.B. die Geldmenge M2 in der traditionellen Abgrenzung (d.h. ohne Euro-DM Einlagen) von Mitte 1980 bis Mitte 1981 um 11 v.H. gewachsen . . . Ein erweitertes Geldmengenaggregat unter Einbeziehung sol13

Deutsche Bundesbank (Januar 1983), S. 31.

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eher Euro-DM Einlagen hätte in diesem Zeitraum um 12 v.H. zugenommen" 14 . Solche Berechnungen erscheinen natürlich besonders interessant — weil möglicherweise folgenschwer — bezüglich der offiziellen (Zwischen-) Zielgröße der deutschen Geldpolitik, d.h. bezüglich der Zentralbankgeldmenge. Zunächst ist festzuhalten, daß die besondere Konstruktion dieser Zielgröße (vgl. Schema) es nicht ohne weiteres zuläßt, eine Erweiterung um das Eurogeld vorzunehmen15. Eine 'Gewichtung' des mindestreservefreien Eurogeldes analog dem Mindestreserve-Soll auf Inlandsverbindlichkeiten erscheint konzeptionell unvertretbar. Außerdem ist ja, aus einem kontroversen Argument der analytischen Zweckmäßigkeit heraus, sogar die (statistisch einfachere) Erweiterung der Zentralbankgeldmenge um das MindestreserveSoll auf Auslandsverbindlichkeiten bisher unterblieben 16. Dennoch: Da die Zentralbankgeldmenge erklärtermaßen die wichtigste Geldmengengröße für die Bundesbankpolitik darstellt, müßte zumindest die Indikatorfunktion dieses monetären Aggregats angesichts der wachsenden Bedeutung des Eurogeldes neu überdacht werden. Andere Notenbanken sind diesen Weg schon gegangen und haben, in gewissem Umfang, Eurogeld als Teil des gesamten, geldpolitisch relevanten Geldvolumens berücksichtigt 17. 2. Kreditvolumen Das hier betrachtete Euro-DM Kreditvolumen (Aktiva gegenüber Nichtbanken aus der Bundesrepublik) hat sich in den sechs Jahren von Mitte 1977 bis Mitte 1983 mehr als verdreifacht (von 23,4 auf 75,1 Mrd. DM). Im März 1984 beliefen sich die Eurokredite an deutsche Unternehmen und Privatpersonen bereits auf knapp 80 Mrd. DM. Auch diese Eurokredite finden in dem üblichen, konventionellen Rechenwerk der monetären Analyse keine Berücksichtigung, da nur die Kreditvergabe des inländischen Bankensystems in die Kreditstatistik eingeht. Folglich gibt das nur national gemessene Kreditvolumen keine umfassende Information über Ausmaß und Wachstumstempo aller DM-Kredite an die inländische Wirtschaft und an inländische 14 ibidem, S. 32. Diese Position wurde allerdings in neuester Zeit insofern wieder etwas abgeschwächt, als für die Bundesbank die Eurogeldbestände „noch nicht sonderlich ins Gewicht" fallen; vgl. Deutsche Bundesbank (Mai 1985), S. 32/33. 15 Das Konzept der Zentralbankgeldmenge ist übrigens in diesem Punkt (und nicht nur in diesem) der weiten Geldmengenabgrenzung M3 unterlegen. 16 Zur Begründung vgl. Deutsche Bundesbank (1974), S. 19. 17 Die U.S. Notenbank schließt z.B. seit einigen Jahren in ihre Geldaggregate M2 und M3 jene Overnight Eurodollars' ein, die bei Auslandsfilialen amerikanischer Kreditinstitute in der Karabik von amerikanischen Nichtbankenkunden gehalten werden.

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Privatpersonen. Die Bundesbank ist sich dieses Sachverhalts bewußt, insbesondere was die ,,nicht unwichtige" Rolle der kurzfristigen Eurokredite an die Wirtschaft betrifft. Erkennbare Konsequenzen für eine Neuabgrenzung des bisherigen Kreditvolumenbegriffs im Rahmen der monetären Analyse wurden jedoch bislang nicht gezogen, obwohl seit Ende der 70er Jahre ,,immerhin durchschnittlich etwa 13 v.H. der gesamten Nachfrage nach kurzund mittelfristigen Bankkrediten der inländischen Unternehmen von den Auslandsniederlassungen deutscher Banken gedeckt" wurde 18. Die Notwendigkeit einer solchen Neuabgrenzung wird bereits durch das von der Bundesbank publizierte Datenmaterial 19 unterstrichen. Danach zeigte z.B. die traditionelle Kreditstatistik in der ersten Hälfte des Jahres 1982 einen (saisonbereinigten) Anstieg der (inländischen) Bankkredite an inländische Unternehmen und Privatpersonen um 30 Mrd. DM oder 5,6 v.H. Jahresrate; einschließlich der von Eurobanken gewährten Kredite erhöht sich diese Jahresrate auf immerhin 6 v.H. Mengenmäßig betrachtet repräsentieren die bereits genannten 78 Mrd. DM Eurokredite bereits ein Viertel der offiziell ausgewiesenen kurzfristigen Kredite der inländischen Kreditinstitute an Unternehmen und Privatpersonen (319 Mrd. DM Ende März 1984). Selbst wenn man den Eurokrediten angesichts der vorherrschenden 'roll-over' Technik einen mittel- und langfristigen Aspekt zuspricht und sie folglich mit den längerfristigen Krediten inländischer Banken an Unternehmen und Privatpersonen (1045 Mrd. DM Ende März 1984) vergleicht, errechnet sich mit 7,6 v.H. ein prozentualer Anteil, der in der monetären Analyse nicht ignoriert werden sollte. Grundsätzlich wäre insbesondere der Effekt zu beachten, daß eine Einbeziehung der Eurokredite das gesamte Kreditvolumen erhöht und damit auch (rechnerisch und ceteris paribus) die nationale Geldmenge — gleichviel, ob man die Geldbegriffe M l , M2 oder M3 betrachtet. Wegen des definitorischen Zusammenhangs mit der Zentralbankgeldmenge (vgl. Schema) steigt dann auch diese (wiederum ceteris paribus) notwendigerweise an; dies ist offenbar geldmengenpolitisch unmittelbar relevant. Insgesamt enthüllen die genannten Zahlen und Zusammenhänge, daß die Existenz von Euro-DM Einlagen deutscher Nichtbanken (Eurogeld) ebenso wie die Existenz von Euro-DM Krediten an deutsche Nichtbanken (Eurokredite) den Informationsgehalt der rein national abgegrenzten Geld- und Kre18 Vgl. Deutsche Bundesbank (Januar 1983), S. 32 und Deutsche Bundesbank (Mai 1985), S. 32. 19 Vgl. die Tabelle: „Kreditaufnahme des privaten Sektors bei in- und ausländischen Banken", Deutsche Bundesbank (Dezember 1982), S. 14.

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ditaggregate schmälern. Daher erscheint eine Überprüfung und gegebenenfalls Revision der bisherigen monetären Aggregate angezeigt. Für die weiterführende Frage nach den Erfolgsaussichten einer künftigen Geldmengenpolitik heißt dies, die folgenden zwei Problemkreise genauer zu untersuchen: — Das Geld- und Kreditschöpfungspotential des Euro-DM Marktes und den Mechanismus, mit dem dieses Potential möglicherweise die inländische Geldmengenkontrolle aushöhlen könnte; und — die inneren Beziehungen zwischen den Zinssätzen auf dem deutschen und dem Euro-DM Geldmarkt, da der 'ZinshebeP, wie oben ausgeführt, den Kern der Geldmengenkontrolle der Bundesbank ausmacht.

Diese Fragenkreise werden in den beiden folgenden Kapiteln aufgegriffen.

Γν. Überlegungen zu einem Euro-DM Multiplikator

Mit ,,Eurowährungsmultiplikator' 4 bezeichnet man in der Literatur üblicherweise schlagwortartig die angebliche Fähigkeit von Eurobanken, das Geld- und Kreditvolumen auf einem Euromarkt und in einer bestimmten Währung autonom (d.h. außerhalb und unbeeinflußt von nationaler monetärer Kontrolle) um ein Vielfaches auszuweiten20. Analytisch sind hier zwei Ausprägungen der Multiplikatorhypothese auseinanderzuhalten: — Das 'endogene* Expansionspotential des Eurobankensystems allein; die multiplikative Expansionsmöglichkeit für Geld oder Kredit resultiert dabei aus der Annahme, daß ein konstanter Teil der liquiden Mittel im Eurobankensystem immer wieder angelegt wird. — Das monetäre Expansionspotential eines um die Eurobanken erweiterten nationalen Bankensystems, das der engen Verflechtung zwischen diesen beiden Bankensystemen Rechnung tragen soll; auch in dieser erweiterten Sicht bleibt die Annahme unveränderter Rückflüsse zu dem (kombinierten) Bankensystem bestehen.

Nun gibt es allerdings mindestens zwei theoretisch rivalisierende Erklärungsansätze eines Eurowährungsmultiplikators: Friedmans Sicht eines (expost) Multiplikators mit festen Koeffizienten 21, und Tobins 'neue Sicht' eines multiplikativen, monetären Expansionsprozesses im Rahmen eines all20

Johnston (1981), S. 5. Vgl. z.B. Friedman (1969) oder Carli (1971), Mayer (1971) und Willms (1976) für frühe Anwendungen dieser 'alten Sicht', die — zumindest — bis auf Phillips (1920) zurückgeführt werden kann. 21

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gemeinen Portfoliomodells 22). Beide Erklärungsansätze wurden später wiederum grundlegender theoretischer Kritik unterzogen; man charakterisierte sie als Denkschemata, die zur monetären Analyse internationaler Finanzmärkte grundsätzlich ungeeignet seien23. Angesichts dièses 'Erkenntnisstandes' sind von vornherein Zweifel angebracht, ob die akademische Multiplikatoridee den hier angestrebten, praxisorientierten Analysezwecken gerecht werden kann, zumal ein institutioneller Zinsstrukturansatz 24 das monetäre Expansionspotential im DM-Segment der Eurowährungsmärkte analytisch ebenfalls zu erfassen vermag 25. 1. Der endogene Multiplikatoransatz

mit fixen Koeffizienten

Der 'endogene' Eurowährungsmultiplikator bezieht sich, wie erwähnt, auf die Fähigkeit der Eurobanken zu einer multiplikativen monetären Expansion, die unabhängig ist von eventuell bestehenden (institutionellen) Außenbeziehungen zu einem anderen Markt oder zu anderen Banken. Angewandt auf das hier betrachtete DM-Segment des Euromarktes würde diese entscheidende Annahme erfordern, den Euro-DM Markt nicht als Teil (oder Erweiterung) der deutschen (inländischen) Finanzmärkte zu betrachten. Es wurde bereits in Kapitel I gezeigt, daß die institutionellen Tatbestände eine derartige Sichtweise nicht zulassen; insbesondere hinsichtlich des Interbanken-Geldmarktes ist der Euro-DM Markt nicht als ein in sich abgegrenztes, geschlossenes Bankensystem zu charakterisieren. Einer analytischen Anwendung der endogenen Multiplikatoridee ist damit von vornherein der Boden entzogen. Darüber hinaus muß eine kritische Betrachtung endogener Multiplikatoransätze die folgenden vier Punkte betonen:

22

Tobin (1963); neuere Anwendungen der 'neuen Sicht' geben z.B. Swoboda (1980) oder Johnston (1981). 23 Vgl. z.B. Mayer (1979), Folkerts-Landau (1981) und de Cecco (1982). 24 In der Tradition der klassischen Arbeit von Lutz (1974). 25 Das Augenmerk institutioneller Zinsstrukturmodelle richtet sich sowohl auf die direkten, unmittelbaren Interaktionen zwischen der monetären Expansion im Inland und am Euro-DM Markt, als auch auf die indirekten Beziehungen zwischen beiden (Teil-)Märkten. Ein Beispiel für indirekte Beziehungen: Die Existenz des Euro-DM Marktes hat zu einer Zunahme der Kapitalmobilität sowie zu einer größeren Substituierbarkeit von DM-Aktiva durch andere Währungen geführt. Diese Umstände haben zu einer größeren Variabilität des Außenwertes der D-Mark beigetragen, was wiederum tendenziell verstärkte Devisenmarkt-Interventionen der Bundesbank zur Folge hatte. Die monetären Effekte solcher Interventionen können, soweit sie nicht sterilisiert werden, den Erfolg der inländischen Geldmengensteuerung gefährden. Somit mag also, im Sinne der skizzierten Verkettung, ein (sehr) indirekter Zusammenhang zwischen dem monetären Geschehen am Euro-DM Markt und der inländischen Geld- und Kreditausweitung existieren. Vgl. hierzu z.B. Gleske (1982) und Folkerts-Landau (1982).

Geldschöpfung am Euro-DM Markt und Geldmengenkontrolle

681

a) Die (impliziten) Verhaltensannahmen für alle am Prozeß beteiligten Teilnehmer(gruppen) sind realitätsfremd und unhaltbar. Den Banken wird unterstellt, daß sie auch tatsächlich alle zurückströmenden Depositen wieder — soweit irgend möglich — als Kredite anbieten. Begrenzungen der Geschäftstätigkeit aus Risiko-, Management- oder Eigenkapitalüberlegungen werden ignoriert. Den Nichtbanken wird unterstellt, daß sie alle angebotenen Kredite auch nachfragen; das Kreditangebot schafft sich seine eigene Nachfrage (das Say* sehe Gesetz aus den Tagen der klassischen Ökonomie lebt wieder auf). Die Notenbank schließlich wird zu einer Institution verstümmelt, die (konstante) Mindestreservesätze festlegt und ansonsten für die Geld- und Kreditexpansion irrelevant ist. b) A n den letztgenannten Punkt knüpft die Grundsatzkritik an, daß schon die Idee einer auf irgendeiner bereits vorhandenen monetären Basis aufbauenden Geld- und Kreditexpansion an den institutionellen Rahmenbedingungen zerbrechen muß: Es wurde (s.o. Kapitel II) dargelegt, daß eine monetäre Expansion im Inland zunächst ohne eine solche Basis auskommt, da eine Refinanzierung von der Notenbank nicht verweigert werden kann. Damit wird dem Ausgangspunkt eines endogenen Multiplikatorprozesses ebenfalls der Boden entzogen. Allerdings gibt es keine EuroNotenbank; für den Euro-DM Markt trifft daher diese Kritik dann nicht zu, wenn dieser Markt tatsächlich als geschlossenes (und notenbankfreies) System aufgefaßt werden könnte. Eine solche Auffassung ist jedoch angesichts der bestehenden Verbindungen mit dem Inland unhaltbar. c) Jeder Multiplikator muß, wenn er ein analytisch nützliches ex-ante-Instrument sein soll, eine empirisch (im Zeitverlauf) stabile und damit einigermaßen vorhersagbare, feste Größe sein — wozu sonst sollte man das Potential eines künftigen dynamischen Prozesses als das Vielfache einer heute gegebenen Basisgröße auffassen. Deshalb werden denn auch Reservesatz und Abflußkoeffizienten als fixe Größe betrachtet, deren Konstanz auch diejenige des Multiplikators gewährleistet. Der Multiplikatoransatz für das inländische Bankensystem erfüllt ungefähr diese Konstanzbedingung: Der· (Mindest-) Reservesatz ist gegeben (sofern er nicht von der Notenbank diskretionär verändert wird), und die Bargeldabflußquote ändert sich tatsächlich nur langsam und graduell im Zeitverlauf. Der endogene Euro-DM Multiplikator (und, allgemein, ein Eurowährungsmultiplikator) erfüllt die Konstanzbedingung jedoch keineswegs. Vor allem ist der Abflußkoeffizient aus zwei Gründen alles andere als konstant: Erstens zeigen die Erfahrungen des vergangenen Jahrzehnts, daß Euro-DM Positionen in großen und zeitweilig ganz unterschiedlich hohen Beträgen in andere Währungen überführt werden; Wechselkurserwartungen und Veränderungen internationaler Zinssatzdifferenzen sind dabei wesentliche Triebkräfte. Zweitens fließen Euro-DM Mittel im Zeitverlauf in unterschiedlichen Beträgen zu den nationalen (inländischen) Finanzmärkten ab (s.o. Kapitel I). Das 'geschlossene* Euro-DM System ist also in Wirklichkeit 'leck' und nach außen durchlässig. Folglich kann keine Kausalkette wiederangelegter Depositen im Sinne der üblichen Multiplikatormodelle postuliert werden, solange man methodologisch

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682

auf der Realitätsnähe zentraler Prämissen besteht. Wollte man dennoch einen solche Euro-DM Multiplikator konstruieren, so wäre er notwendigerweise unstabil und daher analytisch wertlos 2 6 . d) Der endogene Multiplikatoransatz ignoriert schließlich institutionelle Restriktionen, die auch auf dem Euro-DM Markt bestehen und ebenfalls Sand in das Getriebe des theoretisch postulierten, 'reinen' Expansionsprozesses streuen. Beispielsweise besteht die örtliche Bankenaufsicht in Luxemburg auf der Einhaltung einiger Bilanz- und Eigenkapitalvorschriften, die geeignet sind, eine ungehemmte Ausweitung der Geschäftstätigkeit Luxemburger Eurobanken zu zügeln. Der vorgeschriebene Mindestkapitalkoeffizient 27 ist etwa eine solche potentielle Expansionsbremse.

2. Der erweiterte

Multiplikatoransatz

mit fixen Koeffizienten

Man kann versuchen, den unabweisbaren Tatbestand der engen Verflechtung des Euro-DM Marktes mit den deutschen (inländischen) Finanzmärkten in einem erweiterten Multiplikatormodell zu berücksichtigen. Der Euro-DM Markt wird dann als Teil eines umfassenderen Systems betrachtet, das aus den Eurobanken dieses Marktes und aus den inländischen Banken besteht. Wirtschaft und Privatpersonen verteilen ihre Einlagen zwischen beiden Teilmärkten, und die Eurobanken halten ihre (freiwilligen) Reserven bei den deutschen Mutterbanken. In eine formale Analyse gehen also zwei Reservesätze ein: der Reservesatz ri, den das inländische Bankensystem aufgrund der geltenden Mindestreservevorschriften zu beachten hat, und der Reservesatz Γ2, der die freiwillige Vorsichtsreserve der Eurobanken widerspiegelt. Kennzeichnet man den Anfangsbestand von Nichtbankeneinlagen im inländischen und Euro-DMBankensystem mit Eo und den Abfluß von Einlagen in Bargeld oder in andere Währungen mit dem ,,leakage"- Koeffizienten b, dann lautet die Multiplikatorformel E = mEo, wobei m = η

(l-(l-nXl-b))-1.

Die Annahme, daß Eurobanken eine an ihrem Einlagenwachstum orientierte Vorsichtsreserve bei ihren deutschen Mutterinstituten einlegen, führt zu einer Rückkopplung ihrer Eurogeschäftsausweitung an das inländische Einlagenwachstum. Der Geldschöpfungsmultiplikator m ist offenbar bei gegebenem inländischen Mindestreservesatz r 2 umso größer, je niedriger der 26 27

Einen entsprechenden empirischen Nachweis führt z.B. Johnston (1981), S. 18/20. Für Details vgl. Storck (1984).

Geldschöpfung am Euro-DM Markt und Geldmengenkontrolle

683

Euroreservesatz Γ2 ausfällt und je größer der Anteil der Nichtbankendepositen ist, die in dem erweiterten Bankensystem verbleiben 28. Man muß anerkennen, daß dieser erweiterte Multiplikatoransatz einige Schwächen endogener Modelle behebt: — Es wird explizit anerkannt, daß der Euro-DM Markt als eine Erweiterung des inländischen Marktes aufzufassen ist. — Die Variabilität des 'leakage'-Koeffizienten b wird tendenziell verkleinert, da Transaktionen mit dem Inland definitionsgemäß keine Abflüsse mehr darstellen. — Der Einfluß des Euro-DM Marktes auf die Verfügbarkeit von DM-Krediten wird beachtet, was konzeptionell zu einer korrekteren Erfassung des geldpolitisch relevanten Kreditvolumens führt (s.o. Kapitel III).

Diesen Pluspunkten stehen aber weiterhin die obengenannten Einwände entgegen, die sich auf die implizierten, primitiven Verhaltensprämissen (Einwand a), die Irrelevanz einer monetären Basis (Einwand b) und die Effekte der örtlichen Bankenaufsicht (Einwand d) beziehen. Auch Einwand c) — die fehlende Konstanz des Multiplikators — dürfte nicht wirksam entkräftet sein: denn die im erweiterten Ansatz implizierte Annahme, daß alle vom Euro-DM Markt abgezogenen Nichtbankeneinlagen in den deutschen Markt (und nur in diesen) fließen, ist offenbar unrealistisch angesichts schwankender Währungspräferenzen der Anleger. 3. Zur Portfoliovariante

des Multiplikators

Die in den Modellen mit fixen Koeffizienten implizierten Primitivannahmen über die tatsächlichen Verhaltensweisen der Marktteilnehmer werden in der 'Portfoliovarante* des Multiplikatorgedankens durch ein — wesentlich realitätsnäheres — Verhaltensmodell ersetzt 29. Die ökonomische Erklärung der (Portfolio-) Entscheidungen wird dabei wesentlich von Zinssatzüberlegungen bestimmt. Soll etwa die Nichtbankenkundschaft einen höheren Depositenbestand auch tatsächlich halten, so müssen attraktive Zinskonditionen vorliegen, und zwar relativ zu allen anderen praktisch realisierbaren finanziellen Anlagemöglichkeiten. Dieser Zinsstrukturaspekt zwingt dazu, die monetäre Expansion am Euro-DM Markt im Zusammenhang mit möglichen Portfoliodispositionen an allen Eurowährungsmärkten zu sehen. Es ist offenkundig, daß diese Sichtweise einen erheblichen Fortschritt darstellt gegenüber den realitätsfernen Multiplikatormodellen mit fixen Koeffi28

Vgl. hierzu Johnston (1981), S. 12/13 und S. 50/51. Für eine entsprechende Anwendung der Grundgedanken von Tobin (1963) vgl. z.B. Crockett (1976), Johnston (1981) oder File (1982). 29

684

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zienten. Außerdem ist er ebenso offenkundig geeignet, den Zinsstrukturaspekt der inländischen Geldmengensteuerung analytisch zu erfassen. Wenn die Tortfoliovariante' eines Eurowährungsmultiplikators dennoch hier nicht näher aufgegriffen wird, so hat dies im wesentlichen praktische und empirische Gründe: — Der Grundsatzeinwand, wonach eine anfängliche monetäre 'Basis* für eine Geldund Kreditexpansion nicht notwendigerweise vorhanden sein muß, gilt für alle Multiplikatoransätze, also auch für die Portfoliovariante. — I m einzelnen postuliert der Portfolioansatz unter anderem, daß die von Zinseffekten beeinflußten Abflußkoeffizienten ('leakages') eine zentrale Größe zur Erklärung und Quantifizierung der Geld- und Kreditschöpfung am Euromarkt seien. Es ist aber empirisch kaum zu belegen, daß die kurzfristigen Zinssätze am Euro-DM Markt, bei freiem Kapitalverkehr, in einem systematischen Zusammenhang stehen mit den Euro-DM Einlagen inländischer Nichtbanken (also mit dem 'Eurogeld') 3 0 . — Vor allem aber sind die Euro-DM Zinssätze, bei freiem Kapitalverkehr, über eine wirksame Arbitrage mit dem Inlandszinsniveau verknüpft (vgl. Kapitel V). Die Natur der Geld- und Kreditschöpfung auf dem Euro-DM Markt, und ihre Kontrollierbarkeit, sollte daher im Rahmen eines solchen, institutionellen Zinsstrukturaspekts untersucht werden. Der allgemeine, theoretische Portfolioansatz würde die Analyse dieser speziellen Thematik unnötigerweise komplizieren.

V. Der Zinsverbund zwischen Euro-DM Markt und inländischem Geldmarkt

Wie schon angedeutet, besteht zwischen DM-Aktiva in den einheimischen Finanzmärkten und DM-Aktiva am Euro-DM Markt eine Substitutionsbeziehung. Die Freizügigkeit des Geld- und Kapitalverkehrs zwischen beiden Teilmärkten ist ein Grund dafür; ein anderer liegt in der — bei gegebener Bonität — weitgehenden Übereinstimmung finanzieller Anlagemöglichkeiten. Es kann daher nicht überraschen, daß die Nominalzinssätze in beiden Teilmärkten eng miteinander verbunden sind. Die Verknüpfung der beiden Geldmärkte wird durch wirksame ArbitrageTransaktionen zwischen den inländischen Kreditinstituten und den Banken am Euro-DM Markt hergestellt31. 'Arbitrage' ist hier umfassend zu verstehen als die Gesamtheit jener finanziellen DM-Transaktionen zwischen 30

Johnston (1981), S. 43 ff. Es gibt natürlich auch Arbitragegeschäfte der anderen Marktteilnehmer, die aber hier vernachlässigt werden können. 31

Geldschöpfung am Euro-DM Markt und Geldmengenkontrolle

685

dem inländischen Geldmarkt und dem Euro-DM Interbankenmarkt, die in Reaktion auf eine Vergrößerung der absoluten Zinssatzdifferenz zwischen diesen beiden Teilmärkten erfolgen und diese Zinssatzdifferenz im Effekt tendenziell verringern 32. Da alle Transaktionen immer in einer einzigen Währung (D-Mark) stattfinden, kann die Arbitrage-Analyse im folgenden stark vereinfacht werden; die üblichen Erörterungen zur Gültigkeit des Zinsparitäten-Theorems erscheinen hier ebenso überflüssig wie die — damit verknüpfte — strenge Unterscheidung zwischen Kassa- und Terminkursen bzw. zwischen Brutto- und Nettozinssatzdifferenzen 33. i. Der Euro-DM Geldmarktsatz im 'Arbitrage-Tunnel

,34

Der Euro-DM Satz bewegt sich erfahrungsgemäß innerhalb eines recht engen 'Arbitragetunnels'. Der einheimische Geldmarktsatz bildet dessen Obergrenze; der 'Tunnelboden' ist durchweg um den Abstand der Mindestreservekosten für Auslandsverbindlichkeiten deutscher Banken von der Obergrenze entfernt. Die Evidenz für 1983 und 1984 ist dem Schaubild zu entnehmen, das die Bewegungen des Euro-DM Satzes im Arbitrage-Tunnel oder Korridor zeigt35. Offensichtlich ist der Euro-DM Zinssatz in seinen Veränderungen eng mit dem einheimischen Geldmarktsatz für Dreimonatsgeld (also mit der Obergrenze des Korridors) verbunden. Der Zusammenhang ist so straff, daß der Euro-Satz nur ganz vereinzelt, und auch dann nur geringfügig und kurzfristig aus dem Korridor 'ausbricht', nämlich Mitte März 1983, in der zweiten Julihälfte 1983 und Ende August 1984 (jeweils knappes Unterschreiten der rechnerischen Untergrenze, d.h. des Tunnelbodens). Ein 'Überschießen' des Euro-DM Satzes über den vergleichbaren inländischen Zinssatz ist überhaupt nicht zu beobachten. Angesichts dieses engen Zinsverbundes ist eine wirksame Kontrolle des einheimischen Geldmarktsatzes offenbar gleichbedeutend mit einer wirksamen Kontrolle auch des Euro-DM Geldmarktsatzes. Die Kontrolle des einheimischen Geldmarktsatzes ist nun aber der Hebel zur Zinssteuerung der in32

Für genaue definitorische Erörterungen vgl. z.B. Kreicher (1982). Diese Punkte sind zu beachten, wenn der allgemeinen Frage nach den Bestimmungsgrößen der Zinssätze auf den Eurowährungsmärkten nachgegangen wird; vgl. hierzu die theoretische Untersuchung von Johnston (1979), die theoretische und empirische Analyse von Schäfer (1983) oder das mittlerweile schon klassische Buch von Einzig (1970). 34 Vgl. hierzu auch Deutsche Bundesbank (Januar 1983), S. 33/34. 35 Eine Darstellung für das Jahr 1982 findet sich in Deutsche Bundesbank (Januar 1983), S. 33. 33

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1 9 8 4

ländischen Geldmenge (s.o.). Folglich kann man die Hypothese aufstellen, daß die Kontrolle des Inlandsgeldes über den Zinsverbund (den ArbitrageTunnel) auch auf das 'Eurogeld ' ausgedehnt wird. Kernstück dieser Hypothese ist der Zinsverbund zwischen Euro-DM Markt und inländischem Geldmarkt. Wie ist dieser Zinszusammenhang im einzelnen zu erklären — wie kommt die im Schaubild gezeigte Evidenz zustande? Die Antwort ist in den Auswirkungen der Zinsarbitrage zwischen den beiden Teilmärkten (Euromarkt und Inlandsmarkt) zu suchen: a) Würde der Eurosatz in den Inlandssatz ÌD übersteigen (in > ÌD), so könnten die deutschen Kreditinstitute gewinnbringend am inländischen Geldmarkt Mittel aufnehmen und diese am Euro-Geldmarkt ausleihen. Solche Arbitragetransaktionen müßten den Eurosatz rasch36 sinken lassen, zumindest bis auf das Niveau des inländi36

'Rasch' bedeutet hier eher Tage als Wochen angesichts des technischen Fortschritts der Kommunikationssysteme. Insbesondere die großen, international tätigen Banken bedienen sich computergesteuerter Telekommunikation derart effizient, daß oft sofortige Preis- (Zins-)anpassungenfinanzieller Aktiva zu beobachten sind.

Geldschöpfung am Euro-DM Markt und Geldmengenkontrolle

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sehen Geldmarktsatzes. Folglich kann eine Situation ìe > ìd keinen Bestand haben; tatsächlich ist sie bisher nicht eingetreten. b) Würde der Eurosatz in die Tunneluntergrenze durchstoßen, so wäre sein Abstand zum inländischen Geldmarktsatz größer als die Mindestreservekosten auf Auslandsverbindlichkeiten deutscher Kreditinstitute, ì d t a . In einer solchen Situation wären die effektiven Kosten der Mittelbeschaffung am Euro-DM Geldmarkt für deutsche Banken niedriger als am inländischen Geldmarkt. Folglich werden spätestens in einer Situation ìe < (ìd-ìd r A ) Zinsarbitragetransaktionen stattfinden: Deutsche Banken können am Euro-DM Markt Mittel aufnehmen und diese wiederum gewinnbringend am inländischen Geldmarkt ausleihen — dies umso mehr, als Mindestreservekosten nur für einen Teil der Auslandsverbindlichkeiten tatsächlich zu kalkulieren sind (s.o. Kapitel I). Durch den Preiseffekt solcher Arbitragegeschäfte wird der Zinsabstand verkleinert — zumindest bis zu dem Punkt, an dem der EuroDM Satz wieder den rechnerischen Geldaufnahmekosten gleicht, die deutschen Banken am Euro-DM Markt entstehen.

2. Einschränkungen des Zinsverbunds Die gegebenen Begründungen zur Arbitragemechanik des Zinsverbunds zwischen Euro-DM Markt und inländischem Geldmarkt unterliegen einigen Einschränkungen, die in den folgenden fünf Punkten zusammengefaßt werden können: a) Es wurde unterstellt, daß in erster Linie der Euro-DM Zinssatz auf Zinsarbitragegeschäfte reagiert, und nicht der inländische Geldmarktsatz. Diese Annahme erscheint vertretbar, denn der inländische Geldmarkt ist der breitere, schwergewichtigere. Ein Blick auf das Schaubild zeigt auch, daß die Schwankungen des Euro-DM Satzes ausgeprägter sind als diejenigen des inländischen Zinssatzes (deutliches Beispiel: März/April 1984). Außerdem wird der inländische Geldmarktsatz von der Bundesbank mit zins- und liquiditätspolitischen Instrumenten gesteuert; er ist insofern 'exogen' gegenüber dem — nur mittelbar beeinflußten — Eurozinssatz. b) Durch administrative Eingriffe (z.B. Einschränkungen des freien Geld- und Kapitalverkehrs) würde die Wirksamkeit der Arbitragetransaktionen und damit die Straffheit des beschriebenen Zinsverbunds geschmälert. Außerdem können starke Zinsänderungserwartungen eine kurzfristige Lockerung des Zins Verbunds bewirken. Sie sind möglicherweise ein Grund für die genannten, kurzfristigen Unterschreitungen der Korridorgrenze durch den Euro-DM Satz. c) Transaktionskosten wurden bisher nicht berücksichtigt; sie könnten theoretisch die Tunnelgrenzen verschieben. Allerdings erscheint eine Vernachlässigung von Transaktionskosten praktisch vertretbar: Zum einen sind sie auf den internationalen Finanzmärkten generell recht gering in Relation zum Transaktionsvolumen; zum anderen sind die Transaktionskosten zwischen deutschen Mutterbanken und ihren Lu-

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xemburger oder Londoner Tochterbanken bzw. Filialen tatsächlich nahe Null zu veranschlagen. d) Die bisherige Argumentation zu Existenz und Funktionsweise des beschriebenen Zinsverbunds ist partiell: Interaktionen zwischen inländischen Geldmarktzinsen und vergleichbaren Sätzen für (beispielsweise) amerikanische 'federal funds' wurden ausgeklammert. Das Dollar-DM-Zinsgefälle hat jedoch in der Vergangenheit — zumindest zeitweilig — den Spielraum der deutschen Zinspolitik wirksam begrenzt, sowohl aus Wechselkursüberlegungen als auch aus (damit verbundenen) Zahlungsbilanzargumenten. Der Dollar-DM Aspekt ist in Form des — aktuellen und erwarteten — Zinsdifferentials wie auch des — aktuellen und erwarteten — bilateralen Wechselkurses durchaus geeignet, den Spielraum der Geldmengensteuerung durch die Bundesbank — via Zinssatzrestriktionen — spürbar einzuengen. e) Genau genommen wurden bisher lediglich die Ober- und Untergrenzen des Korridors diskutiert, innerhalb dessen sich der Euro-DM Zinssatz in der Regel bewegt. Die jeweilige Position und Bewegung dieses Zinssatzes selbst, innerhalb des Tunnels', blieb unerklärt. Will man diesen Mangel beheben, so stößt man erneut auf die Grenzen der bisherigen Partialanalyse: denn die Veränderungen des Euro-DM Zinssatzes innerhalb des Korridors sind nur durch Einbeziehung anderer (nationaler und Euro-)Währungsmärkte und Wechselkurse zu erklären. Erfahrungsgemäß steigt beispielsweise der Euro-DM Zinssatz tendenziell, — wenn sich der DM/Dollar-Wechselkurs abschwächt, so daß Ausländer aus DMin Dollar-Anlagen gehen und damit das DM-Volumen am Euromarkt reduzieren; — wenn der Euro-Dollar Zinssatz steigt; — wenn Zinssteigerungserwartungen für inländische Zinssätze gehegt werden (der Euro-DM Geldmarktsatz ist, wie gesagt, flexibler als der vergleichbare inländische Geldmarktsatz).

VI. Geldpolitische Schlußfolgerungen A u f der Basis der vorgelegten, monetären Partialanalyse des nationalen und internationalen (Euro-)DM-Bereichs, die Interaktionen mit anderen (Euro-) Währungsmärkten ausdrücklich ausklammert, konnten die folgenden geldpolitisch relevanten Resultate gewonnen werden: a) Die von der Bundesbank ausgeübte nationale Kontrolle der Geldmarktzinssätze wird durch einen wirksamen Arbitragemechanismus auf den Euro-DM Markt ausgedehnt. b) Die nationale Zinskontrolle ist das Mittel, mit dem die Bundesbank die einheimische Geld- und Kreditausweitung steuert; es besteht eine inverse Beziehung zwischen inländischen Zinssätzen und inländischer monetärer Expansion. c) Da die nationale Zinskontrolle über einen wirksamen, aus den Marktgegebenheiten resultierenden Zinsverbund auch auf den Euro-DM Markt ausgedehnt wird,

Geldschöpfung am Euro-DM Markt und Geldmengenkontrolle

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gibt es keinen grundsätzlichen Konflikt zwischen der Existenz eines Geld- und Kreditschöpfungspotentials am Euro-DM Markt und der geldmengenpolitischen Kontrollaufgabe der Bundesbank. Die hier angeblich drohende Gefahr für die Geldmengensteuerung der Bundesbank erscheint gering, trotz der beachtlichen Euro-DM Marktgröße und trotz theoretischer und statistischer Aussagen rund um das angeblich multiplikative Geld- und Kreditschöpfungspotential der Eurowährungsmärkte im allgemeinen und des Euro-DM Marktes im besonderen. d) Die Tatsache eines auf dem Euro-DM Markt geschaffenen Geld- und Kreditvolumens darf allerdings geldpolitisch nicht vollständig vernachlässigt werden. Es kann durchaus der Fall sein, daß wegen einer stattfindenden Eurogeldschöpfung eine vergleichsweise stärkere einheimische Zinssatzänderung notwendig wird, um ein vorgegebenes Geldmengenziel zu erreichen. Auch zeitliche Verzögerungen, mit denen die inländische Geldmengenexpansion normalerweise auf inländische Zinssatzänderungen reagiert, könnten länger und/oder variabler werden. Die Effizienz der Geldmengensteuerung kann also durch die Existenz des Euro-DM Marktes reduziert werden. Über den Grad dieser Reduktion kann man ohne nähere Untersuchung nur spekulieren. Eine entsprechende Überprüfung hätte auch zu berücksichtigen, daß der Spielraum der deutschen Zinspolitik bereits durch das Zinsgefälle zum Dollarraum und die bestehende hohe Mobilität des internationalen Finanzkapitals tendenziell eingeengt wird. e) Die Existenz einer Geld- und Kreditschöpfung auf dem Euro-DM Markt droht den Informationsgehalt der rein national abgegrenzten monetären Aggregate zu verzerren: Die Indikatorfunktion der Zentralbankmenge, der Geldmengenabgrenzungen M l , M2 und M3 sowie der verschiedenen Kreditaggregate wird zunehmend beeinträchtigt. Daher entsteht — unabhängig von allen Multiplikatoranalysen, und wohl auch unabhängig von dem gerade erwähnten Steuerungsaspekt des Geldmengenziels — die Notwendigkeit, Konzept und Abgrenzung der nationalen Geld- und Kreditbegriffe neu zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern bzw. zu erweitern. f) Die in d) und e) genannten Argumente rechtfertigen keine restriktiven Eingriffe in die Mechanismen des Euro-DM Marktes, und schon gar nicht administrative Hindernisse für den freien internationalen Geld- und Kapitalver kehr. Aus deutscher Sicht dürfte es genügen, die internationale Zusammenarbeit zwischen Notenbanken und Aufsichtsbehörden weiter auszubauen ('Basler Konkordat') und das 'Problem* der Euromärkte mit Hilfe eines verbesserten Datenmaterials (konsolidierte Bilanzen) sowie auf der Basis einer konsequenten nationalen Stabilitätspolitik unter Kontrolle zu halten. Angesichts der von den Euromärkten mitverursachten, hohen internationalen Kapitalmobilität werden künftig auch Themen wie die Begründung und Gestaltung der Interventionspolitik an den Devisenmärkten noch stärker zu beachten sein. Und man sollte der Frage nachgehen, ob einer zunehmenden Geld- und Kreditschöpfung in 4 KunstWährungen' wie der ECU geldpolitische Relevanz zukommt; dabei wird man (wiederum) die bestehenden institutionellen Gegebenheiten d.h. den Entwicklungsstand des Europäischen Währungssystems und die zunehmende private Verwendung der ECU zum Ausgangspunkt der Überlegungen machen müssen37.

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g) Interpretiert man die Einlagen deutscher Privatpersonen und Unternehmen am Euro-DM Markt als eine besondere Art internationaler Ersparnisbildung, so hat die internationale Mobilität dieses Kapitals auch finanzpolitische Aspekte, die unter anderem mit einer (eventuellen) Auslandsbesteuerung der im Ausland anfallenden Zinserträge zusammenhängen38. Die geldpolitische Grundsatzfrage lautet dabei, ob ein inländischer Zuwachs an Geldvermögen oder Ersparnis 'im Lande* verbleibt und damit als Refinanzierungsquelle für zusätzliche Kredite inländischer Kreditinstitute zur Verfügung steht, oder ob der Ersparniszuwachs mit hoher Mobilität in internationale Finanzanlagen abfließt und damit dem Inlandsmarkt (zunächst) entzogen wird. In der Literatur ist diese generelle Frage umstritten; einer Betonung hoher Kapitalmobilität39 steht die Aussage gegenüber, daß das einheimische Finanzkapital langfristig derart immobil sei, daß es typischerweise auch national angelegt (investiert) werde 40. Eine Überprüfung dieser Frage im Hinblick auf die Kapitalströme zwischen der Bundesrepublik und dem Euro-DM Markt bedarf einer eigenen Untersuchung.

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Geldschöpfung am Euro-DM Markt und Geldmengenkontrolle

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Internationale Direktinvestitionen und Realkapitalbildung Von Rainer Erbe, Hamburg

I. Einleitung Grenzüberschreitende Kapitalströme haben in den letzten zwei Jahrzehnten für viele Volkswirtschaften stark an Bedeutung gewonnen. In den letzten Jahren stand dabei die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer aufgrund ihres Volumens (gemessen z.B. als Anteil am Bruttoinlandsprodukt oder an den Bruttoinlandsinvestitionen der kreditnehmenden Länder) im Vordergrund der öffentlichen Diskussion. Nicht zuletzt wegen der vielfach unproduktiven Kreditverwendung und der nach wie vor schwelenden internationalen Verschuldungskrise mehren sich inzwischen jedoch die Stimmen, die nicht die Kreditvergabe, sondern Direktinvestitionen als adäquate Form des internationalen Kapitaltransfers ansehen. I m Gegensatz zur Auslandsverschuldung, die bislang fast ausschließlich unter dem Aspekt ihrer Wirkungen auf Realkapitalbildung und Wachstum im Empfängerland behandelt wurde, spielten in der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung über internationale Direktinvestitionen stets auch die Auswirkungen im kapitalexportierenden Land eine wichtige Rolle 1 , wobei allerdings Sekundärwirkungen, wie z.B. die Leistungsbilanz- und Beschäftigungseffekte, im Vordergrund standen. Thema dieses Aufsatzes ist dagegen die Bedeutung der internationalen Direktinvestitionen für die Realkapitalbildung (also die Primäreffekte) im Herkunftsland, aber auch im Gastland des Kapitals. Zunächst wird ein kurzer Überblick über Volumen, Struktur und relatives Gewicht der weltweiten Direktinvestitionsströme sowie über die Probleme ihrer statistischen Erfassung gegeben. Zusätzlich werden einige Größenordnungen am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland verdeutlicht. Dann schließt sich eine für Herkunfts- und Gastland getrennt vorgenommene Betrachtung der Zusam1 Vgl. z.B. R. Jungnickel u.a.: Einfluß multinationaler Unternehmen auf Außenwirtschaft und Branchenstruktur der Bundesrepublik Deutschland, Hamburg 1977. Die binnen- und außenwirtschaftlichen Wirkungen im Anlageland behandelt z.B. O.G. Mayer. Direktinvestitionen und Wachstum, Hamburg 1973.

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menhänge zwischen Realkapitalbildung und Auslandsinvestitionen an, die zum Teil an die Argumentationsmuster anknüpft, die aus der Debatte der Sekundärwirkungen der Direktinvestitionen geläufig sind. Die Unzulänglichkeiten, die aus diesen herkömmlichen Analysemethoden resultieren, sind Thema des Schlußkapitels, das darüber hinaus auf die Frage der Gesamtwirkungen der internationalen Direktinvestitionen auf die Realkapitalbildung eingeht.

II. Direkt- versus Portfolioinvestitionen Unter internationalen Direktinvestitionen werden heute weitgehend übereinstimmend diejenigen Kapitalanlagen im Ausland verstanden, die dem Investor die Kontrolle über ein im Ausland gelegenes Unternehmen oder zumindest einen wesentlichen Einfluß auf dessen Geschäftsführung verschaffen 2 . Aufgrund dieser zunächst wenig operationalen Definition kann es im Einzelfall jedoch strittig sein, ob eine Direktinvestition vorliegt; ein Beispiel ist die Frage, ab welcher Kapitalbeteiligung eine Kontrolle oder eine wesentliche Einflußnahme unterstellt werden können. Der gewählte Prozentsatz schwankt dabei von 10 v.H. bis 51 v.H. Die Deutsche Bundesbank beispielsweise sieht als Untergrenze für eine Direktinvestition eine Mindestbeteiligung von 25 v.H. des Nominalkapitals oder der Stimmrechte an 3 . Das zunächst willkürlich erscheinende Abgrenzungskriterium „Kontrolle oder Einflußnahme" und die nicht immer zuverlässigen Indikatoren „Kapital· oder Stimmrechtsanteil" verfolgen ein wichtiges Ziel: Die internationalen Direktinvestitionen von anderen längerfristigen internationalen Kapitalbewegungen, hauptsächlich den Portfolioinvestitionen, abzugrenzen. Letztere werden ohne Kontrollabsicht hauptsächlich von privaten Anlegern vorgenommen (z.B. in Form von Aktien- und Wertpapierkäufen oder von Krediten), während die Direktinvestitionen größtenteils von Unternehmen stammen. Portfolioinvestitionen stellen zunächst nur einen finanziellen Transfer zwischen verschiedenen Wirtschaftssubjekten dar, und unterscheiden sich ökonomisch damit grundlegend von Direktinvestitionen, die weitaus mehr 2 Vgl. z.B. IMF: Balance of Payments Manual, 4th edition, Washington D.C., 1977, Ziffer 408; Deutsche Bundesbank: Die deutschen Direktinvestitionen im Ausland, in: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, 17. Jg. (1965), Nr. 12, S. 19. 3 Vgl. Deutsche Bundesbank: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, 31. Jg. (1979), Nr. 4, S. 26.

Internationale Direktinvestitionen und Realkapitalbildung

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sind als bloße Geldkapitalströme. Direktinvestitionen werden in der Regel vom Transfer einer ganzen Reihe unternehmensspezifischer Faktorinputs begleitet (Produktionstechnologien, Humankapital, organisatorisches Knowhow etc.). Das erklärt das gewählte Abgrenzungskriterium „Kontrolle": Ohne ausreichende Einflußmöglichkeiten kann der Direktinvestor im Ausland die Erträge dieser Faktoren nicht internalisieren. Ökonomisch entscheidend ist, daß Direktinvestitionen eher ein Phänomen der Realkapitalbildung sind als der Kapitalbewegung über Grenzen hinweg 4 . Sie können auch ohne internationale Nettokapitalbewegungen stattfinden, z.B. wenn Kredite im Ausland aufgenommen, Gewinne reinvestiert oder Patente gegen ausländische Beteiligungen eingetauscht werden. Da Direktinvestitionen eng mit Realinvestitionen verknüpft sind, sind ihre volkswirtschaftlichen Wirkungen (Veränderung komparativer Vorteile oder von Produktions- und Außenhandelsstrukturen) weitaus direkter und kräftiger als die der Portfolioinvestitionen, die hauptsächlich durch Kaufkraftübertragung Veränderungen auslösen.

III. Probleme der statistischen Erfassung Die statistische Erfassung der weltweiten Direktinvestitionen selbst (und damit auch eine empirische Analyse ihrer Wirkungen) werden durch die von Land zu Land sehr unterschiedlichen Methoden und Abgrenzungen erschwert. Neben der bereits erwähnten Unzuverlässigkeit und unterschiedlichen Höhe des international üblichen (weil leicht ermittel- und handhabbaren) Abgrenzungskriteriums „Beteiligungshöhe" können als Beispiele folgende Punkte genannt werden 5 : — Die Direktinvestitionsströme werden in einer Reihe von Ländern (u.a. in der Bundesrepublik) auf der Basis von Nettokapitaltransfers ermittelt. Reinvestierte Gewinne werden nur in einigen Ländern (USA, Kanada und Großbritannien) erfaßt. In anderen Staaten wiederum basiert die Statistik auf genehmigten Kapitaltransfers (z.B. Japan, Schweden). Die tatsächliche Nutzung der Genehmigungen ist nicht in jedem Fall bekannt. — Noch stärkere Unterschiede bestehen bei der Erfassung der Bestandswerte. Auch hier bedient man sich zum Teil der Transaktionswertmethode (Kumulierung der Nettokapitalströme); reinvestierte Gewinne, Ab4 Vgl. Jürgen Deitmers: Auslandsinvestitionen und inländische Beschäftigung, Frankfurt a.M. 1982, S. 8. 5 Vgl. dazu und zum folgenden: Henry Krägenau: Internationale Direktinvestitionen, Ergänzungsband 1978/79, Hamburg 1979, S. 21 ff.

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Schreibungen sowie wechselkursbedingte oder andere Bewertungsänderungen werden also nicht berücksichtigt. Die USA, Kanada, Großbritannien und andere Staaten erheben die Bestände dagegen durch Zensus in unterschiedlichen Abständen. Erfaßt werden die ausländischen Buchwerte, d.h. Eigenkapital und Rücklagen sowie Kredite zwischen Mutter- und Tochterunternehmen. In Japan wiederum werden die Genehmigungswerte unbereinigt addiert. — Einige Länder weisen nur Direktinvestitionen in bestimmten Branchen aus (Großbritannien z.B. vernachlässigt den Öl-, Banken- und Versicherungsbereich). Auch die Behandlung von Grundstücksgeschäften und der Transaktionen von Privatpersonen ist von Land zu Land unterschiedlich. — Die regionale Aufteilung der Direktinvestitionen läßt sich, wegen der Zwischenschaltung von Holdinggesellschaften in „Steueroasen" (z.B. Bahamas, Barbados, Panama) nicht immer erfassen. Der empirischen Analyse der weltweiten Direktinvestitionen stehen also erhebliche Probleme entgegen. Zahlen für einzelne Länder und darauf basierende Vergleiche können daher nur als Anhaltspunkte für Größenverhältnisse und Entwicklungstendenzen dienen. Hinzu kommt, daß Veränderungen des Direktinvestitionsbestandes auf sehr unterschiedlichen Vorgängen beruhen können (sowohl im Hinblick auf die Art der Direktinvestitionen als auch im Hinblick auf ihre Finanzierungsform) — ein Umstand, der von der Statistik weitgehend vernachlässigt werden muß, der für die Art des Zusammenhanges zwischen Direktinvestition und dem Umfang der Realkapitalbildung in Herkunfts- und Gastland jedoch wesentlich sein kann. So sind von der Gewährung eines Darlehens an eine bestehende ausländische Tochtergesellschaft oder vom Aufkauf einer ausländischen Firma mittels inländischer Kapitalaufnahme unter Umständen andere Wirkungen zu erwarten als von der Entscheidung, mittels ausländischer Kreditaufnahme eine neue Produktionsstätte im Ausland zu errichten. Aufgrund solcher statistischen Probleme beschränkt sich dieser Aufsatz im folgenden auf eine theoretische Betrachtung der Wirkungszusammenhänge zwischen Direktinvestitionen und Realkapitalbildung. Dieser Betrachtung geht allerdings ein empirischer Teil voraus, der wenigstens eine grobe Vorstellung von den zur Diskussion stehenden Größenordnungen vermitteln soll.

Internationale Direktinvestitionen und Realkapitalbildung

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IV. Internationale Größenordnungen Der Direktinvestitionsbestand der elf wichtigsten Investorländer im Ausland stieg nach vorsichtigen Schätzungen von ca. 280 Mrd. US Dollar Ende 1976 auf mindestens 470 Mrd. US Dollar Ende 1980 (vgl. auch Tabelle 1). A u f diese elf Länder entfielen Mitte der 70er Jahre etwa 85 v.H. der weltweiten Direktinvestitionsbestände. Das weltweite Volumen an internationalen Direktinvestitionen insgesamt dürfte für Ende 1980 auf ca. 550 Mrd. US Dollar zu veranschlagen sein 6 . Die elf wichtigsten Herkunftsländer waren — als Gruppe gesehen — zugleich auch die wichtigsten Gastländer für internationale Direktinvestitionen: Die Bestände in diesen Staaten erreichten 1980 fast 300 Mrd. US Dollar. Eine Ausnahme macht hier Japan, dessen „Kapitalexportdeckungsgrad" (Kapitalimportbestand in v.H. des Kapitalexportbestandes) 1980 mit unter 10 v.H. außerordentlich niedrig lag (vgl. Tabelle 1). Die USA wiesen — absolut gesehen — die bei weitem größten Kapitalexporte (45 v.H. des Gesamtbestandes) und auch das größte Nettoauslandsvermögen in Form von Direktinvestitionen auf, während die nächstgrößten Investorländer — Großbritannien und die Bundesrepublik — 1980 über eine in etwa ausgeglichene Vermögensbilanz verfügten. Interessanter als die erreichten Bestände sind für die Realkapitalbildung in den Investor- und Gastländern die jährlichen Direktinvestitionsströme. Bestimmend für deren Größe sind die jährlichen Nettokapitalabflüsse aus den Herkunftsländern und die Entwicklung der in den Gastländern reinvestierten Gewinne. U m einen Anhaltspunkt für die Größenordnung der Direktinvestitionsströme in Relation zur Realkapitalbildung zu gewinnen, werden in Tabelle 2 die jeweiligen Nettokapitalströme (ohne reinvestierte Gewinne) für wichtige Herkunfts- und Anlageländer den inländischen Anlageinvestitionen gegenübergestellt. M i t Nettokapitalexporten von über 8 v.H. (Niederlande) und Nettokapitalimporten von knapp 5 v.H. (Frankreich) der Bruttoinlandsinvestitionen (ohne Wohnungsbau) erreichten die jeweiligen Kapitalzu- und -abflüsse im Durchschnitt 1975-80 rein rechnerisch durchaus eine volkswirtschaftlich ins Gewicht fallende Größenordnung. Die Nettokapitalströme bilden jedoch nur die eine Komponente der Veränderung der internationalen Direktinvestitionsbestände. Das statistische Material über die andere Komponente — die reinvestierten Gewinne — ist allerdings bruchstückhaft. Die vorliegenden Zahlen zeigen allerdings, daß 6 Werner Olle: Strukturveränderungen der internationalen Direktinvestitionen und inländischer Arbeitsmarkt, München 1983, S. 78, Fußnote 20.

18,6

42,4d

136,8 213,5

Bundesrepublik (1) 19,9 Deutschland (2) 20,5

Schweiz

Großbritannien

Vereinigte (1) Staaten (2)

192,7

b

1976

30,8 65,5

1980

1980

Ausländische Direktinvestitionsbestände in diesen Ländern Bemerkungen

54,5b Buchwert, Angaben des U.S. Department of Commerce. (1) Basis: Census 1966, (2) Basis: Census 1977. 75,6 30,5d 59,0 Buchwertschätzung der Bank of England, jeweils einschließlich "Erdöl", bei den Direktinvestitionen im Ausland einschließlich Banken und Versicherungen in die USA. 33,2 4,7 7,7 Vermögensschätzung der Schweizerischen Bankgesellschaft. 37,9 19,3 29,4 (1) Kumulierte Nettotransaktionswerte: Deutsche 42,5 33,4 47,9 Direktinvestitionen im Ausland 1952- 1980 (K-l); ausländische Direktinvestitionen in der Bundesrepublik Deutschland 1961-1980 (K-2); Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft. (2) Bestandsstatistik: Unmittelbare und mittelbare Direktinvestitionen, Angaben der Deutschen Bundesbank (K-3; K-4). Bei den Auslandsbeständen in der Bundesrepublik sind gewisse Doppelzählungen enthalten.

1976

Direktinvestitionsbestände im Ausland

Direktinvestitionsbestände wichtiger Investitionsländer im Ausland und Anlagebestände in diesen Ländern 1976 und 1980 (in Mrd. US-$)a

Tabelle 1

698 Rainer Erbe

31,8b

1,7 2,3b

Kumulierte jährliche Genehmigungswerte der Fiskaljahre 1950-1979 (31.3.1980); bei Direktinvestitionen in Japan nur Aktienbesitz. Angaben des japanischen Finanzministeriums. 7,8 17,3d 9,7 20,8 Kumulierte Nettokapitalflows 1960-80 (Erfassungslücken). Angaben der Banque de France. d 11.4 12.3 42.9 42.9 Buchwerte. Angaben des Ministry of Industry, Trade and Commerce. (1) 10,6 20,3 7,7 12,4 (1) Kumulierte Nettokapitalflows seit 1965. An(2) 20.3 29.6C 11,9 16,5 gaben der De Nederlandsche Bank N.V. (2) Bestandsstatistik der De Nederlandsche Bank N.V. 5,3 8,3 2,2 3,0 Kumulierte Genehmigungssumme. Schwedische Direktinvestitionen im Ausland 1955- 1980; ausländische Direktinvestitionen in Schweden 1960- 1980. Angaben der Sveriges Riksbank. 3,3 7,0 5,8 8,9 Bestandsangaben der Banca d'Italia. 1,9 4,5b 6,7 11,0 Kumulierte jährliche Nettokapitalflows seit 1965. Angaben der Banque Nationale de Belgique.

19,4

Umgerechnet mit den jeweils am Jahresende gültigen Wechselkursen. — b 1979. — c 1978. — d 1977. Quelle: Henry Krägenau: Internationale Direktinvestitionen, Ergänzungsband 1982, Hamburg 1982.

a

Italien Belgien/ Luxemburg

Schweden

Niederlande

Kanada

Frankreich

Japan

Internationale Direktinvestitionen und Realkapitalbildung

700

Rainer Erbe

bei den ,,klassischen'4 Herkunftsländern, wie z.B. den USA und Großbritannien, die Bedeutung dieser Komponente die der Nettokapitalabflüsse zum Teil deutlich übersteigt. So lag der Anteil der reinvestierten Gewinne am Direktinvestitionszuwachs der USA in den Jahren 1974-1979 zwischen 56 und 88 v.H.

Tabelle 2 Anteil der Nettokapitalab- bzw. -Zuflüsse ausgewählter Industrieländer an den privaten Bruttoinlandsinvestitionen (ohne Wohnungsbau) 1975-1980 - i n v.H.

-

1975

1976

1977

1978

1979

1980

NettokapitalabflUsse

4,, 2a

2,16a

31,oa

2.,2a

Nettokapitalzuflüsse

1,0,

1,7,

11, 1

2,, 4

2,' 3 b 2, 3,,1

h 0»5 1,6

,7 3,,0

.3 -1 ,, 2

2,

ρ6 1,7,

2,

6, r4 0,,3

5,r0 1,7,

5,7 1,2

,9

3,-9 2 «4

3,,7 2,17

3,,9 2,,7

4,,4

1,1,

4,3 1,2

4,,2 4,,4

4,r 4 2,,8

2,,9 4,,5

3r«8 5,,4

3,, 3 4,7 !

4,6 4,9

2,,2 41,1

1-0, 0,,6

2,,7 5,,6

0,,7 2,,2

1,(8 1,2,

2,0 1,5

1211 ; 7,,2

8, 2 2,r 6

8,,3 2,10

7,, 6

2,,9

81,1 4,5 ;

n.v. η. v.

3,,1 3,,9

6,, 3 2,,4

4,r 3 3,,6

818 ! 3,,4

6,r0 2,F 7

n.v. n.v.

6,,1 1,1,

7,,3 0,,1

9,,1 1,-0

6,1 ! 1-0,

7,,3 1,3,

6,2 2,6

2,15 . 0,r 3

2,,7 0,,2

1,r 7 0,,0

118 , 0,r0

1,9 0, 2

1,5 0,2

USA

Kanada NettokapitalabflUsse Nettokapitalzuflüsse 0 Bundesrepublik Deutschland NettokapitalabflUsse NettokapitalzuflUsse Frankreich . NettokapitalabflUsse*? NettokapitalzuflUsse Italien NettokapitalabflUsse Nettokapitalzuflüsse Niederlande NettokapitalabflUsse Nettokapitalzuflüsse Großbritannien NettokapitalabflUsse® Nettokapitalzuflüsse e Schweden NettokapitalabflUsse 0 χ Nettokapitalzuflüsse 0 Japan NettokapitalabflUsse 0 Nettokapitalzuflüsse 0

3,

1,9, 3,

a Census 1966. b Census 1977. c Zahlungsbilanzwerte. d Einschließlich konzerninterner Kreditbeziehungen. e Bei den Nettokapitalzu- bzw. -abflüssen liegen nur Daten vor ohne Unternehmen des Erdölsektors. Quelle: Henry Krägenau: Internationale Direktinvestitionen, Hamburg 1982.

Internationale Direktinvestitionen und Realkapitalbildung

701

Auch für Großbritannien lag der Anteil der reinvestierten Gewinne an den Nettoinvestitionen im Ausland im Durchschnitt deutlich über 50 v.H. Bei einem relativ ,,jungen 44 Investorland wie der Bundesrepublik trugen die reinvestierten Gewinne im Durchschnitt der Jahre 1975-1980 dagegen nur 9,5 v.H. zur Kapitalbildung im Ausland bei 7 . Obwohl die internationalen Direktinvestitionen weiterhin hauptsächlich von Industrieländern in Industrieländer fließen, erlangten auch für die Entwicklungsländer Kapitalzuflüsse in Form von Direktinvestitionen zum Teil erhebliche Bedeutung. Dies gilt insbesondere für kleinere, offene Volkswirtschaften, wie z.B. Singapur, wo die Direktinvestitionen in den 70er Jahren teilweise deutlich mehr als ein Viertel der jährlichen Bruttoinlandsinvestitionen stellten. Gemessen an den gesamten Kapitalzuflüssen waren die Direktinvestitionen aus DAC-Staaten in die Entwicklungsländer im Zeitablauf allerdings rückläufig. Während sie in den 60er Jahren noch 2 0 - 2 5 v.H. des gesamten und über 50 v.H. des privaten Ressourcenzuflusses stellten, sank ihr Anteil bis Anfang der 80er Jahre auf ca. 15 v.H. des gesamten bzw. 25 v.H. des privaten Kapitalzuflusses 8 — eine Folge der stark steigenden Auslandskreditaufnahme dieser Ländergruppe, die nicht nur die Bedeutung der Direktinvestitionen reduzierte, sondern sich auch in einem sinkenden Anteil der Entwicklungshilfe an den Kapitalzuflüssen niederschlug.

V. Bedeutung für die Bundesrepublik Die jährliche Bestandserhebung über Direktinvestitionen, die von der Bundesbank vorgenommen wird, weist für Ende 1982 unmittelbare Unternehmensbeteiligungen deutscher Anleger im Ausland von rund 95 Mrd. D M aus 9 , denen 76 Mrd. D M ausländisches Unternehmensvermögen in der Bundesrepublik Deutschland gegenüberstand (vgl. Tabellen 3 und 4). Dazu kam ein mittelbares Auslandsvermögen (Beteiligungen und damit verbundene Kredite, die über ausländische, im Mehrheitsbesitz deutscher Kapitalgeber befindliche Holdinggesellschaften finanziert und verwaltet werden) von rund 29 Mrd. D M . Das Bruttobetriebsvermögen, d.h. die zusammengefaßte Bilanzsumme aller deutschen Niederlassungen und Filialen im Ausland (ohne Kreditinsti7 Vgl. Henry Krägenau: Internationale Direktinvestitionen, Ergänzungsband 1982, Hamburg 1982, S. 37. 8 Vgl. OECD: Development, Co-operation, Paris 1983. 9 Vgl. dazu und zum folgenden: Deutsche Bundesbank: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, H. 4, 1984, S. 22 ff.

702

Rainer Erbe

Entwicklung unmittelbarer deutscher Direktinvestitionen Im Ausland im Jahre 1982 nach Wirtschaftszweigen und Ländern Mrd DM Stand am Jahresende Wirtschaftszweig/Land Qtumtiummt unmittelbarer Direktinvestitionen davon: nach Wirtschaftszweigen der deutschen Investoren Bergbau Verarbeitendes Gewerbe darunter: Chemische Industrie Maschinenbau StraBenfahrzeugbau Elektrotechnik Handel Kreditinstitute Beteiligungsgesellschaften Übrige Wirtschaftszweige der ausländischen Investitionsobjekte Bergbau Verarbeitendes Gewerbe darunter: Chemische Industrie Maschinenbau Straßenfahrzeugbau Elektrotechnik Handel Kreditinstitute Beteiligungsgesellschaften Obrige Wirtschaftszweige nach Anlagelindern EG-Länder darunter: Luxemburg Übrige industrialisierte westliche Länder darunter: Schweiz Vereinigte Staaten von Amerika Entwicklungsländer darunter: Brasilien Mexiko Obrige Länder (einschl. OPEC-Länder)

1981 a) 1982

Veränderung im Jahre 1982

Zum Vergleich: Veränderung im Jahre 1980

1981

88,4

94,7 + 8,3 + 13,1

3.8 51,0

4.4 + 0,6 + 0,8 + 0,7 54,4 + 3,4 + 6.8 + 7,6

15,4 6,0 9.3 8,5 4.2 7,3

15,2 6,6 9.2 10,2 3.6 7,5

9,5 12,8

10,0 + 0,5 + 2,2 + 0,6 14,8 + 2,2 + 1.6 + 2,8

4,2 34,2

5,3 + 1.1 + 0,9 + 0,9 37.0 + 2,8 + 3,9 + 5,3

10.9 3.9 6,8 4.7 16,8 6.8

11.6 3.9 6,3 7,1 16.1 6.9

16,8 9,8

17,6 + 0.8 + 3.1 + 2,1 11.8 + 2,2 + 1.3 + 1.8

28,9

30,3 + 1.4 + 4,4 + 2,0

5.0

5,8 + 0.8 + 0,7 + 0.1

43,7

47,4 + 3,7 + 6,3 + 9.1

7.6

7,5 — 0,1 + 0,2 + 1,0

21,2 12,9

24,3 + 3,1 + 4,3 + 5,7 13,9 + 1,0 + 2,2 + 2.3

5,6 1.4

6,5 + 0,9 + 0,4 + 1.2 0,6 — 0.8 + 0.5 + 0.3

2,9

3,1 + 0,2 + 0.2 + 0.7

— + — + — +

+ + — + — +

0.2 0.6 0.1 1.7 0,6 0,2

0.7 0.0 0.5 2.4 0,7 0.1

+ + + + + +

+ + + + + +

1,9 0,5 1.8 0.3 0,6 1.1

1.1 0,5 0.5 0,7 2,8 1,1

+14,1

+ + + + + +

+ + + + + +

2,7 0,8 1.7 1.3 1.1 1,3

1,8 0,7 1.6 0,8 2,8 1,2

a Gegenüber früher veröffentlichten Angaben auf Grund nachträglich eingegangener Meldungen etwas geändert.

Quelle: Deutsche Bundesbank: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, 36. Jg. (1984), Nr. 4.

Internationale Direktinvestitionen und Realkapitalbildung

703

Entwicklung ausländischer Direktinvestitionen in der Bundesrepublik im Jahre 1982

Stand am Jahresende ι 1981 a) I 1982 Position Unmittelbare ausländische Direktinvestitionen in der Bundesrepublik Anteile am Nominalkapital 1) Anteile an Rücklagen und Gewinnvorträgen abzüglich: Anteile an aufgelaufenen Verlusten Beteiligungskapital insgesamt Kredite und Darlehen 2) Gesamtsumme davon: nach Wirtschaftszweigen Verarbeitendes Gewerbe darunter: Chemische Industrie Mineralölverarbeitung Eisen- und Stahlerzeugung 3) Maschinenbau -Herstellung von Büromaschinen, Datenverarbeitungsgeräten und -einrichtungen StraBenf ah rzeugbau Elektrotechnik Ernährungsgewerbe Handel Kreditinstitute Beteiligungsgesellschaften Übrige Wirtschaftszweige nach Herkunftslindem EG-Länder darunter: Frankreich Großbritannien Niederlande Obrige industrialisierte westliche Länder darunter: Schweiz Vereinigte Staaten von Amerika Obrige Länder 4) Mittelbare ausländische Direktinvestitionen in der Bundesrepublik insgesamt

Veränderung gegenüber dem Vorfahr

Mrd DM

•/o

42,2

43,7

+ 1,5

+ 3.6

14,1

13,4

— 0,7

— 5,0

9,1

9.6

+ 0,5

+ 5,5

47,2 27,β

47.5 28.5

+ 0,3 + 0,9

+ 0,6 + 3.3

74,8

76,0

+ 1,2

+ 1.6

42,6

42,1

— 0,5

— 1,2

6.8 8,1

7,3 8.2

+ 0,5 + 0,1

+ 7,4 + 1,2

2,2 3.4

1,2 3,2

— 1,0 — 0,2

—45,5 — 5,9

3.7 3.8 3.5 2,7 12.0 5.0

4,3 4,3 3,4 2,7 12,6 5,2

+ 0.6 + 0.5 — 0,1 + 0.6 + 0.2

+ 16,2 + 13.2 — 2.9 — 0,1 + 5,0 + 4,0

9.8 5.4

10,7 5,4

+ 0.9 + 0.0

+ 9.2 + 0,1

23.4

22.4

— 1,0

— 4,3

4.4 6.9 8.3

4.9 7,0 7.1

+ 0,5 + 0.1 — 1,2

+ 11.4 + 1.4 —14,5

47,6

49,4

+ 1,8

+ 3,8

— 0.0

10,3

10,3

— 0,0

— 0,5

30.7 3.8

32.2 4.2

+ 1.5 + 0.4

+ 4.9 + 10,5

24.2

24,8

+ 0.6

+ 2,5

1 Abzüglich Anteile an ausstehenden Einlagen. - 2 Ohne Verbindlichkeiten von Kreditinstituten gegenüber den Anteilseignern. 3 Einschl. Ziehereien, Kaltwalzwerke, Stahlverformung, Oberflächenveredelung, Härtung und Mechanik. - 4 Einschl. regional nicht aufteilbarer Posten: Unmittelbare Darlehen der Kapitaleigner von Tochtergesellschaften an Enkelgesellschaften. - a Gegenüber früher veröffentlichten Angaben auf Grund nachträglich eingegangener Meldungen etwas geändert.

Quelle: Deutsche Bundesbank: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, 36. Jg. (1984), Nr. 4.

Rainer Erbe

704

tute) erreichte 1982 mehr als das Dreifache des Direktinvestitionsbestandes, nämlich 353 Mrd. D M . Auch zwei weitere Globalzahlen — die Jahresumsätze der deutschen Auslandsunternehmen und ihre Beschäftigtenzahl — unterstreichen die Bedeutung der Direktinvestitionen: Der Jahresumsatz der deutschen Auslandsgesellschaften erreichte 1982 418 Mrd. D M , die Gesamtzahl der Beschäftigten belief sich auf 1,7 Mill.

Tabelle 5 Das Verhältnis zwischen Auslands- und Inlandsinvestitionen in ausgewählten Industriezweigen der Bundesrepublik Deutschland 1978/1979 (nach Herkunftsbranchen)

Branchen

Chemische Industrie Kunststoff-, Gummiund Asbestverarbeitung Steine und Erden, Feinkeramik und Glas Eisen und Stahl Maschinenbau Fahrzeugbau Elektrotechnik und Elektronik Feinmechanik und Optik/EBM-Waren usw. Sonstige Industriezweige Verarbeitende Industrie insgesamt 1

Direktinvestitionen im Ausland in Mill. DM (Bestandsveränderungen1)

Inländische Bruttoanlageinvestitionen in Mill. DM

Auslandsinvestitionen in v.H. der Inlandsinvestitionen

3 766

11 241

33,5

143

3 288

4,3

702 836 1 320 1 312

5 121 5 211 8 868a 11 564

13,7 16,0 14,9 11,4

1 407

10 095b

13,9

265

4 049

6,5

1 116

15 412

7,2

10 821

85 352

12,7

Laut Bestandsstatistik, ohne wechselkursbedingte Wertminderung; einschließlich Büromaschinen; b einschließlich Datenverarbeitung. Quelle: W. Olle: a.a.O., Tab. 4.3., S. 240 f. a

Internationale Direktinvestitionen und Realkapitalbildung

705

Aussagekräftiger als die Bestandszahlen über die erreichten Unternehmensvermögen und die daran anknüpfenden Kennziffern ist jedoch die Entwicklung des Verhältnisses zwischen in- und ausländischen Bruttoinvestitionen deutscher Unternehmen. Einen ersten Anhaltspunkt geben die in Tabelle 2 ausgewiesenen Quoten aus Nettokapitalabflüssen und jährlichen Bruttoinlandsinvestitionen. Für die Bundesrepublik pendelte dieser Wert in den Jahren 1975-1980 zwischen 3,7 und 4,4 v.H. Diese Globalzahl unterschätzt allerdings das tatsächliche Gewicht der Auslandsinvestitionen: Zum einen bilden die Nettokapitalabflüsse — wie bereits erwähnt — nur eine, wenn auch wichtige Komponente der Auslandsinvestitionen, zum anderen kommt in ihr nicht zum Ausdruck, daß es bedeutende sektorale Schwerpunkte der Direktinvestitionen gibt (vgl. Tabelle 5). So erreichten z.B. 1978/79 die Auslandsinvestitionen der chemischen Industrie ca. ein Drittel und die des Maschinenbaus immerhin rund ein Siebtel der jeweiligen Inlandsinvestitionen. Derartige Größenordnungen werfen die Frage auf, welche Beziehungen zwischen Auslandsinvestitionen und inländischer Realkapitalbildung bestehen. Denkbar sind zunächst drei Konstellationen: — Es bestehen Substitutionsbeziehungen, d.h. die Direktinvestitionen im Ausland verringern ceteris paribus das Volumen der Inlandsinvestitionen. — Es bestehen keine Zusammenhänge; in- und ausländisches Investitionsvolumen sind voneinander unabhängig. — Es existiert eine komplementäre Beziehung: Direktinvestitionen im Ausland wirken sich positiv auf die Höhe des inländischen Investitionsvolumens aus.

VI. Wirkungen im Herkunftsland Mikroökonomische Ansätze, die vom Investitionskalkül eines einzelnen Unternehmers ausgehen, kommen oft zu dem Schluß, daß zwischen Direktinvestitionen und Realkapitalbildung im Herkunftsland eine substitutive Beziehung besteht. Dafür werden hauptsächlich zwei Gründe angeführt: — Es gibt für die Gesamtinvestitionen einer Firma eine Budgetrestriktion in Form des Volumens und/oder der Kosten der verfügbaren Finanzierungsmöglichkeiten . — Direktinvestitionen binden knappe nicht-finanzielle Ressourcen eines Unternehmens. Große Auslandsprojekte führen daher zu einer Vernachlässigung der inländischen Investitionsmöglichkeiten.

706

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Für beide Hypothesen fehlt bislang ein überzeugender empirischer Nachweis 10 . Zugleich läßt sich an ihnen die Schwäche einer rein mikroökonomischen Betrachtungsweise verdeutlichen: Die Auswirkungen der Aktion der Einzelfirma auf andere Wirtschaftssubjekte werden nicht erfaßt. Außerdem dürfte es wesentlich vom makroökonomischen Umfeld und der jeweiligen konjunkturellen Situation abhängen, ob z.B. eine Finanzrestriktion besteht bzw. wirksam wird. Das Beispiel der Bundesrepublik während der letzten Jahre zeigt, daß oftmals eher ein Mangel an rentablen Projekten als die obengenannten finanziellen oder nicht-finanziellen Restriktionen das Inlandsinvestitionsvolumen einschränken. Der größere Teil der Arbeiten über Wirkungen von Direktinvestitionen basiert denn auch nicht auf mikroökonomischen Unternehmensanalysen, sondern stützt sich auf Plausibilitätsüberlegungen, die von der Unterscheidbarkeit einzelner Typen von Direktinvestitionen ausgehen. Größere Bedeutung als die Frage nach den Zusammenhängen zwischen Auslandsinvestitionen und Realkapitalbildung im Herkunftsland hatte dabei in der Diskussion jedoch die These, daß Auslandsinvestitionen im Herkunftsland Exporte ersetzen und die Produktions- und Beschäftigungschancen im Inland („Jobexport 4 '-Diskussion) verminderten. Die in dieser Debatte ausgetauschten Argumente sind freilich weitgehend auf den Kapitalbildungsprozeß übertragbar, zumal unterstellt werden kann, daß die arbeitsbeschaffenden oder -vernichtenden Wirkungen der Auslandsinvestitionen nur Sekundäreffekte sind, die letztendlich von den Primäreffekten — nämlich dem Einfluß der Auslandsinvestitionen auf Volumen und Struktur des Kapitalstockes — abhängen. Erste Aussagen läßt bereits die simple Einteilung der Auslandsinvestitionen nach Wirtschaftsbereichen (primär, sekundär, tertiär) zu, wobei stets die Situation im Herkunftsland im Auge behalten werden muß. So kann davon ausgegangen werden, daß in einem rohstoffarmen Industrieland, wie z.B. der Bundesrepublik, von Auslandsinvestitionen im Rohstoffbereich, die der Erschließung von Rohstoffquellen und der Sicherung der eigenen Rohstoffversorgung dienen, zumindest keine negativen Wirkungen auf die inländische Kapitalbildung ausgehen. Solche Auslandsinvestitionen sichern im Gegenteil eher Investitionen und Arbeitsplätze in denjenigen heimischen Branchen, die importierte Rohstoffe weiterverarbeiten und vermarkten. In rohstoffreichen Volkswirtschaften können im primären Sektor dagegen durchaus substitutive Beziehungen zwischen Inlands- und Auslandsinvesti10 Vgl. Jürgen Deitmers, a.a.O., S. 311. Dort werden auch einige der empirischen Arbeiten angeführt.

Internationale Direktinvestitionen und Realkapitalbildung

707

tionen bestehen, wie z.B. der Investitionsboom im Erdölsektor der USA u.a. nach der weitgehenden Deregulierung der Energiepreise zeigt. Auch über Investitionen im tertiären Sektor können ohne detaillierte Motiv- und Wirkungsanalysen Aussagen getroffen werden. So lassen sich solche Investitionen im Dienstleistungssektor, die auf das Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe sowie auf den Kauf von Immobilien entfallen, als weitgehend wirkungsneutral einstufen 11 . Auslandsinvestitionen im Bereich der Kredit- und Versicherungswirtschaft sowie des Handels werden im Hinblick auf die Exporte und die inländischen Arbeitsplätze weitgehend als absichernd oder gar stimulierend angesehen12. Sie haben damit eine die Inlandsinvestitionen eher ergänzende als substituierende Funktion. Die Auswirkungen der industriellen Auslandsinvestitionen auf die inländische Kapitalbildung sind dagegen a priori weniger klar. Auch hier kann jedoch an das Argumentationsmuster der ,,Job-export 4 '-Diskussion angeknüpft werden: Analysen der Motivstruktur sollen Aufschluß über die Wirkungen von Auslandsinvestitionen geben. Nach gängiger Einteilung aus der Sicht des Anlegerlandes werden beschaffungs-, kosten- und absatzorientierte Direktinvestitionen unterschieden, denen unterschiedliche Wirkungen zugeschrieben werden. — Beschaffungsorientierte Direktinvestitionen im engeren Sinne haben ihre Ursache in der NichtVerfügbarkeit bestimmter Güter (z.B. Rohstoffe) im Inland. — Kostenorientierte Auslandsinvestitionen sind durch das Ziel gekennzeichnet, Produktionen unter Beibehaltung der bisherigen Produktionspalette und/oder Produktionstechnik an einen neuen Standort zu verlagern, der niedrigere Produktionskosten aufzuweisen hat. — Absatzorientierte Investitionen im Ausland erfolgen in dem Bestreben, alte Absatzmärkte zu sichern oder zu erweitern sowie neue Märkte zu erschließen. Die ,,Job-export 4 '-Diskussion hat allerdings gezeigt, daß auch übereinstimmende Motivanalysen keinesfalls zur Einmütigkeit in der Beurteilung der Wirkungen führen muß. Entscheidend ist die Alternativposition und der Zeithorizont, die der jeweilige Betrachter zugrunde legt. Rein kostenorientierte Direktinvestitionen (d.h. Verlagerung bestehender Produktionen in günstigere Standorte, z.B. in Freihandelszonen der Ent11 Vgl. Jürgen B. Dönges, Paulgeorg Juhl: Deutsche Privatinvestitionen im Ausland, in: Konjunkturpolitik, 25. Jg. (1979), S. 208-224, hier: S. 212. 12 Vgl. ebenda.

708

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wicklungsländer mit niedrigen Lohnkosten, Steuervergünstigungen und anderen Vorteilen) wurden z.B. von Gewerkschaftsseite pauschal als arbeitsplatzvernichtend klassifiziert. Dementsprechend ließen sich ihnen negative Wirkungen auf den Kapitalstock zuordnen: Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen im Investorland unterbleiben, Anlagen werden unter Umständen vorzeitig abgeschrieben und stillgelegt. Eine derartige Sichtweise übersieht jedoch, daß ein Unternehmen, das trotz dauerhafter Kostennachteile auf eine Standortinnovation (die Auslandsinvestition) verzichtet, längerfristig gesehen in der Regel von kostengünstiger produzierenden Konkurrenten von den in- und ausländischen Märkten verdrängt würde. A u f längere Sicht würde also auch in diesem Falle eine Kapital- und Arbeitsplatzvernichtung eintreten. Allenfalls in sehr kurzfristiger Sichtweise scheint es daher angemessen, bei kostenorientierten Auslandsinvestitionen substitutive Beziehungen zwischen Inlands- und Auslandsinvestitionen zu unterstellen: Der inländische Kapitalstock wird längerfristig durch die Vornahme der Auslandsinvestition nicht tangiert, da eine Inlandsinvestition keine realistische Alternative ist. Weitaus größere Bedeutung — sowohl international als auch für die Bundesrepublik — dürfte absatzorientierten Direktinvestitionen zukommen 1 3 . Viele Unternehmen, die sich zunächst durch Exporte auf Auslandsmärkten etabliert haben, stellen fest, daß sich ab einem bestimmten Punkt Marktanteile langfristig nicht mehr halten oder gar ausbauen lassen, wenn nicht der Weg vom reinen Export weg und hin zur Auslandsinvestition und »Produktion beschritten wird. Ursachen dafür sind z.B. forcierte Importsubstitutionsstrategien in Entwicklungsländern oder tarifäre und nichttarifäre Handelshemmnisse gegenüber allzu erfolgreicher Auslandskonkurrenz in Industriestaaten. Auch die Notwendigkeiten einer marktnahen Produktion, der Verringerung von Transportkosten oder des Aufbaus leistungsfähiger Kundendienstnetze machen Auslandsinvestitionen unumgänglich, wenn ein Unternehmen gegen bestehende oder neu am Markt erscheinende Konkurrenten auf Dauer bestehen will. Angesichts dieser Entscheidungsgrundlagen ist die Wahl zwischen Inlandsproduktion und Export (und damit Inlandsinvestitionen) und Auslandsproduktion (und damit Auslandsinvestitionen) keinesfalls beliebig und willkürlich. Grundsätzlich und auf Dauer gesehen besteht auch hier keine Entscheidungsfreiheit zwischen Inlands- und Auslandsinvestition: Es besteht lediglich die Möglichkeit, auf einen Auslandsmarkt teilweise oder womög13 Vgl. dazu und zum folgenden: Jürgen B. Dönges, Paulgeorg Juki, a.a.O., S. 216 ff., sowie die dort angegebene Literatur.

Internationale Direktinvestitionen und Realkapitalbildung

709

lieh ganz zu verzichten oder ihn mittels Direktinvestitionen zu erhalten oder auszubauen. Daher erscheint die Aussage, daß absatzorientierte Auslandsinvestitionen die inländische Kapitalbildung verringern, zumindest irreführend: Ursächlich für die verringerte Kapitalbildung und den damit einhergehenden Verlust an potentiellen Arbeitsplätzen i m Inland ist nicht die Direktinvestition i m Ausland, sondern die vorhandenen Marktverhältnisse oder staatliche Interventionen i m Ausland (Zölle, Importbeschränkungen, Vergabe öffentlicher Aufträge nur an i m Inland ansässige Unternehmen etc.). Dies gilt sowohl für defensive (Erhaltung eines Auslandsmarktes) als auch für offensive (Eroberung eines Marktes) Direktinvestitionen. Daher erscheint die zuweilen in Motivanalysen oder empirischen Arbeiten vorgenommene Differenzierung der absatzorientierten Auslandsinvestitionen nach diesen beiden Typen nicht unproblematisch, sofern damit das Ziel verfolgt wird, Aussagen über die Wirkungen der Direktinvestitionen auf Beschäftigung, Produktion oder Kapitalbildung i m Inland zu machen. Derartige Unterteilungen bieten allerdings ein schönes Beispiel dafür, wie stark die Ergebnisse von Wirkungsanalysen von Bewertungen und dem explizit oder implizit eingeführten Referenzsystem des Betrachters abhängen: So wurde i m Rahmen der ,,Job-export"-Diskussion sowohl die Position vertreten, offensiv motivierte Auslandsinvestitionen seien beschäftigungsneutral und defensive vernichteten Arbeitsplätze als auch der exakt entgegengesetzte Standpunkt 1 4 . Schließlich haben Direktinvestitionen i m Ausland noch indirekte Effekte auf den Umfang der Produktion und damit den Umfang der Kapitalbildung i m Herkunftsland, und zwar sowohl i m Hinblick auf das investierende Unternehmen als auch i m Hinblick auf andere Unternehmen und Branchen. Dies gilt z.B., wenn die Auslandsniederlassung Vorleistungen von der inländischen Muttergesellschaft bezieht, wenn in der Investitionsphase ein Teil der Produktionsanlage von Unternehmen aus dem Land des Direktinvestors erstellt oder geliefert wird, oder wenn bei Standortinnovationen alte Zulieferer durch neue ersetzt werden. A u f eine Diskussion dieser Effekte in Form von Multiplikator- und Akzeleratorwirkungen soll hier verzichtet werden; ihre Behandlung in der Literatur wird noch stärker als die der direkten Wirkungen geprägt durch unterschiedliche Ausgangspositionen sowie partialanalytische und selektive Argumentationsmuster.

14 Vgl. Werner Olle, a.a.O., S. 24 ff., insbesondere S. 25, Fußnote 19 und die dort angegebene Literatur.

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VII. Wirkungen im Gastland Die Diskussion um die Wirkungen von Direktinvestitionen im Gastland war vielfach noch stärker emotionalisiert und ideologisiert als die über die Wirkungen auf das Herkunftsland. A n die Stelle nüchterner Wirkungsanalysen traten Schlagworte wie Überfremdung, Abhängigkeit vom Ausland oder Perpetuierung der Unterentwicklung (letzteres im Hinblick auf private Direktinvestitionen in der Dritten Welt). Den Gegenpol zu solchen ideologisch eingefärbten Pauschalurteilen bilden die Vertreter der „reinen" neoklassischen Theorie, für die an den positiven Effekten von Direktinvestitionen kein Zweifel besteht. Nach dieser Auffassung tritt die Auslandsinvestition zu den Investitionen des Gastlandes additiv hinzu und hat entsprechend positive Effekte auf Produktions- und Beschäftigungsvolumen, auf die Leistungsbilanz und den Stand des technischen Know-hows einer Volkswirtschaft. Für die Frage, ob durch die Auslandsinvestitionen die geplanten Investitionen von Inländern beeinträchtigt oder verdrängt werden, ist in diesen Vorstellungen zunächst kein Raum 1 5 . Explizit oder implizit wird die Prämisse zugrunde gelegt, daß Engpässe in einer Volkswirtschaft nicht bestehen oder von einem perfekt und ohne Verzögerungen arbeitenden Marktmechanismus sofort überwunden werden. Diese Annahme muß schon im Hinblick auf Industrieländer und erst recht bei Entwicklungsländern als realitätsfern erscheinen. So kann eine zusätzliche Investition aus dem Ausland — auch wenn im Gastland keine Vollbeschäftigung herrscht — partielle Engpässe auf den Güter- und Faktormärkten schaffen oder verstärken (z.B. in der Bauindustrie, im Maschinenbau oder bei anderen Lieferanten sowie bei der Finanzierung oder bei der Anwerbung von qualifizierten Arbeitskräften), die andere Investitionen verzögern, ihr Volumen reduzieren oder sie wegen Preissteigerungen weniger rentabel erscheinen lassen und somit vom Markt verdrängen 16 . Gleichfalls kann eine Auslandsinvestition die inländischen Unternehmen in der gleichen Branche zu einer pessimistischeren Einschätzung ihrer Absatzchancen und damit zu einer Revision ihrer Investitionspläne veranlassen. Beide Effekte bedeuten allerdings nicht schon, daß die jeweiligen Auslandsinvestitionen aus der Sicht des Gastlandes volkswirtschaftlich negativ zu beurteilen wären — letztlich setzt sich nur der leistungsfähigere Anbieter am Markt durch —; sie bedeuten lediglich, daß zwischen Inlands- und Auslandsinvestitionen 15 Dietrich Kebschull u.a.: Wirkungen von Privatinvestitionen in Entwicklungsländern, Baden-Baden 1980, S. 50. 16 Vgl. dazu und zum folgenden: Richard E. Caves , Grant L. Reuber: Capital Transfers and Economic Policy: Canada, 1951-1962, Cambridge (Mass.) 1971, S. 147 ff.

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nicht durchgängig eine additive, sondern unter Umständen eine substitutive Beziehung besteht. Freilich können Direktinvestitionen in der gleichen Branche nicht nur substitutiv sondern auch additiv sein. Die Vorstellung der Substitution beruht auf der Annahme, daß eine bestimmte Industrie einen vorgegebenen Absatzmarkt hat, der mit einer festen Investitionssumme von In- oder Ausländern versorgt werden kann. Übersehen wird dabei, daß inländischen Unternehmen unter Umständen das Kapital, das Know-how oder die Managementfähigkeiten fehlen, um bestimmte Marktchancen wahrzunehmen. Außerdem können sich Risikoeinschätzung und Absatzchancen von Inlandsund Auslandsinvestor unterscheiden — z.B. wenn eine ausländische Direktinvestition vor allem der Versorgung der Muttergesellschaft mit bestimmten Produkten dienen soll —, mit der Folge, daß ein Inlandsinvestor die entsprechende Investition wohl kaum vornehmen würde. Schließlich sind auch komplementäre Beziehungen zwischen In- und Auslandsinvestitionen möglich: Additive Direktinvestitionen können zur verstärkten Nachfrage bei vorgelagerten Industrien führen und so über Multiplikator- und Akzeleratoreffekte deren Output und Investitionen stimulieren. Falls durch den ausländischen Investor Vor- und Zwischenprodukte oder Investitionsgüter für nachgelagerte Industrien billiger und in besserer Qualität bereitgestellt werden, können sich zudem deren Absatz- und Investitionsmöglichkeiten verbessern. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß Direktinvestitionen im Gastland je nach den vorliegenden Bedingungen (Branche, Art der Direktinvestition, konjunkturelle Situation etc.) sowohl substitutiv als auch additiv und schließlich auch komplementär wirken können. Ohne Analysen von Einzelfällen sind nähere Aussagen über die überwiegende Tendenz nicht möglich, doch erscheint es nicht ausgeschlossen, daß sich in der Realität substitutive und komplementäre Tendenzen weitgehend kompensieren. Die neoklassische Position wäre im Ergebnis dann so realitätsfern nicht, wie ihre Prämissen vermuten lassen.

VIIL Partial- versus Gesamtbetrachtungen Die vorangegangene Diskussion der Wirkungen der Direktinvestitionen auf das Investitionsvolumen im Herkunfts- und im Gastland lassen sich als partialanalytische Plausibilitätsüberlegungen einordnen. Sie knüpfte damit zum Teil an die Vorgehensweise bei verwandten Problemstellungen (wie z.B.

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der „Job-export 4 '-Diskussion) an. I m Rahmen dieser Problemstellungen blieb man nicht bei theoretischen Überlegungen stehen; den Plausibilitätserwägungen folgten empirische Studien, die versuchten, die zur Diskussion stehenden Effekte zu quantifizieren. Daher läge der Versuch nahe, z.B. aus den — etwa für die Bundesrepublik — vorliegenden empirischen Studien, die die Beschäftigungseffekte von Direktinvestitionen quantifizieren 17 , auf den Zusammenhang zwischen Direktinvestitionen und Kapitalbildung zurückzuschließen. A u f diesen Versuch soll hier verzichtet werden, da es zwar relativ problemlos ist, das Referenzsystem theoretischer Abhandlungen zu modifizieren (und damit unter Umständen auch zu anderen Schlußfolgerungen zu gelangen), bei empirischen Analysen macht ein falsches Referenzsystem das Zahlenmaterial dagegen schlicht unbrauchbar. Genau dies ist jedoch das Problem vieler empirischer Studien über Beschäftigungs- oder Zahlungsbilanzeffekte von Direktinvestitionen: Die explizit oder implizit vorhandene Alternativposition erscheint — gelinde ausgedrückt — ökonomisch fragwürdig. Zugrunde gelegt wird oftmals eine Referenzsituation, in der ein „ V e r b o t " von Auslandsinvestitionen, aber nach wie vor ein ungehinderter internationaler Warenaustausch existiert. Das Erkenntnisziel solcher Quantifizierungsversuche bleibt unklar (war nicht ausschließt, daß sie als politische Munition taugen), viele empirische Ansätze erscheinen mit ihrer „merkantilistischen" Ausrichtung letztlich genauso sinnvoll wie die hypothetische Frage, wieviel Arbeitsplätze in der Bundesrepublik 1983 durch den Verzicht auf sämtliche Importe hätten geschaffen werden können. Auch wenn man unrealistische Alternativpositionen vermeidet, verbleiben zumindest zwei Schwachpunkte der hier gewählten partialanalytischen, makroökonomischen Betrachtung der Direktinvestitionswirkungen auf die Kapitalbildung im Herkunfts- und Gastland: — Zwar wird der häufige Fehler vermieden, nur die unmittelbaren Aktionen des Unternehmens, das die Direktinvestitionen vornimmt, zu betrachten 1 8 ; dennoch bleiben eine Reihe von makroökonomischen Effekten (die noch jenseits der erwähnten Multiplikator- und Akzeleratorwirkungen liegen) außer Betracht. Dazu gehört z.B. die Frage, wie der internationale Kapitalverkehr Wechselkurse und Zinsen im Herkunfts- und Gastland 17

Beispiele finden sich in: W. Olle, a.a.O., und der dort angegebenen Literatur. Vgl. Peggy Β. Musgrave: Direkt Investment Abroad And The Multinationals: Effects On The United States Economy, Washington 1975, S. 36: ,,Ιη considering the effects of foreign investment on domestic capital formation, we must avoid the frequent error of considering only the immediate responses by the firm which undertakes the foreign investment." 18

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beeinflußt, und inwieweit solche Preiseffekte wiederum auf die Realkapitalbildung in den betreffenden Ländern einwirken. — Zweitens bleibt aufgrund der getrennten Betrachtung für Herkunfts- und Gastland die Frage unbeantwortet, wie sich die internationalen Direktinvestitionen insgesamt auf die weltweite Kapitalbildung auswirken und damit auf das internationale Wachstum und die weltweite Wohlfahrt (von der Frage nach der Verteilung dieser Effekte einmal ganz abgesehen). Einige Bemerkungen zum zweiten Punkt sollen hier an den Schluß gestellt werden. Auch bei der Frage, ob international die Realkapitalbildung durch die weltweiten Direktinvestitionsströme höher, gleichhoch oder niedriger ausfällt, als es ohne Existenz dieser Kapitalströme der Fall wäre, stellt sich selbstverständlich das schwierige Problem der geeigneten Alternativposition. So wäre beispielsweise zu berücksichtigen, daß zum Teil protektionistische Maßnahmen mit dem Ziel ergriffen werden, Direktinvestitionsströme zu induzieren, die dann nicht unbedingt zu einer Verbesserung der internationalen Kapitalallokation bzw. einer besseren Ausschöpfung der weltweit vorhandenen rentablen Investitionsmöglichkeiten beitragen müssen. Beschränkt man sich jedoch darauf, die in der Literatur isoliert geäußerten Meinungen über den Zusammenhang zwischen Direktinvestitionen und Realkapitalbildung entweder im Herkunfts- oder im Gastland zusammenzutragen, so ergeben sich aus den jeweils drei Möglichkeiten (positive, negative oder keine Veränderung der Kapitalbildung in Herkunfts- bzw. Anlageland) theoretisch neun Kombinationsmöglichkeiten. Dabei ist der Zusammenhang zwischen Direktinvestitionen und weltweiter Realkapitalbildung in drei Fällen eindeutig positiv, in weiteren drei eindeutig negativ; beim restlichen Drittel ist der Gesamteffekt null oder bleibt unbestimmt. I n diesen neun denkbaren Kombinationen ist — wenn man die im politischen Bereich vorherrschenden Auffassungen zur Charakterisierung heranzieht — eine ,,linke 44 und eine ,,rechte 44 Extremposition enthalten: — Die ,,Linken 44 kommen zu dem Ergebnis, daß die Direktinvestitionen sowohl im Herkunftsland als auch im Gastland (insbesondere wenn es sich dabei um eine unterentwickelte Volkswirtschaft handelt) Investitionsund Beschäftigungsvolumen negativ beeinflussen. — Die ,,rechte 44 Position kommt zu dem Ergebnis, daß die Direktinvestitionen im Herkunftsland zumindest neutral auf die Kapitalbildung wirken und im Gastland additiv zum Investitionsvolumen hinzutreten (und darüber hinaus evtl. noch Komplementäreffekte auslösen): Weltweit erhöhen die Direktinvestitionen also die Realkapitalbildung — und

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zwar um einen Betrag, der ihr Gesamtvolumen unter Umständen übersteigt. In der grundlegenden Arbeit von Hufbauer und Adler werden — je nach der vorliegenden Situation — lediglich drei der oben erwähnten Kombinationen als realistische Möglichkeiten betrachtet 19 ; — Direktinvestitionen verringern im Herkunftsland und steigern im Anlageland die Kapitalbildung (die klassische These). — Direktinvestitionen verändern weder im Herkunfts- noch im Gastland das Investitionsvolumen (umgekehrte klassische These). — Direktinvestitionen lassen die Kapitalbildung im Herkunftsland unverändert und erhöhen sie im Gastland (antiklassische These). Während die ersten beiden Hypothesen implizieren, daß die Direktinvestitionen das internationale Investitionsvolumen unverändert lassen, erhöht sich im antiklassischen Fall die weltweite Kapitalbildung. Diesen Positionen läßt sich die rein kreislauftheoretische Betrachtung zur Seite stellen: Weltweit muß ex post (wenn auch nicht für die einzelne Volkswirtschaft) die Identität von Sparen und Investieren gelten. Faßt man die Ersparnis als autonome Größe auf, so dürfte der Umfang der Direktinvestitionen für das Volumen der Realkapitalbildung insgesamt keine Rolle spielen. Allerdings ist zu bedenken, daß Direktinvestitionen im allgemeinen gewinnsteigernd wirken dürften — anderenfalls würden sie unterlassen. Steigende Unternehmensgewinne können unter Umständen das Sparvolumen anheben, so daß in Verbindung mit einer besseren Ausschöpfung der insgesamt vorhandenen Investitionschancen durch Auslandsinvestoren die Direktinvestitionen zu einer Erhöhung der weltweiten Realkapitalbildung beitragen könnten. Auch die kreislauftheoretische Betrachtung stützt damit die Sichtweise von Hufbauer/Adler: Eine neutrale bis positive Wirkung der Direktinvestitionen auf die weltweite Realkapitalbildung ist das plausibelste Ergebnis. Per saldo negative Wirkungen der Direktinvestitionen erscheinen dagegen weitgehend ausgeschlossen — ein wichtiger Unterschied zur internationalen Kreditvergabe und insbesondere zur Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer, für die eine solche negative Korrelation mit der Kapitalbildung insgesamt eher zu begründen ist 2 0 . 19 G.C. Hufbauer, F.M. Adler : Overseas Manufacturing Investment And The Balance Of Payments, U.S. Treasury Department, Washington D.C. 1968, S. 6 f. 20 Vgl. dazu Rainer Erbe: Die Bedeutung der Auslandsverschuldung für Kapitalbildung und Wachstum in den Entwicklungsländern, in: Beihefte der Konjunkturpolitik, Heft 30, Berlin 1983, S. 251-267, hier: S. 260 f.

Kapitalverkehrskontrollen und ihre Auswirkungen auf Ersparnisse und Investitionen* Von Emil-Maria Ciaassen, Paris

Einleitung In einem der letzten Jahresberichte über den Zahlungsverkehr und die Devisenbeschränkungen (1982) veröffentlichte der Internationale Währungsfonds (IWF) die Abbildung 1. Diese zeigt die zwei wesentlichen Kontrollmaßnahmen, die die Mitglieder des I W F praktizieren. Einerseits sind Beschränkungen des Kapitalkontos bei weitem häufiger als Beschränkungen des laufenden Kontos. Ende 1981 führten mehr als 80 der 106 Länder (die seit 1966 Mitglieder des Fonds sind) Kapitalverkehrskontrollen durch, während weniger als 60 Länder Beschränkungen in den Posten der Leistungsbilanz praktizierten. A u f der anderen Seite ist ein Trend erkennbar — zumindest bis 1978 —, wonach immer weniger Länder protektionistische Maßnahmen im Güter- und Leistungsverkehr ausübten, während die Zahl der Länder mit Kapitalverkehrskontrollen ziemlich unverändert blieb. I m Vergleich zur umfassenden Literatur über den Handelsprotektionismus für die Güter und Dienstleistungen gibt es nur eine begrenzte Literatur über Beschränkungen des Kapitalverkehrs. Pro und Contra von Kapitalkontrollen können unter drei Gesichtspunkten analysiert werden. Der erste Aspekt zur Beurteilung von Kapitalkontrollen ist das Kriterium der optimalen Allokation der Ressourcen. In dem Maße, wie es einen Unterschied zwischen privaten und sozialen Kapitalrenditen gibt, sollte die Regierung intervenieren. Der zweite Aspekt betrifft die Einkommensverteilung zwischen Ländern. Unter bestimmten Bedingungen und in Analogie zur Theorie des optimalen Zolls kann ein Land sein Einkommen zu Lasten anderer durch Beschränkung seiner Kapitalexporte oder -importe erhöhen. Der dritte Aspekt, um Kapitalverkehrskontrollen zu beurteilen, ist ein makroökonomischer. Dieser könnte eine Erklärung für die momentane Verstärkung der Ka* Diese Arbeit stellt Auszüge einer Forschungsarbeit dar, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert und innerhalb des Schwerpunktprogramms „Inflation und Beschäftigung in offenen Wirtschaften* 4 ausgearbeitet wurde.

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Emil-Maria Ciaassen Abbildung 1 Zahl der Länder

Quelle: IMF (1982), S. 5. Die Daten beziehen sich auf die Mitgliedschaft von 106 Ländern im IWF vom Jahre 1966.

pitalkontrollen einer Reihe von Ländern darstellen, die ihre Zahlungsbilanz verbessern und starke Wechselkursschwankungen ihrer Währung vermeiden wollen. Die nachfolgenden Ausführungen beschäftigen sich mit den beiden ersten Gesichtspunkten. Das Allokationsargument zielt darauf, das inländische Investitionsvolumen durch zusätzliche Kapitalimporte oder geringere Kapitalexporte zu erhöhen. Die Subventionen für Kapitalimporte und die Beschränkungen der Kapitalexporte drücken den inländischen Zinssatz unter das Niveau des internationalen Zinssatzes. Voraussetzung dafür ist, daß das betroffene Land ein kleines Land ist, das den internationalen Zinssatz nicht beeinflussen kann. I m Gegensatz zum Allokationsargument arbeitet das Argument der Einkommensverteilung mit der Hypothese eines großen Landes, dessen Ziel es ist, die internationalen Kreditaufnahmebedingungen zu verbessern (niedrigerer internationaler Zinssatz durch Kapitalimportbeschränkungen) oder die internationalen Kreditvergabebedingungen zu verbessern (höherer internationaler Zinssatz durch Kapitalexportbeschränkungen). I m Falle einer Kapitalimportbeschränkung ist der Vorteil eines niedrigeren internationalen Zinssatzes mit dem Nachteil eines niedrigeren inländischen Investitionsvolumens verknüpft, weil die Nachfrage nach Kapitalimporten ein-

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geschränkt werden muß. Demgegenüber bedeuten Kapitalexportbeschränkungen, bei dem das Land einen höheren Zinssatz für seine Kapitalexporte erhält, ein höheres inländisches Investitionsvolumen. Wir werden zunächst kurz die traditionellen Argumente für freie Kapitalbewegungen erläutern. Dann werden wir die beiden Argumente für Kapitalkontrollen — das Allokations- und Einkommensverteilungsargument — und ihre beabsichtigten oder nachrangigen Auswirkungen auf das inländische Investitionsvolumen erläutern.

I. Vorteile aus freien Kapitalbewegungen Wie zwischen Einzelpersonen führen die unterschiedlichen Zeitpräferenzen zwischen Ländern zu Nettokreditaufnahmen und Darlehensgewährungen, die den intertemporalen Wohlstand für alle Beteiligten erhöhen. Gibt es keine internationale Kapitalmobilität und angenommen, die Volkswirtschaften seien stationär und ohne jegliche Investitionstätigkeit, dann ist jedes Land gezwungen, sein Einkommen in jeder Periode zu konsumieren. Ein Land, das den gegenwärtigen Konsum stark präferiert, verbessert sein Nutzenniveau mittels seines intertemporalen Konsumstromes, wenn die Grenzzeitpräferenz bei Kapitalautarkie (und damit sein inländischer Zinssatz) über dem internationalen Zinsniveau liegt. Dieses Land wird Kredit von anderen Ländern so lange aufnehmen, bis seine Grenzzeitpräferenz gleich dem internationalen Zinssatz ist. Die Nettokreditaufnahme im Ausland entspricht einem Handelsbilanzdefizit, wobei die Mehrimporte zusätzliche verfügbare Konsumgüter bereitstellen, weil die internationalen relativen Preise der Konsumgüter von heute im Verhältnis zu künftigen Gütern gefallen sind und der Kauf von gegenwärtigen Gütern auf den internationalen Märkten und der Verkauf von künftigen Gütern rentabel wird. Die Tatsache, daß der inländische Zinssatz — in einer geschlossenen Wirtschaft — über dem internationalen Zinssatz liegt, bedeutet, daß es andere Länder gibt, deren Zeitpräferenzen niedriger sind, wenn es keine Kapitalmobilität gibt. Diese Länder ziehen es vor, einen Teil ihres heutigen Konsums durch Ausleihen im Ausland in die Zukunft zu verschieben, wenn der internationale Zinssatz über ihrer Grenzzeitpräferenz liegt. Demgemäß werden sie einen Handelsbilanzüberschuß in der Gegenwart haben, wenn die internationalen relativen Preise für die heutigen Konsumgüter gestiegen sind. Wenn die Länder also unterschiedliche Zeitpräferenzen haben, gleicht der freie Kapitalverkehr die Grenzsätze der Zeitpräferenz zwischen allen Ländern aus. Damit werden die Länder befriedigt, die in Vorperioden eine hö-

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here (niedrigere) Zeitpräferenz für einen stärkeren heutigen (zukünftigen) Güterkonsum gehabt haben. Das daraus resultierende Entsparen und Sparen findet zwangsläufig seinen Ausdruck in einem Ungleichgewicht des Leistungsbilanzsaldos . Unterschiede in den Liquiditätspräferenzen können auch zu (Brutto- wenn auch nicht Netto-) Kapitalbewegungen führen und den Gesamtwohlstand erhöhen. Ein Land mit einer hohen Liquiditätspräferenz im Sinne einer hohen Präferenz für internationale Liquidität wird bei langfristig angelegten Kapitalimporten Kapitalexporte mit kurzfristigen Laufzeiten bevorzugen. Dies ist insbesondere — unter Berücksichtigung des heutigen Dollarstandards — bei Kapitalbewegungen zwischen Ländern ohne Leitwährung und den USA als Leitwährungsland der Fall (Kindleberger, 1965). Solche Überlegungen sind ein Spezialfall der optimalen Portfolio-Kombination, da durch eine breitere Zusammenstellung von verfügbaren Finanzaktiva die Spanne zwischen Risiko und Rendite verbessert wird (Kenen, 1976, S. 31). Ein weiterer Vorteil internationaler Kapitalbewegungen könnte darin bestehen, daß das Wettbewerbsniveau auf den nationalen Kreditmärkten erhöht wird, wodurch die Monopolstellungen, die die Banken und andere Kreditinstitute früher ausgeübt haben dürften, geschwächt werden (Kindleberger, 1967). In dem Ausmaß, in dem die Grenzrate der Kapitalrendite zwischen den Ländern divergiert, erhöht sich in den entsprechenden Ländern das Einkommen, sofern eine Kapitalbewegung zwischen Niedrigzinsländern und Hochzinsländern stattfindet. Die erste Länderkategorie spezialisiert sich dabei auf das Sparen und die zweite auf die Investitionstätigkeit. Das Welteinkommen und das Einkommen der einzelnen Länder werden dann maximal sein, wenn sich die Grenzproduktivität des Kapitals in den verschiedenen Ländern ausgleicht. Abbildung 2 zeigt diesen Einkommensgewinn für eine Zwei-Länder-Welt. Der Kapitalbestand der Welt beträgt 00*. Der Kapitalbestand des Heimatlandes wird vom Punkt 0 nach rechts gemessen, der Kapitalbestand des Auslandes dagegen vom Punkt 0* nach links. Es wird angenommen, daß beide Länder eine identische Grenzproduktivität des Kapitals besitzen, jeweils M P C und MPC*. Sie haben jedoch unterschiedliche Kapitalausstattungen. Die Ausstattung des Faktors Arbeit ist in beiden Ländern gleich. Der Kapitalbestand des Heimatlandes ist jedoch niedriger (00') als der des Auslandes (0*0'). Bei Kapitalautarkie müssen die Grenzrenditen der beiden Länder unterschiedlich sein: Der Zinssatz im Heimatland ist r und im Ausland r*; das Gesamteinkommen des Heimatlandes beträgt ABO'O und das des Auslandes DR0*0\

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Abbildung 2

Wenn freie Kapitalbewegung anstatt Kapitalautarkie in der Welt herrscht, dann würde das Ausland 0 Έ seiner Ersparnisse für Investitionen an das Heimatland vergeben. Der Gewinn des Welteinkommens beträgt BQD: das Heimatland hat einen Gewinn von BQC (zugunsten der Arbeit) und das Ausland CQD (zugunsten des Kapitals). Dabei wird vorausgesetzt, daß beide Länder das gleiche Gut herstellen. Wenn sie aber unterschiedliche Güter produzieren, würde die Investitionstätigkeit des Auslands bei dem Heimatland die terms of trade für das Ausland verbessern, da die Importe billiger werden (siehe hierzu Jones, 1967). Die Wohlstandsgewinne unter freien Kapitalbewegungen implizieren zwei Arten von Einkommensumverteilungen, die u.a. erklären, warum die Gewerkschaften gegen Kapitalexporte sind und warum sie Druck ausüben, Kapitalexporte zugunsten von Kapitalimporten zu reduzieren. Zunächst erleidet das Weltarbeitseinkommen einen Verlust: es ist höher bei Autarkie (ABr + DRr*) als bei Kapitalmobilität ( A Q r 0 + QRr* 0 ). Dieser Verlust, den das Weltarbeitseinkommen verzeichnet, findet jedoch erstens nicht immer statt. Er hängt von der Art der Produktionsfunktion in beiden Ländern ab. Zweitens erhöht sich das Arbeitseinkommen (und damit die Reallöhne) im Kapitaleinfuhrland um ? BQr 0 und es vermindert sich (einschließlich der Reallöhne im Kapitalausfuhrland um Q r * 0 r * D .

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II. Das Allokationsargument für Kapitalverkehrskontrollen Das Arbeitseinkommenargument für Kapitalverkehrskontrollen — ein höheres inländisches Investitionsvolumen durch zusätzliche Kapitalimporte oder weniger Kapitalexporte — würde in keiner Weise der wirksamen Allokation des Weltkapitalbestandes schaden, vorausgesetzt die Investitionspläne weisen positive Externalitäten auf. Die Kapitalimporte zu subventionieren und die Kapitalexporte zu besteuern ist dann zu empfehlen, wenn die Sozialrendite des inländischen Kapitals über der privaten Rendite liegt. U m diese Behauptung zu beweisen, können wir uns zunächst ein (Netto-) Kapitalausfuhrland wie in Abbildung 3 vorstellen. Wir nehmen an, daß das betrachtete Land ein kleines Land ist, das keinen Einfluß auf den Weltzinssatz r * 0 hat. Das Kreditangebot und die Kreditnachfrage des Landes werden als das inländische Sparen S und die inländischen Investitionen I angesehen. Bei freien Kapitalbewegungen ist der inländische Zinssatz (r) dem internationalen Zinssatz gleich (r 0 = r * 0 ) und die Kapitalimporte betragen BC = OE. Rechts haben wir die gewünschten Kapitalimporte ED (Nachfrageüberschuß nach Krediten, der die Nachfrage nach ausländischen Krediten darstellt, wobei ED = I - S ist) als eine Funktion des Zinssatzes abgebildet. ES* ist das Angebot an ausländischen Krediten seitens der restlichen Welt. Kapitalkontrollen können durchgeführt werden, wenn die Investitionen positive Externalitäten auslösen und damit die soziale Investitionsrendite die private Ertragsrate übersteigt. Die gestrichelte Linie I i (Abbildung 3) stellt eine solche Situation dar: I i ist die soziale Investitionsrendite und I die private Rendite. Die Differenz zwischen diesen beiden Renditen stellt den „externalen" Gewinn dar (im Sinne von positiven Externalitäten). Ohne jegliche Regierungsintervention würde das Investitionsvolumen OC sein. Dies bedeutet eine „Unter-Investition 4 4 , weil die Sozialrendite über dem Marktzinssatz (r 0 ) liegt. Das optimale Investitionsvolumen würde OD sein, wobei die Sozialrendite gleich dem Marktzinssatz ist. U m private Investoren zu veranlassen, das optimale Investitionsvolumen zu realisieren, könnten Kreditkontrollen und damit auch Kapitalverkehrskontrollen eingeführt werden. Kreditkontrollen mittels der Verringerung des inländischen Zinssatzes (n) unter das Niveau des internationalen Zinssatzes (r* 0 ) führen zu einem (höheren) Nachfrageüberhang nach Krediten, weil sich das inländische Sparen um A B verringert und die inländischen Investitionen um CD steigen. Damit das inländische Sparvolumen ausschließlich für inländische Investitionsprojekte verwendet wird, muß eine Zinsausgleichssteuer in der Größenordnung von r * 0 r i auf die Zinserträge der potentiellen Kapitalabflüsse erhoben werden. Dadurch verschieben sich die Sparpläne von S nach links in Rieh-

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tung S, sofern die Ersparnis auf den ausländischen Zinssatz bezogen wird. Der höhere Betrag der gewünschten Kreditaufnahme im Ausland EF ist auf die Kreditkontrollen zurückzuführen, die das Sparen um den Betrag A B vermindern und die Investitionen um CD erhöhen, wobei EF = A B + CD. Da aber die ausländischen Kreditgeber ein Entgelt von r * 0 verlangen, muß die inländische Regierung die Kapitalimporte in Höhe von r * 0 r i subventionieren. Das Argument zugunsten von Kapitalverkehrskontrollen kann in ähnlicher Weise für ein (Netto-) Kapitalausfuhrland entwickelt werden. Abbildung 4 zeigt die Kapitalexporte A D = OF bei freien Kapitalbewegungen und ohne Kreditkontrollen. ES stellt den Überhang an inländischen Krediten (ES = S - 1 ) dar, der für die Kreditvergabe an das Ausland genutzt wird. ED* ist die Nachfrage nach internationalen Krediten seitens des Auslandes. Wie in Abbildung 3 dargestellt, vermindern Kreditkontrollen mittels der Reduktion des inländischen Zinssatzes (ri) die inländischen Ersparnisse um C D und erhöhen — was gewollt ist — die inländischen Investitionen um A B , da die soziale Rendite (die gestrichelte Linie I i ) über der privaten liegt. U m das inländische Sparvolumen für das inländische Investitionsvolumen zu sichern, ist wieder eine Zinsausgleichssteuer auf die ausländischen Zinserträge in Höhe von r * 0 n erforderlich. Diese Steuer verschiebt das Sparen S nach links auf die Position S, sofern es in Abhängigkeit vom ausländischen Zinssatz gesetzt wird. Das Volumen der Anleihen im Ausland geht um EF zurück, da die Kreditkontrollen das inländische Sparvolumen um CD verringern und das inländische Investitionsvolumen um A B erhöhen, wobei EF = CD + A B ist. Die Inländer, die die Ersparnis OE exportieren und den ausländischen Zinssatz r * 0 erhalten, müssen einen Steuersatz von r * 0 r i bezahlen. Eine andere Art von Intervention ist jedoch auch denkbar. Sie ist insoweit besser, da sie das Volumen des inländischen Sparens nicht berührt. Bei Aufrechterhaltung des Marktzinssatzes (r 0 = r * 0 ) könnte die Regierung die Investitionen subventionieren. Der Subventionsbetrag müßte die Differenz zwischen sozialen und privaten Renditen bei einem Investitionsvolumen entweder in Höhe von O D (Abbildung 3) oder in Höhe von OB (Abbildung 4) ausgleichen. I m ersten Fall (Abbildung 3) würden die zusätzlichen Kreditmittel, die für die Finanzierung der Investitionen CD notwendig sind, vom Ausland kommen. Die zusätzliche Kreditaufnahme im Ausland würde jedoch auf EF - A B = CD beschränkt bleiben, da die Subventionen die Sparrate nicht beeinflussen. Die Anleihen im Ausland im zweiten Fall (Abbildung 4) würden dagegen höher sein (OE + CD) als bei Kreditkontrollen plus Kapitalexportkontrollen (OE). Der grundsätzliche Unterschied zwischen Kredit-plus-Kapitalexportkontrollen und Subventionierung der inländischen

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Investitionen besteht im Wissen, wer dem inländischen Investor den niedrigeren Zinssatz bezahlt. I m ersten Fall ist es der Sparer. Dies erklärt, warum er seine Ersparnisse verringert. I m zweiten Fall ist es der Steuerzahler; hinzu kommt, daß in dem Maße, wie nur einige wenige Investitionsprojekte positive Externalitäten aufweisen, Kreditkontrollen im Sinne eines bevorzugten Zinssatzes für alle Investitionsvorhaben eine Ressourcenverschwendung bedeuten würden 1 .

III. Das Argument der optimalen Steuer Die Steuereinnahmen können ein weiteres Argument für die Kapitalverkehrskontrollen darstellen. Bekanntlich hat die Regierung das Monopol der Geldschaffung. Viele Länder verbieten zum Beispiel weitgehend die Haltung ausländischer Währungen. Dieses kann mit der Erhöhung des Monopolgewinns (seigniorage gain) der Zentralbank begründet werden. Wenn außerdem die Inflationssteuer auf reale Kassenbestände eine der wesentlichen Quellen der Steuereinnahmen ist, müssen Kapitalverkehrskontrollen auferlegt werden, um die Einnahmen aus der Inflationssteuer beizubehalten. Sonst neigen die einzelnen Wirtschaftssubjekte dazu, die inflationäre nationale Währung durch stabile Auslandswährungen zu ersetzen (dieser Fall ist für eine Reihe von Entwicklungsländern relevant, wie McKinnon und Mathieson 1981 gezeigt haben). Das eigentliche Argument der optimalen Besteuerung von Kapitalbewegungen ist, wie MacDougall (1960) und Kemp (1966) gezeigt haben, mit dem Argument des optimalen Zolls vergleichbar. Einerseits muß das Land groß genug sein, um die Weltpreise beeinflussen zu können. Die Festlegung eines optimalen Zolls hat als Ziel, die terms of trade zu verbessern, und zwar entweder durch einen Zoll auf Importe, der den Preis der importierten Güter auf dem Weltmarkt verringert oder durch einen Zoll auf die Exporte, der den Preis der exportierten Güter auf dem Weltmarkt erhöht. Analog dazu verbessert die optimale Steuer die Bedingungen der Kreditaufnahme oder -vergäbe im Ausland: eine Besteuerung der Kapitalimporte verringert den Ausleihungssatz auf dem Weltkapitalmarkt und eine Besteuerung der Kapi1 Was die empirischen Untersuchungen über die Auswirkung der Kredit-plus-Kapitalverkehrskontrollen auf die inländischen Investitionen anbelangt, zeigt die Analyse von Ciaassen und Wyplosz (1983) über die französische Wirtschaft, die eine lange Tradition mit Kredit- und Kapitalverkehrskontrollen hat, folgendes: Kredit-plus-Kapitalverkehrskontrollen haben den positiven Effekt, daß die inländischen Ersparnisse im Lande verbleiben und die inländischen Investitionen erhöht werden, dies gilt zumindest für die Kapitalverkehrskontrollen, die dem französischen Banksystem auferlegt wurden. Uns sind weitere empirische Studien für andere Länder nicht bekannt.

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talexporte erhöht den internationalen Ertragssatz aus Krediten. Andererseits sind optimale Handelszölle oder optimale Steuern auf Kapitalbewegungen nur für jenes Land optimal, das sie auferlegt. Das Land, das die Steuer erhebt, verzeichnet einen Einkommensgewinn. Gleichzeitig leiden alle anderen Länder an noch höheren Einkommensverlusten, so daß sich insgesamt ein Netto-Einkommensverlust einstellt. Unter diesem Gesichtspunkt führt die optimale Besteuerung zu einer Einkommensumverteilung zwischen den Ländern.

1. Optimale Kapitalimportkontrollen Für ein nettokreditnehmendes Land kann es vorteilhaft sein, seine Kreditbedingungen auf dem internationalen Kreditmarkt zu verbessern, indem es seine Nachfrage nach internationalen Krediten durch Kapitalimportkontrollen verringert. Die optimale Höhe von Kapitalimportbeschränkungen wird durch zwei entgegengesetzte Kräfte bestimmt: der Vorteil einer niedrigeren ausländischen Kreditrate und der Nachteil einer geringeren ausländischen Kreditaufnahme durch Kapitalimportbeschränkungen. Letzteres bringt einen Nachfrageüberschuß auf dem inländischen Kreditmarkt mit sich, der den inländischen Zinssatz über den internationalen Zinssatz hebt. Wie im Falle des optimalen Zolls ist eine wesentliche Voraussetzung für die Verbesserung der Kreditbedingungen, daß das Land innerhalb der Weltwirtschaft groß genug ist, um den Weltzinssatz zu beeinflussen. Außerdem entsprechen die Kapitalimportkontrollen (im Sinne einer Zinsausgleichssteuer auf Kapitalimporte zwischen höherem inländischen Zinssatz und niedrigerem ausländischen Zinssatz) einem Zoll (von der gleichen relativen Höhe) auf Importe von Gegenwartsgütern, so daß beide Methoden alternativ ausgewählt werden können. Dies haben Connolly und Ross (1970) gezeigt. Jedoch gibt es eine Grenze sowohl für eine optimale Steuer als auch für einen optimalen Zoll. Da die Kapitalausfuhrländer einen Wohlstandsverlust erleiden (ihr Wohlstandsverlust ist größer als der Wohlstandsgewinn für das Kapitaleinfuhrland), werden sie mit Gegenmaßnahmen (Kapitalexportkontrollen) drohen, die die Wohlfahrt von allen verschlechtern würde. Diese Bedrohung mag das Kapitaleinfuhrland überzeugen, seine Kontrollen einzustellen. Wenn der Umfang der Kapitalimporte beschränkt wird, liegt der inländische Zinssatz für das inländische Kreditvolumen (n) über dem ausländischen Zinssatz (r e ). Abbildung 5 verdeutlicht diese Situation. Links ist der inländische Kreditmarkt einer geschlossenen Wirtschaft beschrieben. S ist das Kreditangebot (Ersparnisse) und D die Kreditnachfrage (Investitionen); wenn

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die geschlossene Wirtschaft stationär wäre, würde die Kreditnachfrage negative Ersparnisse darstellen. Der Marktzinssatz liegt bei r. In einer offenen Wirtschaft ist der Weltzinssatz r 0 , wie es im rechten Diagramm erklärt ist. E D ist der inländische Nachfrageüberschuß nach Krediten (ED = D - S) und ES* der ausländische Angebotsüberschuß an Krediten, r* ist der ausländische Gleichgewichtszinssatz, wenn das Ausland eine geschlossene Wirtschaft ist. Bei freien Kapitalbewegungen betragen die Gesamtkapitalimporte OE. Kapitalimportbeschränkungen in Höhe von OJ verringern den ausländischen Zinssatz von r 0 auf r e . Eine nicht befriedigte Nachfrage nach Krediten in Höhe von JF existiert und konkurriert mit dem inländischen Kreditvolumen O M . Folglich gibt es einen Druck auf den inländischen Zinssatz, der damit von r e auf ri steigt, wodurch sich das inländische Kreditvolumen auf O N erweitert 2 . Die quantitativen Kontrollmaßnahmen der Kapitalimporte könnten durch eine Zinsausgleichssteuer auf Kapitalimporte ersetzt werden. Diese Steuer würde die Differenz zwischen dem inländischen Zinssatz ri und dem ausländischen Zinssatz r e ausgleichen. Ein solches Verfahren würde jede willkürliche Verteilung der Kapitalimportbeschränkungen in Höhe von OJ zwischen den Kreditnehmern vermeiden. A u f den ersten Blick würden mit dieser Steuer die günstigen Kreditbedingungen für die einzelnen Kreditnehmer entfallen. Für die Volkswirtschaft jedoch wären die Kreditbedingungen auf dem internationalen Markt verbessert, und die Steuereinnahmen könnten an die einzelnen Kreditnehmer zurückübertragen werden. Abbildung 5 zeigt ebenfalls die Einkommensgewinne und -Verluste jeweils für das Inland und das Ausland an, wenn das Inland Kapitalimportkontrollen einführt. ES* stellt die Linie der durchschnittlichen Kosten des Inlandes für Kredite aus dem Ausland dar. Das Ausland verlangt einen Kreditsatz, der mindestens seiner Grenzzeitpräferenz und der Grenzproduktivität seines eigenen Kapitalbestandes entspricht. Da wir vorausgesetzt haben, daß sich das Inland in einer monopolistischen Position befindet (das „ausländische" Land stellt den Rest der Welt dar, das sich aus mehreren kleinen Ländern zusammensetzt), wird es seinen Kapitalbestand durch Kapitalimporte solange erhöhen, bis sein Grenzertrag (ED) den Grenzkosten der Kredite im Ausland entspricht. Der Grenzkostenverlauf ist durch die Kurve M C dargestellt. Folglich ist die optimale Höhe von Kapitalimporten OJ, die durch den Schnittpunkt H bestimmt wird. Das Land kann seine Kapitalimporte redu2 Wenn sich der inländische Zinssatz dem internationalen Zinssatz anschließen sollte, müssen heimische Kreditkontrollen auferlegt werden: durch Festsetzung des inländischen Zinssatzes bei r e , durch Verteilung des inländischen Kreditvolumens OM mit Hilfe von Kreditselektionen und durch Verbot von Kapitalexporten.

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zieren, indem es eine Zinsausgleichssteuer auf die Zinszahlungen an die Ausländer in Höhe von H L / L J erhebt. Vergleicht man das inländische Volkseinkommen vor Kapitalkontrollen mit dem Einkommen nach Kapitalkontrollen, sieht man, daß das Land einen Einkommensgewinn von HRQ realisiert. Gleichzeitig erleidet die gesamte Weltwirtschaft einen Einkommensverlust von H Q L (d.h. das Ausland verzeichnet einen Einkommensverlust von HRQL). Hätte das Inland den Teil JE auf dem internationalen Kreditmarkt aufgenommen, dann wären die zusätzlichen Kreditkosten JHRE und die zusätzlichen Investitionserträge JHQE gewesen, so daß die Differenz von JHRE minus JHQE den inländischen Einkommensgewinn (HRQ) als eine Folge von Kapitalimportbeschränkungen darstellt. A u f der anderen Seite hätte das Ausland Zinseinnahmen aus den zusätzlichen Kapitalexporten JE in Höhe von JHRE und Opportunitätskosten vom Betrag JLQE verzeichnet, so daß sein Wohlstandverlust gleich der Differenz beider Flächen (HRQL) ist.

2. Optimale Kapitalexportkontrollen Das Pro und Contra von Kapitalimportkontrollen gilt auch für solche Länder, die Kapitalexportkontrollen einführen wollen. Wenn die Kapitalimportländer keine Beschränkungen auferlegen, dann könnte ein Kapitalausfuhrland Vorteile aus einem höheren Kreditsatz ziehen, indem es sein Angebot auf dem internationalen Kreditmarkt reduziert. Sein inländischer Zinssatz wird unter dem internationalen Zinssatz liegen, weil die Kapitalexportbeschränkungen einen Angebotsüberschuß auf dem nationalen Kreditmarkt zur Folge haben. Das betroffene Land muß wiederum groß genug sein, um den Weltzinssatz beeinflussen zu können. Kapitalkontrollmaßnahmen könnten durch eine Zinsausgleichssteuer auf Kapitalexporte durchgeführt werden. Diese Steuer ist gleich dem niedrigeren inländischen Zinssatz und dem höheren ausländischen Zinssatz. Schließlich aber könnten potentielle oder tatsächliche Retorsionsmaßnahmen seitens der anderen Länder das Kapitalausfuhrland daran hindern, Kontrollen auf seine Kapitalexporte auszuüben. Abbildung 6 beschreibt das Verhältnis zwischen dem in- und dem ausländischen Zinssatz (ri und r e ) für das Inland, das jetzt ein kreditgebendes Land ist und Kapitalexportkontrollen durchführt. Der Angebotsüberschuß an Krediten im Inland ES und der Nachfrageüberschuß nach Krediten im Ausland ED* sind analog Abbildung 5 abgeleitet worden. Wenn sich die internationalen Kapitaltransaktionen frei bewegen, ist der Zinssatz im In- und im Ausland auf dem gleichen Niveau (r 0 und r 0 * ) . Wenn das Kapitalausfuhr-

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Abbildung 6

land seine Kapitalexporte auf OJ begrenzt, erhöht sich sein Zinssatz auf r c . Wenn sein inländischer Zinssatz gleichfalls r e wäre, dann gäbe es einen Angebotsüberschuß an Krediten, der der Höhe JF am internationalen Kreditmarkt entspricht. Folglich wird der Angebotsüberschuß den inländischen Zinssatz solange nach unten drücken, bis der inländische Zinssatz das Niveau ri erreicht hat. Das Kapitalausfuhrland kann schließlich das gleiche Ergebnis erreichen, wenn es eine Zinsausgleichssteuer auf seine Kapitalexporte in Höhe von r e n auferlegt, anstatt direkte quantitative Beschränkungen durchzuführen. Wir hatten vorausgesetzt, daß das Kapitalausfuhrland eine monopolistische Position auf dem Weltkapitalmarkt hat (und daß es viele kleine Kapitaleinfuhrländer gibt). Daher kann dieses Land Kreditbedingungen aufstellen, die sein Einkommen maximieren. Wenn es den Teil OE seines Kapitals im Ausland ausleiht, ist die relevante marginale Rendite seiner Kreditgewährung im Ausland nicht ED* (ED* stellt die durchschnittliche Rendite dar), sondern die Linie M R , die die Grenzkurve von ED* darstellt. Das Kapitalausfuhrland legt seinen optimalen Kapitalexportbetrag im Schnittpunkt H fest, wo die Grenzrate seiner Zeitpräferenz bzw. die Grenzproduktivität seines inländischen Kapitals (ES) der Grenzrendite des Kapitals, das im Ausland investiert wird (MR), entspricht. Sein inländischer Zinssatz ist ri und sein ausländischer r e . Der optimale Steuersatz auf den Kapitalertrag aus dem Ausland ist L H / L J . Sein Nettogewinn aus Kapitalexportkontrollen ent-

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spricht dem Dreieck H Q L . Das Ausland erleidet einen Wohlstandsverlust von H L Q R und die Weltwirtschaft von H L Q . Kapitalimportkontrollen erhöhen also den inländischen Zinssatz, Kapitalexportkontrollen drücken ihn nach unten. Der Grund dafür liegt auf der Hand. Kapitalimportkontrollen schaffen einen Nachfrageüberschuß auf dem nationalen Kreditmarkt. Das Ziel der Kapitalimportkontrollen ist es, den ausländischen Zinssatz zu senken, der gleichzeitig der Zinssatz ist, zu dem das Inland im Ausland Kredit aufnimmt. Demgegenüber lösen Kapitalexportkontrollen einen Angebotsüberschuß auf dem inländischen Kreditmarkt aus mit der Folge einer inländischen Zinssatzsenkung. Da die internationalen Kreditbedingungen durch Kapitalexportkontrollen verbessert werden sollten, drückt das beschränkte Kreditangebot den internationalen Zinssatz in die Höhe. Der Grenzertrag von besseren internationalen Kreditbedingungen und der Grenzverlust eines niedrigeren Kapitalimport- bzw. Kapitalexportvolumens bestimmen den optimalen Grad an Kontrollen. Aus der allgemeinen Sicht der Weltwirtschaft ist jedoch die optimale Besteuerung nachteilig, weil sie das Welteinkommen verringert, selbst wenn sich das Volkseinkommen des Landes, , das die Kapitalkontrollen eingeführt hat, erhöht. Unter diesem Aspekt kann das Argument der optimalen Steuer als eine Verteilungsfrage angesehen werden, und zwar als eine Verteilungsfrage des Welteinkommens auf die einzelnen Länder. (Wie man aus der traditionellen Wohlfahrtstheorie weiß, würden beide Länder besser dastehen, wenn ein Zahlungstransfer in das Land stattfinden würde, das Kapitalkontrollen eingeführt hat, um dieses für den Einkommensverlust zu entschädigen, wenn es seine Kapitalkontrollen aufgibt). Wenn ein Land beginnt, Kapitalkontrollen einzuführen, ist es sehr wahrscheinlich, daß das andere Land entweder mit ähnlichen Maßnahmen antwortet oder das erste Land überzeugt, seine Kapitalkontrollen zu beseitigen. Angenommen, Kapitalkontrollen werden durch eine Zinsausgleichssteuer durchgeführt, dann würde der erste Fall dazu führen, daß die Differenz zwischen dem inländischen und dem ausländischen Zinssatz zunimmt. Dies hätte zur Folge, daß das Volumen der internationalen Kapitalbewegungen noch niedriger wird und daß beide Länder Wohlstandseinbußen erleiden; im Extremfall würde die Summe beider Steuern gleich dem Unterschied zwischen r und r* in Abbildung 5 oder in Abbildung 6 sein, so daß jede Kapitalbewegung zum Stillstand gebracht ist. Weil Gegenmaßnahmen (oder zumindest ihre Androhung) die Lage in beiden Ländern nur verschlechtern würden, könnte ein begründetes, wohlfahrtmaximierendes Ver-

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halten für jedes Land nur das des freien Handels von Gütern und Finanzaktiva sein.

Zusammenfassung Ironischerweise ist das kräftigste Argument für Kapitalverkehrskontrollen, und zwar das Argument der optimalen Steuer hauptsächlich aus der Sicht eines Landes, das irrelevanteste. Hauptgrund dafür ist, daß nur eine kleine Anzahl von Ländern, wenn überhaupt, groß genug ist, um das internationale Realzinsniveau wesentlich zu beeinflussen. Vielleicht sind nur die USA in der Lage, spürbar ihren internationalen Kreditvergabesatz durch Kapitalexportbeschränkungen zu erhöhen oder ihren internationalen Darlehensatz durch Kapitalimportbeschränkungen zu verringern. Aber die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen in die amerikanische Wirtschaft während früherer Perioden hatte andere Ursachen. Die Zinsausgleichssteuer von 1964, das freiwillige Kreditbeschränkungsprogramm von 1965 und bestimmte Kontrollmaßnahmen auf direkte Investitionen wurden eingeführt, um den nationalen vom internationalen Kreditmarkt zu trennen. Obwohl die Regierung dem US-Kongreß gegenüber diese Maßnahmen mit besseren internationalen Kreditvergabebedingungen begründete, hatten diese Maßnahmen zum eigentlichen Ziel, den inländischen Zinssatz zu verringern. Wir wissen, daß der Erfolg nur beschränkt war, weil die amerikanischen Kapitalkontrollmaßnahmen bewirkt haben, daß die Kreditaktivitäten von den USA zu den europäischen Eurodollarbanken gewandert sind (und im allgemeinen zu einem schnellen Wachstum des Eurowährungs- und Eurokapitalmarktes geführt haben). Das Argument der optimalen Steuer interpretierten wir als Verteilungsproblem. Das Land, das Kapitalverkehrskontrollen eingeführt hat, erhöht sein Volkseinkommen zu Lasten des Einkommens anderer Länder. Ein anderer Verteilungsaspekt der Kapitalkontrollen ist die Einkommensverteilung zwischen Arbeit und Kapital. Weniger Kapitalexporte oder mehr Kapitalimporte begünstigen das Arbeitseinkommen zu Lasten des Kapitaleinkommens, und dies unabhängig davon, ob das Land, das Kapitalkontrollen eingeführt hat, den internationalen Zinssatz beeinflussen kann oder nicht. Deshalb üben u.a. die Gewerkschaften einen starken Druck auf die Regierungen aus, um Kapitalexportbeschränkungen und/oder Kapitalimporterleichterungen aufzuerlegen, insbesondere wenn die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist. Die Verstärkung von Kapitalverkehrskontrollen würde jedoch nur die Arbeitslosigkeit in andere Länder exportieren.

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Einige andere Argumente wie Steuerstruktur, Kreditkontrollen und makroökonomische Stabilisierungspolitiken sind wahrscheinlich die Hauptargumente für Länder, um ihre Kapitalkontrollen zu rechtfertigen. So haben z.B. die OECD-Länder in ihren internationalen Steuerverhandlungen anerkannt, daß die Steuern eine neutrale Auswirkung auf die Kapitalströme haben sollten. Selbst mit einem neutralen Steuersystem werden jedoch oft Kapitalverkehrskontrollen auferlegt, um Kapitalbewegungen zu reduzieren, die mit Steuerhinterziehung begründet werden. Kennen (1976, S. 26) bringt in dieser Hinsicht die folgende These vor: „Tax evasion may well be the strongest single motive for holding claims on foreigners. The ubiquitous desire to cheat the tax collector has probably widened wealth holder's horizons more than they are narrowed by any other fact of life, including the imperfect harmonization of national tax systems and the resulting residuum of double taxation.'4 Was das Argument der Kreditkontrollen anbelangt, so haben Frankreich und Japan aus diesem Grund schon sehr oft dauerhafte Kapitalverkehrskontrollen eingeführt. Diese Kontrollmaßnahmen wurden noch verstärkt, als es eine Zahlungsbilanzkrise (oder die Wechselkurskrise) gab. Solche makroökonomischen Überlegungen spielen selbst für jene Länder eine Rolle, die traditionsgemäß gegen Kapitalverkehrskontrollen sind wie Deutschland oder die Schweiz. Diese Länder haben zeitweise Kapitalimportkontrollen eingeführt, um einen massiven Kapitalzufluß zu vermeiden.

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H. Besonderheiten der Geldvermögensbildung in einzelnen Ländern

Besonderheiten der Geldvermögensbildung in den Vereinigten Staaten von Amerika Von M . Akbar Akhtar und Edward J. Frydl*, New York

Veränderungen im finanziellen Sektor und in der Zusammensetzung der Geldvermögen können erhebliche Konsequenzen für die Gesamtwirtschaft haben. Sie können Einfluß auf die Investitionstätigkeit und damit auf die Wachstumschancen einer Wirtschaft nehmen, indem das Sparverhalten oder die Rentabilität eines gegebenen Sparvolumens verändert wird. So dürften beispielsweise Innovationen die Risikoverteilung bei den Geldvermögensarten verbessern und dadurch das Sparen anregen. Die wachsende Leistungsfähigkeit des Finanzmarktes durch stärkeren Wettbewerb oder durch den Einsatz neuer Technologien kann die Kosten der Erschließung neuer Finanzquellen und der Überleitung dieser Mittel in produktive Investitionen verringern. Die Einstellung der privaten Haushalte zur Geldvermögensbildung ist von zentraler Bedeutung. Die Haushalte haben den größten Anteil am gesamtwirtschaftlichen Sparvolumen und der größte Teil ihres Vermögens wird in Form von Geldkapital gehalten. Die vorliegende Arbeit beschreibt die wesentlichen Faktoren, die die Struktur der Geldvermögensbildung in den USA während der letzten zehn Jahre beeinflußt haben, und beschäftigt sich insbesondere mit dem Sparverhalten der privaten Haushalte. Dabei soll hauptsächlich die Entwicklung der Geldvermögensbildung in der Nachkriegszeit analysiert werden.

I. Die Einfluflfaktoren I n den letzten zwanzig Jahren unterschied sich die Situation auf den Finanzmärkten der USA erheblich von der früherer Perioden. Diese veränderte Lage kann folgendermaßen beschrieben werden: höhere Inflationsraten, höheres reales Ertragsrisiko, finanzielle Innovationen und Deregulie* Die Autoren sind stellvertretende Direktoren der Forschungsabteilung der Federai Reserve Bank in New York. Sie geben hier ihre eigene Meinung wieder, die nicht mit der des Federai Reserve übereinstimmen muß.

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rung sowie technischer Fortschritt bei der Bereitstellung von Dienstleistungen. Die Einflußfaktoren sind nicht unabhängig voneinander, zum Teil verstärken sie sich, zum Teil sind sie einander entgegengesetzt. Aber jedes Faktorbündel besitzt unabhängige Elemente, die zusammengenommen die Finanz weit komplizierter gemacht haben.

i. Inflation Es ist nicht einfach, die Wirkung der Inflation auf die Geldvermögensbildung zu erfassen. Es muß unterschieden werden, ob inflationäre Tendenzen erwartet werden oder nicht, ob sie sich relativ gleichmäßig oder in Schüben und daher unvorhersehbar entwickeln und ob sie von Stabilität oder von Veränderungen in der Struktur der relativen Preise begleitet werden. U m die Gegebenheiten zu verdeutlichen, soll von folgender gewagter Annahme, die aber eine gewisse Evidenz aufweist, ausgegangen werden: Das inflationäre Umfeld in den USA in den letzten zwei Dekaden war keineswegs dadurch gekennzeichnet, daß der ständige Anstieg der Preise mit einer jeweils vollständigen Antizipation einherging; eine höhere durchschnittliche Inflationserwartung ergab sich vielmehr bei größeren Unsicherheiten hinsichtlich der Inflationsrate insgesamt und der Struktur der relativen Preise 1. Dies hat weitreichende Konsequenzen für das Sparverhalten. Die ,,gutartige' 4 Form der Lehrbuch-Inflation begünstigt diejenige Geldvermögensbildung, die eine Forderung auf reale Einkommensströme darstellt, also insbesondere die Anlage in Aktien. Sie fördert gleichzeitig die Bildung von realem oder nicht-geldlichem Vermögen wie beispielsweise den Kauf von Grundstücken und Häusern, seitdem deren Werte im Ausmaß der Inflationsrate oder sogar schneller ansteigen. Andererseits beeinträchtigt eine solche Inflation die Vermögensbildung in Anlageformen mit relativ festen Erträgen, meist Einlagen, die nicht in Höhe des Marktzinses verzinst werden. Diese ,,gutartige 44 Inflation muß nicht unbedingt die Struktur der Geldvermögensbildung auf den Kreditmärkten stören, weil die Inflationsrate die nominellen Raten sämtlicher Schuldtitel berührt. In diesem Fall ändert sich die Verteilung der Käufe auf dem Kreditmarkt zwischen langfristigen und kurzfristigen, festverzinslichen und variabelverzinslichen Instrumenten nicht, da sich die Struktur der um die Inflationsraten korrigierten Erträge und der realen Ertragsrisiken nicht geändert hat. 1 So war beispielsweise die Inflationsrate und ihre Veränderung in den letzten fünfzehn Jahren nahezu dreimal so hoch als in den fünfzehn Jahren vor dieser Periode (gemessen am realen Bruttosozialprodukt).

Besonderheiten der Geldvermögensbildung in den USA

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Die wirkliche Inflation hat jedoch keinen solch ,,gutartigen' 4 Verlauf. Zwar nimmt dadurch die Anhäufung festverzinslicher Einlagen ab, auf der anderen Seite werden aber generell auch die nominellen und realen Erträge einer breiten Palette von Finanzaktiva berührt. Die Inflation verändert die Erwartungen über die Relation der mit ihrem jeweiligen Risiko gewichteten Renditen von Aktien und Schuldtiteln sowie zwischen verschiedenen Arten von Schuldtiteln. So waren die Renditen von Aktien und Schuldtiteln, und zwar sowohl kurz- wie langfristiger, während der 70er Jahre, als die Inflation in den USA ihren Höhepunkt erreicht hatte, negativ. Insbesondere die Aktien, die theoretisch den besten Inflationsschutz garantieren, gaben stark nach. Analytiker haben diese noch nie dagewesenen Erscheinungen auf vielfältige Weise zu erklären versucht. Dabei wurden auch Begründungen herangezogen, die nicht direkt mit den Auswirkungen der Inflation auf die Aktienkurse zu tun hatten. Einige der für die Schwäche der Aktienkurse angegebenen Gründe sind beispielsweise gewachsenes Risiko bei der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals, inflationsbedingte Zunahme der Unternehmungsbesteuerung, Steuervorteile, die Hausbesitzern als Inflationsschutz eingeräumt wurden, und schließlich generell die Existenz von Geldillusion 2 . Wenn jedoch eine höhere Inflation notwendigerweise mit dem Risiko höherer Preissteigerungsraten und stärkeren Veränderungen der Struktur der relativen Preise verbunden ist, dann wird die Einschätzung zukünftiger Unternehmensgewinne unsicherer. Dadurch führt der Inflationsprozeß selbst zu dem Wunsch nach einer höheren Risikoprämie beim Abzinsungsfaktor der Unternehmensgewinne und zu niedrigeren Aktienkursen.

2. Zunehmende Ertragsrisiken Ein zweiter Faktor für die Veränderungen im finanziellen Sektor ist das Anwachsen des Ertragsrisikos aufgrund realer Faktoren, die unabhängig von den Inflationsrisiken sind. Dies zeigt sich auf verschiedene Weise, z.B. in zunehmenden Ausschlägen der inflationsbereinigten Unternehmensgewinne und der realen Erträge aus Aktien sowie in einer wachsenden Zahl von 2 Typische Beiträge dafür sind: R.S. Pindyck, ,,Risk, Inflation and the Stock Market", American Economic Review, Juni 1984; Marcelle Arak, „Inflation and Stock Values: Is our Tax Structure the Villian?", Quarterly Review, Federal Reserve Bank of New York, Winter 1980-81; Patrick H. Hendershott, „The Decline in Aggregate Share Values: Taxation, Valuation Errors, Risk and Profitability", American Economic Review, Dezember 1981; M. Feldstein, ,,Inflation and the Stock Market", American Economic Review, Dezember 1980; Franco Modigliani and Richard Cohn, ,,Inflation, Rational Valuation and the Market", Financial Analysts Journal, März 1979.

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Firmenzusammenbrüchen. A m deutlichsten zeigt es sich jedoch in den stärkeren Schwankungen des Konjunkturverlaufs in den letzten Jahren verglichen mit den Schwankungen früherer Perioden. In diesem Zusammenhang muß die Frage beantwortet werden, warum es in den Vereinigten Staaten in den 70er und 80er Jahren zu weitaus stärkeren Konjunkturschwankungen kam als in den früheren Jahrzehnten. Ein Teil der Antwort könnte in den weitaus stärkeren Angebotsschocks liegen — insbesondere den Ölschocks — die unmittelbare negative Auswirkungen auf Inflation und Produktion hatten. Unter diesen Umständen verschärfte eine restriktive Politik mit dem Ziel, die Inflation einzudämmen, die negativen Effekte auf Produktion und Beschäftigung noch. Für den finanziellen Sektor ist jedenfalls wichtig, daß — neben den Risiken, die sich aus zunehmenden Inflationsraten ergaben — die deutlich erkennbaren stärkeren Konjunkturschwankungen ein weiteres Risikoelement für finanzielle Entscheidungen darstellen. Dies führte zu einer zunehmenden Veränderung der realen Renditen aller Vermögenswerte.

3. Finanzinnovationen Die Unsicherheiten in der Frage der Renditen, bedingt durch Inflation und größere wirtschaftliche Risiken, gab der Entwicklung einer Reihe von Innovationen Auftrieb 3 . Einige Neuerungen im finanziellen Sektor ergaben sich aus der Wechselwirkung von Marktentwicklung und gesetzlichen Rahmenbedingungen. Die wichtigste Neuerung dieser Art war das spektakuläre Entstehen der Geldmarktfonds, deren Umfang von rund 3 Mrd. Dollar im Jahre 1977 auf den Höchststand von 240 Mrd. Dollar im Jahre 1982 anwuchs. Geldmarktfonds nutzen die Differenz in den Mindesteinlagen für festverzinsliche und marktverzinste Einlagen aus. Die durch die ,,Regulation Q " vorgeschriebenen Habenzinsbindungen im Sinne von Höchstzinssätzen für hohe Einlagen wurden 1971 abgeschafft. Aber die Mindesteinlage für diese marktverzinste Anlageform wurde auf 100.000 Dollar festgesetzt; somit waren die Klein-Anleger vom direkten Zugang zu dieser Anlageform ausgeschlossen. (Sogar die kurzfristigen Schatzwechsel, eine für private Anleger wichtige Alternative zu den festverzinsli3

Eine eingehende Darstellung derfinanziellen Innovationen ist zu lesen bei: M.A. Akhtar, „Financial Innovations and Their Implications for Monetary Policy: An International Perspective", BIS Economic Papers, Nr. 9, Dezember 1983; W.L. Silber, „The Process of Financial Innovation", American Economic Review Papers and Proceedings, Mai 1983; und D.H. Hester, „Innovations and Monetary Control", Brookings Papers on Economic Activity, I, 1980.

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chen Einlagen, hatten eine Untergrenze von 10.000 Dollar.) Kleinanleger waren daher gezwungen, ihre Einlagen zu niedrigen Zinsen anzulegen. Die Geldmarktfonds erwarben nun sogenannte CD's (,,Certificates of Deposit") und Wertpapiere solventer privater Emittenten, splitteten sie in kleine Anteile zu 1000 Dollar oder weniger und verkauften diese an private Anleger. Dies erlaubte dem kleinen Sparer, nunmehr eine Marktverzinsung durch im Freiverkehr gehandelte Werte mit hohem Liquiditätsgrad zu erhalten. Indem die Geldmarktfonds sich nur auf Wertpapiere bonitätsmäßig sicherer Emittenten beschränkten, vermieden sie das Kreditrisiko, das durch den Wegfall einer staatlichen Garantie, wie sie z.B. bei Bankeinlagen üblich ist, hätte entstehen können. Der Geldabfluß von üblichen Einlageformen hin zu Geldmarktfonds in einem Zeitraum mit hohen Zinssätzen war der Hauptgrund für das Bemühen des Staates um die Liberalisierung. Aber viele der Finanzinnovationen können lediglich als ein Versuch angesehen werden, die bestehenden Regeln zu umgehen. Neue Anlageformen und Märkte entstanden innerhalb des Finanzsektors, um sich besser auf zunehmende Risiken einstellen zu können und um neue Möglichkeiten für private Anleger zu schaffen. Zu den wichtigsten Neuerungen zählen Schuldverschreibungen, Darlehen und Hypotheken mit variierendem Zinssatz, die es dem Gläubiger ermöglichen, die Zinskonditionen auch bei längerfristigen Krediten anzupassen. ,,Zero Bonds" wurden von institutionellen Anlegern bevorzugt, um das Wiederanlagerisiko in einer unsicheren Zinssituation zu vermeiden. Termin- und Optionsmärkte entwickelten sich und ermöglichten es Produzenten, dem Handel und Finanzinstituten sich gegen Risiken abzusichern, und boten gleichzeitig ein Feld für Spekulationen. Besonders Geschäftsbanken änderten ihre Strategie und suchten verstärkt nach Profitmöglichkeiten, boten generell mehr Kredite an und sicherten diese Operationen sowohl durch weltweite Geschäfte als auch durch verschiedene Finanzierungstechniken ab. Dieser dynamische Wettbewerb der Innovationen im Finanzsektor war selbst wiederum eine Kraft, die erheblichen Einfluß auf die Struktur der Geldvermögensbildung hatte.

4. Liberalisierung

im finanziellen

Sektor

Die Neuerungen im Finanzbereich sind zunächst auf das Verhalten der Marktteilnehmer im finanziellen Sektor selbst zurückzuführen. Hinzu kommt, daß in den letzten Jahren eine große Zahl von Gesetzen und Bestimmungen durch die Regierung geändert wurden, die erheblichen Einfluß auf die Geldvermögensbildung hatten. Solche Veränderungen können weitgehend auch als Liberalisierung bezeichnet werden.

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Es gibt zwei grundlegende Arten von Bestimmungen im Finanzsektor: institutionelle Reglementierungen und Regelungen über die Festlegung von Zinssätzen. Die erste Kategorie bezieht sich hauptsächlich darauf, welche Finanzgeschäfte von welchen Institutionen ausgeführt werden dürfen, ob es also beispielsweise Geschäftsbanken erlaubt werden soll, Versicherungen zu verkaufen oder über ihre Tochtergesellschaften Wertpapieremissionen zu übernehmen usw. Diese Kategorie umfaßt aber auch Gesetze und staatliche Bestimmungen darüber, in welchen geographischen Regionen Finanzinstitute tätig werden dürfen. Unter ,,Zinsbindung 44 versteht man die Vorschriften, die sich auf die Vorgabe bestimmter Zinsgrenzen im Anlagenoder Kreditgeschäft beziehen. Die Liberalisierung der Zinssätze hatte aus zwei Gründen einen größeren Einfluß auf die Struktur der Geldvermögensbildung als der Abbau der institutionellen Reglementierungen. Zum einen war die Zinsliberalisierung sehr weitgehend, zum anderen hatte die Deregulierung — obwohl erhebliche Konsequenzen für die Organisation des finanziellen Sektors von ihr ausgingen — nur indirekten Einfluß auf die Wahl eines Anlageportfolios, zum Beispiel durch zunehmenden Wettbewerb und niedrigere Kosten bei der Bereitstellung von Dienstleistungen im Finanzsektor. I m Gegensatz dazu hatte die Liberalisierung der Zinsen einen direkten Einfluß auf die Renditen bestimmter Anlageformen. Die Zinsliberalisierung für Einlagen im Mengengeschäft begann im Juni 1978 mit der Einführung eines Geldmarktzertifikates M M C (,,Money Market Certificate 4 '), mit einer Laufzeit von 6 Monaten, dessen Zinssatz an den jeweiligen Satz für Schatzwechsel gekoppelt war. Diesem folgte 1980 eine ähnliche Konstruktion mit einer 2 Vi-jährigen Laufzeit, das sogenannte SSC (,,Small Savers Certificate"). Obgleich beide Anlageformen populär wurden, gelang es damit nicht, den Geldabfluß von den Einlagen zu den Geldmarktfonds zu stoppen. Für kleinere Anleger hatten die Anteile an den Geldmarktfonds immer noch klare Vorteile gegenüber den M M C ' s mit einem Mindesteinlagenvolumen von 10.000 Dollar und den SSC's, bei denen die Zinssätze für 2Vi Jahre festgeschrieben wurden, während die Renditen für die Geldmarktfonds entsprechend der Marktverzinsung mitstiegen. Die Zinsliberalisierung wurde weiter vorangetrieben. 1980 wurde im Rahmen des ,,Monetary Control A c t " das sogenannte ,,Depositary Institution Deregulation Committee" gegründet mit der Aufgabe, die noch bestehenden Höchstgrenzen bei Einlagenzinsen etappenweise bis 1986 abzubauen. Ergänzt wurde diese Zielsetzung durch den „Depositary Institution A c t " von 1982, der das Aufkommen eines neuen Kontentyps, des sogenannten

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M M D A (,,Money Market Deposit Account") ermöglichte, der in Konkurrenz zu den Geldmarktfonds treten sollte. Die M M D A ' s waren ein besonders erfolgreiches Instrument für Banken und Sparkassen, entsprechende Mittel an sich zu ziehen. I m ersten Jahr nach ihrer Einführung wurden mehr als 370 Mrd. Dollar auf diesen Konten angelegt, wobei rund 20 v.H. aus Quellen umgeschichtet wurden, die zuvor nicht im üblichen Einlagenbereich angelegt waren.

5. Technologischer Fortschritt

im finanziellen

Sektor

Die schnelle Einführung neuer Technologien spielte für die Ausdehnung im Spektrum der Dienstleistungen im finanziellen Sektor in den letzten Jahren eine bedeutsame Rolle. Die Entwicklung des sogenannten cash managements sowie des elektronischen Überweisungsverkehrs — also allgemein der neuen Banktechnologien — nahm im Bereich des Großkundengeschäfts zu Beginn der 70er Jahre ihren Anfang. In den letzten 3 bis 4 Jahren sind diese neuen Technologien jedoch auch auf andere Bereiche finanzieller Dienstleistungen ausgeweitet worden, welche damit z.T. auch den privaten Haushalten zugänglich gemacht wurden 4 . Die Erleichterung und Verbreitung der Innovationen im finanziellen Sektor haben die Art und den Umfang des finanziellen Dienstleistungsgeschäfts — Überweisungsverkehr der Haushalte, Einlagen- bzw. Anlagen- oder Kreditgeschäfte — entscheidend verändert; all dies veränderte aber auch das Verhalten der privaten Haushalte im Hinblick auf die Geldvermögensbildung . Die neuen Zahlungstechniken beschleunigen den Informationsfluß und den Mitteltransfer und reduzieren dabei die Kosten solcher Dienstleistungen. I m Mengengeschäft erlaubt die Einführung der Geldausgabeautomaten den Kunden beispielsweise, jederzeit Einzahlungen oder Abhebungen bzw. Überweisungen zwischen verschiedenen Konten vorzunehmen. Dies führte zu einer Ökonomisierung der Bargeldhaltung sowie der niedrig verzinslichen Sichteinlagenkonten. In die gleiche Richtung wirken andere neuere Zahlungstechniken, beispielsweise Kundenkreditkarten, automatische Überweisungskonten, die Überweisung von Gehältern, die Überziehungsmöglichkeiten auf Bankkonten und die telefonische oder elektronische Abbuchung von Kaufbeträgen von den entsprechenden Konten der Käufer. Alle diese Neuerungen führten zu einer Reduzierung der Bargeldhaltung und der Sicht4 Einige dieser Entwicklungen beschreibt F.J. Schroeder, „Developments in Consumer Electronic Fund Transfers", Federal Reserve Bulletin, Juni 1983.

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einlagen der Haushalte bzw. zu einer Zunahme anderer Geldvermögensarten. Die Entwicklung der neuen Finanztechniken ermöglichte den privaten Haushalten bzw. allgemein den Kleinsparern den Zugang zu ertragreicheren (d.h. der Marktverzinsung angepaßten) Anlageformen. Das bekannteste Beispiel ist das dem cash management ähnliche sogenannte ,,sweep account". Darüber hinaus führten die neuen Technologien zu einer verstärkten Entwicklung bei verschiedenen Aktien- und Rentenfonds, an denen nun auch kleinere Sparer teilhaben können. Die verbreitete Verwendung neuer Finanztechnologien im Bereich der privaten Haushalte begann aber erst ungefähr vor vier Jahren. Insofern ist deren Einfluß auf das Verhalten der Haushalte im Bereich finanzieller Dispositionen noch relativ gering. Gegenwärtig gewinnen der elektronische Überweisungsverkehr und andere auf den neuen Technologien basierende Dienstleistungen für die Haushalte stark an Gewicht. Dies könnte in der Zukunft zu wesentlichen Veränderungen in der Geldvermögensstruktur der privaten Haushalte führen.

II. Geldvermögensstruktur und Nettovermögen der privaten Haushalte Das Hauptaugenmerk unserer Analyse liegt auf dem Geldvermögen der privaten Haushalte. Private Haushalte halten allerdings auch Vermögen in Sachkapital; und Dispositionen über diese Vermögenswerte berühren sowohl das Brutto- als auch das Nettogeidvermögen der privaten Haushalte. Letzteres ist von besonderer Bedeutung, weil es über die Fähigkeit des Haushaltssektors, zur Finanzierung der anderen Sektoren beizutragen, Auskunft gibt und weil es einen direkten Einfluß auf den Prozeß der Realkapitalbildung hat. Vor diesem Hintergrund soll ein kurzer Überblick über die Entwicklung des Geldvermögens der privaten Haushalte im Vergleich zum Brutto- und Nettovermögen (Nettovermögen = Bruttovermögen - Verbindlichkeiten) dieses Sektors gegeben werden. I n den letzten Jahren hatte das Sach- und Geldvermögen der privaten Haushalte einen Anteil von nahezu 63 v.H. am Gesamt vermögen des privaten Sektors, also der Unternehmen und Haushalte. Der Anteil des Geldvermögens der privaten Haushalte liegt dabei mit etwa 86 v.H. des gesamten privaten Geldvermögens wesentlich höher. I n der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg blieben diese Anteile mit einer Schwankungsbreite von weniger als 5 v.H. relativ stabil. Das Verhältnis von Geld- zu Sachvermögen unterlag dagegen in den letzten 20 Jahren einer starken Verschiebung. Von 1950 bis 1969 wies das

Besonderheiten der Geldvermögensbildung in den USA

745

Geldvermögen einen Anteil von etwa 70 v.H. am Vermögensbestand des privaten Sektors auf (Tabelle 1), während dieser Anteil in den 70er Jahren deutlich auf rund 61 v.H. 1978/79 absank. Der Hauptgrund für diesen Rückgang lag in der Zunahme der Inflationsraten seit dem Ende der 60er Jahre. Die hohe und andauernde Inflation der 70er Jahre führte zu einem merklichen Anwachsen der Opportunitätskosten der Geldvermögenshaltung, da sich die Zinsen auf Einlagen und andere Anlageformen nur langsam an die höheren Inflationsraten anpaßten. Die Finanzinnovationen und die Deregulierung führten jedoch erst Ende der 70er Jahre zu höher verzinslichen Anlageformen. In der Zwischenzeit stiegen jedoch die Preise für Sachwerte und Immobilien um durchschnittlich 60 v.H. stärker an als das allgemeine Preisniveau, womit sich diese Anlageformen als ein sicherer Schutz gegenüber den Inflationsrisiken erwiesen. Diese Tatsache führte dazu, daß sich der Anteil des Sachvermögens am Gesamtvermögen der Haushalte während der 70er Jahre erhöhte. Die Bruttovermögensentwicklung der privaten Haushalte blieb im großen und ganzen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stabil. Dagegen nahm das Netto vermögen im Verhältnis zum Bruttovermögen zwischen 1945 und dem Beginn der 60er Jahre beträchtlich ab, da die Verschuldung der privaten Haushalte, verglichen mit dem niedrigen Niveau während des Zweiten Weltkrieges, stark zunahm. Ein Teil des Anstiegs kann als Rückkehr auf ein normales ,,Friedensniveau 44 interpretiert werden; ein weiterer Teil läßt sich auf die veränderte Verschuldungsbereitschaft im Zuge der positiven wirtschaftlichen Entwicklung zurückführen. Seit Mitte der 60er Jahre hat sich das Verhältnis des Nettovermögens zum Bruttovermögen nicht mehr verändert; während die Haushalte sich weiter stark verschuldeten, wuchs das Bruttovermögen entsprechend. Gemessen am Niveau der allgemeinen Wirtschaftstätigkeit läßt sich in der gesamten Nachkriegsperiode kein erkennbarer Trend in der Entwicklung des Nettovermögens der Haushalte ableiten. I n den letzten vier Jahren entsprach das Nettovermögen ungefähr dem 4,6fachen des verfügbaren Einkommens, was in etwa der Relation zu Beginn der 50er Jahre entsprach. Eine solche Gegenüberstellung verbirgt jedoch die erheblichen Schwankungen dieser Quote in dem dazwischenliegenden Zeitraum. Sie stieg in den 50er Jahren allmählich an und erreichte 1961 mit dem 5fachen des verfügbaren Einkommens einen Hochpunkt. Zwischen 1961 und 1968 schwankte sie in einer Bandbreite des 4,6 bis 4,9fachen, 1974/75 sank sie langsam auf lediglich das 4fache und stieg schließlich wieder auf das 4,6fache.

M. Akbar Akhtar und Edward J. Frydl

746

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Besonderheiten der Geldvermögensbildung in den USA

747

Die Nettogeldvermögensposition der privaten Haushalte nahm dagegen im Vergleich zum verfügbaren Einkommen seit dem Zweiten Weltkrieg und besonders seit Mitte der 60er Jahre ab. Der Gesamtvermögenszuwachs ist in dieser Periode in beträchtlichem Maße auf die Wertsteigerungen bei den Immobilien zurückzuführen. Dieses Anwachsen der Sachvermögenswerte glich langfristig die hohe Kreditnahme der privaten Haushalte aus, so daß sich der gesamte Nettovermögensbestand in Relation zum Einkommen kaum veränderte. Die Schuldaufnahme war jedoch höher als das Wachstum des Geldvermögens, so daß die Relation zwischen Geldvermögen und Einkommen im Trend absank.

III. Geldvermögensbildung durch die privaten Haushalte In der Zeit seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges lassen sich für die USA grob zwei trendmäßige Entwicklungen aufzeigen. Zum einen legten die privaten Haushalte einen steigenden Anteil ihrer Anlagen sowohl im Bankenund Sparkassenbereich als Einlagen als auch bei Lebensversicherungen und Pensionsfonds an, zum anderen sank der Anteil der in Sachkapital angelegten Mittel in Form von Aktien und direkten Beteiligungen an Personengesellschaften. Der Anteil des bei Finanzinstitutionen angelegten Geldvermögens ist mehr oder weniger kontinuierlich seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges angestiegen. Von Ende der 40er bis zum Beginn der 60er Jahre — als der Periode mit hoher Preisstabilität — resultierte dieser Anstieg aus dem höheren Anteil des Geldvermögens, der in Lebensversicherungen und Pensionsfonds flöß (Tabelle 2). In dieser Periode relativ stabiler Zinsen blieb die Relation zwischen Bargeld und Einlagenvolumen weitgehend unverändert. Ende der 60er Jahre begann der Anteil der Einlagen jedoch anzusteigen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß dieser Anstieg aus dem raschen Anwachsen der Spareinlagen und der kurzfristigen Einlagen im Zeitraum 1962 bis 1977, insbesondere in den Jahren 1970 bis 1977, resultierte (Tabelle 3). Dies war die Periode, bevor die erwähnten Finanzinnovationen — wie die Geldmarktfonds — und die Zinsliberalisierung für Kleinanleger das Spektrum möglicher Anlageformen erweiterten. Das bedeutet, daß die Finanzinnovation und die Deregulierung nicht die Ursache für das trendmäßige Anwachsen des Einlagenanteils am privaten Geldvermögen waren. In der Tat sank dieser Anteil nach dem Erreichen eines Höchstniveaus von nahezu 28 v.H. 1977 etwas ab, nachdem die Geldmarkt-

31.4

34.1

39.4

42.3

41.5

1955 - 59

1960-64

1965 - 69

1970 - 74

79

1975 -

1980 - 83

26.0

27.2

24.4

20.2

18.2

16.9

15.4

15.1

15.1

13.9

13.2

12.1

9,9

Pens ions τ

1 7 . 2 11 .3

18.6

Lebensver·;

45.5

49.3 46.2

.4.6

57.3

17.2

25.6 17.4

55.2

30.6

27.9

20.6

54.3

28.8

28.3

23.6

32.1

26.7

30.7

36.7

17.1

Beteiii-

23.1

37.3

ses.

gungen an Aktien Personen-



Anmerkungen: — Die Anlagen der Haushalte bei Geldmarktfonds sind entsprechend den Anlagen dieser Fonds aufgeteilt. — Aktien bewertet zu Marktpreisen. — Einzelne Komponenten können wegen Rundungsfehlern nicht addiert werden.

12.3 6.8 5.5

12.2 6.1 6.1

11.3 5.6 5.7

10.7 6 . 1

1 1 . 4 7.0 4 . 4

58.6

57.2

1 2 . 1 5.0

12.4 8.2 4.2

14.2 9.7 4.5

17.2

onen

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! sicherung und fûQarnt run*L Gesamt

Quelle: Balance Sheets for the U.S. Economy.

28.5

29.0

19.50 - 54

28.5

1945 - 49

Anlagen bei Finanzinstituten 1 — Qο-»·r»öι A Bargeld Gesamt und -,

Tabelle 2: Die Struktur des Geldvermögens der privaten Haushalte in den USA, 1945 - 83 (durchschnittliche Prozentanteile am gesamten Geldvermögen)

748 M. Akbar Akhtar und Edward J. Frydl

Besonderheiten der Geldvermögensbildung in

e

749

fonds u n d marktverzinsten Einlagenkonten i n den späten 70er u n d frühen 80er Jahren einen dominierenden E i n f l u ß a u f die E n t w i c k l u n g des Finanzsektors gewannen 5 . Tabelle 3: Anteil der Einlagen am Geldvermögen der privaten Haushalte

Einlagen

Bargeld und

g e s a m t

1

Geldmarkt-

andere1

fonds

Sichteinlagen

9.4

1945

- 49

18.6

9.2

0

1950

- 54

17.2

7.5

0

9.7

1955

- 59

16.9

5.9

0

11 . 0

1960

- 64

18.2

4.9

0

13.3

1965

- 69

20.2

4.6

0

15.6

19 70

-

74

24.4

5.0

0

19.4

1975

-

79

27.2

4.7

0.3

22.2

1980

-

83

26.0

4.1

2.1

19.8

Meist kurzfristige Einlagen und Spareinlagen.

Quelle: Balance Sheets for the U.S. Economy.

Eine mögliche E r k l ä r u n g für den wachsenden A n t e i l kurzfristiger

Ein-

lagen i n den 70er Jahren k ö n n t e d a r i n liegen, daß Kleinsparer n u r beschränkte Anlagemöglichkeiten hatten, n ä m l i c h entweder kurzfristige E i n lagen, Spareinlagen oder A k t i e n . M i t den hohen Wertverlusten a u f d e m A k 5 Dieser augenscheinliche Rückgang könnte mißinterpretiert werden, da der Grund hierfür darin zu sehen ist, daß die Finanzaktiva in den Statistiken mit den Nominalwerten ausgewiesen werden und nicht mit den Kurswerten. In einer Periode außergewöhnlich hoher Zinssätze wie in den 80er Jahren wird damit der Wert der Finanzaktiva im Vergleich zum Marktwert zu hoch ausgewiesen, so daß der Anteil anderer Vermögenswerte relativ zu niedrig erscheint, einschließlich der Einlagen, die entsprechend zum Nominalwert ausgewiesen werden sollten.

Trotz dieser Einwände bleiben die Hauptpunkte der Argumentation unberührt. Der größte Zuwachs der Einlagen bei den Geldvermögen der Haushalte vollzog sich vor der Liberalisierungswelle. Über die Effekte der Finanzinnovationen und der Liberalisierung auf die Zusammensetzung von Geld und Einlagen siehe: MA. Akhtar, op. cit., und J. Wenninger, „Financial Innovation in the United States", in Financial Innovation and Monetary Policy Bank for International Settlements, Basel, März 1984.

750

M. Akbar Akhtar und Edward J. Frydl

tienmarkt in den 70er Jahren dürften Kleinanleger von Aktienengagements eher Abstand genommen und einen Teil ihrer Mittel von der Aktienanlage in kurzfristige Einlagen oder Spareinlagen umgeschichtet haben. Andererseits dürfte das Einsetzen der finanziellen Innovationen und der Beginn der Deregulierung im Bereich der Einlagen seit Ende der 70er Jahre ohne Zweifel sehr stark dazu beigetragen haben, den hohen Anteil der Depositen am Geldvermögen der Haushalte aufrechtzuerhalten, obwohl sich der Inflationsprozeß fortsetzte und mit hohen Marktzinsen einherging. Der zweite grundsätzliche Trend, das Absinken des Anteils der Unternehmensbeteiligungen am Geldvermögen, ist hauptsächlich in den 70er Jahren zu beobachten. Allerdings ist festzuhalten, daß die relative Stabilität dieses Anteils im vorangehenden Zeitraum die Tatsache verdeckt, daß diese Anlageart in sehr verschiedenen Formen gehalten worden ist. Zwischen Ende der 40er und Anfang der 60er Jahre nahm der Anteil der Aktien am Vermögen ständig zu. Diese Zunahme der Aktien kompensierte allerdings mehr oder weniger ein Absinken der direkten Beteiligungen an Personengesellschaften. Zum Teil mag diese Verschiebung auf die Veränderungen in der Organisationsstruktur der amerikanischen Unternehmen in Form eines Anstiegs der an der Börse notierten Unternehmen zurückzuführen sein. I m wesentlichen schlägt sich hier jedoch der Nachkriegsboom am Aktienmarkt nieder, der zu Umschichtungen von Anlagemitteln aus Beteiligungen an Personengesellschaften führte. In den 70er Jahren fiel dieser Anteil der Unternehmensbeteiligungen jedoch stark ab. Hauptsächlich dürfte dieser Rückgang auf den hohen realen Wertverlust bei den Aktienkursen zurückzuführen sein, obgleich dieser auf der anderen Seite zumindest zum Teil durch Wertsteigerungen im Bereich der Beteiligungen an Personengesellschaften gegen Ende der 70er Jahre aufgefangen wurde. Wahrscheinlich sind daher für den starken Rückgang der Aktienkurse weniger Faktoren ursächlich, die das gesamte Spektrum der Vermögensanlage in Beteiligungen am Produktionsvermögen negativ beeinflußten, sondern die sich allein in den Aktienkursen niederschlugen. Die Bestimmungsfaktoren hierfür sind jedoch umstritten. Ein möglicher Erklärungsansatz könnte die auf Modigliani und Cohn zurückgehende Hypothese sein, wonach die Aktienkurse durch die Diskontierung der laufenden Unternehmensgewinne mit den nominalen anstatt der realen Zinssätze systematisch unterbewertet wurden. Die Anleger von Beteiligungen an Personengesellschaften standen dagegen nicht unter dem Eindruck einer kurzfristigen Kursentwicklung und mögen sich daher mit einer niedrigen und daher realistischeren Verzinsungsrate zufriedengegeben haben.

Besonderheiten der Geldvermögensbildung in

751

e

Möglicherweise können die Verschiebungen zwischen der Anlage in A k tien und Beteiligungen an Personengesellschaften jedoch auch auf eine unterschiedliche Gewinnentwicklung beider Anlageformen zurückgeführt werden. Nach einer Periode relativer Stabilität in den 60er Jahren verschlechterte sich die Rentabilität beider Anlageformen in den 70er Jahren, wobei dieser Rückgang im Bereich der Kapitalgesellschaften jedoch etwas größer ausgefallen sein dürfte. Die durchschnittliche Rentabilität der Personengesellschaften blieb auch in der Folge wesentlich höher als die der Kapitalgesellschaften. In der ersten Hälfte der 70er Jahre sank deren Rentabilität sehr viel stärker ab als diejenigen der Personengesellschaften; insbesondere zwischen 1965 und 1969 und 1970 und 1974 fielen die Bruttogewinne um 28 v.H. im Bereich der Kapitalgesellschaften gegenüber lediglich 9 v.H. im Bereich der Personengesellschaften (Tabelle 4). Während sich die Gewinnentwicklung der Kapitalgesellschaften dann in der zweiten Hälfte der 70er Jahre nicht mehr wesentlich veränderte, ging allerdings die Gewinnentwicklung der Personengesellschaften, im Verhältnis zum Output, weiter zurück. Tabelle 4: Gewinnentwicklung der Kapital- und Personengesellschaften Kapitalgesellschaften A

/

Verhältnis Variationskoeffizient Bruttog e w i n n e zu Output 1

1960

A

Verhältnis Bruttog e w i n n e zu Output 1

Variationskoeffizient

17.2

6.0

30.8

2.4

1965

- 69

17.4

9.8

30.0

2.4

1970

-

74

12.6

8.7

27.4

5.3

79

13.2

9.2

24.3

3.1

12.2

17.6

11.2

1975 1980

1

- 6.4

Personengesellschaften \*

-

83

10.1

Basierend auf Nominalwerten.

Quelle: Survey of Current Business. Gemessen an den Schwankungen des Bruttogewinns in Relation zur Höhe der Produktion war die Unsicherheit in bezug auf die Gewinnentwicklung der Kapitalgesellschaften während der gesamten 60er und 70er Jahre höher

752

M. Akbar Akhtar und Edward J. Frydl

als diejenige im Bereich der Personengesellschaften. Ein neues Phänomen war, daß diese Unsicherheiten in der Gewinnentwicklung der Personengesellschaften in der zweiten Hälfte der 70er Jahre nach einer Zunahme Anfang der Dekade zurückgingen, während sie sich im Bereich der Kapitalgesellschaften über die gesamte Periode hinweg fortsetzten. Diese Überlegungen lassen darauf schließen, daß die Entwicklung der Gewinne der Kapitalgesellschaften per Saldo in den 70er Jahren niedriger und unsicherer waren als die der Personengesellschaften. Die dritte wichtige Vermögensform der privaten Haushalte sind die Schuldverschreibungen öffentlicher und privater Emittenten. Dieser Anteil nahm in der ersten Nachkriegszeit zunächst hauptsächlich deshalb erheblich ab, weil die im Krieg begebenen Anleihen z.T. ausliefen. Im Anschluß schwankte dieser Anteil nur geringfügig. Der leichte Anstieg des Anteils der Schuldverschreibungen seit dem Ende der 60er Jahre wird jedoch durch die hohen Zinsen der Inflationsperiode verzerrt wiedergegeben, da die Schuldverschreibungen nominal ausgewiesen werden und nicht zu ihrem Kurswert, der im Zuge der Phase ansteigender Zinsen stark zurückging.

IV. Zusammenfassung Die Struktur der Geldvermögensbildung wurde in den letzten 15 Jahren in erster Linie durch zunehmende Inflationstendenzen beeinflußt. Die steigenden Inflationsraten und die Unsicherheit über deren zukünftigen Verlauf sowie über die Entwicklung relativer Preise haben die Geldvermögensstruktur der privaten Haushalte wesentlich verändert. Zunächst wurde die Anlage in Sachwerten als ein wirksamer Schutz gegenüber Inflationsverlusten begünstigt, wodurch deren Anteil am Vermögensbestand der privaten Haushalte während der 70er Jahre merklich anstieg. Zweitens scheint der Inflationsprozeß auf die relativen Ertragserwartungen zwischen Aktien und anderen Anlagen Einfluß genommen zu haben, wodurch das Gewicht der Aktienanlagen in der Folge stark zurückging. I m Rahmen dieses recht komplexen Zusammenhangs sind jedoch darüber hinaus auch andere Faktoren zu berücksichtigen, wie beispielsweise die gestiegenen Risiken im Bereich realer Einflußfaktoren, die institutionellen Bedingungen wie z.B. steuerliche Regelungen sowie Veränderungen im finanziellen Sektor. Aber auch wenn man all diese Faktoren in die Betrachtung mit einbezieht, fällt es schwer, das schlechte Ergebnis der Aktienanlage gegenüber vielen anderen Anlageformen zu begründen.

Besonderheiten der Geldvermögensbildung in

e

753

Drittens ist festzuhalten, daß in den ersten Phasen des säkularen Inflationsprozesses das Einlagensparen im Rahmen der Geldvermögensbildung stärkeres Gewicht bekam. Diese Verlagerungen zu Einlagen, die vor der entscheidenden Periode der Deregulierung und der Zinsliberalisierung einsetzten, dürften wahrscheinlich durch die unbefriedigende Entwicklung des Aktienmarktes als der wichtigsten Anlagealternative für kleinere Anleger zu begründen sein. Schließlich hat auch der Prozeß der finanziellen Innovationen und der Deregulierung Ende der 70er Jahre und zu Beginn der 80er Jahre einen wesentlichen Einfluß auf die Geldvermögensbildung der privaten Haushalte gehabt. Das hohe Zinsniveau und die inflationsbedingten Unsicherheiten hinsichtlich der zu erwartenden Kapitalerträge bei den verschiedenen Geldvermögensformen beschleunigten die Entwicklung dieser Innovationen sowie den Abbau der gesetzlichen Einschränkungen des finanziellen Sektors. Die Veränderungen führten zur Entwicklung einer Reihe von höherverzinslichen Anlageformen, die insbesondere von Finanzinstitutionen angeboten werden, sowie zur Aufrechterhaltung des hohen Anteils der Einlagen am gesamten Geld vermögen der Haushalte.

Die Besonderheiten der Geldvermögensbildung der privaten Haushalte in Frankreich Von André Babeau, Paris

Vergleicht man die Zusammensetzung der Vermögen in den westlichen Ländern, so stößt man auf zwei Strukturarten: Die erste Strukturart, die angelsächsisch genannt werden könnte, besteht zu einem größeren Teil aus Sachvermögenswerten (Gebäude, Grund und Boden, Betriebsvermögen der Unternehmer). Diese trifft auf amerikanische und britische private Haushalte zu. Die zweite Strukturart, die man als kontinental-europäisch bezeichnen könnte, ist typisch für Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland: die Sachvermögen stellen VI bis VA des Gesamtvermögens dar, die Geldvermögenswerte sind von viel geringerer Bedeutung als in der Vermögensstruktur angelsächsischen Typs. Bis vor einiger Zeit bestand das Geldvermögen der französischen Haushalte im wesentlichen aus liquiden Mitteln (Bar- und Sichtgeld, Spareinlagen ohne Kündigungsfrist). Seit fünf bis sechs Jahren entwickelt sich jedoch eine Struktur, bei der die Wertpapiere an Bedeutung gewinnen. Außerdem erhöht sich der Anteil des Geldvermögens am Gesamtvermögen. Den verschiedenen Gründen dafür soll später nachgegangen werden. Schließlich soll auch die Verteilung des Geldvermögens auf die Gesamtbevölkerung untersucht werden.

I. Die Geldvermögen der privaten Haushalte in Frankreich zwischen 1970 und 1979 Tabelle 1 stellt die Besonderheiten der Geldvermögensstruktur der französischen Haushalte am Ende der langen Phase wirtschaftlichen Wachstums nach dem Zweiten Weltkrieg dar. — Hohe Liquidität: 1979 setzten sich mehr als % der Geldvermögenswerte aus Bargeld und Sichteinlagen sowie Spareinlagen vor allem bei Sparkassen (ohne Kündigungsfrist) zusammen.

André Babeau

756

Tabelle 1 Frankreich — Zusammensetzung des Geldvermögens der privaten Haushalte 1970 und 1979 (in v.H.) 1970

Bargeld

und

Sichteinlagen

Spareinlagen Reserven der V e r s i c h e r u n g e n

Beteiligungen

+

bewertet

mit

Q u e l l e : INSEE,

18,8

35,5

48,1 7 .0

8,4

8,3

25,0

17,8

100,0

100,0

+

G E S A M T

24,3

6,8

Schuldverschreibungen + A k t i e n und a n d e r e

1979

i h r e n Kurswerten .

Comptes de p a t r i m o i n e

(Vermögensrechnung).

Die Spareinlagen bei den Sparkassen, die häufig eine Vorsichtskassenhaltung sind, erreichten insbesondere beim ersten Ölschock (1974-75), als die makroökonomische Sparquote der privaten Haushalte sehr hoch war und monatelang mit einem raschen Eintritt in die „Krise" gerechnet wurde, beachtliche Größenordnungen.

— Geringe Forderungen der privaten Haushalte an die Versicherungsgesellschaften: A u f einen Nenner gebracht ist die geringe Inanspruchnahme der Versicherungsgesellschaft auf den Entwicklungsstand der verschiedenen Lebensversicherungsformen in Frankreich zurückzuführen. Als Ursachen dafür könnten unter anderem die schlechten Renditen der Versicherungsanlagen in den Inflationszeiten der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts und die Umstellung der Rentenversicherung auf das Umlagesystem seit 1950- 1960 in Frage kommen. So lag 1979 der Anteil dieser Anlageform an dem gesamten Geldvermögen der französischen Haushalte nicht über 7 v.H. I m gleichen Jahr erreichte dagegen der entsprechende Anteil in der Bundesrepublik Deutschland mehr als 16 v.H.

— Relative Schwäche der festverzinslichen

Wertpapiere

(Schuldverschrei-

bungen): Wie in Tabelle 1 verdeutlicht, blieb der Anteil dieser Wertpapiere am gesamten Geldvermögen mit etwas über 8 v.H. zwischen 1970 und 1979 konstant. I n der Bundesrepublik Deutschland erreichte der Anteil der — häufig allerdings kurzfristigeren — Schuldverschreibungen

Geldvermögensbildung der privaten Haushalte in Frankreich

757

1979 unseres Wissens nach ungefähr 11,5 v.H. (bewertet zu Marktpreisen) der gesamten Geldvermögens werte der privaten Haushalte.

— Relative Bedeutung der Aktien (Eigentumstitel

mit variabler Verzinsung):

1970 stellten diese Titel LA des Geldvermögens der privaten Haushalte dar, während sie zur gleichen Zeit in der Bundesrepublik Deutschland ein offensichtlich geringeres Gewicht hatten. Zwischen 1970 und 1979 verringerte sich jedoch der Anteil der Aktien am gesamten Geldvermögen der französischen Haushalte erheblich: er lag 1979 unter 18 v.H. In dieser Periode entwickelten sich die Aktienkurse an der Börse recht ungünstig; die geringfügigen Kapitalerhöhungen der börsengängigen Gesellschaften und die kaum steigende Zahl der zur Börse zugelassenen französischen Gesellschaften kamen hinzu. Zusammengefaßt handelt es sich um eine Periode, in der die langfristigen Geldanlagen der französischen Haushalte (Versicherungsverträge, Erwerb von Aktien und Schuldverschreibungen) in einer harten Konkurrenz zu den Investitionen im Wohnungsbau standen. Vor 1975 stieg die nominale Brutto-Anlagevermögensbildung der privaten Haushalte um 7 v.H. pro Jahr. Die Investitionen der privaten Haushalte in Immobilien begannen 1975 zu stagnieren oder sogar Jahr für Jahr zu schrumpfen. Dafür gibt es mehrere Gründe (Sättigung bestimmter Bedürfnisse; zu starker Preisanstieg für Neubauwohnungen; relativ schwaches Kreditangebot zu Zinssätzen, die bereits damals als hoch angesehen wurden), auf die hier jedoch nicht näher eingegangen werden kann. Eine solche Entwicklung gibt Raum für andere Verwendungszwecke. So ist für viele Beobachter die Geldvermögensbildung der privaten Haushalte in eine neue Phase eingetreten. Es kommt hinzu, daß 1978 ein wichtiges Gesetz zur Förderung der Geldanlage in französischen Aktien in Kraft trat (das sogenannte „Monory"-Gesetz, benannt nach dem damaligen Finanzminister). Dieses Gesetz sah folgendes vor: Jeder Steuerhaushalt konnte von seinem zu versteuernden Einkommen 5000 FF (zuzüglich einer bestimmten Summe für die unterhaltsberechtigten Kinder) abziehen, wenn diese Beträge entweder unmittelbar oder über die SICAV (Investitionsgesellschaften mit variablem Grundkapital) in französischen Aktien angelegt wurden. Die mittleren und oberen Führungskräfte, die einem hohen Grenzsteuersatz unterlagen, begrüßten dieses Gesetz. Es führte zu einer beachtlichen Erhöhung der Anzahl von Aktionären und einer Herabsetzung ihres Durchschnittsalters.

758

André Babeau

Π. Die Entwicklung des Geldvermögens der privaten Haushalte in Frankreich seit 1979 Wenn man von den Preisbewegungen der Vermögenswerte absieht, so ist die Brutto-Vermögensbildung der privaten Haushalte makroökonomisch auf zwei Faktoren zurückzuführen, nämlich auf die Ersparnisse einerseits und die Neuverschuldung andererseits. Diese beiden Anlagemittel und ihre Verwendungszwecke können etwas vereinfacht wie nachstehend dargestellt werden, wobei es sich um Stromgrößen und nicht um Bestandsgrößen handelt: Ersparnisse + Neuverschuldung = Investitionen + Geldanlagen + Kredittilgungen Tabelle 2 Frankreich — Entwicklung der Anlagemittel der privaten Haushalte 1979-1983 (in v.H.)

Jahr

Bruttoersparnis i n v . H. des v e r f ü g b a r e n Einkommens (.1)

Kreditaufnahme + i n v . H. des v e r f ü g b a r e n Einkommens ( 2 )

Anlagemittel (1) + (2)

1979

16,2

10,9

27,1

1980

14,9

10,0

24,9

1981

15,8

8,3

24,1

1982

15,7

8,1

23,8

1983

14,9

8,5

23,4

+ Die Kredite

umfassen n u r m i t t e l -

und l a n g f r i s t i g e

Kredite.

Wie aus Tabelle 2 hervorgeht, sind während der wirtschaftlichen Verlangsamung nach dem zweiten ölschock zwischen 1979 und 1983 die Anlagemittel der privaten Haushalte von 27,1 v.H. des verfügbaren Einkommens im Jahre 1979 auf 23,4 v.H. im Jahre 1983 geschrumpft. Dieser Rückgang erklärt sich durch die rückläufige Entwicklung ihrer beiden Komponenten: Die Sparquote sinkt aufgrund der Wachstumsabschwächung oder sogar der Verringerung des verfügbaren Einkommens; die Kreditaufnahme in v.H. des verfügbaren Einkommens ist seit 1981 deutlich zurückgegangen, vor allem wegen der kräftigen Zinssatzerhöhungen. Trotz des Sinkens der Anlagemittel der privaten Haushalte verbleiben die Geldanlagen auf einem ansehnlichen Niveau. Ursache dafür ist der Rückgang der Investitionen und der Kredittilgungen.

Geldvermögensbildung der privaten Haushalte in F r a n k r e i c h 7 5 9

Tabelle 3 Frankreich — Struktur der Anlagemittel und ihrer Verwendungszwecke+ 1979-1983 (in v.H.)

Jahr

Bruttoersparnisse

Neue Kredite

1979

59,6

40,4

100,0

39,6

44,5

15,9

1980

60,0

40,0

100,0

43,0

40,7

16,3

1981

65,0

34,5

100,0

41 , 3

42,0

16,7

1982

65,9

34,1

100,0

40,5

44,3

15,2

1983

64,0

36,0

100,0

38,2

47,0

14,8

Gesamt

Bruttoinvestitionen

Geldanlagen

Rückzahlungen

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Aus den Tabellen 2 und 3 kann der Anteil der Geldanlagen am verfügbaren Einkommen der französischen Haushalte berechnet werden: 1979 12,1 v.H.

1980 10,1 v.H.

1981 10,1 v.H.

1982 10,5 v.H.

1983 11,0 v.H.

Die Aufrechterhaltung der Geldanlagen der privaten Haushalte auf einem ziemlich hohen Niveau, verbunden mit dem Rückgang der Investitionen im Wohnungsbau, hat zur Erhöhung des Anteils des Geldvermögens am Gesamtvermögen der privaten Haushalte geführt: Aus den meist auf nationaler Ebene für die Periode 1970-1979 veröffentlichten Vermögenskonten geht für 1979 ein Geldvermögen hervor, das ca. 31 v.H. des Gesamtvermögens der privaten Haushalte darstellt. Für 1983 liegt noch keine Vermögensrechnung vor, aber schätzungsweise liegt der Anteil des Geldvermögens bei 34 v.H. U m die recht rasche Erhöhung zu erklären, muß zu den zuvor erwähnten Vorgängen hinzugefügt werden, daß die relativen Preise der Sachvermögenswerte zwischen 1979 und 1983 tendenziell eher gesunken sind: diese Entwicklung war ziemlich einheitlich bei landwirtschaftlich genutzten Böden; sie war ohne Zweifel differenzierter für Gebäude, und zwar je nach Immobilienart und je nach Standort. Es ist aber sicher, daß die relativen Preise für Immobilien zumindest stagnierten, während sie vor 1979 stark zugenommen hatten.

André Babeau

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Tabelle 4 Frankreich — Zusammensetzung der Geldanlagen der privaten Haushalte 1973-1983 — Stromrechnung (in v.H.) 1973

1982

1983

Sichteinlagen

18,8

20,8

12,4

Spareinlagen

59,5

47,2

46,4

7,4

12,1

12,5

14,3

19,9

28,7

100,0

100,0

100,0

104,8

302,8

321 , 5

Lebensversicherung Wertpapiere

(Nettoanlagen)

G E S A M T G E S A M T

( I N MRD.

FF)

Tabelle 4 zeigt, daß sich auch die Struktur der Geldanlagen der privaten Haushalte beachtlich verändert hat. Der Anteil der Spareinlagen (insbesondere Sparkassenbücher) an den Gesamtanlagen ist stark zurückgegangen: von ca. 60 v.H. auf knapp über 45 v.H. Dagegen hat sich der Anteil der Lebensversicherungen deutlich erhöht (von 7 v.H. auf 13 v.H.). Die Entwicklung der Wertpapieranlagen war noch bedeutsamer: von 14 v.H. im Jahre 1973 auf 29 v.H. im Jahre 1983. Jede dieser Entwicklungen könnte natürlich ausführlich kommentiert werden. Die Zunahme von Anlagen in Form von Lebensversicherungen ist die Folge eines verbesserten Leistungsangebots, dessen Kommerzialisierung besser auf die privaten Haushalte zugeschnitten wurde. Wirtschaftskrise und Geburtenrückgang bedrohen das Rentenversicherungssystem (Umlagesystem). Diese Situation wurde von den Versicherungsgesellschaften dazu genutzt, eine Anlageform des Rentensparens, die auf der Kapitalisierungstechnik beruht, anzubieten. Es ist nicht auszuschließen, daß der Staat in einer mehr oder weniger nahen Zukunft auf irgendeine Weise diese Anlagenart fördert, um Beiträge zum Sozialrentensystem zu vermeiden, die die Produktionskosten der Unternehmen noch zusätzlich belasten würden. Was nun die Zunahme der Wertpapieranlagen betrifft, so ist sie auf das Zusammentreffen mehrerer Faktoren zurückzuführen. Die Defizite des Staatshaushaltes und der Finanzierungsbedarf zahlreicher Unternehmen haben die Ausgabe von verhältnismäßig hochverzinsten Anleihen beachtlichen Volumens ausgelöst. Andererseits ist die steuerliche Behandlung der Erträge aus Schuldverschreibungsanleihen ziemlich günstig für alle Steuerpflichtigen, deren Grenzsteuersatz 25 v.H. übersteigt (dies betrifft viele unselbständige

Geldvermögensbildung der privaten Haushalte in F r a n k r e i c h 7 6 1 Führungskräfte und doppeltverdienende Haushalte): Der reale Zinssatz nach Steuern (und Inflation) ist positiv geworden. Gleichzeitig haben Bestimmungen zuungunsten der Eigentümer den Gesamtnettoertrag aus Mietimmobilien verringert: für die Mieten sind einerseits Höchstgrenzen festgesetzt, andererseits treten dort häufig Kapitalwertminderungen auf, wo früher regelmäßig — wohl recht übertriebene — Wertzuwächse zu verzeichnen waren. Die Folge war ein ,,Trichtereffekt". Die Ersparnisse wurden auch deshalb in Wertpapieren angelegt, weil andere mögliche Anlageformen nicht mehr genügend rentabel waren. Der Aktienmarkt hat sich ebenfalls positiv entwickelt; allerdings in einem geringeren Umfang als der Markt für Schuldverschreibungen. Der französische Staat hat die Richtung eingehalten, die durch das „Monory"-Gesetz 1978 eingeschlagen wurde: Aktiensparen in Kontenform ist mit bestimmten Steuervorteilen verbunden. Ein ,,zweiter M a r k t " für Titel von mittleren Unternehmen ist eröffnet worden. Er umfaßt bereits 60 Unternehmen, die recht hohe Erträge ausweisen. Es kommt hinzu, daß der Börsenindex französischer auf dem ersten Markt notierter Werte sich seit Mai 1981 sehr positiv entwickelt hat, obwohl viele Beobachter damit rechneten, daß die mit dem sozialistischen Experiment verbundene Nationalisierungswelle der Börse einen entscheidenden Schlag versetzen würde. Insgesamt dürfte sich in den letzten Jahren der Anteil der Wertpapiere am Geldvermögen der privaten Haushalte wesentlich erhöht haben: er könnte heute eine Größenordnung von VI des Geldvermögens erreicht haben. Die Zusammensetzung des Geldvermögens dürfte derjenigen der angelsächsischen Haushalte näherkommen — ohne sie jedoch zu erreichen. Der Anteil der Schuldverschreibungen an den Wertpapieren dürfte heute mindestens genauso groß wie der Aktienanteil sein, obwohl bei Emissionen von Anleihen ein erheblicher Teil durch die institutionalisierten Geldanleger (Caisse des dépots et consignations = französische Staatsdepositenkasse, Versicherungsgesellschaften, Pensionskassen, etc.) aufgekauft wird. Somit haben die französischen Haushalte bewiesen, daß sie gegenüber Wertpapieren nicht besonders ,,allergisch 44 sind: Wenn die Ertragssätze der langfristigen Geldanlagen günstig werden, dann reagieren die privaten Haushalte sensibel darauf und wählen diese Anlagen mit hohen Renditen. In diesem Rahmen sollte die wichtige Rolle der Institutionen für Sammelanlagen erwähnt werden: SICAV (Investitionsgesellschaften mit variablem Grundkapital) oder die kleineren FCP (Fonds für Gemeinschaftsanlagen). Wie in anderen Ländern haben diese Institutionen zur Verringerung der Anlagerisiken beigetragen und den unerfahrenen Haushalten ermöglicht, sich

762

André Babeau

wegen ihrer Anlageverwaltung an Fachleute (Finanzanalysten etc.) zu wenden. Neben den klassischen Investitionsgesellschaften sind außerdem vor kurzem die ,,fonds de trésorerie" (Kassenfonds) entstanden, die die amerikanischen ,,Money Market Funds" zum Vorbild haben. Durch solche Fonds verschwimmt die Grenze zwischen Geldvermögen (im engeren Sinne) und den sogenannten „langfristigen" Anlagen: Es ist in der Tat möglich, jederzeit und fast kostenlos aus den Fonds auszutreten; in den letzten Jahren waren die Risiken dieser Anlagenart unter Berücksichtigung der antizipierten Zinsentwicklung praktisch gleich null. Daher hatten diese Anlagen großen Erfolg. In einer anderen Finanzkonjunktur könnten diese Fonds jedoch größere Risiken beinhalten. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Geldanlagen der französischen Haushalte in den zwei oder drei letzten Jahren eine genauso bedeutsame Entwicklung aufzeigten, wie sie für die Geldanlagen der amerikanischen Haushalte während der bekannten Periode der „deregulation" zwischen 1975 und 1980 zu beobachten war.

III. Die Verteilung des Geldvermögens der privaten Haushalte in Frankreich Den allgemeinen Überblick über die Zusammensetzung und Entwicklung des Geldvermögens der privaten Haushalte sollen einige Informationen über dessen Verteilung, insbesondere nach Altersklassen und Berufsgruppen, vervollständigen. Zunächst sollen die Präferenzen der Vermögenshaltung (Prozentsätze der den jeweiligen Kategorien angehörigen Eigner jeder ausgewählten Vermögensart) im Hinblick auf die beiden Klassifizierungen, dann auch die Verteilung der verschiedenen Vermögensformen nach den gleichen Klassifizierungen erläutert werden. Zunächst muß die ungleichmäßige Verteilung der verschiedenen Geldvermögensarten unterstrichen werden. Sichteinlagen und Spareinlagen sind natürlich weniger konzentriert als Sparbriefe (insbesondere diejenigen, die seinerzeit den Landwirten und älteren Personen verkauft wurden), Schuldverschreibungen und Aktien. Die oben beschriebenen Entwicklungen dürften allerdings den Gini-Koeffizienten für Wertpapiere etwas verkleinert haben. Diese ungleichmäßige Verteilung erklärt sich einerseits durch die Streuung der verschiedenen Geldvermögensarten in der Bevölkerung, andererseits durch die Unterschiede in den ausgewiesenen Summen.

Geldvermögensbildung der privaten Haushalte in Frankreich

763

Tabelle 5 Frankreich, 1975 Verteilung der verschiedenen Geldvermögensformen in der Gesamtbevölkerung GINI-KOEFFIZIENT

GELDVERMÖGENSFORMEN

0,71

Sichteinlagen Spareinlagen (Sparkassen oder

0,76

Banken)

0,97

Sparbriefe A n l e i h e n und

Schuldverschreibungen

0,97 0,98

Aktien +

+

a u f B a s i s der G e s a m t b e v ö l k e r u n g ( B e s i t z e r und N i c h t b e s i t z e r der j e w e i l i g e n Geldvermögensart) b e r e c h n e t .

Quelle:

Befragung

i. Präferenzen

CREP,

1975.

der Vermögenshaltung nach Alter und Berufsgruppen

Tabellen 6 und 7 weisen die Vorlieben der privaten Haushalte nach dem Alter oder beruflicher Eingruppierung für verschiedene Vermögensarten im Jahre 1980 aus. Bei der Aufteilung nach dem Alter (Tabelle 6) ist es schwer festzustellen, was als rein altersbedingt und was als rein generationsbedingt anzusehen ist. Der Rückgang des Besitzes von Sichteinlagen mit zunehmendem Alter könnte zum Beispiel auf einen reinen Generationseffekt zurückzuführen sein. Bei der Aufteilung nach Berufsgruppen (Tabelle 7) unterscheiden sich die Sichteinlagen und die Spareinlagen kaum. Bei Wertpapieren gibt es jedoch deutliche Unterschiede: A n der Spitze liegen Freiberufler, Unternehmer, Großhändler und obere Führungskräfte.

2. Verteilung

der Geldvermögensarten

nach Berufsgruppen

Tabelle 8 zeigt die Verteilung jeder Geldvermögensart auf die acht berücksichtigten Berufsgruppen. Die letzte Zeile der Tabelle weist den Prozentsatz der privaten Haushalte aus, deren Vorstand der jeweils berücksichtigten Berufsgruppe angehört. Daraus läßt sich wie erwartet ableiten, daß die Selbständigen und die oberen Führungskräfte ein überdurchschnittliches Geldvermögen besitzen; 1975 stellen sie weniger als 14 v.H. der Bevölkerung und halten fast 28 v.H. des GesamtgeldVermögens, wobei die Konzentration bei

764

André Babeau Tabelle 6 Frankreich, 1980 Altersspezifische Präferenz der Vermögenshaltung in ausgewählten Vermögensarten in v.H. der jeweiligen Altersgruppe A l t e r des Haushalts -

Vorstandes

Sichteinlagen

Spareinlagen

Wertpapiere

1,1

25 J a h r e und w e n i g e r

99,6

75,2

25 -

34. J a h r e

95,7

74,7

7.0

35 -

44 J a h r e

95,4

80,4

9,4

45 -

54 J a h r e

94,7

83,0

14,5

90,8

78,3

14,2

65 J a h r e und mehr

81 , 4

86,8

16,7

Durchschnitt

91 , 6

80,7

11 , 8

55-64

Quelle:

Jahre

Befragung

CREP,

1980.

Tabelle 7 Frankreich, 1980 Berufsspezifische Präferenz der Vermögenshaltung in ausgewählten Vermögensarten in v.H. der jeweiligen Berufsgruppe BERUFSGRUPPE DES HAUSHALTSVORSTANDES

SICHTEINLAGEN

Freiberufler

100,00

Unternehmer, Großhändler

SPAREINLAGEN

WERTPAPIERE

84,4

47,0

100,00

79,0

48,8

Landwirte

95,5

81,1

10,7

Handwerker, Einzelhändler

99,0

30,2

14,6

Obere

81 , 3

83,6

13,7

Führungskräf te

99,8

82,4

17,6

Angestellte

Mittlere

Führungskräfte

96,8

80,6

8,5

Arbeiter

93, 2

77,5

3,0

80,7

11 , 8

Durchschnitt ' Quelle:

B e f r a g u n g CREP,

91 , 6 1980·

Geldvermögensbildung der privaten Haushalte in Frankreich

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